Die Delegation der öffentlichen Dienstleistung des Schienenpersonennahverkehrs: Ein deutsch-französischer Rechtsvergleich [1 ed.] 9783428529421, 9783428129423

Ralf Schnieders untersucht die Organisation des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) in Frankreich und in Deutschland im K

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German Pages 369 [370] Year 2010

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Die Delegation der öffentlichen Dienstleistung des Schienenpersonennahverkehrs: Ein deutsch-französischer Rechtsvergleich [1 ed.]
 9783428529421, 9783428129423

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Band 82

Die Delegation der öffentlichen Dienstleistung des Schienenpersonennahverkehrs Ein deutsch-französischer Rechtsvergleich

Von Ralf Schnieders

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

RALF SCHNIEDERS

Die Delegation der öffentlichen Dienstleistung des Schienenpersonennahverkehrs

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m in Gemeinschaft mit M a r t i n H e c k e l, K a r l - H e r m a n n K ä s t n e r Fe r d i n a n d K i r c h h o f, H a n s v o n M a n g o l d t M a r t i n N e t t e s h e i m, T h o m a s O p p e r m a n n G ü n t e r P ü t t n e r, B a r b a r a R e m m e r t Michael Ronellenf itsch, Christian Seiler sämtlich in Tübingen

Band 82

Die Delegation der öffentlichen Dienstleistung des Schienenpersonennahverkehrs Ein deutsch-französischer Rechtsvergleich

Von Ralf Schnieders

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 978-3-428-12942-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2005 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie auf den Stand von August 2008 aktualisiert. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, der die Arbeit mit großem Interesse begleitete. Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Püttner gilt mein besonderer Dank für die Erstellung des Zweitgutachtens. Schließlich danke ich meinen zahlreichen Gesprächspartnern in Eisenbahnunternehmen, Aufgabenträgerorganisationen, Verbänden und Ministerien in Deutschland und in Frankreich, die wertvolle Beiträge für das Verständnis des Themas leisteten. Dem Heinrich-Heine-Haus in Paris, in dem die Arbeit zu großen Teilen entstand, und seinem Team bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet, ebenso wie dem Programm des cycle international long der ENA, in dessen Rahmen die Idee zu der Arbeit entstand. Darüber hinaus danke ich den Herausgebern für die Aufnahme meiner Dissertation in die „Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht“. Die Arbeit wurde im Juni 2009 mit dem Prix CMS für eine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet des deutsch-französischen Wirtschaftsrechtes bedacht, wofür der Verfasser ebenfalls dankt. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet. Ralf Schnieders

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Teil Allgemeines

20

A. Der Eisenbahnsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Krise der Eisenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Gründe der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der intermodale Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ungleiche Konkurrenz zwischen Verkehrsträgern . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Organisation als Staatsbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Argumente für die Eisenbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 21 21 21 21 23

B. Die Eisenbahnreformen in Frankreich und in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die französische Eisenbahnreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gründung von RFF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Entschuldung der SNCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 23 24 24 25 26 26 27

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben in Frankreich und in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Service public, Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen . . . . . . 1. Der service public im französischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . a) Der Begriff des service public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Funktion der Lehre vom service public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Gesetze des service public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Services publics administratifs (spa) und services publics industriels et commerciaux (spic) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entsprechung des service public im deutschen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 28 28 28 30 33 34 34

8

Inhaltsverzeichnis

II.

a) Die Kategorisierung der Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eingriffsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leistungsverwaltung und Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige kommerzielle Aufgaben der öffentlichen Hand . . . . dd) Kein im Voraus definierter öffentlicher Aufgabenbestand . . . b) Die Existenz der Prinzipien des service public im deutschen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Entsprechungen im europäischen Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . a) Die Regelungen bezüglich der „Unternehmen, die mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind“, im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Regelungskompetenz der EU für den Bereich staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben und Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . bb) Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorgeaufgaben und Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Funktion des Art. 86 Abs. 2 EGV und Unanwendbarkeit des EGV auf hoheitliche Staatsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Überprüfung des öffentlichen Interesses im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Anwendung auf die Eisenbahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die gesetzlichen Verpflichtungen im öffentlichen Interesse im Eisenbahnsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der service public du transport und der service public ferroviaire . . . a) Die französische Regelung im LOTI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das cahier des charges der SNCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Charakteristika des service public ferroviaire und Geltung der Gesetzmäßigkeiten des service public im service public du transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Daseinsvorsorgeaufgaben im deutschen Eisenbahnsektor . . . . . . . . . . . a) Änderungen durch die Bahnreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeinwohlbindungen im Güterverkehr, Personenverkehr und im Infrastrukturbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Verfassungsebene: Art. 87e Abs. 4 GG und Grundrecht auf Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die einfache bundesgesetzliche Ebene: Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) und das Regionalisierungsgesetz . . . cc) Die ÖPNV-Gesetze der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der „service public ferroviaire“ im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . a) Art. 73 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verordnung 1191/69/EWG „über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen-,

34 35 35 36 36 37 39

39 39 40 43 45 47 49 53 57 57 59

63 64 64 67 67 72 74 76 77

Inhaltsverzeichnis und Binnenschiffsverkehrs“ vom 26. Juni 1969 in der Fassung der Verordnung 1893/91/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die neue Verordnung 1370/07/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Umfang der Daseinsvorsorgeaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Trennung der hoheitlichen Aufgaben vom Unternehmen . . . . . . . . c) Die Steuerungsinstrumente des Staates und der regionalen Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Rolle des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Organisationsprinzipien der Zentralisation, Dezentralisation und Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zentralisation und Dezentralisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Regionalisierung des ÖPNV und ihre Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verwirklichung der Prinzipien in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Dezentralisation in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regionen und Regionalisierung in der französischen Verwaltungstradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Dezentralisation in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Föderalismus und die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regionalebene in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die drei unausgesprochenen Regionalebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Länderzentralstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die regionale Mittelstufe, insbesondere der Verband Region Stuttgart und die Region Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Stellung der Regionen in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Regionen in den Römischen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regionen nach der Einheitlichen Europäischen Akte . . . . . . . . . . 3. Eine europäische Definition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Hintergründe zur „Kontraktualisierung“ von Daseinsvorsorgeaufgaben . . . . . . . I. Die Kontraktualisierung staatlicher Aufgaben als Instrument der Verwaltungsmodernisierung („contracting out“, „contractualisation“, „Kontraktmanagement“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Organisationstheoretische und verwaltungswissenschaftliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die vorläufige Bilanz der Kontraktualisierungspolitiken . . . . . . . . .

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10

Inhaltsverzeichnis

II.

III.

2. Die „contractualisation“ in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Kontraktmanagement“ in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das „Neue Steuerungsmodell“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „Public-Private-Partnership“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Instrument der Kontraktualisierung: Der kooperationsrechtliche öffentlich-rechtliche Vertrag im deutschen und im französischen Recht . . . 1. Öffentlich-rechtliche kooperationsrechtliche Verträge im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Koordinationsrechtliche Verträge zwischen zwei Hoheitsträgern . aa) Rechtsprobleme der Verwaltungsinnenverträge . . . . . . . . . . . . . bb) Verträge zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern . . . . . . . b) Kooperationsrechtliche Verträge zwischen Verwaltung und Privaten aa) Die Kategorisierung der Vertragstypen der Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben nach der Beteiligungsintensität . . (1) Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verwaltungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verwaltungsmittlung/-substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsnatur dieser Vertragsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines Abgrenzungskriterium und Relevanz der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Abgrenzung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verwaltungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verwaltungsmittlung/-substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen und die „délégation de service public“ im französischen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Phänomenologie der öffentlich-rechtlichen Verträge zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Insbesondere die Planverträge der SNCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Spezifische Rechtsprobleme der zwischen zwei öffentlichrechtlichen Personen geschlossenen Verträge . . . . . . . . . . . . . . dd) Folgerungen für die Zugehörigkeit der Konventionen zwischen Regionen und SNCF zur öffentlich-rechtlichen Teilrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die „délégations de service public“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kooperationsrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsverbindlichkeit von Verwaltungsinnenverträgen . . . . . . . . .

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143 144 144 145 147

150 151 156 156 157

Inhaltsverzeichnis 3. 4. 5. 6.

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Öffentlich-rechtliche Vertragsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorrechte der Verwaltung im öffentlichen Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . Die Alternativen zur Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltung der öffentlich-rechtlichen Bindungen zwischen dem privaten Ausführenden der Verwaltungsaufgabe und dem Benutzer . . . . . . a) Nach französischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Grundlagen und einfachgesetzliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einwirkungsmöglichkeiten des Aufgabenträgers auf den Delegatär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsmittel des Benutzers gegenüber dem Aufgabenträger . . dd) Rechtsmittel des Benutzers direkt gegenüber dem Delegatär . .

157 160 163

europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor . . . . . . . . . . . Bedeutung und Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik . . . . . . . . Die Vorschriften des Titels des EGV über den Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . Die gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnverkehr und im Personennahverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Anwendbarkeit der allgemeinen Vertragsvorschriften im Verkehrssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen zur Abgeltung von Daseinsvorsorgeleistungen im Verkehrssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Tatbestandsmäßigkeit der Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die spezielle Rechtfertigungsnorm des Art. 73 EGV . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtfertigung nach der Verordnung 1107/70/EWG vom 4.7.1970 über Beihilfen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980 betreffend die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten und öffentlichen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs und die diesbezügliche Verordnung 1017/68/EWG vom 19.7.1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gemeinschaftsrechtliches Sekundärrecht zur Öffnung der Eisenbahnverkehrsmärkte und Vereinheitlichung der Rechtsbedingungen . . . . . . . . . . . . 1. Die Verordnung 1192/69/EWG vom 26.6.1969 über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen 2. Die Richtlinie 91/440/EWG und ihre Durchführungsrichtlinien . . . . . 3. Das erste Eisenbahnpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das zweite Eisenbahnpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das dritte Eisenbahnpaket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Das sog. technische Paket . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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F. Die I. II. III.

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Inhaltsverzeichnis VIII. Weitere Marktzugangsrechte im Eisenbahnverkehr aus primärem Gemeinschaftsrecht? Die Monopolstellung der SNCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung . . . 2. Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) . . . . . . . . . . . 3. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189 190 191 193 194

2. Teil Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs A. Die Regionalisierung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition des öffentlichen Personennahverkehrs und des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Weg zur Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die rechtliche Regelung der Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Regelung im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verwaltungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Aufgabenträgerschaft für das Eisenbahnunternehmen . . . . . . . d) Die Verfassungsvorgaben für die Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Allgemeine Eisenbahngesetz und das Regionalisierungsgesetz auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Regionalisierungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Nahverkehrsgesetze der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zuständigkeit für den SPNV innerhalb der Länder . . . . . . . . . aa) Bundesrechtliche Organisationsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unmittelbare Landesaufgabenträgerschaft und kommunale Aufgabenträgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kooperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Nahverkehrsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Streckenbeiräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Bahnhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Wettbewerbsbehinderndes Verhalten des ehemaligen Monopolisten . . . . . VII. Die Verträge zwischen Aufgabenträger und Eisenbahnverkehrsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Verkehrsvertrag als kooperationsrechtlicher öffentlich-rechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbehalt des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 195 195 198 199 199 200 201 202 203 204 204 209 210 211 211 212 216 218 221 226 227 228 233 233 234

Inhaltsverzeichnis

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3. Der Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Abschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Brutto-, Netto- und Anreizverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Bruttovertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Nettovertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Anreizvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Vertragsgestaltung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition des Inhaltes der Daseinsvorsorgeaufgabe: Die Beschreibung der Betriebsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmungen über das Rechtsverhältnis zu den Fahrgästen, insbesondere Tarife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leistungsverpflichtung Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Leistungsverpflichtung Sicherheit und Service . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Kontroll- und Sanktionsinstrumente des Aufgabenträgers hinsichtlich der Leistungsdurchführung: Abnahme, Leistungsnachweis, Schlechtleistung und Nichtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Anreizmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Ende der Vertragslaufzeit und Sicherstellung der Kontinuität der Ausführung der Daseinsvorsorgeaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Vertragsanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Institutionalisierte Zusammenarbeit der Vertragsparteien . . . . . . . . 7. Ausschreibungspflichtigkeit der Verkehrsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit des Vergaberechts auf SPNV-Verkehrsverträge . . . b) § 15 Abs. 2 AEG als Spezialvorschrift zu §§ 97 ff. GWB . . . . . . . c) Die Erste VO zur Änderung der VergabeVO (der neue § 4 Abs. 3 VergabeVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolge: Das anzuwendende Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . VIII. Bilanz der Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236 238 239 240 240 241 242

B. Die I. II. III. IV.

Regionalisierung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung des Schienenpersonenregionalverkehrs in Frankreich . . . Die Kompetenzen im öffentlichen Personenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte der Regionalisierung und Experimentalphase . . . . . . . . . . . . . . Die rechtlichen Grundlagen der Regionalisierung: Loi SRU, décret nº 2001-1116 vom 27.11.2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des Regionalverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Regionen als Aufgabenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Modernisierung des Rollmaterials und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . VI. Die Benutzung und der Unterhalt der Bahnhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243 244 245 245 246 247

248 250 251 253 254 254 254 259 261 264 265 269 269 269 270 273 274 275 277 280 281

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Inhaltsverzeichnis VII. Die Benutzungsrechte der Infrastruktur für den SPRV und die Gebühren VIII. Die Finanzierung neuer Infrastrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Konventionen zwischen den Regionen und der SNCF am Beispiel der Regionen Elsass, Loire und Rhône-Alpes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentlich-rechtlicher Vertrag sui generis und Relevanz der Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vertragsgestaltung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leistungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kommunikation mit den Benutzern und Marketing . . . . . . . . . . . . . c) Die Tarifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bahnhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rollmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Gegenseitige Information und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Kooperation des Aufgabenträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Qualitätsziele und Anreizelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Vertragsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m) Vertragsanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Institutionalisierte Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Ein demokratisches Element: Die Linienkomitees . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Die Auswirkungen der Reform auf die SNCF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Bilanz der Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Zukünftige Marktöffnung im SPRV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283 285 287 289 295 296 298 298 299 300 300 300 302 302 303 305 305 306 306 307 308 311

3. Teil Vergleich und Schlussfolgerungen

313

A. Die „Kontraktualisierte Verwaltung“ mit einem Monopolanbieter und im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 I. Unterschiede der Verträge zur Delegation der öffentlichen Dienstleistung des SPNV zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen und zwischen der Verwaltung und einem Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 II. Gemeinsamkeiten der Verkehrsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 B. Die Funktionen der Regionalisierung in beiden Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ziele der Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Welche ist die geeignete Organisationsebene in Deutschland: Region, Land, Gemeindeverband? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenführung der Kompetenzen für den gesamten ÖPNV und Rechtsregeln zur Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319 319 320 321

Inhaltsverzeichnis

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C. Beobachtungen über die Rolle des Wettbewerbes in den Reformen, auch der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 D. Kompetenzen und Spielräume für die tarifliche Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 E. Die Problematik der Bahnhöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 F. Eigentumsverhältnisse am Rollmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 G. Finanzierung der Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 H. Qualitätssteigerungen als Reformwirkungen und außervertragliche Instrumente des Qualitätsmanagements im SPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 J.

Verhältnis von Fern- und Regionalverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

K. Rechtspolitische Betrachtungen zur Anwendung von Ausschreibungsregeln . . 336 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 I. Deutschsprachige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 II. Französischsprachige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

Abkürzungsverzeichnis AJDA BENeuOG BSchWAG CC CE CJEG DC EBA EDF EIBV GAJA GDF GVFG LOTI NVG ÖPNV ÖPNVG ÖSPV RDP Rec. RegG RER RFDA RFF RFFP RTD eur. SNCF Spa Spic SPNV SPRV TC TGV VDV VO

Actualité juridique – droit administratif Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens Bundesschienenwegeausbaugesetz Conseil constitutionnel Conseil d’Etat Cahiers juridiques de l’électricité et du gaz Décisions concernant la conformité à la Constitution (Conseil constitutionnel) Eisenbahnbundesamt Electricité de France Eisenbahninfrastrukturbenutzungsverordnung Les grands arrêts de la jurisprudence administrative Gaz de France Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Loi d’orientation des transports intérieurs Nahverkehrsgesetz Öffentlicher Personennahverkehr (Landes-)Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr Öffentlicher Straßenpersonennahverkehr Revue du droit public et de la science politique en France et à l’étranger Recueil Lebon Regionalisierungsgesetz Réseau express régional Revue française du droit administratif Réseau ferré de France Revue française des finances publiques Revue trimestrielle de droit européen Société nationale des chemins de fer français service public administratif service public à caractère industriel et commercial Schienenpersonennahverkehr Schienenpersonenregionalverkehr Tribunal des conflits Train à grande vitesse Verband deutscher Verkehrsunternehmen Verordnung

Einleitung Die Liberalisierung des Eisenbahnsektors ist in Fahrt gekommen. Deutschland kann hierbei einer Gruppe von Ländern zugerechnet werden, die in einer weitreichenden Bahnreform aus eigener Überzeugung ihren Eisenbahnmarkt für Wettbewerber geöffnet und das staatliche Eisenbahnunternehmen privatisiert haben. Frankreich hingegen folgt bislang eher nolens volens dem von der EU vorgegebenen Liberalisierungstempo. Hierbei spielt sicherlich die Furcht vor sozialen Widerständen eine Rolle. Aus einer stärker staatsinterventionistischen Tradition heraus ist aber auch die Überzeugung von der Effizienz der Regelungsmechanismen des Marktes geringer ausgeprägt als in Deutschland. Die SNCF mit ihrem Aushängeschild TGV ist einer jener großen nationalen „services publics“, die Teil der französischen Identität der Nachkriegszeit geworden sind. Gleichzeitig führen die ständigen, für die Benutzer lästigen Streiks den Gedanken des service public ad absurdum, und das französische Eisenbahnwesen leidet unter seiner Unterfinanzierung. So existiert auch in Frankreich das Bewusstsein von der Notwendigkeit einer weitergehenden Reform. Der SPNV ist ein besonders verlustträchtiges Geschäftsfeld, gleichzeitig ist die Mobilität der Bevölkerung in der Region aber Grundbedingung der Teilhabe an unserer heutigen Lebensweise. Deshalb ist unbestritten, dass er eine Aufgabe staatlicher Daseinsvorsorge ist. Ein Rückzug des Staates kommt damit nur aus Teilfunktionen in Frage. Bei einer Reform kann es daher nur darum gehen, die Effizienz der staatlichen Lenkungsmechanismen zu erhöhen. In Deutschland wie in Frankreich hat man zu diesem Zweck die Planung der in einer Region angebotenen Verkehrsverbindungen dem Eisenbahnunternehmen entzogen und sie auf eine dezentrale, politisch unmittelbar verantwortliche Körperschaft übertragen. Diese Körperschaft delegiert die Durchführung der öffentlichen Aufgabe mittels eines Vertrags an das Eisenbahnunternehmen. Dabei wurde in Deutschland der Markt für Schienentransportleistungen für Dritte geöffnet, in Frankreich bleibt die SNCF bislang Monopolanbieter. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist zu vergleichen, wie der regionalisierte SPNV in einem Rechtssystem funktioniert, das von der Rechtsfigur und der Tradition des service public mit einem monopolistischen Anbieter gekennzeichnet ist – wie dem französischen –, und wie er in einem marktoffenen System funktioniert – wie dem deutschen. Grundlage hierfür ist die Schilderung der Rechtslage. Zum besseren Verständnis müssen aber auch der juristische Kontext und die Rechtswirklichkeit Berücksichtigung finden. Dazu gehört, positive Re-

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Einleitung

sultate sowie Probleme aufzuzeigen, die die Reformen hervorgebracht haben. Die Informationen hierüber stammen aus der Durchsicht der einschlägigen Fachliteratur und aus Gesprächen mit Repräsentanten von Aufgabenträgern, Eisenbahnverkehrsunternehmen und staatlichen Überwachungsbehörden. Selbstverständlich beansprucht die Arbeit damit nicht, ein Resümee der Reformen ziehen zu wollen, das im Rahmen der vorliegenden, aus juristischer Perspektive geschriebenen Arbeit nicht geleistet werden kann. Der hier vorliegende Rechtsvergleich soll ein alternatives Regelungsmodell vorstellen, was im Idealfall in rechtspolitische Verbesserungsvorschläge münden kann1. Der Reiz des Rechtsvergleichs liegt auch darin, dass er für die Eigenarten des eigenen Rechtssystems sensibilisiert. Ein europäischer Rechtsvergleich kann auch dem gegenseitigen Verständnis im Prozess der Rechtsangleichung dienen, den die EU betreibt. Dieser Zwecksetzung folgt der Aufbau der Untersuchung: In einem ersten Teil werden Prinzipien der Reformen, nämlich die Regionalisierung (D.) und die Kontraktualisierung2 (E.), dargestellt und in ihrer Ausprägung in Deutschland und in Frankreich verglichen. Als Kontext werden der Eisenbahnsektor (A.) und seine Reformen (B.) in Deutschland und in Frankreich sowie der Rechtsrahmen für Daseinsvorsorgeaufgaben im deutschen, im französischen und im Gemeinschaftsrecht (C.) beschrieben und einander gegenübergestellt. Als gemeinsamer Rechtsrahmen wird die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor (F.) dargestellt. In einem zweiten Teil werden die Rechtsrahmen für den SPNV in Deutschland und in Frankreich einschließlich der Verkehrsverträge untersucht, sowie erste Erfahrungen mit den Reformen geschildert. In einem dritten Teil werden einzelne Bestandteile der Reformen verglichen und versucht, hieraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Das Interesse an einem Rechtsvergleich gerade mit Frankreich wird zunächst darin gesehen, dass Frankreich und Deutschland wie häufig als Repräsentanten zweier Modelle erscheinen: Wie Frankreich kennen mehrere europäische Staaten ein service-public-System, für das traditionell die Existenz von Sonderrechten typisch ist, wie Deutschland kennen andere Länder den typusprägenden Begriff des service public nicht und befürworten den Einsatz von Marktkräften in stärkerem Maße. Dabei können die französischen services publics, auch im Eisenbahnverkehr, teilweise sehr zufriedenstellende Resultate bei einem maßvollen Einsatz öffentlicher Gelder vorweisen. Dies scheint hierzulande nicht immer Beachtung zu finden. Das französische System der services publics mit seiner großen Tradition der Einbeziehung Privater in die Ausführung von Daseinsvor1 Vgl. zu diesem Ziel der Rechtsvergleichung: Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 15 f. 2 Zu dem Begriff, der die Sachverhalte des „contracting out“ und des Kontraktmanagement erfasst, s. u. 1. Teil E.I.

Einleitung

19

sorgeaufgaben, wofür sich heute der Rechtsbegriff der délégation de service public (Delegation einer öffentlichen Dienstleistung) durchgesetzt hat, kann auch zur deutschen Diskussion um die rechtliche Erfassung solcher Konstruktionen einen Beitrag leisten. Schließlich gewinnt das französische Rechtssystem auch dadurch an Interesse, dass Frankreich das größte deutsche Nachbarland und mit weitem Abstand Deutschlands größter Handelspartner ist, in dem die Marktöffnung auch im Eisenbahnverkehr bloß eine Frage der Zeit ist. Die Darstellung ist nach Überarbeitung auf dem Stand vom 1.8.2008.

1. Teil

Allgemeines A. Der Eisenbahnsektor Die Regionalisierung des SPRV steht in Deutschland wie in Frankreich im Kontext der krisenhaften Situation der Eisenbahnen insgesamt, deren Ausmaß und Ursachen im Folgenden kurz dargestellt werden. Hierbei sind die Bereiche Infrastruktur, Personenfernverkehr, Personennahverkehr1 und Güterverkehr zu trennen. I. Die Krise der Eisenbahnen Der Eisenbahnsektor befindet sich in Europa seit dem zweiten Weltkrieg in stetigem Rückgang. So ist der Anteil der Eisenbahnen am Verkehrsmarkt im Personenverkehr in den 15 alten Mitgliedstaaten der EU von 10% im Jahre 1970 auf 6% im Jahre 2003 gefallen. In noch höherem Maße trifft diese Aussage auf den Güterverkehr zu, wo der Marktanteil der Eisenbahnen an den transportierten Waren zwischen 1970 und 2004 von 30% auf nur noch 13% sank2. Erst seit 2001 stabilisiert sich der Marktanteil der Schiene3. Im Gegensatz hierzu steht die Entwicklung des Transportmarktes insgesamt, der seit dem 2. Weltkrieg stark wächst vor dem Hintergrund erhöhter Produktionsmengen, der Zunahme der internationalen Arbeitsteilung sowie des Wachstums der Privateinkommen. Von diesem Wachstum hat aber vor allem der Transport auf der Straße profitiert. So hat sich die Menge der auf der Straße transportierten Waren (in Tonnen-Kilometern) in demselben Zeitraum verdreifacht4.

1 Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und Schienenpersonenregionalverkehr (SPRV) werden im Folgenden synonym verwendet, weil Eisenbahnnahverkehr der Sache nach ganz überwiegend Regionalverkehr darstellt. In Frankreich hat sich die Terminologie SPRV herausgebildet, in Deutschland SPNV. 2 http://ec.europa.eu/transport/rail/overview/current_de.htm, Stand: 1.8.2008. 3 Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch der Europäischen Kommission von 2001, KOM (2006) 314 endgültig vom 22.6.2006, S. 8, 11. 4 http://ec.europa.eu/transport/rail/overview/current_de.htm, Stand: 1.8.2008.

A. Der Eisenbahnsektor

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II. Die Gründe der Krise 1. Der intermodale Wettbewerb Die Gründe für den Niedergang des Eisenbahnsektors in den letzten fünfzig Jahren sind vielfältig5. Der wichtigste dürfte die gewachsene Konkurrenz der übrigen Verkehrsträger, die sog. intermodale Konkurrenz, sein: Flugzeug, Bus, Lastwagen und Pkw sind häufig in der Lage, billigere und flexiblere Transportleistungen anzubieten. Privatpersonen und Unternehmen haben deshalb in immer stärkerem Maße dem Straßenverkehr den Vorzug vor der Bahn gegeben. Diese vermehrte Nachfrage hat den Ausbau des Straßenverkehrsnetzes nach sich gezogen. Der Transport auf dem Luftweg hat vor allem im Personenfernverkehr zusätzliche Marktanteile erobern können. Dieser Transportmodus ist heute für den Kunden nicht selten billiger als die Eisenbahn. 2. Die ungleiche Konkurrenz zwischen Verkehrsträgern Zwar ist der Transport auf der Straße für den Verbraucher effizienter und billiger geworden. Die Transportpreise geben aber nicht die wirklichen Kosten wieder: Die von dem Benutzer zu tragenden Kosten beziehen nämlich nicht alle externen Kosten ein. Als externe Kosten werden Kosten bezeichnet, die zwar durch einzelwirtschaftliches Handeln entstehen, aber von der Allgemeinheit oder Dritten getragen werden6. Externe Kosten werden im Straßenverkehr durch Staus, Unfälle und Umweltverschmutzung verursacht. Diese Kosten wachsen potentiell bei zunehmendem Verkehr. Die tatsächlichen Kosten, also unter Berücksichtigung der externen Kosten, sind häufig für den Straßenverkehr höher als für die übrigen Transportmittel7. Indem diese Kosten den Nutzern des Straßenverkehrs nicht voll in Rechnung gestellt, sondern von der Allgemeinheit getragen werden, wird der Straßenverkehr in der intermodalen Konkurrenz bevorzugt. 3. Die Organisation als Staatsbahnen Die Organisation der Eisenbahnen als Staatsbahnen hat in Europa lange Zeit die erforderlichen Anpassungen verhindert8. Die von ihnen zu erreichenden

5

s. u. a. die Aufzählung bei Arsac, S. 7 ff. Gabler Wirtschaftslexikon, Band E–J, zu dem Stichwort „externe Kosten“. 7 Weißbuch der Europäischen Kommission vom 30.7.1996: Eine Strategie zur Wiederbelebung der Eisenbahnen in der Gemeinschaft, Rn. 17, KOM (96)421 endgültig. 8 Munzert, Das Schienennetz in Deutschland nach der Bahnreform, S. 17. 6

22

1. Teil: Allgemeines

Ziele waren häufig inkompatibel9: So war z. B. die Deutsche Bundesbahn auf die „beste Verkehrsbedienung“ verpflichtet, was eine Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht beinhaltete10. Im Widerspruch hierzu sollte sie aber gleichzeitig wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt werden (§ 28 Abs. 1 BbG). Der Staat konnte so die Bahn – neben weiteren unmittelbaren Einflussnahmen – zur Aufrechterhaltung von Bahnverbindungen verpflichten, die weit unterhalb der Rentabilitätsschwelle lagen, ohne hierfür einen ausreichenden finanziellen Ausgleich vorzusehen11. Darüber hinaus wurde die Geschäftspolitik der Bundesbahn von Politik und Interessengruppen beeinflusst. Dies war in Frankreich nicht anders12. Die Anreize der Bahnmitarbeiter zu effizientem Wirtschaften waren aufgrund des öffentlichen Dienstrechts und des behördlichen Aufbaus der Bahn gering13. Zudem wurden die Staatsbahnen mit der Altersversorgung ihrer Mitarbeiter belastet. Durch vielfältige politische Einflussnahmen wurden Investitionen nicht selten fehlgeleitet. Dies belastete die öffentlichen Finanzen und führte zu einer mangelhaften Anpassung des Bahnnetzes an veränderte wirtschaftliche und urbanistische Strukturen und damit auch an die Verkehrsstrukturen. Diese schlecht angepassten und in der Folge unzureichend genutzten Infrastrukturen wurden unverändert aufrechterhalten und lasteten so auf den Finanzen der Bahn14. Verglichen mit dem Straßenverkehr wurden darüber hinaus lange Zeit verhältnismäßig geringe Mittel in das Schienennetz investiert15. Eine erfolgversprechende Sanierung der Eisenbahnen muss bei allen diesen Ursachen gleichzeitig ansetzen. Eine bloße Liberalisierung des Eisenbahnverkehrsmarktes etwa kann bloß ein Element einer Reformpolitik darstellen16 und würde isoliert die Eisenbahnen einem ungleichen Wettbewerb aussetzen. Auch die sog. Regionalisierung des SPNV reformiert lediglich die Organisation des Eisenbahnverkehrs, berührt aber nicht das intermodale Verhältnis zum Straßenverkehr.

9

Vgl. Siekmann, in: Stober/Vogel, S. 131 f. Munzert, S. 13, s. im Einzelnen zu diesen Pflichten: Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 56 f. sowie unten C.II. 11 Vgl. die Zahlen bei Munzert, S. 15. 12 Vgl. Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 91. 13 Munzert, S. 17. 14 Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 258. 15 Weißbuch der Europäischen Kommission vom 30.7.1996: Eine Strategie zur Wiederbelebung der Eisenbahnen in der Gemeinschaft, Rn. 20, KOM (96)421 endgültig. 16 Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 258 und 265. 10

B. Die Eisenbahnreformen

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III. Argumente für die Eisenbahn Die Eisenbahn besitzt Vorteile gegenüber anderen Verkehrsmitteln, die eine Renaissance dieser Technologie wünschenswert erscheinen lassen: Sie ist ein sicheres, einigermaßen komfortables und umweltfreundliches Verkehrsmittel. Ihre Infrastruktur deckt ein riesiges Territorium ab und befindet sich generell in einem relativ guten Zustand. Die Sättigung des Straßennetzes legt es nahe, sich vermehrt der Schieneninfrastruktur zu bedienen. Eine verstärkte Berücksichtigung der externen Kosten der anderen Verkehrsträger könnte einen Kostenvorteil der Bahn zum Vorschein bringen. Moderne Zugverbindungen können auch hinsichtlich der Schnelligkeit mit anderen kollektiven Verkehrsträgern konkurrieren, denn ihre Verbindungen führen – im Gegensatz zum Flugzeug – direkt in die Innenstädte.

B. Die Eisenbahnreformen in Frankreich und in Deutschland Die Neuorganisation des SPNV, die im Folgenden mit dem Schlagwort Regionalisierung beschrieben wird, steht in Deutschland wie in Frankreich im Kontext der Reform des gesamten Eisenbahnsektors: In Deutschland wurde die Zuständigkeit für den SPNV im Zuge der Bahnreform von 1994 regionalisiert, in Frankreich wurde die Experimentalphase der Regionalisierung im Rahmen der Bahnreform von 1997 eingeleitet. I. Die französische Eisenbahnreform 1. Die Ausgangslage Die SNCF, Staatsbetrieb seit 1937, bewirtschaftete aufgrund der Konvention vom 31.8.1937 das staatliche Eisenbahnnetz bis 1982 in der Rechtsform der Konzessionärin17 mit Monopolstellung. Mit Erlass der loi d’orientation des transports intérieures vom 30. Dezember 1982 (LOTI) wurde sie als „établissement public à caractère industriel et commercial“, d.h. als öffentliche Wirtschaftsanstalt, organisiert18. Das LOTI bekennt sich zur Monopolstellung der SNCF und bestätigt, dass die Eisenbahnen nach den Grundsätzen des service public zu führen sind (Art. 18). Die SNCF war – wie alle staatlichen Eisenbahnen in der Europäischen Union – mit einem Verkehrsrückgang und steigender Verschuldung konfrontiert: Zwischen 1970 und 1995 ging ihr Marktanteil im Personenverkehr von 11% auf 9% zurück und im Güterverkehr von 39% auf 17 18

s. zur Konzession weiter unten 2. Teil B.IX.1. Chapus, Droit administratif général, Band 1, Rn. 815; vgl. auch Luke, S. 388.

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1. Teil: Allgemeines

26,5%. Ende 1996 betrug die Verschuldung der SNCF 236,6 Mrd. FF (35,9 Mrd. Euro)19. Wie in Deutschland ist die Verschuldung zurückzuführen auf die übermächtige Konkurrenz des Straßenverkehrs sowie den unklaren Unternehmensauftrag zwischen Gemeinwohlaufgaben und Eigenwirtschaftlichkeit. So sieht das LOTI zwar vor, dass die SNCF für die unwirtschaftlichen Aufgaben (activités non marchandes), die sie im Interesse des Gemeinwohls zu erfüllen hat, zu entschädigen sei. In der Praxis waren die hierüber geschlossenen „contrats de programme“, die später als „contrats de plan“ bezeichnet wurden, aber so pauschal, dass die unwirtschaftlichen Aufgaben nie genau definiert wurden. Außerdem gingen sie häufig von zu optimistischen Geschäftsentwicklungen aus20. So reichten die Einnahmen der SNCF nicht aus, um die laufenden Kosten des Netzunterhaltes zu decken und erst recht nicht, um das kostenintensive Investitionsprogramm für die neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken zu finanzieren. 2. Die Reform Erst der lange Eisenbahnerstreik der Monate November und Dezember 1995, den der Abschluss des neuen contrat de plan ausgelöst hatte, schuf ein für eine Reform hinreichendes Krisenbewusstsein in Politik und Gesellschaft21. Die Reform wurde mit Gesetz vom 13. Februar 1997 „portant création de l’établissement public ,Réseau ferré de France‘ en vue du renouveau du transport ferroviaire“ umgesetzt. Ihre drei Eckpunkte sind die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs in sechs Modellregionen, die Schaffung der neuen öffentlich-rechtlichen Anstalt „Réseau ferré de France“ (RFF), die fortan die Infrastruktur verwaltet, sowie eine Behandlung der Schuldenfrage der SNCF. a) Die Gründung von RFF Die Aufteilung in ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und ein Verkehrsunternehmen entsprach den Vorgaben aus der VO 91/440/EWG22. RFF erhält zu vollem Eigentum die Verkehrsinfrastruktur mit ihren technischen Einrichtungen (Signal- und Sicherheitsanlagen, technische Anlagen, Telekommunikationsinstallationen) nebst den dazugehörigen Gebäuden übertragen (Art. 5 loi du 13 février 1997). Seine Aufgaben sind die Ausbesserung, die Entwicklung, die

19

CSSPF, Rapport d’évaluation, S. 15. Moreau, Glachant, Parme, CJEG 97, 415, 420. 21 Moreau, Glachant, Parme, CJEG 97, 415 f.; Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 321. 22 s. zur französischen Eisenbahnreform und zur Umsetzung der Richtlinie 440/91/ EWG allgemein: Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 285 ff. 20

B. Die Eisenbahnreformen

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Kohärenz und die wirtschaftliche Verwertung der Eisenbahninfrastruktur (Art. 1 loi du 13 février 1997). Bei der SNCF verbleiben die Fahrzeuge sowie die zum Verkehrsbetrieb erforderlichen Installationen, wozu vor allem Bahnhöfe und Depots gehören. Mit Erfordernissen der Verkehrssicherheit wird begründet, dass die SNCF wichtige Kompetenzen im Bereich der Infrastruktur behält: Die SNCF gewährleistet für die Rechnung von RFF und gegen Entgelt den technischen Unterhalt des Eisenbahnnetzes (Art. 1 loi du 13 février 1997). Für die Planung der Maßnahmen zum Unterhalt und zur Reparatur des Netzes hat die SNCF das Vorschlagsrecht. Sie führt diese Maßnahmen für Rechnung von RFF aus (Art. 1 loi du 13 février 1997 in Verbindung mit Artt. 11, 12 décret nº 97-444 du 5 mai 1997 relatif aux missions et aux statuts de Réseau ferré de France). Für die Konzeption und den Bau neuer Strecken hingegen ist RFF nach Anhörung der SNCF zuständig: RFF kann aber als Bauherr („maîtrise d’ouvrage“) die SNCF mit der Bauleitung beauftragen („maîtrise d’oeuvre“). Die SNCF entrichtet an RFF Benutzungsgebühren für die Nutzung der Infrastruktur. So ging der französische Staat in der Umsetzung einerseits über das ursprünglich in der Richtlinie 91/440/EWG geforderte hinaus, indem er Infrastruktur und Verkehrsleistungen nicht nur buchhalterisch, sondern auch organisatorisch getrennt und auf zwei formal völlig unabhängige Institutionen übertragen hat. Andererseits wird die Trennung aufgrund der engen Verzahnung der Aufgaben von RFF und SNCF im Wesentlichen auf dem Papier vollzogen. Dieses Trennungsmodell ist zuletzt als ineffizient in die Kritik geraten23. Seit dem 1. April 2006 ist der französische Schienengüterverkehrsmarkt für den Wettbewerb geöffnet. Das Monopol der SNCF im rein innerstaatlichen Eisenbahnpersonenverkehr blieb bislang unangetastet. So erklärt sich, dass Frankreich in einer Studie über den Stand der Marktöffnung im Eisenbahnverkehr der EU-Mitgliedstaaten, der Schweiz und Norwegens auf einem hinteren Platz landet24. b) Die Entschuldung der SNCF Ein weiterer Schwerpunkt der französischen Eisenbahnreform war die Entschuldung der SNCF. Ende 1996 hatte die SNCF 200 Mrd. französische Francs (FF) Schulden25. Ein Betrag in Höhe von 134,2 Mrd. FF wurde auf RFF im 23 Hierzu: Cour des comptes: Le réseau ferroviaire – Une réforme inachevée, une stratégie incertaine, rapport public thématique. 24 Sog. Liberalisierungsindex Bahn 2007, im Auftrag der DB AG erstellte Studie der IBM Business Consulting Services, in Zusammenarbeit mit Christian Kirchner, zu konsultieren unter: http://www.db.de/site/bahn/de/unternehmen/presse/mediathek/info material/libindex2007.html; vgl. auch: Nadine Kari, in: Berka, DVBl. 2004, 103, 104.

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1. Teil: Allgemeines

Gegenzug zu der Übereignung der Verkehrsinfrastruktur übertragen. RFF erscheint unter diesem Gesichtspunkt als Entschuldungsorganismus für die SNCF. Ein weiterer Betrag in Höhe von insgesamt 59 Mrd. FF wurde auf ein spezielles Konto der SNCF („SAAD“, service annexe d’annotation de la dette ferroviaire) übertragen, zu deren Zinstilgung sich der französische Staat verpflichtet hat. Die von der SNCF zu tragende Verschuldung war damit Anfang 1997 auf ca. 45 Mrd. FF zurückgeführt worden26. Die Verschuldung des französischen Eisenbahnsystems betrug allerdings Ende 2006 immer noch 41,1 Mrd. Euro27. Auf eine Rüge von Eurostat musste der SAAD im Jahre 2007 rückwirkend im Haushalt des französischen Staates verbucht werden. Dies führte die Schulden des Eisenbahnsystems um 8,2 Mrd. Euro zurück, erhöhte aber die französische Staatsschuldenquote von 63,7 auf 64,2%. II. Deutschland Zu der Eisenbahnreform in Deutschland existiert eine umfangreiche Literatur28. Zum besseren Verständnis des Hintergrundes der Regionalisierung in Deutschland soll dennoch ein kurzer Überblick über den wesentlichen Inhalt der Bahnreform gegeben werden. 1. Die Ausgangslage Der Marktanteil der Deutschen Bundesbahn (DB) war zwischen 1950 und Anfang der 90er Jahre im Güterverkehr von 60% auf unter 20%, im Personenverkehr von 36% auf 6% gefallen. Die Verschuldung von DB und DR war im Jahre 1994 auf 34 Mrd. DM angewachsen29. Ein zusätzliches Problem stellte die Lage der DR dar, die mit der Wiedervereinigung umwälzenden strukturellen Veränderungen ausgesetzt war und nur mit einer maroden Infrastruktur und einem beachtlichen Überbestand an Personal aufwarten konnte. Vorausberechnungen ließen ein Anwachsen der Verschuldung auf bis zu 195 Mrd. DM im Jahre 2003 befürchten, wenn keine einschneidende Reform durchgeführt würde. Ein Handeln war deshalb unumgänglich, und nach vielen vergeblichen Vorstößen seit den 60er Jahren30 wurde durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes 25

Loupien, CJEG 2000, 181, 182. Alle Zahlen aus: Annex 8 zum rapport d’évaluation par le CSSPF. 27 Cour des comptes: Le réseau ferroviaire – Une réforme inachevée, une stratégie incertaine, rapport public thématique, S. 111. 28 Für beispielsweise Literaturhinweise s. Munzert, S. 19; in Frankreich: Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 306 ff. 29 www.bmvbs.de/Verkehr/Schiene-,2938/Geschichte-der-Bahnreform.htm, Stand: 1.8.2008. 30 Munzert, S. 13. 26

B. Die Eisenbahnreformen

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vom 20. Dezember 1993 sowie durch Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27. Dezember 1993 die Bahnreform verabschiedet.

2. Die Reform Die Bahnreform wurde in drei Stufen vollzogen, von denen die erste, die zum 1.1.1994 umgesetzt wurde, die einschneidendste war. Diese erste Stufe enthielt sechs Elemente: (1) DB und DR wurden in einer logischen Sekunde zu einem gemeinsamen Bundesvermögen zusammengeführt, um dann als DB AG in eine privatrechtliche Gesellschaftsform überführt zu werden. Diese formelle Privatisierung setzte die Übertragung der hoheitlichen Aufgaben von DB und DR – die genehmigungsrechtliche Bahnaufsicht, die technische Bahnaufsicht sowie die Infrastrukturfinanzierungsaufsicht – auf das neu gegründete Eisenbahnbundesamt voraus. (2) In Übereinstimmung mit den Vorschriften der Richtlinie 91/440/EWG wurden die Rechnungsführung für Fahrweg und Betrieb getrennt, darüber hinaus wurden die beiden Teilbereiche auch auf verschiedene Geschäftsbereiche der DB AG übertragen. (3) Der Zugang zum deutschen Eisenbahnnetz wurde für deutsche sowie unter bestimmten Voraussetzungen für ausländische Konkurrenten geöffnet (vgl. § 14 AEG). (4) Die finanzielle Sanierung der Bahn beinhaltete eine Übernahme aller Altschulden der Bahn durch den Bund sowie die Verpflichtung zur Übernahme der aus den Altlasten der DR resultierenden finanziellen Belastungen bis 2002. (5) Das gesamte bisherige Personal von DB und DR, unter ihnen viele Beamte, wurde auf das Bundeseisenbahnvermögen übertragen, das dieses gegen ein marktübliches Entgelt an die DB AG überlässt. Neues Personal wird nur in einem privatrechtlichen Arbeitsrechtsverhältnis angestellt. (6) Die Organisationshoheit für den Schienenpersonennahverkehr wurde auf die Länder übertragen. In einer zweiten Stufe, die zum 1.1.1999 in Kraft trat, wurden die fünf Geschäftsbereiche der DB AG als selbständige Aktiengesellschaften unter dem Dach der DB Holding AG verselbständigt. Der Konzernverbund besteht fortan aus der DB Fernverkehr AG (Personenfernverkehr), der DB Regio AG (Personennahverkehr), der DB Cargo AG, an deren Stelle seit dem 1.9.2003 die Stinnes AG getreten ist (Güterverkehr), der DB Netz AG (Infrastruktur ohne Personenbahnhöfe) sowie der DB Station & Service AG (Personenbahnhöfe).

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1. Teil: Allgemeines

In einer dritten Stufe, für die ein fester Zeitplan nicht vorgesehen ist, sollen schließlich die Konzernstruktur aufgelöst sowie Teilbereiche durch einen Verkauf an der Börse materiell privatisiert werden. Im ersten Halbjahr 2008 beschlossen die Bundesregierung und der Bundestag eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn. Bis zu 24,9% der Bereiche Güter- und Personenverkehr sollen an private Investoren verkauft werden, während die Infrastruktur (Schienennetz, Bahnhöfe und Energieversorgung) in 100%-igem Eigentum des Bundes verbleiben soll. Beide Bereiche bleiben durch eine gemeinsame Holdingstruktur verbunden31.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben in Frankreich und in Deutschland Der ÖPNV, zu dem auch der SPRV gehört, bleibt auch nach den Reformen ein unbestrittener Aufgabenbereich staatlicher Daseinsvorsorge bzw. in französischer Terminologie des service public. Denn die Gewährleistung einer Grundmobilität im örtlichen und regionalen Raum entspricht einem gesellschaftlichen Grundbedürfnis, und dieses Bedürfnis lässt sich nicht nach reinen Marktmechanismen befriedigen. Deshalb sollen im Folgenden als juristischer Kontext der Regelung der Daseinsvorsorgeaufgabe SPNV die Rechtsfigur des service public in Frankreich, das deutsche Konzept der Daseinsvorsorge und die Regelungen des Gemeinschaftsrechtes für die Erfüllung öffentlicher Dienstleistungen in den Mitgliedstaaten dargestellt werden. I. Service public, Daseinsvorsorge und öffentliche Dienstleistungen 1. Der service public im französischen Verwaltungsrecht a) Der Begriff des service public aa) Begriffsdefinition Der Begriff des „service public“ erfasst – ebenso wie der deutsche Begriff der Verwaltung – zwei verschiedene Gegenstände: Er kann eine Aktivität beschreiben, er kann aber auch einen Organismus bezeichnen32. In diesem Sinne existieren zwei Definitionen: Eine funktionelle Definition versteht unter service public eine Gesamtheit an Mitteln und Personal mit dem Auftrag, eine Aufgabe zu erledigen, die entweder 31 http://www.bmvbs.de/Verkehr/Schiene/Bahnreform-Boersengang-,1462.1039634/ Teilprivatisierung-der-Deutsch.htm, Stand: 1.8.2008. 32 Chapus, Rn. 746.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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unmittelbar von der öffentlichen Gewalt – in den Formen unmittelbarer Verwaltung, einer öffentlichen Anstalt, als société d’économie mixte, als öffentliches Unternehmen – ausgeführt wird oder die von der öffentlichen Gewalt an einen privaten Organismus – an ein privates Unternehmen, eine Kooperative oder einen Verein – delegiert ist33. In einem materiellen Ansatz wird der service public definiert als eine Tätigkeit im Interesse der Allgemeinheit, die von einer öffentlichen Institution ausgeführt oder gewährleistet wird34. Spätestens die Ausweitung der Verwaltungsaufgaben im 20. Jahrhundert hat es unmöglich gemacht, den Bereich des service public durch eine positive Definition genau abzugrenzen35. Soweit ersichtlich, wird auch kein Versuch einer juristischen Staatsaufgabenlehre unternommen. Vielmehr ist anerkannt, dass dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum dabei zusteht, welche Tätigkeiten er im allgemeinen Interesse als service public wahrnehmen will36. Dabei unterliegt er keinen dogmatischen Schranken, mit Ausnahme einzelner verfassungsrechtlicher Vorgaben, die einerseits die Einrichtung bestimmter services publics als Minimalbestand vorschreiben, andererseits eine Obergrenze für die Errichtung von services publics ziehen37, insbesondere die willkürliche und missbräuchliche Einschränkung der Unternehmerfreiheit38. Man beschränkt sich heute darauf, die im öffentlichen Interesse wahrgenommenen Aufgaben in Fallgruppen zu beschreiben. Diese Aufgaben der öffentlichen Hand sind äußerst vielfältig und unterliegen Einflüssen zeitlicher, räumlicher und ideologischer Natur39. Ebenso wie der Erfüllungsmodus des service public kann sich also der Gegenstand der services publics ändern. So sind z. B. heute im Gegensatz zu früheren Epochen staatliche Interventionen zur Grundversorgung mit Lebensmitteln nicht mehr erforderlich40. Der Bereich des service public ist heute sehr weit gesteckt. So hat der Conseil d’Etat in einem neueren Gutachten festgestellt, dass selbst ein privates Spielcasino an der Aus-

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Belloubet-Frier, AJDA 1994, 270, 275. Chapus, Rn. 748; vgl. auch Breidenstein, Das Recht des service public in Frankreich, S. 8. 35 Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 157; Chapus, Rn. 747; Stirn, CJEG 1993, 299, 300; Luke, S. 18. 36 Conseil Constitutionnel vom 25./26.6.1986, CC-207 DC, Rec. Cons. Const., S. 61; Eckert, EuGRZ 2004, 382, 383 ff. 37 s. genauer hierzu: Guglielmi/Koubi, Rn. 334 ff., sowie Pielow, S. 203 ff. 38 Conseil constitutionnel nº 84-141 DC, 27 juillet 1982, Loi sur la communication audiovisuelle, Rec.Cons.const., S. 48; vgl. hierzu auch: Pielow, S. 193 f. und 225 ff.; vgl. aber Conseil constitutionnel nº 96-380 DC, 23 juillet 1996, Loi relative à l’entreprise nationale France Télécom, AJDA 1996, 695. 39 Delvolvé, S. 43. 40 Le service public, Rapport, S. 53. 34

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1. Teil: Allgemeines

führung eines service public beteiligt sein kann41. Man kann deshalb mit René Chapus behaupten: „Rien n’est moins rare que le service public“ (Nichts kommt weniger selten vor als der service public)42. In einer ersten Gruppe fasst man die Aufgaben des sog. liberalen Staates zusammen, die insbesondere Verteidigung, Polizei, Auswärtige Beziehungen, Justiz und Finanzen umfassen. Hier profitiert der Einzelne nur indirekt, als Staatsbürger, von der Existenz des service public. Dies ist der Bereich der klassischen services publics administratifs43, s. u. dd). Eine zweite Gruppe erfasst die Tätigkeiten, die die öffentliche Hand wahrnimmt, weil die politisch Verantwortlichen entschieden haben44, dass die private Tätigkeit nicht ausreicht, um bestimmte Bedürfnisse des Einzelnen zu befriedigen. Wie ein Privatunternehmen bietet der service public hier dem Einzelnen gegen eine finanzielle Gegenleistung Produkte oder Dienste an. In diesem Bereich lässt sich der Begriff des service public am besten mit öffentlicher Dienstleistung übersetzen45. Hierzu gehören wirtschaftliche Dienstleistungen wie die Eisenbahnen, ebenso wie soziale und kulturelle Angebote, mit denen der Staat dem Nutzen der Allgemeinheit zu dienen beabsichtigt46. Die Zwecksetzungen, die der Staat mit der Einrichtung und dem Betrieb von services publics verfolgt, lassen sich in 4 Gruppen zusammenfassen: Erstens kann die öffentliche Hand sozialstaatliche Zwecke verfolgen, z. B. durch die Gewährung von Sozialtarifen, zweitens strukturpolitische Ziele, drittens langfristige politische Ziele, wie z. B. die Unabhängigkeit von fremden Energielieferanten, und viertens Ziele symbolischer Natur, wie z. B. die Geltung gleicher Briefmarkentarife für alle Zielorte in ganz Europa47. bb) Funktion der Lehre vom service public Der Begriff des service public beschreibt im französischen Verwaltungsrecht den gesamten Tätigkeitsbereich der öffentlichen Hand, soweit er im Interesse der Allgemeinheit ausgeübt wird. Er ist deshalb dem deutschen Begriff der Verwaltung näher als den Begriffen der Leistungsverwaltung oder der Daseinsvorsorge. Er geht noch darüber hinaus, weil er auch die privaten Helfer der Ver41 Avis du CE vom 4.4.1995, EDCE (Etudes et documents du Conseil d’Etat) 1996, nº 47; s. auch: Löwenberg, S. 99; Eckert, EuGRZ 2004, 382, 384 f. 42 Zitiert nach: Berbari/Briand/Callon/Mirouse/Peyrical/Ribault, S. 21; vgl. dazu auch: Löwenberg, S. 99. 43 Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 157. 44 Rainaud, S. 32. 45 Löwenberg, S. 38. 46 Le service public, Rapport, S. 51 f. 47 Le service public, Rapport, S. 53.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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waltung mit einschließen kann. So reicht der Bereich der services publics über die Grenzen des öffentlichen Sektors hinaus48, also des Wirtschaftsbereichs, in dem der Staat an den operativen Entscheidungen öffentlicher oder privater Unternehmer unmittelbar beteiligt ist oder sie maßgeblich beeinflusst49, denn Aufgaben des service public können auch durch Private ausgeführt werden. Andererseits scheiden aus dem Bereich des service public die staatlichen Tätigkeiten aus, deren Zweck ausschließlich in der Gewinnerzielung besteht, selbst wenn die erwirtschafteten Mittel später indirekt der Allgemeinheit zugute kommen50. In der deutschen Literatur und im gemeinschaftsrechtlichen Kontext wird der Begriff des service public häufig auf den Bereich der Leistungsverwaltung verengt51. Allein der Bereich der sog. netzgebundenen Dienstleistungen, wie die Stromversorgung, die Telekommunikation oder die Eisenbahn, die auf ein Infrastrukturnetz angewiesen sind, und ihre Funktionsweise als öffentliche Monopolbetriebe sind meist auch gemeint, wenn in Frankreich von den „service publics à la française“ die Rede ist, insbesondere die großen staatlichen Versorgungsbereiche wie SNCF und EDF/GDF52. Seit dem arrêt Blanco des Tribunal des conflits vom 8.2.187353 kam dem Begriff des service public die Funktion zu, das öffentliche Recht vom privaten abzugrenzen. Im Gegensatz zum deutschen Recht und auch der vorangegangenen französischen Verwaltungsrechtspraxis, wo traditionell in der Subordination das Charakteristikum des Verwaltungsrechts gesehen wurde und dieses Charakteristikum nicht aufweisende Rechtshandlungen dem Privatrecht zugerechnet wurden54, wurden im französischen Rechtskreis fortan im Sinne der Interessentheorie55 dem öffentlichen Recht solche Handlungen zugerechnet, die Voraussetzung oder Folge eines service public waren und die damit über einen starken Gemeinwohlbezug verfügten56. Insofern stellte die Lehre vom service public eine Reaktion darauf dar, dass der Staat nicht mehr nur im Subordinationsverhältnis dem Bürger gegenübertrat57. Die weitere Diversifizierung der Verwaltungsaktivitäten und -formen und damit der services publics sprengte dann al48

Auby, guide pratique, S. 131. Hans-Joachim Mestmäcker, in: Immenga/Mestmäcker, S. 1520, Rn. 8. 50 Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 156. 51 Pielow, in: Hrbek/Nettesheim, S. 155, 157 f. 52 Löwenberg, S. 95; Le service public, Rapport, S. 21. 53 TC vom 8.2.1873 „Blanco“, GAJA nº 1; der Gedanke wurde weiter ausgebaut durch die Entscheidungen CE vom 6.2.1903 „Terrier“, GAJA nº 12; TC vom 29.2. 1903 „Feutry“, Recueil, S. 208, CE vom 4.3.1910 „Thérond“, GAJA nº 22. 54 CEEP, Europe, concurrence et service public, S. 13, 15. 55 Vgl. Ulpian (Dig. 1,1,1,2): Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem: sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim!, zitiert nach: Krueger/Mommsen, Corpus iuris civilis. 56 Rabault, RDP 1997, 111, 130. 57 Pielow, S. 116 ff. 49

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1. Teil: Allgemeines

lerdings die bis ca. 1920 gültige Gleichung service public=öffentlich-rechtliche Person=Anwendungsbereich des Verwaltungsrechts=Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit und stellte die Rechtfertigung des hierauf beruhenden Begriffs in Frage58. Heute wird sein wesentlicher Wert darin gesehen, einen Referenzpunkt für bestimmte allgemeine Prinzipien und Regeln zu begründen, die sich auf die Gesamtheit derjenigen Aufgaben der öffentlichen Hand beziehen, die sie im Allgemeininteresse wahrnimmt59. Darüber hinaus dient das Kriterium des service public noch immer – wenn auch nicht als alleiniges Merkmal – zur Abgrenzung von privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen, vgl. z. B. unten E.II.2.a)cc) zum contrat administratif. Die Funktion der Rechtsfigur beschränkt sich nicht auf ein auf den Handlungszweck ausgerichtetes Abgrenzungskriterium zum privaten Recht, sondern es wurden auch bestimmte Funktionsprinzipien der services publics identifiziert: Die „Lehre vom service public“ umfasst Aussagen zu den inneren Organisationsstrukturen und seinen Beziehungen zum Staate wie zu den Finanzierungsformen und den Außenbeziehungen des service public zu seinen Benutzern. Ersteres wird in Deutschland unter Stichworten wie „geeignete Rechtsform“ oder „Public Private Partnership“ behandelt, letzteres ist Gegenstand des Rechtes der Nutzung von Anstalten und Einrichtungen60. Die Lehre vom service public stellt so einen dogmatischen Überbau für alle Aspekte der Erfüllung sämtlicher öffentlicher Aufgaben dar. Welchen Vorteil ein solches Rechtsinstitut bieten kann, das bestimmte Grundregeln auf im Gemeinwohl liegende und staatlich veranlasste, aber durch formell oder materiell Private ausgeführte Aufgaben zur Anwendung bringt, zeigt u. a. die in ihrem Umfang nach wie vor umstrittene61 Rechtsfigur des sog. Verwaltungsprivatrechts in Deutschland, die erforderlich ist, um ein Minimum öffentlich-rechtlicher Bindungen auf in privatrechtlicher Form durchgeführte Verwaltungsaufgaben zur Anwendung zu bringen62: Im französischen Verwaltungsrecht gelten die öffentlich-rechtlichen Grundregeln für den service public von vornherein auch dann, wenn er von einem Verwaltungsträger in privatrechtlicher Form ausgeführt wird63. Noch weitergehend finden sie auch Anwendung, wenn ein materiell Privater mit der Ausführung einer Verwaltungsaufgabe beauftragt wird. Das Modell des 58 Vgl. Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 155; Stirn, CJEG 1993, 299; Pielow, in: Hrbek/Nettesheim, S. 155, 157. 59 Stirn, CJEG 1993, 299, 300; Le service public, Rapport, S. 13. 60 Vgl. Püttner: Daseinsvorsorge und service public im Vergleich, S. 53 und 54; Luke, S. 24. 61 s. u. E.II.1.b)bb)(1). 62 Vgl. Ossenbühl, DÖV 1971, 513, 518 f. 63 Pielow, S. 163.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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service public stellt somit auch den französischen Lösungsansatz der Problematik dar, die in Deutschland zur Zeit unter dem Stichwort der sog. Gewährleistungsverwaltung in Folge funktionaler Privatisierungen diskutiert wird, also der Frage, welche Verantwortungen der öffentlichen Hand verbleiben, wenn sie eine öffentliche Aufgabe auf einen Privaten delegiert. Damit entstand allerdings das Problem abzugrenzen, wann der Bezug zum öffentlichen Interesse so stark ist, dass ein solcher service public mit der Folge der Anwendung seiner Sonderrechtsnormen anzunehmen ist64, eine Abgrenzungsproblematik, die letztlich gegen die Interessentheorie als Abgrenzungstheorie zwischen öffentlichem und privatem Recht angeführt wird65. Der Gesetzgeber bedient sich des Begriffs auch, um den Anwendungsbereich für einzelne Regeln, die die Gesamtheit der Tätigkeiten der öffentlichen Hand betreffen, zu definieren, wie z. B. im „Gesetz betreffend bestimmte Modalitäten des Streiks im Bereich des service public“ vom 21. Juli 1963. cc) Die Gesetze des service public Die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, denen der service public unterworfen ist, werden als sog. „lois de Rolland“ bezeichnet, weil sie zum ersten Mal von Louis Rolland formuliert wurden: Es handelt sich um die Prinzipien der Kontinuität, der Veränderbarkeit von und der Gleichheit vor dem service public66. Das Prinzip der Kontinuität untersagt eine Unterbrechung des service public. Es begrenzt u. a. die Ausübung des Streikrechtes67. Das Prinzip der Veränderbarkeit des service public besagt, dass Benutzer, Angestellte und Vertragspartner des service public einseitige Änderungen in ihrem Vertragsverhältnis im Interesse der Funktion des service public hinzunehmen haben68. Man fügt den bereits genannten das Prinzip der Neutralität hinzu, das Diskriminierungen aus Gründen politischer oder religiöser Überzeugungen untersagt sowie das Prinzip der Laizität69. Diese Gesetzmäßigkeiten des service public sind allgemeine Rechtsgedanken, die in Spezialregelungen konkretisiert werden. Sie gelten aber als allgemeine Rechtsprinzipien auch dann, wenn sie nicht ausdrücklich gesetzlich fixiert sind.

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s. die Darstellung dieser Problematik bei Pielow, S. 135 ff. Maurer, § 3 Rn. 5; Dirk Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 2 Rn. 15. 66 Stirn, CJEG 1993, 299, 300; Auby, Que sais-je?, S. 36 ff.; Auby, guide pratique, S. 88 ff.; Chapus, Rn. 775; vgl. auch z. B. Art. 8 Gesetz nº 96-659 vom 26.7.1996 für den service public des télécommunications, Art. 1 Gesetz nº 2000-108 vom 10.2.2000 für den service public de l’électricité. 67 Vgl. Rivero/Waline, Rn. 483. 68 Rivero/Waline, Rn. 484. 69 Chapus, Rn. 786-2; Pielow, S. 130. 65

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1. Teil: Allgemeines

dd) Services publics administratifs (spa) und services publics industriels et commerciaux (spic) Wie im deutschen Recht hat die französische öffentliche Hand im Bereich der Leistungsverwaltung das Recht der freien Formenwahl und damit der Entscheidung darüber, ob eine Aufgabe in der Form des öffentlichen Rechtes oder des Privatrechtes ausgeführt werden soll70. Danach werden services publics administratifs (spa), ursprüngliche Form der services publics, und services publics industriels et commerciaux (spic)71 unterschieden: Die Qualifizierung von spa bzw. spic entscheidet über die Anwendung von öffentlichem Recht bzw. Privatrecht im Verhältnis des service public zu seinen Benutzern, Personal und Dritten sowie über den Rechtsweg bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem service public72. Kennzeichen eines service public industriel et commercial ist, dass er in Gegenstand, in der Herkunft seiner finanziellen Mittel überwiegend aus Benutzungsgebühren sowie in seinen Funktionsmodalitäten einem privaten Unternehmen ähnelt. Sofern der service public eines dieser Kriterien nicht erfüllt, ist er ein service public administratif73. Ein spic kann eine Vielfalt von Rechtsformen annehmen: Er kann in der klassischen Form der concession de service public, als régie (Eigenbetrieb), als établissement public, in der Form einer staatseigenen privatrechtlichen Handelsgesellschaft oder als Société d’économie mixte (staatliche Beteiligung an einer privatrechtlichen Handelsgesellschaft) geführt werden. Die SNCF ist gemäß Art. 18 LOTI ein service public industriel et commercial in der Form eines établissement public (öffentliche Anstalt). Damit sind die Rechtsverhältnisse der SNCF zu ihren Benutzern, Personal und Dritten grundsätzlich privatrechtlicher Natur74. 2. Die Entsprechung des service public im deutschen Verwaltungsrecht a) Die Kategorisierung der Staatsaufgaben Anders als in Frankreich existiert kein Überbegriff für die im Allgemeininteresse wahrgenommenen Aufgaben der öffentlichen Hand. Für den Bereich wur-

70 Grundlegend: conclusions des commissaire du gouvernement Romieu zu: CE vom 6.2.1903 „Terrier“, in: Sirey 1903, 3, 28 (nach Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 168); s. zu den Abgrenzungskriterien i. e.: Chapus, Rn. 765 ff. 71 Erstmals anerkannt in: TC vom 22.1.1921 „Société commerciale de l’ouest africain, dit du bac d’Eloka“, in: GAJA arrêt nº 38; vgl. auch Stirn, CJEG 1993, 299, 300. 72 Chapus, Rn. 765. 73 CE Ass. vom 16.11.1956 „Union syndicale des industries aéronautiques“; Chapus, Rn. 768; vgl. auch Le Nestour/Zinow, RdE 1994, 129, 131; Püstow, S. 19 f. 74 Zu Ausnahmen vgl.: GAJA Nr. 38 (TC 22 juin 1921, Société commerciale de l’Ouest africain), Rn. 9 f.

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den auch keine allgemein geltenden Prinzipien mit derselben dogmatischen Klarheit wie im französischen Verwaltungsrecht formuliert. Man beschreibt den Aufgabenbestand der öffentlichen Hand an Hand von drei Teilbereichen: Eingriffsverwaltung, Leistungsverwaltung und sonstige kommerzielle Tätigkeiten der öffentlichen Hand. aa) Eingriffsverwaltung Der Bereich der Eingriffsverwaltung umfasst die traditionellen, nichtmarktbezogenen75 Verwaltungstätigkeiten, die nicht (primär) wirtschafts- und sozialpolitischen Zwecken dienen, wie Polizei, Erziehung oder Verteidigung. Hier liegt der historische Kern der Staatlichkeit, die mit dem Gewaltmonopol eng verbunden ist76. Diese Hoheitsverwaltung wird in den Formen des öffentlichen Rechtes von Befehl und Zwang ausgeführt77 und entspricht so den französischen services publics administratifs78. Sie ist klassischerweise durch ein Subordinationsverhältnis gegenüber dem Bürger gekennzeichnet. bb) Leistungsverwaltung und Daseinsvorsorge Das klassische staatliche Aufgabenfeld der Eingriffsverwaltung wurde auch in Deutschland im 20. Jahrhundert um die Aufgaben der Leistungsverwaltung ergänzt79. In diesem Bereich werden Verwaltungsaufgaben auch in privatrechtlicher Form ausgeführt. Die Leistungsverwaltung umfasst den sog. Bereich der „Daseinsvorsorge“. Der Begriff geht auf Ernst Forsthoff zurück80, der damit die Leistungen und Veranstaltungen der öffentlichen Hand beschrieb, die sie zur Befriedigung seiner sozialen Bedürfnisse dem Einzelnen zur Verfügung stellt81. Der Begriff umfasst in einem sehr allgemeinen Sinne jede von der Verwaltung erbrachte, für den Bürger nützliche Leistung, unter Ausschluss der polizeilichen Aufgaben. Klassische Bereiche der Daseinsvorsorge sind die Versorgung des Einzelnen mit Elektrizität, Gas und Wasser82. Auch der Eisenbahnverkehr und der öffentliche Nahverkehr wurden hierzu gezählt. Der Begriff der Daseinsvorsorge ist nicht geeignet und hatte auch nicht zur Aufgabe, den staatlichen Auf75

Schwarze, EuZW 2001, 334. Ronellenfitsch, DVBl. 2005, 65, 66 ff. 77 Ronellenfitsch, DÖV 1999, 705, 706. 78 Schwarze, AJDA 1997, 150, 151. 79 Schwarze, EuZW 2001, 334, 335; vgl. zum Begriff der Leistungsverwaltung: Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 210, 214. 80 Zuerst in „Die Verwaltung als Leistungsträger“, Stuttgart und Berlin 1938; zu ideengeschichtlichen Vorläufern s. Knauff, S. 22 ff. 81 Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 370 ff. 82 Ossenbühl, DÖV 1971, 513, 516; zur Entwicklung des Konzeptes Heinze, BayVBl. 2004, 33, 35 f. 76

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gaben einen fest umrissenen Umfang oder eine Begrenzung zu definieren. Auch rechtliche Schlussfolgerungen lassen sich nach h. M. hieraus nicht ableiten83. Forsthoffs Anliegen war vielmehr, im Hinblick auf den Wandel der sozialen Verhältnisse und insbesondere die Verstädterung, einen Trend der Verlagerung der öffentlichen Aufgaben mit einem soziologischen Terminus zu beschreiben und die Verwaltungsrechtswissenschaft hierfür zu sensibilisieren. Er sollte den Bereich der Leistungsverwaltung in den Blick der auf den Bereich der Eingriffsverwaltung und ihrer Instrumente verengten Verwaltungsrechtswissenschaft rücken, der bis dahin in wesentlichen Teilen in das Privatrecht verdrängt worden war84. Diesen Wandel sieht Forsthoff – und hierin wird seine Wahrnehmung durch die Entwicklungen im III. Reich geschärft – darin, dass nicht mehr Grundrechte und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das Verwaltungshandeln prägten, sondern dass die Verwaltung das zum Leben des Einzelnen Notwendige zur Verfügung stellen, und damit dessen soziale Bedürftigkeit abdecken müsse85. Wenn man dem Begriff heute unter Geltung des Grundgesetzes überhaupt einen materiellen Gehalt geben kann, so den des Subsidiaritätsgedankens86: Der Staat ist dort auf den Plan gerufen, wo die Gesellschaft ihre Bedürfnisse ohne staatliche Mitwirkung nicht zu erfüllen in der Lage ist. cc) Sonstige kommerzielle Aufgaben der öffentlichen Hand Neben diesem Bereich der Daseinsvorsorge nimmt die öffentliche Hand weitere kommerzielle Aufgaben wahr, die von der Materialbeschaffung für die Verwaltung bis zur Beteiligung an Wirtschaftsunternehmen reichen, wie z. B. an der Volkswagen AG oder den Landesbanken und nicht zuletzt an der DB AG. Auch hier besteht – wenn auch in geringerem Maße – ein Gemeinwohlbezug87. dd) Kein im Voraus definierter öffentlicher Aufgabenbestand Auch im deutschen Verwaltungsrecht ist nach h. M. eine abstrakte materielle Definition des öffentlichen Aufgabenbestandes im Voraus nicht gelungen88, und 83 Vgl. Püttner, Daseinsvorsorge und service public im Vergleich, S. 48; Pielow, S. 370; a. A. Ronellenfitsch, Der Verkehrssektor als Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland, S. 89; Marcou, Les services publics en droit allemand, S. 165; vgl. den Überblick über die einzelnen behaupteten Rechtsfolgen bei Ruge, S. 154 ff. 84 Ossenbühl, DÖV 1971, 513, 515 f. 85 Vgl. Püttner, Daseinsvorsorge und service public im Vergleich, S. 46 f. 86 Ossenbühl, DÖV 1971, 513, 517. 87 Vgl. Ronellenfitsch, DÖV 1999, 705, 707; Masing, EuGRZ 2004, 395, 397. 88 So wohl auch letztlich Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 86 f., 124 f., 414, unter Betonung der durch das Grundgesetz vorgegebenen Staatsaufgaben und auf S. 57 ff. mit einem Überblick über Staatszwecklehren aus der Vergangenheit;

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man wird sich auf die Erkenntnis beschränken müssen, dass die Aufgaben der öffentlichen Hand – im Rahmen des verfassungsmäßig Zulässigen – aufgrund politischer Entscheidungen festgelegt werden, deren künftiger Inhalt sich ebenso wenig wie die Zukunft im Allgemeinen vorhersehen lässt und die darüber hinaus wandelbar sind89. Allerdings zwingt das deutsche Verfassungsrecht auf Bundes- oder Landesebene konkreter als das französische einerseits zur Einrichtung bestimmter Verwaltungstätigkeiten – z. B. Artt. 87 ff. GG für den Bund – und begrenzt andererseits staatliche Tätigkeit im Bereich der Leistungsverwaltung – insbesondere aufgrund der Artt. 12 und 14 GG. Sie haben als Kontrollinstrument aufgrund der Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde und ihrer Ausgestaltung als subjektives Individualabwehrrecht größere praktische Bedeutung als die entsprechenden Grundfreiheiten des französischen „bloc de constitutionnalité“ 90. Auch insofern gewinnt der Satz vom deutschen Verwaltungsrecht als konkretisiertem Verfassungsrecht91 Bedeutung. Mit Blick auf die zunehmende Übertragung von Aufgaben auf Private unterscheidet man in der deutschen Staatsrechtswissenschaft vermehrt zwischen staatlichen Aufgaben, die der Staat selbst unmittelbar oder in mittelbarer Verwaltung übernimmt92, und öffentlichen Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, aber von Privaten ausgeführt werden können93. b) Die Existenz der Prinzipien des service public im deutschen Verwaltungsrecht Existieren die sog. Gesetze des service public sinngemäß auch im deutschen Recht? Die Beantwortung der Frage muss differenziert ausfallen: Ein dem Prinzip der Gleichheit vor dem service public entsprechender Grundsatz folgt im deutschen Verwaltungsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG bzw. aus entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen. Auch soweit die VerwalBurgi, S. 50 ff.; für den Bereich der Verwaltung: Maurer, § 1 Rn. 8; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 273 ff. 89 Cox, Das Angebot von Universaldienstleistungen, S. 73 ff. 90 Damit werden die Verfassung von 1958, die Präambel der Verfassung von 1946, die Menschenrechtserklärung von 1789 und die principes fondamentaux reconnus par les loi de la République, denen allen Verfassungsrang zukommt, bezeichnet; s. zum Ganzen Pielow, S. 193, 217 ff. 91 Rabault, RDP 1997, 111, 126. 92 Nach Peters, Öffentliche Aufgaben und staatliche Aufgaben, S. 877 ff., der damit die Unterscheidung Jellineks in exklusive und konkurrierende Staatsaufgaben aufgreift, vgl. Ruge, S. 141; Pielow, S. 312; Burgi, S. 44, 61. 93 Pielow, S. 302; Osterloh, VVDStRL 54 (1994), 204, 222 ff.; von Heimburg, S. 14 ff.

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tung Verwaltungsaufgaben in Privatrechtsform ausführt, gilt der Gleichheitssatz im Rahmen des sog. Verwaltungsprivatrechtes94. Auch soweit materiell Private materielle Verwaltungsaufgaben ausführen, sehen häufig zumindest einfache Gesetze Bindungen des Ausführenden an den Gleichheitssatz vor, z. B. § 10 AEG, s. genauer unten E.III.6. Ein Prinzip der Kontinuität ist als Prinzip deutscher Verwaltung nicht formuliert worden. Im deutschen öffentlichen Recht steht der verwandte Grundsatz des Vertrauensschutzes im Vordergrund95. Der Sicherstellung einer ununterbrochenen Ausführung der Verwaltungsaufgaben dienen aber auch in Deutschland verschiedene Rechtsinstrumente: Noch weiterreichend als in Frankreich, wo das Streikrecht erst mit der Präambel der Verfassung von 1946 anerkannt wurde, es aber nach den Grundsätzen des service public Beschränkungen unterliegt, haben deutsche Beamte überhaupt kein Recht zum Streik96, was hier aus Art. 33 Abs. 5 GG als hergebrachtem Grundsatz des Berufsbeamtentums hergeleitet wird. Ein anderer Ausfluss dieses Kontinuitätsprinzips im französischen Recht ist die sog. théorie de l’imprévision. Dieser Theorie zufolge muss die Verwaltung einen Konzessionär bei Auftreten unvorhersehbarer Umstände in die Lage zur Aufrechterhaltung des service public versetzen durch Gewährung außervertraglicher finanzieller Mittel, sofern der Konzessionär von sich aus hierzu nicht in der Lage ist und der Vertrag sich nicht anpassen lässt97. Ein ähnliches Ergebnis wird sich im deutschen Verwaltungsvertragsrecht über die clausula rebus sic stantibus erreichen lassen, vgl. § 60 S. 1 VwVfG. Schließlich folgt aus dem französischen Prinzip der Kontinuität, dass die Unterbrechung des aufgrund einer Konzession übernommenen service public zur Aberkennung der Konzession berechtigt98. Im deutschen Recht werden in derartigen Fällen eine vertragliche Klausel, und auch ohne vertragliches Kündigungsrecht die bürgerlich-rechtlichen Grundsätze über die Kündigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen99 die Verwaltung zur Kündigung des Vertrags berechtigen. Auch ein Prinzip der Abänderbarkeit des Verwaltungshandelns100 wurde in Deutschland nicht formuliert, es ließe sich aber begründen: So lässt § 49 VwVfG den Widerruf eines Verwaltungsaktes zu, und § 60 S. 2 VwVfG ermöglicht die Aufhebung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags im überwiegenden öffentlichen Interesse. Auch ist die Verwaltung im Prinzip berechtigt, solche 94

Dirk Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 2 Rn. 83. Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S. 455 ff. 96 BVerfGE 8, 1, 17; 44, 249, 264. 97 Erstmals anerkannt durch CE vom 30.3.1916 Cie générale d’éclairage de Bordeaux, dit „arrêt du gaz de Bordeaux“, GAJA 14e éd. 2003, nº 32; Chapus, Rn. 783, 1385 ff. 98 Chapus, Rn. 783. 99 Vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, Einl vor § 241 Rn. 18. 100 s. zu dem Prinzip der mutabilité du service public oben C.I.1.a)cc). 95

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Dienstleistungen, die sie ohne gesetzliche Verpflichtung anbietet, wieder einzustellen. Auch eine gewidmete öffentliche Sache kann bei hinreichendem öffentlichen Interesse wieder entwidmet werden101. Allgemein dürfte aber die Identifizierung von Prinzipien des öffentlichen Verwaltungshandelns im deutschen, normierten Allgemeinen Verwaltungsrecht nicht von demselben Interesse wie im französischen Verwaltungsrecht sein, das im Wesentlichen auf Richterrecht und ungeschriebenen Rechtssätzen beruht. 3. Die Entsprechungen im europäischen Gemeinschaftsrecht Das Gemeinschaftsrecht stellt in Ermangelung einer allgemeinen Regelungsbefugnis für den Bereich der Daseinsvorsorge Regelungen nur insofern auf, als es einen Ausgleich der von den Mitgliedstaaten betriebenen Daseinsvorsorgedienste mit dem Wettbewerbsgedanken des Gemeinsamen Binnenmarktes herzustellen sucht102. a) Die Regelungen bezüglich der „Unternehmen, die mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind“, im Gemeinschaftsrecht aa) Regelungskompetenz der EU für den Bereich staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben und Rechtsgrundlagen Eine generelle Regelungsbefugnis der Europäischen Union im Bereich der Daseinsvorsorge sehen bislang weder das primäre noch das sekundäre Gemeinschaftsrecht vor. Nach dem Prinzip der speziellen Einzelermächtigung bedarf die Gemeinschaft, um auf einem Gebiet tätig werden zu können, einer primärrechtliche Befugnisnorm. Allerdings geraten die Mitgliedstaaten in den Anwendungsbereich gemeinschaftsrechtlicher Normen, sofern sie marktbezogene Tätigkeiten ausführen. Mehrere Normen des EGV enthalten ausdrücklich Regelungen, die die öffentlichen Dienstleistungen der Mitgliedstaaten betreffen. Dies sind die Artt. 16, 73 und 86 Abs. 2 EGV sowie Art. 36 der Charta der Grundrechte der EU. Art. 16 EGV bestimmt programmsatzartig, dass Gemeinschaft und Mitgliedstaaten für das Funktionieren und die Organisation der „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (. . .) im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse“ Sorge tragen. Art. 36 der Charta der Grundrechte der EU, der Art. 6 Abs. 1 des Vertrags von Lissabon für rechtsverbindlich erklären soll, anerkennt den Zugang 101 Salzwedel, in: Erichsen/Martens, § 46 I; für die Einziehung nach Straßenrecht vgl. § 2 Abs. 4 FStrG. 102 Marcou, RFDA 1995, 462, 489.

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zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, „wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit dem Vertrag“ geregelt ist. Beide Vorschriften erkennen damit an, dass sich in diesem Bereich die Kompetenzen von Mitgliedstaaten und Gemeinschaft überschneiden. Art. 73 EGV gestattet ausnahmsweise Beihilfen, die „mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängende Leistungen abgelten sollen“. Art. 86 Abs. 2 EGV enthält eine allgemeine Ausnahmeregelung zugunsten der „Unternehmen, die mit Diensten im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse beauftragt sind“, von den Vertragsvorschriften, insbesondere den Wettbewerbsvorschriften. Wenn diese Vorschriften eine unterschiedliche Terminologie verwenden, bezeichnen sie doch den gleichen Gegenstand, nämlich marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden103, s. auch sogleich unten cc). Dagegen werden als „Dienste der Daseinsvorsorge“ in der Terminologie deutschsprachiger Gemeinschaftsrechtsakte alle marktbezogenen und nicht-marktbezogenen Aktivitäten der Mitgliedstaaten104 im Allgemeininteresse bezeichnet105. Der Begriff ist damit weiter als der der Unternehmen, die mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind. Um Verwechslungen mit dem allein dem deutschen Rechtskreis angehörenden Begriff der Daseinsvorsorge zu vermeiden, ist der unvorbelastete Begriff der öffentlichen Dienstleistung vorzugswürdig106. bb) Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorgeaufgaben und Gemeinschaftsrecht Konfliktlagen zwischen diesen Regeln und den mitgliedstaatlichen Daseinsvorsorgeregelungen ergeben sich in zweierlei Hinsicht: Erstens sieht das Gemeinschaftsrecht staatliche Daseinsvorsorgeaktivitäten in der Mehrzahl seiner Normen als Ausnahmefall des wettbewerbsfreundlichen Gemeinsamen Binnenmarktes. Zweitens muss das Gemeinschaftsrecht von einem gemeinsamen, für alle Mitgliedstaaten geltenden Tatbestand ausgehen, was zwangsläufig in einigen Mitgliedstaaten zu Widersprüchen mit der nationalen Rechtsordnung führt. 103 Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Dokument KOM (2000) 580 endgültig, ABl. 2001 Nr. C 17, Anhang II, S. 20. 104 s. Mitteilung der Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, Dokument KOM (2000) 580 endgültig, ABl. 2001 Nr. C 17, Anhang II, S. 4 ff., 20; vgl. Schwarze, EuZW 2001, 335. 105 So in der Mitteilung der Europäischen Kommission KOM (96) 443 Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa vom 26.9.1996, ABl. C 281/3, S. 3. 106 Löwenberg, S. 38 ff.; s. zu dem Begriff auch: Marcou, Les services publics en droit allemand, S. 129.

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Die Mitgliedstaaten führen neben ihren hoheitlichen auch Aufgaben aus, die weitgehend nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren und die von dem Bereitstellen von Versorgungsleistungen, wie Strom oder Transportleistungen, über den Einkauf von Büromaterial bis zur staatlichen Beteiligung an Unternehmen, wie der Volkswagen AG, reichen107. Diese unternehmerischen Tätigkeiten des Staates stellen sich aus Sicht des Gemeinschaftsrechts als potentielle Angriffe auf den gemeinsamen Binnenmarkt dar, dessen Ziel darin besteht, auf einem größeren Markt dem Verbraucher ein größeres Angebot an Produkten und Diensten zu günstigeren Konditionen anzubieten, bei geringeren Kosten für die Lieferanten108. Sie funktionieren nämlich häufig nach Regeln, die sie gegenüber Wettbewerbern privilegieren und die häufig die durch die Ausführung der Gemeinwohlaufgaben entstehenden Verluste ausgleichen sollen, wie z. B. die Einräumung von Monopolen oder die Gewährung finanzieller Beihilfen. Diese staatlichen Vorrechte beeinträchtigen das Ziel des unverfälschten Wettbewerbes im Binnenmarkt (vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c)), und die Unterschiede der Regelungen in den Mitgliedstaaten behindern den gemeinsamen Markt. Um das Ziel des gemeinsamen Binnenmarktes zu erreichen, müssen deshalb die unternehmerischen Tätigkeiten der öffentlichen Hand, soweit sie nationalen Sonderregeln unterliegen, auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Sofern sich die Mitgliedstaaten für ihre Wahrnehmung entschieden haben, müssen sie nach Regeln ausgeführt werden, die nicht den Wettbewerb mit Konkurrenten aus der EU behindern. So verpflichtet Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten zu Liberalisierung und Harmonisierung in diesem Bereich, was in den Mitgliedstaaten politisch zuweilen schwer zu verwirklichen ist. Liberalisierung ist dabei ähnlich wie der Begriff der Deregulierung109 in einem weiten Sinne zu verstehen als die Abschaffung von Eintrittsbarrieren, die Reduzierung staatlicher Interventionen, Privatisierung und die Einführung von Konkurrenz110. Ein aktuelles und besonders strittiges Beispiel für diesen Prozess, der sich als besonders schwierig dort erweist, wo das unternehmerische Handeln des Staates der Produktion von Daseinsvorsorgeleistungen für den Bürger dient, ist der Fall des öffentlichen Banken- und Sparkassenwesens in Deutschland. Eine Änderung dieser in gewisser Weise rein negativen Sichtweise der öffentlichen Dienstleistungen durch das Gemeinschaftsrecht deutet sich an, ohne dass sich aber hieraus konkrete Folgen ergäben: Dem mit dem Vertrag von Amsterdam vor allem auf Drängen Frankreichs eingefügten Art. 16 EGV wird man trotz seines Geltungsvorbehaltes „unbeschadet der Artikel 73, 86 und 87“ und 107

Schwarze, AJDA 1997, 150, 151 f. Vgl. auch Luke, S. 68 f. 109 Zum Begriff der Deregulierung s. Kämmerer, Privatisierungen, S. 55; Ronellenfitsch, DÖV 1996, 1028, 1033. 110 Dictionnaire économique et juridique des services publics en Europe, unter dem Stichwort „libéralisation“. 108

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trotz seines programmhaften Charakters die Aussage entnehmen können, dass gemeinwohlorientierte Daseinsvorsorge nicht lediglich als rechtfertigungsbedürftiger Ausnahmefall anzusehen ist111, sondern als ein Funktionselement der sozialen Marktwirtschaft in der Union112. Während die Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse in Art. 86 Abs. 2 EGV noch allein als Gegenstand rein nationalen Interesses behandelt werden, auf die deshalb die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nur beschränkt Anwendung finden, werden diese Dienste durch die Ergänzung des Vertrags um den neuen Art. 16 EGV auf den Rang eines eigenen Grundwertes der Gemeinschaft gehoben113. Einige Autoren wollen noch weitergehend aus der Vorschrift einen Geltungsvorrang zugunsten der Daseinsvorsorge gegenüber dem Wettbewerbs- und dem Gewinnmaximierungsgedanken ableiten114. In den sog. Verfassungsvertrag wurde Art. 86 Abs. 2 EGV inhaltlich unverändert als Art. III-55 übernommen. Art. 16 EGV wäre in den neuen Art. III-6 eingegangen. Er hätte einen zweiten Satz erhalten, der eine Kompetenz zum Erlass von Verordnungen (dann: Europäische Gesetze) über die „Grundsätze und Bedingungen, insbesondere jene wirtschaftlicher und finanzieller Art, für das Funktionieren dieser Dienste“ vorsah. Rechtsakte, die einen Universaldienst definieren, wie z. B. im Telekommunikationssektor115, und die bislang auf Art. 95 EGV gestützt werden konnten, hätten in Art. III-6 eine spezielle Normsetzungsermächtigung erhalten. Der Vertrag von Lissabon folgt weitgehend den Vorschlägen des Verfassungsvertrags, betont aber stärker die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Auch er lässt Art. 86 Abs. 2 EGV unverändert116. Art. 16 EGV117 erhält einen neuen Satz 2, der die Kompetenz zum Erlass von Verordnungen im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens (bisheriges Mitentscheidungsverfahren) enthält. Die Aufgabenträgerschaft und die Finanzierungshoheit der Mitgliedstaaten für diese Dienste bleiben von der Verordnungsermächtigung ausdrücklich unberührt. Das neue „Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse“ unterstreicht ein weiteres 111

So noch z. B. Keller: Service public und Art. 86 Abs. 2 EGV, S. 23. Schwarze, EuZW 2001, 334, 336; in dem Sinne auch: Badura, Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 30 f.; wohl auch: Nettesheim, Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, S. 51; Kämmerer, NVwZ 2004, 28, 29. 113 Götz, Die Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, S. 924. 114 Ronellenfitsch, DVBl. 2002, 657, 663. 115 Richtlinie 2002/22/EG vom 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, ABl. L 108. 116 Als Art. 106 Abs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung ABl. EU 2008 C 115/91. 117 Als Art. 14 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung ABl. EU 2008 C 115/91. 112

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Mal die Aufgabenträgerschaft und Organisationshoheit der Mitgliedstaaten, die Vielfalt der Dienste und ihr hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit (Art. 1). Er stellt klar, dass die Bestimmungen der Verträge die Organisationshoheit und die Aufgabenträgerschaft der Mitgliedstaaten unberührt lassen (Art. 2). cc) Die Funktion des Art. 86 Abs. 2 EGV und Unanwendbarkeit des EGV auf hoheitliche Staatsfunktionen Zentrale Vorschrift des primären Gemeinschaftsrechts für die öffentlichen Dienstleistungen bleibt Art. 86 Abs. 2 EGV. Diese Vorschrift nimmt einen Ausgleich vor zwischen von Wettbewerbsgedanken/Gewinnmaximierung geprägtem Gemeinsamen Binnenmarkt einerseits und staatlicher Daseinsvorsorge andererseits, die der Verwirklichung des reinen Wettbewerbes häufig zuwiderläuft. Der Aufstieg der öffentlichen Dienstleistungen im System des Gemeinschaftsrechtes lässt sich auch an der Auslegung des Art. 86 Abs. 2 EGV nachvollziehen, die ständig erweitert wurde: Zunächst stellte der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 86 Abs. 2 EGV, also die unmittelbare Wirksamkeit ohne weiteren Ausführungsakt gegenüber denkbaren Adressaten, fest118, die er noch in einem Urteil von 1971 verneint hatte119. Sodann gab er seine ursprüngliche Auffassung auf, dass Art. 86 Abs. 2 EGV lediglich von der Beachtung der Wettbewerbsregeln entbinde120, wofür ihre systematische Stellung im Kapitel „Wettbewerbsregeln“ spricht. Seit seinem Urteil „Porto di Genova“ ist anerkannt, dass Art. 86 Abs. 2 EGV geeignet ist, in umfassendem Sinne die Abweichung von allen allgemeinen Regeln des Vertrages zu rechtfertigen121. Hierfür spricht der Wortlaut der Vorschrift „gelten die Regeln dieses Vertrages, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit . . . nicht . . .“. Noch in einem weiteren Merkmal wurde der Anwendungsbereich des Art. 86 Abs. 2 EGV erweitert: Während die Norm ihrem Wortlaut nach nur von der Anwendung solcher Vertragsvorschriften freistellt, die die Erfüllung der Daseinsvorsorgeaufgabe „verhindern“ würden, stellte der EuGH in seinen Urteilen zu den Ein- und Ausfuhrmonopolen für Elektrizität fest, Art. 86 Abs. 2 EGV

118 EuGH vom 27. März 1974, Rs. 127/73, BRT/SABAM („BRT II“), Rspr. S. 1974, 313, 318. 119 EuGH vom 14. Juli 1971, Rs. 10/71, Madeleine Muller („Hafen von Mertert“), Rspr. 1971, 723. 120 Noch vertreten in der Entscheidung des EuGH vom 10. Juli 1984, Rs. 72/83, Campus Oil, Rspr. 1984, 2727. 121 EuGH vom 10. Dezember 1991, Rs. 179/90, Hafen von Genua, Rspr. S. I-5889; vgl. auch Henri Chavier, in: Commentaire article par article des traités UE et CE, Art. 86 Rn. 24.

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erfordere nur, dass die Anwendung der allgemeinen Vertragsvorschriften die Erfüllung der den Unternehmen übertragenen Aufgabe „gefährden“ würde122. Der Terminus der „Unternehmen, die mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind“, weicht bewusst von der mitgliedstaatlichen Terminologie für den Bereich öffentlicher Dienstleistungen ab und weist bereits darauf hin, dass für die unternehmerische Tätigkeit des Staates im Prinzip keine Ausnahmeregeln gegenüber den privaten Unternehmen gelten sollen. Der Begriff des Unternehmens im (weiten) Sinne des Gemeinschaftsrechts definiert sich als eine Wirtschaftseinheit, die unabhängig auf dem Markt tätig ist123. Die juristische Form des Unternehmens ist dabei unerheblich. Auch die Mitgliedstaaten und andere Gebietskörperschaften können als Unternehmen angesehen werden, sofern sie Tätigkeiten der Produktion, des Handels oder Dienstleistungstätigkeiten ausführen124. Die spezielle Zielsetzung dieser Unternehmen, die in der Erfüllung eines öffentlichen Bedürfnisses bestehen kann, gewinnt Bedeutung lediglich in einem zweiten Schritt: Sie kann unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen von den allgemeinen Regeln rechtfertigen. Die staatlichen Eisenbahnunternehmen sind seit einer Ratsentscheidung von 1965125 ausdrücklich als Unternehmen im Sinne des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Den unternehmerischen Aktivitäten des Staates stehen die hoheitlichen Tätigkeiten gegenüber, die nach der Rechtsprechung des EuGH von vornherein nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechtes fallen126. Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 2 EGV, denn bei hoheitlichen Tätigkeiten handelt es sich nicht um Dienstleistungen im „wirtschaftlichen“ Interesse127. Zum anderen findet sich der Rechtsgedanke, dass hoheitliche staatliche Tätigkeit vom Anwendungsbereich des EGV ausgeschlossen ist, ausdrücklich in Art. 45 EGV für die Niederlassungsfreiheit, in Art. 55 EGV für die Dienstleistungsfreiheit sowie in Art. 39 Abs. 4 EGV für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Dieser Gedanke ist im Hinblick auf die wirtschaftsorientierte Zwecksetzung des EGV, wie sie in Artt. 2 und 3 zum Ausdruck kommt, verallgemeinerungsfähig. 122 EuGH vom 23. Oktober 1997, Rs. C-157/94, Kommission/Niederlande, Rspr. 1997, I-5699, 5780. 123 EuGH vom 12. Juli 1984, Rs. 170/83, Hydrotherm Gerätebau/Compact, Rspr. S. 2999. 124 EuGH vom 16. Juni 1987, Rs. 118/95, Kommission/Italienische Republik, Rspr. 2619; s. zu dem Thema auch: Schwarze, EuZW 2000, 613 f. 125 Entscheidung des Rates Nr. 65/271/EWG vom 13.5.1965, ABl. Nr. 88 vom 24.5.1965, S. 1500. 126 EuGH vom 19. Januar 1994, Rs. C-364/92, SAT Fluggesellschaft GmbH/Eurocontrol, Rspr. S. I-43. 127 s. zur Auslegung des Begriffs „wirtschaftlich“ EuGH vom 12.2.2000, verbundene Rs. 180–184/98, Pavel Pavlov und andere/Stichting Pensioenfonds Medische Specialisten, Rspr. 2000 I-6451; sowie Nettesheim, Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, S. 53 f.

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Ob eine Einrichtung hoheitliche Tätigkeiten ausführt, folgt aus der Natur der Aufgaben, die ihr zur Erfüllung übertragen wurden. Ein Organismus kann dabei gleichzeitig hoheitliche Funktionen ausüben und Dienstleistungen erbringen, die dann nur zum Teil den Anforderungen des EGV unterliegen. So kann z. B. eine Einrichtung als unternehmerische Tätigkeit einen Flughafen betreiben und gleichzeitig als hoheitliche Tätigkeit die Sicherheit des Luftverkehrs gewährleisten128. Der EuGH erkennt darüber hinaus an, dass bestimmte staatliche Leistungen sozialer Art nicht als unternehmerische Tätigkeit anzusehen sind. Voraussetzungen hierfür sind die Pflichtmitgliedschaft und das Prinzip der Solidarität. Ein Beispiel stellen die öffentlichen Krankenkassen129 dar. dd) Überprüfung des öffentlichen Interesses im Gemeinschaftsrecht Im Gegensatz zum nationalen Recht, wo die öffentliche Hand über ein weites Ermessen bei der Definition der von ihr wahrzunehmenden öffentlichen Interessen verfügt, stellt das Gemeinschaftsrecht materielle Anforderungen an die Definition des öffentlichen Interesses, dessen Vorliegen die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit von Sonderregeln zur Folge hat. Das allgemeine wirtschaftliche Interesse stellt dabei eine Untergruppe des öffentlichen Interesses dar, das im innerstaatlichen Recht staatliches Handeln rechtfertigt. Die Existenz dieser gemeinschaftsrechtlichen Regeln lässt sich damit rechtfertigen, dass es einen einheitlichen, für alle Mitgliedstaaten gültigen Maßstab anlegen muss. Dabei gerät es in potentiellen Konflikt mit den mitgliedstaatlichen Institutionen130. Der EuGH überprüft das Vorliegen eines allgemeinen wirtschaftlichen Interesses im Rahmen des Art. 86 Abs. 2 EGV anhand von zwei Voraussetzungen131: Erstens muss eine besonders enge Bindung an den Staat existieren. Dies setzt einen formellen hoheitlichen Akt, ein Gesetz, eine Rechtsverordnung oder einen Verwaltungsakt, voraus, der die entsprechende Institution mit der Durchführung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse betraut132. Die zweite Voraussetzung ist das Vorliegen eines wichtigen gesellschaftlichen Bedürfnisses für die fragliche Tätigkeit. Diese Voraussetzung ist problematischer als die erste, denn sie berührt politische Entscheidungen der Mitgliedstaaten. Zunächst beschränkte sich der EuGH darauf, den Nutzen der Tätigkeit für die Volkswirtschaft zu bewerten133, später zog er als Kriterium den Umstand heran, ob die Aktivität Merk128 Entscheidung der Kommission vom 28. Juni 1995, 95/364/CEE, RVA, JOCE L.216, 12. September 1995. 129 EuGH vom 7. Februar 1993, Rs. C-159, Poucet u. a./AGF, Rspr. S. I-664. 130 Kovar, RTD eur. (Revue trimestrielle de droit européen) 1996, 217, 232. 131 EuGH vom 19. Mai 1993, Rs. C-320/91, Corbeau, Rspr. I-2562 und EuGH vom 27. April 1994, Rs. C-392/92, Gemeinde Almelo, Rspr. S. I-1477. 132 EuGH vom 14. Juli 1971, Rs. 10/71, Muller („Hafen von Mertert“), Rspr. S. 723. 133 EuGH vom 19. Mai 1993, Corbeau, wie vor.

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1. Teil: Allgemeines

male aufweist, die sie von gewöhnlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten unterscheidet, wobei er auf das Kriterium einer „gewissen Besonderheit“ abstellte134. Seit seiner Entscheidung vom 19. Mai 1993 „Corbeau“135 identifiziert der EuGH ein Unternehmen, das im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EGV mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut ist, nach dem Kriterium, ob das Unternehmen materiell Aufgaben der Daseinsvorsorge ausführt. Damit gerät er in den Bereich eines Zirkelschlusses. Um eine Unternehmung, die mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut ist, zu identifizieren, zieht der EuGH folgende Kriterien heran: Abdeckung des gesamten Staatsgebiets mit den Unternehmensleistungen, Zugang aller zu den Leistungen, Existenz eines diskriminierungsfreien Tarifsystems136, eine gleichmäßige Leistungsqualität, die Nichtexistenz von Sonderbedingungen und keine Rücksichtnahmen auf die Rentabilität im Einzelfall137. In dem vom EuGH herangezogenen Merkmalskatalog, der Unternehmen, die mit Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betraut sind, kennzeichnet, finden sich Elemente der aus dem französischen Verwaltungsrecht bekannten „lois de Rolland“ wieder138. Die von einem solchen Unternehmen ausgeführte Dienstleistung ist darauf gerichtet, ein bestimmtes soziales Bedürfnis zu befriedigen, und sie ist durch besondere Ausführungsmodalitäten im Hinblick auf die territoriale Abdeckung und die Tarifgestaltung charakterisiert. Begriffsmerkmale des service public und die auf diesen anzuwendenden Gesetzmäßigkeiten werden nicht unterschieden139. Wie in nationalen Rechtsakten findet man auch in den Äußerungen der Gemeinschaftsorgane den Gedanken, dass Dienste der Daseinsfürsorge der marktwirtschaftlichen Logik der Gewinnerzielungsabsicht nicht unterworfen sind140. Man wird in den entwickelten Kriterien die Tendenz des EuGH sehen müssen, die Wertungen der Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Daseinsvorsorgeaufgaben zu akzeptieren und sich – wie die Kommission ihrerseits in einer Mitteilung von 2000 ankündigt141 – auf die Kontrolle „offenkundiger Fehler“ zu beschränken. So stellt Götz in der Entscheidungslinie der Urteile von „Corbeau“ über „Gemeinde Almelo“ bis zu den Entscheidungen über die Elektrizitätseinfuhrmonopole in den Niederlanden, Frankreich, Italien und Spanien die 134

EuGH vom 10. Dezember 1991, Rs. 179/90, Hafen von Genua, Rspr. S. I-5889. EuGH vom 19. Mai 1993, Corbeau, wie vor. 136 EuGH vom 27. April 1994, Gemeinde Almelo, wie vor. 137 EuGH vom 19. Mai 1993, Corbeau, wie vor. 138 Kovar, RTD eur. 1996, 217, 236. 139 Götz, Die Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, S. 923. 140 Kovar, RTD eur. 1996, 217, 236. 141 Mitteilung der Europäischen Kommission vom 20.9.2000, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM (2000) 580 endgültig, ABL. C 17/2001, S. 8. 135

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Tendenz der Rechtsprechung des EuGH fest, Zurückhaltung bei der Anwendung der allgemeinen Wettbewerbsregeln zu üben und Liberalisierungsimpulse dem sekundären Gemeinschaftsrecht zu überlassen142. ee) Anwendung auf die Eisenbahnen Der EuGH hatte bislang nicht Gelegenheit, sich zu der Qualifizierung der staatlichen Eisenbahnunternehmen als „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“, zu äußern. Soweit ein Eisenbahnunternehmen hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, unterliegt es nicht dem Anwendungsbereich des EGV. Die Kommission hat in ihrer Entscheidung „Network Rail“ die Auffassung vertreten, dass ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen, das für den Betrieb, den Unterhalt und die Erneuerung des Eisenbahnnetzes zuständig ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausführt und damit als Unternehmen zu qualifizieren ist143. Erst recht muss das Erbringen von Beförderungsleistungen als eine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des EGV angesehen werden, weil es sich hier um Dienstleistungen handelt144. Fraglich ist, ob Eisenbahnverkehrsdienstleistungen im allgemeinen Interesse im Sinne des Art. 86 Abs. 2 EGV liegen können. Die kasuistische Rechtsprechung des EuGH zu diesen Voraussetzungen scheint nicht hinreichend gefestigt, um hieraus sichere Schlüsse für zukünftige Entscheidungen ziehen zu können. Der EuGH hat aber im Transportsektor die Eigenschaft von „Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind“, bereits Transporteuren zuerkannt, denen die öffentliche Hand die Verpflichtung auferlegt hat, Linien zu betreiben, die nicht wirtschaftlich rentabel sind, deren Betrieb aber aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist145. Dieses Kriterium dürfte nicht auf den gesamten Eisenbahnsektor zutreffen146, denn Güterund Personenfernverkehr können im Prinzip eigenwirtschaftlich und gewinnträchtig betrieben werden, und an diesen Leistungen besteht ein geringeres öffentliches Interesse als an ÖPNV-Leistungen. Zumindest der Schienenpersonennahverkehr mit Einnahmenquoten, die die Ausgaben nur zu 30–40% decken, ist aber nicht flächendeckend wirtschaftlich rentabel zu betreiben. Hier wird man deshalb gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV von der Zulässigkeit von Sonderregeln zu allgemeinen Regelungen des EGV, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind, ausgehen können. 142 Götz, Die Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, S. 928. 143 Entscheidung der Europäischen Kommission vom 17.7.2002, Network Rail, C (2002) 2622 fin, state aid nº N 356/2002, Rn. 72. 144 Schulz, S. 223. 145 So für den Flugverkehr: EuGH vom 11. April 1989, Rs. 66/86, Ahmed Saaed Flugreisen, Rspr. S. 398. 146 Kovar, RTD eur. 1996, 217, 239.

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Auch die sekundärrechtliche VO 1191/69/EWG, s. u. II.3.b)aa), die die Aufrechterhaltung bestimmter „Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ im Verkehrssektor regelt, erkennt an, dass Eisenbahnverkehrsunternehmen im Prinzip Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ausführen können, und normiert, wie ihm solche Dienstleistungen aufzuerlegen sind. Damit stellt sich die Frage, ob die VO 1191/69/EWG die Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes im Eisenbahnverkehr abschließend regelt oder ob darüber hinaus weitere Betrauungen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, sofern sie Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufen, aus Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertigt werden können. Die VO 1191/69/EWG beschreibt die Typen der Pflichten, die einem Unternehmen im öffentlichen Interesse auferlegt werden können, und die Art der Auferlegung der Verpflichtung. Zwar scheint die VO 1191/69/EWG den Anspruch zu erheben, Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes im Verkehrssektor abschließend zu regeln, vgl. Erwägungsgründe 1. Absatz und 2. Absatz, Art. 1 Abs. 3 und hierzu genauer unten II.3.b)aa). Wie sich aus ihrem Art. 2 Abs. 2 ergibt, sind „Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ im Sinne der VO Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht. Ihr Anwendungsbereich sind diese Pflichtentypen. Andere Leistungen, die zur Verwirklichung eines öffentlichen Interesses erbracht werden, werden tatbestandsmäßig nicht von der VO erfasst. Ihre Berechtigung muss deshalb anhand der Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EGV überprüft werden. Dies entspricht der Funktion des Art. 86 Abs. 2 EGV als einer primärrechtlichen Generalausnahmevorschrift zugunsten von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, vgl. auch unten F.V.2. am Ende. Der Anwendungsbereich der Nachfolgeverordnung der VO 1191/69/EWG, der VO 1370/07/EG, ist hingegen umfassender als der ihrer Vorgängerverordnung. Nach Art. 2 Buchstabe e) sind „gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen“ Anforderungen, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte. Regelungsgegenstand der Verordnung ist damit nach Art. 1 Abs. 1 die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die unter anderem zahlreicher, sicherer, höherwertig oder preisgünstiger sind als diejenigen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte. Diese weite Beschreibung des Regelungsgegenstandes lässt wenig Raum für Fälle, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Dennoch verweist Erwägungsgrund 36 für alle anderen, durch die Verordnung nicht erfassten Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste, die öffentliche Beihilfen beinhalten können, auf die allgemeinen primärrechtlichen Bestimmungen der Artt. 73, 86, 87 und 88 sowie auf die Kriterien der Altmark-Trans-Rechtsprechung des EuGH147. Damit bleibt Art. 86 Abs. 2 EGV neben der VO 1370/2007/EG anwendbar.

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Einige Autoren vertreten die Ansicht, der gesamte Schienenpersonenverkehr sei von dem Begriff der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erfasst148. Auch die Kommission „anerkennt“ die Rolle, die die Eisenbahnen bei der Erfüllung allgemeiner wirtschaftlicher Interessen spielen149. 4. Vergleich Der öffentliche Aufgabenbestand hat in Frankreich wie in Deutschland einen ähnlichen Umfang, was in Ländern mit vergleichbarem Entwicklungsstand und Grundwerten auch nicht überraschen kann. In beiden Staaten unterscheidet man die Aufgaben des liberalen Staates von denjenigen der Leistungsverwaltung, in beiden Staaten wird eine materielle Definition der Staatsaufgaben bzw. der öffentlichen Aufgaben für unmöglich gehalten. Dennoch existiert in Frankreich mit dem Konzept des service public ein theoretischer juristischer Überbau der Verwaltungsorganisation und der auf alle öffentlichen Aufgaben anzuwendenden Prinzipien. Ein ähnlicher Ansatz kann im deutschen Rechtskreis in der Identifizierung öffentlicher Aufgaben gesehen werden, die der Staat nicht selbst ausführen muss, sondern durch Private ausführen lassen kann und die nicht notwendig dem öffentlichen Recht, aber bestimmten Rechtsbindungen unterliegen, s. o. 2.a)dd) und unten E.III.6.150. Diese öffentlichen Aufgaben werden von den Staatsaufgaben unterschieden, die der Staat selbst wahrnimmt. Ein anderer neuerer Ansatz unterscheidet nach Verantwortungsbereichen, s. u. E.III.6. Im Allgemeinen kennt der deutsche Rechtskreis aber keinen vergleichbaren Begriff. Das Konzept des service public hat auch in Deutschland – seit Otto Mayer – immer wieder Beachtung gefunden151. In jüngerer Vergangenheit haben hierzu vor allem beigetragen, dass die Organe der EU bisweilen durch die französische Figur des service public inspiriert sind, sowie zweitens, dass auch nach einer Übertragung einer öffentlichen Aufgaben auf einen Privaten unter bestimmten Voraussetzungen die verwaltungsrechtlichen Grundsätze des service public Anwendung finden152. Allerdings wird dabei der service public meist auf den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorgeaufgaben verengt gesehen. Wäh147

Vgl. EuGH vom 24.7.2003, Rs. C-280/00 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515. So Arsac, S. 68 ff.; wie hier wohl Schulz, S. 230. 149 Mario Monti, Rede vom 21. Mai 2002, Doknr.: SPEECH/02/216. 150 Le Nestour/Zinow, RdE 1994, 170, 171. 151 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Pielow, S. 111–266. 152 Z. B. Keller, Service public und Art. 86 Abs. 2 EGV; für eine Übernahme des Begriffs in den deutschen Rechtskreis z. B. Fritz Münch, in: VVDStL 19 (1961), Aussprache und Schlussworte zum Beratungsgegenstand: Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, S. 244, dagegen: Scheuner, ebd., S. 245; Helmut Lecheler, RdE 1996, 212, 213. 148

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1. Teil: Allgemeines

rend das Abgrenzungskriterium des service public zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht im Sinne der Interessentheorie auf den Zweck des Staatshandelns abstellt, dient dieses Kriterium im deutschen Recht nicht zur Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Lediglich der Begriff der Daseinsvorsorge rückt den Handlungszweck in den Mittelpunkt der Betrachtung. Allein in dieser Hinsicht steht er dem Begriff des service public nahe153. Die Existenz der Rechtsfigur des service public kann für das französische Verwaltungsrecht als symptomatisch angesehen werden, und es bringt zum deutschen Verwaltungsrecht einen Perspektivunterschied zum Ausdruck, den Marcou folgendermaßen beschreibt154: „Das deutsche Verwaltungsrecht hat sich aus der Notwendigkeit entwickelt, den Rechtsstaat zu etablieren; es ist nicht, wie das französische Verwaltungsrecht, ein Recht im Dienste des Gemeinwohls, getragen vom Mythos der nationalen Souveränität, sondern ein Recht, das den Schutz der Individualrechte gegenüber der Exekutiven gewährleisten soll.“ Während in der Republik Frankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert die nationale Souveränität – getragen von der Existenz einer Verfassung, der Menschenrechtserklärung von 1789 und der Proklamation des Gesetzes als Ausfluss der volonté générale155 – die Legitimität von Staat und Gesetz begründete und das Verwaltungsrecht die Aufgabe hatte, die Verwaltung an das Gesetz zu binden, hatte das entstehende Verwaltungsrecht in Deutschland zu derselben Zeit die Funktion, den Einzelnen gegenüber der Autorität zu schützen. Hieraus resultierte eine stärkere Fixierung des deutschen Verwaltungsrechts auf die Handlungsinstrumente gegenüber dem Bürger und seinen Rechtsschutzinstrumenten hiergegen, wohingegen sich das französische Verwaltungsrecht mehr an den Aufgaben der Verwaltung und der rechtlichen Einordnung der entsprechenden Tätigkeiten orientierte156. Dieser unterschiedliche Blickwinkel mag auch erklären, dass die Schaffung öffentlicher Dienstleistungen in Frankreich im Prinzip als im Ermessen des Gesetzgebers stehend angesehen wird, das erst bei Missbrauch oder Willkür an die Grenzen der Eigentumsfreiheit aus Art. 17 der Déclaration des Droits de l’Homme stößt157, sie in Deutschland aber von vornherein als potentieller Eingriff in die Unternehmerfreiheit des Art. 12 GG angesehen wird158. Dieser Unterschied liegt aber mehr im methodischen Ansatz als dass er zu verschiedenen Ergebnissen führen würde.

153

Marcou, Les services publics en droit allemand, S. 156, 191. Marcou, Les services publics en droit allemand, S. 190. 155 Vgl. Pielow, S. 196 f. 156 Marcou, Les services publics en droit allemand, S. 105 f., 156. 157 Stirn, CJEG 1993, 299, 303. 158 Götz, Die Betrauung mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, S. 933; vgl. auch: Schwarze, AJDA 1997, 150, 153. 154

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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Deutschland und Frankreich sind damit exemplarisch für zwei Rechtskreise in Europa, die danach unterteilt werden, ob sie den stilbildenden Begriff des service public kennen und dieser eine mehr oder weniger große Rolle spielt (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, Griechenland) oder ob in ihnen die Rechtsfigur des service public nicht bekannt ist und ein Wettbewerbsmodell vorherrscht (Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Irland, Dänemark)159. Auch die Ausführungsform der öffentlichen Daseinsvorsorgeleistungen unterscheidet die beiden Gruppen typologisch voneinander: In Ländern der ersten Gruppe führt häufig ein nationales staatliches Unternehmen oder ein privates Unternehmen öffentliche Dienstleistungen aus. Seine Versorgungaufgaben und -verpflichtungen sind häufig gesetzlich bestimmt. Es steht unter staatlicher Aufsicht und verfügt häufig über Sonderrechte160. So waren traditionell die großen französischen Versorgungsbetriebe durch vier Merkmale gekennzeichnet: Statut als nationales Wirtschaftsunternehmen, Integration verschiedener Aktivitäten, Monopol und Autonomie der Geschäftsführung im Rahmen der durch die öffentliche Hand festgesetzten Orientierungen161. In Ländern der zweiten Gruppe existieren zur Ausführung von Daseinsvorsorgeaufgaben häufig eine größere Zahl von Betreibern mit ausschließlichen Versorgungsgebieten, die eher auf gegenseitiger Vereinbarung und Absprache denn auf Hoheitsakt beruhen162. In Deutschland werden vor allem auf lokaler Ebene staatliche Versorgungsleistungen mehr durch Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung erbracht als durch die Beauftragung Privater mit der Verwaltungsaufgabe, was in Frankreich die typische Handlungsform auf dieser Daseinsvorsorgeebene ist163. Auch in Frankreich existiert keine Gleichsetzung von öffentlicher Aufgabe und öffentlich-rechtlicher Rechtsform. In Frankreich wie in Deutschland können Daseinsvorsorgeaufgaben in öffentlich-rechtlicher, aber auch in privatrechtlicher Form erbracht werden. Doch bestehen Unterschiede im Detail. So entscheidet im französischen Verwaltungsrecht die Qualifizierung als spa bzw. als spic auch über das Rechtsverhältnis zum Benutzer, wohingegen im deutschen Verwaltungsrecht ein hoheitsrechtlich organisierter Verwaltungsträger noch zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Auftreten gegenüber dem Bürger wählen kann164. Der service public à la française wird häufig als wettbewerbsfeindlich beschrieben. Zwar stellt der staatliche Monopolbetrieb in Frankreich eine traditio-

159

Löwenberg, S. 50 f. Löwenberg, S. 52. 161 Fournier, S. 191. 162 Löwenberg, S. 44 ff., Einteilung nach: CEEP, Europa, Wettbewerb und öffentliche Dienstleistungen, S. 19 und Europe, concurrence et service public, S. 12 ff. 163 Marcou, RFDA 1995, 462, 463, 470 und 478. 164 Marcou, RFDA 1995, 462, 467. 160

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1. Teil: Allgemeines

nelle Form der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen dar. Ein Rechtsprinzip, dass ein service public nur aufgrund von Sonderrechten funktioniere, existiert aber nicht und ergibt sich auch nicht aus den lois de Rolland165. Zwar wird traditionell eine Konzession, mit der die Ausführung einer Daseinsvorsorgeverpflichtung auf den Konzessionär übertragen wird, mit der Ausübung von Sonderrechten verknüpft. Dies ist erforderlich, um dem Konzessionär eine Position zu sichern, die ihm erlaubt, bei der Ausübung der Aufgabe im Gemeininteresse, die er definitionsgemäß in eigener wirtschaftlicher Verantwortung ausführt, einen Gewinn zu erwirtschaften und ihm eine gewisse Vorhersehbarkeit der Geschäftsentwicklung zu ermöglichen. Auch wird teilweise ein natürliches Monopol bestehen, z. B. im Bereich der Wasserversorgung. Die Vertragsform der Konzession geht aber nicht notwendigerweise mit einem Monopol einher. So wird beispielsweise dem Konzessionär der Durchführung von Bestattungen (pompes funèbres) kein Monopol eingeräumt. Das französische Verwaltungsrecht verpflichtet auch nicht, das Vertragsmodell der Konzession zu verwenden. Auch andere Formen der délégation de service public können verwendet werden, die keine Sonderrechte des Konzessionärs erfordern. Allenfalls kann man von einer Typizität sprechen, in Frankreich die Erfüllung der klassischen Daseinsvorsorgeaufgaben durch eine bevorzugte Behandlung im Wettbewerb finanziell abzusichern. Aber auch in Deutschland muss der Staat die Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben sicherstellen, s. zu den verschiedenen Möglichkeiten des wirtschaftlichen Ausgleichs sogleich unten II. Dem klassischen Konzept der Daseinsvorsorge zufolge existiert in dem Bereich kein freier Wettbewerb166. Hier haben sich allerdings einerseits mehr dezentrale Formen herausgebildet, bei denen man schwerer als in Frankreich ein einheitliches Konzept ausmachen kann. Zum anderen halten hier häufig im Bereich der lokalen Versorgung die Gemeinden Anteile an privaten Unternehmen, die öffentliche Aufgaben ausführen und dafür öffentliche Unterstützungszahlungen erhalten. Die Gewährung eines Monopols ist dann nicht erforderlich, um dem Privaten einen rentablen Geschäftsbetrieb zu ermöglichen. Im ÖSPV findet sich beispielsweise folgendes Schema: Den Verkehrsunternehmen wird kein offizielles Sonderrecht gewährt, sie erhalten aber als einzige in dem unprofitablen gemeinwirtschaftlichen Bereich staatliche Unterstützungszahlungen und sind so häufig die einzigen, die diese Leistungen anbieten können. Im Gegensatz zu den mitgliedstaatlichen Konzepten und insbesondere zum service-public-Konzept erfasst das Gemeinschaftsrecht die öffentlichen Dienstleistungen bislang vorwiegend unter der Perspektive, ihre Ausführungs- und Finanzierungsmodalitäten mit dem wettbewerbsfreundlichen Gemeinsamen Binnenmarkt in Einklang zu bringen. Darüber hinaus gehende Ansätze einer eige165 166

Pielow, S. 164 f.; Fournier, S. 103. Ronellenfitsch, in: Rapport public du Conseil d’Etat, S. 439.

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nen Vision öffentlicher Dienstleistungen im Gemeinschaftsrecht im Sinne eines sozialen Europa bestehen erst in Anfängen, vgl. Art. 16 EGV. Diesen Ausgleich sucht das Sekundärrecht durch zweierlei Normtypen zu erreichen: Regeln zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und zur Festlegung erlaubter Wettbewerbsbeschränkungen einerseits und Regeln, die die öffentlichen Wirtschaftsaktivitäten gemeinschaftsweit im Sinne eines Höchststandardes definieren, andererseits167. Als Beispiel für ersteres können im Luftverkehr eine Betriebsverpflichtung sowie ein Streckenmonopol für unrentable Strecken, für deren Betrieb ein besonderes öffentliches Interesse festgestellt wird, durch Vertrag nach Ausschreibung verliehen werden168. Als Beispiel für zweiteres wurde im Telekommunikationssektor ein gemeinschaftsweiter Universaldienst definiert169. Dabei verfolgt die Kommission ein sektorenspezifisches Vorgehen; den Erlass einer generellen Rahmenrichtlinie über Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse lehnt sie ab170. II. Die gesetzlichen Verpflichtungen im öffentlichen Interesse im Eisenbahnsektor Traditionell ist der Transportsektor in besonders hohem Maße staatlichen Einflussnahmen unterworfen171. Im Personennahverkehr mangelt es an hinreichender Nachfragekumulation der Individuen nach Transportleistungen bzw. an Zahlungsbereitschaft für entsprechende eigenwirtschaftlich kalkulierte Angebote. Eine zusätzliche Verknappung des Leistungsangebots entsteht durch staatliche Genehmigungspflichten. Viele Nahverkehrsleistungen sind wirtschaftlich nicht so attraktiv, dass Verkehrsunternehmen solche Leistungen von sich aus anböten. Hierzu reicht die Privatinitiative nicht aus. Um dennoch eine Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, muss deshalb die öffentliche Hand intervenieren. Im Eisenbahnverkehr spricht insbesondere das öffentliche Interesse an einer flächendeckenden Versorgung mit Verkehrsdiensten zu sozialverträglichen, aber partiell nicht kostendeckenden Preisen für staatliche Interventionen, vgl. auch die Aufzählung in Artt. 1–3 des französischen LOTI, s. hierzu sogleich unter 1.a). Die Sicherstellung der Mobilität der Bevölkerung ist vor allem im Nahver167

Soukup, ZögU 1996, 164, 167. Vgl. Art. 4 VO 2408/92/EWG vom 19.6.1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, ABl. L 240. 169 Vgl. Art. 3 ff. Richtlinie 2002/22/EG vom 7.3.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten, ABl. L 108. 170 Weißbuch der Kommission vom 12.5.2004 KOM (2004) 374 endgültig. 171 Zu den ökonomischen und politischen Begründungen kritisch: Aberle, Transportwirtschaft, S. 92 ff. 168

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1. Teil: Allgemeines

kehr ein Grundbedürfnis, denn unsere heutige Lebensweise setzt Beweglichkeit innerhalb regionaler Räume voraus172. Die meisten Bürger können den täglichen Weg zur Arbeit oder Ausbildungsstätte ohne Beförderungsmittel nicht zurücklegen. Aus juristischer Perspektive ist damit die Mobilität Grundvoraussetzung für die Verwirklichung vieler Grundrechte173. Schon seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Staat Einfluss auf die privaten Eisenbahnunternehmen. In Deutschland sah beispielsweise das preußische Eisenbahngesetz174 zu diesem Zwecke ein umfassendes Genehmigungserfordernis sowie eine Betriebspflicht (§ 24), eine Tarifpflicht (§ 26 Nr. 1) und eine Beförderungspflicht (§ 26 Nr. 2) vor175. Schon damals waren sowohl Infrastruktur als auch Verkehrsleistung staatlichen Lenkungsmechanismen unterworfen. In Frankreich band das Gesetz vom 11.6.1842 die Eisenbahnunternehmen über ein System nationaler Konzessionen an den Staat176. Die Konventionen enthielten die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Eisenbahnunternehmen. Die Instrumentarien haben sich fortentwickelt, und heute können nach ihren Regelungsmechanismen drei Typen staatlichen Handelns unterschieden werden, um die Ausführung öffentlicher Dienstleistungen, und insbesondere von ÖPNV-Leistungen, sicherzustellen177: – Erstens kann der Staat gemeinwirtschaftliche Leistungen Unternehmen hoheitlich auferlegen. Dies kann entweder im Wege generell-abstrakter gesetzlicher Verpflichtungen geschehen oder im Wege individuell-konkreter Auferlegung: Beispielsweise beinhaltet die nach §§ 9 ff. PBefG für ein bestimmtes Verkehrslos erteilte Gewerbeerlaubnis eine Verpflichtung zur Durchführung des genehmigten Verkehrsloses, das gemeinwirtschaftliche Aufgaben umfassen kann, vgl. § 21 PBefG. Individuelle gemeinwirtschaftliche Auflagen können aber auch erst im Laufe des Betriebs auferlegt werden. Weiterhin sichern Tarifgenehmigungspflichten wie in § 12 AEG dem Staate Einfluss auf die Tarifgestaltung. In Fällen individuell-konkreter Auferlegung werden häufig schon rechtsstaatliche Grundsätze eine angemessene Entschädigung des Verkehrsunternehmens für die Ausführung der Aufgabe gebieten. – Zweitens können der Staat oder andere Gebietskörperschaften eigene Unternehmen gründen oder sich an solchen beteiligen und über sie in der ge172

Maaß, S. 42. Ronellenfitsch, JöR 1996, 168, 180 f. sowie Ronellenfitsch, DAR 92, 321, 322 f. zu dem hieraus im deutschen Recht abgeleiteten Grundrecht auf Mobilität s. genauer unten 2.b)aa). 174 Preußisches Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3.11.1838, Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1838, S. 505 ff. 175 Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 53 f.; Schulz, S. 169 f. 176 Fournier, S. 184. 177 Vgl. auch die ähnliche Kategorisierung bei Cox, Das Angebot von Universaldienstleistungen, S. 81; sowie: Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 311 f. 173

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wünschten Weise im Markt agieren. Diese Möglichkeiten nutzen vor allem Gemeinden, die über kein eigenes Gesetzgebungsrecht und auch nur über geringen Einfluss auf den Gesetzgeber verfügen178. Um diesen mit der Ausführung nicht kostentragender Verkehre belasteten Unternehmen das Überleben zu sichern, müssen sie einen externen Finanzausgleich, d.h. Ausgleichszahlungen von außen, oder einen internen Finanzausgleich, etwa durch einen internen Querverbund mit rentablen Betriebsteilen, erhalten. – Drittens kann der Staat gegen hinreichend attraktive Entlohnung Vertragsschlüsse anbieten, in denen sich private Betreiber verpflichten, bestimmte im öffentlichen Interesse liegende Leistungen auszuführen. Was den Unternehmen auch einseitig auferlegt werden könnte, wird dann im Wege rechtsgeschäftlicher Verpflichtung erreicht. Denkbar wäre schließlich, dass die öffentliche Hand benachteiligten Individuen Geld zur Verfügung stellt, damit diese die Befriedigung ihrer Mobilitätsbedürfnisse selbst organisieren179. Ihrem Inhalt nach können staatliche Interventionen darauf gerichtet sein, die Durchführung von Verkehren zu veranlassen oder auf bestehende Verkehre einzuwirken. Hierzu haben sich folgende Pflichtentypen etabliert: Betriebspflicht, Beförderungspflicht, Tarifpflichten, Genehmigungspflichten von Fahrplänen und die Aufstellung von Anforderungen an die Leistungsqualität. Die Betriebspflicht dient dem Interesse der Benutzer an der Kontinuität der Verkehrsleistungen und untersagt dem Verkehrsunternehmer, seinen Betrieb einzuschränken oder einzustellen180. Sie stellt damit eine sog. Marktaustrittsbeschränkung dar181. Die Beförderungspflicht dient dazu, die Vorteile des Verkehrsbetriebs möglichst allen Benutzern zukommen zu lassen182. Tarifliche Bindungen stellen ein weiteres „klassisches Instrumentarium“ dar. Indem die Tarife im voraus allgemeingültig aufgestellt werden, dienen sie letztlich der Verwirklichung des Gleichheitsprinzips183. Verkehrsunternehmen können ferner an Höchst- oder Festentgelte gebunden werden, und gesetzliche Vorschriften können Sozialtarife zugunsten bestimmter Personengruppen vorsehen. Das Gleichheitsprinzip führt in diesem Zusammenhang zu der Wertung, dass ein Benutzer nicht aufgrund ökonomischer oder sozialer Benachteiligung von 178 179

Püttner, Verwaltungslehre, S. 264. Luke, S. 408; nur in Bezug auf Sozialtarife: Fehling, Die Verwaltung 2001, 25,

52. 180 181 182 183

Lange, S. 69. Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 57. Lange, S. 69. Püttner, Daseinsvorsorge und service public im Vergleich, S. 52.

