Die Carmina Anacreontea und Anakreon [1. ed.] 9783823365754, 3823365754

Dieses Buch eröffnet einen grundlegend neuen Zugang zu den Carmina Anacreontea wie zum Werk Anakreons und seiner Rezepti

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German Pages 309 Year 2010

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Einleitung
II. Der literarische Generationenbegriff
II. a) Bisherige Definitionsversuche
II. a) 1) Karl Mannheim
II. a) 2) Wilhelm Pinder
II. a) 3) Julius Petersen
II. a) 4) Engelbert Drerup
II. a) 5) Zusammenfassung
II. b) Neudefinition
II. c) Abgrenzung
II. c) 1) Abgrenzung gegen imitatio / aemulatio
II. c) 2) Abgrenzung gegen Intertextualität
II. c) 3) Abgrenzung gegen den Gattungsbegriff
II. d) Zusammenfassung
III. Anakreon
III. a) Leben
III. b) Werk
III. b) 1) Metrik
III. b) 2) Dichtung
III. b) 2) A) Die Zeugnisse
III. b) 2) B) Das poetologische Programm
III. c) Erwähnungen in der lateinischen Literatur
III. d) Bildliche Darstellungen
III. e) Zusammenfassung
IV. Die Carmina Anacreontea als literarischeGeneration
IV. a) Zum Corpus und seiner Überlieferung
IV. b) Die explizit poetologischen Gedichte (1,2,20,23,60)
IV. c) Die thematischen Gedichte
IV. c) 1) Gedichte, in denen Anakreon genannt wird (7,15)
IV. c) 2) Gedichte über Bathyll (10,18)
IV. c) 3) Gedichte über Wein (21, 22, 38, 42, 43, 45, 47, 48, 49, 50,52, 52A, 56, 59)
IV. c) 4) Ein Gedicht über die Ablehnung von Reichtum
IV. c) 5) Gedichte über Alter und Alterslosigkeit (39, 40, 53)
IV. c) 6) Beschreibungen von Landschaften (41, 46)
IV. c) 7) Gedichte über Raserei (9, 12)
IV. c) 8) Gedichte über Liebe / Eros (6, 11, 13, 14, 19, 24, 25, 26, 27,28, 29, 29A, 30, 31, 32, 33, 35, 36, 37, 44, 51, 55, 58)
IV. c) 9) Gedicht über eine Zikade
IV. c) 10) Die ekphrastischen Gedichte (3,4,5,16,17,54,57)
IV. d) Zusammenfassung
V. Schluß
VI. Literaturverzeichnis
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Die Carmina Anacreontea und Anakreon [1. ed.]
 9783823365754, 3823365754

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CLASSICA MONACENSIA Die Carmina Anacreontea und Anakreon Ein literarisches Generationenverhältnis von Alexander Müller

Die Carmina Anacreontea und Anakreon

CLASSICA MONACENSIA Münchener Studien zur Klassischen Philologie Herausgegeben von Niklas Holzberg und Martin Hose Band 38 · 2010

Alexander Müller

Die Carmina Anacreontea und Anakreon Ein literarisches Generationenverhältnis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: [email protected] Printed in Germany ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-8233-6575-4

Prof. Dr. Sabine Föllinger in großer Dankbarkeit zugeeignet

Vorwort Die vorliegende Untersuchung des Verhältnisses der Carmina Anacreontea zur anakreontischen Dichtung entstand als Dissertation im Rahmen des Graduiertenkollegs „Generationenbewußtsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Dieser Umstand verdient besondere Erwähnung, weil die Entstehung dieser Arbeit hierdurch in finanzieller und kollegialer Hinsicht große Förderung erfahren hat, wofür der DFG sowie der Universität Bamberg, an der das Graduiertenkolleg angesiedelt war, und allen an diesem Kolleg Beteiligten, insbesondere Frau Prof. Dr. Föllinger als Betreuerin und Erstgutachterin, großer Dank gebührt, ebenso wie Herrn Prof. Dr. Hose als Zweitgutachter. Daß den im Rahmen des Graduiertenkollegs entstandenen Arbeiten sehr verschiedene Generationenbegriffe zugrunde lagen, so etwa, neben dem biologischen und dem soziologischen, auch ein pädagogischer, hat dabei nicht unwesentlich zur theoretischen Schärfung des jeweiligen Generationenkonzeptes im Hinblick auf die konkrete Anwendung beigetragen. Im Bereich der Literaturwissenschaften kamen vor allem der biologische und der soziologische Generationenbegriff zum Einsatz. In dieser Arbeit wird versucht, das spezielle Verhältnis der Carmina Anacreontea mit dem Begriff des literarischen Generationenverhältnisses zu fassen und so in Absetzung von anderen Generationenkonzepten und in Auseinandersetzung mit einem früheren literarischen Generationenbegriff, der letztendlich auf dem soziologischen Generationenbegriff basierte, schärfer zu bestimmen. Dieser Versuch hat von vielen kritischen Diskussionen inner- wie außerhalb des Graduiertenkollegs stark profitiert. Für die Aufnahme der Arbeit in Classica Monacensia ist den Herausgebern, insbesondere Herrn Prof. Dr. Hose, herzlich zu danken, ebenso wie dem Narr-Verlag für die vielfältige Unterstützung durch Herrn Freudl und Frau Burger.

Inhalt I.

Einleitung .............................................................................................. 1

II.

Der literarische Generationenbegriff............................................... 8 II. a) Bisherige Definitionsversuche ........................................................ 9 II. a) 1) Karl Mannheim ...................................................................... 9 II. a) 2) Wilhelm Pinder .................................................................... 13 II. a) 3) Julius Petersen....................................................................... 15 II. a) 4) Engelbert Drerup.................................................................. 17 II. a) 5) Zusammenfassung ............................................................... 19 II. b) Neudefinition .................................................................................. 20 II. c) Abgrenzung ..................................................................................... 35 II. c) 1) Abgrenzung gegen imitatio / aemulatio............................ 35 II. c) 2) Abgrenzung gegen Intertextualität .................................... 39 II. c) 3) Abgrenzung gegen den Gattungsbegriff ........................... 41 II. d) Zusammenfassung.......................................................................... 46

III. Anakreon ............................................................................................. 47 III.a) Leben ................................................................................................ 49 III.b) Werk................................................................................................. 56 III.b) 1) Metrik .................................................................................... 57 III.b) 2) Dichtung................................................................................ 64 III. b) 2) A) Die Zeugnisse ............................................................ 64 III. b) 2) B) Das poetologische Programm ............................... 109 III.c) Erwähnungen in der lateinischen Literatur .............................. 115 III.d) Bildliche Darstellungen ............................................................... 116 III.e) Zusammenfassung ........................................................................ 119 IV. Die Carmina Anacreontea als literarische Generation ............ 121 IV.a) Zum Corpus und seiner Überlieferung ..................................... 121 IV.b) Die explizit poetologischen Gedichte (1,2,20,23,60) ............... 124 IV.c) Die thematischen Gedichte ......................................................... 140 IV.c) 1) Gedichte, in denen Anakreon genannt wird (7,15) ....... 141 IV.c) 2) Gedichte über Bathyll (10,18)........................................... 146 IV.c) 3) Gedichte über Wein (21, 22, 38, 42, 43, 45, 47, 48, 49, 50, 52, 52A, 56, 59) ............................................................. 152 IV.c) 4) Ein Gedicht über die Ablehnung von Reichtum............ 196 IV.c) 5) Gedichte über Alter und Alterslosigkeit (39, 40, 53)..... 198 IV.c) 6) Beschreibungen von Landschaften (41, 46).................... 203 IV.c) 7) Gedichte über Raserei (9, 12)............................................ 206

IV.c) 8) Gedichte über Liebe / Eros (6, 11, 13, 14, 19, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 29A, 30, 31, 32, 33, 35, 36, 37, 44, 51, 55, 58)................................................................................... 209 IV.c) 9) Gedicht über eine Zikade .................................................. 260 IV.c) 10) Die ekphrastischen Gedichte (3,4,5,16,17,54,57)......... 267 IV.d) Zusammenfassung........................................................................ 284

V.

Schluß................................................................................................. 287

VI. Literaturverzeichnis ........................................................................ 292 a) Textausgaben zu Anakreon und den Carmina Anacreontea ...... 292 b) Abhandlungen, Ausgaben, Aufsätze, Nachschlagewerke und Lexikonartikel .................................................................................... 292 c) elektronische Hilfsmittel .................................................................. 296 d) Textausgaben zu weiteren antiken Autoren .................................. 296

I. Einleitung Gegenstand der Untersuchung ist das Verhältnis der Carmina Anacreontea zur Dichtung Anakreons und der Versuch, dieses Verhältnis mittels eines geeigneten Begriffes literaturtheoretisch zu fassen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse über die Methode der Anakreon-Rezeption, die sich in den Carmina Anacreontea zeigt, werden sowohl ein neues Licht auf die Carmina Anacreontea in ihrer literarischen Abhängigkeit von der anakreontischen Dichtung werfen als auch allgemein eine neue Form des Bezuges zu einem literarischen Vorbild aufzeigen. Daher ist die Untersuchung auch für die literaturwissenschaftliche Theoriebildung von Bedeutung. Zudem liefert sie grundsätzliche neue Erkenntnisse über die Rezeption von Anakreons Werk und das daraus resultierende Bild von ihm und seiner Dichtung. Daß die Arbeit trotz des induktiven Vorgehens deduktiv aufgebaut ist, hat seinen Grund darin, daß die Betrachtung der Texte wohl leichter verständlich ist, wenn zuvor dargelegt wurde, was ihr Ergebnis sein wird. Die Darstellung entspricht also nicht der Methode, ist aber hoffentlich leserfreundlicher. Zu diesem Zweck sollen auch vorab kurz die wichtigsten Punkte der Untersuchung genannt werden. Die These ist, daß die Dichter der Carmina Anacreontea ihre Gedichte nach demselben poetologischen Programm verfaßt haben, nach dem ihrer Meinung nach auch Anakreon seine Gedichte verfaßt hat, und daß sich daraus ein Verhältnis zwischen der anacreonteischen und der anakreontischen Dichtung ergibt, das am besten als ein literarisches Generationenverhältnis zu fassen ist. Obgleich die These einfach aussieht, ist sie keineswegs selbstverständlich, hatte man doch seit Wilamowitz aufgrund mancher augenfälliger Unterschiede den Bezug der anacreonteischen auf die anakreontische Dichtung für weitaus weniger stark gehalten1 als er, wie die vorliegende Untersuchung 1

Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Die griechische Literatur des Altertums, 3. Aufl. Leipzig 1912, S.44: „wem diese matte Limonade [die Anakreonteen] nicht unausstehlich ist, der soll nicht nach dem hellenischen Weine greifen.“. Diese vielzitierte Wertung ist zum einen, was meist unterschlagen wird, von Wilamowitz in umfassende eine Kritik frühgriechischer Lyrik eingebettet, der auch Alkman, Alkaios und Anakreon selbst zum Opfer fallen, und somit als eine in besonderem Maße der Entstehungszeit und der Persönlichkeit Wilamowitz’ verhaftete moralische und ästhetische Beurteilung anzusehen. Sie ist zum anderen aber paradigmatisch für eine Herangehensweise an die Anacreontea, die sich bis heute erhalten hat, denn sie fußt auf einem Vergleich der Anacreontea mit der anakreontischen Lyrik, der sich auf eine auf die motivgeschichtliche Einordnung verengte Betrachtung der Motivik und auf eine Untersuchung der lexikalischen und grammatikalischen Unterschiede konzentriert anstatt die zu beobachtenden Phänomene hinsichtlich der Absicht ihrer Auto-

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zeigen wird, tatsächlich ist. Im Gegensatz zu den bisherigen Arbeiten soll nun nämlich der programmatische Zusammenhang zwischen Anakreon und den Anacreontea in den Vordergrund gestellt werden, und dieser Zusammenhang ist deutlich größer als man aufgrund der äußeren Unterschiede zunächst vermuten würde. Die bisherige Forschung auf diesem Gebiet wird vor allem durch die Bücher von Rosenmeyer2 und Lambin3 repräsentiert. Beide Werke leisten Großes, werfen zugleich aber auch Probleme auf. Gemeinsam ist ihnen die Absicht, sowohl die Bezüge der Anacreontea zur anakreontischen Dichtung als auch Bezüge der Anacreontea zu anderen literarischen Werken sowie zu dem historisch-sozialen Umfeld, in dem sich die Autoren der Anacreontea mutmaßlich bewegten, zu untersuchen. Verdienstvoll sind die Arbeiten, weil ihre Autoren eine für alle weitere Beschäftigung mit den Bezügen der Anacreontea grundlegende Sammlung und Auswertung zahlreicher Zeugnisse geleistet haben, doch lassen sich andererseits auch prinzipielle Einwände gegen das Vorgehen und die Ergebnisse erheben. Rosenmeyers Aufmerksamkeit gilt neben den Ähnlichkeiten der anacreonteischen mit der anakreontischen Dichtung vor allem den Ähnlichkeiten der Carmina Anacreontea mit anderen literarischen Werken. Sie geht daher bei ihrer Entwicklung eines Bildes von Anakreon und seiner Dichtung selektiv vor und stützt sich auf einige literarische Quellen, die sie dafür verwendet, einen biographischen Abriß zu erstellen und das gängige Bild von Anakreon als sympotisch-erotischem Dichter illustrierend zu bestätigen, sowie, und das dankenswerterweise sehr ausführlich, auf bildliche Darstellungen von Anakreon4. Bei ihrer Betrachtung der einzelnen Gedichte geht es ihr, wie der Titel ihres Buches anzeigt, darum, Beziehungen sowohl zwischen

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ren und damit in Beziehung auf den Sinn der Gedichte zu betrachten. Bei Wilamowitz liest sich das Ergebnis folgendermaßen (ebd., S.43-44): „Man modernisierte, man vergröberte sie [Anakreons Dichtung], man verflachte den Inhalt durch die Verallgemeinerung, man ebnete den Gang der wogenden Rhythmen.“. An dieser Grundaussage hat sich auch bei Rosenmeyer (siehe Anm.2 und S.2f.) prinzipiell wenig geändert. Lambin (siehe Anm.3 und S.3f.) versuchte eine Änderung der Perspektive, indem er Anakreon selbst verflacht darstellte, doch wird er dadurch wohl weder der anakreontischen noch der anacreonteischen Dichtung in vollem Umfang gerecht, auch wenn er, ebenso wie Rosenmeyer, in vielen Einzelfragen sehr interessante Ansätze verfolgt und wegweisende Erkenntnisse erzielt. Zur Zitierweise sei generell darauf hingewiesen, daß in dem jeweils ersten Zitat eines Werkes die vollständige bibliographische Angabe steht, daß aber bei häufig zitierten Werken in allen weiteren Zitaten der Verweis so kurz wie möglich gehalten wird und somit zumeist nur in der Nennung des Autorennamens besteht. Zum Begriff des poetologischen Prorgammes siehe S.25ff. Rosenmeyer, Patrizia A.: The poetics of imitation, Cambridge 1992. Lambin, Gérard: Anacréon. Fragments et imitations, Rennes 2002. Daß ihre Beurteilung der Bilddarstellungen nicht immer unproblematisch ist, wird in Kap. III.d) ausgeführt.

den Carmina Anacreontea und der anakreontischen Dichtung als auch vor allem zwischen den Carmina Anacreontea und anderen literarischen Werken festzustellen. Diese Beziehungen versucht sie mit dem Begriff der Imitatio zu fassen, was zumindest für den Bezug auf die anakreontische Dichtung durch die in Carmen Anacreonteum 60,30 zu findende Formulierung τὸν Ἀνακρέοντα μιμοῦ auch naheliegend scheint. Ein Problem besteht darin, daß Rosenmeyer diesem Vergleich, wie sich zeigen wird, ein ungenaues Bild von Anakreon und seiner Dichtung und einen nicht hinreichend differenzierten Begriff von Imitatio zugrunde legt. Daß die Anacreontea dem von ihr entworfenen Anakreon-Bild nicht gerecht werden, liegt daran, daß sie den Anacreontea ihr eigenes, neuzeitliches Bild von Anakreon gegenüberstellt und nicht dasjenige Anakreon-Bild zu rekonstruieren versucht, welches die Dichter der Anacreontea mutmaßlich vorfanden. Daher gelingt es ihr nicht immer, das spezifische Verhältnis der Carmina Anacreontea zum einen zu Anakreon als historischer Person, zum anderen zu Anakreon als Dichterpersönlichkeit, so wie er sowohl in seiner eigenen Dichtung als auch vor allem im Spiegel anderer literarischer Werke erscheint, und zum dritten zur anakreontischen Dichtung auf lexikalischer, formaler, motivischer und programmatischer Ebene in wünschenswerter Weise zu erfassen. Ein zweites Problem ergibt sich, wenn man das Verhältnis der Carmina Anacreontea zu anderen literarischen Texten nicht nur, wie Rosenmeyer dies sehr gründlich vorgenommen hat, feststellen, sondern auch klären möchte, in welcher Weise sich die Anacreontea einerseits auf die anakreontische Dichtung und andererseits auf andere literarische Werke beziehen und in welchem Verhältnis diese Bezüge zueinander stehen. Auch hier hat Rosenmeyer Versuche unternommen, die jedoch, ebenso wie im Falle der Bezüge zu Anakreon, aufgrund inhaltlicher Unschärfe, die sich in Rosenmeyers nicht immer hinreichend differenzierter Begrifflichkeit5 widerspiegelt, manchmal nicht weit genug führten. Ihre Aussage, das Hauptziel der Autoren sei es, neben der von ihr nicht näher gefaßten besonderen Beziehung zu Anakreon und der anakreontischen Dichtung, gewesen, durch Anspielungsreichtum den literarischen Wert ihrer Gedichte zu steigern6, ist, wie die vorliegende Untersuchung zeigen wird, so nicht ohne weiteres haltbar. Lambin geht, wie schon der Titel seines Buches zeigt, ebenfalls von dem Begriff der Imitatio aus, doch da auch er ihn nicht hinreichend differenziert, bleibt bei ihm die Darstellung des Verhältnisses der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung ebenfalls diffus. Lambin hat für seine Ausführungen zu Anakreon eine Klassifizierung der erhaltenen Fragmente unter 5

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So spricht sie beispielsweise (S.149f.) von Imitatio, Anspielung, Topos und Intertextualität ohne die genaue Verwendung der Begriffe zu klären. Rosenmeyer S.224: „the anacreontic poems are ... allusive, sophisticated texts which offer the reader much more than first meets the eye“.

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den vagen Aspekten des „sage Anacréon“ und des „doux Anacréon“ vorgenommen, unterfüttert mit einigen Stellen aus der späteren Literatur. Er neigt dabei dazu, Anakreon als rein sympotisch-erotischen Dichter zu charakterisieren und seiner Dichtung viel der seiner Meinung nach typisch anacreonteischen Verspieltheit zu unterstellen7, um auf diese Weise zunächst eine prinzipielle Nähe der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung konstatieren zu können. Bei der Untersuchung der Anacreontea liegt sein Ziel darin, motivisch-thematische Ähnlichkeiten der anacreonteischen mit der anakreontischen Dichtung aufzuweisen, was des öfteren im Allgemeinen verbleibt, sowie den mutmaßlichen historisch-sozialen Hintergrund der Dichter und, damit zusammenhängend, christliche Einflüsse in den Anacreontea darzustellen und sich mit Einzelfragen der Textkritik und mit Similia zu beschäftigen, wodurch seine Behandlung der Anacreontea den Charakter eines - allerdings, wie ausdrücklich hervorgehoben sei, größtenteils sehr guten - Kommentars erhält, wobei er die Gedichte nach motivischen Gesichtspunkten ordnet. Insgesamt sieht Lambin die Carmina Anacreontea, durchaus unter deutlicher Betonung der Innovationen ihrer Verfasser, hauptsächlich vor dem Hintergrund des spätantiken historischen und vor allem literarischen Umfeldes, in dem die Carmina Anacreontea seiner Vermutung nach entstanden sind8, wobei er hier speziell die Nähe zum Christentum, zur Rhetorik und zum griechischen Roman betont. Die vorliegende Untersuchung wird zu zeigen versuchen, daß diese Beziehungen zum einen nicht so stark sind, wie Lambin sie darstellt9, und daß sie auch nur eine eher geringe poetologische Relevanz besitzen. So unterschiedlich die Bücher von Lambin und Rosenmeyer sind, so ähnlich sind die beiden grundsätzlichen Einwände, die sich gegen sie erheben lassen. Der erste besteht gegenüber demjenigen Anakreon-Bild, das die Autoren dem Vergleich mit dem Anakreon-Bild der Anacreontea zugrundelegen, der zweite gegenüber der bisweilen verbesserungsfähigen begrifflichen und inhaltlichen Klarheit bezüglich des Konzeptes von Mimesis, welches die Verfasser der Carmina Anacreontea verfolgt haben. Die Dichter der Carmina Anacreontea haben sich, und dies ist eine zwar banale, aber doch sehr folgenreiche Feststellung, nicht auf Anakreon und seine Dichtung so wie wir sie heute sehen bezogen, sondern auf das Bild, das 7 8

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So z.B. besonders Lambin S.90f. Dies führt bisweilen zum Problem des Zirkelschlusses, nämlich wenn versucht wird, Informationen zum Entstehungsumfeld, die aus dem Gedicht erschlossen werden, zur Interpretation des Gedichtes zu verwenden, ohne genau geklärt zu haben, ob die Anhaltspunkte zum Entstehungsumfeld in dem Gedicht selbst erstens eindeutig und zweitens nicht fiktiv, sondern tatsächlich historisch und damit interpretatorisch belastbar sind. Dies wird sich in den Untersuchungen der einzelnen Gedichte in Kap. IV zeigen.

sie selbst von Anakreon und seiner Dichtung hatten. Es ist daher zunächst eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie Anakreon und seine Dichtung zur Entstehungszeit der Carmina Anacreontea gesehen wurden. Dabei ist davon auszugehen, daß das Bild, welches die Dichter der Carmina Anacreontea von Anakreon und seiner Dichtung hatten, dem zu ihrer Zeit gängigen entsprach10. Diese Prämisse ist notwendig, um beurteilen zu können, ob die Dichter der Carmina Anacreontea das von ihnen vorgefundene Bild von Anakreon und seiner Dichtung verändert und in ihrem Sinne stilisiert haben, wie etwa Rosenmeyer behauptet, oder ob sie es so übernommen haben, wie sie es vorfanden. Gerechtfertigt wird die Prämisse dadurch, daß sie wahrscheinlich ist, weil sich für die Entstehungszeit der Carmina Anacreontea ein recht konsistentes Bild von Anakreon außerhalb der anacreonteischen Dichtung findet, was die Vermutung nahelegt, daß es keine allzu großen Unterschiede im Anakreonverständnis der jeweiligen Schriftsteller gab. Hinzu kommt, wie sich ebenfalls zeigen wird, daß das Anakreonverständnis der Carmina Anacreontea in sich sehr konsistent ist und daß es auch weitgehend identisch mit dem außerhalb der anacreonteischen Dichtung vorhandenen ist. Um das Bild zu rekonstruieren, welches sich aus den Erwähnungen von Anakreon bei den griechischen Schriftstellern bis in die Entstehungszeit der spätesten Anacreontea, das sechste nachchristliche Jahrhundert, hinein ergibt, ist es notwendig, eine Untersuchung und Kategorisierung aller Erwähnungen von Anakreon und seiner Dichtung vor allem in der griechischen Literatur vorzunehmen. Da eine systematische und umfassende Zusammenstellung und Auswertung der Zeugnisse zu Anakreon in der griechischen Literatur bislang noch nicht vorgenommen wurde, wird hier Grundlagenarbeit geleistet. Wenn man die Erwähnungen von Anakreon in der griechischen Literatur im zeitlichen Verlauf betrachtet, so kann man zumindest eine ungefähre Vorstellung davon gewinnen, welches Bild von Anakreon zu welcher Zeit bestand und ob sich diese Bilder überhaupt voneinander unterschieden. Es zeichnen sich dabei drei Großgruppen von Erwähnungen ab, nämlich solche, die sich auf Anakreon als Verfasser sympotisch-erotischer Dichtung beziehen, solche, die sich auf Anakreon als Verfasser nicht sympotisch-erotischer Dichtung beziehen und solche, die Anakreon als historische Person zum Gegenstand haben11. Ergänzt wird diese Übersicht durch einen kurzen Blick auf Anakreon in der lateinischen Literatur, auf bildliche Darstellungen von Anakreon und auf Erkenntnisse aus der direkten Überlieferung, welche sich allerdings auf wenige Papyri beschränkt. Das aus dieser Untersuchung gewonnene Bild von Anakreon im allgemeinen und dem 10 11

Daß dem tatsächlich so ist, wird in Kap. III gezeigt. Auf die Schwierigkeiten einer solchen Gruppierung wird in Kap. III.b)2)A) eingegangen.

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Programm seiner sympotisch-erotischen Dichtung im besonderen ist dann die Basis für die Untersuchung der Carmina Anacreontea hinsichtlich ihres Verhältnisses zur anakreontischen Dichtung. Die Carmina Anacreontea ihrerseits lassen sich gliedern in poetologische und nicht poetologische Gedichte. Als poetologische Gedichte werden all diejenigen Gedichte angesehen, die sich explizit über Dichtung äußern. Zunächst werden die poetologischen Gedichte daraufhin untersucht, ob in ihnen jeweils dasselbe poetologische Programm vertreten wird. Dann ist zu prüfen, ob die poetologischen Gedichte selbst dem in ihnen vorgestellten Programm entsprechen, oder ob sie es implizit unterlaufen, was bedeuten würde, daß ihnen ein anderes poetologisches Programm zugrunde läge als das in ihnen thematisierte. Als Ergebnis sei vorweggenommen, daß sich aus den poetologischen Gedichten ein einheitliches poetologisches Programm erstellen läßt und daß alle poetologischen Gedichte selbst diesem Programm entsprechen. In einem zweiten Schritt sind dann die übrigen anacreonteischen Gedichte daraufhin zu untersuchen, ob das poetologische Programm, nach welchem sie verfaßt wurden, mit dem der poetologischen Gedichte identisch ist, also ob die Carmina Anacreontea insgesamt eine poetologische Einheit bilden. Obgleich die Arbeit keinen Kommentar darstellen soll, ist hierfür eine Untersuchung jedes einzelnen Gedichtes notwendig, um so die Grundsätze zu bestimmen, nach denen das jeweilige Gedicht verfaßt wurde, und es wird sich zeigen, daß nahezu allen anacreonteischen Gedichten dasselbe poetologische Programm zugrunde liegt. Hieran schließt sich die Frage an, in welchem Verhältnis das poetologische Programm der Carmina Anacreontea zu dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung steht, wobei als Programm der anakreontischen Dichtung jene Vorstellungen von Anakreon und seiner Dichtung zugrunde zu legen sind, die zur Entstehungszeit der anacreonteischen Gedichte bestanden. So kann dann mit einiger Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, ob die Dichter der Carmina Anacreontea tatsächlich dasjenige poetologische Programm, welches sie für das anakreontische hielten, übernommen haben, oder ob sie ihren Gedichten ein stilisiertes Bild von Anakreon und seiner Dichtung zugrunde gelegt haben. Ergebnis wird sein, daß die Dichter der Anacreontea tatsächlich die Vorstellungen von Anakreon und seiner Dichtung und damit auch dasjenige poetologische Programm anakreontischer Dichtung übernommen haben, das sie zu ihrer Zeit vorfanden. Dies ist zunächst überraschend, weil es angesichts der bisherigen Arbeiten zu diesem Gebiet nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre, doch war die Beziehung der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung nur auf der ästhetischen, etwa auch im Hinblick auf metrische Bezüge, der lexikalischen bzw. dialektalen und der motivischen, nicht aber auf der programmatischen Ebene untersucht worden, vielleicht in dem Glauben, alle motivi6

schen, lexikalischen etc. Bezüge seien programmatisch gleichwertig, so daß die Ergebnisse der Untersuchung einer dieser anderen Ebenen auch für die programmatische Ebene gültig wären. Dies ist für die anacreonteische Dichtung jedoch nicht der Fall, wie sich im folgenden zeigen wird. Das programmatische Verhältnis der Carmina Anacreontea zu Anakreons Dichtung gestaltet sich wie gesagt so, daß fast alle anacreonteischen Gedichte nach denselben Grundsätzen verfaßt sind, nach denen aus Sicht der anacreonteischen Dichter auch Anakreon seine sympotisch-erotische Dichtung verfaßte12. Das Phänomen, welches hier begrifflich zu erfassen ist, besteht also darin, daß Texte, nämlich die anakreontische Dichtung, ihrerseits andere Texte, nämlich die anacreonteische Dichtung, dadurch hervorgebracht haben, daß die Dichter der späteren Texte, also der Anacreontea, das den früheren, anakreontischen Texten nach ihrem Verständnis zugrunde liegende poetologische Programm für die Erzeugung ihrer eigenen Texte übernommen haben. Dieses Phänomen soll mit dem in dieser Arbeit zwar an der anakreontischen und anacreonteischen Dichtung entwickelten, aber sowohl in der klassischen als auch in anderen Philologien anwendbaren Begriff der literarischen Generation bezeichnet werden. Die Anacreontea sind als Beispiel für dieses auch an anderen Texten zu beobachtende Phänomen deshalb besonders geeignet, weil es von den anacreonteischen Gedichten nicht nur implizit verkörpert, sondern in den poetologischen Gedichten auch explizit thematisiert wird. Dadurch zeigt sich, daß es den Autoren der Gedichte, auch wenn sie es natürlich nicht als ein literarisches Generationenverhältnis bezeichnet haben, deutlich bewußt war. Dieses Bewußtsein der Autoren für das zu untersuchende Phänomen schließt aus, daß in der Untersuchung einfach eine moderne Theorie auf einen antiken Text angewendet wird, ohne daß die Relevanz des mittels der Theorie betrachteten Phänomens für den Text geklärt wäre.

12

Zu der Beschränkung der Dichter der Carmina Anacreontea auf Anakreons sympotisch-erotische Dichtung siehe Kap. III.e).

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II. Der literarische Generationenbegriff Wenn in dieser Arbeit ein literarischer Generationenbegriff verwendet wird, so ist zuvor zu bestimmen, was dieser Begriff bezeichnen soll. Da es bereits frühere Versuche gab, den Begriff der Generation in der Philologie und insbesondere in der klassischen Philologie anzuwenden, werden zuerst diese dargestellt, bevor dann der in dieser Arbeit verwendete literarische Generationenbegriff definiert wird, der sich von den früheren Versuchen in wichtigen Punkten unterscheidet. Zugrunde liegt den Modellen zum Generationenbegriff die ursprüngliche Verwendung dieses Begriffes im Bereich der Biologie13. Der biologische Generationenbegriff definiert Generation als „Gesamtheit aller annähernd gleichaltrigen Individuen einer Art; in der Geschlechterfogle die direkten Nachkommen und Vorläufer (Ahnen) eines Lebewesens“14. Die Dauer einer Generation bis zum Entstehen der nächsten kann bei Individuen derselben Art je nach äußeren Sachzwängen sowie kulturbedingten Gepflogenheiten im Einzelfall teils erheblich variieren, und auch das absolute Lebensalter zweier Individuen, die dadurch derselben Generation zuzurechnen sind, daß sie gemeinsame Nachkommen haben, kann stark divergieren. Es gibt also sowohl einen konkreten biologischen Generationenbegriff, der in der einzelnen Abstammungslinie jeweils die Eltern und deren Kinder als Generation bezeichnet und somit eine zeitliche Gliederung der genealogischen Linie gemäß der Geburtenfolge von Eltern und Kindern vornimmt, als auch einen verallgemeinernden, mittels dessen man eine durchschnittliche Generationendauer für die einzelnen Arten angeben kann als diejenige Zeitspanne, die Kinder benötigen, um ihrerseits wieder Kinder hervorzubringen. Diese beträgt beim Menschen etwa dreißig Jahre. Der generalisierende biologische Generationenbegriff findet breite Anwendung, da er die zeitlich gegliederte Betrachtung einer Art, meist der menschlichen, als Ganzes oder die Betrachtung von Teilgruppen dieser Art ermöglicht. Eine Verbindung dieses generalisierenden biologischen Generationenbegriffes mit der Soziologie und über diese auch mit der Literaturwissenschaft stellt der bevölkerungswissenschaftliche Generationenbegriff her. In der Bevölkerungswissenschaft werden alle innerhalb eines bestimmten, zu definierenden Zeitraumes, also beispielsweise innerhalb eines Jahres oder Jahrfünftes, Geborenen zu einer Generation gerechnet. Als Generationsabstand wird in der Bevölkerungswissenschaft der durchschnittliche Abstand zwischen 13

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8

Zu der Frage, warum es überhaupt nötig ist, den Begriff der Generation aus der Biologie zu entlehnen, siehe Kap. II.b)-d). Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl. Mannheim 2006, s.v. Generation, 2).

den Geburtsjahren der Eltern und ihrer Kinder definiert, welcher gemessen wird als das Durchschnittsalter der Frauen bei der Geburt. Er schwankt heutzutage im allgemeinen zwischen 25 und 30 Jahren, so daß bei heutiger Lebenserwartung in einer Bevölkerung etwa drei Generationen gleichzeitig leben können. Generationen im bevölkerungswissenschaftlichen Sinn können zudem untergliedert werden in Kohorten, die dann ihrerseits näher untersucht und miteinander verglichen werden können. Zu einer Kohorte gehören Menschen mit einem gleichen demographischen Merkmal, so beispielsweise alle Abiturienten eines Jahres.

II. a) Bisherige Definitionsversuche Im Bereich der klassischen Philologie wurde in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts mehrfach der Versuch unternommen, einen literarischen Generationenbegriff zu definieren. Diese Versuche wurden maßgeblich von Beschäftigungen mit dem Begriff der Generation in anderen Disziplinen angeregt. Eine große Wirkung auf die theoretische Betrachtung des Generationenbegriffes hatte im Bereich der Soziologie Karl Mannheim15 und im Bereich der Kunstgeschichte Wilhelm Pinder16. In der klassischen Philologie ist vor allem auf die Bücher von Julius Petersen17 und Engelbert Drerup18 näher einzugehen. Zunächst sollen jedoch, wegen ihrer breiten und grundlegenden Wirkung, die Überlegungen Mannheims und Pinders zum Generationenbegriff kurz dargelegt werden19. II.

a)

1)

Karl Mannheim

Karl Mannheim hat den soziologischen Generationenbegriff in auch heute noch grundlegender Weise in seinem erstmals 1929 veröffentlichten Aufsatz „Das Problem der Generation“20 definiert. Mannheim unterscheidet in dieser Arbeit zunächst einen positivistischen Zugang zum Problem der Genera15

16

17 18

19

20

Mannheim, Karl: „Das Problem der Generation“, in: ders.: Wissenssoziologie, 2. Aufl. Neuwied am Rhein und Berlin 1970, 509-565, erstmals veröffentlicht in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie 7 (1929), 157-185 und 309-330. Pinder, Wilhelm: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, Berlin 1926. Petersen, Julius: Die literarischen Generationen, Berlin 1930. Drerup, Engelbert: Das Generationsproblem in der griechischen und griechischrömischen Kultur, Paderborn 1933. Weitaus am wirkmächtigsten waren die Überlegungen Mannheims. So heißt es beispielsweise bei Jureit, Ulrike; Wildt, Michael (Hgg.): Generationen, Hamburg 2005, S.20: „In der Geschichtsschreibung wie in der historischen Soziologie ist das Mannheimsche Modell nach wie vor das vorherrschende.“. Siehe Anm.15.

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tion von einem romantisch-historischen, wobei der erstere einen quantitativen und der letztere einen qualitativen Zugriff ermöglicht. Ziel des positivistischen Ansatzes ist es, menschliches Leben und Handeln durch die Gliederung des einzelnen Lebens21 sowie der gesamtgesellschaftlichen Abläufe in am Menschen ausgerichtete Generationen zu verstehen22. Der historischsoziologische Generationenbegriff soll beim positivistischen Ansatz also aus dem biologischen abgeleitet werden. Im Gegensatz zur linearen Fortschrittskonzeption der Positivisten kommt es bei der romantisch-historischen Fragestellung gerade nicht auf die quantitativ meßbare Zeit an, aus der man dann einen objektiven Maßstab für den Fortschritt gewinnen kann, sondern auf eine nur qualitativ erfaßbare innere Erlebniszeit23. Gleichzeitigkeit bedeutet hier vornehmlich die Gleichartigkeit der vorhandenen Einwirkungen und ist nicht mehr an einen historischen Zeitpunkt gebunden. Das soziologische Generationenproblem ergibt sich aus der soziologischen Relevanz der biologischen Gegebenheiten. Diese besteht darin, daß durch die Einbettung in eine Generationslagerung die Wahrnehmungs-, Erlebnis-, Denk- und Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen durch spezifische Vorgaben in bestimmte Richtungen gelenkt werden. Die Vorgaben wiederum resultieren aus der Tatsache, daß jeder zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort geboren wird und jeweils sein Leben verbringt, wodurch er sich jeweils in einer vorgegebenen Generationslagerung befindet. In der jeweiligen Generationslagerung, so die Vorstellung, haben sich im Laufe der Geschichte dieser Lagerung bestimmte Einstellungen zu Traditionen verfestigt, die dann die jeweils gleichaltrigen Individuen in einen Generationszusammenhang stellen, weil sie für das Verhalten und die Entwicklung der Einzelnen richtungsweisend sind unter den Gegebenheiten des Generationswandels im Sinne der Auseinandersetzung einer neuen Generation mit den Maßstäben und Errungenschaften der bereits vorhandenen. Dies bedeutet, daß die jeweils folgende Generation sich insbesondere 21

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23

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Für die Unterschiede in der Bemessung der Dauer einer menschlichen Generation in verschiedenen früheren Werken verweist Mannheim S.510 auf Mentré, F.: Les générations sociales, Paris 1920, S.179f. und S.66f., doch ist diese Frage für den hier verfolgten literarischen Generationenbegriff nicht von Bedeutung. Mannheim S.511f. nennt dies „das Bestreben, ein generelles Gesetz der historischen Rhythmik zu finden, und zwar auf Grund des biologischen Gesetzes der begrenzten Lebensdauer des Menschen und der Gegebenheit der Altersstufen. Das Ziel ist, aus der Sphäre der Biologie heraus unmittelbar den formalen Wechsel der geistigen und sozialen Strömungen zu verstehen, die Gestalt des Fortschreitens des menschlichen Geschlechtes von den vitalen Unterlagen her zu erfassen.“. Mannheim S.516: „Das relative Novum, das bei Dilthey erscheint, ist eben diese Gegenüberstellung von quantitativ meßbarer und nur qualitativ erfaßbarer innerer Erlebniszeit. [...] Die Generationseinheiten ermöglichen eben ein nacherlebbares anschauliches Abmessen geistiger Bewegungen.“.

die kulturellen Errungenschaften der vorhergehenden selbst mit ihrem eigenen, neuen Zugang zueigen machen muß. Hinzu kommen individuelle Faktoren wie soziale Position, Bildung, Herkunft, Erziehung usw., doch ist etwa ein Wechsel in der sozialen Position selbst dann, wenn er sich in größerem Umfang vollzieht, potentiell bei weitem nicht so radikal wie ein Generationswechsel, da sich bei einem Generationswechsel in den Individuen keine Abkehr von früheren Einstellungen, sondern die Bildung völlig neuer vollzieht. Durch diese neuen Einstellungen und Sichtweisen findet auch eine selektive Bewahrung des Früheren statt, die ein Vergessen impliziert, und eine Ausrichtung auf neue Ziele, durch deren Erstreben Neues errungen wird. Eine Reflexion über Vergangenes setzt in diesem Selektionsprozeß da ein, wo eine un- oder halbbewußte Transformation des Vergangenen in die Gegenwart nicht mehr möglich ist, da sie nicht zum gewünschten Ziel führen kann. Sie ist jedoch nur Symptom einer im Unreflexiven verbleibenden Differenz der Lagerung. Diese Differenz besteht darin, daß eine neue, jüngere Generation im Gegensatz zur älteren Generation noch nicht über einen solch „spezifischen, selbsterworbenen, präformierenden Erfahrungszusammenhang [...], wodurch jede neue mögliche Erfahrung ihre Gestalt und ihren Ort bis zu einem gewissen Grade im vorhinein zugeteilt erhält“24, verfügt. Dieser jeder Generation eigene Erfahrungszusammenhang erklärt auch den Begriff der Lagerung, die ihre Einheit aus einer verwandten Erlebnisund damit auch Bewußtseinsschichtung gewinnt. Reine chronologische Gleichzeitigkeit führt nicht zu einer verwandten Generationslagerung, sondern eine solche entsteht erst dadurch, daß die ihr zugehörigen Individuen ähnlichen Lebens- und Erlebnisumständen ausgesetzt sind, die für die jeweils gleichaltrigen Individuen bei einheitlicher Wahrnehmung der Generationslagerung einen Generationszusammenhang herstellt. An dieser Stelle weist Mannheim auch auf den von Pinder25 unter dem Stichwort der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen ausgearbeiteten Aspekt hin, daß ein und dasselbe Erlebnis von Angehörigen verschiedener Generationslagerungen je als Jugend- oder als Alterserlebnis entsprechend unterschiedlich verarbeitet werden kann, wobei die individuell ersten Eindrücke, auch weil sie im Gegensatz zu späteren Eindrücken noch unreflektiert aufgenommen werden, die Tendenz haben, „sich als natürliches Weltbild festzusetzen“26, an dem alle späteren Erfahrungen gemessen werden und sich alle Handlungen affirmativ oder negierend orientieren. Jedoch ist auch die ältere Generation, deren Gehalte von der Jugend, der sie tradiert wurden, problematisierend reflektiert werden, nicht statisch, so daß sich eine stete Wechselwirkung der Generationen ergibt. Diese Wechselwirkung wird aber dadurch in einen kontinu24 25 26

Mannheim S.534. Zu Pinder siehe Kap. II.a)2). Mannheim S.536.

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ierlichen Prozeß eingebettet, daß es in einer Gesellschaft keine abstrakten Generationen in einem zeitlichen Abstand von etwa dreißig Jahren gibt, sondern nur das Kontinuum der Geburten27. Wie sich in diesem Kontinuum einzelne soziologische Generationen ausbilden können, wird von Mannheim mit den Begriffen der Generationslagerung, des Generationszusammenhanges und der Generationseinheit beschrieben. Zur bereits definierten allgemeinen Generationslagerung tritt als nächster Begriff der des Generationszusammenhanges. Die Erfahrung gleicher geistiger und sozialer Strömungen und Ereignisse mit Gleichaltrigen zu teilen stellt den Generationszusammenhang her, der die gleichaltrigen, in derselben Generationslagerung befindlichen Individuen miteinander verbindet. Wenn die in einem Generationszusammenhang stehenden Individuen in gleicher Weise auf jene Strömungen und Ereignisse reagieren, entsteht die Generationseinheit. Die Impulse für das Entstehen einer Generationseinheit kommen dabei immer aus der Generationslagerung und der in dieser erfahrbaren gesellschaftlichen Dynamik, oftmals auch in Verbindung mit kristallisierend wirkenden Kollektivereignissen28. Das Entstehen der Generationsentelechie einer neuen biologischen Generation, sozusagen die erfahrbare Generationswerdung dieser Generation, wird daher durch ihr faktisches Vorhandensein in einer Generationslagerung nur zu einer Möglichkeit, die von einer „auslösenden Kraft des gesellschaftlich-geistigen Prozesses“29 erst in die Wirklichkeit der Generationsentelechie einer Generationseinheit geführt werden muß. Ein Versuch, in naturalistischer Weise die Generationsentelechien allein aus dem Zeitpunkt und Ort der Geburt und somit aus biologischen oder vitalen Faktoren ableiten zu wollen, ist daher nicht geeignet, das Generationsproblem zu erfassen, weil die Entstehung einer Generationseinheit von außerbiologischen, nämlich in erster Linie gesellschaftlich-geistigen Faktoren abhängt. Für die Literatur bedeutet das, daß ein Autor zwar der literarischen Welt und deren Traditionen verbunden ist, „aber als Mensch ist er stets verbunden mit den gesellschaftlich treibenden Kräften seiner Generation“30, wobei die Literaten sozial freischwebend genug sind, sich verschiedenen Strömungen anzuschließen31. Für die Literaturwissenschaft besteht das Problem von Mannheims Ansatz folglich darin, daß er die Literatur als Ausdruck der Entelechien jeweiliger geistiger und oftmals auch sozialer Strömungen sieht, die sich über das historisch-sozial verankerte Individuum des Autors in den Texten nieder27

28 29 30 31

12

Eine nähere Beleuchtung dieses kontinuierlichen Prozesses findet sich bei Mannheim S.540f. So Mannheim S.550-552. Mannheim S.553. Mannheim S.557 Anm.52. So Mannheim S.561.

schlagen. Auch Literatur wird somit von Mannheim soziologisch erklärt, zumal er nicht darauf eingeht, inwieweit die von ihm genannten geistigen Faktoren letztlich ebenfalls von sozialen Faktoren oder von einer sozial bedingten Traditionsbildung abhängen. Eine völlige Eigenständigkeit der geistigen Faktoren im Modell Mannheims ist jedenfalls nicht anzunehmen. Bedeutsamer als diese Frage ist jedoch die Tatsache, daß der Autor nicht nur als zwangsläufig historisch-sozial verankertes Wesen, sondern als ein von dieser Verankerung maßgeblich und wesentlich bestimmtes Wesen gesehen wird, und zwar auch in seiner spezifischen Eigenschaft als Autor. Mit dieser Annahme wird allein aus der Tatsache, daß jeder Autor in einer Gesellschaft lebt oder zumindest in irgendeinem Verhältnis zu ihr steht, eine wesentliche Abhängigkeit der Literatur von den auf den Autor einwirkenden gesellschaftlichen Faktoren abgeleitet. Wenn man nun davon ausgeht, das literarische Werk sei in seiner Entstehung und vor allem auch in seinem Gehalt maßgeblich von den seine Entstehung bedingenden geistig-sozialen Lebensumständen des Autors bestimmt, so kann das Wesen eines literarischen Werkes nur in Kenntnis dieser Umstände erfaßt werden. Nun sind diese allgemeinen Lebensumstände eines Autors zwar von bisweilen durchaus sehr großer Bedeutung für ein literarisches Werk, doch daraus zu schließen, daß in ihnen der Entstehungsgrund für alle Literatur zu finden ist, vernachlässigt außersoziale Entstehungsgründe für Literatur. Als solche sind zum Beispiel einerseits der innerliterarische Diskurs und andererseits individuelle Ereignisse und Erfahrungen im Leben des Autors, die nicht dem allgemeinen sozialen Umfeld geschuldet sind, zu nennen. Es ist somit gegen Mannheim anzunehmen, daß das Wesentliche eines literarischen Werkes nicht oder zumindest nicht nur in den bisweilen sogar gar nicht bekannten Autoren und deren historisch-sozialem Umfeld, sondern in den Werken selbst zu finden ist. Ein Generationenbegriff, der sich letztlich aus soziologischen Faktoren definiert, ist daher für die Literaturwissenschaft nur eingeschränkt brauchbar. II.

a)

2)

Wilhelm Pinder

Pinder reflektiert in seinem Buch32, welches kurz nach dem von Petersen über die Wesensbestimmung der Romantik33 erschienen, jedoch ohne Kenntnis desselben entstanden war, das Generationsproblem anhand der europäischen Kunstgeschichte. Das Buch beginnt mit dem ersten Großkapitel „Das Problem der geschichtlichen Gleichzeitigkeit“, dessen erstes Unterkapitel den zum Schlagwort gewordenen Titel „Die „Ungleichzeitigkeit“ des

32

33

Pinder, Wilhelm: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, Berlin 1926. Petersen, Julius: Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik, Leipzig 1926.

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Gleichzeitigen“34 trägt. Mit diesem bezeichnet Pinder das Phänomen, daß Menschen verschiedenen Lebensalters gleichzeitig leben35, sowie die sich aus diesem Umstand ergebenden Konsequenzen. Pinders Gedankengang ist folgender36: Die Umstände der Entstehungszeit eines Kunstwerkes setzen sich aus zwei Komponenten zusammen. Die eine ist die der relativen Zeit des Künstlers und besteht in dessen Lebensalter. Die zweite ist die der absoluten Zeit. Diese beiden Zeiten überlagern sich jeweils und führen so zu der Entstehung eines bestimmten Kunstwerkes in einer bestimmten Zeit, wobei diese Zeit eine Überlagerung von relativer Zeit des Künstlers und absoluter historischer Zeit ist. Für den einzelnen Künstler ergibt sich aus diesen Überlegungen die Einordnung in einen Zeitraum37. In diesem können zwar zu einem bestimmten Punkt auf der Koordinate der historischen Zeit zwei Künstler nebeneinander stehen, jedoch sich in unterschiedlicher Höhe auf der Koordinate ihrer persönlichen Zeit befinden. Diese persönliche Zeit ist nun gekoppelt an einen bestimmten Stil, dem man, zumindest in den meisten Fällen, zu einer bestimmten historischen Zeit je nach persönlicher Zeit entweder noch immer anhängt oder nicht mehr anhängt. Entscheidend an diesen Altersstufen ist der Zeitpunkt der Geburt. Durch diesen werden die Künstler bereits zur Erfüllung bestimmter Ziele unter Verwendung bestimmter Stile vorherbestimmt. Pinder nennt dies „die Tatsache der gesetzmäßigen Gruppierung entscheidender Geburten, der entscheidenden „Würfe der Natur““38. Pinder postuliert damit die Existenz einer generativen 34 35

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37

38

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Pinder S.11. Pinder S.12: „Das Unbestreitbare, in seiner allgemeinsten Form voran: es ist die Gleichzeitigkeit des verschieden-Altrigen. Das Bekannteste von der Welt; denn die Schichtung vom jüngsten Kinde bis zum ältesten Greis, die tatsächlich gleichzeitige [S.13] Anwesenheit verschiedener Altersstufen, ist unsere alltägliche Erfahrung.“. Eine etwas knappere Darstellung, die allerdings noch stärker versucht, Pinder aus gedanklichen Vorläuferstrukturen heraus zu erklären, allerdings ohne die soziologische Komponente angemessen herauszuarbeiten, bietet Weigel, Sigrid: Genea-Logik, Paderborn 2006, dort S.117-123 unter der Überschrift „Die Generation als Inbegriff einer Geisteswissenschaft unter der Signatura temporis der Naturwissenschaft (Scherer, Dilthey, Pinder)“. Hierzu Pinder S.21: „Und so erst entsteht, unter dem mathematischen Bilde des Würfels, der Zeitraum: ein Koordinatensystem, das aus dem Nebeneinander im Zeitverlaufe (der Zeitfläche) senkrecht zum Übereinander der Lebensläufe und parallel zu deren eigenem Nebeneinander sich bildet. [...] Ins Lebendige übersetzt: Jeder lebt mit Gleichaltrigen und Verschiedenaltrigen in einer Fülle gleichzeitiger Möglichkeiten. Für jeden ist die gleiche Zeit eine andere Zeit, nämlich ein anderes Zeitalter seiner selbst, das er nur mit Gleichaltrigen teilt. [...] [S.22] Man könnte von der versteckten „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“ reden.“. Pinder S.25. Hierzu heißt es ferner ebd. S.25: „Es ist nicht nur so, daß die Natur sich rhythmische Atempausen gönnt (sie sind wohl nie ganz restlos, aber von einer relativen Leere); es ist auch noch so, daß der Zeitpunkt der Geburt bestimmte Stimmungen, Grundgefühle, Probleme bedingt. Der Einzelne ist unversetzbar und empfängt

Prädestination durch den Zeitpunkt der Geburt, welche die Existenz eines Rhythmus’ der Generationen neben einem Rhythmus der Zeiten zur Folge hat. Nach Pinders Ansicht ermöglicht es eine Kunstgeschichte nach Generationen, die „Determiniertheit der kunstgeschichtlichen Erscheinungen“39 in klarerer Weise sichtbar und verständlich zu machen, weil sie zwischen den stetigen Faktoren von Kulturraum, Nation, Stamm, Familie, Individualität und Typus und dem zeitlichen Faktor einer eingeborenen Entelechie unterscheidet. Pinder, der unter dem Begriff der Kunst auch die Literatur subsumiert, sieht also das Wesen einer literarischen Generation darin, Produkt einer nicht näher bestimmten metaphysischen Vorprägung40 und der Einwirkung soziokultureller Faktoren auf den Autor zu sein. Damit hat der Pindersche Generationenbegriff genau dasselbe Problem wie der Mannheimsche, welcher sich von dem Pinderschen prinzipiell lediglich dadurch unterscheidet, daß Mannheim den Entelechiebegriff soziologisch aufgelöst hat, indem er das innerliche identisch-bestimmt-Sein als Gleichartigkeit äußerer Einwirkungen erklärt hat. Das Problem eines solchen Generationenbegriffes liegt darin, daß er, wendet man ihn auf die Literatur an, das Wesentliche eines Textes in den Umständen der Entstehung dieses Textes sieht, was, wie bereits oben zu Mannheim ausgeführt wurde, der literarischen Realität oft nicht gerecht wird. II.

a)

3)

Julius Petersen

Unabhängig von Pinders Überlegungen entwickelte Petersen einen Generationenbegriff speziell für die Literaturwissenschaft41. Er geht, unter Rückgriff auf Lorenz42, davon aus, daß unter Einwirkung des Zeitgeistes und in dialektischer Abgrenzung von diesem eine rhythmische Generationsabfolge entsteht, bei der das Wesen einer jeden Generation durch ihre Auseinanderset-

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42

sein Lebensproblem von Geburtswegen. [...] Nähenlage der Geburtszeit bedeutet auch (unbeschadet aller Qualitätsunterschiede) Nähenlage der Probleme, der inneren Ziele.“. Pinder S.154: „Es gibt eine Determiniertheit der kunstgeschichtlichen Erscheinungen. Das Geschehen ist nicht umkehrbar.“. Der Pindersche Entelechiebegriff steht, wie schon Mannheim S.517 anmerkt, in starker Nähe zu einem Schicksalsbegriff, wie er etwa bei Heidegger zu finden ist. Zum Schicksalsbegriff bei Heidegger siehe Heidegger, Martin: Sein und Zeit, 11., unveränderte Aufl. Tübingen 1967, S.384ff. In seiner späteren Abhandlung (Petersen 1930) legt er den theoretischen Hintergrund desjenigen Generationenbegriffes dar, welchen er in seiner früheren Arbeit zur Romantik (Petersen 1926) angewendet hatte, und erläutert diesen näher, wobei sich der Generationenbegriff der späteren Arbeit nicht wesentlich von dem der früheren unterscheidet. Lorenz, Ottokar: Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben kritisch erläutert, 2 Bde., Berlin Bd.1 1886, Bd.2 1891.

