Die Tradition des Ortes: Ein formbestimmendes Moment in der deutschen Sakralarchitektur des Mittelalters 9783422988385, 9783422072855

Anknüpfend an den kulturwissenschaftlichen Diskurs über Erinnerung wird im vorliegenden Band erstmals die Bedeutsamkeit

202 33 33MB

German Pages 208 [209] Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Die Tradition des Ortes: Ein formbestimmendes Moment in der deutschen Sakralarchitektur des Mittelalters
 9783422988385, 9783422072855

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Kunstwissenschaftliche Studien Band 171

HAUKE HORN

DIE TRADITION DES ORTES

Hauke Horn

DIE TRADITION DES ORTES Ein formbestimmendes Moment in der deutschen Sakralarchitektur des Mittelalters

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Lektorat: Isabel Hartwig, Deutscher Kunstverlag Gestaltung und Satz: Angelika Bardou, Deutscher Kunstverlag Reproduktionen: Birgit Gric, Deutscher Kunstverlag Druck und Bindung: BGZ Druckzentrum GmbH, Berlin

Abb. S. 10: Dom zu Magdeburg, Binnenchor, 1. Hälfte 13. Jh., im Vordergrund der Sarkophag Kaiser Ottos des Großen (Pietsch/Quast 2005, S. 73)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Paul-Lincke-Ufer 34 D-10999 Berlin www.deutscherkunstverlag.de ISBN 978-3-422-07285-5

5

INHALT

VORWORT | 9

FARBTAFELN | 41

1 EINLEITUNG | 11

2.3.3 Die spätantike Bausubstanz | 57

Fragestellung (11) – Begriffliche Vorüberlegungen (12) –

2.3.4 Die Westfassade | 58

Forschungsstand (13) – Eingrenzung des Unter­

Gestalterische Bezüge zu den Kaiserthermen und

suchungsraumes (16) – Methodisches Vorgehen (16) –

der Porta Nigra (59) – Gestalterische Bezüge zum

Aufbau der Arbeit (18) – Wahl der Fallbeispiele (18)

Quadrat­bau (60) – Die Adaption antiker Ordnungs­ konzepte (61) – Das Motiv übereinandergestellter

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER – Bewahrung, Erweiterung und Inszenierung der domus Helenae | 22

Bögen (62) – Die flankierenden Treppentürme (62) – Die Westtürme (63)

2.4 Die Inszenierung der domus Helenae – Die 2.1 Einführende Baugeschichte | 22

Transformation des Doms in eine kreuzgewölbte Pseudobasilika im 12. und 13. Jahrhundert | 64

2.2 Die domus Helenae als traditionsstiftender Ort des Trierer Doms | 25 2.2.1 Die Etablierung des traditionsstiftenden Ortes in der

2.4.1 Der Anbau des Ostchores | 64 2.4.2 Die Einwölbung des Langhauses | 65 Das Bild übereinandergestellter Tragsysteme (65) –

frühchristlichen Gründungsphase | 25

Die Fortführung der alten Tragstruktur (67) – Die

Die erste bischöfliche Basilika und ihre Tradition des

Umgestaltung der Arkadenwände (67) – Die Beurtei­

Ortes (25) – Die Verlagerung des Schwerpunktes

lung der Gewölbe in der Literatur (68) – Resümee (68)

nach Osten (26) – Räumliche Bezüge zum Prunksaal mit den konstantinischen Deckenmalereien (26) – These: Kaiserin Maxima Fausta als Mäzenin der

2.5 Resümee: Der Trierer Dom und seine Tradition des Ortes | 69

Trierer Bischofskirche (28) – Der Quadratbau und die

2.5.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse | 69

Verfestigung des traditionsstiftenden Ortes (31)

2.5.2 Interpretation im historischen und politischen

2.2.2 Die Bewahrung der Tradition des Ortes im frühen

Kontext | 72

Mittelalter | 32 2.2.3 Die Tradition des Ortes in den Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters | 34 Der Dom als domus beatissimae Helenae (34) – Der historische Kern der Helena-Tradition (36)

2.6 Im Kontext der domus Helenae – Der Neubau der Liebfrauenkirche im 13. Jahrhundert | 76 2.6.1 Räumliche Beziehungen zwischen neuem und altem Grundriss | 76 Der Umriss (76) – Der Chor (76) – Die Ost-West-

2.3 Die Erweiterung der domus Helenae – Der Umbau des Doms unter Erzbischof Poppo im 11. Jahrhundert | 36 2.3.1 Vom Normannensturm 882 zur Wiederaufbaukam­ pagne unter Erzbischof Poppo in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts | 36 2.3.2 Grundriss und Innenraum | 39 Grundrissdimensionen (39) – Grundrissstruktur (39) – Die Viererarkaden im Innenraum (40)

Achse (79) – Die Fundamente (80) – Das Portal vom Dom nach Liebfrauen (81) 2.6.2 Gestalterische Bezüge zur Tradition des Ortes | 83 Kompositorische Parallelen zwischen den Westfronten von Dom und Liebfrauen (83) – Die Westfassade als Erinnerungsform an einen Westturm (84) – Das achsverschobene Fenster (85)

6

INHALT

2.6.3 Der Grundriss im Kontext der Tradition des Ortes | 86 Erklärungsansätze für die Zentralbauform in der Literatur (86) – Die Beschreibung des Grundrisses in der Literatur (88) – Die Nachahmung des

bolik des Tragens (115) – Die Metaphorik der ­Heiligenfiguren im architektonischen Kontext (116) – Die Relation der Teile zuein­ander (116) 3.3.6 Die gestalterische Dialektik von Chorumgang und

Quadratbaus im Grundriss (88) – Ganzheitliche

Bischofsgang | 117

Interpretation des Grundrisses (89)

Formale Differenzen zwischen Chorumgang und Bischofsgang (117) – Die Bewertung der

2.7 Resümee: Die Trierer Liebfrauenkirche und ihre Tradition des Ortes | 90 2.7.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse | 90 2.7.2 Interpretation im historischen und politischen Kontext | 91

Differenzen in der Literatur (118) – Gewölbeformen als Gestaltungsmittel (119) – Die Kapitelle des Chorumgangs und der -empore im architekto­nischen Kontext (121) – Der Chorumgang als Erinnerungsraum der Kilians-Krypta (122) – Der Chorneubau der Abteikirche Saint-Denis unter Abt Suger als

3 DER DOM ZU MAGDEBURG – Die Visuali­sierung der imperialen Tradition des Ortes | 93

Vergleichsbeispiel (123) – Die dialektische, aber einheitliche Konzeption von Chorumgang und Bischofsgang (125) – Die Modifikation des ursprünglichen Entwurfs (126) – Konsequenzen

3.1 Einführende Baugeschichte | 93

für die Datierung des Bischofs­gangs und dessen Bauherrenschaft (127)

3.2 Forschungsstand zum ottonischen Vorgängerbau | 97

3.4 Das Phänomen der Achsrotation – Räumliche Beziehungen des gotischen Doms zum Vor­

3.3 Materielle und gestalterische Strategien zur Verbildlichung der Tradition im neuen Chor | 100 3.3.1 Die Natursteinsäulen | 100

gängerbau | 128 3.4.1 Der Befund und seine Bewertung in der Literatur | 128 3.4.2 Begriffliche Präzisierung | 129

Herkunft (100) – Ursprünglicher Symbolgehalt (102) –

3.4.3 Kritik möglicher Erklärungsansätze | 129

Die Präsentation im Chorhaupt (102) – Die Imitation

3.4.4 These: Das Grab der Königin Edith als Referenzpunkt

antiker Kapitelle (103) 3.3.2 Die Inszenierung des Kaisergrabes | 105 Architektonischer Kontext (105) – Grabplatte und

der Achsrotation | 130 Die Lage des Grabes nach den Schriftquellen (130) – Der archäologische Befund zur Grabstelle (131) –

Sarkophag (106) – Aufstellungsort und liturgische

Gedanken zur Lokalisierung des alten Edith­

Inszenierung (108)

grabes (131) – Vergleich mit der Marburger

3.3.3 Die Reliquiennischen | 108

Elisabethkirche (132) – Die überlieferte Translatio der

3.3.4 Die Imitation alter Formen | 109

Königin Edith (133) – Das Grab der Königin Edith als

Antikisierende Formen im Chor (109) – Pfeilerformen

konstitutive Tradition des Ortes (134) – Resümee (135)

des 11. Jahrhunderts (111) – Antikisierende Formen des Bischofsgangs (112) 3.3.5 Die Wandstruktur im Chorhaupt als integratives

3.5 Resümee: Der Magdeburger Dom und seine Tradition des Ortes | 136

Ordnungssystem | 114

3.5.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse | 136

Unterscheidung zwischen dem sichtbaren Trag­system

3.5.2 Interpretation der Ergebnisse | 138

und der tatsächlichen Lastabtragung (114) – Die Sym-­

3.5.3 Einordnung in den historischen Kontext | 141

7

INHALT

4 DER DOM ZU ESSEN – Die Vergegen­ wärtigung der Tradition des Ortes in einem privilegierten Damenstift | 144

4.4 Die Inszenierung der Tradition des Ortes mittels der Ausstattung | 169 4.4.1 Die Neuinszenierung des Altfrid-Grabmals | 169 4.4.2 Die Kreuzsäule | 171

4.1 Einführende Baugeschichte | 144

4.4.3 Der siebenarmige Leuchter | 173 4.4.4 Die Glasmalereien in den östlichen Chorfenstern | 173

4.2 Räumliche Beziehungen der Kirche zur Tradition des Ortes | 146 4.2.1 Räumliches Verhältnis des spätottonischen Münsters zum altsächsischen Gründungsbau | 146 4.2.2 Räumliches Verhältnis des gotischen Münsters zum spätottonischen Bauwerk | 148

4.4.5 Die liturgischen Artefakte | 174 Die Goldene Madonna (175) – Der Marsus­ schrein (175) – Die Vortragekreuze (175) – Das Kreuzna­ gelreliquiar (176) – Das Theophanu-Evan­geliar (176) – Die Artefakte im ­Kontext von Archi­tektur und Tradition des Ortes (177)

Das Ausmaß der gotischen Baukampagne im Verhältnis zu ihrer Wahrnehmung in der Architek­ turgeschichte (148) – Das Verhältnis des gotischen Grundrisses zum ottonischen (149) – Das west­ liche Sonderjoch (150) – Der rechteckige Hallen­ chor (150) – Das trapezförmige Chorjoch (152) 4.2.3 Verhältnis der gotischen Fundamente zu den älteren | 153 4.2.4 Die Höhe der gotischen Halle in Relation zur ottoni­ schen Basilika | 155

4.5 Resümee: Der Essener Dom und seine Tradition des Ortes | 179 4.5.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse | 179 Räumliche Beziehungen (179) – Materielle Bezüge (180) – Objektsysteme (181) 4.5.2 Einordnung in den historischen Kontext | 181 Differenzierung der Essener Tradition des Ortes (181) – Die Privilegien des Stifts (182) – Die historische Situation im 13. Jahrhundert (183) – Koinzidenz von Umbau und Krise (184) – Die politische Botschaft der figürlichen

4.3 Materielle Bezüge der Kirche zur Tradition des

Glasmalereien im Chor (185)

Ortes | 156 4.3.1 Begriffliche Bestimmungen | 156 4.3.2 Die Integration alter Gebäudeteile | 156

5 RESÜMEE | 187 Authentische Materie als Mittel der Traditionsvergegen­

Der Westbau (156) – Das Atrium (159) –

wärtigung (187) – Räumliche Zusammen­hänge zwi­

Die Krypta (160)

schen Alt und Neu (188) – Gestalterische Bezüge zur

4.3.3 Die Integration alter Bauteile in situ | 161

Tradition des Ortes (188) – Die Tradition des ­Ortes:

Die Seitenschiffwände (161) – Die Vierungs- und

Hinzunehmende Voraussetzung oder bewusste Bezug­

Vorchorpfeiler beim stauferzeitlichen Umbau (163) –

nahme? (189) – Architektur und ihre ­Tradition des Ortes

Die Imitation ottonischer Kämpferprofile im

in der Wahrnehmung der Betrachter (191) – Inszenie­

12. Jahrhundert (163) – Die Vierungs- und

rungen der Tradition des Ortes im historisch-politischen

Vorchorpfeiler beim gotischen Umbau (164) 4.3.4 Die Integration alter Werkstücke in neuem Kontext | 165

Kontext (193) – ­Architektur im Kontext von Memoria und kulturellem Gedächtnis (194) – Konsequenzen für die

Der romanische Pfeiler im südlichen Neben­

Betrachtung mittelalterlicher Sakralarchitektur (195) –

chor (165) – Die antikisierenden Säulen der

Schluss­resümee  (197)

Krypta (166) – Die Basis des Weihwasser­ beckens (167) – Alte Werkstücke als Zeichen

Quellenverzeichnis | 198

der Tradition des Ortes (168)

Literaturverzeichnis | 198

Sonja und Haro gewidmet

9

VORWORT

Es erscheint mehr als angemessen, im Vorwort einer Ar-

gebnisse machte mir der Grabungsleiter Rainer Kuhn zu-

beit, die sich im kulturwissenschaftlichen Umfeld von

gänglich. Hinsichtlich des Essener Doms bin ich der Lei-

Erinnerungskultur situiert, an die Umstände ihrer Entste-

terin der Domschatzkammer Frau Dr. Birgitta Falk und

hung zu erinnern; vor allen Dingen aber an die Menschen

dem Dombaumeister Ralf Meyers zu großem Dank für

und Institutionen, welche die Entstehung der Arbeit för-

die weitreichende Unterstützung verpflichtet. Schließlich

derten.

danke ich dem Historisch-Kulturwissenschaftlichen For-

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine

schungszentrum (HKFZ) der Universität Trier, das mich

geringfügig überarbeitete und aktualisierte Fassung mei-

in einer frühen Phase der Dissertation mehrfach zu Kollo-

ner gleichnamigen Dissertation, die am 5. Mai 2012 dem

quien einlud und damit den Übergang in die wissenschaft-

Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der

liche Gemeinschaft erleichterte.

Johannes Gutenberg-Universität Mainz vorgelegt und im

Die Entstehung und Publikation der Dissertation wäre

selben Jahr mit »summa cum laude« verteidigt wurde. Lite-

nicht möglich gewesen ohne eine finanzielle Förderung

ratur, die nach 2012 erschien, konnte für die Drucklegung

von den im Folgenden genannten Institutionen und Per-

keine Berücksichtigung mehr finden. Der Dissertation

sonen, denen ich für die freundliche Unterstützung herz-

wurde die Ehre zuteil, vom Europäischen Romanik Zent-

lich danke.

rum (ERZ) Merseburg mit dem Romanik-Forschungspreis 2014 ausgezeichnet zu werden.

Ein zweijähriges Promotionsstipendium der Stipendienstiftung Rheinland-Pfalz ermöglichte es mir, die

Mein erster Dank gebührt selbstverständlich meinem

Promotion in einem überschaubaren Zeitraum abzu-

Mentor Prof. Dr. Matthias Müller, der mir im Studium er-

schließen. Den Großteil der Kosten für die Publikation

öffnete, dass Fragen der Erinnerungskultur Gegenstand

übernahm aufgrund der Höchstnote großzügigerweise

der Architekturforschung sein können. Es war eine glück-

der Förderungsfonds Wissenschaft der Verwertungsge-

liche Fügung für mich, einen Mentor zu haben, der meine

sellschaft WORT. Für Zuschüsse zu den darüber hinaus-

Arbeit sowohl mit großem Interesse und gutem Rat be-

gehenden Publikationskosten danke ich (in Analogie zur

treute als auch genug Raum zur freien Entfaltung der Ge-

Reihenfolge der im Buch behandelten Kirchenbauten):

danken einräumte. Das Zweitgutachten schrieb Frau Prof.

dem Bistum Trier, namentlich Generalvikar Monsignore

Dr. Elisabeth Oy-Marra, die meine Arbeit nicht nur wohl-

Dr. Georg Bätzing, der kirchlichen Denkmalpflege des

wollend begleitete, sondern mich schon im Studium mit

Bistums Trier, namentlich Frau Diözesankonservatorin

guten Ratschlägen im Hinblick auf mein Promotionsvor-

Dr. Barbara Daentler und Dr. Andreas Weiner, der Evan-

haben unterstützte. Von meinen akademischen Lehrern

gelischen Kirche in Mitteldeutschland, namentlich Frau

ist noch Prof. Dr. Detlev Kreikenbom hervorzuheben, dem

Landesbischöfin Ilse Junkermann und Oberkirchenrat

ich wichtige Hinweise vor allem zu den archäologischen

Michael Lehmann sowie dem Münsterbauverein Essen.

Teilen der Arbeit verdanke.

Der Deutsche Kunstverlag stand mir stets als kompe-

Bei meinen Forschungen durfte ich auf die Hilfe und

tenter und verlässlicher Partner zur Seite, der konstruktiv

Unterstützung wohlwollender Personen bauen. Meine

zur Publikation des Buches beitrug. Hier sind insbeson-

Untersuchungen im Trierer Dom hat Dompropst Prälat

dere Frau Stephanie Ecker, Frau Jasmin Fröhlich und von

Werner Rössel stets unterstützt. Prof. Dr. Winfried Weber

Seiten des Lektorats Frau Isabel Hartwig zu nennen.

gewährte mir freundlicherweise Einblick in die aktuellen

Last but not least danke ich meiner Frau Sonja, die

Grabungsergebnisse im Trierer Dombereich. Im Magde-

2010 unseren Sohn Haro zur Welt brachte, für Ihre außer-

burger Dom halfen mir Domprediger Giselher Quast und

gewöhnliche Unterstützung und verständnisvolle Geduld,

Domküster Jürgen Jerratsch. Die aktuellen Grabungser-

die nur mit Liebe zu erklären sind.

11

1 EINLEITUNG

Fragestellung

Datierungen zu spinnen, das heute eine grundlegende Ba-

»… groß ist die Kraft der Erinnerung, die Orten inne-

sis für die zeitliche Einordnung von Bauwerken offeriert.

wohnt«,1 spricht Piso zu Cicero und seinen Freunden, als

Infolgedessen konstruierte man die Architekturgeschichte

sie die Akademie in Athen besuchen, und stößt damit eine

als Stilgeschichte,2 welche den Stil als primäres Moment

Diskussion über das Verhältnis von Orten und Erinnerung

architektonischer Formbildung impliziert.3 Dies führte

an. Dabei ist die Rede von unbebauten Orten, aber vor al-

dazu, dass vor allem diejenigen Gebäude im Fokus des

lem von Orten, an denen besondere Bauwerke stehen, wie

kunsthistorischen Interesses standen und stehen, deren

die Curia in Rom. Die Erinnerung des Menschen bindet

Stil eine klare Einordnung in die Stilgeschichte erlaubt,

sich, so ist man sich einig, in hohem Maße an Archi­tektur.

was in besonderer Weise für die Kirchenarchitektur gilt,

Piso und seine Freunde denken dabei in erster Linie an

die im Mittelalter die repräsentativste und künstlerisch

Gebäude, die erst durch das Wirken bestimm­ter Perso-

wie technologisch anspruchsvollste Bauaufgabe darstellte.

nen zu Trägern der Erinnerung wurden, primär aber ei-

Ein distanzierter Blick auf die mittelalterliche Sak-

nem anderen Zweck dienen, wie eben der Akademie oder

ralarchitektur zeigt jedoch, dass viele, vielleicht sogar die

der ­Curia. Wie aber verhält es sich mit Gebäuden, die an

Mehrheit der Kirchen ein stilistisch heterogenes Konglo-

Orten erbaut wurden, die vornehmlich der Erinnerung

merat aus Gebäudeteilen verschiedenster Epochen bil-

dienen; mit Gebäuden, denen von vornherein eine Erin-

den. Bauwerke, bei denen die stilistische Heterogenität

nerungsfunktion zukommt, wie es etwa bei der Geburts-

besonders ausgeprägt ist, lassen sich jedoch nicht mehr

kirche in Bethlehem, dem legendären Geburtsort Christi,

mit den gängigen Kriterien der Stilgeschichte erfassen, so

oder der Peterskirche, die über dem Grab Petri in Rom

dass sie in den einschlägigen Überblickswerken ungeach-

erbaut worden sein soll, offenkundig ist? Wäre nicht zu er-

tet ihrer kulturhistorischen Bedeutung keine adäquate Be-

warten, dass die Form der Architektur von dem Wunsch,

achtung finden. Insofern spiegeln die stilgeschichtlichen

zu erinnern, mitbestimmt wird, damit auch in späteren

Ordnungen die Realität mittelalterlicher Baukultur nur

Zeiten dem Betrachter die Tradition des Ortes vor Augen

partiell und damit unzureichend wider.

geführt wird?

Ein herausragendes Beispiel für ein Gebäude, wel-

Sichtet man die einschlägigen Überblickswerke zur

ches durch das stilgeschichtliche Raster fällt, bietet der

mittelalterlichen Architektur, so stellt man fest, dass der-

Trierer Dom (vgl. Abb. 1.01, 1.02).4 Das rund 1700 Jahre

artige Fragen größtenteils ausgeklammert werden. Trotz

alte Bauwerk erfuhr im Laufe seiner lebhaften Geschichte

der methodischen Aufweitung, welche das Fach in den

zahlreiche An- und Umbauten, Erneuerungen und Erwei-

letzten Jahrzehnten erfahren hat, dominiert in den grund-

terungen, so dass es aus stilistischer Perspektive bereits

legenden Gesamtdarstellungen nach wie vor die Frage

im Hochmittelalter eine Collage aus Teilen verschiede-

nach dem Stil. Mit Hilfe der Stilkritik, der wohl prominen-

ner Jahrhunderte bildete. Diese stilistische Heterogenität

testen kunsthistorischen Methode, gelang es in den letz-

verhinderte aber, dass der Trierer Dom einen angemesse-

ten 150 Jahren, ein zunehmend dichtes Netz von relativen

nen Eingang in die kunstgeschichtlichen Überblickswerke

1 Cicero, De finibus V, 2 (ed. Merklin, S. 394f.). 2 Bei manchen Werken lässt sich das schon am Titel erkennen: z. B. »Belser Stilgeschichte«, »Heyne Stilkunde« oder »Baustilkunde« (Koch, W. 2000). 3 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen zunehmend auch Ansätze auf, welche die inhaltliche Deutung von Bauwerken in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken, insbesondere die Architekturikonographie (Standardwerke: Krautheimer 1988; Bandmann 1979 [1951];

Warnke 1976). Diese hatten jedoch wenig Einfluss auf die stilgeschichtliche Ordnung der Überblickswerke und flossen, wenn überhaupt, ergänzend ein (in gelungener Weise etwa bei Kimpel/Suckale 1985). Die an dieser Stelle zugegebenermaßen verkürzte und zugespitzte Darstellung der architekturgeschichtlichen Methodiken dient dem Zweck, die Problemstellung dieser Arbeit besser nachvollziehbar zu machen. 4 Für einen kurzen Abriss der komplizierten Baugeschichte des Trierer Doms mit entsprechenden Literaturhinweisen s. Kap. 2.1.

12

1 EINLEITUNG

fand, obgleich er vergleichsweise gut erforscht ist, so dass

stilgeschichtlicher Stellung und könnte somit helfen, ein

umfangreiche Literatur existiert. Wenn der Trierer Dom

differenzierteres Bild der mittelalterlichen Baukultur zu

5

in Überblickswerken Erwähnung findet, dann beschränkt

gewinnen. Darüber hinaus würde der Ansatz eine ganz-

sich diese auf einzelne Gebäudeteile einer bestimmten

heitliche Betrachtung eines Bauwerks über stilgeschicht-

Zeitschicht, welche herausgelöst aus dem architektoni-

liche Zäsuren hinweg erlauben, indem statt der stilistisch

schen Gesamtkontext betrachtet werden, wie etwa die

isolierten Betrachtung eines einzelnen Gebäudeteils un-

Westfassade des 11. Jahrhunderts.6

terschiedliche Zeitschichten in Beziehung zueinander ge-

Die marginale Beachtung des Trierer Doms in über-

setzt werden könnten.

greifenden Werken steht jedoch in krassem Gegensatz zur historischen, religiösen, politischen und kulturellen Be-

Begriffliche Vorüberlegungen

deutung des Bauwerks im Mittelalter und darüber hinaus:7

Der zentrale Begriff dieser Arbeit ist die »Tradition des

Es handelte sich um die älteste und im Frühmittelalter

­Ortes«. Er setzt sich aus zwei Komponenten zusammen,

größte Bischofskirche im deutschen Raum, die im Mittel-

Ort und Tradition, und beinhaltet damit sowohl eine räum-

alter als kaiserliche Gründung der heiligen Helena, Mutter

liche als auch eine zeitliche Bezugsebene. Das Subjekt ist

Konstantins des Großen, höchstes Ansehen genoss. Als

die Tradition, doch handelt es sich nicht um eine allge-

Sitz des Trierer Erzbischofs diente der Dom als Repräsen-

meine Tradition, die sich etwa auf eine kulturgeographi­

tationsbau eines der mächtigsten Männer im Reich, der

sche Region oder eine vergangene Epoche wie die Antike

auch hohe politische Ämter bekleidete und im Spätmit-

bezieht und deshalb für eine Gruppe von Gebäuden rele-

telalter zu den sieben Kurfürsten zählte. Als Mutterkirche

vant sein kann, sondern eine spezifische Tradition, die in

des Trierer Erzbistums stand der Dom in der kirchlichen

direktem Bezug zu einem bestimmten Ort steht und somit

Hierarchie weit oben, nach dem mittelalterlichen Trierer

nur auf das den Ort besetzende Gebäude wirkt. Den kon-

Selbstverständnis kam er direkt nach dem päpstlichen Sitz

stitutiven Kern des Begriffs bildet folglich der im Genitiv

in Rom, der Peterskirche. Schließlich barg und birgt der

angesprochene Ort.

Trierer Dom seinem Rang entsprechend mit dem Heiligen

Ein Ort bezeichnet einen bestimmten Punkt im

Rock Christi eine der bedeutendsten Reliquien der Chris-

Raum. Da es sich bei Architektur in der Regel um Immo-

tenheit in seinen Mauern.

bilien handelt, um unbewegliche Objekte also, die räum-

Wie kann es sein, dass ein Gebäude von einer derart

lich fest an einem Ort verankert sind, kommt es zu einer

hohen religiösen, politischen und kulturellen Bedeutung

besonderen Wechselwirkung zwischen Ort und Architek-

keinen Eingang in die architekturgeschichtlichen Über-

tur. Der Ort definiert Rahmenbedingungen, welche die

blickswerke findet? Schmälert die stilistische Heterogeni-

architektonische Form mitbestimmen. Ob beispielsweise

tät wirklich die kunsthistorische Bedeutung? Der Dom zu

ein Haus freistehend an einem See oder in einer großstäd-

Trier ist, wie zuvor skizziert, ein Gebäude mit großen Tra-

tischen Baulücke errichtet wird, hat zwangsläufig Auswir-

ditionen. Wäre es da nicht möglich, dass die Integration

kungen auf dessen Gestalt. Jeder Ort besitzt individuelle

alter Gebäudeteile bewusst geschah, vielleicht sogar pro-

Qualitäten, die ihn zu mehr als einer räumlichen Koordi-

grammatisch? Wäre es möglich, dass die Architektur als

nate machen und sich mitunter zu einer besonderen Aura

Medium fungierte, um die Tradition des Ortes visuell zu

verdichten. Die spezifischen Qualitäten des Ortes, die im

kommunizieren, um diese kraft ihrer Authentizität darü-

architektonischen wie kulturwissenschaftlichen Diskurs

ber hinaus sogar zu bezeugen?

häufig mit dem Begriff genius loci umrissen werden, kön-

Die Problem- und Fragestellung, die hier am Trierer

nen eine besondere Wirkung auf die Architektur entfalten.

Dom exemplarisch skizziert wurde, soll im Rahmen die-

Umgekehrt wirken aber auch Gebäude auf den Ort, dessen

ser Arbeit anhand mehrerer Fallstudien eingehend unter-

räumliche Qualitäten sie mit ihrer körperlichen Präsenz

sucht werden. Die Kernfrage wäre demnach, ob und inwie-

zwangsläufig modifizieren, zurück.

fern eine Tradition des Ortes die architektonische Form

Die Tradition des Ortes bezeichnet eine zeitliche Di-

mitbestimmte. Dieser Ansatz verspricht einen Zugang

mension, die einem Ort zukommen kann. Sie rekurriert

zu mittelalterlichen Sakralbauten unabhängig von deren

auf eine vergangene Zeitschicht, in der etwas an dem Ort

5 Die Literatur zum Trierer Dom bis ca. 1980 bibliographierte: Zink 1980b.

6 Z. B. Kaiser 1996, S. 44; Kubach/Verbeek 1976, Bd. 2, S. 1092f. 7 Zu den folgenden Punkten s. Kap. 2.7.

13

1 EINLEITUNG

geschah, das fortan mit ihm in Beziehung steht. Dabei

Die vorangegangenen, einleitenden Aussagen zur

kann es sich etwa um ein außergewöhnliches Ereignis

Tradition des Ortes sollen jedoch keine Untersuchungs-

handeln, das in der Vergangenheit an einem bestimm-

ergebnisse vorweggreifen, sondern als hypothetische

ten Ort stattfand. Wie die vorliegende Arbeit zeigen wird,

­Vorüberlegungen begriffen werden, die es in der folgen-

kann der Ort als authentischer Teil des Ereignisses zu

den Untersuchung zu überprüfen und gegebenenfalls zu

einem Erinnerungsträger mit beglaubigender Wirkung

differenzieren und konkretisieren gilt. Gleichwohl ver-

werden. Als Beispiel lässt sich hier die Geburtskirche in

deutlichen sie bereits, dass die Tradition des Ortes nicht

Bethlehem heran­ziehen, welche den legendären Ort der

allein auf eine geographische Koordinate bezogen werden

Geburt Christi markiert. Es kann sich aber auch um eine

darf, sondern räumlich wie begrifflich etwas weiter gefasst

neue Nutzung handeln, für die der Ort bestimmt und

werden muss und die Architektur teilweise mit einbezieht.

nachhaltig modifiziert wurde. Ein derartiges Beispiel liefert die Peterskirche in Rom, die über dem legendären

Forschungsstand

Grab Petri errichtet wurde. In solch einem Fall verbinden

In den 1980er Jahren entdeckten die Kulturwissenschaf-

sich die Person und ihre Geschichte identitätsstiftend mit

ten das Thema »Erinnerung«, welches ein weites Feld in-

dem Ort.

terdisziplinärer Forschung offerierte und Erkenntnisse in

Zur Tradition wird die Geschichte schließlich, wenn

neuen Zusammenhängen versprach. Dabei konnten un-

sie mittels kontinuierlicher Pflege generationenübergrei-

terschiedliche Ansätze, welche in den vorangegangenen

fend überliefert wird. Tradition bezeichnet also eine Be-

Jahrzehnten teils unabhängig voneinander entstanden

zugnahme einer interessierten Gruppe auf die Geschichte

waren, in glücklicher Weise zusammengebracht werden.

zu einem späteren Zeitpunkt, so dass die Geschichte

Das Verdienst, Erinnerung als Thema der Kulturwis-

unbewusst oder bewusst verzerrt oder sogar absichtlich

senschaften erkannt und erschlossen zu haben, gebührt

verändert wieder- und weitergegeben werden kann. Die

dem französischen Soziologen Maurice Halbwachs. In

Tradition kommt einer Folie gleich, durch welche auf die

seinen bereits in den 1920er bis 1940er Jahren verfassten,

Vergangenheit zurückgeblickt wird.

grundlegenden Schriften zur Soziologie des Erinnerns

Im Zentrum dieser Arbeit steht das Verhältnis von

prägte er den Begriff des »kollektiven Gedächtnisses«, der

Architektur zur Tradition des Ortes. Es liegt nahe anzu-

in der heutigen Diskussion allgegenwärtig ist.8 Die Schrif-

nehmen, dass Bauwerke in einer Wechselwirkung zur

ten von Halbwachs waren in Deutschland jedoch zunächst

Tradition des Ortes stehen. Auf der einen Seite kann die

nur einem kleinen Kreis von Fachleuten bekannt und er-

Tradition des Ortes die Form der Architektur maßgeb-

lebten ihren Durchbruch erst mit den deutschsprachigen

lich prägen, was besonders dann zu erwarten wäre, wenn

Neuauflagen zur Mitte der 1980er Jahre, als das Interesse

die Tradition des Ortes den Anlass für die Errichtung ei-

an Erinnerung entflammte.

nes Gebäudes gab, wie es etwa bei der Geburtskirche in

In dieser Zeit entdeckte man auch das Spätwerk des

Bethlehem oder der Peterskirche in Rom der Fall war.

deutschen Kunsthistorikers Aby Warburg wieder, der bis

Auf der anderen Seite wäre zu fragen, ob Architektur in

dato vornehmlich als Begründer der Ikonologie galt. War-

entsprechenden Fällen gezielt auf die Tradition des Ortes

burg beschäftigte sich vor allem bei seinem unvollendeten

verweist, ob sie selbst Teil der geschichtlichen Ereignisse

Projekt »Mnemosyne«9 mit der Gedächtnisfunktion von

eines Ortes wird und/oder ob sie einen historischen Ei-

Bildern, ohne allerdings wie Halbwachs eine konkrete Er-

genwert erlangt. Die Architektur könnte folglich zu einem

innerungstheorie daraus abzuleiten.10

eigenen, integralen Bestandteil der Tradition des Ortes

Die historische Forschung, allen voran Gerd Tellen-

avancieren. Dabei ist es im Untersuchungskontext uner-

bach, Karl Schmid und Joachim Wollasch, eröffnete den

heblich, ob die Tradition auf wahren Tatsachen basiert

Kulturwissenschaften ihrerseits eine neue Perspektive,

oder nicht; entscheidend ist, was für wahr erachtet oder

indem sie in den 1950er Jahren begann, den geschichtli-

als wahr propagiert wird.

chen Zeugniswert zum liturgischen Totengedächtnis im

8 Halbwachs 1985b [1950]; Ders. 1985a [1925]; Ders. 1941. Der jüngste Titel wurde posthum nach einem im Nachlass entdeckten Manuskript veröffentlicht. 9 Ein Fragment des Projekts wurde vor einigen Jahren von Martin Warnke herausgegeben (Warburg 2000).

10 Zur Einführung in Warburgs Gedächtniskonzept: Böhm 2000; Diers 1995; Kany 1987, insbesondere S. 168–185. 11 Einen vorzüglichen Überblick zur Geschichte der MemoriaForschung von ihren Anfängen bis in die 1990er Jahre inklusive der wesentlichen Literaturhinweise bietet: Geuenich 2008.

14

1 EINLEITUNG

Mittelalter, der »Memoria«, systematisch zu erschließen.11

Erinnerungskultur in den 1990er Jahren zu ihrem Durch-

Anfänglich stand jedoch nicht die mittelalterliche Erinne-

bruch.14 Anknüpfend an die Forschungen von Halbwachs

rungskultur im Vordergrund, sondern die Adelsforschung,

und Warburg differenzierten sie das kollektive Gedächtnis

zu deren Zweck die schriftliche Memorialüberlieferung in

in ein »kommunikatives Gedächtnis« und ein »kulturel-

erster Linie untersucht wurde.

les Gedächtnis« und ermöglichten damit, die materielle

Das Phänomen der Memoria selbst geriet in den

Sachkultur im sozialen Kontext als Erinnerungsträger zu

1970er Jahren zunehmend in den Fokus der Wissen-

erfassen.15 Eine nachhaltige Wirkung auf den Diskurs ent-

schaft, als man es interdisziplinär zu beleuchten begann

faltete vor allem Jan Assmanns Buch »Das kulturelle Ge-

und dabei seine kulturgeschichtliche Tragweite erkannte.

dächtnis« von 1992, mit dem die Theorie der Assmanns in

Die Initialzündung zur fächerübergreifenden Memoria-

der Breite der Forschungsgemeinschaft bekannt wurde.16

Forschung gab 1984 der von Karl Schmid und Joachim

In der Folge kam es zu einem regen und fruchtbaren

Wollasch herausgegebene Sammelband »Memoria«, der

Austausch zwischen den Forschungsfeldern Erinnerungs-

neben historischen Aufsätzen auch Beiträge von ausge-

kultur und Memoria, der zu einer Ausweitung von Begriff

wiesenen Mittelalterspezialisten anderer Disziplinen, wie

und Bedeutung der Memoria führte, wie die Beiträge in

Friedrich Ohly, Arnold Angenendt, Renate Kroos und Wil-

den beiden Standardwerken zur Memoria-Forschung der

libald Sauerländer, enthält.12 Einen großen Einfluss auf

1990er Jahre, »Memoria in der Gesellschaft des Mittelal-

die weitere Forschung übte und übt der im selben Band

ters«17 und »Memoria als Kultur«,18 herausgegeben von Die-

enthaltene Aufsatz über »Memoria und Memorialbild«

ter Geuenich und Otto Gerhard Oexle, vor Augen führen.

von Otto Gerhard Oexle aus.13 War die Memorialforschung

Obgleich auf diese Weise unterschiedliche Formen, Me-

bis dato in erster Linie auf die schriftliche Überlieferung

dien und Dimensionen der Memoria erschlossen wurden,

fokussiert, so stellte Otto Gerhard Oexle nun die Funktion

muss für die differenzierte Diskussion beachtet werden,

von Bildmedien im Zusammenhang mit Memoria heraus

dass der Begriff »Memoria« nach wie vor das christliche,

und eröffnete damit insbesondere den auf die materielle

vorrangig mittelalterliche Totengedächtnis bezeichnet.19

Sachkultur spezialisierten Fachdisziplinen, wie der Kunst-

Memoria bildet demzufolge einen besonderen Teilbereich

geschichte, einen Zugang zu dem Forschungsfeld.

von Erinnerungskultur.20

In anderen Bereichen der Kulturwissenschaften be-

Die Kunstgeschichte stieg zwar früh in den interdis-

gann man hingegen parallel zur Memoria-Forschung Fra-

ziplinären Diskurs über Memoria ein, doch konzentrierte

gen zur Erinnerungskultur auf einer allgemeineren Ebene

sich ihr Beitrag größtenteils auf die Erforschung der Bild-

zu verhandeln und so den Diskurs auf weitere Aspekte,

künste unter memorialen Aspekten,21 wohingegen die Ar-

Kulturen und Epochen auszuweiten. Insbesondere die

chitektur kaum in die Diskussion miteinbezogen wurde.22

Arbeiten von Aleida und Jan Assmann, einer Literatur-

Auch an der allgemeineren Debatte über das kulturelle

wissenschaftlerin und eines Ägyptologen, verhalfen der

Gedächtnis nahm die Architekturgeschichte zunächst nur

allgemeinen geisteswissenschaftlichen Erforschung von

wenig Anteil.

12 Schmid/Wollasch 1984. 13 Oexle 1984. – Frühe Einzelstudien zu Memorialbildern: Sauerländer/ Wollasch 1984; Schmid 1982. 14 Wichtige Publikationen der Assmanns zum Thema: Assman, A. 1999; Assman, A./Harth 1991; Assmann, J. 2000; Ders. 1995; Ders. 1992; Ders. 1988; Assmann, J./Hölscher 1988. 15 »Halbwachs thematisiert den Nexus zwischen Gedächtnis und Gruppe, Warburg den zwischen Gedächtnis und kultureller Formensprache. Unsere Theorie des kulturellen Gedächtnisses versucht, alle drei Pole: Gedächtnis (bzw. appräsentierte Vergangenheit), Kultur und Gruppe (bzw. Gesellschaft) aufeinander zu beziehen.« (Assmann, J. 1988, S. 13). 16 Assmann, J. 1992. – In späteren Publikationen zur Erinnerungsforschung wird die Genese des Begriffs »kulturelles Gedächtnis« oft auf dieses Werk reduziert. Ohne dessen unbestrittene Bedeutung und Wirkung zu schmälern, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Jan Assmann den Begriff und grundlegende theoretische Gedanken gemeinsam mit seiner Frau Aleida entwickelte, wie er selbst wiederholt betonte (Assmann 1992, S. 22; Ders. 1988, Anm. 3). Außerdem wurde der Begriff schon früher im kulturwissenschaftlichen Diskurs gebraucht; er tauchte zum Beispiel 1988 bereits im Titel einiger Bei-

träge zum Sammelband »Kultur und Gedächtnis« auf (Assmann, J./ Hölscher 1988). 17 Geuenich/Oexle 1994. 18 Oexle 1995. 19 »Memoria ist nachgerade zu einer Mode geworden, zu einem Trend, der zum Teil die begrifflichen Konturen verwaschen, zum Teil auch zu falsch oder unverstandenen Verwendungen geführt hat. Umso wichtiger ist es, jede Überlegung zur Memoria des Mittelalters mit all ihren Implikationen und zu den möglichen weiteren Erkenntnissen immer wieder auf das liturgische Totengedenken zurück zu beziehen.« (Schilp 2008b, S. 21f.) 20 Zu Möglichkeiten und Abgrenzungen der Memoria-Forschung im Kontext der Debatte zur allgemeinen Erinnerungskultur: Schilp 2008b, S. 19–27. 21 Aus der Fülle mittlerweile erschienener Literatur zu memorialen Aspekten der Bildkünste seien lediglich einige wichtige Titel zu mittelalterlichen Themen exemplarisch angeführt: Horch 2001; Geary 1994; Oexle 1994; Sauer, C. 1993; Oexle 1984. 22 In den drei großen Memoria-Bänden beispielsweise spielt Architektur praktisch keine Rolle (Schmid/Wollasch 1984; Geuenich/Oexle 1994; Oexle 1995).

15

1 EINLEITUNG

Insofern musste der Historiker Thomas Schilp noch

es Orte oder Architektur oder das Zusammenspiel von beiden, zunächst die Ausnahme dar.30 Grundsätzliche Fragen

vor wenigen Jahren grundsätzlich fragen: »Ist Architektur eine Objektivation von Memoria, können wir Memoria als eine Dimension eines Baus fassen, ist hier zu fragen, oder betreten wir damit Bereiche der Erinnerungskultur überhaupt oder können möglicherweise beide Frage-Aspekte Berechtigung beanspruchen?«23

an die Architektur, z.  B. wie diese überhaupt als Erinnerungsträger funktionieren kann, wurden dabei in der Regel ausgeklammert. In das Blickfeld der Architekturgeschichte gelang die Erinnerungskultur schließlich um die Jahrtausendwende. Obgleich das Interesse seither stetig zunimmt, scheint sich das Fach diesbezüglich noch in einer Orientierungs-

Die Zurückhaltung der Architekturgeschichte erstaunt

phase zu befinden, in welcher die Möglichkeiten der Parti-

umso mehr, als die Literatur zur Erinnerungskultur von

zipation am interdisziplinären Diskurs ausgelotet werden.

räumlichen Metaphern durchzogen ist. Als der französi-

Insofern erschloss die Literatur seither in Form von Sam-

sche Historiker Pierre Nora den Ansatz von Halbwachs

melbänden oder im Rahmen weiter gefasster, meist ikono-

in den 1980er Jahren mit einem mehrbändigen Projekt

logischer Arbeiten auf unterschiedlichen inhaltlichen und

zur Geschichte Frankreichs aufgriff, taufte er es bezeich-

methodischen Ebenen spezifische Aspekte des kulturellen

nenderweise »Les lieux de mémoire«,24 Gedächtnisorte,

Gedächtnisses; zunächst die wohl naheliegendsten For-

obwohl die enthaltenen Beiträge nur zu einem geringen

men architektonischen Erinnerns, die Denkmale und die

Teil reale Orte und noch weniger Architektur thematisie-

Denkmalpflege sowie die Gedenkstätten,31 dann aber auch

ren, sondern vornehmlich Literatur, Personen, Riten, usw.

die Historizität in der Architektur des späten Mittelalters

behandeln. Nora wählte den Titel in Anlehnung an die an-

und der frühen Neuzeit32 sowie jüngst der Erinnerungskul-

tike Mnemotechnik, in der das Gedächtnis als Haus mit

tur im modernen Sakralbau.33

den Gedanken als Gegenständen darin vorgestellt wird.

Explizit mit Erinnerungskultur, und zwar in der hoch-

25

Dass die räumliche Metaphorik der Mnemotechnik wie-

mittelalterlichen

Sakralarchitektur,

beschäftigte

sich

derum mit der Erinnerungskraft realer Orte zusammen-

schließlich Stephan Albrecht in einer wegweisenden Stu-

hängt, erkannte bereits Cicero und ließ Piso im eingangs

die zur »Inszenierung der Vergangenheit« in den Klöstern

zitierten fiktiven Gespräch darauf hinweisen.26 »Erinne-

von Glastonbury und Saint-Denis, in der er nachweisen

rungsräume« nannte, um ein weiteres Beispiel anzufüh-

konnte, wie sich die Geschichte der Klosterkirchen in ih-

ren, Aleida Assmann ihr grundlegendes Werk, in dem sie

rer Architektur und Ausstattung manifestierte.34 Die Trag-

sich der Erinnerungskultur von literaturwissenschaftli-

weite der Ergebnisse für die Architekturgeschichte des Mit-

cher Seite her nähert und den Orten ein eigenes Kapitel im

telalters ist momentan noch nicht abzusehen, denn mit

Teil »Medien« widmet. Die Bedeutung von realen Orten

Saint-Denis rückte Albrecht ausgerechnet ein Gebäude in

für das kollektive Gedächtnis erkannte indes auch Mau-

den Fokus der Erinnerungskultur,35 das einen exponierten

rice Halbwachs, indem er Palästina als Gedächtnisland-

Platz in der Stilgeschichte innehat, weil dessen Umbau

schaft thematisierte.28 Diesbezüglich spricht Jan Assmann

Mitte des 12. Jahrhunderts als Beginn der gotischen Archi-

treffenderweise von der »Einlösung einer Metaphorik«.

tektur angesehen wird,36 bei dem also gerade der Aspekt

27

29

Während räumliche Metaphern also einerseits zum

des Neuen und Innovativen stark betont wurde. Der von

Inventar der Erinnerungskultur und ihrer Erforschung

Albrecht erbrachte Nachweis, dass demgegenüber auch

gehören, stellten andererseits Studien realer Räume, seien

die Inszenierung der eigenen Vergangenheit einen gravie-

23 Schilp 2008b, S. 32. 24 Nora 1984–1992. Teile des monumentalen Werks wurden ins Deutsche übersetzt (Nora 2005; Nora 1990). Etienne François und Hagen Schulze übertrugen den Ansatz auf Deutschland (François/Schulze 2001). 25 Nora 1990, S. 7. 26 Cicero, De finibus V, 2 (ed. Merklin, S. 394f.). 27 Assmann, A. 1999, zu Orten: S. 298–342. 28 Halbwachs 1941. Eine deutsche Übersetzung dieses bisher nur auf Französisch erschienenen Werks stellt ein dringendes Desiderat dar. 29 Assmann, J. 1992, S. 60. 30 Frühe Aufsätze zum Thema: Ledderose 1988; Riedl 1988. 31 Hoffmann 2005; Martini 2000; Meier/Wohlleben 2000; Borsdorf/ Grütter 1999.

32 33 34 35

Müller 2004; Fürst 2002; Schmidt 1999. Kappel/Müller/Janson 2010; Kappel 2008. Albrecht 2003. Dabei konnte Albrecht auf einige seit den 1980er Jahren entstandenen Studien aufbauen, welche retrospektive Aspekte von St. Denis thematisieren und/oder die stilgeschichtliche Stellung der Abteikirche zunehmend relativieren: Büchsel 1997; Markschies 1995; Clark 1993; Kimpel/Suckale 1985, S. 76–92; von Winterfeld 1984. 36 Von einer Vielzahl möglicher Beispiele, die St. Denis als Initialbau der Gotik bezeichnen, seien exemplarisch genannt: von Simson 1968, S. 144; Crosby 1953, S. 31. – Siehe zu dieser Thematik auch Kap. 3.3.6.

16

1 EINLEITUNG

renden Einfluss auf die architektonische Form der alten

mischen Imperium den Übergang von der Romanik zur

Abteikirche ausübte, wirft die Frage auf, inwieweit das bis-

Gotik postuliert. Gleichwohl liegt es in der Natur der Fra-

herige Bild mittelalterlicher Architektur durch die stilge-

gestellung, die ältere Geschichte der Bauten bis zu deren

schichtliche Perspektive verzerrt wurde. Allerdings stehen

Gründung mit einzubeziehen, so dass frühere bauliche

Glastonbury und Saint-Denis als herausragende architek-

Vorgänge teils bis zurück in die Spätantike zwangsläufig

tonische Erinnerungsträger noch recht vereinzelt auf dem

Berücksichtigung finden mussten.

weiten Feld der mittelalterlichen Architekturgeschichte, so dass Stephan Albrecht richtigerweise forderte: »Weitere Analysen zu anderen Institutionen müssten folgen, um einen repräsentativen Querschnitt über die Strategien und Ausformungen der Vergangenheitsinszenierung gewinnen zu können.«37

Methodisches Vorgehen Die Methoden sind das Werkzeug des Geisteswissenschaftlers. Insofern kann man nur begrüßen, dass die methodische Reflexion und Diskussion in der Kunstgeschichtsforschung einen breiten Raum einnimmt. Allerdings führte dieser Umstand mitunter dazu, dass in manchen Studien die Methode zu einem Selbstzweck wurde. Damit ging eine

Eingrenzung des Untersuchungsraumes

zum Teil ideologisch überfrachtete Debatte darüber einher,

Anknüpfend an die kulturwissenschaftliche Debatte um

welche Methode der richtige Weg der Kunstgeschichte sei.

Erinnerung und Memoria im Allgemeinen und die Stu-

Die vorliegende Studie stellt hingegen ausdrücklich

die von Stephan Albrecht im Besonderen steht in dieser

die Fragestellung in den Mittelpunkt, in diesem Fall also

Arbeit die Fragestellung nach dem bisher erst rudimentär

die Frage nach der Relation von architektonischer Form

untersuchten Verhältnis von Architektur und Vergangen-

zur Tradition des Ortes. Die Methoden dienen demgegen-

heit im Mittelalter mit einem expliziten Fokus auf die Tra-

über dem Zweck, Antworten auf diese Frage zu suchen

dition des Ortes im Vordergrund. Die Konzentration auf

und auch zu finden. Jede wissenschaftliche Methode,

den Bereich der Sakralarchitektur erlaubt aufgrund der

die zu diesem Zweck begründete Erkenntnisse liefert, hat

funktionalen Entsprechung eine Vergleichbarkeit der Fall-

demnach eine Berechtigung. Ein einseitiges Bekenntnis

beispiele und ermöglicht zudem eine bessere Anbindung

zu einer bestimmten Methode ist folglich nicht sinnvoll,

an den bisherigen Forschungsstand zur Memoria, bei der

da es die Möglichkeiten der Untersuchung unnötigerweise

es sich schließlich um ein religiöses Phänomen handelt,

einschränkt. Stattdessen muss die Wahl der Methode in

auch wenn die Untersuchung in dem weiter gefassten Feld

Abhängigkeit von den jeweiligen Fragen getroffen werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass Arbeiten, die sich auf

der Erinnerungskultur situiert werden soll. Den räumlichen Rahmen der Untersuchung bildet

eine Methode konzentrieren, grundsätzlich abzulehnen

der Bereich des deutsch-römischen Kaiserreiches, für den

sind, insofern ein Bewusstsein für die Relation zwischen

entsprechende Studien zum frühen und hohen Mittelal-

Methode und Fragestellung vorhanden ist und die Me-

ter noch nicht vorliegen. Die geographische Eingrenzung

thode somit nicht zum allein gültigen Maßstab erhoben

geschieht jedoch im Gegensatz zur älteren Literatur nicht

wird. Derartige Arbeiten können bewusst einen bestimm-

mit der Absicht einer nationalen Abgrenzung, sondern

ten Aspekt eines Gebäudes vertiefen und/oder die Me-

im Gegenteil zur Freilegung internationaler Zusammen-

thode an sich verfeinern und damit wichtige Beiträge lie-

hänge, indem ein Phänomen mittelalterlicher Baukultur,

fern. Für die vorliegende Arbeit haben die hier geäußerten

das von Stephan Albrecht an einem englischen und einem

Vorüberlegungen jedoch einen Methodenpluralismus zur

französischen Beispiel nachgewiesen wurde,

durch die

Folge: Statt sich im Vorfeld auf eine bestimmte Methode

geographische Ausweitung als europäisches Phänomen

festzulegen, sollen unterschiedliche Methoden je nach Be-

sichtbar gemacht wird.

darf genutzt werden.

38

Bei den Vorstudien zu dieser Arbeit haben sich Fall-

Beispielsweise stellt die Unterscheidung verschiedener

beispiele herauskristallisiert, die eine gewisse zeitliche

Zeitschichten eines Gebäudes eine notwendige Vorausset-

Schwerpunktsetzung auf das bauliche Geschehen im

zung dar, um die wechselseitigen Bezüge zwischen alten

13. Jahrhundert ergaben, also interessanterweise genau

und neuen Teilen überhaupt beurteilen und interpretieren

den Zeitraum, für den die Stilgeschichte im deutsch-rö-

zu können. Insofern kann es sinnvoll sein, zunächst den

37 Albrecht 2003, S. 266.

38 Albrecht 2003.

17

1 EINLEITUNG

baulichen Befund mit Hilfe der konventionellen Baufor-

der erstgenannte Zustand rekurriert. Beim Trierer Dom

schung und/oder traditionellen Stilkritik zu untersuchen,

sind zum Beispiel die Baumaßnahmen des 11.–13. Jahr-

um die Datierung oder Baugeschichte eines Gebäudeteils

hunderts mit dem architektonischen Zustand des 4. Jahr-

zu klären und damit überhaupt erst eine fundierte Grund-

hunderts, der Zeit der legendären Umwandlung des Pa-

lage für eine folgende Strukturanalyse oder ikonologische

lastes der Helena in die Bischofskirche, in Beziehung zu

Interpretation zu schaffen.

setzen. Dabei ist wiederum zwischen der Rekonstruktion

Im Zentrum der Dissertation steht die Untersuchung

des Gründungsbaus nach heutigem Forschungsstand und

der Bauwerke selbst, da es sich hierbei um die unmittel-

dem mittelalterlichen Kenntnisstand vom Gründungsbau

baren Zeugnisse der mittelalterlichen Baukultur und folg-

zu differenzieren, da nur letzterer für den mittelalterlichen

lich um die primäre Quelle der Architekturforschung han-

Umgang mit der Tradition des Ortes relevant ist.

delt. Was für den Außenstehenden möglicherweise banal

Für die Analyse der Relation von architektonischer

klingen mag, ist keine Selbstverständlichkeit, denn nicht

Form zur Tradition des Ortes ist es dabei zunächst uner-

selten ist in der Literatur festzustellen, dass Aussagen, die

heblich, ob das mittelalterliche Wissen um die Tradition

vom Bauwerk ausgehend getroffen wurden, weniger Ge-

des Ortes auf einer zutreffenden oder verfälschten Überlie-

wicht beigemessen wird, als Aussagen, die aus Medien wie

ferung beruht oder einer nachträglichen Geschichtskons-

Schriftquellen oder Bildern gewonnen werden, obwohl

truktion folgt oder, was sich meist beobachten lässt, eine

jene nur mittelbar über Architektur Auskunft geben.

Mischung aus Wahrem, Verfälschtem und Gefälschtem

Dabei stellt sich die Frage, in welchen Kategorien sich

darstellt. Ausschlaggebend ist in erster Linie der histori-

Bezüge zur Tradition des Ortes überhaupt äußern. In den

sche Kontext, in welchem die architektonische Kampagne

folgenden Fallbeispielen werden sich materielle, gestalte-

stattfand. In einem zweiten Schritt können bewusste Ge-

rische und räumliche Bezüge zur Tradition des Ortes in

schichtskonstruktionen, die sich etwa über Fälschungen

unterschiedlichen Ausprägungen aufzeigen lassen. Die

von Gründungsurkunden oder die Anreicherung der Le-

bisherige Literatur richtete ihr Hauptaugenmerk auf ma-

gendarik in den Schriftquellen nachweisen lassen, aller-

terielle Bezüge, wie etwa die Integration alter Bauteile in

dings zur semantischen Interpretation der Architektur

einen neuen Baukörper oder die Wiederverwendung alter

beitragen, wenn sich deren Formen mit der (konstruier-

Elemente in neuem Kontext, weil diese materiellen Be-

ten) Geschichte in Beziehung setzen lassen.

züge aufgrund ihrer visuellen Qualitäten vergleichsweise

Wenn Architektur als Bestandteil der materiellen Er-

gut nachvollzogen werden können. Die gestalterischen

innerungskultur begriffen wird, wenn ein Bauwerk tat-

Bezüge neuer Architekturteile zur Vergangenheit wurden

sächlich auch als ein Medium des kulturellen Gedächt-

bisher jedoch erst vereinzelt thematisiert.39 Neuartig ist die

nisses fungiert, dann müsste sich eine Bezugnahme auf

explizite und intensive Auseinandersetzung mit räumli-

die Tradition des Ortes zwangsläufig auch in anderen

chen Bezügen der Architektur zur Tradition des Ortes, die

Medien nachweisen lassen. Insofern werden neben den

sich aus der geographischen Gebundenheit der Tradition

Schriftquellen vor allem die Bauplastik und Ausstattung

im Grunde von selbst ergibt. Da sich ältere Bauzustände

der Gebäude sowie die liturgischen Riten mit in die Un-

in der Regel kaum oder gar nicht an der aufgehenden Sub-

tersuchung einbezogen. Folglich wird das Gebäude nicht

stanz ablesen lassen, ist die Auswertung archäologischer

als bezugslose Hülle für Objekte und Objektsysteme, Bild-

Grabungen zwecks Analyse räumlicher Zusammenhänge

welten und Handlungsräume betrachtet, sondern von

unerlässlich, so dass bei der Wahl der Fallbeispiele auch

wechselseitigen Beziehungen der Teile zueinander ausge-

auf einen hinreichenden archäologischen Forschungs-

gangen. Architektur versteht sich demnach als integraler

stand geachtet wurde.

Bestandteil eines übergreifenden, komplexen Systems,

Die vergleichende Analyse verschiedener Bauzu-

welches vielleicht mit der Metapher vom »Organismus«

stände führt zwangsläufig zu einem epochenübergreifen-

treffend umschrieben werden könnte. Im Gesamtkontext

den Arbeiten, denn es muss sowohl der architektonische

materieller Kultur lässt sich auf diese Weise eine seman-

Zustand untersucht werden, mit dem auf die Tradition des

tische, auf die eigene Vergangenheit rekurrierende Ebene

Ortes Bezug genommen wird, als auch derjenige, auf den

der Architektur nachweisen, die aufgrund der spezifischen

39 So konnte z. B. Matthias Müller retrospektiv gestaltete Elemente im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schlossbau aufzeigen,

die bewusst auf die Tradition der Adelsresidenz verweisen (Ders. 2004, S. 118–142).

18

1 EINLEITUNG

medialen Qualitäten der Architektur im Unterschied zu

samkeiten stehen die individuellen Besonderheiten eines

Schrift- oder Bildmedien sonst nur schwer zu erkennen

Kirchenbaus im Fokus.

wäre. Insofern trägt die Arbeit auch dazu bei, mediale,

Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, die Arbeit auf

gattungsübergreifende und interdisziplinäre Zusammen-

unterschiedlichen Fallbeispielen aufzubauen, welche un-

hänge sichtbar zu machen.

abhängig voneinander für den jeweiligen Einzelfall belegen, dass die Tradition des Ortes die Form der Architek-

Aufbau der Arbeit

tur mitbestimmte. In einem weiteren Schritt können die

In den meisten Überblickswerken zur mittelalterlichen Ar-

Fallbeispiele dann miteinander verglichen werden, um

chitektur bildet der stilistische und typologische Vergleich

z. B. Ähnlichkeiten und Unterschiede der Vergangenheits-

das vorrangige Kriterium der Betrachtung, das heißt, For-

inszenierung herauszuarbeiten oder bestimmte histori-

men werden in Relation zu ähnlichen Formen gesetzt, um

sche Zusammenhänge, die zur Nutzung der Architektur

sie etwa zu datieren, in einer Region zu verorten, einer

als Erinnerungsträger führten, freizulegen.

Werkstatt zuzuschreiben oder Vorbilder und Einflüsse

Die Fallbeispiele wurden einerseits nach vergleich-

zu benennen. Im Vordergrund stehen demnach formale

baren Mustern analysiert, um eine Vergleichbarkeit der

Gemeinsamkeiten, die schließlich einen Maßstab dafür

Ergebnisse zu gewährleisten und einer inhaltlichen Be-

bilden, ob und inwieweit ein Gebäude oder seine Teile

liebigkeit entgegenzuwirken. Andererseits mussten die

in die Stilgeschichte eingeordnet werden oder außen vor

Analysen der Natur der Sache entsprechend auf die unter-

bleiben. Dass die Stilgeschichte ihrerseits aus einer Viel-

schiedlichen Gegebenheiten und Bedingungen flexibel re-

zahl stilkritischer Vergleiche vom Fach selbst konstruiert

agieren, so dass die Fallbeispiele nicht nach einem starren

wurde, sei hier nur am Rande vermerkt. Wichtig ist an

Schema abgehandelt werden konnten.

dieser Stelle, dass die Überblickswerke die mittelalterliche Architektur in der Regel auf der Basis von formalen Ge-

Wahl der Fallbeispiele

meinsamkeiten ordnen.

Bei der Suche nach geeigneten Bauwerken für eine Fallstu-

Der Stil der Trierer Liebfrauenkirche wird beispiels-

die zeichnete sich bereits ab, dass die Anzahl an Bauwer-

weise zu Recht mit der Kathedrale von Reims in Verbin-

ken, die von der Tradition des Ortes maßgeblich geprägt

dung gebracht.40 Spezifische Merkmale der Trierer Kirche,

zu sein scheinen, die Erwartungen deutlich überstieg.

wie etwa der signifikante, zentralisierende Grundriss (vgl.

Die (teils ehemaligen) Bischofskirchen zu Basel, Bam-

Abb. 2.03), stehen demgegenüber in keiner Beziehung zu

berg, Bremen, Halberstadt, Hildesheim, Mainz, Münster

stilistischen Vorbildern und lösten deshalb nachhaltige

und Straßburg, die Stiftskirchen Sankt Gereon und Sankt

Irritationen aus, die von den höchst unterschiedlichen

Aposteln zu Köln, Liebfrauen zu Magdeburg und Sankt

Erklärungsansätzen in der Literatur bisher nicht ausge-

Stephan zu Mainz, die Pfarrkirchen Unserer Lieben Frau

räumt werden konnten.41

zu Freiburg und Sankt Katharinen zu Oppenheim – bereits

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die form-

die Aufzählung geeigneter Bauwerke weist, ohne auch nur

bestimmende Wirkung der jeweiligen Tradition des Ortes.

ansatzweise einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erhe-

Da es sich hierbei schon per definitionem um ein spezifi-

ben, darauf hin, dass das zu untersuchende Phänomen

sches Charakteristikum eines bestimmten Gebäudes han-

in der Breite der mittelalterlichen Baukultur verankert

delt  – sowohl der Ort als auch die daran gebundene Tra-

zu sein scheint. Der jeweilige Einzelnachweis muss je-

dition stellen ein Alleinstellungsmerkmal der Architektur

doch künftigen Studien überlassen werden, da sonst der

dar – ist zu erwarten, dass sich eine Bezugnahme auf die

Rahmen dieser Arbeit bei Weitem gesprengt würde. Nach

Tradition des Ortes in individuellen Eigenheiten aus-

eingehender Prüfung fiel die Wahl auf drei, bzw. vier Bau-

drückt, welche das Gebäude von anderen unterscheidet

werke, die sich aus unterschiedlichen Gründen in beson-

oder sogar unterscheidbar machen sollen. Insofern setzt

derer Weise für exemplarische Fallstudien empfahlen.

die Arbeit gerade dort an, wo die gängigen Kriterien der

Das erste Beispiel stellt der Dom zu Trier dar (vgl.

Stilgeschichte nicht mehr greifen. Statt formaler Gemein-

Abb. 1.01, 1.02),42 dessen Relevanz bereits bei der eingangs

40 Z. B. Borger-Keweloh 1986, S. 122–127. 41 Zur Relation von Grundriss zur Tradition des Ortes bei der Trierer Liebfrauenkirche siehe Kap. 2.6.3.

42 Kap. 2.

19

1 EINLEITUNG

formulierten Fragestellung ersichtlich wurde. Die hohe

die vorliegende Untersuchung auf vergleichsweise gutes

stilistische Heterogenität macht das Bauwerk zu einem

Ausgangsmaterial aufbauen. Die grundlegenden archäo-

Paradebeispiel für eine methodisch bedingte Diskrepanz

logischen Erkenntnisse von Theodor Kempf konnten in

von historischer und kunsthistorischer Bedeutung, wel-

jüngerer Zeit durch Winfried Weber präzisiert, differen-

che es dringend zu hinterfragen gilt. Zugleich lässt sich

ziert sowie korrigiert werden und stehen seither auf einer

anhand des Trierer Doms ein ganzheitlicher Zugang zur

soliden wissenschaftlichen Basis.45 In der Liebfrauenkir-

mittelalterlichen Sakralarchitektur erproben, welcher

che, über deren frühmittelalterliche Gestalt bisher wenig

statt der Isolation einzelner, stilistisch unterschiedlicher

bekannt war, fanden unter der Leitung von Winfried We-

Gebäudeteile das epochenübergreifende Zusammenspiel

ber während des Entstehens dieser Arbeit Ausgrabungen

der Kompartimente in den Vordergrund stellt.

statt, deren bisher veröffentlichte Ergebnisse mit einflos-

Obendrein bietet die unmittelbar benachbarte Lieb-

sen.46 Die Standardwerke zur mittelalterlichen Architek-

frauenkirche die Möglichkeit eines aufschlussreichen Ver-

turgeschichte von Dom und Liebfrauen zu Trier wurden

gleichs (vgl. 2.01–2.03), denn auf der einen Seite stellten

in den 1980er Jahren publiziert47 und seither nur partiell

beide Kirchen bis 1803, als die Liebfrauenkirche in Folge

durch Aufsätze, insbesondere von Franz Ronig, ergänzt.48

43

der französischen Revolution in eine Pfarrkirche umge-

Dom und Liebfrauenkirche in Trier bieten also die

wandelt wurde, eine liturgische Einheit dar,44 auf der an-

seltene Gelegenheit, die Bezugnahme auf die Tradition

derem Seite liegt beiden Bauwerke ein völlig andersartiger

des Ortes an zwei formal unterschiedlichen Gebäuden

architektonischer Umgang mit der Tradition des Ortes

zu vergleichen: einem stilistisch heterogenen Bau mit

zugrunde. Während der Trierer Dom wiederholt partiell

hohem Anteil alter Substanz einerseits und einem stilis-

umgebaut wurde, was die beschriebene stilistische He-

tisch homogenen Neubau andererseits, die jedoch eine

terogenität zur Folge hatte, kam es bei der baulichen Er-

gemeinsame Geschichte besitzen und im Mittelalter als

neuerung der Liebfrauenkirche wohl ab 1227 zur Errich-

liturgische Einheit funktionierten. Dabei wird sich zudem

tung eines kompletten Neubaus. Dieser Neubau wurde

zeigen, ob und inwiefern die Tradition des Ortes auch bei

in den zu jener Zeit modernsten, stilistisch der Gotik zu-

einem stilreinen Neubau formbestimmend mitwirkt.

zuordnenden Formen ausgeführt. Damit stehen sich der

Des Weiteren kann die Analyse an aktuelle Ergebnisse

stilistisch heterogene Dom und die stilistisch homogene

archäologischer Grabungen anknüpfen und diese in einen

Liebfrauenkirche dialektisch gegenüber – und zwar buch-

neuen

stäblich. Die Dialektik rührt jedoch wohlgemerkt aus ei-

einbetten, der wünschenswerterweise eine methodisch

ner stilkritischen Perspektive. Diese führte ebenfalls

geprägte Diskussion über Dom und Liebfrauenkirche zu

dazu, dass die Liebfrauenkirche, von der Stilgeschichte

Trier initiiert.

architekturhistorischen

Untersuchungskontext

als erster gotischer Bau im deutschen Raum gefeiert, in

Ein weiteres Fallbeispiel liefert der Dom zu Magde­

keinem Überblickswerk zur mittelalterlichen Architek-

burg (vgl. Abb. 3.01, 3.02),49 den eine große Tradition kenn-

tur in Deutschland fehlt, während demgegenüber der re-

zeichnet, denn seine Gründung geht architektonisch wie

ligiös, historisch und politisch bedeutsamere Dom keine

institutionell auf Kaiser Otto den Großen zurück, der ge-

adäquate Beachtung findet. Das chiastische Verhältnis

meinsam mit seiner ersten Gattin Edith im Dom beige-

der beiden Bauwerke hinsichtlich ihrer historischen und

setzt wurde. Im Gegensatz zum Trierer Dom kam es in der

kunsthistorischen Bedeutung stellt den bisherigen metho-

Geschichte des Bauwerks allerdings zu einer radikalen Zä-

dischen Zugriff auf die Gebäude in Frage.

sur, da zu Beginn des 13. Jahrhunderts die altehrwürdige

Aufgrund mehrerer teils umfangreicher archäologi-

Bischofskirche durch einen kompletten Neubau ersetzt

scher Grabungskampagnen im Bereich des Trierer Doms

wurde. Im Unterschied zum kurze Zeit später begonnenen

und der Liebfrauenkirche in den letzten 60 Jahren kann

Neubau der Trierer Liebfrauenkirche erfolgte der Bau der

43 Kap. 2.6, 2.7. 44 Dies mag ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Dom und Liebfrauenkirche in Trier in der kunstgeschichtlichen Literatur stets getrennt voneinander betrachtet werden. Bei der archäologischen Erforschung, insbesondere der spätantiken Bauzustände, wird der gemeinsamen Vergangenheit hingegen Rechnung getragen. So wird in der entsprechenden Literatur stets von der spätantiken und frühmittelalterlichen Doppelkirchenanlage geschrieben.

45 Weber 2004; Ders. 2003. 46 Weber 2009. 47 Dom: Ronig 1980. – Liebfrauen: Borger-Keweloh 1986. 48 Ronig 2007; Ders. 2004; Ders. 2003; Ders. 1995; Ders. 1990. 49 Kap. 3.

20

1 EINLEITUNG

Kirche jedoch nicht in den Formen des vom Fach definier-

nen.52 Einige Autoren thematisieren das von der Kunst-

ten stilgeschichtlichen Kanons, so dass insbesondere die

geschichte bis dato gezeichnete Zerrbild des Doms und

ältere Literatur ein negatives Werturteil über die Magde-

arbeiten unter spezifischen Fragestellungen an dessen

burger Domarchitektur fällte und im Chor eine »Rumpel-

Revision.53

kammer älterer Formbestände«50 sah. Ein Grund, der zur

Der Magdeburger Dom erlaubt folglich die Analyse

Abqualifizierung des Magdeburger Neubaus beitrug, war

eines traditionsreichen Bauwerks, das seit Anfang des

die Integration von Spolien aus dem Vorgängerdom in die

13. Jahrhunderts komplett neu errichtet wurde. Die Spo-

Tragstruktur des neuen Chores.

lien und weitere Merkmale der Chorarchitektur wiesen

Der Neubau des Magdeburger Doms wirft demnach

im Rahmen der Vorstudien auf besondere Qualitäten ei-

die Frage auf, in welcher Relation die neue Architektur

nes Traditionsbezuges hin, welche den Magdeburger Dom

zur Tradition des Ortes stand. Ist der komplette Abriss

von anderen Kirchenbauten im deutschen Raum abset-

des Vorgängerbaus mit einer Ignoranz gegenüber der Tra-

zen, so dass eine vertiefte Betrachtung unter der hiesigen

dition des Ortes gleichzusetzen? Oder fand man andere

Fragestellung lohnenswert erscheint. Schließlich lässt

Mittel und Wege, um die Tradition des Ortes trotzdem

sich mit einem eigenen Ansatz an die aktuelle Debatte um

zur Geltung zu bringen? Weist etwa die plakative Verwen-

den Magdeburger Dom und seinem Bild in der Kunstge-

dung der Spolien aus dem Vorgängerbau tatsächlich auf

schichte anknüpfen.

eine rückständige, gar minderwertige Architektur hin oder

Das letzte Fallbeispiel liefert der um 1300 vollzogene

handelt es sich stattdessen um einen signifikanten Tradi-

Umbau des Doms zu Essen (vgl. Abb. 4.01, 4.02),54 der sei-

tionsbezug? Kann es wirklich sein, dass der Neubau der

nerzeit als Stiftskirche einer vornehmen Frauengemein-

Kathedrale des Erzbischofs von Magdeburg, der dank der

schaft fungierte, deren Äbtissinnen einstmals eng mit

kaiserlichen Konstituierung des Erzbistums zu den mäch-

dem ottonischen Kaiserhaus verbunden waren. Ähnlich

tigsten Kirchenfürsten des Reiches zählte, den architekto-

dem Trierer Dom stellt der Essener Dom seit dem Umbau

nischen Ansprüchen der Zeit nicht genügte? Oder muss

aus stilistischer Sicht ein Konglomerat aus Gebäudeteilen

die Architektur des Doms mit anderen Kriterien als den-

verschiedener Epochen dar. Von methodischem Interesse

jenigen der Stilgeschichte betrachtet werden, um seine

ist dabei, dass sich die Kunstgeschichte vornehmlich auf

Semantik zu verstehen und seine historische Bedeutung

den Westbau aus ottonischer Zeit konzentrierte und da-

angemessen würdigen zu können?

bei übersah, dass es sich in erster Linie um eine gotische

Die Forschung zur Magdeburger Kathedrale erhielt in

Hallenkirche handelt. Damit klammerte die Forschung

den letzten zehn Jahren durch die von Rainer Kuhn ge-

auch die eigentlich drängende Frage aus, warum der alte

leiteten archäologische Ausgrabungen im und am Dom

Westbau überhaupt in die gotische Halle integriert wurde,

neuen Auftrieb. Die Ergebnisse warfen neue Fragen zur

was schließlich in einer derart konservatorischen Art und

Lage und Gestalt des Vorgängerbaus auf, welche für die

Weise geschah, dass der Westbau noch heute ein relativ

Diskussion des Verhältnisses des gotischen Kirchenbaus

gutes Bild des ottonischen Zustandes vermittelt. Über den

zur Tradition von zentraler Bedeutung sind. Weil die

Westbau als signifikantem Zeichen der Stiftsvergangen-

Diskussion über die Interpretation der Ergebnisse noch

heit hinaus wiesen die Voruntersuchungen auf eine Viel-

längst nicht abgeschlossen ist, musste in der vorliegenden

zahl und Vielfalt von Zusammenhängen zwischen der Ar-

Arbeit trotz des unklaren Erkenntnisstandes zwangsläufig

chitektur und der Tradition des Ortes hin.

51

Stellung in dieser Frage bezogen werden. Aktuell ist der

Ein weiterer Aspekt für die Wahl des Essener Doms

Magdeburger Dom auch wieder in das Blickfeld der ar-

als Fallbeispiel ist der glückliche Umstand, dass ein ver-

chitekturgeschichtlichen Forschung geraten, wie sich an

gleichsweise großer Teil der Ausstattung und des Kirchen-

mehreren Monographien und Sammelbänden erkennen

schatzes aus der Zeit vor dem Umbau bis heute erhalten

lässt, die während der Entstehung dieser Arbeit erschie-

blieb und sich dessen Gebrauch aus den Schriftquellen

50 Hamann 1909, S. 255. 51 Meller/Schenkluhn/Schmuhl 2009; Meller/Schenkluhn 2005. – Den älteren Forschungsstand fasst im Wesentlichen der noch immer lesenswerte Sammelband eines deutsch-deutschen Symposiums der 1980er Jahre zusammen (Ullmann 1989). 52 Schenkluhn/Waschbüsch 2012; Brandl/Forster 2011; Puhle 2009; Rogacki-Thiemann 2007.

53 Bosman 2012; Klein 2012; Schenkluhn 2009; Nicolai 2009. – Bernd Nicolai wies bereits 1989 auf methodisch bedingte Probleme hin und rückte partiell einen Traditionsbezug ins Blickfeld (Ders. 1989). 54 Kap. 4.

21

1 EINLEITUNG

der Zeit, vor allem dem Liber Ordinarius des 14. Jahrhun-

Aspekten der ehemaligen Frauengemeinschaft erschie-

derts, relativ gut rekonstruieren lässt. Anhand der Erinne-

nen, darunter auch einer zur Memoria im mittelalter-

rungsfunktion der Artefakte, die in der Regel einfacher zu

lichen Stift.56 Damit einher ging unter der Leitung von

greifen ist als bei der Architektur und auch deshalb weit-

Birgitta Falk eine Intensivierung der Erforschung des

aus besser unter memorialen Aspekten erforscht wurde,

Domschatzes, bei der auch memoriale Gesichtspunkte

lässt sich somit eine Sinnebene der materiellen Kultur

eine angemessene Berücksichtigung fanden.57

erschließen, an welcher die Architektur als wesentlicher

Der Essener Dom scheint ein breites Spektrum un-

Bestandteil teilhaben müsste. Lassen sich wechselseitige

terschiedlicher Bezüge zur Tradition des Ortes aufzuwei-

Beziehungen zwischen Architektur und Artefakten, die

sen, die ihn für eine Fallstudie prädestinieren. Mit der gut

als Medien der Erinnerung dienten, nachweisen, so ließe

aufgearbeiteten Ausstattung des mittelalterlichen Stifts

sich ein Sinnzusammenhang herstellen, welcher das Phä-

lässt sich die Architektur in einem ganzheitlichen Kontext

nomen eines objektivierten kulturellen Gedächtnisses gat-

materieller Erinnerungskultur situieren. Die signifikante

tungsübergreifend erfasst.

Integration alter Gebäudeteile und deren bisherige Rezep-

Schließlich bietet der allgemeine Forschungsstand

tion in der Literatur eignen sich darüber hinaus für eine

zum Essener Dom gute Voraussetzungen für eine Studie

methodische Reflexion. Schlussendlich kann auf einer

unter der hiesigen Fragestellung. Die Grundlage für die

Fülle neuer historischer, liturgiewissenschaftlicher und

Auseinandersetzung mit der Architektur liefert nach wie

bildkunstgeschichtlicher Studien aufgebaut und damit

vor die Monographie Walter Zimmermanns von 1956,55

von Seiten der Architekturgeschichte an eine aktuelle kul-

in der auch die umfangreichen Ergebnisse der archäolo-

turgeschichtliche Debatte angeknüpft werden.58

gischen Kampagne nach dem Zweiten Weltkrieg doku-

Es lässt sich zusammenfassen, dass die Wahl der vorge-

mentiert wurden, die weitgehende Schlüsse auf vorherige

stellten Fallbeispiele eine Untersuchung der Fragestellung

Bauzustände zulassen und die Analyse räumlicher Bezie-

unter verschiedenen Aspekten ermöglicht, die wünschens-

hungen zur Tradition des Ortes erlauben. In den letzten

werterweise zu einer Differenzierung der Ergebnisse führt.

zehn Jahren geriet die ehemalige Essener Frauengemein-

Alle Fallbeispiele sind für die Architekturgeschichte von

schaft durch die Aktivitäten des Essener Arbeitskreises zur

hoher bis sehr hoher Relevanz und erlauben darüber hi-

Erforschung der Frauenstifte um den Historiker Thomas

naus eine methodische Reflexion des bisherigen wissen-

Schilp verstärkt in den Fokus der kulturgeschichtlichen

schaftlichen Zugriffs sowie des eigenen Ansatzes. Schließ-

Forschung, so dass mehrere interdisziplinäre Sammel-

lich knüpfen die Fallstudien an aktuelle Diskussionen in

bände mit historischen Schwerpunkten zu verschiedenen

unterschiedlichen historischen Fachdisziplinen an.

55 Zimmermann 1956. 56 Schilp 2008a. 57 Kat. Essen 2009; Kat. Essen 2008; Falk/Schilp/Schlagheck 2007; ­Pothmann 2002. 58 Klaus Lange gebührt das Verdienst, die Architektur des Essener

Doms in das Blickfeld des Essener Arbeitskreises zur Erforschung der Frauenstifte gerückt zu haben (Lange 2008; Ders. 2004; Ders. 2003; Ders. 2002; Ders. 2001). Eine kritische Diskussion seiner zum Teil weitreichenden Thesen von Seiten der Architekturgeschichte steht allerdings noch aus.

22

2 DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER – Bewahrung, Erweiterung und Inszenierung der domus Helenae

2.1 Einführende Baugeschichte Der Trierer Dom gilt als die älteste Bischofskirche im deut-

tonisch besonders hervorgehoben wurde (vgl. Abb. 1.07).

schen Raum (Abb. 1.01, 1.02), die bereits in der zweiten

Dieser sog. Quadratbau hat sich in bedeutendem Umfang

Hälfte der 310er Jahre unter Bischof Agricius (bezeugt seit

bis heute als östlicher Teil des Langhauses des Trierer

314–329) als dreischiffige Basilika im Bereich der heutigen

Doms erhalten (vgl. Abb. 1.08).

59

Kurie von der Leyen, westlich der heutigen Liebfrauenkir-

Bei einer schweren Brandkatastrophe, die mit den his-

che, errichtet wurde (vgl. Abb. 1.03). In den 330er Jahren

torischen Vorgängen der Völkerwanderungszeit in der ers-

begann man, die Basilika zu einer monumentalen Kir-

ten Hälfte des 5. Jahrhunderts zusammengebracht wird,

chenanlage zu erweitern, indem nördlich von ihr, im Be-

wurde der Basilikenkomplex weitgehend zerstört.64 Erst

reich des heutigen Domfreihofs, östlich, wo sich heute die

Anfang des 6. Jahrhunderts fand unter Bischof Nicetius

Liebfrauenkirche befindet, und nordöstlich, am Ort des

(525–566) ein teilweiser Wiederaufbau der Anlage statt,

heutigen Doms, drei weitere basilikale Gebäude errichtet

wobei man sich besonders um die Wiederherstellung des

wurden, die räumlich miteinander verbunden waren (vgl.

Quadratbaus bemühte, während die Südwestbasilika im

Abb. 1.04). Sowohl Dom als auch Liebfrauenkirche waren

Bereich der Kurie von der Leyen überhaupt nicht mehr

demnach seit frühchristlicher Zeit gemeinsame Bestand-

aufgebaut wurde (vgl. Abb. 1.09).65

60

61

teile eines übergreifenden Sakralkomplexes, auch wenn

Im Jahr 882 wurde der Trierer Domkomplex bei der Er-

sie bei der Gründung im 4. Jahrhundert eine andere Form

stürmung der Stadt durch die Normannen erneut verwüs-

und vermutlich eine andere Funktion besaßen. Daraus

tet.66 In der Folge wurde die Nordwestbasilika nicht wieder-

folgt die Notwendigkeit, die Geschichte und Architektur

hergestellt, so dass die Kirchenanlage fortan auf die beiden

der Kirchen ganzheitlich zu sehen und gemeinsam zu er-

Ostkirchen, also Dom und Liebfrauen, beschränkt blieb.67

örtern, was in der bisherigen Forschung zwar für die Spät­

Aufgrund einer Urkunde von 955 wird allgemein davon

antike erfolgte, für spätere Epochen jedoch nur unzurei-

ausgegangen, dass zunächst die Liebfrauenkirche bis zu

chend geschehen ist.62

diesem Zeitpunkt wiederhergestellt wurde.68 Zugleich ist

In den 340er Jahren kam es zu einem Planwechsel oder

diese Urkunde der älteste Beleg für das Marienpatrozinium

63

Umbau des östlichen Abschlusses der Nordostbasilika,

der Südostbasilika, die demnach ab dem 10. Jahrhundert

welcher durch einen gewaltigen, quadratischen Raum,

gesichert als Liebfrauenkirche bezeichnet werden darf,

dessen Dach- und Deckenkonstruktion im Innenraum

was jedoch nicht ausschließt, dass die Kirche auch schon

auf lediglich vier monumentalen Säulen ruhte, architek-

früher über ein entsprechendes Patrozinium verfügte.

59 Grundlegende Studien zur Baugeschichte des Doms: Zink 1980a und Irsch 1931. Der dortige Forschungsstand zur frühchristlichen Anlage ist jedoch mittlerweile überholt; der aktuelle findet sich bei: Weber 2004; Ders. 2003. 60 Weber 2004, S. 226–228. 61 Weber 2004, S. 229f.; Ders. 2003, S. 428–430. 62 Die isolierte Betrachtung der beiden Kirchen begründet sich zum einen durch die 1803 erfolgte Umwandlung der Liebfrauenkirche in eine eigenständige Pfarrei (s. weiter unten). Zum anderen resultiert sie aus der unterschiedlichen stilgeschichtlichen Einordnung der Kirchen, so dass in erster Linie der methodische Zugriff einer ganzheitlichen Betrachtung oftmals im Weg stand. 63 Weber 2003, S. 430–432; Ders. 1995. 64 Zu den Eroberungen Triers im Frühmittelalter: Anton 1987, S. 44–

50. – Zusammenbringen von historischer Überlieferung und archäologischem Befund: Weber 2003, 476f. 65 Weber 2004, S. 230–234; Ders., S. 483–486. 66 Apsner 2003, S. 273f.; Zink 1980a, S. 32. 67 Zink 1980a S. 32; Kempf 1968, S. 5. 68 MRUB 1, Nr. 198, S. 258f. – Kommentar bei Borger-Keweloh 1986, S. 20. 69 Weber 2011, S. 46–48. Widerlegt ist damit der ältere Vorschlag von Theodor Kempf, die Liebfrauenkirche des 10.–12. Jahrhunderts als schmale, kreuzförmige Saalkirche zu rekonstruieren (Ders. 1975), was ohnehin auf begründete Kritik stieß (Weber 2003, S. 540; Zink 1980a, S. 32–34). 70 Egbertinisches Projekt: Weber 2011, 48f.; Zink 1980a, S. 33f.; Kempf 1975; Hollstein 1975, S.20f.

2.1  EINFÜHRENDE BAUGESCHICHTE

23

1.01  Dom zu Trier, Ansicht von Nord­ osten (Ronig 1982, S. 68)

Über die architektonische Gestalt der Kirche, die in jener

Unklar ist derzeit auch der Beginn und Umfang der

Form anscheinend bis zum gotischen Neubau Anfang

Wiederaufbauarbeiten am Dom, die erst für die Zeit von

des 13. Jahrhunderts erhalten blieb, weiß man momentan

Erzbischof Egbert (ep. 973–993) belegbar sind, als sowohl

noch immer weniger als über die spätantike Südbasilika.

an der Wiederherstellung des Quadratbaus als auch der

Aufgrund der 2007 unter Winfried Weber durchgeführten

westlich vorgelagerten Basilika gearbeitet wurde.70 Eine

archäologischen Grabungen ist mittlerweile zumindest be-

große Wirkung auf die folgende Architekturgeschichte

kannt, dass es sich wie zuvor um eine dreischiffige Basilika

des Doms übte die Entscheidung aus, die nicetischen

handelte, in die ältere Bauteile miteinbezogen wurden.69

­Säulen, von denen eine während des N ­ ormannensturmes

1.02  Dom zu Trier, Grundriss, Zustand seit 1974 (Hauke Horn, 2012)

24

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

einstürzte, in kreuzförmige Pfeiler einzumauern. Das Wie-

Im Anschluss an den Neubau des kreuzrippengewölb-

deraufbauprojekt kam jedoch nicht zur Vollendung und

ten Ostchores begann man wohl in den 1210er Jahren mit

wurde von den Nachfolgern eingestellt.

der Einwölbung des Langhauses, also des spätantiken

Unter Erzbischof Poppo (ep. 1016–1047) begann

Quadratbaus und der popponischen Westjoche, die sich

schließlich eine umfassende Baukampagne, welche die

mindestens bis in die 1220er Jahre hinzog (vgl. Abb. 1.18–

Gestalt des Doms bis heute wesentlich prägt.

1.20).77 Dabei erhielt der Innenraum einen basilikalen

71

Zunächst wurden die Instandsetzungsarbeiten im

Charakter, weil die Kreuzrippengewölbe der Seitenschiffe

Quadratbau zum Abschluss gebracht, so dass der Dom

unterhalb der zweiten Fensterreihe der Außenwände ein-

1037 erneut geweiht werden konnte. Anschließend initi-

gezogen wurden und somit die Höhe der Seitenschiffe

ierte Poppo einen Neubau der Westteile der Domkirche,73

deutlich reduziert wurde.78 Der Außenbau blieb hingegen

bei welchem der Quadratbau um zwei Joche nach Westen

unverändert, so dass ein hoher, verborgener Raum ober-

verlängert und so das heutige, dreischiffige Langhaus ge-

halb der Seitenschiffgewölbe entstand.

72

schaffen wurde, dessen mittleres Schiff in eine halbrunde

Wahrscheinlich 1227, also unmittelbar im Anschluss

Westapsis mündet (vgl. Abb. 1.10). Der ehemals westlich

an die Einwölbung des Doms, begann man mit einem

vorgelagerte basilikale Raum, der unter Egbert noch wie-

radikalen Neubau der Liebfrauenkirche (vgl. Abb. 2.01–

derhergestellt werden sollte, wurde damit endgültig ver-

2.03).79 Die alte Südbasilika wurde komplett abgerissen

worfen. Stattdessen schloss man den Bau nach Westen mit

und an ihrer Stelle ein Zentralbau in aktuellen, hochgo-

einer monumentalen, viertürmigen Fassade, welche in den

tischen Formen nach französischen Vorbildern, vor allem

1070er Jahren fertiggestellt wurde und die äußere Erschei-

der Kathedrale von Reims, errichtet. Diesem Bau wird von

nung des Doms seither bestimmt (vgl. Abb. 1.11). Die fol-

Seiten der Kunstgeschichte besondere Aufmerksamkeit

genden Baumaßnahmen müssen als Umbauten und Erwei-

entgegengebracht, weil es sich nach heutigem Kenntnis-

terungen der popponischen Kirche charakterisiert werden,

stand um das erste als gotisch zu bezeichnende Bauwerk

da sie den Bestand nur partiell ergänzen oder verändern.

im deutschen Raum handelt.80 Ungefähr in den 1260er

74

Um 1160 wurde unter Erzbischof Hillin mit dem An-

Jahren konnten die Arbeiten abgeschlossen werden.81

bau eines neuen Ostchores östlich des spätantiken Qua-

In den folgenden Jahrhunderten kam es lediglich zu

dratbaus begonnen, mit dem ein gestalterisches Pendant

kleineren An- oder Umbauten am Dom, wo im 14. Jahr-

zum Westchor geschaffen wurde (vgl. Abb. 1.02).75 Im In-

hundert die Osttürme und im frühen 16. Jahrhundert der

nenraum mündet das Mittelschiff nach Osten seither in

Südwestturm aufgestockt und mit neuen Dächern verse-

eine Apsis mit einem rechteckigem Vorjoch, zu dessen Sei-

hen wurden.82 Im 15. Jahrhundert wurde die Bischofskir-

ten Chorflankentürme errichtet wurden, so dass die östli-

che mit Maßwerkfenstern und Farbverglasungen aus-

che Partie des Doms auch von außen ein kompositorisches

gestattet, die im 19. Jahrhundert in die Marienkirche in

Gegengewicht zur Westfassade mit ihren imposanten Tür-

Shrewsbury gelangten.83

men bildet. Für das Jahr 1196 überliefern die Gesta Trevero-

Schließlich wurde der Trierer Dom im Barock noch

rum die Weihe des Hochaltars im neuen Chor.76

einmal umfassend umgebaut.84 Den Anfang machte eine

71 Popponische Baukampagne: Zink 1980a, S. 34–44; Irsch 1931, S. 81–103. – Dendrochronologie des 11. Jahrhunderts: Hollstein 1980, S. 125–133. 72 Zink 1980a S. 34. 73 Ebd., S. 39. 74 Beim Tod Poppos 1047 war der Bau der Westfassade bis zur Höhe der zweiten Galerie fortgeschritten und wurde unter Bischof Udo Ende der 1070er Jahre fertiggestellt (Hollstein 1980, S. 125–133; Zink 1980a, S. 39f.). 75 Zink 1980a, S. 46–49. 76 Gest. Trev., Kap. CII (ed. Zenz, Bd. III, S. 42). 77 Zink geht davon aus, dass bei der Weihe des Hochaltars 1196 noch nicht alle Arbeiten am Ostchor abgeschlossen waren und infolgedessen die Einwölbung später begann (Ders. 1980a, S. 48). Auf jeden Fall war man nach Ausweis dendrochronologischer Daten nach 1211 noch mit dem Bau der ersten und zweiten Etage des Nordostturmes beschäftigt. Andererseits liefern die auf 1217 datierten Rüsthölzer im Mittelschiff einen Anhaltspunkt dafür, dass die Wölbungsarbeiten zu jenem Zeitpunkt im Gange waren (Dendrochronologie nach Hollstein 1980, S. 136f.).

78 Zur Einwölbung des 13. Jahrhunderts: Zink 1980a, S. 50–52; Irsch 1931, S. 131–137. 79 Ronig 2007, S. 164–166; Schenkluhn/van Stipelen 1983, S. 29 mit Fußnote 24. – In einigen Werken geht man hingegen aufgrund einer 1233 »ante Ostium B. Marie« beurkundeten Rechtshandlung davon aus, dass zu jenem Zeitpunkt noch die alte Liebfrauenkirche bestanden haben müsste und datiert den Baubeginn in die Mitte oder das Ende der 1230er Jahre. Einer derartigen Schlussfolgerung fehlt m. E. jedoch die Notwendigkeit, wohingegen Ronig und Schenkluhn/van Stipelen plausible Argumente für die Datierung 1227 nennen, der ich mich somit anschließe. 80 Grundlegende Studien zur Trierer Liebfrauenkirche: Borger-Keweloh 1986; Lückger/Bunjes 1938. Der dortige Forschungsstand zur frühchristlichen Anlage ist jedoch mittlerweile überholt; der aktuelle findet sich bei Weber 2011. 81 Die verschiedenen Argumente erörtert Borger-Keweloh 1986, S. 26f. 82 Zink 1980a, S. 53. 83 Rauch 1999; Schroeder 1980. 84 Barocke Umgestaltung des Doms: Fachbach 2010; Zink 1980a, S. 54–59.

2.2 DIE DOMUS HELENAE ALS TRADITIONSSTIFTENDER ORT DES TRIERER DOMS

25

Barockisierung des Westchores 1664–1668, auf welche

der damalige Trierer Maire bei Napoleon höchstpersön-

1687–1710 nach Entwürfen von Johann Wolfgang Fröh-

lich intervenierte und die Liebfrauenkirche als Meister-

licher die Errichtung der Heiltumskammer hinter dem

werk eines französischen Architekten pries.85 Stattdessen

Ostchor zur Aufbewahrung und Präsentation der Tunika

riss man die an der Konstantinsbasilika liegende Pfarrkir-

Christi, der bedeutendsten Reliquie des Trierer Doms,

che Sankt Laurentius ab und übergab der Laurentiuspfar-

folgte. Die anschließende, 1719–1725 von Johann Georg

rei als Ersatz die Liebfrauenkirche, welche auf diese Weise

Judas geleitete Baukampagne führte schließlich zu einer

zur reinen Pfarrkirche umfunktioniert wurde.86

tiefgreifenden Veränderung des Bauwerks, bei der große

Im 19. Jahrhundert wurde die Baugeschichte von Dom

Teile noch erhaltener spätantiker und mittelalterlicher

und Liebfrauenkirche in erster Linie von umfangreichen

Bausubstanz geopfert wurden, um das Bauwerk in eine

Restaurierungen gekennzeichnet, welche zumeist auf die

konventionelle Basilika zu konvertieren. So wurde ein öst-

Wiederherstellung des mittelalterlichen Zustandes abziel-

liches Querhaus geschaffen, indem man das Mauerwerk

ten.87 Die ab 1842 von Johann Nikolaus Wilmowsky gelei-

zwischen dem mittleren Joch des Quadratbaus und den

tete Kampagne am Dom wurde zugleich von umfangrei-

benachbarten Jochen ebenso wie die dort befindlichen

chen Untersuchungen und Grabungen begleitet, welche

Kreuzrippengewölbe des 13. Jahrhunderts abbrach und

den Beginn der modernen kunsthistorischen und archäo-

neue Gewölbe in der Höhe der Mittelschiffgewölbe ein-

logischen Forschung am Bauwerk markieren.88

zog. Zudem trug man die Seitenschiffmauern bis zur Höhe

Nach erheblichen Schäden im Zweiten Weltkrieg

der Sohle der zweiten Fensterreihe ab (vgl. Abb. 1.08) und

wurde die Liebfrauenkirche bis 1951 wiederhergestellt und

errichtete Emporen seitlich der Mittelschiffarkaden, wo-

im Inneren von Rudolf Schwarz umgestaltet.89 Am Dom

durch ein basilikaler Querschnitt entstand.

fanden 1960–1975 wieder ausgedehnte Restaurierungsar-

Im Zuge der Säkularisation zerbrach 1803 schließlich

beiten statt, die zur statischen Sicherung des Gebäudes

die über 1400 Jahre alte liturgische Einheit von Dom und

notwendig waren und mit einer Umgestaltung des In-

Liebfrauenkirche. Dabei entging die Liebfrauenkirche viel-

nenraumes im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils

leicht nur knapp einem Abriss, welcher der Trierer Überlie-

verbunden wurden, wozu man die Architekten Gottfried

ferung nach angeblich nur verhindert werden konnte, weil

Böhm und Nikolaus Rosiny beauftragte.90

2.2 Die domus Helenae als traditionsstiftender Ort des Trierer Doms 2.2.1 Die Etablierung des traditionsstiftenden Ortes in der frühchristlichen Gründungsphase

saal, welcher im letzten Viertel des 3. Jahrhunderts in einem römischen Haus im Bereich der heutigen Kurie von der Leyen angelegt wurde (Abb. 1.03).91 Bei aller gebotenen

Die erste bischöfliche Basilika und ihre Tradition des Ortes

Vorsicht hinsichtlich der Interpretation des archäologi-

Bereits bei der Gründung des Trierer Doms spielte die Tra-

schen Befundes spricht doch einiges dafür, auch die wei-

dition des Ortes offenbar eine gewichtige Rolle. Als bald

tere Entwicklung der Anlage, dass es sich bei dem Apsi-

nach 313 mit dem Bau der wohl ersten Trierer Bischofskir-

densaal um eine Hauskirche handelte.92 Auf jeden Fall war

che in Form einer dreischiffigen Basilika begonnen wurde,

dieser Saal maßgeblich für die Basilika, deren rechteckige

orientierte man sich räumlich an einem kleinen Apsiden-

Apsis93 nicht nur exakt an dessen Stelle erbaut wurde, son-

85 Ronig 2003, S. 221. – Borger-Keweloh geht hingegen nicht auf einen drohenden Abriss ein und zeichnet ein vorsichtigeres Bild der Ereignisse (Borger-Keweloh 1986, S. 147). 86 Ebd. 87 Überblick über die Maßnahmen des 19. Jahrhunderts am Dom: Zink 1980a, S. 60–69. Die Restaurierungsarbeiten an der Liebfrauenkirche ausführlich bei: Borger-Keweloh 1986, S.146–192. 88 Wilmowsky 1874. – Überblick über die Grabungen bis 1989: Weber 1989. 89 Zu den Schäden und Aufbauarbeiten: Borger-Keweloh 1986, S. 193– 201. – Zur Innengestaltung von Rudolf Schwarz: Hammerschmidt 2004. 90 Ausführungen zum Architektenwettbewerb von 1968: Frank/Sebald

1991 – Kommentar der Architekten: Böhm/Rosiny 1980. – Statische Maßnahmen: Varwick/Horz 1980. Hervorzuheben ist die neue Dachkonstruktion aus Stahl, welche auch der Aufnahme des Gewölbeschubs dient. – Kritische Zusammenfassung der baulichen Maßnahmen: Zink 1980a, S. 69–71. 91 Weber 2004, S. 226–228. 92 Ebd; Weber 2003, S. 419–423. 93 Weber vermeidet die Bezeichnung »Apsis«. Es steht jedoch fest, dass es sich um einen rechteckigen Raum handelt, der östlich an das Mittelschiff anschließt und »als ein besonderer Bereich hervorgehoben war« (Weber 2004, S. 227). Ein solcher Raumteil wird auch bei nichtchristlichen antiken Basiliken allgemein als »Apsis« bezeichnet.

26

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Allerdings kam es in Folge der Erweiterung offenbar zu einer Verlagerung des kultischen und damit architektonischen Schwerpunktes der Anlage nach Osten bzw. Nordosten, der für die Untersuchung der Tradition des Ortes von großem Interesse ist. Einen ersten Hinweis darauf liefert die Einbindung der Rechteckapsis über dem vormaligen Apsidensaal in den neuen Komplex, denn mit dem Abriss der Ostmauer degradierte man den architektonisch hervorgehobensten Raum der Südwestbasilika zu einem Durchgangsraum zur Südostbasilika. Stattdessen schuf man zwei Rechteckapsiden östlich der Nord- und Südbasilika, so dass sich der architektonische Höhepunkt des Komplexes nach Osten verschob. Dennoch scheint die Tradition des Ortes in der umgebauten Südwestbasilika weiterhin einen gewissen Einfluss auf die architektonische Gestaltung gehabt zu haben. Jedenfalls wurden die Übergänge von der ehemaligen Apsis

1.03  Grundriss der ältesten Basilika im Südwesten des späteren Trierer Domkomplexes, ca. 315–325, mit Eintragung des vormaligen Apsidensaals unter der Rechteckapsis (Weber 2004, S. 228)

und ihren Nebenräumen nach Osten, aber auch zum bestehenden Langhaus hin, mit großen Portalen räumlich abgesetzt, was diesem Bereich einen querhausähnlichen Charakter verlieh. Als Erklärung für die architektonische

dern auch mit ihrer räumlichen Ausdehnung auf den Saal

Hervorhebung eines Bereiches, der eigentlich dem Durch-

Bezug nahm.94 So ist die Rechteckapsis genau so lang und

gang dient, mag durchaus die Tradition des Ortes in Frage

doppelt so breit wie der Vorgängerbau an gleicher Stelle.

kommen.

Die Verortung der ersten Trierer Bischofskirche ging also

Von besonderem Interesse für die Fragestellung ist al-

ebenso wie die Dimensionierung ihres architektonisch

lerdings die Gegebenheit, dass sich der Ort, an den sich

hervorgehobensten Raumteils vom Apsidensaal aus. Die

die Tradition der Kirche bindet, in der Frühzeit des Bau-

Indizien sprechen somit dafür, dass die erste Bischofskir-

werks noch einmal verlagert hat. Dies gibt Aufschluss über

che gezielt an der Stelle des Apsidensaales erbaut wurde.

Entstehung und Etablierung einer Tradition des Ortes,

Angesichts der wahrscheinlichen Nutzung des Saales als

wirft aber gleichzeitig die Frage nach den Gründen für die

Hauskirche erscheint es plausibel, den Saal als wichtige

Ortsverlagerung in den Anfängen der Anlage auf.

Versammlungsstätte für die Trierer Christen vor dem Mailänder Edikt zu deuten, die bewusst von der ersten Bischofskirche inkorporiert wurde.

Räumliche Bezüge zum Prunksaal mit den konstantini­ schen Deckenmalereien Einen Ansatzpunkt liefert die Nutzung des Areals vor der

Die Verlagerung des Schwerpunktes nach Osten

Errichtung der frühchristlichen Kirchenanlage. Die Er-

Nur zwei Jahrzehnte später errichtete man in den 330er

gebnisse der archäologischen Grabungen der vergangenen

Jahren weitere Gebäude östlich, nordöstlich und nördlich

Jahrzehnte weisen zunehmend darauf hin, dass sich im Be-

der ersten Basilika und schuf damit einen monumentalen

reich des Domkomplexes Teile eines kaiserlichen Wohnbe-

Komplex, in dessen östlichem Bereich sich der heutige

reiches befanden.96 Hierfür spricht auch die Tatsache, dass

Dom und die Liebfrauenkirche befinden (Abb. 1.04).95

für die Errichtung des Komplexes auf einen Schlag eine

Wiederum gingen die Baumaßnahmen von einem beste-

gewaltige innerstädtische Fläche von rund 10000 Quad-

henden Gebäude aus: Die neuen Gebäude wurden winkel-

ratmetern zur Verfügung gestellt wurde, die zu jenem Zeit-

förmig um die erste Bischofskirche gruppiert, die als Süd-

punkt vollständig bebaut war. Es ist fraglich, ob Personen

westbasilika in den Komplex integriert wurde.

außerhalb des kaiserlichen Hofes eine derart großzügige

94 »Ja, man hat den Eindruck, dass der Apsidensaal geradezu die ›Maßeinheit‹ für diesen Rechteckchor gewesen ist, ...« (Weber 2011, S. 30).

95 Weber 2011, S. 31f.; Ders. 2004, S. 229f.; Ders. 2003, S. 428–430. 96 Weber 2011, S. 31; Ders. 2003, S. 424f.; Ders. 2000, S. 43.

2.2 DIE DOMUS HELENAE ALS TRADITIONSSTIFTENDER ORT DES TRIERER DOMS

27

1.04  Grundriss des Trierer Domkomplexes, um 330–340, Einbindung der bestehenden Südostbasilika (Weber 2004, S. 231) Bereitstellung von urbanem Grund und Boden, verbunden

maßlicher Hauskirche und Apsis der ersten Basilika im

mit einem massiven Eingriff in die Stadtstruktur, über-

Südwesten darstellt.100 Demnach bestand ein Zusammen-

haupt hätten realisieren können. Ein weiteres, gewichtiges

hang zwischen der Verortung und Dimensionierung der

Argument liefern die berühmten römischen Deckenma-

Apsis, des architektonisch hervorgehobensten Bereiches

lereien, welche 1945/46 bei den von Theodor Kempf ge-

des frühchristlichen Kirchenkomplexes, und der Lage und

leiteten Grabungen unter der Vierung des Trierer Doms

Form des Saales mit den Deckenmalereien.

gefunden wurden und heute im rekonstruierten Zustand im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier ausgestellt sind.97 In den Kontext des imperialen Hofes rückt der Saal aufgrund des zentralen Frauenbildnisses der Decke, welches nach derzeitigem Kenntnisstand als allegorisches

1.05  Zentrales Frauenbildnis von der Decke des römischen Prunk­ saals unter der heutigen Vierung des Trierer Doms an Stelle der ersten Apsis der Nordostbasilika. Deutung nach aktuellem Forschungsstand als Porträt der Augusta Flavia Maxima Fausta (Weber 2000, S. 27)

Porträt der Kaiserin Flavia Maxima Fausta,98 der Frau Konstantins des Großen, interpretiert wird (Abb. 1.05).99 Unbeachtet von der Forschung blieben bisher die räumlichen Bezüge zwischen dem römischen Prunksaal und der frühchristlichen Kirchenanlage, obgleich sich diesbezüglich eine erstaunliche Koinzidenz ergibt. Der Raum, in dem sich das Deckengemälde befand, lag nämlich genau an der Stelle, an welcher der Bau der Rechteckapsis der Nordostbasilika begonnen wurde; also am neuen architektonischen Höhepunkt der Anlage, an dem sich heute die Vierung des Trierer Doms befindet (Taf. 1.01). Außerdem stehen die Maße der Apsis in einer auffälligen Beziehung zum Prunksaal, denn die Apsis entsprach dem Saal in der west-östlichen Länge, während in der nord-südlichen Breite das doppelte Raummaß zu Grunde gelegt wurde, was eine verblüffende Analogie zum Verhältnis von mut97 Dazu grundlegend: Weber 2000; Simon 1986. 98 Zum Kenntnisstand über Flavia Maxima Fausta inklusive einer kritischen Auseinandersetzung mit Quellen und Sekundärliteratur: Drijvers 1992.

99 Weber 2003, S. 425; Ders. 2000, S. 41f.; Simon 1986. 100 S. weiter oben.

28

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

These: Kaiserin Maxima Fausta als Mäzenin der Trierer Bischofskirche

ten im zweiten Viertel des 4. Jahrhunderts als Fundatorinnen christlicher Kirchenanlagen auf.

Was aber machte den rechteckigen Raum im Nordosten

Erwiesen ist das für die Basilika Sant’Agnese in Rom,

so wichtig, dass man bereit war, den architektonischen

welche in den 340er Jahren von Constantina, der Tochter

Schwerpunkt vom Gründungsort dorthin zu verlagern?

Faustas und Konstantins,104 auf einem kaiserlichen Gut

Die Inkorporation der mutmaßlichen Hauskirche in

an der Via Nomentana erbaut wurde.105 In der überlie-

die Apsis der Südwestbasilika lässt sich, wie gezeigt wer-

ferten Weiheinschrift wird die Tochter des Kaiserpaares

den konnte, symbolisch im Sinne einer Bewahrung der

nicht nur als Gründerin der Kirche genannt, sondern auch

Tradition des Ortes verstehen. Es wäre somit zu fragen, ob

ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sämtliche Aus-

analog dazu die Inkorporation des römischen Prunksaa-

gaben für den Bau getragen habe.106 Constantina wurde

les einen vergleichbaren symbolischen Akt darstellte. Da

schließlich in einem Mausoleum an der Südseite der Ag-

man bereit war, den kultischen Schwerpunkt in die Nord-

nes-Basilika beigesetzt, das sich als Kirche Santa Costanza

ostbasilika zu verlagern und damit die alte Tradition des

erhalten hat.107

Ortes zu marginalisieren, muss aus der Perspektive der Er-

Die in Trier verehrte Kaisermutter Helena kann

bauer die Wertigkeit des Prunksaales im Nordosten dieje-

ebenso mit Kirchengründungen in Rom in Beziehung ge-

nige des Apsidensaales im Südwesten übertroffen haben.

setzt werden, nämlich Santa Croce in Gerusalemme und

Der Schlüssel zum Verständnis für die Konstituierung

Santi Marcellino e Pietro. Zwar nennt der Liber Pontificalis

eines neuen traditionsstiftenden Ortes wäre insofern bei

Konstantin als Gründer der beiden Kirchen,108 doch muss

den Initiatoren des monumentalen Kirchenkomplexes zu

die Quelle des 6. Jahrhunderts m. E. kritischer gelesen

­suchen.

werden, als es in der Literatur zumeist der Fall ist.109

In der mittelalterlichen Legendarik galt Kaiserin He-

Die Umgangsbasilika Santi Marcellino e Pietro wurde

lena, die Mutter Konstantins des Großen, als Mäzenin

um 320 über einer Katakombe mit Märtyrergräbern außer-

der Trierer Bischofskirche, die ihren Palast für den Grün-

halb der Stadtmauern an der Via Labicana (heute Via Ca-

dungsbau zur Verfügung gestellt haben soll.