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1. Teil: Allgemeines

der Nachfrage nach diesen gesellschaftlich wichtigen Diensten ausgeschlossen werden soll184. Die Tarifpflicht dient dann auch sozialstaatlichen Zwecken. Ferner kann eine staatliche Genehmigungspflicht für Tarife vorgesehen werden, im Rahmen derer staatliche Vorstellungen gegenüber dem Verkehrsunternehmen durchgesetzt werden können. Schließlich können dem Verkehrsunternehmen Tarifsysteme vorgeschrieben werden, die nicht zwischen gewinnträchtigeren und weniger gewinnträchtigen Verkehrsverbindungen differenzieren, was aus strukturpolitischen Gründen verhindern soll, dass wirtschaftlich schwache, verkehrsungünstiger gelegene Gebiete benachteiligt werden185. Auch die Fahrpläne können staatlicher Genehmigungspflicht unterworfen werden186, vgl. § 40 PBefG. Staatliche Anforderungen können auch an Schnelligkeit und Qualität der Fahrzeuge gestellt werden. Weiterhin können Verkehrsunternehmen zur Kooperation verpflichtet werden, vgl. § 7 RhPfNVG, oder zur Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards, vgl. Artt. 7–9 cahier des charges der SNCF, § 4 Abs. 8 BWÖPNVG. Die zuletzt genannten Verpflichtungen sind aber in den deutschen ÖPNVGen lediglich als „soll“-Bestimmungen formuliert. Ihre Konkretisierungen gegenüber den Verkehrsunternehmen erfahren sie in den Verkehrsverträgen. Gemeinwirtschaftliche187 Aufgaben, die Verkehrsunternehmen individuellkonkret auferlegt werden, bedürfen eines wirtschaftlichen Ausgleichs, um die Unternehmen nicht im Wettbewerb zu benachteiligen und ihre Existenz zu gefährden. Folgende Mechanismen bieten sich an: Zunächst kann die öffentliche Hand einen Ausgleich für die entstandenen – bzw. die nach einem objektiven Maßstab vernünftigerweise entstehenden – Belastungen zahlen. Ein weiteres Mittel ist die Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte, um dem Betrieb gewinnbringende Einnahmenpositionen zu verschaffen188. Diese Gewinne können dann Verluste aus anderen Bereichen ausgleichen (Quersubventionierung). Dies war Teil der klassischen Finanzierungsform des Eisenbahnverkehrs in Frankreich wie auch in Deutschland vor der Bahnreform. Denkbar ist auch die Einrichtung eines Fonds, in den alle Unternehmen des Sektors einzahlen und mit dem der Ausgleich der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben finanziert wird.

184

Cox, Das Angebot von Universaldienstleistungen, S. 80. Lange, S. 55. 186 Lange, S. 59. 187 Gemeinwirtschaftliche Unternehmungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht in erster Linie auf individuelle Gewinnerzielung, sondern unmittelbar auf gesellschaftliche Bedarfsdeckung und die Verfolgung sonstiger Gemeinwohlziele ausgerichtet sind und dabei häufig auf öffentliche Zuschüsse angewiesen sind, vgl. Brun-Otto Bryde, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 15 Rn. 11. 188 Soukup, ZögU 1996, 164, 167. 185

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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Im Folgenden werden die gesetzlichen Verpflichtungen im Eisenbahnsektor dargestellt. Die durch Vertrag im Regionalverkehr begründeten werden im Einzelnen im zweiten Teil dargestellt. 1. Der service public du transport und der service public ferroviaire a) Die französische Regelung im LOTI Das Gesetz „loi d’orientation des transports intérieures“ vom 30. Dezember 1982 (LOTI)189 proklamiert den gesamten französischen Binnenverkehr als service public du transport190 und gestaltet seinen Inhalt aus. Ins deutsche Denkschema übersetzt bestimmt es die öffentlichen Aufgaben im Transportsektor im intermodalen Zusammenhang. Das Gesetz wurde in den ersten Monaten der Amtszeit des sozialistischen Präsidenten Miterrand auf den Weg gebracht und steht in einer Reihe mit der Gründung des Ministeriums für die Rechte der Frau und der Schaffung des Rechtes auf eine Wohnung191. Seine Konsequenzen sind weniger gravierend als man annehmen könnte: Der service public du transport fasst die vielfältigen staatlichen Verantwortungen im Verkehrssektor zusammen, wie Infrastrukturverantwortung, Verantwortung für die Sicherheit des Verkehrs und für die Einhaltung von Arbeitsvorschriften der im Verkehrssektor beschäftigten Personen (vgl. Art. 9 LOTI), subjektive Zulassungsvoraussetzungen des Personenbeförderungsunternehmers (Artt. 2 ff. Ausführungsdekret zum LOTI) sowie die Garantie einer Grundmobilität für die Bevölkerung (vgl. Art. 5 LOTI). Die Gründe für die Qualifizierung des Transportsektors als service public benennen implizit die Artikel 1–3 LOTI192: Es sind Anliegen der Einheit und Solidarität der Nation, der Landesverteidigung, der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, einer ausgeglichenen und nachhaltigen Raumentwicklung, einer Ausweitung des internationalen und insbesondere des europäischen Handels (Art. 1), das Anliegen zumutbarer Bedingungen hinsichtlich des Zuganges zu Transportleistungen, sowie der Qualität und des Preises von Transportleistungen im Interesse der Nutzer, unter Einschluss von gehbehinderten und sozial benachteiligten Personenkreisen (Art. 2), Anliegen der harmonischen und komplementären Entwicklung der individuellen und kollektiven Verkehrsmittel, ebenso wie des Umweltschutzes, insbesondere des rationellen Umganges mit Energie (Art. 3). Kern des service public ist ein Recht der Benutzer auf Transport, definiert als das Recht „jedes Benutzers, sich fortzubewegen und die Freiheit, dazu die 189

Mit seinem Ausführungsdekret nº 85-891 vom 16.8.1985. Vgl. auch Pielow, S. 147. 191 Carrière, Le transport en France, S. 61. 192 Vgl. auch die Übersicht über gesellschaftliche Anforderungen an öffentliche Verkehre bei Berschin, S. 15 ff. 190

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1. Teil: Allgemeines

Mittel zu wählen ebenso wie die Möglichkeit, selbst den Transport seiner Güter auszuführen oder diesen einer Organisation oder einem Unternehmen seiner Wahl anzuvertrauen“ (Art. 1 LOTI). Dieses Recht ist aber „bedingt durch die gesellschaftliche Optimierung von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten“ (Artt. 1, 3 LOTI) und hat somit eher unverbindlichen Programmcharakter. Ein Kapitel des LOTI (Artt. 18–26-6) ist dem Eisenbahnverkehr gewidmet. Gemäß Art. 20 LOTI ist der gesamte Eisenbahnverkehr ein service public und dieser „service public du transport ferroviaire“193 ist ein Teil des service public des transports. Die Rechtsprechung hatte aber den Eisenbahnverkehr bereits vor seiner gesetzlichen Ausgestaltung durch das LOTI als service public qualifiziert194. Das LOTI regelt nur die Leitlinien und beinhaltet die Vorschriften zur Gründung des établissement public SNCF. Für die Einzelheiten, insbesondere die nähere Ausgestaltung dieses service public, verweist Art. 24 Abs. 1 auf das cahier des charges der SNCF, s. unten b). Rechtsgrundlage des Monopols der SNCF ist Art. 18 LOTI, der die Aufgaben des établissement public industriel et commercial „SNCF“ beschreibt: Danach betreibt die SNCF die Eisenbahnen auf dem nationalen Eisenbahnnetz im Schienenpersonenverkehr nach den Grundsätzen des service public. Weiterhin hat die SNCF Art. 18 LOTI zufolge die Aufgabe, auch andere Schienenverkehrsdienste, einschließlich internationaler, auszuführen sowie nach den Grundsätzen des service public die im Gesetz vom 13.2.1997 vorgesehenen Aufgaben im Bereich der Infrastruktur auszuüben. Aus dieser Aufgabenbeschreibung folgt nach einhelliger Auffassung die Monopolstellung der SNCF im Schienenpersonenverkehr195. Die Formulierung, dass die SNCF Eisenbahnverkehrsleistungen auf dem nationalen Eisenbahnnetz nach den Grundsätzen des service public ausführt, wurde erst durch Gesetz vom 6.1.2006 auf den Schienenpersonenverkehr beschränkt. Diese Änderung stellt klar, dass das Monopol der SNCF für den Bereich des Schienengüterverkehrs mit Wirkung vom 1.4.2006 aufgehoben ist. Die konkreten von der SNCF im Rahmen der nationalen Planung zu erreichenden Geschäftsziele und die ihr dafür zur Verfügung stehenden Mittel werden in einem Planvertrag zwischen Staat und SNCF festgelegt (Art. 24 Abs. 1 LOTI), s. genauer hierzu unten E.II.2.a)bb). Art. 24 Abs. 2 LOTI bestimmt, dass 193 Zum service public ferroviaire s. Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 82 ff., Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 419 ff.; Fournier, S. 183 ff. 194 Seit CE vom 21.3.1910 „Compagnie générale française des tramways“, Rec. S. 216, bestätigt in: CE vom 7.4.1916 „Astruc“, Rec. S. 164, in Aufgabe seiner früheren gegenteiligen Rechtsprechung in CE vom 23.1.1903 „Compagnie des chemins de fer du Nord“, Rec. S. 62 und CE vom 30.6.1905 „Compagnie des Tramways de Paris“, Rec. S. 607; s. zu dieser Rechtsprechungsentwicklung auch Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 103 ff. 195 Moreau, Glachant, Parme, CJEG 97, 415, 425; Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 254.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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die SNCF staatliche Unterstützungsleistungen für die Lasten erhält, die ihr durch die Erledigung von Aufgaben des service public entstehen, die ihr aufgrund der Umsetzung des Rechts auf Transport sowie aus Gründen der Sicherheit und der Energie auferlegt sind. Diese Unterstützungsleistungen werden in Konventionen zwischen Staat, lokalen Gebietskörperschaften und SNCF geregelt. Darüber hinaus sieht Art. 24 Abs. 2 LOTI vor, dass die SNCF staatliche Unterstützungsleistungen für ihre Belastungen mit Rentenansprüchen erhält. Das LOTI legt im Übrigen die Grundzüge der Aufgaben und der Organisationsstrukturen von SNCF und RFF fest. Genauere Ausgestaltung erfährt auch noch die Regionalisierung des SPRV, s. hierzu unten im 2. Teil B.IV. b) Das cahier des charges der SNCF In einem cahier des charges (Pflichtenheft) konkretisiert die französische Verwaltung einseitig die Bedingungen, denen die Ausführung eines Vertrages, die Ausübung einer Genehmigung oder die Ausübung der Funktionen eines öffentlichen Unternehmens unterworfen sind196. Das cahier des charges der SNCF wird durch Dekret, d.i. Rechtsverordnung, des Premierministers197 nach Anhörung des Conseil d’Etat und der SNCF in Geltung gesetzt und erhält damit den Normcharakter einer Rechtsverordnung. Gemäß Art. 24 Abs. 1 LOTI werden in dem cahier des charges der Umfang der Daseinsvorsorgeverpflichtung und die Organisationsstruktur des mit der Ausführung beauftragten Unternehmens geregelt: Es legt die Rechte und Pflichten der SNCF und ihre Funktionsmodalitäten fest, es trifft Regeln für die Harmonisierung der verschiedenen in Art. 3 vorgesehen Zielvorgaben für den Verkehrsbetrieb, es definiert die Regeln für das zu erreichende ausgeglichene Betriebsergebnis und konkretisiert den Inhalt des service public. Art. 1 des cahier des charges nimmt die Zielsetzungen des service public ferroviaire aus Art. 1 LOTI auf. Die von der SNCF auszuführenden Aufgaben werden dahin konkretisiert, dass der Betrieb bestmöglich den Anforderungen von Sicherheit, Zugänglichkeit, Schnelligkeit, Komfort und Pünktlichkeit im Rahmen der verfügbaren Mittel Rechnung tragen soll. Diese Aufgaben sind von der SNCF nach den Prinzipien des service public durchzuführen, insbesondere in Hinblick auf Kontinuität und Zugangsbedingungen für die Benutzer. Art. 4 räumt der SNCF Unabhängigkeit bei ihrer Geschäftsführung ein. Ihre Leitung 196

Vocabulaire juridique, Stichwort: „charges, cahier des“. Gegenwärtig: Décret nº 83-817 du 13 septembre 1983 portant approbation du cahier des charges de la Société nationale des chemins de fer français (Journal officiel du 14 septembre 1983), geändert durch décret nº 94-606 du 19 juillet 1994 (Journal officiel du 21 juillet 1994) und décret nº 99-11 du 7 janvier 1999 (Journal officiel du 8 janvier 1999) und décret nº 2003-194 du 7 mars 2003 (Journal officiel du 8 mars 2003). 197

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1. Teil: Allgemeines

ist verantwortlich für einen Betrieb zu den geringsten Kosten und die ständige Verbesserung der Effizienz und der Produktivität. Nach Art. 4-1 kann die SNCF Konventionen mit anderen Unternehmen über die Bedienung einer Strecke oder eines Streckenabschnitts schließen. Für den Personenverkehr gelten die folgenden Spezialbestimmungen: Nach Art. 5 werden vier Kategorien von Diensten unterschieden: Der nationale Verkehr, der internationale Verkehr, der SPRV und die Verkehre in städtischen Ballungsräumen. Der nationale Verkehr wird von der SNCF kraft ihrer autonomen Geschäftsführung ausgestaltet, wobei sie den Vorgaben der nationalen Verkehrspolitik zu folgen hat (Art. 6). Das cahier des charges formuliert zahlreiche Qualitätsanforderungen: Personenzüge müssen genügend Platz bieten für den normalen Verkehrsbedarf. Für kurze Distanzen können auch Stehplätze angeboten werden (Art. 9). Handgepäck muss gratis befördert werden (Art. 10), die SNCF kann weitere Reiseleistungen, wie Restauration, Liegewagen, Gepäcktransport fakultativ anbieten (Art. 7). Sie soll die Reisebedingungen erleichtern, insbesondere das Umsteigen, und entsprechende Leistungen auf den Bahnhöfen anbieten. Besondere Maßnahmen zugunsten behinderter Fahrgäste werden nach Maßgabe der zu ihren Gunsten bestehenden anderweitigen Vorschriften ergriffen (Art. 8). Das cahier des charges enthält auch Zielvorgaben hinsichtlich der Fahrgastinformation (Artt. 11 und 12). Im Personenverkehr bestehen folgende Anforderungen an die Tarife: Die SNCF hat Tarife aufzustellen, die zugleich die Benutzung der Eisenbahnen fördern, den vom Staat zur effektiven Nutzung der innerstaatlichen Verkehrswege aufgestellten Zielsetzungen Rechnung tragen und ein ausgeglichenes Betriebsergebnis sicherstellen sollen (Art. 13). Für den innerstaatlichen Verkehr existieren nach Art. 14 ein allgemeiner Basistarif und spezielle Basistarife, die sich durch besondere Leistungs- oder Konkurrenzsituationen rechtfertigen. Diese speziellen Tarife sind mittlerweile in der Praxis, vor allem im Geschäftsbereich TGV die Regel geworden, wo sich die Tarife häufig am konkurrierenden Flugverkehr orientieren. Die relativen Abstände zwischen den Extremen dieser beiden Tarifarten werden durch ministeriellen Arrêté begrenzt. Diese Einschränkung entspricht der Auflage, die der Conseil d’Etat an die Einführung wettbewerblicher Tarife im Interesse des Prinzips der Gleichheit vor dem service public geknüpft hatte198. Daneben existieren bestimmte auf staatliche Veranlassung geschaffene Sozialtarife. Internationale Tarife können auf internationale Verpflichtungen abgestimmt werden (Art. 15). Tarife im SPRV unterliegen im Prinzip den Bestimmungen des Art. 14, in den Konventionen können aber spezielle Tarife vorgesehen werden, soweit sie mit der Tarifstruktur der SNCF kompatibel sind (Artt. 16, 49), s. hierzu genauer unten 2. Teil B.IX.2.c). Die Tarife für die Personenbeförderung müssen durch das Transportministerium genehmigt und veröffentlicht werden (Art. 17). Die SNCF kann 198

CE vom 24.6.1993, avis nº 353.605; Fournier, S. 188.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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aber abweichende Tarife aufgrund individuell ausgehandelter Verträge in Fällen anwenden, die spezialgesetzlich vorgesehen sind (Art. 19). Art. 9 enthält eine Beförderungspflicht199, die im Übrigen aber aus dem Prinzip der Gleichheit vor dem service public folgt. Das Geschäftsfeld Güterverkehr ist mehr von Gewinnerzielungsabsicht und unternehmerischer Logik gekennzeichnet200, bewahrt aber seinen Charakter als service public201: Die SNCF soll Güterverkehrsdienste anbieten, formuliert Art. 20 sehr vage, die den Bedürfnissen der Benutzer entsprechen, und zwar in Abhängigkeit einerseits von den durch die Benutzer zum Ausdruck gebrachten Bedürfnissen, andererseits von den dadurch entstehenden Kosten. Die Produkte des Güterverkehrs sollen zum Ausgleich des globalen Betriebsergebnisses beitragen (Art. 24). Es bestehen aber eine Tarifveröffentlichungs- und eine Tarifanzeigepflicht sowie bestimmte Richtlinien für ihre Aufstellung: Die SNCF ist verpflichtet, die Benutzer über ihre Leistungen, die Tarife, die Transportbedingungen sowie die Zusatzleistungen zu informieren (Art. 21). Die Entgelte richten sich nach den Tarifen oder individuell ausgehandelten Verträgen (Art. 24). Die Tarife, die dem Transportministerium anzuzeigen sind, sollen in Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Ware sowie von den Charakteristika der Beförderungsleistung bestimmt werden (Art. 25). Im Endeffekt ist die SNCF damit bei der Festlegung ihrer Tarife frei202. Es bestehen gewisse Betriebspflichten: Die SNCF hat Nebenlinien zu bedienen, an die private Gleisanschlüsse angebunden sind sowie an Dritte überlassene oder vermietete (Art. 27). Auf Ersuchen des Transportministers hat die SNCF Meeres- oder Binnenhäfen zu bedienen (Art. 27-2). Die Artt. 28–43 cahier des charges treffen finanzielle Bestimmungen, insbesondere über den Ausgleich für die Erfüllung von Daseinsvorsorgeaufgaben: Die Zuweisung von finanziellen Unterstützungsleistungen durch den Staat zur Funktion und zur Entwicklung der SNCF beruht auf den Prinzipien der Harmonisierung der Betriebsbedingungen zwischen den unterschiedlichen Verkehrsträgern, auf dem Beitrag des Eisenbahnwesens zum wirtschaftlichen und sozialen Leben der Nation, zur ausgeglichenen Raumordnungsentwicklung und zur regionalen Entwicklung und insbesondere zur Umsetzung des Rechtes auf Transport, Art. 28. In Übereinstimmung mit der VO 1191/69/EWG203 sieht Art. 28 zwei Typen staatlicher Ausgleichszahlungen vor: Einen Beitrag zu den Rentenbelastungen und einen Beitrag zum Ausgleich der durch die Sozialtarife entstehenden Kosten, die die SNCF auf Ersuchen des Staates ins Werk setzt. Die 199 200 201 202 203

Fournier, S. 186. Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 113. CE vom 19.7.1991 „FNAUT“, Rec. S. 295; Fournier, S. 190. Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 122; Fournier, S. 189 f. Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 478.

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1. Teil: Allgemeines

staatlichen Beiträge für den SPRV werden seit der Regionalisierung den Regionen überwiesen, die die Beträge dann an die SNCF nach den in den Konventionen vereinbarten Bedingungen weiterleiten (vgl. Art. 28, 33 i.V. m. Art. 67 loi nº 95-115 du 4 février 1995 d’orientation pour l’aménagement et le développement du territoire modifiée), i. e. s. u. 2. Teil B.IV.3. Tarifliche Entscheidungen des Staates, die nicht im cahier des charges vorgesehen sind, lassen ebenfalls einen Ausgleichsanspruch der SNCF entstehen (Art. 34). Die SNCF hat ein jährliches Investitionsprogramm aufzustellen. Projekte, die bestimmte Werte überschreiten, bedürfen der Genehmigung des Transportministers (Art. 36). Das Jahresergebnis der SNCF hat ausgeglichen zu sein (Art. 37). Der Unternehmensauftrag ist also ähnlich wie derjenige der Bundesbahn vor der Bahnreform von dem Widerspruch eines bestmöglichen Verkehrsbetriebs in Hinsicht auf Zugänglichkeit und Komfort einerseits (Art. 1) und eines ausgeglichenen Betriebsergebnisses andererseits (Art. 37) gekennzeichnet204. Jede öffentliche Stelle kann die SNCF um besondere Transportleistungen ersuchen, deren Inhalt und Entlohnung durch Konvention geregelt werden (Art. 41). Im Falle einer Bedrohung der Sicherheit des Landes oder von eiligen militärischen Operationen hat die SNCF ihre gesamten Transportmittel dem Staat zur Verfügung zu stellen, gegen eine Entlohnung, über die politisch entschieden wird (Art. 42). Die SNCF hat die Kosten für ihre Beaufsichtigung durch das Transportministerium zu tragen (Art. 43). Die Artt. 44–53 enthalten Grundaussagen über die Pflichten der SNCF im Regionalverkehr: Durch den SPRV soll die SNCF dem cahier des charges zufolge zur wirtschaftlichen und regionalen Entwicklung der Regionen, Departements und Gemeinden sowie zur Raumordnung beitragen, in den Grenzen der finanziellen Bestimmungen der Artt. 28–43. Diese Ziele hat sie bei ihrer internen Organisation zu berücksichtigen (Art. 44). Konventionen, die die Bestimmungen des cahier des charges respektieren müssen, regeln Inhalt und Ausgestaltung des Betriebs (Art. 45). Die SNCF hat für jede Region ein Budget und ein Konto einzurichten, das aufgrund des finanziellen Beitrags der Regionen ausgeglichen sein muss (Art. 46). Die SNCF hat verschiedene Informationspflichten gegenüber den Regionen über Betriebsmodifikationen, die nicht Gegenstand der Konventionen sind und die sich auf den Verkehr in der Region auswirken (Art. 52). Die Artt. 54–61 enthalten Bestimmungen über die Buchführung: Die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben sind jährlich im Voraus aufzustellen und durch die Aufsichtsbehörde entsprechend den Regeln für die öffentlich-rechtlichen Wirtschaftsanstalten (établissements publics industriels et commerciaux) zu genehmigen (Art. 57). Für den Güterverkehr ist eine getrennte Bilanz zu erstellen (Art. 58-1). Die Artt. 62–69 betreffen die Aufgaben der SNCF bei der 204

Vgl. Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 110.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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Bewirtschaftung der Infrastruktur. Dazu gehören insbesondere die Aufstellung der Verkehrsgraphik, die die Gesamtheit der Verkehre auf dem Schienennetz darstellt, die Gewährleistung des Verkehrsflusses, die Verwaltung des Regulierungs- und Sicherheitssystems und dessen Überwachung, sowie die Durchführung von regelmäßigem Unterhalt und Reparaturen am Netz (Art. 62). Für große Reparaturen hat die SNCF RFF einen Plan vorzuschlagen, und sie führt ihn aus (Art. 63). Die Beziehungen im Bereich der Infrastruktur zwischen RFF und SNCF werden in einer Konvention geregelt, die insbesondere eine Entlohnung für die von der SNCF ausgeführten Aufgaben vorsieht (Art. 64). Die SNCF erstellt außerdem im Vorfeld der Genehmigungserteilung für die nach Gemeinschaftsrecht zuzulassenden internationalen Transporte einen technischen Bericht (Art. 68), und sie stellt die technischen Untersuchungen über die Möglichkeit der Zuweisung von Gleiskapazitäten an. Sie nimmt auch an Verhandlungen mit einer internationalen Gruppierung über den Zugang zum französischen Eisenbahnnetz teil (Art. 69). c) Charakteristika des service public ferroviaire und Geltung der Gesetzmäßigkeiten des service public im service public du transport Die Rechtsprechung des Conseil d’Etat hat den Umfang des service public du transport ferroviaire folgendermaßen charakterisiert: Alle Transportzweige der SNCF sind ein service public; um den wirtschaftlichen Realitäten Rechnung zu tragen, variiert aber die Intensität des Charakters des service public in den einzelnen Zweigen205: Der Schienenpersonennahverkehr, wo die vom Benutzer entrichteten Gebühren nur ca. 40% der Kosten decken, ist ein service public im eigentlichen Sinne. Der Personenfernverkehr stellt lediglich einen an ein zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern bestehendes wettbewerbliches Umfeld angepassten service public dar, und der Güterverkehr weist Charakteristika eines service public in bloß minimalem Umfang auf 206. Besonderheiten bestehen auch im Hinblick auf die Geltung der Grundsätze des service public, die im Eisenbahnsektor beschränkt sein soll207: Das Prinzip der Universalität bzw. der Akzessibilität, das in engem Zusammenhang mit dem Recht auf gleichen Zugang zum service public und der Kontinuität des service public steht und demzufolge eine Grundversorgung mit dem service public jedem Bürger zugänglich sein muss, sowohl im Hinblick auf seine Bezahlbarkeit

205 CE vom 16.1.1991 sowie vom 19.7.1991 „FNAUT“, Rec. S. 295; vgl. auch: Stirn, CJEG 1993, 299, 302; Fournier, S. 185. 206 Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 121. 207 Rapport de séminaire services publics comparés en Europe, Band I, S. 105.

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1. Teil: Allgemeines

als auch in geographischer und demographischer Hinsicht 208, gilt für den service public ferroviaire nicht, weil diese Verpflichtung den Verkehrsträgern des service public des transports gemeinsam obliegt und nicht durch den Eisenbahnsektor allein abgedeckt werden muss209. So ist auch die Stilllegung einer Strecke mangels Zuspruchs der Benutzer nicht ausgeschlossen210. Die SNCF bestimmt so in erheblichem Maße selbst den konkreten Inhalt des service public ferroviaire211. Die Unbestimmtheit, die das cahier des charges bei der Definition von aus Gründen Gemeinwohls zu erfüllenden Aufgaben zulässt, führt auf der anderen Seite aber auch dazu, dass sich die SNCF nur schwer auf eine finanzielle Ausgleichspflicht für die Bedienung unrentabler Strecken gegenüber dem Staate berufen können wird, wie dies die VO 1191/69/EWG vorsieht. Das Prinzip der Kontinuität gilt deshalb nicht uneingeschränkt, weil kein Minimaldienst für den Eisenbahnverkehr zu gewährleisten ist. Das Prinzip der Gleichheit der Benutzer vor dem service public, das u. a. die staatliche Finanzierung von Sozialtarifen gebietet, verlangt nicht, dass für das gesamte Staatsgebiet ein einheitlicher Tarif gelten muss, vielmehr kann die SNCF der Konkurrenz mit anderen Verkehrsmodi und anderen wirtschaftlichen Gesichtspunkten bei der Tarifgestaltung Rechnung tragen212. Dem Prinzip der Veränderbarkeit des service public entspricht, dass die SNCF im Personenverkehr auf den Transport auf der Straße zurückgreifen darf (Artt. 5, 8 cahier des charges), sie Anteile an Organisationen erwerben darf, deren Gegenstand dem Eisenbahnverkehr komplementär oder verwandt ist (Art. 3 cahier des charges), und Angebote mangels Nutzung einschränken darf 213. 2. Daseinsvorsorgeaufgaben im deutschen Eisenbahnsektor a) Änderungen durch die Bahnreform Bis zur Eisenbahnreform im Jahre 1994 214 war die Bundesbahn als nichtrechtsfähiges Sondervermögen des Bundes mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung organisiert, vgl. § 1 Bundesbahngesetz (BbG) alter Fassung, allerdings mit Rechtsfähigkeit im privaten Rechtsverkehr, § 2 Abs. 1 BbG a. F. Diese

208

Guglielmi/Koubi, Rn. 1175 ff. Commissariat général du Plan, Services publics en réseau, S. 148; vgl. auch Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 114 f. 210 CE vom 16.1.1991 „Fédération nationale des associations d’usagers des transports (FNAUT)“, Rec. S. 14; dazu Anmerkung von Broussolle, in: AJDA 1991, 924 f. 211 Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 475. 212 CE vom 24.6.1993, avis nº 353.605. 213 Fournier, S. 187, CE vom 16.1.1991 „FNAUT“, Rec. S. 14. 214 s. zur alten Rechtslage ausführlich: Schulz, S. 36 ff. und S. 100 ff. 209

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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teilrechtsfähige öffentlich-rechtliche Anstalt war damit Teil der bundesunmittelbaren Verwaltung215. § 28 BbG a. F. beschrieb den Unternehmensauftrag folgendermaßen: „§ 28 BbG (1) Die Deutsche Bundesbahn ist unter der Verantwortung ihrer Organe wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen so zu führen, dass die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken: eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ist anzustreben. In diesem Rahmen hat sie ihre gemeinwirtschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. (2) Die Deutsche Bundesbahn beschafft sich die erforderlichen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgaben selbst. Ist sie hierzu nicht in der Lage, soll der Bund das Eigenkapital verstärken oder ihr Darlehen aus Haushaltsmitteln gewähren.“

Aus dieser widersprüchlichen Zielsetzung einer kaufmännischen Betriebsführung einerseits, der „besten Verkehrsbedienung“216 und der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben andererseits wurde folgender Unternehmungsauftrag herausgelesen: Die Bundesbahn sollte nach kaufmännischen Grundsätzen eine gewinnmaximierende erwerbswirtschaftliche Unternehmenspolitik betreiben und den dabei erzielten Unternehmensgewinn zur Finanzierung selbstverantwortlich zu wählender, nichkostendeckender Aufgaben und Leistungen einsetzen. Soweit der Bund darüber hinausgehende gemeinwirtschaftliche Vorstellungen hatte und ihre Durchsetzung erzwang, war er der DB für die hierdurch entstehenden Belastungen ausgleichspflichtig217. Dieser Ausgleich wurde in der Realität nur pauschal und in mangelhafter Höhe gewährt218. Das Bundesbahngesetz enthielt außerdem eine Betriebspflicht in § 4 Abs. 1 BbG219 und eine Tarifpflicht in § 16 BbG. Gemäß Art. 14 Abs. 3 BbG bedurften zahlreiche kaufmännische und organisatorische Entscheidungen einer Genehmigung des Bundesverkehrsministeriums, die insbesondere versagt werden konnten, wenn sie „den Grundsätzen der Politik der Bundesrepublik Deutschland, vor allem der Verkehrs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik“ nicht Rechnung trugen220. Die Ausführung von Daseinsvorsorgeaufgaben war damit zum einen bereits in den Unternehmensauftrag integriert, zum anderen konnten weitere Leistungen von außen durch den Staat auferlegt werden. Die Aufgaben von Besteller und Ersteller wa-

215

Walter Rudolf, in: Erichsen/Martens, § 57 I 1; differenzierend Schulz, S. 106 f. Näher zu diesem unbestimmten Begriff: Dengler, ZögU 1992, 358, 361; vgl. auch Schulz, S. 67 f. 217 Dengler, ZögU 1992, 358, 365. 218 Berschin, S. 77. 219 s. hierzu Schulz, S. 158. 220 s. i. e. Schulz, S. 174 f. 216

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1. Teil: Allgemeines

ren nicht klar getrennt. Dies galt für alle Sparten des Eisenbahnunternehmens, für die Infrastruktur, für den Personen- und für den Güterverkehr. Im Zuge der Eisenbahnreform wurden die deutschen Bahnen privatisiert, s. o. B.II.2. Dabei ist zwischen formeller, materieller und funktionaler Privatisierung zu unterscheiden. Unter formeller Privatisierung, die auch als Organisationsprivatisierung bezeichnet wird, versteht man die Übertragung der Ausführung einer staatlichen Aufgabe auf eine in Privatrechtsform organisierte Einheit, die mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht. Mit der Organisation der Deutschen Bahn als Aktiengesellschaft (AG) wurde sie formell privatisiert. Dementsprechend wurde ihr Unternehmensziel darauf ausgerichtet, diese bundeseigenen Eisenbahnen „als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form“ (Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG) zu betreiben. Die formelle Privatisierung ist von der materiellen Privatisierung, auch Aufgabenprivatisierung genannt, zu unterscheiden, mit der die Verlagerung der Ausführung einer bisher vom Staat wahrgenommenen Aufgabe auf Private bezeichnet wird. Hier entledigt sich der Staat seiner Verantwortung für die privatisierte Aufgabe vollständig221. Dies kann z. B. durch den Verkauf seiner Anteile an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen – wie der DB AG – geschehen. Eine materielle (Teil-)Privatisierung der Aufgabe Eisenbahnverkehr kann darin gesehen werden, dass der Bund sein Monopol für den Eisenbahnverkehr aufgab222, indem er in § 14 AEG den Zugang anderer Verkehrsunternehmen zum Schienennetz der DB Netz AG zuließ. Teilweise wird aus dem Grundgesetz eine Verpflichtung zur materiellen Privatisierung des Verkehrsbetriebs abgeleitet, weil er keine hoheitliche Gewalt erfordere und dem Wettbewerb zugänglich sei223. Im vorliegenden Untersuchungszusammenhang ist auch der Begriff der funktionalen Privatisierung von Interesse, bei der die Aufgabendurchführung auf Private übertragen wird, die Zuständigkeit für die Sicherstellung der Erledigung der Aufgabe aber beim Staat verbleibt224. Bundeseigene Eisenbahnen müssen nun in Leitung, Kontrolle und Rechnungsführung von staatlichen und kommunalen Gebietskörperschaften unabhängig sein (so § 8 AEG in Vollzug der Richtlinie 440/91/EWG). Gemeinwirtschaftliche Leistungen können ihnen nur noch von außen nach gesetzlich bestimmten Regeln auferlegt werden, vgl. §§ 10–15 AEG, s. hierzu sogleich unten.

221 Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 190; vgl. zu den verschiedenen Privatisierungsbegriffen den Überblick bei Kämmerer, Privatisierungen, S. 16 ff. und seinen eigenen Systematisierungsansatz. 222 Zur juristischen Herleitung des Monopols nach altem Recht s. Schulz, S. 155 ff. 223 Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 239 f., unter Betonung der durch das Grundgesetz vorgegebenen Staatsaufgaben. 224 Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 197 f.; Burgi, S. 8; Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 36; Ruge, S. 135.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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b) Allgemeinwohlbindungen im Güterverkehr, Personenverkehr und im Infrastrukturbereich aa) Die Verfassungsebene: Art. 87e Abs. 4 GG und Grundrecht auf Mobilität Auf Verfassungsebene statuiert Art. 87e Abs. 4 GG eine „Gewährleistungsverantwortung“ des Bundes, indem er vorschreibt, dass der Bund zu gewährleisten habe, dass „dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, (. . .) Rechnung getragen wird“. Zum „Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Verkehrsbedürfnisse“ sind vor allem die Interessen der Raumordnung, des Umweltschutzes, der Gleichheit sowie sozialstaatliche Erwägungen zu zählen225. Obwohl die Regelung der Gewährleistungsverantwortung als Kompromiss mit dem Bundesrat lediglich eine „politische Verantwortung des Bundes“ ausdrücken sollte226, wird man der Norm einen juristischen Gehalt im Sinne einer staatlichen Grundverantwortung des Bundes sowohl für die Infrastruktur als auch für den Personenfern- und Güterverkehr entnehmen müssen227. Diesen Gehalt kann man auch als einen Daseinsvorsorgeauftrag bezeichnen228. Den rechtsverbindlichen Charakter der Vorschrift kann man mit der Glaubwürdigkeit des Grundgesetzes begründen229, er ergibt sich aber auch aus dem Charakter des Grundgesetzes als einer Rechtsnorm: Was darin Aufnahme findet, hat einen verpflichtenden Charakter. Die Gewährleistungsklausel enthält damit im Sinne eines Staatsziels230 eine von Parlament und Gerichten kontrollierbare rechtliche Verpflichtung, ist aber nicht vom Einzelnen einklagbar231. Art. 87e Abs. 4 GG wird als Konkretisierung des Staatsziels Sozialstaat (Art. 20 GG) verstanden232. Im Bereich der Infrastruktur ist Art. 87e Abs. 4 GG deshalb die Verfassungsentscheidung für „Ausbau und Erhalt“ zu entnehmen, wenn nicht jeder einzelnen Strecke, so doch des Netzes als Ganzem. Ein massiver oder kontinuierlicher Rückbau liefe dieser Aussage zuwider233. 225

s. im Einzelnen: Burger, S. 110 ff. BT-Drucksache 12/6280, S. 12; Bodo Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 4. 227 Schulz, S. 97. 228 Ronellenfitsch, DÖV 1996, 1028, 1032. 229 Gabler, Öffentlicher Nahverkehr in Bayern, S. 49; i. E. ebenso: Lange, S. 150 f.; Burger, S. 100 f.; Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, S. 76. 230 s. zum Begriff der Staatszielbestimmung: Rupert Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 20a, Rn. 17 f. 231 Kay Windthorst, in: Michael Sachs, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 50. 232 Kämmerer, Privatisierungen, S. 477 und 496. 233 Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 16; Kämmerer, Privatisierungen, S. 498. 226

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1. Teil: Allgemeines

Gegenstand der Gewährleistungsverantwortung ist nicht nur der gesamte Infrastrukturbereich, sondern auch der Verkehrsbetrieb der Eisenbahnen des Bundes, soweit er nicht SPNV ist, also Personenfern- und Güterverkehr (Art. 87e Abs. 4 GG). Die Ausnahme für den SPNV bezieht sich lediglich auf den Verkehrsbetrieb, nicht auch auf die Infrastruktur. Art. 87e Abs. 4 GG enthält damit auch die Aussage, dass die Verantwortung für die Infrastruktur für den SPNV nicht in die Zuständigkeit der Länder fällt, sondern beim Bund verbleibt. Dies ergibt sich zunächst aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift234. Im Rahmen der Bahnreform war die Übertragung der Infrastrukturverantwortung auf die Länder nicht beabsichtigt. Auch der Wortlaut („soweit diese . . .“) spricht eher für diese Interpretation. Schließlich wird die Aufteilung des Streckennetzes in Fernverkehrsnetz auf der einen und Nah- bzw. Regionalverkehrsnetz auf der anderen Seite auf praktische Schwierigkeiten stoßen235. Fraglich ist, wie weit der Begriff des „Schienennetzes“ reicht, insbesondere ob Bahnhofsgebäude hiervon erfasst sind236. Der an sich weite Wortlaut hilft hier nicht weiter. Deshalb müssen Sinn und Zweck, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift entscheiden. Der Zweck dieser Gewährleistungsverpflichtung für das Schienennetz besteht darin, eine staatliche Verantwortung für die Existenz einer flächendeckenden, leistungsfähigen Schieneninfrastruktur festzuschreiben, weil der freie Markt allein hierzu nicht im Stande ist. Hierfür sind auch Bahnhöfe erforderlich als Haltepunkte mit Verkaufsstellen für Fahrkarten. Für dieses Ergebnis spricht auch der Vergleich mit der einfachgesetzlichen Regelung in § 8 Abs. 5 BSchWAG, in der derselbe Gesetzgeber wie der verfassungändernde in engem zeitlichem Zusammenhang die Gewährleistungsklausel im Infrastrukturbereich konkretisiert hat237: Im Sinne des BSchWAG sind „Schienenwege“ alle „Schienenwege von Eisenbahnen einschließlich der für den Betrieb der Schienenwege notwendigen Anlagen, deren Bau oder Änderung grundsätzlich Gegenstand einer Planfeststellung nach § 18 des AEG (. . .) sein können (Betriebsanlagen der Eisenbahnen).“

Auch § 18 AEG setzt den Begriff der „Betriebsanlagen einer Eisenbahn“ lediglich voraus238. Ausweislich der Begründung eines frühen, in der Folge unverändert gebliebenen Regierungsentwurfes zum neuen § 18 sollte er sich von dem 234 Vgl. Bundesratsdrucksache 131/93 vom 26.3.1993 S. 59 zum Eisenbahnneuordnungsgesetz. 235 Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 17a. 236 Ablehnend Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 16b. 237 Burger, S. 124. 238 Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 1999, 467, 480 sowie 581, 586 ff.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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weiteren Begriff der Infrastruktur in § 2 Abs. 3 AEG absetzen239, der seinerseits auch u. a. reine Verwaltungsgebäude erfasst. Noch näher konkretisiert den Begriff der Betriebsanlage die Richtlinie 3 der seit 1.1.1994 gültigen Richtlinien für die Planfeststellung und Plangenehmigung von Betriebsanlagen der Deutschen Bahn AG (Planfeststellungsrichtlinien), worin zum Begriff der Betriebsanlagen alle „ortsfesten Einrichtungen der DB AG, die unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zur Abwicklung oder Sicherung des Reise- oder Güterverkehrs auf der Schiene erforderlich sind“, sowie ausdrücklich in Punkt 3, Absatz 2, 7. Spiegelstrich „Bahnhofshallen, Empfangsgebäude“ etc. gezählt werden. Reine Verwaltungs- oder Wohngebäude werden von dem Begriff der Betriebsanlagen hingegen ausgenommen (Punkt 3, Absatz 4)240. Die Problematik, höherrangiges Verfassungsrecht durch einfache Gesetze und erst recht durch Verwaltungsvorschriften auszulegen, soll hier nicht verkannt werden. Die vorangehende Argumentationskette beleuchtet jedoch die Vorstellungen und die Ziele des historischen Gesetzgebers und den Kontext, in dem er die Verfassungsbestimmung schuf. Deshalb ist der Begriff des „Schienennetzes“ in Art. 87e Abs. 4 GG weit zu verstehen und erstreckt sich auf alle für die Infrastruktur und den auf ihr stattfindenden Verkehr erforderlichen Betriebsanlagen, wozu im Zweifel alle ortsfesten Einrichtungen gehören werden, die die zitierte Richtlinie aufführt241. Er erfasst damit auch Bahnhöfe, soweit sie nicht als Bahnhöfe neuen Typs „Shopping-Center“ und ähnliche, für den Verkehrszweck verzichtbare Funktionen mit dem eigentlichen Bahnhof vereinigen. Mit welchen Mitteln hat aber der Bund das Gemeinwohl zu gewährleisten? „Gewährleisten“ bedeutet, für einen bestimmten Zustand einzustehen unter freier Wahl der Mittel242. Der Bund wird dieser Verantwortung im Infrastrukturbereich insbesondere durch die Instrumente der Planung und Finanzierung von Neubau, Ausbau und Erhalt nachkommen müssen243. Ein Element dieser Gewährleistungsverantwortung ist die Verpflichtung des Bundes, das Infrastrukturunternehmen in seinem Mehrheitseigentum zu behalten, vgl. Art. 87e Abs. 3 S. 3 GG. Fraglich ist, inwiefern der Bund zur Sicherstellung seiner Gewährleistungsverantwortung auch verpflichtet ist, gesellschaftsrechtlich auf die von ihm beherrschten Bahn239 Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, Bundesratsdrucksache 131/93 vom 26.3.1993, S. 102. 240 Zitiert nach: Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 1999, 581, 588 f. sowie ders., Bahnhof 2000, S. 227 ff. 241 Ähnlich Burger, S. 103 f. 242 Burger, S. 125. 243 Kay Windthorst, in: Michael Sachs (Hrsg.): GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 54; Burger, S. 122.

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1. Teil: Allgemeines

unternehmen Einfluss zu nehmen. Eine solche Pflicht würde dem Gebot des Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG, die Bundeseisenbahnen „als Wirtschaftsunternehmen“ zu führen, insofern widersprechen, als solches Verhalten im Bereich der Verkehrsunternehmen Wettbewerbsstrukturen zum Nachteil der Bundesunternehmen verzerren könnte244. Auf der anderen Seite entspricht es dem Wesen einer Aktiengesellschaft, dass der Mehrheitsaktionär im Rahmen der Instrumente des Aktienrechtes das Unternehmensverhalten beeinflussen kann. Der Bund darf aber seinen gesellschaftsrechtlichen Einfluss nicht missbrauchen, um Leistungen im Allgemeininteresse ohne einen entsprechenden transparenten finanziellen Ausgleich zu erwingen. Dies würde dem Regelungsgedanken des Reformwerkes, aber auch Gemeinschaftsrecht widersprechen, s. auch unten zur VO 1191/69/ EWG unter bb) und 3.b)aa). Die Gewährleistungsklausel kann jedenfalls Grundlage für sehr weitgehende, dem Grundgedanken der Bahnreform nicht mehr entsprechende, Maßnahmen des Gesetzgebers bieten, was ein – abgelehnter – Gesetzesvorschlag der PDSFraktion illustriert, der eine Verpflichtung des Bundes begründen sollte, durch Verkehrsdurchführungsverträge den Umfang von mind. 180 Mio. Zugkilometern im Bereich des Personenfernverkehrs zu gewährleisten, was in etwa dem von der Deutschen Bahn AG im Jahre 2001 bedienten Fernverkehrsnetz entspricht245. Eine staatliche Gewährleistung von diesem Umfang würde dem historischen Willen des Reformverfassungsgesetzgebers, der einen eigenwirtschaftlichen Betrieb des Personenfernverkehrs im Auge hatte, widersprechen. Fraglich ist, ob der Begriff der „Eisenbahnen des Bundes“, die Objekt der Gewährleistungsverantwortung sind, voraussetzt, dass sich das Unternehmen im Mehrheitsbesitz des Bundes befindet. Bejahte man dies, so würde die Gewährleistungspflicht des Art. 87e Abs. 4 GG nach einer materiellen Privatisierung der Bahn, die das GG nur für Verkehrsunternehmen zulässt, nicht mehr gelten246. Der Begriff der „Eisenbahnen des Bundes“ wird in Art. 73 Nr. 6a GG legal definiert als Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen247. Die systematische Auslegung ergibt daher, dass nach einer materiellen Privatisierung die Gewährleistungsverpflichtung ebenso entfällt wie die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Nr. 6a GG (mit der zwar ungewöhnlichen, aber wenig dramatischen Folge des Übergangs in eine 244 Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 16; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 216; a. A. Kämmerer, Privatisierungen, S. 499; Fehling, DÖV 2002, 793, 796; Schulz, S. 97; Burger, S. 79 f. und 82 f. 245 Bundestagsdrucksache 14/5662 vom 27.3.2001, Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs. 246 So Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 577, 581 f.; Brosius-Gersdorf, DÖV 2002, 275, 281. 247 Zum Begriff der „Eisenbahnen“: Schulz, S. 85 f.; zu den „Eisenbahnen des Bundes“ s. auch Burger, S. 32 ff.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG) und die Bundesverwaltungskompetenz für die Eisenbahnverkehrsverwaltung. Gegen dieses Ergebnis wird eingewandt, der Verzicht auf die Gewährleistung für den Verkehr höhle gleichzeitig die Gewährleistungsverpflichtung des Bundes für die Infrastruktur aus248. Es steht aber im Einklang mit dem Grundgedanken der Bahnreform, die die Grundgesetzänderung umsetzen sollte: Man ging davon aus, dass Personenfern- und Güterverkehr bei gutem Management eigenwirtschaftlich arbeiten und im intermodalen Wettbewerb mit anderen Verkehrsträgern bestehen können; die geplante materielle Privatisierung – zumal mit Börsengang – setzt auch tatsächlich Unternehmen voraus, die sich im Verkehrsmarkt behaupten. Nur bis dieser Zustand erreicht ist, sollen die Unternehmen in der Obhut des Bundes verbleiben. Diese Übergangsperiode hatte auch der Bundesrat im Auge, als er im Gesetzgebungsverfahren die Aufnahme der Gewährleistungsverpflichtung des Bundes für das Verkehrsangebot in Art. 87e GG forderte249. Sinn und Zweck der Regelung wird es aber entsprechen, wenn man ihr auch nach einem mehrheitlichen Verkauf eine Nachwirkung zuspricht in dem Sinne, dass sie bei auftretenden Schwierigkeiten ein weiteres Voranschreiten der Privatisierung ausschließt oder sogar zu einer Rückgängigmachung verpflichtet250. Fraglich ist, ob ein subjektives Verfassungsrecht auf einen bestimmten Umfang von kollektiven Personenverkehren besteht. Einige Autoren leiten ein solches Recht aus Grundrechten ab. Dabei wird in einem ersten Schritt aus den positiven Grundrechten des GG ein Grundrecht auf Mobilität extrahiert251, das neben einem Abwehrrecht ein derivatives Teilhaberecht begründet. Dieses Teilhaberecht gewährleistet u. a. den gleichberechtigten Zugang zu den vom Staat der Allgemeinheit gewidmeten Straßen. Aus dem davon umfassten Grundrecht, Auto zu fahren, wird abgeleitet, dass dann auch die Mobilität derjenigen sichergestellt sein müsse, die nicht am Individualverkehr teilnehmen wollten252. Dies erfordere die Einrichtung von Kollektivverkehren. Damit scheinen dann aber Abwehr- und Leistungsgehalt des so hergeleiteten Grundrechts vermengt zu werden. Denn das Angebot von Kollektivverkehren ist eine eigene staatliche Leistung, die erheblichen öffentlichen Mitteleinsatz erfordert, und keine bloße Teilhabe an der Nutzung der für die 248

Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 17. Bundestagsdrucksache 12/5015 vom 25.5.1993, Stellungnahme des Bundesrates, S. 11; im Ergebnis ebenso: Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 577, 584; a. A. Schulz, S. 98. 250 Kämmerer, Privatisierungen, S. 315 f.; so i. E. auch Burger, der auf S. 124 ff. einen ausführlichen Überblick über die vertretenen Auffassungen zum Umfang der Gewährleistungspflicht des Art. 87e Abs. 4 GG gibt. 251 Ronellenfitsch, JöR 1996, 168, 178 ff. 252 Ronellenfitsch, VerwA 2001, 296. 249

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1. Teil: Allgemeines

Allgemeinheit der Autofahrer geöffneten Infrastruktur. Auch in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip wird sich aus diesem Grundrecht keine staatliche Leistungspflicht in einem bestimmten Umfang herleiten lassen, denn das Sozialstaatsprinzip stellt dem Gesetzgeber zwar Aufgaben, sagt aber nichts darüber aus, wie diese Aufgaben im Einzelnen zu verwirklichen sind. Anderenfalls geriete es mit dem Demokratieprinzip in Konflikt, weil eine genau definierte verfassungsrechtliche Verpflichtung den freien politischen Prozess entscheidend einschränken würde253. Von der Staatsgewalt zu berücksichtigen ist aber der Umstand, dass die Mobilität Grundvoraussetzung für die Verwirklichung zahlreicher, insbesondere der wirtschaftlichen Grundrechte ist254. Dies muss die Staatsgewalt bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. bb) Die einfache bundesgesetzliche Ebene: Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) und das Regionalisierungsgesetz Die Gewährleistungsklausel des Art. 87e Abs. 4 GG steht seinem Satz 2 zufolge unter einem Regelungsvorbehalt, der vor allem durch das BSchWAG im Infrastrukturbereich und durch das AEG im Schienenverkehrsbereich ausgefüllt wurde. Das AEG sieht nun für den Güterverkehr überhaupt keine Allgemeinwohlbindung mehr vor. Für den Personenverkehr wurde der Umfang der gemeinwirtschaftlichen Bindungen erheblich reduziert. Deren reduzierter Inhalt ist auf bundesgesetzlicher Ebene in §§ 10–15 AEG definiert255. Nach § 10 AEG besteht eine Beförderungspflicht für Eisenbahnunternehmen, die dem Personenverkehr dienen. Danach muss die Bahn im Rahmen ihrer betrieblichen Kapazitäten mit jedem Interessenten einen Transportvertrag zu näher bestimmten Bedingungen abschließen. Die Beförderungspflicht besteht also in einer Kontrahierungspflicht256. Die Tarifpflicht teilt sich in vier Teilpflichten auf: § 12 Abs. 2 S. 1 AEG regelt eine Tarifaufstellungspflicht mit bestimmten Mindestangaben für öffentliche Eisenbahnunternehmen im Personenverkehr. Für die Beförderungsbedingungen besteht nach § 12 Abs. 3 AEG im Personenverkehr eine Genehmigungspflicht. Die Genehmigungspflicht der Beförderungsentgelte im SPNV wurde im Jahr 2007 aufgehoben257. Nach § 12 Abs. 6 AEG besteht die Verpflichtung, die Tarife be253

Vgl. BVerfGE 59, 231, 263. Ronellenfitsch, JöR 1996, 168, 180 f.; Ronellenfitsch, Der Verkehrssektor als Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland, S. 91. 255 Berschin, S. 165 sieht diese allen Unternehmen auferlegten Bindungen nicht als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen, sondern allein als Ordnungsrahmen an. 256 Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 57; Schulz, S. 170. 257 Durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 16.7.2007, BGBl. I S. 1383. 254

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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kannt zu machen. Schließlich verpflichtet § 12 Abs. 2 S. 2 AEG zur gleichmäßigen Anwendung der Tarife gegenüber jedermann. Er enthält damit ein Diskriminierungsverbot258. Eine Betriebspflicht, wie sie noch § 4 Bundesbahngesetz für die Eisenbahnverkehrsunternehmen in dem Sinne vorgesehen hatte, dass das Unternehmen als Ganzes aufrechtzuerhalten und Eisenbahnverkehr zu betreiben sei, existiert nicht mehr. Sie wird lediglich im SPNV durch den Verkehrsvertrag begründet. Im Gegensatz zum Verkehrsbetrieb besteht hinsichtlich der Infrastruktur eine Betriebspflicht des Infrastrukturbetreibers. § 4 Abs. 1 AEG enthält als Generalklausel die Verpflichtung, den Betrieb der Infrastruktur sicher zu führen und sie in entsprechendem Zustand zu erhalten259. Für die Stilllegung einer Strecke bedarf er der Genehmigung der Aufsichtsbehörde nach § 11 AEG. Das Bundesverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die deutsche Rechtsordnung aus Gründen der Daseinsvorsorge zu der öffentlichen Aufgabe verpflichte, ein mehrgliedriges Verkehrssystem zu schaffen, und es hat dieser Daseinsvorsorgeaufgabe ausdrücklich erhebliche Bedeutung zugesprochen260. Die Bevölkerung und eine hochindustrialisierte Wirtschaft seien darauf angewiesen, dass Ausfall und zeitweilige Störung eines einzelnen Verkehrswegs ausgeglichen werden könnten. Die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen ist nun nur noch unter den Voraussetzungen des § 15 AEG zulässig, der auf die Voraussetzungen der Verordnung 1191/69/EWG in der Fassung der Verordnung 1893/91/EWG verweist. Soweit das Eisenbahnverkehrsunternehmen seine Tarife aufgrund einer Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu ändern hat, verweist § 12 Abs. 5 AEG ebenfalls auf die Voraussetzungen der VO 1191/69/EWG. Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen können damit nur im Personennahverkehr sowie zur Gewährung von Sozialtarifen durch Hoheitsakt auferlegt werden, in allen übrigen Fällen muss sie der Besteller gegen Entgelt bei der DB AG oder einem anderen Unternehmen einkaufen261. Die Aufgabenzuständigkeit für den ÖPNV, also Planungs-, Organisations- und Finanzierungszuständigkeit, wurde mit Wirkung zum 1.1.1996 (vgl. Art. 143a Abs. 3 GG) durch das Regionalisierungsgesetz vom Bund auf die Länder übertragen. Art. 87e Abs. 4 GG formuliert für diesen Bereich – mangels Zuständigkeit – keine Gewährleistungsverpflichtung. Der öffentliche Personennahverkehr und sein Teilbereich des Schienenpersonnennahverkehrs bleiben aber aufgrund einfachen Gesetzes auch nach der Bahnreform eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, so ausdrücklich § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz und die ÖPNVGe der Länder, s. i. e. unten cc). Da die Beförderungserlöse die Betriebskosten für den 258 259 260 261

Basedow, Wettbewerb auf den Verkehrsmärkten, S. 57; Schulz, S. 171. Frotscher/Kramer, NVwZ 2001, 24, 25. BVerwGE 72, 15, 24. Fromm, DVBl. 94, 187, 190.

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1. Teil: Allgemeines

SPNV nicht decken, liegt in der Bestellung gemeinwirtschaftlicher Verkehre eine zentrale Funktion der öffentlichen Hand zur Sicherstellung des Daseinsvorsorgeauftrags. Das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (RegG) beschreibt den Umfang der Daseinsvorsorgeaufgabe des ÖPNV in § 1 Abs. 1, § 4 RegG mit der Sicherstellung einer „ausreichenden Verkehrsbedienung“. Der Begriff entstammt der VO 1191/69/EWG (vgl. Art. 1 Abs. 4, 3, 14 VO). Ebensowenig wie in der VO 1191/69/EWG enthält der Begriff der ausreichenden Verkehrsbedienung im Regionalisierungsgesetz aber eine konkrete Aussage zum Umfang der Verkehrsleistungen im ÖPNV, s. für die VO 1191/69/ EWG sogleich 3.b)aa). Geht man davon aus, dass das RegG nur den Inhalt der VO 1191/69/EWG nachrichtlich wiedergeben wollte262, so kann man auch dem Begriff der ausreichenden Verkehrsbedienung in § 1 Abs. 1, § 4 RegG keinen weiterreichenden Inhalt entnehmen. Eine gegenteilige Auffassung wäre auch kompetenzrechtlich bedenklich, weil die Gewährleistungszuständigkeit durch die Regelung des Art. 87e GG auf die Länder übertragen werden sollte, s. o. Dem liefe eine Entscheidung über den Umfang des ÖPNV durch den Begriff der „ausreichenden Verkehrsbedienung“ zuwider263. Die Ausfüllung des Begriffs ist Bestandteil der Aufgabenträgerschaft des jeweiligen, nach Landesrecht zuständigen Aufgabenträgers und steht in seinem Ermessen. cc) Die ÖPNV-Gesetze der Länder Auch die meisten Länderregionalisierungsgesetze („ÖPNV-Gesetze“) bezeichnen den ÖPNV bzw. dessen Sicherstellung wörtlich als Daseinsvorsorgeaufgabe264. Der Landesgesetzgeber ist kompetent, den Umfang der Daseinsvorsorgeaufgabe auszugestalten und tut dies in den ÖPNVGen: Während einige Ländergesetze eine „vollwertige“ Alternative zum motorisierten Individualverkehr als Ziel formulieren (§§ 1 BWÖPNVG, 2 Abs. 1 BerlÖPNVG, 2 Abs. 2 MVÖPNVG), sprechen andere nur von einer „möglichst vollwertigen Alternative“ (§§ 2 Abs. 1 BayÖPNVG, 2 Abs. 1 S. 2 BremÖPNVG), wieder andere von einer „attraktiven Alternative“ (§§ 1 Abs. 2 SHÖPNVG, 2 Abs. 1 ThürÖPNVG). 262

Berschin, S. 392. Im Ergebnis ebenso Werner, S. 82 ff.; Barth, S. 140 und Barth/Baumeister, ZUR 1997, 17, 25 sehen einen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Aufgabenträgers; Lehmann/Rodi, ZögU 1998, 167, 182; a. A.: Zuck, DÖV 1994, 941, Fromm TranspR 1994, 425; inwieweit derselbe Begriff in § 8 Abs. 3 S. 1 PBefG eventuell einen anderen Aussagegehalt hat, kann hier dahingestellt bleiben, s. dazu: Batzill/Zuck, S. 45 ff. 264 Art. 2 Abs. 1 BayÖPNVG, § 2 Abs. 1 BerlÖPNVG, § 2 Abs. 1 BrbÖPNVG, § 2 Abs. 1 BremÖPNVG, § 4 Abs. 1 HessÖPNVG, § 2 Abs. 2 NdsNVG, § 1 Abs. 1 NWÖPNVG, § 2 Abs. 1 SaarÖPNVG, § 2 Abs. 1 SächsÖPNVG, § 1 SAÖPNVG, § 1 Abs. 1 SHÖPNVG, § 2 Abs. 1 ThürÖPNVG. 263

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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Noch weiter relativiert erscheinen die Aussagen in den folgenden ÖPNVGen: Nach dem saarländischen ÖPNVG soll der ÖPNV lediglich als „Alternative“ zur Verfügung stehen (§ 2 Abs. 1 SaarÖPNVG), in Nordrhein-Westfalen soll der ÖPNV „so weit wie möglich Vorrang erhalten“ vor dem motorisierten Individualverkehr (§ 2 Abs. 1 NWÖPNVG), in Niedersachsen soll er „zu einer Verlagerung des Aufkommens vom motorisierten Individualverkehr auf öffentliche Verkehrsmittel beitragen“ (§ 2 Abs. 1 NdsÖPNVG) und in Sachsen soll er zwar „im gesamten Freistaat zur Verfügung stehen“ (§ 2 Abs. 1 SächsÖPNVG), Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr soll er aber nur „in verdichteten Räumen“ haben, mit „abgestuften Bedienungskonzepten“ soll er auch in ländlichen Räumen angeboten werden (§ 2 Abs. 3 SächsÖPNVG). In Sachsen-Anhalt gewährleistet das Land ein „den verkehrlichen Belangen und seiner finanziellen Leistungsfähigkeit entsprechendes Angebot im Schienenpersonennahverkehr“ (§ 7 Abs. 1 SAÖPNVG). In Hessen soll der ÖPNV als Teil des Gesamtverkehrssystems dazu beitragen, die Mobilitätsnachfrage zu befriedigen (§ 3 S. 1 HessÖPNVG). Wenn die Formulierungen auch im Einzelnen abweichen, wird meist ein ähnlicher Umfang angestrebt werden. Dies wird aus den konkreteren, von den Landesgesetzen aufgestellten Unterzielen deutlich, die weitgehend übereinstimmen. Auch ist der Begriff „vollwertig“, mit denen die meisten Gesetze den angestrebten Standard beschreiben, nur schwer fassbar. Im Regelfall wird sich ein Maßstab in dem Sinne, wie ihn Werner vorschlägt, aufstellen lassen: Die ausreichende Verkehrsbedienung muss sich an der Nachfrage orientieren, die durch ein attraktives, finanzierbares und dem Verkehrsaufkommen angepasstes Angebot langfristig induziert werden kann265. Auf ein ähliches Ergebnis dürfte es hinauslaufen, den Daseinsvorsorgeauftrag dann als ausreichend erfüllt anzusehen, „wenn der ÖPNV flächendeckend als vollwertige Alternative zum motorisierten Individualverkehr zur Verfügung steht und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse beiträgt“266. Ein wirklich dem motorisierten Individualverkehr gleichwertiges ÖPNV-Angebot wird sich jedenfalls realistischerweise allenfalls in Großstädten realisieren lassen, und auch hier wohl nur tagsüber. Weitergehende Forderungen würden die Aufgabenträger finanziell überfordern. Rein verfahrensmäßig kann er im Sinne einer vernünftigen, von den im Spiel stehenden öffentlichen Interessen geleiteten Planungsentscheidung verstanden werden. Die Länder konkretisieren den Daseinsvorsorgeauftrag weiterhin dadurch, dass sie Leistungselemente und Mechanismen zur Erreichung spezieller Ziele normieren, die erfahrungsgemäß Grundvoraussetzungen eines attraktiven, sozialen ÖPNV sind. Es handelt sich um die Integration des Verkehrsleistungsan265

Werner, S. 87; ähnlich wohl: Fehling, Die Verwaltung 2001, 25, 49. Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 2001, 131 und 293, 296 und Ronellenfitsch, Der Verkehrssektor als Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland, S. 94; s. auch Werner, S. 90. 266

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1. Teil: Allgemeines

gebots des ÖPNV durch Koordination und Kooperation [s. hierzu ausführlicher unten 2. Teil A.3.b)], die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Verkehrsleistungen unter zumutbaren Bedingungen zu sozialverträglichen Tarifen, Anforderungen an Haltestellen und Umsteigepunkte, insbesondere die Benutzbarkeit für mobilitätsbehinderte Personen, die Verbindungsmöglichkeiten zu anderen Verkehrsmitteln, sowie Anforderungen an die Fahrzeuggestaltung hinsichtlich Sicherheit, Bequemlichkeit, Schnelligkeit, Aufwandssenkung und die Eignung für ältere Menschen und Behinderte267. Die Instrumente zur Erfüllung der Daseinsvorsorgeaufgabe „Sicherstellung eines ausreichenden Verkehrsbedürfnisses“ im SPNV sind die koordinierende Planung, die der Aufgabenträger weitgehend selbst ausübt, die Organisation und Finanzierung einzelner Verkehre durch den Abschluss von Verkehrsverträgen sowie die bundesrechtlich für den öffentlichen Personenverkehr im AEG begründeten gesetzlichen Verpflichtungen. Die Verkehrsverträge begründen eine Betriebspflicht sowie Koordinationspflichten von unterschiedlich weitem Umfang. Die Koordination wird aber in erster Linie als Aufgabe des Aufgabenträgers verstanden, der Verkehrsleistungen so einkauft, dass sie sich ergänzen. Darüber hinaus kann das Verkehrsunternehmen aber verpflichtet werden, in einem Tarifverbund mitzuwirken oder sich mit anderen Unternehmen abzustimmen, so dass auch von einer Koordinierungspflicht als weiterer typischer Daseinsvorsorgeverpflichtung gesprochen werden kann, deren Erfüllung dem Unternehmen eigene Kosten verursachen kann, und die beihilfenrechtlich entschädigungsfähig ist. 3. Der „service public ferroviaire“ im Gemeinschaftsrecht Unter service public ferroviaire soll im Folgenden in Anlehnung an den französischen Sprachgebrauch eine Transportaktivität mittels Eisenbahn im öffentlichen Interesse verstanden werden, die entweder durch einen Privaten oder durch einen Hoheitsträger ausgeführt wird268. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Regelungen das Gemeinschaftsrecht zum Umfang öffentlicher Dienstleistungen im Eisenbahnverkehr und zu seinen Erfüllungsinstrumenten trifft. Wichtige Aussagen hierzu treffen Art. 73 EGV als primärrechtliche Norm des Gemeinschaftsrechts und die VO 1191/69/EWG. Sie regeln primär die Finanzierung solcher Transportleistungen im öffentlichen Interesse, treffen aber auch Aussagen über die Beziehung des Transportunternehmens zum Staate und über die Stellung des Benutzers. 267 § 1, § 3 Abs. 3, 4 BWÖPNVG, Art 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 BayÖPNVG, § 2 BlnÖPNVG, § 2 BrbÖPNVG, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 und Abs. 3 BremÖPNVG, § 4 HessÖPNVG, § 2 MVÖPNVG, § 2 Abs. 1 und Abs. 4 NdsNVG, § 2 Abs. 8 NWÖPNVG, § 2 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5, § 3 RhPfNVG, §§ 2, 3, 4 SaarÖPNVG, § 2 SächsÖPNVG, § 1 SAÖPNVG, § 1 SHÖPNVG, § 2 ThürÖPNVG. 268 Arsac, S. 1.

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a) Art. 73 EGV Eine ausdrückliche Erwähnung eines „service public ferroviaire“ oder öffentlicher Dienstleistungen im Eisenbahnbereich findet sich im primären Gemeinschaftsrecht nicht. Art. 73 EGV enthält aber für „mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängende Leistungen“ im Verkehrssektor eine Ausnahmevorschrift im Bereich der Gewährung von Beihilfen. Die Gewährung von Beihilfen stellt eines der Instrumente dar, mit Hilfe derer die öffentliche Hand Daseinsvorsorgeaufgaben gewährleistet. Immerhin wird damit primärrechtlich anerkannt, dass im Verkehrssektor – und damit auch im Eisenbahnverkehr, vgl. Art. 80 Abs. 1 EGV – Leistungen existieren, die staatliche Ausgleichszahlungen erfordern. b) Die Verordnung 1191/69/EWG „über das Vorgehen der Mitgliedstaaten bei mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundenen Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen-, und Binnenschiffsverkehrs“ vom 26. Juni 1969 in der Fassung der Verordnung 1893/91/EWG Die auf der Grundlage von Titel V des EGV über den Verkehr (Artt. 70–80 EGV) erlassene Verordnung trifft Regelungen über die Zulässigkeit und die Ausgleichspflichtigkeit von Daseinsvorsorgeaufgaben im Verkehrssektor und schafft so – entsprechend dem französischen Verständnis – in Teilbereichen gewissermaßen das Bild eines gemeinschaftsrechtlich anerkannten service public du transport, zu dem auch ein service public ferroviaire gehört269. Die Regelungen betreffen lediglich die prinzipielle Zulässigkeit eines service public ferroviaire und das finanzielle Verhältnis des service public ferroviaire zum Staate. Dies rechtfertigt sich aus der Zweckrichtung, mittels Einheitlichkeit und Transparenz gemeinsame Wettbewerbsbedingungen für die Verkehrsunternehmen in den Mitgliedstaaten zu schaffen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 1). Die VO beinhaltet drei Hauptaussagen: Erstens enthält sie eine Definition des gemeinschaftsrechtlichen Inhaltes dieses service public ferroviaire: Er wird mit der Verpflichtung zu Leistungen umschrieben, „die das Verkehrsunternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang und nicht unter den gleichen Bedingungen übernehmen würde“ (Art. 2 Abs. 1). Es handelt sich um drei Pflichtentypen: Erstens die Betriebspflicht, die die Existenz von Verkehrsdiensten gewährleistet, die festgesetzten Normen der Kontinuität, der Regelmäßigkeit und der Kapazität entsprechen (Art. 2 Abs. 3), zweitens die Beförderungspflicht, derzufolge jede Personen- und Güterbeförderung zu festgelegten Preisen und Bedingungen an269

Arsac, S. 19 ff.

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zunehmen und auszuführen ist (Art. 2 Abs. 4), sowie drittens die Tarifpflicht, derzufolge behördlich festgesetzte oder genehmigte Tarife anzuwenden sind, die dem kaufmännischen Interesse des Unternehmens zuwiderlaufen (Art. 2 Abs. 5)270. Die Definition des service public ferroviaire wird hier aus der Perspektive des Gegensatzes zum kaufmännischen Interesse des ausführenden Unternehmens vorgenommen. Dies ist konsequent mit Blick auf die Zielsetzung der VO, gleiche Wettbewerbsbedingungen für die auf dem Verkehrsmarkt tätigen Unternehmen im Gemeinsamen Markt zu schaffen. Das öffentliche Interesse, das die Existenz staatlicher Daseinsvorsorgeaktivitäten rechtfertigt, spielt in dieser Definition keine Rolle271. Es wird aber an anderer Stelle aufgegriffen, bei der Rechtfertigung der Verkehrsverträge, s. u. In der Praxis ist diese trennscharfe Definition der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes nicht immer nachvollzogen worden. Dies wird insbesondere am Beispiel der SNCF deutlich: Ihre Betriebspflicht wird nur pauschal in Art. 1 Abs. 2 cahier des charges begründet. Auch der Unternehmensvertrag enthält keine Auflistung der unrentablen Verbindungen, deren Betrieb von ihr tatsächlich verlangt wird. Hierfür soll die SNCF dem cahier des charges und den Planverträgen272 zufolge einen genau berechneten finanziellen Ausgleich erhalten. Da aber bereits nicht definiert wurde, um welche Leistungen es sich konkret handelt, erhält die SNCF auch keinen exakten finanziellen Ausgleich. So bleibt die Durchführung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben in die Unternehmenspolitik der SNCF integriert. Die konsequente Anwendung der VO 1191/69/ EWG würde eine genaue Definition der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes voraussetzen. Artikel 14 der VO gibt einen Hinweis auf den Umfang des service public, indem „ausreichende Verkehrsdienste“ für die Allgemeinheit als Objekt einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Aufgabenträger und Unternehmer beschrieben werden273. Dem Begriff lässt sich aber kein bestimmter Umfang an Verkehrsleistungen im Sinne einer Untergrenze entnehmen. Dies ergibt sich aus Wortlaut und Systematik der VO 1191/69/EWG. Ihre Aussagen in diesem Bereich bleiben zu pauschal, um aus ihnen einen konkreten Leistungsumfang ableiten zu können. Im zweiten Erwägungsgrund wird der Begriffsinhalt der ausreichenden Verkehrsbedienung mit der Formel „nach Angebot und Nachfrage im Verkehr und den Bedürfnissen der Allgemeinheit“ nur sehr pauschal ausgefüllt. Art. 1 Abs. 4 bezeichnet nicht abschließend Faktorenkategorien, die den 270 Vgl. zur Tarifpflicht auch: EuGH vom 27.11.1973 „NV Nederlandse Spoorwegen ./. Minister van Verkeer en Waterstaat“, Akt.z. 36/73, Rec. 1973, S. 1299. 271 Arsac, a. a. O., S. 21. 272 Zu den Planverträgen s. u. E.II.2.a)bb). 273 Arsac, a. a. O., S. 22.

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Abschluss von Verträgen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung rechtfertigen können, nämlich soziale, umweltpolitische und landesplanerische. Auch Art. 3 Abs. 2 der VO 1191/69/EWG lässt das Ergebnis der Entscheidung offen und stellt lediglich folgende Kriterien zur Beurteilung einer ausreichenden Verkehrsbedienung auf: Das öffentliche Interesse, die Möglichkeit, andere Verkehrsmittel einzusetzen, die ebenfalls zur Befriedigung der Verkehrsbedürfnisse geeignet wären, sowie die Beförderungsentgelte und -bedingungen, die den Verkehrsnutzern angeboten werden können. Diese unvollständige Aufzählung zeigt an, dass der Gesetzgeber der VO 1191/69/EWG nicht selbst den Begriff konkretisieren wollte, sondern dass die Ausfüllung des Begriffs nach vorgegebenen Kriterien mitgliedstaatlichen Instanzen vorbehalten bleiben sollte. Auch dürfte eine gemeinschaftsweit gültige Umfangsdefinition nur sehr schwer möglich und ihr Nutzen zweifelhaft sein, aufgrund der sehr verschiedenen Verhältnisse und Bedürfnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten und selbst innerhalb der Mitgliedstaaten in ihren verschiedenen Regionen. Diese Interpretation entspricht auch Sinn und Zweck der VO: Wie sich aus dem 1. Erwägungsgrund der VO 1191/69/EWG ergibt, soll sie die sich aus den Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes ergebenden Wettbewerbsverfälschungen beseitigen. Wettbewerbsverfälschungen sind aber schon dann nicht mehr zu befürchten, wenn für Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes die in der VO enthaltenen Kriterien für die Auferlegung der Leistungen und für ihre finanzielle Kompensation eingehalten und damit Objektivität und Transparenz gesichert werden. Die Reduzierung auf ein bestimmtes – geringes – Maß an gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen wäre zu diesem Zwecke nicht erforderlich und würde damit den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen274. Für eine Bestimmung des Umfangs der Nahverkehrsleistungen würde deshalb der EU mangels einschlägigen Kompetenztitels in dem Bereich auch die Gesetzgebungskompetenz fehlen. Der Begriff wird vom deutschen Regionalisierungsgesetz aufgegriffen, s. o. 2.b)bb). Zweitens basiert die VO auf dem Prinzip, dass die Mitgliedstaaten die Verpflichtungen des service public ferroviaire aufzuheben hätten (Art. 1 Abs. 3)275. Dies gilt auch für den Güterverkehr276. Bestimmte, im Interesse sozialer Gruppen festgelegte Beförderungstarife und -bedingungen im Personenverkehr sind hiervon ausgenommen (Art. 1 Abs. 6). Darüber hinaus räumt Art. 1 Abs. 1 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Unternehmen, deren Tätigkeit sich auf den 274 Im Ergebnis ebenso: Berschin, ZUR 1997, 4, 6, der schon eine entsprechende Regelungskompetenz des EGV verneint. 275 Vgl. hierzu: Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 470 ff.; Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 443 ff. 276 Fromm, Transportrecht 1992, 256, 260.

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Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr beschränkt, vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen. Hiervon hat Deutschland nur bis zum 1.1.1996 Gebrauch gemacht277, später implizit im Bereich des ÖSPV durch die umstrittene Regelung der „Eigenwirtschaftlichkeit“ in § 8 Abs. 4 PBefG278. Auch in Frankreich besteht keine ausdrückliche Ausnahmeregelung. Der Text beweist so insgesamt eine sehr liberale Orientierung der gemeinschaftsrechtlichen Verkehrspolitik279. Die VO hat praktisch allerdings nicht die Aufhebung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im Transportsektor bewirkt280. Der Mitgliedstaat entscheidet nur auf Antrag des belasteten Unternehmens darüber, ob die Daseinsvorsorgeverpflichtung aufgehoben oder ob sie aufrechterhalten wird (Art. 4). Sofern die Verpflichtung aufrechterhalten werden soll, schuldet der Staat dem Unternehmen eine Entschädigung für die Ausführung dieser Dienste. Drittens etabliert die Verordnung zwei Verfahrensarten für die Aufrechterhaltung oder die neue Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen im Bereich des Personenverkehrs durch die Mitgliedstaaten: – Die Mitgliedstaaten können Transportunternehmen im Stadt-, Vorort- oder Regionalpersonenverkehr einseitig bestimmte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Sinne der Definition des Artikel 2 auferlegen oder diese aufrechterhalten (Art. 1 Abs. 5). – Seit ihrer durch die Verordnung 1893/91/EWG erhaltenen Fassung, die zeitgleich mit der VO 440/91/EWG verabschiedet wurde und am 1.7.1992 in Kraft getreten ist, sieht die VO vor, dass mitgliedstaatliche Hoheitsträger einen „Vertrag über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ (Art. 14), also über die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen, mit dem Transportunternehmen abschließen können. Die Gründe, die den Abschluss eines derartigen Vertrags rechtfertigen, nennt die Verordnung ausdrücklich: Es sind soziale Gesichtspunkte, solche des Umweltschutzes, der Raumpolitik oder das Anliegen, für bestimmte Kategorien von Benutzern bevorzugte Tarife zu schaffen (Art. 1 Abs. 4). Damit führt die Verordnung die Technik der „Kontraktualisierung“ in das gemeinschaftsrechtliche Regelungs277 Im Straßenverkehr: Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs der VO (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der VO 1893/91 im Straßenpersonenverkehr, BGBl. 1992 I, S. 1442; im SPNV: Verordnung zur Festlegung des Anwendungsbereichs der VO (EWG) Nr. 1191/69 in der Fassung der VO 1893/91 im Eisenbahnverkehr, BGBl. 1992 I, S. 1442; sowie Verordnung zur Änderung der vorgenannten Verordnungen, BGBl. 1994 I, 3630. 278 Vgl. OVG Magdeburg, Transportrecht 1999, 27; BVerwG, NVwZ 2001, 320; Heinze, DÖV 1996, 977; Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 2001, 131, 141 ff. 279 Drobenko, Les petites affiches vom 2. März 1992, nº 27, S. 17. 280 Menges, S. 6.

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werk für den Eisenbahntransport ein, womit Transparenz und Geschäftsautonomie der betroffenen Unternehmen gestärkt werden sollten281. Unter Kontraktualisierung soll dabei die Steuerung von Verwaltungseinheiten mittels Vertrages sowie die Steuerung Privater durch die Verwaltung mittels Vertrages bei ihrem Einsatz als Verwaltungshelfer oder Verwaltungsmittler verstanden werden, s. genauer hierzu unten E. Der VO kann eine gewisse Bevorzugung der vertraglichen Vereinbarung einer gemeinwirtschaftlichen Leistung vor der Auferlegung entnommen werden. Die VO zieht der Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Leistungen in den Abschnitten II–IV engere Voraussetzungen und lässt sie nur für die in Art. 2 genannten Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes zu, nämlich Betriebspflicht, Beförderungspflicht und Tarifpflicht. Verkehrsverträge müssen der Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung dienen (Art. 14), können im Übrigen aber voraussetzungslos abgeschlossen werden. Die hoheitliche Verpflichtung muss eine Kompensation für das Transportunternehmen vorsehen, die sich nach in der Verordnung festgelegten Regeln berechnet (Abschnitt IV der Verordnung), Verträge enthalten eine Vereinbarung über die Gegenleistung (Art. 14 Abs. 2 Buchstabe b). Sofern ein Verkehrsunternehmen gemeinwirtschaftliche Aufgaben ausführt, muss die Rechnungsführung dieses Unternehmensbereichs von den eigenwirtschaftliche Leistungen ausführenden Unternehmensbereichen getrennt werden und im Übrigen gewährleistet sein, dass der gemeinwirtschaftliche Bereich nicht durch andere Unternehmensbereiche quersubventioniert werden kann (vgl. Art. 1 Abs. 5)282. Das Gemeinschaftsrecht überlässt es damit im Transportsektor den Mitgliedstaaten, in Verträgen und speziellen Leistungsverpflichtungen die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Transportunternehmen zu bestimmen. Anders war das Vorgehen in den Bereichen der Telekommunikation oder der Post, wo das Gemeinschaftsrecht selbst einen Basisdienst formuliert hat283. Im Bereich der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik bedient sich das Gemeinschaftsrecht bislang weniger einschneidender Instrumentarien284. c) Die neue Verordnung 1370/07/EG Am 3.12.2007 wurde im Amtsblatt der EU die VO 1370/07/EG über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der 281

Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 480 f. Vgl. auch Soukup, ZögU 1996, 164, 169. 283 Vgl. 23. Wettbewerbsbericht 1993 der Kommission, Nr. 36 ff. und 127; Mitteilung der Kommission über den universellen Dienst, KOM (93) 543. 284 Kovar, RTD eur. 1996, 217 und 493, 510; zu Vor- und Nachteilen, die die Formulierung eines Basisdienstes im Eisenbahnsektors hätte, vgl. Arsac, a. a. O., S. 71 f. 282

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Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 veröffentlicht285. Sie wird zwei Jahre nach ihrer Veröffentlichung am 3.12.2009 in Kraft treten, Art. 12. Danach gelten Übergangsregelungen, Art. 8. Schon im Jahre 2000 hatte die Kommission einen ersten Vorschlag für eine neue Verordnung unterbreitet, aber erst sieben Jahre später konnte in diesem sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge ein politischer Kompromiss erzielt werden. Anlass der Neuregelung war die Tatsache, dass der bisherige Rechtsrahmen lediglich Regelungen über die Verfahren und die Berechnung der Gewährung von Ausgleichsleistungen für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs traf. Infolge der inzwischen fortgeschrittenen Marktöffnung wurden auch Regeln über die Vergabe der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und der mit ihnen verbundenen Ausgleichsleistungen an die Verkehrsunternehmen als erforderlich angesehen, vgl. Erwägungsgrund 6. Insofern fügt die neue Verordnung dem bisherigen beihilfenrechtlichen Inhalt der VO 1191/69/EG einen vergaberechtlichen Aspekt hinzu, wodurch sie gewissermaßen eine Zwitterstellung erhält. Im Unterschied zur VO 1191/69/EG ist der Anwendungsbereich der neuen VO 1370/07/EG auf den Personenverkehr beschränkt, vgl. Erwägungsgrund 11. Sie gilt auch nicht für den Binnenschifffahrtspersonenverkehr. Hingegen wurde auf die bisherige Möglichkeit einer Teilbereichsausnahme für Stadt-, Vorortund Regionalverkehre verzichtet, auf die die deutsche Regelung der „eigenwirtschaftlichen Verkehre“ in § 8 Abs. 4 S. 3 PBefG gestützt wurde. Eine Ausnahmeermächtigung gilt nur noch für allgemeine Vorschriften, die Höchsttarife zugunsten bestimmter Personengruppen vorsehen, vgl. Art. 3 Abs. 3. Die VO 1370/07/EG nimmt Abstand von dem Grundsatz, dass die Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes aufzuheben seien. Die Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes werden nicht mehr auf die drei Pflichtentypen der Betriebspflicht, der Beförderungspflicht und der Tarifpflicht reduziert. Nach Art. 2 Buchstabe e) dienen vielmehr gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen der Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte. Damit wird in der neuen Verordnung – wie auch schon im Primärrecht, s. o. – eine positivere Einstellung der Gemeinschaft gegenüber den Diensten von allgemeinem Interesse deutlich. Erwägungsgrund 4 der Richtlinie referiert die Ziele des VerkehrsWeißbuchs der Kommission von 2001, die in der Gewährleistung sicherer, effizienter und hochwertiger Personenverkehrsdienste durch einen regulierten Wettbewerb, aber unter Berücksichtigung sozialer, umweltpolitischer und raumplanerischer Faktoren, oder in dem Angebot spezieller Tarifbedingungen zugunsten 285

ABl. EU L 315, S. 1 ff.

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bestimmter Gruppen von Reisenden, wie etwa Rentner, bestehen. Mit dieser Aufzählung nähert sich die Verordnung den nationalen Zielvorgaben an, vgl. oben. Nach Art. 1 Abs. 1 sind Regelungsgegenstand der Verordnung Dienstleistungen des öffentlichen Personenverkehrs, die u. a. zahlreicher, sicherer, höherwertig oder preisgünstiger sind als diejenigen, die das freie Spiel des Marktes ermöglicht hätte. Nach Art. 4 Abs. 6 kann auch die Einhaltung von Qualitätsstandards vorgeschrieben werden. Art. 4 Abs. 5 nennt ausdrücklich auch die Möglichkeit, den Betreiber eines öffentlichen Dienstes zur Einhaltung von Sozialstandards zugunsten der Arbeitnehmer zu verpflichten. Erwägungsgrund 17 nennt beispielhaft: Mindestarbeitsbedingungen, Fahrgastrechte, Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität, des Umweltschutzes, der Sicherheit von Fahrgästen und Angestellten sowie sich aus Kollektivvereinbarungen ergebende Verpflichtungen, andere Vorschriften und Vereinbarungen in Bezug auf den Arbeitsplatz und Dienstort, soziale Normen und Dienstleistungsqualitätsnormen. Wie schon die VO 1191/69/EG definiert auch die neue Verordnung keinen service public bestimmten Umfanges, sondern beschränkt sich auf Regeln über die finanziellen Zuwendungen zum Ausgleich von Verpflichtungen zur Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen. Die Ausgestaltung des konkreten Inhaltes der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und der konkreten Organisation der Verkehre bleibt in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips den Mitgliedstaaten vorbehalten, vgl. Erwägungsgrund 12 und 17. Auch von der anfangs vorgesehenen Definition von Qualitätsstandards ist die Kommission im weiteren Gesetzgebungsverfahren abgerückt286. Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen müssen den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zufolge im Voraus klar definiert worden sein287. Dieser Grundsatz liegt auch der VO 1370/07/EG zugrunde, vgl. Art. 1 Abs. 1 2. Unterabs. und Art. 2 Buchstabe e), Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a). Wie bisher können dem Betreiber die Verpflichtungen durch Vertrag oder einseitig auferlegt werden. Dies geht aus den Regelungen der Verordnung nicht immer eindeutig hervor. Zwar wird in Art. 2 Buchstabe i) ein „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ als Übereinkunft definiert. Ein „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ kann aber auch in einer behördlichen Entscheidung in der Form eines Gesetzes oder einer Verwaltungsentscheidung liegen. Art. 3 stellt den „öffentlichen Dienstleistungsaufträgen“ (Art. 3 Abs. 1) die „allgemeinen Vorschriften“ (Art. 3 Abs. 2) gegenüber. Letztere sind im Prinzip bereits von der weiten Definition des Art. 2 Buchstabe i) erfasst. Die Unterscheidung zwischen öffentlichen Dienstleistungsaufträgen und allgemeinen Vorschriften in Art. 3 muss demnach so verstanden werden, dass hier nur solche allgemeinen Vorschriften gemeint sind, die aus286

Vgl. KOM (2005) 319 endgültig, S. 14. Erstes sog. Altmark-Kriterium, vgl. EuGH vom 24.7.2003, Rs. C-280/00 „Altmark-Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rn. 89. 287

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schließlich die in Abs. 2 und Abs. 3 genannten Höchsttarife zum Inhalt haben. Die Definition in Art. 2 Buchstabe i) 2. Halbsatz erfasst demgegenüber – weitergehend – Fälle, in denen das ganze Spektrum des Inhaltes eines Verkehrsvertrags durch einseitigen Hoheitsakt durch die Verwaltung in konkreter, individueller Form oder in abstrakter, genereller Form festgelegt wird. Wie schon die VO 1191/69/EG enthält die VO 1370/07/EG Vorschriften über den Mindestinhalt von öffentlichen Dienstleistungsverträgen, vgl. Art. 4. Auch diese Bestimmungen sollen gewährleisten, dass gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Voraus klar definiert werden. Weiterhin wird eine Höchstlaufzeit von 15 Jahren für Verträge über Eisenbahnpersonenverkehrsdienste festgelegt, Art. 4 Abs. 3. Öffentliche Dienstleistungsverträge können auch zur Einhaltung bestimmter Sozialstandards zugunsten der beim Betreiber beschäftigten Arbeitnehmer verpflichten, Art. 4 Abs. 5. In dem öffentlichen Dienstleistungsvertrag muss auch die Gegenleistung bestimmt werden, und zwar entweder indem die Parameter für die Berechnung der Ausgleichsleistung festgelegt werden, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b) i) oder durch Bestimmung von Art und Umfang der gewährten Ausschließlichkeitsrechte, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b) ii). Die Ausgleichsleistung darf nicht übermäßig sein, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b). Der Maßstab wird in Art. 4 Abs. 1 S. 2 und in Art. 6 Abs. 1 i.V. m. dem Anhang präzisiert. Im Grundsatz darf die Ausgleichsleistung den Betrag nicht übersteigen, der erforderlich ist, um die finanziellen Nettoauswirkungen auf die Kosten und Einnahmen zu decken, die auf die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zurückzuführen sind. Dabei sind die vom Betreiber eines öffentlichen Dienstes erzielten und einbehaltenen Einnahmen und ein angemessener Gewinn zu berücksichtigen, vgl. Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b). Diese Regelung entspricht grundsätzlich den Kriterien der Altmark-Trans-Rechtsprechung des EuGH288, mit einer Abweichung: Der Anhang stellt zur Bestimmung des angemessenen Gewinns subjektiv auf den konkreten Betreiber des öffentlichen Dienstes ab. Im Gegensatz dazu zieht der EuGH ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen als Maßstab heran. Der subjektive Maßstab der VO 1370/ 07/EG wird allerdings durch die Vorgabe abgeschwächt, dass die Festsetzung der Ausgleichsleistung einen Anreiz für eine wirtschaftliche Geschäftsführung setzen soll (vgl. Anhang Nr. 7). Art. 5 regelt die Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen. Art. 5 Abs. 1 S. 2 normiert einen Vorrrang des allgemeinen europäischen Vergaberechtes. Sofern ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag über öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen (also nicht Eisenbahnen289) 288

Vgl. EuGH vom 24.7.2003, Rs. C-280/00 „Altmark-Trans“, Slg. 2003, I-7747. Vgl. hierzu: Olaf Otting, Carolina Scheps: Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsdienstleistungen nach der neuen Verordnung (EG) 1370/2007, NVwZ 2008, 499, 500. 289

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im Sinne der VO 1370/07/EG gleichzeitig die Voraussetzungen eines Dienstleistungsauftrags im Sinne der Vergabe-Richtlinien 2004/17/EG oder 2004/18/EG erfüllt, wird er gemäß den Vergabe-Richtlinien vergeben. Dieser Vorrang gilt aber lediglich für die Absätze 2 bis 6 des Artikel 5, vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 3. Grundsätzlich ist nach Art. 5 Abs. 3 ein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchzuführen, das den Prinzipien des Art. 5 Abs. 3 S. 2 entsprechen muss. Damit verpflichtet die VO 1370/07/EG nicht zwingend zur Durchführung eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens. Die sog. Inhouse-Vergabe an rechtlich getrennte Einheiten, über die die zuständige örtliche Behörde eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausübt, bleibt gemäß Art. 5 Abs. 2 möglich. Die Direktvergabe bleibt außerdem gemäß Art. 5 Abs. 4 möglich bei geringfügigen Aufträgen und gemäß Art. 5 Abs. 5 bei Notmaßnahmen. Im Eisenbahnverkehr ist außerdem gemäß Art. 5 Abs. 6 generell eine Direktvergabe zulässig, „wegen der unterschiedlichen territorialen Organisation der Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht“ (Erwägungsgrund 26). Die VO 1370/07/EG beabsichtigt keine weitere Öffnung des Marktes für Schienenverkehrsdienste über die Richtlinie 91/ 440/EG hinaus, Erwägungsgrund 25. Bei einer Direktvergabe sind die Grundsätze des primären Gemeinschaftsrechtes für die Vergabe öffentlicher Aufträge zu beachten. Dies sind die Grundsätze der Transparenz, der Diskriminierungsfreiheit und der Gleichbehandlung290. Dabei ist davon auszugehen, dass Art. 7 mit seinen weitgehenden Veröffentlichungspflichten ex ante und ex post eine abschließende Spezialregelung hinsichtlich der Transparenzerfordernisse trifft. Danach hat die zuständige Behörde gemäß Art. 7 Abs. 2 spätestens ein Jahr vor der Vergabe Mindestinformationen über die geplante Vergabe zu veröffentlichen. Ex post hat die Behörde gemäß Art. 7 Abs. 1 einen Gesamtbericht zu veröffentlichen und gemäß Art. 7 Abs. 4 ihre Entscheidungsgründe für eine Direktvergabe jeder interessierten Partei zu übermitteln. Im Falle der Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen hat sie darüber hinaus näher bestimmte Mindestinformationen öffentlich zugänglich zu machen, Art. 7 Abs. 3. Im Hinblick auf den abschließenden Charakter der Verordnung ergeben sich weitere Fragestellungen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf ihren beihilferechtlichen als auch im Hinblick auf ihren vergaberechtlichen Inhalt. Mit Blick auf das Vergaberecht stellt sich neben der oben dargestellten Problematik der Anwendbarkeit der Primärrechtsgrundsätze bei Direktvergaben die Frage, inwieweit im Eisenbahnverkehr über Art. 5 Abs. 6 hinausgehende Ausschreibungspflichten bestehen können. Art. 5 Abs. 6 räumt ausdrücklich nationalem Recht den Vorrang ein. Dies bedeutet, dass nach der Regelung in der deutschen Vergabeverordnung, derzufolge eine Ausschreibung unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich ist – vgl. unten – und zu deren Anwendung sich die deut-

290

Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission 2006/C 179/02, S. 2.

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schen Länder gegenüber der Kommission verpflichtet haben, eine über Art. 5 Abs. 6 hinausgehende Ausschreibungsverpflichtung besteht. Mit Blick auf das Beihilfenrecht stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, dass die Verordnung für die Angemessenheit des Gewinns subjektiv auf den Betreiber abstellt und nicht auf ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen und damit von den sog. Altmark-Kriterien abweicht. Wenn die Altmark-Kriterien erfüllt sind, ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine staatliche Leistung schon tatbestandsmäßig nicht als Beihilfe im Sinne des Art. 87 EGV anzusehen. Infolgedessen gilt dann nicht die Notifizierungspflicht für Beihilfen nach Art. 88 Abs. 3 EGV an die Kommission. Art. 9 Abs. 1 S. 2 bestimmt, dass gemäß der Verordnung gewährte Ausgleichsleistungen von der Notifizierungspflicht nach Art. 88 Abs. 3 EGV befreit sind. Daraus könnte man schließen, dass diese Leistungen tatbestandsmäßige Beihilfen im Sinne des Art. 87 darstellen, für die eine Befreiung ausdrücklich geregelt werden muss. Art. 9 Abs. 1 S. 2 lässt sich aber auch als eine Klarstellung verstehen. Folgende Überlegungen sprechen dagegen, Ausgleichsleistungen nach der VO 1370/07/ EG als tatbestandsmäßige Beihilfe anzusehen: Beide Kriterien – das objektive des EuGH und das subjektive der VO 1370/07/EG – erfüllen den Zweck, Überkompensationen zu vermeiden, so dass davon auszugehen ist, dass auch nach der VO 1370/07/EG zulässige Ausgleichsleistungen keine Beihilfen darstellen. Zudem dürften beide Kriterien nicht zu stark voneinander abweichenden Ergebnissen führen, so dass beide zulässige Interpretationen der primärrechtlichen Vorgaben des Art. 87 sein dürften. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich um tatbestandsmäßige Beihilfen handelt, begründet die VO 1370/07/EG jedenfalls wie die Vorgängerverordnung 1191/69/EG eine sektorielle Bereichsausnahme vom Beihilfenverbot291, indem sie sekundärrechtlich die Vorschrift des Art. 73 EGV ausfüllt. Art. 9 und insbesondere Erwägungsgrund 36 der VO 1370/07/EG stellen klar, dass neben der Verordnung weiterhin unmittelbar Art. 73 EGV als Grundlage für die Zulässigkeit einer Beihilfe im Bereich öffentlicher Personenverkehrsdienste herangezogen werden kann. Fallgruppen von direkt auf Art. 73 EGV gestützten Beihilfen an Eisenbahnunternehmen hat die Kommission in ihren Leitlinien für Beihilfen an Eisenbahnunternehmen zusammengestellt 292.

291 Vgl. zur VO 1191/69/EG Christian Jung, in: Art. 73 Rn. 4 Calliess/Ruffert: EUV, EGV, Kommentar, München 3. Auflage 2007, sowie EuGH vom 24.7.2003, Rs. C-280/00 „Altmark-Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rn. 103 ff. 292 Mitteilung der Kommission über Gemeinschaftliche Leitlinien für staatliche Beihilfen an Eisenbahnunternehmen vom 22.7.2008, ABl. EU C 184/13.

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4. Vergleich a) Der Umfang der Daseinsvorsorgeaufgaben Der Umfang der Daseinsvorsorgeaufgaben im Transportbereich divergiert in Frankreich und in Deutschland. Dies folgt weniger aus der französischen Konzeption des gesamten Transportsektors als service public und der Formulierung eines subjektiven Rechtes des Bürgers auf Transport, die eher proklamatorischen Charakter haben, als vielmehr aus den konkreten Daseinsvorsorgebindungen. Auch in Deutschland wird die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung im ÖPNV als öffentliche Aufgabe verstanden, wenn dem auch nicht ein subjektives Recht des Bürgers gegenübersteht. Ein subjektives Recht auf ein bestimmtes Leistungsniveau öffentlicher Transportleistungen existiert im deutschen Recht weder auf einfachgesetzlichem Niveau noch lässt es sich aus Grundrechten des GG ableiten, s. o. Die oben beschriebenen Instrumente von Betriebspflicht, Beförderungspflicht, Tarifpflichten und Anforderungen an die Qualität reichen im französischen Recht weiter als im deutschen: Eine Betriebspflicht, die in Deutschland für das Eisenbahnverkehrsunternehmen gesetzlich nicht mehr existiert, wird aus der Aussage des Art. 1 Abs. 2 cahier des charges SNCF abgeleitet, demzufolge die SNCF den Eisenbahnverkehr auf dem nationalen Eisenbahnnetz zu den besten Bedingungen für Sicherheit, Zugänglichkeit, Schnelligkeit, Komfort und Pünktlichkeit im Rahmen der verfügbaren Mittel betreiben soll293. Im Personenverkehr haben die in beiden Ländern existierenden Beförderungsund Tarifpflichten einen vergleichbaren Umfang: Die in Deutschland in § 10 AEG geregelte Beförderungspflicht folgt in Frankreich aus Art. 9 cahier des charges294. Die SNCF wird im cahier des charges einer Tarifpflicht für den Personenverkehr unterworfen. Wie in § 12 AEG besteht die französische Tarifpflicht in einer Tarifaufstellungs-, Tarifgenehmigungs- und Tarifbekanntmachungspflicht, s. o. Dass die Tarife gegenüber jedermann in gleicher Weise anzuwenden sind, folgt wiederum aus dem Grundsatz der Gleichheit vor dem service public auch ohne ausdrückliche Regelung. Alle weiteren Vorgaben an den Personenfern- und an den Güterverkehr, die das cahier des charges aufstellt, insbesondere die Qualitätsvorgaben im Personenfernverkehr, werden in Deutschland – jedenfalls theoretisch – dem Markt überlassen. Zum Umfang der Daseinsvorsorge im SPNV, dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand der Arbeit, s. u. im 2. und 3. Teil.

293 294

Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 119. Fournier, S. 186.

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1. Teil: Allgemeines

Trotz dieser Unterschiede stimmen die Ergebnisse der Wertungen häufig überein: Die Betriebspflicht schließt in beiden Ländern beispielsweise nicht aus, besonders unwirtschaftliche Eisenbahnstrecken zu schließen. b) Trennung der hoheitlichen Aufgaben vom Unternehmen Die Richtlinie 91/440/EWG, zuletzt geändert durch die RL 2004/51/EG, schreibt in Art. 6 Abs. 3 eine Trennung nur derjenigen hoheitlichen Funktionen vom Eisenbahnverkehrsunternehmen vor, die für den Zugang zur Infrastruktur maßgebend sind. In Deutschland wurden die hoheitlichen Funktionen, die traditionell die Deutsche Bundesbahn ausgeführt hatte, im Rahmen der Bahnreform von dem leistenden Verkehrsunternehmen umfassend getrennt295. Das Prinzip der eigenen Überwachung und der Selbstgenehmigung bei bloßer interner Staatsaufsicht fand damit ein Ende296. Zu diesem Zwecke wurde das Eisenbahnbundesamt, eine bundesunmittelbare Sonderbehörde, eingerichtet, § 2 Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes. Es ist insbesondere zuständig für die Zulassung von Eisenbahnunternehmen und als Beschwerdeinstanz bei Fragen über die Vergabe von Infrastrukturkapazitäten, s. genauer zu den Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung unten 2. Teil A.III.2.a). In Frankreich wurde eine Funktionentrennung im Wesentlichen nur vollzogen, soweit dies zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts erforderlich war. Die hoheitlichen Funktionen wurden zunächst komplett in der zentralen Staatsverwaltung bei dem Transportministerium angesiedelt, meist unter Rückgriff auf den Sachverstand der SNCF zur Vorbereitung der Entscheidungen in eisenbahntechnischen Fragen. Seit der Gründung des Etablissement public de sécurité ferroviaire (EPSF) zum 1.1.2006 wurden diesem sicherheitsrechtliche Kompetenzen übertragen297. Die Behörde überwacht die Einhaltung der sicherheits- und interoperabilitätsrechtlichen Vorschriften auf dem nationalen Eisenbahnnetz und erteilt die zur Ausübung von Eisenbahnaktivitäten erforderlichen Genehmigungen (Art. 1 Gesetz nº 2006-10), nach Artt. 18 ff. Dekret298 nº 2006-1279299 insbesondere Sicherheitsbescheinigung und -genehmigung. Nach Art. 3 Dekret nº 20061279 erlässt das Verkehrsministerium sicherheitstechnische Normen. Nach Art. 295

Vgl. hierzu: Wegener, DÖV 1996, 305, 306; Heinze, NVwZ 1994, 748. Freise/Wittenberg, Gewerbearchiv 1996, 353, 356; vgl. auch Fehling, DÖV 2002, 793, 795 f. 297 Vgl. Artt. 1 ff. Loi nº 2006-10 du 5 janvier 2006 relative à la sécurité et au développement des transports. 298 Dekrete sind einer deutschen Rechtsverordnung vergleichbar. 299 Décret nº 2006-1279 du 19 octobre 2006 relatif à la sécurité des circulations ferroviaires et à l’interopérabilité du système ferroviaire. 296

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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21-4 LOTI, Artt. 28, 29 Dekret nº 2003-194300 ist das Ministerium bislang Beschwerdeinstanz für Fragen über die Vergabe von Infrastrukturkapazitäten. Zukünftig soll durch Gesetz eine unabhängige Regulierungsbehörde für Netzzugangsfragen, die „Autorité de régulation des activités ferroviaires“, eingerichtet werden, die Anfang 2009 ihre Funktionen aufnehmen soll. Nach Art. 17 cahier des charges der SNCF übt der Transportminister die Tarifaufsicht aus. c) Die Steuerungsinstrumente des Staates und der regionalen Körperschaften Unterscheidet man die Steuerungsebenen der Normsetzung, des Einflusses durch Personalentscheidungen, der Einwirkungsmacht auf Organisation und Verfahren und der finanziellen Einflussnahme301, so ergibt sich, dass das französische Eisenbahnwesen intensiveren Steuerungsinstrumenten302 unterworfen ist als das deutsche, mittels eines Wirtschaftsunternehmens organisierte. Der Eisenbahnsektor folgt in Frankreich der Logik des monopolistischen Staatsunternehmens, wie dies in Deutschland vor der Bahnreform der Fall war. Dem französischen Staat stehen gegenüber der SNCF folgende Steuerungsinstrumentarien zur Verfügung: Auf der Normsetzungsebene verfügt der französische Gesetzgeber über seine allgemeinen Gesetzgebungsbefugnisse auch gegenüber der SNCF. Darüber hinaus verfügt die französische Verwaltung gegenüber der SNCF als établissement public über die allgemeinen für établissements publics industriels et commerciaux geltenden Normsetzungsbefugnisse. Damit kann er insbesondere Rahmenvorschriften („directives“) erlassen303, aber auch ein cahier des charges, das die Rechtsqualität einer Rechtsverordnung („décret“) hat. Auch die Genehmigungspflicht für bestimmte Unternehmensentscheidungen gehört hierher. Das öffentliche Dienstrecht dient als Steuerungsinstrument gegenüber dem Personal, das auf die Beschäftigten der SNCF Anwendung findet. Darüber hinaus verfügt der Staat über wichtige Benennungs- und Abberufungsrechte für die leitenden Beamten des établissement public industriel et commercial SNCF304. Durch die mehr oder weniger umfangreiche Aufnahme von Finanzmitteln für die SNCF in den Haushaltsplan umgrenzt der Staat die Handlungsmöglichkeiten der SNCF. Finanzielle Steuerungsinstrumente des Staates 300

Décret nº 2003-194 du 7 mars 2003 relatif à l’utilisation du réseau ferré national. In Anlehnung an Müller, Rechtsformenwahl, S. 354, der statt finanzieller Einflussnahme auf die Instrumente des Haushaltsrechtes und der Haushaltskontrolle abstellt; andere Kategorisierungen von Steuerungsinstrumenten bei: Gunnar Folke Schuppert: Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft. Zur Steuerung des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsrecht, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/ Schuppert, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 65 ff. 302 Zum Begriff der Steuerung vgl. Müller, Rechtsformenwahl, S. 353 f.; Luke, S. 392. 303 Vgl. Jarass, AöR 1981, 403, 414. 304 Vgl. Jarass, AöR 1981, 403, 410. 301

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1. Teil: Allgemeines

bestehen mit den Instrumentarien der Wirtschafts- und Finanzkontrolle, über die der Staat als Mutterkörperschaft und Geldgeber verfügt, insbesondere Genehmigungen finanziell bedeutsamer Entscheidungen durch den Wirtschaftsminister sowie die Aufsicht durch die contrôleurs d’Etat, die bestimmten Entscheidungen zustimmen müssen und Berichte über die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung des Unternehmens erstellen305. Im Vergleich sind die Instrumente im deutschen Eisenbahnwesen auf allen vier Steuerungsebenen reduziert: Im Hinblick auf die DB AG verfügt der bundesstaatliche Gesetzgeber über Gesetzgebungsbefugnisse. Hiervon hat er Gebrauch gemacht, um den Unternehmensgegenstand der DB AG gesetzlich in § 3 Abs. 1 Deutsche Bahn Gründungsgesetz festzuschreiben. Er kann aber nach § 3 Abs. 2 durch Satzungsänderung, d.h. durch den Gesellschafter, der bislang der Bund ist, erweitert werden. Die Entscheidungsbefugnis über die Organisationsform der Eisenbahnen war und ist dabei durch die Verfassungsvorgaben des Art. 87e GG auf die Führung „als Wirtschaftsunternehmen“ weiter beschränkt. Im Übrigen sind die Steuerungsinstrumente der Verwaltung aber durch die Vorschriften des Aktienrechts determiniert, und diese bestehen nur in Abhängigkeit von der Anteilsinhaberschaft des Staates an der AG306. Die Verwaltung verliert diese Steuerungsinstrumente im Falle einer Veräußerung der Bundesanteile. Auch in diesem Rechtsrahmen hat der Staat als Alleinaktionär bislang erhebliche Aufsichtsrechte und Personalentscheidungsrechte im Rahmen der Hauptversammlung (vgl. § 119 AktG) und mittelbar durch den durch sie bestellten Aufsichtsrat (vgl. § 111 AktG). Durch die Gestaltung der Satzung der AG (§ 179 AktG) kann die Bundesverwaltung die internen Entscheidungsverfahren gestalten, und als Alleingesellschafter verfügt der Bund auch über das finanzielle Sagen. Auf der anderen Seite ist das Management in der Form der Aktiengesellschaft stärker selbständig als dies im Regelfall bei öffentlichen Anstalten der Fall ist. Auch die gesetzlichen Vorschriften über die Finanzverfassung der AG und insbesondere über die Rechnungslegung307 verschaffen der AG eine gewisse Autonomie gegenüber ihrem Gesellschafter. Steuerungsinstrumente wachsen dem Bund aufgrund der erheblichen Zahlungen zur Finanzierung der Infrastruktur nach § 8 BSchWAG zu. Hiermit im Zusammenhang steht das Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofs nach § 27 DBGrG, das ihn über den Verweis auf 91 Abs. 2 S. 1 BHO zur Prüfung der bestimmungsgemäßen und wirtschaftlichen Verwaltung und Verwendung der Mittel berechtigt. Nach § 21 Satzung der DB stehen dem Bund die Rechte aus § 53 HGrG zu, dem Bundesrechnungshof diejenigen nach § 54 HGrG. 305 306 307

Vgl. Jarass, AöR 1981, 403, 416 f. s. hierzu: Burger, S. 72 ff. Vgl. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 29.

C. Der rechtliche Rahmen staatlicher Daseinsvorsorgeaufgaben

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Auf die nichtbundeseigenen Eisenbahnen hat der (Bundes-)Staat steuernden Einfluss lediglich in Form von allgemeinen Gesetzgebungsbefugnissen und aufgrund gesetzgeleiteter Hoheitsbefugnisse, das sind insbesondere die Genehmigungsbedürftigkeit für die Stilllegung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen (§ 11 AEG), das Letztentscheidungsrecht des Eisenbahnbundesamtes bei Streitigkeiten über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur (§ 14 Abs. 4, 5 AEG) sowie die Befugnis zur Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Leistungen (§ 15 AEG). Auch auf dezentraler Ebene sind aber zunehmend nichtbundeseigene Eisenbahnverkehrsunternehmen tätig, an denen die öffentliche Hand Beteiligungen hält und denen gegenüber sie damit über weiterreichende Steuerungsmöglichkeiten verfügt, s. u. 2. Teil A.VIII. Die französischen Regionen und die deutschen Aufgabenträger des SPNV verfügen ihrerseits gegenüber den Eisenbahnverkehrsunternehmen lediglich über zwei Ebenen von Steuerungsinstrumenten: Zum einen können sie das Verhalten des Verkehrsunternehmens mittels vertraglicher Verpflichtung in den Konventionen bzw. Verkehrsverträgen steuern. Viele Anforderungen, die das cahier des charges im Bereich des Personenfernverkehrs stellt, enthalten so im französischen SPRV die Konventionen. Diese vertragliche Normsetzungsmacht ist aber ihrer Natur nach beschränkt, denn das Verkehrsunternehmen ist an dem Normsetzungsprozess beteiligt. Praktische Grundlage der vertraglichen Normsetzungsbefugnis ist die Finanzierungsmacht der Aufgabenträger. Diese Finanzierungsmacht setzt sich in den im Verkehrsvertrag eingeräumten finanziellen Sanktionsmöglichkeiten des Aufgabenträgers fort. Die Steuerungsinstrumente der regionalen Aufgabenträger sind in beiden Staaten vergleichbar. Sofern die Länderzentralebene die Funktion des SPNVAufgabenträgers erfüllt, hat sie aber dadurch eine stärkere Stellung inne als französische regionale Aufgabenträger, dass sie aufgrund ihrer Staatsqualität über – durch das GG begrenzte – Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse verfügt, die sie u. a. zum Erlass von ÖPNVGen befähigt. Zu den Steuerungszielen gehört in beiden Staaten die Vermeidung von Betriebsverlusten. Im cahier des charges der SNCF legt der französische Staat das Ziel eines ausgeglichenen Betriebsergebnisses fest. Die DB AG verfolgt noch weitergehend als Wirtschaftsunternehmen das Ziel der Gewinnerzielung. In Deutschland sollen Personenfernverkehr und Güterverkehr eigenwirtschaftlich betrieben werden. In Frankreich folgt aus der Verpflichtung, auch in den Geschäftsbereichen Personenfernverkehr und Güterverkehr ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen, im Prinzip dasselbe. Dabei kann man annehmen, dass sich die Privatisierung der DB AG durch die Bindung an handelsrechtliche Bilanzierungsregeln und das Ziel des Börsengangs motivierend darauf auswirkt, ein positives Ergebnis zu erreichen.

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1. Teil: Allgemeines

Entsprechend den Vorschriften der VO 1191/69/EWG und künftig der VO 1370/2007/EG müssen gemeinwirtschaftlich motivierte Tarifentscheidungen ausgeglichen werden. In beiden Staaten werden gesetzlich begründete Sozialtarife durch den Staat entgolten. Für den Betrieb des SPNV gewähren die Aufgabenträger in beiden Staaten direkte Zuschüsse. Innerhalb der SNCF besteht die Möglichkeit der Quersubventionierung. So sieht Art. 24 cahier des charges ausdrücklich vor, dass der Güterverkehr zum ausgeglichenen Betriebsergebnis beitragen soll. Auch innerhalb der DB AG werden positive Ergebnisse der einzelnen AGs (zuletzt vor allem im Nahverkehr) und negative Ergebnisse (in der Vergangenheit im Personenfernverkehr) zu einem gemeinsamen Ergebnis zusammengezogen. Das Transferverbot des Art. 1 Abs. 5 VO 1191/69/EWG verbietet einen innerbetrieblichen Kostenausgleich, soll aber – ebenso wenig wie § 9 AEG308 – nicht den steuerlichen Querverbund zwischen selbständigen, bloß unter dem Dach einer Holding angesiedelten Unternehmen verbieten309. d) Die Rolle des Gemeinschaftsrechts Das Gemeinschaftsrecht will die Steuerungsinstrumente, denen mitgliedstaatliche Verkehrsunternehmen unterworfen sind, klar definieren und eingrenzen, indem es Regeln festlegt, nach denen die Mitgliedstaaten ihnen gegenüber steuernd eingreifen dürfen. Die Klärung des Beziehungsgeflechtes zwischen dem Staat und seinen Eisenbahnunternehmen soll nicht nur die Leistungsfähigkeit der staatlichen Eisenbahnunternehmen steigern, sondern sie ist auch Voraussetzung eines unverfälschten Wettbewerbes. Die VO 1191/69/EWG in der Fassung der VO 1893/91/EWG ebenso wie die neue VO 1370/07/EG definieren einheitliche Steuerungsinstrumente der öffentlichen Hand in den Mitgliedstaaten zur Auferlegung öffentlicher Dienstleistungen auf zwei Ebenen, nämlich auf der Ebene der Normsetzung und auf der Ebene der Steuerung mittels finanzieller Instrumente. Danach dürfen öffentliche Dienstleistungen nur noch mittels bestimmter Handlungsformen und gegen finanziellen Ausgleich in bestimmter Höhe von einem Verkehrsunternehmen verlangt werden. Der Schwerpunkt der VO 440/91/EWG liegt auf einer Reduzierung der Steuerungsinstrumentarien der Mitgliedstaaten gegenüber den Eisenbahnunter308 Bericht der Abgeordneten Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser, Roland Kohn vom 30.11.1993, Änderungsbegründungen, in: BT-Drucksache 12/6269, S. 139 sowie Stellungnahme des Bundesrats vom 25.5.1993 zum Gesetzantrag der Bundesregierung in: BT-Drucksache 12/5014, S. 17. 309 Wachinger/Wittemann, S. 38 und 60 f., Fromm, Transportrecht 1992, 256, 261 f.; a. A.: Zuck, DÖV 1994, 941, 945.

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

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nehmen, wenn sie eine autonome Organisationsform wie „für Handelsgesellschaften“ (Art. 5 Abs. 1) vorschreibt. Sie reduziert die Einwirkungsintensität auf allen Steuerungsebenen (vgl. Art. 4 Abs. 1) und insbesondere auf der Ebene der Einwirkungen auf das leitende Personal (vgl. Art. 5 Abs. 1).

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung Das Prinzip der Dezentralisation findet sich in der Regionalisierung des SPNV in zweierlei Hinsicht verwirklicht: Ein erstes dezentralisierendes Reformelement ist die Übertragung der Aufgabenträgerschaft auf eine regionale Ebene. Aber auch die Aufgabenprivatisierung der Bahnen in Deutschland ist eine Form der Dezentralisation: Privatisierungen lassen sich als Dezentralisation begreifen, denn die betroffene Aufgabe wird vom Staat weg auf einen selbständigen privaten Träger verlagert310. Da die Regionalisierung der Aufgabenverantwortlichkeit als einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren der Neuorganisation des SPNV angesehen wird, sollen hier das Organisationsprinzip der Dezentralisation und ihr Spezialfall der Regionalisierung dargestellt werden. In Deutschland wie in Frankreich wurde die Aufgabenträgerschaft auf vorhandene regionale Körperschaften übertragen. Deshalb wird die Organisation der regionalen Gebietskörperschaften in beiden Ländern vorgestellt. I. Die Organisationsprinzipien der Zentralisation, Dezentralisation und Regionalisierung Zentralisation und Dezentralisation sind organisationswissenschaftliche Grundbegriffe. Als innerstaatliche Organisationsprinzipien sind die Begriffspaare Zentralisation – Dezentralisation und Konzentration – Dekonzentration zu unterscheiden311. Unter Dekonzentration versteht man die Übertragung von Entscheidungsgewalt innerhalb derselben Institution von einer ranghöheren Autorität auf eine rangniedere312. Konzentration beschreibt als Kehrseite die Wahrnehmung möglichst vieler Aufgaben auf zentraler Ebene. Dagegen spricht man von Dezentralisation, wenn Kompetenzen vom (Zentral-)Staat auf selbständige juristische Personen übertragen werden, die unter der Aufsicht des Staates eine gewisse Autonomie besitzen313. Zentralisation dagegen bezeichnet eine einheitliche Verwaltungsstruktur mit geschlossenem hierarchischem Gefüge, in dem 310

Müller, Rechtsformenwahl, S. 166. Vgl. Mecking, Die Regionalebene in Deutschland, S. 63, Fußnoten 69 und 70; Schäfer, Zentralisation und Dezentralisation, S. 42; Müller, Rechtsformenwahl, S. 162 ff. 312 Chapus, Rn. 539; für Deutschland: Peters, Zentralisation und Dezentralisation, S. 4; vgl. aber die Unterscheidung von horizontaler und vertikaler Dekonzentration bei Kämmerer, Privatisierungen, S. 56. 313 Chapus, Rn. 553. 311

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1. Teil: Allgemeines

alle Einheiten letztlich nur einem einzigen Träger zugeordnet werden und einer obersten Leitungsinstanz unterstehen314. Dem Untersuchungsgegenstand entsprechend wird im Folgenden lediglich auf die Dezentralisation eingegangen. Regionalisierung als Spezialfall der Dezentralisation bezeichnet in einem engeren Sinne die Übertragung von Kompetenzen vom Zentralstaat auf regionale Selbstverwaltungseinheiten. 1. Zentralisation und Dezentralisation Öffentliches Verwaltungshandeln verfolgt nicht nur eines, sondern eine Mehrzahl von Zielen, die sich häufig gegenseitig widersprechen315. Der Verwaltungsaufbau soll gewährleisten, dass diese Ziele in möglichst hohem Grade erreicht werden. Hierfür müssen in einem ersten Schritt die im Idealfall zu erfüllenden Ziele der konkreten Verwaltungsaufgabe formuliert werden. Einen weitreichenden Ansatz eines Maßstabs für einen optimalen Verwaltungsaufbau hat Frido Wagener entwickelt. Als Maßstäbe identifiziert er die zwei Oberkriterien der Effektivität als technischen Maßstab einerseits sowie des Integrationswertes als politischen Maßstab andererseits316. Beide Kriterien beinhalten mehrere Unterkriterien: Die Effektivität setzt sich aus der Wirtschaftlichkeit sowie aus der Leistungsfähigkeit der Verwaltung zusammen; der Integrationswert bemisst sich nach den Auswirkungen auf die Festigung der Demokratie und auf die Sicherung der Rechtmäßigkeit. Zentralisation und Dezentralisation sind zwei entgegengesetzte Organisationsprinzipien, die in dem beschriebenen Kriteriensystem an unterschiedlichen Stellen positive und negative Wirkungen hervorbringen. Die Entscheidung, welchem Organisationsprinzip der Vorzug gegeben werden soll, kann nur im Einzelfall getroffen werden317. In der Dezentralisation sieht man vor allem die Vorteile schneller und sachnaher Entscheidungen, die in voller Kenntnis der Bedürfnisse des Bürgers getroffen werden, wobei konkrete Probleme des täglichen Lebens aus der Anonymität der Verwaltung an das Tageslicht gebracht werden318. Sie gewährleistet auch eine effektivere Teilnahme der Bürger am demokratischen Willensbildungsprozess, denn die lokal gewählten Repräsentanten bleiben unter der unmit314

Müller, Rechtsformenwahl, S. 165. Probleme dieser Art werden auch als „Organisationsdilemma“ bezeichnet, vgl. Müller, Rechtsformenwahl, S. 377. 316 Frido Wagener, Neubau der Verwaltung, 2. Auflage 1969, Berlin, S. 312 ff.; Benzing/Gaentzsch/Mäding/Tesdorpf, S. 236 f. 317 Müller, Rechtsformenwahl, S. 299. 318 du Granrut, Europe le temps des régions, S. 45; Guihéry/Perez, les cahiers scientifiques du transport, nº 33-1998, 147, 171. 315

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

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telbaren Kontrolle der Wähler. Schließlich entwickelt die Dezentralisation dezentrale Handlungszentren und beugt damit der Konzentrierung der Antriebskräfte der Nation in der Hauptstadt vor, die den Staat verwundbar macht319. Die Dezentralisation – sofern sie mit Selbstverwaltung einhergeht – soll auch das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen stärken, weil ihm das Bewusstsein gegeben werde, dass seine Stimme zähle. Schließlich soll die Entscheidung auf dezentralem Niveau auch das Bewusstsein für die Besonderheiten der engeren Heimat und damit den Heimatsinn fördern, der sich motivierend auf das Engagement von Verwaltenden und Verwalteten auswirke320. Die dezentralen demokratischen Institutionen werden ferner als eine „Demokratieschule“ für zukünftige Politiker auf nationalem Niveau betrachtet321. Die Ausgabenverantwortung vor Ort soll schließlich zur Folge haben, dass mit öffentlichen Mitteln verantwortungsbewusster und damit sparsamer gewirtschaftet werde322. Gründe für heutige Dezentralisierungspolitiken sind die Anliegen, Autonomie und damit das Verantwortungsbewusstsein in der öffentlichen Verwaltung zu stärken. Dies soll in vertikaler Hinsicht durch Dezentralisation sowie auf horizontaler Ebene durch die Verselbständigung von Verwaltungseinheiten erreicht werden. Um Autonomie zu erreichen, müssen auch die Steuerungsmechanismen zwischen zentraler und dezentralisierter Institution angepasst werden. Denn die Einbindung in ein herkömmliches hierarchisches Steuerungsmodell würde die autonomiefördernde dezentrale Organisationsstruktur wieder zunichte machen323. Hier liegt der Zusammenhang zwischen Dezentralisation und Kontraktualisierung, s. hierzu unten E.I.1.a). Das Prinzip der Dezentralisation kann aber auch negative Effekte hervorbringen, die umgekehrt die Vorteile einer zentralen Organisationsform darstellen: Die Schwächung der Zentralmacht kann den gesamten Staat schwächen. Sie kann dazu führen, dass an die Stelle des öffentlichen Interesses lokale Interessen treten324. Dezentrale Aufgabenerfüllung kann den Verlust von Größenvorteilen zur Folge haben und damit kostspieliger sein. Schließlich ist bei kleineren, wenig spezialisierten dezentralen Verwaltungsebenen ein geringeres Maß an Spezialwissen zu befürchten. Die Kontrolle der Exekutiven durch das Parlament ist bei einer zentralistischen Verwaltungsform einfacher. Zentralisation fördert einheitliches Verwaltungshandeln und dient damit dem Gleichbehandlungsgebot. Politische Zielvorgaben sind zentral besser durchsetzbar325. 319 320 321 322 323 324 325

Auby/Auby, Institutions administratives, Rn. 50. Peters, Zentralisation und Dezentralisation, S. 48 ff. Jacqué, Droit constitutionnel et institutions politiques, S. 14. Peters, Zentralisation und Dezentralisation, S. 51. Hoffmann-Riem, Organisationsrecht als Steuerungsressource, S. 383 f. Auby/Auby, Institutions administratives, Rn. 50. Müller, Rechtsformenwahl, S. 165.

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1. Teil: Allgemeines

Dezentralisation steht in engem Zusammenhang mit dem politischen Ordnungsprinzip der Subsidiarität, dessen Ursprünge in der katholischen Sozialphilosophie zu suchen sind326. Dem Subsidiaritätsprinzip zufolge soll eine übergeordnete gesellschaftliche Einheit nur dann zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Funktion herangezogen werden, wenn diese von der untergeordneten oder privaten Einheit nicht oder nicht zufriedenstellend erfüllt werden kann327. Es kann einerseits als Ordnungsprinzip im föderalen System dienen, andererseits aber auch als Leitsatz für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft328. Das Subsidiaritätsprinzip liefert damit erstens eine Grundregel, in welchen Fällen der dezentralisierten Verwaltungsform der Vorrang vor der zentralisierten eingeräumt werden soll und beinhaltet zweitens eine Vermutung für die dezentrale Verwaltungsform. Das Subsidiaritätsprinzip hat normative Geltung im Verhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten, vgl. Art. 5 EGV. Die meisten deutschen Gemeindeordnungen enthalten ein Subsidiaritätsprinzip für die Gründung öffentlicher Unternehmen, vgl. z. B. Art. 87 Abs. 1 BayGO, § 100 Abs. 2 BrbGO. Ob und eventuell an welcher Stelle das GG ein allgemeines Subsididaritätsprinzip enthält, ist umstritten. Während das BVerfG diese Frage bislang offen gelassen hat329, hat das BVerwG die Existenz eines derartigen allgemeinen Verfassungsgrundsatzes abgelehnt330. 2. Regionalisierung Die Regionalisierung stellt – wie bereits oben erwähnt – einen Spezialfall der Dezentralisation dar, wobei Entscheidungsgewalt vom Zentralstaat auf eine dezentrale regionale Ebene übertragen wird. Der Begriff der Region selbst ist unscharf331: Im internationalen Zusammenhang werden als Regionen häufig Gebiete bezeichnet, die mehrere Staaten umfassen (der „Mittlere Osten“ usw.), und auch auf nationaler Ebene werden bald kleinere Territorien (die „Altmark“ etc.), bald größere Gebiete („Mitteldeutschland“, „Norddeutschland“) als Regionen bezeichnet. Der Begriff der Region ist also für sich genommen einigermaßen konturenlos und kann deshalb funktionsabhängig gebraucht werden, was auch zu seiner Popularität in der Politik beigetragen haben dürfte332. Im innerstaatlichen deutschen Recht findet man als Regionen bezeichnete Einrichtungen nur in der Form der sog. Planungsregion (vgl. z. B. § 14 Abs. 1 S. 1 Rheinland326 327 328 329 330 331 332

BVerwGE 23, 304, 306. Creifelds Rechtswörterbuch, unter diesem Stichwort. Müller, Rechtsformenwahl, S. 167 f. Vgl. z. B. BVerfGE 10, 59, 83; 22, 180, 204. BVerwGE 23, 304, 306. Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 296. Mecking, S. 54 ff.