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zung mit der jeweiligen Vorgängergeneration bestimmt ist. Die Bedeutung des Generationenbegriffes für die Literaturwissenschaft und die Literaturgeschichte ebenso wie für die gesamte Kulturgeschichte besteht nach Petersen also darin, ein Zeitmaß zu liefern, das in der formalen zugleich die inhaltliche Gliederung der Literatur erfaßt43. Bezeichnend für den von Petersen in „Die Wesensbestimmung der deutschen Romantik“ verwendeten Generationenbegriff ist die Reaktion von Mannheim auf diesen44, weil Mannheim das Verdienst von Petersens Generationenbegriff vor allem darin sieht, das Generationsproblem mit den übrigen geschichtsbildenden Faktoren zusammenzusehen, anstatt wie Pinder die Einheitlichkeit der Zeitgeistkonstruktion zugunsten der Realität der Generationsentelechien unter dem Schlagwort der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen aufzulösen. Diese Wertung ist zwar wohl der Tatsache geschuldet, daß Petersens Ansatz im Gegensatz zu dem von Pinder dem Mannheimschen Konstrukt der Strömungsentelechien nicht entgegensteht, doch zeigt sie deutlich Petersens Grundausrichtung. Der Ansatz von Petersen liefert somit einen zwar als literarisch bezeichneten, seinem Wesen nach jedoch weitestgehend soziologischen Generationenbegriff. Dies liegt daran, daß sich Petersens Gliederung nach zeitlichen Gemeinschaften im wesentlichen an den Lebensdaten der Autoren und somit in erster Linie nicht an den literarischen Werken selbst orientiert. Die Werke sind über ihre Autoren den die Generationseinheit dieser Autoren nach Ansicht von Petersen bedingenden äußeren Umständen verhaftet. Das literarische Einzelwerk und die historische Person des Autors bilden für Petersen eine untrennbare Einheit, in der kein Teil ohne den anderen verständlich ist. Für Petersen äußern sich die geistigen und gesellschaftlichen Einflüsse in bestimmten Strömungen, die ihrerseits jeweils bestimmte Autorengenerationen erfassen und es somit ermöglichen, literarische Generationen als Gruppen von Autoren, die ihrerseits Altersgenossen sind, aufzufassen, wobei nur diejenigen ungefähr gleichaltrigen Autoren einer literarischen Generation angehören, deren Werke derselben geistigen Bewegung zuzuordnen sind. Generationsbildende Faktoren seien dabei Vererbung, Geburt, Bildungselemente, persönliche Gemeinschaft, Generationserlebnisse, Führertum, Generationssprache und Erstarren der älteren Gene-

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Petersen 1926, S.1: „Wenn nun innerhalb der Geistesgeschichte die Literaturwissenschaft ganz besonders lebhaft die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen den gleichzeitig lebenden Altersklassen anhängig macht, so liegt es daran, daß sie in Darstellung des geschichtlichen Verlaufs schlechterdings an die Generationsfolge gebunden ist. Es bleibt ihr kaum eine andere Möglichkeit des Gesamtüberblicks als die Gruppierung nach zeitlichen Gemeinschaften.“; ebd. S.172: „Sie [die Generation] stellt das Längenmaß der Entwicklung dar, während der Volksgeist die Dimension der Breite, der Zeitgeist die Dimension der Höhe anzeigt.“. Mannheim S.556.

ration45. Aus diesen generationsbildenden Faktoren leitet Petersen einen Generationenbegriff ab, der eine Gruppe etwa gleichaltriger und in räumlicher Nähe zueinander stehender Menschen mit gleichen Erfahrungen und Zielen46 bezeichnet. Damit, und das gesteht Petersen auch ein, ist sein literarischer Generationenbegriff soziologisch begründet und bezeichnet daher nur einen speziellen Fall einer geistesgeschichtlichen Manifestation einer einheitlichen sozialen Lagerung47, wodurch sich für eine literaturwissenschaftliche Anwendung dieses Generationenbegriffes dieselben grundsätzlichen Probleme ergeben wie bei Mannheim und Pinder. II.

a)

4)

Engelbert Drerup

Der Generationenbegriff, den Drerup entwickelt, soll dazu dienen, die literaturgeschichtliche Entwicklung, die ihrerseits von der kulturgeschichtlichen abhängt, gliedernd zu erfassen48. Drerup verknüpft hierbei Literatur- und 45

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So die Überschriften der Unterkapitel zu Petersens 4. Großkapitel „Die generationsbildenden Faktoren“ (Petersen 1930, S.28-53). Petersen 1930, S.53: „Aus dem dargestellten Vorgang der Generationsbildung ergibt sich, daß das Generationsgebilde weder als ein regelmäßiges Zeitmaß, das in durchschnittlicher Wirkungsdauer des Einzelnen gegeben ist, gelten kann, noch als eine durch Geburt bestimmte Gleichheit, sondern als ein Einssein durch Schicksalsgemeinschaft, die eine Gleichheit der Erfahrungen und Ziele in sich schließt. Erst durch diese Gemeinschaft wird überhaupt der Begriff des Schicksals als einer durch Geburt und Tod begrenzten, durch Wachstum und Entwicklung gehobenen, durch Mit- und Gegeneinanderwirken ausgefüllten Lebensstrecke in seiner Notwendigkeit deutlich. Die Generationsfolge bedeutet den Taktschlag des Schicksals, durch den unzählige Einzelexistenzen in einen Rhythmus der Arbeit gezwungen werden.“. Petersen 1930, S.54: „Aber gerade diese universalistische Betrachtungsweise stellt vor die Frage, ob eine Beschränkung auf literarische Generationen überhaupt berechtigt ist und ob nicht vielmehr die literarische Generation sich in dem Maße mit der politischen, der gesellschaftlichen, der wirtschaftlichen deckt, daß das Problem überhaupt nur als ein kulturgeschichtliches oder soziologisches betrachtet werden kann. [...] Ein soziologisches Problem ist die Generationsfolge auf jener ersten Stufe einheitlicher Lagerung, die die Voraussetzung des Generationszusammenhanges bildet. Ein geistesgeschichtliches Problem wird sie in dem Generationszusammenhang, der die wurzelhafte Verbindung und Wechselwirkung zwischen politischen und religiösen Bewegungen, Weltanschauungen und Parteiprogrammen, wissenschaftlichen und künstlerischen Leistungen begründet. Aber eine Sonderbetrachtung verdient jede der Generationseinheiten“. So Drerup S.5: „Die Bedeutung dieser geistesgeschichtlichen Betrachtungsweise, deren Tragweite auf anderen Gebieten erst in den letzten Jahren erkannt worden ist, liegt für die Altertumswissenschaft vor allem darin, daß sie für einen synchronistischen Neubau der Literaturgeschichte und letzten Endes auch der gesamten Kulturgeschichte des Altertums die tragfähige Grundlage schafft und damit erst das volle Verständnis der geschichtlichen Entwicklung erschließt.“. Die Dauer einer Generation legt er hierbei unter Rückgriff beispielsweise auch auf Hellanikos und Herodot auf etwa dreißig Jahre fest (Drerup S.10).

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Kulturgeschichte in einer Weise, die zumindest für die Literatur eine Verengung des Blickes mit sich bringt, weil die Literatur auf ihre historische bzw. kulturhistorische Komponente beschränkt wird. Dies mag bei rein historischen Texten wie etwa Urkunden noch nicht von gravierender Bedeutung sein, doch sobald es sich um Texte handelt, die auch eine ästhetische Komponente enthalten, wird diese durch die Beschränkung auf den kontextbedingten kulturellen Gehalt der Texte außer Acht gelassen. Aus Drerups Ansatz ergeben sich daher dieselben Probleme wie bei Mannheim, Petersen und Pinder. Unter Rückgriff auf Petersen zeigt Drerup zunächst die scheinbare Willkür einer Generationenfestlegung innerhalb der sich stetig erneuernden Gesellschaft auf49, der er dann einen periodischen Wechsel von generationsmäßiger Regelmäßigkeit in gewissen Entwicklungsreihen der menschlichen Kultur entgegenstellt50. Hierauf aufbauend entwickelt Drerup ein eigenes Generationenkonzept insbesondere für die Literatur der klassischen Antike. Die Überlieferungslage stellt ihn dabei vor das Problem, keine Generationen im biologisch-literarischen Sinne, zumal auch die Lebensdaten der Schriftsteller vielfach mehr oder minder groben Schätzungen entspringen, und nicht einmal im Sinne des vereinzelten Heraustretens großer einzelner oder generationsstiftender Begabungen herausarbeiten zu können, da sie hierfür zu dürftig ist. Dennoch verbindet er ausdrücklich den Begriff der literarischen Generation mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten biologischen, und zwar in der Weise, daß ein und derselbe Schriftsteller mehreren literarischen Generationen angehören kann51. Da er, in Anlehnung an Petersen, die literarischen Generationen als politisch und, durch verwandte Künste, kulturell generiert52 ansieht, fordert er zunächst die Feststellung einer „Generationsfolge leitender Ideen“53, welche jedoch ihrerseits, so seine Beobachtung für Griechenland, als Grundmaß die Dauer einer menschlichen Generation von dreißig Jahren hat. Daß eine Gliederung der Geschichte in Abschnitte von der Dauer einer Generation sinnvoll ist, will er zunächst an der innenpolitischen Entwicklung aufweisen und dann auf den literarischen und künstlerischen Bereich übertragen, wenngleich mit dem Zugeständnis 49 50

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So Drerup S.11. So Drerup S.11: „schon eine oberflächliche Betrachtung gewisser Entwicklungsreihen der menschlichen Kultur mußte dahin führen, eines periodischen Wechsels inne zu werden, der sich in ihrer Abfolge mit allfälliger Regelmäßigkeit, und zwar einer Abfolge von Generationen entsprechend, vollzogen hat.“. Für die Regelmäßigkeit solcher Entwicklungsreihen verweist er auf Leopold von Ranke, Friedrich Kummer, Hans von Müller, Wilhelm Dilthey und Ottokar Lorenz, die alle eine an Generationen orientierte Ordnung des Stoffes in ihren Werken vornahmen (siehe Drerup S.12). So Drerup S.21. So Drerup S.22f. Drerup S.24.

auch größerer Abweichungen in der zeitlichen Dauer, wobei er, gegen Petersen54, als festes Grundmaß die Lebenswirksamkeit dreier Generationen, also ein Jahrhundert, annimmt. Der Versuch, den politischen Bereich in derartige Generationen einzuteilen, kann prinzipiell insofern einigermaßen erfolgreich sein, als die Politik zur damaligen Zeit durch Herrscher, d.h. durch Einzelpersonen, bestimmt war, deren Lebenswirksamkeit durchaus in Schritten von etwa dreißig Jahren gliederbar ist55. Diese naturgegebene Zufälligkeit jedoch auch noch auf literarische Produktionsprozesse übertragen zu wollen ist willkürlich, zumal dort, wo das Unterfangen zu gelingen scheint, die literarische Produktion an herausragende Einzelpersönlichkeiten geknüpft ist, so wie in Drerups Beispiel des attischen Dramas56. Auch wenn man Drerups eigenen Einwand, nicht jeder Fall passe in sein Schema, beiseite läßt, so bleibt auch bei ihm das Problem, daß er einen literarischen Generationenbegriff dadurch herzustellen versucht, daß er den sozio-biologischen Generationenbegriff mit verschiedenen seiner Implikationen auf die Literatur anzuwenden versucht, ohne jedoch zu einem wirklich literarischen Generationenbegriff zu gelangen. II.

a)

5)

Zusammenfassung

Die bisherigen literarischen Generationenbegriffe entsprangen alle dem Bestreben, die Gesamtmasse der literarischen Werke nicht nur zeitlich durch rein chronologische Reihung zu gliedern, sondern sie auch inhaltlich zu gruppieren. Man wollte die Literatur in eine Großdarstellung geschichtlicher und geistesgeschichtlicher Strömungen und Entwicklungen einbinden und versuchte hierfür, unter Anwendung des soziologischen Generationenbegriffes, die Autoren der Texte verschiedenen soziologischen Generationen zuzurechnen, in der Annahme, man erhalte dadurch eine Gruppierung der Texte, die auch inhaltliche Aussagekraft besäße, weil man davon ausging, daß die Umstände, die die Zugehörigkeit eines Autors zu einer bestimmten soziologischen Generation ausmachen, auch wesensbestimmend für das Werk des Autors seien. Nun wurde zwar keineswegs von allen genannten Theorien der Anspruch erhoben, damit das jeweilige einzelne literarische Werk bereits vollkommen erklärt zu haben, da auch andere Faktoren wie 54 55

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So Drerup S.24f. Anm.1. Wo dies aufgrund wesentlich kürzerer Herrschaftszeiten nicht gelingt, erklärt Drerup die Kürze dieser Generationen aus einer „wilden geistigen und politischen Gärung, die jetzt auch die breiten Massen erfaßt hat“ (Drerup S.33). Wo dies im Einzelfall schwierig wird, etwa bei der Einordnung des wohl um 480 geborenen Euripides, der damit im Abstand von nur einer halben Generation auf den 496 geborenen Sophokles folgt, wird mit Hilfskonstruktionen gearbeitet wie im vorliegenden Falle derjenigen der abgeschlossenen persönlichen Entelechie. Drerup S.40: „Erst in den Dramen, die der Peloponnesische Krieg, d. i. die Generation von 431 an, geboren hat, wird die spezifisch euripideische Art für uns greifbar“.

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etwa die individuelle und damit nicht generationsabhängige Persönlichkeit des Autors nicht grundsätzlich übersehen wurden, aber es wurde doch davon ausgegangen, mit solch einer soziologischen Einordnung Wesentliches über das Werk aussagen zu können. Diese Annahme ist um so richtiger, je stärker ein literarisches Werk den sozialen Verhältnissen seines Verfassers und seiner Entstehungszeit verhaftet ist. Die bisherigen Generationenbegriffe haben also eine zeitliche Gruppierung von Literatur versucht unter Einbeziehung zeitbedingter inhaltlicher Faktoren, die ihrerseits aber außerhalb der Literatur lagen, und damit gerade nicht diejenigen Elemente zum Gegenstand ihrer Betrachtung zu machen versucht, die die Literarizität und somit das Wesen eines literarischen Textes ausmachen, sondern mehr oder minder kontingente sekundäre Elemente.

II. b) Neudefinition Bei dem für diese Arbeit neu entwickelten Generationenbegriff liegt der Schwerpunkt nicht, wie bei den bisherigen, auf dem zeitlichen Moment des Generationenbegriffes, sondern auf dem generativen57, und er basiert nicht auf außerliterarischen, sondern auf rein innerliterarischen Abhängigkeiten. Der neue Generationenbegriff soll dazu dienen, das Phänomen eines literarischen Erzeugt-seins zu fassen, welches als literarisches Generationenverhältnis bezeichnet werden soll. Zu betonen ist, daß die nachfolgende Definition des literarischen Generationenbegriffes zwar speziell aus der Untersuchung der Art und Weise gewonnen wurde, in der die anacreonteische Dichtung durch die anakreontische Dichtung erzeugt wurde, daß allerdings die Ergebnisse dieser Untersuchung so weit abstrahiert wurden, daß die nachfolgende Definition einen allgemeingültigen literarischen Generationenbegriff liefert. Für einen literarischen Generationenbegriff benötigt man zunächst einen Literaturbegriff. Unter Literatur soll die Gesamtmasse aller schriftlichen Texte verstanden werden. Diese Definition entspricht der von Rüpke58 und wird hier herangezogen, weil sie möglichst breit gefaßt ist, ohne die im Lite-

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Damit bezieht dieser neue Generationenbegriff sein Deutungspotential direkt aus dem biologischen und nicht, wie dies bei den früheren literarischen Generationenbegriffen der Fall war, aus dem soziologischen. Der neue Generationenbegriff will in erster Linie individuelles Deutungsmuster für Textbezüge und nicht generalisierende Meßeinheit für historische Textschichten sein. Für eine ausführliche Darstellung der Geschichte und der verschiedenen Verwendungen des Generationenbegriffes ist zu verweisen auf Parnes, Ohad; Vedder, Ulrike; Willer, Stefan: Das Konzept der Generation, Frankfurt am Main 2008. Rüpke, Jörg: „Literatur“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.7, Stuttgart und Weimar 1999.

raturbegriff etymologisch implizierte Schriftlichkeit aufzugeben59. Da es in der Forschung keinen einheitlichen Textbegriff gibt, wie bereits ein Blick etwa in die einschlägigen Handbücher zur Textlinguistik60 zeigt, soll jeder Anwender des literarischen Generationenbegriffes selbst entscheiden können, was er unter einem literarischen Text verstehen will, wobei allerdings sichergestellt sein muß, daß es sich um einen schriftlichen Text handelt61. Der Generationenbegriff, den man bei der Entwicklung eines literarischen Generationenbegriffes zugrunde legt, sollte zweckmäßigerweise nicht gänzlich allgemein, sondern schon auf seine Anwendung auf die Literatur hin zugeschnitten sein. Eine Generation im literarischen Sinne ist zu definieren als eine Gruppe von Texten, die in einem bestimmten Verhältnis zu einer anderen Gruppe von Texten steht62. Der Generationenbegriff wird hier also nicht mehr auf Personen, also wie früher auf die Autoren der Texte und über diese dann indirekt auf die Texte, sondern direkt auf die literarischen 59

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Eine nähere Begründung für die Wahl dieses Literaturbegriffes und das darin implizierte Festhalten am Kriterium der Schriftlichkeit zu geben, gehört aus pragmatischen Gründen nicht zum Ziel dieser Arbeit. Hier sei exemplarisch verwiesen auf Vater, Heinz: Einführung in die Textlinguistik, 3. Aufl. München 2001, S.14-21. Die Notwendigkeit dieser Bedingung folgt aus der zugrundegelegten Definition von Literatur. Als Grundlage dieser Definition kann, gerade so wie bei dem traditionellen historisch-soziologischen Generationenbegriff, der biologische Generationenbegriff gelten, welcher, um es in soziologischer Terminologie zu formulieren, eine Gruppe von Individuen bezeichnet, die ihrerseits in einem Verhältnis zu einer anderen Gruppe von Individuen stehen, welches dadurch bestimmt ist, daß die Individuen der zweiten Generation von denen der ersten Generation durch geschlechtliche oder ungeschlechtliche Fortpflanzung hervorgebracht wurden. Daß dabei der Begriff der Gruppe für die erste Generation etwas problematisch ist, weil diese normalerweise nur aus zwei, und bisweilen, etwa im Falle der Parthenogenese, sogar nur aus einem Individuum besteht, soll hier nicht weiter beachtet werden, weil es sich dabei um ein reines Begriffsproblem handelt, das keine sachlichen Auswirkungen hat. Es kann aber auch eine literarische Generation im Extremfall aus nur einem einzigen Text bestehen. Der Begriff der Gruppe wurde aus der Soziologie übernommen, weil seine dortige Verwendung ihn, in Verbindung mit seiner in der Alltagssprache nicht auf Personen beschränkten Anwendung, für die Übertragung auf Texte geeignet erscheinen ließ (siehe zu den verschiedenen Verwendungen des Gruppenbegriffes Hillmann, KarlHeinz: Wörterbuch der Soziologie, 5. Aufl. Stuttgart 2007, S.318f.). Wenn man nun Texte zu einer literarischen Generation und damit zu einer Gruppe zusammenfaßt, besteht die Gemeinsamkeit zwischen den Texten, die, soziologisch gesprochen, die Individuen sind, aus denen die Gruppe sich zusammensetzt, darin, daß sie alle demselben literarischen Programm folgen. Ihre Eigenschaft, eine Generation zu sein, gewinnt diese Gruppe dann dadurch, daß sie in einem generationalen Verhältnis zu einer anderen Gruppe von Texten steht, welches dadurch gekennzeichnet ist, daß beide Textgruppen demselben literarischen Programm folgen und daß die eine Textgruppe als programmatisches Vorbild für die andere Textgruppe diente.

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Texte selbst angewendet. Nicht mehr die Autoren, sondern die Texte selbst bilden die Generation63. Das Verhältnis der beiden Textgruppen zueinander ist dabei wesentlich durch das im Generationenbegriff enthaltene generative Element, also das Moment der Erzeugung, gekennzeichnet, so daß durch den Generationenbegriff die am Geschehen Beteiligten über das Geschehen selbst charakterisiert werden, der Begriff also sowohl zur Bezeichnung der Gruppen als auch zur Bezeichnung des Verhältnisses der Gruppen zueinander geeignet ist. Um sicherzustellen, daß die Einordnung von Texten in literarische Generationenverhältnisse möglichst aussagekräftig im Hinblick auf den einzelnen Text ist, soll die Zuordnung eines Textes zu einer literarischen Generation auf den Grundsätzen basieren, nach denen der Autor den Text verfaßt hat64, also auf dem literarischen Programm, das dem Text zugrunde liegt. Ein Text steht dann in einem literarischen Generationenverhältnis zu einer anderen Gruppe von Texten, die bei Vorhandensein eines literarischen Generationenverhältnisses automatisch die literarische Vorgängergeneration bilden, wenn das demjenigen Text, der dann der literarischen Nachfolgegeneration zuzurechnen ist, zugrunde liegende literarische Programm darin besteht, das den Texten der literarischen Vorgängergeneration zugrunde liegende literarische Programm vollständig oder zumindest größtenteils zu übernehmen. Wie und wie weit oder eng die Grundsätze, die das literarische Programm 63

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Die Autoren treten bei dieser Betrachtung zunächst völlig in den Hintergrund und sind nur noch als intentionale, texterzeugende Subjekte vorausgesetzt. Als historische Personen treten sie höchstens noch indirekt in Erscheinung, nämlich dann, wenn ihre Intention maßgeblich aus den Zeitumständen heraus bestimmt ist. Zu der Prämisse, daß ein Interpret eines Textes prinzipiell die Möglichkeit hat, diesem Text ein poetologisches Programm zu entnehmen, also Grundsätze, nach denen der Text verfertigt ist, was zum einen impliziert, daß der Autor bei der Verfassung des Textes bestimmte Grundsätze anwenden wollte, also eine bestimmte Intention hatte, und daß es ihm zum anderen auch gelang, diese Intention umzusetzen, siehe Anm.66. Exakt dieselben Prämissen finden sich über die objektivierbare Autorintention, die allein für den Bedeutungsaufbau eines Werkes verantwortlich ist, auch im Rahmen der für diese Arbeit besonders bedeutsamen Intertextualitätsdiskussion, so etwa bei Schmid, Wolf: „Sinnpotentiale der diegetischen Allusion“, in: Schmid, Wolf; Stempel, Dieter (Hgg.): Dialog der Texte, Wien 1983, S.141-187, besonders S.143f. Die Gefahr eines Zirkelschlusses besteht bei diesen Prämissen nicht, weil, wie hier allerdings nicht näher ausgeführt werden kann, jede Erzeugung von Text ein intentionaler Akt ist und weil jede Texterzeugung als kommunikativer Akt die Möglichkeit zur Kommunikation voraussetzen muß um nicht selbstwidersprüchlich zu sein. Die Prämisse bedeutet aber nicht, daß das Modell des literarischen Generationenbegriffes nicht auch ohne einen Autor (der auch in dieser Arbeit nicht als historische Persönlichkeit, sondern lediglich als intentionales, textgerzeugendes Subjekt verstanden wird) anwendbar wäre. Allerdings würde dies eine größere theoretische Modifikation des Konzeptes erfordern, da man von einem poetologischen Programm nur bei Vorhandensein einer Autorintention sprechen kann.

bilden, im Einzelfall zu fassen sind, ist dabei variabel. Wichtig ist, daß der programmatische Bezug auf die literarische Vorgängergeneration insgesamt umfassend und eindeutig ist. Zunächst stellt sich aber ein ganz anderes Problem, nämlich die Frage nach der relativen Chronologie der zu untersuchenden Texte. Die ebenso banale wie offensichtliche Notwendigkeit, daß die Texte, die die literarische Nachfolgegeneration bilden, nach den Texten, die die literarische Vorgängergeneration bilden, entstanden sein müssen, kann einen in der Praxis vor erhebliche Probleme stellen. So wenig man bei diesem neuen literarischen Generationenbegriff, im Gegensatz zu den früheren Versuchen, des Autors als historisch-sozialer Person bedarf, so nützlich ist es für die relative Chronologie von Texten, die Lebensdaten ihrer Autoren zu kennen, da gerade bei alten Texten die Entstehungsdaten der Texte selbst oft nicht bekannt sind. Wenn allerdings die Autoren nicht bekannt oder zeitlich nicht festlegbar sind, hat man sich anderer Indizien für die relative Chronologie der Texte zu bedienen, etwa der zeitlichen Einordnung bestimmter an den Texten zu beobachtender sprachlicher Phänomene. An Texten, bei denen es nicht gelingt, eine relative Chronologie herzustellen, sollte man jedoch absehen von dem Versuch, ein literarisches Generationenverhältnis festzustellen, weil sich dann im Falle eines möglichen literarischen Generationenverhältnisses nicht sagen ließe, welcher der Texte der Vorgänger- und welcher der Nachfolgegeneration zuzuordnen wäre. Ebenso sollte man von diesem Versuch absehen, wenn davon auszugehen ist, daß der Text, der der vermeintlichen Nachfolgegeneration zugerechnet wird, von demselben Autor verfaßt ist wie der Text oder die Texte, die die vermeintliche Vorgängergeneration bilden, denn daß ein Autor mehrere Texte nach denselben Grundsätzen verfaßt, ist eine Sachlage, an der kein im eben genannten literarischen Sinn generatives Moment auszumachen ist. Zudem stellt sich vorab noch ein weiteres Problem, nämlich die generelle Frage, ob, wenn das literarische Programm eines Autors darin bestand, ein ihm vorliegendes literarisches Programm als Programm für seine eigene Dichtung zu übernehmen, dies an den dadurch entstandenen Texten immer erkennbar ist, also ob in allen Fällen aus der Gleichheit oder Ähnlichkeit von zwei von verschiedenen Autoren angewendeten poetologischen Programmen die Übernahme des poetologischen Programmes des früheren Autors durch den späteren Autor abgeleitet werden kann. Keinen Grund, an einer solchen Übernahme zu zweifeln, wird man dann haben, wenn es sicher oder zumindest wahrscheinlich ist, daß der Autor des späteren Textes von dem poetologischen Programm des früheren Autors Kenntnis hatte. Sicher ist es, wenn es durch den Autor selbst bezeugt ist, wahrscheinlich ist es normalerweise dann, wenn es überhaupt möglich ist, denn daß zwei Autoren dasselbe poetologische Programm unabhängig voneinander entwickelt haben sollten, 23

ist unwahrscheinlich. Sollte dieser Fall aber doch vorliegen, weil erwiesen ist, daß der spätere Autor von dem Programm des früheren Autors gar keine Kenntnis gehabt haben kann, so liegt kein literarisches Generationenverhältnis vor65. Ebenfalls kein literarisches Generationenverhältnis zwischen Texten besteht dann, wenn zwei oder mehrere Autoren das ihren Texten zugrundeliegende poetologische Programm gemeinsam entwickelt haben. In diesem Fall hätte man es einfach mit Texten zu tun, denen ein gemeinsames Programm zugrunde liegt, ohne daß dies irgendetwas mit literarischen Generationen zu tun hätte. Im Gegensatz zu den früheren literarischen Generationenbegriffen geht es bei dem in dieser Arbeit entwickelten gerade nicht darum, möglichst viele Texte in irgendein Muster einordnen zu können, sondern ein ganz bestimmtes literarisches Phänomen möglichst präzise zu erfassen. Ein letzter Fall wäre der, daß ein Autor zwar einen Text nach genau demselben Programm verfertigt, nach dem auch ein anderer Text verfertigt wurde, den dieser Autor irgendwann einmal gelesen hatte, daß der Autor sich dessen aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht bewußt ist, sondern das Programm irrtümlich für sein genuin eigenes hält. In solch einem Fall wäre zwar das generative Element objektiv gegeben, nicht aber das subjektive Element der bewußten Übernahme, so daß zwar ein literarisches Generationenverhältnis zwischen den Texten vorhanden wäre, aber kein literarisches Generationenbewußtsein beim Autor. Dieser Fall dürfte aber in der Praxis zum einen sehr selten sein, sofern er überhaupt existiert, und zum anderen wäre der Nachweis darüber wohl nahezu unmöglich, so daß dieses Problem hier ebenfalls nur der Vollständigkeit wegen angesprochen, aber nicht weiter behandelt wird. Sofern also die relative Chronologie und der Bezug des Autors auf das literarische Programm der möglichen Vorgängergeneration gemäß der eben genannten Bedingungen sichergestellt sind, kann man zur Untersuchung des literarischen Programmes übergehen. Da der Begriff des literarischen Programmes in der Forschung zwar durchaus häufig verwendet wird, aber leider ohne daß dabei explizit gesagt würde, was genau unter einem literarischen Programm zu verstehen ist, ist vorab zu klären, was in dieser Arbeit unter einem literarischen beziehungsweise, sofern es sich, wie bei den hier

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Dieses Problem wird hier ohnehin nur der Vollständigkeit wegen genannt. In der Praxis ist es so gut wie nie vorhanden, weil das Verhältnis entweder durch den späteren Autor selbst bezeugt ist oder weil nach gesundem menschlichem Ermessen kein Zweifel an diesem Verhältnis bestehen kann. Wesentlich schwieriger ist es, wie auch das Beispiel der Carmina Anacreontea zeigen wird, bei Texten, die vermeintlich derselben literarischen Generation angehören, zwischen Bezügen zum gemeinsamen Vorbild und Bezügen zu anderen Texten derselben Generation zu unterscheiden.

untersuchten Texten, um poetische Texte handelt, poetologischen Programm verstanden wird. Als literarisches Programm werden die Grundsätze angesehen, nach denen ein bestimmtes literarisches Werk verfaßt ist. Diese Grundsätze beziehen sich sowohl auf formale als auch auf inhaltliche Aspekte. Zu den formalen Aspekten zählen beispielsweise die Wahl der literarischen Form und die Wahl konkreter Mittel zur Ausgestaltung dieser Form etwa im Bereich von Motiven und Wortwahl oder auch, bei Dichtung, im Bereich der Metrik. Das inhaltlich und damit auch für das literarische Programm wichtigste Element eines Textes sind dessen Grundaussagen. Hierzu zählt zum einen das Thema oder Themengebiet, über das der Autor etwas aussagt, und zum anderen die Position, die der Autor gegenüber dem Thema oder Themengebiet einnimmt66. Das literarische Programm selbst ist also als die Vorstellung des Autors davon, was er mit welchen Mitteln ausdrücken will, nicht direkt an einem Text sichtbar, sondern es wird in einem Text manifest durch die thematischen Grundaussagen des Textes, durch bestimmte Konfigurationen von Motiven, durch bestimmte formale Eigenschaften des Textes usw. und kann daher aus dem Text anhand der genannten Punkte erschlossen werden. Es geht dabei nicht so sehr um Einzelheiten als vielmehr um die großen inhaltlichen Linien und die augenfälligen formalen Merkmale, die ein Text bietet. Die Texte, die die Vorgängergeneration bilden, und diejenigen, welche die aus dieser Vorgängergeneration hervorgegangene Nachfolgegeneration bilden, müssen also dieselben Grundaussagen haben. Dies bedeutet nicht, daß je ein Text der einen Generation einem Text der anderen Generation in seinen Grundaussagen vollständig entsprechen müßte, sondern daß alle Texte einer literarischen Generation zu demselben Thema oder Themenkomplex in derselben Art und Weise Stellung beziehen müssen wie die Texte der zugehörigen Vorgänger- oder Nachfolgegeneration, so daß sich zwei in sich konsistente und mit dem jeweils anderen vollständig oder wenigstens weitgehend übereinstimmende Systeme von Grundaussagen ergeben. Damit ist sichergestellt, daß der literarische Generationenbegriff keine rein formale, 66

Es wird in dieser Arbeit ohne weitere Begründung davon ausgegangen, daß der Autor beim Verfassen eines Textes eine bestimmte Aussageabsicht hat und daß diese auch vom Leser eines Textes prinzipiell erkannt werden kann. Natürlich ist immer auch eine Fehlinterpretation möglich, aber ebenso ist auch das vom Autor intendierte Textverständnis nicht ausgeschlossen. Diese Ansicht wird ausführlich gestützt beispielsweise von Hirsch, E.D.: Validity in Interpretation, Yale 1967. Auf Hirsch beruht auch die oben Anm.64 genannte Prämisse sowie alle weiteren Ausführungen in dieser Arbeit zum Themenkomplex der Sinnerschließung und der Autorintention. Wie bereits oben Anm.64 ausgeführt, kann bei der Anwendung des Modells der literarischen Generationen zwar auch auf die Figur des Autors verzichtet werden, allerdings mit den ebenfalls in Anm.64 sowie Anm.67 genannten Konsequenzen. Zu den genannten Prämissen ist besonders auf Hirsch S.18-23 und S.213f., zu verweisen.

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sondern eine primär inhaltliche Beziehung zwischen Texten beschreibt67, die ihrerseits aus einer programmatischen Beziehung resultiert. Dieser Ansatz will dabei keineswegs die Untersuchung formaler Mittel ausschließen, sondern lediglich den Schwerpunkt auf die Darstellung des jeweiligen inhaltlichen Zwecks eines Mittels legen. Das interpretatorische Problem bezüglich der Grundaussagen besteht darin, die vom Autor in den Text gelegten Aussagen dem Text zu entnehmen, wobei der Autor nicht als historische Person, sondern als intentionales, texterzeugendes Subjekt, so wie es sich aus dem Text selbst konstruieren läßt, zu verstehen ist68. Es geht also darum, in einem ersten Interpretationsschritt rein auf der inhaltlichen Ebene des Textes herauszufinden, von welchem Sachverhalt der Text handelt, ob der Text den Sachverhalt neutral darstellt oder ob er zu dem Sachverhalt in bestimmter Weise Stellung bezieht und wenn ja, in welcher Weise er Stellung bezieht. Problematisch wird dies beispielsweise dann, wenn Texte mit Bildern arbeiten, die auf vielfache Weise deutbar sind69. In solch einem Fall läßt sich die Aussage des Textes dann konkretisieren, wenn es einen textexternen Hinweis darauf gibt, ob der Autor das Bild in einer bestimmten Weise verstanden wissen wollte. Gibt es das nicht, so ist für die Grundaussage einfach der hohe allegorische Charakter festzuhalten, sofern man denn annimmt, zwischen einem solchen Text und einem anderen Text könnte tatsächlich ein literarisches Generationenverhältnis bestehen. In der Praxis wird allerdings das Problem der Grundaussagen zusätzlich dadurch vermindert, daß für die Konstatierung eines literarischen Generationenverhältnisses noch weitere Elemente eines Textes berücksichtigt werden müssen, die ihrerseits auch für die Interpretation eines Textes von Bedeutung sind und dadurch das Risiko einer fälschlichen Feststellung eines literarischen Generationenverhältnisses möglichst ausschließen oder zumindest stark minimieren.

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Ohne das Moment der Intentionalität, das einen Autor im Sinne eines textgenerierenden Subjekts voraussetzt, könnte man überhaupt nicht von einem Bezug der Texte aufeinander sprechen, sondern nur von Ähnlichkeiten, über die sich dann nicht sagen ließe, ob sie zufällig oder gewollt sind, weil letzteres bereits wieder eine Intention voraussetzen würde. Daher wäre ein literarischer Generationenbegriff ohne die Konstruktion eines Autors als intentionalen, texterzeugenden Subjektes nicht dazu brauchbar, die Bedeutung der Bezüge der Texte zueinander zu erfassen, was seinen Nutzen äußerst zweifelhaft erscheinen ließe. Zudem kann nicht bestritten werden, daß zumindest die Texte, mit denen man es in der klassischen Philologie ebenso wie in den meisten anderen Literaturwissenschaften zu tun hat, alle dadurch entstanden sind, daß ein intentionales Subjekt sie erzeugt hat. Es besteht hierbei keine Gefahr eines Zirkelschlusses, weil aus der aus dem Text erschlossenen Autorintention keine weitere den Text betreffenden Folgerungen gezogen werden. Ein Beispiel hierfür wäre Rilkes Gedicht ‚Der Panther’.

Zusätzlich zu den Grundaussagen sind, wie bereits erwähnt, auch die formalen Mittel, durch die ein bestimmter Inhalt zu einem bestimmten literarischen Text konkretisiert wird, ein wesentliches Moment des poetologischen Programmes. Wie bedeutsam oder unbedeutsam ein bestimmtes formales Mittel für die Untersuchung eines Textes bezüglich eines literarischen Generationenverhältnisses ist, hat sich dabei nach der inhaltlichen Relevanz des Mittels in dem zu untersuchenden Text zu richten. Es ist also keineswegs so, daß die Textgenerationen in all ihren formalen Mitteln deckungsgleich sein müßten. Unbedingt in mindestens demselben Maße wie die Texte der Vorgängergeneration müssen die einer literarischen Nachfolgegeneration zugehörigen Texte hinsichtlich der Sprache, in der sie verfaßt sind, untereinander übereinstimmen, denn Sprache ist, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, kein rein formales Element eines literarischen Werkes. Allgemein besteht die inhaltliche Relevanz von Sprache darin, daß jede Sprache durch ihre syntaktischen und semantischen Eigenheiten sich hinsichtlich Ausdrucksmöglichkeiten und Denkstrukturen von jeder anderen Sprache in gewissem Umfang unterscheidet. Spezielle Bedeutung besitzt die Sprache im Bereich des literarischen Generationenbewußtseins dadurch, daß es sich bei den hier verwendeten Sprachen um Literatursprachen handelt, die als solche immer auch ein bestimmtes literarisches Wissen und einen bestimmten literarischen Hintergrund implizieren, der den semantischen und motivischen Bezügen auf andere Texte erst ihre Bedeutung verleiht70. So kann beispielsweise bei einem Leser griechischer anacreonteischer Dichtung eine Kenntnis von Anakreon und Homer und von deren Werken vorausgesetzt werden, was bei einem Leser beispielsweise französischer Anacreonteen in weitaus geringerem Maße der Fall ist, und es kommt hinzu, daß etwa Bezüge auf Werke altgriechischer Literatur auf lexikalischer Ebene praktisch nur in altgriechischen Texten möglich sind. Aufgrund dieser durch die Wahl einer bestimmten Sprache a priori implizierten inhaltlichen Konsequenzen scheint die geforderte Übereinstimmung der einer literarischen Generation angehörenden Texte hinsichtlich ihrer Sprache gerechtfertigt zu sein. Dies bedeutet allerdings nicht, daß die Texte, die die literarische Nachfolgegene70

So etwa auch Conte, Gian Biagio: The Rhetoric of imitation, Ithaca und London 1986, dort S.29, allerdings vor dem Hintergrund eines traditionellen Intertextualitätskonzeptes: „Readers or imitators (also a type of reader) who approach the text are themselves already a plurality of texts and of different codes, some present and some lost or dissolved in that indefinite and generic fluid of literary language.“. Darauf, wie wichtig nicht nur der allgemeine sprachliche Rahmen, sondern auch die individuellen Sprach- und Lektürevoraussetzungen in Verbindung mit Verweisungsabsichten sein können, weist Hinds, Stephen: Allusion and Intertext, Cambridge 1998, S.29-34 hin, wo er sich mit dem Problem von „the philologist’s fundamental distinction between allusion and ‚accidental confluence’“ (S.32) befaßt.

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ration bilden, nicht in einer anderen Sprache verfaßt sein könnten als die Texte der zugehörigen Vorgängergeneration. Sofern die Übereinstimmung in den übrigen Kriterien weitgehend genug ist und es vor allem keine programmatischen Bezüge zu anderen literarischen Werken als denen der Vorgängergeneration gibt, kann ein literarisches Generationenverhältnis festgestellt werden, wobei die Übernahme des Programmes in den eigenen Sprachraum mit ihren Konsequenzen als Besonderheit anzusehen ist. Es hindert im Einzelfall beispielsweise auch nichts daran, zu einer literarischen Vorgängergeneration zwei oder mehrere zeitgleiche Nachfolgegenerationen, die nur in ihrer Sprache und den damit verbundenen Spezifika, nicht jedoch hinsichtlich ihres sonstigen Bezuges auf die Vorgängergeneration verschieden sind, festzustellen. Im Sonderfall mehrsprachiger Texte ist die Bedingung der sprachlichen Einheit so auszulegen, daß die Texte der Nachfolgegeneration in gleicher oder ähnlicher Weise mehrsprachig sein müssen, wie es die Texte der Vorgängergeneration sind. Unbedingt übereinstimmen müssen die Texte auch hinsichtlich der Gattung, der sie zuzurechnen sind, wobei unter Gattung zunächst die Aufteilung der Literatur in Dichtung und Prosa und dann die Aufteilung der Dichtung in die Untergruppen des Epos, der Lyrik und des Dramas und die der Prosa in Gattungen wie die des Romans, der Erzählung, der Fabel und dergleichen zu verstehen sind71. In einem gewissen Rahmen ist dieses Kriterium freilich variabel, denn wo beispielsweise eine eindeutige Zuordnung eines Textes zu einer bestimmten Untergattung schwierig oder unmöglich ist, ist es ratsam, zu der nächsthöheren Gattungsstufe überzugehen. Für den literarischen Generationenbegriff ist sinnvollerweise von einem systematischen Gattungsbegriff auszugehen, weil die inhaltlich-intentionale Komponente bereits in der Forderung nach Übereinstimmung der Grundaussagen von der Komponente der Form abgetrennt wurde72. In der Praxis geht es hauptsächlich darum, auf generelle Ähnlichkeiten in der äußeren Form der jewei71

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Diese knappen Ausführungen stützen sich auf die sehr ausführliche systematische Darstellung der historischen Entwicklung des Gattungsbegriffes durch Willems, Gottfried: Das Konzept der literarischen Gattung, Tübingen 1981. Zur Differenzierung von Gattungen wurden ferner herangezogen Berger, Willy: „Probleme und Möglichkeiten vergleichender Gattungsforschung“, in: Rüdiger, Horst (Hg.): Die Gattungen in der vergleichenden Literaturwissenschaft, Berlin 1974, 63-92, speziell S.77f., und Hempfer, Klaus: Gattungstheorie, München 1973, bes. S.18-20 und 26-29. Zum Verhältnis des literarischen Generationenbegriffes zum Gattungsbegriff und zu der Frage, ob es Gattungen überhaupt gibt, was hier vorausgesetzt wird, sei auf Kap. II.c)3) verwiesen. Auf eine ausführliche Darstellung der aus der differenzierenden Weiterentwicklung der phänomenologisch-systematischen Gattungslehre entstandenen Textsortenlehre sei hier verzichtet, denn sie ist für den literarischen Generationenbegriff nicht von Bedeutung, weil das Ergebnis einer ausführlichen Differenzierung nur in einer anderen Verteilung ohnehin anzuwendender Kriterien bestünde.

ligen Texte zu achten, also ob man es beispielsweise mit kurzen oder langen Gedichten, mit Epen oder Dramen usw. zu tun hat. Neben den allgemeinen formalen Kriterien der Sprache und den in dem Kriterium der Gattung enthaltenen Kriterien gibt es jedoch auch je nach Textsorte noch weitere formale Kriterien, die bei der Prüfung eines literarischen Generationenverhältnisses an den jeweiligen Texten zu berücksichtigen sind. Welches diese sind, hängt im Einzelfall davon ab, welche formalen Kriterien man als gattungsdefinierend noch dem Kriterium der Gattung unterordnet und welche durch die Merkmale der jeweiligen Gattung noch nicht erfaßt sind73. Man sollte sich hierbei jedoch nicht zu sehr daran aufhalten, die Zugehörigkeit eines bestimmten Kriteriums zu einem bestimmten Kriterienkomplex, etwa dem der Gattung, zu bestimmen, weil diese Frage in der Praxis von untergeordneter Bedeutung ist, denn es müssen insgesamt ohnehin alle für die Feststellung eines literarischen Generationenverhältnisses relevanten Einzelkriterien geprüft werden, ob nun im Rahmen der Gattungsuntersuchung oder gesondert von dieser. Da hier nicht für jede Textsorte alle bei der Betrachtung von Texten der jeweiligen Textsorte zu beachtenden Kriterien dargestellt werden können und da literarische Generationen auch ganz spezifische inhaltliche oder formale Eigenheiten aufweisen können, die für gerade die Texte der beiden zusammengehörigen Generationen konstitutiv, für viele oder gar alle nicht zu den betreffenden Generationen gehörenden Texte aber bedeutungslos sind, sollen im Folgenden nur einige allgemeine Kriterien für den Bereich der Dichtung, welchem das gewählte Beispiel von Anakreon und den Carmina Anacreontea entstammt, genannt werden. So läßt sich bei der Metrik untersuchen, ob sie quantitierend oder iktierend ist, stichisch oder strophisch oder keines von beidem, monometrisch oder polymetrisch, und auch, ob innerhalb einer literarischen Generation viele verschiedene Metren oder metrische Systeme anzutreffen sind oder nicht. Ferner kann man Gedichte auf ein Reimschema hin untersuchen oder auf auffallende Verwendung von Stilmitteln und so fort. Neben diesen formalen Fragen kann man bezüglich der inhaltlichen Komponente des poetologischen Programmes untersuchen, ob beispielsweise Metaphern verwendet werden und wenn ja, ob immer wieder dieselben zu finden sind oder ob ein hoher Abwechslungsreichtum angestrebt wird, oder ob sich bestimmte Motive immer wieder finden und dergleichen, doch werden sich diese Punkte in der Untersuchung des Beispiels der Carmina Anacreontea deutlicher zeigen. 73

Für einen differenzierten Überblick über die formalen Merkmale der jeweiligen Gattung kann zurückgegriffen werden auf Knörrich, Otto: Lexikon lyrischer Formen, 2. Aufl. Stuttgart 2005 sowie besonders auch für die Antike auf Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik, 3. Aufl. Stuttgart 1990. Für die Carmina Anacreontea stellen sich hier jedoch ohnehin keine Probleme, weil ihre formale Übereinstimmung mit der anakreontischen Dichtung augenfällig sehr hoch ist.

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Zudem, und dies ist einer der wichtigsten Punkte eines poetologischen Programmes, ist zu untersuchen, wie die Autoren der betreffenden Texte auf lexikalischer, thematisch-motivischer und poetologischer Ebene mit den Texten von Autoren umgehen, die nicht zur literarischen Vorgängergeneration gehören, wobei es diesbezüglich weitaus zu viele Möglichkeiten des konkreten Umgangs gibt als daß dieser Punkt hier ausgeführt werden könnte, doch werden sich am Beispiel der Carmina Anacreontea einige Möglichkeiten zeigen, etwa am Homerbezug der anakreontischen und der anacreonteischen Dichtung. Im Rahmen der Bezüge eines Textes zu anderen Texten als denen, die die Vorgängergeneration bilden, ist auch auf die Frage einzugehen, wie sich die Texte innerhalb einer literarischen Generation zueinander verhalten. Man hat es bei einer literarischen Generation normalerweise mit einer Gruppe von mehreren Texten zu tun, und es wäre denkbar, daß möglicherweise nicht alle Texte, und im Extremfall sogar nur ein einziger Text, aus dieser Gruppe sich tatsächlich an der literarischen Vorgängergeneration und die übrigen Texte sich an diesen anderen Texten ihrer eigenen Generation ausrichten. Diese Frage ist naturgemäß vor allem dann zu klären, wenn einerseits, wie im Falle der Carmina Anacreontea, die Texte, die ein und derselben literarischen Generation zugerechnet werden sollen, in einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten entstanden sind, oder wenn andererseits gar davon auszugehen wäre, daß der Autor eines Textes, der einer literarischen Nachfolgegeneration zugerechnet werden soll, gar keine Kenntnis von den Texten, die als literarische Vorgängergeneration angesehen werden, hatte, sondern nur von anderen Texten der Nachfolgegeneration, so daß dann klar wäre, daß er sein poetologisches Programm gerade nicht von Texten der vermeintlichen Vorgängergeneration, sondern von Texten der Nachfolgegeneration übernommen hätte und somit seine eigenen Texte dieser nicht zugerechnet werden könnten, sondern ihrerseits wieder eine eigene Nachfolgegeneration bilden würden. In der Theorie ist der Fall einfacher als in der Praxis, denn in der Theorie würden diese Texte eindeutig eine Nachfolgegeneration zur Nachfolgegeneration bilden, wären also, um der Klarheit willen die biologische Metapher zu bemühen, eine Enkelgeneration von Texten, wobei sich dann in der Praxis die Frage stellen würde, wie man denn, weil die Texte dann ja alle demselben poetologischen Programm, nämlich dem der ursprünglichen Vorgängergeneration, entsprächen, bei einem Text auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit glaubhaft machen will, daß sein Autor das poetologische Prorgamm, das er seinem Text zugrunde gelegt hat, den Texten der Nachfolge- und nicht denen der Vorgängergeneration entnommen hat bzw. umgekehrt, weil ja sowohl die Texte der Vorgänger- als auch die der Nachfolger- als auch die der ‚Enkel’-Generation dasselbe Programm aufweisen. Es wäre wohl unmöglich, hier sichere Aussagen zu treffen, aber da es auch un30

möglich wäre, den Fall überhaupt festzustellen, ist eine theoretische Beschäftigung mit diesem Sonderfall in dieser Form unergiebig, weil sie in der Praxis zu nichts führt. Als viel häufigeres Problem tritt in der Praxis eine Mischform auf, die darin besteht, daß ein Autor, der beispielsweise das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung übernehmen will, also ein Autor, der Anacreontea verfassen möchte, sich nicht nur an Anakroens Dichtung zu halten, sondern sich auch an bereits vorhandenen Anacreontea zu orientieren hat, um beispielsweise der von der anakreontischen Programmatik geforderten Originalität in der Wahl von Motiven gerecht zu werden, denn dies gelingt nur, wenn man bereits verwendete Motive kennt und meidet. Es läßt sich daher nicht pauschal sagen, daß jede Berücksichtigung von Texten, die derselben literarischen Generation angehören, der auch der eigene Text angehören soll, automatisch zu einer Schwächung oder gar Auflösung des generationalen Bezuges zur ursprünglich intendierten Vorgängergeneration führen würde. Manchmal kann eine solche Berücksichtigung gerade programmatisch geboten sein. Andererseits ist natürlich darauf zu achten, ob beispielsweise bestimmte Elemente in der Vorgängergeneration selten oder gar nicht, in der Nachfolgegeneration hingegen häufig auftreten, denn dann wäre ein zumindest teilweiser Bezug der späteren Texte der Nachfolgegeneration auf die früheren Texte der Nachfolgegeneration wahrscheinlich. Es ist also hier, wie bei allen anderen Aspekten auch, im Einzelfall zu prüfen, welche programmatische Funktion bestimmte Elemente und Bezüge in einem Text erfüllen. Ausschlaggebend für die Zuordnung von Texten zu einer literarischen Nachfolgegeneration ist, ob diese Texte das Prorgamm der gemeinsamen Vorgängergeneration vollständig oder weitgehend übernommen haben. Daß Texte sich aus programmatischen Erfordernissen heraus auch mit Texten, die nicht der Vorgängergeneration angehören, und manchmal auch mit früheren Texten ihrer eigenen Generation zu befassen haben, ändert dabei nichts an ihrer literarischen Generationszugehörigkeit, solange der Grund für diese Beschäftigung in dem übernommenen Programm selbst liegt. Anders liegt der Fall, sobald der Verdacht entstehen kann, ein Text befasse sich in höherem Maße mit anderen Texten seiner eigenen Generation als dies programmatisch erforderlich wäre. In solchen Fällen ist zu prüfen, ob noch eine generationale Beziehung zur Vorgängergeneration besteht oder ob der Text bereits eine ‚Enkelgeneration’ darstellt oder ob nicht eine andere Form der Textbeziehung vorliegt, etwa Imitatio oder Pastiche74. Den Grenzfall bilden Texte, die sich sowohl auf Texte der Vorgänger- als auch auf Texte der Nachfolgegeneration beziehen. Bei solchen Mischformen, die durch74

Zur Abgrenzung des literarischen Generationenverhältnisses von anderen Arten der Beziehung von Texten zueinander siehe ausführlich Kap. II.c).