Als bei den

silina) auf einer ausgedehnten Latifundie errichtet,110 die

Domgrabungen der Nachkriegszeit der römische Prunk-

sich laut dem Liber Pontificalis im Besitz der Helena be-

101

saal mit dem Frauenporträt zu Tage trat, stellte man da-

fand.111 Allein die Bereitstellung von Grundbesitz belegt,

her zunächst einen Zusammenhang zur Helena-Legende

dass die Augusta bei der Errichtung der Basilika nicht

her.102 Wenn das Bildnis allerdings gemäß der aktuellen

unbeteiligt war. Mehr aber noch weist der Umstand, dass

Forschungsmeinung die Kaiserin Maxima Fausta zeigt,

Helena um 329 im östlich an die Basilika anschließenden

so müsste man stattdessen eine tragende Rolle der Gattin

Mausoleum, dessen Überreste heute unter dem Spitzna-

Konstantins bei der Errichtung des Trierer Domkomple-

men »Torre Pignatarra« bekannt sind, beigesetzt wurde,112

xes in Betracht ziehen.

auf eine enge persönliche Verbindung Helenas mit dem

Dass Konstantin der Große mehrere monumentale

Sakralkomplex hin.

Kirchen errichten ließ, ist allgemein bekannt.103 Doch

Die Latifundie mit dem Helena-Mausoleum gehörte

auch die Frauen des konstantinischen Kaiserhauses tra-

zu einer weitläufigen, innerhalb der Stadtmauern gele-

101 Eine Auseinandersetzung mit der Helena-Legende erfolgt in Kapitel 2.2.3. 102 Z. B. Kempf 1978; zur Forschungsgeschichte s. Weber 2000, S. 37–42. 103 Herausragende Beispiele wären die Lateranskirche (ehemals St. Salvator, vgl. Abb. 1.21) und St. Peter in Rom, die Grabes- und die Auferstehungskirche in Jerusalem, die Geburtskirche in Bethlehem und die Apostelkirche in Konstantinopel. – Einführung in das konstantinische Kirchenbauprogramm: Brandenburg 2005, S. 16–18; dort auch grundlegende Beiträge zur Lateranskirche (S. 20–55) und St. Peter (S. 91–102). 104 Es fällt auf, dass in den meisten Aufsätzen und Lexikonartikeln bezüglich Constantina zwar grundsätzlich auf ihren Vater Konstantin hingewiesen wird, die Mutter hingegen ungenannt bleibt. Immerhin wird sie bei der Aufzählung der Kinder Faustas erwähnt (Drijvers 1992, S. 500f.). 105 Sta. Agnese: Rasch/Arbeiter 2007, Datierung S. 87f.; Brandenburg 2005, S. 69–73. 106 Inschrift bei: Rasch/Arbeiter 2007, S. 6 mit Literaturangaben unter

Anm. 48; Brandenburg 2005, S. 70 mit teilweiser deutscher Übersetzung. Sta. Costanza: Rasch/Arbeiter 2007; Brandenburg 2005, S. 69–86. Sta. Croce: Lib. Pont. 34, 22 (ed. Mommsen, S. 61f.); SS. Marcellino e Pietro: Ebd. 34, 26 (S. 65f.). So berichtet der Liber Pontificalis zwar, dass Sta. Agnese auf Constantinas Bitte hin errichtet wurde, nennt jedoch Konstantin als Gründer und eigentlichen Akteur (Lib. Pont. 34, 23 (ed. Mommsen, S. 62f.)), was im Widerspruch zur Weiheinschrift steht, die allein Constantina als aktive Gründerin nennt. Es sieht demnach so aus, als würde der Liber Pontificalis die Aktivitäten der Frauen des Kaiserhauses zugunsten einer Verherrlichung Konstantins marginalisieren. SS. Marcellino e Pietro: Brandenburg 2005, S. 55–60; Rasch 1998, Datierung S. 45. Lib. Pont. 34, 27 (ed. Mommsen, S. 66f.). Mausoleum der Helena: Brandenburg 2005, S. 55–60; Rasch 1998. – Zur Bestattung Helenas: Heinen 2008, S.26f.; Pohlsander 1995a, S. 149–166.

107 108 109

110 111 112

2.2 DIE DOMUS HELENAE ALS TRADITIONSSTIFTENDER ORT DES TRIERER DOMS

29

1.06  Rom, Santa Croce in Gerusa­ lemme, rekonstruierte Isometrie des Gründungsbaus, Baubeginn um 320? (Brandenburg 2005, S. 283)

genen Palastanlage, die ebenfalls zum Besitz der Helena

und wurde auch nicht als Grabbau angelegt, sondern in

zählte.113 Dort gefundene Inschriften belegen, dass die Kai-

bzw. über einem kaiserlichen Palastkomplex innerhalb

sermutter den Komplex renovieren und erweitern ließ.114

der Stadtmauern errichtet. Diese außergewönliche Orts-

In diesem Kontext muss wohl auch die Gründung der Kir-

wahl kann möglicherweise mit der Absicht erklärt wer-

che Santa Croce in Gerusalemme gesehen werden, für die

den, den kaiserlichen Wohnbereich zu sakralisieren und

ein bestehender Saalbau umgebaut wurde (Abb. 1.06).115

somit in besonderem Maße an der christlichen Heilsge-

Für Santa Croce in Gerusalemme könnte somit tatsäch-

schichte zu partizipieren. Wenn man annahm, die Grün-

lich zutreffen, was vom Trierer Dom behauptet wurde,

dung einer Kirche wirke sich positiv auf das Seelenheil

nämlich dass Helena ihren Palast für die Kirche zur Ver-

der Gründerpersönlichkeit aus, so läge es nahe, von einer

fügung stellte.116

Kirchengründung an einem Ort mit speziellem persönli-

In diesem Untersuchungsrahmen interessiert jedoch

chem Bezug eine Intensivierung und Steigerung der Heils-

in erster Linie die Wahl des Ortes. In beiden Fällen ist

wirkung zu erwarten. Der persönlich besetzte Ort stellte

die Kirche im Unterschied zu vielen frühchristlichen Sa-

gewissermaßen in Vertretung der Gründerpersönlichkeit

kralbauten nicht bei einem Märtyrergrab entstanden

deren fortwährende Nähe zum Kirchenbau sicher. Es wäre

113 Brandenburg 2005, S.104. 114 Ebd. 115 Sta. Croce in Gerusalemme: Brandenburg 2005, S. 103–108; de Blaauw 1997; Krautheimer 1937, S. 165–194. – Der Gründungsbau von Sta. Croce wies darüber hinaus interessante strukturelle Parallelen zum Quadratbau auf, die weiter unten ausgeführt werden. 116 Obwohl unbestritten ist, dass der Wohnkomplex im Besitz Helenas war und Bautätigkeiten der Kaiserin dort belegt sind, vertraut Hugo

Brandenburg den Angaben im Liber Pontificalis und sieht allein Konstantin als Gründer von Sta. Croce in Gerusalemme an (Ders. 2005, S. 104). Sible de Blaauw schließt Helena aufgrund der Nichterwähnung im Liber Pontificalis als Bauherrin aus, hält andererseits aber eine Gründung durch Konstantins Söhne trotz Nichterwähnung für möglich (Ders. 1997, S. 62f.). Wie weiter oben dargelegt, müssen die Angaben im Liber Pontificalis hinsichtlich der Rolle der Frauen des konstantinischen Kaiserhauses jedoch kritisch hinterfragt werden.

30

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

darüber hinaus zu überlegen, welche Rolle die Reliquien,

ger als die Verlagerung des kultischen Schwerpunktes von

die der Sakralbau beherbergte, in diesem Zusammenhang

der älteren Südwestbasilika zur Nordostbasilika zur Folge

spielten. Falls Santa Croce tatsächlich von Beginn an der

hatte, lässt sich in diesem Kontext als Sakralisierung eines

Aufnahme einer Kreuzreliquie diente, wie es Hugo Bran-

Ortes verstehen, zu dem Maxima Fausta in einem spezi-

denburg annimmt,117 dann wäre damit gleichsam der Pa-

ellen Verhältnis stand, wodurch eine besondere Nähe der

last der Helena selbst zum Aufbewahrungsort der bedeu-

Kaiserin zur Trierer Bischofskirche gewährleistet werden

tenden Reliquie geworden, die somit in einem geradezu

sollte. Der Trierer Dom wäre somit über einem kaiserli-

persönlichen Verhältnis zur Augusta gestanden hätte.

chen Wohnbereich mit persönlichem Bezug zur Maxima

Demzufolge lässt sich die Einrichtung von Santa Croce

Fausta errichtet worden. Diese Aussage weist bemerkens-

in einem Palastgebäude, und in Analogie dazu die um-

werterweise frappierende Parallelen zur mittelalterlichen

fassende Ausweitung des Trierer Kirchenkomplexes über

Gründungslegende des Trierer Doms auf, wie weiter un-

eine kaiserliche Wohnanlage, als Sakralisierung eines kai-

ten eingehender diskutiert wird.119

serlich konnotierten Ortes mit entsprechender Wirkung

Für die Diskussion über die Rolle der Maxima Fausta

für das Kaiserhaus im Allgemeinen und die handelnde

beim Trierer Dombau ergibt sich aus dem frühen und

Person im Besonderen verstehen.

tragischen Tod der Augusta allerdings das Problem, dass

Die thematisierten römischen Beispiele weisen darauf

sich dieser 326 ereignete und damit kurz vor der aktuell

hin, dass die Frauen des konstantinischen Kaiserhauses

geläufigen Datierung der Ausweitung des Komplexes in

wohl stärker am kaiserlichen Kirchenbauprogramm mit-

die 330er–340er Jahre. Dieselbe Problematik ergibt sich

wirkten, als es ihnen die Forschung bislang zustand. Da

allerdings auch bei einer Zuschreibung der Initiative an

Mutter und Tochter Konstantins aktiv als Bauherrinnen

Hele­na, die um 329 verstarb.120

auftraten, wäre ein vergleichbares Engagement seiner

Die Datierung der Ausweitung des Komplexes stützt

Frau Maxima Fausta nicht ungewöhnlich, sondern viel-

sich auf Münzfunde in den Planierungsschichten unter

mehr zu erwarten. Das entsprechende Taten Faustas je-

den Estrichen der neuen Bauten, die einen terminus post

doch nicht überliefert sind, hängt wohl mit ihrem tragi-

quem von ca. 330 für die Verlegung der Fußböden markie-

schen Tod zusammen: Konstantin ließ seine Frau 326 aus

ren.121 Der tatsächliche Baubeginn wäre folglich jedoch ei-

unbekannten Gründen auf grausame Weise hinrichten

nige Jahre früher anzusetzen, denn vor den Arbeiten an

und verhängte eine damnatio memoriae.118

den Böden der Innenräume standen noch andere Arbei-

Vorausgesetzt, dass die aktuelle Interpretation des

ten an; zunächst der Abriss der bestehenden Bebauung,

zentralen Frauenbildnisses im römischen Prunksaal als

gefolgt von den Fundamentierungsarbeiten und vermut-

Porträt der Kaiserin Maxima Fausta zutrifft, so spricht

lich auch ersten Arbeiten am aufgehenden Mauerwerk.

dies für einen besonderen persönlichen Bezug des reprä-

Berücksichtigt man zusätzlich den komplexen Planungs-

sentativen Raumes zur Augusta. Infolgedessen deutet die

und Organisationsprozess, den ein derartiges Großprojekt

räumliche Kongruenz von frühchristlicher Apsis und kai-

zwingend im Vorfeld erfordert, dann erscheint es nicht

serlichem Prunksaal wiederum auf eine besondere Bezie-

unwahrscheinlich, dass das Projekt noch zu Lebzeiten der

hung der Maxima Fausta zur Trierer Kirche hin. Es läge

Maxima Fausta angestoßen wurde. Oder bildete der Tod

dann nahe, anzunehmen, dass die Kaiserin entscheidend

der Kaiserin 326 sogar den Ausgangspunkt für die Erwei-

an der Errichtung des Domkomplexes beteiligt war, diesen

terung der Anlage, indem persönliche Teile des Palastes –

vielleicht sogar initiierte, mindestens aber umfangreichen

vielleicht sogar dem Wunsch der Kaiserin entsprechend –

kaiserlichen Grundbesitz zur Verfügung stellte, so wie es

nun der Trierer Kirche zur Verfügung gestellt wurden? An

für ihre Schwiegermutter Helena in Rom überliefert ist.

dieser Stelle muss die Erörterung abgebrochen werden,

Die Errichtung der Apsis der Nordostbasilika genau

weil nach derzeitigem Kenntnisstand nicht mehr genü-

über dem vornehmen Prunksaal (Taf. 1.01), die nicht weni-

gend Indizien zur Verfügung stehen.

117 Brandenburg 2005, S. 106–108. Der Autor bezeichnet Sta. Croce in Gerusalemme deshalb als »Memorialkirche«. 118 Drijvers 1992. Obgleich die Ursachen für diese Tragödie bisher nicht geklärt werden konnten, wird in der Literatur oftmals ein Ehebruch der Kaiserin unterstellt. 119 Kap. 2.2.3.

120 Pohlsander 1995a, S. 146–148. 121 Weber 1995, S. 924f. 122 Datierung des Quadratbaus: Weber 2003, S. 430–432. – Ob es sich um einen Planwechsel oder einen Umbau handelt, hängt davon ab, ob die ursprünglich geplante Apsis bereits fertiggestellt war. Weber spricht sich für einen Umbau aus, weil der Boden der Apsis

2.2 DIE DOMUS HELENAE ALS TRADITIONSSTIFTENDER ORT DES TRIERER DOMS

31

1.07  Grundriss des Trierer Domkomplexes, seit den 340er Jahren bis ins 5. Jh., Entstehung des Quadratbaus im Nord­osten der Anlage (Weber 2004, S. 232)

Der Quadratbau und die Verfestigung des traditions­ stiftenden Ortes

aus, denn der quadratische Grundriss setzte sich von der

Die weitere Entwicklung der Kirchenanlage zeigt, dass sich

liken als Richtungsbauten zu einem bestimmten Gebäu-

deren neuer Schwerpunkt im Nordosten schon nach kurzer

deteil hinführten, wie etwa die Südostbasilika zur Apsis,

Zeit verfestigte, denn bereits in den 340er Jahren erfolgte ein

richtete sich der zentralbauartige Quadratbau auf den ei-

Umbau oder Planwechsel,122 der auf eine Steigerung der ar-

genen Innenraum hin aus. Mittels der tragkonstruktiven

chitektonischen Formen im Nordosten abzielte (Abb. 1.07).

Struktur fokussierte der Raum die eigene Mitte, indem

Man errichtete einen monumentalen kubischen Baukör-

vier monumentale Säulen den Quadratbau in neun un-

per anstelle der Apsis, deren Dimensionen man allerdings

terschiedliche Joche gliederten, so dass sich in der Mitte

deutlich übertraf, so dass der neue Gebäudeteil den Ort der

wiederum ein Quadrat bildete, welches die anderen Joche

alten Apsis weiträumig umhüllte (Taf. 1.01). Der aufgrund

an Größe übertraf.123 Dieses Mitteljoch trat an die Stelle

seiner Grundrissgeometrie als Quadratbau bezeichnete

der zunächst begonnenen Apsis, räumlich wie funktional,

Baukörper ist noch heute ein integraler Bestandteil des

denn es wurde nicht bloß am selben Ort errichtet, sondern

Trierer Doms (Abb. 1.08), dessen formale Entwicklung er in

bildete fortan den neuen architektonischen Höhepunkt

den folgenden Jahrhunderten maßgeblich bestimmte, wie

der Nordbasilika. Dabei übernahm man die Breite der vor-

in den nachfolgenden Kapiteln aufgezeigt wird.

maligen Apsis, aus der sich auch die Breite des basilika-

Geometrie des übrigen Komplexes ab. Während die Basi-

Aufgrund seiner gegenüber den übrigen Bauwerken

len Mittelschiffes ableitete, und verdoppelte zugleich die

des Komplexes gesteigerten Dimensionen markierte der

Länge nach Osten. Die Maße des zentralen Quadrates ge-

Quadratbau auch von außen erkennbar den architekto-

hen damit auf die Verdoppelung der Maße der vorma­ligen

nischen Höhepunkt der Anlage. Die Grundrissstruktur

Apsis zurück, welche wiederum auf die Verdoppelung der

wies den Quadratbau ebenso als besonderes Gebäude

Maße des konstantinischen Prunksaales zurückgehen.

Nutzungs- und Ausbesserungsarbeiten aufweist (Ders. 1995, S. 925). Zweifelhaft ist jedoch, ob ein Bauprojekt von derart gewaltigen Ausmaßen bereits nach zehn Jahren komplett fertiggestellt war, was für einen Planwechsel spricht. Nach dem schriftlichen Zeugnis des Athanasius fanden Gottesdienste schließlich auch in der noch im Bau befindlichen Anlage statt (Ders. 2003, S. 429). 123 Damit weist die Binnenstruktur des Trierer Quadratbaus bemerkenswerte Parallelen zur weiter oben angesprochenen römischen Kirche

Sta. Croce in Gerusalemme auf, die in den bestehenden Bau einer kaiserlichen Wohnanlage eingerichtet wurde. Der profane Saal wurde bei der Einrichtung des christlichen Kultraumes untergliedert, indem vier Säulenpaare, die Schwibbögen tragen, in den Raum gestellt wurden, so dass ein annähernd quadratischer Raum in der Saalmitte definiert wurde (vgl. Abb. 1.06). Angesichts des ähnlichen Gründungskontextes wäre zu überlegen, ob Sta. Croce nicht sogar als Vorbild für die Binnenstruktur des Trierer Quadratbaus in Frage käme.

32

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

1.08  Dom zu Trier, Nordansicht des Langhauses im heutigen Zustand. Das röt­liche Mauerwerk zwischen den beiden Regenfallrohren und unter­ halb des Gesim­ses stammt noch im Wesentlichen vom Quadratbau des 4. Jh., zweites Geschoss und sämtliche Fenster 18. Jh., gelbliches Mauerwerk im Hintergrund 11. Jh. (Ronig 1982, S. 30)

Im Innenraum der Nordostkirche baute man nach Osten hin mit gestalterischen Mitteln Spannung auf. Eine

2.2.2 Die Bewahrung der Tradition des Ortes im frühen Mittelalter

Wand mit großen Bogenöffnungen signalisierte dem Betrachter den Übergang von den basilikalen Schiffen in

Die von der architektonischen Form ausgehende Analyse

­einen besonderen Bereich. Durchschritt man diese mäch-

der Bedeutung des Quadratbaus in frühchristlicher Zeit

tigen Arkaden, erlebte man eine beeindruckende Steige-

wird von der weiteren historischen Entwicklung der Anlage

rung der architektonischen Dimensionen und Formen.

bestätigt. Aufschlussreich erweisen sich diesbezüglich die

Der flachgedeckten Basilika folgte ein Raum, welcher

Wiederaufbauarbeiten unter Bischof Nicetius im 6. Jahr-

von einem System gewaltiger Schwibbögen überspannt

hundert (Abb. 1.09),124 nachdem der Kirchenkomplex im

wurde, die im Innenraum von nur vier monolithischen

5. Jahrhundert von einfallenden Germanenhorden stark

Granitsäulen getragen wurden. Der Abstand zwischen

zerstört worden war.125 Die Arbeiten konzentrierten sich

den imposanten Säulen betrug kühne 18 Meter und über-

nämlich in besonderer Weise auf die Wiederherstellung des

traf damit die Interkolumnien im Langhaus um fast das

Quadratbaus in seiner alten Gestalt. Da in Trier anschei-

Vierfache. Schließlich wurde das quadratische Mitteljoch

nend keine geeigneten Fachmänner für eine solche Bau-

gleich ­einer Bühne inszeniert, indem das Fußbodenni-

aufgabe mehr zu finden waren, ließ sich Nicetius eigens ei-

veau gegenüber den anderen Jochen erhöht wurde. An

nen fähigen Bautrupp mit teils italienischen Handwerkern

drei Seiten des Quadrates erstreckten sich jeweils über die

von Bischof Rufus aus dem heutigen Bistum Sitten in der

gesamte Länge Treppenstufen, die somit ein würdevolles

Schweiz schicken.126 Tatsächlich gelang es, die zerbroche-

Stufenpodest bildeten und zugleich die Grenzen des Jo-

nen Monumentalsäulen durch gleichgroße Säulen, welche

ches definierten.

man wahrscheinlich einem anderen römischen Monumen-

124 Derzeitiger Kenntnisstand zu den Wiederaufbauarbeiten des 6. Jahrhunderts: Weber 2003, S. 483–486.

125 Anton 1987, S. 44–50. 126 Weber 2003, S. 483f.

2.2 DIE DOMUS HELENAE ALS TRADITIONSSTIFTENDER ORT DES TRIERER DOMS

33

1.09  Grundriss des Trierer Domkomplexes, vom Wiederaufbau unter Bischof Nicetius im 6. Jh. bis zum Normannensturm Ende des 9. Jh. (Weber 2004, S. 233)

talbau der gebeutelten Stadt entwendete, zu ersetzen und

jedoch die Südwestbasilika, also die wahrscheinlich erste

daraufhin die gewaltige Schwibbogenkonstruktion wieder-

Bischofskirche, nicht mehr aufgebaut.

aufzubauen.127 Dass es sich bei den Wiederaufbauarbeiten

Die Prioritäten der Wiederherstellung der Kirchenan-

nicht bloß um eine funktionale Wiederherstellung des Ge-

lage im Frühmittelalter unterstützen damit die Interpre-

bäudes handelte, sondern um eine möglichst getreue Re-

tation der architektonischen Entwicklung des Komplexes

konstruktion des alten Zustandes, erkennt man daran, dass

im 4. Jahrhundert. Den Schwerpunkt der Anlage bildete

die neu aufgestellten Säulen derart angestrichen wurden,

der Quadratbau im Nordosten, denn dieser wurde archi-

dass sie das Material der vorherigen Granitsäulen imitier-

tektonisch besonders betont und im 6. Jahrhundert unter

ten und an den Wänden die ehemalige Wandverkleidung

großen Anstrengungen quasi rekonstruiert. Liturgische

aus Marmor mit Malerei nachgeahmt wurde.128

Bedeutung kam neben dem Dom in erster Linie der Ba-

Neben dem Quadratbau richtete man auch die Süd-

silika im Bereich der Liebfrauenkirche zu, wie aus deren

ost- und Nordwestbasilika wieder her. Die archäologisch

Rechteckapsis ersichtlich und durch den Bau der Ambo-

nachgewiesenen, stattlichen Amboanlagen dokumentie-

anlage im 6. Jahrhundert bestätigt wird. Hingegen spiel-

ren die liturgische Nutzung vor allem der beiden östlichen

ten die Umstände der Entstehung der ersten Basilika im

Gebäude, die sich am Ort des heutigen Doms und der

Südwesten im 6. Jahrhundert offenbar keine Rolle mehr,

Liebfrauenkirche befinden. Bemerkenswerterweise wurde

denn diese wurde nicht wieder aufgebaut.

127 Die ursprünglichen Granitsäulen zerbrachen bei der Zerstörung des Domkomplexes im 5. Jahrhundert in große Stücke, die sich noch heute unter dem Fußboden des Doms befinden (Weber 2003, S. 477). Eines dieser Stücke wurde bereits 1614 aufgefunden (Irsch

1931, S. 71) und liegt heute, als »Domstein« bezeichnet, außen vor der Westapsis. 128 Weber 2003, S. 484. – Befunde: Weber 1980, S. 147f.; Wilmowsky 1874, S. 40f.

34

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.2.3 Die Tradition des Ortes in den Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters

alterliche Quelle zum Thema vor.134

Der Dom als domus beatissimae Helenae

Adlige,135 der große Teile von Grund und Boden in der

Die Art und Weise, auf welche der Trierer Kirchenkom-

Stadt gehörten.136 Zur Gründung der Bischofskirche soll

plex, aber insbesondere der Quadratbau, unter Bischof

Helena ihren Palast137 zur Verfügung gestellt haben, wel-

Nicetius rekonstruiert wurde, weist darauf hin, dass be-

cher daraufhin in den Dom umgewandelt wurde. Bereits

reits im 6. Jahrhundert der Tradition des Ortes besondere

im 9. Jahrhundert heißt es dazu bei Almann:

Werk zur Trierer Geschichte, eine weitere wichtige mittelDer Legende nach war Helena eine in Trier geborene

Bedeutung beigemessen wurde. Von der Mitte des 9. Jahrhunderts an lässt sich eine Tradition des Ortes schließlich auch in den schriftlichen Quellen nachweisen. Dieser schriftlichen Überlieferung zufolge geht die Gründung der

»Quod usque hodie demonstrat domus ejus facta ecclesiae pars maxima in honore beati Petri apostolorum principis in sedem episcopalem metropolis dicata«.138

Trierer Bischofskirche auf eine Schenkung der Kaiserin

Die Quellen des 11. und frühen 12. Jahrhunderts wieder-

Helena,129 Mutter Konstantins des Großen, zurück, die in

holen diese Angaben und reichern sie weiter an, indem sie

der mittelalterlichen Legendarik und Hagiographie Triers

ergänzen, der Bau sei durch Bischof Agricius geweiht wor-

eine tragende Rolle spielte.130

den.139 Unabhängig vom historischen Wahrheitsgehalt ist

Die diesbezüglich frühste bekannte Schriftquelle ist

für diese Untersuchung von entscheidender Bedeutung,

die vom Mönch Almann von Hautvillers verfasste Vita

dass die Tradition des Ortes in den Schriftquellen eindeu-

Helenae,131 welche zwischen 845 und 852 datiert wird und

tig benannt wird: Der Dom entstand durch einen Umbau

im Auftrag des Reimser Bischofs Hinkmar anlässlich der

des Palastes der heiligen Helena (»domum beatissimae

Überführung von Helena-Reliquien aus Rom in das Klos-

Helenae«).140 Mit der Gründung der Bischofskirche kons-

ter Hautvillers in der Champagne entstand.132 Die dorti-

tituierte sich demnach eine kaiserliche Tradition, welche

gen Ausführungen wurden zwischen 1050 und 1072 von

sowohl den hohen Rang und die besondere Würde des

einem anonymen Autor aus dem Trierer Umkreis in der

Trierer Bischofssitzes begründete als auch dessen hohes

Doppelvita der heiligen Helena und des heiligen Agricius

Alter zum Ausdruck brachte.141 Die Wertigkeit der kaiser-

aufgegriffen und ergänzt.133 Schließlich liegt mit der um

lichen Gründung potenzierte sich dadurch, dass Helena

1100 entstandenen Fassung der Gesta Treverorum, einem

schon im frühen Mittelalter als Heilige verehrt wurde,142

129 Standardwerk über Helena: Pohlsander 1995a. 130 Zum Themenkomplex der Helena-Legende und der kaiserlichen Tradition in Trier erschienen zahlreiche Studien. Die wichtigsten sind (Schwerpunkt in Klammern): Embach 2008 (Legendarik); Heinen 1996, S. 77–117 (Trier als konstantinische Kaiserresidenz mit historischer Kritik der Überlieferung), insbesondere S. 98–117 (Gründung des Doms); Pohlsander 1995b (Legende mit Schwerpunkt hl. Rock); Ewig 1958 (kaiserliche Tradition im Mittelalter; knappe Zusammenfassung: Ders. 1964). 131 Die aktuellste Edition liegt in der 2007 erschienenen deutschlateinischen Parallelausgabe von Paul Dräger vor: Almann, Vita Helenae (ed. Dräger). – Studien hierzu: Embach 2008, S. 35–38; Ewig 1958, S. 153–158 (jeweils mit Hinweisen zu älteren Ausgaben und zur Forschungsliteratur). 132 Trierer Geschichtsquellen, S. 173–211. – Datierung nach: Ewig 1958, S. 156f. – Zur Entstehung: Embach 2008, S. 35; Ewig 1958, S. 153. 133 Studie zur Doppelvita mit Quellenangaben: Embach 2008, S. 39–43. 134 Lateinische Ausgabe: Gesta Trevirorum, ed. Wyttenbach/Müller, 1836. – Deutsche Übersetzung: Gesta Treverorum, ed. Zenz, 1955–1965. – Grundlegende Studie: Thomas 1968 (mit ausführlichen Angaben zu Quelltexten und Editionen; Datierung S. 25f.). 135 Almann, Vita Helenae, 9 (ed. Draeger, S. 22): »Helena, oriunda treverensis«; Gesta Trev. (ed. Wyttenbach/Müller, S. 47): »Helena, Trebirorum noblissima«. – In der aktuellen Forschung wird hingegen Drepanum in Bithynien als Geburtsort der Helena favorisiert (Pohlsander 1995b, S. 120). – Die Trierer Überlieferung hinsichtlich der geographischen und sozialen Herkunft der Helena zielte anscheinend auf eine Steigerung ihres Ansehens (Adlige statt Wirtin) und eine genealogische Verflechtung mit der Stadt Trier (Geburtsort) ab. – Zu den historischen Verbindungen von Helena zu Trier: Pohlsander 1995a, S. 31–47.

136 Almann, Vita Helenae, 9 (ed. Draeger, S. 22). 137 In den lateinischen Originaltexten findet sich die Bezeichnung »domus« (Almann, Vita Helenae, 9 (ed. Draeger, S. 22)); Gesta Trev. (ed. Wyttenbach/Müller, S. 49), welche in der Literatur fast durchgängig mit »Haus« übersetzt wird, was beim heutigen Leser jedoch falsche Vorstellungen hinsichtlich der Größe und Pracht der Trierer Kaiserresidenz hervorruft. Mit »domus« bezeichneten die Römer nämlich nicht nur die üblichen Stadthäuser, sondern auch weiträumige, opulente, innerstädtische Kaiserresidenzen wie etwa Neros domus aurea, die man im heutigen Sprachgebrauch vielmehr »Palast« nennen würde. Analog dazu scheint die Übersetzung »Palast« für die Trierer Residenz der Helena bzw. der konstantinischen Kaiserfamilie wesentlich treffender. (Zum römischen Sprachgebrauch der domus: Mielsch 1987, S. 7, 64–66.) 138 Almann, Vita Helenae, 9 (ed. Draeger, S. 22); vgl. Heinen 1996, S. 99 u. Anm. 3. (mit dt. Übersetzung). 139 Gesta Trev. (ed. Wyttenbach/Müller, S. 49): »Anno Dominicae incarnationis CCC.XXVIII. sanctus Argricius Trebirorum praesul efficitur. Hic populum ab antiquo errore idolatriae, velut alter Eucharius, eripuit et domum beatissimae Helenae, exclusis ab ipsa cunctis paganismi spurcitiis, in honore sancti Petri dedicavit, et, caput ecclesiae Treberensis ut esset, instituit.« 140 Ebd. 141 Zur kaiserlichen Tradition in Trier: Ewig 1964, S. 278–280; Ders. 1958, S. 147–160. 142 Helena als Heilige: Pohlsander 1995a, S. 186–200. – Nach Embach stellt die Vita Helenae des 9. Jahrhunderts den ersten schriftlichen Beleg für die Bezeichnung Helenas als Heilige dar (Ders. 2008, S. 36). Ewig führt hingegen Belege aus dem frühen 8. Jahrhundert an und weist darauf hin, dass der Kult noch älter sein muss (Ewig 1958, 159f.). – Zur Helena-Verehrung im 11. Jahrhundert: Ewig 1958, S. 149f.

2.2 DIE DOMUS HELENAE ALS TRADITIONSSTIFTENDER ORT DES TRIERER DOMS

deren größtes Verdienst der Legende nach die Auffindung

35

in einem solchen Umfang erhalten geblieben, dass man

des wahren Kreuzes während einer Pilgerfahrt nach Jeru-

ihn bis in die Gegenwart (»usque hodie«), als solchen er-

salem darstellte,143 so dass die Gründung des Doms auch

kennen könne. Die spätantik-frühchristlichen Formen

eine heilsgeschichtliche Dimension beinhaltet.

des Domkomplexes, die im 9. Jahrhundert freilich noch

Der Helena-Legende zufolge stellt der Ort also einen

in weit größerem Umfang als heute vorhanden waren,

konstitutiven Bestandteil der imperialen Tradition des

galten demnach als bauliches Dokument, welches dem

Trierer Doms dar, denn der Palast der Helena war als Im-

zeitgenössischen Betrachter den Wahrheitsgehalt der

mobilie im eigentlichen Sinne des Wortes an einen spe-

Gründungslegende und somit der römisch-kaiserlichen

zifischen Ort gebunden, welcher durch die Umwandlung

Tradition vor Augen führen sollte. Moderne Fragestel-

des Palastes zur Kirche natürlich identisch blieb. Anders

lungen nach der Authentizität der Anlage, die schließlich

formuliert: Wenn die Kirche aus dem Palast hervorgegan-

bereits im 6. Jahrhundert rekonstruierend wiederaufge-

gen sein soll, muss der Ort logischerweise derselbe sein.

baut wurde, spielten für den Schreiber des 9. Jahrhunderts

Folglich war es für die Aufrechterhaltung der Tradition

sichtlich keine Rolle; es ist vielmehr fraglich, ob er von den

zwingend notwendig, den Bezug zum authentischen Ort

Vorgängen überhaupt Kenntnis gehabt hat.

zu wahren, denn hätte man den Trierer Dom an einen an-

Welcher Teil des Domkomplexes für den Palast gehal-

deren Ort verlegt, so hätte er nicht mehr auf den Palast der

ten wurde oder ob man sogar vom Ganzen ausging, geht

Helena zurückgeführt werden können.

aus den Schriftquellen ebenso wenig hervor wie die Frage,

Interessant erscheint in diesem Kontext ein Vergleich

welche baulichen Formen mit dem Palast in Verbindung

mit einer zweiten in Trier gepflegten Tradition, nämlich

gebracht wurden. Der hohe Aufwand, den Bischof Nice-

der apostolischen, nach welcher der erste Trierer Bischof

tius vor allem für die Rekonstruktion des Quadratbaus be-

vom Apostel Petrus entsandt worden sei.144 Im Gegensatz

trieb, legt allerdings nahe, dass insbesondere dieser Teil

zur kaiserlichen Tradition ist die apostolische nicht an ei-

des Doms mit der Tradition des Ortes in Verbindung ge-

nen spezifischen Ort gebunden, so dass in dieser Hinsicht

bracht wurde. Nimmt man an, dass bereits im 6. Jahrhun-

auch keine Tradition des Ortes entstehen konnte, welche

dert oder sogar früher die Legende vom Dom als Palast

man in der Folge hätte architektonisch sichtbar machen

der Helena bestand, was auch von philologischer Seite

können. Allerdings versuchte man im hohen Mittelalter

plausibel erscheint,147 so würden die Bemühungen des

die beiden Legenden miteinander zu verknüpfen,145 so

Nicetius um eine möglichst genaue Wiederherstellung des

dass die Tradition des Ortes indirekt auch für die apostoli-

alten Zustandes einen tieferen Sinn bekommen. Wäre es

sche Legende eine gewisse Bedeutung gewann.

allein um den Wiederaufbau der Bischofskirche gegangen,

Der Ortsbezug der römisch-kaiserlichen Tradition

so hätte er auch einfacher zu realisierende Varianten im

lässt sich also anhand der mittelalterlichen Quellen ein-

Stil seiner Zeit wählen können. Die Bemühungen um eine

deutig belegen. Der Text der Vita Helenae lässt darüber hi-

möglichst genaue Rekonstruktion des alten Zustandes le-

naus auf die Bedeutung der Architektur in diesem Kontext

gen hingegen den Wunsch nach Wiederherstellung des

schließen, denn Almann führt die ihm gegenwärtige Ar-

Helena-Palastes als sichtbares Zeugnis der Trierer Tradi-

chitektur des Doms, also diejenige des 9. Jahrhunderts, als

tion nahe.

Beleg für die Wahrheit seiner Aussagen bezüglich Helena

Das Erinnern an die Helena-Legende, sei es in den

an: »Quod usque hodie demonstrat domus eius facta eccle-

Schriftquellen oder mittels der architektonischen Visuali-

siae pars maxima«.146

sierung der Tradition des Ortes, diente folglich dem Be-

Man glaubte demnach, die bauliche Substanz des Hele­ na-Palastes sei bei der Umwandlung in die Bischofs­kirche

143 Almann, Vita Helenae 8, 26–28 (ed. Draeger, S. 22, 46–50). – Forschungsliteratur zum Thema: Heinen 2008; Pohlsander 1995a, S. 101–116. 144 Apostolische Tradition in Trier: Heinen 1996, S. 58f.; Ewig 1958, S. 160–169. 145 Vgl. Heinen 1996, S. 86f. 146 Almann, Vita Helenae 9 (ed. Draeger, S. 22). »Dies beweist bis zum heutigen Tage ihr Palast, der zum größten Teil der Kirche umgebaut wurde« (eigene Übersetzung). 147 Embach geht aufgrund von Übereinstimmungen davon aus, dass die Vita Helenae als Quelle für die jüngere Doppelvita diente (Ders.

mühen, den architektonischen Status quo zu restituieren bzw. zu konservieren.

2008, S. 42). Es könnte aber auch eine heute verlorene, ältere Quelle für beide Texte als Vorlage gedient haben. Dafür spräche jedenfalls, dass die Vita Helenae im Reimser Umfeld entstand und die Trierer Tradition somit nicht vordergründig im Interesse des Schreibers stand. Es liegt insofern nahe, dass Almann sich auf eine andere Quelle stützte. Der Text Almanns stellt zwar die älteste heute noch erhaltene Schriftquelle dar, doch das heißt nicht zwangsläufig, dass er tatsächlich der Erste war, der die Helena-Legende niederschrieb. – Auch Ewig geht von einer älteren Helena-Tradition aus, welche er mit einer anderen Argumentation herleitet (Ders. 1958, S. 159f.).

36

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Der historische Kern der Helena-Tradition

len, auch wenn es sich dabei wohl nicht um Helena, son-

Seit Wilmowsky im 19. Jahrhundert den Quadratbau in

dern Maxima Fausta handelt. Dass in der Legende Helena

die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts, also die Zeit nach

und nicht Fausta als Gründungsfigur genannt wird, lässt

Helenas Tod, datierte und die Helena-Tradition damit

sich wiederum durch die historischen Ereignisse erklären,

grundsätzlich in Frage stellte,148 wurde in der Forschung

denn Fausta fiel bei Konstantin aus nicht genau geklärten

viel über den Wahrheitsgehalt der Legende gestritten.

Gründen schließlich derart in Ungnade, dass er seine ei-

Im Wesentlichen standen seither zwei kontradiktorische

gene Frau hinrichten ließ. Da sich die Trierer Kirche somit

Möglichkeiten zur Diskussion, nämlich dass die Helena-

schlechterdings mit Fausta als Gründungsfigur rühmen

Legende entweder gänzlich ins Reich der Fantasie gehöre

konnte, läge es nahe, wenn man sie in der Überlieferung

oder aber doch wie überliefert zuträfe. Letzterer Stand-

durch eine andere Konstantin nahestehende Frau ersetzt

punkt gewann Mitte des 20. Jahrhunderts neuen Auftrieb,

hätte, nämlich die Kaisermutter Helena, die nach ihrer

als Kempf den römischen Prunksaal unter der Vierung

Heiligsprechung auch aus religiöser Perspektive weitaus

entdeckte und das freskierte Frauenporträt als Bildnis der

vorteilhafter als Gründerin dargestellt werden konnte.

Kaiserin Helena deutete.149 Eine differenzierte Auseinan-

Auch die überlieferte Weihe der Bischofskirche durch

dersetzung mit der Helena-Legende erfolgte erst in der

Bischof Agricius, einem Zeitgenossen Faustas und He-

jüngeren Zeit; insbesondere durch Weber, der die Mög-

lenas, die von der Forschung noch vor einiger Zeit für

lichkeit erkannte, dass die Legende nicht wörtlich zutrifft,

unmöglich gehalten wurde,151 lässt sich mit den jüngsten

wohl aber auf einem historischen Kern basiert.

archäologischen Befunden wieder in Einklang bringen.152

150

Zwar konnte bauforscherisch und archäologisch nach-

Das in den Gesta Treverorum angegebene Weihedatum 328

gewiesen werden, dass der frühchristliche Komplex nicht

erscheint durchaus realistisch, wenn man es auf die Süd-

aus dem Umbau eines kaiserlichen Palastes hervorging,

westbasilika bezieht.153

jedoch wurde allem Anschein nach kaiserlicher Grund-

Die Diskussion über den Wahrheitsgehalt der Legende

besitz für die Errichtung zur Verfügung gestellt. Dass in

hilft, die Umstände zu verstehen, die zur Entstehung der

späterer Zeit von einem Umbau die Rede ist, lässt sich

Tradition des Ortes führten. Für die Untersuchung der

durch das Potential der Architektur erklären, als sichtba-

Wirkung, welche die Tradition des Ortes in der Folge auf

res Zeugnis der Legende genutzt werden zu können, wie

die Architektur des Trierer Doms ausübte, spielt der Wahr-

es Almann im 9. Jahrhundert nachgewiesenermaßen tat.

heitsgehalt der Helena-Legende allerdings keine Rolle.

Auch die Verbindung zu einer Dame des konstantinischen

Entscheidend ist allein, dass die Legende im Mittelalter

Kaiserhauses lässt sich mittels des gemalten Bildnisses

für eine historische Tatsache gehalten oder zumindest als

im römischen Prunksaal unter der Domvierung herstel-

solche propagiert wurde.154

2.3 Die Erweiterung der domus Helenae – Der Umbau des Doms unter Erzbischof Poppo im 11. Jahrhundert 2.3.1 Vom Normannensturm 882 zur Wiederaufbau­ kampagne unter Erzbischof Poppo in der ersten ­Hälfte des 11. Jahrhunderts

Erzbischof Egbert Ende des 10. Jahrhunderts fassen.156 Zunächst widmete man sich der Wiederherstellung des Quadratbaus, in welchem eine der nicetischen Säulen eingestürzt war. Anscheinend erkannte man, dass die Säulen

Während des Normannensturmes 882 erlitt der Basili-

im Katastrophenfall einen Schwachpunkt der Tragstruk-

kenkomplex abermals schwere Schäden.

Wiederaufbau-

tur darstellen und wollte künftigen Ereignissen vorbeu-

arbeiten am Dom selbst lassen sich allerdings erst unter

gen, indem man sie in kreuzförmige Pfeiler einmauerte,

148 149 150 151 152 153

tieren Wyttenbach/Müller, dass in einer anderen Quelle das Datum 334 vermerkt sei. Zenz überliefert hingegen das Datum 364 (ed. Zenz, S. 41). 154 Vgl. Heinen 1996, S. 53. 155 Apsner 2003, S. 273f.; Zink 1980a, S. 32. 156 Zum Egbertinischen Projekt: Zink 1980a, S. 33f.; Kempf 1975.

155

Wilmowsky 1874, S. 11. Kempf 1978. Weber 2003, S. 425. Pohlsander 1995b, S. 122. Zur ersten Bischofskirche: Weber 2004, S. 226–228. Gesta Trev. (ed. Wyttenbach/Müller, S. 49). In der Fußnote (a) no-

37

2.3  DIE ERWEITERUNG DER DOMUS HELENAE 

1.10  Dom zu Trier, Grundriss, ca. Mitte 11. Jh. bis Mitte 12. Jh., Zustand nach dem Umbau unter Erzbischof Poppo (Ronig 1980a, Plan IV)

so dass sich die Knickgefahr unter extremen Belastungen

ein Kreuzpfeiler in der Art der eingemauerten nicetischen

reduzierte.157 Diese Maßnahme hat sich nicht nur langfris-

Säulen errichtet. In der Folge wurde der Kirchenraum um

tig als tragfähig erwiesen, wovon die bis heute erhaltenen

zwei Joche nach Westen erweitert, die im Mittelschiff in

kreuzförmigen Pfeiler mit den antiken Säulen im Kern

eine halbkreisförmige Apsis münden (Abb. 1.10). Nach au-

zeugen,158 sondern auch die Raumwirkung nachhaltig mo-

ßen verwirklichte man eine monumentale Westfassade,

difiziert. Unter Egbert wurde ebenfalls mit der Wiederher-

welche durch vier Türme und die plastisch hervortretende

stellung des westlich dem Quadratbau vorgelagerten basi-

Westapsis imposant in Szene gesetzt wurde (Abb. 1.11).

likalen Raumes begonnen. Die projektierte Westfassade

Poppo hielt demnach im Gegensatz zu seinem Vorgänger

sollte anstelle der Ostwand der Nordwestbasilika errichtet

Egbert nicht an der ursprünglichen additiven Raumfolge

werden, so dass ein räumlicher Bezug zu dem aufgege-

von Basilika und Quadratbau fest, sondern erweiterte den

benen Gebäude hergestellt worden wäre.

Die Arbeiten

Quadratbau nach Westen zu einem rechteckigen Gebäude

kamen jedoch nicht zur Vollendung und wurden von den

von einheitlicher architektonischer Struktur, welches ab-

Nachfolgern eingestellt.

züglich späterer Umbauten heute das Langhaus des Trie-

159

Der eigentliche Wiederaufbau der Trierer Domkirche, welcher die Gestalt der Kirche bis heute prägt, begann unter Erzbischof Poppo Anfang des 11. Jahrhunderts.

rer Doms bildet. Obwohl unter Poppo das vorherige räumliche Konzept also stark verändert und die frühchristliche Gebäudefolge

Zunächst brachte man die Instandsetzungsarbeiten

endgültig aufgegeben wurde, bestimmte die Tradition des

am Quadratbau zum Abschluss und weihte diesen im Jahr

Ortes die neue Form der Kirche dennoch maßgeblich mit,

1037.160 Dabei wurde anstelle der noch fehlenden Säule

wie im Folgenden belegt wird.

157 Zum Knicken von Stützen: Kraus/Führer/Neukäter 1996, S. 171–181. 158 Vgl. Schnittzeichnungen von Wilmowsky und Krause (Abb. bei Irsch 1931, S. 40, 89). 159 Bei den jüngeren Grabungen konnten neue Kenntnisse über das Projekt Egberts gewonnen werden. So verlief der Westabschluss nicht wie von Kempf angenommen geradlinig, sondern sollte in der

Mitte von einer monumentalen, polygonalen Nische strukturiert werden (freundliche Mitteilung von Herrn Prof. Winfried Weber, 27.5.2009). Eine Publikation und kunsthistorische Auswertung des ottonischen Projekts nach aktuellen Befunden steht noch aus. 160 Zink 1980a, S. 34.

38

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

1.11  Dom zu Trier, Westfassade, ca. 1037–1080, Aufstockung des Südturms im frühen 16. Jh. (Ronig 1982, S. 27)

39

2.3  DIE ERWEITERUNG DER DOMUS HELENAE 

2.3.2 Grundriss und Innenraum

Geometrie und Dimensionierung der Erweiterungsjoche

Grundrissdimensionen

dratbaus, dessen differenzierte Aufteilung ursprünglich

Die Dimensionen des popponischen Baukörpers orientie-

für einen Raum konzipiert wurde, der sich auf die eigene

ren sich an den ehemaligen Raumgrenzen des frühmittel-

Mitte konzentriert. Bei der Erweiterung im 11. Jahrhun-

alterlichen Domkomplexes, der sich im Bereich des Doms

dert interpretierte man die Struktur des Quadratbau-

wiederum mit dem frühchristlichen Komplex des 4. Jahr-

grundrisses hingegen als seitlich offenes Muster, bei dem

hunderts deckte (vgl. Abb. 1.04). Die romanischen Außen-

Rechtecke und Quadrate unterschiedlicher Größe nach

wände stehen an der Stelle der vorherigen Außenwände

festem Schema alternieren, und setzte dieses Muster zwei

des basilikalen Vorraumes, so dass die Breite des poppo-

Joche nach Westen fort. Durch den derart geschaffenen

nischen Baukörpers der Breite des frühchristlichen Baus

gleichmäßigen Rhythmus der Joche in Ost-West-Richtung

entspricht. Während sich dies bei isolierter Betrachtung

gelang das Kunststück, die tradierte Struktur des Quadrat-

noch mit dem Anschluss an den gleich breiten Quadrat-

baus zu erhalten und dennoch einen homogenen, längs-

bau erklären ließe, so wird der räumliche Bezug zur Tra-

rechteckigen Kirchenraum zu kreieren, welcher durch die

dition des Ortes bei der Westfassade umso deutlicher. Der

Anlage der Westapsis bipolar ausgerichtet wurde.162

orientieren sich am bestehenden Jochsystem des Qua-

imposante romanische Westabschluss befindet sich näm-

Zugleich lässt sich die Grundrissfigur des Quadratbaus

lich ebenfalls über den Mauern der frühchristlichen Basi-

nunmehr ein zweites Mal aus dem popponischen Bau he-

lika. Der popponische Erweiterungsbau stimmt demnach

rauslesen, wenn man vom westlichen Mittelschiffquadrat

in Lage, Breite und Länge exakt mit der frühchristlichen

als zentralem Joch ausgeht (Taf. 1.02). Somit kann das

Nordwestbasilika überein.

popponische Erweiterungsprojekt auch als Verdoppelung

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man nun da-

des tradierten Quadratbaus aufgefasst werden, bei der al-

von ausgehen, dass beim romanischen Erweiterungspro-

lerdings nicht zwei identische Bauten additiv nebeneinan-

jekt die alten Fundamente weiter genutzt werden sollten

der gestellt wurden, sondern das Grundrissmuster weiter-

und somit nüchterne, wirtschaftliche Gründe den be-

gewebt wurde, so dass das Neue an das Alte anknüpft. Auf

schriebenen Befund erklären. Die genauere Betrachtung

diese Weise ist das neue Quadrat unlösbar mit dem alten

beweist jedoch das Gegenteil. Zur Errichtung der roma-

verflochten und kann überhaupt nur durch seine Teilhabe

nischen Bauteile entfernte man zunächst sämtliche alten

am alten definiert werden.

Fundamente, ob sie nun aus frühchristlicher Zeit oder

Der Grundriss des Trierer Doms besticht somit durch

vom aufgegebenen Wiederaufbauprojekt des Egbert her-

eine Ambivalenz, die es ermöglichte, die eigene Vergan-

rührten, und fundamentierte in den alten Fluchten kom-

genheit nicht bloß zu bewahren, sondern hervorzuheben,

plett neu.

Das bedeutet, dass man einen hohen zusätz-

aber gleichzeitig an hochaktuelle, funktionale und ästhe-

lichen wirtschaftlichen Aufwand in Kauf nahm, nur um

tische Entwicklungen in der deutschen Kirchenbaukunst

die Erweiterung in den Grundrissdimensionen der vorhe-

der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts anzuknüpfen. Als

rigen Basilika errichten zu können. Hätte man die neuen

längsgerichtete doppelchörige Anlagen entstanden in je-

Fundamente der Westfassade hingegen einfach neben

ner Zeit beispielsweise der Bamberger Dom, der sich wie

den vorhandenen angelegt, so hätte man sich die beträcht-

der Trierer Dom eines kaiserlichen Gründers rühmte,

lichen Kosten und Mühen des Abbruchs gespart.

oder der Mainzer Dom, der Sitz des mit Trier um Macht

161

konkurrierenden Erzbischofs. Auch das gestalterische

Grundrissstruktur

Konzept der Trierer Westfassade, einer hervortretenden

Für die neue Grundrissstruktur war der tradierte Quad-

Apsis mit flankierenden runden Treppentürmen, ähnelt

ratbau buchstäblich das Maß der Dinge (vgl. Abb. 1.10).

den angeführten Beispielen. Die Architektur des Trierer

161 Tatsächlich suggerieren die Pläne, bei denen verschiedene Bauzustände überlagert dargestellt wurden, wie z. B. der letzte von Kempf publizierte Bauphasenplan (Ronig 1980a, Beilage), dass sich alte Fundamente unter dem Mauerwerk befänden. Ein Fundamentplan des Bestandes mit entsprechenden Datierungen wurde aber bisher leider nicht publiziert. Allerdings wurden die aktuellen Grabungsbefunde an einem aufschlussreichen Modell im Bischöflichen Domund Diözesanmuseum Trier dreidimensional dargestellt. Weitere Hinweise finden sich bei Kempf, der schreibt, dass sämtliche

Fundamente im Verband stünden (Kempf 1968, S. 8). Auf Nachfrage bestätigte mir Prof. Dr. Winfried Weber, Diözesanarchäologe und Museumsdirektor, freundlicherweise, dass die Fundamente der Erweiterung durchgängig aus dem 11. Jahrhundert stammten. Nur an wenigen Stellen seien überhaupt ältere Fundamente nachzuweisen, welche zusammen mit weiteren Fundamentstreifen in derselben Flucht neben der Kirche überhaupt erst eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes ermöglichten (Gespräch am 27.5.2009). 162 Vgl. Ronig 1990, S. 119.

40

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Doms in der Mitte des 11. Jahrhunderts war somit einer-

Nun liegt es nahe, die popponischen Viererarkaden

seits Ausdruck fortschrittlicher Baukultur auf höchstem

aus den vorher anscheinend vorhandenen Emporen ab-

Anspruchsniveau, bewahrte aber andererseits dennoch

zuleiten. Das Motiv der frühromanischen Arkaden würde

die Tradition des Ortes. Die spannende Synthese dieser

somit aus der ehemaligen Zweigeschossigkeit der Seiten-

beiden auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinenden

schiffe resultieren. Möglicherweise existierten aber auch

Zielsetzungen gehört somit zu den anerkennenswerten

im 11. Jahrhundert noch Emporen, wie es Irsch vorschlug.

Leistungen der Baukampagne des 11. Jahrhunderts.

Auch wenn die derzeitig unzureichende Forschungslage es nicht erlaubt, diesbezüglich ein eindeutiges Urteil zu

Die Viererarkaden im Innenraum

fällen, so sind die geschilderten Zusammenhänge für die

Möglicherweise kann auch ein markantes Motiv im In-

Baukampagne des 13. Jahrhunderts dennoch von Bedeu-

nenraum des Trierer Doms mit der eigenen baulichen

tung.171

Vergangenheit in Zusammenhang gebracht werden. Dies sind die Viererarkaden, die sich im 11. Jahrhundert in den Wänden oberhalb der Arkaden- und Gurtbögen befanden, welche die kleinen, quadratischen Joche der Seitenschiffe

1.12  Dom zu Trier, Rekonstruktion des Innenraumes um 1200, Mittelschiff mit Blick nach Osten (Ronig 1990, S. 117)

räumlich definierten (Abb. 1.12).163 Die romanischen Arkaden mussten im Rahmen der Einwölbung im 13. Jahrhundert zwar entfernt werden, das Motiv wurde jedoch gestalterisch wieder aufgegriffen.164 Eine Belichtung des Mittelschiffes im Sinne von Pseudo-Obergadenfenstern165 kann nicht der alleinige Zweck der Arkaden gewesen sein, da sie schließlich auch in den Wandflächen oberhalb der Gurtbögen zwischen den Seitenschiffjochen saßen, welche über die Außenwand direktes Licht erhielten. Nach derzeitigem Forschungsstand handelte es sich bei der ehemals vor dem Quadratbau befindlichen Nordostbasilika um eine Emporenbasilika.166 Auch der Quadratbau war zweigeschossig konzipiert, denn es liefen anscheinend Holzgalerien an den Außenwänden um das zentrale Joch herum.167 Dem entsprechen die Öffnungen in der ehemaligen Westwand des Quadratbaus. Während in der Mitte ein mächtiger Bogen die Wand fast raumhoch öffnete, lagen in den Seitenschiffen zwei nahezu gleichgroße Bogenöffnungen übereinander,168 so dass dort von einem zweigeschossigen Übergang von Basilika zum Quadratbau ausgegangen werden kann. Nach Irsch verfügte die Nordostkirche auch im frühen Mittelalter, sowohl in merowingischer Zeit als auch nach dem Normannensturm 882, weiterhin über Emporen.169 Er wirft sogar die Frage auf, ob nicht sogar der popponische Erweiterungsbau über hölzerne Emporen verfügte.170 163 Siehe die Rekonstruktionszeichnungen des Innenraumes vor dem Baubeginn des Ostchores bei: Ronig, 1990, S. 116f.; Zink 1980a, Fig. 12. 164 Kap. 2.4.2. – An den Ostseiten der beiden Westtürme hat sich jeweils eine romanische Arkade erhalten, die als Vorlage für die Rekonstruktion der Arkaden im Langhaus dienen. An den Mittelschiffwänden lassen sich die Bögen, welche die Arkaden überfingen, noch im Mauerwerk erkennen. 165 Der Trierer Dom wurde im 11. Jahrhundert nicht mit basilikalem

Querschnitt sondern als Halle konzipiert, so dass eine Anlage von Obergadenfenstern im Mittelschiff nicht möglich war. 166 Das aktuelle Modell im Trierer Dom- und Diözesanmuseum wurde deshalb zweigeschossig konzipiert. 167 Zink 1980a, S. 25. 168 Ebd., S. 26. 169 Irsch 1931, S. 90. 170 Ebd. 171 Kap. 2.4.2.

41

FARBTAFELN

Taf. 1.01  Grundriss des heutigen Trierer Doms mit Eintragungen des römischen Prunksaals, der ersten Apsis der Nordostbasilika und des Quadratbaus (Hauke Horn, 2012)

Taf. 1.02  Grundriss des Trierer Doms nach der popponischen Kampagne: Verdopplung der vorhandenen Quadratbaustruktur (rot) (Hauke Horn, 2012)

42

FARBTAFELN  |  1  DER DOM ZU TRIER

oben: Taf. 1.03  Quadratbau, Mauerwerk der nördlichen Außen­wand, Opus listatum, zweite Hälfte 4. Jh. (Hauke Horn, 2007) unten: Taf. 1.04  Westlicher Wandpfeiler an der nördlichen Seiten­ schiffwand, Opus listatum, Mitte 11. Jh. (Hauke Horn, 2012)

43

FARBTAFELN  |  1  DER DOM ZU TRIER

Taf. 1.05  Kapitell im Quadratbau, spätantik (4. Jh.?) (Hauke Horn, 2009)

Taf. 1.07  Ansatz der Kreuzrippengewölbe an der süd­lichen Mittelschiffwand über älterem Kreuzpfeiler, Pfeilermauer­ werk hinter den Diensten aus Quadersteinen vom Anfang des 13. Jh. (Hauke Horn, 2012)

Taf. 1.06  Detail des Ansatzes der Kreuzrippengewölbe an der südlichen Mittelschiffwand über bestehendem Kreuzpfeiler bzw. ehemaliger Quadratbauwestwand (Hauke Horn, 2009)

44

Taf. 2.01  Portal vom Dom zur Liebfrauenkirche, zweite Hälfte 12. Jh. (Hauke Horn, 2009)

FARBTAFELN  |  2  DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Taf. 2.03  Grundrissstruktur der Liebfrauenkirche in Relation zum Dom bzw. zum Quadratbau (Hauke Horn, 2012, auf Plan­grundlage von Irsch 1931, S. 5)

Taf. 2.02  Vierungsturm der Liebfrauenkirche, im Vordergrund der Südwestturm des Doms (Hauke Horn, 2012)

FARBTAFELN  |  3  DER DOM ZU MAGDEBURG

oben links: Taf. 3.01  Lage der teilweise ergrabenen sog. Nordkirche im Verhältnis zum heutigen Dom (Puhle 2009, Bd. 1, S. 38) oben rechts: Taf. 3.02  Chorhaupt mit den Spolien des ottonischen Doms (Poeschke 1996, S. 181)

Taf. 3.03  Grundriss des Chores mit Visualisierung der räumlichen Relation bedeutsamer Objekte zum Kirchenraum und zueinander (Hauke Horn, 2012)

45

46

FARBTAFELN  |  3  DER DOM ZU MAGDEBURG

oben links: Taf. 3.04  Pfeiler in Formen des 11. Jh., entstanden im ersten Drittel des 13. Jh., Bischofsgang, südliche Doppelarkade zum Binnenchor hin (Hauke Horn, 2009) oben rechts: Taf. 3.05  Säule mit antikisierendem Kapitell, Bischofsgang, Nische an der Südseite, erstes Drittel 13. Jh. (Hauke Horn, 2009) unten: Taf. 3.06  Apsidiale Nische mit antikisierendem Akanthusfries, erstes Drittel 13. Jh., Bischofsgang, in der Mittelachse des Doms (Hauke Horn, 2009)

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.01  Westbau, Ansicht von Nordwesten, errichtet um 1000 oder 1050, Fassade und Turmhelme im 19. Jh. stark überarbeitet (Hauke Horn, 2012)

47

48

Taf. 4.02  Mittelschiff, Blick nach Westen, im Hintergrund der Westbau (Hauke Horn, 2012)

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.03  Relation des Grundrisses Mitte des 14. Jh. zum Grundriss Mitte des 11. Jh. (Hauke Horn, 2012)

Taf. 4.04  Relation des Grundrisses Mitte des 11. Jh. zum Grundriss Mitte des 9. Jh. (Hauke Horn, 2012)

49

50

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.05  Grundriss mit Kartierung der Fundamente (Zimmermann 1956, Taf. XIII)

Taf. 4.06  Synthetischer Pfeiler zwischen Langhaus und Westbau, Südseite, Blick von Nordosten, links die goti­ schen Teile, rechts die ottonischen (Hauke Horn, 2012)

Taf. 4.07  Synthetischer Pfeiler zwischen Langhaus und Westbau, Südseite, Blick von Südosten (Hauke Horn, 2012)

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.08  Querschnitt durch das westliche Langhausjoch, Blick nach Westen, Bogen zwischen Langhaus und Westbau mit baulichen Befunden. Relation von basilikaler Mittelschiffdecke (grün) zu gotischem Gewölbe (rot) (Hauke Horn, 2012, auf Plangrundlage von Zimmermann 1956, Taf. III)

Taf. 4.10  Nordwestlicher Vierungspfeiler, Südseite (Hauke Horn, 2012)

51

Taf. 4.09  Figurenkapitell, 3. Viertel 12. Jh., Joch zwischen Vierung und Hallenchor, Nordwestecke (Hauke Horn, 2012)

52

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

oben: Taf. 4.11  Kapitelle des nördlichen Pfeilers am Übergang zum Hallenchor. Links: Figurenkapitell, 3. Viertel 12. Jh., Mitte und rechts: Blattkapitelle, um 1300 (Hauke Horn, 2012) unten: Taf. 4.12  Korinthisches Kapitell, Westbau, Mittelarkade, südliche Säule, um 1000 oder 1050 (Hauke Horn, 2012)

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.13  Pfeiler, südlicher Nebenchor, südöstliche Ecke, um 1050 (Hauke Horn, 2012)

53

Taf. 4.14  Pfeiler in der äußeren Krypta, 1040er Jahre (Hauke Horn, 2012)

54

Taf. 4.15  Korinthisierende Säule, äußere Krypta, Nordwand, um 1050 (Hauke Horn, 2012)

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.16  Korinthisierende Säule, äußere Krypta, Südwand, um 1050 (Hauke Horn, 2012)

55

56

FARBTAFELN  |  4  DER DOM ZU ESSEN

Taf. 4.17  Memorialachse im Essener Münster des 14. Jh. (Hauke Horn, 2012)

57

2.3  DIE ERWEITERUNG DER DOMUS HELENAE 

2.3.3 Die spätantike Bausubstanz

Die Wahrnehmbarkeit des unterschiedlichen Mauerwerks, welche dem heutigen Architekturhistoriker die Ar-

Besonders auffällig ist für den heutigen Besucher des

beit erheblich vereinfacht, war jedoch im 11. Jahrhundert

Trierer Doms die Integration alter Bausubstanz, denn das

ästhetisch nicht erwünscht, denn die Ergebnisse der Bau-

Langhaus besteht noch heute zu rund 4/7 aus dem spät­

forschung weisen auf einen Verputz hin, der den Eindruck

antiken Mauerwerk des Quadratbaus, welcher die neun

eines optisch einheitlichen Baukörpers entstehen ließ.176

östlichen Joche umfasst.

An der steinsichtigen Nord-

Der einheitlichen neuen Baustruktur entsprach also eine

fassade lässt sich das spätantike Mauerwerk aufgrund

ästhetische Einheitlichkeit. Die heutige Steinsichtigkeit

der Unterschiede in Mauertechnik und Material pro­

der Nordfassade des Doms resultiert hingegen aus den

blemlos vom mittelalterlichen unterscheiden. Der Qua-

Restaurierungsarbeiten unter Wilmowsky im 19. Jahr-

dratbau wurde in dem für das 4. Jahrhundert typischen

hundert, in deren Zuge bewusst eine Änderung der Fas-

opus ­listatum errichtet, bei dem horizontale Streifen aus

sadenästhetik herbeigeführt wurde, indem man den Putz

Ziegeln und Naturstein alternieren (Taf. 1.03).

Neben

entfernte.177 Auch die Erkennbarkeit der Mauerstruktur im

der markanten Streifenstruktur bildet die Farbe des roten

Innenraum, wo ein lasierender Schlämmputz aufgezogen

Sandsteins ein signifikantes Merkmal des spätantiken

wurde, stellt eine spätere ästhetische Entscheidung dar,

Mauerwerks.174

welche bei den Restaurierungsarbeiten im 20. Jahrhun-

172

173

Das romanische Mauerwerk besteht hingegen über-

dert getroffen wurde.178

wiegend aus gelb-grauen Kalksteinen, in das andere

Auch wenn die Unterscheidbarkeit zwischen römi-

Steinarten und -formate in willkürlicher Verteilung in-

scher und romanischer Mauerstruktur gestalterisch nicht

tegriert wurden, so dass ein unregelmäßiges, lebendiges

gewollt war, so ermöglicht heute ein Blick auf die Nord-

Muster entstand. Bemerkenswerterweise zeigt das Mau-

fassade den hohen Anteil römischer Gebäudestruktur

erwerk der 1040er Jahre dennoch eine Auseinanderset-

schnell zu erfassen. Für die Untersuchung der Architektur

zung mit der spätantiken Substanz, da man vereinzelte

des 11. Jahrhunderts muss zusätzlich berücksichtigt wer-

Ziegelstreifen aus wiederverwandtem römischen Mate-

den, dass sich die Außenwände zur Zeit Poppos noch ein

rial vermauerte. Abweichend vom Vorbild laufen diese

Geschoss höher erstreckten als heute und somit die früh-

weder über die gesamte Wandbreite noch wurden sie in

christliche Substanz in noch größerem Umfang erhalten

regelmäßigen Abständen ausgeführt, so dass das poppo-

war.179

nische Mauerwerk wie eine freie Variation des römischen

Angesichts des überwiegenden Anteils von spätanti-

opus listatum wirkt.175 Die Oculi und Rundbogenfriese der

kem Mauerwerk stellt sich die Frage, ob man in diesem

Treppentürme belegen mit ihrer regelmäßig alternieren-

Fall überhaupt von einer Integration alter Substanz spre-

den Folge von Ziegeln und Natursteinen die planmäßige

chen kann. Die Baukampagne Poppos muss treffender als

Verwendung des alten Materials (Abb. 1.13). Deutlich lässt

mittelalterliche Erweiterung des spätantiken Quadrat-

sich die Orientierung an spätantiker Mauerwerkstechnik

baus charakterisiert werden. Diese Sichtweise auf die kon-

auch an den Kreuzpfeilern und den mit ihnen korrespon-

struktive Seite der Erweiterung deckt sich zudem mit den

dierenden Wandpfeilern im Innenraum erkennen, bei de-

vorhergehenden Feststellungen hinsichtlich der Grund-

nen die Schichtenfolge von Natursteinblöcken und Ziegel-

rissgestaltung, die schließlich ebenso vom Bestand ausge-

reihen eindeutig die Struktur des opus listatum aufgreift

hend konzipiert wurde. Für die Interpretation der popponischen Kampagne

(Taf. 1.04), wenn auch die römische Maßgenauigkeit nicht erreicht wird.

172 Darin eingerechnet sind freilich Ausbesserungen, die später am spätantiken Mauerwerk vorgenommen wurden, denn diese dienten schließlich nicht der Veränderung, sondern dem Erhalt der alten Bausubstanz in der ursprünglichen Form. 173 Zum opus listatum: Hesberg 2005, S. 30 und Abb. 4. 174 Die unteren Natursteinstreifen der Mauer sind abweichend aus grün-grauem Kalkstein gefertigt, was auf zwei unterschiedliche Bauphasen schließen lässt, die jedoch beide in das 4. Jahrhundert datieren (Weber 2003, S. 431). 175 Kempf meint hingegen, dass die frühromanische Mauertechnik »vom spätantiken Quadratbau [...] trotz aller Verwandtschaft mit

als Erweiterung des Quadratbaus spricht auch die kons-

176 177 178 179

dem spätantiken Schichtmauerwerk nicht abzuleiten [sei]« (Kempf 1968, S. 7), ohne dies jedoch zu begründen. Stattdessen postuliert er einen »genialen Baumeister, der mit byzantinischer Bautechnik vertraut war« (Ebd.), welchen Poppo von seiner Reise nach Palästina mitgebracht haben soll, ohne einen Beleg zu nennen. Weber 1980, S. 142–145. Zink 1980a, S. 61f.; Wilmowsky 1874, S. 17. Böhm/Rosiny 1980, S. 444f. – Vgl. Bornheim gen. Schilling 1980, S. 474. Das obere Geschoss der Außenmauern wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts abgerissen (Kap. 2.1).

58

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

1.13  Dom zu Trier, Kapitelle am nördlichen Treppenturm, 1. Geschoss, Mitte 11. Jh., das linke Kapitell augenscheinlich originalgetreu erneuert (Hauke Horn, 2009) truktive Struktur der neuen Bauteile, welche die beste-

2.3.4 Die Westfassade

hende Struktur nach Westen fortsetzt. So errichtete man das westliche Pfeilerpaar in Form und Maßen analog zu

In der Literatur zur mittelalterlichen Architektur beschrän-

den kreuzförmig ummantelten Säulen des spätantiken

ken sich die Darstellungen und Abhandlungen oftmals auf

Gebäudeteils als Kreuzpfeiler. Die östlich davon befindli-

die monumentale Westfassade des 11. Jahrhunderts, wel-

chen, T-förmigen Mauerstücke, also die ehemalige West-

che zumeist isoliert vom übrigen Baukörper behandelt wird

wand des Quadratbaus, ergänzte man im Westen mit einer

(vgl. Abb. 1.11).181 Angesichts der bisher erläuterten massi-

vierten Mauerzunge und konvertierte sie somit ebenfalls

ven Zusammenhänge zwischen popponischen Bauteilen

zu Kreuzpfeilern.

Auch beim Außenmauerwerk orien-

und der Tradition des Ortes erschiene es jedoch zumindest

tierte man sich an den vorhandenen Mauern des Quad-

merkwürdig, wenn die Westfassade als reine Schöpfung

ratbaus, welche man in gleicher Mauerstärke nach Westen

ihrer Zeit ohne jeglichen Bezug zum übrigen Baukörper

verlängerte.

konzipiert worden wäre. Der erwiesenermaßen einheitli-

180

che Bauvorgang spricht im Gegenteil für eine einheitliche Konzeption und wirft die Frage nach der Stellung der Westfassade im architektonischen Gesamtgefüge auf.182

180 Dies lässt sich an der unterschiedlichen Mauerwerkstechnik erkennen. Die erhaltene spätantike Substanz wurde in opus testaceum, also in reinem Ziegelmauerwerk ausgeführt. Die ergänzten Pfeiler­ zungen im Westen errichtete man hingegen in der romanischen Variante des opus listatum, in der auch die westlichen Kreuzpfeiler errichtet wurden, die sich eindeutig der popponischen Kampagne zuordnen lassen. 181 Z. B. Kaiser 1996, S. 44; Kubach/Verbeek 1976, Bd. 2, S. 1092f.

182 Sämtliche Fundamente der Westerweiterung stehen im Verband (Kempf 1968, S. 8); sie sind also einheitlich geplant und angelegt worden. Zudem belegen die dendrochronologischen Datierungen, dass in den 1040er Jahren sowohl an den Kreuzpfeilern als auch an der Westfassade gearbeitet wurde (Hollstein 1980, S. 125–129, 132). Beim Tod Poppos 1047 waren die Arbeiten bereits bis zur Höhe der zweiten Galerie fortgeschritten (Ebd.).

59

2.3  DIE ERWEITERUNG DER DOMUS HELENAE 

Gestalterische Bezüge zu den Kaiserthermen und der Porta Nigra

Im 11. Jahrhundert war das untere Geschoss im Inneren

Zunächst lassen sich allgemeine Bezüge zur antiken Ar-

plastisch gegliedert, was sich besser mit dem römischen

chitektur erkennen.183 Die generelle Disposition der Fas-

Bau assoziieren lässt.184

hingegen durch sieben fensterhohe, rundbogige Nischen

sade lässt sich durchaus mit der noch heute aufrecht ste-

Auch die Lisenengliederung der westlichen Domfas-

henden Ostpartie der Trierer Kaiserthermen vergleichen

sade lässt sich mit antiken Bauvorstellungen nachvoll-

(Abb. 1.14). Im Zentrum beider Fassaden tritt eine halb-

ziehbar in Beziehung setzten. So ähneln die Pilaster der

kreisförmige Apsis plastisch aus dem Baukörper hervor,

unteren Geschosse von Türmen und Apsis in Aufbau und

während die Ecken von zwei zylindrischen Treppentür-

Gestalt auffällig denjenigen, die sich an den Schmalsei-

men besetzt werden, deren Geometrie mit der Apsis kor-

ten und im Innenhof der Trierer Porta Nigra befinden

respondiert. Auch die Gliederungen der Apsiden weisen

(Abb. 1.15, 1.16).185 In beiden Fällen werden die Pilaster von

gewisse Gemeinsamkeiten auf, denn sie sind beide in zwei

dorischen Kapitellen mit Halsring, hohem Echinus und

übereinanderliegende Hauptgeschosse aufgeteilt, in de-

Abakus gekrönt. Analog zum römischen Stadttor standen

nen große Rundbogenfenster sitzen. Im Gegensatz zu den

die Pilaster des Untergeschosses im 11. Jahrhundert nicht

Thermen befinden sich im unteren Geschoss der Domap-

wie heute fast auf dem Boden, sondern auf einem ca.

sis jedoch keine Fenster, was sich unter anderem mit der

70–80 Zentimeter hohen, kräftigen Sockel, der Apsis und

unterschiedlichen Nutzung im Inneren erklären lässt.

Türme umfasste.186

1.14  Trier, Kaiserthermen, um 300, Ansicht der teilrekonstruierten Ruine des Caldariums von Südosten (Goethert 2003, S. 126)

183 Bezüge zur Antike erkannte bereits: Ronig 1990. 184 Irsch, S. 90, Fig. 48, 49. 185 Grundlegendes zur Porta Nigra: Gose 1969; Lückger/Bunjes 1938, S. 463–491. 186 Bei den Grabungen auf dem Domfreihof unter Winfried Weber

1992–1995 wurde nachgewiesen, dass das Niveau des Platzes, der im 11. Jahrhundert anstelle der Nordwestbasilika angelegt wurde, 50–60 Zentimeter unter dem heutigen lag (Weber 1996, S. 122). Den unteren Abschluss an Apsis und Treppentürmen bildeten kräftige Sockel, die heute weitgehend im Boden liegen.

60

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

1.15  Trier, Porta Nigra, Pilaster an der Schmalseite zum Simeon­stift hin (Hauke Horn, 2009)

1.16  Dom zu Trier, Pilaster an der Westapsis, in Höhe des Erdge­ schosses (Hauke Horn, 2009)

Der Vergleich mit der Porta Nigra geht aber über for-

castrum oder antiquum castrum190 weisen darauf hin, dass

male Gemeinsamkeiten hinaus, denn der Initiator der

dieses Bauwerk für die Überreste einer römischen Burg ge-

Domerweiterung, Erzbischof Poppo, veranlasste auch die

halten wurde, womit es nicht schwer fallen würde, einen

Konvertierung des ehemaligen Stadttores zur Stiftskirche

herrschaftlichen Bezug, vielleicht sogar zum konstantini-

Sankt Simeon, deren Altar 1042, als die Arbeiten am Dom

schen Kaiserhaus, zu konstruieren, zumal die monumen-

im vollen Gange waren, geweiht wurde. Schließlich ließ er

tale Apsis der Thermen dem vom christlichen Sakralbau

sich auch dort bei den Gebeinen seines heiliggesproche-

geprägten Menschen des Mittelalters ohnehin als beson-

nen Freundes Simeon begraben.

dere Würdeform erscheinen musste.

187

In diesen Kontext ge-

hören auch Münzen mit Darstellungen der Porta Nigra, die unter Poppo um 1035 geprägt wurden.188

Gestalterische Bezüge zum Quadratbau

Es wäre gut möglich, dass sich ebenso die Bezüge zu

Die korinthische Ordnung der Pilaster des zweiten Ge-

den Kaiserthermen nicht auf Formales beschränkten. Das

schosses (vgl. Abb. 1.13) findet hingegen keine Entspre-

Wissen um die ursprünglichen Funktionen antiker Ge-

chung an der Porta Nigra. Allerdings lassen sich Ähn-

bäude war im Mittelalter bekanntlich vielfach verloren. So

lichkeiten zu noch näher liegenden Vorbildern erkennen,

hielt beispielsweise Abt Suger von Saint-Denis Mitte des

nämlich zu den stattlichen Kapitellen der spätantiken

12. Jahrhunderts die Diocletians-Thermen in Rom für den

Wandpfeiler des Quadratbaus, die an vier Stellen der heu-

Palast eben jenes römischen Kaisers.189 Die mittelalter-

tigen Mittelschiffwand sichtbar erhalten blieben (Taf. 1.05,

lichen Bezeichnungen der Trierer Kaiserthermen als vetus

1.06).191

187 Bönnen 1996, S. 225 (mit weiterführender Literatur in Anm. 45). 188 Clemens 1996, S. 198f.

189 Suger, De con. 20 (ed. Binding/Speer, S. 210). 190 Clemens 1996, S. 178.

61

2.3  DIE ERWEITERUNG DER DOMUS HELENAE 

Bei beiden Kapitellgruppen treten dicke, fleischige

Variante der aus der römischen Architektur bekannten Su-

Abweichend

perposition der Ordnungen. Es handelt sich jedoch nicht

von einem sog. korinthischen Normalkapitell193 wurde

um eine rein formale Kopie eines römischen Gestaltungs-

bei den Kapitellen des Quadratbaus auf die Stengel (cau-

prinzips, sondern um dessen reflektierte Anpassung an

lis) verzichtet, die Abakusblüten zu Blöcken, die mit der

die Bauaufgabe. Über dem korinthisierenden Geschoss

Abakusplatte verschmelzen, vereinfacht und die Stütz-

folgt an den Ecktürmen nämlich entgegen dem antiken

stengel durch Zungen ersetzt, so dass eine zusätzliche

Verständnis erneut eine dorische Ordnung. Während vom

Zungenreihe oberhalb der Hochreihe entstand. Genau

ersten zum zweiten Geschoss die Formen gesteigert wer-

diese Verfremdungen des sog. korinthischen Normalkapi-

den, folgt im dritten stattdessen eine niedrigere Ordnung.

tells charakterisieren auch die Kapitelle der Westfassade,

Was vermeintlich als Unstimmigkeit erscheint, legt man

bei denen zusätzlich die Kranzreihe weggelassen wurde.

antike Maßstäbe zugrunde, erklärt sich jedoch im archi-

Die korinthisierenden Kapitelle des 11. Jahrhunderts ko-

tektonischen Gesamtkontext.

Zungen an die Stelle der Akanthusblätter.

192

pieren die Kapitelle des Quadratbaus jedoch nicht getreu,

Die beiden ersten Geschosse gliedern nämlich die ge-

sondern zeichnen sich durch eine weitergehende Verein-

samte Westfassade in der Horizontalen und schließen da-

fachung und Verblockung der spätantiken Vorbilder aus.

bei die Westapsis ein, also den funktional bedeutsamsten Teil der Fassade, der den Westchor beherbergt und dies

Die Adaption antiker Ordnungskonzepte

durch seine hervortretende Kurvatur auch nach außen

Die Proportionen der Pilaster an der westlichen Dompar-

zu erkennen gibt. Das dritte Geschoss mit der wiederkeh-

tie weichen ebenfalls von antiken Vorstellungen ab; sie

renden dorischen Ordnung beschränkt sich hingegen auf

wirken im Vergleich überlängt (vgl. Abb. 1.11). Für das Ver-

die Ecktürme, welche die Apsis in der Höhe übertreffen.

ständnis mittelalterlicher Proportionsvorstellungen ist die

Zwar verfügt auch die Apsis über ein drittes Geschoss,

Beobachtung wichtig, dass bei gleicher Höhe die Pilaster

doch liegt dieses oberhalb der Apsiskalotte und weist so-

der Ecktürme noch schmaler als diejenigen der Apsis aus-

mit keinen Bezug zum Innenraum auf. Konsequenter-

geführt wurden. Demnach gab es für den Entwerfer der

weise wurde dieses Geschoss niedriger angelegt und auf

Fassade keine festen Proportionen, nach denen die Pilas-

nobilitierende Fassadenelemente gänzlich verzichtet. Die

ter wie in der Antike hätten dimensioniert werden müssen.

durchgehende Geschossgliederung der Treppentürme

Vielmehr wurden die Proportionen der Pilaster offensicht-

entspricht hingegen der Funktion der vertikalen Erschlie-

lich mit den Mauerfeldern dazwischen abgestimmt. Den

ßungselemente. Zugleich wahrte man die Einheitlichkeit

breiteren Feldern der Apsis entsprechen breitere Pilaster,

der runden Baukörper, welche die Fassade seitlich fassen.

den schmaleren der Türme hingegen schmalere Pilaster.

Hätte man allerdings bei den Türmen eine durchgehende

Die gesamte Gliederung scheint wiederum auf die Pro-

Steigerung der Formen verwirklicht, so wären die oberen

portionen der jeweiligen Baukörper abgestimmt worden

Turmgeschosse mit einer höheren Ordnung versehen wor-

zu sein. Während die schlanken Türme mit schlanken Pi-

den als diejenigen der Apsis. Dies hätte aber die Hierar-

lastern und schmalen Zwischenfeldern versehen wurden,

chie der Gebäudeteile konterkariert.

ordnete man der breiteren Apsis auch breitere Pilaster und

Die Säulen der Galerien, welche sich zwischen der

weitere Zwischenfelder zu, so dass auf diese Weise bereits

Apsis und den Ecktürmen befinden, subsumierte man

eine gewisse Wertigkeit zum Ausdruck kommt, indem die

ebenso diesem fassadenübergreifenden Ordnungskonzept

liturgisch bedeutende Apsis gegenüber den nachgeordne-

(Abb. 1.17). Die untere Galerie liegt, wie an den kräftigen,

ten Treppentürmen hervorgehoben wird.

die horizontale Geschosseinteilung betonenden Gesimsen

Auch die Systematik der Pilasterordnungen zeigt eine

leicht zu erkennen ist, auf der Höhe des korinthisieren-

bewusste Auseinandersetzung mit antiken Bauprinzipien.

den Apsisgeschosses. Den dortigen Säulen ordnete man

Auf die dorische Ordnung des Untergeschosses folgt eine

vereinfachte Kompositkapitelle zu. Die darüber liegende

korinthische am Geschoss darüber, also eine vereinfachte

zweite Galerie befindet sich hingegen auf der Höhe des

191 Im 13. Jahrhundert, als man im Zuge der Einwölbung des Doms die Arkadenbögen tieferlegte, mauerte man die Kapitelle an den Stirnseiten ein, so dass die spätantiken Wandpfeiler heute als Pilaster erscheinen. (Zur Einwölbung im 13. Jahrhundert: Zink 1980a, S. 50–52; Irsch 1931, S. 131–137; Analyse der Einwölbung in Bezug auf die Tradition des Ortes: Kap. 2.4.2.)

192 Ursprünglich waren die Quadratbaukapitelle mittels Stuck feiner detailliert, so dass die Zungen wohl als Akanthusblätter in Erscheinung traten (Weber 2003, S. 432). 193 Schmidt-Colinet/Plattner 2004, S. 50f.; Heilmeyer 1970.

62

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

dritten Turmgeschosses. Als Pendant zu den dorischen Pilastern wählte man dort Würfelkapitelle. Der differenzierte Umgang mit der antiken Säulenordnung zielt demnach auf eine architektonische Betonung der Fassadenteile gemäß ihrer Bedeutung im Gesamtkontext ab, welche wiederum die innere Hierarchie spiegelt, die sich aus der räumlichen Nutzung herleitet. Die Systematik antiker Ordnungen und Proportionsvorstellungen wurde somit nicht ohne Verständnis kopiert, sondern reflektiert an die Anforderungen der Bauaufgabe angepasst. Die antiken Bauprinzipien wurden dem Gebäude untergeordnet und nicht andersherum, was die Prioritäten bei der Gestaltung des Doms klar erkennbar werden lässt. Dennoch bleibt die Orientierung an antiker Architektur deutlich erkennbar.

Das Motiv übereinandergestellter Bögen Angesichts der Tatsache, dass der Dom selbst in spätantiker Zeit gegründet wurde, stellt sich die Frage, ob die Westfassade nicht zumindest teilweise auch direkt auf die erhaltenen antiken Teile des Doms rekurriert. Hier stellen sich der Forschung zwei Probleme. Zum einen ist die ehemalige Westwand des Quadratbaus nur bedingt mit der romanischen Westfassade vergleichbar, da es sich schließlich nicht um eine Außenfassade handelte, sondern um eine innere Raumgrenze, die den Übergang von der Nordostbasilika zum Quadratbau markierte. Dennoch lassen sich Übereinstimmungen feststellen. Zwei übereinanderliegende Bögen gestalten die beiden Wandflächen

1.17  Dom zu Trier, Westfassade, südlicher Eingang mit Galerie (Hauke Horn, 2009)

seitlich der romanischen Apsis (vgl. Abb. 1.17). Der untere

sich demzufolge durchaus mit der ehemaligen Westwand

Bogen höhlt das Mauerwerk aus und schafft damit eine

des frühchristlichen Gebäudeteils in Beziehung setzen.

große Nische, welche die Eingangssituation monumental überhöht. Darüber befinden sich zwei Galeriegeschosse,

Die flankierenden Treppentürme

die von einem zweiten großen Bogen überfangen werden.

Das zweite Problem stellt indes das kaum vorhandene

Dieses Motiv zweier übereinanderliegender Bögen gliederte

Wissen über die vormalige Gestalt des Quadratbaus ober-

auch die Flächen der vormaligen Quadratbauwestwand zu

halb des zweiten Fenstergeschosses dar, so dass der Zu-

den Seitenschiffen der Basilika hin.194 Im Mittelschiff hin-

stand des Gebäudeteils vor der popponischen Kampagne

gegen öffnete ein monumentaler Bogen die Wand beinahe

nicht mit ausreichender Sicherheit rekonstruiert werden

in der ganzen Höhe des Raumes. Diesem entspricht an der

kann. Allein die Existenz von zwei rechteckigen Treppen-

romanischen Westfassade die Apsis, deren Proportionen

türmen, welche seit dem 4. Jahrhundert die westlichen

mit jenem römischen Bogen übereinstimmen. Im Innen-

Ecken des Quadratbaus flankierten, gilt aufgrund des

raum fällt dieser Bezug umso deutlicher aus, weil die roma-

archäologischen Befundes als gesichert.195 Die spätanti-

nische Westapsis von einem monumentalen Triumphbo-

ken Türme müssen Ende des 10. Jahrhunderts noch ge-

gen überspannt wird, welcher das Motiv des Quadratbaus

standen haben, denn die östliche Wand des Nordturmes

spiegelt. Die Disposition der romanischen Westpartie lässt

fungierte als Westwand einer unter Erzbischof Egbert

194 Zur ehemaligen Westwand des Quadratbaus: Zink 1980a, S. 26. 195 Heute liegen die Grundmauern des nördlichen Treppenturmes

durch die von Wilmowsky veranlasste Anlage des Domgrabens an der Nordwand offen sichtbar. Die Errichtung des Nordturmes kann

63

2.3  DIE ERWEITERUNG DER DOMUS HELENAE 

erbauten Doppelkapelle, die erst 1792 abgerissen wurde,

zuvor schließlich auch zu Veränderungen gekommen sein

wobei man die römischen Treppen zur Erschließung der

könnte, indem man Türme später hinzufügte.

Doppelkapelle nutzte.196

Während die älteste Rekonstruktion von Wilmowsky

Die Parallele zum frühromanischen Westabschluss

überhaupt keinen Turm aufweist, tendierte die Literatur

ist hier unverkennbar. Das Motiv flankierender Treppen-

im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu fünf Türmen,198

türme am frühromanischen Westabschluss kann dem-

einem mittleren und einem über jedem Eckjoch. Zwar

nach mit der Gestalt des Quadratbaus zu Beginn der West­

wurden die älteren Rekonstruktionen nach dem Zwei-

erweiterung zusammengebracht werden. Die motivische

ten Weltkrieg aufgrund der neuen Grabungsbefunde im

Übernahme wurde aber nicht als formale Kopie verwirk-

Ganzen obsolet, doch trat Kempf weiterhin vehement

licht, sondern als Variation, da man sich für runde statt für

für eine Fünf-Türme-Rekonstruktion ein.199 Zink wertete

viereckige Grundrisse entschied. Dies lässt sich aus den

die jeweiligen Vorschläge sachlich aus und resümierte

anderweitigen ästhetischen Anforderungen an die roma-

schließlich, dass eine Rekonstruktion der Dachlandschaft

nische Westfassade erklären, bei der die Treppentürme in

des frühchristlichen Baus aufgrund fehlender Befunde

Bezug zur halbrunden Apsis gesetzt werden sollten. Über

letztlich spekulativ sei.200 Auch hinsichtlich des 6. Jahr-

die geometrische Form harmonisierte man die drei Bau-

hunderts hielt Zink fest, dass es keine Befunde gibt, die

teile, die man obendrein mit einer übergreifenden, einheit-

eine Rekonstruktion von Türmen oberhalb der Joche be-

lichen Pilasterordnung gliederte, so dass sie einen gestalte-

legen.201 Allerdings hält Zink zwei Osttürme Anfang des

rischen Dreiklang bilden und im Wechsel mit den beiden

11. Jahrhunderts für »wahrscheinlich«.202 Die popponi-

geraden Wandflächen die Fassade rhythmisch gliedern.197

schen Westtürme wären in diesem Fall als Pendant zu den bestehenden Osttürmen zu verstehen.203 Wenn jedoch im

Die Westtürme

11. Jahrhundert derartige Osttürme über dem Quadratbau

Die Erkenntnisse bezüglich der Treppentürme führt zu

existierten, so stellt sich die Frage, wann diese verschwan-

der Frage, ob nicht auch die beiden massiven Westtürme,

den und warum dies geschehen sein soll. Die jüngste Re-

welche sich imposant über den Seitenschiffjochen erhe-

konstruktion stammt von Weber, der für die frühchristli-

ben, mit der tradierten Architektur des Quadratbaus in

che Zeit lediglich einen Mittelturm über dem zentralen

Zusammenhang gebracht werden könnten. Aufgrund der

Joch vorschlägt.204

unzureichenden Befundlage existieren jedoch zahlreiche

Für die Analyse konkreter Bezüge zwischen den West-

Rekonstruktionsvorschläge, die sich auf die Frage zuspit-

türmen des Doms und dem Quadratbau ergibt sich dem-

zen lassen, ob der Quadratbau über Turmaufbauten ver-

nach folgendes Dilemma: Auf der einen Seite böten die

fügte und wenn ja, über wie viele.

Rekonstruktionsvorschläge wunderbare Anknüpfungs-

Erschwerend kommt hinzu, dass der Quadratbau zu

punkte, um die frühromanischen Westtürme, welche das

Beginn des 11. Jahrhunderts bereits ca. 600 Jahre lang

Aussehen des Doms von Westen stark prägen, mit der Tra-

existierte, sich die Rekonstruktionen aber auf bestimmte,

dition des Ortes in Verbindung zu setzen. Auf der anderen

teils unterschiedliche Zeitpunkte beziehen, obwohl über

Seite sind die Rekonstruktionen allesamt hypothetisch bis

das Aussehen der Dachlandschaft für den gesamten Zeit-

spekulativ, so dass eine seriöse Aussage hinsichtlich di-

raum Unklarheit besteht. Entscheidend für die Untersu-

rekter Bezüge zu diesem Zeitpunkt nicht getroffen werden

chung der popponischen Baukampagne wäre aber das

kann. Vielleicht helfen künftige Forschungen, die Frage

Aussehen im frühen 11. Jahrhundert, da es im Zeitraum

auf Basis belastbarer Indizien zu beantworten.

196 197 198

199

sicher ins 4. Jahrhundert datiert werden, weil er ab einer Höhe von ca. 6 Metern in festem Verband mit den entsprechend datierten Außenmauern stand (Zink 1980a, S. 25; Irsch 1931, S. 70). Kempf 1975, S.11f. und Abb. 7. – Zum Abriss der Kapelle: Irsch 1931, S. 182 (die diesbezügliche Seitenangabe bei Kempf ist falsch). Vgl. Kemp 2002. Zusammenfassungen der älteren Positionen von Wilmowsky, Kutzbach, Oelmann, Krencker und Irsch finden sich mit Literaturangaben und Abbildungen bei: Zink 1980a, S. 27f., Abb. 53; Irsch 1931, S. 71, Abb. 32, 36, 37. Kempf postuliert Turmaufbauten für die spätantike, merowingische und salische Zeit und behauptet, seine Rekonstruktionen seien durch Befunde gesichert, ohne diese jedoch zu belegen und nachprüfbar zu machen (Ders. 1968, Abb. 6, 7, 9). Zudem verstrickt

er sich in Widersprüche. Da eine intensive Diskussion mit der Argumentation Kempfs den Rahmen dieser Arbeit allerdings sprengen würde, sei diesbezüglich auf die begründete Kritik von Zink verwiesen (Zink 1980a, S. 28, 36). 200 Zink 1980a, S. 27f. 201 Ebd., S. 31, 43. 202 Ebd., S. 46, Begründung S. 36. 203 Ebd., S. 46. 204 Weber begreift den vorgeschlagenen Mittelturm als begründete Möglichkeit und nicht als gesicherte Tatsache (Weber 2003, S. 432). Das aktuelle Modell der frühchristlichen Kirchenanlage im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier wurde gemäß diesem Vorschlag gefertigt (Modellfoto z. B. bei Demandt/Engemann 2007, S. 255; Weber 2003, Abb. 17).

64

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.4 Die Inszenierung der domus Helenae – Die Transformation des Doms in eine kreuzgewölbte Pseudobasilika im 12. und 13. Jahrhundert 2.4.1 Der Anbau des Ostchores

wölbeformen als »spätestromanisch«,210 die eine Rückständigkeit gegenüber zeitgleichen gotischen Bauwerken im-

Um 1160 begann unter Bischof Hillin die Transformation

pliziert, einer entsprechenden Würdigung im Wege.

des Trierer Doms in eine pseudobasilikale Doppelchoran-

Im Vergleich zur großen Baukampagne unter Poppo

lage, die sich der Disposition anderer bedeutender Dom-

in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts fand die Tradi-

kirchen im Kaiserreich, wie Mainz, Köln oder Bamberg,

tion des Ortes beim stauferzeitlichen Umbau auf den ers-

annäherte. Zunächst erweiterte man die Kirche nach

ten Blick weniger Beachtung. Während die popponischen

Osten, wo eine polygonale Apsis mit Chorjoch und Flan-

Maßnahmen eindeutig als Erweiterung des Quadratbaus

kentürmen an die spätantike Ostwand angebaut wurde

aufgefasst werden müssen, zielte die Transformation des

(vgl. Abb. 1.01).205 Auf diese Weise entstand im Inneren ein

Doms zwischen 1160 und 1225 eher auf eine Annäherung

räumliches Pendant zur bestehenden Westapsis, das sich

an etablierte Dispositionen anderer Bischofskirchen ab.

jedoch aufgrund des Chorjoches deutlicher von der übri-

Mit den neuen Ostteilen überschritt man erstmals die

gen Struktur absetzt, wodurch der östliche Chorbereich gegenüber dem westlichen hervorgehoben wird. Auch von

1.18  Dom zu Trier, Mittelschiff, Blick nach Westen (Ronig 1982, S. 43)

außen bilden die Ostteile mittels der Chorflankentürme seither ein erkennbares Gegengewicht zur Westpartie.206 Im Anschluss an die Arbeiten am Ostchor, für den eine Altarweihe 1196 überliefert ist,207 setzte man die Umgestaltung des Doms im umfunktionierten Quadratbau und seinen popponischen Erweiterungsjochen fort, die mittels neuer Kreuzrippengewölbe zu einem pseudobasilikalen Langhaus transformiert wurden (Abb. 1.18, 1.19).208 So setzte man die neuen Gewölbe der Seitenschiffe unterhalb der oberen Fensterreihe an und verringerte deren Höhe auf diese Weise erheblich. Zudem legte man die Mittelschiffarkaden tiefer und schuf eine einheitliche Scheitelhöhe, so dass die mittleren Joche räumlich stärker von den seitlichen geschieden wurden und ein auf die Chöre gerichteter Längsraum entstand, dem neuangelegte Zweier- und Dreierarkaden in der Mittelschiffwand eine basilikale Wirkung verliehen (Abb. 1.20). Da sich die oberen Arkaden jedoch zu dem Raum oberhalb der Seitenschiffgewölbe öffneten, muss von einer pseudobasilikalen Anlage gesprochen werden.209 Die Kreuzrippen der Mittelschiffgewölbe gehören mit 17 Metern Spannweite zu den großen bautechnischen Leistungen der Zeit, was von der Forschung bisher nicht angemessen beachtet wurde. Wahrscheinlich stand die stilistische Einordnung der Ge205 Zum spätromanischen Ostchor: Zink 1980a, S. 46–49. 206 Der Bau der spätromanischen Chorflankentürme im Osten liefert ein Argument gegen die These von Osttürmen über dem Quadratbau im 11. Jahrhundert (vgl. Kap. 2.3.4). Warum sollte man zwei neue Türme aufbauen, wenn unmittelbar daneben bereits Türme bestehen, und diese in der Folge auch noch abreißen, wie Kempf es annimmt (Ders. 1968, S. 15)? Zink sieht für Osttürme im 11. Jahrhundert bauforscherische Indizien vorhanden, klammert jedoch

207 208 209 210

das Problem, wann und warum diese verschwunden sein sollen, aus (Zink 1980a, S. 36, 46, Anm. 248f.). Gest. Trev., Kap. CII (ed. Zenz, Bd. III, S. 42). Zur Einwölbung Anfang des 13. Jahrhunderts: Zink 1980a, S. 50–52. – Nach derzeitigem Kenntnisstand werden die Wölbungsarbeiten hauptsächlich in die 1210er Jahre datiert. Die heutige Empore wurde erst im 18. Jahrhundert angelegt (Kap. 2.1). Z. B. Irsch 1931, S. 131.

65

2.4 DIE INSZENIERUNG DER DOMUS HELENAE – DIE TRANSFORMATION DES DOMS

1.19  Dom zu Trier, Mittelschiff, Blick nach Osten (Ronig 1982, S. 42) Raumgrenzen der frühchristlichen Kirchenanlage. Zu-

2.4.2 Die Einwölbung des Langhauses

sammenhänge mit der Tradition des Ortes beschränken sich insofern auf die Abstimmung der Proportionen mit

Das Bild übereinandergestellter Tragsysteme

der bestehenden Anlage, denn die Breite des neuen Cho-

Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts definierte noch immer

res leitet sich natürlich aus der vorgegebenen Breite der

die Kapitellzone des Quadratbaus, wie sie im 6. Jahrhun-

mittleren Quadratbaujoche ab (vgl. Abb. 1.02). Direkte ma-

dert wiederhergestellt wurde,211 die Höhe für die Bogen-

terielle oder räumliche Anknüpfungspunkte waren östlich

ansätze (vgl. Abb. 1.20). Obgleich die Kapitelle der vier

des Quadratbaus jedoch nicht gegeben. Bei der Umgestal-

Monumentalsäulen im Zuge der kreuzförmigen Ummaue-

tung des neuen Langhauses, also des Quadratbaus und der

rung den Blicken entzogen wurden, blieb die alte Kapitell­

westlichen Erweiterungsjoche, kam es hingegen zwangs-

zone durch die Pfeilerkapitelle an den ehemaligen In-

läufig zur Auseinandersetzung mit der Tradition des ­Ortes.

nenwänden des Quadratbaus erkennbar (Taf. 1.05, 1.06).

Obgleich die Umwandlung in eine Pseudobasilika auf eine

Demgegenüber setzen die Fußpunkte der neuen Kreuz-

massive Veränderung der räumlichen Wirkung des alten

rippengewölbe rund drei Meter oberhalb der spät­antiken

Gebäudeteils abzielte, wurde die Tradition des Ortes aber

Kapitellzone an. Die Differenz überbrückte man mit

keineswegs ignoriert, sondern geradezu dialektisch insze-

schlanken Säulen aus grauem Naturstein, welche die Rip-

niert, wie im folgenden Kapitel aufgezeigt wird.

pen aufnehmen. Während Säulen und Rippen aufgrund

211 Kap. 2.2.2.

66

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

1.20  Dom zu Trier, Längsschnitt durchs Mittelschiff, Blick nach Norden, Zustand nach Umbau der 1220er Jahre (Irsch 1931, S. 133)

des Materials, der Farbe und der Formensprache als Teile

hinzugefügt wurde. Das Ganze wirkt, als hätte man ein

desselben Tragsystems erkennbar sind, kontrastieren sie

feingliedriges Gerippe auf einen massiven Sockel gestellt,

in gleicher Hinsicht deutlich mit den wuchtigen Pfeilern

wie ein neuer Deckel auf einem alten Behältnis.

(vgl. Abb. 1.18, 1.19).

Die beiden tragkonstruktiven Subsysteme verweisen

Diejenigen Säulen, welche die Kreuzrippen aufneh-

insofern auf unterschiedliche Zeitschichten, deren archi-

men, stehen zumeist auf Sockelplatten, die auf die Kreuz-

tektonische Spuren sich horizontal überlagern. Auf diese

pfeiler aufgesetzt wurden, so dass die neuen Stützelemente

Weise bleibt einerseits das Niveau der ursprünglichen

erkennbar auf den alten stehen (Taf. 1.07).212 Die Schäfte

Kapitellzone nachvollziehbar, andererseits lässt sich an-

der Vorlagen, welche die Bandrippen der Gurte aufneh-

hand der Säulen erkennen, wie hoch die Fußpunkte der

men, erheben sich dagegen zum Mittelschiff hin auf Kon-

neuen Gewölbe angehoben wurden. Des Weiteren kon-

solen, die in der architektonischen Systematik den Platz

turieren sich Alt und Neu aufgrund der ästhetischen Di-

der Basen einnehmen, so dass diese Schäfte auf dem glei-

alektik wechselseitig. Das Alter der Pfeiler- und Mau-

chen Höhenniveau wie die Schäfte der kreuzrippentragen-

erwerksstruktur wird durch die neue, zeitgenössische

den Säulen beginnen. Die in situ belassenen spätantiken

Formensprache der Säulen und Rippen hervorgehoben,

Pfeilerkapitelle erinnern daran, dass sich dieses Niveau

während das neue Tragwerk erst durch die alte Struktur

mit der ursprünglichen Kapitellzone deckt (Taf. 1.06).

als nachträglicher Eingriff erkennbar wird. Trotz der Mo-

Durch diese Gestaltung der neuen Tragstruktur bleibt

dernisierung des Kirchenraumes mit aktuellen architekto-

der nachträgliche Umbau der Gewölbezone klar nach-

nischen Mitteln bleibt die Tradition des Ortes somit ein

vollziehbar. Während der ästhetische Kontrast die Säulen

integraler Bestandteil der Struktur und dies sollte dem Be-

und Dienste deutlich von den Kreuzpfeilern absetzt und

trachter offenbar auch deutlich vor Augen geführt werden.

dadurch zwei Subsysteme der Tragstruktur visuell unter-

Nun könnte der Einwand erhoben werden, die Ge-

scheidbar macht, signalisiert die Tektonik des Überein-

stalt der Tragstruktur ergäbe sich allein aus statischen

anderstellens, dass das obere Tragsystem nachträglich

und konstruktiven Erwägungen, was eine weitergehende

212 An den Stellen, wo die alte Pfeilersubstanz nicht genug Platz bot, montierte man kugelsegmentförmige Konsolen, welche die Sockel­

platten, auf denen die Basen der Säulen aufsetzen, zusätzlich stützen.

2.4 DIE INSZENIERUNG DER DOMUS HELENAE – DIE TRANSFORMATION DES DOMS

67

semantische Interpretation in Zweifel zöge. Dem kann

Wirkung des neuen Tragsystems genau planten, denn sie

jedoch erwidert werden, dass das Bild der architektoni-

unterschieden zwischen Teilen, die eindeutig als »neu«

schen Struktur nur zum Teil statischen Prinzipien folgt,

erkennbar sind, und Teilen, welche die alte Struktur imi-

aber nicht die tatsächliche Lastabtragung widerspiegelt.

tierend fortführen. Insofern handelt es sich bei der ästhe­

Die neuen Säulen wirken zwar statisch mit, die Haupt-

tischen Dialektik von Alt und Neu um eine raffinierte Ins­

last der neuen Gewölbe wird allerdings weiterhin von den

zenierung, zu deren Zweck einige neue Kompartimente

Kreuzpfeilern geschultert. Über den Gurtrippen laufen

bewusst in alter Form gestaltet wurden.

tragende Gurtbögen, deren Querschnitt den jeweiligen

Allerdings führte man die Aufmauerung im Detail

Pfeilerzungen entspricht. Die Abmessungen der Gurtrip-

derart aus, dass auf den zweiten Blick die ursprüngliche

pen verhalten sich damit zu den Bögen wie diejenigen

Pfeilerhöhe erkennbar blieb, denn die neuen Pfeilerstücke

der kleinen Säulen zu den massigen Pfeilern, was die tat-

verschmälern sich leicht gegenüber dem Bestand. Schräge

sächliche Lastverteilung widerspiegelt. Zwar nehmen die

Werksteine, die sich kaum zufällig exakt auf dem Niveau

neuen Säulen die Kreuzrippen auf, doch wird der Haupt-

der Basen der neuen Säulen befinden, leiten zum schma-

teil der Last über die Bögen an die Pfeiler weitergeleitet.

leren Part über.214

In Ergänzung dessen nehmen auch die Mittelschiffwände Lasten der aufliegenden Gewölbekappen auf, was durch

Die Umgestaltung der Arkadenwände

den Verzicht auf Schildrippen allerdings nicht visualisiert

Auch die Arkadenwände wurden im Zuge der neuen Ein-

wurde. Der tatsächliche Kräfteverlauf entspricht damit

wölbung grundlegend überarbeitet. Die ehemals oberhalb

wie in anderen Kirchenbauten der Zeit, etwa dem Magde-

der alten Kapitellzone ansetzenden Bögen, deren Scheitel-

burger Dom,

nicht dem Bild, welches die architektoni-

höhe in Abhängigkeit der Jochbreite alternierte, wurden

sche Struktur vom Kräfteverlauf vermittelt. Andererseits

ein Stück tiefer gelegt und mittels der Verwendung von

handelt es sich bei den Säulen aber keinesfalls um reine

Spitzbögen in den schmalen Jochen mit gleicher Scheitel-

Zier- oder Gliederungselemente, denn sie stehen untrenn-

höhe neu konstruiert (vgl. Abb. 1.18–1.20).215 Die Wandflä-

bar im Zusammenhang mit einer architektonischen Sys-

chen darüber öffnete man mit abwechselnden Zweier- und

tematik. Das bedeutet, dass zwischen dem Bild, welches

Dreierarkaden zu den Seitenschiffen,216 die sich motivisch

die Struktur von der Lastabtragung vermittelt, und der tat-

aus der vorherigen Innenraumgestalt ableiten lassen (vgl.

sächlichen Lastabtragung differenziert wurde, ohne dass

Abb. 1.12).217 Ästhetisch stimmte man die Arkaden mit

beides klar voneinander zu trennen wäre.

dem Gewölbe ab: zum einen mittels des gleichen Materi-

213

als, des grauen Werksteins, zum anderen mittels der tek-

Die Fortführung der alten Tragstruktur

tonischen Struktur, der Unterfangung mit jeweils einer

Um die Hauptlast der neuen Gewölbe aufzunehmen, wa-

breiten Bandrippe, wie sie auch bei den Gurtbögen zum

ren daher auch umfangreiche Arbeiten von Nöten, die

Tragen kam. Die Zweier- und Dreierarkaden bilden dazu

über die erkennbar neue Tragstruktur hinausgehen. So

einen deutlichen Kontrast, indem die Mauermassen in

wurden die Kreuzpfeiler, um die Last sowie den Schub der

eine Vielzahl von Profilierungen und Vorlagen kleinteilig

Gurtbögen aufzunehmen, bis zu deren Fußpunkten aufge-

aufgelöst wurde. Diese Gestaltung orientiert sich wiede-

mauert, indem man die alten Pfeiler strukturell und op-

rum an der Formensprache des neuen Ostchores aus der

tisch fortsetzte (Taf. 1.06, 1.07). Das bedeutet also, dass die

zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, welcher auf diese

Baumeister Anfang des 13. Jahrhunderts die gestalterische

Weise gestalterisch mit dem Langhaus verknüpft wurde.

213 Vgl. Kap. 3.3.5. 214 Heute lässt sich die nachträgliche Aufmauerung auch an den unterschiedlichen Mauerwerkstechniken leicht ablesen. Oberhalb der alten Kapitellzone bestehen die Pfeiler aus präzise gearbeiteten Quadern mit vergleichsweise schmalen Fugen. Unterhalb der Zone wurde das Mauerwerk hingegen entweder mit länglichen Ziegeln und breiten Fugen oder in opus listatum ausgeführt, also alternierenden Schichten von länglichen Ziegeln und Natursteinblöcken. Die erste Technik findet sich im Bereich des Quadratbaus und stammt somit noch aus der frühchristlichen Zeit, wohingegen sich die zweite in den Teilen der popponischen Erweiterung beobachten lässt und somit eine mittelalterliche Variation des spätantiken opus listatum darstellt. Im Mittelalter waren die unterschiedlichen

Techniken aber wahrscheinlich unter einer einheitlichen Putzschicht verborgen und somit nicht unterscheidbar. Das heutige Erscheinungsbild des Mauerwerks resultiert aus der Restaurierung des Doms in den 1970er Jahren, als die Architekten Gottfried Böhm und Nikolaus Rosiny die Wände absichtsvoll mit einer dünnen Lasur beschichten ließen, was wiederum als Mittel moderner Architekturgestaltung gewertet werden kann, um die Geschichte des Bauwerks sichtbar zu machen (vgl. Böhm/Rosiny 1980, S. 444f.). 215 Eine statische Notwendigkeit ist für die Tieferlegung der Arkaden nicht zu erkennen. Der Sinn der Maßnahme scheint sich eher über die neue Raumwirkung zu erschließen. 216 Die heutige Empore wurde erst im 18. Jahrhundert angelegt (Kap. 2.1). 217 Vgl. Kap. 2.3.2.