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

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Pfälzisches Landesgesetz für Raumordnung und Landesplanung), die ein zusammenhängendes, regelmäßig mehrere Kreise umfassendes Gebiet bezeichnet333. Die Regionalplanung funktioniert als Bindeglied zwischen den rahmenartigen Festsetzungen der zentralen Landesplanung und der kommunalen Bauleitplanung und wird – je nach Landesrecht – als staatliche Aufgabe oder als gemeinsame Aufgabe von Staat und kommunalen Selbstverwaltungsträgern ausgeübt334. Wie die angeführten Beispiele zeigen, wird man dem Begriff der Region als Minimalgehalt die Aussage entnehmen können, dass das bezeichnete Gebiet einen überörtlichen Zusammenhang aufweist und dabei eine Untergliederung eines größeren Gesamtzusammenhangs darstellt335. Dabei grenzt sich die Region durch eine landschaftliche, sprachliche, wirtschaftliche, historische oder ethnische Identität gegenüber anderen Regionen ab. Sie hat auf diese Weise einen Integrationswert für ihre Bevölkerung. Die Regionalisierung ist ein fester Bestandteil der aktuellen Diskussion um moderne Regierungs- und Verwaltungsformen. Wie weiter unten zu zeigen sein wird, verstärkt auch die Politik der EU diese Tendenzen. Als Argumente für regionale Aufgabenerfüllungen werden neben den allgemeinen Vorteilen dezentraler Verwaltungsformen als regionalspezifischer Gesichtspunkt in jüngerer Zeit vor allem der verstärkte Wettbewerb betont, dem sich die Wirtschaftsstandorte in einer globalisierten Weltwirtschaft ausgesetzt sehen und der sich fortan mehr unter Regionen abspiele als unter Staaten336: Regionalpolitiken, die sich nur bemühten, strukturelle Defizite auszugleichen, reichten nicht mehr aus, um Wohlstand zu sichern. Dahinter stehen neuere regionale Wirtschaftstheorien, die die Chancen benachteiligter Regionen darin sehen, eine kohärente Entwicklungsstrategie mit einer eindeutigen Identität zu entwickeln. Nur im regionalen Verbund wiesen Städte und Gemeinden die Stärke und Flexibilität auf, die erforderlich seien, um im Wettbewerb um global agierende Konzerne ohne Verzicht auf einen notwendigen öffentlichen Gestaltungsrahmen zu bestehen. In diesem Zusammenhang und in dem Kontext knapperer öffentlicher Mittel entwickelt auch die Idee von einem verstärkten Wettbewerb unter den Regionen Popularität337. So ist ein Wandel in der Diskussion festzustellen: Während man unter Regionalismus als Form öffentlicher Politiken anfangs die Gesamtheit der auf ein strukturschwaches Gebiet bezogenen staatlichen Entwicklungs- und Förderpolitik bezeichnete, bezeichnet der Begriff heute eher eine politische Strömung, die darauf gerichtet ist, regionale Interessen gegenüber staatlichen Zentralinstanzen und der Europäischen Union geltend zu machen338. 333 334 335 336 337 338

Mecking, S. 58. Battis, Öffentliches Baurecht und Raumordnungsrecht, S. 37 f. Benz, Regionalization in the Federal Republic of Germany, S. 20. Leidinger, NWVBl. 1991, 325, 326. Benz, Regionalization in the Federal Republic of Germany, S. 21 ff. Leidinger, NWVBl. 91, 325.

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Von der örtlichen Ebene ausgehend, ist Hintergrund der Regionalisierung die zunehmende Mobilität, die veränderte Siedlungsstrukturen zur Folge hat: Das tägliche Leben beschränkt sich immer seltener auf eine einzelne Stadt oder Gemeinde. Dies trifft auf Tätigkeiten wie Arbeit, Einkaufen, Ausbildung und Freizeitaktivitäten zu. Auch staatliche Daseinsvorsorgeaufgaben, wie Wirtschaftsförderung, Abfallentsorgung, Naherholungseinrichtungen, und nicht zuletzt der ÖPNV, werden in überörtlichem Zusammenhang organisiert339. Diese neuen sozialen Realitäten erfordern Anpassungen der Verwaltungsorganisation, um eine größtmögliche räumliche Deckung von Einflussbereich und Verantwortungsbereich herzustellen340, ein Organisationsprinzip, das als sog. Kongruenzprinzip bezeichnet wird341. 3. Die Regionalisierung des ÖPNV und ihre Vorteile Verkehr ist gleichzeitig Gegenstand, Ursache und Folge der Regionalisierung: Mit der Übertragung der Verwaltungsaufgabe des ÖPNV auf eine regionale Ebene wird ein Teil des Verkehrs Gegenstand der Regionalisierung. Der Aufgabenträger reagiert auf die zunehmenden Verkehrsflüsse innerhalb der Region. Insbesondere in wirtschaftlichen Ballungsräumen pendeln Arbeitnehmer täglich zwischen Arbeitsplatz und Wohnort. Diese Verkehrsströme sind dafür verantwortlich, dass in Deutschland – gemessen in Personenkilometern – der Anteil des Nahverkehrs am gesamten öffentlichen Personenverkehr mit 56% den Anteil des Fernverkehrs, der nur 44% ausmacht, überwiegt342. Auch in Frankreich stellt das erwachte Interesse am Regionalverkehr eine Reaktion auf den Bedeutungszuwachs regionaler Zentren seit Anfang der 80’er Jahre dar. Die Übertragung von immer mehr Aufgaben auf regionale Ebenen generiert ihrerseits Verkehre, denn die Einwohner müssen sich innerhalb ihrer Region deplazieren, um regionale Instanzen zu erreichen. Für den Schienenpersonenregionalverkehr bzw. -nahverkehr scheinen die positiven Aspekte einer dezentralen Verwaltungsform die Argumente, die für eine zentrale Erledigungsform sprechen, zu überwiegen, denn hier soll den speziellen Gegebenheiten eines begrenzten Raumes und den Bedürfnissen seiner Einwohner Rechnung getragen werden. Mit der Übertragung auf die „Region“ scheint dabei die angemessene dezentrale geographische Dimension gefunden worden zu sein, weil sich der Großteil des täglichen Personenverkehrs in der modernen Gesellschaft in diesem Raum abspielt. Die Regionalisierung stellt so Identität von Verwaltungsaufgabe und Verwaltungsträger her. 339 340 341 342

Priebs, Neubau der Region, S. 134 f. Leidinger, NWVBl. 91, 325, 327. Müller, Rechtsformenwahl, S. 183. Frenz, ZUR 97, 1, 2.

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In Deutschland wie in Frankreich folgt die Übertragung des Schienenpersonennahverkehrs auf die regionale Ebene der bereits regionalisierten Kompetenz für den Straßenpersonennahverkehr, so dass eine Bündelung verwandter Aufgaben erreicht wird. Hiervon wird man Synergieeffekte und eine bessere Abstimmung erwarten können. Wie weiter unten zu zeigen sein wird, wurden in Folge der Regionalisierung mit den sog. Linienkomitees auch demokratische Elemente eingeführt. Unter Einbeziehung der starken Öffentlichkeitswirksamkeit und der Identifikationsrolle, die ÖPNV-Leistungen für ein Gemeinwesen haben, wird man von einer Verbesserung des Integrationswertes der Verwaltung durch die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ausgehen können. Die Regionalisierung wird die Effizienz des Schienenpersonennahverkehrs aber nur dann steigern können, wenn die „Regionen“, auf die die Kompetenzen übertragen wurden, sich auch mit den tatsächlichen regionalen Verkehrsschwerpunkten decken. Nur dann werden die Vorteile des sachnäheren Entscheidungsprozesses voll zum Tragen kommen und den Mehraufwand für eine zusätzliche Verwaltungsebene und die Anlaufschwierigkeiten, die u. a. mit dem Mangel an spezialisiertem Personal auf der neuen Ebene bestehen, die Einbuße von Mengenvorteilen rechtfertigen. Hieran lässt sich in Deutschland zweifeln, denn beinahe die Hälfte aller großen Agglomerationen überschreiten Ländergrenzen343. II. Die Verwirklichung der Prinzipien in Frankreich 1. Die Dezentralisation in Frankreich Dekonzentration und Dezentralisation sind berühmte Schlagworte in der französischen Verwaltungswissenschaft. Beide Begriffe beziehen sich ausschließlich auf die Exekutive; Legislative und auch Judikative (mit ihren Obergerichten in Paris) bleiben zentralisiert. Bekanntermaßen ist die französische Verwaltungstradition durch einen starken Zentralismus geprägt, der das Erbe langer Bemühungen zunächst der Monarchie des ancien régime, dann der in der Revolution siegreichen jakobinischen Strömungen sowie der Verwaltungsgesetze des Jahres VIII (1800) Napoleons I. ist344. Die lange zentralistische Tradition hat auch die tatsächlichen Strukturen geprägt: Anders als die deutschen Städte sind die Gebietskörperschaften in Frankreich heute nicht groß und finanzkräftig genug, um dem Zentralstaat und seinem Zentrum Paris Widerstand bieten zu können345. 343

Benz, Regionalization in the Federal Republic of Germany, S. 27. Rivero/Waline, Droit administratif, Rn. 340; Turpin, droit de la décentralisation, S. 20 f. 345 Rivero/Waline, Rn. 340. 344

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1. Teil: Allgemeines

Die Grundlagen des zentralistischen Einheitsstaates finden sich in der Verfassung der Fünften Republik von 1958: Deren Art. 1 bestimmt: „Frankreich ist eine unteilbare Republik“, und Art. 3: „Die nationale Souveränität steht dem Volke zu. (. . .) Kein Teil des Volkes oder ein Einzelner können sich ihre Ausübung anmaßen.“ Wenn sich der Zentralismus historisch als Instrument zur Stärkung der Nation entwickelt hat, so findet heute der französische Zentralismus seinen tieferen Geltungsgrund im Gleichheitsprinzip346: Jeder französische Staatsbürger soll dem Staate gegenüber die gleichen Rechte und Pflichten haben. So wären z. B. unterschiedliche Lehrpläne an Schulen, die in Deutschland von Land zu Land divergieren, in Frankreich undenkbar. Auch die dezentrale Organisationsform ist in der Verfassung verankert: Art. 72 bestimmt, dass sich die Gebietskörperschaften durch gewählte Ratsversammlungen frei selbst verwalten zu den Bedingungen, die das Gesetz vorsieht. Sie sind der Verwaltungskontrolle durch den Abgesandten der Regierung, den Präfekten, unterworfen. Die Dezentralisation ist seit dem 19. Jahrhundert ein topos der Verwaltungspolitik347. Aber erst das nach dem Regierungswechsel auf die Sozialisten von 1981 erlassene Gesetz vom 2.3.1982 mit dem symbolischen Titel „loi relative aux droits et libertés des communes, des départements et des régions“ hat den Zentralismus der französischen Verwaltung revolutioniert, indem es die Exekutivgewalt im Departement vom Präfekten, dem Repräsentanten des Zentralstaats, auf den gewählten Präsidenten des conseil général übertrug und die exante-Rechtsaufsicht für die Rechtsakte der Gebietskörperschaften abschaffte. Außerdem wertete es die Region von einer bloßen Verwaltungsstufe zu einer Gebietskörperschaft mit einer gewählten Ratsversammlung, dem conseil régional, und einer gewählten Exekutiven, dem Präsidenten des conseil régional, auf. Das Gesetz steht in der Tradition der Einheitlichkeit der Statute: Die drei Kategorien unterstaatlicher Gebietskörperschaften – Gemeinden, Departements und Regionen – sind bis auf wenige Details dem gleichen Regelwerk unterworfen348. Das nachfolgende Gesetz vom 7.1.1983 wies den Gebietskörperschaften Kompetenzen zu, die bislang vom Zentralstaat wahrgenommen wurden und die nach Ansicht des Gesetzgebers besser auf lokaler Ebene wahrgenommen werden können. Das Gesetz übertrug den Selbstverwaltungskörperschaften auch die entsprechenden Dienststellen. Zwar sollen die Kompetenzen in der Theorie keine Hierarchisierung zwischen den Gebietskörperschaften begründen, und sie werden von ihnen „global“ und „exklusiv“ ausgeübt. Dennoch sehen zahlreiche Vorschriften wechselseitige Kooperationsformen durch den Abschluss von Kon-

346 347 348

Turpin, a. a. O., S. 21. Vgl. Rivero/Waline, Rn. 341 ff., Pielow, S. 248 ff. Rivero/Waline, Rn. 347.

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

101

ventionen oder die Bildung von Verbänden zwischen den einzelnen Ebenen sowie mit dem Staate vor349. Diese Grundstrukturen der Dezentralisation wurden seither grundsätzlich beibehalten. Nachfolgende Reformen, insbesondere die Reform von 1992, hatten im Wesentlichen die Dekonzentration der zentralstaatlichen Verwaltung im Auge. 2. Regionen und Regionalisierung in der französischen Verwaltungstradition Mehr noch als der Begriff der Dezentralisation war die „Regionalisierung“ lange Zeit mit dem Geruch des Rückschritts hinter Errungenschaften der Französischen Revolution behaftet, die mit den Privilegien auch die regionalen Identitäten der Provinzen des Ancien Régime zu beseitigen gesucht hatte350. So erklärt sich die späte und zögernde Errichtug dieser Verwaltungsebene351: Die sog. „circonscriptions d’action régionale“ wurden 1964 als jüngste dekonzentrierte Verwaltungsebene des Staates geschaffen. Erst mit Gesetz vom 5.7.1972 erhalten sie den Status einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie werden so zu einer dezentralen Verwaltungsebene mit Kompetenzen im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung. Die oben zitierten Gesetze von 1982 und 1983 erhoben die Regionen zu wirklichen Gebietskörperschaften. Frankreich setzt sich damit heute aus 26 Regionen zusammen, davon 22 im französischen Mutterland. Die Regionen verfügen über keine Allzuständigkeit für ihre Angelegenheiten, ihre Kompetenzen bleiben auf wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten begrenzt: Sie sind zuständig für die Wirtschafts- und Raumplanung, für strukturfördernde Investitionen und für Unternehmenssubventionen sowie darüber hinaus für alles, was zu einer wirtschaftsfreundlichen Umgebung beiträgt: Berufliche Erstausbildung und Weiterbildung, Bau und Unterhalt der Gymnasien sowie der Landwirtschaftsschulen und die wissenschaftliche Forschung352. Im Verkehrsbereich waren die Regionen schon vor der Regionalisierung des Schienenpersonenregionalverkehrs für den außerstädtischen regionalen Busverkehr zuständig. Die französische Verfassung garantiert keinen bestimmten Aufgabenbestand der Regionen353. Die Regionen stellen sich heute als die bevorzugte Stufe für die Umsetzung öffentlicher Politiken dar. Sie sind an der Vorbereitung und der Umsetzung des mehrjährigen nationalen Plans eng assoziiert, der für die gesamte Gesellschaft bestimmte soziale und wirtschaftliche Ziele indiziert. 349 350 351 352 353

Rivero/Waline, Rn. 348. MINEFI-CFPP, Dominante juridique 5/1995, S. 23. Vgl. Chapus, Rn. 328 ff. und 350 ff. MINEFI-CFPP, Dominante juridique 5/1995, S. 24. CC vom 24.7.1984; Constantinesco, Landesbericht Frankreich, S. 216.

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1. Teil: Allgemeines

Auch das Gemeinschaftsrecht hat zur Stärkung des Einflusses der französischen Regionen beigetragen: Die Gemeinschaftspolitik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhaltes wird seit der Einheitlichen Europäischen Akte entsprechend den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts direkt von den Regionen ausgeführt, ohne Ermächtigungen in den nationalen Haushalten, was ihnen eine gewisse Rolle auf internationalem Parkett verschafft354, s. hierzu unten IV.2. Der im europäischen Vergleich kleine Zuschnitt der französischen Regionen wird heute kritisiert, denn nur wenige von ihnen scheinen die kritische Größe zu erreichen, ab der eine autonome wirtschaftliche Entwicklung möglich wird355. III. Dezentralisation in der Bundesrepublik Deutschland 1. Der Föderalismus und die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung Das Prinzip der Dezentralisation ist in Deutschland vor allem im föderalistischen Staatsaufbau realisiert, der deutscher Verfassungstradition seit dem Mittelalter entspricht356. Heute rechtfertigt man den Föderalismus materiell mit den Vorteilen eines dezentralen Staatsaufbaus357, insbesondere dem Element der horizontalen Gewaltenteilung358. Mit Blick auf die europäische Einigungsidee erscheint der (deutsche) Föderalismus einigen gar als ein Modell für eine Art Vereinigter Staaten von Europa. Dabei veranschaulicht der deutsche Föderalismus auch einige ihm immanente Gefahren, nämlich die Sogwirkung des Zentralstaats auf teilstaatliche Kompetenzen359, die Lähmung des gesamten Staatswesens durch zu ausgeprägte Mitspracherechte der Teilstaaten360 sowie drohende Verteilungskämpfe zwischen finanzstarken und weniger finanzkräftigen Teilstaaten. Ein weiteres Grundelement dezentraler Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland ist die in Art. 28 Abs. 2 GG garantierte kommunale Selbstverwal354

CFPP, a. a. O., S. 25. CFPP, a. a. O., S. 26; vgl. auch Deniau, in: du Granrut, Europe le temps des régions, préface S. 3. 356 Vgl. Kimminich, Der Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof, Rn. 25 ff. und 35; dies gilt jedenfalls aus Perspektive des Zentralstaates – Leidinger, NWVBl. 91, 325, 326 betont dagegen den Unterschied zur Dezentralisation, weil Föderalismus Ausdruck der Kooperation souveräner Staaten sei, nur in formal-organisatorischer Hinsicht Organisationsprinzip des Gesamtstaates. 357 Vgl. im Einzelnen: Kimminich, Der Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof, Rn. 22 ff. 358 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 232. 359 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 220 ff.; Kimminich, Der Bundesstaat, in: Isensee/ Kirchhof, Rn. 57. 360 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 233. 355

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

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tung361, die der untersten Verwaltungsstufe, den Gemeinden, die eigenverantwortliche Wahrnehmungszuständigkeit für alle Angelegenheiten, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben362, garantiert. 2. Die Regionalebene in Deutschland Das deutsche Verwaltungs- bzw. Verfassungsrecht kennt nur in einigen Einzelfällen als „Regionen“ bezeichnete Verwaltungseinheiten bzw. Gebietskörperschaften, aber keine systematisch als solche bezeichnete Organisationsebene. Wo sich die deutsche Regionalebene im Allgemeinen befindet, muss deshalb anhand ihrer Definitionsmerkmale ermittelt werden. Dabei kann auf die oben entwickelte Begriffsbestimmung zurückgegriffen werden – s. o. I.2. –, derzufolge Region eine Raumeinheit mit überörtlichem Charakter innerhalb einer Raumganzheit ist. Diese Definition bleibt aber formeller Natur, denn sie sagt nichts über Qualitäten wie Größenordnung, Abgrenzungsmerkmale oder Verhältnis zur übergeordneten Ebene aus363. Inhaltliche Abgrenzungen der Regionen lassen sich nur funktionsspezifisch vornehmen, wie für Wirtschaftsregionen oder Planungsregionen. So entscheiden die Erfordernisse der Raumordnung und der Landschaftsplanung über den Zuschnitt von regionalen Planungsräumen – vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 ROG: „Eine Region erstreckt sich auf das Gebiet eines großflächigen, miteinander verflochtenen Lebens- und Wirtschaftsraumes.“ Hingegen entscheiden die Berufspendlerverflechtungen über die Bildung der sog. Arbeitsmarktregionen, die nach Art. 91a Abs. 1 S. 2 GG und dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ vom 6.11.1969 gebildet werden364. a) Die drei unausgesprochenen Regionalebenen Im Übrigen lässt sich in Anwendung der formalen Regionendefinition feststellen, dass im innerstaatlichen (deutschen) Kontext jedenfalls nach unten hin die Gemeinden, nach oben der Bundesstaat als Regionalebenen ausscheiden. In Deutschland bleiben damit drei Ebenen übrig, die als regionale Ebenen bezeichnet werden können: Eine obere Regionalebene (die Länder auf der Ministerialebene), eine mittlere Regionalebene (zentralstaatliche und teilstaatliche Mittel361 Vgl. hierzu: Peter Schäfer, Zentralisation und Dezentralisation, Berlin 1982, S. 117 ff. 362 BVerfGE 79, 127, 151. 363 Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 297. 364 Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 297.

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1. Teil: Allgemeines

behörden sowie regionale Kommunalverbände und Zweckverbände) und eine untere Regionalebene (Landkreise und kreisfreie Städte)365. Die Zuständigkeit für die Organisation der so identifizierten Regionalebenen liegt damit grundsätzlich bei den Ländern, was eine gewisse Formenvielfalt zur Folge hat366. Nur soweit der Bund ausnahmsweise in den Fällen der Artt. 87 ff. GG die Befugnis zur Errichtung von Mittelbehörden hat, existiert auch eine bundesrechtlich determinierte Regionalebene. Auch die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs, den einige Länder selbst wahrnehmen, andere Länder auf Kommunen oder Kommunalverbände übertragen haben, reflektiert diese Mehrzahl regionaler Ebenen. Auf welcher Ebene sich in Deutschland europäische Regionen konstituiert haben bzw. noch konstituieren werden, ist damit nicht allgemein bestimmbar367. Faktische „Metropolregionen“368, die Großstädte mit ihrem weiteren Umland bilden, überschreiten häufig bestehende administrative Grenzen, insbesondere auch Ländergrenzen. Die sich selbst als Metropolregionen bezeichnenden Räume haben sich in einem Initiativkreis zusammengeschlossen, der der Formulierung sowohl eines Selbstverständnisses als auch von Anforderungen an ihre Entwicklung sowie der gemeinsamen Interessenvertretung dienen soll369. b) Die Länderzentralstufe Auch in der deutschen Literatur werden häufig wie natürlich die Länder als die deutschen Regionen in Europa angesehen370, was durchaus ihrem Selbstverständnis entspricht371, aber schon aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Größe problematisch erscheint. Sieht man allein die Länder als Regionalstufe an, er365

Mecking, S. 64 ff. Benz, Regionalization in the Federal Republic of Germany, S. 31. 367 Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 296. 368 Als solche hat die Ministerkonferenz für Raumordnung die Räume Berlin-Brandenburg, Bremen-Oldenburg, Frankfurt/Rhein-Main, Halle/Leipzig-Sachsendreieck, Hamburg, Hannover-Braunschweig-Göttingen, München, Nürnberg, Rhein-Neckar, RheinRuhr und Stuttgart benannt. 369 Vgl. Strategiepapier des Initiativkreises Metropolregionen in Deutschland, Entwurf vom 31.3.2002 sowie Brigitte Adams, Spatial Policies for Metropolitan Regions – Identity, Participation and Integration in: European Planning Studies, volume 11, no. 6, september 2003, S. 739 ff.; vgl. auch Ministerkonferenz für Raumordnung vom 30.6. 2006: Leitbilder und Handlungsstrategien für die Raumentwicklung in Deutschland, S. 14 f., im Internet unter: http://www.bmvbs.de/Anlage/original_982048/Leitbilderund-Handlungsstrategien-fuer-die-Raumentwicklung-in-Deutschland-2006.pdf; Stand: 1.8.2008. 370 Vgl. Mecking, S. 43, Ossenbühl, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, S. 117 ff.; Benz, Regionalization in the Federal Republic of Germany, S. 19; Schladebach, LKV 2005, 95, 96. 371 Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 296. 366

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gibt sich das Bild einer sehr starken regionalen Ebene in Deutschland, denn sie haben volle Staatsqualität mit einer prinzipiellen durch die Bundesverfassung garantierten Allzuständigkeit für staatliche Aufgaben (Art. 30 GG) und Finanzautonomie (Artt. 104a ff. GG). c) Die regionale Mittelstufe, insbesondere der Verband Region Stuttgart und die Region Hannover Nähere Betrachtung verdient die regionale Mittelstufe: Zwischen der Länderzentralstufe als oberer und den Kreisen als unterer Regionalebene existieren zwei Kategorien mittlerer Regionalebenen: Es handelt sich um eine staatliche Verwaltungsmittelstufe auf der einen Seite und um eine obere Kommunalstufe auf der anderen Seite. Die staatliche Mittelstufe wird von Bundes- (z. B. Grenzschutzkommandos) und Ländersondermittelbehörden (z. B. Oberschulämter) sowie in den großen Ländern von einer allgemeinen staatlichen Mittelinstanz gebildet372. Diese letztgenannten Instanzen werden häufig als „Regierungspräsidium“ (so in BadenWürttemberg, Sachsen-Anhalt und Sachsen) oder „Bezirksregierung“ (so in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) bezeichnet und erfüllen Mittler-, Bündelungs-, Entlastungs- und Einheitsfunktionen373. Von großer praktischer Bedeutung sind die verschiedenen Formen der kommunalen Zusammenarbeit, die häufig zur Gründung von Zweckverbänden führen374 und so freiwillige zweckspezifische Kooperationsregionen bilden. Im vorliegenden Zusammenhang sind dabei die Verkehrsverbünde von Interesse, denen in einigen Ländern die Organisation des ÖPNV übertragen ist. Kritisiert wird häufig das Demokratiedefizit dieser bloß indirekt über die Legitimation der teilnehmenden Gemeinden legitimierten Zweckverbände. Die Existenzgründe der kommunalen Selbstverwaltung, nämlich Bürgernähe, Transparenz und besondere demokratische Legitimation, können deshalb nicht zu ihren Gunsten sprechen375. Dieser Kritik sind die sog. kommunalen Regionalverbände nicht ausgesetzt. Als Formen einer teilweise ausdrücklichen „regionalen“ Selbstverwaltung trifft man diese dritte kommunale Ebene oberhalb von Gemeinden und Kreisen vor allem in den größeren Flächenländern (Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz), als sog. „höhere Gemeindeverbände“ oder „Regionalverbände“, die meistens bestimmte enumerativ aufgezählte Aufgaben der Leistungsverwaltung, vor allem im kulturellen und sozialen 372 373 374 375

Mecking, Mecking, Mecking, Mecking,

S. S. S. S.

104 ff. 117. 214 ff. 223.

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1. Teil: Allgemeines

Bereich, wahrnehmen376. Sie sind verschieden organisiert: Während die bayerischen Bezirke einem gebietskörperschaftlichen Aufbau mit direkter Wahl zur Verbandsversammlung folgen, sind etwa die nordrhein-westfälischen Landschaftsverbände Bundkörperschaften, die die Kreise und kreisfreien Städte zu Mitgliedern haben377. Das Grundproblem dieser Regionalverbände besteht darin, dass sie sich in einem Behauptungskampf mit der Landespolitik einerseits und den zugehörigen Kreisen andererseits befinden. Verschiedene Modelle existieren für die Organisation von regionalen gebietskörperschaftlich verfassten kommunalen Organisationseinheiten, vor allem als Regionalstädte und Regionalkreise378. Einen gewissen Modellcharakter kann man aufgrund ihrer weitreichenden Kompetenzen und ihrer Organisationsform dem durch Gesetz errichteten Verband Region Stuttgart (Baden-Württemberg), und mehr noch der Region Hannover (Niedersachsen) zumessen. Sie illustrieren das Bestreben, eine regionale Verwaltungsebene mit umfangreichen Kompetenzen zu schaffen, aber auch die Widerstände, denen diese Bemühungen ausgesetzt sind, und die daraus resultierenden Grenzen des bislang Erreichten. Ihre Funktionsweisen und Kompetenzen sollen deshalb etwas ausführlicher dargestellt werden: Beide Verbände sind durch ein aus direkter kommunaler Wahl hervorgegangenes parlamentarisches Beschlussorgan unmittelbar demokratisch legitimiert, was ihnen eine gewisse Unabhängigkeit von den verbandsangehörigen Kreisen sichert. Gegenüber einem Modell, bei dem Mitglieder die Kreise sind, besteht in den Fällen von Stuttgart und Hannover der Vorteil, dass die Entscheidungsfindung in geringerem Maße von Verteilungskämpfen geprägt wird, weil die Delegierten nicht in ihren Kreisen Rechenschaft für ihr Abstimmungsverhalten ablegen müssen, sondern auf das regionale Gemeinwohl verpflichtet sind. Der Verband Region Hannover ist im Prinzip als Landkreis organisiert, der jedoch einige Besonderheiten gegenüber den übrigen niedersächsischen Landkreisen aufweist. Beide Regionalverbände sind Träger der Regionalplanung für ihr Verbandsgebiet. Der Verband Region Hannover ist darüber hinaus Träger der Nahverkehrsplanung nach § 6 NdsNVG. Nach § 8 Abs. 1 Gesetz über die Region Hannover vom 5.6.2001379 (RHG) ist die Region Hannover auch Aufgabenträger für den gesamten öffentlichen Personennahverkehr. Dagegen hat der Verband Re376 Mecking, S. 138; s. zu den nordrhein-westfälischen Landesverbänden: Erichsen, NWVBl. 1995, 1; s. zu den vier größten – Kommunalverband Ruhrbezirk, Region Hannover, Verband Region Stuttgart und Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main: Rautenberg, DVBl. 2003, 768. 377 Stober, Kommunalrecht, S. 55. 378 s. den Überblick bei Stüer, LKV 2004, 6, 7 f. 379 NdsGVBl. 2001, S. 348.

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gion Stuttgart lediglich die Aufgabenträgerschaft für den SPNV inne. Diese Zersplitterung zwischen den Zuständigkeiten für ÖPNV und SPNV ist auf Befürchtungen der Kreise zurückzuführen, die Region könne zu mächtig werden. Die Regionalverbände sind außerdem für die regional bedeutsame Wirtschaftsförderung zuständig. Die Region Hannover ist darüber hinaus Träger wirtschaftlich relevanter Genehmigungsbehörden, wie der unteren Bodenschutzbehörde, der Bauaufsichtsbehörde und der Naturschutzbehörde, was sie zu einem umfassend zuständigen Ansprechpartner für Wirtschaftsunternehmen macht. Eine weitere Zuständigkeit betrifft die Landschaftsgestaltung. Schließlich hat die Region Hannover von der staatlichen Mittelinstanz eine Reihe von Pflichtaufgaben wie die Trägerschaft für die Sozialhilfe und für die Schulen, soweit sie über das örtliche Schulangebot hinausgehen, ebenso wie die Aufgaben der unteren Naturschutzbehörde, der unteren Wasserbehörde, der unteren Bodenschutzbehörde sowie der unteren Abfallbehörde übernommen. Während der Verband Region Stuttgart lediglich eine sachlich eng begrenzte, eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Regionalversammlung erfordernde Öffnungsklausel für neue Zuständigkeiten enthält, verfügt die als Landkreis sui generis ausgestaltete Region Hannover über eine den Landkreisen nachgebildete regionale Allzuständigkeit für übergemeindliche Aufgaben, § 7 Abs. 1 RHG. Darüber hinaus wird ihr die Möglichkeit eröffnet, bestimmte staatliche Aufgaben unter bestimmten Voraussetzungen auf die regionsangehörigen Gemeinden zu übertragen, vgl. §§ 12, 13 RHG. Mit der Finanzierung betritt der Verband Region Hannover dadurch Neuland, dass sie im Gegensatz zu klassischen Zweckverbänden nicht ausschließlich auf einer Umlage beruht, sondern dass er im Rahmen des Finanzausgleichs direkte Zuweisungen des Landes Niedersachsen erhält. Das Ziel einer eigenständigen Regionalfinanzierung im Sinne einer eigenen Steuerquelle erwies sich indessen als politisch nicht durchsetzbar380. Die Region Stuttgart wird ausschließlich über eine Verbandsumlage finanziert, was in einem Spannungsverhältnis zur Direktwahl der Verbandsversammlung steht, weil damit die lastentragenden Verbandsmitglieder darin nicht repräsentiert sind381. Finanzieller Hintergrund für die Einrichtung dieser Regionalverbände mit einem städtischen Zentrum ist das Anliegen, die Umlandgemeinden finanziell an der Erfüllung von Aufgaben zu beteiligen, die die Metropole auch im Interesse des Umlandes wahrnimmt und bislang allein finanzierte. Die Kritik an solchen Formen von Regionalkreisen besteht darin, dass die verschiedenen regionalen Aufgaben, die sie wahrnehmen, unterschiedliche räumliche Bezüge hätten, für die ein einheitlicher Regionalkreis mit festem regiona-

380 381

Priebs, DÖV 2002, 144, 151. Trumpp und Dreier, in: Hennecke, DVBl. 1998, 685, 693.

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1. Teil: Allgemeines

len Zuschnitt kein angemessener Organisationsrahmen sei. Hierfür seien Formen funktionsspezifischer interkommunaler Zusammenarbeit funktionsgerechter382. Darüber hinaus ist die institutionelle Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung zu beachten, die der Schaffung eines Organisationsgefüges entgegenstehe, das dem Bilde von Gemeinden und Gemeindeverbänden mit essenziellen Kreisfunktionen, das durch Bürgernähe und Ortsbezug gekennzeichnet sei, nicht mehr entspreche383. Ferner bestehe die Gefahr, dass die Regionalkreise bestehende sozio-ökonomische Wirtschaftsräume zerschnitten, weil sie nicht beliebig groß gezogen werden könnten, und die ausgeschlossenen Randgebiete von der Entwicklung abgeschnitten würden. Schließlich verstärke die partielle Bildung von Regionalkreisen das Gefälle zwischen den ohnehin wirtschaftlich starken, um eine Großstadt gruppierten, im Regionalkreis zusammengeschlossenen Gebieten und den übrigen, von dieser Entwicklung nicht erfassten, peripheren Landesteilen384. Sonderregelungen für solche Gebiete seien nur schwer zu akzeptieren und hätten massive Auswirkungen auf das Politik- und Verwaltungsgefüge im Lande385. d) Die Kreise Eine untere regionale Ebene stellt schließlich der Kreis dar, der zugleich Gemeindeverband, Gebietskörperschaft und – meist im Wege der Organleihe – untere staatliche Verwaltungsbehörde ist. Der Kreis ist eine „zweckrationale Schöpfung der Verwaltungskunst“ und stellt das Gegenstück zu den kreisfreien Städten dar386. Sein Aufgabenkreis ist nicht wie bei den Zweckverbänden durch eine Zwecksetzung ad hoc begrenzt. Er wird primär durch Landesgesetz bestimmt, vgl. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG: „im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches“. Darüber hinaus folgert aber die überwiegende Literatur aus der durch Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG garantierten Eigenverantwortlichkeit bei der Aufgabenwahrnehmung durch die Kreise, dass sich diese Garantie auch auf einen Gegenstand eigenverantwortlich wahrzunehmender Aufgaben beziehen müsse387. So wird eine einer Allzuständigkeit angenäherte Rechtsposition der Kreise begründet, die häufig mit drei Aufgabenkategorien umschrieben wird: Es handelt sich erstens um die übergemeindlichen Aufgaben, die sich kraft Natur der Sache einer einzelgemeindlichen Wahrnehmung entziehen. Zweitens sind es die ergänzenden Aufgaben, die jedenfalls manche kreisangehörige Gemeinden wegen geringer Leistungsfähigeit nicht wahrnehmen können. Dritter Bereich sind 382 383 384 385 386 387

Klaus Lange, in: Hennecke, DVBl. 1998, 685, 688. Stüer, LKV 2004, 6, 8 f. Klaus Lange, in: Hennecke, DVBl. 1998, 685, 689. Wahl, Schlebusch, Schink, in: Hennecke, DVBl. 1998, 685, 693 f. Leidinger, NWVBl. 1991, 325, 331. Wolfgang Löwer, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 28, Rn. 85.

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

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die ausgleichenden Aufgaben, die sich in der Unterstützung einzelgemeindlicher Aufgabenerfüllung erschöpfen388. Eine typische Kreisaufgabe ist u. a. der Betrieb des Öffentlichen Straßenpersonennahverkehrs (ÖSPV) im Kreisgebiet, die die Kreise selbst jedoch häufig einem großflächigeren Träger, einem Verkehrsverbund, übertragen haben389. Bei entsprechendem Zuschnitt und Aufgabenbestand können die Kreise als funktionsstarke regionale Verwaltungseinheit dienen. Alle regionalen Ebenen außer den Ländern verfügen regelmäßig über keine eigenen Steuereinnahmen und sind so auf die staatlichen oder kommunalen Mittelzuweisungen angewiesen390. Diese Aufzählung formaler regionaler Verwaltungsebenen bliebe unvollständig, wenn nicht auch die Vielzahl an informellen Organisationen und Inititativen auf regionaler Ebene erwähnt würden. In diese Kategorie gehören regionale Strukturkonferenzen, Städtenetze oder regionale Initiativen gesellschaftlicher Kräfte391. IV. Die Stellung der Regionen in Europa Die Rolle, die die europäischen Gemeinschaftsverträge den Regionen vorbehalten, ist keine ausgesprochen starke, aber sie ist doch nicht ohne Auswirkungen auf die Migliedstaaten geblieben. So wurde die Institution in Mitgliedstaaten mit einer weniger ausgeprägten Tradition mächtiger Regionen, wie z. B. Frankreich, gestärkt. In Deutschland, wo vielfach wie selbstverständlich die Länder als Regionen angesehen werden, haben europäische Initiativen auf regionaler Ebene dazu beigetragen, dass eine Diskussion über die Reorganisation der regionalen Ebene verstärkt geführt wird392. 1. Die Regionen in den Römischen Verträgen Bereits die Römischen Verträge erkennen an, dass regionale Besonderheiten im Rahmen bestimmter Gemeinschaftspolitiken zu berücksichtigen sind. Dabei spricht der Vertrag im französischen Wortlaut von „régions“, im deutschen von „Gebieten“. In der Präambel wird die Absicht geäußert, den „Abstand zwischen den einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete zu verringern“. Man findet insbesondere im Rahmen der gemeinsamen Verkehrs388 Eberhard Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 140 ff. 389 Mecking, S. 96. 390 Benz, Regionalization in the Federal Republic of Germany, S. 33; vgl. zur Finanzierung des ÖPNV in den Kreisen: Ehlers/Baumann, DVBl. 2004, 525, 526 ff. 391 Priebs, Neubau der Region, S. 134, 137. 392 Siedentopf: Administrative Reorganization of Regions, S. 227; Rautenberg, DVBl. 2003, 768.

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politik den Gedanken, dass regionale Unterschiede Ausnahmeregelungen rechtfertigen können: „Vorschriften über die Grundsätze der Verkehrsordnung, deren Anwendung die Lebenshaltung und die Beschäftigungslage in bestimmten Gebieten (. . .) ernstlich beeinträchtigen könnte“, müssen, abweichend von den Fällen des Abs. 1, wo ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit ausreicht, aufgrund einstimmigen Ratsentschlusses gefasst werden (Art. 71 Abs. 2 EGV). Im Rahmen der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verbot staatlicher Unterstützungsmaßnahmen nach Art. 76 EGV sind „die Bedürfnisse der unterentwickelten Gebiete und die Probleme der durch politische Umstände schwer betroffenen Gebiete“ zu berücksichtigen (Art. 76 Abs. 2 EGV). Für die deutschen Zonenrandgebiete waren beihilfenrechtliche Ausnahmeregeln in den (alten) Artikeln 82 sowie 92 vorgesehen. Auch bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik wird auf bestimmte regionale Besonderheiten abgestellt (Art. 33 Abs. 2 lit. a) EGV). Schließlich sieht der Vertrag die Zulässigkeit bestimmter regionaler mitgliedstaatlicher Beihilfen vor (Art. 87 Abs. 2 lit. c), Abs. 3 lit. a) und c) EGV). In diesen Vorschriften der „ersten Generation“ nimmt das Gemeinschaftsrecht auf die Regionen lediglich Bezug, um bestimmte Ausnahmeregeln zu rechtfertigen. Das Gemeinschaftsrecht sieht in diesem Stadium die Regionen ausschließlich als geographische Teilgebiete der Mitgliedstaaten, die allein Akteure auf europäischer Ebene bleiben, und nicht als Verwaltungseinheiten mit einem autonomen Charakter393. Das Gemeinschaftsrecht entfaltet aber auch unmittelbare Wirkung gegenüber den Regionen, wenn die Mitgliedstaaten ihnen Aufgabenzuständigkeiten übertragen haben. Dann werden die Regionen als Hoheitsträger Adressaten gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen, ohne dass dies ausdrücklich im Gemeinschaftsrecht ausgesprochen werden müsste394. 2. Die Regionen nach der Einheitlichen Europäischen Akte Die Einrichtung des EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) wurde 1975 zum Grundstein für eine eigene gemeinschaftliche Regionalpolitik. Dieser Fonds stellte anfangs den Mitgliedstaaten Finanzmittel für ihre Regionalpolitiken zur Verfügung395. Aber erst die Einheitliche Europäische Akte (EEA), insbesondere die Reform der Strukturfonds, löst die Regionen aus dem bloßen nationalen Kontext heraus und macht sie zu eigenen Adressaten der gemeinschaftlichen Regionalpolitik396: Mit der EEA wurden die Artikel 158–162 EGV 393

Margellos, L’émergence de la „région“ dans l’ordre juridique communautaire,

S. 26. 394 Vgl. Feral, Communauté européenne, Comité des régions et collectivités territoriales françaises, S. 82 ff. 395 Margellos, S. 28. 396 Margellos, S. 26.

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

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(Artt. 130a–130e a. F.) in den Vertrag eingefügt. Damit wird eine neue eigenständige Rechtsgrundlage für die regionalen Finanzierungsinstrumente geschaffen, als die bislang die Auffangvorschrift des Art. 308 EGV (Art. 235 a. F.) herhalten musste. In Vollzug der EEA wurde darüber hinaus das gesamte die Strukturfonds regelnde sekundärrechtliche Regelwerk reformiert: Fortan werden die Mittel aus den Strukturfonds und den zahlreichen Gemeinschaftsinitiativen – INTERREG, ENVIREG, etc. – nach einheitlichen, gemeinschaftlichen und nicht mehr wie bisher nach mitgliedstaatlich bestimmten Kriterien verteilt397. Die Regionen treten in direkten Kontakt mit der Gemeinschaft. Die Programme werden fortan von den mitgliedstaatlichen und regionalen Behörden vor Ort konzipiert und verwaltet. Die Rolle der Gemeinschaft beschränkt sich auf eine finanzielle Beteiligung und die Kontrolle der Mittelverwendung. Mittelbar erkennt damit die Gemeinschaft die Regionen als Akteure an. Diese neue Rolle der Regionen hat die beiden Mitgliedstaaten Irland und Griechenland zur Schaffung einer regionalen Ebene veranlasst398. Die Finanzierung der Regionen wird durch die finanzielle Beteiligung der Gemeinschaft an zahlreichen regionalen Programmen in gewisser Hinsicht „vergemeinschaftet“ 399. Durch den direkten Kontakt der Gemeinschaft zu regionalen Körperschaften greift die Gemeinschaft faktisch in das innerstaatliche Kompetenzgefüge ein, was vereinzelt kritisiert wurde400. Auch auf institutioneller Ebene haben die Regionen Schutz ihrer Kompetenzen und eine Beteiligung am Willensbildungsprozess erhalten401: Seit der Änderung durch den Vertrag von Maastricht braucht gemäß Art. 203 EGV der Mitgliedstaat im Rat nicht mehr notwendig durch einen Regierungsvertreter des Zentralstaats vertreten zu sein; auch ein Vertreter einer dezentralen Einheit auf Ministerebene hat das Recht, den Mitgliedstaat zu vertreten. Schließlich haben die Regionen nunmehr eine eigene Interessenvertretung im europäischen Entscheidungsprozess: Den Ausschuss der Regionen. Dieser setzt sich zusammen „aus Vertretern der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften“ (Art. 263 EGV). Er ist vom Rat oder der Kommission in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen zu hören, kann aber auch in den übrigen Fällen Stellungnahmen abgeben oder gehört werden (Art. 265 EGV). Die geschilderten Regelungen haben zahlreiche direkte Beziehungen zwischen den Regionen und der EU gebracht. Dies hat die Kompetenzen der Regionen in vielen Mitgliedstaaten vermehrt und ihr Gewicht im innerstaatlichen Machtverhältnis aufgewertet. Die oben konstatierte Tendenz zur Übertragung von Kompetenzen auf regionale Körperschaften in

397 398 399 400 401

Margellos, S. 32. Margellos, S. 49. Margellos, S. 36. Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 298. Margellos, S. 53; vgl. auch die Übersicht bei Schladebach, LKV 2005, 95, 96 ff.

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1. Teil: Allgemeines

den Mitgliedstaaten wird so durch einen ähnlichen Trend auf europäischer Ebene verstärkt. Der Vertrag von Lissabon geht einen weiteren Schritt in diese Richtung: Er bekennt sich in der neuen Grundsatzbestimmung des Art. 5 Abs. 3 EUV402 ausdrücklich zur regionalen Ebene403. Die nationalen Parlamente werden an der Gesetzgebung durch Stellungnahmerechte beteiligt, vgl. Artt. 6, 7 des neu gefassten Subsidiaritätsprotokolls404 sowie Art. 12 EUV und Art. 69 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union405. Zur Stärkung des Subsidiaritätsprinzips sieht das Subsidiaritätsprotokoll in Verbindung mit Art. 263 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage eines Mitgliedstaats oder eines Mitgliedstaats im Namen seines nationalen Parlamentes oder einer Kammer des Parlamentes wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzips vor. Die innerstaatliche Umsetzung bleibt Aufgabe der Mitgliedstaaten. Sofern in dem Mitgliedstaat eine Kammer existiert, die die regionalen Körperschaften repräsentiert, ermöglichen damit diese Vorschriften, einzelne mitgliedstaatliche Regionen oder jedenfalls ihre Mehrheit mit einem indirekten Klagerecht zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer Ebene auszustatten406. Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls i.V. m. Art. 263 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union räumt auch dem Ausschuss der Regionen im Rahmen der Nichtigkeitsklage ein Klagerecht zur Wahrung seiner Rechte ein, also seiner Anhörungsrechte und auf Wahrung des Subsidiaritätsprinzips407. 3. Eine europäische Definition? Der EGV enthält keine Definition des Begriffs der Region im Sinne der Vertragsvorschriften. Aufgrund der außerordentlichen Vielfalt und Unterschiedlichkeit der regionalen Körperschaften in der EU, deren Status das nationale Recht definiert, wäre eine solche Definition auch nur schwer möglich. Die Einrichtung und Organisation von Regionen als Verwaltungseinheiten bleibt als Ausfluss des Prinzips der institutionellen Autonomie Aufgabe der Mitgliedstaaten408. Die Europäische Kommission nimmt aber eine informelle Einordnung der regionalen administrativen Einheiten in den Mitgliedstaaten vor, die zum einen 402

Konsolidierte Fassung ABl. EU 2008 C 115/13. So auch wortgleich der sog. Verfassungsvertrag in Art. I-11 Abs. 3. 404 Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. 405 Neue Bezeichnung für den EGV; konsolidierte Fassung ABl. EU 2008 C 115/91. 406 Schladebach, LKV 2005, 95, 97 f. 407 Schladebach, LKV 2005, 95, 98. 408 Margellos, S. 47. 403

D. Zentralismus, Dezentralisation, Regionalisierung

113

ihrer Regionalberichterstattung zugrunde liegt, zum anderen bei der Bestimmung der Fördergebiete herangezogen wird409. Sie ist als Vergleichsmuster aufschlussreich: Die „Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS)“ unterscheidet drei Regionalebenen in jedem Mitgliedstaat. Für Deutschland sind dies auf der ersten Ebene („NUTS 1“) die Länder, auf der zweiten Ebene („NUTS 2“) die Regierungsbezirke und auf der dritten Ebene („NUTS 3“) die Kreise; für Frankreich bilden diese drei Regionalebenen die Zones économiques d’aménagement du territoire (ZEAT)410 und départements outre mer („NUTS 1“), die régions („NUTS 2“) sowie die départements („NUTS 3“)411. Andere Rechtsakte des Europarechts enthalten aber eine teils deskriptive, teils präskriptive Beschreibung der Regionen: Die am 18.11.1988 vom Europäischen Parlament verabschiedete sog. „Gemeinschaftscharta der Regionalisierung“412 beginnt mit einer Definition der Region: Sie werden als Gebiete oder gleichartige Gebietskomplexe verstanden, die aus geographischer Sicht eine deutliche Einheit bilden oder ein geschlossenes Gefüge darstellen und deren Bevölkerung durch bestimmte Elemente gekennzeichnet ist (Art. 1 Nr. 1), nämlich durch Sprache, Kultur, geschichtliche Tradition und Interessen im Bereich der Wirtschaft und des Verkehrswesens (Art. 1 Nr. 2). Die verschiedenen Bezeichnungen sind hierbei nicht entscheidend (Art. 1 Nr. 3). Die Mitgliedstaaten „institutionalisieren“ die Regionen in ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung (Art. 3 Nr. 1). Die Bedeutung der Charta ist im Wesentlichen politischer Natur. Ihre Definition der Region kann aber als Interpretationshilfe für verbindliche Gemeinschaftsrechtssätze dienen413. Die Charta verfolgt den Zweck, eine gemeinsame minimale Binnenstruktur der Regionen zu etablieren: Die Regionen sollen über eine gewählte Regionalversammlung mit Gesetzgebungs- und Kontrollbefugnissen sowie über eine Regionalregierung mit exekutiven und administrativen Befugnissen verfügen (Artt. 6–8). Nach Art. 17 sollen die Regionen mit einem angemessenen Maß an eigenen finanziellen Mitteln ausgestattet sein. Eine ähnliche Definition der Region gibt übrigens auch die „Konvention des Europarats über Probleme der Regionalisierung“ vom 30.1. bzw. 2.2.1978 in ihrer Ziffer 4.

409

Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 298. In diesen acht ZEATs sind jeweils mehrere Regionen zusammengefasst, s. Constantinesco, Landesbericht Frankreich, S. 211 Fn. 4. 411 Vgl. Schink, DÖV 1992, 385, 388 f. 412 Entschließung zur Regionalpolitik der Gemeinschaft und zur Rolle der Regionen, ABl. EG vom 19.12.1988 Nr. C 326/296. 413 Vgl. zur rechtlichen Bedeutung dieser vom Parlament aufgrund seines allgemeinen Beratungsrechtes verabschiedeten Entschließungen Marcel Haag/Roland Bieber zu Art. 137, Rn. 11, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU-/ EG-Vertrag. 410

114

1. Teil: Allgemeines

V. Vergleich Während in Frankreich eindeutige regionale Gebietskörperschaften mit einer umfassenden Aufgabenzuständigkeit für die Raumplanung und die wirtschaftliche Entwicklung der Region existieren, sind diese Zuständigkeiten in Deutschlands Ländern auf verschiedene Institutionen verteilt. Dabei erhöht in Frankreich das landesweit einheitliche Statut die Transparenz der Zuständigkeiten. In Deutschland variieren sie dagegen von Land zu Land. Die Zuständigkeiten werden bald auf der Zentralebene der Länder, bald auf kommunaler Ebene, entweder von den Kommunen selbst oder durch von ihnen gegründete Zweckverbände, bald von Regionalkreisen, wahrgenommen. Diese divergierenden Organisationsformen und Zuständigkeiten dienen sicher nicht der einfachen Lesbarkeit, haben aber den Vorteil, dass mit verschiedenen Modellen experimentiert wird und gegebenenfalls auch den verschiedenen örtlichen Strukturen angepasste Organisationsformen gefunden werden können414. Die Vorteile einer Gebietskörperschaft, die umfassend zumindest für Aufgaben der regionalen Raumplanung und der regionalen Wirtschaftsentwicklung zuständig ist, gegenüber Zweckverbänden, die aufgabenabhängig gebildet werden, liegen offen zu Tage415: Da das tägliche Leben und die Arbeit in vielerlei Hinsicht in sich relativ klar abzeichnenden regionalen Räumen stattfinden, erscheint es sinnvoll, diese Räume auch durch Organisationen zu verwalten, die sich mit dieser Lebenswelt decken, und diese Aufgabenbereiche nicht durch Verwaltungsgrenzen zu zerschneiden. Dies erleichtert dem Bürger und vor allem auch Investoren die notwendigen Verwaltungsgänge. Auf diese Weise werden auch Synergiepotentiale mit der gemeinschaftsrechtlichen Regionalpolitik besser genutzt werden können. Eine einheitliche, dem empfundenen täglichen Lebensraum entsprechende und unmittelbar demokratisch legitimierte Verwaltungsebene wird der Identifizierung der Bürger mit ihrer Verwaltung und damit dem politischen Engagement zugute kommen. Auch die Formenklarheit organisatorischer Strukturen stellt bereits ein Ziel in sich dar416. Welche Verwaltungsebene sich als regionale Ebene mit Blick auf den SPNV und darüber hinaus mit umfassender regionaler Zuständigkeit anbieten kann, soll erst weiter unten im 3. Teil B.II. nach Darstellung der gegenwärtigen SPNV-Zuständigkeiten begründet werden. Dabei stellt sich die Frage, ob regionale Zusammenarbeit durch den Staat erzwungen werden oder der kommunalen Zusammenarbeit überlassen werden soll417. Als Rechtsformen stehen zur Auswahl entweder eine reformierte Kreisstruktur, die Bildung einer neuen regionalen Ebene oberhalb der bestehen414 Kritisch zu dieser „buntscheckigen Struktur“ im SPNV: Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 397, 418. 415 Vgl. auch Leidinger, S. 330. 416 Müller, Rechtsformenwahl, S. 381. 417 s. hierzu: Huebner, AfK 1994, 215, 219 ff.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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den oder ein neuer Zuschnitt der Länder418. Die Erfahrungen mit der Einrichtung der dargestellten Regionen Stuttgart und Hannover zeigen, dass die Positionierung einer starken Region nicht im Interesse der existierenden höher- oder nachrangigen Verwaltungsstufen liegt. Die Einrichtung einer Ebene starker regionaler Gebietskörperschaften mit finanziellen Eigenmitteln und einer umfassenden Aufgabenzuständigkeit im Bereich der Raumplanung und der wirtschaftlichen Entwicklung wird einen erheblichen politischen Willensakt erfordern, den ein die Landeshauptstadt privilegierendes Projekt nicht begründen kann. Schon aus diesem Grunde müssten ernsthafte Reformversuche landesweite Lösungen anstreben.

E. Hintergründe zur „Kontraktualisierung“ von Daseinsvorsorgeaufgaben I. Die Kontraktualisierung staatlicher Aufgaben als Instrument der Verwaltungsmodernisierung („contracting out“, „contractualisation“, „Kontraktmanagement“) Unter Kontraktualisierung wird die Steuerung von Verwaltungseinheiten mittels Vertrags sowie die Steuerung Privater durch die Verwaltung mittels Vertrags bei ihrem Einsatz als Verwaltungshelfer oder Verwaltungsmittler verstanden. Die Organisation des SPRV mittels Verkehrsverträgen bzw. mittels Konventionen sind Fälle der „kontraktualisierten“ Verwaltung. Die Verkehrsverträge und die Konventionen übertragen die Aufgabe der Versorgung der Bevölkerung mit SPNV-Leistungen zu im voraus definierten Bedingungen gegen Entgelt von der Verwaltung auf ein privates Unternehmen (in Deutschland) bzw. auf eine öffentliche Anstalt (in Frankreich), wobei die Gewährleistungsgarantie der Verwaltung bestehen bleibt. In diesem ersten Abschnitt sollen zunächst das Prinzip der Kontraktualisierung als Instrument des Verwaltungsmanagements und seine organisationswissenschaftlichen Hintergründe vorgestellt werden. Sodann werden seine Anwendungsformen in Frankreich und in Deutschland dargestellt. Die Technik der Kontraktualisierung erfasst sehr verschiedene Sachverhalte. Im vorliegenden Zusammenhang der deutschen Verkehrsverträge und der französischen Konventionen sind lediglich die beiden Vertragskategorien der Übertragung von Daseinsvorsorgeaufgaben auf einen Privaten und auf eine Person des öffentlichen Rechts von näherem Interesse. Sie haben im deutschen Verwaltungsrecht zur Ausprägung der Rechtsfigur des kooperationsrechtlichen Verwal418 Leidinger, S. 331 f.; für die Regionalstufe auf Länderebene: Haneklaus, DVBl. 1991, 295, 299.

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1. Teil: Allgemeines

tungsvertrags, der zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts oder mit Beteiligung eines Privaten geschlossen werden kann, geführt. Das französische Verwaltungsrecht hat den Verwaltungsvertrag zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen und die délégation de service public ausgeformt. Die rechtlichen Eigenarten dieser Institute aus beiden Rechtsordnungen werden in einem zweiten Abschnitt dargestellt und in einem dritten Abschnitt verglichen. 1. Der Grundgedanke a) Organisationstheoretische und verwaltungswissenschaftliche Grundlagen Organisationswissenschaftliche Theorien thematisieren nicht mehr nur die Funktionsweisen im Innern der Organisationen, sondern sie untersuchen die Rolle von Organisationen in der Gesellschaft und stellen dabei die Organisation selbst in Frage. Die Alternative zur institutionalisierten Zusammenarbeit in Organisationen ist die zeitlich begrenzte Zusammenarbeit auf vertraglicher Basis419. Diese Zusammenhänge sind insbesondere Untersuchungsgegenstand der institutionenökonomischen Theorien, zu denen die Ansätze der Agenturtheorie und der Transaktionskostentheorie zählen420. Die ökonomische Rechtfertigung für die Existenz einer Organisation, die durch ein mehr oder minder ausgeprägtes hierarchisches Prinzip in ihrem Innern gekennzeichet ist, wird in der Vermeidung von Transaktionskosten gesehen. Transaktionskosten entstehen z. B. bei der Durchsetzung streitiger Vertragsansprüche oder durch Wartezeiten beim Transport von Gütern von einer Vertragspartei zur anderen421. Die Erfüllung einer Aufgabe innerhalb einer Organisation ist danach wirtschaftlich sinnvoll, wenn die Transaktionskosten die Vorteile der Erfüllung mittels Verträgen überwiegen. Bei langfristigen Bindungen ist darüber hinaus das empirische Phänomen zu beobachten, dass Befehlsgewalt an die Stelle von spontanen ad-hocKontrakten tritt422. Die sog. Kontraktualisierung von Verwaltungsaufgaben stellt seit den 80er Jahren vor allem in Ländern des angelsächsischen Kulturkreises ein Hauptinstrument der Verwaltungsmodernisierung dar423. Sie ist eine Konsequenz der Agenturtheorie (agency theory), die von der Annahme ausgeht, dass das soziale und politische Leben als eine Serie von Verträgen verstanden werden kann, in der eine Partei, der „agent“ oder Auftragnehmer, sich zur Ausführung von Leistungen gegenüber einer anderen Partei, dem „principal“ oder Auftraggeber, ver-

419 420 421 422 423

Kieser/Kubicek, Organisation, S. 15. Groß: Grundzüge der organisationswissenschaftlichen Diskussion, S. 147 f. Siekmann, in: Stober/Vogel, S. 129. Siekmann, in: Stober/Vogel, S. 129. König, DÖV 1995, 349, 350 f.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

117

pflichtet, der diese Leistungen entlohnt424. Die vertragliche Regelung der Beziehungen anstelle der Eingliederung in eine Hierarchie soll die Effizienz und die Kundenorientierung verstärken. Dem liegt auch der Gedanke zugrunde, dass eine vertraglich eingegangene Verpflichtung besser zur Zielerreichung motivieren kann als eine im Wege der Hierarchie auferlegte425. Dies hängt mit der größeren Autonomie zusammen, die der Vertragspartner bei einer vertraglichen Bindung im Vergleich mit einer hierarchisch auferlegten genießt. Die Autonomie ist in zweierlei Hinsicht erweitert: Zum einen definiert der Vertrag im Idealfall im Voraus einen klar formulierten und abschließenden Rahmen, den der Verwaltungshelfer bei der Aufgabenerfüllung zu respektieren hat, innerhalb dessen er aber autonom ist. Zum anderen ist der Vertragspartner bereits an der Formulierung der Rahmensetzungen und Zielvorgaben beteiligt. Die Regeln, denen er unterworfen ist, entspringen damit zumindest teilweise seiner Autonomie, die auf den Zeitpunkt der Regeldefinition vorverlagert ist426. Darüber hinaus erleichtern vertragliche Beziehungen auch die Leistungskontrolle, indem sie eindeutige Leistungskriterien und Indikatoren für die Zielerreichung definieren, die die Grundlage für Leistungsüberwachungen abgeben können. Mehr Autonomie und Kontrolle sind Grundelemente der aktuellen auf mehr Effizienz und Effektivität abzielenden427 Verwaltungsreformstrategien428. Man kann auch bereits in der Tatsache, dass zwei öffentlich-rechtliche Einheiten zur Regelung ihrer Beziehungen sich eines Vertrages bedienen, eine Privatisierung der Funktionsmechanismen des öffentlichen Sektors sehen429. Der Trend zur Kontraktualisierung erfasst die verschiedensten Sachverhalte. Dabei variieren Vertragsparteien, Vertragstypen und Funktionen: Geschäftsführungsverträge werden im Innern einer Körperschaft zwischen verschiedenen Abteilungen geschlossen, aber auch zwischen einer Gebietskörperschaft und öffentlichen Unternehmen; hier soll meist eine Trennung zwischen politischer Zielvorgabenfunktion und ausführender Verwaltungsfunktion erreicht werden. Der Vorgesetzte und seine Mitarbeiter schließen individuelle Verträge über zu erreichende Ziele; in Qualitätsverträgen verpflichtet sich die Verwaltung dem Bürger gegenüber zur Einhaltung von Qualitätsstandards. Verträge, die die Wahrnehmung einer Verwaltungsaufgabe zum Inhalt haben, können diese entweder auf öffentlich-rechtliche Einheiten übertragen oder auf privatrechtliche. 424

Muetzefeldt, S. 377. Göttrik Wewer, Zieldefinition in der Verwaltung, in: Blanke/von Bandemer/Nullmeier/Wewer, S. 247. 426 Hoffmann-Riem, Organisationsrecht als Steuerungsressource, S. 386. 427 „Effizient heißt, die Dinge richtig tun, effektiv, die richtigen Dinge tun“, zitiert nach: Kurt Bohr, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, zu dem Stichwort „Effizienz und Effektivität“. 428 OECD, la gestion publique en mutation, S. 26. 429 Fortin, La contractualisation dans le secteur public des pays industrialisés depuis 1980, S. 7. 425

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1. Teil: Allgemeines

In Fällen, in denen die Aufgabe auf einen Privaten übertragen wird, folgt die Kontraktualisierung häufig der funktionalen Privatisierung einer Verwaltungsaufgabe. Um den Privaten zur Ausführung einer nicht gewinnbringenden Aufgabe im Allgemeininteresse zu bewegen, muss er in einem Vertrag zur Ausführung gegen Entgelt verpflichtet werden430. Häufig geht die Kontraktualisierung einher mit der Etablierung eines Marktes oder eines Quasi-Marktes, auf dem mehrere potentielle Anbieter um den Vertragsschluss wetteifern431. Erfahrungen mit solchen Vertragsvergaben im Wettbewerb haben im Vereinigten Königreich oder in den USA gezeigt, dass so Einsparungen zwischen 20 und 30% möglich sind. b) Die vorläufige Bilanz der Kontraktualisierungspolitiken Die Kontraktualisierung als Instrument der Organisationsmodernisierung hat die in sie gesetzten Erwartungen nur zum Teil erfüllen können. Häufig ist bereits nicht eindeutig, ob sie tatsächlich Effizienzsteigerungen in dem erhofften Maße bewirkt hat432. Die Probleme sind vertragsartspezifisch: Für die politischen Steuerungsverträge hat sich die in der Theorie klare Verantwortungstrennung zwischen einem Prinzipal mit politischer Zielvorgabenfunktion und einem Agenten mit ausführender Verwaltungsfunktion jedenfalls in der Hinsicht als unrealistisch erwiesen, als in der Öffentlichkeit z. B. nur schwer verstanden werden wird, dass ein Minister nicht verantwortlich sein soll für Fehler, die in nur noch durch Vertrag abhängigen Untereinheiten aufgetreten sind. Häufig wird auch die Reduktion der demokratischen Kontrolle durch die mit der Kontraktualisierung verbundene Verselbständigung problematisiert433. Fehlende Erfahrung im Aushandeln von Delegationsverträgen kann darüber hinaus vor allem kleinere Körperschaften verleiten, kaum beherrschbare finanzielle Risiken einzugehen434. Die Praxis hat gezeigt, dass insgesamt die Tendenz besteht, aus Kostengründen bestimmte Rechte des Bürgers, insbesondere den Dokumentenzugang, (hinweg) zu rationalisieren. Der Fixierung auf Effizienzsteigerungen droht so die Qualität der Dienstleistungen zum Opfer zu fallen435. Darüber hinaus sind vertragliche Handlungsformen mit ihrem individuell ausgehandelten Inhalt im Gegensatz zu hoheitlichem Staatshandeln, das an gewisse 430

Vgl. Cox, Neuere Entwicklungen der Unternehmensstrukturen, S. 67 f. Muetzefeldt, S. 378; OECD, la gestion publique en mutation, S. 44 ff. 432 Muetzefeldt, S. 380. 433 Hoffmann-Riem, Organisationsrecht als Steuerungsressource, S. 385; s. hierzu jedoch unten II.1.a)aa). 434 Fortin, S. 12. 435 Fortin, S. 19 f.; Muetzefeld, S. 382. 431

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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Grundformen gebunden ist, geeignet, eine unüberschaubare Vielfalt und damit Konfusion des Verwaltungshandelns hervorzurufen436. Vor allem in Frankreich, wo sich Vertragsschlüsse zwischen öffentlichen Personen in der Folge von Dezentralisation und der Gründung immer neuer Verwaltungseinheiten häufen, wird in der neueren Literatur vermehrt davor gewarnt, in der Kontraktualisierung der Verwaltung ein Allheilmittel zu sehen437. 2. Die „contractualisation“ in Frankreich Der Terminus Kontraktualisierung bezeichnet in Frankreich die Gesamtheit der vertraglich gestalteten Beziehungen zwischen Verwaltungseinheiten. Einen ideengeschichtlicher Vorläufer der Kontraktualisierung will ein französischer Autor bereits im Werk des französischen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon (1809–1865) erkennen438. Proudhon entwirft ein auf Verträgen beruhendes Gesellschaftssystem, um so Gerechtigkeit und Gleichheit zu verwirklichen. Diese Verträge werden zwischen Staat, Provinzen, Gemeinden und Familienoberhäuptern geschlossen sowie auf horizontaler Ebene zwischen den verschiedenen geographischen Gruppen. Das System sollte im Gegensatz zum existierenden zentralistischen Organisationssystem Freiheit, Autorität und Gerechtigkeit miteinander in Einklang bringen. Im Gegensatz zu Rousseaus fiktivem Gesellschaftsvertrag sind die Verträge Proudhons „wirkliche, wirksame, tatsächlich vorgeschlagene, diskutierte, abgestimmte und angenommene Verträge“ (Du principe fédératif, 1re partie, chapitre VII, Paris 1863, S. 67, Übersetzung des Verfassers). Der Einsatz von Vertragsformen als Steuerungsinstrumenten in der französischen Verwaltung lässt sich in drei Etappen gliedern: Ein erster Anwendungsbereich findet sich im Bereich der französischen indikativen Planwirtschaft, wo seit Anfang der 60er Jahre mittels Verträgen Planziele in Vereinbarungen zwischen Staat und Unternehmen umgesetzt wurden. In einer zweiten Periode, seit 1982, kommen in der Folge der Dezentralisationsgesetze Verträge zwischen Staat und lokalen Gebietskörperschaften zur Übertragung von services publics, ferner Kooperationsverträge zwischen lokalen Gebietskörperschaften sowie seit 1984 Planverträge zwischen dem Staat und den Regionen hinzu. In einer dritten Periode, die seit 1992 andauert, ist eine Ausdehnung der Kontraktualisierung auf beinahe alle Gebiete der Verwaltung zu beobachten439. 436

Richer, AJDA 2003, 973, 975. Richer, AJDA 2003, 973, 975; Denoix de Saint Marc, AJDA 2003, 970, 971; Peyrical, AJDA 2000, 581. 438 Richer, Rn. 49. 439 Richer, AJDA 2003, 973; vgl. auch: Richer, Rn. 53 ff.; Peyrical, AJDA 2000, 581. 437

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1. Teil: Allgemeines

Der Spezialfall der Kontraktualisierung der Beziehungen der öffentlichen Hand zu ihren Unternehmen findet Eingang in die französische Verwaltung mit dem sog. Bericht „Nora“, der 1967 im Auftrag des damaligen Premierministers Pompidou erstellt wurde. Der Bericht ist das Ergebnis einer Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von Simon Nora zu der Fragestellung, welche Maßnahmen geeignet seien, die Strukturen und die Funktionsweisen des Managements des im Staatsbesitz befindlichen Industrie-, Finanz- und Handelssektors zu verbessern440. Die staatlichen Kontrollinstrumente über die öffentlichen Unternehmen waren und sind in Frankreich erheblich intensiver als in Deutschland441. Der Bericht propagiert das Prinzip des Wandels des öffentlichen Sektors von einer Steuerungswirtschaft (économie de commandement) zu einer Vereinbarungswirtschaft (économie concertée). Konkret wird empfohlen, die Autonomie der Unternehmen zu stärken, weil lediglich das Unternehmen, nicht aber der Zentralstaat dessen Marktumfeld und Mittel in ausreichendem Maße kenne, um eine produktive und kompetitive Unternehmenspolitik zu planen und ins Werk setzen zu können442. Der Bericht fordert, dass die Rollenverteilung zwischen Staat und seinen Unternehmen in diesem Sinne reevaluiert und klar definiert werden müssten443: Aufgabe des Unternehmens sei, sich dem Marktumfeld so effizient wie möglich anzupassen. Der Staat hingegen müsse die öffentlichen Interessen definieren, die er von dem Unternehmen ausgeführt sehen wolle, und eine klare Prozedur etablieren, mit Hilfe derer er dem Unternehmen die Verpflichtungen im öffentlichen Interesse auferlegt444. Als Besteller der Leistung im öffentlichen Interesse muss er dem Unternehmen die Kosten hierfür erstatten. Diese neue Klarheit in den Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen soll dem Staat wie auch der öffentlichen Meinung ermöglichen, eine klare Prioritätenentscheidung zwischen der Realisierung verschiedener öffentlicher Interessen treffen zu können. Ein verbessertes Bewusstsein für die konkret anfallenden Kosten soll dazu führen, dass der Staat von bestimmten Leistungen eventuell Abstand nimmt445. Das Prinzip ist also eine klare Trennung von Staat und Unternehmen und somit eine gewisse Autonomie der öffentlichen Unternehmen. Das Band, das zwischen Unternehmen und Staat besteht, ist ein Vertrag: Er definiert die vom Staat mittelfristig gewünschte Unternehmenspolitik, er regelt die finanziellen Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen ebenso wie die Pflichten des Unternehmens zur Erfüllung von Daseinsvorsorgeaufgaben und als Gegenleis440 Rapport sur les entreprises publiques; groupe de travail du comité interministériel des entreprises publiques, S. 3. 441 Vgl. i. e.: Jarass, AöR 1981, 403, 413 ff. 442 Rapport sur les entreprises publiques; groupe de travail du comité interministériel des entreprises publiques, S. 26. 443 Ebd., S. 31. 444 Ebd., S. 34. 445 Ebd., S. 38.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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tung die damit einhergehende Kostenerstattung durch den Staat. Die Details werden in einem „cahier des charges“ geregelt446. 3. „Kontraktmanagement“ in Deutschland In der deutschen Verwaltungspraxis war, soweit ersichtlich, die Kontraktualisierung in Abwesenheit von Bemühungen um grundlegende Reformen der Verwaltung lange Zeit kein Thema. Anders als in vielen anderen Industrieländern, vor allem des angelsächsischen Kulturkreises, stand hier zunächst die Bewältigung der Wiedervereinigung und der Aufbau der Verwaltung in den neuen Bundesländern im Vordergrund447. Dem entsprach in der Rechtswissenschaft ein geringes Interesse an den sog. kooperationsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Verträgen im Sinne des § 54 VwVfG, bei denen – im Gegensatz zum subordinationsrechtlichen Vertrag – hinsichtlich des Vertragsgegenstandes kein Vertragsteil dem anderen übergeordnet ist448. Vermehrte Aufmerksamkeit in der Literatur erfährt dieser Gegenstand erst seit ungefähr Anfang der 90er Jahre im Zusammenhang mit der in Deutschland aufkommenden Diskussion um Verwaltungsmodernisierung449: Vertragliche Beziehungen finden nun im Rahmen des sog. Kontraktmanagements Eingang in den Innenbereich der Verwaltung; im Verhältnis zu Privaten rücken vertragliche Beziehungen vermehrt im Rahmen sog. Public Private Partnerships ins Blickfeld. a) Das „Neue Steuerungsmodell“ Das sog. Kontraktmanagement ist Bestandteil der Verwaltungsreform im Rahmen des von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle entwickelten Neuen Steuerungsmodells, das ein Konzept zur Reform der Gemeindeverwaltungen beinhaltet und an dem sich die Reformen vieler deutscher Gemeindeverwaltungen orientieren450. Grundgedanke des Neuen Steuerungsmodells ist die Orientierung der Verwaltungstätigkeit an „Produkten“, die die Gemeindeverwaltung erbringen soll. Für die Erstellung dieser Produkte wird dezentralen Einheiten Fach- und Ressourcenverantwortung übertragen. Unterstützend soll dabei ein Controlling451 aufgebaut werden. Das erwähnte Kontraktmanagement ist das Instrument 446

Ebd., S. 91. OECD, la gestion publique en mutation, S. 58. 448 Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rn. 47. 449 Zum Stand der administrativen Reformen in Deutschland: Chmel, Das neue Berliner Verwaltungsmanagement, S. 52 ff. 450 Vgl. die Übersicht bei Chmel, Das neue Berliner Verwaltungsmanagement, S. 57 ff. 451 Controlling wird häufig als „Auf-Kurs-Halten“ einer Organisation beschrieben. Die Begriffsbestimmung bleibt aber bislang relativ offen und wird in der Regel sehr weit gefasst (Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Teilband 1 A–H, Stuttgart 1993, 447

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1. Teil: Allgemeines

der politischen Ebene, um die Kommunalverwaltung zu steuern452, es wird aber auch innerhalb dieser im engeren Sinne verstandenen Verwaltung eingesetzt für Zielabsprachen zwischen Verwaltungszentrale und Fachabteilungen, zwischen Leitung und Mitarbeitern453. Entsprechend dem bereits aus dem französischen „Rapport Nora“ bekannten Gedanken sollen also die Verantwortlichkeiten der Politik von dem Instrument ihrer Verwirklichung, hier dem Verwaltungsunterbau, getrennt werden. Auch einzelne Landesverwaltungen, wie die Berliner Landesverwaltung, orientieren sich in ihrem Umbau an dem Neuen Steuerungsmodell. Zwar wurde in Berlin innerhalb der unmittelbaren Landesverwaltung auf ein Kontraktmanagement bislang weitgehend verzichtet454, allerdings werden die Beziehungen mit der mittelbaren Landesverwaltung, vor allem den Universitäten, aber auch mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) für mittelfristige Zeiträume kontraktualisiert. b) Die „Public-Private-Partnership“ Mit dem Begriff der Public Private Partnership werden in der deutschen Verwaltungslehre in Anlehnung an einen traditionsreicheren angelsächsischen Begriff455 die sehr verschiedenen Kooperationsformen der Verwaltung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit Privaten zusammengefasst456. In Zeiten knapper öffentlicher Kassen und einem unverändert hohen öffentlichen Aufgabenbestand erscheint die Einbindung Privater als geeignetes Mittel, die öffentlichen Finanzen zu entlasten. Auch die „funktionale Privatisierung“, bei der der Staat eine Behörde privatisiert, die öffentliche Aufgabenzuständigkeit aber beibehält, s. o. C.II.2.a), zählt zu den Formen der Public Private Partnership. In Fällen, in denen dem Privaten die Ausführung einer Daseinsvorsorgeaufgabe im Ganzen oder teilweise überlassen werden soll457, dienen kooperationsrechtliche Verträge unter dem Stichwort „Controlling“). Controlling hat verschiedene Funktionen: Informationsversorgung, Verbindung von Planung, Informationsversorgung und Kontrollen sowie eine Koordinierungsfunktion des gesamten Führungssystems (Jürgen Weber, in: Gabler Wirtschaftslexikon, 1. Teilband A–B, zum Stichwort „Controlling“). 452 Pünder, DÖV 98, 63, 63 f. 453 Werner Jann, Neues Steuerungsmodell, in: Blanke/von Bandemer/Nullmeier/Wewer: Handbuch zur Verwaltungsreform, S. 82, 85. 454 Chmel, Das neue Berliner Verwaltungsmanagement, S. 296. 455 Strünck und Heinze: Public Private Partnership, in: Blanke/von Bandemer/Nullmeier/Wewer, S. 127. 456 Bauer, DÖV 1998, 89; Tettinger, DÖV 96, 764; Schmitz, DVBl. 2005, 17,18; eng verstanden bei: Budäus und Grüning, Public Private Partnership, S. 25 ff., 46 ff.; Überblick zur unterschiedlichen Terminologie bei: Kämmerer, Privatisierungen, S. 56; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 283, Fn. 60; vgl. auch: Grünbuch der Europäischen Kommission zur Public Private Partnership vom 30.4.2004 KOM (2004) 327 endgültig. 457 Vgl. zu unterschiedlichen Formen von Public Private Partnerships: Tettinger, DÖV 96, 764, 765; zur Teilaufgabenüberlassung als Verwaltungshilfe: Burgi, S. 100 ff.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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zwischen der öffentlichen Hand und dem Privaten der Definition der zu erbringenden Leistung. In diesen Zusammenhang gehört auch die sog. Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen dem Bund und den formell privatisierten Infrastrukturgesellschaften der DB AG. In der LuFV regeln die Infrastrukturgesellschaften DB Netz AG, DB Station & Service AG und DB Energie GmbH einerseits und der Bund andererseits die Zahlungen des jährlichen Infrastrukturbeitrags des Bundes für das Bestandsnetz sowie Umfang und Qualität der Infrastruktur des Bestandsnetzes, die von den Infrastrukturgesellschaften der DB AG zu gewährleisten sind. Die Vereinbarung legt Qualitätsparameter für das Schienennetz und Mechanismen für ihre Überprüfung fest. Die DB hat jährlich einen Infrastrukturzustands- und Entwicklungsbericht vorzulegen. Werden die Qualitätskennzahlen, die von der DB zu leistenden Mindestinstandhaltungsbeiträge oder die Mindestinvestitionen verfehlt, kann der Bund seinen jährlichen Infrastrukturbeitrag anteilsmäßig zurückfordern. Die LuFV soll im Januar 2009 in Kraft treten und wird für fünf Jahre geschlossen. II. Das Instrument der Kontraktualisierung: Der kooperationsrechtliche öffentlich-rechtliche Vertrag im deutschen und im französischen Recht Vergleichsgegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Verträge zur Übertragung einer Daseinsvorsorgeaufgabe, in Deutschland zwischen öffentlichem Aufgabenträger und einem Privaten (dem Verkehrsunternehmen) und in Frankreich zwischen öffentlichem Aufgabenträger und der SNCF (einer öffentlichen Anstalt). Die (verwaltungsrechtliche) Rechtsvergleichung muss bei der Identifikation des Vergleichsgegenstandes von der Verwaltungstätigkeit ausgehen, nicht von der äußeren Rechtsform, in der die einzelnen Verwaltungsaufgaben ausgeführt werden458. Um einen umfassenden Vergleich anstellen zu können, werden deshalb jeweils beide Vertragsformen für beide Länder dargestellt. Verträge zur Übertragung einer öffentlichen Dienstleistung zwischen der Verwaltung und einem Privaten müssen sich in ihrem Inhalt nicht zwangsläufig wesentlich von Verträgen zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen unterscheiden. Inwieweit dies bei Verträgen zur Übertragung der Verkehrsleistungen im SPNV der Fall ist, soll auch Gegenstand der Untersuchung im zweiten Teil sein. Der Zweck solcher Verträge zwischen Hoheitsträgern besteht jedenfalls gerade darin, zwischen ihnen Nachfrage- und Leistungsbeziehungen zu entwickeln, wie sie mit jedem anderen externen, privaten Anbieter bestehen459. 458

Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151. Vgl. zu diesem Grundgedanken des Kontraktmanagements: Wallerath, DÖV 1997, 57, 60. 459

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1. Teil: Allgemeines

Sowohl im deutschen als auch im französischen Verwaltungsrecht existiert die Rechtsform des Verwaltungsvertrags, als Unterform des öffentlich-rechtlichen Vertrags, der besonderen, von den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Vertragsregeln abweichenden Rechtsregeln unterliegt und für die der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Die meisten Vertragsarten, die Gegenstand dieses Vergleichs sind, werden von beiden Rechtsordnungen als öffentlich-rechtliche Verträge qualifiziert. Deshalb soll im Folgenden mit einem Überblick über die Regelungen des Verwaltungsvertrags in beiden Rechtsordnungen begonnen werden, um dann auf die speziellen Vertragskategorien, denen Verkehrsverträge und Konventionen angehören, näher einzugehen. 1. Öffentlich-rechtliche kooperationsrechtliche Verträge im deutschen Recht Wie das französische Verwaltungsrecht verfügt auch das deutsche über eine besondere Rechtsform des Verwaltungsvertrags. Das öffentlich-rechtliche Verwaltungsvertragsrecht ist – abgesehen von spezialgesetzlichen Sonderregeln – in §§ 54 ff. VwVfG geregelt. Schwierigkeiten kann die Bestimmung der öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Natur eines Vertrags, an dem die Verwaltung beteiligt ist, bereiten. Da die Subjektionstheorie insbesondere bei kooperationsrechtlichen Verträgen als Abgrenzungskriterium versagt, kommt es nach allgemeiner Ansicht auf Gegenstand und Zweck des Vertrags an460. Das deutsche öffentliche Vertragsrecht zeichnet sich gegenüber dem privaten im Wesentlichen durch erhöhte formale (§§ 57, 60 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwVfG) und verfahrensmäßige (§§ 58, 62 Satz 1 VwVfG) Anforderungen sowie durch eine strengere Fehlerfolgenregelung als im BGB (§ 59 VwVfG) aus. Die Verwaltung verfügt über keine Privatautonomie, sondern ihr vertragliches Handeln ist von vornherein an Recht und Gesetz und an bestimmte, am Gemeinwohl orientierte Zwecke gebunden und hierauf beschränkt461. Dies hat mehrere Konsequenzen: Zum einen darf sich die Behörde im Austauschvertrag keine zweckfremden Leistungen versprechen lassen, vgl. § 56 VwVfG, wodurch insbesondere ein Verkauf von Rechten verhindert werden soll462. Zum anderen müssen Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen (§ 56 VwVfG). Die beschränkte Vertragsmacht der Behörde äußert sich auch darin, dass der Abschluss eines Verwaltungsvertrags bei entsprechender Grundrechtsrelevanz dem Gesetzesvorbehalt unterworfen ist, vgl. § 54 S. 1 2. Hs. und § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG. 460 Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 10.4.1986 in BVerwGE 74, 368, 370. 461 Rabault, RDP 1997, 111, 125; Pielow, S. 375; vgl. auch Schmitz, DVBl. 2005, 17, 19. 462 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 18.7.1973, BT-Drucksache 7/910, S. 80.

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Im Übrigen verweist das VwVfG weitgehend auf das private Vertragsrecht (§ 62 VwVfG)463. Wenn auch im Verwaltungsrecht der Grundsatz „pacta sunt servanda“ gilt464, verfügt die Behörde über die besonderen Kündigungsrechte des § 60 VwVfG. Das VwVfG unterscheidet – wie bereits oben erwähnt – subordinationsrechtliche (§ 54 Satz 2 VwVfG) und sonstige Verträge. Die sonstigen Verträge werden in koordinationsrechtliche, die zwischen zwei einander gleichgeordneten Trägern öffentlicher Verwaltung geschlossen werden, und sonstige kooperationsrechtliche Verträge, insbesondere solche mit Privaten, eingeteilt465. Nur auf subordinationsrechtliche Verträge sind einige Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes anwendbar (§§ 55, 56, 58 Abs. 2, 59 Abs. 2 und 61 VwVfG). Kooperationsrechtliche Verwaltungsverträge lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Verträge, die zwischen zwei Hoheitsträgern geschlossen werden und solche zwischen einem Hoheitsträger und einem Privaten. Kooperationsrechtliche Verträge haben in der Vergangenheit in Literatur und Rechtsprechung verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden. Das hängt auch damit zusammen, dass insbesondere bei Kooperationsverträgen zwischen zwei Hoheitsträgern Freiheitsrechte nicht gefährdet werden und Rechtsschutz weniger nachgefragt wird466. Kooperationsverträge zwischen Privaten und der Verwaltung erlangen aber zunehmende quantitative Bedeutung, vor allem als energiewirtschaftliche Konzessionsverträge, städtebauliche Verträge, Subventionsverträge und Kooperationsverträge in der Entsorgungswirtschaft467, und nicht zuletzt als Verkehrsverträge zwischen öffentlichem Auftraggeber und Verkehrsunternehmen. a) Koordinationsrechtliche Verträge zwischen zwei Hoheitsträgern Verwaltungsverträge dieser Art werden vermehrt als modernes Steuerungsinstrument innerhalb der öffentlichen Verwaltung genutzt, s. o. aa) Rechtsprobleme der Verwaltungsinnenverträge Die als Steuerungswerkzeuge innerhalb der Verwaltung eingesetzten Kontrakte oder Zielvereinbarungen werfen bereits die Frage auf, ob sie echte vertragliche Verpflichtungen darstellen oder eher als unverbindliche Programme anzusehen sind. Zweifel an der Vertragseigenschaft bestehen, wenn solche Ver463

Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 116. s. zu der Herleitung: Apelt, Der verwaltungsrechtliche Vertrag, S. 48 ff. 465 Wolff/Bachof/Stober, § 54 Rn. 19; Ziekow/Siegel, Verwaltungsarchiv 2004, 593, 608; Schmitz, DVBl. 2005, 17, 18; vgl. auch BVerwGE 111, 162, 166. 466 Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 31. 467 Bauer, Zur notwendigen Entwicklung des Verwaltungskooperationsrechts, S. 262. 464

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1. Teil: Allgemeines

träge zwischen verschiedenen Organen derselben Körperschaft geschlossen werden – z. B. zwischen Gemeinderat und Verwaltung – oder zwischen verschiedenen Instanzen der Verwaltung, z. B. zwischen Zentralverwaltung und Fachabteilungen. Hier könnte es auch bereits an zwei vertragsfähigen Rechtssubjekten fehlen468. Auch teilrechtsfähige Rechtssubjekte desselben Rechtsträgers werden aber als beschränkt vertragsfähig angesehen, soweit sie im Verhältnis zueinander mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet sind469. Weiterhin kann man an dem Einzelfallcharakter der Regelung zweifeln, der Merkmal nicht nur des Verwaltungsaktes, sondern auch des öffentlich-rechtlichen Vertrags ist470. Denn die Kontrakte regeln allgemeine Ziele und gestalten in genereller Weise das Verhältnis z. B. zwischen Gemeinderat und Verwaltung. Dieses Argument spräche jedoch lediglich gegen die Annahme eines Verwaltungsvertrags nach § 54 ff. VwVfG, nicht auch gegen eine vertragliche Absprache sui generis, denn im öffentlichen Recht besteht außerhalb gesetzlicher Vorgaben kein numerus clausus der Handlungsformen471. Schließlich könnte man die Zulässigkeit sog. politischer Kontrakte, die weitreichende Kompetenzen vom Ratsorgan auf die Verwaltung übertragen, aus demokratietheoretischen Gründen anzweifeln472. Häufig wird das hierarchische Prinzip als das natürliche Instrument angesehen, um die demokratische Legitimation der Verwaltungsspitze auf ausführende Einrichtungen zu übertragen473. Zwar ist zuzugeben, dass traditionell demokratische Legitimation in Hierarchien weitergeleitet wurde. Verträge sind hierzu aber nicht minder geeignet, sofern darin sichergestellt wird, dass die Zielsetzung in hinreichend bestimmter Form durch das demokratisch legitimierte Organ vorgegeben wird474. Das demokratische Prinzip gibt keine konkreten Strukturprinzipien vor und ist offen für flexible Steuerungsmechanismen475. Ein gewisses Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip könnte allerdings dort bestehen, wo Verträge mit sehr langer Dauer den Handlungsspielraum einer neu gewählten Volksvertretung einschränken. Auch hier können aber in den 468

Pünder, DÖV 1998, 63, 66. Heinz Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs: Kommentar zum VwVfG, Rn. 58 zu § 54. 470 Chmel, Das neue Berliner Verwaltungsmanagement, S. 307. 471 Ingo von Münch, in: Erichsen/Martens, § 1 III 3; Maurer, S. 176. 472 Pünder, DÖV 1998, 63, 66 f.; s. für den Berliner Fall: Chmel, Das neue Berliner Verwaltungsmanagement, S. 310. 473 Pünder, DÖV 1998, 63, 66 f.; s. für den Berliner Fall: Chmel, Das neue Berliner Verwaltungsmanagement, S. 310. 474 s. zum nötigen Steuerungsumfang und Mechanismen, die der Verwaltung Einflussnahmen zu sichern geeignet sind: Hoffmann-Riem, Organisationsrecht als Steuerungsressource, S. 385. 475 Groß, Grundzüge der organisationswissenschaftlichen Diskussion, S. 150. 469

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Vertrag aufgenommene Ausstiegsklauseln Flexibilität sichern. Darüber hinaus enthält § 60 VwVfG besondere Anpassungsregeln für den öffentlich-rechtlichen Vertrag. Die Klausel gilt freilich unmittelbar nur, wenn man die Eigenschaft der Vereinbarungen als Verwaltungsvertrag bejaht. Fraglich ist allerdings, ob die Änderung der Politik in Folge der Wahl einer neuen Volksvertretung zu einer Anpassung oder Kündigung des Vertrags nach § 60 VwVfG berechtigen kann, insbesondere ob die Bindung an den Vertrag einen „schweren Nachteil für das Gemeinwohl“ nach § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG begründen kann. Dafür spräche das Demokratieprinzip, denn der Handlungsspielraum der gewählten Volksvertretung wäre reduziert, wenn sie durch langfristige Verträge in ihrer Gestaltungsfreiheit eingeschränkt wäre. Auch könnte eine scheidende Regierung versucht sein, über langfristige vertragliche Bindungen ihre Politik auch nach einer Abwahl durch den Abschluss langfristiger Verträge fortzuschreiben. Bei Verträgen der Verwaltung mit Privaten sprechen gegen ein weitgehendes Vertragsbruchsrecht die Individualinteressen des Vertragspartners. Schließlich würden weitgehende Vertragsbruchsrechte der öffentlichen Hand ihre Verträge verteuern, weil die Privaten Risikoaufschläge berechnen würden. Das Verfassungsprinzip des Rechtsstaats (vgl. Art. 20 GG476) dürfte jedenfalls nicht dazu zwingen, die Vorschrift eng auszulegen. Der Grundsatz des Gesetzesvorbehaltes und des Gesetzesvorrangs werden jedenfalls nicht verletzt, denn eine gesetzliche Grundlage für das Recht zur Vertragsauflösung besteht in § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG, die die Abweichung vom allgemeinen zivilrechtlichen Vertragsrecht gestattet. So wird man in diesen Fällen eine Abwägung vornehmen müssen, die nur bei einem erhöhten Interesse der Verwaltung ein Recht zum Vertragsbruch gibt. Dies schreibt § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG vor. Letztlich bleibt der Vertragsbruch mit allerdings schwerwiegenden finanziellen Entschädigungsfolgen. Rechtsprechung existiert zu dem Thema – soweit ersichtlich – bislang nicht. Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen eine Kontraktualisierung im Verwaltungsinnenbereich mit der Schaffung erweiterter Autonomie wegen Nichtbeachtung des Vorrangs des Gesetzes, wie er in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegt ist. Denn sofern Verträge im Verwaltungsinnern als Steuerungsinstrument eingesetzt werden, bleibt jeder Verwaltungangehörige auch weiterhin an höherrangiges Recht gebunden. Beim Gesetzesvollzug erhält der einzelne Beamte zwar mehr Eigenverantwortung gegenüber seinem Vorgesetzten, dies entbindet ihn aber nicht von seiner eigenen Pflicht zu rechtmäßigem Handeln, vgl. § 38 BRRG. Allerdings kann es für den Beamten schwieriger werden, die Rechtsmäßigkeit seines Handelns zu beurteilen. Das Weisungsrecht des Vorgesetzten 476 Aus den in Art. 20 GG enthaltenen Einzelprinzipien wird ein umfassendes Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, vgl. BVerfGE 35, 41, 47.

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1. Teil: Allgemeines

bleibt auch nach Abschluss eines Vertrags, der als Steuerungsinstrument der politischen Verwaltungsspitze gegenüber der Verwaltung oder innerhalb einer Verwaltung dient, im Prinzip bestehen, vgl. § 37 BRRG. Man kann dem Vertrag lediglich die stillschweigende Abrede entnehmen, dass das Weisungsrecht nur subsidiär ausgeübt werden soll. In jedem Falle bleiben die disziplinarrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten bestehen und motivieren den Beamten zu rechtmäßigem Handeln. bb) Verträge zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern Die Vertragseigenschaft kann auch bei Verträgen, die Gebietskörperschaften mit selbständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften oder mit nicht rechtsfähigen Betrieben abschließen, zweifelhaft sein. Über den Vertragscharakter entscheidet im Einzelfall der zu ermittelnde Rechtsbindungswille. Dies wird anhand der Verträge deutlich, die das Land Berlin mit seinen Universitäten, die selbständige Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, abschließt. In diesen Verträgen sichert das Land den Universitäten bestimmte finanzielle Mittel für den Vertragszeitraum zu. Im Gegenzug übernehmen die Universitäten verschiedene konkrete und weniger konkrete Verpflichtungen. Zu den konkreten Verpflichtungen zählen z. B. diejenige, eine bestimmte Anzahl an Studienplätzen zur Verfügung zu stellen sowie die Umstellung des Studienangebots auf gestufte Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor und Master bis zu einem bestimmten Datum zu vollziehen. Weniger bestimmt ist die Verpflichtung anzustreben, dass die durchschnittlichen Studienzeiten in Deutschland nicht überschritten werden. Die Verträge führen ein finanzielles Anreizsystem leistungsbezogener Mittelverteilung für einen bestimmten Prozentsatz der Zuschüsse ein477. Neben diesen vertraglichen Verpflichtungen unterliegen die Universitäten weiterhin den herkömmlichen Steuerungsinstrumenten der Rechtsaufsicht durch die Landesverwaltung, im Bereich der Erfüllung staatlicher Aufgaben noch weiterreichend der Fachaufsicht. Diese Instrumente bieten dem Land weitgehende Möglichkeiten, auf die Universitäten Einfluss zu nehmen. Der hauptsächliche Regelungsgehalt der Verträge liegt nach dem Parteiwillen in der Erreichung von Haushaltszielen: Das Land Berlin will längerfristige Sparziele gegenüber den Universitäten durchsetzen, und die Universitäten sehen im Abschluss der Verträge als einzigen Vorteil eine finanzielle Planungssicherheit auf niedrigem Niveau. Die finanziellen Regelungen wird man dem Zweck der Verträge entsprechend als rechtsverbindlich ansehen müssen. Allerdings steht auch ihre Einhaltung unter dem Vorbehalt der Mittelansätze im jährlichen Staatshaushalt. Die konkret formulierten Verpflichtungen der Universitäten, wie 477 s. http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-wissenschaft/rechtsvorschriften/ hochschulvertraege/hochschulvertraege_06_09.pdf; Stand: 1.8.2008.

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die Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge und die Berichtspflichten, sind aber wegen ihrer Konkretheit ebenfalls als rechtsverbindlich anzusehen und treten als zusätzliches Steuerungsinstrument neben die Rechts- und Fachaufsicht des Landes. Der bis Dezember 2007 laufende Unternehmensvertrag zwischen dem Land Berlin und der BVG trat ebenfalls neben aufsichtsrechtliche Instrumentarien, allerdings mit offenbar sehr konkreten Inhalten. Er ist unveröffentlicht. Darin wurde die als Anstalt des öffentlichen Rechts organisierte BVG auf die Erreichung vor allem finanzieller Ziele verpflichtet. Der Vertrag regelte die zu erbringenden Verkehrsleistungen, jährlich zulässige Tariferhöhungen sowie die Sanierungsschritte und die Höhe der Landeszuschüsse an die BVG. Auch er stellte aber einen in Vertragsform gefassten Sanierungsplan dar, mit einer Verpflichtung zur Reduzierung von Personal- und Finanzierungskosten sowie zur Steigerung der Einnahmen und einem Absenken der Landeszuschüsse478. Der für den Zeitraum 2008–2020 geltende Verkehrsvertrag mit der BVG scheint dagegen – den öffentlich zugänglichen Informationen zufolge – inhaltlich einem Verkehrsvertrag im SPNV zu ähneln479. Er regelt nach konkreten Fahrplänen zu erbringende Verkehrsleistungen und enthält Vorgaben für die Vorhaltung der Infrastruktur, legt Qualitätsstandards u. a. in Bezug auf die Pünktlichkeit fest und sieht ein darauf aufbauendes Bonus-Malus-System vor. Die BVG erhält hierfür jährliche Ausgleichszahlungen. Auch wenn er neben aufsichtsrechtliche Instrumentarien tritt, muss er aufgrund seiner konkreten Inhalte als rechtsverbindlich angesehen werden. b) Kooperationsrechtliche Verträge zwischen Verwaltung und Privaten Eine zweite Gruppe kooperationsrechtlicher Verträge bilden Verträge zwischen Verwaltung und Privatpersonen. Wo die Verwaltung Private zur Erfüllung ihrer Aufgaben einsetzt, dienen in zunehmendem Maße Verträge als Steuerungsinstrumente. Private führen dann (Teil-)Aufgaben der Verwaltung aus. Die Beauftragung des Privaten berührt nicht nur die interne Organisation der Verwaltung, sondern sie berührt unmittelbar private Interessen: Der Bürger als Benutzer sieht sich sodann anstatt einer öffentlich-rechtlichen Person einem Privatrechtssubjekt gegenüber. Dies wirft die Frage auf, ob sich diese Änderung der Organisationsform auf seine Rechtsstellung auswirken darf. Die wirtschaftlichen Interessen privater Unternehmer sind berührt, wenn sie sich um die Ausführung einer (ehemaligen) Verwaltungsaufgabe bewerben. 478 Der Inhalt wurde wiedergegeben nach Benjamin Hoffmann, Mitglied des Abgeordnetenhauses, auf: http://www.benjaminhoffmann.de/wirtschaft/enquetekommission/ 200406031200.html, Stand: 1.8.2008. 479 Nach http://www.berlin-magazin.info/verkehrsvertrag.html, Stand: 1.8.2008.

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1. Teil: Allgemeines

Einige Verträge dieser Art unterliegen der Ausschreibungspflicht. Burgi sieht in dieser Form der öffentlichen Aufgabenerfüllung mit der „Ausschreibungsverwaltung“ einen neuen Verwaltungstyp heraufziehen480. Jedenfalls ist quantitativ eine erhebliche Zunahme der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben mittels Privater festzustellen, und qualitativ werden vermehrt nicht nur Helferdienste, sondern gesamte Aufgaben an Private delegiert481. Der Übertragung öffentlicher Aufgaben auf Privatpersonen geht häufig die Privatisierung staatlicher Aufgaben oder Institutionen voraus. Vor allem in Folge der Privatisierungswelle in Deutschland seit Anfang der 90er Jahren erfahren diese Rechtsinstitute wieder vermehrte Aufmerksamkeit der Rechtswissenschaft482. Dies hatte die Bundesregierung (Legislaturperiode 2002–2005, Kabinett Schröder II) veranlasst, das Thema in ihrem Regierungsprogramm „Moderner Staat – Moderne Gesellschaft“ aus der Legislaturperiode 1998–2002 aufzugreifen483. Der Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim Bundesministerium des Innern hat nach Annahme zweier Gutachten vorgeschlagen, einen neuen § 54a in das Verwaltungsverfahrensgesetz aufzunehmen, der ausdrücklich neben dem Subordinationsvertrag und dem öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag die Form des Kooperationsvertrags vorsieht, die „auf dem Gebiet des Privatrechts geschlossen werden, um Private an der Erledigung öffentlicher Aufgaben zu beteiligen.“484 Weiter wurde empfohlen, von einer weiteren Normierung dieser Rechtsverhältnisse mangels hinreichender Klärung insbesondere der Fragen der Abgrenzung derartiger Regelungen vom Vergaberecht, des Einsatzes öffentlich-rechtlicher Zwangsmittel im Rahmen von privatrechtlichen Vertragsverhältnissen sowie der Erstreckung des VwVfG auf zivilrechtliches Behördenhandeln, vorerst Abstand zu nehmen485.

480 Burgi, DVBl. 2003, 949. Er bezieht die Bezeichnung aber nur auf die im Folgenden als Verwaltungsmittlung/-substitution erfassten Fälle, vgl. ebd., S. 952. 481 Burgi, S. 949 f. 482 Vgl. für die Beleihung: Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, S. 54; Burgi, S. 100 ff. 483 Bundesregierung, Moderner Staat – Moderne Verwaltung – Leitbild und Programm der Bundesregierung, 1999; Becker, ZRP 2002, 303, 304. 484 Zitiert nach: Fortentwicklung der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 54–62 VwVfG), in: Mitteilungen, NVwZ 2002, 834 f. 485 Fortentwicklung der Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Vertrag (§§ 54– 62 VwVfG), in: Mitteilungen, NVwZ 2002, 834; s. auch die beiden Gutachten: Gunnar Folke Schuppert, Grundzüge eines zu entwickelnden Verwaltungskooperationsrechts – Regelungsbedarf und Handlungsoptionen eines Rechtsrahmens für Public Private Partnership, Rechts- und verwaltungswissenschaftliches Gutachten erstellt im Auftrag des Bundesministers des Innern, 2001; Jan Ziekow, Verankerung verwaltungsrechtlicher Kooperationsverhältnisse (Public Private Partnership) im Verwaltungsverfahrensgesetz, Wissenschaftliches Gutachten erstattet für das Bundesministerium des Innern, 2001; vgl. auch: Bonk, DVBl. 2004, 141, 148 f.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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Den Vorschlag hat die Konferenz der Verwaltungsverfahrensrechtsreferenten des Bundes und der Länder aufgegriffen und in einem Musterentwurf die Aufnahme eines neuen § 54 Abs. 3 VwVfG empfohlen. Der neue § 54 Abs. 3 VwVfG enthält weitgehend unverändert die Definition des Kooperationsvertrags des Beirats. Ein neuer § 56a VwVfG stellt zur Bedingung, dass die Behörde sicherstellen muss, „dass ihr ein hinreichender Einfluss auf die ordnungsgemäße Erfüllung der öffentlichen Aufgabe verbleibt. Die Behörde darf nur einen Vertragspartner auswählen, der fachkundig, leistungsfähig und zuverlässig ist“486. Zu einer entsprechenden Neuregelung ist es bislang nicht gekommen, weil andere Reformvorhaben des Verwaltungsrechtes als vorrangig angesehen wurden487, auch nachdem das Bundesjustizministerium gegen den Vorschlag Bedenken vorgebracht hatte. Das Vorhaben soll voraussichtlich in der 17. Legislaturperiode wieder aufgenommen werden. Als Mittel der Aufgabenübertragung kann neben einem Vertrag aber auch ein Verwaltungsakt dienen. Einige Autoren sehen im Vertrag aus Verhältnismäßigkeitsgründen das einzig zulässige Instrument der Aufgabenübertragung488, denn der verhandelte Vertrag ist das weniger einschneidende Instrument. Derartige Auffassungen sind bezeichnend für den heute erreichten Stand und die Akzeptanz der öffentlichen Vertragslehre489, wohingegen noch Ende des 19. Jahrhunderts die herrschende Lehre die Existenz zumindest eines subordinationsrechtlichen Verwaltungsvertrags ablehnte490. aa) Die Kategorisierung der Vertragstypen der Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben nach der Beteiligungsintensität Traditionell hat sich eine Unterscheidung in drei Typen etabliert, die sich in dem Grad der Einbeziehung des Privaten in die Verwaltungsaufgabenerfüllung und der Intensität ihres Auftretens gegenüber dem Bürger bei den ausgeführten Verwaltungsaufgaben unterscheiden: Beleihung, Verwaltungshilfe und Verwaltungsmittlung oder -substitution. Die Rechtsfiguren zur Einbeziehung Privater in die Ausführung von Verwaltungsaufgaben sind aber dogmatisch im Fluss: In der juristischen Literatur werden die Anwendungsbereiche der drei Rechtsfiguren verschieden weit gezogen, und sie werden anhand unterschiedlicher Kriterien klassifiziert491. 486

Zitiert nach: Schmitz, DVBl. 2005, 17, 21. Vgl. Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, § 1 Rn. 282. 488 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), S. 190, 229 f. 489 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 18.7.1973, Bundestagdrucksache 7/910, S. 77. 490 Otto Mayer, Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage, Archiv des öffentlichen Rechts 3 (1888), S. 3 ff. 491 Marcou, RFDA 1995, 462, 463 und 478. 487

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1. Teil: Allgemeines

(1) Beleihung Private werden als Beliehene tätig, wenn sie hoheitliche Befugnisse, die normalerweise nur die Verwaltung aufgrund ihres Sonderrechts ausüben darf, für die Verwaltung, aber nach außen im eigenen Namen ausführen492. Da durch die Beleihung Hoheitsrechte übertragen werden und der Beliehene gegenüber dem Bürger in sehr einschneidender Weise tätig wird, muss er auch den gleichen Verpflichtungen unterliegen und wie eine staatliche Behörde überwacht werden493. Er wird deshalb in die mittelbare Staatsverwaltung einbezogen und ist Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG494. Der Beleihung liegt im Verhältnis zwischen dem beleihenden Hoheitsträger und dem Beliehenen ein öffentliches Auftragsverhältnis zugrunde. Es entsteht auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung und einem darauf beruhenden individuellen Beleihungsakt495. Dieser konkrete Beleihungsakt kann ein Vertrag sein496. Die Übertragung einer Verwaltungsaufgabe auf einen Beliehenen lässt sich als eine Form formeller Privatisierung verstehen497. So haben in jüngerer Zeit die Beleihungen im Zusammenhang mit den Tendenzen zu Privatisierungen staatlicher Aufgaben stark zugenommen498. (2) Verwaltungshilfe Als Verwaltungshelfer führt der Private für die Behörde unselbständige, d.h. nach Weisung der Behörde, Hilfstätigkeiten bei der Erfüllung einer Aufgabe der Verwaltung aus. Die Verwaltungshilfe erfasst eine Vielzahl von Hilfstätigkeiten, die Private für die Behörde im eigenen oder im fremden Namen ausführen, mit oder ohne unmittelbarer Rechtsbeziehung zum Bürger499. So wie die Behörde Sachleistungen einkauft, wie z. B. Büromaterial, kauft sie auch punktuelle Dienstleistungen ein. Diese können entweder der Behörde im Innenbereich dienen, wie z. B. Putzleistungen in den Bürogebäuden, sie können aber auch direkt gegenüber dem Bürger erbracht werden. Dies ist z. B. der Fall, wenn sie einen 492 Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, S. 54; Burgi, S. 67; vgl. auch: Stadler, Die Beleihung in der neueren Bundesgesetzgebung, S. 14. 493 Vgl. auch BVerfGE 10, 302, 327. 494 Maurer, § 23 Rn. 56 ff. 495 Maurer, § 23 Rn. 58. 496 Burgi, in: Erichsen/Ehlers, § 54 Rn. 27; Stuible-Treder, Der Beliehene im Verwaltungsrecht, S. 89 ff. 497 Burgi, in: Erichsen/Ehlers, § 54 Rn. 25; andere verstehen sie als Form der Organisationsprivatisierung, vgl. den Überblick bei Kämmerer, Privatisierungen, S. 47. 498 Stadler, Die Beleihung in der neueren Bundesgesetzgebung, S. 216; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 301. 499 Burgi, S. 153; unrichtigerweise wird die Verwaltungshilfe häufig auf die Fälle von Aufgabenerfüllungen in fremdem Namen und ohne unmittelbare Rechtsbeziehungen mit dem Bürger verengt.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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Privatunternehmer mit dem Abschleppen eines Fahrzeugs beauftragt. Die Verwaltungshilfe gehört also zu den sog. Bedarfsdeckungsgeschäften der Verwaltung500. Kennzeichnend für den Verwaltungshelfer ist die unselbständige Ausführung der Aufgaben501. Mit der Figur der Verwaltungshilfe werden die unterschiedlichsten Sachverhalte erfasst502. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Begriff vorwiegend als ein begriffliches Gegenstück zur durch die Übertragung von Hoheitsgewalt gekennzeichneten Beleihung dient, ohne dass hieran weitere eigenständige Merkmale geknüpft werden503. In diesem Zusammenhang kann der Begriff in einem sehr weiten Sinne gebraucht werden. Eigene inhaltliche Bedeutung hat der Begriff im Staatshaftungsrecht erhalten, wo in den Haftungsübergang des Art. 34 GG auch Schadensfälle einbezogen werden sollten, die durch eine unselbständige, dem Verwaltungsträger behilfliche Person ausgelöst wurden. Hier herrscht ein engeres, an dem Zweck der Haftungsübernahme orientiertes Begriffsverständnis vor504. (3) Verwaltungsmittlung/-substitution Schließlich kann die Behörde bestimmte Verwaltungsaufgaben dadurch erledigen, dass sie private Unternehmen insbesondere aufgrund Vertrages mit der Durchführung einer bestimmten Verwaltungsaufgabe insgesamt oder in wesentlichen Teilen beauftragt505. Meist wird im Gegensatz zur Verwaltungshilfe darauf abgestellt, dass der private Unternehmer innerhalb seiner Vertragserfüllung selbständig handelt506. Im Gegensatz zur Beleihung wird er nicht mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet, sondern bleibt auf seine privatrechtlichen Handlungsinstrumente beschränkt507. Auch diese Rechtsverhältnisse werden in der Regel durch Vertrag begründet. Die Verkehrsverträge im SPNV gehören diesem Typus an. Diese Form der selbständigen Durchführung einer materiellen Verwaltungsaufgabe wird überwiegend als Verwaltungssubstitution508 oder als Verwaltungsmittlung bezeichnet509. 500

Burgi, S. 149, Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 202. von Heimburg, S. 130. 502 Vgl. auch Remmert, Private Dienstleistungen in staatlichen Verwaltungsverfahren, S. 259 ff. 503 Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), 137, 195 ff. gebraucht den Begriff allerdings für alle denkbaren Formen der privaten Mitwirkung bei Verwaltungsaufgaben, einschließlich der Beleihung. 504 Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 18. 505 Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 159 ff. 506 Maurer, § 23 Rn. 64. 507 Stadler, Die Beleihung in der neueren Bundesgesetzgebung, S. 18. 508 Nach von Heimburg, S. 60, 139 ff.; Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 100. 509 Im Anschluss an Gallwas, VVDStRL 29 (1971), 211, 214 ff.; Brüning, DÖV 1997, 286, 292. 501

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1. Teil: Allgemeines

Der Grundgehalt dieser Verwaltungsmittlungs- bzw. Verwaltungssubstitutionsverträge besteht in der Sicherstellung einer dauerhaften und sozialverträglichen Leistungserbringung und deren Qualitätssicherung unter Wahrung der rechtlichen Aufgabenzuordnung bei der Verwaltung510. Mit dem Mittlungsvertrag stellt die Verwaltung sicher, dass die gesetzlichen Anforderungen, die der Gesetzgeber der Verwaltung vorgegeben hat, auf den privaten Unternehmer übertragen werden. Bei der Verwaltung verbleibt auch nach dem Vertragsschluss die letzte Aufgabenkompetenz. Ähnlich wie bei zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflichten, wo sich bei einer Übertragung lediglich der Pflichtenumfang wandelt511, kann sich die Verwaltung dieser Aufgabenletztkompetenz nicht entledigen. Lediglich der Inhalt der Verpflichtung wandelt sich von einer Ausführungspflicht zu einer Überwachungspflicht bzw. Garantenpflicht512. Der Vertrag muss so zum einen sicherstellen, dass der Private die Leistung den gesetzlichen Vorgaben entsprechend ausführt, zum anderen muss er der Verwaltung für Problemfälle die notwendigen Überwachungsinstrumente vorbehalten. Vertragsgestaltung, Erfüllungskontrolle und -durchsetzung sind die Instrumente, mit denen die Verwaltung die ihr verbleibende Aufgabenverantwortung ausübt. In der Praxis existieren hierfür verschiedene Vertragsmodelle, von denen nur einige beispielhaft aufgezählt sein sollen: Das Betreibermodell, bei dem der Private eine Anlage plant, finanziert, baut und anschließend für einen bestimmten Zeitraum betreibt sowie Eigentum oder zumindest ein Erbbaurecht an der Anlage übertragen bekommt und im Gegenzug von der Kommune ein Entgelt erhält513; das Betriebsführungsmodell, bei dem der Private im Namen und für Rechnung der öffentlichen Körperschaft mit dem Betrieb einer öffentlichen Anlage für einen bestimmten Zeitraum beauftragt wird514; schließlich das Konzessionsmodell515, bei dem der Privatunternehmer an den Bürger gegen ein direkt von diesem zu entrichtendes Entgelt leistet und bei dem der Unternehmer das Kostendeckungsrisiko trägt516.

510

Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 275. Palandt-Thomas, § 823 Rn. 59. 512 Gallwas, VVDStRL 29 (1971), 211, 221 ff. 513 Zacharias, DÖV 2001, 454, 457; s. ausführlich zur Vertragsgestaltung bei diesem Modell: Bauer, DÖV 1998, 89, 93. 514 Zacharias, DÖV 2001, 454, 455. 515 Diese deutsche Konzession ist nicht identisch mit der französischen: Während der deutsche Konzessionsvertrag ein sehr stark typisierter, vor allem durch Wegebenutzungs-, Ausschließlichkeits- und Kontrahierungsklausel gekennzeichneter Vertragstyp ist – vgl. Tettinger, DVBl. 1991, 786, 787 –, liegt im französischen Sinne eine Konzession dann vor, wenn die Verwaltung einem Privaten die Übertragung einer öffentlichen Dienstleistung in seinem eigenen wirtschaftlichen Risiko überträgt – Chapus, Rn. 809; Marcou, RFDA 1995, 462, 479; s. auch Berschin, S. 245 f. 516 Bauer, VVDStRL 54 (1995), S. 243, 275; s. auch: Hillermeier/Castorph/Hartmann, Kommunales Vertragsrecht, Nr. 24.15. 511

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Die Rechtsfigur des Verwaltungsmittlers ist dogmatisch im Fluss. So will Burgi auf die Unterscheidung zur Verwaltungshilfe anhand des Merkmalspaars selbständiger und unselbständiger Aufgabenwahrnehmung verzichten517 und bezeichnet auch diese Form als Verwaltungshilfe518. Damit zieht er die Konsequenz aus seiner Auffassung, der Staat ziehe sich gleichermaßen in allen diesen Fällen eines Teilbeitrags mit funktionalem Bezug zur Staatsaufgabe im Rahmen der funktionalen Privatisierung aus der Aufgabenverantwortung zurück519. Nach hier vertretener Auffassung ist aber eine Differenzierung sehr wohl von Interesse. Fraglich kann nur das Abgrenzungskriterium sein. Bei der Verwaltungshilfe liegt der Schwerpunkt der Einbeziehung des Privaten in die öffentliche Aufgabe auf dem Beschaffungsvorgang für Zwecke der Verwaltung. Hier behält die Behörde insoweit die Organisationsgewalt, als sie dem Bürger gegenüber als Ausführender auftritt und den Einsatz des Privaten steuert. Deshalb stellt sich die reine Verwaltungshilfe nach außen eher als ein innerbehördlicher Vorgang dar. Damit stellen sich auch keine Rechtsschutzprobleme für den Bürger, der rechtlich nur der Verwaltung gegenübertritt. Insbesondere bleibt eine Grundrechtsverpflichtung für das gesamte Handeln bestehen. Erfüllt der Private hingegen selbständig die ihm übertragene Aufgabe, tritt der Private nach außen als der eigentlich Ausführende auf, auch wenn die Gewährleistungsverantwortlichkeit bei der Behörde verbleibt. Bei der sog. Verwaltungsmittlung liegt der Schwerpunkt auf der selbständigen Teilnahme an der Verwaltungsaufgabe gegenüber dem Bürger. Dies verdeutlicht der Terminus der „Delegation einer öffentlichen Dienstleistung“. In dem einen Fall bleibt also die Verwaltung eigentlicher Ausführender, in dem anderen Fall wird dies der Private, unter der verbleibenden Garantenstellung der Behörde. Die Qualifizierung als Verwaltungshilfe oder Verwaltungsmittlung entscheidet über den Vertragsgegenstand, der wiederum gemäß § 54 VwVfG über die Zugehörigkeit des Vertrags zur öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Teilrechtsordnung entscheidet, s. sogleich unten. Das wesentliche Unterscheidungskriterium ist nach hier vertretener Auffassung in der unmittelbaren Rechtsbeziehung des Vertragspartners zum Bürger zu sehen, die bei der Verwaltungsmittlung besteht, bei der Verwaltungshilfe nicht. Im Zusammenhang hiermit steht auch eine weitgehende Selbständigkeit in der täglichen Beziehung des Ausführenden zum Bürger, die aber nicht mit Freiheit bei der Konzeption des Leistungsangebots zu verwechseln ist, für die die Letztkompetenz bei der Behörde verbleibt. Diese Selbständigkeit äußert sich in einer gewissen Freiheit bei der Leistungsdurchführung, in dem Abschluss eines Ver517

Burgi, S. 170. Burgi, S. 170; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, § 54 Rn. 31 f.; ihm folgend: Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220, 254; ablehnend: Hans-Peter Bull, DÖV 2000, 654. 519 Burgi, S. 158. 518

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1. Teil: Allgemeines

trages unmittelbar mit dem Bürger, in der direkten Erhebung von Gebühren und in der Dauerhaftigkeit der Verbindung mit der Verwaltung, die zwangsläufig dem Unternehmer einen gewissen Spielraum belassen muss. bb) Die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsnatur dieser Vertragsformen Sind die Verkehrsverträge im SPNV öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur? Die Frage ist umstritten. Sie lässt sich dogmatisch zufriedenstellend nicht ohne Blick auf die Vertragsformen beantworten, die die Verwaltung mit Privaten zur Ausführung von Verwaltungsaufgaben schließt. (1) Allgemeines Abgrenzungskriterium und Relevanz der Unterscheidung Abgrenzungskriterium des Verwaltungsvertrags vom zivilrechtlichen Vertrag ist, wie bereits oben ausgeführt, der Vertragsgegenstand520. Dies wird aus der objektiven Formulierung des § 54 VwVfG „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ geschlossen. Wenn damit in der Theorie das Abgrenzungskriterium – der Vertragsgegenstand – eindeutig ist, entstehen Zuordnungsprobleme nicht selten vor allem bei der Bestimmung des Vertragsgegenstandes. Man prüft die Vertragszugehörigkeit zur öffentlich-rechtlichen Teilrechtsordnung in drei Schritten: Zunächst ist der Vertragsgegenstand zu bestimmen, sodann ist dieser Gegenstand nach den bekannten Abgrenzungstheorien der öffentlichen oder privaten Teilrechtsordnung zuzuordnen, in einem dritten Schritt ist zu prüfen, ob die Verwaltung in Bereichen, in denen das zugrundeliegende Recht der Verwaltung Formenwahlfreiheit belässt, ausdrücklich von einer bestimmten Vertragsform Gebrauch gemacht hat521. Ein Wahlrecht der Verwaltung hinsichtlich der Vertragsnatur wird nur angenommen, soweit das zugrundeliegende Recht der Verwaltung die freie Formenwahl gestattet522. Formenwahlfreiheit besteht danach grundsätzlich für das gesamte Verwaltungshandeln, mit Ausnahme der Eingriffsverwaltung im engen Sinne523. Dieses Wahlrecht wird relativiert durch eine Vermutung für den öffentlich-rechtlichen Vertrag, die damit begründet wird, dass die privatrechtliche 520

Vgl. z. B. Maurer, § 14 Rn. 8 ff. Kritisch zu diesem Verfahren der Bestimmung: Kasten/Rapsch, NVwZ 1986, 708, 710 ff. 522 Ulrich Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 54 Rn. 27; vgl. insgesamt zur Theorie der Formenwahlfreiheit der Verwaltung und Alternativlösungen Dirk Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 2 Rn. 33 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 64 ff. 523 Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 122 f. 521

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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Handlungsform lediglich die Ausnahmeform öffentlicher Tätigkeit sei524. Zwar dürfte es häufig zweifelhaft sein, ob sich eine wirkliche Vermutung im Rechtssinne begründen lässt, weil sich die öffentliche Hand gerade nicht in allen ihren Tätigkeitsbereichen typischerweise nach der Lebenserfahrung des öffentlichen Rechts bedient525. Wenn überhaupt dürfte sich eine solche Vermutung nur für bestimmte Rechtsbereiche halten lassen, z. B. im Gefahrenabwehrrecht, wo aber kein Formenwahlrecht besteht. Man sollte deshalb besser von einer gewohnheitsrechtlich anerkannten Zweifelsregelung zugunsten des öffentlichen Rechts sprechen. Die Zweifelsregelung für das öffentliche Recht wird auch mit dem regelmäßig anzunehmenden Willen der Behörde begründet, sich im Zweifel des ihr zur Verfügung stehenden, den Schutz der Freiheitsrechte bezweckenden, Sonderrechtes zu bedienen526, der aber im Einzelfall auch zweifelhaft sein dürfte. Die Bedeutung der Abgrenzung des Verwaltungsvertrags vom privatrechtlichen Vertrag darf nicht überschätzt werden. Sie bestimmt zwar den Rechtsweg, der wiederum über die Führung des Verfahrens im Partei- oder Amtsermittlungsprozess und über die Vollstreckungsmöglichkeiten entscheidet. Im Übrigen wird aber das Vertragsrecht durch beide Rechtsordnungen geprägt, sei der Vertrag nun öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich527: So verweist die für öffentlich-rechtliche Verträge geltende Generalklausel des § 62 Satz 2 VwVfG subsidiär auf die Vorschriften des BGB, und auf in Privatrechtsform geschlossene Verträge der Verwaltung finden die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Bindungen Anwendung. Diese Überlagerung des Privatrechts wird als Verwaltungsprivatrecht bezeichnet528. Ohne dass in diesem Rahmen auf nähere Einzelheiten eingegangen werden soll, ist festzustellen, dass das genaue Ausmaß dieser öffentlich-rechtlichen Überlagerung des Privatrechts umstritten bleibt529. Die Literatur beklagt Mängel an dogmatischer und inhaltlicher Klarheit530. So wird im Interesse dogmatischer Klarheit vorgeschlagen, auf die Möglichkeit öffentlich524

Für eine solche Vermutung: Henke, DÖV 1985, 41, 44. Vgl. zu den Voraussetzungen einer Tatsachenvermutung: Anders/Gehle, Rn. 351. 526 BGH, NVwZ 1985, 517; VGH Baden-Württemberg, DÖV 1985, 596, 570; Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, § 40 Rn. 13; Dirk Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 2 Rn. 35; kritisch: Schlette, S. 128. 527 Krebs, VVDStRL 52 (1992), 248, 275; Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, S. 23; die Unterschiede betont hingegen Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 116 f. 528 Siebert, Privatrecht im Bereich öffentlicher Verwaltung, S. 215 ff.; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht, § 23 II b; Bauer, Zur notwendigen Entwicklung des Verwaltungskooperationsrechts, S. 257 f.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 212 ff. 529 Ossenbühl, DÖV 1971, 513; Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, § 84 Rn. 47. 530 Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 128; von Zezschwitz, NJW 1983, 1873. 525

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1. Teil: Allgemeines

rechtlich überlagerter privater Verwaltungsverträge im Kooperationsvertragsrecht zu verzichten und nur noch die Form des Verwaltungsvertrags der §§ 54 ff. VwVfG anzuwenden531. Die h. M. stellt aber bislang die Formenvielfalt nicht in Frage. Für den Hauptfall privatrechtlicher Verwaltungsverträge, die Beschaffungsverträge, wird die seit langem praktizierte und erst neuerdings vereinzelt bestrittene Rechtsüberzeugung, wonach die Verwaltungshelferverträge als privatrechtlich anzusehen sind, ihren Geltungsgrund inzwischen auch im Gewohnheitsrecht haben532. Nach hier vertretener Auffassung sollte im Interesse der Rechtsklarheit über die öffentlich-rechtlichen Bindungen, die in einem Vertragsverhältnis mit einer Behörde bestehen und die die Regeln der §§ 54 ff. VwVfG zu normieren suchen, möglichst öffentliches Vertragsrecht angewendet werden. Die geltende (Gewohnheits-)Rechtslage für die Verwaltungshelferverträge, die sie dem Privatrecht zuordnet, ist zu respektieren. Das Ziel der Rechtsklarheit setzt aber voraus, die verschiedenen Typen anhand ihrer verschiedenen Funktionen voneinander scharf abzugrenzen. (2) Die Abgrenzung im Einzelnen (a) Beleihung Der zwischen Behörde und Beliehenem geschlossene Vertrag ist unproblematisch dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil die Beleihung kennzeichnender Vertragsgegenstand die Übertragung typisch sonderrechtlicher Befugnisse ist und sie ein öffentlich-rechtliches Auftragsverhältnis zum Entstehen bringt, kraft dessen der Beliehene zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Verwaltungsaufgaben berechtigt und verpflichtet ist533. (b) Verwaltungshilfe Dagegen wird der Verwaltungshelfervertrag traditionell als privatrechtlicher Vertrag eingeordnet. Historisch lässt sich diese Qualifizierung damit begründen, dass bei Entstehen des Rechtsinstituts des Verwaltungshelfers noch nicht die Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Vertrags existierte534. Vermögensrechtlich bedeutsame Verträge wurden nach der Fiskustheorie dem Privatrecht zugeordnet. Die Fiskustheorie bedeutete zur Zeit ihres Entstehens einen Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit, denn sie begründete die Unterwerfung des souveränen 531

So Krebs, VVDStRL 52 (1992), 248, 258. Vgl. zur Entstehung von Gewohnheitsrecht und dem Einfluss ständiger Rechtsprechung: Bernd Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 232 ff. 533 Maurer, § 23 Rn. 58; Weisel, Das Verhältnis von Privatisierung und Beleihung, S. 53 ff. und insb. 67. 534 Henke, DÖV 1985, 41, 46. 532

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Staates unter die für jedermann geltenden Normen des Privatrechts535. Die Fiskustheorie nahm an, dass das öffentliche Vermögen nicht dem Landesherrn, sondern einer von ihm getrennten Rechtspersönlichkeit, dem Fiskus, gehöre, die als Person des Privatrechts dessen Regeln unterworfen sei536. Heute wird die Einordnung als privatrechtlicher Vertrag damit gerechtfertigt, dass Vertragsgegenstand der Verträge zwischen der Behörde und dem Verwaltungshelfer ein Beschaffungsvorgang und damit ein sog. fiskalisches Hilfsgeschäft sei, das von der eigentlichen Verwaltungsaufgabe zu trennen und nach Zivilrecht zu beurteilen sei537. Da der Staat hier materiell wie jedermann am Rechtsverkehr teilnehme, bedürfe es auch keines sonderrechtlichen Regimes. Die Kritik an dieser Qualifikation setzt daran an, dass mit der Fokussierung auf den Beschaffungsvorgang der Vertragsgegenstand nicht treffend beschrieben sei; er lasse die eigentliche Zielsetzung außer Betracht, die darin bestehe, bei der Wahrnehmung einer staatlichen Aufgabe mitzuwirken538. § 56 VwVfG stelle mit dem verwaltungsrechtlichen Austauschvertrag die geeignete Rechtsform für derartige Verträge zur Verfügung, und ein modernes Verwaltungsrecht fordere die vollständige und gleichmäßige Erfassung und Einbeziehung aller geeigneten Verträge in das öffentliche Recht539. Verwaltungshilfeverträge unterliegen auch – bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen der §§ 97 ff. GWB – vergaberechtlichen Vorschriften, die der Sache nach eine spezielle Verfahrensabschlussregelung und damit ein Sonderregime für Bedarfsdeckungsverträge der Verwaltung darstellen. Jedenfalls wird die Einordnung heute auf Gewohnheitsrecht beruhen, s. o. (1). (c) Verwaltungsmittlung /-substitution Noch anders zu beurteilen ist die Rechtszugehörigkeit von Verträgen, mit denen die Verwaltung eine Aufgabe ohne hoheitliche Befugnisse, insbesondere eine Daseinsvorsorgeaufgabe, wie die Durchführung des Schienenpersonennahverkehrs, zur selbständigen Erfüllung auf einen Privaten überträgt. Im Allgemeinen wird zur Bestimmung der Rechtsform auf das zugrunde liegende Recht abgestellt. Da die Gesetze im Bereich der Leistungsverwaltung der Behörde das Recht auf Formenwahl der Aufgabenerfüllung zubilligen, besteht in diesem Bereich auch Wahlfreiheit hinsichtlich der Vertragsform540. Unter Annahme der 535

Ronellenfitsch, DÖV 1999, 705. Fleiner, Ueber die Umbildung zivilrechtlicher Institute durch das öffentliche Recht, S. 3 f.; Stern, Verwaltungsarchiv 49 (1958), 106, 111. 537 BVerwGE 35, 103, 105; GmS OBG, NJW 1986, 2359. 538 Burgi, S. 167. 539 Henke, DÖV 1985, 41, 46. 540 Ulrich Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, § 54 Rn. 27; Heinz Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, § 54 Rn. 75. 536

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1. Teil: Allgemeines

Vermutung für die öffentlich-rechtliche Rechtsform gelangt man damit zur öffentlich-rechtlichen Vertragsform. Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man auf den Sinngehalt des Vertrags selbst abstellt: Anders als in den Fällen der Verwaltungshilfe ist der Vertragsgegenstand hier dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Denn Vertragsgegenstand ist die Übertragung einer Verwaltungsaufgabe von der Behörde auf einen Privaten, die ein spezifisch öffentlich-rechtlicher Vertragsgegenstand ist541. Der Sinngehalt des Vorgangs erschöpft sich in diesen Fällen nicht wie in den Fällen der Verwaltungshilfe in dem Einkauf einer internen bzw. punktuellen Dienstleistung542. Der Bezug zur Gemeinwohlaufgabe, der bei behördlichem Verwaltungshandeln immer in höherem oder geringerem Grad besteht543, scheint hier ungleich größer als bei den fiskalischen Hilfsgeschäften der Behörde. Auch wenn sie nach Einschaltung des Privaten die Aufgabenletztverantwortung behält und der Private „im Rechtssinne nur Erfüllungsgehilfe“544 ist, überträgt die Behörde die Durchführung der Aufgabe weitestgehend auf den Privaten, und ihre Aufgabe beschränkt sich fortan auf seine Beaufsichtigung. Die ursprüngliche Erfüllungspflicht wandelt sich durch den Vertragsschluss zu einer Gewährleistungspflicht545. Im Widerspruch zu diesem Ergebnis werden die verschiedenen Verträge, die dieser Kategorie zugeordnet werden können, in den unterschiedlichen Rechtsmaterien uneinheitlich bald als privatrechtlich, bald als öffentlich-rechtlich eingeordnet. Man scheint hier einigermaßen unsystematisch in dem einen Rechtsgebiet bald dem Argumentationsmuster für den Verwaltungshelfervertrag zu folgen und im Vertragsgegenstand nur eine Beschaffungsmaßnahme der Behörde zu sehen, bald dem hier vertretenen. So wird im Abfallrecht der Vertrag, der die Abfallentsorgung einem Privaten – mittels Betriebsführungsmodell, Betreibermodell, Betriebsüberlassungsmodell o. ä.546 – nach § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG (vormals § 3 Abs. 2 AbfG) überträgt, als privatrechtlich qualifiziert547. Auch im Baurecht werden vertraglich einem Privaten Verwaltungsaufgaben in sehr weitgehender Weise übertragen, wobei die Behörde die Aufgabenletztverantwortung behält. Dies ist der Fall bei der Erschließung (§ 124 BauGB), der Stadtsanierung (§ 157 BauGB) und der städtebaulichen Entwicklung (§ 167 Abs. 1 BauGB). 541

Wie hier: Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 450 f. A. A.: Becker, ZRP 2002, 303, 306. 543 Vgl. Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 119. 544 Schoch, DVBl. 1994, 1, 10. 545 Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 161 f. 546 s. zu den einzelnen Modellen im Rahmen der Abfallentsorgung: Tettinger, DÖV 1996, 764, 765 f. 547 Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, S. 109; Kloepfer, VerwArchiv 70 (1979), 195, 197; Ludger-Anselm Versteyl, in: Kunig/Paetow/Versteyl, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, § 16 Rn. 11. 542

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Diese Verträge werden im Gegensatz zu denen des Abfallrechts unbestritten als öffentlich-rechtlich angesehen548. Der in der Energiewirtschaft gängige Konzessionsvertrag, aufgrund dessen eine Gemeinde einem Privaten gestattet, auf öffentlichem Land ein Leitungsnetz zu errichten und sich dieser im Gegenzug verpflichtet, gegen ein Entgelt die Bürger mit Gas, Wasser oder Energie zu versorgen, wird heute wiederum als privatrechtlich qualifiziert549. Die aufgrund von § 15 AEG abgeschlossenen Verkehrsverträge, die Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind, werden in der Literatur ganz überwiegend als öffentlich-rechtlich angesehen550. Als Vertragsgegenstand wird die Ausführung der Daseinsvorsorgeaufgabe selbst identifiziert551. Hier scheint niemand den Vertragsgegenstand in einem Beschaffungsvorgang der Behörde zu sehen, obwohl die Letztverantwortung der Behörde in der Form der Gewährleistungsverantwortung nach § 1 RegG beim öffentlichen Aufgabenträger verbleibt. Der Vertragsgegenstand, die Sicherstellung einer ausreichenden Schienenverkehrsbedienung, ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Dies lässt sich entweder mit der Funktion des Vertrags begründen, die darin besteht, die Durchführung einer öffentlichen Dienstleistung zu übertragen, oder damit, dass die zugrundeliegenden Normen des AEG nach der Sonderrechtstheorie solche des öffentlichen Rechts sind, weil nur die „zuständige Behörde“ für die Erfüllung der Aufgabe zuständig ist552 (und Verträge zu ihrer Übertragung abschließen kann). Für die öffentlich-rechtliche Vertragsnatur wird darüber hinaus ins Feld geführt, dass § 15 Abs. 2 AEG den Abschluss eines Verkehrsvertrags zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung nicht in das Ermessen der Behörde stelle553. Diese Argumentation vermengt allerdings die Ebenen des „Ob“ und des „Wie“ der Aufgabenerfüllung. Denn auch wenn der Behörde die Durchführung der Daseinsvorsorgeaufgabe gesetzlich vorgeschrieben ist, kann ihr dennoch die Freiheit der Formenwahl bei der Erledigung dieser Aufgabe bleiben. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat einen Vertrag, den eine Gemeinde mit der Bundesbahn über Schülerbeförderungen schließt, als öffentlichrechtlich angesehen. Zwar sah das BVerwG das Wesen des Vertrags in einem Fall, der sich noch zu Zeiten der Bundesbahn ereignet hatte, in einer Art von 548 Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, Kommentar, § 124 Rn. 3; Krautzberger, ebd., § 157 Rn. 9; Karl-Heinz Neuhausen, in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Kommentar, § 167 Rn. 7. 549 Tettinger, DVBl. 1991, 786, 787; für eine dritte Variante, ein „gemischtes Rechtsverhältnis“: Stern, AöR 84 (1959), 137 und 273, 323. 550 Für einen privatrechtlichen Vertrag ohne nähere Begründung: Berschin, ZUR 97, 4, 8; Soukup, ZögU 1996, 164, 169. 551 Prieß, NZBau 2002, 539, 542. 552 Kulartz, NZBau 2001, 173, 176; Barth, S. 144. 553 Prieß, NZBau 2002, 539, 543.