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aus auftreten können - denn es ist ja beispielsweise möglich, daß ein Autor sowohl anakreontische Gedichte als auch andere anacreonteische Gedichte beim Verfassen seiner eigenen Dichtung berücksichtigt - kann man natürlich versuchen, soweit wie möglich bestimmte Bezüge als eindeutig auf eine dieser beiden Generationen verweisend einzuordnen, doch zeigt gerade hier die Realität die Grenzen des Modells auf. Interessant ist dennoch, wie sich an den Anacreontea zeigen wird, zu untersuchen, wieviele solcher zweifelhafter Bezüge es überhaupt gibt, weil sich daraus schließen läßt, wie stark der direkte Einfluß der Vorgängergeneration über mehrere Jahrhunderte hinweg war. Bei den Anacreontea spielen solche Mischfälle zudem nur eine sehr geringe Rolle, weshalb das Problem in der Praxis nicht so groß ist wie es vielleicht zunächst erscheinen mag. Die Untersuchung der Gedichte im Hinblick auf den literarischen Generationenbegriff erlaubt daher nicht nur einen präziseren Blick auf den poetologischen Gehalt der Gedichte, sondern erweist auch die weitgehende Einheit der Anacreontea als literarischer Generation und damit den Nutzen des Generationenbegriffes im Hinblick auf die inhaltlich und formal wohlbegründete Gruppierung literarischer Werke. Die inhaltliche und formale Gestaltung eines Textes sowie seine Beziehung zu anderen Texten sind also die wichtigsten zu analysierenden Bereiche, wenn es darum geht, die Grundsätze, nach denen der Autor in diesen Bereichen verfahren ist, herauszuarbeiten, denn diese bilden das poetologische Programm, das dem Text zugrunde liegt. Mit dem Begriff des poetologischen Programmes wird in dieser Arbeit also die Vorstellung von Dichtung bezeichnet, der ein Autor bei der Abfassung eines oder mehrerer Gedichte folgt. Dies bedeutet aber keineswegs, daß das Gesamtwerk eines Autors nur einem einzigen poetologischen Programm folgen könnte, sondern es wird die in der literarischen Realität oftmals gegebene Möglichkeit berücksichtigt, daß ein und derselbe Autor Texte verfassen kann, die einem je anderen poetologischen Programm folgen, die dann aber, und das ist die Neuerung des hier entworfenen literarischen Generationenbegriffes, einer je anderen literarischen Generation, sofern die Texte in einem literarischen Generationenverhältnis zu anderen Texten stehen, zuzurechnen sind. Gerade bei antiken Texten ist hinsichtlich ihres Programmes zu beachten, daß die heutige Beurteilung dessen, was ein poetologisches Programm ausmacht, sich deutlich von dem unterscheiden kann, was nach Ansicht antiker Schriftsteller für einen Autor bei der Abfassung seines Textes maßgeblich war. Bei vielen formalen und auch bei einigen inhaltlichen Kriterien kann daher im Einzelfall geprüft werden, ob sie tatsächlich anzuwenden sind oder ob gewisse Unterschiede von so geringer Relevanz sind, daß man trotz ihrer ein literarisches Generationenverhältnis feststellen kann. Prinzipiell vernachlässigbar sind solche Unterschiede in einzelnen Kriterien dann, wenn sie nicht auf absichtliche Unterschiede im poetologischen Programm zurückzuführen sind. 32

Es ist also, wenn man den literarischen Generationenbegriff nicht ohne Rücksicht auf den Sinn der Texte entwickeln will, notwendig zu klären, welches literarische Programm der Vorgängergeneration die Autoren der Texte der Nachfolgegeneration bei der Abfassung ihrer Texte vor Augen hatten, weil man nur so den Bezug zwischen den beiden literarischen Generationen richtig beurteilen kann. Diese Aufgabe ist schwierig, und das Ergebnis besitzt in den seltensten Fällen Sicherheit, sondern fast immer nur eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit. Die Schwierigkeit besteht darin, daß man, wenn man klären will, welche Vorstellung die Autoren der Nachfolgegeneration von dem, was für die Texte der Vorgängergeneration charakteristisch ist, hatten, nicht die Texte der Autoren der Nachfolgegeneration selbst heranziehen sollte, denn es besteht die Möglichkeit, daß diese Autoren, wenn sie sich implizit oder explizit über das poetologische Programm der Vorgängergeneration äußern, dieses entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung so stilisieren, daß es mit dem von ihnen angewendeten Programm deckungsgleich zu sein scheint, um so die Ähnlichkeit ihrer eigenen Dichtung mit der der Vorgängergeneration bewußt höher erscheinen zu lassen als sie auch ihrem eigenen Empfinden nach ist75. Der Versuch kann aber dann gelingen, wenn es Texte gibt, die Aussagen über das Programm der Vorgängergeneration machen, selbst aber sicher nicht zur Nachfolgegeneration gehören. Sofern diese Texte für die Sicht des Programmes der Vorgängergeneration repräsentativ zu sein scheinen, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß auch die Autoren der Texte der Nachfolgegeneration diese Sicht des Programmes der Vorgängergeneration hatten. Auf diese Weise kann man auch feststellen, ob die Autoren der Nachfolgegeneration auf die Vorgängergeneration bewußt stilisierend Bezug genommen haben oder nicht. Mit dem literarischen Generationenbegrifff kann und soll also, in Erweiterung des bisherigen Repertoires literaturwissenschaftlicher Begriffe, ein Verhältnis zwischen Texten bzw. Textgruppen erfaßt werden, welches durch die große Ähnlichkeit oder sogar Gleichheit des literarischen Programmes derjenigen Texte, die die literarische Vorgängergeneration bilden, mit denjenigen Texten, die die literarische Nachfolgegeneration bilden, gekennzeichnet ist. Dieses Erkennen generationaler literarischer Beziehungen ist jedoch, wie bereits erwähnt wurde, nicht systematisierungsfreudiger Selbstzweck. Die Untersuchung von Texten im Hinblick auf ein literarisches Generationenverhältnis soll den Blick für die Unterscheidung von Bedeutungsebenen schärfen, weil sie in ihrer praktischen Durchführung hermeneutisch vorgeht. Sobald sich der Verdacht einstellt, ein literarisches Werk könnte 75

Motiv hierfür könnte beispielsweise sein, daß man die Bedeutung der eigenen Dichtung durch die Ähnlichkeit mit einem großen Vorbild steigern oder sie sogar mit dessen Namen schmücken möchte, wie es etwa im Falle der Carmina Anacreontea denkbar wäre.

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einer literarischen Nachfolgegeneration angehören, wird man diese These in einer genauen Interpretation am Text selbst ergebnisoffen prüfen. Der Gewinn für das literarische Werk besteht darin, daß man noch genauer darauf achten wird, welche Bedeutung die einzelnen Elemente eines Textes für den Gesamtsinn des Textes haben und wie die Beziehungen eines Textes zu anderen Texten zu interpretieren sind. Mögliche Anspielungen auf andere Texte beispielsweise, die auf lexikalischer oder thematisch-motivischer Ebene in einem Text erfolgen, können in einer Interpretation nur dann in ihrem vollen, also nicht nur in ihrem textinternen76, sondern auch in ihrem möglicherweise über den Text hinausweisenden Aussagewert richtig eingeordnet werden, wenn ihre literaturtheoretische Relevanz geklärt ist77. Der literarische Generationenbegriff bezeichnet hierbei das Phänomen, daß die in einem generationalen Verhältnis zueinander stehenden Texte auch dieselben literaturtheoretischen Positionen vertreten. Der literarische Generationenbegriff erfordert damit eine Unterscheidung dessen, was in einem bestimmten Text überhaupt bezüglich der literaturtheoretischen Aussage des Textes relevant ist, er erfordert ferner eine Aussage darüber, worin die Relevanz besteht, und er ermöglicht es auch, eine bestimmte Form des literaturtheoretischen Bezuges als Teil eines programmatischen Bezuges zwischen Texten bzw. Textgruppen zu bezeichnen. Er soll damit letztlich helfen, Akzidentien von Wesentlichem zu trennen und auf diese Weise dem auf der Autorintention78 beruhenden Gesamtsinn eines Textes näherzukommen und diesen auch präzise zu formulieren.

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Dieser textinterne Sinn ist derjenige, der die oben unter dem ersten Kriterium des literarischen Generationenbegriffes genannten Grundaussagen des Textes auf der Ebene dessen, worum es in dem Text geht, bezeichnet. Daß eine richtige Erschließung des Sinnes voraussetzt, daß man die Bedeutungen der in dem Text verwendeten Wörter kennt, ist bezüglich des textinternen Sinnes eine Banalität und wird erst dann bedeutsam, wenn es um die Erschließung des textexternen Sinnes geht, bei der Wörter eine Bedeutung haben können, die weit über die allgemeine Semantik hinausgeht. Auf Beispiele sei an dieser Stelle unter Verweis auf die Untersuchung der Carmina Anacreontea verzichtet. Es sei nochmals betont, daß diese Relevanz sich auf den Gesamtsinn des Textes bezieht, nicht auf die reine Aussage des Textes. Konzepte von ‚Autor’, ‚Intention’, ‚Text’ und ‚Sinn’ sind, wie schon in Anm.64, 66 und 67 betont wurde, vieldiskutiert und können daher im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlich reflektiert und begründet werden. Die Konzepte so wie sie in dieser Arbeit erscheinen werden aber nicht unhinterfragt, sondern aus der Überzeugung heraus, daß sie notwendig und sinnvoll anzuweden sind, eingesetzt. Daß man damit auch in moderner Literaturtheorie nicht alleine steht, zeigt sich vielfach, so, um nur ein Beispiel zu nennen, bei Hinds S.49.

II. c) Abgrenzung Da es in der Literaturwissenschaft bereits mehrere Modelle gibt, die dazu dienen, die Beziehungen von Texten zu anderen Texten zu erfassen, und die damit dem literarischen Generationenbegriff ähnlich sind, ist der literarische Generationenbegriff gegen diese bereits bestehenden Modelle abzugrenzen. Solche ähnlichen Modelle sind das der imitatio und der mit dieser eng verbundenen aemulatio sowie das der Intertextualität und das der Gattung. Im Rahmen dieser Abgrenzung werden auch die Besonderheiten des literarischen Generationenbegriffes sowohl hinsichtlich des theoretischen Ansatzes als auch hinsichtlich seiner praktischen Möglichkeiten nochmals verdeutlicht werden. II.

c)

1)

Abgrenzung gegen imitatio / aemulatio

Angesichts der Tatsache, daß in den Carmina Anacreontea ausdrücklich der Begriff der Mimesis, welcher im Lateinischen mit imitatio übersetzt wird79, verwendet wird (CA80 60,30: τὸν Ἀνακρέοντα μιμοῦ), ist zu erklären, wie man gerade bei der Beschreibung des Verhältnisses der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung auf den Begriff der literarischen Generation verfallen und diesen dann auch noch gegen den der mimesis/imitatio abgrenzen kann, wo doch die Dichter der Anacreontea selbst ihr Verhältnis zu Anakreon ganz offensichtlich als ein mimetisches angesehen haben. Es ist jedoch keineswegs so, daß man hierfür der Meinung sein müßte, man verstünde die Dichter besser als diese sich selbst. Das Problem liegt vielmehr in der Verwendung des Begriffes der imitatio. In der Antike werden die Begriffe imitatio und aemulatio so undifferenziert verwendet, daß sie als unterbestimmte, vortheoretische Bezeichnungen

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Da in CA 60,30 der Begriff der Mimesis eindeutig in derselben Bedeutung verwendet wird, in der für gewöhnlich auch der lateinische Begriff der imitatio gebraucht wird, wird im Folgenden ausschließlich von imitatio die Rede sein. Zu den Unterschieden in den Bedeutungsfeldern von Mimesis und imitatio in der Antike und in der späteren Verwendung der Begriffe ist zu verweisen auf Zimbrich, Ulrike: „Mimesis“, in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.8, Stuttgart und Weimar 2000; MüllerRichter, Klaus: „Mimesis“, in: Der Neue Pauly. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Bd.15/1, Stuttgart und Weimar 2001 und Penzenstadler, Franz: Imitatio, in: Der Neue Pauly. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Bd.14, Stuttgart und Weimar 2000, sowie zum Mimesis-Modell speziell auch bei Aristoteles auf Lausberg S.554-601. Bei Verweisen auf bestimmte anacreonteische Gedichte wird ‚Carmen Anacreonteum’ bzw. ‚Carmina Anacreontea’ durch ‚CA’ abgekürzt. Es wird für die Carmina Anacreontea die Ausgabe von West, Martin L.: Carmina Anacreontea, 2. Aufl. Stuttgart und Leipzig 1993, zugrunde gelegt.

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einzustufen sind81. Es ist klar, daß das poetische Vorgehen der Dichter der Anacreontea, welches sie selbst als Mimesis bezeichnen, unter die antiken Vorstellungen von Mimesis fällt, aber es ist ebenso klar, daß hiermit noch nicht viel gesagt ist, weil vielerlei verschiedene Arten von literarischen Bezügen in der Antike mit dem Begriff der Mimesis belegt wurden. Um die Begriffe also überhaupt für moderne Literaturtheorie nutzbar machen zu können, müßte man sie, entgegen ihrer ursprünglichen undifferenzierten Verwendung, neu und mit deutlich engerem Zuschnitt definieren, wie dies auch versucht wurde82. Zur modernen Verwendung der Begriffe läßt sich sagen, daß es sich bei der für den Vergleich mit dem literarischen Generationenbegriff relevanten imitatio auctorum „um ein freies, aus der eigenen Zeit schöpfendes Nacheifern der vorangegangenen Großen, das bis zum Wettstreit gesteigert wird (aemulatio)“83, handelt. Aus dieser Definition gehen die Unterschiede zwischen der imitatio und dem literarischen Generationenbegriff klar hervor. Das Konzept der imitatio setzt Freiheit voraus, und zwar Freiheit in der Programmatik, die ihrerseits zu einem freien Umgang mit einzelnen aus anderen Texten entnommenen Elementen führt. Aemulativ wird die imitatio dann, wenn man sich mit dem Vorgängertext messen und ihn wenn möglich übertreffen will, ein Phänomen, das Quintilian aus dem generellen Streben des Menschen nach Verbesserung dessen, was ihm als Errungenschaften anderer vorliegt, ableitet84. In beiden Fällen ist das literarische Programm, welches den nachahmenden Texten zugrunde liegt, ein zumindest teilweise anderes als das der nachgeahmten Texte. Die Nachahmung beruht bei der imitatio darauf, daß der nachahmende Text inhaltliche oder formale Elemente aufweist, die vom Au81

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So Fuhrmann in seiner Rezension zu Reiff, Arno: interpretatio, imitatio, aemulatio. Begriff und Vorstellung literarischer Abhängigkeit bei den Römern, Bonn 1959, in: Gnomon 33, 1961, 445-448, gegen Reiff, dessen Arbeit zwar deutlich die verschiedenen antiken Verwendungen der Begriffe aufzeigt, doch zieht Reiff trotzdem aus Systematisierungsbestrebungen heraus die falschen Schlüsse, so Fuhrmann. Einen guten Überblick über diese Versuche bietet Potolsky, Matthew: Mimesis, New York und London 2006. Für die antike Mimesis betont er ebenfalls den Aspekt der Veränderung (S.49-54). Für eine aktuelle kulturtheoretische Entwicklung verweist er auf das Konzept der Memen, die in ihrer Kombination evolutionsbiologischer und kulturreproduktiver Aspekte auch eine gewisse Nähe zum Ansatz des literarischen Generationenbegriffes aufweisen. Mit intensiver Arbeit an den antiken Texten sowie umfangreichen Literaturverweisen widmet sich den konzeptuellen Problemen antiker und moderner Mimesis-Begriffe Halliwell, Stephen: The Aesthetics of Mimesis, Princeton und Oxford 2002. Zimbrich 197f. Dieser Grundsatz gilt für den antiken imitatio-Begriff, etwa bei Quintilian, ebenso wie für den modernen. Quintilian, institutio oratoria 10,2,4: „Ante omnia igitur imitatio per se ipsa non sufficit, vel quia pigri est ingenii contentum esse iis, quae sint ab aliis inventa.“.

tor des nachahmenden Textes aus dem nachgeahmten Text übernommen wurden85. Diese Elemente können, sofern das einzelne Element oder die Kombination mehrerer Elemente spezifisch genug ist, bei der imitatio durchaus dazu verwendet werden, ausdrücklich auf den nachgeahmten Text zu verweisen, auch mit dem Ziel, speziell auf das literarische Programm des nachgeahmten Textes zu verweisen, jedoch immer in der Absicht, sich in anderen Elementen und damit auch programmatisch von dem nachgeahmten Text abzugrenzen. Imitatio bedeutet also, daß Elemente aus einem oder mehreren anderen Texten in den eigenen Text übernommen werden, um eine Funktion innerhalb eines literarischen Programmes zu erfüllen, das von dem des ursprünglichen Textes verschieden ist. Die imitatio ist das Mittel, mit dem die Zwecke des eigenen literarischen Programmes verfolgt werden. Einem literarischen Generationenbegriff hingegen liegt primär nicht die Nachahmung einzelner Elemente, sondern die Nachahmung des literarischen Programmes eines oder mehrerer anderer Texte zugrunde, deren Ausdruck dann die Übereinstimmung der Texte in bestimmten Elementen ist. Etwas anders sieht der Unterschied zwischen literarischem Generationenbegriff und aemulatio aus. Diese bezeichnet in der modernen Literaturtheorie86 das Phänomen, daß ein nachahmender Autor danach strebt, besser zu sein als der von ihm nachgeahmte Autor. Nun gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten, worin der nachahmende Autor das Bestreben zeigen könnte, besser zu sein, nämlich entweder in einer Verbesserung des literarischen Programmes selbst oder in einer Verbesserung der Umsetzung des literarischen Programmes. In ersterem Fall liegt, ebenso wie bei der imitatio, sicher kein literarisches Generationenverhältnis vor, weil eine bewußte Änderung des literarischen Programmes mit dem literarischen Generationenbegriff nicht vereinbar ist. Interessanter ist der zweite Fall87, weil er, ebenso wie der literarische Generationenbegriff, eine komplette Übernahme eines literarischen Programmes vorauszusetzen scheint. Dabei besteht jedoch eine 85

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Quintilian (institutio oratoria 10,2,1) beispielsweise nennt als Objekte der imitatio: copia verborum, varietas figurarum und componendi ratio. Auf inhaltliche Objekte der Nachahmung geht Quintilian in institutio oratoria 10,2,27 ein: „Imitatio autem (nam saepius idem dicam) non sit tantum in verbis. Illuc intendenda mens, quantum fuerit illis viris decoris in rebus atque personis, quod consilium, quae dispositio, quam omnia, etiam quae delectationi videantur data, ad victoriam spectent: quid agatur prohoemio, quae ratio et quam varia narrandi, quae vis probandi ac refellendi, quanta in adfectibus omnis generis movendis scientia, quamque laus ipsa popularis utilitatis gratia adsumpta, quae tum est pulcherrima cum sequitur, non cum arcessitur. Haec si perviderimus, tum vere imitabimur.“. Zur antiken Verwendung siehe Reiff mit der Rezension von Fuhrmann. Hierbei ist anzumerken, daß der zweite Fall nicht unter das fällt, was gemeinhin unter aemulatio verstanden wird, wie der Artikel von Penzenstadler deutlich macht, doch ist auf diese Möglichkeit aus Gründen der Vollständigkeit dennoch einzugehen.

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grundsätzliche Schwierigkeit, denn es müßte in einem solchen Fall derjenige Autor, der aemulatio betreibt, nachweisen können, daß der Autor des Textes, welcher der aemulatio zugrunde liegt, diesen anders geschrieben hätte wenn er technisch dazu in der Lage gewesen wäre, daß also der Text selbst nicht dem ihm zugrunde liegenden literarischen Programm entspricht. Das Problem daran ist, daß man hier dem Autor desjenigen Textes, im Vergleich zu dem die aemulatio betrieben wird, unterstellen muß, er hätte etwas anderes gemeint als das, was er tatsächlich gesagt hat. Eine solche Unterstellung kann man immer machen, und sie kann sogar im Einzelfall durch eine entsprechende Aussage des Autors desjenigen Textes, im Vergleich zu dem die aemulatio betrieben wird, begründet sein. Die Tatsache, daß sich das aus einem solchen Text selbst erschließbare literarische Programm nicht mit dem deckt, das sein Autor nach eigenem Bekunden gerne umgesetzt hätte88, ändert aber nichts daran, daß derjenige Autor, der aemulatio betreibt, ein anderes Programm als das dem Text tatsächlich zugrunde liegende umsetzen wird. Daß der Autor, der aemulatio betreibt, sich dieser Tatsache auch vollkommen bewußt ist, zeigt sich daran, daß er gar nicht die Absicht hat, so zu schreiben wie der Autor desjenigen Textes, im Vergleich zu dem die aemulatio betrieben wird, geschrieben hat, sondern nur so wie dieser vielleicht gerne geschrieben hätte, womit ein literarisches Generationenverhältnis eindeutig nicht gegeben ist. Da sich der heutige Begriff der imitatio und der literarische Generationenbegriff primär nur darin unterscheiden, was nachgeahmt wird, könnte man fordern, anstatt einen literarischen Generationenbegriff neu einzuführen doch einfach den der imitatio etwas zu differenzieren, etwa indem man von programmatischer imitatio spräche. Das Problem dabei ist, daß es mit dem Attribut alleine nicht getan wäre, sondern daß man den traditionellen Begriff der imitatio eines seiner wesentlichsten Elemente, nämlich der weitgehenden Freiheit der Nachahmung, berauben müßte, weil die einzige grundsätzliche Freiheit bei einer ‚programmatischen imitatio’ darin besteht, sich für ein bestimmtes poetologisches Programm zu entscheiden. Der imitatio-Begriff würde unweigerlich die Betonung auf den Akt der freien Entscheidung darüber, was nachgeahmt werden soll, legen, und daher wahrscheinlich auch zuerst den irrigen Eindruck erwecken, bei einer ‚programmatischen imitatio’ könne man sich aus verschiedenen poetologischen Programmen frei bedienen, wohingegen der Begriff der Generation gerade den Zwang als wesentlich herausstellen will, der aus der einmal ge88

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Unter einem etwas anderen Aspekt betont Hirsch S.6-10 die Tatsache, daß der Sinn eines Textes und damit auch das aus einem Text als ihm zugrundeliegend erschließbare literarische Programm unveränderlich ist, daß also eine spätere Neuinterpretation eines Werkes durch seinen Autor nicht möglich ist wenn sie dazu führt, daß der Autor seinem Text nachträglich ein literarisches Programm unterstellt, das in dem Text nicht verwirklicht ist.

troffenen Entscheidung für ein bestimmtes poetologisches Programm folgt. Der imitatio-Begriff ist aufgrund dieser auf seiner traditionellen Bedeutung beruhenden Gefahr eines grundlegenden Mißverständnisses deutlich schlechter dafür geeignet, jenes zu erfassende Phänomen zu bezeichnen, als der Generationenbegriff. II.

c)

2)

Abgrenzung gegen Intertextualität

Des weiteren ist der literarische Generationenbegriff abzugrenzen gegen das Konzept der Intertextualität. Daß man das Phänomen, welches der literarische Generationenbegriff erfaßt, auch als eine Form der Intertextualität bezeichnen könnte, soll dabei gar nicht bestritten werden89. Durch seine enorme Ausdehnung hat der Intertextualitätsbegriff in den vierzig seit seiner Einführung nunmehr vergangenen Jahren allerdings auch eine ebenso enorme Differenzierung erfahren, die seine Handhabung durch die entstandene Unübersichtlichkeit nicht unbedingt vereinfacht hat90. Dies ist jedoch 89

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Es könnte auch gar nicht bestritten werden angesichts der Tatsache, daß jeder Text als ein aus sprachlichen Zeichen bestehendes Gebilde am Phänomen der Intertextualität teilhat, zumindest wenn man das ursprüngliche, strukturalistische Verständnis Kristevas von Intertextualität zugrunde legt („tout texte se construit comme mosaique de citations, tout texte est absorption et transformation d’un autre texte. A la place de la notion d’intersubjectivite s’installe celle d’intertextualité, et le langage poétique se lit, au moins, comme double“, so Kristeva, Julia: “Le mot, le dialogue et le roman”, in: Σημειωτικὴ. Recherches pour une sémanalyse, Paris 1969, S.82-112, Zitat S.85.). Bereits vor nunmehr fast 25 Jahren wurde festgestellt von Schmid, Wolf; Stempel, Dieter (Hgg.): Dialog der Texte, Wien 1983, S.5: „Dem Begriff „Intertextualität“ ist es, seit er in die Welt gesetzt wurde, nicht viel anders ergangen als ähnlich attraktiven Termini: in einem besonderen theoretischen Argumentationszusammenhang konzipiert, hat er sich in der Folgezeit in einer Weise verallgemeinert, daß es mittlerweile schwerfällt, sich anhand der heutigen Verwendungsweisen seiner begrifflichen Identität zu vergewissern, ja in manchen Fällen selbst den Gewinn noch zu erkennen, der sich mit ihm verbinden sollte.“. Daß sich daran bis heute nichts geändert hat, belegen beispielsweise Holthuis (Holthuis, Susanne: Intertextualität, Tübingen 1993, S.1: „Der Terminus ‚Intertextualität’, in den späten 60er Jahren von Julia Kristeva geprägt, um das zu kennzeichnen, „was sich zwischen Texten abspielt“ (Broich/Pfister 1985), ist in der Folgezeit in einer Weise expandiert, daß es mittlerweile schwerfällt, sich seines begrifflichen Gehaltes noch zu vergewissern.“) und Schmitt (Schmitt, Kerstin: Poetik der Montage, Berlin 2002, S.58: „Neben den inzwischen zahllos gewordenen Modellbildungen, die sich oftmals unüberschaubar verzweigen, fungiert der Terminus ‚Intertextualität’ ohnehin zuweilen als schwammiger Oberbegriff für eine neue Sichtweise und Systematisierung gängiger Methoden“). Die im Laufe der Zeit entwickelten verschiedenen Intertextualitäts-Konstruktionen finden sich in den genannten Werken beschrieben, so daß hier auf eine umfassende Darstellung verzichtet wird und nur das behandelt, was für das Verhältnis zwischen Intertextualität und literarischem Generationenbegriff relevant ist.

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grundsätzlich kein theoretisches, sondern nur ein praktisches Problem, das sich auch lösen ließe, wenn inhaltliche Argumente stark für die Verwendung des Intertextualitätsbegriffes sprächen, da die Möglichkeit bestünde, dem Intertextualitätsbegriff zur Erfassung des zu beschreibenden Phänomens eine neue Schattierung hinzuzufügen. Dafür müßte man lediglich das poetologische Programm eines Textes als eigenen Text, etwa als eine Art programmatischen Hypo- oder Metatext, bezeichnen und die Beziehungen entsprechend definieren, etwa unter dem Begriff der metatextuellen Monoreferentialität, wobei die zu einer literarischen Generation gehörenden Texte dann verschiedene Aktualisierungen des Metatextes darstellen würden, oder man könnte, bei entsprechendem Systembegriff, Modelle der (markierten) Systemreferenz im Sinne einer strukturellen Intertextualität entsprechend verwenden. Das inhaltliche Problem dabei ist aber ähnlich dem, welches der Begriff der imitatio mit sich brachte, nämlich daß das Ergebnis mit dem, was der Intertextualitätsbegriff sowohl ursprünglich als auch in fast allen seinen heutigen Ausprägungen bezeichnet, grundsätzlich nur sehr wenig zu tun hätte. Wesentlich ist dem Intertextualitätsbegriff nämlich zum einen die Freiheit des bewußt gewählten Bezuges, sofern man, entgegen der ursprünglichen Konzeption, eine Autorenintention wieder einführt, denn ansonsten sind die Bezüge ohnehin völlig willkürlich, und zum anderen die Zentrierung auf den Text, so daß der Begriff das Augenmerk auf den Ort lenken würde, an dem das Phänomen auftritt, aber er würde, im Gegensatz zum Begriff der Generation, nicht beschreiben, was dieses Phänomen ist. Es wurde auch noch kein Intertextualitätskonzept erarbeitet, das dem literarischen Generationenbegriff wirklich ähnlich gewesen wäre oder ihn gar inhaltlich vorweggenommen hätte, vielleicht weil ein weiteres zentrales Merkmal der Intertextualität darin besteht, daß sie zum einen von dem Prinzip der Abgrenzung eines neuen Textes gegenüber allen bisherigen Texten ausgeht91 und sich zum zweiten doch hauptsächlich mit dem beschäftigt, was in einem konkreten Text direkt greifbar ist, wobei die strukturelle Intertextualität mit 91

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Gerade die Differenz zu den Texten, auf die Bezug genommen wird, wird oft betont, so beispielsweise von Stierle, Karlheinz: „Werk und Intertextualität“, in: Schmid, Wolf; Stempel, Dieter (Hgg.): Dialog der Texte, Wien 1983, 7-26, dort S.10: „Der Text selbst hat die Möglichkeit, ein Reflexionsmedium zu setzen, in dem er sich als eine differenzierende Distanznahme zu einem oder mehreren Texten präsentiert und diese Distanznahme in die Konkretheit des Werks einschreibt.“ und von Schuchart, Christiane: Intertextualität in Vladimir Makanins „Andegraund, ili Geroj našego vremeni“, Wiesbaden 2004, S.69: „Während unter dem Einflußkonzept ein unbewußtes Einwirken literarischer Texte und Systeme auf die Textproduktion verstanden wird, konstituiert sich Intertextualität (im Sinne der textdeskriptiven Forschungsrichtung) als bewußter Bedeutungsakt des Autors und betont die Interaktion und Transformation von Texten.“. Sie läßt sich aber auch in konkreten Konzepten von Intertextualität deutlich erkennen, so etwa in den von Schmitt S.61-67 dargestellten Intertextualitätsmodellen.

typologischen Referenzen arbeitet, die in starker Nähe zu den klassischen Gattungskonstituenten stehen92, und damit nur noch sehr wenig mit dem ursprünglichen Intertextualitätskonzept gemein hat. Insgesamt scheint daher sowohl aus praktischen Gründen als auch wegen der gravierenden prinzipiellen Unterschiede in den Implikationen der jeweiligen Begriffe eine Verwendung des Intertextualitätsbegriffes anstelle des literarischen Generationenbegriffes nicht sinnvoll. Abschließend sei noch auf das Intertextualitätskonzept des Pastiche bei Genette93 verwiesen, das zwar insofern dem Konzept des literarischen Generationenbegriffes ähnlich zu sein scheint, als Genette damit die Aktualisierung des Stils eines oder mehrerer Texte oder eines Autors meint, doch zeigen seine näheren Ausführungen deutliche Unterschiede. Beim Pastiche spielt, im Gegensatz zum literarischen Generationenverhältnis, der Inhalt nur eine sehr untergeordnete Rolle. Es kommt beim Pastiche in der Regel94 darauf an, daß der Text des Pasticheurs so aussieht, als könne er von dem Autor stammen, dessen Werk als Vorlage gedient hat95. Im Mittelpunkt steht also die handwerkliche Fähigkeit, und die Aussage des Textes ist nebensächlich, solange sie auch vom Autor der Vorlagen stammen könnte. Mit der Nachahmung eines literarischen Programmes im Sinne des literarischen Generationenbegriffes hat diese akribische Reproduktion bestimmter Textmerkmale so wenig zu tun, daß eine Übernahme von Genettes Begrifflichkeit ebenfalls nicht ratsam ist. II.

c)

3)

Abgrenzung gegen den Gattungsbegriff

Auch der Gattungsbegriff hat in seiner Geschichte verschiedene Ausprägungen erfahren, und Croce96 bestritt aufgrund seiner ontologischen Prämissen 92

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Hierauf geht Schmitt S.67 ein. Nur auf den ersten Blick in Richtung des Generationenbegriffes geht Holthuis S.114f. wenn sie über „Intertextualität als ‚Textgenerator’“ schreibt, denn sie zählt hierunter nur die Phänomene der Reproduktion, womit sie allerdings ausschließlich eine wörtliche und keine programmatische Übernahme einer Vorlage bezeichnet, der Collage und der Parodie. Genette, Gérard: Palimpsestes. La littérature au second degré, Paris 1982. Zu Pastiche ist zu verweisen auf Genette S.80-96, besonders auf S.88-91 und S.92. So zeigen es zumindest die von Genette S.80-96 gewählten Beispiele. Dem sehr ähnlich ist das Modell des Epigonalen, doch ist dieser Begriff aus historischen Gründen so negativ behaftet und sowohl etymologisch als auch begriffsgeschichtlich ebenfalls so vortheoretisch und unterbestimmt, daß auf dieses Modell ebenfalls zu verzichten ist. Einen guten Überblick über die verschiedenen Formen und Konzepte, in die hinein der Begriff entwickelt wurde, bietet Mattenklott, Gert: „Das Epigonale – eine Form der Phantasie“, in: Merkur 38, 1984, 410-421. Croce, B.: Estetica, Bari 1902. Daß jedoch schon seit der Antike Autoren mit bestimmten literarischen Konventionen und damit auch mit bestimmten Erwartungshaltungen der Leser konfrontiert waren, die sie dann bewußt erfüllten oder enttäuschten, zeigt zweifelsfrei, daß ein Gattungsbewußtsein vorhanden war. Gattungen

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sogar gänzlich, daß das Gattungsmodell geeignet sein könnte, die literarische Wirklichkeit zu erfassen. Auf eine ausführliche Darstellung verschiedener Gattungsbegriffe soll hier jedoch verzichtet werden97 zugunsten einer gezielten Auseinandersetzung mit derjenigen Konzeption des Gattungsbegriffes, die dem literarischen Generationenbegriff am nächsten steht. Das Verhältnis des literarischen Generationenbegriffes zum Begriff der Gattung läßt sich am besten an dem von Jauß eingeführten Begriff der historischen Familie aufzeigen98, welcher zumindest in seiner Metaphorik dem literarischen Generationenbegriff sehr nahe kommt. Der Begriff der literarischen Familie betont in der Tradition des historischen Gattungsbegriffes die dynamische Struktur einer Gattung und richtet somit ein besonderes Augenmerk auf ihren Entstehungsprozeß. Die Gattung ist nicht plötzlich da, sondern sie entsteht allmählich durch verschiedene Texte, die bestimmte Gemeinsamkeiten haben, und es ist im Laufe dieses Entstehungsprozesses nicht vorhersehbar, in welcher Weise der nächste Text einer Gattung auf die früheren Texte Bezug nimmt und in welcher Weise das, was bis dahin als gattungsspezifisch angesehen wurde, erweitert oder verändert oder übernommen wird. Gattungen sind nach Jauß „Reihen von Werken, die durch eine kontinuitätsbildende Struktur verbunden sind und historisch zutage treten“99. Diese Werkreihen „können als solche nicht abgeleitet oder definiert, sondern nur historisch bestimmt, abgegrenzt oder beschrieben werden. Sie sind darin den historischen Sprachen analog, für die gleichermaßen gilt, daß sich z. B. das Deutsche oder das Französische nicht definieren, sondern nur synchronisch beschreiben und historisch untersuchen lassen“100. Jeder Text, der einer Gattung angehört, nimmt eine etwas andere und verändernde Stellung zu den gattungskonstitutiven Elementen ein, die er mit den anderen Texten gemein hat und die er von den früheren Texten gleichsam als gattungsbezogenen Erwartungshorizont der zeitgenössischen Leser an ihn selbst mitbekommen hat, und verändert und erweitert damit die Gattung. Zu derselben Gattung sind all diejenigen Texte zu zählen, für die das gleiche gattungskonstitutive Element prägend ist. Gattungshafte Elemente sind nach Jauß daran zu erkennen, daß sie, im Gegensatz zu anderen Ele-

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sind daher keineswegs erst im Nachhinein erfundene Konstrukte, sondern Teil der literarischen Realität. Eine solche findet sich beispielsweise bei Hempfer. Dort S.38-41 zu Croce, S.40 überzeugend gegen Jauß, Hans Robert: „Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters“, in: Grundriss der romanischen Literaturen des Mittelalters, Bd.1, hg. von M. Delbouille, Heidelberg 1972, 107-138, dort S.108f. Jauß hat diesen Begriff in seinem Aufsatz „Theorie der Gattungen und Literatur des Mittelalters“ geprägt. Jauß S.111. Jauß S.110.

menten von Texten, traditionsbildende Potenz besitzen, die sich in traditionsbildender Wirkung in Texten manifestiert. Als gattungshafte Elemente kommen also alle Phänomene in Frage, die sich in gleicher oder ähnlicher Ausprägung an verschiedenen Texten feststellen lassen, wobei davon auszugehen ist, daß ihr Erscheinen in den zeitlich späteren Texten durch die zeitlich früheren Texte, auf deren Konventionen sich die zeitlich späteren Texte beziehen, bedingt ist. In der Praxis stellt sich dann die Frage, wie man im konkreten Fall solch ein gattungshaftes Element fassen und definieren möchte, doch ist dies für die theoretische Ebene nicht von direkter Bedeutung. Wichtig ist, daß das Modell von Jauß dazu geeignet ist, Elemente, die in verschiedenen Texten vorkommen, zu beschreiben, und die Texte dann nach dem Vorkommen bestimmter Elemente zu Gruppen, nämlich den historischen Familien, zusammenzufassen. Um eine literarische Gattung feststellen zu können, fragt Jauß danach, wie sich ein Text zu einer gattungsbildenden Gruppe vor ihm entstandener Texte verhält, um so seine Zugehörigkeit zu dieser Gattung prüfen zu können. Hierbei geht er zunächst rein deskriptiv vor, ohne die beobachteten Phänomene näher zu untersuchen101. Problematisch ist die Wertung, die er vornimmt. Wenn die Gattungsstruktur eines später entstandenen Textes dieselbe ist wie die eines früher entstandenen Textes, dann ist der spätere Text qualitativ minderwertig, 101

Jauß S.119: „Setzt man an die Stelle des naturhaften Gattungsbegriffs (Gattung als Idee, die in jedem Einzelwesen erscheint, sich als Gattung nur wiederholt) den geschichtlichen Begriff einer Kontinuität, „in der sich jedes Frühere erweitert und ergänzt duch das Spätere“ (die nach Aristoteles die Menschenart vom Tier unterscheidende ἐπίδοσις εἰς αὐτό), so stellt sich das Verhältnis vom einzelnen Text zur gattungsbildenden Textreihe als ein Prozeß fortgesetzter Horizontstiftung und Horizontveränderung dar. Der neue Text evoziert für den Leser (Hörer) den aus früheren Texten vertrauten Horizont von Erwartungen und Spielregeln, die alsdann variiert, erweitert, korrigiert, aber auch umgebildet, durchkreuzt oder nur reproduziert werden können. Variation, Erweiterung und Korrektur bestimmen den Spielraum, Bruch mit der Konvention einerseits und bloße Reproduktion andererseits die Grenzen einer Gattungsstruktur. Wo ein Text die Elemente der Gattungsstruktur einfach reproduziert, nur einen anderen Stoff in bewährte Muster der Darstellung einsetzt, die herkömmliche Topik und Metaphorik lediglich übernimmt, entsteht jene stereotype Art von Literatur, in die gerade erfolgreiche Gattungen wie etwa die Chanson de geste im XII. oder das Fabliau im XIII. Jh. bald abgesunken sind. Die damit erreichte Grenze ist die des bloßen Gebrauchswerts oder ‚Konsumcharakters’. Je stereotyper ein Text das Gattungshafte wiederholt, desto geringer ist sein Kunstcharakter und desto geringer ist auch sein Grad an Geschichtlichkeit. Denn auch für literarische Gattungen gilt: „sie verwandeln sich in dem Maße, als sie Geschichte haben, und sie haben Geschichte in dem Maße, als sie sich verwandeln“. Die Geschichtlichkeit einer literarischen Gattung zeichnet sich in einem Prozeß der Prägung einer Struktur, ihrer Variation, Erweiterung und Korrektur ab, der bis zur Erstarrung führen oder auch mit der Verdrängung durch eine neue Gattung enden kann.“.

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so die Ansicht von Jauß102. Die ästhetische Qualität eines Textes jedoch allein an seiner Art, bestimmte gattungshafte Strukturen zu behandeln, messen zu wollen, wird dem Text nicht gerecht, weil der Text dabei nicht als Ganzes betrachtet wird. In dieser Wertung und Überbewertung gattungshafter Textelemente besteht das Defizit des Jaußschen Modelles. Sicher ist es für das Verständnis eines Textes wichtig, seine gattungshaften Elemente zu erkennen, doch ist es dem Verständnis des Textes abträglich, ihn auf diese Elemente zu reduzieren, ohne zu fragen, warum die Elemente in einem bestimmten Text gerade in der jeweiligen Form und Kombination auftreten. Für Jauß stellt sich diese Frage nicht, weil er den Grund für die Entstehung einer Gattung und letztlich jedes einzelnen literarischen Werkes in sozialen Faktoren sieht103. Die deskriptive Untersuchung von Gattungen liefert nach seiner Theorie ein Bild der literarischen Auswirkungen sozialer Realitäten. Unter Rückgriff auf Köhler104 behauptet er, es existiere „die Interdependenz von Unterbau der Gesellschaft und Überbau der Literatur vor allem dort, wo Veränderung der ökonomischen und politisch-gesellschaftlichen Grundverhältnisse „den Charakter eines geschichtlichen Umbruchs tragen“, sich in Strukturelemente der Kunst verwandeln und dann die „traditionell verfestigten Formen, Stile und Wertbegriffe der Literatur“ durchbrechen“105. Ein solches Literaturverständnis übersieht die Tatsache, daß literarische Werke normalerweise nicht von der Gesellschaft oder zumindest einer Gruppe, sondern von einem Individuum geschaffen werden. Welchen Einfluß gesellschaftliche Realitäten auf ein konkretes Kunstwerk haben, kann sehr unterschiedlich sein, doch sollte ein solcher Einfluß nicht dadurch überbewertet werden, daß er pauschal und von vornherein als für jedes Kunstwerk maßgeblich und prägend angesehen wird. So groß das Verdienst von Jauß für einen Gattungsbegriff, der dem Wesen einer Gattung als dynamischer Struktur gerecht wird, ist, so sehr gehen seine für die konkrete Anwendung eines solchen Begriffes hinzugezogenen Prämissen an der literarischen Realität zumindest der altgriechischen Literatur vorbei. Bevor nun aber dargelegt werden soll, wie sich der Begriff der historischen Familie mit dem literarischen Generationenbegriff in Verbindung bringen ließe, ist ein Versuch zu betrachten, den Jaußschen Gattungsbegriff auf einen literarischen Bereich der klassischen Philologie, nämlich die Bukolik, anzuwenden. Ruurd Nauta untersucht in seinem Aufsatz „Gattungsgeschichte als Rezeptionsgeschichte am Beispiel der Entstehung der Buko102 103

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Siehe Anm.101. Jauß S.129: „Literarische Formen und Gattungen sind daher weder subjektive Schöpfungen der Dichter noch bloß nachträgliche Ordnungsbegriffe, sondern primär soziale, d. h. auf lebensweltlichen Funktionen beruhende Erscheinungen.“. Köhler, E.: Esprit und arkadische Freiheit: Aufsätze aus der Welt der romania, Frankfurt und Bonn 1966, S.86. Jauß S.121.

lik“106 die Entstehung und Entwicklung der Bukolik als literarischer Gattung. Da es Nauta um die Anwendung des Jaußschen Modelles geht, setzt er sich vor allem mit dessen Problemen im Bereich der praktischen Umsetzung der theoretischen Grundlagen auseinander. Nauta sieht besonders die von Jauß aufgrund seiner Annahme, daß „eine ‚innere Form’ der äußeren Gestalt entsprechen muß“107, postulierte prinzipielle Unmöglichkeit einer strikten Trennung zwischen formalen und inhaltlichen gattungshaften Aspekten durch die literarische Realität widerlegt. Dies ändert jedoch nichts an der Übernahme der Grundsätze von Jauß’ Modell durch Nauta. Auch seine Untersuchung ist ausdrücklich deskriptiv angelegt108. An manchen Stellen kann Nauta jedoch nicht umhin, in seiner Untersuchung von Gattungsgeschichte als Rezeptionsgeschichte sich auch zu Formen und Funktionsweisen der Rezeption zu äußern. Im Gegensatz zu Jauß stellt er dabei die Bezüge der Texte zueinander nicht auf ein soziologisches Fundament, sondern sieht sie als Manifestation literarischer Absicht, was auch die Basis des literarischen Generationenbegriffes ist. Nauta spricht hinsichtlich der Bezüge zwischen Texten verschiedentlich von ‚nachahmen’ und ‚imitieren’109, ohne dies jedoch näher auszuführen. Genau hier setzt der literarische Generationenbegriff an, indem er versucht, eine bestimmte Form des Bezuges von Texten auf andere Texte zu fassen. Er beschreibt, um in der Jaußschen Metaphorik zu sprechen, eine bestimmte Form der Verwandtschaft zwischen den Mitgliedern einer historischen Familie. Bezüglich des Gattungsbegriffes hieße das, daß man versuchen könnte, mehrere literarische Generationen unter dem Begriff der Gattung zusammenzufassen, da die Texte der Nachfolgegeneration den Texten der Vorgängergeneration in Strukturen gleichen, die man als gattungshaft bezeichnen könnte. Das Problem des Gattungsbegriffes ist jedoch ähnlich dem von Imitatio und Intertextualität. Er setzt per definitionem immer schon eine Abwand106

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Nauta, Ruurd R.: „Gattungsgeschichte als Rezeptionsgeschichte am Beispiel der Entstehung der Bukolik“, in: Antike und Abendland XXXVI, Berlin und New York 1990, 116-137. Jauß S.112, zitiert von Nauta S.118. Nauta S.117: „Es ist unschwer zu bobachten, daß in der Praxis konkreter literarischer Gemeinschaften Gattungen manchmal nach der Form, manchmal nach dem Inhalt, manchmal nach noch anderen Kriterien eingeteilt werden, daß Gattungen durcheinandergehen und daß normative und hierarchisierende Vorstellungen mit hereinspielen, deren theoretische Berechtigung fragwürdig sein mag. Man kann natürlich versuchen, diese Verwirrung durch wissenschaftliche Klarheit und dieses normative und hierarchisierende Denken durch wissenschaftliche Objektivität zu ersetzen, aber das würde die Literaturgeschichte nicht ihrer Aufagbe entheben, die Verwirrung, die Normen und die Hierarchien einfach zu beschreiben und in ihren Beziehungen zur gesamten literarischen Wirklichkeit der jeweils untersuchten Epoche zu analysieren.“. Nauta S.124-126.

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lung bestehender Konstellationen formaler und inhaltlicher Elemente voraus, die dem literarischen Generationenbegriff wesensfremd ist. Hieraus ergibt sich beim Gattungsbegriff auch ein deutlich höheres Maß an Zufälligkeit und Beliebigkeit bezüglich der Frage, welche Strukturen übernommen und welche weggelassen oder durch Strukturen aus anderen Gattungen ersetzt werden. Dabei wird vorausgesetzt, daß solche Veränderungen stets aus einer Veränderung des poetologischen Programmes resultieren und nicht, wie im Falle eines literarischen Generationenverhältnisses, entweder poetologisch irrelevant oder sogar programmatisch erforderlich sind. Solche Veränderungen des poetologischen Programmes setzt auch der Begriff der historischen Familie in seiner Metaphorik der Verwandtschaftsbeziehungen voraus, die in ihrem Begriff eine Veränderung beinhalten, dergegenüber man das poetologische Verhältnis literarischer Generationen als Entstehung durch Parthenogenese oder Klonen bezeichnen müßte. Daher ist auch der Begriff der Gattung, selbst in seiner Ausprägung als historischer Gattungsbegriff oder ‚historische Familie’, nicht geeignet, statt des literarischen Generationenbegriffs verwendet zu werden.

II. d) Zusammenfassung Die Abgrenzung des literarischen Generationenbegriffes zum einen gegen bisherige Definitionen von ‚Generation’ in der Literaturwissenschaft und zum anderen gegen literaturwissenschaftliche Modelle, die ebenfalls Beziehungen zwischen Texten erfassen, liefert nicht nur eine Rechtfertigung der Wahl des literarischen Generationenbegriffes für die am anakreontischen und anacreonteischen Corpus festgestellte spezielle Form des literarischen Bezuges, sondern verdeutlicht auch grundsätzliche Eigenheiten des literarischen Generationenverhältnisses. Hier sind vor allem der programmatische Bezug auf ein bereits bestehendes Textcorpus und damit die im Rahmen des jeweiligen poetologischen Programmes schon im voraus festgelegte Form des eigenen Textes und die vorgegebenen Auswahlkriterien für formale und inhaltliche Elemente, die der Text enthalten darf, zu nennen. Der literarische Generationenbegriff bezeichnet keine freie Rezeption, sondern eine starke Bindung an das poetologische Programm der dann als Vorgängergeneration zu bezeichnenden Texte. Um den generationalen Bezug der Carmina Anacreontea auf die anakreontische Dichtung darstellen zu können, ist nun eine Untersuchung der anakreontischen Dichtung mit der Erschließung ihres poetologischen Programmes notwendig, die dann ihrerseits die Grundlage für eine Untersuchung der Carmina Anacreontea bildet.

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III. Anakreon110 Um feststellen zu können, in welcher Weise sich die Dichter der Carmina Anacreontea gegenüber Anakreon und seiner Dichtung verhalten haben, ist es notwendig, dasjenige Bild von Anakreon und seiner Dichtung zu rekonstruieren, welches die Dichter der Carmina Anacreontea wahrscheinlich vorgefunden haben. Hierfür werden, denn dies ist noch nicht geschehen, als erstes die Erwähnungen von Anakreon in der griechischen Literatur in thematischer und chronologischer Gliederung dargestellt sowie tabellarisch erfaßt. Nur so ist es möglich, eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Sicht von Anakreon zu welcher Zeit bestand und ob Veränderungen dieser Sicht aufgetreten sind. Die Ergebnisse werden ein neues Licht auf die Anakreon-Rezeption werfen und zwei Grundthesen von Rosenmeyer widerlegen. Die erste ist die, daß Anakreons Bild im Hellenismus ein für allemal als das eines trunkenen, alten Liebesdichters festgeschrieben wurde111. Entgegen Rosenmeyer wurde diese Festlegung bereits viel früher, nämlich spätestens in klassischer Zeit, vorgenommen. Auch war immer bekannt, daß Anakreon nicht nur sympotisch-erotische Dichtung verfaßt hatte112. Allerdings wurde, wie sich zeigen wird, Anakreons nicht sympotisch-erotische Dichtung in der poetischen Rezeption nahezu nicht wahrgenommen, sondern fand ausschließlich Beachtung bei Autoren mit beispielsweise historischem oder sprachwissenschaftlichem Interesse. Dieser Punkt darf deshalb nicht vernachlässigt werden, weil durchaus nicht ohne weiteres einsichtig ist, warum die Dichter der Anacreontea nur die sympotisch-erotische Dichtung als wirklich anakreontisch ansahen, obgleich ihnen, wenn auch vielleicht wohl nicht allen aus primärer113, so doch zumindest aus sekundärer Überliefe-

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Zugrundegelegt wird bei dieser Arbeit die Ausgabe von Gentili, Bruno: Anacreon, Rom 1958. Wo nötig, wird auf die Ausgabe von Rozokoki, Alexandra: Anakreon, Athen 2006, oder auf die von Page, Denys Lionel: Poetae Melici Graeci, Oxford 1962, verwiesen. Bei Rozokoki sind in ihrem biographischen Abriß S.13*-14* und in den S.3-6 aufgeführten Testimonien auch manche der in dieser Arbeit genannten Testimonien aufgelistet, jedoch weitaus nicht alle, und sie ordnet und analysiert die Testimonien auch nicht weiter. Auf die Ausgabe von Gentili wird mit G, auf die von Rozokoki mit R, auf die von Page mit PMG hinter der Fragmentnummer verwiesen. Rosenmeyer S.50: „Anacreon’s spirit was redefined in the Hellenistic era once and for all as that of a senile, bibulous, poet-in-love“. Dies ignoriert Rosenmeyer durchgängig, so z.B. S.37-49 und S.72f. Wilamowitz’ Einschätzung (Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Sappho und Simonides, Berlin 1913, S.112), Himerios (4. Jh.n.Chr.) sei vielleicht der letzte gewesen, dem die alexandrinische Ausgabe noch vorgelegen habe, kann auch heute noch Gültigkeit beanspruchen.