68

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Auch die nachträgliche Absenkung der Arkaden kann am Bestand abgelesen werden, denn die Bögen setzen an den Kreuzpfeilern auf Konsolen auf, wohingegen die alten

erfolgte unter erzwungenen Abweichungen von der Norm, der Baukörper blieb unverändert.«219

Pfeilerkapitelle, welche für diese tragkonstruktive Aufgabe

Die negativ konnotierte Beurteilung der Wölbungskampa-

konzipiert waren, frei von tektonischen Funktionen in der

gne in der älteren Literatur erklärt sich aus einer vorgepräg-

Wand eingemauert sind (vgl. Abb. 1.20). Dies zu erkennen

ten Sichtweise, welche den kunstgeschichtlichen Stil zum

setzt allerdings ein ausgebildetes konstruktives Verständ-

allein gültigen Bewertungsmaßstab erhebt. Die Norm, von

nis voraus, wohingegen die Ästhetik der aufgesetzten Ge-

der Irsch erzwungene Abweichungen bemängelt, resultiert

wölbe von jedermann nachvollzogen werden kann. An

aus stilistischen Vergleichen mit anderen Bauwerken der

einigen Stellen lässt sich die Veränderung der Mittelschiff-

Zeit, wohingegen die individuellen, historisch begründeten

wände auch auf andere Weise erkennen: Sie wurden dort

Eigenarten des Baus außen vor blieben. Infolgedessen inte-

schmaler gemauert als die Pfeilerzungen, so dass diese

ressierte man sich primär für die Herkunft der neuen For-

seitlich hervortreten und die alte Pfeilerform deutlich um-

men und wurde bei der Zisterzienserarchitektur der Zeit

reißen (Taf. 1.07).

fündig,220 wo ebenfalls Gewölbevorlagen zum Einsatz kamen, die nicht bis auf den Boden geführt wurden. In letzter

Die Beurteilung der Gewölbe in der Literatur

Konsequenz postulierte man deshalb sogar einen zisterzi-

Die kunsthistorische Literatur beschrieb die Gewölbe bis-

ensischen Baumeister.221 Auf diese Weise stellte man einen

218

her in der Regel als in die alte Struktur »hineingehängt«.

Zusammenhang zwischen Zisterzienserorden und Trierer

Dabei ließen sich die Autoren wohl in erster Linie von den

Dom her, der sich lediglich auf formale Ähnlichkeiten be-

gurtrippentragenden Vorlagen leiten, deren Konsolen in

schränkte, und übersah die andersgearteten Zielsetzungen,

der Tat als in die alte Pfeilerstruktur eingehängt erschei-

die zu der jeweiligen Architektursprache führten. Während

nen. Das heißt aber, dass bisher nicht genügend zwischen

die kurzen Gewölbevorlagen der Zisterzienser aus deren

dem suggestiven Bild der neuen Tragstruktur und den

Armutsideal heraus verständlich werden, das man durch

tatsächlichen Baumaßnahmen differenziert wurde. Wie

Verzicht auf baulichen Prunk in der Architektur zum Aus-

gezeigt, wurden auch die Teile der Kreuzpfeiler hinter den

druck bringen wollte, erklärt sich die Gestalt des Trierer

Vorlagen erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts errichtet,

Gewölbes aus der besonderen Tradition des Ortes, welche

so dass die neuen Vorlagen eben nicht in alte, sondern

auf diese Weise ihre architektonische Präsenz behielt.

in neue Struktur, welche jedoch die alte konstruktiv und

Die Kreuzgewölbe des Trierer Doms scheinen demnach

optisch fortsetzt, »hineingehängt« wurde. Somit verkannte

mit der Formulierung, dass sie auf die alte Substanz »aufge-

man den inszenatorischen Charakter und die Raffinesse

stellt« sind, treffender beschrieben. Die kreuzrippentragen-

des Entwurfs, mit dem bewusst eine Dialektik von Alt und

den Säulen, zwischen denen sich das eigentliche Gewölbe

Neu aufgebaut wurde, welche wiederum die Bedeutung

aufspannt, lassen sich unter dem Aspekt tektonischer Fü-

des Alten für die Bischofskirche vor Augen führt. Statt-

gung ohnehin besser auf diese Weise charakterisieren.

dessen beurteilte beispielsweise Irsch die alte Bausubstanz als Hindernis, das einer normgerechten Wölbung im

Resümee

Weg stand, und interpretierte den Entwurf folglich wenig

Die tektonische und gestalterisch-ästhetische Analyse er-

schmeichelhaft als erzwungenen »Kompromiss«:

brachte somit folgende Ergebnisse: Das Tragsystem des

»Der gewölbte Choranbau im Osten erhob die Forderung, das flachgedeckte Langhaus des Domes in eine Gewölbebasilika zu verwandeln. Dieser Forderung stellte der bestehende Bau einen durch die Antike grundgelegten passiven Widerstande entgegen. Das Ergebnis von Forderung und Widerstand war ein Kompromiß: die basilikale Umformung des Raumes

218 Z. B.: Zink 1980a, S. 50; Kubach/Verbeek 1976, Bd. 2, S. 1104; Kempf 1968, S. 15; Irsch 1931, S. 136. 219 Irsch 1931, S. 131.

Trierer Doms lässt sich optisch klar in zwei Subsysteme differenzieren. Auf die alte, wuchtige Pfeiler- und Mauerwerksstruktur setzte man dialektisch eine neue, schlanke Struktur aus Säulen und Rippen auf, die in Material und Formensprache mit der alten kontrastiert. Damit lässt sich einerseits die Nachträglichkeit der Einwölbung nachvollziehen, trotz der Modernisierung aber andererseits

220 Z. B. Irsch 1931, S. 134–137. 221 Z. B. Kempf 1968, S. 15f. – Zink steht der These von einem zisterziensischem Baumeister hingegen skeptisch gegenüber (Ders. 1980a, S. 51f.).

69

2.5  RESÜMEE: DER DOM ZU TRIER UND SEINE TRADITION DES ORTES

auch das Alter der Gebäudesubstanz ablesen. Die Wir-

Tatsächlich gingen die im Zuge der Einwölbung vorge­

kung und Lesbarkeit der tektonischen Struktur gibt jedoch

nommenen Veränderungen an der alten Pfeiler- und Wand-­

nicht die tatsächlichen Kräfteverläufe wieder, so dass es

struktur weit über die auf den ersten Blick wahrnehmbare

sich bei der beschriebenen Wirkung um eine bewusste In-

neue Dienst- und Rippenstruktur hinaus, denn die alten

szenierung handelt. Das Bild der übereinandergestellten

Kreuzpfeiler wurden in Fortsetzung ihrer alten Struktur

Tragsysteme, welches die alte Struktur erfahrbar macht,

aufgemauert, die Arkaden abgesenkt und die Wandflä-

legt nahe, dass die sichtbare Bewahrung der Tradition

chen darüber grundlegend umgestaltet. Man differen-

des Bauwerks trotz der umfassenden Veränderungen eine

zierte demnach gestalterisch zwischen Teilen, welche die

wichtige Rolle spielte.

Neuartigkeit und Nachträglichkeit der Wölbung explizit

Dieser architektonische Befund lässt sich gut mit der

hervorheben sollten, und Teilen, die auf den ersten Blick

schriftlichen Überlieferung des Mittelalters zusammen-

nicht nachträglich verändert wurden, also vermeintlich

bringen, derzufolge die alte Materie des Doms als sichtba-

zur alten Baustruktur gehörten.

rer Beweis dafür gewertet wurde, dass die Bischofskirche

Dennoch sollte der tatsächliche Umfang der Arbeiten

aus dem Palast der Helena hervorging.222 So verwundert

nicht gänzlich kaschiert werden, denn einige signifikante

es kaum, dass die alte Struktur auch bei der Einwölbung

Details markieren den Übergang zur originalen alten Bau-

des Doms noch eine, im wörtlichen und im übertragenen

substanz erst auf den zweiten Blick. Die Pfeilerzungen ver-

Sinne, tragende Rolle spielt und dies dem Betrachter auch

schmälern sich beispielsweise exakt ab dem Niveau der

vermittelt wird. Die Einwölbung vermittelt das Bild, das

Basen der neuen Säulen, so dass der Ansatzpunkt der spä-

auf die alte, authentische Palaststruktur eine neue, zeitge-

teren Aufmauerung kenntlich bleibt. Auch die nunmehr

mäße Wölbung aufgesetzt wurde. Dem Palast der Helena

funktionslos in der Wandfläche sitzenden alten Pfeiler-

wurde eine Krone aufgesetzt, ohne dass die vermeintlich

kapitelle weisen auf Veränderungen der ursprünglichen

authentische Substanz beseitigt wurde.

Tragstruktur hin.

2.5 Resümee: Der Trierer Dom und seine Tradition des Ortes 2.5.1 Zusammenfassung der Untersuchungs­­ergebnisse

klären. Sie müssen allerdings so schwer gewogen haben, dass die Tradition des Ortes der Gründungsbasilika verdrängt werden konnte. Vieles spricht dafür, dass die Erklä-

Bereits in der frühen Gründungsphase des Trierer Doms

rung für den Vorgang im Zusammenhang mit dem kon-

spielte die Tradition des Ortes eine besondere Rolle.223

stantinischen Kaiserhaus zu finden ist, welches den Bau

Lage und Dimensionen der ersten nach 313 errichteten

des Domkomplexes anscheinend massiv unterstützte.224

Basilika wurden maßgeblich von einem kleinen Apsiden-

Ein wichtiges Indiz bildet der römische Prunksaal mit den

saal bestimmt, der für die christliche Gemeinde vor dem

Deckenfresken, denn dieser bestimmte wohl sicher nicht

Mailänder Edikt anscheinend von besonderer Bedeutung

zufällig die Lage und Dimensionen der ersten Apsis der

war. Im Rahmen der zwei Jahrzehnte später erfolgten, mo-

Nordostbasilika, also dem späteren Zentraljoch des Qua-

numentalen Erweiterung der Anlage wurde der Schwer-

dratbaus. Einiges deutet auf Augusta Maxima Fausta als

punkt des Komplexes allerdings nach Nordosten verlagert,

Förderin der Trierer Kirche, was allerdings aufgrund der

wo sich eine neue Tradition des Ortes etablierte, die sich

bislang unzureichenden Kenntnislage eine These bleiben

in der Errichtung des Quadratbaus über der vormaligen

muss.

Apsis ab den 340er Jahren architektonisch eindrucksvoll manifestiert.

Auf jeden Fall verfestigte sich die Tradition des Ortes nachhaltig im Bereich des Quadratbaus, wie die Wieder-

Die Gründe für die Konstituierung eines neuen tradi-

aufbaukampagne unter Bischof Nicetius im 6. Jahrhun-

tionsstiftenden Ortes lassen sich derzeit nicht zweifelsfrei

dert belegt, als man den Quadratbau quasi rekonstruierte,

222 Kap. 2.2.3. 223 Kap. 2.2.1.

224 Ebd. 225 Kap. 2.2.2.

70

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

wohingegen die ehemalige Gründungbasilika im Nordos-

licher Baukörper konzipiert, welcher die Dimensionen des Quadratbaus und der vormaligen Nordostbasilika

ten bemerkenswerterweise ganz aufgegeben wurde.

225

Vom 9. Jahrhundert an lässt sich die Tradition des Or-

umfasst.228 Der Umbau orientierte sich an der Grundriss-

tes auch in den Schriftquellen nachweisen, in denen der

struktur des Quadratbaus,229 die als offenes Muster inter-

Dom als ehemaliger Palast der heiligen Helena bezeich-

pretiert wurde, das man nach Westen hin fortsetzte, so

net wird, den die Augusta höchstselbst zur Verfügung ge-

dass die Grundrissfigur des Quadratbaus ein zweites Mal

stellt haben soll.226 Die Architektur des Doms wird dabei

aus dem Grundriss des Doms herausgelesen werden kann

als sichtbarer Beweis für die Richtigkeit der Gründungs-

(Taf. 1.02).

legende angeführt, die Bausubstanz der Kirche demnach

Damit gelang dem Baumeister das Kunststück, den

mit dem Palast der heiligen Kaisermutter gleichgesetzt. In

Trierer Dom einerseits an aktuelle Grundrisskonzepti-

den folgenden Jahrhunderten wurde die Legende weiter

onen der Zeit im deutsch-römischen Kaiserreich anzu-

angereichert, indem man sie beispielsweise mit der Vita

passen, aber andererseits die ortspezifischen, prägenden

des Bischofs Agricius verknüpfte.

Eigenheiten des Quadratbaus zu bewahren. Weiterhin

Bemerkenswerterweise lassen sich deutliche Parallelen

blieben beim Umbau Anfang des 11. Jahrhunderts große

zwischen der Legende und den wissenschaftlich fundier-

Teile des römisch-spätantiken Mauerwerks erhalten, mit

ten Erkenntnissen ziehen, was darauf hinweist, dass die

dessen Technik man sich bei der Errichtung der neuen

Legende wahrscheinlich auf einem wahren Kern basiert.

Mauern auseinandersetzte.230

227

Es sieht so aus, als wäre Maxima Fausta, die nach derzeiti-

Die Baukampagne unter Poppo lässt sich demnach

gem Kenntnisstand in erster Linie als Förderin des Trierer

treffend als Erweiterung des Quadratbaus charakterisie-

Doms in Frage käme, nach ihrem tödlich endenden Zer-

ren. Angesichts der Bedeutung, die man der Architektur

würfnis mit ihrem Gatten Konstantin in der Trierer Über-

im Kontext der Gründungslegende beimaß, muss dieser

lieferung durch ihre Schwiegermutter Helena ersetzt wor-

Konzeption ein tieferer Sinn beigemessen werden. Die Er-

den. Außerdem konnte die Forschung zwar nachweisen,

weiterung des Quadratbaus lässt sich in dieser Hinsicht als

dass der Domkomplex als kompletter Neubau entstand

Erweiterung der altehrwürdigen domus Helenae auffassen,

und somit keine älteren Palastteile integriert wurden, dass

deren Strukturen demnach absichtsvoll fortgeführt wur-

aber die Errichtung allem Anschein nach auf kaiserlichem

den. Während die Eigenartigkeit des Trierer Domgrund-

Grund und Boden erfolgte, so dass die Überlieferung als

risses die ältere Literatur zuweilen irritierte, weil diese sich

Übersteigerung der Tatsachen verstanden werden kann.

auf den typologischen Vergleich mit anderen Bauwerken

Angesichts der von Konstantin verhängten damna-

beschränkte, lässt sich aus dem Blickwinkel der Tradition

tio memoriae Faustas muss sich die Überlieferung deut-

des Ortes hingegen die Idee des Entwurfs verstehen und

lich früher auf Helena fokussiert haben, als es sich in den

dessen symbolische Aussagekraft erkennen.

Schriftzeugnissen fassen lässt. In der Tat spricht die Art

Ohnehin beschränken sich die Darstellungen der

und Weise, wie der Quadratbau unter Nicetius im 6. Jahr-

Wandlung des Trierer Doms im 11. Jahrhundert in der

hundert wiederaufgebaut wurde, dafür, dass insbesondere

Literatur meist auf die Westfassade, die herausgelöst aus

dieser Teil des Domkomplexes zu jener Zeit als domus He-

dem baulichen Gesamtkontext unter stilistischen Kri-

lenae angesehen wurde. Das Bestreben, den Quadratbau

terien als romanischer Bauteil behandelt wurde.231 Auf-

so originalgetreu wie nur möglich zu rekonstruieren, wird

grund der isolierten Betrachtung der Westfassade wurde

somit aus dem Wunsch verständlich, die Authentizität der

jedoch nicht erkannt, dass auch dieser Bauteil einen star-

vermeintlichen domus Helenae zu bewahren.

ken Bezug zur Tradition des Ortes aufweist.232 So erklären

Auch beim zweiten Wiederaufbau des Doms nach dem

sich diverse Motive und Formen der romanischen Fas-

Normannensturm 882 blieb der Quadratbau das Maß der

sade als Variation von Formen und Motiven des spätan-

Dinge. Unter Erzbischof Poppo wurde das Konzept eines

tiken Baukörpers. Die monumentale Gestaltung der bei-

basilikalen Langhauses vor dem zentralbauartigen Quad-

den Eingangssituationen mit zwei übereinandergestellten

ratbau endgültig aufgegeben und stattdessen ein einheit-

Rundbögen greift die Gestalt des vormaligen Übergangs

226 Kap. 2.2.3. 227 Ebd. 228 Kap. 2.3. 229 Kap. 2.3.2.

230 Kap. 2.3.3. 231 Z. B. Kaiser 1996, S. 44; Kubach/Verbeek 1976, Bd. 2, S. 1092f. 232 Kap. 2.3.4.

71

2.5  RESÜMEE: DER DOM ZU TRIER UND SEINE TRADITION DES ORTES

vom basilikalen Langhaus zum Quadratbau in den Sei-

zu denen sich ein sinnvoller Zusammenhang herstellen

tenschiffen auf. Die Flankentürme wiederholen ein Mo-

ließ, und passte die Fassade damit so nah wie möglich der

tiv des Quadratbaus, das im 11. Jahrhundert noch sicht-

Architektur der Zeit Helenas an. Folglich handelt es sich

bar bestand. Ob auch die Westtürme auf Vorgänger über

nicht um einen allgemeinen oder prinzipiellen Antiken-

dem Quadratbau zurückgehen, lässt sich nach derzeitiger

bezug der Westfassade, sondern um eine ortsspezifische

Kenntnislage nicht beantworten. Dennoch bleibt festzu-

Selbstreferenz, welche sich im architektonischen Gesamt-

halten, dass in gewissem Maße der Eindruck entsteht,

kontext erklärt. Die Trierer Domarchitektur des 11. Jahr-

man hätte die ehemalige Westwand des Quadratbaus

hunderts rekurriert demnach nicht auf die Antike im All-

zwei Joche nach Westen verschoben. Des Weiteren weist

gemeinen, sondern auf den antiken Palast der Helena,

die Gestaltung der korinthischen Pilasterkapitelle signifi-

also die besondere Tradition des Ortes.

kante Ähnlichkeiten zu den spätantiken Pfeilerkapitellen des Quadratbaus auf.

Während sich der Anbau des Ostchores in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als gänzlich neu konzipier-

Darüber hinaus lassen sich weitere Antikenbezüge

ter Gebäudeteil naturgemäß nur in begrenztem Umfang

der Westfassade feststellen, die nicht auf den Quadratbau

mit der Tradition des Ortes in Beziehung setzen lässt,

rekurrieren, sondern deutliche Parallelen zu anderen an-

etwa hinsichtlich der Dimensionen und Proportionen,234

tiken Bauwerken in Trier erkennen lassen, insbesondere

musste bei der folgenden Umwandlung der Domkirche

zur Disposition der Kaiserthermen und zu Detailformen

in eine kreuzgewölbte Pseudo-Basilika zu Beginn des

der Porta Nigra. Zwischen Dom und Porta Nigra lässt sich

13. Jahrhunderts zwangsläufig eine Auseinandersetzung

ein über die Form hinausgehender Sinnzusammenhang

mit der Tradition des Ortes erfolgen.235 Im Gegensatz zur

herstellen, denn das römische Stadttor wurde unter Erz-

Transformation der Kirche im 11. Jahrhundert, die auf

bischof Poppo in eine Stiftskirche konvertiert, in welcher

eine Vereinheitlichung alter und neuer Teile abzielte, ent-

er wunschgemäß beigesetzt wurde. Für die Kaiserthermen

schied man sich anfangs des 13. Jahrhunderts für einen

lässt sich ein vergleichbarer Sinnzusammenhang zumin-

gestalterischen und ästhetischen Kontrast von Alt und

dest begründet annehmen. Auch lässt sich eine prinzipi-

Neu, den man durch Material, Farbe und Formen zum

elle Auseinandersetzung mit antiken Architekturprinzi-

Ausdruck brachte. Mittels der tektonischen Systematik er-

pien erkennen, die jedoch nicht detailgetreu nachgeahmt,

zeugte man darüber hinaus ein Bild, das evoziert, die neue

sondern reflektiert an die Anforderungen des mittelalter-

Tragstruktur sei auf die alte gestellt worden, so dass die

lichen Sakralbaus angepasst wurden.

Wölbung deutlich erkennbar als nachträgliche Ergänzung

Die Summe der Beobachtungen lässt den Schluss

des älteren Bestandes gekennzeichnet wird. In der Litera-

zu, dass die Westerweiterung der Trierer Domkirche im

tur übersah man diesbezüglich bisher, dass die Gestaltung

11. Jahrhundert primär als Erweiterung des antiken Quad-

der Gewölbe das Resultat einer bewussten Inszenierung

ratbaus, ergo der domus Helenae, aufgefasst wurde.233 Dies

dieses Bildes darstellt. Tatsächlich griff man in erhebli-

verdeutlicht vor allem die Tatsache, dass man die Struk-

chem Maße in die bestehende Substanz ein und ergänzte

tur des Quadratbaus nach Westen fortsetzte, so dass ein

die alte Struktur zum Teil sogar in der alten Form, so dass

einheitlicher Baukörper entstand, indem Grundriss und

die betreffenden Teile auf den ersten Blick nicht als neu

Konstruktion des neuen und alten Teils seither fließend

erkennbar sind.

ineinander übergehen. Die Westfassade stellt in diesem

Die planvolle Differenzierung zwischen tatsächlich

Sinne eine Verlagerung der ehemaligen Westwand um

neu Gebautem und dem inszenierten Bild des Neuen lässt

zwei Joche nach Westen dar. Soweit es möglich war, ori-

den Schluss zu, dass bewusst eine Dialektik zwischen Alt

entierte man sich an den authentischen Formen, die nach

und Neu aufgebaut werden sollte, welche die Modernität

dem Normannensturm noch erhalten geblieben waren.

der Neuerungen vor der Folie des Alten kenntlich macht,

An den Stellen, wo man die römischen Teile der Domkir-

vor allem aber das Alter der bestehenden Bausubstanz vor

che aus technischen Gründen oder mangels Vergleichen

der Folie des Neuen hervorhebt. Angesichts dessen, dass

nicht zum Vorbild nehmen konnte, orientierte man sich

die Architektur des Trierer Doms in den Schriftquellen

stattdessen an anderen spätantiken Bauwerken Triers,

wiederholt als Beweis für die Authentizität der Helena-

233 Kap. 2.3.5. 234 Kap. 2.4.1.

235 Kap. 2.4.2.

72

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Legende angeführt wurde, indem man den Dom mit der

und er »den geweihten Steinen selbst gleichwie Reliquien

domus Helenae gleichsetzte, liegt es nahe, die Inszenierung

unser Bemühen darbringen wollten«.238

des vermeintlich originalen Helena-Palastes als primären Grund für die dialektische Gestaltung zu sehen. Die Tradition des Ortes zieht sich somit wie ein roter

Besser fassen lässt sich in den Schriftquellen indes eine andere Komponente, welche die Tradition des Ortes neben der religiösen beinhaltet, nämlich die kaiserliche,

Faden durch die Baugeschichte des Trierer Doms und

welche sich auf Helena als Mutter Konstantins des Gro-

prägte dessen Gestalt von der frühchristlichen Bauzeit bis

ßen gründet, denn diese wurde kontinuierlich instrumen-

in das hohe Mittelalter in entscheidendem Maße mit.236

talisiert, um machtpolitische Ansprüche der Trierer Erzbi-

Während man die domus Helenae im 6. Jahrhundert so ge-

schöfe zu legitimieren.

treu wie möglich zu rekonstruieren versuchte, wollte man

Dies lässt sich bereits für die karolingische Zeit bele-

sie im 11. Jahrhundert möglichst einheitlich erweitern,

gen, denn begründet durch die Verbindung mit der heili-

wohingegen man sich im 13. Jahrhundert entschied, das

gen Kaisermutter wird der Trierer Bischofskirche in der

Alte mittels bewusst kontrastierender Neubauteile zur

Vita Helenae der Titel »prima sedes Galliae Belgicae«,239

Geltung zu bringen.

»erster Sitz des Belgischen Galliens«, zugesprochen. Und es ist genau dieser Zusammenhang, in dem auf die reale

2.5.2 Interpretation im historischen und politischen Kontext

Architektur des Doms als sichtbarer Beweis der Gründungslegende verwiesen wird.240 Folglich diente die vermeintliche Authentizität des aus der domus Helenae her-

Damit stellt sich die Frage, warum die Tradition des Ortes

vorgegangenen Trierer Doms dem Klerus mittelbar als

für die Trierer Bischofskirche eine derart herausgehobene

materieller Beleg zur Untermauerung machtpolitischer

Bedeutung erlangte.

Ansprüche.

Zunächst lassen sich religiöse Gesichtspunkte zur Er-

Der sich auf die spätantike, römische Provinz Gallia

klärung des Phänomens anführen. Helena wurde als le-

Belgica beziehende Trierer Primatsanspruch barg insofern

gendäre Finderin des wahren Kreuzes bereits im frühen

Konfliktpotential, als jene Provinz in zwei Gebiete mit

Mittelalter als Heilige verehrt.237 Die Legende, der Dom sei

jeweils einer eigenen Metropole unterteilt war, nämlich

aus dem Palast der Heiligen hervorgegangen, stellt einen

Trier und Reims.241 Die Trierer Kirche beanspruchte folg-

direkten Bezug des Bauwerks zur Heiligen her und macht

lich nicht bloß eine Vorrangstellung vor allen übrigen Bis-

den Dom damit selbst zu einem Teil der Heilsgeschichte,

tümern des belgischen Galliens, sondern auch den höhe-

so dass die vermeintlich authentische Bausubstanz des

ren Rang gegenüber dem Erzbistum Reims.242 Spätestens

Doms quasi in den Rang einer Reliquie erhoben wurde.

Mitte des 9. Jahrhunderts kam es deshalb zu Spannungen

Zwar lässt sich diese religiöse Bedeutung der Architektur

zwischen Reims und Trier, als Erzbischof Hinkmar den

meines Wissens nach nicht in den bekannten Schriftquel-

Trierer Primat in Frage stellte und stattdessen die Gleich-

len zum Trierer Dom greifen, doch belegt eine vergleich-

rangigkeit der beiden Metropolen postulierte.243

bare Aussage des Abtes Suger, dass eine derartige Denk-

Im 10. Jahrhundert musste Trier seine Position zuneh-

weise im Mittelalter andernorts üblich war. So schrieb

mend gegenüber den beiden germanischen Metropolen

dieser in Bezug auf den Umbau seiner Abteikirche Saint-

Mainz und Köln behaupten.244 Insbesondere die Ausdeh-

Denis in der Mitte des 12. Jahrhunderts, dass die Mönche

nung des bis dato auf Germanien begrenzten Vikariats des

236 Die Tradition des Ortes ist für den Trierer Dom auch über den Untersuchungszeitraum hinaus von gestaltbestimmender Bedeutung geblieben, wie etwa Jens Fachbach für die barocke Umgestaltung der Kirche von Johann Georg Judas zu Beginn des 18. Jahrhunderts gezeigt hat (Ders. 2010). 237 Kap. 2.2.3. 238 Suger, De con. 47 (ed. Binding/Speer S. 222): »benedictionem ipsis sacratis lapidibus tamquam reliquiis defferemus«. Dt. Übersetzung nach Binding/Speer. 239 Almann, Vita Helenae, 9 (ed. Draeger, S. 22): »Quod usque hodie demonstrat domus ejus facta ecclesiae pars maxima in honore beati Petri apostolorum principis in sedem episcopalem metropolis dicata, adeo ut vocatur et sit prima sedes Galliae Belgicae, ...« 240 Ebd. – Außerdem nennt die Quelle Helenas prächtiges cubile regiae

als weiteres bauliches Zeugnis der Kaisermutter in Trier. Die Identifizierung und Lokalisierung dieses Bauwerks stellt eine interessante, aber offene Forschungsfrage dar. 241 Zum Begriff der Gallia Belgica: Ewig 1958, S. 172–174. 242 Anton/Haverkamp 1996, S. 108–111; Ewig 1964, S. 279; Ders. 1958, S. 157f., 169–175; Heydenreich 1938, S. 118–121. 243 Anton/Haverkamp 1996, S. 110f.; Ewig 1958, S. 171f.; Heydenreich 1938, ebd. – Der Ausbruch des Konfliktes gilt als terminus ante quem für die Verfassung der auf Reimser Initiative entstandenen Vita Helenae, zu deren Entstehungszeitpunkt der Trierer Anspruch anscheinend noch anerkannt wurde (Embach 2008, S. 36; Anton/ Haverkamp 1996, S. 108; Ewig 1958, S. 156f.). 244 Heydenreich 1938, S. 121–125.

73

2.5  RESÜMEE: DER DOM ZU TRIER UND SEINE TRADITION DES ORTES

Mainzer Erzbischofs auf Gallien in der Mitte des 10. Jahr-

Helena-Tradition zu verankern.250 Tatsächlich handelt es

hunderts musste der Trierer Metropolit mit seinem Selbst-

sich bei dem Diplom um eine mittelalterliche Fälschung,

verständnis als gallischer Primas als inakzeptable Einmi-

was einerseits zeigt, wie nachdrücklich die Gründungsle-

schung in den hauseigenen Einflussbereich auffassen,

gende des Doms auch politisch instrumentalisiert wurde,

deren widerspruchslose Hinnahme eine Subordination

und andererseits das Trierer Selbstverständnis zum Aus-

unter den Mainzer Metropoliten bedeutet hätte.

Im Ge-

druck bringt. In den um 1100 begonnenen Gesta Trevero-

genzug erwirkten die Trierer Erzbischöfe daher nicht nur

rum, einem wiederholt fortgeschriebenen Werk über die

eine päpstliche Bestätigung ihres gallischen Primats, son-

Trierer Geschichte, inkludierte man die Kernaussagen der

dern dehnten diesen gleich noch auf Germanien aus und

Doppelvita inklusive des Silvester-Diploms und machte

drehten den Spieß somit Richtung Mainz um,246 wobei das

sie damit für die folgenden Jahrhunderte zu einem ver-

neue Primatsprivileg selbstverständlich weiterhin den An-

bindlichen Bestandteil der Trierer Historie.251 Auf diese

spruch auf Vorrang gegenüber Reims implizierte.247 Die

Weise schuf man im hohen Mittelalter ein vielschichtiges,

besondere Wertschätzung, die man der Architektur des

wechselseitiges Beziehungsgeflecht zwischen der Helena-

Trierer Doms als sichtbarem Zeichen für die Legitimität

Tradition, der apostolischen Gründungslegende, den je-

des Trierer Primats in jener Zeit entgegenbrachte, äußerte

weiligen religiösen Implikationen und den episkopalen

sich darin, dass man die Priorität beim Wiederaufbau des

Machtansprüchen, in welchem die Architektur des Doms

Ende des 9. Jahrhunderts im Normannensturm schwer

als authentisches Zeugnis der Vergangenheit eine Schlüs-

beschädigten Doms auf die Wiederherstellung Quad-

selposition einnahm.

245

ratbaus setzte, also des primär als domus Helenae aufge-

In Anbetracht dessen, dass die Doppelvita zeitgleich

fassten Teils des Domkomplexes, so wie es Nicetius im

zu den Bauarbeiten an der Westerweiterung des Doms ver-

6. Jahrhundert nach den Zerstörungen der Völkerwande-

fasst wurde, erstaunt es, dass Architektur und Schrift in

rungszeit getan hatte.

der Forschung noch nicht in Beziehung zueinander gesetzt

Das Beziehungsgeflecht von imperialer Tradition und

wurden. Während der Umbau des Anfang des 11. Jahrhun-

episkopalen Machtansprüchen lebte im 11. Jahrhundert

derts noch immer nicht vollständig wiederhergestellten

nicht nur fort, sondern wurde mit weiteren Komponenten

Trierer Doms unter Erzbischof Poppo und seinen Nach-

angereichert, wie die zwischen 1050 und 1072 verfasste

folgern derart deutlich aus dem Quadratbau entwickelt

Doppelvita der Helena und des Agricius belegt,248 in der

wurde, dass er treffend als Erweiterung der domus Helenae

die kaiserliche und die apostolische Gründungslegende

charakterisiert werden kann, führt die Schriftquelle den

Triers, der zufolge der erste Trierer Bischof Eucharius von

Palast der Helena in der alten Tradition als Garant für den

Petrus gesandt worden sei,249 geschickt miteinander ver-

Trierer Primat an.252 Folglich musste die Umwandlung des

knüpft wurden. In diesen Zusammenhang bettete man

Quadratbaus in einen Längsbau zwingend von diesem

eine Abschrift des sog. »Silvester-Diploms« ein, demzu-

ausgehen, um die Authentizität des Helena-Palastes zu

folge bereits der zur Zeit Helenas und Agricius amtierende

erhalten und so neben den religiösen Implikationen die

Papst Silvester der Trierer Kirche den Primat über Gallien

Legitimationsbasis des Trierer Primats zu wahren. Dazu

und Germanien zugesprochen hätte, und versuchte auf

passt, dass es dem Trierer Erzbischof Eberhard in dieser

diese Weise, die päpstliche Autorisierung im Kontext der

Zeit gelang, eine feierliche Bestätigung des Primats 1049

245 Mit »Gallien« bezeichnete man nun wohl die lothringischen Gebiete des deutsch-römischen Imperiums. 246 Ewig 1958, S. 178–182; Heydenreich 1938, S. 123f. 247 Ebd., S. 178 und Anm. 160. – Die Konkurrenzsituation zwischen den deutschen Bistümern verschärfte sich ferner durch den Primatsanspruch des neugegründeten Magdeburger Bistums auf Germanien, wobei Mainz und Köln aus jener Perspektive zu Gallien gezählt wurden (vgl. Kap. 3.5.2). 248 Trierer Geschichtsquellen, S. 173–211. – Grundlegende Studie: Embach 2008, S. 39–43. 249 Zur apostolischen Tradition: Anton/Haverkamp 1996 S. 109f.; Ewig 1958, S. 160–169. – Die Entstehung der apostolischen Gründungslegende Triers wird bei Anton/Haverkamp mit der Absicht erklärt, der apostolischen Gründungslegende des Suffraganbistums Metz etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. 250 »Sicut in gentilitate, sortire et nunc, Trebir primas, super Gallos

spiritualem et Germanos priotatum, quem tibi pre omnibus harum gencium episcopis in primitivis christiane religionis doctoribus, silicet Euchario, Valerio et Materno, ac per baculum caput ecclesie Petrus signauit habendum, suam quodammodo minuens dignitatem, ut te participem faceret.« (Trierer Geschichtsquellen, S. 188) – »So wie Du im Heidentum durch eigene Vortrefflichkeit (hervorstachst), so erhalte auch nun, Trierer Primas, einen geistlichen Vorrang über Gallier und Germanen, den dir vor allen Bischöfen dieser Völker Petrus, in den ursprünglichen Lehrern der christlichen Religion, nämlich Eucharius, Valerius und Maternus, sowie durch seinen Stab zugewiesen hat, wobei er gewissermaßen seine eigene Würde minderte, um dich (daran) teilhaben zu lassen.« Dt. Übersetzung: Heinen 1996, S. 87f. 251 Gesta Trev. (ed. Wyttenbach/Müller, S. 48; ed. Zenz, Bd. I, S. 40f.). 252 Embach 2008, S. 40.

74

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

durch Papst Leo IX., als Bruno von Toul vormals ein Suf-

quellen jener Zeit lassen sich die Inszenierung und Titu-

fraganbischof des Trierer Stuhls, zu erwirken. Dies führte

lierung Triers als Roma secunda nachweisen.257 Der Ehren-

auf der Synode in Reims im selben Jahr zu einem Streit

titel, der sich sowohl aus der imperialen als auch aus der

mit dem Reimser Erzbischof, als der Trierer Metropolit

apostolischen Tradition herleiten ließ, brachte das Selbst-

eine Sitzordnung forderte, die seinen Vorrang gegenüber

verständnis der Trierer Erzbischöfe zum Ausdruck, einer-

Reims zum Ausdruck bringen sollte.

seits direkt unter dem Papst zu stehen und andererseits

253

In der politischen Realität ließ sich eine auf dem Pri-

eine exponierte Stellung unter den Bischöfen der Gallia

mat basierende Vorrangstellung Triers in Gallien und Ger-

und Germania inne zu haben. Auch im Silvester-Diplom

manien auf Dauer weder gegenüber Mainz und Köln noch

klingt die Angleichung Triers an Rom an, denn der Trierer

gegenüber Reims durchsetzen. Dennoch wurde der An-

Primat über Gallien und Germanien wird als Teilhabe an

spruch auch in den folgenden Jahrhunderten unverändert

der Würde Petri ausgelegt.258 Münzen und Siegel der Erz-

erhoben, wie die Vorgänge auf dem Konzil von Reims 1148

bischöfe fungierten indes als bildliche Medien, um den

beweisen, als der Trierer Erzbischof Albero ein gewaltsa-

schriftlich formulierten Anspruch anschaulich zu unter-

mes Scharmützel zwischen den Gefolgschaften Triers und

mauern, indem sie römische Bauwerke in Trier abbilde-

Reims provozierte, indem er unverblümt den Vorrang vor

ten.259 Offensichtlich diente die authentische Architektur

dem Reimser Gastgeber öffentlich einforderte, weil er der

der Antike als steinerner Beleg für die altehrwürdige römi-

Metropolit der Belgica prima sei, der Reimser hingegen der

sche Vergangenheit der Stadt, auf die sich der Anspruch,

Belgica secunda vorstünde.254

als zweites Rom nördlich der Alpen zu gelten, zusätzlich

Für das 13. Jahrhundert belegen Aussagen der Gesta

stützen konnte. Die Rezeption Trierer Römerbauten und

Treverorum den ungebrochenen Primatsanspruch. So wird

antiker Architekturprinzipien beim Umbau des Trierer

beispielsweise von Erzbischof Theoderich (1212–1242), un-

Doms im 11. Jahrhundert fügt sich somit auch unter dem

ter dessen Episkopat der Neubau der Trierer Liebfrauen-

Aspekt der Inszenierung Triers als Roma secunda nahtlos

kirche begann, berichtet, er habe »seinen Platz unter den

in die historischen Vorgänge der Zeit ein.

Bischöfen [behauptet], entsprechend dem Primat und der

In dieser Hinsicht wies man in der historischen For-

Würde Triers.«255 An anderer Stelle meinte der mittelalter-

schung treffenderweise auf eine Analogie zwischen den

liche Autor, Theoderichs Nachfolger Arnold hätte »kraft

Gründungslegenden der Lateransbasilika, der Bischofs­

seines Primats«256 eine Legation des Kölner Erzbischofs

kirche Roms, und des Trierer Doms in der mittelalter-

für Germanien widerrufen lassen. Es liegt auf der Hand,

lichen Überlieferung hin.260 In der wohl im 8. Jahrhun-

dass das Beziehungsgeflecht der Trierer Überlieferung mit

dert entstandenen »Konstantinischen Schenkung« wird

der Helena-Tradition im Kern auch im 13. Jahrhundert ge-

berichtet, Konstantin der Große hätte die Lateranskirche

pflegt wurde, um die alten Primatsansprüche weiterhin zu

über seinem Palast errichtet und damit den päpstlichen

legitimieren. Einen deutlichen Beleg dafür liefert die Art

Universalprimat verbunden.261 Die Parallelen zur Grün-

und Weise, wie die alte Bausubstanz des vermeintlichen

dungslegende des Trierer Doms sind wohl zu frappant,

Helena-Palastes bei der Transformation des Doms in eine

um dem Zufall entsprungen zu sein. Analog der Anglei-

kreuzrippengewölbte Pseudo-Basilika inszeniert wurde.

chung Triers an Rom bildete der Trierer Dom folglich das

Die domus Helenae blieb das authentische Zeugnis für die

Pendant zur römischen Bischofskirche,262 was auch in der

konstitutive Tradition des Ortes des Trierer Doms.

Analogie der Gründungslegenden zum Ausdruck kommt.

Die Konstruktion und Instrumentalisierung von Ge-

So wie der Papst seinen Universalprimat auf die kaiserli-

schichte zur eigenen Nobilitierung und zur Ableitung von

che Errichtung seiner Bischofskirche stützte, gründete der

Machtansprüchen offenbart sich im hohen Mittelalter

Trierer Erzbischof seinen gallischen bzw. gallisch-germa-

noch unter einem weiteren Gesichtspunkt: In den Schrift-

nischen Primat auf die kaiserliche Dotation seiner Kirche.

253 254 255 256 257 258

259 Clemens 1996, S. 198–202. 260 Laufner 1964, S. 279; Ewig 1958, S. 158, 170. 261 Gründung und Architektur der frühchristlichen Lateranskirche: Brandenburg 2005, S. 16–37. – Inwieweit die Architektur der mittelalterlichen Lateransbasilika auf die Tradition des Ortes rekurrierte und ob diese analog zu Trier als Dokument der konstantinischen Gründung galt, wäre eine interessante weiterführende Frage.

Heydenreich 1938, S. 126. Ebd., S. 131. Gesta Trev., Kap. CVI (ed. Zenz, Bd. I, S. 56). Gesta Trev., Kap. CIX (ed. Zenz, Bd. I, S. 65). Zu Trier als Roma secunda: Thomas 1968, S. 162–179. S. weiter oben. – Es sei daran erinnert, dass hierin nicht der spätantike päpstliche Standpunkt, sondern die Sichtweise des mittelalterlichen Trierer Fälschers zum Ausdruck kommt.

75

2.5  RESÜMEE: DER DOM ZU TRIER UND SEINE TRADITION DES ORTES

1.21  Rom, Lateransbasilika (ursprünglich St. Salvator), rekonstruierter Grundriss des konstantinischen Gründungsbaus, Baubeginn wohl 313 (Brandenburg 2005, S. 260)

Vielleicht darf man in diesem Kontext die im 11. Jahr-

in einen Längsbau mit einer halbrunden Apsis im Wes-

hundert erfolgte Erweiterung des Quadratbaus auch als

ten, die ohne Querhaus unmittelbar an das Mittelschiff

architektonische Annäherung des Trierer Doms an die

ansetzt (Abb. 1.21).

Lateransbasilika auffassen. Auf jeden Fall lassen sich in

Zusammengefasst lässt sich somit festhalten, dass

gewissem Maße charakteristische Merkmale der mittel-

die Architektur des Trierer Doms in mehrfacher Hinsicht

alterlichen Lateranskirche im Grundriss des Trierer Doms

der Legitimation Trierer Ansprüche diente, in dem sie die

des 11. Jahrhunderts wiederfinden. Durch den Umbau

Gründungslegende authentifizierte, auf welcher die Trie-

wandelte sich der Trierer Dom analog zur Lateranskirche

rer Erzbischöfe ihre exponierte Stellung stützten.

76

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.6 Im Kontext der domus Helenae – Der Neubau der Liebfrauenkirche im 13. Jahrhundert Nach aktuellem Kenntnisstand begann man direkt im Anschluss an die Arbeiten am Dom mit einem radikalen

2.6.1 Räumliche Beziehungen zwischen neuem und altem Grundriss

Neubau der Liebfrauenkirche (Abb. 2.01, 2.02), also der alten Südostbasilika, welcher den Vorgängerbau komplett

Die Analyse von räumlichen Bezügen der gotischen Kir-

ersetzte.

che zum Vorgängerbau bereitet insofern Probleme, als

263

Zum einen belegen dendrochronologische For-

schungen, dass Ende der 1220er Jahre noch an den Gewöl-

dass über das Aussehen der Liebfrauenkirche im 11. Jahr-

ben im Dom gearbeitet wurde,264 zum anderen argumen-

hundert weniger bekannt ist als über den frühchristlichen

tierte Franz Ronig in jüngerer Zeit nachvollziehbar dafür,

Gründungsbau.269 Die Untersuchung muss deshalb zu-

den Beginn der Bauarbeiten an der Liebfrauenkirche auf

nächst von den archäologisch gesicherten Erkenntnissen

das Jahr 1227 zu datieren, von welchem bereits in der

über den spätantiken Grundriss der Kirche ausgehen (vgl.

frühneuzeitlichen Literatur bis ins 19. Jahrhundert hinein

Abb. 1.09). Allerdings kommen schon beim Vergleich von

ausgegangen wurde.265 Der Neubau der Liebfrauenkirche

frühchristlicher und gotischer Disposition bemerkens-

kann folglich als Fortsetzung der seit ca. 1160 laufenden

werte Kongruenzen zum Vorschein.

»Modernisierungskampagne« am Dom betrachtet werden, wo noch in den 1210er Jahren an den Gewölben gearbeitet

Der Umriss

wurde.

Die gotische Kirche entspricht nämlich in ihrer räum-

Der Neubau der Kirche stieß in der neuzeitlichen

lichen Ausdehnung weitgehend dem frühchristlichen

Kunst­geschichte auf großes Interesse, da man erstmals

Gründungsbau. Das Westportal von Liebfrauen errichtete

eine konsequente Übernahme französischer Formen, ins-

man exakt über der ehemaligen Westwand der Basilika, an

besondere von der Kathedrale von Reims,

beobachtete

deren nördlicher Fortsetzung man sich auch bei der Er-

und die Trierer Liebfrauenkirche deshalb neben der Mar-

weiterung des Doms orientierte.270 Auch nach Norden und

burger Elisabethkirche zum ersten Bau der Gotik auf deut-

Süden lassen sich bezüglich der räumlichen Ausdehnung

schem Boden kürte (vgl. Abb. 2.01, 2.02).267 Komplettabriss

Beziehungen zur Breite der vormaligen Basilika feststel-

und Formentransfer aus Frankreich machen die Trierer

len. Lediglich die Nord- und Südkonche treten über deren

Liebfrauenkirche damit zu einem Bauwerk, bei dem eine

Umriss hinaus, wobei die Pfeilerbündel, welche die Kon-

formbestimmende Wirkung der Tradition des Ortes am

chen im Innenraum rahmen, jeweils genau über der alten

wenigsten vermutet würde und wurde. Allerdings macht

Außenwand errichtet wurden.

266

es doch skeptisch, dass in einem derart traditionsschweren Kontext wie der Trierer Domanlage, bei welcher die

Der Chor

Bewahrung der Tradition des Ortes seit über 800 Jahren

Signifikant bestimmte die Tradition des Ortes den Ostteil

im Mittelpunkt baulicher Bemühungen stand, zu Beginn

der Kirche. Der Ostchor, der mit seiner polygonalen Ap-

des 13. Jahrhunderts eine Baukampagne gestartet worden

sis und den beiden vorgelagerten Jochen den zentralen

sein soll, bei der die Vergangenheit ignoriert und gänzlich

Grundriss so auffällig durchbricht, liegt deckungsgleich

von Neuem verdrängt worden sein soll.268

über dem Ostchor der alten Südostbasilika. Die Nordwand der gotischen Apsis liegt genau über der alten Apsis­wand;

262 Vgl. die Angleichung des Magdeburger Doms an römische Basiliken im Zusammenhang mit dessen Primatsanspruch (Kap. 3.5.2). 263 Grundlegende Studien zur Trierer Liebfrauenkirche lieferten: Borger-Keweloh 1986; Lückger/Bunjes 1938. Der aktuelle Forschungsstand zur frühchristlichen Anlage findet sich jedoch bei Weber 2011. Zur jüngsten Restaurierung siehe Ehlen 2011. 264 Hollstein 1980, S. 136f. 265 Ronig 2007, S. 164–166. In dieselbe Richtung bereits: Schenkluhn/ van Stipelen 1983, S. 29 mit Fußnote 24. 266 Zur stilistischen Einordnung grundlegend: Borger-Keweloh 1986, S. 122–127.

267 Z. B. Böker 1988, S. 678; Kempf 1968, S. 16. 268 Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, inwieweit ein derartiges Denkmuster im Zusammenhang mit modernen Architekturvorstellungen steht. 269 Zum publizierten Forschungsstand bezüglich der direkten Vorgängerkirche von Liebfrauen s. Kap. 2.1. – Zur frühen Baugeschichte der Südostbasilika: Weber 2011; Ders. 2004 (4.–6.Jahrhundert); Ders. 2003 (4.–10.Jahrhundert). 270 Kap. 2.3.2.

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

77

2.01  Liebfrauenkirche zu Trier, Ansicht von Südosten mit Blick auf den Chor, im Hintergrund der Trierer Dom mit seinem Südwestturm (Klein 1998, S. 109) die Südwand ist ein kleines Stück nach Norden versetzt,

Richtung kann mit der Tradition des Ortes in Beziehung

was sich aus einer im Folgenden noch zu thematisieren-

gesetzt werden. Nach Osten hin erstreckt sich der neue

den leichten Achsverschiebung der neuen Kirche gegen-

Chor leicht erkennbar bis an die alte Apsisostwand, nach

über dem alten Bau erklären lässt. Die Breite des neuen

Westen reicht der gotische Chor genau an die für die früh-

Chores stimmt damit quasi mit dem vormaligen über-

christliche und frühmittelalterliche Zeit archäologisch

ein. Auch die Länge des gotischen Chores in Ost-West-

nachgewiesenen Reste einer Schrankenanlage heran,

78

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.02  Liebfrauenkirche zu Trier, Mittelschiff, Blick nach Osten (Ronig 1982, S. 42)

welche den Übergang zum liturgischen Chor im Lang-

hungen von Chor und Apsis zum etablierten Ort zu bewah-

haus definierte. Dies ist insofern bemerkenswert, als der

ren, lässt sich auch an der strukturellen Disposition der

Chorbereich somit jeweils ganz andersartig artikuliert

Joche ablesen. Sämtliche Rechteckjoche des Baus wurden

wurde: In der alten Basilika schrankte man ihn lediglich

mit hoher Präzision in der gleichen Länge gefertigt; nur

im Innenraum ab, bei der gotischen Kirche wurde er hin-

das unmittelbar vor der Apsis liegende Joch wurde schma­

gegen architektonisch signifikant vom übrigen Baukörper

ler ausgeführt (Abb. 2.03). Dies lässt sich aus der Tradi-

abgesetzt. Dass der Ort des Chores über die Jahrhunderte

tion des Ortes erklären, denn nur auf diese Weise blieb die

hinweg trotzdem eine feste Konstante im Grundriss blieb,

räumliche Kontinuität von Chor und Apsis gewahrt. Hätte

macht die Bedeutung der Tradition des Ortes ersichtlich.

man das vorapsidiale Joch genauso lang ausgeführt wie

Des Weiteren stimmen die beiden vorapsidialen Joche

die übrigen Rechteckjoche, so läge die neue Apsis nicht

in der Länge genau mit dem Teil des vormaligen Chores

genau über der alten, sondern wäre nach Osten verscho-

überein, der vor der alten Apsis lag. Die gotische Polygo-

ben worden. Gestalterisch überspielte man diese Irregu-

nalapsis beginnt entsprechend an der Stelle, an der auch

larität übrigens geschickt, indem man das vorapsidiale

die alte Apsis ansetzte. Das Bestreben, räumliche Bezie-

Joch nicht wie die übrigen Joche mit einem Rippenkreuz

79

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

2.03  Liebfrauenkirche zu Trier, Grundriss (Binding 2000, S. 154) überwölbte, sondern zwei Rippen zum Schlussstein der

Vorgängerin herstellen lassen, sprechen dafür, dass dieses

Apsisrippen hin spannte, so dass das vorapsidiale Joch

räumliche Konzept wiederum mit der Tradition des Ortes

mittels des Gewölbes gestalterisch mit dem 5/10-Schluss

in einem Zusammenhang steht. Die Mittelachse, die als

der gotischen Apsis verschliffen wird. Dadurch ist die

Rückgrat des Grundrisses vom Westportal zum Ostchor

abweichende Länge für den Betrachter nur bei genauem

verläuft, entspricht nämlich quasi dem vormaligen Mit-

Hinschauen erkennbar.

telschiff der Basilika (Abb. 2.04; vgl. Abb. 1.09). Die nördlichen Stützen stehen exakt in der Flucht der vormaligen

Die Ost-West-Achse

Mittelschiffstützen, welche von der nördlichen Chorwand

Der Grundriss der Liebfrauenkirche lässt sich zwar einer-

fortsetzt wird, die, wie zuvor beschrieben, in der Flucht

seits als Zentralbau charakterisieren, es lassen sich aber

und teilweise über der Nordwand der vorherigen Apsis er-

andererseits auch zwei längsgerichtete Achsen aus dem

richtet wurde. Die südliche Stützenreihe wurde allerdings

Grundriss lesen, welche durch die Abfolge der breiten, von

im Verhältnis zu den basilikalen Stützen ca. 1,5 Meter

Nord nach Süd und von Osten nach Westen verlaufenden

nach Norden hin verlagert, weshalb sich die Mittelachse

Rechteckjoche definiert werden (vgl. Abb. 2.03). Am Kreu-

der Kirche um ca. 0,75 Meter in diese Richtung verschob.

zungspunkt der beiden Achsen im Zentrum der Kirche be-

Als Ursache für die leichte Achsverschiebung führt

findet sich ein großes quadratisches Joch, über dem sich

Franz Ronig die Rücksichtnahme auf die ehemals süd-

ein stattlicher Turm erhebt. Aufgrund des nach Osten vor-

lich angrenzende Stephanuskapelle an,271 was insofern

springenden Chores ist die west-östliche Achse länger als

nachvollziehbar erscheint, als die Strebepfeiler der Lieb-

ihr nord-südliches Pendant, so dass trotz des dominieren-

frauenkirche knapp an die Außenwand der Kapelle heran-

den Zentralbaucharakters das längsgerichtete Raumkon-

reichten (vgl. Abb. 2.04).272 Allerdings wäre es auch durch-

zept der alten Basilika spürbar bleibt. Die räumlichen Be-

aus möglich gewesen, den Grundriss so zu modifizieren,

ziehungen, die sich zwischen der neuen Kirche und ihrer

dass die südliche Stützenreihe in der vormaligen Flucht

271 Ronig 2003, S. 225. 272 Die neuere Stephanuskapelle, welche heute nicht mehr existiert, wurde um 1200 geweiht (Zink 1980a, S. 50). Man fand ihre Über­

reste bei den Ausgrabungen 1948 südlich von Liebfrauen, wo sie errichtet wurde, ohne dass ein Vorgängerbau an jener Stelle bestand.

80

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.04  Liebfrauenkirche zu Trier, Grundriss mit Unterzeichnung der Fundamente älterer Bauphasen (Borger-Keweloh 1986, S. 38) stünde, ohne die Stephanuskapelle zu tangieren. Die

Die Fundamente

leichte Achsverschiebung lässt sich insofern besser mit

In der Literatur findet man im Zusammenhang mit Bau-

Blick auf den ergrabenen Grundriss der alten Südostbasi-

werken, die in alten Fluchten errichtet werden, immer

lika erklären, deren nördliches Seitenschiff offenbar brei-

wieder den Hinweis, die neuen Bauteile stünden auf alten

ter angelegt war als das südliche. Es war somit schlichtweg

Fundamenten, wie es auch hinsichtlich der Liebfrauenkir-

gar nicht möglich, die exakt über quadratischem Raster

che behauptet wird.273

konstruierte Grundrissgeometrie der gotischen Kirche in

Dies führt in vielen Fällen zu der Annahme, dass die

jeder Hinsicht mit dem alten Grundriss zu synchronisie-

alten Fluchten nur aufgegriffen wurden, um Kosten zu

ren. Hätte man beide Seitenwände des alten Mittelschif-

sparen, indem man die neuen Bauteile auf die alten Fun-

fes genau aufgegriffen, hätten sich die Außenwände der

damente gründete. Eine genaue Analyse der Fundamente

achssymmetrischen gotischen Kirche an zwei Seiten über

der Liebfrauenkirche widerlegt eine derartige These je-

den alten Umriss hinaus verschoben. Offensichtlich nahm

doch. Sämtliche gotischen Fundamente wurden nämlich

man aber lieber eine geringfügige Verschiebung der Mit-

durch die alten Fundamentschichten hindurch bis auf

telachse in Kauf, bei der die räumlichen Übereinstimmun-

den gewachsenen Boden gegründet (Abb. 2.05).274 Das be-

gen von gotischen Jochen und ehemaligem Mittelschiff

deutet, dass, wenn wie bei der nördlichen Stützenreihe die

dennoch frappant blieben.

alte Flucht der Mittelschiffstützen exakt aufgenommen

273 Z. B. Ronig 2003, S. 217; Schenkluhn/van Stipelen 1983, S. 29.

274 Weber 2009, S. 468; Abb. 2.

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

81

werden sollte, zunächst die alten Fundamente entfernt

vormaligen Gründungen schon aufgrund ihrer vergleichs-

werden mussten, um das neue Fundament unterhalb des

weise geringen Breite für den Neubau unbrauchbar waren.

vorherigen Fundamentniveaus auf festen Boden zu stel-

Folglich verursachte der Abriss der Altfundamente ei-

len. Dieser Befund lässt sich durchgehend am ganzen

nen erhöhten Arbeits- und Zeitaufwand gegenüber einer

Gebäude ausmachen (Abb. 2.06). Auch die alten Chorfun-

Neufundamentierung an anderer Stelle, denn zunächst

damente wurden ausgehoben, um an ihrer Stelle den goti-

mussten die vorhandenen Fundamente mühselig abgetra-

schen Chor zu gründen.275 Selbst für die achsverschobene

gen werden. Mit der Entscheidung für die Wahrung der

südliche Stützenreihe mussten alte Fundamente entfernt

alten Fluchten sparte man demzufolge keine Kosten, son-

werden, weil die neuen so breit angelegt wurden, dass sie

dern nahm im Gegenteil höhere Kosten billigend in Kauf.

die alte Gründung überschnitten.

Dieser Umstand verdeutlicht, wie sehr es im Interesse der

Eine Weiternutzung der alten Fundamente wäre aber ohnehin nicht möglich gewesen, weil die Fundamente

Erbauer lag, alte Fluchten aufzugreifen, um die räumlichen Relationen des alten Grundrisses zu wahren.

der gotischen Kirche andersartige, weitaus höhere Lasten aufnehmen müssen, als diejenigen der vorherigen Basi-

Das Portal vom Dom nach Liebfrauen

lika.276 Im Falle der Liebfrauenkirche lässt sich dies auch

Noch in einem weiteren Punkt kann ein räumlicher Bezug

ohne statische Kenntnisse leicht erkennen, indem man

zur Tradition des Ortes nachgewiesen werden. Hierzu soll

die Breite der ergrabenen Mittelschifffundamente mit

zunächst in Erinnerung gerufen werden, dass Dom und

der Breite der zentralen gotischen Pfeiler vergleicht. Die

Liebfrauenkirche wohl seit der Gründung im 4. Jahrhun-

neuen Punktfundamente der Pfeiler sind nämlich deut-

dert bis 1803 eine liturgische Einheit bildeten (Taf. 2.03).277

lich breiter als die alten Streifenfundamente, so dass die

In der liturgischen Praxis des Mittelalters äußerte sich

2.05  Liebfrauenkirche zu Trier, Grabungsbefund am nordöstlichen Vierungspfeiler, Detail des Modells im Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseum Trier (Hauke Horn, 2009)

275 Weber 2011, S. 32. 276 Vgl. die Ausführungen zum ähnlich gelagerten Fall beim Umbau des Essener Münsters im 13./14. Jahrhundert (Kap. 4.2.3).

277 Kap. 2.1.

82

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.06  Liebfrauenkirche zu Trier, Grabungsbefunde der jüngsten archäologischen Kampagne (Weber 2009, S. 469)

das darin, dass Prozessionen vom Dom aus in die Lieb-

Jahrzehnte vor dem Beginn der Neubauarbeiten geschaf-

frauenkirche führten und bestimmte Feiern in beiden Kir-

fen wurde (Taf. 2.03). Demzufolge müsste der Weg vom

chen begangen wurden.278 Das Portal, durch welches man

Dom in den unmittelbaren Vorgängerbau der gotischen

vom Dom in die Liebfrauenkirche schritt, ist noch heute

Kirche ebenfalls durch dieses Portal geführt haben. Diese

erhalten und für den Besucherverkehr zwischen beiden

Erkenntnis lässt zwei interessante Folgerungen zu. Ers-

Kirchen geöffnet (Taf. 2.01). Aufgrund des Stils der reich

tens muss das romanische Portal zwangsläufig ein älteres

verzierten Bauglieder sowie der Figuren des Tympanons

Portal an derselben Stelle ersetzt haben, da es schließlich

kann das Portal in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts

in ein bestehendes Baugefüge mit vorhandenen Wegbezie-

datiert werden,279 was heißt, dass es vor Baubeginn der

hungen eingesetzt wurde. Bereits vor der zweiten Hälfte

Liebfrauenkirche entstanden war. Im Zentrum des Tym-

des 12. Jahrhunderts muss dieser Ort demnach als Über-

panons thront Christus zwischen Maria und Petrus, der

gang von Dom zu Liebfrauen genutzt worden sein. Zwei-

anhand seiner Attribute, Schlüssel und Buch, identifizier-

tens wurde beim Entwurf der gotischen Liebfrauenkirche

bar ist. Da es sich hierbei um die Hauptpatrone von Dom

offensichtlich auf die tradierten Wegbeziehungen zwi-

(Petrus) und Liebfrauenkirche (Maria) handelt, steht das

schen den beiden Kirchen Rücksicht genommen, so dass

Bildprogramm des Tympanons in direktem Zusammen-

diesbezüglich eine räumliche Kontinuität gewährleistet

hang mit der Funktion des Portals, welches schließlich

wurde,280 die heute noch besteht, auch wenn ihr liturgisch

den Übergang zwischen den beiden Gebäuden markiert.

seit der Säkularisation keine Bedeutung mehr zukommt.281

Hinsichtlich der hier untersuchten Fragestellung ist es

Die beiden Portale sind durch einen kreuzrippenge-

von besonderem Interesse, dass das Portal in der südlichen

wölbten Gang verbunden, dessen Lage und Dimensionen

Domwand fast in einer Flucht mit dem neueren, gotischen

diese Folgerungen unterstützt, denn der im Zuge des go-

Nordportal der Liebfrauenkirche steht, obwohl es mehrere

tischen Neubaus von Liebfrauen errichtete Raum ersetzt

278 Ronig 2004, S. 251f.; Ders. 2003, S. 220f.; Borger-Keweloh 1986, S. 41. – Die Grundlage für die Beschäftigung mit der hochmittelalterlichen Liturgie im Dom und Liebfrauen bildet die Studie zum Trierer Liber Ordinarius von Kurzeja 1972. 279 Ronig 2004, S. 251; Ders. 1980b, S. 242f.; Irsch 1931, S. 188. 280 Die Beibehaltung der tradierten Wegbeziehung ist umso bemerkenswerter, weil es dem gotischen Baumeister trotz der Realisierung eines Grundrisses von hoher geometrischer Präzision gelang, neben Apsis und Westportal einen weiteren vorgegebenen Fix-

punkt zu integrieren. Dieser Spagat gelang, indem das Nordportal der gotischen Kirche nicht exakt in der Flucht des alten Portals in der Domsüdwand errichtet, sondern leicht nach Westen versetzt wurde. Diesen notwendigen Kompromiss überspielte man jedoch geschickt mit dem breiten Gang, der den Raum zwischen den Portalen aufweitet, so dass der Versatz kaum wahrnehmbar ist. 281 Nach der Trennung der beiden Kirchen 1803 wurde das Portal zunächst vermauert. 1959 wurde es anlässlich der damaligen HeiligRock-Wallfahrt wieder geöffnet (Ronig 1980b, S. 242).

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

83

einen frühmittelalterlichen Gang an derselben Stelle in

die Fenster des oberen Turmgeschosses ohne Maßwerk

der gleichen Breite.

Zudem lässt sich die eigenartige, po-

als rundbogige Zwillingsfenster, welche jeweils von einem

lygonale Apsis in der Ostwand des gotischen Verbindungs-

runden Blendbogen überfasst werden, und ahmte damit

282

gangs aus der Tradition des Ortes erklären. Anstelle der

die Gestaltung der oberen Turmgeschosse der romani-

Apsis befand sich vormals nämlich der Zugang zu einer

schen Westfront nach.286 In der älteren Literatur beurteilte

kreuzförmigen Kapelle, die in der Literatur als ältere Ste-

man diese Abweichung von stilgeschichtlichen Normen

phanuskapelle gedeutet wird, welche ca. 25 Jahre vor der

als Zeichen für Rückständigkeit:

gotischen Neubaukampagne südlich von Liebfrauen neu errichtet wurde.283 Die polygonale Apsidiole würde sich also als Erinnerungsform an die vormals dort befindliche Kapelle erklären.

2.6.2 Gestalterische Bezüge zur Tradition des Ortes Kompositorische Parallelen zwischen den Westfronten von Dom und Liebfrauen Die Westfront von Dom und Liebfrauen stellt heute unbestritten die repräsentative Hauptansicht des Ensembles dar, welche dem Betrachter vom geräumigen Domfreihof

»Die Fenster des oberen Geschosses kehren sogar zur romanischen, rundbogigen Form ohne Maßwerk zurück. Es ist ganz offensichtlich, daß hier ein Meister am Werke ist, der mit dem gotischen Bausystem noch nicht frei und selbstständig zu schaffen versteht, seinen klaren, logischen Gliederaufbau noch nicht völlig erfaßt hat. Wo er sich nicht direkt an sein Vorbild Reims anlehnt, zeitigt er noch Romanismen. Gerade für den Vierungsturm sah er in Reims kein Beispiel; darum baut er ihn ganz aus romanischem Empfinden heraus, wie er es ursprünglich gewöhnt war, ...«.287

aus einen Blick auf beide Gebäude ermöglicht (Abb. 2.07).284

Ganz offensichtlich hielt Wilhelm-Kästner den gotischen

Die Liebfrauenkirche steht südlich dicht neben dem Dom

Baumeister für unfähig, die Maßwerkfenster, die er am übri-

und ihre Westfront liegt mit derjenigen des Doms in einer

gen Bau ausführen ließ, auch am Vierungsturm zu realisie-

Flucht, so dass bereits die Stellung der beiden Kirchen

ren. Dies impliziert einen gehörigen Mangel an Kreativität

zueinander auf eine Zusammengehörigkeit hinweist. Wie

und Intelligenz, der im krassen Gegensatz zur individuellen

zuvor beschrieben, steht die gemeinsame Flucht der West-

Qualität der Liebfrauenkirche steht, die wie noch zu zeigen

fronten in Bezug zu älteren Bauzuständen.285

ist, insbesondere beim Grundriss zum Ausdruck kommt.

Beim Vergleich der beiden Westfronten fallen einige

Erstaunlich ist zudem, dass der benachbarte Dom, dem die

kompositorische Parallelen auf. Die Front der Liebfrau-

Liebfrauenkirche subordiniert war, überhaupt keine Beach-

enkirche wird analog zum Dom seitlich von runden Trep-

tung fand. Den Maßstab für die Beurteilung der Formen

pentürmen gefasst (Abb. 2.08). Der zentrale Hauptturm

bot ausschließlich die französische Architektur der Zeit.

der Liebfrauenkirche greift die beiden großen quadrati-

Dabei lassen sich noch weitere Elemente der Gestal-

schen Westtürme des Doms auf, denen er in Geometrie,

tung mit der westlichen Domfassade in Zusammenhang

städtebaulicher Präsenz und struktureller Disposition

bringen: Die großen Rundbögen, welche die spitzbogigen

über einem Langhausjoch entspricht. Weiterhin rekur-

Maßwerkfenster über dem Westportal von Liebfrauen

riert die Fenstergestaltung des gotischen Vierungsturmes

überfangen, greifen beispielsweise die großen Rundbögen

auf die Domtürme, deren romanische Detailformen man

auf, welche die Westportale des Doms überspannen. Die

imitierte (Taf. 2.02). Abweichend von allen übrigen Fens-

Gestaltung der Westfront von Liebfrauen wurde demnach

tern der Liebfrauenkirche, die in hochgotischen Formen

auf die bestehende Architektur des Doms abgestimmt,

formal einheitlich aus Spitzbögen und Maßwerk mit Viel-

indem zentrale Motive von dessen Komposition am goti-

pässen im Couronnement gebildet wurden, gestaltete man

schen Bau aufgegriffen wurden.

282 Kempf 1975, Abb. 3. 283 Zur älteren Stephanuskapelle: Kempf 1975, S. 16–18. – Zur neueren Stephanuskapelle: Zink 1980a, S. 50. – Vielleicht lässt sich die Verlegung der Kapelle somit als vorbereitende Maßnahme für den anstehenden Neubau der Liebfrauenkirche verstehen. 284 Der Domfreiplatz wurde im Zuge der Baukampagne unter Bischof Poppo im 11. Jahrhundert anstelle der alten Nordwestbasilika angelegt (Weber 1996, S. 122). Ein wichtiger Grund dafür dürfte nicht zuletzt die Absicht gewesen sein, die neue monumentale Westfront besser zur Geltung bringen zu können.

285 Kap. 2.3.2. 286 Heute überragt der Südturm des Doms mit einem zusätzlichen Geschoss die anderen Türme. Dieses Geschoss mit seinen spitzbogigen Maßwerkfenstern wurde jedoch erst um 1515 unter Erzbischof Richard von Greiffenklau angelegt und war somit zur Erbauungszeit der Liebfrauenkirche nicht vorhanden (Zink 1980a, S. 53). 287 Hamann/Wilhelm-Kästner 1924, S. 41.

84

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.07  Dom zu Trier, Süd­ westturm und Liebfrauen­ kirche, Westansicht, vom Domfreihof aus gesehen (Hauke Horn, 2007)

Die Westfassade als Erinnerungsform an einen Westturm

Während die Komposition des Baukörpers signifi-

Weitaus schwieriger zu fassen sind die Formen der goti-

kante Parallelen zur Domfassade aufweist, setzt sich die

schen Kirche, die in ästhetisch-gestalterischem Zusam-

Westfassade der Liebfrauenkirche mit einem eigenständi-

menhang mit der Vorgängerbasilika stehen, weil die Ge-

gen Aufbau von jener ab (vgl. Abb. 2.08). Über dem reich

stalt des Gebäudes unmittelbar vor dem Abriss nicht mehr

mit Skulpturen geschmückten Westportal erheben sich

bekannt ist.288

zwei nahezu identische Fenstergeschosse mit spitzbogi-

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

85

schen Westfassade hervorrief, werden somit durch den archäologischen Befund in den Status einer fundierten These erhoben.

Das achsverschobene Fenster Noch ein weiterer Aspekt der Westfassade kann mit der Tradition des Ortes in Zusammenhang gebracht werden. Die verschiedenen Elemente der Fassade sind präzise mittig an einer vertikalen Achse ausgerichtet, und auf diese Weise einer gemeinsamen, übergreifenden Ordnung unterworfen. Allein das über dem Portal befindliche Spitzbogenfenster fällt aus der Reihe, denn es sitzt gegenüber der Mittelachse und den anderen Fassadenelementen nach rechts (Süden) verschoben in der Wand, was besonders in Relation zu dem Blendbogen, welcher das Fenster überfängt, deutlich wird (vgl. Abb. 2.08). Nun wird man einer solchen Irregularität zunächst kaum eine Bedeutung einräumen wollen. Auffällig ist jedoch, dass der Bau an-

2.08  Liebfrauenkirche zu Trier, Westansicht (Lückger/Bunjes 1938, S. 136)

sonsten mit höchster Präzision errichtet wurde, so dass es verwundern würde, wenn ausgerechnet an der repräsentativen Hauptansicht eine vermeintliche Schludrigkeit tole-

gen Maßwerkfenstern, bevor ein Giebel mit einer monu-

riert worden wäre.

mentalen Kreuzigungsgruppe die Fassade nach oben hin

Eine Erklärungsmöglichkeit bietet sich, wenn man

abschließt. Die Vertikalität der Fassade weckt unweiger-

die Westfassade zum neuen und alten Grundriss der Lieb-

lich Assoziationen an einen Turm, was räumlich dadurch

frauenkirche in Beziehung setzt. Die vertikale Mittelachse

verstärkt wird, dass die eigentliche Westwand plastisch

der Westfassade markiert nämlich zugleich die horizon-

hervortritt, wohingegen die anstoßenden Mauern schräg

tale Mittelachse des gotischen Grundrisses in West-Ost-

nach hinten zurückspringen, so dass eine ungewöhnliche

Richtung. Wie zuvor beschrieben musste die Mittelachse

Tiefenstaffelung entsteht.

der gotischen Kirche gegenüber dem Vorgängerbau et-

In diesem Kontext sind die jüngsten Ergebnisse der

was nach Norden verschoben werden, um die geometri-

2007/08 unter Winfried Weber durchgeführten Grabun-

sche Genauigkeit des Grundrisses zu gewährleisten (vgl.

gen in der Liebfrauenkirche äußerst interessant, denn

Abb. 2.04).291 Allein das Spitzbogenfenster der Westfassade

im Westteil der Liebfrauenkirche fanden sich Reste win-

ordnet sich nicht der neuen Mittelachse unter. Seine Mitte

kelförmiger Pfeiler, die auf einen vormaligen Westturm

scheint stattdessen auf die Mittelachse des Vorgänger-

schließen lassen (vgl. Abb. 2.06).

baus bezogen zu sein. Die Achsverschiebung des Fensters

289

Die Stratigraphie der

Funde erlaubt eine Datierung der Pfeiler in die Zeit des

wäre somit als Erinnerungsform an die alte Mittelachse

Wiederaufbaus der Liebfrauenkirche nach dem Norman-

zu verstehen.292 Beim ersten Hören mag ein derartiger

nensturm 882.290 Der spätkarolingische Westturm scheint

Zusammenhang überinterpretiert klingen. A ­ngesichts

bis zum Neubau der Kirche 1227 bestanden zu haben; zu-

der vielfältigen zuvor erörterten räumlichen Beziehungen

mindest gibt es keine Hinweise auf einen früheren Abriss,

zwischen Neubau und Vorgängerbau scheint die Inter-

so dass der Turm dem gotischem Baumeister als Referenz

pretation jedoch schlüssiger, als von einer Ungenauigkeit

für die neue Westfassade dienen konnte. Die Assoziatio-

beim Bau der ansonsten höchst genau geplanten Kirche

nen an einen Westturm, welche die Gestaltung der goti-

auszugehen.

288 Kap. 3.1. 289 Weber 2009, S. 468. Weber wertet die Fundamente als Hinweis auf eine »westwerkähnliche Gestaltung des vorgotischen Baus« (Ebd.). 290 Ebd.

291 Kap. 2.6.1. 292 So auch Ronig 2011, S. 62f.; Ders. 2003, S. 226, der allerdings die Lage der Stephanuskapelle für den Grund der Achsverschiebung hält.

86

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

2.6.3 Der Grundriss im Kontext der Tradition des Ortes

Yved zu Braine in der Nähe von Soissons (Abb. 2.09), die sich in der Literatur seither hartnäckig als Referenz hält,296

Erklärungsansätze für die Zentralbauform in der Literatur

obwohl es sich nicht einmal um einen Zentralbau handelt.

Die Trierer Liebfrauenkirche stand schon im 19. Jahrhun-

So schrieb 1924 etwa Kurt Wilhelm-Kästner, der an dieser

dert im Fokus der kunsthistorischen Forschung, weil es

Stelle exemplarisch für zahlreiche gleichlautende Meinun-

sich um das älteste Bauwerk im deutschen Raum handelt,

gen zitiert wird:

bei dem sich eine Übernahme von Formen der französischen Gotik feststellen ließ (vgl. Abb. 2.01, 2.02).293 Mit dem methodischen Ansatz der Stilkritik gelang es nachzuvollziehen, dass vor allem ein Formentransfer von der

»Der Grundriß der Liebfrauenkirche ist aus der Verdopplung des Chormotives in St. Yved in Braisne bei polygonalem Querschiffsschluß hervorgegangen.«297

seit 1211 im Bau befindlichen Kathedrale in Reims nach

Zur Erklärung der Trierer Zentralbauform trägt eine der-

Trier stattfand.294

artige Aussage allerdings nicht bei; sie wirft im Gegenteil

Für Irritationen sorgt seit dem 19. Jahrhundert aller-

die Frage auf, welchen Sinn eine derartige Verdopplung er-

dings der außergewöhnliche Grundriss (vgl. Abb. 2.03),

gäbe. Die Gründe, welche Wilhelm-Kästner zu jener Aus-

weil er im Gegensatz zu den Baugliedern eben nicht pro-

sage verleiten, werden indes im weiteren Verlauf seiner

blemlos von den gotischen Bauten Frankreichs abgeleitet

Ausführungen deutlich:

werden konnte, so dass Hans Böker 1988 bezüglich der Trierer Liebfrauenkirche zu Recht feststellte, dass »manche Fragen, etwa nach dem Sinn ihrer ungewöhnlichen Zentralraumform, nach wie vor ungelöst sind.«295 Obgleich der hinsichtlich der Einzelformen erfolgreiche Ansatz, auf formaler Ebene französische Vorbilder zu suchen, sich also nicht auf den Grundriss übertragen ließ, verharrte die ältere Kunstgeschichte zunächst in ihrem bekannten methodischen Muster und suchte nach einem älteren französischen Bauwerk, um den Grundriss der Liebfrauenkirche

»Die zweigeschossige Fensteranlage der Kreuzarme, die wuchtige Strebepfeilergliederung, ferner die großen dreiteiligen Fenster an den Stirnseiten der Kreuzarme (ausgenommen im Ostchor) weisen auf Saint-Léger in Soissons hin. Die polygonale Gestaltung der Kreuzarme erinnert an die Dreikonchenanlage der Kathedralen von Noyon und Soissons. Die Einzelformen aber schließen sich in noch viel stärkerem Maße als in Marburg an die Kathedrale von Reims an.«298

erklären zu können. Bereits zur Mitte des 19. Jahrhunderts

Die Liebfrauenkirche käme nach der Darstellung Wilhelm-

bemühte man hierfür die Prämonstratenserkirche Saint-

Kästners also einem Pasticcio gleich, bei dem Formen

2.09  Braine (Frankreich), Grund­ riss der Prämonstra­tenserkirche Saint-Yved (Binding 2000, S. 135) 293 Zur stilistischen Einordnung von Liebfrauen grundlegend: BorgerKeweloh 1986, S. 110–131 (mit Diskussion der älteren Forschung und Literaturhinweisen); Lückger/Bunjes 1938, S. 157f. 294 Zuletzt überzeugend bei Borger-Keweloh 1986, S. 122–127. 295 Böker 1988, S. 678.

296 Zur Forschungsgeschichte dieser These: Borger-Keweloh 1986, Anm. 348; Klein 1984, S. 231. 297 Hamann/Wilhelm-Kästner 1924, S. 39. 298 Ebd.

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

87

verschiedener französischer Kirchen nach dem Baukas-

Kempf zur Mitte des 20. Jahrhunderts jegliche Grundlage

ten-Prinzip neu zusammengesetzt worden wären. Diese

entzogen wurde,303 weil jene den Nachweis erbrachten,

Auffassung impliziert jedoch eine Beliebigkeit und damit

dass es sich bei der alten Liebfrauenkirche stets um einen

Austauschbarkeit der Formen, welche der Einheitlichkeit

Richtungsbau gehandelt hatte, wird auch in der jüngeren

des Raumes und der einheitlichen tektonischen Syste-

Literatur zuweilen noch an der These von einem Zentral-

matik ebenso wenig gerecht wird wie der ganzheitlichen

bau als Vorgänger festgehalten.304

Entwurfskonzeption. Fragen nach den speziellen Anfor-

Marc Carel Schurr brachte 2007 erneut den lokalen

derungen an die Kirche, sei es Lage, Funktion, Tradition,

Kontext ins Spiel, indem er einen heute nicht mehr existie-

etc. werden nicht aufgeworfen, wie auch der eigenständige

renden Zentralbau südöstlich der gotischen Liebfrauenkir-

baukünstlerische Wert der Kirche nicht gewürdigt wird.

che als alte Marienkirche interpretierte (vgl. Abb. 1.09),305

Bruno Klein und Nicola Borger-Keweloh diskutier-

während die Südbasilika Johannes Baptist geweiht gewe-

ten in den 1980er Jahren den Vergleich zwischen Trier

sen sein soll.306 Im 13. Jahrhundert wären laut Schurr beide

und Braine eingehend und kamen unabhängig vonein-

Kirchen abgerissen worden und die Liebfrauenkirche am

ander zu dem nachvollziehbaren Ergebnis, dass sich die

Ort der Johanneskirche neu aufgebaut worden. Grund-

­Ähnlichkeit zwischen beiden Kirchen auf wenige formale

rissform und Patrozinium der gotischen Liebfrauenkirche

Gemeinsamkeiten beschränke, so dass die besondere

würden somit nach Schurr an eine alte Marienkirche im

Trierer Grundrisskonzeption folglich nicht von Braine

Südosten der heutigen erinnern.307

abgeleitet werden könne.

Dennoch hat sich die These

Archäologisch nachweisen lassen sich im Südosten

so sehr in der Literatur verfestigt, dass auch in jüngeren

der Anlage allerdings nur die Fundamentzüge eines Zen-

Publikationen noch darauf zurückgegriffen wird.300 Doch

tralbaus, wohingegen jegliche Spuren von Fußböden und

selbst wenn man an der Ableitung des Grundrisses aus

aufgehenden Mauern fehlen, so dass davon ausgegangen

Braine festhalten möchte, so bliebe die nicht unerhebli-

werden kann, dass der betreffende Bau begonnen, aber nie

che Frage offen, welchen Grund man in Trier überhaupt

fertiggestellt worden ist.308 Doch selbst wenn der fragliche

gehabt haben sollte, einen Teil jener Kirche nachzuah-

Zentralbau jemals aufrecht stand, so kann er höchstens bis

men.301

ins 10. Jahrhundert existiert haben, da spätestens in jener

299

Schon in der älteren Literatur regten sich deshalb

Zeit nachweislich ein Klaustrum an seiner Stelle errich-

Zweifel, ob der Vergleich mit Braine für eine Erklärung

tet wurde.309 Demnach kann die Liebfrauenkirche defini-

der Trierer Grundrissfigur genügen kann, so dass man in

tiv nicht im 13. Jahrhundert an die Stelle der Südbasilika

den 1930er Jahren die Hypothese von einen Zentralbau als

verlegt worden sein. Weiterhin kann wohl ausgeschlossen

Vorgänger der gotischen Kirche aufstellte und damit inte-

werden, dass ein Bauwerk, das, falls es überhaupt je exis-

ressanterweise erstmals die Tradition des Ortes als mög-

tierte, zu Beginn des 13. Jahrhunderts seit mindestens 300

lichen Erklärungsansatz in Erwägung zog.302 Obgleich

Jahren nicht mehr stand, Einfluss auf die Grundrissge-

dieser Hypothese durch die Grabungen unter Theodor

staltung von Liebfrauen gehabt hätte.

299 Borger-Keweloh 1986, S. 118–122; Klein 1984, S. 230–234. 300 Z. B. Ronig 2011, S. 65; Binding 2000, S. 156. – Böker versucht gar den Westteil der Liebfrauenkirche als verkürztes Langhaus zu deuten, um die Beziehung zu St. Yved aufrecht erhalten zu können (Ders. 1988, S. 679). Konsequenterweise versteht er die Kapellen im Osten als »räumliche Kontraktion eines gotischen Umgangschores mit Kapellenkranz« (Ebd.). Mit gleicher Aussagekraft könnte ein Kreis als Quadrat ohne Ecken gelesen werden. 301 Schenkluhn/van Stipelen machten sich über diesen Punkt Gedanken und deuteten die angebliche Nachahmung von St. Yved in Braine unter Hinweis auf deren Funktion als Ordenskirche der Praemonstratenser (Dies. 1983, S. 32–34). Die Liebfrauenkirche sollte demnach nach Osten hin bewusst praemonstratensisch aussehen. Den historischen Nachweis der notwendigen Voraussetzung, dass am Trierer Dom zu jener Zeit tatsächlich Beziehungen zu den Praemonstratensern bestanden, blieben sie allerdings schuldig. 302 Lückger/Bunjes 1938, S. 130. 303 Kempf 1975, Abb. 6, 7; Ders. 1951, S. 58. Mittlerweile steht fest, dass es sich wie zuvor um eine dreischiffige Basilika gehandelt hat (Weber 2011, S. 46–48). 304 Klein 1998, S. 108. 305 Schurr stützt seine Ausführungen auf Helten 1992 und Kempf 1951

306 307 308

309

(Schurr 2007, Anm. 49). Zum aktuellen Kenntnisstand zum Rundbau vgl.: Weber 2003, S. 535; Kubach/Verbeek, 1976, Bd. 2, S. 1110 (mit weiterführenden Literaturhinweisen); Oswald/Schaefer/Sennhauser 1971, S. 344. Schurr 2007, S. 23–29. Schurr vertauscht konsequent die Himmelsrichtungen Norden und Süden, so dass er fälschlicherweise die Liebfrauenkirche als »Nordkirche« bezeichnet und den Zentralbau nordöstlich davon verortet. Ein solcher Hergang stünde in der frühmittelalterlichen Baugeschichte des Domkomplexes keineswegs vereinzelt. Der im 10. Jahrhundert begonnene Wiederaufbau des Doms beispielsweise war kaum über die Fundamente hinaus gediehen, als er Anfang des 11. Jahrhunderts zugunsten der kürzeren popponischen Erweiterung aufgegeben wurde, so dass die archäologisch nachgewiesenen Fundamente letztlich keinen realisierten Bauzustand nachzeichnen (Kap. 2.3.1). – An dieser Stelle danke ich Herrn Prof. Dr. Winfried Weber, seinerzeit Diözesanarchäologe des Bistums Trier und Direktor des dortigen Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums, der die Ergebnisse seiner Domgrabungen bereitwillig mit mir diskutierte und dabei manchen wertvollen Hinweis gab. Kubach/Verbeek 1976, Bd. 2, S. 1110.

88

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Die Beschreibung des Grundrisses in der Literatur

struktur ausgehend.314 Deshalb erkennen sie, dass um das

Die Interpretation des Grundrisses hängt, wie im Folgen-

zentrale Quadrat vier rechteckige Joche an den Seiten und

den gezeigt wird, im Wesentlichen mit der Art und Weise

vier quadratische Joche in den Ecken gruppiert wurden,

zusammen, wie seine Struktur beschrieben wird. Die Lite-

so dass abermals ein Quadrat entsteht, an welches wiede-

ratur sieht den Grundriss seit langer Zeit mehrheitlich um

rum die Kapellen und Konchen so angefügt wurden, dass

ein zentrales Kreuz organisiert, dessen Zwickel von dia-

die polygonal gebrochene Außenwand im Erdgeschoss

gonal gestellten Kapellenpaaren gefüllt werden.310 Man-

quasi einen kreisförmigen Umriss bildet.

che Autoren versuchen dieser Lesart subtil Nachdruck zu verleihen, indem sie einen Grundriss publizieren, bei

Die Nachahmung des Quadratbaus im Grundriss

welchem die Gewölbe der Mittelachsen im Gegensatz

Die Analyse von Schenkluhn und van Stipelen bringt

zu denjenigen der Zwickel nicht eingezeichnet sind, so

m. E. die Organisation des Grundrisses am treffendsten

dass sich graphisch ein Kreuz im Grundriss abzeichnet

zum Ausdruck. Den Kern des Grundrisses bildet nicht

(Abb. 2.10).

das Kreuz, sondern das Quadrat, welches derart in neun

311

Es ist zwar richtig, dass die Kreuzform in die Struk-

Joche unterteilt ist, dass um ein dominierendes zentra-

tur des Grundrisses eingebettet wurde, doch gibt diese

les Quadrat herum ein Ring mit rechteckigen Jochen an

Charakterisierung des Grundrisses das dreidimensionale

den Längsseiten und kleineren Quadraten in den Ecken

Raumgefüge im Inneren der Kirche nur unzureichend

entsteht. Die Quintessenz dieser Feststellung ist, dass die

wieder. Im Inneren stehend nimmt man die Grunddis-

beschriebene Grundrissdisposition im Kontext des Trierer

position stärker als konzentrisch organisiertes Raumge-

Domkomplexes nicht neu ist, sondern bestens vertraut: Es

füge wahr, da Mitteljoche und Kapellen aus der Betrach-

handelt sich um die Grundrissdisposition des spätantiken

terperspektive eine räumliche Einheit darstellen, die sich

Quadratbaus (Taf. 2.03).315

nicht so leicht auseinander dividieren lässt, wie es auf dem Grundrissplan den Anschein hat. Franz Ronig betont deshalb, dass der Grundriss vom zentralen Vierungsquadrat aus entwickelt wurde, auf des-

2.10  Liebfrauenkirche zu Trier, Grundriss, Variante mit graphischer Hervorhebung des zen­tralen Kreuzes (Lückger/Bunjes 1938, S. 133)

sen Grundlage er ein konzentrisches Schema aus Quadraten und Karos konstruiert, in welches sich die Joche, Kapellen und Konchen einpassen lassen.312 Zwar werden damit zwei elementare Ordnungsprinzipien des Grundrisses zum Ausdruck gebracht, nämlich Quadratismus und Konzentrismus, doch spiegelt das Schema eben nicht das reale Grundrisssystem wieder. Ronig wertet das Schema als vermessungstechnisches Hilfsmittel und sieht den Grundriss stattdessen in Einklang mit der älteren Forschungsmeinung als »zentrale Kreuzbasilika mit je zwei Kapellen in den Kreuzecken«313 konzipiert. Auch Wolfgang Schenkluhn und Peter van Stipelen gehen bei ihrer Analyse des Grundrisses vom Vierungsquadrat als Zentrum der Anlage aus, charakterisieren die Disposition im Weiteren aber von der realen Grundriss-

310 Z. B. Nussbaum 2011, S. 54; Klein 1998, S. 108; Borger-Keweloh 1986, S. 43; Lückger/Bunjes 1938, S. 135; Hamann/Wilhelm-Kästner 1924, S. 39. 311 Borger-Keweloh 1986, S. 44; Lückger/Bunjes 1938, Abb. 107. 312 Ronig 2011, S. 65f.; Ders. 2003, S. 222f.; Ders. 1995, S. 242. – Ronigs Vorschlag, auch den Aufriss aus einem geometrischen System zu entwickeln, kann allerdings nicht recht überzeugen, weil sich die geometrischen Figuren zum Teil gar nicht mit der Form des Aufrisses decken. 313 Ronig 2003, S. 226.

314 Schenkluhn/van Stipelen 1983, S. 29. 315 Auch Schenkluhn/van Stipelen erkennen, dass sich die Grundrissstruktur gleicht (Dies 1983, S. 29), räumen dem jedoch keine weitere Bedeutung ein, sondern interpretieren den Aufbau der Liebfrauenkirche stattdessen in erster Linie als Nachbildung der Aachener Pfalzkapelle, was mit Bestrebungen des Trierer Erzbischofs, das Krönungsrecht für die deutschen Könige zu erwerben, erklärt wird (Ebd., S. 34–38). Ronig verweist ebenfalls auf den Quadratbau, aber nur in Bezug auf das von ihm konstruierte Quadratschema, wohingegen er übersieht, dass es sich de facto um die gleiche Struktur

2.6  IM KONTEXT DER DOMUS HELENAE – DER NEUBAU DER LIEBFRAUENKIRCHE IM 13. JAHRHUNDERT

89

Insofern lässt sich ein signifikanter Zusammenhang

rückschwingt (vgl. Abb. 2.03, Taf. 2.03). Auf diese Weise

zwischen dem Grundriss der Liebfrauenkirche und der

weckt die Grundrissfigur Assoziationen an eine Rose, ei-

Tradition des Ortes herstellen. Nachdem die Grundriss-

nem im Mittelalter gebräuchlichen Symbol für Maria, der

struktur des Quadratbaus bereits beim Umbau des Doms

Patronin der Kirche. Diese ikonographische Deutung des

im 11. Jahrhundert wiederholt wurde,316 ahmte man dessen

Grundrisses wird nicht nur von heutigen Autoren vertre-

Grundriss offensichtlich beim Neubau der Liebfrauenkir-

ten,317 sondern lässt sich auch in einer alten Quelle von 1512

che im 13. Jahrhundert ein weiteres Mal nach. Dieses Vor-

greifen, welche Liebfrauen als »schöne herrliche Kirche,

gehen kann wohl kaum als rein formale Bezugnahme be-

von köstlicher und feiner Bauart, in Gestalt einer Rose«318

urteilt werden, weil der Quadratbau, wie zuvor dargelegt,

preist. Das in den Grundriss erkennbar eingebettete Kreuz

in der Trierer Legendarik als umgebauter Helena-Palast

kann hingegen als das herausragende Symbol christlichen

aufgefasst wurde, welcher die Tradition des Ortes ebenso

Glaubens wohl mit Recht christologisch gedeutet wer-

konstituiert wie authentifiziert. Durch die Entwicklung

den.319 Die im Grundriss symbolisch hergestellte Bezie-

der gotischen Liebfrauenkirche aus der Grundrissstruktur

hung zwischen Mutter und Sohn wurde schließlich auch

der domus Helenae heraus kompensierte man folglich den

im Skulpturenprogramm an der Westfassade thematisiert,

Totalabriss der alten Südkirche und verankerte den Neu-

wo Maria im Tympanon des Portals mit dem Jesuskind auf

bau tief in der Tradition des Ortes. Man kann die gotische

dem Schoß als sedes sapientiae thront, während im Giebel

Liebfrauenkirche demnach als freie Improvisation mit

der gekreuzigte Christus den programmatischen Abschluss

zeitgenössischen Mitteln über der traditionellen, sinnstif-

bildet. Ob Grundriss und Aufbau der Kirche noch darüber

tenden, genuin Trierer Grundrissstruktur auffassen.

hinausgehend theologisch gedeutet werden können, wie

Ausgehend von der Quadratbau-Struktur fügen sich

es Franz Ronig vorschlägt, mag sein, muss es aber nicht.320

auch die übrigen Teile des Grundrisses in eine sinnvolle Sys-

Trotzdem kann die symbiotische Durchdringung von do-

tematik ein. Die kleineren Quadrate in den Ecken der qua-

mus Helenae-Zitat, Marien- und Christussymbolik als zei-

dratischen Grundfigur nehmen dort einen integralen Platz

chenhaftes Mittel aufgefasst werden, die Liebfrauenkirche

im Gesamtgefüge ein. Den Seiten der Grundfigur ist je eine

als Teil des aus dem Palast der Heiligen hervorgegangenen

Konche in der Breite des Vierungsquadrates zugeordnet, die

Domkomplexes in der Heilsgeschichte zu verorten.

ihrerseits von zwei diagonal gestellten Kapellen flankiert

Verständlich wird das Kreuz im Grundriss indes auch

wird, welche aus dieser Perspektive wie Nebenapsiden wir-

aus dem Wunsch, tradierte Wegbeziehungen zwischen

ken. Damit bekommen die Kapellen und Quadratjoche eine

den Gebäuden des Domkomplexes zu erhalten, so dass

höhere Wertigkeit zugebilligt, als es die Charakterisierung

»die Liebfrauenkirche in die vorgegebene Bautensituation

als Füllung der Kreuzzwickel zum Ausdruck bringt.

eingespannt [wurde] wie in ein Koordinatensystem.«321 Auf diese Weise wurde etwa der vormalige, liturgisch bedeut-

Ganzheitliche Interpretation des Grundrisses

same Weg zwischen Dom und Liebfrauen geschickt in den

Die Keimzelle des gotischen Grundrisses bildet also die

neuen Grundriss integriert und blieb so erhalten.

Struktur der vermeintlichen domus Helenae, so dass die

Schließlich gelang es, mit dem Grundriss räumliche

Kirche auf der Basis der bedeutsamen Tradition des Ortes

Kontinuitäten zu gewährleisten, indem wichtige Orte in

entwickelt wurde. Durch die konzentrische Gruppierung

der Kirche wie Chor und -apsis die entsprechenden Orte

der Kapellen und Konchen um den quadratischen Kern

der Vorgängerin überlagern. Das hierdurch erklärbare

herum entsteht darüber hinaus eine quasi kreisförmige

Hervortreten des Chores trägt zugleich zu einer gestalte-

Grundrissfigur, deren Umriss durch die polygonalen Au-

rischen Auszeichnung dieses liturgisch wichtigsten Be-

ßenwände der einzelnen Joche rhythmisch vor- und zu-

reichs der Kirche bei. Obendrein betonte man auf diese

handelt (Ders. 1995, S. 294). Insofern stellt er konsequenterweise fest, dass er eine Feststellung post factum träfe, welche nicht die Intention des Baumeisters des 13. Jahrhunderts wiedergäbe (Ebd.). Aus diesem Grund verzichtet er wohl darauf, den Vergleich zwischen Liebfrauenkirche und Quadratbau zu wiederholen und schließt sich stattdessen der etablierten Lesart eines in erster Linie kreuzförmigen Grundrisses an (Ders. 2003, S. 226). 316 Kap. 2.3.2. 317 Ronig 2003, S. 227; Ders. 1995, S. 298. 318 Johannes Enen (Medulla), zitiert nach Ronig 2003, Anm. 34.

319 Ronig 2003, S. 227; Ders. 1995, S. 295. 320 Ronig 2011, S. 67–74; Ders. 2003, S. 227f.; Ders. 1995, S. 295–298. Nachvollziehbar erscheint die Interpretation der zwölf freistehenden Säulen als Symbole der Apostel, die sich gerade im 13. Jahrhundert an verschiedenen Kirchenbauten beobachten lässt (vgl. Kap. 3.3.5). Die »kosmische Deutung des Achsenkreuzes« und die »Adam-Symbolik« scheinen hingegen eher allgemeine theologische Ideen wiederzugeben, wohingegen ein direkter Zusammenhang mit dem Entwurf der Kirche nicht erkennbar ist. 321 Schenkluhn/van Stipelen 1983, S. 29.

90

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

Weise die West-Ost-Achse der Kirche und schuf damit ein

Die ältere Literatur feierte die Liebfrauenkirche zu

Erinne­rungsmoment an den vormaligen Richtungsbau,

Recht für die frühe Übernahme richtungsweisender Ar-

das durch die Synchronisation der Lage und Dimensio-

chitekturformen aus Frankreich, obgleich es zur Pla-

nen der Mitteljoche an zusätzlicher Deutlichkeit gewinnt.

nungszeit nicht abzusehen war, dass jene die künftige

Der Grundriss der gotischen Liebfrauenkirche zeich-

architektonische Entwicklung prägen würden. Vielmehr

net sich demnach durch hohe Komplexität und Ambiva-

handelt es sich um eine Bedeutung, welche der Kirche erst

lenz aus, die sich nicht auf Beziehungen zur Tradition des

aus der rückwärtigen, stilgeschichtlichen Betrachtung zu-

Ortes beschränken. Stattdessen wirkten verschiedene Mo-

gesprochen werden kann. Weitgehend ungewürdigt blieb

mente in unterschiedlicher Intensität auf die Konzeption

demgegenüber die künstlerische Meisterschaft, mit wel-

des Grundrisses ein: Helena-Tradition, Form des Vorgän-

cher der gotische Baumeister auf die unterschiedlichsten

gerbaus, Mariensymbolik, christliche Ikonographie, litur-

Anforderungen an Grund- und Aufriss reagierte, indem

gische Funktionalität und sicher auch ästhetische Über-

er ein formal homogenes, aber inhaltlich vielschichtiges

legungen. Die verschiedenen Sinnschichten stehen dabei

Bauwerk schuf, das auch unabhängig von seinen goti-

nicht im Sinne eines »Entweder-oder« zueinander, son-

schen Formen höchsten architektonischen Ansprüchen

dern überlagern sich im Sinne eines »Sowohl-als-auch«.

genügt.

2.7 Resümee: Die Trierer Liebfrauenkirche und ihre Tradition des Ortes 2.7.1 Zusammenfassung der Untersuchungs­ergebnisse

dass trotz des zentralisierenden Grundrisses eine Spur von deren Richtungsraum erhalten blieb. Der ökonomische Erklärungsansatz, die weitreichen-

Die Tatsache, dass der Vorgängerbau komplett abgerissen

den Kongruenzen der Grundrisse würden sich aus der

wurde, könnte zu der Annahme verleiten, der Tradition

Weiternutzung der alten Fundamente ableiten, lässt sich

des Ortes wäre beim Neubau der Trierer Liebfrauenkirche

mit einem Blick auf die tatsächliche Gründungssituation

im 13. Jahrhundert keine Bedeutung beigemessen worden.

leicht widerlegen, denn es wurde durch die alten Funda-

Doch schon der Vergleich zwischen der Grundrissdisposi-

mente hindurch neu gegründet. Im Gegenteil spricht die

tion der gotischen Kirche und derjenigen des frühchrist-

Tatsache, dass die Beibehaltung alter Fluchten höheren

lichen Gründungsbaus offenbart bemerkenswerte Bezie-

Aufwand und Kosten verursachte, dafür, dass man an

hungen.

räumlichen Bezügen zum Vorgängerbau ein bewusstes

322

Es stimmt nämlich nicht nur die räumliche

Ausdehnung der Kirche weitgehend mit dem Gründungs-

und ausgeprägtes Interesse hegte.

bau überein, es lassen sich darüber hinaus auch weiter-

Räumliche Kontinuität schuf man auch, indem man

gehende funktionale Bezüge aufdecken, denn besondere

tradierte Wegbeziehungen im Grundriss beibehielt. Inso-

Kompartimente des gotischen Grundrisses überlagern in

fern erklärt sich die Anlage der Nord-Süd-Achse aus der

auffälliger Weise die entsprechenden Raumteile der a ­ lten

Absicht, die liturgisch wichtige Wegeverbindung zwischen

Basilika. So ist der gotische Chor samt Apsis in Lage und

Dom und Liebfrauen, welche im Rahmen mittelalterlicher

Ausdehnung quasi deckungsgleich mit dem Chor der

Prozessionen genutzt wurde, zu bewahren und darüber hi-

Gründungsbasilika, so dass eine räumliche Kontinuität

naus sogar stärker zur Geltung zu bringen. Den Beweis da-

der liturgisch bedeutsamsten Orte innerhalb der Kirche

für, dass die gotische Wegbeziehung der althergebrachten

gewährleistet blieb, was umso bemerkenswerter erscheint,

entspricht, liefert das Portal im Dom, das zur Liebfrauen-

als die jeweiligen Chöre aufgrund der unterschiedlichen

kirche führt, weil es vor Baubeginn der gotischen Kirche

Grundrissdispositionen ganz anders artikuliert wurden.

erstellt wurde.

Durch den signifikant hervortretenden Chor wurde außer-

Neben den räumlichen Beziehungen lassen sich wei-

dem die West-Ost-Achse der Kirche akzentuiert, die sich

terhin gestalterische Bezüge des gotischen Baus zur Tradi-

nahezu mit dem Mittelschiff der alten Basilika deckt, so

tion des Ortes konstatieren.323

322 Kap. 2.6.1.

323 Kap. 2.6.2.

2.7 RESÜMEE: DIE TRIERER LIEBFRAUENKIRCHE UND IHRE TRADITION DES ORTES

Im Kontext der Zusammengehörigkeit mit dem Dom

91

art als domus Helenae die legitimitätsstiftende Tradition

lässt sich etwa erkennen, dass die Liebfrauenkirche, ob-

des Domkomplexes begründete. Diese Erkenntnis stellt

wohl sie komplett neu konzipiert wurde, kompositorisch

die gotische Liebfrauenkirche in einen bedeutungsvollen

auf die altehrwürdige Mutterkirche abgestimmt wurde.

Zusammenhang mit ihrer Mutterkirche und deren Grün-

So greifen die runden Treppentürme an den Flanken, der

dungslegende, wohingegen die ältere Literatur den Bau

rechteckige Mittelturm und die übergreifenden Blendbö-

aufgrund ihrer stilgeschichtlichen Perspektive isoliert

gen über dem Westportal eindeutig Motive des Doms auf.

vom älteren Dombau betrachtete.

Bei der Gestaltung des zentralen Turmes trieb man die gestalterische Angleichung so weit, dass man die Fenster anstelle der ansonsten verwandten gotischen Formen

2.7.2 Interpretation im historischen und politischen Kontext

Reimser Prägung analog zum Dom als rundbogige Zwillingsfenster in alter Form ausführte.

Primär stilgeschichtlich betrachtete die Literatur auch

Andere Elemente des Kirchenbaus rekurrieren hinge-

den Bezug der Trierer Liebfrauenkirche zu Reims, so dass

gen gestalterisch auf den vorgotischen Vorgängerbau. So

das Aufgreifen gotischer Einzelformen lediglich als Über-

weckt die Gestaltung der gotischen Westfassade mit ih-

nahme eines aktuellen, in Frankreich entstandenen Stils

rer Vertikalität und dem plastischen Hervortreten unwei-

angesehen wurde und demnach lediglich ein Resultat der

gerlich Assoziationen an einen Westturm, der gemäß der

Mode und des Geschmacks der Zeit gewesen wäre. Ange-

Ergebnisse der jüngsten archäologischen Forschungen

sichts der Disposition des Grundrisses, welcher sich eben

tatsächlich existiert zu haben scheint. Insofern wäre die

nicht aus der simplen Wiederholung zeittypischer Grund-

Westfassade als Erinnerungsform an den beim Neubau

risskonzepte erklärt, sondern im hohen Maße auf die be-

aufgegebenen Turm zu verstehen. Im Zusammenhang

sonderen Anforderungen vor Ort zugeschnitten wurde

mit dem Vorgängerbau kann auch das aus der Achse ver-

und verschiedene symbolische Ebenen impliziert, muss

schobene Fenster der Westfassade erklärt werden, dessen

ein derart formalistischer Ansatz allerdings skeptisch

Irregularität im Rahmen der mit hoher Präzision errichte-

stimmen.

ten Liebfrauenkirche merklich hervorsticht: Es scheint die

Schenkluhn und van Stipelen gebührt das Verdienst,

Mittelachse der vormaligen Kirche zu markieren, die sich

als Erste der Übernahme Reimser Einzelformen einen

nicht mit den vielfältigen Anforderungen an den Grund-

über das Formale hinausgehenden Sinn einzuräumen.

riss in Einklang bringen ließ.

Im Kontext ihrer Interpretation der Liebfrauenkirche als

Bis hierhin kann bereits resümiert werden, dass die

Nachahmung der Aachener Pfalzkapelle (vgl. Abb. 4.12),

Form der Liebfrauenkirche, obgleich sie im 13. Jahrhun-

welche ihrer Meinung nach das Bestreben des Trierer

dert komplett neu gebaut wurde, in nicht zu unterschät-

Erzbischofs zum Ausdruck bringt, das Krönungsrecht für

zendem Maße von der Tradition des Ortes mitbestimmt

den deutschen König zu erwerben, verwiesen sie auf die

wurde. Zwar verzichtete man auf die Integration alter

Funktion der Reimser Kathedrale als Krönungsort der

Gebäudeteile, doch stellte man mittels der Gestaltung

französischen Könige.325 Die Reimser Formen sollten die

der Kirche und mehr noch durch räumliche Kontinuitä-

Liebfrauen­kirche folglich als Ort der Königskrönung aus-

ten bewusst Beziehungen zum Ort und dessen Tradition

zeichnen.

her. Die Analyse und Interpretation des ungewöhnlichen

Diesem Interpretationsansatz können jedoch meh-

Grundrisses der Liebfrauenkirche erhebt die Tradition

rere Argumente entgegengebracht werden. Zunächst las-

des Ortes jedoch darüber hinaus zu einem entscheiden-

sen sich für einen derartigen Anspruch Theoderichs von

den Moment, welches die Gestalt der Kirche grundlegend

Wied, unter dessen Episkopat die Liebfrauenkirche weit-

und maßgeblich prägte, und löst damit ein altes Problem

gehend errichtet wurde, meines Wissens keine histori-

der architekturhistorischen Forschung.

Den Kern der

schen Belege finden. Gesetzt den Fall, dass er sie dennoch

neuen Liebfrauenkirche, um den sich die übrige Struktur

erhoben hätte, wäre kaum die Liebfrauenkirche, sondern

herum entwickelt, bildet nämlich ein Zitat der Grundriss-

der Dom als Sitz des Erzbischofs und Mutterkirche des

struktur des spätantiken Quadratbaus, also desjenigen

Bistums als Krönungsort genutzt worden, wie es auch bei

Teils des Trierer Doms, der nach mittelalterlicher Les-

den Königskrönungen in Mainz der Fall war, die selbstver-

324 Kap. 2.6.3.

325 Schenkluhn/van Stipelen 1983, S. 34–38.

324

92

2  DER DOM UND DIE LIEBFRAUENKIRCHE ZU TRIER

ständlich im dortigen Dom und nicht in der benachbar-

mentalen Ausmaßen technisch aufwändig umzugestal-

ten Liebfrauenkirche stattfanden. Des Weiteren stellt sich

ten, begann 1211 in Reims ein totaler Neubau der dortigen

die Frage, warum man, wenn man das deutsche Krönungs-

Kathedrale, welcher nicht nur den Trierer Dom an Größe

recht beanspruchen möchte, überhaupt auf die französi-

und Pracht übertraf, sondern unbestritten neue Maßstäbe

sche Krönungskirche rekurrieren sollte; warum also, wenn

für den christlichen Sakralbau setzte.329 Wie mag dieses

die Aachener Pfalzkapelle gemeint wäre, Reimser Formen

Vorhaben auf den Trierer Metropoliten und die Domkle-

genutzt würden. Schließlich erscheinen die Ähnlichkeiten

riker gewirkt haben, welche doch den Vorrang gegenüber

mit der Aachener Pfalzkapelle aber ohnehin zu gering, um

Reims beanspruchten? Man darf wohl davon ausgehen,

die Liebfrauenkirche als deren Nachahmung bezeichnen

dass man in Trier »not amused« war.

zu können.