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1. Teil: Allgemeines

Amtshilfe, bei der eine öffentliche Einrichtung für eine andere öffentliche Einrichtung eine Aufgabe miterfüllt554. Doch treffen auch nach der Privatisierung der Bahn weiterhin die zwei folgenden Begründungsansätze des BVerwG zu: Erstens stellte das BVerwG in der Entscheidung klar, dass Vertragsgegenstand mit der Beförderung von Schülern die Zusammenarbeit in einem Aufgabenbereich der Daseinsvorsorge, und nicht lediglich ein Beschaffungsvorgang sei555, und zweitens, dass ein Vertrag, mit dem eine Daseinsvorsorgeaufgabe im Schienenpersonennahverkehr übertragen wird, deshalb als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sei556. Fraglich ist allerdings, ob dies auch gilt, wenn der öffentliche Aufgabenträger zur Ausübung der Aufgabenträgerschaft eine Gesellschaft des Privatrechts eingeschaltet hat. So sind einige deutsche SPNV-Aufgabenträger als Privatgesellschaften organisiert. Einige Autoren sind der Ansicht, dass dann nur die privatrechtliche Vertragsform in Betracht komme557. Der Fall wird in der Praxis allerdings selten begegnen, weil die privatrechtlich organisierten Gesellschaften in der Regel den Vertragsschluss lediglich vorbereiten, der Vertrag selbst aber von dem Vertreter der öffentlich-rechtlichen Körperschaft unterzeichnet wird. Hier stellt sich das Problem der Zulässigkeit des Verwaltungsvertrags zwischen zwei Privaten. Zwar geht § 54 VwVfG von der Beteiligung zumindest einer Behörde am Verwaltungsvertrag nach § 54 VwVfG aus. Als „Behörde“ im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG wird ein Privater nur als Beliehener angesehen. Für die Einordnung als privatrechtlicher Vertrag oder als Verwaltungsvertrag kann es allerdings keinen Unterschied begründen, ob der Aufgabenträger seine Aufgabe im öffentlich-rechtlichen oder im privatrechtlichen Gewand ausübt. Deshalb sollten auch diese Verträge nach der oben dargelegten Argumentation als öffentlichrechtlich qualifiziert und auf sie §§ 54 ff. VwVfG analog angewandt werden558. Der Vertragsgegenstand ist deshalb dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Wenn der Vertrag einen Bereich der Daseinsvorsorge betrifft, hat die Verwaltung ein Formenwahlrecht, wobei eine Zweifelsregelung für die öffentliche Rechtsform spricht559, s. o. Die Verkehrsverträge übertragen die Ausführung einer Daseinsvorsorgeaufgabe. Auch dieser Akt der Organisation der Daseinsvorsorgeaufgabe ist bereits ein Akt der Daseinsvorsorge. Die Verträge sind deshalb nur dann öffentlich-rechtlicher Natur, sofern sie nicht ausnahmsweise eine ausdrückliche abweichende Zuordnung über die Vertragsnatur treffen.

554 555 556 557 558 559

BVerwGE 81, 312, 317. BVerwGE 81, 312, 314. I. E. ebenso Maurer, § 14 Rn. 12. So Eiermann, Rechtsbeziehungen im SPNV, S. 115, 122. Ebenso Barth, S. 145. So auch Barth, S. 145.

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2. Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen und die „délégation de service public“ im französischen Verwaltungsrecht Das französische System des Verwaltungsvertrags stellt eines der Hauptregelungsmodelle in den europäischen Rechtsordnungen dar und wurde u. a. in Belgien, Griechenland, Portugal und Spanien aufgegriffen560. Ein wesentliches Charakteristikum dieses Modells liegt darin, dass im Bereich der hergebrachten Funktionen der klassischen Verwaltungstätigkeit contrats administratifs unzulässig sind561. Subordinationsrechtliche Verträge wie im deutschen Verwaltungsrecht existieren damit nicht. Der eigentliche Verwendungsbereich der contrats administratifs lässt sich damit in folgenden drei Gruppen zusammenfassen: Verträge, durch die sich eine Privatperson verpflichtet, einem Verwaltungsträger Sachleistungen zu erbringen (marchés de travaux publics etc.), Verträge, durch die sich eine Privatperson gegenüber dem Hoheitsträger zur selbständigen Durchführung von Verwaltungsaufgaben verpflichtet (délégation de service public etc.), sowie Verträge, durch die sich ein service public gegenüber den Anstaltsbenutzern zur Gewährung der Anstaltsleistung verpflichtet562. Schließlich existieren aber auch eine Reihe atypischer Verträge, die sich nicht in diese Gruppen einfügen. Dabei stellt die öffentlich-rechtliche Vertragsform praktisch die Regel, die privatrechtliche die Ausnahme der durch die Verwaltung abgeschlossenen Verträge dar. Dies gilt insbesondere, seit durch das sog. loi MURCEF (mesures urgentes de réformes à caractère économique et financier) der öffentlich-rechtliche Charakter aller marchés publics (öffentlichen Aufträge) normiert wurde, wofür weniger das Bedürfnis nach einer hoheitsrechtlichen Handlungsform als die Begründung einer einheitlichen Kompetenz des mit Verträgen dieser Art vertrauten Verwaltungsrichters ausschlaggebendes Motiv war. Das französische öffentlich-rechtliche Vertragsrecht weist zwei Charakteristika gegenüber dem privaten Vertragsrecht auf: Zum einen sind bestimmte Gegenstände vertraglicher Regelung nicht zugänglich. So kann eine Behörde die Kompetenzordnung nicht vertraglich verschieben. Zum anderen besteht bei einem Vertragsverhältnis, an dem eine Behörde beteiligt ist, ein Ungleichgewicht dadurch, dass sie über Hoheitsrechte verfügt, mittels derer sie das vertraglich vereinbarte Regelwerk stören kann563. Insbesondere kann die Verwaltung einseitig den öffentlich-rechtlichen Vertrag beenden, auch wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart ist, und Anpassungen der Vertragsklauseln vornehmen564. 560

Bleckmann, Zur Dogmatik des Allgemeinen Verwaltungsrechts I, S. 331. Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 160; Albert Bleckmann, a. a. O., S. 332. 562 Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 167. 563 Richer, Rn. 25. 564 Vgl. i. e. genauer: Richer, Rn. 218 ff. sowie 231 ff. 561

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1. Teil: Allgemeines

Die Konventionen zwischen Regionen und SNCF gehören zwei unterschiedlichen Rechtsinstituten aus dem französischen öffentlichen Vertragsrecht an: Dem öffentlich-rechtlichen Vertrag zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der „délégation de service public“. Auf sie soll hier deshalb näher eingegangen werden. Für Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts hat die Verwaltungsrechtsprechung einige Sonderregeln anerkannt, die von den allgemeinen Regeln des öffentlichen Vertragsrechts abweichen [s. im Folgenden unter a)]. Unter dem Begriff der „délégation de service public“ werden in der französischen Verwaltungswissenschaft Rechtsakte zusammengefasst, mittels derer es eine öffentlich-rechtliche Körperschaft einem außenstehenden Unternehmen für eine gewisse Dauer überträgt, eine Verwaltungsaufgabe auszuführen und die Verantwortung für deren Funktionieren dadurch zu übernehmen, dass das Unternehmen in direkte Beziehung zum Benutzer tritt und direkt Beiträge von ihm erhebt565 [s. im Folgenden unter b)]. In diesem weiten Sinne gehören auch die französischen Konventionen dieser Kategorie an. Wenn sie auch nicht zu den „délégations de service public“ im engeren Sinne gehören, wie sie nun gesetzlich durch die sog. loi Sapin vom 29.1.1993 definiert wurden, gebietet eine Darstellung dieser Rechtsfigur auch der umfassende Rechtsvergleich mit der deutschen Rechtslage, denn die deutschen Verkehrsverträge wären im französischen Verwaltungsrecht klassische Erscheinungsformen von délégations de service public. Wie der Großteil des französischen Allgemeinen Verwaltungsrechts sind die Rechtsregeln für den Verwaltungsvertrag im Wesentlichen Richterrecht. Nur einige Regelungen sind kodifiziert, wie diejenigen der sog. loi Sapin vom 29.1. 1993 für die délégation de service public, in dem engen Sinne, wie sie dieses Gesetz versteht, s. u. b) und 2. Teil B.IX.1. a) Der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen aa) Phänomenologie der öffentlich-rechtlichen Verträge zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen Verträge zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen kennen in der französischen Verwaltungspraxis vielfältige Erscheinungsformen566. Insbesondere die Dezentralisation hat zu einer Vervielfachung der vertraglichen Beziehungen zwischen öffentlich-rechtlichen Personen geführt567: So werden zwischen Zen565 566 567

Auby, guide pratique, S. 44; Chapus, Rn. 734. Vgl. Poulet-Gibot Leclerc, RFDA 1999, 551. Chapus, Rn. 488.

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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tralstaat und den übrigen Gebietskörperschaften, vor allem den Regionen, mehrjährige Planverträge geschlossen, die die große wirtschaftliche Orientierung sowie die generellen Entwicklungsziele für die Regionen im Vertragszeitraum definieren, die regionale Planung an die nationale Planung anpassen und die den Regionen die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen568. Diese Rahmenverträge finden ihre Fortsetzung in einer Vielzahl spezieller Einzelverträge zwischen Staat und Gebietskörperschaften oder öffentlichen Einrichtungen569. Die Rechtsgrundlagen für die Planverträge finden sich im Gesetz nº 82-653 vom 29. Juli 1982, das die Grundlagen des nationalen Planungswesens reformiert hat. Auch die Lenkungsverträge („contrat de gestion“) zwischen öffentlichen Unternehmen und Staat sind öffentlich-rechtliche Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts. Zu dieser Kategorie zählen die Planverträge („contrats de plan“), die der Zentralstaat in der Folge des rapport Nora aufgrund seiner Eigentümerstellung mit den großen öffentlichen Unternehmen, wie z. B. EDF, schloss570, s. o. I.2. Sie waren zunächst wirkliche Planungsverträge, später verfolgten sie zumeist als einziges Ziel, öffentliche Unternehmen in Schwierigkeiten finanziell zu sanieren571. bb) Insbesondere die Planverträge der SNCF Auch die SNCF schloss 1971 einen ersten als Programmvertrag („contrat de programme“) bezeichneten Vertrag über 5 Jahre, dann wieder seit 1979 weitere „Unternehmensverträge“ („contrat d’entreprise“)572. Seit 1982 ist der Abschluss des Planvertrags zwischen SNCF und Zentralstaat in Artikel 24 LOTI gesetzlich geregelt. Art. 24 Abs. 1 sieht vor, dass die von der SNCF und ihren Beteiligungsgesellschaften im Rahmen der nationalen Planung zu erreichenden Ziele sowie die Mittel, die zu ihrer Erreichung einzusetzen sind, durch einen Planvertrag bestimmt werden. Art. 24 Abs. 2 sieht vor, dass der Umfang der Daseinsvorsorgeleistungen, zu denen die SNCF verpflichtet ist, sowie die öffentlichen Mittel, die die SNCF im Gegenzug für ihre Leistungen erhält, in Konventionen zwischen SNCF und Zentralstaat bzw. den zuständigen Gebietskörperschaften geregelt werden.

568 s. hierzu François Servoin, Droit administratif de l’économie, Grenoble 2002, S. 120 ff. und S. 188 ff. 569 Servoin, a. a. O., S. 188 f.; vgl. zur Kritik auch: Zeller/Stussi, La France enfin forte de ses régions, S. 65. 570 Vgl. hierzu auch: Guian, Gewerbearchiv 1993, 271, 273. 571 Chapus, Rn. 491. 572 Lubek, RFFP 1992, S. 75; Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 485 ff.

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1. Teil: Allgemeines

So war in dem Planvertrag für den Zeitraum 1990–1994, dem letzten, der unter dieser Bezeichnung geschlossen wurde, die Verpflichtung der SNCF vorgesehen, ein ausgeglichenes Ergebnis zu erreichen sowie die Eigenfinanzierungsquote auf einen bestimmten Prozentsatz zu steigern. Der Staat verpflichtete sich im Gegenzug, die Mittelzuweisungen an die SNCF, auf die sie nach dem cahier des charges Anspruch hatte, tatsächlich zu erbringen. Er verpflichtete sich weiterhin, die SNCF zu autorisieren, ihr Investitionsprogramm zu realisieren, die Tarifhoheit der SNCF im Güterbereich sowie gewisse Freiheiten im Personenbereich zu respektieren und einen finanziellen Beitrag zur Regelung des Schuldenproblems zu leisten. Schließlich enthielt der Vertrag eine Schutzklausel, derzufolge die SNCF ihr von der öffentlichen Hand angetragene Leistungen nur dann erbringen musste, wenn ihr im Gegenzug die damit entstehenden Kosten erstattet wurden573. Seit 1997 werden die contrats de plan im Eisenbahnverkehr als „Projet Industriel“ bezeichet574. Die Prozedur der Kontraktualisierung hat der SNCF nach eigener Ansicht gewisse Vorteile gebracht575: Zunächst verhilft sie zu einer gewissen Planungssicherheit, denn die Verträge wurden über 5 Jahre geschlossen. So werden auch jährliche Budgetdiskussionen vermieden. Sodann trugen die Verträge dazu bei, die leitenden Angestellten der SNCF zu einfachen, klaren und erklärbaren Zielsetzungen zu motivieren. Sie stellten auch ein Bollwerk gegen finanzielle Begehrlichkeiten dar, sowohl gegenüber aus dem Innern des Unternehmens kommenden als auch gegenüber von außen kommenden. Schließlich regte der Vertrag dadurch, dass er ein ehrgeiziges Ziel – ein ausgeglichenes Ergebnis – vorgab, das Unternehmen an, sein Management zu modernisieren. Indem das Ziel durch die SNCF als vertragliche Verpflichtung „internalisiert“ wurde, wurden alle erforderlichen Ressourcen aktiviert, um das Ziel zu verwirklichen, was bei einer schlichten „Anordnung“ durch den Staat wohl nicht erreicht worden wäre. Nachteile der Prozedur wurden indessen darin gesehen, dass die Zielvorgaben für einen längeren Zeitraum festgeschrieben wurden, ohne konjunkturellen Schwankungen Rechnung zu tragen. Für andere Elemente erwies sich die Vertragslaufzeit als zu kurz, wenn nämlich finanzielle Engagements eingegangen wurden, die über die Vertragslaufzeit hinausgingen, für die aber eine Finanzierungszusage durch den Staat nur während der vertraglichen Laufzeit bestand. Ein anderes Risiko besteht in der Möglichkeit einer psychologischen Ablehnung des Vertrags durch das Personal, an dem sich dann der Widerstand entzünden

573

Lubek, a. a. O., S. 78 f. Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 486. 575 Lubek, früherer Direktor der Abteilung Finanzen der SNCF, RFFP 1992, S. 80 f.; Fournier, S. 193 f. 574

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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kann576. Dies ist insbesondere 1995 geschehen, als das Bekanntwerden der Absichten für den neuen Planvertrag die langen Streiks des Herbstes 1995 auslöste, an deren Ende die französische Bahnreform stand. Die Praxis der Kontraktualisierung ist nicht ohne Widerspruch geblieben. So kritisierte z. B. Bernard Pons, damaliger Transportminister, 1996 vor der Nationalversammlung, dass die Verträge, die detailliert die Unternehmensentwicklung für einen Zeitraum von fünf Jahren planen sollten, in der Realität niemals angewendet worden seien und sie nicht heutigen Anforderungen ensprächen577. Das Hauptproblem dürfte aber darin liegen, dass die Unternehmensverträge der SNCF ihre gemeinwirtschaftlichen Leistungen nicht klar genug definierten und deshalb auch keine ausreichende Kompensation für ihre Ausführung vorsahen578. Diese Unternehmensverträge können als sehr pauschale Vorläufer der jetzt im Rahmen der Regionalisierung zwischen Regionen und SNCF abgeschlossenen Konventionen angesehen werden. So wiederholen sich auch einige der Erfahrungen der SNCF mit den Planverträgen im Rahmen der heutigen Konventionen. RFF und die Ministerien für Umwelt, Wirtschaft, Finanzen und Verkehr schlossen im November 2008 einen mehrjährigen Vertrag für den Zeitraum 2008– 2012 („contrat de performance entre l’Etat et Réseau Ferré de France“). Der Vertrag legt Ziele für die Geschäftstätigkeit von RFF und die Entwicklung des französischen Schienennetzes für fünf Jahre fest. RFF werden staatliche Investitionsmittel für die Instandsetzung des Schienennetzes in Höhe von 13 Mrd. A bis 2015 zugesagt. In dem Vertrag verpflichtet sich RFF u. a., zwischen 2008 und 2012 einen in dem Vertrag festgelegten Geschäftsplan einzuhalten und konkrete Kennzahlen zu erreichen. cc) Spezifische Rechtsprobleme der zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen geschlossenen Verträge Für Verträge zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen hat die Rechtsprechung einige Sonderregeln anerkannt, die es rechtfertigen, sie als eine eigene Kategorie zu behandeln579. Dies gilt für die Bestimmung des Rechtswegs, wo eine Vermutung zugunsten des Verwaltungsrechtswegs besteht, für den Umfang der Entscheidungsmacht des Verwaltungsrichters und für das materielle Vertragsrecht. 576

Lubek, a. a. O., S. 80. „Déclaration du Gouvernement sur la SNCF“ par Mme. Anne-Marie Idrac, secrétaire d’Etat aux transports et par M. Bernard Pons, ministre de l’équipement, des logements, des transports et du travail, nº 2875, Assemblée Nationale, 12 juin 1996. 578 Fournier, S. 194 f. 579 Vgl. Servoin, S. 198. 577

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1. Teil: Allgemeines

Ein erstes Problem von Vereinbarungen zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts betrifft ihre Rechtsverbindlichkeit. Viele solcher Vereinbarungen sind hinsichtlich ihres Inhaltes sehr unbestimmt und enthalten nach der Art von Zielvereinbarungen eher programmsatzhafte Verpflichtungen. Dies trifft insbesondere auf die Planverträge zwischen Staat und Region zu. Gegen Rechtsverbindlichkeit dieser Vereinbarungen spricht auch, dass mehrjährige Engagements des Staates budgetrechtlich häufig erst noch einer jährlichen Entscheidung des Gesetzgebers bedürfen, der sich im Voraus vertraglich nicht binden lässt580. Der Conseil d’Etat hat in dieser Frage entschieden, dass die Planverträge rechtsverbindliche Verträge darstellen, wenn sie hinreichend bestimmt sind581. Diese Aussage lässt sich für zwischen öffentlich-rechtlichen Personen geschlossene Verträge generalisieren582. Demnach ist an der Rechtsverbindlichkeit der Konventionen zwischen Regionen und SNCF nicht zu zweifeln, denn sie enthalten klare Verhaltensnormen mit eindeutig festgelegten Rechtsfolgen, s. u. im 2. Teil B.IX.2. Zweitens folgt die Zuordnung zur öffentlich-rechtlichen Rechtsordnung für Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts besonderen Regeln. Grundsätzlich wird ein Vertrag im französischen Verwaltungsrecht dann als öffentlich-rechtlich qualifiziert, wenn zwei Kriterien erfüllt sind: Ein sog. „organisches Kriterium“, das in der Feststellung der Beteiligung einer Person des öffentlichen Rechts besteht, und ein sog. „alternatives Kriterium“, das in der Feststellung besteht, dass entweder der private Vertragspartner an der Erfüllung selbst einer im öffentlichen Interesse wahrgenommenen Aufgabe beteiligt ist (participation à l’exécution même de la mission de service public) oder dass der Vertrag eine Klausel mit Sonderrecht (clause exorbitante du droit commun) enthält583. Abgesehen von spezialgesetzlichen Bestimmungen müssen also entweder der Vertragsgegenstand oder die Vertragsbestimmungen spezifisch öffentlich-rechtlich sein, damit der Vertrag als öffentlich-rechtlich einzuordnen ist584. Das Teilkriterium der „participation à l’exécution même de la mission de service public“ ist ein Kriterium aus dem Bereich der Interessentheorie585, die im französischen Rechtskreis eine größere Rolle spielt als im deutschen586. Der eindeutige Bezug zum Gemeinwohl rechtfertigt und verlangt die Anwendung öffentlichen Sonderrechts587. Dies ist z. B. der Fall für öffentliche Bauarbei580

Servoin, a. a. O., S. 193. CE vom 19.11.1999 „Fédération syndicaliste FO des travailleurs des Postes et Télécommunications“, RFDA 2000, 197. 582 Dreyfus, AJDA 2000, 575, 577. 583 MINEFI, édition IGPDE, nº 5 2003, S. 52; Auby, Que sais-je?, S. 13. 584 Chapus, Rn. 721; Richer, Rn. 108. 585 Vgl. Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 151, 154, 167. 586 Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 48. 587 Jèze, Les principes généraux du droit administratif, S. 83. 581

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ten588. Die Existenz von Klauseln mit Sonderrecht, das andere „alternative“ Qualifikationsmerkmal, wird als Indiz dafür gewertet, dass die Verwaltung von Sonderrecht in der Vertragsbeziehung Gebrauch machen will. Als eine solche Klausel wurde z. B. die Vertragsbestimmung angesehen, die einem Vertragspartner ein Disziplinarrecht über die Schüler eines Schulgehöftes gewährt, das ihm anvertraut wird589. Durch die Aufnahme oder das Weglassen derartiger Klauseln kann die Verwaltung indirekt ein Wahlrecht über die Rechtsform des Vertrags ausüben, sofern ihn nicht bereits das Kriterium der „participation à l’exécution même de la mission de service public“ oder eine spezialgesetzliche Regelung zwingend zu einem öffentlich-rechtlichen Vertrag qualifiziert590. Für Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts besteht folgende Besonderheit: In seiner grundlegenden Entscheidung in der Rechtssache „Union des Assurances de Paris (UAP)“ zur Rechtsnatur von zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen geschlossenen Verträgen hat das Tribunal des conflits den Grundsatz aufgestellt, dass Verträge, die zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts geschlossen werden, im Zweifel öffentlich-rechtlicher Natur sind, es sei denn, sie lassen zwischen den Parteien ausschließlich Rechtsverhältnisse privatrechtlicher Natur entstehen591. Damit entfällt im Regelfall die Prüfung des „alternativen Kriteriums“. Allerdings folgt die nachfolgende Rechtsprechung häufig nicht dem Argumentationsmuster dieser Entscheidung: So hat die Cour d’Appel von Paris weiterhin auf die Existenz von clauses exorbitantes abgestellt592. Andere Gerichte, unter ihnen das Tribunal des conflits selbst in einer Entscheidung vom 7.10.1991593 sowie in zwei Entscheidungen der Conseil d’Etat594, stellen auf den Vertragsgegenstand der Teilnahme an der Erfüllung selbst einer im öffentlichen Interesse wahrgenommenen Aufgaben ab. Diese Entscheidungen haben die Bedeutung der „UAP-Rechtsprechung“ des Tribunal des conflits, des französischen Kompetenzgerichtshofes, in Zweifel gezogen. Noch genereller stellen einige Autoren die öffentlich-rechtliche Natur dieser Verträge überhaupt in Frage, weil sich zwei Personen des öffentlichen 588

Vgl. loi du pluviôse an VIII, art. 4; Chapus, Rn. 730. CE vom 3.7.1925 „de Mestral“, D 1926, 3.17. 590 Richer, Rn. 108; Jèze, S. 83. 591 TC vom 21.3.1983 „Union des Assurances de Paris et autres c/Secrétaire d’Etat aux Postes et Télécommunications“, AJDA 1983, 356; ihm darin folgend die Cour de Cassation 1ère chambre civile vom 16.3.1999, Chambre de commerce et d’industrie de Valence et de la Drôme c/Crédit local de France; vgl. zur Kritik an dieser Rspr. Chapus, Rn. 720; Moderne, RFDA mai–juin 1984, 1, 18 f. 592 Vgl. Cour d’Appel Paris vom 30.12.1988, zitiert bei: Dreyfus, AJDA 2000, 575, 578. 593 TC vom 7.10.1991 „Centre régional des oeuvres universitaires et scolaires (Crous) de l’Académie de Nancy-Metz“, AJ 1992, 157. 594 CE vom 11.5.1990 „Bureau d’aide sociale de Blénod-lès-Pont-à-Mousson“, AJ 1990, 614; CE vom 1.3.2000, „Commune de Morestal“, CJEG 2000, 191. 589

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1. Teil: Allgemeines

Rechts nicht in dem für das öffentliche Recht typischen Über-/Unterordnungsverhältnis befänden. Da sie einander gleichgeordnet seien, könne es sich nur um einen privatrechtlichen Vertrag handeln595. Eine dritte Besonderheit betrifft die Anwendbarkeit des code des marchés publics (des französischen Vergabegesetzbuchs): Zunächst schien die Rechtsprechung tendenziell den code des marchés publics zumindest in seiner alten Fassung auf Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts generell für nicht anwendbar zu halten596, und dies trotz entgegenstehender Bestimmung der Gemeinschaftsrichtlinie 92/50/EWG. Nach der Neufassung des code des marchés publics hat der Gesetzgeber Konformität mit dem gemeinschaftsrechtlichen Vergaberecht hergestellt und in der Begriffsdefinition des Art. 1 code des marchés publics klargestellt, dass er im Grundsatz auch auf Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts Anwendung findet597. Eine vierte Spezialregel für eine vertragliche Beziehung zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts besteht darin, dass sie ihre Hoheitsgewalt untereinander gegenüber ihrem öffentlich-rechtlichen Vertragspartner einsetzen und einen vollstreckbaren Zahlungstitel erlassen können598, entgegen dem allgemeinen Grundsatz, dass die Ausübung von Hoheitsgewalt gegenüber einem anderen Hoheitsträger ausgeschlossen ist. Ein fünfter Punkt betrifft die Gestaltungsmacht des Verwaltungsrichters: Einer Entscheidung des Conseil d’Etat zufolge kann der (Verwaltungs-)Richter bestimmte Maßnahmen einer Vertragspartei eines Vertrags zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts rechtsgestaltend aufheben. Dies stellt eine Ausnahme zu der allgemeinen Regel dar, dass der Richter über eine vertragliche Streitigkeit lediglich Schadensersatz zusprechen kann, nicht aber eine den Vertrag verletzende Maßnahme aufheben kann599. dd) Folgerungen für die Zugehörigkeit der Konventionen zwischen Regionen und SNCF zur öffentlich-rechtlichen Teilrechtsordnung Die Konventionen zwischen Regionen und SNCF werden zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen abgeschlossen. Auch wenn man nicht die Vermutung des Tribunal des conflits gelten lassen will, wären die Konventionen als 595

Servoin, a. a. O., S. 197. CE vom 20.5.1998 „Communauté de communes du Piémont de Barr“; vgl. auch: MINEFI, concours d’entrée à l’ENA, nº 5 2003, S. 56. 597 Richer, Rn. 497 und 515. 598 CE vom 27.5.1988 „Commune de Gagnac-sur-Cère“, nº 71.342, zitiert nach: MINEFI, concours d’entrée à l’ENA, nº 5 2003, S. 57. 599 CE vom 31.3.1989 „Département de la Moselle“, AJDA 1989, 339; CE vom 13.5.1992 „Commune d’Ivry sur Seine“, RFDA 1992, 772; vgl. auch: MINEFI, concours d’entrée à l’ENA, nº 5 2003, S. 57. 596

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öffentlich-rechtlich einzuordnen. Denn mit der Übertragung der Durchführung der Daseinsvorsorgeaufgabe des SPRV auf die SNCF hat der Vertrag einen Gegenstand, den allein die öffentliche Hand zum Vertragsgegenstand machen kann. Verträge, deren Inhalt in einer Konzessionierung oder in einer délégation de service public in einem weiten Sinne besteht, haben einen öffentlich-rechtlichen Vertragsgegenstand600. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die SNCF ein service public à caractère industriel et commercial ist. Dessen Verhältnis zu den Benutzern ist privatrechtlich, so dass Verträge mit den Benutzern privatrechtlicher Natur sind und Rechtsstreitigkeiten über derartige Verträge von den Zivilgerichten entschieden werden601. Denn zum einen sind die Verträge der Regionen mit der SNCF keine Benutzungsverträge, sondern sie übertragen die Ausführung eines service public auf die SNCF, die dann mit den Benutzern in direkten Kontakt tritt. Zum anderen hat der Conseil d’Etat, das oberste französische Verwaltungsgericht, entschieden, dass dieser Grundsatz nicht für Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts gilt und würden selbst Streitigkeiten über derartige Verträge vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören602. Unabhängig davon, ob die Konventionen im Einzelfall ein Ungleichgewicht zugunsten einer Partei festschreiben mit daraus resultierenden „clauses exorbitantes“603 sind sie daher schon aufgrund ihrer Eigenschaft als Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts, jedenfalls aber aufgrund ihres Gegenstandes als öffentlich-rechtliche Verträge zu qualifizieren. b) Die „délégations de service public“ Verträge zwischen der Verwaltung und Privaten zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben waren im französischen Verwaltungsrecht schon sehr früh Ge600 Vgl. Chapus, Rn. 734; grundlegend bereits: CE vom 4.3.1910 „Thérond“, RDP 1910, 249, wo Gegenstand ein Vertrag zwischen der Stadt Montpellier und dem Privaten Thérond war, der letzterem den „service public d’hygiène et de sécurité“ anvertraute, indem sie ihn beauftragte, streunende Hunde einzufangen und tote Tiere einzusammeln; vgl. auch: TC vom 22.4.1985 „Laurent“, DA 1985 nº 324: Ein Vertrag, in dem eine Gemeinde einen Stierhirten mit der Organisation einer traditionellen Feier beauftragt, die eine Stierhatz beinhaltet, hat die Ausführung eines service public zum Inhalt und ist deswegen öffentlich-rechtlicher Natur; TC vom 14.5.1990 „GIE Copagau-Copagly-Taxitel“, p. 394, DA 1990, nº 389: Ein Vertrag, durch den die Stadt Paris eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft mit dem Abschleppen von falsch parkenden Autos beauftragt, ist öffentlich-rechtlich, weil er dem Vertragspartner ganz oder teilweise die Ausführung des „service public de la fourrière“ (Abschleppen und Verwahrung von Autos) überträgt. 601 Tribunal des conflits „Dame Bertrand“ vom 17.12.1962, p. 831, AJ 1963. 602 CE vom 15.2.1993 „Commune de Nay-Bourdettes c/Syndicat mixte d’alimentation en eau potable de la région du nord-est de Pau, Recueil Dalloz-Sirey 1994, J, S. 4. 603 Vgl. hierzu Brousolle, AJDA 1989, 747, 753 ff.

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1. Teil: Allgemeines

genstand der Rechtsprechung604. Der Vertragsgegenstand besteht darin, dass die Verwaltung einem Privaten auf längere Dauer die Ausübung einer ihrer Aufgaben überlässt. Die Verwaltung bestimmt als Aufgabenträger die Organisation dieses service public und behält auch während der gesamten Vertragslaufzeit die Organisationsgewalt hierüber, um das höherrangige öffentliche Interesse gegenüber dem Delegatär durchzusetzen und eventuelle Modifizierungen vorzunehmen605. Die délégation de service public ist gleichzeitig eine private Unternehmung und ein Funktionsmodus des service public606. Hierin liegt auch die Verbindung zur öffentlichen Rechtsnatur der „délégations de service public“: Sie werden in ständiger Rechtsprechung als öffentlich-rechtlich eingeordnet, weil die Verwaltung nicht einerseits einem Privaten die Ausführung einer Verwaltungsaufgabe übertragen, andererseits sich aber durch ein Ausweichen in die Form des Privatrechts ihrer Sonderrechte begeben könne607. Das französische Verwaltungsvertragsrecht gibt der Verwaltung Vorrechte gegenüber ihrem privaten Vertragspartner an die Hand, s. auch noch unten III.4. So erlaubt es der Verwaltung beispielsweise, einseitig gegenüber einem Transportunternehmen die Fahrzeiten einer Straßenbahn zu modifizieren, allerdings gegen entsprechende Entschädigung608. In der Folge haben sich spezifische öffentlich-rechtliche Vertragsformen in diesem Bereich herausgebildet. Traditionell werden vier Spezialformen der délégation de service public unterschieden: Die concession, die affermage, die régie intéressée und die gérance609, s. genauer hierzu unten 2. Teil B.IX.1. Die Konzession ist die Urform der Regelung der langfristigen Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und einem Privaten im französischen Verwaltungsrecht. Alle diese Vertragsformen, die die völlige oder teilweise Übertragung eines service public zum Gegenstand haben, wurden deshalb zunächst unter dem Oberbegriff der „concession de service public“ zusammengefasst. Die Praxis hat weitere Vertragsformen ausgebildet, die sich nicht in diese traditionellen Vertragstypen einordnen ließen. So hat sich seit den 80er Jahren für diese Gruppe von Verträgen der Begriff der „délégation de service public“ durchgesetzt610. Er wurde in der loi Sapin vom 29.1.1993 erstmalig vom Gesetzgeber gebraucht. Als Konzessionen werden nur noch spezielle Fälle der Übertragung einer Verwaltungsaufgabe auf einen Privaten bezeichnet, s. u. 2. Teil B.IX.1. Diese „délégation de service public“ erfolgt in den meisten Fällen durch Vertrag, sie kann aber auch in einem einseitigen Rechtsakt ihre Grundlage finden. 604

Z. B. CE vom 4.3.1910 „Thérond“, in: GAJA arrêt nº 22. Jèze, Les principes généraux du droit administratif, S. 66. 606 Jèze, Les principes généraux du droit administratif, S. 71. 607 Vgl. conclusions du commissaire du gouvernement in der Sache CE vom 20. April 1956 „Epoux Bertin“, in: GAJA arrêt nº 75. 608 CE vom 11.3.1910 „Compagnie générale française des tramways“, GAJA nº 23. 609 s. zu diesen Vertragsformen: Auby, guide pratique, S. 57 ff. 610 Auby, Que sais-je?, S. 7; Chapus, Rn. 734; Richer, Rn. 658. 605

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Die Verträge solcher „délégations de service public“ waren bis 1982 für die Territorialkörperschaften, also für Departements und Kommunen, in sog. cahiers des charges ausgestaltet, obligatorischen Vertragsmodellen, die von den zuständigen Ministerien ausgearbeitet wurden und als décret, d.i. Rechtsverordnung, Rechtswirkung erlangten. Während der Staat und die öffentlichen Anstalten in der Vertragsgestaltung frei waren, konnten die Territorialkörperschaften aus Gründen vorbeugender Kontrolle Verträge nur in dieser Form abschließen. Die Dezentralisationsgesetze von 1982 schafften diese Beschränkung ab, und die cahiers des charges verloren ihre ursprüngliche Funktion611. Heute dienen sie noch vielfach als unverbindliche Vertragsmodelle612. Mit der gesetzlichen Regelung der délégations de service public durch die loi Sapin vom 29.1.1993 betreffend die Vorbeugung von Korruption wurde der Begriff der „délégation de service public“ gewissermaßen offizialisiert und gesetzlichen Bindungen unterworfen. Der französische Gesetzgeber wollte gesetzliche Mindestanforderungen an die Transparenz der Vergabe aufstellen. Andererseits sollte vermieden werden, die betroffenen Verträge den Vorschriften für die marchés publics zu unterwerfen, die keinen Platz für Vertragsverhandlungen lassen. Im Gegenteil sollte der Behörde bei Abschluss der délégation de service public Verhandlungsspielraum in einer offenen Prozedur belassen werden613. Für marchés publics gelten die gemeinschaftsrechtlich determinierten Vorschriften des Code des marchés publics. Nur soweit es Gemeinschaftsrecht gebietet, finden auf „délégations de service public“ die Regelungen des Code des marchés publics Anwendung, denn das Gemeinschaftsrecht vollzieht die Trennung der beiden Rechtsinstitute des französischen Verwaltungsrechts nicht nach. Die Regelungen der loi Sapin sind im Wesentlichen in den Code général des collectivités territoriales (CGCT) eingegangen. Das Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer bestimmt sich nach wie vor primär nach den vertraglichen Regelungen. Die Verträge sehen insbesondere finanzielle Sanktionen vor für Verzug, Unterbrechungen des service public sowie für Nichtleistung der technischen und finanziellen Berichte. Für schwerere Leistungsstörungen können die Verträge die Ersatzvornahme auf Kosten des Unternehmers und die Kündigung durch die Verwaltung vorsehen. Auch ohne ausdrückliche Regelung ist die Verwaltung gegen Entschädigung berechtigt, aus Gründen des Allgemeinwohls den Vertrag einseitig anzupassen oder aufzulösen614. Die loi Sapin sieht für die große Mehrzahl der Formen der délégations de service public spezielle Rechtsregeln vor. Grundgedanke der Regelung der loi 611 612 613 614

Vgl. Art. 13-1 des Gesetzes vom 22.7.1982; Richer, Rn. 201 ff. Auby, guide pratique, S. 15 und 179. Richer, Rn. 705. Auby, guide pratique, S. 82 ff.

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1. Teil: Allgemeines

Sapin ist der Gedanke der Vergabe „intuitu personae“: Das besondere Näheverhältnis, das durch die Übertragung des service public zwischen Verwaltung und Privatem begründet wird, soll nicht ohne Ansehung der Person, aufgrund des bloßen günstigsten Angebots aufgrund im Voraus definierter Kriterien begründet werden, sondern die Verwaltung soll die letzte Entscheidungsfreiheit darüber behalten, mit wem die „délégation de service public“ abgeschlossen wird615. Die aufgrund der loi Sapin anzuwendenden Regeln entsprechen im Prinzip einem beschränkten Vergabeverfahren, mit dem Unterschied, dass die abgegebenen Angebote weder Verwaltung noch Unternehmen binden, vgl. Artt. L. 14111 ff. CGCT616. Gemäß Art. 1411-6 CGCT unterliegen auch spätere Zusatzvereinbarungen bestimmten Verfahrensanforderungen. Eine Definition dessen, was das Gesetz unter „délégation de service public“ versteht, enthielt es ursprünglich nicht; eine Gesetzesnovelle von 2001, die sog. loi MURCEF, hat nun in Art. 1411-1 CGCT die von der Rechtsprechung herausgebildeten Definitionskriterien fixiert617: „Délégation de service public ist ein Vertrag, mittels dessen eine Person des öffentlichen Rechts einem öffentlichen oder privaten Delegatär die Ausführung eines service public, für dessen Ausführung er verantwortlich ist, anvertraut, wobei die Entlohnung wesentlich von dem Betriebsergebnis abhängt.“ Délégations de service public können im Prinzip auch zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts geschlossen werden618. Soweit die Konventionen zwischen Regionen und SNCF Eisenbahnleistungen beinhalten, fallen sie trotzdem nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes, weil die SNCF insoweit über ein Monopol verfügt. Monopolunternehmen kraft Rechtes sind nämlich vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen, vgl. Art. 1411-12 Buchst. a) CGCT, s. hierzu genauer unten 2. Teil B.IX.1. Das Gesetz beschränkt die zulässige Laufzeit des Vertrags auf die Zeit der normalen Amortisierung der Anlagegüter, die von dem Unternehmen für die Vertragsdurchführung angeschafft wurden. Die Verwaltungsrechtsprechung räumt aber diesbezüglich den Vertragsparteien einen Beurteilungsspielraum ein619. Ferner wird die Zulässigkeit von Zahlungen, die der Unternehmer für den Eintritt in das Vertragsverhältnis mit der Behörde zu zahlen hätte (droits d’entrée), beschränkt. Derartige Zahlungen waren in den 80er Jahren verbreitet und führten dazu, dass indirekt der Benutzer des service public, an den der Delegatär die Zahlungen mittels der Benutzungsgebühren weitergab, zur allgemeinen Fi615

Auby, guide pratique, S. 43 f. Auby, guide pratique, S. 81; Berbari/Briand/Callon/Mirouse/Peyrical/Ribault, S. 29 ff. 617 Richer, Rn. 695; Rapp, AJDA 2001, 1011. 618 Treppoz, AJDA 2001, 662, 666. 619 Tribunal administratif de Lyon vom 18.4.1996 „Communauté urbaine de Lyon contre Préfet du Rhône“; Auby, guide pratique, S. 96. 616

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nanzierung der delegierenden Körperschaft beitrug620. Art. L. 1411-3 des Code général des collectivités territoriales (CGCT) begründet für das Unternehmen die Verpflichtung, der Verwaltung zu Zwecken der Kontrolle einen jährlichen Bericht vorzulegen, der die Geschäftskonten und eine Qualitätsanalyse zu enthalten hat. Gemäß Art. L. 1411-13 sind derartige Berichte, die sich an die Gemeinden richten, in Gemeinden von über 3500 Einwohnern öffentlich auszuhängen. Das verschieden ausgestaltete Rechtsregime der beiden Vertragsformen, die sich doch häufig überschneiden, macht eine Abgrenzung von marchés publics und délégations de service public erforderlich, die in Grenzfällen schwierig sein kann. Diese Abgrenzungsfrage stellt eines der am heftigsten diskutierten aktuellen Probleme der französischen Verwaltungsrechtsprechung dar. Sie stellte sich beispielsweise bei einem Vertrag, der einem Privatunternehmer die Müllentsorgung und den Betrieb der kommunalen Abfalldeponie anvertraute621. Der Regelungsgehalt der délégation de service public liegt in der Überlassung einer Verwaltungsaufgabe an einen Privaten, die dieser gegenüber dem Bürger im eigenen Namen wie die Verwaltung ausführt. Dazu gehört auch, dass er sich im Prinzip aus bei dem Bürger erhobenen Gebühren finanziert. Beim marché public zahlt die Verwaltung dagegen einen Preis für einen Gegenstand bzw. für eine Leistung, die der Private an sie erbringt. Traditionelles Abgrenzungskriterium ist deshalb das Kriterium der Gebühren (redevances): Sofern der Unternehmer direkt zumindest zu einem erheblichen Teil (part significative) vom Benutzer bezahlt wird, handelt es sich um eine „délégation de service public“. Wird sein Entgelt hingegen von der Territorialkörperschaft bezahlt, liegt ein „marché public“ vor622. Dies schließt allerdings die Zahlung von Subventionen durch die Verwaltung nicht aus. Ob dieses Kriterium noch nach Erlass der loi Sapin gilt, ist nicht unbestritten: In einer neueren Entscheidung stellt jetzt der Conseil d’Etat darauf ab, ob ein erheblicher Teil der Vergütung des Unternehmers aus dem Betriebsergebnis – vgl. die Definition der délégation de service public in Art. 1411-1 CGCT, s. o. – gezogen wird. Offen bleibt dabei, ob auf die direkte Mittelherkunft vom Benutzer oder von der Verwaltung abgestellt wird oder aber ob die Eigenschaft der Verwaltungszahlung als Entlohnung für die Dienste oder als Subvention entscheiden soll623. Als erheblichen Teil sieht das zuständige Ministerium jedenfalls einen Anteil von mindestens 50% an624. Andere Autoren 620

Auby, guide pratique, S. 99. Der Sachverhalt lag der Entscheidung des CE vom 15.4.1996 „Préfet des Bouches-du-Rhône“, AJ 1996, 729 zugrunde. 622 CE vom 11.12.1963 „Ville de Colombes“, Rec. CE p. 612; CE vom 26.11.1971 „Société SIMA“. 623 Marcovici, AJDA 2001, 968. 624 Auby, guide pratique, S. 53; Berbari/Briand/Callon/Mirouse/Peyrical/Ribault, S. 16 f. 621

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1. Teil: Allgemeines

wollen in Zweifelsfällen als Abgrenzungskriterium noch den Umstand heranziehen, ob der Unternehmer teilweise oder vollständig das finanzielle Risiko trägt625. Da der Abfallunternehmer im oben erwähnten Fall „Préfet des Bouches-du-Rhône“ zu einem erheblichen Teil von der Gemeinde bezahlt wurde, war der Vertrag ein marché public. Die Abgrenzungsfrage stellt sich auch bei von der öffentlichen Hand bestellten Verkehrsleistungen626, s. u. 2. Teil B.IX.1. für die Konventionen zwischen SNCF und Region. Sie wird allerdings erst wirklich virulent, wenn das Monopol der SNCF fällt. III. Vergleich 1. Kooperationsrechtliche Verträge Der Anwendungsbereich des deutschen Verwaltungsvertragsrechts reicht mit der Existenz subordinationsrechtlicher Verträge weiter als das französische. Das französische Verwaltungsrecht kennt nur koordinations- und kooperationsrechtliche Verträge. Für den Bereich kooperationsrechtlicher Verträge, und hier insbesondere die Formen der Einbeziehung Privater in das Verwaltungshandeln, hält das französische Verwaltungsrecht aber differenziertere Regelungen bereit als das deutsche. Dies kann damit erklärt werden, dass diese Organisationsform öffentlicher Dienstleistungen in Frankreich traditionell einen größeren Anwendungsbereich hat627. So hat die französische Verwaltungsrechtsprechung eigene Regeln für koordinationsrechtliche Verträge zwischen zwei Personen des öffentlichen Rechts und für die Vertragsform der délégation de service public herausgearbeitet. Diesen Rückstand hat die deutsche Bundesregierung erkannt und die Normierung von Grundsätzen für den kooperationsrechtlichen Verwaltungsvertrag angeregt, s. o. II.1.b). Erste Ansätze existieren bereits fachspezifisch auf Länderebene628. Eine interessengerechte Normierung kann bewirken, dass die Verwaltung von der öffentlich-rechtlichen Handlungsform vermehrt Gebrauch macht. Auf europäischer Ebene hat die Kommission mit ihrem Grünbuch zu Public Private Partnerships eine Diskussion über die Notwendigkeit einer gemeinschaftseinheitlichen Regelung von Verträgen angestoßen, mit denen die Verwaltung Private in die Erfüllung ihrer Aufgaben einbindet629. 625 Long, Le Moniteur 15 janvier 1999, S. 15; auf diesen Umstand stellte der commissaire du gouvernement in den conclusions zum arrêt CE vom 1.4.1999 „Commune de Guilherand-Granges“, AJDA 1999, S. 517, ab. 626 Hierzu Broussolle, Juris Classeur Droit administratif, juillet 1998, S. 4. 627 Marcou, RFDA 1995, 462, 478. 628 Vgl. § 63 Abs. 4 Sächsisches Wassergesetz. 629 Grünbuch der Europäischen Kommission zur Public Private Partnership vom 30.4.2004 KOM (2004) 327 endgültig.

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2. Die Rechtsverbindlichkeit von Verwaltungsinnenverträgen Eine vergleichbare Problematik stellt sich in Deutschland wie in Frankreich hinsichtlich der Rechtsverbindlichkeit von Verwaltungsinnenverträgen. In beiden Ländern wird mit der hinreichenden Bestimmtheit, die als Indiz für einen vertraglichen Bindungswillen der Parteien gewertet wird, ein ähnliches Kriterium zur Entscheidung herangezogen. 3. Öffentlich-rechtliche Vertragsnatur In beiden Rechtsordnungen stellt sich das Problem der Abgrenzung zwischen Verträgen aus der öffentlich-rechtlichen und der privaten Teilrechtsordnung. Die Abgrenzungskriterien sind aber recht verschieden. Im Bereich der délégation de service public entscheidet das Merkmal der „participation à l’exécution même de la mission de service public“ über die Zugehörigkeit zur öffentlich-rechtlichen Teilrechtsordnung, und damit die Intensität des Bezugs, den der Private durch den Vertrag zur Verwaltungsaufgabe gewinnt, vgl. oben II.2.a)cc). Mit seiner Fixierung auf Objekt und Ziel des Verwaltungshandelns stammt das Merkmal aus dem Bereich der Interessentheorie630. Dieses enge Band wird bei Verträgen angenommen, die die eigentliche Ausführung des service public darstellen, die den Vertragspartner an der Ausführung beteiligen sowie bei Verträgen, die ihm die eigentliche Ausführung des service public anvertrauen631. Insoweit entscheidet der Vertragsgegenstand über die Zuordnung zum öffentlich-rechtlichen Vertragsregime. Diese Kriterien werden in einer reichhaltigen Rechtsprechung konkretisiert632. Die materielle Begründung für diese Einordnung als öffentlich-rechtlich wird in den Spezifika des öffentlichen Vertragsrechts gesehen: Der Staat soll dadurch, dass er eine Aufgabe durch einen Privaten ausführen lässt, sich nicht seiner besonderen Rechte und Verpflichtungen begeben dürfen633. Was würde die Anwendung des Kriteriums der „participation à l’exécution même de la mission de service public“ im deutschen Verwaltungsrecht bedeuten? Verwaltungsmittlungs- bzw. -substitutionsverträge, die einem Privaten die Durchführung einer Verwaltungsaufgabe mit unmittelbaren Rechtsbeziehungen zum Bürger übertragen, wären dann als öffentlich-rechtlich einzuordnen. Darüber hinaus wären auch solche Verwaltungshelferverträge, die den Privaten in ein enges Näheverhältnis zur gegenüber dem Bürger ausgeübten Verwaltungs630

Vgl. Beinhardt, Verwaltungsarchiv 55 (1964), 210, 261. Richer, Rn. 121. 632 Vgl. die Aufstellung bei Richer, Rn. 121. 633 Für die Konzession, Grundform der délégation de service public: CE vom 20. April 1956 „Epoux Bertin“, in: GAJA, arrêt nº 75. 631

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1. Teil: Allgemeines

aufgabe treten lassen, also z. B. der Vertrag mit dem Abschleppunternehmer, der im Auftrag der Polizei ein falsch geparktes Auto abschleppt, der im deutschen Recht ganz überwiegend als privatrechtlich eingeordnet wird634, als öffentlichrechtlich einzuordnen. Die verschiedenen Ergebnisse im deutschen und im französischen Recht erklären sich aus der Verschiedenheit der Methoden der Bestimmung des Vertragsgegenstandes: Zwar dient auch im deutschen Verwaltungsrecht der Vertragsgegenstand als Abgrenzungskriterium635. Um den Vertragsgegenstand zu bestimmen, wird aber im deutschen Recht im Prinzip auf die Rechtsnatur des normativen Kontextes abgestellt. So sind Verträge aus dem Bereich der Hoheitsverwaltung zwingend öffentlich-rechtlicher Natur. Im Bereich der Daseinsvorsorge besteht hingegen nach h. M. ein Wahlrecht der Verwaltung bezüglich der Rechtsform. Im deutschen Recht ist kein entsprechender Rechtssatz formuliert worden, dass Verträge, deren Inhalt einen hinreichend starken Bezug zu einer öffentlichen Aufgabe hätten, automatisch dem öffentlichen Recht zu unterstellen seien. Die Zuordnung von Beschaffungsverträgen nach der Fiskustheorie zum Privatrecht beruht aber auf einer ähnlichen Wertung: Hier wird auf die Funktion des Vertrags abgestellt, nicht auf die Rechtsgrundlage der mit der Beschaffungsmaßnahme verfolgten Verwaltungsaufgabe, dem die Beschaffung dient. Über die Zugehörigkeit der Verkehrsverträge im SPNV zur öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Teilrechtsordnung besteht keine Einigkeit, an einer zwingenden Begründung fehlt es weitgehend. Sie lässt sich gewinnen, indem man dem Begründungsansatz des französischen Rechts folgend auf die Funktion des Verkehrsvertrags abstellt, die darin besteht, dem Verkehrsunternehmen die Ausführung der Daseinsvorsorgeaufgabe des SPNV im Vertragsgebiet zu übertragen. Dieser Vertragsinhalt unterliegt Sonderrecht der Verwaltung, weil einen Vertrag dieses Inhaltes nur der Aufgabenträger, die öffentliche Hand, abschließen kann. Grund für diese Zuordnung ist im französischen Recht die Wertung, der Staat dürfe sich durch die Übertragung der Aufgabe auf einen Privaten nicht seiner besonderen Rechte und Verpflichtungen begeben. Dieser Gedanke zwingt im deutschen Verwaltungsvertragsrecht nicht in demselben Maße zu einer Einordnung eines Vertrags als öffentlich-rechtlich. Die Formen des Verwaltungsvertrags und des privatrechtlichen Vertrags weichen im Hinblick auf die Hauptfunktionen des Verwaltungsrechts, die in dem Schutz des Bürgers vor der

634 BGHZ 121, 161, 164 ff.; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 555; a. A. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 505. 635 BVerwGE 74, 368, 370; vgl. aber die Kritik an den verschiedenen Ansätzen der Bestimmung des „Gegenstandes“: Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 442.

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Macht des Staates und in der Normierung der Vorrechte des Staates zu sehen sind, in geringerem Maße voneinander ab. Der Schutz des Bürgers wird, auch wenn sich die Verwaltung des privaten Vertragsrechts bedient, durch die Hilfskonstruktion des Verwaltungsprivatrechts gewährleistet, das im Bereich des Privatrechtes ein öffentliches Recht zweiter Klasse geschaffen hat. Die Figur des Verwaltungsprivatrechts soll die aus Art. 1 Abs. 3 GG abzuleitende Grundrechtsbindung der Verwaltung auch im Privatrecht verwirklichen636. Verwaltungsprivatrecht wurde allein in der Perspektive entwickelt, der Verwaltung ein Abstreifen ihrer Bindungen in Zivilrechtsverhältnissen unmöglich zu machen, nicht etwa um Vorrechte der Verwaltung zu begründen637. Die zweite Funktion des Verwaltungsrechtes besteht in der Normierung von Vorrechten der Verwaltung. Solche Vorrechte räumt das französische Verwaltungsvertragsrecht in höherem Maße als das deutsche ein, s. hierzu sogleich unter 4. Sie werden durch den Gedanken gerechtfertigt, dass das individuelle Interesse dem allgemeinen Interesse weichen muss638. Der Vergleich mit dem französischen Verwaltungsvertragsrecht sensibilisiert erst für diese auch im deutschen Recht rudimentär vorhandene Eigenart des Verwaltungsvertragsrechts. Da dieses Element im deutschen Verwaltungsvertragsrecht kaum ausgebildet ist, fehlt auch insofern das Bedürfnis nach einer strikten Anwendung des Verwaltungsvertragsrechtes anstelle des privatrechtlichen 639. Der Gesetzgeber hat de lege lata in § 54 VwVfG die Wertung getroffen, dass auf Verträge „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ das Verwaltungsvertragsrecht der §§ 54 ff. VwVfG anzuwenden ist. Dahinter steht der Gedanke, dass spezifisch öffentlich-rechtliche Vertragsgegenstände am besten durch hierauf zugeschnittene öffentlich-rechtliche Instrumentarien erfüllt werden. Hierzu gehören ihrem Gegenstand nach auch die Verkehrsverträge als Verträge zur Delegation einer öffentlichen Dienstleistung. Eine andere Frage ist, ob es rechtspolitisch nicht sogar begrüßenswert ist, wenn sich die Verwaltung des auf Private zugeschnittenen Jedermanns-Rechtes bedient und die Gemeinwohlziele in dessen Formen verwirklicht640. In diesem Falle wäre der Freiheit des Bürgers wohl am besten gedient, zumal da Verwaltungsprivatrecht zu seinem Schutz Anwendung findet. 636 Pakeerut, Die Entwicklung der Dogmatik des verwaltungsrechtlichen Vertrages, S. 131. 637 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 258. 638 Jèze, Les principes généraux du droit administratif, S. 3. 639 Aus historischer Perspektive hält den Rechtsgrund der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht für entfallen: Stolleis, Öffentliches Recht und Privatrecht im Prozeß der Entstehung des modernen Staates, S. 59. 640 Vgl. aber: Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 275 zu den Gefahren privatrechtlicher Handlungsformen in den Händen der Verwaltung.

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1. Teil: Allgemeines

4. Vorrechte der Verwaltung im öffentlichen Vertragsrecht Wie der Verwaltungsakt zur einseitigen bürgerlichrechtlichen Willenserklärung, stellt der Verwaltungsvertrag das Gegenstück zum privatrechtlichen Vertrag dar. Die Funktion dieser beiden speziellen öffentlich-rechtlichen Rechtsinstitute besteht zum einen im Schutz des Bürgers vor der Übermacht des Staates, indem sie der Verwaltung bestimmte zwingende Verfahrensvorschriften vorschreiben. Diese Schutzfunktion wird für das deutsche Verwaltungsrecht vor allem in der historischen Perspektive deutlich, denn das deutsche Verwaltungsrecht hat sich historisch aus dem Bemühen entwickelt, die unbeschränkte Macht des Polizeistaats einzugrenzen641. Zum anderen sollen die Regelungen aber auch ein gegenüber dem bürgerlichen Recht erhöhtes Maß an Bestandskraft und damit an Rechtssicherheit gewährleisten, indem z. B. nur bestimmte Fehler der öffentlichrechtlichen Rechtsakte zur Nichtigkeit führen, vgl. §§ 46, 59 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Schließlich normiert das Verwaltungsverfahrensgesetz Vorrechte der Verwaltung, die zur Durchsetzung des öffentlichen Interesses notwendig sind: Ein Vorrecht der Verwaltung liegt bereits in der grundsätzlichen Befugnis zum Erlass eines einseitigen verwaltungsrechtlichen Rechtsgeschäftes, eines Verwaltungsaktes; im Zivilrecht muss dagegen stets eine besondere Rechtsposition eine wirksame einseitige Willenserklärung rechtfertigen. Auch das Verwaltungsvertragsrecht begründet Vorrechte der Verwaltung, im französischen Verwaltungsrecht aber viel weiterreichend als im deutschen. Das französische Verwaltungsrecht erkennt zweierlei Sonderrechte der Verwaltung an: Erstens darf die Verwaltung den Vertrag einseitig aus Gründen des Gemeinwohls beenden. Diese Gründe unterliegen einer richterlichen Kontrolle, aber die Grenzen des Kündigungsrechts sind weit gesteckt: Die Aufgabe eines Projektes durch die öffentliche Hand642 ist ein ausreichender Grund ebenso wie die Modifizierung einer dem Vertrage zugrundeliegenden Reglementierung643. Auch Gründe, die direkt in der Organisation und der Funktion des service public ihren Grund haben, kommen in Frage: Die Reorganisation des service public644 oder der Wunsch der Territorialkörperschaft, ihre Politik zu ändern645. Auch 641 s. hierzu Fleiner, Ueber die Umbildung zivilrechtlicher Institute durch das öffentliche Recht, S. 3. 642 CE vom 22.1.1965, „Société des Établissements Michel Aubrun“, Recueil des décisions du Conseil d’Etat, S. 50. 643 Cour administrative d’appel de Bordeaux vom 20.12.1999, „Département des Pyrénées Atlantiques“, Répertoire de jurisprudence communal, mars–avril 1991, S. 1: Kündigung eines Desinfektionsvertrages nach Modifikation des präfektoralen Arrêts über die Desinfektion. 644 CE vom 11.7.1913 „Compagnie des chemins de fer du Sud de la France“, Recueil des décisions du Conseil d’Etat 854. 645 Tribunal administratif de Grenoble 9.4.1980 „Société d’aménagement touristique de l’Alpe d’Huez“, Recueil Dalloz 1981, 581.

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Kündigungen aus rein finanziellen Motiven wurden bereits als im öffentlichen Interesse liegend anerkannt646. Hingegen hat der Conseil d’Etat eine rein politisch motivierte Kündigung, die nicht einmal die Gründe des Gemeinwohls benannt hatte, denen sie dienen sollte, zurückgewiesen647. Zweitens erkennt die französische Verwaltungsrechtsprechung neben diesem Kündigungsrecht auch ein einseitiges Anpassungsrecht der Verwaltung an648. Dieses Anpassungsrecht darf aber weder die grundlegenden Vertragsbestimmungen noch die finanziellen Bestimmungen des Vertrags angreifen649. Das vertragliche Gleichgewicht äußert sich in den Fällen der einseitigen Modifikation durch die Verwaltung darin, dass sowohl für die Kündigung als auch für die einseitige Vertragsanpassung die Verwaltung im Gegenzug eine volle Entschädigung zu zahlen hat650. Diese Verpflichtung schränkt das Interesse der Verwaltung, von ihren Vorrechten Gebrauch zu machen, erheblich ein651. Im deutschen Verwaltungsvertragsrecht existiert dieser Gedanke von Vorrechten der Verwaltung im Vertragsverhältnis nur rudimentär, wenn § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG der Behörde ein besonderes Kündigungsrecht einräumt. Diese Kündigung ist den gesteigerten Anforderungen „schwerer Nachteile für das Gemeinwohl“ unterworfen. Die Klausel wird teilweise in der Literatur komplett abgelehnt652, weil sie das vertragliche Gleichgewicht störe und der Behörde Hoheitsrecht in verkappter Form einräume. Auch die h. M. legt das Kündigungsrecht aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips eng – als ultima ratio – aus und versteht sie als Ausnahmeregelung im Sinne erheblicher, überragender Interessen der Allgemeinheit653. Die bloße Rechtswidrigkeit oder wirtschaftliche Nachteiligkeit wird als nicht ausreichend angesehen654. Die deutsche Verwaltung wird damit auch im öffentlichen Recht im Regelfall auf die Instrumente des Jedermann-Rechtes beschränkt. Sie muss im Vertrag Instrumente zur flexi646 CE vom 23.6.1986 „Thomas“, Revue française de droit administratif 1987, 195; Richer, Rn. 310 ff. 647 CE vom 2.2.1987 „TV 6“, Rec. S. 29. 648 Grundlegend CE vom 11.3.1910 „Compagnie générale française des tramways“, Grands arrêts de la jurisprudence administrative, nº 23: Die Verwaltung kann die Fahrzeiten einer Straßenbahn einem Konzessionär gegenüber einseitig modifizieren. Bestätigend CE 2.2.1983 „Union des transports publics“, Revue du droit public et de la science publique 1984, 212. 649 Richer, Rn. 330 f. 650 Jèze, Les principes généraux du droit administratif, S. 70. 651 Vgl. Richer, Rn. 311, 313. 652 Vgl. die Nachweise bei Heinz-Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfGKommentar, § 60 Rn. 26. 653 Schapmann, Der Sanierungsvertrag, S. 195; Bauer, Anpassungsflexibilität im öffentlich-rechtlichen Vertrag, S. 287; Ziekow/Siegel, Verwaltungsarchiv 2004, 573, 578. 654 Heinz-Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, § 60 Rn. 28; Kopp, VwVfG-Kommentar, § 60 Rn. 18; Ziekow/Siegel, Verwaltungsarchiv 2004, 573, 578.

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1. Teil: Allgemeines

blen Steuerung des Delegatärs vorsehen. Dies kann durch Klauseln, die eine gewisse Abweichung von inhaltlichen Festlegungen gestatten, oder durch die Normierung von Aufsichtsrechten und Zustimmungsvorbehalten der Verwaltung geschehen oder durch die vertragliche Einrichtung von mit der Vertragsanpassung beauftragten Gremien655. Derartige Regelungen enthalten die deutschen Verkehrsverträge, s. u. 2. Teil A.VII.6.k) und l), ebenso wie die französischen Konventionen in unterschiedlichen Ausprägungen, s. u. 2. Teil B.IX.2.m) und n). Der Vergleich mit der französischen Rechtslage verdeutlicht, welche Rolle die Vorschrift des § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG gerade in Vertragsverhältnissen zur Delegation einer öffentlichen Dienstleistung der Verwaltung spielen könnte: Sie könnte bei entsprechender Auslegung – subsidiär zu vertraglichen Regelungen – verhindern, dass eine Verwaltung, die Daseinsvorsorgeaufgaben nicht mit eigenem Unterbau, sondern unter Rückgriff auf Private ausführt, exzessiv in ihrer politischen Handlungsfreiheit beschränkt wird, und ermöglichen, dass wichtige Anpassungen der durch den Privaten ausgeführten öffentlichen Dienstleistung trotz entgegenstehender vertraglicher Bindungen vorgenommen werden können. In § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG kann deshalb nicht lediglich eine Spezialregelung zu dem schuldrechtlichen Institut der außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses gesehen werden656. Eine ausdrückliche Entschädigungsregelung sieht § 60 VwVfG – im Gegensatz zum französischen Verwaltungsrecht – nicht vor. Hierfür wird teilweise § 49 Abs. 6 VwVfG analog herangezogen oder auf die Grundsätze der Enteignung, des enteignenden Eingriffs oder der Aufopferung zurückgegriffen657. Auch bei in Zivilrechtsform geschlossenen Verträgen der Verwaltung wird man öffentliche Interessen mit Verfassungsrang über die zivilvertragsrechtlichen Generalklauseln berücksichtigen können. Sofern etwa das Demokratieprinzip eine Lösung der Verwaltung vom Vertrag gebieten sollte, wird dieses Ergebnis durch entsprechende Auslegung der Kündigungsregeln oder über die Generalklausel des § 242 BGB berücksichtigt werden können. Eine ausdrückliche öffentlichrechtliche Regelung wäre aber aus Gründen der Rechtssicherheit vorzuziehen. Auch der EuGMR erkennt übrigens die Existenz einer „souveränen Macht des Staates an, einen mit einem Privaten geschlossenen Vertrag zu modifizieren und zu kündigen – so wollen es der Vorrang der höherwertigen Interessen des Staates über die vertraglichen Verpflichtungen und die Notwendigkeit, das Vertragsgleichgewicht zu wahren“658. 655 Bauer, Anpassungsflexibilität im öffentlich-rechtlichen Vertrag, S. 280 ff.; Bauer, Die negative und die positive Funktion des Verwaltungsvertragsrechts, S. 27 ff. 656 So aber VGH Mannheim 20.3.1989, NVwZ-RR 1990, 215, 216. 657 Heinz-Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, § 60 Rn. 30. 658 EuGMR vom 9.12.1994, Rechtssache „Griechische Raffinerien Stran gegen Griechenland“, Recueil Band 301, S. 65, Übersetzung des Verfassers; Richer, Rn. 328.

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5. Die Alternativen zur Vergabe Während das deutsche Recht lediglich die Alternativen Anwendbarkeit des Vergaberechtes – in mehreren Intensitätsstufen – oder Unanwendbarkeit desselben kennt, wurde im französischen Verwaltungsrecht mit den Verfahrensregeln der loi Sapin für die „délégation de service public“ eine weitere Rechtsform geschaffen, die ein transparentes und gerechtes Vertragsabschlussverfahren mit der als notwendig empfundenen Flexibilität der Verwaltung bei der Auswahl des Vertragspartners in Einklang bringen soll. Die rechtliche Ausgestaltung der „délégation de service public“ scheint einem Bedürfnis der Verwaltung in vielen Staaten zu entsprechen, bei der Auswahl eines Vertragspartners für eine intensive, langfristige Form der Zusammenarbeit nicht streng auf die im Voraus festgelegten Auswahlkriterien, in der großen Mehrzahl das günstigste Angebot, beschränkt zu sein. Die Rigidität des Vergaberechts ist auch einer der Gründe dafür, dass viele Aufgabenträger im deutschen SPNV bislang vor einer Ausschreibung zurückgeschreckt sind. Zweifelhaft ist allerdings, ob dem französischen Rechtsinstitut im Kontext der fortschreitenden Harmonisierung des Abschlussverfahrens für öffentliche Aufträge durch das Gemeinschaftsrecht eine lange Lebensdauer beschieden sein kann. Bislang verpflichtet das Gemeinschaftsrecht zwar nur zur Ausschreibung bestimmter Dienstleistungen. Für die sog. privilegierten Dienstleistungen, unter ihnen auch die Dienstleistungskonzession, s. u. 2. Teil A.VII.7.a), gelten vorläufig nur bestimmte Mindeststandards. Eine spätere Ausweitung auch auf die heute noch privilegierten Dienstleistungen ist aber beabsichtigt. Im Vergleich zur deutschen Rechtslage, wo keine Verfahrensregeln gelten, wenn kein Vergaberecht Anwendung findet, und sich der Vertragsschluss dann in einer weitgehend außergesetzlichen Grauzone abspielt, hat diese Regelung des Abschlussverfahrens für die „délégations de service public“ erhebliche Vorteile. 6. Geltung der öffentlich-rechtlichen Bindungen zwischen dem privaten Ausführenden der Verwaltungsaufgabe und dem Benutzer Bis hierher wurde lediglich das Kooperationsverhältnis zwischen Aufgabenträger und Unternehmer, dem Delegatär, betrachtet. Hiervon ist das Leistungsverhältnis zwischen Unternehmer und Drittem, dem Leistungsnutzer, zu trennen. Dies gilt zunächst für die Zugehörigkeit der Rechtsverhältnisse zur öffentlich-rechtlichen oder zur privatrechtlichen Teilrechtsordnung. Während das Rechtsverhältnis zwischen Aufgabenträger und Delegatär regelmäßig öffentlichrechtlich geprägt ist, ist dasjenige zwischen Unternehmer und Leistungsnutzer typischerweise zivilrechtlich geprägt659. Dies gilt zumal im SPNV, wo das pri659

Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht, S. 206.

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1. Teil: Allgemeines

vate Unternehmen mangels Beleihung auf privatrechtliche Handlungsformen beschränkt ist. Fraglich ist, wie in diesem Dreiecksverhältnis die Durchsetzung der Benutzerinteressen gewährleistet wird. Diese Problematik wird in der deutschen Literatur häufig unter dem Stichwort des Privatisierungsfolgenrechts behandelt, weil sie sich meistens in Folge von Privatisierungen stellt. Hinter ihr steht die Frage nach dem tatsächlichen Umfang des Rückzugs des Staates im Grenzbereich zwischen materieller und funktionaler Privatisierung: Reduziert der Staat tatsächlich seine Rolle und steht der Bürger fortan einem privaten Unternehmer gegenüber oder behält der Staat eine volle Kontrolle und wechselt er lediglich seine Handlungsinstrumente aus? Im Kern geht es um diese Frage, wenn der Umfang der fortbestehenden Gewährleistungsverantwortung des Staates diskutiert wird660. a) Nach französischem Recht Nach französischem Recht gelten die Prinzipien des service public und damit vor allem das Prinzip der Gleichbehandlung auch für ein Privatunternehmen, das mit der Ausführung eines service public beauftragt wurde. Noch weiterreichend hat die Rechtsprechung für die Konzession – als typischen und klassischen Fall der délégation de service public – anerkannt, dass die Benutzer alle Handlungen des Konzessionärs, des Aufgabenträgers oder des Kontrollorganismus des Aufgabenträgers, die die Organisation und das Funktionieren der öffentlichen Dienstleistung betreffen, im Wege des recours pour excès de pouvoir vor dem Verwaltungsgericht angreifen können661. Hierzu gehören auch die Klauseln des Konzessionsvertrags mit anordnendem Charakter (caractère réglementaire), auf die sich die Benutzer berufen können, im Gegensatz zu den Klauseln mit vertraglichem Charakter (caractère contractuel)662. Die Klauseln des Konzessionsvertrags haben anordnenden Charakter, soweit sie nicht nur dem Umstand ihr Dasein verdanken, dass der service public vertraglich organisiert wurde und nicht bloß Vertragsdauer, finanzielle Beziehungen zwischen den Parteien, etc. regeln. Das trifft deshalb auf Klauseln zu, die sich ebenso fänden, wenn die Behörde den service public selbst ausführen würde und die insbesondere seinen Inhalt und seine Organisation betreffen663. Für diese Streitigkeiten ist regelmäßig der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, der Zivilrechtsweg nur bei Maßnahmen im Leistungsverhältnis zwischen einem spic und seinem Benutzer. 660 Heintzen, VVDStRL 62 (2003), S. 220, 260 sowie Diskussionsbeitrag auf S. 364 f. 661 Observations zu: CE vom 21.12.1906 „Syndicat des propriétaires et contribuables du quartier Croix-de-Seguey-Tivoli“, GAJA nº 17. 662 CE vom 21.12.1906 „Syndicat des propriétaires et contribuables du quartier Croix-de-Seguey-Tivoli“, GAJA nº 17. 663 Chapus, Rn. 661 nach Duguit, Traité de droit constitutionnel, tome 3, 3e édition, Paris 1928, S. 446.

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b) Nach deutschem Recht Im deutschen Verwaltungsrecht stellt sich die Rechtsstellung des Benutzers ungünstiger dar. Dabei ist zwischen seiner Rechtsstellung gegenüber dem Aufgabenträger und derjenigen gegenüber dem Verkehrsunternehmen, dem Delegatär, zu unterscheiden. Gegenüber dem Verkehrsunternehmen kann er sich nach derzeitigem Meinungsstand nur auf die Rechte berufen, die ihm sein privatrechtlicher Benutzungsvertrag einräumt. Im Verhältnis zum Aufgabenträger bleibt die Rechtsstellung des Benutzers von der Übertragung der Ausführung auf den Privaten unangetastet, weil der Staat aufgabenzuständig bleibt. Nur der Inhalt der Ansprüche ändert sich: Anstatt sie selbst zu erfüllen, muss er sie gegenüber dem beauftragten Unternehmen umsetzen. Die leistende Funktion des Staates liegt dann in der Garantenbzw. Gewährleistungsfunktion des Aufgabenträgers, kraft derer er die Einhaltung der Recht- und Gesetzmäßigkeit der Durchführung der Verwaltungsaufgaben gewährleisten müsse664, vgl. auch die punktuellen Normierungen einer „Gewährleistung“ in Artt. 87e Abs. 4, 87f Abs. 1 und 143b Abs. 2 GG. Diese Gewährleistungsverantwortung des Staates verstehen einige Autoren als eine Stufe auf der Treppe staatlicher Verantwortungsebenen, mit Hilfe derer die vielfältigen Mischformen staatlich-gesellschaftlicher Kooperation typisiert werden, die an die Stelle der früheren klar abgegrenzten Dualität von Staat und Gesellschaft getreten sind. Diese Verantwortungsstufen werden von verschiedenen Autoren in unterschiedlichster Weise kategorisiert665. Den Gegensatz zur Gewährleistungsverantwortung bildet die Erfüllungsverantwortung, bei der der Staat eine öffentliche Aufgabe selbst in unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung ausführt666. aa) Verfassungsrechtliche Grundlagen und einfachgesetzliche Ausgestaltung Nicht geklärt sind bislang die verfassungsrechtlichen Grundlagen dieser Gewährleistungspflicht667. Nach hier vertretener Auffassung folgt sie aus der fortbestehenden Aufgabenzuständigkeit der öffentlichen Hand (vgl. § 1 Abs. 1 RegG: „Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge“ und die entsprechenden Aussagen 664

Gallwas, VVDStRL 29 (1971), 211, 221 ff. Vgl. z. B.: Voßkuhle, Gesetzgeberische Regelungsstrategien, S. 69 ff.; SchmidtAßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 154 ff.; einen Überblick bietet Ruge, S. 160 ff.; Röhl, Die Verwaltung 1999, Beiheft 2: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, S. 33 ff. 666 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 172 f.; vgl. auch das entsprechende englische Begriffspaar: „Providing State“ (Erfüllungsverantwortung) und „Regulatory State“ (Gewährleistungsverantwortung), Ruge, S. 250 f. 667 Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 296 ff. 665

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in den Länder-ÖPNVGen, z. B. § 1 Abs. 1 NWÖPNVG), die in Folge der funktionalen Privatisierung nicht angetastet wird. Da der Staat ihre Ausführung weiterhin durch Finanzierung und Organisation wesentlich gestaltet, stellt sich die Leistung auch für den Benutzer als eine öffentliche Leistung dar. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist der Aufgabenträger an Recht und Gesetz, und damit insbesondere an Grundrechte, gebunden. Da es sich um einen Bereich der Leistungsverwaltung handelt, sind schwerpunktmäßig Art. 3 GG bzw. das entsprechende Gleichheitsgrundrecht der Landesverfassung betroffen668. Da also die privatisierte öffentliche Dienstleistung weiterhin in öffentlicher Aufgabenverantwortung verbleibt (so auch ausdrücklich § 1 RegG, weniger eindeutig § 4 Abs. 1 RhPfNVG), stellt sich die Grundrechtslage des Benutzers als eine derivative Teilhabesituation dar. Diesem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe des Benutzers muss der Staat Geltung verschaffen, und dies nicht nur auf der Verwaltungsebene des Aufgabenträgers. Er richtet sich auch an den Gesetzgeber669. Denn der Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe folgt aus Verfassungsbestimmungen670, nämlich aus Art. 3 GG oder dem Gleichheitssatz der Landesverfassungen. Wenn der Bund gemäß Art. 87e Abs. 4 GG – s. o. C.II.2.b)aa) – das „Wohl der Allgemeinheit“ gewährleisten soll, gehört dazu auch die Durchsetzung der gleichberechtigten Teilhabe an den angebotenen Leistungen. Dem Gesetzgeber steht aufgrund des Demokratieprinzips aber ein weites gesetzgeberisches Ermessen zu. Der Umfang der Grundrechtsbindung – und als Gegenstück der Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe des Bürgers an der Daseinsvorsorgeleistung – ändert sich nicht durch die Übertragung der Aufgabenausführung auf einen Privaten. Um dem Gleichheitssatz in dem Benutzungsverhältnis Geltung zu verschaffen bzw. ihn zu konkretisieren, hat der Gesetzgeber spezialgesetzliche Regelungen getroffen: Dies trifft z. B. im Eisenbahnpersonenverkehr auf die gesetzliche Regelung der Beförderungs- und der Tarifpflicht – vgl. § 12 AEG – und auf die Aufstellung von Benutzungsverordnungen – vgl. § 14 AEG –, oder im Energieversorgungsbereich auf die Aufstellung gesetzlicher Versorgungsbedingungen – vgl. § 11 Abs. 2 EnWG – zu. Diese Regelungen bezwecken letztlich eine gleichberechtigte Versorgung des Bürgers mit einer öffentlichen Dienstleistung. Wo nicht einfachgesetzliche Rechtsgrundlagen einen Kontrahierungszwang normieren, begründet der Rechtsprechung des Reichsgerichtes und des BGH zufolge die Generalklausel des § 826 BGB einen Abschlusszwang, wenn der Nichtabschluss eines Vertrags eine sittenwidrige Schädigung 668 Vgl. auch: Ossenbühl, DÖV 1971, 513, 521; Diskussionsbeitrag von Hermes, in: VVDStRL 62 (2003), 340. 669 s. zu den Adressaten einer „Verantwortung“ und deren Voraussetzungen: Hans Christian Röhl: Verwaltungsverantwortung als dogmatischer Begriff?, in: Die Verwaltung 1999, Beiheft 2: Die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, S. 33, 50 f.; Knauff, S. 59 ff. 670 Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht, S. 198; Ruge, S. 182 ff.

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und damit eine unerlaubte Handlung darstellt. Ein Anspruch auf Vertragsschluss besteht danach gegenüber Versorgungsunternehmen, die den Verbraucher mit lebenswichtigen Gütern und Leistungen beliefern671. Anhand von § 315 Abs. 3 BGB (analog) nimmt die Rechtsprechung eine Billigkeitskontrolle insbesondere der Höhe der Tarife von Unternehmen vor, die Leistungen der Daseinsvorsorge anbieten, auf die der andere Teil angewiesen ist672. Von der Überprüfung sind privatrechtliche Entgelte ausgenommen, die eine Behörde hoheitlich festgesetzt hat, denn einen solchen Verwaltungsakt haben die ordentlichen Gerichte – außer im Falle seiner Nichtigkeit – zu beachten673. Andernorts wurde versucht, die Grundrechtssituation bei der Gewährleistungsverwaltung mit der Figur der Schutzpflicht zu beschreiben674. Dieser Argumentation zufolge soll sich die Rolle des Staates bei der Übertragung einer öffentlichen Dienstleistung auf einen Privaten auch im Hinblick auf die Grundrechte auf die eines Garanten beschränken und damit reduzieren. Seine Rolle soll nicht mehr darin bestehen, Leistungen nach Maßgabe der Grundrechte zu verteilen, sondern für einen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen zwischen den beiden Bürgern, Benutzer und Delegatär, die sich bei ihrer gegenseitigen Grundrechtsausübung behindern, zu sorgen675. Diese Sicht kann aber nicht überzeugen, denn sie entspricht nicht dem tatsächlichen Sinngehalt der Organisation einer öffentlichen Dienstleistung mittels eines Privaten. Die eigentliche Aufgabenträgerschaft des Staates bleibt dabei bestehen, er setzt lediglich einen Privaten zur Erfüllung gegenüber dem Bürger ein. Der Staat entscheidet, für die Ausführung einer öffentlichen Dienstleistung weiter einstehen zu wollen – vgl. § 1 RegG sowie die entsprechenden Regelungen in den ÖPNVGen der Länder, z. B. § 1 NWÖPNVG. Wenn dadurch die Rolle des Staates bei der Ausführung auf die eines Garanten beschränkt wird, kann er sich hierbei seiner Grundrechtsbindung nicht entledigen. Lediglich die Instrumente zu ihrer Umsetzung ändern sich. Die Tätigkeit des Delegatärs lässt sich auch nicht als eine potentielle Gefährdung für die Verwirklichung der Grundrechte des Benutzers begreifen – was der Fall wäre, wenn man ihn zum Adressaten einer staatlichen Schutzpflicht machte –, sondern im Gegenteil wird er vom Aufgabenträger zur Verwirklichung der Daseinsvorsorgeleistung und der gleichberechtigten Teilhabe hieran eingesetzt, und in dieser Funktion tritt er dem Bürger gegenüber. Ihn als prinzipielle Gefahr für die an ihn delegierte Leistung und für die dahinter stehenden Grundrechtsinteressen der Benutzer anzusehen, verkennt diese Funktion.

671 Jürgen Oechsler, in: Staudingers Kommentar zum BGB, Kommentierung zu § 826, 13. Bearbeitung 1998, Berlin, Rn. 429, vgl. auch BGH, NJW 1990, 761, 763. 672 BGHZ 76, 114, 116 = NJW 1979, 597. 673 BGHZ 76, 114, 116. 674 Kämmerer, Privatisierungen, S. 451 ff. 675 Kämmerer, Privatisierungen, S. 453.

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bb) Einwirkungsmöglichkeiten des Aufgabenträgers auf den Delegatär Folgende Instrumentarien stehen dem Aufgabenträger zur Einwirkung auf den Delegatär und zur Umsetzung dieser Gewährleistungsverpflichtungen zur Verfügung: „Von innen“ kann die Verwaltung auf die Aufgabenerfüllung des Privaten durch die Forderung einer bestimmten Binnenstruktur des Privaten Einfluss nehmen. Strukturvorgaben können in der Sicherung von Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidungsfindung innerhalb der privaten Organisation (z. B. durch Mitwirkung von Vertretern der Verwaltung in den Entscheidungsorganen des Privaten), was insbesondere durch eine Beteiligung der öffentlichen Hand gesichert werden kann676, oder in anderen Mindestanforderungen an die Organisation des privaten Trägers bestehen. Anforderungen an die Qualifikation des Privaten sind ein wichtiges Instrument, um vorab Leistungsqualität zu gewährleisten677. „Von außen“ kann der Aufgabenträger auf das Verhalten des privaten Unternehmers nach der Aufgabenübertragung durch die Steuerungsinstrumente des Delegationsvertrags Einfluss nehmen, der ihm Ansprüche und Befugnisse einräumt, wie z. B. Auskunftsansprüche oder Befugnisse zur einseitigen Leistungsmodifikation, s. hierzu i. e. unten 2. Teil A.VII.6.g), h), k) und l). Eine Vertragsgestaltung, die den spezifischen Interessen der öffentlichen Verwaltung Rechnung trägt, kann durch die Ausarbeitung von Rahmenkonzepten oder Musterverträgen unterstützt werden678. Schließlich könnte in Extremfällen der Rückgriff auf die Generalklausel des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts erwogen werden. cc) Rechtsmittel des Benutzers gegenüber dem Aufgabenträger Fraglich ist, welche Rechtsmittel dem Bürger zur Verfügung stehen, um ein Einschreiten der Verwaltung gegenüber dem Unternehmer zu erwingen. In Betracht kommt eine allgemeine Leistungsklage. Soweit der Bürger die Abstellung einer Diskriminierung verlangt, also eine Leistung begehrt, die nur ihm vorenthalten wird, kann ihm auch das erforderliche subjektive Recht zur Verfügung stehen. Dies ist problematischer, wenn er die Umsetzung sonstiger Leistungen verlangt, die im Vertrag zwischen Verwaltung und Unternehmer niedergelegt sind und generell nicht erbracht werden, wie z. B. das Einhalten von Qualitäts676

Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 319 f. Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 312; Ausschreibungsunterlagen fordern im SPNV häufig die Vorlage von Betriebsgenehmigungen, Zuverlässigkeitsnachweisen der Geschäftsführer und Nachweise über die finanzielle Leistungsfähigkeit, s. u. 2. Teil A.VII.6.i). 678 Hoffmann-Riem, Organisationsrecht als Steuerungsressource, S. 385 f. 677

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

169

standards. Die Rechtswirkungen des Vertrags beschränken sich auf die Parteien. Sie sollen zwar dem Benutzer zugute kommen, wurden aber vorrangig deshalb in die vertragliche Regelung aufgenommen, um die Leistungspflicht des Unternehmers gegenüber der Verwaltung zu bestimmen. Anderenfalls müsste man den Vertrag als drittschützend auslegen und dem Bürger im Sinne eines Vertrags zugunsten Dritter einen Leistungsanspruch direkt gegen den Unternehmer einräumen, s. u. bei dd). dd) Rechtsmittel des Benutzers direkt gegenüber dem Delegatär Die dem Aufgabenträger zur Verfügung stehenden Instrumentarien werden im Regelfall gewährleisten können, dass die Rechte des Bürgers nicht verkürzt werden. Fraglich ist aber, welche eigenen Rechte dem Benutzer gegenüber dem Delegatär zustehen, insbesondere ob öffentlich-rechtliche Bindungen auf den Delegatär Anwendung finden. Dies hat vor allem dann Bedeutung, wenn eine Einwirkung der Verwaltung auf den Delegatär unterbleibt. Auch wenn der Unternehmer materiell eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ausführt – vgl. etwa § 1 Abs. 1 RegG und § 1 Abs. 1 NWÖPNVG –, sollen ihm gegenüber Bindungen, denen die Verwaltung unterworfen ist, nach h. M. nicht gelten, solange er nicht als Beliehener mit der hoheitlichen Wahrnehmung der Verwaltungsaufgabe im eigenen Namen beauftragt wurde679. Alle übrigen Privatunternehmen sollen weder gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an den nur für die Verwaltung geltenden Gesetzesvorrang gebunden sein, noch sollen sie gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an Grundrechte gebunden sein noch an Verwaltungsrecht, vgl. § 1 VwVfG680. Diese Rechtslage kann nicht befriedigen.681 Die Übertragung der Ausführung einer Verwaltungsaufgabe auf einen Privaten darf nicht dazu führen, dass die Durchsetzung seiner verfassungsmäßigen Rechte beeinträchtigt wird. Man könnte erwägen, den Delegatär denselben öffentlich-rechtlichen Bindungen zu unterwerfen, wie die Verwaltung selbst, wie dies bei der Beleihung der Fall ist682, und ihn als „Behörde“ im Sinne des § 1 VwVfG anzusehen. Die Erstreckung des Anwendungsbereichs der öffentlich-rechtlichen Normen auch auf Privatunternehmen ließe sich zwar damit begründen, dass sie hier funktionell als Verwaltungsbehörden tätig werden und dass die Beauftragung eines Dritten durch die Behörde nicht zu einer Verkürzung der Rechte des Bürgers 679

Maurer, § 23 Rn. 56. Burgi, S. 331 ff.; a. A.: Ossenbühl, VVDStRL 29 (1971), S. 137, 192 f. 681 s. die Aufzählung denkbarer negativer Folgen für den Bürger bei: Hans-Ullrich Gallwas, Die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben von Privaten, VVDStRL 29 (1971), 211, 216 ff. 682 Gallwas, VVDStRL 29 (1971), 211, 222. 680

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1. Teil: Allgemeines

führen dürfe. Man wird sich aber fragen müssen, ob die bestehenden Vorschriften hierfür eine ausreichende Eingriffsgrundlage gegenüber dem privaten Unternehmen begründen. Im Übrigen würde man damit den Privaten nicht nur in seinen Rechten, sondern auch in seiner unternehmerischen Kreativität einengen683, was einen Verlust an Effizienz und einen Anstieg der Preise zur Folge hätte. Der Bürger profitiert – im Idealfall – indirekt durch Minderausgaben der öffentlichen Hand, indem das eingesparte Geld für Mehrleistungen an dieser oder anderer Stelle eingesetzt wird oder aber seine Abgabenlast sinkt. Eine Bindung des beauftragten Unternehmers an die Grundrechte und vor allem an den Gleichheitssatz im Rahmen seines Dienstleistungsauftrags in dem privatrechtlichen Rechtsverhältnis zum Bürger könnte sich unmittelbar aus den Grundrechten als sog. Verwaltungsprivatrecht ergeben. Die Geltung von Verwaltungsprivatrecht wird allgemein mit Art. 1 Abs. 3 GG begründet, demzufolge alle Staatsgewalt, auch die privatrechtlich organisierte, an Grundrechte gebunden ist. Dies soll aber nur für Verwaltungsrechtssubjekte im privatrechtlichen Gewande gelten, nicht für materiell Private. Dieser Wertung liegt zugrunde, dass Grundrechtsadressaten nur der Staat, nicht aber Private sind. Ausnahmen hiervon stellen nur die mittelbare Grundrechtswirkung und die unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) sowie nach h. M. der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) dar684. Die Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand soll im Falle der Delegation einer öffentlichen Dienstleistung auf einen Privaten lediglich über die der Verwaltung verbleibenden Steuerungsinstrumente, also durch den Vertrag zwischen ihr und dem Unternehmen oder über ihre Beteiligungen an dem Unternehmen, verwirklicht werden685. Art. 1 Abs. 3 GG wird deshalb formell in dem Sinne verstanden, dass er lediglich formelle Funktionsträger der Verwaltung erfasst, die entweder öffentlich-rechtlicher Natur sind oder privatrechtlicher, sofern sie aufgrund einer Anteilsmehrheit durch den Staat beherrscht werden686. Ein materiell privates Unternehmen wird danach durch den Abschluss des Delegationsvertrags nicht zu einer Verwaltungsbehörde im formellen Sinne, es führt lediglich materiell Verwaltungsaufgaben aus.

683

Vgl. Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 307. Hans Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Kommentar, § 1 Rn. 35 f. 685 Für Privatrechtssubjekte mit öffentlicher Beteiligung: Hans-Uwe Erichsen, in: Erichsen/Martens, § 32 Rn. 9; Dirk Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, § 2 Rn. 85; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 248 f.; Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 334 ff.; Burgi, S. 367. 686 Christian Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 200; Wolfram Höfling, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 1 Rn. 76 f.; Hans Jarass, in: Jarass/ Pieroth: GG, Kommentar, Art. 1 Rn. 29. 684

E. „Kontraktualisierung‘‘ von Daseinsvorsorgeaufgaben

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Art. 1 Abs. 3 GG muss aber so verstanden werden, dass er nicht bloß – in einem formellen Sinn – für Funktionsträger gilt, sondern – in einem materiellen Sinn – für Funktionen gilt. Ein funktionales Verständnis des Art. 1 Abs. 3 GG sieht auch mit Hilfe materiell Privater organisierte Verwaltungstätigkeit von der Grundrechtsbindung erfasst687. Einem solchen Verständnis stünde lediglich die historische Auslegung entgegen688. Für die funktionale Interpretation spricht die Intention des Grundgesetzes, den Grundrechten den größtmöglichen Geltungsbereich zu geben689. Art. 1 Abs. 3 GG begründet eine Grundrechtsbindung lückenlos für jede Form von Staatsgewalt. Der ÖPNV bleibt eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, vgl. § 1 RegG und z. B. § 1 Abs. 1 NWÖPNVG, und Daseinsvorsorge ist eine klassische Funktion der vollziehenden Gewalt. Nicht der Gesetzgeber und erst recht nicht die Verwaltung können auf verfassungsmäßige Rechte des Bürgers verzichten, und einem Verzicht hierauf käme die Organisation der öffentlichen Dienstleistung mittels Delegation ohne entsprechende Grundrechtsbindung gleich. Die gegenteilige Auffassung scheint auch nicht interessengerecht. Denn für den Bürger stellt es keinen Unterschied dar, ob der Staat selbst als Alleineigentümer eines Unternehmens in Privatrechtsform eine Daseinsvorsorgeaufgabe ausführt oder ob er dies durch ein Unternehmen tut, an dem auch Private beteiligt sind, oder ob schließlich ein rein privates Unternehmen mit der Erfüllung beauftragt wurde. Es wäre auch nur schwer einzusehen, dass der Bürger einerseits mittelbar über seine Abgaben die Ausführung der Aufgabe finanziert, andererseits aber nur die Rechte gegenüber dem Unternehmen besitzt, die er auch gegenüber jedem anderen Vertragspartner hat. Auch für den Unternehmer scheint eine solche Grundrechtsbeziehung nicht unbillig, denn er übernimmt durch den Vertragsschluss mit der öffentlichen Hand freiwillige Verpflichtungen, die durch den Vertragsumfang begrenzt und damit überschaubar sind. Die weitgehende einfachgesetzliche Regelung solcher Fälle reduziert allerdings die praktische Bedeutung dieser Grundrechtsgeltung, denn es gilt der Anwendungsvorrang des einfachen Gesetzes690. Fraglich ist auch, ob eine Bindung eines Privaten an Grundrechte im Wege des Verwaltungsprivatrechts nach dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes einer gesetzlichen Grundlage bedürfte, denn über diese Konstruktion wird der private Unternehmer in einem Maße in Pflicht genommen, wie dies sonst nur durch Anordnung zu erreichen wäre. Man könnte bereits in Art. 1 Abs. 3 GG eine verfassungsunmittelbare Rechtsgrundlage sehen, der die vollziehende Gewalt an Grundrechte bindet. Jedenfalls aber 687 In diesem Sinne auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, S. 1204 f. 688 s. zur Entstehungsgeschichte des Begriffs der „vollziehenden Gewalt“ in Art. 1 Abs. 3 GG: Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 215. 689 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 216. 690 Ossenbühl, DÖV 1971, 513, 522.

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1. Teil: Allgemeines

wird Verwaltungsprivatrecht über eine Auslegung zivilrechtlicher Klauseln angewendet, die als Rechtsgrundlagen dienen können, insbesondere die §§ 826 und 315 Abs. 2 BGB, s. o. bei aa). Rechtspolitisch wäre eine klarstellende gesetzliche Rechtsgrundlage wünschenswert, sofern man der hier vorgestellten Argumentation folgt. Die Position des Benutzers ließe sich weiter stärken, indem man den Vertrag zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen als Vertrag zugunsten Dritter interpretiert und dem Benutzer daraus unmittelbar einen Anspruch gegen das Verkehrsunternehmen gewährt, s. o. cc). Der Vertrag begründet nach dem Willen der vertragschließenden Parteien Ansprüche nur zwischen den Parteien. Die im Vertrag definierten Leistungen dienen nach dem Parteiwillen nur dazu, die Leistungspflicht des Unternehmers gegenüber dem Aufgabenträger festzulegen und kommen dem Benutzer nur mittelbar zugute. Ein unmittelbarer vertraglicher Anspruch des Unternehmers ließe sich aber mit der Argumentation begründen, dass höherrangiges Recht – hier Verfassungsrecht, genauer: der grundrechtliche Teilhabeanspruch des Bürgers – zu einer enstprechenden Auslegung des Vertrags zwingt. Grundlage für die drittschützende Wirkung des Vertrages und deren Grenze wäre das Argument, dass die Rechtsposition des Bürgers durch die Übertragung der Aufgabenausführung auf einen Privaten nicht beschränkt werden darf. Da der Wille des öffentlichen Aufgabenträgers darauf gerichtet ist, gesetzmäßig zu handeln, lässt sich auf diesem Umweg auch ein entsprechender Parteiwille begründen. Dies würde der normativen Wirkung, einer Art Geltung erga omnes, nahekommen, die das französische Recht bestimmten vertraglichen Klauseln eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zuspricht. Die eben angestellten Überlegungen gelten nicht für die Kategorie des Verwaltungshelfers, der nur unselbständig an der Aufgabenerfüllung durch die Behörde beteiligt ist. In diesem Bereich nimmt die Verwaltung kraft Definition den Privatunternehmer als Werkzeug in Dienst bei der Ausführung von Aufgaben, die sie selbst gegenüber dem Bürger ausführt. Ihre Verantwortung wird nicht auf eine Gewährleistungsverantwortung reduziert. Damit bleibt auch kein Raum für ein eigenes grundrechtsrelevantes Handeln des Unternehmers gegenüber dem Bürger. Als Handelnder und Adressat der Grundrechtspflichtigkeit tritt hier die Verwaltung auf, so dass kein Bedarf für eine eigene Grundrechtsgeltung gegenüber dem Privaten besteht.

F. Die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor I. Bedeutung und Entwicklung der gemeinsamen Verkehrspolitik Aufgrund des EGV stehen der Europäischen Union im Verkehrssektor und speziell auch im Eisenbahnsektor weite Regelungskompetenzen zu. Sie sind im

F. Die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor

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Titel V des EGV über den Verkehr geregelt. Hinsichtlich der Verkehrsinfrastrukturen enthalten die Artt. 154 ff. EGV Kompetenzen für den Aufbau transeuropäischer Netze, die insbesondere auf die Förderung des Verbundes und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze sowie des Netzzugangs abzielen. Die besondere Bedeutung, die der EGV der gemeinsamen Verkehrspolitik zumisst, wird bereits daran deutlich, dass sie als eine eigene „Politik“ betitelt wird (Art. 3 Abs. 1 lit. f, Art. 70 EGV). Hierzu zählt auch eine gemeinsame Eisenbahnpolitik, vgl. Art. 80 Abs. 1 EGV. Als Politiken werden sonst nur noch die weitreichenden Gemeinschaftskompetenzen im Bereich der Landwirtschaft und der Fischerei (Art. 3 Abs. 1 lit. e, Art. 33 EGV) sowie der Handelspolitik gegenüber Drittländern (Art. 1 Abs. 1 lit. b, Art. 133 EGV) bezeichnet. Der hohe Rang, den der EGV dem Verkehr zumisst, erklärt sich daraus, dass der Verkehr sowohl Objekt als auch Instrument der Integration ist691: Der Verkehrssektor ist ein bedeutender Wirtschaftszweig in der Europäischen Union mit ca. 6 Mio. Beschäftigten und einem Anteil am Bruttosozialprodukt von ca. 7%692 und muss damit Regelungsgegenstand der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sein. Er ist gleichzeitig Instrument der Integration, denn ein freier Güter- und Personenverkehr in einem gemeinsamen Binnenmarkt setzt leistungsfähige Transportmittel und Infrastrukturen voraus. Im Gegensatz zur Bedeutung des Verkehrssektors für den Binnenmarkt stehen allerdings die Integrationsfortschritte in diesem Bereich. Dies liegt an der besonderen politischen Sensibilität des Sektors und einer Vielzahl divergierender Interessen sowohl im Innern der Mitgliedstaaten als auch unter den Mitgliedstaaten. Während die Niederlande, die sich gern als die „Fuhrleute Europas“ verstehen, an schnellen Fortschritten in der gemeinsamen Verkehrspolitik interessiert waren, traf dies insbesondere auf Deutschland und Frankreich nicht zu693. Diese Situation hat sich im Wesentlichen erst seit der Klage des Europäischen Parlamentes gegen den Rat wegen dessen Untätigkeit in der Gemeinsamen Verkehrspolitik geändert. Zwar gab der Gerichtshof der Klage nur begrenzt statt, und der Rechtsstreit betraf hauptsächlich den Straßengüterverkehr, doch stellt das Urteil mittelbar auch für den Personenverkehr klar, dass die Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Verkehrswirtschaft herzustellen ist694. Die Anstöße, die das Urteil gebracht hat, sind so im Wesentlichen politischer Natur. Hinzu traten der Binnenmarktprozess mit der Einheitlichen Europäischen Akte

691

Frohnmeyer, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV-Kommentar, vor Art. 74, Rn. 1 ff. Moussis, S. 371. 693 Oppermann, Europarecht, Rn. 1421. 694 EuGH vom 22.5.1985, Rs. 13/83, NJW 1985, 2080 ff.; vgl. zur Bedeutung des Urteils insb. Jürgen Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-/EGVertrag, Kommentar, Art. 74 Rn. 21–24. 692

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1. Teil: Allgemeines

und dem Weißbuch der Kommission vom 14.6.1985 zur Vollendung des Binnenmarktes695, der auch auf die Gemeinsame Verkehrspolitik erstreckt wurde. II. Die Vorschriften des Titels des EGV über den Verkehr Der Titel des EGV über die Gemeinsame Verkehrspolitik der Gemeinschaft enthält zum einen Kompetenztitel, zum anderen Ausnahmevorschriften von allgemeinen Vertragsregeln. Er gilt auch für die „Beförderungen im Eisenbahnverkehr“, Art. 80 Abs. 1 EGV696. Die Kompetenzen der Gemeinschaft im Verkehrsbereich sind zwar potentiell beträchtlich, aber unbestimmt. Dies gilt bereits für die Ziele der Politik: Art. 70 EGV verweist diesbezüglich lediglich auf die allgemeinen Vertragsziele des Art. 2 EGV. Im Übrigen kann die Gemeinschaft neben einer Anzahl enumerierter Kompetenzen mit staatenübergreifendem Bezug „alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften“ (Art. 71 Abs. 1 lit. d) im Mitentscheidungsverfahren, das bedeutet mit qualifizierter Mehrheit (vgl. Artt. 251, 205 EGV), erlassen. Lediglich für bestimmte soziale Aspekte der Verkehrsordnung, die aber weiter Auslegung zugänglich sind, schreibt Art. 71 Abs. 2 EGV Einstimmigkeit vor. Im Übrigen enhält der Titel über den Verkehr eine Ansammlung von Einzelaspekten einer möglichen Gemeinsamen Verkehrspolitik697. Die Ausnahmevorschriften von den allgemeinen Vertragsvorschriften erklären sich aus der besonderen Intensität staatlicher Einflussnahmen auf das Marktgeschehen des Verkehrssektors698: Der Staat setzt im Verkehrsbereich häufig hoheitlich Preise fest, beschränkt den Marktzugang, plant und baut die Verkehrswege. Viele Personenverkehrsunternehmen stehen darüber hinaus im Eigentum der öffentlichen Hand699. Mehr noch als normale öffentliche Unternehmen sind öffentliche Verkehrsunternehmen in besonderem Maße staatlichen Einflussnahmen auf ihre Betriebsführung unterworfen, was mit ihrem für den Bürger ständig aktuellen Unternehmensauftrag zusammenhängt und ihrem regelmäßig hohen Zuschussbedarf700. Von diesen Ausnahmevorschriften ist im vorliegenden Zusammenhang die bereits oben unter C.II.3.a) dargestellte Vorschrift des Art. 73 EGV von Bedeutung, die in Ausnahme von den allgemeinen Beihilfenvorschriften der Art. 87 ff. EGV Beihilfen zur öffentlichen Finanzierung von Verkehrsleistungen im Daseinsvorsorgebereich für zulässig erklärt. 695

Dokumentennr. 85/310 endgültig. s. zu diesem gemeinschaftsrechtlichen Begriff des Eisenbahnverkehrs: Schulz, S. 198 ff. 697 Oppermann, Europarecht, Rn. 1428. 698 Werner, S. 31. 699 Jürgen Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU/EG-Vertrag, vor Art. 74-84, Rn. 6. 700 Püttner, Verwaltungslehre, S. 266. 696

F. Die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor

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III. Die gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnverkehr und im Personennahverkehr Die gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnverkehr, der lange von der Existenz staatlicher Monopolunternehmen und hoher Unternehmensdefizite gekennzeichnet war, beschränkte sich lange Zeit auf einige punktuelle Maßnahmen. Die Gemeinschaft verfolgte in dieser ersten Phase insbesondere das Anliegen, die betriebliche Eigenständigkeit der Eisenbahnunternehmen gegenüber den Mitgliedstaaten zu stärken701 sowie die „Wettbewerbsbedingungen“702 in den Mitgliedstaaten für die Eisenbahnunternehmen zu harmonisieren. Zu diesem Zweck wurden die Verordnungen 1191/69/EWG – s. o. C.II.3.b) – und 1017/ 68/EWG – s. u. F.VI. – erlassen703. Bilaterale Verträge, die die Mitgliedstaaten untereinander schlossen, bezogen sich auf Gleisverbindungen an den Grenzen, regelten die Übernahme fremder Eisenbahnwaggons und die wechselseitige Weiterbeförderungspflicht an den Grenzen704. Erst als in den 80er Jahren wieder vermehrt die Vorteile der Bahn als eines umweltfreundlichen und ökonomischen Verkehrsträgers in den Blick rückten, wurde man sich auch der Rolle bewusst, die sie als ein mögliches Element der nachhaltigen Entwicklung des Verkehrs in der Gemeinschaft spielen könnten. In der Denkschrift der Kommission vom 12.12.1980 zur Eisenbahnpolitik der Gemeinschaft und der Ratsentschließung vom 15.12.1981705 wurde so zum ersten Mal ein größerer Ansatz für eine gemeinsame Eisenbahnpolitik sichtbar. Danach sollte vor allem der zwischenstaatliche Schienenverkehr gefördert werden, der auch heute noch nur unterdurchschnittlich entwickelt ist: Während Deutschland und Frankreich ca. 20% ihrer internen Verkehrsströme zu Land per Schiene abwickeln, fällt dieser Anteil für den zwischenstaatlichen Landverkehr zwischen den beiden Ländern auf 6%706. Zur Förderung dieses Bereichs zielen die Gemeinschaftsinitiativen hier darauf ab, die Interoperabilität zwischen den technischen Systemen zu verbessern und die den Eisenbahnbereich regelnden Vorschriften zu harmonisieren. Ergänzend verfolgt die Gemeinschaft seit der Richtlinie 91/440/EWG eine Politik der Liberalisierung, die die staatlichen monopolistischen Verkehrsunter701

Oppermann, Europarecht, Rn. 1451. So die VO 1191/69/EWG, obwohl zum damaligen Zeitpunkt im Eisenbahnverkehr noch kaum Wettbewerb stattfand. 703 Arsac, S. 19. 704 Ronellenfitsch, DVBl. 2002, 657, 661; s. Convention relative aux transports internationaux ferroviaires (COTIF) vom 9.5.1980 (BGBl. 1985 II S. 930) und Änderungen durch das Protokoll vom 3. Juni 1999 (BGBl. 2006 II S. 827); zur internationalen Zusammenarbeit der Eisenbahnen s. Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 158 ff. 705 ABl. 1982, C 157/1. 706 Silla, rail international, Juli/August 2002, S. 6. 702

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1. Teil: Allgemeines

nehmen zu profitabel arbeitenden Dienstleistungsunternehmen zu entwickeln sucht und intramodalen Wettbewerb zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen einführen will. Auch Stadt-, Vorort- und Regionalverkehre fallen unter die Vorschriften des EG-Vertrags zur Gemeinsamen Verkehrspolitik707. Man könnte dem entgegenhalten, dass Verkehre von regional begrenzter Bedeutung keine gemeinschaftsrechtliche Regelung erfordern, weil sie regelmäßig keine Ländergrenzen überschreiten und deshalb gemäß dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EGV nicht in den Regelungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen. Eine Beschränkung auf den internationalen Verkehr bzw. auf solche innerstaatlichen Verkehrsachsen, die aufgrund ihrer Bedeutung für den Verkehr der anderen Mitgliedstaaten von Bedeutung sind, lässt sich dem Vertrag jedoch nicht entnehmen. Vielmehr erwähnt Art. 71 Abs. 1 EGV in Buchstabe c) ausdrücklich auch die Möglichkeit der Marktöffnung für die Kabotage (Verkehr ausschließlich innerhalb eines fremden Mitgliedstaates). Wie sich aus dem Verweis aus Art. 70 EGV auf die allgemeinen Vertragsziele des Art. 2 EGV ergibt, ist Ziel des Vertrags, auch in der Verkehrswirtschaft einen Gemeinsamen Markt mit Zugang zu den Verkehrsmärkten in den anderen Mitgliedstaaten herzustellen. Dazu gehört auch der Nahverkehrsmarkt, der einen erheblichen Anteil an den nationalen Verkehrsmärkten ausmacht708. Deshalb folgt aus dem Subsidiaritätsprinzip nicht der Ausschluss der Stadt-, Vorort- und Regionalverkehre aus dem Regelungsbereich des Gemeinschaftsrechts. IV. Die Anwendbarkeit der allgemeinen Vertragsvorschriften im Verkehrssektor Bis zur sog. „Seeleute“-Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 1974 vertraten insbesondere einige deutsche, französische und italienische Autoren die Auffassung, dass auf den Verkehrsbereich ausschließlich die Vorschriften des Titels über den Verkehr Anwendung fänden und damit nicht die allgemeinen Normen des EG-Vertrags709. In der genannten Entscheidung stellte der EuGH fest, dass die speziellen Regeln des fünften Titels des EGV über den Verkehr die Grundsatzbestimmungen des EGV im Verkehrssektor nicht außer Kraft setz-

707 Gabler, Öffentlicher Nahverkehr in Bayern, S. 20; EuGH vom 24.7.2003 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515, 2517 f., Rn. 77 ff. 708 So werden in Deutschland ca. 96% der im öffentlichen Verkehr beförderten Personen im Nahverkehr befördert, was einer Verkehrsleistung (Fahrgäste  km) von ca. 48% entspricht, Quelle: Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Verkehr in Zahlen 2002/2003, Hamburg 2002. 709 Vgl. die Nachweise bei Corinna Burmeister, Der Wettbewerb der Eisenbahnen im europäischen Binnenmarkt, Nomos Baden-Baden 2001, S. 113.

F. Die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor

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ten, sondern sie ergänzten710. Welche Bestimmungen zu den allgemeinen Vorschriften des EG-Vertrags gehörten, ob dies insbesondere nur die Bestimmungen des ersten Teils des Vertrags über die „Grundsätze“ der Gemeinschaft seien, oder auch die Vorschriften des Dritten Teils des Vertrags über die „Politiken der Gemeinschaft“ seien, blieb umstritten. Erst das sog. „Nouvelles-Frontières“-Urteil des EuGH711 bestätigte die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften auf den Verkehrsbereich. Damit ist heute insbesondere unumstritten, dass einerseits die Kernaussage der Dienstleistungsfreiheit selbst (Art. 49 EGV) auch im Verkehrssektor gilt, andererseits hier aber insbesondere nicht die allgemeinen Vorschriften der Artt. 50 ff. EGV über die Herstellung der Dienstleistungsfreiheit, sondern gemäß Art. 51 Abs. 1 EGV die spezielleren des Titels über den Verkehr gelten. V. Die Zulässigkeit staatlicher Beihilfen zur Abgeltung von Daseinsvorsorgeleistungen im Verkehrssektor Staatliche Ausgleichsleistungen für Unternehmen, die Daseinsvorsorgeleistungen ausführen, geraten mit der Öffnung der Märkte in das Visier der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenkontrolle, denn sie sind zur Verzerrung des entstehenden Wettbewerbes geeignet712. Auch staatliche Beihilfen im Verkehrssektor unterliegen zugleich den allgemeinen Bestimmungen der Artt. 87 ff. EGV über staatliche Beihilfen und denen über den Verkehr. Grundsätzlich gilt das Verbot staatlicher Beihilfen des Art. 87 EGV. Die besondere Zweckrichtung von Geldleistungen, die die Durchführung von Daseinsvorsorgeaufgaben sicherstellen sollen, kann bereits den Tatbestand einer Beihilfe ausschließen. Ferner kommen der spezielle Rechtfertigungstatbestand des Art. 73 EGV und seine sekundärrechtlichen Konkretisierungen zur Anwendung. Wo Beihilfen zulässig bleiben, müssen aber Gemeinschaftsrecht und nationale Rechtsordnung sicherstellen, dass sie in nicht wettbewerbsverfälschender Weise gewährt werden. 1. Die Tatbestandsmäßigkeit der Beihilfen Ob eine Unterstützungsleistung im Verkehrssektor eine Beihilfe im Sinne des Gemeinschaftsrechts darstellt, ist anhand des für Art. 87 Abs. 1 EGV entwickelten Beihilfenbegriffs zu bestimmen.

710 EuGH vom 4.4.1974 „Kommission gegen Französische Republik“, Rs. 167/73, Slg. 1974, S. 359, 360, sog. „Seeleute“-Urteil. 711 EuGH vom 30.4.1986 „Nouvelles frontières“, Rs. 209–213/84, Slg. 1986, 1425. 712 Vgl. Gundel, RIW 2002, 222, 222 f.

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Art. 87 EGV stellt vier kumulative Voraussetzungen auf: Eine Maßnahme ist dann eine verbotene staatliche Beihilfe, wenn der Vorteil erstens unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt wird, er zweitens bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige einseitig bevorzugt, drittens der Vorteil den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und viertens die Maßnahme geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Bei staatlichen Unterstützungsleistungen, die die Ausführung einer Daseinsvorsorgeaufgabe (im ÖPNV) entgelten sollen, ist die Erfüllung des Merkmals des einseitigen Vorteils zweifelhaft, denn die Leistung entschädigt lediglich für eine auferlegte Belastung. Mit dieser Begründung hat der EuGH erstmalig ausdrücklich in seiner sog. Ferring-Entscheidung den Tatbestand einer solchen Beihilfe unter bestimmten Umständen verneint (sog. Tatbestandslösung)713. Die Vertreter der sog. Rechtfertigungslösung bejahen dagegen die Tatbestandsmäßigkeit einer solchen Beihilfe und sehen diese erst (eventuell) durch Art. 86 Abs. 2 EGV als gerechtfertigt an, der als Generalausnahmevorschrift für Ausnahmen vom EGV im Bereich öffentlicher Dienstleistungen – s. o. C.I.3.a)cc) – auch im Verkehrssektor gilt714. Kommission und Gericht erster Instanz715 hatten zuletzt im Sinne dieser Rechtfertigungslösung entschieden. So hatte das Gericht erster Instanz bestimmte Beihilfen an Unternehmen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse als zulässig angesehen, weil sie aus Art. 86 Abs. 2 EGV gerechtfertig seien716. Die Vertreter der Rechtfertigungslösung wenden ein, die Tatbestandslösung beraube Art. 86 Abs. 2 EGV im Beihilfenbereich seines Anwendungsbereichs und umgehe ihn gewissermaßen. Ferner argumentieren die Verfechter der Rechtfertigungslösung, die Tatbestandslösung widerspreche dem Wortlaut des Art. 73 EGV, der von „Beihilfen“ zur Abgeltung von mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängenden Leistungen spreche. Schließlich wolle der Vertrag mit dem Erfordernis der vorherigen Anmeldung in Art. 88 Abs. 3 EGV gerade die Kommission als Hüterin des Gemeinschaftsinteresses mit der Prüfung der Tatsache beauftragen, ob eine Beihilfe Risiken für den Gemeinsamen Markt berge717. Verneinte man nämlich bereits die Tatbestandsmäßigkeit, so wäre keine vorherige Anmeldung mehr erforderlich, weil Art. 88 Abs. 3 EGV nur für (tatbestandsmäßige) Beihilfen gelte. In der Frage nach dieser Prüfungszuständigkeit besteht auch der eigentliche praktische Unter713 EuGH vom 22.11.2001 „Ferring SA/Agence centrale des organismes de sécurité sociale (ACOSS)“, Rs. C-53/00, Slg. 2001 I-9067; EuZW 2002, 48. 714 EuGH vom 30.4.1986 „Nouvelles frontières“, Rs. 209–213/84, Slg. 1986, 1425, Rn. 42. 715 EuG vom 27.2.1997 „FFSA/Kommission“, Rs. T-106/95, Slg. 1997, II-229; EuG vom 10.3.2000 „SIC/Kommission“, Rs. T-46/97, Slg. 2000, II-2125. 716 EuG vom 27.2.1997 „FFSA/Kommission“, Rs. T-106/95, Slg. 1997, II-229, Rn. 170 ff. 717 Schlussantrag des Generalanwalts Léger vom 14.1.2002 in der Rechtssache „Altmark-Trans“, C-280/00, Rn. 44 ff.

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schied zwischen den beiden Ansichten718, denn der Sache nach gelangen beide Auffassungen zu demselben Ergebnis. Der EuGH hat nun im sog. „Altmark“-Verfahren seine Ferring-Entscheidung bestätigt. Dort entschied er, dass öffentliche Zuschüsse – insbesondere solche, die den Betrieb von Liniendiensten im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr ermöglichen sollen –, nicht als Beihilfen im Sinne des Art. 87 EGV anzusehen seien, soweit sie eine Gegenleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen darstellten. Hierfür müssten im Einzelnen vier Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens müsse das Unternehmen tatsächlich und eindeutig mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Leistungen betraut worden sein, zweitens müssten die Kriterien für die Berechnung des Ausgleichs vor der Leistungserbringung objektiv und transparent festgelegt worden sein, drittens dürfe der Ausgleich nicht über den Ausgleich des durch die gemeinwirtschaftliche Aufgabe entstandenen Verlustes inklusive eines angemessenen Gewinns hinausgehen. Viertens gibt der EuGH für die Berechnung des Ausgleichs einen objektiven Maßstab vor: Die Höhe ist auf der Grundlage der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen hätte, das so angemessen mit Transportmitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, wobei ein angemessener Gewinn des Unternehmens aus der Erfüllung dieser Verpflichtung zu berücksichtigen sei719. Insbesondere im Zusammenhang mit Ausgleichsleistungen im Nahverkehr bedarf die Voraussetzung der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten der Erörterung. Die von der Rechtsprechung an dieses Kriterium gestellten Anforderungen sind nicht hoch; bereits die Eignung zur Handelsbeeinträchtigung reicht aus720. Man könnte an einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten zweifeln, sofern die staatlich unterstützten SPRVLeistungen nur einen örtlichen oder regionalen Charakter haben. Diese Sicht lehnt der EuGH ab, weil sich auch derartige Leistungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auswirken könnten. Denn diese Leistungen ermöglichten, dass das Unternehmen seine Verkehrsdienste aufrechterhalte oder ausweite, wodurch sich die Chancen eines ausländischen Unternehmens, auf dem Gebiet des fördernden Mitgliedstaats Verkehrsdienste zu erbringen, verringerten. Diese Gefahr bestehe selbst bei geringfügigen Beihilfen. Die Mitteilung der Kommission über De minimis-Beihilfen gelte nicht für den Verkehrssektor. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs erkennt schließlich keinen Schwellenwert an, unterhalb dessen ein Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt ist. Der EuGH lässt auch nicht den Einwand gelten, dass im ÖPNV noch kein 718

Herten-Koch/Pick, LKV 2004, 62. EuGH vom 24.7.2003 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515, 2518, Rn. 88 ff. 720 Fastenrath/Müller-Gerbes, Europarecht, Rn. 178; Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 2004, S. 425, 433. 719

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1. Teil: Allgemeines

gemeinsamer Markt existiere, denn mehrere Mitgliedstaaten hätten bereits 1995 begonnen, einzelne Verkehrsmärkte dem Wettbewerb zu öffnen721. 2. Die spezielle Rechtfertigungsnorm des Art. 73 EGV Der Ausnahmevorschrift des Art. 73 EGV liegt folgender Gedanke zugrunde: Sinn des Beihilfenverbots ist, den innergemeinschaftlichen Handel vor Wettbewerbsverzerrungen zu schützen. Die Herstellung von Wettbewerb ist eines der Ziele der Gemeinsamen Verkehrspolitik. Der Zielkatalog des Art. 3 EGV, zu dem in Buchstabe g) auch der Schutz des Binnenmarktes vor Wettbewerbsverfälschungen gehört, gilt gemäß Art. 70 EGV auch im Verkehrsbereich. Das Ziel des Wettbewerbsschutzes kann hier aber nicht zum vollständigen Verbot staatlicher Beihilfen führen. Denn in vielen Bereichen des Verkehrssektors spielen staatliche Unterstützungsleistungen dort eine wichtige Rolle, wo Verkehrsleistungen ohne öffentliche Zuschüsse im Regelfall nicht auskommen. Dies trifft insbesondere auf den ÖPNV zu. Art. 73 EGV trägt diesem Sachverhalt Rechnung. Art. 73 EGV enthält zwei spezielle Rechtfertigungstatbestände für Beihilfen im Verkehrssektor, nämlich für „Beihilfen, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechen“. Diese zwei Tatbestände wurden durch die VO 1107/70/EWG konkretisiert. Auf deren Inhalt ist sogleich unter 3. genauer einzugehen. Umstritten ist, ob Art. 73 EGV neben dieser sekundärrechtlichen Ausgestaltung unmittelbar anwendbar ist und Beihilfen unmittelbar rechtfertigen kann oder ob er notwendig einer Umsetzung durch Sekundärrecht bedarf. Dies würde zunächst voraussetzen, dass Art. 73 EGV in Tatbestand und Rechtsfolge hinreichend bestimmt ist, um unmittelbar die Mitgliedstaaten zur Gewährung von Beihilfen zu ermächtigen722. Diese Frage kann indes dahingestellt bleiben, denn jedenfalls aus der VO 1107/70/EWG ergibt sich eindeutig, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber einen im Verhältnis zu Art. 73 EGV abschließenden Katalog für den Verkehrssektor aufstellen wollte. Dies machen die Erwägungsgründe der VO 1107/70/EWG723 deutlich und insbesondere auch der Wortlaut ihres Art. 3, demzufolge „unbeschadet der Verordnung (EWG) 1192/69 (. . .) und der Verordnung (EWG) 1191/69 (. . .) die Mitgliedstaaten nur in den folgenden Fällen und unter den nachstehenden Voraussetzungen Koordinierungsmaßnahmen [treffen] oder (. . .) mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundene Belastungen auf[erlegen], 721 722 723

34.