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rung, bekannt gewesen sein dürfte, daß Anakreon auch andere Dichtung verfaßt hat. Die zweite, auf der ersten aufbauende und für diese Untersuchung noch bedeutsamere These Rosenmeyers ist die, daß die Dichter der Anacreontea das bereits im Hellenismus beschränkte Anakreonbild, das sie vorfanden, selbst noch weiter beschränkt hätten114. Rosenmeyer geht hier jedoch von dem heutigen Bild von Anakreons sympotisch-erotischer Dichtung aus, ohne das antike Bild von dieser Dichtung zu berücksichtigen. Es geht aber nicht nur darum, zu sehen, was sich heutzutage als das Programm von Anakreons Dichtung aus den Fragmenten rekonstruieren läßt, sondern zunächst darum, was in der Antike als für Anakreons Dichtung wesentlich angesehen wurde, um dann feststellen zu können, wie die Dichter der Anacreontea auf Anakreons Werk und auf seine Beurteilung durch frühere Schriftsteller reagiert haben. Welche Sicht von Anakreon und seiner Dichtung sich den Dichtern der Anacreontea dargeboten hat, ist anhand der sekundären Zeugnisse zu rekonstruieren. Hierfür werden zuerst die biographischen Zeugnisse und die Notizen zu Anakreons Metrik und anschließend die Erwähnungen von Anakreon als 114

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Rosenmeyer S.51: „Instead of achieving the archival goal of the imitator, that of simply saving the older text, the anacreontics in a way blend and overlap with the model. These later texts are not trapped in Anacreon or limited by him, but actively interpret and shape their model, inserting themselves so neatly into the literary tradition that the new combined forces merge seamlessly with the old. Imitators such as Horace or Catullus also use and reform their literary predecessors, but with the goal in mind of eventually creating a new personal voice. In their poetry, literary influence is acknowledged, absorbed, and then directed towards a new and different enterprise; the old makes way for the new. The anacreontics, however, are proudly steadfast in their secondary and imitative role, and shun any mark of a personal voice other than that of Anacreon himself. They repeat, reduce, freeze an image, and recreate the older poet to suit their own tastes; they write with a view to strengthening the anacreontic circle, not in order to challenge or surpass their model. They stereotype an already stereotyped Anacreon.“. Rosenmeyer S.72: „The result is a program of imitation that meticulously avoids certain aspects of the model, and, in representing only part of the whole Anacreon, effectively alters his identity for posterity.“. Die These, die Anacreontea hätten die anakreontische Dichtung stark einschränkend reproduziert, findet sich bereits bei Wilamowitz (siehe Anm.1), der allerdings unter Verweis auf die Überlieferungslage hinzufügt, die Anacreontea hätten auch das Interesse an der anakreontischen Dichtung zerstört (Wilamowitz: Sappho und Simonides, S.110: „Diesen falschen Anakreon sang die classicistische Gesellschaft des Gellius, und nur den Grammatikern, die für die Ausgabe gesorgt hatten, dankt es der echte, daß wir noch etwas von ihm haben. Es ist wohl kein Zufall, daß Aegypten keinen Rest gebracht hat: die Anakreonteen hatten das Interesse an den echten Liedern zerstört.“). Erstere These ist durch Papyrusfunde widerlegt, und die Anacreontea für das Verschwinden Anakreons aus der direkten Überlieferung verantwortlich zu machen, ist sehr gewagt, zumal angesichts der Tatsache, daß die Anacreontea auch nur in einer einzigen Handschrift überliefert sind.

Dichter und von seiner Dichtung untersucht. Vervollständigt wird die Darstellung durch eine exemplarische Betrachtung der Erwähnungen von Anakreon in der lateinischen Literatur und der bildlichen Zeugnisse. In einer abschließenden Untersuchung wird dann anhand dieser Quellen sowie der überlieferten Fragmente von Anakreons Dichtung das poetologische Programm seiner sympotisch-erotischen Dichtung dargestellt115. Die Erwähnungen zu Anakreon und seiner Dichtung in der griechischen Literatur werden dabei nur bis zum sechsten nachchristlichen Jahrhundert ausführlich dargestellt. In dieser Zeit entstanden die letzten der Carmina Anacreontea, so daß die Frage, welche Sicht von Anakreon und seiner Dichtung sich den Dichtern der Anacreontea bot, und ob es im Laufe der Entstehungszeit der Anacrontea Veränderungen dieser Sicht gab, hierdurch bereits vollständig geklärt werden kann. Für die Frage, ob sich durch die Carmina Anacreontea Veränderungen in der Wahrnehmung der anakreontischen Dichtung ergaben, werden die späteren Zeugnisse aufgrund ihrer Fülle nur statistisch erfaßt. Der Übersichtlichkeit halber werden die Textausgaben zu den Belegautoren nur im Literaturverzeichnis angeführt, dort unter dem Namen des jeweiligen antiken Autors. Die Schriftsteller sind im allgemeinen chronologisch und innerhalb desselben Zeitabschnittes alphabetisch geordnet. Wenn ein Autor einen anderen mit dessen Aussage über Anakreon zitiert, wird das Fragment sowohl unter dem zitierten Autor als auch unter dem zitierenden angeführt, weil die betreffende Aussage über Anakreon bzw. das betreffende Anakreon-Fragment bei beiden Autoren Erwähnung fand. Unter III.b)2)A) werden diejenigen in III.a) und III.b)1) bereits genannten Stellen nochmals aufgeführt, die außer der biographischen oder metrischen Information auch Aussagen über Anakreon als Dichter oder über seine Dichtung enthalten. Was die Darstellung anbelangt, so möge der Leser die bisweilen fast bloße Aneinanderreihung der Belegstellen nachsehen, weil sie aus Gründen der Vollständigkeit unverzichtbar ist. Um eine rasche Überprüfung der getätigten Aussagen am jeweiligen griechischen Originaltext zu ermöglichen, findet sich dieser stets ausgeschrieben in den Anmerkungen.

III. a) Leben Bei kaum einem Autor wurde eine so enge Verflechtung von Leben und Werk in der biographischen Tradition vorgenommen wie bei Anakreon. Entsprechend gering ist die Zahl derjenigen Aussagen über sein Leben, die nicht einer biographistischen Interpretation seiner Dichtung entspringen, 115

Weil die Dichter der Carmina Anacreontea sich ausschließlich auf Anakreons sympotisch-erotische Dichtung beziehen, kann dabei die übrige anakreontische Dichtung weitgehend unbeachtet bleiben.

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und es kommt bei denjenigen Zeugnissen, die mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf biographistischer Interpretation beruhen, hinzu, daß sie sich in ihren Aussagen oftmals sehr ähnlich sind, so daß sich insgesamt nur ein stark beschränktes und stilisiertes Bild von Anakreon gewinnen läßt. Die Testimonien zu Anakreons Leben, die zur Darstellung von Entwicklungen in der Überlieferung bestimmter Aussagen ebenso wie die Belegstellen in den nachfolgenden Kapiteln chronologisch geordnet sind, soweit dies möglich ist, ergeben folgendes116: HERODOT (5. Jh.v.Chr.)117 erwähnt Anakreons Aufenthalt am Hof des Polykrates. PHEREKYDES (5. Jh.v.Chr)118 äußert sich über Teos und möglicherweise im Zusammenhang mit Teos auch über Anakreon, doch geht dies aus der Stelle nicht eindeutig hervor. ARISTOPHANES (5./4. Jh.v.Chr.)119 nennt Anakreon mit dem Beiwort ‚Teios’ zusammen mit Alkaios und Ibykos als ionischen Dichter. PLATON (5./4. Jh.v.Chr.)120 berichtet, daß Hipparchos, Sohn des Peisistratos, einen Fünfzigruderer nach Teos schickte, um Anakreon nach Athen zu holen. 116

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Die Angaben der ungefähren Lebenszeit der Schriftsteller entstammen folgenden Quellen: LSJ; RE; Hose, Martin: Kleine griechische Literaturgeschichte, München 1999; Buchwald, Wolfgang; Hohlweg, Armin; Prinz, Otto: Tusculum-Lexikon griechischer und lateinischer Autoren des Altertums und des Mittelalters, 3. Aufl. München 1982; Schütze, Oliver (Hg.): Metzler Lexikon antiker Autoren, Stuttgart und Weimar 1997; Nickel, Rainer: Lexikon der antiken Literatur, Düsseldorf und Zürich 1999; Thesaurus Liguae Graecae (TLG): Bibliography. Verweise in den zitierten Ausgaben auf andere Ausgaben wurden auf die im Literaturverzeichnis angegebenen bzw. die sonst gängigen Ausgaben der jeweiligen Schriftsteller geändert ohne daß dies jeweils angemerkt wurde. Herodot, Historien 3,121,1-3,122,1: οἱ δὲ ἐλάσσονες λέγουσι πέμψαι Ὀροίτεα ἐς Σάμον κήρυκα ὅτευ δὴ χρήματος δεησόμενον - οὐ γὰρ ὦν δὴ τοῦτό γε λέγεται - , καὶ τὸν Πολυκράτεα τυχεῖν κατακείμενον ἐν ἀνδρεῶνι, παρεῖναι δέ οἱ καὶ Ἀνακρέοντα τὸν Τήιον· καί κως εἴτε ἐκ προνοίης αὐτὸν κατηλογέοντα τὰ Ὀροίτεω πρήγματα, εἴτε καὶ συντυχίη τις τοιαύτη ἐπεγένετο· τόν τε γὰρ κήρυκα τὸν Ὀροίτεω παρελθόντα διαλέγεσθαι καὶ τὸν Πολυκράτεα - τυχεῖν γὰρ ἀπεστραμμένον πρὸς τὸν τοῖχον - οὔτε μεταστραφῆναι οὔτε τι ὑποκρίνασθαι. Pherekydes Frg.112,1-4: Παρὰ δὲ Φερεκύδῃ καὶ τοὔνομα τῆς Ἰωνικῆς πόλεως, λέγω δὲ τῆς Τέω, κείμενον εὗρον, ὅθεν ἦν Ἀνακρέων ὁ μελοποιὸς, ἀπὸ τοῦ τέως. Aus: Scholiastes in Platonem (Hipparchus 229d), S.335, ed. Bekker, vgl. FGrHist 1,F,3,102. Aristophanes, Thesmophoriazusen 160-163: Σκέψαι δ’ ὅτι / Ἴβυκος ἐκεῖνος κἀνακρέων ὁ Τήιος / κἀλκαῖος, οἵπερ ἁρμονίαν ἐχύμισαν, / ἐμιτροφόρουν τε κἀχλίδων Ἰωνικῶς. Platon, Hipparchus 228b4-c6: Πολίτῃ μὲν ἐμῷ τε καὶ σῷ, Πεισιστράτου δὲ ὑεῖ τοῦ ἐκ Φιλαϊδῶν, Ἱππάρχῳ, ὃς τῶν Πεισιστράτου παίδων ἦν πρεσβύτατος καὶ σοφώτατος, ὃς ἄλλα τε πολλὰ καὶ καλὰ ἔργα σοφίας ἀπεδείξατο, καὶ τὰ Ὁμήρου ἔπη πρῶτος ἐκόμισεν εἰς τὴν γῆν ταυτηνί, καὶ ἠνάγκασε τοὺς ῥαψῳδοὺς Παναθηναίοις ἐξ ὑπολήψεως ἐφεξῆς αὐτὰ διιέναι, ὥσπερ νῦν ἔτι οἵδε ποιοῦσιν, καὶ ἐπ’ Ἀνακρέοντα τὸν

ARISTOTELES (4. Jh.v.Chr.)121 spricht über Hipparchos, der, weil er Vergnügungen, Eros und den Musen zugetan war, Anakreon und Simonides nach Athen geholt habe. Inwieweit Aristoteles diese Information einfach von Platon (siehe S.50) übernommen hat, muß offen bleiben, seiner Formulierung nach war sie aber wohl Gemeingut. Die Bekanntheit einer solchen Information, die Anakreon ausdrücklich mit dem Bereich des Erotischen in Verbindung bringt, zeigt, daß er bereits zu dieser Zeit wohl stark auf diesen Bereich festgelegt war. ARISTOXENOS (4. Jh.v.Chr.)122 nennt Anakreon aufgrund seiner ungefähren Gleichzeitigkeit mit Xenophanes und Polykrates, die der historischen Realität entspricht. ALEXIS (3./2. Jh.v.Chr)123 berichtet, Anakreon habe in erotischen Beziehungen in Konkurrenz zu Polykrates gestanden und dieser habe sogar aus Eifersucht seinem Geliebten, bei dem es sich vielleicht um Smerdies handelte, das Haar abgeschnitten, wobei Alexis sich für die erotische Komponente, die er der Beziehung von Anakreon zu Polykrates beifügt, auf Anakreons eigene Dichtung stützen dürfte, wie der Vergleich mit Frg.26G, Frg.3G und Frg.71G zeigt. Die Verbindung mit Polykrates findet sich schon bei Herodot und Aristoxenos, so daß die Erwähnung zeigt, wie sich bereits im dritten vorchristlichen Jahrhundert die biographische Tradition auf sehr spärliche

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Τήιον πεντηκόντορον στείλας ἐκόμισεν εἰς τὴν πόλιν, Σιμωνίδην δὲ τὸν Κεῖον ἀεὶ περὶ αὑτὸν εἶχεν, μεγάλοις μισθοῖς καὶ δώροις πείθων· ταῦτα δ’ ἐποίει βουλόμενος παιδεύειν τοὺς πολίτας, ἵν’ ὡς βελτίστων ὄντων αὐτῶν ἄρχοι, οὐκ οἰόμενος δεῖν οὐδενὶ σοφίας φθονεῖν, ἅτε ὢν καλός τε κἀγαθός. Aristoteles, Ἀθηναίων πολιτεία 18,1,1-18,2,9: Ἦσαν δὲ κύριοι μὲν τῶν πραγμάτων διὰ τὰ ἀξιώματα καὶ διὰ τὰς ἡλικίας Ἵππαρχος καὶ Ἱππίας, πρεσβύτερος δὲ ὢν ὁ Ἱππίας καὶ τῇ φύσει πολιτικὸς καὶ ἔμφρων ἐπεστάται τῆς ἀρχῆς. ὁ δὲ Ἵππαρχος παιδιώδης καὶ ἐρωτικὸς καὶ φιλόμουσος ἦν, (καὶ τοὺς περὶ Ἀνακρέοντα καὶ Σιμωνίδην καὶ τοὺς ἄλλους ποιητὰς οὗτος ἦν ὁ μεταπεμπόμενος), Θέτταλος δὲ νεώτερος πολὺ καὶ τῷ βίῳ θρασὺς καὶ ὑβριστής, ἀφ’ οὗ καὶ συνέβη τὴν ἀρχὴν αὐτοῖς γενέσθαι πάντων τῶν κακῶν. ἐρασθεὶς γὰρ τοῦ Ἁρμοδίου καὶ διαμαρτάνων τῆς πρὸς αὐτὸν φιλίας, οὐ κατεῖχε τὴν ὀργήν, ἀλλ’ ἔν τε τοῖς ἄλλοις ἐνεσημαίνετο πικρῶς, καὶ τὸ τελευταῖον μέλλουσαν αὐτοῦ τὴν ἀδελφὴν κανηφορεῖν Παναθηναίοις ἐκώλυσεν, λοιδορήσας τι τὸν Ἁρμόδιον ὡς μαλακὸν ὄντα, ὅθεν συνέβη παροξυνθέντα τὸν Ἁρμόδιον καὶ τὸν Ἀριστογείτονα πράττειν τὴν πρᾶξιν μετεχόντων πολλῶν. Aristoxenos Frg.12,10f.: ἱστορεῖται μέχρι Ξενοφάνους τοῦ φυσικοῦ καὶ τῶν Ἀνακρέοντός τε καὶ Πολυκράτους χρόνων. Aus: Iamblichos, Theologoumena arithmeticae 52,20. Alexis Frg.2,5-11: ‚μετεστέλλετο δέ’ φησι ‚καὶ τεχνίτας ἐπὶ μισθοῖς μεγίστοις. πρὸ δὲ τοῦ τυραννῆσαι κατασκευασάμενος στρωμνὰς πολυτελεῖς καὶ ποτήρια ἐπέτρεπε χρῆσθαι τοῖς ἢ γάμον ἢ μείζονας ὑποδοχὰς ποιουμένοις’ ἐκ πάντων οὖν τούτων ἄξιον θαυμάζειν τὸν τύραννον, ὅτι οὐδαμόθεν ἀναγέγραπται γυναῖκας ἢ παῖδας μεταπεμψάμενος, καίτοι περὶ τὰς τῶν ἀρρένων ὁμιλίας ἐπτοημένος, ὡς καὶ ἀντερᾶν Ἀνακρέοντι τῶι ποιητῆτι, ὅτε καὶ δι’ ὀργὴν ἀπέκειρε τὸν ἐρώμενον. Aus: Athenaios, Deipnosophistai 12,57,17 (540e6).

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Angaben beschränkt hat, die dann in den nachfolgenden Jahrhunderten recht stereotyp reproduziert und, wie wohl auch schon zu Lebzeiten Anakreons124, mit Informationen aus seinen Gedichten angereichert wurden. Diesem Muster folgen auch fast alle späteren Erwähnungen. STRABO (1. Jh.v.Chr. / 1. Jh.n.Chr.)125 gibt an, Anakreon habe am Hofe des Polykrates gelebt und sei mit anderen Teiern zusammen nach Abdera ausgewandert126, doch daran, daß Strabo an beiden Stellen auf Anakreons Dichtung verweist, ist klar zu erkennen, daß es sich hierbei um Fakten handelt, die sehr wahrscheinlich aus biographistischer Interpretation stammen. LUKIAN (2. Jh.n.Chr.)127 belegt für Anakreon ein Lebensalter von fünfundachtzig Jahren, was zwar durchaus der Wirklichkeit entsprechen kann, doch ist unklar, woher Lukian seine Information bezogen hat. PAUSANIAS (2. Jh.n.Chr.)128 nennt den Aufenthalt von Anakreon am Hof des Polykrates. HIMERIOS (4. Jh.n.Chr.)129 berichtet, Anakreon sei Erzieher des Sohnes von Polykrates gewesen und habe diesen in Musik unterrichtet, was allerdings wohl spätere Erfindung ist130. STOBAIOS (5. Jh.n.Chr.) berichtet in zwei leicht unterschiedlichen Versionen131 die Begebenheit, daß Anakreon von Polykrates Gold erhalten, die-

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Dies legen die bereits in früher Zeit sehr umfangreichen Erwähnungen von Anakreons sympotisch-erotischer Dichtung (vgl. Kap. III.b)2)A)) sowie die bildlichen Darstellungen auf den frühen Vasen (vgl. Kap. III.d)), die wohl noch zu Anakreons Lebzeiten entstanden sind, nahe. Strabo, Geographica 14,1,16,10-11: τούτῳ συνεβίωσεν Ἀνακρέων ὁ μελοποιός· καὶ δὴ καὶ πᾶσα ἡ ποίησις πλήρης ἐστὶ τῆς περὶ αὐτοῦ μνήμης. Strabo, Geographica 14,1,30,1-5: Καὶ ἡ Τέως δὲ ἐπὶ χερρονήσῳ ἵδρυται, λιμένα ἔχουσα· ἐνθένδ’ ἐστὶν Ἀνακρέων ὁ μελοποιός, ἐφ’ οὗ Τήιοι τὴν πόλιν ἐκλιπόντες εἰς Ἄβδηρα ἀπῴκησαν, Θρᾳκίαν πόλιν, οὐ φέροντες τὴν τῶν Περσῶν ὕβριν, ἀφ’ οὗ καὶ τοῦτ’ εἴρηται (Frg.505(a)PMG (Frg.180R))· Ἄβδηρα καλὴ Τηίων ἀποικίη. Lukian, Makrobioi 25,12-26,4: καὶ Ἐπίχαρμος δὲ ὁ τῆς κωμῳδίας ποιητὴς καὶ αὐτὸς ἐνενήκοντα καὶ ἑπτὰ ἔτη λέγεται βιῶναι. Ἀνακρέων δὲ ὁ τῶν μελῶν ποιητὴς ἔζησεν ἔτη πέντε καὶ ὀγδοήκοντα, καὶ Στησίχορος δὲ ὁ μελοποιὸς ταὐτά, Σιμωνίδης δὲ ὁ Κεῖος ὑπὲρ τὰ ἐνενήκοντα. Pausanias, Graeciae Descriptio 1,2,3,1-7: συνῆσαν δὲ ἄρα καὶ τότε τοῖς βασιλεῦσι ποιηταὶ καὶ πρότερον ἔτι καὶ Πολυκράτει Σάμου τυραννοῦντι Ἀνακρέων παρῆν καὶ ἐς Συρακούσας πρὸς Ἱέρωνα Αἰσχύλος καὶ Σιμωνίδης ἐστάλησαν· Διονυσίῳ δέ, ὃς ὕστερον ἐτυράννησεν ἐν Σικελίᾳ, Φιλόξενος παρῆν καὶ Ἀντιγόνῳ Μακεδόνων ἄρχοντι Ἀνταγόρας Ῥόδιος καὶ Σολεὺς Ἄρατος. Himerios, Declamationes et orationes 29,24-31: ὁ δὴ γοῦν τῆς Ῥόδου Πολυκράτης ἤρα] μουσικῆς καὶ μελῶν, καὶ τὸν πατέρα ἔπειθε συμπρᾶξαι αὐτῷ πρὸς | τὸν τῆς μουσικῆς ἔρωτα, ὁ δὲ Ἀνακρέοντα τὸν μελοποιὸν μετα]πεμψάμενος δίδωσι τῷ παιδὶ τοῦτον τῆς ἐπιθυμίας διδάσκαλον, | ὑφ’ ᾧ τὴν βασιλικὴν ἀρετὴν ὁ παῖς διὰ τῆς λύρας πονῶν τὴν Ὁμηρι]κὴν ἔμελλε πληρώσειν εὐχὴν τῷ πατρὶ Πολυκράτει, πάντα | κρείσσων ἐσόμενος. So schon Crusius: „Anakreon“, in: RE I,2,2037.

ses aber wieder zurückgegeben habe. Ob die erste Notiz, die Anakreon zugeschrieben wird, auf ein anakreontisches oder ein anacreonteisches Gedicht zurückgeht, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Sowohl in der anakreontischen als auch in der anacreonteischen Dichtung findet sich das Motiv der Ablehnung von Reichtum. Allerdings hat die Ablehnung von Reichtum dort stets damit zu tun, daß Reichtum und Macht in der sympotisch-erotischen Welt, die von der anakreontischen und der anacreonteischen Dichtung entworfen wird, keinen Nutzen und daher auch keine Bedeutung haben. Der Gedanke, daß Anakreon in einem Gedicht ein lyrisches Ich hat auftreten lassen, das Reichtum zurückweist mit der Begründung, dieser bringe ihm nur Sorgen, er aber wolle sich lieber ohne Reichtum sorgenfrei dem Wein und der Liebe hingeben, ist nicht abwegig. Fraglich bleibt, ob die Verbindung mit der historischen Realität durch Nennung von Polykrates auch in einem solchen Gedicht erfolgt wäre, oder ob dies in biographistischer Interpretation hinzugedichtet worden wäre. Daß sich die Begebenheit tatsächlich so zugetragen hat, ist ohnehin sehr unwahrscheinlich, zum einen, weil sie verdächtig gut zur sympotisch-erotischen Welt paßt und zum anderen, weil Anakreon wohl durchaus ohnehin wohlhabend gewesen sein dürfte132. So sind wohl beide Notizen letztlich biographistischer Interpretation oder Zudichtung geschuldet. Auskunft darüber, welche Informationen den Dichtern der Carmina Anacreontea über Anakreons Leben vorlagen, können außer den genannten Stellen auch spätere Quellen geben, sofern wahrscheinlich ist, daß sie sich auf Quellen stützen, die bereits zur Abfassungszeit der Carmina Anacreontea existierten. An solchen späteren Quellen sind die Suda und das Gnomologium Vaticanum zu nennen. Die SUDA (10. Jh.n.Chr.) macht in ihrem Artikel zur Biographie Anakreons133 eingangs verschiedene Angaben, die allerdings teilweise falsch 131

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Stobaios, Anthologium 4,31c,78,1-5: Ἀνακρέοντος. Ἀνακρέων δωρεὰν παρὰ Πολυκράτους λαβὼν πέντε τάλαντα, ὡς ἐφρόντισεν ἐπ’ αὐτοῖς δυοῖν νυκτοῖν, ἀπέδωκεν αὐτὰ εἰπὼν οὐ τιμᾶσθαι αὐτὰ τῆς ἐπ’ αὐτοῖς φροντίδος. Stobaios, Anthologium 4,31c,91,1-4: Ἐκ τῶν Ἀριστοτέλους Χρειῶν. Ἀνακρέων ὁ μελοποιὸς λαβὼν τάλαντον χρυσίου παρὰ Πολυκράτους τοῦ τυράννου, ἀπέδωκεν εἰπὼν ‚μισῶ δωρεάν, ἥ τις ἀναγκάζει ἀγρυπνεῖν’. Anders Searby, Denis Michael: Aristotle in the Greek gnomological tradition, Uppsala 1998, S.154f., der Rosenmeyer S.61 Anm.20 nicht mit Bezug zur poetischen Fiktion versteht. Vgl. zudem unten S.54 Gnomologium Vaticanum. Suda, α,1916,1-8: Τήϊος, λυρικὸς, Σκυθίνου υἱός, οἱ δὲ Εὐμήλου, οἱ δὲ Παρθενίου, οἱ δὲ Ἀριστοκρίτου ἐδόξασαν. ἔγραψεν ἐλεγεῖα καὶ ἰάμβους, Ἰάδι πάντα διαλέκτῳ. γέγονε κατὰ Πολυκράτην τὸν Σάμου τύραννον Ὀλυμπιάδι νβ’· οἱ δὲ ἐπὶ Κύρου καὶ Καμβύσου τάττουσιν αὐτὸν κατὰ τὴν νε’ Ὀλυμπιάδα. ἐκπεσὼν δὲ Τέω διὰ τὴν Ἱστιαίου ἐπανάστασιν ᾤκησεν Ἄβδηρα ἐν Θρᾴκῃ. βίος δὲ ἦν αὐτῷ πρὸς ἔρωτας

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sind, so daß sie keine Verläßlichkeit bietet134. Ebenso ist wohl auch die Nachricht von Anakreons erzwungenem Weggang von Teos nach Abdera falsch135. Was Anakreons Werk anbelangt, so wird vermerkt, er habe Elegien und Iamben auf ionisch geschrieben136 und außerdem Trinklieder und die ‚sogenannten Anakreonteia’. Die Echtheitsfrage der Anacreontea hat sich zur Entstehungszeit der Suda also insofern nicht mehr gestellt, als wohl gemeinhin angenommen wurde, die unter dem Titel ‚Anakreonteia’ firmierende Sammlung stamme tatsächlich von Anakreon selbst. Gestärkt wurde diese Ansicht vermutlich dadurch, daß in der Antike sich niemand zur Echtheit dieser Gedichte geäußert hat, wahrscheinlich, weil bei manchen Gedichten vielleicht tatsächlich angenommen wurde, sie stammten von Anakreon selbst, und weil es umgekehrt wohl vor allem bei den späteren Gedichten zumindest zur Entstehungszeit der Gedichte recht klar gewesen sein dürfte, daß sie nicht von Anakreon stammten. Das GNOMOLOGIUM VATICANUM (14. Jh.n.Chr.)137 berichtet, wohl unter Rückgriff auf Stobaios, Anakreon habe von Polykrates Gold erhalten, dieses jedoch wieder zurückgegeben. Andererseits wird aber auch gesagt138, Anakreon habe einem Freund von seiner Armut geklagt, was zum einen mit der auf Stobaios beruhenden Information nicht in Einklang zu bringen ist, und zum anderen spricht auch die sonstige Wertschätzung, die Anakreon erfuhr139, in keiner Weise dafür, daß er arm war. Wie es zu dieser Notiz kam, ob beispielsweise eine zufällige oder absichtliche Vertauschung des Namens vorliegt140, ist unklar.

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παίδων καὶ γυναικῶν καὶ ᾠδάς. καὶ συνέγραψε παροίνιά τε μέλη καὶ ἰάμβους καὶ τὰ καλούμενα Ἀνακρεόντεια. So Crusius: „Anakreon“, bes. 2035f. Suda, τ,319,1-2: Ἀνακρέων Τήϊος, λυρικός, ὁ μελοποιός, διὰ τὴν Ἱστιαίου ἐπανάστασιν ἐκπεσὼν Τέω ᾤκησεν Ἄβδηρα ἐν Θρᾴκῃ. Hierzu nimmt Crusius: Anakreon 2036 entsprechend Stellung. Ein Bezug auf Anakreons ionische Herkunft findet sich auch in Suda, ι,492,1-2: Ἀσιῶται καὶ Ἀττικοὶ Ἀθηναῖοι. διὰ τοῦ ω μεγάλου. εἴης ἐν μακάρεσσιν, Ἀνάκρεον, εὖχος Ἰώνων. Gnomologium Vaticanum 72,1-3: Ἀνακρέων λαβὼν τάλαντον χρυσίου παρὰ Πολυκράτους τοῦ τυράννου πάλιν ἀνταπέδωκεν εἰπών· „μισῶ δωρεάν, ἥτις ἀναγκάζει με ἀγρυπνεῖν.“. Gnomologium Vaticanum 375,1-3: κρέων ὁ ποιητὴς πρός τινα τῶν φίλων ἀπωδύρετο ἐπὶ τῷ πένης εἶναι εἰπόντος δὲ ἐκείνου· „ποιητὴς ὢν ἐλπίδας ἀγαθὰς ἔχε περὶ σεαυτοῦ“ εἶπεν· „αἱ ἐλπίδες ἐγρηγορότων εἰσὶν ἐνύπνια“. Hier ist beispielsweise an seine Berufung nach Athen, von der Platon in Hipparchus 228c (siehe Anm.120) berichtet, zu denken. Dafür sprächen die im Gnomologium Vaticanum ad locum aufgeführten Vergleichsstellen, in denen ähnliche Aussprüche anderen bekannten Personen zugeschrieben werden, was allerdings noch nicht erklärt, wieso zu diesen auch ausgerechnet Anakreon hinzugenommen wurde.

Zusammenfassung: Diese Zusammenstellung biographischer Zeugnisse zeigt nicht nur, daß über Anakreon als historische Person nur sehr wenig überliefert ist141, sondern daß die Überlieferung auch bereits sehr früh, nämlich noch vor der hellenistischen Zeit, nahezu vollständig auf bestimmte Punkte festgelegt war, vor allem auf seine Herkunft aus Teos, die auch in den übrigen Quellen als ein stehendes Beiwort zu Anakreon mannigfach erwähnt wird, und daß fast alles von dem, was ab dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert über Anakreon gesagt wurde, Erfindung ist, sofern es nicht auf früheren Quellen beruht142. Bezüglich derjenigen biographischen Informationen, die wahrscheinlich nicht auf biographistischer Interpretation anakreontischer Dichtung beruhen, läßt sich somit sicher sagen, daß alle anacreonteischen Dichter, auch wenn der zeitliche Abstand zwischen ihnen mehrere Jahrhunderte beträgt, diesbezüglich etwa denselben Wissensstand hatten und daß dieser sich recht sicher bestimmen läßt, dahingehend, daß über sein Leben außer seiner Herkunft aus Teos und außer dem, was aus seiner Dichtung erschlossen wude, praktisch nichts bekannt war. Zudem ist das Ergebnis auch beispielhaft für die Wahrnehmung anakreontischer Dichtung, die sich, wie die Untersuchung in III.b)2) zeigen wird, ebenfalls zumindest seit den frühesten Zeugnissen und wahrscheinlich sogar seit Anakreons Lebzeiten nicht mehr wesentlich verändert hat. Zu denjenigen Informationen, die aus biographistischer Interpretation stammen143, ist anzumerken, daß diese selbstverständlich der Wirklichkeit entsprechen können, und daß es beispielsweise auch nicht unwahrscheinlich ist, daß Anakreon sich tatsächlich am Hof des Polykrates aufgehalten hat und in Abdera gewesen ist, doch entscheidend ist die Erkenntnis, daß über Anakreon als historische Person so gut wie nichts bekannt ist jenseits dessen, was mit einiger Wahrscheinlichkeit aus seiner Dichtung als tatsächlich historisch erschlossen werden kann, denn dadurch wurde er als Persönlichkeit schon seit frühester Zeit nahezu ausschließlich über seine Dichtung wahrgenommen.

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Für frühere Zusammenstellungen dieser Art sei beispielhaft verwiesen auf Crusius: „Anakreon“, 2035-2040, sowie die Ausführungen zu Anakreon bei Lambin (S.40-48) und Rosenmeyer (S.12-22) und den biographischen Abriß bei Rozokoki (S.13*-14*). So schon Crusius: „Anakreon“, 2037. Einen Sonderfall bilden die pseudoanakreontischen Epigramme 198G und 199G, die einen Aufenthalt Anakreons in Thessalien nahelegen. Diese Information kann wahr sein, sie kann gleichzeitig auf biographistischem Verständnis eines echten, verlorenen Anakreon-Gedichtes beruhen, sie kann auf einer Analogisierung zum Aufenthalt von Simonides in Thessalien beruhen, doch sie ist insgesamt so unsicher, daß es sich hier ebenfalls nicht um eine Information handelt, die als historisch gesichert gelten kann, und sie ist ohnehin, wie auch die anderen biographischen Daten, nicht geeignet, Anakreons Persönlichkeit jenseits seiner Gedichte auch nur annähernd zu erhellen.

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III. b) Werk Daß über Anakreon als historische Person so wenig überliefert ist, dürfte daran liegen, daß er in der Antike oftmals mit seinem Werk identifiziert wurde und völlig hinter ihm zurücktrat, was er selbst dadurch gefördert hat, daß er in seinem Werk ein lyrisches Ich auftreten ließ, das mit ihm identifiziert werden konnte144. Jedes Bild von Anakreons Dichtung implizierte damit aufrgund der biographistischen Lektüre seiner Dichtung ein bestimmtes Bild von Anakreon und umgekehrt, poetische und historische Person wurden als identisch angesehen. Im folgenden wird untersucht, welches allgemeine Bild sich von Anakreons Dichtung und mit dieser auch von ihm selbst aus den Zeugnissen ergibt. Dafür werden alle Zeugnisse bis zum sechsten nachchristlichen Jahrhundert, die sich entweder über Anakreon als Dichterpersönlichkeit äußern oder sich auf seine Dichtung dadurch beziehen, daß sie daraus zitieren, chronologisch aufgelistet und abschließend statistisch zusammengefaßt145. Die späteren Stellen werden lediglich statistisch erfaßt im Hinblick darauf, ob sie der sympotisch-erotischen Dichtung angehören oder nicht. Eine in dieser Weise systematisierte Darstellung der Zeugnisse, wie sie bislang noch nicht durchgeführt wurde, zeigt, welches Bild von Anakreon zu welcher Zeit bei welchen Schriftstellern und in welcher Art von Texten besonders vertreten war, und ermöglicht es somit auch, etwaige Veränderungen dieses Bildes zu erkennen. Das Bild von Anakreons sympotisch-erotischer Dichtung erfährt aufgrund seiner Bedeutung für die anacreonteische Dichtung abschließend eine geschlossene Darstellung. Für diese ist auch zu untersuchen, wie sich die in den sekundären Quellen genannten Grundzüge von Anakreons Dichtung an seinem Werk selbst, soweit es in den überlieferten Fragmenten faßbar ist, konkretisieren lassen. Dabei kommt es nicht auf sämtliche Einzelheiten an, 144

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Zur Konstruktion des lyrischen Ich in der Antike äußert sich ausführlicher Lambin S.37-40, ebenfalls mit dem Ergebnis, daß sich ohne biographistische Interpretation der Gedichte nahezu nichts über den historischen Anakreon aussagen läßt. Auf Stellen, die bereits in der biographischen oder in der metrischen Darstellung Erwähnung fanden, wird, sofern sie von weitergehender Bedeutung sind, verwiesen. Diejenigen Stellen, die nur ein Fragment enthalten oder zu dem Fragment noch eine Information, die unmittelbar in Zusammenhang mit dem Fragment steht oder gar aus ihm erschlossen ist und somit nichts Weiterführendes bringt, werden lediglich genannt mit der Information, ob das Fragment aus dem Bereich der sympotischerotischen, der politischen, der hymnischen, der epigrammatischen oder der Spottdichtung stammt, oder ob es nicht auf eine bestimmte Art von Dichtung festgelegt werden kann. Aufgenommen wurden nur Stellen, an denen Anakreon durch namentliche Nennung oder durch seine Bezeichnung als ‚teischer Dichter’ eindeutig erkennbar ist, weil bei anonymen Nennungen von Fragmenten nicht klar ist, ob demjenigen, der das Fragment zitierte, noch bewußt war, daß es von Anakreon stammte.

sondern auf die Grundzüge der Dichtung, beispielsweise darauf, daß Anakreon eine ambivalente Darstellung von Eros vorgenommen hat, und darauf, mit welchen thematisch-motivischen Mitteln er diese Ambivalenz zum Ausdruck gebracht hat und welche grundsätzlichen Variationsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Darstellungen erkennbar sind. Eine letzte Gruppe von Zeugnissen soll gesondert betrachtet werden, nämlich diejenige, die Anakreons Metrik zum Gegenstand hat. Diese Zeugnisse sollen als erste untersucht werden, weil sie sich mit dem formalen Rahmen von Anakreons Dichtung befassen, bevor dann diejenigen untersucht werden, die sich inhaltlich mit Anakreon und seiner Dichtung beschäftigen. III. b) 1)

Metrik146

In den antiken Zeugnissen werden für die anakreontische Dichtung folgende Metren genannt: α) Der akatalektische iambische Dimeter: In SCHOLIA IN AESCHYLUM147 wird gesagt, er heiße anakreontisches Metrum, weil Anakreon von ihm übermäßigen Gebrauch gemacht habe. Als charakteristisch für Anakreon wird das Metrum noch genannt in SCHOLIA IN AESCHYLUM148, SCHOLIA IN PINDARUM149 und bei HEPHAISTION150.

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Gentili S.112-115 bietet nur eine kleine Zusammenstellung, weil er die anderen Testimonien bei den jeweiligen Fragmenten erwähnt, und er nennt auch nicht die Beurteilungen der Metra wie sie sich beispielsweise bei Hephaistion, Enchiridion 55,4, finden, weshalb hier eine Auflistung erfolgen soll, die sowohl das Ausmaß der Beschäftigung mit den einzelnen Metra als auch die ästhetische Bewertung der einzelnen Metra aufzeigen kann. Auf eine Untersuchung der Metra im Hinblick auf die beiden metrischen Systeme des Alterums (hierzu sei ganz allgemein auf den grundlegenden Aufsatz von Leonhardt, Jürgen: „Die beiden metrischen Systeme des Altertums“, in: Hermes 117, 1989, 43-61, verwiesen) wurde hier verzichtet, weil dies für die Rezeption der Metra durch die Dichter der Carmina Anacreontea nicht von Interesse ist. Die Dichter der CA haben sich, wie sich zeigen wird, ganz einfach derjenigen Metren bedient, die sowohl durch die Gedichte Anakreons als auch in der Beurteilung durch die Grammatiker als typisch für die anakreontische Dichtung galten. Scholia in Prometheum vinctum 159,1-3: τὸ α’ τὸ βτερον καὶ τὸ γ’ ἰαμβικὰ δίμετρα ἀκατάληκτα, ἃ καλεῖται Ἀνακρεόντεια ὡς κατακόρως τούτοις τοῦ ποιητοῦ χρησαμένου. Scholia in Prometheum vinctum 425,12f.: τὸ ζ’ ὅμοιον δίμετρον ἀκατάληκτον, ὃ καλεῖται καὶ αὐτὸ Ἀνακρεόντειον. Scholia in Pindarum (scholia vetera), O 1, schol. metr. 80: τὸ ι’ ἰαμβικὸν δίμετρον Ἀνακρεόντειον. Hephaistion, Enchiridion 16,8-15: Ἔστι δὲ ἐπίσημα ἐν αὐτῷ ἀκατάληκτα μὲν δίμετρα, οἷον τὰ Ἀνακρεόντεια ὅλα ᾄσματα γέγραπται (Frg.46G) ἐρῶ τε δηῦτε κοὐκ ἐρῶ / καὶ μαίνομαι κοὐ μαίνομαι· τρίμετρα δὲ (Frg.52G) ἔστε ξένοισι μειλίχοις ἐοικότες

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β) Der katalektische iambische Dimeter: In SCHOLIA IN AESCHYLUM151 wird gesagt, er werde auch anakreontische Hephthemimeres genannt. Als charakteristisch für Anakreon wird das Metrum auch von HEPHAISTION152 bezeichnet. γ) Der akatalektische iambische Trimeter: HEPHAISTION153. δ) Der katalektische iambische Trimeter: HEPHAISTION154 betont am Beispiel von Frg.25G, Anakreon habe ganze Gedichte in diesem Metrum verfaßt. ε) choriambische Metren: HEPHAISTION155 nennt Frg.83G und Frg.86G als Beispiele für choriambische Metren. ζ) Der akatalektische trochäische Tetrameter: HEPHAISTION156. η) Der akatalektische anaklastische ionische Dimeter a minore: HEPHAISTION157 bezeugt, daß sich dieses Metrum oft bei Anakreon findet; DEMETRIUS Phalereus158 stellt an Frg.38G, einem Beispiel in eben diesem

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τετράμετρον δὲ οἷον τὸ Ἀλκαίου (Frg.374L-P) δέξαι με κωμάζοντα, δέξαι, λίσσομαί σε, λίσσομαι. Scholia in Prometheum vinctum 425,11f.: τὸ ‚2’ ἰαμβικὸν δίμετρον καταληκτικόν, ὃ καλεῖται Ἀνακρεόντειον ἑφθημιμερές. Hephaistion, Enchiridion 16,16-23: Καταληκτικὸν δὲ δίμετρον τὸ καλούμενον Ἀνακρεόντειον οἷον (Frg.49G) ὁ μὲν θέλων μάχεσθαι, / πάρεστι γάρ, μαχέσθω· τρίμετρον δὲ οἷον τὸ Ἀρχιλόχου ὄγμος κακοῦ δὲ γήραος καθαιρεῖ· τετράμετρον δὲ οἷον τὸ Ἱππώνακτος εἴ μοι γένοιτο παρθένος καλή τε καὶ τέρεινα. Hephaistion, Enchiridion 16,8-15: Ἔστι δὲ ἐπίσημα ἐν αὐτῷ ἀκατάληκτα μὲν δίμετρα, οἷον τὰ Ἀνακρεόντεια ὅλα ᾄσματα γέγραπται (Frg.46G) ἐρῶ τε δηῦτε κοὐκ ἐρῶ / καὶ μαίνομαι κοὐ μαίνομαι· τρίμετρα δὲ (Frg.52G) ἔστε ξένοισι μειλίχοις ἐοικότες τετράμετρον δὲ οἷον τὸ Ἀλκαίου (Frg.374L-P) δέξαι με κωμάζοντα, δέξαι, λίσσομαί σε, λίσσομαι. Hephaistion, Enchiridion 39,3-6: Καὶ τῷ βραχυκαταλήκτῳ δὲ Ἀνακρέων ὅλα ᾄσματα συνέθηκεν (Frg.25G) μεγάλῳ δηῦτέ μ’ ἔρως ἔκοψεν ὥστε χαλκεὺς / πελέκει, χειμερίῃ δ’ ἔλουσεν ἐν χαράδρῃ. Hephaistion, Enchiridion 30,6-16: Ἀνακρέων δὲ ἐπετήδευσε τὴν πρώτην συζυγίαν δι’ ὅλου ᾄσματος ἐκ τριβραχέος καὶ ἰάμβου ποιῆσαι, ὡς εἶναι κοινὴν λύσιν τῆς τε χοριαμβικῆς καὶ τῆς ἰαμβικῆς (Frg.83G) ἀναπέτομαι δὴ πρὸς Ὄλυμπον πτερύγεσσι κούφαις. πολὺ δ’ ἐστὶ καὶ τὸ πρὸς τῇ κατάκλειδι τὴν δευτέραν συζυγίαν ἰαμβικὴν ἔχον, οἷόν ἐστι παρὰ μὲν Ἀνακρέοντι (Frg.86G) ἐκ ποταμοῦ ‚πανέρχομαι πάντα φέρουσα λαμπρά, παρὰ δὲ Ἀριστοφάνει ἐν Ἀμφιάρεῳ (30) οἶδα μὲν ἀρχαῖόν τι δρῶν, κοὐχὶ λέληθ’ ἐμαυτόν. Hephaistion, Enchiridion 19,15-20: ὁμοίως δὲ καὶ τὸ τετράμετρον βραχυκατάληκτόν ἐστιν ἐπίσημον, οἷον οὐδ’ Ἀμειψίαν ὁρᾶτε πτωχὸν ὄντ’ ἐφ’ ὑμῖν· καὶ τῶν ἀκαταλήκτων δὲ τὸ τετράμετρόν ἐστιν ἔνδοξον, οἷον τουτὶ τὸ Ἀνακρέοντος (Frg.74G) κλῦθί μευ γέροντος εὐέθειρα χρυσόπεπλε κούρα. Hephaistion, Enchiridion 39,16: Τὸ δὲ ἀκατάληκτον κατὰ τὸν ἀνακλώμενον χαρακτῆρα πολὺ παρὰ τῷ Ἀνακρέοντί ἐστι (Frg.35G) παρὰ δηῦτε Πυθόμανδρον / κατέδυν ἔρωτα φεύγων· τῷ δὲ καθαρῷ ἑφθημιμερεῖ ὅλον ᾆσμα Τιμοκρέων συνέθηκε Σικελὸς κομψὸς ἀνὴρ / ποτὶ τὰν ματέρ’ ἔφα. Demetrius, De elocutione 5: διὰ τοῦτο καὶ ἑξάμετρον ἡρῷόν τε ὀνομάζεται ὑπὸ τοῦ μήκους καὶ πρέπον ἥρωσιν, καὶ οὐκ ἂν τὴν Ὁμήρου Ἰλιάδα πρεπόντως τις γράψει ἐν

Metrum, die besondere Verbindung zwischen Form und Inhalt im Zusammenhang mit der Metrik heraus. Bestimmte Metren eignen sich nur für bestimmte Inhalte, und es wäre beispielsweise keineswegs angemessen, Homers Ilias in im Vergleich zum Hexameter kurzen Versen wie sie von Archilochos und Anakreon verwendet wurden zu schreiben. Das Metrum von Frg.38G sei das eines trunkenen Greises und nicht das eines kämpfenden Helden159. Dadurch, daß Demetrius speziell auch im Bezug auf Anakreons sympotisch-erotische Dichtung eine so enge Verbindung von Metrik und Inhalt herstellt, gibt er indirekt eine mögliche Erklärung dafür, warum die anacreonteischen Dichter sowohl den Inhalt als auch die Metren so konsequent übernommen haben. Als anakreontisches Metrum wird der anaklastische ionische Dimeter auch bezeichnet in SCHOLIA IN AESCHYLUM160. Von ionischem Lied spricht MAXIMOS von Tyros (2. Jh.n.Chr.), Dialexeis 37,5,f7f. (siehe S.79f.). θ) Der akatalektische anaklastische ionische Trimeter: 161 HEPHAISTION . ι) Hexameter / elegisches Distichon: HEPHAISTION162. κ) Der katalektische daktylische Tetrameter: HEPHAISTION163. λ) Der katalektische choriambische Trimeter: HEPHAISTION164.

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τοῖς Ἀρχιλόχου βραχέσιν, οἷον ἀχνυμένη σκυτάλη καὶ τίς σὰς παρήειρε φρένας, οὐδὲ τοῖς Ἀνακρέοντος, †τὸ φέρ’ ὕδωρ, φέρ’ οἶνον, ὦ παῖ (Frg.35G)· μεθύοντος γὰρ ὁ ῥυθμὸς ἀτεχνῶς γέροντος, οὐ μαχομένου ἥρωος. Demetrius, De elocutione 5,13: μεθύοντος γὰρ ὁ ῥυθμὸς ἀτεχνῶς γέροντος, οὐ μαχομένου ἥρωος. Scholia in Aeschylum, Scholia in Prometheum vinctum (scholia vetera) 128a,2f.: μηδὲν φοβηθῇς] Ὁ ῥυθμὸς Ἀνακρεόντειός ἐστι κεκλασμένος πρὸς τὸ θρηνητικόν. Hephaistion, Enchiridion 39,9: Τῶν δὲ τριμέτρων τὸ μὲν ἀκατάληκτον (Frg.134L-P) † ζαελεξάμαν ὄναρ Κυπρογενήᾳ παρὰ τῇ Σαπφοῖ, παρὰ δὲ Ἀνακρέοντι (Frg.29G) ἑτέρως ἐσχημάτισται ἀπό μοι θανεῖν γένοιτ’· οὐ γὰρ ἂν ἄλλη / λύσις ἐκ πόνων γένοιτ’ οὐδαμὰ τῶνδε. Hephaistion, Enchiridion 5,2: καὶ παρ’ Ἀνακρέοντι ἐν ἐλεγείαις (Frg.55G) οὐδέ τί τοι πρὸς θυμόν, ὅμως γε μὲν ὡς ἀδοιάστως· ἐπὶ μὲν γὰρ τῶν τοιούτων (Π 235) σοὶ ναίουσ’ ὑποφῆται ἀνιπτόποδες χαμαιεῦναι καὶ (κ 243) ἔδμεναι, οἷα σύες χαμαιευνάδες αἰὲν ἔδουσιν ἴσως διὰ τὸ φαντασίαν τινὰ παρέχειν τοῦ ἀπηρτίσθαι τὴν λέξιν ἐν τῷ χαμαι, ὡς μία· ἡ χαμαὶ ἀκούεται. Hephaistion, Enchiridion 21,5-20: Ἐπισημότατα δ’ ἐστὶν ἐν αὐτῷ τό τε ἑξάμετρον καταληκτικὸν εἰς δισύλλαβον, τὸ καλούμενον ἔπος, οἷον (Α 1) μῆνιν ἄειδε θεὰ Πηληϊάδεω Ἀχιλῆος, (ἐπὶ γὰρ τῆς ἐσχάτης λέξεως τῆς λείπει ὁ δάκτυλος μιᾷ συλλαβῇ) καὶ τὸ πεντάμετρον καταληκτικὸν εἰς δισύλλαβον, τὸ καλούμενον Σιμίειον, οἷον χαῖρε ἄναξ ἕταρε ζαθέας μάκαρ ἥβας, καὶ τὸ τετράμετρον εἰς δισύλλαβον καταληκτικόν, ᾧ πρῶτος μὲν ἐχρήσατο Ἀρχίλοχος ἐν ἐπῳδοῖς (Frg.195IEG) φαινόμενον κακὸν οἴκαδ’ ἄγεσθαι· ὕστερον δὲ καὶ Ἀνακρέων τούτῳ τῷ μέτρῳ καὶ ὅλα ᾄσματα συνέθηκεν (Frg.112G) ἁδύμελες χαρίεσσα χελιδοῖ καὶ (Frg.113G) μνᾶται δηῦτε φαλακρὸς Ἄλεξις.

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μ) Zusammengesetzte Metren: HEPHAISTION Enchiridion 50-51165; 54 ; 55167; SCHOLIA IN ARISTOPHANEM168; SCHOLIA IN PINDARUM169. ν) Sonstige Metren: HEPHAISTION, Enchiridion 3170 zitiert Anakreon Frg.1G, V.4, einen Glykoneus. 166

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Hephaistion, Enchiridion 30,1-5: τρίμετρα δὲ οἷον τὸ Ἀνακρέοντος (Frg.109G) δακρυόεσσάν τ’ ἐφίλησεν αἰχμάν· τετράμετρα δέ, ἃ καὶ συνεχέστερά ἐστιν, οἷα ταυτὶ τὰ Σαπφοῦς (Frg.128L-P) δεῦτέ νυν ἁβραὶ Χάριτες καλλίκομοί τε Μοῖσαι. Hephaistion, Enchiridion 50,18-51,2: Ἔνδοξόν ἐστι ἐπισύνθετον καὶ τὸ διπενθημιμερὲς τὸ καλούμενον, ὅπερ ἐστὶν ᾧ κέχρηται μὲν καὶ Ἀλκαῖος ἐν ᾄσματι (Frg.383L-P), οὗ ἡ ἀρχή Ἦ ῥ’ ἔτι Διννομένῃ τῶ Τυρρακῄω / τἄρμενα λαμπρὰ κέοντ’ ἐν Μυρσινῄω, κέχρηται δὲ καὶ Ἀνακρέων ἐν πλείοσιν ᾄσμασιν (Frg.97G) Ὀρσόλοπος μὲν Ἄρης φιλέει μεναιχμάν. Hephaistion, Enchiridion 53,12-54,10: Ἄλλο ἀσυνάρτητον ὁμοίως κατὰ τὴν πρώτην ἀντιπάθειαν, ὅπερ ἐὰν παραλλάξῃ τὴν τομήν, γίνεται τροχαϊκὸν προκαταληκτικόν, ἔστι μοι καλὰ πάϊς χρυσέοισιν ἀνθέμοισιν ἐμφερῆ ἔχοισα μορφάν, Κλεηὶς ἀγαπατά, / ἀντὶ τᾶς ἐγὼ οὐδὲ Λυδίαν πᾶσαν οὐδ’ ἐραννάν τούτων δὲ τὸ μὲν δεύτερον δῆλόν ἐστιν ἀπὸ τῆς τομῆς ὅτι οὕτως σύγκειται ὡς προείρηται, ἐκ τοῦ τροχαϊκοῦ διμέτρου ἀκαταλήκτου καὶ τοῦ ἑφθημιμεροῦς ἰαμβικοῦ, τὸ δὲ πρῶτον, διὰ τὸ πρὸ συλλαβῆς ἔχειν τὴν τομήν, ἐγένετο προκαταληκτικόν, ἐκ τροχαϊκοῦ ἑφθημιμεροῦς, ἔστι μοι καλὰ πάϊς, καὶ διμέτρου ἀκαταλήκτου τοῦ χρυσέοισιν ἀνθέμοισιν· τὸ δὲ τρίτον ἐξ ὑπερκαταλήκτου, ἀντὶ τᾶς ἐγὼ οὐδὲ Λυδίαν καὶ βραχυκαταλήκτου, πᾶσαν οὐδ’ ἐραννάν. Ἀνακρέων δὲ οὐκ ἰαμβικῷ ἀλλὰ πρὸς τὰς ἰαμβικὰς ἐπήγαγε (Frg.89G) τὸν λυροποιὸν ἠρόμην Στράττιν εἰ κομήσει. Hephaistion, Enchiridion 54,24-55,6: Εὔπολις δὲ ἐν τοῖς Ἀστρατεύτοις καὶ ἀτακτοτάτως συνέθηκε τὸ εἶδος· πῆ μὲν γὰρ τοιαῦτα ποιεῖ ἄνδρες ἑταῖροι, δεῦρ’ ἤδη τὴν γνώμην προσίσχετε, εἰ δυνατόν, καὶ μή τι μεῖζον πράττουσα τυγχάνει, πῆ δὲ τοιαῦτα (Eup. 38) καὶ ξυνεγιγόμην ἀεὶ τοῖς ἀγαθοῖς φάγροισιν, ὥσθ’ ὅλον αὐτὸ χοριαμβικὸν ἐπίμικτον γενέσθαι, ὅμοιον Ἀνακρεοντείῳ τῷδε (Frg.88G) Σίμαλον εἶδον ἐν χορῷ πηκτίδ’ ἔχοντα καλήν, πῆ δὲ καὶ ἄλλοις ἐχρήσατο λίαν ἀτάκτοις σχήμασι. Scholia in Aristophanem, Scholia in aves (scholia vetera), 1372,1-14: ἀναπέτομαι δὴ: [[Ἡ ἀμοιβαία αὕτη περίοδος προῳδῷ χοροῦ ἔοικε, κώλων καὶ στίχων οὖσα ἀναπαιστικῶν καὶ ἰαμβικῶν ι’, ἐπιμεμιγμένων τετραβράχεσιν. ὧν τὸ α’ ἀναπαιστικὸν πενθημιμερὲς τοῦ α’ ποδὸς τετραβράχεος. τὸ β’ δίμετρον καταληκτικὸν εἰς δισύλλαβον. τὸ τρίτον δίμετρον βραχυκατάληκτον. οἱ δ’, ζ’, η’ ἰαμβικοὶ τρίμετροι ἀκατάληκτοι. τὸ ε’ ἀναπαιστικὴ βάσις καταληκτικὴ εἰς δισύλλαβον. τὸ ‚2’ ὅμοιον τῷ γ’ τὸ θ’ ἰαμβικὸν δίμετρον ἀκατάληκτον. τὸ ι’ ἀναπαιστικὸν πενθημιμερές.]] (ταῦτα παρὰ τὰ Ἀνακρέοντος (Frg.83G) ‚ἀναπέτομαι δὴ πρὸς Ὄλυμπον πτερύγεσσι κούφαις διὰ τὸν ἔρωτ’· οὐ γὰρ ἐμοὶ παῖς ἐθέλει συνηβᾶν.’ διὸ καὶ τὸ χ ἔχουσι οἱ δύο στίχοι.) Κινησίας διθυραμβοποιός. Scholia metrica vetera in Pindari carmina, N 7: τὸ ζ’ Ἀνακρεόντειον ἐκ διπλοῦ πενθημιμεροῦς καὶ συλλαβῆς καταληκτικόν. Gentili S.115 deutet das Metrum richtig als ein doppeltes reizianeum. Hephaistion, Enchiridion 3,18-19: ἐν δὲ ἀντισπαστικῷ Ἀνακρέοντος (Frg.1G) ἥ κου νῦν ἐπὶ Ληθαίου·.

