Die DDR - Erinnerung an einen untergegangenen Staat [1 ed.] 9783428498215, 9783428098217

Die Erforschung der DDR hat immer noch Konjunktur. Erfreulich ist die Tatsache, daß die Anbindung an die »Mutterdiszipli

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German Pages 593 Year 1999

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Die DDR - Erinnerung an einen untergegangenen Staat [1 ed.]
 9783428498215, 9783428098217

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REINER TIMMERMANN (Hrsg.)

Die DDR - Erinnerung an einen untergegangenen Staat

Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen Herausgegeben von Heiner Timmermann

Band 88

Die DDR - Erinnerung an einen untergegangenen Staat Herausgegeben von

Heiner Timmermann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Die DDR- Erinnerung an einen untergegangenen Staat I hrsg. von Heiner Timmermann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen e. V.; Bd. 88) ISBN 3-428-09821-8

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0944-7431 ISBN 3-428-09821-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Im November 1997 führten das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut der Europäischen Akademie Otzenhausen, die Bundeszentrale für politische Bildung und die Union-Stiftung Saarbrücken nach der Wiedervereinigung zum vierten Male eine DDR- und Deutschlandforschertagung durch. Erstmals boten wir nichtdeutseben Einrichtungen zur Erforschung der DDR-Geschichte die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Bei dem vorliegenden Sammelband handelt es sich im wesentlichen um für die Publikation aufbereitete Beiträge dieses Kolloquiums, die wie folgt strukturiert wurden: I. II. III. IV. V. VI.

Nichtdeutsche DDR-Forschungseinrichtungen stellen sich vor Einführung Gründe des Untergangs der DDR Herrschaft Alltag Außenbeziehungen

Überschneidungen waren nicht zu vermeiden.

Heiner Timmermann

Inhaltsverzeichnis I. Nichtdeutsche DDR-Forschungseinrichtungen stellen sich vor

Karl Christian Lammers

Forschungen zur DDR-Geschichte am Historischen Seminar der Universität Kopenhagen. Ein Zwischenbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

Dirk Rochtus

Das flämische "Centrum vor Duitslandstudien": Eine Vorstellung

19

Jiri Pernes

Das Institut fiir zeitgeschichtliche Forschung an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag und die DDR-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

li. Ebütihrung

Reiner Timmermann

Die DDR. Nachzeichnung eines geschichtlichen Überblicks . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

m. Gründe des Unterganp lstvan Horvdth Wie kam es zum 9. November 1989? Eine Sicht aus Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Helmut Jenkis

Die Einheit von Wirtschaft- und Sozialpolitik - das Scheitern von Erich Honecker . . . . .

63

IV. Herrschaft

Monika Tantzscher

Die verlängerte Mauer. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste bei der Verhinderung von "Republikflucht" über andere Ostblockstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Anne Kaminsky

Herrschaftsgeschichte als Konsumgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

123

Jörg Roesler

Die Ökonomie als Bremser bzw. Beschleuniger von Einheitsbestrebungen und Spaltungstendenzen in Deutschland von 1945 bis 1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

8

Inhaltsverzeichnis

Rainer Karlsch

Reparationsäquivalente Leistungen? Stationierungskosten und Zuschüsse fiir den Uranbergbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

Hubertus Knabe

Die feinen Waffen der Diktatur. Nicht-strafrechtliche Formen politischer Verfolgung in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

Tobias Wunschik

Die Zerschlagung von politischem Widerstand durch das MfS am Beispiel der "Sektion DDR" der KPD/ML . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Damian van Melis

,Der große Freund der kleinen Nazis'. Antifaschismus in den Farben der SED

221

245

Roland Brauclanann

Der Zittauer Aufstand gegen staatliche Verlogenheit. Die unabhängige Zeitschrift "Lausitzbotin" als Katalysator der Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

V. Alltag

Siegfried Grundmann

Zur Un-/Zufriedenheit der DDR-Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wilfriede Otto

Zu Normen und Ritualen im SED-AIItag

Francesca Weil

Der Betrieb als sozialer Raum zwischen Anpassung und Verweigerung . . . . . . . . . . .

Lothar Menens

Ehescheidungen in der Ära Honecker 1971-1989

279

295

307

341

Thomas W. Neumann

Schule in der DDR: Erinnerungen zwischen Herrschaft und Alltag - Lebensgeschichtliche Erfahrungen und kollektive Erinnerungsbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359

VI. Außenbeziehungen

Joseph Dolezal

Realpolitik oder Systemüberwindung? Deutschlandpolitischer Alltag 1970-90 -Eine Nachlese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381

Fritz Reinen

Deutschlandpolitische Aktivitäten des ehemaligen Sozialdemokraten Carl Steinhoff aus der Führungsschicht der SED (1947) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

Inhaltsverzeichnis

Gerhard Keiderling

Die Westberlin-Frage in der historischen Forschung der DDR

9

413

Michael Lemke

Idee und Planung einer deutschen Konföderation im Spannungsfeld von innerdeutschen Interessen der SED und deutschlandpolitischem Kalkül der UdSSR -1954- 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429

Frank Petzold

Die "Staatsgrenze Nord". Zur Entwicklung der Ostseeküste als Teil des DDR-Grenzregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

453

Beate lhme-Tuehel

"Meintwegen sperrt sie ein... ". Die deutsche Minderheit in Polen als Problem der ostdeutsch-polnischen Beziehungen in den Jahren 1949 bis 1963 . . . . . . . . . . . . . . .

Marianne Howarth

Großbritannien und die DDR. Beziehungen und Nicht-Beziehungen

485

509

Ulrich Pfeil

Die "anderen" deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

527

Jacco Pekelder

,Erken de DDR nu' ! Die Niederlande und die Kampagne zur Anerkennung der DDR 1960-1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bernd Schäfer

Der Vatikan in der Außenpolitik der DDR

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

561

575 591

I. Nichtdeutsche DDR-Forschungseinrichtungen stellen sich vor

Forschungen zur DDR-Geschichte am Historischen Seminar der Universität Kopenhagen Ein Zwischenbericht Von Karl Christian Lamrners

Bekanntlich war Dänemark von seiner geographischen Lage her der nächste und unmittelbare Nachbar der DDR im nicht-sozialistischen Lager, und als einziger NATO-Mitgliedstaat unterhielt Dänemark bereits seit Errichtung des DDR-Staates 1949 konkrete Verbindungen zu ihm, nämlich die Fähr- und Eisenbahnverbindung über der Ostsee. Dennoch erschien die DDR aber bis 1973 als ein weitgehend unbekanntes Nachbarland1 : abgesehen von Kommunisten der DKP besuchten wenige Dänen die DDR, und daran änderte sich auch nichts Entscheidendes nach der dänischen diplomatischen Anerkennung der DDR im Januar 1973. Auch als geschichtliches Forschungsthema war die DDR anscheinend uninteressant und wenig gefragt. Die Geschichtswissenschaft und andere Gesellschaftswissenschaften hatten deshalb bis 1989, abgesehen von breiteren Gesamtdarstellungen zur Gesellschaft und Geschichte der DDR, eigentlich wenig aufzubieten. Das gilt bis auf Finnland auch für die anderen skandinavischen Ländem2 • Der Untergang der DDR 1990 und die Öffnung der Partei-, Staats- und Militärarchive in der früheren DDR haben selbstverständlich auch für dänische Forscher die Arbeitsbedingungen grundlegend zum Besseren verändert, obwohl 1 So der Titel eines Buches des Schriftstellers lBrgen Knudsen: DDR, vort ukendte naboland (Die DDR- unser unbekanntes Nachbarland), Kopenhagen 1969.

2

Erwähnenswerte Titel sind eigentlich nur die frühe Darstellung der DDR-Geschichte von J.B.

Holmgaard: 0sttyskland (Ostdeutschland), Kopenhagen 1962, Jens-JBrgen Jensen, Andreas JBrgensen. Jens Quortrup (Hrsg.): DDR- det andet Tysldand (Die DDR- das andere Deutschland), Esbjerg 1977, die Quellensammlung von HansA. Jacobsen (Hrsg): Fra Ulbricht til Honecker.

Kilder til DDR's historie 1945-1985 (Von Ulbricht zu Honecker. Quellen zur DDR-Geschichte 1945-1985), Herning 1987, und der Sammelband Tyskerne. Nation og stat i Tyskland 1815-1988 (Die Deutschen. Nation und Staat in Deutschland 1815-1988), hrsg. von T.B. Oiesen u.a., Aarhus 1988.

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Karl Christian Lammcrs

es immer noch auf dem für dänische Historiker wichtigen Gebiet der Außenbeziehungen der DDR Begrenzungen gibt, indem die Archive des früheren Ministeriums für Außenbeziehungen einer 30-Jahre Sperrfrist unterliegen. Erstaunlich ist dennoch, daß das Interesse dänischer Historiker für die DDR-Geschichte sich als nicht so groß erwiesen hat, wie man das vielleicht hätte erwarten können. Das wiederspiegelt aber die unumgängliche Tatsache, daß für Dänemark und für dänische Historiker die Bundesrepublik das wichtigere und auch interessantere Deutschland war. Für Dänemark war die Bundesrepublik eben Deutschland, und die Phrase "Deutschland als Problem Dänemarks" 3 war mit der Bundesrepublik verknüpft.

I. Natürlich sind die Forschungsbedingungen auch nicht vergleichbar mit denen in anderen Nachbarstaaten Deutschlands. So gibt es in den skandinavischen Ländern bis jetzt keine Forschungseinrichtung vergleichbar mit den Instituten für deutsche Geschichte, wie man sie in z.B. Großbritannien, Frankreich, Italien, den USA und neuerdings auch den Niederlanden fmdet, und somit auch kein eigentliches Forschungsmilieu, wo deutsche Geschichte im Mittelpunkt steht. Leider, denn Deutschland spielte doch geschichtlich und aktuell eine erhebliche Rolle in der Geschichte der skandinavischen Ländern, vor allem in dem kleinen dänischen Nachbarland, so daß Deutschland fast immer präsent war. Es ist deshalb ein großes Desiderat unter Historikern, die sich mit Deutschland beschäftigen, daß es mal gelingen wird, ein Institut oder Zentrum für Deutschlandstudien zu errichten, wo man die Deutschlandforschung organisieren könnte. Die Beschäftigung mit der Geschichte des ostdeutschen Staates fmdet überwiegend in der Abteilung für Zeitgeschichte am Historischen Seminar der Universität Kopenhagen statt. Sie kann als Teil eines breiteren German Studies gesehen werden, das wir in gemeinsamer Kooperation mit Kulturhistorikern und Germanisten des Instituts für Germanistik betreiben4 • An den beiden Instituten werden regelmäßig Kurse zur DDR-Geschichte und zur Kultur der DDR angeboten, es werden Seminararbeiten zu Problemen der DDR-Geschich3 So der Titel eines bekannten Buches zur dänischen Außenpolitik von Troels Fink: Deutschland als Problem Dänemarks, Flensburg 1968. 4 Beispiel hierfür ist ferner das im Frühjahr 1998 in Kopenhagen stattgefundene Symposium über die beiden deutschen Staaten in den 60er Jahren, das von Detlef Siegfried (Germanisches Institut), Axel Schildt (Universität Hamburg) und Karl Christian Lammcrs veranstaltet wird.

Forschungen zur DDR-Geschichte am Historischen Seminar der Universität Kopenhagen 15

te geschrieben, und es sind hier angesiedelte Historiker, die sich seit 1990 mit Gesamtdarstellungen zur DDR-Geschichte hervorgetan haben5 • Abgesehen von ein paar neuen Forschungsprojekten zu Aspekten der Kulturgeschichte der DDR, die zugleich dem Institut für Germanistik zugeordnet sind6 , zentriert das Forschungsinteresse am Historischen Seminar sich auf die Außenbeziehungen der DDR, darunter in einer dänischen Perspektive natürlich die engeren bilateralen dänisch-ostdeutschen Beziehungen, und auf die Militärgeschichte der DDR, darunter insbesondere die militärische Rolle der DDR und der NVA im Warschauer Pakt. Der Zusammenbruch der DDR hat es ermöglicht, gute Einblicke in die operativ-strategischen Planungen des Warschauer Paktes und der NVA für den Kriegsfall zu bekommen, und der Ordinarius für Zeitgeschichte Carl-Axel Gernzell hat in einer größeren Analyse zeigen können, wie der NVA und vor allem der Volksmarine eine Offensivaufgabe Dänemarks gegenüber im Kriegsfall zugeteilt war und wie das sich in den Kriegsspielen niederschlug. Gernzell meint auch, eine Eigeninitiative der NV A nachweisen zu können, vor allem in den achtziger Jahren. Damit wird auch neues Licht über Interesse und Stellung der DDR am Kalten Krieg geworfen7 • Das andere Forschungsprojekt befaßt sich mit der Außenpolitik des ostdeutschen Staates gegenüber Dänemark. Die Analyse der bilateralen Beziehungen zwischen Dänemark und der DDR geht ein als Teil einer größeren Untersuchung, die der Verfasser Karl Christian Lammers zu der dänischen Deutschlandpolitikund den dänisch-deutschen Beziehungen nach 1945 angefangen hat. Das Verhältnis Dänemarks zur DDR wird hier innerhalb des Dreiecks Dänemark-Bundesrepublik-DDR untersucht, womit auch angedeutet ist, daß die Beziehungen zur DDR generell der NATO-Bündnispolitik Dänemarks unterliegen. Für das Projekt ist aber nur begrenzter Zugang zu den staatlichen Akten s Das gilt vor allem für den Verfasser dieses Aufsatzes, vgl. Karl Christion Lammers: Det ny Tyskland. Fra sammenbrud til genforening 1945-1992 (Das neue Deutschland. Vom Zusammenbruch bis zur Wiedervereinigung 1945-1992}, Kopenhagen 1993, wo die Geschichte der DDR als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte dargestellt wird; ferner Kar/ Christian Lammers: Integrationen af DDR (Die Integration der DDR}, in H. Gottlieb (Hrsg): Tyskland i Europa (Deutschland in Europa}, Kopenhagen 1995, und Kar/ Christion Lammers: Bundesrepublik Deutschland. Staat, Gesellschaft, Geschichte und Kultur, Kopenhagen 1996, wo verschiedene Aspekte der Geschichte der DDR einbezogen werden. Vgl. auch die kurze Übersicht über die DDR-Kultur in Tyskland. En kulturhistorie (Deutschland. Eine Kulturgeschichte}, hrsg. von Annelise B. Pedersen, Kopenhagen 1992. 6 Mag.art. Bente Ernborg arbeitet an der Kulturpolitik der SED auf dem 11 . Plenum des ZK 1965, und cand.mag. Barbara Serensen arbeitet an einer Ph.d. über jüdische Kultur in der DDR. 7 Carl-Axel Gemzell: Warszawapakten, DDR och Danmark. Kampen för en maritim operatiosnplan (Der Warschauer Pakt, die DDR und Dänemark. Der Kampf für einen maritimen Operationsplan), Historisk Tidsskrift 96, 1996, S. 32-84.

16

Karl Christian Lammers

gewährt worden, nämlich dänischerseits bis 1972 und deutscherseits bis 1967. In ein paar kleineren Aufsätzen hat der Verfasser bereits die Politik Dänemarks und der anderen skandinavischen Länder gegenüber der DDR bis zur Anerkennung und Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen 1973 untersucht und dabei die sehr vorsichtige Politik Dänemarks, die von großer Rücksicht auf die Bundesrepublik gekennzeichnet war, nachgewiesen. Das Verhältnis zur DDR muß eben als Funktion davon gesehen werden8 • Das dänisch-ostdeutsche Verhältnis hatte aber, wie bereits erwähnt, auch eine ganz konkrete und praktische Seite, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte, obwohl sie nicht zu einer von ostdeutscher Seite erhofften de facto Aufwertung der DDR geführt hat. Die DDR betrachtete Dänemark (und Schweden'1 als Brückenkopf zu dem kapitalistischen Westen, und deshalb wurden unterschiedliche Wege zur Beeinflußung der offiziellen Politik und der öffentlichen Menung in Dänemark betrieben. Die Untersuchung wird hoffentlich auch die Tätigkeiten verschiedener nicht-staatlichen Gruppen, wie die "Anerkend DDR"-Initiative und den Freundschaftsverbund Danmark-DDR, aber auch den nicht-staatlichen Handelsvermittler miteinbeziehen können.

II. Obwohl Dänemark Nachbar zur DDR war, nahm der ostdeutsche Staat keinen großen Platz in der dänischen Außen- und Handelspolitik ein. Dänemark entwickelte sich seit Mitte der fünfziger Jahre, als das die Beziehungen belastende Minderheitenproblem an der dänisch-deutschen Grenze eine vernünftige Lösung fand und die Bundesrepublik Mitglied der NATO wurde, zu einem sehr engen Partner der Bundesrepublik, und folglich war das dänische Verhältnis zur DDRtrotz gewisser Kritik an der starren Haltung der Bundesdeutschen dem untergeordnet. Das offizielle dänische Interesse an der DDR war nicht allzu groß, obwohl die DDR als Kleinstaat mit gewissen öffentlichen Sympathien rechnen konnte, und das spiegelt sich zur Zeit noch in dem Interesse an Forschungen zur Geschichte der DDR wieder. Hoffentlich wird es aber gelingen, 8 Vgl. Karl Christian Lammers: Die DDR aus skandinavischer Sicht, Potsdamer Bulletin fiir Zeithistorische Studien 5, 1995, S. 5-14, und Karl Christian Lammers: Die Beziehungen der skandinavischen Staaten zur DDR bis zur Norrnaliserung in den siebziger Jahren (erscheint demnächst). Vgl. außerdem Karl Christian Lammers: Denmark's Relations with Germany since 1945, in Hans Branner und Morten Kelstrup (Hrsg): Denmark's Policy towards Europe after 1945, London 1998.