EuGH vom 24.7.2003 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515, 2518, Rn. 77 ff. Für zu unbestimmt hält Art. 73 EGV z. B. Werner, S. 39. Barth, ZUR 98, 215, 217; Berschin, S. 160 und ders., Transportrecht 1999, 33,

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die die Gewährung von Beihilfen im Sinne von Artikel 77 des Vertrages zur Folge haben“. Hiergegen ist eingewandt worden, eine sekundärrechtliche Vorschrift könne nicht den Anwendungsbereich einer primärrechtlichen Norm des Gemeinschaftsrechts beschränken724. Im Ergebnis wird man aber davon ausgehen müssen, dass die Mitgliedstaaten eine gemeinsame Politik sekundärrechtlich derart ausgestalten können, dass sie von einer ihnen durch den Vertrag prinzipiell gegebenen Möglichkeit keinen Gebrauch machen, wie dies mit dem Verzicht auf weitere zulässige Beihilfen außerhalb der VO 1107/70/EWG geschieht725. Diese Auffassung hat nun auch der EuGH auf eine entsprechende Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt726. Art. 9 der neuen VO 1370/2007/EG stellt nun klar, dass neben der Verordnung Art. 73 EGV unmittelbar als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, um die Zulässigkeit von Beihilfen zu prüfen. Die Anwendung des Art. 86 Abs. 2 EGV wird dagegen nicht durch die Regelungen der VO 1107/70/EWG ausgeschlossen. Dies verdeutlicht bereits der Wortlaut des Art. 3 der VO 1107/70/EWG, der nur Beihilfen im Sinne von Art. 77 (jetzt: Art. 73) EGV erwähnt. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass dann auch der Rückgriff auf Art. 86 Abs. 2 EGV versperrt ist. Denn Art. 73 EGV sollte im Verkehrssektor den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumen, in Sekundärrechtsakten weitere Ausnahmen vom Beihilfenverbot als in den sonstigen Wirtschaftsbereichen zuzulassen. Für alle anderen Sektoren gilt nur die Ausnahmeklausel des Art. 86 Abs. 2 EGV, die Abweichungen von Vertragsvorschriften nur zulässt, soweit sie die Erfüllung einer Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse verhindern würden. Wenn die strengeren Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EGV vorliegen, so müssen deshalb auch im Verkehrsbereich Entschädigungen für Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zulässig bleiben, auch wenn sie die VO 1107/70/ EWG nicht für zulässig erklärt. Art. 86 Abs. 2 EGV hat – anders als Art. 73 EGV – die Funktion, in unmittelbarer Anwendbarkeit und für alle Bereiche des EGV unter sehr engen Voraussetzungen Ausnahmen von Vertragsvorschriften im Bereich öffentlicher Dienstleistungen zu rechtfertigen. Dieser Zwecksetzung liefe es zuwider, wenn man auch den Anwendungsbereich des Art. 86 Abs. 2 EGV verschließen würde, weil mit der VO 1107/70/EWG von der Ermächtigung des Art. 73 EGV Gebrauch gemacht wurde727.

724 Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 2001, 131 und 293, 306; Spuller, LKV 2001, 252, 253; Detlev Boeing, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV-Kommentar, § 73 Rn. 8. 725 Jürgen Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV-Kommentar, Art. 77 Rn. 14. 726 EuGH vom 24.7.2003 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515, 2519, Rn. 107. 727 Wohl a. A. Berschin, S. 174 f.

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1. Teil: Allgemeines

3. Rechtfertigung nach der Verordnung 1107/70/EWG vom 4.7.1970 über Beihilfen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs Art. 2 der VO 1107/70/EWG stellt klar, dass das Beihilfenverbot des Art. 87 EGV grundsätzlich im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehr anwendbar ist. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der VO 1107/70/EWG ist, dass es sich um Beihilfen im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV handelt728, denn sonst wären sie nicht rechtfertigungsbedürftig. Art. 3 der VO enthält einen abschließenden Katalog zulässiger Beihilfen für den Geltungsbereich der VO, also im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr. Auch Ausgleichsleistungen nach der VO 1191/69/EWG stellen nach Art. 3 der VO zulässige staatliche Leistungen im Sinne der VO 1107/70/EWG dar. Auch dies gilt freilich nur, wenn die Leistungen nach der VO 1191/69/ EWG die übrigen Beihilfenvoraussetzungen erfüllen729. Von den in der VO 1107/70/EWG aufgezählten Beihilfen werden im ÖPNV regelmäßig lediglich die von der VO 1191/69/EWG erfassten eine Rolle spielen. Daneben können die ebenfalls in Art. 3 der VO 1107/70/EWG genannten Beihilfen zum Ausgleich der wettbewerbsverfälschenden Anlastung der Wegekosten in der intermodalen Konkurrenz mit anderen Verkehrsträgern praktisch relevant werden730. Gemäß Art. 13 der VO in Verbindung mit Art. 88 Abs. 3 EGV ist auch für die katalogmäßig zulässigen Beihilfen die Europäische Kommission um die Erteilung eines Positivattestes vorab zu ersuchen. Hingegen sind die nach der VO 1191/69/EWG zulässigen Ausgleichszahlungen nach deren Art. 17 Abs. 2 nicht anmeldepflichtig. Trotzdem haben die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich mitzuteilen, inwieweit Ausgleichsleistungen erforderlich sind (Art. 17 Abs. 2 2. Unterabs.). 4. Richtlinie 80/723/EWG vom 25.6.1980 betreffend die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten und öffentlichen Unternehmen Diese Richtlinie, deren Anwendungsbereich 1985 auch auf öffentliche Verkehrsunternehmen erstreckt wurde731, verpflichtet die Mitgliedstaaten, Unterla728

EuGH vom 24.7.2003 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515, 2519, Rn. 108. Ronellenfitsch, Der Nahverkehr 4/2004, 7, 9 und Verwaltungsarchiv 2004, 425, 438; a. A. Lehr, SächsVBl. 2004, 253, 256 ff., der von einem „Anwendungsvorrang“ der VO 1191/69 vor dem primärrechtlichen Beihilfenverbot spricht. 730 Werner, S. 41. 731 Seit der Änderungsrichtlinie 85/413/EWG vom 24.7.1985, ABl. 1985 Nr. L 229, S. 20. 729

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gen über ihre finanziellen Beziehungen mit den öffentlichen Unternehmen bereitzuhalten und sie auf Anfrage der Kommission mitzuteilen. Als öffentliche Unternehmen werden dabei solche angesehen, auf die die öffentliche Hand einen bestimmenden Einfluss ausüben kann (Art. 2). Sinn der Vorschriften ist, der Kommission die Kontrolle der Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenvorschriften zu erleichtern, vgl. Erwägungsgrund Nr. 5. VI. Die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs und die diesbezügliche Verordnung 1017/68/EWG vom 19.7.1968 Bis in die 80er Jahre spielten die Wettbewerbsregeln des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Kartellverbot des Art. 81 EGV und das Verbot einer marktbeherrschenden Stellung des Art. 82 EGV, im Eisenbahnsektor kaum eine Rolle, obwohl in den Mitgliedstaaten jeweils ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung einnahm und sie auch untereinander kartellierende Absprachen trafen732. Da aber im Eisenbahnverkehr – mit Ausnahme einiger Schmalspur- oder Museumsbahnen – überhaupt kein Wettbewerb bestand, blieb das Wettbewerbsrecht für die mitgliedstaatlichen Eisenbahnunternehmen nahezu ohne Bedeutung733. Dies änderte sich erst Anfang der 90er Jahre mit den in der Richtlinie 91/440/EG vorgesehenen ersten Schritten zu einer Öffnung des Eisenbahnverkehrs für den intramodalen Wettbewerb. Gleichzeitig begann die Europäische Kommission, – als weiteres Instrument der Liberalisierung734 – Kooperationen von Eisenbahnunternehmen auf ihre Vereinbarkeit mit Wettbewerbsrecht zu überprüfen735. Bereits die ersten eingeleiteten kartellrechtlichen Verfahren736, weitere beihilfenrechtliche Verfahren737 und nicht zuletzt die Bei732

Menges, S. 27. Burmeister, S. 176. 734 Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 516 ff. 735 Vgl. den Überblick bei S. 176 f.; bei Menges, S. 28 ff.; sowie bei Piam Bobda: Les réseaux ferroviaires, S. 235 ff. 736 Zum einen die Entscheidungen der Kommission zu den Kooperationen im Rahmen der UIC: Entscheidung der Kommission 92/568/EWG vom 25.11.1992 (Verkauf von Fahrausweisen im Eisenbahnverkehr durch Reisebüros), ABl. EG 1992 L 366, S. 47; Entscheidung der Kommission 93/174/EWG vom 24.2.1993 (Tarifstrukturen im kombinierten Güterverkehr), ABl. EG 1992 L 73, S. 38.; zum anderen die Entscheidungen zu Absprachen über den Verkehr im Kanaltunnel zwischen England und dem Kontinent: Entscheidung der Kommission 94/594/EG vom 27.7.1994 (ACI), ABl. EG 1994 L 224, S. 28; Entscheidung der Kommission 94/663/EG vom 21.9.1994 (ENS), ABl. EG 1994 L 259, S. 20; Entscheidung der Kommission 94/894/EG vom 13.12. 1994 (Eurotunnel), ABl. EG 1994 L 354, S. 66; schließlich die Entscheidung zur Einrichtung einer gemeinsamen Verkaufsstelle von Eisenbahnleistungen durch die belgische, deutsche und niederländische Eisenbahnen: Entscheidung der Kommission 94/ 210/EG vom 29.3.1994 (HOV-SVZ/MCN), ABl. EG 1994 L 104, S. 34. 733

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1. Teil: Allgemeines

hilfen-Leitlinien für Eisenbahnunternehmen738 machen den Willen der Kommission deutlich, den Eisenbahnsektor nunmehr in vollem Umfange dem Wettbewerbsrecht zu unterwerfen739. Die VO 1017/68/EWG stellt eine Spezialregelung zu der VO 1/2003/EG740 – vormals 17/62/EWG – zur Durchführung der Artt. 81, 82 EGV dar, die die Verfahrensordnung für die Beihilfenkontrolle der Europäischen Kommission enthält. Derzeit ist ein Gesetzgebungsverfahren zur „Kodifizierung“ der VO 1017/68/EWG im Gange, das eine neue, konsolidierte Verordnung ohne inhaltliche Änderung der VO 1017/68/EWG und ihrer bisherigen Abänderungen zum Ergebnis haben soll741. Die VO 1017/68/EWG stellt klar, dass die allgemeinen Vertragsvorschriften über den Wettbewerb auch im Verkehrswesen Anwendung finden742. Die Artt. 2, 7 und 8 der VO wiederholen deklaratorisch die Artt. 81, 82 EGV; Art. 9 der VO gibt die Aussage des Art. 86 EGV wieder. Eigenständige Bedeutung erlangt die VO neben ihren Verfahrensregeln dadurch, dass sie Freistellungen in Art. 3 für technische Vereinbarungen sowie weitere in Artt. 4 und 5 vorsieht. Die Kommission wendet in ihrer kartellrechtlichen Entscheidungspraxis die VO 1017/68/EWG nicht auf die Märkte für Eisenbahninfrastrukturleistungen an, weil ihrer Ansicht nach wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen in Bezug auf Infrastrukturmärkte keine Verkehrsleistungen beträfen und sie deshalb dem allgemeinen Wettbewerbsrecht unterlägen743. Hingegen findet sie Anwendung auf alle Tätigkeiten des Verkehrshilfsgewerbes744. VII. Gemeinschaftsrechtliches Sekundärrecht zur Öffnung der Eisenbahnverkehrsmärkte und Vereinheitlichung der Rechtsbedingungen Die im Folgenden dargestellten Gemeinschaftsrechtsakte betreffen nicht unmittelbar den Schienenpersonennahverkehr, aber sie gestalten die Funktionsgrundlagen des Eisenbahnwesens in der EU und haben somit auch für den SPNV grundlegende Bedeutung. Auch die bereits oben C.II.3.b) dargestellte VO 1191/69/EWG dient der Vereinheitlichung der Rechtsbedingungen und wäre deshalb auch an dieser Stelle darzustellen. 737 Vgl. unten 2. Teil A.VII.7.c) zum Verfahren öffentlicher Dienstleistungsvertrag zwischen DB Regio und Ländern Berlin und Brandenburg. 738 s. o. V.5. 739 s. auch: Rede von Mario Monti vom 21.5.2002 aus Anlass des jährlichen Empfangs der UNIFE „Effective competition in the railway sector: a big challenge“; Nr.: SPEECH/02/216. 740 ABl. EU 2003 L 1/1. 741 Vgl. Kommissionsdokument KOM(2006)722 endgültig. 742 Menges, S. 26. 743 Burmeister, S. 178. 744 Schulz, S. 213 f.; Burmeister, S. 178.

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1. Die Verordnung 1192/69/EWG vom 26.6.1969 über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen Diese Verordnung, wie die VO 1191/69/EWG am 26. Juni 1969 erlassen, sieht aus Gründen der Transparenz und der Gleichheit mit anderen Transportmitteln die vollständige Kompensation oder die Aufhebung solcher den Eisenbahnunternehmen auferlegten Lasten vor, die nicht gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen im Sinne der Verordnung 1191/69/EWG sind und deshalb nicht von dieser Verordnung erfasst werden. Sie zielt vor allem auf Lasten, die durch ein Übermaß an Personal sowie durch andere Sonderleistungen für das Personal verursacht werden. Solche besonderen Personallasten waren den staatlichen Eisenbahnunternehmen häufig aus sozialpolitischen Gründen auferlegt worden. Gemäß Art. 10 Abs. 1 erster Unterabsatz der VO 1192/69/EWG sind die Ausgleichsbeträge in einer der Jahresbilanz des Eisenbahnunternehmens beigefügten Übersicht aufzuführen. Hierher gehört z. B. die Durchführung von Sonderprogrammen, in denen die DB AG zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit über ihren eigenen Bedarf hinaus Ausbildungsplätze angeboten hat. Der Bund hat diese Leistungen mit Pauschalzahlungen vergütet745. In diesen Zusammenhang sind auch zu nennen die VO 2830/77/EWG vom 12.12.1977 über Maßnahmen zur Herstellung der Vergleichbarkeit der Rechnungsführung und der Jahresrechnung von Eisenbahnunternehmen sowie die VO 2183/78/EWG vom 19.9.1978 zur Festlegung einheitlicher Grundsätze für die Kostenrechnung der Eisenbahnunternehmen746. 2. Die Richtlinie 91/440/EWG und ihre Durchführungsrichtlinien Die Richtlinie 91/440/EWG vom 29. Juli 1991 stellt den Ausgangspunkt der gemeinschaftsrechtlichen Liberalisierung im Eisenbahnsektor dar. Sie beruht auf vier Eckpunkten: Erstens wird ein vom Staat unabhängiges Statut der Eisenbahnunternehmen in Bezug auf Geschäftsführung und Buchführung (Artt. 4, 5) vorgegeben. Die Eisenbahnen sind nach denselben Prinzipien zu führen wie Wirtschaftsunternehmen. Zweiter Punkt ist die finanzielle Sanierung der Eisenbahnunternehmen: Die Eisenbahnen sind so weit zu entschulden, dass sie in der Lage sind, sich in einem wettbewerblichen Umfeld zu behaupten (Art. 9). Drittens schreibt die Richtlinie die Trennung der Rechnungsführung zwischen Eisenbahnverkehrsunternehmen und Betreibern der Infrastruktur vor. Viertens sieht sie ein beschränktes Zugangsrecht dritter Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Eisenbahninfrastruktur vor. Die Richtlinie stellt aber in mehrfacher Hinsicht 745 746

Wittenberg/Heinrichs/Mittmann/Zwanziger, AEG-Kommentar, § 15 Rn. 7. s. hierzu: Schulz, S. 312 f.

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1. Teil: Allgemeines

nicht mehr als einen ersten Schritt dar: Das Zugangsrecht wird nur internationalen Unternehmenszusammenschlüssen gewährt. Die vorgeschriebene Trennung zwischen Eisenbahnunternehmen und Betreibern der Infrastruktur beschränkt sich auf die Buchhaltung; eine organisatorische oder institutionelle Trennung wird nicht verlangt. Gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie sind Eisenbahnverkehrsunternehmen, deren Tätigkeit sich auf den örtlichen oder regionalen Verkehr beschränkt, von der Anwendung der Richtlinie ausgenommen. Zu dieser Richtlinie wurden im Jahre 1995 zwei Durchführungsrichtlinien erlassen: Die „Richtlinie 95/18/EG über Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen“ vom 19.6.1995747, sowie die „Richtlinie 95/19/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Berechnung von Wegeentgelten“ vom gleichen Tage748. 3. Das erste Eisenbahnpaket 1996 veröffentlichte die Kommission ihr Weißbuch mit dem Titel „Eine Strategie zur Wiederbelebung der Eisenbahnen in der Gemeinschaft“. Infolge der darin angekündigten Maßnahmen erließ die Gemeinschaft drei im sog. ersten Eisenbahnpaket zusammengefasste Richtlinien, die Richtlinien 2001/12/EG, 2001/13/EG sowie 2001/14/EG. Die „Richtlinie 2001/12/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26.2.2001 zur Änderung der Richtlinie 91/440/ EWG des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft“749 betrifft den Netzzugang im Güterbereich und öffnet die Eisenbahninfrastruktur für den grenzüberschreitenden Güterverkehr generell auf den Strecken des sog. „transeuropäischen Eisenbahngüternetzes“, einem Streckennetz von ca. 50.000 km Länge mit ca. 70–80% Verkehrsanteil im jeweiligen nationalen Schienengüterverkehr750, vgl. Art. 10 Abs. 3 Richtlinie 91/440/EWG in seiner neuen Fassung. Dieses wettbewerbsoffene transeuropäische Güternetz stellte eine Übergangslösung bis zur vollständigen Öffnung für den internationalen Güterverkehr am 1. Januar 2006 dar. Die Richtlinie sieht weiterhin nur fakultativ vor, dass die Trennung zwischen Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber nunmehr auch organisatorisch vollzogen wird. Die „Richtlinie 2001/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2001 zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen“751 modifiziert die Vorschriften der

747 748 749 750 751

ABl. L 143 vom 27.6.1995, S. 70. ABl. L 143 vom 27.6.1995, S. 75. ABl. EG Nr. 75 vom 15.3.2001, S. 1. Maier, Chronique, Juris-Classseur Europe, juillet 2003, 4. ABl. EG Nr. 75 vom 15.3.2001, S. 26.

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Richtlinie 95/18/EG über ein gemeinschaftsweites Zulassungsverfahren von Eisenbahnunternehmen. Die „Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahnkapazität und die Sicherheitsbescheinigung“752 ersetzt und ergänzt schließlich die Richtlinie 95/19/EG hinsichtlich der Zuteilung von Eisenbahninfrastrukturkapazitäten. Sie sieht vor, dass der Infrastrukturbetreiber ein Referenzdokument zu erarbeiten hat, das u. a. Informationen technischer Natur sowie Informationen über den Netzzugang enthält. Außerdem verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Einrichtung einer Beschwerdeinstanz für Entscheidungen über den Netzzugang. 4. Das zweite Eisenbahnpaket Aufgrund der Vorschläge in ihrem Weißbuch von September 2001 mit dem Titel „Die europäische Transportpolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“753 hat die Kommission im Januar 2002 vier neue Maßnahmenvorschläge präsentiert, die als zweites Eisenbahnpaket bezeichnet werden und im Vermittlungsausschuss zwischen Europäischem Parlament und Rat vom 16.3.2004 angenommen wurden: Die sog. Richtlinie über die Eisenbahnsicherheit754 vom 29.4.2004, eine Richtlinie über die Interoperabilität des europäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems und des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems zur Änderung der Richtlinien 96/48/EG und 2001/16/EG755 und eine Verordnung zur Errichtung einer europäischen Eisenbahnagentur756 vom 29.4.2004, die gemeinsame Sicherheits- und Interoperabilitätsstandards erarbeiten soll. Ferner enthält das Paket einen Vorschlag für eine Ratsentscheidung, die die Kommission zur Verhandlung über den Beitritt der EU zur OTIF (Organisation Intergouvernementale pour les Transports Internationaux ferroviaires, Zwischenstaatliche Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr) einer internationalen Organisation, die internationale Sicherheitsstandards ausarbeitet, ermächtigt. Die Richtlinie 91/440/EWG wird dahingehend abgeändert, dass der Markt für den Güterverkehr über den internationalen Verkehr hinaus auch für die Kabotage bereits ab 1.1.2007 geöffnet wird757.

752

ABl. EG Nr. 75 vom 15.3.2001, S. 29. KOM (2001) 370 endg., nicht im Amtsblatt veröffentlicht. 754 RL 2004/49/EG, ABl. L 164, S. 44. 755 RL 2004/50/EG, ABl. L 164, S. 114. 756 RL 881/2004/EG, ABl. L 164, S. 1. 757 RL 2004/51/EG vom 29. April 2004 zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG des Rates zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft. 753

188

1. Teil: Allgemeines

5. Das dritte Eisenbahnpaket Am 3. März 2004 schlug die Europäische Kommission ein drittes Eisenbahnpaket vor, das vier Maßnahmenvorschläge enthielt758. Das Paket wurde am 23. Oktober 2007 vom Europäischen Parlament und dem Rat angenommen und am 3.12.2007 im Amtsblatt veröffentlicht. Zu dem Paket gehören die „Richtlinie 2007/59/EG vom 23. Oktober 2007 über die Zertifizierung von Triebfahrzeugführern, die Lokomotiven und Züge im Eisenbahnsystem in der Gemeinschaft führen“759, die einen gemeinschaftsweit anerkannten Lokführerschein einführen soll, und die „Verordnung Nr. 1371/2007/EG über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr“760. Diese sog. Passagierrechteverordnung tritt am 3.12.2009 in Kraft, wobei zeitlich gestaffelte Ausnahmevorschriften vorgesehen sind. Die Richtlinie 2007/58/EG zur Änderung der Richtlinie 91/440/EWG und der Richtlinie 2001/14/EG sieht die Marktöffnung im grenzüberschreitenden Eisenbahnpersonenverkehr mit Kabotagemöglichkeit ab dem 1.1.2010 vor761. Die Unternehmen erhalten dabei das Recht, Fahrgäste auf den inländischen Teilstücken zu transportieren. Hauptzweck der Verkehrsleistung muss allerdings die Beförderung von Fahrgästen zwischen Bahnhöfen in verschiedenen Mitgliedstaaten sein. Die Regelung gilt auch im grenzüberschreitenden Regionalverkehr. Das ursprünglich vorgesehene Vorhaben einer Verordnung über Entschädigungen bei Nichterfüllung vertraglicher Qualitätsanforderungen im Schienengüterverkehr762 wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgegeben. Hier wurde auf eine Entwicklung der Qualität durch Marktkräfte vertraut. Obwohl die VO 1370/2007/EG über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße – vgl. oben C.II.3.c) – zeitgleich veröffentlicht wurde, ist sie nicht Bestandteil des dritten Eisenbahnpakets. 6. Das sog. technische Paket Am 13.12.2006 schlug die Kommission mehrere Gesetzesänderungen an den Interoperabilitätsrichtlinien, der Sicherheitsrichtlinie und der ERA-Verordnung vor, die im Wesentlichen auf eine Vereinfachung der Inbetriebnahmevorschriften für Eisenbahnfahrzeuge in den Mitgliedstaaten zielen. Zu dem Zweck wurde das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Fahrzeugzulassungen in der Interoperabilitätsrichtlinie festgeschrieben. Die beiden Interoperabilitätsricht-

758 KOM (2004) 140 endgültig; veröffentlicht auf: http://europa.eu.int/comm/trans port/rail/package2003/doc/com140-de.pdf, Stand: 1.8.2008. 759 ABl. L 315 S. 51. 760 ABl. L 315 S. 14. 761 ABl. L 315 S. 44. 762 KOM (2004) 144 endgültig.

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linien werden zu einer einzigen zusammengefasst763. Über die Änderungen der Sicherheitsrichtlinie und der ERA-Verordnung wurde im Juni 2008 ein politischer Kompromiss zwischen Rat und Europäischem Parlament erzielt. VIII. Weitere Marktzugangsrechte im Eisenbahnverkehr aus primärem Gemeinschaftsrecht? Die Monopolstellung der SNCF Da das sekundäre Gemeinschaftsrecht nur geringe Zugangsrechte zum Eisenbahnverkehrsmarkt gewährt, könnte man erwägen, weitergehende Rechte (und damit ein schnelleres Liberalisierungstempo) durch Auslegung des Primärrechts abzuleiten764. Während in Deutschland allen Eisenbahnunternehmen mit Sitz im Inland, die bestimmte sicherheitsrechtliche Anforderungen erfüllen, sowie bestimmten ausländischen Eisenbahnunternehmen Zugang zur Infrastruktur gewährt wird, ist in Frankreich die staatliche SNCF im rein innerstaatlichen Schienenpersonenverkehr immer noch das einzige zur Benutzung der staatlichen Infrastruktur ermächtigte Unternehmen, vgl. Art. 18 LOTI, s. o. C.II.1.a). Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen hat im infrastrukturabhängigen Eisenbahnverkehrssektor keinen Marktzugang ohne Zugang zur Infrastruktur. Man kann sich deshalb fragen, inwieweit das Monopol der SNCF im innerstaatlichen Personenverkehr mit primärem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. In der französischen Literatur wird diese Frage, soweit ersichtlich, nicht gestellt. Die Gewährung weiterer Zugangsrechte zur französischen Eisenbahninfrastruktur für nichtstaatliche Verkehrsunternehmen und damit die weitere Einschränkung des Eisenbahnverkehrsmonopols der SNCF würde eine teilweise materielle Aufgabenprivatisierung darstellen, weil dann auch Privatunternehmen die Aufgabe des innerstaatlichen Schienenpersonenverkehrs durchführen würden. Einer solchen Auslegung des primären Gemeinschaftsrechts stände trotzdem nicht Art. 295 EGV entgegen. Art. 295 EGV sieht vor, dass der Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt lässt. Dies beinhaltet insbesondere zwei Aussagen: Erstens berühren Politiken der Privatisierung öffentlicher Unternehmen oder der Verstaatlichung privater Unternehmen in den Mitgliedstaaten nicht den EGV, und zweitens enthält der EGV keine Ermächtigung zu einer auf Privatisierung in den Mitgliedstaaten gerichteten Politik der Gemeinschaftsorgane765. Art. 295 EGV ist als Kompromissvorschrift über den öffentlichen Sektor aus den Verhandlungen über die Römischen Verträge her763 Richtlinie 2008/57/EG vom 17. Juni 2008 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft (Neufassung). 764 In dem Sinne Burmeister, S. 112. 765 Streinz, Europarecht, 5 Rn. 839; Geiger, Kommentar zum EGV, Art. 295 Rn. 1; Badura, Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, S. 27.

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1. Teil: Allgemeines

vorgegangen. Insbesondere Frankreich und Italien mit ihrer ausgeprägten Tradition der Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen durch öffentliche Unternehmen sahen in dem auf die Verwirklichung des Wettbewerbsprinzips ausgerichteten Gemeinsamen Markt eine Gefährdung ihrer traditionellen Regulierungsmechanismen, während die Staaten mit einer wettbewerbsfreundlicheren Wirtschaftstradition in einem staatlich geförderten Sektor eine Gefährdung der privaten Wirtschaftsunternehmen sahen766. Dennoch laufen verschiedene gemeinschaftsrechtliche Vorgaben auf eine Privatisierungspflicht hinaus767. Art. 295 EGV ist damit eng auszulegen in dem Sinne, dass das Gemeinschaftsrecht nicht zu einer Organisationsprivatisierung zwingen darf, weil sie direkt die Eigentumsordnung berührt. Die Eigentümerstellung des Staates an den Eisenbahnen wird darüber hinaus als überkommene „Besonderheit des Verkehrs“ im Sinne des Art. 71 EGV anerkannt768. Damit würde Art. 295 EGV nicht der Aufhebung des Betriebsmonopols der SNCF im innerstaatlichen Schienenpersonenverkehr entgegenstehen. 1. Missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung Der EuGH könnte entsprechend seiner Rechtsprechung zum Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit aufgrund von Artt. 82, 86 Abs. 1 EGV die Monopolstellung der SNCF in Frage stellen. Dann müsste das der SNCF gewährte Ausschließlichkeitsrecht sich als ein missbräuchliches Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung darstellen, was sich insbesondere in Schäden zum Nachteil der Verbraucher durch eine mangelhafte Versorgung mit Leistungen, für die das Ausschließlichkeitsrecht besteht, äußern kann. So hat der EuGH in einem Urteil vom 23.4.1991 festgestellt, dass das Arbeitsvermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit für Führungskräfte gegen Artt. 82, 86 Abs. 1 EGV verstößt769. Denn der Mitgliedstaat habe mit der Gewährung des Monopols an sein öffentliches Unternehmen diesem eine marktbeherrschende Stellung verschafft, die das Unternehmen im speziellen Fall ausgenutzt habe. Daraus wurde die Verpflichtung des Mitgliedstaats Deutschland zu einer zumindest teilweisen materiellen Aufgabenprivatisierung der Arbeitsvermittlung gefolgert, indem private Wettbewerber zuzulassen sind. Ähnlich liegt der Fall 766

Nettesheim, Mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, S. 40 f. Bauer VVdStRL 1995 (54), 243, 259 ff.; vgl. zu dem Thema allgemein und anderen indirekten Formen eines vom Gemeinschaftsrecht ausgeübten Privatisierungsdrucks: Böhmann, Privatisierungsdruck durch das Europarecht, insb. S. 148 ff.; Weiß, AöR 128 (2003), 91 ff.; Luke, S. 74. 768 Peter Mückenhausen, in: Lenz, EG-Vertrag, Kommentar, Art. 71 Rn. 5; Udo Steiner, in: Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, § 10 Rn. 58. 769 EuGH vom 23.4.1991 „Höfner und Elsner/Macroton GmbH“, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-2010, 2019. 767

F. Die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor

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der Richtlinie vom 16.5.1988 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikations-Endgeräte, mit der das Monopol für die Einrichtung, die Inbetriebsetzung und die Wartung von Telekommunikationsendgeräten u. a. der Deutschen Bundespost für den deutschen Markt aufgehoben wurde770. Die Rechtmäßigkeit dieser Richtlinie hat der EuGH u. a. mit der Erwägung bestätigt, dass das Monopol nicht in der Lage sei, dem Verbraucher die Gesamtheit der auf dem Markt existierenden Geräte anzubieten771. Gegen die Übertragbarkeit der eben dargestellten Rechtsprechung auf das Monopol der SNCF spricht, dass im Falle der Entscheidung „Höfner und Elsner/Macroton GmbH“ zur Bundesanstalt für Arbeit besondere Umstände existierten, die das Arbeitsvermittlungsmonopol unverhältnismäßig erscheinen ließen und die der EuGH mit in den Leitsatz aufnahm: Auf der einen Seite bestand ein gesetzliches Verbot privater Vermittlungstätigkeit, das zuwiderlaufende Verträge mit Nichtigkeit bestrafte, auf der anderen Seite war die Bundesanstalt aber nicht in der Lage, die Nachfrage auf dem Markt der Führungskräftevermittlung zu decken. Die tatsächliche Vermittlungstätigkeit Privater wurde auch in der Praxis geduldet772. Diese Umstände scheinen dem Fall den Charakter einer Ausnahmeentscheidung zu geben. 2. Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) Ferner könnte das Monopol der SNCF gegen die in Art. 43 EGV gewährleistete Niederlassungsfreiheit verstoßen. Die Niederlassungsfreiheit gilt unmittelbar auch im Verkehrssektor773. Aus dieser Grundfreiheit lässt sich jedoch kein Abwehrrecht gegen den Rechtssatz eines Mitgliedstaats ableiten, der einem mitgliedstaatlichen Unternehmen eine Monopolstellung gewährt. Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet im Kern nur das Recht, im fremden Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung zu gründen, nicht auch das Recht, die Tätigkeit auszuüben, die das Unternehmen in seinem Ursprungsstaat ausübt. Durch die Nichtzulassung zum Eisenbahnverkehrsmarkt wird das ausländische Unternehmen auch nicht diskriminiert. Denn das ausländische Unternehmen wird insoweit lediglich jedem anderen Unternehmen aus dem Mitgliedstaat – mit Ausnahme des Monopolunternehmens – gleichgestellt, dem dieser Markt ebensowenig offen steht774.

770

ABl. 1988, Nr. L 131, S. 73. EuGH vom 19.3.1991 „Französische Republik/Kommission“, Rs. C-202/88, Slg. 1991, I-1259, 1268. 772 EuGH vom 23.4.1991 „Höfner und Elsner/Macroton GmbH“, Rs. 41/90, Slg. 1991, I-2010, 2017 ff. 773 EuGH vom 21.6.1974 „Reyners/Königreich Belgien“, Rs. 2/74, Slg. 1974, 631. 774 Vgl. die Nachweise bei Menges, S. 19 ff.; a. A. m.w. N. Schulz, S. 281. 771

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1. Teil: Allgemeines

Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH verbietet aber die Niederlassungsfreiheit über dieses Diskriminierungsverbot hinaus auch nationale Maßnahmen, die die freie Niederlassung behindern775. Weitgehend ungeklärt ist, wie weit dieses Beschränkungsverbot reicht776. Es ist offensichtlich, dass das Monopol der SNCF für den innerstaatlichen Schienenpersonenverkehr die Niederlassung eines Eisenbahnverkehrsunternehmens in Frankreich zur Ausübung dieses Geschäftsgegenstandes überflüssig macht und damit die Ausübung der Niederlassungsfreiheit mittelbar behindert. Mit einer ähnlichen Argumentation hat das Gericht erster Instanz einen Verstoß eines nationalen Fernsehwerbungsmonopols gegen die Niederlassungsfreiheit angenommen777. Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit können aber gerechtfertigt sein. Nationale Maßnahmen müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist778. Das Monopol der SNCF gilt diskriminierungsfrei gegenüber sonstigen inländischen wie ausländischen Unternehmen. Es dient raumordnungspolitischen, sozialpolitischen Zielen sowie der Verkehrssicherheit. Dass diese Ziele auch auf andere Weise sichergestellt werden können, soll hier nicht bestritten werden und ist im Bereich des Regionalverkehrs gerade Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Der Betrieb der Eisenbahnen als monopolistischer Staatsbahnen ist allerdings in den Mitgliedstaaten der EU das traditionelle Instrument, um diese Gemeinwohlbelange sicherzustellen, und sie haben dies auch in gewissen Grenzen vermocht. Die Erfahrungen mit anderen Modellen scheinen noch nicht ausgereift genug, um sichere Aussagen darüber treffen zu können, dass sie diese Gemeinwohlbelange auf Dauer besser sicherstellen können. Anhaltspunkte dafür, dass Wettbewerb auf der Schiene positive Auswirkungen hat, lassen sich allenfalls im SPNV und im Güterverkehr finden. Einen Konsens hierüber versuchen die Mitgliedstaaten im Rahmen der sekundärrechtllichen Liberalisierung zu finden779. Deshalb scheint es wenig wahrscheinlich, dass der EuGH das Monopol der SNCF als Verstoß gegen Art. 43 EGV ansehen könnte780.

775

EuGH vom 30.11.1995, „Gebhard“, Rs. C-55/94, Slg. I-1995, 4165, 4197. Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV-Kommentar, EGV Art. 43, Rn. 83; eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sieht in staatlich veranlassten Monopolen: Weiß, AöR 128 (2003), 91, 103. 777 EuG vom 8.7.1999, „Vlaamse Televisie Maatschappij/Kommission“, Rs. T-266/ 97, ZUM 2000, 1077. 778 EuGH vom 30.11.1995, „Gebhard“, Rs. C-55/94, Slg. I-1995, 4165, 4197 f. sowie EuGH vom 31.3.1993 „Kraus“, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663, Rn. 32. 779 Z. T. a. A. Burmeister, S. 138 ff. 780 Vgl. für die deutsche Rechtslage vor der Bahnreform: Schulz, S. 278 ff. 776

F. Die europäische gemeinsame Verkehrspolitik im Eisenbahnsektor

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3. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) Auch aus der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) lassen sich keine Marktzugangsrechte, die über die bereits sekundärrechtlich ausgestalteten hinausgehen, ableiten. Zwar hat der EuGH anerkannt, dass der Gewährleistungsinhalt der Dienstleistungsfreiheit über ein bloßes Diskriminierungsverbot gegenüber Inländern hinausgeht781. Die Artt. 49, 50 EGV enthalten demnach ein allgemeines Beschränkungsverbot in dem Sinne, dass sie staatliche Behinderungen von Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat generell untersagen, unabhängig davon, ob sie nur speziell EG-Ausländer, oder ob sie in gleichem Maße auch Inländer des Mitgliedstaates treffen782. Dabei können insbesondere Monopolrechte die Dienstleistungsfreiheit unzulässig beschränken783. Die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit gelten aber, wie oben ausgeführt, nur nach Maßgabe der besonderen Vorschriften über den Titel über die Gemeinsame Verkehrspolitik. Der EuGH hat Art. 71 EGV, der die Gemeinschaftsorgane zu einem Tätigwerden in bestimmten Bereichen des Verkehrs ermächtigt, die Aussage entnommen, dass die Anwendung der Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit im Verkehr unter dem Vorbehalt der sekundärrechtlichen Ausgestaltung der Gemeinsamen Verkehrspolitik stehe und eine unmittelbare Anwendung demnach ausscheide784. Das Sekundärrecht gewährt Marktzugangsrechte bislang nur nach Maßgabe der Richtlinie 91/440/EWG idF der Richtlinie 2004/51/EG. Weiter hat der EuGH Art. 71 EGV aber entnommen, dass zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Verkehrsbereich dem Rat nur ein „angemessener Zeitraum“ zur Verfügung stehe785. Danach solle die Dienstleistungsfreiheit unmittelbar gelten. Einige Autoren sehen diesen „angemessenen Zeitraum“ spätestens mit Beginn des Binnenmarktes am 1.1.1993 als abgelaufen an, mit der Folge, dass seitdem die Dienstleistungsfreiheit auch im Eisenbahnverkehr unmittelbar anwendbar sei786. Hingegen spiegelt das schrittweise und auch heute noch nicht abgeschlossene Vorgehen bei der Marktöffnung im Eisenbahnsektor die sozialen und wirtschaftlichen Widerstände in diesem Sektor wider und erweist sich so als sachgerecht, weshalb der Zeitraum weiterhin als angemessen erscheint. Eine

781 EuGH vom 25.2.1988 „Kommission/Bundesrepublik Deutschland“, Rs. 427/85, Slg. I-1988, 1123, 1158 f.; EuGH vom 15.12.1995 „Bosman“, Rs. C-415/93, Slg. I1995, 4921, 5068 f. 782 Nettesheim, NVwZ 1996, 342. 783 EuGH vom 10.12.1991, Rs. 179/90 „Hafen von Genua“, Rspr. I-5889, 5929. 784 EuGH vom 22.5.1985 „Europäisches Parlament/Rat“, Rs. 13/83, Slg. 1985, 1513, 1599; ebenso: Burmeister, S. 136; Ronellenfitsch, DVBl. 2002, 657, 661. 785 EuGH vom 22.5.1985 „Europäisches Parlament/Rat“, Rs. 13/83, Slg. 1985, 1513, 1600. 786 Schulz, S. 271.

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1. Teil: Allgemeines

entsprechende Argumentation hat der EuGH in einem Urteil von 1991 zur Kabotage im Güterverkehr gelten lassen787. 4. Ergebnis Das langsame Vorgehen bei der Liberalisierung des Eisenbahnsektors reflektiert den schwierigen Prozess, für die Mitgliedstaaten annehmbare Kompromisse in diesem traditionell von besonderer Staatsnähe gekennzeichneten Sektor zu finden. Ein Fortschreiten aus alleiniger Initiative der Gemeinschaftsorgane nach primärem Gemeinschaftsrecht – und dies würde die Ableitung von Zugangsrechten aus Primärrecht durch den EuGH bedeuten – ließe sich nur rechtfertigen, wenn die Mitgliedstaaten an einen Punkt völligen Stillstandes gelangten. Bis zu diesem Punkt scheint die Suche nach Kompromissen bei der Erarbeitung von sekundären Gemeinschaftsrechtsakten vorzugswürdig. Eine gewisse Zurückhaltung des EuGH, die zuletzt allgemein im Bereich gemeinwohlorentierter Dienstleistungen beobachtet wurde – s. o. C.II.3.a)dd) – lässt sich auch im ÖPNV konstatieren, wo er im sog. Altmark-Urteil die Entscheidung über die Vereinbarkeit der Regelung der Gemeinwirtschaftlichkeit in § 8 Abs. 3 PBefG mit dem gemeinschaftsrechtlichen Bestimmtheitsgebot letztlich dem vorlegenden BVerwG vorbehielt788.

787 EuGH vom 7.11.1991 „Pinaud Wieger GmbH/Bundesanstalt für den Güterverkehr“, Rs. C-17/90, Slg. I-1991, 5253; Burmeister, S. 137. 788 EuGH vom 24.7.2003 „Altmark-Trans“, NJW 2003, 2515, 2517, Rn. 63; vgl. nun auch VG Stade vom 16.9.2004, NZBau 2005, 115 ff.

2. Teil

Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs A. Die Regionalisierung in Deutschland I. Definition des öffentlichen Personennahverkehrs und des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs Die Begriffe des ÖPNV und des SPNV finden sich auf der Ebene des Verfassungsrechts und des einfachgesetzlichen Rechts. Verschiedene Gesetze verwenden den Begriff des ÖPNV bald in einem weiten, bald in einem engen Sinne. Den Begriff des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) prägte Hardy Wagner in seiner 1965 erschienenen Dissertation1. Dort wird er als Oberbegriff in Abgrenzung zum Personenfernverkehr in umfassendem Sinne verwendet: Er umfasst dann alle Verkehrsmittel, die auf Straßen oder Schienen angewiesen sind und auch sonstige, wie z. B. die Binnenschifffahrt2. In diesem Sinne definiert § 2 des Regionalisierungsgesetzes3 den ÖPNV als die „allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen“. Die meisten Nahverkehrsgesetze der Länder wiederholen die Definition des Regionalisierungsgesetzes4. Art. 106a GG setzt den Begriff des ÖPNV voraus. Das Regionalisierungsgesetz füllt auf einfachgesetzlicher Ebene den in Art. 106a GG vorausgesetzten Begriff des ÖPNV aus5. Auch wenn die Verfassung als höherrangige Norm nicht nach Maßgabe des einfachgesetzlichen Rechts interpretiert werden darf, so ist doch festzustellen, dass derselbe Gesetzgeber zeitgleich auf einfachgesetzlicher Ebene eine Definition des Verfassungsbegriffs gegeben hat. Die die Ei1 Hardy Wagner, Heutige Möglichkeiten gemeinwirtschaftlicher Verkehrsbedienung im öffentlichen Personennahverkehr, Köln 1965, S. 20 ff. 2 Werner, S. 6. 3 Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Art. 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens) vom 27.12.1993, BGBl. I S. 2395. 4 Art. 1 Abs. 1 BayPersBefG, § 2 Abs. 1 BWÖPNVG, § 1 Abs. 1 BrbÖPNVG, § 1 Abs. 2 BremÖPNVG, § 2 Abs. 1 HessÖPNVG, § 1 Abs. 1 MVÖPNVG, § 1 Abs. 2 NdsÖPNVG, § 1 Abs. 2 NWÖPNVG, § 1 Abs. 2 SaarÖPNVG, § 1 Abs. 1 SächsÖPNVG, § 2 Abs. 1 SAÖPNVG, § 1 Abs. 2 SHÖPNVG, § 1 Abs. 2 ThürÖPNVG. 5 Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 106a Rn. 2.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

senbahnen betreffenden Vorschriften des Grundgesetzes wurden mit Gesetz vom 20.12.1993 geändert6, auf einfachgesetzlicher Ebene wurde die Bahnreform durch Gesetz vom 27.12.1993 umgesetzt7. Hieraus lässt sich zumindest ein historisches Argument für die Auslegung des kraft seiner Natur abstrakten Verfassungsrechts ziehen, das häufig nur im Zusammenhang mit dem einfachen Recht ausgelegt werden kann8. Man wird deshalb den Verfassungsbegriff des ÖPNV im Sinne des § 2 RegG auslegen können. ÖPNV besteht aus zwei großen Untergruppen, dem straßengebundenen ÖPNV und dem schienengebundenen. Das PBefG des Bundes gestaltet den Rechtsrahmen des straßengebundenen ÖPNV aus, das AEG des Bundes und die Nahverkehrsgesetze der Länder denjenigen des schienengebundenen ÖPNV. Dabei verwendet das PBefG den Begriff des ÖPNV in einem engen Sinne: § 8 Abs. 1 PBefG definiert ÖPNV als die Beförderung im Linienverkehr mit Straßenbahnen (was nach § 4 Abs. 2 PBefG auch U-Bahnen u. ä. beinhaltet, aber keine SBahnen, weil sie im Regelfall auf Eisenbahntrassen verkehren und über den rein örtlichen Bereich hinausreichen9), Obussen und Kraftfahrzeugen. Verkehre mit Eisenbahnen werden also nicht dazu gezählt. Allein das Berliner ÖPNVG übernimmt diese enge Definition10. Der ÖPNV im Sinne des PBefG wird in Abgrenzung zu dem weiten Begriff des ÖPNV, wie er meist verwendet wird, auch als Öffentlicher Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) bezeichnet11. Ihm korrespondiert für die Eisenbahn der Begriff des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV). Auch er ist ein Verfassungsbegriff (vgl. Art. 87e Abs. 4, 5 GG); auch hier findet sich eine Definition aber nur auf einfachgesetzlichem Niveau: Nach § 2 Abs. 5 AEG handelt es sich um die allgemein zugängliche Beförderung von Personen in Zügen mit der überwiegenden Zweckbestimmung, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr zu befriedigen. Gemeinsam ist den verschiedenen Legaldefinitionen des ÖPNV und des SPNV das Begriffsmerkmal der „Bestimmung des Verkehrs für den Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr“, das der Abgrenzung zum Personenfernverkehr dient, und seine gesetzliche Zweifelsregelung: Sollte im Ausnahmefall nicht schon die Zweckbestimmung durch das Verkehrsunternehmen die eindeutige Zuordnung zum Nah- oder Fernverkehr ermöglichen, so ist ein Nahverkehr anzunehmen, 6

BGBl. I 2089. BGBl. I 2378. 8 s. zu dieser Rückwirkung der verfassungskonformen Auslegung: Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 85. 9 Schulz, S. 74 ff.; wohl ebenso: Fromm/Fey, Personenbeförderungsrecht, Kommentar, § 4 PBefG Rn. 1; zur Berliner S-Bahn: BVerwG, LKV 2000, 302, 303. 10 § 1 Abs. 1 BlnÖPNVG. 11 Werner, S. 6; § 1 BayPersBefG bezeichnet den ÖPNV im Sinne des PBefG als „allgemeinen ÖPNV“, im Gegensatz zum Schienenpersonennahverkehr. 7

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle des Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 km oder die gesamte Reisezeit eine Stunde nicht übersteigt. Diese Werte entsprechen der allgemeinen Lebenserfahrung des Gesetzgebers12. Die Zweifelsregelung hat zur Folge, dass auch ein großer Teil überregionaler Eisenbahnlinien als SPNV erfasst werden, weil viele längere Linien überwiegend von Fahrgästen genutzt werden, die nicht weiter als 50 km fahren13. Die Bundesgesetze und auch die Mehrzahl der Landesgesetze vollziehen nicht die wirtschaftliche Unterscheidung zwischen Lokal- und Regionalverkehr nach14. Was Regionalverkehr ist, lässt sich nicht eindeutig definieren, was auch an der Unbestimmtheit des Begriffs der Region liegt. Regionalverkehr überschreitet jedenfalls das Gebiet der Städte und Gemeinden und kann auch Kreisgrenzen oder Ländergrenzen überschreiten. Jedenfalls bleibt er stets im Rahmen der Definition des ÖPNV im Sinne des § 2 RegG15. Schienennahverkehr ist in der Regel Regionalverkehr16. Deshalb werden im Folgenden beide Begriffe synonym gebraucht. In Deutschland wird eher von Schienenpersonennahverkehr (SPNV) gesprochen, in Frankreich von Schienenpersonenregionalverkehr (SPRV, „services ferroviaires régionaux“), ohne dass damit unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden sollten. Eine konsequente Trennung von Nah- und Regionalverkehr nimmt nur das hessische ÖPNVG vor. Darin werden als regionale Verkehre bezeichnet der gesamte Schienenpersonennahverkehr sowie solche Linienverkehre des Straßenpersonennahverkehrs, die das Gebiet eines Aufgabenträgers überschreiten und deren regionaler Charakter bedeutend ist (§ 2 Abs. 2 HessÖPNVG). Alle übrigen öffentlichen Personennahverkehre sind lokale Verkehre. Für den Regionalverkehr ist der Zusammenschluss in Verkehrsverbünden vorgeschrieben, die die Aufgabenträgerfunktion ausüben und regionale Nahverkehrspläne aufstellen (§§ 6 Abs. 2, 14 Abs. 5 HessÖPNVG). Auch andere Ländergesetze enthalten Sonderregelungen für Verkehre, die entweder ausdrücklich als Regionalverkehre bezeichnet werden oder die es ihrem Wesen nach sind: Die Unterscheidung des Personenregionalverkehrs in § 2 des Berliner ÖPNVG bleibt ohne Rechtsfolgen. Die meisten ÖPNVGe enthalten Spezialregelungen für den SPNV, der wesensmäßig Regionalverkehr ist17. So werden in Rheinland-Pfalz für den SPNV spezielle Zweckverbände gegründet, 12 Bericht der Abgeordneten Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser und Roland Kohn, Bundestagsdrucksache 12/6269, S. 136. 13 Lehmbrock, Die Regionalisierung des ÖPNV, S. 8; Burger, S. 56 ff. 14 Werner, S. 7, 91. 15 Barth, S. 78 f. 16 SA VerfG, NVwZ-RR 1999, 96, 98 f.; Barth, S. 213. 17 s. insb. zur Organisation der Aufgabenträgerschaft für den SPNV genauer noch unten 2. Teil A.III.3.a)bb).

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

die die Aufgabenträgerschaft für die Gemeinden ausführen (§ 6 rheinland-pfälzisches NVG). § 6 Abs. 9 Rheinland-Pfälzisches NVG ist speziell dem regionalen Busverkehr gewidmet. In Bayern werden die Zuständigkeit für den SPNV und für den ÖSPV getrennt. Nach Art. 6 BayPersBefG werden darüber hinaus spezielle regionale Nahverkehrsräume festgesetzt, wenn die Beziehungen und Verflechtungen des ÖSPV in einem Gebiet in wesentlichem Umfang das Gebiet eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt überschreiten. Der SPNV ist im dezentral strukturierten deutschen Eisenbahnnetz von großer Bedeutung. Dies verdeutlichen folgende Zahlen: 1996 stammten 11,3 Mrd. DM des gesamten Umsatzes der Deutschen Bahn AG in Höhe von 24,6 Mrd. DM18, also ca. 40% des Umsatzes und 90% des Personenverkehrsaufkommens19, aus dem SPNV. Der SPNV stellt damit den größten Geschäftszweig des Unternehmens dar. II. Der Weg zur Regionalisierung Im Laufe der nach dem Kriege ständig anwachsenden Mobilität zeichnete sich ab, dass ein Ausbau der individuellen Straßenverkehrswege allein nicht zur Bewältigung der lokalen und regionalen Verkehrsströme ausreichen würde. So wandte man sich seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts vermehrt dem Ausbau des ÖPNV zu. Seit Gründung der Bundesrepublik war die Aufgabenverantwortung für den ÖPNV weitgehend gesetzlich ungeregelt geblieben. Lediglich die Zuständigkeit für die Eisenbahn war ausdrücklich durch Art. 87 GG dem Bund zugewiesen. Im Schienenpersonennahverkehr konnten die Länder und Kommunen aufgrund der Betriebspflicht der Bundesbahn (§§ 4, 12 Abs. 1, 14 Abs. 3 BBahnG) weitreichende Forderungen auf Durchführung der mehr und mehr defizitären Schienenpersonennahverkehre gegenüber dem Bund geltend machen. Im übrigen Nahverkehr aber waren die Kommunen aufgrund ihrer örtlichen Allzuständigkeit in die Rolle des Aufgabenträgers für den Straßenpersonennahverkehr hineingewachsen. Dazu gehörte insbesondere auch, die wachsenden Defizite der im ÖSPV tätigen Unternehmen auszugleichen. Anstöße für eine Neuverteilung der Aufgaben und Lasten im Sinne einer Regionalisierung des gesamten ÖPNV gingen seit den 70er Jahren vor allem vom Bund aus, der damit die Absicht verfolgte, sein Haushaltsrisiko Bundesbahn in den Griff zu bekommen20. Dies lehnten die Länder stets wegen der Unsicherheit eines Kostenausgleichs für die zu übernehmenden Ausgaben ab. So verfolgte der Bund in den 80er Jahren eine als „kalte Regionalisierung“ bezeichnete Politik, indem er 18

Eiermann, Rechtsbeziehungen im SPNV, S. 115, 116. Bundestagsdrucksache 12/5015 vom 25.5.1993, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates, S. 14. 20 Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 396, 397. 19

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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sich unter Berufung auf eine Konsolidierung der Bundesbahn aus dem flächendeckenden SPNV zurückzog und besonders defizitäre Verkehre nur gegen finanzielle Übernahme durch die Länder aufrechterhielt. Diese Politik, die die Länder zwar zu einer Mitfinanzierung heranzog, ihnen aber keine konzeptionellen Befugnisse einräumte, veranlasste sie schließlich, ihre Position zu ändern und sich zu einer grundsätzlichen Neuordnung von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung in dem Bereich bereit zu erklären. Um finanziell nach der Reform nicht schlechter zu stehen, stellten sie hierfür jedoch die Bedingung, dass im Zuge der Neuordnung auch die Regelungen des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern geändert werden müssten. Vor allem nach Auffassung der Länder sollte mit der Eisenbahnreform die Organisation des ÖPNV insgesamt auf eine neue Grundlage gestellt werden21. Die Diskussion um die Modalitäten einer umfassenden Regionalisierung des ÖPNV wurde in der Folge im Zusammenhang mit der Bahnreform geführt. Hierfür legte eine Expertenkommission im Dezember 1991 Vorschläge vor, wozu die Regionalisierung des SPNV und die Einführung des sog. Bestellerprinzips im SPNV gehörten. Dem Bestellerprinzip zufolge werden die Funktionen der Leistungsplanung und der Leistungserbringung getrennt. Dies impliziert, dass bei nichtkostendeckenden Verkehrsleistungen die beauftragende Gebietskörperschaft das Defizit zu decken hat. Die Länder ließen sich im Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden im Ergebnis auf diese Regelung ein, machten ihre Zustimmung im Bundesrat zur Bahnreform jedoch von Bedingungen zur Höhe der vom Bund zu leistenden Ausgleichszahlungen, zur künftigen Infrastrukturverantwortung des Bundes, zur Art und Weise der Fahrwegbewirtschaftung und zu den zukünftigen Einwirkungsrechten der Länder abhängig. Über Kompromisslösungen wurde bis zuletzt verhandelt, und die letzten Streitpunkte konnten erst einen Tag vor der abschließenden Lesung im Bundestag beseitigt werden22. III. Die rechtliche Regelung der Regionalisierung 1. Die Regelung im Grundgesetz Sechs Artikel des GG beschäftigen sich seit der Neuregelung im Zuge der Bahnreform mit den Eisenbahnen: Artt. 73 Abs. 1 Nr. 6a, 74 Abs. 1 Nr. 23, 80 Abs. 2, 87e, 106a und 143a GG. Diese umfangreiche Behandlung der Eisenbahnen auf Verfassungsebene steht im Gegensatz zur Infrastrukturverantwortung des Staates für Straßen und Wege, die keine Aufnahme in das GG gefunden hat. Diese Diskprepanz erfährt eine gewisse Rechtfertigung daraus, dass die Verfassung das Gefährdete, nicht Selbstverständliche und damit der förmlichen Festsetzung Bedürftige regeln muss, wozu die sich in einem Reformprozess befind21 22

Gabler, Öffentlicher Nahverkehr in Bayern, S. 71 f. Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 396, 399.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

lichen Eisenbahnen zählen23. Anlass für die Verfassungsänderung war vor allem die wohl herrschende Auffassung in der Rechtslehre, dass Art. 87 GG alter Fassung einer Umwandlung der Bundesbahn in eine AG entgegenstand. Art. 87 GG a. F. wies die Eisenbahnen dem Bereich der bundeseigenen Verwaltung zu und schrieb damit nach h. M. auch eine traditionelle Verwaltungsstruktur vor, die eine Überführung in eine privatrechtliche Organisationsform ausschloss24. Im ähnlich gelagerten Fall der Flugsicherung hatte der Bundespräsident bereits die Ausfertigung des Gesetzes über ihre Organisationsprivatisierung wegen Unvereinbarkeit mit dem GG verweigert25. Die Neunormierung verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: Erstens die Trennung von hoheitlicher Verwaltung und Wirtschaftstätigkeit, die sich aus der Unterscheidung von „Eisenbahnverkehrsverwaltung“ und „Eisenbahnen des Bundes“ in Art. 87e GG ergibt, zweitens die formelle Privatisierung der Bundesbahn und drittens den Rückzug des Bundes aus der Verantwortung für den SPNV26. Die Zuständigkeit von Bund und Ländern lässt sich im vorliegenden Zusammenhang in drei Elemente zerlegen: Erstens die Gesetzgebungskompetenz, zweitens die Verwaltungskompetenz – klassische staatliche Funktionen, die Art. 30 GG mit „Befugnissen“ bezeichnet – sowie drittens die Zuständigkeit zur Erfüllung von „Aufgaben“ im Sinne des Art. 30 GG, wozu die sonstigen Tätigkeiten, die der Staat zulässigerweise wahrzunehmen sich entschieden hat, zählen, wie z. B. der Betrieb von Verkehrsunternehmen27. Art. 30 GG weist den Ländern für alle diese drei Elemente staatlicher Tätigkeit die grundsätzliche Kompetenz zu, Art. 70 GG spezialisiert diese Aussage für die Gesetzgebung, Art. 83 GG für die Verwaltung. a) Die Gesetzgebungskompetenz Abweichend von der Grundregel des Art. 70 GG verteilen die Artt. 73 Abs. 1 Nr. 6a, 74 Abs. 1 Nr. 23, aber auch Artt. 87e sowie 143a Abs. 1 GG die Kompetenzen für die Schienen- und Eisenbahngesetzgebung zwischen Bund und Ländern. Das GG weist dem Bund eine weite ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die sog. Eisenbahnen des Bundes zu, d.h. solche, die im Eigentum des Bundes stehen, und die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für

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Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 22. Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 577, 578; Schulz, S. 108 ff.; Burger, S. 63 f. 25 Vgl. Fromm, DVBl. 1994, 187, 190. 26 Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 1. 27 Manfred Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 30 GG Rn. 6; Theodor Maunz, in: Maunz/Dürig, Kommentar zum GG, Art. 30 Rn. 5; Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Kommentar zum GG, Art. 30 Rn. 3. 24

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alle sonstigen Schienenbahnen, zu denen neben den Eisenbahnen u. a. auch die Magnetbahnen zählen, nicht aber Bergbahnen. Der wichtige Unterschied zwischen diesen beiden Kompetenztiteln für die Länder besteht darin, dass sie zu Regelungen im Bereich der Eisenbahnen des Bundes ausdrücklich durch Gesetz ermächtigt sein müssen (vgl. Art. 71 GG), während sie im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, also der sonstigen Schienenbahnen, eigene Rechtsakte erlassen können, soweit der Bund von seiner Konkurrenz keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 73 Abs. 1 GG). Da der Bund im Bereich der gewerblichen Schienenpersonenbeförderung seine Kompetenzen weitgehend ausgeübt hat, verbleiben den Ländern hier nur in den Randbereichen der Bergbahnen und Seilbahnen eigene Gesetzgebungskompetenzen28. Artt. 87e Abs. 5, 106a S. 2 und 143a Abs. 3 S. 3 GG unterwerfen die meisten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich der gewerblichen Schienenpersonenbeförderung dem Zustimmungserfordernis durch den Bundesrat, vgl. Art. 77 Abs. 2a GG. Auch bestimmte Rechtsverordnungen im Eisenbahnbereich bedürfen von Verfassungs wegen der Zustimmung des Bundesrates, Art. 80 Abs. 2 GG. b) Die Verwaltungskompetenz Art. 87e Abs. 1 S. 1 GG weist dem Bund die Verwaltungszuständigkeit für die Eisenbahnverkehrsverwaltung der Eisenbahnen des Bundes zu. Die Verwaltungskompetenz für die Eisenbahnverkehrsverwaltung der sonstigen Eisenbahnen steht grundsätzlich den Ländern zu, Art. 87e Abs. 2 GG. Beide Kompetenzregeln sind aber fakultativ, d.h. sie können durch einfaches Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden29. Was unter Eisenbahnverkehrsverwaltung zu verstehen ist, muss in erster Linie dem Eisenbahnrecht selbst entnommen werden. Entsprechend der Begründung des Gesetzentwurfes sollte ursprünglich der Begriff der Verwaltung im traditionellen Rechtsverständnis gedeutet werden30 und damit als Privatbahnaufsicht lediglich eine Rechtsaufsicht umfassen, nicht aber eine staatliche Lenkungsaufsicht nach Zweckmäßigkeitserwägungen. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde dann dieser liberale Ansatz etwas verwässert, insbesondere über die Aufnahme der Gewährleistungsverpflichtung des Art. 87e Abs. 4 GG [s. o. 1. Teil C.II.2.b).aa)] und das Veräußerungsverbot des Infrastrukturunternehmens, s. u. Diesen verfassungsrechtlich gebotenen Gemeinwohlauftrag muss der Bund über seine Eisenbahnverkehrsverwaltung erfüllen31. Da die Bahnreform vormals durch die Deutsche Bundes- und Reichsbahn ausgeübte hoheitliche Tätigkeiten auf Eisenbahn28

Werner, S. 73. s. im Einzelnen Kay Windthorst, in: Sachs, GG, Kommentar, Art. 87e Rn. 20 ff. 30 Vgl. Bundesratsdrucksache 12/5015 vom 25.5.1993, Amtliche Begründung des Regierungsentwurfs, S. 7. 31 Werner, S. 75; Burger, S. 146. 29

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder übertragen sollte32, beinhaltet die Eisenbahnaufsicht damit vor allem die Bahnaufsicht, die Entscheidung über die Betriebsgenehmigungen, die Genehmigung von Beförderungstarifen, die Planfeststellung von Schienenwegen und als Annex die Bahnpolizei33. Art. 143a Abs. 2 GG weist dem Bund die Verwaltungskompetenz für die Ausführung von Gesetzen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundesbahn zu. c) Die Aufgabenträgerschaft für das Eisenbahnunternehmen Mit der Trennung von hoheitlicher Verwaltung und Wirtschaftsbetrieb wird die Bundeszuständigkeit für den Betrieb der Bundeseisenbahnen als wirtschaftlicher Unternehmen nicht mehr von der eigentlichen Verwaltungskompetenz des Bundes erfasst34. Art. 87e GG regelt nur noch die Zuständigkeit für die Eisenbahnverkehrsverwaltung, im Wesentlichen eine Form der Eingriffsverwaltung, s. o. bb). Damit gehört der Betrieb der Eisenbahnen im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht mehr zur Verwaltungstätigkeit des Bundes. Die Zuständigkeit des Bundes für die Inhaberschaft von Bundeseisenbahnen lässt sich aber implizit durch die Bezugnahmen im GG auf die Eisenbahnen des Bundes und insbesondere mit Art. 87e Abs. 3 GG begründen. Hierzu gehört auch der traditionell als Nebenbetrieb von DB/DR und jetzt DB AG geführte Bahn-Regionalbusbetrieb35. Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG legt die Rechtsform der Bundeseisenbahnen auf die Form der privatrechtlichen Kapitalgesellschaft fest36. Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG schreibt nur für das Infrastrukturunternehmen die Eigentümerstellung des Bundes vor. Art. 87e Abs. 3 S. 3 GG beschränkt dementsprechend die materielle Privatisierbarkeit des Infrastrukturunternehmens: Die Anteile dürfen nur aufgrund eines Gesetzes mit Zustimmung des Bundesrats veräußert werden und darüber hinaus muss der Bund die Mehrheit der Stimmrechtsanteile37 behalten. Diese Regelung ist Resultat eines politischen Kompromisses zwischen Bundestag und Bundesrat38. Der Wettbewerbsgedanke, der ein tragendes Element der Bahnreform war, findet keinen direkten Eingang in das Verfassungsrecht39. 32

Grupp, DVBl. 1996, 591, 594; s. auch BVerwG, NVwZ 1995, 379, 380. s. hierzu im Einzelnen: Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 3 ff. 34 Gabler, Öffentlicher Nahverkehr in Bayern, S. 39 f.; Schulz, S. 95; a. A.: Burger, S. 69 ff. 35 Burger, S. 95 f. 36 Robert Uerpmann, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 87e Rn. 9. 37 Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 577, 579. 38 Vgl. Bundestagsdrucksache 12/5015 vom 25.5.1993 zur Änderung des GG, Stellungnahme des Bundesrates, S. 11 sowie Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 14. 39 Brosius-Gersdorf, DÖV 2002, 275, 282 f. 33

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Die Aufgabenträgerschaft der Länder für den SPNV folgt aus der Grundregel des Art. 30 GG, aus der schon vor der Bahnreform die Kompetenz der Länder für den ÖSPV abgeleitet wurde. Dass diese Aufgabe nicht mehr wie bisher unter die Zuständigkeit des Bundes für seine Eisenbahnen fällt, ergibt sich zum einen aus Art. 87e Abs. 4 GG, wonach die Gewährleistungsverpflichtung (dazu gleich) nicht für den SPNV besteht, zum anderen aus der Übergangsvorschrift des 143a Abs. 3 GG, der dem Bund bis zum 31.12.1995 die Aufgabenerfüllung im SPNV zuweist. Die Frage, ob Art. 87e GG dem Bund auch Aktivitäten im ÖPNV in eigener Zuständigkeit verbietet, dürfte praktisch irrelevant sein, weil es sich hier um ein unrentables Geschäft handelt, aus dem sich der Bund bereits vor der Regionalisierung weitgehend zurückziehen wollte40. d) Die Verfassungsvorgaben für die Finanzierung Grundnorm für die Finanzierung des SPNV ist Art. 106a GG. Er stellt das verfassungsrechtliche Ergebnis eines Finanzierungskompromisses zwischen Bund und Ländern dar. Er gewährt den Ländern mit dem Übergang der Aufgabenträgerschaft für den SPNV „einen Betrag“. Die Regelung entspricht dem aus Art. 104a GG folgenden Konnexitätsprinzip, demzufolge im Verhältnis von Bund und Ländern die Ausgabenverantwortung der Aufgabenverantwortung (im Sinne von Verwaltungsverantwortung) folgt41. Die Mittel nach Art. 106a GG werden „für den ÖPNV“ allgemein gewährt, obwohl Anlass der Regelung die Übertragung der Zuständigkeit für den SPNV auf die Länder war. Dieser Formulierung ist eine Zweck- und Aufgabenbindung der zur Verfügung gestellten Mittel für den ÖPNV zu entnehmen. Der Verwendungszweck besteht damit zwar vorrangig in der Abdeckung der aus dem SPNV entstehenden Defizite, was Anlass der Regelung war, im Übrigen können sie aber auch für den sonstigen ÖPNV verwendet werden42. Weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte43 der Vorschrift geben aber Anhaltspunkte für Planungs- oder Kontrollrechte des Bundes über die Verwendung; zur Kontrolle sind deshalb ausschließlich die Landesparlamente befugt44. Über die Höhe des zu gewährenden Betrags trifft Art. 106a GG keine ausdrückliche Aussage. Allerdings ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der 40 Vgl. zu dieser Frage Burger, S. 92 ff., der eine solche Zuständigkeit des Bundes verneint. 41 Vgl. hierzu: Markus Heintzen, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 104a, Rn. 11 ff. 42 Bundestagsdrucksache 12/6280 vom 30.11.1993, Bericht der Abgeordneten Dr. Rupert Scholz und Ludwig Stiegler, S. 9. 43 Dies wurde vielmehr ausdrücklich abgelehnt, vgl. Bundestagsdrucksache 12/5015 vom 25.5.1993, Stellungnahme des Bundesrates, S. 12. 44 Hidien, DVBl. 1997, 595, 601.

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Vorschrift, dass ein Minimalkonsens darüber bestand, dass – als Ausgleich für die Übernahme der Aufgabenträgerschaft für den SPNV – der Betrag für Betriebskostenzuschüsse, die der Bund bislang an die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn gezahlt hatte, in unveränderter Höhe nunmehr den Ländern zur Verfügung gestellt werden sollte. Hieraus lässt sich ein Mindestbetrag ableiten. Darüber hinaus ist aus dem auf den gesamten ÖPNV erweiterten Zuweisungszweck zu folgern, dass der Bund den Ländern fakultativ Mehrmittel für den ÖPNV gewähren darf45. 2. Das Allgemeine Eisenbahngesetz und das Regionalisierungsgesetz auf Bundesebene Auf einfachgesetzlicher Ebene wurde die Bahnreform durch das (Artikel-) Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (ENeuOG) vom 27.12.199346 umgesetzt. Art. 5 des ENeuOG, der die Neufassung des AEG enthält, schafft einen neuen Ordnungsrahmen für alle, insbesondere für die privatisierten bundeseigenen Eisenbahnen. Art. 4 enthält das Regionalisierungsgesetz. a) Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) Das AEG regelt das spezielle Gewerberecht für Eisenbahnen. Es unterwirft den Betrieb eines Eisenbahngewerbes der Genehmigungspflicht mit rein subjektiven Zulassungskriterien (§ 6 AEG), und es gestaltet die Verwaltungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern aus. Die Genehmigung ist – anders als die Genehmigung nach PBefG – nicht linienbezogen und vermittelt dem Verkehrsunternehmen keine Ausschließlichkeitsrechte. Damit stellt sie eine eisenbahnrechtliche Betriebserlaubnis dar47. In Vollzug der Richtlinie 91/440/EWG schreibt das AEG eine von öffentlichen Haushalten unabhängige Geschäfts- und Rechnungsführung für bundeseigene Eisenbahnunternehmen (§ 8 AEG) und eine zwischen Infrastrukturunternehmen und Verkehrsunternehmen trennende Rechnungsführung für alle Eisenbahnunternehmen vor (§ 9 AEG). §§ 10–13 und 15, 16 AEG normieren gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen bzw. Rechtsgrundlagen für die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen und deren Ausgleich. §§ 14–14f gestalten das Recht auf Zugang zur Infrastruktur aus und enthalten die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der Regulierungsbehörde. In §§ 18 ff. AEG regelt das Gesetz als Spezialregelung zum VwVfG das Planfeststellungs- bzw. Plangenehmigungsverfahren für Änderungen und Neubauten von Betriebsanlagen von Eisenbahnen des Bundes sowie von nichtbundeseigenen Eisenbahnen. 45 46 47

Hidien, DVBl. 1997, 595, 599. BGBl. 1993 I, 2378. Werner, S. 143.

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Da der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz in Artt. 73 Abs. 1 Nr. 6a, 74 Abs. 1 Nr. 23 GG in § 6 Abs. 1 S. 2 AEG im Hinblick auf die Genehmigungserfordernisse der Eisenbahnen abschließend Gebrauch gemacht hat, besteht kein Raum für weitergehende landesrechtliche Genehmigungserfordernisse48, mit Ausnahme der Bergbahnen, vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG. Entsprechende landesrechtliche Regelungen sind insoweit nichtig49. Die Verwaltungszuständigkeiten für die Eisenbahnverkehrsverwaltung im SPNV verfügen über alle Kompliziertheit, zu der ein bundesstaatliches Kompetenzgefüge fähig ist: Für die Eisenbahnverkehrsverwaltung im SPNV, den § 2 Abs. 5 AEG legaldefiniert, ist der Bund zuständig, soweit Eisenbahnen des Bundes betroffen sind, also Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen (vgl. Art. 73 Nr. 6a GG), mit Sitz im Inland, § 5 Abs. 1a Nr. 1 Buchstabe a). Nach dieser Regelung hat der Bund die Verwaltungszuständigkeit für die Infrastruktur auf Dauer inne, denn sein Eigentum an der DB Netz AG, die bis auf wenige Ausnahmen Eigentümerin der gesamten deutschen Eisenbahninfrastruktur ist, ist unveräußerlich. Nur für die Dauer seines mehrheitlichen Eigentums an der DB AG ist er auch für die Verwaltungsaufgaben in Bezug auf die Verkehrsunternehmen der DB AG zuständig, insbesondere für die Tätigkeiten der DB Regio AG, die im SPNV immer noch einen Marktanteil von über 80% hält. Die Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes nimmt ganz überwiegend das im Zuge der Eisenbahnreform neu geschaffene Eisenbahnbundesamt (EBA) wahr, dessen Organisation und Aufgaben in §§ 2, 3 Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz (BEVVG) geregelt werden. Es ist eine selbständige Bundesoberbehörde (§ 2 Abs. 1 BEVVG) mit 15 Außenstellen und unterliegt der Dienst- und Fachaufsicht des Bundesverkehrsministeriums50. Für nichtbundeseigene Eisenbahnunternehmen mit Sitz im Inland ist hingegen das Land zuständig (§ 5 Abs. 1a Nr. 2a AEG), in dessen Gebiet das Unternehmen seinen Sitz hat (§ 5 Abs. 1b Nr. 1 AEG). Die Länder können aber ihre Kompetenz auf das EBA übertragen, vgl. § 5 Abs. 2 S. 2 AEG. Von der Möglichkeit der Kompetenzübertragung auf das EBA haben 13 der 16 Länder (alle außer Berlin, Hamburg und Niedersachsen) Gebrauch gemacht. Hingegen entspricht es dem Gedanken, die Finanz- und Aufgabenzuständigkeit für den SPNV umfassend auf die Länder zu übertragen, wenn § 5 Abs. 3 AEG die Aufsichtskompetenzen über die Tarife und Auflagen nach Art. 1

48

Vgl. Bundestags-Drucksache 15/3280 vom 10.6.2004, S. 23. So geregelt z. B. in § 11 BaWüEisenbahnG; vgl. Suckale, in: Hermes/Sellner: AEG-Kommentar, § 6 Rn. 23; zur Nichtigkeitsfolge vgl. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 72, Rn. 10. 50 Ausführlich Burger, S. 149 ff. 49

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Abs. 5 und 6 der VO 1191/69/EWG im SPNV sowohl für Eisenbahnen des Bundes als auch für nichtbundeseigene Eisenbahnen den Ländern zuweist51. Die Kompetenz für die Aufsicht der Eisenbahnverkehrsunternehmen ist seit dem Zweiten Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften52 „netzbezogen“ geregelt, das bedeutet, dass die Kompetenz für das Infrastrukturunternehmen die Kompetenz für das darauf verkehrende Verkehrsunternehmen nach sich zieht, vgl. § 5 Abs. 1c AEG. Zweck dieser Regelung ist nicht, dem funktionalen Zusammenhang mit der Infrastruktur Rechnung zu tragen, sondern zu vermeiden, dass die Eisenbahnaufsichtsbehörden jedes Landes in ganz Deutschland tätig werden müssen53. Deshalb gilt diese Kompetenzregelung auch nur für die Eisenbahnaufsicht, nicht auch für die Genehmigungserteilung, die ja nur subjektive, unternehmerbezogene Voraussetzungen enthält, ebensowenig nach der Spezialvorschrift des § 12 Abs. 3 AEG für die Tarifaufsicht (vgl. den Wortlaut „Die Tarifhoheit liegt . . . im Übrigen bei den Ländern“), die ebenso keine Vor-Ort-Kontrollen erfordert. Auch die Eingriffsbefugnisse aufgrund dieser netzbezogenen Kompetenz sind ihrem Zweck entsprechend reduziert und nur fahrzeugbezogen, während für die Kontrollmaßnahmen am Sitz der Unternehmensverwaltung das Land zuständig bleibt, in dessen Sitz das Verkehrsunternehmen liegt, vgl. § 5a Abs. 3 AEG. Die Zuständigkeit für die Überwachung der Vorschriften im Bereich des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur wurde durch das Dritte Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften54 vom EBA auf die Bundesnetzagentur übertragen. Durch die Bundeszuständigkeit soll im Bereich des SPNV eine Interessenkollision vermieden werden, die durch eine doppelte Rolle der Länder einerseits als Besteller gemeinwirtschaftlicher Leistungen und andererseits als Träger der für die Entscheidung von Streitigkeiten über den Netzzugang zuständigen Landeseisenbahnaufsichtsbehörden hätte entstehen können55. Im Gegensatz zu dieser spezifisch eisenbahnrechtlichen Wettbewerbsaufsicht über den Netzzugang obliegt die Wettbewerbsaufsicht nach den allgemeinen Wettbewerbsvorschriften den Kartellbehörden, vgl. § 14b Abs. 2 S. 1 AEG56.

51 Burger, S. 151; soweit Eisenbahnen des Bundes betroffen sind, macht das AEG hier Gebrauch von der Ermächtigung des Art. 87e Abs. 1 S. 2 GG zur Übertragung von Verwaltungszuständigkeiten auf die Länder. 52 Gesetz vom 21.6.2002, BGBl. 2002 I, S. 2191. 53 So die Gesetzesmaterialien: Bundestagsdrucksache 14/6929 vom 20.9.2001, Begründung des Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung vom 19.9.2001, S. 12; für eine derartige „funktionale“ Zuständigkeitenabgrenzung: Grupp, DVBl. 1996, 591, 593. 54 Vom 27.4.2005, BGBl. I 1138. 55 Burger, S. 176 f.; Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucksache 12/5014, S. 46 f. 56 s. hierzu: Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 19.9.2001, BT-Drucksache 14/6929, S. 16 und Fehling, DÖV 2002, 793, 796 m.w. N.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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Im Schienenpersonennahverkehr sind Beförderungsbedingungen im Voraus zu genehmigen, § 12 Abs. 3 S. 1 AEG; mit dem 2. Gesetz zur Änderung des AEG wurde die vorher bestehende Genehmigungspflicht für die Beförderungsentgelte aufgegeben57. Für die Genehmigung der Tarife im SPNV ist das Land zuständig, in dessen Gebiet das Eisenbahnverkehrsunternehmen seinen Sitz hat, § 5 Abs. 4 Nr. 1 AEG. Dies führt im Falle der DB Regio AG zu der zunächst erstaunlichen Konsequenz, dass Tarife im SPNV jedes Landes durch das Regierungspräsidium in Darmstadt (Hessen) genehmigt werden, denn die DB Regio AG hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Abweichend liegt bei Tarifen in Verkehrsverbünden die Zuständigkeit bei der Behörde des Landes, in dem der Verkehrsverbund seinen Sitz hat, § 5 Abs. 4 Nr. 2 AEG. Nach § 5 Abs. 4 S. 3 AEG ist dabei das Einvernehmen mit der Genehmigungsbehörde des Landes herzustellen, das von den Tarifen örtlich betroffen ist. Umstritten ist, ob im Behördengefüge des Bundes darüber hinausgehende Kompetenzen des EBA für Eisenbahnen des Bundes ausdrücklich durch Gesetz begründet sein müssen oder ob § 4 Abs. 2 AEG eine generelle Zuständigkeit des EBA in diesem Bereich begründet. § 4 Abs. 2 AEG listet alle denkbaren Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung in einem Aufgabenkatalog auf und bestimmt, dass diese „auf Grund anderer Gesetze und Verordnungen (. . .) ausschließlich dem EBA“ obliegen58. Damit bleibt unklar, ob andere Gesetze ausdrücklich die Zuständigkeit des EBA begründen müssen, oder ob für Kompetenzen auf Grund anderer Normen mangels ausdrücklicher abweichender Regelung automatisch Zuständigkeit des EBA anzunehmen ist. Hingegen hat das Zweite Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften ein anderes Problem beseitigt: Mit § 5a Abs. 2 AEG wurde eine allgemeine Befugnisnorm für den Erlass von Verwaltungsakten im Bereich der Eisenbahnaufsicht in das AEG eingefügt, die der Gesetzgeber bei der Abfassung des AEG offenbar vergessen hatte. Bislang konnte sich das EBA lediglich in Randbereichen seiner Tätigkeit auf spezialgesetzlich geregelte Befugnisnormen stützen, z. B. § 79 BSeuchG für Maßnahmen der Seuchenabwehr. Im Übrigen musste man sich mit der unter dem Blickwinkel der Wesentlichkeitstheorie und damit des Demokratieprinzips bedenklichen Annahme behelfen, dass aus der Aufgabenzuweisung auch die Befugnis zum Erlass entsprechender Verwaltungsakte folgt59.

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Vom 16.7.2007, BGBl. I 1383. s. hierzu Studenroth, VerwArch 87 (1996), 97, 102; Frotscher/Kramer, NVwZ 2001, 24, 28; Freise/Wittenberg, Gewerbearchiv 1996, 353, 356 f.; Hermes/Schweinsberg, in: Hermes/Sellner: AEG-Kommentar, 4 Rn. 128 ff. 59 So i. E. auch BVerwG, NVwZ 1995, 379, 380; zur Kritik: Grupp, DVBl. 1996, 591, 595 und Burger, S. 155 f. 58

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

§ 14 AEG sieht ein Zugangsrecht von Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Infrastruktur vor. Alle Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Sitz in Deutschland haben ein Recht auf Zugang zur Infrastruktur von allen Infrastrukturunternehmen, die dem öffentlichen Verkehr dienen, § 14 Abs. 1 S. 1 AEG. Auch ausländische Verkehrsunternehmen sind in einem Umfang, der über das von der Richtlinie 91/440/EWG Geforderte hinausgeht, zugangsberechtigt, § 14 Abs. 3 AEG. Eisenbahnverkehrsunternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten haben freien Marktzugang im Schienengüterverkehr, § 14 Abs. 3 Nr. 2 AEG. Im Übrigen sind für ausländische Unternehmen zwischenstaatliche Vereinbarungen oder eine entsprechende Zugangsgewährung für deutsche Bahnen Voraussetzung des Marktzugangs, § 14 Abs. 3 Nr. 3 AEG. § 14 Abs. 1 S. 2 AEG stellt für die Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten das Kriterium auf, dass vertaktete oder ins Netz eingebundene Verkehre angemessen zu berücksichtigen sind. Dieses Kriterium hat ein gewisses Diskriminierungspotential, wird aber dadurch gerechtfertigt, dass solchermaßen verknüpfte Verkehre besonders kundenfreundlich und leistungsfähig sind60. § 14 Abs. 1 S. 2 AEG begründet ein Sonderrecht desjenigen, der einen Verkehr betreibt, der in besonderem Maße dem öffentlichen Interesse dient61. Das AEG folgt einem marktwirtschaftlich-liberalen Konzept, denn die Zugangsbedingungen einschließlich des Preises werden in einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen den beteiligten Unternehmen im Prinzip frei ausgehandelt, § 14 Abs. 6 AEG62. Die Bundesnetzagentur entscheidet nur, wenn keine Zugangsvereinbarung zustande kommt, im sog. Zugangsverfahren nach § 14f Abs. 2, 3 AEG. Dieses Zivilrechtsverhältnis wird aber von § 14 AEG sowie der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV)63 überlagert, die im Grundsatz an der freien Gestaltbarkeit der Entgelte festhält (§ 5 EIBV), im Übrigen aber nähere Vorgaben für die Ausgestaltung der Trassenpreise aufstellt, die DB Netz in ihrem Trassenpreissystem berücksichtigen muss, das sie nach § 4 Abs. 1 EIBV aufzustellen hat64. § 15 AEG erklärt die VO 1191/69/EWG für den Bereich gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen im Bereich des gesamten schienengebundenen Verkehrs für anwendbar. Die VO 1191/69/EWG macht die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Leistungen von einem entsprechenden Einkauf bzw. einer Entschädi60 Burger, S. 175; damit wird von der gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung zur Bevorzugung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsdienste in Art. 4 Richtlinie 95/19/EG vom 19.6.1995 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Berechnung von Wegeentgelten Gebrauch gemacht. 61 Vgl. auch Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 217 f. 62 Fehling, DÖV 2002, 793, 798. 63 Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung vom 3.6.2005, BGBl. I S. 1566. 64 s. im Einzelnen zu den Vorgaben und den drei bisherigen Trassenpreissystemen von 1994, 1998 und 2001: Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, S. 212 ff.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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gungszahlung in Folge der Auferlegung einer gemeinwirtschaftlichen Leistung abhängig. Dies impliziert die Trennung der Aufgaben von Besteller und Ersteller, also zwischen Aufgabenträger und ausführendem Unternehmen, im Schienenverkehr65, vgl. oben II. und bereits 1. Teil E.I.2. Als Besteller kann für Eisenbahnen des Bundes grundsätzlich nur der Bund auftreten, mit Ausnahme des Schienenpersonennahverkehrs, wo Landesrecht die Bestellerfunktion bestimmt. Nach § 15 Abs. 2 AEG können Verkehrsverträge im Wege der Ausschreibung vergeben werden, s. hierzu i. e. unten 2. Teil A.VII.7.b). b) Das Regionalisierungsgesetz Das Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (RegG) gibt Organisationsprinzipien für alle Bereiche des ÖPNV vor66, regelt aber mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiet des ÖPNV rechtsverbindlich und konkret lediglich die Finanztransfers an die Länder für Zwecke des ÖPNV, s. u. 4. Es beschreibt den ÖPNV in § 1 als Daseinsvorsorgeaufgabe und definiert in § 2 den Begriff des ÖPNV (s. o. unter I.). Nach § 3 soll angestrebt werden, im Interesse der Wirtschaftlichkeit der Verkehrsbedienung im ÖPNV die Zuständigkeiten für Planung, Organisation und Finanzierung zusammenzuführen; hierbei handelt es sich aber lediglich um eine an die Landesgesetzgeber gerichtete Empfehlung67. Dem RegG liegt das Organisationsprinzip der strikten Trennung von Besteller und Ersteller zugrunde, wenn es zwischen den Trägern der Daseinsvorsorgeaufgabe des ÖPNV (vgl. „Stelle“ in § 1 Abs. 2 und § 4 S. 2 RegG) und den ausführenden „Verkehrsunternehmen“ (vgl. § 4 S. 1 RegG) unterscheidet. Auch wenn das RegG die Durchführung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen den Regelungen der VO 1191/69/EWG unterwirft, setzt es die vertragliche Vereinbarung zwischen Besteller und Ersteller oder die hoheitliche Auferlegung der Leistung, und damit eine Trennung der beiden Funktionen, voraus68. Das Regionalisierungsgesetz enthält keine Aussage zur Marktöffnung. Auch die fiskalische Zwecksetzung der Reform impliziert kein Bekenntnis zum Wettbewerb, obwohl man sich von ihm sinkende Kosten erwartet69.

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Fromm, DVBl. 1994, 187, 194. Bundestagsdrucksache 12/6269 vom 30.11.1993, Beschlussempfehlung und Bericht des Verkehrsausschusses, zum Ziel und wesentlichen Inhalt des Gesetzesentwurfes, S. 129. 67 Bundestagsdrucksache 12/6269 vom 30.11.1993, Bericht der Abgeordneten Dr. Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser und Roland Kohn, Begründung der Änderungsbeschlüsse des Verkehrsausschusses, S. 136. 68 Püttner, Die künftigen Träger des Nahverkehrs, S. 91. 69 Ronellenfitsch, Verwaltungsarchiv 2001, 131, 137. 66

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

3. Die Nahverkehrsgesetze der Länder Mit der Bahnreform wurde die Aufgabenverantwortung der Länder für den gesamten ÖPNV anerkannt und im Bereich des SPNV auf sie übertragen. Ihnen steht auch die Gesetzgebungskompetenz in diesem Bereich zu. Die Existenz eines Bundes-Regionalisierungsgesetzes erklärt sich kompetenzrechtlich nur historisch aus der Auflösung einer konkurrenzrechtlichen Gemengelage zwischen Bund und Ländern, die aufgrund der vormaligen Bundesaufgabenträgerschaft für den SPNV bestand. Im Bereich des ÖSPV wird die Wahrnehmung der Aufgabenträgerschaft für die Ausgestaltung des ÖSPV aber dadurch bundesgesetzlich determiniert, dass die Erteilung der Gewerbegenehmigung nach §§ 13, 13a PBefG, die mit einer Betriebspflicht einhergeht, und die darin vorgenommene Aufteilung in (genehmigte) Betriebslose ein wesentliches Instrument der Aufgabenträgerschaft darstellt. Die Länder verfügen damit insbesondere über Gesetzgebungskompetenzen zur Bestimmung der verkehrspolitischen Ziele, die sie auf ihrem Gebiet mit dem ÖPNV erreichen wollen, zur Festlegung der Aufgabenträgerschaft, zu Bestimmungen zu Aufstellung und Inhalt der in § 8 Abs. 3 PBefG vorgesehenen Nahverkehrspläne, zu Regelungen über Kooperationen sowie über die Verwendung der Regionalisierungsmittel des Bundes. Diese Befugnisse haben alle Länder mit dem Erlass von ÖPNV-Gesetzen ausgeübt, mit Ausnahme Hamburgs, wo man ein Gesetz nicht für erforderlich hielt. In den Nahverkehrsgesetzen konkretisieren die Länder auch den Daseinsvorsorgeauftrag, der mit der „ausreichenden Verkehrsbedienung“ nur generalklauselartig beschrieben ist, s. o. 1. Teil C.II.2.b)cc). Der Landesgesetzgeber weist den beiden Hauptverkehrsmodi des ÖPNV – dem SPNV und dem ÖSPV – spezifische Funktionen zu. Der SPNV soll den meisten ÖPNV-Gesetzen zufolge als Rückgrat des ÖPNV dienen. Er soll eine Grundversorgung sicherstellen70. In diesem Sinne bestimmen auch einige Landesgesetze, dass sich der übrige ÖPNV am SPNV ausrichten soll71. Sie tragen damit der Stärke schienengebundener Verkehrsmittel Rechnung, die darin besteht, verhältnismäßig umweltverträglich große Verkehrsmengen transportieren zu können. Außerdem erreichen sie eine höhere Kundenbindung als der Busver-

70 § 1 S. 4 und 5, § 4 Abs. 5 BWÖPNVG, Art. 2 Abs. 3 BayÖPNVG, § 2 Abs. 4 BlnÖPNVG, § 2 Abs. 6 und § 7 Abs. 1 BrbÖPNVG, § 3 Abs. 2 BremÖPNVG, § 2 Abs. 2 NWÖPNVG § 3 Abs. 1 S. 2 RhPfNVG, § 4 Abs. 1 SaarÖPNVG, § 2 Abs. 4 SächsÖPNVG, § 2 Abs. 3 ThürÖPNVG. 71 So z. B. § 6 Abs. 2 NdsNVG.

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kehr72. Vor allem auf größere Entfernungen gilt der SPNV als die attraktivere, schnellere und komfortablere Alternative zum Busverkehr73. a) Die Zuständigkeit für den SPNV innerhalb der Länder aa) Bundesrechtliche Organisationsvorgaben Zur Zuständigkeit für die Aufgabenerfüllung im SPNV gehört auch die Organisationshoheit. Damit können die Länder die Verwaltungseinheiten bestimmen, die im Land diese Aufgabe wahrnehmen, § 1 Abs. 2 RegG. Folgende bundesrechtliche Vorgaben sind zu beachten: Unbedingt verbindlich auch für die Länder ist die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 GG. Art. 28 Abs. 2 GG schreibt vor, dass die Gemeinden vorbehaltlich einer abweichenden gesetzlichen Regelung das Recht zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft haben. Unter Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind dabei solche zu verstehen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben. Dieser Aufgabenbestand kann je nach Einwohnerzahl, flächenmäßiger Ausdehnung und Struktur der Gemeinde variieren74 und hat der geschichtlichen Entwicklung Rechnung zu tragen75. Zu den eigenen Angelegenheiten der Gemeinden gehört nur der lokale ÖSPV, nicht jedoch der SPNV, der im Regelfall überörtliche Bedeutung hat76. Ausnahmsweise kann jedoch auch SPNV auf bloß lokale Funktionen beschränkt sein, wie dies bei der West-Berliner S-Bahn vor der Maueröffnung der Fall war, als die S-Bahn an der Stadtgrenze endete77. Die Wahrnehmung der Aufgabenzuständigkeit im Bereich des SPNV durch das Land bedarf daher im Regelfall keiner besonderen Rechtfertigung im Hinblick auf Art. 28 Abs. 2 GG. In der anderen Richtung muss die Übertragung der Aufgabenzuständigkeit für den den örtlichen Zusammenhang überschreitenden SPNV auf die Gemeinden vor Art. 28 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden. Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet auch, dass die Wahrnehmung überörtlicher Aufgaben nur bei einer entsprechenden finanziellen Ausstattung auf die gemeindliche Ebene übertragen werden kann78. Sofern den Gemeinden die Aufgabenträgerschaft für den SPNV übertragen wird, verpflichtet Art. 28 Abs. 2 GG den Staat zur Übertragung entsprechender finanzieller Mittel. 72 73 74 75 76 77 78

Werner, S. 88. Barth, S. 234. BVerfGE 79, 127, 151 f. BVerfGE 50, 195, 201. SAVerfG, NVwZ-RR 1999, 96, 98 f.; so auch Barth, S. 78 ff. BVerwG, LKV 2000, 302, 303. Werner, S. 91.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Die Aufgabenzuweisung an die Kreise hingegen obliegt allein dem Gesetzgeber, Art. 28 Abs. 2 GG79. § 3 RegG, demzufolge mit der Regionalisierung die Zuständigkeit für den gesamten ÖPNV, also für SPNV und ÖSPV, in einer Hand vereinigt werden soll, ist hingegen mangels entsprechender Regelungskompetenz des Bundes als bloßer unverbindlicher80 Programmsatz zu verstehen. bb) Unmittelbare Landesaufgabenträgerschaft und kommunale Aufgabenträgerschaft Die Regelung der Aufgabenträgerschaft in den Ländern folgt zwei Modellen: Einem ersten Modell zufolge bleibt die Aufgabenträgerschaft grundsätzlich bei den Ländern, in einem zweiten wird die Aufgabenträgerschaft Kommunen übertragen. Die meisten Länder sind selbst für die Aufgabenträgerschaft des SPNV zuständig: Dies ist der Fall in Baden-Württemberg (§ 6 Abs. 2 BWÖPNVG), Bayern (Art. 15 Abs. 1 BayÖPNVG), Berlin (§ 3 Abs. 1 BerlÖPNVG), Brandenburg (§ 3 Abs. 1 BrbÖPNVG), Hamburg81, Mecklenburg Vorpommern (§ 3 Abs. 1 MVÖPNVG), Niedersachsen (§ 4 Abs. 1 NsNVG), Saarland (§ 5 Abs. 1 S. 1 SaarlÖPNVG), Sachsen-Anhalt (§§ 1, 7 Abs. 1 SAÖPNVG), SchleswigHolstein (§ 2 Abs. 1 SHÖPNVG) und Thüringen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ThürÖPNVG). In diesen Ländern werden damit außer in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg im Prinzip die Zuständigkeiten für die verschiedenen modi des ÖPNV geteilt: Für den SPNV sind die Länder verantwortlich, für den ÖSPV die Kommunen. Mehrere ÖPNVGe sehen aber Öffnungsklauseln verschiedener Art für kommunale Zuständigkeiten vor: So beinhaltet das baden-württembergische ÖPNVG in § 6 Abs. 2 S. 2 eine Ausnahme für den Verband Region Stuttgart, der abweichend von der sonstigen Landeszuständigkeit Aufgabenträger für den SPNV wird, und auch sonst kann die Aufgabenträgerschaft durch Rechtsverordnung modifiziert werden. In Niedersachsen wurde abweichend von der allgemeinen Regelung des NsNVG die Aufgabenträgerschaft für den SPNV dem Gemeindeverband Region Hannover (Gründung am 1.11.200182) und dem Zweckverband

79

BVerfGE 79, 127, 150. Bundestagsdrucksache 12/6269 vom 30.11.1993, Bericht der Abgeordneten Dr. Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser und Roland Kohn, Begründung der Änderungsbeschlüsse des Verkehrsausschusses, S. 136. 81 Vgl. Drucksache der Hamburger Bürgerschaft 15/3974 vom 12.9.1995 und 15/ 6662 vom 10.12.1996. 82 Rautenberg, DVBl. 2003, 768; Priebs, DÖV 2002, 144. 80

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Großraum Braunschweig übertragen83. Im Übrigen wurde im Jahre 1999 entsprechend dem Auftrag des NsNVG eine Prüfung durchgeführt, ob der SPNV auf Landkreise und kreisfreie Städte übertragen werden sollte, mit dem Ergebnis, den status quo unverändert zu lassen. Andere Gesetze ermöglichen die Übertragung der Aufgabenträgerschaft auf die Kommunen: Nur für Räume, die regional gegenüber dem gesamten Land abgrenzbar sind, sehen diese Möglichkeit die Länder Baden-Württemberg (§ 7 BWÖPNVG) und Mecklenburg-Vorpommern (§ 3 Abs. 2 MVÖPNVG) vor, Brandenburg für abgrenzbare Strecken ohne landesweite Bedeutung (§ 3 Abs. 2 BrbÖPNVG). In Sachsen-Anhalt war nach alter Gesetzeslage die Zuständigkeit des Ministeriums nur eine vorläufige, sie sollte bei entsprechender Leistungsfähigkeit auf die Kommunen übertragen werden (§ 11 Abs. 1 SAÖPNVG a. F.). Man ist hier allerdings zu der Auffassung gelangt, dass das Land auf Dauer die angemessene Organisationsebene darstellt. In dem neuen SAÖPNVG wurde deshalb die dauerhafte Landesaufgabenträgerschaft festgeschrieben. Einzelne Strecken oder Teilnetze des SPNV können durch vertragliche Vereinbarung in die Trägerschaft eines kommunalen Aufgabenträgers des ÖSPV übertragen werden (§ 7 Abs. 3 SAÖPNVG). Die Befürworter dieser Lösung, die bei den Ländern die Zuständigkeit für den SPNV belässt, sind der Ansicht, der SPNV könne nur großflächig organisiert werden84. Sie meinen, eine kommunale Organisation bringe Koordinationsprobleme für durchgehende Regionalzüge mit sich und würde das Verteilungsverfahren hinsichtlich der finanziellen Mittel komplizieren. Sie betonen die Notwendigkeit eines einheitlichen SPNV-Angebots, die Vorteile eines integrierten Taktfahrplans und die bessere Verhandlungsposition des Landes insbesondere gegenüber der DBAG85. Die Kommunen schreckten auch häufig vor der Übernahme der Verantwortung für den SPNV zurück, weil sie fürchteten, dass der ihnen entstehende Finanzierungsbedarf vom Land nicht vollständig ausgeglichen würde86. Auch wird befürchtet, die Kommunen als Eigentümer von kommunalen (Straßen-)Verkehrsunternehmen könnten den SPNV vernachlässigen87. In den übrigen Ländern sind die Kommunen Aufgabenträger des SPNV. Dies ist in Bremen (§ 6 Abs. 1 BremÖPNVG), Hessen (§ 5 Abs. 1 HessÖPNVG: Landkreise, kreisfreie Städte und Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern), 83 Vgl. Art. II des niedersächsischen Gesetzes zur Neuordnung des öffentlichen Personennahverkehrs vom 28.6.1995, NsGVBl. 1995, S. 180. 84 Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 396, 405. 85 So insbesondere die Begründung zur schleswig-holsteinischen Regelung, LT-Drs. 13/2421 vom 22.12.1994, S. 14. 86 Barth, S. 209; Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 396, 404. 87 Barth, S. 211.

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Nordrhein-Westfalen (§ 3 Abs. 1 NRWRegG: Kreise und kreisfreie Städte sowie unter bestimmten Voraussetzungen kreisangehörige Städte und Gemeinden), Rheinland-Pfalz (§ 6 Abs. 2 RhPfNVG: Landkreise und kreisfreie Städte) und ab dem 1.6.2002 auch in Sachsen (§ 3 Abs. 1 SachsÖPNVG: Landkreise und kreisfreie Städte) der Fall. Aus dieser Gruppe haben nur Hessen (§ 5 Abs. 1 S. 2 HessÖPNVG) und Rheinland-Pfalz (§ 6 Abs. 2 RhPfNVG) die Gewährleistungsverantwortung als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe ausgestaltet. Auch in Brandenburg ist die Aufgabenverantwortung für den SPNV im Falle ihrer Kommunalisierung pflichtige Weisungsaufgabe (§ 3 Abs. 2 BrbÖPNVG). In den übrigen Ländern ist die Aufgabenerfüllung freiwillig. Die Länder, die die Gewährleistungsverantwortung für den SPNV auf die Kommunen übertragen haben, haben das Ziel erreicht, die Zuständigkeiten für den gesamten ÖPNV zusammenzuführen, und dies auf einem möglichst ortsnahen Niveau88. Dies ist auch das wesentliche Argument für dieses Modell. Die einheitliche ÖPNV-Trägerschaft soll die Möglichkeiten einer abgestimmten Siedlungspolitik und die ÖPNV-Erschließung verbessern89. Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, die Auferlegung der Aufgabenträgerschaft für den SPNV als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe verstoße gegen die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG bzw. die entsprechenden Garantien der Länderverfassungen. Denn der SPNV habe einen überörtlichen Bezug, der regelmäßig selbst die Grenzen eines Kreises überschreite. Deshalb sei der SPNV zwangsläufig von den Ländern wahrzunehmen90. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Selbstverwaltungsgarantien sowohl des GG als auch der Landesverfassungen unter Gesetzesvorbehalt stehen, und der Gesetzgeber Angelegenheiten, die nicht eindeutig einen örtlichen Bezug aufweisen oder bei denen ein örtlich-überörtlicher Mischbezug besteht, den Gemeinden als Selbstverwaltungsaufgaben übertragen kann91. Außerdem werden die Aufgaben im SPNV in den meisten Fällen den Kreisen oder Zweckverbänden, nicht den Gemeinden übertragen. Für die Kommunalverbände, zu denen die Kreise gehören, bestehen Aufgabenzuweisungen ohnehin nur im Rahmen der Gesetze, Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG. Zweckverbände werden nicht einmal von dieser Vorschrift erfasst92. Soweit Zweckverbände von einer staatlichen Maßnahme betroffen werden, können aber mittelbar auch die Gemeinden betroffen sein, wenn sie nämlich Träger des Zweckverbandes sind. Träger der ÖPNV-Zweckverbände93 sind aber regelmäßig die Kreise. 88

Welge, NZV 1996, 385, 391. Lehmbrock, Regionalisierung des ÖPNV S. 9. 90 Sellmann, NdsVBl. 1996, 121, 125. 91 Eberhard Schmidt-Aßmann: Kommunalrecht, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 35. 92 Wolfgang Löwer, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 83. 89

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Daraus folgt: Sofern Aufgaben des SPNV, die nicht eindeutig einen örtlichen Bezug haben, auf die Gemeinden übertragen werden, muss die Übertragung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt und im Übrigen verhältnismäßig sein, denn sie stellt einen Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie dar94. Ein sachlicher Grund für die Übertragung auf die kommunale Ebene kann in der Zusammenführung der Zuständigkeiten für den ÖPNV gesehen werden, die vor allem im Hinblick auf die Koordination von SPNV und ÖPNV vorteilhaft und nicht nur verwaltungsökonomisch sinnvoll ist. Ein Eingriff in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden ist dadurch nicht zu befürchten, solange entsprechend dem Konnexitätsprinzip die Gemeinde auch mit den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Eigenmitteln ausgestattet wird. Bei entsprechender finanzieller Ausstattung wird die gemeindliche Selbstverwaltung durch die Wahrnehmung der Zuständigkeit für den SPNV auch nicht innerlich ausgehöhlt95. Mehrere Länder haben mit der Wahrnehmung der Aufgabenträgerschaft eine zu diesem Zwecke gegründete Gesellschaft in Privatrechtsform beauftragt, wie z. B. die LVS in Schleswig-Holstein oder die Bayerische Eisenbahngesellschaft mbH für Bayern96. Auch kommunale Zweckverbände beauftragen nicht selten verbandseigene GmbHs mit der Ausführung der Verbandsaufgaben, so z. B. die VHS GmbH des Zweckverbandes VRS (Verkehrsverbund Rhein-Sieg). Als Vorteile der Organisation in Privatrechtsgesellschaften wird die größere Flexibilität gegenüber der öffentlich-rechtlichen Form, wenn auch häufig nur in Detailfragen, gesehen, wie die Höhe der Gehaltszahlungen oder die Unabhängigkeit von Verwaltungsvorschriften, z. B. über die Größe der Arbeitsräume. Diese Form der Kompetenzübertragung ist dann als Beleihung anzusehen, wenn sie auch Kompetenzen zum Erlass belastender Verwaltungsakte mitumfasst. Hier ist insbesondere an die Befugnis des Aufgabenträgers zu denken, Verkehrsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen hoheitlich aufzuerlegen97. Eine spezielle Trägerschaftsform stellt die gemäß § 3 SächsÖPNVG gebildete sächsische Landesverkehrsgesellschaft dar. Sie bildet trotz ihres Namens und trotz ihres Aufsichtsrats eine besondere öffentlich-rechtliche Organisationsform, 93 Zu dem Sonderproblem, ob die Betrauung eines Zweckverbandes mit der Aufgabenträgerschaft für den SPNV vergaberechtlich relevant ist, vgl. Schröder, NVwZ 2005, 25, 27 ff. 94 Wolfgang Löwer, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 55 und 49. 95 Vgl. zum „Aushöhlungsverbot“ durch Aufgabenentzug, das aber auch bei dem umgekehrten Fall der Aufgabenüberbürdung eingreifen kann: BVerfGE 79, 127, 155; vgl. auch: Wolfgang Löwer, in: von Münch/Kunig, GG-Kommentar, Art. 28 Rn. 55 und 49. 96 Eiermann, Rechtsbeziehungen im SPNV, S. 115, 116. 97 Sellmann, NdsVBl. 1996, 121, 130.

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denn sie fügt sich mit ihrer speziellen Organisationsstruktur nicht in den numerus clausus der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaftsformen98 ein99. b) Kooperationen Die auf mehrere horizontale Ebenen – zwischen mehreren Kommunen oder Kommunalverbänden – und vertikale Ebenen – zwischen verschiedenen Verwaltungsebenen – verteilten Aufgabenträgerschaften für den ÖPNV begründen Abstimmungsbedarf. Die Kooperation unter den Aufgabenträgern hinsichtlich der Fahrpläne, des Vertriebskonzeptes, des Marktauftritts und der Kommunikation erhöht empirisch die Nachfrage nach ÖPNV-Leistungen100. Horizontaler Kooperationsbedarf der Aufgabenträger besteht in Ländern, wo die Zuständigkeit bei den Kommunen liegt. Dies gilt insbesondere dort, wo einzelne Linien Zuständigkeitsgrenzen der Kommunen überschreiten, was vor allem im SPNV der Fall ist, der regelmäßig überörtliche Bedeutung hat. Deshalb fordern die ÖPNV-Gesetze die kommunalen Aufgabenträger im SPNV zu horizontaler Kooperation in den Ländern auf, wo sich der SPNV in kommunaler Trägerschaft befindet101. Vertikaler, systemübergreifender Abstimmungsbedarf ergibt sich vor allem dann, wenn der regionale ÖPNV, und insbesondere der SPNV, vom Land wahrgenommen wird, der lokale ÖPNV aber von den Kommunen. Die ÖPNV-Gesetze der Länder, die den SPNV auf Landesebene organisiert haben, verpflichten deshalb zu vertikaler Koordination, die häufig bereits durch die Beteiligung aller betroffenen Aufgabenträger an der Aufstellung der Nahverkehrsplanung gewährleistet werden soll102. Entsprechendes gilt für die Grenzen der Länder überschreitende Verkehre103; im Bereich der Stadtstaaten Hamburg und Berlin geht diese Zusammenarbeit bis zur Gründung eines gemeinsamen Verkehrsverbundes mit den Aufgabenträgern des Umlandes104. 98

Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, S. 11. Püttner, Die künftigen Träger des Nahverkehrs, S. 99. 100 Werner, Wirtschaftsverwaltung 2001, 89, 91. 101 § 7 BremÖPNVG, § 7 Abs. 3 HessÖPNVG, §§ 5, 6 NRWRegG, § 6 Abs. 3 RhPfNVG, § 4 Abs. 2 SächsÖPNVG. 102 § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 BWÖPNVG, Art. 18 BayÖPNVG, § 5 Abs. 1 S. 1, 7 Abs. 1 S. 2 BrbÖPNVG, § 4 Abs. 5 MVÖPNVG, § 5 Ab.1 NsNVG, § 7 Abs. 1 S. 2 SaarÖPNVG, § 3 Abs. 2 SAÖPNVG, § 4 Abs. 5 SHÖPNVG, § 5 Abs. 2 ThürÖPNVG. 103 § 8 Abs. 1 S. 2 BWÖPNVG, Art. 4 Abs. 5 BayÖPNVG, § 5 Abs. 1 S. 2, 7 Abs. 8 BrbÖPNVG, § 6 Abs. 3 BremÖPNVG, §§ 5 Abs. 3, 7 Abs. 7 HessÖPNVG, § 4 Abs. 6 MVÖPNVG, § 5 Abs. 1 S. 3 NsNVG, § 6 Abs. 4 NRWRegG, § 12 RhPfNVG, § 5 Abs. 5 SaarÖPNVG, § 2 Abs. 5 SächsÖPNVG, § 2 Abs. 5 S. 4 SHÖPNVG, § 4 Abs. 3 ThürÖPNVG. 99

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Neben der Kooperation unter Aufgabenträgern fordern die Nahverkehrsgesetze auch die Verkehrsunternehmen untereinander zur Kooperation auf bzw. die Aufgabenträger zur Kooperation mit den Verkehrsunternehmen, vgl. z. B. § 9 BWÖPNVG. Kooperation unter Verkehrsunternehmen kann einen sparsameren Einsatz der Produktionsmittel und eine bessere Auslastung bewirken und damit – auch im Interesse der Auftraggeber – ermöglichen, Ressourcen zu sparen105. Dabei können sich kartellrechtliche Problem stellen106. Die ÖPNV-Gesetze machen teilweise recht genaue Vorgaben zu Form und Inhalt der Kooperation, sowohl der Aufgabenträger als auch der Verkehrsunternehmen107. Kooperationsformen lassen sich in die drei Typen der Tarifgemeinschaften, Verkehrsgemeinschaften und Verkehrsverbünde einteilen, deren Abgrenzungen im Einzelfall allerdings schwierig vorzunehmen sein können. Häufig werden sie mit dem unscharfen Sammelbegriff des Verbundes oder der Verbundlösung belegt108. Im Rahmen von Tarifgemeinschaften arbeiten die Kooperationspartner bei der Tarifgestaltung zusammen, ohne ihre rechtliche Selbständigkeit aufzugeben. Die sich an Verkehrsgemeinschaften beteiligenden Partner arbeiten über die Tarifgestaltung hinaus auch im Bereich der Produktgestaltung zusammen, unter Wahrung ihrer Selbständigkeit. Die intensivste Form der Verkehrskooperationen stellen Verkehrsverbünde dar, bei denen die Beteiligten Kompetenzen auf eine selbständige Organisation, in der Regel eine Verbund-GmbH, übertragen. Der Begriff des Verkehrsverbundes kann wiederum unterschiedliche Tatbestände, Aufgabenträgerverbände und Unternehmensverbände oder auch Mischformen bezeichnen109: Aufgabenträgerverbände vereinigen mehrere Aufgabenträger in Zweckverbänden nach Maßgabe der jeweiligen Landesgesetze über die kommunale Zusammenarbeit und der ÖPNV-Gesetze. Ein Unternehmensverbund ist dagegen als Tochterunternehmen (oder je nach Sichtweise: als Dachgesellschaft) von verschiedenen Verkehrsunternehmen – meist in der Form einer GmbH – organisiert110. Gemeinsames Ziel 104 § 4 BlnÖPNVG; Drucksache der Hamburger Bürgerschaft 15/3947 vom 12.9. 1995 sowie 15/6662 vom 10.12.1996. 105 Werner, Wirtschaftsverwaltung 2001, 89, 91. 106 Werner, Wirtschaftsverwaltung 2001, S. 112 f. 107 §§ 8, 9 BWÖPNVG, Art. 9 BayÖPNVG, § 4 BerlÖPNVG, § 5 BrbÖPNVG, § 6 Abs. 3 und 7 BremÖPNVG, § 7 Abs. 2–8 HessÖPNVG, § 4 Abs. 4-6 MVÖPNVG, § 5 NdsNVG, §§ 5–6 NWÖPNVG, § 4 Abs. 2 und § 6 Abs. 3–11, § 7 S. 3 RhPfNVG, § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 5 und § 7 SaarÖPNVG, § 2 Abs. 5 und § 4 SächsÖPNVG, § 2 Abs. 5, § 3 SHÖPNVG, § 4 ThürÖPNVG. 108 Hans-Jörg Weiß, S. 235. 109 Vgl. Fehling, Die Verwaltung 2001, 25, 35 Fn. 45. 110 Vgl. hierzu i. e. Werner, Wirtschaftsverwaltung 2001, 89, 108 ff.; Püttner, Die künftigen Träger des Nahverkehrs, S. 96.

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aller dieser Verbundformen ist ein gegenüber dem Fahrgast abgestimmtes Auftreten in Bezug auf Fahrplanangebot, Tarifgestaltung, Vertrieb und Kommunikation111. Die Unternehmenstarife werden abgeschafft und durch ein einheitliches Verbundtarifsystem ersetzt. Die Verbundeinnahmen werden nach einem Verteilungsschlüssel auf die Verbundteilnehmer umgelegt. Im Allgemeinen beschränken sich die ÖPNV-Gesetze darauf, die Aufgabenträger zu freiwilliger Zusammenarbeit aufzurufen. Eine Ausnahme bildet Nordrhein-Westfalen: Wird hier auf freiwilliger Basis kein Zusammenschluss der Aufgabenträger erreicht, können sie zwangsweise zu einem Zweckverband vereinigt werden, vgl. § 5 Abs. 5, Abs. 6 NWÖPNVG112. § 7 Abs. 4 NWÖPNVG sieht nach einer Gesetzesnovelle113 vor, dass das Ministerium im Einvernehmen mit den Zweckverbänden und dem Verkehrsausschuss des Landtags ein SPNVNetz definiert, das für die Erschließung aller Landesteile bedeutsame SPNVVerbindungen enthält mit Anforderungen an Taktfolge, Haltestellen und Bedienungsqualität. Sofern die Länder die Aufgabenträgerschaft in Form einer Privatgesellschaft ausüben, können an diesen Gesellschaften neben dem Land auch die Kreise, die Träger des ÖSPV sind, beteiligt sein. Auch hierdurch soll die Koordination von ÖSPV und SPNV abgesichert werden, indem den Kreisen als Betroffenen Mitspracherechte eingeräumt werden. c) Der Nahverkehrsplan Der Nahverkehrsplan bildet den Rahmen für die Entwicklung des ÖPNV, § 8 Abs. 3 S. 5 PBefG. Er erkennt bundesrechtlich die Befugnis des Aufgabenträgers an, den ÖPNV zu planen; aus der Aufgabenkompetenz folgt grundsätzlich auch die Planungskompetenz der Länder114. Mit der Planungskompetenz verfügen die Länder auch über die Gesetzgebungskompetenz über die Planungsinstrumente, vgl. Art. 30 GG. Deshalb bleibt die Ausgestaltung des Verfahrens der Aufstellung sowie des Inhaltes der Nahverkehrspläne den Ländern vorbehalten. Der Nahverkehrsplan wurde zwar mit dem BENeuOG eingeführt, Bedeutung erlangt er aber im Wesentlichen im Bereich des ÖSPV, worauf auch die Stellung seiner Rechtsgrundlage in § 8 Abs. 3 PBefG hindeutet. Die Aufnahme in das BENeuOG erklärt sich aus der Vermengung der Bahnreform mit der Neuordnung des gesamten ÖPNV. Die Länder, auf deren Initiative der Nahverkehrsplan zurückgeht, sahen dabei die Gelegenheit, eigene Vorstellungen in diese bundes111 112 113 114

Werner, Wirtschaftsverwaltung 2001, 89, 108; vgl. auch § 5 Abs. 2 BrbÖPNVG. Hierzu: Püttner, Die künftigen Träger des Nahverkehrs, S. 98. Gesetz vom 19.6.2007, NWGVBl. S. 133. Batzill/Zuck, S. 29.

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gesetzlich geregelte Materie einzubringen115. Die Funktion des Nahverkehrsplans besteht darin, dem Aufgabenträger für den ÖSPV über den von ihm aufgestellten Nahverkehrsplan Einfluss auf die Entscheidung der Genehmigungsbehörde zu sichern, die von dem Aufgabensteller getrennt zu führen ist, vgl. § 8 Abs. 3 S. 1 PBefG116. Bei ihrer Entscheidung über eine Linienbetriebsgenehmigung hat die Genehmigungsbehörde nach §§ 13 oder 13a PBefG den Nahverkehrsplan zu berücksichtigen, § 8 Abs. 3 S. 2 sowie § 13 Abs. 2a PBefG. Diese Verbindung war lediglich im ÖSPV erforderlich, wo der Betrieb eines bestimmten Linienverkehrs an eine linienbezogene Genehmigung gebunden ist, die andere Interessenten von der Erbringung einer dasselbe Verkehrsbedürfnis bedienenden Leistung ausschließt (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG). Sie stellt damit ein Haupt-Steuerungsinstrument der Aufgabenträgerschaft im ÖSPV dar. Im SPNV hingegen besteht eine Genehmigungspflicht lediglich für den Betrieb des Gewerbes des Eisenbahnunternehmers; der Betrieb einzelner Strecken ist für den Inhaber der Betriebsgenehmigung genehmigungsfrei. Hier kann der Betreiber – im Rahmen der Streckenkapazitäten – Linienverkehre genehmigungsfrei betreiben, und der Aufgabenträger kann direkt auf die Durchführung Einfluss nehmen durch vertragliche Vereinbarung oder durch die hoheitliche Auferlegung von Linienbetrieben. Nahverkehrspläne betreffen nach der engen Definition des ÖPNV im Sinne des PBefG (s. o.) nur den ÖSPV. Darin wird aber der SPNV zumindest als eine „vorhandene Verkehrsstruktur“ (§ 8 Abs. 3 S. 2 PBefG) zu berücksichtigen sein. Die ÖPNV-Gesetze der Länder sehen ausdrücklich eine Einbeziehung des SPNV in die Nahverkehrspläne vor. Einige Gesetze schaffen darüber hinaus eine landesweite SPNV-Planung, teils durch Aufstellung eines gemeinsamen Dokumentes mit der landesweiten ÖPNV-Planung, teils durch Aufstellung eines ausschließlich dem SPNV gewidmeten Plans117.

115

Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 396, 406 f. So Bundestagsdrucksache 12/6269 vom 30.11.1993, Bericht der Abgeordneten Dr. Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser und Roland Kohn, Begründung der Änderungsbeschlüsse des Verkehrsausschusses, S. 143; die Bundeskompetenz für diese Verwaltungsvorschrift kann nicht beanstandet werden, weil der Bundesrat nach Art. 84 Abs. 1 GG dem PBefG zugestimmt hat. 117 Vgl. Art. 17 Abs. 1 BayÖPNVG („Schienennahverkehrsplan“), § 5 BerlÖPNVG (der nur einen einzigen, landesweiten Nahverkehrsplan vorsieht), § 7 Abs. 1 BrbÖPNVG („Nahverkehrsplan für den Schienenpersonennahverkehr“), § 6 MVÖPNVG („ÖPNV-Landesplan“), § 6 Abs. 6 NsNVG (fakultative Planung für den SPNV), § 8 SaarÖPNVG („Verkehrsentwicklungsplan“), § 3 SAÖPNVG („Plan des öffentlichen Personennahverkehrs des Landes Sachsen-Anhalt“), § 4 SHÖPNVG („landesweiter Nahverkehrsplan“), § 5 Abs. 2 ThürÖPNVG (Nahverkehrsplan für den SPNV). In Nordrhein-Westfalen erfüllt die Festsetzung des SPNV-Netzes nach § 7 Abs. 4 NWÖPNVG die Funktion eines Nahverkehrsplans für den SPNV. 116

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Der Zweck der Planung liegt im SPNV in der verwaltungsinternen Vorbereitung und Koordination der Aufgabenerfüllung118. Der Nahverkehrsplan hat damit im SPNV keine dem Bereich des ÖSPV vergleichbare rechtliche Relevanz. Die Regelungsinhalte der Nahverkehrspläne variieren in den verschiedenen Ländern. Alle ÖPNV-Gesetze der Länder sehen aber die folgenden Inhalte als Bestandteile der Nahverkehrspläne vor: Eine Bestandsaufnahme, die Bewertung des Ist-Zustandes, Prognosen/Szenarien/Potentiale/Zielvorstellungen sowie Aussagen zu Investitionen, Kosten und Finanzierungen119. Einige Länder gehen über diesen Inhalt hinaus und können als weiteren Minimalinhalt folgendes vorsehen: Anforderungen an Fahrzeuge und bauliche Anlagen, tarifliche Vorgaben, die Fahrplangestaltung, die Linienführung, Anforderungen an die betriebliche Sicherheit sowie Serviceleistungen120. Derartig detaillierte Vorgaben in den Nahverkehrsplänen werden vor allem von Verkehrsunternehmen kritisiert, weil sie unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten für konkurrenzfähige Verkehrsleistungen zum Nachteil des Kunden einschränkten121 und den rahmenartigen Plancharakter des Nahverkehrsplans missachteten122. Im Bereich des PBefG wird darüber hinaus die Länderkompetenz für die geschilderten Gegenstände mit der Argumentation in Frage gestellt, dass sie nicht mehr nur den Rahmen für die Entwicklung des ÖPNV im Sinne des § 8 Abs. 3 S. 3 PBefG absteckten, sondern Gegenstände regelten, die aufgrund bundesrechtlicher Regelung der Entscheidung der Verkehrsunternehmen überlassen sein sollten und nicht der Aufgabenträger123. Andere halten solche weitgehenden Regelungen zwar für zulässig, aber für durch die Genehmigungsbehörde nicht berücksichtigungsfähig124. Die Gegenauffassung hält detailliertere Regelungen für notwendig, damit der Nahverkehrsplan seine Aufgabe als Steuerungsinstrument voll entfalten könne125. Zumindest im SPNV, wo keine bundesrechtlichen Vorgaben für die Verkehrsdurchführung bestehen, wird dem Landesgesetzgeber nur dort eine rechtliche Grenze für den Inhalt der Nahverkehrspläne gezogen sein, wo das Grundrecht auf Berufsfreiheit des Art. 12 GG durch unverhältnismäßige Einschränkungen verletzt wird126. 118

Barth, S. 233; Lehmann/Rodi, ZögU 1998, 167, 183. § 11 BWÖPNVG, Art. 13 (ÖSPV) und Art. 17 (SPNV) BayÖPNVG, § 5 BlnÖPNVG, § 7 BrbÖPNVG, § 8 BremÖPNVG, § 14 HessÖPNVG, § 7 MVÖPNVG, § 6 NsNVG, § 8 NWÖPNVG, § 8 RhPfNVG, § 9 SaarÖPNVG, § 5 SachsÖPNVG, § 6 SAÖPNVG, §§ 4 (landesweiter NVP), 5 (regionaler NVP) SHÖPNVG, § 6 ThürÖPNVG. 120 So § 7 BrbÖPNVG, § 8 NWÖPNVG, § 8 RhPfNVG, § 6 SAÖPNVG. 121 Lehmbrock, S. 18; Fehling, Die Verwaltung 2001, 25, 48. 122 Batzill/Zuck, S. 29 ff. 123 Sellmann, NdsVBl. 1996, 121, 123 und 127. 124 Muthesius, Das Rechtsinstitut des Nahverkehrsplans, S. 106 ff. 125 Welge, NZV 1996, 385, 392; Berschin, S. 401. 119

A. Die Regionalisierung in Deutschland

221

Im baden-württembergischen ÖPNVG wird der Konflikt dadurch aufgelöst, dass ein Nahverkehrsplan mit dem eben beschriebenen Minimalinhalt vorgesehen ist, der im Genehmigungsverfahren nach PBefG zu beachten ist. Daneben existiert ein Nahverkehrsentwicklungsplan, der Aussagen zu betrieblichen und tariflichen Angebotsverbesserungen enthält, vgl. § 11 Abs. 5 BWÖPNVG. Mecklenburg-Vorpommern127, Schleswig-Holstein128 und Bayern129 sehen neben den regionalen Nahverkehrsplänen einen landesweiten Nahverkehrsplan vor, der die Planung für den SPNV sowie dessen Vernetzung mit dem sonstigen ÖPNV enthält. Die Rechtsnatur des Nahverkehrsplans ist mit derjenigen des Flächennutzungsplans des Bauplanungsrechtes (§ 5 BauGB) verglichen worden130. Wie dieser entfalten sie keine unmittelbare Verbindlichkeit gegenüber dem Bürger. Er entfaltet als Planungsinstrument nur eine verwaltungsinterne Bindungswirkung für den Aufgabenträger selbst, und dieser interne Planungsakt ist von der Genehmigungsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Genehmigungserteilung, bei der ihr ein Beurteilungsspielraum zukommt131, zu berücksichtigen. Damit fehlt ihm mangels zielgerichteter, rechtlicher Außenwirkungen der Rechtsnormcharakter. Deshalb schreiben die ÖPNVGe nicht ihren Erlass als allgemeinverbindliche Satzung vor. Pläne, die allein für den SPNV aufgestellt werden, sind von keiner Genehmigungsbehörde zu berücksichtigen, allerdings sind sie bei der Entwicklung des übrigen ÖPNV zu berücksichtigen132. Nur § 7 Abs. 1 BrbÖPNVG schreibt den Erlass des Nahverkehrsplans für den SPNV als Rechtsverordnung vor. 4. Die Finanzierung Die sog. Finanzierung des ÖPNV beinhaltet zwei Maßnahmengruppen: Die Förderung von Investitionen und die Kofinanzierung von Betriebskosten. Das gegenwärtige Finanzierungssystem ist mit der Regionalisierung des SPNV und der damit einhergegangenen Reform des ÖPNV nicht grundsätzlich umgestaltet worden und bleibt komplex und intransparent133.