Aufgrund ihrer späten Datierung wurden folgende Erwähnungen in der obigen Aufstellung und in der Auswertung nicht berücksichtigt, sollen aber doch der Vollständigkeit wegen erwähnt werden: Zum akatalektischen iambischen Dimeter: SCHOLIA IN ARISTOPHANEM Scholia in equites 441c171; Scholia in equites 756b172; Scholia in nubes ThTr 1085c173; Scholia in vespas 863174; Scholia in pacem 582b.α175; Scholia in plutum 253b176; Scholia in plutum 302-308a.α177; SCHOLIA RECENTIA IN PINDARUM178. Die dort zu findende Charakterisierung des Metrums als typisch für Anakreon dürfte auf der entsprechenden Notiz bei Hephaistion beruhen. Zum katalektischen iambischen Dimeter: SCHOLIA IN ARISTOPHANEM Scholia in equites 441c179; Scholia in nubes 563a180; Scho171

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Scholia in equites 441c: (ad vv. 441-60) ἔκθεσις τῆς διπλῆς ἐκ κώλων ἰαμβικῶν ι’2’. ὧν τὸ πρῶτον δίμετρον ἀκατάληκτον, ὁ δεύτερος τρίμετρος στίχος ἀκατάληκτος, τὰ ἑξῆς ιβ’ δίμετρα ἀκατάληκτα Ἀνακρεόντεια, τὸ πεντεκαιδέκατον μονόμετρον ἀκατάληκτον, ὃ καὶ παρατέλευτον ὀνομάζεται, τὸ δὲ ἑξκαιδέκατον τὸ δίμετρον καταληκτικὸν ἤτοι ἑφθημιμερές, ὃ καλεῖται Ἀνακρεόντειον, ὡς εἴρηται. ἑξῆς δὲ τούτων στίχοι ἰαμβικοὶ τετράμετροι καταληκτικοὶ δ’, ἐν ἐπῳδοῦ τάξει κείμενοι. ἐπὶ τῷ τέλει τῆς μὲν ἐκθέσεως δύο διπλαῖ, ἡ μὲν ἐν ἀρχῇ, ἡ δὲ κατὰ τὸ τέλος, τοῦ δὲ συστήματος κορωνίς. Scholia in equites 756b1-5: κορωνὶς καὶ εἴσθεσις χοροῦ, ἐπῳδικὴ μὲν διὰ τὸ μετὰ τὴν κορωνίδα κεῖσθαι, μεσῳδικὴ δὲ διὰ τὸ ἑξῆς εἰσάγεσθαι ἑτέραν διπλῆν, ἐκ στίχων ε’. ὧν οἱ μὲν γ’ ἀσυνάρτητοι ἐξ ἰαμβικοῦ διμέτρου ἀκαταλήκτου τοῦ καλουμένου Ἀνακρεοντείου καὶ τροχαϊκοῦ ἰθυφαλλικοῦ τοῦ καλουμένου Ἀρχιλοχείου. καλεῖται δὲ τὰ τοιαῦτα ἀσυνάρτητα Εὐριπίδεια. Scholia in nubes Thomas-Triclinius 1085c1-4: ἔκθεσις τῆς διπλῆς ἀμοιβαία, ἧς προτίθενται στίχοι ἰαμβικοὶ τρίμετροι ἀκατάληκτοι δ’· τὰ δὲ λοιπὰ κῶλά εἰσιν ἰαμβικὰ ιη’, ὧν τὸ α’ δίμετρον ἀκατάληκτον, ὃ καλεῖται ἀνακρεόντειον διὰ τὸ πολλῷ αὐτῷ χρήσασθαι τὸν Ἀνακρέοντα·. Scholia in vespas 863,14-17: τὸ β’ [ἰαμβικὸν δίμετρον καταληκτικὸν ἤτοι Lh ἑφθημιμερές [, ὃ καλεῖται, ὡς εἴρηται, ἀνακρεόντειον Lh· τὸ γ’ καὶ δ’ καὶ ε’ ἰαμβικὰ Lh τὰ ἑξῆς τρία Ald δίμετρα ἀκατάληκτα [· καλεῖται δὲ καὶ ταῦτα ἀνακρεόντεια, ὡς εἴρηται Lh. Scholia in pacem 582b.α.14-16: τὸ ι’ ἰαμβικὸν δίμετρον ἀκατάληκτον ἀνακρεόντειον. Scholia in plutum 253b.1-5: καλεῖται τοῦτο τὸ τετράμετρον Ἱππωνάκτειον, διὰ τὸ κατακόρως αὐτὸν τούτῳ χρήσασθαι. οἷόν ἐστι καὶ τὸ «εἰ μὴ γένοιτο παρθένος καλή τε καὶ τέρεινα» τὸ δὲ δίμετρον Ἀνακρεόντειον, οἷόν ἐστι τὸ, ‚καὶ μαίνομαι κοὐ μαίνομαι.’ (Frg.46G) ἐφ’ ἑκάστῳ συστήματι παράγραφος. Scholia in Plutum 302-308a.α.,6-8: τὸ γ’ δίμετρον ἀκατάληκτον, ὃ καλεῖται Ἀνακρεόντειον. Scholia recentia in Olympia I,49,3f.: Τὸ ι’ ἰαμβικὸν δίμετρον ἀκατάληκτον, ὃ καλεῖται Ἀνακρεόντειον. Siehe Anm.171. Scholia in nubes (scholia vetera), 563a: E: διπλῆ καὶ εἴσθεσις εἰς συζυγίαν ἐπιρρηματικήν. ἡ περίοδος δέ ἐστι κώλων ιγ’, αἱ δὲ

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lia in nubes ThTr 1105b181; Scholia in nubes ThTr 1353b182; Scholia in vespas 863183; Scholia in pacem 775e.α184; Scholia in aves 1313185; Scholia in ranas 384-393c186; Scholia in plutum 302-308b187. Diese Stellen dürften ebenso wie die zum akatalektischen iambischen Dimeter auf Hephaistion beruhen. Der katalektische ionische Dimeter a maiore wird in SCHOLIA IN ARISTOPHANEM188 als anakreontische Hephthemimeres bezeichnet, so wie an anderen Stellen der katalektische iambische Dimeter, s.d. Insgesamt läßt sich für die metrische Überlieferung also festhalten, daß gemäß der Testimonien vor allem der akatalektische iambische Dimeter und der katalektische iambische Dimeter als typisch für Anakreons Metrik angesehen wurden189. Auch ionische Metra, vor allem solche mit Anaklasis, sind

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ἐπιρρηματικαὶ στίχων κ’ τροχαϊκῶν τετραμέτρων καταληκτικῶν ἐν ἐκθέσει. τῶν ιγ’ τὰ μὲν τρία χοριαμβικὰ ἐπιμεμιγμένα ταῖς ἰαμβικαῖς δίμετρα, ἀκατάληκτα τὰ β’, τὸ δὲ γ’ καταληκτικὸν ἰαμβικόν. τὸ δὲ δ’ ὅμοιον τοῖς πρώτοις χοριαμβικὸν δίμετρον ἀκατάληκτον, τὸ ε’ χοριαμβικὸν καθαρόν, τὸ ‚2’ ἐπίμικτον τρίμετρον κατὰ μέσην ἔχον τὴν χοριαμβικήν· ERsNp τὰ δὲ γ’ ταῦτα συναγόμενα ποιεῖ δύο ὅμοια τοῖς Ἀνακρέοντος τριμέτροις· ἀντὶ τοῦ τετράμετρον καταληκτικόν. Scholia in nubes Thomas-Triclinius 1105b.2f.: ἐν ἐκθέσει δὲ κῶλα β’ ἰαμβικὰ δίμετρα καταληκτικὰ ἤτοι ἑφθημιμερῆ, ἃ καλεῖται, ὡς εἴρηται, ἀνακρεόντεια. Scholia in nubes Thomas-Triclinius 1353b.4f.: ἐν ἐκθέσει δὲ κῶλα ε’ ἰαμβικά, ὧν τὰ δ’ δίμετρα ἀκατάληκτα, τὸ δὲ ε’ ἑφθημιμερές, ὃ καλεῖται, ὡς εἴρηται, ἀνακρεόντειον. Siehe Anm.174. Scholia in pacem 775e.α.26-28: τὸ κβ’ ἰαμβικὸν δίμετρον καταληκτικὸν ἤτοι ἑφθημιμερὲς ἀνακρεόντειον. Scholia in aves 1313,6: τὸ β’ ἰαμβικὸν δίμετρον καταληκτικὸν, ἤτοι ἑφθημιμερὲς, ὃ καλεῖται Ἀνακρεόντειον. Scholia in ranas 384-393c,1-3: : εἴσθεσις ἑτέρα, μέλους μονοστροφικοῦ, ἐκ κώλων ἰαμβικῶν ι’, ὧν τὸ ε’ καὶ τὸ ι’ ἑφθημιμερῆ, ἃ καλεῖται Ἀνακρεόντεια, ὣς εἴρηται. Scholia in plutum 302-308b.5-10: ὁ δὲ ἕβδομος δίμετρος καταληκτικός· ὡς ἐκεῖνα τοῦ Ἀνακρέοντος ὁ μὲν θέλων μάχεσθαι, / πάρεστι γὰρ, μαχέσθω (Frg.49G). ἑφθημιμερῆ δὲ τὰ τοιαῦτα καλεῖται, ὡς τρεῖς ἔχοντα πόδας καὶ συλλαβήν. Scholia in equites 1111b.1-6: κορωνὶς καὶ ἐν εἰσθέσει μέλος τετράστροφον ἀμοιβαῖον περιόδων δ’ ἐναλλὰξ τοῦ χοροῦ καὶ τοῦ ὑποκριτοῦ. δεκάκωλοι δέ εἰσιν αἱ περίοδοι, τὸ δὲ μέτρον Ἰωνικὸν ἀπὸ μείζονος, ὧν τὰ μέν ἐστι δίμετρα καταληκτικὰ ἤτοι ἑφθημιμερῆ οἷς καὶ Ἀνακρέων ἐχρήσατο, τὰ δὲ ἡμιόλια ἤτοι δίμετρα βραχυκατάληκτα, τὸ τέταρτον καὶ δέκατον ἑκάστης στροφῆς. Wenn West für das häufige Erscheinen dieses Metrums in den Carmina Anacreontea die metrischen Vorlieben der Kaiserzeit verantwortlich macht, so ist dies also zumindest fragwürdig (West, Martin Litchfield: Greek Metre, Oxford 1982, dort S.166). In den überlieferten Anakreon-Fragmenten hat er zumeist die Funktion eines Klauselverses (z.B. Frg.82G) und somit nicht die Bedeutung, die die Testimonien ihm zuweisen, doch dürfte zumindest für die Autoren der Carmina Anacreontea die tatsächliche oder, auf Grundlage der Testimonien, zumindest vermeintliche Rezeption Anakreons hier doch wichtiger gewesen sein als zeitgenössische Vorlieben.

noch häufiger genannt als die übrigen, wobei besonders die anaklastischen stark iambischen Charakter haben. Die Erklärung dafür, daß der akatalektische anaklastische ionische Dimeter in den Testimonien nur zweimal vertreten ist, in den Carmina Anacreontea aber häufig Verwendung findet, liefern die entsprechenden Testimonien selbst. Hephaistion sagt, das Metrum finde sich oft in der anakreontischen Dichtung, und Demetrios erklärt, es sei für sympotische Dichtung überaus geeignet, so daß es geradezu prädestiniert dazu war, von den anacreonteischen Dichtern übernommen zu werden. Die übrigen Metra sind in den Testimonien nur schwach vertreten, nicht allerdings in Anakreons Dichtung selbst, wie sich aus den Fragmenten entnehmen läßt190. Zudem finden sich bei Anakreon noch weitaus mehr äolische Metra, die allerdings in den Testimonien kaum belegt sind. Zusammengesetzte Metren finden sich des öfteren in den überlieferten Fragmenten Anakreons, in anacreonteischer Dichtung finden sie allerdings nur einmal, in CA 20, Verwendung, was daran liegen dürfte, daß sie nicht als typisch genug für Anakreons sympotisch-erotische Dichtung angesehen wurden, weil sie in der allgemeinen Wahrnehmung zu stark mit der äolischen Dichtung und damit zu wenig mit der ionischen sympotisch-erotischen verbunden waren. Worüber sich nur spekulieren läßt, ist die Frage, warum der akatalektische iambische Dimeter in den Carmina Anacreontea wesentlich seltener erscheint als es seine Nennungen in den Testimonien auf den ersten Blick erwarten ließen. Ein Grund mag sein, daß die stichische Verwendung der akatalektischen Variante bei Anakreon selten ist (nur Frg.46G, vgl. auch Frg.48G) und sie sich oft in Verbindung mit anderen Metren findet, wohingegen die katalektische Variante meist stichisch vorkommt (Frg.49G und Frg.50G, vgl. Frg.25G). Bei stichischer Verwendung sind die Versenden klarer erkennbar, was für die anacreonteischen Gedichte von Nutzen ist, zumal wenn, wie bei den späten Anacreontea, das prosodische Gefühl im Schwinden begriffen ist. Relevant für diese Untersuchung ist letztlich jedoch hauptsächlich die Frage, ob die Vernachlässigung der akatalektischen Variante einer bewußten metrischen Veränderung und damit einer Abgrenzung gegenüber dem anakreontischen Corpus dienen sollte. Hierfür findet sich allerdings kein Hinweis in den anacreonteischen Gedichten, wie die eingehende Untersuchung der Gedichte zeigen wird191. Die anacreonteischen Dichter lassen in ihren Gedichten nicht die Absicht erkennen, daß sie sich von Anakreon in irgendeiner Weise distanzieren wollten. Die von ihnen gewählten Metra sind hauptsächlich der katalektische iambische Dimeter und der anaklastische ionische Dimeter, und auch die Abwandlungen der beiden Metra durch veränderte Anordnung der Längen und Kürzen scheint dort, 190

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Hierfür sei verwiesen auf den conspectus metrorum in der Ausgabe von Gentili S.108-111. Siehe Kap. IV.

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wo sie nicht nur auf mangelnden prosodischen Kenntnissen der Autoren beruht, sondern bewußt eingesetzt wird192, als durch den Abwechslungsreichtum des anakreontischen Vers- und Strophenbaus legitimiert angesehen worden zu sein. Im Wesentlichen deckt sich also, wie sich in der Betrachtung der Testimonien gezeigt hat, die Auswahl der Metren für die Carmina Anacreontea mit denjenigen Metren, die schon vor der Entstehung der Carmina Anacreontea als die für Anakreon bedeutsamsten angesehen wurden bzw., wenn man davon ausgeht, daß die frühesten anacreonteischen Gedichte vor den Testimonien entstanden sind, mit denjenigen Metren, die unabhängig von den Anacreontea als diejenigen angesehen wurden, die am stärksten mit der anakreontischen Dichtung verbunden waren193. III. b) 2)

Dichtung

Diejenige Dichtung, auf die die Dichter der Carmina Anacreontea Bezug nehmen, ist die sympotisch-erotische Dichtung Anakreons. Dieser Bezug wurde als eine Beschränkung angesehen194 in der Annahme, es handele sich dabei um eine hellenistische Reduktion Anakreons auf diesen Teil seines Werkes, welche die Dichter der Carmina Anacreontea noch verstärkt hätten. Um diese These zu hinterfragen, werden im folgenden sowohl diejenigen Quellen, die sich mit der sympotisch-erotischen, als auch diejenigen, die sich mit der übrigen Dichtung Anakreons befassen, daraufhin untersucht, wie stark Anakreon als Dichter von den einzelnen Schriftstellern mit den jeweiligen Teilen seines Werkes verbunden wurde und wie sich diese Verbindung im Lauf der Jahrhunderte gewandelt hat, bevor dann aus den Fragmenten zur Ergänzung einzelne Züge des Programmes seiner sympotisch-erotischen Dichtung herausgearbeitet werden. Nicht aufgenommen in die Übersicht sind alle nach dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert entstandenen Quellen sowie diejenigen Quellen, die sich zeitlich nicht genau festlegen lassen. III. b) 2) A) Die Zeugnisse Das früheste Zeugnis über Anakreons Dichtung stammt von KRITIAS (5. Jh.v.Chr.)195, und es zeigt Anakreon als süßen, zarten, weinliebenden sympo192 193

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So beispielsweise zur Abgrenzung von Strophen in CA 42. Nähere Ausführungen zu bestimmten Metren und zu metrischen Besonderheiten in den Anacreontea finden sich in den Ausführungen zu den einzelnen Gedichten in Kap. IV. So unter anderem von Rosenmeyer, siehe Anm.114. Kritias, D-K 88B1: [Eros] ὃν ὁ σοφὸς ὑμνῶν αἰεί ποτε Ἀνακρέων πᾶσίν ἐστιν διὰ στόματος. λέγει οὖν περὶ αὐτοῦ καὶ ὁ κράτιστος Κριτίας τάδε· . Hellanikos, FGrHist 1a,4,F,85a,1-4: ὅτι δὲ καὶ Τέρπανδρος ἀρχαιότερος Ἀνακρέοντος δῆλον ἐκ τούτων· τὰ Κάρνεια πρῶτος πάντων Τέρπανδρος νικᾶι, ὡς Ἑλλάνικος ἱστορεῖ ἔν τε τοῖς ἐμμέτροις Καρνεονίκαις κἀν τοῖς καταλογάδην. Über Einzelheiten des Festes ist auch wenig Gesichertes bekannt, siehe Kern: „Karneia“, in: RE X,2,1986-1989. Platon, Phaidros 235c2-4: Νῦν μὲν οὕτως οὐκ ἔχω εἰπεῖν· δῆλον δὲ ὅτι τινῶν ἀκήκοα, ἤ που Σαπφοῦς τῆς καλῆς ἢ Ἀνακρέοντος τοῦ σοφοῦ ἢ καὶ συγγραφέων τινῶν. Diesen Begriff hier als ‚in Liebesdingen kundig und verständig’ aufzufassen wird etwa durch Anakreon Frg.78G,2 nahegelegt, und auch Athenaios (Deipnosophistai 13,74 (600d)) dürfte, wohl aufgrund seiner Kenntnis von Anakreons Werk, die Stelle so verstanden haben. Zweifelhaft angesichts von Anakreons Dichtung ist jedoch Rosenmeyers Interpretation der Stelle. Sie äußert im Rahmen einer Interpretation der Kopenhagener Anakreon-Statue die Ansicht, Anakreon sei auch hier bei Platon dargestellt als „a wise man, divinely inspired more by poetry than wine, uplifted by a „spiritual“ eros“ (Rosenmeyer S.34). Zu Rosenmeyers fragwürdiger Interpretation der Statue siehe Kap. III.d). Platon, Theages 125d10-11: Ταῦτ’ ἐστὶν ἅπερ ἔφη Ἀνακρέων τὴν Καλλικρίτην ἐπίστασθαι· ἢ οὐκ οἶσθα τὸ ᾆσμα;. Platon, Charmides 157e4-158a1: ἥ τε γὰρ πατρῴα ὑμῖν οἰκία, ἡ Κριτίου τοῦ Δρωπίδου, καὶ ὑπὸ Ἀνακρέοντος καὶ ὑπὸ Σόλωνος καὶ ὑπ’ ἄλλων πολλῶν ποιητῶν ἐγκεκωμιασμένη παραδέδοται ἡμῖν, ὡς διαφέρουσα κάλλει τε καὶ ἀρετῇ καὶ τῇ ἄλλῃ λεγομένῃ εὐδαιμονίᾳ. Aristoteles, Ἀθηναίων πολιτεία 18,1,1-18,2,9: Ἦσαν δὲ κύριοι μὲν τῶν πραγμάτων διὰ τὰ ἀξιώματα καὶ διὰ τὰς ἡλικίας Ἵππαρχος καὶ Ἱππίας, πρεσβύτερος δὲ ὢν ὁ Ἱππίας καὶ τῇ φύσει πολιτικὸς καὶ ἔμφρων ἐπεστάται τῆς ἀρχῆς. ὁ δὲ Ἵππαρχος παιδιώδης καὶ ἐρωτικὸς καὶ φιλόμουσος ἦν, (καὶ τοὺς περὶ Ἀνακρέοντα καὶ Σιμωνίδην καὶ τοὺς ἄλλους ποιητὰς οὗτος ἦν ὁ μεταπεμπόμενος), Θέτταλος δὲ νεώτερος πολὺ καὶ τῷ βίῳ

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Anakreon und Simonides nach Athen geholt habe, womit diese einzige Erwähnung Anakreons bei Aristoteles Anakreon ausschließlich als sympotisch-erotischen Dichter zeigt203. ARISTOXENOS (4. Jh.v.Chr.)204 berichtet, Sappho, die älter sei als Anakreon, habe als erste von der Pektis Gebrauch gemacht. Die Verbindung Anakreons mit Sappho und die Nennung der Pektis, eines Saiteninstrumentes, das wohl zur Begleitung eines Gedichtvortrages verwendet werden konnte205, lassen darauf schließen, daß die beiden Dichter aufgrund ihrer erotischen Dichtung zusammen genannt werden. EPHOROS (4. Jh.v.Chr.) nennt Anakreon zusammen mit Sappho und Simonides als Lieddichter206. Es fällt die anscheinend bereits in dieser Zeit hergestellte Nähe zu Sappho auf, die wahrscheinlich auf der erotischen Dichtung Anakreons beruhte. Außerdem nimmt Ephoros auf Anakreon Frg.8G Bezug207, welches der erotisch motivierten Spottdichtung zuzurechnen ist. HERAKLEIDES PONTIKOS (4. Jh.v.Chr.)208 handelt, ebenso wie Ephoros (s.o.), von Anakreons Angriffen gegen Artemon. Die betreffende Stelle zeigt, daß es wohl mehrere Gedichte von Anakreon über jenen Artemon gab. Geblieben ist von ihnen jedoch nur die Wendung des περιφόρητος Ἀρτέμων (Frg.8G) und die zwölf Verse von Frg.82G.

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θρασὺς καὶ ὑβριστής, ἀφ’ οὗ καὶ συνέβη τὴν ἀρχὴν αὐτοῖς γενέσθαι πάντων τῶν κακῶν. ἐρασθεὶς γὰρ τοῦ Ἁρμοδίου καὶ διαμαρτάνων τῆς πρὸς αὐτὸν φιλίας, οὐ κατεῖχε τὴν ὀργήν, ἀλλ’ ἔν τε τοῖς ἄλλοις ἐνεσημαίνετο πικρῶς, καὶ τὸ τελευταῖον μέλλουσαν αὐτοῦ τὴν ἀδελφὴν κανηφορεῖν Παναθηναίοις ἐκώλυσεν, λοιδορήσας τι τὸν Ἁρμόδιον ὡς μαλακὸν ὄντα, ὅθεν συνέβη παροξυνθέντα τὸν Ἁρμόδιον καὶ τὸν Ἀριστογείτονα πράττειν τὴν πρᾶξιν μετεχόντων πολλῶν. Vgl. auch Platon, Hipparchos 228b, siehe Anm.120. Aristoxenos, Frg.98,2-4: καὶ τὴν Σαπφὼ δέ φησιν οὗτος, ἥτις ἐστὶν Ἀνακρέοντος πρεσβυτέρα, πρώτην χρήσασθαι τῇ πηκτίδι. Über Gestalt und Gebrauch der Pektis ist nur wenig bekannt, so Abert: „Saiteninstrumente“, in: RE IA,2,1764, Z.54ff. Ephoros, FGrHist 2a,70,T,24b,2-6: ἐποποιῶν μὲν οὖν ἔμοιγε κάλλιστα τουτονὶ δοκεῖ τὸν χαρακτῆρα (sc. τὴν γλαφυρὰν σύνθεσιν) ἐξεργάσασθαι Ἡσίοδος· μελοποιῶν δὲ Σαπφὼ καὶ μετ’ αὐτὴν Ἀνακρέων τε καὶ Σιμωνίδης· τραγωιδοποιῶν δὲ μόνος Εὐριπίδης· συγγραφέων δὲ ἀκριβῶς μὲν οὐδείς, μᾶλλον δὲ τῶν πολλῶν Ἔφορός τε καὶ Θεόπομπος· ῥητόρων δὲ Ἰσοκράτης. Aus: Dionysios von Halikarnaß, De comparatione verborum 23. Ephoros, FGrHist 2a,70,F,194,1-7: Ἔφορος δὲ καὶ μηχαναῖς χρήσασθαι τὸν Περικλέα, τὴν καινότητα θαυμάσαντα, Ἀρτέμωνος τοῦ μηχανικοῦ παρόντος, ὃν χωλὸν ὄντα καὶ φορείωι πρὸς τὰ κατεπείγοντα τῶν ἔργων προσκομιζόμενον ὀνομασθῆναι περιφόρητον. Aus: Plutarch, Perikles 27. Herakleides Pontikus Frg.60,4-7: τοῦτο μὲν οὖν Ἡρακλείδης ὁ Ποντικὸς ἐλέγχει τοῖς Ἀνακρέοντος ποιήμασιν, ἐν οἷς ὁ περιφόρητος Ἀρτέμων ὀνομάζεται πολλαῖς ἔμπροσθεν ἡλικίαις τοῦ περὶ Σάμον πολέμου καὶ τῶν πραγμάτων ἐκείνων. Aus: Plutarch, Perikles 27.

CHAMAILEON (4./3. Jh.v.Chr.) zieht in Frg.26209 und Frg.36210 Anakreon-Gedichte als grammatische Belege heran, wobei auffällig ist, daß es sich, obgleich er die Stellen nach rein grammatikalischen Gesichtspunkten ausgewählt hat, um sympotisch-erotische Gedichte handelt. KLEARCHOS (4./3. Jh.v.Chr)211 bezieht sich auf Anakreons erotische Dichtung. HERMESIANAX (4./3. Jh.v.Chr.): Frg.7212 nennt Anakreon als teischen Dichter und berichtet von einem Wettstreit zwischen Anakreon und wahrscheinlich Sappho, wie aus der Nennung von Lesbos zu folgern ist. Der Bezugspunkt ist daher wohl die erotische Dichtung beider. CHRYSIPPOS (3. Jh.v.Chr)213 zitiert Anakreon Frg.9G, welches, sofern die Verse tatsächlich auf Polykrates zu beziehen sind214, der politischen Dichtung zuzurechnen ist. NEANTHES (3. Jh.v.Chr)215 nennt Anakreon als Erfinder des Barbitos, womit er sich auf Anakreon als sympotischen Dichter bezieht.

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Chamaileon Frg.26,1-4: ἐν τούτοις ὁ Ἑρμεσιάναξ σφάλλεται συγχρονεῖν οἰόμενος Σαπφὼ καὶ Ἀνακρέοντα, τὸν μὲν κατὰ Κῦρον καὶ Πολυκράτην γενόμενον, τὴν δὲ κατ’ Ἀλυάττην τὸν Κροίσου πατέρα. Χαμαιλέων δ’ ἐν τῷ περὶ Σαπφοῦς καὶ λέγειν τινάς φησιν εἰς αὐτὴν πεποιῆσθαι ὑπὸ Ἀνακρέοντος τάδε· (Frg.13G). Aus: Athenaios, Deipnosophistai 13,72 (599c). Chamaileon Frg.36,1-9: Χαμαιλέων δ’ ὁ Ποντικὸς ἐν τῷ περὶ Ἀνακρέοντος προθεὶς τὸ ξανθῇ δ’ Εὐρυπύλῃ μέλει ὁ περιφόρητος Ἀρτέμων (Frg.8G), τὴν προσηγορίαν ταύτην λαβεῖν τὸν Ἀρτέμωνα διὰ τὸ τρυφερῶς βιοῦντα περιφέρεσθαι ἐπὶ κλίνης. καὶ γὰρ Ἀνακρέων αὐτὸν ἐκ πενίας εἰς τρυφὴν ὁρμῆσαί φησιν ἐν τούτοις· πρὶν μὲν ἔχων βερβέριον, καλύμματ’ ἐσφηκωμένα κτλ. (Frg.82G). Aus: Athenaios, Deipnosophistai 12,45 (533e). Klearchos Frg.33,1-3: Κλέαρχος δὲ ἐν δευτέρῳ ἐρωτικῶν τὰ ἐρωτικά φησιν ᾄσματα καὶ τὰ Λοκρικὰ καλούμενα οὐδὲν τῶν Σαπφοῦς καὶ Ἀνακρέοντος διαφέρειν. Aus: Athenaios, Deipnosophistai 14,43 (639a). Hermesianax Frg.7,49-56: ὁ δ’ ἀοιδὸς ἀηδόνος ἠράσαθ’, ὕμνων / Τήϊον ἀλγύνων ἄνδρα πολυφραδίῃ. / Καὶ γὰρ τὴν ὁ μελιχρὸς ἐφημίλλητ’ Ἀνακρείων / στελλομένην πολλαῖς ἄμμιγα Λεσβιάσιν· / φοίτα δ’ ἄλλοτε μὲν λείπων Σάμον, ἄλλοτε δ’ αὐτὴν / οἰνηρῇ δειρῇ κεκλιμένην πατρίδα / Λέσβον ἐς εὔοινον· τὸ δὲ Μύσιον εἴσιδε Λεκτὸν / πολλάκις Αἰολικοῦ κύματος ἀντιπέρας. Aus: Athenaios, Deipnsosophistai 13,71 (598b-c). Chrysippos, Fragmenta logica et physica 180,22,1-9: Εἰ οὕτως ἀποφαίνοιτ’ ἄν τις· (Frg.9G) „[οὐ] δηὖτ’ ἔμπεδός εἰμι, οὐδ’ ἀστοῖσι προσηνής,“ οὐ Ἀνακρέων οὕτως ἀπεφήνατο· οὐ δηὖτ’ - προσηνής· ναὶ οὐ οὕτως ἀποφαίνοιτ’ ἄν τις· „δηὖτ’ - προσηνής.“ ναὶ οὐ Ἀνακρέων οὕτως ἀπεφήνατο· „οὐ δηὖτ’ - - προσηνής.“. Aus dem Papyrus Letronnii. Gentili gibt hierzu an, daß Bergk den ursprünglich von Letronne vorgenommenen Bezug auf Polykrates bestätigt hat, und folgt damit dieser Ansicht. Neanthes Frg.5: σαμβύκην. τοῦτο δὲ τὸ ὄργανον Νεάνθης ὁ Κυζικηνὸς ἐν α Ὥρων εὕρημα εἶναι λέγει Ἰβύκου τοῦ Ῥηγίνου ποιητοῦ, ὡς καὶ Ἀνακρέοντος τὸ βάρβιτον. Aus: Athenaios, Deipnosophistai 4,77 (175d-e).

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THEOKRIT (3. Jh.v.Chr.) liefert mit Epigramm 17216 eine fingierte Inschrift für ein Standbild Anakreons in Teos. Im Zusammenhang mit der Statue wird nur gesagt, Anakreon sei einer der herausragendsten früheren Liedermacher gewesen, und es wird noch hinzugefügt, daß, wenn man zudem sagt, er habe sich an Jünglingen erfreut, der ganze Mann genau beschrieben sei. Das derart beschränkte Bild von Anakreon und seiner Dichtung, welches sogar nicht einmal die sympotische, geschweige denn einen anderen Teil der anakreontischen Dichtung erwähnt, wird von Bing217 wohl zu Recht so interpretiert, daß Theokrit sich hier in gewisser Weise über die zu seiner Zeit bereits sehr starke Beschränkung Anakreons auf seine erotische und wohl auch sympotische Dichtung lustig macht, ohne daß er das Bild jedoch wirklich aufbrechen wollte, sondern es ist lediglich seine Absicht, es zu seiner eigenen Profilierung zu nutzen, wie etwa auch die Wahl des dorischen Dialektes erkennen läßt. Damit zeigt er zweierlei, nämlich zum einen, wie stark die Beschränkung Anakreons in der öffentlichen Wahrnehmung zu seiner Zeit war, und zum anderen, daß den literarisch Gebildeten durchaus bekannt war, daß es auch noch Dichtung von Anakreon gab, die nicht in dieses Bild paßte, die aber das Bild ganz offensichtlich im Normalfall nicht gestört hat, weil sie, und das bereits im dritten vorchristlichen Jahrhundert, nicht als wesentlich zu Anakreon gehörig empfunden wurde. (Pseudo-) SIMONIDES (3. Jh.v.Chr.?): Die beiden in der Anthologia Palatina dem Simonides zugeschriebenen Epigramme (183B218 und 184B219) stammen, wie Bergk auch in seiner Ausgabe vermerkt, aus wesentlich späterer Zeit. Bergk vermutet, ihr Autor könnte Leonidas von Tarent (3. Jh.v.Chr.) sein. Sie zeichnen von Anakreon das typische Bild des alten, sympotisch-erotischen Dichters. ALEXIS (3./2. Jh.v.Chr): siehe oben S.51f. 216

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Theokrit, Epigramm 17: Θᾶσαι τὸν ἀνδριάντα τοῦτον, ὦ ξένε, / σπουδᾷ, καὶ λέγ’ ἐπὴν ἐς οἶκον ἔνθῃς· / ‚Ἀνακρέοντος εἰκόν’ εἶδον ἐν Τέῳ / τῶν πρόσθ’ εἴ τι περισσὸν ᾠδοποιῶν.’ / προσθεὶς δὲ χὤτι τοῖς νέοισιν ἅδετο / ἐρεῖς ἀτρεκέως ὅλον τὸν ἄνδρα. Die Echtheit des Epigramms bekräftigt Beckby, Hermann: Die griechischen Bukoliker, Meisenheim am Glan 1975, S.534 mit Verweis auf weitere Literatur. Bing, Peter: „Theocritus’ Epigrams on the Statues of Ancient Poets“, in: Antike und Abendland 34, 1988, 117-123. Zur Scherzhaftigkeit des Epigrammes äußert sich Bing bes. S.121. Simonides 183B: Ἡμερὶ πανθέλκτειρα, μεθυτρόφε μῆτερ ὀπώρας, / οὔλης ἣ σκολιὸν πλέγμα φύεις ἕλικος, / Τηίου ἡβήσειας Ἀνακρείοντος ἐπ’ ἄκρῃ / στήλῃ καὶ λεπτῷ χώματι τοῦδε τάφου, / ὡς ὁ φιλάκρητός τε καὶ οἰνοβαρὴς φιλόκωμος / παννύχιος κρούων τὴν φιλόπαιδα χέλυν / κἠν χθονὶ πεπτηὼς κεφαλῆς ἐφύπερθε φέροιτο / ἀγλαὸν ὡραίων βότρυν ἀπ’ ἀκρεμόνων / καί μιν ἀεὶ τέγγοι νοτερὴ δρόσος, ἧς ὁ γεραιὸς / λαρότερον μαλακῶν ἔπνεεν ἐκ στομάτων. Simonides 184B: Οὗτος Ἀνακρείοντα, τὸν ἄφθιτον εἵνεκα Μουσέων / ὑμνοπόλον, πάτρης τύμβος ἔδεκτο Τέω, / ὃς Χαρίτων πνείοντα μέλη, πνείοντα δ’ Ἐρώτων / τὸν γλυκὺν ἐς παίδων ἵμερον ἡρμόσατο.

ARISTOPHANES GRAMMATICUS (3./2. Jh.v.Chr)220 bezieht sich auf Anakreons erotische Dichtung (Frg.3G). MOSCHOS (2. Jh.v.Chr.)221 erwähnt Anakreon zusammen mit Alkaios ganz allgemein als bekannten Dichter, jedoch ohne Nennung des Namens, sondern nur durch den Verweis auf Teos. POSEIDONIOS Historicus (2./1. Jh.v.Chr.)222 sagt, Anakreon habe nur drei verschiedene Arten von Melodien verwendet. Zu welcher Art von Gedichten diese verwendet wurden, ist unklar. ARISTONIKOS (1. Jh.v.Chr.) zitiert Frg.12G223, das Rozokoki224 wohl zu Recht der erotischen Dichtung zuordnet. MELEAGER (1. Jh.v.Chr.): Im sogenannten Kranz des Meleager225 ist von Anakreons sympotisch-erotischer Dichtung und von elegischer Dichtung die Rede, von welcher jedoch nahezu nichts überliefert ist. DIONYSIOS VON HALIKARNASS (1. Jh.v.Chr.): In De Demosthenis dictione 40226 werden, neben Hesiod, Sappho und Anakreon als herausragende Dichter genannt. In De compositione verborum 23227 wird Anakreon 220

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Aristophanes Grammaticus Frg.23,7-11: Σοφοκλῆς δὲ τὸν ἐκ προγόνων δοῦλον ἔφη, Ἀνακρέων δὲ τὸν πολλάκις ἐκσεσαρωμένον, Ἀρχίλοχος δὲ πόλιν ἔφη τὴν Θάσον, Ἱππῶναξ δὲ τὸν τρία ὑπεραναβὰς ἀριθμὸν ἔφη τινά. Aus: Eustathius, Commentarii ad Homeri Iliadem, 2,623,6-9. Moschos, Epitaphios Bionis 89f.: οὐ τόσον Ἀλκαίω περιμύρατο Λέσβος ἐραννά, οὐδὲ τόσον τὸν ἀοιδὸν ὀδύρατο Τήιον ἄστυ. Poseidonios, FGrHist 2a,87,F,107,4-9: καὶ ὁ μὲν Ποσειδώνιός φησιν τριῶν μελῳδιῶν αὐτὸν μνημονεύειν, Φρυγίου τε καὶ Λυδίου· ταύταις γὰρ μόναις τὸν Ἀνακρέοντα κεχρῆσθαι· ὧν χορδαῖς ἑκάστης περαινομένης εἰκότως φάναι ψάλλειν αὐτὸν χορδαῖς, τῷ ἀρτίῳ χρησάμενον ἀριθμῷ τὴν μίαν ἀφελόντα. ἀγνοεῖ δ’ ὁ Ποσειδώνιος ὅτι ἀρχαῖόν ἐστιν ὄργανον ἡ μάγαδις. Aus: Athenaios, Deipnosophistai 14,35,5 (635cd). Aristonikos, De signis Iliadis, zu Ilias 3,219, Z.1-3: : ἡ διπλῆ πρὸς τὸ ἀστεμφές, ὅτι τὸ ἀμετακίνητον. ὁ γὰρ Ἀνακρέων (Frg.12G). Rozokoki S.291, gegen Weber, Leo: Anacreontea, Göttingen 1895, S.58. AG IV,1,35-36: ἐν δ’ ἄρ’ Ἀνακρείοντα, τὸ μὲν γλυκὺ κεῖνο μέλισμα / νέκταρος, ἐν δ’ ἐλέγους ἄσπορον ἀνθέμιον. Dionysios von Halikarnaß, De Demosthenis dictione 40,62-68 (1079,1-8): καὶ ἄλλα πολλὰ τοιαῦτα ποιητικῆς καὶ μελικῆς λέξεως ὄργανα. τοιαῦτά τινά μοι καὶ ταύτης εἶναι φαίνεται χαρακτηριστικὰ τῆς ἁρμονίας. παραδείγματα δ’ αὐτῆς ποιοῦμαι ποιητῶν μὲν Ἡσίοδόν τε καὶ Σαπφὼ καὶ Ἀνακρέοντα, τῶν δὲ πεζῇ λέξει χρησαμένων Ἰσοκράτην τε τὸν Ἀθηναῖον καὶ τοὺς ἐκείνῳ πλησιάσαντας. Dionysios von Halikarnaß, De compositione verborum 23,44-50 (176,1-7): ἐποποιῶν μὲν οὖν ἔμοιγε κάλλιστα τουτονὶ δοκεῖ τὸν χαρακτῆρα ἐξεργάσασθαι Ἡσίοδος, μελοποιῶν δὲ Σαπφὼ καὶ μετ’ αὐτὴν Ἀνακρέων τε καὶ Σιμωνίδης, τραγῳδοποιῶν δὲ μόνος Εὐριπίδης, συγγραφέων δὲ ἀκριβῶς μὲν οὐδείς, μᾶλλον δὲ τῶν πολλῶν Ἔφορός τε καὶ Θεόπομπος, ῥητόρων δὲ Ἰσοκράτης. Mit dieser Stelle identisch ist Dionysios, De compositione verborum (epitome) 23,33.

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zusammen mit Sappho und Simonides als Lieddichter gerühmt. Die Verbindung mit Sappho legt nahe, daß Anakreon von Dionysios als erotischer Dichter angesehen wurde. PHILOXENOS (1. Jh.v.Chr)228 bezieht sich ausschließlich auf Anakreons erotische Dichtung. TRYPHON (1. Jh.v.Chr.)229 nennt Frg.155G. Eine inhaltliche Einordnung des Fragmentes ist nicht möglich. STRABO (1. Jh.v.Chr. / 1. Jh.n.Chr.): Geographica 3,2,14230 zitiert Frg.4G, das wohl dem sympotisch-erotischen Bereich angehört, denn in diesen Versen sagt das lyrische Ich, daß es kein Leben als Herrscher führen möchte, auch wenn sein Leben dann noch so prunkvoll verliefe. Eine Alternative zu einem Herrscherleben ist in den überlieferten Versen nicht enthalten, doch ist vermutlich an ein einfaches, durch Liebe und Wein glückliches Leben zu denken. In Geographica 14,1,16231 sagt Strabo, Anakreon habe zur selben Zeit wie Polykrates gelebt und seine gesamte Dichtung sei voll von Erwähnungen des Polykrates. Diese Aussage kann so nicht zutreffend sein, da zumindest in der erotischen Dichtung Anakreons der Name Polykrates wenn überhaupt dann nur selten vorgekommen sein dürfte. Unter der gesamten Dichtung kann daher höchstens die gesamte politische Dichtung zu verstehen sein, in der Polykrates wohl eine herausragende Stellung eingenommen hat. Unklar ist daher, wie umfassend und differenziert Strabos Kenntnis des anakreontischen Werkes war und wie er zu seiner Einschätzung kam. Geographica 14,1,30232 (Frg.505(a)PMG (Frg.180R)), Geographi-

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Philoxenos Frg.**660,11 (aus: Etymologicum Genuinum AB, s.v. Ἠπεροπευτής) zitiert Frg.98G, und Frg.*243,11 (aus: Orionis Thebani Etymologicum 62,23 in sede Philoxeni und Etymologicum Symeonis cod. V ap. Gaisf. EM 991 AB, s.v. ἐντροπαλιζόμενος) zitiert Frg.38G, die beide zur erotischen Dichtung gehören. Tryphon Frg.11,8,3-8: Τούτοις δὴ ἐπιστήσας ὁ Τρύφων ἐζήτει περὶ τοῦ μεγαλωστί, ἱρωστί παρὰ Ἀνακρέοντι καὶ ἔτι τοῦ παρὰ Ἀθηναίοις νεωστί, ὅπερ οὐκ ἀπιθάνως τῇ παρὰ Ἀθηναίοις συνήθει ἐπεκτάσει ἐξέτεινε τὸ ι. ἔδει γάρ, φησί, παρὰ τὸ μεγαλίζω μεγαλιστί, νεανίζω νεανιστί· καὶ δῆλον ὅτι καὶ τὸ ἱρωστί παρά τι τῶν εἰς ζω ληγόντων ῥημάτων. Aus: Apollonios, De adverbiis 572,13. Strabo, Geographica 3,2,14,6-15: ὑπολάβοι δ’ ἄν τις ἐκ τῆς πολλῆς εὐδαιμονίας καὶ μακραίωνας νομισθῆναι τοὺς ἐνθάδε ἀνθρώπους, καὶ μάλιστα τοὺς ἡγεμόνας, καὶ διὰ τοῦτο Ἀνακρέοντα μὲν οὕτως εἰπεῖν (Frg.4G)· Ἔγωγ’ οὔτ’ ἂν Ἀμαλθίης βουλοίμην κέρας οὔτ’ ἔτεα πεντήκοντά τε καὶ ἑκατὸν Ταρτησσοῦ βασιλεῦσαι, Ἡρόδοτον δὲ (1,163,2) καὶ τὸ ὄνομα τοῦ βασιλέως καταγράψαι καλέσαντα Ἀργανθώνιον. Strabo, Geographica 14,1,16,10f.: τούτῳ συνεβίωσεν Ἀνακρέων ὁ μελοποιός· καὶ δὴ καὶ πᾶσα ἡ ποίησις πλήρης ἐστὶ τῆς περὶ αὐτοῦ μνήμης. Strabo, Geographica 14,1,30,1-5: Καὶ ἡ Τέως δὲ ἐπὶ χερρονήσῳ ἵδρυται, λιμένα ἔχουσα· ἐνθένδ’ ἐστὶν Ἀνακρέων ὁ μελοποιός, ἐφ’ οὗ Τήιοι τὴν πόλιν ἐκλιπόντες εἰς Ἄβδηρα ἀπῴκησαν, Θρᾳκίαν πόλιν, οὐ φέροντες τὴν τῶν Περσῶν ὕβριν, ἀφ’ οὗ καὶ τοῦτ’ εἴρηται (Frg.505(a)PMG (Frg.180R))· Ἄβδηρα καλὴ Τηίων ἀποικίη.

ca 14,1,3233 (Frg.142G) und Geographica 14,2,27234 (Frg.47G) beziehen sich auf Anakreons politische Dichtung. HERAKLEITOS Milesius (1. Jh.n.Chr.)235 zitiert Anakreon Frg.78G, welches der erotischen Dichtung zuzurechnen ist. (Pseudo-) LONGINOS (1. Jh.n.Chr.?)236 bezieht sich auf das aus erotischer Dichtung stammende Frg.58G. AMMONIOS (1./2. Jh.n.Chr.): De adfinium vocabulorum differentia 298237 nennt Frg.50G, das unspezifisch ist. De adfinium vocabulorum differentia 120238 nennt Frg.54G, das der erotischen Spottdichtung zuzurechnen ist. De adfinium vocabulorum differentia 135239 zitiert Anakreon Frg.20G. Gentili nimmt an, daß der Vers von einer Frau gesprochen wird240. Wodurch die Frau von dem Angesprochenen bei den Nachbarn in Verruf gebracht wird, läßt sich nicht sicher sagen, doch ist ein erotischer Hintergrund

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Strabo, Geographica 14,1,3,21f.: Τέω δὲ Ἀθάμας μὲν πρότερον (διόπερ Ἀθαμαντίδα καλεῖ αὐτὴν Ἀνακρέων (Frg.142G)). Strabo, Geographica 14,2,27,6-10: τοῦ δὲ περὶ τὰ στρατιωτικὰ ζήλου τά τε ὄχανα ποιοῦνται τεκμήρια καὶ τὰ ἐπίσημα καὶ τοὺς λόφους· ἅπαντα γὰρ λέγεται Καρικά· Ἀνακρέων μέν γέ φησι (Frg.47G) διὰ δεῦτε Καρικοεργέος ὀχάνου χεῖρα τιθέμενοι. Herakleitos Milesius, Allegoriae 5,10,1-5,11,6: Καὶ μὴν ὁ Τήιος Ἀνακρέων ἑταιρικὸν φρόνημα καὶ σοβαρᾶς γυναικὸς ὑπερηφανίαν ὀνειδίζων τὸν ἐν αὐτῇ σκιρτῶντα νοῦν ὡς ἵππον ἠλληγόρησεν οὕτω λέγων (Frg.78G)· Πῶλε Θρῃκίη, τί δή με λοξὸν ὄμμασιν βλέπουσα / νηλεῶς φεύγεις, δοκέεις δέ μ’ οὐδὲν εἰδέναι σοφόν; ἴσθι τοι, καλῶς μὲν ἄν τοι τὸν χαλινὸν ἐμβάλοιμι, ἡνίας δ’ ἔχων στρέφοιμ ἀμφὶ τέρματα δρόμου. Νῦν δὲ λειμῶνάς τε βόσκεαι κοῦφά τε σκιρτῶσα παίζεις· δεξιὸν γὰρ ἱπποσείρην οὐχ ἕζεις ἐπεμβάτην. Longinos, De sublimitate 31,1,1f.: ... πτικώτατον καὶ γόνιμον †τὸ δ’ Ἀνακρέοντος οὐκέτι† ‚Θρηικίης ἐπιστρέφομαι.’ (Frg.58G). Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 298,1-7: καὶ διαφέρει. λεία μὲν γὰρ διὰ διφθόγγου σημαίνει τὴν ἀπελασί[α]ν τῶν τετραπόδων· ‚ληΐδα δ’ ἐκ πεδίου συνελάσαμεν’ (Λ 677). διὰ δὲ τοῦ γραφόμενον ἐπίρρημα δηλοῖ ἐπιτάσεως, ἐάν τε ἐκτείνηται ἐάν τε συστέλληται· [ὡς παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.50G) ‚λίην δὲ δὴ λιάζεις’]. Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 120,1-10: τοῦ διαφέρει, ὅτι γαμεῖ μὲν ὁ ἀνήρ, γαμεῖται δὲ ἡ γυνή. καὶ Ὅμηρος τὴν διαφορὰν τετήρηκεν αὐτῶν, ἐπὶ τοῦ γήμασθαι εἰπών (λ 273 sq.)· ‚γημαμένη ᾧ υἱῷ· ὁ δ’ ὃν πατέρ’ ἐξεναρίξας γῆμε’, καὶ Ἀνακρέων (Frg.54G) διασύρων τινὰ ἐπὶ θηλύτητι ‚καὶ †θαλάμοις† ἐν ᾧ κεῖνος οὐκ ἔγημεν ἀλλ’ ἐγήματο’, καὶ Αἰσχύλος (Frg.131 Mette = Frg.13 N.2) ἐν Ἀμυμώνῃ ‚σοὶ μὲν {γὰρ} γαμεῖσθαι μόρσιμον, γαμεῖν δὲ †μή†’. Ammonios, De adfinium vocabulorum differentia 135,1-6: καὶ διαφέρει. διαβόητος μὲν γάρ ἐστιν ὁ ἐπ’ ἀρετῇ ἐγνωσμένος· ἐπιβόητος δὲ ὁ μοχθηρὰν ἔχων φήμην. Ἀνακρέων (Frg.20G) ἐν δευτέρῳ ‚καὶ μ’ ἐπιβόητον κατὰ γείτονας ποιήσεις’. τοῦτον δ’ ἔνιοι τῶν ποιητῶν ἐπίσφατον καλοῦσιν. So Gentili S.18 unter Verweis auf frühere Kommentatoren.