9 Vgl. hierzu die unveröffentlichte Magisterarbeit von Andreas Lindroth: Schweden in der Außenpolitik der DDR, Universität Lund 1996.

Forschungen zur DDR-Geschichte arn Historischen Seminar der Universität Kopenhagen 17

dänische Historiker und Forscher auch für andere Aspekte der DDR-Entwicklung zu interessieren, die die doch ziemlich enge dänisch-ostdeutsche Perspektive überschreiten und damit sich der DDR-Geschichte an sich 10 , beispielsweise als Beispiel eines totalitären Staates, des "Sozialismus in deutschen Farben" u.ä. zuwenden werden. Eine Forschungsinstitution, die sich mit der Geschichte der beiden deutschen Staaten befassen könnte, würde da sicherlich sehr inspirierend sein. Sie institutionell und finanziell möglich zu machen, wird uns in der nächsten Zeit beanspruchen.

10 Vgl. hierzu den Forschungsüberblick des Verfassers: The German Democratic Republic as History, in Contemporary European History, 6, 1997, S. 419-425.

2 Timmennann

Das flämische "Centrum voor Duitslandstudien": Eine Vorstellung Von Dirk Rochtus

Anders als im Vereinigten Königreich der Niederlande ist die Beschäftigung mit Deutschland in Belgien nicht auf das Verlangen zurückzuführen, ein eventuell wegen der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges gespanntes Verhältnis mit dem östlichen Nachbarn zu beschwichtigen. Es kann nicht einmal von einer "pro-deutschen Hausse" die Rede sein, wie in den Niederlanden selber die Flut an Konferenzen, Lesungen und Veröffentlichungen über Deutschland mal umschrieben wird, soll sie in Wirklichkeit doch nur den veränderten politischen und wirtschaftlichen Konstellationen, d.h. dem gewachsenen Gewicht Deutschlands in Europa und der Welt, Rechnung tragen. Gerade dies haben die Belgier immer schon getan angesichts der Tatsache, daß Deutschland seit eh und je der wichtigste Handelspartner Belgiens ist. Der Krieg selber spielt keine wesentliche Rolle im Deutschlandbild der Nachkriegsgenerationen in Belgien. Gerade die Erfahrung der deutschen Besatzung während zweier Weltkriege bewirkte, daß die Belgier nach 1945 alles taten, den Nationalismus auf beiden Seiten in einem gesamteuropäischen Integrationsprozeß zu überwinden. Die Selbstironie und das Relativierungsvermögen der Belgier tun das übrige dazu, damit sie sich nicht in einem pathologischen Deutschlandhaß verlieren. Man nimmt die Deutschen wahr, genauso wie die Angehörigen anderer Nationen, und wenn es schon in der breiten Öffentlichkeit ein gewisses Interesse für Deutschland gibt, hat dies vor allem mit der Wirtschaft zu tun. Einen Beleg dieser These geben die Studenten der Handelshogeschool Antwerpen, meinem Institut, die zu "Licentiaat in de Handelswetenschappen", d.h. zu Diplom-Betriebswirt ausgebildet werden. Die Mehrzahl dieser zukünftigen Geschäftsleute und Manager studieren, wenn schon, Deutsch auf Grund der Wirtschaftskraft Deutschlands, denn das Fach Deutsch, das auch in einem breiteren Sinne als Deutschlandkunde gestaltet wird, ist ein Wahlfach. Die Studenten müssen neben zwei obligatorischen Fremdsprachen, Französisch und Englisch, noch eine dritte Fremdsprache wählen, und sie haben dabei die Wahl zwischen Deutsch, Spanisch und Italienisch. 2*

20

Dirk Rochtus

Als ich 1990 an der Handelshochschule Antwerpen als Dozent zu arbeiten anfmg, entschieden sich fast 70 % der Erstsemester für Deutsch als dritte Fremdsprache. Die deutsche Vereinigung, die in den belgiseben Medien als ein Triumph des bundesdeutschen Wirtschaftsmodells gefeiert wurde, lag an der Basis dieser steigenden Tendenz, die etwa drei Jahre lang anhielt. Mit dem Wegebben des Medienrummels ist auch die Prozentzahl der Deutschstudierenden geschrumpft und hat sich auf etwa 58% stabilisiert. Es läßt sich über die Frage spekulieren, ob die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Krise Deutschlands diese Entscheidung negativ beeinflußt hat oder nicht. In der damaligen Euphorie des "Jahres der deutschen Einheit" aber schlug ich meinem Kollegen, Professor Jan de Piere, vor, einen alten Traum zu realisieren, die Gründung nämlich eines" Centrum voor Duitslandstudien" (Kurzwort: CEDUS), das sich der Erforschung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen Deutschlands widmen sollte. Der Bereich Kultur wurde bewußt ausgeklammert, weil sich darum schon das Goethe-Institut in Brüssel und der 700 Mitglieder starke Belgisehe Germanisten- und Deutschlehrerverband kümmerten. Ein "historischer Abriß" des flämischen Deutschlandzentrums soll deutlich machen, wo die Schwierigkeiten und Herausforderungen für die Deutschlandforschung in Belgien liegen. Nach einjähriger Vorbereitung wurde das Zentrum für Deutschlandforschung am 4. Dezember 1991 mit einer feierlichen akademischen Sitzung gegründet. Das Thema "Deutschland und Europa", das von Manfred Brunner, dem damaligen Kabinettchef des EG-Kommissars Martin Bangemann, erörtert wurde, steckte den Rahmen ab, in dem sich CEDUS bewegt: Deutschlandforschung, eingebettet in dem Gedanken der europäischen Integration und der grenzüberschreitenden Verständigung zwischen den europäischen Völkern. Wie schön sich das Konzept auch anhören mag, finanziell war die Lage nicht geklärt. Die Bitte von CEDUS an z.B. die Antwerpener Niederlassungen der deutschen Chemieriesen um finanzielle Unterstützung wurde und wird höflich, aber entschieden, unter Hinweis auf "schwierige Zeiten" zurückgewiesen. Nur eines dieser Unternehmen hat damals CEDUS einen PC und einen Printer geschenkt. Auch von staatlicher Seite her ist man nie, wiederum anders als in den Niederlanden, dem CEDUS je entgegengekommen. Wo die Beziehungen zwischen Belgien und Deutschland in jeglicher Hinsicht reibungslos verlaufen, besteht scheinbar kein Bedürfnis nach staatlich subventionierter Deutschlandforschung. Die Unterstützung, vor allem logistischer Art, kam aus einer anderen Ecke. Die Handelshogeschool stellte dem CEDUS einen Raum zum Ausbau einer Deutschlandbibliothek zur Verfügung und delegierte dazu einen Sekretariatsangestellten, Mare Peeters, als "Bibliothekar". Behilflich waren vom Anfang

Das flämische "Centrum voor Duitslandstudien": Eine Vorstellung

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an das (inzwischen aufgehobene) deutsche Generalkonsulat in Antwerpen, dessen 'Nachfolge' die deutsche Botschaft in Brüssel dabei ist anzutreten, und die Belgiseh-Deutsche Gesellschaft Flandern (BDGF), ein Verein von deutschen, in Belgien ansässigen Kadern und Arbeitnehmern und ihren flämischen Kollegen und Freunden. Die Ziele von CEDUS sind von Anfang an Verständigung zwischen Belgiern und Deutschen und Aufklärung der Belgier über die politischen und sozioökonomischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Das schlägt sich in einem zweigleisigen Handlungsfeld nieder, nämlich einerseits "Organisation" von Aktivitäten wie akademische Sitzungen, Kolloquien, Lesungen, wo sich Belgier und Deutsche treffen, und andererseits "Information" in der Gestalt einer Bibliothek und Dokumentationsstelle über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Dies alles wird insoweit wie möglich von der Handelshogeschool finanziell unterstützt, doch Sparsamkeit ist in diesen schwierigen Zeiten immer geboten. Die Bibliothek nährt sich dann auch vor allem von Bücherspenden, z.B. von seiten der Bundeszentrale für politische Bildung und einiger Stiftungen, und von Freiabonnements politischer Zeitschriften. Mit Rücksicht auf die Studenten der Betriebswirtschaft bilden die Dutzende von Zeitschriften, die dem CEDUS von seiten der deutschen Handelskammern zugeschickt werden, eine nützliche lnformationsquelle. Die Veranstaltungen sind vielerlei: sie reichen von einzelnen Lesungen deutscher Wissenschaftler über z.B. die Wirtschaftslage in Ostdeutschland bis Kolloquien, in denen z.B. der deutsche und der belgisehe Föderalismus miteinander verglichen werden. Das Zielpublikum bilden vor allem, neben Deutschlehrern und einzelnen Akademikern, die Mitglieder der BDGF. Sie stellen eine treue "Klientel" dar, aber dies ist zu gleicher Zeit auch das Problem: wie erreicht man eine größere Öffentlichkeitswirksamkeit, wie kommt man an die Leute heran, die nicht von ihrem Berufher mit Deutschland zu tun haben. Manchmal kann man auch Studenten 'mobilisieren' für einzelne Lesungen, indem man diese in das Lehrprogramm einbindet und so als Pflichtveranstaltung anbietet. Warum, so könnte man sich fragen, ist es an keiner belgischen Universität zur Gründung eines Deutschlandzentrums gekommen? Bot die deutsche Wiedervereinigung den Universitäten nicht die Gelegenheit, die Chance, Fonds und Mittel für ein solches Unterfangen aufzutreiben? An der Universität Löwen soll es einen Ansatz in dieser Richtung gegeben haben, aber man soll vor dem finanziellen und personellen Aufwand zurückgeschrocken sein. Meine Stellungnahme dazu war immer sehr einfach: Taten sind wichtiger als Strukturen. Das "Centrum voor Duitslandstudien" hat keine komplizierte Struktur: es ist Teil der Handelshogeschool, seine beiden Gründer und Leiter und sein Bibliothekar

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Dirk Rochtus

arbeiten in enger Vertrautheit und ohne hierarchische Komplikationen zusammen. Das macht, daß Ideen nicht totgeredet werden, daß Entscheidungen schnell getroffen werden können. Auch hier gilt das Sprichwort: 'Not macht erfmderisch'. Natürlich wäre eine strukturiertere fmanzielle Unterstützung mehr als willkommen, denn auf die Dauer kann einen das reine Engagement doch erschöpfen. Die Existenz von CEDUS hat jedenfalls Wirkung auf das Universitätswesen gezeitigt. Kurz nach seiner Gründung sind wir von der Antwerpener Universität gebeten worden, uns an der Einrichtung eines postakademischen Zyklusses "Duitslandstudies" zu beteiligen. Nach zweijähr~gem Experimentieren wird ein Aufbaukurs angeboten, der sich aus den Bereichen Wirtschaft, Recht, Kultur, Politik/Gesellschaft zusammensetzt. Hierzu arbeiten Germanisten, Wirtschaftswissenschaftler, Juristen und Politologen aus dem Antwerpener Hochschulbereich eng zusammen in der doppelten Eigenschaft als Organisatoren und Dozenten. Neben einigen von deutschen Dozenten angebotenen Gastvorträgen werden die Vorlesungen in der niederländischen Sprache, der Amtssprache Flanderns, gehalten. Man richtet sich ja an erster Stelle an Beruftstätige, deren Deutschkenntnisse nicht unbedingt stark ausgeprägt sein müssen oder können. Dahinter steckt die Einsicht, daß der Schwierigkeitsgrad der deutschen Sprache oft eine Hürde darstellt, ein Hindernis für viele Leute, um sich ein adäquates Bild von Deutschland zu machen. Die flämische Regierung zeigt sich aufgeschlossen gegenüber dem Aufbaukurs und hat die Zurückzahlung der schon getätigten finanziellen Leistungen in Aussicht gestellt. Dies ist ein Zeichen, daß sich in den "obersten Regionen" etwas bewegt zugunsten der Deutschlandforschung. Auch die Teilnahme des flämischen Ministerpräsidenten Luc Van den Brande als Gastredner an einem 1997 vom CEDUS organisierten Föderalismus-Kolloquium läßt sich als positives Signal interpretieren.

Das Institut für zeitgeschichtliche Forschung an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag und die DDR-Forschung Von Jifi Pemes

Die Beziehungen der Tschechoslowakei und der Deutschen Demokratischen Republik wurden immer durch die Tatsache beeinflußt, daß die beiden Staaten Mitglieder des Warschauer Paktes und des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe und vor allem ein Instrument der Großmachtpolitik der Sowjetunion waren, daß ihre Politik infolgedessen nicht selbständig und immer mehr oder weniger von den Ansichten oder Hinweisen des Kremls abhängig war. Trotzdem machten ihre Beziehungen natürlich eine bestimmte Entwicklung durch: von einem gewissen Patemalismus der sog. volksdemokratischen Tschechoslowakei, deren kommunistische Regierung die Entstehung des "ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf dem deutschen Boden" begrüßte und ihn mittels der Hilfe bei der Beseitigung von Kriegsschäden zu stärken suchte, über das Jahr 1968, wo die Regierung der DDR den Demokratisationsprozeß in der CSSR scharf angriff und sich an dem Einfall der Truppen der fünf Staaten des Warschauer Paktesam 21. August beteiligte, bis zum Moment, wo in der DDRfrüher als in der CSSR - die kommunistische Macht zusammenzubrechen begann und die Entwicklung zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten führte. Die Beziehungen der Tschechoslowakei und der Deutschen Demokratischen Republik warenjedoch in der Vergangenheit nie ein Gegenstand eines systematischen historischen oder politologischen Studiums, denn das ehemalige Regime empfand keinen Bedarf eines solchen Studiums. Die Beziehungen der beiden Staaten waren bis zum Sturz der Monopolmacht ihrer kommunistischen Parteien eine offene politische Gelegenheit, die zu lebendig und aktuell war, um zum Gegenstand der Wissenschaftsforschung zu werden. Erst in der letzten Zeit, nach dem Niedergang des totalitären Regimes in den beiden Staaten und eigentlich nach dem Untergang der beiden Staaten selbst, wird in der Tschechischen Republik, die aus einem Teil der ehemaligen Tschechoslowakei entstand,

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Jiti Pernes

einigen Momenten aus der Geschichte der ehemaligen DDR Aufmerksamkeit gewidmet, besonders jenen, die eine unmittelbare Beziehung zur Geschichte der kommunistischen Macht in der CSR haben. Das Studium der Geschichte der ehemaligen DDR oder wenigstens einiger Aspekte ihrer Geschichte hängt in der Tschechischen Republik eng mit der Entfaltung des Studiums der jüngsten Geschichte zusammen. Dieses Gebiet der historischen Forschung wurde vor November 1989 in der Tschechoslowakei praktisch überhaupt nicht gepflegt. Das Studium der jüngsten oder Gegenwartsgeschichte war eine höchst politische Sache, der sich nur sorgfaltig gewählte und beauftragte Personen widmen konnten. Zu ersten Versuchen eines objektiven Blicks auf die Problematik der jüngsten Geschichte kam es in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, besonders auf dem Boden der sog. Arbeitsstätten für Marxismus-Leninismus an Hochschulen. Die sowjetische Okkupation und der Beginn der sog. Normalisierung Anfang der 70er Jahre beendeten jedoch bald diese Bemühungen. Die betreffenden Arbeitsstätten wurden aufgelöst und die Wissenschaftler, die sich mit dieser Problematik beschäftigt hatten, mußten die Hochschulen verlassen. Es ist zwar wahr, daß das Regime Husäks die Notwendigkeit dieses Studiums nicht bestritt, z.B. tschechoslowakische Museen widmeten sich seit Mitte der 70er Jahre der Dokumentation der Periode des Aufbaus des Sozialismus, einige Arbeitsstätten der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, besonders das Historische und Ethnographische Institut widmeten sich dem Studium der Kollektivierung der tschechoslowakischen Landwirtschaft und der Besiedlung des tschechoslowakischen Grenzgebiets nach der Aussiedlung (Vertreibung) der deutschen Bevölkerung, aber immer handelte es sich nur um die Lösung von Teilproblemen, darüber hinaus absichtlich ohne jede Bemühung um eine objektive Erfassung der historischen Entwicklung. Die erzielten Ergebnisse sollten eindeutig einer weiteren Festigung der bestehenden politischen Macht dienen. Interesse an dem Studium der Entwicklung im nationalen Maßstab und an einer objektiven Darstellung der Entwicklung des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei gab es nicht. Darum waren auch alle wichtigen sich auf die Periode des Aufbaus des Sozialismus beziehenden Archivmaterialien streng bewacht und den Historikern - bis auf besonders auserwählte Ausnahmen - unzugänglich. Es wundert also nicht, daß der Hunger nach der Erkenntnis seiner eigenen Vergangenheit, das Bedürfnis, die Wahrheit über die Entwicklung der letzten vier Jahrzehnte zu kennen, bei der tschechoslowakischen Öffentlichkeit in den Tagen des politischen Umsturzes im November 1989 und den unmittelbar danachfolgenden Monaten besonders intensiv empfunden wurde.