126

Vgl. Gabler, Öffentlicher Nahverkehr in Bayern, S. 75. § 6 MVÖPNVG. 128 § 4 SHÖPNVG. 129 Art. 17 BayÖPNVG. 130 Barth/Baumeister, ZUR 1997, 17, 20. 131 BVerwGE 82, 360, 365; Fromm/Fey, Personenbeförderungsrecht, Kommentar, § 8 Rn. 7. 132 So ausdrücklich § 7 Abs. 1 S. 3 BrbÖPNVG. 133 Barth, S. 176; Bölke, Internationales Verkehrswesen 2005, 33, 34 f.; vgl. die Übersicht bei Berschin, S. 58 ff. 127

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Grundsätzlich ist die Finanzierung des ÖPNV Länderaufgabe, denn die Länder tragen mit der Aufgabenverantwortung auch die Ausgabenverantwortung, sog. Konnexitätsprinzip, vgl. Art. 104a Abs. 1 GG. Ausnahmen hiervon stellen Art. 104a Abs. 4 GG dar, auf dessen Grundlage das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) ergangen ist, sowie Art. 106a GG, der durch das Regionalisierungsgesetz konkretisiert wird. Den größten Anteil der öffentlichen Finanzmittel im ÖPNV stellen die sog. Regionalisierungsmittel dar (sie machen z. B. in Schleswig-Holstein ca. 80% der gesamten Mittel für den ÖPNV aus134), die aufgrund der §§ 5 und 8 RegG vom Bund an die Länder gezahlt werden. Die finanzielle Regelung in Art. 106a GG und im RegG geht auf die Forderung der Länder zurück, der Bund müsse als Gegenleistung zur Übertragung der Aufgabenlast für den SPNV auch die damit einhergehenden finanziellen Lasten ausgleichen. Die Länder haben so sehr hohe finanzielle Zusagen erhalten135. Die Regionalisierungsmittel machen ein vielfaches dessen aus, was der Bund bis dahin für den SPNV aufgewendet hatte136. Für das Jahr 1996 war in § 5 Abs. 1 RegG alter Fassung ein Betrag von 8,7 Mrd. DM aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes vorgesehen, der ab 1997 auf 12 Mrd. DM angehoben wurde. Im Gegenzug wurden allerdings die Mittel, die der Bund auf der Grundlage des GVFG an die Länder überweist, um 3 Mrd. DM (auf den Plafond von 1991) zurückgeführt137. Dies ermöglicht den Ländern, diese Mittel flexibler zu verwenden, weil die restriktiveren Vorschriften des GVFG für diesen Betrag nicht mehr gelten. Seit der Revision vom 26.6.2002 stand den Ländern ein Betrag in Höhe von jährlich 6,745 Mrd. Euro zu. § 5 Abs. 2 RegG sah ursprünglich eine Dynamisierung des Betrags entsprechend dem Wachstum des Umsatzsteueraufkommens vor. Dieses Kriterium erwies sich als nicht zweckmäßig, denn in der Rezession des Jahres 2001 ging auch das Umsatzsteueraufkommen zurück, mit der Folge, dass der Bundesfinanzminister Rückforderungen gegenüber den Ländern für bereits auf der Grundlage des Vorjahres geleistete Zahlungen erhob. Deshalb wurde mit der Gesetzesänderung 2002 eine jährliche Steigerungsrate von 1,5% auf der Grundlage der für das Jahr 2002 festgelegten Mittel fixiert. Zwischen 2004 und 2008 wurden die Regionalisierungsmittel durch Haushaltsbegleitgesetze schrittweise bis zu dem jetzt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Regulierungsgesetzes138 festgelegten Betrag von 6,675 Mrd. 134 Angaben aus dem Zweiten Landesweiten Nahverkehrsplan für den Schienenpersonennahverkehr in Schleswig-Holstein (LNVP 2003–2007), S. 3. 135 Kritisch zu dem hohen Transfervolumen in Hinsicht auf eine gesamtwirtschaftlich effiziente Verwendung: Aberle/Brenner: Bahnstrukturreform in Deutschland, S. 17; Lehmann/Rodi, ZögU 1998, 167, 184. 136 Pällmann, Internationales Verkehrswesen 2004, 127, 129. 137 Vgl. zu den Posten im Einzelnen: Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 396, 400, Fn. 6; die Summe der vom Bund auf der Grundlage der VO 1191/69 für den SPNV geleisteten Mittel allein betrug 7,7 Mrd. DM. 138 Vom 12.12.2007, BGBl. I 2871.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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Euro reduziert, vgl. § 5 Abs. 1 RegG. Gesetzesänderungen bedürfen der Zustimmung durch den Bundesrat. Damit ist gewährleistet, dass der Bund im Rahmen einer Revision die Mittel nicht einseitig reduzieren kann. Die Regionalisierungsmittel wurden bis zur Gesetzesänderung gemäß § 8 RegG a. F. nach zwei Schlüsseln verteilt: Nach § 8 Abs. 1 RegG a. F. erhielten die Länder einen Betrag von 4,462 Mrd. Euro. Dieser Betrag stellte ca. 2/3 der Regionalisierungsmittel dar. Höhe und Aufteilung der Mittel wurden ursprünglich so bemessen, dass die Länder die 1993/1994 von der Bundesbahn durchgeführten Fahrplanleistungen bezahlen konnten. Der Betrag wurde aufgrund eines entsprechenden Revisionsauftrags in § 6 RegG a. F. zum 31.12.1997 überprüft und angepasst, mit dem vor allem Befürchtungen auf Seiten der Länder Rechnung getragen werden sollte. Die restlichen Mittel wurden nach § 8 Abs. 2 RegG a. F. nach einem Prozentschlüssel auf die Länder verteilt, der auf den drei Elementen der Einwohnerzahl (25%), des Anteils am durch den SPNV der Bundeseisenbahnen genutzten Netz (25%) sowie auf dem Verteilungsschlüssel, der dem GVFG zugrundeliegt (zu 50%), beruht139. Die Aufteilung der Mittel in zwei Gruppen in § 8 RegG a. F. erklärte sich aus verteilungstechnischen Gründen und war ohne Belang für die Verteilung auf ÖSPV und SPNV140. Nunmehr werden die Mittel insgesamt in § 5 Abs. 3 RegG auf die Länder so verteilt, dass der bisherige Verteilungsschlüssel erhalten bleibt141. Wie sich aus § 5 Abs. 1 RegG ergibt, stehen die Bundesmittel umfassend für Zwecke des ÖPNV zur Verfügung. § 6 Abs. 2 RegG verpflichtet die Länder nun zu einer transparenten Darstellung der Mittelverwendung gegenüber dem Bund. Sie sind hierfür zweckgebunden. Allerdings sollen sie nach § 6 Abs. 1 RegG „insbesondere“ für die Finanzierung des SPNV verwendet werden. Dieser Formulierung lässt sich kein Mindestanteil der Mittelverwendung für den SPNV entnehmen. Es ist bereits zweifelhaft, ob ein derartiger Inhalt dem Wort „insbesondere“ entnommen werden kann, denn „insbesondere“ bedeutet nicht „überwiegend“142. Auch nach der Gesetzesbegründung sollte die Formulierung lediglich die verkehrspolitische Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass die verstärkte Förderung des Schienenverkehrs erforderlich sei143, s. auch oben zu Art. 106a GG. 139 Bundestagsdrucksache 12/6269 vom 30.11.1993, Bericht der Abgeordneten Dr. Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser und Roland Kohn, Begründung zu den Änderungsbeschlüssen des Verkehrsausschusses, S. 138; zur Problematik des Schlüssels: Lehmbrock, S. 48. 140 Werner, S. 230. 141 Bundestagsdrucksache 16/6310 vom 7.9.2007. 142 Barth/Baumeister, ZUR 1997, 17, 23; Barth, S. 176; a. A. Püttner, Die künftigen Träger des Nahverkehrs, S. 100; Wachinger/Wittemann, S. 74. 143 Bundestagsdrucksache 12/6269 vom 30.11.1993, Bericht der Abgeordneten Dr. Dionys Jobst, Klaus Daubertshäuser und Roland Kohn, Begründung zu den Änderungsbeschlüssen des Verkehrsausschusses, S. 136.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Die ÖPNVGe der Länder selbst bestimmen aber häufig die Regionalisierungsmittel zur überwiegenden Verwendung für den SPNV144. So verwenden Mecklenburg-Vorpommern (§ 8 Abs. 3, 4 MVÖPNVG) und Schleswig-Holstein (§ 6 Abs. 3 SHÖPNVG) alle Mittel nach § 8 Abs. 1 RegG, und Rheinland-Pfalz (§ 10 Abs. 2 RhPfNVG) immerhin noch 75% dieser Mittel sowie der Mittel nach § 8 Abs. 2 RegG für den SPNV. In Baden-Württemberg sind die Mittel nach dem Regionalisierungsgesetz „vorrangig“ für den SPNV zu verwenden, § 13 Abs. 2 BWÖPNVG. Andere Länder, wie Brandenburg (§ 10 Abs. 2 BrbÖPNVG), Bremen (§ 11 Abs. 1, 2 BremÖPNVG), Niedersachsen (§ 7 Abs. 1 S. 2 NdsÖPNVG), Nordrhein-Westfalen (§ 11 Abs. 1 S. 3 NRWÖPNVG), Saarland (§ 12 Abs. 2 SaarÖPNVG) und Sachsen (§ 7 Abs. 3 SächsÖPNVG) wiederholen die Formulierung des RegG, wonach die Mittel nach dem Regionalisierungsgesetz „insbesondere“ für den SPNV zu verwenden sind. Das Bayerische ÖPNVG verweist in Art. 29 auf den Schienennahverkehrsplan, das Berliner ÖPNVG trifft keine Festlegung. Weitere Bundesmittel in Höhe von 3,28 Mrd. DM (ca. 1,68 Mrd. Euro), die indirekt oder direkt Infrastrukturvorhaben im Bereich des ÖPNV zugute kommen können, erhalten die Länder aufgrund des GVFG. Im Beispielsfall Schleswig-Holstein stellen sie ca. 8% der ÖPNV-Finanzierung dar. Daneben bestehen gesetzliche Ausgleichsansprüche für bundesrechtliche Verpflichtungen zugunsten bestimmter Personengruppen: Nach §§ 6a ff. AEG a. F., die nach der Neufassung des AEG fortgelten, finanziert der Bund die Beförderung von Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs sowie nach §§ 145 ff. SGB IX die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter. Neben diesen gesetzlichen Finanzierungsansprüchen können die Länder als Aufgabenträger des ÖPNV weitere Zuschüsse für den Betrieb des ÖPNV in ihren Haushaltsplänen vorsehen. Auch Aufgabenträger spezieller ÖPNV-Leistungen, wie z. B. die Kreise für von ihnen organisierte Schülerverkehre, können weitere Zuschüsse gewähren. Selbst wenn sie nicht gesetzliche Aufgabenträger sind, verwenden vor allem finanzstarke Kreise zusätzliche eigene Mittel, um kreisbedeutsame Regionalverkehre zu finanzieren, für die ein starkes Bedürfnis besteht. Dies ist vor allem in Baden-Württemberg zu beobachten. Solange die Kreise diese Verkehre finanzieren, sehen die eigentlichen Aufgabenträger in dieser Wahrnehmung kein Problem. Allerdings versuchen die betroffenen Kreise in der Folge nicht selten, die Aufgabenträger zur Übernahme der Finanzierung dieser Verkehre zu bewegen. Einige Autoren sehen die Organisation solcher in Eigeninitiative organisierter Verkehre als unzulässig an, weil sie an den Kompetenzvorschriften der ÖPNVGe

144

Barth/Baumeister, ZUR 1997, 17, 24.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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vorbeigehen145. Es würde aber Sinn und Zweck der ÖPNVGe, die die Organisation eines attraktiven Nahverkehrs sicherstellen sollen, zuwiderlaufen, die Kompetenz der Aufgabenträgerschaft in dem Sinne als abschließend anzusehen, dass sie darüber hinausgehende Angebote ausschließen. Für deren Zulässigkeit spricht auch die grundsätzliche Aufgabenallzuständigkeit der Kreise für kreiseigene Angelegenheiten, solange es sich um rein kreisbedeutsame Verkehre handelt. Für die Infrastruktur (des Bundes) bleibt auch im SPNV grundsätzlich die Finanzierungs- und Gewährleistungsverantwortung des Bundes bestehen. Speziell für die Infrastruktur des SPNV stellt der Bund weitere Finanzmittel aus dem Bundes-Schienenwegeausbaugesetz (BSchWAG) auf Basis eines vom Bundesverkehrsministers aufgestellten Bedarfsplans zur Verfügung. 20% der BSchWAG-Mittel sind für den SPNV zu verwenden, § 8 Abs. 2 BSchWAG. Für 1997 stand damit für Zwecke des SPNV ein Betrag in Höhe von 1,1 Mrd. DM bereit146. Dies schließt aber nicht die Befugnis der Länder aus, sich an der Finanzierung dieser Infrastrukturen zu beteiligen147. So sehen auch die Gesetze von Baden-Württemberg (§ 13 Abs. 2 S. 2 BWÖPNVG), Berlin (§ 7 Abs. 1 S. 2 BerlÖPNVG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 8 Abs. 4 Nr. 2 MVÖPNVG), Nordrhein-Westfalen (§ 12 Abs. 3 NRWÖPNVG) und Saarland (§ 12 Abs. 3 SaarÖPNVG) ausdrücklich die Förderung von Investitionen in das Schienennetz, d.h. Erhaltung, Ausbau oder Reaktivierung, vor. Nicht abschließend geklärt ist bislang die Frage, ob Unterstützungszahlungen, die aufgrund der Bestellerverträge vom Besteller an die Verkehrsunternehmen geleistet werden, der Umsatzsteuerpflicht unterfallen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen Umsätze aus gegen Entgelt ausgeführten Dienstleistungen der Umsatzsteuer. Zum steuerbaren Entgelt gehören nach § 10 Abs. 1 S. 3 UStG auch die Leistungen, die ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung entrichtet. Entscheidend für die Steuerpflichtigkeit ist das Merkmal des Leistungsaustauschs. Ein Leistungsaustausch liegt vor, wenn sich die Leistung auf den Erhalt einer Gegenleistung richtet und damit die gewollte, erwartete oder erwartbare Gegenleistung im Sinne eines „do ut des“ auslöst148. Von diesem Tatbestand sind Zuschüsse und Beihilfen im Sinne des UStG abzugrenzen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Leistung keine konkrete Gegenleistung im Interesse des Leistenden zur Folge hat149. Die Unterstützungszahlungen lassen sich nicht als derartige Zuschüsse oder Beihilfen im Sinne des UStG qualifizieren. Denn die Zahlungen der Aufgaben145 146 147 148 149

Sellmann, NdsVBl. 1996, 121, 128. Lehmann/Rodi, ZögU 1998, 167, 185. Gabler, Öffentlicher Nahverkehr in Bayern, S. 44. BFH vom 26.6.1986, BFHE 148, 79, 81; vgl. auch: Rüttinger, BB 1989, 2160. Axel Leonhard, in: Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 10 Rn. 41 ff.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

träger, die aufgrund der Verkehrsverträge geleistet werden, erfüllen das Gegenleistungsmerkmal: Man wird schwerlich bestreiten können, dass die Zuschüsse zur Erbringung der Verkehrsleistungen, die ohne die öffentlichen Zuschüsse defizitär wären, die Verkehrsunternehmen zur Ausführung der Transportleistungen veranlassen. Dabei kommt im SPNV nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG der reduzierte Satz von derzeit 7% zur Anwendung. Dieser ermäßigte Satz gilt nur bei Beförderungsstrecken von unter 50 km; unter Beförderungsstrecke soll dabei in Übereinstimmung mit der Definition des SPNV aus dem RegG die Strecke verstanden werden, auf der der Beförderer eine Mehrzahl von Fahrgästen aufgrund eines Beförderungsvertrages befördert150. Trotzdem werten die Oberfinanzdirektionen die Unterstützungszahlungen im SPNV als „echte nichtsteuerbare Zuschüsse“ und veranlagen derzeit in ständiger Praxis in Vollzug eines Beschlusses der Finanzministerkonferenz keine Umsatzsteuer für öffentliche Zuwendungen im Zusammenhang mit fahrplanmäßig festgelegten Verkehrsangeboten zur Bedienung der Allgemeinheit im ÖPNV151. Diese Verwaltungspraxis dürfte jedoch im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut stehen152. IV. Die Streckenbeiräte Nur wenige Aufgabenträger haben Streckenbeiräte eingerichtet, die Benutzern ein Forum bieten, um Probleme auf der betroffenen Strecke vorzutragen und zu diskutieren153. Vorreiter ist Schleswig-Holstein. Modell für die Streckenbeiräte waren die französischen Beiräte im Elsass, s. u. 2. Teil B.X. Veranstalter des Streckenbeirats ist allein der Aufgabenträger, was die Neutralität der Veranstaltung garantieren soll. Auch das Verkehrsunternehmen wird aber zu den Sitzungen eingeladen, um unmittelbar zu dem Vorgetragenen Stellung nehmen zu können, ebenso wie die Infrastrukturunternehmen DB Netz sowie DB Station & Service. Die Streckenbeiräte tagen ca. alle vier Monate. Sie werden nicht systematisch für jede Strecke eingerichtet, sondern nur für Strecken, auf denen sich die Probleme häufen. Die diskutierten Themen betreffen meist Fahrpläne und Fahrzeuge154.

150 Hans-Hermann Heidner, in: Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 12 Abs. 2 Nr. 10 Rn. 16. 151 s. Protokoll der Finanzministerkonferenz vom 16./17.11.1995 zu TOP 15; s. auch Prieß, NZBau 2002, 539, 544. 152 Werner, S. 230 f., Berschin, S. 474; a. A. Scholz/Otting, DVBl. 2008, 12, 16 Fn. 32 und wohl auch Wachinger/Wittemann, S. 41. 153 Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 397, 419. 154 s. unter www.stationsbuero.de für einen Überblick über die in den schleswigholsteinischen Streckenbeiräten diskutierten Themen, Stand: 1.8.2008.

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V. Die Bahnhöfe Die Rechtslage der Bahnhöfe bildet in vielfacher Hinsicht eine Gemengelage und Grauzone: Sie gehören als Haltepunkte zur Infrastruktur, der Fahrkartenverkauf und das Angebot verkehrsnaher Dienstleistungen gehört aber eher zur Verkehrsdienstleistung, und viele größere Stationen haben heute in großen Teilen einen erwerbswirtschaftlichen Dienstleistungscharakter155 ohne Reisebezug. Gleichzeitig fallen ihr Zustand und ihre Existenz in den Interessen- oder Verantwortungsbereich mehrerer Gebietskörperschaften. Das Infrastrukturunternehmen DB Station & Service verwaltet die Bahnhöfe des Bundeseisenbahnnetzes und damit auch die dem SPRV dienenden. Zum Leistungsprogramm von DB Station & Service gehört nicht nur die Benutzung der Bahnhöfe als Ein- und Ausstiegspunkte, sondern auch die damit verbundenen Serviceleistungen, vor allem der Fahrkartenverkauf. Das mit der Durchführung des Regionalverkehrs beauftragte Verkehrsunternehmen muss deshalb die erforderlichen Bahnhofsleistungen bei DB Station & Service einkaufen. Auch der Zugang und die Bemessung der zu zahlenden Entgelte müssen sich an § 14 AEG und der EIBV orientieren, denn auch die Bahnhöfe gehören nach der Definition des § 2 Abs. 3 AEG zur Infrastruktur. Auch in diesem Bereich gilt die Verpflichtung des § 4 Abs. 1 EIBV zur Aufstellung allgemeiner Geschäftsbedingungen und von Entgeltverzeichnissen156. Für den Verkauf der Fahrkarten berechnet DB Station & Service seinen Auftraggebern Provisionen, die im Regionalverkehr zwischen 12 und 15% liegen. Wenn Bahnhöfe nach § 2 Abs. 3 AEG zur Infrastruktur gezählt werden157, weicht diese Definition von der gemeinschaftsrechtlichen Definition in Art. 3 der Richtlinie 440/91/EWG ab158. Das AEG vollzieht die in Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG vorausgesetzte Trennung von Infrastrukturunternehmen und Verkehrsunternehmen der Deutschen Bahn nach. Bahnhöfe gehören auch zum „Schienennetz“ im Sinne des Art. 87e Abs. 4 GG, für den die Gewährleistungsgarantie des Bundes gilt, s. o. C.II.2.b)aa). Ihr „Ausbau und Erhalt“ unterliegt damit der verfassungsmäßigen Gewährleistungsgarantie des Bundes, wie sie im BSchWAG konkretisiert wurde, vgl. § 8 Abs. 1 BSchWAG „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“. Für Instandhaltungsmaßnahmen hat die DB aufzukommen, vgl. § 8 Abs. 4 BSchWAG. Die Grenze zwischen Instandhaltung und Ausbau ist aber häufig nicht eindeutig. Da die Finanzierungsverantwortung des Bundes unter dem Vorbehalt zur Verfügung stehender Haushalts-

155

Ronellenfitsch, DÖV 1996, 1028, 1033 f. Zum System der Stationsgebühren s.: Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, S. 220 f. 157 Urs Kramer, Bemerkungen zum Recht der Eisenbahninfrastruktur, S. 194. 158 Kritisch hierzu: Burger, S. 46. 156

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

mittel steht, ist sie in der Praxis weitgehend eine politische Entscheidung: Eine Finanzierung von Aus- und Neubau durch den Bund stellt danach im SPNV die Ausnahme dar. Es existieren verschiedene Finanzierungsmodelle, die sich auf den Nenner bringen lassen: Wer den Bahnhof will, muss ihn auch bezahlen. Dies sind meistens die Länder. Für bestimmte Maßnahmen legt der Bund Förderprogramme auf; Bahnhofsneubauten werden aber meist ohne direkte Bundesbeteiligung von den Ländern finanziert. Über die Finanzierungsbeteiligungen an den Bauvorhaben werden nach § 9 BSchWAG Vereinbarungen geschlossen. Die Länder versuchen auch, die Gemeinden zu einer Beteiligung an den Kosten zu bewegen. Insbesondere bei Neubauten von Bahnhöfen ist auch unabhängig von der Finanzierungsfrage für den Erfolg des Projektes eine enge Zusammenarbeit mit Gemeinden und Kreisen unverzichtbar. Die Länder setzen zu diesem Zwecke Finanzmittel ein, die ihnen nach GVFG vom Bund zur Verfügung gestellt werden sowie Teile der Regionalisierungsmittel. Schleswig-Holstein verwendet z. B. 75% seiner GVFGMittel für den Bahnhofsbau. In den südlichen Ländern, vor allem Bayern und Baden-Württemberg, übernehmen daneben regelmäßig die Gemeinden die Planungskosten und die nicht-förderfähigen Kosten, die einen Prozentsatz von meist 10–15% darstellen. In den nördlichen Ländern trägt DB Station & Service die letztgenannten Kosten, die hier gleichzeitig als Antragsteller für das Vorhaben auftritt. Über Bahnhofsprojekte hatte beispielsweise Schleswig-Holstein darüber hinaus eine – mittlerweile ausgelaufene – Rahmenvereinbarung mit DB Station & Service abgeschlossen. Diese hatte aber nur den Charakter einer Absichtserklärung, und die tatsächliche Verwirklichung der Projekte stand auf seiten von DB Station & Service stets unter dem Vorbehalt verfügbarer finanzieller Mittel. Seit der Bahnreform fließt mehr Geld in den Unterhalt und Neubau der Bahnhöfe als vorher, noch immer aber sind viele Bahnhöfe in erneuerungsbedürftigem Zustand. VI. Wettbewerbsbehinderndes Verhalten des ehemaligen Monopolisten Trotz Öffnung des Eisenbahnnetzes für den Wettbewerb verfügt die DB Regio AG immer noch über eine Marktübermacht von knapp 85% im Nahverkehr159. Deswegen und aufgrund des Unternehmensverbundes des Infrastrukturunternehmens mit dem Personenfernverkehrsunternehmen verfügt die DB AG über beachtliche Diskriminierungsinstrumente und Drohpotential160. 159 160

Wettbewerbsbericht 2008 der Deutschen Bahn, S. 19, Stand: 2007. Vgl. auch Lehmann/Rodi, ZögU 1998, 167, 187; Berschin, S. 495.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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Die DB AG setzt diese Machtposition insbesondere im Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen gegenüber den Aufgabenträgern ein, aber auch gegenüber konkurrierenden Verkehrsunternehmen bei der Ausführung ihrer Verkehrsleistungen. Als Druckmittel gegenüber den Aufgabenträgern können insbesondere die Drohung mit dem Abbau von Arbeitsplätzen in der betroffenen Region dienen161 und das Schließen von Betriebswerkstätten162. Auch wenn Konkurrenten darauf verweisen können, dass ihre Beauftragung ebenfalls Arbeitsplätze schafft, ist die DB hier in einer stärkeren Verhandlungsposition, weil sie häufig neben Standorten für den Regionalverkehr auch Standorte für den Personenfernverkehr, den Güterverkehr und den Unternehmensbereich Infrastruktur unterhält. Die DB AG hat im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen auch bereits die Behauptung aufgestellt, dass sie im Gegensatz zu ihren Konkurrenten Lehrlinge ausbilde und dass Wettbewerber Dumpinglöhne zahlten163. Offenbar versucht die DB nicht selten und teilweise mit Erfolg164, die Abschlüsse von Verkehrsverträgen durch das Inaussichtstellen der Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen, etwa bei der Renovierung von Bahnhöfen165 oder der Elektrifizierung einzelner Trassen, zu beeinflussen. Auch der Verzicht auf die Einstellung von Linien des Fernverkehrs kann ein (zusätzliches) Argument für die Beauftragung von DB Regio darstellen166. Solche Einflussnahmen werden sich aber vor Gericht wohl praktisch nicht nachweisen lassen, denn entsprechende Vereinbarungen werden wenn überhaupt nur mündlich getroffen. Inwiefern sie dann gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen und gegen welche, lässt sich nur im Einzelfall begründen. In Betracht kommen ein Verstoß gegen § 1 UWG, gegen §§ 19, 20 GWB oder ein Verstoß gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot (vgl. § 97 Abs. 2 GWB), sofern sie im Rahmen eines Vergabeverfahrens vorgebracht werden. Häufig handelt es sich nur um Verdachte, die aber bereits geeignet sein können, potentielle Wettbewerber zu demotivieren. DB Regio sucht außerdem, die Herausgabe von Informationen, wie z. B. Informationen über Fahr161 So Bahnchef Mehdorn zum Abschluss des Verkehrsvertrages mit Connex im Nordharznetz nach: Mitteldeutsche Zeitung vom 21.2.2004. 162 Vgl. Pressemitteilung des Verkehrsministerium Rheinland-Pfalz vom 15.1.2004, http://www.der-takt.de/Presse_Details.6.0.html?&tx_ttnews[pointer]=128&tx_ttnews[tt_ news]=3519&tx_ttnews[backPid]=5&cHash=5fc2082f87, Stand: 1.8.2008. 163 So Bahnchef Mehdorn zum Abschluss des Verkehrsvertrages mit Connex im Nordharznetz nach: Ostthüringer Zeitung vom 18.2.2004. 164 Vgl. die Äußerungen des thüringischen Verkehrsministers Franz Schuster zum Abschluss eines Verkehrsvertrages mit DB Regio: Das Land habe ein Interesse daran, dass in die Infrastruktur investiert, eine Hochgeschwindigkeitsstrecke gebaut und mit anderen Verkehrsachsen vernetzt werde, nach: Ostthüringer Zeitung vom 13.5.2003. 165 So etwa S-Bahn Berlin GmbH-Chef Günter Ruppert nach: Berliner Morgenpost vom 28.11.2003. 166 Vgl. die Nachweise der Europäischen Kommission in Amtsblatt 2008 C 35/23, Rn. 98 ff.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

gastzahlen, vertraglich zu beschränken, was Konkurrenten den Markteinstieg erheblich erschwert. Dieser Altunternehmervorteil, die Einnahmen der Vergangenheit zu kennen, kann DB Regio dann bei der Erstellung eines neuen Angebots begünstigen167. Auch im direkten Verhältnis zu ihren Konkurrenten nutzt die DB AG zeitweilig ihre Marktmacht aus. Die Fälle betreffen meist Nebenmärkte zu dem eigentlichen Eisenbahntransportleistungsmarkt. Rechtsgrundlage für Verbote derartiger Verhaltensweisen sind §§ 20, 33 GWB. Hier ist im Einzelfall festzustellen, ob die DB den streitgegenständlichen Markt im Sinne des § 19 Abs. 2 GWB beherrscht. Sodann muss in einer umfassenden Interessenabwägung die Grenze zwischen legitimem Vorenthalten von Hilfeleistungen an Konkurrenten und durch das GWB verbotenen Diskriminierungen gezogen werden. Kein Unternehmen ist verpflichtet, seinen Konkurrenten zum eigenen Schaden zu fördern168. Bei der Abwägung ist auch beachtlich, ob die DB ihre marktbeherrschende Stellung unter dem Dach eines gesetzlich abgesicherten Monopols erlangt hat oder ob dies unter Inkaufnahme beachtlicher kaufmännischer Risiken geschehen ist169. In einem Eilverfahren haben das Berliner Kammergericht sowie im anschließenden Hauptsacheverfahren das Landgericht Berlin bereits entschieden, dass die DB AG verpflichtet ist, die Fernverkehrszüge ihrer Konkurrentin Connex in einem Großteil ihrer Fahrplan-Medien aufzuführen170. Ein ähnlicher Streitfall betrifft die Frage, ob die DB an ihren Fahrkartenschaltern auch Fahrkarten ihrer Konkurrenten verkaufen muss171. Man wird dagegen akzeptieren müssen, dass die DB AG Konkurrenten nur ungern ihren ausrangierten, wenn auch mit öffentlichen Mitteln angeschafften Fahrzeugpark überlässt, und ihnen auch nicht gestattet, ihre Zugwaschanlagen zu nutzen, sofern sie durch die DB AG zum gewünschten Zeitpunkt voll ausgelastet sind172. Letztere, als wettbewerbswidrig beanstandete Verhaltensweisen der DB AG betrafen den Personenfernverkehr. Im Bereich des gemeinwirtschaftlich bewirtschafteten Nahverkehrs weigert sich die DB nicht, Konkurrrenten in ihre Fahrpläne aufzunehmen und deren Fahrkarten zu vertreiben. Die Beispiele können aber illustrieren, welche potentiellen Diskriminierungsinstrumente der DB gegenüber ihren Konkurrenten zur Verfügung stehen.

167

Zu diesem Altunternehmervorteil: Werner, S. 216. BGH Wirtschaft und Wettbewerb Entscheidungssammlung 1800, 1805. 169 Wernhard Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, § 19 Rn. 207; LG Berlin, Urteil vom 27.4.2004, Akt.z.: 102 O 64/03 Kart, unveröffentlicht. 170 Kammergericht WRP 2004, 112; LG Berlin, Urteil vom 27.4.2004, Akt.z.: 102 O 64/03 Kart; kommentiert von Carsten Becker, in: EwiR 2003, 1247. 171 Vgl. hierzu den Streit zwischen Connex und DB, Die Welt vom 3.6.2003. 172 Vgl. den Streit mit Connex über diesen Punkt, Die Welt vom 3.6.2003, Märkische Allgemeine vom 3.6.2003. 168

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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Im direkten Verhältnis zu DB Netz beschweren sich Konkurrenten soweit ersichtlich nicht darüber, dass ihnen Infrastrukturkapazitäten gegenüber Unternehmen der DB nachrangig zugeteilt würden173. Beschwerden betreffen meist Diskriminierungen hinsichtlich des Preises: Das vormals zuständige EBA hat beanstandet, dass DB Netz gemäß ihrem Artikelverzeichnis für bestimmte netzzugangsrelevante Leistungen, wie Signalbücher, Fahrdienstvorschriften, Handbücher und Verzeichnisse, ihren Konkurrenten teilweise erheblich höhere Entgelte berechnete als konzerneigenen Unternehmen174. Das OLG Frankfurt/Main hat das Trassenpreissystem 98 wegen Verstoßes gegen das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB und das Missbrauchsverbot des § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB für nichtig erklärt, weil es das Konzernunternehmen DB Cargo gegenüber Konkurrenten begünstigt habe175. Auch die Lieferung von Bahnstrom nach den sog. „Bahnstrompreissystemen“ war des öfteren Gegenstand von Diskriminierungsvorwürfen, die letztlich vom OLG Frankfurt/Main nicht bestätigt wurden176. Eine umfangreiche Rechtsprechung entsteht zu den Bescheiden der Bundesnetzagentur, insbesondere zu von der Bundesnetzagentur behaupteten Diskriminierungen durch Infrastruktur-Benutzungsbedingungen177. Konkurrenten beschweren sich bisweilen auch über die Provisionen in Höhe von durchschnittlich 12–15%, die DB Station und Service, das für die Bahnhöfe zuständige Infrastrukturunternehmen, für den Fahrkartenverkauf fordert. Diskriminierungspotential besteht somit häufig eher durch die sachwidrige Verknüpfung von Leistungsversprechen, die die Tatsache des Unternehmensverbundes ermöglicht, als durch direkte Diskriminierungen von Wettbewerbern. Dies wirft wiederum die Diskussion um die vollständige Trennung von Infrastruktur und Verkehrsunternehmen auf, die von vielen Fachleuten gefordert wird, von der vom Bundesverkehrsminister eingesetzten sog. „Task-Force Zukunft der Schiene“ zur Umsetzung europarechtlicher Vorschriften zur Trennung von Infrastruktur und Betrieb aber – zumindest vorläufig – verworfen wurde178. Um Gefahren von Diskriminierungen dritter Wettbewerber zu begegnen, hat die „Task Force“

173

So ausdrücklich Connex nach: Ostthüringer Zeitung vom 2.6.2003. Pressemeldung Eisenbahn-Bundesamt vom 26.9.2003. 175 OLG Frankfurt vom 29.8.2006, Akt.z.: 11 U 46/05 (Kart), bestätigt von OLG Düsseldorf vom 7.2.2007, Akt.z.: VI-U (Kart) 2/06 und OLG Düsseldorf vom 2.5. 2007, Akt.z.: VI-U (Kart) 33/06. 176 OLG Frankfurt vom 10.10.2006, Akt.z.: 11 U 3/05, OLG Frankfurt vom 19.9. 2006, Akt.z. 11 U 44/05; anders die Vorinstanz LG Frankfurt vom 15.12.2004, Akt.z.: 3-08 O 72/04. 177 Vgl. die Nachweise zu den Entscheidungen des OVG Münster bei Ehricke, N & R 2008, 111, 114 f. 178 Skeptisch über den Nutzen mit Nachweisen zur Gegenansicht in Fn. 53: Fehling, DÖV 2002, 793, 799. 174

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

die Errichtung sog. „chinese walls“179 zwischen dem Infrastrukturbereich und dem übrigen Geschäftsbereich beschlossen. Solange aber die Aufsichtsratsvorsitzenden der Bereichsgesellschaften Mitglieder des Holding-Vorstandes der DB AG sind, werden weiterhin Informationen zwischen den einzelnen Unternehmen der DB AG fließen. Die Europäische Kommission hat am 26. Juni 2007 gegen 24 Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Umsetzung des ersten Eisenbahnpakets eingeleitet180. Darin bemängelt sie u. a. die personelle Verflechtung von Aufsichtsrats- und Vorstandsposten der DB AG und der DB Netz AG. In einem ersten Schritt hat die Kommission die Bundesregierung aufgefordert, zum Grad der Unabhängigkeit zwischen Infrastrukturbetreiber und Eisenbahnverkehrsunternehmen Stellung zu nehmen. Inwieweit die im Zuge des für den Herbst 2008 vorgesehenen TeilBörsengangs durchgeführte Umstrukturierung der DB AG eine stärkere Trennung der Infrastruktursparte von den Verkehrsunternehmen einleitet, bleibt abzuwarten. Nur Aktien der DB Mobility & Logistics AG, die aus den Verkehrsunternehmen besteht, sollen zu bis zu 24,9% an der Börse verkauft werden; die übrigen Aktien behält einstweilen die Holding-Gesellschaft DB AG. Zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und dem Finanzvorstand der DB AG und der DB Mobility & Logistics AG besteht Personalunion. Die Aktien des Infrastrukturunternehmens bleiben im alleinigen Eigentum der Holding-Gesellschaft DB AG. Diskriminierungspotential gegenüber Konkurrenten kann sich auch bei der Verteilung der Fahrgeldereinnahmen aus Fahrscheinen, die Nah- und Fernverkehrsleistungen umfassen, aufgrund des Unternehmensverbundes zwischen Nahund Fernverkehr innerhalb der DB AG ergeben. Hier kann für die übrigen Teilnehmer des Verkehrsverbundes undurchschaubar bleiben, auf welche Leistungen der DB AG die Einnahmen aus Netzkarten oder der Bahncard zu verteilen sind181. Noch weitergehend kann man deshalb auch den Verbund der Verkehrsunternehmen der DB AG untereinander in Frage stellen. Eine Gefahr für den sich entwickelnden Wettbewerb können auch Beteiligungen von DB Regio an lokalen ÖPNV-Unternehmen oder die Gründung entsprechender Gemeinschaftsunternehmen begründen182. Sie können die übermächtige Stellung der DB Regio AG zementieren, die neben SPNV-Leistungen durch Tochtergesellschaften auch ÖSPV-Leistungen anbietet. Die so entstehenden Ge179 So werden Informationsbarrieren innerhalb eines Unternehmens bezeichnet, die Informationsflüsse zwischen Abteilungen eines Unternehmens verhindern sollen und vor allem im Finanzsektor der Verhinderung von Absprachen bei kurzfristigen Geschäften dienen. 180 Vgl. Pressemitteilung vom 26.6.2008, Dok.nr. IP/08/1031. 181 Werner, S. 216. 182 So geschehen im Falle der Intalliance AG, einer Tochter der DB Regio AG, der Üstra Hannoversche Verkehrsbetriebe AG und der NordLB.

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sellschaften verfügen über den Vorteil, systemübergreifende ÖPNV-Leistungen aus einem Guss anbieten zu können. Wegen der angeblich marktbeherrschenden Stellung der DB Regio AG im Sinne von § 36 Abs. 1 GWB hat das Bundeskartellamt solche Zusammenschlüsse untersagt183 oder nur unter Auflagen genehmigt184. Auf die Beschwerde der beteiligten Unternehmen hat das OLG Düsseldorf im Falle der Intalliance AG nicht wie das Bundeskartellamt auf den regionalen, sondern auf einen weiteren Markt abgestellt, auf dem die DB Regio AG dann über keine marktbeherrschende Stellung verfügt. Deshalb hob es die Auflagen, an die das Bundeskartellamt seine Genehmigung geknüpft hatte, auf185. Auf eine Rechtsbeschwerde hob der BGH den Beschluss auf und verwies die Sache zurück an das Beschwerdegericht186. In seinem Beschluss äußerte er Bedenken dagegen, dass das OLG Düsseldorf eine marktbeherrschende Stellung von üstra und DB Regio sowie eine Verstärkung derselben infolge des Zusammenschlusses abgelehnt hatte. Üstra und DB Regio AG lösten daraufhin die Intalliance AG zum 6.10.2006 auf. VII. Die Verträge zwischen Aufgabenträger und Eisenbahnverkehrsunternehmen 1. Der Verkehrsvertrag als kooperationsrechtlicher öffentlich-rechtlicher Vertrag Die Verkehrsverträge zwischen Besteller und Eisenbahnverkehrsunternehmen sind kooperationsrechtliche öffentlich-rechtliche Verträge. Der öffentlich-rechtliche Vertragscharakter wurde bereits oben begründet, s. o. E.II.2.a)dd). Die Frage, ob Verkehrsverträge kooperationsrechtlicher oder im Sinne von § 54 Satz 2 VwVfG subordinationsrechtlicher Natur sind, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Sie ist von Bedeutung für die Anwendbarkeit der §§ 55, 56, 58 Abs. 2, 59 Abs. 2 und 61 VwVfG. Zudem ergibt sich aus der Qualifizierung als subordinationsrechtlichem Verwaltungsvertrag eine gewisse Indizwirkung dafür, dass es sich um keinen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB handelt, die im Prinzip nur nach Ausschreibung vergeben werden dürfen187.

183 In dem Fusionskontrollverfahren „RSW Regionalbus Saar-Westpfalz GmbH/ KVS GmbH“, Akt.z.: B9-16/04. 184 So im Falle der Intalliance AG und in dem Fusionskontrollverfahren „Regionalbus Braunschweig GmbH/Stadt- und Regionalbus Göttingen“, Akt.z.: B9-164/01, WuW/E DE-V 603. 185 OLG Düsseldorf vom 22.12.2004, Akt.z.: VI-Kart 1/04. 186 BGH vom 7.2.2006, Akt.z.: KVR 5/05. 187 Vgl. Meinrad Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, § 99 Rn. 3; Kulartz, NZBau 2001, 173, 176; Vergabekammer Magdeburg, Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 15.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Subordinationsrechtliche Verträge sind solche, die die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, mit einem Partner schließt, an den sie sonst einen Verwaltungsakt richten würde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der konkrete Gegenstand durch Verwaltungsakt geregelt werden könnte, sondern darauf, ob sich Bürger und Behörde auf dem Vertragsgebiet in einem Über- und Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen188. Für eine Qualifizierung als subordinationsrechtlich könnte der Umstand sprechen, dass die VO 1191/69/EWG erlaubt, gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen auch hoheitlich aufzuerlegen, vgl. Art. 1 Abs. 5 sowie Abschnitt II der VO. Die Rechtsgrundlage für den Erlass dieses belastenden Verwaltungsaktes könnte in § 15 Abs. 1 AEG gesehen werden189. Gegen diese Argumentation ist einzuwenden, dass die VO 1191/69/ EWG die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Leistungen unter anderen, engeren Voraussetzungen zulässt als die vertragliche Vereinbarung. Dies kann man im Sinne eines Vorrangs zugunsten der Vereinbarung verstehen, der es verbietet, in der Vereinbarung lediglich ein hoheitsaktvertretendes Instrument zu sehen190, s. o. C.II.3.b)aa). Der Verkehrsvertrag ist auch seinem gesamten Funktionszusammenhang nach eher auf den Erwerb von Marktleistungen als auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt gerichtet. Auf Grundlage des Verkehrsvertrags werden Leistungen auf dem durch die Bahnreform geschaffenen SPNV-Markt eingekauft191. Deshalb handelt es sich um einen kooperationsrechtlichen Vertrag. 2. Vorbehalt des Gesetzes Schließlich stellt sich die Frage, ob der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes für die Schienenverkehrsverträge gilt. Die Geltung des Grundsatzes des Vorbehaltes des Gesetzes ergibt sich aus Art. 20 Abs. 3 GG192. Zwar lässt sich argumentieren, öffentlich-rechtliche Verträge unterständen nicht dem Gesetzesvorbehalt, weil pflichtbegründend der Parteiwille mit der dem Vertrag eigenen Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung wirke193. Einige Autoren berufen sich auch auf das Prinzip des Verzichtes auf Schutzrechte194. Zweierlei Überlegungen stellen dieses Ergebnis aber in Frage: Zum einen kann der Bürger nur auf Schutzrechte verzichten, die zu seiner Disposition stehen. Das Prinzip des 188

BVerwG, NVwZ 2000, 1285, 1286. Prieß, NZBau 2002, 539, 542. 190 Barth, S. 141 und S. 144 f., Berschin, ZUR 1997, 4, 7, Werner, S. 55; OLG Brandenburg vom 2.9.2003 Verg W 3/03 und Verg W 5/03 S. 21; Fromm, DVBl. 1994, 187, 192; Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, S. 184. 191 Vergabekammer Magdeburg: Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 15 f.; im Ergebnis ebenso: Maurer, § 14 Rn. 12; Barth, S. 144 f. 192 BVerfGE 49,89,126. 193 von Zezschwitz, NJW 1983, 1873, 1879. 194 Maurer, § 14 Rn. 34. 189

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Gesetzesvorbehaltes dient aber auch der Kompetenzabgrenzung und -wahrung zwischen Parlament und Regierung195. Zum anderen berührt der Abschluss eines Verkehrsvertrages mit einem Verkehrsunternehmen auch Interessen konkurrierender Verkehrsunternehmen. So kann der Staat ein Gebietsmonopol nicht allein kraft Vertrages einräumen, weil dadurch in die Grundrechte der Konkurrenten aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG eingegriffen wird196. Ein solcher Eingriff bedarf einer gesetzlichen Legitimation. Somit stellt sich die Frage, ob der Abschluss eines Verkehrsvertrags mit einem Verkehrsunternehmen einen Grundrechtseingriff gegenüber einem anderen Verkehrsunternehmen beinhaltet. Dafür spricht, dass der Vertragsschluss zwar keinen rechtlichen Ausschluss der Konkurrenten vom Markt begründet, wohl aber einen faktischen: Wenn auch die Verkehrsverträge kein gesetzliches Monopol gewähren, lassen sich Verkehrsleistungen auf den durch die Schienenverkehrsverträge vergebenen Netzen faktisch nur mit den darin vorgesehenen Unterstützungszahlungen erbringen, weil aus den Fahrgeldeinnahmen lediglich 30– 40% der Kosten erwirtschaftet werden können. Zwar ist denkbar, dass einzelne Strecken aus diesem Netz gewinnträchtig betrieben werden können, aber auch hier verfügen die Vertragsunternehmen über einen erheblichen Wettbewerbsvorteil, weil sie zum einen den Verkehr auf ihre anderen Linien abstimmen können, zum anderen vertaktete und in ein Netz eingebundene Verkehre Sonderbehandlungen bei der Zuweisung von Infrastrukturkapazitäten rechtfertigen, vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 AEG sowie § 9 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 und Abs. 5 Nr. 2, Abs. 7 EIBV197. Die bevorzugte Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten an vertaktete oder in ein Netz eingebundene Verkehre begründet zwar ein Sonderrecht, aber kein rechtliches Monopol. Denn es schließt andere nicht von dem Betrieb eines parallelen Netzes aus. Soweit der Konkurrent auch Infrastrukturkapazitäten für den Betrieb eines Netzes beantragt, muss er insoweit mit dem eingesessenen, parallelen Netzbetreiber gleichbehandelt werden. Diese Gründen erklären, warum im SPRV bislang kein Schienenverkehrsunternehmen einen Verkehr in direkter Konkurrenz zu einem durch Verkehrsvertrag bestellten Verkehr eingerichtet hat. Deshalb muss man davon ausgehen, dass ein Unternehmen, das einen Vertrag mit dem Aufgabenträger abgeschlossen hat, in der Gesamtschau über ein von der öffentlichen Hand veranlasstes faktisches Gebietsmonopol verfügt. Der Abschluss des Verkehrsvertrags stellt allerdings keinen klassischen Eingriff durch Hoheitsakt in die Grundrechte des nicht begünstigten Unternehmers aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG dar. Der Schwerpunkt des Sinngehaltes staatlichen Handelns liegt hier in einer Leistungsgewährung. Gemäß Artt. 12 Abs. 1, 195 196 197

Maurer, § 14 Rn. 34. von Zezschwitz, NJW 1983, 1873, 1879. Frotscher/Kramer, NVwZ 2001, 24, 29; Snethlage, S. 235 f.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

14 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG besteht damit ein Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe. Erst die staatliche Leistung ermöglicht aber überhaupt die Bewirtschaftung dieses Marktes. Diese Grundrechtskollision muss wegen des faktischen Ausschlusses der betroffenen Unternehmen von dem Teilmarkt des vom Vertrage erfassten Gebiets durch den Gesetzgeber selbst geregelt werden. Fraglich ist, ob die bestehenden Vorschriften den Anforderungen des Gesetzesvorbehaltes genügen. Der Gesetzgeber muss die für die Grundrechtsausübung wesentlichen Entscheidungen treffen. Welche Entscheidungen dies genau sind, lässt sich nur in Hinsicht auf den jeweiligen Sachbereich bestimmen198. Für die Schienenverkehrsverträge bedeutet dies, dass der Gesetzgeber gewisse Mindestanforderungen festlegen muss, die allen Anbietern erlauben, ihre Rechte bei der Vertragsvergabe zu wahren. Diesen Anforderungen ist genügt, wenn der Abschluss der Verkehrsverträge in § 15 Abs. 2 AEG i.V. m. den Vergabevorschriften des 4. Teils des GWB geregelt ist. Denn die Vergabevorschriften regeln ein Verfahren, das sicherstellt, dass Interessen aller Bewerber in transparenter Weise berücksichtigt werden. Auch aus diesem Grunde muss § 15 Abs. 2 AEG verfassungskonform so ausgelegt werden, dass er zwingend auf die Vergabevorschriften des 4. Teils des GWB verweist. Allein der Verweis des § 15 Abs. 1 AEG auf die Vorschriften der VO EWG/1191/69 genügt diesen Anforderungen nicht, weil die VO gerade keine Feststellung darüber trifft, wie die Verträge unter den verschiedenen Wettbewerbern vergeben werden. 3. Der Vertragstyp Sodann stellt sich die Frage nach dem Vertragstyp der Verkehrsverträge. Die Einordnung in einen bestimmten Vertragstyp dient dazu, den meist unvollständigen Regelungsinhalt durch interessengerechte Regelungen der gesetzlich ausgestalteten Vertragstypen zu ergänzen. Dies gilt auch im öffentlichen Recht. Zwar genießt die Verwaltung keine Privatautonomie, sondern sie ist an Gesetz und Recht gebunden und handelt aufgrund von Kompetenzen199. Im Rahmen dessen genießt sie aber weitgehende Formenwahlfreiheit, um ihre Ziele durch zweckmäßige Regelungen zu erreichen. Solche Regelungen enthalten die vorgeformten Vertragstypen des Zivilrechts, und auch für öffentlich-rechtliche Verträge entspricht es den Interessen der Parteien, auf die im Zivilrecht abstrahierten Lösungen vertraglicher Interessenkollisionen zurückzugreifen200. Die Parteien ordnen die Verkehrsverträge regelmäßig ausdrücklich nicht einem bestimmten Vertragstyp zu. In Betracht kommen der Vertragstyp des Dienstvertrags und des Werkvertrags. Ein Geschäftsbesorgungsvertrag kommt 198 199 200

BVerfGE 49, 89, 126 f. Ehlers, S. 87. Henke, DÖV 1985, 41, 48 f.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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hingegen regelmäßig nicht in Betracht, weil der Erbringung von Verkehrsleistungen der unmittelbare Bezug zum Vermögen des Auftraggebers fehlt, der Voraussetzung der Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB ist201. Die Verkehrsverträge gehören dem Typus des Werkvertrags gemäß § 631 BGB i.V. m. § 62 VwVfG an. Gemäß § 631 Abs. 2 BGB kann Gegenstand des Werkvertrags jeder durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführende Erfolg sein, wie z. B. die Beförderung von Personen. Die Parteien machen die Herbeiführung eines Erfolges, nicht allein die Tätigkeit als solche, zum Gegenstand des Vertrags202. Die detaillierte Leistungsbeschreibung spricht dafür, dass der Verkehrsunternehmer nicht nur ein Fahren schuldet, sondern einen Verkehrsdienst, der festgelegten Standards entspricht203. Die Verkehrsverträge legen darüber hinaus regelmäßig Qualitätsstandards fest, die den vom Verkehrsunternehmer zu erbringenden Erfolg konkretisieren. Ein Indiz für den Werkvertrag kann auch der Umstand darstellen, dass der Unternehmer bei der Ausführung des Vertrags im Prinzip selbständig und weisungsfrei handelt204, wie dies beim Verkehrsunternehmer der Fall ist. Ein einzelfallbezogenes Weisungsrecht wird dem Aufgabenträger nicht eingeräumt. Die Regeln des Werkvertragsrechts lassen sich trotzdem nur teilweise auf die Verkehrsverträge anwenden, denn sie sind auf die Herstellung eines gegenständlichen Werkes ausgerichtet, während die Verkehrsleistungen vergängliche Leistungen darstellen. So tritt grundsätzlich gemäß § 646 BGB die Vollendung des Werkes an die Stelle der Abnahme. Einzelheiten zur Vollendung – insbesondere die Annahme verspäteter Fahrten – sowie die Regelungen über die Gewährleistung bedürfen aber genauerer vertraglicher Ausgestaltung zu einer interessengerechten Regelung205. Diese Werkverträge stellen der Sache nach unechte Verträge zugunsten Dritter, nämlich der Benutzer, dar. Das Verkehrsunternehmen leistet an den Benutzer und erfüllt dadurch seine Leistungsverpflichtung. Hingegen ist der Dritte aufgrund des Verkehrsvertrags nicht – wie bei einem echten Vertrag zugunsten Dritter – berechtigt, selbst die Leistung zu verlangen, vgl. § 328 BGB. Eine solche Rechtsposition des Benutzers ließe sich ausnahmsweise nur im Wege verfassungskonformer Interpretation des Vertrags aufgrund eines grundrechtlichen Teilhabeanspruchs des Bürgers begründen, s. o. 1. Teil E.III.6.

201

Vgl. Brox/Walker, § 29 Rn. 43. Werner, S. 210, ebenso für den Vertrag über Schülerbeförderung: Henke, DÖV 1985, 41, 48. 203 Ulrich Hösch: Gutachten über die Justiziabilität von Anreizinstrumenten zur qualitativen Verbesserung von Verkehrsdiensten bei der Gestaltung von Vereinbarungen über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste im öffentlichen Straßenpersonennahverkehr zwischen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen, Bayreuth 1999, S. 38. 204 Frank Peters, in: Staudinger, Vor §§ 631 ff. Rn. 24. 205 Werner, S. 211. 202

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

4. Das Abschlussverfahren Die meisten derzeit geltenden Verkehrsverträge wurden in zwei Verhandlungswellen abgeschlossen: Eine erste fand im Anschluss an die Bahnreform nach 1994 statt. Eine zweite Verhandlungswelle fand 2002/2003 statt, als ca. 85% der Verträge mit insgesamt ca. 490 Mio. Zugkilometern neu verhandelt werden mussten. DB Regio, Hauptanbieter von SPNV-Leistungen in Deutschland, hat in Folge der Regionalisierung 9 Regionalleitungen mit Prokura und eigenen Buchungskreisen aufgebaut. Sie verhandeln die Verträge, werden bei den Vertragsverhandlungen aber durch die zentrale Rechtsabteilung von DB Regio unterstützt. Die Verträge werden aber nicht auf der Regionalebene abgeschlossen, sondern durch den Vorstand von DB Regio. Anderes gilt nur, wenn Vertragspartner eine ausgegründete GmbH wird, wie z. B. die S-Bahn Berlin GmbH. Diesem Sachverstand von DB Regio sind kleinere Aufgabenträger zuweilen unterlegen. Auf seiten der Aufgabenträger werden die Verträge, sofern das Land Aufgabenträger ist, durch das Land abgeschlossen, regelmäßig vertreten durch die Landesregierungen oder durch den zuständigen Minister. Sofern die Laufzeit der Verträge allerdings – wie im Regelfall – das Haushaltsjahr überschreitet, bedürfen sie aufgrund einer Abweichung vom Haushaltsgrundsatz der Annuität grundsätzlich der Ermächtigung durch das Parlament, vgl. § 22 Haushaltsgrundsätzegesetz sowie z. B. § 38 LHO Brandenburg und Baden-Württemberg. Im Einzelnen bestimmen sich die Zuständigkeiten nach den entsprechenden Landesvorschriften. Sofern ein Gemeindeverband Vertragspartner ist, ist zum Abschluss des Vertrags eine Entscheidung der Verbandsversammlung erforderlich sowie des Aufsichtsrats, dem insbesondere Mitglieder des Landesministeriums angehören. Auch Verträge mit gemeindlichen Aufgabenträgern benötigen aber die Zustimmung des Landesparlamentes, wenn ihre Laufzeit das Haushaltsjahr überschreitet. Die Vertragsverhandlungen wurden, wo keine öffentliche Ausschreibung stattgefunden hat, meist mit zur Angebotsabgabe eingeladenen Anbietern oder mit Anbietern, die von sich aus Angebote eingereicht haben, wie z. B. Connex im Falle der Berliner S-Bahn, durchgeführt. Dies wurde von der Europäischen Kommission gegenüber der Deutschen Bundesregierung beanstandet206. Die Aufgabenträger und die deutsche Bundesregierung sind der Auffassung, sie verletzten durch diese Praxis nicht die Pflicht zur Öffentlichkeit, weil Gemeinschaftsrecht nach Artt. 9, 16, Anhang I B der VO 92/50/EWG nur zu einer nachträglichen Bekanntmachung von Auftragsvergaben im SPNV zwinge. Darüber hinaus holten sie regelmäßig Auskünfte im Vorfeld der Vertragsabschlüsse 206

1877.

Schreiben der Kommission vom 18.2.2004, Akt.z. MARKT D-2/WR D(2004)

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über leistungswillige Anbieter ein. Ihre Absicht, Verkehrsverträge zu vergeben, würden durch die Presse oder andere geeignete Medien bekannt. Verkehrsdienstleistungen auf großen Netzen, die fünf Mio. Zugkm erheblich überstiegen, könne erfahrungsgemäß DB Regio als einziges Verkehrsunternehmen anbieten, was Bekanntgaben von Auftragsvergaben in dieser Größe überflüssig mache207. Die Europäische Kommission hat das Verfahren nach einer Selbstverpflichtung der Länder vom 17.2.2006 eingestellt, die vorsieht, dass die Länder zukünftig auf Direktvergaben verzichten und künftig zu vergebende Aufträge europaweit bekannt geben, alle Interessenbekundungen prüfen, eine faire Auswahl mehrerer Verhandlungspartner für weitere Verhandlungen vornehmen, die anschließenden Verhandlungen und die Zuschlagserteilung diskriminierungsfrei durchführen werden und die Auftragsvergabe bekannt machen208. In Berlin bestand ausnahmsweise während eines längeren Zeitraums kein förmlicher Verkehrsvertrag für die S-Bahn: Während dieser Periode beauftragte der Senat die S-Bahn GmbH mit der Durchführung des S-Bahn-Verkehrs auf der Grundlage des Ende 2001 ausgelaufenen Verkehrsvertrags und mündlicher Vereinbarung. Ein neuer Verkehrsvertrag wurde erst im August 2004 abgeschlossen209. 5. Brutto-, Netto- und Anreizverträge Man unterscheidet nach der Verteilung des Einnahmenrisikos zwei Grundformen von Verkehrsverträgen: Brutto- und Nettoverträge. Bei beiden Vertragsarten liegt das Kostenrisiko für die Erstellung der Verkehrsleistungen beim Verkehrsunternehmen. Da das Unternehmen diesen Bereich selbst am besten beherrscht, sollte dieses Risiko aus allokationstheoretischen Gründen beim Verkehrsunternehmen angesiedelt werden. Die Zuweisung des Einnahmenrisikos an die Verkehrsunternehmen wäre dagegen nicht interessengerecht und wegen hoher Preisaufschläge für die wirtschaftlichen Risiken einer solchen Vertragsgestaltung (sog. Wagnisaufschläge) durch die Unternehmen auch nicht vorteilhaft für den Aufgabenträger, weil die zu erbringenden Transportleistungen meistens stark durch den Aufgabenträger mitgeprägt werden, was insbesondere bei Verbundtarifen der Fall ist. Brutto- und Nettoverträge unterscheiden sich nur hinsichtlich der Verteilung des Einnahmenrisikos. 207 Mitteilung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland an die Kommission vom 12.5.2004 im Verfahren Nr. 2003/5033 auf das Schreiben der Kommission vom 18.2.2004. 208 Pressemitteilung Veolia vom 27.6.2006, im Internet unter: http://www.mehrbah nen.de/news.php3?id=1705, Stand: 1.8.2008; Deutsche Bahn Wettbewerbsbericht März 2007, S. 39 f. 209 http://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/2004/08/03/21649/index.html, Stand: 1.8.2008.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

a) Der Bruttovertrag Beim Bruttovertrag liegt das Einnahmenrisiko ausschließlich beim Aufgabenträger, denn er garantiert dem Verkehrsunternehmen einen bestimmten, umfassenden Einnahmenbetrag, unabhängig von den tatsächlichen Einnahmen, die aufgrund der Transportleistungen erwirtschaftet werden. Die tatsächlich erzielten Fahrgeldeinnahmen stellen für das Verkehrsunternehmen einen bloßen Rechnungsposten dar, die Differenz des tatsächlichen zum garantierten Einnahmenbetrag gleicht der Aufgabenträger aus. Der Bruttovertrag motiviert damit das Verkehrsunternehmen ausschließlich, seine Kosten zu minimieren. Ein Anreiz, die Leistungen für den Fahrgast zu verbessern und dadurch die Fahrgastzahlen zu steigern, besteht nicht. Die zu erbringenden Leistungen müssen deshalb im Vertrag möglichst zielgenau beschrieben und Instrumentarien für die Einhaltung der Leistungsstandards vorgesehen werden. Der reine Bruttovertrag bietet den Verkehrsunternehmen im Vergleich zu den anderen Vertragsarten eine komfortablere Position, weil nicht sie, sondern die Aufgabenträger das Einnahmenrisiko tragen. b) Der Nettovertrag Der wesentliche Unterschied zum Bruttovertrag besteht darin, dass hier das Verkehrsunternehmen zu einem gewissen Grad das Einnahmenrisiko trägt. Beim Nettovertrag stehen nämlich dem Verkehrsunternehmen die Fahrgeldeinnahmen unmittelbar zu, daneben erhält es eine im Voraus festgelegte Unterstützungsleistung des Aufgabenträgers. Für das Unternehmen besteht damit ein Anreiz, durch erhöhte Fahrgastzahlen seine Einnahmen zu steigern, wohingegen eine sinkende Benutzerzahl die Einnahmen gefährdet. Dieses Modell scheint auf den ersten Blick die Intentionen des Aufgabenträgers am besten umzusetzen. Beiden Vertragsparteien müsste daran gelegen sein, den Fahrgast vermehrt zur Benutzung des SPNV zu motivieren, was insbesondere durch geringere Preise und hohe Qualität zu erreichen wäre. In der Praxis trifft dieses Modell aber auf Schwierigkeiten: Auch bei dieser Vertragsform müssen unvermeidlich die Leistungspflichten genau festgelegt werden, um das Interesse der Benutzer an gleichbleibend qualitätvollen Verkehrsleistungen abzusichern. Ohne genaue Leistungsdefinition wären auch bei der Vertragsvergabe die Angebote der Bewerber nicht vergleichbar. Der Nettovertrag setzt aber voraus, dass dem Unternehmen für sein Leistungsangebot ein gewisser Gestaltungsspielraum vor allem im Hinblick auf die Tarife, mit Hilfe derer sich die Nachfrage nach Transportleistungen beeinflussen lässt, verbleiben muss210, wenn sich der Aufgabenträger das unternehmerische Geschick zunutze 210

Werner, S. 216.

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machen will. Wenn sich ein Eisenbahnunternehmen in dieser Konstellation auf einen Vertrag ohne jeden tariflichen Gestaltungsspielraum einließe, würde es hohe Wagnisaufschläge für die wirtschaftlichen Risiken einer solchen Vertragsgestaltung verlangen. Sofern mehrere Unternehmen zu einem Gemeinschaftstarif verkehren, stellt sich beim Nettovertrag überdies das Problem der Verteilung der Einnahmen zwischen den einzelnen Unternehmen. Die Kriterien für die Aufteilung müssen vom Aufgabenträger schon vor der Angebotserstellung festgelegt sein, damit das Verkehrsunternehmen über eine feste Kalkulationsgrundlage verfügt. Eine weitere praktische Schwierigkeit, die in besonderem Maße beim Nettovertrag zum Tragen kommt, besteht darin, dass ein Neuunternehmer die Fahrgastzahlen auf den einzelnen Linien und damit das Absatzrisiko nur schwer einschätzen kann, wohingegen der Altunternehmer auf seine Erfahrungswerte aus der Vergangenheit zurückgreifen kann. Deshalb muss der Aufgabenträger dafür sorgen, dass bei einer neuen Vergabe diese Daten den Bietern zur Verfügung gestellt werden (vgl. auch § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOL/A, der zur Angabe aller preisrelevanten Umstände bei einer Vergabe verpflichtet)211. Hierfür ist die Aufnahme von Klauseln in die Verkehrsverträge erforderlich, die das Verkehrsunternehmen verpflichten, dem Aufgabenträger die entsprechenden Zahlen zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der geschilderten Schwierigkeiten wird der Nettovertrag praktisch nur selten verwendet. Dennoch fordert der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ihre Verwendung212. Der Vertragstyp findet meist nur auf kleineren, räumlich isolierten Strecken Anwendung, die nicht Teil eines Verbundes sind. Denn hier ist die Zuweisung der Einnahmen unproblematisch, und der tarifliche Gestaltungsspielraum ist nicht durch einen Verbundtarif eingeengt. c) Der Anreizvertrag Eine Kompromisslösung zwischen diesen beiden Grundformen stellt die Form des Anreizvertrags dar. Im Grunde handelt es sich um einen Bruttovertrag; der Aufgabenträger ist hier aber berechtigt bzw. verpflichtet, im Falle der Erfüllung bzw. der Nichterreichung bestimmter Ziele Prämien zu zahlen (Bonus) bzw. die Zahlung zu kürzen (Malus). Auch das Fahrgastaufkommen kann zu einem mit einer Bonuszahlung verknüpften Ziel ausgestaltet werden, so dass dann der Übergang zum Nettovertrag fließend wird. Die Schwierigkeit in der Vertragsgestaltung besteht hier darin, die vom Aufgabenträger verfolgten Ziele vertraglich zu fixieren, sie überprüfbar zu gestalten und mit einer zur Motiva211

Werner, S. 216. Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Wettbewerbsstrategien im Schienenpersonennahverkehr“: Erwartungen und Anforderungen der Personenbahnen an die Gestaltung eines zukunftsfähigen Schienenpersonennahverkehrs, Diskussionspapier, Oktober 2002, S. 4. 212

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tion geeigneten Bonuszahlung zu verknüpfen. Grundfunktion der durch Bonuszahlungen erreichten Motivationswirkung ist folgende: Das Unternehmen wird so lange über seine eigentliche Leistungsverpflichtung hinausgehende Leistungen, die mit einer Bonuszahlung verknüpft sind, anbieten, wie die Bonuszahlung höher ist als die mit der Leistung verbundenen Kosten213. Auf diese Anreizklauseln wird weiter unten genauer eingegangen. Der Bruttovertrag in der Form des Anreizvertrags ist das am häufigsten verwendete Vertragsmodell für die deutschen SPNV-Verkehrsverträge. Er stellt dem Aufgabenträger ein feines Steuerungsinstrumentarium mit erheblichem Raum zur Zielformulierung zur Verfügung. Gleichzeitg belässt der Anreizvertrag dem Unternehmen Freiräume bei der Verwirklichung der Ziele. Das Unternehmen kann auf diese Weise seine Marktkenntnis nutzen, was der Effizienz des SPNV zugute kommen kann. Schließlich bleiben die Risiken für das Verkehrsunternehmen weitgehend kalkulierbar, was die Wagnisaufschläge minimiert. Nachteile des Modells sind auszuufern drohende Verträge, wenn der Aufgabenträger zu vieles im Einzelnen fixieren will. Hier ist eine geschickte Vertragsgestaltung gefragt. Nach einer ersten Generation sehr kurzer Verträge, die sich für die Aufgabenträger als unzureichend erwiesen, und einer darauffolgenden Generation ständig anschwellender Vertragswerke lässt sich gegenwärtig die Tendenz beobachten, dass sich die Aufgabenträger vermehrt auf die Setzung einiger Kernanreize zu beschränken versuchen, z. B. zur Steigerung der Fahrgastzahlen. Dies setzt – wie die Erfahrung zeigt – mittelbar die Einhaltung bestimmter Qualitätsmerkmale voraus, wie z. B. Pünktlichkeit, Bequemlichkeit und Sauberkeit der Züge. Anstatt all diese Kriterien einzeln zu formulieren, beschränkt man sich dann auf das Ober-Kriterium der Steigerung der Fahrgastzahlen. 6. Die Vertragsgestaltung im Einzelnen Die folgende Darstellung analysiert Anreizverträge und Nettoverträge, die in öffentlicher Ausschreibung vergeben wurden. Nur diese Verträge sind als den Ausschreibungsunterlagen beigefügte Vertragsmodelle einer – beschränkten – Öffentlichkeit zugänglich. Gewisse „Gepflogenheiten“ im SPNV, vor allem aber wohl die Furcht vor Angriffen durch Wettbewerber, die allein aufgrund eines Prozesses mit hohem Streitwert mit erheblichen finanziellen Risiken einhergehen würden, veranlassen alle beteiligten Akteure, die Verträge als vertraulich zu behandeln. Um so mehr ist der Verfasser den Parteien, die hiervon eine Ausnahme gemacht und damit diese Darstellung ermöglicht haben, zu Dank verpflichtet. Der Gefahr, dass DB Regio die Unkenntnis der Besteller von den mit anderen Bestellern abgeschlossenen Verträgen für die Vertragsverhandlungen aus213

Werner, S. 215.

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nutzt, begegnen die Aufgabenträgerorganisationen heute durch den Austausch von Informationen. Im Übrigen lassen sie sich heute offenbar häufig „Meistbegünstigungsklauseln“ einräumen, denen zufolge sie von einer vorteilhafteren Vertragsgestaltung mit einem anderen Aufgabenträger durch entsprechenden Nachtrag im nächsten Vertrag profitieren würden214. Während die Verträge anfangs nicht viel mehr als die Quantität der zu erbringenden Verkehrsleistungen, den vom Besteller zu entrichtenden Zuschussbetrag und die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der bisher erbrachten Leistungsqualitäten festlegten, sind die heutigen Verträge mit ihren Annexen Werke von mehreren hundert Seiten. Dabei muss hinsichtlich der Regelungsdichte ein Mittelweg angestrebt werden, der einerseits gewährleistet, dass das Verkehrsunternehmen die Vorstellungen des Aufgabenträgers während der gesamten Vertragslaufzeit umsetzt, andererseits aber nicht jedes Leistungsdetail vorschreibt, um dem Unternehmen Raum für Kreativität für eine effiziente Leistungsgestaltung zu lassen. a) Definition des Inhaltes der Daseinsvorsorgeaufgabe: Die Beschreibung der Betriebsleistung Die regelmäßige Betriebsleistung wird in der Vertragsanlage durch die Aufstellung eines Fahrplans mit festgelegten Mindestsitzplatzzahlen beschrieben. Hierdurch wird eine Betriebspflicht nach festgelegtem Fahrplan für das Verkehrsunternehmen auf vertraglicher Basis begründet. Die Zulässigkeit von Schienenersatz- und Busnotverkehren bei vorhersehbaren und bei nicht vorhersehbaren Betriebsstörungen unterwerfen die Verträge engen Voraussetzungen. Sie führen außerdem zu einem Vergütungsabzug. Zur Betriebsleistung gehört auch die Einrichtung eines Störungs- und Notfallmanagements mitsamt Einrichtung einer Leitstelle, die mit den Triebwagenfahrern in ständiger Kommunikation steht und über den Standort der Fahrzeuge informiert ist. Der Vertrag definiert auch bestimmte Anforderungen an Fahrzeuge, Verkehrsstationen und Fahrgastinformation. Für die Fahrzeuge werden bestimmte Mindestausstattungsstandards als vertragsgemäße Leistung definiert. Anforderungen an die Sauberkeit werden mittels einer bestimmten Anzahl durchzuführender Reinigungen und der Verpflichtung zur unverzüglichen Beseitigung störender Verunreinigungen umgesetzt. Die Vorhaltung einer bestimmten Anzahl von Ersatzfahrzeugen wird vorgeschrieben. Die fristgerechte Verfügbarkeit ist dem Aufgabenträger zu einem bestimmten Datum vor Vertragsbeginn nachzuweisen. Hinsichtlich der Verkehrsstationen trifft das Verkehrsunternehmen die Pflicht, in dem mit dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen abzuschließenden Vertrag sicherzustellen, 214 Eckstaller, ZögU 2001, 136, 142; in der Zukunft dürften Art. 7 Abs. 1 und Abs. 3 VO 1370/2007 für mehr Transparenz sorgen.

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dass dort bestimmte Basisleistungen erbracht werden. Das Verkehrsunternehmen hat für die Beseitigung von Mängeln zu sorgen. Außerdem hat es den Zustand der Verkehrsstationen in regelmäßigen Abständen zu dokumentieren. Des Weiteren hat das Unternehmen durch näher spezifizierte Aushänge und Ansagen die Fahrgastinformation zu gewährleisten. Schließlich ist das Verkehrsunternehmen verpflichtet, bestimmte Pünktlichkeitsstandards einzuhalten. Die Verträge sehen auch vor, dass der Unternehmer Subunternehmer zur Leistungserfüllung – unter Einhaltung formaler und teilweise auch materieller Bedingungen – einsetzen darf. Schließlich verpflichten die Verkehrsverträge die Verkehrsunternehmen zur Kooperation mit den übrigen, im Verkehrsraum tätigen Verkehrsunternehmen. Insbesondere der Verkehrsverbund hat sich als wichtiges Instrument zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV als Ganzem erwiesen215. Dessen Entwicklung liegt in erster Linie im Interesse des Aufgabenträgers, nur mittelbar des Verkehrsunternehmens, weshalb das Unternehmen auch auf die Zusammenarbeit im Verbund verpflichtet werden muss. Wesentliches Element des Verbundes ist die Anwendung eines einheitlichen Verbundtarifs. Zur Anwendung eines Verbundtarifs kann das Verkehrsunternehmen durch den Brutto- bzw. Anreiz-Verkehrsvertrag, wo das Einnahmerisiko im Prinzip beim Aufgabenträger liegt – s. o. 5.a) und c) –, verpflichtet werden. Weiterhin wird das Unternehmen durch verschiedene Pflichten zu „verbundfreundlichem“ Verhalten gegenüber anderen Verkehrsmitteln verpflichtet, wo ein Verbund existiert: Das Verkehrsunternehmen sagt die grundsätzliche Bereitschaft zu, die Fahrpläne in Übereinstimmung mit dem sonstigen regionalen und lokalen ÖPNV sowie mit dem Fernverkehr zu entwickeln. Es verpflichtet sich, für die Sicherstellung von Anschlussverbindungen bei geringfügigen Verspätungen, insbesondere von unternehmensfremden Verkehrsdiensten, zu sorgen. Schließlich erklärt sich das Unternehmen bereit, an der innovativen Weiterentwicklung des SPNV mitzuwirken. b) Bestimmungen über das Rechtsverhältnis zu den Fahrgästen, insbesondere Tarife Im Anreizvertrag gibt der Aufgabenträger, der das Einnahmenrisiko trägt, dem Verkehrsunternehmen regelmäßig die anzuwendenden Beförderungsbedingungen und Tarife vor. Soweit die Verkehrsleistungen in einem Verbundsystem erbracht werden, kann er die Anwendung des Verbundtarifs vorschreiben. Im Nettovertrag hingegen muss die Tarifierung Aufgabe des Verkehrsunternehmens bleiben. Hier wird sich die Regelung im Verkehrsvertrag deshalb da215

Werner, WiVerw 2001, 89, 108.

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rauf beschränken, Kooperationspflichten mit anderen Schienenverkehrsunternehmen und Tarifverbünden zu begründen. Denn es ist zweifelhaft, ob das Verkehrsunternehmen ein Interesse an solchen Kooperationsformen hat. Zwar steigert Kooperation die Qualität der Dienstleistungen, mit zu vermutenden positiven Auswirkungen auf die Fahrgastzahlen und in der Folge auf die Einnahmen. Die Auswirkungen gemeinsamer Tarife auf die Einnahmen eines Verkehrsunternehmens im Verbund, die mit den übrigen Teilnehmern aufgeteilt werden müssen, werden im Voraus aber nur schwer zu kalkulieren sein. Hier liegt deshalb ein Schwachpunkt dieser Verträge. Über die Einführung von Tarifen und deren Änderungen ist den vorliegenden Verträgen zufolge immerhin Einvernehmen mit dem Aufgabenträger herzustellen. Die Verträge beinhalten darüber hinaus Verpflichtungen, sich um Kooperationen „zu bemühen“, sie „anzustreben“ und konstruktiv bei der Erarbeitung mitzuwirken. Solche Pflichten sind naturgemäß nur schwer kontrollierbar. c) Leistungsverpflichtung Marketing Zu den Marketingleistungen werden häufig nicht nur Werbung und Kommunikation, sondern auch die Bereiche Fahrgastinformation, Beschwerdemanagement, Tarife, Vertrieb von Fahrausweisen (insbesondere durch funktionstüchtige Fahrkartenautomaten) und Fahrgeldsicherung, d.i. Fahrscheinkontrollen, gezählt. Der Vertrag detailliert die zu erbringenden Leistungen und verpflichtet den Auftragnehmer zum Einsatz eines seiner Höhe nach bestimmten Budgets. Damit sich die Werbemaßnahmen in die Marketingaktivitäten des gesamten ÖPNVMarktes einfügen, macht der Vertrag enge Vorgaben für die Verwendung der Mittel. Dabei kann vorgeschrieben werden, dass die Mittel zugunsten von konzertierten Marketingmaßnahmen zugunsten des gesamten ÖPNV/SPNV einzusetzen sind. Auch auf diesen Leistungsbereich wird das Anreizsystem mit Boni/Mali angewendet. d) Leistungsverpflichtung Sicherheit und Service In diesem Leistungsbereich verpflichtet sich das Verkehrsunternehmen zum Einsatz einer bestimmten Anzahl an Zugbegleitern, die mit Mobiltelefonen ausgestattet sein und bestimmte soziale und fachliche Kompetenzen aufweisen müssen. Sie sollen die Sicherheit in den Zügen gewährleisten, die Fahrgäste betreuen, und insbesondere die Fahrgäste in den Zügen mit Informationen zu Unregelmäßigkeiten und Verspätungen versorgen. Das Sicherheitspersonal übt häufig gleichzeitig die Funktion von Fahrscheinkontrolleuren aus. Für die Durchführung von Fahrausweiskontrollen können die Aufgabenträger dem Verkehrsunternehmen Durchführungsrichtlinien an die Hand geben. Die Verträge

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sehen regelmäßig vor, dass die erhöhten Beförderungsentgelte beim Verkehrsunternehmen verbleiben und nicht bei der Endabrechnung angerechnet werden. Damit wird ein Anreiz für effektive Kontrollen gesetzt. Auch auf diesen Bereich wird das Anreizsystem mit Boni/Mali erstreckt. e) Infrastruktur Ein Bedürfnis für eine vertragliche Regelung resultiert hier aus folgendem Dreiecksverhältnis: Typischerweise schließt das Verkehrsunternehmen mit dem Infrastrukturunternehmen die Nutzungsvereinbarung und wird seine alleinige Vertragspartei. Der Aufgabenträger trägt aber letztlich die Nutzungsgebühren. Auch das Interesse an der Qualität der Leistungen des Infrastrukturunternehmens liegt im Wesentlichen bei dem Aufgabenträger. Infrastrukturunternehmen sind die DB Netz AG, die die Gleise verwaltet, und DB Station & Service AG, die die Personenbahnhöfe und die Stationen verwaltet. Wegen der engen Verknüpfung zwischen Verkehrsleistung und Infrastrukturkapazitäten schließt das Verkehrsunternehmen die mit dem Infrastrukturunternehmen zur Durchführung der Verkehrsleistungen erforderlichen Vereinbarungen über die Nutzung der Infrastruktur. Zwar wird sich dabei aus vertraglichen Nebenpflichten begründen lassen, dass das Verkehrsunternehmen auf das Infrastrukturunternehmen in einer Weise einwirken muss, die den Interessen des Auftraggebers entspricht. Um Meinungsverschiedenheiten hierüber vorzubeugen und um die Angelegenheit notfalls in die eigene Hand nehmen zu können, empfehlen sich jedoch ausdrückliche vertragliche Regelungen: Die Parteien können vereinbaren, dass der Aufgabenträger an den Verhandlungen teilnehmen darf, dass das Verkehrsunternehmen ihm die Vereinbarung vorlegen muss und dass der Aufgabenträger der Vereinbarung zustimmen muss. Daneben kann sich die Aufnahme einer – allerdings naturgemäß unbestimmten – Verpflichtung des Verkehrsunternehmens empfehlen, sich um ein möglichst günstiges Infrastrukturnutzungsentgelt zu bemühen. Da die Kosten für die Infrastrukturnutzung letztlich der Aufgabenträger trägt, besteht nur ein geringer Anreiz des Verkehrsunternehmens für ein kostenbewusstes Verhandeln. Vertragliche Anreize sollten auch für eine Leistungsverbesserung im Interesse des Endkunden geschaffen werden, an der vor allem der Aufgabenträger interessiert ist, denn die Endkunden müssen DB Station & Service vor allem als Verursacher von Kosten (Sicherheit, Sauberkeit, Verschönerungen, kostenlose Serviceleistungen, . . .) erscheinen216. Darüber hinaus wird häufig das Verkehrsunternehmen verpflichtet, sich um Abhilfe von Beschädigungen an Infrastruktur oder Stationen gegenüber dem Infrastrukturbetreiber zu bemühen, sofern sie Qualität und Leistungsfähigkeit des Verkehrs beeinträchtigen. 216

Eckstaller, ZögU 2001, 136, 147.

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Rechtsstreitigkeiten gegenüber dem Infrastrukturunternehmen führt grundsätzlich dessen Vertragspartner, das Verkehrsunternehmen. Der Aufgabenträger kann dieses aber im Verkehrsvertrag zur Umsetzung aller vertraglichen und rechtlichen Ansprüche zur Ausschöpfung des Rechtswegs verpflichten und es weiterhin dazu verpflichten, ihn selbst zur Durchführung des Rechtsstreits zu ermächtigen. Noch weitergehend kann sich der Aufgabenträger auch das Recht einräumen lassen, alle sich aus der Vereinbarung ergebenden Rechte und Pflichten selbst wahrzunehmen. f) Die Vergütung Dem Verkehrsunternehmen steht beim Bruttovertrag ein Vergütungsanspruch ausschließlich gegen den Aufgabenträger in voller Höhe zu. Darauf können allerdings die Erlöse aus Fahrausweisverkäufen, soweit sie nicht aufgrund von Verbundlösungen abgeführt werden müssen, angerechnet werden, ebenso wie gesetzliche Ausgleichs- und Erstattungsleistungen, zu deren Geltendmachung das Verkehrsunternehmen nach dem IX. Buch des Sozialgesetzbuches (dem ehemaligen Schwerbehindertengesetz) sowie nach § 6a AEG für die Durchführung von Ausbildungsverkehren berechtigt ist217. Diese Anrechnung stellt aber lediglich eine Art Aufrechnung dar und bleibt ohne Auswirkung auf die Höhe der Gesamtvergütung. Der Anspruch des Verkehrsunternehmens gegen den Aufgabenträger verringert sich damit auf eine Zuwendung zum Ausgleich der Differenz zwischen Fahrgeldeinnahmen und seinem gesamten Vergütungsanspruch. Diese Zuwendungen erhält das Verkehrsunternehmen monatlich in Form von Abschlägen in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes. Am Ende des Jahres werden die Leistungen spitz abgerechnet unter Einbeziehung der erreichten bzw. verwirkten Boni/Mali, Vertragsstrafen und Verzugsgebühren. Beim Nettovertrag stehen die Fahrgeldeinnahmen dem Verkehrsunternehmen zu, und dies nicht nur als Verrechnungsposten. Daneben erhält der Unternehmer einen im Voraus kalkulierten, von den tatsächlichen Fahrgeldeinnahmen unabhängigen Leistungspreis. Auch bei diesem Modell erhält der Unternehmer monatliche Abschlagszahlungen, und am Jahresende wird hierüber spitz abgerechnet unter Einbeziehung von Vertragsstrafen und Verzugsgebühren. Daneben kann der Vertrag die Erstattung von Vorlaufkosten an das Verkehrsunternehmen regeln.

217 Vgl. auch die Verordnung über den Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Eisenbahnverkehr vom 2.8.1977.

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g) Die Kontroll- und Sanktionsinstrumente des Aufgabenträgers hinsichtlich der Leistungsdurchführung: Abnahme, Leistungsnachweis, Schlechtleistung und Nichtleistung Die im Folgenden dargestellten Klauseln schaffen Kontrollinstrumente über die erbrachten Leistungen sowie Sanktionen für Schlechtleistung und begründen damit im Interesse des Benutzers eine eindeutige Verantwortlichkeit des Verkehrsunternehmens für die Erbringung einer qualitativ hochwertigen Daseinsvorsorgeleistung. In diesen Klauseln liegt der eigentliche juristische Kern der auf Qualitätssteigerung, Kontrolle und Eigenverantwortlichkeit abzielenden Verwaltungsreform. Eine Abnahme der Verkehrsleistungen nach § 640 Abs. 1 BGB ist wegen der Natur des Werkes, das eine unkörperliche Leistung ist, ausgeschlossen, vgl. § 646 BGB. Um den für den Auftraggeber ungünstigen Eintritt der Fälligkeit der Vergütung mit der bloßen Vollendung des Werkes zu vermeiden (vgl. § 646 BGB), sehen die Verkehrsverträge eine interessengerechtere Regelung vor: Einmal jährlich zu einem fixierten Zeitpunkt werden die Leistungen spitz abgerechnet, unter Einbeziehung der Boni und Mali. Bis dahin verbleiben die Fahrgeldeinnahmen regelmäßig beim Verkehrsunternehmen. Die ihm zustehenden Zuwendungen werden als Abschlagszahlungen monatlich zu einem bestimmten Prozentsatz vergütet, s. o. unter f). Da eine Abnahme nicht stattfindet, kommt dem Nachweis der Leistungen durch das Unternehmen besondere Bedeutung zu. Das Verkehrsunternehmen hat als Voraussetzung für die Feststellung der Höhe seines Anspruchs vertraglich definierten Berichtspflichten über die Leistungserbringung nachzukommen. Ohne dass der Auftragnehmer den Umfang seiner Leistungspflicht und damit die Höhe der geschuldeten Leistung kennt, kann die Leistungspflicht auch nicht fällig werden. Die Beweislast über die Erbringung der Leistungen liegt beim Verkehrsunternehmen. Dies wiederholen die Verträge häufig aus Klarstellungsgründen. Sofern das Unternehmen seinen Berichtspflichten nicht nachkommt, werden Verzugspauschalen fällig. Information ist der erste Schritt der Kontrolle, aber auch unverzichtbar für die weitere Planung der Verkehre. Unter anderem wird das Verkehrsunternehmen verpflichtet, dem Aufgabenträger Fahrplandaten zur Verfügung zu stellen. Es ermächtigt den Aufgabenträger im Vertrag, diese Daten zum Zwecke der Fahrgastinformation, nicht auch der Information von potentiellen Konkurrenten, zu veröffentlichen. Darüber hinaus kann das Verkehrsunternehmen zu Kontrollzwecken verpflichtet werden, dem Aufgabenträger Zugang zu seinen Fahrzeugen zu gewähren, um dort Fahrgastzählungen durchzuführen und sonstige für das Anreizsystem erforderliche Daten zu erheben. Diese Informationspflichten sind essentiell für den Aufgabenträger, damit er seine Steuerungs- und Überwachungsfunktion ausüben kann.

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Da die Parteien als vertragsgemäße Leistung nicht lediglich die reine Ausführung des Verkehrsdienstes definieren, sondern die Leistungen des Verkehrsunternehmens auch weitere, zum Teil von Bewertungen abhängige, insbesondere Qualitäts-, Kriterien erfüllen müssen, regeln die Verkehrsverträge auch die Maßstäbe ihrer Bewertung. Hierfür wird häufig auf zwei verschiedene Perspektiven abgestellt, auf die Perspektive des Kunden und auf die des leistenden Verkehrsunternehmers: Die Leistungsbewertung wird dann an ein subjektives und ein objektives Element geknüpft. Die Parteien müssen ebenfalls im Vertrag die Gewichtung beider Kriterien vereinbaren. Zur Identifikation der objektiven, tatsächlich realisierten Leistung hat das Unternehmen zu festen Stichtagen über die Erfüllung seiner Leistungsverpflichtungen schriftlich Meldung zu erstatten. Die Meldungen werden sich auf alle Vertragsbestandteile beziehen: Höhe der Einnahmen, Pünktlichkeit, ausgefallene Züge, Fahrzeugeinsatz, erbrachte Zugleistungen, Einrichtung von Busersatzverkehren, Einsatz von Prüfpersonal, Reinigungen, sicherheitsrelevante Vorfälle sowie Kundenbeschwerden. Häufig enthält bereits der Vertrag für die Meldungen zu verwendende Formulare. Darüber hinaus behält sich der Aufgabenträger Stichprobenkontrollen vor. Als subjektives Element der Feststellung der erbrachten Leistung kann ein Kundenmonitoring vorgesehen werden, das auf in bestimmten Zeitabständen durchgeführten Kundenbefragungen beruht. Auf diesem naturgemäß unscharfen und für Manipulationen und Auslegungsdifferenzen anfälligen Gebiet ist es besonders wichtig, vorab Bewertungs- und Durchführungsregeln zu vereinbaren. So muss geregelt werden, wer die Befragungen durchführt (Auftraggeber oder Auftragnehmer oder von der einen oder anderen Partei beauftragte Externe), zu welchem Zeitpunkt sie durchgeführt werden (zu einem Zeitpunkt, an dem die „normale Klientel“ verkehrt, d.h. nicht etwa zur Ferienzeit) und welcher statistische Wert erreicht werden soll. Zur Bestimmung eines Referenzwertes kann zu Beginn der Vertragslaufzeit eine Befragung durchgeführt werden, und die dabei erreichten Werte für die weitere Vertragslaufzeit als Referenzwert festgelegt werden, anhand dessen Abweichungen im weiteren Verlauf bewertet werden. Die Befragungen können sich etwa auf folgende Punkte beziehen: Die globale Zufriedenheit mit dem Angebot, Sauberkeit und Zustand der Fahrzeuge, Sauberkeit der Toiletten, Fahrgastinformationen an Haltepunkten und in den Fahrzeugen, Qualität des Zugpersonals, Sicherheit in den Fahrzeugen tagsüber und abends. Die Resultate, ausgedrückt in Kundenzufriedenheit und objektiver Unternehmensleistung, können bestimmten Werten zugeordnet werden. Die Erreichung bestimmter Werte, entweder allein objektiver oder allein subjektiver oder einer Kombination aus beiden, kann mit der Zahlung von Boni oder Mali oder von beiden verbunden werden. Dabei stellt die Verwirkung von Mali eine durch den Vertrag speziell geregelte Sanktion für Schlechtleistung dar. Dieses gemeinsame Vorgehen zur Feststellung der tatsächlich erbrachten

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Leistungen dient nicht nur der Feststellung der vertraglichen Ansprüche, sondern lässt sich auch als Evaluation der Organisation der Verwaltungsaufgabe verstehen, die eventuell zu einer Anpassung der Formen der Zusammenarbeit führen sollte218. Bei Nichtleistung entfällt der Anspruch des Verkehrsunternehmens auf die Grundvergütung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verkehrsleistungen Fixgeschäfte darstellen. Dies folgt bereits aus dem Charakter des Verkehrsvertrags als Dauerschuldverhältnis. Dauerschuldverhältnisse haben in der Regel Fixcharakter219. Das Interesse der Fahrgäste und damit auch des Auftraggebers entfällt alsbald nach dem festgelegten Leistungszeitpunkt der im Fahrplan festgelegten Verkehrszeit. Darüber hinaus empfiehlt sich zu regeln, ab welchem Zeitpunkt eine verspätete Verkehrsleistung als Nichtleistung gilt. Häufig wird ein Zug dann als ausgefallen angesehen, wenn er gar nicht oder auf einer Teilstrecke nicht verkehrt oder an einem vereinbarten Messpunkt mit einer Verspätung von mindestens 1 Stunde oder von einem Zeitraum, der größer ist als der Taktzeitraum, insgesamt oder auf einer Teilstrecke registriert wird. h) Anreizmodelle Da der Bruttovertrag für das Verkehrsunternehmen lediglich einen Anreiz zur Kostensenkung setzt, muss der Vertrag durch geeignete Regelungen das Verkehrsunternehmen für die Erreichung bestimmter Ziele, die allein im unmittelbaren Interesse des Aufgabenträgers liegen, motivieren. Zur Sicherstellung einer interessengerechten Aufgabenerfüllung werden also dem Auftragnehmer nicht nur konkrete Verhaltenspflichten, aus denen sich die Daseinsvorsorgeaufgabe zusammensetzt, aufgegeben, sondern darüber hinaus sollen diese Anreizmodelle erreichen, dass der ausführende Unternehmer zur Erreichung bestimmter im öffentlichen Interesse liegender Ziele, die der Aufgabenträger definiert, motiviert wird. Das Oberziel des Aufgabenträgers besteht in der Organisation eines attraktiven, kostengünstigen SPNV. Ein attraktiver SPNV äußert sich unmittelbar in steigenden Fahrgastzahlen, die sich mittelbar in steigenden Einnahmen niederschlagen, sofern die Steigerung der Fahrgastzahlen nicht durch ein Absenken der Tarife erreicht wurde. Anreize können zunächst zur Steigerung der Fahrgastzahlen gesetzt werden. An steigenden Fahrgastzahlen ist beim Bruttovertrag lediglich der Aufgabenträger interessiert, dem die Steigerung der Einnahmen zugute kommt. Dem Verkehrsunternehmen würden kurzfristig eher sinkende 218 219

Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 327. Palandt-Heinrichs, § 271 Rn. 16.

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Fahrgastzahlen nützen, denn sie würden seinen Betriebsaufwand vermindern. In einigen Verträgen ist deshalb die generelle Verpflichtung des Verkehrsunternehmens aufgenommen, dass es sich bei der Erzielung der Einnahmen aus dem Fahrscheinverkauf sowie im Zusammenhang mit Fragen der Verbund- und Gemeinschaftstarife so zu verhalten habe, als trüge es selbst das vollständige Erlösrisiko. Diese Pflicht ist aber unkonkret und schwer zu überprüfen. Sie droht deshalb leer zu laufen. Erfolgversprechender scheint es, die Fahrgastzahlen am Anfang und während der Vertragslaufzeit zu überwachen, insbesondere mittels Fahrgastzählungen. Eine positive bzw. eine negative Differenz kann dann mit der Zahlung von Boni oder Mali verknüpft werden. Die Zahlung/Einbehaltung von Boni/Mali kann auch an das Erreichen bestimmter Qualitätsziele gebunden werden. Das Erreichen solcher Qualitätsziele steigert die Attraktivität des SPNV insgesamt. Dies trifft z. B. auf das Einhalten bestimmter Qualitätsstandards der eingesetzten Fahrzeuge oder auf die Pünktlichkeit der Verkehrsmittel zu. i) Ende der Vertragslaufzeit und Sicherstellung der Kontinuität der Ausführung der Daseinsvorsorgeaufgabe Eine Vertragsleistung ohne Unterbrechung mit einem dauerhaft solventen Unternehmen kann durch entsprechende vertragliche Bestimmungen sowie durch die Auswahl eines geeigneten Vertragspartners im Vorfeld zumindest befördert werden. Diese Regelungen entsprechen dem Gedanken des französischen Prinzips der Kontinuität des service public. Im Vorfeld der Vertragsvergabe versuchen die Aufgabenträger, die Zuverlässigkeit, finanzielle Leistungsfähigkeit und Fachkunde des Anbieters sicherzustellen durch die Forderung des Nachweises der Betriebsgenehmigung nach § 6 AEG, der Abwesenheit von schweren Gesetzesverletzungen durch Auszüge aus dem Bundeszentralregister oder dem Gewerbezentralregister, der Vorlage eines Bankauszugs, des Geschäftsberichtes, eines Prüfberichtes, der letzten Bilanz, eines Finanzierungsplans, einer Erklärung über die Beteiligungsverhältnisse am Unternehmen, häufig auch durch Angaben über einschlägige Projekterfahrung, Angaben zum Fahrzeugpark und darüber, welche Maßnahmen zur Qualitätssicherung im Unternehmen getroffen werden220. Im Vertrag wird das reguläre Ende der Vertragslaufzeit geregelt. Die Festlegung der Vertragslaufzeit ist das Resultat einer Abwägung zwischen den Interessen des Aufgabenträgers und den Interessen des Unternehmers221. Kurzfristige 220 Vgl. die Übersicht über die europaweiten Ausschreibungen unter http://ted. publications.eu.int/official/. 221 Bauer, Die negative und die positive Funktion des Verwaltungsvertragsrechts, S. 25; Snethlage, S. 476 ff.; Knauff, S. 284 f.

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Verträge erhöhen die Wettbewerbsintensität und verstärken so Anreize und Disziplinierungsdruck, woran dem Aufgabenträger gelegen ist. Langfristige Verträge tragen dagegen den Interessen des Auftragnehmers Rechnung, der im SPNV erhebliche Sachinvestitionen tätigt222. Langfristige Verträge erhöhen aber den Anreiz für den Auftragnehmer zu kostenintensiven Innovationen223. Dabei lassen sich Interesse des Auftragnehmers und des Auftraggebers nur theoretisch trennen, denn tatsächlich sind sie dadurch verbunden, dass der Auftraggeber einen Interessenverzicht des Auftragnehmers mit einem höheren Preis bezahlt. Die dieser Untersuchung zugrunde liegenden Verträge haben Laufzeiten von 10 und 12 Jahren. Darüber hinaus enthalten die Verträge ein Recht zur außerordentlichen, fristlosen Vertragskündigung. Eine außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses muss durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt werden, der dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar machen muss224. Nicht interessengerecht erscheint die Auffassung, die die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung im öffentlichen Vertragsrecht durch § 60 Abs. 1 S. 2 VwVfG ausgeschlossen sieht225. Als wichtige Gründe für eine fristlose Kündigung können insbesondere vereinbart werden: Fortfall der Betriebsgenehmigung des Unternehmers nach § 6 AEG, Einleitung des Insolvenz-, Vergleichs- oder Liquidationsverfahrens gegen den Auftragnehmer oder dessen Ablehnung mangels Masse, Unterschreitung der vereinbarten Qualitätskriterien über mehrere Jahre hinweg in bestimmtem Umfang, die verspätete Betriebsaufnahme, Nichterbringung der vereinbarten Sicherheit sowie als Generalklausel die dauerhafte grobe Verletzung der Pflichten des Auftragnehmers trotz wiederholter Abmahnung. Die vorzeitige fristlose Kündigung wird von vornherein auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, denn der Auftraggeber gefährdet mit der Kündigung die Kontinuität226 des Verkehrs, die Grundvoraussetzung eines attraktiven Nahverkehrs ist. In der derzeitigen Marktsituation, die immer noch von einem alle anderen weit überragenden Anbieter gekennzeichnet ist, werden sich nicht viele Eisenbahnunternehmen finden, die spontan über die notwendige Kapazität verfügen, um einen Ersatzdienst anbieten zu können. Dies gilt insbesondere für 222

Vgl. Cox, Das Angebot von Universaldienstleistungen, S. 90 f. Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 17 f. 224 s. zu den Voraussetzungen der Kündigung beim Dauerschuldverhältnis: Larenz, Schuldrecht Allgemeiner Teil, S. 32 f. 225 So aber: VGH Mannheim vom 20.3.1989, NVwZ-RR 1990, 215, 216; Ziekow/ Siegel, Verwaltungsarchiv 2004, 573, 574; wie hier: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 60 Rn. 3; Günter Hennecke, in: Knack, VwVfG, § 59 Rn. 2. 226 s. zu dieser Problematik allgemein: Bauer, Die negative und die positive Funktion des Verwaltungsvertragsrechts, S. 26. 223

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Verträge, bei denen DB Regio Vertragspartner ist. Bislang einziges Beispiel einer vorzeitigen fristlosen Kündigung ist das Vorgehen des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) gegenüber DB Regio im Juni 2008. Begründet wurde die Kündigung mit Schlechtleistungen in Bezug auf Pünktlichkeit, Fahrzeugzustand, Erscheinungsbild der Bahnhöfe und Einsatz von Sicherheitspersonal227. Die Aufrechterhaltung der Schienenpersonennahverkehre wurde gesichert, indem DB Regio die Durchführung der bislang auf vertraglicher Grundlage erbrachten Verkehrsleistungen durch den VRR einseitig auferlegt wurde. Der Weiterführung des Betriebs nach Kündigung dient insbesondere die Leistung einer Sicherheit, die die Verkehrsverträge in unterschiedlicher Höhe, meist in Form einer selbstschuldnerischen, unwiderruflichen, unbefristeten Bankbürgschaft, fordern. Als weiteres Instrument zur Absicherung eines Weiterbetriebs im Falle der Insolvenz eines Unternehmens kann auch die Sicherungsübereignung des Wagenparks in Erwägung gezogen werden228. Denn meist scheitert die kurzfristige Beauftragung eines Ersatzunternehmens an dem nicht zur Verfügung stehenden Wagenpark. Empfehlenswert dürfte auch die Vereinbarung einer Überleitungspflicht sein, die den Unternehmer für einen Übergangszeitraum nach Kündigung verpflichtet, weiterhin Betriebsmittel und Wissen zur Verfügung zu stellen229. Es ist offensichtlich, dass DB Regio als staatseigenes Unternehmen durch das hohe Vertrauen in seine finanzielle Leistungsfähigkeit gegenüber mittelständischen Privatanbietern über einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verfügt. k) Vertragsanpassungen Ein Vorzug von Verträgen mit kürzerer Laufzeit besteht darin, dass im Regelfall auf Vertragsanpassungen während der Laufzeit verzichtet werden kann. Vertragsanpassungen während der Laufzeit können sich insoweit als problematisch erweisen, als das Verkehrsunternehmen versucht sein könnte, seine Monopolstellung während der Vertragslaufzeit auszunutzen230. Bei Verträgen mit längerer Laufzeit müssen die Parteien im Verkehrsvertrag regeln, welche Leistungsänderungen ohne zusätzliche vertragliche Vereinbarung verlangt werden können und unter welchen Voraussetzungen. Damit stellt der Aufgabenträger sicher, dass er trotz der vertraglichen Bindung Gestaltungsspielraum über die öffentliche Dienstleistung behält. Hierin kann man die Einfüh227

„Verkehrsverbund watscht Bahn ab“, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.6.2008. Zu Vertragsinstrumenten zur Absicherung gegen Konkurs des Unternehmers: Snethlage, S. 536 ff. 229 Weitere Vorschläge bei: Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 326. 230 Snethlage, S. 514 f. 228

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rung von Sonderrechten der Verwaltung in den Vertrag sehen231. Da sie vertraglich vereinbart sind, sind sie aber ein Element des privaten Jedermanns-Rechts, das z. B. im Arbeitsvertragsrecht derartige Weisungsrechte kennt. Er kann regelmäßig ohne besondere Voraussetzungen Leistungsveränderungen, die keine Auswirkungen auf die gesamte Leistungsmenge haben, verlangen. Für Leistungsänderungen, die entweder zeitlich beschränkt sind (Sonderverkehre) oder dauerhaft Mehr- oder Minderleistungen für das Verkehrsunternehmen zur Folge haben, können die Verträge eine Regelung treffen, dass sie gegen eine zusätzliche Vergütung im Rahmen des Vertrags vom Aufgabenträger verlangt werden können, soweit sie keinen zusätzlichen Fahrzeugbedarf für das Verkehrsunternehmen nach sich ziehen. Andere Verträge sehen Höchstgrenzen für Mehr- oder Minderleistungen mit entsprechender Anpassung des Leistungsentgeltes vor. Die Parteien können auch spezielle Regelungen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage treffen und als solchen Fall insbesondere das Über- oder Unterschreiten bestimmter Werte durch die Anpassung der Infrastrukturkosten vereinbaren. l) Institutionalisierte Zusammenarbeit der Vertragsparteien Die Verkehrsverträge treffen Regelungen über die Zusammenarbeit zwischen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen. Die Zusammenarbeit wird dabei selten in durch den Vertrag geschaffenen Gremien institutionalisiert. Solche Gremien können als Elemente zukunftsoffener Langzeitverwaltungsverträge mit komplexem Vertragsgegenstand Flexibilitäts- und Anpassungsbedürfnissen dienen232. Einige Verträge sehen die Einsetzung einer Arbeitsgruppe vor, die der praktischen Umsetzung des Verkehrsvertrages dienen soll. Wirkliche Schiedsgremien, die der verbindlichen Streitbeilegung zwischen den Parteien dienen, werden nicht eingerichtet. 7. Ausschreibungspflichtigkeit der Verkehrsverträge Die derzeit wohl umstrittenste Rechtsfrage im SPNV ist die Frage nach der Ausschreibungspflicht für gemeinwirtschaftliche Leistungen im SPNV. a) Anwendbarkeit des Vergaberechts auf SPNV-Verkehrsverträge Das Vergaberecht findet auf die Verkehrsverträge Anwendung, wenn erstens die vertragschließende Partei auf seiten der öffentlichen Hand ein öffentlicher 231

Bauer, Die negative und die positive Funktion des Verwaltungsvertragsrechts,

S. 24. 232 Bauer, Die negative und die positive Funktion des Verwaltungsvertragsrechts, S. 27 ff.

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Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB ist, wenn zweitens die Verkehrsverträge öffentliche Aufträge im Sinne des § 99 GWB darstellen und wenn sie drittens in den in § 100 GWB umgrenzten Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. Die kreisfreien Städte, die Landkreise und die Länder unterliegen als Gebietskörperschaften per se Vergaberecht, § 98 Nr. 1 GWB. Soweit die Länder mit der Erfüllung der Aufgabenträgerfunktion eine privatrechtliche Landesgesellschaft beauftragt haben oder die Aufgabenträger einen Aufgabenträgerverbund, sind auch diese nach § 98 Nr. 2 GWB den Vergaberechtsregeln unterworfen. Das gleiche gilt für durch Gebietskörperschaften dominierte Zweckverbände (§ 98 Nr. 3 GWB)233. Ausschreibungspflichtig sind öffentliche Aufträge im Sinne von § 99 GWB. Nach § 99 Abs. 1 GWB sind öffentliche Aufträge definiert als entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen, die u. a. Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Öffentliche Aufträge der letzteren Art werden in § 99 Abs. 4 GWB als Dienstleistungsaufträge bezeichnet. Dabei unterfallen sog. Dienstleistungskonzessionen nicht dem – gemeinschaftsrechtlich determinierten – deutschen Vergaberecht und werden deshalb nicht als Dienstleistungsaufträge im Sinne von § 99 GWB angesehen. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Im Gemeinschaftsrecht regeln weder die Richtlinie 92/50/EWG vom 18.6.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge noch die Richtlinie 93/38/ EWG vom 14.6.1993 des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (Sektorenrichtlinie) die Dienstleistungskonzession, und die Aufnahme der Dienstleistungskonzession in die Richtlinien wurde bewusst unterlassen234. Dienstleistungskonzessionen werden deshalb auch im innerstaatlichen deutschen Vergaberecht, das ja nur Gemeinschaftsrecht umsetzen sollte, als nicht vom Begriff des öffentlichen Auftrags im Sinne von § 99 Abs. 1 GWB erfasst angesehen235. Damit gilt für Dienstleistungskonzessionen keine Pflicht zur Durchführung eines formalisierten Ausschreibungsverfahrens, sehr wohl aber die aus primärem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Grundsätze der Transparenz, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit236. Im Ergeb233

Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, 148, 156. So Generalanwalt Fennelly in seinem Schlussantrag vom 18.5.2000 zu der Sache „Telaustria“ C-324/98, Slg. 2000 I-10747, 10757, Rn. 21, ebenso EuGH in derselben Sache 2000 I-10789 Rn. 43 ff.; Meinrad Dreher, in: Immenga/Mestmäcker, § 98 Rn. 140. 235 OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 634. 236 Vgl. Mitteilung der Kommission 2000/C 121/02 vom 29.4.2000 zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht (Amtsblatt 2000 C 121/2), S. 6 ff. 234

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nis unterliegen sie damit einem geringeren Maß an Formalisierung und Kontrolle als Dienstleistungsaufträge, für die die gesetzlich geregelten Vergabevorschriften gelten. Das Gemeinschaftsrecht enthält nun in RL 2004/17/EG eine Definition der Dienstleistungskonzession: Danach ist eine Dienstleistungskonzession ein Vertrag, der von einem Dienstleistungsauftrag im Sinne der Richtlinien nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht237. Dennoch bleibt die Abgrenzung zwischen Dienstleistungsauftrag und Dienstleistungskonzession im Einzelfall schwierig238. Die Zahlung eines Entgeltes durch den öffentlichen Auftraggeber beseitigt den Charakter der Dienstleistungskonzession so lange nicht, wie diese Entlohnung nicht das überwiegende wirtschaftliche Risiko des Unternehmers aufhebt239. Fraglich ist deshalb, ob Verkehrsverträge im SPNV Dienstleistungskonzessionen sind. Über die Einordnung der Verkehrsverträge als Dienstleistungskonzession entscheidet die Frage, inwieweit dem Verkehrsunternehmen ganz oder überwiegend das wirtschaftliche Nutzungs- und Verwertungsrisiko der zu erbringenden Verkehrsdienstleistungen aufgebürdet wird. Man könnte erwägen, zwischen Brutto- und Nettoverträgen zu differenzieren: Bei sog. Bruttoverträgen, bei denen dem Verkehrsunternehmen ein garantiertes Entgelt entrichtet wird und das Einnahmenrisiko der Fahrgelder allein beim Besteller liegt, trägt das Verkehrsunternehmen ein wirtschaftliches Risiko lediglich hinsichtlich seiner Produktionskosten. Deshalb wird man in diesem Falle nicht annehmen können, dass das Verkehrsunternehmen das überwiegende wirtschaftliche Verwertungsrisiko trägt240. Für Nettoverträge ist dieses Ergebnis weniger eindeutig. Hier fließen – im Gegensatz zum Bruttovertrag – die Fahrgeldeinnahmen dem Verkehrsunternehmen zu, und der Auftraggeber zahlt im voraus einen bestimmten Ausgleichsbetrag für zu erwartende Einnahmeverluste. Das Risiko, dass die Einnahmenverluste tatsächlich durch den Ausgleichsbetrag gedeckt werden, liegt hier 237 Art. 1 Abs. 3 Buchstabe b) RL 2004/17/EG vom 31.3.2004, ebenso Art. 1 Abs. 4 RL 2004/18/EG. 238 Vgl. Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, 148, 159; vgl. aber die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, Amtsblatt 2000 C 121/2, die „Elemente des Phänomens“ herauszuarbeiten sucht, S. 4 ff.; der EuGH lässt eine Definition in der Sache „Telaustria“ dahinstehen: EuGH vom 7.12.2000, C-324/98, Slg. 2000, I-10747, 10789 Rn. 42, vgl. auch Vergabekammer Magdeburg, Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 14. 239 Prieß, NZBau 2002, 539, 545; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, Amtsblatt 2000 C 121, S. 3. 240 Ebenso: OLG Düsseldorf vom 26.7.2002, NZBau 2002, 634, 635; Theobald/ Kafka, NZBau 2002, 603, 604; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, S. 28, 29; Kulartz, NZBau 2001, 173, 178.

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beim Verkehrsunternehmen. Hier besteht also neben dem Produktionskostenrisiko auch ein gewisses Einnahmenrisiko des Verkehrsunternehmens. Fraglich ist aber, ob der Unternehmer damit ein „überwiegendes Risiko“ im Sinne der Definition der Dienstleistungskonzession trägt. Staatliche Zuzahlungen allein, die soziale Preise garantieren sollen, schließen nach Auffassung der Europäischen Kommission nicht den Charakter als Dienstleistungskonzession aus, wenn sie nur einen Teil der Nutzungskosten der Konzession decken241. Andererseits verringern staatliche Zuzahlungen das Unternehmerrisiko. Eine abstrakte Höchstgrenze, ab der staatliche Zuzahlungen das überwiegende Risiko des Unternehmers beendeten, existiert nicht242. Im Rahmen der Netto-Verkehrsverträge wird das wirtschaftliche Risiko auf der Einnahmenseite durch den fixen Ausgleichsbetrag, den der Auftraggeber gewährt, ganz erheblich abgefedert. Die Höhe dieses Betrags beruht auf Erfahrungswerten von in der Vergangenheit erwirtschafteten Einnahmen und kann bis zum Doppelten der erwarteten Fahrgeldeinnahmen betragen. Sie sind in der Regel so berechnet, dass sie die zu erwartenden Mindereinnahmen auszugleichen geeignet sind. All diese Umstände begrenzen das Risiko des Verkehrsunternehmers. Gegen eine überwiegende Risikenbeherrschung des Verkehrsunternehmens spricht auch die Mitgestaltung der Angebotsseite durch den Aufgabenträger: Die wesentlichen Elemente der Verkehrsleistungen – insbesondere Rahmenvorgaben zum Fahrplan und gewisse Mitspracherechte bei den Tarifen – werden durch den Aufgabenträger vorgegeben. Somit verbleibt wenig Spielraum für wirtschaftlich riskante Leistungsmodifikationen. Außerdem sind die Benutzer häufig auf den ÖPNV angewiesen, so dass ein großer Teil der Fahrgeldeinnahmen als gesichert angesehen werden kann243. So wird man auch im Falle des Nettovertrags die Übertragung der Daseinsvorsorgeaufgabe durch die Verwaltung im Vordergrund des Regelungsgehaltes sehen müssen, nicht die Verwertung eines gewinnbringenden Gutes244. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Entgeltregelung des Nettovertrags eher als eine Gestaltungsform eines Anreizelementes zur Steigerung der Fahrgastzahlen, die regelmäßig – in anderer rechtlicher Ausgestaltung – auch Bestandteile von Bruttoverträgen sind245. Gegen die Einordnung als Dienstleistungskonzession könnte auch ein weiterer Umstand sprechen: Entsprechend der Kommissionsmitteilung wird aufgrund der Dienstleistungskonzessionen üblicherweise ein ausschließliches oder besonderes

241 Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, Amtsblatt 2000 C 121, S. 3 f. 242 Prieß, NZBau 2002, 539, 545; vgl. auch OLG Schleswig, NZBau 2000, 100. 243 Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, 148, 160. 244 Kulartz, NZBau 2001, 173, 178. 245 A. A. Prieß, NZBau 2002, 539, 545 f.; wie hier i. E.: Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, 162, 165.

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Recht gewährt246. Der Verkehrsvertrag im SPNV überträgt dem Eisenbahnverkehrsunternehmen aber kein ausschließliches Recht; jeder andere Unternehmer kann theoretisch im Rahmen verfügbarer Streckenkapazitäten einen konkurrierenden Verkehr anbieten247. Allerdings wird mit Abschluss eines Verkehrsvertrags dem Verkehrspartner ein faktisches Gebietsmonopol zuteil, s. o. 2. Teil A.VII.2. Für die Zugehörigkeit zum Vertragstyp der Konzession ist aber gerade die ausdrückliche vertragliche Einräumung eines Sonderrechts prägend, s. auch oben zum französischen Vertragstyp der Konzession C.I.4. Teilweise wird vertreten, dass Verträge in öffentlicher Rechtsform gemäß §§ 54 ff. VwVfG keine öffentlichen Aufträge im Sinne des § 99 GWB sein könnten248. Folgt man der oben vollzogenen Qualifizierung der Verkehrsverträge als öffentlich-rechtlich, fielen sie demnach nicht unter die Vergabevorschriften des GWB. Die Vertreter dieser Ansicht stützen sich vor allem auf die Gesetzesbegründung249. Seit einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahre 2001 dürfte jedoch feststehen, dass nach einer nationalen Rechtsordnung als öffentlich-rechtlich eingestufte Verträge nicht per se aus dem Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechtsnormen ausgenommen sein können, weil die Abgrenzung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich vorgenommen wird250. Da das GWB die gemeinschaftsrechtlichen Vergaberechtsrichtlinien umsetzen soll, müssen der Argumentation des EuGH zufolge die §§ 97 ff. GWB so ausgelegt werden, dass öffentlich-rechtliche Verträge nicht per se aus dem Anwendungsbereich ausscheiden. Teilweise wird aber bei öffentlich-rechtlichen Verträgen danach differenziert, ob die Funktion des Vertrags in der Beschaffung von Marktleistungen oder in der Ausübung öffentlicher Gewalt besteht251. Nur im ersteren Falle solle Vergaberecht Anwendung finden. Dies entspreche dem Regelungszweck der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien, die nur für die Beschaffung, nicht aber für die Ausübung originärer Hoheitsbefugnisse gelten sollten252. Wie bereits oben bei 246 Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht, Amtsblatt 2000 C 121, S. 4. 247 So Schaaffkamp/Bayer, WiVerw 2001, 148, 160; Barth, S. 148; i. E. für eine Einordnung als Dienstleistungskonzession: Ausschreibungsempfehlungen des Bayerischen Verkehrsministeriums vom 1.12.1997 (Nr. 7421-VII/B 1d-50 194) Ziffer II.3. 248 Heinz Joachim Bonk, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG-Kommentar, § 54 Rn. 51; Dreher DB 1998, 2579, 2587. 249 Bundestagsdrucksache vom 3.12.1997 13/9340 Begründung zum Regierungsentwurf, S. 15. 250 EuGH vom 12.7.2001 „Ordine degli Architetti delle Province di Milano et Lodi u. a./Commune di Milano“ C-399/98, Slg. 2001, I-5409, 5462, Rn. 43 f. 251 OLG Naumburg, Beschluss vom 19.10.2000, WuW 2001, 437, 439; Boesen, Vergaberecht, Kommentar, § 99 Rn. 25 ff. 252 Kulartz, NZBau 2001, 173, 176.

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der Abgrenzung des subordinations- vom kooperationsrechtlichen Vertrag ausgeführt wurde, sind Verkehrsverträge im SPNV als Marktleistung und deshalb als kooperationsrechtliche öffentlich-rechtliche Verträge zu qualifizieren, und dies obwohl der Aufgabenträger durch die Gewährleistung der Verkehrsleistungen einem Daseinsvorsorgeauftrag nachkommt253. Denn die Aufgabenträger kaufen aufgrund der Verkehrsverträge Eisenbahnverkehrsleistungen nach Marktmechanismen ein. Auch nach dieser Ansicht sind die Verkehrsverträge im SPNV deshalb nicht vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgeschlossen. Sie sind deshalb als öffentliche Aufträge im Sinne des § 99 Abs. 1 und 4 einzuordnen254. Nach § 100 Abs. 1 GWB i.V. m. § 2 Nr. 3 VergabeVO ist der Schwellenwert, ab dem Vergaberecht Anwendung findet, für Dienstleistungsaufträge grundsätzlich auf 200.000 Euro festgelegt. Liefer- und Dienstleistungsverträge im Verkehrsbereich werden durch einen erhöhten Schwellenwert von 400.000 Euro „privilegiert“, vgl. § 2 Nr. 1 VergabeVO. § 8 Nr. 4 lit. c VergabeVO präzisiert den Bereich der Privilegierung dahin, dass u. a. solche Aufträge erfasst sind, die den Betrieb von Netzen zur Versorgung der Öffentlichkeit u. a. im Eisenbahn-, Straßenbahn- und sonstigen Schienenverkehr zum Inhalt haben. Dabei wird auch dann ein Netz angenommen, wenn die Verkehrsleistungen aufgrund einer behördlichen Auflage erbracht werden. Nach welchen Maßstäben im Übrigen ein Netz zu bemessen und von Einzeltransportleistungen abzugrenzen ist, bleibt aber offen255. Ein Betrieb von Netzen soll nicht vorliegen, wenn der Besteller die Leistungen nicht mit eigenem Personal oder mit eigenen Fahrzeugen erbringt sowie wenn er sich zur Erfüllung der Leistung von Subunternehmern bedient256. Verkehrsverträge im Bereich des SPNV überschreiten im Übrigen regelmäßig auch den erhöhten Wert von 400.000 Euro. b) § 15 Abs. 2 AEG als Spezialvorschrift zu §§ 97 ff. GWB Gegen die zwingende Anwendung des Vergaberechts kann die Regelung des § 15 Abs. 2 AEG sprechen. § 15 Abs. 2 AEG stellt die Ausschreibung gemeinwirtschaftlicher Leistungen durch Eisenbahnverkehrsunternehmen in das Ermessen der zuständigen Behörde.

253 So auch Vergabekammer Magdeburg im Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 16; Thieme/Schlüter, NVwZ 2004, 162, 164. 254 Vergabekammer Magdeburg im Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/ 02 MD, S. 13; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.7.2002, NZBau 2002, 634; Kulartz, NZBau2001, 173, 178; Marx, Der Nahverkehr 3/2003, 28, 29; a. A. Prieß, NZBau 2002, 539, 543. 255 Werner, S. 188. 256 Freitag/Saxinger, Der Nahverkehr 7–8/2002, 25, 26.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

§ 15 Abs. 2 AEG ist dann vorrangig gegenüber den Vorschriften des GWB anzuwenden, wenn er als speziellere Regelung die §§ 97–101 GWB verdrängt. Spezialität besteht, wenn eine Vorschrift neben allen Merkmalen der allgemeineren Vorschrift ein weiteres enthält. Zuzugeben ist, dass § 15 Abs. 2 AEG insofern gegenüber den Vorschriften der §§ 97 ff. GWB spezieller ist, als er die Anwendung des Vergabeverfahrens gerade auf gemeinwirtschaftliche Leistungen des Eisenbahnverkehrs regelt257. Auch eine speziellere Vorschrift kann aber durch eine zeitlich nachfolgende allgemeinere Vorschrift verdrängt werden, wenn nämlich die neuere allgemeinere Vorschrift auch den Regelungsbereich der älteren spezielleren Vorschrift mitregeln will. Die Vergaberechtsvorschriften des Vierten Teils des GWB sind zeitlich nach dem AEG (in Kraft getreten am 1.1.1994) in Kraft getreten, nämlich am 1.1.1999258. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollen die §§ 99, 100 GWB abschließend die dem Vergaberecht unterliegenden Beschaffungsvorgänge regeln. Wie die Gesetzesmaterialien ausdrücklich bezeugen, wollte der Gesetzgeber des Vergaberechtsänderungsgesetzes mit § 100 Abs. 2 GWB einen enumerativen Ausnahmenkatalog aufstellen, der auch bislang spezialgesetzlich geregelte Ausnahmefälle enthalten sollte259. Der subjektiven, auf den Willen des Gesetzgebers abstellenden Auslegung kommt bei jüngeren Gesetzen besondere Bedeutung zu260. Verkehrsdienstleistungen werden in diesem Ausnahmenkatalog nur insofern erwähnt, als Auftraggeber, die auf dem Gebiet der Verkehrsdienstleistungen selbst tätig sind, auf diesem Gebiet Aufträge ohne Beachtung der Vergabevorschriften vergeben können (§ 100 Abs. 2 lit. f GWB). Dieser Tatbestand trifft auf den hier gegenständlichen Fall der Verkehrsverträge ersichtlich nicht zu. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine Regelung auch für den bis dahin speziell in § 15 Abs. 2 AEG geregelten Fall der gemeinwirtschaftlichen Leistungen im Eisenbahnsektor treffen wollte. Sie verdrängen damit die ältere Vorschrift des AEG bzw. reduzieren das darin eingeräumte Ermessen auf Null261. 257 A. A. Vergabekammer Magdeburg im Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/02 MD, S. 10, die der Auffassung ist, §§ 97–101 GWB enthielten mehr Begriffsmerkmale zu den Anwendungsvoraussetzungen der Vergabevorschriften als das AEG und seien deshalb die spezielleren Vorschriften. 258 BGBl. I-1998, 2546, aufgrund des 6. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. 259 Bundestagsdrucksache 13/9340 vom 3.12.1997, Begründung des Regierungsentwurfes, S. 15. 260 Beschluss des OLG Brandenburg vom 2.9.2003 Verg W 3/03 und Verg W 5/03 S. 16; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 453. 261 So i. E. auch Vergabekammer Magdeburg im Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/ 07 VK 05/02 MD, S. 10 ff., sowie Vergabekammer Düsseldorf im Beschluss vom 18.4.2002 – VK-5/2002-L; in diese Richtung auch OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 634, 635; für Ermessensreduzierung auf Null: Theobald/Kafka, NZBau 2002, 603, 605; Schaaffkamp/Bayer, WiVerw2001, 148, 165 Fn. 94; a. A.: Prieß, NZBau 2002, 539, 540 f.

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Auch das höherrangige Recht der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18.6.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sowie der Sektorenrichtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14.6. 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor zwingt zur Interpretation der Vergabevorschriften im Sinne eines Anwendungsvorrangs gegenüber § 15 Abs. 2 AEG. So beinhalten Anhang I B zur Richtlinie 92/50/EWG und Anhang XVI Teil B der Richtlinie 93/38/EWG ausdrücklich als nicht prioritäre Dienstleistungen Dienstleistungen durch Eisenbahnen. Auf sie finden deshalb als Teil eines sog. Sektorenbereichs bestimmte Vorschriften der Richtlinien über die Publizität Anwendung. Richtlinien müssen effektiv in nationales Recht umgesetzt werden. Dies bedeutet, dass die verbindliche Geltung des Richtlinieninhaltes im innerstaatlichen Recht für den einzelnen und für die mitgliedstaatlichen Organe zweifelsfrei gesichert sein muss262. In Deutschland wurden diese Anforderungen in den §§ 8a und 28a des 2. Abschnitts der VOL/A umgesetzt, die für alle sog. nicht prioritären Dienstleistungen – wie Eisenbahnverkehrsleistungen, s. Anhang I B der VOL/A Abschnitt 2, Kategorie 18 – neben den Basisvorschriften der VOL/A gelten. Sie sind bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen für Eisenbahnverkehrsdienstleistungen zugrundezulegen263. Die auf Gemeinschaftsrecht beruhende Verpflichtung, bestimmte Paragraphen der VOL/A anzuwenden, wird durch §§ 4–7 der VergabeVO begründet, die aufgrund §§ 97 Abs. 6 und 127 GWB die Regelungen des GWB präzisiert. Die Anwendung dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben wird deshalb nur ausreichend gewährleistet, wenn das GWB auf Eisenbahnverkehrsleistungen angewendet wird. Auch aus diesem Grunde sind auf Eisenbahnverkehrsleistungen zwingend die Vorschriften des GWB anzuwenden264. c) Die Erste VO zur Änderung der VergabeVO (der neue § 4 Abs. 3 VergabeVO) In der Praxis wurden SPNV-Leistungen bislang überwiegend freihändig vergeben, was sich rechtlich auf die These stützen ließ, § 15 Abs. 2 AEG gehe als Spezialregelung dem GWB vor265. Diese Rechtsposition wurde durch die oben 262 Vgl. zum Gebot effektiver Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht: EuGH vom 30.5.1991, C-361/88 „TA-Luft“, Slg. I-1991, 2567, 2600 f.; Herdegen, Europarecht, Rn. 180 f. 263 Vergabekammer Magdeburg im Beschluss vom 6.6.2002 – 33-32571/07 VK 05/ 02 MD, S. 11. 264 Ähnlich Berschin, S. 256. 265 Marx, Der Nahverkehr 3/2003, 28.

