Die deutsche Thomas-Ausgabe: Band 25 Die Menschwerdung Christi [Reprint 2022 ed.] 9783112658260, 9783112658253


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German Pages 540 [544] Year 1934

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Einrichtung der Übersetzung
Bandeinteilung des ganzen Werkes
DIE MENSCHWERDUNG CHRISTI
Vorwort des hl. Thomas
1. Frage Die Angemessenheit der Menschwerdung
2. Frage Die Art und Weise der Vereinigung des Wortes mit der menschlichen Natur
3. Frage Die Vereinigung und die annehmende Person
4. Frage Die Vereinigung und die angenommene Natur
5. Frage Die Teile der menschlichen Natur und deren Annahm
6. Frage Die Ordnung der Annahme
7. Frage Die persönliche Gnade Christi, sofern er Mensch ist
8. Frage Die Gnade Christi als des Hauptes der Kirche
9. Frage Das Wissen Christi im allgemeinen
10. Frage Die Gottesschau der Seele Christi
11. Frage Das eingegossene Wissen der Seele Christi
12. Frage Das erworbene oder Erfahrungswissen der Seele Christi
13. Frage Die Macht der Seele Christi
14. Frage Die leiblichen Mängel, die Christus mit der menschlichen Natur angenommen hat
15. Frage Die Mängel der Seele, die Christus mit der menschlichen Natur annahm
Anmerkungen
Kommentar
Nachträge und Berichtigungen
Sachverzeichnis
Alphabetisches Autorenverzeichnis
Inhaltsübersicht
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Die deutsche Thomas-Ausgabe: Band 25 Die Menschwerdung Christi [Reprint 2022 ed.]
 9783112658260, 9783112658253

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DIE

D E U T S C H E

T H O M A S - A U S G A B E

Vollständige,

ungekürzte

deutsch-lateinische

SUMMA

Ausgabe

der

THEOLOGICA

Obersetzt von DOMINIKANERN

UND

BENEDIKTINERN

DEUTSCHLANDS UND

ÖSTERREICHS

Herausgegeben vom KATHOLISCHEN AKADEMIKERVERBAND

26.

B A N D

19 34 VERLAG

ANTON

PUSTET



SALZBURG



LEIPZIG

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M E N S C H W E R D U N G C H R I S T I

V E R L A G

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19

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PUSTET



SALZBÜRG



LEIPZIG

Das Imprimatur wurde

erteilt vom HochwürdigS'ten Herrn Abt

Benediktus Reetz von

Seckau und dem FUrsterzbischöflichen O r d i n a r i a t zu S a l z b u r g

Einbandentwurf Druck

der

von

Professor

Rudolf

Universitäts-Buchdruckerei

Koch,

Offenbach

„ S t y r i a " in

Graz

VORWORT

Dank der fertigen Bandeinteilung der Deutschen Thomas-Ausgabe sind wir in der Lage, die einzelnen Bände in zwangloser Reihenfolge erscheinen zu lassen, wobei ideelle und praktische Rücksichten zu gleichen Teilen ihr Recht behaupten. So erscheint an zweiter Stelle gleich der 25. Band, der erste des III. Buohes. Der erste Band des I. Buches handelte in seinen dreizehn Fragen zunächst von dem, was der Mensch kraft seiner natürlichen Vernunft von Gott wissen kann, und von den Wegen, die ihn zur natürlichen Gotteserkenntnis führen; von dem eigentlichen Leben Gottes selbst war noch nicht die Rede. Dieser an zweiter Stelle erscheinende 25. Band spricht nun von Dem, der von sich gesagt bat: „Ich bin der Weg". So ist es auch in diesem Bande noch das Verhältnis des Menschen zu Gott, das uns lebendig beschäftigt, wenn auch diesmal in einer ganz neuen, dem natürlichen Denken nicht zugänglichen Weise. Der vorliegende Band bringt dem gottsuchenden Menschen jene Lösung, die zugleich eine Erlösung bedeutet, und nach der er im ersten Bande vergebens gesucht haben mag. So folgt dieser zweite Band inhaltlich, von der Situation des konkreten Menschen aus gesehen, sinnvoll dem ersten, mag er auch im System der Summa an viel späterer Stelle stehen. Zugleich kommt er insofern zur rechten Zeit, als gerade das Chriistusproblem in unseren Tagen in eine ganz neue Phase unerhörter Lebendigkeit eingetreten ist. In bezug auf die Einrichtung des Bandes gilt das im Vorwort des ersten Bandes Gesagte. Für die Auffindung einer Anzahl Väter-Zitate wurde I. Backes, „Die Christologie des hl. Thomas von Aquin und die griechischen Kirchenväter" (Paderborn 1931), zu Rate gezogen. Die Be(5)

deutung der bei den Stellennachweisen benutzten Abkürzungen findet man auf dem Merkblatt. Die den Aristoteles-Stellen im Text beigefügten Nummern beziehen sich auf die Ausgabe von Didot. Es sei an dieser Stelle gestattet, ein Mißverständnis zu beseitigen, das sich leider aus der Formel ergeben hat, die bei der Datierung des Vorwortes zum ersten Bande gebraucht wurde. Wenn es dort heißt: „Im heiligen Jahr der Kirche und der Deutschen", so ist damit in keiner Weise auf irgendwelche politischen Ereignisse des Jahres 1933 Bezug genommen, sondern lediglich auf das große abendländische Ereignis des Allgemeinen Deutschen Katholikentages, der schon ein halbes Jahr im voraus als „ein heiliges Jahr der Deutschen" angekündigt wurde. Außerdem war der Katholikentag als Jubelfeier für die 250jährige Wiederkehr des Jahres der Türkenbefreiung gedacht, die doch wohl eine heilige und zugleich eine allgemein deutsche Angelegenheit war und daher die obige Formel vollauf rechtfertigt. Daß wir den versprochenen Erscheinungstermin einhalten konnten, danken wir vor allem dem weitgehenden Entgegenkommen und der unermüdlichen Arbeit des Übersetzers und Kommentators dieses Bandes, P. Doktor Leopold Soukup, 0. S. B. Walberberg-Graz,

im April 1934. Die

(6)

Schriftleitung.

EINLEITUNG

Wir wissen, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns Einsicht verliehen hat, daß wir den wahren Gott erkennen und in Seinem wahren Sohne seien. Dieser ist wahrer Gott und ewiges Leben. 1 Joh. 5, 20.

Der erhabenste Gegenstand, den der Theologe nächst der Allerheiligsten Dreifaltigkeit behandeln kann, ist der Gottmensch Jesus Christus, von dem uns die heiligsten Urkunden der Menschheit, die Evangelien, berichten; über den die Kirche als Seine Braut — demnach die einzig Berufene in diesen Dingen — uns in ihren Dogmen die tiefsten Geheimnisse übermittelt hat; bei dessen Wort „die Könige ihren Atem anhalten"; Er, „der zum Eckstein geworden ist", zum Wahrzeichen der Geschichte, zum Mittelpunkt der Welt, zum Brennpunkt, in dem alle Strahlen des Göttlichen von oben und des Menschlichen von unten sich begegnen; Er, „ohne den nichts gemacht von dem, was gemacht worden ist"; Er, dem der Vater, der das Leben ist, „gegeben hat, das Leben in sich selbst zu haben"; Er, der als das ewige WORT Gottes „der Erstgeborene ist der gesamten Schöpfung", als der Sohn des Menschen- aber „der Erstgeborene ist unter vielen Brüdern"; Er, der die Schlüssel zum Sein und zum Leben trägt; Er, der sich selbst „Licht" genannt hat der Welt, und „Weg", „Wahrheit", „Leben"; Er, der „v o r allem ist und in dem a l l e s Bestand hat"; Er, „der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, der in allen Dingen den Primat, den Vorrang hat"; in dem „die ganze Fülle wohnt", die Fülle des Seins und des Lebens und aller Gnade; Er, in dem auch wir berufen sind, „teilzunehmen am Erbe der Heiligen im Lichte". Er also, Jesus Christus, ist der Gegenstand dieses ersten Bandes des III. Buches der Theologischen Summa des heiligen Thomas von Aquin. Scheint es aber nicht ein unwürdiges Beginnen, Christus zum Gegenstand (7)

einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen? Oder wie sollte Er, der die existenzielle Antwort ist auf alle Fragen, die existentielle Antwort vor allem auf die Frage nach Gott und auf die Frage nach dem Menschen, da Er, der Gottmensch, doch Gott und Mensch ist in Eins, — wie sollte Er Gegenstand der Frage werden können! Aber so ist es auch nicht gemeint. Vor allem bei Thomas ist es nicht so gemeint. Christus wird nicht ehrfurchtslos zum Gegenstand menschlichen Vorwitzes oder menschlicher Forschung gemacht. Nicht wie so mancher „Forscher" an seinen Gegenstand, geht Thomas an die erhabene Wirklichkeit heran, die in Christus Tatsache geworden ist; womit nicht gesagt sein soll, daß Thomas als Forscher je einen Gegenstand ehrfurchtslos behandelt haben würde — der wahre Forscher hat immer eine tiefe Ehrfurcht vor dem Seienden —; aber wenn irgendwo, dann ist es hier wahr, was er von sich selbst sagt: daß er vor dem Bilde des Gekreuzigten selbst mehr Weisheit gelernt habe als in allen Büchern der Weisen. Wenn irgendwo, dann hat er, wie später sein Ordensbruder Angelico da Fiesole seine Christusbilder, so das Christusbild seiner Summa gezeichnet auf den Knien, mit zitternden, anbetenden Händen, Zug um Zug, Falte um Falte dieses Bildes uns enthüllend. Nirgendwo wird es uns so lebendig, daß der Begriff der Wissenschaft, der Begriff der Forschung ein tief analoger Begriff ist; daß Wissen hier nicht mehr Macht bedeutet und Beherrschung eines „Stoffes", sondern Liebe und Anbetung, ein Finden, ein Offenbarwerden von Geheimnissen, die die Seele erzittern machen; ein Greifen und Begreifen von Zusammenhängen, die sich nur dem ungetrübten Auge des tiefgläubigen Menschen entdecken, ihn dann hineintragen „in die Freude des Herrn" und ihn forttragen bis unmittelbar dorthin, wo dem Geiste der göttliche Sinn der Welt und aller Geschichte aufgeht. Niemand wird leugnen wollen, daß Christus selbst ein tiefes „Wissen um" den letzten Sinn des Lebens eigen war, ein Wissen, das himmelhoch über allem bloßen (8)

Wissen der Wissenschaft liegt, eine unmittelbar anschauliche Sicherheit, kraft deren Er sprach „wie einer, der Macht hat". Und sollte sich ein Funken dieses Wissens nicht dem mitgeteilt haben, der nach der Geschichte von Christus selbst die Worte hören durfte: „Du hast gut von Mir geschrieben, Thomas"? Und sollte sich hinwiederum nicht ein Fünklein dieses Funkens in der Seele und dem Geiste dessen entzünden, der mit heiligem Ernst und „mit den erleuchteten Augen seines Herzens" die scheinbar so schlichten Sätze und Überlegungen des Aquinaten aus den vorliegenden fünfzehn Fragen des III. Buches seiner Summa studierend und betend in sich aufnimmt? Denn alle andere Beschäftigung, die etwa nur der Wissenschaft oder gar nur der Kritik wegen sich mit diesem Gegenstand abgibt, möchten wir für eine Profanierung und dem Geiste des Aquinaten selbst zuwider halten. Die äußere Form dieser Christologie des heiligen Thomas ist, wie die Form seiner Summa überhaupt, natürlich weitgehend zeitbedingt. Die innere Form seiner Christologie aber läßt sich nur aus dem Geiste und Denken des Aquinaten selbst begreifen, das ein überzeitliches, streng systematisches und in allen seinen Überlegungen grundsätzliches Denken ist. Thomas geht nicht vom geschichtlichen Jesus aus, wie unsere heutigen besten Christusidarstellungen, er stößt vielmehr gleich bis zur eigentlichen Mitte des Geheimnisses, bis zum Kern des Dogmas vor und entwickelt aus diesem Kern in lückenloser Folge alles, was über Christus zu sagen ist, um es nachträglich an den Aussprüchen der Heiligen Schrift, der Väter und der Konzilien zu bewähren. Das große Apriori seiner ganzen Christologie ist ausgesprochen in dem durch das Dogma festgelegten Satz: Zwei Naturen in einer Person. Mit diesem Lichte in der Hand, das ihm der Glaube durch die Kirche reichen läßt, durchwandert er alle Tiefen und Höhen des Geheimnisses mit unbeirrbarer Sicherheit. Viele Stationen seines Weges sind dabei freilich bedingt durch die Geschichte der christologischen Irrtümer, die er nacheinander behandelt und „wissen(9)

schaftlich", das heißt durch rein gedankliche Folgerungen, wie sie sich aus seinem Apriori ergeben, widerlegt. Die für Thomas so typische Formel: Hoc repugnat veritati incarnationis — die aufgestellte Behauptung ist mit der Wahrheit der Menschwerdung unvereinbar —, beweist seine unbestechliche Logik, die sich stets von der unerbittlichen Folge des Gedankens leiten und von keinerlei Gefühlsmomenten beeinflussen läßt. Es gibt leider auch in der Christusliteratur eine Art Anthropomorphismus, dem manche moderne Christusdarstellungen erlegen sind und für den es kein besseres Heilmittel gibt als die „ebenso fromme als männliche und wahrhaft ritterliche Theologie" des hl. Thomas. Gewiß hat Thomas seine Christologie nicht restlos in eigener Arbeit, allein aus den Sätzen des Glaubens durch schlußfolgerndes Denken gewonnen, so wenig er sie als ein fertiges System durch Offenbarung empfangen hat. Vielmehr stützt er sich hier, mehr als in anderen Teilen seiner Summa, auf die Überlieferung, besonders der griechischen Väter. Aber wie er diese Überlieferung seiner eigenen Gedankenwelt einbaut und dadurch zum Teil der abendländischen Theologie neu erschließt, darin zeigt sich wieder seine Meisterschaft, die sich auf dem Gebiete der positiven Theologie nicht weniger bewährt als auf dem der reinen Spekulation. Da gerade diese Seite seiner Forscherarbeit selbst in Fachkreisen weniger gewürdigt wird und man Thomas gern in einseitiger Auffassung zum Intellektualisten stempelt, der wohl seine Spekulation, aber weder die geschichtliche Überlieferung noch die konkrete Natur gekannt habe, so mag hier ein unverdächtiger Zeuge für ihn sprechen. Wir besitzen aus der Schule des um die Thomasforschung hochverdienten Prälaten Geheimrat Dr. Martin Grabmann eine Arbeit aus allerjüngster Zeit, die diese Seite der Theologie des Heiligen in helles Licht rückt: Ignaz Backes, „Die Christologie des hl. Thomas von Aquin und die griechischen Kirchenväter" (Paderborn 1931). Die Ergebnisse dieser mit deutscher Gründlichkeit 'besorgten Arbeit, die natur(10)

gemäß nur einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Fachgelehrten bekannt sein dürfte, verdienen es, zur Ehre des hl. Thomas und zur Ehre deutschen Forscherfleißes, zugleich aber als wichtiger Beitrag zum Verständnis und zur Würdigung der Methode des Heiligen, den Lesern der Deutschen Thomas-Ausgabe und damit einem viel größeren Kreise bekannt zu werden. Backes gibt nach jedem der drei großen Kapitel oder Abschnitte seiner Studie einen „Rückblick", in dem er die Ergebnisse des betreffenden Abschnittes zusammenfaßt. S. 54 f. heißt es: „Wenn wir das Maß, das Thomas an Kenntnis und Benutzung der griechischen Väter aufweist, überblicken, so können wir eine starke Benutzung des Cyrill von Alexandrien, der Konzilien, des Joh. Chrystostomus, des Ps.-Dionys und des Joh. v. Damaskus feststellen. Die Kenntnis des Joh. Chrysostomus, Ps.-Dionys und Joh. v. Damaskus ist dem Aquinaten mit den anderen Scholastikern gemeinsam. Eigenes Verdienst ist es, Cyrill v. Alexandrien und die griechischen Konzilien herangezogen zu haben. Thomas hat ferner als einziger Scholastiker den Wert der griechischen Katenen erkannt und sie sich zunutze gemacht. So stellt sich hier schon, am Schlüsse des ersten Abschnittes, der Aquinate als Fürst der Wissenschaft auch vom Standpunkt der positiv beweisenden Theologie dar. Als echte Forschernatur drang er zu ersten Quellen der Christologie vor. Es gelang ihm, im 13. Jahrhundert, in der Zeit zwischen Abfassung des S. K. [ = Sentenzen-Kommentar] und der S. c. g. [ = Summa contra gentiles], Cyrill und die Konzilssammlungen gleichsam wieder zu entdecken . . . (Der Christologie) hat Thomas durch seine eigenen Quellen-Forschungen und -Studien neues Blut aus dem Geisteswachstum der griechischen Kirche zugeführt." S. 122 f.: „Die Ergebnisse der Untersuchung über die Einstellung des Thomas? von Aquin zu seinen Zitaten lassen sich so in Kürze zusammenfassen: Zu ernst nimmt Thomas die griechischen Väter, um sie bloß (11)

als Zierat seinem Werke beizugeben, und zu deutlich reden sie ihm eine andere theologische Sprache, als daß er sie bloß als Zeugen für den Einklang seiner Lehre mit der ihrigen anführen könnte. Daher erklärt er mißverständliche oder von seinen Gegnern mißverstandene Aussprüche der Väter. Dabei bedient er sich meistens und schon in seinen ersten Schriften der Methode, den Zusammenhang heranzuziehen, in gleicher Weise danach strebend, den wahren Sinn eines Textes herauszustellen, wie die Ehrfurcht vor den Vätern nicht zu verletzen. Doch nicht ganz weiß er sich loszumachen von dem dialektischen Zug seiner Zeit. Über die Zeitgenossen ragt er hervor, aber er steht mitten unter ihnen und gibt daher auch Erklärungen von Vätertexten, die ganz vom Geiste der Dialektik durchweht sind. Seltener macht er sich die Erklärungen zunutze, die bei den Griechen selbst für Texte einer früheren Zeit gegeben wurden. Ganz selten, und nur in der S. Th. [ = Summa Theol.] kommt eine Erklärung zustande, die der dogmengeschichtlichen Lage Rechnung trägt. Die Gesamtzahl aller Erklärungen ist groß, die Zahl der Autoren aber klein. Viel lieber als Erklärungen zu geben ist es aber dem Aquinaten, wenn er durch Vätertexte seine eigenen Anschauungen belegen kann. In dieser Absicht hat er ja vornehmlich Vätertexte herangezogen, die seine Vorgänger nicht kannten. Zeigen die selbständigen Erklärungen von Texten aus dem Zusammenhang, daß Thomas eigene Studien in den Werken der Väter getrieben hat, so zeigen die zahlreichen Belege, daß er die Werke der Väter nicht studierte, um die darin enthaltenen Lehren um ihrer selbst willen kennenzulernen und darzustellen. Thomas will nicht wissen, wie die Lehren der Vorzeit und Gegenwart sich entwickelt haben, sondern wie es um das Geheimnis Christi bestellt ist. Die Väter sollen ihm den Weg sichern bei dem Gang in diese Tiefe, sollen ihm Licht spenden im Dunkel des Geheimnisses. Erkenntnis will er von ihnen gewinnen, aber Erkenntnis ihrer Worte zur Erkenntnis des fleischgewordenen Wortes." (12)

S. 324 ff.: „Ein Rückblick auf die theologiegeschichtlichen Ausführungen zeigt uns, daß das Resultat dieses Abschnittes sich ebenbürtig dem Resultat des ersten anreihen darf. Wie Thomas patristisches Neuland für die Christologie seiner Zeit entdeckt hat, wie er methodisch die Väterstellen besser verwertet hat als seine Zeitgenossen und insbesondere den Differenzpunkten zwischen griechischer und scholastischer Christologie durch Zurückgehen auf den Kontext und Vertiefung in die Gedankenwelt der Väter gerechter wurde, so hat Thomas es auch verstanden, die scholastische Christologie äußerlich zu erweitern durch neue Fragen und Probleme und vor allem ihrer inneren Struktur etwas vom Geist und Stil der griechischen Christologie mitzugeben. Der Begriff einer partikulären Natur, die nicht Hypostase ist, die Hypostase als die eigentliche Grundlage aller Tätigkeiten, Eigenschaften und Aussagen, die Aneignung der menschlichen Natur durch die göttliche, der Vergleich des Verhältnisses der menschlichen Natur zur göttlichen mit dem Verhältnis eines Werkzeugs zum Arbeiter, die freie Entfaltung der ganzen Eigenart der menschlichen Natur Christi, das sind die starken Verbindungslinien zwischen Thomas und den griechischen Vätern. Durch sie kam Thomas nach einer besseren Darstellung zu einer geschickteren Widerlegung des Nestorianismus und Monotheletismus, zu einer stark ablehnenden Stellung gegen die Trennungstendenzen in der scholastischen Christologie. In der wissenschaftlichen Ausgestaltung des Dogmas treten die genannten Linien stark hervor in den Abhandlungen über das Verhältnis der verschiedenen Strebungen in Christus zueinander, über das Sein Christi und die Communicatio idiomatum, am stärksten in der Lehre von der organisch-physischen Wirksamkeit der menschlichen Natur Christi.

Meistens wird Thomas gepriesen wegen der reinlichen Scheidung und doch wieder engen Verbindung, die er zwischen (13)

Glauben und Wissen, Philosophie und Offenbarung, Natur und Übernatur durchgeführt hat. Bewunderung erregt immer wieder die schöpferische Kraft, die ihn zum Aufbau seines theologisch-philosophischen Systems befähigte. Die Geschlossenheit seines Weltbildes, die sich in der S. Th. offenbart, hat man mit

Recht

als Vorbild

für

unsere

Zeit hingestellt.

Es

das aber nur eine Seite an der Größe des Aquinaten. Untersuchung über

die Beziehungen

zwischen

ist Die

der Christo-

logie des hl. Thomas und den griechischen Vätern haben eine andere Seite seiner Größe hervortreten lassen: sein Verständnis für die positive Methode der Theologie, seine Hochschätzung der griechischen Theologie, sein Eindringen in ihre Gedankenwelt

und

die

daraus

entspringende

Verwurzelung

Christologie in den Tiefen der griechischen.

seiner

Auch deswegen

verdient Thomas die Bezeichnung, die ein Künstler uns nahelegt,

wenn er Thomas als Dritten neben Kaiser und Papst

stellt 1 , den Titel eines Fürsten im Reiche der Wissenschaft. — Geistesfürst war er für seine Zeit; Vorbild ist er für uns."

Wenn wir nun aber die volle Lebendigkeit dieser Theologie erkennen wollen, wenn wir mit Thomas wissen wollen — nicht „wie die Lehren der Vorzeit und Gegenwart sich entwickelt haben, sondern wie es um das Geheimnis Christi bestellt ist", dann müssen wir vor allem einzudringen suchen in die Lebendigkeit und Wirklichkeitsnähe der metaphysischen Begriffe, die er seiner Christologie zugrunde legt, wie Natur, Person, Gnade, Wissen usw., Begriffe, die für Thomas einen viel tieferen und weiteren Inhalt hatten, als wir heute auch nur zu ahnen vermögen. Man denke nur an das eine Wort, das wir von ihm kennen: „Persona est id quod est perfectissiimim in tota natura" — „Die Person ist die vollendetste Ausprägung des Seienden im ganzen Bereich der Wirklichkeit". Thomas zeigt uns daher mit diesen Begriffen, auf denen seine Spekulation aufbaut, gewissermaßen nur die 1 Wandbild in der Bibliothek des ehemaligen Augustiner-Chorherrenklosters Clausen bei Trier [Anmerkung von Backes].

(14)

Richtung, in die wir schauen müssen, um die wahrhaft göttliche Sinnfülle des Geheimnisses der Menschwerdung zu erkennen. Ob wir diese Fülle schauen werden, wird davon abhängen, wie weit wir unseren Geist geübt haben, sich in diesen metaphysischen Welten zu bewegen. Wer ferner die Tragweite dieser Entscheidungen erkennen will, muß mit den Sätzen des hl. Thomas vollen Ernst machen, und zwar nicht nur im Felde theoretischer Überlegungen, sondern durchaus in der vollen, greifbaren Wirklichkeit von Welt und Leben und Geschichte. Christus ist Gott und Mensch zugleich. Das heißt: Wenn Christus uns anblickt, blickt Gott selbst uns an mit menschlichen Augen, die nun in aller Wahrheit Seine Augen sind. Wenn Christus zu uns spricht, spricht Gott selbst zu uns in unserer Sprache, hörbar für jeden, der Ohren hat, zu hören. Es war der Sohn des lebendigen Gottes selbst — Filius Dei vivi —, der in Christus ans Kreuz geschlagen wurde. Wer diesen gekreuzigten Christus ablehnt, lehnt daher Gott ab. Wer sich von Christus lossagt, sagt sich von Gott los. Es sind unerhörte Konsequenzen, die in dem einen Satz liegen: In Christus leben zwei Naturen, getragen von ein und derselben göttlichen Person. Ernstmachen heißt es ferner mit jenen Sätzen, die Christus nicht nur als Haupt der Kirche, sondern als Haupt aller Menschen aller Zeiten, ja selbst als Haupt der Engel erweisen. Christus ist als Gott „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung", als Mensch „der Erstgeborene unter vielen Brüdern". Also ist Christus in Wahrheit das Alpha und das Omega, Anfang und Ende aller Schöpfung, der sichtbaren und der unsichtbaren. Wer in Gott Raum haben will, muß in Christus Raum gewinnen; wer zu Gott steht, muß zu Christus stehen; außerhalb Christi gibt es keine Gnade, keine Versöhnung, keine Rettung; außerhalb Christi, der als WORT Gottes der UrSinn ist alles Seins, ist kein Raum für sinnerfülltes Sein und Leben. Der Geist Christi wird zum metaphysischen Ort aller Geister, die Seele Christi zur Heimstatt aller (15)

Seelen. Christus ist Sinn und Inbegriff der Weltgeschichte, die mit der Geschichte des Himmels in eins zusammenfließt zur universalen Heilsgeschichte aller geistbegabten Schöpfung, so daß erst in Christus sich alles erfüllt, was Gott von Ewigkeit her für den Himmel und für die Erde beschlossen hat. In Christus ist die gesamte Schöpfung wie anter einem einzigen Haupte zusammengefaßt. Christus ist vor allem für uns Menschen das Urbild wahren Menschtums. Das Ecce homo des Pilatus hat weit über den unmittelbaren Wortsinn hinaus noch eine andere, tief erschütternde Bedeutung: In 'diesem Ecce-homo-Bild stellt Gott den Menschen greifbar vor Augen, was sie in ihrem Wahnsinn und in ihrer Sünde aus dem wahren Bild des Menschen gemacht haben, und läßt ihnen durch den Mund des Pilatus sagen, daß Er, Christus, d e r Mensch ist — Ecce homo! —, das Ur- und Idealbild d e s Menschen, wie es in der Idee Gottes von Ewigkeit her lebt und nun in Christas zum ersten Male volle göttlichmenschliche Wirklichkeit geworden ist. Alles wahre Menschtum muß sich daher an Christus orientieren und hat keine andere Orientierungsmöglichkeit als Ihn, den Gottmenschen: Christus, die „einzige Gestalt der Welt". So wird jeder Satz der Christologie des hl. Thomas, wenn wir ihn nur in der rechten Perspektive schauen, zu einer erschütternden Erkenntnis, zu einer Offenbarung, die ein volles Umdenken, eine volle Umorientierung verlangt. Wollten wir nur mit den wenigen angeführten Sätzen vollen Ernst machen, es müßte sich das Antlitz der Erde von Grund auf erneuern. Die entscheidende Frage ist heute wie vor 1900 Jahren die: Was haltet ihr vom Menschensohn? Eine Frage an alle Völker, an alle Geschlechter. Aber auch die tiefernste Antwort des Heilandes an Petrus ist heute noch wahr wie vor 1900 Jahren: daß Fleisch und Blut uns niemals offenbaren können, was Christus für uns ist, sondern daß dies beim Vater steht, der im Himmel wohnt und der den Glauben als Gnade denen schenkt, die guten Willens sind. Die Finsternis wird ewig gegen das Licht streiten, weil sie (16)

es ewig nicht begreifen wird. Begreifen werden es nur die, denen Gott selbst „Macht gegeben hat, Kinder Gottes zu werden; die nicht aus 'dem Geblüte, nicht aus dem Willen des Fleisches und nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind". „Das aber ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht. Denn ihre Werke waren böse." Alles das ist zu lesen bei Johannes, dem die Liebe zu Christus die Augen geöffnet hat für diese letzten und tiefsten Zusammenhänge der Weltgeschichte. Christus der neue Anfang! Die Menschheit ohne Ihn nicht mehr zu denken! Die Strahlen unseres Geistes gehen in die Irre und in die Zerstreuung babylonischer Wirrnis, wenn wir sie nicht unmittelbar auf Christus richten, in Christas zusammenfassen. „Wer nicht mit Mir ist, der ist wider Mich! Wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreut!" Wenn auch dieser Gott, der zugleich Mensch ist, wenn auch Christus wieder gestürzt wird, dann bleibt dem Menschen kein anderer Gott als der Mensch: Homo homini Deus! Wenn Er, der das LEBEN ist, wieder fortgeht aus der Welt, so kann der Totentanz von neuem beginnen. Wenn das „Licht der Welt", das Christus ist, wieder erlischt, stürzt alles von neuem in Finsternis und Todesschatten. Wenn Christus, „die einzige Gestalt der Welt", aas der Welt schwindet, sind wir von neuem dem Chaos verfallen. Deshalb kann es zur Rettung der Menschheit kein dringenderes Apostolat geben als dieses, die Erkenntnis Christi in der Welt und in den Herzen der Menschen lebendig zu machen: „Denn das ist das ewige Leben, daß sie Dich erkennen, den allein währen Gott, und den Du gesandt hast, Jesum Christum!" In diesem heiligen Apostolat liegt die vornehmste Aufgabe dieses Bandes der Deutschen Thomas-Ausgabe.

(17)

E I N R I C H T U N G DER Ü B E R S E T Z U N G UND B A N D E I N T E I L U N G DER D E U T S C H E N THOMAS-AUSGABE NB.: Um dem Leser auch bei Verlust des lose beiliegenden Lesezeichens das Verständnis der Einrichtung des einzelnen Bandes und außerdem zu jeder Zeit die Übersicht über das ganze Werk zu ermöglichen, geben wir beides jedem Bande an dieser Stelle bei.

I. A U F B A U

DES

ARTIKELS

1. Die Titelfrage zum Artikel stammt nicht von Thomas selbst, sondern ist entnommen dem einleitenden Videtur quod non oder Videtur quod. 2. Auf die Titelfrage folgen einige Argumente gegen die zu erwartende Antwort. Sie enthalten Autoritäts- oder Vernunftgründe, die irgendwie näher an das Problem heranführen. Diese in der Thomas-Literatur meist „Objectiones" genannten Argumente sind in der Übersetzung mit 1., 2., 3. usw., bei Verweisen mit E. ( = Einwand) bezeichnet. 3. Mit „Sed contra" leitet dann Thomas ein Argument ein, das als vorläufige Stütze seiner eigenen Antwort dienen soll, ohne daß er den darin enthaltenen Autoritäts- oder Vernunftgrund einfachhin übernähme. Die Übersetzung leitet dieses Sed contra mit „Anderseits" ein. 4. Mit „Respondeo dicendum" (in der Übersetzung: „Antwort") beginnt der Hauptteil des Artikels, der die eigentliche Lehre des hl. Thomas enthält. 5. Auf die „Antwort" folgt unter Ad primum, Ad secundum . . . die Lösung der eingangs vorgebrachten Argumente. Sie führt oft den in der „Antwort" entwickelten Gedanken wesentlich weiter. Die Übersetzung leitet sie ein mit Zu 1., Zu 2. usw. 6. Die Angabe der Fundstelle erfolgt in der Übersetzung nur bei Schriftzitaten, und zwar in der heute üblichen Weise. Bei allen anderen Zitaten, in der Regel aus Autoren, die nur dem Wissenschaftler zugänglich sind, gibt die Übersetzung den Namen des Autors, der lateinische Text den Stellennachweis.

(18)

7. Abkürzungen: ACOe = Acta conciliorum oecumenicorum ed. Eduard Schwarz. Cathala = St. Thomae Aqu. in Metaphysicam Aristotelis Commentaria ed. Cathala, Taurini (Italia) 1926. CSEL = Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum. L = Editio Leonina (Romae 1882 sqq.). Mansi = Conciliorum omnium amplissima collectio. MPG = Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca. MPL = Migne, Patrologiae cursus completus, series Latina. P = Editio Piana (Romae 1570). Parm. = St. Thom. Aqu. Opera omnia (Parmae 1852 sqq.).

(19)

il.

EINTEILUNG

DER

SUMMA

THEOLOGICA

I. BUCH Band Band

Frage 2. Frage

114 -

13 26

Band Band Band Band

3. 4. 5. 6.

Frage Frage Frage Frage

27 44 65 75 -

43 64 74 89

Band

7. Frage

Band

8. Frage 103-- 1 1 9

1.

Gottes Dasein und Wesen. Gottes Leben; sein Erkennen und Wollen. Gott, der Dreifaltige. Schöpfung und Engelwelt. Das Sechstagewerk. Wesen und Ausstattung des Menschen. Erschaffung und Urzustand des Menschen. Erhaltung und Regierung der Welt.

90 - 1 0 2

I. T E I L DES II. BUCHES Band 9. Frage Band 10. Frage Band 11. Frage

1- 22-49--

21 Ziel und Handeln des Menschen. 48 Die menschlichen Leidenschaften. 70: Grundlagen der menschlichen Handlung. Band 12. Frage 71-- 89 Die Sünde. Band 13. Frage 90-- 1 0 5 Das Gesetz. Der Neue Bund und die Gnade. Band 14. Frage 106-- 1 1 4 11. T E I L Band Band Band Band Band Band Band Band Band

15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Frage Frage Frage Frage Frage Frage Frage Frage Frage

DES II. BUCHES

1 - - 22. 23-- 33 34-- 56. 57-- 79: 80-- 1 0 0 : 101-- 1 2 2 : 123-- 1 5 0 : 151-- 1 7 0 : 171-- 1 8 2 :

Glaube und Hoffnung. Liebe (1. Teil). Liebe (2. Teil); Klugheit. Gerechtigkeit. Die Tugend der Gottesverehrung. Tugenden des Gemeinschaftslebens. Starkmut und Mäßigkeit. Mäßigkeit (2. Teil). Besondere Gnadengaben und die zwei Wege menschlichen Lebens. Band 24. Frage 183-- 1 8 9 : Stände und Standespflichten. III. BUCH

Band 25. Frage Band 26. Frage Band 27. Frage (20)

1-- 15: Die Menschwerdung Christi. 16-- 34: Die Auswirkungen der Menschwerdung. Die Gottesmutter. 35-- 45: Christi Leben.

Band 28. Frage Band 29. Frage Band 30. Frage Band 31. Frage

46— 59: Christi Leiden und Erhöhung. 60— 72: Die Sakramente. Taufe und Firmung. 73— 83: Das Geheimnis der Eucharistie. 84— 90: Das Bußsakrament. ERGÄNZUNG ZUM III. BUCH (Supplement)

(Band 31.) Frage 1— 16: (Das Bußsakrament.) Band 32. Frage 17— 40: Schlüsselgewalt der Kirche. Letzte Ölung und Priesterweihe. Band 33. Frage 4 1 - 54: Die Ehe (1. Teil). Band 34. Frage 5 5 - 68: Die Ehe (2. Teil). Band 35. Frage 69— 87: Auferstehung des Fleisches. Band 36. Frage 88— 99: Die Letzten Dinge. 1. Zusatzband: Gesamtregister (Personen- und Sachverzeichnis für' sämtliche Bände). 2. Zusatzband: Thomas-Lexikon (Wörterbuch der philosophischen und theologischen Fachausdrücke und Einführung in die Grundbegriffe des thomistischen Systems).

(21)

DIE

M E N S C H W E R D U N G C H R I S T I

VORWORT Unser Herr und Heiland JESUS CHRISTUS hat nach dem Zeugnis des Engels (Mt 1, 21) Sein Volk von der Sünde erlöst und uns in sich selbst den Weg der Wahrheit gewiesen, auf dem wir durch die Auferstehung zur ewigen Seligkeit gelangen können. Eine vollständige Darstellung der ganzen Theologie verlangt daher, daß wir nach der Behandlung unseres letzten Zieles sowie der Tugenden und Laster unseren Blick nunmehr auf den Welterlöser selbst und auf Seine dem Menschengeschlecht erwiesenen Wohltaten richten. Unser Gegenstand wird also ein dreifacher sein: 1. Der Erlöser in sich; 2. Seine Sakramente, durch die wir das Heil erlangen; 3. das ewige Leben in seiner Vollendung, zu dem Er uns durch die Auferstehung führt. Das erste stellt uns vor eine doppelte Aufgabe: einmal müssen wir das Geheimnis der Menschwerdung selbst betrachten — daß nämlich Gott unseres Heiles wegen Mensch geworden ist —, und zweitens, was unser Heiland, der menschgewordene Gott, getan und gelitten hat.

P R O L O G US Quia Salvator noster Dominus Jesus Christus, teste Angelo, „populum suum salvum faciens a peccatis eorum", viam veritatis nobis in seipso demonstravit, per quam ad beatitudinem immortalis vitae resurgendo pervenire possimus, necesse est ut, ad consummationem totius theologici negotii, post considerationem Ultimi finis humanae vitae et virtutum ac vitiorum, de ipso omnium Salvatore ac beneficiis ejus humano generi praestitis nostra consideratio subsequatur. Circa quam, primo considerandum occurrit de ipso Salvatore; secundo, de sacramentis ejus, quibus salutem consequimur; tertio, de fine immortalis vitae, ad quem per ipsum resurgendo pervenimus. Circa primum duplex consideratio occurrit: prima est de ipso incarnationis mysterio, secundum quod Deus pro nostra salute factus est homo; secunda de his quae per ipsum Salvatorem nostrum, idest Deum incarnatum, sunt acta et passa.

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1. F R A G E

l,i

DIE ANGEMESSENHEIT DER MENSCHWERDUNG Das Geheimnis der Menschwerdung stellt uns vor drei Fragen: 1. War es angemessen, daß Gott Mensch wurde? — 2. W i e geschah die Vereinigung des WORTES mit der menschlichen Natur? — 3. Was folgt aus dieser Vereinigung für Christus? Die erste Hauptfrage zerfällt in sechs Einzelfragen: 1. War es angemessen, daß Gott Mensch wurde? 2. War die Menschwerdung zur Wiederherstellung des Menschengeschlechtes notwendig? 3. Wäre Gott auch Mensch geworden, wenn es keine Sünde gäbe? 4. Ist Er Mensch geworden, hauptsächlich zur Tilgung der Erbsünde oder zur Tilgung der persönlichen Sünde? 5. Wäre es angemessen gewesen, daß die Menschwerdung am Anfange der Welt stattfand? 6. Hätte sie bis zum Ende der Zeiten verschoben werden sollen? 1. A R T I K E L

War es angemessen, daß Gott Mensch wurde?

1. Die Menschwerdung erscheint auf den ersten Blick nicht angemessen. Denn 'da Gott die ewige wesenhafte QUAESTIO

DE CONVENIENTIA

I

INCARNATIONIS

Circa primum tria consideranda occurrunt: primo quidem, de convenientia incarnationis ipsius; secundo, de modo unionis Verbi incarnati; tertio, de his quae consequuntur ad hanc unionem. Circa primum quaeruntur s e x : 1. Utrum conveniens fuerit Deum incarnari. — 2. Utrum fuerit necessarium ad reparationem humani generis. — 3. Utrum, si non fuisset peccatum, Deus incarnatus fuisset. — 4. Utrum principalius fuisset 1 incarnatus ad tollendum originale peccatum quam actuale. — 5. Utrum conveniens fuerit Deum incarnari a principio mundi. — 6. Utrum ejus incarnatio differri debuerit usque in finem mundi. ARTICULUS I Utrum fuerit conveniens Deum incarnari [3 Sent., dist. 1, q. 1, art 2; 4 Cont. Gent., cap. 40, 49, 53, 54, 55; Comp. Theol., cap. 200, 201]

AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod non fuerit conveniens Deum incarnari. Cum enim ab aeterno Deus sit ipsa 1 L : Sit.

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1, i „Güte" ist, so ist es das Beste: Er bleibt, wie Er von Anfang war. Er war aber von Urbeginn an ohne jede Stofflichkeit. Deshalb ist es das Beste, daß Er keine Vereinigung mit dem Stoff eingeht [1 ]. Also war es nicht angemessen, daß Gott Mensch wurde. 2. Zwischen Dingen von unendlichem Abstand scheint eine Verbindung nicht angemessen. So wäre es ungereimt, ein Pferd mit einem Menschenkopf zu malen. Zwischen Gott und Mensch ist aber ein unendlicher Abstand, denn Gott ist die höchste Einfachheit, dagegen ist jeder Körper, vor allem der menschliche, zusammengesetzt. Also war es nicht entsprechend, daß Gott sich mit einer Menschennatur vereinigte. 3. Der Unterschied zwischen einem Körper und dem höchsten Geist ist so groß wie der Abstand des Bösen von der höchsten Güte. Wenn also der höchste ungeschaffene Geist einen Körper annähme — und Körper und Böses ist gleichbedeutend —, so widerspräche das Gottes unendlicher Heiligkeit [2]. 4. Wer das Große an Größe noch überragt, den kann etwas ganz Kleines nicht umschließen. Und wem die Sorge für große Dinge obliegt, der wendet sich nicht geringen zu. Gott aber trägt Sorge für die ganze Welt; — Ihn zu fassen, ist das All nicht groß genug. Und nun soll der, für den das All zu klein ist, sich in dem zarten Körper eines weinenden Kindleins verbergen? Der HerrQUAESTIO

1, l

essentia bonitatis, sie Optimum est ipsum esse sicut ab aeterno fuit. Sed Deus ab aeterno fuit absque omni carne. Ergo convenientissimum est ipsum non esse carni unitum. Non ergo fuit conveniens incarnari Deum. 2. PRAETEREA, quae sunt in infinitum distantia, inconvenienter junguntur: sicut inconveniens esset junetura si quis pingeret imaginem in qua humano capiti cervix jungeretur equina [Horat., De Arte Poet., v. 1, 2], Sed Deus et caro in infinitum distant: cum Deus sit simplicissimus, caro autem composita, et praeeipue humana. Ergo inconveniens fuit quod Deus carni uniretur humanae. 3. PRAETEREA, sie distat corpus a summo spiritu sicut malitia a summa bonitate. Sed omnino esset inconveniens quod Deus, qui est summa bonitas, malitiam assumeret. Ergo non est conveniens quod summus spiritus increatus corpus assumeret. 4. PRAETEREA, inconveniens est ut qui excedit magna, contineatur in minimo; et cui imminet cura magnorum, ad parva se transferat. Sed Deum, qui totius mundi curam gerit, tota universitas capere non sufficit. Ergo inconveniens videtur quod intra corpusculum vagientis infantiae lateat cui parum putatur universitas; et tamdiu a sedibus suis absit ille Regnatpr,

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scher soll so lange seinem Throne fern sein und den Sitz 1, 1 der Weltregierung in einen kleinen Körper legen! (Volusian [ 3 ] an Augustinus.) ANDERSEITS scheint es durchaus angemessen, daß sich der unsichtbare Gott in der sichtbaren Schöpfung offenbart. Dazu ist ja die ganze Welt geschaffen, wie der Apostel sagt: „Was an Gott unsichtbar ist, wird in den erschaffenen Dingen geistig wahrgenommen" (Rom 1, 20). Doch im Geheimnis der Menschwerdung offenbaren sich nach dem Worte des Johannes von Damaskus zugleich Gottes Güte, Weisheit, Gerechtigkeit und Macht: die Güte, weil Er die Schwachheit Seines eigenen Gebildes nicht verschmähte; — die Gerechtigkeit, weil Er den besiegten Menschen selbst über seinen Zwingherrn siegen ließ und ihn nicht mit Gewalt dem Tode entriß; — die Weisheit [offenbart sich in der Menschwerdung], weil Gott für die schwerste Aufgabe in ihr die vornehmste Lösung fand; — Seine unendliche Macht aber, weil es nichts Größeres gibt, als daß Gott Mensch wird. Also war die Menschwerdung wohl angemessen. ANTWORT: Einem jeden Ding ist das angemessen, was ihm auf Grund seiner Natur zukommt. So entspricht dem Menschen das schlußfolgernde Denken, denn es gehört zu seiner vernunftbegabten Natur. Gottes Natur aber ist QUAESTIO

1, l

atque ad uniim corpusculum totius mundi cura transferatur; ut Volusianus scribit ad Augustinum [epist. 135 inter Epist. Aug.]. SED CONTRA, illud videtur esse convenientissimum ut per visibilia monstrentur invisibilia Dei: ad hoc enim totus mundus est factus, ut patet per illud Apostoli, Rom. 1: „Invisibilia Dei per ea, quae facta sunt, intellecta, conspiciuntur." Sed sicut Damascenus dicit, in principio III. libri [cap. 1 ] , per incarnationis mysterium monstratur simul bonitas et sapientia et justitia et potentia Dei, vel virtus: bonitas quidem, quoniam non despexit proprii plasmatis infirmitatem; justitia vero, quoniam homine v i c t o 1 non alium facit vincere tyrannum, neque vi eripit e x morte honiinem; sapientia vero, quoniam invenit difficillimi decentissimam solutionem; potentia vero, sive virtus, infinita, quia nihil est majus quam Deum fleri hominem. Ergo conveniens fuit Deum incarnari. RESPONDEO dicendum quod unicuique rei conveniens est illud quod competit sibi secundum rationem propriae naturae: sicut homini conveniens est ratiocinari quia hoc convenit sibi inquantum est rationalis per suam naturam. Ipsa autem natura Dei est b o n i t a s 2 : ut patet per Dionysium, 1. cap. de Div. Nom. L o m . : homine victo. — P : quoniam homine victo non alio homine fccit vinci tyrannum. 2 P : essentia bonitatis. 1

quam

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mpl ^ ^ mpg »4/983

MPG 3/690

1, i die „Güte" (Dionysius Areopagita). Darum ist alles, was dem Wesen des Guten entspricht, auch Gott entsprechend. Nun gehört es zum Wesen des Guten, sich anderen mitzuteilen (Dionysius Areopagita) [4]. Also kommt es dem höchsten Gute zu, sich auch im höchsten Maße den Geschöpfen mitzuteilen. Und das wird dadurch vollkommen erreicht, daß Gott eine geschaffene Natur so mit sich vereinigt, daß e i n e Person entsteht aus diesen dreien: dem WORTE, der Seele und dem Leibe (Augustinus). Somit war es offensichtlich angemessen, daß Gott Mensch wurde. Z u 1. Das Geheimnis der Menschwerdung hat sich nicht dadurch erfüllt, daß Gott Seine Seinsweise irgendwie mit einer anderen vertauschte, die Er nicht von Ewigkeit besaß, sondern dadurch, daß Er sich auf eine ganz neue, einzigartige Weise mit der Schöpfung vereinigt hat — oder besser diese mit sich. Die Schöpfung aber ist ihrem Wesen nach veränderlich und braucht sich deshalb nicht immer gleichzubleiben. Wie also das Geschaffene, wiewohl es vorher nicht war, ins Dasein gerufen wurde, so konnte es füglich später Gott auch geeint werden, obschon es zuerst nicht mit Ihm verbunden war [5]. Z u 2. Von Natur aus kam es dem menschlichen Leib nicht zu, mit Gott in der Einheit der Person verbunden QUAESTIO 1, l [S. Th., lect. 3]. Unde quidquid pertinet ad rationem boni, conveniens est Deo. Pertinet autem ad rationem boni ut se aliis communicet: mpg ut patet per Dionysium, 4. cap. de Div. Nom. [S. Th., lect. 1]. 3/694 Unde ad rationem summi boni pertinet quod summo modo 6e creaturae communicet. Quod quidem maxime fit per hoc quod naturam creatam sie sibi conjungit ut una persona fiat mpl ex tribus, Verbo, anima et carne: sicut dicit Augustinus, 13 de 42/io3i Trin. [cap. 17]. Unde manifestum est quod conveniens fuit Deum incarnari. AD PRIMUM ergo dicendum quod incarnationis mysterium non est impletum per hoc quod Deus sit aliquo modo a suo statu immutatus in quo ab aeterno non 1 fuit: sed per hoc quod novo modo creaturae se univit, vel potius eam sibi. Est autem conveniens ut creatura, quae secundum rationem sui mutabilis est, non Semper eodem modo se habeat. Et ideo, sicut creatura, cum prius non esset, in esse producta est, convenienter, cum prius non esset unita Deo, postmodum fuit ei unita. AD SECUNDUM dicendum quod uniri Deo in unitate per6onae non fuit conveniens carni humanae secundum conditionem 1 non. — 0m. P.

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zu werden. Denn das ging über seine Würde hinaus. 1, 1 Wohl aber entsprach es der unendlichen und alles überragenden Güte Gottes, daß Er die menschliche Natur zu unserem Heile mit sich verband. Z u 3. Jeder andere Grund [außer dem Bösen], der das Geschöpf von seinem Schöpfer trennt, ist von der Weisheit Gottes verfügt und auf Seine Güte hingeordnet. Denn wegen Seiner Güte hat der Ungeschaffene, Unwandelbare, Körperlose die wandelbaren und körperhaften Dinge ins Dasein gerufen. Und auch das Strafleiden ist von der Gerechtigkeit Gottes eingeführt und dient Seiner Verherrlichung. Das eigentlich Böse dagegen, die Sünde, stört das Meisterwerk der Weisheit Gottes und durchbricht die Ordnung Seiner Güte. Darum konnte Gott sehr wohl eine geschaffene, veränderliche, körperhafte und leidensfähige Natur annehmen, — niemals aber die Sünde. Zu 4. Augustinus schreibt an Volusian: „Nach der Lehre des Christentums hat sich Gott nicht so in einen menschlichen Leib eingeschlossen, daß Er damit die Weltregierung aufgegeben, eingebüßt oder beschränkt und auf ein Kindlein übertragen hätte. Das wäre eine rein menschliche Auffassung, die nur nach dem sinnlich Greifbaren urteilt. Denn Gottes Größe beruht nicht auf der Masse, sondern in Seiner Kraft; und darum fühlt sie sich QUAESTIO

1, L

suae naturae: quia hoc erat supra dignitatem ipsius. Conveniens tarnen fuit Deo, secundum excellentiam bonitatis ejus infinitam, ut sibi eam uniret pro salute humana. AD TERTIUM dicendum quod quaelibet alia conditio secundum quam quaecumque creatura difiert a Creatore, a Dei sapientia est instituta, et ad Dei bonitatem ordinata: Deus enim propter suani bonitatem, cum sit increatus, immobilis, incorporeus, produxit creaturas mobiles et corporeas; et similiter malum poenae a Dei justitia est introductum propter gloriam Dei. Malum vero 1 committitur per recessum ab arte divinae sapientiae et ab ordine divinae bonitatis. Et ideo conveniens esse potuit assumere naturam creatam, mutabilem, corpoream et poenalitati subjectam: non autem fuit conveniens ei assumere malum culpae. AD QUARTUM dicendum quod Augustinus respondet ad MPL Volusianum in epistola [epist. 137, cap. 2], „non habet hoc Christiana doctrina, quod ita sit Deus infusus carni humanae 44/100 ut curam gubernandae universitatis vel deseruerit vel amiserit, et 10« sq. vel ad illud corpusculum quasi contractam transtulerit: hominum est iste sensus nihil nisi corpus valentium cogitare. Deus autem non mole, sed virtute magnus est: unde magnitudo vir1 L addit: culpae.

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1, 2 auch im engen Raum nicht eingeengt. Wie nun das flüchtige menschliche Wort von vielen gleichzeitig vernommen und von jedem einzelnen ganz verstanden werden kann, so ist es auch glaubhaft, daß Gottes ewiges, unwandelbares WORT gleichzeitig überall ganz gegenwärtig ist." Also ergeben sich aus der Menschwerdung keine Folgen, die nicht angemessen wären. 2. A R T I K E L War die Menschwerdung zur Wiederherstellung Menschengeschlechtes notwendig?

des

1. Diese Notwendigkeit besteht offenbar nicht. Da nämlich das WORT Gottes der ganze Gott ist (I 27, 2 Zu 2; Bd. 3; vgl. 4, 1 u. 2), konnte Es durch die Annahme eines Leibes nichts an Macht gewinnen. Jedenfalls hätte das WORT Gottes auch ohne Menschwerdung unsere Natur erneuern können. 2. Durch die Sünde war die Natur des Menschen zusammengebrochen. Zu ihrer Wiederherstellung schien die Genugtuung eines Menschen hinreichend. Denn Gott darf vom Menschen nicht mehr verlangen, als er leisten kann. Überdies ist Gott mehr zum Erbarmen als zum QUAESTIO

1, 2

tutis ejus nullas in angusto sentit angustias. Non est ergo incredibile, ut verbum hominis transiens simul auditur a multis et a singulis totum, quod Verbum Dei permanens simul ubique sit totum". Unde nullum inconveniens sequitur, Deo incarnato.

A R T I C U L U S II Utrum fuerit necessarium humani generis Verbum

ad reparationem Dei incarnari

[3 Sent., dist. 4, q. 3, art. 1 ad 3; 4, dist. 10, art. 1 ad 3; 4 Cont. Gent., cap. 54, 55; Cont. Graec., Armen, etc., cap. 5; Comp. Theol., cap. 200, 201; In Psalm. 45]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod non fuerit necessarium ad reparationem humani generis Verbum Dei incarnari. Verbo eniin Dei, cum sit Deus perfectus, ut in Primo habitum est, nihil virtutis per carnem 1 accrevit. Si ergo Verbum Dei incarnatum naturam reparavit, etiam absque carnis assumptione eam potuit reparare. 2. PRAETEREA, ad reparationem humanae naturae, quae per peccatum collapsa erat, nihil aliud requiri videbatur quam quod homo satisfaceret pro peccato. 2 Non enim Deus ab homine 1 2

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L addit: assumptam. P addit: sed homo ut videtur satislaeere potuit pro peccato.

Bestrafen geneigt. Wie Er daher dem Menschen die Sünde als Schuld anrechnet, so kann Er sie auch um einer menschlichen Genugtuung willen als getilgt ansehen. Die Menschwerdung war daher zur Wiederherstellung der menschlichen Natur nicht notwendig. 3. Die erste Heilsbedingung für den Menschen ist die Ehrfurcht vor Gott. Bei Malachias (1, 6) lesen wir: „Wenn Ich wirklich Vater bin, wo bleibt dann Meine Ehre? Und bin Ich Herr, wo bleibt die Ehrfurcht?" Aber gerade dann verehren die Menschen Gott mehr, wenn sie in Ihm den über alles hoch Erhabenen und Unbegreiflichen sehen, wie der Psalmist sagt: „Der Herr sei allen Völkern hoch erhaben, und bis zum Himmel reiche Seine Ehre" (112, 4). Auch der nächste Vers: „Wer gleicht dem Herrn, unserem Gott?", meint die Ehrfurcht. Es scheint also das Heil des Menschen nicht zu fördern, wenn Gott uns durch die Annahme eines Leibes ähnlich wird. ANDERSEITS ist alles, was das Menschengeschlecht vom Untergange rettet, zu seinem Heile notwendig. Aber das Geheimnis der Menschwerdung war es gerade, was uns retten sollte, nach dem Worte des Johannes: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern das ewige Leben habe" (3, 16). QUAESTIO

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requirere plus debet quam possit: cum pronior sit ad miserendum quam ad puniendum, sicut homini imputât actum peccati, ita etiam videtur quod ei imputet ad deletionem peccati actum contrarium. Non ergo fuit necessarium ad reparationem humanae naturae Verbum Dei incarnari. 3. PRAETEREA, ad salutem hominis praecipue pertinet ut Deum revereatur: unde dicitur Malach. 1: Si ego Dominus, ubi timor meus? Si Pater, ubi honor meus?" Sed ex hoc ipso homines Deum magis reverentur quod eum considérant super omnia elevatum, et ab hominum sensibus remotum: unde in Psalmo dicitur: „Excelsus super omnes gentes Dominus, et super caelos gloria ejus"; et postea subditur: „Quis sicut Dominus Deus noster'?" quod ad reverentiam pertinet. Ergo videtur non convenire humanae saluti quod Deus nobis similis fieret per carnis assumptionem. SED CONTRA, illud per quod humanum genus liberatur a perditione, est necessarium ad humanam salutem. Sed mysterium divinae incarnationis est hujusmodi: secundum illud Joan. 3: „Sic Deus dilexit mundum ut Filium suum unigenitum daret, ut omnis qui credit in ipsum non pereat, sed habeat

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1, 2 So w a r denn die Menschwerdung zu unserem Heile notwendig. A N T W O R T : Um einen Z w e c k zu erreichen, kann etwas auf z w e i f a c h e W e i s e notwendig sein: einmal, wenn es zum Sein [eines D i n g e s ] unbedingt erfordert ist, w i e die Speise zur Erhaltung des menschlichen Leb e n s ; — zweitens, w e n n man dadurch den Z w e c k besser und leichter erreicht; so ist das P f e r d zum Reisen notwendig. Im ersten Sinne w a r die Menschwerdung zur Wiederherstellung unserer Natur nicht notwendig. Denn f ü r die A l l m a c h t Gottes hätte es viele Möglichkeiten gegeben, unsere Natur auf andere W e i s e zu erneuern. Wohl aber w a r die Menschwerdung im zweiten Sinne notwendig. A u g u s t i n u s sagt d a r ü b e r : „ W i r wollen nicht zeigen, daß f ü r Gottes Allmacht, der alles möglich ist, kein anderer W e g offengestanden hätte, sondern nur, daß dieser der beste w a r , unser Elend zu heilen." Das kann man zunächst daraus erkennen, w i e der Mensch [durch die M e n s c h w e r d u n g ] im Guten gefördert wird. Erstens: Durch die Menschwerdung g e w i n n t unser Glaube mehr Gewißheit, da Gott selbst zu uns spricht. „ D a m i t der Mensch mit mehr V e r t r a u e n der W a h r h e i t zustrebe, hat der, der die W a h r h e i t selbst ist, der Gottessohn, eine Menschennatur angenommen und dadurch den Glauben grundgelegt und eingesenkt" (Augustinus). Q U A E S T I O

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vitam aeternam." Ergo necesse fuit ad humanam salutem Deum incarnari. RESPONDEO dicendum quod ad flnem aliquem dicitur esse aliquid necessarium dupliciter: uno modo, sine quo aliquid esse non potest, sicut cibus est necessarius ad conservationem humanae vitae; alio modo, per quod melius et convenientius pervenitur ad finem, sicut equus necessarius est ad iter. Primo modo Deum incarnari non fuit necessarium ad reparationem humanae naturae: Deus enim per suam omnipotentem virtutem poterat humanani naturam multis aliis modis reparare. Secundo autem modo necessarium fuit Deum incarnari ad humanae naturae reparationem. Unde dicit Augustinus, 13 de MPL Trin. [cap. 10]: „Ostendamus non alium modum possibilem 42/1024 Deo defuisse, cujus potestati omnia aequaliter subjacent: sed sanandae miseriae nostrae convenientiorem alium modum non fuisse." Et hoc quidem considerari potest quantum ad promotionem hominis in bono. Primo quidem, quantum ad fidem quae magis certiflcatur ex hoc quod ipsi Deo loquenti credit. Unde AuguMPL stinus dicit, 11 de Civ. Dei [cap. 2 ] : „Ut homo fidentius am41/318 bularet ad veritatem, ipsa Veritas, Dei Filius, homine assumpto, CSEL 401/513

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Zweitens: Unsere Hoffnung w i r d außerordentlich ge- 1, 2 stärkt. „Nichts tut uns so not, um unsere Hoffnung aufzurichten, als ein B e w e i s dafür, w i e sehr Gott uns liebt. Was konnte uns aber w i r k s a m e r davon überzeugen, als daß Gottes Sohn sich herabließ, in die Gemeinschaft unserer Natur e i n z u g e h e n ? " (Augustinus). Drittens: Unsere Liebe w i r d aufs höchste entflammt. „Welchen tieferen B e w e g g r u n d gäbe es für das K o m m e n des Herrn als die Offenbarung der Liebe Gottes zu u n s ? " Und: „ W e n n w i r nicht lieben wollten, sollten w i r wenigstens nicht zögern, Liebe mit Gegenliebe zu e r w i d e r n " (Augustinus). Viertens: Das menschgewordene W O R T hat uns in sich ein V o r b i l d des Rechttuns gegeben. „ D e r Mensch stand sichtbar vor uns, aber er w a r nicht nachahmenswert; Gott w a r nachahmenswert, aber nicht sichtbar f ü r uns. Also mußte sich Gott als Mensch den Menschen zeigen, damit sie Ihn sehen und nachahmen konnten" (Augustinus). F ü n f t e n s : Endlich brachte uns die Menschwerdung die volle T e i l n a h m e an der Gottheit, worin des Menschen Seligkeit besteht und die Ziel des menschlichen Lebens ist. Und das ist uns zuteil g e w o r d e n durch die Menschheit Christi; denn w i e A u g u s t i n u s in einer Weihnachtspredigt sagt: „Gott w u r d e Mensch, damit der Mensch Gott würde." QUAESTIO

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constituit atque fundavit fidem." — Secundo, quantum ad spem, quae per hoc maxime erigitur. Unde Augustinus dicit, 13 de Trin.: „Nihil tarn necessarium fuit ad erigendam spem nostram MPL quam ut demonstraretur nobis quantum diligeret nos Deus. 42/1024 Quid vero hujus rei isto indicio manifestius, quam ut Dei Filius naturae nostrae dignatus est inire consortium?" — Tertio, quantum ad caritatem, quae maxime per hoc excitatur. Unde Augustinus dicit, in libro de Catechizandis Rudibus MPL [cap. 4 ] : „Quae major causa est adventus Domini, nisi ut 4ft3i4 ostenderet Deus dilectionem suam in nobis?" Et postea subdit: „Si amare pigebat, saltem reamare non pigeat." — Quarto, quantum ad rectam operationem, in qua nobis exemplum se praebuit. Unde Augustinus dicit, in quodam Sermone de Nativitate Domini [serm. 371]: „Homo sequendus non erat, qui MPL videri poterat: Deus sequendus erat, qui videri non poterat. 39/1996 Ut ergo exhiberetur homini et qui ab homine videretur, et quem homo sequeretur, Deus factus est homo." — Quinto, quantum ad plenam participationem divinitatis, quae vere est hominis beatitudo, et finis humanae vitae. Et hoc collatum est nobis per Christi humanitatem: dicit enim Augustinus, in quodam Sermone de Nativ. Domini [serm. 128]: „Factus est Deus MPL homo, ut homo fieret Deus." 3»i997

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In gleicher Weise trägt die Menschwerdung dazu bei, die Gewalt des Bösen zu brechen. Erstens: Wird der Mensch durch sie belehrt, dem Teufel nicht den Vorrang zu geben vor sich selbst, noch ihn, der Urheber der Sünde ist, zu verehren. „Wenn die menschliche Natur mit Gott zu einer Person vereinigt werden konnte, dann sollen die stolzen Teufel nicht mehr wagen, sich wegen ihrer Geistigkeit über den Menschen zu erheben" (Augustinus). Zweitens: Die Menschwerdung bringt uns die hohe Würde unserer Natur zum Bewußtsein, damit wir sie nicht durch die Sünde beflecken. Augustinus sagt: „Gott ist als wahrer Mensch unter den Menschen erschienen, um zu zeigen, welch hohen Rang unsere Natur in der Schöpfung einnimmt"; und Papst Leo ruft in einer Weihnachtspredigt aus: „ 0 Christ, erkenne deinen hohen Adel und aus der Gemeinschaft mit der göttlichen Natur sinke nicht durch einen unwürdigen Wandel zur früheren Niedrigkeit herab." Drittens: Um jede menschliche Anmaßung auszuschalten, „ w i r d uns im Menschen Christus die Gnade Gottes ohne jegliches Verdienst zuteil" (Augustinus). Viertens: „ D e r Stolz des Menschen, das größte Hemmnis auf seinem Wege zu Gott, wird durch die Tiefe Erniedrigung Gottes [in der Menschwerdung] in die Schranken gewiesen und geheilt" (Augustinus). QUAESTIO

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Similiter etiam hoc utile ad remotionem mali. P r i m o enim p e r hoc homo instruitur ne sibi diabolum praeferat, et e u m v e n e r e t u r , qui est auctor peccati. U n d e dicit Augustinus, 1 3 de Trin. [cap. 1 7 ] : „Quando sie Deo conjungi potuit h u m a n a natura ut fieret una persona, superbi Uli maligni spiritus non ideo se a u d e a n t homini p r a e p o n e r e quia non habent c a r n e m . " — Secundo, quia per hoc instruimur quanta sit dignitas h u m a n a e naturae, ne eam inquinemus peccando. U n d e dicit Augustinus, in libro de V e r a Religione [cap. 1 6 ] : „Demonstravit nobis Deus q u a m e x c e l s u m locum inter creaturas habeal h u m a n a natura, in hoc quod hominibus in v e r o apparuit homine." Et L e o P a p a dicit, in S e r m o n e de Nativitate [serm. 2 1 ] : „ A g n o s c e , o Christiane, dignitatem t u a m : et, divinae consors factus naturae, noli in v e t e r e m vilitatem d e g e n e r i conversatione r e d i r e . " — Tertio quia, ad praesumptionem hominis tollendam, „gratia Dei, nullis meritis praecedentibus, in homine Christo nobis commendatur", ut dicitur 1 3 de Trinitate [cap. 1 7 ] . — Quarto, quia „ s u p e r b i a hominis, q u a e m a x i m u m impedimentum est ne inhaereatur Deo, p e r tantam D e i humilitatem redargui potest atque sanari", ut Augustinus dicit ibidem. — Quinto,

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Fünftens: Die Menschwerdung befreit den Menschen 1, 2 aus der Knechtschaft. Diese Freiheit „mußte dadurch errungen werden, daß die Gerechtigkeit des Menschen JESUS CHRISTUS den Teufel überwand" (Augustinus). Und das geschah durch Christi Genugtuung für uns. Ein bloßer Mensch hätte nicht für das ganze Geschlecht sühnen können. Gott aber schuldete keine Genugtuung. Folglich mußte JESUS CHRISTUS Gott und Mensch zugleich sein. „Die Kraft nahm Schwäche an, die Majestät Niedrigkeit, damit, wie es für unsere Heilung not tat, der eine Mittler zwischen Gott und Menschen als Mensch sterben und als Gott auferstehen konnte. Wäre Er nicht wahrer Gott, so könnte Er uns nicht heilen; wäre Er nicht wahrer Mensch, so hätten wir an Ihm kein Vorbild" (Leo I.). Es gibt noch zahllose andere Vorteile, die sich für uns [aus der Menschwerdung] ergeben. Sie alle zu erfassen, geht über unser Vermögen. Z u 1. Dieser Einwand richtet sich nur gegen die unbedingte Notwendigkeit der Menschwerdung. Zu 2. Eine Genugtuung kann ganz oder teilweise hinreichen. Das erste trifft zu, wenn Schuld und Sühne gleichwertig sind, d. h. sich voll und ganz aufwiegen. In diesem Sinne konnte die Genugtuung eines bloßen Menschen nicht hinreichend sein. Denn die Sünde hat QUAESTIO

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ad liberandum hominem a Servitute. Quod quidem, ut Augustinus dicit, 13 de Trin. [cap. 13, 14], „fieri debuit sie ut diabolus justitia hominis Jesu Christi superaretur": quod factum est Christo satisfaciente pro nobis. Homo autem purus satisfacere non poterat pro toto humano genere; Deus autem satisfacere non debebat; unde oportebat Deum et hominem esse Jesum Christum. Unde et Leo Papa dicit, in Sermone de Nativ.: „Suscipitur a virtute inflrmitas, a majestate humilitas: ut, quod nostris remediis congruebat, unus atque idem Dei et hominum mediator et mori e x uno, et resurgere posset ex altero. Nisi enim esset verus Deus, non afferret remedium: nisi esset homo verus, non praeberet exemplum." Sunt autem et aliae plurimae utilitates quae consecutae sunt, supra comprehensionem sensus humani. AD PRIMUM ergo dicendum quod ratio illa procedit secundum primum modum necessarii, sine quo ad finem perveniri non potest. AD SECUNDUM dicendum quod aliqua satisfactio potest dici sufficiens dupliciter. Uno modo, perfecte: quia est condigna per quamdam adaequationem ad recompensationem commissae culpae. Et sie hominis puri satisfactio sufficiens esse non potuit: quia tota natura humana erat per peccatum corrupta; nec bonum

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1, 2 die ganze menschliche Natur verdorben. Weder der Wert eines einzelnen, noch der vieler Menschen hätte für das ganze Geschlecht eingesetzt werden können, um so den Schaden wieder gutzumachen. Ferner ist die gegen Gott begangene Sünde wegen der Unendlichkeit Seiner göttlichen Majestät in gewissem Sinne unendlich. Denn die Schwere einer Beleidigung wächst mit der Würde des Beleidigten. Zu einer vollkommen hinreichenden Genugtuung bedurfte es also eines Sühneaktes von unendlichem Wert, und den vermag nur ein Gottmensch zu leisten. — Wenn dagegen der Beleidigte eine nicht vollwertige Sühne als genügend annimmt, dann sprechen wir von einer teilweise hinreichenden Genugtuung. In diesem Sinne ist auch die Genugtuung eines bloßen Menschen hinreichend. Und weil alles Unvollkommene etwas Vollkommenes als seine Grundlage voraussetzt, 1 so empfängt alle rein menschliche Genugtuung ihre wirksame Kraft aus der Genugtuung Christi. Z u 3. Die Annahme der menschlichen Natur hat die Majestät Gottes nicht herabgesetzt und folglich die Ihm gebührende Ehrfurcht nicht beeinträchtigt. Diese wächst mit dem Maße unserer Gotteserkenntnis. Aber gerade dadurch, daß Gott uns in der Menschwerdung nahe kommen wollte, hat Er uns in eine tiefere Erkenntnis Seiner selbst hineingezogen. QUAESTIO

1, 2

alicujus personae, vel etiam plurium, poterat per aequiparantiam totius naturae detrimentum recompensare. Tum etiam quia peccatum contra Deum commissum quamdam infinitatem habet ex infinitate divinae majestatis: tanto enim offensa est gravior, quanto major est ille in quem delinquitur. Unde oportuit, ad condignam satisfactionem, ut actio satisfacientis haberet efficaciam infinitam, ut puta Dei et hominis existens. Alio modo potest dici satisfactio sufflciens imperfecte: scilicet secundum acceptationem ejus qui est ea contentus, quamvis non sit condigna. Et hoc modo satisfactio puri hominis est sufflciens. Et quia omne imperfectum praesupponit aliquid perfectum, a quo sustentetur, inde est quod omnis puri hominis satisfactio efficaciam habet a satisfactione Christi. AD TERTIUM dicendum quod Deus, assumendo carnem, suam majestatem non minuit; et per consequens non minuitur ratio reverentiae ad ipsum. Quae augetur per augmentum cognitionis ipsius. Ex hoc autem quod nobis appropinquare voluit per carnis assumptionem, magis nos ad se cognoscendum attraxit. 1 Vgl. Anm. [9],

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3. A R T I K E L 1, Wäre Gott auch dann Mensch geworden, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte? 1. Wahrscheinlich wäre Gott auch dann Mensch geworden, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. Denn solange eine Ursache vorhanden ist, besteht auch ihre Wirkung. Nach Augustinus aber sind außer der Sündenvergebung bei der Menschwerdung Christi noch viele andere Gründe als ihre Ursache zu erwägen (Art. 2). Also hätte die Menschwerdung auch dann stattgefunden, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte. 2. Der Allmacht Gottes ist es eigen, ihre Werke zur Vollendung zu führen und sich in einer unendlichen Tat auszuwirken. Kein bloßes Geschöpf kann aber als eine unendliche Auswirkung angesehen werden, da es seinem Wesen nach begrenzt ist. Nur in dem Werke der Menschwerdung scheint sich eine unendliche Wirkung der göttlichen Macht zu offenbaren, denn wenn Gott Mensch wird, verbinden sich zwei Wesen, die in unendlichem Abstand zueinander stehen. Überdies scheint in diesem Werke die Vollendung des ganzen Weltalls ihren Höhepunkt zu erreichen, denn hier wird die Krone der Schöpfung, der Mensch, mit seinem Urgrund, Gott, vermählt. Also wäre Gott Mensch geworden — auch ohne den Sündenfall. QUAESTIO

1, 3

Utrum,

A R T I C U L U S III homo non peccasset, nihilominus Deus incarnatus fuisset

si

3

[3 Sent., dist. 1, q. 1, art. 3; 1 ad Tim., cap. 1, lect. 4]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod, si homo non peccasset, nihilominus Deus incarnatus fuisset. Manente enim causa, manet effectus. Sed sicut Augustinus dicit, 13 de Trin. mpl [cap. 17], „alia multa sunt cogitanda in Christi incarnatione" 4fl03i praeter absolutionem a peccato, de quibus dictum est. Ergo, etiam si homo non peccasset, Deus incarnatus fuisset. 2. PRAETEREA, ad omnipotentiam divinae virtutis pertinet ut opera sua perficiat, et se manifestet per aliquem infinitum effectum. Sed nulla pura creatura potest dici inflnitus effectus: cum sit finita per suam essentiam. In solo autem opere incarnationis videtur praeeipue manifestari inflnitus effectus divinae potentiae, per hoc quod 1 in infinitum distantia conjunguntur, inquantum factum est quod homo esset Deus. In quo etiam opere maxime videtur perfici universum, per hoc quod ultima creatura, scilicet homo, primo prineipio conjungitur, scilicet Deo. Ergo, etiam si homo non peccasset, Deus incarnatus fuisset. 1

P: per quam.

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1, 3

3. Durch den Sündenfall ist die menschliche Natur f ü r die Gnade nicht empfänglicher geworden. Nach der Sünde aber ist sie für die höchste Gnade empfänglich, nämlich für die Vereinigung mit Gott in einer Person. Also wäre sie das auch v o r der Sünde gewesen — und Gott hätte ihr nicht ein Gut versagt, für das sie offenstand. Demnach ist die Menschwerdung auch ohne den Sündenfall anzunehmen. 4. Gottes Vorherbestimmung ist ewig. Von Christus aber steht geschrieben: „Er war in Macht vorherbestimmt als der Sohn Gottes" (Rom 1, 4). Also war die Menschwerdung auch vor der Sünde notwendig, damit dieser göttliche Ratschluß sich erfülle. 5. Das Geheimnis der Menschwerdung ist dem ersten Menschen geoffenbart worden. Das erhellt aus seinem Wort: „Das ist nun Bein von meinem Bein" (Gen 2, 23), worin der Apostel das „große Mysterium Christi und Seiner Kirche" erblickt (Eph 5, 32). Nun konnte der Mensch, aus dem gleichen Grunde wie der Engel, seinen Fall nicht voraussehen (Augustinus). Also wäre die Menschwerdung auch ohne den Sündenfall eingetreten. ANDERSEITS sagt Augustinus zu dem Schriftwort „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war" (Lk 19, 10): „Hätte der Mensch nicht gesündigt, so wäre der Menschensohn nicht gekommen." Und die Glosse fügt der Stelle „Christus kam QUAESTIO 1, 3

mpl 34/538 sF L 3g0 s q mpl 38/940

3. PRAETEREA, humana natura per peccatum non est facta capacior gratiae. Sed post peccatum capax est gratiae unionis, quae est maxima gratia. Ergo, si homo non peccasset, humana natura hujus gratiae capax fuisset. Nec Deus subtraxisset naturae humanae bonum cujus capax erat. Ergo, si homo non peccasset, Deus incarnatus fuisset. 4. PRAETEREA, praedestinatio Dei est aeterna. Sed dicitur Rom. 1 de Christo, quod „praedestinatus est Filius Dei in virtute". Ergo etiam ante peccatum necessarium erat Filium Dei incarnari, ad hoc quod praedestinatio Dei impleretur. 5. PRAETEREA, incarnationis mysterium est primo homini revelatum: ut patet per hoc quod dixit: „Hoc nunc os ex ossibus meis", quod Apostolus dicit esse magnum sacramentum in Christo et Ecclesia, ut patet Ephes. 5. Sed homo non potuit esse praescius sui casus, eadem ratione qua nec angelus: ut Augustinus probat, super Gen. ad lit. [lib. 11, cap. 18]. Ergo, etiam si homo non peccasset, Deus incarnatus fuisset. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de Verbis Dom. [serm. 174], exponens illud quod habetur Luc. 19: „Venit Filius hominis quaerere et salvum facere quod perierat": „Sed si homo non peccasset, Filius hominis non venisset." Et

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in die Welt, um die Sünder zu retten" (1 Tim 1, 15) zur 1, 3 Erläuterung bei: „Es gab keinen anderen Grund für das Kommen des Herrn als die Rettung der Sünder. Nimm alle Krankheiten und Wunden hinweg, dann bedarf es keiner Arznei mehr." ANTWORT: Über diese Frage bestehen verschiedene Meinungen. Einige sagen, daß der Sohn Gottes Mensch geworden wäre, auch wenn es keine Sünde gäbe. Andere behaupten das Gegenteil. Ihre Auffassung scheint eher unsere Zustimmung zu verdienen. Denn alles, was allein vom Willen Gottes abhängt und jeden Anspruch des Geschöpfes übersteigt, kann uns nur offenbar werden, soweit es uns die Hl. Schrift vermittelt. In ihr gibt sich der Wille Gottes kund. Da nun in der Hl. Schrift überall die Sünde des Menschen als Grund für die Menschwerdung bezeichnet wird, so sagen wir mit gutem Recht, daß sie von Gott als Heilmittel gegen die Sünde bestimmt war: gäbe es keine Sünde, so gäbe es keine Menschwerdung. Freilich war die Allmacht Gottes nicht auf diesen Grund beschränkt: Gott hätte auch Mensch werden können, wenn es keine Sünde gäbe. Z u 1. Alle anderen Gründe, die für die Menschwerdung angeführt wurden, bezeichnen diese als Heilmittel gegen die Sünde. Ohne die Sünde wäre nämlich der Mensch vom Licht der göttlichen Weisheit erfüllt gewesen und, von Gott vollendet, aufrecht in seiner UrgerechtigQ U A E S T I O

1, 3

1 ad Tim. 1, super illud verbum, „Christus venit in hunc mundum ut peccatores salvos faceret", dicit Glossa: „Nulla MPL causa veniendi fuit Christo Domino, nisi peccatores salvos 38/946 facere. Tolle morbos, tolle vulnera, et nulla est causa medicinae." RESPONDEO dicendum quod aliqui circa hoc diversimodo opinantur. Quidam enim dicunt quod, etiam si homo non peccasset, Dei Filius fuisset incarnatus. Alii vero contrarium asserunt. Quorum assertioni magis assentiendum videtur. Ea enim quae ex sola Dei voluntate proveniunt, supra omne debitum creaturae, in nobis innotescere non possunt nisi quatenus in sacra Scriptura traduntur, per quam divina voluntas innotescit. Unde, cum in sacra Scriptura ubique incarnationis ratio ex peccato primi hominis assignetur, convenientius dicitur incarnationis opus ordinatum esse a Deo in remedium peccati, ita quod, peccato non existente, incarnatio non fuisset. Quamvis potentia Dei ad hoc non limitetur: potuisset enim, etiam peccato non existente, Deus incarnari. AD PRIMUM ergo dicendum quod omnes aliae causae quae sunt assignatae, pertinent ad remedium peccati. Si enim homo non peccasset, perfusus fuisset lumine divinae sapientiae, et justitiae rectitudine perfectus a Deo, ad omnia necessaria

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1, 3 keit dagestanden, so daß er leicht alles zu seinem Heile Notwendige hätte erkennen können. W e i l er sich aber von Gott abgewendet hatte und in das Körperliche abgestürzt war, fand es Gott gut, selbst einen Leib anzunehmen, um in reiner Leiblichkeit dem Menschen ein Heilmittel zu bieten. „ U n d das Wort ist Fleisch geword e n " (Jo 1, 14); zu dieser Stelle schreibt Augustinus: „Das Fleisch hat dich blind gemacht, das Fleisch heilt dich; denn Christus ist im Fleische gekommen, um im Fleische die Sünde des Fleisches zu tilgen." Z u 2. Schon in der Erschaffung der Welt aus dem Nichts offenbart sich Gottes unendliche Macht [ 6 ] . Es genügt zur Vollendung des Alls, wenn jedes geschaffene Wesen seiner Natur entsprechend auf Gott, als das Ziel, hingeordnet ist. — A b e r daß ein Geschöpf mit Gott zur Einheit der Person verbunden wird, geht über das Maß seiner natürlichen Vollkommenheit hinaus. Z u 3. Man kann eine doppelte Aufnahmefähigkeit des Menschen unterscheiden. Die eine entspricht seiner natürlichen Anlage und wird von Gott immer erfüllt; denn Er gibt jedem Geschöpf nach dem Maße seiner natürlichen Fassungskraft. — Die andere entspricht der göttlichen Macht, der jedes Geschöpf auf den Wink gehorcht. Von dieser ist hier die Rede [ 7 ] . A b e r nicht jede solche Anlage braucht Gott zu erfüllen, sonst bestände ja für Ihn die Unmöglichkeit, in der Schöpfung anders zu handeln, als Er wirklich handelt. Das ist jedoch bereits als falsch erwiesen worden ( I 25, 5; Bd. 2; 105, 6; Bd. 8). Q U A E S T I O 1, 3 cognoscenda. Sed quia homo, deserto Deo, ad corporalia collapsus erat, conveniens fuit ut Deus, carne assumpta, etiam per corporalia ei salutis remedium exhiberet. U n d e dicit MPL Augustinus, super illud Joan. 1. cap., „ V e r b u m caro factum 85/1395 est": „Caro te obcaecaverat, caro te sanat: quoniam sie venit Christus ut de carne vitia carnis exstingueret." A D S E C U N D U M dicendum quod in ipso modo produetionis rerum ex nihilo divina virtus infinita ostenditur. — A d perfectionem etiam universi suffleit quod naturali modo creatura ordinetur sie in D e u m sicut in finem. Hoc autem excedit limites perfectionis naturae, ut creatura uniatur Deo in persona. A D T E R T I U M dicendum quod duplex capacitas potest attendi in humana natura. U n a secundum ordinem potentiae naturalis. Quae a Deo Semper impletur, qui dat unieuique rei secundum capacitatem suam naturalem. — A l i a vero secundum ordinem divinae potentiae, cui omnis creatura obedit ad nutum. Et ad hoc pertinet ista capacitas. Non autem Deus omnem talem capacitatem naturae replet: alioquin, Deus non posset facere in creatura nisi quod facit; quod falsum est, ut in Primo habitum est.