Das Institut für zeitgeschichtliche Forschung in Prag und die DDR-Forschung

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Daher war es eine der Forderungen, die im November 1989 das Koordinationszentrum des Bürgerforums an die Vertreter der absterbenden kommunistischen Macht richtete, ein wissenschaftliches Institut zu gründen, das sich dem Studium dieser Periode systematisch widmen würde. Dieser Gedanke wurde während der Verhandlung der Vertreter des Präsidiums der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften und der Historischen Kommission des Koordinationszentrums des Bürgerforums über die Strukturierung von historischen Arbeitsstätten der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften durchgesetzt, und am 24. Januar 1990 entschied das Präsidium der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, am 1. Februar 1990 das Institut für zeitgeschichtliche Forschung an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften zu gründen. Mit seiner Leitung wurde Dr. Vilem Precan beauftragt. Im Mai desselben Jahres wurde die Konzeption der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit des Instituts und seine innere Organisation gebilligt, und am 16. Mai wurde Vilem Precan zu seinem Direktor ernannt. Bei der Gründung des Instituts als einer selbständigen wissenschaftlichen Arbeitsstätte für zeitgeschichtliche Forschung gingen die Organisatoren - dem Vorbild der meisten europäischen Länder mit solchen Instituten mit langjähriger Tradition folgend- von zwei Grundprämissen aus: 1. Das Fach, das jahrzehntelang durch ideologischen Druck der Staatsmacht völlig manipuliert wurde, muß als eine Wissenschaftsdisziplin konstituiert werden und zu diesem Zweck sind möglichst schnell und zielorientiert materielle, organisatorische und personale Voraussetzungen für die wissenschaftliche Arbeit zu schaffen. 2. Das Institut wird gleichzeitig den Anforderungen der gegenwärtigen Gesellschaft entsprechen müssen, die ihre Identität sucht und sich kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen versucht. Die Mitarbeiter ·des Instituts für zeitgeschichtliche Forschung in Prag beschäftigen sich auch mit der Problematik der Geschichte der ehemaligen DDR. Die Anfänge des Instituts waren nicht einfach. Es begann mit fünf Mitarbeitern. Die wurden dann allmählich zahlreicher, Mitte 1992 erreichte das Institut die geplante Zahl von 35 Mitarbeitern. Der Aufbau des Instituts wurde wesentlich durch die Stiftung Charta 77, die Stiftung Central and East European Publishing Project in Oxford und besonders durch die Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert.

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Die Aufgabe des Instituts ist, materielle Voraussetzungen für die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der jüngsten Geschichte zu schaffen, Forschungs- und Studienprojekte in- sowie ausländischer Fachleute und lnstitutioen zu realisieren und im Rahmen der Möglichkeiten zur pädagogischen Arbeit in dem gegebenen Bereich beizutragen, besonders in tschechischen Hochschulen. Im Prinzip handelt es sich um die Herausbildung der institutionellen Basis für das Wissenschaftsfach Gegenwartsgeschichte, das jahrelang manipuliert und wiederholt in ein Instrument der ideologischen und macht-politischen Interessen des kommunistischen Regimes umgewandelt wurde. Diese Fachrichtung war in der Tschechoslowakei am stärksten durch die Verfolgungen nach 1968 betroffen. Anfang der 90er Jahre bahnte sich das Institut seine Tätigkeit mit einer Verspätung von mehreren Jahrzehnten angesichts der westeuropäischen Geschichtswissenschaft seinen Weg. Die Gründer des Instituts waren jedoch imstande, einige in der zweiten Hälfte der 60er Jahre erzielte Ergebnisse der binnen-historischen Arbeit, die Ergebnisse der Exil-Historiographie und der einheimischen unabhängigen Geschichtsschreibung der vergangeneo 20 Jahre, die in der Form von Samizdat verbreitet wurden sowie die Ergebnisse der ausländischen Historiographie einschließlich der westeuropäischen Bohemistik und Slowakistik zugänglich zu machen. Das Institut verfügt also eine spezialisierte Bibliothek zur Geschichte der Tschechoslowakei, der tschechischen Länder und der Slowakei im internationalen Kontext vom Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Es verfolgt und sammelt in- sowie ausländische Bücher- und Zeitschriftenproduktion zur politischen Geschichte sowie zur kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Neben der Gegenwartsliteratur ergänzt es seine Fonds auch retrospektiv und widmet seine besondere Aufmerksamkeit der Produktion von Exilverlagen aus den Jahren 1938-1945, 1948-1968 und 1968-1989, und dies ungeachtet ihrer thematischen Orientierung. Gegenwärtig besitzt die Bibliothek ca. 20 000 Bücher und 600 Titel von Periodika. Bei der Bestandsbildung arbeitet das Institut mit dem Tschechoslowakischen Dokumentationszentrum in Scheinfeld (BRD) zusammen und bedient sich seiner Sammlungen und Einrichtungen. Die Bibliothek ist für die breite Fachöffentlichkeit bestimmt und wird nicht nur von tschechischen und slowakischen Forschern, sondern auch von zahlreichen Interessenten aus anderen Ländern benutzt. Vor allem stellt sie jedoch eine notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Arbeit der Wissenschaftsmitarbeiter des Instituts dar, die sich in drei Fachabteilungen betätigen.

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Die erste orientiert sich auf die Periode 1938-1969170, die zweite auf das Studium der Periode 1969170-1992 und die dritte Abteilung beschäftigt sich mit Judenfragen. Von dem Charakter der Arbeit des Instituts zeugen Namen einiger Forschungsprojekte, die in der Vergangenheit bzw. Gegenwart durch die Mitarbeiter durchgeführt werden. Von außerordentlicher Wichtigkeit war z.B. das Projekt "Die Gründungsperiode und die erste Krise des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei 1948-1953", ferner das Projekt "Politische Eliten in der Tschechoslowakei und ihr Wandel in den Jahren 1938-1953/55". Erwähnenswert sind auch Projekte "Quellen zur Geschichte des Prager Frühlings 1968", "Die antitotalitäre demokratische Revolution 1989 in der Tschechoslowakei" und "Die Tätigkeit und Rolle der Staatssicherheit in den Jahren 1969-1989". Die angeführten Projekte wurden in den Jahren 1991-1993 realisiert. Von jenen, die 1996 beendet wurden, führe ich z.B. "Die Tschechoslowakei und die Großmächte 1938-1948", "Der Aufenthalt sowjetischer Truppen auf dem Gebiet der Tschechoslowakei 1968-1991 ", "Die Geschichte der tschechoslowakischen Juden nach dem Jahre 1938" oder "Die Tschechoslowakei 1945-1967" an. Ergebnisse dieser Projekte werden in der Zeitschrift "Gegenwartsgeschichte", die das Institut seit 1993 alle drei Monate herausgibt, und in vier Schriftenreihen des Instituts veröffentlicht. Drei davon - Studien - Materialien - Dokumente, Zeugnis von der Zeit und den Menschen, Quellen zur Geschichte der Tschechoslowakischen Krise 1967-1970 - sind für die breite Öffentlichkeit gemeint und wurden in der Zusammenarbeit mit kommerziellen Verlagen herausgegeben. Die vierte Schriftenreihe, Hefte des 1nstituts zeitgeschichtliche Forschung, erscheint in beschränkter Auflage und einfacher graphischer Gestaltung im Eigenverlag des Instituts. Sie orientiert sich auf die Veröffentlichung von Teilergebnissen der Forschungsprojekte und Arbeitsprogramme des Instituts und ist vor allem für einheimische Spezialisten und bohemistische Arbeitsstätten im Ausland bestimmt. Sie bringt thematische Dokumentenkomplexe und erste Teilstudien, die auf Grund neuer Archivforschungen entstehen. Nur für Arbeits- und Studiumzwecke ist die Schriftenreihe Dokumente über Persekution und Widerstand bestimmt, die Übersichtsmaterialien über verschiedene Entstehungsformen und die Festigung des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei publiziert. Gerade in diesem Zusammenhang werden Teilfragen der Geschichte der DDR und deren Beziehungen studiert. So kann z.B. die Abteilung, die sich mit der Periode 1938-1969170 beschäftigt, bei der Untersuchung der Krise des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei in den Jahren 1953-1957 von der ähnlichen Entwicklung in der DDR nicht absehen, die in Arbeiterde-

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Jiti Pernes

monstrationen im Juni 1953 zum Ausdruck kam. Sie kann die Umstände des Aufbaus der Berliner Mauer nicht außer acht lassen und die Teilnahme der DDR an der Okkupation der Tschechoslowakei im August 1968. Die Abteilung für das Studium der Jahre 1969/70-1992 arbeitet mit Materialien, die von dem Einfluß der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR am Ende der 80er Jahre auf die Entwicklung bei uns zeugen. Die Arbeit des Instituts für zeitgeschichtliche Forschung an der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag wird durch seinen Direktor Doz. Dr. Viiern Precan, CSc. und seine engsten Mitarbeiter geleitet. Zu ihnen gehört vor allem sein Stellvertreter Doz. Dr. Jindi'ich Pecka, CSc., und die Mitglieder des Institutsbeirats, der ein Beratungsorgan des Direktors darstellt. An der Arbeitsorientierung beteiligt sich ebenfalls der Wissenschaftliche Beirat, der aus wissenschaftlichen Mitarbeitern des Instituts und externen Kollegen zusammengesetzt ist. Eine wichtige Rolle bei der Festlegung der Gesamtlinie des Instituts spielt die Versammlung wissenschaftlicher Mitarbeiter. Daneben entfaltet im Rahmen des Instituts auch der Editionsbeirat, der Bibliotheksbeirat und der Redaktionskreis der Zeitschrift "Gegenwartsgeschichte" seine Tätigkeit. Seinen Sitz fanden in dem Institut auch das Tschechische Nationale Historiker-Komitee, dessen Vorsitzender der Direktor des Instituts ist, und der tschechische Teil der Tschecho-slowakischen HistorikerKommission.

II. Einführung

Die DDR Nachzeichnung eines geschichtlichen Überblicks Von Heiner Timmermann

Es scheint angebracht, zu Beginn der Erinnerungen an einen untergegangenen Staat einen kurzen historischen Überblick über den Gegenstand zu geben. Dieser Überblick soll dem nicht so fachkundigen Leser zur Orientierung dienen. I. Von den Besatzungszonen zur Teilung Deutschlands

Das Gebiet des Deutschen Reiches in den grenzen von 1937 wurde zunächst in sieben, später in acht Teile aufgeteilt: - In ein von der UdSSR verwaltetes Gebiet Nord-Ostpreußen und ein von Polen verwaltetes Süd-Ostpreußen; - in die Gebiete östlich der Linie Oder-Lausitzer-Neiße, welche im Gegensatz zu bisherigen Absprachen von den Sowjets Polen in einem Abkommen vom April 1945 zu Verwaltung überantwortet wurden; - in die vier Besatzungszonen, in denen die jeweilige Besatzungsmacht die politische Herrschaft ausübte. Berlin wurde in vier Besatzungssektoren eingeteilt. Das Saargebiet gehörte ursprünglich zur französischen Zone. Später löste es Frankreich aus seiner Besatzungszone, unterstellte es einem Sonderstatus und band es wirtschaftlich an sich, wozu es die Zustimmung willfahriger Deutscher in diesem Territorium erhielt. Mit der "Erklärung" vom 5. Juni 1946 übernahmen die Siegermächte die oberste Regierungsgewalt in Deutschland, die Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierungen, Verwaltungen und Behörden der Länder, Kreise, Städte und Gemeinden für das Gebiet der Besatzungszonen. Die erste "Feststellung" regelte die Kontrollverfahren in

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Deutschland. Die vier Oberbefehlshaber wurden als oberste Regierungsgewalt eingesetzt, die ihr Amt auf Anweisung ihrer Regierungen ausüben sollten, jeder in seiner Zone und gemeinsam in allen Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten. Zusammen bildeten sie den Kontrollrat, dessen Beschlüsse im Falle der gemeinsamen Verbindlichkeit einstimmig gefaßt werden mußten. Die Verwaltung von Groß-Berlin wurde von der Interalliierten Behörde geleitet, die unter Aufsicht des Kontrollrates arbeitete und sich aus den vier Stadtkommandanten zusammensetzte, die abwechselnd als Hauptkommandeur fungierten. Da die geplanten Grenzen der Zonen nicht mit dem Verlauf der Fronten am Ende des Krieges übereinstimmten, trat der Kontrollrat erst nach Abschluß der Umgruppierungen am 30. Juli 1945 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Damit war eine Übergangsperiode abgeschlossen, die mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht begonnen hatte. Der Abschluß dieser Phase fiel zusammen mit der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1998. In Potsdam bei Berlin trafen sich die Regierungschefs der USA, UdSSR und Großbritanniens, um die Voraussetzungen für die wirtschaftliche und politischen Grundsätze ihrer Nachkriegspolitik gegenüber Deutschland festzulegen. Dabei stand auf der Tagesordnung nicht nur das Deutschlandproblem, sondern auch die Suche nach einer Neuordnung Europas. Die "Mitteilung über die Drei-Mächte-Konferenz von Ber1in - auch Potsdamer-Abkommen genannt- vom 2. August 1945 umriß folgende Grundsätze in bezugauf Deutschland: 1. Völlige Abrüstung, Entmilitarisierung und Demontage der Rüstungsindustrie, 2. Beseitigung des Nationalsozialismus, 3. Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen, Sonderstatuts für Berlin, 4. Demokratisierung des politischen Lebens, 5. Einsetzung örtlicher Verwaltungen und deutscher Zentralbehörden unter Aufsicht des Kontrollrates, 6. Kontrolle der Industrie bei Erhaltung der wirtschaftlichen Einheit Deutschlands, Auflösung von Kartellen, Syndikaten, Trusts, 7. Reparationen und Demontage von Industrieanlagen. Für die Frage der deutschen Ostgebiete enthielt die Mitteilung eine vorläufige Vereinbarung, die bis zu einer Friedensregelung gelten sollte.

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Die Siegermächte wollten das politische Leben demokratisieren, hatten aber keine übereinstimmende Vorstellung von Demokratie. Sie hielten an der wirtschaftlichen Einheit der Besatzungszonen fest, ließen aber für Reparationszwecke ein sowjetisches und ein westlichen Entnahmegebiet zu. Verteilung und Höhe der Reparationen haben bei den wenig später auftretenden Zerwürfnissen eine große Rolle gespielt. Allerdings waren sich die Siegermächte auch nicht einig, wie das Potsdamer Abkommen in seinen politischen Grundsätzen realisiert werden sollte. So lehnte Frankreich im Kontrollrat am 1. Oktober 1945 und später wiederholt die vorgesehene Errichtung von deutschen Zentralbehörden mit dem Hinweis ab, Frankreich sei an das Abkommen nicht gebunden, da es dieses nicht unterzeichnet habe. Außerdem wollte Frankreich ebenso wie die UdSSR an der Kontrolle des Ruhrgebietes beteiligt werden, was die USA und Großbritannien ablehnten.

ll. Weichenstellungen in der sowjetischen Besatzungszone Die Außenministerkonferenz der Siegermächte, eingerichtet auf der Potsdamer Konferenz, konnte sich auf eine Gesamtkonzeption gegenüber Deutschland trotz mehrerer Konferenzen (vom September 1945 bis Dezember 1947) nicht einigen. Der Alliierte Kontrollrat erwies sich für die Bewältigung seiner Aufgaben wegen seiner schwerfalligen Organisation und wegen seines Einstimmigkeitsprinzipsebenfalls zur Lösung der Probleme, die Deutschland als Ganzes anbetrafen, als unfcihig. Die Folge war eine wachsende Zunahme zur Eigenständigkeit und Sonderentwicklung der Zonen in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen, im Aufbau von Institutionen und Organisationen, aber auch in der Verfolgung der Kriegsverbrecher und der Durchführung der Entnazifizierung. Früher als die westlichen Besatzungsmächte hatte die UdSSR in dem von ihr zur Besatzungszone zugewiesenen Gebiet politische Aktivitäten entwickelt und gefördert. Mitte Mai 1945 war die Bildung des Berliner Magistrats abgeschlossen. Die Hälfte der Stadträte bestand aus Kommunisten. Am 10. Juni 1945 wurden politische Parteien und Gewerkschaften zugelassen. Bereits am 11 . Juni 1945 trat die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) mit einem Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit, die SPD folgte am 15. Juni. Wenig später kam es zur Gründung eines vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses, aus dem der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) entstand. CDU und Liberal Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) erließen ebenfalls Gründungsaufrufe (26. Juni und 5. Juli). Schon am 19. Juni bildeten das Zentralkomitee der KPD und der Zentralausschuß der SPD einen "Gemeinsamen Ausschuß", 3 Timmermann