Aus dieser Perspektive erscheint der rund 15 Jahre nach

Sinnvoller erscheint es, die über den Grundriss her-

Baubeginn in Reims angefangene Neubau der Liebfrau-

gestellte Verbindung zum Quadratbau, dem vorgeblichen

enkirche als eine Reaktion auf die baulichen Vorgänge in

Helena-Palast, als Ausgangspunkt der Erklärung zu neh-

der gallischen Nachbarmetropole. Die architektonischen

men, welcher die Form der Trierer Kirchenanlage schließ-

Formen der neuen Reimser Kathedrale waren in Trier ge-

lich Anfang des 13. Jahrhunderts beinahe schon ein Jahr-

rade gut genug für die rangniedere Liebfrauenkirche und

tausend lang maßgeblich bestimmt hat.

wurden den altehrwürdigen Formen des Doms auf diese

Wie bereits dargelegt, bestand zwischen den Erzdiö-

Weise sichtbar untergeordnet. In diesem Kontext kommt

zesen Trier und Reims ein spannungsreiches Verhältnis,

auch der vom Quadratbau ausgehenden Grundrissfigur

weil die Trierer Erzbischöfe seit dem frühen Mittelalter

der Trierer Südkirche eine spezifische Aussagekraft zu.

den Anspruch erhoben, als Primas von Gallien dem Reim-

Die Trierer Erzbischöfe begründeten ihren Anspruch

ser Erzbischof vorzustehen.326 Rund 60 Jahre vor der In-

auf den belgischen Primat wie gezeigt damit, dass der

vestitur Erzbischof Theoderichs (ep. 1212–1242) in Trier,

Dom aus dem kaiserlichen Palast der heiligen Helena her-

unter dessen Episkopat der Neubau der Trierer Liebfrau-

vorging. Wenn die Liebfrauenkirche mit ihren Reimser

enkirche begann, kam es auf dem Konzil zu Reims noch zu

Formen nun vom legendären Helena-Palast ausgehend

gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Gefol-

entwickelt wurde, wenn die domus Helenae die Struktur de-

gen des Trierer und des Reimser Erzbischofs, weil der Trie-

finiert, in deren Rahmen sich die Reimser Formen entfal-

rer offen seinen Vorrang gegenüber Reims einforderte.327

teten, so spiegelt dies das hierarchische Verhältnis der bei-

Die Aussage der Gesta Treverorum, Erzbischof Theoderich

den Metropolen der Gallia Belgica aus Trierer Sicht wider.

habe »seinen Platz unter den Bischöfen [behauptet], ent-

Eine derartige Instrumentalisierung der Architektur als

sprechend dem Primat und der Würde Triers«,328 belegt,

politisches Medium mag zunächst verblüffen, doch sind

dass der Primatsanspruch auch in der ersten Hälfte des

die Indizien m. E. so erdrückend, dass man nicht mehr

13. Jahrhunderts nicht an Aktualität eingebüßt hatte.

von Zufällen ausgehen kann. Betrachtet man die bauliche

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Situation zu Be-

Entwicklung des Trierer Domkomplexes seit dem frühen

ginn des 13. Jahrhunderts aus Trierer Sicht wie folgt dar:

Mittelalter, durch die sich der auch politisch motivierte

Nachdem man in Trier Jahrzehnte lang in den Anbau

Verweis auf die Tradition des Ortes wie ein roter Faden

der neuen Ostteile investiert hatte und gerade im Begriff

zieht, so fügt sich der Neubau der Liebfrauenkirche ohne-

war, den altehrwürdigen Dom mit Gewölben von monu-

hin nahtlos ein.

326 Kap. 2.5.2. 327 Heydenreich 1938, S. 131. 328 Gesta Trev., Kap. CVI (ed. Zenz, Bd. I, S. 56).

329 Einen guten Überblick zum Neubau der Kathedrale von Reims bieten: Kimpel/Suckale 1985, S. 277–292.

93

3 DER DOM ZU MAGDEBURG – Die Visualisierung der imperialen Tradition des Ortes

3.1 Einführende Baugeschichte Den Schriftquellen zufolge ging der Gründung des Mag-

neben seiner geliebten Gemahlin Edith beigesetzt zu wer-

deburger Doms ein Vorspiel voraus.

Der junge König

den,335 geht aus den Quellen leider nicht hervor, so dass die

Otto I. und seine erste Gemahlin Edith stifteten 937 in

Lokalisierung des Grabes im ottonischen Dom336 eine of-

Magdeburg ein Kloster zu Ehren des heiligen Mauritius,

fene Frage bleibt. Heute steht der Sarkophag des Kaisers

in dessen Kirche die Königin, als sie 946 verstarb, ihre

und Fundators jedenfalls an der Schwelle zwischen Vie-

letzte Ruhestätte fand.

rung und Sanktuarium (vgl. Abb. 3.06, 3.13).337

330

331

In der folgenden Zeit stiegen die

Ambitionen Ottos des Großen und er fasste den Plan, in

Nachdem der Magdeburger Dom bei einem Stadtbrand

Magdeburg ein Erzbistum zu gründen, was von der Lite-

1207 in Mitleidenschaft gezogen wurde,338 entschieden sich

ratur meist mit seinem glorreichen Sieg über die Ungarn

Erzbischof Albrecht II. von Käfernburg und der Domkle-

955 auf dem Lechfeld zusammengebracht wird.332 Da Otto

rus für einen umfassenden Neubau ihrer Bischofskirche,

allerdings auf starke Widerstände insbesondere des Erzbi-

welcher den alten Dom komplett ersetzte (Abb. 3.01, 3.02).

schofs von Mainz und des Bischofs von Halberstadt stieß,

Die Grundsteinlegung des neuen Kirchenbaus erfolgte

für welche die Gründung ein Verlust an territorialer Macht

laut der Magdeburger Schöppenchronik 1208.339

bedeutete, gelang es ihm erst 968, sechs Jahre nach seiner

Aus baulicher Sicht bestand für einen solch radikalen

Kaiserkrönung in Rom, das Magdeburger Erzbistum zu

Schritt allerdings keine Notwendigkeit, denn zeitgenössi-

etablieren.333 Ob der Kaiser zu diesem Zweck die Kloster-

sche Quellen berichten, dass genügend Bausubstanz den

kirche umbauen, einen Neubau an ihrer Stelle oder sogar

Brand überstanden hatte, um das bestehende Bauwerk

an einem anderen Ort errichten ließ, wird derzeit intensiv

wieder instandsetzen zu können, so dass der Abriss von

diskutiert.334

Protesten begleitet wurde.340 Der Stadtbrand war demnach

Als das an historischen Triumphen reiche Leben des

nicht der Grund, sondern der Anlass eines Neubaus.

Kaisers 973 endete, wurde er im Magdeburger Dom be-

Nachdem die Ostteile um die Mitte des 13. Jahrhun-

stattet. Ob man seinem überlieferten Wunsch entsprach,

derts fertiggestellt waren (Abb. 3.03),341 setzte man die Ar-

330 Grundlegende Literatur zum Magdeburger Dom: Schenkluhn/ Waschbüsch 2012; Brandl/Forster 2011; Puhle 2009; RogackiThiemann 2007; Ullmann 1989; Schubert 1984; Ders. 1974; Greischel 1939; Ders. 1929; Giesau 1936. 331 Althoff 2001; Leopold 1989, S. 62f.; Schubert 1989, S. 25. – Das heutige Grabmal der Königin (vgl. Abb. 3.15) befindet sich im Chorumgang des Doms (Kap. 3.4.4). 332 Z. B. Althoff 2001, S. 345; Schubert 1989, S. 25; Claude 1972, S. 73f. 333 Althoff 2001; Claude 1972, S. 63–113. 334 Kap. 3.2. 335 Thietmar, Chronicon II, 11 (ed. Trillmich, S. 44). 336 Die Bezeichnung »ottonischer Dom« kann im Zusammenhang mit Magdeburg leicht missverstanden werden, da »ottonisch« in der Kunstgeschichte als Stil- und Epochenbegriff für die Kunst und Architektur zur Zeit der sächsischen Kaiser verwendet wird. Im Zusammenhang mit dem Magdeburger Dom meint »ottonisch« hingegen das Bauwerk, das Kaiser Otto I. gründete und das Anfang des 13. Jahrhunderts abgebrochen wurde. Wenn im Folgenden also vom »ottonischen Dom« die Rede ist, bezieht sich die Bezeichnung allgemein auf den Vorgängerbau der gotischen Kathedrale. Nicht gemeint ist hingegen, dass der Vorgängerbau bis zum Abriss stilistisch ausschließlich der Ottonik zuzuordnen wäre, was wahrscheinlich

nicht der Fall war, denn es wurde laut Schriftquellen auch im 11. Jahrhundert am ottonischen Dom gebaut (Schubert 1989, S. 26–30). Kap. 3.3.2. Magd. Schöppenchronik, S. 131. Magd. Schöppenchronik, S. 132. – Felix Rosenfeld sprach sich hingegen ausgehend von der schriftlich überlieferten Anwesenheit zweier päpstlicher Legaten für eine Datierung in das Jahr 1209 aus (Ders. 1909, S. 6f.), die sich in der Folgezeit durchsetzte (z. B. Klein 1998, S. 106; Nicolai 1989, S. 147; Schubert 1989, S. 30f., 36). Es wurden aber auch immer wieder Gegenstimmen laut, welche die Grundsteinlegung 1207 ansetzten (Rogacki-Thiemann 2007, S. 59f.; Hausherr 1989, S. 180f.; Silberborth 1910, S. 230­–232). Zuletzt sprachen sich Heiko Brandl und Christian Forster für 1207 oder 1208 aus (Brandl/Forster 2011, S. 413), mit dem zwingenden Argument, dass die beiden Legaten nach der Grundsteinlegung an Verhandlungen zwischen Otto IV. und Philipp von Schwaben beteiligt waren, letzterer aber im Juni 1208 ermordet wurde. Nicht überzeugen kann hingegen die von Brandl und Forster vorgeschlagene Kopplung der Achsdrehung an die Grundsteinlegung (s. Kap. 3.4.3). Magd. Schöppenchronik, S. 132. Um 1240: Brandl 2012, S. 155 – 1260er Jahre: Rogacki-Thiemann 2007, S. 92f.; Nicolai 1989, S. 154f.

337 338 339

340 341

94

3.01  Dom zu Magdeburg, Ansicht von Nordosten (Puhle 2009, Bd. 1, S. 22)

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

95

3.1  EINFÜHRENDE BAUGESCHICHTE

3.02  Dom zu Magdeburg, Grundriss (Rogacki-Thiemann 2007, S. 33) beiten am Langhaus und Westbau fort (Abb. 3.04).342 Ob-

man den Westbau bis 1520, indem man die beiden Türme

gleich das Langhaus gegen 1320 größtenteils schon stand,

auf fünf Geschosse aufstockte, sie mit steinernen Helmen

zogen sich die Arbeiten insbesondere am Westbau noch

bekrönte und den Mittelteil mit einem dritten Stockwerk

länger hin, so dass der Magdeburger Dom erst 1363 ge-

sowie einem Giebeldach versah (vgl. Abb. 3.04).346 Es ist

weiht wurde.

Der Westbau war zu diesem Zeitpunkt, an

eine Ironie der Geschichte, dass unmittelbar im Anschluss

dem die Bauarbeiten vorerst eingestellt wurden, bis zur

an die Fertigstellung der katholischen Bischofskirche die

Oberkante des zweiten Geschosses gediehen, beim Nord-

Reformation in Magdeburg Einzug hielt, die nach Jahr-

turm bis zur Oberkante des dritten Geschosses.

zehnten schwerer Konflikte zwischen protestantischem

343

344

Erzbischof Ernst von Sachsen initiierte wahrscheinlich

Stadtrat und katholischer Domgeistlichkeit schließlich

kurz nach seinem Amtsantritt 1477 eine neue Kampagne

auch den Dom erfasste, in welchem 1567 erstmals ein

zur Vervollständigung der Bischofskirche.

So vollendete

evangelischer Gottesdienst gefeiert wurde.347 In dieser

342 Rogacki-Thiemann 2007, S. 104f.; Schubert 1989, S. 31, 36f.; Ders. 1984, S. 20. 343 Brandl/Forster 2011, S. 417f.; Rogacki-Thiemann 2007, S. 112; Schubert 1984, S. 20. 344 Rogacki-Thiemann 2007, S. 110–112; Schubert 1984, S. 39. 345 Brandl/Forster 2011, S. 418f.; Rogacki-Thiemann 2007, S. 120–122; Schubert 1984, S. 23f., 39.

346 Ebd. 347 Rogacki-Thiemann 2007, S. 121–123; Puhle 2005, S. 147–158. 348 Berger 1989, S. 45; Schubert 1984, S. 33, 44. – Rogacki-Thiemann gibt an, das Maßwerk wäre im 19. Jahrhundert restauriert worden (Dies. 2007, S. 123).

345

96

3.03  Dom zu Magdeburg, Chorpartie, erste Hälfte 13. Jh. (Pietsch/Quast 2005, S. 37)

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

97

3.2  FORSCHUNGSSTAND ZUM OTTONISCHEN VORGÄNGERBAU

Zeit fand eine Restaurierung des Chores statt, bei der man neues Maßwerk in die Obergadenfenster einsetzte.348 Im 19. und 20. Jahrhundert bestimmten denkmalpflegerische Kampagnen die Baugeschichte des Doms.349 Bei den vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. angestoßenen Restaurierungsarbeiten von 1825–1834,350 die ihrerseits von historischer Bedeutung für die Entwicklung der staatlichen Denkmalpflege sind, wurden die nachmittelalterlichen Ein- und Umbauten zum großen Teil entfernt und die Oberflächen im Innenraum großenteils überarbeitet.351 Am Außenbau wurden zahlreiche Architekturelemente und Details ausgebessert, erneuert oder ergänzt, insbesondere an den Giebeln des Querhauses und des nördlichen Seitenschiffes.352 Nach starken Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg folgte eine weitere umfassende Kampagne der staatlichen Denkmalpflege, diesmal derjenigen der DDR, bei der u. a. eingestürzte Joche neu gewölbt wurden.353 Dabei stellte man im Wesentlichen den Zustand von 1834 wieder her.354

3.04  Dom zu Magdeburg, Westbau, unterer Teil 1260–1360, oberer Teil 1480–1520 (Quast/Jerratsch 2004, S. 20)

3.2 Forschungsstand zum ottonischen Vorgängerbau Seit Anfang des 19. Jahrhunderts kam es wiederholt zu ar-

­Chorpartie,356 die den nördlichen Teil der Krypta über-

chäologischen Grabungen in der Kirche, deren Befunde

lagert.357 Die alte Krypta wird in der Literatur entweder

in der Gesamtheit die Existenz eines älteren Kirchenbaus

mit Erzbischof Tagino (ep. 1004–1012), der den Quellen

beweisen, der sich an der Stelle des heutigen Doms be-

zufolge eine Krypta errichten ließ, oder dem Erzbischof

fand, allerdings in abweichender Achslage (Abb. 3.05).

355

Hunfried, für den eine Kryptaweihe 1049 überliefert ist,

Zur Kenntnis des Vorgängerbaus substantiell beigetra-

in Verbindung gebracht und entsprechend in den Anfang

gen hat Alfred Koch 1926 mit der archäologischen Entde-

oder die Mitte des 11. Jahrhunderts datiert.358

ckung einer Krypta in alter Achslage südlich der heutigen

349 Zur Denkmalpflege am Magdeburger Dom: Mohr de Pérez 2012; Findeisen 1990, S. 55–61, 214–222; Berger 1989. 350 Mohr de Pérez 2012, S. 122. 351 Findeisen 1990, S. 60; Berger 1989, S. 46–48. 352 Findeisen 1990, S. 217–220; Berger 1989, S. 47. 353 Berger 1989, S. 49f.; Schubert 1984, S. 45. 354 Berger 1989, S. 49f. 355 Zusammenfassung der älteren Grabungen: Forster 2009b, S. 9–16; Rogacki-Thiemann 2007, S. 58–60; Schubert/Leopold 2001, S. 358f. 356 Koch, A. 1926. 357 Im Zuge der aktuellen Kampagne konnten auch Fundamentreste des nördlichen Teils nachgewiesen werden (Kuhn 2009a, S. 49).

358 Datierung Mitte 11. Jahrhundert: Reiche 2012, S. 105; Schubert 1989, S. 28f.; Ders. 1984, S. 14. – Datierung Anfang 11. Jahrhundert: Forster 2009b, S. 21; Schubert 1974, S. 14f. – Der von den jeweiligen Autoren vorgenommene Versuch, die Krypta formengeschichtlich näher zu bestimmen, führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die stilgeschichtliche Datierung der Basisprofile der Kryptavorlagen, auf die Christian Forster seine Datierung in die Zeit Taginos hauptsächlich stützt, überfordert die Möglichkeiten der Methode deutlich. Demgegenüber spricht die Mehrheit der Argumente, die Jens Reiche anführt, für eine Datierung in die Zeit Hunfrieds, ohne dass jedoch ein zwingender Beweis vorliegt. Insofern haben derzeit noch beide Thesen ihre Berechtigung.

98

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

3.05  Dom zu Magdeburg, rekonstruierter Grundriss des Vorgängerdoms nach Schubert/Leopold in Relation zum gotischen Dom (Schubert 1984, S. 14, zum archäologischen Forschungsstand vgl. Meller/Schenkluhn/Schmuhl 2009)

Die Literatur des 20. Jahrhunderts sah in der Vorgän-

das Gebäude zunächst als Pfalz Ottos des Großen interpre-

gerkirche lange Zeit übereinstimmend den alten, von Kai-

tierte,361 kamen in den 1990er Jahren Vorschläge auf, die

ser Otto gegründeten Dom, der 1207 Opfer der Flammen

Fundamente als Reste eines Sakralbaus zu deuten.362 Diese

wurde.

Annahme verdichtete sich durch den Fund einiger Gräber

359

In den letzten Jahren wurden jedoch vielfach Zweifel an

östlich des Nickel’schen Grabungsareals, die Rainer Kuhn

dieser Identifizierung geäußert. Den Anlass bot die Neube-

im Rahmen einer neuen Kampagne 2001–2003 aufdeckte.363

wertung eines ehemals nördlich der Kathedrale auf dem

Die Existenz einer zweiten ottonischen Kirche nörd-

Domplatz befindlichen monumentalen Bauwerks, dessen

lich des Doms warf zwangsläufig die Frage nach deren

Fundamente unter der Leitung von Ernst Nickel in den

Identität auf. Weil auch die neuen archäologischen Indi-

1960er Jahren ergraben wurden (Taf. 3.01).360 Während man

zien eine Datierung in das 10. Jahrhundert nahelegen,364

359 Z. B.: Schubert/Leopold 2001, S. 354f.; Schubert 1984, S. 13–16; Oswald/Schaefer/Sennhauser 1966, S. 190f. 360 Nickel 1973a; Ders. 1973b. 361 Lehmann 1983 (Zusammenfassung: Lehmann 1989). 362 Jürgen Sistig verwies als erster auf die starken Ähnlichkeiten des Grundrisses zur Abteikirche St. Maximin in Trier. Aufgrund der zeitlichen Nähe und engen monastischen Beziehungen der Abtei zum Magdeburger Moritzkloster warf er die Frage auf, ob es sich bei dem nördlichen Gebäude nicht um dessen Überreste handele

(Ders. 1995, S. 103). Franz Jäger setzte sich daraufhin ausführlich mit den Gemeinsamkeiten des Nordgebäudes zur ottonisch-frühsalischen Sakralarchitektur auseinander, wobei er eine Identifizierung des Bauwerks vermied (Ders. 1999). In der jüngeren Literatur wird fälschlicherweise Babette Ludowici die erstmalige Identifizierung des Nordgebäudes als Sakralbau zugeschrieben (z. B. Rogacki-Thiemann 2007, S. 60 u. Anm. 461, 510; Ludowici/Hardt 2004, S. 89f.). 363 Kuhn 2005; Ders. 2003. 364 Kuhn 2009c, S. 222–225.

99

3.2  FORSCHUNGSSTAND ZUM OTTONISCHEN VORGÄNGERBAU

entstand die These, dass es sich bei dem mittlerweile als

Die beiden ältesten Gräber ließen sich mit naturwis-

Nordkirche bezeichneten Gebäude um den von Otto ge-

senschaftlichen Methoden in Übereinstimmung mit dem

gründeten Dom handelt.365 Was für ein Bauwerk befand

archäologischen Befund grob in die Jahrzehnte um 1000

sich dann jedoch an der Stelle der heutigen Kathedrale?

datieren und liefern damit einen terminus ante quem für

Der bisher nicht geklärte Verbleib der von Otto und Edith

die Erbauung und Nutzung der Vorgängerkirche als Dom

gegründeten Abteikirche verkompliziert die Problematik

spätestens im frühen 11. Jahrhundert.372 Weiterhin ließ

zusätzlich. Als Möglichkeiten kämen ein Umbau der Ab-

sich im heutigen Dom eine Brandschicht nachweisen,

teikirche, ein Neubau anstelle der Abteikirche oder auch

welche mit dem überlieferten Dombrand 1207 korrespon-

ein Neubau an anderem Ort in Betracht.

diert, wohingegen in der Nordkirche eine solche Brand-

366

In Verbindung

mit den zwei ergrabenen Grundrissen potenzieren sich

schicht nicht nachgewiesen werden konnte.373

die Varianten, wo welche Kirche wann gestanden haben

Die Ergebnisse der Grabungen 2006–2010 beweisen

könnte, so dass in der Literatur zwischenzeitig eine Viel-

demnach die alte Interpretation der Südkirche als Vorgän-

zahl von Vorschlägen kursierte.

gerdom, dessen Nutzung sich nach aktuellem Kenntnis-

Eine Gruppe von Wissenschaftlern um Babette Ludo-

stand bis in das frühe 11. Jahrhundert belegen lässt, was

wici plädierte nachdrücklich dafür, dass die Nordkirche

mit den Datierungsansätzen der ergrabenen Krypta gut

sogar bis zum Neubau des Doms nach dem Brand 1207

zusammenpasst. Demgegenüber bleibt die Situation auf

als Bischofskirche genutzt wurde, während sich im Süden

dem Magdeburger Domhügel im 10. Jahrhundert und die

bis dato die Moritzklosterkirche befunden hätte.367 Eine

damit verknüpfte Identifikation der Nordkirche derzeit

Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Argumen-

unklar. Mit einer sachlichen Erörterung der Fakten und

ten hat mittlerweile allerdings nur noch wissenschafts-

Argumente resümierte Rainer Kuhn 2009 den aktuellen

theoretischen Wert,368 denn die jüngsten Grabungen im

Forschungsstand und zeigte dabei die noch möglichen

Magdeburger Dom, die unter der Leitung von Rainer

Deutungsvarianten auf.374 Zu Recht wies er dabei auf wei-

Kuhn 2006–2010 stattfanden,369 erbrachten archäologisch

teren archäologischen Klärungsbedarf hin; insbesondere

den Nachweis, dass die Vorgängerkirche unter der heuti-

östlich des jetzigen Justizministeriums wären zwingend

gen Kathedrale bereits als Bischofskirche genutzt wurde.

Grabungen nötig, um über dort zu vermutende Ostteile

So entdeckten die Ausgräber vor dem gotischen Lettner

der Nordkirche Erkenntnisse zu gewinnen. Einen Erklä-

mehrere gemauerte Gräber in der alten Achslage, die sich

rungsansatz, der viele Faktoren berücksichtigt und des-

in der Vorgängerkirche an prominenter Stelle auf oder

halb plausibel erscheint, publizierte Bernd Nicolai 2012.

an der Mittelachse am östlichen Ende des Mittelschiffes

Unter Berücksichtigung des historischen Kontextes und

befanden.370 Einige der auch stratigraphisch dem Vor-

der Schriftquellen interpretiert er die Nordkirche als otto-

gängerbau zuzuordnenden Gräber konnten aufgrund der

nischen Dom, der wegen seiner ungünstigen Lage zu nahe

Grabbeigaben eindeutig als Bischofsgräber identifiziert

am Elbufer 982 Schäden nahm, was den Bau einer neuen

werden.371

Bischofskirche im Süden zur Folge hatte.375

365 Die These von der Nordkirche als ottonischer Dom vertreten: Kuhn 2005, S. 38f.; Ludowici/Hardt 2004; Ludowici/Rogacki-Thiemann 2003; Ludowici 2002. – Hingegen sehen Brandl/Jäger in der Nordkirche das Münster eines ehemaligen Laurentiusklosters (Dies. 2005). Dieser Deutung schloss sich Schubert an (Ders. 2009). – Seifert setze sich mit den verschiedenen Thesen kritisch auseinander und hält an der Deutung als Palast Ottos des Großen fest (Ders. 2009). – Neu ist die These, der ottonische Dom läge nördlich der heutigen Kathedrale, übrigens keineswegs. Bereits 1863 hegte Brandt diese Vermutung und wies diesbezüglich auf den Fund von Fundamenten und Steingräbern »beim Bau der vormaligen Möllenvoigtei, jetzigen Nebengebäudes der Königl. Regierung« im 18. Jahrhundert hin (Brandt 1863, S. 7). 366 Für einen Neubau anstelle des Münsters u. a.: Jacobsen/Lobbedey/ von Winterfeld 2001, S. 261; Schubert/Leopold 2001, S. 354–358; Schubert 1998, S. 11–16; Leopold 1998, S. 42; Hamann/Rosenfeld 1910, S. 137. Für einen Neubau an anderer Stelle u. a.: Ludowici/ Hardt 2004; Ludowici/Rogacki-Thiemann 2003. 367 Ludowici/Hardt 2004; Ludowici/Rogacki-Thiemann 2003. 368 So dient Ludowici/Hardt beispielsweise der von Thietmar für die Domkirche verwendete Ausdruck »maior aecclesia« (Thietmar, Chronicon II, 3 (ed. Trillmich, S. 436)), als indirekter Beweis für die

zeitgleiche Existenz des Moritzmünsters, denn wenn es eine große (»maior«) Kirche gegeben habe, so die vermeintliche Folgerung, müsse auch eine kleinere existiert haben (Ludowici/Hardt 2004, S. 93). Nach demselben Muster dürfte man dann aus dem Namen »Otto der Große« schließen, dass es zeitgleich auch »Otto den Kleinen« gab. »Ecclesia maior« ist vielmehr eine im Mittelalter übliche Bezeichnung für Bischofskirchen, bei der das Adjektiv »maior« nicht die baulichen Maße, sondern den höheren Rang des Bauwerks in der kirchlichen Hierarchie ausdrückt. Deshalb ist in Magdeburg auch noch nach Beginn der Neubaukampagne in den Urkunden des 13. Jahrhunderts von einer »maior ecclesia« die Rede (s. bspw. Rosenfeld 1909), was nach der Argumentation von Ludowici/Hardt nicht sein dürfte. Weitere Kritikpunkte nennt: Seifert 2009. 369 Grabungsbericht der Kampagne bis 2009: Meller/Schenkluhn/ Schmuhl 2009. 370 Kuhn 2012a, S. 50–54; Ders. 2009b, S. 56–62. 371 Ebd. 372 Kuhn 2009b, S. 58. 373 Kuhn 2009a, S. 51; Ders. 2009b, S. 51–53. 374 Kuhn 2009c. 375 Nicolai 2012, S. 79f. Auf diese Variante wies in kürzerer Form auch Rainer Kuhn hin (Ders. 2009c, S. 231f.).

100

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

Diskussionswürdig wäre die Datierung Nicolais für

wäre. Dabei kann es durchaus zu einem Planwechsel ge-

die Erbauung der Südkirche, die er in die Zeit von 982/83

kommen sein, wie der Vergleich mit parallelen Bauprojek-

bis zum Ende der Amtszeit Taginos 1012 ansetzt.376 Die ar-

ten lehrt. Insofern könnte man die auf Hunfried bezoge-

chäologischen Befunde belegen eine Nutzung im 11. Jahr-

nen Baunachrichten so verstehen, dass der Chor samt der

hundert, wohingegen Spuren des 10. Jahrhunderts bisher

darunter befindlichen Krypta so weitreichend umgebaut

nicht nachgewiesen werden konnten. Auch die Datie-

wurde, dass 1049 eine neue Kryptaweihe vollzogen werden

rungsansätze der ergrabenen Krypta deuten ins 11. Jahr-

musste. Inwieweit die Krypta Taginos dabei umgeformt

hundert. Insofern darf man durchaus den Aussagen des

oder sogar ersetzt wurde, kann nach derzeitigem For-

Zeitzeugen Thietmar von Merseburg Glauben schen-

schungsstand nicht entschieden werden.

ken, die nicht nur auf Erzbischof Tagino als Initiator ei-

Für die Untersuchung der Bedeutung der Tradition

nes Neubaus hinweisen, sondern auch darauf schließen

des Ortes für die Kathedrale des 13./14. Jahrhunderts ist

lassen, dass zum Zeitpunkt der Beisetzung Taginos 1012

allerdings allein ausschlaggebend, dass sich der unmittel-

zwar die Krypta fertig gestellt war, aber der Bau des Cho-

bare Vorgängerdom nachweislich am selben Ort befand.

res noch im Gange war.377 Die Nachrichten über die Bau-

Der Kontinuität des Ortes kommt insofern eine grundle-

maßnahmen unter Erzbischof Hunfried weisen darauf

gende Bedeutung zu, da sie die Voraussetzung dafür schuf,

hin, dass der unter Tagino begonnene Neubau sich bis

dass eine Tradition des Ortes und nicht bloß eine instituti-

in die Mitte des 11. Jahrhunderts hinzog, was für ein Bau-

onelle Tradition auf die Architektur der neuen Kathedrale

werk in diesen Dimensionen eine realistische Zeitspanne

wirken konnte.

3.3 Materielle und gestalterische Strategien zur Verbildlichung der Tradition im neuen Chor Die Neuausrichtung der Kirche verhinderte die Integ-

Verwendung fanden, wo sie sich aufgrund ihrer Farbe,

ration alter Gebäudeteile in situ, welche die kaiserliche

Textur, Proportionen und Verarbeitung deutlich von der

Gründungsgeschichte des Magdeburger Doms hätten

gotischen Bausubstanz absetzen (Abb. 3.06, Taf. 3.02).

sichtbar in Erinnerung halten können. Das heißt aller-

Es lassen sich insgesamt zwölf Spolienschäfte zählen:

dings nicht, dass man beim Neubau auf die wirkungs-

vier im Chorpolygon, vier auf Höhe des Bischofsgangs

mächtigen Möglichkeiten einer visuellen Inszenierung

im Langchor und vier an den östlichen Vierungspfeilern

alter Materie verzichten wollte. Im Folgenden wird der

(Taf. 3.03).378 Dass es sich bei diesen Natursteinschäften

Frage nachgegangen, welche materiellen und gestalteri-

um Artefakte des alten Doms handelt, wird in der Litera-

schen Strategien zur Verbildlichung der Tradition des Or-

tur übereinstimmend aus der schriftlichen Überlieferung

tes beim Neubau des Chores verfolgt wurden.

geschlossen,379 denn Thietmar von Merseburg berichtet in seiner um 1010 verfassten Chronik380 bezüglich der Itali-

3.3.1 Die Natursteinsäulen

enreise Ottos des Großen: »Auch kostbaren Marmor, Gold und Edelsteine ließ der Kaiser nach Magdeburg schaf-

Herkunft

fen.«381 Bei den kostbaren Natursteinschäften handelt es

Besonders auffällig sind in dieser Hinsicht verschiedene

sich demzufolge um antike Spolien, die Kaiser Otto I. wohl

monolithische Säulen mit Schäften aus Marmor, Porphyr

aus Italien nach Magdeburg transferieren ließ,382 wo sie

und Granit, die im Chor des gotischen Doms eine neue

wahrscheinlich als Säulen der Langhausarkaden fungier-

376 Nicolai 2012, S. 80. 377 Eingehend mit den betreffenden Stellen auseinandergesetzt hat sich: Ehlers 2009, S. 132f. 378 Weitere Spolienschäfte, teilweise jedoch ohne Einbindung in die Architektur, befinden sich im Remter, in der Chorumgangskapelle und im Kreuzganginnenhof. S. hierzu die jüngst erstellten, sich vom Informationsgehalt ergänzenden Kataloge bei: Bosman 2012, S. 196f.; Brandl/Forster 2011, S. 70–73, 578–603. 379 Z. B.: Meckseper 2001, S. 367; Schubert 1989, S. 26; Giesau 1936, S. 29f.

380 Thietmar von Merseburg starb 1018 (Trillmich 1960, S. XXIII). Zur Datierung seiner Chronik: Ebd., S. XXIII–XXV. 381 Thietmar, Chronicon II, 17 (ed. Trillmich, S. 52): »Preciosum quoque marmor cum auro gemmisque cesar precepit ad Magadaburc adduci.« Dt. Übersetzung nach Trillmich. 382 Meckseper 2001, S. 370. – Cord Meckseper verweist zudem auf mineralogische Untersuchungen, welche die geographische Herkunft der Gesteine aus dem Mittelmeerraum bestätigen, sowie auf formale Befunde, welche auf eine Entstehung in antiker Zeit verweisen (Ders. 2001, S. 368).

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

101

3.06  Dom zu Magdeburg, Binnenchor, 1. Hälfte 13. Jh., im Vordergrund der Sarkophag Kaiser Ottos des Großen (Pietsch/Quast 2005, S. 73)

102

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

ten.383 Wenn es um 1000 tatsächlich zu einem Domneubau

dem Erzbistum einige Jahre nach dem Tod Ottos I. von

südlich des ottonischen Doms kam, wie es die jüngsten

Papst Benedikt VII. verliehen wurden. Der Magdeburger

Forschungen nahelegen,384 dann wären die Spolien zu-

Erzbischof erhielt das Recht, das Magdeburger Domkapi-

nächst von der Nord- in die Südkirche gelangt, bevor Sie

tel in der Art des römischen Kardinalskollegiums zu orga-

beim Domneubau des 13. Jahrhunderts abermals Verwen-

nisieren, dessen Mitglieder die Messe am Mauritiusaltar

dung fanden.

auf römische Weise zelebrieren durften.392

Ursprünglicher Symbolgehalt

chen Neubau rund 250 Jahre später erfolgte allerdings in

Die Wiederverwendung der Spolien im erzbischöfliDie Semantik von Spolien wird in der kunsthistorischen

einem anderen historischen Kontext und unter anderen

Forschung durchaus kontrovers diskutiert.385 In Magde-

Bedingungen. Man muss deshalb davon ausgehen, dass

burg spricht jedoch viel dafür, die Spolien als Symbole des

der Domklerus des 13. Jahrhunderts mit der abermaligen

Kaisertums zu interpretieren.386 Mit der Annahme der Kai-

Integration der Spolien andere Absichten verfolgte, als es

serwürde sah sich Otto der Große in der Nachfolge der rö-

der erste sächsische Kaiser im 10. Jahrhundert tat, womit

mischen Imperatoren, was sich unter anderem in den Ti-

sich folglich auch der Symbolgehalt der Säulen gewandelt

teln »Caesar«, »Augustus« und »Imperator« manifestierte,

hätte. Die Beantwortung der somit aufgeworfenen Fragen

die Otto nach seiner Kaiserkrönung im Unterschied zum

muss an dieser Stelle jedoch zurückgestellt werden, um zu-

vorherigen »Rex« führte.

Noch deutlicher kam dieser

nächst weitere Hinweise und Indizien zu suchen und zu

Anspruch schließlich bei seinem Sohn und Thronfolger

untersuchen, die eine ganzheitliche Interpretation im his-

zum Ausdruck, der sich unmissverständlich als »Impera-

torischen Kontext ermöglichen.393

387

tor Romanorum« titulieren ließ.

388

Die antiken Spolien,

deren Material und Form dem frühmittelalterlichen Be-

Die Präsentation im Chorhaupt

trachter die römisch-antike Herkunft offenbarte, ließen

Eine Analyse der Art und Weise, wie die Säulen in die

sich somit leicht als sichtbare Zeichen des römischen Kai-

architektonische Struktur des Chores integriert wurden,

sertums verstehen.

verspricht Hinweise auf die Gründe für die Wiederverwen-

389

Diese Symbolik war im frühen Mit-

telalter nördlich der Alpen keineswegs unbekannt, denn

dung der Spolien.

bereits Kaiser Karl der Große ließ für den Bau seiner 150

Die vier Säulen im Chorhaupt fallen besonders ins

Jahre älteren Pfalzkapelle in Aachen antike Spolien be-

Auge, denn sie stehen auf mit Diensten umstellten Wand-

schaffen (vgl. Abb. 4.12),390 so dass sich Otto zugleich als

pfeilern, die wie Postamente wirken, welche die kostbaren

dessen Nachfolger inszenierte.391

Spolien buchstäblich wie im übertragenen Sinne hervor-

Des Weiteren griff man mittels der Verwendung der

heben (Taf. 3.02). Auf diese Weise erscheinen die Schäfte

antiken Spolien im Magdeburger Dom die Architektur der

aus dem ottonischen Dom geradezu plakativ präsentiert.

bedeutenden frühchristlichen Basiliken in Rom auf, was

Das andersartige Material, die im mittelalterlichen Sach-

wiederum programmatisch verstanden werden dürfte: So

sen nur selten zu bestaunenden mediterranen Naturstein-

wie der Kaiser die Autorität römischer Imperatoren bean-

sorten wie Porphyr und Marmor, liefern dem Betrachter

spruchte, so sollte der hohe Rang der von ihm gegründeten

einen ersten Hinweis auf eine römisch-antike Herkunft

Bischofskirche durch die Angleichung an die altehrwürdi-

der Schäfte, was durch die Gestaltung der Kapitelle Bestä-

gen Basiliken Roms zum Ausdruck kommen. Die ange-

tigung findet (Abb. 3.07), die sich an antiken Kompositka-

strebte Rom-Angleichung Magdeburgs äußert sich auch

pitellen orientieren, also der vornehmsten Kapitellform

und vor allem in den außergewöhnlichen Privilegien, die

der römischen Antike.

383 Meckseper 2001, S. 374f.; Leopold 1989, S. 65; Schubert 1989, S. 26. – Eine der Säulen schenkte Otto I. eventuell dem Essener Damenstift, dem aus dem sächsischen Kaiserhaus stammende Äbtissinnen vorstanden (vgl. Kap. 4.4.2). 384 Kap 3.2. 385 Eine Aufarbeitung der Literatur zum Spolien-Diskurs würde den Rahmen dieser Arbeit leider sprengen, so dass hier lediglich auf eine zentrale Aufsatzsammlung zum Thema verwiesen wird: Poeschke 1996. 386 So z. B. Bosman 2012, S. 195f.; Schubert 1998, S. 30; Götz 1966, S. 102.

387 Keller 1976; Schramm 1957 [1929], S. 79. 388 Seit 982 war der Zusatz »Romanorum« allgemein gebräuchlich (Schramm 1957 [1929], S. 83). 389 In diese Richtung interpretiert die Spolien jüngst auch: Bosman 2012, S. 195f. 390 Jacobsen 1996. 391 Papst Johannes XIII. pries Otto als dritten großen Kaiser nach Konstantin und Karl (Schramm 1957 [1929], S. 68f.). 392 Beumann 2000; Claude 1972, S. 146f. 393 Kap. 3.5.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

103

3.07  Dom zu Magdeburg, antikisierendes Kapitell im Chorhaupt, erstes Drittel 13. Jh. (Hauke Horn, 2009)

Die Imitation antiker Kapitelle

korrespondieren und diese zu Säulen ergänzen, die pa-

Allerdings handelt es sich bei diesen Kapitellen spannen-

radoxerweise erst durch die Imitate formal eindeutig als

derweise um Neuanfertigungen des 13. Jahrhunderts, was

römisch-antik definiert werden. Somit fungieren die anti-

sich daran erkennen lässt, dass sie nicht vollplastisch ge-

kisierenden Kapitelle des 13. Jahrhunderts als Informati-

arbeitet wurden, sondern rückwärtig in das Mauerwerk

onsträger, welche die Herkunft der römischen Schäfte, so-

einbinden, ergo für die heutige Situation gefertigt worden

wohl zeitlich wie auch räumlich, kenntlich machen. Dies

sein müssen (vgl. Abb. 3.07).394 Dafür spricht auch die trotz

ist umso bemerkenswerter, als sich die Bildhauer nicht an

unterschiedlicher Schaftbreiten gleichbleibende Höhe der

den ursprünglichen Kapitellen orientiert haben, die als

Kapitelle.

Basen im Remter am Kreuzgang eine neue Verwendung

Die antikisierenden Kapitelle unterscheiden sich stilistisch deutlich von den übrigen Kapitellen des Chores,

fanden (Abb. 3.10),396 denn jene ähneln stilistisch eher byzantinischen Stücken des frühen Mittelalters.397

die in zeittypischen Formen der ersten Hälfte des 13. Jahr-

Der Befund liefert somit nebenbei die Erkenntnis,

hunderts gearbeitet wurden, wie etwa den Figurenkapitel-

dass die Bildhauer des 13. Jahrhunderts nicht auf einen

len des Chorumgangs (Abb. 3.08) oder den Kelchkapitel-

Stil beschränkt waren, wie es das stilgeschichtliche Mo-

len mit Knospen und/oder Blattwerk des Bischofsgangs

dell suggeriert, sondern durchaus verschiedene Stile kann-

(Abb. 3.09).

ten und diese auch bewusst einsetzten. Man konnte nicht

395

Für die antiken Säulenschäfte imitierten die

Bildhauer des 13. Jahrhunderts also bewusst antike Ka-

nur antike Kapitelle von zeitgenössischen unterscheiden,

pitellformen, welche mit den original antiken Schäften

sondern verfügte anscheinend über derart weitreichende

394 Eine stilkritische Auseinandersetzung mit den antikisierenden Kapitellen liefert Forster 2009a. 395 Zu den Kapitellen: Brandl/Forster 2011, S. 111–131, 168–174; Schubert 1989, S. 33–35; Ders. 1984, 28f. – S. auch Kap. 3.3.6.

396 Für die Schäfte der dortigen Säulen nutzte man wohl ebenfalls Spolien des ottonischen Doms. 397 Cord Meckseper führt als Vergleichsbeispiele Kirchen des 6.–8. Jahrhunderts in Norditalien und Istrien an (Ders. 2001, S. 370).

104

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

3.08  Dom zu Magdeburg, Chorumgang, Figurenkapitell, erstes Drittel 13. Jh. (Puhle 2009, Bd. 1, S. 85)

3.10  Dom zu Magdeburg, Säulenbasis im Remter, ehemals wohl als Spolienkapitell im ottonischen Dom genutzt, Herstellung wahr­ scheinlich im frühen Mittelalter im byzantinischen Einfluss­gebiet. Beim Schaft handelt es sich ebenfalls um eine der Spolien des ottonischen Doms (Puhle 2001, S. 370) Kenntnisse, dass man nicht etwa die ursprünglichen Kapitelle nachahmte, sondern eine stilisierte Form des Kompositkapitells wählte,398 welches formal auf die römische Antike verweist.399 Die Imitation geriet so überzeugend, dass Ernst Schubert wiederholt erwog, ob es sich bei den Kapitellen nicht um spätantike Spolien handeln könnte,400 was aber aufgrund der angeführten Argumente verneint werden muss. Die bewusste Imitation einer antiken Kapitellform, mit der man deutlich von der übrigen Kapitellplastik abwich, beweist, dass die antiken Schäfte auch im neuen Dom als antik erkennbar bleiben sollten. An dieser Stelle kann man

3.09  Dom zu Magdeburg, Chorempore, sog. Bischofsgang, Kelch­ kapitelle, erstes Drittel 13. Jh. (Pietsch/Quast 2005, S. 86)

noch einen Schritt weiter gehen und konstatieren, die Säu-

398 Während sich drei der Kapitelle eng am antiken Kompositkapitell orientieren, variierte man die Form des Kapitells der südlichen Säule, indem man u. a. das Blattwerk plastischer gestaltete. Eine Erklärung könnte die Figur des Mauritius liefern, welche von der Säule getragen wird, denn auf diese Weise wurde der Kirchenpatron besonders hervorgehoben. Das Kapitell wäre somit aus mittelalterlicher Sicht als gesteigerte Form eines antiken Kapitells zu verstehen.

399 Auch an anderen Stellen der Kirche griff man antiken Dekor in Form von Akanthusfriesen auf, welche dem Akanthus der Kapitelle stark ähneln (Kap. 3.3.4). Dies kann zum einen als weiterer Beleg für die Entstehung der Kapitelle im 13. Jahrhundert gewertet werden. Zum anderen lassen sich daraus vielleicht auch Rückschlüsse auf den Bauverlauf ziehen. 400 Schubert 1998, S. 22; Ders. 1989, S. 29, 37.

len sollten im Ganzen als antik wahrgenommen werden,

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

105

da man auf der anderen Seite davon ausgehen kann, dass

Bemühen, den römisch-antiken Bezugsrahmen mittels

die Kapitelle nicht als hochmittelalterliche Imitationen er-

der teilauthentischen Säulen im neuen Dom aufrecht zu

kannt werden sollten. Auch wenn die Ästhetik und Kost-

erhalten, legt nahe, dass die imperiale Symbolik im neuen

barkeit des seltenen Steinmaterials der Schäfte sicherlich

Kirchenbau erhalten bleiben sollte, wenn auch zu einem

wertgeschätzt wurde, reicht dies somit nicht als Erklärung

anderen Zweck.

für die Wiederverwendung im Magdeburger Domchor

Ein starkes Argument für diese Annahme liefert die

aus.401 Die eindeutige Konnotation der Säulen als römisch-

Inszenierung des Kaisergrabes, wo Spolien mit dem Sar-

antik, welche durch die Imitation antiker Kapitelle beson-

kophag Ottos räumlich und gestalterisch in Beziehung

ders evident ist, legt nahe, dass den Säulen auch im Chor-

gesetzt wurden (Abb. 3.11, Taf. 3.03). Der an der Schwelle

neubau ein symbolischer Wert beigemessen wurde.

zwischen Vierung und Sanktuarium prominent platzierte Sarkophag wird nämlich seitlich von zwei Säulen mit au-

3.3.2 Die Inszenierung des Kaisergrabes

thentisch antiken Schäften und Imitationen antiker Kapitelle flankiert (Abb. 3.12). Im Gegensatz zu den repräsen-

Architektonischer Kontext

tativ auf Postamente erhobenen Spolien im Chorhaupt

Die römisch-antike Konnotation der Säulen im ottoni-

stehen die Säulen am Kaisergrab lediglich auf dem nied-

schen Dom evozierte eine auf das römische Kaisertum

rigen Sockel der Vierungspfeiler und damit quasi auf dem

Ottos des Großen bezogene Symbolik. Das offensichtliche

Niveau des ebenerdig aufgestellten Sarkophags.402 Optisch

3.11  Dom zu Magdeburg, Binnenchor, Blick vom Chorhaupt nach Westen, im Hintergrund der Sarkophag Kaiser Ottos des Großen, flan­ kiert von Spolien (Sußmann 2002, S. 28)

401 Einige Autoren sehen allein den materialästhetischen Wert von Spolien als Grund für deren Verwendung. Zuletzt argumentierte Günther Binding in diese Richtung (Ders. 2007).

402 Im Mittelalter lag das Fußbodenniveau im Chor anscheinend über dem heutigen (Rogacki-Thiemann 2007, Anhang, Befund C/30), so dass der Sarkophag dementsprechend höher stand.

106

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

historischen Bezug zwischen dem kaiserlichem Bistumsgründer und den von ihm besorgten Spolien mit architektonischen Mitteln.

Grabplatte und Sarkophag Das Bedeutungsgeflecht zwischen Kaiser Otto, antiken Spolien und dem Magdeburger Dom offenbart sich auf materialikonologischer Vergleichsebene auch am Grab selbst, denn der Sarkophag wird von einer weißen Marmorplatte überdeckt (Abb. 3.13), welche vermutlich mit den Säulen im 10. Jahrhundert nach Magdeburg gelangte.403 Die Grabplatte ist deutlich größer als der Sarkophag, was darauf hindeutet, dass es sich ursprünglich um ein Bodengrab handelte, der üblichen Form für Gräber nicht nur des sächsischen Hochadels im 10. Jahrhundert.404 Der Sarkophag war demnach im ottonischen Dom in einer Grube im Boden beigesetzt worden, welche mit der Marmorplatte ebenerdig überdeckt wurde.405 Abweichend von den Gräbern der übrigen sächsischen Elite bestand Ottos Grabplatte jedoch nicht aus regionalem Gestein, sondern eben aus antikem Marmor, was verdeutlicht, welch hoher Stellenwert dem symbolisch aufgeladenen Material für die Repräsentation des ersten sächsischen Kaisers offensichtlich beigemessen wurde. Hinsichtlich der Inszenierung des Grabmals im neuen

3.12  Dom zu Magdeburg, antikisierendes Kapitell, Säule nördlich des Kaisersarkophags, erstes Drittel 13. Jh. (Hauke Horn, 2009)

Chor lassen sich somit mehrere wichtige Punkte festhalten. Man entschied sich im Gegensatz zum vorherigen Zustand für eine oberirdische Aufstellung des Sarkophags,

tragen die Säulen einen kräftigen Dienst, der sich bis zum

dessen nun erfahrbare Körperlichkeit die visuelle Präsenz

Gewölbe erstreckt, erfüllen statisch jedoch praktisch kei-

des Kaisergrabes erhöhte. Des Weiteren fertigte man kein

nen Zweck, weil die Trommeln des Dienstes in die Chor-

neues Grabmal, sondern stellte den ursprünglichen Sar-

wand einbinden (vgl. Abb. 3.12). Angesichts der mächtigen

kophag mit der zugehörigen Grabplatte auf. Dabei nahm

Dimensionen des Dienstes erscheint eine konstruktive

man billigend in Kauf, dass die nunmehr überdimensio-

Funktion der Säulen ohnehin nicht glaubhaft. Die tekto-

niert erscheinende Grabplatte seitdem an den Kanten ei-

nisch zweckfreie Einbindung der Säulen in das Dienstsys-

ner helfenden Stützkonstruktion bedarf, deren Zustand

tem belegt somit deren primär gestalterische Intention.

im Domführer von 1702 überliefert ist (Abb. 3.14).406 Folgt

Der Sarkophag des nach mittelalterlichem Verständnis

man Schubert und Lobbedey darin, dass die barocke Gra-

»römischen« Kaisers wird somit von »römischen« Säulen

phik im unteren Teil noch den spätromanischen Zustand

repräsentativ gerahmt und gestalterisch besonders hervor-

wiedergeben könnte, dann blieb der alte Kaisersarkophag

gehoben. Zugleich verbildlichte man auf diese Weise den

durch diese auch im Mittelalter sichtbar.407 In jedem Fall

403 Schubert/Lobbedey 2001, S. 384. 404 De Blaauw, S. 279f.; Schubert/Lobbedey 2001, S. 385. Ottos Eltern Heinrich I. und Mathilde beispielsweise wurden in Quedlinburg in einem Bodengrab beigesetzt. 405 Sible de Blaauw schlägt hypothetisch vor, dass Otto in einem Bodengrab beigesetzt wurde, über dem der heute sichtbare Sarkophag als leere Tumba stand (Ders. 2012, S. 282). Hierfür liegen jedoch keine Indizien vor. 406 Laut einer barocken Beschreibung der Domkirche war das Grabmal um 1700 von einem hölzernen Geschränk umgeben, das bis zum

Dreißigjährigen Krieg versilbert war (Magd. Domführer 1702, Cap. II (Im Chor), 7). Die zugehörige Abbildung zeigt eine um den Sarkophag herumlaufende Arkatur, welche die Marmorplatte, auf die im Text explizit hingewiesen wird, stützt. 407 Schubert/Lobbedey 2001, S. 387. Die Abbildung muss sehr kritisch interpretiert werden, da sie den Sarkophag definitiv verfremdet wiedergibt und damit keine exakte Dokumentation des damaligen Bestandes vorlegt. Geht man jedoch davon aus, dass der Zeichner nicht frei erfunden hat, so könnte die barocke Graphik tatsächlich in vereinfachter Form eine Dreipassarkatur wiedergeben, die

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

3.13  Dom zu Magdeburg, Sarkophag Kaiser Ottos des Großen mit ursprünglicher Marmor-Grabplatte, letztes Viertel 10. Jh. (Quast/Jerratsch 2004, S. 64)

3.14  Sarkophag Kaiser Ottos des Großen, Zustand um 1700, Arkatur im unteren Bereich vermutlich 13. Jh. (Puhle 2009, Bd. 1, S. 204)

107

108

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

gleichsam das Rückgrat der Kirche bilden (Taf. 3.03).409 Des Weiteren erinnerte die Situierung inmitten des liturgischen Chores die Chorherren ständig an das Gebet für das Seelenheil des hochadligen Fundatorenpaares, zu dem sie verpflichtet waren.410 Doch auch über die Memoria Ottos hinaus bezog man dessen Grabmal in vielfältiger Weise in die liturgischen Abläufe mit ein und inszenierte es bei zahlreichen Gelegenheiten.411 So verneigten sich die Kleriker davor und besprengten es allsonntäglich mit Weihwasser, es brannten dort wohl fortlaufend Kerzen und an Festtagen wurde es mit Tüchern dekoriert. Anlässlich der Memorie des Kaisers, der Kirchweihe und des Mauritiusfestes involvierte man das Grab in besonderem Maße, indem man zahlreiche Reliquien darauf positionierte.412 Besonders symbolträchtig geriet dabei die Postierung eines Kopfreliquiars des Kirchenpatrons Mauritius über dem Haupt des Kaisers, welches dann mit einer Krone gekrönt wurde, welche der mittelalterlichen Legendarik zufolge einstmals dem Kaiser gehörte.413

3.3.3 Die Reliquiennischen 3.15  Dom zu Magdeburg, Sarkophag Königin Ediths, 1510 (Puhle 2009, Bd. 1, S. 367)

Hinsichtlich der Bewahrung und Präsentation originaler Elemente des Vorgängerdoms fällt noch ein weiterer As-

sollte die originale Marmorgrabplatte erhalten bleiben

pekt ins Auge: Zwischen den Kapitellen der Säulen des

und zur Geltung kommen. Die fortwährende Wertschät-

Chorpolygons sitzen kleine Nischen mittig in der Wand

zung der Authentizität des Grabmals Ottos des Großen

(Taf. 3.02), welche im Mittelalter Reliquienkästchen be-

zeigt sich auch darin, dass Sarkophag und Grabplatte im

herbergten, die im Dreißigjährigen Krieg von den kaiser-

Gegensatz zur Tumba der Königin Edith (Abb. 3.15) bis

lichen Soldaten geraubt wurden.414 Blendarkaturen aus

heute nicht verändert wurden.408

Dreipassbögen, die von gestauchten Säulchen gestützt werden, heben die Nischen gestalterisch hervor. Die un-

Aufstellungsort und liturgische Inszenierung

gewöhnliche Art der plakativen Zurschaustellung der Re-

Schließlich diente auch der Aufstellungsort als Mittel zur

liquien in unmittelbarer Nähe der Marmorsäulen veran-

Inszenierung des Kaisergrabes, dessen Platzierung auf

lasste die Forschung,415 sie mit zwei Stellen in Thietmars

der Mittelachse des Doms einen evidenten räumlichen

Chronicon zusammenzubringen, wo berichtet wird, dass

Bezug zum Kreuzaltar, Hochaltar und dem Edithgrab auf

Otto der Große nicht nur »kostbaren Marmor«,416 sondern

derselben Achse herstellt, so dass die vier Monumente

auch »viele Leiber von Heiligen [...] durch seinen Kaplan

stilistisch gut in die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts passen würde. Die Balustrade oberhalb der Grabplatte gibt sich stilistisch als frühneuzeitliche Ergänzung zu erkennen. 408 Die im barocken Domführer abgebildete Einfassung wurde wahrscheinlich 1832 entfernt (Schubert/Lobbedey 2001, S. 387). – Zum Grabmal der Edith s. Kap. 3.4.4. 409 Bernd Päffgen schlägt vor, dass auch die sechzehneckige Kapelle mit dem Herrscherpaar, welche er als »Heiliges Grab« interpretiert, ursprünglich auf der Mittelachse der Kirche stand, und zwar entweder zwischen Otto-Grabmal und dem Hochaltar oder zwischen Hochaltar und dem Edithgrabmal (Päffgen 2009, S. 205f.; 210f.). Diese These kann jedoch nicht überzeugen, denn im ersten Fall ­hätte die Kapelle dem Domklerus die Sicht vom Chorgestühl auf den Hochaltar versperrt, im zweiten Fall hätte der Platz zwischen Hochaltar und Arkadenpfeilern kaum ausgereicht. Insofern ver-

wundert es nicht, dass Päffgen keine Belege für seine Annahmen anführen kann. Diese Verpflichtung ließ Otto in der Gründungsurkunde des Moritzklosters, also der Vorgängerinstitution, festschreiben (Althoff 2001, S. 344; Claude 1972, S. 32). Kroos 1989, S. 90f. und Fußnoten 56f. Zu den Reliquien: Kühne 2009, S. 184–186. Kroos 1989, S. 91 und Fußnote 58; Sciurie 1989, S. 164. »Oben im Chor seynd fünff mit Eisen verwahrte Kasten so voller Reliquien gewesen, welche die Kayserlichen im Auszuge mitgenommen ...« (Magd. Domführer 1702, Cap. II (Im Chor), 2). – Die Sandsteingitter, welche die Öffnungen heute verschließen, stammen von 1851 (Brandt 1863, S. 64). Z. B. Schubert 1989, S. 34; Ders. 1984, S. 31. Thietmar, Chronicon II, 17 (ed. Trillmich, S. 52).

410 411 412 413 414

415 416

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

Dodo aus Italien nach Magdeburg bringen ließ.«417 Weiter-

109

der Reliquien fällt auf, dass diese auf Höhe der Kapitelle

hin erfährt man dort: »In sämtliche Kapitelle der Säulen

in die Wand eingebracht wurden, mit denen sie eine hori-

befahl er [=Kaiser Otto I.] sorgsam Reliquien von Heiligen

zontale Zone bilden, die nach oben von einem Gesims klar

einzuschließen.«418

begrenzt wird. Auf diese Weise wird ein räumlicher Bezug

Beim Neubau des Chores im 13. Jahrhundert verhin-

zwischen Kapitellen und Reliquien hergestellt, welcher

derte die neue Aufstellung der ehemals freistehenden Säu-

den ursprünglichen Zusammenhang geradezu bildlich zu

len vor der Wand des Chorpolygons die Weiterverwendung

veranschaulichen scheint.

der originalen Kapitelle.419 Dennoch wäre ein erneutes Einbetten der Reliquien in die neu geschaffenen Kapitelle

3.3.4 Die Imitation alter Formen

konstruktiv problemlos möglich gewesen. Bemerkenswerterweise entschied man sich jedoch gegen diese Mög-

Antikisierende Formen im Chor

lichkeit und präsentierte die Reliquien stattdessen offen

Neben der beschriebenen Integration und Inszenierung

sichtbar in der Wand des Chorpolygons und betonte sie

authentischer Teile des ottonischen Doms lassen sich

mit dem architektonischen Würdemotiv der Arkade.420 Ei-

im Bauwerk des 13. Jahrhunderts auch Imitationen alter

nerseits behielt man damit eine architektonische Bindung

Formen beobachten. In erster Linie wären hier die Kapi-

der Reliquien auch im gotischen Neubau bei, andererseits

telle der Säulen im Chorhaupt zu nennen, bei denen es

stellte man die vormals verborgenen Reliquien nunmehr

sich anbot, sie im Zusammenhang mit den authentischen

demonstrativ zur Schau. Hinsichtlich der Positionierung

Schäften zu behandeln (Abb. 3.16; vgl. Abb. 3.07, 3.12).421

3.16  Dom zu Magdeburg, antikisierendes Kapitell im Chorhals, erstes Drittel 13. Jh. (Hauke Horn, 2009)

417 Thietmar, Chronicon II, 16 (ed. Trillmich, S. 50): »Multa sanctorum corpora imperator ab Italia ad Magdaburg per Dodonem capellanum suimet transmisit.« Dt. Übersetzung nach Trillmich. 418 Thietmar, Chronicon II, 17 (ed. Trillmich, S. 52): »In omnibusque columnarum capitibus sanctorum reliquias diligenter includi iussit.« Dt. Übersetzung nach Trillmich. 419 Kap. 3.3.1.

420 Diese Formen erinnern stark an die mutmaßliche Umfassung des Kaisersarkophags im 13. Jahrhundert (vgl. Abb. 3.14; Kap. 3.3.2). Möglicherweise wurde auf diese Weise ein bewusster formaler Bezug zwischen Otto und den von ihm für den ersten Dom beschafften Reliquien hergestellt. 421 Kap. 3.3.1.

110

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

3.17  Dom zu Magdeburg, Chorlängsschnitt, Blick nach Norden (Brandl/Forster 2011, Pl. 2 [Ausschnitt]) Authentische Schäfte mit Imitationen antiker Kompo­

schen Dom integrierte man stattdessen auf Höhe des Bi-

sitkapitelle integrierte man zudem in die beiden Stütz-

schofsgangs, welche allerdings mit einem zeitgenössischen

strukturen am Übergang vom Chorhals zum Chorhaupt

Knospenkapitell (Abb. 3.19) bzw. einem Kelchblockkapitell

(Abb. 3.17, 3.18). Die Spolien befinden sich auf der Höhe

abschließen. Anscheinend orientierte man sich an dieser

der Heiligenskulpturen, so dass sie deren Reihe würde-

Stelle an der horizontalen Ordnung der Kapitelle im Chor-

voll rahmen. Ein beredtes Zeugnis von der tektonischen

haupt. Abweichend von den übrigen Säulen mit Natur-

Auffassung des Mittelalters geben die antikisierenden Ka-

steinschäften nutzte man die Spolien an dieser Stelle als

pitelle. Diese wurden so gestaltet, als seien zwei Kapitelle

Mittelteile von Schäften, machte die integrierte alte Mate-

miteinander verschmolzen, wobei das zweite Kapitell kopf-

rie aber dennoch konstruktiv kenntlich, indem man analog

über auf dem ersten steht, im Gesamten also optisch einer

dem Halsring der Spolie die neugefertigten Schaftkompar-

Säule folgt, die allerdings um 180 Grad gedreht wurde, so

timente mit Ringen versah, so dass der Gesamtschaft er-

dass das Kapitell die Basis bildet und umgekehrt.422

kennbar aus drei übereinander gestapelten Teilen besteht.

Weitere antikisierende Kapitelle wurden für die beiden

Über diesen kompositen Säulen befinden sich wie-

kompositen Stützstrukturen zwischen den beiden Jochen

derum auf Höhe der Arkadenbögen des Bischofsgangs

des Chorhalses geschaffen, wo sie die Dienste des Erdge-

Wandpfeiler, welche von breiten Kanneluren struktu-

schosses krönen (vgl. Abb. 3.16). Schäfte aus dem ottoni-

riert werden, so dass sie Assoziationen an antike Pilaster

422 Des Weiteren zeigt sich, dass der aus Trommeln zusammenge­ setzte Teil des Dienstes oberhalb der Spolie als Pendant zu jener

konzipiert wurde und somit ebenso als Säule gelesen werden muss.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

111

hervorrufen (vgl. Abb. 3.06). Der Sinn dieser Elemente erscheint rätselhaft, da sich in der tragkonstruktiven Systematik des Chores keine Entsprechung findet, wie überhaupt der Aufbau der Stützstruktur im architektonischen Gesamtkontext nur bedingt zu verstehen ist. Fest steht jedoch, dass die Struktur sowohl durch die Imitation alter Formen als auch durch die Integration alter Materie deutliche formale Bezüge zur Vergangenheit aufweist.

Pfeilerformen des 11. Jahrhunderts Ganz ähnlich den kannelierten Wandpfeilern im Langchor gestaltete man die beiden Mittelpfeiler der Doppelarkaden des Bischofsgangs, welche die Empore im Norden und Süden zum Chorpolygon hin öffnen (vgl. Abb. 3.17, Taf. 3.04). An den Seitenflächen verweisen breite Kanneluren auf antike Stützelemente.423 Vor diesen Pfeilern stehen die beiden einzigen Heiligenfiguren,424 die nicht von einer antiken Spolie getragen werden, weil sie sich über einem

3.19  Dom zu Magdeburg, antiker Spolienschaft aus dem ottonischen Dom mit zeit­genössischem Knospenkapitell, darunter antikisierendes Kapitell des 13. Jh. über zeitgenössischem Dienst, Stützstruktur im Chor­hals in Höhe des Bischofsgangs, Nordseite (Hauke Horn, 2009) 3.18  links: Dom zu Magdeburg, Stützstruktur am Übergang zum Chorhaupt in Höhe des Bischofsgangs, Südseite, integrierter Spolienschaft aus dem ottonischen Dom mit neuem, antikisieren­ dem Doppelkapitell (Hauke Horn, 2009) 423 Kannelierte Pfeiler existieren beispielsweise in der Villa des Kaisers Hadrian in Tivoli, Italien. Wie die Stäbe an den Ecken zeigen, wollte man allerdings antike Stützelemente nicht genau kopieren, sondern einen Antikenbezug allein durch die Kanneluren herstellen.

424 Die beiden Figuren werden als Andreas und Innozenz gedeutet (Sciurie 1989, S. 163; Schubert 1984, S. 31).

112

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

Bogen befinden. Der Antikenbezug der Pfeiler könnte

hunderts sowie die mehrschichtigen Parallelen zwischen

eventuell in diesem Zusammenhang gesehen werden, ge-

der ehemaligen Krypta des Magdeburger Doms und dem

wissermaßen als Surrogat für die Spolien. Die Pfeilerecken

Essener Pendant lassen zusammengenommen die An-

profilierte man hingegen ohne antikes Vorbild mit Rund-

nahme zu, dass die Formen der kannelierten Pfeiler im

stäben, deren Enden in Schilde münden, welche stark an

neuen Chor des Magdeburger Doms auf Formen der ro-

Würfelkapitelle erinnern, so dass die Stäbe als freie Vari-

manischen Krypta des 11. Jahrhunderts rekurrieren, wel-

ationen von Ecksäulen aufgefasst werden können.425 Auf

che durch die Achsdrehung des Neubaus bekanntlich

diese Weise entsteht der Eindruck von kannelierten Pfei-

verloren ging. Vielleicht hielt man diese Pfeilerform, wie

lern, die von kleinen Säulchen gerahmt werden.

die Säulen, im 13. Jahrhundert für antik. Die Kanneluren

Im Ganzen erinnern die im 13. Jahrhundert entstande-

weisen schließlich tatsächlich auf einen gewissen Anti-

nen Pfeiler erstaunlich deutlich an Pfeiler der Frühroma-

kenbezug hin, den man wohl bereits bei den Vorbildern

nik. So zeigen beispielsweise die Kryptapfeiler des Essener

des 11. Jahrhunderts anstrebte. Auch die ähnlich gestal-

Doms aus der Mitte des 11. Jahrhunderts einen auffallend

teten Wandpfeiler im Langchor, welche an Pilaster erin-

ähnlichen Aufbau (Taf. 4.14).426 Die Ecken werden von

nern und damit noch deutlichere Assoziationen zur An-

runden Schäften besetzt, die in Schilden enden, welche in

tike wecken, deuten in diese Richtung. Es liegt nahe, auch

Essen mittels einer Reliefierung noch deutlicher als verein-

in diesem Fall davon auszugehen, dass Formen des otto-

fachte Kapitelle ausgewiesen sind, während die Seitenflä-

nischen Doms direkt aufgegriffen wurden. Wie an vielen

chen der Pfeiler mit antikisierenden Kanneluren profiliert

Stellen jedoch bereits deutlich wurde, wird die Antike im

wurden. Wenn man bedenkt, dass enge verwandtschaftli-

Magdeburger Dom des 13. Jahrhunderts stets durch den

che Beziehungen zwischen den ottonischen Kaisern und

Filter des ottonischen Gründungsbaus betrachtet. In je-

den Essener Äbtissinnen bestanden,427 so gewinnt der Ver-

dem Fall kann jedoch festgehalten werden, dass Elemente

gleich mit Essen an Tiefe und geht über formal-stilistische

des ottonischen Doms auf zwei unterschiedliche Weisen

Aspekte hinaus. In diesem Kontext erscheint es auffallend

in den neuen Dom überführt wurden: zum einen, indem

passend, dass zur Mitte des 11. Jahrhunderts in Magdeburg

man originale Teile wiederverwandte, und zum anderen,

und Essen parallel zwei neue Ostkrypten angelegt wurden:

indem man alte Teile imitierte.

Auf die Weihe der Magdeburger Krypta 1049 unter Erzbischof Hunfried folgte nur zwei Jahre später die Weihe in

Antikisierende Formen des Bischofsgangs

Essen 1051 unter Äbtissin Theophanu.

Im Bischofsgang lassen sich an signifikanten Stellen anti-

428

Eine enge formale Beziehung zwischen dem ehemali-

kisierende Formen beobachten. Obgleich in diesem Raum

gen Essener Münster und der Magdeburger Krypta legen

zeitgenössische Knospenkapitelle dominieren, finden sich

die halbrunden Wandnischen aus dem 11. Jahrhundert

vereinzelt auch Säulen, die von antikisierenden Kompo-

nahe, die sich in den Seitenschiffen der Essener Kirche er-

sitkapitellen bekrönt werden, welche stilistisch eine starke

halten haben,429 denn ebensolche konnten durch Ausgra-

Ähnlichkeit mit den Kapitellen der Spolien im Chor auf-

bungen in der Magdeburger Krypta nachgewiesen werden.

weisen (Abb. 3.20).431 Eine der Säulen befindet sich auf der

In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben darf

Nordseite zur Rechten des Treppenaufgangs, welcher ehe-

die Essener Kreuzsäule mit dem antiken Spolienschaft

mals in den erzbischöflichen Palast führte.432 Es böte sich

(vgl. Abb. 4.23), die vielleicht sogar aus dem Fundus Ottos

förmlich an, dieses Kapitell als gestalterische Betonung

des Großen für Magdeburg stammt.430

der Übergangssituation zu deuten und einen inhaltlichen

Die Ähnlichkeit der Magdeburger Pfeiler des 13. Jahr-

Bezug zwischen der antikisierenden Kapitellplastik und

hunderts mit denjenigen der Essener Krypta des 11. Jahr-

der Person des Erzbischofs herzustellen. Die architektoni-

425 Mit einer vermutlich vorhandenen Bemalung war dies vielleicht noch deutlicher zu erkennen. 426 Zur Krypta des Essener Doms s. Kap. 4.3.2. 427 Kap. 4.1. und 4.5.2. 428 Zur Weihe der Magdeburger Krypta: Kroos 1989, S. 90; Schubert 1989, S. 28; vgl. auch Kap. 3.2. – Die Weihe der Essener Krypta ist inschriftlich gesichert (Abschrift und Foto s. Zimmermann 1956, S. 250f.). 429 Kap. 4.3.3. 430 Kap. 4.4.2.

431 Sowohl im Chor als auch im Bischofsgang wurden die Akanthusblätter betont geradlinig gearbeitet, mit einer Tendenz zu geometrischer Vereinfachung, was ihnen eine feierliche Strenge verleiht. Die Blattspitzen zweier Blätter berühren sich in regelmäßigem Muster und lassen die Bögen der Adern fließend ineinander übergehen, so dass eine gewisse Ornamentalisierung des Blattwerks unverkennbar ist. Wie die Kapitelle im Chor, binden auch die Exemplare des Bischofsgangs rückwärtig in die Pfeiler ein, so dass es sich zweifelsfrei um Arbeiten des 13. Jahrhunderts handelt. 432 Brandl/Forster 2011, S. 149; Nicolai 1989, S. 153.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

113

im Bischofsgang, hinter denen sich der Raum mittels einer geräumigen Nische weitet. Der besondere Kapitellschmuck und die besondere räumliche Situation sprechen dafür, dass sich in den Nischen einstmals etwas Wichtiges befunden haben muss. Worum es sich dabei handelte, kann allerdings leider aufgrund des ungenügenden Forschungsstandes bezüglich der liturgischen Nutzung des Bischofsgangs derzeit nicht ermittelt werden.433 Die Wahl antikisierender Kapitellplastik könnte jedoch einen Hinweis auf etwas geben, das mit der Tradition der Kirche in Verbindung steht. In Anlehnung an römischen Architekturdekor entstand zudem ein Akanthusfries,434 welcher die Kalotte einer apsidialen Nische rahmt, die in der Ostwand der Chorempore sitzt (Taf. 3.06). Auf der Mittelachse der Kirche liegend kann diese Apsidiole auch vom Mittelschiff aus gesehen werden, was wohl die ungewöhnliche Größe der Blätter erklärt, die das antikisierende Motiv auch aus der Entfernung erkennbar machte. Optisch getragen wird der Bogenfries von zwei Säulen, so dass im Ganzen ein Arkadenmotiv entsteht, welches den Altar in der Apsidiole ebenso nobilitiert wie den Zelebranten davor, was einen inszenatorischen Bezug zu liturgischen Handlungen herstellt. Abermals kann aufgrund fehlender Kenntnisse über die mittelalterliche Nutzung des Raumes aber nicht

3.20  Dom zu Magdeburg, antikisierendes Kompositkapitell, erstes Drittel 13. Jh., Detail zu Taf. 3.05 (Hauke Horn, 2009)

erschlossen werden, inwiefern Sinnzusammenhänge mit der Tradition des Ortes bestanden. Fest steht jedoch, dass das römische Motiv zur Auszeichnung einer besonderen

sche Situation mit der Treppe deutet allerdings darauf hin,

Situation herangezogen wurde.

dass ein Fenster im Nachhinein zu einem Portal umfunk-

Interessanterweise wurde der Bischofsgang auch au-

tioniert wurde, so dass sich das Kompositkapitell wahr-

ßen mit einem Fries aus antikisierenden Akanthusblät-

scheinlich an der heutigen Stelle befand, bevor man den

tern geschmückt,435 welche den Blättern des Apsidiolen-

Übergang zum Palast realisierte.

bogens im Inneren stark ähneln (Abb. 3.21).436 Der Fries

Dafür, dass man bei der Errichtung des Kapitells eine

befindet sich unterhalb des Traufgesimses der Chorem-

andere Intention verfolgt hatte, spricht auch, dass sich

pore und umläuft die gesamte Ostpartie einschließlich

auf der Südseite an spiegelbildlicher Stelle im Grund-

der beiden Türme am Querhaus. Bei den Pfeilern der Bi-

riss ein weiteres Kompositkapitell befindet, ohne dass

schofsgangarkaden konnte aufgezeigt werden, dass deren

eine entsprechende Übergangssituation vorhanden wäre

altertümliche Form wahrscheinlich auf Pfeiler der Krypta

(Taf. 3.05). Ansonsten stimmt die architektonische Si-

des Vorgängerdoms rekurrieren.437 Möglicherweise resul-

tuation allerdings überein. Die antikisierenden Säulen

tieren auch die Akanthusfriese aus einem Formentransfer

stehen jeweils vor den einzigen freistehenden Pfeilern

vom ottonischen Dom.

433 Vgl. Kroos 1989. 434 In der Literatur wird der Fries zum Teil fälschlicherweise als Palmettenfries bezeichnet. Die spitz ziselierten Blattspitzen sind aber ein eindeutiges Kennzeichen für Akanthus. Durch eine natürlichere Gestaltung unterscheiden sich diese Akanthusblätter stilistisch von denen der Kapitelle. 435 Auch dieser Fries wird in der Literatur oftmals mit einem Palmettenfries verwechselt (vgl. vorherige Anm.).

436 Die Akanthusblätter sitzen paarig auf Steinplatten, die sich konkav nach außen wölben. In den Zwischenräumen treten Pflanzen hervor, deren Wachstum den Fries aufzusprengen scheint und somit die Wölbung der Platten verursacht. 437 S. weiter oben.

114

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

3.21  Dom zu Magdeburg, antikisierender Akanthusfries, erstes Drittel 13. Jh., Chor, Traufgesims des Bischofsgangs (Hauke Horn, 2009)

Eine ins 10. Jahrhundert datierte Elfenbeintafel im Liebieghaus ist diesbezüglich sehr aufschlussreich (Abb.

3.3.5 Die Wandstruktur im Chorhaupt als integratives Ordnungssystem

3.22),438 denn sie belegt nicht nur, dass solche Dekore zur fig waren, sondern bildet einen derartigen Fries auch in

Unterscheidung zwischen dem sichtbaren Tragsystem und der tatsächlichen Lastabtragung

einem architektonischen Kontext ab. So zeigt die Tafel ne-

Die Wand des Chorhauptes wird von einem kompositen

ben dem umlaufenden Akanthusrahmen im Hintergrund

Primärtragsystem geprägt, welches scheinbar die Lasten

eine ziboriumartige Architektur mit einem Traufgesims

des Gewölbes abträgt. Anstelle durchlaufender Dienste

aus Akanthusblättern. Die stilisierte Form der Blattrei-

setzen sich die vertikalen Stützstrukturen aus unterschied-

hung und die Tendenz, die einzelnen Blätter ineinander

lichen Komponenten zusammen, und zwar vom Boden

übergehen zu lassen, um ein fortlaufendes Band zu bilden,

ausgehend jeweils aus einem mit drei Diensten umstellten

lässt sich auch in Magdeburg beobachten, so dass sogar

Wandpfeiler, den Säulen mit den Schäften des ottonischen

stilistische Ähnlichkeiten attestiert werden können.

Doms, monumentalen Heiligenskulpturen vor schlanken

Zeit der Gründung der Magdeburger Bischofskirche geläu-

Es spricht somit einiges dafür, dass die Bildhauer des

Säulchen und schließlich langen Diensten in der Oberga-

13. Jahrhunderts Akanthusformen des alten Doms ko-

denzone, auf denen die Rippen des Gewölbes fußen (vgl.

pierten. Überdies würde es eine Erklärung für den alter-

Abb. 3.06, Taf. 3.02).

tümlichen Stil des Akanthus auf den Kompositkapitellen

Die tektonische Struktur erweckt beim Betrachter den

liefern: Die Bildhauer schufen zwar Kapitelle nach rö-

Eindruck, dass die Lasten des Gewölbes über die komposi-

misch-antikem Vorbild, hätten sich bei dem Stil des Akan-

ten Vertikalstrukturen abgetragen würden, was allerdings

thus jedoch an Formen des Vorgängerdoms orientiert.

nicht dem tatsächlichen Kräfteverlauf entspricht. Die

438 Kosch 2001, S. 287.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

115

3.22  Elfenbeintafel mit Darstellung eines Akanthusfrieses am Traufgesims, datiert ins 10. Jh., Liebieghaus, Frankfurt a. M. (Puhle 2001, S. 287)

Dienste etwa stehen nicht als eigenständige Elemente vor der Wand, sondern binden in das Mauerwerk des Obergadens ein, mit dem sie folglich eine statische Einheit bilden. Obgleich die Dienste wie Stützen eines Skelettbaus gestaltet wurden, entsprechen sie statisch betrachtet also Wandvorsprüngen, so dass die Abtragung der Gewölbelasten in Wirklichkeit über die gesamte Wand des Chores erfolgt. Da das komposite Tragsystem folglich nicht rein konstruktiv begründet werden kann, liegen seiner Form offensichtlich auch gestalterische Intentionen zugrunde.439

Die Symbolik des Tragens In der Bibel finden sich zahlreiche architektonische Metaphern,440 welche beim mittelalterlichen Kirchenbau aufgegriffen wurden.441 Die Säulen eines Bauwerks übernehmen buchstäblich eine tragende Funktion und stellen damit einen für die Festigkeit des Gebäudes essentiellen Bestandteil dar. Es liegt auf der Hand, diese statische Bedeutung auch im übertragenen Sinne zu gebrauchen. Bruno Reudenbach arbeitete beispielsweise heraus, dass Säulen häufig als Metapher für die Apostel gedeutet wurden:442 So wie die Säulen das Kultgebäude Kirche tragen, tragen die Apostel die Kirche im Sinne der Glaubensgemeinschaft. Im Dom Ottos des Großen versuchte man, eine ähnliche Metaphorik nahezu wortwörtlich umzusetzen, indem man Reliquien von Heiligen in die Kapitelle der antiken Säulen einbettete.443 Von einem anderen Standpunkt aus ließen sich die Säulen, wie gezeigt, als Symbole des römischen Kaisertums Ottos verstehen.444 Wenn aber die tragende Funktion der Säulen symbolisch ausgedeutet wurde und die Säulen zugleich als imperiale Zeichen verstanden wurden, so kann ein Sinnzusammenhang zwischen den beiden semantischen Ebenen hergestellt werden. In diesem Sinne ließen sich die quasi-antiken Säulen im ottonischen Dom 439 Die Unterscheidung zwischen der optischen Gestaltung eines Tragsystems und dem tatsächlichen Kräftefluss lässt sich übrigens auch bei zahlreichen weiteren Kirchenbauten der Zeit nicht nur im deutschen Raum treffen und muss somit als Charakteristikum gotischer Kirchen angesehen werden. 440 Z. B. Paulus, Eph. 2, 19–22. 441 Eine Übersicht der Literatur zum Thema würde eine eigene Studie ergeben, so dass hier nur auf die zwei Standardwerke von Bandmann 1979 [1951] und Sauer, J. 1924 hingewiesen wird. 442 Reudenbach 1980. 443 Kap. 3.3.3. 444 Kap. 3.3.1.

116

auch als Zeichen dafür deuten, dass der Kaiser als Stütze

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

gen und Architektur neu inszenieren wollen. Anstelle der

der Kirche im Sinne der Glaubensgemeinschaft fungierte.

Reliquien, welche aufgrund der plakativen Zurschaustel-

Während die antiken Säulen im ottonischen Dom als

lung im Chor des neuen Doms ihre ursprünglich tragende

Träger der Arkadenbögen des Mittelschiffes systemre-

Symbolik verloren, bringen nunmehr die Skulpturen die

levante tragkonstruktive Teile des Gebäudes bildeten,445

symbolische Beziehung zwischen Kirche und Heiligen

kommt den Spolien im neuen Dombau hingegen keine

zum Ausdruck. Auf jeden Fall zeigt sich ein ganz anders-

besondere statische Bedeutung mehr zu. Umso interes-

artiger Umgang mit Symbolen und deren Bildlichkeit.

santer gestaltet sich die Analyse, wie die Säulen mit den

Während im ottonischen Dom die Heiligen in Form der

Natursteinschäften in das suggestive Bild des Tragsystems

Reliquien vor den Augen verborgen in tatsächlich tragen-

eingefügt wurden. Die Säulen stehen nämlich ausschließ-

den Elementen ruhten, lässt sich die tragende Funktion

lich an solchen Stellen, die in einem Skelettbau die Haupt-

der Heiligen in Form der Skulpturen nicht übersehen, ob-

lasten abtragen würden, denn sämtliche Spolien im Chor

gleich es sich in diesem Fall nur um die Suggestion des

sind Bestandteil einer der vertikalen Stützstrukturen, wel-

Tragens handelt. Während sich die Symbolik im ersten

che entweder die Gurtbögen oder die Rippen des sechstei-

Fall nur Eingeweihten, welche um den Inhalt der Kapitelle

ligen Chorhauptgewölbes aufnehmen. Als vorgebliche Be-

wussten, erschließen konnte, wandte man sich im zweiten

standteile des primären Tragsystems suggerieren sie dem

Fall unübersehbar an einen außenstehenden Betrachter.

Betrachter somit, dass die halbauthentischen Säulen aus

Während im ersten Fall die Idee im Vordergrund stand,

dem alten Dom für die Festigkeit des Kirchenbaus weiter-

war es im zweiten Fall die Kommunikation der Idee. Hier-

hin von grundlegender Bedeutung seien. Der Unterschied

bei lassen sich gewisse Parallelen zum veränderten Um-

zwischen tatsächlicher und suggerierter statischer Rele-

gang mit den antiken Spolien nicht verkennen.

vanz der Säulen unterstreicht, dass die Symbolik des Tragens einen wichtigen Aspekt des architektonischen Kon-

Die Relation der Teile zueinander

zeptes darstellt, und weist die Tragstruktur damit ebenso

Weiteren Aufschluss über die Semantik des Pseudo-Trag-

als gestalterisches System aus.

systems gibt die Relation der einzelnen Komponenten zueinander. Während die Säulen einerseits demonstrativ auf

Die Metaphorik der Heiligenfiguren im architektonischen Kontext

Postamenten präsentiert werden, dienen sie andererseits als Träger der Heiligenfiguren (vgl. Abb. 3.06, Taf. 3.02).

Auch anhand der überlebensgroßen Heiligenskulpturen

Die Tektonik des Tragens und Getragenwerdens lässt

lässt sich nachvollziehen,446 dass die Gestaltung der tra-

sich auch als Symbol eines hierarchischen Verhältnisses

genden Struktur des Chorhauptes ein wesentlicher Be-

der Teile zueinander verstehen. Die kaiserlich konnotier-

standteil des architektonischen Konzeptes war und nicht

ten Säulen werden zwar einerseits besonders hervorgeho-

bloß dekorativen Zwecken diente (vgl. Abb. 3.06, Taf. 3.02).

ben, doch dienen sie andererseits zugleich als Träger der

Die Figuren wirken zwar optisch als Elemente der Trag-

Heiligen. Als wäre diese Symbolik nicht deutlich genug,

struktur, übernehmen jedoch realiter keinerlei statische

fügte man zwischen die Füße der Heiligen und die Kapi-

Funktionen, wie sich an der Lücke zwischen ihren Köpfen

telle noch kleine Figuren ein, die an ihren Kronen als welt-

und den darüber befindlichen Baldachinen, welche einen

liche Herrscher zu erkennen sind. Klar ersichtlich dienen

theoretischen Kraftfluss unterbrechen würde, leicht erken-

diese Herrschergestalten als Träger der Heiligen.

nen lässt. Es handelt sich stattdessen anscheinend um eine

Damit vermittelt die Tragstruktur über die hierarchi-

buchstäbliche Verbildlichung der im Mittelalter üblichen

sche Ordnung ihrer Teile zugleich eine Aussage über die

Metapher von den Aposteln und Märtyrern als Stützen.447

hierarchische Ordnung der Welt: Auch Kaiser und Könige,

Im Kontext der Tradition des Ortes erinnert diese Me-

auch die Männer an der Spitze der weltlichen Hierarchie

taphorik unweigerlich an die Reliquien, welche unter Otto

stehen unterhalb der himmlischen Autoritäten. Gemein-

dem Großen in die Kapitelle eingebettet wurden.448

sam sind sie jedoch in eine übergeordnete Struktur ein-

Es hat den Anschein, als hätte man beim Neubau des

gebunden, welche die Kirche trägt, was wiederum sowohl

Doms die zuvor symbolische Beziehung zwischen Heili-

wörtlich als auch im übertragenen Sinne zu verstehen ist.

445 Meckseper 2001, S. 374f.; Leopold 1989, S. 65; Schubert 1989, S. 26. 446 Zu den Heiligenfiguren: Sciurie 1989, S. 163, 166; Schubert 1984, S. 31. 447 Reudenbach 1980.

448 Kap. 3.3.3. – Zur Ikonologie der Reliquien im ottonischen Dom: Binding 1989; allgemein zur Beisetzung von Reliquien in Architekturteilen: Keller 1975.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

117

3.23  Dom zu Magdeburg, Chorumgang, erstes Drittel 13. Jh., im Hintergrund das Grab­mal der Königin Edith vor dem Kilianaltar (Pietsch/Quast 2005, S. 59)

3.24  Dom zu Magdeburg, Chorempore, sog. Bischofsgang, erstes Drittel 13. Jh., im Hintergrund die Apsidiole in der Mittelachse (Quast/Jerratsch 2004, S. 72)

Wie bereits aufgezeigt wurde, sollte der imperiale Bezugs-

nachvollziehen lassen wie in den Details. Auf der einen

rahmen der Säulen im neuen Dom erkennbar bleiben.449

Seite vermitteln im Chorumgang wuchtige Pfeilerstruk-

Mit der Art und Weise, wie man die Säulen in den neuen

turen, die mehrfach gestuft und mit Vorlagen versehen

architektonischen Kontext integrierte, akzentuierte man

wurden, den Eindruck von Schwere und Massivität

diese aber zugleich anders, indem man die kaiserlich kon-

(Abb. 3.23). Die friesartigen Kapitellzonen der Pfeiler wur-

notierten Elemente deutlicher als zuvor einer übergreifen-

den mit einer Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil figurati-

den Ordnung subsumierte. Die Präsentation der Säulen

ver Motive kleinteilig und abwechslungsreich ausgearbei-

im Chor ist somit von einer gewissen Ambivalenz gekenn-

tet (vgl. Abb. 3.08), während die Kreuzgratgewölbe der fünf

zeichnet: Einerseits hob man die Säulen mittels der »Pos-

trapezförmigen östlichen Joche durch ihre Einfachheit

tamente« demonstrativ hervor, andererseits inszenierte

bestechen.

man sie als dienende Elemente einer höheren Ordnung.

Im Bischofsgang fanden auf der anderen Seite vermehrt lineare Einzelelemente Verwendung (Abb. 3.24),

3.3.6 Die gestalterische Dialektik von Chorumgang und Bischofsgang

welche der Empore gegenüber dem Umgang eine größere Filigranität und Leichtigkeit verleihen. So finden sich an den Gewölben Rippen, die jeweils auf schlanken Säulen

Formale Differenzen zwischen Chorumgang und Bischofsgang

oder Halbsäulen fußen. Der unmittelbare Lichteinfall

Chorumgang und -empore weisen klare formale Differen­

rekt über die Kapellen erfolgt, verdichtet den Kontrast zwi-

zen auf, die sich in der Gesamtwirkung der Räume ebenso

schen hell und leicht sowie dunkel und schwer. Des Wei-

449 Kap. 3.3.1.

durch die Fenster, welcher im Umgangsgeschoss nur indi-

118

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

teren bringt die stärker auf Einzelelementen basierende

mit nicht allein über den Stil erklärt werden kann.453 Ihm

tektonische Struktur eine größere Gleichförmigkeit der

folgte Wolfgang Götz, der bezüglich der Heiligenfiguren

Kapitellplastik mit sich. Statt der individuellen Reliefs des

auch juristische Motive in die Diskussion einbrachte.454

Umgangs finden sich auf der Empore überwiegend typi-

Beiden Autoren gebührt das Verdienst, das Verständnis

sierte Kelchkapitelle mit Knospen und/oder Blattwerk (vgl.

der Magdeburger Chorarchitektur wesentlich vorange-

Abb. 3.09). Andererseits zeichnen sich die vollplastischen

bracht zu haben, in der ganzheitlichen Bewertung des

Kapitelle des Bischofsgangs durch größere Körperlichkeit

Gebäudeteils blieben sie indes den etablierten stilge-

gegenüber den flächig gearbeiteten Kapitellfriesen des

schichtlichen Normen verhaftet.455 Die Anerkennung des

Chorumgangs aus.

Traditionsbezuges, zumindest der Spolien, führte in der Folge zu einer Entschärfung der negativen Beurteilung

Die Bewertung der Differenzen in der Literatur

von Hamann, doch blieb die stilgeschichtliche Differen-

In der Literatur wurde der formale Kontrast zwischen

zierung von Chorumgang und -empore samt der daraus

den beiden Raumteilen zumeist mit einer stilgeschichtli-

folgenden Interpretationen bezüglich Datierung, Werk-

chen Entwicklung erklärt:450 Während der Umgang noch

leuten und Bauherrenschaft weiter gültig.456

spätromanischem Formengut verhaftet sei, hielt beim

In den 1980er Jahren meldete Bernd Nicolai jedoch

Bischofsgang demgegenüber die Frühgotik Einzug. Die

berechtigte Zweifel an den Erkenntnissen eines stilge-

Formen von Umgang und Empore unterscheiden sich

schichtlichen Blicks auf den Magdeburger Domchor an,

nach diesem Deutungsmuster also deshalb, weil eine all-

indem er beispielsweise auf den Widerspruch hinwies,

gemeine Entwicklung der Formen stattfand. Die Chorar-

dass der Grundriss des Chores als zeitgemäß und gotisch

chitektur wäre demzufolge nicht das Resultat bewusster

interpretiert, die Detailformen hingegen als rückständig

Gestaltung, sondern primär einem allgemeinen Wandel

und romanisch bewertet würden.457 In einem 2009 publi-

der Formen geschuldet, der zufällig zu jener Zeit stattfand.

zierten Aufsatz, mit dem Nicolai seine zwanzig Jahre äl-

Da es anscheinend nicht vorstellbar schien, dass jemand

teren Ausführungen differenziert und weitergedacht hat,

den postulierten Stilwandel mitgemacht hätte, wies man

sah er sich zur Erneuerung seiner Kritik veranlasst.458

den unterschiedlichen Stilen verschiedene Werkstätten zu

Noch einen Schritt weiter ging Wolfgang Schenkluhn, in-

und meinte sogar, unterschiedliche Bauherren auf dieser

dem er die Perspektive der älteren Literatur richtigerweise

Basis voneinander unterscheiden zu können. Während

als methodisches Problem des Faches entlarvte, welches

die Werkstatt des Umgangs noch spätromanischem For-

den Magdeburger Dom an den selbst entwickelten Krite-

mengut verhaftet gewesen sei, kamen beim Bischofsgang

rien der Stilgeschichte maß.459 Schenkluhn schlug statt-

angeblich neue Kräfte zum Zug, welche der Frühgotik Ein-

dessen vor, die Architektur des Domchores als Variation

zug verschafften.

anderer Reichskirchen, insbesondere des Aachener Müns-

In der älteren Literatur führte die stilistische Hetero-

ters zu betrachten (vgl. Abb. 4.12).460 Ob die Ähnlichkeiten

genität in Einheit mit der Wiederverwendung von Teilen

tatsächlich ausreichen, um einen derartigen Bezug zu be-

des alten Doms darüber hinaus zu ausgesprochen nega-

gründen, soll dahingestellt bleiben.461 Als alleiniger Erklä-

tiven Werturteilen über die Chorarchitektur, die Richard

rungsansatz reicht der Hinweis jedenfalls nicht aus, denn

Hamann vor dem Paradigma der Stilgeschichte gar zu

die deutlichen formalen Abweichungen beispielsweise in

einer »Rumpelkammer älterer Formbestände«451 abquali-

der Kapitellplastik der beiden Chorgeschosse lassen sich

fizierte.452 Hermann Giesau erkannte hingegen, dass mit-

damit nicht erklären. Zuletzt schlug Bruno Klein vor,

tels der Spolien bewusste Bezüge zur Tradition des Doms

den Entstehungsprozess im Sinne eines offenen, Modi-

aufgebaut werden sollten und die Gestalt des Chores so-

fikationen bewusst zulassenden Konzeptes stärker zu be-

450 Z. B. Schlink 1989, S. 141f.; Schubert 1984, S. 26; Greischel 1939, S. 49f. 451 Hamann 1909, S. 255. 452 Eine kritische Auseinandersetzung mit Hamanns Methoden liefert: Forster 2012. 453 Giesau 1936. 454 Götz 1966. 455 Giesau meint z. B., dass »weder die Säulen noch die Portalreste [gemeint sind u. a. die Heiligenskulpturen] sich restlos befriedigend in den baulichen Zusammenhang einfügen« (Ders. 1936, S. 23.); Götz pflichtet der älteren Literatur beispielsweise bei, dass die »Art

456 457 458 459 460 461

der Säulen-Versetzung unschön, ästhetisch unglücklich sei« (Ders. 1966, S. 105). Z. B. Schlink 1989, S. 141f.; Schubert 1984, S. 26f. Nicolai 1989, S. 148. Ders. 2009, S. 71. Schenkluhn 2009. Ebd., S. 64–66. Schenkluhn weist auf einen nicht verwirklichten ersten Plan hin, dessen Umsetzung möglicherweise größere Übereinstimmungen mit Aachen aufgewiesen hätte (Ebd., S. 64).

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

119

rücksichtigen.462 Auch wenn dem prinzipiell zugestimmt werden kann, bleibt die Frage offen, ob die formalen Differenzen der beiden Umgangsgeschosse primär prozessual zu verstehen sind oder doch einer einheitlichen Konzeption folgen, auch wenn diese im Bauverlauf geändert und angepasst wurde. Eine Neubewertung des Magdeburger Domchores abseits stilgeschichtlicher Ordnungskriterien befindet sich also derzeit in der Diskussion. Im Folgenden soll hierzu beigetragen werden, indem das Bauwerk von der realisierten Form ausgehend untersucht wird.

Gewölbeformen als Gestaltungsmittel Die fünf radialen Joche vor den Kapellen unterscheiden sich in auffälliger Weise von den anderen Jochen der Kirche, denn sie wurden kreuzgratgewölbt (vgl. Abb. 3.23), wohingegen sonst Kreuzrippengewölbe realisiert wurden. Dies ist umso bemerkenswerter, als sowohl die den Umgang nach Westen fortsetzenden Rechteckjoche, aber vor allen Dingen auch die Umgangskapellen von Rippengewölben überdeckt werden. In der Literatur erklärte man diese Gegebenheit mit einer vermeintlichen Entsprechung zwischen dem baugeschichtlich ältesten

3.25  Dom zu Worms, Mittelschiff nach Westen, Fertigstellung um 1181 (von Winterfeld 2003, S. 48)

Teil des Doms und der stilistisch älteren Gewölbeform.463 Während die Kreuzgratgewölbe dieser Interpretation zufolge noch aus einer ersten Bauphase stammen würden,

wurde (Abb. 3.25).465 Die Dimensionen der dortigen Ge-

sollen die Kreuzrippengewölbe einer späteren Bauphase

wölbe lassen eine Wölbung des Magdeburger Chorum-

angehören, bei der ein neuer Stil mit Kreuzrippengewöl-

gangs mit Kreuzrippen als bescheidene technische Auf-

ben umgesetzt wurde. Gemäß einer linear verlaufenden

gabe erscheinen, welche problemlos zu meistern gewesen

Stilgeschichte meinte man also, den baulichen Fortschritt

wäre, zumal die Arbeiten in Magdeburg erst rund 30 Jahre

an einen vermeintlichen stilistischen Fortschritt koppeln

später begannen. Vielmehr zeigt gerade der Vergleich mit

zu können, der auch an weiteren Detailformen wie den

Worms, wie sehr das stilgeschichtliche Modell die kunst-

Kapitellen festgemacht wurde und den Übergang von der

historische Forschung zu Fehlschlüssen verleiten kann,

Romanik zur Gotik am Chorbau des Magdeburger Doms

denn gerade aufgrund ihres Stils wollte man die Wormser

veranschaulichen sollte.

Rippenwölbung früher in das 13. Jahrhundert datieren,466

464

Diese Ansicht vereinfacht jedoch in unzulässiger Weise die architektonischen Realitäten jener Zeit, denn

was erst durch dendrochronologische Untersuchungen korrigiert werden konnte.467

Rippengewölbe waren in der zweiten Hälfte des 12. Jahr-

Wenn aber die technischen Möglichkeiten einer Rip-

hunderts nicht nur in Frankreich und England, sondern

penwölbung längst gegeben waren, so muss der Bau der

auch im deutsch-römischen Imperium bekannt, wie ins-

Kreuzgratwölbung als bewusste gestalterische Entschei-

besondere das kreuzrippengewölbte Langhaus des Worm-

dung angesehen werden.468 Aus dieser Perspektive wird

ser Doms beweist, das vor der Weihe 1181 fertiggestellt

eine Entwurfsstrategie erkennbar, bei der alte und neue

462 Klein 2012, insbesondere S. 186f. 463 Z. B. Schubert 1989, S. 32; Greischel 1939, S. 47–50. 464 Z. B. Schubert 1984, S. 26; Hamann 1909. 465 Von Winterfeld 2003, S. 10f. 466 Z. B. von Quast 1853, S. 43. 467 Von Winterfeld 2003, S. 10f. 468 Birte Rogacki-Thiemann nimmt an, dass zunächst auch für den Um-

gang eine Rippenwölbung vorgesehen war (Dies. 2007, S. 68, 74). Sollte dies zutreffen, wäre es ein weiterer Beleg dafür, dass die Entscheidung zugunsten von Kreuzgratgewölben nicht aus stilgeschichtlichen Gründen erfolgte. Leider kann die Argumentation der Autorin aber nicht überzeugen. Die von Rogacki-Thiemann als »funktionslos« (Dies., Anhang C3) bezeichneten Dreiviertelvorlagen des Umgangs nehmen die Grate des Gewölbes auf, stehen somit

120

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

3.26  Dom zu Limburg, eh. Stiftskirche, Baubeginn um 1190 (Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Kunstgeschichte, Diathek) Gewölbeformen in einem ganzheitlich aufgefassten ästhe-

gestalterischen Intentionen folgt, erscheint die Deutung

tischen System dialektisch gegenüberstellt werden.

von Winterfelds im Sinne einer hierarchischen Abstufung

Diese gestalterische Systematik lässt sich zu Beginn

der Raumteile schlüssig. Demnach differenzierte man in

des 13. Jahrhunderts im deutschen Raum nicht bloß in

Limburg Chorempore und -umgang gestalterisch mittels

Magdeburg beobachten. Im seinerzeit im Bau befindli-

der Gewölbeformen, indem man, wie in Magdeburg, der

chen Limburger Dom beispielsweise, zum damaligen Zeit-

Empore Rippen und dem Umgang Grate zuwies.

punkt eine Stiftskirche, wurde der Chorumgang kreuz-

Analog zu Limburg lassen sich auch in Magdeburg die

gratgewölbt, wohingegen das Gewölbe des Scheiteljoches

Kreuzrippengewölbe auf dem Niveau des Chorumgangs

Kreuzrippen aufweist (Abb. 3.26).469 Es würde seltsam an-

als gestalterische Mittel zur Differenzierung des Raumes

muten, diesen Umstand damit erklären zu wollen, dass

verstehen. Die Kreuzrippen der Umgangskapellen können

das Scheiteljoch später zu datieren sei. Wesentlich plau-

leicht in einen Sinnzusammenhang mit der liturgischen

sibler erscheint es doch, hierin eine gestalterische Beto-

Nutzung des Raumes gestellt werden, denn die Kapellen

nung der Hauptachse der Kirche zu sehen. Die Chorem-

beherbergten schließlich Altäre. Mittels der Gewölbeform

pore wurde wiederum gänzlich kreuzrippengewölbt.

hob man somit die Altarorte gegenüber dem Umgang ge-

Dethard von Winterfeld interpretierte den Befund derart,

stalterisch hervor. Wenn aber mittels der parallelen Ver-

dass die Kreuzrippengewölbe der Empore »eindeutig eine

wendung von Kreuzgrat- und Rippengewölben auf Chor-

Auszeichnung dieses Raumteiles«470 darstellen. Da die

niveau derart offensichtlich eine gestalterische Abstufung

Verwendung von Kreuzrippen im Umgang offensichtlich

des Raumes im Sinne einer hierarchischen Strukturierung

in einem sinnvollen tektonischen Kontext und eignen sich folglich nicht als Argument für eine anderweitige Planung. Die Konsolen, welche Rogacki-Thiemann als zweiten Beleg anführen möchte (Dies., Anhang C4), erscheinen zu klein für die Aufnahme von Rippen und lassen sich überdies nur schwer mit der tragkonstruktiven Struktur in Einklang bringen, was heißt, dass man den Fußpunkt einer Rippe dort nicht erwarten würde.

469 Grundlegend zum Limburger Dom: von Winterfeld 2005; Metternich 1994; Nicol 1985 (jeweils mit Angaben zur älteren Literatur). Aufgrund dendrochronologischer Daten wird der Baubeginn der damaligen Stiftskirche mittlerweile um 1190 angesetzt und damit die ältere, auf stilgeschichtlichen Kriterien basierende Datierung in die 1210er oder 20er Jahre korrigiert (von Winterfeld 2005, S. 88f.). 470 Von Winterfeld 2005, S. 98.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

121

intendiert war, dann muss konsequenterweise die Verwen-

Kapitelle ergibt sich somit zunächst aus der abweichenden

dung der Rippen auf der Empore ebenfalls in dieser Weise

tektonischen Struktur der beiden Raumteile.

verstanden werden. Die Gewölbeform der Empore dient

Außerdem wären auch die Adressaten mit zu berück-

somit dem Zweck, das Gebäudeteil im Kontrast zum Um-

sichtigen. Wenn der Chorumgang den Gläubigen zumin-

gang zu nobilitieren, wie es auch in Limburg auf der Hand

dest zeitweise offen stand, um an den verschiedenen Al-

liegt. Der ältere Erklärungsansatz, die unterschiedlichen

tären und wohl auch dem Sarkophag der in Magdeburg

Gewölbeformen aus einer stilgeschichtlichen Entwick-

hochverehrten Edith zu beten, dann erklärt sich die figu-

lung abzuleiten, wäre damit hinfällig.

rative Bildsprache der Kapitelle möglicherweise auch damit, dass den Besuchern des Chorumgangs Inhalte, wie

Die Kapitelle des Chorumgangs und der -empore im architektonischen Kontext

etwa biblische Themen, anschaulich vermittelt werden

Die formale Differenz zwischen Umgang und Empore

nach auch als Trägermedien zur Kommunikation kirchli-

spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Kapitellplastik

cher Lehren. Die genaue Nutzung der Empore liegt leider

sollten (vgl. Abb. 3.08). Die Figurenkapitelle dienten dem-

wider.471 Im Chorumgang umziehen kleinteilig gestaltete

im Dunkeln, doch gibt es in den Schriftquellen Hinweise

Kapitelle wie ein Fries die wuchtigen Pfeiler mit vorge-

darauf, dass dieser Raum ausschließlich dem Domklerus

legten Halbsäulen, welche die Kreuzgratgewölbe tragen

zugänglich war.473 Hierfür spricht auch die etwas später

(vgl. Abb. 3.23). Eine Vielfalt unterschiedlicher stilisierter

hergestellte direkte Verbindung von der Empore zum Bi-

Pflanzenmotive, die mit figürlichen Darstellungen und or-

schofspalast, auf welche der in Magdeburg gebräuchliche

namentalen Mustern angereichert sind, kennzeichnen die

Name »Bischofsgang« zurückgeht.474 Eine mediale Nut-

wie Reliefs durchgearbeiteten Kapitellfriese, welche stil-

zung der Emporenkapitelle in der vorgenannten Weise

geschichtlich dem spätromanischen Formenkanon zuge-

war demnach nicht erforderlich.

ordnet werden. Im Bischofsgang zieren hingegen zumeist

Bestimmte formale Merkmale der Kapitelle lassen

Knospenkapitelle die mehr oder weniger schlanken Säu-

sich demnach sowohl mittels ihrer konstruktiven als auch

len, welche jeweils mit einer Rippe korrespondieren (vgl.

medialen Funktionen erklären. Darüber hinaus bleibt

Abb. 3.24). Anstelle von Vielfalt tritt hier die Einheitlich-

festzuhalten, dass Umgang und Empore jeweils einer ein-

keit, anstelle der Reliefstruktur rundplastisch gearbeitete

heitlichen tektonischen Systematik folgen und somit auch

Einzelstücke. Stilgeschichtlich ordnet man die Knospen-

ästhetisch einheitlich wirken, wozu die überwiegende Ver-

kapitelle der Frühgotik zu.

wendung des jeweiligen Kapitelltypus einen Teil beiträgt,

Analog zu den Gewölben des Chores wurden in der älteren Literatur die unterschiedlichen Kapitellformen von

welche damit auch in einem Zusammenhang mit dem jeweiligen gestalterischen Konzept zu stehen scheint.

Chorumgang und Bischofsgang als Resultat einer stilge-

Es drängt sich somit die Frage auf, ob nicht auch die

schichtlichen Entwicklung während des Bauverlaufs an-

Kapitellformen des Bischofsgangs analog zu den Gewöl-

gesehen.472 Nicht berücksichtigt wurde hingegen, dass die

beformen im Sinne einer Steigerung verstanden werden

Kapitelle als Elemente der Tragstruktur selbstverständlich

müssten. Kelchförmige Kapitelle mit Knospen und ähnli-

in einem tektonischen Zusammenhang mit den Gewölben

cher, floral inspirierter Plastik ließen sich zu Beginn des

stehen. Die tragkonstruktive Struktur im Bischofsgang

13. Jahrhunderts in den modernsten und richtungswei-

setzt sich sozusagen im Baukastenprinzip aus linearen,

senden Kirchenbauten Frankreichs, wie etwa den Kathe-

gleichförmigen Einzelelementen wie Rippen, Schäften

dralen von Paris und Chartres, bewundern. Unabhängig

und eben den Kapitellen zusammen. Im Chorumgang

davon, ob ein Formentransfer von jenen Bauwerken nach

dominieren hingegen massige Pfeiler, die sich flächig

Magdeburg tatsächlich stattfand, lässt sich konstatieren,

ausbreiten und sich somit für eine bildhauerische Bear-

dass der Einsatz kelchförmiger Knospenkapitelle Ende

beitung anbieten, wie sie mittels der reliefartigen Kapitell-

des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts in Kirchen von höchs-

friese erfolgte. Der Unterschied in der Formensprache der

tem Anspruchsniveau zum Einsatz kam.

471 Mit der Monographie von Heiko Brandl und Christian Forster liegt endlich eine umfassende Dokumentation der Kapitelle vor (Dies. 2011, S. 111–131, 168–174). Die Beschreibung der Kapitelle erfolgt zwar in erster Linie stilkritisch, doch zeigen die Autoren ein reflektiertes Methodenbewusstsein (S. 130f.), indem sie die

problematischen stilgeschichtlichen Schlüsse der älteren Literatur vermeiden. 472 Z. B. Schubert 1984, S. 28f.; Rosenfeld 1909, S. 18f. 473 Kroos 1989, S. 90. 474 Nicolai 1989, S. 153.