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Aber auch nach der Sünde blieb die Möglichkeit einer 1, 4 Höherführung der Natur. Gott läßt ja das Böse nur zu, um etwas Besseres daraus entspringen zu lassen: „Als die Sünde sich gehäuft hatte, da ward die Gnade noch viel mächtiger" (Rom 5, 20). Darum wird bei der Weihe der Osterkerze gesungen: „Glückselige Schuld, die einen solchen, einen so großen Erlöser gefunden!" Zu 4. Vorherbestimmung beruht auf Vorauswissen [8]. Wie deshalb Gott manchmal das Heil eines Menschen durch die Gebote anderer sicherstellt, so bestimmte Er auch von vornherein die Menschwerdung zur Erlösung von der Sünde. Z u 5. Es ist nicht ausgeschlossen, daß jemandem eine Wirkung geoffenbart wird, deren Ursache ihm verborgen bleibt. Also konnte Gott dem ersten Menschen das Geheimnis der Menschwerdung offenbaren, ohne daß dieser seinen Fall voraus wußte. Denn nicht jeder erkennt mit der Wirkung zugleich deren Ursache. 4. A R T I K E L Ist Gott Mensch geworden zur Tilgung der Erbsünde oder hauptsächlich zur Tilgung der persönlichen Sünde? 1. Es scheint, daß die Erlösung von den persönlichen Sünden der Hauptzweck der Menschwerdung war. — Je QUAESTIO

1, 4

Nihil autem prohibet ad aliquid majus humanam naturam productam esse post peccatum: Deus enim permittit mala fieri ut inde melius eliciat aliquid. Unde dicitur Rom. 5: „Ubi abundavit iniquitas, superabundavit gratia." Unde et in benedictione Cerei Paschalis dicitur: „0 felix culpa, quae talem et tantum meruit habere Redemptorem!" AD QUARTUM dicendum quod praedestinatio praesupponit praescientiam futurorum. Et ideo, sicut Deus praedestinat salutem alicujus hominis per orationem aliorum implendam, ita etiam praedestinavit opus incarnationis in remedium humani peccati. AD QUINTUM dicendum quod nihil prohibet alicui revelari eflectus cui non revelatur causa. Potuit ergo primo homini revelari incarnationis mysterium sine hoc quod esset praescius sui casus: non enim quicumque cognoscit effectum, cognoscit et causam. A R T I C U L U S IV U t r u m D e u s p r i n c i p a l i u s i n c a r n a t u s f u e r i t in r e m e d i u m a c t u a l i u m p e c c a t o r u m q u a m in remedium originalis peccati [Sent., dist. 1, q. 1, art. 2 ad 6; de Articulis 42, art. 28; de Articulis 36, art. 23]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod Deus principalius incarnatus fuerit in remedium actualium peccatorum

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1, 4 schwerer nämlich eine Sünde ist, desto mehr steht sie dem Heil des Menschen entgegen, das zu wirken Gott Mensch geworden ist. Die persönliche Sünde ist aber schwerer als die Erbsünde, die nach Augustinus „die geringste Strafe verdient". Also war die Menschwerdung Christi hauptsächlich zur Tilgung der persönlichen Sünden bestimmt. 2. Die gebührende Strafe für die Erbsünde ist nur die Strafe der Verdammnis, nicht körperliche Pein (I—II 87, 5 E. 2; Bd. 12) [9]. Christus aber kam, um zur Sühne für die Sünden am Kreuze körperliche Pein zu leiden, nicht aber um die Strafe der Verdammnis auf sich zu nehmen. Er war im uneingeschränkten Besitz der Anschauung und Freude Gottes. Also ist Er nicht so sehr zur Tilgung der Erbsünde, als vielmehr zur Tilgung der persönlichen Sünden gekommen. 3. Chrysostomus sagt: „Die Anhänglichkeit eines treuen Knechtes läßt diesen die Guttaten seines Herrn, die allen gemeinsam zukommen, so schätzen, als wären sie ihm allein erwiesen; auch der hl. Paulus schreibt an die Galater (2, 20), als spräche er nur von sich: ,Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben.'" Unsere eigenen Sünden aber sind die persönlichen, denn die Erbsünde ist der ganzen Menschheit gemeinsam. Wir sollen also eine solche Liebe zum Herrn haben, als wäre Er vor allem wegen unserer persönlichen Sünden gekommen. QUAESTIO

1, 4

quam in remedium originalis peccati. Quanto enim peccatum est gravius, tanto magis humanae saluti adversatur, propter quam Deus est incarnatus. Sed peccatum actuale est gravius quam originale peccatum: minima enim poena debetur oriMPL ginali peccato, ut Augustinus dicit, Contra Julianum [lib. 5, 44/8u9 cap. 11]. Ergo principalius incarnatio Christi ordinatur ad deletionem actualium peccatorum. 2. PRAETEREA, peccato originali non debetur poena sensus, sed solum poena damni, ut in Secundo habitum est. Sed Christus venit pro satisfactione peccatorum poenam sensus pati in cruce, non autem poenam damni: quia nullum defectum habuit divinae visionis aut fruitionis. Ergo principalius venit ad deletionem peccati actualis quam originalis. 3. PRAETEREA, sicut Chrysostomus dicit, in 2 de CompuncMPG tione Cordis, „hic est affectus servi fidelis, ut beneflcia domini 47/420 sui quae communiter omnibus data sunt, quasi sibi soli praestita reputet: quasi enim de se solo loquens Paulus ita scribit, ad Gal. 2: Dilexit me, et tradidit semetipsum pro me." Sed propria peccata nostra sunt actualia: originale enim est commune peccatum. Ergo hunc afiectum debemus habere, ut aestimemus eum principaliter propter actualia peccata venisse.

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ANDERSEITS heißt es bei Johannes (1, 29) : „Siehe 1, 4 das Lamm Gottes, das hinwegnimmt d i e Sünde der Welt." ANTWORT: Sicher ist Christus in diese Welt gekommen, nicht bloß um d i e Sünde von uns zu nehmen, die seit dem Ursprung unseres Geschlechtes auf alle Menschen übergegangen ist, — sondern auch alle Sünden, die nachher hinzugekommen sind. Nicht als ob alle Sünden wirklich getilgt würden — die Schuld dafür liegt bei den Menschen, die Christus nicht anhangen: „Das Licht ist in die Welt gekommen, aber die Menschen hatten die Finsternis lieber als das Licht" (Jo 3, 19) —, sondern weil Christus hinreichend genug getan hat, um alle Sünden zu tilgen. „Mit der Gnadengabe verhält es sich nicht so wie mit der Sünde . . .; aus einer einzigen Sünde stammt das Urteil der Verdammung, doch die Begnadigung führt aus vielen Sünden zur Rechtfertigung" (Rom 5, 15. 16). Je größer die Sünde war, um so mehr war sie für Christus Grund, sie zu zerstören. Nun können wir etwas in doppeltem Sinne „größer" nennen: einmal der inneren Kraft nach, wie jenes „Weiß" heller ist, das stärker wirkt. In diesem Sinne ist die persönliche Sünde größer als die Erbsünde, weil in ihr mehr freiwillige Entscheidung liegt (I—II 82, 1 E. 2; Bd. 12). — Anderseits wird etwas auch nach seiner äußeren Ausdehnung als größer bezeichnet, QUAESTIO

1, 4

SED CONTRA est illud quod Joan. 1 dicitur: „Ecce Agnus Dei, ecce qui tollit peccata mundi." 1 RESPONDEO dicendum quod certum est Christum venisse in hunc mundum non solum ad delendum illud peccatum quod traductum est originaliter in posteros, sed etiam ad deletionem omnium peccatorum quae postmodum superaddita sunt: non quod omnia deleantur (quod est propter defectum hominum, qui Christo non inhaerent, secundum illud Joan. 3: „Venit lux in mundum, et dilexerunt homines magis tenebras quam lucem"), sed quia ipse exhibuit quod sufficiens fuit ad o m n e m 2 deletionem. Unde dicitur Rom. 5: „Non sicut delictum, sie et donum: nam Judicium e x uno in condemnationem, gratia autem ex multis delictis in justificationem." Tanto autem prineipalius ad alieujus peccati deletionem Christus venit, quanto illud peccatum majus est. Dicitur autem majus aliquid dupliciter. Uno modo, intensive: sicut est major albedo quae est intensior. Et per hunc modum majus est peccatum actuale quam originale: quia plus habet de ratione voluntarii, ut in Secundo dictum est. — Alio modo dicitur aliquid majus extensive: sicut dicitur major albedo quae est 1 P: . . . peccatum mundi, quod exponens Beda dicit: peccatum mundi MPL dicitur originale peccatum quod est commune totius mundi. 114/360 2 P: omnium peccatorum.

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1, 4 wie das „Weiß", das eine größere Fläche einnimmt. In diesem Sinne ist die Erbsünde größer als irgendeine persönliche Sünde, da sie das ganze menschliche Geschlecht durchseucht, während diese auf die einzelne Person beschränkt ist. Demnach kam Christus vor allem, um die Erbsünde zu tilgen. Denn schon Aristoteles sagt: „Das Wohl der Gesamtheit ist göttlicher als das Gut des Einzelnen." Z u 1. Dieser Einwand betrachtet die Sünde nur in ihrer inneren Schwere. Zu 2. In der künftigen Vergeltung zieht die Erbsünde keine körperliche Pein als Strafe nach sich. Was wir aber in diesem Leben an Mühsal erdulden, wie Hunger, Durst, Tod und anderes mehr, ist eine Folge der Erbsünde. Um also vollständige Sühne für sie zu leisten, wollte Christus körperliche Schmerzen tragen und so Tod und Leiden in sich überwinden. Z u 3. Wie Chrysostomus andeutet, hat der Apostel das obige Wort nicht gesagt, „als wolle er die allumfassenden, den ganzen Erdkreis überströmenden Gnadengaben Christi schmälern, sondern um zu bekennen, daß er sich für alle verpflichtet fühle. Was liegt daran, wenn Gott auch andere beschenkt, da dein Anteil unangetastet und so vollkommen bleibt, als wäre sonst niemand etwas davon QUAESTIO

1, 4

in m a j o r i s u p e r f i c i e . Et hoc m o d o p e c c a t u m o r i g i n a l e , q u o d p e r 1 totum g e n u s h u m a n u m inflcitur, est m a j u s q u o l i b e t peccato actuali, q u o d est p r o p r i u m s i n g u l a r i s p e r s o n a e . Et q u a n t u m ad hoc, Christus p r i n c i p a l i u s v e n i t ad t o l l e n d u m o r i g i n a l e p e c c a t u m : i n q u a n t u m „ b o n u m g e n t i s d i v i n i u s est q u a m b o n u m 1094 b 8 unius", ut dicitur in 1 Ethic. [cap. 11, n. 8 ] . A D P R I M U M e r g o d i c e n d u m q u o d ratio illa p r o c e d i t d e i n t e n s i v a m a g n i t u d i n e peccati. A D S E C U N D U M dicendum quod peccato originali in futura r e t r i b u t i o n e n o n d e b e t u r p o e n a s e n s u s : p o e n a l i t a t e s tarnen q u a s s e n s i b i l i t e r in hac v i t a patiinur, sicut f a m e m , sitim, m o r t e m et alia h u j u s m o d i , e x p e c c a t o o r i g i n a l i p r o c e d u n t . Et i d e o Christus, ut p l e n e p r o p e c c a t o o r i g i n a l i satisfaceret, v o l u i t s e n s i b i l e m d o l o r e m pati, ut m o r t e m et alia h u j u s m o d i i n s e i p s o consummaret. MPG A D T E R T I U M d i c e n d u m q u o d , sicut C h r y s o s t o m u s i b i d e m 47/420 inducit, v e r b a illa dicebat A p o s t o l u s , „ n o n quasi d i m i n u e r e v o l e n s a m p l i s s i m a et p e r o r b e m t e r r a r u m d i f i u s a Christi m u n e r a : s e d ut pro Omnibus s e s o l u m i n d i c a r e t o b n o x i u m . Quid e n i m i n t e r e s t si et a l i i s praestitit, c u m q u a e tibi s u n t p r a e s t i t a ita i n t e g r a s u n t et ita p e r f e c t a q u a s i n u l l i alii e x his. 1

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P et L: originale, per quod . . .

geschenkt worden". Soll auch jeder Mensch das Heils- 1, 5 werk als ihm geschenkt annehmen, so darf er deshalb nicht glauben, daß es den anderen nicht auch zukomme. Also schließt dieser Einwand nicht aus, daß Christus vor allem kam, um die Sünde der ganzen Menschheit zu tilgen, und dann erst wegen der Sünde des Einzelnen. Diese allen gemeinsame Sünde ist aber in jedem einzelnen so vollkommen geheilt worden, als wäre sie nur in ihm allein geheilt worden. — Überdies darf auch wegen der Einheit in der Liebe ein jeder für sich nehmen, was allen geschenkt worden ist, als w ä r e es ihm allein gegeben. 5. Wäre

es angemessen an der Wiege

ARTIKEL gewesen, daß die des Geschlechtes

Menschwerdung stattfand?

1. Das Werk der Menschwerdung ging aus der Unermeßlichkeit göttlicher Liebe hervor. „Gott, der an Erbarmen so reich ist, hat in Seiner großen Liebe uns, die wir durch unsere Vergehen tot waren, in Christus zu neuem Leben erweckt" (Eph 2, 4. 5). Die Liebe aber zögert nicht, einem bedrängten Freunde zu Hilfe zu kommen. „Sage nicht zu deinem F r e u n d e : Geh und komme wieder, ich will dir morgen etwas geben — da du es QÜAESTIO

1, 5

aliquid fuerit praestitum?" Ex hoc ergo quod aliquis debet sibi reputare beneficia Christi praestita esse, non debet existimare quod non sint praestita aliis. Et ideo non excluditur quin principal ius venerit abolere peccatum totius naturae quam peccatum unius personae. Sed illud peccatum commune ita perfecte curatum est in unoquoque ac si in eo solo esset curatum. — Et praeterea, propter unionem caritatis, totum quod omnibus est impensum, unusquisque debet sibi adscribere.

Utrum

ARTICULUS V conveniens fuisset Deum i n c a r n a r i principio humani generis

a

[3 Sent., dist. 1, q. 1, art. 4; 4 Cont. Gent., cap. 53, 54; in Isaiam, cap. 2; ad Gal., cap. 4, lect. 2]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod conveniens fuisset Deum incarnari a principio humani generis. Incarnationis enim opus ex immensitate divinae caritatis processit: secundum illud Ephes. 2: „Deus, qui dives est in misericordia, propter nimiam caritatem suam qua dilexit nos, cum essemus mortui peccatis, convivificavit nos in Christo." Sed Caritas non tardat subvenire amico necessitatem patienti: secundum illud Prov. 3: „Ne dicas amico tuo: Vade et revertere, cras

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t, 5 heute kannst" (Spr 3, 28). Also durfte auch Gott Sein Heilswerk nicht aufschieben. Er mußte dem Menschengeschlechte gleich im Anfang durch Seine Menschwerdung helfen. 2. „Christus kam in diese Welt, um die Sünder zu erretten" (1 Tim 1, 15). Nun hätten mehr Seelen gerettet werden können, wenn Gott gleich im Anfang Mensch geworden wäre. Denn wie viele starben im Laufe der Jahrhunderte in ihrer Sünde, weil sie Gott nicht kannten. Also wäre die Menschwerdung Gottes am Anfang des Menschengeschlechtes besser gewesen. 3. Dem Werke der Gnade liegt ebenso eine bestimmte Ordnung zugrunde wie dem Werke der Natur. Die Natur aber geht vom Vollkommenen aus (Boethius). Also mußte auch das Werk der Gnade in seinem Ursprung vollkommen sein. Die Menschwerdung aber wird als die Vollendung der Gnade angesehen, denn der Schriftstelle „das WORT ist Fleisch geworden" folgt der Zusatz: „voll der Gnade und Wahrheit" (Jo 1, 14). Also mußte Christus im Anfang Mensch werden. ANDERSEITS heißt es im Galaterbrief (4, 4): „Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott Seinen Sohn, gebildet aus einem Weibe." Dazu bemerkt die Glosse: „Die ,Fülle der Zeit' war der Augenblick, den der Vater für die Sendung Seines Sohnes bestimmt hatte." Nun hat Gott in Seiner Weisheit alles geordnet. Also ist Q U A E S T I O

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dabo tibi; cum statim possis dare." Ergo Deus incarnationis opus d i f f e r r e non debuit, sed statim a principio per suam incarnationem humano generi subvenire. 2. P R A E T E R E A , 1 T i m . 1 dicitur: „Christus venit in hunc mundum peccatores salvos f a c e r e . " Sed plures salvati fuissent si a principio humani generis Deus incarnatus fuisset: plurimi enim, ignorantes Deum, in suo peccato perierunt in diversis saeculis. Ergo coüvenientius fuisset quod a principio humani generis Deus incarnatus fuisset. 3. P R A E T E R E A , opus gratiae non est minus ordinatum quam opus naturae. Sed natura initium sumit a perfectis: ut dicit Boetius, in libro de Consolatione [lib. 3, pros. 10]. Ergo opus gratiae debuit a principio esse perfectum. Sed in opere incarnationis consideratur perfectio gratiae: secundum illud: V e r bum caro factum est; et postea subditur: „plenum gratiae et veritatis". Ergo Christus a principio humani generis debuit incarnari. SED C O N T R A est quod dicitur Gal. 4: „ A t ubi venit plenitudo temporis, misit Deus Filium suum, factum ex m u l i e r e " : ubi dicit Glossa quod „plenitudo temporis est quod praefinitum f u i t a Deo Patre quando mitteret Filium suum". Sed Deus sua

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auch Gott zu der Zeit Mensch geworden, die dafür am 1, 5 geeignetsten war. Sein Erscheinen zu Beginn der Menschheitsgeschichte wäre also nicht angebracht gewesen. ANTWORT: Der Hauptzweck der Menschwerdung war, die Sünde zu tilgen und dadurch die menschliche Natur wiederherzustellen. Darum ist es klar, daß die Fleischwerdung Gottes vor der Sünde der ersten Menschen keinen Sinn gehabt hätte: eine Arznei gibt man erst, wenn jemand krank ist. „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken . . .: Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder" (Mt 9, 12). Aber auch unmittelbar nach dem Sündenfall wäre nicht der richtige Zeitpunkt für die Menschwerdung gewesen: Erstens: Wegen der besonderen Art der menschlichen Sünde, die aus dem Stolz hervorgegangen war. Darum mußte die Erlösung des Menschen sich so vollziehen, daß er durch seine Verdemütigung erkenne, wie sehr er eines Erlösers bedürfe. Zu dem Schriftwort: „Das Gesetz wurde durch Engel angeordnet in die Hand eines Mittlers" (Gal 3, 19) bemerkt die Glosse: „Nach Seinem erhabenen Ratschluß hat Gott Seinen Sohn nicht unmittelbar nach dem Sündenfall gesandt. Zunächst überließ Er nämlich den Menschen seiner Freiheit und dem Gesetze seiner Natur, damit er sich so [der Grenzen ] seiner natürlichen Kräfte bewußt werde. Als [sie versagten u n d ] er QUAESTIO

1, 5

sapientia omnia definivit. Ergo convenientissimo tempore Deus est incarnatus. Et sie non fuit conveniens quod Deus a prineipio humani generis incarnaretur. RESPONDEO dicendum quod, cum opus incarnationis principaliter ordinetur ad reparatioriem naturae humanae per peccati abolitionem, manifestum est quod non fuit conveniens a prineipio humani generis, ante peccatum, Deum incarnatum fuisse: non enim datur medicina nisi jam infirmis. Unde ipse Dominus dicit, Matth. 9: „Non est opus valentibus medicus, sed male habentibus: non enim veni vocare justos, sed peccatores." Sed non etiam statim post peccatum conveniens fuit Deum incarnari. Primo quidem, propter conditionem humani peccati, quod ex superbia provenerat: unde eo modo erat homo liberandus ut, hum Hiatus, recognosceret se liberatore indigere. Unde super illud Gal. 3: „Ordinata per angelos in manu mediatoris", dicit Glossa: „Magno consilio factum est ut, post hominis casum, non illico Dei Filius mitteretur. Reliquit enim Deus prius hominem in libertate arbitrii, in lege naturali, ut sie vires naturae suae cognosceret. Ubi cum deficeret, Legem

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1, 5 erlag, erhielt er das Gesetz [des Moses]. Da nahm das Siechtum erst recht zu, nicht aus Unzulänglichkeit des Gesetzes, sondern wegen der Verderbtheit der menschlichen Natur. Im Bewußtsein seines Elendes sollte der Mensch nach einem Arzte rufen und nach der Hilfe der Gnade verlangen." Zweitens: Das Gesetz des Fortschrittes zum Guten führt vom Niederen zum Höheren. „Nicht das göttliche Leben kommt zuerst, sondern das natürliche, dann erst folgt das göttliche. Der erste Mensch aus Erde ist irdisch, der zweite vom Himmel ist himmlisch" (1 Kor 15, 46. 47). Drittens: Die Würde des göttlichen WORTES selbst verlangte diesen Zeitpunkt für Seine Menschwerdung. Der Schriftstelle „Sobald die Fülle der Zeiten gekommen war" (Gal 4, 4) fügt die Glosse bei: „Je größer der kommende Richter war, desto länger mußte der Zug der Herolde sein, die Ihm vorausgingen." Viertens: Der lebendige Glaubenseifer wäre bei langer Verzögerung erschlafft. Denn am Weltenende „wird die Liebe vieler erkalten", heißt es bei Matthäus (24, 12) — und der hl. Lukas schreibt (18, 8): „Wenn der Menschensohn kommt — meinst du, er findet Glauben auf Erden?" Z u 1. Die Liebe zögert nicht, dem Freunde Hilfe zu bringen — es sei denn, um günstigere Umstände abzuwarten oder die besondere Lage des Hilfsbedürftigen zu berücksichtigen. Wenn z. B. ein Arzt gleich beim Beginn der Krankheit dem Leidenden Arzneien reichte, so würde er Q U A E S T I O 1, r>

accepit. Qua data, invaluit morbus, non Legis, sed naturae vitio: ut ita, cognita sua infirmitate, clamaret ad medicum, et gratiae quaereret auxilium." Secundo, propter ordinem promotionis in bonum, secundum quem ab imperfecto ad perfectum proceditur. Unde Apostolus dicit, 1 ad Cor. 15: „Non prius quod spirituale est, sed quod animale: deinde quod spirituale. Primus homo de terra, terrenus: secundus homo de caelo, caelestis." Tertio, propter dignitatem ipsius Verbi incarnati. Quia super mpl illud Gal. 4: „Ubi venit plenitudo temporis", dicit Glossa: 35/1638 „Quanto major judex veniebat, tanto praeconum series longior praecedere debebat." Quarto, ne fervor fidei temporis prolixitate tepesceret. Quia circa finem mundi „refrigescet C a r i t a s multorum": et Luc. 18 dicitur: „Cum Filius hominis veniet, putasne inveniet fidem super terram?" AD PRIMUM ergo dicendum quod Caritas non diflert amico subvenire, salva tarnen negotiorum opportunitate et personarum conditione. Si enim medicus statim a principio aegritudinis medicinam daret infirmo, minus proficeret, vel magis

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vielleicht mehr schaden als nützen. So bot auch der 1, 5 Herr dem Geschlechte nicht gleich das Heilmittel der Menschwerdung an, damit es sie in seinem Stolz nicht verächtlich zurückweise, bevor es seine Hilflosigkeit erkannt hatte. Z u 2. Auf diesen Einwurf antwortet Augustinus: „Christus wollte zu der Zeit und an dem Ort den Menschen erscheinen und Seine Lehre verkünden lassen, da Er gewiß war, gläubige Aufnahme zu finden. Er wußte nämlich [voraus], daß zu der Zeit und an den Orten [wo das Evangelium nicht verkündet worden ist] alle Menschen sich Seiner Frohbotschaft gegenüber so verhalten hätten, wie es während Seines Erdenwandels wenigstens die Mehrzahl tat: sie wollten nicht einmal auf Seine Totenerweckungen hin glauben." Später verwarf Augustinus diese Auffassung und schrieb im Buch über die Beharrlichkeit: „Können wir denn behaupten, daß die Bewohner von Tyrus und Sidon nach solchen Wundern nicht hätten glauben wollen oder daß sie nicht glauben würden, wenn sie bei ihnen geschähen? Der Herr selbst bezeugt ja ausdrücklich, daß sie in tiefer Demut Buße getan hätten, wenn bei ihnen solche Zeichen göttlicher Macht geschehen wären." „So liegt es also" — wie Augustinus, mit dem Apostelwort abschließend, beifügt — „nicht bei dem, der will, noch bei dem, der läuft, sondern bei Gott, der sich erQ U A E S T I O 1, 5

laederet quam juvaret. Et ideo etiam Dominus non statim incarnationis remedium humano generi exhibuit, ne illud contemneret ex superbia, si prius suam infirmitatem non cognosceret. AD SECUNDUM dicendum quod Augustinus ad hoc respondet, in libro de Sex Quaestionibus Paganorum [epist. 102], di- MPL cens, Qu. 2, quod „tunc voluit Christus hominibus apparere, 33,376 s 7 s i wMansi 7 H5BC.

cf. Arist. ^Vjou issqq.

192 b2i

2, i im Erzeugten eine Wesenheit der gleichen Art, so wie sie der Wesensbegriff umgrenzt, hervorzubringen, so kann man auch diese Wesenheit Natur nennen. In diesem Sinne sagt Boethius: „Natur ist der artbestimmende Unterschied, der jedes Ding erst zu dem macht, was es ist"; dieser ist es nämlich, der die Artbestimmung vervollständigt. So sprechen wir also jetzt von Natur, sofern Natur das Wesen oder die Washeit der Art bezeichnet. Nehmen wir nun Natur in diesem letzten Sinne von Wesen, dann konnte sich die Vereinigung des Wortes mit der Menschheit unmöglich in der Natur vollziehen. A u s zwei oder mehreren Dingen kann nämlich auf dreierlei Art eine Einheit entstehen. Erstens: Die beiden Dinge finden sich vollständig unverändert [in der neuen Einheit] vor. Das ist nur der Fall, wenn die verbindende Form entweder eine bloße Anhäufung oder eine Anordnung oder eine Gestalt ist. So bilden Steine, einfach aufeinandergeworfen, einen Steinhaufen. Fügt man dagegen Steine und Balken in einer bestimmten Ordnung und nach einem bestimmten Bauplan aneinander, so entsteht ein Haus. So hielten einige die Einheit von Gott und Mensch in der Menschwerdung für eine regellose Verbindung, ein bloßes „Durcheinander"; andere glaubten, sie seien nach bestimmten Verhältnissen geordnet. Beides kann nicht sein. Einmal, weil Anhäufung, AnQUAESTIO

2, l

191a 30 generatur, essentia speciei, quam significat definitio [ibid., n. 10, 1 1 ] , inde est quod hujusmodi essentia speciei vocatur etiam natura. Et hoc modo Boetius naturam definit, in libro MPL de Duabus Naturis [cap. 1], dicens: „Natura est unamquam(¡4/1342 q u e rem informans speciflca diflerentia", quae scilicet complet definitionem speciei. Sic ergo nunc loquimur de natura, secundum quod natura significat essentiam, vel quod quid est, sive quidditatem speciei. Hoc autem modo accipiendo naturam, impossibile est unionem V e r b i incarnati esse factam in natura. Tripliciter enim aliquid unum e x duobus vel pluribus constituitur. Uno modo, e x duobus perfectis integris remanentibus. Quod quidem fieri non potest nisi in his quorum forma est compositio, vel ordo, vel figura: sicut e x multis lapidibus absque aliquo ordine adunatis per solam compositionem fit acervus; e x lapidibus autem et lignis secundum aliquem ordinem dispositis, et etiam ad aliquam figuram redactis, fit domus. Et secundum hoc, posuerunt aliqui unionem esse per modum confusionis, quae scilicet est sine ordine; vel commensurationis, quae est cum ordine. S e d hoc non potest esse. Primo quidem, quia compositio,

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Ordnung und Gestalt keine Wesensform darstellen, son- 2, 1 dern nur äußere Eigenschaften. Daraus würde sich ergeben, daß die Vereinigung von Gott und Mensch keine innerliche und wesentliche, sondern eine rein äußerliche und zufällige war, was wir später widerlegen werden. — Ferner, weil sich dabei nicht eine Einheit schlechthin, vielmehr nur teilweise Einheit, d. h. unter einer bestimmten Hinsicht ergibt, in Wirklichkeit bleibt es bei einer Vielheit. Endlich, weil die Form solcher Gebilde kein Werk der Natur, sondern der Kunst ist, wie das Beispiel des Hauses beweist. Und so ergäbe sich nicht e i n e Natur in Christus, was aber die Vertreter dieser Ansicht behaupten. Eine z w e i t e Art der Einheit: Dinge, die in sich vollkommen sind, gehen eine Verbindung ein, werden aber dabei verändert, w i e [bei chemischen Verbindungen] aus den Grundstoffen eine Mischung entsteht. So haben einige behauptet, die Vereinigung sei erfolgt nach A r t einer Verschmelzung. Eine unannehmbare Lösung. Die göttliche Natur ist nämlich schlechthin unveränderlich ( I 9, 1 u. 2; Bd. 1). Es ist unmöglich, daß sie sich in etwas anderes verwandle, denn sie ist unzerstörbar. Noch kann etwas anderes in sie verwandelt werden, denn nichts kann neu zu ihr hinzugezeugt werden [13]. Ferner ist keine chemische Mischung derselben Wesensart w i e ihre Elemente [14]. Fleisch z. B. unterscheidet sich wesentlich von jedem seiner Bestandteile. Demnach hätte Christus nicht dieselbe [göttliche] Natur wie der Vater, noch dieQUAESTIO

2, l

o r d o v e l flgura non est f o r m a substantialis, sed accidentalis. El sie sequeretur quod unio incarnationis non esset p e r se, sed p e r accidens: quod i n f r a 1 probabitur. — Secundo, quia ex hujusmodi non fit unum simpliciter, sed secundum q u i d : rem a n e r e n t enim plura actu. — T e r t i o , quia f o r m a talium non est natura, sed magis ars: sicut f o r m a domus. Et sie non constitueretur una natura in Christo, ut ipsi volunt. A l i o m o d o fit a l i q u i d 2 e x perfectis, sed transmutatis: sicut e x elementis fit m i x t u m . Et sie aliqui d i x e r u n t unionem esse factam p e r m o d u m complexionis. Sed hoc non potest esse. P r i m o q u i d e m , quia natura divina est omnino i m m u t a b i l i s : ut in P r i m a P a r t e dictum est. U n d e nec ipsa potest converti in aliud, cum sit incorruptibilis: nec aliud in ipsam, cum ipsa sit ingenerabilis. — Secundo, quia illud q u o d est commixtum, nulli miseibilium est i d e m s p e c i e : d i f f e r t e n i m caro a quolibet e l e m e n t o r u m specie. Et sie Christus nec esset e j u s d e m naturae cum P a t r e , nec cum matre. — 1 2

P et L : improbabitur. P addit: unum

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2, i selbe [menschliche] w i e seine Mutter. Schließlich kann es keine Verbindung g a n z verschiedener Dinge geben, es sei denn, daß eines vom anderen gleichsam aufgelöst wird, wie der Tropfen Wasser, der in einen Krug Wein fällt. Da aber die göttliche Natur die menschliche unendlich überragt, so käme es gar nicht zu einer Verbindung, sondern es würde nur die göttliche Natur übrigbleiben. Endlich gibt es noch eine d r i t t e Art der Vereinigung. Sie vollzieht sich zwischen Wesen, die bei der Verbindung nicht verändert werden, jedoch in sich unvollständig sind. So entsteht aus Leib und Seele der Mensch und ähnlich aus vielen einzelnen Gliedern der Leib. A b e r auch das läßt sich von der Menschwerdung nicht sagen. Erstens, weil beide Naturen, die göttliche und die menschliche, etwas in sich Abgeschlossenes sind. Zweitens, weil die beiden Naturen kein Ganzes bilden können wie zwei körperliche Teil-Größen oder wie die verschiedenen Glieder des menschlichen Leibes; denn die göttliche Natur ist unkörperlich. Noch auch können sie sich wie Form und Stoff verbinden; denn die göttliche Natur kann nicht die bestimmende Form eines Dinges sein, am wenigsten eines Körpers. Dabei würde nämlich eine neue Art entstehen, die an viele Einzelwesen mitteilbar wäre. Es wären also mehrere Gottmenschen denkbar. Drittens, Christus wäre weder menschlicher noch göttlicher Natur. Denn jeder [ n e u e ] Wesensunterschied verändert die Art, wie jede neue Einheit die Zahl (Aristoteles). Q U A E S T I O

2,

l

Tertio, quia ex his quae plurimum distant non potest fieri comm i x t i o : solvitur enim species unius eorum, puta si quis guttam aquae amphorae vini apponat. Et secundum hoc, cum natura divina in infinitum excedat humanam, non potest esse mixtio, sed remanebit sola natura divina. Tertio modo fit aliquid ex aliquibus non permutatis, sed imperfectis: sicut ex anima et corpore fit homo; et similiter ex diversis membris. Sed hoc dici non potest de incarnationis mysterio. P r i m o quidem, quia utraque natura est secundum suam rationem perfecta, divina scilicet et humana. — Secundo, quia divina et humana natura non possunt constituere aliquid per modum partium quantitativarum, sicut membra constituunt corpus: quia natura divina est incorporea. Neque per modum formae et materiae; quia divina natura non potest esse forma alicujus, praesertim corporei. Sequeretur etiam quod species resultans esset conimunicabilis pluribus: et ita essent plures Christi. — Tertio, quia Christus neque esset humanae naturae, neque div i n a e : diöerentia enim addita variat speciem, sicut unitas in 1043 b 36 numeris, sicut dicitur in 8 Metaphys. [lib. 7, cap. 3 ] .

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Z u 1. Das Y . allgemeine Konzil von Chalzedon er- 2, 1 klärt die angeführte Stelle so: „Wenn einer die Wendung ,die eine göttliche Natur hat Fleisch angenommen' nicht so versteht, w i e die Väter lehrten, daß sich nämlich die göttliche und die menschliche Natur in der Einheit der Person verband, sondern wenn einer versucht, aus diesen Worten in Christus e i n e Natur oder e i n Wesen der Gottheit sowohl w i e des Fleisches abzuleiten, der sei im Bann." Folglich ist es nicht der Sinn dieser Worte, bei der Menschwerdung sei aus zwei Naturen eine gebildet worden, sondern die eine Natur des göttlichen WORTES habe sich mit dem Fleische in der Person verbunden. Zu 2. In jedem von uns entsteht aus Leib und Seele eine zweifache Einheit, die der Natur und die der Person. In der ersteren vereinigt sich die Seele mit dem Leibe als dessen gestaltende und vollendende Wirklichkeit, so daß aus beiden die eine menschliche Natur entsteht, w i e aus Seinsanlage und Seinswirklichkeit oder aus Stoff und Form. Darauf spielt der Vergleich [des hl. Athanasius ] jedenfalls nicht an, denn die göttliche Natur kann niemals Wesensform eines Körpers sein ( I 3, 8; Bd. 1). Anders verhält es sich mit der Einheit der Person: sie vereinigt im freien, unabhängigen „Für-sich-sein" Leib und Seele. Und dafür trifft der Vergleich zu: denn der eine Christus ist Träger der göttlichen und der menschlichen Natur. Q U A E S T I O

2, l

A D P R I M U M ergo dicendum quod illa auctoritas Cyrilli ex- Mansi9 ponitur in Quinta Synodo sie: „Si quis, unam naturam Dei 3 8 2 V e r b i incarnatam dicens, non sie aeeipit sicut Patres docue- c a n " runt, quia ex divina natura et humana unione secundum subsistentiam facta, sed ex talibus voeibus naturam unam sive substantiam divinitatis et caruis Christi introducere conatur, talis anathema sit." Non ergo sensus est quod in incarnatione e x duabus naturis sit una natura constituta: sed quia una 1 Dei V e r b i carnem univit in persona. A D S E C U N D U M dicendum quod ex anima et corpore constituitur in unoquoque nostrum duplex unitas: naturae, et personae. Naturae quidem, secundum quod anima unitur corpori, formaliter perficiens ipsum, ut ex duobus fiat una natura, sicut e x actu et potentia, vel materia et forma. Et quantum ad hoc non attenditur similitudo: quia natura divina non potest esse corporis forma, ut in P r i m o probatum est. Unitas vero personae constituitur ex eis inquantum est unus aliquis subsistens in carne et anima. Et quantum ad hoc attenditur similitudo: unus enim Christus subsistit in divina natura et humana. 1

P et L addunt: natura.

39

2, 2

Z u 3. Johannes von Damaskus sagt: Die göttliche Natur hat Fleisch angenommen, weil sie sich in der Einheit der Person mit ihm verband, nicht aber weil sie sich in die Natur des Fleisches verwandelt hat. In ähnlicher Weise heißt es auch, das Fleisch sei vergöttlicht worden; man meint aber damit keine Verwandlung [des Fleisches in Gott], sondern seine Vereinigung mit dem WORT, bei der keine der beiden Naturen ihre Eigenart eingebüßt hat. Die Wendung „das vergöttlichte Fleisch" bedeutet daher soviel wie das „Fleisch des göttlichen WORTES", und nicht, es sei Gott geworden. 2. A R T I K E L Vollzog sich die Vereinigung in der Person

[15]?

1. In Gott ist kein Unterschied zwischen Person und Natur (I 39, 1; Bd. 3) [16]. Wenn nun die Vereinigung von Gott und Mensch sich nicht in der Natur vollziehen konnte, dann auch nicht in der Person. 2. Christi Menschheit besaß keine geringere Würde als die unsrige. Nun ist es aber ein Zeichen von Würde, den Rang einer Person zu besitzen (I 29, 3 Zu 2; Bd. 3). Wenn also schon in uns die menschliche Natur den Rang einer eigenen Person hat, dann um so mehr in Christus. QUAESTIO

MPG 94*1058 MPG 94/1070

2, 2

AD TERTIUM dicendum quod, sicut Damascenus dicit [lib. cit., cap. 17], natura divina dieitur incarnata, quia est unita carni personaliter: non quod sit in naturam carnis conversa. Similiter etiam caro dicitur deificata, ut ipse dicit, non per conversionem, sed per unionem ad Verbum, salvis suis proprietatibus: ut intelligatur caro deificata quia facta est Dei Verbi caro, non quia facta sit Deus.

Utrum

A R T I C U L U S II unio Verbi incarnati sit sona

facta

[3 Sent., dlst. 5, q. 1, art. 3; 4 Cont. Gent., cap. 41; art. 1; ad Philipp., cap. 2, lect. 2]

in

de Un.

perVerbi,

AD SECUNDUM sic proceditur. Quod unio Verbi incarnati non sit facta in persona. Persona enim Dei non est aliud a natura ipsius, ut habitum est in Primo. Si ergo unio non est in natura, sequitur quod non sit facta in persona. 2. PRAETEREA, natura humana non est minoris dignitatis in Christo quam in nobis. Personalitas autem ad dignitatem pertinet, ut in Primo habitum est. Cum ergo natura humana in nobis propriam personalitatem habeat, multo magis habuit propriam personalitatem in Christo.

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3. Boethius versteht unter Person: „das selbständige Ein- 2, 2 zel-Sein einer vernünftigen Natur". Das WORT hat aber eine menschliche Einzelnatur angenommen, denn die allgemeine Natur, sagt Johannes von Damaskus, hat kein wirkliches, sondern nur ein begriffliches Sein. Zu [ S e i n e r ] menschlichen Natur gehört demnach auch eine Person. Es scheint sich also die Vereinigung nicht in der Person vollzogen zu haben [17]. ANDERSEITS lesen wir im Konzil von Chalzedon [18 ]: „Wir glauben nicht, daß unser Herr Jesus Christus in z w e i Personen geteilt und geschieden ist, wir bekennen Ihn vielmehr als den E i n e n , ungeteilten Eingeborenen des Vaters." Also vollzog sich die Vereinigung des WORTES in der Person. ANTWORT: Person und Natur bedeuten nicht das gleiche [19]. Natur bezeichnet die Wesenheit einer Art, wie sie in ihrer Begriffsbestimmung ausgesprochen ist (Aristoteles). Und wenn sich dazu nichts anderes mehr hinzufügen ließe, so wäre es nicht notwendig, die Natur von ihrem Träger, d. h. dem einzelnen Besitzer dieser Natur, zu unterscheiden. Denn jeder einzelne Besitzer einer Natur wäre mit dieser Natur völlig eins. Nun findet sich aber in manchen Dingen dies und jenes, was nicht •zu ihrem Artbegriff gehört, w i e die Eigenschaften und QUAESTIO

2, 2

3. PRAETEREA, sicut Boetius dicit, in libro de Duabus Na- MPL turis [cap. 3, 4], „persona est rationalis naturae individua sub- 6 4 1 3 4 3 stantia". Sed Verbum Dei assumpsit naturam humanam individuam: natura enim universalis non subsistit secundum se, sed in nuda contemplatione consideratur, ut Damascenus dicit [De Fide Orth., lib. 3, cap. 11], Ergo humana natura habet MPG suam personalitatem. Non ergo videtur quod sit facta unio in iJ4't023 persona. SED CONTRA est quod in concilio Chalcedonensi legitur: Mansi 7 „Non in duas personas particulariter partitum aut divisum, sed 115 B c unum et eumdem Filium unigenitum Dominum nostrum Jesum Christum confitemur." Ergo facta est unio Verbi in persona. RESPONDEO dicendum quod persona aliud significat quam natura. Natura enim significat essentiam speciei, quam significat definitio [cf. Aristot., Physic., lib. 2, cap. 1, n. 10]. Et I9ia30 si quidem his quae ad rationem pertinent speciei nihil aliud adjunctum inveniri posset, nulla necessitas esset distinguendi naturam a supposito naturae, quod est individuum subsistens in natura illa: quia unumquodque individuum subsistens in natura aliqua esset omnino idem cum sua natura. Contingit autem in quibusdam rebus subsistentibus inveniri aliquid quod non pertinet ad rationem speciei, scilicet accidentia et principia 41

2, 2 die Wurzelgründe ihres Einzelseins. Das sehen wir am klarsten bei den Körpern, die aus Stoff und Form zusammengesetzt sind. Darum ist in ihnen ein sachlicher Unterschied zwischen der Natur und ihrem Träger, ohne daß sie gänzlich voneinander getrennt sind. [Der Grund für diesen Unterschied ist vielmehr der], daß der Träger die Natur der betreffenden Art umschließt und überdies noch mancherlei anderes hinzukommt, was mit dem Wesen der Art nicht gegeben ist. Also ist der Träger als ein Ganzes aufzufassen, dessen bestimmender und vollendender Teil die Natur ist. Darum kann bei körperlichen Wesen die Natur nicht mit ihrem Träger gleichgesetzt werden. Wir sagen nicht: „Dieser Mensch ist seine Menschnatur." Wenn es aber in irgendeinem Dinge über seine Art oder seine Natur hinaus gar nichts anderes mehr gibt, wie dies bei Gott der Fall ist, dann ist kein sachlicher, sondern nur ein gedanklicher Unterschied zwischen der Natur und ihrem Träger. Denn von seiner Natur sprechen wir, wenn wir sein Wesen meinen; und ebendiese Natur nennen wir Naturträger, wenn wir ihr „Für-sich-sein" im Sinne haben. Was wir nun hier vom Träger der Natur aufstellten, gilt bei vernunftbegabten oder geistigen Wesen von ihrer Person. Denn Person ist nach Boethius nichts anderes als das selbständige Einzel-Sein einer vernünftigen Natur. Was immer also eine Person in sich schließt, mag es zu ihrer Wesenheit gehören oder nicht, ist dieser in der Q U A E S T I O

2, 2

individuantia: sicut maxime apparet in his quae sunt e x materia et forma composita. Et ideo in talibus etiam secundum rem differt natura et suppositum, non quasi omnino aliqua separata: sed quia in supposito includitur natura ipsa speciei, et superadduntur quaedam alia quae sunt praeter rationem speciei. Unde suppositum significatur ut totum, habens naturam sicut partem formalem et perfectivam sui. Et propter hoc in compositis e x materia et forma natura non praedicatur de supposito: non enim dicimus quod hie homo sit sua humanitas. Si qua vero res est in qua omnino nihil est aliud praeter rationem speciei vel naturae suae, sicut est in Deo, ibi non est aliud secundum rem suppositum et natura, sed solum secundum rationem i n t e l l i g e n t : quia natura dicitur secundum quod est quaedam essentia; eadem vero dicitur suppositum secundum quod est subsistens. Et quod est dictum de supposito, intelligendum est de persona in creatura rationali vel intellectuali: quia nihil aliud est persona quam rationalis naturae MPL individua substantia, secundum Boetium. 041343

Omne igitur quod inest alicui personae, sive pertineat ad naturam ejus sive non, unitur ei in persona. Si ergo humana

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Person verbunden. Vereinigt sich also die menschliche 2, 2 Natur mit dem WORT Gottes nicht in der Person, so ist sie überhaupt nicht mit Ihm verbunden. Damit wäre jeder Glaube an eine Menschwerdung aufgehoben und zugleich das ganze Gebäude des christlichen Glaubens untergraben. Weil also das WORT eine menschliche Natur besitzt, die zwar mit Ihm vereinigt ist, nicht aber zu Seiner göttlichen Natur gehört, folgt, daß diese Vereinigung sich in der Person des WORTES und nicht in Seiner Natur vollzog. Z u 1. In der Sache sind Natur und Person bei Gott das gleiche, in der Bezeichnung dagegen fallen sie auseinander (vgl. die Antwort). Denn „Person" hebt gerade das „Für-sich-sein" eines Wesens hervor. Nun ist die menschliche Natur so mit dem WORT verbunden, daß dieses in ihr im Für-sich-sein steht, ohne daß zu Seiner [göttlichen] Natur Neues hinzutritt oder daß diese in etwas anderes überginge. Also vollzog sich die Vereinigung von Gott und Mensch in der Person, nicht in der Natur. Zu 2. Das Person-sein gehört insofern notwendig zur Würde und Vollendung eines Dinges, als damit erst dessen volles „Für-sich-sein" gegeben ist; das eben will der Ausdruck Person besagen. In einem anderen, aber vollkommeneren Wesen sein bedeutet nun eine höhere Würde als „in sich selbst stehen". A u s diesem Grunde ist die menschliche Natur in Christus adeliger als in QUAESTIO

2, 2

natura V e r b o Dei non unitur in persona, nullo modo ei unitur. Et sic totaliter tollitur incarnationis fides: quod est subruere totam fidem Christianam. Quia igitur V e r b u m habet naturam humanam sibi unitam, non autem ad suam naturam divinam pertinentem, consequens est quod unio sit facta in persona Verbi, non autem in natura. A D P R I M U M ergo dicendum quod, licet in Deo non sit aliud secundum rem natura et persona, differt tarnen secundum modum significandi, sicut dictum est: quia persona significat per modum subsistentis. Et quia natura humana sie unitur V e r b o ut V e r b u m in ea subsistat, non autem ut aliquid addatur ei ad rationem suae naturae, vel ut ejus natura in aliquid transmutetur, ideo unio facta est in persona, non in natura. A D S E C U N D U M dicendum quod personalitas necessario infantum pertinet ad dignitatem alieujus rei et perfectionem, inquantum ad dignitatem et perfectionem e j u s pertinet quod per se existat: quod in nomine personae intelligitur. Dignius autem est alicui quod existat in aliquo se digniori, quam quod existat per se. Et ideo ex hoc ipso humana natura dignior est in Christo quam in nobis, quia in nobis, quasi per se existens,

4*

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2, ä uns, weil in uns die Natur zwar gleichsam in sich steht und ihr eigenes Person-sein hat, in Christus aber von der Person des WORTES getragen wird. Was nämlich eine Wesenheit in ihrer Art vollendet, macht auch ihre Würde aus. So bedeutet beim Tier das Leben der Sinne die letzte Vollendung, welche die Art Tier unter den Geschöpfen erreicht. Beim Menschen nimmt das Sinnesleben nicht mehr diese Stellung ein, ist aber dennoch edler, weil es durch die Vereinigung mit dem höheren Leben des Geistes geadelt wird [20]. Z u 3. Das WORT Gottes „hat eine Einzelnatur, nicht die menschliche Natur als solche angenommen", sagt Johannes von Damaskus. Sonst käme es jedem Menschen ebenso wie Christus zu, mit dem WORT Gottes vereinigt zu sein. Man muß jedoch wissen, daß der Name Person noch nicht jedem Einzel-Sein in der Gattung des selbständig Seienden, selbst nicht dem einer vernunftbegabten Natur gebührt, sondern nur demjenigen, das in sich steht und nicht in einem anderen, höheren Wesen. Ist die Hand des Sokrates auch in gewissem Sinne ein Einzel-Sein, eine Person ist sie damit noch nicht, denn sie steht nicht in sich, vielmehr in einem Vollkommeneren, als Teil ihres Ganzen [21 ]. Das liegt auch darin ausgesprochen, daß die Person selbständiges Einzel-Sein genannt wird, denn die Hand ist kein in sich abgeschlossenes Sein, nur Teil eines solchen. Mag also die Menschheit Christi auch im Bereich des selbständig Seienden eine Einzelnatur darstellen, so bildet sie doch keine QUAESTIO

2. 2

p r o p r i a m p e r s o n a l i t a t e m habet, in Christo a u t e m existit in p e r sona V e r b i . Sicut etiam esse c o m p l e t i v u m speciei pertinet ad d i g n i t a t e m f o r m a e : tarnen sensitivum n o b i l i u s est in h o m i n e , p r o p t e r c o n j u n c t i o n e m ad n o b i l i o r e m f o r m a m completivam, q u a m sit i n b r u t o a n i m a l i , in q u o est f o r m a completiva. A D T E R T I U M d i c e n d u m q u o d „ D e i V e r b u m n o n assumpsit n a t u r a m h u m a n a m in u n i v e r s a l i , sed in a t o m o " , idest in i n MPG d i v i d u o , sicut D a m a s c e n u s dicit: a l i o q u i n o p o r t e r e t q u o d cui94/1023 h o m i n i conveniret esse D e i Verbum, sicut convenit Christo. S c i e n d u m est tarnen q u o d n o n q u o d l i b e t i n d i v i d u u m in g e n e r e substantiae, etiam in rationali n a t u r a , h a b e t ration e m p e r s o n a e : sed s o l u m i l l u d q u o d p e r se existit, non autem i l l u d q u o d existit in alio perfectiori. U n d e m a n u s Socratis, q u a m v i s sit q u o d d a m i n d i v i d u u m , n o n est tarnen p e r s o n a : q u i a non p e r se existit, sed in q u o d a m p e r f e c t i o r i , scilicet in suo toto. Et hoc etiam potest significari in hoc q u o d p e r s o n a dicitur substantia individua: n o n e n i m m a n u s est substantia c o m pleta, sed p a r s substantiae. Licet igitur h u m a n a n a t u r a sit ind i v i d u u m q u o d d a m in g e n e r e substantiae, q u i a tarnen non p e r

44

menschliche Person, weil sie nicht durch sich, abgeson- 2, 3 dert, besteht, sondern in einem Höheren, nämlich in der Person des göttlichen WORTES. Also vollzog sich die Vereinigung in der Person. 3. A R T I K E L Vollzog sich die Vereinigung im Träger der d. h. in der Hypostase?

Natur,

1. Augustinus sagt: „Der eine Sohn Gottes ist beides, göttliche und menschliche Wesenheit; als WORT das eine, — als Mensch das andere." Und Papst Leo schreibt: „Der eine leuchtet durch Wunder, der andere unterliegt den Anfeindungen." Sagt man aber der eine und der andere, so meint man jedesmal einen anderen Träger der Natur. Also geschah die Vereinigung nicht im Träger der Natur. 2. Das [griechische] Wort Hypostase besagt nach Boethius nichts anderes als Einzelsubstanz. Nun sehen wir in Christus neben der Person des WORTES noch eine andere Einzelsubstanz, nämlich einen Menschen, gebildet QUAESTIO

2, 3

se separatim existit, sed in quodam perfectiori, scilicet in persona Dei Verbi, consequens est quod non habeat personalitatem propriam. Et ideo facta est unio in persona. Utrum

A R T I C U L U S III unio V e r b i i n c a r n a t i sit f a c t a posito, s i v e in h y p o s t a s i

in

sup-

[Sì Sent., dist. 6, q. 1, art. 1, qa 1, 2: dist. 7, q. 1, art. 1; 4 Cont. Gent., cap. 38, 39; de Un. Verbi, art. 2; Cont. Error. Graec., cap. 20; Cont. Graec., Armen, etc., cap. 6; Comp. Theol., cap. 210, 211; Quodl. 9, q. 2, art. 1; in Joan., cap. 1, lect. 7]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod unio Verbi incarnati non sit facta in supposito, sive in hypostasi. Dicit enim Augustinus, in Enchirid. [cap. 35, 38] : „Divina substantia et humana utrumque 1 est unus Dei Filius : sed aliud propter Verbum, et aliud propter hominem." Leo Papa dicit, in Epistola ad Flavianum [epist. 28] : „Unum horum coruscat miraculis, et aliud succumbit injuriis." Sed omne quod est aliud et aliud, differt supposito. Ergo unio Verbi incarnati non est facta in supposito. 2. PRAETEREA, hypostasis nihil est aliud quam substantia particularis : ut Boetius dicit, in libro de Duabus Naturis [cap. 3 ] . Manifestum est autem quod in Christo est quaedam alia substantia particularis praeter hypostasim Verbi, scilicet 1

P:

utraque.

45

mpl 4 nullatenus dubites, non c a r n e m Christi sine divinitate ¡45] conceptam in utero Virginis a n t e q u a m suseiperetur a Verbo." Sed caro Christi videtur p r i u s fuisse concepta q u a m animae

160

Seele empfangen worden zu sein. Denn die Bereitung 6, 4 des Stoffes ist im Zeugungsverlauf früher als die abschließende Form. Also wurde der Leib Christi angenommen, bevor er mit der Seele vereinigt war. 2. Die Seele ist wie der Leib ein Teil der menschlichen Natur. Nun hat die menschliche Seele in Christus keinen anderen Seinsgrund als bei den anderen Menschen. Das hat die oben (Art. 3) angeführte Stelle des hl. Leo klar bewiesen. Folglich hat auch der Leib Christi keinen anderen Seinsgrund wie bei uns. Denn bei uns wird zuerst der Leib empfangen, und dann erst kommt die Geist-Seele hinzu. Demnach war es bei Christus ebenso. Er nahm den Leib an, bevor dieser mit der Seele verbunden war. 3. „Die Erst-Ursache hat mehr Einfluß auf die Wirkung und ist früher mit ihr verbunden als die ZweitUrsache" (Buch über die Ursachen) [82]. Die Seele Christi steht aber zum WORT im gleichen Verhältnis wie eine Zweit-Ursache zur Erst-Ursache. Das WORT verband sich also mit dem Fleische früher als die Seele. ANDERSEITS lesen wir bei Johannes von Damaskus: „Es ist im selben Augenblick Fleisch des GOTT-WORTES und zugleich beseeltes Fleisch, vernünftig und geistbegabt." Also ging die Vereinigung mit dem Leib der Vereinigung mit der Seele nicht voraus. ANTWORT: Der menschliche Leib wird vom WORTE QDAESTIO

6, 4

rationali unita: quia materialis dispositio 1 prius est in via generationis quam forma completiva. Ergo prius fuit caro Christi assumpta quam animae unita. 2. PRAETEREA, sicut anima est pars naturae humanae, ita et corpus. Sed anima humana non habuit aliud principium sui esse in Christo quam in aliis hominibus: ut patet ex auctoritate Leonis Papae supra inducta. Ergo videtur quod nec cor- MPL pus Christi aliter habuit principium essendi quam in nobis; 54/809 ante enim concipitur caro quam adveniat anima rationalis. Ergo etiam ita fuit in Christo. Et sie caro prius fuit a Verbo assumpta quam animae unita. 3. PRAETEREA, sicut dicitur in libro de Causis [prop. 1], parm. „causa prima plus influit in causatum, et prius unitur ei quam 21/717 a causa secunda". Sed anima Christi comparatur ad Verbum sicut causa secunda ad primam. Prius ergo Verbum est unitum carni quam anima. SED CONTRA est quod Damascenus dicit, in 3. libro [De MPG Fide Orth., lib. 3, cap. 2] : „Simul Dei Verbum caro, simul 94/987 animata, caro rationalis et intellectualis." Non ergo unio Verbi ad carnem praecessit unionem ad animam. RESPONDEO dicendum quod caro humana est assumptibilis 1

P: materia vel dispositio.

1125

161

6, 4 der Ordnung entsprechend aufgenommen, die er zur Vernunftseele als zu seiner Wesensform hat. Diese [innere] Hinordnung besteht erst dann, wenn die Seele da ist. Denn der Stoff gehört einer Form* erst von dem Augenblick an zu eigen, da er diese in sich aufgenommen hat. In dem gleichen Augenblick ist auch jene Umwandlung abgeschlossen [, die zur Aufnahme der neuen Wesensform vorbereitet]. Deshalb konnte der Leib nicht angenommen werden, bevor er ein menschlicher Leib geworden war. Das erfolgte beim Eintritt der Geist-Seele in den Leib. Wie also die Seele nicht vor dem Leib angenommen wird, weil es ihrer Natur widerspricht, vor der Vereinigung mit ihm zu bestehen, ebensowenig konnte der Leib vor der Seele [vom W O R T E ] angenommen werden; denn vor der Verbindung mit der Geist-Seele ist der Leib kein menschlicher Leib (vgl. S. 147 f.). Z u 1. Der menschliche Leib empfängt das Sein von der Seele. Vor dem Eintreten der Seele ist deshalb der Leib kein menschlicher, wohl aber kann eine Anlage dazu vorhanden sein. Bei der Empfängnis Christi jedoch bereitete der Hl. Geist kraft Seiner unendlichen Wirksamkeit den Stoff vor und führte ihn auch [im selben Augenblick] zur Vollendung. Z u 2. Die Form [verleiht und] verwirklicht die Art. Der Stoff an sich dagegen ist nur Anlage für die Art. Aus diesem Grunde wäre es mit einer Form unvereinQUAESTIO

6, 4

a V e r b o secundum o r d i n e m q u e m habet ad a n i m a m rationalem sicut ad p r o p r i a m f o r m a m . Hunc autem o r d i n e m non habet antequam anima rationalis ei a d v e n i a t : quia simul dum aliqua materia fit p r o p r i a alicujus f o r m a e , recipit i l l a m f o r m a m ; unde in e o d e m instanti terminatur alteratio in quo introducitur f o r m a substantialis. Et i n d e est q u o d caro non debuit ante assumi q u a m esset caro humana, quod factum est anima rationali a d v e n i e n t e . Sicut igitur anima non est prius assumpta quam caro, quia contra naturam a n i m a e est ut prius sit quam corpori uniatur; ita caro non debuit prius assumi quam anima, quia non prius est caro humana quam habeat a n i m a m rationalem. A D P R I M U M e r g o dicendum quod caro humana sortitur esse p e r a n i m a m . Et i d e o ante a d v e n t u m a n i m a e non est caro h u m a n a : sed potest esse dispositio ad carnem humanam. In conceptione tarnen Christi Spiritus Sanctus, qui est agens infinitae virtutis, simul et m a t e r i a m disposuit et ad perfectum perduxit. A D S E C U N D U M dicendum quod f o r m a actu dat speciem: materia autem, quantum est de se, est in potentia ad speciem.

162

bar, früher zu sein als die Natur der Art, die erst durch 6, 4 die Verbindung mit dem Stoff vollendet wird. Doch ist es nicht gegen die Natur des Stoffes, vor der Natur, in die er eingehen soll, zu bestehen. Deshalb liegt der Unterschied zwischen unserem Ursprung und dem Christi darin, daß der Vollendung unserer Natur eine Vorbereitung vorausgeht. Unser Leib wird nämlich empfangen, bevor er beseelt wird; nicht so der Leib Christi. Auch werden wir alle empfangen aus dem Samen des Mannes; nicht so Christus [83]. Eine Verschiedenheit im Entstehen der Seele aber würde zu einer Verschiedenheit in der Natur führen. Z u 3. Nach der a l l g e m e i n e n Weise des Innewohnens, wonach Gott den übrigen Geschöpfen durch Seine Wesenheit, Seine Macht und Seine Gegenwart innerlich ist [vgl. I 8, 3; Bd. 1, S. 148ff.], ist das WORT für unser Denken „früher" mit dem Leibe verbunden als die Seele; früher: nicht in der Ordnung der Zeit, sondern in der des Seins oder der Natur. Zuerst nämlich fassen wir den Leib als seiend — das hat er vom WORTE —, dann erst als beseelt — das hat er von der Seele. Bei der hypostatischen Vereinigung aber [als der besonderen Weise des Innewohnens] muß sich der Leib „zuerst" — begrifflich gefaßt — mit der Seele verbinden, dann erst mit dem Worte. Denn Personsein findet sich nur in vernunftbegabter Natur. QUAESTIO

6, 4

Et ideo contra rationem formae esset quod praeexisteret naturae speciei, quae perficitur per unionem ejus ad materiam: non autem est contra naturam materiae quod praeexistat naturae speciei. Et ideo dissimilitudo quae est inter originem nostram et originem Christi secundum hoc quod caro nostra prius concipitur quam animetur, non autem caro Christi, est secundum id quod praecedit naturae complementum: sicut quod nos concipimur ex semine viri, non autem Christus. Sed differentia quae esset quantum ad originem animae, redundaret in diversitatem naturae. AD TERTIUM dicendum quod Verbum Dei per prius intelligitur unitum carni quam anima per modum communem quo est in ceteris creaturis per essentiam, potentiam et praesentiam: prius tarnen dico, non tempore, sed natura. Prius enim intelligitur caro ut quoddam ens, quod habet a Verbo, quam ut animata, quod habet ab anima. Sed unione personali prius secundum intellectum oportet quod caro uniatur animae quam Verbo: quia ex unione ad animam habet quod sit unibilis Verbo in persona; praesertim quia persona non invenitur nisi in rationali natura. 11*

163

5.

A R T I K E L

Nahm das WORT Gottes die ganze menschliche mittels ihrer Teile an?

Natur

1. „Die unsichtbare und unwandelbare W A H R H E I T nahm mittels des Geistes die Seele, mittels der Seele den Leib, und so den ganzen Menschen a n " (Augustinus). Nun sind aber Geist, Seele und Leib Teile des Gesamtmenschen. Also nahm Sie das Ganze mittels der Teile an. 2. W e i l die Seele Gott ähnlicher ist als der Leib, nahm der Sohn Gottes den Leib mittels der Seele an. Die Teile der menschlichen Natur sind aber einfacher [als das G a n z e ] ; darum scheinen sie Gott, der die Einfachheit selbst ist, ähnlicher zu sein als das Ganze. Folglich nahm Er das Ganze mittels der Teile an. 3. Das Ganze ergibt sich aus der Vereinigung der Teile. Die Vereinigung w a r aber das Ziel der Annahme, der die Teile begrifflich [nicht der Zeit n a c h ] vorausgehen. Also nahm Er das Ganze mittels der Teile an. A N D E R S E I T S lesen w i r bei Johannes von Damaskus: „ W i r betrachten bei unserem Herrn Jesus Christus nicht die Teile der Teile, sondern das unmittelbar miteinander Verbundene, Seine Gottheit und Seine Menschheit." QUAESTIO

Utrum

6, 5

ARTICULUS V Filius Dei assumpserit totam naturam humanam mediantibus partibus [3 Seilt., dist. 2, q. 2, art. 1, qa 3;

art. 3, qa 1]

A D QUINTUM sie proceditur. Videtur quod Filius Dei assumpserit totam naturam humanam mediantibus partibus. Dicit MPL enim Augustinus, in libro de Agone Christiano [cap. 18], 40/300 quod „invisibilis et incommutabilis Veritas per spiritum ani4W07 m a m > P e r anhnam corpus, et sie totum hominem assumpsit". Sed spiritus, anima et corpus sunt partes totius hominis. Ergo totum hominem assumpsit mediantibus partibus. 2. PRAETEREA, ideo Dei Filius carnem assumpsit mediante anima, quia anima est Deo similior quam corpus. Sed partes humanae naturae, cum sint simpliciores 1 , videntur esse similiores ei, qui est simplicissimus, quam totum. Ergo assumpsit totum mediantibus partibus. 3. PRAETEREA, totum resultat ex unione partium. Sed unio intelligitur ut terminus assumptionis: partes autem praeintelliguntur assumptioni. Ergo assumpsit totum per partes. SED CONTRA est quod Damascenus dicit, in 3. libro [De MPG Fide Orth., lib. 3, cap. 16]: „De Domino Jesu Christo non 94/1067 p a r t e s partium intuemur, sed quae proxime componuntur, sci1

164

P addit: quam corpus.

Die menschliche Natur ist aber in gewissem Sinne ein 6, 5 Ganzes, dessen Teile Leib und Seele sind. Also nahm der Sohn Gottes die Teile mittels des Ganzen an. ANTWORT: Wenn man bei der Menschwerdung von einem Mittelglied spricht, so darf man dabei nicht an ein zeitliches Nacheinander denken. Denn das WORT nahm in demselben Augenblick das Ganze und seine Teile an. Wir haben nämlich gezeigt, daß Leib und Seele sich gleichzeitig zu einem Ganzen verbunden haben, um im WORTE die menschliche Natur zu bilden. Es kann hier nur von einer seinsmäßigen Aufeinanderfolge die Rede sein. Das seinsmäßig Frühere ist daher das Mittel für die Annahme des seinsmäßig Späteren. Nun kann aber etwas in doppelter Hinsicht seinsmäßig früher sein, nämlich von Seiten des Wirkenden und von Seiten des Stoffes; denn beide sind Ursachen und gehen ihrer Wirkung vor. Beim Wirkenden ist jenes das schlechthin Erste, das in der Absicht vorausliegt; mit Einschränkung dagegen jenes das Erste, womit das Werk selbst beginnt. Die Absicht liegt stets der Ausführung voraus. Beim Stoff indes ist dasjenige früher, was bei dessen Verwandlung früher besteht [84], Bei der Menschwerdung muß man vor allem die Ordnung auf Seiten des Wirkenden ins Auge fassen; denn „der ganze Grund des Werkes ist die Macht des WirQUAESTIO

6, 5

licet deitatem et humanitatem." Humanitas autem est quoddam totum, quod componitur ex anima et corpore sicut ex partibus. Ergo Filius Dei assumpsit partes mediante toto. RESPONDEO dicendum quod, cum dicitur aliquid medium in assumptione incarnationis, non designatur ordo temporis: quia simul facta est assumptio totius et omnium partium. Ostensum est enim quod simul anima et corpus sunt ad invicem unita ad constituendam naturam humanam in Verbo. Designatur autem ibi ordo naturae. Unde per id quod est prius natura, assumitur id quod est posterius. Est autem aliquid prius 1 natura dupliciter: uno modo ex parte agentis, alio modo ex parte materiae; hae enim duae causae praeexistunt rei. Ex parte quidem agentis, est simpliciter primum id quod primo cadit in ejus intentione, sed secundum quid est primum illud a quo incipit ejus operatio: et hoc ideo, quia intentio est prior operatione. Ex parte vero materiae, est prius illud quod prius existit in transmutatione materiae. In incarnatione autem oportet maxime attendere ordinem qui est ex parte agentis: quia, ut Augustinus dicit, in Epistola MPL ad Volusianum [epist. 137], „in talibus rebus tota ratio facti 33/519 s. l P addit: in.

CSEL 44/107

165

6, 5 kers" (Augustinus). In der Absicht des Wirkenden geht offenbar das Vollendete dem Unvollendeten voraus, und folglich das Ganze den Teilen. 1 Darum muß man sagen: Das WORT nahm mittels des Ganzen die Teile der menschlichen Natur an. Wie das WORT den Leib nur wegen seiner Beziehung zur Geist-Seele annahm, so auch Leib u n d Seele, wegen ihrer Ordnung zur menschlichen Natur. Z u 1. Die Worte des hl. Augustinus kann man nur so verstehen, daß das WORT die ganze menschliche Natur annahm, indem Es ihre Teile annahm. Und so ist die Annahme der Teile in der Folge der Ereignisse nur gedanklich, nicht zeitlich früher. In der Folge der Absichten war aber die Annahme der Natur früher und das bedeutet ein Früher-sein schlechthin (Antwort). Z u 2. Gott ist so sehr die Einfachheit selbst, daß Er auch höchste Vollkommenheit ist. Daher ist ein Ganzes Gott ähnlicher als die Teile, weil es als solches vollkommener ist. Z u 3. Die Einheit der Person ist das Ziel der Annahme; nicht aber die Einheit in der Natur, die sich aus der Vereinigung der Teile ergibt. QUAESTIO

6, 5

est potentia facientis". Manifestum est autem quod secundum intentionem facientis prius est completum quam incompletum: et per consequens, totum quam partes. Et ideo dicendum est quod V e r b u m Dei assumpsit partes humanae naturae mediante toto. Sicut enim corpus assumpsit propter ordinem quem habet ad animam rationalem, ita assumpsit corpus et animam propter ordinem quem habent ad humanam naturam. A D P R I M U M ergo dicendum quod ex verbis illis nihil datur intelligi nisi quod Verbum, assumendo partes naturae humanae, assumpsit totam humanam naturam. Et sie assumptio partium prior est in via operationis intellectu, non tempore. Assumptio autem naturae est prior in via intentionis: quod est esse prius simpliciter, ut dictum est. A D S E C U N D U M dicendum quod Deus est ita simplex quod etiam est perfectissimus. Et ideo totum est magis simile Deo quam partes, inquantum est perfectius. A D T E R T I U M dicendum quod unio personalis est ad quam terminatur assumptio: non autem unio naturae, quae resultat ex conjunctione partium. 1 Zu den verschiedenen Ordnungen des Früher und Später vgl. Bd. 1, Anm. [20], S. 329 ff.; zu der Metaphysik des Ganzen: ebd. Anm. [49] u. [50], S. 350 f.

166

6. A R T I K E L Nahm der Sohn Gottes die menschliche Gnade an?

6, 6 Natur mittels

der

1. Die Gnade vereinigt uns mit Gott. In Christus aber war die menschliche Natur im höchsten Maß [mit Gott] vereinigt. Also vollzog sich diese Vereinigung durch die Gnade. 2. W i e der Leib durch die Seele, so wird die Seele durch die Gnade belebt und vollendet. Die menschliche Natur wird aber mit der „Annahme" erst in Einklang gebracht durch die Seele. Also wird die Seele mit der Annahme erst in Einklang gebracht [durch die Gnade]. Demnach nahm der Sohn Gottes die Seele mittels der Gnade an [85]. 3. Der hl. Augustinus sagt: „Das fleischgewordene Wort Gottes gleicht unserem [geistigen ] Worte, das [durch die Sprache] vernehmbar wird." Nun ist es unser Geist, der den Gedanken in das Gewand der Sprache kleidet. Also war es auch der Hl. Geist — und daher auch die Gnade —, der das göttliche WORT mit dem Leibe verband, weil alle Gnadenwirkungen dem Hl. Geist zugeschrieben werden: „ D i e Gnadengaben sind verschieden, aber der Geist ist derselbe" (1 Kor. 12, 4). QUAESTIO

6, 6

Utrum Filius

A R T I C U L U S VI Dei assumpserit humanam ram m e d i a n t e gratia

[Supra, q. 2, art. 10; 3 Seilt., dist. 2, q. 2, art. 2, qa 1, 2; q. 3, art. 1; de Ver., q. 29, art. 2; Quodl. 9, q. 2, art. Comp. Theol., eap. 214]

natudist. 13, 1 ad 3;

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod Filius Dei assumpserit humanam naturam mediante gratia. Per gratiam enim unimur Deo. Sed humana natura in Christo maxime fuit unita. Ergo illa unio facta fuit per gratiam. 2. PRAETEREA, sicut corpus vivit per animam, quae est ejus perfectio, ita anima per gratiam. Sed humana natura redditur congrua ad assumptionem per animam, ut dictum cf. Anm. est; ergo et anima redditur congrua ad assumptionem. Ergo i 85a l Filius Dei assumpsit animam mediante gratia. 3. PRAETEREA, Augustinus, 15 de Trin. [cap. 11], dicit MPL quod Verbum incarnatum est sicut verbum nostrum in voce. 42,1072 Sed verbum nostrum unitur voci mediante spiritu. Ergo Verbum Dei unitur carni mediante Sancto Spiritu: et ita mediante gratia, quae Spiritui Sancto attribuitur, secundum illud 1 ad Cor. 12: „Divisiones gratiarum sunt, idem autem Spiritus."

167

6, 6

ANDERSEITS ist die Gnade eine [außerwesentliche ] Eigenschaft der Seele (I—II 110, 2 Zu 2; Bd. 14). Die Vereinigung des WORTES mit der menschlichen Natur vollzog sich aber in der Person und nicht in einer außerwesentlichen Eigenschaft (2, 6). Folglich geschah die Annahme der menschlichen Natur nicht mittels der Gnade. ANTWORT: Christus hatte die Gnade der Vereinigung und die heiligmachende Gnade. Keine von beiden vermittelt zwischen dem WORT und Seiner angenommenen Natur. Denn die Gnade der Vereinigung besteht in dem Personsein, das Gott einer menschlichen Natur ohne jedes Verdienst in der Person des WORTES schenkte; diese ist nämlich Ziel der Annahme; die heiligmachende Gnade dagegen, die zur besonderen Heiligkeit des Menschen Christi gehört, folgt erst als Wirkung auf die Vereinigung; Johannes 1, 14: „Wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, wie die des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit." Weil also auch der Mensch Christus auf Grund Seiner Vereinigung der Eingeborene vom Vater ist, hatte Er die Fülle der Gnade und Wahrheit. Versteht man aber unter Gnade den Willen Gottes, der aus freien Stücken etwas wirkt oder schenkt, so war die Vereinigung ein Werk der Gnade; nicht als Mittel, sondern als Wirkursache. Z u 1. Unsere Vereinigung mit Gott geschieht in der Tätigkeit des Erkennens und Liebens. Da aber jede vollQ U A E S T I O

6, G

SED CONTRA est quod gratia est quoddam accidens animae, ut in Secunda Parte habitum est. Unio autem Verbi ad humanam naturam est facta secundum subsistentiam, et non secundum accidens: ut e x supra dictis patet. Ergo natura humana non est assumpta mediante gratia. RESPONDEO dicendum quod in Christo ponitur gratia unionis, et gratia habitualis. Gratia ergo non potest intelligi ut medium in assumptione humanae naturae, sive loquamur de gratia unionis, sive de gratia habituali. Gratia enim unionis est ipsum esse personale quod gratis divinitus datur humanae naturae in persona Verbi: quod quidem est terminus assumption s . Gratia autem habitualis, pertinens ad specialem sanctitatem illius hominis, est effectus quidam consequens unionem: secundum illud Joan. 1 : „Vidimus gloriam ejus quasi Unigeniti a Patre, plenum gratiae et veritatis"; per quod datur intelligi quod e x hoc ipso quod ille homo est Unigenitus a Patre, quod habet per unionem, habet plenitudinem gratiae et veritatis. Si vero intelligatur gratia ipsa voluntas Dei aliquid gratis faciens vel donans, sic unio facta est per gratiam, non sicut per medium, sed sicut per causam efficientem. AD PRIMUM ergo dicendum quod unio nostra ad Deum est per operationem, inquantum scilicet eum cognoscimus et ama-

168

kommene Tätigkeit einem Gehaben entspringt, so kann 6, 6 sich auch unsere Vereinigung mit Gott nur durch die heiligmachende Gnade vollziehen. Nun vollzieht sich aber die Vereinigung der menschlichen Natur mit dem WORT in der Person und das Personsein hängt nicht [wie unser Erkennen und Lieben] von einem besonderen Gehaben ab, sondern ist unmittelbar mit unserer Natur gegeben [86]. Z u 2. Die Seele ist die innere Wesensvollendung des Körpers, die Gnade dagegen nur eine außerwesentliche Vollkommenheit der Seele. Daher vermag die Gnade die Seele für eine Vereinigung in der Person nicht geeignet zu machen, wie dies die Seele beim Körper tut. Denn eine solche Vereinigung ist eine innere und keine außerwesentliche. Z u 3. Unser [inneres ] Wort wird mittels des Hauches mit dem Laut verbunden, wobei der Hauch nicht Form, wohl aber Beweger ist. Denn aus dem innerlich empfangenen Wort entspringt der Hauch und formt den Laut. Ähnlich geht der Hl. Geist aus dem ewigen WORT hervor und formt den Leib Christi (32, 1). Daraus folgt nicht, daß die Gnade des Hl. Geistes bei dieser Vereinigung von Gott und Mensch die vermittelnde Formursache war [87]. QUAESTIO

6, 6

mus. Et ideo unio talis est per gratiam habitualem: inquantum operatio perfecta procedit ab habitu. Sed unio naturae humanae ad Verbum Dei est secundum esse personale: quod non dependet ab aliquo habitu, sed immediate ab ipsa natura. A D S E C U N D U M dicendum quod anima est perfectio substantialis corporis: gratia vero est perfectio animae accidentalis. Et ideo gratia non potest ordinäre animam ad unionem personalem, quae non est accidentalis, sicut a n i m a 1 corpus. A D T E R T I U M dicendum quod verbum nostrum unitur voci mediante spiritu, non quidem sicut medio formali, sed sicut per medium movens: nam ex verbo concepto interius procedit spiritus, ex quo formatur vox. Et similiter ex V e r b o aeterno procedit Spiritus Sanctus, qui formavit corpus Christi, ut infra patebit. Non autem ex hoc sequitur quod gratia Spiritus Sancti sit f o r m a l e medium in unione praedicta. 1 P addit: et.

12 25

169

7, l

7. F R A G E

DIE PERSÖNLICHE GNADE CHRISTI, SOFERN ER MENSCH IST Wir wollen nun erwägen, was der Sohn Gottes zugleich mit der menschlichen Natur angenommen hat. Es sind Vollkommenheiten und Mängel. Zunächst wenden wir uns den Vollkommenheiten zu, nämlich: der Gnade, dem Wissen und der Macht Christi. Bei der Gnade Christi wird uns zuerst die persönliche Gnade beschäftigen, dann jene Gnade, die Er als Haupt der Kirche besaß. Von der Gnade der Vereinigung war schon die Rede. Über die persönliche Gnade Christi ergeben sich dreizehn Einzelfragen. 1. Besaß die Seele Christi eine Art heiligmachende Gnade? 2. Hatte Christus die Tugenden? 3. Hatte Er den Glauben? 4. Hatte Er die Hoffnung? 5. Hatte Er die Gaben [des Hl. Geistes]? 6. Hatte Er die Gabe der Furcht? 7. Hatte Er die besonderen Gnadengaben? 8. Hatte Er die [Gabe der] Weissagung? 9. Hatte Christus die Fülle der Gnade? 10. War diese Fülle nur Christus eigen? 11. War die Gnade Christi unendlich? QUAESTIO

VII

DE GRATIA CHRISTI SECUNDUM QUOD EST SINGULARIS HOMO Deinde considerandum est de coassumptis in humana natura a Filio Dei. Et primo, de his quae pertinent ad perfectionem ; secundo, de his quae pertinent ad defectum. Circa primum consideranda sunt tria: primo, de gratia Christi; secundo, de scientia ejus; tertio, de potentia ipsius. De gratia autem Christi considerandum est dupliciter: primo quidem, de gratia ejus secundum quod est singularis homo; secundo, de gratia ejus secundum quod est caput Ecclesiae. Nam de gratia unionis jam dictum est. Circa primum quaeruntur tredecim : 1. Utrum in anima Christi 6it aliqua gratia habitualis. — 2. Utrum in Christo fuerint virtutes. — 3. Utrum in eo fuerit fides. — 4. Utrum fuerit in eo spes. — 5. Utrum in Christo fuerint dona. — 6. Utrum in Christo fuerit timoris donum. — 7. Utrum in Christo fuerint gratiae gratis datae. — 8. Utrum in Christo fuerit prophetia. — 9. Utrum in eo fuerit plenitudo gratiae. — 10. Utrum talis plenitudo sit propria Christi. — 11. Utrum Christi gratia

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12. Konnte sie vermehrt w e r d e n ? 13. Wie verhielt sich diese Gnade zur Vereinigung? 1. A R T I K E L WORT angenommene Seele die heiligmachende Gnade? 1. Die Gnade ist eine Art Teilhabe an der Gottheit im vernunftbegabten Geschöpf. „Große und kostbare Verheißungen gab Er, damit wir der göttlichen Natur teilhaftig würden" (2 Petr 1, 4). Christus aber ist Gott, nicht durch Teilhabe, sondern in Wirklichkeit. Also besaß Er nicht die heiligmachende Gnade. 2. Der Mensch hat die Gnade notwendig, damit sein Tun rechtschaffen sei: „Ich habe mehr gearbeitet als die anderen, nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir" (1 Kor 15, 10). Aber auch, um das ewige Leben zu erlangen: „Die Gnade Gottes ist das ewige Leben" (Rom 6, 23). Nun gebührte Christus schon als dem natürlichen Sohn Gottes das Erbe des ewigen Lebens. Zudem war Er „das WORT, durch das alles geworden" (Jo 1, 3) und daher stand Ihm die Macht zu Gebote, alles Gute zu wirken. Also bedurfte Er als Mensch keiner anderen Gnade als der Vereinigung mit dem WORTE. Besaß

die

QUAESTIO

vom

7, l

sit infinita. — 12. Utrum potuerit augeri. — 13. Qualiter haec gratia se habeat ad unionem. ARTICULUS I U t r u m in a n i m a a s s u m p t a a V e r b o f u e r i t gratia habitualis [3 Sent., dist. 13, q. 1, art. 1; de Ver., q. 29, art. 1; cap. 213, 214; In Joan., cap. 3, lect. 6]

Comp. Theol.,

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod in anima assumpta a Verbo non fuerit gratia habitualis. Gratia enim est quaedam partieipatio divinitatis in creatura rationali: secundum illud 2 Petr. 1: „Per quem magna et pretiosa nobis promissa donavit, ut divinae simus consortes naturae." Christus autem Deus est non participative, sed secundum veritatem. Ergo in eo non fuit gratia habitualis. 2. PRAETEREA, gratia ad hoc est necessaria homini ut per earn bene operetur, secundum illud 1 Cor. 15: „Abundantius omnibus laboravi: non autem ego, sed gratia Dei mecum"; et etiam ad hoc quod homo consequatur vitam aeternam, secundum illud Rom. 6: „Gratia Dei vita aeterna." Sed Christo, ex hoc solo quod erat naturalis Filius Dei, debebatur hereditas vitae aeternae. Ex hoc etiam quod erat Verbum, per quod „facta sunt omnia", aderat ei facultas omnia b o n a 1 operandi: Non igitur secundum humanam naturam indigebat alia gratia nisi unione ad Verbum. l P: bene. 12*

171

7, 1

7, i

3. Ein Werkzeug braucht kein besonderes Können für die ihm eigene Tätigkeit, dieses Können liegt bei der Hauptursache [88]. Nun war die menschliche Natur Christi gleichsam ein Werkzeug der Gottheit, wie Johannes von Damaskus sagt. Folglich hatte Christus die heiligmachende Gnade nicht nötig. ANDERSEITS finden wir bei Isaias (11, 2) geschrieben: „Der Geist des Herrn wird auf Ihm ruhen." Der Geist des Herrn wohnt aber durch die heiligmachende Gnade im Menschen (I 43, 3; Bd. 3). Also gab es in Christus die heiligmachende Gnade. ANTWORT: Drei Gründe zwingen uns, in Christus die heiligmachende Gnade anzunehmen: Erstens: Die Vereinigung Seiner Seele mit dem WORTE. Je näher ein Gefäß der Quelle ist, um so mehr schöpft es aus ihr [89]. Das Hereinfluten der Gnade aber strömt von Gott her: „Gnade und Herrlichkeit schenkt der Herr" (Ps 83, 12). Daher war es im höchsten Grade geboten, daß jene Seele den Strom der göttlichen Gnade in sich aufnahm. Zweitens: Der Adel jener Seele, die durch Erkennen und Lieben am innigsten Gott berühren sollte. Dazu aber mußte die menschliche Natur durch die Gnade erhoben werden. QUAESTIO

7, L

3. PRAETEREA, illud quod operatur per modum instrumenta non indiget habitu ad proprias operationes, sed habitus fundatur in principali agente. Humana autem natura in Christo MPG fuit sicut instrumentum deitatis: ut dicit Damascenus, in M llj59 ' 3. libro [De Fide Orth., lib. 3, cap. 15]. Ergo in Christo non debuit esse aliqua gratia habitualis. SED CONTRA est quod dicitur Isai. 11: „Requiescet super eum Spiritus Domini": qui quidem esse in homine dicitur per gratiam habitualem, ut in Prima Parte dictum est. Ergo in Christo fuit gratia habitualis. RESPONDEO dicendum quod necesse est ponere in Christo gratiam habitualem, propter tria. Primo quidem, propter unionem animae illius ad Verbum Dei. Quanto enim aliquod receptivum propinquius est causae influenti, tanto magis participat de influentia ipsius. Influxus autem gratiae est a Deo, secundum illud Psalmi: „Gratiam et gloriam dabit Dominus." Et ideo maxime fuit conveniens ut anima illa reciperet influxum divinae gratiae. Secundo, propter nobilitatem illius animae, cujus operationes oportebat propinquissime attingere ad Deum per cognitionem et amorem. Ad quod necesse est elevari humanam naturam per gratiam.