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in dem ein erster Schritt zur Verschmelzung der beiden Parteien zu sehen ist. Unter dem Druck der Sowjetischen Militär-Administration (SMAD) und unter dem Eindruck des Zusammenbruchs von Staat und Wirtschaft vereinbarten Mitte Juli 1945 KPD, SPD, CDU und LDPD eine "Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien". Anfang Juli 1945 wurden durch Befehl der SMAD Landes- bzw. Provinzialregierungen in Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gebildet. Durch die Errichtung von elf deutschen Zentralverwaltungen für verschiedene Sachgebiete erhielt die gesamte Zone einen starken zentralistischen Grundzug. Die KPD hatte bei der SMAD den entscheidenden machtmäßigen Rückhalt, um ihre mit der Besatzungsmacht abgestimmte Politik durchsetzen zu können. Die Sowjets besaßen damit ein Instrumentarium, dessen sie sich in den Auseinandersetzungen mit den noch auseinanderstrebenden Westzonen bedienen konnten. Ab 1945 wurden Strukturreformen durchgeführt, die das wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Leben in der Sowjetzone grundsätzlich veränderten. Die Umgestaltung begann Anfang September 1945 mit einer Bodenreform in Sachsen, die bald auf die anderen Länder der Zone ausgedehnt wurde. Ziel war neben der Abschaffung des Großgrundbesitzes die Förderung der Kleinbauern. Weitere Umgestaltungsmaßnahmen waren: Die Schließung der privaten Banken, die Verstaatlichung großer Wirtschaftsunternehmen, die Durchführung einer Bildungs- und Justizreform. Angesichts der Wahlergebnisse in Österreich und Ungarn, die für die Kommunisten katastrophal ausfielen, erschien den Sowjets die Verschmelzung von KPD und SPD als das einzige Mittel, um die Führungsrolle der KPD abzusichern (wobei allerdings darauf hingewiesen werden muß, daß es starke Kräfte in der SPD der Sowjetzone gab, die schon eine Vereinigung mit der KPD forderten). Im April 1946 kam es zum Zusammenschluß von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Nur in Berlin konnten die SPD-Mitglieder über den geplanten Zusammenschluß abstimmen: Mehr als 80 % sprachen sich dagegen aus. Für die bürgerlichen Parteien (CDU und LDPD) entfiel somit die Sozialdemokratie als möglicher Koalitionspartner. Im Herbst 1946 fanden Gemeinde- und Landtagswahlen statt. Nur von der SMAD genehmigte Ortsverbände der Parteien waren berechtigt, an der Wahl der Kandidaten teilzunehmen. Die SMAD lehnte in vielen Fällen die Registrierung von CDU und LDPD ab. Auch durch andere administrative Maß-

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nahmen wurden die bürgerlichen Parteien behindert: So bei der Zuteilung von Papierlieferungen. Ebenso wurde starker Druck auf deren Redner ausgeübt: Wahlplakate, Flugblätter und Zeitungen dieser Parteien wurden beschränkt bzw. zensiert. Die Gesamtberliner Wahlen im Herbst 1946 waren somit der eigentliche Gradmesser der politischen Meinung der Bevölkerung; denn in den vier Sektoren hatte sich die SED mit der dort weiterbestehenden SPD zu messen (siehe Tabellen 1 und 2). Gemeinsam mit der SED zogen die Sowjets aus den Wahlergebnissen in Berlin und ihrer Zone die Konsequenzen. Es blieben die letzten in der Sowjetzone, bei denen der Mehrheit der Wähler alternative Entscheidungen gestattet wurden. Im Sommer 1947 schuf die SMAD die Deutsche Wirtschaftskommission (DKW), bestehend aus den fünf Präsidenten der Zentralverwaltungen für Industrie, Verkehr, Handel und Versorgung, Land- und Forstwirtschaft, Brennstoff und Energie und den beiden Vorsitzenden der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) und des FDGB. Die Zentralverwaltungen unterstanden faktisch der DKW. Die Spannung zwischen der SED und den beiden bürgerlichen Parteien nahm im Frühsommer 1947 zu. Während der Vorsitzende der Liberal-Demokratischen Partei weiterhin mit der SED eine Verständigung suchte, verließ der Berliner Landesverband aus Protest dagegen den zentralen Vorstand. Die CDU, die sich bereits ab 1945 dem Führungsanspruch der KPD bzw. später der SED widersetzte, mußte ihren Widerstand zweimal mit der Absetzung ihrer Führung durch die SMAD bezahlen: Im Dezember 1945 wurden Hermesund Schreiber wegen Widerstandes gegen die Methoden der Bodenreform abgesetzt, im November 1947 Kaiser und Lemmer wegen ihres Widerstandes gegen die Volkskongreßbewegung. Der am 17./18. März 1948 vom "Zweiten deutschen Volkskongreß" gewählte "Deutsche Volksrat" setzte einen Verfassungsausschuß ein, der auf der Grundlage eines von der SED im Jahre 1946 vorgelegten Verfassungsentwurfs eine Verfassung ausarbeitete und am 20. Oktober 1948 verabschiedete, die am 19. März 1949 vom "Deutschen Volkskongreß" gebilligt wurde. Mitte Mai 1949 fanden Wahlen zum "Dritten deutschen Volkskongreß" nach einer Einheitsliste statt, gekoppelt mit einer Abstimmung über die Verfassung. Auf der Einheitsliste wurden den zum Demokratischen Block zwangsweise verbundenen Parteien und Organisationen bereits vor der Wahl willkürlich Stimmenkontin3*

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gente nach folgenden Schlüssel zugeteilt: SED 25 %, CDU und LDPD je 15 %, Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD) und Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) je 7,5 %, FDGB 10 %, Freie Deutsche Jugend (FDJ) und Kulturbund je 5 %, Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD) und Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) je 3, 7 %, Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) und Genossenschaften je 1,3 %. Mit Hilfe von massiven Wahlfalschungen bezifferte die SED den Anteil der Ja-.Stirnmen mit 61,1 %. Fast 40% der Abstimmenden, die trotz Wahlmanipulation als Nein- oder ungültige Stimmen gewertet werden mußten, hatten keine Vertretung im Ende Mai 1949 zusammengetretenen "Volkskongreß". Dieser setzte einen Volksrat ein, der am 7. Oktober 1949 die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik beschloß. ill. Die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus 1949- 1955

"Unter der Führung der SED übernahm die DDR in der Periode von 1949 bis 1955 das stalinistische System der Sowjetunion, abgesehen von einigen Varianten, wie z. B. das formal weiterbestehende Mehrparteiensystem. Die Herrschaft übte nun- zunächst im Auftrag und unter Kontrolle der sowjetischen Besatzungsmacht- die SED-Führung mit diktatorisch-bürokratischen Methoden aus". 1 Die Verfassung beinhaltete zwar rechtsstaatliche Normen (in enger Anlehnung an die Weimarer Verfassung). Entscheidend für den Machtmißbrauch der SED wurde demgegenüber Artikel 6 der Verfassung, der "Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker" als "Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches" festlegte. Damit konnte die SED gegen jede Opposition vorgehen. Die ersten Jahre dieser Epoche sahen die DDR im Prozeß einer völligen Unterordnung unter die UdSSR. CDU und LDPD wurden gleichgeschaltet und anerkannten die Führungsrolle der SED. Die 1948 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands waren SED-Gründungen, um bestimmte Bevölkerungskreise in das System einzubinden und um das "bürgerliche Lager" zu spalten. Diese Parteien

1

Hermann Weber: DDR. Grundriß der Geschichte 1945-1981, Hannover, 3. Aufl., 1982, S. 36.

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spielten zu keiner Phase ihrer Geschichte eine eigenständige oder wichtige Rolle. Die Einheitsliste zur Volkskammerwahl wurde von allen Parteien akzeptiert. Das im Dezember 1949 geschaffene Oberste Gericht diente als Instanz für politische Prozesse (bis 1950 gab es 78.000 Verurteilungen). Es erfolgte der Auf- und Ausbau der Staatssicherheitsdienstes (SSD, dann Stasi) und der Kasernierten Volkspolizei als Vorläufer eigener Streitkräfte. Der Staatsapparat wurde von der SED skrupellos zur Durchsetzung ihrer Ziele eingesetzt. In diese Zeit fällt die Abschaffung der Länder als föderale Einheiten. Sie wurden ersetzt durch 14 Bezirke als rein administrative Untergliederungen einer zentralisierten Verwaltung. Zusätzliche Verstaatlichungen und Einrichtungen von Volkseigenen Betrieben (VEB) wurden vorgenommen und Genossenschaften des Handwerks (PGH) angeregt. Der politische Druck und die wirtschaftliche Misere führten zu einer Zunahme der Fluchtbewegung nach Westen. Nach Stalins Tod im März 1953 wurde auf eine Liberalisierung vergeblich gehofft. Die im Mai 1953 verfügten Erhöhungen der zu erbringenden Leistungen im Baugewerbe und in der Industrie führten schließlich zur Umschwenkung auf einen "Neuen Kurs" am 9. Juni 1953. Dennoch kam es am 16./17 Juni in vielen Städten der DDR zu Aufständen. Das Verlangen nach Rücknahme der Normenerhöhungen steigerte sich zu zentralen politischen Forderungen: Freie Wahlen, Wiedervereinigung, Ablösung Ulbrichts und der SED-Führung. Da die SED und der von ihr beherrschte Staatsapparat der DDR nicht mehr Herr der Lage werden konnte, zerschlugen sowjetische Panzer die Aufstände. Es kam zu zahlreichen Toten und Verletzten. Nach der Niederschlagung der Aufstände faßte dieSEDeinen Beschluß zur Verlagerung des Schwerpunktes im Wirtschaftsplan von der Schwerindustrie zur Konsumgüterindustrie. Doch blieb wesentlicher Erfolg versagt. Am Ziel des planmäßigen Autbaus des Sozialismus in der DDR, das die Parteikonferenz der SED 1952 proklamiert hatte, änderte sich jedoch nichts: Strukturveränderungen und Angleichung an die Systeme der anderen sozialistischen Länder des Ostblocks waren die Folge. Die SED entwickelte sich von einer Mitgliederpartei zu einer Kaderpartei. Es gelang ihr, das Parteiensystem als Machtinstrument vollends umzugestalten: Die anderen Parteien anerkannten nicht nur ausdrücklich den Führungsanspruch der SED, sie waren zudem mit den Massenorganisationen und gesellschaftlichen Vereinigungen zum Zwangskartell der Nationalen Front zusammengeschlossen, das von der SED . be-

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herrscht wurde. Auch das Recht wurde in diesem Abschnitt der DDR/SEDGeschichte eindeutig der Politik untergeordnet. Außenpolitisch war diese Phase gekennzeichnet durch die Aufnahme der DDR in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, Comecon, 1950) und in den Warschauer Pakt (1955). In einer Erklärung vom März 1954 durch die UdSSR erhielt die DDR im Verständnis der UdSSR die volle Souveränität.

IV. Der Ausbau des neuen Gesellschaftssystems 1955 - 1961 DDR-Historiker sprachen vom Zeitabschnitt 1955 bis 1961 als Phase des "Sieges der sozialistischen Produktionsverhältnisse". Der zweite Fünfjahresplan (1956- 1960) sah die Abstimmung der langfristigen Wirtschaftspläne mit denen der UdSSR und der anderen Ostblockländern vor. Dieser Plan enthielt Zielvorgaben zur Steigerung des sozialistischen Sektors in Industrie, Landwirtschaft und Handel, Umwälzungen auf dem Gebiet der Kultur und Erhöhung des Lebensstandards. Die Kollektivierung der Landwirtschaft, in der Praxis mit allen Druckmitteln vorangetrieben, brachte bis Ende 1960 fast 85 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in die Bewirtschaftung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs). Auch im Handwerk und im Einzelhandel trieb die SED Strukturveränderung und die "Herstellung sozialistischer Produktionsverhältnisse" voran. In der Industrie wurden die Reste des Privateigentums ebenfalls beseitigt. Somit konnte in erheblichem Maße eine Veränderung der Eigentumsstruktur in der DDR festgestellt werden. Diese Veränderungen wurden begleitet durch eine Reform des Bildungswesens. Das Zentralkomitee (ZK) der SED beschloß Thesen zur sozialistischen Umgestaltung des Schulwesens, und die sozialistische Schule sollte in der sozialistischen Universität ihre Fortsetzung finden. In der Wirtschaft war eine stetige Aufwärtsentwicklung festzustellen.1958 wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft, und der Lebensstandard der Bevölkerung verbesserte sich. Allerdings traten in dieser Entwicklung Komplikationen auf. 1959 wurde der Fünfjahresplan unterbrochen, und ein Siebenjahresplan trat an seine Stelle (1959 bis 1965) mit der irrealen Zielsetzung, bis 1961 die Bundesrepublik wirtschaftlich überholen zu wollen. 1960/61 kam es zu erheblichen Rückschlägen in der Wirtschaft. Die Kollektivierung der Landwirtschaft hatte negative Folgen für die Nahrungsmittelversorgung. Ein erwarteter Zuwachs in Handwerk, Handel und Industrie blieb aus.

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Irrfolge der Berlin-Krise (Ultimatum der UdSSR vom November 1958), der Kollektivierung und des zunehmenden politischen Druckes kam es 1960 (fast 200.000 Personen) und 19611 (bis zum 13.8. fast 210.000 Personen) zu einer Massenflucht, der die DDR durch den Bau der Mauer am 13. August 1961 und der Verstärkung der befestigten Demarkationslinie gegenüber dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein Ende setzte.

V. Mauerbau und "Konsolidierung" 1961- 1971 Der Bau der Berliner Mauer führte zu einer "Konsolidierung" und wirtschaftlichen Stabilisierung der DDR. Die Bemühungen von SED und Staat, die Bevölkerung im Sinne der Partei zu integrieren, blieben nicht ohne Erfolg. Andererseits blieb den Menschen nichts anderes übrig, als sich mit dem Regime zu arrangieren, da Fluchtwege so gut wie unmöglich gemacht wurden. Die SED setzte die 1956 begonnene Entstalinisierung fort (besonders nach dem XXII. Parteitag der KPdSU im Oktober 1961) und war bereit, ihren Massenterror aufzugeben. Der VI. Parteitag der SED nahm im Januar 1963 ein Parteiprogramm an, das Richtlinien und Ziele für Gesellschafts-, Wirtschaftsund allgemeine Politik enthielt und sich im wesentlichen an die Thesen des XXII. Parteitages der KPdSU orientierte. Auch das auf demselben Parteitag verabschiedete Statut war weitgehend identisch mit dem Statut der KPdSU. Die SED verstand sich als die Partei des Sozialismus, als Partei der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes, als eine marxistisch-leninistische Kampfpartei. In der Wirtschaftspolitik kam es zu einer Neuorientierung: Das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung setzte anstelle der bisherigen, weitgehend administrativen Leitung der Wirtschaft eine stärkere Steuerung mittels "ökonomischer Hebel". Das führte zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Wissenschaft und Technik wurden ab 1967 besonders gefördert, um eine bessere Ausnutzung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kapazitäten zu erreichen. Die Landwirtschaft erholte sich langsam von den Rückschritten; da ein neues Etappenziel auf dem Weg zum Kommunismus erreicht worden war, wurde dieses Etappenziel in einer neuen Verfassung im Jahre I 968 festgeschrieben. "Die neue Verfassung legte die Machtverhältnisse weitaus offener als die alte, deren Widerspruch zur Realität immer deutlicher geworden war". 2

2

Ebenda, S . 92.

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Damit wurde der SED auch verfassungsrechtlich die Führung des Staates übertragen. Die "Hallstein-Doktrin" der Bundesrepublik Deutschland drohte jedem Land außerhalb des Ostblocks, das die DDR völkerrechtlich anerkennen wollte, den Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Das hatte dazugeführt, daß die DDR nach wie vor lediglich von 12 sozialistischen Ländern diplomatisch anerkannt war. In den 60er Jahren konnte die DDR jedoch einige Erfolge erringen: Eröffnung von Generalkonsulaten und Handelsvertretungen, Kulturabkommen, Anerkennung durch einige arabische und afrikanische Staaten sowie Ceylon. Die Abhängigkeit von der UdSSR war unverändert geblieben. Die Verfassung von 1968 beinhaltete ausdrücklich die enge Bindung an die UdSSR (Art. 6), die bereits durch den Freundschaftsvertrag vom Juni 1964 vertraglich vereinbart worden war. Ende der 60er Jahre war somit für die DDR eine spürbare innenund außenpolitische Stabilisierung festzustellen.

VI. Von tnbricht zu Bonecker oder die "Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft" 1971-1983 Der Führungswechsel von Ulbricht zu Honecker im Mai 1971 markierte eine neue Entwicklung in der DDR. Mit dem Wechsel war eine Neuorientierung der DDR-Politik beabsichtigt. "Diese manifestiert sich zuerst in einer demonstrativen Betonung des unauflöslichen Bündnisses mit der Sowjetunion, der Proklamierung eines wirtschaftspolitischen Realismus, der verstärkten Hervorhebung der Führungsfunktion der Arbeiterklasse und ihrer Partei sowie der Formulierung des Grundsatzes der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". 3 Innenpolitisch wurden einige Kurskorrekturen angebracht. Die zum 15. Jahrestag der DDR-Gründung erfolgte Verfassungsänderung, die in weiten Teilen einer Totalrevision entsprach (42 der ursprünglich 108 Artikel wurden betroffen), bedeutete eine Angleichung an den neuen Kurs. An der Führungsrolle der SED wurde ebensowenig gerüttelt wie an der unverbrüchlichen Freundschaft zur UdSSR. Die innenpolitische und verfassungspolitische Lage der DDR wurde in keiner zurückliegenden Zeit ihrer Geschichte so sehr von den außenpolitischen Ent-

3 Rüdiger

s. 11

ff.