122

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

Der Chorumgang als Erinnerungsraum der Kilians-Krypta

Beim Neubau des 13. Jahrhunderts wurde hingegen

Die Architektur des Chorumgangs wirkt in Anbetracht der

auf eine Krypta verzichtet. Eine Integration der alten

Entstehung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts recht

Krypta in den neuen Kirchenbau, wie dies bei anderen

altertümlich. Dazu tragen die wuchtigen Pfeiler ebenso

erneuerten Kirchen im hohen Mittelalter geschah,480 war

bei wie die Kapitellfriese oder die Kreuzgratgewölbe. Die

aufgrund der Achsdrehung nicht möglich.481 Die vollstän-

Schwere und Dunkelheit des Raumes kommt im Vergleich

dige Aufgabe des Gebäudeteils bedeutete allerdings nicht

mit dem heller und luftiger wirkenden Bischofsgang umso

die vollständige Aufgabe der alten Altäre, denn zumindest

mehr zum Tragen. Diese Ästhetik des Chorumgangs ver-

der Altar des Kryptapatrons Kilian wurde in die Chorschei-

anlasste bereits Bernd Nicolai, hierin eine Reminiszenz

telkapelle transloziert. Die Neuaufstellung erfolgte also an

an die aufgegebene Kilians-Krypta des Vorgängerdoms zu

prononcierter Stelle am Endpunkt der Mittelachse und

erkennen.475 Dies würde allerdings konsequenterweise be-

stellte damit einen direkten axialen Bezug zum Hauptal-

deuten, dass der Umgang bewusst in einer altertümlichen

tar und den Grabmäler der beiden hochadligen Stifter her

Weise gestaltet wurde und demnach keinen stilgeschicht-

(Taf. 3.03).482 Insofern führte der Chorumgang samt Kapel-

lichen Entwicklungsstand widerspiegelt.

len auf jeden Fall eine kultische Tradition der Krypta fort,

Tatsächlich konnte weiter oben bereits plausibel ge-

wobei die Neuaufstellung des Altars des Kryptapatrons an

macht werden, dass die Errichtung der Kreuzgratgewölbe

exponierter Stelle darauf hinweist, dass die Topographie

aus gestalterischen Intentionen erfolgte. Ebenso ließ sich

der Krypta in gewisser Weise im Chorumgang aufgegriffen

für die Kapitellplastik festhalten, dass sie einer übergeord-

wurde.483 In diese Richtung weist auch die Grundrissstruk-

neten tektonischen Systematik folgt, welche gestalterisch

tur des Chorumgangs, denn sie ähnelt derjenigen der alten

auf die beiden Geschosse abgestimmt wurde. Es wäre so-

Krypta auffällig in einem Punkt: Während die Krypta fünf

mit zu fragen, ob und, wenn ja, inwiefern diese Gestal-

Nischen in der Wand ihrer Apsis aufwies (vgl. Abb. 3.05),

tungsmittel auch dazu dienten, mit dem Chorumgang und

verfügt der Umgang entsprechend über fünf Kapellen (vgl.

seinem Kapellenkranz einen Raum zu kreieren, welcher

Abb. 3.02).484 Inwieweit diese formale Analogie im Grund-

die alte Krypta memoriert oder zumindest ihren Verlust

riss die liturgische Topographie der Krypta widerspiegelt,

kompensiert.

kann aufgrund des ungenügenden Kenntnisstandes über

Zum besseren Verständnis sei die Geschichte der Krypta

die liturgische Nutzung der beiden Räume im Mittelal-

vorab kurz skizziert. Die Schriftquellen berichten von Bau

ter jedoch derzeit nicht nachvollzogen werden. Dennoch

und Weihe einer Krypta unter Erzbischof Tagino zu Be-

kann festgehalten werden, dass mehrere Indizien darauf

ginn des 11. Jahrhunderts sowie von einer Baukampagne

hindeuten, die Gestaltung des Chorumgangs auch un-

zur Umgestaltung der Ostteile des Doms unter Erzbischof

ter dem Aspekt einer Kompensation der aufgegebenen

Hunfried zur Mitte des 11. Jahrhunderts, die laut Quellen

Krypta zu verstehen. Insofern kann die altertümliche For-

sowohl das Sanktuarium als auch die Krypta betraf.476 Aus

mensprache und Ästhetik des Chorumgangs auch als ge-

welcher der beiden Baukampagnen die südlich des Chores

stalterisches Mittel aufgefasst werden, einen Erinnerungs-

ergrabene Krypta resultiert, wird derzeit diskutiert.477

raum an die alte Krypta zu erzeugen. Der formale Kontrast

Jedenfalls berichten die Quellen davon, dass Hunfried

von »altem« Chorumgang und »neuem« Bischofsgang

die Krypta am 8. Juli 1049 dem Heiligen Kilian weihte,478

dient demnach auch als dialektisches Gestaltungsmittel,

wobei die Wahl des Würzburger Märtyrers als Hauptheili-

indem ein Geschoss jeweils den kontrastierenden Ver-

gem schlüssig mit der Person des Erzbischofs verbunden

gleichsmaßstab für das andere bildet. Einerseits wirkt der

werden kann, denn dieser gehörte vor seiner Berufung

Chorumgang vor der Folie des Bischofsgangs erkennbar

nach Magdeburg dem Würzburger Domkapitel an.479

als »alt«, oder besser »altehrwürdig«, während andererseits

475 Nicolai 2009, S. 75f.; Ders. 1989, S. 149. 476 Reiche 2012, S. 95–97; Schubert 1989, S. 28f. (jeweils mit Quellenangaben). 477 S. Kap. 3.2. 478 Gesta Archiep. Magd. 19 (ed. Waitz, S. 398). 479 Kroos 1989, S. 90, Anm. 54. 480 Z. B. bei der Abteikirche St. Denis (1140–1144), der Kathedrale von Chartres (ab 1194), dem Basler Münster (Anfang 13. Jahrhundert) und dem Essener Dom (Ende 13. Jahrhundert; s. Kap. 4.3.2).

481 Kap. 3.4.1. 482 Ein besonderer Bezug besteht zum Grab der Königin, deren Sarkophag direkt vor dem Altar steht (Kap. 3.4.4). 483 Schließlich wäre für den Altar des Patrons in der Krypta ebenfalls ein exponierter Standort auf der Mittelachse anzunehmen. 484 Diesen Zusammenhang stellte bereits Hermann Giesau her (Ders. 1936, S. 318, Anm. 20). Ihm folgt Nicolai 2009, S. 76; Ders. 1989, S. 149.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

123

der Bischofsgang vor der F ­ olie des Chorumgangs seine

verwandte man im Kryptenumgang Rundbögen, bei de-

Modernität zur Schau stellen kann.

nen man auf eine Profilierung verzichtete. Den schlanken, fein gearbeiteten Säulen des Chorumgangs stehen in der

Der Chorneubau der Abteikirche Saint-Denis unter Abt Suger als Vergleichsbeispiel

Krypta wuchtige Rundpfeiler mit gröberen Basen und Kapitellen gegenüber.

An diesem Punkt drängt sich der Vergleich mit einem an-

Der formale Unterschied zwischen den beiden Ge-

deren prominenten Chorbau auf, dessen gestalterische

schossen wurde in der kunstgeschichtlichen Literatur früh

Konzeption nicht nur deutliche Parallelen zum Magde-

erkannt und warf die Frage nach der Interpretation des

burger Dom aufweist, sondern bis in die 1980er Jahre die

Befundes auf. Würden keine anderen Quellen vorliegen,

gleichen Probleme für die kunsthistorische Forschung

hätte sich die Forschung zur Datierung des jeweiligen Ge-

aufwarf. Dabei handelt es sich um die Abteikirche Saint-

schosses wahrscheinlich an formalen Vergleichsbeispie-

Denis bei Paris, der Hauptgrablege der französischen Kö-

len orientiert und auf eine zeitliche Distanz zwischen den

nige, deren Chor 1140–1144 unter Abt Suger neugebaut

Teilen geschlossen, wie sie es bei Chorumgang und -em-

wurde.485 In der Kunstgeschichte nimmt diese Baukam-

pore des Magdeburger Doms tat. Die nachweislich kurze

pagne schon früh eine besondere Stellung ein, weil man

Bauzeit von nur vier Jahren schließt eine solche Argumen-

dort den Beginn der gotischen Architektur auszumachen

tation allerdings aus, so dass ein Widerspruch zwischen

glaubt.

historischer Realität und stilgeschichtlichem Modell

486

In Saint-Denis erweiterte man die Kirche nach Osten,

offen­sichtlich wird. Dieser gewinnt noch einmal dadurch

indem man den neuen Chor über einer alten Außenkrypta

deutlich an Schärfe, dass sich die Formen der jeweiligen

des 9. Jahrhunderts errichtete, die auf diese Weise in ihrer alten Form integriert wurde. Den alten Baubestand umfasste man mit einem Kryptaumgang, dessen Gewölbe in der Kreuzgrattechnik gemauert wurde (Abb. 3.27), wäh-

3.28  Abteikirche Saint-Denis, Chorumgang, 1140–1144 (Kimpel/ Suckale 1985, S. 85)

rend man den Chorumgang in der Etage darüber in der Kreuzrippentechnik fertigte (Abb. 3.28). Die formalen Unterschiede setzen sich bei den übrigen Bauteilen und Details der beiden Geschosse entsprechend fort. Während der Chor beispielsweise im Inneren über Spitzbögen verfügt, die sämtlich mit einem Rundstab profiliert wurden,

3.27  Abteikirche Saint-Denis, Kryptaumgang, 1140–1144 (Klaus Weber, 1992)

485 Grundlegend zur Baugeschichte der Abteikirche St. Denis: Crosby 1987.

486 Z. B. von Simson 1968, S. 144; Crosby 1953, S. 31.

124

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

Geschosse unterschiedlichen Stilrichtungen zuordnen lassen, nämlich das Kryptageschoss der Romanik und das Chorgeschoss der Gotik.487 Hans Sedlmayer argumentierte mit einem Zwang gegenüber der alten Kultstätte, womit er die Tradition des Ortes zwar als Grund erkannte, jedoch mit der Implikation, dass man lieber rein gotisch gebaut hätte, negativ beurteilte.488 Otto von Simson sieht den Sinn der Baumaßnahmen am Kryptageschoss allein in der Stützung des darüberliegenden Chores und ignorierte dessen Formen ansonsten.489 Walter Wulf versuchte, den Übergang von der Romanik zur Gotik analog der stilgeschichtlichen Beurteilung der beiden Geschosse an der Kapitellplastik aufzuzeigen.490 Die strukturelle Analyse weist die beiden Geschosse jedoch als integrale Teile einer einheitlichen architektonischen Systematik aus, bei welcher die Formen von außen nach innen und von unten nach oben gesteigert werden. So dienen beispielsweise die rechteckigen Strebepfeiler an der Fassade der Krypta erkennbar als Postamente für die polygonalen Vorlagen des Chorgeschosses und zeugen damit von einer geschossübergreifenden Konzeption (Abb. 3.29). In der gleichen Weise können die spitzbogigen Chorfenster mit ihren Rahmen aus Säulchen und Rundstäben als Steigerung der schlicht gefassten Rundbogenfenster der Krypta gelesen werden. Im Inneren der Krypta wurden polygonale Vorlagen zu den Kapellen hin verwandt, was eine Steigerung gegenüber den äußeren Strebepfeilern darstellt. Auf Chorniveau sind die polygonalen Stützglieder hingegen nur für die Fassade gut genug, wäh-

3.29  Abteikirche Saint-Denis, Außenansicht des Chores, 1140–1144. Oberes Geschoss gehört zum Kapellenkranz des Chorumgangs, unteres zum Kapellenkranz der Krypta (Crosby 1953, Taf. 34)

rend im Chorumgang klassische Säulen mit runden, monolithischen Schäften stehen. Im Sinne einer Steigerung

schrieben von einer »absichtsvollen Kontrastierung«, mit-

sind, wie beim Limburger Dom, auch die Kreuzgratge-

tels derer der Alterswert der Krypta herausgestellt werden

wölbe der Krypta und die Kreuzrippengewölbe des Chor-

sollte.492

umgangs zu verstehen.

Vor dem Hintergrund dieser Arbeit erscheinen mir

Die kurz angerissene strukturelle Analyse muss an die-

beide Interpretationsansätze zutreffend. Da die alte, ka-

ser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, denn die archi-

rolingische Außenkrypta zu einem großen Teil dem Un-

tekturhistorische Forschung begann bereits in den 1980er

tergeschoss des neuen Chores einverleibt wurde, klingt es

Jahren die stilgeschichtliche Sezierung des Chores in

plausibel, dass die Formen des Umgangs, welcher die alte

Frage zu stellen. Stattdessen erkannte man, dass Krypta-

Materie umfasst, bewusst einfacher und altertümlicher

und Chorgeschoss einer einheitlichen Planung folgen,

gehalten wurden, um den Alterswert der Krypta zu unter-

welche angesichts der schnellen Bauzeit ohnehin auf der

streichen. Das gänzlich neue Chorobergeschoss errichtete

Hand liegt. Dethard von Winterfeld interpretierte die sti-

man hingegen in den modernsten und prächtigsten For-

listischen Unterschiede infolgedessen als gestalterische

men der Zeit. Erst der formale Kontrast der beiden Ge-

Hierarchisierung,491 Dieter Kimpel und Robert Suckale

schosse macht die jeweilige Zeitschicht nachvollziehbar

487 Z. B. Crosby 1953, S. 44. 488 Sedlmayr 1950, S. 236. 489 Von Simson 1968, S. 144. 490 Wulf 1978. Wulfs These beschränkt sich dabei auf das Chorge-

schoss, so als hätte der Baumeister das gotische Kapitell während der Arbeiten am Chorgeschoss erfunden. 491 Von Winterfeld 1984, S. 96–100. 492 Kimpel/Suckale 1985, S. 86.

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

125

und konnotiert die Krypta als »alt«, den Chor hingegen als

mit der aufgegebenen Krypta in Zusammenhang gebracht

»neu«, während die einheitliche architektonische Struktur

werden kann.493

zu erkennen gibt, dass es sich bei den Geschossen um in-

Analog zu Saint-Denis lässt sich die Kontrastierung

tegrale Teile eines übergeordneten Ganzen handelt. Zu-

der Formen zudem im Sinne einer gestalterischen Hier-

gleich liegt eine gestalterische Hierarchisierung vor, denn

archisierung begreifen. Wie in Saint-Denis, aber auch in

die Formen des Chores, dem liturgischen Zentrum der

Limburg, können die Kreuzgrat- und Kreuzrippengewölbe

Kirche, wurden gegenüber der Krypta gesteigert. Auf diese

in Magdeburg demzufolge im Sinne einer Steigerung der

Weise spiegelt die Gestaltung der architektonischen Struk-

Formen aufgefasst werden. Ebenso lassen sich die Unter-

tur zugleich den Rang der Raumteile im Gebäude wider.

schiede in der Kapitellplastik in Magdeburg wie in Saint-

Bezieht man die gestalterische Hierarchisierung zudem

Denis in diesem Sinne verstehen.

auf die Dialektik Alt  – Neu, so lässt sich das Konzept so

Besonders deutlich nachvollziehen lässt sich die Stei-

auffassen, dass das Neue einerseits auf dem Alten basiert

gerung der Formen von Umgang zu Empore an der Wand

und mit diesem eine Synthese eingeht, aber andererseits

des Chorhauptes, wo beide Geschosse auf einen Blick

zugleich die Pracht der alten Kirche steigern sollte.

wahrnehmbar sind (Taf. 3.02). Die wuchtigen Arkaden des Umgangs kontrastieren mit den luftigeren Öffnungen dar-

Die dialektische, aber einheitliche Konzeption von Chorumgang und Bischofsgang

über. Während die Bögen unten von massiven Gurten un-

Die Parallelen zwischen Saint-Denis und dem Magdebur-

stäbe, welche die Bögen des Bischofsgangs, wenn auch

ger Dom, auch in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht,

nur optisch, unterstützen. Getragen werden die Rund-

sind evident. Hier wie dort weisen zwei übereinander lie-

stäbe von schlanken, eleganten Säulen, welche zugleich

gende Bauteile stilistische Differenzen auf, die in der alten

die Arkaden würdevoll rahmen, wohingegen beim Um-

Literatur stilgeschichtlich interpretiert wurden. Bezüglich

gang gedrungene Halbsäulen, dem massigen Charakter

Saint-Denis begann die kunsthistorische Forschung in

der Arkaden entsprechend, die Gurte stützen.494

terstützt werden, sind es vergleichsweise schlanke Rund-

den 1980er Jahren ihre Sichtweise zu korrigieren und in-

Die kontrastierende Gestaltung der beiden Geschosse

terpretierte die Formen in einem ganzheitlichen Kontext

bedeutet jedoch nicht, dass die Räume bezugslos wie zwei

unter tektonischen, gestalterischen und memorialen Ge-

Lagen eines Sandwiches übereinander gestapelt wurden,

sichtspunkten.

denn beide Teile wurden dem übergeordneten Tragsys-

Auch in Magdeburg erscheint es plausibel, die bei-

tem subsumiert. An dieser Stelle lässt sich wiederum eine

den Geschosse als Einheit zu begreifen, wofür zum Bei-

Parallele zu Saint-Denis ziehen, wo die tektonischen Ele-

spiel spricht, dass die moderneren Gewölbeformen des

mente der beiden Geschosse an der Außenfassade als

Bischofsgangs bei der Grundsteinlegung um 1208, wie ge-

Teile einer einheitlichen tragkonstruktiven Systematik

zeigt, längst verfügbar waren. Besonders auffällig ist aber,

erkennbar sind. In Magdeburg verklammert dementspre-

dass die unteren Geschosse in ihrer älteren Formenspra-

chend ein komposites System von Stützstrukturen die Ge-

che mit den Kreuzgratgewölben jeweils in Beziehung zu

schosse und bindet die einzelnen Elemente in einen grö-

einer Krypta stehen. In Saint-Denis macht das direkte Ne-

ßeren architektonischen Zusammenhang ein, wie zuvor

beneinander von alter Krypta und neu errichteten, aber al-

dargelegt wurde.495 Die einheitliche Planung von Umgang

tertümlichen Kreuzgratgewölben den Bezug augenschein-

und Empore zeigt sich darin, dass die vertikale Ordnung

lich. Für Magdeburg unterstützt der Vergleich die These,

der Tragstruktur auf die horizontale Ordnung der Ge-

dass die alten Formen bewusst an die alte Krypta erin-

schosse abgestimmt wurde. Ein kräftiges, durchlaufendes

nern, zumindest jedoch deren Verlust kompensieren sol-

Gesims zieht eine klare horizontale Trennlinie zwischen

len, zumal der Chorumgang auch aus anderen Gründen

den Geschossen (Taf. 3.02). Die Säulen mit den Spolien

493 S. weiter oben. 494 Über den konzeptionellen Gedanken hinaus offenbart der Vergleich der Arkaden des Magdeburger Bischofsgangs mit den Chorfenstern von St. Denis (vgl. Abb. 3.29) eine verblüffende Ähnlichkeit im Detail. Hier wie dort zieren schlanke Säulchen, deren Schäfte in zwei Teile untergliedert werden, die Kanten der Öffnungen. Auf den Kapitellen liegen kräftige Kämpferplatten auf, die jeweils auf den Pfeiler bzw. die Mauer übergreifen und somit eine horizontale Trennlinie ziehen. Darüber erhebt sich ein Rundstab, welcher den

Bogen profiliert und von der Systematik der Tragstruktur her den Rippen der Gewölbe entspricht. Angesichts der deutlichen Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen St. Denis und Magdeburg sowohl im Konzept als auch im Detail wäre zu fragen, ob St. Denis nicht sogar als ein direktes Vorbild des Magdeburger Doms in Frage käme. Auch auf einer inhaltlichen Ebene wäre diese These keinesfalls abwegig, denn beide Kirchen dienten als Grablege von Königen und Königinnen. 495 Kap. 3.3.5.

126

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

des ottonischen Doms enden exakt unterhalb des Gesim-

Die Modifikation des ursprünglichen Entwurfs

ses, welches sich über den Kapitellen verkröpft und auf

Während sich die stilistischen Unterschiede der beiden

diese Weise zugleich deren Kämpferplatte bildet. Auch die

Geschosse also kaum für eine Rekonstruktion des Bauver-

­ esims Reliquiennischen und Reliefs richten sich an dem G

laufs eignen, kann ein bauforscherischer Befund nicht ig-

aus, so dass sie gemeinsam mit den antikisierenden Ka-

noriert werden. Bearbeitungsspuren hinter den Säulen des

pitellen eine horizontale Zone definieren. Die Heiligen­

Chorhauptes deuten nämlich darauf hin, dass die Wand-

skulpturen setzen hingegen, ebenso wie die Arkadenpfei-

pfeiler, welche heute als Postamente der Säulen fungieren,

ler des Bischofsgangs, unmittelbar auf dem Gesims auf.

ursprünglich bis zur Höhe der Umgangsarkaden reichten

Durch die Überlagerung von vertikaler Tragstruktur

und erst nachträglich abgearbeitet wurden.496 Die Ent-

und horizontaler Geschossstruktur entsteht eine gewisse

scheidung für das realisierte Konzept fiel demnach erst

Ambivalenz, welche es erlaubt, die Elemente sowohl als

während des Bauverlaufs, genauer gesagt während der

Teil der einen als auch der anderen Struktur zu lesen. Die

Bauarbeiten am Chorumgang. Zudem wird in der Litera-

feine Abstimmung zwischen vertikalem und horizontalem

tur diskutiert, ob die Heiligenfiguren und die vermauerten

Ordnungsmuster ist evident. Das Ineinandergreifen ver-

Reliefs erst im Zuge dieses Planwechsels in die Chorge-

schiedener Ordnungsprinzipien offenbart damit eine pla-

staltung einbezogen wurden.497

nerische Komplexität, die kaum aus zufälligen Stilwech-

Was bedeutet ein Planwechsel nun für vorangegan-

seln resultieren kann, sondern fraglos eine umfassende

gene Ausführungen? Die hiesige Fragestellung lautet be-

Planung im Vorfeld voraussetzt.

kanntlich: Wie bestimmte die Tradition des Ortes die ar-

Es bleibt somit zu resümieren, dass eine Vielzahl von

chitektonische Form des Magdeburger Doms? Folglich

Indizien dafür spricht, dass die formalen Differenzen zwi-

muss notwendigerweise von der tatsächlich gebauten Ar-

schen Chorumgang und Bischofsgang des Magdeburger

chitektur ausgegangen werden.498 Ob diese früher einmal

Doms nicht aus einer stilgeschichtlichen Entwicklung

anders geplant war, spielt demzufolge zunächst einmal

resultieren, sondern, wie Saint-Denis, das Ergebnis einer

keine Rolle. Erst in einem zweiten Schritt, wenn das Ana-

einheitlichen Planung darstellen. Die dialektische Ge-

lysierte in einen historischen Kontext gesetzt wird, müs-

staltung der beiden Geschosse diente anscheinend der

sen Fragen der Datierung mit in Betracht gezogen werden.

bewussten Konnotation einer neuen Raumstruktur in Re-

Die Bedeutung der Tradition des Ortes für den Magdebur-

lation zu einer alten, im Sinne von altehrwürdigen, und

ger Dom, soviel kann an dieser Stelle bereits vorwegge-

umgekehrt. Die inszenierte, jedoch nicht authentische Alt-

nommen werden, ist aufgrund der vielfältigen, komplexen

ehrwürdigkeit des Chorumgangs kann als Erinnerungs-

und ineinandergreifenden materiellen und ästhetischen

form, zumindest jedoch als Kompensation der aufgegebe-

Strategien zu ihrer Verbildlichung offensichtlich. Es stellt

nen Krypta des Vorgängerdoms verstanden werden. Beim

sich lediglich die Frage, wann die Entscheidung dazu fiel.

Bischofsgang wurden die in Relation zum Umgang mo-

Ein anderweitiger erster Plan bedeutet allerdings nicht

dernen Formen im Sinne einer Steigerung eingesetzt, um

zwangsläufig, dass der vorherige Entwurf die Tradition

die alte Pracht der Kirche durch die neue Architektur zu

des Ortes weniger berücksichtigte, da die Säulen schließ-

erhöhen. Das Neue löst das Alte jedoch nicht ab, sondern

lich zunächst an anderer Stelle eingeplant gewesen sein

baut auf diesem auf, im buchstäblichen wie im übertrage-

könnten.499

nen Sinne. Eingebunden in das übergeordnete Gesamtsystem der Kirche werden beide Teile als Kompartimente eines größeren Ganzen erkennbar. 496 Brandl/Forster 2011, S. 97, 144; Nicolai 2009, S. 79; Ders. 1989, S. 151. 497 Adolph Goldschmidt stellte 1899 die These auf, dass der überwiegende Teil der Skulpturen und Reliefs ursprünglich für ein Figurenportal nach französischem Vorbild hergestellt wurde (Ders. 1899). Zahlreiche Forscher folgten seinen Überlegungen in mehr oder weniger modifizierter Form, zuletzt Heiko Brandl (Ders. 2009?, mit Überblick der Forschungsgeschichte und Literaturangaben). Kritisch bis ablehnend äußerten sich hingegen z. B. Nicolai 1989, S. 153; Schubert 1989, S. 38. Helga Sciurie bemerkte bezüglich der Skulpturen: »Seit Adolph Goldschmidts Vermutung von 1899 [...] hat sich die Forschung mehr für die Rekonstruktion des Portals und die stilgeschichtliche Einordnung seiner Skulpturen interessiert, als für

eine Analyse des tatsächlich gebauten Innenraumes« (Dies. 1989, S. 163). 498 Frei nach Helga Sciurie (s. vorherige Anm.) könnte angemerkt werden: Die Forschung interessierte sich meist mehr für die Rekonstruktion des Bauverlaufs des Magdeburger Domchores samt der oft nur hypothetischen Planwechsel und der stilgeschichtlichen Einordnung der Details als für die Analyse der tatsächlich gebauten Architektur. 499 Lex Bosman schlägt eine ursprünglich angedachte Wiederverwendung im Mittelschiff vor (Ders. 2012, S. 190); Wolfgang Schenkluhn sieht Hinweise für eine geplante Aufstellung auf Höhe der Chorempore (Ders. 2009, S. 58).

3.3  MATERIELLE UND GESTALTERISCHE STRATEGIEN ZUR VERBILDLICHUNG DER TRADITION IM NEUEN CHOR

127

Konsequenzen für die Datierung des Bischofsgangs und dessen Bauherrenschaft

rallel zum Baubeginn in Magdeburg erfolgte Umbau des

Eine Gestaltung von Umgang und Empore nach einem

Mainzer Doms nahm vom Ende des 12. Jahrhunderts bis

50 Jahre zuvor dauerte gerade einmal vier Jahre. Der pa-

einheitlichen Plan zieht Konsequenzen für die Datierung

zur Weihe 1239 rund 40 Jahre in Anspruch,503 umfasste

des Bauablaufs im Chor nach sich, indem sie die geläufige,

neben dem voluminösen Dreikonchenchor jedoch auch

noch jüngst wiederholte These,500 den Übergang vom spät-

das Westquerhaus, den zugehörigen Vierungsturm und

romanisch deklarierten Chorumgang zum frühgotisch

die Chorflankentürme sowie die Seitenschiffe des Lang-

deklarierten Bischofsgang als grundlegende Zäsur im

hauses und die Einwölbung des Mittelschiffes. Angesichts

Bauverlauf aufzufassen, grundsätzlich in Frage stellt, da

dieser Vergleichsbeispiele wäre es doch merkwürdig, wenn

dieser These die Prämisse zugrunde liegt, dass der ältere

der Magdeburger Dom nach fast zweieinhalb Jahrzehnten

Stil dem jüngeren Stil zeitlich gänzlich vorausging, gleich-

Bauzeit lediglich bis zum Chorumgang gediehen wäre. In-

sam einer Polonaise der Stile.

terpretiert man die formale Differenz der Chorgeschosse

Um den postulierten harten Schnitt zu erklären, ver-

jedoch nicht als Stilwechsel, sondern als dialektisches Ge-

suchte man, den Stilwechsel an unterschiedlichen Erzbi-

staltungsmittel in einem einheitlichen Konzept, bestünde

schöfen fest zu machen.501 In diesem Sinne sah man den

also die Möglichkeit, dass die Chorempore bereits unter Al-

Initiator des Neubaus, Albrecht II. von Käfernburg, als

brecht II. in der heutigen Form geplant und sogar verwirk-

maßgebliche Kraft hinter der Gestaltung des Chorum-

licht wurde. Auch spricht nichts dagegen, dass die weiter

gangs mit seinen älteren Formen an und führte die jün-

oben thematisierte Modifikation des ursprünglichen Ent-

geren Formen des Bischofsgangs auf einen Planwechsel

wurfs im Episkopat Albrechts II. vorgenommen wurde.

nach dessen Tod 1232 zurück, den einer seiner Nachfol-

In diese Richtung zielte bereits mit anderer Argumen-

ger im Amt des Erzbischofs, Burkhard (ep. 1232–1235) oder

tation Bernd Nicolai 1989, der die Überarbeitung des Bin-

Wilbrand (ep. 1235–1253), veranlasst haben soll. Einer der-

nenchorplanes mit dem Erwerb einer Reliquie des heili-

artigen Folgerung liegt die Vorstellung zugrunde, dass un-

gen Mauritius 1220 durch Albrecht II. zusammenbrachte

ter einem bestimmten Bauherren nur ein bestimmter Stil

und infolgedessen die Entstehung von Chorprogramm

gebaut wurde. Diese Annahme ist jedoch nachweislich

und Bischofsgang in die 1220er Jahren datierte.504 Im Zuge

verkehrt,502 wie das Beispiel Saint-Denis lehrt, wo unter

der jüngsten Forschungswelle zum Magdeburger Dom

Abt Suger sowohl der »romanische« Kryptenumgang als

rund um das Domjubiläum 2009 ist dieser Ansatz wieder-

auch das »gotische« Chorgeschoss errichtet wurden.

holt und von anderen Forschern aufgegriffen worden.505

Dass der Bischofsgang nach dem Chorumgang errich-

Auch wenn der Vordatierung prinzipiell zugestimmt wer-

tet wurde, ist natürlich unstrittig, schließlich konnte er

den kann, so stellt sich die Frage, warum der Erwerb der

erst aufgemauert werden, nachdem das Geschoss darun-

Reliquien zu einer Ausgestaltung des Binnenchores als

ter stand. Da aber gezeigt werden konnte, dass einerseits

»monumentale[m] Memorialraum für den Bistumsgrün-

die älteren Formen nicht zwangsläufig stilgeschichtlich

der«506 geführt haben soll, wie Nicolai den Umbau treffend

bedingt sind und andererseits beide Geschosse gestalte-

charakterisiert, wo also der Zusammenhang zwischen den

risch und tektonisch aufeinander abgestimmt wurden,

neuen Reliquien und der Intensivierung der Stiftermemo-

lässt sich der formale Kontrast nicht mehr als Zäsur im

ria bestünde. Insofern wird die Realisierung des neuen

Bauablauf deuten und kann folglich auch nicht mit ver-

Planes weiter unten alternativ in einem anderen histori-

schiedenen Bauherren erklärt werden.

schen Zusammenhang diskutiert, welcher eine Datierung

Der Neubau des Magdeburger Doms begann um 1208

sogar in die zweite Hälfte der 1210er Jahre erlaubt.507

auf Initiative von Erzbischof Albrecht II., welcher der Neu-

Jedenfalls scheint der Bauverlauf in Magdeburg an-

baukampagne bis zu seinem Ableben 23 Jahre lang als Erz-

fänglich zügiger vorangeschritten zu sein als früher ange-

bischof vorstand. Der Chorneubau von Saint-Denis rund

nommen. Auch die Biographie Albrechts II. lässt sich mit

500 Rogacki-Thiemann 2007, S. 74. Obgleich die Autorin nach eigenem Bekunden das Ziel verfolgte, »eine Präzisierung der Baugeschichte des Magdeburger Domes auf Grundlage bauforscherischer Methoden am Objekt selbst« vorzunehmen, führt sie als einziges Argument zur Datierung des Chorumgangs die stilkritischen Studien von Hamann 1909 an. 501 Schubert 1989, S. 36f.; Ders. 1984, S. 31.

Kritik an jener Annahme übte bereits Nicolai 1989, S. 147f. Von Winterfeld 2001, S. 80. Nicolai 1989, S. 154. Brandl 2012, S. 149f.; Brandl/Forster 2011, S. 148; Nicolai 2009, S. 76–81. 506 Nicolai 2009, S. 76; mit ähnlicher Wortwahl Nicolai 1989, S. 154. 507 Kap. 3.5.3. 502 503 504 505

128

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

einer Realisierung des Bischofsgangs unter diesem Erzbi-

der wirkungsmächtigen Kathedrale von Chartres wurde

schof verbinden, denn er verbrachte seine Studienzeit in

1194 nach einem großen Feuer begonnen.510 Die zeitliche

Paris und muss demzufolge mit den dortigen architekto-

Nähe und Parallelität der Ereignisse sprechen dafür, das

nischen Entwicklungen vertraut gewesen sein.508 Auch

Chartres konzeptionell als Vorbild für das Magdeburger

von dieser Seite würde es somit nicht verwundern, wenn

Neubauprojekt gedient haben könnte. Ob man auch von

in Frankreich entwickelte Formen wie die kelchförmigen

einem Formentransfer aus Chartres ausgehen darf, hängt

Knospenkapitelle bereits unter diesem Erzbischof Einzug

davon ab, wie weit der Bau dort zu Beginn der Arbeiten

in Magdeburg fanden.

in Magdeburg gediehen war. Weiter fortgeschritten war

Wenn aber die Detailformen bereits von Beginn an

um 1200 die Kathedrale von Paris, welche sich wohl seit

eingeplant waren und sich nicht im Bauverlauf eingeschli-

1163 im Bau befand, so dass sie zeitlich gesehen in jedem

chen haben, wie in der älteren Literatur unterstellt, dann

Fall für einen Formentransfer in Frage käme.511 Auf die

würde dies auch ein anderes Licht auf den Formentransfer

deutlichen konzeptionellen und formalen Ähnlichkeiten

von Frankreich nach Deutschland zu Beginn des 13. Jahr-

zu Saint-Denis wurde weiter oben bereits hingewiesen.

hunderts werfen und die architekturhistorische Stellung

Auch der Umbau der Abteikirche Saint-Remi in Reims

des Magdeburger Chores grundsätzlich überdacht werden

wäre als Inspirationsquelle zu nennen. Die Heiligen­

müssen. Die romanischen Formen des Umgangs sind dann

skulpturen, welche am Hauptportal auf antiken Schäften

nicht als Rückständigkeit zu interpretieren, sondern als be-

stehen, erinnern auffällig an die Tragstruktur im Magde-

wusster retrospektiver Bezug auf die Tradition des Ortes.

burger Domchor. Die Architektur der Magdeburger Kathe-

Die gotischen Formen des Bischofsgangs würden hingegen

drale schließt aus dieser Perspektive unmittelbar an die

nicht aus einer stilgeschichtlichen Entwicklung während

großen französischen Baukampagnen der zweiten Hälfte

des Bauverlaufs resultieren, sondern wären von vornherein

des 12. Jahrhunderts an.512 Das stilgeschichtliche Modell

beabsichtigt gewesen. Im Übrigen hätte sich damit auch

suggeriert indes eine größere Rückständigkeit der sächsi-

der von der Forschung aufgeworfene Widerspruch bezüg-

schen Metropole, als sie, wenn überhaupt, de facto exis-

lich der Aktualität des Chorgrundrisses einerseits und der

tierte, da ein Aufgreifen der französischen Formen erst

»Rückständigkeit« der Formen anderseits aufgelöst.

nach dem Bau des Umgangs impliziert wird. Die konstru-

Als Quelle für den Formentransfer kämen insbeson-

ierte Bindung der Stile an Bauherren führt infolgedessen

dere französische Bauwerke in Frage, die Albrecht II. wohl

zu einer fragwürdigen Spätdatierung des Formentransfers

aus eigener Anschauung kannte.

etliche Jahrzehnte nach dem Episkopat Albrechts II.

509

Mit dem Wiederaufbau

3.4 Das Phänomen der Achsrotation – Räumliche Beziehungen des gotischen Doms zum Vorgängerbau 3.4.1 Der Befund und seine Bewertung in der Literatur

gegenüber dem Vorgängerdom um rund acht Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht wurde (vgl. Abb. 3.05).513 Die

Die archäologischen Grabungen im Magdeburger Dom

Ausrichtung des Vorgängerbaus lässt sich noch heute an

förderten die auf den ersten Blick irritierende Erkennt-

der Ausrichtung des Kreuzgangs und der anliegenden

nis zu Tage, dass die Mittelachse des heutigen Bauwerks

Stiftsgebäude nachvollziehen, welche einstmals recht-

508 Diesen Aspekt betont nun auch Sandron 2012. – Zur Studienzeit Albrechts II.: Gramsch 2009; Silberborth 1910, S. 110f. 509 Vgl. Sandron 2012. 510 Kimpel/Suckale 1985, S. 236–249. – Die Kathedrale von Chartres nimmt in der Forschung zur gotischen Architektur eine exponierte Stellung ein, da sie neben Reims und Amiens als Höhepunkt des Stils angesehen wird. Kaum berücksichtigt wurde allerdings bisher, dass auch die Kathedrale von Chartres maßgeblich unter dem Einfluss ihrer Tradition des Ortes steht. So wurde z. B. neben Teilen des alten Westbaus die monumentale alte Krypta in situ inkorporiert, welche damit die Dimensionen der Kathedrale definierte und die Form des Grundrisses wesentlich beeinflusste.

511 Anfang des 13. Jahrhunderts standen in Paris Chor, Querhaus und große Teile des Langhauses. Gegen 1218 war der Innenraum fertiggestellt und die Westfassade im Bau (Baudaten nach Kimpel/ Suckale 1985, S. 151). – Parallelen zur Pariser Kapitellplastik sehen auch Brandl/Forster 2011, S. 174. 512 Das schließt weitere Referenzen und Einflüsse ausdrücklich nicht aus, insbesondere solche aus dem deutsch-römischen Kaiserreich, auf die vor allem Bernd Nicolai und Wolfgang Schenkluhn hingewiesen haben (Nicolai 2009, Schenkluhn 2009). 513 Die jüngst ergrabenen Nordteile der Ostkrypta ermöglichten eine gegenüber älteren Rekonstruktionen präzisere Bestimmung der Mittelachse des Vorgängerdoms (Kuhn 2009a, S. 45, 49).

3.4 DAS PHÄNOMEN DER ACHSROTATION – RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DES GOTISCHEN DOMS ZUM VORGÄNGERBAU

129

winklig zum Vorgängerdom orientiert waren, aufgrund

Achsrotation bleibt hingegen die räumliche Kontinuität

der gedrehten Achse des Neubaus jedoch heute schräg

zum Ursprungsort gewahrt, denn selbst bei der theoretisch

zum Dom stehen, so dass der Kreuzgang seither einen

größtmöglichen Abweichung von 90 Grad überlagert das

ungewöhnlichen trapezförmigen Grundriss aufweist. Aus

neue Gebäude die alte Kirche am Drehpunkt und um die-

diesem Grund blieb zudem der südliche Kreuzgangflügel

sen herum.

aus dem 12. Jahrhundert, also aus der Zeit des Vorgängerbaus, in den ursprünglichen Formen bewahrt.514

Die Entscheidung, die Achse des neuen Magdeburger Doms gegenüber dem Altbau zu rotieren, verhinderte zwar,

In der Literatur ist die Achsdrehung des neuen Doms

wenn man vom Kreuzgang absieht, die Integration alter

gegenüber seinem Vorgängerbau bis in die jüngere Ver-

Gebäudeteile in situ, doch blieb die Kontinuität des Ortes

gangenheit hinein als Zeichen eines radikalen Bruchs

trotzdem gewahrt, und zwar so weitgehend, dass der Vor-

mit der Vergangenheit interpretiert worden.515 So schrieb

gängerbau von seinem gotischen Nachfolger größtenteils

Bruno Klein 1998 in seiner Einführung in die Entstehung

umhüllt wird (vgl. Abb. 3.05). Lediglich der Südteil der ehe-

gotischer Architektur:

maligen Ostkrypta und vielleicht auch ein kleiner Teil des

»Deren [=der Vorgängerkathedrale] historischen Wert hatte Erzbischof Albrecht II. erst wenige Jahrzehnte zuvor gegen alle Widerstände noch so radikal ignoriert, daß er seinen neuen Dom schräg zur Achse des alten bauen ließ, was eine Wiederverwendung von Fundamenten und aufgehendem Mauerwerk unmöglich machte.«516

südlichen Querhauses liegen außerhalb des neuen Gebäudes. Die Frage, ob die Wahrung der Kontinuität des Ortes intendiert war oder nicht, ob sie vielleicht sogar als fester Parameter der Planungen verbindlich vorgegeben wurde, bleibt zunächst offen. An dieser Stelle wird lediglich festgehalten, dass eine Kontinuität des Ortes gegeben war. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass für die Achsrotation ein größerer Aufwand betrieben werden musste, als

Abgesehen davon, dass eine Wiederverwendung der al-

es bei einem Neubau an anderer Stelle der Fall gewesen

ten Fundamente statisch ohnehin nicht möglich gewesen

wäre, denn aufgrund der Achsrotation mussten die Fun-

wäre,

stimmt eine derart traditionsfeindliche Auslegung

damente der Vorgängerkirche an den Stellen, an denen

angesichts der höchst bedeutsamen, kaiserlichen Tradi-

sie diejenigen des Neubaus kreuzten, komplett abgetragen

tion der Magdeburger Kathedrale skeptisch.

werden. Für einen derartigen, auch ökonomischen Mehr-

517

aufwand muss ein triftiger Grund bestanden haben und

3.4.2 Begriffliche Präzisierung

auch der Drehwinkel wird wohl kaum willkürlich gewählt worden sein. Es stellt sich also die Frage nach Sinn und

Zunächst scheint eine begriffliche Präzisierung des Phä-

Zweck der Achsrotation.

nomens notwendig, welches in der Literatur oftmals als »Achsverschiebung« bezeichnet wird.518 Bei genauer Be-

3.4.3 Kritik möglicher Erklärungsansätze

trachtung trifft diese Beschreibung den Sachverhalt nicht, denn die Mittelachse der neuen Kathedrale wurde gegen-

Eine Neuausrichtung des zuvor südöstlich orientierten

über der alten Achse nicht verschoben, sondern gedreht,

Doms nach Osten bietet den naheliegendsten Erklärungs-

demnach liegt eine »Achsdrehung« oder »Achsrotation«

ansatz, scheidet aber als Begründung wohl aus, da auch

vor (vgl. Abb. 3.05). Diese Feststellung stellt keineswegs

der Neubau nicht genau gen Osten weist. Das wäre aber

eine sprachliche Spitzfindigkeit dar, sondern eine aus der

für den Fall, dass dies der Sinn des Unterfangens war, zu

Perspektive der Tradition des Ortes wichtige Differenzie-

erwarten.

rung, denn sie drückt einen stärkeren Bezug des Neubaus

Heiko Brandl und Christian Forster schlugen jüngst

zum traditionsbehafteten Ort aus. Bei einer Achsverschie-

hypothetisch vor, dass die Grundsteinlegung für den

bung rückt das Gebäude vom Ursprungsort weg; je nach

neuen Dom den Anlass für die Ausrichtung der Kirche

Weite der Verschiebung könnte es sich dann neben oder

gab, weil man die Grundsteinlegung 1207 oder 1208 in An-

sogar entfernt vom ursprünglichen Ort befinden. Bei einer

wesenheit zweier päpstlicher Legaten feiern wollte, j­ edoch

514 Schubert datiert den südlichen Kreuzgangflügel um 1170 (Ders. 1984, S. 40f.). – Im 15. Jahrhundert zielte man mit restaurativen Maßnahmen interessanterweise auf den Erhalt alter Formen im Ostflügel ab. 515 Z. B. Schubert 1984, S. 31.

516 Klein 1998, S. 106f. 517 Vgl. Kap. 2.6.1 und 4.2.3. 518 Z. B. Sußmann 2009, S. 129; Schubert/Leopold 2001, S. 355; Schubert 1998, S. 14; Kroos 1989, Anm. 45; Nicolai 1989, S. 149.

130

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

noch weite Teile der gerade erst ausgebrannten Bischofs­

deshalb zu Recht kritisiert.525 Noch schwerer wiegt jedoch

kirche aufrecht standen.

Die Drehung des Grundris-

das Gegenargument, dass sich der Sarkophag Ottos des

ses ermöglichte nach Meinung von Brandl und Forster

Großen heute gar nicht an der Stelle befindet, von der

519

die Lösung dieses Dilemmas, denn auf diese Weise hätte

Schubert/Leopold ausgehen,526 sondern ein ganzes Joch

man den Grundstein nördlich des bestehenden Gebäudes

weiter westlich zwischen den östlichen Vierungspfeilern.

platzieren können. Es erscheint jedoch überhaupt nicht

Obgleich alle Annahmen in Abhängigkeit vom gewünsch-

glaubhaft, dass man die langfristige Konzeption einer Bi-

ten Ergebnis getroffen wurden, lässt sich der Befund also

schofskirche mit ihren zahlreichen weitgehenden, auch

trotzdem nicht mit der These vereinbaren.

finanziellen Konsequenzen von der kurzfristigen Anwe-

Der Ansatz von Schubert und Leopold, die Achsrota-

senheit einzelner Personen bei einem symbolischen Fest-

tion aus der Tradition eines für den Kirchenbau bedeut-

akt abhängig macht, zumal die betreffenden Legaten 1209

samen Ortes zu erklären, eines Fixpunktes, um den die

abermals in Magdeburg waren.520 Darüber hinaus darf

Domkirche neu herumgebaut wurde, könnte jedoch vom

der Begriff »Grundsteinlegung« nicht wörtlich verstanden

Prinzip her in die richtige Richtung zielen. Nur war es viel-

werden, denn es kann sich hierbei aus praktischen und or-

leicht nicht das Grab Kaiser Ottos, welches als Fixpunkt

ganisatorischen Gründen nicht tatsächlich um das Verset-

der Neuausrichtung diente.

zen des allerersten Steins handeln, wofür im Vorfeld mindestens die Fundamentgruben geplant, eingemessen und ausgehoben sein müssen, sondern um einen symbolischen

3.4.4 These: Das Grab der Königin Edith als Referenz­ punkt der Achsrotation

Akt in einem frühen Stadium einer Baumaßnahme.521 Das spricht nicht gegen die von Brandl und Forster wieder in

Die Lage des Grabes nach den Schriftquellen

die Diskussion eingebrachte Datierung der Grundstein-

Widukind von Corvey schrieb in den 960er Jahren, das

legung 1207 oder 1208, doch lässt sich hieraus keine Not-

Edithgrab befände sich »in nova basilica, latere aquilonali

wendigkeit einer Achsdrehung des Neubaus ableiten.

ad orientem«,527 also im Nordosten der neuen Basilika. Un-

Ernst Schubert und Gerhard Leopold brachten Ende

abhängig davon, ob Widukind dabei die Moritzklosterkir-

der 1990er Jahre eine Ortskontinuität des Kaisergrabes als

che oder den Dom Ottos meinte, spricht die zeitliche Nähe

Erklärungsansatz in die Diskussion ein.522 Die »Verschie-

der Nachricht zum Tod Ediths 946 dafür, dass Widukind

bung [sic!] der Achslage des Doms im 13. Jahrhundert«523

die ursprüngliche Begräbnisstelle der Königin vor Augen

diente nach Meinung der Autoren dem Zweck, das ehe-

hatte.

mals im Nordquerhaus befindliche Kaisergrab in der Mitte

Ungefähr ein halbes Jahrhundert später sah Thietmar

des Sanktuariums zu platzieren, ohne das Grab selbst zu

von Merseburg das Edithgrab vor 1018 als Augenzeuge »in

versetzen. Allerdings sprechen mehrere Punkte gegen eine

oratorio aquilonari«,528 was Werner Trillmich m. E. richtig

solche These. Zunächst einmal ist die Annahme, dass sich

mit »in der nördlichen Kapelle« übersetzt.529 Hierbei fällt

das Grab Ottos im Nordquerhaus befunden habe, rein

zunächst die Ähnlichkeit zur älteren Ortsangabe Widu-

hypothetisch und wurde von den Autoren indirekt aus

kinds auf. Bezieht man gemäß derzeitigem Forschungs-

Quellen zur Lage des Grabes der Edith geschlossen. Doch

stand einen Neubau der Bischofskirche unter Tagino in

selbst die Lage des Edithgrabes lässt sich derzeit nicht ein-

die Gedanken mit ein,530 so ergeben sich zwei Möglichkei-

deutig bestimmen, denn die Schriftquellen erlauben auch

ten:

eine andere Auslegung.524 Weiterhin geht die Rekonstruk-

1. Widukind und Thietmar beschreiben dasselbe Grab-

tion des Grundrisses der ottonischen Kirche über das hi-

mal, welches sich folglich noch im alten Dom, also der

naus, was der archäologische Befund zulässt, und wurde

Nordkirche, befunden haben muss. Daraus folgt wiede-

519 Brandl 2012, S. 145; Forster 2012, S. 25; Brandl/Forster, S. 413. – Brandl 2012 lässt die These leider bereits als Fakt erscheinen. 520 Rosenfeld 1909, S. 6f. 521 Dies lässt sich auch heute bei Grundsteinlegungen beobachten. 522 Schubert/Leopold 2001, S. 355–358; Schubert 1998, S. 13f.; Leopold 1998, S. 42f. 523 Schubert/Leopold 2001, S. 355. 524 S. weiter unten. 525 Kuhn 2009a, S. 45; Meckseper 2001, S. 373. 526 Schubert/Leopold 2001, S. 354, Abb. 1.

527 Widukind, RGS Lib. II, 946 (ed. Hirsch/Lohmann, S. 100): »Sepulta est autem in civitate Magathaburg in basilica nova, latere aquilonali ad orientem.« 528 Thietmar von Merseburg starb 1018 (Trillmich 1960, S. XXIII). Zur Datierung seiner Chronik: Ebd., S. XXIII–XXV. 529 Thietmar, Chronicon II, 3 (ed. Trillmich, S. 436): »... sepultaque est in civitate prefata in maiori aecclesia, in oratorio aquilonari.« Übersetzung Trillmich: »In der nördlichen Kapelle der Hauptkirche dieser Stadt liegt sie begraben.« 530 Kap. 3.2.

3.4 DAS PHÄNOMEN DER ACHSROTATION – RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DES GOTISCHEN DOMS ZUM VORGÄNGERBAU

131

rum, dass der alte Dom zu jenem Zeitpunkt noch in Be-

Rainer Kuhn bestätigen die Kontinuität des Ortes, denn

trieb war. Zu einem Neubau unter Tagino stünde diese An-

im Fundament des frühneuzeitlichen Grabmals wurde

nahme nicht im Widerspruch, da anzunehmen wäre, dass

ein schlichter Steinsarkophag entdeckt, den man sorg-

eine Translation der Königin wohl erst erfolgte, nachdem

sam in Ost-West-Richtung in das Fundament der Tumba

die neue Kirche geweiht worden war. Dies scheint beim

einbettete.538 Es liegt nahe, diesen Sarkophag als Teil des

Tod Taginos 1012 noch nicht der Fall gewesen zu sein,

vormaligen Königinnengrabes zu identifizieren, welcher

denn für Taginos Bestattung »im westlichen Teil des Cho-

bei der Errichtung des neuen Grabmals zu Beginn des

res vor der Krypta«531 musste die betreffende Stelle auffälli-

16. Jahrhunderts wie eine Reliquie im neuen Fundament

gerweise noch geweiht werden.

beigesetzt wurde. Der unverzierte Steinsarkophag lässt

532

2. Thietmar beschreibt die Situation in der Südkirche;

sich derzeit nicht näher datieren, doch ist eine Datierung

eine Translation der Königin wäre demzufolge vor 1018 er-

in das 10. Jahrhundert nicht ausgeschlossen, so dass es

folgt. Die Ähnlichkeit zur Ortsangabe Widukinds weist in

sich möglicherweise sogar um den ursprünglichen Sarko-

diesem Fall darauf hin, dass die Sakraltopographie des al-

phag handeln könnte.539 Man kann also mit einer gewissen

ten Doms zumindest teilweise auf die Südkirche übertra-

Sicherheit davon ausgehen, dass sich das Grabmal Ediths

gen wurde und das Grab der Königin an einer vergleichba-

im Neubau des 13. Jahrhunderts stets an derselben Stelle

ren Stelle im Nordosten der neuen Kirche platziert wurde.

befand.

In der Folgezeit schweigen die Quellen bezüglich des

Unterhalb des neuzeitlichen Fundamentes stießen die

Standortes leider. Für eine in der Literatur postulierte

Ausgräber auf die Fundamente des Nordostturmes der

Translatio der Gebeine in die Krypta oder an einen an-

vormaligen Domkirche.540 Wie schon in der älteren Lite-

Erst gegen

ratur vermutet, spiegelt sich unterhalb des Edithgrabes

deren Ort im Jahr 1049 fehlen die Beweise.

533

Ende des 13. Jahrhunderts wird der Ort des Grabmals wie-

die bekannte Disposition des südlichen Chorflankentur-

der in den Schriftquellen greifbar und zwar an der heuti-

mes, wo sich auf Kryptaniveau auch aufgehendes Mau-

gen Stelle auf der Mittelachse des Doms.534

erwerk erhalten hat. In der Mitte der Türme befanden sich im Kryptageschoss jeweils quadratische Räume, in

Der archäologische Befund zur Grabstelle

deren Mitte sich jeweils eine auffällig starke Mauerzunge

Bei der Analyse der räumlichen Beziehungen der Dom-

parallel zu Kirchenachse erstreckte, welche den Raum in

kirche zu ihrer Vorgängerin fällt ins Auge, dass die Chor-

zwei gleichgroße Kammern von ungefähr 2,30 × 1,10 Me-

scheitelkapelle des 13. Jahrhunderts den nordöstlichen

tern teilte, die über einen Gang mit dem Hauptraum der

Chorflankenturm des Vorgängerbaus in auffälliger Weise

Krypta verbunden waren.

überlagert (vgl. Abb. 3.05). Diese räumliche Beziehung gewinnt insofern an Brisanz, weil sich im Chorumgang vor

Gedanken zur Lokalisierung des alten Edithgrabes

der Kapelle, auf der Mittelachse des Neubaus, heute das

Die Indizien sprechen also dafür, dass sich das Edithgrab

Grabmal der Königin Edith befindet (Taf. 3.03).535 Zwar

in der stauferzeitlichen Kirche von Beginn an an der heu-

wurde die plastisch reich gestaltete Tumba erst 1510 ge-

tigen Stelle über dem vormaligen Nordostturm befand.

fertigt (vgl. Abb. 3.15),

doch ersetzte sie ein älteres Grab-

Diesem Befund kommt insofern besondere Bedeutung

mal, das sich nach dem Zeugnis des Magdeburger Liber

zu, weil er sich in frappanter Weise mit der Beschreibung

Ordinarius spätestens Ende des 13. Jahrhunderts an der-

Thietmars vom Edithgrab in einer nordöstlichen Kapelle

selben Stelle befand.537 Neue Grabungsergebnisse von

zusammenbringen lässt.

531 Thietmar, Chronicon VI, 63 (ed. Trillmich XXX): »... occidentale parte in choro ante criptam, quam ipse fecit et consecravit ...«. 532 Ehlers 2009, S. 133. 533 S. weiter unten. 534 Die Verortung des Edithgrabmals lässt sich aus seiner liturgischen Einbindung nach dem Zeugnis des Magdeburger Liber Ordinarius schließen: Kroos 1989, S. 90; Zur Datierung des Liber Ordinarius: Kühne 2009, S. 184. 535 Das Grabmal geriet in die Schlagzeilen (z. B. Die Zeit, 17.6.2010, S. 35), als man 2008 in der Tumba einen Bleikasten mit Gebeinen entdeckte, denn in der jüngeren Literatur hielt man das Grabmal für einen Kenotaph (jüngster Forschungsstand zum Edithgrab: Kuhn 2012b, ferner Kuhn 2009a, 49–51; Puhle 2009, Bd. 2, S. 25f.). In der älteren

Literatur ging man hingegen selbstverständlich davon aus, dass sich die Gebeine der Königin in der Tumba befänden (Brandt 1863, S. 96). 536 Die ältere kunsthistorische Datierung des steinernen Grabmals wurde durch eine Inschrift auf dem Bleisarg bestätigt, welche das Jahr 1510 für die Errichtung nennt (frühneuzeitliches Grabmal: Schubert 1984, S. 219. – Inschrift mit Übersetzung: Puhle 2009, Bd. 2, S. 26; Schubert 2009, S. 380). 537 Zur Datierung des Magdeburger Liber Ordinarius: Kühne 2009, S. 184. Zur liturgischen Einbindung des Edithgrabmals: Kroos 1989, S. 90. 538 Kuhn 2012b, S. 114f. 539 Ebd. 540 Kuhn 2009b, S. 42–46.

536

132

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

Alfred Koch interpretierte 1926 die Kammern im Chor-

also präziser, als es ihr die kunstgeschichtliche Literatur,

flankenturm als Grabkammern, was die Möglichkeit impli-

in der die Stelle zumeist auf das nördliche Querhaus be-

zierte, dass Edith im Vorgängerdom in einer nordöstlichen

zogen wurde,547 bisher zugestehen wollte. Die auffällige

Kryptakapelle bestattet wurde und sich deshalb das heu-

Entsprechung von schriftlicher Überlieferung und archäo-

tige Grabmal darüber befindet.541 Gerhard Leopold lehnte

logischem Befund legt nahe, dass Thietmar das Grab tat-

die Interpretation als Grabkammer 1983 jedoch ab, weil es

sächlich in der nordöstlichen Turmkapelle der Südkirche

unmöglich wäre, einen Sarkophag im Stollen um die Ecke

gesehen hat. In diesem Fall könnte die Ähnlichkeit der

in die Kammern zu transportieren;542 seiner Argumenta-

Angabe Widukinds für den Grabort im alten Dom »aqui-

tion folgte zuletzt Jens Reiche 2012.543 Zwar kann dem ent-

lonali ad orientem«548 darauf hinweisen, dass die Sakralto-

gegnet werden, dass Bestattungen in den Turmkammern

pographie des ottonischen Doms zumindest teilweise in

technisch sehr wohl realisierbar gewesen wären,544 doch

der Südkirche aufgegriffen wurde. Sollte Thietmar jedoch

braucht dieser Aspekt hier nicht weiter vertieft werden.

dasselbe Grab wie Widukind noch in der Nordkirche gese-

Die Diskussion wird nämlich m. E. buchstäblich auf

hen haben, so könnte die Erklärung in dieselbe Richtung

der falschen Ebene geführt, denn es wurde bisher außer

gehen. Die Königin wäre dann bereits in der Nordkirche in

Acht gelassen, wie die Situation im Turm über den Kryp-

einer nordöstlichen Kapelle beigesetzt gewesen und diese

takammern, also auf Chorniveau, zu rekonstruieren wäre.

Disposition wäre beim Bau der Südkirche wiederholt wor-

Dort müssen sich aufgrund der Turmgeometrie, analog

den. In jedem Fall wäre das Grabmal für die Südkirche

der Krypta, quadratische Räume befunden haben. Die

des 11./12. Jahrhunderts in einer nordöstlichen Kapelle im

massigen Mauerzungen auf Kryptaniveau lassen darauf

Chorflankenturm anzunehmen.

schließen, dass sich im Geschoss darüber etwas Schwe-

Für die Problematik der Achsrotation der neuen Ka-

res befunden haben muss. Den Umständen entsprechend

thedrale offerieren die Überlegungen zum alten Edithgrab

wäre es naheliegend, in der nördlichen Turmkammer auf

somit folgenden Lösungsansatz: Der Sinn der Achsrota-

Chorniveau das Grabmal der Edith zu vermuten, das sich

tion könnte gewesen sein, das Edithgrab neu im Gebäude

somit mittig an der östlichen Wand eines ca. 3,40 × 3,40

zu positionieren, nämlich auf der Mittelachse statt in

Meter großen Raumes befunden hätte, parallel zur Haupt-

der nordöstlichen Turmkapelle, ohne es jedoch vom ur-

achse der Kirche ausgerichtet. Die Mauerzunge in der

sprünglichen Ort zu entfernen.

Kryptakammer diente somit als Fundament, vergleichbar demjenigen, das die heutige Tumba trägt. Die Dimensi-

Vergleich mit der Marburger Elisabethkirche

onen der südlichen Zunge von ca. 2,30 × 1,10 Metern im

Dieser Erklärungsansatz mag aus moderner Perspektive

aufgehenden Mauerwerk würden jedenfalls gut zu den

verwundern. Beim Neubau der Marburger Elisabethkir-

Dimensionen des von Rainer Kuhn im Fundament des

che,549 deren Grundsteinlegung nur 26 Jahre nach derjeni-

heutigen Königinnengrabes gefundenen alten Steinsarko-

gen in Magdeburg erfolgte, ging man jedoch nachweislich

phags von ca. 2,20 × 0,65 Metern passen, da das Grabmal

genauso vor.550 Während sich das Grabmal der Elisabeth

schließlich etwas kleiner als die Fundamentmauer gewe-

von Thüringen im Vorgängerbau in der Mittelachse einer

sen sein müsste.

Saalkirche befunden hatte, konzipierte man den gotischen

545

Die Ortsangabe des Edithgrabes bei Thietmar »in

Neubau derart, dass man die nördliche Konche um den

oratorio aquilonari«,546 »in der nördlichen Kapelle«, wäre

Grabort herum anlegte, weshalb das Grab heute erkenn-

541 Koch 1926; siehe auch die Beschriftung der Kammern auf dem Grabungsgrundriss von 1926 (Wiederabdruck bei Reiche 2012, S. 96). 542 Leopold 1983, S. 77. 543 Reiche 2012, S. 100. Konstruktiv wenig fundiert und somit zurückzuweisen sind die Annahmen Reiches, dass die Gänge, welche die Turmkammern erschließen, lediglich angelegt wurden, »um die Mauerstärke etwas zu reduzieren, oder aber in dem Glauben, durch sie eine Stabilisierung der Substruktionen des Turms erreichen zu können.« 544 Beispielsweise könnte ein Sarkophag auch von oben eingebracht worden sein. Eine andere Möglichkeit böten Aussparungen an den Ecken des Mauerwerks. Die einfachste Möglichkeit wäre jedoch, den Sarkophag hochkant um die Ecke zu transportieren und den Leib später im vorbereiteten Sarkophag vor Ort beizusetzen.

545 Die Situation ließe sogar ein Bodengrab zu, das von einer Grabplatte überdeckt war, der bevorzugten Bestattungsform des frühmittelalterlichen Adels und Klerus (einen Überblick bietet: de Blaauw 2012). 546 Thietmar, Chronicon II, 3 (ed. Trillmich, S. 436): »... sepultaque est in civitate prefata in maiori aecclesia, in oratorio aquilonari.« Übersetzung Trillmich: »In der nördlichen Kapelle der Hauptkirche dieser Stadt liegt sie begraben.« 547 Z. B. Schubert/Leopold 2001, S. 355; Schubert 1989, S. 26. 548 Widukind, RGS Lib. II, 946 (ed. Hirsch/Lohmann, S. 100). 549 Grundlegend zur Elisabethkirche: Strickhausen 2001; Müller 1997; Michler 1984; Arnold/Liebing 1983; Kunst 1983 (jeweils mit Hinweisen auf die ältere Literatur). – Zum Vorgängerbau: Meschede 1967. 550 Die räumlichen Bezüge zur Vorgängerkirche thematisierten: Müller 2009, S. 208f.; Schenkluhn/van Stipelen 1983, S. 21–25.

3.4 DAS PHÄNOMEN DER ACHSROTATION – RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DES GOTISCHEN DOMS ZUM VORGÄNGERBAU

133

3.30  Marburg, Elisabethkirche, erbaut ab 1235, Grundriss des gotischen Baus im Verhältnis zur Vorgängerkapelle, Nr. 13: Grab der hl. Elisabeth (Leppin 1999)

bar von der Ausrichtung der Kirche abweicht (Abb. 3.30).

verlegen, dann ist dieses Vorgehen beim nahezu zeitglei-

Die Position des Elisabethgrabes wurde auf diese Weise

chen, traditionsorientierten Neubau in Magdeburg erst

in Relation zum Kirchenraum verändert, ohne es selbst zu

recht vorstellbar. In diesem Kontext muss diskutiert wer-

bewegen. Stattdessen diente es als Fixpunkt für die Dispo-

den, inwieweit mit der Bewahrung des Ortes eine Anglei-

sition des neuen Grundrisses.

chung an Heiligengräber angestrebt wurde.552

Wäre es nicht möglich, dass das Edithgrab für den Neubau des Magdeburger Doms einen ebensolchen Fix-

Die überlieferte Translatio der Königin Edith

punkt bildete? Schließlich bestimmte die Tradition des

In unmittelbarer Nachbarschaft zur Tumba der Königin

Ortes die Architektur in Magdeburg weitaus stärker als

steht in der Scheitelkapelle des 13. Jahrhunderts der Kili-

in Marburg. Schon durch die Tatsache, dass der Grund-

analtar, welcher somit den Endpunkt der mit Hochaltar

riss der neuen Kirche nicht verschoben, sondern gedreht

und Stiftergräbern besetzten Mittelachse des Doms mar-

wurde, blieb die Kontinuität des Ortes in größerem Maße

kiert. Renate Kroos und Ernst Schubert erkannten den

gewahrt als in Marburg, wo man die gotische Elisabethkir-

kultischen Zusammenhang zwischen dem Kilianaltar in

che in weiten Teilen neben dem Vorgängerbau errichtete.

der Scheitelkapelle des 13. Jahrhunderts und der aufgege-

Darüber hinaus lassen sich in Magdeburg auf materieller

benen Krypta Erzbischof Hunfrieds, welche 1049 dem Ki-

und ästhetisch-gestalterischer Ebene demonstrative Be-

lian geweiht wurde.553 Während es nicht verwundert, dass

züge zur Tradition herstellen,

die in dieser Deutlichkeit

die Kryptenweihe am Festtag des Kilian am 8. Juli gefeiert

in Marburg nicht ansatzweise vorhanden sind. Wenn also

wurde,554 erstaunt hingegen die Nachricht einer Transla-

beim Bau der Marburger Kirche der Ortskontinuität des

tio Ediths am gleichen Tag,555 weil der Zusammenhang

Elisabethgrabes eine solche Bedeutung zukam, dass man

zwischen den beiden Monumenten im neuen Chor somit

die Kirche lieber um dieses herum konzipierte, statt es zu

über den engen räumlichen Bezug hinausgeht. Infolgedes-

551 Kap. 3.3. 552 S. weiter unten. 553 Kroos 1989, S. 90; Schubert 1989, S. 28. – Zur Tradierung der Krypta mittels der Chorarchitektur des 13. Jahrhunderts s. Kap. 3.3.6.

554 Gesta Archiep. Magd. 19 (ed. Waitz, S. 398). 555 Quellenangaben bei Kroos 1989, Anm. 54.

551

134

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

sen versuchten Schubert und Kroos die heutige Position

man den entsprechenden Tag feierlich beging und ihn als

des Edithgrabmals in Abhängigkeit vom Kilianaltar zu

Translatio memorierte, lässt sich leicht nachvollziehen.

erklären, indem sie eine Translatio der Königin am Tag

Auch das Datum kann in diesem Kontext gut erklärt

der Kryptaweihe 1049 postulierten.556 Als neuen Standort

werden, wenn man davon ausgeht, dass der neue Kilianaltar

für das Grabmal nahmen sie ausgehend von der heutigen

in der Chorscheitelkapelle am selben Tag geweiht wurde.

­Situation einen Platz in der Krypta vor dem alten Kilian-

Angesichts der räumlichen Nähe der beiden Monumente

altar an.557

erscheint es organisatorisch wie inszenatorisch günstig,

Die Quellen belegen allerdings lediglich den Tag der

Weihe und Translatio am selben Tag zu feiern und so den

Translatio, nicht aber das Jahr, in dem sie erfolgte. Dass

Chorscheitel im Ganzen in Funktion zu nehmen, statt dies

sich die Quelle auf eine Translatio im Jahr 1049 bezieht,

in zwei Akten zu vollziehen. Die in den spätgotischen Quel-

kann allerdings aus logischen Gründen ausgeschlossen

len vermerkte Translatio ereignete sich demzufolge in der

werden. Wenn sich die im 15. Jahrhundert gefeierte Trans-

ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Da der Altar des Märty-

latio nämlich auf eine im 11. Jahrhundert erfolgte Umbet-

rers sinnvollerweise an dessen Feiertag geweiht wurde, fand

tung in die Krypta oder darüber bezöge, hätte das Grab

eben auch die Translatio der Königin an diesem Tag statt.

im Zuge des Neubaus im 13. Jahrhundert wiederum von eine neue Translation zur Folge gehabt. In diesem Fall

Das Grab der Königin Edith als konstitutive Tradition des Ortes

müsste sich aber das Datum aus der Quelle des 15. Jahr-

Es stellt sich unweigerlich die Frage, warum ausgerechnet

hunderts auf eine Translatio im 13. Jahrhundert und nicht

das Edithgrabmal als Fixpunkt bei der Neuausrichtung

im 11. Jahrhundert beziehen. Damit fehlt der Annahme ei-

des Doms fungierte und nicht das Grab Kaiser Ottos, wel-

ner Translatio im Jahr 1049 und folglich auch der daraus

ches doch so demonstrativ im Sanktuarium präsentiert

abgeleiteten Annahme, das Grab Ediths hätte sich in der

wird.560 Einen interessanten Hinweis liefern die Schrift-

Krypta befunden, die argumentative Grundlage.

quellen. Bereits Thietmar schrieb, die Kirche sei »in loco,

dort an den heutigen Platz verlegt werden müssen, also

Mit einer fortwährenden Kontinuität des Ortes steht

ubi sancta requiescit Aedith«561 errichtet worden, »am Ort,

die überlieferte Translatio der Gebeine der Königin hinge-

wo die heilige Edith ruht«.562 Dem folgen die jüngeren

gen nicht im Widerspruch. Auch am Elisabethgrab kam es

Magdeburger Gesta Archiepiscoporum, die berichten, der

trotz der nachgewiesenen Ortskontinuität zu einer Trans-

Dom sei »super ossa beate Edith regine«563 erbaut worden,

lation,

die sich mit Blick auf die baulichen Abläufe er-

also »über den Gebeinen der seligen Königin Edith«.564

klären lässt: Während der Bauzeit konnten die Gebeine

Mit dem modernen Kenntnisstand, dass Edith 946 in

selbstverständlich nicht am Ort verweilen, sondern muss-

der Moritzklosterkirche bestattet wurde, welche sie neun

ten beiseite geschafft werden. In Marburg scheinen die

Jahre zuvor zusammen mit Otto fundierte,565 lässt sich die

Gebeine der Elisabeth während des Abbruchs der Franzis-

offenbar schon früh einsetzende Überlieferung von einer

kuskirche und der darauffolgenden Errichtung der Nord-

Errichtung des Doms über dem Grab der Königin nur in

konche in der bereits stehenden Ostkonche aufbewahrt

Einklang bringen, wenn der Dom anstelle der Moritz-

worden zu sein.

558

In Magdeburg riss man den alten Nord-

klosterkirche errichtet wurde oder aber, was wahrschein-

ostturm mit der Kapelle komplett ab. Die Gebeine muss-

licher klingt, die Klosterkirche zum Dom umfunktioniert

ten also zwangsläufig in Sicherheit gebracht werden. Erst

wurde.566 Infolgedessen geht der Domführer von 1702 da-

als der neue Chorumgang stand, konnte man die Königin

von aus, dass der gotische Dom an der Stelle des Moritz-

wieder an ihren ursprünglichen Grabplatz betten. Dass

klosters errichtet wurde.567 Darüber hinaus wird tradiert,

556 Kroos 1989, S. 90; Schubert 1989, S. 28. 557 Ebd. – Schubert zog 1989 auch eine Lage im Sanktuarium über der Krypta mit in Betracht (Ebd.). In Folge seiner Theorie über die Ortskontinuität des Kaisergrabes (Kap. 3.4.3) wich Schubert von einer Translatio im 11. Jahrhundert ganz ab (Schubert/Leopold 2001, S. 365; Schubert 1998, S. 14). Mittlerweile hält er eine Translatio in die Krypta unter Hunfried allerdings wieder für »gut bezeugt« (Schubert 2009, S. 380). 558 Meschede 1967, S. 108–110, 119. 559 Ebd. 560 Kap. 3.3.2. 561 Thietmar, Chronicon 11 (ed. Trillmich, S. 44).

562 Eigene Übersetzung. Trillmich übersetzt: »an der Grabstätte der frommen Edith«. 563 Gesta Archiep. Magd. 6 (ed. Waitz, S. 379). 564 Eigene Übersetzung. 565 Althoff 2001; Leopold 1989, S. 62f.; Schubert 1989, S. 25. 566 Zur Diskussion um die Lokalisierung von Klosterkirche und ottonischem Dom s. Kap. 3.2. 567 »Anno Christi 1211 hat der gemeldete XXste Erz-Bischoff und Cardinal Albertus die noch anjetßo stehende herrliche Dom-Kirche auff der Stätte da vormahls das nach Berga verlegte Kloster gestanden zu bauen angefangen ...« (Magd. Domführer 1702, Cap. I). 568 »Hinterm Chor ist Sr. Käyserlichen Majestät Ottonis Magni höchst-

559

3.4 DAS PHÄNOMEN DER ACHSROTATION – RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DES GOTISCHEN DOMS ZUM VORGÄNGERBAU

135

dass sich das Grabmal im neuen Dom noch »an selbiger

Resümee

Stätte«

Die demonstrative Zurschaustellung der Tradition des Or-

568

wie zuvor in der Klosterkirche befände.

Die archäologischen Ergebnisse der letzten Zeit ha-

tes und der Geschichte der Magdeburger Domkirche auf

ben gezeigt, dass die alten Schriftquellen kritisch gelesen

materieller und gestalterisch-ästhetischer Ebene weckt

werden müssen,569 doch ist dies nicht der Rahmen für eine

starke Zweifel an der geläufigen Forschungsmeinung,

Quellenkritik. Im hiesigen Untersuchungskontext interes-

dass bei der Neuausrichtung der Kirche deren Vergan-

siert vielmehr, dass man bereits Anfang des 11. Jahrhun-

genheit ignoriert worden sein soll. Bereits die begriffliche

derts überlieferte, die Kirche sei über dem Grab der Köni-

Präzisierung des Phänomens als »Achsdrehung« bringt

gin errichtet worden. Auf diese Weise entstand schließlich

sprachlich zum Ausdruck, dass die räumliche Bindung an

eine bis in die Neuzeit zu verfolgende Tradition, die das

den Ort bei genauer Betrachtung stärker ausfiel, als es der

Bauwerk kausal mit dem Ort verknüpfte. Demgegenüber

bisher gebräuchliche Ausdruck der »Achsverschiebung«

ist eine Verlagerung der Domkirche nach Süden um 1000,

erkennen ließ.573 Es stellt sich damit die Frage nach der

wie sie Bernd Nicolai und Rainer Kuhn mit guten Grün-

Intention der Achsdrehung.

den vorschlagen,570 in den Schriftquellen bezeichnender-

Eine definitive Antwort kann nach derzeitigem Kenntnisstand nicht gegeben werden. Nicht überzeugen kann

weise ausgeblendet worden. Eine solch konstitutive Bedeutung des Ortes für ein

die These von Brandl und Forster, dass politische Erwä-

Bauwerk lässt sich anderenorts vor allem bei Kirchen be-

gungen im Zusammenhang mit der Grundsteinlegung

obachten, die über Heiligengräbern errichtet wurden bzw.

den Anlass für die Achsdrehung gaben.574 Der Vorschlag

von denen behauptet wurde, dies sei der Fall gewesen.571

von Schubert und Leopold, vom Grab Ottos als Fixpunkt

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass

einer Neuausrichtung auszugehen, muss argumentativ

die Königin Edith trotz fehlender Kanonisierung in Mag-

abgelehnt werden,575 könnte jedoch vom Prinzip her in die

deburg geradezu wie eine Heilige verehrt wurde.

Auch

richtige Richtung weisen. Es gibt nämlich Indizien, wel-

die auf Edith bezogenen Adjektive »beate« und »sancta«

che in der Summe darauf hinweisen, dass stattdessen das

in den oben zitierten Quellen lassen zumindest eine be-

Grab Ediths den Anlass für die Achsdrehung gab.

572

sondere Verehrung der Königin erkennen. Beachtet man

In den Schriftquellen wird jedenfalls vom frühen Mit-

nun einerseits die konstitutive Bedeutung von Heiligen-

telalter bis in die Neuzeit tradiert, die Kirche sei über den

gräbern für Kirchenbauten und andererseits die heiligen-

Gebeinen der Königin errichtet worden. Damit konstru-

gleiche Verehrung der Edith, dann liegt es auf der Hand,

ierte man eine Kontinuität des Ortes, die nach derzeiti-

beides zusammenzubringen.

gem Kenntnisstand nicht den Tatsachen entspricht, denn

Demzufolge kam dem Grab Ediths quasi der Status ei-

anscheinend wurde die Domkirche um 1000 vom Norden

nes Heiligengrabes zu, welches eine Tradition des Ortes

in den Süden verlegt. Allerdings deckt sich der archäolo-

definierte, die für den Dom von konstitutiver Bedeutung

gische Befund am heutigen Standort des Edithgrabmals

gewesen sein könnte. Die Lage des Grabmals stellte in die-

in auffälliger Weise mit der frühen schriftlichen Überlie-

sem Fall einen räumlich fixen Parameter dar, den es bei

ferung, was unter anderem dafür spricht, dass sich das

der Modernisierung der Kirche im 13. Jahrhundert not-

Grabmal heute noch an derselben Stelle befindet wie in

wendigerweise zu berücksichtigen galt. Da man das Grab

der Vorgängerkirche des 11./12. Jahrhunderts.

in die Mittelachse rücken wollte, wohl um es im Kontext

Die Achsdrehung des 13. Jahrhunderts könnte in diesem

der allgemeinen Vergegenwärtigung der imperialen Ver-

Fall aus dem Bestreben resultieren, das Grab der Königin

gangenheit stärker zu inszenieren, musste man zwangs-

in die Mittelachse der Kirche zu rücken, ohne es an einen

läufig den Grundriss der Kirche drehen.

anderen Ort zu verlegen. Ein solches Verfahren kann für die

seeliger Gedächnüß erster Gemahlin Edittae, Begräbnüß so Anno Christi 947. den 27. Januarij gestorben und in der zu Anfang gedachter Benedictiner-Kloster-Kirche zu Magdeburg an selbiger Stätte vor Aufferbauung der Dom-Kirchen gestanden begraben worden ...« (Magd. Domführer 1702, Cap. II (Monumentis), 29). 569 So führten Babette Ludowici und Birte Rogacki-Thiemann eine Quelle des 16. Jahrhunderts an (Dies. 2003), um die These zu stützen, die Südkirche wäre bis ins 13. Jahrhundert als Klosterkirche genutzt worden, was allerdings archäologisch widerlegt wurde (vgl. Kap. 3.2). 570 Nicolai 2012, S. 79f.; Kuhn, 2009c, S. 231f.

571 Ein Beispiel wäre das in diesem Zusammenhang bereits angesprochene Grab der Elisabeth von Thüringen in der Marburger Elisabethkirche. 572 Zuletzt Päffgen 2009, S. 205. – Eine genauere Untersuchung dieses Aspekts von historischer und/oder liturgiewissenschaftlicher Seite aus wäre für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge im Magdeburger Dom in mehrfacher Hinsicht wünschenswert. 573 Kap. 3.4.2. 574 Kap. 3.4.3. 575 Ebd.

136

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

zeitlich im Grunde parallel errichtete Marburger Elisabeth-

Südkirche des 11./12. Jahrhunderts auf Chorniveau die

kirche belegt werden, wo das Grab der heiligen Kirchenstif-

Grabkapelle der Königin Edith befand. Mit dieser Lage

terin Elisabeth von Thüringen neu im Chor situiert wurde,

griff man wahrscheinlich die Sakraltopographie des ot-

ohne es selbst zu bewegen. Die Nachrichten über eine

tonischen Gründungsbaus im Norden auf. Beim Neubau

Translation der Königin stehen der Annahme einer Orts-

des Doms im 13. Jahrhundert wurde die Kirche neu ausge-

kontinuität ebenfalls nicht entgegen, denn die bisherige

richtet, um das Grabmal der Königin auf der Mittelachse

Auslegung der Quellen in der Literatur erwies sich nicht als

der Kirche im Umgang neu zu positionieren, ohne den

zwingend, sondern barg im Gegenteil Widersprüche.

Grabort zu verlegen und somit die Tradition des Ortes zu

Die Summe der Hinweise erlaubt die begründete

wahren.

These, dass sich im nordöstlichen Chorflankenturm der

3.5 Resümee: Der Magdeburger Dom und seine Tradition des Ortes 3.5.1 Zusammenfassung der Untersuchungs­ergebnisse

der Reliquien des alten Doms, welche vorher dem Auge verborgen in den Kapitellen der Säulen eingebettet wa-

Nach dem Stadtbrand 1207 entschied sich der Magdebur-

ren, geriet mittels gestalterisch hervorgehobener Nischen

ger Domklerus unter der Führung von Erzbischof Albrecht

kaum weniger auffällig.577 Beide Objektgruppen sind in be-

II. von Käfernburg zu einem umfassenden Neubau seiner

sonderer Weise mit Kaiser Otto dem Großen verbunden,

Kirche. Die Neuausrichtung des Doms, dessen Achse ge-

welcher sie extra für den ersten Dombau aus Italien her-

genüber dem Vorgängerbau einige Grad gegen den Uhr-

beischaffen ließ. Schließlich inszenierte man den ehemals

zeigersinn gedreht wurde, verhinderte eine Integration

im Boden eingelassenen Sarkophag Ottos neu, indem er

alter Gebäudeteile in situ, was in der kunsthistorischen

als oberirdisches Grabmal mitten im Chor aufgestellt

Literatur als klarer Bruch mit der Tradition gewertet

wurde.578 Die originale Marmorgrabplatte, wahrscheinlich

wurde. Angesichts der bedeutsamen Tradition, welche

Teil des römischen Spolien-Fundus, behielt man unverän-

die Magdeburger Bischofskirche als kaiserliche Gründung

dert bei, obwohl sie für eine oberirdische Abdeckung über-

und Grabeskirche Ottos des Großen und seiner Frau Edith

dimensioniert erscheint.

auszeichnet, muss eine derartige Interpretation allerdings skeptisch stimmen.

Es fällt auf, dass die Wiederverwendung der authentischen Objekte des ottonischen Doms einer gestalterischen

Aufgrund dieses Gegensatzes von komplettem Neu-

Strategie folgt, welche die physische Präsenz der Objekte

bau einerseits und bedeutsamer Tradition andererseits

deutlich in den Vordergrund rückt und somit deren visu-

bot sich der Magdeburger Dom für eine Fallstudie unter

elle Wahrnehmung nicht nur besser ermöglicht, sondern

hiesiger Fragestellung besonders an. Kann aus dem Neu-

geradezu provoziert. Durch die oberirdische Neuaufstel-

bau der Kirche tatsächlich auf eine Ignoranz gegenüber

lung wird das Grabmal Ottos als dreidimensionales Objekt

der kaiserlichen Tradition des Ortes geschlossen werden?

körperlich begreifbar, beansprucht dadurch in erhöhtem

Oder gab es auch andere Möglichkeiten, diese Tradition

Maße Raum im Chor und gewinnt somit sichtbar an Prä-

architektonisch zum Ausdruck zu bringen? Wie wurde

senz. Auf dieselbe Weise wurde wahrscheinlich auch der

diese Thematik in der Forschung bisher gehandhabt?

Sarkophag der Königin Edith im Chorumgang oberirdisch

Die Analyse des Chores ergab, dass die Tradition des

neu inszeniert, so dass die heute dort befindliche spätmit-

Ortes auf vielfältige Weise zum Ausdruck kommt. In die-

telalterliche Tumba die Situation des 13. Jahrhunderts wi-

ser Hinsicht fällt insbesondere die demonstrative Wieder-

derspiegeln würde.

verwendung der antiken Natursteinschäfte aus dem otto-

Die vormals den Blicken entzogenen Reliquienkästen

nischen Dom ins Auge, die im neuen Chor gleichsam auf

aus den Kapitellen des ottonischen Doms kommen in den

Postamenten präsentiert werden.576 Die Zurschaustellung

Nischen offen sichtbar zur Geltung. Die Säulenschäfte

576 Kap. 3.3.1. 577 Kap. 3.3.3.

578 Kap. 3.3.2.

137

3.5 RESÜMEE: DER MAGDEBURGER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

waren als tragkonstruktive Elemente der Arkaden im ot-

Zwischen den verschiedenen Teilen werden vielfäl-

tonischen Dom zwar präsent, doch hob man die Spolien

tige räumliche Bezüge aufgebaut. So bilden das Grabmal

durch die demonstrative Inszenierung, insbesondere im

Ottos, der Hochaltar und das Grabmal Ediths das Rück-

Chorhaupt, stärker hervor. Die Deutlichkeit, mit der die

grat der Kirche, indem sie gemeinsam auf der Mittelachse

authentische Materie des alten Doms im neuen Chor prä-

der Kirche postiert wurden. Auf der Querachse wird das

sentiert wird, grenzt dabei an Plakativität. Dem Anschein

Kaisergrab hingegen von zwei Spolien flankiert, welche

nach versuchte man das durch die Achsrotation des Neu-

den Sarkophag gestalterisch hervorheben. Die räumliche

baus bedingte Fehlen alter Gebäudeteile zu kompensie-

Bezugnahme der Spolien auf das Grabmal scheint auf

ren, indem man repräsentative Elemente des alten Doms

die historischen Zusammenhänge zu rekurrieren. Ganz

in besonders auffälliger Form in den neuen Bau integ-

ähnlich wirkt der räumliche Bezug der alten Reliquien zu

rierte. Gerade weil es sich um einen kompletten Neubau

den antikisierenden Kapitellen, welche gemeinsam eine

handelte, mussten die authentischen Elemente des Doms

horizontale Zone bilden, so als sollte bildlich auf den ur-

im neuen Kontext umso deutlicher zur Geltung kommen.

sprünglichen Zusammenhang angespielt werden.

Die materiellen Bezüge zur imperialen Tradition be-

Vertikal band man die Spolien des ottonischen Doms

schränken sich jedoch nicht auf die Präsentation authen-

in komposite Stützstrukturen ein, welche das primäre Trag-

tischer Objekte des Vorgängerdoms, sondern sollten auch

gerüst des Chores bilden, so dass die Spolien zur Festigkeit

durch die Imitation alter Formen hergestellt werden.

In

der Kirche beizutragen scheinen, was angesichts dessen,

erster Linie fallen diesbezüglich die neu gefertigten Kapi-

dass die Tragstruktur nicht den tatsächlichen Kräfteverlauf

telle der Spolien auf, welche die römisch-antike Komposit-

widerspiegelt, in erster Linie symbolisch zu verstehen ist.580

579

ordnung imitieren und auf diese Weise die geographische

Überhaupt muss die Gestalt des Magdeburger Dom-

und historische Herkunft der Schäfte kennzeichnen. Die

chores stärker ganzheitlich gesehen werden, als es in der

derartige Konstruktion der Säulen macht ersichtlich, dass

Literatur bisher zumeist geschah. Stilistische Differenzen,

zwischen authentischen Teilen des ottonischen Doms

insbesondere zwischen Chorumgang und -empore, veran-

und retrospektiven Formimitaten ein direkter Zusammen-

lassten die Autoren ganz im Gegenteil zu einer stark iso-

hang besteht.

lierten Betrachtung einzelner Kompartimente, die eine

Des Weiteren lässt sich eine Häufung antikisierender

ästhetische Abwertung der Architektur zur Folge hatte,

Formen im Zusammenhang mit dem Bischofsgang beob-

wie sie in Richard Hamanns Charakterisierung als »Rum-

achten, wo an signifikanten Stellen neben antikisierenden

pelkammer«581 unmissverständlich zum Ausdruck kommt.

Kapitellen auch Friese aus Akanthusblättern zum Einsatz

Die ganzheitliche Analyse der gestalterischen Systematik

kamen, die möglicherweise Dekorformen des ottonischen

ergab jedoch zahlreiche Anhaltspunkte, die auf eine be-

Baus unmittelbar aufgreifen. Die kannelierten Pfeiler der

wusst geplante ästhetische Dialektik der beiden Räume

Doppelarkaden zum Chorhaupt hin gestaltete man wiede-

hinweisen. Diese definiert das Neue vor der Folie des Alten

rum in der Form von Pfeilern des 11. Jahrhunderts, wobei

und umgekehrt.582 Zugleich lässt sich der stilistisch älter

einige Indizien darauf hinweisen, dass man sich hierbei

wirkende Chorumgang als Erinnerungsform an die aufge-

an den Pfeilern der aufgegebenen Krypta orientierte. Es

gebene Krypta interpretieren. Die getroffene Aussage be-

wäre möglich, dass man jene Pfeiler im 13. Jahrhundert

züglich einer übergreifenden Planung der Chorgestalt ne-

ebenfalls als antike Formen auffasste, worauf neben den

giert freilich nicht, dass es einzelne Bauabschnitte gab und

Kanneluren vor allem die ähnlich gestalteten Wandpfeiler

sogar Planwechsel im Bauverlauf erfolgten. Im Gegensatz

in den Stützstrukturen des Langchores hinweisen, welche

zu früheren Auffassungen gingen solche Änderungen im

an antike Pilaster erinnern. Die bewusste Imitation alten

Bauverlauf nicht mit einem Stilwechsel einher, welcher die

Formenvokabulars belegt, dass die Bildhauer des 13. Jahr-

jeweilige architektonische Mode widerspiegelt. Vielmehr

hunderts verschiedene Kapitellstile kannten und planvoll

handelte es sich um Modifikationen, bei denen das ganz-

einsetzten, so dass die stilistischen Unterschiede im Chor

heitliche Bild weiterhin Berücksichtigung fand.

nicht allein auf eine stilgeschichtliche Entwicklung zu-

Trotz oder, treffender formuliert, gerade wegen des

rückgeführt werden können.

mit der Neuausrichtung verbundenen Verzichts auf die

579 Kap. 3.3.4. 580 Kap. 3.3.5.

581 Hamann 1909, S. 255. 582 Kap. 3.3.6.

138

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

Bewahrung alter Bausubstanz in situ weist der Chor des

Mittelpunkt der Kirche bilden die beiden vermutlich erst

Magdeburger Doms also eine Vielzahl von Bezügen zur

im 13. Jahrhundert getrennten Grabmäler zwei Epizent-

Tradition des Ortes auf, die nicht isoliert präsentiert, son-

ren der Erinnerung an die hochadligen Gründer. Auf der

dern in ein komplexes System wechselseitiger Beziehun-

einen Seite markiert das Edithgrabmal, ähnlich einem

gen eingebettet und damit als Bestandteile einer übergrei-

Heiligengrab, möglicherweise die originale Grabstelle des

fenden Ordnung dargestellt werden.

Herrscherpaares, welche eine Tradition des Ortes konsti-

Angesichts dieses Ergebnisses stellt sich die Frage,

tuierte, die, falls die These zutrifft, sogar die Neuausrich-

warum der Dom eigentlich neu ausgerichtet wurde. Zu-

tung der Kirche verursacht hätte. Auf der anderen Seite

nächst einmal kann festgehalten werden, dass die Achse

rückte man das Grab des Imperators durch die Neuplat-

des alten Doms nicht, wie häufig behauptet, verschoben,

zierung mitten im Chor mehr in den Blickpunkt, so dass

sondern gedreht wurde, so dass der räumliche Bezug zum

die Erinnerung an die Fundatoren in stärkerem Maße auf

Ort stärker gewahrt blieb, als es die Forschung bisher an-

die Person Ottos fokussiert wurde.

Umso mehr stellt sich die Frage nach dem

Dementsprechend verweist die Gestaltung des neuen

Grund der Drehung. Eine definitive Antwort kann nach

Chores in auffälliger Weise auf die imperiale Tradition

derzeitigem Forschungsstand zwar nicht gegeben werden,

des Doms, indem beispielsweise die antiken Spolien des

jedoch weisen mehrere Indizien und Argumente darauf

Vorgängerbaus demonstrativ zur Schau gestellt wurden.

erkannte.

583

hin, dass das Grabmal der Königin Edith als Referenz-

Wie im 10. Jahrhundert ließen sich die Säulen auch im

punkt der Neuausrichtung diente. Man wollte das Grab

Neubau des 13. Jahrhunderts als Zeichen des römischen

anscheinend neu auf der Mittelachse der Kirche positio-

Kaisertums verstehen. Auch in diesem Punkt erleich-

nieren, ohne es tatsächlich zu verlegen, so wie es vergleich-

terte man dem Betrachter den semantischen Zugang zum

bar für die Marburger Elisabethkirche belegt ist.584 Ließe

Kirchengebäude: Zum einen stellte man mittels der rah-

sich diese These weiter erhärten, wäre die Neuausrichtung

menden Spolien einen sichtbaren räumlichen Bezug zum

der Kathedrale kein Zeichen der Ignoranz gegenüber der

Kaisersarkophag her, zum anderen lieferte man durch die

Tradition, sondern würde ganz im Gegenteil aus der Tra-

Verwendung der originalen antiken Marmorgrabplatte

dition resultieren. Dabei wäre es sogar zweitrangig, ob die

einen materialikonologischen Schlüssel zum Verständ-

Königin bereits von Beginn an dort ruhte oder in früherer

nis der antiken Natursteinsäulen, nach mittelalterlichen

Zeit dorthin verlegt wurde. Entscheidend wäre die Situa-

Begriffen allesamt Marmor. Während die Säulen also im

tion, die man Anfang des 13. Jahrhunderts vorfand, und

10. Jahrhundert vordergründig als Zeichen des römischen

welche Überlieferung zum Grabort tradiert wurde.

Kaisertums fungierten, dienten sie im 13. Jahrhundert im ganzheitlichen Kontext betrachtet offensichtlich pri-

3.5.2 Interpretation der Ergebnisse

mär dem Zweck, die Kirche als kaiserliche Gründung und Grabeskirche kenntlich zu machen und somit die imperi-

Die Untersuchung des Magdeburger Domchores offenbart

ale Tradition des Magdeburger Doms ins Bewusstsein zu

demnach eine Fülle von Bezügen zur Tradition des Doms.

rücken.585 Die ursprüngliche Sinnschicht blieb auf diese

Die planvolle Einbindung der Teile in ein vielfältiges und

Weise zwar erhalten, wurde jedoch von einer neuen über-

vielschichtiges Geflecht von wechselseitigen Beziehungen

lagert und kam fortan nur implizit zur Geltung.

belegt, dass die Verbildlichung der Tradition einem über-

In diesem Kontext können auch die Imitationen anti-

greifenden Konzept folgt, so dass bewusst und gewollt an

ker Formen interpretiert werden. Versteht man die antiki-

die Vergangenheit erinnert wird.

sierenden Formen analog zu den antiken Säulen als Sym-

Dafür spricht insbesondere die Neuinszenierung der

bole des römischen Kaisertums, dann wird klar, dass die

Fundatorengräber, welche im Neubau räumlich, gestal-

Imitate nicht auf die Antike selbst rekurrieren, sondern

terisch und liturgisch stärker in den Mittelpunkt des Ge-

wiederum auf die eigene Geschichte der Bischofskirche

schehens rückten, was auch im übertragenen Sinne aufge-

als kaiserlichem Dom. Dies erscheint umso plausibler,

fasst werden muss. Neben dem Hochaltar als spirituellem

als es Hinweise darauf gibt, dass die Akanthusfriese oder

583 Kap. 3.4.1 und 3.4.2. 584 Kap. 3.4.4. 585 »Kaiserlich« fasst nach dem mittelalterlichen Verständnis immer

auch Edith mit ein, die in Magdeburg, nach heutigem Verständnis unkorrekt, als Kaiserin verehrt wurde.

139

3.5 RESÜMEE: DER MAGDEBURGER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

die kannelierten Pfeiler Elemente der Vorgängerkirche

regis)591 gewährt bekam und einige Jahre später zusätzlich

zum Vorbild nahmen. Bei den antikisierenden Kapitellen

unter päpstlichen Schutz (mundiburdium Romanum)592 ge-

der authentisch antiken Schäfte ist der Zusammenhang

stellt wurde, so dass es auf Augenhöhe mit den führenden,

zwischen Antikenimitat und antiker Originalsubstanz

etablierten Reichsklöstern rangierte.593

schließlich eindeutig und unzweifelhaft. An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen,

Es liegt auf der Hand, dass Kaiser Otto bei der Aufwertung des Klosters zum Erzbischofssitz das bisherige

dass sich jeder der angeführten Punkte auch anders deu-

Anspruchsniveau seiner Fundation zu übertreffen suchte.

ten lässt. Es ist die Gesamtheit der Argumente, die eine

Zwar wurde die Magdeburger Kirche mit der Konstituie-

massive Bezugnahme auf die Tradition des Ortes als ganz-

rung des Erzbistums an sich bereits nobilitiert, als jüngste

heitliches Phänomen erkennen lässt.

der sechs deutschen Metropolen hätte das Erzbistum je-

Es stellt sich folglich die Frage, welches Interesse Erz-

doch in der erzbischöflichen Hierarchie den letzten Platz

bischof und Domkapitel als Entscheidungsträger daran

eingenommen. Insofern gewährte Papst Johannes XIII.

hegten, die kaiserliche Vergangenheit der Bischofskirche

Magdeburg zur Gründung des Erzbistums eine besondere

im Neubau so deutlich sichtbar zu machen.

Aufwertung, indem er das geringe Alter des Erzbistums

Eine plausible Antwort liefern die besonderen Privile-

als rangminderndes Kriterium ausschloss und Magdeburg

gien und Rechte, welche aus der kaiserlichen Gründung

stattdessen eine Gleichrangigkeit mit den altehrwürdigen

des Doms resultierten und eine elitäre Stellung des Mag-

Metropolen im Reich einräumte.594 Die außergewöhnliche

deburger Domklerus definierten. Magdeburg stand früh

Bevorzugung der Neugründung wäre ohne die Fürsprache

in enger Beziehung zum sächsischen Königshaus. Der

des mächtigen Kaisers, der seine Gründung auf einem

junge, als Thronfolger prädestinierte Otto überreichte die-

ihm angemessenem Niveau implementieren wollte, sicher

sen Ort seiner frischangetrauten Gemahlin Edith als Mor-

nicht zu erklären.

gengabe,586 als Geschenk des Bräutigams an seine Baut, so

In den Urkundenbüchern existiert sogar ein päpstli-

dass Königin Edith 930 zur eigentlichen Stadtherrin von

ches Privileg, nach welchem dem Erzbischof in der Zeit

Magdeburg erhoben wurde. Mit ihrem Tod 946 vermachte

Ottos des Großen der Primat über Germanien eingeräumt

sie Magdeburg anscheinend dem gemeinsam mit Otto

wurde und das ihn ausdrücklich auf Augenhöhe mit den

fundierten Moritzkloster, wo sie ihre letzte Ruhestätte

führenden Kathedren in Mainz, Trier und Köln hob, wel-

fand und ihre Memoria gepflegt werden sollte.587 Auf jeden

che demzufolge Gallien zuzurechnen wären.595 Für das erz-

Fall gewährte Otto dem Kloster in der Folge weitere stadt-

bischöfliche Anspruchsdenken im 13. Jahrhundert spielt

herrliche Rechte, wie Markt, Münze, Zoll und Gerichts-

es dabei weder eine Rolle, dass es sich bei dem Primatspri-

barkeit über die Kaufleute.588 Mit der Instituierung des

vileg wahrscheinlich um eine Fälschung vom Ende des

Erzbistums gingen die Rechte und Privilegien des Klosters

10. Jahrhunderts handelt,596 noch dass sich der Primats-

auf die Nachfolgeinstitution über. Folglich bestätigte der

anspruch in der politischen Realität der Folgezeit nicht

Kaiser 973 dem neuen Erzbistum den Besitz der civitas.589

durchsetzen ließ.597 Der Magdeburger Erzbischof verstand

Die Erzbischöfe standen demnach als Magdeburger Stadt-

sich als Primas von Germanien und stützte dieses Vor-

herren in der Rechtsnachfolge Königin Ediths, wie noch

recht auf die Autorität Otto des Großen.

Erzbischof Ernst 1483 betonte.590

Des Weiteren griff man mittels der Verwendung der

Des Weiteren stattete das Königspaar das Moritzklos-

antiken Spolien im Magdeburger Dom die Architektur der

ter mit besonderen Privilegien aus, indem es schon bei der

bedeutenden frühchristlichen Basiliken in Rom auf, was

Gründung Immunität und Königsschutz (mundiburdium

wiederum programmatisch zu verstehen sein dürfte. So

586 Dies geht aus der Gründungsurkunde des Moritzklosters hervor (UBM 1). 587 Wahrscheinlich war dies von vornherein geplant, denn das Kloster erhielt bereits bei der Gründung Königsgüter in Magdeburg (UBM 1, 2). Walter Schlesinger interpretiert die Quellen dahingehend, dass sich auch die Königspfalz unter den Schenkungen befunden haben soll (Ders. 1968, S. 3). Seit der Neubewertung der Ausgrabungen Nickels (Kap. 3.2) bleiben Gestalt und Lage dieser einstmals bedeutsamen Pfalz leider ungewiss, ebenso ob räumliche Beziehungen zum ebenfalls kaum erforschten erzbischöflichen Palast nördlich des heutigen Doms bestanden. 588 Claude 1972, S. 46.

589 Ebd. 590 Kroos 1989, S. 90 und Fußnote 52. 591 UBM 1. 592 UBM 5. 593 Claude 1972, S. 44f. 594 Beumann 2000, S. 174; Claude 1972, S. 113. 595 Beumann 2000, S. 170–191; Claude 1972, S. 196f. – Vgl. den Primatsanspruch des Trierer Erzbischofs (Kap. 2.5.2). 596 Ebd. 597 Claude spricht für die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts gar von einer »Provinzialisierung« des Magdeburger Erzbistums (Ders. 1972, S. 322).

140

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

3.31  Dom zu Magdeburg, Putzritzzeichnung im Kreuzgang, Kaiser Otto der Große zwischen seinen Frauen Adelheid und Edith, Mitte 13. Jh., historische Fotografie von 1891 (Puhle 2009, Bd. 2, S. 215) wie der Kaiser die Autorität römischer Imperatoren bean-

Beziehung als Zeichen der Erinnerung an die damit ver-

spruchte, so sollte der hohe Rang der von ihm gegründeten

bundenen Privilegien des Magdeburger Erzbistums ver-

Bischofskirche durch die Angleichung an die altehrwürdi-

stehen, mit welcher die Erzbischöfe des 13. Jahrhunderts

gen Basiliken Roms zum Ausdruck kommen. Die ange-

ihren Machtanspruch legitimieren wollten.

strebte Rom-Angleichung Magdeburgs äußert sich auch

Diese primär aus architektonischen Zusammenhän-

und vor allem in den außergewöhnlichen Privilegien, die

gen hergeleitete machtpolitische Interpretation wird von

dem Erzbistum einige Jahre nach dem Tod Ottos I. von

einer Bildquelle des 13. Jahrhunderts unterstützt. Es han-

Papst Benedikt VII. verliehen wurden. Der Magdeburger

delt sich um eine heute nur noch fragmentarisch erhal-

Erzbischof erhielt das Recht, das Magdeburger Domkapi-

tene Reliefreihe, die sich am östlichen Kreuzgangflügel

tel in der Art des römischen Kardinalskollegiums zu orga-

des Doms befindet (Abb. 3.31).599 Die im Zusammenhang

nisieren, dessen Mitglieder die Messe am Mauritiusaltar

mit dem neuen Dombau entstandenen Zeichnungen zei-

auf römische Weise zelebrieren durften.598

gen in zwei chronologischen, an Genealogien erinnernden

Rang und Rechte der Magdeburger Erzbischofskirche

Reihenfolgen die ersten 19 Magdeburger Erzbischöfe bis

resultierten also in erster Linie direkt oder indirekt aus

hin zu Burchard I., dem Nachfolger Albrechts von Käfern-

dem Wirken Königin Ediths und Kaiser Ottos. Die vielfäl-

burg. Beide Reihen nehmen von der Mitte aus ihren An-

tigen Verweise auf die königlich-kaiserliche Tradition des

fang, wo Otto der Große mit seinen beiden Frauen thront.

Ortes im Dom des 13. Jahrhunderts lassen sich in dieser

Der offensichtliche bildliche Zusammenhang zwischen

598 Beumann 2000; Claude 1972, S. 146f. 599 Hierzu weiterführend: Waschbüsch 2012; Puhle 2009, Bd. 2, S. 214–216 (mit Literaturangaben); Klamt 1989; Sciurie 1983.

141

3.5 RESÜMEE: DER MAGDEBURGER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

dem Kaiser und den Magdeburger Erzbischöfen bringt das

wurde komplett erneuert, die Institution Magdeburger

historisch legitimierte Selbstverständnis der Amtsinhaber

Kirche jedoch unverändert fortgeführt.

des 13. Jahrhunderts ebenso wie den hieraus abzuleitenden Anspruch zum Ausdruck.600

3.5.3 Einordnung in den historischen Kontext

Aus dieser Perspektive erschließt sich auch die Häufung antikisierender Architekturformen am Bischofsgang.

Schließlich stellt sich die Frage nach den Beweggründen,

Im Kontext der antikisierenden oder gar authentisch an-

welche Erzbischof Albrecht und den Domklerus dazu

tiken Artefakte im Chor lassen sich die Antikenimitate

veranlassten, zu Beginn des 13. Jahrhunderts eine umfas-

des Bischofsgangs analog als Symbole des römischen Kai-

sende Erneuerung der Magdeburger Bischofskirche vorzu-

sertums verstehen, welche der Erinnerung an die imperi-

nehmen. Zur Beantwortung müssen die Bauarbeiten im

ale Geschichte der Kirche dienten. Obgleich hinsichtlich

historischen Kontext situiert werden.

der Funktion der Chorempore noch Forschungsbedarf

Zunächst lässt sich diesbezüglich die allgemeine Kon-

besteht, weist die tradierte Bezeichnung »Bischofsgang«

kurrenzsituation zwischen den kirchlichen Herrschern an-

darauf hin, dass der Raum in besonderer Verbindung mit

führen, die sich in den repräsentativen Bauprojekten der

dem Magdeburger Metropoliten zu sehen ist, wofür auch

Bischöfe und Erzbischöfe spiegelt. An vielen deutschen

die ehemalige direkte Verbindung von der Empore zum

Kathedralen waren zu Beginn des 13. Jahrhunderts groß-

Bischofspalast spricht. Insofern stellt die Akkumulation

angelegte Umbaukampagnen im Gange, wie beispiels-

antikisierender Formen am Bischofsgang eine sichtbare

weise in Mainz, Trier, Straßburg oder Basel.601 Auch im be-

Verbindung zwischen erzbischöflicher Gegenwart und

nachbarten Frankreich setzte Mitte des 12. Jahrhunderts

kaiserlicher Tradition her, die wiederum das auf die Ver-

eine Entwicklung architektonischer Erneuerung ein, die

gangenheit gestützte Selbstverständnis und Anspruchs-

zu großangelegten Kathedralbauprojekten z.  B. in Laon,

denken der Amtsinhaber des 13. Jahrhunderts zum Aus-

Paris oder Chartres führte. Mit dem Magdeburger Stadt-

druck bringt.

brand von 1207 ergriff Albrecht von Käfernburg anschei-

Aus der Perspektive der kirchenfürstlichen Reprä-

nend die günstige Gelegenheit, seine Kathedrale ebenfalls

sentation lässt sich schließlich auch der scheinbare Wi-

umfassend zu erneuern, obgleich dafür baulicherseits

derspruch zwischen komplettem Neubau einerseits und

keine Notwendigkeit bestand.602 Um dem Anspruch eines

Vergegenwärtigung der Geschichte im Medium der Archi-

Primas von Germanien, dem Anspruch also auf eine pri-

tektur andererseits auflösen. Der Neubau der Kathedrale

vilegierte Stellung innerhalb der deutschen Metropoliten,

und die vielfältigen Bezugnahmen auf die Tradition des

gerecht zu werden, durfte die bauliche Gestalt des erzbi-

Ortes lassen sich im Gegenteil als zwei Seiten einer über-

schöflichen Sitzes wohl nicht allzu sehr hinter die moder-

geordneten Konzeption verstehen, welche den Machtan-

nisierten Bauwerke anderer kirchlicher Fürsten zurückfal-

spruch des Magdeburger Domklerus im Allgemeinen und

len. Weil die Autorität der Magdeburger Kirche jedoch im

des Erzbischofs im Besonderen repräsentativ zur Geltung

Wesentlichen auf der königlich-kaiserlichen Gründungs­

bringen sollte. Auf der einen Seite ermöglichte ein Neu-

tradition basierte, musste die symbolische Kraft des aufge-

bau aufgrund des fortgeschrittenen technisch-konstrukti-

gebenen authentischen Vorgängerbaus notwendigerweise

ven Wissens die Steigerung der Dimensionen der Kirche,

mittels einer umfassenden Strategie zur Visualisierung der

insbesondere in der Höhe, und eine Anpassung an ästhe-

Tradition des Ortes kompensiert werden.

tische und funktionale Standards des 13. Jahrhunderts, so

Die erzbischöfliche Machtdemonstration diente zu-

dass der neue Dom größer und prächtiger erbaut werden

dem als Zeichen gegenüber der aufstrebenden Bürger-

konnte als sein Vorgänger. Auf der anderen Seite versinn-

schaft Magdeburgs, welche bereits im 12. Jahrhundert

bildlichen die vielfältigen Verweise auf die Tradition des

vermehrt Rechte erstritt und Anfang des 13. Jahrhun-

Ortes, dass mit dem Neubau keine Tabula rasa angestrebt

derts zunehmend die Partizipation an der kommunalen

wurde, sondern das Alte im Neuen fortgeführt wurde,

Macht des Erzbischofs anstrebte.603 Während die Größe

auch weil das Alte die Autorität des Neuen überhaupt erst

der erneuerten Kathedrale den Bürgern die gegenwärtige

legitimierte. Die materielle Hülle der Magdeburger Kirche

Macht der Erzbischöfe vor Augen führte, rief der Verweis

600 Waschbüsch 2012 (S. 317–320) und Sciurie 1983 interpretieren die Bilder ebenfalls in dieser Hinsicht. 601 Vgl. Klein 2012, S. 181f. – Zu Trier s. Kap. 2.4.

602 Kap. 3.1. 603 Dazu grundlegend, trotz klassenkämpferischen Vokabulars: Uitz 1976.

142

3  DER DOM ZU MAGDEBURG

auf die Tradition des Ortes in Erinnerung, dass die Erz-

schichte, so dass das Erzbistum »auf seine regionale Rolle

bischöfe als Stadtherren in der Rechtsnachfolge Königin

zurückgeworfen«610 wurde. Der Neubau der Kathedrale

Ediths standen. Noch 1483 berief sich Erzbischof Ernst,

setzte somit auch gegenüber den benachbarten Territori-

welcher seine Stellung gegen die kontinuierlich gewach-

alherren ein Zeichen, dessen Traditionsbezüge an die kai-

sene Macht der Magdeburger Bürgerschaft zu behaupten

serliche Autorität erinnerten, auf welche die Magdeburger

versuchte, in einer Urkunde auf diese historische Legiti-

Erzbischöfe ihren Machtanspruch stützten.

mation.604 Sicherlich nicht zufällig fand der Neubau der

Der Frontenwechsel Erzbischof Albrechts II. 1212

Grabtumba Königin Ediths 1510 in der Amtszeit dieses

war indes noch von reichspolitischer Tragweite, denn er

Metropoliten statt (vgl. Abb. 3.15),605 denn in der Neuin-

zog das Magdeburger Erzbistum tief in die kriegerischen

szenierung des Edithgrabes schwang auch die Erinnerung

Auseinandersetzungen im Thronstreit zwischen Otto IV.

an die stadtherrlichen Rechte des Erzbischofs mit. In die-

und Friedrich II. hinein.611 Der welfische Kaiser reagierte

sen Kontext fügt sich auch eine Kasel ein, von der man im

umgehend auf die neue Situation, indem er mehrere ver-

13. Jahrhundert behauptete, sie wäre aus der Tunika der

heerende Kriegszüge gegen das territorial isolierte Mag-

Königin gefertigt worden.606 Ein Domkleriker, der in ei-

deburger Erzbistum unternahm, welche jenes in eine

nem derartigen Gewand die Messe zelebrierte, entsprach

existenzbedrohende Krise stürzten. Obgleich die schwer-

dem Konzept der visuellen Traditionsvergegenwärtigung,

wiegende Niederlage Ottos 1214 gegen den französischen

das beim Neubau des 13. Jahrhunderts, wie zuvor darge-

König bei Bouvines, welche den Thronstreit zu Gunsten

legt, an vielen Stellen zum Tragen kam.607

Friedrichs II. entschied, für eine Entlastung sorgte, war

Auf der landesherrlichen Ebene galt die Demons­ tration des erzbischöflichen Machtanspruchs hingegen

die Gefahr für den Magdeburger Bischofsstuhl erst mit dem Tod Ottos IV. 1218 ganz gebannt.

den angrenzenden weltlichen Territorialherren, welche

Es stellt sich nun die Frage, ob diese existentielle

den regionalen Einfluss des Magdeburger Erzbischofs im

Bedrohung für das Erzbistum die noch junge Dombau-

13. Jahrhundert zunehmend einengten. Nachdem Erzbi-

kampagne beeinflusste. Die Forschung ist einhellig der

schof Albrecht II. von Käfernburg, der zunächst den welfi-

Meinung, dass die kriegerischen Handlungen eine klare

schen Kaiser Otto IV. unterstützt hatte, 1212 auf Drängen

Zäsur bewirkten, weil die Arbeiten während der Kriegs-

des Papstes die Exkommunikation Ottos verkündete und

jahre 1212–1218 nur noch schleppend vorangingen oder so-

damit offen in das Lager des staufischen Kontrahenten

gar ganz zum Erliegen kamen. Aufgrund der Schwere des

Friedrich II. wechselte, sah sich das Erzbistum von feind-

Konfliktes erscheint diese Annahme plausibel. Die Frage

lichen Nachbarn umringt, namentlich dem Markgrafen

wäre, wie weit die Arbeiten beim Ausbruch der kriegeri-

von Brandenburg, dem Herzog von Sachsen und dem

schen Handlungen 1212 fortgeschritten waren.