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Drittens: Die besondere Beziehung Christi zum Men- 7, 1 schengeschlechte. Denn als Mensch ist Er „Mittler zwischen Gott und den Menschen" (1 Tim 2, 5). Daher mußte Ihm die Gnade in solcher Fülle eignen, daß sie auch auf andere überströmen konnte: „Aus Seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnada" (Jo 1, 16). Z u 1. Christus ist Seiner Person und Seiner göttlichen Natur nach wahrer Gott. Weil aber mit der Vereinigung in der Person die beiden Naturen in ihrem Unterschied bestehen bleiben, ist die Seele Christi nicht wesenhaft göttlich, wie wir oben gesehen haben (2, 1 u. 2). Daher mußte sie erst durch Teilhabe, d. i. durch die Gnade, göttlich werden. Z u 2. Als Sohn Gottes gebührte Christus das ewige Erbe, die ungeschaffene Seligkeit, die in derselben ungeschaffenen Erkenntnis und Liebe Gottes besteht, mit der sich der Vater selbst erkennt und liebt. Zu einer solchen Erkenntnis und Liebe war die Seele wegen der Verschiedenheit der Natur nicht fähig, folglich konnte sie Gott nur in einem endlichen, geschaffenen Schauen erfassen und genießen. Und das war nur durch die Gnade möglich. Ebenso hatte Er als WORT Gottes die Macht, durch Seine göttliche Tätigkeit alles recht zu wirken. Weil Ihm aber auch ein menschliches Wirken zukommt (19, 1; QUAESTIO

7, l

Tertio, propter habitudinem ipsius Christi ad genus humanuni. Christus enim, inquantum homo, mediator est Dei el hominum, ut dicitur 1 Tim. 2. Et ideo oportebat quod haberet gratiam etiam in alios redundantem, secundum illud Joan. 1: „De plenitudine ejus omnes accepimus, gratiam pro gratia." AD PRIMUM ergo dicendum quod Christus est verus Deus secundum personam et naturam divinam. Sed quia cum unitate personae remanet distinctio naturarum, ut ex supra dictis patet, anima Christi non est per suam essentiam divina. Unde oportet quod fiat divina per participationem, quae est secundum gratiam. AD SECUNDUM dicendum quod Christo, secundum quod est naturalis Filius Dei, debetur hereditas aeterna, quae est ipsa beatitudo increata, per increatum actum cognitionis et amoris Dei, eumdem scilicet quo Pater cognoscit et amat seipsum. Cujus actus anima capax non erat, propter difierentiam naturae. Unde oportebat quod attingeret ad Deum per actum fruitionis creatum. Qui quidem esse non potest nisi per gratiam. Similiter etiam, inquantum est Verbum Dei, habuit facultatem omnia bene operandi operatione divina. Sed quia, praeter operationem divinam, oportet ponere operationem humanam,

173

7, 2 Bd. 26), so bedurfte es der heiligmachenden Gnade, um dieses Wirken vollkommen zu machen. Z u 3. Die Menschheit Christi ist zwar ein Werkzeug Gottes, jedoch kein unbeseeltes, das bloß bewegt wird, ohne selber tätig zu sein. Sie ist vielmehr von einer Geist-Seele erfüllt und wird so bewegt, daß sie zugleich selbst tätig ist. Damit also die rechte Ordnung gewahrt sei, bedurfte sie der heiligmachenden Gnade. Hatte

2. A R T I K E L Christus die Tugenden?

1. Christus besaß die Überfülle der Gnade. Zum rechten Tun genügt die Gnade: „Es genügt dir Meine Gnade" (2 Kor 12, 9). Demnach hatte Christus keine Tugenden. 2. Aristoteles unterscheidet die Tugenden von einem übermenschlichen oder göttlichen Können [90], das nur Göttern [oder Ü b e r m e n s c h e n ] zukommt. Dieses Können aber ist Christus im höchsten Maße eigen. Folglich besaß Er keine Tugenden, sondern etwas Höheres als die Tugenden. 3. Wir zeigten schon, daß man nur alle Tugenden zugleich besitzen kann (I—II 65, 1 u. 2; Bd. 11) [91]. Nun QUAESTIO

7, 2

ut infra patebit; oportuit in eo esse habitualem gratiam, per quam hujusmodi operatio in eo esset perfecta. AD TERTIUM dicendum quöd humanitas Christi est instrumentum divinitatis, non quidem sicut instrumentum inanimatum, quod nullo modo agit sed solum agitur; sed tamquam instrumentum animatum anima rationali, quod ita agit quod etiam agitur. Et ideo, ad convenientiam actionis, oportuit eum habere gratiam habitualem. A R T I C U L U S II U t r u m in C h r i s t o f u e r i n t [3 Sent., dist. 13, q

1, art. 1;

virtutes

art. 2, qa 1]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerint virtutes. Christus enim habuit abundantiam gratiae. Sed gratia sufficit ad omnia recte agendum: secundum illud 2 Cor. 12: „Sufficit tibi gratia mea." Ergo in Christo non fuerunt virtutes. 1145 a 18 2. PRAETEREA, secundum Philosophum, 7 Ethic. [cap. 1, n. 1, 2; S. Th., lect. 1], virtus dividitur contra „quemdam heroicum sive divinum habitum", qui attribuitur hominibus divinis. Hoc autem maxime convenit Christo. Ergo Christus non habuit virtutes, sed aliquid altius virtute. 3. PRAETEREA, sicut in Secunda Parte dictum est, virtutes omnes simul habentur. Sed Christo non fuit conveniens habere

174

konnte Christus unmöglich alle Tugenden zugleich be- 7, 2 sitzen, z. B. die Freigebigkeit und Hochherzigkeit, Tugenden, die den Gebrauch des Reichtums regeln; denn Er hat jeden Reichtum verachtet: „Der Menschensohn hat keine Stätte, wohin Er sein Haupt legen könnte" (Mt 8, 20). Auch die Mäßigkeit und die Enthaltsamkeit konnte Christus nicht besitzen; denn diese sollen die niederen Triebe ordnen, die Christus nicht kannte. Also besaß Christus keine Tugenden. ANDERSEITS bezieht die Glosse das Psalmwort „Sein Wille ruht im Gesetze des Herrn" (Ps 1, 2) auf Christus: „. . . der hier in der Überfülle alles Guten dargestellt wird." Die „gute Beschaffenheit der Seele" aber ist die Tugend. Also hatte Christus die Überfülle aller Tugenden. ANTWORT: Die Tugenden verhalten sich zu den Seelenkräften wie die Gnade zum Wesen der Seele (I—II 110, 4; Bd. 14). Folglich leiten sich die Tugenden von der Gnade her, wie die Seelenkräfte vom Wesen der Seele. Je vollkommener aber die Ursache, desto vollkommener die Wirkung. Weil nun die Gnade Christi im höchsten Maße vollkommen war, so war es nur eine notwendige Folge, daß aus ihr die Tugenden sich in alle Seelenkräfte ergossen, um ihre verschiedenen Vermögen zu vollenden. Und so besaß Christus alle Tugenden. Z u 1. Es ist wahr, daß die Gnade für alles ausreicht, Q U A E S T I O

7,

2

simul o m n e s virtutes: sicut patet d e liberalitate et magnificentia, quae habent actum suum circa divitias, quas Christus contempsit, s e c u n d u m illud Matth. 8 : „Filius H o m i n i s non habet ubi caput s u u m rechnet." T e m p e r a n t i a etiam et continentia sunt circa concupiscentias pravas: quae in Christo non fuerunt. Ergo Christus non habuit virtutes. S E D CONTRA est quod s u p e r illud P s a l m i : „Sed in l e g e D o m i n i voluntas ejus", dicit Glossa: „Hic ostenditur Christus MPL p l e n u s omni bono." S e d „bona qualitas mentis" est virtus 1 9 1 / 6 2 [Mag. 2 Sent., dist. 2 7 ] . Ergo Christus fuit p l e n u s omni vir- 192/714 tute. RESPONDEO d i c e n d u m quod, sicut in Secunda Parte habitum est, sicut gratia respicit essentiam animae, ita virtus respicit ejus potentiam. Unde oportet quod, sicut potentiae a n i m a e derivantur ab ejus essentia, ita virtutes sunt quaedam derivationes gratiae. Quanto a u t e m aliquod principium est p e r f e c tius, tanto magis imprimit suos eflectus. Unde, cum gratia Christi fuerit perfectissima, consequens est quod e x ipsa processerint virtutes ad perficiendum singulas potentias animae, quantum ad o m n e s a n i m a e actus. Et ita Christus habuit o m n e s virtutes. A D PRIMUM ergo d i c e n d u m quod gratia sufficit h o m i n i

175

7, 2 w a s den Menschen auf d i e e w i g e Seligkeit hinordnet. E i n i g e s davon vollzieht sie u n m i t t e l b a r durch sich selbst, wie zw. B. die R e c h t f e r t i g u n g und ähnliches, a n d e r e s hing e g e n vollendet sie mit Hilfe der T u g e n d e n , die a u s der Gnade h e r v o r g e h e n [ 9 2 ] . Z u 2. D a s e r w ä h n t e ü b e r m e n s c h l i c h e u n d göttliche K ö n n e n u n t e r s c h e i d e t sich von der T u g e n d im allgemeinen n u r d a d u r c h , d a ß ein Mensch durch dieses K ö n n e n in v o l l k o m m e n e r W e i s e zum Guten v e r a n l a g t ist, d. h. in h ö h e r e m Maße, als dies gewöhnlich bei den meisten Menschen d e r F a l l ist. A l s o ist d a m i t nicht bewiesen, d a ß Christus k e i n e T u g e n d e n h a t t e ; [ i m G e g e n t e i l , ] daß E r sie aufs v o l l k o m m e n s t e , j a in g a n z u n g e w ö h n l i c h e m Maße besaß. So spricht auch Plotin von einer b e s o n d e r s e r h a b e n e n A r t von T u g e n d e n [ 9 3 ] , die er die T u g e n d e n d e r g e r e i n i g t e n S e e l e nennt. Z u 3. F r e i g e b i g k e i t u n d Hochherzigkeit im [ G e b r a u c h d e s ] R e i c h t u m [ s ] e m p f e h l e n sich n u r insoweit, als m a n ihn nicht ü b e r s c h ä t z t o d e r z u r ü c k h a l t e n will und dadurch versäumt, d r i n g e n d e r Not abzuhelfen. Man überschätzt indes den R e i c h t u m noch w e n i g e r , w e n n m a n ihn von G r u n d auf v e r a c h t e t u n d ihn a u s L i e b e zur V o l l k o m m e n heit von sich wirft. D e s h a l b b e w i e s Christus g e r a d e durch die V e r a c h t u n g jeglichen R e i c h t u m s den höchsten G r a d von F r e i g e b i g keit und Hochherzigkeit. Doch übte E r diese T u g e n d e n Q ü i E S T I O 7, 2 quantum ad omnia quibus ordinatur ad beatitudinem. Horum tarnen quaedam perflcit gratia immediate per seipsam, sicut gratum facere Deo, et alia hujusmodi: quaedam autem mediantibus virtutibus, quae ex gratia procedunt. AD SECUNDUM dicendum quod habitus ille heroicus vel divinus non difiert a virtute communiter dicta nisi secundum perfectiorem modum, inquantum scilicet aliquis est dispositus ad bonum quodam altiori modo quam communiter omnibus competat. Unde per hoc non ostenditur quod Christus non habuit virtutes: sed quod habuit eas perfectissime, ultra communem modum. Sicut etiam Plotinus posuit quemdam sublimem modum virtutum, quas esse dixit purgati animi [cf. Macrob. in Didot 32b Somn. Scip., lib. I, cap. 8 ] . AD TERTIUM dicendum quod liberalitas et magniflcentia commendantur circa divitias inquantum aliquis non tantum appretiatur divitias quod velit eas retinere praetermittendo id quod fieri oportet. Ille autem minime divitias appretiatur qui penitus eas contemnit et abjicit propter perfectionis amorem. Et ideo in hoc ipso quod Christus omnes divitias contempsit, ostendit in se summum gradum liberalitatis et magnificentiae. Licet etiam liberalitatis actum exercuerit, secundum quod sibi

176

auch in der Tat aus, wie es sich für Ihn ziemte, indem 7, 3 Er die Ihm geschenkten Almosen an die Armen verteilen ließ. Darum meinten die Jünger bei dem Worte des Herrn zu Judas: „Was du tun willst, das tue bald" (Jo 13, 27), der Herr habe ihm aufgetragen, den Armen etwas zu geben (ebd. V. 29). Niedere Regungen hatte Christus überhaupt nicht, wie wir später beweisen werden (15, 2). Das schließt aber nicht aus, daß Er die Tugend der Mäßigkeit besaß. Sie ist im Gegenteil um so vollkommener, je freier ein Mensch von niederer Leidenschaft ist. Darum unterscheidet sich nach Aristoteles der Mäßige von dem Enthaltsamen. Dem Mäßigen sind Regungen der niederen Triebe fremd, mit denen der Enthaltsame noch kämpft. Versteht man daher unter Enthaltsamkeit dasselbe wie Aristoteles, dann folgt daraus, daß Christus sehr wohl alle Tugenden besaß, nur nicht die Enthaltsamkeit, die nicht eine Tugend im wahren Sinn, sondern etwas Geringeres ist. 3. A R T I K E L Glauben? Hatte Christus den 1. Der Glaube steht als Tugend höher als die sogenannten sittlichen Tugenden, wie Mäßigkeit und FreiQ U A E S T I O

7, 3

conveniens erat, faciendo pauperibus erogari quae sibi dabantur: unde, cum Dominus dixit Judae, Joan. 13, „Quod facis, fac eitius", discipuli intellexerunt Dominum mandasse quod egenis aliquid daret. Concupiscentias autem pravas Christus omnino non habuit: sicut infra patebit. Propter hoc tarnen non excluditur quin habuerit temperantiam: quae tanto perfectior est in homine quanto magis pravis concupiscentiis caret. Unde, secundum Philosophum, in 7 Ethic. [cap. 9, n. 6; S. Th., lect. 9], tem- 1151 b 34 peratus in hoc difiert a continente, quod temperatus non habet pravas concupiscentias, quas continens patitur. Unde, sie accipiendo continentiam sicut Philosophus aeeipit, ex hoc ipso quod Christus habuit omnem virtutem, non habuit continentiam, quae non est virtus, sed aliquid minus virtute. A R T I C U L U S III U t r u m in C h r i s t o f u e r i t

spes

[Infra, art. 4; art. 8 a d 2; art. 9 a d 1; 1—2, q. 65, art. 5 a d 3; 3 Sent., dist. 13, q. 1, art. 2, qa 1 a d 1; dist. 36, art. 2 a d 3; 4, d i s t 33, q. 3, art. 2 a d 6: d e Ver., q. 29, art. 4 a d 15; de Virt., q. 4, art. 1 a d 12]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod in Christo fuerit fides. Fides enim est nobilior virtus quam virtutes morales,

177

7, 3 gebigkeit. Diese Tugenden fanden sich aber in Christus (Art. 2); um so mehr also der Glaube. 2. Christus lehrte keine Tugend, die Er nicht selbst besaß. „Jesus begann zu wirken und zu lehren" (Apg 1, 1). Nun steht von Christus im Hebräerbrief, Er sei „Urheber und Vollender des Glaubens". Folglich besaß Er das Höchstmaß des Glaubens (12, 2). 3. Die Seligen sind frei von jeder Unvollkommenheit, besitzen aber den Glauben, denn zu dem Worte des hl. Paulus: „Gottes Gerechtigkeit wird in ihm enthüllt aus dem Glauben zum Glauben" (Rom 1, 17), sagt die Glosse: „Vom Glauben an die Worte und das Erhoffte schreiten wir zum Glauben an die Wirklichkeit und das Geschaute fort." Da also der Glaube keine Unvollkommenheit in sich schließt, war er auch in Christus. ANDERSEITS sagt der Hebräerbrief: „Der Glaube ist eine Überzeugung von dem, was man nicht sieht" (11, 1). Dem Gottmenschen war aber nichts verborgen; Petrus sagt zu Ihm: „Du weißt alles" (Jo 21, 17). Also war in Christus kein Glaube. ANTWORT: Der Gegenstand des Glaubens ist etwas Göttliches, noch Ungeschautes (II—II 4, 1; Bd. 15). Der Glaube als Tugend empfängt aber wie jedes andere Gehaben seine Artbestimmtheit vom Gegenstand [94]. Daher fehlt dort, wo Göttliches geschaut wird, der Grund Q U A E S T I O

7,

3

puta temperantia et liberalitas. Hujusmodi autem virtutes fuerunt in Christo, ut dictum est. Ergo multo magis fuit in eo fides. 2. PRAETEREA, Christus non docuit virtutes quas ipse non habuit, secundum illud Act. 1: „Coepit Jesus facere et docere." Sed de Christo dicitur, Hebr. 12, quod est „auctor et consummator fidei". Ergo in eo maxime fuit fides. 3. PRAETEREA, quidquid est imperfectionis excluditur a beatis. Sed in beatis est fides: nam super illud Rom. 1, „JustiMPL tia Dei revelatur in eo ex fide in fidem", dicit Glossa: „de fide 35/1353 verborum et spei in fidem rerum et speciei." Ergo videtur quod etiam in Christo fuerit fides: cum nihil imperfectionis importet. SED CONTRA est quod dicitur Hebr. 11, quod „fides est argumentum non apparentium". Sed i n 1 Christo nihil fuit non apparens, secundum illud quod dixit ei Petrus, Joan. ult.: „Tu omnia nosti." Ergo in Christo non fuit fides. RESPONDEO dicendum quod, sicut in Parte Secunda dictum est, objectum fidei est res divina non visa. Habitus autem virtutis, sicut et quilibet alius, recipit speciem ab objecto. Et ideo, excluso quod res divina non sit visa, excluditur ratio fidei. 1

178

P et

L

om.

des Glaubens. Da also Christus vom ersten Augenblick 7, 3 Seiner Empfängnis an Gottes Wesen in seiner Fülle schaute (34, 4; Bd. 26), konnte Er den Glauben nicht haben. Z u 1. Der Glaube ist edler als die sittlichen Tugenden, weil er einen edleren Gegenstand hat; dennoch besteht ein gewisses Mißverhältnis zu diesem Gegenstand, das bei Christus nicht in Frage kam. Also war in Ihm kein Raum für den Glauben; wohl aber besaß Er die sittlichen Tugenden, die in ihrem Begriff kein solches Mißverhältnis zum Gegenstand aufweisen. Zu 2. Das Verdienst des Glaubens besteht darin, daß der Mensch im Gehorsam gegen Gott dem zustimmt, was er nicht sieht: „ . . . um in Seinem Namen alle Völker zum Glaubensgehorsam zu führen" (Rom 1, 5). Christus aber war Gott vollkommen gehorsam: „Er ward gehorsam bis zum Tode" (Phil 2, 8). Und so leitete Er zu keinem verdienstvollen Tun an, das Er nicht selbst in höherem Grade vollbracht hätte. Z u 8. Die Glosse sagt an derselben Stelle: „Der Glaube im eigentlichen Sinne besteht darin, daß man glaubt, was man nicht sieht." Wird aber ein Sehen doch Glauben genannt, so gilt dies im uneigentlichen Sinne, sofern sie in der Sicherheit und Festigkeit der Zustimmung einander ähnlich sind [95]. Q U A E S T I O

7, 3

Christus autem a primo instanti suae conceptionis plene vidit Deum per essentiam, ut infra patebit. Unde fides in eo esse non potuit. AD PRIMUM ergo dicendum quod fides est nobilior virtutibus moralibus, quia est circa nobiliorem materiam: sed tarnen iinportat quemdam defectum in comparatione ad illam materiam, qui defectus in Christo non fuit. Et ideo non potuit in eo esse fides: licet fuerint in eo virtutes morales, quae in sui ratione hujusmodi defectum non important per comparationem ad suas materias. AD SECUNDUM dicendum quod meritum fidei consistit in hoc quod homo, ex obedientia Dei, assentit istis quae non videt: secundum illud Rom. 1: „Ad obediendum fidei in omnibus gentibus pro nomine ejus." Obedientiam autem ad Deum plenissime habuit Christus: secundum illud Phil. 2: „Factus obediens usque ad mortem." Et sie nihil ad meritum pertinens doeuit quod ipse excellentius non impleret. AD TERTIUM dicendum quod, sicut Glossa ibidem dicit, MPL „fides proprie est qua creduntur quae non videntur". Sed fides 35 1353 quae est rerum visarum, improprie dicitur, et secundum quamdam similitudinem, quantum ad certitudinem aut firmitatem adhaesionis.

179

.7,

4

'

4. A R T I K E L Hatte

Christus

die

Hoffnung?

1. Das Psalmwort: „Auf Dich, o Herr, habe ich gehofft" (Ps 30, 2) legt die Glosse Christus in den Mund. Nun ist es die Tugend der Hoffnung, kraft deren der Mensch auf Gott hofft. Also besaß Christus diese Tugend. 2. Die Hoffnung ist die Erwartung der kommenden Seligkeit (II—II 17, 1 Zu 2; Art. 5 u. 6 E. 2; Bd. 15). Nun erwartete Christus die Verklärung Seines Leibes, die mit zur ewigen Seligkeit gehört. Also scheint es, daß Er die Tugend der Hoffnung hatte. 3. Erhoffen kann einer nur das, was zu seiner Vollendung in der Zukunft gehört. Ein Teil der Vollendung des Herrn lag aber wirklich in der Zukunft: „Sie sollen die Heiligen heranbilden zur Ausübung ihres Amtes, zum Aufbau des Leibes Christi" (Eph 4, 12). Also mußte Christus allem Anscheine nach auch die Tugend der Hoffnung haben. ANDERSEITS lesen wir im Römerbrief (8, 24): „Was einer schaut, wie soll er das noch erhoffen?" Folglich ist der Gegenstand der Hoffnung ebenso wie der des Glaubens das nicht Geschaute. Nun gab es in Christus nicht den Glauben (Art. 3), also auch nicht die Hoffnung. QUAESTIO

7, 4

A R T I C U L U S IV Utrum in Christo f u e r i t [Infra, art. 6 ad 1; art. 8 2—2, q. 18, art. 2 ad 1; dist. 26, q. 2, art. 5, qa q. 4, art. 1 ad 12; art. 4 ad

ad 3 1; 16;

spes

2; art. 9 ad 1; 1—2, q. 65, art. 5 ad 3, Sent., dist. 13, q. 1, art. 2, qa 1 ad 1, de Ver., q 29, art. 4 ad 15; de Virt., in Psalm. 15, 30; ad Hebr., cap. 2, lect. 3]

AD QUARTUM sic proceditur. Videtur quod in Christo fuerit spes. Dicitur enim in Psalmo ex persona Christi, secundum MPL Glossam: „In te, Domine, speravi." Sed virtus spei est qua 70/207 homo sperat in Deum. Ergo virtus spei fuit in Christo. 2. PRAETEREA, spes est exspectatio futurae beatitudinis, ut in Secunda Parte habitum est. Sed Christus aliquid exspectabat ad beatitudinem pertinens, videlicet gloriam corporis. Ergo videtur quod in eo fuit spes. 3. PRAETEREA, unusquisque potest sperare id quod ad ejus perfectionem pertinet, si sit futurum. Sed aliquid erat futurum quod ad perfectionem Christi pertinet: secundum illud Ephes. 4: „Ad consummationem sanctorum, in opus ministerii, in aedificationem corporis Christi." Ergo videtur quod Christo competebat habere spem. SED CONTRA est quod dicitur Rom. 8: „Quod videt quis, quid sperat?" Et sie patet quod, sicut fides est de non visis, ita et spes. Sed fides non fuit in Christo, sicut dictum est. Ergo nec spes.

180

A N T W O R T : Wie es zum Wesen des Glaubens gehört, 7, 4 dem zuzustimmen, was man nicht sieht, so gehört es zum Wesen der Hoffnung, das zu erwarten, was man noch nicht besitzt. Und wie der Glaube als göttliche Tugend nur Gott allein, nicht alles Unsichtbare zum Gegenstand hat, so verhält es sich auch mit der göttlichen Tugend der Hoffnung; denn durch sie erwartet der Mensch vor allem den Besitz Gottes. Jedoch kann, wer die Tugend der Hoffnung besitzt, auch für Geringeres die göttliche Hilfe erwarten, ebenso wie einer, der die Tugend des Glaubens besitzt, Gott nicht nur den Glauben schenkt an die göttlichen Geheimnisse, sondern auch an alles andere, was Gott ihm geoffenbart hat. Nun hatte Christus vom ersten Augenblick Seiner Empfängnis an den Vollbesitz Gottes (34, 4; Bd. 26). Infolgedessen besaß Er die Tugend der Hoffnung nicht, konnte aber doch erhoffen, was Er noch nicht erlangt hatte. Der Glaube aber war in jeder Hinsicht ausgeschlossen, da Er alles in [unendlicher] Fülle schaute. Hingegen fehlte Ihm noch manches zu Seiner Vollendung, z. B. die Unsterblichkeit und die Verklärung des Leibes. Diese konnte Er erhoffen. Z u 1. Die Psalmstelle bezieht sich zwar auf Christus, meint aber nicht die göttliche Tugend der Hoffnung, sondern die Erwartung einiger Güter, die Er noch nicht besaß (Antw.). QUAESTIO

7, 4

R E S P O N D E O dicendum quod, sicut de ratione fidei est quod aliquis assentiat his quae non videt, ita de ratione spei est quod aliquis exspectet id quod nondum habet. Et sicut fldes, inquantum est virtus theologica, non est de quocumque non viso, sed solum d e Deo, ita etiam et spes, inquantum est virtus theologica, habet p r o o b j e c t o ipsam D e i f r u i t i o n e m , quam principaliter h o m o exspectat p e r spei virtutem. S e d e x consequenti ille q u i habet v i r t u t e m spei, potest etiam in aliis d i v i n u m a u x i l i u m e x s p e c t a r e : sicut et i l l e qui habet virtutem fidei, non solum credit D e o de rebus divinis, sed d e quibuscumque aliis sibi divinitus revelatis. Christus autem a p r i n c i p i o suae conceptionis plene habuit f r u i t i o n e m d i v i n a m , ut i n f r a dicetur. Et i d e o virtutem spei non habuit. Habuit tarnen spem respectu aliquorum quae nondum erat adeptus: licet non habuit fidem respectu quorumcumque. Quia, licet p l e n e cognosceret omnia, p e r quod totaliter fldes excludebatur ab eo, non tarnen adhuc p l e n e habebat omnia quae ad e j u s p e r f e c t i o n e m pertinebant, puta immortalitatem et g l o r i a m corporis, quam poterat sperare. A D P R I M U M e r g o dicendum quod hoc non dicitur de Christo secundum spem quae est virtus t h e o l o g i c a : sed eo q u o d quaedam alia speravit nondum habita, sicut dictum est.

181

7, 5

Zu 2. Das eigentliche Wesen unserer Seligkeit liegt nicht in der Verklärung des Leibes, die nur im Überströmen der Herrlichkeit der Seele auf den Leib besteht (I—II 4, 6; Bd. 9). Aus diesem Grunde hat die göttliche Tugend der Hoffnung nicht so sehr die Verklärung des Leibes zum Ziele, als die der Seele, mit einem Wort: die Wonne in Gott. Z u 3. Das Wachstum der Kirche, das sich in der Bekehrung der Gläubigen vollzieht, gehört nicht zur Vollendung der Person Christi, sofern Er in sich selbst vollkommen ist, sondern sofern Er die Gläubigen in die Teilhabe an Seiner Vollkommenheit hereinnimmt. Und weil die Hoffnung im eigentlichen Sinne nur das Erwarten eines persönlichen Gutes ist, kann man nicht im eigentlichen Sinne sagen, daß die Tugend der Hoffnung Christus aus dem angeführten Grunde zukomme. 5. A R T I K E L Hatte Christus die Gaben des Hl. Geistes [96]? 1. Es ist allgemeine Ansicht, daß die Gaben des Hl. Geistes zur Unterstützung der Tugenden verliehen werden. Was aber in sich vollkommen ist, bedarf keiner anderen Hilfe. Da nun in Christus die Tugenden im vollkommenen Maße vorhanden waren, so scheinen die Gaben überflüssig. Q U A E S T I O 7, r,

AD SECUNDUM dicendum quod gloria corporis non pertinet ad beatitudinem sicut in quo principaliter beatitudo consistât, sed per quamdam redundantiam a gloria animae, ut in Secunda Parte dictum est. Unde spes, secundum quod est virtus theologica, non respicit beatitudinem corporis, sed beatitudinem animae quae in divina fruitione consistit. AD TERTIUM dicendum quod aediflcatio Ecclesiae per conversionem fidelium non pertinet ad perfectionem Christi qua in se perfectus est: sed secundum quod alios ad participationem suae perfectionis inducit. Et quia spes dicitur proprie respectu alicujus quod exspectatur ab ipso sperante habendum, non proprie potest dici quod virtus spei Christo conveniat ratione inducta. ARTICULUS V U t r u m in C h r i s t o f u e r i n t dona [In Isaiam, cap. 11;

in Joan., cap. 1, lect. 8]

AD QUINTUM sic proceditur. Videtur quod in Christo non fuerint dona. Sicut enim communiter dicitur, dona dantur in adjutorium virtutum. Sed id quod est in se perfectum, non indiget exteriori auxilio. Cum igitur in Christo fuerint virtutes perfectae, videtur quod in eo non fuerunt dona.

182

2. Man kann nicht zugleich Gaben schenken und emp- 7, 5 fangen. Denn wer gibt, besitzt; wer empfängt, besitzt nicht. Nun kam es Christus zu, Gaben zu verleihen: „Den Menschen verlieh Er Gaben" (Ps 67, 19). Also konnte Er die Gaben des Hl. Geistes nicht empfangen. 3. Vier Gaben scheinen der Beschauung während der [irdischen] Pilgerschaft zu dienen: die Weisheit, die Wissenschaft, die Einsicht und der Rat, der zur [sittlichen Tugend der] Klugheit gehört. Aristoteles zählt sie daher unter die Tugenden des Verstandes. Christus aber hatte die Schau der [himmlischen] Heimat. Also besaß Er die genannten Gaben nicht. ANDERSEITS lesen wir bei Isaias: „Sieben Frauen werden einem Manne anhangen" (4, 1). „So werden die sieben Gaben des Hl. Geistes Christus erfüllen" (Glosse) [97]. ANTWORT: Wir zeigten schon (I—II 68, 1; Bd. 11), daß die Gaben wesentlich Vollkommenheiten der Seelenkräfte sind, sofern diese darauf angelegt sind, vom Hl. Geist angeregt zu werden. Nun ließ sich ohne Zweifel die Seele Christi aufs vollkommenste vom Hl. Geiste leiten: „Jesus kehrte voll des Hl. Geistes vom Jordan zurück und wurde vom Geist in die Wüste geführt" (Lk 4, 1). Also besaß Christus die Gaben in überragender Weise. QUAESTIO

7, 5

2. PRAETEREA, non videtur esse ejusdem dare dona et recipere: quia dare est habentis, accipere autem non habentis. Sed Christo convenit dare dona: secundum illud Psalmi: „Dedit dona hominibus." Ergo Christo non convenit accipere dona Spiritus Sancti. 3. PRAETEREA, quatuor dona videntur pertinere ad contemplationem viae, scilicet sapientia, scientia, et intellectus et consilium, quod pertinet ad prudentiam: unde et Philosophus, in 7 Ethic. [cap. 3, n. 1; S. Th., lect. 3], numerat ista inter vir- 1139 b 14 tutes intellectuales. Sed Christus habuit contemplationem patriae. Ergo non habuit hujusmodi dona. SED CONTRA est quod dicitur Isai. 4: „Apprehendent Septem mulieres virum unum"; dicit Glossa: „idest, Septem dona MPL24/72 Spiritus Sancti Christum." RESPONDEO dicendum quod, ut in Secunda Parte dictum est, dona proprie sunt quaedam perfectiones potentiarum animae secundum quod sunt natae moveri a Spiritu Sancto. Manifestum est autem quod anima Christi perfectissime a Spiritu Sancto movebatur: secundum illud Luc. 4: „Jesus, plenus Spiritu Sancto, regressus est a Jordane, et agebatur a Spiritu in desertum." Unde manifestum est quod in Christo fuerunt excellentissime dona.

183

7, 6

Z u 1. Was innerhalb der Grenze seiner Natur vollendet ist, bedarf doch noch des Beistandes von Seiten eines Wesens höherer Seinsstufe. Mag ein Mensch noch so vollkommen sein, er bedarf doch der Hilfe Gottes. Und so bedürfen auch die Tugenden der Gaben; denn diese vollenden die Seelenkräfte und machen sie für den Antrieb des Hl. Geistes empfänglich. Z u 2. Christus ist nicht unter demselben Gesichtspunkte Geber und Empfänger der Gaben. Als Gott verleiht E r sie und als Mensch empfängt E r sie. Daher schreibt der hl. Gregor: „Der Hl. Geist verließ nie die Menschheit Christi, aus dessen Gottheit E r [der Hl. Geist ] hervorgeht." Z u 3. Christus besaß nicht bloß das Wissen der Heimat, sondern auch das Wissen der Pilgerschaft (15, 10). Überdies gibt es auch im Himmel die Gaben des Hl. Geistes, wenn auch in anderer Weise ( I — I I 68, 6 ; Bd. 11). 6. A R T I K E L Hatte Christus die Gabe der

Furcht?

1. Die Hoffnung scheint edler als die F u r c h t ; denn sie hat ein Gut zum Gegenstand, die Furcht dagegen ein Übel ( I — I I 40, 1 ; 41, 2 ; 42, 1 ; Bd. 10). Nun hatte QUAESTIO

7. 6

AD PRIMUM ergo dicendum quod illud quod est perfectum secundum ordinem suae naturae, indiget adjuvari ab eo quod est altioris naturae: sicut homo, quantumcumque perfectus, indiget adjuvari a Deo. Et hoc modo virtutes indigent adjuvari per dona, quae perficiunt potentias animae secundum quod sunt motae a Spiritu Sancto. AD SECUNDUM dicendum quod Christus non secundum idem est recipiens et dans dona Spiritus Sancti: sed dat secundum quod Deus, et accipit secundum quod homo. Unde Gregorius mpl dicit, in 2 Moral, [cap. 56], quod „Spiritus Sanctus humani75/598 tatem Christi nunquam deseruit, ex cujus divinitate procedit". AD TERTIUM dicendum quod in Christo non solum fuit cognitio patriae, sed etiam cognitio viae, ut infra dicetur. Et tarnen etiam in patria sunt per aliquem modum dona Spiritus Sancti, ut in Secunda Parte habitum est. Utrum

in

ARTICULUS Christo fuerit

[3 Sent., dist. 15, q. 2, art. 2, qa 3;

VI donum

timoris

In Isaiam, cap. 11]

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuit donum timoris. Spes enim potior videtur quam timor: nam spei objectum est bonum, timoris vero malum, ut in Secunda

184

Christus, wie bereits gesagt, nicht die Tugend der Hoff- 7, 6 nung (Art. 4). Und um so weniger besaß Er die Gabe der Furcht. 2. Die Gabe der Furcht bewirkt, das man fürchtet, entweder von Gott getrennt oder von Ihm bestraft zu werden. Augustinus nennt daher die eine die keusche, die andere die knechtische Furcht. Christus aber fürchtete weder die Trennung von Gott durch die Sünde, noch die Strafe für eine Schuld; denn Er konnte nicht sündigen (15, 1). Da aber niemand Unmögliches befürchtet, fand sich in Christus nicht die Gabe der Furcht. 3. „Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus" (1 Jo 4, 18). In Christus aber war die vollkommenste Liebe: „. . . die Liebe Christi, die alles Wissen übersteigt" (Eph 3, 19). Folglich konnte Christus die Gabe der Furcht nicht besitzen. ANDERSEITS steht bei Isaias: „Der Geist der Furcht Gottes wird Ihn erfüllen" (11, 3). ANTWORT: Wir haben bereits dargelegt, daß der Gegenstand der Furcht ein doppelter ist (I—II 42, 1; Bd. 10). Erstens das furchterregende Übel selbst; zweitens derjenige, in dessen Macht es liegt, ein solches Übel zu verhängen. So fürchtet man den König, weil er die Macht hat, zu töten; aber nur dann, wenn man seiner überlegenen Macht schwer Widerstand leisten Q U A E S T I O 7, G

Parte habitum est. Sed in Christo non fuit virtus spei, ut supra habitum est. Ergo etiam non fuit in eo donum timoris. 2. PRAETEREA, dono timoris timet aliquis vel separationem a Deo, quod pertinet ad timorem castum; vel puniri ab ipso, quod pertinet ad timorem servilem; ut Augustinus dicit, super MPL 35 Canonicam Joan. [tract. 9; cf. In Joan. Evang., tract. 85]. Sed 2048 sq. Christus non timuit separari a Deo per peccatum, neque puniri lb" 1849 ab eo propter culpam suam: quia impossibile erat eum peccare, ut infra dicitur; timor autem non est de impossibili. Ergo in Christo non fuit donum timoris. 3. PRAETEREA, 1 Joan. 4 dicitur: „Perfecta Caritas foras mittit timorem." Sed in Christo fuit perfectissima Caritas: secundum illud Ephes. 3: „Supereminentem Christi caritatem scientiae." Ergo in Christo non fuit donum timoris. SED CONTRA est quod dicitur Isai. 11: „Replebit eum Spiritus timoris Domini." RESPONDEO dicendum quod, sicut in Secunda Parte dictum est, timor respicit duo objecta: quorum unum est malum terribile; aliud est ille cujus potestate malum potest inferri, sicut aliquis timet regem inquantum habet potestatem occidendi. Non autem timeretur ille qui habet potestatem, nisi haberet quamdam eminentiam potestatis, cui de facili resisti non possit: ea

185

7, 6 kann. Denn was wir leicht überwinden können, fürchten wir nicht. Und so ist es klar, daß jemand nur wegen seiner Überlegenheit gefürchtet wird. Demnach gab es auch in Christus Furcht; Er fürchtete nämlich Gott, nicht als hätte Er eine Trennung von Ihm durch Schuld oder Sündenstrafe zu gewärtigen gehabt: Seine Furcht war vielmehr Ehrfurcht vor der überragenden Größe Gottes. Die Seele Christi, getrieben vom Hl. Geist, erhob sich im Gefühl der Ehrfurcht zu Gott: In allem „fand Er um Seiner Ehrfurcht willen Erhörung" (Hebr 5, 7). Dieses Gefühl der Ehrfurcht vor Gott war im Menschen Christus tiefer als bei den anderen Menschen. Deshalb schreibt Ihm auch die Hl. Schrift die Fülle der Furcht Gottes zu [98]. Z u 1. Jedes Gehaben, folglich auch die Tugenden und Gaben, ist an und für sich auf ein Gut gerichtet, erst in zweiter Linie bezieht es sich auch auf ein Übel. Denn jede Tugend zielt in ihrem Wesen darauf ab, ein Werk zu einem guten zu machen (Aristoteles). Der Gegenstand der Gabe der Furcht ist nicht so sehr das Übel, als vielmehr die überwältigende Größe des höchsten Gutes, in dessen Macht es steht, ein Übel zu verhängen. Dagegen hat die Tugend der Hoffnung nicht so sehr den Urheber des Guten im Auge, als vielmehr das Gute selbst, das man noch nicht besitzt. Daher spricht man Christus, weil QUAESTIO

7, 6

enim quae in promptu habemus repellere, non timemus. Et sie patet quod aliquis non timetur nisi propter suam eminentiam. Sic igitur dicendum est quod in Christo fuit timor Dei, non quidem secundum quod respicit malum separationis a Deo per culpam; nec etiam secundum quod respicit malum punitionis pro culpa; sed secundum quod respicit ipsam divinam eminentiam, prout scilicet anima Christi quodam aflectu reverentiae movebatur in Deum, a Spiritu Sancto acta. Unde Hebr. 5 dicitur quod in omnibus „exauditus est pro sua reverentia". Hunc enim affectum reverentiae ad Deum Christus, secundum quod homo, prae ceteris habuit pleniorem. Et ideo ei attribuit Scriptura plenitudinem doni timoris. AD PRIMUM ergo dicendum quod habitus virtutum et donorum proprie et per se respiciunt bonum, malum autem ex consequent!: pertinet enim ad rationem virtutis ut opus bonum 1106 a 15 reddat, ut dicitur in 2 Ethic, [cap. 6, n. 2, 3; S. Th., lect. 6]. Et ideo de ratione doni timoris non est illud malum quod respicit timor, sed eminentia illius boni, scilicet divini, cujus potestate aliquod malum • infligi potest. Spes autem, secundum quod est virtus, respicit non solum actorem boni, sed etiam ipsum bonum inquantum est non habitum. Et ideo Christo,

186

Er im Vollbesitze der Seligkeit war, zwar die Tugend 7, 7 der Hoffnung ab, nicht aber die Gabe der Furcht. Zu 2. Der Einwand berücksichtigt nur die Furcht, soweit ihr Gegenstand ein Übel ist. Z u 3. Die vollkommene Liebe wirft die knechtische Furcht hinaus, die hauptsächlich die Strafe kennt. Diese Furcht besaß Christus nicht. Hatte

Christus

7. A R T I K E L die besonderen

Gnadengaben?

1. Vollbesitz und Teilhabe schließen im selben Inhaber einander aus. Nun stand Christus im Vollbesitz der Gnade, nach den Worten des hl. Johannes: „. . . voll der Gnade und Wahrheit" (1,14). Die besonderen Gnadengaben aber scheinen nur eine Teilhabe [an der Fülle Gott e s ] zu sein, die an verschiedene in verschiedener Weise verteilt wird: „Es gibt verschiedene Gnadengnaben" (1 Kor 12, 4). Also scheint Christus keine Gnadengaben gehabt zu haben. 2. Was einem gebührt, ist für ihn keine Gnadengabe. Dem Gottmenschen gebührte aber die Rede der Weisheit, die höchste Fülle des Wissens, Wunderkräfte und anQUAESTIO

7, ^

quia jam habebat perfectum beatitudinis bonum, non attribuitur virtus spei, sed donum timoris. AD SECUNDUM dicendum quod ratio illa procedit de timore secundum quod respicit objectum quod est malum. AD TERTIUM dicendum quod perfecta Caritas foras mittit timorem servilem, qui respicit principaliter poenam. Sic autem timor non fuit in Christo. A R T I C U L U S VII U t r u m in C h r i s t o f u e r i n t g r a t i a e g r a t i s

datae

[In Isaiam, cap. 1]

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerint gratiae gratis datae. Ei enim qui habet aliquid secundum plenitudinem, non competit illud habere secundum partieipationem. Sed Christus habuit gratiam secundum plenitudinem : secundum illud Joan. 1: „ . . . plenum gratiae et veritatis." Gratiae autem gratis datae videntur esse quaedam partieipationes divinae 1 divisim et particulariter diversis attributae: secundum illud 1 Cor. 12: „Divisiones gratiarum sunt." Ergo videtur quod in Christo non fuerint gratiae gratis datae. 2. PRAETEREA, quod debetur alicui, non videtur esse gratis ei datum. Sed debitum erat homini Christo quod sermone 1 Ora. L.

187

7, 7 dere außerordentliche Gaben. Denn Er selbst ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit" (1 Kor 1, 24). Also entsprach es Christus nicht, diese Gnadengaben zu besitzen. 3. Die Gnadengaben sollen dem Nutzen der Gläubigen dienen: „Jeder erhält eine Offenbarung des Geistes zum Nutzen [der Gemeinschaft]" (1 Kor 12, 7). Fertigkeiten aber oder Veranlagungen, die man nicht auswertet, gereichen niemandem zum Nutzen. Sir 20, 30: „Verborgene Weisheit und ein vergrabener Schatz, was nützen beide?" Nun lesen wir nirgendwo, daß Christus sich all dieser Gnadengaben bedient hätte, vor allem nicht der Sprachengabe. Folglich besaß Er nicht alle Gnadengaben. ANDERSEITS sagt der hl. Augustinus [99]: „Wie sich im Haupt alle Sinne finden, so fanden sich in Christus alle Gnaden." ANTWORT: Die Gnadengaben haben die Aufgabe, für die Wahrheit des Glaubens und die göttliche Lehre Beweise zu erbringen (I—II 111, 4; Bd. 14) [100]. Jeder Lehrer muß solche Beweise haben, wenn seine Lehre nicht nutzlos sein soll. Der erste und oberste Lehrer des Glaubens und der göttlichen Lehre war Christus: „Was vom Herrn zuerst verkündet und von den Ohrenzeugen uns getreu überliefert war, das hat Gott durch Zeichen QUAESTIO

7, 7

sapientiae et scientiae abundaret, et potens esset in virtutibus faciendis, et alia hujusmodi quae pertinent ad gratias gratis datas: cum ipse sit Dei virtus et Dei sapientia, ut dicitur 1 Cor. 1. Ergo non fuit conveniens habere gratias gratis datas. 3. PRAETEREA, gratiae gratis datae ordinantur ad utilitatem fidelium: secundum illud 1 Cor. 12: „Unicuique datur manifestatio Spiritus ad utilitatem." Non autem videtur ad utilitatem pertinere habitus, aut quaecumque dispositio, si homo non utatur: secundum illud Eccli. 20: „Sapientia abscondita, et thesaurus invisus, quae utilitas in utrisque?" Christus autem non legitur usus fuisse ómnibus gratiis gratis datis: praesertim quantum ad genera linguarum. Non ergo in Christo fuerunt omnes gratiae gratis datae. MPL SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in Epístola ad Dar33/847 danum [epist. 187], quod sicut in capite sunt omnes sensus, 57ftEi7 ' n Christo fuerunt omnes gratiae. RESPONDEO dicendum quod, sicut in Secunda Parte habitum est, gratiae gratis datae ordinantur ad fidei et spiritualis doctrinae manifestationem. Oportet autem eum qui docet, habere ea per quae sua doctrina manifestetur: aliter sua doctrina esset inutilis. Spiritualis autem doctrinae et fidei primus et principalis Doctor est Christus: secundum illud Hebr. 2: „Cum initium accepisset enuntiari a Domino, per eos qui audierunt in nos confirmata est, contestante Deo signis et pro-

188

und Wunder bekräftigt" (Hebr 2, 3. 4). Deshalb besaß 1, 7 Christus alle Gnadengaben im höchsten Grade, als erster und oberster Lehrer des Glaubens. Z u 1. Wie die heiligmachende Gnade auf die inneren und äußeren verdienstlichen Akte hingeordnet ist, so sollen die Gnadengaben Beweise für die Wahrheit des Glaubens erbringen, wie etwa Wundertaten und ähnliches. In beiden Richtungen besaß Christus die Fülle der Gnade, denn Seine Seele war mit der Gottheit vereint und hatte die Vollgewalt, alle diese genannten Werke zu vollbringen. Die anderen Heiligen werden von Gott wie Werkzeuge bewegt, allerdings wie Werkzeuge, die mit Ihm nicht unmittelbar in Verbindung stehen, sondern von Ihm getrennt sind; daher empfangen sie nur eine Teilgewalt, um diese oder jene Werke zu vollbringen. Aus diesem Grunde finden wir bei den Heiligen stets nur die eine oder die andere Gnadengabe, bei Christus dagegen alle zugleich. Zu 2. Christus als ewiger Gottessohn wird Gottes Kraft und Gottes Weisheit genannt. Als solcher war Er nicht Empfänger der Gnade, wohl aber ihr Spender. Seiner menschlichen Natur nach konnte Er jedoch Gnade empfangen. Z u B. Die Apostel hatten die Sprachengabe, weil sie ausgesandt wurden, alle Völker zu lehren (Mt 28, 19). Christus dagegen wollte persönlich nur dem Judenvolk QUAESTIO

7, 7

digiis", etc. Unde manifestum est quod in Christo fuerunt excellentissime omnes gratiae gratis datae, sicut in primo et principali Doctore fldei. AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut gratia gratum faciens ordinatur ad actus meritorios tarn interiores quam exteriores, ita gratia gratis data ordinatur ad quosdam actus exteriores fldei manifestativos, sicut est operatio miraculorum, et alia hujusmodi. In utraque autem gratia Christus plenitudinem habuit: inquantum enim divinitati unita erat ejus anima, plenam efflcaciam habebat ad omnes praedictos actus perficiendos. Sed alii sancti, qui moventur a Deo sicut instrumenta non unita, sed separata, particulariter efflcaciam recipiunt ad hos vel illos actus perficiendos. Et ideo in aliis sanctis hujusmodi gratiae dividuntur: non autem in Christo. AD SECUNDUM dicendum quod Christus dicitur Dei virtus et Dei sapientia, inquantum est aeternus Dei Filius. Sic autem non competit sibi habere gratiam, sed potius esse gratiae largitorem. Competit autem sibi gratiam habere secundum humanam naturam. AD TERTIUM dicendum quod donum linguarum datum est Apostolis quia mittebantur „ad docendas omnes gentes".

189

7, 8 predigen: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mt 15, 24). Und der Apostel schreibt an die Römer (15, 8): „Ich sage, Christus ist Diener der Beschneidung gewesen." Folglich brauchte Christus die Gabe der Sprachen nicht. Trotzdem fehlte Ihm nicht die Kenntnis aller Sprachen. Er kannte sogar die Geheimnisse der Herzen, deren Ausdruck die Worte sind (10, 2). Diese Kenntnis war für Ihn nicht nutzlos; denn auch wenn man eine Fähigkeit ungenützt läßt, weil der geeignete Augenblick fehlt, besitzt man sie nicht umsonst. Hatte

Christus

8. A R T I K E L die Gabe der

Weissagung?

1. Jede Weissagung ist eine dunkle und unvollkommene Kenntnis: „Wenn unter euch ein Prophet des Herrn ist, dem offenbare Ich Mich durch Gesichte und rede zu ihm durch Träume" (Num 12, 6). Christi Erkennen aber war klar und vollendet, viel klarer und vollkommener als das des Moses, von dem es heißt, er habe „offen und nicht wie in Rätseln Gott geschaut" (Num 12, 8). Folglich darf man in Christus die Gabe der Weissagung nicht annehmen. QUAESTIO

7, s

Christus autem in una sola Judaeorum gente voluit personaliter praedicare: secundum quod ipse dicit, Matth. 15: „Non sum missus nisi ad oves quae perierunt domus Israel"; et Apostolus dicit, Rom. 15: „Dico Jesum Christum ministrum fuisse Circumcisionis." Et ideo non oportuit quod loqueretur pluribua linguis. Nec tarnen defuit ei omnium linguarum notitia: cum etiam occulta cordium non essent ei abscondita, ut infra dicetur, quorum voces quaecumque sunt signa. Nec tarnen inutiliter hanc notitiam habuit: sicut non inutiliter habet habitum qui eo non utitur quando non est opportunum. Utrum

A R T I C U L U S VIII in C h r i s t o f u e r i t p r o p h e t i a

[2—2, q. 174, art. 5 ad 3; de Ver., q. 20, art. 6; Comp. Theol., cap. 216, in Joan., cap. 4, lect. 6; cap. 6, lect. 2]

AD OCTAVUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerit prophetia. Prophetia enim importat quamdam obscuram et imperfectam notitiam: secundum illud Num. 12: „Si quis fuerit inter vos propheta Domini, per somnium aut in visione loquar ad eum." Sed Christus habuit plenam et perfectam notitiam: multo magis quam Moyses, de quo ibi subditur quod „palam, et non per aenigmata Deum vidit". Non ergo debet in Christo poni prophetia.

190

2. Wie der Glaube das noch nicht Geschaute und die 7, 8 Hoffnung das noch nicht Erreichte zum Gegenstand hat, so die Weissagung das nach Ort und Zeit noch Ferne. Denn Weissagen heißt gleichsam das Weite sagen. Da aber in Christus weder Glaube noch Hoffnung war (3, 4), besaß Er auch nicht die Gabe der Weissagung. 3. Der Prophet ist niedererer Ordnung als der Engel. Deswegen heißt es von Moses, dem größten aller Propheten (II—II 174, 4; Bd. 23), er habe „in der Wüste mit einem Engel gesprochen" (Apg 7, 38). Christus erniedrigte sich aber nur in Seinem Leiden unter die Engel (Hebr 2, 9), in Seiner Erkenntnis stand Er über ihnen. Also war Christus kein Prophet. ANDERSEITS heißt es (Dt 18, 15) von Christus: „Einen Propheten wird dir Gott aus deinen Brüdern erwekken." Und von sich selbst sagt Er: „Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seiner Vaterstadt" (Mt 13, 57; Jo 4, 44). ANTWORT: Weissagen bedeutet gleichsam, das Weite sagen oder das Ferne schauen. Ein Prophet erkennt und spricht von dem, was den Sinnen der Menschen fern ist (Augustinus). Dabei darf man aber dies nicht übersehen: Wer erkennt und versteht, was zwar der fernen Umwelt, nicht aber der näheren Umgebung verborgen QUAESTIO

7, 8

2. PRAETEREA, sicut fides est eorum quae non videntur, et spes eorum quae non habentur, ita prophetia est eorum quae non sunt praesentia, sed distant: nam propheta dicitur quasi procul fans. Sed in Christo non ponitur fides neque spes, ut supra dictum est. Ergo etiam prophetia non debet poni in Christo. 3. PRAETEREA, propheta est inferioris ordinis quam angelus: unde et de Moyse, qui fuit supremus prophetarum, ut dictum est in Secunda Parte, et Act. 7 dicitur quod „locutus est cum angelo in solitudine". Sed Christus non est minoratus ab angelis secundum notitiam animae, sed solum secundum passionem 1 : ut dicitur Hebr. 2. Ergo videtur quod Christus non fuit propheta. SED CONTRA est quod de eo dicitur, Deuter. 18: „Prophetam suscitabit vobis Deus de fratribus vestris." Et ipse de se dicit, Matth. 13 et Joan. 4: „Non est propheta sine honore nisi in patria sua." RESPONDEO dicendum quod propheta dicitur quasi procul fans, vel procul videns: inquantum scilicet cognoscit et loquitur ea quae sunt procul ab hominum sensibus: sicut etiam MPL Augustinus dicit, 16 Contra Faustum [cap. 18]. Est autem £2327 1

P et L: secundum corporis passionem.

251/45

191

7, 8 und fern ist, heißt noch nicht Prophet; nur wer erkennt und verkündet, was auch seiner näheren Umgebung verborgen und fern ist, sei es dem Ort oder der Zeit nach, verdient diesen Namen. So wäre es ein Weissagen, wenn ein Gallier schaute und anderen Galliern verkündete, was sich in Syrien zuträgt. So weissagte Elisäus, als er zu Giezi sprach, der Mann sei vom Wagen gestiegen und ihm entgegengegangen (4 Kg 5, 26). Wenn aber ein Syrer nach Gallien berichtet, was sich bei ihm zuträgt, so handelt es sich nicht um ein Weissagen. Das gleiche gilt in zeitlicher Beziehung. Isaias sprach wirklich als Prophet, als er verkündete, daß der Perserkönig Cyrus den Tempel wieder aufbauen werde (44, 28); nicht aber Esdras, der als Augenzeuge über den Tempelbau berichtet (1 Esdr 1, 3). Wenn also Gott, die Engel oder auch die Seligen manches schauen und verkünden, was unserer Erkenntnis verborgen ist, so hat dies mit Weissagung nichts zu tun; denn sie leben nicht in unserer Ordnung. Christus dagegen lebte vor Seinem Leiden in unserer Ordnung. Er war Schauer und Pilger zugleich. Deshalb war es ein Weissagen im eigentlichen Sinne, wenn Er um Dinge wußte und sie den Juden verkündete, die deren Erkenntnis noch fern waren. Aus diesem Grunde wird Er mit vollem Recht Prophet genannt. QUAESTIO

7, 8

considerandum quod non potest dici aliquis propheta ex hoc quod cognoscit et annuntiat ea quae sunt aliis procul, cum quibus ipse non est [sed solum quando cognoscit et annuntiat ea quae sunt aliis procul, cum quibus ipse est]. Et hoc manifestum est secundum locum et secundum tempus. Si enim aliquis in Gallia existens cognosceret et annuntiaret aliis in Gallia existentibus ea quae tunc in Syria agerentur, propheticum esset: sicut Elisaeus ad Giezi dixit, 4 Reg. 5, quomodo vir descenderat de curru et occurrerat ei. Si vero aliquis in Syria existens ea quae sunt ibi annuntiaret, non esset hoc propheticum. Et idem apparet secundum tempus. Propheticum enim fuit quod Isaias praenuntiavit quod Cyrus, Persarum rex, templum Dei esset reaedificaturus, ut patet Isai. 44: non autem fuit propheticum quod Esdras hoc scripsit, cujus tempore factum est. Si igitur Deus aut angeli, vel etiam beati, cognoscunt et annuntiant ea quae sunt procul a nostra notitia, non pertinet ad prophetiam: quia in nullo nostrum statum attingunt. Christus autem ante passionem nostrum statum attingebat: inquantum non solum erat comprehensor, sed etiam viator. Et ideo propheticum erat quod ea quae erant procul ab aliorum viatorum notitia, et cognoscebat et annuntiabat. Et hac ratione dicitur in eo fuisse prophetia.

192

Z u 1. Aus jener Stelle geht nicht hervor, daß geheim- 7, 8 nisvolles Erkennen in Träumen und Gesichten zum Begriff der Weissagung gehört. Es werden hier einfach andere Propheten mit Moses verglichen; sie sprachen über göttliche Dinge in Träumen und in Gesichten. Er schaute Gott offen und ohne Gleichnis. Doch auch er wurde Prophet genannt: „Es stand in Israel kein größerer Prophet auf als Moses" (Dt 34, 10). Man kann jedoch sagen: Wenn auch Christus dem Verstände nach die volle und klare Gotteserkenntnis besaß, konnte Er doch auch in Bildern Seiner Phantasie Göttliches schauen; denn Er war Schauer und Pilger zugleich. Zu 2. Der Gegenstand des Glaubens ist das dem Glaubenden Verborgene, ebenso wie der Gegenstand der Hoffnung das vom Hoffenden noch nicht Erreichte ist. Der Gegenstand der Weissagung aber ist alles, was den Zeitgenossen des Propheten, nämlich seinen Gefährten auf der irdischen Wanderschaft, noch verborgen ist. Daher sind Glaube und Hoffnung mit der vollkommenen Seligkeit Christi unvereinbar, nicht aber die Gabe der Weissagung. Z u 8. Der Engel genießt die selige Gottesschau, steht also über dem Propheten, der noch auf Erden weilt; nicht aber über Christus, der Pilger und Schauer zugleich war. QUAESTIO

7, 8

A D P R I M U M ergo dicendum quod per illa verba non ostenditur esse de ratione prophetiae aenigmatica cognitio, quae scilicet est per somnium et in visione: sed ostenditur comparatio aliorum prophetarum, qui per somnium et in visione perceperunt divina, ad Moysen, qui palam et non per aenigmata Deum vidit; qui tarnen propheta est dictus, secundum illud Deuter, ult.: „Non surrexit ultra propheta in Israel sicut Moyses." Potest tarnen dici quod, etsi Christus habuit plenam et apertam notitiam quantum ad partem intellectivam, habuit tarnen in parte imaginativa quasdam similitudines, in quibus etiam poterat speculari divina, inquantum non solum erat comprehensor, sed etiam viator. A D SECUNDUM dicendum quod fides est eorum quae non videntur ab ipso credente. Similiter spes est eorum quae non habentur ab ipso sperante. Sed prophetia est eorum quae sunt procul a communi hominum sensu, cum quibus propheta conversatur et communicat in statu viae. Et ideo fides et spes repugnant perfectioni beatitudinis Christi: non autem prophetia. A D T E R T I U M dicendum quod angelus, cum sit comprehensor, est supra prophetam qui est purus viator: non autem supra Christum, qui simul fuit viator et comprehensor. 1325

193

Hatte

9. A R T I K E L Christus die Fülle der

Gnade?

1. Aus der Gnade erfließen die Tugenden, w i e wir bereits bewiesen haben ( I — I I 1 1 0 , 4 Zu 1 ; Bd. 1 4 ) . N U D hatte Christus weder den Glauben noch die Hoffnung, also nicht alle Tugenden (Art. 3 u. 4 ) ; daher auch nicht die Fülle der Gnade. 2. Man unterscheidet die wirkende und die mitwirkende Gnade (I—II 1 1 1 , 2; Bd. 1 4 ) [ 1 0 1 ] . Durch die wirkende Gnade wird der Sünder gerechtfertigt. Bei Christus aber, der niemals einer Sünde unterworfen war, gab es diese Gnade nicht. Daher hatte Er nicht die Fülle der Gnade. 3. „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk steigt von oben herab, vom Vater der Lichter" (Jak 1, 17). Was von oben herabsteigt, besitzt man aber nicht in Fülle, sondern bloß in einer Teilhabe. Also kann kein Geschöpf, nicht einmal die Seele Christi, in der Fülle der Gnadengaben stehen. ANDERSEITS lesen wir bei Johannes (1, 14): „Wir haben Ihn gesehen, voll der Gnade und Wahrheit". ANTWORT: In Fülle besitzen heißt ganz und vollkommen besitzen. Man kann aber Ganzheit und Vollkommenheit von zwei Seiten anschauen: Einmal im Hinblick auf die innere Größe; so kann man sagen, ein Ding QUAESTIO

Utrum

7, 9

fuerit

A R T I C U L U S IX in C h r i s t o g r a t i a e

plenitudo

[3 Sent., dist. 13, q. 1, art. 2, qa 1; dist. 15, q. 1, art 2 ad 5, Theol., cap. 213, 214; In Joan., cap. 1, lect. 8]

Comp

AD NONUM sie proceditur. Videtur quod non fuerit in Christo gratiae plenitudo. A gratia enim derivantur virtutes. ut in Secunda Parte dictum est. Sed in Christo non fuerunt omnes virtutes: non enim fuit in eo fides neque spes, ut ostensum est. Ergo in Christo non fuit gratiae plenitudo. 2. PRAETEREA, sicut patet ex his quae in Secunda Parte dicta sunt, gratia dividitur in operantem et cooperantem. Operans autem gratia dicitur qua justificatur impius. Quod quidem non habuit locum in Christo, qui nunquam subjaeuit alicui peccato. Ergo in Christo non fuit plenitudo gratiae. 3. PRAETEREA, Jac. 1 dicitur: „Omne datum Optimum, et orane donum perfectum, de sursum est, descendens a Patre luminum." Sed quod descendit, habetur particulariter, et non plene. Ergo nulla creatura, nec etiam anima Christi, potest habere plenitudinem donorum gratiae. SED CONTRA est quod dicitur Joan. 1: „Vidimus eum plenum gratiae et veritatis." RESPONDEO dicendum quod plene dicitur haberi quod totaliter et perfecte habetur. Totalitas autem et perfectio potest 194

hat die weiße Farbe in Fülle, wenn es sie soweit be- 7, 9 sitzt, als es dazu veranlagt ist. In anderer Weise: im Hinblick auf die Kraft; so sagt man, jemand habe das Leben in Fülle, wenn er es nach allen seinen Auswirkungen und Betätigungen besitzt. Diese Fülle des Lebens finden wir beim Menschen, nicht aber beim Tier oder bei der Pflanze. Christus aber besaß die Fülle der Gnade unter beiden Gesichtspunkten. Erstens, weil Er sie in der denkbar vollkommensten Weise besaß. Das erhellt einmal daraus, daß die Seele Christi dem Quell der Gnade am nächsten stand. Denn ein Gefäß schöpft, wie gesagt, desto mehr, je näher es der Quelle ist (Art. 1). Folglich erfährt die Seele Christi, die unter allen geistbegabten Geschöpfen Gott am nächsten steht, den machtvollen Einfluß Seiner Gnade. — Zweitens erkennt man die Gnadenfülle Christi aber auch aus ihrer Wirkung; denn mit solcher Macht ergoß sich die Gnade in die Seele Christi, daß sie auf die anderen gewissermaßen überströmen konnte. Deshalb mußte sie die Gnade im höchsten Maße besitzen; wie auch dem Feuer, das Ursache der Wärme in allen warmen Dingen ist, die Wärme im höchsten Grade eignet. Sodann besaß Christus auch die Kraftfülle der Gnade, da sie sich in Ihm nach allen Richtungen hin auswirkte; und das deshalb, weil Er das gemeinsame Haupl Q U A E S T I O

7, 9

attendi dupliciter. Uno modo, quantum ad quantitatem ejus intensivam: puta si dicam aliquem plene habere albedinem, si habeat eam quantumcumque nata est haberi. Alio modo, secundum virtutem: puta si aliquis dicatur plene habere vitam, quia habet eam secundum omnes efiectus vel opera vitae. Et sie plene habet vitam homo: non autem brutum animal, vel planta. Utroque autem modo Christus habuit gratiae plenitudinem. Primo quidem, quia habuit eam in summo, secundum perfectissimum modum qui potest haberi. Et hoc quidem apparet primo, ex propinquitate animae Christi ad causam gratiae. Dictum est enim quod, quanto aliquod reeeptivum propinquius est causae influenti, abundantius reeipit. Et ideo anima Christi, quae propinquius conjungitur Deo inter omnes creaturas rationales, reeipit maximam influentiam gratiae ejus. — Secundo, ex comparatione ejus ad effectum. Sic enim reeipiebat anima Christi gratiam ut ex ea quodammodo transfunderetur in alios. Et ideo oportuit quod haberet gratiam maximam: sicut ignis, qui est causa caloris in omnibus calidis, est maxime calidus. Similiter etiam quantum ad virtutem gratiae, plene habuit gratiam: quia habuit eam ad omnes operationes vel efiectus gratiae. Et hoc ideo, quia conferebatur ei gratia tanquam cui-

13*

195

7, 9 aller Begnadeten werden sollte. Die Kraft der ersten Ursache einer Gattung übt auf alle Wirkungen innerhalb dieser Gattung ihren Einfluß aus. So erstreckt sich die Kraft der Sonne, als allgemeine, letzte Ursache jeder Zeugung (Dionysius Areopagita), auf alles, was durch Zeugung entsteht [102]. Deshalb besaß Christus die Gnadenfülle auch in dem Sinn, daß sie in Ihm alle Kraft voll zur Geltung brachte, in den Tugenden, in den Gaben und in anderem. Z u 1. Glaube und Hoffnung sind Gnadenwirkungen, denen ein gewisser Mangel auf Seiten des Empfängers anhaftet. Denn nur wer noch nicht schaut, glaubt; und wer noch nicht besitzt, hofft. Diese Mängel und Unvollkommenheiten durften sich aber in Christus, dem Urquell aller Gnade, nicht finden. Das jedoch, was sich an Vollkommenheit im Glauben und in der Hoffnung findet, besaß Christus in viel höherem Maße. So weist das Feuer nicht alle jene niederen Wärmegrade auf, die mit der verschiedenen Aufnahmefähigkeit der einzelnen Körper gegeben sind; im Feuer ruht die Fülle der Wärme. Z u 2. An sich ist die Rechtfertigung das Werk der wirkenden Gnade. Daß sie aber einen Sünder zu einem Gerechten macht, ist ihr zufällig, nämlich dann, wenn der Empfänger zufällig in Sünden ist. Also wurde die Seele Christi durch die wirkende Gnade gerechtfertigt, Q U A E S T I O

7, 9

dam universali principio in genere habentium gratias. Virtua autem principii primi alicujus generis universaliter se extendit ad omnes effectus illius generis: sicut sol, qui est univerMPG salis causa generationis, ut dicit Dionysius, 4. cap. de Div. 3/698 Nom. [S. Th., lect. 3], ejus virtus se extendit ad omnia quae sub generatione cadunt. Et sie secunda plenitudo gratiae attenditur in Christo, inquantum se extendit ejus gratia ad omnes gratiae eflectus, qui sunt virtutes et dona et alia hujusmodi. AD PRIMUM ergo dicendum quod fides et spes nominant effectus gratiae cum quodam defectu qui est ex parte reeipientis gratiam: inquantum scilicet fides est de non visis, et spes de non habitis. Unde non oportet quod in Christo, qui est auetor gratiae, fuerint defectus quos important fides et spes. Sed quidquid est perfectionis in fide et spe, est in Christo multo perfectius. Sicut in igne non sunt omnes modi caloris defectivi ex defectu subjecti: sed quidquid pertinet ad perfectionem caloris. AD SECUNDUM dicendum quod ad gratiam operantem per se pertinet facere justum: sed quod justum faciat ex impio, hoc accidit ei ex parte subjecti, in quo peccatum invenitur. Anima igitur Christi justificata est per gratiam operantem, in-

196

denn durch sie war sie vom ersten Augenblick Seiner 7, 10 Empfängnis an gerecht und heilig. Damit ist aber nicht gesagt, daß sie vorher sündhaft oder nicht gerecht war. Z u 3. Mit der Fülle der Gnade meint man bei Christus nicht die unendliche Fülle der göttlichen Güte, man sagt es nur mit Bezug auf das Fassungsvermögen des Geschöpfes. 10. A R T I K E L War die Fülle der Gnade

nur Christus

eigen?

1. Was einem Ding eigentümlich ist, kommt ihm allein zu. Nun wird die Fülle der Gnade aber auch anderen zugeschrieben. So grüßt der Engel die allerseligste Jungfrau: „Gegrüßt seist du, voll der Gnade, der Herr ist mit dir" (Lk 2, 28). Und vom hl. Stephanus heißt es: „Stephanus aber war voll der Gnade und Kraft" (Apg 6, 8). Also ist die Fülle der Gnade nicht Christus allein eigen. 2. Was anderen durch Christus mitgeteilt werden kann, scheint Ihm nicht allein zuzukommen. Die Fülle der Gnade aber kann durch Christus anderen mitgeteilt werden: „Ihr werdet mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt QUAESTIO

7, 10

quantum per eam facta est justa et sancta a principio suae conceptionis: non quod ante fuerit peccatrix, aut etiam non justa.1 Utrum

ARTICULUS X p l e n i t u d o gratiae sit propria

Christo

[Infra, q. 27, art. 5 ad 1; 3 Sent., dist. 13, q. 1, art. 2, qa 2 ad 2, Comp. Theol., cap. 214, exp. super Salut. Angel.; In Joan., cap. 1, lect. 8; cap. 3, lect. 6; 1 ad Cor., cap. 11, lect. 1; cap. 12, lect. 1; ad Col., cap. 1, lect. B]

AD DECIMUM sie proceditur. Videtur quod plenitudo gratiae non sit propria Christo. Quod enim est proprium alicui, sibi soli convenit. Sed esse plenum gratia quibusdam aliis attribuitur: dicitur enim, Luc. 1, Beatae Virgini, „Ave, gratia plena: Dominus tecum"; dicitur autem Act. 6, „Stephanus autem plenus gratia et fortitudine". Ergo plenitudo gratiae non est propria Christo. 2. PRAETEREA, id quod potest communicari aliis per Christum, non videtur proprium Christo. Sed plenitudo gratiae potest communicari aliis per Christum: dicit enim Apostolus, 1 P addit: AD TERTIUM dicendum quod plenitudo gratiae attribuitur ¡inimae Christi secundum capacitatem creaturae, non autem per comparationem ad plenitudinem infinitam bonitatis divinae.

197

7, 10 werden" (Eph 3, 19). Also war Christus die Fülle der Gnade nicht allein eigen. 3. Das Leben der Pilgerschaft steht in einem bestimmten Verhältnis zum Leben der Heimat. Das Leben der Heimat aber ist Überfülle: „In der himmlischen Heimat, wo Überschwang alles Guten herrscht, wird zwar manchen eine besondere Auszeichnung zuteil, keiner aber besitzt etwas für sich allein" (Gregorius). Also ist die Fülle der Gnaden während der Pilgerschaft im Besitz eines jeden, und so kommt sie nicht Christus allein zu. ANDERSEITS schreibt man gerade Christus die Fülle der Gnade zu, weil Er der Eingeborene vom Vater ist: „Wir haben Ihn gesehen als den Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit" (Jo 1, 14). Da aber Christus allein der Eingeborene vom Vater ist, kam es Ihm auch ganz allein zu, „voll der Gnade und Wahrheit zu sein". ANTWORT: Ist von der Fülle der Gnade die Rede, so hat man zweierlei zu beachten: die Gnade selbst und ihren Empfänger. Für die Gnade selbst besteht die Fülle darin, daß sie in dem Begnadeten dem Wesen und der Kraftentfaltung nach das Vollmaß erreicht. Dieser besitzt dann die Gnade in ihrer erhabensten Höhe und im weitesten Ausmaß all ihrer Wirkungen. Und eine solche Fülle eignete Christus allein. Der Begnadete daQUAESTIO

7, 10

E p h e s . 3 : „ U t i m p l e a m i n i in o m n e m p l e n i t u d i n e m D e i . " Ergo p l e n i t u d o g r a t i a e n o n est p r o p r i a Christo. 3. P R A E T E R E A , status v i a e v i d e t u r p r o p o r t i o n a r i statui patriae. S e d in statu p a t r i a e erit q u a e d a m p l e n i t u d o : q u i a „in illa c a e l e s t i patria, u b i est p l e n i t u d o o m n i s boni, licet q u a e d a m data sint e x c e l l e n t e r , n i h i l tarnen p o s s i d e t u r s i n g u l a r i t e r " , MPL ut p a t e t p e r G r e g o r i u m , i n H o m i l i a d e C e n t u m Ovibus [ h o m . 7&1255 34 j n E v a n g . ] . E r g o i n statu v i a e g r a t i a e p l e n i t u d o h a b e t u r a s i n g u l i s h o m i n i b u s . Et ita p l e n i t u d o g r a t i a e n o n est propria Christo. S E D CONTRA est q u o d p l e n i t u d o g r a t i a e attribuitur Christo i n q u a n t u m est U n i g e n i t u s a P a t r e : s e c u n d u m i l l u d J o a n . 1: „ V i d i m u s e u m , q u a s i U n i g e n i t u m a P a t r e , p l e n u m g r a t i a e et veritatis." S e d e s s e u n i g e n i t u m a P a t r e e s t p r o p r i u m Christo. E r g o et sibi p r o p r i u m e s s e p l e n u m g r a t i a e et veritatis. R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d p l e n i t u d o g r a t i a e potest attendi d u p l i c i t e r : u n o modo, e x p a r t e i p s i u s g r a t i a e ; alio m o d o , e x p a r t e h a b e n t i s gratiam. E x p a r t e q u i d e m i p s i u s gratiae, dicitur e s s e p l e n i t u d o e x e o q u o d a l i q u i s p e r t i n g i t ad s u m m u m gratiae et q u a n t u m ad e s s e n t i a m et q u a n t u m ad v i r t u t e m : q u i a scilicet h a b e t g r a t i a m et in m a x i m a e x c e l l e n t i a q u a potest haberi, et i n m a x i m a e x t e n s i o n e a d o m n e s g r a t i a e e f l e c t u s . Et talis

198

gegen besitzt dann die Fülle der Gnade, wenn sie seinen 7, 10 Lebensbedingungen voll und ganz entspricht, der inneren Kraft wie der äußeren Entfaltung nach. Das erste trifft zu, wenn seine Gnade die ihr von Gott gesetzte Höhe erreicht hat: „Einem jeden von uns ist die Gnade in dem Maße verliehen, wie Christus sie ausgeteilt h a t " (Eph 4, 7). Das zweite, wenn sie ihn befähigt, alle Standespflichten und Lebensaufgaben zu erfüllen: „Mir, dem geringsten aller Heiligen, ward die Gnade zuteil, alle zu erleuchten" (Eph 3, 8. 9). Eine solche Gnadenfülle ist aber nicht Christus allein eigen, sie kann durch Ihn auch anderen mitgeteilt werden. Z u 1. Die allerseligste Jungfrau wird „voll der Gnade" genannt, nicht weil sie die Gnade im denkbar höchsten Maße und in allen ihren Auswirkungen besaß. Die Fülle der Gnade bedeutete vielmehr bei ihr, daß ihr Gnadenmaß der Auserwählung zur Würde der Gottesmutter entsprach. Auch Stephanus wird voll der Gnade genannt, weil er hinreichend Gnade besaß, um sich in seiner Berufung zum Diakon und Blutzeugen Gottes treu zu erweisen. Und das gilt auch von anderen. In dieser Hinsicht kann e i n e Gnadenfülle die andere übertreffen, je nach der Höhe des Standes, zu dem jemand von Gott berufen ist. QUAESTIO

7, 10

gratiae plenitudo est propria Christo. — Ex parte subjecti dicitur gratiae plenitudo quando aliquis habet plene gratiam secundum suam conditionem: sive secundum intensionem, prout in eo est intensa gratia usque ad terminum praefixum ei a Deo, secundum illud Ephes. 4, „Unicuique nostrum data est gratia secundum mensuram donationis Christi"; sive etiam secundum virtutem, inquantum scilicet habet facultatem gratiae ad omnia quae pertinent ad suum statum sive officium, sicut Apostolus dicebat, Ephes. 3, „Mihi autem, omnium sanctorum minimo, data est gratia haec, illuminare homines", etc. Et talis gratiae plenitudo non est propria Christo, sed communicatur aliis per Christum. AD PR1MUM ergo dicendum quod Beata Virgo dicitur gratia plena, non ex parte ipsius gratiae, quia non habuit gratiam in summa excellentia qua potest haberi, nec ad omnes effectus gratiae: sed dicitur fuisse plena gratia per comparationem ad ipsam, quia scilicet habebat gratiam sufficientem ad statum illum ad quem erat electa a Deo, ut scilicet esset mater Dei. Et similiter Stephanus dicitur plenus gratia, quia habebat gratiam sufficientem ad hoc ut esset idoneus minister et testis Dei, ad quod erat electus. Et eadem ratione dicendum est de aliis. Harum tarnen plenitudinem una est plenior alia: secundum quod aliquis divinitus est praeordinatus ad altiorem vel inferiorem statum.

199

7, ii

Z u 2. Der Apostel spricht an dieser Stelle von der Fülle der Gnade im Hinblick auf den Begnadeten; und diese Fülle richtet sich nach der Lebensaufgabe, die ihm von Gott gestellt ist. Sie kann etwas Gemeinsames sein, wozu alle Heiligen berufen sind; oder etwas Besonderes, was den Vorrang einzelner betrifft. In dieser Hinsicht ist eine gewisse Fülle der Gnade allen Heiligen gemeinsam, nämlich die hinreichende Gnade, um das ewige Leben zu verdienen, die Fülle der Gotteswonne; und diese Fülle wünscht der Apostel den Gläubigen, denen er schreibt. Z u 3. Es gibt zwar in der ewigen Heimat Güter, die allen gemeinsam sind, nämlich die Schau, den Besitz und die Wonne in Gott. Diesen entsprechen auf Erden ähnliche, allen gemeinsame Gaben. Doch finden wir sowohl in der himmlischen Heimat wie auf Erden gewisse Vorrechte der Heiligen, die nicht Gemeingut aller sind. 11. A R T I K E L Ist die Gnade Christi unendlich? 1. Was unermeßlich ist, ist unendlich. Nun ist die Gnade Christi unermeßlich; Johannes (3, 34): „Gott QUAESTIO

7, Ii

AD SECUNDUM dicendum quod Apostolus ibi loquitur de plenitudine ilia gratiae quae accipitur ex parte subjecti, in comparatione ad id ad quod homo est divinitus praeordinatus. Quod quidem est vel aliquid commune, ad quod praeordinantur omnes sancti: vel aliquid speciale, quod pertinet ad excellentiam aliquorum. Et secundum hoc, quaedam plenitudo gratiae est omnibus sanctis communis: ut scilicet habeant gratiam sufflcientem ad merendum vitam aeternam, quae in plena Dei fruitione consistit. Et hanc plenitudinem optat Apostolus fidelibus quibus scribit. AD TERTIUM dicendum quod ilia quae sunt communia in patria, scilicet visio, comprehensio, fruitio, et hujusmodi alia, habent quaedam dona sibi correspondentia in statu viae, quae etiam sunt communia sanctis. Sunt tarnen quaedam praerogativae sanctorum, in patria et in via, quae non habentur ab omnibus. A R T I C U L U S XI U t r u m g r a t i a C h r i s t i sit i n f i n i t a [1 Sent., dist. 17, q. 2, art. 4 ad 3; dist. 44, art. 3 ad 2: 3, dist. IS. q. 1, art. 2, qa 2; de Ver., q. 24, art. 3; Comp. Theol., cap. 215, in Joan., cap. 3, lect. 6]

AD UNDECIMUM sic proceditur. Videtur quod gratia Christi sit infinita. Omne enim immensum est infinitum. Sed gratia Christi est immensa: dicitur enim Joan. 3: „Non enim ad men-

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spendet den Geist ohne Maß", nämlich dem HERRN. 7, 11 Folglich war Seine Gnade unendlich. 2. Eine unendliche Wirkung zeugt von unendlicher Kraft; und diese kann nur in einem unendlichen Wesen gründen. Nun bringt die Gnade Christi eine unendliche Wirkung hervor: das Heil des gesamten Menschengeschlechtes, denn „Er ist das Sühnopfer für die Sünden der ganzen Welt" (1 Jo 2, 2). Also ist die Gnade Christi unendlich. 3. Allem Endlichen kann man etwas hinzufügen und so zu jeder beliebigen endlichen Größe gelangen. Wäre also die Gnade Christi endlich, so könnte die Gnade eines anderen Menschen so weit wachsen, daß sie das Maß der Gnade Christi erreicht. Das wäre aber nach der Auffassung des hl. Gregor gegen die Stelle bei Job (28, 17): „Nicht kommen Gold und Kristall ihr gleich." ANDERSEITS ist die Gnade in der Seele Christi etwas Geschaffenes. Alles Geschaffene ist jedoch endlich: „Du hast alles nach Zahl, Maß und Gewicht geordnet" (Weish 11, 21). Folglich war die Gnade Christi nicht unendlich. A N T W O R T : Bei Christus finden wir eine zweifache Gnade (2, 10; 6, 6). Die eine ist, wie bereits gesagt, die Gnade der Vereinigung, das Verbundensein mit dem WORTE Gottes in der Person; eine Gnade, die Seiner QUAESTIO

7, LI

suram dat Deus Spiritum", scilicet Christo. Ergo gratia Christi est inflnita. 2. P R A E T E R E A , effectus infinitus demonstrat virtutem infinitam, quae non potest fundari nisi in essentia inflnita. Sed effectus gratiae Christi est infinitus: extendit enim se ad salutem totius humani generis; ipse enim „est propitiatio pro peccatis totius mundi", ut dicitur 1 Joan. 2. Ergo gratia Christi est inflnita. 3. P R A E T E R E A , omne finitum per a d d i t i o n e m 1 potest pervenire ad quantitatem cujuscumque rei finitae. Si ergo gratia Christi est finita, posset alterius hominis gratia tantum crescere quod perveniret ad aequalitatem gratiae Christi. Contra quod dicitur Job 28: „ N o n adaequabitur ei aurum vel vitrum", secundum quod Gregorius ibi exponit. Ergo gratia Christi est MPL 76/83 inflnita. SED C O N T R A est quod gratia Christi est quiddam creatum in anima. Sed omne creatum est finitum: secundum illud Sap. 11: „Omnia in numero, pondere et mensura disposuisti." Ergo gratia Christi non est inflnita. R E S P O N D E O dicendum quod, sicut ex supra dictis patet, in Christo potest duplex gratia considerari. Una quidem est gratia unionis: quae, sicut supra dictum est, est ipsum uniri persona1 P addit: finiti.