Thomas: Modell DDR. Die kalkulierte Emanzipation. München, Wien, 7. Auf!., 1981,

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wicklungen beeinflußt wie in diesem Jahrzehnt. Die deutsch-deutschen Treffen in Erfurt und Kassel (1970), die Berlin-Regelung der Vier Mächte (1971), der Grundlagenvertrag ( 1972) und zahlreiche Folgevereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland sowie die weltweite diplomatische Anerkennung der DDR führten auf der anderen Seite zu verstärkten Bemühungen der Abgrenzung und Abriegelung von der Bundesrepublik. Schritte dazu waren die Tilgung des Begriffes der deutschen Nation durch die Verfassungsrevision von 1974 und die drastische Erhöhung des Mindestumtausches im Oktober 1980. Damit einher gingen Bemühungen um Erneuerung der "normativen Grundlagen und der ideologisch-programmatischen Zielvorstellungen der DDR-Politik" ,4 die ihren sichtbaren Ausdruck in der Verabschiedung eines neuen Programms und Statuts der SED auf dem IX. Parteitag im Mai 1976 fanden. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre schwankte die DDR zwischen "Krise und Stabilität" .5 Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nahmen zu, und die Unruhe unter Künstlern und Intellektuellen wuchs. "In der Bevölkerung verstärkten sich als Folge der Entspannungspolitik nach Helsinki die Forderung nach Menschenrechten und Ausreisemöglichkeiten". 6 Wegen der Vorgänge in Afghanistan und in Polen war die SED mehr denn je gezwungen, ihren Führungsanspruch zu betonen. Die in Westeuropa die Massen mobilisierende Friedensbewegung hatte auf Teile der Jugend in der DDR und der Evangelischen Kirche eingewirkt, ohne die Eigenständigkeil von Friedensbewegungen in der DDR- staatlich verordnete und unter dem Dach der Ev. Kirche tätige - bestreiten zu wollen.

Vll. Das Ende - 80er Jahre bis 1989/90 Die Beurteilungen über die DDR gingen in Ost und West zu Beginn der 80er Jahre weit auseinander. Für den DDR-Historiker war die "Geschichte der DDR in erster Linie eine Geschichte der revolutionären Umwälzungen und tiefgreifender Wandlungen, die ... das Resultat des Wirkens der Arbeiterklasse unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei und der mit ihr verbündeten

4

Ebenda, S. 27.

s Weber, S. 27. 6

Ebenda.

42

Heiner Timmermann

Klassen und Schichten sind, des Wirkens der politischen Organisation der Gesellschaft, der Partei der Arbeiterklasse ... ". 1 Nach wie vor prägte das innerdeutsche Verhältnis den Aktionsrahmen der DDR zu einem großen Teil; denn "auch aus der Sicht der achtziger Jahre ... bleibt der Kampf gegen die imperialistische Politik der Zerreißung Deutschlands ein wichtiger, unverzichtbarer Bestandteil der Geschichte der DDR" .8 Für den westdeutschen Historiker blieb die DDR "eine widersprüchliche Gesellschaft. Der Anspruch der SED, eine sozialistische Gesellschaft im Sinne von Marx aufzubauen und die Emanzipation der Arbeiter zu verwirklichen, ist ebensowenig realisiert wie ihr Bestreben, alle Lebensbereiche der Menschen zu durchdringen und zu beherrschen .... Ein Blick in die 37jährige Entwicklung läßt Ansätze für Stabilität wie Schwächen der DDR erkennen: die Sowjetunion sichert die Existenz des Regimes, das im Innern vom Funktionieren der Apparate, vor allem der SED, abhängt" . 9 Am 31. März 1989 erschien der erste Bericht des Außenpolitischen Ausschusses des Britischen Unterhauses zum Thema "Osteuropa und die Sowjetunion". 10 Angesichts des offensichtlichen Wandels der sowjetischen Politik, so in der Einführung, wurde in dem Bericht versucht, die britische Reaktion und Politik sowie die der westlichen Welt zu formulieren. Entscheidungen und Grundlagen der westlichen Sicherheitspolitik seien neu zu überdenken vor dem Hintergrund der veränderten Politik der UdSSR und ihres Einflusses auf Osteuropa. Daher wurden die sechs anderen Mitgliedsländer des Warschauer Pakts in die Untersuchung mit einbezogen. Der Ausschuß erstellte seinen Bericht auf Grund von Expertenanhörungen, Gutachten sowie Informationsreisen in die betreffenden Länder. Es ist bezeichnend für unseren Gegenstand, was zur DDR geschrieben wurde: - Innenpolitik der DDR ist eine Funktion der Beziehungen zur Bundesrepublik, - besondere Stellung der DDR im Ostblock wegen ihrer besonderen Beziehungen zur Bundesrepublik, 7 Rolf Badstübner: Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin-Ost, 5. Auf!., 1980, s. 11.

8

Ebenda, S. 14.

9

Weber, S. 143.

10 House of Commons, Session 1988/89. Foreign Affairs Committee. First Report. Eastern Europe and the Soviet Union. Report together with the Proceedings of the Committee, Minutes of Evidence and Appendices. Ordered by The House of Commons. 21 March 1989, London. Her Majesty's Stationary Office.

Die DDR. Nachzeichnung eines geschichtlichen Überblicks

43

- die besondere Rolle von Fernsehen und Radio für die Kommunikation zwischen den Menschen beider Staaten, - Zunahme der Begegnungen zwischen den Menschen beider Staaten in den 80er Jahren, - dieses, verbunden mit einem 50 % geschätzten Lebensstandard der DDR von dem der Bundesrepublik, bringt die DDR in einen wirtschaftlichen Reformdruck, - die gegenwärtige DDR-Führung ist gegen eine Wirtschaftsreform und der Meinung, daß eine wirtschaftliche Perestroika in der DDR bereits seit 1971 in Funktion sei, - Ablehnung von Joint-Ventures-Unternehmungen, - Zunahme der Menschenrechtsverletzungen in der DDR mit Verweis auf Berichte von Amnesty International, - geschätzte Zahl der Ausreisewilligen: 750.000 bis 1,2 Mill. Menschen mit zunehmendem Druck dieser Personen auf die Führung der DDR, - enge Verbindung der Existenz der DDR mit der UdSSR, - Ausweitung des Handlungsspielraum der osteuropäischen Staaten durch die UdSSR mit der Folge, daß auch die DDR-Führung ihre Legitimität von ihrer Bevölkerung bekommen muß - oder nicht, - wünschenswerte Verbesserung der Situation um Berlin, insbesondere im Luftverkehr, wozu allerdings erst eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik erforderlich wäre. 11 Zwar wurde in diesem Bericht nichts von einem Untergang der DDR gesagt, aber die Bedingungen ihrer Existenz wurden klar zum Ausdruck gebracht. Sollten die Bedingungen entfallen, insbesondere die Sicherheit der Existenz durch die UdSSR, so mußte auch die DDR Abschied von ihrer staatliche Existenz nehmen. Diese Sicht wurde in den 80er Jahren auch von der internationalen Politik vertreten. 12 Gegen die "reformistische Einkreisung" (Görtemaker) reagierte die DDR mit Isolierung statt mit eigenen Reformen. Der Druck der Bevölkerung tat das vermutlich Letzte, um den langfristig vorbereiteten Zusammenbruch des SED-Regimes zu vollenden. Am 7. Oktober 1989 feierte die alte Garde der Kommunisten in der DDR sich selbst und das 40jährige Bestehen der DDR. "Die DDR ist ein Grundpfeiler der Stabilität und Sicherheit in Europa", verkündete Honecker. Und dann ging es richtig los: Die Ereignisse konnten kaum registriert werden. Was gestern noch galt, war heute schon 11

Ebenda, S. XXI und XXII.

12 Vgl. Philip Zelikow!Condoleezza Rice: Sternstunden der Diplomatie. Die deutsche Einheit und das Ende der Spaltung Europas. Berlin 1997, S. 25 ff.

44

Heiner Tirnmermann

Altpapier. In einer Rede im Buropakolleg in Brügge erkannte der damalige Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Jacques Delors, die Zeichen der Zeit: Die Gemeinschaft könne nur dann den reformbewegten Staaten in der Mitte Europas helfen und zugleich auf die deutsche Frage eine befriedigende Antwort geben, wenn sie sich uneingeschränkt zum Selbstbestimmungsrecht bekennen würden. Bundeskanzler Kohllegteam 28. November 1989- für viele überraschendein Zehn-Punkte-Programm vor -, das im Grunde den Weg zur Wiedervereinigung und damit den Weg zum Ende der DDR vorwegnahm. Die Auswirkungen der Veränderungen waren für die politische Architektur Europas von enormer Bedeutung. Die Teilung Europas bildete nicht mehr die Prämisse für politisches Denken und militärische Planung. Die größte geopolitische Veränderung zeichnete sich in Deutschland ab, und zwar durch den Einigungsprozeß der beiden deutschen Staaten, nachdem am 18. März 1990 durch die ersten freien Volkskammerwahlen die Bildung einer freigewählten Regierung möglich geworden war und die Kommunisten endgültig von den Schalthebeln der Macht entfernt wurden.

Tabelle 1

Wahl in Berlin am 20. Oktober 1946 SPD

1015609

48,70%

CDU

462425

22,20%

SED

412582

19,80%

LDP

194722

9,30%

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Die DDR. Nachzeichnung eines geschichtlichen Überblicks

Tabelle 2 Landtagswahlen am 20. Oktober 1946

CDU

LDP

VdgB

547.663

377.808

138.572

43.260

49,5%

34,1%

12,5%

3.9%

816.864

313.824

471.415

55.093

49,3%

18,9%

28,5%

3,3%

1.595.281

756.740

806.163

57.229

18.565

49,1%

23,3%

24,7%

1,7%

0,6%

634.786

442.206

298.311

83.271

43,9%

30,6%

20,6%

4,9%

1.063.889

507.397

695.685

56.630

45,8%

29,9%

21,8%

2,5%

Land

SED

Mecldenburg

Thüringen

Sachsen

Brandenburg

Sachsen-Anhalt

KB

Literaturverzeichnis Staritz, Dietrich: Geschichte der DDR 1949 - 1990 (1985). Erweiterte Neuausgabe. Frankfurt 1996.

Timmennann, Heiner (Hg.): Deutschland und Europanach dem 2. Weltkrieg. Entwicklungen, Verflechtungen, Tendenzen. Saarbrücken 1990.

-(Hg): Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert- der Fall DDR. Berlin 1996.

Weber, Hermann: Geschichte der DDR. München 1985. Weber, Jürgen (Hg.): Der SED-Staat. Neues über eine vergangene Diktatur. München 1994.

111. Gründe des Untergangs

Wie kam es zum 9. November 1989? Eine Sicht aus Ungarn Von lstvän Horväth

Die Reformen, vor allem die wirtschaftlichen, begannen in Ungarn bereits Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre. Das bedeutete, daß man auf der höchsten politischen Ebene erkannt hatte, daß das sozialistische System an Effizienz verliert, wenn es weiterhin durch die früheren strikten planwirtschaftliehen Maßnahmen geführt würde. Deshalb kam man zu der Einsicht, daß die marktwirtschaftlichen Elemente gestärkt werden müssen. In diesem Sinne sollte das zentrale Planwirtschaftssystem schrittweise abgebaut werden. Parallel dazu wurde die in- und ausländische Unabhängigkeit der Produktionsgesellschaften gestärkt, ein marktorientiertes System aufgebaut. Diese Reformbestrebungen wurden damals durch die Geschehnisse in der Tschechoslowakei sowie durch den ersten drastischen Ölpreisboom erheblich verlangsamt. Ende der 70er Jahre wurde es den politischen Führungskräften, besonders denen, die sich in der Wirtschaft auskannten, klar, daß das gegenwärtige System in dieser Form nicht weiter am Leben erhalten werden konnte. Mit der Betonung auf die Wichtigkeit des Privateigentums sowie der marktwirtschaftliehen Elemente wurde die zweite Etappe der Wirtschaftsreformen verkündet. Hauptelemente des am 1. Januar 1980 begonnenen Systems waren diese: Die zentrale planwirtschaftliche Kontrolle des Unternehmen wurde eingestellt, sie erhielten eine weitgehende Unabhängigkeit. Die Führungskräfte der Unternehmen wurden von den Selbstverwaltungen ausgewählt. Die Monopolstellung der Export-Import-Firmen existierte nicht mehr, alle Unternehmen erhielten das Recht, international zu handeln. Bis zu 500 Angestellte durften Privatunternehmen beschäftigen. Mit Ausnahme einiger wichtiger Produkte der Lebensmittelindustrie und der strategischen Produkte wurden alle fixierten Preise aufgehoben. Das Gesetz über die Wirtschaftsgesellschaften wurde anhand der deut4 Ttmmennann

50

lstvän Horväth

sehen Vorlage ausgearbeitet und praktisch übernommen. Somit konnten alle Gesellschaftsarten gegründet werden (von KG bis zur AG). Gleichzeitig mit den internen Wirtschaftsreformen begann die Öffnung nach Westen, die Rolle des RGW wurde neu definiert. Es wurde eine vertrauliche Entscheidung getroffen, daß im Außenhandel der Exportanteil Richtung RGW-Staaten schrittweise unter 50 % gedrückt werden soll (deshalb betrug dieser Anteil im Umbruchsjahr nur noch 45 %) und daß die Beziehungen mit der EG zu stärken seien. Im Sinne dieser theoretischen und praktischen Schritte begannen einige Reformer innerhalb der politischen Führung mit der konsequenten Verwirklichung der Reformen, deren bekannteste Befürworter u. a. Persönlichkeiten wie Mikl6s Nemeth, Gyula Horn und Imre Pozsgay waren. Sie waren diejenigen, die die demokratische Systemumwandlung, basierend auf Marktwirtschaft und Mehrparteiensystem, von den kommunistischen Staaten als erste verwirklichten. Im Einklang mit den Reformmaßnahmen der 80er Jahre begann man, mit der Bundesrepublik als Vermittler, geheime Verhandlungen mit der EG über die Abfassung einer umfassenden handelspolitischen Vereinbarung. In diesen politisch äußerst sensiblen Zeiten gingen wir bei den Gesprächen so weit, daß wir uns im Falle einer erfolgreichen Unterzeichnung der umfassenden Vereinbarung selbst zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen bereit erklärt hatten (Moskau hatte die Existenz der EG de jure erst 1986 anerkannt). Es war Bundeskanzler Schmidt, der dann letztendlich Jänos Kadar bei seinem Banner Besuch im Mai 1982 davon abgeraten hatte, dies zu tun, obwohl er während der vertraulichen Vorverhandlungen den ungarischen Gesprächspartnern, zu denen auch ich gehörte, stets die weitgehende Unterstützung der ungarischen Bestrebungen versicherte. Als ihm später- 1984- die Frage gestellt wurde, weshalb er Kadar und der ungarischen Delegation etwas anderes gesagt hatte, gab er folgende Antwort: "Ich wollte die Beziehungen zu Moskau und damit die Entwicklung der innerdeutschen Beziehungen nicht gefährden." Die Durchführung der Reformen war nicht einfach. Zwischen dem konservativen Flügel der kommunistischen Partei (USAP) und der Reformdenker entwickelte sich ein erbitterter Kampf. Die damals noch aus der "zweiten" Reihe agitierenden Reformer unterstützten Ferenc Havasi, das für Wirtschaftspolitik zuständige Mitglied des Parteikomitees (seine Position entsprach der von Mittag in der DDR), der als harter Verfechter der Reformen galt. Hinter ihm stand ein kleiner Kreis von Reformern, deren Kernmitglieder ich oben genannt

Wie kam es zum 9. November 1989?