Aber auch mit dem stau-

Aufgrund vorangegangener Ausführungen zur gestal-

fischen Parteigänger Markgraf Dietrich von Meißen kam

terischen Dialektik von Chorumgang und Bischofsgang

es zu kriegerischen Konflikten.609 Nach dem Tod Albrechts

halte ich es entgegen herkömmlicher Meinungen für gut

II. bestimmten die territorialen Konflikte, vor allem mit

möglich,612 dass der Chorumgang 1212 bereits zum über-

dem askanischen Brandenburg, die Magdeburgische Ge-

wiegenden Teil fertiggestellt war. Damit wäre der Baufort-

604 Kroos 1989, S. 90 und Fußnote 52. 605 Kap. 3.4.4. 606 Claude 1972, S. 133. 607 Deutliche Parallelen lassen sich insbesondere bei der liturgischen Inszenierung der Krone erkennen, welche der Überlieferung nach Otto selbst gehörte und mit der bei bestimmten Messen das auf dem Kaisersarkophag stehende Reliquiar des Mauritius gekrönt wurde (Kap. 3.3.2). 608 Huschner 2012, S. 165–169; Silberborth 1910, S. 143–146. 609 Silberborth 1910, S. 163–165. 610 Scholz 2009, S. 408. 611 Huschner 2012, S. 164–167; Silberborth 1910, S. 145–169. Der Erzbischof geriet während des Konfliktes zweimal in Gefangenschaft, konnte aber jeweils im letzten Moment befreit werden (Silberborth 1910, S. 151f.; 161f.). – Bernd Ulrich Hucker behandelt die Auseinandersetzungen zwischen Otto und Albrecht in seinem grundlegenden Werk zum welfischen Kaiser leider nur am Rande (Ders. 1990, S. 293, 443).

612 Kap. 3.3.6. – Birte Rogacki-Thiemann nimmt an, dass der Dombau bis 1215 kaum über die Fundamente des Kappellenkranzes hinausgekommen sei (Dies. 2007, S. 65f.). Belege oder Indizien kann sie dafür jedoch nicht anführen, so dass diese Annahme letztlich spekulativ bleibt. Die Gewölbe des Umgangs wären Rogacki-Thiemann zufolge erst in den 1220er Jahren entstanden (Dies. 2007, S. 74). Die späte Datierung stützt sie jedoch allein auf die veralteten stilistischen Datierungen der Kapitellplastik durch Richard Hamann 1909 (Kap. 3.3.6). Ernst Schubert sieht 1212 einen Schnitt, bis zu dem immerhin die kreuzgratgewölbten Scheiteljoche des Umgangschores errichtet worden wären, jedoch ohne die Kapellen, welche er aufgrund ihrer Kreuzrippengewölbe in einen zweiten Bauabschnitt von 1215 bis zum Tod Albrechts II. 1232 datiert (Ders. 1989, S. 32, 36). Für die Unterscheidung der Bauabschnitte argumentiert Schubert demnach auf der Basis eines stilgeschichtlichen Modells, welches ein lineares Nacheinander unterschiedlicher Formen unterstellt. Wie jedoch aufgezeigt werden konnte, lässt sich diese Annahme für den Magdeburger Chor nicht aufrecht erhalten (Kap. 3.3.6). Die

Truchsess von Wolfenbüttel.

608

143

3.5 RESÜMEE: DER MAGDEBURGER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

schritt in Magdeburg auch mit demjenigen an anderen

Autoritäten vor den obersten weltlichen Autoritäten wäre

Großbaustellen der Zeit vergleichbar, während ein lang-

dann als konkrete Reaktion auf das Vorgehen des welfi-

sameres Fortkommen Magdeburg zu einem erklärungsbe-

schen Kaisers aufzufassen.

dürftigen Sonderfall machen würde.

Angesichts der ungesicherten Datierung des Bauver-

Wie an anderer Stelle thematisiert, 613 modifizierte man

laufs in Magdeburg sei an dieser Stelle noch einmal darauf

den ursprünglichen Entwurf für den Magdeburger Dom,

hingewiesen, dass die vorangegangene Interpretation vor

als die Bauarbeiten für den Chorumgang fast abgeschlos-

dem historischen Hintergrund der kriegerischen Ausein-

sen waren. Vorausgesetzt, die vorgeschlagene Datierung

andersetzungen mit Otto IV. bis zur eindeutigen Klärung

wäre korrekt, erfolgte die Planänderung demzufolge in

der Baudaten eine These bleiben muss. Diese bietet aber

zeitlicher Nähe zu den Angriffen Ottos IV. Wenn 1212 die

den Vorzug, die vorhandenen Indizien plausibel zusam-

Arbeiten am Dom eingestellt wurden, liegt es nahe, die

menzubringen und damit die Befunde in einem sinnvol-

zeitliche Zäsur mit der baulichen Zäsur zusammenzubrin-

len Zusammenhang zu erklären.615

gen. Demzufolge hätte man die Bauarbeiten bei der Wie-

Die Zielsetzung, die Tradition des Ortes beim Neubau

deraufnahme zwischen 1214–1218 mit dem überarbeiteten,

der Kathedrale sichtbar zum Ausdruck zu bringen und auf

heute sichtbaren Plan fortgesetzt (Taf. 3.02). Die explizite,

diese Weise auch an die besonderen Rechte und Privile-

an Plakativität grenzende Demonstration der kaiserlichen

gien der Magdeburger Kirche zu erinnern, wird schließlich

Tradition und Legitimation der Magdeburger Kathedrale

im historischen Kontext verständlich. Der Magdeburger

würde somit vor dem konkreten historischen Hintergrund

Erzbischof musste im 13. Jahrhundert seine Machtposi-

an zusätzlicher Signifikanz gewinnen. Es scheint, als habe

tion in dreifacher Hinsicht behaupten: seinen Rang in der

man die Tradition des Ortes angesichts der existenzbedro-

kirchlichen Hierarchie gegenüber den Erzbischöfen, seine

henden Lage des Bistums noch deutlicher ins Gedächtnis

Legitimation als Magdeburger Stadtherr gegenüber den

rufen wollen. Auch die symbolische Deutung der Trag-

Bürgern und seine Stellung als regionaler Territorialherr

struktur unter dem Aspekt der Ordnung,614 die aus der

gegenüber den angrenzenden Herrschern. Der kriegeri-

Planänderung folgt, bekäme im Kontext des Konfliktes

sche Konflikt mit Kaiser Otto IV. mag dabei als Katalysator

mit Otto IV. eine neue Aussagekraft, denn die Mahnung

gewirkt haben, um die Deutlichkeit des Konzeptes noch

an den Vorrang der himmlischen und damit kirchlichen

einmal zu steigern.

613 614 615

616

unterschiedlichen Gewölbeformen dienen stattdessen der gestalterischen Hierachisierung der Räume. Kap. 3.3.6. Kap. 3.3.5. Die derzeit diskutierte, von Bernd Nicolai vorgeschlagene Vordatierung in die 1220er Jahre steht im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Mauritiusreliquie 1220 (s. Kap. 3.3.6). In diesem Fall stellt sich allerdings die Frage, warum die neue Reliquie zu einer demonstrativen Inszenierung des Kaisers geführt haben soll, die Nicolai ebenfalls attestiert. Gerchow 2002, S. 25f.; Bettecken 1988, S. 33; Arens 1908, S. 236. Die moderne Forschung konnte zwar nicht das exakte Jahr, aber den

zeitlichen Rahmen bestätigen (Gerchow 2002; Bettecken 1988, S. 33–42). 617 Kruse 2000, S. 100–107. 618 Diese dynastische Verflechtung geht wahrscheinlich auf den Stiftsgründer Altfrid zurück, der als Hildesheimer Bischof schließlich selbst dem sächsischen Hochadel angehörig gewesen sein dürfte, aus dem rund 70 Jahre später die ottonischen Könige und Kaiser hervorgingen (eine Rekonstruktion der verwandtschaftlichen Verhältnisse versuchte Zimmermann 1956, S. 38–44). Im Nekrolog von St. Godehard in Hildesheim wird Altfrid jedenfalls als »natus dux Westfaliae« tituliert (Arens 1908, S. 233). 619 Zimmermann 1956, S. 218–220.

144

4 DER DOM ZU ESSEN – Die Vergegenwärtigung der Tradition des Ortes in einem privilegierten Damenstift

4.1 Einführende Baugeschichte Der Dom zu Essen (Abb. 4.01, 4.02) wurde vom Hildes-

Entstehung zu Beginn des 10. Jahrhunderts aus.620 Bei

heimer Bischof Altfrid (ep. 851–874) als Münsterkirche

einem grundlegenden Umbau erlangte der Westbau im

eines Damenstifts gegründet; der mittelalterlichen Über-

Wesentlichen seine bekannte heutige Gestalt, die im In-

lieferung nach geschah dies im Jahr 852.616 Die Bedeu-

nenraum partiell die Aachener Pfalzkapelle zitiert (vgl.

tung, welche Altfrid dem Stift beimaß, lässt sich daran

Abb. 4.12). Nach Zimmermann fiel die Neugestaltung

erkennen, dass er das Essener Münster als seine letzte

des Westbaus in die Amtszeit der Äbtissin Theophanu

Ruhestätte wählte und nicht etwa seine Bischofskirche in

(ab. 1039–1058), Enkelin Kaiser Ottos II.621 Lange greift

Hildesheim, welche er in seiner Amtszeit komplett neu er-

hingegen Datierungsansätze des 19. Jahrhunderts wieder

Der Sarkophag des Stiftsgründers, der spä-

auf und geht von einem Neubau unter Äbtissin Mathilde

ter lokal als Heiliger verehrt wurde, befindet sich heute in

II. (ab. 971–1011), Enkelin Kaiser Ottos d. Großen, aus.622

der Krypta des Essener Doms (vgl. Abb. 4.22).

Von der Datierung des Westbaus hängt auch diejenige

richten ließ.

617

Eine Blütezeit erlebte das Stift vom 10. bis in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts, als Äbtissinnen der

des Langhausumbaus ab, dessen Mauerwerk und Fundamente denjenigen des heutigen Westbaus gleichen.623

Gemeinschaft vorstanden, die eng mit dem ottonischen

Unstrittig ist demgegenüber, dass unter Äbtissin

Kaiserhaus verwandt waren.618 In dieser Epoche erfolgten

Theophanu die Krypta in ihrer heutigen Form entstand

grundlegende An- und Umbauten, welche die Gestalt der

(vgl. Abb. 4.08), denn deren Weihe 1051 ist inschriftlich

Kirche bis heute prägen. So erweiterte man die Kirche im

bezeugt.624 Neben der Erneuerung einer älteren Außen-

10. Jahrhundert nach Westen um einen stattlichen West-

krypta erfolgte die Neuanlage einer Innenkrypta anstelle

bau (Taf. 4.01, vgl. Abb. 4.11), der meist im Zentrum der

der altfridischen Apsis, die zwangsläufig einen Umbau der

kunsthistorischen Beschäftigung mit dem Essener Dom

Ostteile nach sich zog. Den Umbau des Chores bestätigt

stand und dessen genauere Datierung in der Forschung

ein Hinweis auf die Weihe des Hochaltars 1054.625 Zim-

derzeit wieder diskutiert wird.

mermann sah den Umbau der Ostteile im Zusammenhang

Während Walther Zimmermann, dessen Monogra-

mit den Baumaßnahmen am Westbau und im Langhaus,

phie von 1956 nach wie vor die Grundlage für die Beschäf-

so dass er von einem umfassenden Umbau unter Äbtissin

tigung mit der Kirche bildet, die Errichtung des Westbaus

Theophanu zur Mitte des 11. Jahrhunderts ausging, wozu

in die Mitte des 10. Jahrhunderts datierte,619 sprach sich

auch eine Quelle vom Ende des 11. Jahrhunderts passt,

Klaus Lange in jüngerer Zeit stattdessen für eine frühere

der zufolge Theophanu das Essener Münster »von den

620 Lange 2002, S. 46–51; Ders. 2001, S. 17–22. 621 Zimmermann 1956, S. 227–235, 264f. 622 Die stilkritischen Argumente Langes (Ders. 2002, S. 51–54; Ders. 2001, S. 23–48) folgen im Wesentlichen Humann 1890. Als »aussagekräftiges Vergleichsbeispiel für die Formensprache des Westbaus« (Lange 2001, S. 42) nennt Lange die Theophanu-Krypta, deren Stil er ein halbes Jahrhundert später ansetzt (Ebd., S. 42–48) und daraus auf die frühere Entstehung des Westbaus schließt. Dieser Einschätzung widerspricht Lange selbst, indem er in einem späteren Aufsatz den Stil der Theophanu-Krypta als »ausgesprochen ottonisch« (Lange 2003, S. 168) und als Rückgriff auf »ältere Vorbilder« (Ebd., S. 168) bezeichnet, um die Krypta entgegen der Inschrift als »Memorialbau für Äbtissin Mathilde« (Ebd., S. 168) zu

deuten. Methodisch äußerst fragwürdig ist Langes Ansatz, seine stilgeschichtlichen Überlegungen mit einer ikonologischen Interpretation des Westbaus bestätigen zu wollen (Ders. 2001, S. 49–63), indem er überlegt, in welche Zeit sich die von ihm selbst vorgeschlagene Deutung am besten einfügen würde (Ebd., S. 64–74). Darüber hinaus unterliegt er auch noch einem Zirkelschluss und nutzt die Datierung wiederum als Argument für die Interpretation des Bauteils (Ebd., S. 94). Dennoch bleibt die Datierung des Westbaus derzeit unklar: Es gibt jeweils Argumente für und gegen eine Erbauung sowohl unter Mathilde als auch unter Theophanu. 623 Zimmermann 1956, S. 78. 624 Abdruck der Inschrift bei Zimmermann 1956, S. 250f. 625 Pothmann 1985, S. 28.

4.1  EINFÜHRENDE BAUGESCHICHTE

4.01  Dom zu Essen, Ansicht von Süden (Hauke Horn, 2012)

4.02  Dom zu Essen, Grundriss mit Eintragung der Bauphasen (Zimmermann 1956, Taf. XIV)

145

146

4  DER DOM ZU ESSEN

­Fundamenten ab neu errichtet und bewundernswert er-

tische Gestalt weitgehend erhalten blieb, was ein Grund

weitert«

dafür sein mag, dass die nachmittelalterlichen Baumaß-

626

hat.

In der Folgezeit findet eine größere Baumaßnahme

nahmen nur rudimentär erforscht wurden.629

wieder im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts statt, als die

Zur Mitte des 15. Jahrhunderts kam es nach einem

Ostteile mit Kreuzgratgewölben versehen wurden.627 Zu ei-

Brand zum Wiederaufbau der Gewölbe in der Vierung und

nem großangelegten Umbau kommt es schließlich in den

den nördlichen Seitenschiffen,630 die sich in bemerkens-

Jahrzehnten um 1300 unter den Äbtissinnen Berta von

wert zurückhaltender Weise in den Bestand einfügen. 1803

Arnsberg (ab. vor 1143–1292) und Beatrix von Holte (ab.

wurde das Essener Damenstift aufgelöst und das Münster

1292–1327), als die im Langhaus noch flachgedeckte, otto-

in eine Pfarrkirche umgewandelt.631 Im 19. Jahrhundert

nische Basilika in eine gotische Hallenkirche mit Kreuz-

folgten drei mehrjährige Restaurierungskampagnen, die

rippengewölben transformiert wurde (Taf. 4.02).628 Dabei

zu zahlreichen, oft historisierenden Veränderungen im De-

erweiterte man den Chor über die alte Außenkrypta hin-

tail führten,632 vor allem am Westbau.633 Schwere Beschädi-

weg zu einem dreischiffigen, rechteckigen Hallenchor, an-

gungen im Zweiten Weltkrieg führten zu einem langjähri-

scheinend dem frühesten im deutschen Raum.

gen Wiederaufbau,634 der rechtzeitig abgeschlossen werden

In den folgenden Jahrhunderten wurde das Münster nur partiell umgebaut oder restauriert, wobei die hochgo-

konnte, bevor das ehemalige Münster 1958 zur Bischofskirche des neugegründeten Ruhrbistums erhoben wurde.635

4.2 Räumliche Beziehungen der Kirche zur Tradition des Ortes 4.2.1 Räumliches Verhältnis des spätottonischen Münsters zum altsächsischen Gründungsbau

hundert durch die Errichtung des Westbaus, für den ein

Hinsichtlich des räumlichen Verhältnisses des spätotto-

weichen musste.638 Allerdings erbaute man den Westbau

nischen Münsters aus der Mitte des 11. Jahrhunderts zum

nicht anstelle des Vorbaus, sondern erweiterte stattdessen

sächsischen Gründungsbau aus der Mitte des 9. Jahrhun-

das Langhaus um ein Joch nach Westen und schloss den

derts fällt als Erstes auf,

Die Erweiterung nach Westen erfolgte im 10. Jahrarchäologisch nachgewiesener älterer westlicher Vorbau

dass die Kirche zwar nach Wes-

Westbau erst daran an. Dies ist insofern bemerkenswert,

ten verlängert, die Breite des ursprünglichen Baus aber

als man für die Länge des neuen Westjoches die Länge

beibehalten wurde, obwohl man das Langhaus gänzlich

des ursprünglichen Vorbaus übernahm und somit von

neu errichtete (Abb. 4.03, 4.04).

der im Langhaus üblichen Jochlänge erkennbar abwich.

636

637

626 »E quibus Theophanu, virum se moribus agens, Asnidense monasterium cum universis eius officinis iam partim vetustate collapsis ab ipsis fundamentis novo erigens opere mirabiliter amplificavit; unde et ibidem eius memoria semper in benedictione erit.« (Brauweiler Fundatio (ed. Waitz), S. 130). 627 Zimmermann 1956, S. 268–271. 628 Ein überlieferter Brand 1275 wird in der Literatur gerne als Grund für den Umbau ausgelegt, der infolgedessen kurz darauf begonnen hätte (Zimmermann 1956, S. 52, 272). Den einzigen sicheren Beleg zur zeitlichen Einordnung der gotischen Kampagne liefert eine Nachricht über einen Magister Martin, der als Baumeister fungierte, 1304 aber von seiner Weisungsbefugnis gegenüber den Steinmetzen entbunden wurde (Ebd.). Folglich war das Münster zu diesem Zeitpunkt definitiv im Bau, aber noch nicht vollendet. In der Literatur wird allgemein angenommen, dass der Umbau unter Beatrix von Holte abgeschlossen wurde, also vor 1327 (Lange 2004, S. 89, 104f.; Pothmann 1987, S. 8; Zimmermann 1956, S. 52; Arens 1908, S. 245). 629 Zimmermann 1956 widmet der frühen Neuzeit seiner 77-seitigen Zusammenfassung der Baugeschichte gerade einmal fünf Sätze (S. 282f.) und geht auf das 19. und 20. Jahrhundert gar nicht ein. 630 Zimmermann 1956, S. 54, 274, 280. 631 Pothmann 1987, S. 10; Ders. 1979; Arens 1908, S. 225. 632 Zu den Veränderungen am Westbau publizierte Lange 2001, S. 97–136, einiges an Quellenmaterial, darunter einen Nachdruck von Humann 1890, S. 18f. Auch Zimmermann 1956 geht im Rahmen

633

634 635 636

637

638

seiner Dokumentation des Westbaus fortlaufend auf Veränderungen des 19. Jahrhunderts ein. Hervorzuheben ist, dass die Säulengitter im Innenraum nur unter dem mittleren Bogen noch aus dem Mittelalter stammen, die an den Seiten wurden nach Entfernen der dortigen Orgel nach ihrem Muster rekonstruiert (Humann 1890, S. 19). Außen veränderte man die oberen Teile der Treppentürme und die meisten Fensteröffnungen; auch der Rundbogenfries stammt aus dem 19. Jahrhundert (Zimmermann 1956, S. 154; Humann 1890, S. 18f.). Pothmann 1999; Ders. 1997, S. 41–46. Pothmann 1997, S. 47. Das Adjektiv »spätottonisch« wird hier nicht stilistisch genutzt, sondern historisch, denn zur Mitte des 11. Jahrhunderts leitete mit Theophanu noch ein letztes Mal eine Prinzessin des ottonischen Kaiserhauses das Essener Damenstift. Ebenso macht es Sinn, den Gründungsbau als »sächsisch« zu bezeichnen, denn der Gründer Altfrid entstammte dem sächsischen Adel und eben nicht den fränkischen Karolingern. Nicht entschieden werden kann auf Basis des heutigen Forschungsstandes, ob die Kirche durch den Bau einer Außenkrypta in ottonischer Zeit auch nach Osten verlängert wurde. Während Pothmann und Zimmermann eine Entstehung Mitte des 10. Jahrhunderts annehmen, meint Kubach, dass die erste Außenkrypta auch zu dem sächsischen Gründungsbau gehören könnte (Pothmann 1997, S. 24f.; Ders 1987, S. 6; Kubach 1957, S. 65; Zimmermann 1956, S. 214–218). Zimmermann 1956, S. 208f., Abb. 229.

4.2  RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

4.03  Dom zu Essen, Rekonstruktion des Grundrisses nach Gründung der Kirche Mitte des 9. Jh. (Zimmermann 1956, S. 209)

4.04  Dom zu Essen, Rekonstruktion des Grundrisses um die Mitte des 10. Jh. (Zimmermann 1956, S. 215)

147

148

4  DER DOM ZU ESSEN

4.05  Dom zu Essen, Rekonstruktion des Grundrisses Mitte des 11. Jh. (Zimmermann 1956, S. 226)

Auch in der aufgehenden Gestaltung setzte man das neue

Auch bei der umfassenden Neugestaltung des West-

Joch gegenüber dem älteren Bestand deutlich ab, indem

baus zur heutigen Form unter Äbtissin Theophanu oder

man zum Mittelschiff hin Kreuzpfeiler errichtete und an

Mathilde II. (Abb. 4.05), die wohl mit einem Neubau des

den Seitenwänden Mauervorlagen anlegte,639 was darauf

altfridischen Langhauses einherging,640 respektierte man

hindeutet, dass das neue Joch durch Schwibbögen vom

die Umrisse des Gründungsbaus, denn die Seitenschiff-

Langhaus gestalterisch abgetrennt wurde. Damit hätte

mauern wurden anstelle der vormaligen errichtet (vgl.

das westliche Joch vom räumlichen Charakter her quasi

Abb. 4.05). Entgegen Äußerungen in der Literatur nutzte

einem westlichen Querhaus entsprochen.

man nicht die vormaligen Fundamente,641 sondern fun-

Interessanterweise brachte es keinerlei konstruktiven

dierte nach archäologischem Befund komplett neu.642

Nutzen, die Länge des Vorbaus aufzugreifen, denn dessen westliches Spannfundament wurde bei der Anlage der Westbaufundamente abgebrochen und durch ein neues

4.2.2 Räumliches Verhältnis des gotischen Münsters zum spätottonischen Bauwerk

ersetzt. In der Breite musste ohnehin neu fundamentiert das folgende rechteckige Joch. Die räumliche Beziehung

Das Ausmaß der gotischen Baukampagne im Verhältnis zu ihrer Wahrnehmung in der Architekturgeschichte

des westlichen Quasi-Querhauses zum altfridischen Vor-

Um die Relevanz der räumlichen Beziehungen des goti­

bau muss demnach bewusst angelegt worden sein.

schen Münsters zum spätottonischen Bauwerk beurtei-

werden, weil der quadratische Vorbau schmaler war als

Auch bei der Breite des Quasi-Querhauses orientierte

len zu können, muss man sich zunächst das Ausmaß

man sich stark am altfridischen Bestand. So legte man die

der gotischen Baumaßnahmen in den Jahrzehnten um

neuen Seitenmauern exakt in der Flucht der bestehenden

1300 und die daraus resultierende neue Gestalt des ehe-

an, obgleich man die Breite hätte frei wählen und somit

maligen Münsters, welche noch das heutige Aussehen

leicht ein echtes Querhaus hätte schaffen können, indem

im Wesentlichen bestimmt, vor Augen führen. Außen

dessen Seitenmauern über das Langhaus hervorgetreten

verleiht der Rhythmus alternierender Strebepfeiler und

wären.

länglicher Spitzbogenfenster, in denen bis ins 18. Jahr-

639 Ebd., Abb. 230, 237. 640 Kap. 4.1.

641 Lange 2002, S. 45; Pothmann 1997, S. 29. 642 Zimmermann 1956, S. 78.

149

4.2  RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

hundert hinein Maßwerk saß,643 der Kirche ein gotisches

werk wahrgenommen wird. Im Standardwerk zur goti-

Erscheinungsbild (vgl. Abb. 4.01). Abgesehen vom West-

schen Architektur in Deutschland von Norbert Nussbaum

bau bestimmen also gotische Formen das Äußere der Kir-

findet der Essener Dom bezeichnenderweise keine Beach-

che. Im Innenraum verdichtet sich der gotische Charakter

tung als gotisches Bauwerk, sondern wird als Beispiel ot-

des Münsters, dessen Konzeption als Hallenkirche mit

tonischer Architektur angeführt.644 Dabei hätte insbeson-

Kreuzrippengewölben einem gängigen Typus der deut-

dere der Hallenchor des Essener Doms als wohl frühestes

schen Gotik entspricht (Abb. 4.06, Taf. 4.02). Dementspre-

Beispiel dieses Typs durchaus einen Platz in der gotischen

chend prägen gotische Bauteile und Schmuckformen den

Architekturgeschichte verdient.

Raum, wie die zeittypischen Rundpfeiler im Langhaus Chor mit naturalistischem Blattwerk dekoriert werden

Das Verhältnis des gotischen Grundrisses zum ottonischen

sollten.

Angesichts des beträchtlichen Ausmaßes des gotischen

mit ihren Kelchkapitellen, die wohl wie die Dienste im

Angesichts dieser optischen Dominanz gotischer For-

Umbaus des Essener Münsters überrascht es, dass die go-

men wundert es nicht, dass bei genauer Betrachtung der

tische Kirche hinsichtlich Grundrissgeometrie und -um-

überwiegende Teil des vormaligen spätottonischen Baus

riss nahezu deckungsgleich mit der spätottonischen Kir-

durch gotische Bausubstanz ersetzt wurde. Würde man

che blieb (Taf. 4.03).

den Essener Dom stilistisch einordnen wollen, käme man

Eine Erweiterung erfolgte nur im Osten, wo der Chor-

zu dem Ergebnis, dass es sich in erster Linie um ein go-

bereich über die Außenkrypta hinaus ausgedehnt wurde,

tisches Gebäude handelt. Insofern erstaunt es, dass der

doch auch diese Maßnahme blieb im vorgegebenen Rah-

Essener Dom in der Literatur primär als ottonisches Bau-

men der bestehenden Grundrissgeometrie.

4.06  Dom zu Essen, Querschnitt, Blick nach Westen in den Westbau (Wilhelm-Kästner 1929, S. 22)

643 Lange 2004, Anm. 20. – Im 19. Jahrhundert versuchte man, die Maßwerke zu rekonstruieren (Ebd.). Das neogotische Maßwerk ging im Zweiten Weltkrieg verloren (Pothmann 1997, S. 41).

644 Nussbaum 1985, S. 42.

150

4  DER DOM ZU ESSEN

Die räumlichen Beziehungen der gotischen Kirche

beschränkt. Die Rechteckform des Essener Chores erklärt

zum spätottonischen Zustand gehen allerdings noch wei-

sich aber weder durch Beziehungen nach England noch

ter, denn auch innere Proportionen blieben gewahrt. So

zu den Mönchsorden, sondern geht auf die eigene Tradi-

entspricht die Breite der gotischen Schiffe derjenigen der

tion des Ortes zurück. Beim gotischen Umbau des Essener

ottonischen Basilika und damit derjenigen des altfridi-

Münsters dehnte man nämlich den Chorbereich nach Os-

schen Gründungsbaus. Die neuen, gotischen Rundpfeiler

ten über die alte rechteckige Außenkrypta hinweg aus, so

stehen nämlich exakt in der Flucht der vormaligen basi-

dass der gotische Chor an die Stelle der ottonischen Apsis

likalen Mittelschiffwände, die gemäß archäologischem

und des Kryptaobergeschosses trat (Abb. 4.08). Der Recht-

Befund noch auf den Fundamenten des altsächsischen

eckchor bewegt sich damit exakt in dem Rahmen, den

Gründungsbaus standen.645

die Außenkrypta vorgab, so dass der Umriss der vormaligen Kirche trotz der Erweiterung des Sanktuariums nicht

Das westliche Sonderjoch

überschritten wurde (Taf. 4.03). Zugleich inkorporierte

Sogar das westliche Sonderjoch, das sich im ottonischen

man auf diese Weise das untere Geschoss der spätotto-

Bau in Art einer Vierung vor dem Westchor646 befand und

nischen Krypta in seiner alten Form. Die Geometrie des

auf einen Vorbau am Gründungsbau zurückging, wird im

Rechteckchores erklärt sich folglich aus der Adaption der

gotischen Grundriss tradiert, denn das westliche Pfeiler-

Geometrie der Außenkrypta.

paar des Mittelschiffes steht an der Stelle der ottonischen

Ungewöhnlich ist weiterhin die strukturelle Disposi-

Kreuzpfeiler, so dass das westliche Joch im gotischen

tion des Chores als dreischiffige Halle, welche hier wahr-

Schiff kürzer ist als die übrigen (vgl. Abb. 4.02, Taf. 4.04).

scheinlich zum ersten Mal in dieser Form verwirklicht

Während das Westjoch in der ottonischen Kirche noch zur

wurde.648 Auch diese Gegebenheit lässt sich mit den indi-

Definition eines Quasi-Westquerschiffes genutzt wurde,

viduellen Voraussetzungen vor Ort erklären. Mittels des

fällt diese Funktion im gotischen Bau weg, wo das Joch

innovativen Entwurfs eines dreischiffigen Hallenchores

gestalterisch dem übrigen Langhaus angeglichen wurde,

gelang es dem Essener Baumeister einerseits, den neuen

das auf diese Weise verlängert werden konnte. Allein die

Chor trotz dessen ungewöhnlicher Größe und Geomet-

unterschiedliche Jochbreite widerspricht diesem Ansatz.

rie einzuwölben, und andererseits, den Chorraum vom

Da konstruktive Gründe wie die Weiternutzung alter Fun-

Charakter her an den Hallenraum des Langhauses an-

damente definitiv ausscheiden, wie weiter unten gezeigt

zugleichen. So entstand ein fließendes Raumkontinuum

wird,

bietet wohl nur der bewusste räumliche Bezug zum

vom Westbau bis zur Chorostwand, welches die vormalige

vorherigen Bauzustand eine schlüssige Erklärung für die

additive Reihung separierter räumlicher Bereiche im ot-

auffällige Anomalie im Grundriss.

tonischen Münster ablöste. Der neuartige Hallenchor re-

647

sultiert demnach aus dem Streben, eine zeitgemäße Chor­

Der rechteckige Hallenchor

architektur mit den räumlichen Vorgaben der Tradition

Der bereits erwähnte Hallenchor des Essener Doms stellt

des Ortes zu verbinden.

für eine mitteleuropäische Kirche um 1300 in mehrfacher

Die Geometrie und Disposition des Essener Hallencho-

Hinsicht eine ungewöhnliche Chorlösung dar (Abb. 4.07;

res erklärt sich, wie gezeigt, zweifelsohne aus der Tradition

vgl. Abb. 4.02).

des Ortes. Daraus ergibt sich allerdings die Frage, warum

Ungewöhnlich ist zum einen die Geometrie des Recht-

man dieses Vorgehen wählte. Wollte man vielleicht einfach

eckchores, die zwar bei gotischen Bauten in England rela-

nur das alte Kryptamauerwerk weiternutzen, um Material

tiv häufig Verwendung fand, sich in der deutschen Gotik

und Zeit zu sparen? Die Form des Chores wäre dann ein

aber auf einige Ordenskirchen, vor allem der Zisterzienser,

nebensächliches Produkt wirtschaftlicher Überlegungen.

645 Zimmermann schloss nachvollziehbar auf das Alter der Streifenfundamente, weil deren Bausubstanz derjenigen der ursprünglichen Vorhalle gleicht, sich aber von derjenigen der ottonischen Westbaufundamente unterscheidet (Zimmermann 1956, S. 79). Das spätottonische Mittelschiff wäre demnach entweder auf den alten Fundamenten errichtet worden oder es blieben Teile der altfridischen Mittelschiffwände bis ins 13. Jahrhundert erhalten. Der Umstand, dass man demgegenüber für die neuen Seitenschiffwände neue Fundamente anlegte, spricht m. E. für eine weitgehende Beibehaltung der altfridischen Mittelschiffwände.

646 Im trapezförmigen Westbaujoch stand im Mittelalter ein Altar, der sich seit 1332 urkundlich belegen lässt und Petrus geweiht war. Es fungierte also in der Tat als Westchor (Arens 1908, S. 263). 647 Kap. 4.2.3. 648 Zeitlich in etwa parallel zu Essen oder vielleicht auch etwas später wurde beim Neubau der Domkirche in Verden an der Aller ein Hallenchor errichtet, der allerdings als Umgangschor konzipiert wurde und sich insofern wesentlich von der Essener Chorlösung unterscheidet (zum Verdener Hallenumgangschor: Kunst 1969).

151

4.2  RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

4.07  Dom zu Essen, Ansicht von Südosten, Blick auf den Rechteckchor, historische Fotografie vor 1939 (© Domschatz Essen, Bildarchiv) Tatsächlich riss man mit dem alten Chor sowie dem

Demzufolge war es anscheinend ein vorrangiges Ziel der

Obergeschoss und dem Dach der Außenkrypta im Osten

Planung gewesen, die neue Chorarchitektur angemessen

weitaus mehr ab, als man mit dem Untergeschoss der

mit der Tradition des Ortes zu verknüpfen, wohingegen

Krypta erhalten hat, so dass ein kompletter Abriss der

wirtschaftliche Überlegungen offensichtlich eine nach-

Außenkrypta nicht wirklich ins Gewicht gefallen wäre.649

rangige Rolle gespielt haben.

Darüber hinaus brachte die Bewahrung der alten Wände

Dafür spricht ebenso, dass man bei der Neuanlage des

kaum einen Vorteil, denn weder das alte Mauerwerk noch

Hallenchores auch vertikale räumliche Beziehungen be-

dessen Fundamente waren für die Aufnahme des Schubs

wahrte, die zuvor zwischen dem Unter- und Obergeschoss

der neu geplanten Kreuzrippengewölbe im neuen Chorge-

der Krypta bestanden und mittels zweier großer, acht-

schoss ausgelegt. Infolgedessen mussten die Mauern und

eckiger Öffnungen in der Decke zwischen den Geschos-

Fundamente der Unterkrypta an zahlreichen Stellen bis

sen hergestellt wurden (vgl. Abb. 4.02, 4.08). Die Öffnun-

zum gewachsenen Boden durchschlagen werden, um zwi-

gen ermöglichten es, im Obergeschoss sitzend liturgische

schen dem alten Mauerwerk aufwändig neue Strebepfei-

Handlungen im Untergeschoss mitzuerleben und anders

ler auf eigenen Fundamenten hochzuführen (Taf. 4.05).650

herum, indem etwa die dortigen Gesänge hörbar waren

649 Den geringen Anteil an Kryptamauerwerk im Verhältnis zum Chormauerwerk kann man im Querschnitt (vgl. Abb. 4.14) gut ermessen. 650 Nur einer der Strebepfeiler blieb im mittelalterlichen Zustand

erhalten, die übrigen wurden im 19. Jahrhundert verstärkt und neu verblendet (Zimmermann 1956, S. 188).

152

4  DER DOM ZU ESSEN

an der sich die spätottonische Apsis befand (Taf. 4.03),652 welche wiederum die altsächsische Apsis des Gründungsbaus an derselben Stelle ersetzte (Taf. 4.04).653 In diesem Einzelfall konnte man allerdings, im Gegensatz zu den sonst beobachteten Überlagerungen neuer und alter Baustruktur,654 die vorhandene Bausubstanz weiternutzen, indem man die östlichen Pfeiler des trapezförmigen Chorjoches auf zwei massive Pfeiler des 11. Jahrhunderts im unteren Kryptageschoss stellte. Damit könnten in diesem Fall auch wirtschaftliche Überlegungen für die Entstehung des Trapezjoches ursächlich sein. Genauso gut könnte das Trapezjoch aber auch als Erinnerungsform an die vormalige Apsis bewusst geplant gewesen sein und die wirtschaftlich günstige Ausgangslage wurde als willkommener Nebeneffekt mit genutzt. Auf jeden Fall fällt auf, dass das trapezförmige Chorjoch im Osten das trapezförmige Joch im Westbau spiegelt (vgl. Abb. 4.02), so dass eine räumliche Disposition entsteht, die an eine Doppelchörigkeit erinnert, welche zu jener Zeit tatsächlich gegeben war,655 auch wenn mit dem gotischen Umbau der Ostchor stärker gewichtet wurde.

4.08  Dom zu Essen, Grundriss der Krypta zur Weihe 1051, erbaut unter Äbtissin Theophanu (Zimmermann 1956, S. 244)

Es stellt sich die Frage, ob das Gegenüber zweier Trapeze nicht sogar die spätottonische Disposition wiedergibt, ob also auch die vormalige Ostapsis schon trapezförmig an-

oder atmosphärisches Licht die Illumination des ande-

gelegt war. Zimmermann rekonstruiert die spätottonische

ren Geschosses erahnen ließ. Man kann sich vorstellen,

Apsis ohne Belege innen halbkreisförmig, außen als hal-

welch reiche Möglichkeiten der liturgischen Inszenierung

bes Zehneck.656 Die Kryptapfeiler weisen allerdings zu den

die räumliche Verknüpfung mittels der Öffnungen bot. Bei

Außenwänden hin im Grundriss eine auffällige Abschrä-

der Anlage des gotischen Hallenchores behielt man die

gung auf, die sich mit der Rekonstruktion Zimmermanns

Öffnungen interessanterweise bei, so dass die Tradition

nicht übereinbringen lässt. Nimmt man hingegen an, die

des vormaligen Kryptageschosses offensichtlich nicht nur

Pfeilerkanten entstanden in Abhängigkeit der ehemals da-

räumlich, sondern auch liturgisch im neuen Chor bewahrt

rüber befindlichen Apsismauern, dann wären sie ein Echo

blieb.651

der alten Apsisgeometrie. Verlängert man die Pfeilerkanten gedanklich zu den Außenwänden hin, dann ergibt sich

Das trapezförmige Chorjoch

ein trapezförmiges Joch, das mit dem mittleren gotischen

Eine weitere Besonderheit hält der gotische Hallenchor

Chorjoch deckungsgleich ist. Es sieht demnach stark da-

mit seinem mittleren Chorjoch bereit, das aufgrund seiner

nach aus, als würde das gotische Trapezjoch die Form der

Trapezform auffallend aus dem Grundriss hervorsticht

spätottonischen Krypta widerspiegeln. Dafür spricht übri-

(vgl. Abb. 4.02). Aus der heutigen Disposition und Trag-

gens auch, dass die gotischen Pfeiler nicht mittig über den

struktur des Chores wird kein Grund für die abweichende

Kryptapfeilern stehen, wie man es erwarten würde, son-

Trapezform des Joches ersichtlich. Es lässt sich jedoch

dern auf deren äußeren östlichen Ecken.

abermals ein Zusammenhang mit der Tradition des Ortes

Zusammengefasst erklärt sich die Trapezform des

herstellen, denn das Trapezjoch markiert exakt die Stelle,

mittleren Hallenchorjoches definitiv aus dem vorherigen

651 Die Öffnungen wurden 1937 geschlossen (Zimmermann 1956, S. 190), allerdings 1997 wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt (Pothmann 1997, S. 32). Mitentscheidend für die Wiederherstellung war die Erkenntnis, dass die Öffnungen auch bauklimatisch sinnvoll sind, da sie eine Belüftung der Krypta gewährleisten (mündliche Auskunft von Herrn Dombaumeister Ralf Meyers).

652 653 654 655 656

Kap. 4.2.2. Kap. 4.2.1. Kap. 4.2.3. S. weiter oben. Zimmermann 1956, Abb. 237.

153

4.2  RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

Bauzustand der Kirche, also der Tradition des Ortes. Ob

gende Erklärung, welche in der Literatur in vergleichba-

es sich um einen bewussten Bezug handelt oder nur um

ren Fällen gerne bemüht wird, wäre, dass man schlichtweg

wirtschaftliche Überlegungen, die zu der realisierten Lö-

die alten Fundamente weiternutzte. Dementsprechend

sung führten, ist eine andere Frage. Die Ausführungen

schrieb Wilhelm-Kästner 1929 in Bezug auf das ehema-

zur Gestalt der spätottonischen Apsis geben Hinweise,

lige Essener Münster, dass die »gotischen zweifellos auf

die in Richtung eines bewussten Bezuges deuten. Dieser

den Grundmauern der romanischen Pfeiler aufgebaut«

Verdacht erhärtet sich, wenn die Apsisform nicht isoliert,

seien.657 Diese Annahme trifft jedoch beim Essener Dom

sondern im Gesamtkontext der Baukampagne betrach-

nachweislich nicht zu.

tet wird. Schließlich bietet das westliche Langhausjoch

Bei genauer Betrachtung der Zimmermann’schen

ein Beispiel dafür, dass man besondere Kompartimente

Grabungsbefunde fällt nämlich auf, dass die neuen goti-

des spätottonischen Grundrisses im gotischen Grundriss

schen Rundpfeiler eben nicht auf den alten sächsischen

auch aufgriff, wenn kein konstruktiver und wirtschaftli-

Fundamenten stehen, sondern auf neuen Fundamenten

cher Vorteil damit zu erzielen war.

gegründet wurden, die sich qualitativ von den älteren un-

Eine weitere Frage wäre, inwieweit die Trapezform des

terscheiden (Abb. 4.09, 4.10). Bei den Fundamenten des

Chorjoches überhaupt als Erinnerungsform an die alte Ap-

Gründungsbaus handelt es sich um durchgehende, ca.

sis erkannt werden konnte, wenn man selbst heute keine

1,25 Meter breite Streifenfundamente,658 wohingegen die

endgültige Klarheit über deren Gestalt erlangen kann.

gotischen Langhauspfeiler auf punktuellen, annähernd

Man darf bei solchen Überlegungen allerdings nicht über-

quadratischen Einzelfundamenten mit einem Umfang

sehen, dass den Menschen, welche den Umbau veranlass-

von ca. 2 × 2 Metern im Süden und ca. 3 × 3 Metern im

ten, die alte Form der Apsis natürlich aus eigener Anschau-

Norden gegründet wurden.659 Die gotischen Einzelfun-

ung bekannt war. Es wäre auch kaum verwunderlich, wenn

damente durchschlagen zwangsläufig die alten Streifen-

dieses Wissen einige Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte

fundamente, was sich auch an den teils klaffenden Fugen

lang mündlich innerhalb des Stifts weitergegeben wurde.

dazwischen erkennen lässt.660 Das bedeutet, dass die alten

Unwahrscheinlich mutet allerdings an, dass man sich dar-

Fundamente zunächst stellenweise abgerissen werden

über Gedanken machte, ob das Wissen noch 500 Jahre spä-

mussten, um die neuen Fundamente setzen zu können.

ter, wenn das Stift nicht mehr existiert, für Außenstehende

Für die vorgebliche Weiternutzung alter Fundamente

erhalten bleibt. Schließlich darf nicht übersehen werden,

bei mittelalterlichen Umbauten werden in vielen Fällen

dass die Kirche als Haus Gottes aufgefasst wurde – und die-

wirtschaftliche Gründe impliziert. Man wollte demzufolge

ser vergisst nach christlichem Glauben sicher nicht.

schlichtweg Kosten sparen, indem man die alten Fundamente für die neue aufgehende Bausubstanz weiternutzte,

4.2.3 Verhältnis der gotischen Fundamente zu den älteren

so dass die räumliche Kontinuität im Grundriss ein nachrangiges Produkt wirtschaftlicher Überlegungen ohne weitere Bedeutung darstellt.

Es ergibt sich also der auffällige Befund, dass das Essener

Bei der Transformation des Essener Münsters in eine

Münster beim Umbau um 1300 einerseits in eine kreuz-

gotische Hallenkirche führte die Bewahrung der alten

rippengewölbte Hallenkirche transformiert wurde, wo-

Fluchten jedoch nicht zur Einsparung von Kosten, son-

bei ein Großteil der Bausubstanz neu geschaffen werden

dern intensivierte diese im Gegenteil noch. Günstiger

musste, aber andererseits der Umriss, die Geometrie und

wäre es gewesen, die neuen Fundamente neben die alten

die Proportionen des Grundrisses weitgehend der spätot-

zu setzen, um somit den Aufwand für den Abbruch zu spa-

tonischen Kirche entsprechen. Diese Relation von neuer

ren. Man nahm jedoch die höheren Kosten in Kauf, ent-

Bausubstanz im alten räumlichen Rahmen ließ sich schon

schied sich für die Beibehaltung der alten Fluchten und

beim spätottonischen Umbau der Kirche beobachten.

erhielt damit die inneren Proportionen des Grundrisses.

Wie lässt sich diese auf den ersten Blick gegensätzlich

Technisch gesehen war es den gotischen Baumeis-

erscheinende Gegebenheit interpretieren? Eine nahelie-

tern außerdem gar nicht möglich, die alten Streifenfun-

657 Wilhelm-Kästner 1929, S. 48. 658 Zimmermann 1956, S. 79. 659 Ebd., S. 78.

660 Besonders deutlich sind die Fugen seitlich der Pfeiler S 14 und S 15 zu sehen.

154

4  DER DOM ZU ESSEN

4.09  Dom zu Essen, Langhaus mit archäologischen Befunden, die gotischen Einzelfundamente setzen sich von den ottonischen Streifenfundamenten er­ kennbar ab (Zimmermann 1956, Taf. IV) 4.10  Dom zu Essen, Langhaus, Fotografie des Gra­ bungsbefundes, links der nordwestliche Langhaus­ pfeiler (S 6 auf Abb. 4.09) (Zimmermann 1956, S. 81)

155

4.2  RÄUMLICHE BEZIEHUNGEN DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

damente des Gründungsbaus zu nutzen, da sich bei der

ten Fluchten ein bewusster Akt war, für dessen Realisation

Umwandlung der flachgedeckten Basilika in eine kreuzge-

Mehrkosten in Kauf genommen wurden.

wölbte Halle die statischen Anforderungen an die Fundamente grundlegend änderten. In der vormaligen Basilika verteilten sich die abzutragenden Lasten auf die gesamte

4.2.4 Die Höhe der gotischen Halle in Relation zur ottonischen Basilika

Länge der Wand. Somit wirkten die Mittelschiffwände tragkonstruktiv als Scheiben, welche die Lasten linear auf

Die Dimensionen der spätottonischen Kirche beeinflusste

das Erdreich übertrugen.661 Streifenfundamente stellen

diejenigen der gotischen Halle nicht nur in der Fläche,

für derartige Wandscheiben auch heute noch die geläu-

sondern auch in der Höhe.

fige und adäquate Form der Gründung dar.662 Sie entspre-

Gut aufzeigen lässt sich das an den beiden westlichen

chen in ihrer Linearität den auf ihnen stehenden Wänden

Mittelschiffpfeilern, die zugleich die östlichen Punkte des

und sorgen so für eine möglichst gleichmäßige Lastenauf-

Westpolygons markieren, denn an dieser Stelle stoßen die

nahme und -verteilung auf den Boden. Zudem wirken sie

neue gotische und die alte ottonische Bausubstanz über

gerade bei einer Wandscheibe mit großen Öffnungen, wie

die ganze Höhe aneinander. Die zum Mittelschiff hervor-

die Arkaden der unteren Zone der Mittelschiffwand, stabi-

tretenden, rechteckigen Wandpfeiler blieben in der spätot-

lisierend, indem sie die Pfeiler auch von unten miteinan-

tonischen Form mit groben Zungenblattkapitellen und

der verbinden, so dass sich diese nicht quer zur Wandflä-

darauf sitzenden Kämpferblöcken erhalten (Taf. 4.06).

che verschieben können.663

Sie rahmen die Architektur des Polygons und markieren

Demgegenüber konzentrieren sich die Lasten der goti­

so gestalterisch den Übergang vom neuen Langhaus zum

schen Halle punktförmig auf einzelne Rundpfeiler. Einzel-

alten Westbau (Taf. 4.02). In die Richtung des Langhauses

fundamente stellen eine adäquate Lösung für eine derar-

griff man hingegen die gotischen Formen auf, indem man

tige Belastung dar, die auch heute noch gebräuchlich ist.664

dort, wo zuvor die Mittelschiffwände anschlossen, je eine

Sie ermöglichen es, die gebündelten Lasten gezielt auf das

Halbsäule in der Form der gotischen Rundpfeiler vormau-

Erdreich abzutragen. Die gegenüber den Streifenfunda-

erte (Taf. 4.06). Die zu den Seitenschiffen hervortretenden

menten größere Breite der gotischen Einzelfundamente

ottonischen Mauervorlagen behielt man bei, ergänzte sie

trägt den neuen statischen Anforderungen Rechnung, in-

allerdings nach oben hin in der Form der gotischen Lang-

dem sie die Aufnahme höherer Lasten erlaubt und e ­ iner

hauspfeiler (Taf. 4.07), was durch die Angleichung der

Verschiebung in Querrichtung entgegenwirkt, während

Seitenschiffe auf das Niveau des Mittelschiffes notwen-

die von den gotischen Baumeistern gewählte Quadratform

dig wurde. Dadurch blieb die nachträgliche Aufstockung

eine gleichmäßige Verteilung der Lasten auf den Erd­boden

bemerkenswerterweise erkennbar und das niedrigere

bei größtmöglicher Standsicherheit gewährleistet.

Höhenniveau der basilikalen Seitenschiffe nachvollzieh-

665

Die gotischen Baumeister verfügten demnach über ein

bar. Die Westpfeiler bilden somit seit dem Umbau des

fundiertes technisches Wissen, welches ihnen erlaubte,

13./14. Jahrhunderts eine Synthese aus ottonischer und go-

zwischen den statischen Anforderungen einer flachge-

tischer Bausubstanz, die sich dem Betrachter als Bündel

deckten Basilika und einer gewölbten Hallenkirche zu

von alten und neuen Elementen präsentiert.

differenzieren. Dieselbe Erkenntnis stellt sich bei der Be-

Hinsichtlich der Untersuchung der Höhenrelationen

trachtung des ca. 50 Jahre älteren Neubaus der Liebfrau-

von der gotischen Halle zur vormaligen Basilika interes-

enkirche in Trier ein, wo die neuen gotischen Einzelfun-

siert, dass sich das Höhenniveau der gotischen Kapitelle

damente die älteren Streifenfundamente der vormaligen

an den Westpfeilern an demjenigen der ottonischen Ka-

Basilika ebenfalls durchschlagen.666 Für die Frage nach

pitelle orientiert, denn die gotischen Kelchkapitelle der

der Bedeutung der Tradition des Ortes steht allerdings die

Halbsäulen enden beide mit einem Ring etwa in Höhe

Erkenntnis im Vordergrund, dass die Beibehaltung der al-

der Oberkante des spätottonischen Zungenblattkapitells

661 Erläuterungen zum statischen Verhalten der Wand als Scheibe finden sich in einer Vielzahl von Werken zur Bau- oder Tragkonstruktion im Hochbau. Exemplarisch seien angeführt: Kraus/Führer/ Willems 1997, S. 22f.; Schmitt 1977, S. 301. 662 Kraus/Führer/Willems 1997, S. 324–328. 663 Der vom Früh- bis ins Hochmittelalter im deutschen Raum geläufige Stützenwechsel von Säule zu Pfeiler erklärt sich aus tragkon-

struktiver Perspektive durch die bessere Verbindung von Mauerfläche zu Streifenfundament mittels der massiveren, durchgehend gemauerten Pfeiler. 664 Kraus/Führer/Willems 1997, S. 314–325. 665 Ebd., S. 314. 666 Kap. 2.6.1.

156

4  DER DOM ZU ESSEN

(Taf. 4.06). Den darauf liegenden Kämpferblöcken ent-

einer »Kunstlandschaft« führten somit zu den vergleichs-

sprechen bei den gotischen Halbsäulen zeittypisch fla-

weise gedrungenen Proportionen der Essener Stiftskirche,

chere Kämpferplatten, weshalb die gotischen Halbsäulen

sondern die bewusste Orientierung am spätottonische

auf den ersten Blick niedriger erscheinen als die spätotto-

Westchor, dessen Kurvatur die Höhe und Breite der goti-

nischen. Bei differenzierter Betrachtung enden jedoch die

schen Mittelschiffgewölbe bestimmt.667

Kapitelle nahezu auf der gleichen Höhe, so dass sie eine

Das Höhenniveau der Gewölbescheitel, also dort, wo

gemeinsame Kapitellzone bilden, die auf einheitlichem

die Schlusssteine am Kreuzungspunkt der Rippen sitzen,

Niveau nach oben abschließt.

konnte man hingegen unabhängig vom Westbau wählen.

Der gerippte gotische Gurtbogen des westlichen Mit-

Man hätte die flachen Gurtbögen somit durch eine starke

telschiffgewölbes, welcher auf den gotischen Kapitellen

Busung der Gewölbekappen ausgleichen und so eine stei-

der synthetischen Westpfeiler aufsetzt, folgt trotz seiner

lere Raumwirkung erzielen können, wenn man es denn ge-

abweichenden spitzbogigen Form quasi dem alten Tri-

wollt hätte. Stattdessen liegen die Gewölbescheitel nur ca.

umphbogen, dessen Kurvatur wiederum von der westli-

einen Meter oberhalb der Gurtbogenscheitel, so dass die

chen Halbkuppel abhängig ist (vgl. Abb. 4.06). Die übrigen

weiter gespannten Kreuzrippen ebenfalls gedrungen wir-

Gurtbögen der gotischen Kreuzrippengewölbe im Mittel-

ken. Interessanterweise lässt sich aber auch das Höhen-

schiff entsprechen in Höhe und Breite wiederum dem ers-

niveau der Gewölbescheitel mit der vormaligen Gestalt

ten Bogen im Westen, so dass sie fortwährend die Kurvatur

des Mittelschiffes in Beziehung setzen, denn die Schluss-

des spätottonischen Triumphbogens wiederholen, worin

steine sitzen fast in Höhe der alten Mittelschiffsdecke, die

der Grund für die im Vergleich zu anderen gotischen Kir-

Zimmermann aufgrund des bauforscherischen Befundes

chen recht flach wirkenden Mittelschiffgewölbe des Es-

sicher rekonstruieren konnte (Taf. 4.08).668 Das bedeutet,

sener Doms liegt. Weder technisches Unvermögen oder

dass die Höhe der gotischen Hallenkirche in etwa derjeni-

mangelnde Willenskraft noch das Aufgreifen von Formen

gen des alten Mittelschiffes entspricht.

4.3 Materielle Bezüge der Kirche zur Tradition des Ortes 4.3.1 Begriffliche Bestimmungen

Charakter bilden und in besonderer Weise bildhauerisch behandelt wurden, wie eine monolithische Säule. Auch

Um eine differenzierte Analyse der Integration alter Bau-

deren Einzelteile, z.  B. Kapitelle oder Basen, können als

substanz vornehmen zu können, ist es notwendig, Gebäu-

Werkstück bezeichnet werden.

deteile und Bauteile begrifflich zu unterscheiden. Unter »Gebäudeteilen« werden nachfolgend diejenigen Teile

4.3.2 Die Integration alter Gebäudeteile

eines Gebäudes verstanden, welche eigenständige, funktionale räumliche Einheiten bilden, wie der Westbau oder

Der Westbau

die Krypta. Demgegenüber werden als »Bauteile« diejeni-

Beim Umbau des Essener Münsters um 1300 kam es in

gen Teile des Gebäudes bezeichnet, mit denen ein Raum

beträchtlichem Umfang zur Integration älterer Bausub-

gebildet wird, wie eine Wand oder ein gemauerter Pfeiler.

stanz. Als Erstes fällt der bekannte Westbau ins Auge,

Ein Gebäudeteil setzt sich somit aus mehreren Bauteilen

der zum großen Teil in seiner ottonischen Form erhalten

zusammen; er bildet eine übergeordnete Kategorie, der

blieb und die Gestalt der Kirche noch heute wesentlich

sich verschiedene Bauteile zuordnen lassen. Ferner wird

prägt (Taf. 4.01, 4.03).669 Vor allem von Westen gesehen

nachfolgend die Bezeichnung »Werkstück« für solche Teile

dominiert der prägnante Turm mit seinem achteckigen

gebraucht, die eine tektonische Einheit mit elementarem

Glockengeschoss und den flankierenden Treppentürmen

667 Weil die Seitenschiffe der Höhe des Mittelschiffes angeglichen wurde, hängt auch deren Höhe indirekt vom alten Westbau ab. 668 Zimmermann 1956, S. 160f. 669 Aufgrund der derzeit umstrittenen Datierung des Westbaus (Kap. 4.1) versteht sich das Adjektiv »ottonisch« nicht stilgeschichtlich, son-

dern im historischen Kontext, denn egal, ob der Gebäudeteil unter der Äbtissin Theophanu Mitte des 11. Jahrhunderts oder bereits unter Äbtissin Mathilde II. um 1100 errichtet wurde, beide Frauen entstammten in direkter Linie dem ottonischen Kaiserhaus.

157

4.3  MATERIELLE BEZÜGE DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

die Ansicht. Eben diese Teile stammen noch, wenn man

wollte man, darin ist sich die Forschung einig, auf deren

670

von den Veränderungen im 19. Jahrhundert absieht,

kaiserlich-königliche Symbolik rekurrieren.673 Diese Inter-

in wesentlichen Zügen aus der Zeit der ottonischen Äb-

pretation lässt sich unabhängig davon, ob man Mathilde

tissinnen. Seitlich wird der Westbau allerdings von zwei

oder Theophanu als Bauherrin ansehen möchte, prin-

gotischen Baukörpern umschlossen, welche das Langhaus

zipiell vertreten. Eine differenzierte Deutung macht je-

einheitlich nach Westen fortsetzen, so dass der Eindruck

doch erst Sinn, wenn der Gebäudeteil sicher datiert wer-

entsteht, der ottonische Westturm würde vom gotischen

den kann, da erst dann der historische Hintergrund, vor

Langhaus umarmt. Auf diese Weise wurde der Westbau,

dem eine Interpretation notwendig erfolgen müsste, klar

der sich zuvor deutlicher als eigener Gebäudeteil vom

wäre.674

Langhaus absetzte, stärker in das vereinheitlichende Kon-

Warum der Westbau mit seinen symbolischen Sinn-

zept der Hallenkirche eingebunden, ohne jedoch seine

schichten allerdings rund 250 Jahre später geradezu denk-

körperliche Präsenz einzubüßen. Damit gelang zugleich

malpflegerisch in die gotische Halle integriert wurde, ist

der subtile Kunstgriff, eine Ambivalenz zu erzeugen, in-

eine andere Frage. Angesichts der veränderten Rahmen-

dem der Westbau einerseits in der äußeren Ansicht genau

bedingungen und der andersartigen historischen Situa-

genommen zu einem Westturm transformiert wurde, wel-

tion wäre zu untersuchen, inwiefern sich die Bedeutung

cher konzeptionell den architektonischen Vorstellungen

des Gebäudeteils verschob. Da die Beantwortung dieser

der Zeit um 1300 entgegenkam, andererseits aber die in

komplexen Fragestellung eine möglichst ganzheitliche

die Breite gelagerte bauliche Masse im Westen nicht ge-

Sichtweise auf das Baugeschehen voraussetzt, bleibt sie

schmälert wurde, so dass der Charakter eines Westbaus

dem Resümee vorbehalten.675

durchaus erhalten blieb.

Setzt man die architektonische Analyse weiter fort, so

Im Innenraum des Essener Doms tritt der alte West-

fällt der Übergang vom ottonischen Westchor zum goti-

bau noch markanter in Erscheinung, da man den West-

schen Langhaus ins Auge, den zwei ottonische Pfeilerzun-

abschluss so weit wie möglich in seiner ottonischen Form

gen mit kräftigen Zungenblattkapitellen akzentuieren, die

beließ (Abb. 4.11). So mündet das gotische Mittelschiff in

somit das Mittelschiff verengen und auf diese Weise eine

eine polygonale Quasi-Apsis, deren umfassende Wände

Torsituation schaffen. Mit dem Erhalt der ottonischen

mit zwei Geschossen großer Rundbögen geöffnet werden.

Pfeilerform beim gotischen Umbau behielt man nicht nur

Die oberen Bögen werden von korinthisierenden Säulen

die alte Torsituation bei, sondern verschaffte ihr durch

und kleineren Arkaden in zwei Geschosse und drei Ach-

den Kontrast zu den gotischen Formen der Langhauspfei-

sen unterteilt.671

ler noch mehr Geltung (Taf. 4.06). Auf diese Weise berei­

Diese Gestaltung zitiert in überaus signifikanter Weise

cherte man die Torsituation um eine zusätzliche Sinn­

die Pfalzkapelle in Aachen (Abb. 4.12), was ein weiterer

ebene, da sie seither gleichermaßen den Übergang von

Grund dafür ist, dass der Westbau des Essener Doms die

Neu zu Alt markiert.

Aufmerksamkeit der Architekturhistoriker auf sich zog.

Auch in den Seitenschiffen bewahrte man den west-

Die Aachener Pfalzkapelle galt im Mittelalter, und gilt

lichen Abschluss so weit wie möglich in der ottonischen

auch noch heute, als der Repräsentationsbau Karls des

Form, indem die dortigen Emporen mit ihren rundbogi-

Großen und seiner Herrschaft, weshalb sie zeitweise als

gen Nischen erhalten blieben (vgl. Abb. 4.06). Auf diese

Krönungskirche für den deutschen König fungierte.672 Mit

Weise entfaltet sich die ottonische Struktur des Westbaus

dem Zitat der Aachener Pfalzkapelle im Essener Münster

im Innenraum anders als außen in der gesamten Breite

670 Kap. 4.1. 671 Nur die korinthisierenden Säulen des mittleren Bogens stammen heute noch aus der Erbauungszeit, wohingegen diejenigen der seitlichen Bögen im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der mittleren wiederhergestellt wurden, als man die dortige frühneuzeitliche Orgel entfernte (Humann 1890, S. 19). 672 Insofern bezeichnet Wolfgang Schenkluhn die Aachener Pfalzkapelle treffend als »einen der Leitbauten des deutschen Königtums« (Ders. 2009, S. 64). 673 Z. B. Beuckers 2006, S. 52f.; Lange 2001, S. 49–63; Zimmermann 1956, S. 252. 674 Klaus Lange versucht hingegen aus seiner Deutung des Westbaus eine Datierung abzuleiten (Lange 2001, S. 49–81). Ein derartiges Vorgehen ist jedoch aus wissenschaftstheoretischen Gründen

unzulässig, weil der Gebäudeteil unterschiedliche differenzierte Interpretationen erlaubt, die Entscheidung für eine bestimmte Variante ohne Kenntnis einer Datierung und damit des historischen Kontextes aber beliebig ausfällt. Die Gefahr, das, worauf man schließen will, bereits als Annahme vorauszusetzen, ist somit groß. Lange ist sich der Problematik eines solchen Zirkelschlusses leider nicht bewusst: »Aber was genau sollte in der Sprache der Architektur ausgesagt werden? Kann diese Frage beantwortet werden, dann müsste es auch möglich sein, den Westbau als Geschichtsquelle zu lesen. Dann müssten sich aus seinem Bauprogramm Rückschlüsse für seine Datierung ziehen lassen, die eine Eingrenzung des Baubeginns in der Amtszeit Äbtissin Mathildes erlauben.« (Lange 2001, S. 49). 675 Kap. 4.5.

158

4  DER DOM ZU ESSEN

4.11  Dom zu Essen, Westbau, Westpolygon vom Mittelschiff aus gesehen, erbaut um 1000 oder 1050, seitliche Säulengitter im 19. Jh. rekon­struiert (Lange 2001, S. 25)

159

4.3  MATERIELLE BEZÜGE DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

4.12  Aachen, Pfalzkapelle, inneres Oktogon, erbaut um 800, Raumfassung wilhelminisch (Kaiser 1996, S. 33)

des Kirchenraumes. Gleichwohl mauerte man die Seiten-

Das Atrium

wände des Westbaus oberhalb der Nischen bis zur neuen

Das westlich dem Westbau vorgelagerte Atrium, welches

Traufhöhe des gotischen Langhauses auf und inkorpo-

den Essener Dom mit der ihm zugehörigen Johanneskir-

rierte die Seitenteile des alten Westbaus auf diese Weise

che verbindet, blieb beim gotischen Umbau ebenfalls in

raffiniert in den einheitlichen gotischen Hallenraum. Der

seiner alten Form erhalten (Abb. 4.13).676 Nach Zimmer-

Verzicht auf eine Binnengliederung der neuen Wandflä-

mann steht die heutige Form des Atriums im Zusammen-

che über den Nischen macht zugleich den Umfang der

hang mit dem Umbau unter Äbtissin Theophanu zur Mitte

Aufstockung nachvollziehbar, ebenso wie die bereits be-

des 11. Jahrhunderts, wofür u. a. die Form der wuchtigen

schriebene Überführung der ottonischen Pfeilerzunge in

Würfelkapitelle der Arkatur spricht.677

eine gotische Halbsäule.

Das Atrium fungiert auch als räumlicher Übergangsbereich von der Außenwelt in den Innenraum der ehema-

676 Der heutige Zustand ist stark von der Restaurierungskampagne 1848 geprägt (Zimmermann 1956, S. 154). 677 Ebd., S. 266f. – Lange klammert das Atrium bei seinen Datierungsvorschlägen der ottonischen Baugeschichte leider aus, obwohl es

aufgrund des archäologischen und bauforscherischen Befundes zwingend in die Überlegungen zur Errichtung des Westbaus miteinbezogen werden müsste.

160

4  DER DOM ZU ESSEN

4.13  Dom zu Essen, Atrium, nördliche Arkaden, Mitte 11. Jh., im 19. Jh. stark überarbeitet (Hauke Horn, 2012) ligen Münsterkirche und führt somit auf den Westbau zu,

Die Enkelin Kaiser Ottos II. veranlasste die Erneuerung

der das eigentliche Tor zur Kirche bildet. Aus den gemein-

der zweigeschossigen Außenkrypta sowie des Chores, un-

samen Fundamentzügen von Atrium und Westbau geht

ter den sie zusätzlich eine neue Innenkrypta anlegen ließ,

hervor,678 dass die wechselseitige architektonische Bezie-

so dass das Bodenniveau des neuen Chores gegenüber

hung der beiden Gebäudeteile von Anfang an intendiert

dem Langhaus erhöht wurde.679

war. Dieser Zusammenhang blieb auch beim gotischen

Im Zuge des gotischen Umbaus riss man die alte Apsis

Umbau erhalten, was in der konsequenten Beibehaltung

und das Obergeschoss der Außenkrypta ab und erweiterte

der alten Form des Atriums vor der Folie des alten West-

den Chorbereich über das noch stehende Untergeschoss

turmes auch gestalterisch zum Ausdruck kommt.

hinaus (Taf. 4.03). Damit wurden die Geometrie und die Dimensionen der Außenkrypta zu maßgeblichen Krite-

Die Krypta

rien für die Planung des neuartigen Hallenchores. Dass

Mit der heute unter dem Hallenchor befindlichen Krypta

nicht ausschließlich wirtschaftliche Gründe zur Integra-

integrierte man einen weiteren Gebäudeteil in seiner al-

tion des Kryptauntergeschosses führten, belegt der bau-

ten Form in den gotischen Kirchenbau (Abb. 4.14; vgl.

liche Aufwand, welcher dafür betrieben wurde, denn die

Abb. 4.08). Die Krypta ist der einzige Gebäudeteil aus der

alten Mauern genügten den neuen statischen Anforderun-

Zeit der ottonischen Äbtissinnen, der, aufgrund der in-

gen der Kreuzrippengewölbe im Obergeschoss nicht,680

schriftlich bezeugten Weihe 1051, sicher datiert werden

so dass aufwändig Strebepfeiler mit eigenen Fundamen-

kann, und wird in der Literatur nach der seinerzeit am-

ten in die alte Außenmauer eingelassen werden mussten

tierenden Äbtissin oft als Theophanu-Krypta bezeichnet.

(Taf. 4.05 .

678 Zimmermann 1956, S. 222. 679 Zimmermann 1956, S. 245–250. – Die vormalige Außenkrypta wird allgemein in die Zeit der Äbtissin Agana (ab. 951–965?) datiert (Poth­mann 1997, S. 24f.; Ders 1987, S. 6; Zimmermann 1956,

S. 214–218). Kubach geht hingegen von einer Entstehung schon im 9. Jahrhundert aus (Kubach 1957, S. 65). 680 Vgl. Kap. 4.2.3.

)

161

4.3  MATERIELLE BEZÜGE DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

4.14  Dom zu Essen, Querschnitt durch den Hallenchor, Blick nach Osten, Maßwerk in Rekonstruktion des 19. Jh., seit 1943 verloren (Wilhelm-Kästner 1929, S. 44) Konzeptionell lassen sich bei der Integration des West-

bis zur Höhe des inneren Laufgangs in die gotischen Au-

baus und der Krypta deutliche Parallelen erkennen: Wäh-

ßenwände integriert wurden, die infolge der neuen Hallen-

rend der Westbau seitlich vom neuen Hallenlanghaus ein-

konzeption höher gezogen werden mussten (Abb. 4.15).682

gefasst wird, legt sich der neue Chor horizontal über die

Die heutige Gliederung der ottonischen Seitenschiffe mit

alte Krypta, so dass die ottonischen Gebäudeteile dem go-

rundbogigen Nischen zwischen flachen Lisenen gibt zwar

tischen Bauwerk regelrecht einverleibt wurden. In beiden

den Ursprungszustand wieder, geht aber auf die Restau-

Fällen wirkten die alten Teile dabei maßgeblich auf die

rierungsarbeiten des 19. Jahrhunderts zurück, denn beim

Planung der neuen Teile ein.

gotischen Umbau waren die Nischen anscheinend vermauert worden.683

4.3.3 Die Integration alter Bauteile in situ

Wirtschaftliche Gründe können für die Integration der Seitenschiffmauern nur bedingt angeführt werden,

Die Seitenschiffwände

denn es bedurfte eines hohen Mehraufwandes, um die

Die prägnantesten ottonischen Bauteile, welche beim goti-

alte Bausubstanz zu integrieren. Die zur Aufnahme des

schen Umbau des Essener Münsters erhalten blieben, sind

Gewölbeschubs notwendigen Strebepfeiler mit vorgesetz-

die ottonischen Außenwände des Langhauses,681 welche

ten Halbsäulen bzw. Diensten684 wurden nämlich, um eine

681 Im 19. Jahrhundert hielt man die Außenwände für einen Teil des altfridischen Gründungsbaus (Humann 1890, S. 5). Der Verbund des Mauerwerks mit dem ottonischen Westbau belegt allerdings die spätere Entstehung (Zimmermann 1956, S. 78). 682 Zimmermann 1956, S. 168. – Da Zimmermann seinen Schwerpunkt angesichts der historischen Umstände richtigerweise auf die archäologische Erforschung des Doms setzte, ist das aufgehende Mauerwerk des Essener Doms bisher leider nur rudimentär erforscht. Ein steinrechtes Aufmaß der Außenmauern fehlt, so dass sich die Trennlinie zwischen ottonischem und gotischem Mauerwerk zum derzeitigen Stand nur vage nachvollziehen lässt. Eine Autopsie des unverputzten Außenbaus hilft auch nicht weiter, weil der Dom anscheinend im 19. Jahrhundert außen neu verblendet wurde. 683 Dies lässt sich indirekt aus einer Aussage Humanns schließen, denn er beschreibt Kapitelle, welche bei der Freilegung der Nischen gefunden worden seien (Humann 1890, S. 28).

684 Während man an der Nordwand Halbsäulen zur Aufnahme der ­Rippen anlegte, welche die Rundpfeiler des Mittelschiffes aufgreifen, errichtete man im Unterschied dazu an der südlichen Wand Bündel mit fünf Diensten. Die Versuche, aus diesem Unterschied Rückschlüsse auf den Bauverlauf zu ziehen, kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Während Wilhelm-Kästner 1929 (S. 53) den nördlichen Teil für den älteren hielt, ging Zimmermann 1956 (S. 274) davon aus, dass die Südwand älter sei. Lange 2004 versuchte jüngst, die Datierung der gotischen Bauabschnitte aus der jeweiligen politischen Lage zur Bauzeit zu erschließen (S. 96–103). Die stilistischen Unterschiede würden Lange zufolge daraus resultieren, dass man einen Wechsel der politischen Verhältnisse jeweils mit einem Wechsel der baulichen Formen zeitnah kommentierte (S. 105). Dieser Ansatz fällt methodisch sehr fragwürdig aus, weil das Verhältnis von Fakten und deren Interpretation auf den Kopf gestellt wird.

162

4  DER DOM ZU ESSEN

alten Wandkompartimenten hochzumauern. Des Weiteren riss man die ottonische Wand oberhalb des Laufgangs in der kompletten Länge ab, wahrscheinlich um den oberen Teil mit den neuen großen Fenstern einheitlich hochführen zu können. Die Bewahrung der ottonischen Mauerteile machte also im Ganzen gesehen eher Umstände, als wirtschaftliche Vorteile zu bringen. Das spricht dafür, dass andere Gründe den Ausschlag für die Bewahrung der alten Wandteile gaben. Aufgrund des Laufgangs bietet es sich in diesem Fall an, einen Zusammenhang zwischen der Funktion des Bauteils und dessen Konservierung herzustellen. Von besonderem Interesse dürfte unter diesem Gesichtspunkt sein, dass der nördliche Laufgang das Obergeschoss des Westbaus mit dem Chor der Stiftsdamen, später Gräfinnenchor genannt,686 im nördlichen Querhaus verband und somit einen direkten Weg zwischen den beiden wichtigen Gebäudeteilen herstellte (Taf. 4.17). Diese spezielle Wegeverbindung nutzten die Stiftsdamen im Rahmen besonderer liturgischer Inszenierungen, wie etwa bei der Feier des Osterfestkreises.687 Laut bauforscherischem Befund existierte der Laufgang auch vor dem gotischen Umbau,688 so dass mit dessen Bewahrung zugleich die Bewahrung einer alten Wegebeziehung einherging, was darüber hinaus, wie

4.15  Dom zu Essen, nördliche Seitenschiffwand, Nischenwand mit Laufgang 11. Jh., Stützstruktur und obere Wandteile um 1300 (Hauke Horn, 2012)

die Bewahrung der Öffnungen in der Kryptadecke,689 eine Kontinuität liturgischer Abläufe ermöglichte. In diesem Fall überlagern sich somit räumliche und materielle Bezüge zur Tradition des Ortes.

ausreichende Festigkeit zu gewährleisten, in einem durch-

In der älteren Literatur leitete man die Architektur der

gehenden Verband gemauert, so dass sie die alten Wände

Seitenschiffwände des Essener Doms in erster Linie von

durchschlagen.685 Wie für die freistehenden Rundpfeiler

gotischen Kirchen in Burgund und der Champagne ab, wo

des Mittelschiffes mussten die gotischen Strebepfeiler zu-

im 13. Jahrhundert vergleichbare Laufgangsysteme hinter

dem neu fundamentiert werden, um den statischen Anfor-

der Fassade errichtet wurden.690 Vielleicht hat die Kennt-

derungen zu genügen (Taf. 4.05, vgl. Abb. 4.09). Das heißt,

nis französischer Kirchen mit einer ähnlichen Disposi-

man musste die ottonische Wand inklusive ihrer Funda-

tion tatsächlich als Inspiration für die in Essen realisierte

mente wie bei der Krypta an mehreren Stellen in Breite der

Lösung gedient. Der spezifische Aufbau der Seitenschiff-

Strebepfeiler komplett bis auf den gewachsenen Boden ab-

wände des Essener Doms erklärt sich jedoch nicht aus der

reißen, ohne den Bestand dazwischen zu stark zu beschä-

Übernahme französischer Vorbilder, sondern primär aus

digen, um die neuen Pfeiler anschließend zwischen den

der Tradition des Ortes.

685 Zimmermann 1956, S. 168. 686 Wohl im Zuge des gotischen Umbaus der Kirche erfolgte eine Vergrößerung des Gräfinnenchores nach Norden über Gebäude des Kreuzgangs hinaus (Lange 2004, S. 95f.; Arens 1908, S. 253). Bei den Restaurierungsarbeiten der 1880er Jahre baute man den gotischen Gräfinnenchor zugunsten eines neoromanischen Nordquerhauses mit Orgelbühne zurück (Lange 2004, Anm. 35; Arens 1908, S. 254, der noch die Wiederherstellung des gotischen Zustandes fordert). 687 So schritten die Stiftsdamen etwa nach der symbolischen »Bestattung« religiöser Zeichen und Reliquien (vgl. Kap. 4.4.5) auf

der Westbauempore am Karfreitag über den nördlichen Laufgang zurück, die Kanoniker hingegen über den südlichen Laufgang, während die Scholaren die nördliche Treppe hinabstiegen (Bärsch 1997, S. 150). Auf gleichem Weg gelangten der Damenkonvent und die Kanoniker in der Osternacht zur Elevatio auf die Westbauempore (Ders., S. 196f.). 688 Zimmermann 1956, S. 165. 689 Kap. 4.3.2. 690 Zimmermann 1956, S. 274.

163

4.3  MATERIELLE BEZÜGE DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

Die Vierungs- und Vorchorpfeiler beim stauferzeitlichen Umbau Weitere ottonische Bauteile blieben im Osten der Kirche in situ erhalten, nämlich die vier Vierungspfeiler sowie das östlich davon befindliche Wandpfeilerpaar, welches vor dem gotischen Umbau die Apsis rahmte.691 Die Ostteile der Kirche erfuhren bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine größere Umgestaltung, als unter Weiternutzung der alten Pfeiler Kreuzgratgewölbe über Chor und Querhaus eingezogen wurden (Taf. 4.03).692 Zur Aufnahme der Grate und Gurte ergänzte man die alten Pfeiler in den Ecken mit Diensten,693 deren Kapitelle zeittypisch mit figürlichen Darstellungen, Rankenwerk und Ornamenten plastisch gestaltet wurden (Taf. 4.09).694 Die Vierungspfeiler schließen mit profilierten Kämp­ ferplatten, welche die unregelmäßige Pfeilergeometrie wie ein Gesims umlaufen, zur Gewölbezone horizontal einheitlich ab, wodurch das tragkonstruktive Zusammenspiel der ottonischen und spätromanischen Kompartimente auch gestalterisch verdeutlicht wird (Taf. 4.10).

Die Imitation ottonischer Kämpferprofile im 12. Jahrhundert Die einheitliche Kämpfergestaltung überrascht insofern, als sie zeitlich unterschiedliche Teile der Vierungs- und Vorchorpfeiler überfasst und wirft somit die Frage nach dem Zeitpunkt der Entstehung auf. Die Kämpferprofile der Vierungspfeiler bauen sich von

4.16  Dom zu Essen, Gesims, Westbauarkade, Emporengeschoss um 1000 oder 1050 (Hauke Horn, 2012)

unten nach oben aus Plättchen, Kehle, Plättchen, Karnies, Plättchen und Platte auf (Taf. 4.10). Denselben Aufbau

der Vierungs- und Vorchorpfeiler zeigen demnach ottoni-

zeigen Kämpfergesimse an der unteren Arkatur des ot-

sche Profile, die im Aufbau denjenigen des Westbaus ent-

tonischen Westbaus (Abb. 4.16). Die Kämpferprofile der

sprechen.

Vorchorjoche  – Plättchen, Plättchen, Karnies, Plättchen,

Weil die Kämpfer jedoch die romanischen Kapitelle

Platte (Taf. 4.11) – ähneln wiederum stark Plattenprofilen

und Dienste mit überdecken, also Stellen, an denen sich zu-

über den Kämpferwürfeln der korinthisierenden Säulen

vor keine Bausubstanz befand, müssen die Kämpferplatten

des Westbaus, die lediglich über ein weiteres Plättchen an

im Zuge der romanischen Wölbungskampagne gefertigt

der Unterkante verfügen (Taf. 4.12). Die Kämpferplatten

worden sein. Diese Erkenntnis wird durch den baulichen

691 Wie bei den Außenwänden fehlt leider auch für die Pfeiler ein steinrechtes Aufmaß und eine darauf aufbauende, genaue Analyse der Bausubstanz. In der Literatur wird zwar davon ausgegangen, dass die betreffenden Pfeiler aus dem Umbau unter Äbtissin Theophanu stammen, denkbar wäre aber auch, dass im Kern noch Mauerwerk des altfridischen Gründungsbaus vorhanden wäre, denn die Pfeiler sind in Lage und Form deckungsgleich mit den Mauerzungen der ersten Vierung und stehen noch immer auf den altfridischen Fundamenten, so dass es so aussieht, als wären jene bei der ottonischen Umgestaltung der Kirche lediglich etwas rückgebaut worden. 692 In der Literatur hat sich mittlerweile eine Datierung der Arbeiten in die Amtszeit der Äbtissin Hadwig von Wied (ab. 1154–1172) durchgesetzt (Pothmann 1997, S. 37; Broscheit 1989, S. 25; Kubach/Verbeek 1976, Bd. 1, S. 276). In der älteren Literatur datierte man die Arbeiten in das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts (Zimmermann 1956, S. 268;

Wilhelm-Kästner 1929, S. 52). Das Gewölbe der Vierung wurde nach dem Brand 1454 mit Kreuzrippen wiederhergestellt (Zimmermann 1956, S. 271) und auch die Rippen über dem ehemaligen Gräfinnenchor weisen auf eine spätere Erneuerung hin. Kreuzgratgewölbe befinden sich noch heute über dem südlichen Querhaus und dem Vorchor; beide scheinen den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden zu haben (Ebd., Abb. 202). Letzteres wurde 1880 komplett erneuert (Ebd., S. 185), das Gewölbe des südlichen Querhauses scheint als Einziges in der originalen Substanz erhalten zu sein (Ebd., S. 176). 693 An den Vierungspfeilern ergänzte man an einer Seite der Dienste zusätzlich kleine Mauerzungen, damit die Kapitelle nicht über den Pfeiler hervortreten, sondern klar in dessen Ecke stehen. 694 Grundlegend zum romanischen Kapitellzyklus, insbesondere zu dessen ikonographischem Programm: Broscheit 1989.

164

4  DER DOM ZU ESSEN

Befund bestätigt, denn die Kämpferplatten verzahnen sich teilweise über die Kapitelle hinweg weit in den alten Pfeiler hinein, wie sich an den Stoßfugen erkennen lässt (Taf. 4.09). Folglich arbeiteten die Steinmetze der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nicht nur in ihrem zeittypischen Stil, der sich an den Kapitellen klar äußert, sondern imitierten spannenderweise an den Kämpferplatten auch bewusst einen älteren Stil, den sie im Essener Münster selbst vorfanden. Darin zeigt sich, wie sehr man sich bei der stauferzeitlichen Wölbungskampagne um eine Symbiose alter und neuer Formen bemühte, was wiederum den damaligen Stellenwert der alten Bauteile verdeutlicht.

Die Vierungs- und Vorchorpfeiler beim gotischen Umbau Im Zuge des gotischen Umbaus inkorporierte man wiederum die Vierung, das Querhaus und den Vorchor im stauferzeitlichen Zustand mitsamt der ottonischen Pfeiler in den neuen Hallenraum (Taf. 4.03). Die Kreuzgratgewölbe des 12. Jahrhunderts blieben damit ebenso wie die spätromanischen Dienste mit ihren Figurenkapitellen zum Teil bis heute erhalten. Infolgedessen entstanden zwei Nahtstellen, an denen die gotischen an die ottonischen Joche mit ihren stauferzeitlichen Gewölben stoßen. Auf der einen Seite läuft die Naht zum gotischen Langhaus hin durch die westlichen Vierungspfeiler (Taf. 4.10), an der anderen Seite läuft sie zum Hallenchor hin durch die westlichen Pfeiler des Vorchores (Taf. 4.06). Auf diese

4.17  Dom zu Essen, nördlicher Pfeiler am Übergang zum Hallenchor (Hauke Horn, 2009)

Weise entstand eine räumliche Zone zwischen dem neuen Langhaus und dem neuen Hallenchor, in dem eine ältere Formensprache vorherrschte, welche auf die Tradition des Ortes verweist.

Neben der Synchronisation der Höhen trägt die tektonische Ordnung erheblich zu einem fließenden Übergang

An der Nahtstelle zwischen altem Vorchor und neuem

zwischen alten und neuen Raumteilen bei. Die Stützkon-

Hallenchor befinden sich alte und neue Kapitelle direkt

struktion zur Aufnahme der Gurtbögen an der Nahtstelle

nebeneinander (Taf. 4.11). Formal kontrastieren das ro-

zwischen Vorchor und Hallenchor orientiert sich nämlich

manische Figurenkapitell mit seinen stilisierten Pflanzen-

an der bestehenden Struktur, indem man zur Aufnahme

darstellungen und das gotische Kelchkapitell mit seinem

des gotischen Rippenbogens einen breiten Wandpfeiler

naturnahen Blattwerk deutlich und geben sich damit als

wählte, der zur Linken und Rechten von einem Dienst

Werkstücke aus unterschiedlichen Zeitschichten zu erken-

flankiert wird, wobei links der vorhandene romanische

nen. Dennoch stimmten die Steinmetze die neuen Kapi-

Dienst integriert und rechts ein gotischer Dienst nach

telle auf die alten ab, indem sie die Höhen anglichen. So

dessen Vorbild ergänzt wurde (Abb. 4.17). Den einzigen

liegt die Oberkante der gotischen Kapitelle auf einer Höhe

strukturellen Unterschied macht ein zusätzlicher Dienst,

mit der Oberkante der romanischen; die unterschiedlich

welcher dem Wandpfeiler vorgesetzt wurde. Seine An-

profilierten Kämpferplatten sind sogar genau gleich hoch.

lage kann aber auch gestalterischen Überlegungen folgen,

Das heißt, der gotische Baumeister griff im Hallenchor

denn er markiert den Übergang zum neuen Chorbereich.

die bestehende Kapitellzone der alten Ostteile auf und

Da sich an dieser Stelle zuvor der Triumphbogen zur Apsis

stimmte den neuen Gebäudeteil somit in der Höhe auf

befand, klingt ferner die Erinnerung an die alte Situation

den alten ab.

nach.

165

4.3  MATERIELLE BEZÜGE DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

Die Angleichung der tektonischen Struktur am Übergang zum Hallenchor an das alte Vorchorjoch ist umso be-

4.3.4 Die Integration alter Werkstücke in neuem Kontext

merkenswerter, als die übrigen Stützen in Form der Rundpfeiler des neuen Hallenlanghauses errichtet wurden. Der

Der romanische Pfeiler im südlichen Nebenchor

gotische Baumeister wollte an der Nahtstelle demnach

Neben den in situ erhaltenen alten Bauteilen finden sich

bewusst keine klare Zäsur ziehen, sondern einen subtilen

im Essener Dom auch Elemente, die in einem neuen Kon-

Übergang schaffen, bei dem alte und neue Teile zusam-

text in den gotischen Neubau integriert wurden. Hierzu

men eine übergeordnete tragkonstruktive Einheit bilden

zählt der Pfeiler in der Südostecke des südlichen Neben-

und somit gleichrangig in die übergreifende architektoni-

chores (Taf. 4.13), der deutliche Ähnlichkeiten mit den

sche Ordnung eingebunden werden. Stilistisch geben die

Pfeilern der Theophanu-Krypta aufweist (Taf. 4.14).

Dienste mit ihren Kapitellen hingegen die unterschiedli-

Die gedrungenen Pfeiler wurden jeweils derart gestal-

che Entstehungszeit zu erkennen, so dass der Betrachter

tet, dass der Eindruck eines Bündels aus mehreren Säul-

die Synthese aus Alt und Neu nachvollziehen kann.

chen bzw. aus Pfeiler und Säulchen entsteht. Die Kapitelle

Der Anschluss des gotischen Langhauses an die beste-

der Säulchen wurden mehr graphisch als Flächen denn

hende Vierung wurde realisiert, indem man den Vierungs-

plastisch als Körper aufgefasst, was insbesondere bei der

pfeilern zum Langhaus hin wie am Westbau Halbsäulen

Ansicht über Eck erkennbar wird. Trotz der unübersehba-

vormauerte,

so dass sich hybride Bauteile mit Elemen-

ren Stilisierung der Detailformen lässt der Nebenchorpfei-

ten und Spuren aus (mindestens) drei unterschiedlichen

ler, wie seine Pendants in der Krypta, einen Antikenbezug

Zeitschichten bildeten (Taf. 4.10). Dass diese Lösung

erkennen, der im Nebenchor mittels der korinthisieren-

nicht so harmonisch ausfiel wie an der Naht zwischen

den Kapitelle, in der Krypta mittels der Kanneluren des

Vorchor und Hallenchor, liegt daran, dass die Oberkanten

Pfeilers hergestellt wurde. Schließlich verfügen die Pfei-

der Kämpferplatten der westlichen Vierungspfeiler auf ei-

ler jeweils über einen markanten, voluminösen Kämp-

ner Höhe mit der Oberkante der Kapitelle des vormaligen

ferblock mit ähnlicher Profilierung und deutlicher Aus-

Triumphbogens am Westbau liegen. Weil die gotischen

kragung. Die geschilderten Ähnlichkeiten weisen auf den

Langhauskapitelle, wie beschrieben,696 in der Höhe mit

gleichen Entstehungszeitraum hin, der aufgrund der in-

denjenigen des Westbaus synchronisiert wurden, schlie-

schriftlich gesicherten Datierung der Krypta um die Mitte

ßen auch die gotischen Kelchkapitelle an der Oberkante

des 11. Jahrhunderts anzusetzen ist.

695

der Vierungskämpfer ab, so dass die gotischen Kämpfer auf den älteren aufliegen.

Zimmermann stellte fest, dass der romanische Pfeiler, der sich heute in der südöstlichen Ecke des Nebenchores

Die Abarbeitung der alten Kämpferplatte zum Lang-

befindet, ursprünglich vollplastisch ausgearbeitet war und

haus hin resultiert demnach nicht aus Gleichgültigkeit

folglich frei stand. Als originalen Aufstellungsort vermu-

gegenüber der alten Bausubstanz, sondern aus der konse-

tet er eine Arkade in der ehemaligen Wand zwischen Chor

quenten Angleichung der gotischen Kapitellzone an den

und Nebenchor.697 Aufgrund der deutlichen Ähnlichkeit

Westbau einerseits und an die Vierung andererseits. Den-

zu den Kryptapfeilern halte ich hingegen eine ursprüng-

noch verschmelzen gotische, stauferzeitliche und spätot-

liche Nutzung im Kryptaobergeschoss, das zugunsten des

tonische (altfridische?) Teile an den Vierungspfeilern

Hallenchores aufgegeben wurde, für wahrscheinlicher.

strukturell zu einer tragkonstruktiven Einheit und fügen

In jedem Fall aber handelt es sich ohne Zweifel um ein

sich damit in die übergreifende architektonische Ordnung

Werkstück aus der Zeit der Äbtissin Theophanu, das beim

der Kirche ein.

gotischen Umbau des südlichen Nebenchores in einem

Bei den Bemühungen, die beiden Nahtstellen zwi-

neuen Kontext Verwendung fand, was zumindest eine ge-

schen alten und neuen Raumkompartimenten beim goti-

wisse Wertschätzung ausdrückt, die man dem Pfeiler des

schen Umbau zu bewältigen, zeigen sich im Vergleich also

11. Jahrhunderts zum Ende des 13. Jahrhunderts entgegen-

Unterschiede im Detail, die verdeutlichen, wie differen-

brachte. Nicht mehr nachvollzogen werden kann leider, ob

ziert man auf die individuellen Voraussetzungen einging,

die Nische in der östlichen Nebenchorwand, welche der

welche die Integration des Bestandes mit sich brachte.

Pfeiler flankiert, etwas barg, das mit der Tradition des Or-

695 Kap. 4.3.2. 696 Ebd.

697 Zimmermann 1956, S. 243.

166

4  DER DOM ZU ESSEN

tes in Verbindung stand. Dies wüsste man schon deshalb gerne genauer, weil sich neben der Nische ursprünglich der Zugang zur Theophanu-Krypta befand und somit ein gewisser räumlicher Bezug zum authentisch alten Gebäudeteil besteht.

Die antikisierenden Säulen der Krypta In der Krypta stehen zwei Säulen, die sich auffallend von den anderen Stützen des Raumes absetzen (Taf. 4.14–4.16). Die Säulen, von denen sich eine jeweils vor der nördlichen und südlichen Wand des äußeren Kryptaraumes befindet, greifen erkennbar, aber stark variierend und vereinfachend die korinthische Ordnung auf. Mit ihren monolithischen Schäften, antikisierenden Kapitellen und Basen sowie den ausgeprägten Kämpferwürfeln unterscheiden sich die Säulen einerseits stark von den anderen Stützen der Krypta, andererseits differieren die Kapitelle aufgrund des hohen Grades an Stilisierung sowie des vergleichsweise graphisch und reliefartig aufgefassten Dekors aber auch deutlich von den plastisch durchgearbeiteten korinthischen Kapitellen im Westbau (Taf. 4.12) sowie dem Kapitell der Kreuzsäule (vgl. Abb. 4.23). Während die ältere Literatur davon ausgeht, die Säulen würden zum ursprünglichen Konzept des 1051 geweihten Gebäudeteils gehören, spricht sich Klaus Lange dafür

4.18  Dom zu Essen, Basis, Detail zu Taf. 4.16 (Hauke Horn, 2012)

aus, dass sie erst im Zuge des gotischen Umbaus in die Krypta versetzt worden seien.698 Dabei stützt er sich jedoch

spricht stattdessen dafür, dass die Säulen vormals an einer

allein auf einen knappen Restaurierungsbericht von 1851

anderen Stelle standen, wo die gleiche Schadensursache

ohne Autorenangabe, dessen Aussagen wenig differen-

auf beide einwirken konnte.

ziert und nicht nachprüfbar sind.699

Zu diesem Befund passt auch die stilkritische Einord-

Allerdings ließen sich bei einer persönlichen Inaugen-

nung der Basen der Kryptasäulen (Abb. 4.18), die von den-

scheinnahme vor Ort in der Tat Hinweise auf einen Ver-

jenigen im Westbau deutlich abweichen (Abb. 4.19). Ein

satz aufspüren.

wesentlicher Unterschied ist der fehlende obere Torus an

So weisen beide Schäfte durchgehende Bruchnähte

den Basen der Kryptasäulen. Darüber hinaus wirken die

mit teils größeren Abplatzungen an den Bruchkanten auf,

Basen, als hätte man, bildlich gesprochen, die Luft heraus

die belegen, dass die Säulen zu einem unbekannten Zeit-

gelassen, so dass die Kehlen zu Mulden einsackten, wohin-

punkt umkippten, dabei brachen und wieder zusammen-

gegen die Mulden der Westbau-Basen teilweise überstreckt

gefügt wurden.700 Die übrigen Stützen der Krypta weisen

wirken, so als hätte man zu viel Luft hineingepumpt, um in

keine vergleichbaren Schäden auf und auch sonst gibt

diesem Bild zu bleiben. Während die gestreckten Basen des

es keine Hinweise, die den Bruch der Säulen im Zusam-

Westbaus formal gut in das 11. Jahrhundert passen,701 zäh-

menhang mit einem die ganze Krypta betreffenden Ereig-

len verflachte Basen zu den zeittypischen Formmerkmalen

nis sehen lassen. Das gleiche Schadensbild an den heute

des 13./14. Jahrhunderts,702 wie es die zahlreichen Basen im

ca. 10 Meter voneinander entfernt stehenden Schäften

gotischen Chor und Langhaus des Essener Doms selbst

698 Lange 2001, S. 37. 699 Die Münsterkirche in Essen I, in: Organ für christliche Kunst 1, 12/1851, S. 91; Reprint bei Lange 2001, S. 115. 700 Damit korrespondieren Bruch- und Fehlstellen an den Kapitellen. 701 Vgl. etwa die Basen in den Seitenschiffen des Doms zu Speyer.

702 So wirken, um ein willkürliches Beispiel zu nennen, viele der Basen des im 13. Jahrhundert entstandenen Bischofsgangs des Magdeburger Doms ebenfalls so, als wären die Kehlen zu Mulden eingesackt (Taf. 3.05).

167

4.3  MATERIELLE BEZÜGE DER KIRCHE ZUR TRADITION DES ORTES

Nimmt man die genannten Indizien zusammen, so sprechen sie in der Summe dafür, dass die antikisierenden Säulen tatsächlich erst im Zuge des gotischen Umbaus an ihren heutigen Platz in der Krypta gelangten.704 Die Säulen könnten während der gotischen Umbaukampagne um 1300 bei Abbrucharbeiten zu Schaden gekommen sein, wurden jedoch gesichert und an ihrem heutigen Standort in der Krypta wieder zusammengefügt. Die Basen waren anscheinend nicht mehr verwendbar und wurden durch Neuanfertigungen ersetzt, welche die alten Formen aufgreifen, so dass sie bisher für die originalen Stücke gehalten wurden. Bei einer genauen Formenanalyse geben sie sich allerdings als spätere Zutat zu erkennen. Der gesamte Vorgang deutet auf ein höchst bemerkenswertes Traditionsbewusstsein um 1300 hin, da alte Säulen aus dem ottonischen Vorgängerbau wiederum in einen alten Gebäudeteil integriert wurden. Die Einpassung in die architektonische Struktur der Krypta gelang derart überzeugend, dass man in der Literatur lange davon ausging, die Säulen gehörten zum ursprünglichen Konzept der Krypta.

Die Basis des Weihwasserbeckens 4.19  Dom zu Essen, Basis, Westbau, südliche Emporenkammer, südliche Säule (Hauke Horn, 2012) belegen. Insofern liegt es nahe, die Basen der antikisieren-

Alte Werkstücke fanden beim gotischen Umbau des Münsters auch als Teile von Ausstattungsstücken eine neue Verwendung; so ein altes Kapitell, das heute als Basis des Weihwasserbeckens dient (Abb. 4.20).

den Säulen in der Krypta als spätere Ergänzungen anzuse-

Das Kapitell stellt eine Vereinfachung eines antiken

hen, die in der Zeit des gotischen Umbaus gefertigt wur-

ionischen Kapitells mit Voluten und dazwischenliegen-

den,703 was wiederum für einen Versatz spricht.

dem Eierstab dar. Abweichend vom Vorbild wurden aller-

Im Vergleich mit den gotischen Tellerbasen des Lang-

dings alle vier Seiten auf die gleiche Weise gestaltet. Das

hauses fällt die Verflachung der Basen der Kryptasäulen

ionische Kapitell wurde demnach nicht dreidimensional

recht moderat aus. Der untere Torus wurde immerhin als

begriffen, sondern zweidimensional als Muster in der Flä-

Wulst ausgeführt, im Unterschied zu den fast scheiben-

che aufgefasst, wie man es vergleichbar bei den Pfeilern in

artigen Tori in Chor und Langhaus. Diese moderate, aus

der Krypta oder dem thematisierten romanischen Pfeiler

entstehungszeitlicher Perspektive gar retrospektive Ge-

in der Südostecke des südlichen Nebenchores beobachten

staltung der Kryptasäulenbasen erweckt den Anschein,

kann. Da sich zudem auf der Westbauempore vergleich-

als habe man auf die modernsten gotischen Basenformen

bare ionische Kapitelle befinden (Abb. 4.21), lässt sich das

verzichtet und sich stattdessen bewusst an den alten Ba-

als Basis umgenutzte Kapitell des Weihwasserbeckens

sen orientiert, ohne diese aber getreu zu kopieren.

recht sicher in die ottonische Zeit des Stifts datieren.

703 Die Steinbearbeitung weist allerdings auf eine neuzeitliche Entstehung der jetzigen Basen hin, denn die Plinthen, die mit den Basen aus einem Stück gefertigt zu sein scheinen, wurden mit senkrecht zur Kante ausgeführten, sehr regelmäßigen Schlägen scharriert, im Gegenteil zu den Kapitellen und Kämpferwürfeln, die mit diagonal angesetzten Schlägen teils kreuzweise geflächt wurden. Gleichartig scharrierte Flächen finden sich an zahlreichen Werkstücken der Krypa, etwa an den Gesimsen, und weisen jeweils einen deutlich besseren Erhaltungszustand auf als die gespitzten Werkstücke. Es ist gut möglich, dass die scharrierten Werksteine im Zuge einer

der Restaurierungskampagnen des 19. Jahrhunderts eingefügt wurden. Die formale Gleichartigkeit, die bei den Gesimsen erkennbar angestrebt wurde, lässt darauf schließen, dass auch die Basen die älteren Stücke formgetreu imitieren, also die gotische Form wiederholen. 704 Über den ursprünglichen Aufstellungsort der Säulen kann allerdings nach derzeitigem Kenntnisstand nur spekuliert werden. Klaus Lange vermutet eine Verwendung in den Emporenarkaden des alten Chores (Ders. 2001, S. 37), aber eine Aufstellung im ehemaligen Obergeschoss der Krypta wäre ebenso denkbar.

168

4  DER DOM ZU ESSEN

4.20  Dom zu Essen, Weihwasserbecken, 14. Jh., mit wiederver­ wandtem, antikisierendem Kapitell aus der ottonischen Basilika (Hauke Horn, 2012) Aufgrund seiner Größe könnte das ionische Kapitell

4.21  Dom zu Essen, antikisierendes Kapitell nach dem Vorbild der ionischen Ordnung, Westbau, nördliche Emporenkammer, westliche Säule (Hauke Horn, 2012)

Alte Werkstücke als Zeichen der Tradition des Ortes

am Weihwasserbecken von den ottonischen Mittelschiff­

Wie bei den in situ integrierten Bauteilen der Kirche stellt

arkaden stammen. In der Literatur wird allgemein eine

sich auch bei den in neuem Kontext wiederverwandten

Entstehung des Weihwasserbeckens im Zuge des goti-

Werkstücken die Frage nach dem Grund ihrer Wiederver-

schen Umbaus angenommen, weil es naheliegt, dass das

wendung. Handelt es sich um rein wirtschaftliche Über-

Kapitell nicht lange nach dem Abbruch der Mittelschiff-

legungen oder können die alten Elemente als bewusst

wände in den neuen Kontext überführt wurde.

Dafür

eingesetzte Zeichen für die Tradition des Ortes aufgefasst

spricht auch der Fund zweier identischer Kapitelle bei der

werden? Dass man bei der Zweitverwendung des antiki-

Freilegung der Nischen in den Langhausseitenwänden im

sierenden Kapitells als Basis des Taufbeckens einen wirt-

19. Jahrhundert.706 Offenbar nutzte man das Abbruchma-

schaftlichen Vorteil erzielte, ist unbestritten, doch stellt

terial direkt für den Umbau der Langhauswände.

sich die Frage, ob dies die primäre Intention oder lediglich

705

Die Umfunktionierung eines alten Kapitells zu einer

ein willkommener Nebeneffekt war. Bei den in situ erhal-

Basis erinnert entfernt an den Umbau des Magdeburger

tenen Bauteilen konnte nachgewiesen werden, dass wirt-

Doms im 13. Jahrhundert, wo zahlreiche alte Kapitelle

schaftliche Gründe für die Integration nur eine nachgeord-

eine neue Verwendung als Basen der Säulen im Remter

nete Rolle spielten und somit eine planvolle Bewahrung

fanden (vgl. Abb. 3.10).707

des Alten intendiert war.708 Bewertet man die Zweitverwendung der alten Werkstücke nicht isoliert, sondern im ganz-

705 Zimmermann 1956, S. 197; Humann 1890, S. 28. 706 Humann 1890, S. 28. Der Verbleib der Kapitelle ist derzeit unklar.

707 Kap. 3.3.1. 708 Kap. 4.2.3; 4.3.2; 4.3.3.

169

4.4  DIE INSZENIERUNG DER TRADITION DES ORTES MITTELS DER AUSSTATTUNG

heitlichen Umbauprozess, dann liegt es nahe, ebenfalls von

Noch ein weiterer Punkt spricht gegen eine primär

planvollen Wiederverwendungen auszugehen, vergleich-

wirtschaftliche

bar mit dem Umgang von Spolien, die von einem anderen

nämlich dass eine solche Annahme eine gleichgültige

Ort absichtsvoll in einen neuen Kontext überführt wurden.

Einstellung gegenüber der Gestaltung impliziert, nach

Dies geschah auch bei den Säulen des ottonischen Doms zu

dem Motto: Egal wie es aussieht, Hauptsache es kostet we-

Magdeburg,

nig. Angesichts des hohen Aufwandes, der beim Umbau

709

nur dass diese Werkstücke aus der eigenen

Wiederverwendung

alter

Werkstücke,

Vergangenheit stammen und somit auf die eigene Tradi-

der Kirche um 1300 betrieben wurde, vor allem aber der re-

tion des Ortes verweisen. Insbesondere die antikisierenden

ligiösen Überzeugungen, die dahinter standen, erschiene

Säulen in der Krypta sind derart passend in deren architek-

es im Gegenteil befremdlich, wenn den Verantwortlichen

tonische Struktur eingebettet worden, dass von einer Verle-

das Aussehen bestimmter Teile der Kirche gleichgültig ge-

genheitslösung aus Sparsamkeit keine Rede sein kann.

wesen wäre.

4.4 Die Inszenierung der Tradition des Ortes mittels der Ausstattung Die Vielfältigkeit und Deutlichkeit, mit der beim goti-

der Krypta des Essener Doms aufgestellt ist, denn dessen

schen Umbau des Essener Doms auf die Tradition des

mit Blendmaßwerk verzierte Wände weisen ihn sicher als

Ortes Bezug genommen wurde, legt nahe, dass es sich

gotisches Werk aus. Die Dreiblätter im Couronnement er-

hierbei nicht bloß um ein rein formales Phänomen han-

lauben eine nähere stilkritische Datierung des Maßwerks

delt, sondern dass gezielt an die Vergangenheit erinnert

nach 1300;712 Merkmale, die auf eine Entstehungszeit nach

werden sollte. Wenn aber die Tradition des Ortes bewusst

1350 hindeuten, lassen sich nicht erkennen. Die Erwäh-

ins Gedächtnis gerufen werden sollte, dann müsste man

nung des Grabmals im Liber Ordinarius, welcher in die

erwarten, dass nicht nur die Architektur, sondern auch

zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert wird,713 liefert

andere Medien zu diesem Zweck genutzt wurden. Tat-

schließlich einen terminus ante quem für die Neuaufstel-

sächlich lässt sich im Folgenden aufzeigen, dass auch die

lung, so dass, alle Indizien zusammengenommen, von einer

Ausstattung der Kirche zur Inszenierung der Tradition des

Entstehung des Altfrid-Sarkophags in der ersten Hälfte des

Ortes instrumentalisiert wurde.

14. Jahrhunderts ausgegangen werden darf. Damit knüpft die Neugestaltung des Grabmals im Grunde nahtlos an die

4.4.1 Die Neuinszenierung des Altfrid-Grabmals

architektonischen Umbaumaßnahmen der Kirche an.

Kaum zufällig erfolgte im Zuge des gotischen Umbaus eine

oberirdische Präsentation des Grabmals in einem Zusam-

Neuinszenierung des Grabmals des Stiftsgründers Altfrid,

menhang mit der rheinischen Gruppe von Hochgräbern

der nach seinem Tod 874 nicht in seiner Bischofskirche,

für Heilige ab ca. 1300 zu sehen sei,714 wobei wohl insbe-

sondern im Essener Münster beigesetzt wurde.

Zimmermann wies zu Recht darauf hin, dass die neue

Weder

sondere die Grabmale im neuen Kölner Dom typbildend

die Gestalt noch die genaue Stelle des ursprünglichen

wirkten. Tatsächlich verehrte man Altfrid im mittelalter-

Grabmals ist bekannt; im Vergleich mit anderen frühmit-

lichen Frauenstift trotz fehlender Kanonisation als Heili-

telalterlichen Gräbern der sächsischen Eliten wäre wohl

gen,715 so dass eine symbolische Angleichung des Altfrid-

ein Bodengrab zu vermuten.

Grabes an Heiligengräber mittels der Art der Aufstellung

710

711

Den Hinweis auf eine grundlegende Neugestaltung des

wohl beabsichtigt war.

Altfrid-Grabes zur Zeit des Umbaus liefert die Gestalt des

Gleichwohl lässt sich die Entstehung von Hochgrä-

erhaltenen Steinsarkophags (Abb. 4.22), welcher derzeit in

bern nicht allein mit religiösen Beweggründen erklären,

709 Kap. 3.3.1. 710 Arens 1908, S. 245. 711 Zu frühmittelalterlichen Grabmalen: de Blaauw 2012. Ein Beispiel geben die Bodengräber von König Heinrich I. und Königin Mathilde in Quedlinburg. 712 Im deutschen Bereich tauchen Dreiblätter wohl zuerst am Straßburger Westbau Ende des 13. Jahrhunderts auf, Anfang des

14. Jahrhunderts werden sie schließlich häufig verwandt, z. B. in Oppenheim, Oberwesel oder der Sakristei von St. Gereon in Köln. Die Datierung von Arens, zwischen 1250 und 1350, setzt demnach zu früh an (Ders. 1908, S. 245). 713 Bärsch 2007, S. 21; Arens 1908, S. VIII. 714 Zimmermann 1956, S. 200f. 715 Cohausz 1974.