14 25

201

7, ii menschlichen Natur ohne jedes Verdienst zufiel. Diese ist offenbar unendlich, weil die Person des WORTES unendlich ist. Die andere ist die heiligmachende Gnade. Diese kann man einmal als ein Sein betrachten. So kann sie nur endlich sein; denn sie ist in der Seele gleichsam wie in ihrem Träger. Als Geschöpf hat aber die Seele Christi nur endliche Fassungskraft. Deshalb ist die Gnade seinsmäßig nicht unendlich, da sie die Fassungskraft ihres Trägers (der Seele) nicht überschreiten kann. Sodann kann man die heiligmachende Gnade betrachten in ihrem eigentlichen Wesen als Gnade, und so kann man sie unendlich nennen. Es sind ihr nämlich keinerlei Grenzen gesetzt, da sie alles, was das Wesen der Gnade ausmacht, in unbeschränktem Maße besitzt, denn „nach dem Ratschluß der Gnade Gottes" (Rom 4, 5), der das Maß der Gnade bestimmt, wurde der Seele Christi die Gnade in einer solchen Fülle zuteil, wie sie dem Urquell aller menschlichen Begnadung entsprach: „Gott hat uns in Seinem geliebten Sohne Gnade erwiesen" (Eph 1, 6). So sagen wir auch, das Licht der Sonne sei unendlich — nicht sofern es Sein, sondern sofern es Licht ist; denn es schließt alles in sich, was zum Wesen des Lichtes gehört. QDAESTIO

7,

ll

liter Filio Dei, quod est gratis concessum humanae naturae. Et hanc gratiam constat esse infinitam: secundum quod ipsa persona Verbi est infinita. Alia vero est gratia habitualis. Quae quidem potest dupliciter considerari. Uno modo, secundum quod est quoddam ens. Et sic necesse est quod sit ens finitum. Est enim in anima Christi sicut in subjecto. Anima autem Christi est creatura quaedam, habens capacitatem finitam. Unde esse gratiae, cum non excedat suum subjectum, non potest esse infinitum. Alio modo potest considerari secundum propriam rationem gratiae. Et sic gratia i p s a 1 potest dici infinita, eo quod non limitatur: quia scilicet habet quidquid potest pertinere ad rationem gratiae, et non datur ei secundum aliquam c e r t a m 2 mensuram id quod ad rationem gratiae pertinet; eo quod, „secundum propositum gratiae Dei", cujus est gratiam mensurare, gratia confertur animae Christi sicut cuidam universali principio gratificationis in humana natura, secundum illud Ephes. 1, „Gratificavit nos in dilecto Filio suo". Sicut si dicamus lucem solis esse infinitam, non quidem secundum suum esse, sed secundum rationem lucis, quia habet quidquid potest ad rationem lucis pertinere. 1 P addit: Christi. 2 P: creatam.

202

Z u 1. Die Schriftstelle: „Der Vater schenkt Seinem 7, 11 Sohne den Geist ohne Maß" kann man auf dreifache Weise auslegen. Erstens als jene Gabe, die der Vater von Ewigkeit her dem Sohne schenkt, nämlich die göttliche Natur; und diese Gabe ist unendlich. Daher führt eine Glosse diese Stelle weiter: „Damit der Sohn so groß sei wie der Vater." Zweitens kann man sie auf die Gabe beziehen, die der menschlichen Natur geschenkt wurde, nämlich die Vereinigung mit der göttlichen Person, und auch diese Gabe ist unendlich. Deshalb sagt die Glosse an derselben Stelle: „Das WORT verband sich in der gleichen Vollkommenheit und Vollendung mit der menschlichen Natur, in der Es der Vater gezeugt hat." Drittens kann man diese Stelle auf die heiligmachende Gnade beziehen, soweit die Gnade Christi alles in sich schließt, was Gnade ist. Deshalb gibt Augustinus folgende Auslegung: „ ,Maß' bezieht sich hier auf die Verteilung der verschiedenen Geistesgaben. Dem einen wird durch den Geist die Sprache der Weisheit, dem anderen die Sprache der Wissenschaft gegeben. Christus aber, der Geber, empfing ohne jedes Maß." Z u 2. Die Wirkung der Gnade Christi ist unendlich; einmal wegen der Unendlichkeit der Gnade (vgl. die Antwort), dann weil die Seele Christi mit einer göttlichen Person verbunden war. QUAESTIO 7, 11 AD PRIMUM ergo dicendum quod id quod dicitur, „Pater non ad mensuram dat Spiritum Filio", uno modo exponitur de dono quod Deus Pater ab aeterno dedit Filio, scilicet divinam naturam, quae est donum infinitum. Unde quaedam Glossa MPL dicit, ibidem: „ut tantus sit Filius quantus et Pater." 35/1509 Alio modo, potest referri ad donum quod datum est humanae naturae, ut uniatur divinae personae, quod est donum infinitum. Unde Glossa dicit ibidem : „Sicut Pater plenum et per- eft Aim. tectum genuit Verbum, sic plenum et perfectum unitum est ['02 a] humanae naturae vel creaturae." Tertio modo, potest referri ad gratiam habitualem, inquantum gratia Christi se extendit ad omnia quae sunt gratiae. Unde Augustinus [tract. 14 in Joan. Evang.], hoc exponens, MPL dicit: „Mensura quaedam divisio donorum est: alii enim datur 35/1509 per Spiritum sermo sapientiae, alii sermo scientiae. Sed Christus, qui dat, non ad mensuram accepit." AD SECUNDUM dicendum quod gratia Christi habet infinitum eflectum, turn propter infinitatem praedictam gratiae; tum propter unitatem divinae personae, cui anima Christi est unita. 14*

203

7, 12

Z u 3. Innerhalb derselben Größenordnung kann eine kleine Menge zu einer größeren anwachsen. Die Gnade eines Menschen verhält sich aber zur Gnade Christi wie eine Teilkraft zur Fülle der Kraft. Die Kraft des Feuers, wie mächtig sie auch anwächst, wird nie die Kraft der Sonne erreichen; ebenso kann die Gnade eines Menschen nie so anwachsen, daß sie der Gnade Christi gleichkommt. Konnte

12. A R T I K E L die Gnade Christi vermehrt

werden?

1. Allem Endlichen kann man etwas hinzufügen. Nun war die Gnade Christi, wie wir im vorigen Artikel sahen, endlich; also konnte sie vermehrt werden. 2. J e d e Vermehrung der Gnade ist eine Wirkung der Macht Gottes: „Gott ist mächtig genug, euch Gnade in Fülle zu spenden" (2 Kor 9, 8 ) . Nun ist die Macht Gottes unendlich und daher unbegrenzt. Folglich hätte die Gnade Christi scheinbar größer sein können. 3. Bei Lukas lesen w i r : „Der Knabe nahm zu an Alter, Weisheit und Gnade vor Gott und den Menschen" (2, 52). Also konnte die Gnade Christi vermehrt werden. QUAESTIO

7, 12

AD TERTIUM dicendum quod minus per augmentum potest pervenire ad quantitatem majoris in his quae habent quantitatem unius rationis. Sed gratia alterius hominis comparatur ad gratiam Christi sicut quaedam virtus particularis ad universalem. Unde, sicut virtus ignis, quantumcumque crescat, non potest adaequari virtuti solis; ita gratia alterius hominis, quantumcumque crescat, non potest adaequari gratiae Christi.

Utrum [1 Sent.,

dist

A R T I C U L U S XII gratia Christi potuerit 15,

q. 5, art. 1, qa 4; dist. 17, q. 3, dist. 12, q. 1, art. 2, qa 3]

augeri 2,

art.

4 ad

3,

AD DUODECIMUM sie proceditur. Videtur quod gratia Christi potuerit augeri. Omni enim finito potest fieri additio. Sed gratia Christi finita fuit, ut dictum est. Ergo potuit augeri. 2. PRAETEREA, augmentum gratiae fit per virtutem divinam: secundum illud 2 Cor. 9: „Potens est Deus omnem gratiam abundare facere in vobis." Sed virtus divina, cum sit infinita, nullo termino coarctatur. Ergo videtur quod gratia Christi potuerit esse major. 3. PRAETEREA, Luc. 2 dicitur quod „Puer Jesus proficiebat aetate, sapientia et gratia apud Deum et homines". Ergo gratia Christi potuit augeri.

204

ANDERSEITS heißt es bei Johannes: „Wir haben Ihn 7, 12 gesehen, als den Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit" (1, 14). Nun kann nichts Größeres sein oder gedacht werden, als daß einer der Eingeborene des Vaters ist. Also kann keine Gnade größer sein oder gedacht werden als die, von der Christus erfüllt war. ANTWORT: Aus zwei Gründen kann das Anwachsen einer Form unmöglich werden: erstens wegen ihres Trägers, zweitens wegen der Form selbst [103], Der Träger nimmt dann im höchsten Grad an einer Form teil, wenn das Maß seiner Aufnahmefähigkeit erschöpft ist. So sagt man, die Luft könne nicht noch wärmer werden, wenn sie den höchsten Wärmegrad erreicht hat, bei dem überhaupt noch Luft bestehen kann, mag es in der Natur auch einen noch höheren Wärmegrad geben, wie z. B. den des Feuers. — Aber auch von Seiten der Form ist die Möglichkeit des Anwachsens ausgeschlossen, wenn irgend etwas jene letzte Vollkommenheit erreicht hat, die bei dieser Form möglich ist. Zum Beispiel kann die Wärme des Feuers nicht mehr erhöht werden, weil der Wärmegrad des Feuers nicht übertroffen werden kann. Nun hat die göttliche Weisheit wie für alle Formen, so auch für die Gnade ein bestimmtes Maß vorgesehen, nach dem Wort im Buch der Weisheit (11, 21): „Du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet." Dieses Maß QUAESTIO

7, 12

SED CONTRA est quod dicitur Joan. 1: „Vidimus eum, quasi Unigenitum a Patre, plenum gratiae et veritatis." Sed nihil potest esse aut intelligi majus quam quod aliquis sit unigenitus a Patre. Ergo non potest esse, vel etiam intelligi, major gratia quam illa qua Christus tuit plenus. RESPONDEO dicendum quod aliquam formam non posse augeri contingit dupliciter: uno modo, ex parte ipsius subjecti; alio modo, ex parte illius formae. Ex parte quidem subjecti, quando subjectum attingit ad ultimum in participatione ipsius formae secundum suum modum: sicut si dicatur quod aer non potest crescere in caliditate, quando pertingit ad ultimum gradum caloris qui potest salvari in natura aeris; licet possit esse major calor in rerum natura, qui est calor ignis. Ex parte autem formae excluditur possibilitas augmenti quando aliquod subjectum attingit ad ultimam perfectionem qua potest talis forma haberi: sicut si dicamus quod calor ignis non potest augeri, quia non potest esse perfectior gradus caloris quam ille ad quem pertingit ignis. Sicut autem aliarum formarum est ex divina sapientia determinata propria mensura, ita et gratiae: secundum illud Sap. 11: „Omnia in numero, pondere et mensura disposuisti." Mensura

205

7, 12 ist aber in jedem einzelnen Fall mit dem Ziel eines Dinges gegeben. So ist die Anziehungskraft der Erde die größte, weil es keinen tieferen Ort als die Erde gibt [104]. Die Gnade aber zielt ihrem Wesen nach auf die Vereinigung einer vernünftigen Natur mit Gott ab. Nun kann keine größere Einheit des vernunftbegabten Geschöpfes mit Gott sein oder gedacht werden als die Einheit in der Person. Deshalb erreicht die Gnade Christi den Gipfel des Gnadenmaßes und konnte daher als Gnade keinen weiteren Zuwachs mehr empfangen. Aber auch ihr Träger ließ eine Vermehrung der Gnade nicht zu; denn Christus, sofern Er Mensch ist, stand vom ersten Augenblick Seiner Empfängnis in der Wahrheil und Fülle der Gottesschau. Folglich konnte bei Ihm wie bei den anderen Seligen die Gnade nicht vermehrt werden; denn einmal am Ziele angelangt, können sie nicht mehr in der Gnade wachsen. Für Menschen, die bloß Pilger sind, gibt es noch eine Vermehrung der Gnade; einmal von Seiten der Form — denn sie haben noch nicht den höchsten Grad der Gnade erreicht —, sodann von seiten ihres Trägers — denn sie sind noch nicht am Ziel. Z u 1. Bei mathematischen Größen ist eine Vermehrung möglich; denn es ist kein Widerspruch, einer endlichen Größe etwas hinzuzufügen. Etwas anderes ist es dagegen bei der Ausdehnung der Naturkörper. Denn da Q U A E S T I O

7, 12

autem unicuique formae praefigitur per comparationem ad suum finem: sicut non est major gravitas quam gravitas terrae, quia non potest esse inferior locus loco terrae. Finis autem gratiae est unio creaturae rationalis ad Deum. Non potest autem esse, nec intelligi, major unio creaturae rationalis ad Deum quam quae est in persona. Et ideo gratia Christi pertingit usque ad summam mensuram gratiae. Sic ergo manifestum est quod gratia Christi non potuit augeri ex parte ipsius gratiae. Sed neque etiam ex parte ipsius subjecti. Quia Christus, secundum quod homo, a primo instanti suae conceptionis fuit verus et plenus comprehensor. Unde in eo non potuit esse gratiae augmentum, sicut nec in aliis beatis: quorum gratia augeri non potest, eo quod sunt in termino. Hominum vero qui sunt pure viatores, gratia potest augeri et ex parte formae, quia non attingunt summum gratiae gradum: et ex parte subjecti, quia nondum pervenerunt ad terminum. AD PRIMUM ergo dicendum quod, si loquamur de quantitatibus mathematicae, cuilibet finitae quantitati potest fieri additio: quia ex parte quantitatis finitae non est aliquid quod repugnet additioni. Si vero loquamur de quantitate naturali,

206

verlangt jede Form eine bestimmte Größe und bestimmte 7, 12 Eigenschaften. „Das Wesen aller steten Dinge bestimmt Ziel und Grund ihrer Größe und ihres Wachstums" (Aristoteles). 1 Aus diesem Grunde gibt es für das Weltall keine weitere Ausdehnung. Mit um so größerem Recht läßt sich bei den Formen eine Grenze feststellen, die sie nicht überschreiten. Und daher konnte die Gnade Christi nicht weiter erhöht werden, mag sie auch ihrem Wesen nach endlich sein. Zu 2. Wenn die Macht Gottes auch etwas Größeres und Besseres schaffen könnte als die heiligmachende Gnade Christi, so doch nichts Größeres als die Vereinigung mit dem eingeborenen Sohn des Vaters in der Person. Dieser Vereinigung entsprechend, hat die Weisheit Gottes das Maß der heiligmachenden Gnade Christi bestimmt. Z u 3. In Weisheit und Gnade kann man in doppelter Weise fortschreiten. Einmal in dem Sinn, daß Weisheit und Gnade als Beschaffenheit der Seele einer Vermehrung fähig sind; in dieser Beziehung gab es in Christus kein Fortschreiten. Dann, was die Wirkungen [der Gnade und Weisheit] angeht, sofern man nämlich Werke von größerer Weisheit und höherer Tugend vollbringt: in dieser Beziehung konnte Christus an Weisheit und Gnade und an Alter fortschreiten, denn mit den Jahren nahm Q U A E S T I O

7, 12

sie potest esse repugnantia ex parte formae, cui debetur determinata quantitas, sicut et alia accidentia determinata. Unde Philosophus dicit, 2 Anima [cap. 4, n. 8; S. Th., lect. 8], quod 416 a 16 „omnium natura constantium est terminus et ratio magnitudinis et augmenti". Et inde est quod quantitati totius caeli non potest fieri additio. Multo igitur magis in ipsis formis consideratur aliquis terminus, ultra quem non transgrediuntur. Et propter hoc, non oportuit quod gratiae Christi posset fieri additio, quamvis sit finita secundum sui essentiam. AD SECUNDUM dicendum quod, licet virtus divina posset facere aliquid majus et melius quam sit habitualis gratia Christi, non tarnen posset facere quod ordinaretur ad aliquid majus quam sit unio personalis ad Filium unigenitum a Patre: cui unioni sufficienter correspondet talis mensura gratiae secundum •definitionem divinae sapientiae. AD TERTIUM dicendum quod in sapientia et gratia aliquis potest proficere dupliciter. Uno modo, secundum ipsos habitus sapientiae et gratiae augmentatos. Et sie Christus in eis non proficiebat. Alio modo secundum effectus: inquantum scilicet aliquis sapientiora et virtuosiora opera facit. Et sie Christus proficiebat sapientia et gratia, sicut et aetate: quia secundum 1 V g l . Bd. 1 A n m . [85], S. 366 f.

207

7, 13 auch Sein Wirken an Vollkommenheit zu, und so erwies E r sich in Seinem Verhalten gegen Gott und die Menschen als wahrer Mensch. 13. War die heiligmachende

ARTIKEL Gnade in Christus Vereinigung ?

eine Folge

der

1. Kein Ding ist die Folge seiner selbst. Nun scheint die heiligmachende Gnade dasselbe zu sein wie die Gnade der Vereinigung; Augustinus: „Die gleiche Gnade, die jeden Menschen beim Aufleuchten seines Glaubens zum Christen macht, hat jenen Menschen bei Seiner Empfängnis zu Christus gemacht." Das erste bezieht sich auf die heiligmachende Gnade, das zweite auf die Gnade der Vereinigung. Also scheint die heiligmachende Gnade keine Folge der Vereinigung zu sein. 2. J e d e Vorbereitung geht zeitlich oder wenigstens gedanklich der Vollendung voraus. Nun scheint die heiligmachende Gnade in gewissem Sinne die menschliche Natur auf die Vereinigung in der Person vorzubereiten. Also folgt die heiligmachende Gnade nicht der Vereinigung, sondern geht ihr voraus. QUAESTIO

7, 13

processum aetatis perfectiora opera faciebat, ut se verum hominem demonstraret, et in his quae sunt ad Deum et in his quae sunt ad homines. Utrum

A R T I C U L U S XIII g r a t i a h a b i t u a l i s in C h r i s t o subsequatur unionem

[Supra, q. 6, art. 6;

3 Sent., dist. 13. q. 3, art cap. 214]

2, qa 3;

Comp. Theo! .

AD DECIMUMTERTIUM sic proceditur. Videtur quod gratia habitualis in Christo non subsequatur unionem. Idem enim non subsequitur ad seipsum. Sed haec gratia habitualis videtur MPL eadem esse cum gratia unionis: dicit enim Augustinus, in libro 44/982 ,j e Praedest. Sanctorum [cap. 1 5 ] : „Ea gratia fit ab initio fidei suae homo quicumque Christianus, qua gratia homo ille ab initio suo factus est Christus"; quorum duorum primum pertinet ad gratiam habitualem, secundum ad gratiam unionis. Ergo videtur quod gratia habitualis non subsequatur unionem. 2. PRAETEREA, dispositio praecedit perfectionem tempore, vel saltern intellectu. Sed gratia habitualis videtur esse sicut quaedam dispositio humanae naturae ad unionem personalem. Ergo videtur quod gratia habitualis non subsequatur unionem, sed magis praecedat.

208

3. Das Allgemeine geht dem Besonderen voraus. Die 7, 13 heiligmachende Gnade aber ist Christus und anderen Menschen gemeinsam, die Gnade der Vereinigung dagegen eignet Christus allein. Also ist gedanklich die heiligmachende Gnade früher als die Vereinigung, nicht später. ANDERSEITS steht bei Isaias (42, 1): „Siehe, Mein Knecht, Ich will ihn aufnehmen . . . Ich lasse Meinen Geist auf ihm ruhen." Damit ist die heiligmachende Gnade gemeint. Es bleibt also nur übrig, daß in Christus die Aufnahme der menschlichen Natur in die Einheit der Person der heiligmachenden Gnade vorausgeht. ANTWORT: Die Vereinigung der menschlichen Natur mit einer göttlichen Person, wie wir oben die Gnade der Vereinigung nannten (2, 10; 6, 6), ging in Christus der heiligmachenden Gnade voraus, nicht zwar zeitlich, wohl aber seinsmäßig und gedanklich; und das aus einem dreifachen Grund. Erstens, weil der Ursprung der Vereinigung dem Ursprung der heiligmachenden Gnade vorangeht. Der Ursprung der Vereinigung ist die Person des Sohnes, von dem es heißt, Er sei in die Welt gesandt worden, um die menschliche Natur anzunehmen (Jo 3, 17). Der Ursprung der heiligmachenden Gnade, die mit der Liebe gegeben wird, ist der Hl. Geist, von dem es heißt, Er wird „gesandt", sofern Er durch die Liebe in der Seele Wohnung nimmt. Die Sendung des Sohnes erfolgte seinsQ U A E S T I O

7,

13

3. PRAETEREA, commune est prius proprio. Sed gratia habitualis est communis Christo et aliis hominibus: gratia autem unionis est propria Christo. Ergo prior est, secundum intellectum, gratia habitualis quam ipsa unio. Non ergo sequitur eam. SED CONTRA est quod dicitur Isai. 42, „Ecce servus meus, suscipiam eum"; et postea sequitur: „Dedi Spiritum meum super eum", quod quidem ad donum gratiae habitualis pertinet. Unde relinquitur quod susceptio naturae humanae in unione personae praecedat gratiam habitualem in Christo. RESPONDEO dicendum quod unio humanae naturae ad divinam personam, quam supra diximus esse ipsam gratiam unionis, praecedit gratiam habitualem in Christo, non ordine temporis, sed naturae et intellectus. Et hoc triplici ratione. Primo quidem, secundum ordinem principiorum utriusque. Principium enim unionis est persona Filii assumens humanam naturam, quae secundum hoc dicitur missa esse in mundum, quod humanam naturam assumpsit. Principium autem gratiae habitualis, quae cum caritate datur, est Spiritus Sanctus, qui secundum hoc dicitur mitti quod per caritatem mentem inhabitat. Missio autem Filii, secundum ordinem naturae, prior est missione

209

7, 13 mäßig vor der Sendung des Hl. Geistes, wie auch der Hl. Geist Seiner Natur nach aus dem Sohn hervorgeht und die Liebe aus der Weisheit. So war auch die Vereinigung der menschlichen Natur mit dem WORTE, in der sich die Sendung des Sohnes erfüllte, seinsmäßig vor der heiligmachenden Gnade, unter der die Sendung des Hl. Geistes verstanden wird [105]. Der zweite Grund für diese Reihenfolge liegt in dem Verhältnis der Gnade zu ihrer Ursache. Wie die Sonne die Luft mit Licht erfüllt, so bewirkt die Gegenwart Gottes im Menschen die Gnade. Ezechiel (43, 2): „Es zog die Herrlichkeit des Gottes Israels von Osten her, und die Erde strahlte auf vor Seiner Herrlichkeit." Unter der Gegenwart Gottes in Christus versteht man aber die Vereinigung der menschlichen Natur in der göttlichen Person. Daher fließt die heiligmachende Gnade Christi als eine Folge aus der Vereinigung, wie der Lichtglanz aus der Sonne. Den dritten Grund dieser Ordnung kann man dem Ziel der Gnade entnehmen: sie ist hingeordnet auf das rechte Tun. Jede Tätigkeit ist aber Sache des Naturinhabers und des Einzelwesens [Aristoteles]. Eine Handlung und folglich auch die dazu führende Gnade setzt daher eine handelnde Person voraus. Anderseits wird in der menschlichen Natur vor der Vereinigung mit dem WORTE keine Person vorausgesetzt (4, 3). Und aus diesem Grunde Q U A E S T I O 7,

13

Spiritus Sancti: sicut ordine naturae Spiritus Sanctus procedit a Filio et a sapientia 1 dilectio. Unde et unio personalis, secundum quam intelligitur missio Filii, est prior, ordine naturae, gratia habituali, secundum quam intelligitur missio Spiritus. Secundo, accipitur ratio hu jus ordinis ex habitudine gratiae ad suam causam. Gratia enim causatur in homine ex praesentia divinitatis, sicut lumen in aere ex praesentia solis: unde dicitur Ezech. 43: „Gloria Dei Israel ingrediebatur per viam orientalem, et terra splendebat a majestate ejus." Praesentia autem Dei in Christo intelligitur secundum unionem humanae naturae ad divinam personam. Unde gratia habitualis Christi intelligitur ut consequens hanc unionem, sicut splendor solem. Tertia ratio hujus ordinis assumi potest ex flne gratiae. Ordinatur enim ad bene agendum. „Actiones autem sunt suppo98ia 17 sitorum et individuorum" [cf. Arist., Metaphys., lib. 1, cap. 1, Cathaia n g. g fh., i e et. 1], Unde actio, et per consequens gratia ad ipsam ordinans, praesupponit hypostasim operantem. Hypostasis autem non praesupponitur in humana natura ante unio1

210

L: a Patre.

geht gedanklich die Gnade der Vereinigung der heilig- 7, 13 machenden Gnade voraus. Z u 1. Augustinus versteht an dieser Stelle unter Gnade den frei schenkenden Willen Gottes, der Seine Wohltaten umsonst austeilt. Und deshalb sagt er, die gleiche Gnade, die jeden Menschen zum Christen macht, hat jenen Menschen zu Christus gemacht. Denn beides tat Gott aus reinem Wohlwollen, von keinem Verdienst bewogen. Zu 2. Bei Dingen, die sich nach und nach entwickeln, geht die die Vollendung des Dinges vorbereitende Beschaffenheit im Entstehungsverlauf jener voraus. Dieselbe Beschaffenheit fließt wiederum aus der erreichten Vollkommenheit. So bereitet die Wärme das Feuer vor; ist das Feuer aber einmal da, so ist die Wirkung des Feuers wiederum Wärme. Nun ist aber die menschliche Natur in Christus im ersten Augenblick, nicht erst nach und nach, mit der Person des WORTES vereinigt worden. Aus diesem Grunde faßt man die heiligmachende Gnade nicht als eine Voraussetzung der Vereinigung, sondern als ihre Folge, gleichsam als eine Eigentümlichkeit ihrer Natur auf. Daher sagt Augustinus: „Die Gnade ist in gewissem Sinn dem Menschen Christus natürlich." Z u 3. Das Allgemeine geht dem Eigenen voraus, wenn beide der gleichen Gattung angehören. Bei Dingen von verschiedener Gattung kann dagegen das Eigene sehr wohl dem Allgemeinen vorgehen. Nun gehört die QUAESTIO

7, 13

nem, ut ex supra dictis patet. Et ideo gratia unionis, secundum intellectum, praecedit gratiam habitualem. AD PRIMUM ergo dicendum quod Augustinus ibi gratiam nominat gratuitam Dei voluntatem gratis beneficia largientem. Et propter hoc eadem gratia dicit hominem quemcumque fieri Christianum qua gratia factus est Christus homo, quia utrumque gratuita Dei voluntate, absque meritis, factus est. AD SECUNDUM dicendum quod, sicut dispositio in via generationis praecedit perfectionem ad quam disposuit in his quae successive perflciuntur, ita naturaliter perfectionem sequitur quam aliquis jam consecutus est: sicut calor, qui fuit dispositio ad formam ignis, est efiectus profluens a forma ignis jam praeexistentis. Humana autem natura in Christo unita est personae Verbi a principio absque successione. Unde gratia habitualis non intelligitur ut praecedens unionem, sed ut consequens eam, sicut quaedam proprietas naturalis. Unde et Augustinus dicit, in Enchirid. [cap. 40], quod „gratia est quodammodo MPL Christo homini naturalis". 401252 AD TERTIUM dicendum quod commune est prius proprio si utrumque sit unius generis: sed in his quae sunt diversorum generum, nihil prohibet proprium prius esse communi. Gratia

211

7, 13 Gnade der Vereinigung nicht zu derselben Gattung wie die heiligmachende Gnade, sondern überragt, wie die göttliche Person selbst, jede Gattung. Folglich steht in unserem Falle nichts im Wege, daß das Allgemeine dem Eigenen vorgeht. Denn es ergibt sich nicht aus einer Hinzufügung zum Gemeinsamen, sondern es bildet vielmehr Grund und Ursprung des Gemeinsamen [106]. QUAESTIO

7, 13

autem unionis non est in genere gratiae habitualis: sed est super omne genus, sicut et ipsa divina persona. Unde hoc proprium nihil prohibet esse prius communi: quia non se habet per additionem ad commune, sed potius est principium et origo ejus quod commune est.

212

8. F R A G E

8, l

DIE GNADE CHRISTI A L S DES H A U P T E S KIRCHE

DER

Hierbei ergeben sich acht Einzelfragen: 1. Ist Christus das Haupt der Kirche? 2. Ist E r das Haupt der Menschen auch in bezug auf ihren Leib, oder ist E r nur das Haupt der Seelen? 3. Ist E r das Haupt aller Menschen? 4. Ist E r das Haupt der E n g e l ? 5. Ist die Gnade, die Ihm als Haupt, und die heiligmachende Gnade, die Ihm als Einzelmenschen zukommt, dasselbe? 6. Ist Christus allein das Haupt der K i r c h e ? 7. Ist der Teufel das Haupt aller B ö s e n ? 8. Kann man auch den Antichrist das Haupt aller Bösen nennen? Kommt

es

Christus

1. A R T I K E L als Mensch zu, Haupt zu sein?

der

Kirche

1. Das Haupt strömt Leben und Bewegung aus in die Glieder. Gnadenleben und Gnadenwirken strömt uns QUAESTIO

VIII

DE GRATIA CHRISTI SECUNDUM QUOD EST CAPUT ECCLESIAE Deinde considerandum est de gratia Christi secundum quod est caput Ecclesiae. Et circa hoc quaeruntur octo: 1. Utrum Christus sit caput Ecclesiae. — 2. Utrum sit caput hominum quantum ad corpus, vel solum quantum ad animas. — 3. Utrum sit caput omnium hominum. — 4. Utrum sit caput angelorum. — 5. Utrum gratia secundum quam est caput Ecclesiae, sit eadem cum habituali ejus secundum quod est quidam homo singularis. — 6. Utrum esse caput Ecclesiae sit proprium Christo. — 7. Utrum diabolus sit caput omnium malorum. — 8. Utrum Antichristus etiam possit dici caput omnium malorum. ARTICULUS I U t r u m Christo, s e c u n d u m quod est homo, petat esse caput Ecclesiae

com-

[3 Sent., dist. 13, q. 2, art. 1; de Ver., q. 29, art. 4, 5; Comp. Theol , cap. 214: 1 ad Cor., cap. 11, lect. 1; ad Ephes., cap. 1, lect. 8; ad Col., cap. 1, lect. 5]

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod Christo, secundum quod est, non competat esse caput Ecclesiae. Caput enim influit sensum et motum in membra. Sensus autem et motus

213

8, l aber nicht vom Menschen Christus zu; denn Christus schenkt nicht als Mensch den Hl. Geist, sondern nur als Gott (Augustinus). Also kommt es Christus als Mensch nicht zu, Haupt der Kirche zu sein. 2. Kein Haupt hat noch ein Haupt über sich. Nun ist aber Gott das Haupt des Menschen Christus, nach dem Worte: „Das Haupt Christi ist Gott" (1 Kor 11, 3). Also ist Christus selbst nicht Haupt. 3. Das Haupt ist ein einzelner Teil des menschlichen Körpers, der unter dem Einfluß des Herzens steht. Christus dagegen ist das umfassende Lebensprinzip der ganzen Kirche; folglich ist Er nicht ihr Haupt. ANDERSEITS lesen wir beim hl. Paulus: „Er hat Ihn zum Haupt über die ganze Kirche gemacht" (Eph 1, 22). A N T W O R T : Wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem natürlichen Leib des Menschen nennt man die gesamte Kirche einen mystischen Leib. Denn in diesem wie in jenem haben die verschiedenen Glieder verschiedene Aufgaben (Rom 12, 4. 5; und 1 Kor 12, 12 ff). Ebenso heißt auch Christus Haupt der Kirche wegen der Ähnlichkeit mit dem menschlichen Haupt. Hierbei sind drei Dinge zu beachten: die Stellung des Hauptes, seine Vollkommenheit und seine Kraft. 1. Seine Stellung: Das Haupt ist der erste und oberste Teil des menschlichen Leibes, und Q U A E S T 10

8, 1

spiritualis, q u i est p e r g r a t i a m , non influitur nobis a Christo h o m i n e : q u i a , sicut dicit A u g u s t i n u s , i n 15 d e T r i n . [cap. 2 6 ] , nec etiam Christus, s e c u n d u m q u o d est h o m o , dat S p i r i t u m Sanctum, sed s o l u m i n q u a n t u m est D e u s . E r g o ei, s e c u n d u m q u o d est h o m o , non competit esse caput Ecclesiae. 2. P R A E T E R E A , capitis non v i d e t u r esse a l i u d caput. Sed Christi, s e c u n d u m q u o d est homo, caput est D e u s : s e c u n d u m i l l u d 1 Cor. 11: „ C a p u t Christi D e u s . " E r g o i p s e Christus n o n est caput. 3. P R A E T E R E A , caput in h o m i n e est q u o d d a m p a r t i c u l a r » m e m b r u m i n f l u e n t i a m r e c i p i e n s a corde. S e d Christus est univ e r s a l e p r i n c i p i u m totius Ecclesiae. E r g o n o n est E c c l e s i a e caput. S E D C O N T R A est q u o d dicitur E p h e s . 1: „ I p s u m dedit caput super omnem Ecclesiam." R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d , sicut tota Ecclesia dicitur u n u m c o r p u s mysticum p e r s i m i l i t u d i n e m a d n a t u r a l e c o r p u s hominis, s e c u n d u m q u o d d i v e r s a m e m b r a 1 h a b e n t diversos actus, ut A p o s t o l u s docet, R o m . 12 et 1 Cor. 12; ita Christus dicitur caput Ecclesiae s e c u n d u m s i m i l i t u d i n e m h u m a n i capitis. I n q u o tria p o s s u m u s c o n s i d e r a r e : scilicet o r d i n e m , p e r f e c t i o n e m et virtutem. O r d i n e m , q u i a caput est p r i m a p a r s hominis, incipiendo1 L : quod

214

secundum

diversa

membra.

deshalb pflegt man auch manchmal das Erste und Oberste 8. 1 Haupt [oder Kopf] zu nennen. „Am Kopf jeder Straße hast du dir eine Stätte der Schande erbaut" (Ez 16, 24. 25) [107]. — 2. Seine Vollkommenheit: Das Haupt ist der Sitz der inneren und äußeren Sinne, die übrigen Glieder aber sind nur Sitz des Tastsinnes. Daher schreibt Isaias (9, 15): „Der Alte und der Angesehene, dieser ist das Haupt." — 3. Seine Kraft: Vom Haupte gehen Kraft und Bewegung der einzelnen Glieder aus; es ist auch Lenker ihrer Tätigkeit, wegen der alles belebenden und bewegenden Kraft, die ihm innewohnt. Daher nennt man auch den Lenker eines Volkes Haupt: „Als du klein warst in deinen Augen, wurdest du zum Haupt über die Stämme Israels gesetzt" (1 Kg 13, 17). All dies kommt Christus im geistigen Sinne zu. Zunächst nämlich ist kraft Seiner Gottverbundenheit Seine Gnade die höchste und erste, wenn auch nicht zeitlich die erste; denn alle anderen Menschen empfingen die Gnade im Hinblick auf Seine Gnade: „Die Er vorhererkannt, hat Er auch vorherbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu werden, daß Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern" (Rom 8, 29). — Was ferner die Vollkommenheit betrifft, so hatte Christus alle Gnaden zu eigen. Jo 1, 14: „Wir haben Ihn gesehen, voll der Gnade und Wahrheit" (vgl. Fr. 7, Art. 9). — Endlich ist IJ U A E S T I O 8 l

a superiori. Et inde est quod omne principium consuevit vocari eaput: secundum illud Ezech. 1 6 1 : „Ad omne caput viae posuisti lupanar tibi." 2 — Perfectionem autem, quia in capite vigent omnes sensus et interiores et exteriores: cum in ceteris membris sit solus tactus. Et inde est quod dicitur Isai. 9: „Senex et honorabilis ipse est caput." — Virtutem vero, quia virtus et motus ceterorum membrorum, et gubernatio eorum in suis actibus, est a capite, propter vim et sensitivam et motivam ibi dominantem. Unde et rector dicitur caput populi: secundum illud 1 Reg. 15: „Cum esses parvulus in oculis tuis, caput in tribubus Israel factus es." Haec autem tria competunt Christo spiritualiter. Primo enim, secundum propinquitatem ad Deum gratia ejus altior et prioi est, etsi non tempore: quia omnes alii acceperunt gratiam per respectum ad gratiam ipsius, secundum illud Rom. 8: „Quos praescivit, hos et praedestinavit conformes fleri imaginis Filii sui, ut sit ipse primogenitus in multis fratribus." — Secundo vero, perfectionem habet quantum ad plenitudinem omnium gratiarum, secundum illud Joan. 1: „Vidimus eum plenum gratiae et veritatis", ut supra ostensum est. — Tertio, virtutem 1 L: Jerem. II. 2 P: aedificasti Signum prostitutionis tuae.

215

8, l Er auch die Kraftquelle, aus der sich alle Gnade in die Glieder der Kirche ergießt: „Von Seiner Fülle haben wir alle empfangen" (Jo 1, 16). — Daraus ersehen wir, daß wir Christus mit Recht das Haupt der Kirche nennen. Z u 1. Aus eigener Macht kann Christus nur als Gott die Gnade und den Hl. Geist verleihen. Als Werkzeug kommt dies auch dem Menschen Christus zu [108]; denn Seine Menschheit war ein Werkzeug Seiner Gottheit, und so waren auch Seine menschlichen Handlungen aus der Kraft Seiner Gottheit für uns heilbringend, denn sie erzeugten durch ihre Verdienstlichkeit wie auch durch einen gewissen wirksamen Einfluß die Gnade in uns. Augustinus leugnet nur, daß Christus als Mensch aus eigener Kraft den HI. Geist verleihen konnte. Als Werkzeuge oder als Diener vermochten sogar die Heiligen den Hl. Geist zu verleihen. So schreibt Paulus Gal 3, 5 [von sich selbst ] : „ . . . der euch den Hl. Geist verlieh." Zu 2. Bei Gleichnissen braucht der Vergleich nicht in allem zu stimmen, sonst hätten wir keinen Vergleich, sondern volle Übereinstimmung. Nun hat ein menschliches Haupt kein anderes Haupt über sich, weil der menschliche Körper nicht Teil eines anderen Körpers ist. Dagegen kann eine geordnete Vielheit, die man nur gleichnisweise Leib nennt, sehr wohl selbst Teil einer Q U A E S T I O

8, l

habuit influendi gratiam in omnia membra Ecclesiae: secundum illud Joan. 1: „ D e plenitudine ejus omnes accepimus." — Et sic patet quod convenienter dicitur Christus caput Ecclesiae. A D P R I M U M ergo dicendum quod dare gratiam aut Spiritual Sanctum convenit Christo secundum quod Deus, auctoritative: sed instrumentaliter ei convenit secundum quod est homo, inquantum scilicet ejus humanitas fuit instrumentum deitatis ejus. Et ita actiones ipsius ex virtute deitatis fuerunt nobis salutiferae, utpote gratiam in nobis causantes, et per meritum et per efflcaciam 1 quamdam. Augustinus autem negat Christum, secundum quod est homo, dare Spiritum Sanctum per auctoritatem. Instrumentaliter autem, sive ministerialiter, etiam alii sancti dicuntur dare Spiritum Sanctum: secundum illud Gal. 3: „Qui tribuit vobis Spiritum Sanctum", etc. A D S E C U N D U M dicendum quod in metaphoricis locutionibus non oportet attendi similitudinem quantum ad omnia: sic enim non esset similitudo, sed rei Veritas. Capitis igitur naturalis non est aliud caput, quia corpus humanuni non est pars alterius corporis. Sed corpus similitudinarie dictum, idest aliqua multitudo ordinata, est pars alterius multitudinis: sicut 1 P et L : efflcientiam.

216

anderen Vielheit sein. So ist die Familie ein Teil der Ge- 8, 2 meinde. Deshalb steht über dem Vater, dem Haupte der Familie, ein anderes Haupt, das Oberhaupt der Gemeinde. Somit ist es kein Widerspruch, daß Gott das Haupt Christi ist, während Christus selbst das Haupt der Kirche ist. Z u 3. Das Haupt überragt sichtbar alle anderen Teile des menschlichen Körpers; dagegen übt das Herz nur einen verborgenen Einfluß aus. Deshalb vergleicht man den Hl. Geist mit dem Herzen; denn Er belebt und eint die Kirche in unsichtbarer Weise [109]. Christus aber vergleicht man mit dem Haupt, da Er in Seiner sichtbaren Natur alle anderen Menschen überragt. 2. A R T I K E L das Haupt der Menschen, auch in bezug auf ihren Leib? 1. Christus wird das Haupt der Kirche genannt, weil Er Gnadenleben und Gnadenwirken in die Kirche einströmt. Eines solchen geistigen Lebens und Wirkens ist aber der Leib nicht fähig. Also ist Christus nicht das Haupt der Menschen in bezug auf ihren Leib. 2. Den Körper haben wir mit den Tieren gemeinsam. Wäre also Christus das Haupt der Menschen in bezug auf

Ist Christus

QUAESTIO

8, 2

multitudo domestica est pars multitudinis civilis. Et ideo paterfamilias, qui est caput multitudinis domesticae, habet super se caput rectorem civitatis. Et per hunc modum nihil prohibet caput Christi esse Deum, cum tarnen ipse sit caput Ecclesiae. AD TERTIUM dicendum quod caput habet manifestam eminentiam respectu exteriorum membrorum: sed cor habet quamdam influentiam occultam. Et ideo cordi comparatur Spiritus Sanctus, qui invisibiliter Ecclesiam vivificat et unit: capiti autem comparatur Christus, secundum visibilem naturam, qua homo hominibus praefertur. Utrum

Christus

A R T I C U L U S II sit c a p u t h o m i n u m ad c o r p o r a

[3 S e n t . .

quantum

d i s t . 13, q. 2, art. 2, qa 3]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod Christus non sit caput hominum quantum ad corpora. Christus enim dicitui caput Ecclesiae inquantum influit spiritualem sensum et motum gratiae in Ecclesiam. Sed hu jus spiritualis sensus et motus capax non est corpus. Ergo non est caput hominum secundum corpora. 2. PRAETEREA, secundum corpora communicamus cum brutis. Si ergo Christus esset caput hominum quantum ad

217

8, 2 ihren Leib, dann wäre Er auch das Haupt der Tiere. Das ist aber unwürdig. 3. Christus empfing Seinen Leib nur von anderen Menschen, wie dies aus Matthäus 1 und Lukas 3, 23 ff hervorgeht. Das Haupt ist aber das erste unter den Gliedern (Art. 1). Folglich ist Christus nicht das Haupt der Menschen in bezug auf ihren Leib. ANDERSEITS schreibt Paulus an die Philipper: „Er wird den Leib unserer Niedrigkeit umgestalten, daß er gleichgestaltet sei dem Leibe Seiner Herrlichkeit" (3, 21). A N T W O R T : Der menschliche Körper steht in natürlicher Zuordnung zur Geist-Seele, die sein ihm eigentümliches [schöpferisches] Gestaltgesetz und sein Beweger ist; denn von ihr als seiner Form empfängt er das Leben und all die übrigen Eigenschaften, die ihm artgemäß zukommen. Sofern aber die Seele ihn bewegt, dient er ihr als Werkzeug. So hat auch die Menschheit Christi wegen ihres Verbundenseins mit dem WORTE Gottes, dem durch die Seele auch der Leib geeint ist (6, 1), die Macht, auf andere einzuwirken. Und zwar übt die ganze Menschheit Christi mit Leib und Seele diesen Einfluß auf Leib und Seele der übrigen Menschen aus. Vor allem auf die Seele, dann aber auch auf den Leib. Einmal, sofern die Seele, die durch Christus lebt, „die QUAESTIO

8, 2

corpora, sequeretur etiam q u o d esset caput brutorum animalium. Quod est inconveniens. 3. P R A E T E R E A , Christus corpus suum ab aliis hominibus t r a x i t : ut patet Matth. 1 et Luc. 3. S e d est caput p r i m u m inter cetera m e m b r a , ut dictum est. E r g o Christus non est caput Ecclesiae quantum ad corpora. S E D C O N T R A est q u o d dicitur P h i l i p p . 3: „ R e f o r m a b i t corpus humilitatis nostrae, conflguratum c o r p o r i claritatis suae." R E S P O N D E O dicendum quod corpus humanuni habet natur a l e m o r d i n e m ad a n i m a m rationalem, q u a e est p r o p r i a f o r m a e j u s et motor. Et inquantum q u i d e m est f o r m a ejus, recipit ab anima v i t a m et ceteras p r o p r i e t a t e s convenientes humano c o r p o r i secundum suam speciem. Inquantum v e r o anima est motor corporis, corpus instrumentaliter servit animae. Sic e r g o dicendum quod habet v i m i n f l u e n d i Christi humanitas inquantum est conjuncta D e i V e r b o , cui corpus unitur per animam, ut supra dictum est. U n d e tota Christi humanitas, secundum scilicet a n i m a m et corpus, iniluit in homines et quantum ad a n i m a m et quantum ad corpus: sed principaliter quantum ad a n i m a m ; secundario quantum ad corpus. U n o modo, inquantum „ m e m b r a corporis e x h i b e n t u r arma justitiae"

218

Glieder ihres Leibes als Werkzeuge der Gerechtigkeit 8, 3 Gott zu Gebote stellt" (Rom 6, 13). Dann auch, weil das Leben der Verklärten aus der Seele auf den Leib überströmt. „Der Christus von den Toten auferweckt hat, wird auch euren sterblichen Leib zum Leben erwecken durch Seinen Geist, der in euch wohnt" (Rom 8, 11). Z u 1. Das geistige Leben der Gnade erfaßt den Leib nicht ursprünglich und hauptsächlich, sondern nur mittelbar, sofern er Werkzeug [der Seele] ist (vgl. die Antw.). Zu 2. Der Tierkörper steht nicht wie der menschliche Leib im Verhältnis zur Geist-Seele. Deshalb trifft der Vergleich nicht zu. Z u 3. Mag Christus auch das Stoffliche Seines Leibes von den Menschen empfangen haben, das unsterbliche Leben des Leibes empfangen alle Menschen von Ihm. „Wie nämlich alle durch Adam dem Tode verfielen, so sollen durch Christus alle wiederbelebt werden" (1 Kor 15, 22). 3. A R T I K E L Ist Christus

das Haupt

aller

Menschen?

1. Das Haupt steht bloß zu den Gliedern des eigenen Leibes in Beziehung. Nun sind die Ungläubigen in keiner QUAESTIO

8, 3

in anima existenti per Christum: ut Apostolus dicit, Rom. 6. Alio modo, inquantum vita gloriae ab anima derivatur ad corpora: secundum illud Rom. 8: „Qui suscitavit Jesum a mortuis, vivificabit et mortalia corpora vestra, propter inhabitantem Spiritum ejus in vobis." AD PRIMUM ergo dicendum quod sensus spiritualis gratiae non pervenit quidem ad corpus primo et principaliter: sed secundario et instrumentaliter, ut dictum est. AD SECUNDUM dicendum quod corpus animalis bruti nullam habitudinem habet ad animam rationalem, sicut habet corpus humanuni. Et ideo non est simile. AD TERTIUM dicendum quod, licet Christus traxerit materiam corporis ab aliis hominibus, vitam tarnen immortalem corporis omnes homines trahunt ab ipso: secundum illud 1 Cor. 15: „Sicut in Adam omnes moriuntur, ita in Christo omnes viviflcabuntur." Utrum

A R T I C U L U S III Christus sit caput o m n i u m

hominum

[3 Sent., dlst. 13, q. 2, art. 2, qa 2]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod Christus non sit caput omnium hominum. Caput enim non habet relationem

219

8, 3 Weise Glieder der Kirche, „die der Leib Christi ist" (Eph 1, 23). Also ist Christus nicht das Haupt aller Menschen. 2. Bei Paulus lesen wir: „Christus hat sich für die Kirche hingegeben, damit E r sich eine herrliche Kirche gestalte, die weder Flecken, noch Runzeln, noch etwas dergleichen habe" (Eph 5, 25. 27). Nun gibt es aber viele, auch Gläubige, an denen man die Makeln und Runzeln der Sünde findet. Also ist Christus nicht das Haupt aller Gläubigen. 3. Die Sakramente des Alten Bundes verhalten sich zu Christus wie der Schatten zum Körper (Kol 2, 17). Diesen Sakramenten nun dienten die Väter des Alten Bundes zu ihrer Zeit: „Sie dienen einem Abbild und Schatten des himmlischen Heiligtums" (Hebr 8, 5). Die Väter des Alten Bundes gehörten also nicht dem Leibe Christi an, und somit ist Christus nicht das Haupt aller Menschen. ANDERSEITS lesen wir im Brief an Timotheus: „Er ist der Retter aller Menschen, vor allem der Gläubigen" (1 Tim 4, 1 0 ) ; und 1 Jo 2, 2 : „Er ist das Sühnopfer für unsere Sünden, nicht nur für die unseren, auch für die der ganzen Welt." Die Menschen zu retten oder für ihre Sünden zu sühnen kommt aber Christus als dem Haupte zu. Also ist E r das Haupt aller Menschen. ANTWORT: Zwischen dem natürlichen Leib des MenQUAESTIO

8, 3

nisi ad membra sui corporis. Infideles autem nullo modo sunt membra Ecclesiae, quae est corpus Christi, ut dicitur Ephes. 1. Ergo Christus non est caput omnium hominum. 2. P R A E T E R E A , Apostolus dicit, Ephes. 5, quod „Christus tradidit semetipsum pro Ecclesia, ut ipse sibi exhiberet Ecclesiam gloriosam, non habentem maculam aut rugam aut aliquid hujusmodi". Sed multi sunt, etiam fldeles, in quibus invenitur' macula aut ruga peccati. Ergo nec erit omnium fidelium Christus caput. 3. P R A E T E R E A , sacramenta veteris Legis comparantur ad Christum sicut umbra ad corpus, ut dicitur Col. 2. Sed Patres veteris Testamenti sacramentis illis suo tempore serviebant: secundum illud Hebr. 8 : „Exemplari et umbrae deserviunt caelestium." Non ergo pertinebant ad corpus Christi. Et ita Christus non est caput omnium hominum. SED CONTRA est quod dicitur 1 Tim. 4 : „Salvator omnium est, et maxime fidelium." Et 1 Joan. 2 : „Ipse propitiatio pro peccatis nostris: non autem pro nostris tantum, sed etiam pro totius mundi." Salvare autem homines, aut propitiatorem esse pro peccatis eorum, competit Christo secundum quod est caput. Ergo Christus est caput omnium hominum. RESPONDEO dicendum quod haec est difierentia inter cor-

220

sehen und dem mystischen Leib der Kirche besteht dieser 8, 3 Unterschied: Dem natürlichen Leibe gehören alle Glieder gleichzeitig an, dem mystischen aber nicht. Und dies gilt von der Kirche als natürlicher und übernatürlicher Wirklichkeit. Als natürliche Wirklichkeit wird sie von den Menschen aller Zeiten gebildet, die vom Anfang bis zum Ende der Welt über diese Erde gehen. Als übernatürliches Sein geschaut, finden sich in ihr zu jeder Zeit solche, die noch nicht zum Leben der Gnade erweckt, später aber von ihr belebt werden, während andere es schon besitzen. Somit kann man als Glieder des mystischen Leibes nicht nur die ansehen, die ihm tattächlich angehören, sondern auch die, die nur der Möglichkeit nach seine Glieder sind. Von diesen werden manche niemals dem Leibe wahrhaft eingegliedert, andere aber werden zu ihrer Zeit in dreifachem Aufstieg: durch Glauben, durch Liebe hier auf Erden und durch die Wonne der Heimat, zu seinen lebendigen Gliedern. Christus ist also ohne jede Einschränkung und für alle Zeiten das Haupt aller Menschen, aber in verschiedenem Grade. Ursprünglich und hauptsächlich ist Er das Haupt derer, die Ihm durch die selige Gottesschau gegenwärtig vereinigt sind; zweitens derer, die Ihm in der Liebe gegenwärtig verbunden sind; drittens derer, die Ihm durch den Glauben gegenwärtig sind; viertens derer, die Ihm in der Möglichkeit verbunden sind, einer MöglichQ U A E S T I 0

8, 8

pus hominis naturale et corpus Ecclesiae mysticum, quod membra corporis naturalis sunt omnia simul, membra autem corporis mystici non sunt omnia simul: neque quantum ad esse naturae, quia corpus Ecclesiae constituitur ex hominibus qui fuerunt a principio mundi usque ad finem ipsius; neque etiam quantum ad esse gratiae, quia eorum etiam qui sunt in uno tempore, quidam gratia carent postmodum habituri, aliis eam jam habentibus. Sic igitur membra corporis mystici non solum accipiuntur secundum quod sunt in actu, sed etiam secundum quod sunt in potentia. Quaedam tamen sunt in potentia quae nunquam reducuntur ad actum: quaedam vero quae quandoque reducuntur ad actum, et secundum hunc triplicem gradum, quorum unus per fidem, secundus per caritatem viae, tertius per fruitionem patriae. Sic ergo dicendum est quod, accipiendo generaliter secundum totum tempus mundi, Christus est caput omnium hominum: sed secundum diversos gradus. Primo enim et principaliter est caput eorum qui actu uniuntur sibi per gloriam. Secundo, eorum qui actu uniuntur sibi per caritatem. Tertio, eorum qui actu uniuntur sibi per fidem. Quarto vero, eorum qui actu uniuntur sibi solum potentia nondum ad actum re-

221

8, 3 keit, die noch nicht Gegenwart ist, jedoch werden soll, der göttlichen Vorherbestimmung entsprechend; fünftens ist Er auch das Haupt derer, die in einer Möglichkeit Ihm vereinigt sind, die niemals Gegenwart wird. Es sind dies alle jene, die über diese Erde gehen, doch nicht für den Himmel vorherbestimmt sind. Sowie sie jedoch aus dieser Welt abscheiden, hören sie auf, Glieder Christi zu sein, denn dann verlieren sie jede Möglichkeit, noch mit Christus eins zu werden. Z u 1. Die Ungläubigen gehören zwar in der Gegenwart nicht zur Kirche, können ihr aber einmal angehören. Zwei Gründe machen dies möglich: ursprünglich und hauptsächlich die Kraft Christi, die hinreicht, das gesamte Menschengeschlecht zu erlösen; sodann die freie Selbstbestimmung. Z u 2. Die herrliche Kirche, die keine Makel und Runzel hat, ist das letzte Ziel, das wir durch das Leiden Christi erreichen sollen. Dieses Ziel liegt aber erst im Leben der Heimat, nicht im Leben der Pilgerschaft, von dem Johannes schreibt: „Wir betrügen uns selbst, wenn wir sagten, wir wären ohne Sünde" (1 Jo 1, 8). Vom Aussatz der Todsünde freilich sind die Glieder, welche mit Christus in lebendiger Liebe verbunden sind, frei. Die anderen aber, die Todsünder, sind nicht in der Gegenwart, sondern nur in der Möglichkeit Glieder Christi, man könnte sie vielleicht unvollendete Glieder Christi nennen; denn sie sind nur durch den toten GlauQUAESTIO

8, 3

ducta, quae tarnen est ad actum reducenda, secundum divinam praedestinationem. Quinto, eorum qui in potentia sibi sunl uniti quae nunquam reducetur ad actum: sicut homines in hoc mundo viventes qui non sunt praedestinati. Qui tarnen, ex hoc mundo recedentes, totaliter desinunt esse membra Christi: quia jam nec sunt in potentia ut Christo uniantur. AD PRIMUM ergo dicendum quod illi qui sunt infideles, etsi actu non sint de Ecclesia, sunt tarnen in potentia. Quae quidem potentia in duobus fundatur: primo quidem et principaliter, in virtute Christi, quae sufficiens est ad salutem totius humani generis; secundario, in arbitrii übertäte. AD SECUNDUM dicendum quod esse Ecclesiam „gloriosam, non habentem maculam neque rugam", est ultimus flnis, ad quem perducimur per passionem Christi. Unde hoc erit in statu patriae: non autem in statu viae, in quo, „si dixerimus quia peccatum non habemus, nosmetipsos seducimus", ut dicitur 1 Joan. 1. Sunt tarnen quaedam, scilicet mortalia, quibus carent illi qui sunt membra Christi per actualem unionem caritatis. Qui vero his subduntur peccatis, non sunt membra Christi actualiter, sed potentialiter: nisi forte imperfecte, per

222

ben mit Christus geeint. Dieser Glaube verbindet sie nur 8, 4 in etwa, nicht schlechthin mit Christus und läßt sie daher nicht am Leben Christi teilnehmen: „Der Glaube ohne Werke ist tot" [Jak 2, 20]. Aber selbst diese Menschen empfangen von Christus noch ein Fünklein Leben, den Glauben, so wie ein abgestorbenes Glied immer noch irgendwie vom Menschen bewegt werden kann. Z u 3. Die hl. Patriarchen hielten nicht an den gesetzlichen Sakramenten des Alten Bundes fest, als wären sie Wirklichkeiten, sie sahen in ihnen nur Bilder und Schatten der zukünftigen Dinge. Nun löst ein Bild als solches die gleiche Bewegung im Beschauer aus wie die dargestellte Sache selbst (Aristoteles). Während also die hl. Patriarchen den gesetzlichen Kult feierten, erhoben sie sich mit demselben Glauben und derselben Liebe zu Christus wie wir. Und so gehörten sie zum selben Leib der Kirche, dem auch wir angehören. Ist Christus

4. A R T I K E L als Mensch das Haupt

der

Engel?

1. Haupt und Glieder gehören derselben Natur an. Nun war Christus nicht einer Natur mit den Engeln, sondern nur mit den Menschen: „Nicht die Engel nahm Er an, Q U A E S T I O

8, 4

fldem informem, quae unit Christo secundum quid et non simpliciter, ut scilicet per Christum homo assequatur vitam gratiae; fides enim sine operibus mortua est, ut dicitur Jac. 2. Percipiunt tarnen tales a Christo quemdam actum vitae, qui est credere: sicut si membrum mortiflcatum moveatur aliqualiter ab homine. AD TERTIUM dicendum quod sancti Patres non insistebant sacramentis legalibus tanquam quibusdam rebus, sed sicut imaginibus et umbris futurorum. Idem autem est motus in imaginem, inquantum est imago, et in rem; ut patet per Philosophum, in libro de Memoria et Reminiscentia [cap. 1; S. Th., lect. 3]. 452b 12 Et ideo antiqui Patres, servando legalia sacramenta, ferebantur in Christum per fldem et dilectionem e a m d e m qua et nos in ipsum ferimur. Et ita Patres antiqui pertinebant ad idem corpus Ecclesiae ad quod nos pertinemus. Utrum

A R T I C U L U S IV Christus, s e c u n d u m quod homo, caput angelorum

sit

[3 Sent., dist. 13, q. 2, art. 2, qa 1. 4, dist. 9, art. 2, qa 5; diat. 49, q. 4, art. 4 ad 5; de Ver., q. 29, art. 4; Comp. Theol., cap. 214; 1 ad Cor., cap. 11, lect. 1; ad Ephes., cap. 1, lect. 8]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod Christus, secundum quod homo, non sit caput angelorum. Caput e n i m et membra sunt unius naturae. Sed Christus, secundum quod

223

8, 4 sondern A b r a h a m s S a m e n " ( H e b r 2, 16). A l s o w a r Christus, sofern E r Mensch w a r , nicht H a u p t der Engel. 2. Christus ist das H a u p t derer, die Seinem Leib, der Kirche, angehören ( E p h 1, 23). D i e E n g e l jedoch gehören der Kirche nicht an, w e i l die Kirche eine Gemeinschaft von G l ä u b i g e n ist, die E n g e l a b e r nicht den G l a u b e n haben, denn sie w a n d e l n nicht im G l a u b e n , sondern im Schauen, sonst w ä r e n sie „in der F r e m d e , f e r n vom H e r r n " (2 K o r 5, 6. 7). A l s o ist Christus als Mensch nicht Haupt der Engel. 3. Augustinus schreibt in seiner E r k l ä r u n g zum Johannes-Evangelium : w i e „das W O R T , d a s seit A n b e g i n n beim Vater w a r " , die Seelen lebendig macht, so macht „das W O R T , das Fleisch g e w o r d e n " , die L e i b e r lebendig. D i e Engel a b e r h a b e n keinen Leib. D a s fleischgewordene W O R T ist Christus als Mensch. A l s o strömt d e n E n g e l n das L e b e n nicht von Christus, dem Menschen, zu, und so ist E r als Mensch nicht das Haupt der Engel. A N D E R S E I T S heißt es ( K o l 2, 1 0 ) : „ . . . E r ist das Haupt aller Fürstentümer u n d G e w a l t e n . " D a s s e l b e gilt von allen anderen Engelchören. A l s o ist E r das Haupt der Engel. A N T W O R T : W o nur ein L e i b ist, ist auch nur ein Haupt ( A r t . 1 Z u 2). N u r gleichnisweise nennen w i r Q U A E S T I O 8, 4 homo, non est conformis in natura cum angelis, sed solum cum hominibus: quia, ut dicitur Hebr. 2: „Nusquam angelos apprehendit, sed semen Abrahae apprehendit." Ergo Christus, secundum quod homo, non est caput angelorum. 2. P R A E T E R E A , illorum Christus est caput qui pertinent ad Ecclesiam, quae est corpus 1 , ut dicitur Ephes. 1. Sed angeli non pertinent ad Ecclesiam: nam Ecclesia est congregatio fidelium; fides autem non est in angelis; non enim „ambulant per fidem, sed per speciem, alioquin peregrinarentur a Domino", secundum quod Apostolus argumentatur, 2 Cor. 5. Ergo Christus, secundum quod homo, non est caput angelorum. MPL 3. P R A E T E R E A , Augustinus dicit, super Joan, [tractat. 35 1552 ig, 23], quod sicut „Verbum quod erat a principio apud 1591 Patrem" vivificat animas, ita „Verbum caro factum" vivificat corpora: quibus angeli carent. Sed Verbum caro factum est Christus secundum quod homo. Ergo Christus, secundum quod homo, non infiuit vitam angelis. Et ita, secundum quod homo, non est caput angelorum. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, Col. 2: „Qui est caput omnis principatus et potestatis." Et eadem ratio est de angelis aliorum ordinum. Ergo Christus est caput angelorum. RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, ubi est unum corpus, necesse est ponere unum caput. Unum autem corpus 1

224

L addit: eius.

auch eine Vielheit, deren verschiedene Tätigkeiten und 8, 4 Aufgaben auf e i n Ziel eingestellt sind, einen Leib. Nun sind aber offenbar Menschen wie Engel auf ein Ziel hingeordnet, auf die Herrlichkeit der Wonne in Gott. Daher gehören zum mystischen Leib der Kirche nicht nur die Menschen, sondern auch die Engel. Das Haupt dieser großen Schar aber ist Christus, weil Er Gott näher ist und an Seinen Gaben vollkommener teilhat als die Menschen und selbst die Engel; denn beide empfangen von Seiner Fülle: „GottVater hat Ihn (Christus) im Himmel zu Seiner Rechten gesetzt über alle Fürstentümer, Mächte, Gewalten, Herrschaften und jegliches Wesen dieser und der kommenden Welt" (Eph 1, 20 ff). Und Psalm 8, 8 : „Alles hat Er Ihm zu Füßen gelegt." Aus diesem Grunde ist Christus das Haupt beider, der Menschen und der Engel. Daher lesen wir bei Matthäus: „Engel traten herzu und dienten Ihm" (4, 11). Z u 1. Der Strom, der sich von Christus auf alle Menschen ergießt, erreicht in erster Linie die Seelen. Durch die Seele kommen aber die Menschen mit den Engeln, zwar nicht der Art, wohl aber der Gattung nach in der Natur überein. Und auf Grund dieser Verwandtschaft kann Christus Haupt der Engel genannt werden, wenn sich auch diese Verwandtschaft [zwischen Menschen und Engeln] nicht auf den Leib erstreckt. QUAESTIO

8, 4

similitudinarie dicitur una multitudo ordinata in unum secundum distinctos actus sive officia. Manifestum est autem quod ad unum finem, qui est gloria divinae fruitionis, ordinantur et homines et angeli. Unde corpus Ecclesiae mysticum non solum consistit ex hominibus, sed etiam e x angelis. Totius autem hu jus multitudinis Christus est caput: quia propinquius se habet ad Deum, et perfectius participat dona ipsius, non solum quam homines, sed etiam quam angeli: de ejus influentia non solum homines recipiunt, sed etiam angeli. Dicitur enim Ephes. 1, quod „constituit eum", scilicet Christum, „Deus Pater ad dexteram suam in caelestibus, supra omnem principatum et potestatem et virtutem et dominationem, et omne nomen quod nominatur non solum in hoc saeculo, sed etiam in futuro", et illud Psalmi: „omnia subjecit sub pedibus ejus". Et ideo Christus non solum est caput hominum, sed etiam angelorum. Unde Matth. 4 legitur quod „accesserunt angeli et ministrabant ei". AD PRIMUM ergo dicendum quod influentia Christi super omnes homines principaliter quidem est quantum ad animas: secundum quas homines conveniunt cum angelis in natura generis, licet non in natura speciei. Et hujus conformitatis ratione Christus potest dici caput angelorum, licet deficiat conformitas quantum ad corpora.

225

8, 5

Zu 2. Die K i r c h e auf E r d e n ist die G e m e i n s c h a f t der Gläubigen, die im H i m m e l d a g e g e n die Gemeinschaft der Schauenden. Nun w a r Christus P i l g e r und S c h a u e r zugleich. E r ist d a h e r das H a u p t nicht n u r d e r Gläubigen, auch der S c h a u e n d e n ; denn in I h m r u h t die F ü l l e der Gnade u n d Herrlichkeit. Z u B. A u g u s t i n spielt a n dieser Stelle auf die Ä h n lichkeit an, d i e zwischen U r s a c h e u n d W i r k u n g b e s t e h t : K ö r p e r l i c h e s w i r k t auf K ö r p e r l i c h e s , Geistiges auf Geistiges. Doch v e r m a g d e r Mensch Christus k r a f t S e i n e r göttlichen Natur, die eine geistige ist, nicht n u r in d e n GeistS e e l e n d e r Menschen als U r s a c h e zu w i r k e n , s o n d e r n a u c h in den r e i n e n Geistern, den E n g e l n , auf G r u n d S e i n e r innigsten V e r b i n d u n g mit Gott, d. h. auf G r u n d d e r E i n heit in d e r P e r s o n . 5.

A R T I K E L

Ist die Gnade, die Christus als Haupt, und die heiligmachende Gnade, die Ihm als Einzelmenschen eignet, ein und dasselbe? 1. D e r A p o s t e l s c h r e i b t : „ W e n n durch den Sündenfall des einen die vielen d e m T o d e verfielen, so ist die GnaQUAESTIO

8, 5

AD SECUNDUM dicendum quod Ecclesia secundum statum viae est congregatio fidelium: sed secundum statum patriae est congregatio comprehendentium. Christus autem non solum fuit viator, sed etiam comprehensor. Et ideo non solum fidelium, sed etiam comprehendentium est caput, utpote plenissime habens gratiam et gloriam. AD T E R T I U M dicendum quod Augustinus ibi loquitur secundum quamdam assimilationem causae ad effectual, prout scilicet res corporalis agit in corpora, et res spiritualis in res spirituales. Tarnen humanitas Christi, ex virtute spiritualis naturae, scilicet divinae, potest aliquid causare non solum in spiritibus hominum, sed etiam in spiritibus angelorum, propter maximam conjunctionem ejus ad Deum, scilicet se cundum unionem personalem. ARTICULUS V Utrum sit e a d e m g r a t i a qua C h r i s t u s est caput E c c l e s i a e, c u m g r a t i a s i n g u l a r i i l l i u s h o m i n i s [3 Sent., dist. 13, q. 3, art. 2, qa 1, 2;

de Ver., q. 29, art. 5]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod non sit eadem gratia qua Christus est caput Ecclesiae, cum gratia singulari illius hominis. Dicit enim Apostolus, Rom. 5 : „Si unius delicto multi

226

dengabe Gottes dank des einen Menschen Jesus Christus 8, B auf die vielen in noch reicherem Maße übergeströmt" (Rom 5, 15). Nun ist die persönliche Sünde Adams von der Erbsünde, die er den Nachfahren mitgab, wohl zu unterscheiden. Also ist auch die persönliche Gnade, die nur Christus eignet, zu unterscheiden von der Gnade, die Ihm als Haupt der Kirche zukommt und von Ihm auf andere überströmt. 2. Die verschiedenen Gehaben unterscheiden sich nach ihren Leistungen. Aber die persönliche Gnade in Christus und die Hauptesgnade zielen nicht auf die gleiche Auswirkung ab. Durch die erste wird Seine eigene Seele geheiligt, durch die andere die der übrigen Menschen. Also ist die persönliche Gnade Christi eine andere als die Gnade, die Ihm als Haupt der Kirche zukommt. 3. In Christus unterscheidet man eine dreifache Gnade: die Gnade der Vereinigung, die Gnade des Hauptes und die Gnade des Einzelmenschen Christus. Nun ist diese Gnade von der Gnade der Vereinigung verschieden. Folglich auch von der Gnade des Hauptes. ANDERSEITS steht bei Johannes (1, 16) geschrieben: „Von Seiner Fülle haben wir alle empfangen." Gerade darum ist Er aber unser Haupt, weil wir von Ihm empfangen. Demnach ist es die Fülle der Gnade, die Ihn zu unserem Haupte macht. Die Gnadenfülle besaß Er aber, weil Ihm die persönliche Gnade im höchsten Maße QUAESTIO

8, 5

mortui sunt, multo magis gratia Dei et donum in gratia unius hominis Jesu Christi in plures abundavit." Sed aliud est peccatum actuale ipsius Adae: et aliud peccatum originale, quod traduxit in posteros. Ergo alia est gratia personalis, quae est propria ipsius Christi: et alia est gratia ejus inquantum est caput Ecclesiae, quae ab ipso ad alios derivatur. 2. PRAETEREA, habitus distinguuntur secundum actus. Sed ad alium actum ordinatur in Christo gratia ejus personalis, scilicet ad sanctificationem illius animae: et ad alium actum ordinatur gratia capitis, scilicet ad sanctificandum alios. Ergo alia est gratia personalis ipsius Christi: et alia est gratia ejus inquantum est caput Ecclesiae. 3. PRAETEREA, sicut supra dictum est, in Christo distinguitur triplex gratia: scilicet gratia unionis, gratia capitis, et gratia singularis illius hominis. Sed gratia singularis Christi est alia a gratia unionis. Ergo est etiam alia a gratia capitis. SED CONTRA est quod dicitur Joan. 1: „De plenitudine ejus omnes accepimus." Secundum hoc autem est caput nostrum, quod ab eo accipimus. Ergo secundum hoc quod habet plenitudinem gratiae, est caput nostrum. Plenitudinem autem gratiae habuit secundum quod perfecte fuit in illo gratia per15*

227

8, 5 eignete (7, 9). Also ist Er wegen Seiner persönlichen Gnade unser Haupt, und somit ist die Gnade des Hauptes keine andere als Seine persönliche Gnade. ANTWORT: Ein jedes Ding ist wirkend, soweit es Wirklichkeit ist [110]. Die gleiche Wirklichkeit aber begründet ein Ding in seinem Sein wie in seinem Wirken. So bewirkt die gleiche Wärme, daß das Feuer warm ist und wärmt. Doch braucht nicht jede Wirklichkeit, die das Sein eines Dinges begründet, dadurch in ihm schon Grund einer Tätigkeit nach außen zu sein; denn „Das Tätige steht über dem Empfangenden" (Augustinus und Aristoteles). Deshalb muß der, der auch auf andere wirken soll, die Seinskraft in gewisser Überlegenheit besitzen. Nun haben wir bereits bewiesen (7, 9 u. 10), daß die Seele Christi die Gnade in unübertroffener Fülle empfangen hat. Daher mußte sich die in solcher Überfülle empfangene Gnade auch auf andere ergießen. Und das gerade gehört zum Begriff des Hauptes. Der Unterschied also, der zwischen der persönlichen Gnade Christi und der Gnade des Hauptes besteht, ist nur ein gedanklicher, nicht ein sachlicher; ihrem Wesen nach sind beide dasselbe. Z u 1. Die Erbsünde in Adam, als Sünde der Natur, ging aus einer Tatsünde hervor, die seine persönliche Sünde war. In ihr hat die Person die Natur verQ U A E S T I O 8, 5

mpl csel 281/402 430a 18

sonalis, ut supra dictum est. Ergo secundum gratiam personalem est caput nostrum. Et ita non est alia gratia capitis, et alia gratia personalis. RESPONDEO dicendum quod unumquodque agit inquantum est ens actu. Oportet autem quod sit idem actu quo aliquid est actu, et quo agit: et sic idem est calor quo ignis est calidus, et quo calefacit. Non tarnen omnis actus quo aliquid est actu, suffleit ad hoc quod sit prineipium agendi in alia: cum enim „agens sit praestantius patiente", ut Augustinus dicit, 12 super " ac* [ c a P - 16] > Philosophus, in 3 de Anima [cap. 5, n. 2 ; S. Th., lect. 10], oportet quod agens in alia habeat actum secundum eminentiam quamdam. Dictum est autem supra quod in anima Christi reeepta est gratia secundum maximam eminentiam. Et ideo ex eminentia gratiae quam aeeepit, competit sibi quod gratia ilia ad alios derivetur. Quod pertinet ad rationem capitis. Et ideo eadem est secundum essentiam gratia personalis qua anima Christi est justificata, et gratia ejus secundum quam est caput Ecclesiae justificans alios: difiert tarnen secundum rationem. AD PRIMUM ergo dicendum quod peccatum originale iD Adam, quod est peccatum naturae, derivatum est a peccato actuali ipsius, quod est peccatum personale, quia in eo persona

228

dorben. Infolge dieser Verderbtheit vererbte sich die 8, B Sünde des ersten Menschen auf seine Nachkommen, indem die schon verdorbene Natur die Person [den Naturträger] mitverdirbt. Dagegen gelangt die Gnade nicht auf dem Wege über die menschliche Natur zu uns, sondern nur durch ein persönliches Einwirken Christi [111 ]. Daher darf man in Christus nicht eine doppelte Gnade unterscheiden: eine Gnade, die Seiner Natur, und eine, die Seiner Person entspricht, wie man in Adam eine Sünde der Natur und eine der Person unterscheidet. Zu 2. Verschiedene Tätigkeiten, von denen die eine Grund und Ursache der anderen ist, bewirken noch keine Verschiedenheit des Gehabens [112]. Nun wirkt die persönliche Gnade Christi, die Seine eigene Seele heiligte, auch die Heiligung der anderen, was gerade mit dem Begriff der Gnade des Hauptes verbunden ist. Dieser Unterschied genügt also noch nicht, einen Unterschied im Gehaben zu begründen. Z u 3. Sowohl die persönliche Gnade wie die Hauptesgnade sind auf eine bestimmte Tätigkeit hingeordnet. Dagegen ist die Gnade der Vereinigung nicht auf das Tun, sondern auf das persönliche Sein hingeordnet. Aus diesem Grund kommen die persönliche Gnade und die Hauptesgnade, nicht aber die Gnade der Vereinigung, im Wesen ein und desselben Gehabens überein. In gewissem Sinne freilich kann man die persönliche Gnade der Gnade der Vereinigung gleichsetzen, sofern sie einen QUA.ESTIO

8, 5

corrupit naturam; qua corruptione mediante, peccatum primi hominis derivatur ad posteros, secundum quod natura corrupta corrumpit personam. Sed gratia non derivatur a Christo in nos mediante natura humana, sed per solam personalem actionem ipsius Christi. Unde non oportet in Christo distinguere duplicem gratiam, quarum una respondeat naturae, alia personae, sicut in Adam distinguitur peccatum naturae et personae. AD SECUNDUM dicendum quod diversi actus quorum unus est ratio et causa alterius, non diversificant habitum. Actus autem personalis gratiae, qui est sanctum facere formaliter habentem, est ratio justificationis aliorum, quae pertinet ad gratiam capitis. Et inde est quod per hujusmodi differentiam non diversiflcatur essentia habitus. AD TERTIUM dicendum quod gratia personalis et gratia capitis ordinantur ad aliquem actum: gratia autem unionis non ordinatur ad actum, sed ad esse personale. Et ideo gratia personalis et gratia capitis conveniunt in essentia habitus: non autem gratia unionis. — Quamvis gratia personalis possit quodammodo dici gratia unionis, prout facit congruitatem quamdam

229

8, 6 gewissen Einklang mit der Vereinigung vorbereitet. Danach würden sich die Gnade der Vereinigung, die Hauptesgnade und die persönliche Gnade nicht sachlich, sondern nur gedanklich unterscheiden.

Kommt

es Christus

6. A R T I K E L allein zu, das Haupt sein?

der Kirche

zu

1. Im ersten Buch der Könige (15, 17) lesen w i r : „Da du klein warst in deinen Augen, wurdest du zum Haupt über Israels Stämme gesetzt." Nun ist die Kirche dieselbe im Alten und im Neuen Bunde. Also konnte aus dem gleichen Grunde auch ein anderer Mensch außer Christus Haupt der Kirche sein. 2. Christus heißt das Haupt der Kirche, weil von Ihm die Gnade auf die Glieder überströmt. E s können jedoch auch andere Gnade verschenken: „Keine böse Rede gehe aus eurem Munde, sondern nur Gutes zur Erbauung im Glauben, daß sie den Hörern Gnade bringe" (Eph 4, 29). Also kann auch ein anderer das Haupt der Kirche sein. 3. Weil Christus die Kirche führt, wird E r nicht nur QUAESTIO

8, 6

ad unionem. Et secundum hoc, una per essentiam est gratia unionis et gratia capitis et gratia singularis personae, sed difterens sola ratione.

Utrum

esse

A R T I C U L U S VI caput E c c l e s i a e sit Christo

proprium

[De Ver., q. 29, art. 4 ad 2]

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod esse caput Ecclesiae non sit proprium Christo. Dicitur enim 1 Reg. 15: „Cum esses parvulus in oculis tuis, caput tribubus Israel factus es." Sed una est Ecclesia in novo et in veteri Testamento. Ergo videtur quod, eadem ratione, alius homo praetei Christum potest esse caput Ecclesiae. 2. PRAETEREA, ex hoc Christus dicitur caput Ecclesiae quod gratiam influit Ecclesiae membris. Sed etiam ad alios pertinet gratiam aliis praebere: secundum illud Ephes. 4: „Omnis sermo malus ex ore vestro non procedat: sed si quis bonus est ad aedificationem fidei, ut det gratiam audientibus." Ergo videtur quod etiam alii quam Christo competat esse caput Ecclesiae. 3. PRAETEREA, Christus, ex eo quod praeest Ecclesiae, noD

230

Haupt genannt, sondern auch Hirte und Grundpfeiler. 8, Nun hat aber Christus den Namen des Hirten sich nicht allein vorbehalten: „Wenn der Hirte der Hirten erscheint, werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit erlangen" (1 Petr 5, 4). Das gleiche gilt von dem Namen „Grundpfeiler": „Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundpfeiler" (Offb 21, 14). Also scheint Er sich auch den Namen des Hauptes nicht allein vorbehalten zu haben. ANDERSEITS steht im Kolosserbrief: „Vom Haupt aus wird der ganze Leib durch Gelenke und Bänder gestützt und zusammengehalten und schreitet im Wachstum Gottes voran" (2, 19). Das gilt aber nur von Christus. Also ist Er allein das Haupt der Kirche. ANTWORT: Das Haupt wirkt in doppelter Weise auf die Glieder: durch einen inneren Einfluß, der dem ganzen Körper Leben und Bewegung gibt, und durch ein äußeres Lenken. Der Gesichtssinn und die anderen Sinne, die im Haupte ihren Sitz haben, leiten nämlich den Menschen in seinen äußeren Handlungen. Nun strömt uns die innere Gnade einzig und allein von Christus zu, dessen Menschheit aus ihrer Verbindung mit Gott die Kraft zur Rechtfertigung hat. Die äußere Führung der Kirche dagegen kann auch anderen zukommen, und in diesem Sinne können auch andere QUAESTIO

8, 6

solum dicitur caput, sed etiam pastor et fundamentum Ecclesiae. Sed non soli sibi Christus retinuit nomen pastoris: secundum illud Petr. 5: „Cum apparuerit Princeps pastorum, percipietis immarcescibilem gloriae coronam." Nec etiam nomen fundamenti: secundum illud Apoc. 21: „Murus civitatis habens fundamenta duodecim." Ergo videtur quod nec etiam nomen capitis sibi soli retinuerit. SED CONTRA est quod dicitur Col. 2: „Caput Ecclesiae est ex quo corpus, per nexus et conjunctiones subministratum et constructum, crescit in augmentum Dei." Sed hoc soli Christo convenit. Ergo solus Christus est caput Ecclesiae. RESPONDEO dicendum quod caput in alia membra influit dupliciter. Uno modo, quodam intrínseco influxu: prout virtuä motiva et sensitiva a capite derivatur ad cetera membra. Alio modo, secundum exteriorem quamdam gubernationem: prout scilicet secundum visum et alios sensus, qui in capite radicantur, dirigitur homo in exterioribus actibus. Interior autem e f f l u x u s 1 gratiae non est ab aliquo nisi a solo Christo, cujus humanitas, ex hoc quod est divinitati adjuncta, habet virtutem justificaridi. Sed influxus in membra Ecclesiae quantum ad exteriorem gubernationem, potest aliis convenire. Et secundum hoc, aliqui alii possunt dici capita 1

P: influxus.