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habe. Zu dieser Zeit versuchte Jän6s Kädär als Generalsekretär noch das Gleichgewicht zwischen beiden Seiten zu halten, doch es war bereits damals schon eindeutig zu sehen, daß seine Grenzen die volle Ausführung der Reformen nicht ermöglichten. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich immer mehr, das Land verschuldete sich ständig. Die Konservativen machten die Reformen dafür verantwortlich, die Reformer hingegen sahen die Ursache eher darin, daß die Konservativen versuchten, die Reformmaßnahmen zu bremsen bzw. diese nicht konsequent durchzuführen. Als ich 1984 Botschafter in Bonn wurde, sah ich meine wichtigsten Aufgaben darin, die deutschen politischen und wirtschaftlichen Kreise davon zu überzeugen, die ungarischen Reformen zu unterstützen. Dazu wurde eine entsprechende Strategie erarbeitet. Wir unterbreiteten mehrere Vorschläge, mit denen wir das Interesse der deutschen Führung für die innen- und außenpolitische Ziele Ungarns wecken wollten. Unsere Überlegung basierte auf der 1000jährigen engen Beziehung zwischen beiden Ländern sowie auf der Tatsache, daß die deutschen immer eine besondere Rolle in der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung Ungarns eingenommen hatten. Andererseits zeigte das Land auf Grund seiner "Aufteilung" immer die größten Aktivitäten im mittelosteuropäischen Raum. Ein weiterer wichtiger Aspekt lag außerdem in der Tatsache, daß die CDU/CSU-FDP-Regierung eine bedeutend größere Bereitschaft zeigte, sich für die Interessen der Region einzusetzen, als die Schmidt-Regierung. Unsere wichtigsten Vorschläge, die wir der deutschen Regierung 1986 unterbreiteten, lauteten wie folgt: 1. Die Bundesrepublik bzw. Baden-Württemberg übernimmt die Unterstützung der ca. 500.000 Ungarndeutschen. Bis dahin hatte nur die DDR das alleinige Recht, eine derartige Unterstützung zu gewähren. 2. Wir waren bereit, das Goethe-Institut in Ungarn willkommen zu heißen. Auch dies bedeutete die Verletzung des Warschauer Paktes, denn dieser besagte, daß das deutsche Kulturerbe ausschließlich von der DDR repräsentiert werden darf. 3. Es wurde eine schriftliche Erklärung abgegeben, daß wir bereit seien, die Visumspflicht aufzuheben. 4. Zur weitgehenden Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen unserer Länder sollte auf unseren Vorschlag hin eine Vereinbarung zum Investitionsschutz unterzeichnet werden. Die deutsche Regierung, geführt von Bundeskanzler Kohl, hatte die immense politische Bedeutung dieser Vorschläge erkannt, bezüglich der Ausführung der 4*

52

Istvän Horvath

Vorschläge waren jedoch wegen Moskau gewisse Zweifel zu spüren. Auch in Budapest stießen diese Vorschläge auf Widerstand. Um die politischen und wirtschaftlichen Reformen fortführen zu können (und zu "wollen"), baten wir die deutsche Regierung gleichzeitig auch um fmanzielle Unterstützung zur Linderung unserer Wirtschaftsprobleme. Im Jahre 1988 war Deutschland bereits der größte Finanzierer der ungarischen Wirtschaft. Ein Teil dieser Unterstützung war u.a. die Gewährung eines Kredits von zweimal 1 Mrd. DM mit deutscher Staatsgarantie. Die Bundesrepublik unterstützte uns auch beim erfolgreichen Abschluß unserer Verhandlungen mit der EG (1988 unterzeichneten wir mit der EG ein umfassendes Handelsabkommen und nahmen die diplomatischen Beziehungen auf). Die Vereinbarungen zu den o .g. Themen wurden im Oktober 1987 während der Reise von Ministerpräsident Käroly Grosz unterzeichnet. In der Zwischenzeit hatten sich die innenpolitischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Ungarn beschleunigt. Folgende Grundelemente waren bereits 1987 konkret defmiert: - Radikale Reform des politischen Institutionensystems ist unumgänglich (Rechtsstaat, Demokratie). - Großteil der Wirtschaft muß, auf Privateigentum basierend, marktwirtschaftlieh umgewandelt werden. Im Mai 1988 verkündete die Führung der Partei auf der Sitzung der USAP, daß sie im Interesse der demokratischen Umwandlung bereit sei, ihre eigene Macht einzuschränken und den Umstieg auf ein Mehrparteiensystem schrittweise einzuleiten. Die politische Bedeutung dieser Vorschläge muß nicht näher erläutert werden. Hans-Dietrich Genscher schrieb in seinem Buch, das Anfang der 90er Jahre erschien, folgendes: Man sollte nie vergessen, daß der Prozeß der Demokratisierung in Ungarn bereits viel eher als 1989 begonnen hat. Ich führte bereits davor mehrere Gespräche mit Nemeth und Horn und stellte immer wieder fest, wie wichtig für die die Verwirklichung der Demokratie, der Marktwirtschaft und der im Helsinki-Abkommen niedergelegten Ziele ist. Nicht zuletzt durch die Unterstützung der Reformgruppe konnte 1988 Käroly Grosz als Nachfolger von Kadär gewählt werden, unter anderem durch das Argument, daß, falls nicht Gosz der Nachfolger sein werde, der Westen, und vor allem die Regierung der Bundesrepublik, die weitere Finanzierung der

Wie kam es zum 9. November 1989?

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ungarischen Wirtschaft einstellen wird. Davor hatten auch die Konservativen Angst; denn Versorgungsproblerne hätten das Volk sicherlich auf die Straßen gebracht. Wir hielten Grosz für eine Übergangslösung, doch wir wußten, daß wir durch ihn vieles vollbringen könnten. Er stützte sich auf uns und glaubte mit einem Hauch von "Gorbatschow-Naivität", das gegenwärtige System wäre zu reformieren. Wir hielten ihn jedoch nur für eine Übergangsperiode für geeignet. Ziel war es, daß Nerneth und Horn Machtpositionen erlangten. Mit den radikalen innenpolitischen Umwandlungsprozessen wurden gleichzeitig außenpolitische Aktivitäten fortgesetzt. Anfang 1988 flüchteten aus Rumänien auf Grund des steigenden staatlichen Terrors des dortigen Regimes immer mehr rumänische Staatsbürger nach Ungarn. Die meisten kamen aus Transsylvanien und waren ungarischer Abstammung. Ihre Zahl erreichte Ende 1988 bereits die 30.000. Zum Großteil wurden sie in Flüchtlingslagern entlang der ungarisch-rumänischen Grenze untergebracht. Dieser Vorgang belastete jedoch die ungarische politische Führung immer mehr, und auch die Beziehungen zu Rumänien wurden immer gespannter. Die Angelegenheit war auch deshalb politisch sehr heikel, da es sich hier um zwei Länder des kommunistischen Lagers handelte. In erster Linie versuchten wir, die Aufmerksamkeit der ausländischen Medien durch die ungarische Botschaft in Bonn auf das Problern zu lenken. Die Meldungen der deutschen Medien wurden auch von den Berichterstattern anderer westlicher Länder übernommen. Im Herbst 1988 gab die ungarische Regierung ihre Absicht zum Beitritt in den Europarat offiziell bekannt. Diese Nachricht erstaunte westliche politische Kreise. Was würde Moskau dazu sagen? Moskau war besorgt. Die Ratlosigkeit war eindeutig zu spüren. Im November 1988 wurde Horn zur Hauptversammlung des Nordatlantikrats nach Harnburg eingeladen. Es war das erste Mal, daß ein hochrangiger Politiker aus einem Mitgliedsland des Warschauer Paktes eingeladen wurde. Horns Rede hatte die Zuhörerschaft tief bewegt und beeindruckt. Er betonte u. a. : - Ungarn hat den Weg der radikalen politischen und wirtschaftlichen Reformen eingeschlagen. Dieser Prozeß ist im Grunde irreversibel. - Mit den westlichen Demokratien als Vorbild beabsichtigt die ungarische Führung die Verwirklichung eines demokratischen Rechtsstaates. Deshalb ist die ungarische Regierung bereit, jedes internationale Dokument zu unter-

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Istvän Horvath

zeichnen bzw. jeder internationalen Organisation beizutreten, die die Menschenrechte regelt und vertritt. Horn betonte in seiner Rede, daß es nötig sei, die ideologischen Vorurteile hinter sich zu lassen und alles daran zu setzen, die zwei Gesellschaftssysteme näher zueinander zu bringen. Voraussetzung dafür sei die Adaptierung der allgemeinen Kriterien der westlichen Demokratien. Er setzte sich auch dafür ein, daß ausländisches Kapital in größerem Umfang in Ungarn eingesetzt werden sollte. Horns Rede fand nicht nur im Westen, sondern auch in ungarischen politischen Kreisen eine enorme Resonanz. Im Herbst 1988 trat Grosz als Ministerpräsident zurück. Die Frage des Nachfolgers war offen. Mikl6s Nemeth war nicht eindeutiger Kandidat. Grosz überlegte, ob er nicht Pozsgay zu seinem Nachfolger vorschlagen sollte. Nemeth hatte bereits im Ausland großes Ansehen erworben. Er war mehrmals in der Bundesrepublik. In den höchsten politischen Kreisen hätte man ihn gern als Nachfolger gesehen. Diese Meinung hatte ich direkt an Grozs übermittelt. Ich bin überzeugt davon, daß auch dieses dazu beigetragen hat, daß sich Grozs für Nemeth als Nachfolger entschied. Diese Entscheidung bedeutete gleichzeitig ein Sieg der Reformkräfte. Nemeth war ein ausgezeichneter Ökonom (studierte auch an der Harvard University) und verfügte über das gewisse politische Feingefühl. Ich wußte, daß, wenn Nemeth Ministerpräsident werden würde, Horn in absehbarer Zeit vom Staatssekretär zum Außenminister ernannt werden würde.Das war kein leichtes Unterfangen; denn Horn war schon seit einiger Zeit ein Dom im Auge Gr6szs, der weiterhin Generalsekretär der USAP war. Er konnte Horns Ansichten über die radikalen Reformen nur schwer hinnehmen. 1988 hatten wir als erste unter den Ostblockstaaten die diplomatischen Beziehungen mit Südkorea und Israel aufgenommen. Während sich Grosz im Ausland aufhielt, hatte Pozsgay, der damals bereits Mitglied des Politbüros der USAP war, im Frühjahr 1989 eine Verlautbarung besonderer Qualität herausgegeben: Im Jahre 1956 habe eindeutig ein Volksaufstand in Ungarn stattgefunden - offiziell hieß es bis dahin, es hätte eine "Konterrevolution" gegeben. Diese Aussage versetzte das ganze Land in Aufregung. Die politischen Ereignisse beschleunigten sich. Im März 1989 reiste Nemeth nach Moskau, um mit Gorbatschow Verhandlungen zu führen, vor allem über die ungarischen innenpolitischen Geschehnisse und Vorhaben. Wichtigste Punkte waren, daß das ungarische Volk einen Rechtsstaat mit Mehrparteiensystem und eine Marktwirtschaft auf der Basis von Privateigentum möchte. Die ungarische politische

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Führung war damit weitgehend einverstanden. Gorbatschow nahm die Reformabsichten zur Kenntnis. Es schien, als hätten die Ereignisse die sowjetische Führung überholt. Sie war wie gelähmt. Sie warnte Ungarn jedoch davor, aus dem Warschauer Pakt auszutreten. Am 15. März 1989, dem Nationalfeiertag, verlangten die Massen aber bereits den Austritt aus dem Warschauer Pakt. Kissinger und Brzezinski versuchten von Washington aus, die ungarische Regierung davon abzuraten, diesen Schritt zu wagen. Diese Botschaft des Westens wurde in Ungarn so interpretiert, daß das Abkommen von Jalta nicht in Frage gestellt werden kann. Auch aus anderen westlichen Kreisen kamen Nachrichten, man solle den Bogen mit den Reformen bloß nicht überspannen. Die meiste Unterstützung kam weiterhin von der Regierung der Bundesrepublik. Als "Beitrag" zur Gründung der demokratischen Parteien in Ungarn hatten die großen deutschen Parteien auf meine Bitte hin Büros der ihr nahestehenden Stiftungen errichtet, und zwar in der Reihenfolge: Friedrich-NaumannStiftung, Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung. Es ist kein Zufall, daß die Friedrich-Ebert-Stiftung die letzte war; denn die SPD beobachtete die ungarischen Reformprozesse immer sehr kritisch und versuchte, sie eher zu bremsen als zu unterstützen. Im Mai 1989 kam es zu einem bedeutenden historischen Ereignis. Horn, damals bereits Außenminister, begann mit Österreichs Außenminister Mock den Abriß des Eisernen Vorhangs. Es war eine Weltsensation. Bald darauf wurde uns geheimdienstlich signalisiert, daß die Anzahl der DDR-Bürger, die die Absicht haben, nach Ungarn zu reisen, kontinuierlich steigt. Das Interesse der DDR-Bürger, nach Ungarn zu reisen, wurde dadurch noch gestärkt, daß dieses Ereignis weltweit verkündet wurde. Ungarn unterzeichnete am 14. März 1989 das Genfer Flüchtlingsabkommen. Das bedeutete, unabhängig davon, aus welchem Land der Flüchtling kommt, er wird aus Ungarn nicht ausgewiesen. Auch der Eiserne Vorhang zwischen Ungarn und Österreich existierte nicht mehr. Alles deutete daraufhin, daß die DDR-Touristen von Ungarn aus versuchen werden, die ungarisch-österreichische Grenze zu überqueren. Das könnte ein völlig neues außenpolitisches Problem für Ungarn darstellen. Für die innenpolitischen Übergangsprozesse benötigte das Land konsolidierte Verhältnisse mit dem Ausland. Parallel zu diesen Ereignissen erreichten uns auch solche geheimen Nachrichten, die besagten, daß Ceaucescu von rumänischer Seite gemeinsam mit der politischen Führung der DDR und der Tschechoslowakei überlegen, wie Ungarn auf den Weg des Sozialismus zurückzuführen wäre. DDR-Politiker führten darüber auch Gespräche mit Moskau. Um Ungarn wieder "auf den richten Weg zu bringen", war selbst die Möglichkeit einer militärischen Intervention nicht auszuschließen.

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Istvän Horväth

Am 16. Juni 1989 kam es erneut zu wichtigen innenpolitischen Ereignissen. Imre Nagy und seine Kameraden wurden offiziell rehabilitiert und feierlich neu beigesetzt. Die Geschehnisse von 1956 wurden offiziell zum Volksaufstand erklärt. Die innen- und außenpolitische Bedeutung dieser Schritte benötigen sicherlich keine weitere Erläuterung. Die politische Führung der Bundesrepublik und die Öffentlichkeit verfolgten die Ereignisse in Ungarn mit Spannung. Unterdessen konzentrierte sich meine Tätigkeit darauf, daß der ungarische Umwandlungsprozeß neue politische Impulse erhielt. Als Ergebnis meiner Bemühungen bezog der Bundestag am 22. Juni 1989 zu den Reformen in Ungarn Stellung. Er rief die Bundesregierung und die westlichen Regierungen dazu auf, mit politischen und wirtschaftlichen Mitteln alles für die Unterstützung der ungarischen Reformen zu unternehmen. Auf der Sitzung des ZK der USAP im Juli 1989 konnte Grosz noch nicht abgelöst werden. Der andauernde Kampf zwischen den Reformern und den Konservativen führte letztendlich zu einer Kompromißlösung. Es wurde ein vierköpfiges Präsidium gewählt, das sich aus Grozs, Nemeth, Pozsgay und Nyers zusammensetzte. Gleichzeitig wurde ein Parteikongreß für den 5. und 6. Oktober festgesetzt. Die Absicht des Reformflügels war die Auflösung der Kommunistischen Partei (USAP) und die Gründung einer Sozialdemokratischen Partei nach westlichem Vorbild. Dies war keine leichte Aufgabe; denn innerhalb der USAP gab es im Grunde drei politische Strömungen. Der Kampf zwischen den radikalen Reformen, geführt von Nemeth, Pozsgay, Horn und Szüros, den Konservativen, vertreten von Grosz, und dem gemäßigten Flügel um Nyers, war noch nicht entschieden. In den ersten August-Tagen starteten die DDR-Bürger ihre ersten Versuche zur Überquerung der ungarisch-österreichischen Grenze. Mehreren gelang es auch, einige wurden jedoch von den Grenzwächtern entdeckt. Den geltenden Regelungen entsprechend, wurde ihnen vom Grenzschutz ein Stempel über den unerlaubten Versuch der Grenzüberschreitung in den Reisepaß eingetragen. Die meisten von ihnen waren entsetzt; denn sie wußten, daß sie nach ihrer Rückkehr in die DDR dafür von den Behörden vor Gericht gestellt werden. Die Mehrheit blieb deshalb in Ungarn und startete einen zweiten Versuch. Als wir diese Informationen erhielten, machte Horn den Vorschlag, und dies wurde dann vom Ministerpräsidenten angeordnet, daß die Grenzwächter nicht in die Pässe stempeln sollten. Es sollte lediglich ein separates Blatt hineingelegt werden, und man sollte sie auffordern, vor der Grenze umzukehren. Das Blatt