170

4  DER DOM ZU ESSEN

4.22  Dom zu Essen, Krypta, Sarkophag des hl. Bischofs und Stiftsgründers Altfrid, 1. Hälfte des 14. Jh. (Hauke Horn, 2012) denn bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts

Ordi­narius bezeugt.717 Auf diese Weise wurde sowohl die

setzte eine Tendenz ein, nicht-heilige Stifterpersönlich-

Beziehung Stiftsgründer  – Stiftspatrone bildlich in Szene

keiten mittels oberirdischer Grabmäler stärker in Erschei-

gesetzt, als auch eine Angleichung Altfrids an die Heiligen

nung treten zu lassen, wie dies etwa bei der oberirdischen

geschaffen und damit eine Heiligkeit Altfrids selbst impli-

Neuaufstellung des Sarkophags Kaiser Ottos des Großen

ziert, die im Essener Frauenstift ohnehin als gegeben be-

in Magdeburg geschah716 oder bei der Errichtung der be-

trachtet wurde.

rühmten Tumba für Heinrich den Löwen und seine Frau

Mit der neuen oberirdischen Aufstellung des Sarko-

Mathilde im Braunschweiger Dom. Insofern konnte das

phags gewann das Grabmal Altfrids an unübersehbarer

Altfrid-Grab sowohl als Heiligen- wie auch als Stiftergrab

körperlicher Präsenz im Kirchenraum, die mittels des

verstanden werden, wobei sich beide Ebenen in mittel-

neuen Aufstellungsortes weiter gesteigert wurde, denn

alterlicher Sichtweise wohl untrennbar miteinander ver-

der mit aktuellen Maßwerkformen prächtig geschmückte

mischten.

Sarkophag stand gemäß dem Liber Ordinarius in der Mitte

In diese Richtung zielte wohl auch die Aufstellung

der Vierung auf der Achse zwischen Kreuz- und Hochal-

verloren gegangener Statuen der Stiftspatrone Cosmas

tar und damit an einer der exponiertesten Stellen im Kir-

und Damian beim Grab des Stifters, welche der Liber

chenraum (Taf. 4.17).718 Ort und Gestalt des neuen Altfrid-

716 Kap. 3.3.2. 717 Arens 1908, S. 190. – Vermutlich wurden die Skulpturen beim Einsturz der Vierungsgewölbe Mitte des 15. Jahrhunderts irreparabel beschädigt. Dafür spricht auch der Entstehungszeitraum der um 1500 gefertigten Skulpturen Cosmas und Damians, die sich heute

an den östlichen Vierungspfeilern befinden (zu den Skulpturen: Kat. Essen 2009, S. 250f. (Michael Rief)). Der aktuelle Aufstellungsort kommt demjenigen des 14. Jahrhunderts also nahe, der symbolische Bezug zum Altfrid-Grab fehlt allerdings. 718 Arens 1908, S. 259f.

4.4  DIE INSZENIERUNG DER TRADITION DES ORTES MITTELS DER AUSSTATTUNG

Grabmals ergänzten sich demnach wechselseitig in dem

171

4.4.2 Die Kreuzsäule

offensichtlichen Streben, die Erinnerung an den heiligen Stiftsgründer visuell stärker in den Vordergrund zu rücken.

Direkt hinter dem Kreuzaltar, der in der Mittelachse der

Dazu trugen auch die Dimensionen des Sarkophags

Kirche unmittelbar vor der Vierung stand, befand sich laut

von ca. 2 × 0,6 × 1 Metern bei, die suggerieren, dass ein

Liber Ordinarius eine Kreuzsäule (Taf. 4.17, Abb. 4.23).723

kompletter menschlicher Körper in ihm ruhe, was die Vor-

Die Säule, welche heute vor dem Mittelfenster der östli-

stellung von der Person Altfrids erleichtert. Dass es sich

chen Chorwand steht, besteht aus einer attischen Basis

hierbei um ein inszenatorisches Mittel handelt, offenbarte

mit Plinthe, einer kannelierten Trommel, einem monoli-

die Öffnung des Grabes 1890, die neben einem beschä-

thischen, sich verjüngenden, gelb-braunen Marmorschaft

digten Schädel einen kleineren, romanischen Schrein aus

und einem korinthischen Kapitell. Während es sich bei

Holz zum Vorschein brachte, der einige Gebeine beher-

dem Schaft gemäß Material und Verarbeitung unstrittig

bergte.719 Hier zeigt sich eine Parallele zum spätgotischen

um eine antike Spolie handelt, konnte das korinthische

Grabmal der Königin Edith im Magdeburger Dom (vgl.

Kapitell als mittelalterliches Werk identifiziert werden,

Abb. 3.15), wo zusätzlich zu den stattlichen Dimensionen

wobei der genaue Entstehungszeitraum unklar bleibt.724

eine plastische Darstellung der Königin auf dem Deckel

Ob die Trommel in der Antike oder dem Frühmittelalter

die Vorstellungskraft des Betrachters anregt, obgleich

entstand, ist ebenso umstritten;725 die Datierung der Basis

nach jüngsten Forschungen »nur« ein schlichter Bleikas-

wurde nur selten thematisiert.726

ten mit den Gebeinen in dem Sarkophag ruht.

Im Mittelalter trug die Säule ein Kreuz,727 von dem

720

Ferner schuf man mit der oberirdischen Aufstellung

sich lediglich eine Inschrift aus vergoldetem Kupfer in

des Sarkophags in Essen ein Alleinstellungsmerkmal, wel-

Essener Domschatzkammer erhalten hat, welche der ­

ches das Altfrid-Grab gegenüber den Gräbern der Äbtis-

eine Äbtissin Ida als Auftraggeberin ausweist,728 die von

sinnen, die das Privileg der Bestattung im Kircheninneren

den meisten Autoren als diejenige Äbtissin gleichen

genossen, hervorhob, denn deren Gräber wurden nach wie

Namens, welche das Essener Frauenstift 965–971 leitete,

vor als Bodengräber angelegt.

Schließlich ermöglichte

identifiziert wird.729 Allerdings gibt es auch den Vorschlag,

die gestalterische Neuinszenierung des Grabmals auch

den ­Namen auf Ida, Äbtissin von Maria im Kapitol zu

dessen Neuinszenierung in der Liturgie des Stifts, in wel-

Köln und Schwester der Essener Äbtissin Theophanu, zu

che das Altfrid-Grab bei zahlreichen Gelegenheiten einbe-

beziehen und das Kreuz somit rund 100 Jahre später zu

zogen wurde.

datieren.730

721

722

719 Arens 1908, S. 247f. – Arens berichtet, dass der mittelalterliche Holzschrein, den man im Zuge der Aktion durch einen neogotischen ersetzte, verworfen wurde (Ders., S. 248f.). Im Katalog der Essener Domschatzkammer ist allerdings ein Minnekästchen verzeichnet, bei dem es sich um jenen mittelalterlichen Holzschrein handeln soll (Kat. Essen 2009, S. 95 (Anna Pawlik)). 1974 wurde der historistische Schrein seinerseits durch einen modernen ersetzt (Kat. Essen 2009, S. 166f (Anna Pawlik)). Der Schrein des 19. Jahrhunderts befindet sich ebenfalls in der Essener Domschatzkammer (Ebd., S. 168f.). 720 Kap. 3.4.4. 721 Pothmann 1987, S. 6–8. 722 Arens 1908, z. B. S. 176, 185, 191, 195. 723 Arens 1908, S. 260. – Die Grabungen unter Zimmermann brachten an dieser Stelle ein Fundament zu Tage, welches die Angabe im LO bestätigt (Ders. 1956, S. 195). Auf der Rekonstruktionszeichnung von Arens sind Altar und Säule demzufolge etwas zu weit östlich eingezeichnet. Die längsrechteckige Form des Fundamentblocks weist darauf hin, dass Altar und Kreuzsäule zusammen angelegt wurden. 724 Zweites Viertel 10. Jahrhundert: Zimmermann 1956, S. 197; MeyerBarkhausen 1952, S. 56. – Mitte 11. Jahrhundert: Pothmann 1997, S. 53; Beuckers 1994, S. 24f. – Das Kapitell weist Ähnlichkeiten zu den korinthischen Kapitellen des Westbaus auf, ohne jenen allerdings genau zu entsprechen. Angesichts der unklaren Datierung des Westbaus drehen sich die Argumente hinsichtlich der Datierung zur Zeit im Kreis. 725 Antik: Beuckers 1994, S. 24; Zimmermann 1956, S. 196. – Frühmittelalterlich: Meyer-Barkhausen 1952, S. 56. – Die Trommel verjüngt sich nach oben hin zum Schaft, muss also für den Schaft in seiner jetzi-

726

727

728 729 730

gen Form geschaffen worden sein. Der Schaft weist jedoch unten eine Bruchkante auf und scheint demzufolge ursprünglich länger gewesen zu sein. Ergo muss die Trommel nachträglich, vermutlich im Frühmittelalter, für die Kreuzsäule gefertigt worden sein. Dafür spricht auch der merkwürdige Fußring, der mit der Trommel aus einem Stück gefertigt wurde. Beuckers hält die Basis für antik, jedoch ohne entsprechende Argumente zu nennen (Ders. 1994, S. 24). Die Basis weicht im Material von den übrigen Teilen der Säule ab; zudem weist sie deutlich geringe Abnutzungspuren und im Unterschied zu Trommel und Schaft auch keine Reparaturen auf, so dass erwogen werden sollte, ob Trommel und Plinthe in der jetzigen Form aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammen, als die Kreuzsäule neu aufgestellt wurde (zur frühneuzeitlichen Baugeschichte der Säule: Pothmann 1997, S. 55). Grundlegend zum sog. Ida-Kreuz: Falk 2011. Das ottonische Kreuz wurde anscheinend im 15. Jahrhundert gegen ein silbernes ausgetauscht, welches mittlerweile in der Domschatzkammer aufbewahrt wird (Kat. Essen 2009, S. 140f. (Birgitta Falk)). Die Marmorsäule trägt heute ein modernes Kreuz der Künstlerin Lioba Munz (Pothmann 1997, S. 55). Zur Inschrift: Falk 2011, S. 154–157; Kat. Essen 2009, S. 57 (Sonja Hermann); Pothmann 2002, S. 136–138. Kat. Essen 2009, S. 56f. (Sonja Hermann); Pothmann 1997, S. 55; Zimmermann 1956, S. 195; Meyer-Barkhausen 1952, S. 56f. Beuckers 1994, S. 25. Im Katalog »Krone und Schleier« tendiert Beuckers hingegen vorsichtig zu einer Datierung ins 10. Jahrhundert (Kat. Krone und Schleier 2005, S. 170).

172

4  DER DOM ZU ESSEN

Die unklare Forschungssituation zum Entstehungskontext der Kreuzsäule belegt eindrucksvoll, welcher Wert der Säule als sichtbarem Zeichen von Geschichte beigemessen wurde, denn die Unklarheiten resultieren letztlich daraus, dass sich die unterschiedlichen Zeit- und Bedeutungsebenen derart komplex überlagern, dass die Grenzen zwischen Authentizität und Imitation verschwimmen. Die medialen Qualitäten der Säule liegen in ihrer vertikalen Höhenentwicklung, denn mit einer Höhe von rund 5,20 Meter zuzüglich der unbekannten Höhe des Kreuzes überragte sie die anderen Objekte der Kirche deutlich.733 So bildete die Kreuzsäule einen im ganzen Kirchenraum sichtbaren Fixpunkt, einen Dreh- und Angelpunkt in der optischen Wahrnehmung des Raumes, welcher der theologischen und liturgischen Bedeutung des Kreuzaltars Rechnung trug. Die Motive für die Errichtung der Kreuzsäule und deren theologischer wie ikonologischer Sinngehalt können in diesem Rahmen nicht erörtert werden. Unter der hier untersuchten Fragestellung ist primär von Interesse, dass die Kreuzsäule aus der Zeit der ottonischen Äbtissinnen unverändert in den Umbau der gotischen Zeit integriert wurde. Damit bildete die alte Kreuzsäule im neuen Kirchenraum auch ein Zeichen, das die glorreiche ottonische Vergangenheit des Damenstifts vor Augen führte. Insofern stand die Bewahrung der »originalen« Substanz im Vordergrund späterer mittelalterlicher Restaurationsbemühungen, die für das 15. Jahrhundert urkundlich nach-

4.23  Dom zu Essen, Kreuzsäule, 3. Viertel 10. Jh. oder Mitte 11. Jh., Säulenschaft antik. Originales Kreuz nur fragmentarisch erhalten, heutiges Kreuz von Lioba Munz, 1960er Jahre (Hauke Horn, 2012)

gewiesen sind,734 was Klaus Gereon Beuckers zu der treffenden Folgerung veranlasste: »Es ist auffallend, daß man den Korpus nicht einfach

Die Frage nach dem Entstehungskontext der Kreuzsäule schließt die Fragen ein, wie und wann die antike Spolie nach Essen kam. Ausgehend von der Datierung des Kreuzes in die Amtszeit der Essener Ida wies die ältere Literatur auf die Spolien hin, die Kaiser Otto der Große

erneuert hat, sondern die kompliziertere Form der Umarbeitung von Teilen gewählt hat, bei der […] Substanz erhalten blieb. Eine derartige Vorgehensweise kann nur mit der besonderen Wertschätzung des Bildwerkes erklärt werden.«735

zu jener Zeit für seinen Dombau nach Magdeburg trans-

Schließlich ergab sich mit der Neuinszenierung des Alt-

ferieren ließ.

Die Essener Marmorsäule, so die These,

frid-Grabes in der anschließenden Vierung eine sicher-

stamme aus dem Fundus der Magdeburger Spolien und

lich nicht unbeabsichtigte Verknüpfung der hochsymbo-

wäre demnach ein Geschenk des sächsischen Kaisers an

lischen Kreuzsäule mit dem Sarkophag des als Heiligen

das Essener Stift mit seinen Damen aus dem sächsischen

verehrten Stiftsgründers, zu dem ein axialer räumlicher

Hochadel.732

Bezug aufgebaut wurde.

731 Zu den Magdeburger Spolien s. Kap. 3.3.1. 732 Zimmermann vermutet, dass Ida sogar eine Enkelin Ottos des Großen gewesen wäre (Ders., S. 39). 733 Nach der Rekonstruktion Beuckers maß das ottonische Kreuz eine Höhe von 1,25 Metern; das silberne Nachfolgekreuz würde demnach die Dimensionen des Vorgängers widerspiegeln.

734 Meyer-Barkhausen 1952, S. 55. 735 Beuckers 1994, S. 31. Beuckers leitet daraus die interessante These ab, das silberne Nachfolgekreuz könnte im Kern noch das ottonischen Kreuz beinhalten (Ebd.).

731

4.4  DIE INSZENIERUNG DER TRADITION DES ORTES MITTELS DER AUSSTATTUNG

173

Besonders deutlich konnte dieser Bezug aus dem Mit-

zwischen den Altären für Maria Magdalena und Nikolaus

telschiff wahrgenommen werden, von wo es aufgrund

(Taf. 4.17), die ihrerseits vor dem ersten nördlichen bzw.

der perspektivischen Verkürzung erschien, als stünde die

südlichen Langhauspfeiler von Osten lokalisiert werden

Kreuzsäule unmittelbar vor dem Sarkophag Altfrids.

können.738 Der Leuchter stand demnach eine Jochbreite entfernt vor dem Kreuzaltar und zudem auf einer Achse

4.4.3 Der siebenarmige Leuchter

mit Kreuzsäule, Altfrid-Grab und Hochaltar. Aufgrund seiner stattlichen Maße von 2,26 × 1,88 Meter (Höhe × Breite)

Ein weiteres Ausstattungsstück aus der Zeit der ottoni-

besaß der siebenarmige Leuchter, wie die Kreuzsäule im

schen Prinzessinnen, das in den neuen gotischen Hal-

Langhaus, optisch eine hohe Präsenz, die im Dunkeln

lenraum integriert wurde, ist der siebenarmige Leuchter

oder Halbdunkeln durch eine Illumination mit Kerzen

(Abb. 4.24),736 den laut Inschrift Äbtissin Mathilde in Auf-

noch einmal gesteigert wurde.

trag gab, so dass er sicher in deren Amtszeit 971–1011 datiert werden kann.

Während Alfred Pothmann die theologische Sym-

Der aus Bronzegussteilen über einem

bolik des Leuchters darlegte,739 erarbeitete Vera Henkel-

Eisenkern zusammengesetzte Leuchter befand sich laut

mann dessen Bedeutung für die Memoria der Äbtissin

dem Liber Ordinarius im 14. Jahrhundert im Langhaus

Mathilde.740 Beide Sinnebenen blieben bei der Aufstellung

737

des Leuchters nach dem gotischen Umbau sicher erhal-

4.24  Siebenarmiger Leuchter, entstanden zwischen 971 und 1011 im Auftrag der Äbtissin Mathilde (© Domschatz Essen, Foto: Jens Nober, Essen)

ten, doch zusätzlich wurden sie nun von einer weiteren Sinnebene überlagert, denn als altes Kunstwerk im neuen Kirchenraum verwies der Leuchter wie die Kreuzsäule auch auf die große Vergangenheit des Damenstifts. Die Inschrift bewahrte die memoriale Funktion des Leuchters, der aufgrund dessen fortwährend bis in unsere Zeit an die Auftraggeberin kaiserlichen Geblüts erinnert und damit zugleich als eindeutiges Relikt aus der Epoche der ottonischen Äbtissinnen auf die Blütezeit des Damenstifts verweist.

4.4.4 Die Glasmalereien in den östlichen Chorfenstern Einen unverkennbaren Bezug zur Geschichte des Essener Stifts stellten die drei neuen Maßwerkfenster in der östlichen Chorwand her (Taf. 4.17), denn sie trugen Glasmalereien mit figürlichen Darstellungen der bedeutsamsten historischen Personen des Stifts. Die ungewöhnliche Situation des traditionsbedingt geraden Chorschlusses eignete sich in besonderer Weise für die Inszenierung eines speziellen Bildprogramms, denn sie bot aufgrund der Breite eine große Fläche, die frontal zum Betrachter im Kirchenraum hin ausgerichtet war. Zwar gingen die gotischen Glasfenster bei der Errichtung eines monumentalen Barockaltars im 18. Jahrhundert verloren,741 doch sind wenigstens zwei Fenster fragmentarisch durch unterschiedliche Schriftquellen überliefert. 736 Zum siebenarmigen Leuchter: Prechtel 2011; Kat. Essen 2009, S. 66f. (Ina Germes-Dohmen); Henkelmann 2007; Pothmann 2002, S. 140–143; Ders. 1997, S. 56–59. 737 Henkelmann schlägt eine Eingrenzung zwischen 990 und 1002 vor (Dies. 2007, S. 152). 738 Arens 1908, S. 262. – Heute befindet sich der Leuchter im ehemali-

gen Westchor. Auf den Aufstellungsort vor dem gotischen Umbau gibt es keine Hinweise, Henkelmann vermutet eine Aufstellung im Ostteil der Kirche (Dies. 2007, S. 166f.). 739 Pothmann 2002, S. 140; Ders. 1997, S. 56–59. 740 Henkelmann 2007, S. 162–167. 741 Arens 1908, S. 244.

174

4  DER DOM ZU ESSEN

Das große Chorfenster in der Mittelachse der Kirche

die axiale Anordnung die herausragende Bedeutung des

zeigte den Quellen zufolge ein Bildnis des Stiftsgründers

Gründers für das Damenstift zum Ausdruck, denn Grab-

Altfrid, der mittels einer Inschrift nicht nur genau be-

monument und Glasbildnis bildeten eine räumliche

zeichnet, sondern auch als Heiliger ausgewiesen war.742

Klammer um den Hochaltar, also den liturgischen Höhe-

Das südliche Chorfenster zeigte ein Bild der Äbtissin Mat-

punkt der Kirche.

hilde, die inschriftlich als »Mechtildis abbatissa, hujus

Schließlich erfolgte durch die Anordnung der Bild-

conventus olim mater pia« gewürdigt wurde, zusammen

nisse in den Chorfenstern eine Hierarchisierung der his-

mit einer bedeutsamen Persönlichkeit des 13. Jahrhun-

torischen Personen. Bischof Altfrid rückte im zentralen,

derts, König Rudolf I. von Habsburg (rex 1273–1291).

zugleich größten Chorfenster auch im übertragenen Sinn

743

Über die Darstellungen des nördlichen Fensters lässt

in den Mittelpunkt, während die Kaiserenkelin Äbtissin

sich nach derzeitigem Kenntnisstand leider nur spekulie-

Mathilde, aber auch König Rudolf im Seitenfenster dem

ren, angesichts der Bildnisse historischer Persönlichkei-

Stiftsgründer nachgeordnet wurden. Legitimiert werden

ten aus der Geschichte des Stifts in den beiden anderen

konnte die Erhebung Altfrids über die höchsten weltli-

Fenstern darf man aber wohl von einem übergreifenden

chen Autoritäten allein durch seine Verehrung als Heili-

Bildprogramm ausgehen und auch für das Nordfenster

ger, so dass dem entsprechenden Zusatz der Inschrift eine

ein solches Bildnis annehmen; in Frage kämen wohl vor

wichtige Bedeutung zukam; auch deshalb, weil Altfrid

allem Äbtissin Theophanu oder Äbtissin Ida, denn diese

nicht kanonisiert war.

waren durch die Inschriften als Erbauerin der Krypta bzw. als Stifterin der Kreuzsäule besonders präsent.

Auch Äbtissin Mathilde, die im Kirchenraum durch den siebenarmigen Leuchter nur indirekt repräsentiert

Das Bild König Rudolfs und die zugehörige Inschrift

wurde, gewann durch ihre figürliche Darstellung im Chor

im Südfenster sind für die Interpretation des gotischen

an Präsenz. Mittels der Platzierung des Bildnisses im

Umbaus im historischen Kontext von besonderer Wichtig-

Südfenster stellte man die hochadlige Äbtissin auch im

keit und werden deshalb in jenem Zusammenhang näher

übertragenen Sinne an die Seite des als Heiligen verehr-

diskutiert.

An dieser Stelle sei primär auf die figürlichen

ten Stiftsgründers Altfrid und brachte damit die herausra-

Darstellungen Altfrids und Mathildes hingewiesen, wel-

gende Stellung Mathildes, die sich im Kirchenraum subtil

che den Betrachtern des 14. Jahrhunderts und folgender

durch die Positionierung des Leuchters in einer Achse mit

Jahrhunderte unmissverständlich die beiden großen Per-

dem Altfrid-Grab manifestierte, im Medium der Glasma-

sönlichkeiten aus der älteren Vergangenheit des Stifts vor

lerei recht deutlich zum Ausdruck. Die bildliche Relation

Augen führten.

Mathildes zu König Rudolf lässt sich leider nicht rekonst-

744

Mit der Positionierung des Altfrid-Bildes am östli-

ruieren, doch lässt die Darstellung im selben Fenster dar-

chen Ende der Mittelachse schuf man über den Hochal-

auf schließen, dass man den sozialen Rang der Äbtissin,

tar hinweg einen axialen Bezug zum Altfrid-Grab in der

wohl aufgrund der direkten Abstammung von Kaiser Otto,

Vierung. Die Präsenz Altfrids im Kirchenraum wurde auf

sehr hoch einstufte.

diese Weise noch einmal gesteigert, denn die Glasmalerei, welche den als Heiligen verehrten Stiftsgründer aus

4.4.5 Die liturgischen Artefakte

der Sicht des 14. Jahrhunderts als lebendigen Menschen gezeigt haben muss, bildete einen narrativen Hintergrund

Neben den ortsfesten Artefakten hielten kostbare litur-

für den Sarkophag mit den originalen sterblichen Überres-

gische Geräte, die sich in ungewöhnlichem Umfang bis

ten des Hildesheimer Bischofs. So entstand ein Spiel mit

heute erhalten haben und die Essener Domschatzkammer

mehreren Realitätsebenen, das durch die sich teils einstel-

zu einer der wichtigsten Sammlungen ottonischen Kunst-

lende, theologisch ausdeutbare Lichtwirkung der Fenster

handwerks machen,745 die Erinnerung an die große Epo-

an Bedeutungstiefe gewinnen konnte. Zugleich brachte

che der ottonischen Prinzessinnen im Essener Stift wach.

742 Dies geht aus einer Notiz in einem Kalendarium aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Essener Domarchiv hervor, in welcher der Verfasser das Chorfenster hinter dem Hochaltar als Beleg für die Heiligkeit Altfrids anführt (zitiert bei Arens 1908, S. 241). 743 Arens 1908, S. 230, 232. – Die Fenster lassen sich durch die Eintragungen im Essener LO (Arens 1908, S. IXf.) und im Essener Äbt. Kat. (Seemann 1883, S. 32f.) rekonstruieren.

744 Kap. 4.5.2. 745 Die Objekte sind im jüngst erschienenen Katalog der Essener Domschatzkammer (Kat. Essen 2009) umfassend und mit weiterführenden Literaturangaben publiziert worden, so dass ich mich im Folgenden bei Literaturhinweisen meist auf den entsprechenden Katalogbeitrag beschränke. Die Katalogbeiträge finden sich in identischer Form auch im Kat. Essen 2008.

4.4  DIE INSZENIERUNG DER TRADITION DES ORTES MITTELS DER AUSSTATTUNG

175

tagen dort nachweisen.748 Damit nahm sie ihrem Rang entsprechend den ehrenvollsten Platz des Kirchraumes ein und stand zugleich in einem symbolischen axialen Bezug zu den anderen Artefakten der Kirchenmittelachse. Zugleich trug man die Goldene Madonna bei feierlichen Prozessionen mit und stellte auf diese Weise neue räumliche oder materielle Beziehungen her.749

Der Marsusschrein Ebenfalls auf dem Hochaltar stand der Marsusschrein, ein Hauptwerk ottonischer Goldschmiedekunst, das aufgrund seiner kostbaren Materialien »Goldene Kiste« genannt wurde. Der Schrein, welcher 1794 irreparablen Schaden erlitt, als man den Domschatz vor dem drohenden Einmarsch französischer Truppen in Sicherheit bringen wollte, wurde jüngst von Klaus Gereon Beuckers in das kunsthistorische Bewusstsein gerufen.750 Der Schrein wies mehrere Inschriften auf, die ihn als Stiftung der Kaiserin Theophanu und ihrer Nichte Äbtissin Mathilde ausweisen.751 Allerdings diente der Schrein interessanterweise nicht primär der Memoria der Auftraggeberinnen, sondern der Memoria Kaiser Ottos II., welcher mit einem außergewöhnlichen runden Brustbild aus Email an der Stirnseite des Schreins figürlich dargestellt und inschriftlich bezeichnet wurde.752 Der Marsusschrein war anscheinend mittig in die Predella eines Retabels eingelassen und befand sich folglich auf der Mittelachse der Kirche (Taf. 4.17).753 Dabei wies die Stirnseite mit dem Kaisermedaillon zum Altar hin, so dass bemerkenswerterweise nicht eine Darstellung des Heiligen, sondern das Brust-

4.25  Dom zu Essen, Goldene Madonna, datiert um 1000 (Poth­ mann 1993, S. 10)

bild Ottos II. die Hauptansicht bildete. Der Schrein wurde folglich in gotischer Zeit in erster Linie als Medium der Memoria Kaiser Ottos II. inszeniert, womit implizit an die

Die Goldene Madonna

imperiale Verbundenheit des Stifts erinnert wurde, die mit

Eine hervorgehobene Stellung nahm die berühmte »Gol-

der Nennung Mathildes als Auftraggeberin offen ersicht-

dene Madonna« ein (Abb. 4.25), die bildliche Repräsenta-

lich wird.

tion der Stiftspatronin, welche als das »älteste plastische Bild der Muttergottes«746 zum kunstgeschichtlichen Kanon

Die Vortragekreuze

frühmittelalterlicher Plastik zählt. Sie wird in der Litera-

Primär auf die Bewegung durch den Raum hin konzipiert

tur übereinstimmend in die Zeit der Äbtissin Mathilde da-

wurden die vier goldenen Vortragekreuze,754 die zu un-

tiert.747 Die prächtige Marienfigur mit dem Jesuskind auf

terschiedlichen Gelegenheiten durch den Kirchen- und

dem Schoß befand sich wahrscheinlich auf dem Hochal-

Stadtraum getragen wurden.755 Während die überaus kost-

tar, zumindest lässt sie sich bei zahlreichen hohen Fest-

bare Verzierung der Kreuze mit filigranen Goldschmiede-

746 747 748 749 750 751

752 Beuckers 2008, S. 133; Ders. 2006, S. 38, 47, 58f. 753 Beuckers 2008, S. 131–136. 754 Kat. Essen 2009, S. 64f.; 70f.; 78f.; 86f. (Klaus Gereon Beuckers); ­Pothmann 2002, S. 142–148. 755 Arens 1908, z. B. S. 176, 184, 187.

Kat. Essen 2009, S. 62 (Birgitta Falk). Ebd; Pothmann 2002, S. 138f.; Ders. 1997, S. 60–67. Arens 1908, z. B. S. 172f. Ebd., z. B. S. 170, 181–184. Beuckers 2006. Ebd., S. 35–54.

176

4  DER DOM ZU ESSEN

Das Kreuznagelreliquiar In engem Zusammenhang mit den Vortragekreuzen stand im liturgischen Gebrauch des 14. Jahrhunderts ein Kreuznagelreliquiar (Abb. 4.27), das sich aus zwei edelstein- und emailbesetzten Tafeln mit Bergkristallen in der Mitte, welche die Reliquie sichtbar machen, zusammensetzt, und aufgrund stilistischer Vergleiche als Geschenk der Äbtissin Theophanu angesehen wird.758 Im 14. Jahrhundert erfolgte interessanterweise eine Umarbeitung der Tafeln zu einem Vexillum, so dass das Reliquiar fortan wie die Kreuze bei Prozessionen mittels eines Stabes gut sichtbar über Kopfhöhe durch den Raum bewegt werden konnte. Am Kirchweihfest stand das Kreuznagelreliquiar etwa zusammen mit zweien der Vortragekreuze an der Spitze einer Prozession, welche den Kirchenbau umschritt.759 Im Zusammenhang mit dem Osterfest berichtet der Liber Ordinarius, dass das Kreuznagelreliquiar von zwei Vortragekreuzen flankiert wurde.760 Neben den vordergründigen theologischen Implikationen des In-Beziehung-Setzens von Kreuzreliquie und bildlichen Repräsentationen Jesu am Kreuz wurden bei dieser Inszenierung auch die beiden großen ottonischen Äbtissinnen vergegenwärtigt. Im Falle des Kirchweihfestes wurde durch das Umschreiten des Baus ein zusätzlicher Zusammenhang mit der Stiftskirche hergestellt. Schließlich dokumentiert die Umarbei-

4.26  Domschatzkammer Essen, Mathilden-Kreuz, entstanden zwischen 971 und 1011 im Auf­trag der Äbtissin Mathilde, bildliche Darstellung Mathildes auf dem Email am Kreuzfuß (Kat. Essen 2009, S. 87)

tung des Reliquiars im 14. Jahrhundert die Wertschätzung der ottonischen Artefakte nach dem Kirchenumbau und deren respektvolle Anpassung an die neuen liturgischen Bedürfnisse.

arbeiten, zahlreichen Edelsteinen, Gemmen und Emailplättchen allgemein vom Glanz der ottonischen Epoche

Das Theophanu-Evangeliar

im Stift kündete, riefen drei der Kreuze durch Inschriften

Das Andenken der Theophanu sicherte auch ein kostba-

ihre Auftraggeber ins Gedächtnis.756 Ein Kreuz vermachte

res Evangeliar mit einem Einband aus Gold, Juwelen und

Äbtissin Theophanu dem Stift, zwei Kreuze schenkte Äb-

einer eingelegten Elfenbeintafel, auf dem die Auftragge-

tissin Mathilde, davon eines gemeinsam mit ihrem Bru-

berin nicht nur inschriftlich genannt, sondern auch figür-

der Herzog Otto von Schwaben. Die beiden letztgenann-

lich dargestellt wird (Abb. 4.28).761 Das Motiv des Dedika-

ten Kreuze gewährleisteten eine besondere Präsenz ihrer

tionsbildes  – Theophanu überreicht das Evangeliar der

Auftraggeberin, denn die ottonische Äbtissin wurde auf

thronenden Maria mit dem Jesuskind auf dem Schoß – äh-

Emailplatten an den Füßen der Kreuze bildlich dargestellt;

nelt in auffallender Weise dem Dedikationsbild auf dem

einmal kniend vor der thronenden Maria (Abb. 4.26),757

Mathildenkreuz, so dass die Annahme naheliegt, dass sich

einmal gemeinsam mit ihrem Bruder.

Theophanu bewusst in die Tradition ihrer großen Vorgän-

756 Das vierte Kreuz wird aufgrund seines Stils ebenfalls in die Zeit Mathildes datiert (Pothmann 2002, S. 145). Beuckers geht von einer Umarbeitung unter Äbtissin Sophia (ab. 1011–1039) aus (Kat. 2009, S. 70). 757 Beuckers meint, dass es ich bei dem Mathildenkreuz um eine Arbeit handelt, die unter Äbtissin Theophanu im Gedenken an Mathilde geschaffen wurde (Kat. Essen 2009, S. 86).

758 Kat. Essen 2009, S. 14f. (Klaus Gereon Beuckers); Pothmann 2002, S. 150. 759 Arens 1908, S. 187. 760 Ebd., S. 205f. 761 Zum Evangeliar: Kat. Essen 2009, S. 182f. (Katrinette Bodarwé); Gass 2007. – Zum Einband: Kat. Essen 2009, S. 82f. (Anna Pawlik); Pothmann 2002, S. 149.

4.4  DIE INSZENIERUNG DER TRADITION DES ORTES MITTELS DER AUSSTATTUNG

177

4.28  Domschatzkammer Essen, Buchdeckel eines Evangeliars, entstanden zwischen 1039 und 1058 im Auftrag der Äbtissin Theophanu, bildliche Darstellung der Theophanu unten auf dem Rahmen (Pothmann 1993, S. 17) gerin stellen wollte.762 Das Evangeliar wurde nicht nur für besondere Messen genutzt, sondern auch bei Prozessionen mitgetragen.763

Die Artefakte im Kontext von Architektur und Tradition des Ortes Die summarische, unvollständige Aufzählung der herausragenden Objekte vermittelt eine Vorstellung davon, wie sehr der Kirchenraum nach dem gotischen Umbau von Artefakten aus der Frühzeit des Stifts durchdrungen war. Die auf diese Weise sichergestellte liturgische Kontinuität veranschaulichte auch die große Vergangenheit des Stifts. Auch wenn die primär liturgische Funktion der Artefakte unstrittig ist, stellt sich darüber hinaus jedoch die Frage,

4.27  Domschatzkammer Essen, Kreuznagelreliquiar, Tafelreliquiar Mitte 11. Jh., im 14. Jh. zu einem Vexillum umgearbeitet (© Dom­ schatz Essen, Foto: Jens Nober, Essen)

762 Die beiden Madonnen-Bilder ähneln wiederum der Goldenen Madonna im Essener Schatz, so dass diese möglicherweise als Vorbild diente.

inwiefern die Artefakte im 14. Jahrhundert auch der bewussten Inszenierung der Tradition des Stifts dienten, was natürlich Wissen um die Herkunft der Artefakte vo-

763 Kat. Essen 2009, S. 182 (Katrinette Bodarwé).

178

4  DER DOM ZU ESSEN

raussetzt. Aufgrund der Inschriften kann aber sicher davon ausgegangen werden, dass man das Alter der Objekte kannte, auch wenn man nicht erwarten darf, dass die Stücke gemäß heutigem Verständnis zeitlich richtig eingeordnet werden konnten. Dies verdeutlicht eine Urkunde über die Restauration des Kreuzes der Kreuzsäule 1413, in der man davon ausging, die Reliquien seien 200 Jahre zuvor in das Kreuz gelangt, obgleich das Kreuz zu jenem Zeitpunkt bereits 350–450 Jahre alt war.764 Das Zusammenspiel der verschiedenen Objekte untereinander und in Wechselwirkung mit der Architektur verdeutlicht exemplarisch die im Liber Ordinarius dargelegte Osterliturgie im Essener Stift. Am Karfreitag errichtete man auf der Empore des Westbaus ein Zelt als symbolisches Grab, in welchem das Kreuz der Kreuzsäule, das Theophanu-Evangeliar und wahrscheinlich auch das Kreuznagelreliquiar als materielle Repräsentationen Christi »beigesetzt« wurden, um sie am Ostermorgen »auferstehen« zu lassen.765 Zugleich waren durch die Artefakte die ottonischen Auftraggeberinnen und damit die Vergangenheit des Stifts gegenwärtig, so dass es kaum ein Zufall sein kann, dass der ottonische Westbau den architektonischen Rahmen für die liturgische Inszenierung bot. Mit den erstaunlich frühen bildlichen Darstellungen der Auftraggeberinnen auf einigen zentralen Werken, welche die Präsenz der Stifterin mittels ihrer Anschaulichkeit in gesteigertem Maße gewährleisteten, sorgten vor allem Mathilde und Theophanu für eine besondere Erinnerungskultur im Essener Stift. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das von Äbtissin Beatrix von Holte geschenkte Armreliquiar interpretieren (Abb. 4.29).766 Mit einem inschriftlich bezeichneten Bildnis am unteren Teil des Reliquiars stellte sich Beatrix selbstbewusst in die Tradition ihrer großen Amtsvorgängerinnen. Ferner kann wohl die feine gotische Fantasie-Architektur in der Hand des Reliquiars als Hinweis auf den gotischen Umbau der

4.29  Domschatzkammer Essen, Armreliquiar, entstanden um 1300 im Auftrag der Äbtissin Beatrix von Holte, bildliche Darstellung der Beatrix auf dem unteren Kompartiment (© Domschatz Essen, Foto: Jens Nober, Essen)

Kirche verstanden werden, der sich zu einem Großteil in

nach liturgischem Bedarf unterschiedliche Bezüge herzu-

der Amtszeit der Beatrix vollzog.

stellen. So wurde die Goldene Madonna zu wichtigen Fes-

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die Relation

ten an exponierter Stelle auf dem Hochaltar positioniert

der beweglichen Objekte zum architektonischen Raum an-

und damit auch ein symbolträchtiger axialer Bezug zu den

ders gestaltete als bei den Artefakten, die einen festen Platz

ortsfesten Objekten, Leuchter – Altfrid-Grab – Kreuzaltar

in der Kirche einnahmen und so in ein festes Beziehungs-

mit Kreuzsäule – Glasmalereien, aufgebaut (Taf. 4.17). Bei

gefüge eingebettet waren. Bei den liturgischen Gerätschaf-

anderen Gelegenheiten wurde die Madonna hingegen ge-

ten spielte demgegenüber die Bewegung durch den Raum

meinsam mit den Vexillen für Prozessionen genutzt, so

eine wichtige Rolle. Zudem boten sie die Möglichkeit, je

dass sich andere Bedeutungsgeflechte ergaben.

764 Meyer-Barkhausen 1952, S. 55f. 765 Bärsch 2007, S. 146–151, 195–198.

766 Kat. Essen 2009, S. 98f. (Melanie Prange); Prange 2007, S. 189–213.

179

4.5  RESÜMEE: DER ESSENER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

4.5 Resümee: Der Essener Dom und seine Tradition des Ortes 4.5.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Tradition des Ortes, denn es greift die Dimensionen eines vormaligen Quasi-Westquerhauses auf, das seinerseits auf

Räumliche Beziehungen

einen Vorbau der Gründungskirche zurückgeht.772 Weil der

Obwohl das alte Essener Münster um 1300 umfassend in

betreffende Langhauspfeiler neu fundamentiert wurde,

eine kreuzgewölbte Hallenkirche zeitgenössischer Prä-

scheidet die Nutzung alter Substanz als Erklärungsansatz

gung transformiert wurde, blieb die Tradition des Ortes

eindeutig aus; es muss sich um einen bewusst angelegten

allgegenwärtig und ist es noch heute.

räumlichen Bezug handeln.

Trotz der Substitution großer Teile der Bausubstanz

Interessanterweise orientierte man sich beim goti-

scheint im gotischen Grundriss die Gestalt der Kirche

schen Umbau des Münsters nicht nur im Grundriss an den

zur ottonischen Epoche des Stifts unverkennbar durch,

Dimensionen der alten Kirche, sondern auch hinsichtlich

denn die Umrisse blieben exakt erhalten, ebenso wesent-

der Höhe, denn die Schlusssteine der neuen Kreuzrip-

liche Binnenproportionen.767 Da man sich bereits zu otto-

pengewölbe liegen auf dem Höhenniveau der vormaligen

nischer Zeit eng am Grundriss des altsächsischen Grün-

Flachdecke im Mittelschiff.773

dungbaus orientierte,

768

hallt mit einigen Abstrichen sogar

dessen Disposition noch im gotischen Bau nach.

Die Proportionen des Essener Doms spiegeln somit weitgehend die Proportionen des spätottonischen Müns-

Die Weiternutzung alter Fundamente, die sich aus

ters wider, demgegenüber lediglich die Seitenschiffe er-

wirtschaftlichen Gründen vermuten ließe, kann nicht, wie

höht wurden. Damit erklärt sich auch, warum der Esse-

in der Literatur häufig geschehen, als Erklärung für dieses

ner Dom von außen trotz seiner gotischen Formensprache

Phänomen herangezogen werden, denn sie ist schlicht-

nicht typisch gotisch wirkt, was mit dazu beigetragen ha-

weg falsch.769 So stehen die neuen Rundpfeiler der goti-

ben mag, dass die Kirche primär als ottonischer Bau im

schen Halle zwar exakt in der Flucht der vormaligen Mit-

Bewusstsein der kunstgeschichtlichen Forschung veran-

telschiffwände, doch wurden sämtliche gotischen Pfeiler

kert ist: Es sind die für einen gotischen Bau ungewöhn-

unter partiellem Abbruch der alten Streifenfundamente

lichen Proportionen, denn der Essener Dom zelebriert

auf neu angelegten Einzelfundamenten gegründet. Ganz

nicht die andernorts gewohnte gotische Vertikalität, son-

ähnlich verfuhr man bei der Integration der alten Seiten-

dern wirkt durch seine Lagerung in der Breite für das

wände oder des unteren Kryptageschosses.770 Dort musste

14. Jahrhundert altmodisch. Dies ist aber folglich weder

das Mauerwerk jeweils der Jocheinteilung entsprechend

Ausdruck einer Rückständigkeit noch mit der Zugehörig-

aufwändig bis zum Erdboden durchschlagen werden, um

keit zu einer Kunstlandschaft zu erklären, sondern resul-

dazwischen die neuen gotischen Strebepfeiler auf eigenen

tiert primär aus der weitgehenden Bewahrung der alten

Fundamenten hochzumauern.

Kubatur des Münsters.

Die Adaption des alten Umrisses führte zur unge-

Es lässt sich demnach bereits an dieser Stelle festhal-

wöhnlichen und neuartigen Anlage eines rechteckigen

ten, dass die Tradition des Ortes die architektonische Form

Hallenchores, denn man erweiterte den Chorraum im vor-

des Essener Doms in wesentlichem Maße mitbestimmte.

gegebenen Rahmen der alten Außenkrypta.771 Somit resul-

Aus stilgeschichtlicher Sicht unerklärbare Formen, wie

tiert die innovative Chordisposition ironischerweise aus

etwa der rechteckige Hallenchor, gingen unzweifelhaft aus

der Tradition des Ortes. Die alte Apsis spiegelt sich im go-

der Tradition des Ortes hervor. Damit ist jedoch noch nicht

tischen Grundriss noch in Form des eigenartigen trapez-

gesagt, ob bewusst auf die Tradition des Ortes Bezug ge-

förmigen Joches in der Mittelachse. Eine weitere Irregu-

nommen wurde oder ob sie eher zufällig und ohne tieferen

larität des gotischen Grundrisses, das westliche Joch des

Sinn zum Ausdruck kommt, weil man sich den Gegeben-

Mittelschiffes, welches aus dem gleichmäßigen Rhythmus

heiten des Ortes z. B. aus ökonomischen Gründen anpas-

der übrigen Joche ausbricht, erklärt sich ebenfalls aus der

sen musste. Dies ist jedoch eine entscheidende Frage.

767 768 769 770

771 Kap. 4.3.2. 772 Kap. 4.2.2. 773 Kap. 4.2.4.

Kap. 4.2.2. Kap. 4.2.1. Kap. 4.2.3. Kap. 4.3.2; 4.3.3.

180

4  DER DOM ZU ESSEN

Bei näherer Betrachtung deuten die einzelnen Maßnahmen häufig auf ein gewolltes Vorgehen hin. So stell-

und Akustik basierenden Beziehungen zwischen den Geschossen bewahrt.

ten, um beim Beispiel zu bleiben, die Realisation des

Während die Gebäudeteile eigenständige räumliche

Hallenchores und die damit verbundene Inkorporation

Einheiten definieren, die eigene tektonische Strukturen

der Krypta den verantwortlichen Baumeister vor nicht

besitzen, mussten die alten Bauteile, welche beim goti-

zu unterschätzende Schwierigkeiten. Um die Bauaufgabe

schen Umbau in situ erhalten werden sollten, in die neue

im vorgegebenen Rahmen überhaupt lösen zu können,

tektonische Struktur der kreuzgewölbten Hallenkirche

musste er schließlich nicht weniger als einen neuen Bauty-

eingebettet werden. Die Bewahrung der unteren Seiten-

pus erfinden und schließlich ein kompliziertes Verfahren

schiffwände erforderte hierfür, wie bereits oben erwähnt,

wählen, um die statisch notwendigen neuen Strebepfeiler

ein aufwändiges Verfahren, um die für die Aufnahme

mit eigenen Fundamenten in das alte Kryptamauerwerk

des Gewölbeschubs notwendigen Strebepfeiler in die alte

zu integrieren.

Wandstruktur einzufügen. Auf diese Weise gelang es auch, den Laufgang und damit die liturgisch genutzte Wegever-

Materielle Bezüge

bindung zwischen dem Querhaus und der Westbauem-

Noch deutlicher auf eine bewusste Inszenierung der Tra-

pore zu erhalten.

dition des Ortes weisen die signifikanten materiellen Be-

Weniger von konstruktiver, aber von gestalterischer

züge zur Vergangenheit hin. Während das Erkennen der

Seite anspruchsvoll fiel der Anschluss des neuen Hal-

räumlichen Beziehungen des gotischen Münsters zum

lenraumes an Querhaus und Vorchor aus, welche schon

vorherigen Bauzustand Kenntnisse über dessen Gestalt

vor dem Beginn des gotischen Umbaus eine hybride ar-

voraussetzt, die zumindest zur Bauzeit vorhanden waren,

chitektonische Struktur aus ottonischen, vielleicht sogar

können die materiellen Bezüge der Kirche zur Tradition

altsächsischen Pfeilern und spätromanischen Kreuzgrat-

des Ortes augenscheinlich wahrgenommen werden. Die

gewölben und Kapitellplastiken besaßen. Indem man die

besondere visuelle Qualität der Materie mag der Grund

neue Struktur an die bestehende anpasste, sie jedoch kon-

dafür sein, dass diese Strategie der Traditionsvergegen-

trastierend in einer zeitgenössischen Formensprache rea-

wärtigung beim Umbau des Essener Münsters um 1300

lisierte, schuf man eine interessante Lösung, die sich pro-

auf eine erstaunlich vielfältige und vielschichtige Weise

grammatisch interpretieren lässt: Neu und Alt definieren

zum Einsatz kam. Damit bietet der Essener Dom ein her-

sich wechselseitig, wobei die Zeitschichten der übergeord-

vorragendes Fallbeispiel, um materielle Bezüge zur Tradi-

neten Struktur der Kirche gleichberechtigt untergeordnet

tion des Ortes kategorial zu differenzieren.

werden.

Als erste Kategorie wären die in situ integrierten Teile

Eine zweite Kategorie bilden alte Teile der Architek-

der Architektur zu nennen, deren Dimensionen beträcht-

tur, die in einem neuen Kontext in die Kirche integriert

lich differieren können. Mit dem Westbau, dem Atrium

wurden.775 Hierzu zählen der romanische Pfeiler im süd-

und der Krypta integrierte man große Gebäudeteile aus

lichen Nebenchor, die Basis des Weihwasserbeckens und

der Epoche der ottonischen Äbtissinnen in die gotische

wohl auch die beiden antikisierenden Säulen der Krypta.

Hallenkirche.

Obgleich die alten Gebäudeteile, insbe-

Die Anzahl von alten Werkstücken in einem neuen Kon-

sondere der Westbau, die Tradition des Ortes innen und

text fällt im Vergleich zur großen Masse der in situ inte­

außen signifikant zur Geltung bringen, gelang es, die ge-

grierten Bau- und Gebäudeteile gering aus. Vielleicht

schichtsträchtigen Teile sublim in das vereinheitlichende

fehlte aufgrund der hohen Präsenz alter Bausubstanz in

Konzept der gotischen Hallenkirche miteinzubeziehen,

situ schlichtweg der Anlass, alte Werkstücke neu zu kon-

indem die alten Teile räumlich umfasst oder überlagert

textualisieren.

774

und auf diese Weise dem neuen Baukörper geradezu in-

Bei der Wiederverwendung des alten Pfeilers im süd-

korporiert wurden. Damit gelang zugleich eine Bewah-

lichen Nebenchor wählte man eine ähnliche Strategie

rung alter Raumbezüge, die wiederum die Bewahrung li-

wie bei der Integration der romanischen Struktur in Vie-

turgischer Traditionen ermöglichte. So blieben durch den

rung und Vorchor: Man schuf einen sichtbaren formalen

Erhalt der achteckigen Öffnungen in der Decke zwischen

Kontrast, ordnete das alte Teil aber der übergreifenden

alter Krypta und neuem Chor die vornehmlich auf Licht

Tragstruktur des Raumteils unter. Die Säulen der Krypta

774 Kap. 4.3.2.

775 Kap. 4.3.4.

181

4.5  RESÜMEE: DER ESSENER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

passte man hingegen derart gut in die tektonische Struk-

keiten des Stifts (Taf. 4.17). Gemeinsam mit den beiden

tur ein, dass erst eine bauforscherische Analyse belastbare

Altären, den liturgischen Mittelpunkten des Kirchenrau-

Indizien für einen Versatz liefern konnte. So entpuppen

mes, bildeten somit ausnahmslos Objekte und Artefakte,

sich die Basen bei näherer Betrachtung als Imitationen äl-

die in besonderer Weise mit der Tradition des Ortes in Ver-

terer Formen aus jüngerer, wahrscheinlich gotischer Zeit.

bindung standen, das Rückgrat der Kirche.

Sollten die Säulen tatsächlich beim gotischen Umbau in

Der Westbau aus der ottonischen Blütezeit des Stifts

die Krypta versetzt worden sein, so hätte man die alten

setzte insofern einen passenden architektonischen Auf-

Elemente in bemerkenswertem Geschichtsbewusstsein in

takt für diese Achse der Erinnerung im Essener Münster.

eine historisch authentische Umgebung integriert und zu-

In diesem Kontext diente der Westbau also in erster Linie

dem nahezu stilgetreu ergänzt.

als Erinnerungsträger der eigenen Historie; die königliche

Die Basen der Kryptasäulen fallen somit in eine spezielle Kategorie materieller Bezüge zur Tradition des Or-

Symbolik des Westbaus bildete folglich einen Verweis auf die königsnahe Vergangenheit des Stifts.778

tes, nämlich der Imitation alter Formen. Ein weiteres

Auch die mobilen Artefakte des Kirchenschatzes wur-

Beispiel für eine derartige Imitation liefern die Kämpfer-

den zur Inszenierung der Tradition des Ortes herange-

platten der Vierungspfeiler, die bereits im dritten Viertel

zogen,779 indem sie zeitweise stationär in das axiale Be-

des 12. Jahrhunderts nach dem Vorbild der spätottoni-

zugssystem eingebettet wurden, etwa wenn die Goldene

776

schen Kämpferprofile in der Kirche gefertigt wurden.

Madonna auf dem Hochaltar stand. Die kleinen Objekte

Dass diese beiden Beispiele alleine stehen, mag wiederum

ließen sich aber auch im Rahmen liturgischer Hand-

der Tatsache geschuldet sein, dass noch eine große Masse

lungen durch den Kirchenraum bewegen, um somit be-

authentischer alter Materie im Kirchenraum existierte, so

sondere Bezüge zum Kirchenraum zu schaffen, wie sie

dass schlichtweg wenig Notwendigkeit zur Nachahmung

beispielsweise in der symbolischen Bestattung und Aufer-

bestand. Dennoch sind die beiden Beispiele im hiesigen

stehung von Objekten auf der Westbau-Empore im Rah-

Untersuchungskontext von großem Interesse, denn sie be-

men der Osterliturgie zu erkennen sind.

legen einen Willen zur Einbindung alter Formen in den

Die bildliche Inszenierung der Tradition des Ortes mit-

Kirchenbau. Ferner belegen sie, dass die Steinmetze des

tels Ausstattung und Artefakten bildet damit unverkenn-

Hochmittelalters in der Lage waren, ältere Formen nach-

bar eine Parallele zur architektonischen Inszenierung der

zuahmen.

Tradition des Ortes mittels der Integration alter Architekturteile. Beide Gestaltungsmuster erscheinen als Mittel ei-

Objektsysteme

nes übergreifenden Konzeptes, das mittels der physischen

Schließlich bildet die Weiterverwendung und Neuinsze-

Präsenz der Materie auf eine sichtbare Vergegenwärtigung

nierung der alten Ausstattungsstücke und Artefakte eine

der Tradition des Ortes abzielte.

eigene Kategorie, welche die Tradition des Ortes auf ihre Weise widerspiegelt.777

4.5.2 Einordnung in den historischen Kontext

Die großen Objekte stehen durch ihre feste Verortung im Kirchenraum explizit in einem architektonischen

Differenzierung der Essener Tradition des Ortes

Kontext wie auch in festen räumlichen Beziehungen zu-

Damit stellt sich als weiterführende Frage, warum die

einander. Es fällt auf, dass diese immobilen Objekte im

Essener Stiftsdamen des 13./14. Jahrhunderts ein derart

Essener Münster nach dem gotischen Umbau in einem

großes Interesse an der Tradition des Ortes hegten, dass

streng axialen Bezugssystem verortet wurden. Beginnend

der Umbau der Kirche in so bedeutendem Maße davon

im Westen befanden sich in der Mittelachse der Kirche:

mitgeprägt wurde.

der ottonische Westbau – der siebenarmige Leuchter – der

Zunächst muss dazu geklärt werden, wie sich die Esse-

Kreuzaltar  – die Kreuzsäule  – das Altfrid-Grabmal  – [die

ner Tradition des Ortes eigentlich definieren lässt. Im Ver-

Theophanu-Krypta in der unteren Ebene]  – der Hochal-

gleich etwa mit dem Magdeburger Dom, wo Kaiser Otto

tar – darauf die Goldene Madonna – der Marsusschrein –

der Große und seine erste Frau Edith den Kern der Tradi-

Glasmalereien mit Darstellungen historischer Persönlich-

tion des Ortes bildeten,780 lässt sich die Tradition des Or-

776 Kap. 4.3.3. 777 Kap. 4.4. 778 Vgl. Kap. 4.5.2.

779 Kap. 4.4.5. 780 Kap. 3.5.2.

182

4  DER DOM ZU ESSEN

tes in Essen nämlich weniger genau personal fokussieren.

Damit soll selbstverständlich nicht negiert werden,

Vielmehr ergibt sich aus einem Zeitraum von rund 200

dass Architektur und Artefakte mit ihrer primär religiösen

Jahren, als das Stift auf das Engste mit dem herrschenden

Funktion und Symbolik in erster Linie  – natürlich  – der

sächsischen Hochadel verbunden war, eine vielschichtige,

Feier der Liturgie dienten.784 Aus theologischer Sicht han-

aber unscharfe Tradition des Ortes. Gleichwohl traten ei-

delte es sich dabei nicht bloß um einfache Gebrauchsgü-

nige Persönlichkeiten aus dieser Epoche stärker hervor als

ter, sondern um Medien zur Vergegenwärtigung der Heils-

andere und eigneten sich damit besser, die Tradition des

geschichte. Insofern lassen sich das visuelle Bezugssystem

Ortes zu repräsentieren. Insofern lassen sich verschiedene

und seine Kompartimente auch immer theologisch deu-

Traditionsschichten differenzieren, die sich überlagern

ten. Im Umkehrschluss wurde die Vergangenheit des Stifts

und in einem Geflecht wechselseitiger Beziehungen ge-

mittels der untrennbaren Verknüpfung von theologischer

meinsam die Tradition des Ortes im 13. Jahrhundert bil-

und memorialer Sinnschicht gleichsam den irdischen

deten.

Dingen enthoben und in der Heilsgeschichte verortet.

Die Basis-Schicht ist die Altfrid-Tradition, die Erinne-

Beim liturgischen Totengedenken, der Memoria, durch-

rung an den bischöflichen Stiftsgründer von sächsischem

drangen sich Theologie und personale Erinnerung offen-

Adel, dessen Person durch die Verehrung als Heiliger

sichtlich.785 Für die Auftraggeber der Architektur und Arte-

überhöht wurde und eine religiöse Dimension gewann.781

fakte stand die eigene Memoria zur Sicherung des Seelen-

Als Grabeskirche Altfrids fungierte die Essener Stiftskir-

heiles wohl im Vordergrund, wobei sich deren gleichzeitiger

che somit zugleich als Hülle des Heiligengrabes. An der

Nutzen zur Selbstdarstellung nicht übersehen lässt.786

Neugestaltung und -inszenierung des Altfrid-Grabmals

Bei der Betrachtung der späteren Nutzung der Objekte

in der umgebauten gotischen Kirche lässt sich die Bedeu-

betritt man jedoch eine andere zeitliche Ebene des Dis-

tung dieser Tradition klar erkennen. Die Herkunft Altfrids

kurses. Wenn beispielsweise die Stiftsdamen um 1300 die

stellte eine Verbindung des Essener Frauenstifts mit der

memorialen Artefakte der rund 300 Jahre zuvor verstor-

sächsischen Elite her, die im 10. Jahrhundert dazu führte,

benen Äbtissin Mathilde nutzten, schauten sie aus einer

dass Angehörige des ottonischen Kaiserhauses die Ge-

fernen, eigenen Perspektive auf die Zeit der ottonischen

schicke des Stifts leiteten.782

Prinzessin. Für spätere Generationen boten die historisch

Die Blütezeit des Essener Damenstifts mit den ottonischen Prinzessinnen an der Spitze, insbesondere de-

konnotierten Objekte folglich die Möglichkeit, die eigene Stiftsvergangenheit zu vergegenwärtigen.

ren Exponentinnen Mathilde und Theophanu, blieb tief

Im hiesigen Untersuchungskontext interessieren so-

im kollektiven Gedächtnis des Stifts verankert und bildet

mit weniger die memorialen Intentionen der Auftrag-

somit eine weitere Schicht der Tradition des Ortes.783 Auf-

geber, sondern die Zielsetzungen, welche die Nutzer des

grund ihrer prächtigen Schenkungen und architektoni-

13./14. Jahrhunderts verfolgten, wenn sie die Erinnerungs-

schen Leistungen blieben die ottonischen Äbtissinnen im

funktion der Architektur und Artefakte derart signifikant

gotischen Kirchenraum sehr präsent. Zugleich dokumen-

aktivierten.

tierte dieses visuelle Bezugssystem aus Architektur und Artefakten die ehemalige dynastische Verflechtung mit

Die Privilegien des Stifts

dem ottonischen Kaiserhaus. Mit dem Bildnis Ottos II. auf

In diesem Hinblick zeigt sich, dass das Essener Damen-

dem Marsusschrein wurde ein Kaiser sogar persönlich im

stift im 13. Jahrhundert einen privilegierten Status genoss,

Kirchenraum vergegenwärtigt, so dass die Essener Tradi-

der sich allein auf die Tradition stützte. Die engen dynasti-

tion des Ortes erkennbar eine kaiserliche Tradition war.

schen Verflechtungen mit dem sächsischen Hochadel vom

781 Zur Verehrung Altfrids als Heiligen zusammenfassend: Cohausz 1974. 782 »Die Verbindung zwischen Essen und den Liudolfingern erscheint wesentlich enger als dies der bloße Blick [...] auf die urkundliche Überlieferung suggeriert.« (Schilp 2001, S. 156). Spätestens für Adalwif, der dritten Äbtissin des Stifts, gilt die Herkunft aus dieser sächsischen Adelsfamilie als »sehr wahrscheinlich« (Ebd.). 783 Dies beweist auch die Essener Memorialüberlieferung. So wurden im kurz vor 1300 angelegten Nekrolog alle ottonischen Herrscher sowie zahlreiche Verwandte mit in das Totengedenken des Stifts einbezogen (Fischer 2008, S. 274).

784 Grundlegend zur liturgischen Sachkultur im Damenstift Essen: Bärsch 2007. 785 Die Erforschung des mittelalterlichen Essener Damenstifts unter dem Gesichtpunkt der Memoria und ihrer unterschiedlichen Dimensionen wurde in jüngster Zeit vom Essener Arbeitskreis für die Geschichte der Frauenstifte um Thomas Schilp wesentlich vorangetrieben. Siehe dazu insbesondere den entsprechenden Sammelband: Schilp 2008a. 786 Für den Aspekt der Selbstdarstellung bei memorialen Objekten hat sich der Begriff der »Fama« eingebürgert, der wohl kaum bis gar nicht von der Memoria zu trennen ist (Schilp 2008b, S. 25).

183

4.5  RESÜMEE: DER ESSENER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

9.–11. Jahrhundert machten Essen nämlich zu einem der

Die Ermordung oder Tötung des Kölner Erzbischofs

vornehmsten Damenstifte im Reich, das mit besonderen

Engelbert I., der Partei für die Essener Äbtissin ergriffen

Privilegien und Rechten ausgestattet wurde. In der kirch-

hatte, durch Gefolgsleute Friedrich von Isenbergs 1225

lichen Ordnung unterstand das Essener Stift spätestens

führte zum Übergang der Essener Vogtei auf die Kölner

seit Mitte des 10. Jahrhunderts, vermutlich aber schon im

Metropoliten.792 Auf diese Weise konnte der gräfliche An-

9. Jahrhundert, unmittelbar dem Papst und war folglich

griff auf die Landeshoheit der Essener Äbtissin zunächst

nicht der Jurisdiktion des mächtigen Kölner Erzbischofs

abgewehrt und stattdessen die eigene Herrschaft gefestigt

unterworfen.787 Damit verbunden war das für die Unab-

werden. Infolgedessen wird die Essener Äbtissin 1230 von

hängigkeit des Stifts wichtige Privileg der freien Äbtissin-

König Heinrich (VII.) erstmals als Reichsfürstin tituliert.793

nenwahl. Der kirchlichen Exemtion entsprach im welt-

Doch nur wenige Jahrzehnte später befand sich die

lichen Machtgefüge die reichsunmittelbare Stellung des

Essener Frauengemeinschaft in einer noch prekäreren

Damenstifts, welches unter den ottonischen Königen Im-

politischen Lage, denn die Kölner Erzbischöfe versuchten

munität und Königsschutz zugesprochen bekam.

Statt

nun ihrerseits zunehmend, die Essener Vogtei als macht-

der Gewalt eines Grafen unterstellt zu sein, bekam die

politisches Instrument zu nutzen, um die Herrschaft über

788

Essener Äbtissin damit quasi selbst gräfliche Rechte zu-

das Essener Stiftsgebiet zu erlangen. Der Kölner Expan-

gesprochen, für deren Wahrnehmung und Durchsetzung

sionsdrang gefährdete die Existenz der geistlichen Lan-

sie einen Vogt als ihren Vertreter bestimmen durfte.789 Da-

desherrschaft in einem bis dato nicht gekannten Maße,

mit einher gingen die wirtschaftlich wichtigen Rechte auf

da jetzt nicht nur der Verlust der Reichsunmittelbarkeit,

Zoll, Markt und Münze.790

sondern auch die Aufhebung der päpstlichen Exemtion aus dem erzbischöflichen Machtbereich drohte. Äbtissin

Die historische Situation im 13. Jahrhundert

Berta von Arnsberg (ab. 1243–1292) griff deshalb zu einer

Der umfassende Umbau der Essener Kirche um 1300 fällt

für das Mittel­alter außergewöhnlichen und mutigen Maß-

auffälligerweise in eine Zeit, in welcher der Status und die

nahme und machte tatsächlich von ihrem Vogtwahlrecht

Unabhängigkeit des Essener Damenstifts existentiell ge-

Gebrauch. Nach dem Tod des Kölner Erzbischofs En-

fährdet waren.

gelbert II. von Falkenburg hielt sie dessen Amtsnachfol-

Nachdem die Protektion des Essener Stifts durch

ger Siegfried von Westerburg die Vogtei vor und wählte

die königliche Autorität mit dem Ende des ottonischen

stattdessen 1275 keinen geringeren als König Rudolf von

Hauses seit der Mitte des 11. Jahrhunderts zunehmend

Habsburg zum Essener Vogt,794 von dem sie sich kurz zu-

schwand, setzte aufgrund des aus Essener Sicht ungüns-

vor noch die alten königlichen Privilegien hatte bestä-

tigen Kräfteverhältnisses zwischen der Äbtissin und dem

tigen lassen.795 Mit diesem brillanten Schachzug gelang

Vogt eine für das Damenstift bedrohliche Entwicklung

es Berta, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu ver-

ein. Obwohl der Vogt de jure nur als Vertreter der Äbtissin

schieben und den Anspruch des Kölner Metropoliten mit-

agierte, trat er aufgrund seiner praktischen Machtbefug-

telfristig abzuwehren.

nisse de facto in zunehmendem Maße in Konkurrenz um

Es liegt auf der Hand, dass der König nicht auf Dauer

die Herrschaft über das Stiftsgebiet. Eine erste Zuspitzung

die weltliche Gewaltenvertretung im Essener Stiftsgebiet

erlebte der Machtkampf zwischen Äbtissin und Vogt zu

übernehmen konnte. Insofern stellte Berta von Arnsberg

Beginn des 13. Jahrhunderts, als Graf Friedrich von Isen-

nach der Niederlage Siegfrieds von Westerburg in der

berg gewaltsam versuchte, der Äbtissin das Vogtwahlrecht

Schlacht von Worringen 1288 erneut ihr politisches Ge-

zu entziehen und stattdessen in ein Erbrecht umzuwan-

schick unter Beweis und nutzte die historische Gelegen-

deln, um seine landesherrschaftlichen Ansprüche auf das

heit, um die Essener Vogtei vom König auf den Grafen

Stiftsgebiet dynastisch zu zementieren.791

Everhard von der Mark übertragen zu lassen, der mit dem

787 Schilp 2001, S. 165–167; Bettecken 1988, S. 50–58. – Den ältesten sicheren Beleg liefert eine um 951 ausgestellte Urkunde Papst Agapits II., mit der jedoch ältere Privilegien bestätigt wurden. 788 Gerchow 2004, S. 70; Bettecken 1988, S. 43, 59–66. 789 Bettecken 1988, S. 91. 790 Während das Zollrecht für die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts gesichert ist, lassen sich Münz- und Marktrecht erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts belegen (Bettecken 1988, S. 70–81). Trotzdem

791 792 793 794 795

ist aufgrund des gesicherten Zollrechtes ein früheres Münz- und Marktrecht durchaus möglich. Gerchow 2004, S. 72f.; Bettecken 1988, S. 93. Gerchow 2004, S. 73–75; Bettecken 1988, S. 101. »dilecta princeps nostra abbatissa Assindensis« (nach Bettecken 1988, S. 159). Büttner 2008, S. 245f.; Gerchow 2004, S. 77. Leenen 2008, S. 286.

184

4  DER DOM ZU ESSEN

Vogteivertrag von 1291 die Bedingungen des Konvents

Das mittelalterlich überlieferte Jahr des Baubeginns 1275

akzeptierte und die Landesherrschaft der Äbtissin aner-

koinzidiert dermaßen frappant mit den historischen Vor-

kannte.796

gängen, dass ein Zufall wohl nicht in Frage kommt: Ausge-

Siegfried von Westerburg konterte, indem er Berta

rechnet in dem Jahr, in dem die Essenerinnen König Ru-

verschiedene Rechtsbrüche wie Ungehorsam gegenüber

dolf von Habsburg zum neuen Vogt erwählen und damit in

der Kölner Kirche vorwarf und vor sein geistliches Ge-

einen offenen Konflikt mit dem Kölner Erzbischof treten,

richt nach Köln lud.797 Berta wehrte den Angriff ab, in-

beginnt die grundlegende Transformation des alten Kir-

dem sie darauf verwies, dass sie nur der Gerichtsbarkeit

chenbaus.803

des Kaisers und des Papstes unterstehe, von dem sie 1290

Die Koinzidenz von Umbau und historischen Ereig-

eine Bestätigung der unter Agapit II. erteilten Exemtion

nissen legt nahe, dass die Modernisierung der Kirche zur

erwirkte.798 Der Kölner Erzbischof forcierte den Macht-

lichtdurchfluteten Halle vorrangig dem Zweck diente, den

kampf daraufhin, indem er sich das Recht der Äbtissin-

Konvent als eigenständig agierende Korporation mit einer

nenwahl anmaßte, Berta absetzte und eine neue Äbtis-

Reichsfürstin an der Spitze architektonisch angemessen

sin ernannte. Die Krise verschärfte sich, als Berta kurze

zu repräsentieren und gleichzeitig den auf alte Rechte und

Zeit darauf verstarb und die Stiftsgemeinschaft der Köl-

Privilegien basierenden Machtanspruch buchstäblich zu

ner Kandidatin weiterhin die Anerkennung verweigerte.

untermauern.

Stattdessen bestimmte der Konvent Beatrix von Holte (ab.

Während der repräsentative Rahmen in erster Linie

1292–1327) in freier Wahl zur Äbtissin.799 Der Machtkampf

mittels zeitgenössischer Formen wie etwa dem Hallen-

entschied sich erst 1309 zu Gunsten der Essenerinnen, als

raum, dem Kreuzrippengewölbe oder den Maßwerkfens-

der Papst Beatrix von Holte zur rechtmäßigen Äbtissin

tern geschaffen wurde, erklärt sich die massive Bezug-

des Stifts erklärte.800 Einige Jahre später konnte auch der

nahme auf die Tradition des Ortes aus der zwingenden

Anspruch der Kölner Erzbischöfe auf die Essener Vogtei

Notwendigkeit, zugleich die aus der Geschichte des Stifts

endgültig abgewehrt werden und die Grafen von der Mark,

resultierenden Rechte und Privilegien zum Ausdruck zu

welche die Vogtei seit 1291 ohnehin faktisch inne hatten,

bringen. Zu einer Zeit, in der die ehemals enge Bindung

fest als Essener Vögte installiert werden.801

des Essener Stifts zum deutschen Königshaus nicht mehr

Damit war es Berta von Arnsberg und Beatrix von

existierte, blieb allein die Berufung auf die Tradition, um

Holte gelungen, das Essener Stiftsgebiet als geistlichen

den hervorgehobenen Rang des Damenstifts zu ­legitimieren.

Territorialstaat mit der Äbtissin als Reichsfürstin an der Spitze nachhaltig zu etablieren.

Im historischen Kontext fungierte der Westbau demnach in erster Linie als authentisches Zeugnis aus der Blütezeit des Stifts mit den ottonischen Prinzessinnen an

Koinzidenz von Umbau und Krise

der Spitze und beglaubigte damit den privilegierten Rang

Im Rahmen der hiesigen Fragestellung fällt der äußerst

der Frauengemeinschaft. Dafür spricht auch die zuvor

bemerkenswerte Umstand auf, dass der großangelegte

beschriebene räumliche Einbindung am Anfang einer

Umbau des Essener Münsters zwischen etwa 1275 und 1325

Erinnerungsachse. Die allgemeine Herrschaftssymbo-

ausgerechnet in einer schweren Krisenzeit erfolgte, als das

lik des Westbaus mit seinem Aachen-Zitat blieb insofern

Damenstift seine weitreichende Unabhängigkeit und pri-

zwar implizit erhalten, wurde jedoch durch die Folie des

vilegierte Stellung in der kirchlichen und weltlichen Ord-

13./14. Jahrhunderts nunmehr indirekt als Rekurs auf die

nung gänzlich und unumkehrbar zu verlieren drohte.802

königsnahe Vergangenheit angesprochen.804

796 Büttner 2008, S. 247; Leenen 2008, S. 286; Lange 2004, S. 97f. 797 Büttner 2008, S. 248f.; Leenen 2008, S. 287f. 798 Leenen 2008, S. 288; Bettecken 1988, S. 50f. 799 Schilp 2004, S. 37–47. 800 Leenen 2008, S. 289. 801 Büttner 2008, S. 249f.; Lange 2004, S. 101. 802 Bereits Klaus Lange versuchte, den gotischen Umbau der Kirche in Beziehung zur historischen Situation zu setzen (Lange 2004). Dabei fokussierte er jedoch die neuen gotischen Teile der Architektur und versuchte den Bauverlauf methodisch fragwürdig aus aktuellen politischen Ereignissen zu erschließen. In einem jüngeren Aufsatz thematisierte er erstmals »Das Essener Münster als Ort der Erinnerung« (Lange 2008), beschränkte sich dabei allerdings in erster Linie auf Zusammenhänge zwischen Gebäudeteilen und der Me-

moria, dem Totengedenken, der Bauherrinnen. Aussagekräftiger für die gotische Zeit ist daher der im selben Sammelband publizierte Aufsatz von Brunhilde Leenen zur Memoria im Stift um 1300 (Leenen 2008), in welchem sie unter einer anderen Fragestellung und mit historischen Methoden zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie die hier vorgelegte, primär architektonische Untersuchung. 803 Bei dem überlieferten Brand in der Backstube (Lange 2004, S. 89) dürfte es sich demnach nicht um die wahre Ursache handeln. Selbst wenn die Kirche stark von dem Brand erfasst wurde, lässt sich die umfassende Transformation nicht mit der Wiederherstellung beschädigter Teile allein erklären (vgl. die Umstände beim Neubau des Magdeburger Doms zum Anfang des 13. Jahrhunderts (Kap. 3.1)). 804 Die bisherige Forschung beschränkte sich im Kontext des gotischen Umbaus auf diese allgemeine Deutung der Aachen-Symbolik, ohne

185

4.5  RESÜMEE: DER ESSENER DOM UND SEINE TRADITION DES ORTES

Eine ähnlich komplexe Schichtung von Bedeutungs-

Die Inschrift würdigte demnach die Verdienste König Ru-

ebenen lässt sich bei der Kreuzsäule erkennen, deren an-

dolfs, historisch unkorrekt zum Imperator überhöht, um

tiker Säulenschaft aus Marmor ebenfalls als Herrschafts-

die stiftische Eigenständigkeit Essens, indem sie auf seine

zeichen gelesen werden konnte.805 Im vordergründigen

Bestätigung der königlichen Privilegien (»Innovando

theologischen Sinne ließ sich die Herrschaftssymbolik im

statum juris«) und seine Annahme der Vogtei hinwies

Zusammenhang mit dem Kreuz auf die Herrschaft Christi

(»tutorem prefecit adque vocatum«). Zugleich stellte die

beziehen. Bei der Errichtung im 10. Jahrhundert rekur-

Inschrift implizit das freie Vogtwahlrecht des Konvents

rierte die Herrschaftssymbolik aber auch auf die hochade-

heraus (»Elegit rite nostre«).

lige Herkunft der Auftraggeberin Ida und fungierte somit

Darüber hinaus rückte man die königliche Protektion

zugleich als Memorial- und Repräsentationsobjekt. Aus

bildlich in einen Zusammenhang mit der Tradition des

der Perspektive des 13./14. Jahrhunderts diente die Säule,

Stifts, indem man Rudolf im südlichen Chorfenster ge-

neben der nach wie vor relevanten religiösen Symbolfunk-

meinsam mit Mathilde, der Äbtissin königlicher Abstam-

tion, des Weiteren als Erinnerungsträger, der die ehema-

mung, darstellte, und begründete somit die Königsnähe

lige Herrschernähe des Stifts vergegenwärtigte und somit

des Stifts historisch. Im übertragenen Sinne legitimierte

die aus jener Zeit stammenden Privilegien beglaubigte.

man also den zur Zeit des Umbaus beanspruchten, aber umkämpften Königsschutz, verkörpert von Rudolf von

Die politische Botschaft der figürlichen Glasmalereien im Chor

Habsburg, mit der imperialen Tradition des Stifts, per-

Für die Interpretation der Architektur im historisch-po-

Paarbildung Rudolf – Mathilde schuf man gewissermaßen

litischen Kontext als legitimierenden Erinnerungsträger

auch eine Analogie zum Marsusschrein mit dem Bildnis

sprechen nachdrücklich die Glasmalereien der östlichen

Kaiser Ottos II., der inschriftlich bezeugt von Mathilde

Chorfenster. Im leider verlorenen Südfenster befand sich

zur Memoria des Kaisers in Auftrag gegeben wurde. Für

eine figürliche Darstellung König Rudolfs von Habs-

die Memoria des habsburgischen Königs stiftete wiede-

sonifiziert durch Mathilde.808 Mit der anachronistischen

also der für die Abwehr der Kölner Ambitionen

rum Äbtissin Berta von Arnsberg ein umfangreiches An-

entscheidenden Persönlichkeit des 13. Jahrhunderts. Um

niversar,809 das ungewöhnlicherweise aus ihrem Privatver-

an der politischen Bedeutung des Königsbildes erst gar

mögen initiiert wurde,810 so dass ein Beziehungsgeflecht

keine Zweifel aufkommen zu lassen, stand im gleichen

Otto – Mathilde – Rudolf – Berta hergestellt wurde, welches

Fenster laut dem Liber Ordinarius folgende Inschrift:

die Gegenwart in der Tradition spiegelte.

burg,

806

»Tempore Rudolphi imperatoris status hujus ecclesie immutatus est, ut patet per hos versus. M.C.C.LXXV / Anno milleno Domini deciesquo viceno  / Cum sexageno quinto currenteque deno  / Grex hic, combusta rectrice fide bene nota,  / Forma sub certa fundens in nos sua vota / Innovando statum juris solitum quoque morem  / Nos sibi tutorem prefecit adque vocatum  / Elegit rite nostre per tempora vite.«807

den geänderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen (Leenen 2008, S. 94; Lange 2008, S. 72; Ders. 2004, S. 106). 805 Zur Kreuzsäule: Kap. 4.4.2. – Zur Herrschaftssymbolik antiker Säulen am Beispiel des Magdeburger Doms: Kap. 3.3.1. 806 Kap. 4.4.4. 807 Zitiert nach Arens 1908, S. 232, Anm. 1. 808 Aufgrund ihrer direkten verwandtschaftlichen Beziehung zu Kaiser Otto dem Großen eignete sich Mathilde anscheinend in besonderem Maße, die historisch begründete Reichsunmittelbarkeit zu personifizieren. Die besondere Wertschätzung, die man Mathilde im 14. Jahrhundert entgegenbrachte, äußert sich auch im Zusatz »hujus conventus olim mater pia« (Arens 1908, S. 230), mit welchem man ihr Bild versah. Dem entspricht der im Liber Ordinarius verzeichnete Ehrentitel »mater ecclesie nostre« (Essener LO 128, 130 (ed. Arens, S. 120 ,122)).

Ob sich im Nordfenster eine vergleichbare Bildaussage bezogen auf die päpstlichen Privilegien des Stifts befand, die von 1290 von Nikolaus IV. erneut bestätigt wurden,811 muss angesichts der fehlenden Überlieferung leider Vermutung bleiben. In Analogie zum Südfenster würde die Darstellung einer der Päpste, die sich um die Exemtion verdient gemacht haben, mit einer weiteren Äbtissin aus der ottonischen Vergangenheit, vorzugsweise Theophanu, freilich gut passen.

809 Essener LO 129 (ed. Arens, S. 121). Das Anniversar Rudolfs wurde mit vier Messen begangen und damit vom Umfang demjenigen von Altfrid oder Mathilde gleichgestellt. 810 Sandra Büttner interpretiert die Memorienstiftung folgerichtig als »ehrende Danksagung und Wertschätzung« (Dies. 2008, S. 248). Als politische Zeichensetzung muss wohl auch die Memorienstiftung des Grafen Everhard von der Mark für sich und seine Familie angesehen werden, die 1295 erfolgte, als der Markgraf erstmalig von dritter Seite als Essener Vogt anstelle des Kölner Erzbischofs anerkannt wurde (Büttner 2008, S. 248–250). In umgekehrter Hinsicht spiegelt sich die politische Dimension der Memoria im Gedenken an die Kölner Erzbischöfe im Essener Stift, das nach Konrad von Hochstaden abrupt abbrach, also just zu dem Zeitpunkt, als die Kölner Metropoliten den Essener Status bedrohten (Fischer 2008, 276f.). 811 Bettecken 1988, S. 50f.

186

4  DER DOM ZU ESSEN

Als dritte Stütze der Essener Unabhängigkeit diente

gen nachdrücklich und betonte damit die Funktion der

neben König und Kurie der bischöfliche Gründervater

Essener Kirche als Heiligengrabeskirche. Wer die Rechte

Altfrid. Angesichts der maskulin dominierten mittelalter-

des Stifts in Frage stellte, stellte somit aus Essener Sicht

lichen Machtstrukturen mag es für den Frauenkonvent

implizit Werk und Wirkung des heiligen Bischofs in Frage.

von Vorteil gewesen sein, sich auch auf eine männliche

Trotz der lückenhaften Überlieferung lässt sich dem-

Figur in der Stiftshistorie berufen zu können; dass es sich

nach klar erkennen, dass das Bildprogramm der Chorfens-

obendrein um einen verdienten Bischof handelte, mag der

ter mit den figürlichen Darstellungen Altfrids, Mathildes

Essener Position im kirchlichen Rechtsstreit mit dem Köl-

und Rudolfs die Tradition des Ortes mit der aktuellen poli-

ner Episkopat zusätzliches Gewicht verliehen haben. Die

tischen Situation zur Zeit des Umbaus in Beziehung setzt.

Verehrung als Heiliger hob die Autorität Altfrids schließ-

Die Inschrift des Königsbildes lässt schließlich keinen

lich über die weltlichen Hierarchien. Folglich stand der

Zweifel mehr an der politischen Konnotation der Bildaus-

heilige Bischof im Zentrum des Bildprogramms der östli-

sage aufkommen. Als Endpunkt eines visuellen Bezugs-

chen Chorwand.

systems lassen sie auf dessen symbolische Aussagekraft

Bereits Ende des 11. Jahrhunderts wurde der Stifts-

rückschließen.

gründer zur Absicherung des Stiftsstatus herangezogen,

Auch wenn die theologische Symbolebene stets mitzu-

als man eine vorgeblich von Altfrid erlassene Gründungs-

denken ist, lässt sich die Intention, die Tradition des Or-

urkunde fälschte.812 Interessant ist eine nachträgliche Er-

tes zu vergegenwärtigen und damit implizit den Rang und

gänzung der Urkunde wohl vom Anfang des 13. Jahrhun-

Status des Stifts zu legitimieren, ganzheitlich deutlich er-

derts, dass kein Vogt und auch sonst niemand in Essen die

kennen. Vor allem die visuelle Inszenierung alter Materie

Gerichtsgewalt, die der Äbtissin zusteht, ausüben soll.

813

erlangte eine derartige Signifikanz, dass man noch Jahr-

Mit der Neuinszenierung des Altfrid-Grabes an exponier-

hunderte später den Essener Dom in der Kunstgeschichte

ter Stelle unterstrich man die Präsenz des Gründerheili-

primär als ottonisches Bauwerk wahrnimmt.

812 Schilp 2001, insbesondere S. 162–178; Bettecken 1988, S. 18–32.

813 Schilp 2001, S. 162; Bettecken 1988, S. 19, 100.

187

5 RESÜMEE 

Die Fallbeispiele belegen, dass die Tradition des Ortes die

man sonst die Tradition des Ortes zerstört hätte. Stattdes-

jeweilige architektonische Form mitbestimmte. Wie ein-

sen diente die alte Materie, wie aus mittelalterlichen Quel-

gangs erwartet, unterscheiden sich der Umfang und die

len hervorgeht, als sichtbarer und authentischer Beweis

Qualität die Traditionsbezüge aufgrund der Ortspezifika

zur Verifizierung der Helena-Tradition: »Quod usque ho-

und den historischen Bedingungen beträchtlich. Den-

die demonstrat domus ejus facta ecclesiae«.814

noch lassen sich auf einer abstrakteren Ebene gewisse

Beim großangelegten Umbau der ehemaligen Essener

Kategorien erkennen, welche eine vergleichende Untersu-

Stiftskirche von einer Basilika zu einer kreuzrippenge-

chung des baukulturellen Phänomens ermöglichen.

wölbten Halle im 13. Jahrhundert inkorporierte man mit dem Westbau und der Krypta signifikante Gebäudeteile

Authentische Materie als Mittel der Traditionsvergegen­ wärtigung

aus der Blütezeit des Stifts, als eine enge Verbindung mit

Hinsichtlich der Bewahrung alter Materie lassen sich zwei

chenbau. Zudem integrierte man die unteren Teile der

Gruppen grundsätzlich unterscheiden. Auf der einen Seite

alten Außenwände in die neue Gebäudehülle. Dass auch

blieben beim Umbau des Trierer Doms und des ehemali-

hierbei ökonomische Gründe nicht im Vordergrund ge-

gen Essener Münsters alte Gebäudeteile in situ erhalten,

standen haben können, belegen die komplizierten kon­

infolgedessen die neue Architektur in ein bestehendes

struktiven Maßnahmen, die nötig waren, um die statisch

Gefüge eingepasst werden musste. Als monumentale

ungeeigneten alten Teile in die neue Struktur der gewölb-

Zeugnisse der Vergangenheit stellten die alten Gebäu-

ten Hallenkirche einzubinden. Die alten Gebäudeteile des

deteile einen deutlich erkennbaren Traditionsbezug her.

Essener Doms konstituieren die Tradition des Ortes zwar

Auf der anderen Seite wurden der Magdeburger Dom und

nicht, wie es im Trierer Dom der Fall ist, doch verwiesen

die Trierer Liebfrauenkirche im 13. Jahrhundert gänzlich

Sie als authentische Zeugnisse zeichenhaft auf die glanz-

durch einen Neubau ersetzt. Dort mussten folglich andere

volle Vergangenheit des hochadligen Damenstifts.

Lösungen gefunden werden, wenn die Erinnerung an die Vergangenheit wachgehalten werden sollte.

dem ottonischen Kaiserhaus bestand, dem neuen Kir-

Beim Neubau des Magdeburger Doms hingegen konnten, bedingt durch die Achsdrehung der neuen Kirche,

Im Trierer Dom blieb Bausubstanz aus dem 4. Jahr-

keine alten Teile in situ integriert werden. Dieses Manko

hundert bemerkenswerterweise über rund 1600 Jahre

versuchte man offensichtlich dadurch zu kompensieren,

hinweg trotz zahlreicher Um-, An- und Wiederaufbauten

dass man authentische Elemente des alten Doms, denen

in gestaltprägendem Umfang bis heute erhalten. Die vor-

ein besonderer Wert und eine symbolische Aussagekraft

liegende Arbeit hat gezeigt, dass dies kein Zufall war und

zukamen, wie den Kapitellreliquien, den Marmorspolien

sich nicht mit ökonomischen Zwängen allein erklären

oder dem Kaisersarkophag, mit Hilfe verschiedener ge-

lässt. Stattdessen ließ sich aufzeigen, dass der frühchrist-

stalterischer Strategien, wie Kontrastierung zum Neuen,

liche Quadratbau ein konstitutives Element der Trierer

Betonung visueller Qualitäten und/oder exponierter Plat-

Tradition des Ortes bildete, da er als authentischer Teil

zierung, in einem neuen Kontext demonstrativ in Szene

des ehemaligen Palastes der heiligen Helena angesehen

setzte.

wurde, welcher auf die Initiative der Augusta in die erste

Im Gegensatz dazu wurde beim Neubau der Trierer

Trierer Bischofskirche umgewandelt wurde. Die alte Bau-

Liebfrauenkirche im 13. Jahrhundert auf die Integration

substanz durfte folglich nicht abgerissen werden, weil

alter Bausubstanz gänzlich verzichtet, obwohl die räum-

814 Almann, Vita Helenae, 9 (ed. Draeger, S. 22); vgl. Heinen 1996, S. 99 u. Anm. 3. (mit dt. Übersetzung). – Vgl. Kap. 2.2.3.

188

5 RESÜMEE

liche Kontinuität der Kirche sogar die Bewahrung alter

Auch die Bewahrung alter Wegebeziehungen weist

Bauteile in situ erlaubt hätte. Im neuen architektonischen

auf ein starkes Ineinandergreifen von Liturgie, Raum und

Konzept der hochgotischen Kirche, welche durch den zen-

Tradition hin. In der Trierer Liebfrauenkirche blieb der

tralbauartigen Aufbau ebenso wie durch den Transfer von

für Prozessionen wichtige Übergang zum Dom in der al-

aktuellen Bauformen aus Frankreich ein hohes Maß an

ten Form erhalten. Im Essener Dom ermöglichte etwa die

Originalität, Innovation und Aktualität aufwies, ließ sich

Bewahrung des alten Laufgangs auf den Seitenschiffwän-

die alte Bausubstanz anscheinend nicht sinnvoll integ-

den, dass die Stiftsdamen den an wichtigen Festtagen ge-

rieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Tradition

nutzten alten Weg vom Damenchor in den Westbau weiter

des Ortes beim Neubau der Liebfrauenkirche keine Rolle

beschreiten konnten.

mehr spielte. Man setzte den Neubau stattdessen auf andere Art und Weise in Bezug zur Tradition des Ortes.

Beim Neubau des Magdeburger Doms ließen sich räumliche Kontinuitäten aufgrund der Achsdrehung nicht im gleichen Umfang wie bei den drei anderen Fallbeispie-

Räumliche Zusammenhänge zwischen Alt und Neu

len verwirklichen. In schwächerer Form lassen sich aber

So lassen sich etwa trotz der kompletten Neukonzeption

auch in Magdeburg gewisse räumliche Zusammenhänge

der Liebfrauenkirche bemerkenswerte räumliche Konti-

mit der Tradition des Ortes erkennen. Im Gegensatz zu ei-

nuitäten vom frühchristlichen Gründungsbau bis hin zur

ner Verschiebung der Achse, wie das Phänomen in Mag-

gotischen Liebfrauenkirche feststellen, welche dem hohen

deburg in der Literatur oft fälschlich beschrieben wird,

Grad an räumlicher Kontinuität entsprechen, der sich

ermöglichte eine Drehung der Achse eine relativ große

bei den Wandlungen des Trierer Doms und des Essener

räumliche Überdeckung mit dem alten Dom und stellte so-

Münsters jeweils beobachten lässt. Während die räumli-

mit eine gewisse Kontinuität des Ortes her. Bei der Frage

che Kontinuität dort in einem engen Zusammenhang mit

nach dem Sinn und Zweck der Achsdrehung weisen einige

der Bewahrung von alten Gebäudeteilen in situ steht, be-

Indizien auf eine Schlüsselrolle des Edithgrabes hin, wel-

legt das Beispiel der Trierer Liebfrauenkirche, dass dieser

ches möglicherweise einen Fixpunkt in der Kirche bildete.

Zusammenhang nicht zur Erklärung räumlicher Beziehungen zur Tradition des Ortes ausreicht.

Gestalterische Bezüge zur Tradition des Ortes

Der in der älteren Literatur häufig bemühte Ansatz,

Schließlich zeigen die Beispielbauten, dass man auch mit

das Phänomen mit der Nutzung alter Fundamente zu er-

gestalterischen Mitteln Bezüge zur Tradition des Ortes

klären, ließ sich mittels Auswertung archäologischer Be-

aufbaute. Diese Kategorie offeriert naturgemäß die größte

funde widerlegen. In keinem der Beispielbauten wurden

Vielfalt an Möglichkeiten, von der Gestaltung des Grund-

alte Fundamente beibehalten, sondern stets durch neue

risses über das Bild der Tragstruktur bis hin zur Imitation

ersetzt, selbst wenn die neuen Mauern exakt anstelle der

alter Formen.

alten errichtet wurden. In den untersuchten Fällen war

Beim Trierer Dom lässt sich eine kontinuierliche ge-

eine Weiternutzung bestehender Fundamente aufgrund

stalterische Orientierung am Quadratbau feststellen, die

der andersartigen statischen Anforderungen, welche die

sich allerdings in der Wahl der Mittel zu verschiedenen

Umbauten mit sich brachten, technisch ohnehin nicht

Zeiten deutlich unterscheidet. Während man im frühen

möglich.

Mittelalter nach schweren Schäden versuchte, die früh-

Einen sinnvollen Erklärungsansatz für das Phänomen

christliche Anlage möglichst weitreichend zu rekonstruie-

räumlicher Kontinuitäten bei Kirchenbauten liefert hin-

ren, löste man sich im 11. Jahrhundert von der bestehen-

gegen die Absicht, räumliche Beziehungen zur Tradition

den Struktur des Domkomplexes und transformierte den

des Ortes zu bewahren. So entspricht etwa der gotische

Quadratbau in eine doppelchörige Pseudo-Basilika nach

Chor der Liebfrauenkirche, obwohl er gänzlich neu funda-

zeitgemäßem Muster. Trotz dieser tiefgreifenden Verän-

mentiert wurde, in Lage und Dimension noch immer dem

derung blieb die Tradition des Ortes das Maß der Dinge,

rund 1000 Jahre zuvor errichteten Chor des Gründungs-

denn die neuen Bauteile zielten auf eine Vereinheitlichung

baus. Ort und Kult scheinen hier in besonderer Weise mit-

mit dem Bestand und lassen sich deshalb als Erweiterung

einander verwoben gewesen zu sein. Mit einer subtilen

des Quadratbaus, nach mittelalterlicher Lesart der domus

Betonung der West-Ost-Achse im Grundriss erhielt sich

Helenae, charakterisieren. Die singuläre Grundrissstruk-

sogar eine Erinnerungsspur an das frühere Raumkonzept

tur des Trierer Doms etwa lässt sich ohne die Tradition

der Basilika.

des Ortes nicht verstehen, denn es handelt sich um eine

189

5 RESÜMEE

raffinierte Fortschreibung des eigentlich als Zentralbau

werden die alten oder alt erscheinenden Architekturteile

konzipierten Quadratbaus nach Westen (Taf. 1.02). Die

als »alt« erkennbar und führen somit die Geschichte und

Gestalt der neugeschaffenen Westfassade rekurriert infol-

Altehrwürdigkeit der Institution und/oder des Kirchen-

gedessen auf verschiedenen Ebenen auf den Quadratbau,

baus vor Augen. Umgekehrt werden die neuen Architekt-

indem beispielsweise Motive wie die übereinandergestell-

urteile vor der Folie des Alten als »neu« lesbar und dienen

ten Rundbögen übernommen oder spätantike Kapitellfor-

damit als Ausweis für das Streben der Institution, die alte

men des Quadratbaus an der romanischen Fassade aufge-

Pracht der Kirche mit aktuellen Mitteln weiter zu mehren

griffen wurden.

und zu steigern, wodurch implizit der gegenwärtigen Sta-

Bei der Einwölbung des Doms mit Kreuzrippenge-

tus repräsentiert wird.

wölben zu Beginn des 13. Jahrhunderts setzte man dem-

In allen drei Fällen lassen sich zusätzlich Konzepte er-

gegenüber auf eine gestalterische Dialektik zwischen Alt

kennen, das Neue und Alte gestalterisch aufeinander zu

und Neu, indem man die neuen Teile sichtbar als spätere

beziehen und damit erkenntlich zu machen, dass es sich

Zutat kennzeichnete, die nachträglich dem alten Bestand

um zwei integrale Kompartimente eines übergeordneten

zugefügt wurde. Dass es sich hierbei um die bewusste Er-

Ganzen handelt. Ein vielschichtiges Beispiel liefern hier-

zeugung eines Bildes handelt, beweist die Tatsache, dass

für die Vierungspfeiler des Essener Doms, welche sich aus

der Umfang der Baumaßnahmen über die erkennbaren

Teilen mehrerer Baukampagnen zu unterschiedlichen

Neuteile hinausging und in erheblichem Maße auch in die

Zeiten zusammensetzen, die sich alle der übergreifenden

alte Struktur eingegriffen wurde, was man jedoch durch

tektonischen Struktur des Pfeilers unterordnen.

Ergänzungen in der alten Form verschleierte.

In der Trierer Liebfrauenkirche wurde auf das sicht-

Beim Neubau des Magdeburger Domchores, dessen

bare Spiel von Alt und Neu hingegen gänzlich verzichtet.

untere Partien nahezu zeitgleich mit den Gewölben des

Die Anbindung an die Tradition des Ortes geschieht dort

Trierer Doms errichtet wurden, kam die gestalterische

stattdessen über die Entwurfsidee, denn der einzigartige

Strategie, alte und neue Formen dialektisch gegenüber-

Grundriss der Kirche wurde um einen Kern herum entwi-

zustellen, ebenfalls zum Tragen, indem man den Chor-

ckelt, welcher auf die Grundrissfigur des Quadratbaus, der

umgang in alten, die Chorempore in jüngeren Formen

vermeintlichen domus Helenae, rekurriert, so dass die neu-

ausführte. Der große und wichtige Unterschied zu Trier

artige Architektur der Liebfrauenkirche letztlich auf der

besteht darin, dass in Magdeburg sämtliche Teile neu er-

Tradition des Ortes basiert (Taf. 2.03).

schaffen wurden, der Kontrast von Alt zu Neu also künstder demonstrativen Zurschaustellung authentischer Ele-

Die Tradition des Ortes: Hinzunehmende Voraussetzung oder bewusste Bezugnahme?

mente des Vorgängerdoms, dadurch erklären, dass das

Die eingangs formulierte Frage, ob die Tradition des Or-

Fehlen alter Bausubstanz in situ zum Teil kompensiert

tes einen formbestimmenden Einfluss auf die Gestalt

werden sollte und hierzu auch gestalterische Mittel heran-

mittelalterlicher Sakralbauten ausübte, kann angesichts

gezogen wurden. Auf einer allgemeinen Ebene konnte da-

der präsentierten Materialfülle definitiv mit Ja beantwor-

mit der Alterswert der Institution Dom, welcher das Alter

tet werden. Auch wenn man nicht bei jedem Aspekt, der

der neuen Domarchitektur übertraf, künstlich inszeniert

in der vorliegenden Arbeit mit der Tradition des Ortes in

werden. Auf einer konkreteren Ebene lässt sich der Chor-

Beziehung gesetzt wurde, zustimmen möchte, so bleiben

umgang auch als Erinnerungsraum für die beim Neubau

zahlreiche Beispiele für architektonische Formen, die

aufgegebene Kilians-Krypta lesen.

zweifellos auf die Tradition des Ortes zurückgehen, wie

lich erzeugt wurde. Dieses Vorgehen lässt sich, analog

Angesichts der Erkenntnisse zu den Domen in Trier

etwa der eigenartige rechteckige Hallenchor des Essener

und Magdeburg liegt es nahe, auch das auffällige Zusam-

Doms. Wohl niemand wird ernsthaft bestreiten wollen,

menspiel von alten und neuen Gebäudeteilen, welches

dass sich die Form des gotischen Chores letztlich daraus

den Umbau des Essener Münsters um 1300 kennzeichnet,

erklärt, dass er über der Krypta des 11. Jahrhunderts er-

als Resultat einer geplanten Konzeption zur Visualisie-

richtet wurde. Die Tradition des Ortes ließ sich somit als

rung der Tradition des Ortes zu betrachten.

formbestimmendes Moment mittelalterlicher Sakralar-

Bei allen drei Beispielen lässt sich die gestalterische

chitektur nachweisen; zumindest im Fall der vier behan-

Inszenierung einer Dialektik zwischen Altem und Neuem

delten Beispielbauten. Die Annahme, dass es sich hierbei

auf gleiche Weise interpretieren. Vor der Folie des Neuen

um ein verbreitetes Phänomen mittelalterlicher Baukultur

190

5 RESÜMEE

handelt, liegt jedoch nahe, denn die Ergebnisse fügen sich

sich zur Neuanlage der Fundamente noch der Abriss der

nahtlos in das Bild mittelalterlicher Erinnerungskultur,

alten Gründungen addierte.

welches die jüngere Forschung zunehmend aufzeichnet.

Auch beim Umbau des Trierer Doms und dem Neubau

Dabei ist es unstrittig, dass es weitere Momente gab, die

der Liebfrauenkirche wurden keine alten Fundamente

entscheidend auf die Form einwirkten, wie theologische

verwandt, sondern fluchtgetreu durch neue ersetzt, wel-

Aspekte, bautechnisches Wissen oder aktueller Zeitge-

che den veränderten statischen Anforderungen entspra-

schmack. Daneben bestimmte die Tradition des Ortes,

chen. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden soll, dass

quod erat demonstrandum, die Form der mittelalterlichen

alte Materie in manchen Fällen tatsächlich aus Gründen

Sakralbauten teils erheblich mit.

der Sparsamkeit weiterverwandt wurde, so lässt sich bei

Damit ist allerdings noch nicht gesagt, ob es sich

den hier untersuchten Fallbeispielen eine derartige Be-

hierbei um einen bewussten Akt der Bezugnahme han-

gründung kaum aufrecht erhalten. Ohne diese Begrün-

delt oder nicht. Diese zwei konträren Möglichkeiten zie-

dung fehlt jedoch der Annahme, die Tradition des Ortes

hen grundsätzlich unterschiedliche Interpretationen und

sei lediglich eine hinzunehmende Voraussetzung, die ar-

Beurteilungen des Phänomens nach sich, welche dessen

gumentative Basis.

Stellenwert in der mittelalterlichen Baukultur bestimmen

Die andere Möglichkeit, die formbestimmende Wir-

und daraus folgend auch dessen Relevanz für die wissen-

kung der Tradition des Ortes zu erklären, besteht darin,

schaftliche Betrachtung.

von einer bewussten und gewollten Bezugnahme der Er-

Die erste Möglichkeit besteht darin, die Tradition des

bauer auszugehen. Für die Richtigkeit dieser Annahme

Ortes als hinzunehmende Voraussetzung aufzufassen,

sprechen Indizien und Argumentationsketten, die im

welche die Form der Architektur von vornherein determi-

Rahmen dieser Arbeit angeführt wurden.

nierte, ohne dass eine weitergehende Absicht von Seiten

Beim Umbau des Essener Münsters im 13./14. Jahrhun-

der Erbauer dahinter steckte. Die Form des Rechteckcho-

dert lässt sich über die programmatischen Glasmalereien

res des Essener Doms wäre aus dieser Perspektive bloß

der Chorfenster und ihre Inschriften eine Bezugnahme

das Resultat vorgefundener Rahmenbedingungen; nicht

auf die Tradition des Ortes nachweisen, deren Motivation

mehr, aber auch nicht weniger. Oftmals wird eine derar-

darüber hinaus sicher im aktuellen politischen Kontext

tige Vorstellung in der Literatur mit ökonomischen Sach-

der Zeit situiert werden kann. Die Chorfenster bildeten

zwängen begründet. Demnach hätte man in Essen die

wiederum den Endpunkt eines axialen Bezugssystems, in

Form der bestehenden Krypta nur deshalb aufgegriffen,

das eine Fülle alter Artefakte und Objekte inszenatorisch

um deren Mauern für den neuen Chor nutzen zu können.

eingebettet waren (Taf. 4.17). Neben den theologischen

Gegen die ökonomische Interpretation spricht aller-

Implikationen eines solchen Systems lässt sich vor dem

dings die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Aus-

Hintergrund der Chorfenster eine Erinnerungsfunktion

wertung der archäologischen und bauforscherischen Be-

annehmen, welche die Tradition des Ortes mittels der vi-

funde. Zur Bewahrung der alten Krypta in Essen musste,

suellen Qualitäten authentischer alter Objekte vor Augen

wie zur Bewahrung der alten Seitenwände im Mittelschiff,

führen sollte. Neben dem liturgischen Gebrauch dienten

das Mauerwerk partiell bis auf den gewachsenen Boden

viele der Objekte für sich allein genommen der Memoria

durchschlagen werden, um die zur Aufnahme des Gewöl-

ihrer Stifter und Schenker, an die sie somit in erster Li-

beschubs notwendigen neuen Strebepfeiler mit eigenen

nie erinnerten. Zusammengenommen repräsentierten sie

Fundamenten zwischen die alte Substanz einpflanzen

aber die glanzvolle Vergangenheit des Damenstifts, die

zu können. Das alte Mauerwerk konnte die neuen stati-

Tradition des Ortes, die sich in Essen auf die ehemalige

schen Anforderungen einer kreuzrippengewölbten Halle

Verbundenheit mit dem ottonischen Kaiserhaus im Allge-

schlichtweg nicht erfüllen. Noch deutlicher lässt sich die-

meinen und den heiligen Bischof und Gründervater Alt-

ser Sachverhalt im Mittelschiff erkennen, wo die Strei-

frid im Besonderen stützte.

fenfundamente der vormaligen, basilikalen Mittelschiff-

Der Umgang mit alten Teilen der Architektur, welche

wände punktuell durchschlagen wurden, um an diese

zeichenhaft für die Tradition des Ortes standen, wie der

Stellen breitere Einzelfundamente für die neuen gotischen

hochsymbolische Westbau mit seinem Aachen-Zitat, weist

Rundpfeiler zu setzen. Die Bewahrung alter Baufluchten

deutliche Parallelen zur Inszenierung der alten Ausstat-

brachte demnach keinen ökonomischen Vorteil, sondern

tungsstücke und Objekte auf, wie etwa die nahezu denk-

ging im Gegenteil mit einem erhöhten Aufwand einher, da

malpflegerische Integration des Westbaus und der Krypta

191

5 RESÜMEE

in die neue Hallenkirche zeigen. Insofern liegt es nahe, die

gerisch zu rekonstruieren, lässt sich der große Umbau im

Architektur als integralen Bestandteil einer umfassenden

11. Jahrhundert als Erweiterung der domus Helenae auffas-

Konzeption aufzufassen, deren Ziel es war, die Tradition

sen, wohingegen man bei der Einwölbung im 13. Jahrhun-

des Ortes mittels authentischer materieller Zeugnisse der

dert versuchte, das Alte mittels einer Dialektik zum Neuen

Vergangenheit zu visualisieren. Diese Folgerung wird da-

hervorzuheben.

durch unterstützt, dass Architektur und Ausstattungsstü-

Im Kontext der Gründungslegende erklärt sich die

cke bzw. Objekte planmäßig in wechselseitige Beziehun-

individuelle architektonische Entwicklung des Trierer

gen zueinander gesetzt wurden. So markierte der Westbau

Doms somit plausibel mit der fortwährenden Notwendig-

den Beginn der Erinnerungsachse, welche die Kirche

keit, die konstitutive Tradition des Ortes zu bewahren, zu

gleich einem Rückgrat durchzog, und die Krypta bildete

pflegen und fortzuschreiben. Dieser Zusammenhang wird

den Sockel für den neuen Hallenchor mit den Glasmale-

nicht bei der isolierten Betrachtung einzelner Gebäude-

reien am anderen Ende der Kirche.

teile sichtbar, sondern erfordert im Gegenteil eine epo-

Für sich allein genommen lassen sich die einzelnen

chenübergreifende Betrachtung der Architektur, bei der

Aspekte des Traditionsbezuges kaum als solche erkennen.

alte und neue Gebäudeteile in Beziehung zueinander ge-

Erst die Einbettung der Einzelteile in den Gesamtkontext

setzt werden.

erlaubt eine ganzheitliche Betrachtung des Phänomens.

Beim Neubau des Magdeburger Doms im 13. Jahrhun-

Aus der ganzheitlichen Perspektive betrachtet scheint der

dert ließen sich im Gegensatz zu Trier und Essen bisher

neue Rechteckchor bewusst zur Tradition des Ortes in Be-

keine schriftlichen Quellen auffinden, welche eine ge-

ziehung gesetzt worden zu sein, indem er einerseits die

wollte Bezugnahme auf die Tradition des Ortes direkt be-

alte Krypta inkorporiert und andererseits deren Grundriss

legen. Hier musste die Analyse der Zeugnisse ­materieller

zur Grundlage nimmt. Bei anderen Teilen des ehemaligen

Sachkultur, in erster Linie der Architektur, genügen.