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wahrscheinlich. De impropriis 3241 ist identisch mit De adfinium vocabulorum differentia 120. APOLLONIOS SOPHISTA (1./2. Jh.n.Chr.) zitiert in Lexicon Homericum 166242 Frg.93G, das zur sympotisch-erotischen Dichtung gehört, in Lexicon Homericum 87243 Frg.39G, das unspezifisch, aber wohl nicht sympotisch-erotisch ist, und in Lexicon Homericum 114244 Frg.21G, das zur politischen Dichtung gehört. DION VON PRUSA (1./2. Jh.n.Chr.)245 sagt, es sei unpassend, Königen die Lieder von Sappho und Anakreon vorzutragen, und nimmt damit auf die erotische Dichtung Bezug, möglicherweise besonders im Hinblick auf Anakreons Rolle am Hof von Polykrates. In Orationes 2,62246 zitiert er Anakreon Frg.14G, welches dem erotischen Bereich entstammt. FAVORIN (1./2. Jh.n.Chr.)247 bezieht sich darauf, daß Anakreon (Frg.26G) einen Knaben, möglicherweise Smerdies248, getadelt habe, weil 241

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Ammonios, De impropriis 3: τὸ δὲ τοῦ διαφέρει, ὅτι γαμεῖ μὲν ὁ ἀνήρ, γαμεῖται δὲ ἡ γυνή. καὶ Ὅμηρος τὴν διαφορὰν τετήρηκεν αὐτῶν ἐπὶ τοῦ γήμασθαι εἰπών (λ 273 sq.)· ‚γημαμένη ᾧ υἱῷ· ὁ δ’ ὃν πατέρ’ ἐξεναρίξας γῆμε’, καὶ Ἀνακρέων (Frg.54G) διασύρων τινὰ ἐπὶ θηλύτητι ‚καὶ θάλαμος ἐν ᾧ κεῖνος οὐκ ἔγημεν ἀλλ’ ἐγήματο’, καὶ Αἰσχύλος ἐν Ἀμυμώνῃ (Frg.131 Mette = Frg.13 N.2)· ‚σοὶ μὲν γαμεῖσθαι μόρσιμον, γαμεῖν δ’ ἐμοί’. Apollonios Sophista, Lexicon Homericum 166,5f.: χωρῆσαι. ἀφ’ οὗ καὶ ἐλέγετο τὸ κεράμιον· ‚οἴνου δ’ ἐξέπιον κάδον’, ὥς φησιν Ἀνακρέων (Frg.93G). Apollonios Sophista, Lexicon Homericum 87,21-23: ἐν τῇ Ν ῥαψῳδίᾳ τῆς Ὀδυσσείας· καὶ γὰρ ὁ θησαυρὸς θεσμὸς λέγεται, καθάπερ καὶ Ἀνακρέων λέγει ‚ἀπὸ δ’ ἐξείλετο θεσμὸν μέγαν.’ (Frg.39G). Apollonios Sophista, Lexicon Homericum 114,3: λόγος. ὁ δὲ Ἀνακρέων τοὺς στασιώτας εἶπεν. Dion von Prusa, Orationes 2,28,1-2,29,1: οὐδὲ γὰρ μουσικήν, ἔφη, πᾶσαν μανθάνειν ἐθέλοιμ’ ἄν, ἀλλὰ κιθάρᾳ μόνον [ἢ λύρᾳ] χρῆσθαι πρὸς θεῶν ὕμνους καὶ θεραπείας, ἔτι δὲ οἶμαι τῶν ἀγαθῶν ἀνδρῶν τοὺς ἐπαίνους· οὐδέ γε ᾄδειν τὰ Σαπφοῦς ἢ Ἀνακρέοντος [ἐρωτικὰ μέλη] πρέπον ἂν εἴη τοῖς βασιλεῦσιν, ἀλλ’, εἴπερ ἄρα, τῶν Στησιχόρου μελῶν ἢ Πινδάρου, [ἐὰν ᾖ τις ἀνάγκη]. Dion von Prusa, Orationes 2,62,1-14: τούτοις γε μὴν ξυνέπεται μηδὲ εὐχὰς εὔχεσθαι τὸν βασιλέα τοῖς ἄλλοις ὁμοίας μηδὲ αὖ τοὺς θεοὺς καλεῖν οὕτως εὐχόμενον ὥσπερ ὁ Ἰώνων ποιητὴς Ἀνακρέων, ὦναξ, ᾧ δαμάλης Ἔρως / καὶ Νύμφαι κυανώπιδες / πορφυρέη τ’ Ἀφροδίτη / συμπαίζουσιν, ἐπιστρέφεαι δ’ / ὑψηλὰς ὀρέων κορυφάς, / γουνοῦμαί σε, σὺ δ’ εὐμενὴς / ἔλθοις μοι, κεχαρισμένης δ’ / εὐχωλῆς ἐπακούειν· / Κλευβούλῳ δ’ ἀγαθὸς γενεῦ / σύμβουλος, τὸν ἐμὸν δ’ ἔρωτ’, / ὦ Δεύνυσε, δέχεσθαι. Favorin Frg.19,1-11: Ἡ φύσις ἢ ἑστῶσα σῴζεται ἢ φερομένη· [ἡ] ἑστῶσα μὲν ἐξ ἀθανασίας, φερομένη δὲ ἐξ ἐπιγονῆς. πρὸς ταῦτα γελοῖος ἂν φανείη ὁ Ἀνακρέων καὶ μικρολόγος τῷ παιδὶ μεμφόμενος ὅτι τῆς κόμης ἀπεκείρατο, λέγων ταῦτα· ἀπέκειρας δ’ ἁπαλῆς κόμης ἄμωμον ἄνθος. ἀλλ’, ὦ Ἀνάκρεον, μικρὸν ἐπίμεινον, καὶ ὄψει πάντα ἀποκεκαρμένα· ἀποκεκαρμένην μὲν τὴν τῶν ὀμμάτων αὐγήν, ἀποκεκαρμένην δὲ τὴν τοῦ μετώπου χάριν ἀτεχνῶς κατὰ τὸν Ὅμηρον· κάρψε μέν οἱ χρόα καλὸν ἐπὶ γναμπτοῖσι μέλεσσιν, / ξανθὰς δ’ ἐκ κεφαλῆς ὄλεσεν τρίχας· ἀμφὶ δὲ δέρμα / πάντεσσιν μελέεσσι παλαιοῦ θῆκε γέροντος. Aus: Stobaios, Anthologium 4,21.

dieser sich die Haare abgeschnitten hatte, und nimmt damit auf Anakreon als erotischen Dichter Bezug. HARPOKRATION (1./2. Jh.n.Chr.)249 nennt Frg.114G, welches erotisch sein könnte, so Rozokoki250. HERACLIDES Grammaticus (1./2. Jh.n.Chr)251 erwähnt das Vorkommen der Form κλάς in der Dichtung Anakreons, vgl. Frg.93G, in dem sich ἀπόκλας findet. Frg.93G entstammt der sympotisch-erotischen Dichtung, doch kann das Wort auch anderweitig vorgekommen sein. HERENNIUS PHILO (1./2. Jh.n.Chr)252 bezieht sich auf Frg.20G, welches wohl der erotischen Dichtung angehört253. Publius Aelius PHLEGON (1./2. Jh.n.Chr.)254 bezieht sich auf Frg.4G255, das wohl der sympotisch-erotischen Dichtung entstammt, weil darin eine Ablehnung von Reichtum und Macht erfolgt, der eine Hinwendung zum sympotisch-erotischen Leben gegenübergestellt gewesen sein dürfte. PLUTARCH (1./2. Jh.n.Chr.) nennt Anakreon in Mulierum Virtutes 243b256 und in Quaestiones Convivales 711d257 zusammen mit Sappho, wo248 249

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So Gentili S.21 zu Frg.26G. Harpokration, Lexicon in decem oratores Atticos 134,15-17: Ἕρμα: ἡ ὕφαλος πέτρα· Ἀντιφῶν ἐν τῇ πρὸς Καλλίου ἔνδειξιν ἀπολογίᾳ. ἔστι δὲ τοὔνομα καὶ παρ’ Ἀνακρέοντι καὶ ἐν Γηρυτάδῃ Ἀριστοφάνους. Rozokoki S.221. Heraclides Grammaticus, Frg.26,3-6: ἀνέκαθεν, φησίν, [ἤγουν ἐξ ἀρχῆς θεματικῆς] ἔστι φῶ τὸ λέγω, οὗ μετοχὴ ἀόριστος φάσας, ὡς κλῶ κλάσας, καὶ συγκοπῇ , οἷον ‚φὰς ἔμεν ἀπτόλεμον’ (I 35), ὥσπερ καὶ , φησί, παρ’ Ἀνακρέοντι (Frg.93G: ἀποκλάς). Herennius Philo, De diversis verborum significationibus δ,50,1-5: διαβόητος μὲν γὰρ ὁ ἐπ’ ἀρετῇ ἐπεγνωσμένος· ἐπιβόητος δὲ ὁ μοχθηρὰν ἔχων φήμην. Ἀνακρέων (Frg.20G) ἐν δευτέρῳ· ‚καὶ μ’ ἐπιβόητον κατὰ γεί‚. τοῦτον ἔνιοι τῶν ποιητῶν ἐπίφατον καλοῦσι καὶ ἐπίρρητον. Herennius fügt hinzu, das Gedicht stehe im zweiten Buch der anakreontischen Gedichte. Herennius scheint also noch eine in mehrere Bücher unterteilte Ausgabe der Gedichte Anakreons vorgelegen zu haben, sofern er die Information nicht zusammen mit der Stelle aus einer früheren Sekundärquelle entnommen hat, was angesichts der Verbreitung des Fragmentes auch möglich wäre. Phlegon, FGrHist 2b,257,F,37,93(V,98),1f.: Ἀργανθώνιος ὁ τῶν Ταρτησίων βασιλεύς, ὡς ἱστορεῖ Ἡρόδοτος (I 163) καὶ Ἀνακρέων ὁ ποιητής, ἔτη . Aus: Cod. Pal. gr. 398. Phlegon berichtet über das Alter von Arganthonios, dem König der Tartesier, unter Berufung auf Herodot (1,163) und Anakreon (Frg.4G). Zu bemerken ist, daß Anakreon die Regierungszeit mit 150 Jahren angibt, Phlegon hingegen die Lebenszeit. Bei einer derart mythisch-fiktiven Angabe ist der Unterschied jedoch gering, so daß man annehmen kann, Phlegon habe diesen Unterschied für unbedeutend gehalten, oder er habe sich an das Gedicht nicht mehr genau erinnert. Plutarch, Mulierum Virtutes 243b3-c7: ἐὰν ποιητικὴν πάλιν ἢ μαντικὴν ἀποφαίνοντες οὐχ ἑτέραν μὲν ἀνδρῶν ἑτέραν δὲ γυναικῶν οὖσαν, ἀλλὰ τὴν αὐτήν, τὰ Σαπφοῦς μέλη τοῖς Ἀνακρέοντος ἢ τὰ Σιβύλλης λόγια τοῖς Βάκιδος

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mit er sich auf die den beiden Dichtern gemeinsame erotische Dichtung beziehen dürfte. Eindeutig auf die erotische Dichtung greift Plutarch in Amatorius 751a258 mit Frg.125G zurück, das sonst nicht belegt ist. Perikles 167a259 hat das sehr verbreitete Frg.8G aus erotischer Spottdichtung zum Gegenstand. Ebenfalls auf Anakreons Spottdichtung bezieht sich die Nennung von Anakreon zusammen mit Philemon und Archilochos in Perikles 2,1260.

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ἀντιπαραβάλλωμεν, ἕξει τις αἰτιάσασθαι δικαίως τὴν ἀπόδειξιν, ὅτι χαίροντα καὶ τερπόμενον ἐπάγει τῇ πίστει τὸν ἀκροατήν; οὐδὲ τοῦτ’ ἂν εἴποις. καὶ μὴν οὐκ ἔστιν ἀρετῆς γυναικείας καὶ ἀνδρείας ὁμοιότητα καὶ διαφορὰν ἄλλοθεν καταμαθεῖν μᾶλλον, ἢ βίους βίοις καὶ πράξεσι πράξεις ὥσπερ ἔργα μεγάλης τέχνης παρατιθέντας ἅμα καὶ σκοποῦντας, εἰ τὸν αὐτὸν ἔχει χαρακτῆρα καὶ τύπον ἡ Σεμιράμεως μεγαλοπραγμοσύνη τῇ Σεσώστριος ἢ ἡ Τανακυλλίδος σύνεσις τῇ Σερουίου τοῦ βασιλέως ἢ τὸ Πορκίας φρόνημα τῷ Βρούτου καὶ τῷ Πελοπίδου τὸ Τιμοκλείας, κατὰ τὴν κυριωτάτην κοινότητα καὶ δύναμιν. Plutarch, Quaestiones Convivales 711d1-11: ‚φείδου’ εἶπεν, ‚ὦ τᾶν, καὶ παραβάλλου λοιδορῶν ἡμᾶς· ἡμεῖς γάρ ἐσμεν οἱ πρῶτοι τοῦ πράγματος εἰσαγομένου δυσχεράναντες ἐν Ῥώμῃ καὶ καθαψάμενοι τῶν ἀξιούντων Πλάτωνα διαγωγὴν ἐν οἴνῳ ποιεῖσθαι καὶ τῶν Πλάτωνος διαλόγων ἐπὶ τραγήμασι καὶ μύροις ἀκούειν διαπίνοντας· ὅτε καὶ Σαπφοῦς ἂν ᾀδομένης καὶ τῶν Ἀνακρέοντος ἐγώ μοι δοκῶ καταθέσθαι τὸ ποτήριον αἰδούμενος. πολλὰ δ’ εἰπεῖν ἐπιόντα μοι δέδια μὴ μετὰ σπουδῆς τινος οὐ παιδιᾶς λέγεσθαι πρός σε δόξῃ· ὅθεν, ὡς ὁρᾷς, ‚ποτίμῳ λόγῳ ἁλμυρὰν ἀκοὴν’ (Plat. Phaedr. 243d) κατακλύσαι τῷ φίλῳ Διογενιανῷ μετὰ τῆς κύλικος δίδωμι.’. Plutarch, Amatorius 750f4-751a11: Εἰ δ’ οὖν καὶ τοῦτο τὸ πάθος δεῖ καλεῖν Ἔρωτα, θῆλυν καὶ νόθον ὥσπερ εἰς Κυνόσαργες συντελοῦντα τὴν γυναικωνῖτιν· μᾶλλον δ’ ὥσπερ ἀετόν τινα λέγουσι γνήσιον καὶ ὀρεινόν, ὃν Ὅμηρος (Φ 252. Ω 315 s.) ¦ ‚μέλανα’ καὶ ‚θηρευτὴν’ προσεῖπεν, ἄλλα δὲ γένη νόθων ἐστὶν ἰχθῦς περὶ ἕλη καὶ ὄρνιθας ἀργοὺς λαμβανόντων, ἀπορούμενοι δὲ πολλάκις ἀναφθέγγονταί τι λιμῶδες καὶ ὀδυρτικόν, οὕτως εἷς Ἔρως [ὁ] γνήσιος ὁ παιδικός ἐστιν, οὐ ‚πόθῳ στίλβων’, ὡς ἔφη τὸν παρθένιον Ἀνακρέων (Frg.125G), οὐδὲ ‚μύρων ἀνάπλεως καὶ γεγανωμένος’, ἀλλὰ λιτὸν αὐτὸν ὄψει καὶ ἄθρυπτον ἐν σχολαῖς φιλοσόφοις ἤ που περὶ γυμνάσια καὶ παλαίστρας περὶ θήραν νέων ὀξὺ μάλα καὶ γενναῖον ἐγκελευόμενον πρὸς ἀρετὴν τοῖς ἀξίοις ἐπιμελείας. Plutarch, Perikles 167a1-b5: Ἔφορος (FGrHist 70 F 194) δὲ καὶ μηχαναῖς χρήσασθαι τὸν Περικλέα, τὴν καινότητα θαυμασταῖς, Ἀρτέμωνος τοῦ μηχανικοῦ παρόντος, ὃν χωλὸν ὄντα καὶ φορείῳ πρὸς τὰ κατεπείγοντα τῶν ἔργων προσκομιζόμενον ὀνομασθῆναι Περι-φόρητον. τοῦτο μὲν οὖν Ἡρακλείδης ὁ Ποντικὸς (fr. 60 Wehrli) ἐλέγχει τοῖς Ἀνακρέοντος ποιήμασιν (Frg.8G) ἐν οἷς ‚ὁ περιφόρητος’ Ἀρτέμων ὀνομάζεται πολλαῖς ἔμπροσθεν ἡλικίαις τοῦ περὶ Σάμον πολέμου καὶ τῶν πραγμάτων ἐκείνων· τὸν δ’ Ἀρτέμωνά φησι τρυφερόν τινα τῷ βίῳ καὶ πρὸς τοὺς φόβους μαλακὸν ὄντα καὶ καταπλῆγα τὰ πολλὰ μὲν οἴκοι καθέζεσθαι, χαλκῆν ἀσπίδα τῆς κεφαλῆς αὐτοῦ δυεῖν οἰκετῶν ὑπερεχόντων, ὥστε μηδὲν ἐμπεσεῖν τῶν ἄνωθεν, εἰ δὲ βιασθείη προελθεῖν, ἐν κλινιδίῳ κρεμαστῷ παρὰ τὴν γῆν αὐτὴν περιφερόμενον κομίζεσθαι καὶ διὰ τοῦτο κληθῆναι περιφόρητον. Plutarch, Perikles 2,1,1-8: Ἡ δ’ αὐτουργία τῶν ταπεινῶν τῆς εἰς τὰ καλὰ ῥᾳθυμίας μάρτυρα τὸν ἐν τοῖς ἀχρήστοις πόνον παρέχεται καθ’ αὑτῆς, καὶ οὐδεὶς εὐφυὴς νέος ἢ τὸν ἐν Πίσῃ θεασάμενος Δία γενέσθαι Φειδίας ἐπεθύμησεν, ἢ τὴν Ἥραν τὴν ἐν Ἄργει Πολύκλειτος, οὐδ’ Ἀνακρέων ἢ Φιλήμων ἢ Ἀρχίλοχος ἡσθεὶς αὐτῶν τοῖς ποιήμασιν.

AELIUS DIONYSIUS ATTICUS (2. Jh.n.Chr.)261 zitiert Frg.40G, wahrscheinlich aus erotischer Dichtung. APOLLONIOS DYSKOLOS (2. Jh.n.Chr.): De adverbiis 2,1,1,133262 und De constructione 2,2,338,10263 nennen Frg.119G, De adverbiis 2,1,1,162264 nennt Frg.155G. Über die Art der Gedichte läßt sich nichts sagen. HEPHAISTION (2. Jh.n.Chr.): De poematis 68265 nennt Frg.1G als das erste Gedicht Anakreons. Daß das Gedicht als das erste bezeichnet wird, weist darauf hin, daß es aus alexandrinischer Zeit eine Standard-Ausgabe von Anakreons Gedichten gegeben hat, in der dieses Gedicht als das erste erschien. Daß Hephaistion diese Ausgabe noch als bekannt voraussetzen kann, legt nahe, daß die Kenntnis von Anakreons Werk zu seiner Zeit noch umfangreich war. De poematis 71266 zitiert Anakreon Frg.94G, das der sympotisch-erotischen Dichtung zuzurechnen ist, De signis 74267 nennt, wie auch De poematis 66268, Sappho, Anakreon und Alkaios als Verfasser monostrophischer Gedichte. Bei Hephaistion zeigt sich somit eine breite Kenntnis des anakreontischen Werkes, die nicht auf die sympotisch-erotischen Gedichte beschränkt ist.

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οὐ γὰρ ἀναγκαῖον, εἰ τέρπει τὸ ἔργον ὡς χαρίεν, ἄξιον σπουδῆς εἶναι τὸν εἰργασμένον. Aelius Dionysius Atticus, Ἀττικὰ ὀνόματα, α,21,5-7: μεταβάλλουσι δ’ οἱ Ἴωνες τὸ τελευταῖον α · ‚σοὶ γὰρ ἐγὼ καὶ ἔπειτα κατηφείη καὶ ὄνειδος’ (Π 498)· καὶ Ἀνακρέων (Frg.40G)· ‚νεότης τε καὶ ὑγιείη’. Apollonios Dyskolos, De adverbiis 2,1,1,133,5-8 (543,8-11): καὶ ὃν τρόπον παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.119G) τὸ φησίν ἀποκοπὲν φή ἐγένετο, , τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ τὸ χρῆσι χρή ἐγένετο ἀποκοπέν. Apollonios Dyskolos, De constructione 2,2,338,7-2,2,339,1: καὶ δὴ παρείπετο τῷ χρῶ παραγωγὴ τοῦ , ὡς φημί, ἀφ’ οὗ τρίτον πρόσωπον ὡς φησί, ἐξ οὗ τὸ χρή ἐν ἀποκοπῇ ἀπετελεῖτο ὁμοίως τῷ παρὰ Ἀνακρέοντι σὲ γάρ φη Ταργήλιος ἐμμελέως δισκεῖν. Apollonios Dyskolos, De adverbiis 2,1,1,162,8-10 (572,11-13): καὶ σαφὲς ὅτι πάλιν τὸ ἰωνιστί τῷ ἰωνίζω παρέκειτο. - Τούτοις δὴ ἐπιστήσας ὁ Τρύφων ἐζήτει περὶ τοῦ μεγαλωστί, ἱερωστί παρὰ Ἀνακρέοντι. Hephaistion, De poematis 68,17-22: Κοινὸν δέ ἐστι κατὰ σχέσιν τὸ δύο [συστήμασιν] ὑποπεπτωκός, καθάπερ τὸ πρῶτον Ἀνακρέοντος ᾆσμα (Frg.1G) γουνοῦμαί σ’, ἐλαφηβόλε, ξανθὴ παῖ Διός, ἀγρίων δέσποιν’ Ἄρτεμι θηρῶν καὶ τὰ ἑξῆς. Hephaistion, De poematis 71,9-12: Ὅταν δὲ ἔμπαλιν ἡ τάξις ᾖ, προῳδὸς καλεῖται, ὡς παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.94G) ἀρθεὶς δηῦτ’ ἀπὸ Λευκάδος πέτρης, εἰς πολιὸν κῦμα κολυμβῶ μεθύων ἔρωτι. Hephaistion, De signis 74,8-14: Καὶ μάλιστα εἴωθεν ὁ ἀστερίσκος τίθεσθαι, ἐὰν ἑτερόμετρον ᾖ τὸ ᾆσμα τὸ ἑξῆς· ὃ καὶ [μᾶλλον] ἐπὶ τῶν ποιημάτων τῶν μονοστροφικῶν γίνεται Σαπφοῦς τε καὶ Ἀνακρέοντος καὶ Ἀλκαίου· ἐπὶ δὲ τῶν Ἀλκαίου ἰδίως κατὰ μὲν τὴν Ἀριστοφάνειον ἔκδοσιν ἀστερίσκος ἐπὶ ἑτερομετρίας ἐτίθετο μόνης, κατὰ δὲ τὴν νῦν τὴν Ἀριστάρχειον καὶ ἐπὶ ποιημάτων μεταβολῆς. Hephaistion, De pomatis 66,21-23: Μονοστροφικὰ μὲν οὖν εἰσὶν ὁπόσα ὑπὸ μιᾶς στροφῆς καταμετρεῖται, καθάπερ τὰ Ἀλκαίου καὶ τὰ Σαπφοῦς καὶ ἔτι τὰ Ἀνακρέοντος.

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HERODIAN (Aelius Herodianus und Pseudo-Herodianus, 2. Jh.n.Chr.) bezieht sich in De prosodia catholica 3,1,239269 (Frg.170G), De prosodia catholica 3,1,251270 (Frg.44G), De prosodia catholica 3,1,446271 (Frg.44G), Περὶ ῥηματικῶν ὀνομάτων 3,2,901272 (Frg.44G) und Περὶ μονήρους λέξεως 3,2,921,3273 (Frg.170G) auf Anakreons erotische Dichtung, ebenso wie in Περὶ παθῶν 3,2,205274, Περὶ παρωνύμων 3,2,859275 und Εἰς τὴν Ἀπολλωνίου εἰσαγωγήν 3,2,907276, wo aus sprachlichen Gründen der Name Bathyllos genannt und erwähnt wird, daß so der Geliebte des Anakreon geheißen habe. Περὶ παθῶν 3,2,225277 (Frg.79G) gehört wahrscheinlich zur sympotischen Dichtung, ebenso wie Περὶ παθῶν 3,2,330278 (Frg.16G) und Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,492279 (Frg.16G). De prosodia catholica 3,1,40280 nennt le269

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Herodian, De prosodia catholica 3,1,239,23f.: ὅθεν τὸ παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.170G) ἀναλογώτερόν ἐστι τοῦ παραληγομένου τῷ . Herodian, De prosodia catholica 3,1,251,7-12: , ὃ εἰ μὲν ἐπὶ τοῦ φυτοῦ, συγκοπή ἐστιν οἷον ‚χαμαιζήλοιο κονύζης’, εἰ δὲ ἐπὶ τοῦ παρεφθαρμένου καὶ ἐρρυπωμένου, οὐ συγκοπή ἐστιν, ἀλλ’ ἀπὸ τοῦ κνύω, ἀφ’ οὗ κνύος ἡ φθορά οἷον ‚κατὰ κνύος ἔχευεν, ψίλωτο δὲ κάρηνα’, γίνεται κνύζα ὡς παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.44G) ‚κνύζη τις ἤδη καὶ πέπειρα γίνομαι σὴν διὰ μαργοσύνην’. Herodian, De prosodia catholica 3,1,445,32-3,1,446,4: Γίνεται δὲ ἀπὸ τοῦ κνίζω οὐ μόνον ἡ κνῖσα, ἀλλὰ καὶ ἡ κνίζα ὡς σχίζω σχίζα. Ἀνακρέων (Frg.44G) ,κνίζη τις ἤδη καὶ πέπειρα γίνομαι / σὴν διὰ μαργοσύνην’. Herodian, Περὶ ῥηματικῶν ὀνομάτων, 3,2,901,20-24: E. Gud. 330, 59: τὸ κνύζα ἐπὶ τοῦ παρεφθαρμένου καὶ ἐρρυπωμένου ἀπὸ τοῦ κνύω, ἀφ’ οὗ κνύος ἡ φθορά οἷον ‚κατὰ κνύος - ἔχευεν, ψίλωτο δὲ - κάρηνα’ (Hes. Frg.XLII) γίνεται ὡς παρ’ Ἀνακρέοντι (Frg.44G) ‚κνύζη τις ἤδη καὶ πέπειρα γενομένη σὴν διὰ μαργοσύνην’. Herodian, Περὶ μονήρους λέξεως 3,2,921,3f.: ὁ μέντοι Ἀνακρέων καὶ χαριτόεις εἶπεν (Frg.170G), ἀποδοὺς τὸ ἐντελὲς τῇ λέξει. Herodian, Περὶ παθῶν 3,2,205,11-14: ὡς γὰρ παρὰ τὸ Ἡρακλῆς Ἥρυλλος καὶ παρὰ τὸ Θρασυκλῆς Θράσυλλος καὶ παρὰ τὸ Βαθυκλῆς Βάθυλλος ὄνομα κύριον ὁ ἐρώμενος Ἀνακρέοντος, οὕτω καὶ παρὰ τὸ Ἀριστοκλῆς Ἀρίστυλλος. Herodian, Περὶ παρωνύμων 3,2,859,24-26: Καὶ εἰς Ἡρακλῆς Ἥρυλλος, Θρασυκλῆς Θράσυλλος, Βαθυκλῆς Βάθυλλος ὄνομα κύριον ὁ ἐρώμενος Ἀνακρέοντος, Ἀριστοκλῆς Ἀρίστυλλος. Herodian, Εἰς τὴν Ἀπολλωνίου εἰσαγωγήν 3,2,907,18-21: ὡς γὰρ παρὰ τὸ Ἡρακλῆς Ἥρυλλος καὶ παρὰ τὸ Θρασυκλῆς Θράσυλλος καὶ παρὰ τὸ Βαθυκλῆς Βάθυλλος ὄνομα κύριον ὁ ἐρώμενος Ἀνακρέοντος, οὕτω καὶ παρὰ τὸ Ἀριστοκλῆς Ἀρίστυλλος. Herodian, Περὶ παθῶν 3,2,225,9-14: τοῦτο Ἰωνικόν ἐστιν, ὡς γὰρ νενόηνται νενοέαται καὶ περιπεποίηνται περιπεποιέαται, οὕτως καὶ μεμέτρηνται μεμετρέαται παρὰ τῷ Ἑκαταίῳ ‚ὁ μὲν οὖν Βόσπορος καὶ ὁ Πόντος καὶ ὁ Ἑλλήσποντος κατὰ ταῦτά μοι μεμετρέαται’ καὶ παρ’ Ἱππώνακτι ‚οἱ δέ μευ ὀδόντες ἐν τοῖς γνάθοισι κεκινέαται’ καὶ Ἀνακρέων (Frg.79G) ‚αἱ δέ μευ φρένες ἐκκεκωφέαται’ καὶ τὸ περιβεβλέαται. Ebenfalls einen Geliebten Anakreons, nämlich Kleobulos, nennt mit Frg.5G Pseudo-Herodian, De figuris 40,9-16 (124,57-64). Herodian, Περὶ παθῶν 3,2,330,21-22: Δεύνυσος ὁ Διόνυσος. Ἀνακρέων (Frg.16G) ‚πολλὰ δ’ ἐρίβρομον Δεύνυσον’. Herodian, Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,492,23-27: οἱ μὲν Διόνυξον αὐτὸν ὀνομάζουσιν, ὅτι σὺν κέρασι γεννώμενος ἔνυξε τὸν Διὸς μηρὸν ὡς Στησίμβροτος, οἱ

diglich den Namen Anakreons, De prosodia catholica 3,1,136281 und Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,417282 nennen Ἀνακρεόντειος als Adjektiv zu Anakreon. De prosodia catholica 3,1,60283 und Περὶ Ὀδυσσειακῆς προσῳδίας 3,2,154284 zitieren Frg.187G, das wohl aus politischer Dichtung stammt, ebenso wie De prosodia catholica 3,1,105285 (Frg.142G). Nicht oder nicht sicher eingeordnet werden können Περὶ παθῶν 3,2,169286 (Frg.152G), Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,517287 (Frg.101G) und Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,577288 (Frg.129G). Περὶ μονήρους λέξεως 3,2,918,9289 leidet an Textverderbnis. Es ist zwar erkennbar, daß es um einen in Anakreons Gedichten vorkommenden Namen geht, der jedoch verderbt ist, so daß sich nichts über die Art des der Stelle zugrundeliegenden Gedichtes gesagt werden kann. Περὶ παθῶν 3,2,253290 nennt

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δὲ Δεύνυσον. Ἀνακρέων (Frg.16G) ‚πολλὰ δ’ ἐρίβρομον Δεύνυσον’· τοῦ τραπέντος εἰς γίνεται Δεόνυσος - οὕτω γὰρ οἱ Σάμιοι προφέρουσι - καὶ συναιρέσει Δεύνυσος ὡς Θεόδοτος Θεύδοτος. Herodian, De prosodia catholica 3,1,40,19f.: Τὰ εἰς σύνθετα, ἀπὸ ἁπλῶν συντεθειμένα ῥητὰ ἀπὸ βαρυτόνων βαρύνονται, . Herodian, De prosodia catholica 3,1,136,30-33: ‚λέπας Κιθαιρώνειον’. Herodian, Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,416,29-417,4: τὸ δίφθογγον· τὰ ἀπὸ τῶν εἰς βαρυτόνων διὰ τοῦ κλινομένων διὰ τῆς διφθόγγου γράφεται, λέων λεόντειος δορά (τὸ κύριον διὰ τοῦ ), δράκων δρακόντειον αἷμα, γέρων γερόντειος, Ἀνακρέων Ἀνακρεόντειος, Λαομέδων Λαομεδόντειος καὶ τὰ ἀπὸ τῶν εἰς περισπωμένων, Ξενοφῶν Ξενοφώντειος, Δημοφῶν Δημοφώντειος πλὴν τοῦ Ποσειδῶν Ποσειδώνιος·. Herodian, De prosodia catholica 3,1,60,1-3: ἔστιν οὖν Αἰολικὸν τὸ μετὰ τοῦ καὶ ἔδει αὐτὸ Αἰολικῶς βαρύνεσθαι ὡς τὸ ‚αἰνοπάθη πατρίδ’ ἐπόψομαι’ παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.187G). Herodian, Περὶ Ὀδυσσειακῆς προσῳδίας 3,2,154,23f.: ἔστιν οὖν Αἰολικὸν τὸ μετὰ τοῦ καὶ ἔδει αὐτὸ Αἰολικῶς βαρύνεσθαι ὡς τὸ ‚αἰνοπάθην πατρίδ’ ἐπόψομαι’ παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.187G). Herodian, De prosodia catholica 3,1,104,33-105,1: · οὕτως Τέω πόλιν Ἰωνίας καλεῖ Ἀνακρέων (Frg.142G) ἀπὸ Ἀθάμαντος, ὃς πρῶτον αὐτὴν ἔκτισεν. Herodian, Περὶ παθῶν, 3,2,169,11-12: Ἀλκαῖος ἐσύνηκε καὶ Ἀνακρέων ἐξύνηκε (Frg.152G) πλεονασμῷ. Herodian, Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,517,16-17: σημαίνει δὲ τὸν ἡμετέρου· ἐχρῆτο δὲ τῇ λέξει Ἀνακρέων (Frg.101G) ‚οὔτε γὰρ ἡμετέρειον οὔτε καλόν’. Herodian, Περὶ ὀρθογραφίας 3,2,577,8-10: ὅτι δὲ ῥαγεῖς ἔλεγον τοὺς βαφεῖς καὶ ῥέγος τὸ βάμμα σαφὲς Ἀνακρέων (Frg.129G) ποιεῖ ‚ἁλιπόρφυρον ῥέγος’ καὶ παρὰ Ἰβύκῳ ‚ποικίλα ῥέγματα’. Herodian, Περὶ μονήρους λέξεως 3,2,918,6-10: Τέλλος ὁ Ἀθηναῖος, Ἡρόδοτος α’ (30), Φέλλος τὸ κύριον, Ἡσίοδος Φέλλον ἐϋμμελίην τηλεκλειτὴ Μελίβοια, Φίλλος (†), παρὰ Ἀνακρέοντι τὸ ὄνομα, σίλλος, Γρύλλος καθάρας τοὺς Διοσκούρους ὡς Φιλοστέφανος. Herodian, Περὶ παθῶν 3,2,253,5-8: ἔστι γὰρ νῶ ῥῆμα τρίτης συζυγίας ὡς παρὰ Σοφοκλεῖ οἷον ‚Ἑλένης γάμῳ νένωται’ (Frg.182Jebb) καὶ παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.10G)

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Frg.10G, das vielleicht einem Spottgedicht entstammt. Περὶ ῥημάτων 3,2,789291 bezieht sich auf Frg.41G, das aus einem Spottgedicht oder einem erotischen Gedicht stammen könnte292. LUKIAN (2. Jh.n.Chr.): Macrobii 10,2293 bezieht sich auf Frg.4G, das wohl der sympotisch-erotischen Dichtung angehört. Bei Verae historiae 2,15,5294 läßt sich nicht sicher sagen, an welche Art anakreontischer Dichtung Lukian hier denkt. Der Kontext ist zwar sympotisch und erotisch aufgeladen, doch wird Anakreon zusammen mit Homer als Verfasser der Odyssee, Eunomos, Arion und Stesichoros genannt, weshalb auf eine Festlegung darauf, daß hier an Anakreon als sympotisch-erotischen Dichter zu denken ist, als unsicher erscheint. Ganz offensichtlich waren auch zu Lukians Zeit bei Symposien andere Dichtungen als solche, die sich mit Wein und Liebe befassen, zu hören. Symposion 17,6295 berichtet, daß Histiaios bei einem Symposion Verse aus Gedichten von Pindar, Hesiod und Anakreon zu neuen Gedichten von großer Komik kombiniert habe. Um welche Art von Gedichten des Anakreon es sich hierbei gehandelt hat, läßt sich nicht sagen. In Hercules 8,3296 wird Anakreon nicht namentlich genannt, sondern nur als

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ἡ μετοχὴ ‚ὁ δ’ ὑψηλὰ νενωμένος’ καὶ ὁ Ἄθλιος ἐν τοῖς Σαμίων ὥροις ‚Ἀλλὰ λέξασθαι νένωται’. Herodian, Περὶ ῥημάτων 3,2,789,44-47: τὸ δὲ ‚ῥερυπωμένα’ (ζ 59) ἀντὶ ἐρρυπωμένα, ‚ῥεραπισμένῳ νώτῳ’ παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.41G) καὶ ‚ῥερῖφθαι ἔπος’ παρὰ Πινδάρῳ κατὰ τὴν ποιητικὴν ἐξουσίαν οὕτω γέγονε - καὶ πλὴν τῶν ἀρχομένων ἀπὸ διπλῶν ζῶ ἔζηκα, ψάλλω ἔψαλκα, ξηραίνω ἐξήραγκα. So Rozokoki S.255. Lukian, Macrobii 10,1-4: Ἀργανθώνιος μὲν οὖν Ταρτησσίων βασιλεὺς πεντήκοντα καὶ ἑκατὸν ἔτη βιῶναι λέγεται, ὡς Ἡρόδοτος ὁ λογοποιὸς καὶ ὁ μελοποιὸς Ἀνακρέων· ἀλλὰ τοῦτο μὲν μῦθός τισι δοκεῖ . Lukian, Verae historiae 2,15,1-9: Ἐπὶ δὲ τῷ δείπνῳ μουσικῇ τε καὶ ᾠδαῖς σχολάζουσιν· ᾄδεται δὲ αὐτοῖς τὰ Ὁμήρου ἔπη μάλιστα· καὶ αὐτὸς δὲ πάρεστι καὶ συνευωχεῖται αὐτοῖς ὑπὲρ τὸν Ὀδυσσέα κατακείμενος. οἱ μὲν οὖν χοροὶ ἐκ παίδων εἰσὶν καὶ παρθένων· ἐξάρχουσι δὲ καὶ συνᾴδουσιν Εὔνομός τε ὁ Λοκρὸς καὶ Ἀρίων ὁ Λέσβιος καὶ Ἀνακρέων καὶ Στησίχορος· καὶ γὰρ τοῦτον παρ’ αὐτοῖς ἐθεασάμην, ἤδη τῆς Ἑλένης αὐτῷ διηλλαγμένης. ἐπειδὰν δὲ οὗτοι παύσωνται ᾄδοντες, δεύτερος χορὸς παρέρχεται ἐκ κύκνων καὶ χελιδόνων καὶ ἀηδόνων. Lukian, Symposion 17,1-13: καὶ οἱ πλεῖστοι ἐμέθυον ἤδη καὶ βοῆς μεστὸν ἦν τὸ συμπόσιον· ὁ μὲν γὰρ Διονυσόδωρος ὁ ῥήτωρ αὑτοῦ ῥήσεις τινὰς ἐν μέρει διεξῄει καὶ ἐπῃνεῖτο ὑπὸ τῶν κατόπιν ἐφεστώτων οἰκετῶν, ὁ δὲ Ἱστιαῖος ὁ γραμματικὸς ἐρραψῴδει ὕστερος κατακείμενος καὶ συνέφερεν ἐς τὸ αὐτὸ τὰ Πινδάρου καὶ Ἡσιόδου καὶ Ἀνακρέοντος, ὡς ἐξ ἁπάντων μίαν ᾠδὴν παγγέλοιον ἀποτελεῖσθαι, μάλιστα δ’ ἐκεῖνα ὥσπερ προμαντευόμενος τὰ μέλλοντα, σὺν δ’ ἔβαλον ῥινούς· καὶ ἔνθα δ’ ἄρ’ οἰμωγή τε καὶ εὐχωλὴ πέλεν ἀνδρῶν. ὁ Ζηνόθεμις δ’ ἀνεγίνωσκε παρὰ τοῦ παιδὸς λαβὼν λεπτόγραμμόν τι βιβλίον. Lukian, Herkules 8,1-4: ὥστε ἰσχὺς μὲν καὶ τάχος καὶ κάλλος καὶ ὅσα σώματος ἀγαθὰ χαιρέτω, καὶ ὁ Ἔρως ὁ σός, ὦ Τήϊε ποιητά, ἐσιδών με ὑποπόλιον γένειον χρυσοφαέννων, εἰ βούλεται, πτερύγων ἐρετμοῖς παραπετέσθω, καὶ ὁ Ἱπποκλείδης οὐ φροντιεῖ.

teischer Dichter in Verbindung mit dem für ihn, so wird gesagt, typischen Eros. Insgesamt überwiegt also bei Lukian das Bild von Anakreon als sympotisch-erotischem Dichter. MAXIMOS von Tyros (2.Jh.n.Chr.) erwähnt Anakreon ausschließlich als erotischen Dichter. Dialexeis 18,7,b297 gibt Platon (4. Jh.v.Chr.), Phaidros 235c, wieder (siehe S.65). In Dialexeis 20,1,c298 wird gesagt, sowohl Polykrates als auch Anakreon hätten ein erotisches Interesse an Smerdies gehabt. Hier wird, im Gegensatz zu der späteren Darstellung bei Aelian299, das erotische Interesse von Anakreon dem des Polykrates gleichgesetzt. Im weiteren Verlauf der Passage Dialexeis 20,1 werden die Gaben genannt, mit denen Polykrates und Anakreon um Smerdies gebuhlt haben sollen: der erstere mit Gold, Silber und ähnlichem, Anakreon mit Gedichten und Lobpreisungen. In Dialexeis 29,2,b300 wird der Besitz des Polykrates aufgezählt, zu dem unter anderem auch Anakreon als Freund und Smerdies als Geliebter gerechnet werden. In den Rahmen dieser Legendenbildung gehört auch Dialexeis 37,5,f301, wo gesagt wird, Anakreon habe Polykrates gezähmt indem er der Tyrannis Eros, das Haar von Smerdies und Kleobulos, die Flöten des Bathyllos und das ionische Lied, d.h. diejenigen Melodien, die für die sympotischerotische Dichtung typisch waren, beigemischt habe. Gänzlich in den Bereich der Legendenbildung gehört Dialexeis 21,2-3302, eine Erzählung über 297

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Maximos, Dialexeis 18,7,b1-8: Ἐπιδειξαμένου γὰρ αὐτῷ τοῦ Μυρινουσίου Φαίδρου λόγον ὑπὸ Λυσίου τοῦ Κεφάλου συγγεγραμμένον ἐρωτικόν, οὐκ ἔφη θαυμάζειν, πλῆρες τὸ στῆθος ἔχων ὥσπερ ἀγγεῖον, ἀλλοτρίων ναμάτων, ἦπου Σαπφοῦς τῆς καλῆς (οὕτω γὰρ αὐτὴν ὀνομάζων χαίρει διὰ τὴν ὥραν τῶν μελῶν, καίτοι μικρὰν οὖσαν καὶ μέλαιναν) ἢ Ἀνακρέοντος, φησίν, τοῦ σοφοῦ. Maximos, Dialexeis 20,1,b1-d1: Ὁ δὲ ἥσθη τῷ δώρῳ, καὶ ἐρᾷ Πολυκράτης Σμερδίου, καὶ αὐτῷ συνερᾷ ὁ Τήϊος ποιητὴς Ἀνακρέων. Καὶ Σμερδίης παρὰ μὲν Πολυκράτους ἔλαβεν χρυσὸν καὶ ἄργυρον καὶ ὅσα εἰκὸς ἦν μειράκιον καλὸν παρὰ τυράννου ἐρῶντος· παρὰ δὲ Ἀνακρέοντος ᾠδὰς καὶ ἐπαίνους καὶ ὅσα εἰκὸς ἦν παρὰ ποιητοῦ ἐραστοῦ. Vgl. Alexis (3./2.Jh.v.Chr.) Frg.2 (oben S.51f.). Aelian, Varia historia 9,4, siehe S.83f. Maximos, Dialexeis 29,2,b1-5: Πολυκράτην μὲν γὰρ οὐδὲ τὸ ἐξ Αἰγύπτου νουθέτημα ἔπεισεν μὴ φρονεῖν μέγα ἐπὶ εὐδαιμονίᾳ, ὅτι ἐκέκτητο θάλατταν Ἰωνικήν, καὶ τριήρεις πολλάς, καὶ σφενδόνην καλήν, καὶ Ἀνακρέοντα ἑταῖρον, καὶ παιδικὰ Σμερδίην. Maximos, Dialexeis 37,5,f1-8: Οὕτω Βοιωτοὺς τοὺς ἀγροίκους αὐλὸς ἐπιτηδευόμενος ἡμέρωσεν, καὶ ποιητὴς Πίνδαρος συνῳδὸς τῷ αὐλῷ· καὶ Σπαρτιάτας ἤγειρεν τὰ Τυρταίου ἔπη, καὶ Ἀργείους τὰ Τελεσίλλης μέλη, καὶ Λεσβίους ἡ Ἀλκαίου ᾠδή· οὕτω καὶ Ἀνακρέων Σαμίοις Πολυκράτην ἡμέρωσεν, κεράσας τῇ τυραννίδι ἔρωτα, Σμερδίου καὶ Κλεοβούλου κόμην, καὶ αὐλοὺς Βαθύλλου, καὶ ᾠδὴν Ἰωνικήν. Maximos, Dialexeis 21,2,a1-21,3,a3: Τοιαύτην φασὶ καὶ τὸν Ἀνακρέοντα ἐκεῖνον τὸν Τήϊον ποιητὴν δοῦναι δίκην τῷ ἔρωτι. Ἐν τῇ τῶν Ἰώνων ἀγορᾷ, ἐν Πανιωνίῳ, ἐκόμιζεν τιτθὴ βρέφος· ὁ δὲ Ἀνακρέων βαδίζων, μεθύων, ἰάχων, ἐστεφανωμένος, σφαλλόμενος, ὠθεῖ τὴν τιτθὴν σὺν τῷ βρέφει, καί τι καὶ εἰς τὸ παιδίον ἀπέρριψεν βλάσφημον ἔπος· ἡ δὲ γυνὴ ἄλλο μὲν οὐδὲν ἐχαλέπηνεν τῷ Ἀνακρέοντι, ἐπεύξατο δὲ τὸν αὐτὸν τοῦτον ὑβριστὴν ἄνθρωπον τοσαῦτα καὶ ἔτι πλείω ἐπαινέσαι ποτὲ τὸ παιδίον, ὅσα νῦν ἐπηράσατο. Τελεῖ ταῦτα ὁ θεός· τὸ γὰρ παιδίον ἐκεῖνο δὴ αὐξηθὲν

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Anakreon und Kleobulos, in der Anakreon mit allen typischen Attributen des sympotisch-erotischen Dichters versehen ist. PAUSANIAS (2. Jh.n.Chr.)303 stellt Anakreon als sympotisch-erotischen Dichter dar, in Verbindung mit Sappho. PAUSANIAS ATTICUS (2. Jh.n.Chr): Ἀττικῶν ὀνομάτων συναγωγή μ,27*304 bezieht sich auf Frg.163-165G und Frg.60,13G. Alle diese Fragmente entstammen erotischen Gedichten. Ἀττικῶν ὀνομάτων συναγωγή τ,10,2305 nennt die Verwendung eines Sprichwortes in einem Gedicht von Anakreon (Frg.34G), welches sich im dritten Buch befinde. Über die Art des Gedichtes, in dem es vorkam, läßt sich nichts sagen, doch läßt sich aus der Stelle wohl schließen, daß eine aus mehreren Büchern bestehende Ausgabe zu dieser Zeit noch existierte. Julius POLLUX (2. Jh.n.Chr.): Onomastikon 4,61306 zitiert aus sympotisch-erotischer Dichtung Frg.96G307. Ebenfalls auf sympotisch-erotische

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γίγνεται Κλεόβουλος ὁ ὡραιότατος, καὶ ἀντὶ μικρᾶς ἀρᾶς ἔδωκεν ὁ Ἀνακρέων Κλεοβούλῳ δίκην δι’ ἐπαίνων πολλῶν. Τί κωλύει, δεῖ καὶ ἡμᾶς ἀναμαχέσασθαι τήμερον, κατὰ τὸν Ἀνακρέοντα ἐκεῖνον δοῦναι δίκην τῷ ἔρωτι αὐτοὺς ἑκόντας γλώττης ἀδίκου; Pausanias, Graeciae Descriptio 1,25,1,4-8: ἀλλ’ ὁ μὲν Περικλέους ἀνδριὰς ἑτέρωθι ἀνάκειται, τοῦ δὲ Ξανθίππου πλησίον ἕστηκεν Ἀνακρέων ὁ Τήιος, πρῶτος μετὰ Σαπφὼ τὴν Λεσβίαν τὰ πολλὰ ὧν ἔγραψεν ἐρωτικὰ ποιήσας· καί οἱ τὸ σχῆμά ἐστιν οἷον ᾄδοντος ἂν ἐν μέθῃ γένοιτο ἀνθρώπου. Pausanias Atticus, Ἀττικῶν ὀνομάτων συναγωγή, μ,27*,2-5: Ἱππῶναξ δὲ (Frg.135bIEG) βορβορόπιν καὶ ἀκάθαρτον ταύτην φησὶν ἀπὸ τοῦ βορβόρου καὶ ἀνασυρτόπολιν ἀπὸ τοῦ ἀνασύρεσθαι. Ἀνακρέων δὲ πανδοσίαν καὶ λεωφόρον καὶ μανιόκηπον· κῆπος γὰρ τὸ μόριον· Εὔπολις (Frg.174K-A) εἰλίποδας ἀπὸ τῆς εἰλήσεως τῶν ποδῶν τῆς κατὰ μῖξιν. Pausanias Atticus, Ἀττικῶν ὀνομάτων συναγωγή, τ,10,1-4: · πλούσιος ὁ Φρὺξ Τάνταλος διεβεβόητο Πλουτοῦς καὶ Διὸς λεγόμενος. κέχρηται δὲ τῇ παροιμίᾳ καὶ Ἀνακρέων ἐν γ’. γέγονε δὲ παρὰ τὸ ὄνομα τάλαντα, ὡς καὶ παρὰ τῷ κωμικῷ εἴρηται (Ar. Frg.963K-A). Vergleiche hierzu Michael Apostolius, Collectio paroemiarum 16,16: πλούσιος ὁ Φρὺξ Τάνταλος διαβεβόητο, Πλουτοῦς καὶ Διὸς λεγόμενος· κέχρηται δὲ τῇ παροιμίᾳ καὶ Ἀνακρέων ἐν τρίτῃ· γέγονε δὲ παρὰ τὸ ὄνομα τάλαντα· ὡς καὶ παρὰ τῷ κωμικῷ εἴρηται, und Suda, Lexicon, τ,147: διεβεβόητο ὁ Τάνταλος ἐπὶ πλούτῳ, ὡς καὶ εἰς παροιμίαν διαδοθῆναι. οὗτος γὰρ πλούσιος Φρὺξ ἐπὶ ταλάντοις διεβεβόητο, Πλουτοῦς καὶ Διὸς λεγόμενος. κέχρηται δὲ τῇ παροιμίᾳ καὶ Ἀνακρέων ἐν τρίτῳ. γέγονε δὲ παρὰ τὸ ὄνομα τάλαντα, ὡς καὶ παρὰ τῷ κωμικῷ εἴρηται· Ταντάλου τάλαντα τανταλίζεται. αὕτη οὖν ἡ παροιμία παρὰ τὴν ὁμοιότητα τῶν ὀνομάτων εἴρηται· ἐπείπερ παίζοντες πολλὰ τοιαῦτα καὶ ἄλλα πεποιήκασιν, οἷον ἀγαθῶν ἀγαθίδες, καὶ σοφώτερος σοφοῦ παρ’ Ἐπιχάρμῳ. Pollux, Onomastikon 4,61,2-4: μαγάδιν δ’ ὀνομάζει μὲν Ἀνακρέων (Frg.96G), τὴν δ’ εὕρεσιν αὐτῆς Θρᾳξὶ Κάνθαρος (I Frg.9 Ko) προστίθησιν. Auf das Fragment wird Bezug genommen wegen der Nennung der Magadis, die, als harfenartiges Saiteninstrument lydischer Herkunft, so Vetter: „Magadis“, in: RE XIV,1,288-291, wohl zumindest auch zur Begleitung von Dichtung bei einem Sympo-

Dichtung greifen Onomastikon 5,96308 (Frg.156G), Onomastikon 6,22309 (Frg.57G und Frg.136G), Onomastikon 6,23310 (Frg.135G), Onomastikon 10,70311 (Frg.93G) und wohl auch Onomastikon 5,76312 (Frg.28G) und Onomastikon 7,172313 (Frg.102G) zurück. In Onomastikon 6,107314 (Frg.159-161G, Frg.19G, Frg.104G) geht es um Kranzarten, die bei Symposia Verwendung fanden315. Onomastikon 7,177316 nennt Frg.89G, wohl aus erotischer Spottdichtung. Onomastikon 2,103317 nennt Frg.157G, dessen Kontext möglicherweise erotisch ist. Onomastikon 3,50318 nennt Frg.151G, in dem es um eine Mutter von Zwilllingen oder einfach allgemein von zwei

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sion verwendet wurde. Die Thematisierung der ἥβη des Leukaspis in Frg.96G weist auf den erotischen Bereich. Pollux, Onomastikon 5,95,4-5,96,4: κατὰ μέρη δὲ κεφαλῆς μὲν κοσμήματα Ὅμηρος λέγει (X 469) ἄμπυκα κεκρύφαλόν τε ἰδὲ πλεκτὴν ἀναδέσμην· σὺ δ’ ἂν προσθείης καὶ στεφάνην παρ’ Ὁμήρου λαβών (Σ 597) τῶν δ’ αἱ μὲν πλεκτὰς στεφάνας ἔχον, οἱ δὲ μαχαίρας, καὶ πυλεῶνας παρὰ Καλλιμάχου (Frg.358Schneider = Frg.80,5Pfeiffer) καὶ κάλυκας παρ’ Ὁμήρου (Σ 401) τε καὶ Ἀνακρέοντος, καὶ στρόφιον καὶ ὀπισθοσφενδόνην παρ’ Ἀριστοφάνους (Frg.332,4 und 664 K-A). Pollux, Onomastikon 6,22,2-4: καὶ οἰνοπότης, καὶ οἰνοπότις γυνὴ ὡς Ἀνακρέων εἶπεν, καὶ οἰνοποτῶν, ὅπερ Ὅμηρος (Y 84, ε 309, υ 262), εἴρηκεν οἰνοποτάζων. Pollux, Onomastikon 6,23,2: καὶ οἰνηρὸς θεράπων παρὰ Ἀνακρέοντι. Pollux, Onomastikon 10,70,1-8: τούτοις δὲ προσακτέον τὰ τῶν οἴνων ἀγγεῖα, οἰνοφόρα, ἀκρατοφόρα, ἀμφορεῖς καὶ ἀμφορίσκους, κάδους καὶ καδίσκους· Ἀνακρέων (Frg.93G) γοῦν ἔφη οἴνου δ’ ἐξέπιον κάδον, καὶ Ἡρόδοτος (III 20) ‚καὶ φοινικηίου οἴνου κάδον, Κρατῖνος δ’ ἐν Πυτίνῃ (I p 72. 193 Ko) τοὺς μὲν ἐκ προχοιδίου, τοὺς δ’ ἐκ καδίσκου. Pollux, Onomastikon 5,76,1-6: τῶν δ’ ἐλάφων ἄκερως μὲν ἡ θήλεια, ὁ δ’ ἄρρην κερωφόρος ἢ κερασφόρος ἢ κεράστης ἢ εὔκερως ἢ πλατύκερως ἢ ὑπέρκερως, καὶ χρυσόκερως ὁ ὑπὸ Ἡρακλέους ἁλούς· καὶ Ἀνακρέων μὲν σφάλλεται κερόεσσαν ἔλαφον προσειπών, καὶ Σοφοκλῆς (Frg.89TrGF) κεροῦσσαν τὴν Τηλέφου τροφόν, Ὅμηρος (Γ 24 saep) δ’ ὀρθῶς λέγει ‚ἀμφ’ ἔλαφον κεραόν. Pollux, Onomastikon 7,172,5-7,173,1: χήλινον δὲ ἄγγος, ἔχον πυθμένας †ἀγγεοσελίνων, ὅταν εἴπῃ Ἀνακρέων, τὸ ἐκ σχοινίων πλέγμα δηλοῖ. Pollux, Onomastikon 6,107,3-8: Ἀνακρέων δὲ καὶ μύρτοις στεφανοῦσθαί φησι καὶ κοριάννοις καὶ λύγῳ (Frg.19G) καὶ Ναυκρατίτῃ στεφάνῳ (Frg.104G) - σάμψυχος οὗτος ἦν - καὶ ἀνήτῳ, ὡς καὶ Σαπφὼ (Frg.81.2L-P) καὶ Ἀλκαῖος (Frg.362;436L-P). οὗτοι δ’ ἄρα καὶ σελίνοις. ὁ δ’ Ἀνακρέων (Frg.104G) καὶ ῥόδινον στέφανον ὠνόμασεν. Siehe hierzu Blech, Michael: Studien zum Kranz bei den Griechen, Berlin und New York 1982, S.63-74. Pollux, Onomastikon 7,177,2: μυροποιός· οὕτω δὲ Ἀνακρέων. Pollux, Onomastikon 2,103,1-4: καὶ μὴν τὸ μὲν ἀπορρέον τοῦ στόματος πτύσμα καὶ πτύαλον καὶ σίαλον, τὰ δὲ ἀπ’ αὐτοῦ ὀνόματα πτύειν, ἀποπτύειν, καταπτύειν· κατάπτυστον, ἀπόπτυστον· Ἀνακρέων δὲ καὶ καταπτύστην εἴρηκεν. Pollux, Onomastikon 3,49,4-3,50,2: τὴν δὲ μὴ τίκτουσαν στερίφην ἐρεῖς, ἄγονον, ἄτεκνον, ἄτοκον καθ’ Ἡρόδοτον (V 41)· Πλάτων (Theaet 149b) δὲ καὶ ἄλοχον αὐτὴν κέκληκεν. Ἀνακρέων δὲ δίτοκον τὴν δὶς τεκοῦσαν.