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könne man ja nach Belieben wegwerfen. Die Grenzwächter hatten immer mehr Flüchtlinge "umzukehren", die immer wieder einen neuen Versuch wagten. Am 7. August 1989 erreichte uns die Nachricht, daß mehrere DDR-Bürger Asyl in der Budapester Botschaft der Bundesrepublik beantragte hatten. Am 15. August hielten sich bereits 117 Flüchtlinge in der Botschaft der Bundesrepublik auf. Die Lage wurde immer ernster. Tausende von DDR-Touristen befanden sich bereits in der Nähe der Grenze. Mehrere konnten in der Nacht die Grenze erfolgreich überqueren. Die westlichen Medien berichteten immer häufiger und im größeren Rahmen, wie vielen es gelungen sei, über die ungarischösterreichische Grenze zu kommen. Erhebliche Unterstützung erhielten wir in dieser Frage vom Radiosender Freies Europa, dem wir im August gestatteten, ein Büro in Budapest zu eröffnen. Zwischenzeitlich reiste Außenminister Genscher am 22. Juli 1989 nach Washington, um PräsidentBushund Außenminister Baker zu konsultieren. Er bat um die Unterstützung der osteuropäischen Reformen und erhielt auch eine Zusage. Konkrete Schritte wurdenjedoch nicht unternommen. Währenddessen stellte die Angelegenheit der DDR-Flüchtlinge für die ungarische Botschaft ein immer größeres Problem dar. Eine Ausweisung kam keinesfalls in Frage. In Budapest wurde des öfteren betont, dies sei eine interne deutsch-deutsche Angelegenheit. Auf unsere Bitte reiste Staatssekretär Sudhoff aus dem Außenministerium der Bundesrepublik zur Konsultation nach Budapest. Wie ernst die Lage tatsächlich war, wurde Staatssekretär Sudhoff erst während des Gesprächs mit Horn klar. Die Vereinbarung innerhalb des Warschauer Pakts galt weiterhin, doch wir waren nicht bereit, auch nur einen einzigen Flüchtling auszuweisen. Man sollte auch nicht vergessen, daß zu der Zeit noch 200.000 sowjetische Soldaten in Ungarn stationiert waren. Ungarn konnte diese immense internationale Problem nicht allein lösen und bat die Bundesregierung, die nötigen Maßnahmen einzuleiten. Alle Bemühungen der Bundesregierung zur internationalen Lösung des Problems blieben erfolglos. Derweilen versuchte die DDR-Regierung, mit politischen Mitteln Druck auf die ungarische Regierung auszuüben. Auf Vorschlag einer Tochter Otto von Habsburgs und mit Unterstützung der ungarischen Regierung veranstalteten wir am 18. August mit Hilfe der Medien ein internationales Picknick an der ungarisch-österreichischen Grenze. Bei der Organisierung dieser Veranstaltung hatte die Opposition, vor allem das Ungarische Demokratische Forum (MDF), eine besondere Rolle gespielt. An dieser Stelle möchte ich hervorheben: Nicht nur die ausländischen Beobachter waren der Meinung, sondern auch die allgemeinen ungarischen Beurteilungen unterstreichen, daß die Reformen in Ungarn in erster Linie von den

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Istvan Horvath

Reformern aus den politischen Kreisen initiiert bzw. geleitet und nicht vom "Volk auf der Straße" erzwungen wurden. Trotzdem darf man die Rolle der oppositionellen Bewegungen nicht unterbewerten. In den 80er Jahren wurden bereits illegale Flugblätter mit literarischen Kritiken gedruckt, in denen das politische System stark angegriffen wurde. Bereits Ende 1988/Anfang 1989 begannen sich oppositionelle Gruppierungen zu formen, aus denen schließlich die späteren Oppositionsparteien - MDF, KDNP, FIDESZ- entstanden. Wie bereits erwähnt, leistete die Nemeth-Regierung durch direkte bzw. indirekte Mittel bedeutende Unterstützung zur Entstehung dieser Parteien. Die Vertreter der oppositionellen Gruppierungen hatten bei den Gesprächen zwischen der offiziellen Politik und der Opposition am Runden Tisch schon 1989 eine bestimmenden Rolle. Bei diesen Gesprächen wurde über die Voraussetzungen eines friedlichen Systemwechsels entschieden Das internationale Picknick vom 18. August löste das Problem der Flüchtlinge nicht. Mit der Nachricht über den Empfang der Flüchtlinge in der Bundesrepublik vervielfachte sich die Zahl der DDR-Bürger in Ungarn in kurzer Zeit. Der internationale Druck auf die Nemeth-Regierung wurde immer unerträglicher. Der Versuch der beiden deutschen Regierungen, die Situation zu lösen, blieb vollkommen erfolglos. Die Herausforderung für die NemethRegierung war immens; denn schließlich hatte sie die Last der Lösung einer heiklen internationalen Angelegenheit zu tragen. Ungarn wurde jedoch mit dieser Aufgabe allein gelassen. Zu diesem Zeitpunkt wurde eines bereits klar: Es gibt nur eine Möglichkeit: Man muß den Flüchtlingen in irgendeiner Form "den Weg nach Westen" ermöglichen. Auch ihre Unterbringung wurde immer schwieriger. Die Flüchtlingslager waren völlig überlastet. Das ungarische Volk hatte eine große Last auf sich genommen. Hunderte von Bürgern der DDR wurden von privaten Familien aufgenommen. An der ungeduldigen Stimmung der Führung der Bundesrepublik war zu merken, daß sie die Lösung des Problems von der ungarischen Regierung erwartete. Zu dieser Zeit pendelte ich manchmal wöchentlich zwei- bis dreimal zwischen Bonn und Budapest, um die Informationen persönlich an die Zuständigen weiterzuleiten. Die war deshalb nötig, weil uns klar war, daß alle unsere Telefonleitungen abgehört bzw. unsere verschlüsselten Botschaften entziffert wurden und somit alle Nachrichten auf den Tischen der Führungskräfte der Mitgliedsländer des Warschauer Pakts landeten.

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Mikl6s Nemeth bat mich, ihn am 20. August aufzusuchen und unter größter Geheimhaltung ein Treffen mit Kanzler Kohl und Außenminister Genscher zu organisieren. Gemeinsam mit Horst Teltschick, dem Vertrauten und Berater des Kanzlers, planten wir das Treffen, das am 24. August in Gimmnich stattfinden sollte. Tellschick spielte übrigens bei der Gestaltung der bilateralen Beziehungen sowie später bei der Lösung des Flüchtlingsproblems eine besondere Rolle. Auf Grund seiner persönlichen Eigenschaften und fachlichen Kenntnisse genoß er das volle Vertrauen des gesamten ungarischen Reformkreises. Seine Meinung hat erheblich zu der Entscheidung der ungarischen Führung beigetragen. Uns beide verbindet noch heute eine besondere Freundschaft. Nemeth entschied noch vor dem 24. August, daß die in der Botschaft der Bundesrepublik "campierenden" 117 Flüchtlinge in der Nacht des 23 . August mit Dokumenten des Roten Kreuzes Ungarn verlassen sollen. Er wollte damit verhindern, daß die Öffentlichkeit die Ergebnisse der Gimmnicher Verhandlungen so interpretiert, als hätte es sich dabei lediglich um die Forderung zur Freilassung von 117 Flüchtlingen gehandelt. Am 24. August schilderte die ungarische Delegation in Gimmnich mit dramatischen Worten die innen- und außenpolitische Lage Ungarns. Unter Berücksichtigung dieser Kenntnisse mußte eine Lösung für das Flüchtlingsproblem gefunden werden. Die Reaktion der deutschen Teilnehmer zeigte uns eindeutig, Kohl und Genscher wurde erst jetzt bewußt, wie unangenehm sich die Lage, politisch gesehen, für die ungarische Regierung entwickelt hatte und daß die volle Verantwortung aufunseren Schultern lag. Nemeth und Horn versicherten jedoch der deutschen politischen Führung, die DDR-Flüchtlinge nicht auszuweisen bzw. nicht in die DDR zurückzuschicken und einen adäquaten und humanitären Weg zu finden, wie sie von der DDR in die Bundesrepublik gelangen können. Kohl und Genscher waren von dem großzügigen, aber auch risikoreichen Entschluß der ungarischen Regierung sichtbar gerührt. Auf die mehrmals wiederholte Frage Kohls, was die ungarische Regierung dafür verlangen würde, gab Nemeth immer wieder ein striktes "Nichts" als Antwort und sagte ergänzend, die bundesdeutsche Regierung würde schon den richtigen Weg finden, wie sie Ungarn für diese Art der Hilfeleistung danken könne. Bei dieser Gelegenheit schilderten Nemeth und Horn auch die zu erwartenden Auswirkungen einer Grenzöffnung (damals wurde noch nicht über einen konkreten Zeitpunkt verhandelt). Mit der Annahme, daß Ungarn nach der Öffnung der Grenze nicht militärisch dazu gezwungen wird, seine Entscheidung zu revidieren, hatte man mit zwei Konsequenzen zu rechnen:

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1. Ungarn öffnet die Grenze und die DDR-Flüchtlinge können nach Westen weiterreisen. Sollte die DDR daraufhin ihre eigenen Grenzen nicht schließen, würde dies bedeuten, daß die DDR-Bürger über Ungarn frei in den Westen gelangen können. Die DDR würde langsam verbluten, und die Berliner Mauer wäre überflüssig. 2. Die politische Führung der DDR entscheidet sich nach der Grenzöffnung in Ungarn, seine eigenen Grenzen in beide Richtungen zu schließen. In diesem Falle könnte die steigende innere Unzufriedenheit zu Unruhen führen und das gegenwärtige Regime stürzen. Seinen Platz könnte eine neue Regierung einnehmen, die die Menschenrechte akzeptiert. Die zwei deutschen Staaten könnten qualitativ eine neue Beziehung aufbauen, deren Auswirkungen momentan schwer zu defmieren sind. Eines war jedoch klar: Als Ergebnis der eventuellen Öffnung der ungarischen Grenze mußte man mit einer vollkommen neuen "deutschen Situation" rechnen, die die Notwendigkeit der Berliner Mauer in Frage stellt! Die Gespräche in Gimmnich zeigten also, wie verzwickt die Lage war, und welche Schritte was bewirken könnten, obwohl wir uns zu diesem Zeitpunkt in erster Linie auf die mögliche Lösung des Flüchtlingsproblems konzentrierten. Natürlich kam auch die gegebenenfalls zu erwartende Reaktion von Moskau zur Sprache, obwohl Nemeth und Horn der Meinung waren, daß sich Moskau, innen- und auch außenpolitisch gesehen, ziemlich gelähmt zeigte. In Gimmnich wurde keine geheime Vereinbarung getroffen, nicht einmal über den Zeitpunkt der Grenzöffnung; denn die Möglichkeit dieser Entscheidung und der Schlüssel zur Lösung lag allein in den Händen der ungarischen Regierung. Wir versuchten, den Verdacht, eine Vereinbarung jedweder Art getroffen zu haben, zu vermeiden. Deshalb wurde lediglich die Tatsache des Treffens bekanntgegeben. Am 1. September 1989 reiste Horn nach Ost-Berlin und traf sich auf Grund der Krankheit von Honecker nur mit Fischer und Mittag. Horn teilte als Tatsache mit: Da die DDR-Flüchtlinge nicht die Absicht haben, in die DDR zurückzukehren, sondern in Ungarn bleiben möchten, werden wir die Grenze öffnen. Das heißt: Wir werden die im Jahre 1961 unterzeichnete Vereinbarung auflösen. Fischer und Mittag bezeichneten die ungarische Regierung als Vertragsbrecher und Verräter des Internationalismus, obwohl sie die Bedeutung von Horns Worten gar nicht wahrgenommen hatten. Am Ende der Unterredung bot Horn folgende Möglichkeit an: Die DDR darf Agenten nach Ungarn schicken, damit diese versuchen, die Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Horn gab trotz aller Angriffe und Drohungen nicht nach. Die DDR nutzte auch die

Wie kam es zum 9. November 1989?

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Gelegenheit und schickte einige Mitarbeiter nach Budapest, deren Überzeugungsversuche allerdings vollkommen erfolglos blieben. Nach Horns Rückkehr 'begann eine Reihe von schwierigen Verhandlungen in engem Kreise der politischen Führung. Die Lage der ungarischen Regierung wurde immer dramatischer. Von verschiedenen Stellen erreichten uns Informationen, daß einige osteuropäische Länder (DDR, Tschechoslowakei, Rumänien) auf den Vorschlag Rumäniens hin, in Erwägung ziehen, alle Mittel aufzulisten, sogar militärische, die einzusetzen wären, um Ungarn auf den Weg des Sozialismus "zurückzuführen". Auch die internationalen, besonders die deutschen Medien hatten eine ungünstige Auswirkung auf die Geschehnisse. "Die Welt" behauptete zum Beispiel, daß Ungarn die Grenzen nur deshalb noch nicht geöffnet habe, weil die Bundesregierung den von Ungarn geforderten hohen Preis nicht bezahlen könne. Auch Genscher, der soeben das Krankenhaus verlassen konnte, war besorgt; denn der Druck der bundesdeutschen Bevölkerung auf Kohls Regierung stieg immer mehr, sie wurde sogar für machtlos erklärt. Die Verzögerung der Grenzöffnung wurde auch durch ein kleines politisches Intermezzo beeinflußt. Karsten Voigt (SPD), der bis dahin keinerlei Interesse an den ungarischen Reformen und Geschehnissen zeigte, reiste plötzlich nach Budapest. Dort wurde er auf Grund einer früheren Bekanntschaft von Läszl6 Koväcs, Staatssekretär des Außenministeriums, empfangen. Koväcs bat um größte Diskretion und signalisierte Voigt während des Gesprächs, daß Ungarn schon bald die Grenze öffnen werde. Kaum hatte Voigt das Ministerium verlassen, informierte er weit und breit die Presse über die vorgesehenen Schritte. Die Medienwelt und die Politik spielten verrückt! Um die "Insider-Infos" von Voigt zu dementieren, wurde die Grenzöffnung um weitere drei Tage verschoben. Am 10. September 1989 verkündete Horn in den Abendnachrichten des ungarischen Fernsehens, die Entscheidung über die Öffnung der Grenze und damit die Vereinbarung mit der DDR von 1961 aufzulösen. Ich benachrichtigte Genscher und Teltschick bereits wenige Tage zuvor, beide waren über die Entscheidung sehr erleichtert. Die Tatsache der Grenzöffnung wurde im Osten mit Entsetzen aufgenommen. Entgegen allen Gerüchten informierte Läszl6 Koväcs die Botschafter der Bundesrepublik (Arnot) und der DDR (Vehres) sowie den Sonderbeauftragten des Kanzlers (Jansen) nämlich erst am 8. September über die Entscheidung der ungarischen Regierung. Der Gesandte der sowjetischen Botschaft in Budapest hingegen erhielt nur wenige Stunden vor der Bekanntgabe einen schriftlichen Beschluß über die Entscheidung. In der Bundesrepublik reagierte man mit großer Freude auf die Bekanntgabe der

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Grenzöffnung. Zehntausende Flüchtlinge wurden in den Flüchtlingslagern, die in den südlichen Bundesländern errichtet wurden, empfangen. Auf dem Parteikongreß der CDU am 12. September in Bremen informierte der Bundeskanzler die Teilnehmer und betonte später, daß Ungarn den ersten Stein aus der Mauer geschlagen habe. Es sollte aber auch erwähnt werden, daß nur wenige Tage nach der Euphorie auch Stimmen des Zweifels zu hören waren, ob Ungarn die Grenzenambevorstehenden Nationalfeiertag der DDR am 7. Oktober nicht erneut schließen werde. Ich beruhigte die Deutschen in einem Interview für die ARD, daß wir keine derartigen Absichten hätten. Außer in den USA wurde die Nachricht der Grenzöffnung in den restlichen westlichen Ländern mit einer gewissen Apathie aufgenommen. Sie versuchten, sich bereits die Möglichkeiten einer Wiedervereinigung vor Augen zu malen. Zuerst erschienen sie jedoch nur an der Verhinderung bzw. Verzögerung der Geschehnisse Interesse zu zeigen. Eine evtl. deutsche Wiedervereinigung hätte nämlich auch das Jalta-Abkommen in Frage gestellt, und dies war für viele im Westen unvorstellbar. Die meisten hielten das Abkommen für "gültig bis in alle Ewigkeit". Die Geschehnisse in der Zeit nach der Grenzöffnung schienen die Prognosen der ungarischen politischen Führung zu bestätigen, sprich, daß die Führung der DDR nur wenige Tage nach der Grenzöffnung die Ausreise seiner Bürger tatsächlich untersagte, einige Tage darauf jedoch auf Grund des inneren Drucks erneut zuließ. Die Führung der DDR sah ein, daß das Land entweder in Richtung Ungarn verbluten werde oder sie öffnet die Berliner Mauer. Dies geschah dann auch am 9.November. Daran änderte auch nicht, daß vor dem 9. November 1989 ein Zug mit DDR-Flüchtlingen aus Prag durch die ganze DDR in die Bundesrepublik fuhr; denn dies war ein Teil der Vereinbarung zwischen den Regierungen der DDR und der Tschechoslowakei. Weder die Tschechoslowakei noch Polen hatten ihre Grenzen für DDR-Flüchtlinge geöffnet. Bereits wenige Tage nach dem 9. November sprachen Nemeth und Horn in einem Interview für eine deutsche Zeitschrift darüber, daß sie es für selbstverständlich halten würden, wenn die zwei deutschen Staaten bald anfangen, "zusammenwachsen" und in absehbarer Zeit die Wiedervereinigung vollbracht wird.

Die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik das Scheitern von Erich Bonecker Von Helmut Jenleis

Mit der von Gorbatschow eingeleiteten "Perestroika" wurde auch zugleich das Ende der DDR eingeläutet. Für den Untergang der DDR- die zu den zehn größten Industrienationen gerechnet wurde- gibt es zahlreiche Gründe. Einer dieser Gründe ist das Scheitern der proklamierten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die insbesondere mit dem Namen Erich Honecker verbunden ist, der unter Walter Ulbricht das NÖS (Neues Ökonomisches System) vorausgegangen war. Bevor auf das Scheitern unter Honecker eingegangen wird, seien kursorisch die Reformbestrebungen von Gorbatschow1 beispielhaft angeführt, weil daran die Reformflihigkeit angeknüpft werden kann.