231

8, 6 Haupt der Kirche genannt werden: „Die Fürsten sind die Häupter der Völker" (Am 6, 1). Zwischen ihnen und Christus besteht jedoch ein doppelter Unterschied. Erstens: Christus ist das Haupt aller, die zur Kirche gehören, an allen Orten, zu allen Zeiten und für jeden Zustand. Andere Menschen dagegen sind es nur für einen bestimmten Ort — man denke an die Bischöfe der einzelnen Kirchen —, oder nur für eine bestimmte Zeit — der Papst als Haupt der Gesamtkirche für die Zeit seiner Regierung —, oder nur für einen bestimmten Stand („Zustand"), nämlich den Pilgerstand [113]. Zweitens: Christus ist aus eigener Kraft und Machtvollkommenheit das Haupt der Kirche; alle anderen sind es nur als Seine Stellvertreter: „Wenn ich euch auch etwas geschenkt habe, so schenkte ich es euch nur als Stellvertreter Christi" (2 Kor 2, 10). Und: „Wir sind Gottgesandte, Christi Stellvertreter; es ist Gott, der durch uns euch mahnt" (2 Kor 5, 20). Z u 1. In der angeführten Schriftstelle wird das Wort Haupt nur in der zweiten Bedeutung genommen; es will nur das äußere Lenken besagen, so wie der König Haupt seines Reiches genannt wird. Z u 2. Nie vermag ein Mensch einem anderen Gnade ins Herz zu gießen, er kann ihm höchstens durch äußeres Zureden den Weg zur Gnade bahnen. Z u 3. Augustinus schreibt in seiner Erklärung zum Q U A E S T I O

8, 6

Ecclesiae: secundum illud Arnos 6: „Optimates capita populorum." Differenter tarnen a Christo. Primo quidem, quantum ad hoc, quod Christus est caput omnium eorum qui ad Ecclesiam pertinent secundum omnem locum et tempus et statum: alii autem homines dicuntur capita secundum quaedam specialia loca, sicut episcopi suarum ecclesiarum; vel etiam secundum determinatum tempus, sicut Papa est caput totius Ecclesiae, scilicet tempore sui pontificatus; et secundum determinatum statum, prout scilicet sunt in statu viatoris. Alio modo, secundum quod Christus est caput Ecclesiae propria virtute et auctoritate: alii vero dicuntur capita inquantum vicem gerunt Christi, secundum illud 2 Cor. 2: „Nam et ego, quod donavi, si quid donavi, propter vos, in persona Christi"; et 2 Cor. 5: „Pro Christo legatione fungimur, tamquam Deo exhortante per nos." AD PRIMUM ergo dicendum quod verbum illud intelligitur secundum quod ratio capitis consideratur ex exteriori gubernatione, prout rex dicitur caput regni sui. AD SECUNDUM dicendum quod homo non dat gratiam interius influendo, sed exterius persuadendo ad ea quae sunt gratiae. MPL AD TERTIUM dicendum quod, sicut Augustinus dicit, super

35/1730

232

Johannes-Evangelium: „Wenn die Bischöfe Hirten der 8, 7 Kirche sind — wie kann da noch von e i n e m Hirten die Rede sein, wenn alle diese nicht Glieder des einen, einzigen Hirten sind?" In ähnlicher Weise nennt man andere „Grundpfeiler" und „Häupter", weil sie Glieder des einen Hauptes oder weil sie Steine des einen Grundpfeilers sind. Jedoch fügt Augustinus hinzu: „Hirte zu sein, das gab Er Seinen Gliedern; niemand aber von uns nennt sich Tür, das behielt Er sich allein vor." Und zwar deshalb, weil Tür die oberste Gewalt versinnbildet, denn nur durch die Tür kann man ein Haus betreten. Und nur durch Christus allein „haben wir Zugang zu der Gnade, in der wir stehen" (Rom 5, 2). A l l e anderen angeführten Namen aber können auch untergeordnete Gewalten bedeuten. Ist

7. A R T I K E L der Teufel das Haupt der

Bösen?

1. „Zum Wesen des Hauptes gehört es, daß von ihm Leben und Bewegung in die Glieder ausgeht." So erklärt eine Glosse die Stelle: „ . . . und Er hat Ihn zum Haupt gemacht" (Eph 1, 22). Nun hat der Teufel nicht die Gewalt, mit der Bosheit der Sünde andere anzustecken; denn sie geht aus dem Willen des Sünders hervor. Also ist der Teufel nicht das Haupt der Bösen [114]. QUAESTIO

8, 7

Joan. [tract. 46], „si praepositi Ecclesiae pastores sunt, quomodo unus pastor est, nisi quia sunt illi omnes unius membra pastoris?". Et similiter alii possunt dici fundamenta et capita, inquantum sunt unius capitis et fundamenti membra. Et tarnen, sicut Augustinus ibidem [tract. 47] dicit, „quod pastor est, dedit mpl membris suis: ostium vero se nemo nostrum dicit; hoc sibi ipse 35/1734 proprium tenuit". Et hoc ideo quia in ostio importatur principalis auctoritas, inquantum ostium est per quod omnes ingrediuntur in domum: et ipse solus Christus est „per quem accessum habemus in gratiam istam in qua stamus". Per alia vero nomina praedicta potest importari auctoritas non solum principalis, sed secundaria. Utrum

A R T I C U L U S VII d i a b o l u s sit caput

malorum

AD SEPTIMUM sie proceditur. Videtur quod diabolus non sit caput malorum. Ad rationem enim capitis pertinet quod influat sensum et motum in membra: ut dicit quaedam Glossa, cf. Anm. ad Ephes. 1, super illud, „Ipsum dedit caput", etc. Sed dia- I 114a l bolus non habet virtutem influendi malitiam peccati, quod ex voluntate peccantis procedit. Ergo diabolus non potest dici caput malorum. 1625

233

8, 7

2. Jede Sünde macht den Menschen schlecht. Jedoch nicht jede Sünde kommt vom Teufel. Das sehen wir klar bei den Sünden der bösen Geister, die nicht von einem Teufel überredet wurden. Auch bei den Menschen geht nicht jede Sünde vom Teufel aus. Wir lesen nämlich in dem Buch über die Dogmen der Kirche: „Nicht alle bösen Gedanken werden uns vom Teufel eingeflüstert, bisweilen erstehen sie in uns durch unseren freien Willen." Also ist der Teufel nicht das Haupt aller Bösen. 3. Jedes Haupt ist nur über e i n e n Leib gesetzt. Nun scheint aber die Menge der Bösen nicht [wie ein Leib] ein einigendes Band zu haben, denn „Bosheit steht gegen Bosheit" (Aristoteles), weil das Böse aus entgegengesetzten Mängeln entspringt (Dionysius Areopagita). Folglich kann der Teufel nicht das Haupt aller Bösen genannt werden. ANDERSEITS lesen wir bei Job (18, 17): „Sein Andenken verschwinde von der Erde." Dazu sagt die Glosse: „Es heißt von jedem Bösen, er soll zu seinem Haupt, dem Teufel, zurückkehren." ANTWORT: Das Haupt übt nicht nur einen inneren Einfluß auf die Glieder, es lenkt sie auch äußerlich, indem es ihre Handlungen auf ein Ziel hinordnet (Art. 6). Somit kann Haupt einer Gemeinschaft der QUAESTIO

8, 7

2. PRAETEREA, per quodlibet peccatum fit homo malus. Sed non omnia peccata sunt a diabolo. Quod quidem manifestum est de peccatis daemonum, qui non ex persuasione alterius peccaverunt. Similiter etiam nec omne peccatum hominis ex diaMPL bolo procedit: dicitur enim in libro de Ecclesiasticis Dogmatibus 58/999 [cap. 49, al. 82] : „Non omnes cogitationes nostrae malae Semper diaboli instinctu excitantur: sed aliquoties ex motu arbitrii nostri emergunt." Ergo diabolus non est caput omnium malorum. 3. PRAETEREA, unum caput uni corpori praeficitur. Sed tota multitudo malorum non videtur habere aliquid in quo uniantur: quia „malum malo contingit esse contrarium" 14 a 1 [Aristot., Categ., cap. 8, n. 23]; contingit enim ex diversis MPG defectibus, ut dicit Dionysius, 4. cap. de Div. Nom. [S. Th., 3 715 / lect. 22]. Ergo diabolus non potest dici caput omnium malorum. SED CONTRA est quod, super illud Job 18, „Memoria illius MPL 113 pereat de terra", dicit Glossa: „De unoquoque iniquo dicitur 807 (v. 18) ut ad caput, idest diabolum, revertatur." 75/1052 RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, caput non solum interius influit membris, sed etiam exterius gubernat, eorum actus dirigendo ad aliquem finem. Sic igitur potest dici aliquis caput alicujus multitudinis vel secundum utrumque,

234

heißen, von dem der innere Einfluß und die äußere Len- 8, 7 kung ausgeht — und in diesem Sinne ist Christus das Haupt der Kirche — ; oder auch der sie n u r äußerlich lenkt, wie die Fürsten und Bischöfe Haupt genannt werden des Volkes, das ihnen unterstellt ist. Und nur in diesem zweiten Sinne gilt: Der Teufel ist das Haupt der Bösen; denn „er ist König über alle Kinder der Hoffart" (Job 41, 25). Es ist nun Aufgabe des Führers, die ans Ziel zu geleiten, die ihm folgen. Das Ziel, das der Teufel zu erreichen sucht, ist der Abfall der vernünftigen Geschöpfe von Gott. Daher versucht er von Anbeginn, die Menschen vom Gehorsam gegen die Gebote Gottes abzuhalten. Der Abfall von Gott kann aber nur deshalb als verlockendes Ziel aufgefaßt werden, weil er den Schein der Freiheit in sich trägt: „Von Anbeginn an hast du das Joch zerbrochen, die Bande zerrissen, gesprochen: ich will nicht dienen" (Jer 2, 20). Die also durch die Sünde so weit verführt wurden, fallen der Gewalt und Herrschaft des Teufels anheim. Deshalb heißt er ihr Haupt. Z u 1. Vermag auch der Teufel den Verstand nicht innerlich zu beeinflussen, so verführt er ihn durch Einflüsterungen zum Bösen. Z u 2. Ein Herrscher bemüht sich nicht immer um den Gehorsam jedes Einzelnen; er gibt allen zugleich ein QUAESTIO

8, 7

scilicet secundum i n t e r i o r e m i n f l u x u m et e x t e r i o r e m gubernat i o n e m : et sie est Christus Caput Ecclesiae, ut dictum est. — V e l secundum solam e x t e r i o r e m g u b e r n a t i o n e m : et sie q u i l i b e t prineeps v e l praelatus est caput multitudinis sibi subjectae. Et p e r hunc m o d u m dicitur diabolus caput o m n i u m m a l o r u m : nam, ut dicitur Job 41, „ i p s e est r e x super omnes filios superbiae". P e r t i n e t autem ad g u b e r n a t o r e m ut eos quos gubernat ad suum flnem perducat. Finis autem diaboli est a v e r s i o rationalis creaturae a D e o : unde a p r i n e i p i o h o m i n e m ab obedientia d i v i n i praeeepti r e m o v e r e tentavit. Ipsa autem aversio a D e o habet rationem finis inquantum appetitur sub specie libertatis: secundum illud J e r e m . 2 : „ A saeculo confregisti j u g u m , rupisti vineula, dixisti, N o n s e r v i a m . " Inquantum igitur ad hunc finem aliqui addueuntur peccando, sub diaboli r e g i m i n e et gubernatione cadunt. Et e x hoc dicitur eorum caput. A D P R I M U M e r g o dicendum quod, licet diabolus non influat interius rationali menti, tarnen s u g g e r e n d o inducit ad malum. A D S E C U N D U M dicendum quod gubernator non s e m p e r suggerit s u b j e c t i s 1 ut e j u s voluntati obediant, sed proponit 1

16*

L : singulis.

235

8, 8 Zeichen seines Willens, dem die einen gezwungen, die anderen freiwillig folgen. So sehen wir es auch bei einem Heerführer und seinen Soldaten; sie folgen der Fahne, ohne daß man sie dazu überreden muß. In ähnlicher Weise ist die erste Sünde des Teufels, des Sünders von Anbeginn (1 Jo 3, 8), die Verlockung für alle, ihm nachzufolgen. Die einen folgen ihm auf Beeinflussung hin, die anderen aus freien Stücken, ohne Beeinflussung. Und in dieser Nachfolge des Teufels liegt der Grund, warum er das Haupt aller Bösen heißt: „Durch des Teufels Neid kam der Tod in die Welt, ihm ähnlich werden alle, die auf seiner Seite stehen" (Weish 2, 24 u. 25). Z u 3. Alle Sünden haben ein Gemeinsames: den Abfall von Gott. Doch unterscheiden sie sich voneinander durch die Hinkehr zu den verschiedenen vergänglichen Gütern. 8. A R T I K E L Ist der Antichrist das Haupt der

Bösen?

1. Kein Körper hat mehr als e i n Haupt. Nun steht der Teufel als Haupt über der Masse der Bösen. Folglich ist der Antichrist nicht ihr Haupt. QUAESTIO

8, 8

omnibus Signum suae voluntatis, ad cujus sequelam et aliqui excitantur inducti, alii sponte propria: sicut patet in duce exercitus, cujus vexillum sequuntur milites etiam nullo persuadente. Sic igitur primum peccatum diaboli, qui ab initio peccat, ut dicitur 1 Joan. 3, propositum est omnibus assequendum : quod quidam imitantur per suggestionem ipsius, quidam propria sponte absque ulla suggestione. Et secundum hoc, omnium malorum caput est diabolus, inquantum illum imitantur: secundum illud Sap. 2: „Invidia diaboli mors introivit in orbem terrarum: imitantur autem illum qui sunt ex parte illius." AD TERTIUM dicendum quod omnia peccata conveniunt in aversione a Deo, licet ad invicem differant secundum conversionem ad diversa commutabilia bona. A R T I C U L U S Vili U t r u m a n t i c h r i s t u s sit caput

malorum

AD OCTAVUM sic proceditur. Videtur quod Antichristus non sit caput malorum. Unius enim corporis non sunt diversa capita. Sed diabolus est caput multitudinis malorum. Non ergo Antichristus est eorum caput.

236

2. Der Antichrist ist selbst ein Glied des Teufels. Das 8, e Haupt aber unterscheidet sich von den Gliedern. Also ist der Antichrist nicht das Haupt der Bösen. 3. Das Haupt übt Einfluß aus auf die Glieder. Nun hat aber der Antichrist gar keinen Einfluß auf die bösen Menschen, die vor ihm lebten. Also ist er nicht das Haupt der Bösen. ANDERSEITS erklärt die Glosse das Schriftwort (Job 21, 29) „Fraget nur jeden Wanderer [, so werdet ihr erfahren . . ., daß der Böse auf den Tag des Verderbens aufbehalten ist]" in folgender Weise: „Während er [Job] gerade noch von der Gemeinschaft der Bösen gesprochen, wendet er sich plötzlich dem Haupte aller Gottlosen, dem Antichrist, zu." ANTWORT: Ein Dreifaches kennzeichnet das menschliche Haupt: seine Stellung, seine Vollkommenheit und seine Einflußkraft (Art. 1). Der Zeitordnung nach kann man natürlich den Antichrist nicht Haupt nennen, denn seine Sünde steht nicht, wie die des Teufels, zeitlich am Anfang aller anderen. Auch wegen seiner Kraft und seines Einflusses verdient er nicht den Namen Haupt. Denn wenn er auch manche von seinen Zeitgenossen durch äußere Verführungskünste zum Bösen verleiten wird, so konnten doch jedenfalls jene, die vor ihm lebten, nicht in seine Bosheit hineingezogen oder zur Nachahmung seiner SchlechtigQ U A E S T I O

8, 8

2. PRAETEREA, Antichristus est membrum diaboli. Sed caput distinguitur a membris. Ergo Antichristus non est caput malorum. 3. PRAETEREA, caput habet influentiam in membra. Sed Antichristus nullam habet influentiam in malos homines qui eum praecesserunt. Ergo Antichristus non est caput malorum. SED CONTRA est quod Job 21, super illud, „Interrogate quemlibet de viatoribus", dicit Glossa: „Dum de omnium ma- MPL lorum corpore loqueretur, subito ad omnium iniquorum caput, 75/1103 Antichristum, verba convertit." RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, in capite naturali tria inveniuntur: scilicet ordo, perfectio et virtus influendi. Quantum ergo ad ordinem temporis, non dicitur esse Antichristus caput malorum, quasi ejus peccatum praecesserit, sicut praecessit peccatum diaboli. Similiter etiam non dicitur esse malorum caput propter virtutem influendi. Si enim aliquos sui temporis ad malum sit conversurus, exterius inducendo; non tarnen illi qui ante eum fuerunt, ab ipso sunt in malitiam inducti, nec ejus malitiam

237

8, 8 keit bewogen werden. So kann er auch in dieser Hinsicht nicht Haupt aller, sondern nur einiger Böser genannt werden. Es bleibt also nur übrig, daß er wegen seiner vollendeten Bosheit Haupt aller Bösen genannt wird. Das Pauluswort: „Der sich für Gott ausgibt" (2 Thess 2, 4) erklärt deshalb die Glosse: „Wie in Christus die ganze Fülle der Gottheit wohnt, so im Antichrist die ganze Fülle der Bosheit." Zwar heißt das nicht, daß seine Menschheit vom Teufel zur Einheit in der Person angenommen wird, so wie die Menschheit Christi vom Sohne Gottes, sondern daß der Teufel ihm seine Bosheit in weit höherem Maße als allen anderen einflößt. In dieser Beziehung sind alle Bösen, die dem Antichrist vorausgehen, gewissermaßen nur dessen Vorbild: „Das Geheimnis der Bosheit ist schon am Werk" (2 Thess 2, 7). Z u 1. Der Teufel und der Antichrist sind nur e i n Haupt. Der Antichrist heißt deshalb Haupt, weil sich in ihm die Bosheit des Teufels in besonderer Weise ausgeprägt vorfindet. Daher sagt die Glosse zu der Stelle 2 Thess 2, 4 „Er gibt sich als Gott aus": „In ihm wird das Haupt aller Bösen sein, nämlich der Teufel, welcher der König über alle Kinder der Hoffart ist." Doch wird er in ihm nur sein, weil seine Bosheit sich in ihm vollendet, nicht durch eine persönliche Vereinigung oder innere Einwohnung. Denn nur die heiligste Q UAE ST I0

8, 8

sunt imitati. Unde secundum hoc non posset dici caput omnium malorum, sed aliquorum. Relinquitur igitur quod dicatur caput omnium malorum propter malitiae perfectionem. Unde super illud 2 Thess. 2, MPL „Ostendens se tamquam sit Deus", dicit Glossa: „Sicut in 117'780 Christo omnis plenitudo divinitatis inhabitavit, ita in Antichristo plenitudo omnis malitiae": non quidem ita quod humanitas ejus sit assumpta a diabolo in unitate personae, sicut humanitas Christi a Filio Dei; sed quia diabolus malitiam suam eminentius ei influit suggerendo quam omnibus aliis. Et secundum hoc, omnes alii mali qui praecesserunt sunt quasi quaedam figura Antichristi: secundum illud 2 Thess. 2: „Mysterium jam operatur iniquitatis." AD PRIMUM ergo dicendum quod diabolus et Antichristus non sunt duo capita, sed unum: quia Antichristus dicitur esse caput inquantum plenissime invenitur in eo impressa malitia diaboli. Unde super illud 2 Thess. 2, „Ostendens se tamquam sit Deus", MPL dicit Glossa: „In ipso erit caput omnium malorum, scilicet 117/780 diabolus, qui est rex super omnes filios superbiae." Non autem dicitur in eo esse per unionem personalem; nec per intrinsecam habitationem, quia sola Trinitas mente illabitur, ut dicitur in

238

Dreifaltigkeit geht in den Geist ein (Buch von den kirch- 8, 8 liehen Dogmen) [115]. Z u 2. Wie Gott das Haupt Christi ist (1 Kor 11, 3) und Christus dennoch Haupt der Kirche (Kol 1, 18; 1 Zu 2), so ist auch der Antichrist ein Glied des Teufels und dennoch Haupt der Bösen. Z u 3. Der Antichrist wird nicht deshalb Haupt der Bösen genannt, weil er dem Teufel an Einfluß, wohl aber, weil er ihm an Bosheit gleicht. Denn in ihm wird der Teufel gleichsam das „Haupt"werk seiner Bosheit ausführen. So nennen wir auch das vollkommenste Werk eines Menschen sein „Haupt"werk. QUAESTIO

8, 8

libro de Ecclesatsticis Dogmatibus [cap. 50, al. 83] : sed per MPL malitiae effectum. 58*999 A D S E C U N D U M dicendum quod, sicut caput Christi est Deus, et tarnen ipse est caput Ecclesiae, ut supra dictum est; ita Antichristus est membrum diaboli, et tarnen ipse est caput malorum. A D T E R T I U M dicendum quod Antichristus noil dicitur caput omnium malorum propter similitudinem influentiae, sed propter similitudinem perfectionis. In eo enim diabolus quasi malitiam suam ducet ad caput: per modum quo dicitur aliquis ad caput propositum suum ducere, cum id perfecerit.

239

9. F R A G E

9, 1 DAS WISSEN

CHRISTI

IM

ALLGEMEINEN

Die folgende F r a g e gilt dem Wissen Christi, und zwar zunächst Seinem Wissen im allgemeinen, dann aber auch dessen verschiedenen Arten. Über das Wissen Christi im allgemeinen ergeben sich vier Einzelfragen: 1. Hatte Christus außer dem göttlichen noch ein anderes W i s s e n ? 2. Hatte E r das Wissen, das die Seligen im Schauen Gottes besitzen? 3. Hatte E r eingegossenes W i s s e n ? 4. Hatte E r erworbenes W i s s e n ? 1. Hatte

Christus

außer

ARTIKEL dem göttlichen Wissen?

noch

ein

anderes

1. Wissenschaft ist notwendig, um durch sie etwas zu erkennen. Christus erkannte aber alles in Seinem göttlichen Wissen. Also wäre jedes andere Wissen in Ihm überflüssig gewesen.

QUAESTIO

DE SCIENTIA

IX

CHRISTI IN COMMUNI

Deinde considerandum est de scientia Christi. Circa quam duo consideranda sunt: primo, quam scientiam Christus habuit; secundo, de unaquaque scientiarum ipsius. Circa primum quaeruntur quattuor: 1. Utrum Christus habuerit aliquam scientiam praeter divinam. — 2. Utrum habuerit scientiam quam habent beati vel comprehensores. — 3. Utrum habuerit scientiam inditam vel infusam. — 4. Utrum habuerit aliquam scientiam acquisitam.

Utrum

ARTICULUS I in C h r i s t o f u e r i t a l i q u a praeter divinam

[3 Sent., dist. 14, art. 1, qa 1;

scientia

de Ver., q. 20, art. 1; eap. 216]

Comp. Theol.,

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod in Christo non fuerit aliqua scientia praeter divinam. Ad hoc enim necessaria est scientia ut per eam aliqua cognoscantur. Sed Christus per scientiam divinam cognoscebat omnia. Superfluum igitur fuisset quod in eo esset quaedam alia scientia.

240

2. Ein schwaches Licht verblaßt vor einem starken. Nun 9, 1 verhält sich jedes geschaffene Wissen zum ungeschaffenen Wissen Gottes wie ein schwaches Licht zu einem starken. Also erstrahlte in Christus kein anderes als das göttliche Wissen. 3. Die Vereinigung der menschlichen Natur mit der göttlichen geschah in der Person (2, 2). Einige nehmen aber in Christus ein sogenanntes „Wissen der Vereinigung" an [116], durch das Er alles, was das Geheimnis der Menschwerdung betrifft, tiefer als irgend jemand erkannte. Da nun die Einheit in der Person zwei Naturen umschließt, so gibt es dem Anschein nach in Christus nicht zwei Arten von Wissen, sondern nur eine, die beiden Naturen eigen ist. ANDERSEITS sagt Ambrosius: „Gott hat im Fleische die Vollkommenheit der menschlichen Natur angenommen : Er hat die Sinnesnatur des Menschen angenommen, doch nicht den aufgeblähten Sinn des Fleisches." Dieser Sinnesnatur des Menschen entspricht aber ein geschaffenes Wissen [117]. Somit war in Christus außer dem göttlichen noch ein anderes Wissen. ANTWORT: Der Sohn Gottes hat eine vollständige Menschennatur, also Leib und Seele angenommen (Fr. 5), und zwar eine Sinnen- und eine Geist-Seele. Deshalb mußte Er auch ein geschaffenes Wissen haben. Dafür sprechen drei Gründe: QUAESTIO

9, 1

2. PRAETEREA, lux minor per majorem ofluscatur. Sed omnis scientia creata comparatur ad scientiam Dei increatam sicut lux minor ad majorem. Ergo in Christo non refulsit alia scientia quam divina. 3. PRAETEREA, unio humanae naturae ad divinam facta est in persona, ut ex supra dictis patet. Ponitur autem in Christo, secundum quosdam, quaedam scientia unionis, per quam scilicet Christus ea quae ad mysterium incarnationis pertinent plenius scivit quam aliquis alius. Cum ergo unio personalis contineat duas naturas, videtur quod in Christo non sint duae scientiae, sed una tantum scientia pertinens ad utramque naturam. SED CONTRA est quod Ambrosius dicit, in libro de Incar- MPL natione [cap. 7, n. 7 1 ] : „Deus in carne perfectionem humanae 1 6 / 8 3 6 naturae assumpsit: suscepit sensum hominis, sed non sensum carnis inflatum." Sed ad sensum hominis pertinet scientia creata. Ergo in eo fuit alia scientia praeter divinam. RESPONDEO dicendum quod, sicut ex supra dictis patet, Filius Dei humanam naturam integram assumpsit: idest, non corpus solum, sed etiam animam; non solum sensitivam, sed etiam rationalem. Et ideo oportuit quod haberet scientiam crea-

241

9, i

Erstens: Die Vollendung der Seele. — Die Seele ist in sich aufnahmefähig für alles, was der Verstand erfassen kann, „wie eine Tafel, auf der nichts geschrieben steht", auf der aber geschrieben werden kann. Denn der aufnehmende Verstand „kann alles werden" (Aristoteles) [118]. Das Mögliche aber bleibt unvollendet, solange es nicht in die Wirklichkeit überführt wird. Eine unvollkommene Menschennatur anzunehmen wäre aber für den Sohn Gottes nicht entsprechend gewesen. Er bedurfte vielmehr einer vollkommenen, da Er durch sie das gesamte Menschengeschlecht zur Vollendung führen sollte. Daher mußte die Seele Christi durch ein Wissen vollendet sein, das die ihr eigentümliche Vollkommenheit ausmachen sollte. Also mußte es in Christus neben dem göttlichen Wissen noch ein anderes geben, sonst wäre Seine Seele unvollkommener gewesen als die Seelen der übrigen Menschen. Zweitens: „Der Sinn jedes Dinges liegt in seiner Tätigkeit" (Aristoteles). Es wäre also sinnlos, wenn Christus eine Geist-Seele hätte, ohne durch sie zu erkennen. Damit ist aber ein geschaffenes Wissen gegeben. Drittens: Mit dem Wesen der menschlichen Seele ist notwendig ein geschaffenes Wissen gegeben, nämlich die Erkenntnis der obersten Denkgesetze. Dabei fassen wir hier Wissen im weiteren Sinne auf — als jegliche ErQUAESTIO

9, l

tarn, p r o p t e r tria. P r i m o q u i d e m , p r o p t e r a n i m a e p e r f e c t i o n e m . A n i m a enim, secundum se considerata, est in potentia ad int e l l i g i b i l i a cognoscenda: est e n i m „sicut tabula in qua nihil 430 a i est s c r i p t u m " [Aristot., D e A n i m a , lib. 3, cap. 4, n. 2 ; S. Th., lect. 9 ] ; et tarnen possibile est in ea scribi, p r o p t e r intellectum possibilem, „ i n quo est omnia fieri", ut dicitur in 3 de A n i m a [cap. 5, n. 1; S. Th., lect. 1 0 ] . Quod autem est in potentia, est i m p e r f e c t u m nisi reducatur ad actum. N o n autem f u i t conveniens ut Filius D e i humanam naturam i m p e r f e c t a m assumeret, sed p e r f e c t a m : utpote qua mediante, totum humanuni genus erat ad p e r f e c t u m reducendum. Et i d e o oportuit quod anima Christi esset p e r f e c t a p e r aliquam scientiam, quae esset p r o p r i a p e r f e c t i o ejus. Et i d e o oportuit in Christo esse a l i q u a m scientiam p r a e t e r scientiam d i v i n a m . A l i o q u i n anima Christi esset i m p e r f e c t i o r animabus a l i o r u m hominum. Secundo quia, cum „ q u a e l i b e t res sit p r o p t e r suam opera286 a 8 t i o n e m " , ut dicitur in 2 d e Caelo et M u n d o [cap. 3, n. 1; S. Th., lect. 4 ] , frustra haberet Christus a n i m a m intellectualem, si non i n t e l l i g e r e t secundum illam. Quod p e r t i n e t ad scientiam creatam. Tertio, quia aliqua scientia creata p e r t i n e t ad a n i m a e humanae naturam, scilicet illa p e r q u a m naturaliter cognoscimus p r i m a p r i n c i p i a : scientiam e n i m hic l a r g e accipimus p r o qua-

242

kenntnis des menschlichen Verstandes. Nun fehlte Chri- 9, 1 stus nichts, was mit der menschlichen Natur gegeben ist; denn Er hat die g a n z e menschliche Natur angenommen (Fr. 4). Darum hat das VI. Allgemeine Konzil [119] die Lehre derer verurteilt, die in Christus ein zweifaches Wissen, eine doppelte Weisheit leugnen. Z u 1. Christus erkannte mit Seinem göttlichen Wissen alles in einem ungeschaffenen Erkennen, das mit Gottes Wesen zusammenfällt: Denn Gottes Erkennen ist Seine Substanz (Aristoteles) [120]. Die Seele Christi konnte aber keine solche Erkenntnis haben, da sie nicht göttlicher Natur war. Wenn es also in ihr neben dem göttlichen Wissen kein anderes gegeben hätte, so hätte sie nichts erkannt. Also wäre ihre Annahme sinnlos gewesen, denn „der Sinn jedes Dinges liegt in seiner Tätigkeit [vgl. die Antwort]. Zu 2. Bei zwei Lichtquellen derselben Art verblaßt die schwächere vor der stärkeren. So verblaßt ein Kerzenlicht vor der Sonne, die doch beide als selbstleuchtende Körper gelten müssen. Nehmen wir dagegen zwei verschiedene Körper, von denen der größere selbst leuchtet, der kleinere dagegen nur beleuchtet ist, so verblaßt das Licht des kleineren Körpers durch das des größeren nicht, sondern wird im Gegenteil stärker — wie etwa die Helle der Luft im Lichte der Sonne. Ebenso verblaßt das Licht des Wissens in der Seele Christi nicht vor dem Lichte des göttlichen Wissens, sonQ U A E S T I O 9, 1 libet cognitione intellectus humani. Nihil autem naturalium in Christo defuit: quia totam humanam naturam suscepit, ut supra dictum est. Et ideo in Sexta Synodo damnata est positio Mansi negantium in Christo esse duas scientias, vel duas sapientias. 11/274 AD PRIMUM ergo dicendum quod Christus cognovit omnia per scientiam divinam operatione increata, quae est ipsa Dei essentia: Dei enim intelligere est sua substantia, ut probatur in 12 Metaphys. [S. Th., lect. 11]. Unde hic actus non potuit 1072 b esse animae humanae Christi: cum sit alterius naturae. Si 20st iigitur non fuisset in anima Christi alia scientia praeter divinam, nihil cognovisset. Et ita frustra fuisset assumpta: cum „res sit propter suam operationem". AD SECUNDUM dicendum quod, si duo lumina accipiantur ejusdem ordinis, minus offuscatur per majus: sicut lumen solis offuscat lumen candelae, quorum utrumque accipitur in ordine illuminantis. Sed si accipiatur majus in ordine illuminantis et minus in ordine illuminati, minus lumen non offuscatur per majus, sed magis augetur: sicut lumen aeris per lumen solis. Et hoc modo lumen scientiae non offuscatur, sed clarescit

243

9, 2 d e m erstrahlt nur um so heller. Denn dieses ist „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt" (Jo 1, 9). Z u 3. Für jede der beiden Naturen, die in Christus zu einer Person vereinigt sind, nehmen wir ein besonderes Wissen an, für die eine ein menschliches, für die andere ein göttliches; so daß kraft der Vereinigung, durch die Gott und Mensch eine Person sind, das, was von Gott gilt, auch dem Menschen Christus zugesprochen wird und umgekehrt (3, 6 E. 3). Was aber die Vereinigung selbst betrifft, darf man in Christus kein eigenes Wissen annehmen, denn sie vollzieht sich nur, um eine P e r s o n zu bilden. Das Wissen aber besitzt die Person nur auf Grund einer N a t u r .

Hatte

Christus

2. A R T I K E L das Wissen, das die Seligen Gottes besitzen?

im

Schauen

1. Das Wissen der Seligen besteht in einer Teilnahme am göttlichen Licht: „In Deinem Licht werden wir Licht schauen" (Ps 35, 10). Christus aber hatte nicht nur Anteil am göttlichen Licht [ 1 2 1 ] — in Ihm ruhte die GottQUAESTIO

9, 2

in anima Christi per lumen scientiae divinae, quae est „lux vera quae illuminat omnem hominem venientem in hunc mundum", ut dicitur Joan. 1. AD TERTIUM dicendum quod, ex parte unitorum, ponitur scientia in Christo et quantum ad naturam divinam et quantum ad humanam: ita quod per unionem, secundum quam est eadem hypostasis Dei et hominis, id quod est Dei attribuitur homini, et id quod est hominis attribuitur Deo, ut supra dictum est. Sed ex parte ipsius unionis non potest poni in Christo aliqua scientia. Nam unio illa est ad esse personale: scientia autem non convenit personae nisi ratione alicujus naturae. A R T I C U L U S II U t r u m in C h r i s t o f u e r i t s c i e n t i a vel c o m p r e h e n s o r u m

beatorum

[Comp. Theol.. cap. 216]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerit scientia beatorum vel comprehensorum. Scientia enim beatorum est per partieipationem divini luminis: secundum illud Psalmi: „In lumine tuo videbimus lumen." Sed Christus non habuit lumen divinum tamquam partieipatum, sed ipsam divinitatem in se habuit substantialiter manentem:

244

heit wesenhaft: „In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gott- 9, 2 heit leibhaftig" (Kol 2, 9). Also hatte Christus das Wissen der Seligen nicht. 2. Das Erkennen der Seligen macht sie selig: „Das ist das ewige Leben: Dich erkennen, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesus Christus" (Jo 17, 3). Der Mensch Christus war aber selig, weil Er mit Gott in der Person vereinigt war: „Selig, den Du erwählt und angenommen hast!" (Ps 64, 5). Also braucht man in Ihm das Wissen der Seligen nicht anzunehmen. 3. Jedem Menschen kommt ein doppeltes Wissen zu, eines, das zu seiner Natur gehört, und eines, das sie überragt. Nun ist das Wissen der Seligen, die Gottesschau, nicht mit ihrer Natur gegeben, sondern überragt sie. Dagegen besaß Christus ein anderes, übernatürliches Wissen, das stärker und höher ist: das Wissen Gottes selber. Also brauchte Er das Wissen der Seligen nicht. ANDERSEITS besteht das Wissen der Seligen in der Schau oder im Erkennen Gottes. Doch Christus erkannte Gott auch als Mensch: „Ich kenne Ihn und bewahre Sein Wort", bezeugt Er selbst (Jo 8, 55). Folglich besaß Er auch das Wissen der Seligen. ANTWORT: Das Mögliche wird verwirklicht durch ein Wirkliches. Was andere erwärmt, muß selber warm sein. Im Menschen ruht die Möglichkeit, Gott zu QUAESTIO

9, 2

secundum illud Col. 2: „In ipso habitat omnis plenitudo deitatis corporaliter." Ergo in ipso non fuit scientia beatorum. 2. PRAETEREA, scientia beatorum eos beatos facit: secundum illud Joan. 17: „Haec est vita aeterna, ut cognoscant te, verum Deum, et quem misisti, Jesum Christum." Sed homo ille fuit beatus ex hoc ipso quod fuit Deo unitus in persona: secundum illud Psalmi: „Beatus quem elegisti et assumpsisti." Non ergo oportet ponere in ipso scientiam beatorum. 3. PRAETEREA, duplex scientia homini competit: una secundum suam naturam; alia supra suam naturam. Scientia autem beatorum, quae in divina visione consistit, non est secundum naturam hominis, sed supra ejus naturam. In Christo autem fuit alia supernaturalis scientia multo fortior et altior, scilicet scientia divina. Non igitur oportuit in Christo esse scientia beatorum. SED CONTRA, scientia beatorum in Dei visione vel cognitione consistit. Sed ipse plene cognovit Deum, etiam secundum quod homo: secundum illud Joan. 8: „Scio eum, et sermonem ejus servo." Ergo in Christo fuit scientia beatorum. RESPONDEO dicendum quod illud quod est in potentia, reducitur in actum per id quod est actu: oportet enim esse calidum id per quod alia calefiunt. Homo autem est in potentia

245

9, 2 schauen, wie die Seligen Ihn schauen; ja, das Ziel seines Lebens liegt in dieser Schau [122 ]. Denn der geschaffene Geist ist als Abbild Gottes dieser beseligenden Erkenntnis fähig. Zu diesem seligen Ziel gelangen wir durch die Menschheit Christi: Denn „es ziemte sich für Gott, durch den und f ü r den das All ist, da Er viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Begründer ihres Heiles durch Leiden zu vollenden" (Hebr 2, 10). Deshalb mußte dem Menschen Christus die Gottesschau im vorzüglichsten Maße zukommen. Denn die Ursache ist der Wirkung überlegen. Z u 1. Die Gottheit und die Menschheit Christi sind in der Person, nicht in der Natur oder dem Wesen vereinigt; mit der Einheit der Person bleibt die Zweiheit der Naturen bestehen. Daher empfing die Seele Christi, als Teil Seiner menschlichen Natur, von der göttlichen Natur ein eigenes Licht, durch das sie vollendet und zur seligen Schau befähigt wurde, in der Gottes Wesen selbst erkannt wird. Z u 2. Wie der Mensch Christus durch die Vereinigung mit dem WORTE Gott ist, so genießt Er auch durch diese Vereinigung die ungeschaffene Seligkeit Gottes. Doch neben dieser ungeschaffenen Seligkeit forderte die menschliche Natur Christi auch eine geschaffene, die Seine Seele der letzten Bestimmung der menschlichen Natur zuführen sollte. Q U A E S T I O 9, 2 ad scientiam beatorum, quae in visione Dei consistit, et ad eam ordinatur sicut ad finem: est enim creatura rationalis capax illius beatae cognitionis, inquantum est ad imaginem Dei. Ad hunc autem finem beatitudinis homines reducuntur per Christi humanitatem: secundum illud Hebr. 2: „Decebat eum propter quem omnia et per quem omnia, qui multos filios in gloriam adduxerat, auctorem salutis eorum per passionem consummari." Et ideo oportuit quod cognitio ipsa in Dei visione consistens excellentissime Christo homini conveniret: quia Semper causam oportet esse potiorem causato. AD PRIMUM ergo dicendum quod divinitas unita est humanitati Christi secundum personam, et non secundum naturam vel essentiam: sed cum unitate personae remanet distinctio naturarum. Et ideo anima Christi, quae est humanae naturae pars, per aliquod lumen participatum a natura divina perfecta est ad scientiam beatam, qua Deus per essentiam videtur. AD SECUNDUM dicendum quod ex ipsa unione homo ille est beatus beatitudine increata: sicut ex unione est Deus. Sed praeter beatitudinem increatam, oportuit in natura humana Christi esse quamdam beatitudinem creatam, per quam anima ejus in ultimo fine humanae naturae constitueretur.

246

Z u 3. In gewissem Sinne überragt die selige Gottes- 9, 3 schau die Natur der Geist-Seele, da diese nie aus eigener Kraft zur Gottesschau gelangen kann. In anderer Hinsicht jedoch ist die Gottesschau der Geist-Seele naturgemäß, insofern die Geist-Seele von Natur aus der Gottesschau fähig ist, da sie nach dem Bilde Gottes erschaffen wurde (vgl. die Antwort). Das ungeschaffene Wissen hingegen übersteigt auf jede Weise die Natur der Menschenseele. 3. A R T I K E L Gibt es in Christus außer der beseligenden Gottesschau noch ein anderes eingegossenes Wissen? 1. Jedes erschaffene Wissen verhält sich zum seligen Wissen wie das Unvollkommene zum Vollkommenen. Die Gegenwart der vollkommenen Erkenntnis schließt die unvollkommene aus. So hebt die klare Gottesschau von Angesicht zu Angesicht die verhüllte Erkenntnis des Glaubens auf (1 Kor 13, 10. 12). Da Christus also das Schauen der Seligen besaß, so konnte nicht noch eine andere eingegossene Erkenntnis in Ihm leben. 2. Die unvollkommene Erkenntnisweise bereitet die QUAESTIO

9, 3

AD TERTIUM dicendum quod visio seu scientia beata est quodammodo supra naturam animae rationalis: inquantum scilicet propria virtute ad eam pervenire non potest. Alio vero modo est secundum naturam ipsius: inquantum scilicet pei naturam suam est capax ejus, prout scilicet ad imaginem Dei facta est, ut supra dictum est. Sed scientia increata est Omnibus modis supra naturam animae humanae. A R T I C U L U S III U t r u m in C h r i s t o sit a l i a s c i e n t i a i n d i t a , praeter scientiam beatam [Infra, q. 12, art.

1; 3 Sent , dist. 14, art. 1, qa 5; art. 2, 3; Comp. Theol., cap. 216]

de Ver.,

q. 20,

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non sit alia scientia indita, praeter scientiam beatam. Omnis enim alia scientia creata comparatur ad scientiam beatam sicut imperfectum ad perfectum. Sed, praesente perfecta cognitione, excluditur cognitio imperfecta: sicut manifesta visio faciei excludit aenigmaticam visionem fidei, ut patet 1 Cor. 13. Cum igitur in Christo fuerit scientia beata, ut dictum est, videtur quod non potuerit in eo alia esse scientia indita. 2. PRAETEREA, imperfectior modus cognitionis disponit ad

247

9, 3 vollkommenere vor, wie die bloße Meinung, die sich nur auf einen Wahrscheinlichkeitsschluß stützt, die Vorstufe für ein Wissen ist, das durch einen strengen Beweis gewonnen wird. Ist aber einmal das Vollkommene erreicht, dann braucht es keine Vorbereitung mehr; — wie auch die Bewegung aufhört, sobald das Ziel erreicht ist. Da also jede andere geschaffene Erkenntnis sich zur seligen Gottesschau wie das Unvollendete zu seiner Vollendung — oder wie die Vorbereitung zur Erfüllung verhält, so scheint für Christus eine eingegossene Erkenntnis außer der Gottesschau überflüssig zu sein. 3. Wie das körperliche Organ dazu veranlagt ist, ein Sinnenbild aufzunehmen, so ist der „aufnehmende Verstand" dazu veranlagt, ein geistiges Erkenntnisbild aufzunehmen. Nun kann aber der Stoff nicht zwei sinnliche Formen zugleich aufnehmen, eine vollkommene und eine weniger vollkommene. Also kann auch die Seele nicht zugleich ein doppeltes Erkennen haben, ein vollkommenes und ein weniger vollkommenes. Demnach gilt dasselbe wie oben. ANDERSEITS lesen wir im Kolosserbrief: „In Christus sind alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen" (2, 3). ANTWORT: Wie im ersten Artikel gezeigt wurde, durfte die menschliche Natur, die das WORT annahm, nicht unvollkommen sein. Nun ist alles, was sich im Q ü A E S T I O 9, 3

perfectiorem: sicut opinio, quae est per syllogismum dialecticum, disponit ad scientiam, quae est per syllogismum demonstrativum. Habita autem perfectione, non est ulterius necessaria dispositio: sicut, habito termino, non est necessarius motus. Cum igitur cognitio quaecumque alia creata comparetur ad cognitionem beatam sicut imperfectum ad perfectum, et sicut dispositio ad terminum, videtur quod, cum Christus habuerit cognitionem beatam, quod non fuerit ei necessarium habere aliam cognitionem. 3. P R A E T E R E A , sicut materia corporalis est in potentia ad formam sensibilem, ita intellectus possibilis est in potentia ad formam intelligibilem. Sed materia corporalis non potest simul recipere duas formas sensibiles, unam perfectiorem et aliam minus perfectam. Ergo nec anima potest simul recipere duplicem scientiam, unam perfectiorem et aliam minus perfectam. Et sie idem quod prius. SED CONTRA est quod dicitur Col. 2, quod „in Christo sunt omnes thesauri sapientiae et scientiae absconditi". RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, decebat quod natura humana assumpta a Verbo Dei, imperfecta non esset. Omne autem quod est in potentia, est imperfectum nisi reduca-

248

Zustand der Möglichkeit befindet, unvollkommen, bis es 9, 3 verwirklicht wird. Der „aufnehmende Verstand" des Menschen ist aber in bezug auf alles geistig Erkennbare im Zustand der Möglichkeit. Zur Verwirklichung führen ihn erst die Erkenntnisbilder, die für ihn gewissermaßen die Rolle von bestimmenden Formen übernehmen (Aristoteles). Deshalb muß man in Christus auch eine eingegossene Erkenntnis annehmen; durch das WORT sind nämlich Seiner Seele, die in der Einheit der Person mit Ihm verbunden ist, Erkenntnisbilder von all dem eingeprägt, was der aufnehmende Verstand [nur immer] zu erkennen vermag. Ähnlich hat auch das WORT am Anfang der Weltschöpfung in den Geist der Engel Erkenntnisbilder eingegossen (Augustinus). Nach Augustinus nimmt man nämlich eine doppelte Erkenntnis der Engel an: Eine morgendliche Erkenntnis, durch die sie die Dinge im WORTE schauen, und eine abendliche Erkenntnis [123], durch die sie vermittels eingegossener Erkenntnisbilder die [selben] Dinge in deren eigener Natur erkennen; ebenso hat auch Christus neben Seinem ungeschaffenen göttlichen Wissen in Seiner Seele noch die Gottesschau, durch die Er das WORT und [alles andere] im WORT erkennt; u n d ein eingegossenes Wissen, in dem Er die Dinge in ihrer eigenen Natur erkennt durch Erkenntnisbilder, wie sie Seinem Menschengeiste angemessen sind. Q U A E S T I O

9, 3

tur ad actum. Intellectus autem possibilis humanus est in potentia ad omnia intelligibilia. Reducitur autem ad actum pei species intelligibiles, quae sunt formae quaedam completivae ipsius: ut patet ex his quae dicuntur 3 de Anima [cap. 8, n. 1, 2; S. Th., lect. 13]. Et ideo oportet in Christo scientiam ponere inditam, inquantum per Verbum Dei animae Christi, sibi personaliter unitae, impressae sunt species intelligibiles ad omnia ad quae est intellectus possibilis in potentia: sicut etiam per Verbum Dei impressae sunt species intelligibiles menti angelicae in principio creationis rerum, ut patet per Augustinum, super Gen. ad lit. [lib. 2, cap. 8]. Et ideo, sicut in angelis, secundum eumdem Augustinum [De Gen. ad lit., lib. 4, cap. 22], ponitur duplex cognitio, una scilicet matutina, per quam cognoscunt res in Verbo, et alia vespertina, per quam cognoscunt res in propria natura per species sibi inditas; ita, praeter scientiam divinam increatam, est in Christo, secundum ejus animam, scientia beata, qua cognoscit Verbum et in Verbo; et scientia indita sive infusa, per quam cognoscit res in propria natura per species intelligibiles humanae menti proportionatas.

249

431 b 20 sq.

MPL 281/44 MPL 34/321 ¿fiyi2i

9, 3

Z u 1. Dunkle Glaubenserkenntnis und klare Gottesschau stehen in einem inneren Gegensatz zueinander; denn der Glaube ist wesentlich die Erkenntnis dessen, was man nicht schaut (II—II 1, 4; Bd. 15). Dagegen bildet ein Erkennen durch eingegossene Erkenntnisformen keinen Gegensatz zur seligen Gottesschau. Also gilt vom eingegossenen Wissen nicht, was für den Glauben zutrifft [124], Z u 2. Jede „vorbereitende Beschaffenheit" verhält sich zur Vollendung zunächst wie ein Weg, der zu ihr führt, sodann wie eine Wirkung, die aus ihr folgt. So wird der Stoff durch die Wärme vorbereitet, die Form des Feuers aufzunehmen; ist diese da, so verschwindet die Wärme nicht, sondern bleibt als Wirkung des Feuers bestehen. In ähnlicher Weise ist auch eine Meinung, die aus einem Wahrscheinlichkeitsschluß gewonnen wird, der Weg zu der Erkenntnis, die sich aus einem [strengen] Beweis ergibt. Ist eine solche erreicht, so kann trotzdem die erste vorläufige Erkenntnis bestehen bleiben. Sie ist gleichsam die Folgerung aus dem strengen Ursachenbeweis. Denn wer den Beweisgrund kennt, gewinnt dadurch auch eine bessere Einsicht in die Vermutungen, aus denen der Wahrscheinlichkeitsbeweis sich ergibt [125]. Ähnlich bleibt in Christus mit dem Wissen der Seligen zugleich das eingegossene Wissen bestehen, nicht als ein Weg zur seligen Gottesschau, sondern als ein Wissen, das durch sie bestätigt wird. QUAESTIO

9, 3

AD PRIMUM ergo dicendum quod visio imperfecta fldei in sui ratione includit oppositum manifestae visionis: eo quod de ratione fidei est ut sit de non visis, ut in Secunda Parte habitum est. Sed cognitio quae est per species inditas, non includit aliquid oppositum cognitionis beatae. Et ideo non est eadem ratio utrobique. AD SECUNDUM dicendum quod dispositio se habet ad perfectionem dupliciter: uno modo, sicut via ducens in perfectionem; alio modo, sicut efiectus a perfectione procedens. Per calorem enim disponitur materia ad suscipiendum formam ignis: qua tarnen adveniente, calor non cessat, sed remanet quasi quidam effectus talis formae. Et similiter opinio, ex syllogismo dialectico causata, est via ad scientiam, quae per demonstrationem acquiritur: qua tarnen acquisita, potest remanere cognitio quae est per syllogismum dialecticum, quasi consequens scientiam demonstrativam, quae est per causam; quia ille qui cognoscit causam, ex hoc etiam magis potest cognoscere signa probabilia, ex quibus procedit dialecticus syllogismus. Et similiter in Christo simul cum scientia beatitudinis manet scientia indita, non quasi via ad beatitudinem, sed quasi per beatitudinem confirmata.

250

Z u 3. Die selige Gottesschau kommt nicht durch ein 9, 4 Erkenntnisbild zustande, das ein Abbild des göttlichen Wesens oder des in Ihm Erkannten wäre (I 12, 2 u. 9; Bd. 1). Vielmehr ist sie eine unmittelbare Erkenntnis Gottes, da in ihr die göttliche Wesenheit selbst mit dem schauenden Geiste eins wird wie das Erkannte mit dem Erkennenden [126]. Weil aber die göttliche Wesenheit eine Form ist, die das Maß jedes Geschöpfes übersteigt, so können sehr wohl zugleich mit dieser alles überragenden Form dem denkenden Geiste auch Erkenntnisbildei innewohnen, die seiner Natur entsprechen. 4. A R T I K E L Hatte

Christus

durch

Erfahrung

erworbenes

Wissen?

1. Alles, was Christus gebührte, besaß Er in höchstem Maß. Nur von Seinem selbsterworbenen Wissen können wir das nicht sagen. Denn Er hat sich nie gelehrten Studien gewidmet, durch die man sich vornehmlich Wissen aneignet. Johannes (7, 15): „Verwundert fragten die Juden: Wie kennt dieser die Schrift, da Er sie nicht gelernt hat?" Also scheint es in Christus kein erworbenes Wissen gegeben zu haben. QUAESTIO

9, 4

AD TERTIUM dicendum quod cognitio beata non fit per speciem quae sit similitudo divinae essentiae, vel eorum quae in divina essentia cognoscuntur, ut patet ex his quae in Prima Parte dicta sunt: sed talis cognitio est ipsius divinae essentiae immediate, per hoc quod ipsa essentia divina unitur menti beatae sicut intelligibile intelligenti. Quae quidem essentia divina est forma excedens proportionem cujuslibet creaturae. Unde nihil prohibet quin, cum hac forma superexcedente, simul insint rationali menti species intelligibiles proportionatae suae naturae. Utrum

A R T I C U L U S IV in C h r i s t o f u e r i t a l i q u a s c i e n t i a perimentalis acquisita

ex-

[Infra, q. 12, art. 2; q. 15, art. 8; 3 Sent., dlst. 14, art. 3, qa 5 ad 3; dist. 18, art. 3 ad 5; de Ver., q. 20, art. 3 ad 1; Comp. Theol., cap. 216]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerit aliqua scientia experimentalis acquisita. Quidquid enim Christo conveniens fuit, excellentissime habuit. Sed Christus non habuit excellentissime scientiam acquisitam: non enim institit studio litterarum, quo perfectissime scientia acquiritur; dicitur enim Joan. 7: „Mirabantur Judaei, dicentes: Quomodo hic litteras seit, cum non didicerit?" Ergo videtur quod in Christo non fuerit aliqua scientia acquisita.

251

9, 4

2. Ein volles Gefäß kann nichts mehr aufnehmen. Der Verstand Christi war aber erfüllt mit den von Gott eingegossenen Erkenntnisbildern (Art. 3). Also konnte Seine Seele zu diesen nicht noch selbsterworbene Bilder aufnehmen. 3. Wer bereits Wissenschaft als Gehaben in sich trägt, erwirbt durch Sinneswahrnehmungen kein neues Gehaben hinzu, sonst gäbe es zwei Formen der gleichen Art in ein und demselben Träger. Vielmehr wird das bereits vorhandene Gehaben befestigt und vermehrt. Da also Christus das eingegossene Wissen bereits als Gehaben in sich trug, scheint E r sich aus den Sinneswahrnehmungen nicht noch anderes Wissen erworben zu haben. ANDERSEITS heißt es im Hebräerbrief: „Obschon Er der Sohn Gottes war, hat Er im Leiden Gehorsam gelernt" (5, 8). Die Glosse bemerkt dazu: „Das heißt: E r hat ihn durch Erfahrung gelernt." Also gab es in Christus auch Erfahrungs-, d. h. erworbenes Wissen. ANTWORT: Der vom WORTE angenommenen Menschheit fehlte nichts von all dem, „was Gott unserer Natur eingepflanzt hat" (4, 2 E. 2 und Fr. 5). Gott aber hat der Menschennatur nicht nur einen aufnehmenden, sondern auch einen tätigen Verstand eingepflanzt. Daher muß man auch in der Seele Christi beides annehmen. Wenn es allgemein gilt, daß „Gott und die Natur nichts QUAESTIO

9, 4

2. P R A E T E R E A , ei quod est plenum, non potest aliquid superaddi. Sed potentia animae Christi fuit impleta per species intelligibiles divinitus inditas, ut dictum est. Non ergo potuerunt supervenire ejus animae aliquae species acquisitae. 3. PRAETEREA, in eo qui jam habitum scientiae habet, per ea quae a sensu accipit, non acquiritur novus habitus, quia sie duae formae ejusdem speciei simul essent in eodem: sed habitus qui prius inerat, conflrmatur et augetur. Cum ergo Christus habuerit habitum scientiae inditae, non videtur quod per ea quae sensu pereepit, aliquam aliam scientiam acquisierit. SED CONTRA est quod Hebr. 5 dicitur: „Cum esset Filius MPL Dei, didicit e x his quae passus est, obedientiam"; Glossa: 117 856 „idest, expertus est." Ergo fuit in Christo aliqua experimentalis scientia: quae est scientia acquisita. RESPONDEO dicendum quod, sicut e x dictis patet, nihil eorum „quae Deus in nostra natura plantavit", defuit humanae naturae assumptae a Verbo Dei. Manifestum est autem quod in humana natura Deus plantavit non solum intellectum possibilem, sed etiam intellectum agentem. Unde necesse est dicere quod in anima Christi non solum intellectus possibilis, sed etiam intellectus agens fuerit. Si autem in aliis „Deus et natura nihil

252

vergeblich tun" (Aristoteles), dann ist um so weniger in 9, 4 der Seele Christi etwas vergeblich geschehen. Nun ist etwas dann vergeblich, wenn es keine eigene Tätigkeit hat; denn „jedes Ding ist seiner Tätigkeit wegen d a " (Aristoteles). Das dem tätigen Verstand eigene Wirken besteht aber darin, Erkenntnisformen aus den Bildern der Phantasie herauszulösen und sie für den Verstand geistig erkennbar zu machen. Die Aufgabe des tätigen Verstandes ist die, „alles zu erarbeiten" (Aristoteles). So muß man notwendig in Christus auch gewisse Erkenntnisbilder annehmen, die der aufnehmende Verstand durch das Wirken des tätigen empfängt. Das heißt, es gibt in Ihm erworbenes Wissen, das manche Erfahrungswissen nennen. Man muß also daran festhalten, daß es in Christus erworbenes Wissen gibt — obwohl ich anderen Orts anders geschrieben habe [127]. Und dieses Wissen ist wesentlich menschliches Wissen, und zwar sowohl dem aufnehmenden Subjekt nach — wie auch der Wirkursache nach. Denn man nimmt es in Christus nur an auf Grund des tätigen Verstandes, dessen Licht mit der menschlichen Natur als solcher gegeben ist. Das eingegossene Wissen dagegen strömt in die Seele durch ein Licht von oben; es entspricht also der Natur des Engels. Die beQUAESTIO

9, 4

frustra fecerunt", ut Philosophus dicit, in libro de Caelo et Mundo [lib. 1, cap. 4, n. 8 ; S. Th., lect. 8 ] , multo minus in 27ia33 anima Christi aliquid fuit frustra. Frustra autem est quod non habet propriam operationem: cum „omnis res sit propter suam operationem", ut dicitur in 2 de Caelo et Mundo [cap. 3, n. 1 ; 286 a 8 S. Th., lect. 4 ] . Propria autem operatio intellectus agentis est tacere species intelligibiles actu, abstrahendo eas a phantasmatibus: unde dicitur in 3 de Anima [cap. 5, n. 1 ; S. Th., 430ai2 lect. 1 0 ] , quod intellectus agens est „quo est omnia f a c e r e " . Sic igitur necesse est dicere quod in Christo fuerunt aliquae species intelligibiles per actionem intellectus agentis in intellectu possibili ejus receptae. Quod est esse in ipso scientiam acquisitam, quam experimentalem nominant. Et ideo, quamvis aliter alibi [3 Sent., dist. 14, art. 3, qa 5 cf. A m . ad 3 ; dist. 18, art. 3 ad 5] scripserim, dicendum est in Christo [127 a] scientiam acquisitam fuisse. Quae proprie est scientia secundum modum humanum, non solum e x parte recipientis subj e c t s sed etiam ex parte causae agentis: nam talis scientia ponitur in Christo secundum lumen intellectus agentis, quod est humanae naturae connaturale. Scientia autem infusa attribuitur animae humanae secundum lumen desuper infusum: qui modus cognoscendi est proportionatus naturae angelicae.

253

9, 4 seligende Erkenntnis aber, in der das Wesen Gottes selbst geschaut wird, ist nur Gott allein naturgemäß und eigen (I 12, 4 ; Bd. 1). Z u 1. Wissen läßt sich auf zweifache Weise erwerben: durch eigenes Forschen und durch Lernen. Das erste ist die vornehmere Art, die Unterweisung kommt an zweiter Stelle. Aristoteles schreibt im ersten Buch der Ethik: „Trefflich, wer einem guten Lehrer folgt; vortrefflich aber, wer alles Erkennen aus sich selber schöpft." Deshalb müssen wir Christus mehr schöpferisch erworbenes Wissen als bloßes Lernen zuschreiben, zumal E r von Gott allen zum Lehrer bestimmt war. „Freuet euch im Herrn, eurem Gott, denn E r hat euch einen Lehrer der Gerechtigkeit gegeben" (Joel 2, 23). Z u 2. Im Menschengeist findet sich eine doppelte Hinordnung. Die eine ist nach oben gerichtet; danach war in der Seele Christi die Fülle des eingegossenen Wissens. Die andere weist nach unten, d. h. auf die Bilder der Phantasie, deren Aufgabe es ist, den Menschengeist durch die Kraft des tätigen Verstandes für die Erkenntnis zu befruchten. Auch in dieser Beziehung mußte die Seele Christi mit Wissen erfüllt werden; nicht als ob jene eingegossene Wissensfülle an sich dem menschlichen Geiste [Christi] nicht genügt hätte, sonQUAESTIO

9, 4

Scientia vero beata, per quam ipsa Dei essentia videtur, est propria et connaturalis soli Deo: ut in Prima Parte habitum est. AD PRIMUM ergo dicendum quod, cum duplex sit modus acquirendi scientiam, scilicet inveniendo et addiscendo, modus qui est per inventionem est praecipuus, modus autem qui est I095bi0 per disciplinam est secundarius. Unde dicitur in 1 Ethic. Hesiod [cap. 4, n. 7 ; S. Th., lect. 4 ] : „Ille quidem optimus est qui omnia per seipsum intelligit: bonus autem et ille qui bene dicenti obediet." Et ideo Christo magis competebat habere scientiam acquisitam per inventionem quam per disciplinam: praesertim cum ipse daretur a Deo omnibus in Doctorem, secundum illud Joel 2 : „Laetamini in Domino Deo vestro: quia dedit vobis Doctorem justitiae." AD SECUNDUM dicendum quod humana mens duplicem habet respectum. Unum quidem ad superiora. Et secundum hunc respectum, anima Christi fuit plena per scientiam inditam. Alius autem respectus ejus est ad inferiora: idest ad phantasmata, quae sunt nata movere mentem humanam per virtutem intellectus agentis. Oportuit autem quod etiam secundum hunc respectum 1 scientia impleretur: non quin prima plenitudo 1 P et L a d d u n t : a n i m a Christi.

254

dem weil dieser auch in seiner Hinordnung auf die Sin- 9, 4 nenbilder vollendet werden mußte. Z u 3. Ein erworbenes Gehaben ist wesentlich verschieden von einem eingegossenen. Denn erwerben läßt sich das Wissen als [geistiges] Gehaben nur mit Hilfe der Phantasiebilder, deshalb kann man in bezug auf dasselbe Sachgebiet kein zweites Gehaben mehr hinzugewinnen. Dagegen ist ein eingegossenes Wissen wesentlich von ihm verschieden, weil es von oben her der Seele eingesenkt ist, unabhängig von Phantasiebildern. Darum ist der Sachverhalt in den beiden Fällen nicht derselbe. QUAESTIO

9, 4

menti humanae suffleeret secundum seipsam; sed oportebat earn perfici etiam secundum comparationem ad phantasmata. AD TERTIUM dicendum quod alia ratio est de habitu acquisito, et de habitu infuso. Nam habitus scientiae acquiritur per comparationem humanae mentis ad phantasmata: unde secundum eamdem rationem non potest alius habitus iterato acquiri. Sed habitus scientiae infusae est alterius rationis, utpote a superiori descendens in animam, non secundum proportionem phantasmatum. Et ideo non est eadem ratio de utroque habitu.

255

10.

1 DIE

GOTTESSCHAU

FRAGE DER

SEELE

CHRISTI

Nun beschäftigen wir uns mit jeder einzelnen der erwähnten Wissensarten. Da das Wissen Gottes bereits im ersten Buch ( F r . 14, Bd. 2 ) behandelt wurde, so haben wir nur noch das Wissen der Seligen, das eingegossene und das erworbene Wissen, zu betrachten. — Auch von dem Wissen der Seligen im Schauen Gottes erübrigt nur noch das zu besprechen, was der Seele Christi im besonderen eignet, da von diesem Wissen gleichfalls im ersten Buch ausführlich die Rede war (Fr. 12, Bd. 1). W i r fragen uns: 1. Hat die Seele Christi das WORT oder das Wesen Gottes erschöpfend erkannt? 2. Hat sie im WORT alles erkannt? 3. Hat sie in Ihm Unendliches erkannt? 4. Schaut sie das WORT oder das Wesen Gottes klarer, als irgendein anderes Geschöpf es v e r m a g ? Hat die Seele

1. A R T I K E L Christi das WORT oder das Wesen erschöpfend erkannt [128]?

Gottes

1. „Die heiligste Dreifaltigkeit ist sich allein und dem [vom W O R T E ] angenommenen Menschen bekannt" (IsiQUAESTIO

X

DE SCIENTIA BEATA ANIMAE CHRISTI Deinde considerandum est de qualibet praedictarum scientiarum. Sed quia de scientia divina dictum est in Prima Parte, restat nunc videre de aliis: primo, de scientia beata; secundo, de scientia indita; tertio, de scientia acquisita. Sed quia de scientia beata, quae in Dei visione consistit, plura dicta sunt in Prima Parte, ideo hic sola illa videntur dicenda quae pertinent ad animam Christi. Circa hoc quaeruntur quatuor: 1. Utrum anima Christi comprehenderit Verbum, sive divinam essentiam. — 2. Utrum cognoverit omnia in Verbo. — 3. Utrum anima Christi in Verbo cognoverit infinita. — 4. Utrum videat Verbum, vel divinam essentiam, clarius qualibet alia creatura. ARTICULUS I U t r u m a n i m a C h r i s t i c o m p r e h e n d e r i t et comprehendat Verbum sive divinam essentiam [3 Sent , dist. 14, art. 2, qa 1; de Ver., q. 20, art. 4, 5; cap. 216; 1 ad Tim., cap. 6, lect. 3]

Comp. Theol ,

AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi comprehenderit et comprehendat Verbum, sive divinam essen-

256

dor) [ 1 2 9 ] . Also nimmt der [vom W O R T E ] „angenom- 10, 1 mene Mensch" an jener Selbsterkenntnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit teil, die Ihr allein eignet. Das ist aber eine erschöpfende Erkenntnis. Somit kann die Seele Christi das Wesen Gottes ganz erfassen. 2. Die Vereinigung mit Gott in der Person ist inniger als die Vereinigung in der seligen Gottesschau. Nun sagt Johannes von Damaskus: „In einer der drei Personen ist die ganze Gottheit mit der menschlichen Natur in Christus vereinigt." Um wieviel mehr muß daher die ganze göttliche Natur von der Seele Christi geschaut, das heißt, erschöpfend erkannt werden. 3. „Was dem Sohne Gottes von Natur aus zukommt, kommt dem Menschensohne durch die Gnade zu" (Augustinus). Wie es nun der Natur des Gottessohnes entspricht, die göttliche Wesenheit erschöpfend zu erkennen, so steht dies dem Menschensohne durch die Gnade zu. Demnach scheint die Seele Christi das WORT durch die Gnade zu begreifen. A N D E R S E I T S lesen wir bei Augustinus: „Sich [ganz] begreifen heißt, sich selbst [sein W e s e n ] umgrenzen." Die Seele Christi schließt aber die göttliche Wesenheit nicht in ihre Grenzen ein, da Gottes Wesen sie unendlich weit überragt. Also begreift die Seele Christi das WORT nicht ganz. QÜAK8TIO

10, L

tiam. Dicit enim Isidoras [De Sum. Bon., lib. 1, cap. 3] quod MPL „Trinitas sibi soli nota est, et homini assumpto". Igitur homo 8 3 / 5 4 3 assumptus communicat cum sancta Trinitate in illa notitia sui quae est sanctae Trinitatis propria. Hujusmodi autem [est] notitia comprehensionis. Ergo anima Christi comprehendit divinam essentiam. 2. PRAETEREA, magis est uniri Deo secundum esse personale quam secundum visionem. Sed, sicut Damascenus dicit, in MPG 3. libro [De Fide Orth., lib. 3, cap. 6], „tota divinitas, in una 9 4 1 0 0 6 personarum, est unita humanae naturae in Christo". Multo igitur magis tota natura divina videtur ab anima Christi. Et ita videtur quod anima Christi comprehendit divinam essentiam. 3. PRAETEREA, „illud quod convenit Filio Dei per naturam, convenit Filio Hominis per gratiam", ut Augustinus dicit, in MPL libro de Trinitate [cf. lib. 1, cap. 13]. Sed comprehendere 42 ' 480s< idivinam essentiam competit Filio Dei per naturam. Ergo Filio Hominis competit per gratiam. Et ita videtur quod anima Christi per gratiam Verbum comprehendat. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro Octoginta- MPL 40.15 trium Quaest. [q. 15] : „Quod se comprehendit, flnitum est sibi." Sed essentia divina non est finita in comparatione ad animam Christi: cum in infinitum eam excedat. Ergo anima Christi non comprehendit Verbum.

257

10, 1

ANTWORT: Wie oben (2, 1) gezeigt wurde, geschieht die Vereinigung der beiden Naturen in der Person Christi so, daß ihre Eigenarten doch unvermischt bestehen bleiben. „Das Ungeschaffene bleibt ungeschaffen, und das Geschaffene innerhalb der Grenzen des Geschöpfes" (Johannes von Damaskus). Nun ist es aber unmöglich, daß irgendein Geschöpf das Wesen Gottes ganz begreift (I 12, 7 ; Bd. 1), denn das Unendliche wird vom Endlichen nicht umfaßt. Daher vermochte auch die Seele Christi keineswegs das Wesen Gottes vollkommen zu begreifen. Z u l . Wenn der [vom WORTE ] „angenommene Mensch" der Allerheiligsten Dreifaltigkeit in der Erkenntnis Ihrer selbst gleichgestellt wird, so will das nur sagen, daß Seine Gotteserkenntnis über die geschöpfliche weit erhaben ist — nicht aber, daß Er darin das Wesen Gottes ganz begreift. Z u 2. Auch durch die Einheit im Personsein vermag die menschliche Natur das WORT und das Wesen Gottes nicht vollkommen zu erkennen; denn obwohl die göttliche Natur in der Person des Sohnes g a n z mit der menschlichen vereinigt war, so hat diese doch nicht die g a n z e Kraft der Gottheit gleichsam umschlossen. Daher schreibt Augustinus: „Wisse, daß nach der Lehre des Christentums Gott sich nicht derart in Seinen menschQUAESTIO

MPG 998

94/

MPL ?S 6 EL 44/100

10, L

R E S P O N D E O d i c e n d u m quod, sicut e x s u p r a dictis patet, sie facta est unio n a t u r a r u m in p e r s o n a Christi quod tarnen p r o p r i e tas u t r i u s q u e n a t u r a e i n c o n f u s a p e r m a n s i t : ita scilicet quod „inc r e a t u m m a n s i t i n c r e a t u m , et c r e a t u m m a n s i t i n f r a l i m i t e s c r e a t u r a e " , sicut D a m a s c e n u s dicit, in 3. libro [ D e F i d e Orth., lib. 3, c a p . 3 ] . E s t a u t e m impossibile quod a l i q u a c r e a t u r a c o m p r e h e n d a t d i v i n a m e s s e n t i a m , sicut in P r i m a P a r t e d i c t u m e s t : eo quod infinitum n o n c o m p r e h e n d i t u r a finito. E t i d e o d i c e n d u m quod a n i m a Christi nullo m o d o c o m p r e h e n d i t d i v i n a m essentiam. A D P R I M U M e r g o d i c e n d u m quod h o m o a s s u m p t u s c o n n u m e r a t u r d i v i n a e T r i n i t a t i in sui cognitione, n o n r a t i o n e c o m p r e h e n s i o n i s , s e d r a t i o n e c u j u s d a m e x c e l l e n t i s s i m a e cognitionis prae ceteris creaturis. A D S E C U N D U M d i c e n d u m quod n e c e t i a m in u n i o n e q u a e est s e c u n d u m esse p e r s o n a l e , n a t u r a h u m a n a c o m p r e h e n d i t V e r b u m Dei, sive n a t u r a m d i v i n a m : q u a e q u a m v i s tota unita f u e r i t h u m a n a e n a t u r a e in u n a p e r s o n a Filii, non t a r n e n fuit tota v i r t u s divinitatis a b h u m a n a n a t u r a quasi c i r c u m s c r i p t a . U n d e A u g u s t i n u s dicit, in E p i s t o l a a d V o l u s i a n u m [epist. 1 3 7 ] : v°l° n o n "®c*re hoc C h r i s t i a n a m h a b e r e d o c t r i n a m , quod ita D e n s infusus sit c a r n i ut c u r a m g u b e r n a n d a e u n i v e r s i t a t i s vel

258

liehen Leib eingeschlossen hat, daß Er damit die Welt- 10, 2 regierung aufgegeben, eingebüßt oder beschränkt und auf ein Kindlein übertragen hätte." In ähnlicher Weise schaut die Seele Christi zwar das ganze Wesen Gottes, doch begreift sie es nicht ganz. Denn sie durchschaut es nicht in seiner Ganzheit, d. h. nicht so weit und so tief, wie es in sich erkennbar ist (I 12, 7; Bd. 1). Z u 3. Das Wort des hl. Augustinus ist von der Gnade der Vereinigung zu verstehen. Ihretwegen kann man alles, was von der Gottheit des Sohnes gilt, auch vom Menschensohne aussagen, denn beide sind nur eine Person. In diesem Sinne darf man mit Recht sagen, der Menschensohn begreife das Wesen Gottes ganz — zwar nicht mit Seiner Seele, wohl aber durch Seine göttliche Natur. In der gleichen Weise, wie man den Menschensohn auch Schöpfer nennen kann. 2. A R T I K E L Erkennt

die Seele

Christi

im

WORT

alle Dinge

[130]?

1. Bei Markus 13, 32 heißt es: „Den Tag aber [und die Stunde] kennt niemand, weder die Engel im Himmel noch der Sohn, sondern nur der Vater." Also erkannte die Seele Christi im WORT nicht alle Dinge. QUAESTIO

10, 2

deseruerit vel amiserit, vel ad illud corpusculum quasi contractam collectamque transtulerit." Et similiter anima Christi totam essentiam Dei videt: non tarnen eam comprehendit, quia eam non totaliter videt, idest, non ita perfecte sicut visibilis est, ut in Prima Parte expositum est. AD TERTIUM dicendum quod verbum illud Augustini est intelligendum de gratia unionis, secundum quam omnia quae dicuntur de Filio Dei secundum naturam divinam, dicuntur de Filio Hominis, propter identitatem suppositi. Et secundum hoc, vere potest dici quod Filius Hominis est comprehensor divinae essentiae: non quidem secundum animam, sed secundum divinam naturam. Per quem etiam modum potest dici quod Filius Hominis est Creator. Utrum

anima

A R T I C U L U S II C h r i s t i in V e r b o

omnia

[3 Sent., dlst. 14, a r t . 2, qa 2; de Ver., q. 8, a r t . 4; Comp. Theol., cap. 216]

cognoscat q. 20, »rt. 4, 6;

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi in Verbo non cognoscat omnia. Dicitur enim Marci 13: „De die autem illo nemo seit, neque angeli in caelo neque Filius, nisi Pater." Non igitur omnia seit in Verbo. 17*

259

10, 2

2. Je vollkommener jemand den Grund eines Dinges durchschaut, um so mehr wird er in ihm erkennen. Nun schaut Gott Sein Wesen vollkommener, als die Seele Christi es vermag, und erkennt daher im WORT mehr als sie. Also erkennt die Seele Christi nicht a l l e s im WORT. 3. Das Maß des Wissens richtet sich nach dem Umfang des Wißbaren. Wenn also die Seele Christi im WORT alles erkennen würde, was dieses selbst erkennt, dann müßte ihr Wissen dem göttlichen Wissen gleichkommen — das Geschaffene dem Ungeschaffenen. Das ist unmöglich. ANDERSEITS finden wir bei dem Worte der Geheimen Offenbarung: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, zu empfangen die Gottheit und das Wissen" (5, 12) die Bemerkung der Glosse: „Das heißt, die Erkenntnis aller Dinge." ANTWORT: Wenn man fragt, ob Christus im WORTE alles erkennt, so muß man auf den doppelten Sinn des Wortes „alles" achten. Erstens kann man es im eigentlichen Sinn verstehen; dann bedeutet es die Fülle dessen, was irgendwie ist, war und sein wird — was je gesagt, getan und erkannt worden ist. In diesem Sinne erkennt die Seele Christi im WORT alles. In der seligen Gottesschau erkennt nämlich jeder geschaffene Verstand im WORT — zwar nicht alles schlechthin, aber um so mehr, je vollkommener er Q U A E S T I O 10, 2

2. P R A E T E R E A , quanto aliquis perfectius cognoscit aliquod principium, tanto plura in illo principio cognoscit. Sed Deus perfectius videt essentiam suam quam anima Christi. Ergo plura cognoscit in Verbo quam anima Christi. Non ergo anima Christi in Verbo cognoscit omnia. 3. P R A E T E R E A , quantitas scientiae attenditur secundum quantitatem scibilium. Si ergo anima Christi sciret in Verbo omnia quae seit Verbum, sequeretur quod scientia animae Christi aequaretur scientiae divinae, creatum vide licet increato. Quod est impossibile. SED CONTRA est quod, super illud Apoc. 5 : „Dignus est mpl Agnus qui occisus est aeeipere divinitatem et scientiam", Glossa im/721 (ji c it : „idest, omnium cognitionem". RESPONDEO dicendum quod, cum quaeritur an Christus côgnoscat omnia in Verbo, dicendum est quod ly omnia potest dupliciter aeeipi. Uno modo, proprie: ut distribuât pro omnibus quae quocumque modo sunt vel erunt vel fuerunt, vel dicta vel facta vel cognita a quocumque, secundum quodeumque tempus. Et sie dicendum quod anima Christi in Verbo cognoscit omnia. Unusquisque enim intellectus creatus in Verbo cognoscit, non quidem omnia simpliciter, sed tanto plura quanto

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das WORT schaut. Jedenfalls erkennt er im WORT alles, 10, 2 was zu ihm selbst in irgendeiner Beziehung steht. Zu Christus und Seiner Würde steht aber a l l e s in einem gewissen Sinne in Beziehung. Denn „Ihm ist a 11 e s unterworfen" (1 Kor 15, 27). Auch „gab Ihm Gott die Macht, Gericht zu halten; denn Er ist der Menschensohn" (Jo 5, 27). Deshalb erkennt die Seele Christi im WORT alle Wesen aller Zeiten und die Gedanken aller Menschen, denn Er ist ihr Richter. Und so kann das Wort: „Er kannte selbst das Innere der Menschen" (Jo 3, 25) nicht bloß vom göttlichen Wissen Christi verstanden werden, sondern auch von dem Wissen, das Seine Seele im WORT hat. Zweitens kann man das Wort „alles" im weiteren Sinn nehmen. Dann bedeutet es nicht nur, was sich im Laufe aller Zeiten tatsächlich ereignet hat; sondern es drückt auch all das aus, was zwar möglich wäre, aber niemals Ereignis wird. Viele aber dieser Möglichkeiten hängen allein von der Macht Gottes a b ; und diese erkennt die Seele Christi nicht alle, indem sie das WORT erkennt. Sie würde ja sonst alles erkennen, was Gott wirken kann — folglich die Macht Gottes und damit auch Sein Wesen begreifen; denn jede Macht erkennt man aus dem, was sie kann. Dagegen gibt es aber manches, das nicht allein in der Macht Gottes, sondern auch in der Macht des GeQÜAESTIO

10, 2

perfectius videt Verbum: nulli tarnen intellectui beato deest quin cognoscat in Verbo omnia quae ad ipsum spectant. Ad Christum autem, et ad ejus dignitatem, spectant quodammodo omnia: inquantum ei subjecta sunt omnia. Ipse est etiam „omnium judex constitutus a Deo, quia Filius Hominis est", ut dicitur Joan. 5. Et ideo anima Christi in Verbo cognoscit omnia existentia secundum quodcumque tempus, et etiam hominum cogitatus, quorum est judex: ita quod de eo dicitur, Joan. 3, „Ipse enim sciebat quid esset in homine"; quod potest intelligi non solum quantum ad scientiam divinam, sed etiam quantum ad scientiam animae ejus quam habet in Verbo. Alio modo ly omnia potest accipi magis large: ut extendatur non solum ad omnia quae sunt actu secundum quodcumque tempus, sed etiam ad omnia quaecumque sunt in potentia nunquam reducta ad actum. Horum autem quaedam sunt solum in potentia divina. Et hujusmodi non omnia cognoscit in Verbo anima Christi. Hoc enim esset comprehendere omnia quae Deus potest facere: quod esset comprehendere divinam virtutem, et per consequens divinam essentiam; virtus enim quaelibet cognoscitur per cognitionem eorum in quae potest. — Quaedam vero sunt non solum in potentia divina, sed etiam

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10, 2 schöpfes steht. Das alles erkennt die Seele Christi im WORT. Denn in Ihm begreift sie das Wesen aller Geschöpfe, folglich auch ihre Macht und ihre Kraft; und damit alles, was diese zu wirken imstande sind. Z u 1. Dieses Schriftwort deuteten Arius und Eunomius [131 ] nicht auf das Wissen der Seele — denn diese leugneten sie in Christus (5, 3). Sie bezogen es auf das göttliche Wissen des Sohnes, das nach ihrer Ansicht geringer war als das Wissen des Vaters. — Das aber ist unhaltbar. Denn „durch das WORT ist a l l e s geworden" (Jo 1, 3) — somit auch alle Zeiten. Was Er aber schuf, ist Ihm auch bekannt. Und wenn geschrieben steht, Er kenne weder Tag noch Stunde des Gerichtes, so bedeutet das: Er läßt es niemanden wissen. Denn als die Apostel Ihn darüber befragten (Apg 1, 67), wollte Er es ihnen nicht offenbaren. Dagegen finden wir im ersten Buche Moses' das Wort des Herrn: „Jetzt weiß Ich, daß du Gott fürchtest" (Gen 22, 12). Und das bedeutet [nach der Glosse]: „Jetzt habe Ich dich erkennen lassen [daß du Gott fürchtest]." — Es heißt aber in dem obigen Schriftwort, der Vater wisse es, weil Er Seine Erkenntnis dem Sohne mitgeteilt hat. Die Worte „außer der Vater" sind daher so zu verstehen, daß dies der Sohn nicht nur als Gott, sondern auch als Mensch erkannt habe. Denn — so beweist Chrysostomus — „wenn es dem Menschen ChriQ U A E S T I O 10, 2

in potentia creaturae. Et hujusmodi omnia cognoscit anima Christi in Verbo. Comprehendit enim in Verbo omnis creaturae essentiam: et per consequens potentiam et virtutem, et omnia quae sunt in potentia creaturae. AD PRIMUM ergo dicendum quod illud verbum intellexerunt Arius et Eunomius, non quantum ad scientiam animae, quam in Christo non ponebant, ut supra dictum est: sed quantum ad divinam cognitionem Filii, quem ponebant esse minorem Patre quantum ad scientiam. — Sed istud stare non potest. Quia „per Verbum Dei facta sunt omnia", ut dicitur Joan. 1: et, inter alia, facta sunt etiam per ipsum omnia tempora. Nihil autem per ipsum factum est quod ab eo ignoretur. Dicitur ergo nescire diem et horam judicii, quia non facit scire: interrogatus enim ab Apostolis super hoc, Act. 1, hoc eis noluit revelare. Sicut e contrario legitur Gen. 22: „Nunc cognovi quod timeas Deum", idest, „Nunc cognoscere te feci". Dicitur autem Pater scire, eo quod hujusmodi cognitionem tradidit Filio. Unde in hoc ipso quod dicitur, nisi Pater, datur intelligi quod Filius cognoscat, non solum quantum ad divinam naturam, sed etiam quantum ad humanam. Quia, ut ChrysoMPG stomus argumentatur [hom. 77], „si Christo homini datum est 58 703

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stus gegeben ist, das Größere zu wissen, nämlich w i e 10, 2 Er richten sollte, so mußte Ihm um so mehr das Geringere, nämlich die Z e i t des Gerichtes, bekannt sein." Origenes jedoch bezieht diese Worte des Herrn auf „Seinen mystischen Leib, die Kirche" (Kol 1, 24), die den Zeitpunkt [des Gerichtes] nicht kennt. Andere wieder behaupten, hier sei nur der an Kindes Statt angenommene, nicht der ewige Gottessohn gemeint. Z u 2. Gott erkennt Sein Wesen vollkommener, als die Seele Christi es erkennt. Denn Er allein begreift es ganz. Er erkennt in sich selbst alles, was im Laufe der Zeiten sich einmal ereignen wird, und alles, was Er sonst noch schaffen könnte. Die erste Art des göttlichen Erkennens nennt man „das schauende Wissen", die zweite „das einfache Erkennen" [132]. Nun erkennt die Seele Christi wohl alles, was Gott in sich selber sieht vermöge des „schauenden Wissens", nicht aber alles, was Er sieht vermöge des Wissens der „einfachen Erkenntnis". Also sieht Gott in sich selbst mehr als die Seele Christi. Z u 3. Die Größe des Wissens bemißt sich nicht bloß nach dem Umfang des Wißbaren, sondern auch nach der Klarheit der Erkenntnis. An Umfang des Wißbaren kommt zwar das Wissen der Seele Christi, das sie im WORT hat, dem „Wissen der Schau" gleich, die Gott in sich selbst hat; doch überragt Gottes Wissen das ihrige QUAESTIO

10, 2

ut sciat qualiter oporteat judicare, quod est majus; multo magis datum est ei scire quod est minus, scilicet tempus judicii". Origenes tarnen hoc exponit [tract. 30 in Matth.] de Christo MPG secundum „corpus ejus, quod est Ecclesia", quae hoc ipsum 13,1682 tempus ignorat. — Quidam autem dicunt hoc esse intelligendum de Filio Dei adoptivo, non de naturali. AD SECUNDUM dicendum quod Deus perfectius cognoscit suam essentiam quam anima Christi, quia eam comprehendit. Et ideo cognoscit omnia non solum quae sunt in actu secundum quodcumque tempus, quae dicitur cognoscere scientia visionis; sed etiam omnia quaecumque ipse potest facere, quae dicitur cognoscere per simplicem intelligentiam, ut in Primo habitum est. Seit ergo anima Christi omnia quae Deus in seipso cognoscit per scientiam visionis: non tarnen omnia quae Deus in seipso cognoscit per scientiam simplicis intelligentiae. Et ita plura seit Deus in seipso quam anima Christi. AD TERTIUM dicendum quod quantitas scientiae non solum attenditur secundum numerum seibilium, sed etiam secundum claritatem cognitionis. Quamvis igitur scientia animae Christi quam habet in Verbo, parificetur scientiae visionis quam Deus habet in seipso, quantum ad numerum seibilium; scientia tarnen Dei excedit in infinitum, quantum ad claritatem cognitionis,

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10, 3 unendlich an des göttlichen das die Seele des Erkennens und Zu 2). Kann die Seele

Klarheit. Denn das ungeschaffene Licht Geistes übertrifft jedes erschaffene Licht, Christi empfängt, unendlich an Klarheit und auch an Fülle des Wißbaren (Antw. 3. A R T I K E L Christi im WORT Unendliches

erkennen?

