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German Pages 79 [84] Year 1934
Die deutsche evangelische Theologie seit Schleiermacher von
Ardinand Lattenbusch Professor an der Lutheruniversität hall«
Zwei Teile
Zweiter Teil
Zeitenwende auch in der Theologie
1934 Verlag von Alfred Töpelmann in Gießen
alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten
Lin Inhaltsverzeichnis befindet sich auf Zeile 80
Vorwort Schon 1926 hatte ich den Eindruck, daß eine Wendung in der Rheologie bevorstehe. Damals dachte ich noch bloß an unsere Wissenschaft als solche, daran, daß die Zeit wohl abgeschlossen sei, in der Schleiermacher der geistige Führer war. Albrecht Ritschl hatte ja schon zwei Menschenalter zuvor einen Bruch in die Linie gebracht. Aber er war wieder zurückgedrängt. Vie religionsgeschichtliche Schule war auf getreten und in ihr als „Systematiker" Troeltsch methodisch wieder wesentlich zu Schleiermacher zurückgekehrt. Durch Karl Barth war eine Schwenkung hervorgerufen, die, zweifellos mit unter Eindrücken von Wilh. Herrmann her (dessen persönlicher Schüler Barth als Student gewesen), mir das an Ritschl's Theologie (Methode) zur Geltung zu
bringen schien, was Ritschl selbst nicht ganz klar und folgerichtig genug durchzuführen vermocht hatte. Barth seinerseits hat leider doch auch nicht die richtige Entwicklung einer echt und wahrhaft biblischen, einer Theologie des „Wortes Gottes", weiterzubringen vermocht. Ich hoffte, er werde mit Vollverständnis für den Sinn der Reformation sich zu Luther und seiner Stellung im Worte Gottes durchfinden. Es ist ihm nicht geglückt. Vas soll kein Vorwurf gegen ihn sein, ist mir aber Zeichen unüberwindbaren (offenbar durch sein Schweizertum be dingten) Vorurteils bei ihm. Jeder von uns muß sich darauf besinnen, daß er „Vorurteile" mitbringt, wenn er soweit ist, daß er als „Theolog" zu wirken beginnt. Er prüfe, was er nur ererbt hat, immer wieder auf sein Recht! Ich habe mich nie anders denn als „Lutheraner" ge fühlt, nicht im konfessionellen Sinn; da war ich „Unierter", (Altpreuße, Rheinländer), aber nie als ein unter das Losungswort „Talvin", wohl aber (in sehr katholischem Grte) klar unter das „Luther", gestellter. (Vas hat mich auch eigentlich instinktiv zu Ritschl hingezogen, auch ihm gegen über dann gemahnt, mich als sein Schüler nicht zu verrennen). Wie gesagt, 1926 glaubte ich noch in Barth, besser als in unseren reichsdeutschen „Ronfessions"theologen (den Erlangern), den Rufer zu bewußter Wiederanknüp
fung beim Leitwort der Reformation zu erkennen. Über auch er ist nur „Ronfessions"theolog, orthodoxer Lalvinist. Da läuft der Gedanke vom „Worte Gottes" sich fest an einer Schranke („Inspiration" der „Bibel" statt: Evangelium von Jesus Thristus!). Und dann beginnt Schleiermacher mannigfach wider ihn, Barth, Recht zu gewinnen. Ich halte Schleier-
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Vorwort
macher für eine Gottesgabe und ehre ihn als den wissenschaftlich höchsten „Genius", der der Theologie nach Luther (und Calvin) von Gott geschenkt worden. Aber auch der Genius in der „Wissenschaft" hat seine „Zeit". Soweit Luther „Wissenschaftler" war („Theolog", nicht Verkünder, sondern nur „Denker", „Gelehrter"), hatte auch er un verkennbar Merkmale für uns „vergangener" (nicht fortzusetzender) Zeit. Er war nur eben, (mehr als dahin) über den Theologen hinaus, ein „Apostel" (wie Paulus, — der ja auch als Theoretiker Zeit- und Volksmerkmale hat: „paulinische Theologie" ist zu unterscheiden von „paulinischer Verkündung", 1. Kor. 2 u. 3). was 1926 sich mir als Zusammenbruch und wende einer Zeit an deutete, ist inzwischen klar geworden als weitergreifend, tiefer begründet, als ich es damals noch empfand. Das Jahr 1933 ist ein Schicksals jahr zunächst für uns Deutsche (wahrscheinlich nicht nur für uns), wir stehen nicht blos vor einer „Zeitenwende" der Theologie, sondern überhaupt der Lebensempfindung, und was da neu ist, bei uns „revo lutionär" plötzlich „durchgebrochen", zu Bewußtsein gekom men, hat vollends neue, gewaltige Themata für die Theologieauf steigen lassen; weitere solche sind int Entstehen. Barth als Schweizer kann da nicht ganz mitfühlen „versteht" (ohne Schuld) vieles nicht. Ich denke nicht daran, alles zu „verherrlichen", was bei uns in Deutsch land zum Durchbruch gekommen. Die Kirche besonders ist vor große Gefahren inmitten großer Hoffnungen gestellt. Das wichtigste Thema für die Theologie des Moments ist „die Kirche"! Es geht da in Mengen von Aufsätzen und kleinen Schriften nur (begreiflicher-, darum doch nicht minder schmerzlicherweise!) noch vieles wirr durcheinander, von nieman den ist gerade auch da mehr als von Luther zu lernen. Doch man lese, was ich S. 47 f. u. 69 s., andeutend auch dazu sage. Und im übrigen lese man oft Paul Gerhardts mächtiges Lied „Geduld ist euch vonnöten". — Ein Zufall! Als ich die letzten Zeilen dieses II. Teils schrieb, war es der Abend vor meinem 82. Geburtstag. Das kam mir erst zum Bewußtsein, als ich die Zeder weglegte. Da bewegte mich der Gedanke, daß ich meinen kritischen historischen Umblick in der „Gegen wart" wohl wie eine Art Abschiedsgruß und -glückwunsch an die deutsche evangelische Theologie hinausschicke. Ich hoffe, daß ich nicht zu viele Fehlurteile in meiner Schrift hinterlaffe.
Halle, 10. November 1933.
8. Uattenbusch
Sieben Jahre sind in gegenwärtiger Seit keine Spanne von ge ringer Bedeutung.