I. Gorbatschows Reformbestrebungen 1987 Mit der von Gorbatschow nach der Plenarsitzung des ZK der KPdSU im Juni 1987 initiierten Wirtschaftsreform sollten die Reformfehler der Vergangenheil vermieden werden, zumal diese nicht weit genug gingen und nicht den Kern des Problems lösten. Das in der Plenarsitzung vorgelegte Reformpaket hatte einen umfassenden und allgemeinen Charakter.: "Es sieht fundamentale Veränderungen in allen Bereichen vor: die Umstellung der Betriebe auf vollständige wirtschaftliche Rechnungsführung, die grundlegende Umstrukturierung der zentralistischen Wirtschaftsführung, einschneidende Veränderungen bei der Planung, eine Reform des Preisbildungssystems und des Finanzierungs- und Kreditmechanismus sowie die Neuordnung der Außenwirtschaftsbeziehungen"2 • Theoretisch hätte man von oben nach unten bei den zentralen Wirtschaftsorganisationen beginnen müssen und zu den unteren Wirtschaftseinheiten fortschreiten müssen, hingegen war es in der Praxis angebracht, "unten" zu 1

Siehe Michail Gorbatschow: Perestroika - Die zweite russische Revolution. München 1987.

2

Ebenda, S. 104.

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beginnen, um dann tiefgreifende Veränderungen in den übergeordneten Organen vorzunehmen, zumal in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht wurde, daß in den unteren Instanzen keine Bereitschaft vorhanden war, Befugnisse und Vorrechte aufzugeben. Worin bestanden die Mängel des Wirtschaftsmechanismus? "Vor allem darin, daß der innere Antrieb für eine eigene Entwicklung zu schwach ist. Der Betrieb erhält ja durch das System der Plankennziffern Auflagen und Ressourcen. Praktisch alle Kosten werden gedeckt, und der Absatz der Produktion ist weitgehend garantiert. Und was am wichtigsten ist: Die Einkommen der Werktätigen hängen nicht vom Endresultat der Arbeit des Kollektivs ab - weder von der Erfüllung der Vertragsverpflichtungen, der Qualität der Erzeugnisse noch vom Gewinn. Ein solcher Mechanismus erbringt mit großer Wahrscheinlichkeit Arbeit von mittelmäßiger oder schlechter Qualität. So können wir nicht länger wirtschaften" 3• Die Wirtschaftsreform zielte darauf ab, die bisher vorrangig administrativen Methoden durch solche vorrangig ökonomischer Art zu ersetzen, d. h. durch die wirtschaftliche Rechnungsführung4 • "Es bleibt uns keine Wahl. Aber angenommen, wir machen Fehler? Was dann? Es ist besser, sie zu korrigieren, als nur dazusitzen und abzuwarten" 5 • Günter Sieber6 stellte fest, daß Gorbatschows Perestroika 15 Jahre zu spät kam; denn: "Die Sowjetunion hatte den Kalten Krieg bereits verloren und war im Grunde genommen bankrott, bevor Gorbatschow Generalsekretär wurde" 7 • An diese Feststellung wäre die Frage anzuknüpfen, ob überhaupt eine Reform des sozialistischen und planwirtschaftliehen Systems in der Sowjetunion und in der DDR möglich war.

3

Ebenda, S. 106.

Die wirtschaftliche Rechnungsführung galt fiir Betriebe, die mit öffentlichen Produktionsmitteln arbeitete und deren Kosten und Zahlungen bisher aus dem Staatshaushalt bestritten wurden, an den auch die Gewinne abgeführt wurden. Dafür finanzierte der Staat die lnvestitionsprogramme. Mit der 1987 eingeführten vollständigen wirtschaftlichen Rechnungsführung finanzierte der Betrieb seine Ausgaben selbst, so daß seine Abgaben an den Staatshaushalt niedriger lagen. Ebenda, S. 336 f. 4

5

Ebenda, S. 110.

6 Günter Sieber, Schwierige Beziehungen- Die Halnmg der SED zur KPdSU um zur Perestroika, in: Hans Modrow (Hg.), Das Große Haus, 2. Aufl., Berlin 1995, S. 71-95. Als "Großes Haus" wurde das Machtzentrum der SED - Politbüro und ZK- bezeichnet. Sieber, Jahrgang 1930, war 1965-72 Minister, 1973-1980 Botschafter, 1980-89 Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen imZK. 7

Ebenda, S. 95.

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II. System und Ordnung Nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in der Bundesrepublik ist zwischen der Ordnungspolitik und der Ablaufpolitik zu unterscheiden8 •

1. Ordnungspolitik: "Unter Ordnungspolitik (qualitativer oder Strukturpolitik) sind alle rechtlich-organisatorischen Normen zu verstehen, die langfristige Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsprozeß schaffen und damit die strukturellen (qualitativen) Relationen der Volkswirtschaft verändern. Häufig wird hierfür der Ausdruck Wirtschaftsverfassung gebraucht, da es sich bei diesen Normen um das wirtschaftliche Gegenstück zur Staatverfassung handelt. Ihr Hauptträger ist dementsprechend auch das Parlament (Legislative)". 2. Ablaufpolitik: "Zur Ablaufpolitik (quantitative oder Prozeßpolitik) gehören dagegen alle wirtschaftspolitischen Instrumente, die sich bei gegebener Ordnung auf den Wirtschaftsprozeß selbst richten und damit die quantitativen Relationen (Preis-Menge-Beziehungen) verändern. Diese Maßnahmen sind ihrem Wesen nach kurz- und mittelfristiger Natur; Verlängerungen ihrer Anwendungsdauer kommen allerdings vor. Hauptträger der Ablaufpolitik sind die Regierung bzw. Verwaltung (Exekutive) und die Notenbank. Nur soweit der Staatshaushalt berührt wird (Steuern, Zölle, Subventionen usw), tritt auch der Gesetzgeber als Träger auf" 9 • Obgleich in der DDR diese Unterscheidung nicht gebraucht wurde- auf die weitergehende Unterscheidung zwischen der mikro- und makro-ökonomischen Form der Ordnungs- und Ablaufpolitik soll hier verzichtet werden -, war sie faktisch vorhanden, denn bereits 1945 hatte man sich freiwillig oder auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht für eine sozialistische Wirtschaftsordnung entschieden.

1 Siehe hierzu Egon Tuchfeldt, Das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik - Ein Beitrag zu seiner Systematik, in: Hamburger Jahrbuch. Tübingen 1957. Band 2, S. 52-64. Wieder abgedruckt in: Gerard Gäfgen (Hg.), Grundlagen der Wirtschaftspolitik. Köln-Berlin 1976, S. 260-273. Es wird nach der zuletzt genannten Quelle zitiert. 9

Ebenda, S. 264.

5 Timmermann

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1. Die Grundordnung der DDR und ihrer Wirtschaft

Die Verfassung der DDR vom 6. April 1968, geändert und ergänzt am 7. Oktober 1974, gab sowohl über die staatliche Grundordnung als auch über die Ordnung der Wirtschaft Auskunft10 • Der erste Satz in Art. 1 der DDR-Verfassung lautete: "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern" . Der Begriff "sozialistischer Staat" wurde wie folgt defmiert: "Organisationsform und Hauptinstrument der von der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei geführten Werktätigen bei der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. Im Sinne sozialistischer Staaten organisiert sich die Arbeiterklasse zur herrschenden (machtausübenden) Klasse ... " 11 • Bereits der erste Satz der DDR-Verfassung bestimmte den Charakter des Staates und seiner Wirtschaft, in dem es keinen Platz für eine demokratisch-parlamentarische Ordnung und (soziale) Marktwirtschaft gab. Diese Grundordnung wurde durch weitere Verfassungsbestimmungen noch verstärkt. Art. 6, Abs. 2 bestimmte: "Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Bündnis mit ihr garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Wege des Sozialismus und des Friedens". Über das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der DDR verweist Sieher auf ein Schreiben Breschnews an Honecker vom 29. Juli 1970, welches im Zusammenhang mit der Absetzung Ulbrichts stand. Brechnew machte deutlich, daß die DDR eine Folge des Zweiten Weltkrieges sei und einen wichtigen Posten darstellte. Und wörtlich heißt es in diesem Schreiben: "Ich (Breschnew) sage Dir (Honecker) ganz offen, es wird ihm (Uibricht) auch nicht möglich sein, an uns vorbei zu regieren, unüberlegte Schritte gegen Dich und andere Genossen des Politbüros zu unternehmen. Wir haben doch Truppen bei Euch. Erich, ich sage Dir offen, vergiß das nie, die DDR kann ohne uns, ohne die Sowjetunion, ihre Macht und Stärke, nicht existieren .... Es gibt und es kann keine, es darf zu keinem Prozeß der Annäherung zwischen der BRD und der DDR kommen" 12 • Deutlicher konnte die Drohung nicht sein. Eines Einmarsches bedurfte es nicht, da in 10

Siehe Verfassung und Programm der DDR, zusammengestellt und eingeleitet von Ulrich

Lohmann, Aktuelle Dokumente. Berlin-New York 1977.

11 Stichwort "Sozialistischer Staat", in: Kleines Politisches Wörterbuch. Neuausgabe 1988. OstBerlin 1989, S. 909-911, zitiert S. 909. 12

Sieber (Anm. 6), S. 85.

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der DDR etwa 400.000 sowjetische Soldaten zu dieser Zeit stationiert waren. Das "enge, brüderliche Bündnis" war somit nicht nur ideologischer Natur. Zu den ökonomischen Grundlagen hieß es in Art. 9, Abs. 1 der DDR-Verfassung: "Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln" . Hinsichtlich der Produktionsmittel wurde der Unterschied zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus wie folgt defmiert: "Im Kapitalismus befmden sich die Produktionsmittel im Privateigentum und fungieren als Kapital, als Instrument zur Ausbeutung der Werktätigen. Im Sozialismus sind die Produktionsmittel gesellschaftliches Eigentum" 13 • Gemäß Art. 10 der DDR-Verfassung bestand das "sozialistische Eigentum als gesamtgesellschaftliches Volkseigentum, als genossenschaftliches Gemeineigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger". Ein Privateigentum an den Produktionsmitteln gab es nicht, sondern nur ein persönliches Eigentum, das der Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger diente, so z. B. konnten eigengenutzte Eigenheime oder Datschen, nicht aber Mietwohnungen gebaut werden. Ein weiteres Strukturelement der DDR-Wirtschaftsordnung war die Planwirtschaft; denn Art. 9, Abs. 3 der Verfassung bestimmte: "In der Deutschen Demokratischen Republik gilt der Grundsatz der Leitung und Planung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche" 14 • Beispiel hierfür war die Wohnungswirtschaft: In Art. 37 der DDR-Verfassung wurde nicht nur ein Recht auf Wohnraum postuliert, sondern auch bestimmt, daß der Staat dieses Recht durch die "Kontrolle über die gerechte Verteilung des Wohnraums zu verwirklichen" habe. Nahezu wörtlich enthielt § 94 ZGB (Zivilgesetzbuch, das das BGB ersetzte) dieselbe Regelung 15 • Siegfried Mampel hat darauf verwiesen, daß die DDR-Wirtschaftsordnung in die Staats- und Gesellschaftssordnung eingelagert war16 • Nach Mampel wies die 13

Kleines Politisches Wörterbuch (Anm. 11), Stichwort "Produktionsmittel", S. 777.

14 In der ehemaligen DDR traf man häufig das Argument an, daß auch in der Marktwirtschaft geplant werde. Das gilt nicht nur fiir jedes Unternehmen, sondern auch fiir jeden Haushalt. Entscheidend aber ist, wer plant: Der Staat bzw. die Partei für die gesamte Gesellschaft und Volkswirtschaft oder der Einzelne bzw. das Unternehmen. Im Westen dominiert das Individuum, im Osten dominierte die Kollektivplanung.

1' Siehe hierzu: Wohnraumlenkung I Wohnungswirtschaft- Textausgabe. Herausgegeben vom Ministerium der Justiz. Ost-Berlin 1988. Die Verordnung über die Lenkung des Wohnraums WLVO- vom 16. Oktober 1985 ist abgedruckt aufS. 22ff. 16 Siegfried Mampel, "Die verfassungsrechtlichen und die politischen Grundlagen der DDR-Wirtschaft", in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.): Materialien zum Bericht zur Lage im geteilten Deutschland 1987. Bonn Mai 1987, S. 33-38.

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sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, die als marxistisch-leninistisch zu verstehen war, drei Elemente auf: 1. "Das wichtigste Strukturelement ist die Rolle der marxistisch-leninistischen Partei, also der Sozialistischen Einheitspartei (SED), die als ,führend' bezeichnet wird (Art. 1, Abs. 1, Satz 1) .... Die Wirtschaftsordung erhält durch sie das wichtigste Gepräge". 2. Das zweite Strukturelement der Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR ist das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln ... Diese EigentumsaTt ermöglicht es der SED, die Suprematie über die Wirtschaft auszuüben, ohne Rücksicht auf private Eigentümer an den Produktionsmitteln nehmen zu müssen". 3. "Das dritte Strukturelement der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung ist die Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwcklung, welche die Verfassung ebenfalls als unantastbare Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung nennt. . . . Für den wirtschaftlichen Bereich ergibt sch daraus die sozialistische Planwirtschaft als Grundlage der Volkswirtschaft. . . . So ist die sozialistische Planwirtschaft als eine Zentralverwaltungswirtschaft zu werten" . 17 Der Unterschied zur Bundesrepublik wurde besonders deutlich, wenn man die vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Formel von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes heranzog. Im sog. Investitionshilfeurteil vom 20. Juli 1954 heißt es: "Die ,wirtschaftspolitische Neutralität' des Grundgesetzes besteht lediglich darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. ... Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche Ordnung, keineswegs aber die allein mögliche" 18 • Dieses Postulat des Grundgesetzes hat seine Gültigkeit nicht verloren. Diese wirtschaftspolitische Neutralität besagt allerdings nicht, daß der Bereich der Wirtschaft einen verfassungsfreien Raum darstellt; denn die interventionistischen Maßnahmen müssen sich an der Gesamtheit der im Grundgesetz enthaltenen wirtschaftlichen Grundsätze (Art. 2, 3, 14, 15 usw.) und ferner sich an den tragenden Verfassungsprinzipien - wie Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit - ausrichten. Damit sind die Grenzen des Neutralitätspostulats aufgezeigt, d.h., daß die soziale Komponente nicht überzogen werden darf. Umgekehrt ist nicht aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleiten, daß eine Marktwirt17

Ebenda, S. 34.

Siehe Hans Kremendahlfl'homas Meyer (Hg.), Sozialismus und Grundgesetz. Kronberg 1974, S. 61-70, hier: S . 67. 18

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schaft ,pur' diesem tragenden Element des Grundgesetzes entsprechen würde. Insofern ist Nipperdey zuzustimmen, daß die soziale Marktwirtschaft den tragenden Verfassungsprinzipien entspricht. Die Herausarbeitung der DDR-Verfassungsbestimmungen und deren Strukturelemente war für die Wirtschaftspolitik im allgemeinen und ihre (Reform(un)fähigkeit von besonderer Bedeutung, die noch durch die militärische Präsenz der Sowjetunion verstärkt wurde. 2. Phasen der DDR-Wirtschaftspolitik

Die DDR-Wirtschaftspolitik verlief keineswegs kontinuierlich, sondern vollzog sich in verschiedenen Phasen 19 : (1) Nachkriegsphase 1945-1949: Wie in Westdeutschland, so mußte auch in Ostdeutschland die kriegszerstörte Wirtschaft wieder aufgebaut werden, was durch Montagen und Lieferungen aus der laufenden Produktion noch erschwert wurde. Unabhängig davon begann die sowjetische Besatzungsmacht mit der Umgestaltung der überkommenen Strukturen durch den Sequesterbefehl vom 30. Oktober 1945, die Bodenreform vom 3.-9. September 1945, den Volksentscheid in Sachsen vom 30. Juni 1946 über die Enteignung der sequestrierten Betriebe usw. (2) Ausbau der Planwirtschaft 1949-1958: Die SED führte einen verschärften "Klassenkampf nach innen", setzte die Sozialisierung fort, trat 1950 dem RGW (Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe) bei. Diese Entwicklung wurde durch den Aufstand am 17. Juni 1953 unterbrochen. 1951 wurde der erste und 1956 der zweite Fünfjahrplan verabschiedet. (3) Konsolidierung und Zuspitzung 1958-1963: In den Jahren 1958 und 1959 trat eine Konsolidierung des wirtschaftlichen und politischen Systems ein. Die Vollkollektivierung der Landwirtschaft begünstigte die Fluchtbewegung, die zum Mauerbau am 13. August 1961 führte. Der erste Siebenjahrplan 1959-1965 hatte zum Ziel, den Lebensstandard an den Westdeutschlands anzupassen, aber der Rückstand nahm zu. Der Siebenjahrplan mußte 1961/62 abgebrochen werden. Die Partei- Staatsführung reagierte auf die krisenhafte Zuspitzung mit einem Reformprograrnm, dem Neuen Ökonomischen System.

19 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.). DDR Handbuch, 3. überarbeitete und erweiterte Aufl., Köln 1985, Band 2, Stichwort "Wirtschaft", S. 1485-1503, insbesondere S. 14861495.

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