1. Die Begriffsbestimmung des Unendlichen schließt seine Erkennbarkeit aus. Denn nach Aristoteles ist „unendlich das, bei dessen Abschätzung stets ein [unendlicher] Rest bleibt". Nun ist es unmöglich, eine Begriffsbestimmung von ihrem Bestimmungsgegenstand zu trennen. Denn das w ä r e die Gleichsetzung zweier Gegensätze. Also kann die Seele Christi nicht Unendliches erkennen. 2. Das Wissen um Unendliches ist selbst unendlich. Das Wissen der Seele Christi kann aber nicht unendlich sein, weil sie als Geschöpf endlich und ihr Fassungsvermögen begrenzt ist. Also kann sie nicht Unendliches erkennen. 3. E s gibt nichts Größeres als das Unendliche. Das Wissen Gottes umfaßt an und für sich aber mehr als QUAESTIO

10, 3

scientiam animae Christi. Quia lumen increatum divini intellectus in infinitum excedit lumen creatum quodcumque receptum in anima Christi, non solum quantum ad modum cognoscendi, sed etiam quantum ad numerum scibilium, ut dictum est. A R T I C U L U S III Utrum anima Christi possit cognoscere i n f i n i t a in V e r b o [3 Sent., dist. 14, art. 2, qa 2 ad 2; qa 4 ad 2; de Ver., q. 20, art. 4 ad 1 sqq.; Quodl. 3, q 2, art. 1]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi non possit cognoscere infinita in Verbo. Quod enim infinitum cognoscatur, repugnat definitioni infiniti: prout dicitur in 207 a i 3 Physic. [cap. 6, n. 8; S. Th., lect. 11] quod „infinitum est cujus quantitatem aeeipientibus Semper est aliquid extra accipere". Impossibile autem est definitionem a definito separari: quia hoc esset contradictoria esse simul. Ergo impossibile est quod anima Christi sciat infinita. 2. PRAETEREA, infinitorum scientia est infinita. Sed scientia animae Christi non potest esse infinita: est enim capacitas ejus finita, cum sit creatura. Non ergo anima Christi potest cognoscere infinita. 3. PRAETEREA, infinito non potest esse aliquid majus. Sed plura continentur in scientia divina, absolute loquendo, quam

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das Wissen der Seele Christi (Art. 2). Also erkennt sie 10, 3 nicht Unendliches. ANDERSEITS erkennt die Seele Christi ihr ganzes Vermögen und alles, was sie kann. Dazu gehört auch die Reinigung von unendlich vielen Sünden. „Er ist die Sühne für unsere Sünden — nicht für unsere allein, auch für die der ganzen Welt" (1 Jo 2, 2). Also erkennt die Seele Christi Unendliches. ANTWORT: Wissen kann sich nur auf ein Seiendes erstrecken, weil das Seiende und das Wahre vertauschbar sind [133]. Man unterscheidet aber ein doppeltes Seiendes: ein Wirkliches — das Seiende schlechthin — und ein Mögliches, das man nur „Seiendes mit Einschränkung" nennt. Nun kann nach Aristoteles nur Wirkliches, nicht aber Mögliches Gegenstand des Erkennens sein. Also erstreckt sich ein Wissen ursprünglich und hauptsächlich auf das wirklich Seiende. Erst in zweiter Linie umfaßt es auch das Mögliche, das nicht in sich selbst erkennbar ist, sondern nur in dem erkannt wird, in dessen Vermögen es begründet ruht. Das Wissen der Seele Christi vom w i r k l i c h Seienden ist nicht unendlich, da nicht unendlich viele Dinge [zugleich] wirklich sind — selbst wenn man alles Geschehen aller Zeiten zusammenfaßte. Denn der Zustand des Werdens und Vergehens dauert nicht endlos fort. DesQUAESTIO

10, 3

in scientia animae Christi, ut dictum est. Ergo anima Christi non cognoscit infinita. SED CONTRA, anima Christi cognoscit totam suam potentiam, et omnia in quae potest. Potest autem in emundationem infinitorum peccatorum: secundum illud 1 Joan. 2: „Ipse est propitiatio pro peccatis nostris: non autem pro nostris tantum, sed etiam totius mundi." Ergo anima Christi cognoscit infinita. RESPONDEO dicendum quod scientia non est nisi entis: eo quod ens et verum convertuntur. Dupliciter autem dicitur aliquid ens: uno modo, simpliciter, quod scilicet est ens actu; alio modo, secundum quid, quod scilicet est ens in potentia. Et quia, ut dicitur in 9 Metaphys. [S. Th., lect. 10], unumquod- 1051 a 30 que cognoscitur secundum quod est actu, non autem secundum quod est in potentia, scientia primo et principaliter respicit ens actu. Secundario autem respicit ens in potentia: quod quidem non secundum seipsum cognoscibile est, sed secundum quod cognoscitur illud in cujus potentia existit. Quantum igitur ad primum modum scientiae, anima Christi non seit infinita. Quia non sunt infinita in actu, etiam si accipiantur omnia quaecumque sunt in actu secundum quodeumque tempus: eo quod status generationis et corruptionis non durat in infinitum; unde est certus numerus non solum eorum quae

18 25

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3 halb ist die Zahl derer, die diesem Wechsel unterworfen sind, ebenso bestimmt wie die Zahl jener, die kein Werden und Vergehen kennen. Dagegen erkennt die Seele Christi im WORT unendlich viele Möglichkeiten. Sie weiß nämlich alles, was im Bereiche der geschöpfliehen Kräfte möglich ist (Art. 2). Und weil das unendlich vieles ist, so erkennt sie eben auch unendlich vieles. Sie weiß es gleichsam wie im „Wissen der einfachen Erkenntnis", — nicht aber wie im „Wissen der Schau". Z u 1. Wie schon gesagt (7, 1; Bd. 1), kann man Form und Stoff unendlich nennen. Bei der Form hat das Wort „unendlich" ausgesprochen verneinende Bedeutung; es besagt, daß ihr weder durch den Stoff noch durch den Träger, von dem sie aufgenommen wird, Grenzen gesetzt sind. Ein Unendliches dieser Art ist an und für sich wegen seiner vollkommenen Wirklichkeit im höchsten Grad erkennbar, wenn es auch der endliche Verstand des Geschöpfes nicht ganz begreifen kann. In diesem Sinne nennen wir Gott unendlich, und derart Unendliches erkennt die Seele Christi, — wenn auch nicht erschöpfend. Beim Stoff dagegen drückt „unendlich" einen Mangel aus. Denn es besagt, daß er keine Form besitzt, obwohl er für eine solche bestimmt ist. In diesem Sinne spricht man von einem Unendlichen der Größe nach. Ein Unendliches solcher Art ist an sich nicht erkennbar, denn Q UAE STI 0

10, 3

sunt absque generatione et corruptione, sed etiam generabilium et corruptibilium. — Quantum vero ad alium modum sciendi, anima Christi in Verbo seit infinita. Seit enim, ut dictum est, omnia quae sunt in potentia creaturae. Unde, cum in potentia creaturae sint infinita, per hunc modum seit infinita, quasi quadam scientia simplicis intelligentiae, non autem scientia visionis. AD PRIMUM ergo dicendum quod infinitum, sicut in Prima Parte dictum est, dupliciter dicitur. Uno modo, secundum rationem formae. Et sie dicitur infinitum negative: scilicet id quod est forma vel actus non limitatus per materiam vel subjectum in quo reeipiatur. Et hujusmodi infinitum, quantum est de se, est maxime cognoscibile, propter perfectionem actus, licet non sit comprehensibile a potentia finita creaturae: sie enim dicitur Deus infinitus. Et tale infinitum anima Christi cognoscit, licet non comprehendat. Alio modo dicitur infinitum secundum potentiam materiae. Quod quidem dicitur privative: ex hoc scilicet quod non habet formam quam natum est habere. Et per hunc modum dicitur infinitum in quantitate. Tale autem infinitum ex sui ratione

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es ist gleichsam ungeformter Stoff (Aristoteles). J e d e 10, 3 Erkenntnis aber kommt durch die F o r m oder Wirklichkeit zustande. Also ist es unmöglich, ein Unendliches dieser Art zu erkennen, wie es in sich ist, d. h. alle seine Teile nacheinander zu erfassen (Aristoteles). Und so ist es wahr, daß bei der Abschätzung des „Unendlichen" — d. h. Teil nach Teil genommen — „immer ein [unendlicher] Rest bleibt". Wie aber der Verstand Stoffliches geistig und eine Vielheit als Einheit zu erkennen vermag, so kann auch das Unendliche in den Verstand eingehen. E r nimmt es zwar nicht als solches auf, sondern gleichsam in endlicher Form, so daß für den erkennenden Verstand endlich wird, was in sich selbst unendlich ist. Und so erkennt die Seele Christi das Unendliche — nicht in seinen einzelnen Teilen, wohl aber als Einheit, z. B. in irgendeinem Geschöpf, in dem unendlich viele Möglichkeiten schon ruhen; und vor allem im WORT selbst. Z u 2. E s hindert nichts, daß etwas in einer Hinsicht unendlich, in einer anderen aber endlich ist. Wir können uns in der Größenordnung z. B. eine Fläche vorstellen, die der Länge nach unendlich, doch der Breite nach endlich ist. — So wären auch unendlich viele Menschen in gewisser Hinsicht — nämlich der Zahl nach — etwas Unendliches. In ihrem Wesen aber erreichten sie QUAESTIO

10, 3

est ignotum: quia scilicet est quasi materia cum privatione formae, ut dicitur in 3 Physic, [cap. 6, n. 10; S. Th., lect. 11]; 207 a 25 omnis autem cognitio est per formam vel actum. Sic igitur, si hujusmodi infinitum cognosci debeat secundum modum ipsius cogniti, impossibile est quod cognoscatur: est enim modus ipsius ut accipiatur pars ejus post partem, ut dicitur in 3 Physic. 207ai'3/8 [cap. 6, n. 2, 3; S. Th., lect. 10]. Et hoc modo verum est quod „ejus quantitatem accipientibus", scilicet parte accepta post partem, „semper est aliquid extra accipere". Sed sicut materialia possunt accipi ab intellectu immaterialiter, et multa unite, ita infinita possunt accipi ab intellectu non per modum infiniti, sed quasi finite, ut sic ea quae sunt in seipsis infinita, sint intellectui cognoscentis finita. Et hoc modo anima Christi seit infinita: inquantum scilicet seit ea, non discurrendo per singula, sed in aliquo uno; puta in aliqua creatura in cujus potentia praeexistunt infinita; et principaliter in ipso Verbo. AD SECUNDUM dicendum quod nihil prohibet aliquid esse infinitum uno modo quod est alio modo finitum: sicut si imaginemur in quantitatibus superficiem quae sit secundum longitudinem infinita, secundum latitudinem autem finita. Sic igitur, si essent infiniti homines numero, haberent quidem infinita esse secundum aliquid, scilicet secundum multitudinem: secun18*

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10, 3 nicht die Unendlichkeit, weil jede Wesenheit in die Grenzen ihrer Art eingeschlossen ist. Nur Gott ist Seinem Wesen nach schlechthin unendlich (I 2; Bd. 1). Das Wesen aber, zu dem auch der Inhalt des Artbegriffes gehört, ist eben der eigentliche Gegenstand der Verstandestätigkeit (Aristoteles). So vermag denn die Seele Christi, weil sie nur ein endliches Fassungsvermögen hat, das dem Wesen nach schlechthin Unendliche, nämlich Gott, zwar zu erreichen, nicht aber zu begreifen (Art. 1). Die unendlichen Möglichkeiten dagegen, die in den Geschöpfen verborgen sind, kann sie vollkommen erkennen; denn sie erfaßt sie als Wesenheiten, und als solche sind sie endlich. So erkennt auch unser Verstand das Allgemeine, etwa die Natur einer Gattung oder Art, die in gewissem Sinne unendlich ist, da man sie von unendlich vielen Dingen aussagen kann. Z u 3. Was in jeder Hinsicht unendlich ist, kann nur E i n e s sein. So beweist Aristoteles im ersten Buch über Himmel und Erde aus der allseitigen Ausdehnung des Körpers, daß es unmöglich mehrere unendliche Körper geben kann. Wenn jedoch etwas nur in einer Hinsicht unendlich ist, dann könnte es mehrere derart unendliche Dinge geben, z. B. mehrere Gerade von unendlicher Länge auf einer Fläche von bestimmter Breite. Denn das UnQUAESTIO

10, 3

dum tarnen rationem essentiae non haberent infinitatem, eo quod omnis essentia esset limitata sub ratione unius speciei. Sed illud quod est simpliciter infinitum secundum essentiae rationem, est Deus, ut in Prima Parte dictum est. Proprium autem objectum intellectus est quod quid est, ut dicitur in 3 430 b 27 de Anima [cap. 6, n. 7; S. Th., lect. 11]: ad quod pertinet ratio speciei. Sic igitur anima Christi, propter hoc quod habet capacitatem finitam, id quod est simpliciter infinitum secundum essentiam, scilicet Deum, attingit quidem, sed non comprehendit, ut dictum est. Id autem infinitum quod in creaturis est in potentia, potest comprehendi ab anima Christi: quia comparatur ad ipsam secundum essentiae rationem, ex qua parte infinitatem non habet. Nam etiam intellectus noster intelligit universale, puta naturam generis vel speciei, quod quodammodo habet infinitatem, inquantum potest de infinitis praedicari. AD TERTIUM dicendum quod id quod est infinitum omnibus modis, non potest esse nisi unum: unde et Philosophus dicit, 274 b 19 in 1 de Caelo et Mundo [cap. 7, n. 5; S. Th., lect. 13], quod quia corpus est ad omnem partem dimensionatum, impossibile est plura esse corpora infinita. Si tarnen aliquid esset infinitum uno modo tantum, nihil prohiberet esse plura talia infinita: sicut si intelligeremus plures lineas infinitas secundum longitudinem protractas in aliqua superficie finita secundum latitu-

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endliche ist kein selbständiges Sein, sondern eine Eigen- 10, 3 schaft an Dingen, die wir unendlich nennen (Aristoteles). Da also je nach der Zahl dieser verschiedenen Gegenstände das Unendliche mehrmals vorkommt, so muß auch ein besonderes Merkmal dieses Unendlichen ebensooft vorhanden sein. Denn es kommt jedem Unendlichen an seinem einzelnen Träger zu. E i n Merkmal liegt darin, daß es nichts Größeres gibt, als es selbst ist. Wenn wir z. B. eine unendliche Gerade annehmen, so gibt es in ihr nichts Größeres als ihre unendliche Länge. Desgleichen sind offenbar die Teile jeder beliebigen unendlichen Geraden alle wiederum unendlich. Also darf diese Gerade nicht größer sein als alle ihre unendlichen Teile. Jedoch wird es bei zwei oder drei Geraden noch mehr Teile geben, die ebenfalls unendlich sind und die doch, zusammen genommen, die Länge der ersten übertreffen. Das gleiche sehen wir auch bei den Zahlen: Es gibt unendlich viele gerade und unendlich viele ungerade Zahlen; und doch müssen die geraden und die ungeraden zusammen mehr betragen als die geraden allein. Wir können also sagen: Es gibt nichts Größeres als das, was nach allen Weisen schlechthin unendlich ist. Bei dem aber, was bloß in e i n e r Hinsicht unendlich ist, gilt das gleiche nur in dieser einen Hinsicht. Denn im übrigen kann es wohl durch etwas Größeres übertroffen werden. So ruhen auch unendlich viele Möglichkeiten in den Kräften eines Geschöpfes, und doch sind in der QUAESTIO

10, 3

dinem. Quia igitur infinitum non est substantia quaedam, sed accidit rebus quae dicuntur infinitae, ut dicitur in 3 Physic. 204 a [cap. 5, n. 3, 4; S. Th., lect. 7 ] ; sicut infinitum multiplicatur 2 0 / 2 9 secundum diversa subjecta, ita necesse est quod proprietas infiniti multiplicetur, ita quod conveniat unicuique eorum secundum illud subjectum. Est autem quaedam proprietas infiniti quod infinito non sit aliquid majus. Sic igitur, si accipiamus unam lineam infinitam, in illa non est aliquid majus infinito. Similiter, si accipiamus quamcumque aliarum linearum infinitarum, manifestum est quod uniuscujusque partes earum sunt infinitae. Oportet igitur quod Omnibus illis infinitis non sit aliquid majus in illa linea: tarnen in alia linea et in tertia erunt plures partes, etiam infinitae, praeter istas. Et hoc etiam videmus in numeris accidere: nam species numerorum parium sunt infinitae, et similiter species numerorum imparium; et tarnen numeri et pares et impares sunt plures quam pares. Sic igitur dicendum quod infinito simpliciter quoad omnia, nihil est majus: infinito autem secundum aliquid determinatum, non est aliquid majus in illo ordine, potest tarnen accipi aliquid majus extra illum ordinem. Per hunc igitur modum infinita sunt in potentia creaturae: et tarnen plura sunt in poten-

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10, 4 Macht Gottes noch mehr Möglichkeiten verborgen. Ähnlich erkennt die Seele Christi im „Wissen der einfachen Erkenntnis" unendlich vieles; Gott aber erkennt im Wissen S e i n e r „einfachen Erkenntnis" noch mehr. 4. A R T I K E L Christi das WORT vollkommener als jedes andere Geschöpf? 1. Das Erkenntnismittel entscheidet über die Vollkommenheit der Erkenntnis. So ist die Erkenntnis, die ein streng wissenschaftlicher Schluß vermittelt, vollkommener als eine andere, die auf Wahrscheinlichkeitsgründen beruht. Nun schauen alle Seligen das WORT unmittelbar in Gottes Wesenheit (I 12, 1 ; Bd. 1). Folglich schaut auch die Seele Christi Gottes Wesen nicht klarer als jedes andere Geschöpf. 2. Die Vollkommenheit der Schau richtet sich nach der Erkenntniskraft. Nun steht aber der Verstand der Engel höher als die Erkenntniskraft der Geist-Seele, also auch der Seele Christi (Dionysius). Also schaut sie das WORT nicht vollkommener, als die Engel es schauen. 3. Unendlich vollkommener als jede Seele schaut Gott Sein WORT. E s gibt also unendlich viele Abstufungen Schaut

die

QUAESTIO

Seele

10, 4

tia Dei quam in potentia creaturae. Et similiter anima Christi seit infinita scientia simplicis intelligentiae: plura tarnen seit Deus secundum hunc intelligentiae modum. A R T I C U L U S IV Utrum anima Christi perfectius videat Verbum quam quaelibet alia creatura [Comp. Theol., cap. 216]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi non perfectius videat Verbum quam quaelibet alia creatura. Perfectio enim cognitionis est secundum medium cognoscendi: sicut perfectior est cognitio quae habetur per medium syllogismi demonstrativi, quam quae habetur per medium syllogismi dialectici. Sed omnes beati vident Verbum immediate per ipsam divinam essentiam, ut in Prima Parte dictum est. Ergo anima Christi non perfectius videt Verbum quam quaelibet alia creatura. 2. PRAETEREA, perfectio visionis non excedit potentiam visivam. Sed potentia rationalis animae, qualis est anima Christi, est infra potentiam intellectivam angeli: ut patet per MPG Dionysium, 4. cap. Cael. Hier. [cf. De Div. Nom., cap. 4; 3/698 s. Th., lect. 1; cap. 7; S. Th., lect. 2]. Ergo anima Christi non perfectius videt Verbum quam angeli. 3. PRAETEREA, Deus in infinitum videt Verbum suum perfectius quam anima. Sunt ergo infiniti gradus medii inter

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zwischen dem Maß der Erkenntnis, in dem Gott selbst 10, 4 und in dem die Seele Christi das WORT schaut. Folglich kann man nicht [ohne weiteres] behaupten, daß die Seele Christi das WORT oder Gottes Wesen vollkommener schaut als irgendein Geschöpf [134]. ANDERSEITS heißt es (Eph 1, 20. 21): „Gott hat Christus im Himmel zu Seiner Rechten gesetzt, über alle Fürstentümer, Mächte, Gewalten und Herrschaften, und über jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in dieser, sondern auch in der zukünftigen Welt." In der himmlischen Herrlichkeit ist aber die Rangordnung durch die Vollkommenheit der Gotteserkenntnis bedingt. Also schaut die Seele Christi Gott vollkommener als jegliches Geschöpf. ANTWORT: Die Schau der göttlichen Wesenheit kommt allen Seligen in dem Maße zu, als sie an dem Lichte Anteil haben, das aus der Lichtquelle des ewigen WORTES strömt. „Ein Quell der Weisheit das Wort Gottes in den Höhen" (Sir 1, 5). Die Seele Christi ist aber mit dem WORTE Gottes durch die Personeinheit enger verbunden als jedes andere Geschöpf. Darum empfängt sie in reicherem Maße als irgendein Geschöpf den Strom des Lichtes, in dem Gott vom WORTE selbst geschaut wird. Und deshalb schaut sie auch am tiefsten von allen die Urwahrheit, das Wesen Gottes. „Wir haben Seine QUAESTIO

10, 4

modum quo Deus videt Verbum suum, et inter modum quo anima Christi videt ipsum. Ergo non est asserendum quod anima Christi perfectius videat Verbum, vel essentiam divinam, quam quaelibet alia creatura. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, Ephes. 1, quod „Deus constituit Christum 1 in caelestibus super omnem principatum et potestatem et virtutem et dominationem, et omne nomen quod nominatur, non solum in hoc saeculo, sed etiam in futuro". Sed in caelesti gloria tanto aliquis est superior quanto perfectius cognoscit Deum. Ergo anima Christi perfectius videt Deum quam quaevis alia creatura. RESPONDEO dicendum quod divinae essentiae visio convenit omnibus beatis secundum participationem luminis derivati ad eos a fönte Verbi Dei: secundum illud Eccli. 1: „Fons «apientiae Verbum Dei in excelsis." Huic autem Verbo Dei propinquius conjungitur anima Christi, quae est unita Verbo in persona, quam quaevis alia creatura. Et ideo plenius recipit influentiam luminis in quo Deus videtur ab ipso Verbo, quam quaecumque alia creatura. Et ideo prae ceteris creaturis perfectius videt ipsam primam veritatem, quae est Dei essentia. Et ideo dicitur Joan. 1: „Vidimus gloriam ejus, quasi 1

P addit: ad dexteram suam.

271

4 Herrlichkeit gesehen, wie die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater", nicht nur „voll der Gnade", sondern auch „voll der Wahrheit" (Jo 1, 14). Z u 1. Die Vollkommenheit des Erkennens richtet sich nach dem Erkenntnismittel, soweit das Erkannte in Betracht kommt. Im Erkennenden dagegen hängt sie von seiner Fassungskraft und seinem Wissensbesitz ab. Daher können mehrere Menschen ein und denselben Beweis durch das gleiche Erkenntnismittel mehr oder weniger tief erfassen. Demnach erkennt die Seele Christi, die von reicherem Lichte überströmt ist, Gottes Wesen tiefer als alle Seligen, obwohl alle Sein Wesen unmittelbar schauen. Z u 2. Die Schau der göttlichen Wesenheit übersteigt die natürliche Erkenntniskraft jedes Geschöpfes (I 12, 4; Bd. 1). Deshalb richtet sich der Grad der Schau mehr nach der Ordnung der Gnade, in der Christus am höchsten steht, als nach der natürlichen Ordnung, in der die Engel den Menschen überlegen sind. Z u 3. Es gibt keine größere Gnade als die Gnade, die Christus in der Vereinigung Seiner Menschheit mit dem WORT besitzt (7, 12). Ebenso hat auch niemand eine tiefere Gottesschau als Christus. An sich könnte es freilich noch eine tiefere geben, denn Gottes Macht ist unbegrenzt. QTJAESTIO

10, 4

Unigeniti a Patre, plenum non solum gratiae, sed etiam veritatis." AD PRIMUM ergo dicendum quod perfectio cognitionis, quantum est ex parte cogniti, attenditur secundum medium: sed quantum est ex parte cognoscentis, attenditur secundum potentiam vel habitum. Et inde est quod etiam inter homines per unum medium unus perfectius cognoscit aliquam conclusionem quam alius. Et per hunc modum anima Christi, quae abundantiori impletur lumine, perfectius cognoscit divinam essentiam quam alii beati, licet omnes Dei essentiam videant per seipsam. AD SECUNDUM dicendum quod visio divinae essentiae excedit naturalem potentiam cujuslibet creaturae, ut in Prima Parte dictum est. Et ideo gradus in ipsa attenduntur magis secundum ordinem gratiae, in quo Christus est excellentissimus, quam secundum ordinem naturae, secundum quem natura angelica praefertur humanae. AD TERTIUM dicendum quod, sicut supra dictum est de gratia quod non potest esse major gratia quam gratia Christi per respectum ad unionem Verbi, idem etiam dicendum est de perfectione divinae visionis: licet, absolute considerando, possit aliquis gradus esse sublimior secundum infinitatem divinae potentiae.

272

11. F R A G E

11, l

DAS EINGEGOSSENE WISSEN DER SEELE CHRISTI Dazu stellen wir sechs Einzelfragen: 1. War das eingegossene Wissen in Christus allumfassend? 2. Konnte sich Christus dieses Wissens bedienen, ohne Phantasiebilder zu gebrauchen? 3. War es schlußfolgerndes Denke'n? 4. Wie verhält sich dieses eingegossene Wissen zu dem Wissen der Engel? 5. War das eingegossene Wissen in Christus ein Gehaben ? 6. War es in mehrere Gehaben unterschieden? War das eingegossene

1. A R T I K E L Wissen in Christus

allumfassend?

1. Das eingegossene Wissen ist Christus gegeben, damit die Erkenntnismöglichkeiten Seines Verstandes erfüllt würden. Nun scheint der „aufnehmende Verstand" der menschlichen Seele nicht schlechthin alles aufnehmen zu können, sondern nur das, wodurch er zum tatsächlichen Erkennen geführt werden kann; und zwar QUAESTIO

DE SCIENTIA

INDITA

VEL

XI

INFUSA

ANIMAE

CHRISTI

Deinde considerandum est de scientia indita vel infusa animae Christi. Et circa hoc quaeruntur sex: 1. Utrum per hanc scientiam Christus sciat omnia. — 2. Utrum hac scientia uti potuerit non convertendo se ad phantasmata. — 3. Utrum haec scientia fuerit collativa. — 4. De comparatione hujus scientiae ad scientiam angelicam. — 5. Utrum fuerit scientia habitualis. — 6. Utrum fuerit distincta per diversos habitus. ARTICULUS I Utrum secundum scientiam inditam vel infusam Christus cognoverit omnia [Inira,

q. 12, art.

1; 3 Sent , dist. 14, art. 3, qa 1; art. 6; Comp. Theol., cap. 216]

de Ver , q. 20,

AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod secundum hanc scientiam Christus non cognoverit omnia. Haec enim scientia indita est Christo ad perfectionem potentiae 1 intellectus ejus. Sed intellectus possibilis animae humanae non videtur esse in potentia ad omnia simpliciter, sed ad illa sola in quae potest reduci in actum per intellectum agentem, qui est proprium i P: possibilis.

273

11, i durch den tätigen Verstand, der eigens dazu da ist, seine Erkenntniskraft auszulösen. Und das sind eben jene Dinge, die er natürlicherweise erfassen kann. Also bleibt Christus, soweit das eingegossene Wissen in Betracht kommt, all das verschlossen, was über die natürliche Vernunft hinausgeht. 2. Die Phantasiebilder verhalten sich zum menschlichen Verstand wie die Farben zur Sehkraft (Aristoteles). Die Sehkraft besitzt aber nicht die Fähigkeit, gänzlich Farbloses zu erkennen. Also gehört es auch nicht zur Vollendung des menschlichen Verstandes, das zu erkennen, wofür es keine Phantasiebilder gibt, wie die vom Stoff getrennt existierenden Substanzen. Wenn also auch das eingegossene Wissen in Christus wegen der Vollkommenheit Seiner Geist-Seele gefordert war, so scheint Er doch die körperlosen Substanzen durch das eingegossene Wissen nicht erkannt zu haben. 3. Die Erkenntnis der Einzeldinge gehört nicht zur Vollendung des Verstandes [135]. Also war sie auch nicht im eingegossenen Wissen der Seele Christi enthalten. ANDERSEITS weissagt Isaias (11, 2. 3): „Der Geist wird sich auf Ihn niederlassen: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist der Wissenschaft und des Rates." Darin ist alles Erkennbare zusammengefaßt. Denn die Weisheit geht auf das Erkennen alles Göttlichen; die Einsicht auf das Erkennen aller stofflosen QUAESTIO

11, l

activum ipsius: quae quidem sunt cognoscibilia secundum rationem naturalem. Ergo secundum hanc scientiam non cognovit ea quae naturalem rationem excedunt. 2. PRAETEREA, phantasmata se habent ad intellectum huma430a 16 num sicut colores ad visum, ut dicitur in 3 de Anima [cap. 7, 432a8 n. 3; S. Th., lect. 12]. Sed non pertinet ad perfectionem virtutis visivae cognoscere ea quae sunt omnino absque colore. Ergo nec ad perfectionem intellectus humani pertinet cognoscere ea quorum non possunt esse phantasmata: sicut sunt substantiae separatae. Sic igitur, cum hujusmodi scientia fuerit in Christo ad perfectionem animae intellectivae ipsius, videtur quod per hujusmodi scientiam non cognoverit substantias separatas. 3. PRAETEREA, ad perfectionem intellectus non pertinet cognoscere singularia. Videtur igitur quod per hujusmodi scientiam anima Christi non cognoverit singularia. S E D CONTRA est quod dicitur Isai. 11, quod „replebit eum Spiritus sapientiae et intellectus, scientiae et consilii": sub quibus comprehenduntur omnia cognoscibilia. Nam ad sapientiam pertinet cognitio divinorum omnium; ad intellectum autem pertinet cognitio omnium immaterialium; ad scientiam autem per-

274

Wesen; die Wissenschaft auf das Erkennen aller Schluß- 11, 1 folgerungen; der Rat auf das Erkennen alles dessen, was zu tun ist. Also scheint Christus durch das vom Hl. Geiste eingegossene Wissen alles erkannt zu haben. ANTWORT: Damit die Seele Christi in jeder Weise vollendet sei, mußten alle Möglichkeiten in ihr erfüllt werden (9, 1). Nun ist aber zu beachten, daß die menschliche Seele, wie alle Geschöpfe, jeder Einwirkung zwei Möglichkeiten darbietet. Die eine entspricht den natürlichen Ursachen, die andere der Erstursache, die jedes Geschöpf zu höherer Vollkommenheit führen kann, als es eine geschöpfliche Ursache vermöchte. Man nennt sie gewöhnlich die „Gefügigkeit des Geschöpfes" 1 [seinem Schöpfer'gegenüber]. Beide Möglichkeiten der Seele Christi haben in dem ihr von Gott eingegossenen Wissen ihre volle Verwirklichung gefunden. Deshalb erkennt sie darin zunächst alles, was der Mensch mit dem Lichte seines tätigen Verstandes zu erfassen vermag, d. h. die Gesamtheit alles menschlichen Wissens. Dann aber erkennt Christus durch das eingegossene Wissen auch alles, was dem Menschen nur durch göttliche Offenbarung bekannt wird — sei es durch die Gabe der Weisheit, der Weissagung oder durch irgendeine andere Gabe des Hl. Geistes. Denn dies alles erQ U A E S T I O 11, l tinet cognitio omnium conclusionum; ad consilium autem cognitio omnium agibilium. Ergo videtur quod Christus, secundum scientiam sibi inditam per Spiritum Sanctum, habuerit omnium cognitionem. RESPONDEO dicendum quod, sicut prius dictum est, conveniens fuit ut anima Christi per omnia esset perfecta, per hoc quod omnis ejus potentialitas sit reducta ad actum. Est autem considerandum quod in humana anima, sicut in qualibet creatura, consideratur duplex potentia passiva: una quidem per comparationem ad agens naturale; alia vero per comparationem ad agens primum, qui potest quamlibet creaturam reducere in actum aliquem altiorem, in quem non reducitur per agens naturale; et haec consuevit vocari potentia obedientiae in creatura. Utraque autem potentia animae Christi fuit reducta in actum secundum hanc scientiam divinitus inditam. Et ideo secundum eam anima Christi primo quidem cognovit quaecumque ab homine cognosci possunt per virtutem luminis intellectus agentis: sicut sunt quaecumque pertinent ad scientias humanas. Secundo vero per hanc scientiam cognovit Christus omnia illa quae per revelationem divinam hominibus innotescunt: sive pertineant ad donum sapientiae, sive ad donum prophetiae, sive ad quodcumque donum Spiritus Sancti. Omnia enim ista 1 Vgl. Anm. [7].

275

11, i kannte die Seele Christi überschwenglicher und reicher als die übrigen Seelen. Die göttliche Wesenheit selbst aber hat sie durch ihr eingegossenes Wissen nicht erkannt, sondern durch jenes andere, von dem in der vorhergehenden Frage die Rede war (10, 1). Z u 1. Dieser Einwand geht nur von der natürlichen Erkenntnistätigkeit der Seele aus, die von einer geschöpflichen Ursache, nämlich dem tätigen Verstand, bewirkt wird. Z u 2. In diesem Leben, solange die menschliche Seele an den Körper gebunden ist und deshalb nicht ohne Phantasiebilder erkennen kann, ist ihr die Erkenntnis der stofflosen Substanzen unmöglich [136]. Nach diesem Leben aber wird die befreite Seele fähig, sie in etwa in ihrem [der Seele] eigenen Wesen zu erkennen (I 89, 3; Bd. 6). Das gilt besonders von den Seelen der Verklärten. Christus aber war vor Seinem Leiden nicht nur Pilger, sondern auch Schauer. Darum konnte Seine Seele die stofflosen Substanzen auf dieselbe Weise erkennen, wie es der vom Leibe getrennten Seele möglich ist. Z u 3. Die Erkenntnis der Einzelwesen gehört zur Vollendung der Geist-Seele, nicht was ihr „reines" — wohl aber was ihr „dienendes" Erkennen betrifft [137]. Dieses kommt ohne Erkenntnis der Einzelwesen nicht zur Vollendung, da sich an ihnen das Tun vollzieht Q U A E S T I O 11, l

abundantius et plenius ceteris cognovit anima Christi. Ipsam tarnen Dei essentiam per hanc scientiam non cognovit: sed solum per primam, de qua supra dictum est. AD PRIMUM dicendum quod ratio illa procedit de actione naturali animae intellectivae, quae scilicet est per comparationem ad agens naturale, quod est intellectus agens. AD SECUNDUM dicendum quod anima humana in statu hujus vitae, quando quodammodo est ad corpus obligata, ut sine phantasmate intelligere non possit, non potest intelligere substantias separatas. Sed post statum hujus vitae, anima separata poterit aliqualiter substantias separatas per seipsam cognoscere, ut in Prima Parte dictum est. Et hoc praecipue manifestum est circa animas beatorum. Christus autem, ante passionem, non solum fuit viator, sed etiam comprehensor. Unde anima ejus poterat cognoscere substantias separatas, per modum quo cognoscit anima separata. AD TERTIUM dicendum quod cognitio singularium non pertinet ad perfectionem animae intellectivae secundum Cognitionen! speculativam: pertinet tarnen ad perfectionem ejus secundum cognitionem practicam, quae non perflcitur absque cognitione singularium, in quibus est operatio, ut dicitur in 6 Ethic.

276

( A r i s t o t e l e s ) . D a r u m f o r d e r t Cicero für d i e Klugheit „ E r - 1 1 , 2 innerung an Vergangenes, Kenntnis des Gegenwärtigen u n d V o r a u s s i c h t auf K ü n f t i g e s " . W e i l also Christus mit d e r G a b e des R a t e s d i e F ü l l e d e r K l u g h e i t besaß, so e r k a n n t e E r a u c h alle E i n z e l h e i t e n d e r V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t u n d Zukunft. Konnte

die

Seele ohne

2. A R T I K E L Christi durch das eingegossene Phantasiebilder erkennen?

Wissen

1. Die P h a n t a s i e b i l d e r v e r h a l t e n sich zur Geistseele wie die F a r b e n zur S e h k r a f t ( A r i s t o t e l e s ) . W i e also Christus o h n e F a r b e n nicht s e h e n konnte, so konnte E r auch o h n e P h a n t a s i e b i l d e r nicht e r k e n n e n . 2. Die S e e l e Christi ist u n s e r e r S e e l e wesensgleich. Sonst g e h ö r t e Christus nicht d e r g l e i c h e n A r t a n w i e wir, w ä h r e n d doch d e r Apostel b e z e u g t : „ . . . E r w a r d den Menschen g l e i c h " ( P h i l 2, 7 ) . U n s e r e S e e l e k a n n a b e r nichts e r k e n n e n o h n e P h a n t a s i e b i l d e r ; also v e r m o c h t e dies a u c h die S e e l e Christi nicht. QUAESTIO

11, 2

[cap. 7, n. 8; S. Th., lect. 7 ] , Unde ad prudentiam requiritur 1141 b 14 „memoria praeteritorum, cognitio praesentium, et Providentia futurorum": ut Tullius dicit, in sua Rhetorica [De Invent. Rhet., lib. 2, cap. 5 3 ] . Quia igitur Christus habuit plenitudinem prudentiae, secundum donum consilii, consequens est quod cognovit omnia singularia praeterita, praesentia et futura. A R T I C Ü L U S II Utrum anima Christi potuerit intelligere s e c u n d u m s c i e n t i a m i n d i t a m vel i n f u s a m non c o n v e r t e n d o se ad p h a n t a s m a t a [Inlra, art. 4;

3 Sent., dist. 14, art. 3, qa 2;

de Ver., q 20, art. 3 ad 1]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi non potuerit intelligere secundum hanc scientiam nisi convertendo se ad phantasmata. Phantasmata enim comparantur ad animam intellectivam sicut colores ad visum, ut dicitur in 3 de Anima [cap. 7, n. 3 ; S. Th., lect. 12]. Sed potentia visiva 430 ai6 Christi non potuit exire in actum nisi convertendo se ad colores. 4 3 2 a 8 Ergo etiam neque anima ejus intellectiva potuit aliquid intelligere nisi convertendo se ad phantasmata. 2. PRAETEREA, anima Christi est ejusdem naturae cum animabus nostris: alioquin ipse non esset ejusdem speciei nobiscum; contra id quod Apostolus dicit, Philipp. 2, „in similitudinem hominum factus". Sed anima nostra non potest intelligere nisi convertendo se ad phantasmata. Ergo nec etiam anima Christi.

277

11, 2

3. Die Sinne sind dem Menschen gegeben, damit sie seinem Verstände dienen. Hätte also die Seele Christi ohne Phantasiebilder, die durch die Sinne aufgenommen werden, zu erkennen vermocht, so wären die Sinne für sie nutzlos gewesen. Das w ä r e sinnlos. Also scheint es, .daß die Seele Christi nicht erkennen konnte ohne Phantasiebilder. A N D E R S E I T S erkennt die Seele Christi manches, was man durch Phantasiebilder nicht erkennen kann, z. B. die körperlosen Substanzen. Folglich konnte sie auch ohne Phantasiebilder erkennen. ANTWORT: Christus war vor Seinem Leiden Pilger und Schauer zugleich (15, 10). Das Los eines Pilgers erfuhr E r zumeist an Seinem Leibe, der den Leiden unterworfen war. Das Los des Schauers aber war vor allem Seiner Geistseele beschieden. Mit diesem Los ist es der gottschauenden Seele gegeben, in keiner Weise dem Leibe unterworfen oder von ihm abhängig zu sein, sondern ihn vollkommen zu beherrschen. Darum wird auch nach der Auferstehung ihre Herrlichkeit auf ihn überströmen. Nun ist aber in diesem Leben die Seele an den Leib gebunden und dadurch in gewissem Sinne ihm unterworfen und von ihm abhängig; und deshalb bedarf sie der Phantasiebilder. Also können die Seelen der Verklärten vor und nach der Auferstehung ohne PhantasieQ U A E S T I O 11

2

3. PRAETEREA, sensus dati sunt homini ut deserviant intellectui. Si ergo anima Christi intelligere potuit absque conversione ad phantasmata, quae per sensus accipiuntur, sequeretur quod sensus frustra fuissent in anima Christi: quod est inconveniens. Videtur igitur quod anima Christi non potueril intelligere nisi convertendo se ad phantasmata. SED CONTRA est quod anima Christi cognovit quaedam quae per phantasmata cognosci non possunt, scilicet substantias separatas. Potuit igitur intelligere non convertendo se ad phantasmata. RESPONDEO dicendum quod Christus in statu ante passionem fuit simul viator et comprehensor, ut infra magis patebit. Et praecipue quidem conditiones viatoris habuit ex parte corporis, inquantum fuit passibile: conditiones vero comprehensoris maxime habuit ex parte animae intellectivae. Est autem haec conditio animae comprehensoris, ut nullo modo subdatur suo corpori aut ab eo dependeat, sed totaliter ei dominetur: unde et post resurrectionem ex anima gloria redundabit in corpus. Ex hoc autem anima hominis viatoris indiget ad phantasmata converti, quod est corpori obligata, et quodammodo ei subjecta et ab eo dependens. Et ideo animae beatae, et ante resurrectionem et post, intelligere possunt absque conversione

278

bilder erkennen. Und weil die Seele Christi alle Vor- 11, 2 züge der Schau besaß, muß man von ihr das gleiche sagen. Z u 1. Der Vergleich, den Aristoteles heranzieht, trifft nicht in allem zu [138]. Denn es ist offenbar, daß die Sehkraft dazu gegeben ist, die Farben wahrzunehmen. Dagegen liegt die Aufgabe der geistigen Erkenntniskraft nicht darin, Phantasiebilder aufzunehmen, sondern [ g e i s t i g e ] Erkenntnisbilder, die sie — während dieses Lebens — in und aus den Phantasiebildern gewinnt. Die Ähnlichkeit besteht demnach nur in dem, womit sich die beiden Erkenntniskräfte befassen, und nicht in der eigentlichen Aufgabe, auf die sie ihrem Wesen nach angelegt sind. Es besteht jedoch kein Hindernis, daß ein Ding, j e nach der Seinslage, in der es sich befindet, auf verschiedene Weise sein Ziel erstrebt; dieses ihm eigene Ziel bleibt deshalb doch immer nur eines. Obwohl also der Gesichtssinn nichts ohne Farben erkennt, so vermag doch der Geist im anderen Leben ohne Phantasiebilder zu erkennen, nicht aber ohne geistige Erkenntnisbilder. Z u 2. Obgleich die Seele Christi der unseren wesensgleich ist, so befand sie sich doch in einem Zustand, den unsere Seelen in diesem Leben nicht besitzen, — den sie nur erhoffen in der Seligkeit der Gottesschau. Z u 3. Zwar war die Seele Christi wohl imstande, ohne Phantasiebilder zu erkennen, doch konnte sie sich Q U A E S T I O 11, 2

ad phantasmata. Et hoc quidem oportet dicere de anima Christi, quae plene habuit facultatem comprehensoris. A D P R I M U M ergo dicendum quod similitudo illa quam Philosophus ponit, non attenditur quantum ad omnia. Manifestum est enim quod finis potentiae visivae est cognoscere colores: finis autem potentiae intellectivae non est cognoscere phantasmata, sed cognoscere species intelligibiles, quas apprehendit a phantasmatibus et in phantasmatibus, secundum statum praesentis vitae. Est igitur similitudo quantum ad hoc quod aspicit utraque potentia: non autem quantum ad hoc in quod utriusque potentiae conditio terminatur. Nihil autem prohibet, secundum diversos status, ex diversis rem aliquam ad suum finem tendere: finis autem proprius alicujus rei Semper est unus. Et ideo, licet visus nihil cognoscat absque colore, intellectus tarnen, secundum aliquem statum, potest cognoscere absque phantasmate: sed non absque specie intelligibili. A D S E C U N D U M dicendum quod, licet anima Christi fuerit ejusdem naturae cum animabus nostris, habut tarnen aliquem statum quem animae nostrae non habent nunc in re, sed solum in spe, scilicet statum comprehensionis. A D T E R T I U M dicendum quod, licet anima Christi potuerit intelligere non convertendo se ad phantasmata, poterat tarnen

279

11, 3 auch ihrer bedienen. Daher besaß Christus Seine Sinne nicht vergeblich. Denn sie sind dem Menschen nicht nur für die Verstandestätigkeit gegeben, — er bedarf ihrer auch für sein Sinnenleben. 3. A R T I K E L War das eingegossene Wissen der Seele Christi schlußfolgerndes Denken? 1. Johannes von Damaskus sagt: „Bei Christus sprechen wir weder von Überlegung noch von Wahl." Beide werden aber nur deshalb von Ihm ausgeschlossen, weil sie mit Vergleichen und Schlußfolgerungen verbunden sind. Also besaß Christus scheinbar kein Wissen, das auf solchen beruht. 2. Der Mensch braucht das vergleichende und schlußfolgernde Denken, um Unbekanntes zu erforschen. Der Seele Christi war aber alles bekannt (Art. 1). Also gab es in ihr weder vergleichendes noch schlußfolgerndes Denken. 3. Das Wissen der Seele Christi war von derselben Art wie das der Seligen, die nach Matthäus „den Engeln ähnlich sind" (22, 30). Nun zeigt aber Dionysius, daß Q U A E S T I O 11, 3

intelligere se ad phantasmata convertendo. Et ideo sensus non fuerunt frustra in eo: praesertim cum sensus non dentur homini solum ad scientiam intellectivam, sed etiam ad necessitatem vitae animalis. A R T I C U L U S III U t r u m a n i m a C h r i s t i h a b u e r i t s c i e n t i a m i nditam seu infusam per modum collationis [3 Sent., dist. 14, art. 3, qa 3,

de Ver., q. 20, art. 3 ad 1]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi non habuit hanc scientiam per modum collationis. Dicit enim MPG 94 Damascenus, in 3. libro [De Fide Orth., lib. 3, cap. 1 4 ] : „In 1043(947) Christo non dieimus consilium neque electionem." Non autem removentur haec a Christo nisi inquantum important collationem et discursum. Ergo videtur quod in Christo non fuerit scientia collativa vel discursiva. 2. PRAETEREA, homo indiget collatione et discursu rationis ad inquirenda ea quae ignorat. Sed anima Christi cognovit omnia, ut supra dictum est. Non igitur fuit in eo scientia discursiva vel collativa. 3. PRAETEREA, scientia animae Christi se habuit per modum comprehensorum, qui angelis conformantur, ut dicitur Matth. 22. Sed in angelis non est scientia discursiva seu collativa: ut patet

280

die Engel kein schlußfolgerndes oder vergleichendes 11, 3 Denken haben. Also besaß es auch Christus nicht. ANDERSEITS hat Christus eine Geist-Seele (5, 4), deren eigentliche Tätigkeit darin besteht, zu vergleichen und von einem aufs andere zu schließen. Also besaß Christus schlußfolgerndes oder vergleichendes Denken. ANTWORT: Ein Wissen kann in zweifacher Weise schlußfolgernd oder vergleichend sein. Einmal beim Erwerben und dann bei seiner Anwendung. Im ersten Fall erkennen wir fortschreitend das eine aus dem anderen, wie die Wirkung aus der Ursache, oder umgekehrt. In dieser Hinsicht war bei Christus das Wissen Seiner Seele nicht schlußfolgerndes oder vergleichendes Denken; denn das Wissen, von dem wir hier sprechen, hatte Er nicht durch das Forschen des Verstandes erworben, — es war Ihm von Gott eingegossen. Im zweiten Fall schließt der Wissende von der Ursache auf die Wirkung, nicht um dabei etwas Neues zu lernen, — nur um das schon gewonnene Wissen zu gebrauchen. In diesem Sinne kann man auch bei Christus von vergleichendem oder schlußfolgerndem Denken sprechen, weil Er nach Belieben folgern und schließen konnte. Da der Herr an Petrus die Frage richtet: „Von wem erheben die Könige der Erde Zoll und Steuer — von ihren Landeskindern oder von den Fremden?" ant(¡ÜAESTIO

11, 3

per Dionysium, 7. cap. de Div. Nom. [S. Th., lect. 2]. Non MPG 3/867 ergo in anima Christi fuit scientia discursiva seu collativa. SED CONTRA, Christus habuit animam rationalem, ut supra habitum est. Propria autem operatio animae rationalis est conferre et discurrere ab uno in aliud. Ergo in Christo fuit scientia discursiva vel collativa. RESPONDEO dicendum quod aliqua scientia potest esse discursiva vel collativa dupliciter. Uno modo, quantum ad scientiae acquisitionem: sicut accidit in nobis, qui procedimus ad cognoscendum unum per aliud, sicut eflectus per causas, et e converso. Et hoc modo scientia animae Christi non fuit discursiva vel collativa; quia haec scientia de qua nunc loquimur, fuit sibi divinitus indita, non per investigationem rationis acquisita. Alio modo potest dici scientia discursiva vel collativa quantum ad usum: sicut scientes interdum ex causis concludunt eflectus, non ut de novo addiscant, sed volentes uti scientia quam jam habent. Et hoc modo scientia animae Christi poterat esse collativa vel discursiva: poterat enim ex uno aliud concludere, sicut sibi placebat. Sicut, Matth. 17, cum Dominus quaesivisset a Petro „a quibus reges terrae tributum accipe-

281

4 wortet Petrus: „Von den F r e m d e n . " Und der Meister zieht den Schluß: „Also sind die Landeskinder frei" (Mt 17, 24 ff). Z u 1. Bei Christus kann von Überlegen nicht die Rede sein, weil es mit Zweifel verbunden ist. Folglich auch nicht von Wahl, denn diese fordert Überlegung. Dagegen vermochte Christus sehr wohl andere zu beraten. Zu 2. Der Einwand berücksichtigt nur das schlußfolgernde und vergleichende Denken, soweit es auf Wissenserwerb gerichtet ist. Zu 3. Die Seligen gleichen den Engeln auf Grund der gleichen Gnadengaben. Der Unterschied ihrer Natur bleibt jedoch bestehen. Daher ist das schlußfolgernde und vergleichende Denken wohl den Seelen der Verklärten naturgemäß, nicht aber den Engeln. 4. War

das eingegossene

ARTIKEL Wissen Christi der Engel?

geringer

als

das

1. Das Maß der Vollkommenheit richtet sich nach dem, was vervollkommnet wird [ 1 3 9 ] . Nun steht die Menschenseele ihrer Natur nach unter der Natur der Engel. Das eingegossene Wissen, von dem wir jetzt sprechen, QUAESTIO

11, 4

rent, a filiis suis an ab alienis", Petro respondente quod „ab alienis", conclusit: „Ergo liberi sunt filii." AD PRIMUM ergo dicendum quod a Christo excluditur consilium quod est cum dubitatione: et per consequens electio, quae in sui ratione tale consilium includit. Non autem a Christo excluditur usus consiliandi. AD SECUNDUM dicendum quod ratio illa procedit de discursu et collatione prout ordinatur ad scientiam acquirendam. AD TERTIUM dicendum quod beati conformantur angelis quantum ad dona gratiarum: manet tarnen differentia quae est secundum naturam. Et ideo uti collatione et discursu est connaturale animabus beatorum, non autem angelis. Utrum

A R T I C U L U S IV in C h r i s t o s c i e n t i a i n d i t a seu f u e r i t m i n o r quam in a n g e l i s

[3 Sent., dist. 14, art. 1, qa 2 ad 1; art. 3, qa 2, 4; art. 4; Comp. Theol., cap. 216]

infusa

de Ver., q. 20,

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod in Christo hujusmodi scientia fuerit minor quam in angelis. Perfectio enim proportionatur perfectibili. Sed anima humana, secundum ordinem naturae, est infra naturam angelicam. Cum igitur scientia

282

soll aber die Seele Christi vervollkommnen. Folglich 11, 4 stand es allem Anschein nach vor dem zurück, was die Natur der Engel vervollkommnet. 2. Das Wissen der Seele Christi beruhte in gewisser Hinsicht auf vergleichendem und schlußfolgerndem Denken. Bei den Engeln dagegen ist dies ausgeschlossen. Also blieb das Wissen Christi hinter dem der Engel zurück. 3. Je freier vom Stoff, um so höher die Erkenntnis [140]. Nun ist die Erkenntnis der Engel freier vom Stoff [d. h. reiner] als die der Seele Christi. Denn als Seinsvollkommenheit des Leibes bedarf die Seele zum Erkennen der Phantasiebilder — der Engel aber nicht. Folglich ist das Wissen der Engel höher als das der S g ö I © Christi ANDERSEITS heißt es im Hebräerbrief (2, 9): „Wir sehen Jesus, der nur für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt war, um Seines Todleidens willen mit Ruhm und Ehre gekrönt." Daraus geht hervor, daß Christus bloß wegen Seines Leidens und Sterbens geringer als die Engel genannt wird, nicht wegen Seines Wissens. ANTWORT: Das eingegossene Wissen der Seele Christi läßt sich von zwei Seiten betrachten. Die eine Betrachtungsweise gilt der Quelle dieses Wissens, die andere dem, der es empfängt. Nun leuchtet das geistige QUAESTIO

11, 4

de qua nunc loquimur, sit indita animae Christi ad perfectionem ipsius, videtur quod hujusmodi scientia fuerit infra scientiam qua perficitur natura angelica. 2. PRAETEREA, scientia animae Christi fuit aliquo modo collativa et discursiva: quod non potest dici de scientia angelorum. Ergo scientia animae Christi fuit inferior scientia angelorum. 3. PRAETEREA, quanto aliqua scientia est magis immaterialis, tanto est potior. Sed scientia angelorum est immaterialior quam scientia animae Christi; quia anima Christi est actus corporis et habet conversionem ad phantasmata, quod de angelis dici non potest. Ergo scientia angelorum est potior quam scientia animae Christi. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, Hebr. 2: „Eum qui in modico quam angeli minoratus, videmus Jesum, propter passionem mortis, gloria et honore coronatum." Ex quo apparet quod propter solam passionem mortis dicatur Christus ab angelis minoratus. Non ergo propter scientiam. RESPONDEO dicendum quod scientia indita animae Christi potest considerari dupliciter: uno modo, secundum id quod habuit a causa influente; alio modo, secundum id quod habuit ex subjecto recipiente. Quantum igitur ad primum, scientia

283

11, 5 Licht, die Quelle, aus der der Seele Christi das eingegossene Wissen zuströmt, viel heller als das natürliche Licht der Engel. Und deshalb überragt das eingegossene Wissen der Seele Christi bei weitem das der Engel, sowohl durch die Fülle des Erkannten wie durch die Gewißheit der Erkenntnis. Was jedoch den betrifft, der es empfängt, so steht das eingegossene Wissen Christi unter dem der Engel. Denn die der Menschenseele natürliche Erkenntnisweise fordert die Hilfe der Phantasiebilder sowie vergleichendes und schlußfolgerndes Denken. Damit ist auch die Antwort auf die Einwände gegeben. War das eingegossene

5. A R T I K E L Wissen in Christus

ein

Gehaben?

1. Wie schon gesagt wurde, gebührt der Seele Christi die höchste Vollkommenheit (Art. 1 u. 9, 1). Vollkommener aber ist das Wissen im Vollzug als das Wissen im Gehaben. Daher scheint es für Christus sinnvoller gewesen zu sein, alle Dinge im Vollzug des Wissens gegenwärtig zu haben. Also fehlte Ihm das Wissen als Gehaben. 2. Jedes Gehaben ist auf seinen Vollzug hingeordnet. Sonach wäre ein Wissen im Gehaben, das nie zum VollQUAESTIO

11, 5

indita animae Christi fuit excellentior quam scientia angelorum, et quantum ad multitudinem cognitorum, et quantum ad scientiae certitudinem: quia lumen spirituale quod est inditum animae Christi, est multo excellentius quam lumen quod pertinet ad naturam angelicam. Quantum autem ad secundum, scientia indita animae Christi est infra scientiam angelicam: scilicet quantum ad modum cognoscendi qui est naturalis animae humanae, qui scilicet est per conversionem ad phantasmata et per collationem et discursum. Et per hoc patet responsio ad objecta. Utrum

ARTICULUS V s c i e n t i a i n d i t a s e u i n f u s a in fuerit habitualis scientia

[3 Sent.,

dist. 14, art. 1, qa 2, 3:

Christo

de Ver., q. 20, art. 2]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerit habitualis scientia. Dictum est enim quod animam Christi deeuit maxima perfectio. Sed major est perfectio scientiae existentis in actu quam praeexistentis in habitu. Ergo conveniens fuisse videtur quod omnia sciret in actu. Ergo non habuit habitualem scientiam. 2. PRAETEREA, cum habitus ordinetur ad actum, frustra videtur esse habitualis scientia quae nunquam in actum re-

284

zug käme, unnütz. Da aber Christus alles wußte (Art. 1), 11, 5 so hätte Er all dies gar nicht der Reihe nach im Wissensvollzug betrachten können; denn Unendliches läßt sich nicht im Einzelnen durchdenken. Also wäre ein Wissen als Gehaben für Ihn unnütz und daher nicht entsprechend gewesen. Demnach war Ihm alles zugleich im Wissensvollzug gegenwärtig, nicht im Gehaben. 3. Das Wissen im Gehaben bedeutet eine Vollendung des Wissenden. Die Vollendung aber ist vornehmer als das Vollendbare. Wenn daher das Wissen der Seele Christi auf einem geschaffenen Gehaben beruhte, so wäre etwas Geschaffenes vollkommener als die Seele Christi. Also gab es in der Seele Christi das Wissen als Gehaben nicht. ANDERSEITS wird Christus das Wissen, von dem wir hier reden, ganz im selben Sinne zugeschrieben wie uns, wie auch Seine Seele der unseren artgleich war. Nun gehört aber unser Wissen zur Gattung der Gehaben. Folglich war auch das Wissen Christi ein Gehaben. ANTWORT: Wie schon oben (Art. 4) gezeigt wurde, entsprach die Art und Weise des eingegossenen Wissens Christi dem, der es aufnahm. Denn das Aufgenommene ist im Aufnehmenden stets nach der Weise des Aufnehmenden. Nun ist es aber der menschlichen Seele naturgemäß, daß sie bald im Vollzug, bald in der bloßen QUAESTIO

11, 5

ducitur. Cum Christus autem sciverit omnia, sicut jam dictum est, non potuisset omnia illa actu considerare unum post aliud cognoscendo: quia infinita non est enumerando pertransire. Frustra ergo fuisset in eo scientia habitualis: quod est inconveniens. Habuit igitur actualem scientiam omnium quae scivit, et non habitualem. 3. PRAETEREA, scientia habitualis est quaedam perfectio scientis. Perfectio autem est nobilior perfectibili. Si igitur in anima Christi fuit aliquis habitus scientiae creatus, sequeretur quod aliquid creatum esset nobilius anima Christi. Non igitur in anima Christi fuit scientia habitualis. SED CONTRA, scientia Christi de qua nunc loquimur, univoca fuit scientiae nostrae: sicut et anima ejus fuit unius speciei cum anima nostra. Sed scientia nostra est in genere habitus. Ergo et scientia Christi fuit habitualis. RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, modus hujus scientiae inditae animae Christi fuit conveniens ipsi subjecto recipienti: nam receptum est in recipiente per modum recipientis. Est autem hic modus connaturalis animae humanae, ut quandoque sit intelligens 1 actu, quandoque in potentia. 1

L: intellectus.

285

5 Möglichkeit des Erkennens steht. Die Mitte nun zwischen dem rein möglichen Erkennen und dem Erkennen im Vollzug ist das [Erkennen im] Gehaben. Mittelglied und Endglieder [einer Kette] sind aber gleicher Art. So ist es der Menschenseele offenbar natürlich, Wissen in der Form des Gehabens aufzunehmen. Und deshalb muß man das eingegossene Wissen der Seele Christi als ein Gehaben bezeichnen, denn sie konnte sich dessen nach Belieben bedienen. Z u 1. In der Seele Christi gab es eine zweifache Erkenntnis, und jede war in ihrer Art die vollkommenste. Die eine — in der sie Gottes Wesen und alles andere in Ihm schaute — überstieg die Grenzen der menschlichen Natur. Diese Erkenntnis war schlechthin die vollkommenste. Sie bestand in einem dauernden, alles umfassenden Schauen — nicht bloß in einem Gehaben. — Die andere Erkenntnis war in Christus an die Grenzen Seiner menschlichen Natur gebunden. Sie nahm die Dinge durch Erkenntnisbilder auf, die Gott der Seele Christi eingegossen hatte. Von dieser Erkenntnis sprechen wir jetzt. Sie war zwar nicht die vollkommenste schlechthin, wohl aber die höchste innerhalb alles menschlichen Erkennens. Deshalb brauchte sie nicht beständig im Vollzug zu sein. Z u 2. Ein Gehaben geht auf Befehl des Willens in Vollzug über. Denn Averroes erklärt das Gehaben als etwas, das man „nach freiem Willen" betätigen kann. Nun ist Q U A E S T I O 11, 5

Medium autem inter puram potentiam et actum completum est habitus. Ejusdem autem generis est medium et extrema. Et sie patet quod modus connaturalis animae humanae est ut reeipiat scientiam per modum habitus. Et ideo dicendum est quod scientia indita animae Christi fuit habitualis: poterat enim ea uti quando volebat. AD PRIMUM ergo dicendum quod in anima Christi fuit duplex cognitio: et utraque suo modo perfectissima. Una quidem excedens modum naturae humanae: qua scilicet vidit Dei essentiam et alia in ipsa. Et haec fuit perfectissima simpliciter. Et talis cognitio non fuit habitualis, sed actualis respectu omnium quae hoc modo cognovit. — Alia autem cognitio fuit in Christo secundum modum proportionatum humanae naturae, prout scilicet cognovit res per species sibi divinitus inditas: de qua cognitione nunc loquimur. Et haec cognitio non fuit simpliciter perfectissima: sed perfectissima in genere humanae cognitionis. Unde non oportuit quod semper esset in actu. AD SECUNDUM dicendum quod habitus reducitur in actum ad imperium voluntatis: nam habitus est „quo quis agit cum voluerit" [Averr., De Anima, lib. 3, comment. 18]. Voluntas

286

der Wille unendlich vielen Dingen gegenüber frei. Und 11, 5 obgleich er sich nicht allen tatsächlich zuwendet, ist diese Vielheit doch nicht vergeblich; wenn er nur immer das erstrebt, was nach Zeit und Ort geboten ist. Deshalb ist auch ein Gehaben nicht unnütz, das niemals in vollem Umfang in Vollzug übergeht; denn es genügt, wenn nur das in Vollzug übergeht, was nach Zeit und Umständen den Willensabsichten entspricht. Z u 3. Das „Gute" und das „Seiende" wird in doppeltem Sinne ausgesagt: entweder schlechthin oder „mit Einschränkung". Schlechthin gut oder seiend heißt die Substanz, die in ihrem Sein und in ihrer „Güte" selbständig ist. Mit Einschränkung seiend oder gut ist das Sein oder die Güte der Eigenschaft, nicht als ob eine Eigenschaft selbst seiend oder gut wäre, sondern weil ihr Träger seiend oder gut ist. So ist auch das Wissen als Gehaben nur mit Einschränkung, nicht aber schlechthin besser oder vornehmer als die Seele Christi. Denn alle Güte dieses Wissens geht auf den Besitzer [141 ]. QUAESTIO

11, 5

autem se habet ad infinita indeterminate. Et tarnen hoc non est frustra, licet non in omnia actualiter tendat, dummodo tendat actualiter in id quod convenit loco et tempori. Et ideo etiam habitus non est frustra, licet non omnia reducantur in actum quae habitui subjacent, dummodo reducatur in actum id quod congruit ad debitum finem voluntatis secundum exigentiam negotiorum et temporis. AD TERTIUM dicendum quod bonum et ens dupliciter dicitur. Uno modo, simpliciter. Et sie bonum et ens dicitur substantia, quae in suo esse et in sua bonitate subsistit. Alio modo dicitur ens et bonum secundum quid. Et hoc modo dicitur ens 1 accidens: non quia ipsum habeat esse et bonitatem, sed quia e i 2 subjectum est ens et bonum. Sic igitur scientia habitualis non est simpliciter melior aut dignior quam anima Christi, sed secundum quid: nam tota bonitas habitualis scientiae cedit in bonitatem subjecti. 1 2

P addit: et bonum. P: eius. — L: eo.

287

6

War das eingegossene

6.

ARTIKEL

Wissen Christi in mehrere unterschieden ?

Gehaben

1. J e vollkommener ein Wissen, desto einheitlicher ist es [142 ]. Deswegen erkennen die höheren Engel durch umfassendere Erkenntnisformen (I 55, 3 ; Bd. 4). Nun war das Wissen Christi höchst vollkommen, also auch höchst einheitlich. Daher kann von einer vielfältigen Unterscheidung des Wissens in mehrere Gehaben bei Ihm nicht die Rede sein. 2. Unser Glaube fließt aus dem Wissen Christi. Denn im Hebräerbriefe (12, 2) steht geschrieben: „Wir wollen auf Jesus, den Führer und Vollender unseres Glaubens, schauen." Nun ist das Gehaben des Glaubens seinem Wesen nach für alle Glaubenswahrheiten ein und dasselbe (4, 6 ; Bd. 15). Also gab es bei Christus erst recht nur e i n Gehaben des Wissens. 3. Die Wissenschaften werden unterschieden nach dem verschiedenen Grunde des Wißbaren. Das Wissen der Seele Christi stand aber unter einem einzigen Erkenntnisgrund, nämlich unter dem Lichte, das ihr Gott eingegossen hatte. Also war in Christus nur ein Wissensgehaben. ANDERSEITS heißt es bei Zacharias (3, 9 ) : „Auf einem Stein", das ist Christus, „sind sieben Augen". Das QUAESTIO

11, 6

A R T I C U L U S VI Utrum scientia indita animae Christi fuerit distincta secundum diversos habitus [3 Sent.,

dist. 14, art. 3, qa 4]

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod in anima Christi non fuerit nisi unus habitus scientiae. Quanto enim scientia est perfectior, tanto est magis unita: unde et angeli superiores per formas magis universales cognoscunt, ut in Prima Parte dictum est. Sed scientia Christi fuit perfectissima. Ergo fuit maxime una. Ergo non fuit distincta per plures habitus. 2. P R A E T E R E A , fldes nostra derivatur a scientia Christi unde dicitur Hebr. 12: „Aspicientes in auetorem fidei et consummatorem, J e s u m . " Sed unus est habitus fidei de omnibus credibilibus, ut in Secunda Parte dictum est. Ergo multo magis in Christo non fuit nisi unus habitus scientiae. 3. P R A E T E R E A , scientiae distinguuntur secundum diversas rationes scibilium. Sed anima Christi seivit omnia secundum unam rationem: scilicet secundum lumen divinitus infusum. Ergo in Christo fuit tantum unus habitus scientiae. SED CONTRA est quod Zach. 3 dicitur quod super lapidem unum, idest Christum, sunt Septem oculi. P e r oculum autem

288

Auge bedeutet hier ein Wissen. Demnach scheinen in 11, 6 Christus mehrere Wissensgehaben vorzuliegen. ANTWORT: Das der Seele Christi eingegossene Wissen war der Natur der Menschenseele angepaßt (Art. 4 u. 5). Der Menschenseele aber ist es naturgemäß, Erkenntnisbilder aufzunehmen, die weniger allgemein sind als die der Engel [143]. So erkennt sie also die artverschiedenen Wesen in ebensovielen besonderen Erkenntnisbildern. Daraus folgt aber, daß man bei uns je nach den verschiedenen Gattungen der erkannten Gegenstände auch ebensoviele Wissensgehaben annehmen muß. Denn dem, was sich in der Einheit einer Gattung findet, entspricht in unserem Erkennen e i n Wissensgehaben. Aristoteles lehrt nämlich, daß die Einheit einer Wissenschaft auf der Gattungseinheit ihrer Gegenstände beruht. Also war das eingegossene Wissen in Christus nach besonderen Gehaben unterschieden. Z u 1. Wie oben (Art. 4) gesagt, ist das Wissen Christi höchst vollkommen und übertrifft das der Engel, wenn wir es nach seiner Quelle betrachten. Denn diese ist Gott selbst. Aber an dem gemessen, der es empfängt, steht Sein Wissen tiefer. Damit hängt zusammen, daß sich dieses Wissen in verschiedene Gehaben gliedert, gleichsam als beruhte es auf Erkenntnisbildern stärkerer Besonderung. QUAESTIO

11, 6

scientia intelligitur. Ergo videtur quod in Christo fuerunt plures habitus scientiae. RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, scientia indita animae Christi habuit modum connaturalem animae humanae. Est autem connaturale animae humanae ut recipiat species in minori universalitate quam angeli: ita scilicet quod diversas naturas specificas per diversas intelligibiles species cognoscat. Ex hoc autem contingit quod in nobis sunt diversi habitus scientiarum, quia sunt diversa scibilium genera: inquantum scilicet ea quae reducuntur in unum genus, eodem habitu scientiae cognoscuntur; sicut dicitur in 1 Poster, [cap. 28, n. 1; 87 a 38 S. Th., lect. 41] quod „una scientia est quae est unius generis subjecti". Et ideo scientia indita animae Christi fuit distincta secundum diversos habitus. AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut supra dictum est, scientia animae Christi est perfectissima, et excedens scientiam angelorum, quantum ad id quod consideratur in ea ex parte Dei influentis: est tarnen infra scientiam angelicam quantum ad modum recipientis. Et ad hujusmodi modum pertinet quod scientia illa per multos habitus distinguatur, quasi per species magis particulares existens.

19 25

289

6

Zu 2. Unser Glaube stützt sich auf die Urwahrheit. Daher ist Christus durch Sein schlechthin einfaches g ö t t l i c h e s Wissen der Urheber des Glaubens. Z u 3. Das Licht, das Gott eingießt, läßt alles das erkennen, was übernatürlich geoffenbart ist, — das Licht unseres Verstandes alles, was wir natürlicherweise erkennen. Daher muß man in der Seele Christi Begriffe der einzelnen Dinge annehmen, damit sie jedes in besonderer Erkenntnis erkenne. Folglich waren auch verschiedene Wissensgehaben in der Seele Christi notwendig (Antw.). QUAESTIO

11, 6

AD SECUNDUM dicendum quod fides nostra innititur primae veritati. Et ideo Christus est auctor fidei nostrae secundum diviaain scientiam, quae est simpliciter una. AD TERTIUM dicendum quod lumen divinitus intusum est ratio intelligendi communis ea quae divinitus revelantur: sicut et lumen intellectus eorum quae naturaliter cognoscuntur. Et ideo oportuit in anima Christi species singularum rerum ponere ad cognoscendum cognitione propria unumquodque. Et secundum hoc, oportuit esse diversos habitus scientiae in anima Christi, ut dictum est.

290

12. F R A G E

12, l

D A S ERWORBENE ODER ERFAHRUNGSWISSEN SEELE CHRISTI

DER

Es ergeben sich vier Einzelfragen: 1. Ist dieses W i s s e n a l l u m f a s s e n d ? 2. Hat Christus in diesem W i s s e n Fortschritte gemacht? 3. Hat Christus etwas von Menschen gelernt? 4. Ist Er von Engeln unterwiesen w o r d e n ? War

das

erworbene

1. A R T I K E L oder Erfahrungswissen umfassend ?

Christi

all-

1. Es gibt ein Wissen, das man sich durch Erfahrung erwirbt. Christus hat aber nicht alles aus Erfahrung kennengelernt. A l s o wußte Er nicht alles aus der Erfahrung. 2. Der Mensch erwirbt sich das W i s s e n mittels der Sinne. Nun war aber den leiblichen Sinnen Christi nicht alles Wahrnehmbare zugänglich. Also erkannte Er nicht alles auf d i e s e m Wege. 3. Der U m f a n g des W i s s e n s bemißt sich nach den wißbaren Dingen. W e n n Christus also mit dem selbsterworbenen W i s s e n a l l e s erkannt hätte, so w ä r e dieses in Ihm QUAESTIO

XII

DE SCIENTIA ANIMAE CHRISTI ACQUISITA VEL EXPERIMENTALI Deinde considerandum est de scientia animae Christi acquisita vel experimentali. Et circa hoc quaeruntur quatuor: 1. Utrum secundum hanc scientiam Christus cognoverit omnia. — 2. Utrum in hac scientia profecerit. — 3. Utrum aliquid ab homine didicerit. — 4. Utrum acceperit aliquid ab angelis. ARTICULUS I U t r u m s e c u n d u m s c i e n t i a m a c q u i s i t a m v e l experimentalem Christus omnia cognoverit AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod secundum hanc scientiam Christus non omnia cognovit. Hujusmodi enim scientia per experientiam acquiritur. Sed Christus non omnia expertus est. Non igitur omnia secundum hanc scientiam seivit. 2. PRAETEREA, scientiam acquirit homo per sensum. Sed non omnia sensibilia sensibus corporalibus Christi fuerunt subjecta. Non igitur secundum hanc scientiam omnia cognovit. 3. PRAETEREA, quantitas scientiae attenditur secundum scibilia. Si igitur secundum hanc scientiam Christus omnia scivisset, esset in eo scientia acquisita aequalis scientiae infusae 19*

291

12, i dem eingegossenen und dem Wissen der seligen Schau gleich. Das kann aber nicht sein. Also hat Christus nicht alles durch Erfahrung erkannt. ANDERSEITS war in der Seele Christi nichts unvollkommen. Sein erworbenes Wissen wäre aber unvollkommen gewesen, wenn Christus darin nicht alles erkannt hätte. Denn was einen Zuwachs erfahren kann, ist unvollkommen. ANTWORT: Wie man der Seele Christi zur Vollendung ihres „aufnehmenden" Verstandes eingegossenes Wissen zuschreibt, so nimmt man in ihr auch Erfahrungswissen an (9, 4), weil ohne ein solches der „tätige" Verstand brachgelegen wäre, dessen Aufgabe ja gerade darin besteht, die Dinge erkennbar zu machen. Während nämlich der aufnehmende Verstand „alles zu werden" vermag, soll der tätige Verstand „alles erarbeiten" (Aristoteles). Und deshalb erkannte die Seele Christi durch das eingegossene Wissen all das, was der aufnehmende Verstand irgendwie zu erkennen fähig war, — und durch das erworbene alles, was durch die Arbeit des tätigen Verstandes erkannt werden kann. Z u 1. Das Wissen um die Dinge gewinnt man nicht allein aus ihrer unmittelbaren Erfahrung, — man kann es auch [mittelbar] aus anderem bereits Erfahrenem erQUAESTIO 12, l et scientiae beatae: quod est inconveniens. Non ergo secundum hanc scientiam Christus omnia scivit. SED CONTRA est quod nihil imperfectum fuit in Christo quantum ad animam. Fuisset autem imperfecta haec ejus scientia, si secundum earn non scivisset omnia: quia imperfectum est cui potest fieri additio. Ergo secundum hanc scientiam Christus omnia scivit. RESPONDEO dicendum quod scientia acquisita ponitur in anima Christi, ut supra dictum est, propter convenientiam intellectus agentis, ne ejus actio sit otiosa, qua facit intelligibilia actu: sicut etiam scientia indita vel infusa ponitur in anima Christi ad perfectionem intellectus possibilis. Sicut autem intellectus possibilis est „quo est omnia fieri", ita intellectus 430a 12 agens est „quo est omnia facere": ut dicitur in 3 de Anima [cap. 5, n. 1; S. Th., lect. 10]. Et ideo, sicut per scientiam inditam scivit anima Christi omnia illa ad quae intellectus possibilis est quocumque modo in potentia, ita per scientiam acquisitam scivit omnia ilia quae possunt sciri per actionem intellectus agentis. AD PRIMUM ergo dicendum quod scientia rerum acquiri potest non solum per experientiam ipsarum, sed etiam per experientiam quarundam aliarum rerum: cum ex virtute

292

werben. Denn im Lichte des tätigen Verstandes ver- 12, 1 mag der Mensch von den Ursachen zur Erkenntnis der Wirkungen, von den Wirkungen zur Erkenntnis der Ursachen vorzudringen; Ähnliches aus Ähnlichem, Gegensätzliches aus Gegensätzlichem zu erkennen. So gelangte auch Christus aus Seiner Erfahrung heraus zur Kenntnis aller Dinge, obwohl Er nicht alle unmittelbar erfahren hat. Zu 2. Obgleich Christus nicht alles sinnlich Wahrnehmbare zugänglich war, so reichten doch Seine Erfahrungen hin, um aus ihnen durch die überragende Kraft Seines Verstandes auf die ebengenannte Weise zur Erkenntnis anderer Dinge zu gelangen. So vermochte Er aus dem Anblick der Himmelskörper ihre Kräfte und deren Einwirkungen auf irdische Körper zu begreifen, ohne daß Seine Sinne sie wahrgenommen hätten [144], Und ebenso konnte Er aus allen anderen Dingen zu neuen Erkenntnissen fortschreiten. Z u 3. Die Seele Christi erkannte durch ihr erworbenes Wissen nicht einfachhin alles, sondern nur, was für den Menschen im Lichte des tätigen Verstandes erkennbar ist. Also erkannte sie darin weder das Wesen der körperlosen Substanzen, noch die einzelnen Ereignisse der Vergangenheit und Zukunft. All dieses wurde ihr jedoch im eingegossenen Wissen bekannt (11, 1 Zu 2 u. 3). QUAESTIO

12, l

luminis intellectus agentis possit homo procedere ad intelligendum effectus per causas, et causas per effectus, et similia per similia, et contraria per contraria. Sic igitur, licet Christus non fuerit omnia expertus, ex his tarnen quae expertus est, in omnium devenit notitiam. A D SECUNDUM dicendum quod, licet corporalibus senaibus Christi non fuerint subjecta omnia sensibilia, fuerunt sensibus ejus subjecta aliqua sensibilia, ex quibus, propter excellentissimam vim rationis ejus, potuit in aliorum notitiam devenire per modum praedictum. Sicut, videndo corpora caelestia, potuit comprehendere eorum virtutes, et effectus quos habent in istis inferioribus, qui ejus sensibus non subjacebant. Et, eadem ratione, ex quibuscumque aliis in aliorum notitiam devenire potuit. A D T E R T I U M dicendum quod secundum istam scientiam anima Christi non simpliciter cognovit omnia: sed illa omnia quae per lumen intellectus agentis hominis sunt cognoscibilia. Ünde per hanc scientiam non cognovit essentias substantiarum separatarum; nec etiam singularia praeterita vel futura. Quae tarnen cognovit per scientiam inditam, ut supra dictum est.

293

12, 2

2. A R T I K E L Hat Christus im erworbenen schritte

oder Erfahrungswissen gemacht?