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Kindern geht. Das Fragment läßt sich ebensowenig einordnen wie Onomastikon 3,98319 (Frg.153G). SEXTUS EMPIRICUS (2. Jh.n.Chr.)320 bezieht sich auf Anakreons sympotische Dichtung, die zusammen mit der des Alkaios genannt wird. SUETON (2. Jh.n.Chr.): sicher auf Anakreons erotische Dichtung bezieht sich Περὶ βλασφημιῶν καὶ πόθεν ἑκάστη 260-261321 (Frg.3G). Auf erotische Spottdichtung dürfte Περὶ βλασφημιῶν καὶ πόθεν ἑκάστη 41-44322 (Frg.163G, 164G, 60,13G, 165G) Bezug nehmen, ebenso vielleicht Περὶ βλασφημιῶν καὶ πόθεν ἑκάστη 119-120323 (Frg.145G), bei der ein erotischer Bezug zwar wahrscheinlich, der genaue Zusammenhang aber nicht ersichtlich ist. ZENOBIUS (2. Jh.n.Chr.) liefert in Epitome collectionum Lucilli Tarrhaei et Didymi 5,20324 Frg.172G, doch ist die Stelle so unklar, daß sich lediglich vermuten läßt, daß Zenobius sich auf ein Gedicht bezieht, das wohl nicht dem sympotisch-erotischen Bereich zuzurechnen ist. Epitome collectionum Lucilli Tarrhaei et Didymi 5,80325 bezieht sich auf Frg.53G, das aus politischer Dichtung stammt.

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Pollux, Onomastikon 3,98,1-4: μετοχαὶ δὲ τέρπων, ἀλλὰ καὶ ἔτερψεν· τὸ γὰρ ἥδων Ἰωνικόν, καὶ τὸ ἧσε σπάνιον μὲν παρ’ ἡμῖν, Ἀνακρέων δ’ αὐτὸ εἴρηκεν, Ἴων καὶ ποιητὴς ἀνήρ. Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos 1,298,3-10: ἐπιτείχισμα γὰρ ἀνθρωπίνων παθῶν ἡ ποιητικὴ καθέστηκεν· καὶ ὡς (Frg.com.ad.*710K-A) γέρων γέροντι γλῶσσαν ἡδίστην ἔχει, οὕτως οἱ μὲν ἐρωτομανεῖς καὶ μέθυσοι τὰς Ἀλκαίου καὶ Ἀνακρέοντος ποιήσεις ἀναγνόντες προσεκκαίονται, οἱ δὲ ὀργίλοι Ἱππώνακτα καὶ Ἀρχίλοχον ἀλείπτας ἔχουσι τῆς περὶ αὐτοὺς κακίας. Sueton, Περὶ βλασφημιῶν καὶ πόθεν ἑκάστη 260f.: τρὶς κεκορημένος, οἱονεὶ πολλάκις ἐκσεσαρωμένος , . Sueton, Περὶ βλασφημιῶν καὶ πόθεν ἑκάστη 2,41-44: . , . Λεωφόρος, . Πολύυμνος· · . Sueton, Περὶ βλασφημιῶν καὶ πόθεν ἑκάστη 119f.: Ἀνήλατος· ὁ ἀπειθὴς καὶ στόμις ὁ αὐτὸς . Zenobius, Epitome collectionum Lucilli Tarrhaei et Didymi 5,20,1-6: μέμνηται ταύτης Ἀνακρέων (Frg.172G), καὶ Πίνδαρος ἐν Νεμεονικαῖς. Φασὶ δὲ αὐτὴν ὑπὸ Ἡφαίστου γενομένην δῶρον Πηλεῖ σωφροσύνης ἕνεκα παρὰ θεῶν δοθῆναι, ᾗ χρώμενος πάντα κατώρθου καὶ ἐν ταῖς μάχαις καὶ ἐν ταῖς θήραις. Zenobius, Epitome collectionum Lucilli Tarrhaei et Didymi 5,80,8f.: Οὗτος δὲ ὁ στίχος εἴρηται τὸ πρότερον παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.53G), ὃς ἤκμασε μάλιστα κατὰ Κῦρον τὸν Πέρσην.

AELIAN (2./3. Jh.n.Chr.): Die einzige ausführliche Darstellung von Anakreon bei Aelian fällt dadurch auf, daß sie das Bild von Anakreon als sympotisch-erotischem Dichter gerade dadurch als gängig kennzeichnet, daß sie sich gegen es abgrenzt. Varia historia 9,4326 befaßt sich mit der Beziehung zwischen Anakreon, Smerdies und Polykrates, und es ist wohl davon auszugehen, daß Aelian hier auf Gedichte von Anakreon über Smerdies anspielt327, die erotischen Inhaltes waren. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, Anakreon habe die Seele, nicht jedoch den Körper von Smerdies geliebt. Dieser Hinweis scheint zunächst der sonst üblichen biographistischen Interpretation von Anakreons Werk zu widersprechen, außer falls er sich auf entsprechende Gedichte stützen sollte, in denen Anakreon sein Verhältnis zu Smerdies ausdrücklich als nicht sexuell charakterisiert hätte. Daß sich hiervon andernorts keine Erwähnung findet, macht diese These jedoch unwahrscheinlich. Erklärbar wird Aelians Darstellung von Anakreon dann, wenn man Aelian, der der stoischen Philosophie anhing, unterstellt, er habe die Beziehung von Anakreon zu Smerdies so dargestellt, um mit Anakreon ein positives Gegenmodell zu dem von ihm ausdrücklich als negativ (οὐκ ἐπαινῶ δὲ αὐτοῦ τὴν τρυφήν, Varia historia 9,4,3f.) charakterisierten Polykrates zu schaffen. Diese Vermutung wird dadurch gestärkt, daß Aelian sich ausdrücklich gegen all diejenigen wendet, die Anakreon irgendwelche in seinen Augen schlechten Verhaltensweisen nachsagen (μὴ γάρ τις ἡμῖν διαβαλλέτω πρὸς θεῶν τὸν ποιητὴν τὸν Τήιον, μηδ’ ἀκόλαστον εἶναι λεγέτω, Varia historia 9,4,8f.), so daß tatsächlich davon auszugehen ist, daß Aelian hier ein Anakreonbild als Gegenmodell zu Polykrates konstruiert, das, wie seine ausdrückliche Kritik an anderen Vorstellungen von Anakreon zeigt, wohl nicht dem damals gängigen Bild von Anakreon entsprach328. 326

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Aelian, Varia historia 9,4,1-9,4,19: Πολυκράτης ὁ Σάμιος ἐν Μούσαις ἦν, καὶ Ἀνακρέοντα ἐτίμα τὸν Τήιον καὶ διὰ σπουδῆς ἦγε, καὶ ἔχαιρεν αὐτῷ καὶ τοῖς ἐκείνου μέλεσιν. οὐκ ἐπαινῶ δὲ αὐτοῦ τὴν τρυφήν. Ἀνακρέων ἐπῄνεσε Σμερδίην θερμότερον τὰ παιδικὰ Πολυκράτους, εἶτα ἥσθη τὸ μειράκιον τῷ ἐπαίνῳ, καὶ τὸν Ἀνακρέοντα ἠσπάζετο σεμνῶς εὖ μάλα, ἐρῶντα τῆς ψυχῆς, ἀλλ’ οὐ τοῦ σώματος. μὴ γάρ τις ἡμῖν διαβαλλέτω πρὸς θεῶν τὸν ποιητὴν τὸν Τήιον, μηδ’ ἀκόλαστον εἶναι λεγέτω. ἐζηλοτύπησε δὲ Πολυκράτης ὅτι τὸν Σμερδίην ἐτίμησε, καὶ ἑώρα τὸν ποιητὴν ὑπὸ τοῦ παιδὸς ἀντιφιλούμενον· καὶ ἀπέκειρε τὸν παῖδα ὁ Πολυκράτης, ἐκεῖνον μὲν αἰσχύνων, οἰόμενος δὲ λυπεῖν Ἀνακρέοντα. ὃ δὲ οὐ προσεποιήσατο αἰτιᾶσθαι τὸν Πολυκράτη σωφρόνως καὶ ἐγκρατῶς, μετήγαγε δὲ τὸ ἔγκλημα ἐπὶ τὸ μειράκιον ἐν οἷς ἐπεκάλει τόλμαν αὐτῷ καὶ ἀμαθίαν ὁπλισαμένῳ κατὰ τῶν ἑαυτοῦ τριχῶν. τὸ δὲ ᾆσμα τὸ ἐπὶ τῷ πάθει τῆς κόμης Ἀνακρέων ᾀσάτω· ἐμοῦ γὰρ αὐτὸς ἄμεινον ᾄσεται. Smerdies kommt in den uns überlieferten Fragmenten nur in Frg.3G vor, welches wohl einem Gedicht erotischen Inhaltes entstammt, sofern man sich einem erotischen Verständnis von κορέω anschließt. Es bleibt die Frage, wie Aelian wohl zu Gedichten wie Frg.5G stand, doch ist zu vermuten, daß er auch diese als rein geistige Hinwendung hätte verstanden wissen wollen, und daß er zudem in den Gedichten, die von Weinkonsum sprachen, die Tatsache betont hätte, daß nirgendwo von exzessiver Trunkenheit die Rede ist und daher

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Die anderen Erwähnungen von Anakreon bei Aelian sind nicht sehr aufschlußreich. Varia historia 8,2329 gibt den Inhalt von Platon, Hipparchus 228c1 wieder, in Varia historia 12,25330 wird allgemein darauf hingewiesen, daß mehrere Herrscher sich zu ihrer Unterhaltung Dichter an ihren Hof holten, wofür als Beispiel unter anderem Polykrates und Anakreon genannt werden, und De natura animalium 4,2331 (Frg.14G) sowie De natura animalium 7,39332 (Frg.28G) beziehen sich wohl auf erotische Gedichte. ATHENAIOS (2./3. Jh.n.Chr.): In den Deipnosophistai finden sich zahlreiche Nennungen von Anakreon. Dem sympotischen Bereich lassen sich folgende Erwähnungen Anakreons zuordnen: 1,20333 (Frg.121G); 4,79334 (Frg.95G); 10,29335 (Frg.33G); 10,30336 (Frg.31G); 10,36337 (Frg.24G); 10,43338 (Frg.108G)339; 10,66340

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stets das rechte Maß von Anakreon gewahrt wurde, doch ist all dies Spekulation. Sicher ist hingegen, daß das zur Zeit Aelians gängige Bild von Anakreon, gegen das sich Aelian hier ausdrücklich wendet, das des sympotisch-erotischen Dichters war. Dies wird beispielsweise auch bestätigt durch Maximos von Tyros, Dialexeis 20,1,c,1 (siehe S.79f.). Aelian, Varia historia 8,2,4-6: καὶ ἐπ’ Ἀνακρέοντα δὲ τὸν Τήιον πεντηκόντορον ἔστειλεν, ἵνα αὐτὸν πορεύσῃ ὡς αὑτόν. Aelian, Varia historia 12,25,8-11: καὶ Ἱέρων δὲ ὁ Δεινομένους Σιμωνίδου τοῦ Κείου ἀπήλαυσε καὶ Πολυκράτης Ἀνακρέοντος, καὶ Ξενοφῶντος Πρόξενος καὶ Ἀντίγονος Ζήνωνος. Aelian, De natura animalium 4,2,10-16: διελθουσῶν δὲ ἡμερῶν ἐννέα μίαν μὲν διαπρεπῆ τὴν ὥραν ἔκ γε τοῦ πελάγους τοῦ κομίζοντος ἐκ τῆς Λιβύης ὁρᾶσθαι ἐσπετομένην, οὐχ οἵαν κατὰ τὰς ἀγελαίας πελειάδας τὰς λοιπὰς εἶναι, πορφυρᾶν δέ, ὥσπερ οὖν τὴν Ἀφροδίτην ὁ Τήιος ἡμῖν Ἀνακρέων ᾄδει, πορφυρέην που λέγων. Aelian, De natura animalium 7,39,26-29: καὶ Ἀνακρέων ἐπὶ θηλείας φησίν οἷά τε νεβρὸν νεοθηλέα / γαλαθηνόν, ὅς τ’ ἐν ὕλῃ κεροέσσης / ὑπολειφθεὶς ὑπὸ μητρὸς ἐπτοήθη. Athenaios, Deipnosophistai 1,20,8-11 (11f10-12a3): παρ’ ὅλην δὲ τὴν συνουσίαν παρέκειντο αἱ τράπεζαι πλήρεις, ὡς παρὰ πολλοῖς τῶν βαρβάρων ἔτι καὶ νῦν ἔθος ἐστί, κατηρεφέες παντοίων ἀγαθῶν, κατὰ Ἀνακρέοντα (Frg.121G). Athenaios, Deipnosophistai 4,79,21-33 (177a5-182c5): οἴδαμεν δὲ καὶ τοὺς ἡμιόπους καλουμένους, περὶ ὧν φησιν Ἀνακρέων· τίς ἐρασμίην / τρέψας θυμὸν ἐς ἥβην τερένων ἡμιόπων ὑπ’ αὐλῶν / ὀρχεῖται; εἰσὶ δ’ οἱ αὐλοὶ οὗτοι ἐλάσσονες τῶν τελείων. Αἰσχύλος γοῦν κατὰ μεταφορὰν ἐν Ἰξίονί φησι (Frg.91TrGF)· τὸν δ’ ἡμίοπον [καὶ τὸν ἐλάσσονα] ταχέως ὁ μέγας καταπίνει. εἰσὶν δ’ οἱ αὐτοὶ τοῖς παιδικοῖς καλουμένοις, οἷς οὐκ οὖσιν ἐναγωνίοις πρὸς τὰς εὐωχίας χρῶνται. διὸ καὶ τέρενας αὐτοὺς κέκληκεν ὁ Ἀνακρέων (Frg.95G). Athenaios, Deipnosophistai 10,29,1-14 (427a3-b3): παρὰ δὲ Ἀνακρέοντι εἷς οἴνου πρὸς δύο ὕδατος (Frg.33G)· ἄγε δὴ φέρ’ ἡμίν, ὦ παῖ, / κελέβην, ὅκως ἄμυστιν / προπίω, τὰ μὲν δέκ’ ἐγχέας / ὕδατος, τὰ πέντε δ’ οἴνου / κυάθους, ὡς ἀνυβρίστως / ἀνὰ δηὖτε βασσαρήσω. καὶ προελθὼν τὴν ἀκρατοποσίαν Σκυθικὴν καλεῖ πόσιν· ἄγε δηὖτε, μηκέθ’ οὕτω / πατάγῳ τε κἀλαλητῷ / Σκυθικὴν πόσιν παρ’ οἴνῳ / μελετῶμεν, ἀλλὰ καλοῖσ’ / ὑποπίνοντες ἐν ὕμνοις. Athenaios, Deipnosophistai 10,30,3-10 (427d2-9): ἀλλ’ ἦν ἀπ’ ἀρχῆς τὸ μὲν σπένδειν ἀποδεδομένον τοῖς θεοῖς, ὁ δὲ κότταβος τοῖς ἐρωμένοις. ἐχρῶντο γὰρ ἐπιμελῶς τῷ

(Frg.48G); 11,2341; 11,50,1342 (Frg.33G); 11,50,33343 (Frg.110G); 11,99344 (Frg.103G); 14,35345 - 14,36346 - 14,37,3347 (Frg.96G) - 14,37,22348; 14,55349

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κοτταβίζειν ὄντος τοῦ παιγνίου Σικελικοῦ, καθάπερ καὶ Ἀνακρέων ὁ Τήιος πεποίηκε (Frg.31G)· Σικελὸν κότταβον ἀγκύλῃ λατάζων. διὸ καὶ τὰ σκολιὰ καλούμενα μέλη τῶν ἀρχαίων ποιητῶν πλήρη ἐστί. Athenaios, Deipnosophistai 10,36,1-3 (430d7-9): ὁ δ’ Ἀνακρέων ἔτι ζωρότερον ἐν οἷς φησι (Frg.24G)· καθαρῇ δ’ ἐν κελέβῃ πέντε καὶ τρεῖς ἀναχείσθω. Athenaios, Deipnosophistai 10,43,13f. (443f3f.): καὶ Ἀνακρέων (Frg.108G)· φίλη γὰρ εἶς ξείνοις· ἔασον δέ με διψῶντα πιεῖν. Das Fragment stammt aus dem sympotischen Bereich, wobei auch eine erotische Interpretation möglich wäre, doch spricht Athenaios auffälligerweise von übermäßigem, also nicht, wie sonst bei Anakreon üblich (vgl. Frg.33G), maßvollem Genuß. Athenaios, Deipnosophistai 10,66,18-24 (446f4-447a5): καὶ γένηται ἡ παρ’ Ἀνακρέοντι καλουμένη ἐπίστιος. φησὶ γὰρ ὁ μελοποιός (Frg.48G)· μηδ’ ὥστε κῦμα πόντιον / λάλαζε, τῇ πολυκρότῃ / σὺν Γαστροδώρῃ καταχύδην / πίνουσα τὴν ἐπίστιον. τοῦτο δ’ ἡμεῖς ἀνίσωμά φαμεν. Athenaios, Deipnosophistai 11,2,17f. (460c8f.): ὁ δὲ Ἀνακρέων ἔφη (Frg.57G)· οἰνοπότης δὲ πεποίημαι. Athenaios, Deipnosophistai 11,50,1-7 (475c6-12): ΚΕΛΕΒΗ. τούτου τοῦ ἐκπώματος Ἀνακρέων μνημονεύει (Frg.33G)· ἄγε δή, φέρ’ ἡμίν, ὦ παῖ, / κελέβην, ὅκως ἄμυστιν / προπίω, τὰ μὲν δέκ’ ἐγχέας / ὕδατος, τὰ πέντε δ’ οἴνου / κυάθους. Athenaios, Deipnosophistai 11,50,33-35 (475f3-5): Ἀνακρέων (Frg.110G)· ᾠνοχόει δ’ ἀμφίπολος μελιχρὸν / οἶνον τρικύαθον κελέβην ἔχουσα. Athenaios, Deipnosophistai 11,99,21-25 (498c5-9): ὁμοίως εἴρηκε καὶ Ἀνακρέων (Frg.103G)· ἐγὼ δ’ ἔχων σκύπφον Ἐρξίωνι / τῷ λευκολόφῳ μεστὸν ἐξέπινον, - ἀντὶ τοῦ προέπινον. Athenaios, Deipnosophistai 14,35,5-7 (634c4-6): ὁ μὲν γὰρ ἥδιστος Ἀνακρέων λέγει που (Frg.96G)· ψάλλω δ’ εἴκοσι ... χορδαῖσι μάγαδιν ἔχων· ὦ Λεύκασπι, σὺ δ’ ἡβᾷς. Athenaios, Deipnosophistai 14,36,9f. (634f5f.): ἡ γὰρ μάγαδις ὄργανόν ἐστι ψαλτικόν, ὡς Ἀνακρέων φησί (Frg.96G), Λυδῶν τε εὕρημα. Athenaios, Deipnosophistai 14,37,1-5 (635c7-11): διαποροῦσι δ’ ἔνιοι ὅπως τῆς μαγάδιδος οὔσης κατὰ Ἀνακρέοντα (ὀψὲ γάρ ποτε τὰ πολύχορδα ὀφθῆναι) μνημονεύων αὐτῆς ὁ Ἀνακρέων λέγει (Frg.96G)· ψάλλω δ’ εἴκοσι ... χορδαῖσι μάγαδιν ἔχων, ὦ Λεύκασπι. Athenaios, Deipnosophistai 14,37,18-25 (635e2-9): πηκτὶς δὲ καὶ μάγαδις ταὐτόν, καθά φησιν ὁ Ἀριστόξενος καὶ Μέναιχμος ὁ Σικυώνιος ἐν τοῖς περὶ Τεχνιτῶν (cf. Litt. b). καὶ τὴν Σαπφὼ δέ φησιν οὗτος, ἥτις ἐστὶν Ἀνακρέοντος πρεσβυτέρα, πρώτην χρήσασθαι τῇ πηκτίδι. ὅτι δὲ καὶ Τέρπανδρος ἀρχαιότερος Ἀνακρέοντος δῆλον ἐκ τούτων· τὰ Κάρνεια πρῶτος πάντων Τέρπανδρος νικᾷ, ὡς Ἑλλάνικος ἱστορεῖ ἔν τε τοῖς ἐμμέτροις Καρνεονίκαις κἀν τοῖς καταλογάδην (FGrHist 1a,4,F,85a, vgl. Anm.196). In dieser langen Passage ab 14,35 geht es im wesentlichen um Saiteninstrumente und Tonarten, die zur Liedbegleitung verwendet wurden. Sowohl die zitierten Fragmente als auch die Verbindung mit Sappho und die Ausführungen zu den Instrumenten lassen darauf schließen, daß die Dichtung, die Anakreon damit begleitet hat, sympotischen Inhalts war. Athenaios, Deipnosophistai 14,55,25-28 (646d2-5): μνημονεύει αὐτοῦ Ἀνακρέων οὕτως (Frg.93G)· ἠρίστησα μὲν ἰτρίου λεπτοῦ ἀποκλάς, / οἴνου δ’ ἐξέπιον κάδον.

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(Frg.93G); 15,11350 (Frg.104G; Frg.19G) - 15,14351 (Frg.19G) - 15,15,4352 (Frg.19G) - 15,15,23353 (Frg.19G) - 15,16,13354 (Frg.30G) - 15,16,25355 (Frg.118G) - 15,18356 (Frg.105G) - 15,22357 (Frg.118G). Dem erotischen Bereich gehören folgende Stellen an: 9,54358 (Frg.28G); 13,17359 (Frg.15G); 13,71360; 14,43361.

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Athenaios, Deipnosophistai 15,11,24-35 (671e1-71f4): εἰπὲ ἡμῖν τίς ἐστιν ὁ παρὰ τῷ χαρίεντι Ἀνακρέοντι Ναυκρατίτης στέφανος, ὦ Οὐλπιανέ. φησὶν γὰρ οὕτως ὁ μελιχρὸς ποιητής (Frg.104G)· στεφάνους δ’ ἀνὴρ τρεῖς ἕκαστος εἶχεν, / τοὺς μὲν ῥοδίνους, τὸν δὲ Ναυκρατίτην. καὶ διὰ τί παρὰ τῷ αὐτῷ ποιητῇ λύγῳ τινὲς στεφανοῦνται; φησὶν γὰρ ἐν τῷ δευτέρῳ τῶν Μελῶν (Frg.19G)· Μεγίστης δ’ ὁ φιλόφρων δέκα δὴ μῆνες ἐπείτε / στεφανοῦταί τε λύγῳ καὶ τρύγα πίνει μελιηδέα. ὁ γὰρ τῆς λύγου στέφανος ἄτοπος· πρὸς δεσμοὺς γὰρ καὶ πλέγματα ἡ λύγος ἐπιτήδειος. Athenaios, Deipnosophistai 15,14,20-22 (673d5-7): ὁ γοῦν Ἀνακρέων φησίν (Frg.19G)· Μεγίστης ὁ φιλόφρων δέκα δὴ μῆνες ἐπειδὴ / στεφανοῦταί τε λύγῳ καὶ τρύγα πίνει μελιηδέα. Athenaios, Deipnosophistai 15,15,1-7 (673d8-e4): ταῦτα ἴσασιν οἱ θεοὶ ὡς πρῶτος αὐτὸς ἐν τῇ καλῇ Ἀλεξανδρείᾳ εὗρον κτησάμενος τὸ τοῦ Μηνοδότου συγγραμμάτιον καὶ ἐπιδείξας πολλοῖς ἐξ αὐτοῦ τὸ παρὰ τῷ Ἀνακρέοντι ζητούμενον. λαβὼν δὲ παρ’ ἐμοῦ ὁ πᾶσιν κλοπὴν ὀνειδίζων Ἡφαιστίων ἐξιδιοποιήσατο τὴν λύσιν καὶ σύγγραμμα ἐξέδωκεν ἐπιγράψας Περὶ τοῦ παρ’ Ἀνακρέοντι λυγίνου στεφάνου (vgl. Frg.19G). Athenaios, Deipnosophistai 15,15,20-25 (673f8-674a4): μόνον γὰρ τοῦτ’ ἴδιον εἴρηκεν ὅτι Φύλαρχος ἐν τῇ ἑβδόμῃ τῶν Ἱστοριῶν (FGrHist 2a,81,F,14) οἶδεν τὴν κατὰ λύγον ἱστορίαν καὶ ὅτι οὔτε τὰ Νικαινέτου οἶδεν οὔτε τὰ Ἀνακρέοντος (vgl. Frg.19G) ὁ συγγραφεύς· ἀπέδειξε δὲ καὶ διαφωνοῦντα αὐτὸν κατ’ ἔνια τῶν ἱστορηθέντων παρὰ τῷ Μηνοδότῳ. Athenaios, Deipnosophistai 15,16,12-15 (674c4-7): ἐστεφανοῦντο δὲ καὶ τὸ μέτωπον, ὡς ὁ καλὸς Ἀνακρέων ἔφη (Frg.30G)· ἐπὶ δ’ ὀφρύσιν σελίνων στεφανίσκους / θέμενοι θάλειαν ἑορτὴν ἀγάγωμεν Διονύσῳ. Athenaios, Deipnosophistai 15,16,25-26 (674d6-7): καὶ Ἀνακρέων (Frg.118G)· πλεκτὰς δ’ ὑποθυμίδας περὶ στήθεσι λωτίνας ἔθεντο. Athenaios, Deipnosophistai 15,18,28-31 (676c3-6): οἷς κἀγὼ πείθομαι, ἡγούμενος οὐκ ἄλλον τινὰ εἶναι Ναυκρατίτην στέφανον ἢ τὸν ἐκ τῆς μυρρίνης, τῷ καὶ μετὰ τῶν ῥόδων ὑπὸ τοῦ Ἀνακρέοντος φορεῖσθαι (vgl. Frg.104G). Athenaios, Deipnosophistai 15,22,31-35 (678d1-5): ΥΠΟΘΥΜΙΣ δὲ καὶ ὑποθυμίδες στέφανοι παρ’ Αἰολεῦσιν καὶ Ἴωσιν, οὓς περὶ τοὺς τραχήλους περιετίθεντο, ὡς σαφῶς ἔστιν μαθεῖν ἐκ τῆς Ἀλκαίου καὶ Ἀνακρέοντος (vgl. Frg.118G) ποιήσεως. In der gesamten Passage geht es um Kränze, die in sympotischem Rahmen Verwendung finden. Athenaios, Deipnosophistai 9,54,17-20 (396d6-9): καὶ Ἀνακρέων δέ φησιν (Frg.28G)· οἷά τε νεβρὸν νεοθηλέα γαλαθηνόν, ὅς τ’ ἐν ὕλῃ κεροέσσης ἀπολειφθεὶς ἀπὸ μητρὸς ἐπτοήθη. Athenaios, Deipnosophistai 13,17,9-18 (564d4-13): καὶ ἡ Σαπφὼ δὲ πρὸς τὸν ὑπερβαλλόντως θαυμαζόμενον τὴν μορφὴν καὶ καλὸν εἶναι νομιζόμενόν φησιν (Frg.138L-P)· στᾶθι κἄντα, φίλος, καὶ τὰν ἐπ’ ὄσσοις ἀμπέτασον χάριν. ὁ δ’ Ἀνακρέων τί φησίν; (Frg.15G) ὦ παῖ παρθένιον βλέπων, δίζημαί σε, σὺ δ’ οὐ κλύεις, οὐκ εἰδὼς ὅτι τῆς ἐμῆς ψυχῆς ἡνιοχεύεις.

Zum sympotisch-erotischen Mischbereich gehören 4,77362; 4,80363; 11,18364 (Frg.38G). Nicht dem sympotisch-erotischen Bereich gehören diese Stellen an: 1,37365 (Frg.92G) weist hymnischen Inhalt auf bei unklarem Metrum. 12,46366 (Frg.8G und Frg.82G) gehört der erotischen Spottdichtung an. 360

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Athenaios, Deipnsosophistai 13,71,49-56 (598b7-c7): ὁ δ’ ἀοιδὸς ἀηδόνος ἠράσαθ’, ὕμνων Τήϊον ἀλγύνων ἄνδρα πολυφραδίῃ. Καὶ γὰρ τὴν ὁ μελιχρὸς ἐφημίλλητ’ Ἀνακρείων / στελλομένην πολλαῖς ἄμμιγα Λεσβιάσιν· / φοίτα δ’ ἄλλοτε μὲν λείπων Σάμον, ἄλλοτε δ’ αὐτὴν / οἰνηρῇ δειρῇ κεκλιμένην πατρίδα / Λέσβον ἐς εὔοινον· τὸ δὲ Μύσιον εἴσιδε Λεκτὸν / πολλάκις Αἰολικοῦ κύματος ἀντιπέρας. Athenaios, Deipnsosophistai 14,43,25-28 (639a2-5): Κλέαρχος δὲ ἐν δευτέρῳ Ἐρωτικῶν (FHG II 316) τὰ ἐρωτικά φησιν ᾄσματα καὶ τὰ Λοκρικὰ καλούμενα οὐδὲν τῶν Σαπφοῦς καὶ Ἀνακρέοντος διαφέρειν. Athenaios, Deipnosophistai 4,77,22-25 (175d11-e3): τοῦτο δὲ τὸ ὄργανον Νεάνθης ὁ Κυζικηνὸς ἐν α’ Ὥρων (FGrHist 2A84,5) εὕρημα εἶναι λέγει Ἰβύκου τοῦ Ῥηγίνου ποιητοῦ, ὡς καὶ Ἀνακρέοντος τὸ βάρβιτον. Anakreon wird, unter Berufung auf Neanthes, Annalen III,3 (Frg.5,1-4, siehe S.67), als Erfinder des Barbitos genannt. Der Barbitos als Instrument zur Begleitung sympotisch-erotischer Dichtung (so von Jan: „Barbiton“, in: RE II,2,4-5) weist auf die Bekanntheit des Anakreon für gerade diesen Teil seiner Dichtung zur Zeit des Athenaios hin. Athenaios, Deipnosophistai 4,80,25-28 (182f1-4): τὸν γὰρ βάρωμον καὶ βάρβιτον, ὧν Σαπφὼ (Frg.176L-P) καὶ Ἀνακρέων (Frg.149G) μνημονεύουσι, καὶ τὴν μάγαδιν καὶ τὰ τρίγωνα καὶ τὰς σαμβύκας ἀρχαῖα εἶναι. Es werden verschiedene Musikinstrumente genannt, die als alt bezeichnet werden. Im Fall von βάρωμος und βάρβιτος wird dies damit begründet, daß diese Musikinstrumente in den Dichtungen von Sappho und Anakreon (Frg.149G) genannt werden. Die Musikinstrumente wurden hauptsächlich zur Begleitung von bei Symposien vorgetragener Dichtung verwendet, so daß ihre Nennung wahrscheinlich in Gedichten sympotisch-erotischen Inhaltes erfolgte. Ausführlich hierauf geht von Jan ein. Athenaios, Deipnosophistai 11,18,5-9 (782a8-12): Ἀνακρέων (Frg.38G)· φέρ’ ὕδωρ, φέρ’ οἶνον, ὦ παῖ, / φέρε ἀνθεμεῦντας ἡμῖν / στεφάνους ἔνεικον, ὡς δὴ / πρὸς Ἔρωτα πυκταλίζω. Athenaios, Deipnosophistai 1,37,24-26 (21a2-4): ἔταττον γὰρ τὸ ὀρχεῖσθαι ἐπὶ τοῦ κινεῖσθαι καὶ ἐρεθίζεσθαι. Ἀνακρέων (Frg.92G)· καλλίκομοι κοῦραι Διὸς ὠρχήσαντ’ ἐλαφρῶς. Im Rahmen des Themas Tanz wird Anakreon zitiert mit einem Vers über die tanzenden Musen, der vermutlich der Hymnendichtung zuzuordnen ist, soweit dies aus der Wortwahl und dem allerdings nicht genau identifizierbaren Metrum zu schließen ist. Daraus geht hervor, daß zur Zeit des Athenaios auch aus dem Bereich der anakreontischen Hymnendichtung zumindest einzelne Gedichte noch bekannt waren. Athenaios, Deipnosophistai 12,46,1-20 (533e8-534b1): Χαμαιλέων δ’ ὁ Ποντικὸς ἐν τῷ περὶ Ἀνακρέοντος προθεὶς τὸ (Frg.8G) ξανθῇ δ’ Εὐρυπύλῃ μέλει ὁ περιφόρητος Ἀρτέμων, τὴν προσηγορίαν ταύτην λαβεῖν τὸν ΑΡΤΕΜΩΝΑ διὰ τὸ τρυφερῶς βιοῦντα περιφέρεσθαι ἐπὶ κλίνης. καὶ γὰρ Ἀνακρέων αὐτὸν ἐκ πενίας εἰς τρυφὴν ὁρμῆσαί φησιν ἐν τούτοις (Frg.82G)· πρὶν μὲν ἔχων βερβέριον καλύμματ’ ἐσφηκωμένα καὶ ξυλίνους ἀστραγάλους ἐν ὠσὶ καὶ ψιλὸν περὶ πλευρῇσι ..... βοός, νεόπλυτον εἴλυμα κακῆς ἀσπίδος, ἀρτοπώλισιν κἀθελοπόρνοισιν ὁμιλέων ὁ πονηρὸς Ἀρτέμων, κίβδηλον εὑρίσκων βίον, πολλὰ μὲν ἐν δουρὶ τιθεὶς αὐχένα, πολλὰ δ’ ἐν

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15,36367 (Frg.17G) ist wohl der Spottdichtung zuzuordnen. In 15,49368 sind Skolia von Anakreon belegt unter Berufung auf Aristophanes369. Ob man unter die Skolia auch die in der Anthologia Graeca unter Anakreons Namen überlieferten Epigramme zu rechnen hat, ist ungewiß. Nicht klar klassifizierbar sind folgende Stellen: 6,14370 (Frg.90G); 15,41371 (Frg.158G)372; 15,49373. Gesondert zu erwähnen sind folgende Stellen, die weitergehende Informationen über die Sicht Anakreons zur Zeit des Athenaios liefern: 10,33374: Athenaios sagt hier, Anakreon habe in seiner Dichtung ohne Not vorgegeben, stets betrunkten gedichtet zu haben und der Weichlichkeit und Verschwendungssucht verfallen zu sein, obgleich er in Wirklichkeit, was jedoch die meisten nicht wüßten, stets nüchtern schrieb und ein tüchtiger Mann war. Diese Stelle, die in der antiken Rezeption keine Beachtung

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τροχῷ, πολλὰ δὲ νῶτα σκυτίνῃ μάστιγι θωμιχθείς, κόμην πώγωνά τ’ ἐκτετιλμένος· νῦν δ’ ἐπιβαίνει σατινέων, χρύσεα φορέων καθέρματα, πάις Κύκης, καὶ σκιαδίσκην ἐλεφαντίνην φορεῖ γυναιξὶν αὕτως ... . Mit Anakreon-Zitaten (Frg.8G und Frg.82G) wird die Aussage belegt, Artemon habe, aus armen Verhältnissen stammend, nach Luxus gestrebt. Die zitierten Verse sind der (erotischen) Spottdichtung zuzuordnen, so beispielsweise auch Crusius: „Artemon“ (15), in: RE II,2,1446. Athenaios, Deipnosophistai 15,36,12-15 (687e1-4): καὶ ὁ σοφὸς δὲ Ἀνακρέων λέγει που (Frg.17G)· τί μὴν πέτεαι / συρίγγων κοιλώτερα / στήθεaα χρισάμενος μύρῳ; Athenaios, Deipnosophistai 15,49,1-8 (693f6-694a3): ἐμέμνηντο δ’ οἱ πολλοὶ καὶ τῶν Ἀττικῶν ἐκείνων σκολίων· ἅπερ καὶ αὐτὰ ἄξιόν ἐστί σοι ἀπομνημονεῦσαι διά τε τὴν ἀρχαιότητα καὶ ἀφέλειαν τῶν ποιησάντων, [καὶ τῶν] ἐπαινουμένων ἐπὶ τῇ ἰδέᾳ ταύτῃ τῆς ποιητικῆς Ἀλκαίου τε καὶ Ἀνακρέοντος, ὡς Ἀριστοφάνης παρίστησιν ἐν Δαιταλεῦσιν λέγων οὕτως (I 449 K)· ᾆσον δή μοι σκόλιόν τι λαβὼν Ἀλκαίου κἀνακρέοντος. Frg.235 Kassel, Rudolf; Austin, Colin: Poetae Comici Graeci, Berlin ab 1983. Athenaios, Deipnosophistai 6,14,32-34 (229b4-6): χωρὶς δὲ τοῦ στοιχείου Ἴωνες ἤγανον λέγουσιν, ὡς Ἀνακρέων (Frg.90G)· ‚χεῖρά τ’ ἐν ἠγάνῳ βαλεῖν’. In welchem Zusammenhang von einer Bratpfanne die Rede gewesen sein könnte, ist unklar. Athenaios, Deipnosophistai 15,41,13-16 (690b10-13): ἐν τούτοις Σαρδιανὸν κόσμον εἴρηκε τὸ μύρον, ἐπεὶ διαβόητοι ἐπὶ ἡδυπαθείᾳ οἱ Λυδοί· καὶ τὸ παρὰ Ἀνακρέοντι (Frg.158G) ‚λυδοπαθὴς’ ἀκούουσιν ἀντὶ τοῦ ἡδυπαθής. Möglicherweise stammt das zitierte Wort aus einem Spottgedicht, vielleicht mit erotischem Hintergrund. Athenaios, Deipnosophistai 15,49,1-8 (693f6-694a3): ἐμέμνηντο δ’ οἱ πολλοὶ καὶ τῶν Ἀττικῶν ἐκείνων σκολίων· ἅπερ καὶ αὐτὰ ἄξιόν ἐστί σοι ἀπομνημονεῦσαι διά τε τὴν ἀρχαιότητα καὶ ἀφέλειαν τῶν ποιησάντων, [καὶ τῶν] ἐπαινουμένων ἐπὶ τῇ ἰδέᾳ ταύτῃ τῆς ποιητικῆς Ἀλκαίου τε καὶ Ἀνακρέοντος, ὡς Ἀριστοφάνης παρίστησιν ἐν Δαιταλεῦσιν λέγων οὕτως (I 449 K)· ᾆσον δή μοι σκόλιόν τι λαβὼν Ἀλκαίου κἀνακρέοντος. Athenaios, Deipnosophistai 10,33,31-35 (429b4-8): ἄτοπος δὲ ὁ Ἀνακρέων ὁ πᾶσαν αὑτοῦ τὴν ποίησιν ἐξαρτήσας μέθης. τῇ γὰρ μαλακίᾳ καὶ τῇ τρυφῇ ἐπιδοὺς ἑαυτὸν ἐν τοῖς ποιήμασι διαβέβληται, οὐκ εἰδότων τῶν πολλῶν ὅτι νήφων ἐν τῷ γράφειν καὶ ἀγαθὸς ὢν προσποιεῖται μεθύειν οὐκ οὔσης ἀνάγκης.

fand375, wurde von Wilamowitz als „lahme Entschuldigung“376 gewertet. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum Athenaios ein Bedürfnis gehabt haben sollte, Anakreon moralisch zu rechtfertigen, wenn er in derselben Passage behauptet, Alkaios und Aristophanes hätten ihre Werke in trunkenem Zustand verfaßt. Auch wird man nicht annehmen dürfen, Athenaios wende sich gegen die biographistische Lesart anakreontischer Dichtung aus einem Verständnis für literarische Fiktionalität, welches auf einer eingehenden Beschäftigung mit Anakreons Werk beruht, denn seine Formulierung, daß viele von diesem Faktum nichts wüßten, weist darauf hin, daß es sich um eine aus der Literatur entnehmbare Tatsache handelt, wobei das betreffende Werk, das Athenaios hier herangezogen haben dürfte, allerdings ohne es zu nennen, offensichtlich nur Wenigen bekannt gewesen ist377. Athenaios kommt es also wohl hauptsächlich auf die Gesuchtheit der Information an, nicht aber auf den Wahrheitsgehalt der Aussage oder gar auf ein richtiges Verständnis von Anakreons Dichtung. Es bleibt die Frage, wie Athenaios’ Quelle, die aus spätestens hellenistischer Zeit stammen dürfte, zu der genannten Einschätzung kam. Hier ist tatsächlich zu vermuten, daß diese Einschätzung ursprünglich in Kenntnis von Anakreons Gesamtwerk entstand, als Konsequenz aus der Tatsache, daß sich nicht nur sympotisch-erotische Dichtung bei Anakreon findet. Bezeichnend ist, daß diese Tatsache zu Athenaios’ Zeit, so wie sich dies der Stelle entnehmen läßt, aber auch von Athenaios selbst, weitestgehend ausgeblendet wird. So nennt er etwa, um nur ein Beispiel aus den zahlreichen Erwähnungen von Anakreon als sympotischerotischem Dichter bei Athenaios herauszugreifen, in 11,2378 Frg.57G ohne darauf hinzuweisen, daß dies keine Selbstaussage Anakreons sei, wodurch er das Bild von Anakreon als sympotischem Dichter vollständig annimmt und selbst weiter verbreitet.

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Auffallend ist allerdings die Parallele zu Aelian, siehe S.83f., und siehe hierzu auch Anm.368. Wilamowitz: Sappho und Simonides, S.111. Wilamowitz: Sappho und Simonides, S.111 vermutet, Athenaios habe Theophrasts Schrift περὶ μέθης herangezogen, was möglich, aber natürlich nicht beweisbar ist, zumal es auch von Aristoteles und von Chamaileon und weiteren je eine gleichnamige Schrift gab, die Athenaios, ebenso wie die von Theophrast, auch im zehnten Buch der Deipnosophistai nennt (10,22-67). Auffallend ist die Parallele zu Aelian (siehe S.83f.), doch bezieht sich Aelian auf den erotischen Bereich, während es bei Athenaios hauptsächlich um den Weinkonsum geht, so daß wahrscheinlich keine Beziehung zwischen den beiden Stellen besteht. Athenaios, Deipnosophistai 11,2,17-18 (460c8-9): ὁ δὲ Ἀνακρέων ἔφη (Frg.57G)· οἰνοπότης δὲ πεποίημαι.

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11,8379: Anakreon, mit dem Beiwort χαρίεις gekennzeichnet als Dichter ebensolcher Werke, wird zitiert mit Versen, in denen er sich gegen die Heldendichtung wendet (Frg.56G), indem er sagt, er möchte in sympotischer Runde nichts von Krieg, sondern frohgemute Worte über die Musen und Aphrodite hören. Dieses Fragment ist somit eindeutig dem sympotischerotischen Bereich zuzuordnen, und es stellt zugleich eine programmatische Auseinandersetzung mit der Heldenepik und dadurch mit Homer dar, so daß Athenaios auch hier das Bild von Anakreon als sympotisch-erotischem Dichter vertritt. 11,45380: Der Kados wird hier von Athenaios als Weingefäß erklärt, unter Rückgriff auf Simmias, der dies mit einem Anakreon-Zitat (Frg.93G) belegt. Dieses Zitat entstammt eindeutig einem sympotischen Gedicht. Es ist auch anzunehmen, daß der Kados, welcher neben Wein auch für Wasser verwendet werden konnte, ein eher großes Gefäß war381, da sich das lyrische Ich dafür zu rühmen scheint, daß es einen ganzen Kados austrank, was bei biographistischer Interpretation der Stelle den Ruf Anakreons als eines trunkenen Dichters sehr bestärkt haben dürfte. 12,57382: Athenaios berichtet, von Polykrates werde nirgends gesagt, er habe sich Frauen oder Knaben beschaffen lassen, aber es werde gesagt, er habe eine starke Neigung zu Männern gehabt und auch mit Anakreon in Liebschaften rivalisiert und habe sogar einmal einem Geliebten im Zorn das Haar abgeschnitten. Ob es sich bei dieser Information um reine Legendenbildung handelt, oder ob diese Legendenbildung einen Anhaltspunkt in Anakreons Dichtung, etwa in Gedichten wie Frg.3G, fand, läßt sich nicht klären, doch zeigt Athenaios hier, wie stark das Erotische mit Anakreon verbunden wurde, und trägt auch selbst durch diese Erwähnung dazu bei, diese Verbindung zu unterstützen.

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Athenaios, Deipnosophistai 11,8,1-5 (463a2-6): καὶ ὁ χαρίεις δ’ Ἀνακρέων φησίν (Frg.56G)· οὐ φιλέω ὃς κρητῆρι παρὰ πλέῳ οἰνοποτάζων / νείκεα καὶ πόλεμον δακρυόεντα λέγῃ, / ἀλλ’ ὅστις Μουσέων τε καὶ ἀγλαὰ δῶρ’ Ἀφροδίτης / συμμίσγων ἐρατῆς μνήσεται εὐφροσύνης. Athenaios, Deipnosophistai 11,45,1-4 (472e6-9): ΚΑΔΟΣ. Σιμμίας ποτήριον, παρατιθέμενος Ἀνακρέοντος (Frg.93G)· ἠρίστησα μὲν ἰτρίου λεπτοῦ ἀποκλάς, / οἴνου δ’ ἐξέπιον κάδον. Über die tatsächliche Größe des Gefäßes ist nichts Sicheres bekannt, so Viedebantt: „Κάδος“, in: RE X,2,1477. Wilamowitz: Sappho und Simonides, S.103 Anm.1 geht jedoch wohl recht in der Annahme, daß die Angabe im übertragenen Sinn zu verstehen ist. Athenaios, Deipnosophistai 12,57,14-18 (540e3-7): ἐκ πάντων οὖν τούτων ἄξιον θαυμάζειν τὸν τύραννον, ὅτι οὐδαμόθεν ἀναγέγραπται γυναῖκας ἢ παῖδας μεταπεμψάμενος, καίτοι περὶ τὰς τῶν ἀρρένων ὁμιλίας ἐπτοημένος, ὡς καὶ ἀντερᾶν Ἀνακρέοντι τῷ ποιητῇ· ὅτε καὶ δι’ ὀργὴν ἀπέκειρε τὸν ἐρώμενον.

13,72,2 (599c2) - 13,74,20 (600d8)383: 13,72,2: Athenaios berichtet, Hermesianax habe fälschlicherweise die Lebensgeschichte von Anakreon zu der von Sappho in Verbindung gesetzt, weil beide an Herrscherhöfen, Anakreon bei Kyros und Polykrates, Sappho bei Alyattes, dem Vater des Kroisos, gewesen seien. Anschließend werden verschiedene Passagen aus Dichtungen der beiden zitiert, die nahelegen, daß die Verbindung zwischen Anakreon und Sappho im Bereich der sympotisch-erotischen Dichtung gesehen wurde. Zudem zeigt Athenaios im weiteren Verlauf der Stelle ein deutliches Bewußtsein für literarische Fälschungen, wenn er feststellt, von Chamaileon zitierte Verse, die von Sappho an Anakreon gerichtet seien, könnten keinesfalls von Sappho stammen384. Unklar ist allerdings, ob er hierbei ausschließlich inhaltliche Kriterien anlegt oder ob auch sprachliche Überlegungen für ihn eine Rolle spielen. In jedem Fall zeigt sich aber, daß sein weitgehend sympotisch-erotisches Anakreonbild guter und kritischer Kenntnisnahme der anakreontischen Dichtung sowie auch der zu seiner Zeit gängigen Ansichten über diese entsprang. In 13,72,6 (599c6) wird Frg.13G zitiert, welches aus erotischer Dichtung stammt, und in 13,74,16 (600d4) werden Euripides-Verse zitiert, in denen es um Eros geht, „ὃν ὁ σοφὸς ὑμνῶν αἰεί ποτε Ἀνακρέων πᾶσίν ἐστιν διὰ στόματος“ (13,74,17-18). Mit dieser Aussage wird klar aufgezeigt, daß Anakreons Ruhm sich für Athenaios und, zumindest aus Athenaios’ Sicht, die hier aber als verläßlich angesehen werden dürfte, auch für die Zeit des Athenaios und die Zeit bis Athenaios ausschließlich auf seine sympotisch-erotische Dichtung gründete. Sicher sind auch noch andere Gedichte von ihm bekannt, wie sich auch unschwer an Zitaten aus anderen Bereichen seiner Dichtung in den Deipnosophistai erkennen läßt, aber als typisch anakreontisch angesehen und somit weitaus am wirkmächtigsten ist seine erotische Dichtung. Dies verdeutlicht Athenaios in 13,74,20 (600d8) durch Zitieren eines Gedichtes von Kritias385, in dem Anakreon als sympotisch-erotische Personifikation seines Werkes gesehen wird. CLEMENS ALEXANDRINUS (2./3. Jh.n.Chr.) sagt in Stromata 1,16,78386, die für Anakreon typische Dichtung sei die erotische. Dement-

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Aufgrund des großen Umfanges der Stelle wird auf das Zitieren des Textes ausnahmsweise verzichtet. Athenaios, Deipnosophistai 13,72,21-22 (599d8-9): ὅτι δὲ οὔκ ἐστι Σαπφοῦς τοῦτο τὸ ᾆσμα παντί που δῆλον. Zu diesem Gedicht siehe ausführlicher S.64f. Clemens Alexandrinus, Stromata 1,16,78,3,1-1,16,79,1,1: Ἀλκμαίων γοῦν Περίθου Κροτωνιάτης πρῶτος φυσικὸν λόγον συνέταξεν. οἳ δὲ Ἀναξαγόραν Ἡγησιβούλου Κλαζομένιον πρῶτον διὰ γραφῆς ἐκδοῦναι βιβλίον ἱστοροῦσιν. μέλος τε αὖ πρῶτος περιέθηκε τοῖς ποιήμασι καὶ τοὺς Λακεδαιμονίων νόμους ἐμελοποίησε Τέρπανδρος ὁ Ἀντισσαῖος, διθύραμβον δὲ ἐπενόησεν Λᾶσος Ἑρμιονεύς, ὕμνον Στησίχορος Ἱμεραῖος, χορείαν Ἀλκμὰν Λακεδαιμόνιος, τὰ ἐρωτικὰ Ἀνακρέων Τήιος, ὑπόρχησιν Πίνδαρος Θηβαῖος νόμους τε πρῶτος ᾖσεν ἐν χορῷ καὶ κιθάρᾳ Τιμόθεος ὁ Μιλήσιος.