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zitierten Entscheidungen mehrerer Vergabekammern und des OLG Düsseldorf266 erschüttert, die einen Vorrang des GWB begründeten und auch in der Literatur erhebliche Zustimmung erfahren haben. Diese unsichere Rechtslage hat der Verordnungsgeber mit der 1. VO zur Änderung der VergabeVO267 zu beseitigen gesucht. Darin wird ein neuer § 4 Abs. 3 VergabeVO eingefügt, der in einer ersten Variante für zulässig erklärt, dass im SPNV Verträge über einzelne Linien mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren einmalig auch freihändig vergeben werden können. Diese Variante soll laut dem Gesetzesentwurf die Ausfüllung verkehrlicher Lücken und Notfälle ermöglichen. Auch längerfristige Verträge über größere Volumina von SPNV-Dienstleistungen können bis zu einer Laufzeit von 12 Jahren freihändig unter der Bedingung vergeben werden, dass ein wesentlicher Teil der durch den Vertrag bestellten Leistungen schon während der Vertragslaufzeit ausläuft und anschließend im Wettbewerb vergeben wird. Sinn der Regelung war, einen gleitenden Übergang in den Wettbewerb zu gewährleisten und zu vermeiden, dass ein Großteil der SPNV-Leistungen durch öffentliche Ausschreibung auf einen Schlag vergeben werden müssten268. Im Unklaren bleibt der Begriff „wesentlich“. Der Entstehungsgeschichte lässt sich entnehmen, dass der Begriff vom Wirtschaftsausschuss des Bundesrates im Gegensatz zum Begriff „überwiegend“ gesehen wurde und dass „wesentlich“ im Gegensatz zu „überwiegend“ deutlich weniger als 50% sein sollten269. Auch in verschiedenen wortgleichen Formulierungen der VOB oder VOL hat die Rechtsprechung den Begriff „wesentlich“ im Sinne eines prozentualen Wertes zwischen 30% und 50% ausgelegt270. Unter wesentlich im Sinne des neuen § 4 Abs. 3 VergabeVO muss deshalb ein Anteil in dieser Größenordnung verstanden werden. Auch diese VO scheint indessen zu einer Klärung der Rechtslage nicht geeignet zu sein. So hat das OLG Brandenburg in einer ersten Entscheidung auch weiterhin einen Vorrang des § 15 AEG vor dem 4. Abschnitt des GWB angenommen. Es geht davon aus, dass zwei grundlegend unterschiedliche Problemkomplexe betroffen seien in § 15 AEG einerseits, der die Beauftragung gemeinwirtschaftlicher Leistungen zur Sicherstellung einer Daseinsvorsorgeaufgabe betreffe, und im 4. Abschnitt des GWB andererseits, der Beschaffungsvorgänge öffentlicher Auftraggeber im freien Wettbewerb regele271. Die minimalistische Zwecksetzung des neuen Vergaberechts habe auch nur darin bestanden, einen 266

Vergabekammer Magdeburg und Düsseldorf, a. a. O. BGBl. I-2002, 4338. 268 Bundesratsdrucksache 727/02 vom 19.9.2002, Begründung der Bundesregierung, S. 2 f.; vgl. auch Köhler, NZBau 2003, 31. 269 Schaffner/Köhler, Der Nahverkehr 5/2003, 60. 270 Schaffner/Köhler, Der Nahverkehr 5/2003, 60. 271 Beschluss des OLG Brandenburg vom 2.9.2003 Verg W 3/03 und Verg W 5/03 S. 17. 267

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Primärrechtsschutz für die Bieter zu schaffen, nicht aber, die Vergaberechtsvorschriften auf Bereiche auszudehnen, die bislang von ihm ausgenommen waren272. Dieses Vorrangverhältnis habe auch nicht durch die nachrangige Rechtsverordnung zur Änderung der Vergaberechtsordnung geändert werden können, weil der Anwendungsbereich eines Gesetzes nur durch den formellen Gesetzgeber erweitert werden könne bzw. durch eine Rechtsverordnung, die auf eine ausdrückliche Ermächtigung zur Änderung des formellen Gesetzes zurückgreifen könne, woran es im vorliegenden Falle fehle273. Dieses Urteil des OLG Brandenburg ist abzulehnen, weil es die Gesetzesbegründung des Vergaberechtsänderungsgesetzes ignoriert. Darin wird klargestellt, dass der Ausnahmenkatalog des § 100 Abs. 2 GWB abschließend sein soll, s. o. unter b). Als Indiz für diesen objektiv ermittelten Willen des Gesetzgebers kann nun auch die Erste Verordnung zur Änderung der VergabeVO angesehen werden. Wenn diese sofortige Unterwerfung unter das Vergaberecht anfangs in wirtschaftspolitischer Hinsicht zu radikal erscheinen konnte, ist dies nach der Durchführungsbestimmung des § 4 Abs. 3 VergabeVO nicht mehr der Fall, die eine sinnvolle Übergangsregelung für den Einstieg in den Wettbewerb trifft. Die wirtschaftspolitische Qualität der Neuregelung in § 4 Abs. 3 VergabeVO erkennt auch das OLG Brandenburg in seiner Entscheidung ausdrücklich an274. In der Folge hat die Connex Regiobahn, heute Veolia Verkehr GmbH, eine Konkurrentenbeschwerde bei der Kommission eingelegt275, die sich vor allem gegen die Vergabe des Verkehrsvertrags in Brandenburg ohne Ausschreibung sowie gegen das diese Praxis bestätigende Urteil des OLG Brandenburg richtete. Die Kommission hatte zunächst beanstandet, dass vor allem die Praxis der „exklusiven und geheimen“ Verhandlungen ohne Ausschreibungen einerseits die für Eisenbahndienstleistungen bestehenden Minimalvorschriften der Richtlinie 92/50/EWG missachte, andererseits das aus Art. 43 EGV für Dienstleister abzuleitende Gleichbehandlungsgebot verletze, ebenso wie das gemeinschaftsrechtliche Transparenzgebot276. Das inzwischen eröffnete Beihilfen-Hauptprüfverfahren konzentriert sich nunmehr auf die von der Kommission beanstandete Überkompensation von DB Regio durch den Verkehrsvertrag mit den Ländern 272 Beschluss des OLG Brandenburg vom 2.9.2003 Verg W 3/03 und Verg W 5/03 S. 24 und 27. 273 Beschluss des OLG Brandenburg vom 2.9.2003 Verg W 3/03 und Verg W 5/03 S. 31. 274 Beschluss des OLG Brandenburg vom 2.9.2003 Verg W 3/03 und Verg W 5/03 S. 32. 275 Vgl. Art. 88 Abs. 3 EGV und Art. 20 Abs. 2 VO 659/1999/EG vom 22.3.1999. 276 Vgl. zum Transparenzgebot: EuGH vom 7.12.2000, C-324/98, „Telaustria“, Slg. 2000, I-10747, Rn. 61 ff.; EuGH vom 18.11.1999, C-275/98 „Unitron Scandinavia und 3-S“, Slg. 1999, I-8291, Rn. 31.

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Berlin und Brandenburg277. Nach der Einstellung des bei der Generaldirektion Binnenmarkt geführten Verfahrens (s. o. A.VII.4.) wurde auch in dem beihilfenrechtlichen Verfahren auf die weitere Beanstandung der Verfahrensverstöße bei der Vergabe der Verträge verzichtet. d) Rechtsfolge: Das anzuwendende Vergabeverfahren Sofern unter den oben geschilderten Voraussetzungen Verkehrsverträge im SPNV in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen, ist vorrangig das öffentliche Ausschreibungsverfahren, das dem Offenen Verfahren bei gemeinschaftsweiter Ausschreibung entspricht, anzuwenden, § 101 Abs. 2 und 5 GWB, § 4 Abs. 1 VergabeVO und § 1a Nr. 2 Abs. 2, § 3 Nr. 2 VOL/A 2. Abschnitt i.V. m. Anhang I B 2. Abschnitt VOL/A. Dies beruht auf einer Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, denn das Gemeinschaftsrecht behandelt Eisenbahnverkehre als sog. nicht prioritäre Dienstleistungen, vgl. Anhang I B Kategorie 18 zur Richtlinie 92/50/EWG, umgesetzt in Anhang I B der VOL/A 2. Abschnitt. Ebenso wenig verpflichtet die VO 1191/69/EWG zur Ausschreibung278. Für nicht prioritäre Dienstleistungen enthält die Richtlinie 92/50/EWG in Art. 9 i.V. m. Artt. 14 und 16, umgesetzt in § 1a Nr. 5 Abs. 2 i.V. m. § 8a und § 28a VOL/A, nur Vorschriften zur Verwendung europäischer Spezifikationen und zur Veröffentlichung der Ergebnisse von Vergabeverfahren in dem Bereich und gibt somit kein formelles Vergabeverfahren vor. Nach deutschem Recht sind somit auf Eisenbahnverkehrsdienstleistungen anwendbar der 2. Abschnitt der VOL/A, die die sog. Basisparagraphen der VOL/A enthalten und zwei sog. a-Paragraphen, die §§ 8a und 28a VOL/A. Verkehrsverträge über Eisenbahnverkehre sind nach deutscher Rechtslage grundsätzlich nach dem Verfahren der öffentlichen Ausschreibung zu vergeben, soweit nicht nach § 3 Abs. 2 VOL/A 2. Abschnitt etwas anderes zulässig ist. Die Anwendung des Verfahrens der Beschränkten Ausschreibung, das dem Nichtoffenen Verfahren bei gemeinschaftsweiten Vergaben entspricht und bei dem nur vom öffentlichen Auftraggeber aufgeforderte Unternehmen ein Angebot abgeben, kann ausnahmsweise nach den Katalogtatbeständen des § 3 Nr. 3 VOL/A insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn die öffentliche Ausschreibung von komplexen Dienstleistungen mit hohem Aufwand für Bieter und Auftraggeber verbunden ist. Das Verfahren der freihändigen Vergabe schließlich, das dem Verhandlungsverfahren bei gemeinschaftsweiten Vergaben entspricht und als nicht förmliches Verfahren begriffen werden kann, kann nur nach Maßgabe der Voraussetzungen 277 Vgl. Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme gemäß Art. 88 Abs. 2 EGV vom 23.10.2007, ABl. EU 2008 C 35/13. 278 A. A.: Schulz, S. 336.

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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in § 3 Nr. 4 VOL/A gerechtfertigt sein. Speziell auf Eisenbahnverkehrsleistungen könnten die in dem Katalog aufgezählten Fälle denkbar sein, dass die Leistung besonders dringlich ist (lit. f) – etwa im Falle der Insolvenz eines Unternehmens – oder aber dass es unmöglich ist, Art und Umfang der Leistung hinreichend zu beschreiben (lit. h), was in Fällen denkbar sein kann, wo es sich um erstmalig zu erstellende Schienenverkehrsleistungen handelt, über die nach Art und Umfang noch keine hinreichende Klarheit besteht279. Auch in Fällen der freihändigen Vergabe sind allerdings die Grundfreiheiten – insb. die Warenverkehrsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 28 ff., 43 ff. und 49 ff. EGV) – sowie die primärrechtlichen Grundsätze der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EGV), der Grundsatz der Gleichbehandlung sowie der Transparenz zu berücksichtigen. Daraus werden weitreichende Anforderungen an das Verfahren abgeleitet, die freilich weniger formalisiert sind als diejenigen der gesetzlich geregelten Vergabevorschriften280. Zur Einhaltung dieser Grundsätze haben sich auch die Länder gegenüber der Kommission in einer Erklärung vom 17.2.2006 verpflichtet, die Grundlage für die Einstellung dieses Vertragsverletzungsverfahrens war, s. o. A.VII.4. VIII. Bilanz der Regionalisierung Bei einer im Übrigen gemischt ausfallenden Bilanz der Bahnreform, bei der sich der Bund finanziell sehr stark engagiert hat, wird das Teilstück der Regionalisierung des SPNV positiv bewertet281, wenn auch nicht alle Zielsetzungen erreicht werden konnten. Eine der Hauptzielsetzungen der Bahnreform bestand darin, mehr Verkehr auf den Verkehrsträger Schiene anzuziehen. Dieses Ziel wurde im SPNV erreicht: So stiegen die im SPNV gefahrenen Zugkilometer zwischen 1993/1994 und 1999/2000 um jährlich durchschnittlich 2,8%. Insgesamt hat sich das Zugkilometervolumen zwischen 1996 und 2006 um ca. 20% erhöht. Die Fahrgaststeigerung wird mit ca. 30% beziffert282. Dahinter stehen allerdings sehr verschiedene Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern, mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate der Zugkilometer von nur 0,3% in Sachsen und einem Wert von 6,3% in Rheinland-Pfalz als Extremwerten. Rheinland-Pfalz 279

Schaaffkamp/Bayer, WiVerw2001, 148, 166. Vgl. Mitteilung der Kommission vom 24.7.2006 zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen; ABl. EU 2006/C 179/02; Schnieders, DVBl. 2007, 287. 281 Fehling, DÖV 2002, 793; BAG-SPNV vom 15.4.2004: Zehn Thesen zur Weiterentwicklung der Bahnreform, S. 4, auf: http://spnv.de/website/cms/upload/positionen/ Pos04-04-15.pdf, Stand: 1.8.2008. 282 Koch/Mau, Der Nahverkehr 3/2007, 20, 26. 280

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

hat vor allem mit Hilfe eines einheitlichen Taktverkehrs die Attraktivität des SPNV zu steigern gewusst. Nach dem Kriterium der Zug-km pro Einwohner liegen die neuen Bundesländern über dem Bundesdurchschnitt, was sich historisch aus dem höheren Fahrplanangebot im Eisenbahnverkehr in der DDR erklärt. Diese Struktur wurde durch die am status quo orientierte und damit für die neuen Länder entsprechend höher ausfallende Zuweisung der Regionalisierungsmittel an die Länder konserviert283. Nicht alle Länder scheinen übrigens die Regionalisierungsmittel entsprechend der Zwecksetzung komplett für den ÖPNV eingesetzt zu haben284. Die Bilanz bezüglich der Infrastruktur fällt unterschiedlich aus: In Ostdeutschland wurden auch nach der Regionalisierung weiterhin Strecken stillgelegt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass hier ein massiver Streckenabbau wie im westlichen Deutschland in den 60er, 70er und 80er Jahren nicht stattgefunden hatte. Deshalb sind hier die Betriebskosten pro Zugkilometer immer noch höher als in den westdeutschen Bundesländern. Eine weitere Ausdünnung dieses teilweise maroden Netzes wird daher zu erwarten sein. In Westdeutschland haben vor allem Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg mehrere Strecken reaktiviert und damit gute Erfahrungen gemacht285. In diese offizielle Bilanz werden freilich nicht eingestellt rein faktische, im Prinzip vorübergehende Stilllegungen von Strecken, die DB Netz aus betrieblichen Gründen vornimmt, weil der Zustand der Infrastruktur einen sicheren Betrieb nicht mehr ermöglicht. Die erfolgreiche Entwicklung des SPNV wurde allerdings mit einer erheblichen Aufstockung der eingesetzten öffentlichen Gelder erkauft286. Das erklärte Ziel der Zusammenführung der Kompetenzen von ÖSPV und SPNV, das zu einem effizienteren Mitteleinsatz und zu einer besseren Koordinierung des ÖPNV auf Schiene und Straße führen sollte, ist nicht in allen Ländern erreicht worden, s. o. III.3.a)bb). Trotzdem ist heute das Verkehrsangebot von SPNV und ÖSPV weitgehend integriert. Dazu hat vor allem die Bildung von Verkehrsverbünden beigetragen. Der Rückzug des Staates auf die planende Funktion des Bestellers und die damit verbundene Trennung von der ausführenden Erstellerfunktion hat ermöglicht, zielgerichtet einzelne Verkehre und Angebote zu fördern287. Vor der Bahnreform wurde der durch den Verkehrsbetrieb entstehende Fehlbetrag der Bahn zumindest theoretisch von ihrem Inhaber, dem Bund, ausgeglichen, ohne dass eine genaue Steuerung stattfand, wofür diese Mittel verwendet werden soll283

Schnell, Der Nahverkehr 4/2002, 17, 18. Herr/Lehmkuhl, Die Verwaltung 1997, 397, 413. 285 Schnell, Der Nahverkehr 4/2002, 17, 20 f.; Snethlage, S. 225 f.; Gehrmann, Internationales Verkehrswesen 2004, 17. 286 Pällmann, Internationales Verkehrswesen 2004, 127, 129. 287 Schinke/Hempe/Kolodzinski, Der Nahverkehr 5/2002, 21. 284

A. Die Regionalisierung in Deutschland

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ten. Mit der Trennung der Funktionen von Be- und Ersteller im SPNV und der Übertragung der entsprechenden finanziellen Mittel können nun die Länder die SPNV-Leistungen entsprechend dem ortsnah festgestellten Bedarf bestellen. Im SPNV hat sich im Gegensatz zum Personenfernverkehr, der immer noch von einer faktischen Monopolstellung der DB gekennzeichnet ist, ein wirklicher Wettbewerb entwickeln können. Dabei weist er die Besonderheit auf, dass er nur als Wettbewerb um den Markt288 stattfindet. Denn bislang wird SPNV nur aufgrund der mit den Aufgabenträgern abgeschlossenen, Ansprüche auf Subventionen gewährenden Verkehrsverträge ausgeführt, was aber keiner gesetzlichen Verpflichtung entspricht, s. o. Einzige Ausnahme ist die nur im Sommer angebotene Verbindung der Nordfriesischen Verkehrs-AG (NVAG) auf der Verbindung zwischen Niebüll (Deutschland) und Tonder (Dänemark), die eigenwirtschaftlich betrieben wird. Darüber, inwiefern tatsächlich ein freier Wettbewerb existiert, entscheidet damit im SPNV die Vergabepraxis der Aufgabenträger. Auch wenn hier bislang Ausschreibungen289 nicht die Regel sind und Verträge häufig nur mit zu Vertragsverhandlungen eingeladenen Anbietern abgeschlossen werden, haben nichtbundeseigene Eisenbahnen einen Marktanteil von ca. 15% am Bestellvolumen (Zug-Kilometer) erobern können290, mit deutlich steigender Tendenz. Nichtbundeseigene Eisenbahnverkehrsunternehmen wurden bislang hauptsächlich mit der Durchführung von Verkehren auf nicht elektrisierten, weniger befahrenen Linien beauftragt291. Die Vergabe von kleineren Verkehrslosen könnte den Wettbewerbern von DB Regio den Markteinstieg erleichtern292. Im Jahr 2007 wurden ca. 17% der deutschen SPNV-Leistung auf der Basis wettbewerblicher vergebener Verträge erbracht. Für 44% der gesamten SPNV-Leistungen haben die Aufgabenträger Abbestellszenarien aus den derzeitig direkt vergebenen Verträgen in Anwendung der Regelung des § 4 Abs. 3 VergVO bekannt gegeben293. Damit ist in den nächsten Jahren mit einem starken Anstieg der im Wettbewerb vergebenen Verträge zu rechnen. DB Regio war zwischen 1995 und 2004 in knapp 50% der Ausschreibungen erfolgreich294. DB Regio AG bleibt der mit weitem Abstand größte Anbieter von SPNV-Leistungen. Die Aufgabenträger erkennen an, dass sich DB Regio zu einem Unternehmen mit Dienstleistungsbewusstsein entwickelt hat, im Gegensatz etwa zu den Infrastrukturunternehmen, denen zuweilen weiterhin bloßer „Dienst nach 288 Den Begriff prägte bereits 1859 Chadwick, s. Cox, Das Angebot von Universaldienstleistungen, S. 82. 289 Für Fallbeispiele s. Snethlage, S. 239 ff. 290 Wettbewerbsbericht 2008 der Deutschen Bahn, S. 19, Stand: 2007. 291 Schnell, Der Nahverkehr 4/2002, 17, 19; Koch/Mau, Der Nahverkehr 3/2007, 20, 24. 292 Eckstaller, ZögU 2001, 136, 150 f.; Höhnscheid, Der Nahverkehr 12/2002, 8, 9. 293 Koch/Mau, Der Nahverkehr 3/2007, 20, 24. 294 Deutsche Bahn, Wettbewerbsbericht März 2004, S. 8 f.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Vorschrift“ bescheinigt wird. Wettbewerb und Privatisierung haben bei DB Regio die Initialzündung für ein Modernisierungsprogramm mit dem Aufbau dezentraler Strukturen, der Suche nach Produktivitätssteigerungen und Stellenabbau ausgelöst. Die Aufgabenträger, die DB Regio weiter beauftragt haben, sind im Wesentlichen mit deren Leistungen zufrieden, sie erkennen aber den positiven Effekt des Wettbewerbes an, der ihnen Verhandlungsmacht gegenüber DB Regio gibt. Für viele Aufgabenträger stellt DB Regio immer noch das einzige ernstzunehmende Unternehmen zur Durchführung von Eisenbahnleistungen größeren Umfangs dar. Aus Sicht von DB Regio hatte die Regionalisierung den Nachteil des Verlustes von Rationalisierungspotentialen, die früher durch die einheitliche Zugflotte im SPNV bestanden. Trotz erheblicher Qualitätssteigerungen liegen die den Verkehrsunternehmen gezahlten Ausgleichsleistungen erheblich unter denen vor der Regionalisierung. Die Produktivität und Wirtschaftlichkeit des SPNV wurde deutlich gesteigert295. Die Öffnung des SPNV für den Wettbewerb hat zu einer Gründungswelle neuer, sog. nichtbundeseigener Eisenbahnunternehmen geführt. Insgesamt halten heute nach Auskunft des Eisenbahnbundesamtes 297 Unternehmen eine Konzession als öffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen für den Personenverkehr296. Die größten Wettbewerber der DB AG im SPNV sind die zum niederländischen Verkehrskonzern NedRailways gehörende Abellio GmbH, der britische Konzern Arriva, der französische Konzern Veolia, die Hessische Landesbahn des Landes Hessen und die Metronom Eisenbahngesellschaft GmbH, an der indirekt die Arriva-Gruppe sowie norddeutsche Gebietskörperschaften beteiligt sind. Bei Vergaben wurden bislang häufig regional bereits ansässige Eisenbahnverkehrsunternehmen bedacht297. An zahlreichen nicht bundeseigenen Eisenbahnen sind die Kommunen mehrheitlich beteiligt298. Konkurrenten der DB AG fahren bislang überwiegend nur auf bestimmten Streckentypen, nämlich auf Nebenstrecken im ländlichen Raum und auf weniger stark nachgefragten Verbindungen in Ballungsräumen mit Längen von unter 100 km299. Dies sind häufig Dieselnetze. Die Konkurrenten zu DB Regio sehen ihre Stärken in einer stärkeren regionalen Verankerung und der verstärkten Suche nach Kundennähe300. Außerdem sind sie wirtschaftlich dadurch im Vorteil, dass sie nicht wie die DB AG einer in mehreren Eisenbahngewerkschaften organisierten Arbeitnehmerschaft gegenüberstehen301. 295 296 297 298 299 300 301

Koch/Mau, Der Nahverkehr 3/2007, 20, 27. Stand: Juni 2008. Schnell, Der Nahverkehr 4/2002, 17, 21. Schinke/Hempe/Kolodzinski, Der Nahverkehr 5/2002, 21, 25. Schnell, Der Nahverkehr 4/2002, 17, 18 f. Snethlage, S. 237. Eckstaller, ZögU 2001, 136, 137.

B. Die Regionalisierung in Frankreich

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B. Die Regionalisierung in Frankreich I. Die Bedeutung des Schienenpersonenregionalverkehrs in Frankreich Der Schienenpersonenregionalverkehr hat in Frankreich zahlenmäßig eine wesentlich geringere Bedeutung als in Deutschland. Dies hängt mit der zentralistischen Struktur des Landes zusammen, dessen wirtschaftliches, politisches und demographisches Zentrum in der Ile de France liegt und das im Übrigen nur wenige regionale Zentren hat. Im Regionalverkehr werden nur ca. 1/3 der gesamten von der SNCF im Personenverkehr gefahrenen Zugkilometer zurückgelegt302. In Personenkilometern (Fahrgäste x gefahrene Kilometer) gemessen sind die Zahlen noch geringer: Der Anteil des Schienenpersonenregionalverkehrs an den gesamten Personenkilometern betrug 2001 nur 12,3%, und der Anteil der TER-Aktivitäten am Gesamtumsatz der SNCF beträgt nicht mehr als 13%303. Die große Herausforderung des Schienenpersonenregionalverkehrs der letzten Jahrzehnte in Frankreich bestand im Wesentlichen darin, das Schienennetz an die veränderten Verkehrsbedürfnisse anzupassen, die mit dem in Frankreich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzogenen Wandel von einer ländlich geprägten zu einer städtischen Gesellschaft einhergingen: Waren das Regionalnetz und Fahrpläne ursprünglich auf die Anbindung ländlicher Gebiete zugeschnitten, liegen die Bedürfnisse heute eher in Stadt-zu-Stadt- und Vorortverbindungen304. Da auf diese Veränderungen in der Vergangenheit nur unzureichend reagiert wurde, ging der Schienenpersonenregionalverkehr mehr und mehr zurück. So zeigt eine Untersuchung über die regionale Mobilität aus den Jahren 1993–1994, dass der Anteil des Zuges an regionalen Reisen von über 5 km Länge nicht mehr als 2,3% beträgt305. Den deutschen S-Bahnen vergleichbare Streckennetze, die die Innenstädte durchqueren und sie mit den Vororten verbinden, existieren übrigens in Frankreich mit Ausnahme der Pariser RER-Züge nicht. II. Die Kompetenzen im öffentlichen Personenverkehr Sowohl der Staat als auch die territorialen Gebietskörperschaften üben Verantwortlichkeiten für den öffentlichen Personennahverkehr aus306. Der Zentralstaat ist gemäß dem unitarischen Staatsaufbau für die Gesetzgebung und die 302 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 17. 303 Zahlen des französischen Transportministeriums. 304 Rapport du député M. Patrick Rimbert sur le projet de la loi SRU pour l’Assemblée Nationale (première lecture), nº 2229; session 2000–2001, S. 272. 305 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 15. 306 Überblick bei Michaels/Kühschelm, EuZW 2003, 520, 524.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Verordnungsgebung in dem Bereich allein zuständig. Er übt die Aufsicht über die nationalen Transportunternehmen (RFF, SNCF und die in der Ile de France tätige RATP) aus; er ist zuständig für den Erlass von Sicherheits- und technischen Kontrollnormen und übt Koordinierungsfunktionen aus307. Die Regionen sind seit der Regionalisierung Aufgabenträger des regionalen Eisenbahn- und Busverkehrs; sie erarbeiten die regionalen Transportschemata („schéma régional de transport“)308. Die Departements sind Aufgabenträger des überörtlichen öffentlichen Personenverkehrs („services de transports publics non urbains“), darunter auch die Schülerbeförderung, und stellen departementale Transportschemata („schéma départemental de transport“) auf.309 Die communautés d’agglomération (vgl. Art. L-5216-5-I, 2º CGCT) oder die communautés urbaines (vgl. Artt. L-5215-20-I, 2ºb, L-5215-20-1-I-6º CGCT) sind Aufgabenträger des örtlichen öffentlichen Verkehrs. Sie können die Aufgabenträgerschaft auf ein établissement in der Form eines syndicat mixte übertragen (Art. 27 LOTI)310. III. Geschichte der Regionalisierung und Experimentalphase Bis zur Regionalisierung im Jahre 1997 bzw. 2002 entschied die SNCF von Paris aus über den Inhalt der Regionalverkehre, häufig in mangelnder Kenntnis der regionalen Verkehrsbedürfnisse, und war damit faktischer Aufgabenträger. Der Regionalverkehr wurde als ein einziger Verlustfaktor angesehen, und das Ziel der SNCF bestand nicht in einer Verbesserung des Angebots, sondern in der Begrenzung der Betriebsverluste, für die der Staat nur unzureichend aufkam. Die Dezentralisation des Schienenpersonenregionalverkehrs vollzog sich in mehreren Etappen: Die damaligen établissements publics régionaux, die Vorläufer der Regionen s. o. 1. Teil D.II.2., erhielten seit 1974 gewisse Mitgestaltungsrechte, und sie stellten die ersten schémas régionaux de transport auf, die als Planungsdokument die Entwicklung des Verkehrs in der Region ausrichten sollten311. Die rechtliche Aufgabenträgerschaft (autorité organisatrice) war seitdem auf verschiedene Hoheitsträger verteilt, aufgrund unbestimmter Normen und Zielvorgaben: Während der Staat für das gesamte Staatsgebiet einen sog. Refe307 Vgl. Ministère de l’Equipement, Les transports publics urbains en France, S. 108; Broussolle, Les transports de personnes, 4133-3, Rn. 10. 308 Broussolle, Les transports de personnes, 4133-9, Rn. 52 ff. 309 Broussolle, Les transports de personnes, 4133-10, Rn. 59 ff. 310 Marcou, AJDA 2002, 305, 313 f. 311 Vgl. genauer: Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 19.

B. Die Regionalisierung in Frankreich

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renzdienst (service de référence) definierte, konnten die Regionen zusätzliche punktuelle Leistungen in Auftrag geben, die sie auf ihrem Gebiet erbracht sehen wollten und die sie dann auch finanzieren mussten312. Finanziellen Spielraum konnten die Regionen dabei nur dadurch gewinnen, dass sie die Ersetzung von Schienenverkehrsleistungen durch Busverbindungen beschlossen, denn die damit eingesparten Gelder wurden ihnen für die Gestaltung der Regionalverkehre belassen. Am weitestgehenden entwickelt wurde dieser Mechanismus in der Region Nord-Pas-de-Calais, wo das schéma Gegenstand einer zwischen SNCF, Zentralstaat und dem damaligen établissement public régional Nord-Pasde-Calais geschlossenen Konvention wurde313. Das LOTI von 1982 (Artikel 22 alter Fassung) ermächtigte generell die Regionen zum Abschluss fakultativer Konventionen mit der SNCF zur Vereinbarung über Verkehrsleistungen, ohne dass den Regionen aber entsprechende finanzielle Mittel zu dem Zweck übertragen worden wären314. Zum damaligen Zeitpunkt verfügten die Regionen, die sich im Schienenpersonenregionalverkehr engagierten, auch weder über eine wirkliche Organisationsgewalt noch über Druckmittel gegenüber der SNCF. Einen neuen Stellenwert erwarb der Regionalverkehr seit Anfang bzw. Mitte der achtziger Jahre, als sich in Frankreich stärkere regionale Zentren mit Umland (périurbanisation) außerhalb von Paris zu entwickeln begannen und die damit entstehenden regionalen Verkehrsströme neue leistungsfähigere kollektive Verkehrslösungen erforderlich machten. So hatten sich in 20 Jahren die Verkehrsströme zwischen Wohnort und Arbeitsort verdoppelt. Um auf diese Entwicklung zu reagieren und um auch im Regionalverkehr einen Modernisierungsschub herbeizuführen, vergleichbar dem mit dem TGV im Fernverkehr ausgelösten, führte die SNCF 1987 im Schienenpersonenregionalverkehr ihr Konzept der Trains Express Régionaux (TER) ein. Das Konzept beinhaltete einige Angebotsveränderungen und eine kommerzieller orientierte Geschäftspolitik im Regionalverkehr, stellte mangels finanzieller Mittel aber vor allem eine Marketingmaßnahme dar315. Es beruhte auf drei Charakteristika: der Intermodalität, die in der Möglichkeit bestand, Bahnen durch Busse zu ersetzen, dem Einsatz neuer Fahrzeuge und der Regionalität, die durch die Wahlmöglichkeit der Regionen

312 Rapport du député M. Patrick Rimbert sur le projet de la loi SRU pour l’Assemblée Nationale (première lecture), nº 2229; session 2000–2001, S. 272. 313 Rapport du sénateur Louis Althapé sur le projet de la loi SRU pour le Sénat (première lecture), nº 304, session 1999–2000 (www.senat.fr/rap/l99-304/l99-304_mo no.html); vgl. auch: www.ter-sncf.com/Lorraine/regionalisation/region_historique.htm, Stand: 1.8.2008. 314 Moreau, Glachant, Parme, CJEG 97, 415, 425 f.; Broussolle, AJDA 1997, 456, 461. 315 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 20.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

zwischen vier Farben für das neue Zugmaterial symbolisiert wurde. Die TERs lassen sich in folgende Gruppen einteilen316: Erstens die Nahverkehrs-TERs, die als Personennahverkehrszüge Städte untereinander oder Städte mit Vorstädten verbinden. Man spricht hier von Umlandzügen („dessertes périurbaines“). Zweitens die TERs der ländlichen Zonen, die ausschließlich ländliche Gebiete bedienen. Für diesen Typ von Verbindungen wird häufig der Ersatz durch Busse in Erwägung gezogen. Sie dienen in besonderem Maße der Raumordnung und sozialpolitischen Zwecken. Vor allem in ihnen manifestiert sich das „Recht auf Transport“, das das LOTI gewährt. Drittens die TERs zur Anbindung der Industriezonen: Sie überschreiten häufig die Departementsgrenzen innerhalb derselben Region und legen längere Distanzen zurück als die Umlandszüge, mit häufigen Halten in den zweitrangigen regionalen Zentren. Die Mehrzahl der Benutzer dieses Zugtyps sind Pendler zwischen Haus und Arbeits- bzw. Studienort. Schließlich verbinden TERs als Expresszüge die großen Städte der Region. Das Konzept der TERs war ein weiterer Schritt in Richtung regionaler Verantwortung für den SPRV und es war mit seinem Erfolg geschuldet, dass in der Folge der Regelung des LOTI alle Regionen des französischen Mutterlandes, mit Ausnahme von Poitou-Charentes und Rhône-Alpes sog. „conventions à la marge“317 vereinbarten, aufgrund derer sie „marginal“ den Regionalverkehr mitgestalteten. Die heutige Regionalisierung nimmt ihren Ausgang mit einem Bericht des Senators Hubert Haenel an den Transportminister von 1993.318 Artikel 67 des Gesetzes nº 95-115 vom 4.2.1995 zur Orientierung für die Raumordnung und -entwicklung sowie Artikel 15 des Gesetzes nº 97-135 vom 13.2.1997 über die Errichtung der öffentlich-rechtlichen Anstalt „Réseau Ferré de France“ schufen den Rahmen für eine Experimentalphase der Regionalisierung. Die Regionalisierung wurde in der Folge fünf Jahre lang auf freiwilliger Basis seit dem 1.1.1997 in zunächst sechs, dann sieben Regionen erprobt: Es handelte sich um die Regionen Alsace, Centre, Nord-Pas-de-Calais, Pays de la Loire, ProvenceAlpes-Côte-d’Azur, Rhône-Alpes, alles relativ reiche und urban geprägte Regionen, seit 1999 auch die ländlich-ärmere Region Limousin319. Die Regionen waren klar als Aufgabenträger („autorité organisatrice“) definiert, und die gesetz316 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 18. 317 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 20. 318 Rapport de la commission d’enquête chargée d’examiner l’évolution de la SNCF, les conditions dans lesquelles cette société remplit ses missions de service public, les relations qu’elle entretient avec les collectivités locales et son rôle en matière d’aménagement du territoire; Sénat, rapport nº 335. 319 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 29; s. auch zur Experimentalphase: Piam Bobda, Les réseaux ferroviaires, S. 351 ff.

B. Die Regionalisierung in Frankreich

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liche Regelung sah die komplette finanzielle Entschädigung der Regionen vor, ohne die sie sich nicht auf die Übernahme dieser Aufgabe eingelassen hätten. Diese Regelungstechnik, eine Neuregelung vor ihrer generellen Einführung zunächst von einigen Akteuren erproben zu lassen („expérimentation“), wurde hier zum ersten Male im französischen Verwaltungsorganisationsrecht konsequent eingesetzt und hat zur erfolgreichen Einführung der Regionalisierung erheblich beigetragen. Die Regionen hatten darauf bestanden, dass es sich um eine wirkliche Erprobungsphase handelte, die im Falle einer negativen Bewertung rückgängig gemacht werden konnte (Art. 15 Gesetz nº 97-135). Der Vorteil der zunächst partiellen Einführung ist dabei darin zu sehen, dass die Neuregelung von freiwilligen und damit motivierten, an einem positiven Ergebnis interessierten Teilnehmern angewandt wird. Die positiven Ergebnisse können dann bei einer Generalisierung die übrigen, anfangs möglicherweise skeptischen Normadressaten bei der Umsetzung motivieren. Auch die Scheu des Staates vor finanziellen Engagements ist geringer, wenn sie zunächst nur vorübergehender Natur sind. Sollte sich im Laufe der Experimentalphase herausstellen, dass einige Regelungen unpraktikabel sind, so lassen sich Fehlentwicklungen einfacher korrigieren. Experimentationsbedarf wurde bei dieser komplexen Reform insbesondere für diejenigen Regelungen gesehen, die die Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen Staat, Region und SNCF ausgestalten sollten. Auch sollte Klarheit über die Höhe der vom Staat an die Regionen zu zahlenden Kompensationen gewonnen werden320. IV. Die rechtlichen Grundlagen der Regionalisierung: Loi SRU, décret nº 2001-1116 vom 27.11.2001 Den rechtlichen Rahmen für die Regionalisierung bilden die Artikel 124, 125, 127–139 des Gesetzes „Solidarité et renouvellement urbain“ vom 13.12. 2000 („loi SRU“), ein Ausführungsdekret (vergleichbar einer deutschen Rechtsverordnung) vom 27.11.2001 sowie 20 arrêtés (ministerielle Rechtsverordnungen), die für jede Region den Betrag der vom Staat überwiesenen Finanzmittel sowie die genaue Beschaffenheit der übertragenen Dienste festlegen. Die Artikel 124, 126, 129, 133, 135 der loi SRU wurden in das LOTI als Artikel 21-1 bis 22 integriert, der Artikel 125 loi SRU wurde in den code général des collectivités territoriales (CGCT) als Artikel L. 1614-8-1 eingefügt. Den Regionen wurde vor Erlass der arrêtés Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die generalisierte Regionalisierung in der Form der loi SRU wurde mit dem 1.1.2002 in 20 Regionen wirksam, also in allen Regionen des französischen Mutterlandes, mit Ausnahme von Korsika, sowie der Region Ile de France (Art. 21-1 Satz 1 LOTI). Für Korsika galt schon zuvor eine regionale Zuständigkeit. In der Ile de 320 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 30; vgl. auch Chauvineau, 2003, S. 30.

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

France übt der Staat besondere Kompetenzen aus aufgrund der besonderen Bedeutung der Region für das gesamte Land321. Deshalb wurde hier auch zunächst von der Regionalisierung abgesehen. Aufgrund des Gesetzes vom 13.8.2004322 hat sich der Staat aus dem Verwaltungsrat des Syndicat des transports d’Ile de France (STIF), der Bestellerorganisation für öffentliche Verkehre in der Ile de France, zurückgezogen. Erstmalig für den Zeitraum 2008–2011 hat das STIF eine Konvention über den SPRV mit der SNCF abgeschlossen. Nach Art. 14-1 LOTI haben die Regionen ein schéma régional des transports aufzustellen. Die Verpflichtung hierzu war bereits 1973 begründet worden. In der Folge unterließen aber die Regionen eine Aktualisierung ihrer schémas323. Dieses schéma bildet die Grundlage für die Entscheidungen der Regionen als Aufgabenträger des SPRV, vgl. Art. 21-1 2. Absatz LOTI. In dem schéma geben sie eine grundsätzliche, langfristige Orientierung für die kollektiven Regionalverkehre vor, die in die Kompetenz der Regionen fallen. Dabei ist heute ausdrücklich eine intermodale Komplementarität anzustreben. Der Inhalt der schémas régionaux des transports kann von Region zu Region stark variieren: So analysiert das schéma régional des transports der Region Rhône-Alpes324 den gegenwärtigen Regionalverkehr und seine Einbettung in das nationale und internationale Verkehrsnetz sowie seine Verflechtungen mit departementalen und lokalen Verkehren in sehr allgemeiner Weise. Es enthält keine konkreten quantitativen Aussagen. Seine Funktion besteht darin, künftigen politischen Entscheidungen eine grundsätzliche Ausrichtung zu geben. Hingegen enthält das schéma régional des transports der Region Pays de la Loire sehr konkrete Zielvorgaben innerhalb eines genau gesteckten Zeitrahmens für die Entwicklung der in die Zuständigkeit der Regionen fallenden Verkehre325, im Bezug auf die einzelnen Linien und auf konkrete Projekte. 1. Bestimmung des Regionalverkehrs Das LOTI gibt in seinem Art. 21-1 Satz 1 eine allgemeingültige Definition des Schienenpersonenregionalverkehrs und beschreibt dabei den Regionalverkehr als den Regelfall des Eisenbahnverkehrs, trotz des zahlenmäßig geringeren Umfangs gegenüber dem nationalen und dem internationalen Verkehr: Er wird definiert als der gesamte Schienenpersonenverkehr auf dem nationalen Eisen321

Chauvineau, 2003, S. 5. Loi du 13 aôut 2004 relative aux libertés et responsabilités locales. 323 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 72. 324 Schéma régional des transports für Rhône-Alpes, beschlossen vom Conseil régional am 21.11.1997. 325 Schéma régional des transports für Pays de la Loire, beschlossen vom Conseil régional am 10.1.1997. 322

B. Die Regionalisierung in Frankreich

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bahnnetz, mit Ausnahme der landesweiten und internationalen Verbindungen, einschließlich des Straßenverkehrs, der an die Stelle der genannten Eisenbahndienste getreten ist. Diese negative Bestimmung des Regionalverkehrs dürfte sich aus rein regelungsökonomischen Gesichtspunkten erklären, weil es einfacher negativ zu beschreiben erschien, was nicht zum Schienenpersonenregionalverkehr gehört, als ihn abstrakt zu definieren. Die Details werden gemäß Satz 5 durch das Dekret vom 27.11.2001 geregelt. Das Dekret hat im Gegensatz zur Definition des LOTI lediglich die Funktion, den Umfang der von der SNCF auf die Regionen übertragenen Dienste zu einem bestimmten Zeitpunkt zu definieren. Hierfür reichte eine Beschreibung der Regionaldienste in Artikel 1 des Dekrets als der Dienste, die bislang als solche geführt wurden, aus: – Sofern die Region bereits eine Konvention mit der SNCF abgeschlossen hat (also im Falle der Experimentalregionen), handelt es sich um die Eisenbahndienste, die von dieser Konvention erfasst werden sowie die Züge der „Express d’intérêt régionaux“ („EIR“, Regionalzüge, die in zwei angrenzenden Regionen verkehren), die, ohne Gegenstand der Konventionen zu sein, in dem attestierten Konto der SNCF im Geschäftsjahr 2000 mit diesem Namen geführt werden. – Wenn die Region vor der Übertragung keine Konvention mit der SNCF geschlossen hat, die Eisenbahnregionaldienste, die die SNCF durchführt und die auf dem entsprechenden attestierten Konto der SNCF im Geschäftsjahr 2000 aufgeführt werden. – Außerdem die Straßendienste, die seit In-Kraft-Treten des Gesetzes vom 30.12.1982 (LOTI) geschaffen wurden, um ganz oder teilweise eingestellte Eisenbahndienste zu ersetzen und die auf dem entsprechenden attestierten Konto der SNCF geführt werden. Die Einzelheiten werden in den bereits oben erwähnten, vom Transport- und Innenminister gemeinsam erlassenen arrêtés festgelegt. Eine Liste der Verbindungen in der Region, die Schienenpersonenregionalverkehre sind, findet sich außerdem im Anhang der zwischen Regionen und SNCF geschlossenen Konventionen.

2. Die Regionen als Aufgabenträger Art. 21-1 Satz 1 LOTI bezeichnet die Regionen als Aufgabenträger („autorité organisatrice“). Dies beinhaltet nach Satz 2 folgende Kompetenzen: „Die Region entscheidet auf dem Gebiet ihrer gesamten örtlichen Zuständigkeit über den Inhalt der Daseinsvorsorge im Bereich des Personenregionalverkehrs und insbesondere über die Verbindungen, die Tarifikation, die Qualität des Angebots

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und die Information der Benutzer, unter Berücksichtigung des schéma régional de transport, sowie unter Beachtung der Kompetenzen der Departements, der Gemeinden und ihrer Verbände, der Kohärenz und der Einheitlichkeit des Eisenbahnsystems, deren Garant der Staat ist.“ Kern der Aufgabenträgerschaft ist die Entscheidung über den Inhalt des zu erbringenden Dienstes und dessen Finanzierung. Der Aufgabenträger hat damit eine Mittlerstellung zwischen Benutzer und Dienstleistungsunternehmen. Er legt ein Ausführungsniveau fest, das er als im Interesse der Benutzer liegend identifiziert hat326. Mit dem Verweis auf die Zuständigkeiten der übrigen Territorialkörperschaften wird klargestellt, dass sich die Aufgabenträgerschaft der Region auf die regionalbedeutsamen Verkehre beschränkt, und die departementalen oder lokalen Verkehre in der vollen und alleinigen Aufgabenträgerschaft dieser Territorialkörperschaft verbleiben. Die Rolle des Staates reduziert sich fortan auf die des Garanten der Kohärenz und der Einheit des Eisenbahnsystems. Damit werden die ihm verbleibenden Aufgaben bezeichnet, die darin bestehen, die Sicherheitsregeln zu erlassen und die Einhaltung der Regeln und Prozeduren zu überwachen, die die Aktivitäten der an der Organisation des Eisenbahnsektors beteiligten Partner koordinieren (vgl. Artt. 21-1 Satz 2 LOTI). Mit anderen Worten geht es zum einen um die hoheitlichen Aufgaben und zum anderen um die französische Vorstellung, dass der Staat die Aktionen der verschiedenen sozialen Gruppierungen koordinieren müsse. Um ihrer Rolle als Aufgabenträger gerecht zu werden, mussten die Regionen eisenbahnerischen Sachverstand aufbauen. Damit standen die in ihrer finanziellen und personellen Ausstattung in keinerlei Weise deutschen Ländern vergleichbaren Regionen vor einem praktischen Problem, denn über lange Zeit verfügte die SNCF mit ihrem Betriebsmonopol faktisch auch über das Monopol über die Fachkenntnisse. Dabei konnte es nicht darum gehen, bei den Regionen denselben Sachverstand aufzubauen wie bei der SNCF. Die Regionen müssen aber in dem Maße technisches Fachwissen erwerben, als es notwendig ist, um in einen gleichwertigen Dialog mit der SNCF treten zu können, z. B. über das einzusetzende Rollmaterial, zu deren Anschaffung die Regionen erhebliche finanzielle Beiträge leisten. Dieser Widerspruch, einerseits Fachwissen zu externalisieren, anderererseits aber den Externen steuern und kontrollieren zu müssen, ist ein klassisches principal-agent-Problem327.

326 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 92. 327 Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 308.

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Die Regionen bauen einerseits eigenes Fachwissen auf durch die Neuverpflichtung von Fachleuten oder durch die Weiterbildung vorhandenen Personals. Andererseits beauftragen sie auch vermehrt externe Beratungsbüros und andere Transportunternehmen mit der Erstellung von Studien und anderen unterstützenden Leistungen328. 3. Finanzierung Die Finanzierung des SPRV wurde nach dem Prinzip neu geregelt, dass die Regionalisierung für die Regionen finanziell neutral bleiben sollte. Da die Regionen zukünftig als Aufgabenträger und damit als zahlender Besteller gegenüber der SNCF auftreten, mussten die Regionen hierfür durch den Zentralstaat finanziell entschädigt werden. Zu diesem Zwecke werden nunmehr die Mittel, die der Staat bislang für die Ausführung des Schienenpersonenregionalverkehrs direkt an die SNCF zu zahlen gehabt hätte, den Regionen überwiesen, die diese dann an die SNCF weiterreichen. Die Geldmittel sind nicht an die Verwendung für den SPRV gebunden. Die rechtlichen Grundlagen der Finanzierung fügen sich in die Regelungen des code général des collectivités territoriales (CGCT) in das Buch des Allgemeinen Teils über die finanziellen und buchhalterischen Grundlagen der Territorialkörperschaften ein. Die Basisvorschrift ist Art. L.1614-4 CGCT, eine Vorschrift mit Gesetzesqualität; näheres regeln die Artt. R.1614-109 bis R.1614-113 CGCT, die aufgrund des Dekrets vom 27.11.2001 in den code eingefügt wurden und die Rechtsqualität von Rechtsverordnungen haben. Nach Art. L.1614-8-1 CGCT setzen sich die Kompensationsleistungen aus drei Elementen zusammen: (1) ein Betrag für die Beteiligung an den Betriebskosten für die übertragenen Verkehrsdienste; (2) ein Betrag für die Erneuerung des Rollmaterials im Regionalverkehr; (3) ein Betrag zum Ausgleich der Finanzierung der Sozialtarife, die aufgrund staatlicher Vorschriften gewährt werden. Diese Kompensationsleistungen werden Teil der „dotation générale de décentralisation“, die neben den Steueranteilen die zweite Säule der Finanzierung der Gebietskörperschaften darstellt und einen Festbetrag beinhaltet, der ihnen vom Staat zum Ausgleich der übertragenen Ausgaben zugewiesen wird (vgl. Art. L.1614-1 ff. CGCT)329. Damit sind sie – entsprechend der Regelung für

328 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 112 f. 329 Raymond Muzellec, Finances locales, S. 146.

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die dotation générale de décentralisation – für die Folgejahre an einen Index gekoppelt, der sich aus der Preisinflation und der Hälfte der prozentualen Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes berechnet (Artt. L.1614-1 i.V. m. L.1613-1 CGCT). Eine rechtliche Bindung, die Mittel für den SPNV zu verwenden, besteht damit nicht. Der Betrag für die Betriebskostenbeteiligung wird für das erste Jahr der Regionalisierung, 2002, auf der Grundlage der Ausgaben im Jahre 2000 folgendermaßen berechnet: Der Betrag, der zum Ausgleich des attestierten Kontos der SNCF für den Regionalverkehr im Jahre 2000 erforderlich war, wird unter Abzug von bereits bisher von den Regionen geleisteten Beiträgen an die Regionen überwiesen, multipliziert mit dem Index, der für die dotation générale de décentralisation für die Jahre 2000 und 2001 gilt (Art. R.1614-109 CGCT). Der erstmalige Betrag für das Jahr 2002 für die Erneuerung des Rollmaterials wird auf Grundlage der tatsächlich im Regionalverkehr im Jahre 2000 in der jeweiligen Region eingesetzten Fahrzeuge berechnet, wobei die Regionen pro Fahrzeug jährlich im Prinzip ein Dreißigstel des standardisierten Neupreises erhalten (Art. R.1614-110 CGCT). Der erstmalige Betrag für das Jahr 2002 zum Ausgleich der staatlich auferlegten Sozialtarife entspricht dem im Jahre 2001 auf dem Konto der SNCF ausgewiesenen Betrag (Art. R.1614-111 CGCT). Der genaue Betrag wird durch gemeinsamen Arrêté der Innen-, Finanz- und Transportminister für jede Region nach Anhörung des Conseil Régional festgelegt (Art. R.1614-112 CGCT). Artt. R.1614-112 und L.1614-8-1 CGCT sehen darüber hinaus vor, dass Änderungen von Gesetzen oder Rechtsverordnungen und Veränderung des nationalen Eisenbahnnetzes infolge der Indienststellung einer neuen Infrastruktur oder der Modernisierung einer bereits bestehenden, die unmittelbare finanzielle Auswirkungen auf den Schienenpersonenregionalverkehr haben, unter näher definierten Voraussetzungen eine Anpassung der finanziellen Leistungen des Staates an die Regionen nach sich ziehen. Die Leistungen, die der Staat im Jahre 2002, dem ersten Jahr der Regionalisierung, überwiesen hat, betrugen 1.518 Mio. Euro. Dieser Betrag untergliedert sich in: – 1.129,5 Mio. Euro für die Betriebskosten, – 208,7 Mio. Euro für die Erneuerung des Rollmaterials, – 179,7 Mio. Euro zum Ausgleich der durch die staatlichen Sozialtarife erwirtschafteten Verluste. Im Vergleich hierzu gab der Staat im Jahre 2001 lediglich 957 Mio. Euro für den Regionalverkehr aus330. 330

Zahlen des französischen Transportministeriums.

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Diese Finanzausstattung auf der Grundlage des status quo ist insofern gerecht, als keine Region schlechter steht als vor der Regionalisierung. Allerdings werden so auch Ungleichheiten zwischen den einzelnen Regionen festgeschrieben und eventuell verstärkt. Denn schon bisher waren die ärmeren, ländlicheren Regionen schlechter mit Regionalverkehrsverbindungen ausgestattet. Vor allem die Region Poitou-Charentes hat sich hierüber beklagt: In dieser Region bestanden vor der Regionalisierung kaum eigene Regionalverkehre. Die regionalen Zentren wurden lediglich über Fernverbindungen verbunden, und wo Regionalverkehre bestanden, handelte es sich häufig um von der Nachbarregion Limousin in Auftrag gegebene, in die Region Poitou-Charentes hineinreichende Verbindungen. Diese Region wurde deshalb nur mit einem geringen Betrag für den SPRV ausgestattet. Die association des régions de France ist trotz der erheblichen staatlichen Zahlungen der Ansicht, dass sie um 150 Mio. Euro unter den tatsächlichen Bedürfnissen der Regionen liegen, weil sie auf Basis der im Jahre 2000 erbrachten Leistungen berechnet sind331. So haben die Regionen im Falle steigender Verkehrsleistungen im Regionalverkehr auch damit einhergehende höhere Ausgleichsbeträge für die staatlich auferlegten Sozialtarife an die SNCF zu entrichten, ohne hierfür vom Staat zusätzlich entschädigt zu werden. Von den Regionen entschiedene Sozialtarife müssen sie ohnehin selbst finanzieren, also durch Einsparungen an anderer Stelle, durch Anhebung ihrer Abgabensätze oder durch Aufnahme von Krediten. Die hohe Investitionstätigkeit der Regionen im Bereich des Schienenpersonenregionalverkehrs hat dazu geführt, dass im Durchschnitt lediglich 77% ihrer Ausgaben durch die Leistungen des Staates gedeckt sind332. Nach Berechnungen der Agentur Fitch Ratings werden die Ausgaben für den Schienenpersonenregionalverkehr lediglich in sechs Regionen zu 100% durch die staatlichen Leistungen gedeckt, und dies beruht in allen sechs Fällen auf einem geringeren Ausbau des Angebots333. In einigen Regionen, in Alsace, Auvergne, Languedoc Roussillon, Picardie und Rhône-Alpes, beträgt der Anteil der Ausgaben für den Schienenpersonenregionalverkehr an den Gesamtausgaben der Regionen bereits über 20%334. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Regionen im Allgemeinen in der Lage waren, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln im SPRV eigene Akzente zu setzen. Die meisten Regionen erkennen deshalb an, bei der Regionalisierung des SPRV nicht finanziell benachteiligt worden zu sein. Die übertragenen Mittel reichen aber sicher nicht aus und haben auch nicht zur Aufgabe, bestehende Strukturunterschiede zwischen reichen 331

Faivre d’Arcier, Transports 2002, S. 389, 395. Faivre d’Arcier, Transports 2002, S. 389, 395. 333 Fitch Ratings: Régionalisation ferroviaire: un futur fardeau pour les régions?, September 2002, http://www.lagazettedescommunes.com/exclusif/reg_ferroviaire/etu de_reg_fer.pdf, Stand: 1.8.2008. 334 Faivre d’Arcier, Transports 2002, S. 389, 396. 332

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und armen Regionen auszugleichen. So besteht die Hauptkritik heute darin, dass der Staat häufig seine eingegangenen finanziellen Verpflichtungen nicht respektiert, wenn er z. B. die im contrat de plan Etat-région335 zugesagten Mittel, vor allem zum Ausbau der Infrastruktur, aufgrund von haushalterischen Engpässen nicht zur Verfügung stellt. Neben den von dem Staat zur Verfügung gestellten Mitteln beteiligen sich die Regionen mit erheblichen eigenen Mitteln an der Organisation des SPRV: So wenden alle Regionen zusammen (außer Ile de France) heute jährlich ca. 4 Mrd. Euro für den Eisenbahnverkehr auf, was ein Viertel ihres gesamten Haushaltes darstellt336. V. Modernisierung des Rollmaterials und Verfügungsbefugnis Die Modernisierung der im Schienenpersonenregionalverkehr eingesetzten Fahrzeuge war aufgrund der Unterfinanzierung der SNCF lange Zeit vernachlässigt worden. So betrug zum Zeitpunkt der Experimentierung 1997 das durchschnittliche Alter des im SPRV eingesetzten Fahrzeugparks 25 Jahre bei einer generellen Lebensdauer von ca. 30 Jahren337. Die Erneuerung des Zugmaterials erwies sich daher als essentiell, um den Schienenpersonenregionalverkehr attraktiver zu gestalten. Dennoch hatten sich die Regionen bereits seit langem bei der Beschaffung neuen Rollmaterials finanziell engagiert, so z. B. bei der Beschaffung neuer Züge zur Zeit der Einführung des Konzeptes TER338. Seit Beginn der Experimentalphase der Regionalisierung haben die sieben hieran teilnehmenden Regionen in erheblich verstärktem Maße in die Erneuerung des Fahrzeugparks investiert: Sie haben kurzfristige und langfristige Investitionspläne aufgestellt und zwischen 1997 und 2000 zu diesem Zwecke ca. 712 Mio. Euro investiert, was mehr als das Doppelte der in den übrigen Regionen investierten Beträge ist. Diese verstärkte Investitionstätigkeit hat dazu geführt, dass seit 1994 eine neue Produktkategorie, die speziell auf die Bedürfnisse des Regionalverkehrs zugeschnitten ist, entwickelt werden konnte. Bei den letzten Ausschreibungen waren die Regionen neben der SNCF bei der Definition der Bedürfnisse und der Anforderungen an das Produkt sowie bei der Auswahl des Fahrzeugkonstrukteurs eng assoziiert339. Die Regionen bedienen sich der TER-

335 Dies sind Dokumente, in denen sich Zentralstaat und Region zu bestimmten gemeinsamen Aktionen verpflichten (vgl. Art. 11, Abs. 3 loi du 29 juillet portant réforme de la planification) und damit ihre Strategien aufeinander abstimmen. 336 Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008, S. 12. 337 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 39. 338 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 39. 339 Cochet, Pouvoirs locaux 2002, 84, 88.

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Züge in neuem Design als Werbeträger für ihre Politik340. Drei Viertel der Ausgaben für das neue Rollmaterial werden heute von den Regionen erbracht341. Ein potentielles Problem birgt die Frage nach dem Eigentum bzw. der Verfügungsbefugnis an den neu erworbenen Zügen in sich. Diese Frage wird aktuell werden, falls Konkurrenten der SNCF in den Markt eintreten sollten, denen die Regionen das Zugmaterial anstelle der SNCF zur Verfügung stellen wollen. Die Regionen finanzieren im Allgemeinen die Anschaffung neuen Fahrzeugmaterials. Sie erhalten hierfür vom Staat einen finanziellen Beitrag, s. o. Den zugrundeliegenden Vereinbarungen zufolge erwirbt aber in aller Regel die SNCF Eigentum an diesen Fahrzeugen, wofür buchhalterische und politische Gründe ausschlaggebend sein dürften342. Die heutigen Vereinbarungen enthalten deshalb darüber hinaus eine Klausel, dass das Fahrzeugmaterial auf die Regionen übergeht, sofern die SNCF nicht mehr den Schienenverkehr bedient. Diese Klausel wurde für den Fall der Öffnung des SPRV für den Wettbewerb vorgesehen. Ältere Vereinbarungen enthalten aber eine derartige Bestimmung nicht. Für die nach diesen Vereinbarungen erworbenen Fahrzeuge stellt sich dann die Frage, ob das Eigentum auch an diesen Fahrzeugen im Falle der Beendigung des Dienstleistungsverhältnisses mit der SNCF auf die Regionen übergeht. Die Regionen werden jedenfalls das Eigentum auch an diesen Fahrzeugen reklamieren, weil sie es als nicht interessengerecht ansehen, dass die mit ihren Mitteln angeschafften Fahrzeuge bei der SNCF verbleiben sollen. Viele Regionen wären damit im Falle der Marktöffnung besser als die deutschen Aufgabenträger mit Fahrzeugen ausgestattet: Die Regionen investieren nach wie vor erheblich in den Fahrzeugpark. So hat beispielsweise die Region Pays de la Loire bereits ca. 2/3 aller im Regionalverkehr eingesetzten Fahrzeuge durch neue ersetzt und plant, bis 2010 ihren Fahrzeugpark komplett erneuert zu haben. In den Regionen Champagne-Ardenne und Picardie ist dies bereits erreicht343. Dann könnten bei einer eventuellen Marktöffnung sogleich auch kleinere, junge Unternehmen, die nicht über einen ausreichenden eigenen Fahrzeugpark verfügen, zum Zuge kommen. VI. Die Benutzung und der Unterhalt der Bahnhöfe Die Verwaltung der Bahnhöfe einerseits, und die Finanzierung der Instandhaltung andererseits werfen Probleme auf. 340 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 40. 341 Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008, S. 14. 342 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 14 f. 343 Palmarès des régions 2006, Ville & Transports 8/11/2006, S. 45, 48.

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Bei der Instandsetzung der Bahnhöfe besteht eine Gemengelage von Interessen und Verantwortlichkeiten. Gleichzeitig besteht akuter Handlungsbedarf, denn die Bahnhöfe des Schienenpersonenregionalverkehrs befinden sich häufig in einem vernachlässigten Zustand. Insbesondere die Punkte Sicherheit, Komfort, Service und Information der Fahrgäste, Zugang für Behinderte, moderne Fahrkartenautomaten sowie die Intermodalität zwischen verschiedenen Verkehrsträgern werden als verbesserungswürdig angesehen344. In der Folge der Aufteilung des Eigentums an den Eisenbahneinrichtungen zwischen SNCF und RFF sind die Bahnhofsgebäude bei der SNCF verblieben, Gleise und Bahnsteige hingegen sind in das Eigentum von RFF übergegangen, vgl. Art. 1 des Dekrets vom 9. Mai 1995. Dies vollzieht die gemeinschaftsrechtliche Definition der Infrastruktur nach, vgl. Anlage 1 zur VO 2598/70/EWG, auf die die VO 91/440/EWG verweist345. Damit bleibt im Prinzip die SNCF für die Modernisierung und den Unterhalt der Bahnhofsgebäude finanziell verantwortlich. Aber auch die Regionen als Aufgabenträger des Schienenpersonenregionalverkehrs haben ein Interesse, dass sich die Bahnhöfe als attraktives Eingangstor und Aushängeschild des Schienenpersonenregionalverkehrs präsentieren. Aus städtebaulichen Gründen sind schließlich auch die Gemeinden an dem Zustand der Bahnhöfe interessiert. So ist es nur konsequent, wenn die Bahnhöfe meist aufgrund partnerschaftlicher Vereinbarungen instandgesetzt werden. Das Engagement der Regionen bei der Instandsetzung der Bahnhöfe variiert stark. So haben beispielsweise die Experimentalregionen Centre und Nord-Pasde-Calais seit Beginn der Experimentalphase umfangreiche Renovierungsprogramme in ihre contrats de plan Etat-région aufgenommen. Die an der Renovierung beteiligten Partner wenden z. B. in der Region Centre für die Renovierung aller 160 Bahnhöfe der Region bis 2005 32,5 Mio. Euro auf346. Andere Regionen, wie z. B. Limousin oder Pays de la Loire haben sich in diesem Bereich weniger engagiert. Größere Programme werden meist im Rahmen der contrats de plan Etat-région in Angriff genommen, unter nur geringer finanzieller Beteiligung der Gemeinden. In der Region Centre sind an dem Renovierungsprogramm die Region, die SNCF und die Gemeinden nach einem Finanzierungsschlüssel von 60-30-10 beteiligt. In anderen Regionen, wie z. B. in Alsace, basieren Pläne zur Instandsetzung der Bahnhöfe auf einer stärkeren finanziellen Beteiligung der dezentralisierten Territorialkörperschaften, insbesondere der Kommunen (im Elsass 25%). Renovierungsmaßnahmen kleineren Umfangs werden meist ausschließlich von den Regionen und der SNCF kofinanziert347. 344 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 42; Faivre d’Arcier, Transports 2002, S. 389, 393. 345 Idot, Cahiers de droit européen, 1995, nº 3-4, S. 268. 346 Talpin, La vie du Rail vom 1. Januar 2003, S. 10. 347 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 105.

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Der Staat hat in Artikel 128 der loi SRU348 ein Fünf-Jahres-Programm zur Renovierung der Bahnhöfe nach Beginn der Generalisierung der Regionalisierung in Aussicht gestellt. Ein weiteres Problem betrifft die Zuteilung der Bahnhöfe an die einzelnen Geschäftsbereiche innerhalb der SNCF. Die größeren Bahnhöfe sind zugleich Stationen des Regionalverkehrs und des Fernverkehrs, und daraus resultieren Gemengelagen in ihrer Verwaltung. Innerhalb der SNCF sind die Zuständigkeiten für die Bahnhöfe auf 23 verschiedene Geschäftsbereiche verteilt: Die 20 Geschäftsbereiche TER der einzelnen Regionen, der Geschäftsbereich Ile de France, der Geschäftsbereich Personenfernverkehr („grandes lignes“) sowie der Geschäftsbereich Bahnhöfe, der die 45 größten Bahnhöfe des Landes verwaltet. Jeder dieser Geschäftsbereiche organisiert die Produktion in den Bahnhöfen, die ihm zugewiesen sind, und wird von den anderen Geschäftsbereichen für Leistungen entlohnt, die er für einen anderen Geschäftsbereich erbringt. Werden also beispielsweise in einem Bahnhof, der dem Geschäftsbereich Personenfernverkehr zugeordnet ist, Fahrkarten des Personenregionalverkehrs verkauft, wird diese Leistung dem Geschäftsbereich TER der entsprechenden Region in Rechnung gestellt. Hierfür berechnet die SNCF einen Kommissionspreis von 8% bei einer Minimalkommission von ca. 1,5 Euro. Dies ist bei einem durchschnittlichen Preis von ca. 4,5 Euro für einen TER-Fahrschein ein hoher Betrag. Mittelbar tragen die Regionen als Finanzierungsträger des Schienenpersonenregionalverkehrs diese Kosten. Gleiches gilt für die übrigen Dienstleistungen, die im Bahnhof erbracht werden, wie z. B. die Abfertigung der Züge. Finanzielle Simulationen über die mittelbaren finanziellen Konsequenzen der Zuordnung zu den einzelnen Geschäftsbereichen existieren allerdings nicht. Die Zuordnung wurde von der SNCF ohne Konsultation der Regionen nach den – nicht immer konsequent angewandten – Kriterien der Höhe des Umsatzes und des Anteils von Zügen des Fernverkehrs am Gesamtverkehr vorgenommen. Die 45 größten Bahnhöfe wurden nach den vier Kriterien der Höhe des Umsatzes aus den verkauften Fahrkarten, der Einnahmen aus Konzessionen, sowie der Verkehrsströme und der Größe der bedienten Agglomeration bestimmt349. VII. Die Benutzungsrechte der Infrastruktur für den SPRV und die Gebühren In der Folge der französischen Eisenbahnreform und in Vollzug der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen wurden die Funktionen des Eigentümers der Infrastruktur und des Eisenbahntransportunternehmens getrennt. Eigentümer der 348

Zur loi SRU s. o. IV. Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 103 ff. 349

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Infrastruktur ist fortan die öffentliche Anstalt RFF, s. o. B.I.2.a). Die SNCF als Anbieter der Transportleistung muss die zur Durchführung der Schienenpersonenregionalverkehre erforderlichen Benutzungsrechte bei RFF einkaufen, ist aber von RFF mit der Verwaltung der Schienenbenutzungsrechte beauftragt, Art. 11 décret nº 97-444 du 5 mai 1997 relatif aux missions et aux statuts de Réseau ferré de France. Die Prioritätensetzung bei der Zuweisung der Benutzungsrechte zwischen den verschiedenen Zugkategorien wird vor allem dort akut, wo die Infrastruktur bereits an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Dies ist insbesondere in der Umgebung des Eisenbahnknotens Lyon der Fall, aber auch im Norden von Paris in der Region Picardie. Schon während der Experimentalphase der Regionalisierung wies die SNCF Anträge der Regionen auf Gewährung zusätzlicher Benutzungsrechte zurück, die die Regionen gestellt hatten, vor allem um weitere Züge zu Stoßzeiten einzusetzen oder um Taktfahrpläne („services cadencés“) einzurichten350. Die SNCF kumuliert bei der Verteilung der Benutzungsrechte mehrere Rollen, die zu Interessenkonflikten führen können: Sie ist gleichzeitig Monopolanbieterin im Schienenpersonenregionalverkehr, Verwalterin der Schienenbenutzungsrechte und kommerzielles Unternehmen in den Bereichen TGV und Gütertransporte. Gemäß Art. 1 des Gesetzes nº 97-135 vom 13.2.1997 „über die Schaffung der öffentlichen Anstalt ,Réseau Ferré de France‘ zur Erneuerung des Eisenbahnverkehrs“ ist zwar die wirtschaftliche Verwertung des Eisenbahnnetzes – und insbesondere die Zuweisung von Benutzungsrechten – Aufgabe von RFF. Aus Gründen der Sicherheit und der Kontinuität des service public und da RFF auch nicht über das erforderliche sachkundige Personal verfügt, werden diese Aufgaben aber von der SNCF für Rechnung und nach von RFF vorgebenen Zielsetzungen und Geschäftsführungsprinzipien ausgeführt. Die SNCF wird für diese Tätigkeiten von RFF entlohnt. Bei der Zuteilung von Infrastrukturkapazitäten besteht oberste Priorität für Linien des nationalen und des internationalen Fernverkehrs auf Strecken, die speziell zu diesem Zweck gebaut wurden, sowie in zweiter Linie für internationale Güterverkehre. Von Priorität dritten Ranges sind Verbindungen, die aufgrund eines „Vertrags über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ im Sinne der VO 1191/69/EWG erbracht werden, Art. 22 Abs. 2 des Dekrets nº 2003-194 vom 7.3.2003. Art. 21 ff. des Dekrets nº 2003-194 vom 7.3.2003 beinhalten Regeln über das Verfahren für die Zuweisung von Benutzungsrechten. Art. 18 ff. des Dekrets nº 2006-1534 vom 6.12.2006 regeln die der SNCF durch Vertrag mit RFF übertragenen Aufgaben in dem Verfahren. Im Falle der Zurückweisung eines Antrags informiert RFF die Region hiervon und kann eine Alternative vorschlagen, vgl. Art. 21 Dekret nº 2003-194 vom 7.3.2003. Ein Streit über die 350 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 52.

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Zuweisung von Benutzungsrechten kann zur Entscheidung vor den Transportminister gebracht werden (Art. 21-4 LOTI, Art. 28 Dekret nº 2003-194 vom 7.3.2003), der die Kompetenz aber auf RFF delegiert hat, das sich wiederum der SNCF zur Untersuchung des Vorgangs bedient351. Bei dem Transportminister besteht eine „mission de contrôle des activités ferroviaires“, die Beanstandungen bei der Trassenvergabe untersucht und Empfehlungen abgeben kann, Art. 29 Dekret nº 2003-194 vom 7.3.2003. Diese Regelung soll die Verpflichtung zur Einrichtung einer Regulierungsstelle des Art. 30 Richtlinie 2001/14/ EG umsetzen. Dies wird von der Europäischen Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens wegen unzureichender Umsetzung des Ersten Eisenbahnpakets gegen Frankreich beanstandet. Ein Gesetzentwurf sieht nun die Einrichtung einer „autorité de régulation des activités ferroviaires“ mit Entscheidungsbefugnissen vor. Viele Mitglieder der Conseils régionaux beklagen die Tatsache, dass bislang die SNCF ihren TGVs den Vorrang gegenüber dem Regionalverkehr einräumt352. Auch die Höhe der für die Infrastrukturbenutzung berechneten Tarife ist problematisch. Da die Einnahmen aus den Infrastrukturtarifen die einzige Einnahmequelle von RFF bilden und es im Übrigen von staatlichen Subventionen abhängig ist, ist RFF angesichts seiner hohen Verschuldung gezwungen, seine Kunden, insbesondere die SNCF, in steigendem Maße finanziell zu belasten353. Eine verfahrensrechtliche Schutzvorschrift zugunsten der Regionen, die im SPRV mittelbar diese Infrastrukturlasten tragen, sieht Art. 7 des Dekrets nº 2001-1116 vor: Danach müssen die Regionen vor einer Veränderung der Struktur oder der Sätze der Infrastrukturgebühren, die Auswirkungen auf das Gebiet einer Region haben können, angehört werden. Zum 1.1.2004 hat RFF seine Infrastrukturgebühren ungefähr verdoppelt. Damit dadurch nicht die Regionen belastet werden, gleicht der Staat die finanziellen Belastungen, die ihnen hierdurch entstehen, durch eine entsprechende Zahlung in Höhe von ca. 200 Mio. Euro aus. VIII. Die Finanzierung neuer Infrastrukturen RFF ist Bauträger für den Bau neuer Eisenbahnstrecken, die Modernisierung des bestehenden Güter- und Personenverkehrsnetzes sowie für Maßnahmen zur Instandsetzung des Netzes (Artikel 1 des Gesetzes nº 97-135 vom 13.2.1997 in Verbindung mit Art. 3 des Dekrets nº 97-444 vom 5.5.1997). Dies setzt entsprechende finanzielle Mittel voraus. Die Möglichkeiten von RFF, in den Ausbau des Netzes zu investieren, sind aber begrenzt, tatsächlich aufgrund seiner hohen 351 352 353

Faivre d’Arcier, Transports 2002, S. 389, 396. Guihéry, Pouvoirs locaux 2002, 89, 96. CSSPF, Avis, S. 2.

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Verschuldung und rechtlich aufgrund der Regelung des Art. 4 des Dekrets nº 97444 vom 5.5.1997, der bestimmt, dass „RFF nur Projekte für eine Investition annehmen kann, das auf einem Programm auf Ersuchen des Staates, einer lokalen Gebietskörperschaft oder eines öffentlichen lokalen oder nationalen Organismus beruht, wenn der Ersuchende einen finanziellen Beitrag leistet, der geeignet ist, jede negative Konsequenz für die Konten von RFF während der Amortisationsdauer der Investition zu vermeiden.“ Finanzielle Beteiligungen von RFF sind dieser Regelung zufolge nur bis zu einem Betrage zulässig, zu dem eine ausreichende Rentabilität für RFF gewährleistet ist, um nicht seine Eigenfinanzierungsfähigkeit zu beeinträchtigen. Die Durchführung von Infrastrukturprojekten hängt damit häufig von der finanziellen Beteiligung anderer Organismen, vor allem natürlich des Staates, ab. Die Schieneninfrastruktur gerade des Regionalnetzes veraltet aber zunehmend, denn Instandsetzungs- und Anpassungsmaßnahmen sind häufig lange Zeit nicht vorgenommen worden354. So stellt sich für die Regionen die Frage nach einer Beteiligung an der Finanzierung der Infrastruktur. Schon vor der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs, die nicht die Übertragung der Infrastrukturzuständigkeit auf die Regionen zum Inhalt hat, engagierten sich die Regionen häufig bei der Durchführung von Verkehrsprojekten. Denn die Regionen, die außer für die Binnenwasserstraßen über keinen ausdrücklichen Kompetenztitel für Verkehrsinfrastrukturen verfügen, sind sich der Bedeutung der Verkehrsadern für die wirtschaftliche Entwicklung der Region durchaus bewusst355. Durch die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs erhält die Durchführung von Schieneninfrastrukturmaßnahmen aber einen neuen Stellenwert, denn nun treten die Regionen gegenüber ihrer Bevölkerung als direkt Verantwortliche für den Umfang und die Qualität des regionalen Eisenbahnverkehrs in Erscheinung. Der Bürger wird häufig die Ursachen für einen unattraktiven Schienenpersonenregionalverkehr nicht in der vom Staat vernachlässigten Infrastruktur suchen. Die wenn auch prozentual geringe finanzielle Beteiligung der Regionen erweist sich häufig als entscheidend bei der Entscheidung über das Ob der Durchführung eines Infrastrukturprojektes und über den Zeitraum der Durchführung356. Die Regionen gehen zumeist im Rahmen der contrats de plan Etat-région Verpflichtungen zur finanziellen Beteiligung ein. Ein Beispiel finanziellen Engagements bei der Modernisierung von Eisenbahninfrastrukturen ist die Auflösung des Eisenbahnknotens von Bordeaux: Neben RFF (63,3 Mio. Euro), Staat (41,2 Mio. Euro), Europäischer Union, der Stadt und dem Departement beteiligte sich auch die Region Aquitaine mit einem Betrag von ca. 34,5

354 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 54. 355 Pontier, Les contrats de plan entre l’Etat et les régions, S. 45. 356 Raymond Muzellec, Finances locales, S. 219.

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Mio. Euro an den Gesamtkosten von ca. 220 Mio. Euro für die erste Baustufe. Auch die Region Lorraine engagierte sich mit einem Betrag von ca. 125 Mio. Euro an dem Bau der Umgehung der überlasteten Moselroute zwischen Luxemburg, Metz und Nancy357. In den contrats de projets 2007–2013 haben sich die Regionen zu Investitionen in die Infrastruktur in Höhe von insgesamt 512 Mio. Euro verpflichtet, was mehr als eine Verdoppelung gegenüber dem Zeitraum 2000–2006 bedeutet358. Aufgrund ihres finanziellen Engagements bei Infrastrukturprojekten erheben die Regionen Forderungen nach Gegenleistungen, denn sie zahlen neben ihrer Beteiligung an der Infrastruktur auch nach Fertigstellung für die Nutzung durch die TER-Züge mittelbar Gebühren an RFF. Allerdings ist zu bedenken, dass RFF bei einer Senkung seiner Benutzungsgebühren sich nur in geringerem Umfang an der Erstellung der Infrastruktur beteiligen könnte, was eventuell einen noch höheren Finanzierungsanteil für die Regionen nach sich zöge359. IX. Die Konventionen zwischen den Regionen und der SNCF am Beispiel der Regionen Elsass, Loire und Rhône-Alpes Gemäß Art. 24-1 LOTI vereinbaren die Regionen und die SNCF in Konventionen, die jede Region mit der SNCF abschließt, die Bedingungen des Betriebs des Schienenpersonenregionalverkehrs und von dessen Finanzierung. Art. 3 des Dekrets nº 2001-1116 präzisiert den in den Konventionen zu regelnden Inhalt folgendermaßen: 1. Die Beschaffenheit und die Art der von der Region bei der SNCF in Auftrag gegebenen Dienste, 2. die Beschaffenheit des für diese Dienste eingesetzten Materialparks, 3. die technischen und kaufmännischen Bedingungen, unter denen die SNCF die Dienste ausführt, 4. die Ziele hinsichtlich Niveau des Dienstes, dessen Qualität und Produktivität, 5. die Modalitäten der Abstimmung bei Veränderungen von Streckenverbindungen, die erhebliche Auswirkungen auf die Fernzüge der SNCF oder des vereinbarten Schienenpersonenregionalverkehrs haben, 6. die finanziellen Beziehungen zwischen Region und SNCF, insbesondere eventuelle finanzielle Auswirkungen der von den Regionen entschiedenen Spezialtarife. 357 358

Chauvineau, 2001, S. II-84. Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008,

S. 15. 359

Chauvineau, 2001, S. II-84.

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Darüber hinaus können gemäß Art. 3 in den Konventionen die folgenden Fragen geregelt werden: a) Die Modalitäten der regelmäßigen Überwachung, der Kontrolle und der Evaluation der der SNCF von den Regionen anvertrauten Aufgaben, b) Bonus-Malus-Klauseln und Vertragsstrafen, c) die Modalitäten der Abänderung der Konventionen und die Bedingungen ihrer Erneuerung, d) Die Modalitäten der gegenseitigen Information bei der eventuellen Umsetzung spezifischer neuer tarifärer Bestimmungen, e) Die Modalitäten der gütlichen Streitbeilegung im Vorfeld jedes vor Gericht ausgetragenen Streits aus Anlass der Auslegung der Konvention. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass den Konventionen in einem Annex ein unverbindliches Investitionsprogramm anzufügen ist, mit Angabe der Art, des voraussichtlichen Betrags und des Anteils der jeweiligen Vertragspartei. Nach Art. 3 des Dekrets sind die Konventionen für eine Mindestdauer von fünf Jahren abzuschließen. Gemäß Art. 21-5 LOTI können benachbarte Regionen untereinander Konventionen über den Betrieb von Linien, die das Gebiet einer Region überschreiten, schließen. Eine besondere Konvention wird dann außerdem zwischen einer oder beiden beteiligten Regionen mit der SNCF über die Durchführung des Verkehrsdienstes geschlossen. Derselbe Artikel sieht ausdrücklich auch die Möglichkeit vor, dass französische Regionen mit angrenzenden Regionen eines Nachbarstaats Konventionen über den Betrieb gemeinsamer Schienenregionalverkehre abschließen können. Die Region kann sich dann an die SNCF wenden, damit diese eine Vereinbarung mit dem zuständigen Schienenverkehrsunternehmen des Nachbarlandes zur Durchführung des grenzüberschreitenden Regionalverkehrs schließt. Mittlerweile haben alle 20 Regionen, die an der Regionalisierung teilnehmen, Konventionen mit der SNCF geschlossen. Die Verhandlungen wurden mit allen Regionen im Laufe des Jahres 2001 geführt, was für die SNCF eine nicht unerhebliche Belastung darstellte. Die ersten Konventionen wurden im November 2001 unterzeichnet, die letzten im Juni 2002. Sie haben Laufzeiten zwischen 5 Jahren (Mindestlaufzeit nach dem Dekret) und 10 Jahren (Limousin). Eine dritte Generation von Konventionen wird zwischen 2006 und 2012 neu ausgehandelt360. Auf Seite der SNCF wurden die Verhandlungen von den neugeschaffenen 20 Regionaldirektionen geführt, mit fachlicher Unterstützung durch die zen360 Die vorliegende Darstellung beruht ausschließlich auf den Konventionen der zweiten, ab 2002 geltenden Generation.

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tral in Paris angesiedelte DTPRL (Direction du Transport Public Régional et Local). Auf Seite der Regionen wurden die Detailfragen mit den Dienststellen des Conseil régional verhandelt, die großen Streitfragen mit den gewählten Mitgliedern des Conseil régional. Die Konventionen wurden abschließend durch Abstimmung im Conseil régional angenommen. Bei den Verhandlungen über die Konventionen in den Jahren 2001/2002 konnte auf die Erfahrungen der Experimentalregionen zurückgegriffen werden, die wiederum für die Gestaltung der Verträge auf Vorbilder aus lokalen Verkehren zurückgegriffen hatten. Diese Konventionen der zweiten Generation sind wesentlich detaillierter als die Experimentalkonventionen; aufgrund der erworbenen Erfahrungen wurden vor allem die Bestimmungen über die Expertiseleistungen der SNCF konkreter gefasst, ebenso wie die Bestimmungen über die Qualitätsanforderungen. Die Fortschritte der SNCF bei der Transparenz ihrer Geschäftszahlen im TER-Bereich haben auch eine detailliertere und differenzierte Regelung über die Ausgabenposten ermöglicht. 1. Öffentlich-rechtlicher Vertrag sui generis und Relevanz der Qualifizierung Die französischen Konventionen zwischen SNCF und Regionen sind im Prinzip Bruttoverträge mit Anreizelementen. Sie weisen das Kostenrisiko für die Erstellung der Verkehrsleistungen der SNCF zu. Die Region als Aufgabenträger entschädigt im Prinzip die SNCF für ihre Betriebsverluste. Von diesem Prinzip wird aber in zweierlei Hinsicht abgewichen: Auf der Ausgabenseite ist die SNCF für die Entwicklung bestimmter Kostenposten allein verantwortlich, auf der Einnahmenseite beteiligen sich beide Parteien an Mehr- oder Mindereinnahmen in unterschiedlicher Höhe. Problematisch ist die rechtliche Einordnung der Konventionen in das Schema der öffentlich-rechtlichen Verträge zur Durchführung einer Aufgabe im öffentlichen Interesse. Von dieser Qualifizierung hängt ab, ob die Konventionen, die zwischen SNCF und Regionen geschlossen wurden, Sonderregeln unterliegen, die sich aus Spezialgesetzen ergeben können oder die von der Rechtsprechung entwickelt wurden. Sie betreffen insbesondere das Vertragsschlussverfahren. Gesetzgeber und Verwaltung sind nach französischem Recht im Prinzip sowohl bei der Formenwahl als auch bei der Organisation der Daseinsvorsorgeaufgabe frei361. Bestimmte Formen der Beauftragung durch die öffentliche Hand unterliegen spezialgesetzlichen Anforderungen. Dies gilt insbesondere für marchés publics und délégations de service public. Die Einordnung von Verwaltungsverträgen als marchés publics oder als délégations de service public ist 361 Chapus, Rn. 799; grundlegend: Romieu, conclusions zu CE vom 6.2.1903 „Terrier“, in: GAJA nº 12.

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seit der gesetzlichen Regelung der délégation de service public und der Neuregelung des code des marchés publics eines der aktuell umstrittensten Abgrenzungsprobleme des französischen Verwaltungsrechts, mit einer Vielzahl von hierzu erschienener Rechtsprechung362 und Literatur363, s. bereits oben 1. Teil E.II.2.b). Fraglich ist, ob sich die Konventionen zwischen SNCF und Regionen in eine der spezialgesetzlich ausgestalteten Vertragskategorien einordnen lassen: Marché public, concession, affermage, régie intéressée und délégation de service public (letztere in einem engen Sinne verstanden). Man wird dabei danach unterscheiden müssen, ob es sich um Eisenbahn- oder um Bustransportleistungen handelt. Die Konventionen haben häufig auch die Ausführung von Bustransportleistungen, die an die Stelle von Eisenbahntransportleistungen getreten sind, zum Inhalt. Das Monopol der SNCF und die daran sich anschließenden Sonderrechte gelten nämlich nur für die Eisenbahntransportleistungen der SNCF364. In Betracht kommt zunächst die Einordnung der Konventionen als marché public (öffentlicher Auftrag) im Sinne des Art. 1 Code des marchés publics (französisches Vergabegesetzbuch), insbesondere als marché de transport, mit dem die Verwaltung eine Transportleistung von Personen oder öffentlichen Gütern in Auftrag gibt. Sie unterstehen zwingend dem Verwaltungsrechtsweg365. Durch marchés publics beschafft die Verwaltung bestimmte Dienstleistungen, um eigene Leistungen auszuführen366. Ab einem bestimmten gemeinschaftsrechtlich determinierten Schwellenwert unterliegen sie der Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung. Mittels eines marché public kaufen die Departements die Leistungen eines Busunternehmers ein, damit dieser nach Weisungen des Departements die in ihre Kompetenz fallenden Schülertransporte ausführt. Im Gegensatz hierzu übertragen aber die Konventionen zwischen der Region und der SNCF die gesamte Durchführung der Daseinsvorsorgeaufgabe des Schienenregionalverkehrs auf die SNCF, unter vertraglich geregelten Mitspracherechten der Regionen. Auch die Gegenleistung entspricht nicht der eines marché public: Der öffentliche Auftraggeber zahlt im Rahmen von marchés publics einen festen

362

Vgl. die Nachweise bei Guglielmi/Koubi, Rn. 699 ff. Vgl. Chapus, Rn. 800 m.w. N.; Zavoli, Cahiers de la Fonction publique, avril 2001, S. 3 ff. 364 Vermerk der direction des affaires juridiques, ministère de l’économie, des finances et de l’industrie vom 15.3.2002, dossier 01/023 A 0049, S. 9 ff. 365 Ob marchés publics zwingend öffentlich-rechtlicher Natur sind, war umstritten; dafür u. a. Chapus, Rn. 1362, anders die h. M.: Cour de Cassation vom 17.12.1996, Droit administratif (bulletin mensuel) 1997, nº 122, TC vom 5.7.1999 „Commune de Sauve“, RFDA 1999, 1163; Richer, Rn. 140; die sog. loi MURCEF vom 11.12.2001 hat nunmehr aus Vereinfachungsgründen alle Streitigkeiten aus Anlass von marchés publics an den Verwaltungsrichter übertragen, vgl. hierzu: Moderne, AJDA 2001, 707. 366 Vgl. hierzu im Einzelnen: Richer, Rn. 499. 363

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Preis, hingegen entrichtet die Region aufgrund der Konventionen eine Kostenbeteiligung, die nicht vollständig pauschaliert ist. Schließlich findet der Code des marchés publics jedenfalls deshalb auf die Konventionen zwischen Regionen und SNCF keine Anwendung, weil gemäß Art. 3-2, der damit Art. 6 der Richtlinie 92/50/EWG umsetzt, Verträge eines öffentlichen Auftraggebers mit einem Auftragnehmer, der – wie die SNCF – aufgrund gesetzlicher Bestimmung ein Monopol ausübt, nicht in den Anwendungsbereich des Code des marchés publics fallen. Das letztgenannte Argument gilt allerdings nur, soweit Eisenbahntransportleistungen Konventionsinhalt sind. Die Vertragsformen der concession, der affermage und der régie intéressée unterliegen als Spezialfälle der délégation de service public, wie sie in Art. 38 der loi Sapin verstanden wird, den Vorschriften der loi Sapin367. Die concession de service public in einem engeren Sinne bezeichnet eine Form der Durchführung einer Daseinsvorsorgeaufgabe, bei der eine Person des öffentlichen Rechts durch Vertrag einer öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Person die Durchführung der Aufgabe für eine gewisse Zeit überträgt, wobei letztere die Lasten trägt und im Gegenzug das Recht erhält, gegenüber den Benutzern Gebühren zu erheben368. Die Form der concession ist seit langem von der Rechtsprechung anerkannt und ausgeformt369. Eine Spezialform stellt die affermage dar, deren Besonderheit darin besteht, dass der Vertragspartner im Gegensatz zum Konzessionär mit der Errichtung der Anlagen betraut ist370. Die Konzession war insbesondere im 19. Jahrhundert der Prototyp des Vertrags, mit dem Private mit der Durchführung öffentlicher Aufgaben beauftragt wurden371. Nur die Konzession von öffentlichen Bauarbeiten (travaux publics), bei der die Entlohnung des Konzessionärs in der anschließenden Erhebung von Gebühren für die Nutzung des Bauwerkes besteht, ist seit der Umsetzung der Richtlinie 93/37/EWG vom 14.6.1993 den Publizitätsanforderungen des code des marchés publics unterworfen. Charakteristikum der Konzession ist im Normalfall die freie Auswahl des Konzedenten zwischen mehreren Vertragspartnern. Aber auch Monopolunternehmen können Konzessionäre sein. Dies ist der Fall z. B. für EDF und GDF. Die SNCF war seit 1937 Konzessionär des Staates, ist dies aber seit dem Gesetz vom 30.12.1982 (LOTI) nicht mehr. Typischerweise übernimmt bei der Konzession der Konzessionär das Risiko von Ge367 Berbari/Briand/Callon/Mirouse/Peyrical/Ribault, S. 8; s. zu diesen Vertragsformen im französischen ÖSPV: Broussolle, Les transports de personnes, 4133-14, Rn. 91 ff. 368 Rivero/Waline, Rn. 473; Chapus, Rn. 809; vgl. auch die klassisch gewordene Definition des Commissaire du Gouvernement Chardenet in der Sache CE vom 30.3. 1916 „Gaz de Bordeaux“, G.A.J.A. nº 32. 369 Vgl. C.E. vom 30.3.1916 „Gaz de Bordeaux“, G.A.J.A. nº 32. 370 Auby, Que sais-je?, S. 17. 371 Chapus, Rn. 204 ff.

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winn und Verlust als Konsequenz der Übernahme der Geschäftsführung des service public372. Im Rahmen der mit der SNCF geschlossenen Konventionen tragen aber hinsichtlich der Einnahmen die Regionen und die SNCF gemeinsam das Geschäftsrisiko, so dass die Konventionen nicht als Konzessionsverträge qualifiziert werden können. Auch die geringen Einnahmen, die im Personenregionalverkehr aus den Benutzergebühren erzielt werden (um die 30% der Lasten), verbieten, die Konventionen zwischen SNCF und den Regionen als Konzessionen zu qualifizieren. Die Konventionen sind auch keine Form der régie intéressée, dessen Auftragnehmer gemäß den Vorschriften des Code général des collectivités territoriales373 insbesondere den Vorschriften der öffentlichen Buchführung unterworfen ist. Die régie intéressée ist ein Vertrag, bei der der öffentliche Auftraggeber die Existenz der Einrichtung selbst finanziert und die Ausführung einer Privatperson anvertraut, die hierfür normalerweise von der öffentlichen Hand entlohnt wird und gleichzeitig einen Teil des Resultats erhält374. Typischerweise wird die Bezahlung des Auftragnehmers in Abhängigkeit nicht von den Einnahmen, sondern von anderen Ergebnissen seiner Geschäftsführung bemessen, wie realisierte Einsparungen, Steigerung der Produktivität oder Verbesserung der Qualität375. Beispiel für diese Vertragsart kann die Gestaltung eines Abfallunternehmervertrags sein, bei der der Unternehmer an der Wertschöpfung der eingesammelten Abfälle beteiligt wird376. Auch sie ist eine Form der „délégation de service public“ im Sinne der loi Sapin377. Dabei handelt die Privatperson im Gegensatz zum Konzessionär für Rechnung des öffentlichen Auftraggebers. Dieses letzte Kriterium erfüllen die Konventionen eindeutig nicht, denn die Beförderungsverträge kommen zwischen Kunden und SNCF zustande. Schließlich könnten die Konventionen zwischen Regionen und SNCF eine allgemeine Form der „délégation de service public“ im Sinne der (engeren) Definition der loi Sapin vom 29. Januar 1993 betreffend die Vorbeugung von Korruption darstellen. Die sog. loi Sapin sieht aus Gründen der Transparenz ein zwingendes Verfahren für die Vergabe von Daseinsvorsorgeaufgaben durch die öffentliche Hand vor378, s. o. 1. Teil E.II.2.b). Der in dem Gesetz verwendete Begriff der „délégation de service public“ stellt eine Art Auffangbegriff für verschiedene Formen der Übertragung von 372

Richer, Rn. 665. Artt. 2222-5 und 3241-5 C.G.C.T. 374 Richer, Rn. 689. 375 Chapus, Rn. 818. 376 CE vom 30.6.1999 „Syndicat mixte du traitement des ordures ménagères seineet-marnais (SMITOM)“, AJ 1999, 714. 377 Richer, Rn. 658. 378 Vgl. Auby, Que sais-je?, S. 32 ff. 373

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Daseinsvorsorgeaufgaben dar379. Art. 38 der loi Sapin in der durch Gesetz vom 11.12.2001 erhaltenen Fassung definiert die délégation de service public als einen Vertrag, mit dem eine juristische Person des öffentlichen Rechts die Ausführung einer Verwaltungsaufgabe, für die sie die Verantwortung trägt, auf einen privaten oder öffentlichen Delegatär überträgt, wobei die Entlohnung wesentlich von dem Betriebsergebnis abhängt380. Dies beinhaltet, dass der Delegatär einen Teil des Betriebsrisikos trägt381. Das Kriterium einer Entlohnung, die wesentlich vom Betriebsergebnis abhängt, hat der Conseil d’Etat dort als erfüllt angesehen, wo die Entlohnung zu 30% aufgrund des Betriebsergebnisses berechnet wird382. Verträge von Gemeinden mit Transportunternehmen zur Durchführung von städtischen Kollektivtransporten werden häufig als délégations de service public geschlossen. Auf die zwischen Regionen und SNCF geschlossenen Konventionen dürfte diese Definition aber bereits deshalb nicht zutreffen, weil die Regionen das Betriebsergebnis der SNCF für den SPRV aufgrund ihres Betriebskostenzuschusses ausgleichen. Jedenfalls gelten die Vorschriften gemäß Art. 41 Buchstabe a) des Gesetzes vom 29. Januar 1993 aber nicht für den Tätigkeitsbereich von öffentlichen Einrichtungen, die mit dem Betrieb eines Monopolunternehmens betraut sind, unter der Bedingung, dass die delegierte Tätigkeit ausdrücklich in dem Statut der Einrichtung genannt ist. Bei der Vergabe öffentlicher Leistungen an das öffentliche Unternehmen besteht dann nicht das Korruptionsrisiko, das die loi Sapin bekämpfen will. Die Übertragung der Ausführung des service public ferroviaire régional an die SNCF, die aufgrund des Art. 18 LOTI Monopolbetreiber von Eisenbahntransportleistungen ist und die entsprechend ihrem cahier des charges SPRV-Leistungen ausführt, unterfällt deshalb nicht den Regeln der „délégation de service public“ im Sinne des Gesetzes vom 29. Januar 1993383. Diese Argumentation gilt entsprechend dem Umfang des Monopols aber nur für die Schienentransportleistungen, nicht auch für an die Stelle von Schienentransportleistungen getretene Busverkehre. Übrigens werden die aufgrund der spezialgesetzlichen Ausgestaltung des Eisenbahnverkehrs auf Korsika geschlossenen 379

Richer, Rn. 658 und 702. s. zu diesen Kriterien: CE vom 22.3.2000 „Epoux Lasaulce“, Lamy droit des affaires, nº 34, avril 2000; CE vom 15.4.1996 „Préfet des Bouches-du Rhône“, AJDA 1999, 364; CE vom 30.6.1999 „Syndicat mixte du traitement des ordures ménagères Centre-Ouest Seine et marnais“, AJDA 1999, 714. 381 CE vom 15.6.1994 „Syndicat intercommunal des transports publics de la Région de Douai; conclusions du commissaire du gouvernement zum eben zitierten arrêt „Syndicat mixte du traitement des ordures ménagères Centre-Ouest Seine et marnais“. 382 CE vom 30.6.1999 „Syndicat mixte du traitement des ordures ménagères Centre-Ouest Seine et marnais“. 383 Vgl. Chérot, droit public économique, Rn. 433; Roux, La libéralisation du secteur ferroviaire, S. 265. 380

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2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Verkehrsverträge als „délégation de service public“ eingeordnet und unterliegen den Rechtsregeln der loi Sapin. Die korsische Exekutive hat außerdem eine Ausschreibung durchgeführt und danach die Ausführung der Eisenbahnverkehrsdienste der SNCF anvertraut384. Die Erwägung, dass die Konventionen der SNCF kein bedeutendes Betriebsrisiko auferlegen, spricht auch gegen die Einordnung als Dienstleistungskonzession im Sinne des Gemeinschaftsrechts, vgl. oben A.VII.7.a) zur Definition der Dienstleistungskonzession. Die Konventionen stellen auch keine Form der „convention interorganique“ dar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die öffentliche Person über ihren Vertragspartner eine vergleichbare Kontrolle ausübt wie über einen eigenen Dienst und auf die die Regeln des Code des marchés publics keine Anwendung finden (Art. 3, 1er al. Code des marchés publics). Denn die SNCF bleibt bei der Ausübung der Verkehrsdienste weitgehend autonom. Die Konventionen sind schließlich auch keine association au service public oder participation au service public, eine Kategorie, die die Rechtslehre in der Folge eines Artikels von M. Chevallier385 entwickelt hat und die bestimmte Fälle der Kooperation des Privatsektors mit dem öffentlichen Sektor erfasst, bei denen die Aktivität der öffentlichen Hand durch eine parallele Tätigkeit eines Privaten, der sich den Vorgaben der öffentlichen Hand unterordnet, nur vervollständigt wird. Denn beide Vertragsparteien, SNCF und Regionen, gehören dem öffentlichen Sektor an386. Letztlich handelt es sich bei den Konventionen um eine Vertragsform sui generis, die keiner der vorstehenden Kategorien entspricht und für die außer den in LOTI und Dekret nº 2001-1116 vorgesehenen keine spezialgesetzlichen Regeln gelten. Auch der Wortlaut der einschlägigen Rechtsnormen stützt dieses Ergebnis (LOTI und Dekret nº 2001-1116), weil sie lediglich von „Konventionen“ sprechen und keine andere Qualifizierung vornehmen. Soweit Busverkehrsleistungen Gegenstand der Konventionen sind (vgl. Art. 3.1 cahier des charges i.V. m. Annex Loire, Art. 1.2 Konvention Elsass, Art. 4 Konvention i.V. m. Annex Rhône-Alpes), für die kein Monopol der SNCF besteht, gelten die allgemeinen vergaberechtlichen Regeln387. Hier ist aber zu differenzieren:

384

Chauvineau, 2003, S. 5; Broussolle, AJDA 1997, 456, 457. M. Chevallier, L’association au service public, JCP 1974, I 2267. 386 Vermerk der direction des affaires juridiques, ministère de l’économie, des finances et de l’industrie vom 15.3.2002, dossier nº 01/023A0049, S. 8. 387 Vermerk der direction des affaires juridiques, ministère de l’économie, des finances et de l’industrie vom 15.3.2002, dossier nº 01/023A0049, S. 4. 385

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Nach Auffassung des Transportministeriums lassen sich solche Busverkehrsleistungen, die in einem engen Zusammenhang mit den Eisenbahnverkehrsleistungen stehen, wie spontan eingesetzte Ersatzverkehre oder Ersatzverkehre, die am Wochenende aufgrund des geringeren Verkehrsaufkommens Bahnverkehre ersetzen, an die SNCF ohne Beachtung vergaberechtlicher Vorschriften übertragen. Denn sie stehen in engem Zusammenhang mit den Eisenbahntransportleistungen, für die das Monopol der SNCF gilt. Anders werden hingegen die sogenannten „services routiers de substitution“ zu beurteilen sein, die komplett Eisenbahnverkehre durch Busverkehre ersetzen. Welchen Regelungen das Vertragsschlussverfahren unterliegt, hängt von der Vertragsgestaltung im Einzelnen ab. Sofern die Busverkehre, die dauerhaft an die Stelle von Eisenbahnverkehrsleistungen treten, in den Konventionen der SNCF übertragen werden, müssten diesbezüglich wohl die Publizitätsvorschriften des Gemeinschaftsrechtes beachtet werden. Ob dem das Vertragsschlussverfahren der Konventionen genügt, erscheint sehr zweifelhaft. Die gegenwärtige Praxis wird von den Bustransporteuren als Angriff auf den Wettbewerb bestritten, bislang allerdings ohne Erfolg. Die SNCF vergibt ihrerseits diese Leistungen nach den Vorschriften des Vergaberechts an Subunternehmer. 2. Die Vertragsgestaltung im Einzelnen Die Konventionen zwischen den Regionen und der SNCF sind der Öffentlichkeit frei zugänglich, gemäß den Bestimmungen des Gesetzes vom 17.7.1978388 (so ausdrücklich Art. II.3.3 der Konvention Loire). Für die vorliegende Darstellung wurden die Konventionen der Regionen Elsass (2002–2009), Pays de la Loire (2002–2007) und Rhône-Alpes (2002–2006) ausgewertet. Sie weichen in ihrer Gestaltung, weniger in ihrem Inhalt, teilweise erheblich voneinander ab. So wurden in einer Untersuchung, die die Konventionen wirtschaftlich als Subunternehmerverträge sieht und Steuerungsmechanismen in die drei Kategorien autoritäre, Anreize setzende und auf Vertrauen basierende einteilt, die Konvention der Region Loire als überwiegend vertrauensorientiert, die Konvention der Region Rhône-Alpes als überwiegend autoritär und die Konvention der Region Elsass als gemischten Typs qualifiziert389. Im Folgenden sollen weniger die Unterschiede zwischen den einzelnen Konventionen herausgearbeitet werden, als vielmehr der gemeinsame Regelungsgehalt in den Mittelpunkt gerückt werden. 388 Loi nº 78-753 du 17/7/1978 portant diverses mesures d’amélioration des relations entre l’administration et le public et diverses dispositions d’ordre administratif, social et fiscal. 389 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 130 ff.

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Eine Besonderheit der „délégations de service public“ – hier verstanden in einem weiten Sinne, der auch die Konventionen zwischen SNCF und Regionen erfasst –, ist die Trennung in den eigentlichen Vertrag und ein cahier des charges (Lastenheft). Der Vertrag soll die wesentlichen Inhalte regeln, während das cahier des charges Details ausgestaltet (vgl. Art. 1.4.1 Konvention Elsass). Anders als das cahier des charges der SNCF, das den Charakter einer Rechtsverordnung hat, handelt es sich hier um einen frei ausgehandelten Bestandteil des Vertrags. Die Unterscheidung erklärt sich historisch aus dem System verbindlicher Vertragsmodelle, die in den cahiers des charges fixiert waren, s. o. 1. Teil E.II.2.b). Ausdrückliche Hierarchieregelungen stellen die Konventionen über das cahier des charges (Art. 1.4 Konvention Elsass, Art. I.5. Konvention Loire, Art. 7 Konvention Rhône-Alpes). Die Konvention der Region Elsass sieht darüber hinaus den Abschluss jährlicher contrats d’objectifs (Zielvereinbarungen) vor, die ebenfalls im Rang der Konvention nachstehen (Art. 1.4 und 1.4.2 Konvention Elsass). Konvention und cahier des charges sind Vertragswerke von erheblichem Umfang: Die Konvention und das cahier des charges der Region Rhône-Alpes umfassen 72 Seiten. Anlagen regeln auf mehreren hundert Seiten Fahrpläne, technische Standards etc. Die Konventionen unterliegen der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Regionalpräfekten. a) Leistungsinhalt Die Basisleistung der SNCF besteht in der Erbringung der Transportleistungen, die im Annex der Konventionen fahrplanmäßig und nach technischen Spezifikationen der zu bedienenden Linien, mittels Reisegeschwindigkeit und einzusetzender Fahrzeuge, beschrieben werden (vgl. Annex 1 zur Konvention Elsass, Annex 2 und 3 zur Konvention Loire, Annex 1 zur Konvention RhôneAlpes). Die Transportleistungen umfassen Schienenverkehre und Straßenverkehre. Weiterhin ist die SNCF verpflichtet, die Orte zu betreiben, die mit dem Transport in Verbindung stehen, nämlich Bahnhöfe, Bushaltestellen und Verkaufsstellen. Sie hat Werbemaßnahmen, Fahrgastinformation und den Fahrscheinverkauf durchzuführen sowie die Sicherheit der Fahrgäste und der Betriebsgüter, auch durch präventive Maßnahmen, zu gewährleisten (Art. 3.2 Konvention Elsass, Art. III.1. Konvention Loire, Art. 3 Konvention Rhône-Alpes). Die Konventionen können Verbesserungen des Zugangs für gehbehinderte Personen vorsehen (so Art. 6 cahier des charges Rhône-Alpes). Eine weitere Hauptpflicht der SNCF liegt in der Beratung der Regionen. Diese Verpflichtung ist praktisch von großer Bedeutung, denn die Regionen verfügen nur teilweise über das nötige eisenbahnerische Fachwissen. Die SNCF verfügt als Monopolunternehmen häufig allein über die Informationen, die notwendig sind, um die Regionen bei der Durchführung von Eisenbahnverkehren

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zu beraten. Konkret hat die Beratungspflicht das Erstellen von Studien zur Realisierbarkeit von Projekten und die Unterbreitung von Vorschlägen zur Verbesserung und Modernisierung des Angebots zum Inhalt (vgl. Art. 3.3 Konvention Elsass, Art. III.1. Konvention Loire, 11 cahier des charges Loire, titre IV chapitre 1 Konvention Rhône-Alpes). Einige Konventionen verpflichten die SNCF, ein jährliches Programm für durchzuführende Studien vorzuschlagen (vgl. Art. III.1. Konvention Loire). Die SNCF hat allen Konventionen zufolge einen Dienst ohne Unterbrechungen zu gewährleisten, außer in Fällen höherer Gewalt und innerhalb eines Toleranzbereichs von 1%–3%, unter Androhung finanzieller Strafen ohne Deckelung390. Dies berührt einen neuralgischen Punkt, denn die SNCF ist häufig von Arbeitskämpfen betroffen. Die Konvention Rhône-Alpes regelt ausdrücklich für den Fall des Streiks die Pflicht der SNCF, eine Pauschale von 3 Euro pro ausgefallenen Zugkilometer zu zahlen, sofern sie nicht 55% der Eisenbahntransportleistungen aufrechtzuerhalten im Stande ist (Art. III.2.4.). Auch im Übrigen werden Streiks von den Regionen nicht als Fälle höherer Gewalt anerkannt, wohingegen die SNCF wegen der häufigen Arbeitsausstände ein Interesse hat, in diese Richtung zu argumentieren. So hatte die SNCF für die Region Rhône-Alpes im Jahre 2003 aufgrund der Streiks nach Auffassung der Region Vertragsstrafen in Höhe von 6 Mio. Euro verwirkt. Die Regionen sind der Ansicht, dass die Entschädigungsregelungen für die Streiks die SNCF noch verhältnismäßig günstig stellen, weil sie ihr nicht die Lasten für die nicht genutzten Fahrzeuge in Rechnung stellen. In Fällen der Betriebsstörung verpflichten die Konventionen die SNCF, im Rahmen des Möglichen einen Notdienst, einen sog. „service minimum“, oder einen Ersatzverkehr einzurichten und Region und Benutzer hiervon zu unterrichten (Art. 3.8 Konvention Elsass, Art. III.2. Konvention Loire, Art. 18 Konvention Rhône-Alpes). Als Anreiz hierfür kann die Reduktion der Vertragsstrafen vorgesehen sein (Art. 18.3.2. Konvention Rhône-Alpes). Im Bezug auf die Punkte Sicherheit an Haltepunkten und in den Fahrzeugen spezifizieren die Konventionen selbst keine genauen Verpflichtungen der SNCF. Einige Konventionen nehmen aber diesbezüglich Bezug auf jährlich abzuschließende Sicherheitsprogramme (Art. 25 Konvention Rhône-Alpes), teilweise nur bei konkretem Bedarf (vgl. Art. IV.3.3. Konvention Loire). Sie können die SNCF zur Berichterstattung über die ergriffenen Maßnahmen und über Zwischenfälle verpflichten (Art. 8.3.7 cahier des charges Elsass, Art. 25 Konvention Rhône-Alpes). Die SNCF darf sich der Leistung von Subunternehmern bedienen, teilweise erst nach Information oder Genehmigung durch die Region (vgl. Art. 3.2 Konvention Elsass, Art. III.7. Konvention Loire, Art. 20 Konvention Rhône-Alpes). 390 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 161.

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Die Konventionen stellen im Übrigen klar, dass die SNCF gegenüber der Region, den Benutzern und Dritten für die Zufügung von Schäden verantwortlich ist (Art. 3.10 Konvention Elsass, Art. III.8. Konvention Loire, Art. 26 Konvention Rhône-Alpes). b) Kommunikation mit den Benutzern und Marketing Der Bereich der Kommunikation bildet häufig einen Regelungsschwerpunkt der Konventionen. Er ist Gegenstand gesondert zu vereinbarender mehrjähriger Rahmenprogramme (Art. 1.8 Konvention Elsass, Art. 6.1 cahier des charges Elsass, Art. III.5. Konvention Loire, Art. 14 Konvention Rhône-Alpes, Art. 7 cahier des charges Rhône-Alpes). Die Kommunikation mit den Benutzern betrifft vor allem die Kommunikation in Krisensituationen bei Verkehrsstörungen. Die Marketingmaßnahmen sollen das Bild des Produktes TER aufbessern helfen und über die Angebote informieren, um mehr Benutzer in die Züge zu locken (vgl. Art. III.5. Konvention Rhône-Alpes). c) Die Tarifikation Grundsätzlich findet das nationale Preissystem mit seinem fixierten Referenzpreis auch im SPRV Anwendung. Eigenwirtschaftlich orientierte Preise sind nur als Ausnahme zulässig. Das cahier des charges der SNCF lässt aber die Einführung von Spezialtarifen im SPRV zu. Diese Regelung soll sicherstellen, dass die SNCF die unterschiedlich hohen Kosten für einen Zugkilometer in den verschiedenen Regionen nicht auf die Preise überträgt. Dahinter steht das französische Verständnis der Gleichheit des gesamten Staatsgebiets, wonach u. a. in jeder französischen Region im Prinzip die gleichen Tarife gelten sollen. Einige Regionen hatten im Gesetzgebungsverfahren völlige Autonomie bei der Gestaltung der Tarife im SPRV gefordert. Die nun gefundene Lösung stellt einen Kompromiss zwischen beiden Extrempositionen dar: Der Staat finanziert weiterhin auch die aufgrund staatlicher Verpflichtungen bestehenden Sozialtarife. Die existierenden Tatbestände für die Berechtigung von Sozialtarifen, die nach einem Schema funktionieren, das von 1969 datiert und z. B. Arbeitnehmer mit einem Abonnement Wohnsitz-Arbeitsort (innerhalb eines Umkreises von 75 km) besser stellt als Arbeitslose und Studenten, werden dabei heute vielfach als sozial ungerecht und überarbeitungsbedürftig empfunden391. Die Regionen können ihrerseits zwar nicht einen abweichenden Basistarif, wohl aber Sondertarife für bestimmte Personengruppen oder aus besonderem Anlass einführen, vgl. Artt. 16, 45 cahier des charges SNCF. Die Konventionen wiederholen diese Aussage 391 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 68.

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(Art. 4 cahier des charges Elsass, Art. 5 cahier des charges Loire, Art. 12 Konvention Rhône-Alpes). Sie führen in einem Annex eine Liste spezieller Regionaltarife auf und regeln das Verfahren für die Einführung neuer Tarife. Eingeführt wurden insbesondere spezielle Sozialtarife – wie z. B. die Ausweitung von Abonnements für Berufstätige –, Promotionen aus Anlass spezieller Ereignisse, Studentenermäßigungen392, Freizeittickets, mit denen mehrere Personen während eines bestimmten Zeitraums das gesamte Regionalnetz nutzen können, oder andere originelle Formen wie das Gratisticket „RecruTER“, das in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt ANPE für Arbeitssuchende auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch in Pays de la Loire gewährt wird. Kombinierte Tarife mit anderen Verkehrsträgern sind noch die Ausnahme, einige Konventionen ermuntern aber ausdrücklich zur Einführung solcher Tarife (Art. 2.5, 3.2 Konvention Elsass, Art. 4.3 cahier des charges Elsass, Art. 13 Konvention Rhône-Alpes, 5 cahier des charges Rhône-Alpes). So hat die Region Pays de la Loire bereits 1999 eine intermodale Tarifikation „Métrocéane“ zwischen Nantes und der Presqu’île Guérandaise (Saint-Nazaire, Le Croisic) mit drei Zonen eingeführt, deren Fahrscheine bislang allerdings nur in Bahnhöfen erhältlich sind. Außerdem wurden die TERs innerhalb der Agglomeration in das Ticket der Stadtwerke eingebunden393. Im Elsass deckt das Tarifsystem Alsa Plus mit einer Wochen- und einer Monatskarte seit September 2006 den gesamten öffentlichen Nahverkehr in der Region ab394. d) Infrastruktur Da die Infrastruktur RFF gehört und nicht dem Vertragspartner der Regionen, der SNCF, hat diese trotz ihrer Rolle als Verwalterin der Infrastruktur nur begrenzten Einfluss auf Veränderungen des Netzes und ist ihnen zu einem bestimmten Grade ausgeliefert. Veränderungen der Infrastruktur stellen sich so als von außerhalb der Einflusssphäre der Vertragsparteien kommende Ereignisse dar. SNCF und Regionen vereinbaren deshalb in den Konventionen, sich über Änderungen der Infrastruktur, die den vereinbarten Regionalverkehr beeinflussen können, zumindest informiert zu halten und eventuell erforderlich werdende Anpassungen nach Treu und Glauben vorzunehmen (Artt. 1.6, 3.5 Konvention Elsass, Art. IV.1. Konvention Loire, Art. 28 Konvention Rhône-Alpes). Einige Konventionen sehen eine Koordinierungsinstanz für die Zuweisung von Infrastrukturkapazitäten zwischen SNCF, RFF, Region und Staat vor (Art. 1.7 Kon392 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 42 und S. 68. 393 Vgl. hierzu: Région des Pays de la Loire: Bilan de l’expérimentation de la régionalisation des transports de voyageurs, mai 2001, S. 64 ff. 394 Ville & Transports 8/11/2006, S. 52 f.

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vention Elsass, Art. 10 cahier des charges Elsass, Art. 22 Konvention RhôneAlpes), die vor allem bei Engpässen reagieren kann. Die Region zahlt die Benutzungsgebühren für die Infrastruktur an die SNCF, die diese für Rechnung von RFF entgegennimmt (Art. 4.2.1. Konvention Elsass, Art. V.2.3. Konvention Loire, Art. 35.2. Konvention Rhône-Alpes). e) Bahnhöfe Regionen und SNCF fixieren Servicestandards für die Bahnhöfe, die entweder den beizubehaltenden status quo beschreiben (so Art. IV.3.2. Konvention Loire) oder einen zu erreichenden Standard, der dann häufig auf Kosten der Region herzustellen ist (so Art. 2.2.3.1. Konvention Elsass, vgl. auch Art. 11 cahier des charges Rhône-Alpes). Für den Service auf den Bahnhöfen können ebenfalls Qualitätsstandards vereinbart werden (vgl. Art. 25.4 cahier des charges Rhône-Alpes). Häufig beteiligen sich die Regionen auch an der Finanzierung von Programmen zur Renovierung der Bahnhöfe, die dann Gegenstand gesonderter Vereinbarung sind (Art. 2.2.3.1. Konvention Elsass, Artt. IV.2., IV.3. Konvention Loire, Art. 31 Konvention Rhône-Alpes). f) Rollmaterial Die Parteien vereinbaren in den Konventionen die Art des in der jeweiligen Region einzusetzenden Rollmaterials. Darüber hinaus engagieren sich die Regionen häufig finanziell bei der Anschaffung neuen Materials. Der Bedarf von Modernisierungen des Fahrzeugparks wird gemeinsam mit der SNCF festgestellt. In den Konventionen wird dann häufig auch eine Verpflichtung der SNCF aufgenommen, ihrerseits einen bestimmten Betrag zur Investition in den Fahrzeugpark beizutragen (Art. IV.2. Konvention Loire, Art. 29.2. Konvention Rhône-Alpes). Die Anschaffung neuer Fahrzeuge wird meist in jährlichen Plänen und daraufhin abgeschlossenen speziellen Konventionen konkretisiert. Sie regeln dann auch die Eigentumsverhältnisse. Die Konventionen bestimmen, dass dieses Fahrzeugmaterial nur in der jeweiligen Region einzusetzen ist (vgl. Art. 3.4.4, 2.2.2. Konvention Elsass, Art. IV.2. Konvention Loire, Art. 29 Konvention Rhône-Alpes). g) Gegenseitige Information und Kontrolle Da die SNCF integrierter Monopolanbieter von Eisenbahnleistungen bleibt und auch die Infrastruktur bewirtschaftet, können der SNCF über den SPNV hinausreichende Informationspflichten auferlegt werden. In diesem Rahmen hat zunächst die SNCF die Region über ihre Absichten und Pläne für den Fernverkehr zu unterrichten, die Auswirkungen auf den Regionalverkehr haben kön-

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nen (Art. 1.5 Konvention Elsass, Art. I.3. Konvention Loire, Art. 5 Konvention Rhône-Alpes). Die Konventionen begründen Informationspflichten der SNCF gegenüber den Regionen, insbesondere über Marktentwicklungen und über ihre technischen und finanziellen Reaktionen hierauf (Art. 3.3 Konvention Elsass, Art. II.3.3. Konvention Loire, Art. 26, 32.1 cahier des charges Rhône-Alpes). Die kaufmännischen und gewerblichen Informationen, die die Regionen in Ausführung der Konvention von der SNCF erhalten, sind vertraulich zu behandeln (Art. 2.6 Konvention Elsass, Art. II.3.3. Konvention Loire, Art. 41 Konvention RhôneAlpes). Voraussetzung für die Wahrnehmung der Kontrollrechte der Regionen sind die folgenden Informationspflichten: Die SNCF hat ihrem Auftraggeber in regelmäßigen Abständen eine Aufstellung von Indikatoren, die in der Konvention definiert werden, sowie in weiteren regelmäßigen Abständen Tätigkeitsberichte zur Verfügung zu stellen (Artt. 2.4.1, 3.9 Konvention Elsass, Art. 8 cahier des charges, Art. II.3.2. Konvention Loire, Annex 8 zur Konvention Loire, Art. 39 Konvention Rhône-Alpes, Kapitel 2 cahier des charges Rhône-Alpes). Zur Absicherung des Aufgabenträgers können bestimmte Formate, in denen die Informationen abzuliefern sind, vereinbart werden (Art. 39 Konvention Rhône-Alpes und Annex nº 9, Art. 3.1. Konvention Loire, Art. 9 cahier des charges, Annex nº 7). Dies ist Voraussetzung für das Vertragscontrolling, d.h. die Überprüfung der Erreichung der mit dem Vertrag verfolgten Ziele. Die Nichtausführung dieser Verpflichtung kann mit Vertragsstrafen bewehrt werden (vgl. Art. 2.4.1 Konvention Elsass, Art. 39 Konvention Rhône-Alpes). Darüber hinaus kann sich die Region ein spontanes Kontrollrecht über die regelmäßige Ausführung der Vertragsleistungen (Art. II.3.2. Konvention Loire) oder das Recht zu einer begutachtenden Überprüfung (audit) über einen bestimmten Gegenstand (Art. 2.4.3 Konvention Elsass) oder beides (Art. 40 Konvention Rhône-Alpes) einräumen lassen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch die besten Beziehungen zwischen Region und SNCF nicht verhindern konnten, dass die Regionen teilweise nicht mit vollständigen Informationen über die durchgeführten Verkehre versorgt wurden. Deshalb haben mehrere Regionen, wie z. B. Pays de la Loire die Beschaffung verschiedener Daten externalisiert395. Sanktionen für Schlechtleistung bestehen in der Verwirkung von meist als Mali oder Vertragsstrafen durch die Konvention ausgestalteten Geldstrafen. Schließlich können die Konventionen eine Kündigung vorsehen (vgl. Art. 1.3. Konvention Elsass). Allerdings besteht aufgrund des Monopols der SNCF für 395 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 111.

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Eisenbahnleistungen keine wirkliche Alternative zum Abschluss einer neuen Konvention. Wie auch die Voraussetzungslosigkeit dieses vorzeitigen Kündigungsrechts zeigt, handelt es sich deshalb um keine Sanktion für schwerwiegende Vertragsverletzungen, sondern sie soll ermöglichen, die Konsequenz aus der Feststellung zu ziehen, dass die Konvention keine interessengerechte Grundlage mehr für die beiderseitige Zusammenarbeit darstellt. h) Kooperation des Aufgabenträgers Ferner kann sich die Region in der Konvention darauf festlegen, sich mit anderen Aufgabenträgern innerhalb der Region und deren beauftragten Verkehrsunternehmen sowie mit benachbarten Regionen abzustimmen und mit ihnen Konventionen zu schließen (vgl. Art. 2.5 Konvention Elsass, Art. 2 Konvention Rhône-Alpes). Der Ausbau der bislang vernachlässigten interregionalen Zusammenarbeit wird als eine der Hauptaufgaben für die nähere Zukunft angesehen. Die Übertragung der Aufgabenträgerschaft hat nämlich bislang vor allem Leistungsangebote hervorgebracht, die sich auf das Gebiet der einzelnen Regionen beschränken396. Auch die Zusammenarbeit der Aufgabenträger in der Region und die Verknüpfung des Leistungsangebots der verschiedenen öffentlichen Nahverkehrsangebote, bis hin zur Aufstellung von Verbundtarifen sind als verbesserungsbedürftig erkannt worden397. i) Vergütung Die Vergütung, die die SNCF für ihre Leistungen erhält, setzt sich aus den Fahrgeldeinnahmen und den verschiedenen Leistungen der öffentlichen Hand zusammen (vgl. Titel IV Konvention Elsass und Art. 7 cahier des charges, Art. Titel V Konvention Loire, Titel IV Konvention Rhône-Alpes). Der von der Region zu zahlende Betrag berechnet sich grundsätzlich aus der Differenz zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der SNCF. Zu den Einnahmen der SNCF zählen die Fahrgeldeinnahmen und Nebeneinnahmen, Ausgleichszahlungen für staatliche Sozialtarife und für Militärtarife, sowie Zuzahlungen für spezifische Regionaltarife. Als Ausgabenposten der SNCF werden u. a. ein Gewinn von 2% eingerechnet sowie ein Wagnisaufschlag von 1,25%. Das kommerzielle Risiko teilen sich die Parteien regelmäßig: Abweichungen von den veranschlagten Einnahmen nach oben oder unten werden im Rahmen bestimmter Prozentsätze (z. B. bei Abweichungen bis zu 2% und in einer weite-

396 397

Chauvineau, 2003, S. 18, 32 f. Chauvineau, 2003, S. 17.

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ren Stufe für Abweichungen zwischen 2% und 6% o. ä.) nach bestimmten Quoten (z. B. 50:50 bei Abweichungen bis zu 2% und 25:75 bei Abweichungen zwischen 2% und 6%, etc.) verteilt (Art. 4.3.2 Konvention Elsass, Art. V.3.3. Konvention Loire). In Rhône-Alpes trägt allein die SNCF das Risiko innerhalb einer Marge von 3% (Art. 37.6.1.2. Konvention Rhône-Alpes). Im Jahre 2002 hat ihr dies einen zusätzlichen Gewinn von 2 Mio. Euro eingebracht, dagegen für 2003 einen Abzug. Damit sollen Anreize für bestimmte kommerzielle Erfolge gesetzt werden. Nachdem bestimmte Werte für die Ausgabenposten zu Anfang der Vertragslaufzeit positiv festgestellt wurden, koppeln die Konventionen die meisten Ausgabenposten, auf die die SNCF unternehmerischen Einfluss hat, für die nachfolgenden Jahre an einen Index. Auf diese Weise wird Druck auf die SNCF ausgeübt, ihre Preise weitgehend stabil zu halten. Die Veränderung bestimmter Ausgabenposten, die nicht dem alleinigen Einfluss der SNCF unterliegen, geht nicht zu Lasten der SNCF, sondern wird an den Auftraggeber weitergegeben. Dazu können insbesondere zählen: Die an RFF zu entrichtenden Infrastrukturgebühren, die Kapitalbelastungen durch die festen Installationen, die Kapitalbelastungen für den Materialpark, der zur Durchführung der Regionaldienste eingesetzt wird, die Gewerbesteuer, die an dieses Material anknüpft, die Kapitalkosten und die Gewerbesteuer für gemietetes Material (vgl. Art. 7.1.3. cahier des charges Elsass, Art. V.2.3. cahier des charges Loire, Art. 35.2. Rhône-Alpes). Der Differenzbetrag zwischen Einnahmen und Ausgaben wird von der Region ausgeglichen. Dies geschieht auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags. Die Region überweist diesen Betrag monatlich im Voraus. Am Jahresende werden veranschlagte und tatsächliche Zahlenwerte verglichen. Ergibt sich dabei eine Abweichung auf der Einnahmenseite, teilen sich SNCF und Region die Differenz nach den oben dargestellten vertraglichen Regeln über das kommerzielle Risiko. Neben der Regelung höherer Gewalt und des Streiks – s. o. a) – können die Konventionen Regelungen über die Gegenleistung im Falle der durch Gesetz auferlegten teilweisen oder kompletten Kostenlosigkeit der öffentlichen Transportmittel bei SMOG treffen, damit sie nicht zu Lasten der SNCF gehen (vgl. Art. 4.6. Konvention Elsass, Art. 19 Konvention Rhône-Alpes).

k) Qualitätsziele und Anreizelemente Die Verhandlungen mit der SNCF über die Qualitätsziele erwiesen sich als einer der schwierigsten Verhandlungspunkte, und die Durchsetzung der Vorstellungen der Regionen bedurfte einigen politischen Drucks, weil die SNCF aus verständlichen Gründen kein Interesse hatte, sich hier einem strengen Regime zu unterwerfen.