Fort-

1. Wie Christus in der seligen Gottesschau oder durch das eingegossene Wissen alles erkannte, so auch durch das erworbene Wissen (Art. 1). In den beiden ersten Arten hat E r aber keine Fortschritte gemacht, also auch nicht im erworbenen Wissen. 2. Wachsen kann nur das Unvollkommene. Denn das Vollkommene nimmt keinen Zuwachs mehr auf. In Christus aber ist ein unvollkommenes Wissen ausgeschlossen. Also konnte auch Sein erworbenes Wissen nicht wachsen. 3. Bei Johannes von Damaskus lesen wir: „Wer in Christus das Fortschreiten an Weisheit und Gnade als Vermehrung auffaßt, der ist kein wahrer Verehrer der Vereinigung [von Gott und Mensch]." Diese Vereinigung aber nicht zu verehren ist gottlos. Also ist es auch gottlos, im Wissen Christi einen Zuwachs anzunehmen. ANDERSEITS berichtet Lukas: „Jesus nahm zu an Weisheit, an Alter und Gnade vor Gott und den Menschen" (2, 52). Und Ambrosius sagt, E r hat „in der QUAESTIO

12, 2

ARTICULUS

II

Utrum secundum scientiam acquisitam vel e x pe r im enta 1e m Christus profecerit [Infra, q. 15, art. 8; 3 Sent , dist. 14, art. 3, qa 5; Comp. Theol., cap. 216; in Joan., cap. 4, lect. 1; ad Hebr., cap. 5, lect. 2]

AD SECUNDUM sic proceditur. Videtur quod secundum hanc scientiam Christus non profecerit. Sicut enim secundum scientiam beatitudinis vel secundum scientiam infusam Christus cognovit omnia, ita secundum hanc scientiam acquisitam: ut e x dictis patet. Sed secundum illas scientias non profecit. Ergo nec secundum istam. 2. P R A E T E R E A , proflcere est imperfecti: quia perfectum additionem non recipit. Sed in Christo non est ponere scientiam imperfectam. Ergo secundum hanc scientiam Christus non profecit. MPG 3. P R A E T E R E A , Damascenus dicit [De Fide Orth., lib. 3, 94-1087 cap. 2 2 ] : „Qui proflcere dicunt Christum sapientia et gratia ut additamentum suscipientem, non venerantur u n i o n e m . " 1 Non venerari autem unionem est impium. Ergo impium est dicere quod scientia ejus additamentum acceperit. S E D CONTRA est quod habetur Luc. 2, quod „Jesus proflciebat sapientia et aetate et gratia apud Deum et homines". MPL 16/837 Et Ambrosius dicit [De Incarn. Domin. Sacrament., cap. 7] quod 1

294

P addlt: quae est secundum hypostasim.

menschlichen Weisheit Fortschritte gemacht". Mensch- 12, 2 liehe Weisheit wird aber nach menschlicher Art erworben, d. h. durch das Licht des tätigen Verstandes. Demnach hat Christus im erworbenen Wissen Fortschritte gemacht. ANTWORT: Es gibt einen zweifachen Fortschritt im Wissen. Der eine betrifft das Wesen des Wissens, wobei das Gehaben des Wissens wächst; der andere die Wirkung des Wissens, wenn z. B. jemand aus ein und demselben Wissensgehaben zunächst nur wenige, dann aber immer mehr und gründlichere Kenntnisse anderen mitteilt. Es ist aber klar, daß Christus auf diese zweite Art mit den Jahren in Wissen und Gnade Fortschritte gemacht hat. Denn mit zunehmendem Alter entfaltete Er ein stets größeres Wirken, das immer höhere Weisheit und Gnade in Ihm erkennen ließ. Doch das Gehaben Seines eingegossenen Wissens hat sich offenbar nicht gemehrt, da Ihm dieses von Anfang an in seiner ganzen Fülle gegeben war. Noch weniger konnte es in Seiner Gottesschau ein Fortschreiten geben. Daß aber Sein göttliches Wissen nicht wachsen konnte, ist bereits im ersten Buch bewiesen worden (I 14, 15 Zu 2; Bd. 2). Hätte also die Seele Christi außer dem Gehaben des eingegossenen Wissens kein erworbenes besessen — das ist die Ansicht mancher und war eine Zeitlang auch QUAESTIO

12, 2

„proficiebat secundum sapientiam humanam". Humana autem sapientia est quae humano modo acquiritur, scilicet per lumeti intellectus agentis. Ergo Christus secundum hanc scientiam profecit. RESPONDEO dicendum quod duplex est profectus scientiae. Unus quidem secundum essentiam: prout scilicet ipse habitus scientiae augetur. Alius autem secundum effectum: puta si aliquis, secundum eumdem et aequalem scientiae habitum, primo minora aliis demonstret, et postea majora et subtiliora. Hoc autem secundo modo, manifestum est quod Christus in scientia et gratia profecit, sicut et in aetate: quia scilicet, secundum augmentum aetatis, opera majora faciebat, quae majorem sapientiam et gratiam demonstrabant. Sed quantum ad ipsum habitum scientiae, manifestum est quod habitus scientiae infusae in eo non est augmentatus: cum a prineipio plenarie sibi fuerit omnis scientia infusa. Et multo minus scientia beata in eo augeri potuit. De scientia autem divina, quod non possit augeri, supra in Prima Parte dictum est. Si igitur, praeter habitum scientiae infusum, non sit in anima Christi habitus aliquis scientiae acquisitae, ut quibusdam videtur,

295

12, 2 die meine — , dann hätte das Wissen Christi seinem Wesen nach keinen Zuwachs erhalten, sondern wäre nur durch Erfahrung bereichert worden, sooft Christus eingegossene Begriffe auf Phantasiebilder anwandte. Somit könnte man von einem Fortschritt in Seinem Erfahrungswissen sprechen, sofern Er eben eingegossene Begriffe auf neue Sinneseindrücke anwandte. Da aber dem Herrn keine der natürlichen Geistestätigkeiten mangeln konnte, für die der menschliche Verstand fähig ist, — und das Bilden der Begriffe aus Phantasiebildern ist eine solche — , so müssen wir diese Tätigkeit auch bei Ihm annehmen. Daraus folgt aber, daß die Seele Christi ein Gehaben des Wissens besaß, das durch Bilden neuer Begriffe wachsen konnte. Denn der tätige Verstand vermochte immer wieder neue Erkenntnisformen aus Phantasiebildern zu gewinnen. Z u 1. Das eingegossene Wissen der Seele Christi wie auch ihre selige Gottesschau waren Wirkungen einer Ursache, die ob ihrer unendlichen Machtfülle alles zugleich bewirken kann. Deshalb hat Christus in keiner dieser beiden Wissensarten Zuwachs erfahren — vielmehr besaß Er sie von A n f a n g an in ihrer Vollendung. Dagegen kommt ihr das erworbene Wissen nur vom „tätigen Verstände" zu, der nicht alles zugleich, sondern eines nach dem anderen wirkt. In dieser Hinsicht besaß daher ChriQ U A E S T I O

12, 2

of. Anni, et mihi aliquando visum est; nulla scientia in Christo augmentata [127 a] f u i t secundum suam essentiam, sed solum per experientiam, idest per conversionem specierum intelligibilium inditarum ad phantasmata. Et secundum hoc dicunt quod scientia Christi profecit secundum experientiam: convertendo scilicet species intelligibiles inditas ad ea quae de novo per sensum accepit. Sed quia inconveniens videtur quod aliqua naturalis actio intelligibilis Christo deesset, cum extrahere species intelligibiles a phantasmatibus sit quaedam naturalis actio hominis secundum intellectum agentem, conveniens videtur hanc etiam actionem in Christo ponere. Et ex hoc sequitur quod in anima Christi aliquis habitus scientiae fuit qui per hujusmodi abstractionem specierum potuerit augmentari: e x hoc scilicet quod intellectus agens, post primas species intelligibiles abstractas a phantasmatibus, poterat etiam alias abstrahere. A D P R I M U M ergo dicendum quod tarn scientia infusa animae Christi, quam scientia beata, fuit effectus agentis infinitae virtutis, qui potest simul totum operari: et ita in neutra scientia Christus profecit, sed a principio habuit earn perfectam. Sed scientia acquisita est tantum ab intellectu agente, qui non simul totum operatur, sed successive. Et ideo secundum hanc

296

stus nicht von Anfang an ein allumfassendes Wissen, 12, 3 vielmehr gelangte Er erst allmählich, nach einiger Zeit dazu, nämlich im reifen Alter. Und das meint der Evangelist, wenn er bei Ihm von einem gleichzeitigen Fortschritt in Wissen und Alter spricht. Zu 2. Auch das erworbene Wissen war in Christus — Seinem jeweiligen Lebensalter entsprechend — immer vollkommen. Damit ist freilich zugegeben, daß dieses Wissen nicht schlechthin und seinem Wesen nach vollkommen war. Deshalb konnte Er darin Fortschritte machen. Z u 3. Das Wort des Johannes von Damaskus gilt denen, die in Christus bei jeder Art Seines Wissens einen Zuwachs annehmen — vor allem bei dem eingegossenen, das Seiner Seele aus der Vereinigung mit dem WORT zufließt. Der Zuwachs des Wissens aber, der durch Seine natürlichen Geisteskräfte bewirkt wird, ist hier nicht gemeint. 3. A R T I K E L Hat Christus

von Menschen

etwas

gelernt?

1. Der Evangelist berichtet: „Sie fanden Ihn im Tempel, Er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen an sie" (Lk 2, 46). Es fragt und antQ UAE ST I0

12, 3

scientiam Christus non a principio scivit omnia, sed paulatim et post aliquod tempus, scilicet in perfecta aetate. Quod patel ex hoc quod Evangelista simul dicit eum profecisse scientia et aetate. AD SECUNDUM dicendum quod haec etiam scientia in Christo fuit semper perfecta secundum tempus, licet non fuerit perfecta simpliciter et secundum naturam. Et ideo potuit habere augmentum. AD TERTIUM dicendum quod verbum Damasceni intelligitur quantum ad illos qui dicunt simpliciter factam fuisse additionem scientiae Christi: scilicet secundum quamcumque ejus scientiam; et praecipue secundum infusam, quae causatur in anima Christi ex unione ad Verbum. Non autem intelligitur de augmento scientiae quae ex naturali agente causatur. A R T I C U L U S III U t r u m C h r i s t u s a l i q u i d ab h o m i n i b u s didicerit AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod Christus aliquid ab hominibus didicerit. Dicitur enim Luc. 2 quod „invenerunt eum in Templo in medio doctorum, interrogantem illos et

20 25

297

3 wortet aber nur, wer lernen will. Also hat Christus von den Menschen etwas gelernt. 2. Wissen von einem Lehrer zu empfangen scheint besser zu sein als es durch die Sinne zu erwerben. Denn in der Seele des Lehrers sind bereits fertige Erkenntnisbilder vorhanden, während sie in den sinnfälligen Dingen nur der Möglichkeit nach vorhanden sind. Christus aber hat Erfahrungswissen aus den Sinnendingen erworben (Art. 2 u. 9, 4). Um so mehr konnte Er Wissen durch menschliche Unterweisung empfangen. 3. Durch Sein Erfahrungswissen hat Christus von Anfang an nicht alles gekannt, sondern Er hat darin Fortschritte gemacht (Art. 2). Nun kann aber jemand einen Lehrvortrag anhören und dadurch etwas lernen, was er noch nicht weiß. Also konnte Christus manches von [anderen] Menschen lernen, was Er aus eigener Erfahrung noch nicht wußte. ANDERSEITS lesen wir bei Isaias (55, 4): „Sehet, zum Zeugen gebe ich Ihn den Völkern, zum Führer und Lehrer den Nationen." Es ist aber nicht Sache des Lehrers, belehrt zu werden, sondern zu lehren. Folglich hat Christus aus der Belehrung durch einen Menschen keinerlei Wissen empfangen. ANTWORT: Bei jeder Art [von Bewegung] muß der erste Beweger außerhalb dieser Bewegung stehen; ebenso darf sich selbst nicht verändern, was als Erstes etwas verQ U A E S T I O 12, 3

respondentem". Interrogare vero et respondere est addiscentis. Ergo Christus ab hominibus aliquid didicit. 2. PRAETEREA, acquirere scientiam ab homine docente videtur esse nobilius quam acquirere a sensibus: quia in anima hominis docentis sunt species intelligibiles in actu, in rebus autem sensibilibus sunt species intelligibiles solum in potentia. Sed Christus accipiebat scientiam experimentalem ex rebus sensibilibus, ut dictum est. Ergo multo magis poterat accipere scientiam addiscendo ab hominibus. 3. PRAETEREA, Christus secundum scientiam experimentalem a principio non omnia scivit, sed in ea profecit, ut dictum est. Sed quilibet audiens sermonem significativum alicujus, potest addiscere quod nescit. Ergo Christus potuit ab hominibus aliqua addiscere quae secundum hanc scientiam nesciebat. SED CONTRA est quod dicitur Isai. 55: „Ecce, testem populis dedi eum, ducem ac praeceptorem gentibus." Praeceptoris autem non est doceri, sed docere. Ergo Christus non accepit aliquam scientiam per doctrinam alicujus hominis. RESPONDEO dicendum quod in quolibet genere id quod est primum movens non movetur secundum illam speciem motus:

298

ändert [145]. Christus aber ist zum Haupt der Kirche, 12, 3 ja aller Menschen bestellt (8, 3), damit durch Ihn alle Menschen die Gnade empfangen und die Lehre der Wahrheit aufnehmen sollten. Hiervon sagt Er selbst: „Dazu bin Ich geboren und dazu bin Ich in die Welt gekommen, um der Wahrheit Zeugnis zu geben" (Jo 18, 37). Und deshalb war es mit Seiner Würde nicht vereinbar, von irgendeinem Menschen belehrt zu werden. Z u 1. Origenes bemerkt zu dieser Schriftstelle: „Der Herr fragte nicht, um etwas zu erfahren, sondern um gefragt zu werden und dann zu belehren. Denn aus dem gleichen Born der Lehre strömt die weise Frage und die weise Antwort." Daher lesen wir im nächsten Vers des Evangeliums: „Alle Zuhörer staunten über Sein Verständnis und Seine Antworten" (Lk 2, 47). Z u 2. Wenn jemand von anderen Menschen etwas lernt, so gehen die Begriffe des Lehrers nicht unmittelbar in den Geist des Schülers ein; es bedarf der hörbaren Worte als Zeichen der Gedanken. Wie also die vom Menschen geformten Worte Zeichen seines geistigen Wissens sind, so sind die von Gott gebildeten Geschöpfe Zeichen Seiner Weisheit: „Gott hat Seine Weisheit über alle Seine Werke ausgegossen" (Sir 1, 10). Wie es daher eine größere Würde bedeutet, von Gott belehrt zu werden als von Menschen, so ist es auch würdiger, aus den Q U A E S T I O

12, 3

sicut primum alterans non alteratur. Christus autem constitutus est caput Ecclesiae, quinimmo omnium hominum, ut supra dictum est, ut non solum per ipsum omnes homines gratiam acciperent, sed etiam, ut omnes ab eo doctrinam veritatis reciperent. Unde ipse dicit, Joan. 18: „In hoc natus sum, et ad hoc veni in mundum, ut testimonium perhibeam veritati." Et ideo non fuit conveniens ejus dignitati ut a quocumque hominum doceretur. AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut Origenes dicit, MPG 13 super Luc. [hom. 19], „Dominus interrogabat, non ut aliquid 1848 . 185 disceret, sed ut interrogatus erudiret. Ex uno quippe doctrinae fönte manat et interrogare et respondere sapienter". Unde et ibidem in Evangelio sequitur quod „stupebant omnes qui eum audiebant, super prudentia et responsis ejus". AD SECUNDUM dicendum quod ille qui addiscit ab homine non accipit immediate scientiam a speciebus intelligibilibus quae sunt in mente ipsius: sed mediantibus sensibilibus vocibus, tanquam signis intellectualium conceptionum. Sicut autem voces ab homine formatae sunt signa intellectualis scientiae ipsius, ita creaturae a Deo conditae sunt signa sapientiae ejus: unde Eccli. 1 dicitur quod Deus „effudit sapientiam suam super omnia opera sua". Sicut igitur dignius est doceri a Deo quam 20*

299

12, 4 sinnfälligen Dingen sein Wissen zu schöpfen, als von Menschen belehrt zu werden. Z u 3. Bei JESUS wuchs das Erfahrungswissen mit zunehmendem Alter (Art. 2). Es ist aber eine bestimmte Reife erforderlich, um durch eigenes Forschen — und ebenfalls eine bestimmte Reife, um durch Unterweisung Wissen zu gewinnen. Der Herr tat aber nichts, was Seinem Alter nicht entsprochen hätte. Deshalb schenkte Er einem Lehrvortrag erst dann Gehör, als Er bereits auf dem W e g e der Erfahrung jenen Wissensgrad erreicht hatte. Deshalb schreibt der hl. Gregor: „Im Alter von zwölf Jahren würdigte Er sich, auf Erden die Menschen zu befragen, denn bei der gewöhnlichen Verstandesentwicklung befähigt zum Lehren gewöhnlich erst das reife Alter." 4. Hat

Christus

von

A R T I K E L

den

Engeln

Wissen

empfangen?

1. Der Evangelist sagt von Christus: „Es erschien Ihm ein Engel und stärkte I h n " ( L k 22, 43). Eine solche Stärkung aber wird durch ermunternde Worte eines LehQUAESTIO

12, 4

ab homine, ita dignius est accipere scientiam per sensibiles creaturas quam per hominis doctrinam. AD TERTIUM dicendum quod Jesus proficiebat in scientia experimentan sicut etiam in aetate, ut dictum est. Sicut autem aetas opportuna 1 requiritur ad hoc quod homo accipiat scientiam per inventionem, ita etiam ad hoc quod accipiat scientiam per disciplinam. Dominus autem nihil fecit quod non congrueret ejus aetati. Et ideo audiendis doctrinae sermonibus non accommodavit auditum nisi illo tempore quo poterat etiam per viam experientiae talem scientiae gradum attigisse. Unde MPL Gregorius dicit, super Ezech. [lib. 1, hom. 2 ] : „Duodécimo 76/796 anno aetatis suae dignatus est homines interrogare in terra, quia, juxta rationis usum, doctrinae sermo non suppetit nisi in aetate perfecta." A R T I C U L U S IV U t r u m C h r i s t u s ab a n g e l i s s c i e n t i a m

acceperit

[Infra, q. 30, art. 2 ad 1; 3 Sent., dist. 13, q. 2, art. 2, qa 1 ad 3; dist. 14, art. 3, qa 6]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod Christus ab angelis scientiam acceperit. Dicitur enim Luc. 22 quod „apparuit Christo ángelus de cáelo confortans eum". Sed confortatio fit per verba exhortatoria docentis: secundum illud Job 4: 1

300

P : optima.

rers vermittelt, wie von Job geschrieben steht: „Siehe, 12, 4 viele hast du unterwiesen und müde Hände gestärkt, den Strauchelnden erhielten deine Worte aufrecht" (4, 3. 4). Also ist Christus von Engeln belehrt worden. 2. Dionysius Areopagita schreibt: „Ich sehe, daß selbst Jesus, der über alle himmlischen Wesen unendlich Erhabene, ohne sich zu wandeln, zu uns herabstieg und sich gehorsam den Weisungen unterwarf, die Gott Vater Ihm durch Engel gab." Es scheint also, daß Christus sich den Anordnungen des göttlichen Gesetzes unterwerfen wollte, wonach den Menschen durch Vermittlung der Engel Belehrung zuteil wird. 3. Wie der menschliche Körper entsprechend seiner Natur dem Einfluß der Himmelskörper unterworfen ist, so der Menschengeist dem Einfluß der Himmelsgeister. Der Leib Christi war aber dem Einfluß der Himmelskörper unterworfen, denn Er litt unter der Hitze des Sommers, der Kälte des Winters sowie unter anderen äußeren Einflüssen, die auf das menschliche Sinnenleben wirken. Also stand auch Sein menschlicher Geist den Erleuchtungen der himmlischen Geister offen. ANDERSEITS schreibt Dionysius Areopagita, daß die höchsten Engel „an JESUS Fragen stellen, um Sein göttliches Wirken für uns zu erfahren: und JESUS selbst belehrt sie unmittelbar". Nun kann aber niemand zuQUAESTIO

12, 4

„Ecce docuisti plurimos, et manus lapsas roborasti: vacillantes confirmaverunt sermones tui." Ergo Christus ab angelis doctus est. 2. PRAETEREA, Dionysius dicit, 4. cap. Cael. Hier.: „Video MPG enim quod et ipse Jesus, supercaelestium substantiarum super- 3 1 8 2 substantialis substantia, ad nostram intransmutabiliter veniens, obedienter subjicitur Patris et Dei per angelos formationibus." Videtur igitur quod ipse Christus ordinationi legis divinae subjici voluerit, per quam homines, mediantibus angelis, erudiuntur. 3. PRAETEREA, sicut corpus humanum naturaliter subjicitur corporibus caelestibus, ita etiam humana mens angelicis mentibus. Sed corpus Christi subjectum fuit impressionibus caelestium corporum: passus est enim calorem in aestate et frigus in hieme, sicut et alias humanas passiones. Ergo et ejus mens humana subjacebat illuminationibus supercaelestium spirituum. SED CONTRA est quod Dionysius dicit, 7. cap. Cael. Hier., MPG quod supremi angeli „ad ipsum Jesum quaestionem faciunt, et 3 / 2 1 0 ipsius divinae operationis pro nobis scientiam discunt: et eos 1 1 P: . . . faciunt divinique illius operis et pro nobls assumptae carnls scientiam discunt et eos . . . — L: pro — eos: eas.

301

12, 4 gleich lehren und lernen. Also wurde auch Christus nicht von den Engeln belehrt. ANTWORT: Die menschliche Seele steht in der Mitte zwischen den reinen Geistern und den Körpern und wird daher gemäß dieser ihrer Natur auf zweifache Weise vollendet: erstens durch ein Wissen, das sie aus den Sinnendingen schöpft, und zweitens durch ein Wissen, das ihr von reinen Geistern auf dem Wege der Erleuchtung eingegeben wird [146]. Durch beide Arten wurde die Seele Christi vollendet: aus der Sinnenwelt nahm sie das Erfahrungswissen, wofür das Licht des tätigen Verstandes hinreicht und keine Erleuchtung durch Engel erfordert ist; — von oben aber strömte ihr das eingegossene Wissen zu, das sie unmittelbar von Gott empfing. Denn wie die Seele Christi in einer alles Geschaffene überragenden Weise in der Einheit der Person mit dem WORTE verbunden war, so wurde sie auch auf eine alle Menschen überragende Weise vom WORT selbst unmittelbar mit Wissen und Gnade erfüllt — und nicht durch Vermittlung der Engel, die ja selbst alles Wissen bei ihrer Erschaffung vom WORT empfangen haben (Augustinus). Z u 1. Diese Stärkung durch einen Engel wurde [dem Herrn] nicht als Belehrung zuteil; sie sollte nur die Wahrheit Seiner menschlichen Natur erkennen lassen. Darüber schreibt Beda [147]: „Daß Engel Ihm gedient und Ihn QUAESTIO

mpl pof? 281/44 sqq. mpl 92*603

12, 4

i p s e J e s u s s i n e m e d i o docet". N o n est a u t e m e j u s d e m d o c e r e et doceri. E r g o Christus n o n accepit s c i e n t i a m a b a n g e l i s . R E S P O N D E O d i c e n d u m q u o d h u m a n a a n i m a , sicut m e d i a inter substantias s p i r i t u a l e s et res c o r p o r a l e s existit, ita d u o b u s m o d i s nata est p e r f i c i : u n o q u i d e m modo, p e r s c i e n t i a m acceptam e x r e b u s s e n s i b i l i b u s ; alio modo, p e r s c i e n t i a m i n d i t a m s i v e i m p r e s s a m e x i l l u m i n a t i o n e s p i r i t u a l i u m substantiarum. U t r o q u e a u t e m m o d o a n i m a Christi fuit p e r f e c t a : e x s e n s i b i l i b u s q u i d e m , s e c u n d u m s c i e n t i a m e x p e r i m e n t a l e m , ad q u a m q u i d e m n o n requiritur l u m e n a n g e l i c u m , s e d sufflcit l u m e n intellectus agentis; e x impressione vero superiori, secundum s c i e n t i a m i n f u s a m , q u a m est i m m e d i a t e a d e p t u s a D e o . Sicut e n i m s u p r a c o m m u n e m m o d u m c r e a t u r a e a n i m a illa unita est V e r b o in unitate p e r s o n a e , ita, supra c o m m u n e m m o d u m h o m i n u m , i m m e d i a t e ab i p s o D e i V e r b o r e p l e t a est scientia et g r a t i a : n o n a u t e m m e d i a n t i b u s a n g e l i s , qui etiam e x influentia V e r b i r e r u m s c i e n t i a m i n suo p r i n c i p i o acceperunt, sicut in 4. libro „ s u p e r Gen. ad lit." [cap. 2 4 ] A u g u s t i n u s dicit. A D P R I M U M e r g o d i c e n d u m q u o d illa confortatio a n g e l i n o n P e r m o d u m instructionis, s e d ad d e m o n s t r a n d u m prop r i e t a t e m h u m a n a e naturae. U n d e B e d a dicit, s u p e r Luc. [lib. 6, a ( j cap. 12, v. 4 3 ] : „ I n d o c u m e n t o u t r i u s q u e naturae, et a n g e l i

302

gestärkt haben, wird nur erzählt, um Seine beiden Na- 12, 4 turen zu beweisen. Denn der Schöpfer brauchte nicht den Schutz Seines Geschöpfes. Aber w i e Er, menschgeworden, unseretwillen traurig wurde, so ließ Er sich auch unseretwillen stärken." Damit soll in uns nur der Glaube an Seine Menschwerdung gefestigt werden. Zu 2. Wenn sich Christus „nach den Weisungen der Engel richtete" (Dionysius), so galten diese nicht Seiner Person. Sie betrafen nur die Vorgänge, die mit Seiner Menschwerdung zusammenhingen, und die Betreuung Seiner Kindheit. Daher fügt Dionysius der obigen Stelle die Worte bei: „Durch Engel wird Joseph die Kunde, daß der Vater die Flucht JESU nach Ägypten und später Seine Heimkehr aus Ägypten nach Judäa angeordnet habe." Z u 3. Der Sohn Gottes nahm einen leidensfähigen Körper (14, 1), — aber eine an Wissen und Gnade vollendete Seele an. Daher war wohl Sein Leib dem Einfluß der Gestirne ausgesetzt, aber Seine Seele dem Einwirken der himmlischen Geister nicht unterworfen (14, 1 Zu 1, und Art. 4). QUAESTIO

12, 4

ei ministrasse, et e u m confortasse dicuntur. Creator e n i m suae creaturae non eguit p r a e s i d i o : sed, h o m o factus, sicut p r o p t e r nos tristis, ita p r o p t e r nos c o n f o r t a t u r " ; ut scilicet in nobis fldes incarnationis ipsius confirmetur. A D S E C U N D U M dicendum quod Dionysius dicit Christum MPG „ a n g e l i c i s conformationibus fuisse subjectum", non ratione sui 3 1 8 2 ipsius: sed ratione eorum quae circa e j u s incarnationem agebantur, et circa ministrationem in infantili aetate constituti. U n d e i b i d e m subdit quod „ p e r m e d i o s angelos nuntiatur Joseph a P a t r e dispensata Jesu ad A e g y p t u m recessio, et rursum ad Judaeam de A e g y p t o traductio". A D T E R T I U M dicendum quod Filius D e i assumpsit corpus passibile, ut i n f r a dicetur: sed a n i m a m p e r f e c t a m scientia et gratia. Et i d e o corpus e j u s f u i t convenienter subjectum impressioni caelestium c o r p o r u m : anima v e r o e j u s non f u i t subjecta impressioni caelestium spirituum.

303

13.

FRAGE

DIE MACHT DER S E E L E

CHRISTI

Es ergeben sich vier Einzelfragen. 1. W a r die Seele Christi schlechthin allmächtig? 2. Hatte sie unbeschränkte Macht über die Körperweit? 3. Hatte sie unbeschränkte Macht über ihren eigenen Leib? 4. Hatte sie unbeschränkte Macht, ihren eigenen Willen durchzuführen ?

War die Seele

1. A R T I K E L Christi schlechthin

allmächtig?

1. Ambrosius sagt: „Die Macht, die der Sohn Gottes von Natur aus hat, sollte E r als Mensch in der Zeit empfangen." Das gilt jedenfalls in erster Linie von der Seele als dem vornehmsten Teil des Menschen. Weil also der Sohn Gottes von Ewigkeit her allmächtig war, so scheint die Seele Christi in der Zeit die Allmacht empfangen zu haben.

QUAESTIO

XIII

DE POTENTIA ANIMAE CHRISTI Deinde considerandum est de potentia animae Christi. Et circa hoc quaeruntur quatuor: 1. Utrum habuerit omnipotentiam simpliciter. — 2. Utrum habuerit omnipotentiam respectu corporalium 1 creaturarum. — 3. Utrum habuerit omnipotentiam respectu proprii corporis. — 4. Utrum habuerit omnipotentiam respectu executionis propriae voluntatis. ARTICULUS I Utrum anima Christi habuerit omnipotentiam [1 Sent., dist. 43, q. 1, art. 2 ad 2; 3, dist. 1, q. 1, art. 2 ad 2; art. 4]

dist. 14,

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod anima Christi habuit omnipotentiam. Dicit enim Ambrosius, super Luc. [Ex MPL 94/11 Bed., hom. 1, in festo Annunt.] : „Potentiam quam Dei Filius naturaliter habet, homo erat ex tempore aeeepturus." Sed hoc praeeipue videtur esse secundum animam, quae est potior pars hominis. Cum ergo Filius Dei ab aeterno omnipotentiam habuerit, videtur quod anima Christi ex tempore omnipotentiam aeeeperit. 1

304

P: immutationis.

2. Wie die Macht Gottes, so ist auch Sein Wissen un- 13, 1 endlich. Die Seele Christi besitzt aber in gewissem Sinne [insofern sie mit dem WORTE vereinigt ist] dasselbe Wissen wie Gott (10, 2). Also hat sie auch alle Macht, und damit ist sie allmächtig. 3. Die Seele Christi besitzt jedes Wissen. Man unterscheidet aber „dienendes" und „reines" Wissen. Also hat sie von all dem, was sie weiß, ein „dienendes Wissen"; mit anderen Worten, sie vermag das, was sie weiß, in die Tat umzusetzen. Und so scheint es, daß sie alles machen kann. ANDERSEITS kann das, was nur Gott eigen ist, nicht einem Geschöpfe zukommen. Die Allmacht aber kommt Gott allein zu. „Er ist mein Gott, Ihn will ich preisen. Allmächtiger ist Sein Name" (Ex 15, 2. 3). Da die Seele Christi ein Geschöpf ist, besitzt sie demnach die Allmacht nicht. ANTWORT: Im Geheimnis der Menschwerdung vollzog sich die Vereinigung in der Person so, daß der Unterschied der beiden Naturen bestehen blieb und jede ihr Eigensein wahrte (2, 1; 10, 1). Die Wirkmacht eines jeden Dinges folgt aber seiner Form; denn diese ist der Ursprung seines Tuns. Die Form nun ist entweder die Natur des Dinges selbst, wie bei den einfachen Wesen — oder sie begründet die Natur, wie bei den [körperlichen] Wesen, die sich aus Stoff u n d Form zusammensetzen. QUAESTIO

13, 1

2. PRAETEREA, sicut potentia Dei est infinita, sic et ejus scientia. Sed anima Christi habet omnium scientiam eorum quae seit Deus quodammodo, ut supra dictum est. Ergo etiam habet omnem potentiam. Et ita est omnipotens. 3. PRAETEREA, anima Christi habet omnem scientiam. Sed scientiarum quaedam est practica, quaedam speculativa. Ergo habet eorum quae seit scientiam practicam: ut scilicet sciat tacere ea quae seit. Et sic videtur quod omnia facere possit. SED CONTRA est: quod proprium est Dei, non potest alicui creaturae convenire. Sed proprium est Dei esse omnipotentem: secundum illud Exodi 15: „Iste Deus meus, et glorificabo eum"; et postea subditur, „Omnipotens nomen ejus". Ergo anima Christi, cum sit creatura, non habet omnipotentiam. RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, in mysterio incarnationis ita facta est unio in persona quod tamen remansit distinctio naturarum, utraque scilicet natura retinente id quod sibi est proprium. Potentia autem activa cujuslibet rei sequitur formam ipsius, quae est principium agendi. Forma autem vel est ipsa natura rei, sicut in simplicibus: vel est constituens ipsam rei naturam, sicut in his quae sunt composita ex materia et forma. Unde manifestum est quod poten-

305

13, i Daraus erhellt, daß die Wirkmacht eines jeden Dinges aus seiner Natur hervorgeht [148]. Mithin ist auch die Allmacht Gottes mit der göttlichen Natur gegeben. Weil nämlich die göttliche Natur das unbegrenzte Sein Gottes selbst ist (Dionysius Areopagita), so erstreckt sich ihre Macht auf alles, was am Sein teilhaben kann. Und das heißt: allmächtig sein. Auch jedes andere Wesen übt seine Macht auf alles aus, was mit ihm an der Vollkommenheit seiner Natur teilhat [149]. So wirkt das Warme auf alles, was sich erwärmen läßt. Da also die Seele Christi [nur] ein Teil Seiner menschlichen Natur ist, kann sie unmöglich allmächtig sein. Z u 1. Die Allmacht, die der Sohn Gottes von Ewigkeit her hat, empfing der Mensch [Christus ] in der Zeit — eben durch die Vereinigung in der Person. Ihretwegen nennen wir den Menschen Christus „allmächtig", ebenso wie wir Ihn „Gott" nennen. Das besagt nicht, daß die Allmacht des Menschen Christus eine andere ist als die des Gottessohnes, wie auch Seine Gottheit sich nicht [von I h m ] unterscheidet; — sondern das ergibt sich einfach aus der Tatsache, daß Gott und Mensch eine Person bilden. Z u 2. Wie manche sagen, ist Wissen etwas wesentlich anderes als Macht. Die Macht nämlich folgt aus der Natur eines Dinges; denn jede Tätigkeit wird gleichsam als Ausfluß des Tätigen angesehen. Das Wissen jedoch ist nicht immer mit dem Wesen oder der Form des WisQ U A E S T I O

13, L

tia a c t i v a c u j u s l i b e t r e i c o n s e q u i t u r n a t u r a m ipsius. E t p e r h u n c m o d u m o m n i p o t e n t i a c o n s e q u e n t e r se h a b e t a d d i v i n a m natur a m . Quia e n i m n a t u r a d i v i n a est i p s u m esse D e i i n c i r c u m MPG s c r i p t u m , ut p a t e t p e r Dionysium, 5. c a p . de Div. Nom. [S. Th., e s * Q u o ( l habet potentiam activam respectu omnium Parm8 15/344ä q u a e possunt h a b e r e r a t i o n e m entis, quod est h a b e r e o m n i p o t e n t i a m : sicut et q u a e l i b e t a l i a r e s h a b e t p o t e n t i a m a c t i v a m r e s p e c t u e o r u m ad q u a e se e x t e n d i t p e r f e c t i o s u a e n a t u r a e , sicut c a l i d u m a d c a l e f a c i e n d u m . C u m igitur a n i m a Christi sit p a r s h u m a n a e n a t u r a e , impossibile est q u o d h a b e a t o m n i p o t e n t i a m . A D P R I M U M e r g o d i c e n d u m quod h o m o a c c e p i t e x t e m pore omnipotentiam q u a m Filius Dei habuit ab aeterno, per i p s a m u n i o n e m p e r s o n a e , e x q u a f a c t u m est ut, sicut h o m o dicitur Deus, ita d i c a t u r o m n i p o t e n s : n o n q u a s i sit a l i a o m n i p o t e n t i a h o m i n i s q u a m F i l i i Dei, sicut n e c a l i a d e i t a s ; s e d eo quod est p e r s o n a u n a Dei et hominis. A D S E C U N D U M d i c e n d u m quod a l i a r a t i o est d e scientia, et de p o t e n t i a a c t i v a : sicut q u i d a m dicunt. N a m p o t e n t i a a c t i v a c o n s e q u i t u r i p s a m n a t u r a m r e i : eo q u o d actio c o n s i d e r a t u r ut e g r e d i e n s a b a g e n t e . S c i e n t i a a u t e m non S e m p e r h a b e t u r p e r

306

senden gegeben [150], der es vielmehr auch durch An- 13, 1 gleichung an die erkannten Dinge erlangen kann, indem er deren Erkenntnisformen aufnimmt. Doch scheint dieser Beweis nicht zu genügen. Denn wie jemand durch Erkenntnisformen, die er von anderen empfangen hat, erkennen kann, so vermag er auch mittels einer Form, die er von anderen empfangen hat, zu wirken: Wasser oder Eisen wärmen z. B. durch Wärme, die sie vom Feuer empfangen haben. Wenn also die Seele Christi durch die ihr von Gott eingegossenen Erkenntnisformen alles erkennen konnte, dann ist nicht einzusehen, warum sie nicht mit diesen auch alles hätte wirken können. Weiter muß man erwägen, daß eine niedrigere Natur alles, was sie von einer höheren empfängt, in geringerem Grade besitzt. So wird die Wärme nicht in gleicher Vollkommenheit und Kraft vom Wasser aufgenommen, wie sie im Feuer ist. — Da also die Natur der Seele Christi niedriger ist als die göttliche Natur, so nimmt sie die Erkenntnisbilder der Dinge nicht in der gleichen Vollkommenheit und Kraft auf, die sie in der Natur Gottes haben. Daher steht das Wissen der Seele Christi dem göttlichen Wissen nach: einmal in der Erkenntnisweise — denn Gott erkennt vollkommener als die Seele Christi; — dann auch im Umfang des Wissens, denn sie weiß nicht alles, was Gott schaffen kann. Er jedoch weiß es durch das „Wissen der einfachen Erkenntnis". QUAESTIO

13, l

ipsam essentiam scientis: sed potest haberi per assimilationem scientis ad res scitas secundum similitudines susceptas. Sed haec ratio non videtur sufficere. Quia sicut aliquis potest cognoscere per similitudinem susceptam ab alio, ita etiam potest agere per formam ab alio susceptam: sicut aqua vel ferrum calefacit per calorem susceptum ab igne. Non igitur per hoc prohibetur quin, sicut anima Christi per similitudines omnium rerum sibi a Deo inditas potest omnia cognoscere, ita per easdem similitudines possit ea facere. Est ergo ulterius considerandum quod id quod a superiori natura in inferiori recipitur, habetur per inferiorem modum: non enim calor in eadem perfectione et virtute recipitur ab aqua qua est in igne. Quia igitur anima Christi inferioris naturae est quam divina natura, similitudines rerum non recipiuntur in ipsa anima Christi secundum eamdem perfectionem et virtutem secundum quam sunt in natura divina. Et inde est quod scientia animae Christi est inferior scientia divina: quantum ad modum cognoscendi, quia Deus perfectius cognoscit quam anima Christi; et etiam quantum ad numerum scitorum, quia anima Christi non cognoscit omnes res quas Deus potest facere, quae tarnen Deus cognoscit scientia simplicis intelligen-

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i Wohl aber erkennt die Seele Christi alles in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, was Gott im „Wissen der Schau" umfaßt. Ähnlich kommen die Erkenntnisformen, die der Seele Christi eingegossen sind, auch nicht an Wirkkraft der göttlichen Macht gleich. Denn sie vermögen weder das gleiche zu wirken, was Gott wirken kann — noch auf die gleiche Weise, wie Er. Gott wirkt nämlich mit anendlicher Kraft, die keinem Geschöpfe mitgeteilt werden kann. Es gibt aber kein Ding, das, um irgendwie erkannt zu werden, eine unendliche Erkenntniskraft erforderte, — mag es auch einen Erkenntnisgrad von unendlicher Stärke geben. Dagegen gibt es manches, was nur eine unendliche Macht zu wirken vermag, wie die Schöpfung und ähnliches (I 45, 5 Zu 3; Bd. 4; — 65, 3 Zu 3; Bd. 5) [151]. Demnach kann die Seele Christi, der als Geschöpf nur begrenzte Macht gegeben ist, zwar alles erkennen, wenn auch nicht auf jede Weise, — nicht aber alles wirken; denn das ist der Allmacht vorbehalten. So kann sie unter anderem offenbar nicht sich selber schaffen. Z u 3. Die Seele Christi besaß „dienendes" und „reines" Wissen. Doch war es nicht notwendig, daß sich ihr „dienendes Wissen" auf all das erstreckte, wovon sie ein „reines Wissen" besaß. Denn für dieses genügt es, daß sich der Erkennende dem Erkannten angleicht. Das „dienende Wissen" dagegen fordert, daß die Erkenntnisformen, die QUAESTIO

13, i

tiae; licet cognoscat omnia praesentia, praeterita et futura, quae Deus cognoscit scientia visionis. Et similiter similitudines rerum animae Christi inditae non adaequant virtutem divinam in agendo: ut scilicet possint omnia agere quae Deus potest; vel etiam eo modo agere sicut Deus agit, qui agit per virtutem inflnitam, cujus creatura non est capax. Nulla autem res est ad cujus cognitionem aliqualiter habendam requiratur virtus infinita, licet aliquis modus cognoscendi sit virtutis infinitae: quaedam tarnen sunt quae non possunt fieri nisi a virtute infinita, sicut creatio et alia hujusmodi, ut patet ex his quae in Prima Parte dicta sunt. Et ideo anima Christi, cum sit creatura et virtutis finitae, potest quidem omnia cognoscere, sed non per omnem modum: non autem potest omnia facere, quod pertinet ad rationem omnipotentiae. Et inter cetera, manifestum est quod non potest creare seipsam. AD TERTIUM dicendum quod anima Christi habuit et scientiam practicam et speculativam: non tarnen oportet quod omnium illorum habeat scientiam practicam quorum habuit scientiam speculativam. Ad scientiam enim speculativam habendam sufficit sola conformitas vel assimilatio scientis ad rem scitam: ad scientiam autem practicam requiritur quod

308

der Verstand besitzt, sich vom Erkennenden in die Tat 13, 2 umsetzen lassen. Nun bedeutet es mehr, eine Form zu besitzen und sie anderen mitteilen zu können, als sie nur selbst zu besitzen. So ist Leuchten u n d Beleuchten mehr als Leuchten allein. Demnach erkennt die Seele Christi im „reinen Wissen", was Schaffen ist, — denn sie weiß, w i e Gott schafft. Aber sie hatte davon kein „dienendes Wissen", — weil sie diese Erkenntnis nicht in die Tat umsetzen kann. Besaß

die Seele

2. A R T I K E L Christi unbeschränkte Macht, schöpfe zu verändern?

die

Ge-

1. Der Herr sagt selbst: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden" (Mt 28, 18). Der Ausdruck „Himmel und Erde" umfaßt aber alle Geschöpfe: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" (Gen 1, 1). Also hatte die Seele Christi scheinbar alle Macht, die Geschöpfe zu verändern. 2. Die Seele Christi ist vollkommener als jedes andere Geschöpf. Jedes Geschöpf kann aber von irgendeinem anderen bewegt werden. Augustinus sagt: „Wie gröbere QUAESTIO

13, 2

formae rerum quae sunt in intellectu sint factivae. Plus autem est habere f o r m a m 1 habitam in alterum, quam solum habere formam: sicut plus est lucere et illuminare quam solum lucere. Et inde est quod anima Christi habet quidem speculativam scientiam creandi, seit enim qualiter Deus creat: sed non habet hujusmodi scientiam practicam, quia non habet scientiam creationis factivam. Utrum anima respectu

A R T I C U L U S II Christi habeat omnipotentiam immutationis creaturarum

[3 Sent., dist. 14, art. 4.

dlst. 16, q. 1, art. 3]

AD SECUNDUM sic proceditur. Videtur quod anima Christi habeat omnipotentiam respectu immutationis creaturarum. Dicit enim ipse, Matth, ult.: „Data est mihi omnis potestas in caelo et in terra." Sed nomine caeli et terrae intelligitur omnis creatura: ut patet cum dicitur, Gen. 1, „In principio creavit Deus caelum et terram". Ergo videtur quod anima Christi habeat omnipotentiam respectu immutationis creaturarum. 2. PRAETEREA, anima Christi est perfectior qualibet creatura. Sed quaelibet creatura potest moveri ab aliqua alia creatura: dicit enim Augustinus, in 3 de Trin. [cap. 41, quod „sicut MPL 1

42/873

P et L addunt: et imprimere iormam . . .

309

13, 2 und niedrigere Körper durch feinere und stärkere nach bestimmten Gesetzen gelenkt werden, so die Körper überhaupt durch den lebendigen Menschengeist — und ein abtrünniger und sündhafter Menschengeist durch einen frommen und gerechten." — Nun lenkt aber die Seele Christi durch Erleuchtungen selbst die höchsten Geister (Dionysius Areopagita). Also besaß Christus die Macht, alle Geschöpfe zu verändern. 3. Die Seele Christi hatte im Vollmaß die Gabe der Wunder, w i e auch alle anderen Gnadengaben. Nun kann jede Veränderung eines Geschöpfes als Auswirkung der Wundergabe gelten. So beweist Dionysius in seinem Briefe an Polykarp, daß auch die Himmelskörper auf wunderbare Weise von ihren geordneten Bahnen abgelenkt wurden. Also besaß die Seele Christi alle Macht, die Dinge zu verändern. ANDERSEITS steht es nur dem, der die Geschöpfe im Sein erhält, auch zu, sie zu verändern. Und das ist Gott allein. „Er trägt das All durch das Wort Seiner Macht" (Hebr 1, 3). Also besitzt nur Gott die volle Macht, [ a l l e ] Geschöpfe zu verändern. Der Seele Christi aber steht sie nicht zu. ANTWORT: Hier ist eine doppelte Unterscheidung geboten: Die eine betrifft die Veränderung der Geschöpfe; und diese kann dreifach sein: entweder natürQUAESTIO

13, 1

corpora grossiora et inferiora per subtiliora et potentiora quodam ordine reguntur, ita omnia corpora per spiritum vitae rationalem; et spiritus vitae rationalis desertor atque peccator per spiritum vitae rationalem, pium et justum". Anima autem Christi etiam ipsos supremos spiritus movet, illuminando eos: MPG ut dicit Dionysius, 7. cap. Cael. Hier. Ergo videtur quod 3210 anima Christi habeat omnipotentiam respectu immutationis creaturarum. 3. PRAETEREA, anima Christi habuit plenissime gratiam miraculorum seu virtutum: sicut et ceteras gratias. Sed omnis immutatio creaturae potest ad gratiam miraculorum pertinere: cum etiam miraculose caelestia corpora a suo ordine immutata MPG fuerint, sicut probat Dionysius, in Epistola ad Polycarpum 3/1079 [epist. 7]. Ergo anima Christi habuit omnipotentiam respectu mutationis creaturarum. SED CONTRA est quod ejusdem est transmutare creaturas cujus est conservare eas. Sed hoc est solius Dei: secundum illud Hebr. 1: „Portans omnia verbo virtutis suae." Ergo solius Dei est habere omnipotentiam respectu immutationis creaturarum. Non ergo hoc convenit animae Christi. RESPONDEO dicendum quod hic duplici distinctione est opus. Quarum prima est ex parte transmutationis creaturarum: quae triplex est. Una quidem est naturalis: quae scilicet fit a proprio

310

lieh — wenn sie von d e r ihr entsprechenden Ursache 13, 2 nach den Gesetzen der Natur bewirkt w i r d ; oder wund e r b a r — wenn sie durch übernatürliche Kraft außerhalb der gewohnten Naturordnung und ihres Verlaufes geschieht, wie die Erweckung eines Toten; oder sie könnte darin bestehen, daß jedes Geschöpf wieder in nichts versinken k a n n . Die a n d e r e Unterscheidung aber betrifft die Seele Christi, die wir einmal in ihrer eigenen Natur und Kraft, der natürlichen wie der übernatürlichen, betrachten können, — u n d dann als Werkzeug des WORTES, mit dem sie in der Person vereinigt ist. Was n u n ihre Natur u n d K r a f t — die natürliche und die übernatürliche — anlangt, so vermochte die Seele Christi zu wirken, was immer eine Seele [aus Natur und G n a d e ] zu wirken imstande ist. So konnte sie den Körper beherrschen, menschliche Handlungen setzen, ja sie vermochte aus ihrer Gnaden- u n d Wissensfülle alle vernünftigen Wesen, die doch an ihre Vollendung nicht heranreichen, auf eine ihnen entsprechende Weise zu erleuchten. Sprechen wir dagegen von der Seele Christi als Werkzeug des mit ihr vereinten WORTES, d a n n hatte sie die „werkzeugliche K r a f t " , alle jene w u n d e r b a r e n Veränderungen zu bewirken, die dem Zweck der Menschwerdung dienen sollten: „Alles zu erneuern, was im Himmel u n d auf Erden ist" (Eph 1, 10). Q U A E S T I O

13, 2

agente secundum ordinem naturae. Alia vero est miraculosa, quae fit ab agente supernaturali, supra consuetum ordinem et cursum naturae: sicut resuscitatio mortuorum. Tertia autem est quod omnis creatura vertibilis est in nihil. Secunda autem distinetio est aeeipienda ex parte animae Christi: quae dupliciter consideran potest. Uno modo, secundum propriam naturam et virtutem, sive naturalem sive gratuitam. Alio modo, prout est instrumentum Verbi Dei sibi personaliter uniti. Si ergo loquamur de anima Christi secundum propriam naturam et virtutem, sive naturalem sive gratuitam, potentiam habuit ad illos effectus faciendos qui sunt animae convenientes: puta ad gubernandum corpus, et ad disponendum actus humanos; et etiam ad illuminandum, per gratiae et scientiae plenitudinem, omnes creaturas rationales ab ejus perfectione deficientes, per modum quo hoc est conveniens creaturae rationali. Si autem loquamur de anima Christi secundum quod est instrumentum Verbi sibi uniti, sie habuit instrumentalem virtutem ad omnes immutationes miraculosas faciendas ordinabiles ad incarnationis finem, qui est „instaurare omnia, sive quae in caelis sive quae in terris sunt".

311

13, 2

Jene Veränderungen der Geschöpfe aber, durch die diese ins Nichts zurücksinken können, bilden ein Gegenstück zu ihrer Schöpfung aus dem Nichts; und wie nur Gott schaffen kann, so kann auch nur Er Seine Geschöpfe vernichten. Er allein ist es, der sie in ihrem Sein erhält, damit sie nicht ins Nichts versinken. Also folgt daraus, daß die Seele Christi nicht unbegrenzte Macht über das Entstehen und Vergehen der Geschöpfe hat. Z u 1. Hieronymus meint den M e n s c h e n Christus, wenn er schreibt: „Dem ist alle Macht gegeben, der gekreuzigt und begraben wurde, um bald darauf aus dem Grabe zu erstehen." Daß Ihm „alle Gewalt gegeben sei", gilt nur auf Grund jener Vereinigung, durch die Er auch als Mensch allmächtig ist (1, 1). Und obwohl dies vor der Auferstehung den Engeln [schon] bekannt war [152], so wurde es erst nachher auch allen Menschen offenbar (Remigius). „Wir sagen aber, daß etwas dann geschieht, wenn es bekannt wird" [Hugo v. St. Victor]. Deshalb erklärte der Herr erst nach Seiner Auferstehung, daß Ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist. Z u 2. Jedes Geschöpf kann von einem anderen beeinflußt werden — nur nicht der höchste der Engel. Und selbst dieser kann von der Seele Christi Erleuchtungen empfangen. Aber nicht jede Veränderung, die an einem Geschöpf möglich ist, kann durch ein anderes QUAESTIO

13, 2

Immutationes vero creaturarum secundum quod sunt vertibiles in nihil, correspondent creationi rerum, prout scilicet producuntur ex nihilo. Et ideo, sicut solus Deus potest creare, ita solus potest creaturas in nihilum redigere; qui etiam solus eas in esse conservat, ne in nihilum decidant. Sic ergo dicendum est quod anima Christi non habet omnipotentiam respectu immutationis creaturarum. MPL AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut dicit Hieronymus 26/218 [Comment. sup. Matth., lib. 4, ad loc.. cit. in arg.], „illi potestas data est qui paulo ante crucifixus et sepultus in tumulo, qui postea resurrexit": idest, Christus secundum quod homo. Dicitur sibi data potestas ratione unionis, per quam factum est ut homo esset omnipotens, ut supra dictum est. Et quamvis Parm. hoc ante resurrectionem innotuerit angelis, post resurrectionem 11 innotuit mpi' Omnibus hominibus, ut Remigius dicit. „Tunc autem 175/578 dicuntur res fieri, quando innotescunt." Et ideo post resurrectionem Dominus dicit sibi potestatem esse datam in caelo et in terra. AD SECUNDUM dicendum quod, licet omnis creatura sit mutabilis ab alia creatura, praeter supremum angelum, qui tarnen potest illuminari ab anima Christi; non tarnen omnis immutatio quae potest fieri circa creaturam, potest fieri a crea-

312

Geschöpf bewirkt werden; denn manche Veränderungen 13, 3 können nur von Gott ausgehen. Alle jene aber, die durch Geschöpfe möglich sind, vermag auch die Seele Christi als Werkzeug des WORTES zu bewirken — jedoch nicht aus eigener Kraft und eigenem Wesen. Denn gewisse Veränderungen liegen nicht im Machtbereich der Seele, weder der natürlichen noch der übernatürlichen Ordnung nach. Z u 3. Die Gnade der Kräfte und Wunder wird der Seele eines Heiligen gegeben, damit sie — zwar nicht aus eigener Kraft —, wohl aber in der Kraft Gottes Wunder wirke ( I I — I I 178, 1 Zu 1 ; Bd. 28). Und diese Gnade ist der Seele Christi im höchsten Maße zuteil geworden, so daß sie nicht nur selber Wunder wirken, sondern diese Gnadengabe auch auf andere übertragen konnte: „Er rief Seine zwölf Jünger zu sich und verlieh ihnen Macht, unreine Geister auszutreiben, sowie jede Krankheit und jedes Gebrechen zu heilen" (Mt 10, 1). 3.

ARTIKEL

Hatte die Seele Christi unbeschränkte eigenen Leib? 1. Johannes Q U A E S T I O

von Damaskus

Macht über

schreibt:

„Alles

ihren Natur-

13, 3

tura; sed quaedam immutationes possunt fieri a solo Deo. Quaecumque tarnen immutationes creaturarum possunt fieri per creaturas, possunt etiam fieri per animam Christi secundum quod est instrumentum Verbi. Non autem secundum propriam naturam et virtutem: quia quaedam hujusmodi immutationum non pertinent ad animam, neque quantum ad ordinem naturae neque quantum ad ordinem gratiae. AD TERTIUM dicendum quod, sicut dictum est in Secunda Parte, gratia virtutum, seu miraculorum, datur animae alicujus sancti, non ut propria virtute ejus, sed ut per virtutem divinam hujusmodi miracula fiant. Et haec quidem gratia excellentissime data est animae Christi: ut scilicet non solum ipse miracula faceret, sed etiam hanc gratiam in alios transfunderet. Unde dicitur, Matth. 10, quod, „convocatis duodecim discipulis, dedit illis potestatem spirituum immundorum, ut ejicerent eos; et curarent omnem languorem et omnem infirmitatem". A R T I C U L U S III Utrum anima Christi habuerit omnipotentiam respectu proprii corporis [3 Sent.,

dist.

16, q.

1,

arl.

3]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi habuerit omnipotentiam respectu proprii corporis. Dicit enim

313

13, 3 gegebene geschah bei Christus in Übereinstimmung mit Seinem freien Willen; denn weil Er wollte, hungerte Er; weil Er wollte, dürstete Er; weil Er wollte, empfand er Furcht — und weil Er wollte, starb Er." Man nennt aber Gott deswegen allmächtig, „weil Er alles, was Er will, vollbringt" (Ps 113, 11). Also scheint auch die Seele Christi unbeschränkte Macht über die natürlichen Handlungen ihres eigenen Leibes gehabt zu haben. 2. In Christus bestand die menschliche Natur in höherer Vollendung als in Adam. In diesem aber war durch die Urgerechtigkeit, die er im Zustand der Unschuld hatte [153], der Körper ganz und gar der Seele unterworfen, so daß in ihm nichts gegen den Willen der Seele geschehen konnte. Also hatte die Seele Christi in viel höherem Maße die unbeschränkte Macht über ihren Leib. 3. Von Natur aus beeinflußt jede Vorstellung in der Seele auch den Leib, und zwar um so mehr, je stärker die Vorstellungskraft der Seele ist (I 117, 3 Zu 2 u. 3; Bd. 8) [154], Die Seele Christi hatte aber die Vorstellungskraft wie auch alle anderen Seelenkräfte in höchster Vollkommenheit. Demnach mußte sie auch unbeschränkte Macht über ihren Körper haben. ANDERSEITS steht im Hebräerbrief: „Er mußte in allem den Brüdern ähnlich werden" (2, 17). Dies gilt vor allem von dem, was wesentlich in der menschlichen Natur gelegen ist. Dazu gehört auch, daß körperliche Q U A E S T I O 13, 3

MPG 94 Damascenus, in 3. libro [ D e Fide Orth., lib. 3, cap. 20], quod 083, 1090 5 ? o m n j a naturalia fuerunt Christo voluntaria: volens enim esurivit, volens sitivit, volens timuit, volens mortuus est". Sed ex Ps. 113 hoc Deus dicitur omnipotens quia „omnia illa quaecumque voluit, fecit". Ergo videtur quod anima Christi habuit omnipotentiam respectu naturalium operationum corporis proprii. 2. P R A E T E R E A , in Christo fuit perfectius humana natura quam in A d a m : in quo, secundum originalem justitiam quam habuit in statu innocentiae, corpus habebat omnino subjectum animae, ut nihil in corpore posset accidere contra animae voluntatem. Ergo multo magis anima Christi habuit omnipotentiam respectu sui corporis. 3. P R A E T E R E A , ad imaginationem animae naturaliter corpus immutatur; et tanto magis, quanto anima fuerit fortioris imaginationis; ut in Prima Parte habitum est. Sed anima Christi habuit virtutem perfectissimam, et quantum ad imaginationem, et quantum ad alias vires. Ergo anima Christi fuit omnipotens in respectu ad corpus proprium. SED C O N T R A est quod dicitur Hebr. 2, quod „debuit per omnia fratribus assimilari": et praecipue in his quae pertinent ad conditionem humanae naturae. Sed ad conditionem humanae

314

Gesundheit, Ernährung und Wachstum der Herrschaft 13, 3 von Vernunft und Willen nicht unterworfen sind. Denn alles Naturgegebene untersteht nur Gott, dem Schöpfer der Natur — auch in Christus. Somit hatte Seine Seele nicht volle Gewalt über den eigenen Leib. A N T W O R T : Man kann die Seele Christi einmal in ihrer Natur und ihren Kräften betrachten (Art. 2). In dieser Hinsicht konnte sie an der natürlichen Verfassung des eigenen Körpers ebensowenig etwas ändern wie an Lauf und Ordnung der Natur in anderen Körpern, zumal da die Seele in einem bestimmten, naturgegebenen Verhältnis zu ihrem Körper steht. Dann kann man die Seele Christi auch als Werkzeug betrachten, das mit dem WORT in der Person vereinigt ist. Insofern war ihrer Macht der eigene Leib in jeder Verfassung voll und ganz unterworfen. Weil jedoch die Kraft, aus der die Handlung hervorgeht, im eigentlichen Sinne nicht dem Werkzeug, sondern der Hauptursache zuzuschreiben ist [155], so eignet eine derartige „Allmacht" mehr dem WORT selbst als der Seele Christi. Z u 1. Das Wort des Johannes von Damaskus ist von dem göttlichen Willen in Christus zu verstehen. Denn, wie er selbst im Kapitel vorher schreibt, „das Wohlgefallen des göttlichen Willens hat es zugelassen, daß Christi Fleisch litt und wirkte, was ihm zukam". QUAESTIO

13, 3

naturae pertinet quod valetudo corporis, et ejus nutritio et augmentum, imperio rationis, seu voluntati, non subdantur: quia naturalia soli Deo, qui est auctor naturae, subduntur. Ergo nec in Christo subdebantur. Non igitur anima Christi fuit omnipotens respectu proprii corporis. RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, anima Christi potest dupliciter considerari. Uno modo, secundum propriam virtutem et naturam. Et hoc modo, sicut non poterat immutare exteriora corpora cursu et ordine naturae, ita etiam non poterat immutare proprium corpus a naturali dispositione: quia anima, secundum propriam naturam, habet determinatam proportionem ad suum corpus. A l i o modo potest considerari anima Christi secundum quod est instrumentum unitum V e r b o Dei in persona. Et sie subdebatur ejus potestati totaliter omnis dispositio proprii corporis. Quia tarnen virtus actionis non proprie attribuitur instrumento, sed principali agenti, talis omnipotentia attribuitur magis ipsi V e r b o Dei quam animae Christi. A D P R I M U M ergo dicendum quod V e r b u m Damasceni est intelligendum quantum ad voluntatem divinam Christi. Quia, M p G 9 4 sicut ipse in praecedenti capitulo dicit, „beneplacito divinae 1038,1059, voluntatis permittebatur carni pati et operari quae propria". 1079

315

13, 3

Z u 2. Mit der Ungerechtigkeit, die Adam im Zustand der Unschuld hatte, war f ü r die Menschenseele nicht die Macht gegeben, den eigenen Körper nach Belieben zu verändern, — wohl aber die, ihn vor Schaden zu bewahren. Und diese Macht hätte auch Christus annehmen können, wenn Er gewollt hätte. Nun gibt es aber einen dreifachen Zustand, in dem die Menschen sich befinden können: den der Unschuld, den der Sünde und den der Verklärung. Wie also Christus vom Zustand der Verklärung die Gottesschau, von dem der Unschuld die Sündelosigkeit annahm, so nahm Er vom Zustand der Schuld jene Not an, der wir infolge der Sündenstrafe dieses Lebens unterliegen (14, 2). Z u 3. Der Körper unterliegt seiner Natur nach in etwa dem Einfluß starker Phantasievorstellungen; z. B. wenn einer wähnt, er falle von einem hohen Balken herunter. Denn die Phantasievorstellungen sind dazu angetan, örtliche Bewegungen zu veranlassen (Aristoteles). Ähnlich ist es auch bei [Phantasievorstellungen von] Wärme, Kälte und anderem, die gleichfalls Veränderungen [des Körpers] hervorrufen. Aus ihnen entspringen nämlich naturgemäß Gemütserregungen, durch die das Herz in stärkere Bewegung kommt; und diese teilt sich durch die „Lebensgeister" [156] dem ganzen Körper mit. Dagegen gibt es manches am Körper, das seiner Natur nach nicht mit der Vorstellungskraft in VerbinQUAESTIO

13, 3

AD SECUNDUM dicendum quod non pertinebat hoc ad originalem justitiam quam Adam habuit in statu innocentiae, quod anima hominis haberet virtutem transmutandi corpus proprium in quamcumque formam: sed quod posset ipsum conservare absque nocumento. Et hanc etiam virtutem Christus assumere potuisset, si voluisset. Sed, cum sint tres status hominum, scilicet innocentiae, culpae et gloriae; sicut de statu gloriae assumpsit comprehensionem, et de statu innocentiae immunitatem a peccato, ita et de statu culpae assumpsit necessitatem subjacendi poenalitatibus hujus vitae, ut infra dicetur. AD TERTIUM dicendum quod imaginationi, si fortis fuerit, naturaliter obedit corpus quantum ad aliqua. Puta quantum ad casum de trabe in alto posita; quia imaginatio nata est esse 433a9sq. principium motus localis, ut dicitur in 3 de Anima [cap. 9, n. 5; S. Th., lect. 9 ] . Similiter etiam quantum ad alterationem quae est secundum calorem et frigus, et alia consequential eo quod ex imaginatione consequenter natae sunt consequi passiones animae, secundum quas movetur cor, et sie per commotionem spirituum totum corpus alteratur. Aliae vero dispositiones corporales, quae non habent naturalem or-

316

d u n g steht u n d daher durch sie nicht verändert wird, 13, 4 m a g s i e auch noch so stark s e i n ; z. B. d i e F o r m der Hand, d e s F u ß e s oder derartiges. Hatte

die

4. A R T I K E L Seele Christi unbeschränkte Macht, eigenen Willen durchzuführen?

ihren

1. D e r E v a n g e l i s t berichtet: „Er g i n g in ein Haus u n d w ü n s c h t e , d a ß es n i e m a n d erfahre. A b e r Er k o n n t e nicht v e r b o r g e n b l e i b e n " (Mk 7, 24). A l s o v e r m o c h t e Christus nicht überall die A b s i c h t S e i n e s W i l l e n s durchzuführen. 2. E i n B e f e h l ist e i n e W i l l e n s ä u ß e r u n g (I 19, 12; Bd. 2). Nun b e f a h l der Herr m a n c h e s — u n d doch trat das Gegenteil d a v o n ein. So l e s e n w i r i m E v a n g e l i u m : „ J e s u s g e b o t i h n e n [ d e n g e h e i l t e n B l i n d e n ] ernstlich: S e h e t zu, d a ß es n i e m a n d e r f a h r e ! S i e aber g i n g e n h i n u n d verbreiteten die K u n d e d a v o n i m g a n z e n Lande" (Mt 9, 30 u. 31). A l s o k o n n t e Christus nicht in a l l e m S e i n e W i l lensabsicht a u s f ü h r e n . 3. W a s m a n selbst tun k a n n , erbittet m a n nicht v o n anderen. D e r Herr aber flehte z u m Vater i m Gebete u m E r f ü l l u n g S e i n e r W ü n s c h e : „Er b e g a b sich auf d e n Berg, um zu beten, u n d verbrachte d i e g a n z e Nacht i m G e b e t e QUAESTIO

13, 4

dinem ad imaginationem, non transmutantur ab imaginatione, quantumcumque sit fortis: puta flgura manus vel pedis, vel aliquid simile. A R T I C U L U S IV Utrum anima Christi habuerit omnipotentiam respectu executionis propriae voluntatis [Infra, q. 21, art. 1 ad 1]

AD QUARTUM sic proceditur. Videtur quod anima Christi non habuerit omnipotentiam respectu executionis propriae voluntatis. Dicitur enim Marc. 7 quod, „ingressus domum, neminem voluit scire: sed non potuit latere". Ergo non potuit exequi in omnibus propositum suae voluntatis. 2. PRAETEREA, praeeeptum est Signum voluntatis, ut in Prima Parte dictum est. Sed Dominus quaedam facienda praecepit quorum contraria acciderunt: dicitur enim Matth. 9 quod caecis illuminatis „comminatus est Jesus dicens, Videte ne aliquis sciat: Uli autem egressi difiamaverunt illum per totam terram illam." Non ergo in omnibus potuit exequi propositum suae voluntatis. 3. PRAETEREA, id quod aliquis potest facere, non petit ab alio. Sed Dominus petivit a Patre, orando, illud quod fieri volebat' dicitur enim Luc. 6 quod „exivit in montem orare, et

317

13, 4 mit Gott" (Lk 6, 12). Also konnte Christus nicht in allem Seine Willensabsicht ausführen. ANDERSEITS sagt Augustinus: „Es ist unmöglich, daß des Erlösers Wille nicht in Erfüllung gehe — noch konnte Er etwas wünschen, das Seinem Wissen nach nicht geschollen sollt©." ANTWORT: Der Wille der Seele Christi hatte ein Doppeltes zum Gegenstand: Einmal das, was Christus selbst ausführen sollte — und dafür gilt, daß Er alles konnte, was Er wollte. Denn der Wunsch, etwas selbst zu tun, was nicht in der Macht Seines Willens stand, wäre mit Seiner Weisheit nicht vereinbar gewesen. Dann aber auch alles, was durch die Macht Gottes in Erfüllung gehen sollte: wie die Auferstehung des eigenen Leibes und andere wunderbare Geschehnisse. Diese konnte Er nicht aus eigener Kraft bewirken, sondern nur als Werkzeug Gottes. Z u 1. Mit Augustinus müssen wir sagen: „Was geschehen ist, das hat Christus gewollt. Denn es ist zu beachten, das der berichtete Vorgang sich im Gebiete der Heiden zutrug, noch ehe die Zeit gekommen war, ihnen zu predigen. Menschen aber, die [aus sich selbst] zum Glauben kamen, nicht aufzunehmen, wäre hart gewesen. Also wollte Christus noch nicht von den Seinen verkündet, wohl aber [von den Menschen] gesucht werden. Und so geschah es auch." Q U A E S T I O

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13, 4

erat pernoctans in oratione Dei". Ergo non potuit exequi in omnibus propositum suae voluntatis. SED CONTRA est quod Augustinus dicit, in libro de Quaest. et Vet. Test. [q. 77]: „Impossibile est ut Salvatoris voluntas non impleatur: nec potest velle quod seit fieri non debere." RESPONDEO dicendum quod anima Christi dupliciter aliquid voluit. Uno modo, quasi per se implendum. Et sie, dicendum est quod quidquid voluit, potuit. Non enim conveniret sapientiae ejus ut aliquid vellet per se facere quod suae voluntati non subjaceret. Alio modo voluit aliquid ut implendum virtute divina: sicut resuscitationem proprii corporis, et alia hujusmodi miraculosa opera. Quae quidem non poterat propria virtute: sed secundum quod erat instrumentum divinitatis, ut dictum est. AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut Augustinus dicit in Quaest. Nov. et Vet. Test. [1. c.], „quod factum est, hoc voluisse dicendus est Christus. Advertendum est enim quod illud in flnibus gestum est gentilium, quibus adhuc tempus praedicandi non erat. Ultra tarnen venientes ad fidem non suseipere invidiae erat. A suis ergo noluit praedicari: requiri autem se voluit. Et ita factum est".

318

Oder man kann sagen, daß sich der Wille Christi hier 13, 4 auf etwas richtete, das nicht durch Ihn, sondern durch andere erfüllt werden sollte. Solches aber lag nicht in Seinem menschlichen Willen. Deshalb lesen wir in einem Briefe des Papstes Agathon [157], der auch in die Akten des VI. Allgemeinen Konzils aufgenommen wurde: „Hätte der Schöpfer und Erlöser aller auf Erden denn nicht verborgen bleiben können, wenn Er gewollt hätte? — Nur muß man diese Stelle auf den menschlichen Willen beziehen, den Er in der Zeit anzunehmen sich würdigte." Zu 2. Wie der hl. Gregor sagt, wollte der Herr Seine Tugenden und Kräfte verborgen halten, „um Seinen Jüngern ein Beispiel zu geben, damit auch sie ihre Tugenden zu verbergen wünschten. Und dennoch sollten diese gegen ihren Willen bekannt werden, um andere durch ihr Beispiel zu fördern". So gab Er durch dieses Gebot Seinen Willen kund, Menschenehre zu fliehen: „Ich suche nicht Meine Ehre" (Jo 8, 50). Doch wünschte Er unbedingt — vor allem mit Seinem göttlichen Willen —, Seine Wunder sollten zum Nutzen anderer bekannt werden. Z u 3. Christus betete um beides: Um das, was nur durch Gottes Kraft geschehen, und um das, was Sein menschlicher Wille vollbringen sollte. Denn Kraft und Wirken der Seele Christi hingen von Gott ab, „der in allen das Wollen und Vollbringen wirkt" (Phil 2, 13). QUAESTIO

13, 4

V e l potest dici quod haec voluntas Christi non f u i t de e o quod p e r e u m fiendum erat, sed de eo quod erat fiendum p e r alios: quod non subjacebat humanae voluntati ipsius. U n d e in Epistola A g a t h o n i s P a p a e [ A d I m p e r a t o r e s ] , quae est recepta in Mansi Sexta Synodo, l e g i t u r : „ E r g o n e i l l e o m n i u m Conditor ac U'SSOB R e d e m p t o r , in terris latere volens, non potuit: nisi hoc ad humanam e j u s voluntatem quam t e m p o r a l i t e r dignatus est assumere r e d i g a t u r ? " AD SECUNDUM dicendum quod, sicut dicit Gregorius, MPL 19 Moral, [cap. 2 3 ] , p e r hoc quod Dominus praecepit taceri 76/120 virtutes suas, „ s e r v i s suis se sequentibus e x e m p l u m dedit, ut ipsi q u i d e m virtutes suas occultari desiderent, et tarnen, ut alii eorum e x e m p l o proficiant, prodantur i n v i t i " . Sic e r g o praeceptum illud designabat voluntatem ipsius qua humanam gloriam r e f u g i e b a t , secundum illud Joan. 8 : „ E g o g l o r i a m m e a m non q u a e r o . " V o l e b a t tarnen absolute, praesertim secundum d i v i n a m voluntatem, ut publicaretur miraculum factum, propter aliorum utilitatem. A D T E R T I U M dicendum quod Christus orabat et p r o his quae virtute divina fienda e r a n t : et p r o his etiam quae humana voluntate erat facturus. Quia virtus et operatio animae Christi dependebat a Deo, „ q u i operatur in omnibus v e l l e et p e r f i c e r e " , ut dicitur P h i l i p p . 2.

319

1

14. F R A G E DIE LEIBLICHEN MÄNGEL, DIE CHRISTUS MIT DER MENSCHLICHEN NATUR ANGENOMMEN HAT Nun wenden wir uns den Mängeln zu, die Christus mit der menschlichen Natur angenommen hat, und zwar zuerst den leiblichen und dann den seelischen. Wir stellen vier Einzelfragen: 1. Mußte der Sohn Gottes mit der menschlichen Natur auch deren körperliche Mängel a n n e h m e n ? 2. War Er diesen Mängeln notwendig unterworfen? 3. Hat Er sich diese selbst zugezogen? 4. Hat Er alle körperlichen Mängel angenommen? Mußte

1. A R T I K E L der Sohn Gottes die menschliche Natur mit körperlichen Mängeln annehmen?

ihren

1. Wie die Seele Christi, so war auch Sein Leib mit dem WORTE Gottes in der Einheit der Person verbunden. Seine Seele besaß aber alle Vollkommenheit an Gnade wie an Wissen (7, 9). Also mußte auch Sein Leib in jeder Hinsicht vollendet sein und durfte keine Mängel an sich haben. QUAESTI0

XIV

DE DEFECTIBUS CORPORIS QUOS CHRISTUS IN HUMANA NATURA ASSUMPSIT Deinde considerandum est de defectibus quos Christus in humana natura assumpsit. Et primo, de defectibus corporis; secundo, de defectibus animae. Circa primum quaeruntur quatuor: 1. Utrum Filius Dei assumere debuerit in humana natura corporis defectus. — 2. Utrum assumpserit necessitatem his defectibus subjacendi. — 3. Utrum hos defectus contraxerit. — 4. Utrum omnes hujusmodi defectus assumpserit. ARTICULUS I U t r u m F i l i u s Dei d e b u e r i t a s s u m e r e n a t u r a m h u m a n a m cum c o r p o r i s d e f e c t i b u s [3 Seilt., dist

15, q. 1, art

1, 4 Cont. Gent., cap. 53, 55; Comp. Theol., cap. 226]

AD PRIMUM sie proceditur. Videtur quod Filius Dei non debuit assumere naturam humanam cum corporis defectibus. Sicut enim anima unita est Verbo Dei personaliter, ita et corpus. Sed anima Christi habuit omnimodam perfectionem, et quantum ad gratiam et quantum ad scientiam, ut supra dictum est. Ergo etiam corpus ejus debuit esse omnibus modis perfectum, nullum in se habens defectum.

320

2. Die Seele Christi sah das WORT Gottes in der glei- 14 chen Schau wie die Verklärten (9, 2) und dadurch war sie selig. Die Seligkeit der Seele aber verklärt den Leib. Augustinus schreibt an Dioskur [158]: „Gott machte die Seele von Natur so stark, daß aus der Fülle ihrer Seligkeit diese auch auf die niedere Natur, den Leib, überströmt — zwar nicht als beseligendes Genießen und Erkennen, wohl aber als volle Gesundheit und unvergängliche Lebenskraft." Also war der Leib Christi unverweslich und ohne jeden Mangel. 3. Die Strafe folgt der Schuld. In Christus aber gab es keine Schuld: „Er hat keine Sünde begangen" (1 Petr 2, 22). Also durfte Er auch nicht mit körperlichen Mängeln — die eine Strafe sind — behaftet sein. 4. Kein Weiser nimmt etwas an, das ihn an der Erreichung seines Zieles hindert. Die körperlichen Mängel aber scheinen in mehrfacher Hinsicht das Ziel der Menschwerdung zu hindern. Denn erstens erschweren sie es den Menschen, ihren Erlöser zu erkennen: „Den wir ersehnten, der war verachtet und von aller Welt verlassen, ein Schmerzensmann, der Krankheit erfahren; Sein Antlitz war wie verhüllt, von Schmach bedeckt, weshalb wir Sein nicht achteten" (Is 53, 2. 3). Zweitens wäre so die Sehnsucht der hl. Altväter scheinbar nicht in Erfüllung gegangen, in deren Namen Isaias (51, 9) ruft: QUAESTIO 14. l 2. PRAETEREA, anima Christi videbat Verbum Dei ea visione qua beati vident, ut supra dictum est: et sie anima Christi erat beata. Sed ex beatitudine animae glorificatur corpus: dicit enim Augustinus, in Epistola ad Dioscorum [epist. 118]: „Tarn potenti Mi natura Deus fecit animam ut ex ejus plenissima beatitudine ^ redundet etiam in inferiorem naturam, quae est corpus, non 34 beatitudo, quae fruentis et intelligentis est propria, sed plenitudo sanitatis, idest incorruptionis vigor." Corpus Christi igitur fuit incorruptibile, et absque omni defectu. 3. PRAETEREA, poena consequilur culpam. Sed in Christo non fuit aliqua culpa: secundum illud 1 Petr. 2: „Qui peccatum non fecit." Ergo nec defectus corporales, qui sunt poenales, in eo esse debuerunt. 4. PRAETEREA, nullus sapiens assumit id quod impedit illum a proprio fine. Sed per hujusmodi defectus corporales multipliciter videtur impediri finis incarnationis. Primo quidem, quia per hujusmodi infirmitates homines ab ejus cognitione impediebantur: secundum illud Isai. 53: „Desideravimus eum; despectum et novissimum virorum, virum dolorum et scientem inflrmitatem, et quasi absconditus est vultus ejus et despectus; unde nec reputavimus eum." Secundo, quia sanetorum Patrum desiderium non videtur impleri, ex quorum persona dicitur

21 25

321

i „Erhebe dich, erhebe dich; umkleide dich mit Macht, Arm des Herrn!" Drittens mußte es geeigneter erscheinen, die Macht des Teufels in Kraft zu überwinden als in Kraftlosigkeit — und so die Schwäche des Menschen zu heilen. Also war es nicht angemessen, daß der Sohn Gottes mit der menschlichen Natur auch deren körperliche Mängel und Schwächen annahm. ANDERSEITS sagt die Schrift: „Dadurch, daß Er selbst gelitten hat und versucht wurde, hat Er Macht, auch denen zu helfen, die versucht werden" (Hebr 2, 18). Christus kam aber, um uns zu helfen: „Erheben will ich meine Augen zu den Bergen; von dort wird mir die Hilfe kommen" (Ps 120, 1). Also war es ganz entsprechend, daß der Sohn Gottes einen Leib mit menschlichen Schwächen annahm, um in ihm leiden zu können und versucht zu werden — und so uns Hilfe zu bringen. ANTWORT: Drei Gründe sprechen besonders dafür, daß der Leib, den der Sohn Gottes angenommen, den menschlichen Schwächen und Mängeln unterworfen sein sollte: Erstens kam der Sohn Gottes deshalb als Mensch in die Welt, um für die Sünde des Menschengeschlechtes zu sühnen. Man sühnt aber nur dann für die Sünde eines anderen, wenn man die Strafe für dessen Schuld auf sich nimmt. Tod, Hunger, Durst und alle anderen körperlichen Mängel sind Strafen für die Sünde, die durch QUAESTIO

14, l

Isai. 51: „Consurge, consurge, induere fortitudinem, Brachium Domini." Tertio, quia congruentius per fortitudinem quam per infirmitatem videbatur potestas diaboli posse superari, et humana infirmitas posse sanari. Non ergo videtur conveniens fuisse quod Filius Dei humanam naturam assumpserit cum corporalibus infirmitatibus sive defectibus. SED CONTRA est quod dicitur Hebr. 2: „In eo in quo passus est ipse et tentatus, potens est et eis qui tentantur auxiliari." Sed ad hoc venit ut nos adjuvaret; unde et David dicebat: „Levavi oculos meos in montes, unde veniet auxilium mihi." Ergo conveniens fuit quod Filius Dei carnem assumpserit humanis infirmitatibus subjacentem, ut in ea posset pati et tentari, et sie auxilium nobis ferre. RESPONDEO dicendum conveniens fuisse corpus assumptum a Filio Dei humanis infirmitatibus et defectibus subjacere: et praeeipue propter tria. Primo quidem, quia ad hoc Filius Dei, carne assumpta, venit in mundum, ut pro peccato humani generis satisfaceret. Unus autem pro peccato alterius satisfacit dum poenam peccato alterius debitam in seipsum suseipit. Hujusmodi autem defectus corporales, scilicet mors, fames et sitis, et hujusmodi, sunt poena peccati, quod est in mundum per

322

Adam in die Welt gekommen ist: „Durch einen Men- 14, 1 sehen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der T o d " (Rom 5, 12). Darum war es dem Zwecke der Menschwerdung nur förderlich, daß Christus an unserer Statt mit unserem Fleisch diese Mühsale auf sich nahm: „ I n Wahrheit hat Er unsere Leiden auf sich genommen" (Is 53, 4). Zweitens sollte unser Glaube an die Menschwerdung gefestigt werden. W i r kennen die menschliche Natur nicht anders als mit körperlichen Mängeln behaftet. Wenn also der Gottessohn die menschliche Natur ohne diese Schwächen angenommen hätte, dann mußte es den Anschein erwecken, als wäre Er nicht wahrer Mensch und hätte keinen wahren Leib, sondern nur einen Scheinleib, w i e die Manichäer behaupteten. Und darum „entäußerte Er sich, nahm Knechtsgestalt an und wurde den Menschen gleich; als Mensch im Äußeren befunden . . ." (Phil 2, 7). So wurde auch Thomas durch den Anblick der Wunden [des H e r r n ] zum Glauben zurückgerufen (Jo 20, 2 6 f f ) . Drittens konnte uns Christus nur durch starkmütiges Erdulden der Leiden und menschlichen Schwächen ein Beispiel Seiner Geduld geben. „[Betrachtet I h n , ] der solchen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermattet und euren Mut nicht sinken lasset" (Hebr 12, 8). Z u 1. Die Strafen, die jemand für fremde Schuld

QUAESTIO 14, l A d a m introduetum: secundum illud Rom. 5: „ P e r unum hominem peccatum intravit in mundum, et per peccatum mors." U n d e conveniens fuit, quantum ad finem incarnationis, quod hujusmodi poenalitates in nostra carne suseiperet, vice nostra: secundum illud Isai. 53: „ V e r e languores nostros ipse tulit." Secundo, propter fidem incarnationis adstruendam. Cum enim natura humana non aliter esset nota hominibus nisi prout hujusmodi corporalibus defectibus subjacet, si sine his defectibus Filius D e i naturam h u m a n a m assumpsisset, videretur non fuisse verus homo, nec veram carnem habuisse, sed phantasticam: ut Manichaei dixerunt. Et ideo, ut dicitur Philipp. 2, „exinanivit semetipsum, f o r m a m servi aeeipiens, in similitudinem hominum factus et habitu inventus ut homo." U n d e et Thomas p e r aspectum v u l n e r u m ad fidem est revocatus, ut dicitur Joan. 20. Tertio, propter e x e m p l u m patientiae, quod nobis exhibet passiones et defectus humanos fortiter tolerando. U n d e dicitur Hebr. 12: „Sustinuit a peccatoribus adversus semetipsum contradictionem, ut non fatigemini animis vestris deficientes." AD

21*

PRIMUM

ergo

dicendum

quod

satisfactio

pro

peccato

323

14, i erträgt, bilden gleichsam den Stoff für seine stellvertretende Sühne. Die treibende Kraft dafür liegt aber in der Seelenhaltung, die den Willen geneigt macht, für den Nächsten Sühne zu leisten. Dadurch erhält die Sühne ihre Kraft. Denn nur wenn sie aus der Liebe entspringt, ist die Sühne wirksam (vgl. Erg. 14, 2; Bd. 31). Darum mußte die Seele Christi im Besitz des Wissens und der Tugenden vollendet sein, um Sühne leisten zu können. Der Leib aber mußte den Mängeln und Schwächen unterworfen sein, um den Stoff für eine Sühne zu bieten. Z u 2. Infolge der naturgegebenen Beziehung zwischen Seele und Leib strömt aus der Herrlichkeit der Seele die Verklärung auf den Leib über. Diese Beziehung stand aber in Christus unter der Herrschaft Seines göttlichen Willens. So kam es, daß die Seligkeit auf die Seele beschränkt blieb, ohne auf den Leib überzugehen. Dieser behielt also seine natürliche Leidensfähigkeit bei, nach dem Ausspruch des Johannes von Damaskus: „Nach dem Wohlgefallen Seines Willens hat Gott es zugelassen, daß das Fleisch Christi litt und wirkte, was ihm zukam." Z u 3. Die Strafe ist stets Folge einer Schuld — einer persönlichen oder der Erbschuld; bald einer eigenen, bald der eines anderen, für den der Gestrafte die Sühne übernimmt. Und so war es nach der Prophezeiung des Isaias bei Christus: „Er ist verwundet worden um unQUAESTIO

MPG94 1038,1059 7

14, l

alterius habet quidem quasi materiam poenas quas aliquis pro peccato alterius sustinet: sed pro principio habet habitum animae ex quo inclinatur ad volendum satisfacere pro alio, et ex quo satisfactio efflcaciam habet; non enim esset satisfactio efficax nisi ex caritate procederet, ut infra dicetur. Et ideo oportuit animam Christi perfectam esse quantum ad habitus scientiarum et virtutum, ut haberet facultatem satisfaciendi: et quod corpus ejus subjectum esset infirmitatibus, ut ei satisfactionis materia non deesset. AD SECUNDUM dicendum quod, secundum naturalem habitudinem quae est inter animam et corpus, ex gloria animae redundat gloria ad corpus: sed haec naturalis habitudo in Christo subjacebat voluntati divinitatis ipsius, ex qua factum est ut beatitudo remaneret in anima et non derivaretur ad corpus, sed caro pateretur quae conveniunt naturae passibili; secundum illud quod dicit Damascenus [De Fide Orth., lib. 3, cap. 19], quod „beneplacito divinae voluntatis permittebatur carni pati et operari quae propria". AD TERTIUM dicendum quod poena Semper sequitur culpam, actualem vel originalem, quandoque quidem ejus qui punitur; quandoque autem alterius, pro quo ille qui patitur poenas satisfacit. Et sie accidit in Christo: secundum illud

324

serer Frevel willen, zerschlagen um unserer Missetaten 14, 2 willen" (53, 5). Z u 4. Die Schwächen, die Christus annahm, haben die Heilswirkung der Menschwerdung nicht beeinträchtigt, im Gegenteil, ihr nur gedient (Antw.). Und wenn durch sie auch Seine Gottheit verhüllt wurde, so trat doch Seine Menschheit in ihnen zutage, die der Weg ist, auf dem wir zu Gott gelangen: „Durch JESUS CHRISTUS haben wir Zutritt zu Gott" (Rom 5, 1. 2). Die Altväter aber ersehnten in Christus nicht so sehr leibliche Stärke, als geistige Kraft, die ja den Teufel niedergeworfen and die menschliche Ohnmacht geheilt hat.