Münsters, wie den Glasmalereien der Chorfenster, ist der

Tatsächlich ließen sich zahlreiche Hinweise und Indi-

Zusammenhang mit der Tradition des Ortes hingegen,

zien aufspüren, die in der Gesamtheit gesehen auch für

auch ohne den Gesamtkontext zu berücksichtigen, offen-

den Magdeburger Dom einen gewollten Traditions­bezug

sichtlich.

erkennen lassen, welcher im Kontext der kaiserlichen

Für den Trierer Dom belegen mittelalterliche Schrift-

tradition sinnvoll und plausibel erscheint. Gründungs­

quellen, dass die Architektur im Zusammenhang mit der

Den Neubau des Magdeburger Doms kennzeichnet in die-

Tradition des Ortes gesehen wurde. So wird der Dom in

ser Hinsicht eine besondere Qualität der visuellen Insze-

den Quellen nicht nur als domus Helenae bezeichnet, als

nierung ­alter Objekte, die wohl aus dem Umstand resul-

Palast der Kaiserin Helena, aus welchem die Bischofskir-

tiert, dass aufgrund der Achsdrehung keine Gebäudeteile

che der Gründungslegende nach hervorging, sondern

in situ integriert werden konnten. Erkenntlich wird das

die Domarchitektur darüber hinaus als sichtbarer und

konzept wiederum nur durch die ganzheit­ Erinnerungs­

authentischer Beweis der Helena-Tradition angeführt,

liche Betrachtung der einzelnen Teile, die in Magdeburg

womit die Kirche gleichsam in die Nähe einer Reliquie

in ein komplexes System wechselseitiger Beziehungen ein-

rückte. Aus dieser Überzeugung musste zwingend ein Be-

gebunden wurden (Taf. 3.03).

streben folgen, die alte Architektur zu bewahren. Und tat-

Die behandelten Fallbeispiele lassen jeweils für sich

sächlich hat sich die spätantike Bausubstanz des Quadrat-

betrachtet den Schluss zu, dass die Bezugnahme auf die

baus in außergewöhnlich hohem Umfang sogar bis heute

Tradition des Ortes einer übergreifenden Konzeption

erhalten, was dafür spricht, dass man die domus Helenae

folgte und somit ebenso bewusst wie gewollt stattfand.

vor allem in diesem Gebäudeteil sah. Die in der vorliegenwicklung des Trierer Doms von frühchristlicher Zeit bis

Architektur und ihre Tradition des Ortes in der Wahrnehmung der Betrachter

ins hohe Mittelalter zeigte über die Bewahrung alter Bau-

Anknüpfend an die Erkenntnis geplanter Traditionsbe-

substanz hinaus, dass der Quadratbau über Jahrhunderte

züge stellt sich die Frage, ob und inwiefern diese Bezug-

hinweg für sämtliche Erweiterungen und Wiederherstel-

nahmen dem mittelalterlichen Betrachter überhaupt er-

lungen, An- und Umbauten stets der Ausgangspunkt und

sichtlich waren. Die Vielschichtigkeit der Bezüge erlaubt

das Maß der Dinge blieb. Während man im frühen Mit-

jedoch keine pauschale Beantwortung, sondern zwingt zur

telalter versuchte, den Quadratbau nahezu denkmalpfle-

Differenzierung.

den Arbeit vorgenommene Analyse der baulichen Ent-

192

5 RESÜMEE

Die demonstrative Inszenierung alter Materie im Chor

im Vordergrund gestanden haben. Vielmehr scheint es

des Magdeburger Doms etwa ergibt nur dann einen Sinn,

sich um einen intellektuell anspruchsvollen Entwurf zu

wenn man mit einem Betrachter rechnete, welcher die

handeln, welcher die Tradition des Ortes zwar zum Kern

symbolische Gestaltung nicht nur sehen, sondern auch

des Neubaus nimmt, ein Verstehen aber nur demjenigen

verstehen konnte. Ähnlich lässt sich hinsichtlich der In-

ermöglicht, der sich eingehend mit der Architektur ausei-

korporation des signifikanten Westbaus in Essen oder der

nandersetzt und fundierte Kenntnisse über die Tradition

Konservierung des Quadratbaus in Trier argumentieren.

des Ortes besitzt. Es kann wohl davon ausgegangen wer-

Im letztgenannten Fall dokumentieren auch die Schrift-

den, dass der Domklerus, der als Bauherr des Neubaus

quellen, dass ein Verständnis für die Aussagekraft des

fungierte, die Entwurfsidee verstand, vielleicht sogar da-

architektonischen Traditionsbezuges von Seiten des Be-

ran mitwirkte, diese letztlich jedenfalls absegnete.

trachters vorhanden war oder zumindest vorausgesetzt

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem mehrfach nach-

wurde. Die Architektur fungierte insofern als Medium,

gewiesenen Phänomen, dass Neubauten in den Fluchten

um die Tradition des Ortes derart zu visualisieren, dass

des Altbaus errichtet wurden, ohne dass hierfür ein bauli-

bestimmte Betrachter inhaltliche Implikationen im Kern

cher Vorteil gegeben gewesen wäre. In Essen lassen sich

verstehen konnten. Die bewusste Bezugnahme auf die

die Dimensionen der alten Basilika von einem geübten

Tradition des Ortes war somit zumindest in Teilen nicht

Betrachter vielleicht noch erkennen, weil die unteren Teile

nur ersichtlich, sondern explizit auf Wahrnehmung und

der alten Außenwände erhalten blieben. Beim Neubau der

Verständnis ausgelegt.

Trierer Liebfrauenkirche lässt sich die Bewahrung der al-

Dabei stellt sich die weitergehende Frage, an welchen

ten Fluchten hingegen nur nachvollziehen, wenn man die

Betrachter architektonische Inszenierungen der Tradition

Vorgängerkirche aus eigener Anschauung kannte. Folg-

des Ortes adressiert waren. Angesichts dessen, dass das

lich blieb auch der subtile Hinweis auf die Verschiebung

Phänomen jedoch in weiten Teilen nur über die materielle

der Kirchenachse, als der sich das aus der Mittelachse der

Sachkultur erfasst werden kann, lässt sich die Frage nach

Westfassade verschobene Fenster deuten lässt, für einen

dem Adressaten nur indirekt diskutieren. Die Komplexi-

nicht eingeweihten Betrachter unverständlich.

tät und Vielschichtigkeit der Traditionsbezüge setzt jeden-

Welchen Sinn aber machten Traditionsbezüge, die

falls zum Verständnis sowohl ein bestimmtes Maß an Bil-

von einem uneingeweihten Betrachter nicht erkannt, ge-

dung als auch ein gewisses intellektuelles Niveau voraus.

schweige denn verstanden werden konnten? Zunächst

Insofern werden die angesprochenen Betrachter wohl in

einmal sei daran erinnert, dass der Klerus, welcher einen

erster Linie beim hohen Klerus und beim gebildeten Adel

Neubau veranlasste, die alten Kirchenfluchten noch aus

zu suchen sein. Dem einfachen Menschen des Mittelalters

eigener Anschauung kannte und damit ein Bewusstsein

erschloss sich die Symbolik hingegen wohl nur, wenn ihm

für räumliche Bezüge zur Vorgängerkirche und daraus re-

diese von anderer Seite gezielt vermittelt wurde, etwa vom

sultierende Kontinuitäten vorhanden war. Insofern muss

Priester bei der Messe. Ebenso gut ist es möglich, dass

es den Klerikern anfangs selbstverständlich bewusst gewe-

hohe auswärtige Besucher, welche die Tradition des Or-

sen sein, dass sie bei Prozessionen vom Trierer Dom zur

tes nicht im Detail kannten, vom lokalen Klerus auf die

Liebfrauenkirche weiter auf alten Wegen wandelten. Ge-

Geschichtsbezüge aufmerksam gemacht wurden. Sicher

nauso muss es für die Essener Stiftsdamen anfangs klar

gesagt werden kann letztlich nur, dass interessierte Be-

gewesen sein, dass der Laufgang vom Damenchor zum

trachter existiert haben müssen, da die teils praktizierte

Westbau ein Teil der alten Kirche und damit einer alten

demonstrative Inszenierung der Tradition des Ortes sonst

Tradition war. Vielleicht wurden derartige Zusammen-

sinnlos wäre.

hänge später mündlich an folgende Generationen tradiert,

Andere Facetten des Traditionsbezuges haben dem-

bis das Wissen mit der Zeit verloren ging und erst durch

gegenüber anscheinend keinen Betrachter vorausgesetzt.

archäologische Grabungen wieder rekonstruiert werden

Dass der Grundriss der Trierer Liebfrauenkirche etwa

konnte. In jedem Fall bestand ein Interesse an räumlichen

nach mittelalterlicher Lesart aus der Struktur der identi-

Kontinuitäten und Bezügen zum vorherigen Bauzustand

tätsstiftenden domus Helenae entwickelt wurde, lässt sich

teilweise auch unabhängig von der Nachvollziehbarkeit

eigentlich nur mit Blick auf den Grundriss erkennen, im

für nicht eingeweihte Betrachter.

realen Kirchenraum aber nur mit Vorwissen nachvollzie-

Bei diesen Überlegungen darf natürlich nicht verges-

hen. In dieser Hinsicht kann das Erkennen der Idee nicht

sen werden, dass es sich bei den Kirchen in allererster Li-

193

5 RESÜMEE

nie um religiöse Kultbauten handelt, denen, wie es sich

nahmen zwangsläufig damit in Einklang stehen und die

sowohl im Christentum als auch in anderen Religionen

Kontinuität der Institution Kirche gewährleisten.

beobachten lässt, in der Regel eine besondere spirituelle

Dass derartige Überlegungen unterschiedlich ausge-

Aura zugesprochen wird, die es bei jeglichen Baumaßnah-

legt wurden, zeigt der Neubau des Magdeburger Doms,

men zu respektieren und zu bewahren gilt.

dessen Achsrotation die Herstellung räumlicher Bezie-

Darüber hinaus implizieren christliche Sakralbauten

hungen zum Vorgängerbau zwar nicht ausschloss, aber

stets einen Betrachter, dem keine Bezüge und Kontinui-

deutlich erschwerte. Die Anbindung an die Tradition des

täten verborgen blieben, nämlich Gott höchstpersönlich.

Ortes geschah dort mittels der Präsentation alter Materie,

Dass in derartigen Kategorien gedacht wurde, belegt etwa

die in ein übergreifendes Ordnungssystem eingebettet

eine Aussage in der Fundatio des Hildesheimer Doms, wo

wurde. Im Gegensatz dazu offenbart der Neubau der Trie-

es in Bezug auf den Neubau der Kirche unter Bischof Alt-

rer Liebfrauenkirche, wo auf die Integration alter Materie

frid im 9. Jahrhundert heißt:

gänzlich verzichtet und die Tradition des Ortes nicht de-

»Währenddessen hielt der Bischof mit seinem höchst frommen Kapitel ein dreitägiges Fasten […] und bat Gott, daß ihm die Stelle gezeigt werde, die Christus einer Kirche würdig hielt […] und gleichsam zum Graben des Fundamentes einer Kirche sind wie Frühlingsreif die Umrisse einer Kirche in kunstvollem Rechteck erschienen […]«.815

monstrativ, sondern subtil verbildlicht wurde, ein auffälliges Bemühen um die Bewahrung alter Dimensionen und Maße, innerkirchlicher Orte und Wege, das sich nicht aus ökonomischen Erwägungen erklären lässt. Hinsichtlich ihrer Beweggründe lassen sich Bezüge zur Tradition des Ortes folglich in Relation zu einem Betrachter differenzieren. Es lassen sich auf der einen Seite Zusammenhänge mit der Tradition des Ortes konstatie-

Laut dem Verfasser der Hildesheimer Fundatio kam Gott

ren, die nicht ohne Weiteres von einem Betrachter nach-

also nicht nur der Bitte Altfrids nach und bestimmte ei-

vollzogen werden konnten. Die religiösen und spirituellen

nen Ort für den neuen Dom, sondern legte darüber hinaus

Implikationen des Kirchenbaus bieten dafür jedoch einen

auch die Umrisse der Kirche fest. Auf diese Weise erlang-

sinnvollen Erklärungsansatz. Auf der anderen Seite lassen

ten Ort und Form der Kirche eine religiöse Dimension,

sich regelrechte Inszenierungen der Tradition des Ortes

deren Wirkung auf spätere bauliche Veränderungen nicht

beobachten, welche einen menschlichen Betrachter not-

unterschätzt werden darf.

wendig voraussetzten.

Auch beim Trierer Dom lassen sich die frappanten mit religiösen Überzeugungen zusammenbringen. Wenn

Inszenierungen der Tradition des Ortes im historischpolitischen Kontext

die Bischofskirche aus dem Palast einer Heiligen hervor-

Es stellt sich damit die Frage nach den Beweggründen der-

ging, dann war die Bausubstanz nicht nur ein authenti-

artiger Inszenierungen. Sicher lassen sich diese zum Teil

sches Zeugnis, sondern der gesamte Entwurf ein Teil des

ebenfalls theologisch interpretieren, wenn man davon

göttlichen Heilsplanes, den es zu respektieren galt. Ein

ausgeht, dass damit die mit der Tradition des Ortes in Be-

ähnliches Denken lässt sich auch beim Essener Münster

ziehung stehenden spirituellen Qualitäten des Bauwerks

unterstellen, wo der Kirchenbau ebenfalls mit einem als

verbildlicht und somit einem auswärtigen Betrachter

Heiligen verehrten Gründer in Verbindung stand, eben je-

lesbar gemacht werden sollten. Im historisch-politischen

nem Bischof Altfrid, dem die Quellen für den Bau des Hil-

Kontext betrachtet dienten die Traditionen des Ortes

desheimer Doms göttliche Hilfe attestieren.

hingegen auch der Legitimation und Absicherung von

räumlichen Beziehungen zu alten Bauzuständen leicht

Die religiöse Dimension des Kirchenbaus bietet dem-

Status- und Machtansprüchen, Rechten und Privilegien.

nach eine plausible Erklärung für die im Rahmen dieser

Dazu fügt sich, dass architektonische Inszenierungen der

Arbeit aufgezeigten, teils massiven räumlichen Beziehun-

Tradition des Ortes bei den betrachteten Fallbeispielen

gen einer Kirche zu ihren älteren Bauzuständen. Wenn die

teils mit konkreten politischen Situationen, in denen sich

Form der Kirche als Ausdruck oder sogar Bestandteil der

die jeweiligen Institutionen befanden, in Zusammenhang

Heilsgeschichte gilt, dann müssen auch spätere Baumaß-

gebracht werden können.

815 Hildesheimer Fundatio (ed. Hofmeister, S. 943f.). Dt. Übersetzung nach H. J. Schuffels (Kruse 2000, S. 291).

194

5 RESÜMEE

Die Trierer Erzbischöfe leiteten aus der Gründungs-

hunderts eine wichtige Rolle spielte und mittels eines viel-

legende des Trierer Doms einen besonderen Status- und

schichtigen Gestaltungskonzeptes, welches die visuellen

Machtanspruch ab. Die legendäre Umwandlung des Pa-

Qualitäten materieller Erinnerungsträger in besonderer

lastes der heiligen Helena in die erste Bischofskirche, die

Weise zur Geltung brachte, verbildlicht wurde. Eine in

im hohen Mittelalter mit der apostolischen Gründungsle-

der Literatur mehrfach festgestellte Planänderung beim

gende des Bistums verknüpft wurde, hob Trier im Selbst-

Chorbau, welche das Konzept der Traditionsinzenierung

verständnis des Domklerus in den Rang einer Roma se-

in seiner Deutlichkeit weiter steigerte, könnte mit dem

cunda, so dass nur der Papst in der kirchlichen Hierarchie

kriegerischen Konflikt von 1212–1218 in Zusammenhang

über dem Trierer Erzbischof stünde. Konkret wurde damit

stehen, als das Magdeburger Erzbistum von den Truppen

ein Primatsanspruch gegenüber dem Erzbistum Reims

des welfischen Kaisers Otto IV. existentiell bedroht wurde.

begründet; später auch gegenüber den germanischen

Im Medium der Zeichnung belegt die figürliche Bischofs-

Erzbistümern, womit in erster Linie Mainz und Köln ge-

reihe mit Kaiser Otto und seinen Gemahlinnen als Aus-

meint waren. Als konstitutives Element der Gründungsle-

gangspunkt das historisch legitimierte Selbstverständnis

gende fungierte die Architektur des Trierer Doms als zen-

der Magdeburger Metropoliten.

trales Zeugnis zur Visualisierung und Authentifizierung

Der Umbau des Essener Münsters erfolgte zwischen

der Tradition des Ortes. Mittels der Architektur ließen

ca. 1275 und 1325 ausgerechnet in einer Zeit, als sich das

sich folglich die aus der Tradition des Ortes abgeleiteten

Damenstift in einer prekären Krisensituation befand, in

Machtansprüche untermauern, wie es mittelalterliche

welcher seine privilegierte Stellung existenziell gefähr-

Schriftquellen belegen.

det war und der Verlust der geistlichen Landesherrschaft

Selbst für den Neubau der dem Dom zugehörigen Trie-

drohte. Aufgrund der ehemals engen Bindung zum säch-

rer Liebfrauenkirche im 13. Jahrhundert bietet der histo-

sischen Hochadel im Allgemeinen und dem ottonischen

risch-politische Kontext neue Erklärungsansätze. So lässt

Kaiserhaus im Besonderen genoss das Essener Stift Kö-

sich die in diesem Umfang im Kaiserreich wohl erstmalige

nigsschutz, Immunität und Exemtion, war somit ledig-

Übernahme des hochgotischen Formenapparates der im

lich dem König und Papst unterstellt und zählte deshalb

Neubau befindlichen Reimser Kathedrale in Verbindung

zu den vornehmsten Damenstiften im deutsch-römischen

mit dem traditionell gegenüber Reims beanspruchten Vor-

Imperium. Angesichts der verlorenen Bindung an das Kö-

rang des Trierer Erzbischofs erklären. Mit der Verwendung

nigtum diente die Tradition des Ortes in diesem Zusam-

der Reimser Formen für die rangniedere Liebfrauenkirche

menhang als Grundlage, um den besonderen Status des

ordnete man diese den altehrwürdigen Formen des Doms

Damenstifts zu legitimieren und zu schützen. Die sicht-

sichtbar unter. Bedenkt man, dass die Liebfrauenkirche

bare Inszenierung der Tradition des Ortes beim Umbau

aus der Struktur der vermeintlichen domus Helenae entwi-

der Münsterkirche erscheint aus dieser Perspektive als

ckelt wurde, diese somit den übergeordneten Rahmen für

Mittel, die glanzvolle Vergangenheit des Damenstifts zu

die Reimser Formen bildet, so spiegelt sich auch im Bau

visualisieren und zu authentifizieren. Eindeutig belegen

selbst der von Trier auf Basis der Tradition des Ortes erho-

lässt sich die Instrumentalisierung der Tradition des Or-

bene Vorrang vor der alten Konkurrentin Reims.

tes in Bezug auf die politische Situation des Stifts mittels

Der Magdeburger Erzbischof stützte seinen Rang

der Glasmalereien im Chor.

und seine Rechte auf die Konstituierung von Erzbistum ritzkloster durch Kaiser Otto den Großen und seine Frau

Architektur im Kontext von Memoria und kulturellem Gedächtnis

Edith, die beide im Magdeburger Dom ihre letzte Ruhe-

Die Ergebnisse dieser Untersuchung belegen, dass Sa-

stätte fanden. Das daraus resultierende Machtanspruchs-

kralarchitektur als wesentlicher Bestandteil materieller

niveau lag so hoch, dass man den Primat über Germanien

Erinnerungskultur im Mittelalter aufgefasst werden muss.

für sich reklamierte und das Erzbistum auf Augenhöhe

Dabei ließ sich aufzeigen, dass Architektur in der Regel

mit den altehrwürdigen Kathedren in Mainz, Trier und

nicht als isolierter Erinnerungsträger fungierte, sondern

Köln sah. Daneben führte man den Herrschaftsanspruch

in ein komplexes Bezugssystem mit anderen Objekten der

über die Stadt Magdeburg auf die imperiale Gründung zu-

Erinnerung eingebunden wurde. Des Weiteren bestand

rück. So erstaunt es kaum, wenn die Tradition des Ortes

oftmals eine wechselseitige Beziehung zu liturgischen

beim Neubau des Magdeburger Doms Anfang des 13. Jahr-

Handlungen mit memorativen Inhalten.

und Kirche einschließlich der Vorgängerinstitution Mo-

195

5 RESÜMEE

bildete im Mittelalter bekanntlich die Memoria, das litur-

Konsequenzen für die Betrachtung mittelalterlicher Sakralarchitektur

gische Totengedenken. Inwiefern Architektur in diesem

Die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der formbe-

enger gefassten Rahmen eine Funktion einnahm, lässt

stimmenden Wirkung der Tradition des Ortes auf die Ar-

sich angesichts der Untersuchungsergebnisse nur tenden-

chitektur werfen ein neues Licht auf einige Phänomene

ziell beantworten. In dieser Hinsicht muss wohl zwingend

mittelalterlicher Sakralbaukultur, die auf der Grundlage

zwischen der Perspektive des Auftraggebers und derjeni-

stilgeschichtlicher Kategorien bisher nicht angemessen be-

gen des späteren Nutzers unterschieden werden. Wenn

rücksichtigt, zum Teil missverstanden oder sogar unsach-

Einen bedeutenden Teilaspekt der Erinnerungskultur

beispielsweise Äbtissin Theophanu sich inschriftlich als

licherweise negativ beurteilt wurden. Infolgedessen lassen

Bauherrin der Krypta des Essener Münsters verewigen

sich Bauwerke, die nach den Kriterien der Stilgeschichte

ließ, so muss dem wohl die gleiche Bedeutung beigemes-

keinen adäquaten Platz in der Architekturgeschichte zuge-

sen werden wie dem inschriftlich bezeichneten Bild der

wiesen bekamen, nunmehr besser in den Kontext mittelal-

Äbtissin auf dem Deckel des nach ihr benannten Evan-

terlicher Sakralbaukultur einordnen und verstehen.

geliars; Theophanu verstand ihre materiellen Schenkun-

Als Erstes wäre hier das Phänomen stilistisch hetero-

gen auch als Beitrag zu ihrer Memoria. Die Brauweiler

gener Bauten zu nennen. Ein historisch, religiös, politisch

Fundatio beweist, dass der Zusammenhang zwischen den

und kulturell höchst bedeutsamer Bau wie der Trierer

Baumaßnahmen Theophanus in Essen und ihrer Memo-

Dom fand in architekturgeschichtlichen Übersichtswerken

ria auch von Dritten gesehen wurde.816 Wie verbindlich

bisher keine seiner mittelalterlichen Bedeutung entspre-

der memoriale Aspekt für die späteren Nutzer der Kir-

chende Berücksichtigung, weil er aus stilgeschichtlicher

che war, lässt sich hingegen schwer greifen. Der Hinweis

Sicht ein Konglomerat aus stilistisch unterschiedlichen Tei-

auf ­Theophanu als Bauherrin der Krypta, der bei der Be-

len darstellt, die zu verschiedenen Epochen errichtet wur-

schreibung ihres Anniversars im Essener Liber Ordina-

den. Stattdessen wurden einzelne Gebäudeteile im Kontext

rius gegeben wird,817 legt nahe, dass auch spätere Genera-

einer bestimmten Epoche isoliert vom übrigen Baukörper

tionen ­Architektur durchaus mit Memoria in Beziehung

behandelt, wie etwa die frühromanische Westfassade. Un-

brachten.

ter Berücksichtigung der Tradition des Ortes stellte sich je-

Weitaus besser lassen sich die Ergebnisse dieser Arbeit

doch heraus, dass die stilistische Heterogenität des Trierer

indes hinsichtlich der Bedeutung der Architektur zur Ver-

Doms ein Resultat kontinuierlicher architektonischer Aus-

bildlichung der Tradition des Ortes fassen, was allerdings

einandersetzung mit der konstitutiven Tradition des Ortes

auch ein Resultat der primär darauf ausgerichteten Fra-

darstellt. Die Form der einzelnen Gebäudeteile wird erst im

gestellung sein könnte. Jedenfalls lässt sich gerade im Es-

architektonischen Gesamtkontext und dem damit verbun-

sener Münster der Aufbau eines visuellen Bezugssystems

denen Rückbezug auf die eigene Geschichte verständlich.

von Erinnerungsobjekten, die Architektur eingeschlossen,

Beispielsweise wurde die Ausprägung der Details der

ganzheitlich betrachtet nicht mit der Memoria einzelner

Anfang des 13. Jahrhunderts eingezogenen Wölbung im

Personen allein verstehen, wohl aber als Inszenierung der

Trierer Dom auf der Basis stilistischer Vergleiche in der äl-

gesamten Tradition des Ortes.

teren Literatur mit der Zisterzienserbaukunst zusammen-

Aus diesem Blickwinkel verwundert es nicht, dass bei

gebracht, ohne dass ein plausibler Sinnzusammenhang

einigen Erinnerungsträgern, wie dem Westbau, die Na-

zwischen der Institution Bischofskirche und dem Orden

men der Auftraggeber nicht erhalten blieben. Der West-

der Zisterzienser hergestellt werden konnte. Der stilisti-

bau diente späteren Generationen anscheinend weniger

sche Vergleich beschränkte sich allein auf formale Analo-

der Memoria einer konkreten Person als vielmehr der Vi-

gien, was manche Autoren dennoch nicht davon abhielt,

sualisierung der imperialen Tradition des Ortes. Insofern

sogar auf einen Zisterzienser als Baumeister zu schlie-

ist die mittelalterliche Sakralarchitektur, zumindest im

ßen.818 Betrachtet man die Detailformen der Wölbung

Falle der Beispielbauten, nicht bloß als Teil des kulturel-

hingegen epochenübergreifend und im ganzheitlichen ar-

len Gedächtnisses aufzufassen, sondern darüber hinaus

chitektonischen Kontext, so erklären sie sich als bewusste

als dessen Medium.

Auseinandersetzung mit der Tradition des Ortes, indem sie

816 Brauweiler Fundatio (ed. Waitz, S. 130). 817 Essener LO 129 (ed. Arens, S. 121).

818 Z. B. Kempf 1968, S. 15f. 819 Hamann 1909, S. 255.

196

5 RESÜMEE

eine sichtbare Dialektik von Alt und Neu aufbauen und die

len über die Chorarchitektur veranlasste, die man zu einer

neuen Teile erkennbar als nachträgliche Zutat kennzeich-

»Rumpelkammer älterer Formbestände«819 abqualifizierte.

nen. Aus der Perspektive der Tradition des Ortes stehen die

In dieser Arbeit konnte jedoch aufgezeigt werden, dass

neuen Detailformen in einen sinnvollen Bezug zur vorhan-

sich die Gestalt des Chores mit einer formalen Entwick-

denen Architektur wie auch in einem Sinnzusammenhang

lungsgeschichte nicht schlüssig erklären lässt, sondern

mit der Geschichte des Doms. Dass der Baumeister darü-

stattdessen davon ausgegangen werden muss, dass der

ber hinaus Kenntnisse der Zisterzienserarchitektur besaß,

Kontrast alter und neuer Formen bewusst als gestalteri-

mag interessante Auskünfte über seinen Wissenshorizont

sches Mittel eingesetzt wurde, um die Tradition des Ortes

geben, führt bei der Interpretation der Wölbungskampa-

zu visualisieren, wie es rund ein halbes Jahrhundert früher

gne aber letztlich auf eine falsche Fährte.

beim Chorumbau der Abteikirche Saint-Denis praktiziert

Ebenso verhinderte die stilistische Heterogenität des

wurde, um ein prominentes Vergleichsbeispiel zu nennen.

Essener Doms dessen angemessene Einordnung in die

Dort kam die ältere, stilgeschichtliche Forschung zu ähnli-

mittelalterliche Architekturgeschichte. Stattdessen re-

chen methodisch bedingten Fehlschlüssen wie beim Neu-

duzierte man die Kirche zumeist auf dessen ottonischen

bau des Magdeburger Doms, die jedoch seit einiger Zeit

Westbau und ignorierte demgegenüber den umfassenden

zunehmend kritisch hinterfragt wurden und spätestens

gotischen Umbau um 1300. Als Zitat der Aachener Pfalz-

seit der diesbezüglichen Arbeit von Stephan Albrecht als

kapelle besaß der Essener Westbau bereits von seiner

revidiert gelten müssen.820

Errichtung an eine historische Sinnschicht, welche den

Aus der Neubewertung des Magdeburger Doms folgt

Gebäudeteil zum Gegenstand zahlreicher architekturhis-

zusätzlich die wichtige Erkenntnis, dass die Steinmetze

torischer Studien machte. Aufgrund dieser isolierten Be-

des 13. Jahrhunderts nicht nur in aktuellen Detailformen

trachtung wurde jedoch bisher übersehen, dass der West-

arbeiteten, sondern auch ältere Formen imitieren konn-

bau seit der nahezu denkmalpflegerischen Bewahrung des

ten, wie es die antikisierenden Kapitelle, welche für die

Gebäudeteils im Zuge des gotischen Umbaus von einer

Marmorspolien neu geschaffen wurden, nachdrücklich

zweiten, auf einen anderen Zeitraum der Historie rekur-

unterstreichen. Was in Magdeburg im großen Stil pro-

rierenden Sinnschicht überlagert wird, welche sich aus der

grammatisch betrieben wurde, lässt sich in geringerem

Bedeutung des Gebäudeteils um 1300 erklärt.

Maße auch in Essen und Trier nachweisen. In Essen ge-

Auch Formen des bisher wenig beachteten gotischen

ben die Basen der antikisierenden Kapitelle der Krypta

Kirchenraumes des Essener Doms erklären sich schlüs-

ein Beispiel für die Nachahmung von romanischen For-

sig aus der Tradition des Ortes. So lässt sich etwa die für

men in gotischer Zeit; an den Vierungspfeilern wiederum

jene Zeit und jenen Ort ebenso eigenartige wie innovative

finden sich Profile, die Ende des 12. Jahrhunderts gefer-

Form des rechteckigen Hallenchores aus dem Bestreben

tigt wurden, aber ottonische Vorbilder aufgreifen. Selbst

verstehen, die authentische Substanz der Theophanu-

die korinthisierenden Pilasterkapitelle am Westbau des

Krypta in die gotische Hallenkirche zu integrieren und zu-

Trierer Doms aus der Mitte des 11. Jahrhunderts orientie-

gleich alte räumliche Beziehungen zu wahren.

ren sich an spätantiken Vorbildern im Quadratbau, wenn

Eine andere Art stilistischer Heterogenität weist der

auch dort eine deutliche, zeittypische Vereinfachung zu

Chor des Magdeburger Doms auf, wo ältere Formen im

erkennen ist. Überhaupt scheint die Genauigkeit, mit der

Chorumgang jüngeren auf der Chorempore gegenüber-

alte Formen aufgegriffen wurden, wenn man dies aus den

stehen. Im Unterschied zu Essen und Trier, wo der stil-

wenigen Beispielen schließen darf, vom 11. bis ins 13. Jahr-

geschichtliche Kontrast aus unterschiedlichen Baukam-

hundert beständig zugenommen zu haben. In diese Rich-

pagnen resultiert, so dass die einzelnen Gebäudeteile

tung wären jedoch weitere Studien notwendig.

Jahrhunderte auseinander liegen, entstanden die Chorge-

Die Erkenntnisse zum bewussten Einsatz unter-

schosse in Magdeburg zeitlich nah beieinander im Zuge ei-

schiedlicher »Stile« helfen, die Methode der Stilkritik

ner einzigen Baukampagne. Die stilistischen Unterschiede

weiter zu verfeinern. Sie erzwingen ein noch genaueres

wurden deshalb als stilgeschichtliche Entwicklung inter-

Hinsehen, denn bei einigen Beispielen, wie den genann-

pretiert, die sich während des Bauverlaufs einstellte, was

ten Basen in der Essener Krypta, lassen sich stilkritisch

insbesondere die ältere Literatur zu negativen Werturtei-

Details feststellen, welche auf den zweiten Blick eine spä-

820 Albrecht 2003.

197

5 RESÜMEE

tere Entstehungszeit verraten. Noch mehr ermahnen die

Schlussresümee

Erkenntnisse aber zu größerer Vorsicht bei rein stilkriti-

Bei den Domen in Trier und Magdeburg, dem ehemaligen

schen Beobachtungen und legen es nahe, Fragen der Da-

Münster zu Essen und der Trierer Liebfrauenkirche ließ

tierung unter Berücksichtigung verschiedener Hinweise,

sich die Tradition des Ortes exemplarisch als ein formbe-

die mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen ge-

stimmendes Moment der Architektur nachweisen.

wonnen werden konnten, zu diskutieren. Die Datierung

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die Archi-

beispielsweise der antikisierenden Kapitelle in Magde-

tektur der genannten Beispiele nicht hinreichend verste-

burg, bei denen Ernst Schubert aufgrund einer stilkriti-

hen lässt, ohne die Tradition des Ortes zu berücksichtigen.

schen Formenanalyse noch vor einigen Jahren fragte, ob

Darüber hinaus lassen sich bauliche Phänomene erklären,

es sich nicht um antike Spolien handeln könnte, lässt sich

welche methodisch bedingt bisher nur unzutreffend oder

mit bauforscherischen Mitteln sicher klären, denn die Ka-

gar nicht beschrieben wurden. Die Bezugnahmen auf die

pitelle wurden aus einem Block geschlagen, der hinten in

Tradition des Ortes werden von einer Vielschichtigkeit und

die Chormauer einbindet, und können somit erst im Zuge

Kontextualität gekennzeichnet, welche die kulturelle Trag-

des Chorneubaus entstanden sein.

weite erahnen lassen und Differenzierungen erfordern.

Auf ganz andere Art und Weise hilft die Erforschung

In formaler Hinsicht lassen sich räumliche, materielle

der Tradition des Ortes beim Verständnis der Trierer Lieb-

und gestalterische Kategorien von Zusammenhängen zwi-

frauenkirche. Deren Formenapparat entstammt eindeutig

schen Architektur und ihrer Tradition bilden. Dabei kann

der französischen Hochgotik, so dass sich das Bauwerk

zwischen unbeabsichtigten Bezügen, welche den baulichen

wunderbar in die herkömmlichen stilgeschichtlichen Ka-

Voraussetzungen entsprangen, und bewussten Bezugnah-

tegorien einordnen ließ. Die älter wirkenden Formen, die

men unterschieden werden. Letztere, welche das Phäno-

man bei genauem Hinsehen selbst bei diesem zweifellos

men wohl im Wesentlichen begründen und deshalb im

gotischen Bau findet, wie die rundbogigen Fenster ohne

Vordergrund dieser Untersuchung standen, lassen sich wei-

Maßwerk am Vierungsturm, wurden in der Literatur dem

tergehend in Relation zu einem Betrachter differenzieren.

mangelnden Verständnis des Baumeisters angelastet.

821

Einerseits lassen sich Bezüge nachweisen, welche

Eine Erklärung, wie sie in dieser Arbeit vorgeschlagen

ohne spezifisches Vorwissen nicht erkannt werden konn-

wird, nämlich dass es sich um eine geschickte gestalteri-

ten. Einen plausiblen Erklärungsansatz liefert diesbezüg-

sche Angleichung an die älteren Domtürme handelt, lässt

lich die religiöse Dimension der Tradition des Ortes mit

eine stilgeschichtliche Engführung eben nicht zu.

allen ihren spirituellen, liturgischen und theologischen

Zu wiederholten Irritationen führte in der Literatur

Implikationen. Andererseits lassen sich Bezugnahmen

indes der individuelle Grundriss der Kirche, welcher sich

aufzeigen, die explizit auf die Wahrnehmung eines Be-

im Gegensatz zu den Detailformen eben nicht aus fran-

trachters ausgerichtet waren, die folglich gelesen und

zösischen Vorbildern ableiten ließ, aber angesichts seiner

demnach auch verstanden werden wollten. Derartige vi-

hohen Komplexität und künstlerischen Reife auch nicht

suelle Verweise auf die Tradition des Ortes, welche den

auf das Unvermögen des Baumeisters zurückgeführt wer-

Charakter medialer Inszenierungen annehmen konnten,

den konnte. Demgegenüber liefert die Tradition des Or-

entstanden bisweilen im Kontext historischer Situatio-

tes einen alternativen Ansatz, welcher den Grundriss der

nen, in denen der auf die Tradition des Ortes basierende

Liebfrauenkirche schlüssig erklärt. Die Grundrissstruktur

Rang und Status der Institution verteidigt werden musste.

der Liebfrauenkirche basiert auf der Struktur des Quad-

In diesem Kontext stellte die Verbildlichung der Tradition

ratbaus, nach mittelalterlicher Lesart also der domus He-

des Ortes ein Instrument dar, um die Legitimation von

lenae, welche über Jahrhunderte hinweg die Gestalt des

Ansprüchen sichtbar zu untermauern. Architektur fun-

Domkomplexes, maßgeblich bestimmte (Taf. 2.03). Auch

gierte demnach auf verschiedenen semantischen Ebenen,

an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Berücksichtigung

die sich durchdringen und wechselseitig steigern konnten,

der Tradition des Ortes dazu beiträgt, die Kirchenbauten

als facettenreicher Teil oder sogar Medium eines kulturel-

vielschichtiger zu erfassen und Phänomene zu erklären,

len Gedächtnisses.

für die es mit bisherigen Ansätzen keinen oder nur einen erschwerten Zugang gab. 821 Hamann/Wilhelm-Kästner 1924, S. 41.

Groß ist die Kraft der Tradition des Ortes, welche auf die Architektur wirkt.

198

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Almann, Vita Helenae – Almann von Hautvillers: Lebensbeschreibung oder eher Predigt von der heiligen Helena, hrsg. von Paul Dräger, Trier 2007. [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Brauweiler Fundatio – Brunwilarensis monasterii fundatorum actus, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, Bd. 14, hrsg. v. Georg Waitz, Hannover 1883, S. 121–141. Cicero, De finibus – Marcus Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum/Über das höchste Gut und das größte Übel, hrsg. von Harald Merklin, Stuttgart 1989. [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Essener Äbt. Kat. – Cathalogus oder Verzeichnis der Abtissinnen des Kayserl. freyweltlichen Stiffts Essen, wie sie nach einander regirt haben, in: Die Äbtissinnen von Essen. Nach dem Brüsseler Katalog, hrsg. von Otto Seemann, Essen 1883. (Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 5) Essener LO – Ordinarius Canonicorum Ecclesie Assindensis De Officiatione Monasterii, in: Arens, Franz (Hrsg.): Der Liber Ordinarius der Essener Stiftskirche, Paderborn 1908, S. 1–128. Hildesheimer Fundatio – Fundatio ecclesiae Hildensemensis, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores Bd. 30, 2, hrsg. v. Adolf Hofmeister, Leipzig 1934, S. 941–946. Gesta Archiep. Magd. – Gesta Archiepiscoporum Magdeburgensium, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, Bd. 14, hrsg. v. Georg Waitz, Hannover 1883 (Repr. Stuttgart 1963), S. 361–486. Gesta Trev. – Gesta Trevirorum [sic!], hrsg. von Johannes H. Wyttenbach u. Michael F. J. Müller, Vol. I, Trier 1836. – Die Taten der Trierer. Gesta Treverorum, hrsg. von Emil Zenz, 8 Bde., Trier 1955–1965. Lib. Pont. – Libri Pontificalis. Pars Prior, hrsg. von Theodor Mommsen, Berlin 1898. (Monumenta Germaniae Historica, Gestorum Pontificum Romanorum, 1) Magd. Domführer 1702 – Eigentliche Beschreibung der weltberümten Domkirchen zu Magdeburg [...], zum fünfften Mahl herraus gegeben von einem Liebhaber der Antiquität, Magdeburg 1702. Magd. Schöppenchronik – Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16 Jahrhundert, Bd. 7: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Magdeburg, Bd. 1, hrsg. durch die historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1869 (Repr. Göttingen 1962). MRUB 1 – Beyer, Heinrich (Hrsg.): Urkundenbuch zur Geschichte der, jetzt die preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1169, Coblenz 1860. Suger, De con. – Suger, De consecratione, in: Binding, Günther/Speer, Andreas (Hrsg.): Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften, Darmstadt 22005, S. 199–251. [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Thietmar, Chronicon – Thietmari Merseburgensis Episcopi: Chronicon/ Thietmar von Merseburg: Chronik, hrsg. von Werner Trillmich, Darmstadt 1960. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, 9) [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Trierer Geschichtsquellen – Trierer Geschichtsquellen des XI. Jahrhunderts, hrsg. von H. V. Sauerland, Trier 1889. UBM – Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, hrsg. von Friedrich Israel u. Walter Möllenberg, Magdeburg 1937. Widukind, RGS – Widukindi monachi corbeiensis rerum gestarum saxonicarum libri tres, hrsg. von Hirsch, Paul/Lohmann H.-E., 5. neu bearb. Aufl., Hannover 1935. (Scriptores Rerum Germanicarum In Usum Scholarum Ex Monumentis Germaniae Historicis Separatim Editi, 60)

Albrecht 2003 – Albrecht, Stephan: Die Inszenierung der Vergangenheit im Mittelalter. Die Klöster von Glastonbury und Saint-Denis, München 2003. (Kunstwissenschaftliche Studien, 104) Althoff 2001 – Althoff, Gerd: Die Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: Otto der Große, Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kultur­ historisches Museum Magdeburg 2001, Bd. 1: Essays, Mainz 2001, S. 344–352. Althoff/Schubert 1998 – Althoff, Gerd/Schubert, Ernst (Hrsg.): Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, Sigmaringen 1998. Anton 1987 – Anton, Hans Hubert: Trier im frühen Mittelalter, Pader­ born 1987. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, Neue Folge Heft 9) Anton/Haverkamp 1996 – Anton, Hans Hubert/Haverkamp, Alfred (Hrsg.): Trier im Mittelalter, Trier 1996. (2000 Jahre Trier, Bd. 2) Apsner 2003 – Apsner, Burkhard: Die hoch- und spätkarolingische Zeit (9. und frühes 10. Jahrhundert), in: Heinen, Heinz/Anton, Hans Hubert/Weber, Winfried: Geschichte des Bistums Trier, Bd. 1: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Mittelalter, Trier 2003, S. 255–282. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 38) Arens 1908 – Arens, Franz (Hrsg.): Der Liber Ordinarius der Essener Stiftskirche, Paderborn 1908. Aretz 1995 – Aretz, Erich u. a. (Hrsg.): Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi, Trier 1995. Arnold/Liebing 1983 – Arnold, Udo/Liebing, Heinz (Hrsg.): Elisabeth, der deutsche Orden und ihre Kirche. Festschrift zur 700-jährigen Wiederkehr der Weihe der Elisabethkirche Marburg 1983, Marburg 1983. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 18) Assmann, A. 1999 – Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999. Assmann, A./Harth 1991 – Assmann, Aleida/Harth, Dietrich (Hrsg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991. Assmann, J. 1988 – Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders./Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, S. 9–19. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 724) Assmann, J. 1992 – Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. (C.H.Beck Kulturwissenschaft) Assmann, J. 1995 – Assmann, Jan: Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung. Das Prinzip ›Kanon‹ in der Erinnerungskultur Ägyptens und Israels, in: Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Memoria als Kultur, Göttingen 1994, S. 95–114. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 121) Assmann, J. 2000 – Assmann, Jan: Religion und kulturelles Gedächtnis, München 2000. (Beck’sche Reihe 1375) Assmann, J./Hölscher 1988 – Assmann, Jan/Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 724) Bandmann 1979 [1951] – Bandmann, Günter: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 61979 (1. Aufl. 1951). Bärsch 1997 – Bärsch, Jürgen: Die Feier des Osterfestkreises im Stift Essen nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius (zweite Hälfte 14. Jahrhundert). Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen, Münster 1997. (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des kirchengeschichtlichen Instituts des Bistums Essen, 6) Bärsch 2007 – Bärsch, Jürgen: Kunstwerke im Dienst der Liturgie. Gebrauch und Funktion liturgischer Sachkultur im mittelalter­lichen Gottesdienst nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius, in: Falk,

198

Quellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Almann, Vita Helenae – Almann von Hautvillers: Lebensbeschreibung oder eher Predigt von der heiligen Helena, hrsg. von Paul Dräger, Trier 2007. [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Brauweiler Fundatio – Brunwilarensis monasterii fundatorum actus, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, Bd. 14, hrsg. v. Georg Waitz, Hannover 1883, S. 121–141. Cicero, De finibus – Marcus Tullius Cicero: De finibus bonorum et malorum/Über das höchste Gut und das größte Übel, hrsg. von Harald Merklin, Stuttgart 1989. [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Essener Äbt. Kat. – Cathalogus oder Verzeichnis der Abtissinnen des Kayserl. freyweltlichen Stiffts Essen, wie sie nach einander regirt haben, in: Die Äbtissinnen von Essen. Nach dem Brüsseler Katalog, hrsg. von Otto Seemann, Essen 1883. (Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen, 5) Essener LO – Ordinarius Canonicorum Ecclesie Assindensis De Officiatione Monasterii, in: Arens, Franz (Hrsg.): Der Liber Ordinarius der Essener Stiftskirche, Paderborn 1908, S. 1–128. Hildesheimer Fundatio – Fundatio ecclesiae Hildensemensis, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores Bd. 30, 2, hrsg. v. Adolf Hofmeister, Leipzig 1934, S. 941–946. Gesta Archiep. Magd. – Gesta Archiepiscoporum Magdeburgensium, in: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, Bd. 14, hrsg. v. Georg Waitz, Hannover 1883 (Repr. Stuttgart 1963), S. 361–486. Gesta Trev. – Gesta Trevirorum [sic!], hrsg. von Johannes H. Wyttenbach u. Michael F. J. Müller, Vol. I, Trier 1836. – Die Taten der Trierer. Gesta Treverorum, hrsg. von Emil Zenz, 8 Bde., Trier 1955–1965. Lib. Pont. – Libri Pontificalis. Pars Prior, hrsg. von Theodor Mommsen, Berlin 1898. (Monumenta Germaniae Historica, Gestorum Pontificum Romanorum, 1) Magd. Domführer 1702 – Eigentliche Beschreibung der weltberümten Domkirchen zu Magdeburg [...], zum fünfften Mahl herraus gegeben von einem Liebhaber der Antiquität, Magdeburg 1702. Magd. Schöppenchronik – Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16 Jahrhundert, Bd. 7: Die Chroniken der niedersächsischen Städte. Magdeburg, Bd. 1, hrsg. durch die historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1869 (Repr. Göttingen 1962). MRUB 1 – Beyer, Heinrich (Hrsg.): Urkundenbuch zur Geschichte der, jetzt die preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 1169, Coblenz 1860. Suger, De con. – Suger, De consecratione, in: Binding, Günther/Speer, Andreas (Hrsg.): Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften, Darmstadt 22005, S. 199–251. [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Thietmar, Chronicon – Thietmari Merseburgensis Episcopi: Chronicon/ Thietmar von Merseburg: Chronik, hrsg. von Werner Trillmich, Darmstadt 1960. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, 9) [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Trierer Geschichtsquellen – Trierer Geschichtsquellen des XI. Jahrhunderts, hrsg. von H. V. Sauerland, Trier 1889. UBM – Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, hrsg. von Friedrich Israel u. Walter Möllenberg, Magdeburg 1937. Widukind, RGS – Widukindi monachi corbeiensis rerum gestarum saxonicarum libri tres, hrsg. von Hirsch, Paul/Lohmann H.-E., 5. neu bearb. Aufl., Hannover 1935. (Scriptores Rerum Germanicarum In Usum Scholarum Ex Monumentis Germaniae Historicis Separatim Editi, 60)

Albrecht 2003 – Albrecht, Stephan: Die Inszenierung der Vergangenheit im Mittelalter. Die Klöster von Glastonbury und Saint-Denis, München 2003. (Kunstwissenschaftliche Studien, 104) Althoff 2001 – Althoff, Gerd: Die Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: Otto der Große, Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kultur­ historisches Museum Magdeburg 2001, Bd. 1: Essays, Mainz 2001, S. 344–352. Althoff/Schubert 1998 – Althoff, Gerd/Schubert, Ernst (Hrsg.): Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, Sigmaringen 1998. Anton 1987 – Anton, Hans Hubert: Trier im frühen Mittelalter, Pader­ born 1987. (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, Neue Folge Heft 9) Anton/Haverkamp 1996 – Anton, Hans Hubert/Haverkamp, Alfred (Hrsg.): Trier im Mittelalter, Trier 1996. (2000 Jahre Trier, Bd. 2) Apsner 2003 – Apsner, Burkhard: Die hoch- und spätkarolingische Zeit (9. und frühes 10. Jahrhundert), in: Heinen, Heinz/Anton, Hans Hubert/Weber, Winfried: Geschichte des Bistums Trier, Bd. 1: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Mittelalter, Trier 2003, S. 255–282. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 38) Arens 1908 – Arens, Franz (Hrsg.): Der Liber Ordinarius der Essener Stiftskirche, Paderborn 1908. Aretz 1995 – Aretz, Erich u. a. (Hrsg.): Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi, Trier 1995. Arnold/Liebing 1983 – Arnold, Udo/Liebing, Heinz (Hrsg.): Elisabeth, der deutsche Orden und ihre Kirche. Festschrift zur 700-jährigen Wiederkehr der Weihe der Elisabethkirche Marburg 1983, Marburg 1983. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 18) Assmann, A. 1999 – Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999. Assmann, A./Harth 1991 – Assmann, Aleida/Harth, Dietrich (Hrsg.): Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt a. M. 1991. Assmann, J. 1988 – Assmann, Jan: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders./Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, S. 9–19. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 724) Assmann, J. 1992 – Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. (C.H.Beck Kulturwissenschaft) Assmann, J. 1995 – Assmann, Jan: Kulturelles Gedächtnis als normative Erinnerung. Das Prinzip ›Kanon‹ in der Erinnerungskultur Ägyptens und Israels, in: Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Memoria als Kultur, Göttingen 1994, S. 95–114. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 121) Assmann, J. 2000 – Assmann, Jan: Religion und kulturelles Gedächtnis, München 2000. (Beck’sche Reihe 1375) Assmann, J./Hölscher 1988 – Assmann, Jan/Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 724) Bandmann 1979 [1951] – Bandmann, Günter: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 61979 (1. Aufl. 1951). Bärsch 1997 – Bärsch, Jürgen: Die Feier des Osterfestkreises im Stift Essen nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius (zweite Hälfte 14. Jahrhundert). Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen, Münster 1997. (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des kirchengeschichtlichen Instituts des Bistums Essen, 6) Bärsch 2007 – Bärsch, Jürgen: Kunstwerke im Dienst der Liturgie. Gebrauch und Funktion liturgischer Sachkultur im mittelalter­lichen Gottesdienst nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius, in: Falk,

LITERATURVERZEICHNIS

­ irgitta/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hrsg.): ... wie das Gold B den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007, S. 13–38. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 5) Berger 1989 – Berger, Hans: Zur Geschichte der Denkmalpflege am Magdeburger Dom, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 45–51. Bettecken 1988 – Bettecken, Winfried: Stift und Stadt Essen. »Coenobium Astnide« und Siedlungsentwicklung bis 1244, Münster 1988. (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, 2) Beuckers 1994 – Beuckers, Klaus Gereon: Das ottonische Kreuz vom Kreuzaltar der ehemaligen Essener Damenstiftskirche. Überlegungen zur Gestalt und Bedeutung, in: Das Münster am Hellweg 47, 1994, S. 24–37. Beuckers 2006 – Beuckers, Klaus Gereon: Der Essener Marsusschrein. Untersuchungen zu einem Hauptwerk der ottonischen Goldschmiedekunst, Münster 2006. (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des kirchengeschichtlichen Instituts des Bistums Essen, 12) Beuckers 2008 – Beuckers, Klaus Gereon: Individuelle Fürbitte. Spätgotische Reliquienbüsten als personales Gegenüber, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 129–161. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Beuckers/Cramer/Imhof 2002 – Beuckers, Klaus Gereon/Cramer, Johannes/Imhof, Michael (Hrsg.): Die Ottonen. Kunst, Architektur, Geschichte, Petersberg 2002. Beumann 2000 – Beumann, Helmut: Theutonum nova metropolis. Studien zur Geschichte des Erzbistums Magdeburg in ottonischer Zeit, hrsg. von Jutta Krimm-Beumann, Köln 2000. (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts, 1) Binding 1989 – Binding, Günther: Zur Ikonologie des Magdeburger Domes Ottos I. »In omnibus columnarum capitibus sanctorum reliquias diligenter inclusi iussit.«, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 70–73. Binding 2000 – Binding, Günther: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in England, Frankreich und Deutschland 1140–1350, Darmstadt 2000. Binding 2007 – Binding, Günther: Antike Säulen als Spolien in Frühund Hochmittelalterlichen Kirchen und Pfalzen. Materialspolie oder Bedeutungsträger?, Stuttgart 2007. (Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Band XLV, Nr. 1) Binsfeld 2003 – Binsfeld, Andrea: Geschichte des Bistums Trier von den Anfängen bis zum Ende des 4. Jahrhunderts, in: Heinen, Heinz/Anton, Hans Hubert/Weber, Winfried: Geschichte des Bistums Trier, Bd. 1: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Mittelalter, Trier 2003, S. 19–89. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 38) Binsfeld 2004 – Binsfeld, Andrea: Die Graffiti der frühchristlichen Kirchenanlage in Trier, in: Ristow, Sebastian (Hrsg.): Neue Forschungen zu den Anfängen des Christentums im Rheinland, Münster 2004, S. 235–252. (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband, kleine Reihe 2) Binsfeld 2006 – Binsfeld, Andrea: Vivas in deo. Die Graffiti der frühchristlichen Kirchenanlage in Trier, Trier 2006. (Die Trierer Domgrabung, 5) De Blaauw 1997 – Blaauw, Sible de: Jerusalem in Rome and the Cult of the Cross, in: Colella, Renate u. a. (Hrsg.): Pratum Romanum. Richard Krautheimer zum 100. Geburtstag, Wiesbaden 1997, S. 55–73. De Blaauw 2012 – Blaauw, Sible de: Die ottonischen Kaisergräber in Magdeburg und Rom. Visualisierung der Herrschermemoria im euro­ päischen Kontext, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge

199

des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 277–290. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Boehm 2000 – Boehm, Gottfried: Die Gegenwart des Vergangenen. Erinnerung als Konzept der Kunstgeschichte, in: Meier, HansRudolph/Wohlleben, Marion (Hrsg.): Bauten und Orte als Träger der Erinnerung. Die Erinnerungsdebatte und die Denkmalpflege, Zürich 2000, S. 77–85. Böhm/Rosiny 1980 – Böhm, Gottfried/Rosiny, Nikolaus: Gedanken der Architekten zu den Umbau- und Renovierungsarbeiten an der hohen Domkirche zu Trier, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 441–446. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Böker 1988 – Böker, Hans J.: Rez. von Nicola Borger-Keweloh: Die Liebfrauenkirche in Trier, Trier 1986, in: Bonner Jahrbücher 188, 1988, S. 678f. Bönnen 1996 – Bönnen, Gerold: Trier zwischen dem 10. und beginnenden 12. Jahrhundert – Erzbischöfe und Erzstift, regionale Herrschaftsträger und Stadtbevölkerung, in: Anton, Hans Hubert/Haverkamp, Alfred (Hrsg.): Trier im Mittelalter, Trier 1996, S. 203–237. (2000 Jahre Trier, Bd. 2) Borger-Keweloh 1986 – Borger-Keweloh, Nicola: Die Liebfrauenkirche in Trier. Studien zur Baugeschichte, Trier 1986. (Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Beiheft 8) Bornheim gen. Schilling 1980 – Bornheim gen. Schilling, Werner: Der Trierer Dom und die staatliche Denkmalpflege, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 465–487. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Borsdorf/Grütter 1999 – Borsdorf, Ulrich/Grütter, Heinrich Theodor (Hrsg.): Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt a. M. 1999. Bosman 2012 – Bosman, Lex: Bedeutung der Tradition. Über die Spolien im Chorbereich des Magdeburger Domes, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 189–197. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Brandenburg 2005 – Brandenburg, Hugo: Die frühchristlichen Kirchen in Rom vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. Der Beginn der abendländischen Kirchenbaukunst, Regensburg 22005. Brandl 2009? – Brandl, Heiko: Die Skulpturen des 13. Jahrhunderts im Magdeburger Dom. Zu den Bildwerken der älteren und jüngeren Werkstatt, Petersberg o. J. [2009?]. (Beiträge zur Denkmalkunde, 4) Brandl 2012 – Brandl, Heiko: Zur Baugeschichte des Magdeburger Domes im 13. Jahrhundert, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 145–162. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Brandl/Forster 2011 – Brandl, Heiko/Forster, Christian: Dom zu Magdeburg. 2 Bde., Regensburg 2011. (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen-Anhalt, 1; Beiträge zur Denkmalkunde, 6) Brandl/Jäger 2005 – Brandl, Heiko/Jäger, Franz: Überlegungen zur Identifizierung der archäologisch nachgewiesenen, bisher unbekannten Kirche auf dem Magdeburger Domplatz, in: Meller, Harald/ Schenkluhn, Wolfgang (Hrsg.): Aufgedeckt. Ein neuer ottonischer Kirchenbau am Magdeburger Domplatz, Halle a. d. Saale 2005, S. 55–61. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 3) Brandt 1863 – Brandt, C. L.: Der Dom zu Magdeburg. Historische, architektonische und monumentale Beschreibung der Cathedrale, Magdeburg 1863.

200

Broscheit 1989 – Broscheit, Felicia: Der Kapitellzyklus im Ostbau der Münsterkirche zu Essen, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 50, 1989, S. 25–37. Büchsel 1997 – Büchsel, Martin: Die Geburt der Gotik. Abt Sugers Konzept für die Abteikirche St.-Denis, Freiburg 1997. Büttner 2008 – Büttner, Sandra: Stiftungspraxis an der Essener Münsterkirche des 13. und 14. Jahrhunderts, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 243–260. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Clark 1993 – Clark, William W.: Merovingian Revival Acanthus Capitels at Saint-Denis, in: L’acanthe dans la sculpture monumentale de l’antiquité à la renaissance, Paris 1993, S. 345–356. Claude 1972 – Claude, Dietrich: Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert, Teil I: Die Geschichte der Erzbischöfe bis auf Ruotger (1124), Köln 1972. (Mitteldeutsche Forschungen, 67/I) Clemens 1996 – Clemens, Lukas: Zum Umgang mit der Antike im hochmittelalterlichen Trier, in: Anton, Hans Hubert/Haverkamp, Alfred (Hrsg.): Trier im Mittelalter, Trier 1996, S. 167–202. (2000 Jahre Trier, Bd. 2) Cohausz 1974 – Cohausz, Alfred: Die Verehrung des heiligen Altfrid, in: Pothmann, Alfred (Hrsg.): Bischof Altfrid. Leben und Werk, Essen 1974, S. 109–125. Crosby 1953 – Crosby, Sumner McKnight: L’Abbaye Royal de SaintDenis, Paris 1953. Crosby 1987 – Crosby, Sumner McKnight: The Royal Abbey of SaintDenis from its Beginnings to the Death of Abbot Suger, 475–1151, edited and completed by Pamela Z. Blum, New Haven 1987. Demandt/Engemann 2007 – Demandt, Alexander/Engemann, Josef: Konstantin der Große. Imperator Caesar Flavius Constantinus, Kat. Ausst. Trier 2007, Mainz 2007. Diers 1995 – Diers, Michael: Mnemosyne oder das Gedächtnis der Bilder. Über Aby Warburg, in: Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Memoria als Kultur, Göttingen 1995, S. 79–94. (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte, 121) Drijvers 1992 – Drijvers, Jan Willem: Flavia Maxima Fausta. Some ­Remarks, in: Historia 41, 1992, S. 500–506. Ehlen 2011 – Ehlen, Hans Wilhelm (Hrsg.): »Die Rose neu erblühen lassen ...«. Festschrift zur Wiedereröffnung der Liebfrauen-Basilika zu Trier, Trier 2011. Ehlers 2009 – Ehlers, Caspar: Bautätigkeit und Beisetzungen der Erzbischöfe von Magdeburg in ihrer Domkirche bis zum Brand im Jahre 1207, in: Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang/Schmuhl, Boje E. Hans (Hrsg.): Aufgedeckt II. Forschungsgrabungen am Magdeburger Dom 2006–2009, Halle a. d. Saale 2009, S. 131–144. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 13) Embach 2008 – Embach, Michael: Kaiserin Helena in der lateinischen Legendarik des Mittelalters, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 60, 2008, S. 31–54. Ewig 1958 – Ewig, Eugen: Kaiserliche und apostolische Tradition im mittelalterlichen Trier, in: Trierer Zeitschrift 24–26, 1956–1958, S. 147–186. Ewig 1964 – Ewig, Eugen: Das Trierer Land im Merowinger- und Karolingerreich, in: Laufner, Richard (Hrsg.): Geschichte des Trierer Landes, Bd. I, Trier 1964, S. 222–302. (Schriftenreihe zur Trierischen Landesgeschichte und Volkskunde, 10) Fachbach 2010 – Fachbach, Jens: Johann Georg Judas (um 1655–1726) »Chur-Trierischer Baw Meisder«. Zur Architektur eines geistlichen Kurfürstentums an Rhein und Mosel im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, Diss. Trier 2010. Falk 2011 – Falk, Birgitta: Das Essener Ida-Kreuz, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Frauen bauen Europa, S. 143–175. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 9) Falk/Schilp/Schlagheck 2007 – Falk, Birgitta/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hrsg.): … wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze

LITERATURVERZEICHNIS

aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007, S. 189–213. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 5) Fischer 2008 – Fischer, Thorsten: Überlegungen zur Neuanlage der ­Essener Memorialüberlieferung um 1300, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 261–284. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Findeisen 1990 – Findeisen, Peter: Geschichte der Denkmalpflege: Sachsen-Anhalt. Von den Anfängen bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts, Berlin 1990. Forster 2009a – Forster, Christian: Magdeburg und Walkenried. Zu den frühgotischen Kompositkapitellen im Magdeburger Dom, in: Insitu 1, 1/2009, S. 81–90. Forster 2009b – Forster, Christian: Die archäologischen Altgrabungen im Magdeburger Dom, in: Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang/ Schmuhl, Boje E. Hans (Hrsg.): Aufgedeckt II. Forschungsgrabungen am Magdeburger Dom 2006–2009, Halle a. d. Saale 2009, S. 9–30. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 13) Forster 2012 – Forster, Christian: Was »vom Hamann« übrig blieb, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 25–42. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) François/Schulze 2001 – François, Etienne/Schulze, Hagen (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001. Frank/Sebald 1994 – Frank, Georg/Sebald, Eduard: Der Gutachterwettbewerb zur Renovierung des Doms zu Trier. Ein Beispiel des Umgangs zeitgenössischer Architekten mit historisch wertvoller Architektur, in: Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz. Jahresberichte 1989–1991, Jg. 44–46 , Worms 1994, S. 74–88. Fürst 2002 – Fürst, Ulrich: Die lebendige und sichtbahre Histori. Programmatische Themen in der Sakralarchitektur des Barock (Fischer von Erlach, Hildebrandt, Santini), Regensburg 2002. (Studien zur christlichen Kunst, 4) Gass 2007 – Gass, Berit H.: Das Theophanu-Evangeliar im Essener Domschatz (Hs. 3), in: Falk, Birgitta/Schilp, Thomas/Schlagheck, ­Michael (Hrsg.): … wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007, S. 169–188. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 5) Geary 1994 – Geary, Patrick J.: Phantoms of remembrance. Memory and oblivion at the end of the first millenium, Princeton 1994. Gerchow 2002 – Gerchow, Jan: Die Gründung des Frauenstifts Essen vor mehr als 1150 Jahren, in: Das Münster am Hellweg 55, 2002, S. 25–34. Gerchow 2004 – Gerchow, Jan: Äbtissinnen auf dem Weg zur Landesherrschaft im 13. Jahrhundert. Das Beispiel der Frauenstifte Essen und Herford, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Reform – Reformation – Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten, Essen 2004, S. 67–88. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 3) Geuenich/Oexle 1994 – Geuenich, Dieter/Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters, Göttingen 1994. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 111) Geuenich 2008 – Geuenich, Dieter: Von der Adelsforschung zur Memoriaforschung, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 9–18. (Essener Forschungen zum Frauen­ stift, 6) Giesau 1936 – Giesau, Hermann: Der Dom zu Magdeburg, 2., veränd. Aufl., Burg bei Magdeburg 1936. Goethert 2003 – Goethert, Klaus-Peter: Römerbauten in Trier. Porta Nigra, Amphitheater, Barbarathermen, Thermen am Viehmarkt, Kaiserthermen, Regensburg 2003. (Edition Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz, Führungsheft 20)

LITERATURVERZEICHNIS

Goldschmidt 1899 – Goldschmidt, Adolf: Französische Einflüsse der frühgotischen Skulptur Sachsens, in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen 20, 1899, S. 285–300. Götz 1966 – Götz, Wolfgang: Der Magdeburger Domchor. Zur Bedeutung seiner monumentalen Ausstattung, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 20, 1966, S. 97–120. Gose 1969 – Gose, Erich (Hrsg.) Die Porta Nigra in Trier, 2 Bde., Berlin 1969. Gramsch 2009 – Gramsch, Robert: Pariser Studienkollegen und römische Verbindungen. Das Personennetzwerk um Erzbischof Albrecht II., in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 384–391. Greischel 1929 – Greischel, Walther: Der Magdeburger Dom, Berlin 1929. Greischel 1939 – Greischel, Walther: Der Magdeburger Dom, Berlin 1939. Halbwachs 1941– Halbwachs, Maurice: La topographie légendaire des évangiles en terre sainte. Étude de mémoire collective, Paris 1941. Halbwachs 1985a [1925] – Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt a. M. 1985 (franz. Original: Les cadres sociaux de la mémoire, 1925). (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 538) Halbwachs 1985b [1950] – Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1985 (franz. Original: La Mémoire collective, 1950). Hamann 1909 – Hamann, Richard: Die Kapitelle im Magdeburger Dom, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 30, 1909, S. 56–270. Hamann/Wilhelm-Kästner 1924 – Hamann, Richard/Wilhelm-Kästner, Kurt: Die Elisabethkirche zu Marburg und ihre künstlerische Nachfolge, Bd. 1: Die Architektur, Marburg 1924. Hamann/Rosenfeld 1910 – Hamann, Richard/Rosenfeld, Felix: Der Magdeburger Dom. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik mittelalterlicher Architektur, Ornamentik und Skulptur, Berlin 1910. Hammerschmidt 2004 – Hammerschmidt, Brigitte: Die Liebfrauenkirche in Trier. Zur Frage des Denkmalwertes der Innenraumgestaltung, in: Rheinische Heimatpflege 41, 1/2004, S. 32–37. Haussherr 1989 – Haussherr, Reiner: Zum Problem von Kontinuität und Diskontinuität in der Geschichte des Magdeburger Domes, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 179–186. Heilmeyer 1970 – Heilmeyer, Wolf-Dieter: Korinthische Normalkapitelle. Studien zur Geschichte der römischen Architekturdekoration, Heidelberg 1970. (Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung; Erg. H. 16) Heinen 1996 – Heinen, Heinz: Frühchristliches Trier. Von den Anfängen bis zur Völkerwanderung, Trier 1996. Heinen 2008 – Heinen, Heinz: Konstantins Mutter Helena. Geschichte und Bedeutung, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 60, 2008, S. 9–29. Heinz 2008 – Heinz, Andreas: Das Bild der Kaiserin Helena in der Liturgie des lateinischen Westens, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 60, 2008, S. 55–74. Helten 1992 – Helten, Leonhard (Hrsg.): Streit um Liebfrauen. Eine mittelalterliche Grundrißzeichnung und ihre Bedeutung für die Liebfrauenkirche zu Trier, Trier 1992. Henkelmann 2007 – Henkelmann, Vera: Der Siebenarmige Leuchter des Essener Münsters und die Memoria der Äbtissin Mathilde. »Äbtissin Mathilde befahl mich anzufertigen und weihte mich Christus«, in: Falk, Birgitta/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hrsg.): … wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007, S. 151–167. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 5)

201

Hesberg 2005 – Hesberg, Henner von: Römische Baukunst, München 2005. (Beck’s archäologische Bibliothek) Heydenreich 1938 – Heydenreich, Johanne: Die Metropolitangewalt der Erzbischöfe von Trier bis auf Baldewin, Marburg 1938. (Marburger Studien zur älteren deutschen Geschichte, II. Reihe, 5. Stück) Hoffmann 2005 – Hoffmann, Volker (Hrsg.): Die »Denkmalpflege« vor der Denkmalpflege. Akten des Berner Kongresses 30. Juni–3. Juli 1999, Bern 2005. (Neue Berner Schriften zur Kunst, 8) Hollstein 1975 – Hollstein, Ernst: Dendrochronologische Untersuchungen an Hölzern des 10. Jahrhunderts aus dem Trierer Dom, in: Das Münster 28, 1975, S. 20f. Hollstein 1980 – Hollstein, Ernst: Dendrochronologische Untersuchungen an den Bauhölzern des Domes, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 122–141. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Horch 2001 – Horch, Caroline: Der Memorialgedanke und das Spektrum seiner Funktionen in der bildenden Kunst des Mittelalters, Königstein im Taunus 2001. Hucker 1990 – Hucker, Bernd Ulrich: Kaiser Otto IV, Hannover 1990. (Schriften der Monumenta Germania Historica, 34) Humann 1890 – Humann, Georg: Der Westbau des Münsters zu Essen, Essen 1890. Huschner 2012 – Huschner: Zwischen Staufern, Welfen und Päpsten. Erzbischof Albrecht II. von Magdeburg (1205–1232), in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 163–172. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Irsch 1931 – Irsch, Nikolaus: Der Dom zu Trier, Düsseldorf 1931 (Nachdruck Trier 1984). (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, 13) Irsch 1938 – Irsch, Nikolaus: Ehemalige Stiftskirche St. Simeon (in der Porta Nigra), in: Bunjes, Hermann u. a.: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Trier mit Ausnahme des Domes, Trier 1938, S. 463–491. (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, 13. Bd., III. Abt., Die Kunstdenkmäler der Stadt Trier, Bd. 3) Jacobsen 1996 – Jacobsen, Werner: Spolien in der karolingischen Architektur, in: Poeschke, Joachim (Hrsg.): Antike Spolien in der Architektur des Mittelalters und der Renaissance, München 1996, S. 155–178. Jacobsen/Lobbedey/von Winterfeld 2001 – Jacobsen, Werner/Lobbedey, Uwe/Winterfeld, Dethard von: Ottonische Baukunst, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Otto der Große. Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, Mainz 2001, S. 251–281. Jäger 1999 – Jäger, Franz: Die sogenannte Königspfalz zu Magdeburg im Kontext ottonisch-frühsalischer Sakralarchitektur, in: Jäger, Franz/ Sciurie, Helga (Hrsg.): Gestalt, Funktion, Bedeutung. Festschrift für Friedrich Möbius zum 70. Geburtstag, Jena 1999, S. 50–76. Kaiser 1996 – Kaiser, Wolfgang: Romanische Architektur in Deutschland, in: Toman, Rolf (Hrsg.): Die Kunst der Romanik. Architektur – Skulptur – Malerei, Köln 1996, S. 32–73. Kany 1987 – Kany, Roland: Mnemosyne als Programm. Geschichte, Erinnerung und die Andacht zum Unbedeutenden im Werk von Usener, Warburg und Benjamin, Tübingen 1987. (Studien zur deutschen Literatur, 93) Kappel 2008 – Kappel, Kai: Memento 1945? Kirchenbau aus Kriegsruinen und Trümmersteinen in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland, München 2008. (Kunstwissenschaftliche Studien, 145) Kappel/Müller/Janson 2010 – Kappel, Kai/Müller, Matthias/Janson, Felicitas: Moderne Kirchenbauten als Erinnerungsräume und Gedächtnisorte, Regensburg 2010. (Bild – Raum – Feier, Studien zu Kirche und Kunst, 9) Kat. Essen 2008 – Gold vor Schwarz. Der Essener Domschatz auf Zollverein, hrsg. von Birgitta Falk, Kat. Ausst. Ruhr Museum Essen 2008–2009, Essen 2008.

202

Kat. Essen 2009 – Der Essener Domschatz, hrsg. von Birgitta Falk, Essen 2009. Kat. Krone und Schleier 2005 – Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern, Kat. Ausst. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn und Ruhrlandmuseum Essen 2005, München 2005. Kat. St. Denis 1992 – Le Trésor de Saint-Denis, Dijon 1992. Keller 1975 – Keller, Harald: Reliquien in Architekturteilen beigesetzt, in: Beiträge zur Kunst des Mittelalters. Festschrift für Hans Wentzel zum 60. Geburtstag, Berlin 1975, S. 105–114. Keller 1976 – Keller, Hagen: Das Kaisertum Otto des Großen im Verständnis seiner Zeit, in: Zimmermann, Harald (Hrsg.): Otto der Große, Darmstadt 1976, S. 218–295. Kemp 2002 – Kemp, Wolfgang: Kommunikative Distanz. Zu den Anfängen der Fassade am Beispiel des Trierer Doms, in: Hüttel, Barbara/ Hüttel, Richard/Kohl, Jeanette (Hrsg.): Re-Visionen. Zur Aktualität von Kunstgeschichte. Festschrift Alexander Perrig, Berlin 2002, S. 3–24. Kempf 1951 – Kempf, Theodor Konrad: Die vorläufigen Ergebnisse der Ausgrabungen auf dem Gelände des Trierer Doms, in: Germania 29, 1951, S. 47–58. Kempf 1964 – Kempf, Theodor Konrad: Untersuchungen und Beobachtungen am Trierer Dom, 1961–1963, in: Germania 42, 1962, S. 126–141. Kempf 1968 – Kempf, Theodor Konrad: Grundrissentwicklung und Baugeschichte des Trierer Doms, in: Das Münster 21, 1968, S. 1–32. Kempf 1975 – Kempf, Theodor Konrad: Die ottonische Bauperiode der Trierer Bischofskirche, in: Das Münster 28, 1975, S. 8–20. Kempf 1978 – Kempf, Theodor Konrad: Das Haus der heiligen Helena, in: Neues Trierisches Jahrbuch, Beiheft 1978, S. 3–16. Kempf 1980 – Kempf, Theodor Konrad: Erläuterungen zum Grundriss der frühchristlichen Doppelkirchenanlage in Trier mit den Bauperioden bis zum 13. Jahrhundert, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 112–116. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Kimpel/Suckale 1985 – Kimpel, Dieter/Suckale, Robert: Die gotische Architektur in Frankreich 1130–1270, Darmstadt 1985. Klamt 1989 – Klamt, Johann-Christian: Zur Datierung der Putzritzungen im Magdeburger Domkreuzgang, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 124–131. Klein 1984 – Klein, Bruno: St. Yved in Braine und die Anfänge der hochgotischen Architektur in Frankreich, Köln 1984. Klein 1998 – Klein, Bruno: Beginn und Ausformung der gotischen Architektur in Frankreich und seinen Nachbarländern, in: Toman, Rolf (Hrsg.): Die Kunst der Gotik. Architektur – Skulptur – Malerei, Köln 1998, S. 28–115. Klein 2012 – Klein, Bruno: Komposition, Ensemble oder Konglomerat? Fragen zur Form des Magdeburger Domchores, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 181–187. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, 2) Koch, A. 1926 – Koch, Alfred: Die Ausgrabungen im Dom zu Magdeburg im Jahre 1926. Der ottonische Dom, in: Montagsblatt der Magdeburgischen Zeitung, Sondernummer zu Nr. 68, 1926. Koch, W. 2000 – Koch, Wilfried: Baustilkunde, Gütersloh 222000. Kosch 2001 – Kosch, Clemens: Zur ortsfesten Ausstattung der Kirchen in ottonischer Zeit, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Otto der Große. Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, Mainz 2001, S. 281–304. Kraus/Führer/Neukäter 1996 – Kraus, Franz/Führer, Wilfried/Neukäter, Joachim: Grundlagen der Tragwerklehre 1, 7., vollst. überarb. Aufl., Köln 1996.

LITERATURVERZEICHNIS

Kraus/Führer/Willems 1997 – Kraus, Franz/Führer, Wilfried/Willems, Claus-Christian: Grundlagen der Tragwerklehre 2, 4., vollst. überarb. Aufl., Köln 1997. Krautheimer 1937 – Krautheimer, Richard: Corpus Basilicarum Christianarum Romae. Le Basiliche Cristiani Antiche Di Roma, Vol. I, Città del Vaticano 1937. (Monumenti Di Antichità Cristiana, 2,1) Krautheimer 1988 – Krautheimer, Richard: Einführung zu einer Ikonographie der mittelalterlichen Architektur, in: Ders.: Ausgewählte Aufsätze zur Europäischen Kunstgeschichte, Köln 1988, S. 142–197. Kroos 1989 – Kroos, Renate: Quellen zur liturgischen Benutzung des Domes und seiner Ausstattung, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 88–97. Kruse 2000 – Kruse, Karl Bernhard: Der Hildesheimer Dom. Grabungen und Bauuntersuchungen auf dem Domhügel 1988 bis 1999, Hannover 2000. (Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens, Reihe A, 27) Kubach 1978 – Kubach, Hans Erich: Zur Raumform des Trierer Doms. Ein Beitrag zum Problem der romanischen Hallenkirche, in: Busch, Werner/Haussherr, Reiner/Trier, Eduard (Hrsg.): Kunst als Bedeutungsträger. Gedenkschrift für Günter Bandmann, Berlin 1978, S. 29–42. Kubach 1957 – Kubach, Hans Erich (Rez.): Zimmermann, Walther: Das Münster zu Essen, Essen 1956. (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 3), in: Kunstchronik 10, 1957, S. 64–67. Kubach/Verbeek 1976 – Kubach, Hans Erich/Verbeek, Albert: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Katalog der vorromanischen und romanischen Denkmäler, 3 Bde., Berlin 1976. (Denkmäler deutscher Kunst) Kubach/Verbeek 1989 – Kubach, Hans Erich/Verbeek, Albert: Romanische Baukunst an Rhein und Maas. Bd. 4: Architekturgeschichte und Kunstlandschaft, Berlin 1989. (Denkmäler deutscher Kunst) Kuhn 2003 – Kuhn, Rainer: Ein außerordentliches Grab des 10. Jahrhunderts n. Chr. vom Magdeburger Domplatz, in: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 86, 2003, S. 199–212. Kuhn 2005 – Kuhn, Rainer: Die ottonische Kirche am Magdeburger Domplatz. Baubefunde und stratigraphische Verhältnisse der Grabungsergebnisse 2001–2003, in: Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang (Hrsg.): Aufgedeckt. Ein neuer ottonischer Kirchenbau am Magdeburger Domplatz, Halle a. d. Saale 2005, S. 9–49. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 3) Kuhn 2009a – Kuhn, Rainer: Die Kirchen des Magdeburger Domhügels, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 38–53. Kuhn 2009b – Kuhn, Rainer: Die Vorgängerbauten unter dem Magdeburger Dom, in: Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang/Schmuhl, Boje E. Hans (Hrsg.): Aufgedeckt II. Forschungsgrabungen am Magdeburger Dom 2006–2009, Halle a. d. Saale 2009, S. 31–86. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 13) Kuhn 2009c – Kuhn, Rainer: Die Kirchen des Domhügels. Überlegungen zu ihrer Identifizierung nach den Grabungen, in: Meller, Harald/ Schenkluhn, Wolfgang/Schmuhl, Boje E. Hans (Hrsg.): Aufgedeckt II. Forschungsgrabungen am Magdeburger Dom 2006–2009, Halle a. d. Saale 2009, S. 221–234. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 13) Kuhn 2012a – Kuhn, Rainer: Die sakrale Bebauung vor 1209 auf dem Magdeburger Domhügel, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 43–58. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, 2) Kuhn 2012b – Kuhn, Rainer: Zum Stand der Erforschung der Grablege von Königin Editha, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas

LITERATURVERZEICHNIS

(Hrsg.): Der Magdeburger Dom im europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 109–117. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, 2) Kühne 2009 – Kühne, Hartmut: Reliquien und Reliquiare des Magdeburger Domes im 13. Jahrhundert. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 181–191. Kunst 1969 – Kunst, Hans-Joachim: Die Entstehung des Hallenum­ gangschores. Der Domchor zu Verden an der Aller und seine Stellung in der gotischen Architektur, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 18, 1969, S. 1–104. Kunst 1983 – Kunst, Hans-Joachim (Hrsg.): Die Elisabethkirche. Architektur in der Geschichte, Kat. Ausst. 700 Jahre Elisabethkirche in Marburg 1283–1983, Kat. 1, Marburg 1983. Kurzeja 1972 – Kurzeja, Adalbert: Der älteste Liber Ordinarius der Trierer Domkirche. London Brit. Mus. Harley 2958, Anfang 14. Jahrhundert Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen, Münster 1972. (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, Heft 52) Lange 2001 – Lange, Klaus: Der Westbau des Essener Doms. Architektur und Herrschaft in ottonischer Zeit, Münster 2001. (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, 9) Lange 2002 – Lange, Klaus: St. Cosmas und Damian zu Essen. Ein Plädoyer für eine neue Sicht der älteren Baugeschichte, in: Berghaus, Günter/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael: Herrschaft, Bildung und Gebet. Gründung und Anfänge des Frauenstifts Essen, Essen 22002, S. 43–56. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 1) Lange 2003 – Lange, Klaus: Die Krypta der Essener Stiftskirche. Heuristische Überlegungen zu ihrer architektonisch-liturgischen Konzeption, in: Gerchow, Jan/Schilp, Thomas (Hrsg.): Essen und sächsische Frauenstifte im Frühmittelalter, Essen 2003, S. 161–183. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 2) Lange 2004 – Lange, Klaus: Der gotische Neubau der Essener Stiftskirche, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Reform – Reformation – Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten, Essen 2004, S. 89–113. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 3) Lange 2008 – Lange, Klaus: Sakralarchitektur und Memoria. Das Essener Münster als Ort der Erinnerung, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 59–78. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Ledderose 1988 – Ledderose, Lothar: Die Gedenkhalle für Mao Zedong. Ein Beispiel für Gedächtnisarchitektur, in: Assmann, Jan/ Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, S. 311–339. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 724) Leenen 2008 – Leenen, Brunhilde: Selbstvergewisserung nach der Krise. Essener Memoria um 1300, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 285–299 (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Lehmann 1983 – Lehmann, Edgar: Die Pfalz Ottos des Großen in Magdeburg, in: Möbius, Friedrich/Schubert, Ernst (Hrsg.): Architektur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, Weimar 1983, S. 42–62. Lehmann 1989 – Lehmann, Edgar: Die Pfalz Ottos des Großen in Magdeburg, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 57–61. Leopold 1983 – Leopold, Gerhard: Der Dom Otto I. zu Magdeburg. Überlegungen zu seiner Baugeschichte, in: Möbius, Friedrich/Schubert, Ernst (Hrsg.): Architektur des Mittelalters. Funktion und Gestalt, Weimar 1983, S. 63–86.

203

Leopold 1989 – Leopold, Gerhard: Zur Baugeschichte des ottonischen Domes in Magdeburg, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 62–69. Leopold 1998 – Leopold, Gerhard: Archäologische Ausgrabungen an Stätten der ottonischen Herrscher, in: Althoff, Gerd/Schubert, Ernst (Hrsg.): Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, Sigmaringen 1998, S. 33–76. Leppin 1999 – Leppin, Eberhard: Die Elisabethkirche in Marburg an der Lahn, Königstein im Taunus 1999. Lobbedey/Scholz/Vestring-Buchholz 1993 – Lobbedey, Uwe/Scholz, Herbert/Vestring-Buchholz, Sigrid: Der Dom zu Münster. 793 – 1945 – 1993, Bd. 1: Der Bau, Bonn 1993. (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen, 26) Lückger/Bunjes 1938 – Lückger, Hanns/Bunjes, Hermann: Liebfrauenkirche, in: Die Kunstdenkmäler der Stadt Trier, Bd. III. Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Trier mit Ausnahme des Domes, Düsseldorf 1938 (Nachdruck Trier 1981), S. 124–203. (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Bd. 13, III. Abt., Die Kunstdenkmäler der Stadt Trier, Bd. 3) Ludowici 2002 – Ludowici, Babette: Ein neu entdeckter mittelalterlicher Kirchenbau in Magdeburg? Zweiter Bericht zum Stand der Auswertung der Grabungen von 1959–1968 auf dem Magdeburger Domplatz, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 32, 2, 2002, S. 1–13. Ludowici/Rogacki-Thiemann 2003 – Ludowici, Babette/Rogacki-Thiemann, Birte: »Der erste Thumb oder Kirche welche Keyser Otto erbawet ist auffem Newen marckte [...] gelegen.« Ein Diskussionsbeitrag zur Frage nach dem Standort des ottonischen Doms, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51, Heft 7, 2003, S. 649–655. Ludowici/Hardt 2004 – Ludowici, Babette/Hardt, Matthias: Zwei ottonische Kirchen, in: Frühmittelalterliche Studien 38, 2004, S. 89–99. Markschies 1995 – Markschies, Christoph: Gibt es eine »Theologie der gotischen Kathedrale?« Nochmals: Suger von St. Denis und St. Dionys vom Areopag, Heidelberg 1995. Martini 2000 – Martini, Wolfram (Hrsg.): Architektur und Erinnerung, Göttingen 2000. (Formen der Erinnerung, 1). Meckseper 1996 – Meckseper, Cord: Antike Spolien in der ottonischen Architektur, in: Poeschke, Joachim (Hrsg.): Antike Spolien in der Architektur des Mittelalters und der Renaissance, München 1996, S. 179–204. Meckseper 2001 – Meckseper, Cord: Magdeburg und die Antike. Zur Spolienverwendung im Magdeburger Dom, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Otto der Große. Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, Mainz 2001, S. 367–380. Meier/Wohlleben 2000 – Meier, Hans-Rudolph/Wohlleben, Marion (Hrsg.): Bauten und Orte als Träger der Erinnerung. Die Erinnerungsdebatte und die Denkmalpflege, Zürich 2000. Meller/Schenkluhn 2005 – Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang (Hrsg.): Aufgedeckt. Ein neuer ottonischer Kirchenbau am Magdeburger Domplatz, Halle a. d. Saale 2005. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 3) Meller/Schenkluhn/Schmuhl 2009 – Meller, Harald/Schenkluhn, Wolfgang/Schmuhl, Boje E. Hans (Hrsg.): Aufgedeckt II. Forschungsgrabungen am Magdeburger Dom 2006–2009, Halle a. d. Saale 2009. (Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderbd. 13) Meschede 1967 – Meschede, Kurt: Das Franziskus-Hospital der hl. ­Elisabeth als Keimzelle des Marburger Deutschhauses, in: Wieser, Klemens (Hrsg.): Acht Jahrhunderte Deutscher Orden in Einzeldarstellungen, Festschrift für Marian Tumler, Bad Godesberg 1967, S. 89– 120. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 1) Metternich 1994 – Metternich, Wolfgang: Der Dom zu Limburg an der Lahn, Darmstadt 1994. Meyer-Barkhausen 1952 – Meyer-Barkhausen, Werner: Die Marmorsäule im Westchor des Essener Münsters, in: Das Münster am Hellweg 5, Nr. 4, 1952, S. 55–58.

204

Michler 1984 – Michler, Jürgen: Die Elisabethkirche zu Marburg in ihrer ursprünglichen Farbigkeit, Marburg 1984. (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 19) Mielsch 1987 – Mielsch, Harald: Die römische Villa. Architektur und Lebensform, München 1987. (Beck’s archäologische Bibliothek) Mohr de Pérez 2012 – Mohr de Pérez, Rita: Die Anfänge der preußischen Denkmalpflege und der Domreparaturbau in Magdeburg 1826–1834, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 119–129. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Müller 1997 – Müller, Matthias: Der zweitürmige Westbau der Marburger Elisabethkirche. Baugeschichte, Vorbilder, Bedeutung, Marburg 1997. (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, 60) Müller 2004 – Müller, Matthias: Das Schloß als Bild des Fürsten. Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reiches (1470–1618), Göttingen 2004. (Historische Semantik, 6) Müller 2009 – Müller, Matthias: Similitudo Mariae. Die bildhafte Ausgestaltung der Marburger Elisabethkirche zum locus sanctus der Marien- und Elisabethverehrung, in: Frank, Thomas/Matheus, Michael/Reichert, Sabine (Hrsg.): Wege zum Heil. Pilger und heilige Orte an Rhein und Mosel, Stuttgart 2009, S. 199–227. (Geschichtliche Landeskunde, 67) Nickel 1973a – Nickel, Ernst: Magdeburg in karolingisch-ottonischer Zeit, in: Zeitschrift für Archäologie 7, 1973, S. 102–142. Nickel 1973b – Nickel, Ernst: Magdeburg in karolingisch-ottonischer Zeit, in: Vor- und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter, Bericht über ein Symposium in Rheinhausen bei Göttingen 1972, Teil I, Göttingen 1973, S. 294–331. (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, philosophisch-historische Klasse, 3. Folge, Nr. 83) Nicol 1985 – Nicol, Wolfgang (Hrsg.): Der Dom zu Limburg, Mainz 1985. (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 54) Nicolai 1989 – Nicolai, Bernd: Überlegungen zum Chorbau des Magdeburger Domes unter Albrecht II. (1209–1232), in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 147–157. Nicolai 2009 – Nicolai, Bernd: »Nobili structura et opere sumptuoso«. Der Chorbau des Magdeburger Doms als Neuformulierung der »Reichskathedrale« im Spannungsfeld baulicher Modelle der Romania und der Gotik der Ile-de-France um 1200, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 70–83. Nicolai 2012 – Nicolai, Bernd: Die ersten Kirchen des Magdeburger Domhügels im Lichte des ottonischen Trier, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 73–83. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, 2) Nora 1984–1992 – Nora, Pierre (Hrsg.): Les lieux de mémoire, 7 Bde., Paris 1984–1992. Nora 1990 – Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990. (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, 16) Nora 2005 – Nora, Pierre (Hrsg.): Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005. Nussbaum 1985 – Nussbaum, Norbert: Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik. Entwicklung und Bauformen, Köln 1985. (DuMont-Dokumente) Nussbaum 2011 – Nussbaum, Norbert: Form und Funktion an der Trierer Liebfrauenkirche, in: Ehlen, Hans Wilhelm (Hrsg.): »Die Rose neu erblühen lassen ...«. Festschrift zur Wiedereröffnung der LiebfrauenBasilika zu Trier, Trier 2011, S. 53–60.

LITERATURVERZEICHNIS

Oexle 1984 – Oexle, Otto Gerhard: Memoria und Memorialbild, in: Schmid, Karl/Wollasch, Joachim (Hrsg.): Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, München 1984, S. 384–440. (Münstersche Mittelalter-Schriften, 48) Oexle 1994 – Oexle, Otto Gerhard: Die Memoria Heinrichs des Löwen, in: Geuenich, Dieter/Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters, Göttingen 1994, S. 128–177. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 111) Oexle 1995 – Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Memoria als Kultur, Göttingen 1995. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 121) Oswald/Schaefer/Sennhauser 1966/1968/1971 – Oswald, Friedrich/ Schaefer, Leo/Sennhauser, Hans Rudolf (Hrsg.): Vorromanische Kirchenbauten. Katalog der Denkmäler bis zum Ausgang der Ottonen, 3 Bde., München 1966–1971. (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, 3) Päffgen 2009 – Päffgen, Bernd: Tradition im Wandel. Die Grablegen des Kaisers Otto, der Königin Edgith und der Erzbischöfe im Magdeburger Dom, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 203–217. Pietsch/Quast 2005 – Pietsch, Jürgen/Quast, Giselher: Der Magdeburger Dom, Spröda 2005. Poeschke 1996 – Poeschke, Joachim (Hrsg.): Antike Spolien in der ­Architektur des Mittelalters und der Renaissance, München 1996. Pohlsander 1995a – Pohlsander, Hans A.: Helena. Empress And Saint, Chicago 1995. Pohlsander 1995b – Pohlsander, Hans A.: Der Trierer Heilige Rock und die Helena-Tradition, in: Aretz, Erich u. a. (Hrsg.): Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi, Trier 1995, S. 119–130. Pothmann 1979 – Pothmann, Alfred: Vom Ende des Stifts Essen zum Anfang des Ruhrbistums. Wandel in der kirchlichen Organisation an Rhein und Ruhr, in: Das Münster am Hellweg 32, 1979, Heft 5, S. 55–68. Pothmann 1985 – Pothmann, Alfred: Heiligen- und Reliquienverehrung im Stift Essen, in: Das Münster am Hellweg 38, 1985, S. 13–28. Pothmann 1987 – Pothmann, Alfred: Die Äbtissinnen des Essener Stiftes, in: Das Münster am Hellweg 40, 1987, S. 5–10. Pothmann 1993 – Pothmann, Alfred: Die Schatzkammer des Essener Münsters, München 21993. (Große Kunstführer, 152) Pothmann 1997 – Pothmann, Alfred: Das Münster unserer Lieben Frau zu Essen, in: Das Münster am Hellweg 50, 1997, S. 1–128. Pothmann 1999 – Pothmann, Alfred: Der Wiederaufbau des Essener Münsters 1946–1957. Auszüge aus der Pfarrchronik St. Baptist, in: Das Münster am Hellweg 52, 1999, S. 5–33. Pothmann 2002 – Pothmann, Alfred: Der Essener Kirchenschatz aus der Frühzeit der Stiftsgeschichte, in: Berghaus, Günter/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael: Herrschaft, Bildung und Gebet. Gründung und Anfänge des Frauenstifts Essen, Essen 22002, S. 135–153. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 1) Prange 2007 – Prange, Melanie: BEAT(RI)X ABB(ATISS)A ASNID(E) N(SIS) DE HOLTHE ME FIERI FECIT. Das von Beatrix von Holte gestiftete Armreliquiar im Essener Domschatz, in: Falk, Birgitta/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hrsg.): … wie das Gold den Augen leuchtet. Schätze aus dem Essener Frauenstift, Essen 2007, S. 189–213. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 5) Prechtel 2011 – Prechtel, Svea: Der Siebenarmige Leuchter und seine Restaurierungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, in: Münster am Hellweg 64, 2011, S. 9–129. Puhle 2001 – Puhle, Matthias (Hrsg.): Otto der Große. Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, Mainz 2001. Puhle 2005 – Puhle, Matthias (Hrsg.): Magdeburg 1200. Mittelalterliche Metropole, Preußische Festung, Landeshauptstadt. Die Geschichte der Stadt von 805 bis 2005, Stuttgart 2005.

LITERATURVERZEICHNIS

Puhle 2009 – Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, 2 Bde., Mainz 2009. Von Quast 1853 – Quast, Ferdinand von: Die Romanischen Dome des Mittelrheins zu Mainz, Speier, Worms, Berlin 1853. Quast/Jerratsch 2004 – Quast, Giselher/Jerratsch, Jürgen: Der Dom zu Magdeburg, München 2004. (Großer DKV-Kunstführer) Rasch 1998 – Rasch, Jürgen: Das Mausoleum der Kaiserin Helena in Rom und der »Tempio della Tosse« in Tivoli, Mainz 1998. (Spätantike Zentralbauten in Rom und Latium, 3) Rasch/Arbeiter 2007 – Rasch, Jürgen/Arbeiter, Achim: Das Mausoleum der Constantina in Rom, Mainz 2007. (Spätantike Zentralbauten in Rom und Latium, 4) Rauch 1999 – Rauch, Ivo: Trierer Glasmalerien des Spätmittelalters in Shrewsbury, Trier 1999. (Kataloge und Schriften des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums Trier, 5) Reiche 2012 – Reiche, Jens: Die Stellung der Magdeburger Domkrypta in ottonisch-salischer Zeit, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 95–107. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanik Zentrums, 2) Reudenbach 1980 – Reudenbach, Bruno: Säule und Apostel. Überlegungen zum Verhältnis von Architektur und architekturexegetischer Literatur im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 14, 1980, S. 310–351. Riedl 1988 – Riedl, Peter Anselm: Nostalgie und Postmoderne, in: Assmann, Jan/Hölscher, Tonio (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, S. 340–367. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 724) Rogacki-Thiemann 2007 – Rogacki-Thiemann, Birte: Der Magdeburger Dom St. Mauritius et St. Katharina. Beiträge zu seiner Baugeschichte 1207–1567, Petersberg 2007. (Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege 6) Ronig 1980a – Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Ronig 1980b – Ronig, Franz: Die Ausstattung des Trierer Doms, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 225–362. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Ronig 1982 – Ronig, Franz: Der Dom zu Trier, Königstein im Taunus 1982. Ronig 1990 – Ronig, Franz: Der Trierer Dom und sein Verhältnis zur ­Antike, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 44, 1990, S. 112–123. Ronig 1995 – Ronig, Franz: Geometrie als Bedeutungsträger am Beispiel der Liebfrauenkirche, in: Ahrens, Dieter (Hrsg.): III. Internationaler Interdisziplinärer Kongreß für historische Metrologie vom 17. bis 21. November 1993 im Städtischen Museum Simeonstift Trier, St. Katharinen 1995, S. 241–254. (Ordo et mensura 3, Sachüberlieferung und Geschichte 15) Ronig 2003 – Ronig, Franz: Die Liebfrauen-Basilika zu Trier aus der Sicht der christlichen Kunst, in: Brubach, Heinz/Persch, Martin: Festschrift 200 Jahre Pfarrei Liebfrauen, Trier 2003, S. 217–245. Ronig 2004 – Ronig, Franz: Die Trierer Doppelkirchenanlage von Dom und Liebfrauen als Beispiel für die sich wandelnden Räume unter dem Einfluss einer sich wandelnden Liturgie, in: Heiliger Dienst 58, 2004, Heft 3. Kirchenraum und Liturgie im Spannungsfeld von Wandel und Bestand, S. 237–258. Ronig 2007 – Ronig, Franz: Zu einigen Fragen aus der Baugeschichte der Trierer Liebfrauenkirche, in: Kurtrierisches Jahrbuch 47, 2007, S. 161–177. Ronig 2011 – Ronig, Franz: Die Trierer Liebfrauenkirche. Architektursymbolik und Figurenzyklus, in: Ehlen, Hans Wilhelm (Hrsg.): »Die

205

Rose neu erblühen lassen ...«. Festschrift zur Wiedereröffnung der Liebfrauen-Basilika zu Trier, Trier 2011, S. 61–96. Rosenfeld 1909 – Rosenfeld, Felix: Vom Magdeburger Dombau – Zum 700jährigen Jubiläum der Domgründung, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 44, 1909, S. 1–22. Sandron 2012 – Sandron, Dany: Der Domchor zu Magdeburg und die französische Architektur der Gotik. Die Auswirkung der Bauherrnschaft des Erzbischofs Albrecht von Käfernburg, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 173–180. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Sauer, C. 1993 – Sauer, Christine: Fundatio und Memoria. Stifter und Klostergründer im Bild 1100 bis 1350, Göttingen 1993. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 109) Sauer, J. 1924 – Sauer, Joseph: Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalalters, Freiburg 21924. Sauerländer/Wollasch 1984 – Sauerländer, Willibald/Wollasch, Joachim: Stiftergedenken und Stifterfiguren in Naumburg, in: Schmid, Karl/Wollasch, Joachim (Hrsg.): Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, München 1984, S. 354–383. (Münstersche Mittelalter-Schriften, 48) Schenkluhn 2009 – Schenkluhn, Wolfgang: Zwischen Erneuerung und Erinnerung. Der Magdeburger Domchor in der Kunstgeschichte, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 56–69. Schenkluhn/van Stipelen 1983 – Schenkluhn, Wolfgang/Stipelen, Peter van: Architektur als Zitat. Die Trierer Liebfrauenkirche in Marburg, in: Kunst, Hans-Joachim (Hrsg.): Die Elisabethkirche. Architektur in der Geschichte, Kat. Ausst. 700 Jahre Elisabethkirche in Marburg 1283–1983, Kat. 1, Marburg 1983, S. 19–53. Schenkluhn/Waschbüsch 2012 – Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Schilp 2001 – Schilp, Thomas: Die Gründungsurkunde der Frauenkommunität Essen. Eine Fälschung aus der Zeit um 1090, in: Crusius, Irene (Hrsg.): Studien zum Kanonissenstift, Göttingen 2001, S. 149– 183. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 167/Studien zur Germania sacra, 24) Schilp 2002 – Schilp, Thomas: Altfrid oder Gerswid? Zur Gründung und den Anfängen des Frauenstifts Essen, in: Berghaus, Günter/Schilp, Thomas/Schlagheck, Michael (Hrsg.): Herrschaft, Bildung und Gebet. Gründung und Anfänge des Frauenstifts Essen, Essen 2002, S. 29–42. Schilp 2004 – Schilp, Thomas: … sorores et fratres capituli secularis ecclesie Assindensis … Binnenstrukturen des Frauenstifts Essen im 13. Jahrhundert, in: Schilp, Thomas (Hrsg.): Reform – Reformation – Säkularisation. Frauenstifte in Krisenzeiten, Essen 2004, S. 37–65. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 3) Schilp 2008a – Schilp, Thomas (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Schilp 2008b – Schilp, Thomas: Totengedenken des Mittelalters und kulturelles Gedächtnis, in: Ders. (Hrsg.): Pro remedio et salute anime peragemus. Totengedenken am Frauenstift Essen im Mittelalter, Essen 2008, S. 19–36. (Essener Forschungen zum Frauenstift, 6) Schlink 1989 – Schlink, Wilhelm: Der Bischofsgang, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 141–146. Schmid 1982 – Schmid, Karl: Zum Stifterbild im Liller Evangelistar des 11. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 16, 1982, S. 143–160.

206

Schmid/Wollasch 1984 – Schmid, Karl/Wollasch, Joachim (Hrsg.): Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, München 1984. (Münstersche Mittelalter-Schriften, 48) Schmidt 1999 – Schmidt, Michael: Reverentia und Magnificentia. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17. Jahrhundert, Augsburg 1999. Schmidt-Colinet/Plattner 2004 – Schmidt-Colinet, Andreas/Plattner, Georg A.: Antike Architektur und Bauornamentik, Wien 2004. Schmitt 1977 – Schmitt, Heinrich: Hochbaukonstruktion. Die Bauteile und das Baugefüge, Grundlagen des heutigen Bauens, 6., völlig überarb. Aufl., Braunschweig 1977. Scholz 2009 – Scholz, Michael: Der weltliche Besitz der Magdeburger Erzbischöfe im 12. und 13. Jahrhundert, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 403–411. Schramm 1957 [1929] – Schramm, Percy Ernst: Kaiser, Rom und Renovatio. Studien zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reichs bis zum Investiturstreit, Darmstadt 1957. [Originalausgabe Leipzig 1929] Schroeder 1980 – Schroeder, Carl: Zum Schicksal der gotischen Glasfenster, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 376–385. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Schubert 1974 – Schubert, Ernst: Der Magdeburger Dom, Berlin 1974. Schubert 1984 – Schubert, Ernst: Der Magdeburger Dom, 1. überarb. Aufl. der Ausg. von 1974, Leipzig 1984. Schubert 1989 – Schubert, Ernst: Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 25–44. Schubert 1998 – Schubert, Ernst: Imperiale Spolien im Magdeburger Dom, in: Althoff, Gerd/Schubert, Ernst (Hrsg.): Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, Sigmaringen 1998, S. 9–32. Schubert 2009 – Schubert, Ernst: Magdeburger Forschungen II. Die beiden Kirchen auf dem Gelände des Magdeburger Domplatzes und die Bestattungen Kaiser Ottos des Großen und seiner Gemahlin Königin Edith. Eine Zwischenbilanz, in: Kunstchronik 62, Heft 8, 2009, S. 374–382. Schubert/Leopold 2001 – Schubert, Ernst/Leopold, Gerhard: Magdeburgs ottonischer Dom, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Otto der Große. Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, Mainz 2001, S. 353–366. Schubert/Lobbedey 2001 – Schubert, Ernst/Lobbedey, Uwe: Das Grab Otto des Großen im Magdeburger Dom, in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Otto der Große. Magdeburg und Europa, Kat. Ausst. Kulturhistorisches Museum Magdeburg 2001, Mainz 2001, S. 381–390. Schurr 2007 – Schurr, Marc Carel: Gotische Architektur im mittleren Europa 1220–1340. Von Metz bis Wien, München 2007. Sciurie 1983 – Sciurie, Helga: Zur Ikonographie der Putzritzzeichnungen am Magdeburger Domkreuzgang, in: Nickel, Heinrich L. (Hrsg.): Wandmalerei des Hochfeudalismus im europäisch-byzantinischen Spannungsfeld (12. und 13. Jahrhundert), Protokoll des Kolloquiums in Halle 1981, Halle (Saale), 1983, S. 83–95. (Wissenschaftliche Beiträge der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1983, 14) Sciurie 1989 – Sciurie, Helga: Zur Bedeutung der Chorskulpturen im Magdeburger Dom, in: Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989, S. 163–168. Sedlmayr 1950 – Sedlmayr, Hans: Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1950. Seifert 2009 – Seifert, Volker: Magdeburger Forschungen I. Neue Forschungen zur Erbauung des Magdeburger Domplatzes im 10. und

LITERATURVERZEICHNIS

11. Jahrhundert und zu den Vorgängerbauten des Magdeburger Doms, in: Kunstchronik 62, Heft 8, 2009, S. 364–374. Silberborth 1910 – Silberborth, Hans: Erzbischof Albrecht II. von Magdeburg, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 45, 1910, S. 110–232. Simon 1986 – Simon, Erika: Die konstantinischen Deckengemälde in Trier, Mainz 1986. (Trierer Beiträge zur Altertumskunde, 3) Von Simson 1968 – Simson, Otto von: Die gotische Kathedrale. Beiträge zu ihrer Entstehung und Bedeutung, Darmstadt 1968. Sistig 1995 – Sistig, Jürgen: Die Architektur der Abteikirche St. Maximin in Trier im Lichte ottonischer Klosterreform, Kassel 1995. (Zgl. Diss. FU Berlin 1992) Strickhausen 2001 – Strickhausen, Gerd: Die Elisabethkirche in Marburg. Kirche des Deutschen Ordens, in: Burgen kirchlicher Bauherren. Festschrift Dankwart Leistikow, hrsg. v. der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern in Verbindung mit dem Germanischen Nationalmuseum, München 2001, S. 139–156. (Forschungen zu Burgen und Schlössern, 6.2001) Sußmann 2002 – Sußmann, Michael: Der Dom zu Magdeburg, Passau 2002. Sußmann 2009 – Sußmann, Michael: Zu den Bauphasen und der Bautechnik des Magdeburger Domes (1207–1520), in: Puhle, Matthias (Hrsg.): Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit und Europa, Bd. 1: Essays, Mainz 2009, S. 126–141. Thomas 1968 – Thomas, Heinz: Studien zur Trierer Geschichtsschreibung des 11. Jahrhundert insbesondere zu den Gesta Treverorum, Bonn 1968. (Rheinisches Archiv 68) Trillmich 1960 – Trillmich, Werner (Hrsg.): Thietmari Merseburgensis Episcopi: Chronicon/Thietmar von Merseburg: Chronik, Darmstadt 1960. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, 9) [deutsch-lateinische Parallelausgabe] Uitz 1976 – Uitz, Erika: Der Kampf um kommunale Autonomie in Magdeburg bis zur Stadtverfassung von 1330, in: Töpfer, Bernhard (Hrsg.): Stadt und Städtebürgertum in der deutschen Geschichte des 13. Jahrhunderts, Berlin 1976, S. 288–323. (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte, 24) Ullmann 1989 – Ullmann, Ernst (Hrsg.): Der Magdeburger Dom. Ottonische Gründung und staufischer Neubau, Bericht über das Symposium in Magdeburg 1986, Leipzig 1989. Varwick/Horz 1980 – Varwick, Felix/Horz, Gerhard: Der Beitrag des Ingenieurs, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 447–452. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Warburg 2000 – Warburg, Aby Moritz: Der Bilderatlas Mnemosyne, hrsg. von Martin Warnke unter Mitarb. von Claudia Brink, Berlin 2000. (Gesammelte Schriften, Abt. 2, Bd. 1) Warnke 1976 – Warnke, Martin: Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen, Frankfurt am Main 21976. Waschbüsch 2012 – Waschbüsch, Andreas: »beatae memoriae praedecessoris«. Amtsgenealogie und Stiftergedenken in den Putzritzzeichnungen des Magdeburger Domkreuzgangs, in: Schenkluhn, Wolfgang/Waschbüsch, Andreas (Hrsg.): Der Magdeburger Dom im Europäischen Kontext. Beiträge des internationalen wissenschaftlichen Kolloquiums zum 800-jährigen Domjubiläum in Magdeburg 2009, Regensburg 2012, S. 309–322. (More Romano. Schriften des Europäischen Romanikzentrums, 2) Weber 1980 – Weber, Winfried: Putz, Malerei und Bodenbelag, in: ­Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 142–192. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Weber 1989 – Weber, Winfried: Die Anfänge des Trierer Doms. Die archäologische Erforschung der frühchristlichen Kirchenanlage im Bereich des Trierer Doms und der Liebfrauenkirche, in: Trierer Theologische Zeitschrift 98, 1989, S. 147–155.

LITERATURVERZEICHNIS

Weber 1995 – Weber, Winfried: Der Quadratbau des Trierer Doms und sein polygonaler Einbau – eine »Herrenmemoria?«, in: Aretz, Erich u. a. (Hrsg.): Der Heilige Rock zu Trier. Studien zur Geschichte und Verehrung der Tunika Christi, Trier 1995, S. 915–940. Weber 1996 – Weber, Winfried: Der Basilikenkomplex auf dem Domfreihof in Trier. Die jüngsten Ausgrabungen im Bereich des Doms und der Liebfrauenkirche, Antike Welt 27, 1996, S. 121–127. Weber 2000 – Weber, Winfried: Constantinische Deckengemälde aus dem römischen Palast unter dem Dom, 4., veränd. Aufl., Trier 2000. (Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Trier, Museumsführer Nr. 1) Weber 2003 – Weber, Winfried: Archäologische Zeugnisse aus der Spätantike und dem frühen Mittelalter zur Geschichte der Kirche im Bistum Trier (3.–10. Jahrhundert n. Chr.), in: Heinen, Heinz/Anton, Hans Hubert/Weber, Winfried: Geschichte des Bistums Trier, Bd. 1: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Mittelalter, Trier 2003, S. 407–541. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 38) Weber 2004 – Weber, Winfried: Neue Forschungen zur Trierer Dom­ grabung. Die archäologischen Ausgrabungen im Garten der Kurie von der Leyen, in: Ristow, Sebastian (Hrsg.): Neue Forschungen zu den Anfängen des Christentums im Rheinland, Münster 2004, S. 225–234. (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband, kleine Reihe 2) Weber 2009 – Weber, Winfried: Kirchliche Denkmalpflege im Bistum Trier, Stichwort: Trier, Pfarrkirche Liebfrauen, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 61, 2009, S. 467–471. Weber 2011 – Weber, Winfried: Von der frühchristlichen Kirche zum gotischen Juwel. Archäologische Ergebnisse zu den Vorgängerbauten und zur Gründungsphase der Liebfrauenkirche, in: Ehlen, Hans Wilhelm (Hrsg.): »Die Rose neu erblühen lassen ...«. Festschrift zur Wiedereröffnung der Liebfrauen-Basilika zu Trier, Trier 2011. Wilhelm-Kästner 1929 – Wilhelm-Kästner, Kurt: Das Münster in Essen, Essen 1929.

207

Wilmowsky 1874 – Wilmowsky, Johann Nikolaus von: Der Dom zu Trier in seinen drei Hauptperioden: der Römischen, der Fränkischen, der Romanischen, Trier 1874. Von Winterfeld 1984 – Winterfeld, Dethard von: Gedanken zu Sugers Bau in St.-Denis, in: Steigerwald, Frank Niedhard (Hrsg.): Martin Gosebruch zu Ehren, Festschrift anläßlich seines 65. Geburtstags am 20. Juni 1984, München 1984, S. 92–107. Von Winterfeld 2001 – Winterfeld, Dethard von: Romanik am Rhein, Stuttgart 2001. Von Winterfeld 2003 – Winterfeld, Dethard von: Der Dom zu Worms, Königstein im Taunus 2003. Von Winterfeld 2005 – Winterfeld, Dethard von: Der Dom zu Limburg. Eine architekturgeschichtliche Betrachtung, in: Ehlers, Caspar/ Flachenecker, Helmut (Hrsg.): Deutsche Königspfalzen, Beiträge zur ihrer historischen und archäologischen Erforschung, Bd. 6: Geistliche Zentralorte zwischen Liturgie und Architektur, Gottes- und Herrscherlob: Limburg und Speyer, Göttingen 2005. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 11,6) Wulf 1978 – Wulf, Walter: Die Kapitellplastik des Sugerbaus von Saint-Denis, Frankfurt a. M. 1978. (Europäische Hochschulschriften: Reihe 28, Kunstgeschichte, Bd. 10) Zimmermann 1956 – Zimmermann, Walther: Das Münster zu Essen, Essen 1956. (Die Kunstdenkmäler des Rheinlandes, Beiheft 3) Zink 1980a – Zink, Jochen: Die Baugeschichte des Trierer Doms von den Anfängen im 4. Jahrhundert bis zur letzten Restaurierung, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 17–111. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79) Zink 1980b – Zink, Jochen: Bibliographie zum Trierer Dom, in: Ronig, Franz (Hrsg.): Der Trierer Dom, Neuss 1980, S. 517–590. (Jahrbuch des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz 1978/79)