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Die Konventionen sehen als Leistungsverpflichtungen auch das Erreichen bestimmter Qualitätsziele vor. Die Definition der Qualitätsziele ist im Prinzip Aufgabe des Bestellers, der Regionen, Art. 21-1 Satz 2 LOTI. Diese Ziele werden meist grob bereits in der Konvention bestimmt, sonst erst in gesonderten Vereinbarungen. Die Konvention Elsass sieht eine Beteiligung der SNCF an der Definition der Qualitätsziele vor (Art. 2.3.1. Konvention Elsass). Die Region verzichtet damit teilweise auf die Definitionsmacht des Aufgabenträgers hinsichtlich der Qualität des Verkehrs zugunsten eines partnerschaftlichen Vorgehens398. Qualitätsziele werden insbesondere im Hinblick auf die Punkte Sicherheit, Komfort, Pünktlichkeit und Information festgelegt (vgl. Art. III.3. Konvention Loire, Art. 16 Konvention Rhône-Alpes). Die Anforderungen an Sicherheit, Komfort und Information gelten sowohl für die Haltestellen als auch für die Fahrzeuge399. Die Ausgestaltung dieser Zielvorgaben ist aber in Entwicklung begriffen; zukünftig wird etwa auch über die Einführung eines Indikators Schnelligkeit der Verbindung nachgedacht400. Anhand welcher Indikatoren diese Qualitätsziele zu messen sind und welche Werte in Bezug auf die einzelnen Indikatoren erreicht werden sollen, wird häufig erst nach Abschluss der Konvention zwischen SNCF und Regionen vereinbart (so Art. 2.3.1. Konvention Elsass, Art. III.3. Konvention Loire). Die meisten Konventionen enthalten jedoch bereits detaillierte Qualitätsanforderungen401: So sieht bereits das cahier des charges der Region Elsass – wenn auch nur für das erste Jahr der Laufzeit der Konvention – Indikatorengruppen für die verschiedenen Qualitätsbereiche vor. So wird z. B. der Punkt „Information“ als die Erfüllung mehrerer als Indikatoren bezeichneter Verhaltenspflichten definiert, bestehend aus der objektiven Erfüllung der eigentlichen Leistungsverpflichtung (Aufstellen von Fahrplantafeln in allen Bahnhöfen, Fahrplanhefte in bestimmten Bahnhöfen, Informationsdurchsagen bei Verspätungen von Zügen von über 5 Min.) und der Überprüfungsmaßnahme (Übersendung eines Exemplars der Fahrplanhefte an die Region, Weiterleitung der Verspätungsberichte an die Region), vgl. Art. 5.1. cahier des charges Elsass. Auch die Konvention der Region Rhône-Alpes führt Indikatorengruppen auf und definiert bereits genaue zu erreichende Pünktlichkeitswerte in Prozentsätzen (Artt. 16, 17 Konvention RhôneAlpes, Art. 23 ff. cahier des charges Rhône-Alpes). Die Konvention Rhône-Alpes formuliert darüber hinaus zwei generelle Qualitätsniveaus, ein subjektives, 398 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 48. 399 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 38. 400 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 39. 401 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 71.

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von den Benutzern wahrgenommenes, das mittels Kundenbefragungen ermittelt wird, und ein objektives, das auf der Kontrolle der tatsächlichen Erreichung der Qualitätsziele beruht (Art. 23 cahier des charges Rhône-Alpes). Die Ausführung der Kontrollen ist weitgehend der SNCF anvertraut, aus dem Gedanken heraus, dass sie dies mehr zur Verbesserung ihrer Leistungen motivieren wird als externe Kontrollen. Die Konventionen sehen außerdem vor, dass die Parteien bei Bedarf entweder einseitig Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung vornehmen oder diese gesondert vereinbaren (vgl. Art. 2.3.1 Konvention Elsass, Art. III.3. Konvention Loire, Art. 23 Konvention Rhône-Alpes). Abweichungen von den vereinbarten Qualitätszielen werden häufig mit der Zahlung von Boni bei einer positiven Abweichung und mit der Zahlung von Mali bei einer negativen Abweichung verknüpft. Höchstwerte begrenzen das Risiko auf beiden Seiten (vgl. Art. 3.7, 4.4 Konvention Elsass, Art. 5.1 cahier des charges Elsass, Art. 23 Konvention Rhône-Alpes). Im Jahre 2002 hat die SNCF insgesamt Mali in Höhe von 2,44 Millionen Euro zahlen müssen402. l) Vertragsdauer Die Laufzeiten der Konventionen variieren von Region zu Region. Die Konventionen der Regionen Loire und Rhône-Alpes sind über die in Art. 3 des Dekrets nº 2001-1116 vorgesehene Mindestlaufzeit von 5 Jahren abgeschlossen (Art. I.4. Konvention Loire, Art. 6 Konvention Rhône-Alpes). Die Konvention mit der Region Elsass hat eine besonders lange Laufzeit von 8 Jahren, nach dem 5. Jahr hat jedoch jede Partei das Recht, die Auflösung der Konvention zu verlangen (Art. 1.3). Damit betont sie den Willen zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Parteien403. m) Vertragsanpassungen Für Modifikationen des von der SNCF geschuldeten Leistungsinhaltes sehen die Konventionen folgende Voraussetzungen und Verfahrensregeln vor: Grundsätzlich fallen Angebotsänderungen in die Kompetenz der Regionen als Aufgabenträger, die den Inhalt des service public de transport régional de voyageurs definiert (Art. 2.1 Konvention Elsass, Art. II.1. Konvention Loire, Art. 10 Konvention Rhône-Alpes). Finanzielle Auswirkungen von Leistungsänderungen gehen deshalb zu Lasten der Regionen (Art. 2.2 Konvention Elsass, Art. II.2. Konvention Loire, Art. 10.3. Konvention Rhône-Alpes, Art. 16 cahier des char402

Chauvineau, 2003, S. 20. Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 47. 403

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ges Rhône-Alpes). Die SNCF wird verpflichtet, den Regionen Vorschläge für Angebotsverbesserungen zu unterbreiten. Sie ist befugt, untergeordnete operationelle Leistungsanpassungen, wie z. B. die zeitweise Anpassung des Fahrplans wegen Bauarbeiten, in eigener Initiative durchzuführen. Die Regionen regeln die hierbei einzuhaltenden Verfahren (Art. 2 cahier des charges Elsass, Art. 4 cahier des charges Loire, Art. 10 Konvention Rhône-Alpes, Art. 15 cahier des charges Rhône-Alpes). Einige Konventionen unterwerfen Leistungsänderungen, die nicht nur untergeordneter Natur sind, notwendigerweise einer Vertragsanpassung (vgl. Art. 2.1 ff. Konvention Elsass, Art. 10.3. Konvention Rhône-Alpes, Art. 15 cahier des charges Rhône-Alpes). n) Institutionalisierte Zusammenarbeit Für aus Anlass der Konvention entstehende Rechtsstreitigkeiten richten die Vertragsparteien eine Streitbeilegungsinstanz ein, deren Zusammensetzung und Funktionieren sie regeln (Art. 1.10 Konvention Elsass und Art. 9 cahier des charges, Art. VII.1. Konvention Loire, Art. 43 Konvention Rhône-Alpes). Zu Zwecken der allgemeinen Konsultation bei Fragen der Auslegung, Anwendung oder Modifikation der Konvention kann die Einsetzung einer weiteren Kommission vorgesehen werden (Titel VI Konvention Loire). Solche Streitigkeiten sind in der Vergangenheit zwischen den Regionen und der SNCF tatsächlich entstanden und haben den Rückgriff auf die Streitbeilegungsmechanismen nötig gemacht. Auf diese Weise konnte ein vor den Gerichten ausgetragener Rechtsstreit bislang vermieden werden. Sowohl die SNCF als auch die Regionen bedienen sich bei der Vertretung ihrer Interpretationsstandpunkte der Unterstützung von Rechtsanwaltskanzleien. So war beispielsweise ein in der Region Midi-Pyrénées über den Unterhalt der Bahnhöfe entstandener Streit durch ein einvernehmlich von Region und SNCF beauftragtes Mitglied des Staatsrats (conseiller d’Etat) entschieden worden. Streitfragen sind auch bereits aus Anlass der Jahresendabrechnung über einzelne Rechnungsposten entstanden. Sie wurden durch ein bei einer privaten Prüfungsfirma in Auftrag gegebenes Gutachten entschieden. Für den Fall des Rechtsstreits legen die Konventionen den Gerichtsstand fest (Art. 1.10 Konvention Elsass, Art. VII.1. Konvention Loire, Art. 43 Konvention Rhône-Alpes). X. Ein demokratisches Element: Die Linienkomitees Die ersten Linienkomitees wurden seit der Experimentalphase in der Region Elsass eingerichtet. Inzwischen haben 17 Regionen insgesamt 110 Instanzen zur Konsultation der Benutzer institutionalisiert, die den Namen Linienkomitees („comités de lignes“), Beckenkomitees („comités de bassin“), Zentrumskomitees („comités de pôles“), Konzertationsgruppen („groupes de concertation“),

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o. ä. tragen. In diesen Rahmen werden einerseits konkrete Probleme auf bestimmten Linien diskutiert, andererseits Fragen von genereller Bedeutung für den Regionalverkehr. Sie sind stärker institutionalisiert als ihre deutschen Gegenstücke. So werden z. B. den Teilnehmern aufgrund eines speziellen Titels im Haushalt der Region Fahrkosten erstattet. Der offizielle Charakter äußert sich auch in der Zusammensetzung der Teilnehmer: Häufig sitzen in den Komitees neben unmittelbar betroffenen Benutzern Repräsentanten von Benutzervereinigungen, Abgeordnete aus den Regionalparlamenten und Repräsentanten der anderen departementalen und städtischen Aufgabenträger. Sie sind auch stärker politisiert als die entsprechenden Einrichtungen in Deutschland. Heute ist zudem die Tendenz zu beobachten, dass sich die Themenstellung dieser Linienkomitees auf die Intermodalität betreffende Fragestellungen ausweitet404. XI. Die Auswirkungen der Reform auf die SNCF Die Regionalisierung stellt auch eine erhebliche Herausforderung für die SNCF dar. Von einer Logik der reinen Budgetverwaltung muss sie sich auf eine Logik der Ergebnisverantwortung umstellen. Neuland betritt die traditionell allein von Paris aus geführte SNCF außerdem mit der Einrichtung dezentraler Verantwortlichkeiten im Bereich ihrer TER-Aktivitäten. Die Dezentralisation der Aufgabenverantwortlichkeit zieht eine Dekonzentration des Staatsunternehmens nach sich. So erlebt die SNCF in den Worten ihres ehemaligen Präsidenten Louis Gallois durch die Regionalisierung eine „wahrhafte Kulturrevolution“405. Organisatorisch hat die SNCF im Jahre 2000 auf die Regionalisierung mit der Übertragung des ehemaligen zentralen Geschäftsbereichs Regionalverkehr der SNCF auf eigenständige wirtschaftliche Einheiten reagiert. So wurden 20 DDTER (directions déléguées TER, Direktionsvertretungen TER) in den Regionen geschaffen sowie die neue Zentralabteilung DTPRL (direction des transports de personnes régionaux et locaux, Direktion Personennah- und -regionalverkehr), die die DDTER mit zentralen Diensten, u. a. einer Rechtsabteilung und zentralen Planungs- und Kontrollinstrumenten unterstützt. Die DDTER werden von einem Direktor geleitet, der bevollmächtigt ist, die Konventionen mit den Regionen zu unterzeichnen. Sie sind verantwortlich für Marketing, Kommunikation, Kontrolle, die Buchführung des Geschäftskontos TER sowie die Qualitätsplanung der TER in der Region. Innerhalb der DDTER wurden Managementeinheiten für jede TER-Linie mit einem Linienmanager als spezialisiertem, entscheidungsbefugtem Ansprechpartner eingerichtet406. 404 405 406

Chauvineau, 2003, S. 22 f. Vgl. Chauvineau, 2001, S. I-14 und II-73. Chauvineau, 2001, S. II-74.

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Eine weitere Herausforderung stellte die Einrichtung getrennter Konten für die einzelnen TER seit 2001 dar. Dies war unverzichtbar, um für die Vertragsverhandlungen Gewissheit über die Kosten der Aktivitäten der SNCF in dem Bereich zu erhalten. Bislang konnte die SNCF hierüber keine genaue Auskunft erteilen. Trotz dieser Umwälzungen steht die SNCF der Regionalisierung des SPRV uneingeschränkt positiv gegenüber, denn die Reform ermöglicht ihr, im Bereich TER einen attraktiven Dienst anzubieten, was sich motivierend auf die Mitarbeiter auswirkt. Während die SNCF vor der Reform mit den TER negative Resultate erwirtschaftete407, weil der Staat die Verluste nur zum Teil ausglich, und ihr Interesse deshalb in der Reduzierung des Angebots bestand, erwirtschaftet der Geschäftsbereich TER der SNCF heute Gewinne, die in Angebotsverbesserungen investiert werden können, insbesondere in die Modernisierung der Bahnhöfe, Informationsangebote und in Vertriebsaktivitäten. Die größte Herausforderung der nächsten Jahre wird für die SNCF darin bestehen, ihre Produktivität derjenigen eines Privatunternehmens anzunähern408. Bei der Erreichung dieses Ziels setzt die Unternehmensführung die von Europa her drohende Marktöffnung im Eisenbahnverkehr als Managementinstrument ein. Die Regionen erkennen zwar die Fortschritte der SNCF und ihr nach wie vor hohes technisches Niveau an, sie wünschen sich jedoch eine noch größere Entscheidungsmacht auf regionaler Ebene bei der SNCF409 sowie mehr Initiative im Marketingbereich. Sie beklagen auch die lange Vorlaufzeit für die Modifizierung einer Zugverbindung von 1 Jahr. Daraus resultiert ein sehr schwerfälliges System, zumal die Auswirkungen der Veränderungen nicht mit Bestimmtheit vorhergesehen werden können und deshalb eventuell erneute Anpassungen erfordern. Zudem beschweren sie sich über die hohen, eher steigenden als sinkenden Preise und die Blockadehaltung gegenüber mancher Forderung der Regionen, selbst wenn sie bereit wären, Mehraufwand finanziell zu entgelten. XII. Bilanz der Regionalisierung Die Reform des SPRV wird allgemein als erfolgreich bewertet. Der Leistungsumfang hat ebenso wie die Qualität der Leistungen zugenommen. Zugenommen haben allerdings auch die eingesetzten öffentlichen Mittel. Die hohen Steigerungszahlen erklären sich sicherlich auch aus der Vernachlässigung des 407 Nach Auskunft der SNCF beliefen sich die Verluste auf jährlich zwischen 150 und 200 Mio. Euro. 408 Vgl. die Zahlen in: Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 60. 409 Chauvineau, 2003, S. 37.

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Regionalverkehrs in den vorangegangenen Jahren410. Wenn auch nicht in jedem Einzelfall beeindruckende Verbesserungen erzielt werden konnten, hat die Regionalisierung doch überall eine negative Entwicklung anhalten können, die in der Einstellung von SPRV-Leistungen und in deren qualitativem Niedergang bestand. Voraussetzung dieses Erfolges war allerdings – wie in Deutschland – die erhebliche Aufstockung der eingesetzten öffentlichen finanziellen Mittel, s. o. IV.3. Zwischen 1997 und 2007 hat das Angebot an TER-Verbindungen in Zugkilometern um 24,6% zugenommen (32,8% für die Experimentalregionen und 16,8% für die übrigen). Der Verkehr in Personenkilometern hat im gleichen Zeitraum um 21,4% zugenommen (25,1% für die Experimentalregionen und 17,2% für die übrigen). Die Erhöhung des Verkehrsangebots ist also nicht auch immer genutzt worden. Hinter diesen Zahlen stehen sehr unterschiedliche Resultate in den einzelnen Regionen. Einige Regionen sind bereits von einem sehr hohen Ausgangsniveau gestartet, so dass es schwierig war, noch hohe Steigerungsraten zu erzielen. Andere Regionen, wie die Region Limousin, haben – zum Teil aus traditioneller Bindung an den Eisenbahnsektor – eine sehr offensive Angebotspolitik betrieben, die nur in unverhältnismäßig geringem Maße genutzt wurde. Dennoch ist das TER-Angebot zwischen 2002 und 2007 um weitere 27% (in Personenkilometern) gewachsen. Gleichzeitig sind die Einnahmen um 38% gestiegen411. Die Fähigkeiten der Regionen, ihr SPRV-Angebot weiter auszuweiten, werden auch weiterhin sehr variieren zwischen wirtschaftlich starken, dicht besiedelten und dynamischen Regionen, die häufig zudem von ihren Grenzlagen zu anderen Staaten profitieren, wie Rhône-Alpes oder Alsace, und den ländlichen, dünn besiedelten Regionen wie Poitou-Charentes oder Limousin. Ein wesentlicher Erfolg der Reform besteht bereits darin, Transparenz der Kosten im SPRV geschaffen zu haben. Noch vor einigen Jahren konnte die SNCF nicht mit Sicherheit darüber Auskunft geben, wieviele Lokomotiven sie besaß. Die neue Kostentransparenz im Bereich TER und in der Folge auch in den übrigen Geschäftsbereichen der SNCF ermöglicht, Indikatoren und Kennzahlen zu definieren und auf diese Weise mehr Kontrolle und damit Verantwortlichkeit einzuführen. Erst mit der Experimentierung der Regionalisierung fand auch das Kriterium der Qualität Eingang in den SPRV. Bis dahin hatte sich die Produktionslogik ausschließlich auf die Optimierung und Rationalisierung der bestehenden Produktionsmethoden konzentriert. In der Praxis bedeutete dies aufgrund des Geldmangels vor allem die Schließung defizitärer Linien. Der Benutzer und seine 410 411

S. 10.

Faivre d’Arcier, Transports 2002, S. 389, 394. Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008,

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Qualitätserwartungen wurden nur in einem Mindestmaß berücksichtigt. Heute hingegen werden die Wünsche der Benutzer schon bei der Definition der zu erreichenden Ziele berücksichtigt und erscheinen als ein eigenes Produktionsziel412. Dies wurde erst durch die erhebliche Aufstockung der für den Regionalverkehr aufgewandten finanziellen Mittel ermöglicht. Aber auch wirtschaftliche Gründe sprechen für eine stärkere Berücksichtigung der Qualitätserwartungen, denn ein Mangel an Qualität kann Kosten verursachen bzw. zu Einnahmeausfällen führen. Politischer Hintergrund der Qualitätspolitik ist, dass mit der Übertragung der Kompetenzen auf die Regionen und einem starken Engagement derselben auf diesem Gebiet eine Identifikation zwischen Regionen und SPRV einhergeht. Dies schafft wiederum einen Anreiz für die Regionalpolitik, die Wünsche ihrer Bewohner zu realisieren413. Defizite werden derzeit vor allem auf dem Gebiet der Kooperation identifiziert, sei es zwischen den Regionen untereinander bei interregionalen Verbindungen, sei es zwischen den Regionen einerseits – vgl. hierzu Art. 21-5 LOTI, s. o. IX. – und insbesondere den Agglomerationen andererseits bei der Koordination mit den übrigen Verkehrsmitteln des ÖPNV. In letzterem Falle erweist sich die Beziehung zwischen der – im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander stehenden – Kommunal- und Regionalverwaltung nicht selten als schwierig, weil beiden häufig landesweit bekannte Politiker mit eigenen politischen Zielvorstellungen und Ambitionen vorstehen und einem erheblichen Verwaltungsapparat zu deren Ausführung. In einigen Regionen existieren Projekte, Verbundtarife mit Tarifzonen einzuführen, wie dies bereits in der Hauptstadtregion Ile de France der Fall ist414, wo ein Verkehrsverbund existiert, dem die Region, die acht Departements und die Stadt Paris angehören, das STIF (Syndicat des transports d’Ile de France)415. Eisenbahnverkehr und Stadtverkehre stellen aber – nicht zuletzt aufgrund der zentralistischen Tradition der Eisenbahnen – immer noch zwei verschiedene Kreise dar, die weder eine gemeinsame Kooperationskultur noch Kooperationstradition noch Kooperations-Fachkenntnis haben416. Das Verhältnis des Regionalverkehrs zum Fernverkehr ist nicht immer eindeutig. Häufig haben Linien des Fernverkehrs auch Bedeutung für den Regio412 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 89. 413 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 90. 414 s. zu den Fragestellungen, die die Einführung solcher Verbundtarife unter dem Aspekt des Prinzips der Gleichheit vor dem service public aufwirft: CE vom 13.2. 2002 „Union fédérale des consommateurs, M. Koua Poirrez“, AJDA 2002, 976 mit Anmerkung Guglielmi/Koubi, AJDA 2002, 978 ff. 415 Vgl. http://www.stif.info/organisation-missions/presentation-organisation-du-stif/ 7.html, Stand: 1.8.2008. 416 Chauvineau, 2003, S. 16 f.

B. Die Regionalisierung in Frankreich

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nalverkehr417. Hier besteht die Gefahr, dass die SNCF unrentable Fernverkehrslinien reduziert, um stattdessen von den Regionen finanzierte Regionalverkehre einzurichten, s. u. 3. Teil J. Die Regionalisierung hat die im Vergleich zu Deutschland häufigen Betriebsunterbrechungen wegen sozialer Konflikte nicht reduzieren können. Hierin besteht gegenwärtig der Hauptmangel der von der SNCF angebotenen Leistungen. Betriebsunterbrechungen dienen den Eisenbahnern weiterhin als Hauptmittel, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Nach wie vor sind auch Unterbrechungen aus technischen Gründen nicht selten418, mit der Einführung neuer, zuverlässigerer Fahrzeuge werden sie aber seltener. Diese Probleme werden von den Aufgabenträgern erkannt. So hat z. B. die Region Pays de la Loire einen strategischen Plan „Pays de la Loire 2010“ aufgestellt, dessen Eckpunkte die Einrichtung weiterer interregionaler Verbindungen sind, die Einrichtung eines oder mehrerer umfassender Verbundtarife, die weitere Verbesserung der Infrastruktur sowie der Abschluss der Renovierung des Fahrzeugparks419. Nach den kostenintensiven Maßnahmen der ersten Jahre der Regionalisierung, nämlich der erheblichen Ausweitung des Angebots, der Einführung von Tarifvergünstigungen und den erheblichen Investitionen in Infrastruktur und Rollmaterial, die in vielen Regionen zu einem starken Anwachsen der Ausgaben für den SPRV führten, sollen jetzt unter stärkerem Kostenbewusstsein zunächst noch bestehende Potentiale bei den vorhandenen Ressourcen ausgeschöpft werden. XIII. Zukünftige Marktöffnung im SPRV? Das Monopol der SNCF im SPRV wird von den Regionen zunehmend in Frage gestellt. So erwägt die Region Elsass bereits die Durchführung einer wettbewerblichen Vergabe von SPRV-Leistungen. Hierfür existieren – bislang nur auf Ebene des Gemeinschaftsrechtes – zwei mögliche Rechtsgrundlagen: Die Richtlinie 2007/58/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre Schienenpersonenverkehrsmärkte ab 1. Januar 2010 für den grenzüberschreitenden Verkehr durch in der EU zugelassene Eisenbahnverkehrsunternehmen zu öffnen. Die Unternehmen erhalten dabei das Recht, Fahrgäste zwischen Bahnhöfen auf den inländischen Teilstücken zu transportieren. Hauptzweck der Verkehrsleistung muss allerdings die Beförderung von Fahrgästen zwischen Bahnhöfen in verschiedenen Mitgliedstaaten sein. Die Regelung gilt auch im grenzüberschreitenden Regionalverkehr. 417

Chauvineau, 2003, S. 21. Chauvineau, 2003, S. 20. 419 Région des Pays de la Loire: Bilan de l’expérimentation de la régionalisation des transports de voyageurs, mai 2001, S. 125 f. 418

312

2. Teil: Die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs

Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 1370/2007/EG sieht vor, dass zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge über öffentliche Personenverkehre grundsätzlich ein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchzuführen ist. Gemäß Art. 5 Abs. 6 können öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr auch direkt vergeben werden, sofern dies nicht nach nationalem Recht untersagt ist. Das französische Verkehrsministerium versteht diese Regelung so, dass sie keine Marktöffnung erzwingt. Es kann sich dabei auf Erwägungsgrund 25 der Richtlinie stützen, vgl. oben 1. Teil C.II.3.c). Es kann aber auch argumentiert werden, dass die Möglichkeit der Behörde, die öffentlichen Dienstleistungsaufträge direkt zu vergeben, voraussetzt, dass sie sie auch im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergeben können muss. Das LOTI geht in Art. 18 allerdings nach wie vor von einem Monopol der SNCF im nationalen Schienenpersonenverkehr aus. Der Senator Hubert Haenel empfiehlt in seinem Bericht von 2008 über die Regionalisierung des SPRV die versuchsweise Öffnung des Regionalverkehrs für Wettbewerber420.

420

S. 41.

Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008,

3. Teil

Vergleich und Schlussfolgerungen A. Die „Kontraktualisierte Verwaltung“ mit einem Monopolanbieter und im Wettbewerb Die Trennung der Funktionen von Be- und Ersteller hat in der deutschen und in der französischen Reform unterschiedliche Bedeutung: Im deutschen, wettbewerbsorientierten Modell trennt sie den Funktionsbereich der durch den Staat selbst ausgeführten Daseinsvorsorgeerfüllung, nämlich Planung und Koordination des SPNV, von dem Funktionsbereich, der auf im Wettbewerb stehende Private delegiert wird, dem Verkehrsbetrieb1. Unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit besteht auch im deutschen Modell nur im Rahmen der wirtschaftlichen Umsetzung der öffentlichen Planungsvorgaben2. In Frankreich hat die Trennung dagegen die Funktion, zwischen Be- und Ersteller eine vertragliche Leistungsbeziehung wie zwischen Privaten herzustellen. Gleichzeitig soll sie die Planung dem Zentralstaat und dem zentral organisierten Staatsunternehmen entziehen und einer regionalen und damit sachnahen Instanz übertragen. Wenn die französischen Konventionen im Allgemeinen den deutschen Verkehrsverträgen in ihrer Bestimmtheit, ihrer Verbindlichkeit, ihren Kontroll- und Anreizinstrumenten in nichts nachstehen, bestehen doch einige aus dem verschiedenen Kontext, insbesondere dem Monopol der SNCF, resultierende prinzipielle Unterschiede. I. Unterschiede der Verträge zur Delegation der öffentlichen Dienstleistung des SPNV zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Personen und zwischen der Verwaltung und einem Privaten Unterschiede bestehen notwendigerweise bei den Mechanismen der Vertragsverhandlung in beiden Ländern: Während die deutschen Aufgabenträger die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Konkurrenten zu wählen, und mit 1 Hierzu sowie zu dem Gegenmodell, das auch die Planung dem Unternehmer überlässt: Hans-Jörg Weiß, S. 238. 2 Fehling, Die Verwaltung 2001, 25, 54.

314

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

der Drohung des Abbruchs der Vertragsverhandlungen ihre Verhandlungspartner zu Zugeständnissen zwingen können, scheinen die Regionen gegenüber der SNCF über kein wirkliches Druckmittel zu verfügen, denn die SNCF ist alleiniger Anbieter von Eisenbahnverkehrsleistungen auf dem nationalen Eisenbahnnetz. Deshalb stellt sich die Frage, welche Instrumente den Regionen Verhandlungsmacht geben. Hier sind verschiedene Faktoren zu nennen: Zunächst haben die Regionen die Möglichkeit, auf die Bestellung von Schienenverkehren zu verzichten und stattdessen Busverkehre zu bestellen. Die finanzielle Verwendungsfreiheit über die den Regionen vom Staat zur Verfügung gestellten Ausgleichsmittel ist Voraussetzung hierfür. Sodann ist sich die SNCF bewusst, dass ihr Monopol für die Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen nicht von unbegrenzter Dauer sein wird. Falls ihr Leistungsangebot für die Regionen unakzeptabel wird, muss sie damit rechnen, dass die Regionen nach Wettbewerbern im SPRV rufen, was das Ende ihres Monopols beschleunigen kann. Schließlich verfügen die Regionen über politische Druckmittel gegenüber der SNCF: Wenn die SNCF nicht zu Zugeständnissen bereit ist, können sich die gewählten Repräsentanten der Regionen auf informeller Ebene an den Transportminister wenden, um diesen zur Geltendmachung seines Einflusses auf die SNCF zu bewegen. Dieser letzte Gesichtspunkt könnte den Vertragscharakter der Konventionen insgesamt in Frage stellen: Begründen die Konventionen möglicherweise kein synallagmatisches do-ut-des-Verhältnis, sondern sind sie Fixierung externer politischer Einflussnahmen? Dagegen spricht, dass diese Interventionen lediglich eine ultima ratio darstellen, weil auch das Transportministerium im Grunde die Wertung des Gesetzgebers respektiert, dass die Verhandlung der Konventionen alleinige Aufgabe der SNCF und der Regionen ist, und das Instrument der politischen Intervention bei den Vertragsverhandlungen wohl eher als (häufig unausgesprochenes) Druckmittel dient, vergleichbar der Drohung mit dem Konkurrenten in Deutschland. Um das Dilemma zwischen freien Vertragsverhandlungen ohne Kontrahierungszwang zu festen Bedingungen einerseits, und Monopol der SNCF andererseits aufzulösen, wird dieser Notbehelf aber unverzichtbar bleiben. Einige Regionen, wie die Region Pays de la Loire, haben der SNCF bereits den Betrieb der Busverkehre entzogen, die aus Wirtschaftlichkeitsgründen an die Stelle von Eisenbahnlinien getreten sind, und vergeben sie an konkurrierende Busunternehmen. Auch dieses Vorgehen hat eine Atmosphäre von Wettbewerb in die Vertragsverhandlungen getragen. Jedoch sehen Regionen und SNCF übereinstimmend bislang ihr Verhältnis weniger von konträren Interessen und von Zwang geprägt, als von einer Partnerschaft zugunsten der Benutzer. So finden sich auch in den Konventionen Koordinationselemente, die auf gegenseitigem Vertrauen und einem partnerschaft-

A. Die „Kontraktualisierte Verwaltung‘‘ im Wettbewerb

315

lichen Verhältnis basieren, das in den französischen Konventionen als dritte Gruppe der Regelungen zur Zusammenarbeit neben den Instrumenten der Befehlsgewalt und der Anreizelemente identifiziert werden kann3. Hierzu gehört beispielsweise die Regelungstechnik, für nachrangige Fragen teilweise auf nachträglich abzuschließende jährliche Zielvereinbarungen oder Maßnahmenprogramme (vgl. 1.4.1. Konvention Elsass, Art. 25 Konvention Rhône-Alpes) zu verweisen. Dies unterscheidet sie von deutschen Verkehrsverträgen und ist wohl vor allem darauf zurückzuführen, dass sowohl Regionen als auch SNCF dem Ziel des service public im Transportbereich verpflichtet sind4. Auch die Monopolstellung der SNCF, die eine Zusammenarbeit erzwingt, könnte hierbei eine Rolle spielen. Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit besteht ebenso zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wie während der Vertragslaufzeit. Deshalb ist es möglich, die vertragsmäßige Regelung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Andererseits regeln die Konventionen zwischen Regionen und SNCF häufig sehr ausführlich die Zulässigkeit und die einzuhaltenden Prozeduren bei Leistungsmodifikationen der eigentlichen Transportleistung während der Vertragslaufzeit. Hier wird aber unmittelbar das monetäre Gleichgewicht des Vertrags betroffen. Die Vertragslaufzeit der französischen Konventionen ist im Allgemeinen kürzer als die der deutschen, s. o. 2. Teil A.VII.6.i). für Deutschland und 2. Teil B.IX.2.l) für Frankreich. Hier machen die deutschen Konventionen Zugeständnisse an den Auftragnehmer. Die längere Laufzeit wird den Investitionen in das Fahrzeugmaterial geschuldet sein, die in Deutschland vorwiegend die Verkehrsunternehmen, in Frankreich die Aufgabenträger übernehmen. Auch die Beratungspflicht der SNCF als einer der Hauptvertragspflichten ist Ausdruck des partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen SNCF und Regionen. Die Partnerschaft ermöglicht den Regionen, eigenes eisenbahntechnisches Fachwissen nur beschränkt aufzubauen und im Übrigen auf Sachverstand und Erfahrung der SNCF zurückzugreifen. Diese Form der Zusammenarbeit entspricht dem deutschen Modell nicht, denn der Aufgabenträger muss den um einen Verkehrsvertrag konkurrierenden Unternehmen – ohne deren Mithilfe – im Voraus genaue und technisch realisierbare Vorgaben machen. Wenn sich die Aufgabenträger auf das Fachwissen des Verkehrsunternehmens bei der Planung verließen, bestände die Gefahr einer Abhängigkeit von dem gerade beauftragten Unternehmen und dadurch entstehender Wettbewerbsverzerrungen bei der nächsten Vertragsvergabe. 3 So Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, der die Konventionen in wirtschaftlichem Sinne als Subunternehmervertrag begreift. 4 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 20 ff.

316

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

Diese partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Regionen und SNCF steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Trennung der Aufgaben von Besteller und Ersteller. Im Zusammenhang hiermit steht das klassische principal-agent-Problem des Informationsdefizits der Aufgabenträger gegenüber dem ausführenden Unternehmen. Dieses Problem besteht im deutschen wie im französischen SPNV. In beiden Systemen müssen die Verträge deshalb Informationspflichten zugunsten des Aufgabenträgers vorsehen, um dem Aufgabenträger das Vertragscontrolling und die Ausübung seiner Steuerungspflicht zu ermöglichen. In Frankreich wird das Problem dadurch verschärft, dass häufig die SNCF selbst nicht über detaillierte Kennzahlen verfügt. So verfügt sie immer noch über keine verlässlichen Zahlen über die Einnahmen und Lasten jeder einzelnen TER-Linie5, die den Regionen eine exakte Einschätzung der Wirtschaftlichkeit ermöglichen würden. Ein weiterer Unterschied besteht in der freien Zugänglichkeit der Konventionen in Frankreich, wohingegen in Deutschland die Verkehrsverträge häufig als streng geheim behandelt werden. Die öffentliche Zugänglichkeit der Konventionen ist in Frankreich durch Gesetz vom 17.7.1978 – s. o. 2. Teil B.IX.2. – vorgeschrieben. In Deutschland sind Informationszugangsrechte und Akteneinsichtsrechte traditionell beschränkt: Ein Akteneinsichtsrecht existierte bislang lediglich für Verfahrensbeteiligte, vgl. § 29 VwVfG, eine Veröffentlichungspflicht gegenüber jedermann nur für Rechtsverordnungen, vgl. Art. 82 GG für Bundesverordnungen. Im Übrigen entscheidet die Behörde nach bisheriger Rechtslage nach pflichtgemäßem Ermessen über Auskunftsverlangen des Bürgers. Spezialgesetzliche Auskunftsansprüche und weitergehende landesgesetzliche Regelungen – wie Art. 21 Abs. 4 Brandenburgische Verfassung, das Berliner Informationsfreiheitsgesetz und das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes – erweitern erst in jüngster Zeit diese Regelung in Richtung eines allgemeinen Informationsanspruchs des Bürgers gegenüber der öffentlichen Verwaltung6. Im Bereich des SPNV dürfte der Grund für die sehr restriktive Zugänglichkeit in der ungeklärten Rechtslage hinsichtlich der Ausschreibungspflicht liegen, die eine intransparente Vergabepraxis zur Folge hat, sowie die Angst vor Angriffen der dabei zustandegekommenen Verkehrsverträge durch Konkurrenten. Dabei schreibt Art. 15 VO 1191/69/EWG vor, dass die Entscheidungen der Mitgliedstaaten, wozu auch die Verträge nach Abschnitt V der VO zählen, „in angemessener Weise veröffentlicht“ werden. Dieser Pflicht kommen die Aufgabenträger in minimalem Umfang nach, indem sie die Öffentlichkeit durch Mitteilung einiger Eckpunkte in der Presse informieren. Die genauen Daten werden als Geschäftsgeheimnisse des Verkehrsunternehmens angesehen. Geringe Transparenz 5 Vgl. zu den Gründen dieses Problems: Région des Pays de la Loire: Bilan de l’expérimentation de la régionalisation des transports de voyageurs, mai 2001, S. 131 f. 6 Vgl. Maurer, § 19 Rn. 21 ff.

A. Die „Kontraktualisierte Verwaltung‘‘ im Wettbewerb

317

und Publizität für den Bürger wurden als typische Gefahren der Zusammenarbeit der Verwaltung mit Privaten identifiziert7. Die weiter reichende Regelung des Art. 7 VO 1370/07/EG dürfte hier zu mehr Tranparenz führen. Bei der Verteilung der Geschäftsrisiken bestehen zwar keine grundsätzlichen, aber doch feine Unterschiede: Die Mehrzahl der deutschen Verkehrsverträge stellen ebenso wie die Gesamtheit der französischen Konventionen Bruttoverträge mit Anreizelementen dar. Dabei überantworten die deutschen Verkehrsverträge das Risiko über die Ausgabenseite komplett dem Eisenbahnverkehrsunternehmen. Die französischen Konventionen differenzieren zwischen einzelnen Ausgabenposten und übertragen der SNCF nur für einzelne, in ihrem Einflussbereich liegende Ausgabenposten eine volle Ausgabenverantwortung; die Übertragung der vollen Ausgabenverantwortung konnte die SNCF bislang vermeiden. Da die SNCF einziger Anbieter von Eisenbahnregionalverkehrsleistungen ist, können die Konventionen auch keine Kündigungsrechte in dem Umfang vorsehen, wie dies in den deutschen Verkehrsverträgen der Fall ist. Um sicherzustellen, dass die SNCF die Leistungen, zu denen sie sich verpflichtet hat, auch tatsächlich erbringt, werden deshalb die innervertraglichen Mechanismen der Streitbeilegung und die Schadensersatz- bzw. Vertragsstrafenregelungen wichtiger. Allein die Konvention Elsass ermöglicht nach fünfjähriger Laufzeit, die Konvention zum jeweiligen Jahresende auf Initiative der SNCF oder der Region vorzeitig zu beenden (Art. 1.3. Konvention Elsass). Dieses Kündigungsrecht stellt zwar keine Sanktion für schwerwiegende Vertragsverletzungen dar, s. o. 2. Teil B.IX.2.l). Es kann aber einen eventuellen Ausstieg aus der Konvention im Falle der Öffnung des SPRV für den Wettbewerb ermöglichen. II. Gemeinsamkeiten der Verkehrsverträge Die Konventionen zwischen den Regionen und der SNCF, zwei Personen des öffentlichen Rechts, sind hinsichtlich ihrer Leistungspflichten ebenso bestimmt wie die deutschen Verkehrsverträge zwischen Auftraggeber und Verkehrsunternehmen. Sie wurden von den Parteien mit Rechtsbindungswillen geschlossen und haben deshalb Rechtsverbindlichkeit. Auch die Rechtspraxis, insbesondere die entstandenen Streitigkeiten über die Auslegung einiger Bestimmungen und die Art ihrer Beilegung, der Rückgriff auf Rechtsanwälte und unparteiische Streitbeilegungsinstanzen, zeigt, dass die französischen Parteien die Konventionen als voll verbindliche Rechtsinstrumente auffassen. Hieran ändert auch nichts, dass in Frankreich bislang keine gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Konventionen geführt wurden.

7

Trute, Verantwortungsteilung als Schlüsselbegriff, S. 22 f.

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3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

Insbesondere das System der boni und mali in den deutschen Brutto-AnreizVerkehrsverträgen und den französischen Konventionen ist vergleichbar und hat die gleichen positiven Auswirkungen in beiden Systemen. Auch die Konventionen beteiligen die SNCF am Einnahmenrisiko und schaffen so Anreize für das Erreichen finanzieller Ziele. Deutsche Verkehrsverträge setzen mit der Bonuszahlung bzw. Einbehaltung von Mali für steigende bzw. sinkende Fahrgastzahlen ähnliche finanzielle Anreize für eine Steigerung der Fahrgastzahlen und damit mittelbar für die Steigerung der Einnahmen. Gerade diese Begründung flexibler Anreizelemente zeigt die Vorteilhaftigkeit der Übertragung der Daseinsvorsorgeaufgabe auf einen Privaten mittels Vertrages anstelle der Auferlegung durch Gesetz oder durch individuelle Auflage. Damit lässt sich das Verhalten des Privaten zielgenau steuern. Zugleich hat dies den Vorteil, dass die interessierte Vertragspartei die Einhaltung der Regelung überwacht. Ein weiterer Anreiz für Wohlverhalten des Auftragnehmers dürfte im Wettbewerb um den Markt dadurch geschaffen werden, dass dieser sich eine bessere Chance zum Zeitpunkt des Abschlusses eines neuen Verkehrsvertrags ausrechnen wird, wenn der alte Vertrag ohne Probleme erfüllt wurde. Die Übereinstimmung in den Konventionen mag auf den ersten Blick verwundern. Sie kann aber als Beleg dafür angesehen werden, dass tatsächlich auch innerhalb des öffentlichen Sektors Leistungsbeziehungen geschaffen werden können wie im Privatsektor. Aus umgekehrter Perspektive illustriert die Übereinstimmung auch, dass der Rückzug des Staates in Folge einer funktionalen Privatisierung nicht umfassend ist, sondern vielmehr einen Funktionswandel bedeutet, der schlagwortartig häufig mit dem Begriff des „Regulierungsstaats“ beschrieben wird, vor allem aber darin besteht, dass Gewährleistungs- bzw. Garantenpflichten an die Stelle der eigenen Aufgabenerfüllung treten8. Um derartige Leistungsbeziehungen schaffen zu können, scheinen allerdings folgende Bedingungen erfüllt sein zu müssen, die das Verhältnis von SNCF und Regionen kennzeichnen: SNCF und die Regionen sind verschiedene öffentlichrechtliche Rechtspersönlichkeiten, die in keinem hierarchischen Verhältnis stehen. Die Konventionen stellen damit tatsächlich das einzige rechtliche Band zwischen ihnen dar. Beide Körperschaften unterliegen nur begrenzten staatlichen Einflüssen: Die Regionen sind Selbstverwaltungskörperschaften, die lediglich eng definierten staatlichen Aufsichtsrechten unterliegen. Zwar könnte der Staat auf die SNCF auf Betreiben der Regionen im Wege seiner staatlichen Aufsichtsrechte („tutelle“) Einfluss nehmen, wenn er der Ansicht wäre, ein Verhalten der SNCF verletze das Gemeininteresse, doch er hält sich dabei bewusst 8 Kämmerer, Privatisierungen, S. 544 f.; zum Begriff der Regulierung s. Berringer, S. 81 ff., von Danwitz, DÖV 2004, 977 ff., Berschin, S. 38 ff.

B. Die Funktionen der Regionalisierung in beiden Reformen

319

zurück. Der Staat ist beiden Parteien gegenüber ein Dritter. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zu im Verwaltungsinnern geschlossenen Verträgen, die häufig nur neben bestehende Hierarchien mit ihren Durchsetzungsinstrumenten treten. Hierin besteht auch die Besonderheit gegenüber Verträgen, die eine Regierung mit ihr untergeordneten Körperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit, wie den Universitäten, schließt. Denn auch hier bleibt trotz der Autonomie das hierarchische Verhältnis zwischen den Vertragsparteien, das von finanzieller Abhängigkeit bis zu Aufsichtsinstrumentarien reicht, neben dem Vertragsverhältnis bestehen. Dies trifft auch auf die in Frankreich in Folge des rapport Nora geschlossenen Unternehmensverträge zu, die häufig durch den Staat einseitig vorgegebene Handlungsziele und Finanzierungsmethoden umsetzten9.

B. Die Funktionen der Regionalisierung in beiden Reformen I. Ziele der Regionalisierung Mit der Regionalisierung verfolgten beide Staaten das Ziel, eine Identität von Verwaltungsaufgabe und Verwaltungsträger im SPNV anzustreben sowie den regionalen Verkehrsraum und den Zuständigkeitsbereich des Aufgabenträgers zur Deckung zu bringen. Eine vollständige Deckung konnte aber regelmäßig nicht erreicht werden, wenn auf vorhandene Verwaltungseinheiten zurückgegriffen wurde, weil sich diese Verwaltungseinheiten nicht mit dem regionalen Verkehrsraum decken. Dies sollte dort anders sein, wo in Deutschland die Durchführung einem Verkehrszweckverband übertragen wird. Ein zweites Ziel der Regionalisierung der Zuständigkeit für den SPNV war die Zusammenführung der Kompetenzen für ÖSPV und SPNV. Da in Deutschland die Kommunen für den ÖSPV zuständig sind, konnten die beiden Kompetenzen lediglich in den Fällen zusammengeführt werden, in denen die Zuständigkeit für den SPNV auf einen kommunalen Aufgabenträger übertragen wurde, insbesondere auf Verkehrszweckverbände. Auch in Frankreich blieben die Kompetenzen weitgehend geteilt, weil sich nur die regionalen Straßenpersonenverkehre in der Zuständigkeit der Regionen befinden, die meisten Straßenpersonenverkehre aber in der Zuständigkeit der Departements und der Kommunen stehen. Eine effektive Dezentralisation setzt auch die Übertragung der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen finanziellen Mittel mit freier Verfügungsbefugnis voraus. Mit der Zuständigkeit für die Aufgabenträgerschaft wurden in beiden Ländern auch die entsprechenden finanziellen Mittel zu weitgehend freier Verfügung übertragen, s. o. 2. Teil A.III.4. und 2. Teil B.IV.3. Zwar war Anlass der entsprechenden Finanzmittelübertragungen die Übertragung der Zuständigkeiten 9

Vgl. Pielow, S. 157.

320

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

für den SPNV, und hieraus wird sich eine gewisse Zweckbindung ableiten lassen, die Höhe der Mittel ist aber nicht an die tatsächlichen Ausgaben für diesen bestimmten Zweck gekoppelt. Hieraus folgt ein zusätzliches Maß an Gestaltungsfreiheit im ÖPNV. In Frankreich hat erst die Regionalisierung mit eigener finanzieller Gestaltungsmacht des Aufgabenträgers eine gewisse Staatsferne hergestellt und damit bewirkt, dass wirkliche Vertragsverhandlungen stattfinden können. Im Gegensatz zu den zwischen Staat und SNCF geschlossenen Unternehmensverträgen finden im Verhältnis Region – SNCF wirkliche Vertragsverhandlungen auch ohne Wettbewerb statt, weil sich zwei voneinander weitgehend unabhängige öffentlich-rechtliche Personen gegenüber stehen, s. o. A.II. In Deutschland wurde dieses Ergebnis vorwiegend durch die Marktöffnung erreicht. II. Welche ist die geeignete Organisationsebene in Deutschland: Region, Land, Gemeindeverband? Vor allem in Deutschland zeigt sich, dass auch die Größe der Verwaltungseinheit und damit ihre Finanzkraft ein Kriterium bei der Entscheidung sein sollte, auf welchen Verwaltungsträger die sehr kapitalintensive Aufgabe des SPRV übertragen wird. So scheint sich abzuzeichnen, dass vor allem kleinere, über nur geringe Finanzmittel verfügende Aufgabenträger die Risiken einer Ausschreibung scheuen und auch nicht über die personellen Kapazitäten für die Durchführung dieses aufwändigen Verfahrens verfügen. Die Gründung von Fahrzeugpools kann ebenfalls nur für größere, finanzstarke Aufgabenträger in Betracht kommen. Kleine Aufgabenträger sehen sich auch nicht selten gegenüber der DB Regio AG in einer nachteiligen Verhandlungssituation, denn es besteht die Gefahr, dass sie der Fachkompetenz von DB Regio unterlegen sind. Auch in Frankreich bestehen Diskrepanzen zwischen großen, finanzkräftigen Regionen, die in ihrer Größe deutschen Ländern von mittlerer Größe vergleichbar sind, wie Rhône-Alpes mit 4,7 Mio. Einwohnern, und kleinen, ländlich geprägten Regionen, wie z. B. Franche-Comté (1,1 Mio. Einwohner) oder Auvergne (1,3 Mio.)10. Nicht wenige Probleme der kleinen Aufgabenträger werden sich aber durch Zusammenarbeit, Informations- und Erfahrungsaustausch beheben lassen. Schließlich scheint die Verbindung der Zuständigkeit für den SPNV mit der Zuständigkeit für andere regionale wirtschaftliche und landesplanerische Zuständigkeiten sinnvoll. Die französischen Regionen verfügen über eine solche weite Zuständigkeit, wohingegen in Deutschland nur in Ausnahmefällen Regionalverbände mit entsprechend weitem Aufgabenbestand gegründet wurden. Die Er10

Cordellier/Netter, L’état des régions françaises 2002, S. 78 und 124.

B. Die Funktionen der Regionalisierung in beiden Reformen

321

richtung aufgabenspezifischer Zweckverbände, die auch unter demokratischen Gesichtspunkten nicht wünschenswert erscheint, läuft diesem Organisationsprinzip zuwider. Auf der anderen Seite kann ihre Gründung aber Aufgabenträgerorganisationen von sinnvoller Größe schaffen, die dann auch über das erforderliche Fachwissen und Personal verfügen, um Vergabeverfahren durchzuführen. In Deutschland werden im Ergebnis kleinere Länder, wie z. B. Schleswig-Holstein, eine geeignete Ebene darstellen, weil viele Linien des SPNV das gesamte Land durchqueren und so einen Verkehrsraum bilden. Bereits die Zugehörigkeit Hamburgs zu diesem Verkehrsraum löst aber erheblichen Abstimmungsbedarf aus. Andere Länder, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, mögen für eine möglichst aufgabennahe Zuständigkeit zu groß sein, weil sich die Verkehrsströme schwerpunktmäßig innerhalb abgrenzbarer Teile des Landes abspielen. Das nordrheinwestfälische ÖPNVG11 verpflichtet dann aber zur Zusammenarbeit in drei Zweckverbänden oder in einer gemeinsamen Anstalt, vgl. § 5 Abs. 1 NWÖPNVG. Die verschiedenen Länderstrukturen können unterschiedliche Modelle für die Aufgabenträgerschaft im SPNV notwendig machen. In Ländern, wo die tatsächliche regionale Ebene unterhalb der Länderzentralebene liegt, scheint die Schaffung einer starken regionalen Ebene anstrebenswert. Allgemein scheint sich die Tendenz zu größeren Aufgabenträgern im SPNV abzuzeichnen. In Frankreich werden häufig die Regionen als zu kleinen Zuschnitts angesehen. Die Verwaltungsgrenzen zerschneiden auch zum Teil bestehende Regionalstrukturen. Hier wird die Zusammenarbeit der Regionen („interrégionalité“) als notwendige Ergänzung der Regionalisierung empfohlen12. III. Zusammenführung der Kompetenzen für den gesamten ÖPNV und Rechtsregeln zur Koordination Die Koordination der zersplitterten Kompetenzen im ÖPNV ist ein in beiden Ländern anzutreffendes Leitmotiv der Reformen. Dabei besteht ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen möglichst enger Koordination, die für eine Zusammenfassung der verschiedenen Aufgabenträgerschaften auf einer Ebene spricht, und dem Bemühen um eine Aufgabenträgerschaft, die sich mit dem jeweiligen Verkehrsraum deckt. Durch die Regionalisierung des SPRV wurden in Frankreich die Aufgabenträgerschaft für den SPRV und den regionalen Straßenpersonenverkehr zusammengeführt. Allerdings befindet sich der Großteil des zwischenstädtischen Busverkehrs in der Zuständigkeit der Departements, so dass die Verkehrskompetenz der Regionen schwerpunktmäßig auf den Verkehrsmodus der Eisenbahn konzen11 12

Art. 1 des Gesetzes vom 17.12.2002, GV NRW, S. 650. Chauvineau, 2003, S. 32.

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3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

triert ist13. So bestehen z. B. nur 25% des ÖPNV-Angebots der Region Pays de la Loire aus Busverkehren. Wieder andere Aufgabenträger sind für den städtischen Nahverkehr zuständig. Das LOTI etabliert die Trennung der Zuständigkeiten zwischen regionalen, departementalen und kommunalen öffentlichen Verkehrsangeboten, die sich in der Praxis nicht selten gegenseitig Konkurrenz machen14. Auch in Deutschland war die Zusammenführung der ÖPNV-Kompetenzen bei einem Aufgabenträger Leitgedanke der Regionalisierung des SPNV, vgl. § 3 RegG. Wie gesehen, wurde dieses Ziel aber nur in einigen Ländern erreicht, s. o. 2. Teil A.III.3.a)bb). In Deutschland wie in Frankreich sucht der Staat durch Rechtsregeln eine Koordination des ÖPNV zu befördern: In Deutschland dienen die Nahverkehrspläne auch dem Ziel der Koordinierung des ÖPNV, vgl. § 9 Abs. 3 PBefG. Auch wenn innerhalb eines Landes mehrere Nahverkehrspläne aufgestellt werden, enthalten die ÖPNVGe Regeln für die Abstimmung der verschiedenen Dokumente. Einige Länder stellen auch einen landesweiten, koordinierenden Nahverkehrsplan auf, s. o. 2. Teil A.III.3.c). Die Landesgesetze setzen häufig auch Vorrangregeln fest, etwa in dem Sinne, dass die übrigen Aufgabenträger die Planung für den SPRV zu beachten haben. Dagegen existiert in Frankreich keine einheitliche Planung für die Entwicklung des gesamten ÖPNV, die alle Aufgabenträger einbezieht. Das schéma régional des transports wird nach Art. 14-1 Absatz 2 LOTI „in Beachtung der Kompetenzen der Departements, und in Abstimmung mit den Gemeinden und ihren Verbänden“ aufgestellt, und damit lediglich für die regionalbedeutsamen Verkehre, nicht auch für die departementalen und lokalen Verkehre. Dagegen hatte der die Regionalisierung des SPRV initialisierende Bericht des Senators Haenel als Bestandteil der Reform vorgesehen, dass die Regionen ein schéma régional des transports aufstellen sollten, das Ziele für die gesamte Verkehrsentwicklung in der Region vorgibt und dabei auch die in die Zuständigkeiten der Departements fallenden Verkehre und die kommunalen Verkehre einbeziehen sollte15. Die heutige Regelung sieht lediglich vor, dass die Schemas eine intermodale Komplementarität anstreben sollen (Art. 14-1 Abs. 3 LOTI). Dem kommen die Schémas régionaux in der Praxis nach, die Umsetzung durch die departementalen und lokalen Aufgabenträger hängt aber von ihrer Akzeptanz ab. 13

Chauvineau, 2003, S. 14. Guihéry/Perez, les Cahiers scientifiques du transport, nº 33-1998, 147, 168. 15 Vgl. Brief des Senators Hubert Haenel an den Directeur Général des Services du Conseil régional des Pays de la Loire, S. 3, in: Région des Pays de la Loire: Propositions pour un schéma régional de transport multimodal, décembre 1996. 14

B. Die Funktionen der Regionalisierung in beiden Reformen

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Alle Aufgabenträger müssen deshalb frühzeitig an ihrer Ausarbeitung beteiligt werden16. Der Koordinierung dient auch die Gründung fakultativer „comités régionaux des partenaires du transport public“ bei den Regionen, vgl. Art. 9 des Dekrets nº 2001-1116 vom 27.11.2001. Diese Komitees setzen sich zusammen aus Repräsentanten des Conseil régional und der Conseils généraux, einigen Bürgermeistern aus der Region, einigen Repräsentanten der städtischen Aufgabenträger, den Regionaldirektoren von SNCF und RFF, Arbeitnehmer-, Benutzer- und Kammernvertretern. Wie schon die Zusammensetzung zeigt, handelt es sich hier um ein Konsultativorgan, kein Beschlussorgan. Die deutschen ÖPNVGe enthalten weitergehende Regelungen zur Koordinierung. So geht beispielsweise das nordrhein-westfälische ÖPNV-Gesetz soweit, staatliche Behörden zur Gründung von Zweckverbänden zu ermächtigen, die ein koordiniertes Verkehrsangebot, einheitliche Beförderungsbedingungen und einen Gemeinschaftstarif bilden sollen, § 5 NWÖPNVG. Auch Zweckverbände haben zusammenzuarbeiten, § 6 NWÖPNVG. Kommt eine Zusammenarbeit nicht zustande, kann das Verkehrsministerium darauf hinwirken, § 6 Abs. 1 S. 2 NWÖPNVG. Traditionelle Institutionen zur Koordination des ÖPNV-Angebots sind in Deutschland die ÖPNV-Kooperationen17. Hier wurden seit Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts Verkehrsverbünde ins Leben gerufen18. Während Deutschland heute von wenigen Ausnahmen abgesehen flächendeckend mit Verkehrsverbünden überzogen ist, steckt der französische Nahverkehr bei der Abstimmung der Angebote der verschiedenen öffentlichen Nahverkehrsträger, bei verkehrsträgerübergreifenden Informationen, gemeinsamer Tarifikation und Fahrkartenvertrieb mit Ausnahme der Hauptstadtregion Ile de France in den Anfängen. Verbundformen existieren in der Provinz bislang nur in Einzelfällen. Die Regionen haben diesen Bereich aber als eines der Hauptwerkzeuge identifiziert, um auch ohne eine weitere Angebotsausweitung die Attraktivität des Nahverkehrs und damit die Fahrgastzahlen zu steigern. Während die eben dargestellten Koordinationsformen auf Ebene des Aufgabenträgers stattfinden, können auch die Verkehrsunternehmen zur Koordination verpflichtet werden. Dies geschieht regelmäßig in den deutschen Verkehrsverträgen, die die Verkehrsunternehmen zu Anwendung von Verbundtarifen und auch im Übrigen zur Kooperation mit den Verkehrsunternehmen des Verkehrsraums verpflichten, s. o. 2. Teil A.VII.6.a) und b). Eine unter wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht unproblematische Variante der Kooperation von Verkehrsun16 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 72. 17 Hans-Jörg Weiß, S. 235; Michaels/Kühschelm, EuZW 2003, 520, 524. 18 Werner, WiVerw 2001, 89, 108.

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3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

ternehmen ist die Gründung von Tochtergesellschaften mit Beteiligung von DB Regio, die dann kombinierte SPNV- und ÖSPV-Leistungen aus einem Guss anbieten können, s. o. 2. Teil A.VI. Einige französische Konventionen ermuntern vorerst nur zur Einführung gemeinsamer Tarife, s. o. 2. Teil B.IX.2.c). Im Übrigen legt sich nur in einigen Konventionen der Aufgabenträger auf eine Zusammenarbeit mit den übrigen Aufgabenträgern in der Region fest, s. o. 2. Teil B.IX.2.h).

C. Beobachtungen über die Rolle des Wettbewerbes in den Reformen, auch der Privatisierung Die Öffnung des deutschen SPNV-Marktes für Wettbewerber geschieht vor dem Hintergrund der Liberalisierung der sog. Netzdienstleistungen in den meisten OECD-Staaten seit Anfang der 80er Jahre. Bestandteile der Liberalisierung sind insbesondere die Privatisierung von Staatsunternehmen und die Marktöffnung19. Diese Elemente und ihre Wirkungen sind streng voneinander zu trennen. Wettbewerb hat gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Funktionen. Seine gesellschaftspolitische Funktion besteht vor allem in der Verhinderung des Aufbaus endgültiger Machtpositionen20. Wenn die Einführung von Wettbewerb als Element der Liberalisierung der Netzdienstleistungen eingesetzt wird, sollen aber vielmehr seine wirtschaftspolitischen Funktionen genutzt werden: Er dient als effizientes Anreiz-, Allokations-, Leistungsbewertungs- und Verteilungssystem21. Letztlich geht es um eine Reduzierung der Kosten für die öffentlichen Kassen22. Im Folgenden soll nicht versucht werden, eine Bilanz des Wettbewerbes als Reformelement zu ziehen, die im Rahmen dieser Arbeit, deren Schwerpunkt auf dem Vergleich rechtlicher Regelungen liegt, nicht geleistet werden kann. Einige Veränderungen, die in Folge der Regionalisierung des SPNV und der Marktöffnung in diesem Markt beobachtet wurden, sollen aber dennoch geschildert werden. Die Einführung von Wettbewerb im deutschen SPNV hat positive Wirkungen hervorgebracht. Die Wettbewerber der DB AG bieten oftmals erheblich reduzierte Preise für den Zugkilometer an. Dies übt auch Preisdruck auf DB Regio aus. Wichtiger noch ist das Aufbrechen der vormals starren Haltung der DB: Während vor der Reform einige Forderungen der Aufgabenträger schlichtweg 19

Zum Begriff der Liberalisierung vgl. oben 1. Teil C.I.3.a)bb). Emmerich, Kartellrecht, S. 2 f. 21 Cox, Das Angebot von Universaldienstleistungen, S. 77; vgl. auch Berschin, S. 11 f.; zu den Ineffizienzen von Monopolen s. Stiglitz, Volkswirtschaftslehre, S. 451. 22 So der Diskussionsbeitrag von Michael Ronellenfitsch, in: VVDStRL 62 (2003), S. 358. 20

C. Beobachtungen über die Rolle des Wettbewerbes in den Reformen

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abgelehnt wurden, sind sie heute nur noch eine Frage des Preises. Nun können die Aufgabenträger selbst entscheiden, ob sie von einer prinzipiell möglichen Leistung wegen des eventuell hohen Preises Abstand nehmen wollen. Eine solche Blockadehaltung der SNCF beklagen häufig auch die französischen Regionen. So steht der Wettbewerb im Dienste staatlicher Daseinsvorsorge23. Hingegen hat der Verkehr von Eisenbahnverkehrsunternehmen, die nicht zur DB AG gehören, auf dem Schienennetz im SPNV keine Sicherheitsrisiken offenbart. Dies spricht für die Tragfähigkeit des Ansatzes einer Trennung von Schienennetz und Verkehrsunternehmen, den die europäische Kommission als Voraussetzung einer Marktöffnung im Eisenbahnverkehr verfolgt, und kann als Argument für eine Herauslösung des Schienennetzes aus dem DB-Verbund angesehen werden. Auch in Frankreich lassen sich bereits Auswirkungen der bloßen Perspektive von Wettbewerb beobachten, obwohl ein intramodaler Wettbewerb im SPNV dort noch gar nicht existiert. Die Leitung der SNCF setzt die drohende Marktöffnung als internes Management-Mittel ein und fordert, dass sich das Unternehmen hierauf vor allem durch die Steigerung seiner Produktivität vorbereiten müsse. Auch im Verhältnis SNCF – Regionen dient die Perspektive einer Marktöffnung als Drohkulisse, s. o. A.I. Dies scheint in gewissen Grenzen die These von den Wirkungen des bloßen potentiellen Wettbewerbes zu bestätigen24. Einige französische Regionen hoffen auf eine Marktöffnung von Europa her, in der Erwartung, dass dies zu einem Sinken der Preise führen werde. Trotzdem scheinen sich sowohl die Regionen als auch die SNCF darüber im Klaren zu sein, dass die Marktöffnung auch im französischen SPRV bloß eine Frage der Zeit ist. So will die Region Elsass im Jahr 2009 eine erste Strecke in einem wettbewerblichen Verfahren vergeben. Offen bleibt die Frage, wie sich dies politisch durchsetzen lassen wird, angesichts der hohen Streitkultur bei der SNCF. Eventuell könnte hier die Technik der Experimentierung einen Ausweg darstellen, der alle Beteiligten von der Machbarkeit und den positiven Auswirkungen von Wettbewerb im französischen SPRV überzeugen und damit bislang bestehende Widerstände überwinden könnte25. Schließlich dürfte das In-Konkurrenz-Treten der SNCF zu privaten Anbietern dazu führen, dass das von Leitung und Kunden gleichermaßen als lästig empfundene Streikwesen auf ein gesundes Maß zurückgeführt werden kann26. 23 Vgl. Ronellenfitsch, Der Verkehrssektor als Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland, S. 92. 24 Vgl. Stiglitz, Volkswirtschaftslehre, S. 463. 25 Chauvineau, 2003, S. 33, ebenso: Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008, S. 41. 26 Hier scheint seit 1.1.2008 das Gesetz nº 2007-1224 „sur le dialogue social et la continuité du service public dans les transports terrestres réguliers de voyageurs“ vom 22.8.2007 zu einer gewissen Entspannung zu führen. Es verpflichtet zur Einrichtung eines sog. service minimum im Falle von Streiks, gilt aber nur im Bereich nicht-touris-

326

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

In wie weit die Privatisierung des Staatsunternehmens DB die Ziele der Bahnreform in Deutschland befördert hat, erscheint fraglich. Die Privatisierung hat der DB AG nach innen größere Freiheit im Umgang mit ihrem Personal ermöglicht. Der vereinfachte Zugang zum Kapitalmarkt privater Unternehmen gegenüber öffentlichen kommt noch nicht voll zum Tragen, weil sich noch alle Aktien im Eigentum des Bundes befinden. Die Effekte für den Benutzer erscheinen beschränkt. Die erheblichen Investitionen im deutschen Eisenbahnverkehr, die die Anschaffung neuer Fahrzeuge und die Renovierung der Infrastruktur ermöglicht haben, wurden erst vor dem Hintergrund einer verstärkten Bereitstellung öffentlicher Mittel für die Eisenbahn möglich, insbesondere durch die Entschuldung der Bahn durch den Bund. Eine Verbesserung der Qualität der Leistungen dürfte sich im SPNV nicht auf die Privatisierung zurückführen lassen, sondern auf den bestehenden Wettbewerbsdruck. Dies zeigt der Vergleich mit dem Personenfernverkehr, wo sich noch kein nennenswerter Wettbewerb entwickelt hat. Hier wird der Fahrgast nach der Logik eines Monopolunternehmens noch immer mehr als Verwaltungsobjekt begriffen, dessen Verhalten gesteuert werden soll, denn als Kunde, dessen Wünsche es zu berücksichtigen gilt. Kritisiert werden auch die Auswirkungen buchhalterischer Effekte auf das Verhalten des privatisierten Unternehmens: So bevorzugt DB Station & Service den Neubau von Bahnsteigen, wo eventuell auch die billigere Renovierung ausreichen würde, aus bilanziellen Gründen, denn ein neuer Bahnsteig erhöht den Bilanzwert des Unternehmens mehr als ein renovierter. Volkswirtschaftlich ist diese Entscheidung nicht sinnvoll. Eine Privatisierung der SNCF ist in Frankreich überhaupt kein Thema.

D. Kompetenzen und Spielräume für die tarifliche Gestaltung Die Regelung der Tarife im SPRV in Frankreich und in Deutschland weist grundsätzliche Unterschiede auf. Die französischen Tarife des SPRV unterliegen der Genehmigungspflicht, Art. 17 cahier des charges SNCF. In Deutschland sind nur noch die Beförderungsbedingungen zu genehmigen, hingegen seit 2007 nicht mehr die Beförderungsentgelte, § 12 Abs. 3 AEG. tischer Personenverkehre. Ein service minimum soll durch das folgende Maßnahmenbündel gewährleistet werden: Die Bestellerorganisation definiert prioritäre Verbindungen, Art. 4 Abs. 1. Sodann erarbeiten die Transportunternehmen einen Transport- und einen Informationsplan, der die Aufrechterhaltung des Betriebs auf einem Minimum von Verbindungen bei Streiks und die Information der Benutzer regelt, Art. 4 Abs. 2 und 3. Die streikenden Arbeitnehmer, die unverzichtbar für die Aufrechterhaltung des Betriebs sind, werden verpflichtet, ihre Streikabsicht dem Arbeitgeber 48 h vorher anzuzeigen. Bei Verletzung der Anzeigepflicht drohen disziplinarische Maßnahmen, Art. 5.

D. Kompetenzen und Spielräume für die tarifliche Gestaltung

327

Im französischen SPRV steht die Entscheidung über die Tarifikation dem Aufgabenträger zu, vgl. Art. 21-1 Satz 2 LOTI. Nach Artt. 16, 45 cahier des charges SNCF unterliegt er der Bindung, dass die Tarife des SPRV im Prinzip identisch mit denen des Personenfernverkehrs sein müssen, was aus Gründen der Einheitlichkeit verhindern soll, dass die SNCF in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Tarife zur Anwendung bringt und so die soziale Kohäsion beeinträchtigt, s. o. 2. Teil B.IX.2.c). Der der Regionalisierung zugrundeliegende Bericht des Senators Haenel hatte hingegen noch eine weitergehende Tariffreiheit der Regionen empfohlen27. Die meisten Beteiligten erwarten heute indessen, dass diese Beschränkung der tariflichen Freiheit nicht von Dauer sein wird. Hiervon unterscheidet sich grundlegend der deutsche Regelungsgedanke: Wie aus § 12 AEG hervorgeht, besteht nach der Vorstellung des Gesetzgebers ein Tarifgestaltungsrecht des Verkehrsunternehmers: Hinsichtlich der Gestaltung der Beförderungsentgelte unterliegt er keinem Genehmigungsinstrumentarium und hinsichtlich der Beförderungsbedingungen stellt er den Antrag auf Genehmigung der von ihm vorgeschlagenen Bedingungen. De facto bestimmt aber auch im deutschen SPRV häufig der Aufgabenträger die Tarife, allerdings nicht aufgrund einer gesetzlichen Tarifhoheit, sondern aufgrund vertraglicher Regelung. Er verpflichtet das Verkehrsunternehmen in dem regelmäßig verwendeten Brutto-Anreiz-Verkehrsvertrag auf die anzuwendenden (Verbund-)Tarife und lässt sich häufig gleichzeitig zur Stellung der erforderlichen Tarifanträge ermächtigen. In Deutschland besteht auch keine Tarifidentität zwischen Personenfernverkehr und Personennahverkehr. Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass es sich um verschiedene Produkte handelt, die auch verschiedene Preise rechtfertigen. Weiterhin besteht auch keine Pflicht zu einheitlicher Preisgestaltung für Tarife im gesamten deutschen SPRV. Zwar verpflichtet § 12 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AEG zur Aufstellung „durchgehender Tarife“ im Personenverkehr. Wie die Auslegung des § 12 AEG ergibt, soll damit aber lediglich die Kompatibilität der Leistungen der verschiedenen Bahnverkehrsunternehmen gewährleistet werden und kein einheitliches Preisschema. Zu den Tarifen gehören zwar nach § 12 Abs. 1 Satz 1 AEG sowohl Beförderungsentgelte als auch Beförderungsbedingungen der Eisenbahnverkehrsunternehmen. Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 3 AEG und seine Systematik machen aber deutlich, dass die Vorschrift keine einheitliche Preisgestaltung erzwingen soll. Zum einen verpflichtet nämlich § 12 Abs. 1 Satz 3 AEG die Verkehrsunternehmen nur zur „Mitwirkung“ an der Aufstellung durchgehender Tarife. Ein einheitliches Preisschema lässt sich aber nur durch die Aufstellung verbindlicher Preise erzwingen, nicht durch bloße Mitwirkung 27 Vgl. Brief des Senators Hubert Haenel an den Directeur Général des Services du Conseil régional des Pays de la Loire, S. 4, in: Région des Pays de la Loire: Propositions pour un schéma régional de transport multimodal, décembre 1996.

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3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

der Verkehrsunternehmen. Auch die systematische Auslegung spricht für dieses Ergebnis: Auch § 12 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AEG sieht mit der Verpflichtung zur Mitwirkung an direkter Abfertigung bei der Beförderung durch mehrere aneinander anschließende Eisenbahnunternehmen lediglich eine Maßnahme zur Vereinfachung der Benutzung verschiedener, konkurrierender Eisenbahnverkehrsunternehmen vor. Dies spricht für eine ähnliche Zielsetzung des § 12 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 AEG. Zu diesem Zweck ist kein einheitliches Beförderungsentgelt erforderlich. Ein Einheitsbeförderungsentgelt hätte ausdrücklich normiert werden müssen. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass die Tarifhoheit im SPNV bei den Ländern liegt, vgl. § 12 Abs. 3 S. 4 AEG.

E. Die Problematik der Bahnhöfe Ausbau und Renovierung der Bahnhöfe stellen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Gemeinschaftsaufgaben der beteiligten Territorialkörperschaften dar, nämlich des (Bundes-)Staats durch sein Infrastrukturunternehmen als Eigentümer der Infrastruktur, der Länder als Empfänger zweckgebundener Bundesmittel, der regionalen Aufgabenträger und der betroffenen Gemeinden. Im Detail bestehen allerdings Unterschiede, s. o. 2. Teil A.V. für Deutschland und 2. Teil B.VI. für Frankreich. Die Verwaltung der Bahnhöfe ist in Deutschland und in Frankreich auf unterschiedliche Weise geregelt: In Deutschland existiert mit DB Station & Service ein zur Verwaltung aller Personenbahnhöfe geschaffener Unternehmensbereich. Dabei wurde zuletzt die damit erfolgte Trennung der Zuständigkeiten für den Betrieb der Gleisinfrastruktur, die bei DB Netz liegt, und der Bahnsteige, die bei DB Station & Service liegt, als ineffizient kritisiert28. Deshalb muss das Verkehrsunternehmen auch eine gesonderte Benutzungsvereinbarung mit DB Station & Service AG schließen, in dem die Benutzung und die Dienstleistungen auf den Bahnhöfen und deren Entgeltung geregelt werden. Diese Trennung von Infrastruktur und Verkehrsbetrieb schafft zwar Kostentransparenz, kann aber keine geringen Preise und für den Benutzer attraktiven Leistungen garantieren: Die – den Verkehrsunternehmen in Rechnung gestellten – Provisionen für den Fahrkartenverkauf betragen zwischen 12 und 15%, und nicht selten sind lange Wartezeiten ein Ärgernis für die Fahrgäste. Hier könnten gegebenenfalls Konkurrenzbetriebe beweisen, dass kundenfreundlichere und billigere Leistungen möglich sind. Bislang hat sich jedoch kein Wettbewerber gefunden.

28 Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger des SPNV: 10 Thesen zur Weiterentwicklung der Bahnreform vom 15.4.2004, These 5.

F. Eigentumsverhältnisse am Rollmaterial

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Auch in Frankreich werden die im Regionalverkehr für den Fahrkartenverkauf berechneten hohen Entgelte, die 8% bei einem Mindestentgelt von 1,5 Euro betragen, s. o. 2. Teil B.VI., als ein Problem empfunden. Da hier die SNCF die Bahnhöfe verwaltet, wird die in Deutschland bestehende Dreieckskonstruktion zwischen Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen und DB Station & Service AG vermieden. Diese Integration und zusätzlich die Verteilung der Zuständigkeiten innerhalb der SNCF auf verschiedene Geschäftsbereiche für unterschiedliche Kategorien von Bahnhöfen – s. oben 2. Teil B.VI. – sind aber dafür verantwortlich, dass keine Transparenz bei der In-Rechnung-Stellung für die Serviceleistungen auf Bahnhöfen erreicht wird.

F. Eigentumsverhältnisse am Rollmaterial Weder im französischen noch im deutschen SPNV wird die Bereitstellung des Rollmaterials als alleinige Aufgabe des Verkehrsunternehmens angesehen. Vor allem in Frankreich, weniger in Deutschland engagieren sich auch die Aufgabenträger auf diesem Gebiet. In Frankreich steht das eingesetzte Rollmaterial im Eigentum der SNCF. Neueres Material wird aber fast ausschließlich mit Mitteln der Regionen angeschafft, die hierfür eine staatliche Mittelzuweisung erhalten, s. o. 2. Teil B.V. und 2. Teil B.IV.3. Heute geht es vor allem darum, den Benutzern modernes Material anbieten zu können, für das die SNCF allein nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen würde und für das die Regionen staatliche Mittelzuweisungen erhalten. Im Falle der Öffnung des Regionalverkehrs für den Wettbewerb würden die Regionen, die sich nunmehr in den Anschaffungsvereinbarungen Rückfallklauseln für den Fall einräumen lassen, dass die SNCF nicht mehr den Regionalverkehr bedient, über einen eigenen Fahrzeugpark für den SPRV verfügen. In Frankreich würde damit die in Deutschland bestehende Markteintrittsbarriere, die die hohen Investitionen für die Anschaffung des Zugmaterials für das Verkehrsunternehmen darstellen, vermieden. In Deutschland wird die Bereitstellung des Rollmaterials regelmäßig als Aufgabe des Verkehrsunternehmens angesehen. Die Verfügbarkeit ausreichenden Fahrzeugmaterials zum Zeitpunkt der Betriebsaufnahme ist dann Voraussetzung für den Vertragsschluss, und nur der Verkehr mit Fahrzeugen, die vereinbarten Anforderungen entsprechen, ist eine vertragsgemäße Leistung, s. o. 2. Teil A. VII.6.a). Die Verfügbarkeit über ausreichendes Fahrzeugmaterial ist aber gleichzeitig eine erhebliche Markteintrittsbarriere, denn sie erfordert erhebliche Investitionen. Zudem wird ein mittelständisches Unternehmen regelmäßig die Fahrzeuge nicht vor Vertragsschluss bestellen können, weil sich die Investition nur im Falle des Vertragsschlusses rentabilisiert. Aufgrund der begrenzten Liefer-

330

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

kapazitäten ist es aber gerade bei größeren Vertragsumfängen nicht möglich, die zur Vertragserfüllung notwendigen Fahrzeuge von einem Tag auf den anderen zu beschaffen. Damit haben große Unternehmen wie DB Regio, die bereits über ausreichendes Fahrzeugmaterial verfügen, einen erheblichen Marktvorteil. Ein funktionierender Markt für gebrauchte Eisenbahnfahrzeuge existiert nicht29. Einen Ausweg können Übergangslösungen bieten, wonach der Aufgabenträger dem Verkehrsunternehmen vorübergehend – bis zum Bereitstehen des endgültigen Materials – gestattet, altes, sofort einsetzbares Material einzusetzen. Dies ist z. B. in Schleswig-Holstein im Falle der Flex AG geschehen. Um diese Schwierigkeiten zu vermeiden und den Marktzugang von Wettbewerbern zu fördern, gründen einige Aufgabenträger Fahrzeugpools, d.h. sie kaufen selbst das zum Betrieb ihrer Verkehre notwendige Fahrzeugmaterial und stellen es dem beauftragten Verkehrsunternehmen zur Verfügung. Solche Lösungen setzen aber entsprechende finanzielle Möglichkeiten voraus. Sie kommen deshalb nur für größere, finanzstarke Auftraggeber in Frage und werden sich meist nur in Teilschritten über einen längeren Zeitraum verwirklichen lassen. Ein Beispiel hierfür ist die Region Stuttgart. Gegen die Einrichtung derartiger Fahrzeugpools beim Aufgabenträger spricht, dass damit nicht das unternehmerische Potential des Verkehrsunternehmers bei Beschaffung, Wartung und Instandhaltung genutzt wird30 und Wettbewerb im SPNV letztlich nur noch im regelmäßigen Auswechseln des Managements und des Personals bestände31. Einen Lösungsansatz stellt die Praxis in Schleswig-Holstein dar, dem erfolgreichen Verkehrsunternehmen den Wiedereinsatz für gebrauchte Fahrzeuge zu garantieren und damit für den Unternehmer das Risiko zu begrenzen, bei der nächsten Vergabe nicht mehr zum Zuge zu kommen und auf seinen Fahrzeugen sitzen zu bleiben32.

G. Finanzierung der Infrastruktur Unterhalt und Neubau der Infrastruktur, auch der regionalen, bleiben in beiden Staaten zentrale Staatsaufgaben: In Frankreich bleibt die Finanzierung der Infrastruktur, auch für den SPRV, im Prinzip Aufgabe des Staates, die er durch sein Eisenbahninfrastrukturunternehmen RFF erfüllt, s. o. 2. Teil B.VIII. In Deutschland bleibt der Bundesstaat auch nach Übertragung der Aufgabenverantwortung für den SPRV auf die Länder für die Finanzierung und den Unterhalt der Infrastruktur des SPNV zuständig, s. o. 2. Teil C.II.2.b)aa). Das Eisenbahn29 Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Wettbewerbsstrategien im Schienenpersonennahverkehr“, Diskussionspapier, S. 7. 30 Höhnscheid, Der Nahverkehr 12/2002, 8, 10. 31 Köhler, Der Nahverkehr 3/2004, 7, 9. 32 Anemüller, Bus & Bahn 12/2002, 7, 8.

G. Finanzierung der Infrastruktur

331

infrastrukturunternehmen darf nicht mehrheitlich veräußert werden, vgl. Art. 87e Abs. 3 S. 2 GG. In Deutschland wird bisweilen die Forderung laut, Infrastruktur, die ausschließlich für den SPNV verwendet wird – gegen entsprechenden finanziellen Ausgleich –, in Länderzuständigkeit zu übertragen33. Ihr Betrieb könnte dann ebenfalls im Ausschreibungswettbewerb an private Unternehmen übertragen werden34. Dies würde die Vorteile der dezentralen Verantwortung im SPNV auch auf die Infrastruktur zur Anwendung bringen. Allerdings stellt sich einerseits die Frage nach der tatsächlichen Trennbarkeit von reiner Regionalinfrastruktur und solcher, die auch dem Fernverkehr dient, und andererseits nach der Kohärenz des Netzes. Nach § 26 Bundeseisenbahnneuordnungsgesetz können bereits heute Infrastrukturen, die ganz überwiegend für den SPNV genutzt werden, auf regionale Aufgabenträger übertragen werden, wenn die Eisenbahnen des Bundes zum Erbringen von Verkehrsleistungen auf diesen Strecken nicht mehr bereit sind35. In beiden Ländern ist aber zu beobachten, dass sich auch die Aufgabenträger des SPRV an der Finanzierung der Infrastruktur beteiligen, um von ihnen als erforderlich erkannte Projekte zur Ausführung zu bringen, für die der Bundesbzw. Zentralstaat keine ausreichenden Mittel bereitstellt, oder um ihre Ausführung zu beschleunigen. In Frankreich werden solche Projekte meistens in die contrats de plan Etat-région aufgenommen, was einerseits die Verpflichtung des Staates beinhaltet, das Projekt im Vertragszeitraum tatsächlich durchzuführen und andererseits die Region zur Mitfinanzierung verpflichtet. Das Engagement der Regionen bedeutet, dass sich der Staat – entgegen seinen gesetzlichen Aufgaben – auf ihre Kosten aus seiner Verantwortung zurückzieht. Diese Entwicklungen könnten zu einer Verschiebung auch der gesetzlichen Verantwortlichkeiten hin zu den Regionen führen36. In Deutschland werden Ausbaumaßnahmen nach einem bundesweiten Bedarfsplan vorgenommen (vgl. §§ 1 ff. BSchWAG), zu dessen Verwirklichung das Bundesverkehrsministerium Fünfjahrespläne aufstellt. Zur Verwirklichung einzelner Vorhaben werden Vereinbarungen zwischen den an der Finanzierung Beteiligten geschlossen (vgl. § 9 BSchWAG). Im Prinzip hat der Bund Bau, Ausbau und Ersatzinvestitionen zu finanzieren (§ 8 Abs. 1 BSchWAG). Die Kosten für Unterhalt und Instandsetzung tragen hingegen die Eisenbahnen des Bundes (§ 8 Abs. 4 BSchWAG). Auch die Länder beteiligen sich aber in der Praxis an Neubauten und Modernisierungen37, und sie 33 Vgl. Kramer, Das Recht der Eisenbahninfrastruktur, S. 348 ff.; Anemüller, Bus & Bahn 12/2002, 7, 9. 34 Höhnscheid, Der Nahverkehr 3/2002, 8, 12. 35 s. hierzu: Burger, S. 104 ff. 36 Vgl. Hubert Haenel, Ecrire l’acte II de la révolution ferroviaire régionale, 2008, S. 35. 37 Vgl. für Schleswig-Holstein: Anemüller, Bus & Bahn 12/2002, 7, 9.

332

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

verwenden zu diesem Zwecke meist Bundesmittel, die sie für bestimmte Zwecke erhalten, vor allem Mittel nach GVFG und die Regionalisierungsmittel nach RegG. Bisweilen schließen Länder und Infrastrukturunternehmen Rahmenvereinbarungen über beabsichtigte Baumaßnahmen. Fachleute, die sowohl mit der deutschen als auch mit der französischen Infrastrukturinvestitionspraxis vertraut sind, stellen in Deutschland – positiv formuliert – eine höhere Ingenieurskultur als in Frankreich fest, was auch als die Tendenz beschrieben werden kann, den neuesten technischen Standard zum Einsatz zu bringen, sobald dies finanzierbar ist, ohne das Kosten-Nutzen-Verhältnis in Frage zu stellen. Dagegen bestehen in Frankreich schon aufgrund der geringeren zur Verfügung stehenden Mittel häufig weniger aufwändige, aber ebenfalls funktionierende technische Standards.

H. Qualitätssteigerungen als Reformwirkungen und außervertragliche Instrumente des Qualitätsmanagements im SPNV Im durch öffentliche Aufgabenträger gesteuerten SPNV wird Qualität sowohl dadurch garantiert, dass der Aufgabenträger bestimmte Qualitätsanforderungen definiert und er sie gegenüber dem Verkehrsunternehmen – vor allem aufgrund des vertraglichen Verhältnisses – durchsetzt, als auch durch Anstrengungen des Verkehrsunternehmens in eigener Initiative. Die spezifische Gewährleistungsverantwortung des Aufgabenträgers im SPNV besteht darin, die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu identifizieren, sie zu einem Ausgleich zu bringen und sie vor allem durch Verträge mit einem ausführenden Unternehmen umzusetzen. Zu den Erwartungen der Benutzer gehört auch die Einhaltung von Qualitätsstandards. Die Qualitätsansprüche der Benutzer sind aufgrund der soziologischen und technischen Entwicklung gestiegen38. Wie sich insbesondere in Frankreich gezeigt hat, hat im SPNV erst die Übertragung der Aufgabenverantwortung auf die Regionen dazu geführt, dass sich die öffentliche Hand dieses Bedürfnisses der Benutzer des SPNV vollends bewusst geworden ist und dass sie dieses Bedürfnis in ihre Zielsetzungen aufgenommen hat. Auf einer zweiten Ebene stellt sich die Frage, wie der Aufgabenträger dieses Bedürfnis der Allgemeinheit gegenüber dem Verkehrsunternehmen umsetzen kann. Wettbewerb an sich hat keine qualitätssteigernde Wirkung. Er ist lediglich ein Ordnungsprinzip, das das Angebot an Waren und Dienstleistungen nach den Präferenzen der Verbraucher steuert. Wettbewerb besteht im deutschen SPNV nicht im Markt, sondern nur um den Markt. Weil der Verbraucher häufig nur 38

CEEP, Europe, concurrence service public, S. 19.

H. Qualitätssteigerungen als Reformwirkungen

333

ein Verkehrsunternehmen zur Auswahl hat, kann die Leistungsqualität im SPRV für ihn keine Rolle als Selektionskriterium spielen. Im Wettbewerb um den Markt wird ein Qualitätswettbewerb nicht zustandekommen, wenn – wie häufig – im Ausschreibungsverfahren der Preis alleiniges Zuschlagskriterium ist. Damit wird lediglich ein Preiswettbewerb begründet. Deshalb müssen die Aufgabenträger die Qualität durch spezielle Instrumente, die vertraglich festgelegt sind, sicherstellen. Um diesem Zustand abzuhelfen, definiert z. B. Schleswig-Holstein einen Qualitätsvergleich als Zuschlagskriterium des Vergabeverfahrens. So lässt sich der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren um die besten Verkehrslösungen instrumentalisieren39. Problematisch kann allerdings sein, die vom Unternehmen tatsächlich erbrachte Qualität im Voraus abzuschätzen40. Was Entscheidungskriterium bei der freihändigen Vergabe ist, kann wegen der geheimen Verhandlungsführung nur vermutet werden. Wegen der größeren Freiheit des Verfahrens könnte hier eventuell mit dem Verkehrsunternehmen über innovative Qualitätslösungen diskutiert werden. Hauptinstrumente der Qualitätssicherung sind Qualitätszielbestimmungen, die die Vertragspartner in den Verkehrsverträgen treffen. Dies ist sowohl in deutschen wie in französischen Verkehrsverträgen geschehen, s. o. 2. Teil A.VII.6.g) und h) für deutsche Verkehrsverträge sowie 2. Teil B.IX.2.k) für die französischen Konventionen. Problematisch an zu engen Qualitätsvorgaben ist aber, dass sie privates Innovationspotential zu ersticken drohen. Zielvorgaben mit Gestaltungsspielräumen können aber dem Unternehmer Raum für Kreativität bei der Zielvorgabenerfüllung belassen, s. o. 2. Teil A.VII.5.c). Weiterhin können spezielle Projekte, die häufig bereits in den Verkehrsverträgen vorgesehen sind, auf Aufgabenträgerseite, auf Seiten des Verkehrsunternehmens oder in Zusammenarbeit zwischen beiden der Qualitätsverbesserung des SPNV dienen: Das Verkehrsunternehmen kann beispielsweise ein individualisiertes Marketing anbieten, das insbesondere in Maßnahmen wie dem Gewähren von Treueboni oder dem Angebot nützlicher Dienste, die im Zusammenhang mit der Verkehrsleistung stehen, bestehen kann. Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen fördern die Qualität auch durch Verbesserung der Intermodalität, in letzter Stufe durch die Gründung von Verkehrsverbünden, oder durch das Angebot von Informationen in Echtzeit41. Während in Deutschland intermodale Verkehrsverbünde in vielen Ländern flächendeckend existieren42, befinden sich derartige Projekte in der französischen Provinz vielfach erst in 39

Fehling, Die Verwaltung 2001, 25, 43. Snethlage, S. 461 f. 41 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 100. 42 Hans-Jörg Weiß, S. 235. 40

334

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

Vorbereitungsstadien. Informationen in Echtzeit sind bislang meistens – wenn überhaupt – nur auf den Bahnhöfen zu erhalten. Komplementäre Serviceleistungen sind allgemein im französischen Regionalverkehr ebenso selten anzutreffen wie in Deutschland. Ferner können Verkehrsunternehmen durch Zertifizierungen bestimmte Leistungsstandards garantieren43. Sie können als gemeinsame Projekte mit Beteiligung von Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger oder durch das Verkehrsunternehmen allein durchgeführt werden. In Frankreich existiert hierfür die Norm NF 235 der AFNOR (Association Française de NORmalisation)44. Die SNCF hat sich das Erreichen dieser Zertifizierungen auf allen ihren Strecken des Regionalverkehrs zum Ziel gesetzt45. Sie bemüht sich darüber hinaus auch um die Zertifizierung einiger großer Bahnhöfe. Die Zertifizierungen entsprechen keiner Forderung der Regionen; die SNCF setzt sie vielmehr als internes Managementkonzept ein, um ihre eigenen Dienste zur Erreichung dieser Ziele zu motivieren. In diesem Rahmen erfüllt die Zertifizierung drei Funktionen: Zum einen zwingt sie die betroffenen Dienste, schriftlich festzulegen, welche Leistungsinhalte zu verwirklichen sind, sodann enthält sie eine förmliche Verpflichtung gegenüber dem Benutzer zur Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards und schließlich unterwirft sie den betroffenen Dienst der Prüfung durch einen externen Organismus. Deutsche Eisenbahnunternehmen praktizieren diese Form der Qualitätskontrolle – soweit ersichtlich – bislang nicht. Als wichtiges Instrument der Qualitätspflege haben sich schließlich die sog. Streckenbeiräte erwiesen, in Frankreich häufig als „comités de ligne“ bezeichnet. Sie versammeln Benutzer, Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger einer Streckenverbindung oder eines Verkehrsabschnitts an einem Tisch. Sie dienen so dem unmittelbaren und schnellen Informationsaustausch über Leistungsdefizite und können in einem ersten Schritt Verständnis wecken für die Erwartungen und Probleme der anderen Seite. Auch wenn dies häufig nicht der Tradition entspricht, besteht im Bereich des ÖPNV ein hoher technischer Innovationsbedarf zur Qualitätssteigerung, um mit dem Individualverkehr konkurrieren zu können. Das Ziel sollte ein ähnlich hohes Innovationsniveau wie im Automobilsektor sein, wenn dies auch unrealistisch erscheinen mag. Als ein Hindernis erweist sich dabei bereits die lange 43 Desmaris, Les conventions d’exploitation du service public régional de transport de voyageurs, S. 18 f.; vgl. auch die Übersicht über ähnliche Instrumente bei: Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266, 322 f. 44 Bonnet/Thome/Houles/Canet, La régionalisation des transports ferroviaires, rapport d’étude, S. 99 f. 45 Vgl. zum Stand 1.8.2008: http://www.marque-nf.com/download/produits/FR/NF 235.pdf.

J. Verhältnis von Fern- und Regionalverkehr

335

Lebensdauer der Eisenbahnfahrzeuge, die im Durchschnitt zwischen 30 und 40 Jahren beträgt, im Vergleich zu einem Auto mit 10–15 Jahren. Um den Unternehmen Raum für Innovationen zu erhalten, müssen sie über Freiheit bei der Angebotsentwicklung verfügen und durch Einnahmenverantwortung hieran interessiert werden46. Alle denkbaren Instrumente sollten genutzt werden: Der Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Aufgabenträgern kann ebenso einen Beitrag leisten wie internationale Vergleichsstudien47. In Deutschland bestehen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Aufgabenträger und dem Kompetenzzentrum in Hamburg Ansätze, in Frankreich insbesondere mit dem GART (Groupement des autorités responsables de transport) oder auf europäischer Ebene der UITP (International Union of Public Transport). Auch der Wettbewerb zwischen Verkehrsunternehmen und die Prämierung innovativer Leistungsangebote durch die Aufgabenträger können als Mittel der Innovationsförderung dienen.

J. Verhältnis von Fern- und Regionalverkehr Sowohl im französischen als auch im deutschen Regionalverkehr ist das Verhältnis von Regional- und Fernverkehr problematisch. Der Trennung des Personenfernverkehrs vom Personennahverkehr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass beide Sektoren nach verschiedenen Prinzipien funktionieren. Im Rahmen der deutschen Bahnreform ging man davon aus, dass Personenfernverkehr profitabel betrieben werden könne, Personennahverkehr hingegen nicht. Dennoch bestehen zahlreiche Bindeglieder zwischen beiden, was den Sinn der Trennung von Regional- und Fernverkehr prinzipiell in Frage stellen könnte: Linien des Fernverkehrs erfüllen häufig auch – zumindest auf Teilstrecken – Funktionen des Regionalverkehrs. Umgekehrt greifen Regionalverkehre zuweilen auf den Fernverkehr über, vor allem dann, wenn sie aufgrund interregionaler Kooperation die Zentren zweier Regionen miteinander verbinden. Eisenbahnregionalverkehr hat auch eine Zubringerfunktion für die Linien des Fernverkehrs. Die SNCF, bei der Regional- und Fernverkehr lediglich auf zwei verschiedene Geschäftsbereiche aufgeteilt sind, sieht eines ihrer wesentlichen Verkehrsziele darin, Regional- und Fernverkehr zu koordinieren und Synergien zu begründen. So muss sie im Beispielsfall Lyon versuchen sicherzustellen, dass in Zeiten, wo ein TGV alle halbe Stunde nach Paris abfährt, auch die TERs mit Zubringerfunktion in entsprechenden Intervallen verkehren. Die unklare Abgrenzung begründet die Gefahr, dass die regionalen Aufgabenträger unfreiwillig weitere defizitäre Verkehre in ihre Zuständigkeit ziehen: 46 47

Snethlage, S. 440. Chauvineau, 2003, S. 29.

336

3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

In Deutschland wie in Frankreich zeigt sich, dass der Betreiber des Fernverkehrs versucht ist, eine defizitäre Strecke einzustellen und die Finanzierung auf die Aufgabenträger des Regionalverkehrs abzuwälzen, wenn sie dessen Aufrechterhaltung aus Gesichtspunkten des Allgemeinwohls wünschen. Da der Fernverkehr nach eigenwirtschaftlichen Grundsätzen betrieben werden soll, ist dieses Vorgehen im Grunde konsequent. Jedoch muss sichergestellt werden, dass die finanziellen Mittel der regionalen Aufgabenträger so angepasst werden, dass sie zur Finanzierung auch dieser Verkehre in der Lage sind. Zum Zeitpunkt der Regionalisierung waren sie nämlich noch als Fernverkehr angesehen und nicht bei der Mittelzuweisung berücksichtigt worden. Im deutschen Regionalverkehr stellt sich das zusätzliche Problem, dass DB Regio aufgrund ihres Unternehmensverbundes mit DB Fernverkehr, dem Fernverkehrsunternehmen, ihr Angebot für den Regionalverkehr damit verbinden kann, die Aufrechterhaltung von Fernverkehrsleistungen in Aussicht zu stellen. Dies verschafft ihr einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Konkurrenten im Regionalverkehr, s. o. 2. Teil A.VI.

K. Rechtspolitische Betrachtungen zur Anwendung von Ausschreibungsregeln Der deutsche SPNV steht vor einer Generalisierung der Verpflichtung zur Ausschreibung der SPNV-Leistungen, s. o. 2. Teil A.VII.7.c). Im französischen SPRV-Markt finden naturgemäß keine Vergabevorschriften Anwendung, weil die SNCF hier Monopolanbieter ist. Anderes gilt nur für die an die Stelle von SPRV-Leistungen getretenen ÖSPV-Verkehre, s. o. 2. Teil B.IX.1. Das Gemeinschaftsrecht hat seit Beginn der 90er Jahre dazu beigetragen, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmten Regeln unterworfen wurde und diese auf immer weitere Bereiche ausgeweitet wurden. Die sog. Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG bezieht ausdrücklich auch Dienstleistungen durch Eisenbahnunternehmen in ihren Regelungsbereich ein, wenn auch bloß als nicht prioritäre Dienstleistungen. Auch der EuGH begünstigt in seiner Altmark-Entscheidung die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens, indem er dies als Indiz für die Erfüllung der Voraussetzungen ansieht, die er für die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit öffentlicher Zuschüsse im ÖPNV aufgestellt hat, vgl. oben 1. Teil F.V.1. Hingegen schreibt die neue Verordnung 1370/07/EG keine Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens für SPNV-Leistungen vor, s. o. 1. Teil C.II.3.c). Fraglich ist, ob eine Ausweitung der Ausschreibungsregeln rechtspolitisch wünschenswert ist. Zwar begründet das Aufbrechen der Monopolstellung und das Öffnen zuschussbedürftiger öffentlicher Dienstleistungen für Konkurrenten in einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt die Notwendigkeit eines

K. Rechtspolitische Betrachtungen von Ausschreibungsregeln

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transparenten Vergabeverfahrens, um den Wettbewerb zu entwickeln und zu schützen. Nicht zu übersehen sind aber die Probleme, die das Verfahren der öffentlichen Ausschreibung mit sich bringt: Das Verfahren erfordert hohen Aufwand sowohl auf Aufgabenträgerseite als auch auf Unternehmerseite48. Dies stellt bereits aufgrund dieses Verwaltungsaufwandes den volkswirtschaftlichen Nutzen des Verfahrens in Frage. Zum anderen begünstigt es damit größere Unternehmen, die sich die eventuell auch erfolglose Teilnahme finanziell leisten können. Das Ausschreibungsverfahren könnte so das Verschwinden kleiner Verkehrsunternehmen zur Folge haben. Zur Förderung des Wettbewerbes wären deshalb Erstattungsregeln für die unterliegenden Bieter wünschenswert49. Insbesondere die Vergabe großer Lose schließt mittelständische Unternehmen mangels Leistungsfähigkeit faktisch von der Teilnahme an einer Ausschreibung aus50. Nach Erfahrung der Aufgabenträger steht nur bei Vergaben von Netzen zwischen 1 Mio. und 5 Mio. Zugkm ein größerer Anbieterkreis auf dem deutschen SPNV-Markt zur Verfügung. Zwar hat nach § 97 Abs. 3 GWB, § 5 Nr. 1 VOL/A ein Auftraggeber im Interesse kleinerer Unternehmen Aufträge in Lose zu zerlegen, aber nur soweit dies wirtschaftlich bleibt. Viele Aufgabenträger sehen sich im Interesse geringerer Kosten und eines attraktiveren Angebots häufig gezwungen, große Lose zu vergeben, mit der Folge, dass dann nur DB Regio aufgrund ihrer betrieblichen und personellen Ressourcen als einziger Anbieter verbleibt. So lässt sich über die Losgröße das Ergebnis des Vergabeverfahrens steuern. Die Ausschreibung ist auch problematisch, wo sich der Aufgabenträger einem beherrschenden, eingesessenen Marktanbieter gegenübersieht: Dieser muss an der Vorbereitung der Ausschreibung, an der er selbst teilnehmen will, aufgrund des Informationsdefizits des Aufgabenträgers mitarbeiten. Die Risiken des Verfahrens schrecken kleinere Aufgabenträger von einer Ausschreibung ab: Das Risiko, Fehler zu begehen und eines sich anschließenden Rechtsstreits mit hohen Kosten, das Risiko, auf eine Ausschreibung keinen Anbieter zu finden und dann dem marktbeherrschenden Unternehmen (im SPNV: die DB AG) ausgeliefert zu sein. Schließlich ist das Vergaberecht nicht auf die Vergabe langlaufender Dienstleistungsaufträge zugeschnitten, sondern primär auf den einmaligen Bezug von Gegenständen oder Dienstleistungen. So können bei eventuell erforderlichen Anforderungsveränderungen während der Vertragslaufzeit oder bei technischen Innovationen die ursprünglichen Angebote nicht mehr vergleichbar sein51.

48 Snethlage, S. 429 plädiert deshalb für ein zweistufiges Vergabeverfahren, an dessen aufwändigerer zweiter Stufe nur noch dazu aufgeforderte Anbieter teilnehmen. 49 Snethlage, S. 464 f. 50 Snethlage, S. 469. 51 Berschin, S. 494.

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3. Teil: Vergleich und Schlussfolgerungen

Dennoch haben Aufgabenträger im deutschen SPNV positive Erfahrungen mit der Vergabe von SPNV-Leistungen im Ausschreibungswettbewerb machen können, was insbesondere der Fall in Schleswig-Holstein zu sein scheint. DB Regio gewinnt im Jahresdurchschnitt nur noch 50% der Ausschreibungsverfahren im deutschen SPNV, s. o. 2. Teil A.VIII. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Vergabe von SPNV-Leistungen mittels eines Ausschreibungsverfahrens ein unverzichtbares Element zum Aufbrechen der Marktmacht von DB Regio darstellt.

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Sachverzeichnis Affermage 152, 290 f. Akteneinsicht 316 Akzessibilität, Prinzip der 63 Allgemeines Eisenbahngesetz 27, 38, 54, 66, 68 f., 72 f., 76, 87, 91, 141, 166, 196, 204 ff., 224, 227, 234 ff., 247, 251 f., 259 ff., 326 ff. Alsace siehe Elsass Altunternehmervorteil 230 Anreizvertrag 239, 241 f., 244 Association au service public 294 Autorité de régulation des activités ferroviaires (ARAF) 89, 285 Auvergne 279, 320 Baden-Württemberg 105 f., 212 f., 221, 224 ff., 228, 238, 266 Bahnhöfe 25, 27 f., 60, 68 f., 227 ff., 246, 253, 281 ff., 296, 299 f., 304, 306, 308, 328 f., 334 – Finanzierung 281 ff. Bayern 105, 198, 212, 215, 221, 228 Beförderungsbedingungen 72, 207, 244, 323, 326 f. Beförderungsentgelt siehe Tarif Beförderungspflicht 50, 54 f. – AEG 72, 87 – Deutsche Bundesbahn 22, 65 – Gemeinschaftsrecht 48, 77, 81 f. – SNCF 60, 87 Beihilfe 40 f., 48, 77, 86, 110, 174, 177 ff., 263 – Im Sinne des UStG 225 – Notifizierung 86, 178 – Tatbestandsmäßigkeit 177 ff. Beleihung 131 ff., 138, 142, 164, 169, 215

Berlin 104, 122, 128 f., 196 f., 205, 211 f., 216, 224 f., 230, 238 f., 264, 316 Bestellerprinzip 65 f., 199, 209, 266, 277, 304, 316 Betriebsanlagen 68 f., 204 Betriebserlaubnis Eisenbahn 204 Betriebspflicht 54 f., 87 f., 210 – AEG 73 – Deutsche Bundesbahn 22, 65, 198 – Gemeinschaftsrecht 48, 77, 81 f. – SNCF 61, 78, 87 – Verkehrsvertrag 76, 243 Betriebsstörung 243, 297 Bloc de constitutionnalité 37 Brandenburg 104, 212 ff., 224, 238, 262 ff., 316 Bremen 104, 213, 224 Bruttovertrag 239 ff., 247, 250, 256 f., 289, 317 Buchführung 62, 185, 292, 307, 326 Bundesnetzagentur 206, 208, 231 Bundesstaat 90, 205 Busverkehre 211, 295 – Regionale 101, 198, 270, 293 f., 314, 321 BVG 129 Centre 272, 282 Champagne-Ardenne 281 Clause exorbitante du droit commun 148 f., 151 Clausula rebus sic stantibus 38 Code général des collectivités territoriales 153, 155, 273, 277, 292 Comité de bassin 306 Comité de ligne 306 f., 334

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Sachverzeichnis

Comité de pôles 306 Communauté d’agglomération 270 Communauté urbaine 270 Concession 34, 38, 52, 134, 152, 157, 164, 290 f. – Théorie de l’imprévision 38 Conseil d’Etat 29, 59, 61, 63, 148 ff., 155, 161, 293, 306 Conseil régional 100, 278, 289, 323 Contrat administratif 143 ff. – Caractère réglementaire 164 – Caractère contractuel 164 Contrat d’entreprise 145 Contrat de gestion 145 Contrat de performance Etat – RFF 147 Contrat de plan – Etat – SNCF 24 – Etat – région 280 Contrat de programme 145 Convention interorganique 294 Daseinsvorsorge 17 f., 28 ff., 30, 35, 98, 165 ff., 171, 190, 275 – Daseinsvorsorgeaufgaben deutsche Bahnen 64 ff. – Daseinsvorsorgeaufgaben SNCF 59 ff. – Gemeinschaftsrecht 39 ff., 77 ff., 174, 177 f. – Kontraktualisierung 115 ff., 122 f., 139, 141 f., 145, 151, 158, 162, 313, 318 – Konventionen 289 ff. – ÖPNVGe 74 ff., 210 – Regionalisierungsgesetz 209 – Vergleich mit service public 28 ff., 30, 49 ff., 87 ff. – Verkehrsvertrag 243 f., 248, 250 f., 257, 259, 262 – Wettbewerb 325 Dekonzentration 93, 99, 101, 307 Délégation de service public 19, 52, 116, 143 f., 151 ff., 163 f., 289 ff. – Abschlussverfahren 153, 163

Départements 82, 100, 113, 153, 270, 272 f., 276, 286, 290, 307, 310, 319, 321 f. Deregulierung 41 Dessertes périurbaines 272 Deutsche Bahn AG 23, 70 – Börsengang 28, 232 – DB AG (Holding) 27 – DB Cargo/Stinnes/Schenker 27 – DB Fernverkehr 27 – DB Netz 27, 66, 123, 205, 208, 226, 231 f., 246, 266, 328 – DB Regio 27, 205, 207, 228 ff., 238 ff., 242, 253, 263, 267 f., 320, 324, 330, 336 ff. – DB Station & Service 27 – Geschäftsbereiche 27 – Konzernverbund 27 Deutsche Bundesbahn 22 f. – Aufgaben 65 – Beste Verkehrsbedienung 65 – Betriebspflicht 22, 65, 198 – Beförderungspflicht 22 – Daseinsvorsorge 65 – Finanzierung 65 – Kaufmännische Betriebsführung 65 – Privatisierung 66 – Rechtsform 65 – Tarifpflicht 22, 65 Deutsche Reichsbahn 22 f., 201, 204 Dezentralisierung 17, 52, 93 ff., 119, 121, 144, 153, 198, 268, 270, 282, 307, 319, 331 Dienstleistungskonzession 163, 255 ff., 294 Diskriminierung – Individuum 33, 168 – Tarife 46, 73 – Wettbewerber 85, 191 ff., 208, 228 ff., 239, 265 Diskriminierungsverbot – Gemeinschaftsrechtliches 85, 192 f., 265 – Kartellrechtliches 230 f.

Sachverzeichnis – Tarifpflicht 46, 73 Dotation générale de décentralisation 277 f. EGV Art. 43 191 f., 263 EGV Art. 49 177, 193 f. EGV Art. 73 40, 76 f., 86, 174, 177 f., 180 f. EGV Art. 86 Abs. 2 39 ff., 178, 181 Eingriffsverwaltung 35 f., 136, 202 Einheitsstaat 100, 269 Eisenbahnaufsicht 27, 62, 201 f., 206 f. Eisenbahnaufsichtsbehörde 206 Eisenbahnbundesamt 27, 88, 205 ff., 231 Eisenbahnen – Krise 20 – Öffentliches Interesse 47, 53 – Sanierung 22 – Staatsbahn 21 – Vorzüge 23 Eisenbahnfahrzeug 188, 309, 330, 335 Eisenbahnpaket – Erstes 186 f., 232, 285 – Zweites 187 – Drittes 188 – Technisches 188 f. Eisenbahnreform 17 – Deutschland 26 ff., 64 ff., 70 ff., 88 f., 196, 199, 201 ff., 204 f., 210, 218, 228, 234, 238, 265 f., 326, 335 – Frankreich 24 ff., 283 Eisenbahnsektor 20 Eisenbahnverkehr – Aufgabenträgerschaft 202 f. – Gesetzgebungskompetenz 70 f., 79, 200 ff. – Verwaltungskompetenz 71, 201 f. Eisenbahnverkehrsverwaltung 71, 88, 200 ff., 205, 207 Elsass 226, 272, 279, 282, 294 ff., 309, 311, 315, 317, 325 Erfüllungsverantwortung 165

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Etablissement public 23, 34, 58, 89 Etablissement public de la sécurité ferroviaire (EPSF) 88 EuGH – „Altmark“-Entscheidung 48, 83 ff., 96, 176 ff., 194, 336 – Arbeitsvermittlungsmonopol der BA 190 f. – „Corbeau“-Entscheidung 45 f. – „Ferring“-Entscheidung 178 f. – „Nouvelles frontières“-Entscheidung 177 f. – „Seeleute“-Entscheidung 176 f. Europäische Eisenbahnagentur 188 f. Experimentierung 273, 280, 309, 325 Fachaufsicht 128 f. Fahrgastrechte 83, 188 Fahrplan 230, 243, 250, 257 Fahrzeuge 25, 188, 196, 230, 243, 248, 259, 278, 280 f., 311, 315, 326, 329 f., 335 – Anforderungen 56, 76, 220, 226, 243, 249, 251, 253 f., 271, 276 f., 296 f., 300, 304, 329 – Fahrzeugpool 320, 329 f. Fahrzeugzulassung 188 Föderalismus 102 Formenwahlfreiheit 34, 136 f., 139, 141 f., 236, 289 Franche-Comté 320 Gebietsmonopol 235, 258 Gemeindeverband 108, 212, 238, 320 Gemeinsame Verkehrspolitik 18, 80 f., 172 ff. Gérance 152 Gesetze des service public 33, 46 – Gleichheit 33, 37, 60 f., 64, 87, 310 – Kontinuität 33, 38, 55, 63 f., 251, 284 – Laizität 33 – Neutralität 33 – Veränderbarkeit 33, 64

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Sachverzeichnis

Gewährleistungsverantwortung 67 ff., 164 f., 172, 214, 225, 332 Gewährleistungsverwaltung 33, 167 Gleichheitsgrundsatz 55, 166, 170 Groupement des autorités responsables de transport (GART) 335 Groupes de concertation 306 Grundrechtsbindung der Staatsgewalt 159, 166 f., 170 f. Haenel, Hubert 272, 312, 322, 327 Hamburg 205, 210, 212, 216, 321, 335 Hessen 75, 207, 213 f., 268 Hoheitliche Tätigkeit 44 f., 201 Ile de France 269 f., 273 f., 280, 283, 310, 323 Informationsdefizit 316, 337 Informationszugangsrecht 316 Infrastruktur 20, 23 ff., 28, 54, 58, 63, 66 ff., 72 f., 147, 205 f., 227, 229, 266, 269, 278, 282, 328 – Benutzungsgebühr 25, 246, 283 ff., 300, 328 – Finanzierung 22, 90, 123, 147, 225, 280, 286 f., 326, 330 ff. – Infrastrukturverantwortung 67 ff., 129, 225 – Regelung im Verkehrsvertrag 246, 299 f., 311 – Trennung 27, 185 f., 189, 283 ff., 300, 325, 328 – Zugang 66, 88, 189, 204, 208, 231, 283 ff. Interessentheorie 31, 33, 50, 148, 157 Intermodalität 271, 282, 307, 333 International Union of Public Transport (UITP) 335 Konnexitätsprinzip 203, 215, 222 Kontraktmanagement 18, 121 ff. Kontraktualisierung 18, 80 f., 95, 115 ff., 127, 146 f., 313 ff.

Konvention siehe Verkehrsvertrag – mit RFF 63 Korsika 273, 293 Kreise 97, 104 ff., 114, 197 f., 212 ff., 218, 224 f., 228, 255, 310 Languedoc-Roussillon 279 Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) 123 Leistungsverwaltung 30 f., 34 ff., 49, 105, 139, 166 Liberalisierung 41, 324 – des Eisenbahnverkehrs 17, 22, 175, 183, 185, 189, 192, 194, 324 Limousin 279, 282, 288, 309 Loi MURCEF 143, 154, 290 Loi Sapin 144, 152 ff., 163, 291 ff. Loi Solidarité et renouvellement urbain (SRU) 273 f., 283 Lorraine 287 Lose 337 LOTI 23 f., 30, 53, 57 ff., 88 f., 145, 189, 270 ff., 285 ff., 291, 293 f., 304, 312, 322, 327 Marché public 143, 153, 289 ff. – Abgrenzung délégation de service public 155 f., 289 ff. – Code des marchés publics 150, 290 f., 294 Marktmacht 228 ff., 338 Marktöffnung 19, 25, 82, 176, 188, 193, 209, 281, 308, 311 f., 320, 324 f. Mecklenburg-Vorpommern 213, 221, 224 f. Midi-Pyrénées 306 Nettovertrag 239 ff., 247, 256 f. Neues Steuerungsmodell 121 f. Niedersachsen 75, 105 ff., 205, 212, 224 Nord-Pas-de-Calais 271 f. Nordrhein-Westfalen 75, 105, 214, 218, 224 f., 321

Sachverzeichnis Öffentliche Aufgabe 17, 32 f., 36 f., 49, 51, 57, 73, 87, 130, 158, 165 Öffentliche Ausschreibung 53, 85 f., 130, 163, 209, 233, 238, 242, 254 ff., 280, 290, 294, 316, 320, 331, 333, 336 ff. Öffentlicher Auftrag 163, 233, 255, 259, 290 Öffentlicher Straßenpersonennahverkehr 52, 80, 109, 196, 198, 203, 210 ff., 218 ff., 223, 232, 266, 319, 324 Öffentlich-rechtlicher Vertrag 123 ff., 289 ff. – Abschluss 124, 139 – Anpassungsrecht der Verwaltung 161 – kooperationsrechtlicher 233 f., 259 – Kündigungsrecht der Verwaltung 38, 125, 159 f. – subordinationsrechtlicher 233 f. – Vorrecht der Verwaltung 152, 159 ff. ÖPNV 99, 195 ff., 209, 334 – Aufgabenträgerschaft 107, 203, 212, 214, 269 – Aufgabenzuständigkeit 54, 106, 210, 214 f. – Daseinsvorsorge 28, 47, 74 f., 87, 98, 171, 178 – Finanzierung 180, 182, 203 f., 221 ff., 257, 266, 310, 320, 336 – Gemeinsamer Markt 179 – Gesetzgebungskompetenz 210, 269 – Kooperation 105, 216 ff., 232 f., 244 f., 321 f. – Koordinierung 76, 266, 322 f. – Liberalisierung 194 – Nahverkehrsplan 218 ff. – Regionalisierung 98, 198 f. – Steuerungsinstrumentarien 73 – Umsatzsteuer 225 f. – Unternehmen 232 f. ÖPNV-Gesetze 56, 73 ff., 91, 166 f., 169, 171, 195 ff., 210 ff., 217, 221, 224 f., 321 ff.

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Paris 99, 269 ff., 289, 307, 310 Participation à l’exécution même de la mission de service public 148 f., 157 Pays de la Loire 272, 274, 281 f., 294 ff., 311, 314, 322 Picardie 279, 281, 284 Poitou-Charentes 272, 279, 309 Präfekt 100, 296 Principal-agent-Problem 276, 316 Privatisierung 27 f., 41, 70 f., 91, 117, 130, 142, 164, 189 f., 268, 324 ff. – Formelle/Organisationsprivatisierung 27, 66, 132, 200 – Funktionale 33, 66, 118, 122, 135, 166, 318 – Materielle/Aufgabenprivatisierung 66, 70 f., 93, 189 Privatisierungsfolgenrecht 164 Projet industriel 146 Provence-Alpes-Côte d’Azur 272 Public Private Partnership 32, 122 Rapport Nora 120, 122, 145, 319 Rechtsaufsicht 100, 128 f., 201, 270, 318 Régie 34, 152, 290 ff. Regionale Mittelstufe 105 Regionalisierung 18, 20, 22 ff., 26, 93 f., 96 ff. – Deutschland 26, 74, 195 ff., 238, 265 ff. – Frankreich 59, 62, 101 ff., 103 ff., 147, 270 ff., 280, 283 ff., 288, 307 ff., 319 ff. – EU 113 f. Regionalisierungsgesetz 72 ff., 79, 141, 165 ff., 195 f., 204, 209, 211 f., 222 ff., 322, 332 Regionalisierungsmittel 210, 222 ff., 228, 266, 332 Regionalverband 105 ff., 320 Regionen 17, 96 ff., 112 ff., 317, 321 ff. – Deutschland 102 ff., 197, 229, 320 ff.

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Sachverzeichnis

– Frankreich 62, 100 ff., 148, 156, 270 ff., 325, 331 – Region Hannover 105 ff., 212 – Region Stuttgart 105 ff., 212, 330 RFF 24 ff., 59, 63, 147, 170, 282, 284 ff., 299 ff., 330 – Finanzierung Infrastruktur 285 ff., 330 – Gründung 24 f. – Kompetenzen 25 Rheinland-Pfalz 105, 197 f., 214, 224, 265 f. Rhône-Alpes 272, 279, 295 ff., 320 Richtlinie 2001/12/EG 186 Richtlinie 2001/13/EG 186 f. Richtlinie 2001/14/EG 186 ff., 285 Richtlinie 2001/16/EG 187 Richtlinie 80/723/EWG 182 f. Richtlinie 91/440/EWG 24 f., 27, 85, 88, 175, 183, 185 ff., 193, 204, 208, 282 Richtlinie 92/50/EWG 150, 238, 255, 261, 263 f., 291, 336 Richtlinie 93/38/EWG 255, 261 Richtlinie 95/18/EG 186 f., 208 Richtlinie 96/48/EG 187 Rollmaterial siehe Fahrzeuge Saarland 212, 224 f. Sachsen 75, 105, 214, 224, 265 Sachsen-Anhalt 75, 105, 212 f. Schéma départemental de transport 270 Schéma régional de transport 270, 276 Schienengüterverkehr 20, 23, 26 f., 61 ff., 66 ff., 71 f., 87, 91 f., 186 f., 192, 194, 208, 229 Schienennetz siehe Infrastruktur Schienenpersonennahverkehr/Schienenpersonenregionalverkehr Definition 20, 28, 196 f., 269, 274 f. Schleswig-Holstein 212, 215, 221 f., 224, 226, 228, 321, 330, 333, 338 Selbstverwaltung 95 – Kommunale 97, 102, 105, 108, 211, 214 f.

– Pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe 214 – Regionale 94, 105, 318 – Selbstverwaltungsgarantie 211, 214 f. – Selbstverwaltungskörperschaft 100, 318 Service public administratif 34 Service public du transport 57 f., 63, 77 Service public ferroviaire 57 ff., 63 f., 76 ff., 293 – im Gemeinschaftsrecht 76 ff. Service public industriel et commercial 34 Services de transports publics non urbains 270 Services routiers de substitution 295 SNCF 17, 23 ff., 31 – Ausgleichsanspruch für gemeinwirtschaftliche Leistungen 61 ff., 64 – Betriebspflicht 61, 78, 87 – Cahier des charges 56, 58 ff., 87, 89, 296, 298, 326 f. – Contrat d’entreprise 145 f., 320 – Contrat de programme/Contrat de plan 24, 58, 78, 145 f. – Güterverkehr 61, 91 – Monopol 58, 156, 189 ff., 276, 291, 293, 294, 296, 301, 311, 313 f., 325, 336 – Personenverkehr 60, 91, 335 – Privatisierung 326 – Projet industriel 146 – Quersubventionierung 92 – Rechtsform 23, 34, 58, 151, 291 – Regionaldirektionen 283, 307 – Schienennutzungsrechte 283 ff., 300 – Service public 58 f., 63 f., 315 – Streik 17, 24, 147, 297, 303, 325 f. – Tarifaufsicht 89 – Tarife 60, 87 – TER 269 ff., 307 f. – Trennung Infrastruktur – Verkehrsbetrieb 25 – Unternehmensauftrag 24

Sachverzeichnis – Verschuldung 23 ff. Société d’économie mixte 29, 34 Sozialtarif 55, 60 f., 92, 277 ff., 298 f., 302 Staatsaufgabe 34, 49 Steuerungsinstrumente 89 ff., 119, 125, 127 ff., 168, 170, 219 f., 242 STIF 274, 310 Streckenbeirat 226, 334 Streikrecht 33, 38 Subordination 31, 35 Subsidiarität 36, 83, 96, 112, 176 Subunternehmer 244, 259, 295, 297 Syndicat mixte 270 Tarifaufsicht 89, 206 Tarifpflicht 54 f., 56 – AEG 72, 87, 166 – Deutsche Bundesbahn 22, 65 – Gemeinschaftsrecht 48, 78, 81 f. – SNCF 60, 87 TER 269, 271, 280, 283, 287, 289, 298, 307 f. Thüringen 212 Transparenz 77, 79, 81, 85, 105, 114, 153, 182 f., 185, 255, 265, 289, 292, 309, 316 f., 329 Trassenpreis 208, 231 Universalität, Prinzip der 63 Unternehmensvertrag – BVG 129 – SNCF 78, 145 Unternehmerische Tätigkeit des Staates 41, 44 f., 47 Unterstützungsleistung, staatliche 59, 61, 177 f., 180, 240 Verbundtarif 218, 239, 241, 244, 310 f., 323 Vergabe 163, 336 ff. – Deutschland 209, 233, 236, 238 f., 241 f., 254 ff.

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– Frankreich 153 f., 292 f., 311 f., 330, 333 – Gemeinschaftsrecht 82, 84 f., 255, 261, 264 Vergabeverordnung 85, 259, 261 ff., 267 Verkehrssektor 47 f., 53, 57, 80 f., 172 f., 177 ff. Verkehrsverbund 105, 109, 197, 207, 215 ff., 232, 244, 253, 266, 323, 333 Verkehrsvertrag 56, 73, 76, 81, 84, 91, 115, 125, 129, 147, 271 – Abschlussverfahren 141, 209, 229, 235 f., 238 f., 254 ff., 288 – Betriebsrisiko 294 – Einnahmen 248, 291, 302, 318 – Einnahmenrisiko 239 f., 244, 256 f., 292, 318 – Gesetzesvorbehalt 234 f. – Höhere Gewalt 297, 303 – Informationspflicht 299 ff., 315 – Kontrollrecht 248 ff., 288, 300 ff., 305, 313 – Qualitätsziel 251, 303 ff., 333 – Rechtmäßigkeitskontrolle 296, 318 – Rechtsverbindlichkeit 148 – Sanktionen 91, 153, 248 ff., 301 f. – Schadensverantwortung 298, 317 – Streitbeilegung 162, 247, 306, 317 – STIF 274 – Tarifgestaltung 60, 298 f., 324 – Vergütung 62, 302 f. – Vertragsbeendigung 251 ff., 254, 317 – Vertragsinhalt 243 ff., 275, 287 ff., 315 – Vertragsnatur 133, 136, 141 ff., 158 f., 233, 314 – Vertragsstrafe 297, 301 – Vertragstyp 133, 144, 156, 236 f., 294, 290 ff. Verordnung 1017/68/EWG 175, 183 f. Verordnung 1107/70/EWG 82, 180 ff. Verordnung 1191/69/EWG 48, 61, 64, 73 f., 76 ff., 81 ff., 92, 175, 180, 182, 184 f., 205 f., 208 f., 222, 234, 236, 264, 284, 316

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Sachverzeichnis

– Abschließender Charakter 48 Verordnung 1192/69/EWG 180, 185 Verordnung 1370/07/EG 48, 81 ff., 92, 317, 336 – Abschließender Charakter 48 Verordnung 17/62/EWG bzw. 1/2003/ EG 184 Verordnung 2183/78/EG 185 Verordnung 2830/77/EG 185 Vertrag zugunsten Dritter 237 Verwaltungshilfe 81, 115 ff., 131 ff., 138 ff., 157, 172 Verwaltungsmittlung 77, 115, 131, 133 ff., 139 ff., 157 Verwaltungsprivatrecht 137, 159, 170, 172 Verwaltungsreform 117, 121, 248 Verwaltungssubstitution siehe Verwaltungsmittlung Verwaltungsvertrag siehe öffentlichrechtlicher Vertrag Vorrecht der Verwaltung 152, 159 ff.

Wettbewerb 17, 25, 51, 60, 66, 70, 118, 202, 206, 209, 324 ff. – Behinderungen 228 ff., 253, 295, 323, 336 f. – Gemeinsamer Binnenmarkt 39 ff., 52, 77 ff., 85, 92, 175, 180, 190 ff. – Intermodaler 21, 71 – Intramodaler 176, 186, 252, 262 f., 267 f., 281, 311 f., 313 ff., 324 ff., 329 f., 332 f. – Wettbewerbsregeln 43, 47, 52, 177, 183 f. Wettbewerbsbehinderungen 41, 228 ff.

Zentralismus 95, 99 f., 119, 269, 310 Zentralstaat 94, 96, 99 ff., 111, 120, 145, 269, 271, 277, 280, 313, 331 Zertifizierung 334 Zweckverband 104 f., 107 f., 114, 197, 212 ff., 217 f., 255, 319, 321, 323

SUMMARY The dissertation examines the organisation of regional passenger transport services in France and Germany in the context of the European-led liberalisation of the railway sector. In both countries, the reorganisation of regional passenger transport services is seen as a very successful part of the respective railway reforms and regional passenger transport services undoubtedly remain a service of general interest. Therefore, a reform can only search to increase the efficiency of public steering mechanisms but cannot absolve the State from its responsibility for the task. In Germany as in France the planning of transport connections for regional transport services has been shifted from the railway undertaking to a decentralised politically responsible body. This body delegates the execution of the public mission by means of a contract to railway undertakings. In doing so the railway market has been opened to third parties in Germany, whereas in France the SNCF remains monopolist so far. The present study compares how the regionalised regional passenger transport services are provided in a legal system characterised by the concept and the tradition of “service public” with a monopolistic provider – like the French – and in a competitive system – like the German. Even if basic principles are different, practical results often coincide. In spite of the monopoly of the SNCF the French regions and the monopolist enter into real contract negotiations and the SNCF like the DB have gained real customer orientation. A market opening in France is first of all supposed to bring lower prices.

RÉSUMÉ L’ouvrage étudie l’organisation des services ferroviaires régionaux en France et en Allemagne dans le contexte de la libéralisation europénne du secteur ferroviaire. Les réformes ferroviaires engagées dans ces deux pays connaissent des résultats positifs, notamment pour les services ferroviaires régionaux. Ceux-ci conservent néanmoins tout leur caractère de service public. En effet, les réformes doivent avoir pour objectif une plus grande efficacité des outils de gestion publique sans que l’Etat ne renonce pour autant à ses responsabilités en matière d’organisation des services publics. En Allemagne comme en France, la planification des dessertes de transport régional a été transférée des entreprises ferroviaires aux services décentralisés des collectivités territoriales. L’exécution des services de transport est contractuellement déléguée par cette collectivité à une entreprise ferroviaire. Ce faisant, l’Allemagne a ouvert son marché ferroviaire à toutes les entreprises ferroviaires, tandis qu’en France la SNCF conserve son monopole. L’étude compare ainsi le fonctionnement des services ferroviaires régionaux dans deux systèmes juridiques marqués, pour l’un, par la notion de service public effectué par une entreprise monopolistique – cas de la France-, pour l’autre, par la concurrence – cas de l’Allemagne. Ces différences de principe n’empêchent pas cependant que dans la pratique les résultats se ressemblent souvent. Malgré la situation de monopole, les régions françaises n’hésitent pas à négocier les contrats avec la SNCF. Celle-ci prend par ailleurs plus en compte l’aspect client dans sa démarche. Il est donc à prévoir qu’une ouverture à la concurrence en France ne se traduise essentiellement par la baisse des prix.