War Christus

2. A R T I K E L den körperlichen Mängeln worfen?

notwendig

unter-

1. „Er ward geopfert, weil Er selbst wollte", so weissagt Isaias die Hingabe des Herrn zum Leiden (53, 7). Freies Wollen aber steht im Gegensatz zur Nötigung. Also war Christus nicht notwendig den Schwächen Seines Leibes unterworfen. QUAESTIO

14, 2

Isai. 53: „Ipse vulneratus est propter iniquitates nostras; attritus propter scelera nostra." AD QUARTUM dicendum quod infirmitas assumpta a Christo non impedivit fìnem incarnationis, sed maxime promovit, ut dictum est. Et quamvis per hujusmodi infirmitates absconderetur ejus divinitas, manifestabatur tarnen humanitas, quae est via ad divinitatem perveniendi, secundum illud Rom. 5: „Accessum habemus ad Deum per Jesum Christum." — Desiderabant autem antiqui Patres in Christo, non quidem fortitudinem corporalem, sed spiritualem, per quam et diabolum vicit et humanam infirmitatem sanavit. A R T I C U L U S II U t r u m C h r i s t u s ex n e c e s s i t a t e d e f e c t i b u s corporis subjacuerit [Supra, q. 13, art. 3 ad 2;

Infra, q. 15, art. 5 ad 1; q. 1, art. 2]

3 Sent., dist. 16,

AD SECUNDUM sic proceditur. Videtur quod Christus non ex necessitate his defectibus subjacuerit. Dicitur enim Isai. 53: „Oblatus est quia ipse voluit": et loquitur de oblatione ad passionem. Sed voluntas opponitur necessitati. Ergo Christus non ex necessitate subjacuit corporis defectibus.

325

14, 2

2. Johannes von Damaskus sagt: „In Christus finden wir nichts Erzwungenes, sondern alles war freiwillig." Was aber freiwillig ist, ist nicht notwendig; also waren in Christus auch die genannten Mängel nicht notwendig. 3. Jede Nötigung wird von einem Stärkeren auferlegt. Aber kein Geschöpf ist stärker als die Seele Christi, dei die Aufgabe zukam, ihren Leib zu erhalten. Also waren in Christus auch die genannten Mängel nicht notwendig. ANDERSEITS sagt der Apostel: „Gott sandte Seinen Sohn in der Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde" (Rom 8, 3). Der Leib der Sünde ist aber so beschaffen, daß er den Tod und manches Leid ertragen muß. Also haftete die Notwendigkeit, solches zu tragen, auch dem Leibe Christi an. ANTWORT: Man spricht von einer zweifachen Notwendigkeit. Die eine ist Zwang, der von außen ausgeübt wird; und eine solche Notwendigkeit ist der Natur und dem Willen — beides innere Prinzipien — entgegen. Die andere ist die natürliche Notwendigkeit, die aus den naturgegebenen Grundlagen eines Dinges hervorgeht; z. B. aus der Form: so m u ß das Feuer Wärme spenden — oder aas dem Stoff: ein Körper, der aus gegensätzlichen Bestandteilen gebildet ist, m u ß sich auflösen. Was die Notwendigkeit anlangt, die mit dem Stoff gegeben ist, so war auch der Leib Christi notwendig dem QÜAESTIO

14, 2

MPG 2. PRAETEREA, Damascenus dicit, in 3. libro [De Fide Orth., 94/1U83 üb. 3, cap. 20] : „Nihil coactum in Christo consideratur, sed omnia voluntaria." Sed quod est voluntarium, non est necessarium. Ergo hujusmodi defectus non fuerunt ex necessitate in Christo. 3. PRAETEREA, necessitas infertur ab aliquo potentiori. Sed nulla creatura est potentior quam anima Christi, ad quam pertinebat proprium corpus conservare. Ergo hujusmodi defectus seu infirmitates non fuerunt in Christo ex necessitate. SED CONTRA est quod Apostolus dicit, Rom. 8: „Misit Deus Filium suum in similitudinem carnis peccati." Sed conditio carnis peccati est quod habeat necessitatem moriendi, et sustinendi alias hujusmodi passiones. Ergo talis necessitas sustinendi hos defectus fuit in carne Christi. RESPONDEO dicendum quod duplex est necessitas. Una quidem coactionis, quae fit ab agente extrinseco. Et haec quidem necessitas contrariatur et naturae et voluntati, quorum utrumque est principium intrinsecum. — Alia est necessitas naturalis, quae consequitur principia naturalia: puta formam, sicut necessarium est ignem calefacere; vel materiam, sicut necessarium est corpus ex contrariis compositum dissolvi. Secundum igitur hanc necessitatem quae consequitur materiam, corpus Christi subjectum fuit necessitati mortis, et alio-

326

Tode und anderen körperlichen Gebrechen unterworfen. 14, 2 Denn, wie schon gesagt, „stand in Christus das Tun und Lassen Seines Leibes im Belieben Seines göttlichen Willens" (Art. 1 Zu 2). Diese Notwendigkeit erwuchs eben aus dem Wesen Seines menschlichen Leibes. Doch auch der Nötigung durch äußeren Zwang, der der Natur des Körpers widerstreitet, w a r der Leib Christi unterworfen, sofern die Beschaffenheit Seiner Natur es mit sich brachte — so den Henkern, die Ihn geißelten und mit Nägeln durchbohrten. — Aber sofern äußere Nötigung im Gegensatz zum Willen steht, gab es in Christus offenbar keinen Zwang zu solchen Leiden — weder dem göttlichen Willen gegenüber, noch — an sich betrachtet — dem rein menschlichen, soweit dieser sich f r e i entscheidet. Nur bei den natürlichen Willensregungen, durch die der Mensch dem Tode u n d allen Schädigungen des Körpers von selbst widerstrebt [kann m a n von einer Nötigung sprechen]. Z u 1. Das Wort, Christus sei geopfert worden, weil Er selbst es w o l l t e , gilt von Seinem göttlichen u n d Seinem menschlichen freien Willen. Freilich w a r der Tod den natürlichen Regungen des menschlichen Willens entgegen (Johannes von Damaskus). Z u 2. Die Lösung erhellt aus der Antwort. Z u B. An u n d f ü r sich besaß die Seele Christi die höchste Macht. Dennoch konnte es wohl in bezug auf Q U A E S T I O

14, 2

rum hujusmodi defectuum. Quia, sicut dictum est, „beneplácito divinae voluntatis Christi carni permittebatur agere et pati quae propria": haec autem necessitas causatur ex principiis humanae carnis, ut dictum est. Si autem loquamur de necessitate coactionis secundum quod repugnat naturae corporali, sie iterum corpus Christi, secundum conditionem propriae naturae, necessitati subjaeuit et clavi perforantis et flagelli percutientis. Secundum vero quod necessitas talis repugnat voluntati, manifestum est quod in Christo non fuit necessitas horum defectuum, nec per respectum ad voluntatem divinam; neque per respectum ad voluntatem humanam Christi absolute, prout sequitur rationem deliberativam; sed solum secundum naturalem motum voluntatis, prout scilicet naturaliter refugit mortem et corporis nocumenta. AD PRIMUM ergo dicendum quod Christus dicitur oblatus quia voluit, et volúntate divina, et volúntate humana deliberata: licet mors esset contra naturalem motum voluntatis humanae, ut dicit Damascenus [De Fide Orth., lib. 3, cap. 23, 24]. MPG 94 1087, 1091 AD SECUNDUM patet responsio ex dictis. AD TERTIUM dicendum quod nihil fuit potentius quam anima Christi absolute: nihil tarnen prohibet aliquid fuisse

327

3 eine bestimmte Wirkung etwas Mächtigeres geben, z. B. den Nagel, der Ihn durchbohrte. Das gilt aber nur, insofern wir die rein natürliche Kraft der Seele Christi in Betracht ziehen. 3. A R T I K E L Hat die Annahme der menschlichen Natur für Christus körperliche Mängel und Schwächen [notwendig] nach sich gezogen [159]? 1. Was wir zugleich mit der Natur aus unserem Ursprung empfangen, das zieht — so können wir sagen — der Besitz unserer Natur nach sich. Nun hat Christus zugleich mit Seiner menschlichen Natur, bei deren Entstehen, körperliche Mängel und Schwächen angenommen, als Kind einer Mutter, deren Leib diesen Mängeln unterworfen war. Also hat auch Er diese Mängel mitbekommen. 2. Was aus den Wesensgründen der menschlichen Natur ursächlich hervorgeht, wird zugleich mit ihr angenommen, d. h. die Annahme der Natur zieht es nach sich. Körperliche Übel und Schwächen als Strafen der Sünde gehen aber ursächlich aus den Wesensgründen der menschlichen Natur hervor. Also hat deren Annahme auch für Christus diese Schwächen nach sich gezogen. QUAESTIO

14, s

potentius quantum ad hunc efiectum; sicut clavis ad perforandum. Et hoc dico secundum quod anima Christi consideratur secundum propriam naturam et virtutem.

Utrum

A R T I C U L U S III Christus defectus corporales contraxerit

[3 Sent., dist. 15, q. 1, art. 3; dist. 21, q. 1, art. 2; Comp. Theol., cap. 226]

AD TERTIUM sic proceditur. Videtur quod Christus defectus corporales contraxit. Illud enim contrahere dicimur quod simul cum natura ex origine trahimus. Sed Christus simul cum natura humana defectus et infirmitates corporales per suam originem traxit a matre, cujus caro hujusmodi defectibus subjacebat. Ergo videtur quod hos defectus contraxit. 2. PRAETEREA, illud quod ex principiis naturae causatur, simul cum natura humana trahitur: et ita contrahitur. Sed hujusmodi poenalitates causantur ex principiis naturae humanae. Ergo eas Christus contraxit.

328

3. In körperlichen Schwächen ist Christus den anderen 14, 3 Menschen ähnlich (Hebr 2, 17). Die anderen Menschen aber haben diese Schwächen mitbekommen. Also scheint, daß wir dies auch von Christus annehmen müssen. ANDERSEITS ist es die Sünde, derentwegen die Annahme der Natur solche Schwächen nach sich zieht. „Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod" (Rom 5, 12). In Christus gab es aber keine Sünde. Deshalb konnte die Annahme der menschlichen Natur in Ihm solche Mängel nicht nach sich ziehen. ANTWORT: In dem Wort „nach sich ziehen" ist eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung eingeschlossen. Ein Ding zieht ein anderes nach sich besagt nämlich, daß ein Ding ursächlich mit einem anderen notwendig verbunden ist. Die Ursache des Todes und [aller] Mängel der menschlichen Natur ist aber die Sünde: „Durch die Sünde kam der Tod in die Welt" (Rom 5, 12). Und deshalb kann man nur dann im eigentlichen Sinne sagen, es ziehe sich jemand diese Mängel zu, wenn er ihnen wegen einer Sündenschuld anheimfällt. Christus trug aber diese Mängel nicht als Folgen einer Sündenschuld. Denn Augustinus legt das Schriftwort „der von oben kommt, überragt alle" (Jo 3, 31) so aus: „Christus kam von oben, d. h. von jener Höhe der menschlichen Natur, die sie vor dem Sündenfall des ersten Menschen hatte." Er nahm also Q I'AES T I O 14, 3 3. PRAETEREA, secundum hujusmodi defectus Christus aliis hominibus similatur, ut dicitur Hebr. 2. Sed alii homines hujusmodi defectus contraxerunt. Ergo videtur quod etiam Christus hujusmodi defectus contraxit. SED CONTRA est quod hujusmodi defectus contrahuntur ex peccato: secundum illud Rom. 5: „Per unum hominem peccatum intravit in hunc mundum, et per peccatum mors." Sed in Christo non habuit locum peccatum. Ergo hujusmodi defectus Christus non contraxit. RESPONDEO dicendum quod in verbo contrahendi intelligitur ordo effectus ad causam: ut scilicet illud dicatur contrahi quod simul cum sua causa ex necessitate trahitur. Causa autem mortis et horum defectuum in humana natura est peccatum: quia „per peccatum mors intravit in mundum", ut dicitur Rom. 5. Et ideo illi proprie dicuntur hos defectus contrahere qui ex debito peccati hos defectus incurrunt. Christus autem hos defectus non habuit ex debito peccati: quia, ut dicit Augustinus, exponens illud Joan. 3, „Qui de sursum venit, super omnes est", MPL „de sursum venit Christus, idest de altitudine humanae naturae, 114/369 quam habuit ante peccatum primi hominis". Accepit enim 22

25

329

3 die menschliche Natur ohne Sünde in jener Reinheit an, die ihr im Zustand der Unschuld eigen war. Und ebenso hätte Er sie auch ohne ihre Mängel annehmen können. Also ist es klar, daß die Annahme der menschlichen Natur durch Christus diese Übel nicht wie eine notwendige Folge der Sünde nach sich gezogen hat, sondern daß Er sie aus eigenem freiem Willen auf sich nahm. Z u 1. Der Leib der Jungfrau ward in der Erbsünde empfangen [160] und diese war es, die in ihr solche Mängel nach sich zog. Christus aber hatte aus der Jungfrau eine sündenreine Natur angenommen. Er hätte sie also auch ohne die Strafe [die auf ihr lastete] annehmen können. Aber Er wollte die Strafe tragen, um das Werk unserer Erlösung zu vollbringen (Art. 1). Und deshalb waren diese Übel bei Ihm nicht notwendig mit Seiner menschlichen Natur verbunden, sondern freiwillig angenommen. Z u 2. Die Ursache des Todes und der anderen körperlichen Gebrechen in der menschlichen Natur ist eine doppelte: eine entferntere [und eine nähere]. — Die entferntere liegt darin, daß der menschliche Körper aus gegensätzlichen Bestandteilen gebildet ist. Durch die Urgerechtigkeit wurde aber diese Ursache unwirksam gemacht. Demnach ist die Sünde, durch die wir die Urgerechtigkeit verloren haben, die nähere Ursache des Todes und der anderen Übel. Weil aber Christus sündelos war, kann man auch nicht sagen, daß die Sünde in Q U A E S T I O 14, 3

naturam humanam absque peccato in illa puritate in qua erat in statu innocentiae. Et simili modo potuisset assumere humanam naturam absque defectibus. Sic igitur patet quod Christus non contraxit hos defectus, quasi ex debito peccati eos suscipiens: sed ex propria voluntate. AD PRIMUM ergo dicendum quod caro Virginis concepta fuit in originali peccato: et ideo hos defectus contraxit. Sed caro Christi ex Virgine assumpsit naturam absque culpa. Et similiter potuisset naturam assumere absque poena; sed voluit suscipere poenam propter opus nostrae redemptionis implendum, sicut dictum est. Et ideo habuit hujusmodi defectus, non contrahendo, sed voluntarie assumendo. AD SECUNDUM dicendum quod causa mortis et aliorum corporalium defectuum in humana natura est duplex. Una quidem remota: quae accipitur ex parte principiorum materialium humani corporis, inquantum est ex contrariis compositum. Sed haec causa impediebatur per originalem justitiam. Et ideo proxima causa mortis et aliorum defectuum est peccatum, per quod est subtracta originalis justitia. Et propter hoc, quia

330

Ihm diese Übel nach sich gezogen hat, sondern daß Er 14, 4 sie freiwillig annahm. Z u 3. In der Art der genannten Mängel ist Christus allen anderen Menschen ähnlich — nicht aber in deren Ursache [der Sünde]. Und deshalb war sie es auch nicht, die in Ihm diese Übel nach sich zog, wie das bei den anderen Menschen der Fall ist.

Mußte

Christus

4. A R T I K E L alle körperlichen Mängel annehmen?

der

Menschen

1. Johannes von Damaskus sagt: „Was nicht der Annahme fähig ist, ist unheilbar." Christus war aber gekommen, um alle unsere Gebrechen zu heilen. Also mußte Er sie auch alle annehmen. 2. Um für uns Sühne zu leisten, mußte die Seele Christi mit besonderen Gehaben ausgestattet sein, die Seine Vollkommenheit erhöhten; — Sein Leib dagegen mußte mit Mängeln behaftet sein. Christus hat aber in Seine Seele die Fülle aller Gnaden aufgenommen. Also mußte Er für Seinen Leib alle Unvollkommenheiten annehmen. QUAESTIO

14, 4

Christus fuit sine peccato, dicitur non contraxisse hujusmodi defectus, sed voluntarie assumpsisse. AD TERTIUM dicendum quod Christus in hujusmodi defectibus assimilatus est aliis hominibus quantum ad qualitatem defectuum, non autem quantum ad causam. Et ideo non contraxit hujusmodi defectus, sicut et alii. Utrum

A R T I C U L U S IV Christus omnes defectus corporales hominum assumere debuerit

[3 Sent., dist. 15, q. 1, art. 2; dist. 22, q. 2, art. 1, qa 1; Comp. Theol., cap. 226, 231]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod Christus omnes defectus corporales hominum assumere debuit. Dicit enim Damascenus: „Quod est inassumptibile, est incurabile." Sed MPG 9t Christus venerat omnes defectus nostros curare. Ergo omnes 1006 . 1071 defectus nostros assumere debuit. 2. PRAETEREA, dictum est quod ad hoc quod Christus pro nobis satisfaceret, debuit habere habitus perfectivos in anima et defectus in corpore. Sed ex parte animae assumpsit plenitudinem omnis gratiae. Ergo ex parte corporis debuit assumere omnes defectus. 22*

331

14, 4

3. Unter allen körperlichen Übeln steht der Tod an erster Stelle. Christus hat den Tod auf sich genommen. Also mußte Er erst recht alle anderen Übel annehmen. ANDERSEITS kann Gegensätzliches nicht zugleich in ein und demselben Ding werden [Aristoteles]. Es gibt aber Schwächen, die einander ausschließen, da sie aus entgegengesetzten Ursachen hervorgehen. Also konnten in Christus nicht alle Mängel vereinigt sein. ANTWORT: Christus nahm die menschlichen Schwächen an, um für die Sünde des Geschlechtes zu sühnen (Art. 1). Dazu brauchte Seine Seele die Fülle des Wissens und der Gnade. Deshalb durfte Er von den Mängeln, die aus der gemeinsamen Schuld des ganzen Geschlechtes folgen, nur die annehmen, die jener Wissensund Gnadenfülle nicht widerstreiten. Demnach sind z. B. Unwissenheit, Neigungen zum Bösen und Hemmungen im guten Handeln bei Ihm ausgeschlossen. Somit war die Annahme aller menschlichen Schwächen für den Herrn nicht geziemend. Manche Mängel folgen aber nicht allgemein für das ganze Geschlecht aus der Sünde des Stammvaters, sondern treten nur bei Einzelnen aus besonderen Gründen auf, wie Aussatz, Fallsucht und ähnliche Krankheiten. Solche Übel rühren bisweilen von einer persönlichen Sünde des QUAESTIO

14, 4

3. PRAETEREA, inter defectus corporales praecipuum locum tenet mors. Sed Christus mortem assumpsit. Ergo multo magis omnes defectus alios assumere debuit. 14a 11 SED CONTRA est quod contraria non possunt simul fieri in U3a 22 eodem. Sed quaedam infirmitates sunt sibi ipsis contrariae, utpote ex contrariis principiis causatae. Ergo non potuit esse quod Christus omnes infirmitates humanas assumeret. RESPONDEO dicendum quod, sicut dictum est, Christus humanos defectus assumpsit ad satisfaciendum pro peccato humanae naturae: ad quod requirebatur quod perfectionem scientiae et gratiae haberet in anima. Illos igitur defectus Christus assumere debuit qui consequuntur ex peccato communi totius naturae, nec tarnen repugnant perfectioni scientiae et gratiae. Sic igitur non fuit conveniens ut omnes defectus seu infirmitates humanas assumeret. Sunt enim quidam defectus qui repugnant perfectioni scientiae et gratiae: sicut ignorantia, pronitas ad malum, et difficultas ad bonum. Quidam autem defectus sunt qui non consequuntur communiter totam humanam naturam propter peccatum primi parentis, sed causantur in aliquibus hominibus ex quibusdam particularibus causis: sicut lepra et morbus caducus, et alia hujusmodi. Qui quidem defectus quandoque causantur ex culpa hominis,

332

Menschen her, etwa von einer ungeordneten Lebensweise. 14, 4 Bisweilen aber stammen sie aus mangelnder Formkraft der Seele. Von diesen Mängeln mußte Christus aber frei sein. Denn Sein Leib ist aus dem Hl. Geist empfangen, der unendlichen Weisheit und Macht, die weder irren noch fehlen kann; und auch in Seiner Lebensführung ließ Christus nichts Ungeordnetes zu. Nun gibt es aber noch eine dritte Art von körperlichen Mängeln, die als Folgen der ersten Sünde allen gemeinsam sind, wie Tod, Hunger, Durst und ähnliches. Diese nahm Christus alle auf sich. Johannes von Damaskus nennt sie „natürliche und nicht erniedrigende Leiden." Natürlich sind sie, weil sie ganz allgemein mit der menschlichen Natur gegeben sind; — nicht erniedrigend, da sie keinen Mangel an Wissen und Gnade nach sich ziehen. Z u 1. Alle besonderen Schwächen der Menschen haben außer der Sterblichkeit und Leidensfähigkeit des Leibes noch gewisse besondere Ursachen. Da nun Christus die Leidensfähigkeit und Sterblichkeit unseres Leibes durch deren Annahme heilte, so heilte Er damit auch alle anderen Gebrechen. Z u 2. Die ganze Fülle der Gnade und des Wissens gebührte der Seele Christi an und für sich, weil sie vom WORTE Gottes angenommen war. Darum nahm Christus QUAESTIO

14, 4

puta ex inordinatione victus: quandoque autem ex defectu virtutis formativae. Quorum neutrum convenit Christo: quia caro ejus de Sancto Spiritu concepta est, qui est inflnitae sapientiae et virtutis, errare et deficere non Valens; et ipse nihil inordinatum in regimine suae vitae exercuit. Sunt autem tertii defectus qui in ómnibus hominibus communiter inveniuntur ex peccato primi parentis: sicut mors, fames, sitis, et alia hujusmodi. Et hos defectus omnes Christus suscepit. Quos Damascenus [De Fide Orth., lib. 1, cap. 11] MPG 94 vocat „naturales et indetractibiles passiones": naturales quidem, 843. 1083 quia consequuntur communiter totam humanam naturam; indetractibiles quidem, quia defectum scientiae et gratiae non important. AD PRIMUM ergo dicendum quod omnes particulares defectus hominum causantur ex corruptibilitate et passibilitate corporis, superadditis quibusdam particularibus causis. Et ideo, dum Christus curavit passibilitatem et corruptibilitatem corporis nostri per hoc quod eam assumpsit, ex consequenti omnes alios defectus curavit. AD SECUNDUM dicendum quod plenitudo omnis gratiae et scientiae animae Christi secundum se debebatur, ex hoc ipso quod erat a Verbo Dei assumpta. Et ideo absolute omnem

333

4 unbeschränkt die ganze Fülle der Weisheit und Gnade in sich auf. Dagegen nahm Er unsere Schwächen nach Seinem Plane an, um für unsere Sünde genugzutun — nicht weil sie Ihm als solche zukamen. Und darum brauchte Er nicht alle anzunehmen, sondern nur die, welche ausreichten, die Sünde des ganzen Geschlechtes zu sühnen. Z u 3. Wohl kam durch die Sünde des Stammvaters der Tod auf alle Menschen — nicht aber jedes andere körperliche Übel, mag es auch geringer sein als der Tod. Also besteht nicht der gleiche Grund für deren Annahme. QUAESTIO

14, 4

plenitudinem sapientiae et gratiae Christus assumpsit. Sed defectus nostros dispensative assumpsit, ut pro peccato nostro satisfaceret: non quia ei secundum se competerent. Et ideo non oportuit quod omnes assumeret: sed solum illos qui suffìciebant ad satisfaciendum pro peccato totius humanae naturae. AD TERTIUM dicendum quod mors in omnes homines devenit ex peccato primi parentis: non autem quidam alii defectus, licet sint morte minores. Unde non est similis ratio.

334

15.

FRAGE

DIE MÄNGEL DER S E E L E , DIE CHRISTUS MIT DER MENSCHLICHEN NATUR ANNAHM Wir stellen zehn Einzelfragen: 1. Gab es in Christus Sünde? 2. F a n d sich in Christus der Zunder der bösen B e g i e r ? 3. Gab es in Christus Unwissenheit? 4. Konnte die Seele Christi leiden? 5. Konnte Christus in Seinen Sinnen Schmerz empfinden ? 6. Konnte Christus Trauer empfinden? 7. Konnte E r Furcht empfinden? 8. Konnte E r sich verwundern? 9. Konnte E r sich erzürnen? 10. W a r Christus Pilger und Schauer zugleich? 1. A R T I K E L Gab es in Christus Sünde? 1. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? F e r n von meinem Helfer schrei' ich ob meiner Sünden" (Ps 21, 2). Diese Worte sind gesprochen in

QUAESTIO

DE

XV

DEFECTIBUS PERTINENTIBUS AD ANIMAM QUOS CHRISTUS IN HUMANA NATURA ASSUMPSIT

Deinde considerandum est de defectibus pertinentibus ad animam. Et circa hoc quaeruntur decern: 1. Utrum in Christo fuerit peccatum. — 2. Utrum in eo fuerit fomes peccati. — 3. Utrum in eo fuerit ignorantia. — 4. Utrum anima ejus fuerit passibilis. — 5. Utrum in eo fuerit dolor sensibilis. — 6. Utrum in eo fuerit tristitia. — 7. Utrum in eo fuerit timor. — 8. Utrum in eo fuerit admiratio. — 9. Utrum in eo fuerit ira. — 10. Utrum simul fuerit viator et comprehensor. Utrum

ARTICULUS I in C h r i s t o f u e r i t

peccatum

[Supra, q 4, art. 6 ad 2; q. 14, art. 3, infra, q. 81, art. 7; 3 Sent., dist. 12, qa 2, art. 1 ad 1; dist. 13, q. 1, art. X ad 5; art. 2, qa 1]

AD PRIMUM sic proceditur. Videtur quod in Christo fuerit peccatum. Dicitur enim in Psalmo: „Deus, Deus meus, ut quid me dereliquisti? Longe a salute mea verba delictorum meorum." Haec autem verba dicuntur ex persona ipsius Christi:

335

15, l der Person Christi; denn so hat Er am Kreuz gebetet. Daraus können wir ersehen, daß sich auch in Christus Sünde fand. 2. Der Apostel schreibt an die Römer: „In Adam haben alle gesündigt" (5, 12). Denn alle Menschen stammen von Adam ab. Christus war aber aus dem Geschlechte Adams. Also hat auch Er in ihm gesündigt. 3. Hebr 2, 18 heißt es: „Darum, daß Christus selbst gelitten hat und versucht worden ist, vermag Er auch denen, die versucht werden, zu helfen." Nun bedürfen wir vor allem Seiner Hilfe im Kampf gegen die Sünde. Also gab es in Christus Sünde. 4. „Den, der keine Sünde kannte" — nämlich Christus —, „hat Gott für uns zur Sünde gemacht" (2 Kor 5, 21). Was aber Gott macht, besteht in Wahrheit. Daher läßt sich bei Christus die Sünde nicht leugnen. 5. Augustinus schreibt: „Im Menschen Christus gab sich der Gottessohn uns zum Vorbild." Nun bedarf der Mensch nicht minder eines Vorbildes für wahre Buße seiner Sünden wie für ein gutes Leben. Allem Anschein nach mußte es also in Christus Sünden geben, damit Er uns in der Buße für Seine Sünden ein Beispiel geben könne. ANDERSEITS sagt Er selbst: „Wer von euch kann Mich einer Sünde zeihen?" (Jo 8, 46). QUAESTIO

15, l

ut p a t e t ex hoc q u o d i p s e e a in cruce protulit. E r g o v i d e t u r quod in Christo f u e r i n t delicta. 2. P R A E T E R E A , Rom. 5 dicit Apostolus q u o d „ i n Adani o m n e s p e c c a v e r u n t " : scilicet q u i a in eo o r i g i n a l i t e r f u e r u n t . Sed e t i a m C h r i s t u s o r i g i n a l i t e r f u i t in A d a m . E r g o in eo peccavit. 3. P R A E T E R E A , Apostolus dicit, H e b r . 2, q u o d „in eo in q u o C h r i s t u s p a s s u s est et t e n t a t u s , p o t e n s est et his q u i t e n t a n t u r a u x i l i a r i " . Sed m a x i m e i n d i g e b a m u s a u x i l i o e j u s contra peccatum. E r g o v i d e t u r q u o d in eo f u e r i t p e c c a t u m . 4. P R A E T E R E A , 2 Cor. 5 dicitur q u o d D e u s „ e u m q u i non n o v e r a t p e c c a t u m " , scilicet C h r i s t u m , „ p r o nobis fecit peccat u m " . S e d illud v e r e est q u o d a Deo f a c t u m est. E r g o in Christo v e r e f u i t p e c c a t u m . MPL 5. P R A E T E R E A , sicut A u g u s t i n u s dicit, in libro d e A g o n e rsu?? Christiano [cap. 11], „in h o m i n e Christo se nobis ad e x e m p l u m 41/117 p r a e b u i t F i l i u s Dei". Sed h o m o i n d i g e t e x e m p l o n o n solum ad recte v i v e n d u m , sed e t i a m a d hoc q u o d p o e n i t e a t d e peccatis. E r g o v i d e t u r q u o d in Christo d e b u i t esse p e c c a t u m , ut, d e peccatis p o e n i t e n d o , p o e n i t e n t i a e nobis d a r e t e x e m p l u m . SED CONTRA est q u o d i p s e dicit, J o a n . 8 : „Quis e x vobis arguet me de peccato?"

336

ANTWORT: Christus nahm unsere Mängel und 15, 1 Schwächen auf sich, um für uns zu sühnen, die Wahrheit Seiner menschlichen Natur zu beweisen und uns ein Tugendbeispiel zu geben (14, 1). Dieselben drei Gründe sprechen ohne Zweifel gegen eine Sünde in Christus. Denn erstens trägt die Sünde nicht zur Sühne bei, ja sie hemmt geradezu ihre Kraft, weil „der Allerhöchste die Gaben der Sünder nicht annimmt" (Sir 34, 23). Auch beweist die Sünde nicht die Wahrheit der menschlichen Natur, denn sie gehört nicht zur menschlichen Natur, deren Urheber Gott ist. Sie ist vielmehr gegen die Natur, „ein Samen, vom Satan ausgestreut" (Johannes von Damaskus). Schließlich konnte Christus durch die Sünde kein Beispiel der Tugend geben, denn die Sünde steht im Gegensatz zur Tugend. Deshalb nahm Er die Makel der Sünde in keiner Weise an, weder die der Erbsünde noch die der persönlichen Sünde: „Er hat keine Sünde getan, und in Seinem Munde fand sich kein Trug" (1 Petr 2, 22). Z u 1. Nach der Lehre des Johannes von Damaskus kann ein Doppeltes von Christus ausgesagt werden: Erstens, was Sein Wesen ausmacht und mit diesem gegeben ist. So sagt man, Er sei Mensch geworden, und Er habe für uns gelitten. Zweitens, all das, was Ihm nur zukommt, sofern Er die Stelle anderer einnimmt. Q U A E S T I O 15, l RESPONDEO dicendum quod, sicut supra dictum est, Christus suscepit defectus nostros ut pro nobis satisfaceret; et veritatem humanae naturae comprobaret; et ut nobis e x e m p l u m virtutis fieret. Secundum quae tria manifestum est quod defectum peccati assumere non debuit. Primo enim, peccatum nihil operatur ad satisfactionem: quinimmo virtutem satisfactionis impedit; quia, ut dicitur Eccli. 34, „dona iniquorum non probat Altissimus". Similiter etiam ex peccato non demonstratur Veritas humanae naturae: quia peccatum non pertinet ad humanam naturam, cujus Deus est causa; sed magis est contra naturam „per seminationem diaboli" introductum, ut Damascenus dicit [De Fide Orth., lib. 3, cap. 20]. Tertio, pec- MPG cando e x e m p l a virtutum praebere non potuit: cum peccatum 944082 contrarietur virtuti. Et ideo Christus nullo modo assumpsit defectum peccati, nec originalis nec actualis: secundum illud quod dicitur 1 Petr. 2: „Qui peccatum non fecit, nec inventus est dolus in ore ejus." AD PRIMUM ergo dicendum quod, sicut Damascenus dicit, MPG 94 in 3. libro [De Fide Orth., lib. 3, cap. 25], dicitur aliquid 1 0 9 4 side Christo, uno modo, secundum proprietatem naturalem et hypostaticam, sicut dicitur quod factus est homo, et quod pro nobis passus est; alio modo, secundum proprietatem personalem

337

15, i S o s a g t m a n m a n c h e s v o n C h r i s t u s in u n s e r e r P e r s o n a u s , w a s I h m a n sich d u r c h a u s n i c h t z u k o m m t [161 ]. D e s h a l b handelt die erste der sieben Regeln des Tichonius, die Augustinus in d e m „Buch ü b e r die L e h r e der Christen" aufstellt, „vom H e r r n u n d Seinem Leibe", sofern „Christus u n d die Kirche als eine Person a n g e s e h e n werd e n " . U n d so k a n n C h r i s t u s g e w i s s e r m a ß e n in d e r Person Seiner Glieder von dem „Aufschrei Seiner Sünd e n " sprechen, obgleich E r als H a u p t f r e i von S ü n d e n war. Zu 2. N a c h d e r L e h r e d e s hl. A u g u s t i n u s w a r C h r i s t u s n i c h t auf d i e g l e i c h e W e i s e , w i e w i r e s s i n d , i n A d a m u n d d e n V ä t e r n . W i r w a r e n i n A d a m s o w o h l d e r im Samen liegenden Formkraft wie auch der körperlichen M a s s e n a c h ; d e n n „ i m S a m e n b e g e g n e n s i c h d a s sichtbar Körperliche und die unsichtbare Formkraft. Beides k o m m t u n s a u s A d a m zu. C h r i s t u s d a g e g e n n a h m d e n s i c h t b a r e n Stoff S e i n e s L e i b e s a u s d e m S c h o ß d e r J u n g f r a u ; d i e in S e i n e r E m p f ä n g n i s w i r k s a m e F o r m k r a f t a b e r k a m nicht aus einem männlichen Samen, sondern aus einer ganz a n d e r e n Quelle: sie k a m von oben". Christus w a r d e m n a c h in A d a m nicht der im S a m e n liegenden F o r m k r a f t nach, sondern nur der sichtbaren Stoffmasse [ S e i n e s L e i b e s ] n a c h . U n d so b o t A d a m z u m W e r d e n d e r m e n s c h l i c h e n N a t u r C h r i s t i n u r d e n Stoff, w a r a b e r in k e i n e r W e i s e w i r k k r ä f t i g d a b e i b e t e i l i g t : d i e w i r k e n d e Q U A E S T 10

MPL 34/82

MPL ' 2* 322 sqq' 34 4

15, l

et habitudinalem, prout scilicet aliqua dicuntur de ipso in persona nostra quae sibi secundum se nullo modo conveniunt. Unde et inter septem regulas Tichonii, quas ponit Augustinus in 3 de Doct. Christ, [cap. 31], prima ponitur „de Domino et ejus corpore", cum scilicet „Christi et Ecclesiae una persona aestimatur". Et secundum hoc, Christus ex persona membrorum suorum loquens dicit, „verba delictorum meorum": non quod in ipso capite delicta fuerint. AD SECUNDUM dicendum quod, sicut Augustinus dicit, 10 super Gen. ad lit. [cap. 20], non omni modo Christus fuit in Adam, et in aliis Patribus, quo nos ibi fuimus. Nos enim fuimus in Adam secundum rationem seminalem, et secundum corpulentam substantiam: quia scilicet, ut ipse ibidem dicit, „cum sit in semine et visibilis corpulentia et invisibilis ratio, utrumque concurrit ex Adam. Sed Christus visibilem carnis substantiam de carne Virginis sumpsit: ratio vero conceptionis ejus non a semine virili, sed longe aliter, ac desuper venit". Unde non fuit in Adam secundum seminalem rationem, sed solum secundum corpulentam substantiam. Et ideo Christus non accepit active ab Adam naturam humanam, sed solum

338

Kraft war der Hl. Geist. Ähnlich empfing auch Adam 15, 1 selbst den Stoff zu seinem Leibe aus dem Lehm der Erde, gestaltet aber wurde Er von Gott. Weil also Christus nur dem Stoff nach in Adam war, hat Er in ihm nicht gesündigt. Z u 3. Durch Seine Versuchung und Sein Leiden hat Christus uns geholfen, indem Er für uns Sühne leistete. Die Sünde trägt aber zur Sühne nicht bei, sie hindert sie vielmehr (Antw.). Deshalb brauchte Er kein Sünder zu sein, ja Er mußte sogar gänzlich sünde 1 o s sein. Sonst hätte Er die Strafe, die Er auf sich nahm, selbst [d. h. auf Grund eigener Schuld] verdient. Zu 4. Das Wort: Gott „machte Christus zur Sünde" will nicht besagen, Er habe in sich eine Sünde gehabt; es bedeutet nur: Gott machte Ihn zum Schlachtopfer für die Sünde. Oseas 4, 8: „Sie nähren sich von den Sünden Meines Volkes" — nämlich die Priester, denen nach dem Gesetze die Sühnopfer zur Speise dienten [Levit. 6, 26]. Den gleichen Sinn hat auch das Wort (Is 53, 6): „Auf Ihn hat der Herr all unsere Sünden gehäuft", denn Er hat Ihn zum Schlachtopfer für die Sünden aller Menschen hingegeben. „Er machte Ihn zur Sünde" kann auch heißen, „Er ließ Ihn unser sündiges Fleisch annehmen" (Rom 8, 3). „Sündiges Fleisch" bezeichnet hier unseren leidensfähigen, sterblichen Leib. Q U A E S T I O 15, l materialiter, active vero a Spiritu Sancto: sicut et ipse Adam materialiter sumpsit corpus ex limo terrae, active autem a Deo. Et propter hoc Christus non peccavit in Adam, in quo fuit solum secundum materiam. AD TERTIUM dicendum quod Christus sua tentatione et passione nobis auxilium tulit pro nobis satisfaciendo. Sed peccatum non cooperatur ad satisfactionem, sed magis ipsam impedit, ut dictum est. Et ideo non oportuit ut peccatum in se haberet, sed quod omnino esset purus a peccato: alioquin, poena quam sustinuit fuisset sibi debita pro peccato proprio. AD QUARTUM dicendum quod Deus „fecit Christum peccatum", non quidem ut in se peccatum haberet, sed quia fecit eum hostiam pro peccato: sicut Osee 4 dicitur, „Peccata populi mei comedent", scilicet sacerdotes, qui secundum legem comedebant hostias pro peccato oblatas. Et secundum hunc modum dicitur Isai. 53, quod „Dominus posuit in eo iniquitates omnium nostrum": quia scilicet eum tradidit ut esset hostia pro peccatis omnium hominum. Vel, „fecit eum peccatum", idest, „habentem similitudinem carnis peccati", ut dicitur Rom. 8. Et hoc propter corpus passibile et mortale quod assumpsit.

339

15, 2

Z u 5. Man kann — selbst sündelos — ein herrliches Vorbild der Buße sein, wenn man freiwillig die Strafe für die Sünde anderer auf sich nimmt. Deshalb bot Christus das schönste Beispiel der Buße, indem E r sich für fremde, nicht für eigene Sünden der Strafe unterzog. Fand

2. sich in Christus

ARTIKEL der Zunder der

bösen

Begier?

1. Der Zunder der bösen Begier und die Leidensfähigkeit oder Sterblichkeit des Körpers haben ein und dieselbe Quelle, nämlich die Entziehung der Urgerechtigkeit. Denn durch sie waren die niederen Seelenkräfte der Vernunft und der Leib der Seele unterworfen. Nun war aber der Leib Christi leidensfähig und sterblich, also fand sich in Ihm auch der Zunder der bösen Begier. 2. Johannes von Damaskus sagt: „Nach dem Wohlgefallen Seines Willens hat Gott es zugelassen, daß Christi Fleisch litt und wirkte, was ihm zukam." Es ist aber dem Fleische eigen, zu begehren, was ihm schmeichelt. Da aber der Zunder der Begierde in nichts anderem besteht als in einem solchen Begehren, wie es in der Glosse zum Römerbrief (7, 8) heißt, so war dies allem Anschein nach auch bei Christus der Fall. QUAESTIO

15, 2

AD QUINTUM dicendum quod poenitens laudabile exemplum dare potest, non ex eo quod peccavit, sed in hoc quod voluntarie poenam sustinet pro peccato. Unde Christus dedit maximum exemplum poenitentibus, dum non pro peccato proprio, sed pro peccatis aliorum voluit poenam subire. Utrum

ARTICULUS in C h r i s t o f u e r i t

[Infra, q. 27, art. 3 ad 1;

MPG 94 1038,1059 1079

MPL 191/1416

II fomes

peccati

Comp. Theol., cap. 224]

AD SECUNDUM sie proceditur. Videtur quod in Christo fuerit fomes peccati. Ab eodem enim prineipio derivatur fomes peccati, et passibilitas corporis sive mortalitas: scilicet ex subtractione originalis justitiae, per quam simul inferiores vires animae subdebantur rationi, et corpus animae. Sed in Christo fuit passibilitas corporis et mortalitas. Ergo etiam in eo fuit fomes peccati. 2. PRAETEREA, sicut Damascenus dicit, in 3. libro [De Fide Orth., lib. 3, cap. 19], „beneplacito divinae voluntatis permittebatur caro Christi pati et operari quae propria". Sed proprium est carni ut concupiscat delectabilia sibi. Cum ergo nihil aliud sit fomes quam concupiscentia, ut dicitur in Glossa, Rom. 7, videtur quod in Christo fuerit fomes peccati.

340

3. Wegen des Zunders der Begierde „begehrt das 15, 2 Fleisch auf wider den Geist" (Gal 5, 17). Je mehr nun der Geist über den Feind, die Begierlichkeit des Fleisches, Herr wird, desto mächtiger erweist er sich und desto würdiger ist er der Krone: „Es wird keiner gekrönt, er habe denn recht gekämpft" (2 Tim 2, 5). Christi Geist aber war unvergleichlich stark und sieghaft und der Krone der Würdigste: „Es wurde Ihm ein Kranz gegeben und sieghaft zog Er aus zu siegen" (Offb 6, 2). Also fand sich in Christus der Zunder der Begierlichkeit im höchsten Maße. ANDERSEITS heißt es Matthäus 1, 20: „Was in ihr geboren ist, ist vom Hl. Geiste." Nun schließt aber das Wirken des Hl. Geistes die Sünde und auch die Neigung zu ihr, die man mit dem Wort Zunder der Begierde bezeichnet, aus. Also fand sich in Christus nicht der Zunder der bösen Begierde. ANTWORT: Christus besaß die Fülle der Gnade und alle Tugenden (7, 2 u. 9). Nun machen die sittlichen Tugenden, die in dem unvernünftigen Teil der Seele ihren Sitz haben, diese der Vernunft Untertan, und zwar um so mehr, je vollendeter die Tugend ist. So macht die Mäßigkeit das Luststreben, die Starkmut und Milde das sinnliche Hochstreben der Vernunft Untertan ( I — I I 56, 4; Bd. 11) [162], Der Zunder der Begierde ist aber nichts anderes als ein Hinneigen des sinnlichen Begehrens zu QUAESTIO

15, 2

3. P R A E T E R E A , ratione f o m i t i s „ c a r o concupiscit adversus spiritum", ut dicitur Gal. 5. S e d tanto spiritus ostenditur esse fortior et magis dignus Corona, quanto magis super hostem, scilicet concupiscentiam carnis, d o m i n a t u r : secundum illud 2 T i m . 2: „ N o n coronabitur nisi qui l e g i t i m e c e r t a v e r i t . " Christus autem habuit fortissimum et victoriosissimum spiritum, et m a x i m e d i g n u m Corona: secundum illud A p o c . 6: „ D a t a est ei corona, et e x i v i t vincens, ut v i n c e r e t . " V i d e t u r e r g o quod in Christo debuerit esse m a x i m e f o m e s peccati. S E D C O N T R A est quod dicitur Matth. 1: „ Q u o d in ea natum est, de Spiritu Sancto est." S e d Spiritus Sanctus excludit peccatum, et inclinationem peccati, quae importatur n o m i n e f o m i tis. E r g o in Christo non f u i t f o m e s peccati. R E S P O N D E O dicendum quod, sicut supra dictum est, Christus perfectissime habuit gratiam et omnes virtutes. V i r t u s autem moralis quae est in irrationali parte animae, e a m facit rationi esse subjectam, et tanto magis quanto p e r f e c t i o r f u e r i t virtus: sicut temperantia concupiscibilem, et fortitudo et mansuetudo irascibilem, ut in Secunda P a r t e dictum est. A d rationem autem fomitis pertinet inclinatio sensualis appetitus in id q u o d est

341

15, 2 dem, was der Vernunft widerspricht. Daraus erhellt, daß der Zunder um so schwächer ist, je vollendeter die Tugend. Weil aber Christus den höchsten Grad der Tugend besaß, so fehlte in Ihm der Zunder der bösen Begierde ganz; denn eine solche Schwäche ist der Sühne nicht nur nicht dienlich, sie stellt sich vielmehr der Sühne geradezu in den Weg. Z u 1. Die niederen Kräfte, die mit dem sinnlichen Strebevermögen zusammenhängen, sollen sich von Natur aus von der Vernunft leiten lassen. Bei den körperlichen Trieben und Säften dagegen trifft dies nicht zu, ebensowenig wie bei denen, die der Mensch mit der Pflanze gemeinsam hat (Aristoteles). Deshalb schließt die vollendete Tugend, die einer rechten Einstellung der Vernunft entspricht, die Leidensfähigkeit des Körpers nicht aus. Wohl aber löscht sie den Zunder der Begierde, dessen Wesen in einer Auflehnung des sinnlichen Strebevermögens gegen die Vernunft besteht. Z u 2. Das Fleisch verlangt kraft des sinnlichen Strebens nach dem, was ihm schmeichelt. Beim Menschen aber, der ein vernunftbegabtes Sinnenwesen ist, wird dieses Begehren des Fleisches von der Vernunft gezügelt und geordnet. So verlangte das Fleisch Christi kraft des sinnlichen Begehrens naturgemäß nach Speise, Trank, Schlaf und ähnlichem, was man vernünftigerweise beQ U A E S T I O 15, 2 contra rationem. Sic igitur patet quod, quanto virtus fuerit magis in aliquo perfecta, tanto magis debilitatur in eo vis fomitis. Cum igitur in Christo fuerit virtus secundum perfectissimum gradum, consequens est quod in eo fomes peccati non fuerit: cum etiam iste defectus non sit ordinabilis ad satisfaciendum, sed potius inclinat ad contrarium satisfactioni. AD PRIMUM ergo dicendum quod inferiores vires pertinentes ad sensibilem appetitum, naturaliter sunt obedibiles rationi: non autem vires corporales, vel humorum corporalium, vel 1102 b etiam ipsius animae vegetabilis, ut patet in 1 Ethic. [cap. 13, 28 sq. n . 15 S qq. • s. Th., lect. 2 0 ] . Et ideo perfectio virtutis, quae est secundum rationem rectam, non excludit passibilitatem corporis: excludit autem fomitem peccati, cujus ratio consistit in resistentia sensibilis appetitus ad rationem. AD SECUNDUM dicendum quod caro naturaliter concupiscit id quod est sibi delectabile, concupiscentia appetitus sensitivi: sed caro hominis, qui est animal rationale, hoc concupiscit secundum modum et ordinem rationis. Et hoc modo caro Christi, concupiscentia appetitus sensitivi, naturaliter appetebat escam et potum et somnum, et alia hujusmodi quae secundum rationem rectam appetuntur: ut patet per Damascenum, in 3. libro

342

gehrt (Johannes von Damaskus). Daß sich aber in Chri- 15, 3 stus der Zunder der Begierde fand, folgt daraus noch nicht; denn darunter versteht man nur das ungeordnete Begehren. Z u 3. Eine gewisse Geistesstärke zeigt sich schon im Widerstand gegen das Begehren des sich auflehnenden Fleisches. Größere Stärke aber offenbart sich da, wo die Kraft des Geistes das Fleisch so vollkommen unterdrückt, daß es sich nicht mehr gegen den Geist auflehnen kann. Und deshalb trifft dies bei Christus zu, denn Seine Geistesstärke kann nicht mehr übertroffen werden. Mag Er auch keine inneren Anfechtungen von Seiten der Begierde erlitten haben, so hatte Er doch äußere von seiten der Welt und des Teufels zu bestehen, und weil Er diese überwand, verdiente Er die Krone des Sieges. 3. A R T I K E L Gab es in Christus Unwissenheit? 1. Was immer mit der menschlichen Natur gegeben ist, wie Leiden und Tod, fand sich in Wahrheit bei Christus, auch wenn es Ihm Seiner göttlichen Natur nach nicht zukam. Unwissenheit aber kommt für Christus in Frage auf Grund Seiner menschlichen Natur, denn QUAESTIO

15, 3

[De Fide Orth., lib. 3, cap. 14]. Ex hoc autem non sequitur MPG quod in Christo fuerit fomes peccati, qui importat concupiscen- 94/1042 tiam delectabilium praeter ordinem rationis. AD TERTIUM dicendum quod fortitudo spiritus aliqualis ostenditur ex hoc quod resistit concupiscentiae carnis sibi contrariantis: sed major fortitudo spiritus ostenditur si per ejus virtutem totaliter 1 comprimatur, ne contra spiritum concupiscere possit. Et ideo hoc competebat Christo, cujus spiritus summum gradum fortitudinis attigerat. Et licet non sustinuit impugnationem interiorem ex parte fomitis, sustinuerit tarnen exteriorem impugnationem ex parte mundi et diaboli, quos superando victoriae coronam promeruit.

Utrum

in

A R T I C U L U S III Christo fuerit ignorantia

[3 Sent., dlst. 15, q. 1, art. 2, exp. lit.; de Ver., q. 20, art. 4 ad 11, 12, Comp. Theol., cap. 226]

AD TERTIUM sie proceditur. Videtur quod in Christo fuerit ignorantia. Illud enim vere fuit in Christo quod sibi competit secundum humanam naturam, licet non competat secundum divinam: sicut passio et mors. Sed ignorantia convenit Christo secundum humanam naturam: dicit enim Damascenus, in 1 P addit- caro.

343

15, 3 Johannes von Damaskus schreibt: „Er nahm eine unwissende und dienende Natur an." Also gab es in Christus wirklich Unwissenheit. 2. Unwissenheit ist Mangel an Kenntnissen. Eines aber kannte Christus nicht: „Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht" (2 Kor 5, 21). Also fand sich in Christus Unwissenheit. 3. Bei Isaias steht geschrieben: „Ehe noch der Knabe Vater und Mutter rufen kann, wird man die Schätze von Damaskus forttragen" (8, 4). Der Knabe aber ist Christus. Also wußte Christus wenigstens von manchen Dingen nichts. ANDERSEITS: Unwissenheit wird durch Unwissenheit nicht aufgehoben. Christus aber war gekommen, unsere Unwissenheit aufzuheben. Er kam nämlich, „damit Er denen leuchte, die in Finsternis und Todesschatten sitzen" (Lk 1, 79). Also gab es in Christus keine Unwissenheit. A N T W O R T : Gleichwie Christus die Fülle der Gnade und Tugend innewohnt, so auch die Fülle alles Wissens (7, 2 u. 9; Fr. 9 ff). Wie aber die Fülle der Gnade und Tugend in Christus jedes böse Begehren ausschließt, so die Fülle des Wissens alle Unwissenheit: den Gegensatz des Wissens. Wie es also in Christus nicht den Zunder der bösen Begierde gab, so auch keine Unwissenheit. QUAESTIO

15, 3

MPG 3. l i b r o [ D e F i d e Orth., üb. 3, cap. 2 1 ] , quod „ i g n o r a n t e m et 94/1083 s e r v i l e m assumpsit naturam". E r g o ignorantia v e r e f u i t in Christo. 2. P R A E T E R E A , aliquis dicitur ignorans p e r notitiae d e f e c t u m . Sed aliqua notitia d e f u i t Christo: dicit e n i m Apostolus, 2 Cor. 5: „ E u m qui non novit peccatum, p r o nobis peccatum f e c i t . " E r g o in Christo f u i t ignorantia. 3. P R A E T E R E A , Isai. 8 dicitur: „ A n t e q u a m sciat p u e r vocare patrem suum et m a t r e m suam, a u f e r e t u r fortitudo Damasci." P u e r autem i l l e est Christus. E r g o in Christo f u i t aliquarum r e r u m ignorantia. S E D C O N T R A , ignorantia p e r ignorantiam non tollitur. Christus autem ad hoc v e n i t ut ignorantias nostras a u f e r r e t : venit e n i m „ u t i l l u m i n a r e t his qui in tenebris et in umbra mortis sedent". E r g o in Christo ignorantia non fuit. R E S P O N D E O dicendum quod, sicut in Christo f u i t plenitudo g r a t i a e et virtutis, ita in ipso f u i t plenitudo omnis scientiae, ut e x praemissis patet. Sicut autem in Christo plenitudo gratiae et virtutis excludit peccati f o m i t e m , ita plenitudo scientiae excludit ignorantiam, quae scientiae opponitur. U n d e , sicut in Christo non f u i t f o m e s peccati, ita non f u i t in eo ignorantia.

344

Z u 1. In der Natur, die Christus annahm, kann man 15, 3 ein Doppeltes betrachten: einmal das Menschliche in ihr: darauf bezieht sich das Wort des hl. Johannes von Damaskus, die Natur sei unwissend und dienend. Deshalb fügt er bei: „Denn des Menschen Natur ist eine Dienerin Gottes, der sie schuf, und sie kennt nicht die Zukunft." — Dann aber kann man auch das in ihr betrachten, was sich als Folge der Vereinigung mit einer göttlichen Person in ihr findet. Aus dieser erflossen ihr nämlich die Fülle des Wissens und der Gnade: „Wir sahen Ihn als den Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit" (Jo 1, 14). In diesem Sinn kann man bei der menschlichen Natur Christi nicht von Unwissenheit reden. Z u 2. Die Worte, Christus habe die Sünde nicht gekannt, besagen: Er habe die Sünde nicht in sich selbst erfahren, wohl aber hat Er von ihr einfache Kenntnis gehabt. Z u 3. Der Prophet meint an dieser Stelle das menschliche Wissen Christi. Er sagt: „Bevor der Knabe" — so wie jedes Kind — „Vater, Mutter zu stammeln weiß" — d. h., bevor Er Joseph, Seinen Nährvater, und Maria, Seine Mutter, rufen konnte —, „wird man die Schätze von Damaskus wegnehmen." Dies ist aber nicht so zu verstehen, als habe es in Seinem Leben eine Zeit gegeben, in der Er sich der Sprache nicht hätte bedienen können. Vielmehr will die Stelle sagen, bevor Er geQ U A E S T I O

15, 8

AD PRIMUM ergo dicendum quod natura a Christo assumpta potest dupliciter considerari. Uno modo, secundum rationem suae speciei. Et secundum hoc dicit Damascenus eam esse ignorantem et servilem. Unde subdit: „Nam serva est quidem ib. hominis natura ejus qui fecit ipsam, Dei, et non habet futurorum cognitionem." — Alio modo potest considerari secundum illud quod habet ex unione ad hypostasim divinam, ex qua habet plenitudinem scientiae et gratiae: secundum illud Joan. 1: „Vidimus eum, quasi Unigenitum a Patre, plenum gratiae et veritatis." Et hoc modo natura humana in Christo ignorantiam non habuit. AD SECUNDUM dicendum quod Christus dicitur non novisse peccatum, quia nescivit per experientiam. Seivit autem per simplicem notitiam. AD TERTIUM dicendum quod Propheta ibi loquitur de humana Christi scientia. Dicit ergo: „Antequam sciat puer", scilicet secundum humanitatem, „vocare patrem suum", Joseph, qui pater fuit putative, „et matrem suam", scilicet Mariam, „auferetur fortitudo Damasci". Quod non est sie intelligendum quasi aliquando fuerit homo et hoc neseiverit: sed, „antequam sciat", idest, antequam fiat homo scientiam habens humanam,

345

15, 4 boren war und ein menschliches Wissen haben konnte, „wird man die Schätze von Damaskus wegnehmen". Im Wortsinn ist damit die Beute aus Samaria gemeint, die der König der Assyrer wegtrug. Im übertragenen Sinn aber bedeutet es nach Hieronymus: „Noch nicht geboren, wird Er schon Sein Volk auf das bloße Anrufen Seines Namens hin retten." Augustin jedoch bezieht in einer Predigt über die Erscheinung des Herrn diese Stelle auf die Anbetung der Weisen. Er sagt nämlich: „Noch bevor Er mit menschlichem Munde menschliche Worte aussprach, nahm Er die Schätze von Damaskus entgegen, Reichtümer, mit denen Damaskus prahlte; unter den Schätzen aber versinnbildet das Gold die Herrscherwürde. Die Beute Samarias waren die Weisen selber, denn da zu Samaria das Volk zum Götzendienst abgefallen war, steht Samaria für Götzendienst. Diese Beute also hat der Knabe zuerst dem Götzendienste entrissen." Demnach heißt also die Stelle: „bevor der Knabe wußte", soviel wie: bevor er sein Wissen zeigte. 4. A R T I K E L Konnte die Seele Christi leiden? 1. Bei Augustinus und schon bei Aristoteles finden wir den Satz: „Wer wirkt, steht über dem, der das Wirken Q U A E S T I O 15,

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4

„auferetur" vel, ad litteram, „fortitudo Damasci et spolia Samariae, per regem Assyriorum"; vel, spiritualiter, quia, „nondum natus, populum suum sola invocatione salvabit", ut Glossa Hieronymi exponit. Augustinus tarnen, in Sermone de Epiph. [serm. 202], dicit hoc esse completum in adoratione Magorum. Ait enim: „Antequam per humanam carnem humana verba proferret, accepit virtutem Damasci, scilicet divitias, in quibus Damascus praesumebat: in divitiis autem principatus auro defertur. Spolia vero Samariae idem ipsi erant. Samaria namque pro idololatria ponitur: illic enim populus ad idola colenda conversus est. Haec ergo prima spolia puer idololatriae detraxit." Et secundum hoc intelligitur: antequam sciat puer, idest, antequam ostendat se scire. Utrum

A R T I C U L U S IV anima Christi fuerit

passibilis

[3 Sent., dist. 13, q. 1, art. 2, qa 1 ad 2; dist. 15, q. 2, art. 1, qa 3; dlst. 33, exp. lit.; de Ver., q. 26, art. 8; Comp. Theol., cap. 232; in Joan., cap. 12, lect. 5; cap. 13, lect. 4]

AD QUARTUM sie proceditur. Videtur quod anima Christi non fuerit passibilis. Nihil enim patitur nisi a fortiori: quia

346

erfährt." Denn der Wirkende ist immer der Stärkere. 15, 4 Nun übertraf kein Geschöpf die Seele Christi an Stärke. Folglich konnte sie auch von keinem Geschöpf etwas erleiden. Sie war mit einem Worte leidensunfähig. Denn die Leidensfähigkeit in ihr wäre zwecklos gewesen, wenn sie von keinem Leid hätte erfahren können. 2. Cicero schreibt, die Leidenschaften der Seele seien „in gewissem Sinne Krankheiten". Nun war aber die Seele Christi nicht der Krankheit unterworfen, die eine Folge der Sünde ist, nach Ps 40, 5: „Heile meine Seele, denn ich habe vor dir gesündigt." Also war die Seele Christi frei von Leidenschaften. 3. Die Leidenschaften der Seele scheinen dasselbe zu sein wie der Zunder der Begierde; deshalb nennt sie der Apostel „sündhafte Leidenschaften" (Rom 7, 5). Nun gab es in Christus nicht den Zunder der Begierde (Art. 2) und daher auch keine Leidenschaften. Also konnte die Seele Christi nicht leiden. ANDERSEITS spricht der Psalmist in der Person Christi, wenn er sagt: „Gesättigt ist mit Leiden meine Seele" (87, 4). Er versteht freilich unter „Leiden" nicht Sünden, sondern menschliche Gebrechen, d. h. Schmerzen, wie aus der Glosse hervorgeht. Also war die Seele Christi doch leidensfähig. ANTWORT: Solange die Seele mit dem Körper verQUAESTIO

15, 4

„agens est praestantius patiente", ut patet per Augustinum, MPL 12 super Gen. ad lit. [cap. 16]; et per Philosophum, in 3 de 34 / 467 Anima [cap. 3, n. 2; S. Th., lect. 10]. Sed nulla creatura 430 a 18 fuit praestantior quam anima Christi. Ergo anima Christi non potuit ab aliqua creatura pati. Et ita non fuit passibilis: frustra enim fuisset in eo potentia patiendi, si a nullo pati potuisset. 2. PRAETEREA, Tullius, in libro de Tusculan. Quaest. [lib. 3, Ed.Teubcap. 10], dicit quod passiones animae sunt „quaedam aegritu- n e r dines". Sed in anima Christi non fuit aliqua aegritudo: nam aegritudo animae sequitur peccatum, ut patet per illud Psalmi: „Sana animam meam: quia peccavi tibi." Ergo in Christo non fuerunt animae passiones. 3. PRAETEREA, passiones animae videntur idem esse cum fomite peccati: unde Apostolus, Rom. 7, vocat eas passiones peccatorum. Sed in Christo non fuit fomes peccati, ut supra dictum est. Ergo videtur quod non fuerint in eo animae passiones. Et ita anima Christi non fuit passibilis. SED CONTRA est quod in Psalmo dicitur ex persona Christi: „Repleta est malis anima mea": non quidem peccatis, sed humanis malis, idest doloribus, ut Glossa ibidem exponit. Sic igitur MPL anima Christi fuit passibilis. 37/mo RESPONDEO dicendum quod animam in corpore constitutam

347

15, 4 bunden ist, kann sie zweierlei Leid erfahren: einmal durch körperlichen Schmerz, wie bei Verletzungen des Körpers. Da nämlich die Seele die Form des Körpers ist, so bilden beide nur e i n Sein; ist daher der Leib durch körperlichen Schmerz aus seiner natürlichen Verfassung gebracht, so muß auch die Seele dabei in Mitleidenschaft gezogen werden. Allerdings nicht in ihrem inneren Wesen, wohl aber, soweit sie dem Körper innewohnt. Weil also Christi Leib leidensfähig und sterblich war (14, 1 u. 2), so mußte auch Seine Seele in dieser Form Leiden erfahren können. Seelenleiden im eigentlichen Sinn erfährt aber die Seele bei jener Tätigkeit, die ihr allein oder doch wenigstens mehr als dem Körper eignet. Zwar kann man auch bei der Verstandes- und Sinnestätigkeit von einem „Erleiden" in diesem Sinne sprechen, jedoch kommen hier vor allem die eigentlichen Regungen des niederen Strebevermögens in Betracht (I—II 22, 3 ; Bd. 10; 41, 1; Bd. 11). Diese finden wir in Christus, wie alles übrige, was zur menschlichen Natur gehört. Daher sagt Augustinus: „Der Herr, der sich herabließ, ein Knechtesleben zu führen, ließ menschliche Empfindungen zu, wo Er es für gut fand; denn in Ihm, der einen wahren menschlichen Leib und eine wahre menschliche Seele besaß, gab es auch wahre menschliche Regungen." Jedoch muß man wissen, daß derartige Regungen des Q U A E S T I O

15, 4

contingit pati dupliciter: uno modo, passione corporali; alio modo, passione animali. Passione quidem corporali patitur per corporis laesionem. Cum enim anima sit forma corporis, consequens est quod unum sit esse animae et corporis: et ideo, corpore perturbato per aliquam corpoream passionem, necesse est quod anima per accidens perturbetur, scilicet quantum ad esse quod habet in corpore. Quia igitur corpus Christi fuit passibile et mortale, ut supra habitum est, necesse fuit ut etiam anima ejus hoc modo passibilis esset. Passione autem animali pati dicitur anima secundum operationem quae vel est propria animae, vel est principalius animae quam corporis. Et quamvis etiam secundum intelligere et sentire dicatur hoc modo anima aliquid pati, tarnen, sicut in Secunda Parte dictum est, propriissime dicuntur passiones animae äffectiones appetitus sensitivi: quae in Christo fuerunt, sicut et cetera quae ad naturam hominis pertinent. Unde Augustinus MPL dicit, 14 de Civ. Dei [cap. 9] : „Ipse Dominus, in forma servi 41/415 agere vitam dignatus, humanitus adhibuit eas, ubi adhibendas ion/21 e s s e judicavit. Neque enim in quo verum erat hominis corpus et verus hominis animus, falsus erat humanus affectus." Sciendum tarnen quod hujusmodi passiones aliter fuerunt

348

Gemütes bei Christus sich von den unserigen in drei 15, 4 Punkten unterscheiden: Erstens im Gegenstand; bei uns nämlich richten sie sich nur zu oft auf Unerlaubtes, bei Christus niemals. Zweitens in ihrem Entstehen; bei uns kommen sie nur zu oft dem Urteil der Vernunft zuvor, in Christus dagegen stiegen alle Regungen des niederen Strebevermögens nur nach der freien Anordnung der Vernunft auf. Daher lesen wir bei Augustinus in seinem Buch über den Gottesstaat: „Wie Christus aus freiem Willen Mensch werden wollte, so hat Er auch kraft eines unerschütterlichen freien Willensentschlusses in Seiner Seele solche Regungen zugelassen." Drittens unterscheiden sie sich in ihrer Wirkung: bei uns bleiben derartige Gemütserregungen bisweilen nicht auf das niedere Strebevermögen beschränkt, sondern reißen die Vernunft mit fort; bei Christus aber war das ausgeschlossen. Denn bei Ihm waren die Regungen, die nun einmal mit dem menschlichen Fleische gegeben sind, vollkommen beherrscht und gingen in ihrer Wirkung nie über das niedere Strebevermögen hinaus. Folglich war auch die Vernunft von ihnen in keinerlei Weise am rechten Handeln gehindert. Daher schreibt Hieronymus: „Der Herr war wirklich traurig, um uns so die Wirklichkeit Seiner angenommenen Natur zu beweisen. Damit man aber dabei nicht an eine starke Erregung des Gemütes denkt, die Seine Seele übermannte, heißt es, Er f i n g a n , traurig zu werden in einer propassio." Dieses Anfangen nennt Q U A E S T I O

15, 4

in Christo quam in nobis, quantum ad tria. Primo quidem, quantum ad objectum. Quia in nobis plerumque hujusmodi passiones feruntur ad illicita: quod in Christo non fuit. — Secundo, quantum ad principium. Quia hujusmodi passiones frequenter in nobis praeveniunt judicium rationis: sed in Christo oranes motus sensitivi appetitus oriebantur secundum dispositionem rationis. Unde Augustinus dicit, 14 de Civ. Dei, MPL quod „hos motus, certissimae dispensationis gratia, ita cum ^ ^ voluit Christus suscepit animo humano, sicut cum voluit factu9 4011'21 est homo". — Tertio, quantum ad effectum. Quia in nobis quandoque hujusmodi motus non sistunt in appetitu sensitivo, sed trahunt rationem. Quod in Christo non fuit: quia motus naturaliter humanae carni convenientes sie ex ejus dispositione in appetitu sensitivo manebant quod ratio ex his nullo modo impediebatur facere quae conveniebant. Unde Hieronymus dicit, super Matth. [Comment., lib 4, ad cap. 26, v. 37], quod MPL „Dominus noster, ut veritatem assumpti probaret hominis, vere 26/107 quidem contristatus est: sed, ne passio in animo illius dominaretur, per propassionem dicitur quod coepit contristari": ut

349

15, 5 der hl. Hieronymus „propassio" und versteht darunter eine Gemütsbewegung, die, im niederen Strebevermögen entstanden, sich nicht weiter entwickelt, während er mit „passio perfecta" jene Regung meint, von der die Seele, d. h. die Vernunft, übermannt wird. Z u 1. Die Seele Christi konnte den Leiden Widerstand leisten, hauptsächlich vermöge ihrer göttlichen Kraft, so daß diese sie nicht überwältigten. Aber freiwillig unterwarf Er sich körperlichen und seelischen Leiden. Zu 2. Cicero gebraucht hier das Wort passio — starke Gemütserregung — im Sinne der Stoiker [163], die darunter nicht jede beliebige Regung des sinnlichen Strebevermögens, sondern nur die ungeordnete verstanden. Von dieser kann ohne Zweifel bei Christus keine Rede sein. Z u 3. Sündhafte Leidenschaften sind Regungen des niederen Strebevermögens, die auf Unerlaubtes abzielen. Solche waren in Christus mit dem Zunder der Sünde ausgeschlossen. 5. A R T I K E L Konnte Christus in Seinen Sinnen wirklichen empfinden?

Schmerz

1. Hilarius schreibt: „Wenn es Leben ist, für Christus zu sterben, wie sollte dann Christus selbst im Mysterium QUAESTIO

15, 5

passio perfecta intelligatur quando animo, idest rationi, dominatur; propassio autem, quando est inchoata in appetitu sensitivo, sed ulterius non se extendit. AD PRIMUM ergo dicendum quod anima Christi poterat quidem resistere passionibus, ut non ei supervenirent: praesertim virtute divina. Sed propria voluntate se passionibus subjiciebat, tarn corporalibus quam animalibus. AD SECUNDUM dicendum quod Tullius ibi loquitur secundum opinionem Stoicorum, qui non vocabant passiones quoscumque motus appetitus sensitivi, sed solum inordinatos. Tales autem passiones manifestum est in Christo non fuisse. AD TERTIUM dicendum quod passiones peccatorum sunt motus appetitus sensitivi in illicita tendentes. Quod non fuit in Christo: sicut nec fomes peccati. ARTICULUS V Utrum in Christo f u e r i t v e r u s dolor

sensibilis

[3 Sent., dist. 15, q. 2, art. 3, qa 1, exp. lit.; de Ver., q. 26, art. 8 ad 7, 8; Comp. Theol., cap. 232]

AD QUINTUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non MPLIO fuerit verus dolor sensibilis. Dicit enim Hilarius, in 10 de 350, 361 Trin.: „Cum pro Christo mori vita sit, quid ipse in mortis

350

Seines Todes Schmerz empfunden haben, der doch denen 15, 5 das Leben wiedergibt, die für Ihn sterben?" Und weiter sagt er: „Der eingeborene Gott nahm eine wahre menschliche Natur an, ohne Seine Gottheit einzubüßen. Mochten nun Schläge Ihn treffen oder Wunden Ihn bedecken, Bande Ihn fesseln, oder mochte Er am Kreuze hängen, all das sollte Ihm zwar den vollen Ansturm des Leidens bringen, aber doch nie wirklich Schmerz bereiten." Also konnte Christus nicht wahren Schmerz empfinden. 2. Schmerz empfinden zu müssen, scheint bloß dem Fleisch zu eignen, das in Sünden empfangen wurde. Aber das Fleisch Christi war vom Hl. Geist im Schoß der Jungfrau gebildet und nicht in Sünden empfangen. Also war es auch nicht dem Gesetz des Leidens unterworfen. 3. Der selige Genuß, der in der Beschauung göttlicher Dinge liegt, vermindert den körperlichen Schmerz; deshalb ertrugen die Märtyrer ihre Qualen geduldiger, weil sie ganz in die Liebe Gottes versenkt waren. Die Seele Christi aber genoß in der Anschauung Gottes, den sie in Seinem Wesen schaute (9, 2), die höchste Wonne und konnte daher keinen Schmerz empfinden. ANDERSEITS finden wir bei Isaias: „Wahrhaft trug Er unsere Leiden. Er nahm auf sich unsere Schmerzen" (53, 4). ANTWORT: Wahrer, fühlbarer Schmerz entsteht dann, wenn der Körper verletzt und diese Verletzung auch QUAESTIO

15, 5

sacramento doluisse aestimandus est, qui pro se morientibus vitam rependit?" Et infra dicit: „Unigenitus Deus hominem verum, non deficiens a se Deo, sumpsit: in quo, quamvis aut ictus incideret, aut vulnus descenderet, aut nodi concurrerent, aut suspensio elevaret, afferrent quidem haec impetum passionis, non tarnen dolorem inferrent." Non igitur in Christo fuit verus dolor. 2. PRAETEREA, hoc proprium videtur esse carni in peccato conceptae, quod necessitati doloris subjaceat. Sed caro Christi non est cum peccato concepta, sed ex Spiritu Sancto in utero virginali. Non ergo subjacuit necessitati patiendi dolorem. 3. PRAETEREA; delectatio contemplationis divinorum diminuit sensum doloris: unde et martyres in passionibus suis tolerabilius dolorem sustinuerunt ex consideratione divini amoris. Sed anima Christi summe delectabatur in contemplatione Dei, quem per essentiam videbat, ut supra dictum est. Non ergo poterat sentire aliquem dolorem. SED CONTRA est quod Isai. 53 dicitur: „Vere languores nostros ipse tulit, et dolores nostros ipse portavit." RESPONDEO dicendum quod, sicut patet e x his quae in Secunda Parte dicta sunt, ad veritatem doloris sensibilis requiri-

351

15, 5 empfunden wird (I—II 35, 7; Bd. 10). Nun konnte der Leib Christi verletzt werden, da er leidensfähig und sterblich war (14, 1). Auch die Schmerzempfindung fehlte bei Ihm nicht, denn Christi Seele besaß vollkommen alle natürlichen Seelenvermögen. Es besteht daher kein Zweifel, daß Er wahrhaft Schmerz empfinden konnte. Z u 1. Bei all diesen und ähnlichen Stellen beabsichtigt Hilarius nicht, dem Fleische Christi wahren Schmerz abzusprechen. Er will nur betonen, daß Er ihn nicht empfinden m u ß t e . Deshalb fährt er fort: „Wenn der Herr hungerte oder dürstete oder weinte, ist damit noch nicht bewiesen, daß Er [notwendig] aß, trank oder litt. Er paßte sich den körperlichen Bedürfnissen nur an, um die Wirklichkeit Seines Leibes darzutun, und befriedigte sie in dem Maße, das unsere Natur fordert. Wenn Er also Speise und Trank nahm, geschah es nicht, weil der Körper dessen bedurfte, sondern nur weil Er sich die Gewohnheiten des Körpers zu eigen machen wollte." Hilarius versteht hier unter Notwendigkeit die innere Abhängigkeit, in der alle unsere Schwächen und Schmerzen zu ihrer obersten Ursache, der Sünde, stehen. Christi Leib war aber nicht notwendig diesen Schwächen und Schmerzen unterworfen, da es in Ihm keine Sünde gab (14, 1 u. 3). Deshalb fährt Hilarius fort: „Christus besaß zwar einen Leib, doch dessen Ursprung war ganz eigener Art. Dieser Leib ging nämlich nicht aus einer durch die Sünde verderbten Empfängnis hervor, sondern QUAE8TI0

15, 5

tur laesio corporis et sensus laesionis. Corpus autem Christi laedi poterat: quia erat passibile et mortale, ut supra habitum est. Nec defuit ei sensus laesionis: cum anima Christi perfecte haberet omnes potentias naturales. Unde nulli dubium debet esse quin in Christo fuerit verus dolor. AD PRIMUM ergo dicendum quod in omnibus illis verbis, et similibus, Hilarius a carne Christi non veritatem doloris, sed necessitatem excludere intendit. Unde post praemissa verba l. c. 364 subdit: „Neque enim, cum sitivit aut esurivit aut flevit, bibisse Dominus aut manducasse aut doluisse monstratus est: sed ad demonstrandam corporis veritatem corporis consuetudo suscepta est, ita ut, naturae nostrae consuetudine, consuetudini sit corporis satisfactum. Vel, cum potum aut cibum accepit, non se necessitati corporis, sed consuetudini tribuit." Et accepit necessitatem per comparationem ad causam primam horum defectuum, quae est peccatum, ut supra dictum est: ut scilicet ea ratione dicatur caro Christi non subjacuisse necessitati horum defectuum, quia non fuit in ea peccatum. Unde subdit: „Habuit enim", scilicet Christus, „corpus, sed originis suae proprium: neque ex vitiis humanae conceptionis existens, sed in

352

Christus hat in eigener Kraft einen menschlichen Körper 15, 6 angenommen." Der näheren Ursache der Schwächen und Schmerzen dagegen, nämlich der Zusammensetzung des menschlichen Körpers aus entgegengesetzten Bestandteilen, war Christi Leib vollkommen unterworfen (14, 2). Z u 2. Das in Sünden empfangene Fleisch ist nicht nur auf Grund seiner Natur, sondern auch wegen seiner Sündenschuld den Schmerzen notwendig unterworfen. Nur der erste dieser beiden Gründe trifft bei Christus zu. Z u 3. Durch eine Anordnung der Macht Christi (14, 1 Zu 2) war die Seligkeit auf Seine Seele beschränkt und strömte nicht so auf den Leib über, daß in ihm alle Fähigkeit zum Leiden und Sterben aufgehoben worden wäre. Aus dem gleichen Grunde war der Vollgenuß der Anschauung so im Geiste Christi zurückgehalten, daß er sich nicht über alle Sinnenkräfte ergoß und dadurch allen sinnlichen Schmerz unmöglich machte. 6. A R T I K E L Konnte Christus Trauer empfinden? 1. Isaias spricht von Christus: „Er wird nicht traurig und verwirrt sein" (42, 4). QUAESTIO

15, 6

formam corporis nostri, virtutis suae potestate, subsistens." Quantum tarnen ad causam propinquam horum defectuum, quae est compositio contrariorum, caro Christi subjacuit necessitati horum defectuum, ut supra habitum est. AD SECUNDUM dicendum quod caro in peccato concepta subjacet dolori non solum ex necessitate naturalium principiorum, sed etiam ex necessitate reatus peccati. Quae quidem necessitas in Christo non fuit: sed solum necessitas naturalium principiorum. AD TERTIUM dicendum quod, sicut supra dictum est, virtute divinitatis Christi dispensative sie beatitudo in anima continebatur quod non derivabatur ad corpus, ut ejus passibilitas et mortalitas tolleretur. Et, eadem ratione, delectatio contemplationis sie continebatur in mente quod non derivabatur ad vires sensibiles, ut per hoc dolor sensibilis excluderetur. Utrum

A R T I C U L U S VI in C h r i s t o f u e r i t t r i s t i t i a

[3 Sent., dist. 15, q. 2, art. 2, qa 1, Comp. Theol., cap. 232,

exp. lit.; de Ver., q. 26, art. 8, In Matth, cap. 26]

AD SEXTUM sie proceditur. Videtur quod in Christo non fuerit tristitia. Dicitur enim de Christo, Isai. 42: „Non erit tristis neque turbulentus." 23 25

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15, 6

2. „Was immer dem Gerechten begegnet, nichts wird ihn betrüben" (Spr 12, 21). Das begründen die Stoiker so: man ist nur traurig, wenn man den Verlust seiner Güter zu beklagen hat. Der Gerechte hält aber nur Gerechtigkeit und Tugend für Güter, und diese sind unverlierbar. Er wäre sonst vom Schicksal abhängig, wenn er wegen des Verlustes von zeitlichen Gütern trauerte. Nun war Christus im höchsten Maß gerecht: „Dies ist der Name, mit dem man Ihn benennen wird: Der Herr, unser Gerechter" (Jer 23, 6). Folglich war Christus nicht traurig. 3. Nach Aristoteles ist jede Traurigkeit „ein Übel und zu fliehen". Für Christus aber gab es kein Übel, noch hatte Er etwas zu fliehen. Also war Christus nicht traurig. 4. Augustinus sagt: „Traurig macht uns das, was uns wider unseren Willen zustößt." Christus aber litt nichts wider seinen Willen. Denn es steht bei Isaias: „Er wurde geopfert, weil Er selbst wollte" (53, 7). ANDERSEITS sagt der Herr selbst: „Traurig ist Meine Seele bis in den Tod" (Mt 26, 38). Und Ambrosius schreibt: „Als Mensch war Er traurig, denn Er hat meine Traurigkeit auf sich genommen. Ich scheue mich nicht, von Traurigkeit zu sprechen, denn ich predige das Kreuz." QÜAESTIO

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