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sprechend zitiert er in Stromata 6,2,14387 aus der erotischen Dichtung (Frg.37G). Paedagogus 3,11,69388 nennt Frg.138G, über das sich nichts sicheres sagen läßt, das aber wohl zur erotischen Dichtung oder zur erotischen Spottdichtung gehört. HERMOGENES (2./3. Jh.n.Chr) nennt Anakreon in Περὶ ἰδεῶν λόγου 2,3,13389 und in Περὶ ἰδεῶν λόγου 2,3,40390 ganz allgemein wegen seiner erotischen Dichtung, zusammen mit Theokrits bukolischer Dichtung und Menanders Komödien. PHILOSTRAT (2./3. Jh.n.Chr.) zitiert in Imagines 1,15,2391 Frg.94G,2 und stellt Anakreon ausdrücklich als erotischen Dichter dar. HIPPOLYTOS (3. Jh.n.Chr.)392 bezieht sich auf Anakreons sympotische Dichtung. 387

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Clemens Alexandrinus, Stromata 6,2,14,5,1-6,2,14,7,6: Εὕροις δ’ ἂν καὶ Θεόγνιδος εἰπόντος· οὔτοι χρήσιμόν ἐστι νέα γυνὴ ἀνδρὶ γέροντι· οὐ γὰρ πηδαλίῳ πείθεται ὡς ἄκατος, Ἀριστοφάνη τὸν κωμικὸν γράφοντα· αἰσχρὸν νέᾳ γυναικὶ πρεσβύτης ἀνήρ. Ἀνακρέοντος γὰρ ποιήσαντος (Frg.37G)· Ἔρωτα γὰρ τὸν ἁβρὸν / μέλ[π]ομαι βρύοντα μίτραις / πολυανθέμοις ἀείδειν· / ὅδε καὶ θεῶν δυνάστης, / ὅδε καὶ βροτοὺς δαμάζει, Εὐριπίδης γράφει· Ἔρως γὰρ ἄνδρας οὐ μόνους ἐπέρχεται / οὐδ’ αὖ γυναῖκας, ἀλλὰ καὶ θεῶν ἄνω / ψυχὰς ταράσσει κἀπὶ πόντον ἔρχεται. Clemens Alexandrinus, Paedagogus 3,11,69,2,1-3: αἱ δὲ γυναικεῖοι κινήσεις καὶ θρύψεις καὶ χλιδαὶ κολουστέαι παντελῶς· τὸ γὰρ ἁβροδίαιτον τῆς περὶ τὸν περίπατον κινήσεως καὶ τὸ ‚σαυλὰ βαίνειν’, ὥς φησιν Ἀνακρέων (Frg.138G), κομιδῇ ἑταιρικά, ὥς γέ μοι φαίνεται. Hermogenes, Περὶ ἰδεῶν λόγου 2,3,12-21: ἰδίως δ’ ἂν λέγοιντο ἀφελεῖς αἱ τῶν ἀπλάστων ἠθῶν καὶ ὑπό τι νηπίων, ἵνα μὴ ἀβελτέρων λέγῃ τις, οἷον τὸ περὶ πραγμάτων διεξιέναι τινῶν καὶ λέγειν αὐτὰ μηδεμιᾶς ἀνάγκης οὔσης μηδὲ ἐπερωτῶντός τινος, ὡς τὰ πολλὰ ἔχει τῶν Ἀνακρέοντος καὶ πάλιν τὰ Θεοκρίτου ἐν τοῖς βουκολικοῖς καὶ ἄλλων οὐκ ὀλίγων, οἷον ‚κωμάσδω ποτὶ τὰν Ἀμαρυλλίδα, ταὶ δέ μοι αἶγες βόσκονται κατ’ ὄρος’ καὶ τὰ ἑξῆς. Hermogenes, Περὶ ἰδεῶν λόγου 2,3,41-47:καὶ μὴν καὶ τὸ ‚ἁδύ τι τὸ ψιθύρισμα καὶ ἁ πίτυς, αἰπόλε, τήνα’ καὶ τὰ πολλὰ τῶν βουκολικῶν, ἵνα μὴ τὰ πάντα λέγω, τοιαῦτά ἐστι. καὶ παρὰ τῷ Ἀνακρέοντι δὲ ὡσαύτως· παρά τε αὖ τῷ Μενάνδρῳ μυρία ἂν εὕροις τοιαῦτα καὶ γυναῖκας λεγούσας καὶ νεανίσκους ἐρῶντας καὶ μαγείρους καί τινας ἄλλους. Philostrat, Imagines 1,15,2,14-18 (2,317,5-9): ἀλλὰ καὶ ὁ Πὰν κατέχει τὸ σκίρτημα, ὡς μὴ διαλύσειε τὸν ὕπνον τῆς κόρης, ἁλουργίδι τε στείλας ἑαυτὸν καὶ τὴν κεφαλὴν ῥόδοις ἀνθίσας ἔρχεται παρὰ τὴν Ἀριάδνην ὁ Διόνυσος, φησὶ [περὶ τῶν ἀκρατῶς ἐρώντων] ὁ Τήιος (Frg.94G). In Imagines 2,38,25 findet sich, allerdings ohne Verweis auf den Dichter, ein Zitat von Frg.53G, das wohl der politischen Dichtung zuzurechnen ist. Hippolytos, Refutatio omnium haeresium 5,8,6,1-5,8,7,6: Τοῦτο, φησίν, ἐστὶ τὸ ποτήριον ‚τὸ κόνδυ’, ‚ἐν ᾧ βασιλεὺς πίνων οἰωνίζεται’, τοῦτο, φησί, κεκρυμμένον εὑρέθη ἐν τοῖς καλοῖς τοῦ Βενιαμὶν σπέρμασι. λέγουσι δὲ αὐτὸ καὶ Ἕλληνες, φησίν, οὕτως ‚μαινομένῳ στόματι’· Φέρ’ ὕδωρ, φέρ’ οἶνον, ὦ παῖ, μέθυσόν με καὶ κάρωσον· τὸ ποτήριον λέγει μοι ποδαπόν με δεῖ γενέσθαι, . τοῦτο, φησίν, ἤρκει μόνον νοηθὲν ἀνθρώποις τὸ τοῦ Ἀνακρέοντος ποτήριον, ἀλάλως λαλοῦν μυστήριον ἄρρητον· ἄλαλον γάρ, φησίν, τὸ

MENANDER Rhetor (3. Jh.n.Chr.): In Διαίρεσις τῶν ἐπιδεικτικῶν 333,9393 geht es um kletische Hymnen im Rahmen einer Untersuchung verschiedener Hymnenarten. Als Beispiele werden die Hymnen von Sappho und Anakreon genannt, welche Anrufungen vieler Götter enthalten. Ob Menander hierbei an Hymnen denkt, die insoweit dem sympotischerotischen Bereich zuzurechnen wären, als sie Anrufungen etwa von Eros, Aphrodite und Dionysos enthalten, ist nicht ersichtlich. HIMERIOS (4. Jh.n.Chr.) erwähnt Anakreon an folgenden Stellen in erotischem Zusammenhang: in Declamationes et orationes 17394 zusammen mit Sappho, weil beide nicht aufhören, Aphrodite zu preisen, und in Declamationes et orationes 69395, wo gesagt wird, Anakreon habe nach überstandener Krankheit wieder zur Lyra gegriffen und die ihm so lieben Eroten erneut durch Lieder begrüßt. Declamationes et orationes 27396 bezieht sich auf die erotische und wahrscheinlich auch auf die politische Dichtung, in der Anakreon seine Heimatstadt Teos gepriesen hat. Ebenfalls auf die politische Dichtung beziehen sich Declamationes et orationes 28397, wo gesagt wird, Anakreon habe das Schicksal des Polykrates besungen, welches dieser erlitt, als er der Göttin der Samier, Hera, Weihgeschenke sandte, und Declamatio-

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Ἀνακρέοντος [φησὶ] ποτήριον, ὅπερ αὐτῷ, φησιν Ἀνακρέων, λαλεῖ ἀλάλῳ φθέγματι ποδαπὸν αὐτὸν δεῖ γενέσθαι, τουτέστι πνευματικόν, οὐ σαρκικόν, ἐὰν ἀκούσῃ τὸ κεκρυμμένον μυστήριον ἐν σιωπῇ. Menander Rhetor, Διαίρεσις τῶν ἐπιδεικτικῶν 333,8-10: κλητικοὶ μὲν οὖν ὁποῖοί εἰσιν οἱ πολλοὶ τῶν τε παρὰ τῇ Σαπφοῖ ἢ Ἀνακρέοντι ἢ τοῖς ἄλλοις μελικοῖς, κλῆσιν ἔχοντες πολλῶν θεῶν. Himerios, Declamationes et orationes 17,4f.: [[Σαπφὼ καὶ Ἀνακρέων ὁ Τήιος, ὥσπερ τι προοίμιον τῶν μελῶν, τὴν Κύπριν ἀναβοῶντες οὐ παύονται ...]]. Himerios, Declamationes et orationes 69,26-41: ὅλην ἡρώων διώκει φάλαγγα ὁ φθόνος ἐκ μάχης τοῖς τραύμασιν. ἔπληξε δὲ ἄρα καὶ θεοὺς αὐτοὺς ἡ ποίησις, ὥσπερ παραμυθεῖσθαι τοὺς ἀρίστους βουλομένη τῶν ἀνδρῶν, ὅτι καὶ ἄχρι οὐρανοῦ βάλλει τὸ βέλος ὁ φθόνος. Θερσίτης δὲ ἄρα μόνος Ὁμήρῳ οὐ τέτρωται· οὐ γὰρ εἶχεν οὐδὲν δι’ οὗ λυπήσῃ τὸν φθόνον. Ἀλλὰ , σοφὸς ἀνὴρ μετὰ Κύκλωπας καὶ Λαιστρυγόνας καὶ θάλαςσαν. ἀλλὰ τί δεῖ Ὀδυσσέως ἐμοί; τί δὲ Ὁμήρου καὶ Κύκλωπος; φέρε οὖν ἐκ Μουσῶν, φέρε ἐκ λύρας τοῦ μώμου τὴν μάχην παραμυθώμεθα. ἥρμοσε μὲν καὶ Ἀνακρέων μετὰ τὴν νόσον τὴν λύραν, καὶ τοὺς φίλους ἔρωτας αὖθις διὰ μέλους ἠσπάζετο· ἥρμοσε δὲ καὶ Στησίχορος μετὰ τὸ πάθος τὴν φόρμιγγα. Ἴβυκον δὲ κατέχει λόγος ἀπολισθεῖν μὲν ἐξ ἅρματος, ἐς Ἱμέραν ἀπὸ Κατάνης ὀχούμενον· συντριβείσης δὲ αὐτῷ τῆς χειρὸς συχνόν τινα χρόνον ἀπῳδὸν γενέθαι, τὴν λύραν δὲ ἀναθεῖναι Ἀπόλλωνι. Himerios, Declamationes et orationes 27,27f.: κοσμεῖ μὲν γὰρ Ἀνακρέων τὴν] Τηΐων πόλιν τοῖς μέλεσι, κἀκεῖθεν ἄγει τοὺς Ἔρωτας. Himerios, Declamationes et orationes 28,4-11: Ἦιδε μὲν Ὀλυμπιάσι τὴν Ἱέρωνος δόξαν πρὸς λύραν ὁ Πίνδαρος, ᾖδε δὲ Ἀνακρέων τὴν Πολυκράτους Σαμίων τῇ θεῷ · καὶ Ἀλκαῖος ἐν ᾠδαῖς εἶχε Θαλῆν, ὅτε καὶ Λέσβος πανήγυριν · Σαπφὼ δὲ μόνη γυναικῶν μετὰ λύρας ἐρασθεῖσα , καὶ διὰ τοῦτο Ἀφροδίτῃ καὶ τοῖς Ἔρωσι ὅλην ἀνιεῖσα τὴν ποίησιν, παρθένου καὶ χάριτας τῶν μελῶν ἐποιεῖτο τὴν πρόφασιν ... .

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nes et orationes 39398, wo gesagt wird, Anakreon habe, als er zu Polykrates gerufen wurde, gerne den großen Xanthippos angesprochen. In Declamationes et orationes 39399 ist die Rede von Pindar und Anakreon, die die Kithara spielen. Zu welcher Art von Dichtung Anakreon dieses Instrument gespielt haben könnte, ist nicht ersichtlich. Declamationes et orationes 38,18400 berichtet, Homer habe Athene, und Anakreon und Euripides haben Dionysos dargestellt, was auf die sympotische Dichtung Anakreons verweist. Nicht eingeordnet werden können Declamationes et orationes 47401 (Frg.127G) und Declamationes et orationes 48402 (Frg.127G). JULIAN (4. Jh.n.Chr.) nennt in Misopogon 1403 Anakreon als von den Moiren begünstigten Dichter vieler anmutiger Gedichte. Die Bezeichnung seiner Lieder als χαρίεντα läßt darauf schließen, daß vor allem die erotische Dichtung gemeint ist. Misopogon 38404 liefert Frg.77G, das in einem sympotisch-erotischen Gedicht gestanden haben dürfte. 398

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Himerios, Declamationes et orationes 39,10f.: ἔχαιρε μὲν Ἀνακρέων εἰς Πολυκράτους στελλόμενος τὸν μέγαν Ξάνθιππον προσφθέγξασθαι·. Himerios, Declamationes et orationes 39,62-64: ἐνδοξότερον γὰρ κράνος, ὅταν ὁπλίζῃ κεφαλὴν ἔνδοξον· ἐνδοξοτέρα δὲ ἀσπὶς τὸ Αἴαντος στέρνον καλύπτουσα, καὶ θρόνος, ὅταν δικάζῃ Κῦρος, καὶ κιθάρα, Πινδάρου καὶ Ἀνακρέοντος πλήττοντος. Himerios, Declamationes et orationes 38,13-19: φέρε οὖν, ἐπειδὴ καὶ ἡμᾶς, ὦ παῖδες, ὥσπερ τις θεός, ὅδε ὁ ἀνὴρ φαίνει, οἵους [ποιηταὶ πολλάκις εἰς ἀνθρώπων ¦ εἴδη μορφάς τε ποικίλας ἀμείβοντες, πόλεις τε εἰς μέσας καὶ δήμους ἄγουσιν, ¦ οἵαν Ὅμηρος μὲν Ἀθηνᾶν, Διόνυσον δὲ Ἀνακρέων Εὐριπίδης τ’ ἔδειξαν·. Himerios, Declamationes et orationes 47,3-14: · μέλος γάρ τι λαβὼν ἐκ τῆς λύρας, εἰς τὴν σὴν ἐπιδημίαν προσᾴσομαι, ἡδέως μὲν ἂν πείσας καὶ αὐτοὺς τοὺς λόγους λύραν μοι γενέσθαι καὶ ποίησιν, ἵνα τι κατὰ σοῦ νεανιεύσωμαι, ὁποῖον Σιμωνίδης ἢ Πίνδαρος κατὰ Διονύσου καὶ Ἀπόλλωνος· ἐπεὶ δὲ ἀγέρωχοί τε ὄντες καὶ ὑψαύχενες ἄφετοί τε καὶ ἔξω μέτρων ἀθύρουσιν, ὀλίγα παρακαλέσας τὴν ποίησιν δοῦναί μοί τι μέλος Τήιον - ταύτην γὰρ φιλῶ τὴν μοῦσαν - , ἐκ τῶν ἀποθέτων τῶν Ἀνακρέοντος τοῦτόν σοι φέρων τὸν ὕμνον ἔρχομαι, καί τι καὶ αὐτὸς προσθεὶς τῷ ᾄσματι· ‚Ὦ φάος Ἑλλήνων καὶ τῶν ὅσοι Παλλάδος ἱερὸν δάπεδον Μουσάων τ’ ἄλση νεμόμεθα’. Himerios, Declamationes et orationes 48,35-46: νῦν ἔδει μοι Τηΐων μελῶν, νῦν ἔδει μοι τῆς Ἀνακρέοντος λύρας, ἥν, ὅταν ὑπὸ παιδικῶν ἐκεῖνος ὑπεροφθῇ ποτε, καὶ κατ’ αὐτῶν Ἐρώτων οἶδεν ἐργάσασθαι· εἶπον ἂν πρὸς αὐτοὺς τὰ ἐκείνου ῥήματα· τάχα δ’ ἂν καὶ ἠπείλησα τὴν ἀπειλήν, ἣν Ἀνακρέων ἀπειλεῖ τοῖς Ἔρωσιν· ἐκεῖνος γάρ ποτε ἐρασθεὶς ἐφήβου καλοῦ, ἐπειδήπερ ἑώρα τὸν ἔφηβον ὀλίγον αὐτοῦ φροντίζοντα, λύραν ἁρμόσας ἠπείλει τοῖς Ἔρωσιν, εἰ μὴ αὐτῷ τιτρώσκοιεν αὐτίκα τὸν ἔφηβον, μηκέτι μέλος εὔφημον εἰς αὐτοὺς ἀνακρούσασθαι. Julian, Misopogon (sc. Ἀντιοχικὸς ἢ Μισοπώγων) 1,1f.: Ἀνακρέοντι τῷ ποιητῇ πολλὰ ἐποιήθη μέλη χαρίεντα· τρυφᾶν γὰρ ἔλαχεν ἐκ Μοιρῶν. Julian, Misopogon 38,16-19: Ἤδη γάρ, ὡς καὶ ὑμεῖς αὐτοὶ συνορᾶτε, πλησίον ἐσμὲν ἐθελόντων θεῶν, Εὖτέ μοι λευκαὶ μελαίναις ἀναμεμίξονται τρίχες, ὁ Τήιος ἔφη ποιητής (Frg.77G).

LIBANIOS (4. Jh.n.Chr.) bezieht sich in Orationes 64,87,6405 auf Anakreons erotische Dichtung. SYNESIOS (4. Jh.n.Chr.)406 setzt teischen Gesang mit erotischer anakreontischer Dichtung gleich. Auch die übrigen Dichter christlicher Anacreontea, wie beispielsweise Sophronios, beziehen sich auf Anakreon als Verfasser sympotisch-erotischer Dichtung, doch ist das Verhältnis der christlichen Anacreontea zu den nichtchristlichen ein zu komplexes, als daß es hier ausführlich behandelt werden könnte. Fraglich ist dabei auch, inwieweit gerade die Verfasser christlicher Anacreontea sich nicht doch weitestgehend an den ihnen vorliegenden nichtchristlichen Anacreontea und nicht mehr an der anakreontischen Dichtung für ihr Bild von Anakreon orientiert haben, so daß Synesios zwar ins Gesamtbild paßt, jedoch von eher geringer Aussagekraft ist407. THEMISTIUS (4. Jh.n.Chr)408 thematisiert auf Grundlage der erotischen Dichtungen von Anakreon und Sappho deren Verherrlichung der Knabenbzw. Mädchenliebe. Georgios CHOIROBOSKOS (4./5. Jh.n.Chr., viell. auch 6.Jh. oder später) bezieht sich in Scholia in Hephaistionem 189409 (Frg.1G) und in Scholia in

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Libanios, Orationes 64,87,1-14: Τῶν γὰρ ᾀσμάτων ἐπιλαμβάνεται καὶ τοῦ χοροῦ, τοῦ μὲν ὡς οὐκ ἀπὸ σπουδαίων οὔτ’ ἀνδρῶν οὔτε γυναικῶν ἠθροισμένου, τῶν δὲ ὡς μαλθακώτερον ἐχόντων καὶ βλαπτόντων εἰς ἀνδρείαν, ὥσπερ ἐκείνου τε καὶ ἡμῶν οὐκ ἂν ἡδέως καλλίω μὲν ἰδόντων χορόν, βελτίω δὲ δεξαμένων μέλη. ὡς ἔδει γε τῆς Ἀνακρέοντος μούσης ἀπορροήν τινα τούτοις ἐργάζεσθαι τὰς ᾠδάς. τὸ γὰρ αὐτὸ τὴν ὄρχησιν μὲν ἂν ἀπελάμπρυνε τούτοις, τῷ θεάτρῳ δ’ ἂν ἐπηύξησε τὴν εὐωχίαν ἀλλ’ εἰ μὴ Σαπφοῦς εὐποροῦσι, διὰ τοῦτο ἀδικοῦσιν; ὥσπερ ἂν εἴ τις τὴν τῶν ἀριστέων ἀνδραγαθίαν ψέγοι τῇ τῶν σκευοφόρων φαυλότητι. ἦν δέ, οἶμαι, κάλλιον ἐῶντα τὴν ὄρχησιν ἐπανορθοῦν τὰ περὶ τὸν χορὸν ἢ ταῖς κατὰ τῶν χορευτῶν αἰτίαις τὴν ὄρχησιν ἀναιρεῖν. Synesios, Hymni 9,1-15: Ἄγε μοι, λίγεια φόρμιγξ, / μετὰ Τηΐαν ἀοιδάν, / μετὰ Λεσβίαν τε μολπάν, / γεραρωτέροις ἐφ’ ὕμνοις / κελάδει Δώριον ᾠδάν, / ἁπαλαῖς οὐκ ἐπὶ νύμφαις / ἀφροδίσιον γελώσαις, / θαλερῶν οὐδ’ ἐπὶ κούρων / πολυηράτοισιν ἥβαις· / θεοκύμονος γὰρ ἁγνὰ / σοφίας ἄχραντος ὠδὶς / μέλος ἐς θεῖον ἐπείγει / κιθάρας μίτους ἐρέσσειν, / μελιχρὰν δ’ ἄνωγεν ἄταν / χθονίων φυγεῖν ἐρώτων. Daß in Gesamtdarstellungen wie der vorliegenden die einzelnen Stellen nicht immer im wünschenswerten und vielleicht manchmal nicht einmal im erforderlichen Umfang gewürdigt werden können, ist bedauerlich, aber bisweilen nicht zu vermeiden, und gilt nicht nur für den gerade angesprochenen Fall, sondern auch für andere Stellen, bei denen nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wurde. Themistius, Ἐρωτικὸς ἢ περὶ κάλλους βασιλικοῦ 170d5-171a3:Σαπφοῖ μὲν γὰρ καὶ Ἀνακρέοντι συγχωροῦμεν ἀμέτρους εἶναι καὶ ὑπερμέτρους ἐν τοῖς ἐπαίνοις τῶν παιδικῶν· σωμάτων γὰρ ἤρων ἰδιωτικῶν ἰδιῶται καὶ οὐδεὶς κίνδυνος ἐπῆν, εἰ χαυνωθεῖεν ὑπὸ τοῦ ἐπαίνου αὐτοῖς οἱ ἐρώμενοι. Georgios Choiroboskos, Scholia in Hephaistionem 189,24f.: ἐν δὲ ἀντισπαστικῷ Ἀνακρέοντος (Frg.1G,4) ἥ κου νῦν ἐπὶ Ληθαίου.

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Hephaistionem 192410 (Frg.1G) auf Anakreons politische Dichtung, ebenso wie wahrscheinlich in Prolegomena et scholia in Theodosii Alexandrini canones isagogicos de flexione verborum 80411 (Frg.41G). Scholia in Hephaistionem 193412 verweist auf die elegischen Gedichte Anakreons, über deren Inhalt sich jedoch nichts Näheres sagen läßt. HERMIAS (5. Jh.n.Chr.): Da Anakreon in Platons Phaidros nur wegen seiner erotischen Dichtung genannt wird, befassen sich alle Erwähnungen von Anakreon bei Hermias mit Anakreon als erotischem Dichter. Dies zeigt auch, daß Platons Phaidros möglicherweise nicht unbeträchtlich dazu beigetragen hat, Anakreon den Ruf eines ausschließlich erotischen Dichters zu verleihen. Anakreon wird hierbei stets in Verbindung mit Sappho genannt413. 410

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Georgios Choiroboskos, Scholia in Hephaistionem 192,3-11: Ἥ κου νῦν ἐπὶ Ληθαίου; τοῦτο Ἀνακρέοντος (Frg.1G,4) ἐστὶν ἀντισπαστικὸν μέτρον. ἔστι δὲ τὸ ἀντισπαστικόν, ὅτι ἀπὸ σπονδείου ἄρχεται καὶ τροχαίου, ὡς ἐν τῷ γουνοῦμαί σ’ ἐλαφηβόλε (Frg.1G,1)· ὁ δεύτερός ἐστι ποὺς διίαμβος, τῆς τελευταίας ἀδιαφορούσης. ἐνταῦθα οὖν ἡ συλλαβὴ τοῦ ἐν μέσῳ λέξεως κοινή ἐστιν, ἀντὶ βραχείας παραλαμβανομένη. Georgios Choiroboskos, Prolegomena et scholia in Theodosii Alexandrini canones isagogicos de flexione verborum 80,17-27: ἐπειδὴ οὖν ὅταν ὁ μέλλων ἀπὸ τοῦ ἄρχηται, ὁ παρατατικὸς μακρὰν ἔχει τὴν ἄρχουσαν θέσει - διὰ γὰρ τῶν δύο γράφεται, οἷον ἔρραπτον ἐρρά- πιζον ἐρρύπουν - ἀναγκάζεται ὁ παρακείμενος συνάρχεσθαι τῷ παρατατικῷ καὶ γενέσθαι ἐρρύπωκα καὶ ἔρραφα καὶ ἐρράπικα, καὶ τούτου χάριν οὐκ ἀναδιπλασιάζεται· εἰ γὰρ ἀνεδιπλασιάζετο, οὐκέτι συνήρχετο τῷ παρατατικῷ, ὅπερ ἐστὶν ἄτοπον. Σημειούμεθα παρὰ τῷ ποιητῇ τὸ , καὶ τὸ παρὰ τῷ Πινδάρῳ , καὶ τὸ παρὰ τῷ Ἀνακρέοντι , ὅτι ταῦτα διὰ τοῦ ἀνεδιπλασιάσθησαν· περὶ ὧν ἔστιν εἰπεῖν, ὅτι κατὰ τὴν ποιητικὴν ἐξουσίαν οὕτω γεγόνασιν. Georgios Choiroboskos, Scholia in Hephaistionem 193,20: καὶ παρ’ Ἀνακρέοντι ἐν ἐλεγείαις. Die Stellen sind folgende: Hermias, In Platonis Phaedrum scholia 2,15-19 (Ἀχθομένου οὖν τοῦ Φαίδρου πρὸς τοὺς ἐλέγχους τοῦ ἐραστοῦ τοῦ Λυσίου λόγου, καὶ λέγοντος [ὅτι] μηδένα ἂν ἔχειν εἰπεῖν εἰρηκότα τούτων καλλίω καὶ βελτίω, φησὶν ὁ Σωκράτης ἀκηκοέναι πλείω καὶ καλλίω εἰρηκότων τινῶν περὶ τούτων αὐτῶν, οἷον καὶ ); ebd. 42,9-14 (μ’. Πρὸ τοῦ εἰπεῖν τί ἐστιν ὁ ψυχικὸς καὶ σώφρων ἔρως βούλεται αὐτῷ δοξαστικῶς ἐπιδεῖξαι ὅτι ἔστι πρῶτον τοιοῦτος ἔρως σώφρων καὶ κόσμιος, καὶ παράγει Σαπφὼ καὶ Ἀνακρέοντα οἳ ἐκ τῶν ἐξ ἀιδίου ἐνυπαρχόντων ἐν ταῖς ψυχαῖς αὐτῶν κατ’ οὐσίαν λόγων ἐκ τοῦ δημιουργοῦ προβαλόντες αὐτοὺς κατ’ ἐνέργειαν, κατεκόσμησαν τὴν ἑαυτῶν ζωήν.); ebd. 42,14-18 (Ἐπεὶ οὖν οἱ θεολόγοι εἰς ἄρρεν καὶ θῆλυ διαιροῦσι τοῦς θεοὺς καὶ τῶν ψυχῶν αἳ μὲν τοῖσδε αἳ δὲ τοῖσδε προσήκουσι τῶν θεῶν, ὡς καὶ ἐν εἴρηκεν ἐν τῷ Ἀριστοφάνους λόγῳ, διὰ τοῦτο καὶ αὐτὸς Σαπφὼ καὶ Ἀνακρέοντα παρέλαβε, τὴν μὲν τῷ θήλει πρέπουσαν, τὸν δὲ τῷ ἄρρενι.); ebd. 42,28-43,1 (Ἐπεὶ δὲ ἐν τοῖς ἑξῆς φησὶν πάντων δὲ ἡ ἀναγωγὴ ἐπὶ τὸ ἓν καὶ τἀγαθὸν γίνεται διὰ τοῦ καλοῦ καὶ τοῦ σοφοῦ, τουτέστι δι’ ἐρωτικῆς καὶ φιλοσοφίας (τὸ γὰρ σοφὸν τὸ γνωστικὸν σημαίνει

HESYCH (5. Jh.n.Chr.) bezieht sich in Lexicon α,1866414 (Frg.128G), Lexicon α,3659415 (Frg.129G) und Lexicon κ,2417416 (Frg.102G) auf Anakreons sympotische Dichtung, in Lexicon α,7926417 (Frg.130G) und Lexicon γ,1013418 (Frg.124G) auf Anakreons erotische Dichtung und in Lexicon α,8360419 (Frg.147G) wahrscheinlich auf ein Spottgedicht. Nicht eingeordnet werden kann die Erwähnung Anakreons in Lexicon ε,5936420 (Frg.114G). ORION (5. Jh.n.Chr.) sagt in Etymologicum α,3421, er habe auf einem Denkmal Anakreons das Wort ἁβρός gefunden in dem Sinne, daß einer leicht dahinschreitet, wenn er der Schwere beraubt ist. Die Leichtigkeit dürfte wohl auf die Leichtigkeit seiner Dichtung und die in dieser dargestellte

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τῶν θεῶν, ὥσπερ τὸ καλὸν τὴν καλλονήν), διὰ τοῦτο εἶπε .); ebd. 43,1-6 (Ἴσως δὲ καλὴν τὴν Σαπφὼ εἶπεν ὡς μάλιστα περὶ Ἀφροδίτης ἐγκώμια καὶ ὕμνους διατρίψασαν· Ἀφροδίτη δέ ἐστιν ἡ ἔφορος θεὸς τοῦ κάλλους καὶ ἐπιλάμπουσα πᾶσι τὸ καλόν. Ἀνακρέων δὲ σοφὸς ὡς φιλόσοφος καὶ ἐπιστήμων· πάντες δὲ πάντα εἰσὶ, προλάμπει δὲ κατὰ τόδε. Πάντες οὗτοι οἱ ποιηταὶ τὸν σώφρονα ἐνεκωμίασαν ἔρωτα.); ebd. 43,14-21 (Ἐπεὶ οὖν νῦν βούλεται ἐνεργῆσαι ὁ Σωκράτης κατὰ τὸν ψυχικὸν ἔρωτα τὸν σώφρονα καὶ αὐτῆς τῆς ψυχῆς, διὰ τοῦτο ἔφατο ἔχειν τὸ τῶν τοιούτων λόγων, τὸ μέσον τοῦ ἔρωτος [τοῦ σώφρονος] διὰ τοῦ μέσου μέρους τοῦ σώματος παριστάς. Οὐκ οἴεται δὲ οὐδὲ τὸν Ἀνακρέοντα καὶ Σαπφὼ τὸν ἄκρον καὶ ἀναγωγὸν καὶ ἐνθουσιαστικὸν ἔρωτα ἐπιτηδεῦσαι, ἀλλ’ οὐδὲ τὸν ἀποπεπτωκότα τὸν ἀκόλαστον, περὶ δὲ τὸν μέσον ἐσπουδακέναι τὸν σωφρονικὸν καὶ κόσμιον καὶ αὐτὴν πᾶσαν τὴν ψυχὴν καὶ πάντα τὸν ἄνθρωπον κατακοσμοῦντα.); ebd. 88,20-22 (σχεδὸν γὰρ οἱ αὐτοὶ τήν τε μουσικὴν καὶ τὴν ἐρωτικὴν ἤσκησαν, ὡς ἄνευ ἀλλήλων εἶναι μὴ δυναμένων, ὥσπερ δὴ Σαπφώ τε καὶ Ἀνακρέων καὶ οἱ ὅμοιοι.). Hesychius, Lexicon (Α – Ο), α,1866,1f.: · τὸν Διόνυσον· Ἀνακρέων (Frg.128G), ἄλλοι τὸν οἶνον, ἄλλοι τὴν Ἄρτεμιν. Hesychius, Lexicon (Α – Ο), α,3659,1: · ἔδεσμα ποιόν, καὶ ἄρτυμα, ὡς Ἀνακρέων (Frg.129G). Hesychius, Lexicon (Α – Ο), κ,2417,1-4: · δέδεμαι συνερραμμένος τοὺς πόδας· γὰρ τὸ ῥάπτειν, καὶ τὸ πλεκτόν, ὡς Ἀνακρέων (Frg.102G), καὶ τὸ ὀπήτιον. Σοφοκλῆς Πανδώρᾳ ἢ Σφυροκόποις (Frg.445). Hesychius, Lexicon (Α – Ο), α,7926,1f.: · τὴν Σάμον Ἀνακρέων (Frg.130G), ἐπεὶ ὕστερον εὔϋδρος ἐγένετο. Hesychius, Lexicon (Α – Ο), γ,1013,1-3: · διὰ τὴν δέσιν τῶν σκελῶν καὶ πλοκὴν τὴν κατὰ τὴν συνουσίαν. (Eupol. Frg.161) καὶ Ἀνακρέων (Frg.124G) πλέξαντες μηροῖσι πέρι μηρούς. Hesychius, Lexicon (Α – Ο), α,8360,1-3: · ἀγάμεναι ἑαυτὰς καὶ θαυμαστικῶς ἔχουσαι ἑαυτῶν, Ἴων Ἀλκμήνῃ (Frg.8). ἔνιοι δὲ αὐθάδεις. καὶ Ἀνακρέων οὕτω κέχρηται (Frg.147G). Hesychius, Lexicon (Α – Ο), ε,5936,1-4: · ἔρεισμα (Δ 117) A. [ἢ ἕργμα]. ἢ τὸν πετρώδη καὶ ἐπικυματιζόμενον, ὥστε μὴ βλέπειν, τόπον τῆς θαλάσσης· καὶ Ἀνακρέων· ‚ἀσήμων ὑπὲρ ἑρμάτων φορεῦμαι’ (Frg.114G) καὶ τὸ τὴν ναῦν ἔρεισμα στηρίζον. καὶ τὸ σκήνωμα τῆς νεώς. Orion, Etymologicum, α,3,11-12: , ὁ κούφως βαίνων, κατὰ στέρησιν τοῦ βάρους· οὕτως ἐν Ὑπομνήματι Ἀνακρέοντος εὗρον.

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Leichtigkeit des sympotisch-erotischen Lebens hindeuten (vgl. Frg.37G, Frg.71G und Frg.93G), denn wenn die Stelle rein topisch als Befreiung von den Lasten des Lebens durch den Tod zu verstehen wäre, wäre zum einen ἁβρός in seiner poetologischen Aufladung hier untypisch und zum anderen wäre der Bezug speziell auf Anakreon nicht erklärbar. Etymologicum ε,62422 nennt Frg.38G, ein erotisches Gedicht. Etymologicum σ,148423 (Frg.2G) bezieht sich wohl auf ein politisches Gedicht. Über Etymologicum σ,148424 (Frg.166G) läßt sich nichts näheres sagen. OROS (5. Jh.n.Chr)425 bezieht sich auf Frg.45G, das wohl der erotischen Dichtung angehört, so Rozokoki426, oder der erotischen Spottdichtung. STOBAIOS (5. Jh.n.Chr.): Anthologion 4,21b,24427 bezieht sich darauf, daß Anakreon (Frg.26G) einen Knaben, möglicherweise Smerdies428, getadelt habe, weil er sich die Haare abgeschnitten hatte. Die Stelle zeigt Anakreon als der Knabenliebe zugetan und verbindet den Dichter somit eng mit dem erotischen Bereich. Anthologion 4,51,12429 nennt Frg.36G, ein eroti-

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Orion, Etymologicum, ε,62,28-31: τοιαῦτα δὲ εἰσὶ ῥήματα, καὶ ἀπὸ τῶν εἰς εἰς παραγόμενα, πλεονάζοντος τοῦ , πύκτης πυκτίζω πυκταλίζω· Ἀνακρέων, ὡς δὴ πρὸς ἔρωτα πυκταλίζω (Frg.38G). Orion, Etymologicum, σ,148,11f.: τίλλειν δὲ τὸ κόπτειν, ὡς λέγει Ἀνακρέων (Frg.2G). Es findet sich jedoch in den Anmerkungen bei Sturz der Hinweis, daß mit Larcher σκώπτειν statt κόπτειν bei Orion zu lesen sein könnte. Orion, Etymologicum, σ,148,5f.: καὶ σηλάζειν Ἀνακρέων ἐπὶ τοῦ θρηνεῖν (Frg.166G). Oros Frg.A 69,1-4: · οὐκ ἐν τῷ χ, πανδοχεῖον· καὶ καὶ τὰ ὅμοια οὕτως. τὸν δὲ ἐν τῷ χ καὶ Ἀττικοὶ καὶ Δωριεῖς καὶ Ἴωνες πλὴν Ἀνακρέοντος. οὗτος δὲ μόνος σχεδὸν τῷ κ. Aus: Zonaras 1512. Rozokoki S.240. Stobaios, Anthologion 4,21b,24,1-17: Φαβωρίνου (Frg.87p.138Marr.). Ἡ φύσις ἢ ἑστῶσα σῴζεται ἢ φερομένη· [ἡ] ἑστῶσα μὲν ἐξ ἀθανασίας, φερομένη δὲ ἐξ ἐπιγονῆς. πρὸς ταῦτα γελοῖος ἂν φανείη ὁ Ἀνακρέων καὶ μικρολόγος τῷ παιδὶ μεμφόμενος ὅτι τῆς κόμης ἀπεκείρατο, λέγων ταῦτα (Frg.26G)· ἀπέκειρας δ’ ἁπαλῆς κόμης ἄμωμον ἄνθος. ἀλλ’, ὦ Ἀνάκρεον, μικρὸν ἐπίμεινον, καὶ ὄψει πάντα ἀποκεκαρμένα· ἀποκεκαρμένην μὲν τὴν τῶν ὀμμάτων αὐγήν, ἀποκεκαρμένην δὲ τὴν τοῦ μετώπου χάριν ἀτεχνῶς κατὰ τὸν Ὅμηρον· κάρψε μέν οἱ χρόα καλὸν ἐπὶ γναμπτοῖσι μέλεσσιν, / ξανθὰς δ’ ἐκ κεφαλῆς ὄλεσεν τρίχας· ἀμφὶ δὲ δέρμα / πάντεσσιν μελέεσσι παλαιοῦ θῆκε γέροντος. ταῦτα δ’ Ἀθηνᾶ μὲν διέθηκε τὸν Ὀδυσσέα, ὁ δὲ χρόνος πάντας τοὺς καλούς. εἶτα Ὀδυσσεὺς μὲν ἀναλήψεται καὶ σάρκας καὶ κόμην καὶ χρῶμα· σὺ δέ, ὦ καλὲ παίδων, ἐπειδὰν ἅπαξ ταῦτα ἀποβάλῃς, οὐκ ἔστι σοι πάλιν ἀνηβῆσαι. Siehe hierzu den Kommentar bei Gentili. Stobaios, Anthologion 4,51,12,1-7: Ἀνακρέοντος (Frg.36G). Πολιοὶ μὲν ἡμὶν ἤδη κρόταφοι, κάρη δὲ λευκόν, χαρίεσσα δ’ οὐκ ἔθ’ ἥβη πάρα, γηραλέοι δ’ ὀδόντες. γλυκεροῦ δ’ οὐκ ἔτι πολλὸς βιότου χρόνος λέλειπται. διὰ ταῦτ’ ἀνασταλύζω θαμὰ Τάρταρον δεδοικώς· Ἀίδεω γάρ ἐστι δεινὸς μυχός, ἀργαλέη δ’ ἐς αὐτὸν κάτοδος· καὶ γὰρ ἑτοῖμον καταβάντι μὴ ἀναβῆναι.

sches Gedicht. Anthologion 4,31c,78430 sagt, Anakreon habe von Polykrates fünf Talente erhalten, zwei Nächte lang über dieses Geschenk nachgedacht und sie dann zurückgegeben. Ob diese Information einem Gedicht Anakreons entnommen ist, läßt sich nicht sagen, doch ist auffällig, daß dieselbe Geschichte in Anthologion 4,31c,91431 in anderer Version, nämlich mit einem statt fünf Talenten Gold, erscheint, so daß es sich um allgemeine Legendenbildung handeln dürfte, der höchstens noch ein kurzer Ausspruch aus einem Anakreon-Gedicht zugrunde liegen könnte, doch ist nichts dahingehendes überliefert (siehe auch S.52f.). STEPHANUS GRAMMATICUS (6. Jh.n.Chr.)432 berichtet, Teos sei von Athamas gegründet worden, weshalb Anakreon die Stadt Athamantis nenne. Diese Angabe scheint früheren Sekundärquellen wie etwa Strabo 14,1,30 (siehe S.52) und von diesen wohl Anakreons eigener Dichtung entnommen zu sein. Ein kurzer Blick ist noch auf die Erwähnungen von Anakreon in der ANTHOLOGIA GRAECA zu werfen. Dort sind siebzehn Epigramme unter Anakreons Namen überliefert433, von denen jedoch nur fünf ohne größere Zweifel für echt erachtet werden können434. Während Anakreon in der Literatur und besonders auch in der Anthologia Graeca zwar häufig als Verfasser sympotisch-erotischer Dichtung genannt wird435, so wird er nie aus430

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Stobaios, Anthologion 4,31c,78,1-5: Ἀνακρέοντος. Ἀνακρέων δωρεὰν παρὰ Πολυκράτους λαβὼν πέντε τάλαντα, ὡς ἐφρόντισεν ἐπ’ αὐτοῖς δυοῖν νυκτοῖν, ἀπέδωκεν αὐτὰ εἰπὼν οὐ τιμᾶσθαι αὐτὰ τῆς ἐπ’ αὐτοῖς φροντίδος. Stobaios, Anthologion 4,31c,91,1-4: Ἐκ τῶν Ἀριστοτέλους Χρειῶν. Ἀνακρέων ὁ μελοποιὸς λαβὼν τάλαντον χρυσίου παρὰ Πολυκράτους τοῦ τυράννου, ἀπέδωκεν εἰπὼν ‚μισῶ δωρεάν, ἥ τις ἀναγκάζει ἀγρυπνεῖν’. Stephanus Grammaticus, Ethnica 619,15 - 620,9: πόλις Ἰωνίας. ἔστι δὲ μέση Ἰωνίας, ὡς Ἡρόδοτος ἐν πρώτῃ. ἣν πρῶτον ἔκτισεν Ἀθάμας, ὅθεν Ἀθαμαντίδα καλεῖ αὐτὴν Ἀνακρέων. ἐκλήθη δὲ ἀπὸ τῆς Ἀθάμαντος θυγατρὸς Ἀρᾶς. σκοπουμένου γὰρ τοῦ Ἀθάμαντος ἔνθα ἱδρύσει τὸν λαόν, ἀθύρουσα οἷα δὴ παῖς ἐκ λίθων οἰκίαν δειμαμένη ἔλεγεν ‚ἕως σὺ χῶρον ἐσκόπεις, τέως ἐγὼ πόλιν σοι ἐδειμάμην’. καὶ διὰ τοῦτο ἡ πόλις οὕτως ὠνομάσθη. τὸ ἐθνικὸν Τήιος. ἔστι γὰρ πρῶτον Τέιος καὶ Τεῖος καὶ ἰωνικῶς Τήιος. ἀφ’ οὗ ‚Πρωταγόρας ὁ Τήιος’. καὶ Σκυθῖνος ἰάμβων ποιητὴς Τήιος. καὶ θηλυκῶς Τηία. ἔστι καὶ ἑτέρα πόλις ἐν Δυρβαίοις τῆς Σκυθίας, ἐν ᾗ λέγουσι λίμνην ἰχθύων ἔχουσαν πλῆθος, ἀφ’ ὧν εὐδίας γινομένης ἔλαιον ἐπιπολάζει τοσοῦτον, ὅσον ἀρύεσθαι αὐτὸ ταῖς χερσὶν εἰς σκάφος καὶ χρῆσθαι αὐτῷ. Diese finden sich in AG 7,226 (191G), AG 7,160 (192G), AG 7,263 (193G), AG 6,135 (195G), AG 6,346 (196G), AG 6,143 (197G), AG 6,142 (198G), AG 6,136 (199G), AG 6,140 (200G), AG 6,137 (201G), AG 6,141 (202G), AG 6,139 (203G), AG 6,134 (204G), AG 9,715 (205G), AG 9,716 (206G) und AG 13,4 (75G). Es sind dies die Epigramme 75G, 191G, 193G, 201G und 202G. So in AG 4,1 (Kranz des Meleager, s.o. S.65), AG 7,23, AG 7,24, AG 7,25, AG 7,26, AG 7,27 AG 7,28, AG 7,29, AG 7,30, AG 7,31, AG 7,32, AG 7,331, AG 9,184, AG 9,239, AG 9,571, AG 9,599 (Theokrit, s.o. S.74), AG 10,70, AG 16,306, AG 16,307, AG 16,308 und AG 16,309.

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drücklich als Verfasser von Epigrammen erwähnt. Auch sind die unter Anakreons Namen überlieferten, jedoch nicht von Anakreon selbst stammenden Epigramme lediglich dadurch speziell mit Anakreon in Verbindung zu bringen, daß sie unter seinem Namen überliefert sind. Dies zeigt deutlich, daß Anakreon als epigrammatischer Dichter in weitaus geringerem Maße wahrgenommen wurde denn als sympotisch-erotischer Dichter, weshalb man mit gutem Recht davon sprechen kann, daß sich die literarische Rezeption Anakreons so gut wie ausschließlich auf seine sympotisch-erotische Dichtung beschränkt. Der Vollständigkeit wegen ist abschließend noch kurz auf die Papyrusfragmente einzugehen, die jedoch recht spärlich sind. Neben den bereits länger bekannten Fragmenten436 sind in jüngerer Zeit auch zwei umfangreichere, jedoch stark fragmentarische437, und drei kleinere Papyri438 gefunden worden. Diese belegen sowohl eine gewisse Verbreitung von Anakreons Dichtung als auch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr, doch ist ihre Anzahl zu gering und ihr Zustand zu fragmentarisch, als daß weitere Schlüsse möglich wären, aber sie zeigen dadurch, daß auf einigen der Bruchstücke Reste von erotischer Dichtung zu finden sind, daß dieser Teil des anakreontischen Werkes tatsächlich von so besonderem Interesse war wie es auch die sekundäre Überlieferung zeigt. Zusammenfassung: Die zeitliche gegliederte Betrachtung derjenigen Stellen, an denen Anakreon in der griechischen Literatur Erwähnung findet, hat nicht nur, wie zu erwarten war, gezeigt, daß er hauptsächlich für seine sympotisch-erotische Dichtung bekannt war und daß diese auch durchgehend als die für ihn charakte-

436

437

438

Diese Gedichte bedienen sich, beispielsweise hinsichtlich der Nennung der angeblichen Geliebten Anakreons, in ausgiebiger Weise der biographistischen Interpretation von Anakreons Dichtung, wodurch sich auch zwangsläufig motivische Ähnlichkeiten mit den Carmina Anacreontea ergeben, die jedoch lediglich allgemeiner Art sind. Auf möglicherweise speziellere Bezüge wird in der Untersuchung der Carmina Anacreontea an den entsprechenden Stellen verwiesen. Es sind dies P.Oxy. 2321 (Frg.60-70G), P.Oxy. 2322 (Frg.71-73G) und P.Oxy. 221 (Frg.190G). Eine Klassifizierung der Fragmente findet sich unten in Tabelle 3, S.106f. Es sind dies P.Oxy. 3695 (Frg.1R) und P.Oxy. 3722 (Frg.4R), wobei der Text in P.Oxy. besser konstituiert ist als bei R. Ersterem Papyrus ist nicht zu entnehmen, um was für Gedichte es sich handelt, letzterer enthält einen Kommentar zu Gedichten von Anakreon, doch ist er aufgrund seines stark fragmentarischen Zustandes auch nicht ergiebig. Es sind dies P.Mich. inv.3498r (Frg.174R), der Teile eines erotischen Gedichtes enthält, sowie der stark fragmentarische P.Ryl. I 34 (Frg.175R) und P.Oxy. 4454, welcher ebenfalls stark fragmentarisch ist und einen Kommentar zu Gedichten von Anakreon enthält.

100

ristische angesehen wurde, sondern auch, daß dieses Phänomen nicht etwa erst ab der hellenistischen Zeit in besonders ausgeprägter Form vorzufinden ist, wie Rosenmeyer annimmt439, sondern bereits ab der archaischen Zeit, so daß man wohl davon auszugehen hat, daß diese selektive Wahrnehmung von Anakroens Dichtung bereits zu seinen Lebzeiten eingesetzt hat. Die zweite bemerkenswerte Tatsache ist die, daß, soweit man hierüber aufgrund der Belege allgemein Aufschluß geben kann, in der poetischen Rezeption nur die sympotisch-erotische Dichtung wahrgenommen wird, so nämlich bei Theokrit, Pseudo-Simonides, Synesios440, der Anthologia Graeca und natürlich den Carmina Anacreontea. Daß der für uns erkennbare Beginn der poetischen Rezeption in den Hellenismus fällt, liegt zum einen vielleicht an der Überlieferungslage, zum anderen aber wohl auch daran, daß besonders im Hellenismus ein Rückgriff auf die archaischen Dichter erfolgte. Man darf daraus aber nicht den Umkehrschluß ziehen, daß der Hellenismus ein bis dahin ausgewogeneres Bild von Anakreon zerstört hätte, denn Belege für nicht sympotisch-erotische Dichtung finden sich auch nach dem Hellenismus in etwa derselben Häufigkeit wie zuvor441. Es ist lediglich so, daß Anakreon als Gegenstand dichterischer Auseinandersetzung auf die Rolle des sympotisch-erotischen Dichters beschränkt wurde, und diese Beschränkung hat sich in den Carmina Anacreontea erhalten. Sie wurde aber weder durch die Carmina Anacreontea verstärkt, denn es ist ohnehin keine dichterische Auseinandersetzung mit Anakreon als nicht sympotischerotischem Dichter vorhanden, noch hat die allgemeine Beschränkung, ebensowenig wie die anacreonteische Dichtung, zu einer Abnahme der Erwähnungen von Anakreons nicht sympotisch-erotischer Dichtung geführt. Dies wird im Folgenden durch kurze tabellarische Übersichten abschließend nochmals verdeutlicht. Um die Zuordnung der oben aufgeführten Stellen zu verschiedenen Arten anakreontischer Dichtung auf Grundlage der in den betreffenden Stellen genannten Fragmente übersichtlich darzustellen, wird mit Tabelle 3 eine Übersicht über die vorgenommene Zuordnung der Anakreon-Fragmente zu den verschiedenen Arten von Dichtung gegeben. Der erotischen Dichtung wurden all diejenigen Fragmente zugeordnet, die sich in irgendeiner Form mit Liebe bzw. Eros befassen, dem sympotischen Bereich alles, was mit dem Symposion in Verbindung steht, und dem politischen Bereich all das, was mit der Polis zu tun hat, einschließlich etwa von Epigrammen auf gefallene Krieger. Die Bezeichnung ‚sympotisch’ bezieht sich also in keiner Weise auf einen möglichen Aufführungskontext, sondern 439 440 441

So Rosenmeyer S.50f. und S.72, vgl. o. S.47f. mit Anm.111;112;114. Zu der speziellen Problematik der christlichen Anakreontik bei Synesios siehe S.95. Umgekehrt liefert Platon, Theages 125d zusammen mit Platon, Charmides 157e die einzigen Erwähnungen, sofern man von drei Verweisen auf Artemon-Gedichte, die der erotischen Spottdichtung angehören, absieht, von Anakreons nicht sympotischerotischer Dichtung bis zum 3. Jh.v.Chr.

101

rein auf den Inhalt der Gedichte, ebenso wie die anderen Klassifizierungen, und auch Gattungszugehörigkeiten werden hier vernachlässigt, sofern sie nicht, wie bei der erotischen Spottdichtung, von inhaltlicher Relevanz sind oder sofern, wie bei den unter ‚hymnisch’ klassifizierten Dichtungen, keine inhaltliche Zuordnung zu einem der anderen Bereiche vorgenommen werden kann. Für die Untersuchung der Carmina Anacreontea kann man also grundsätzlich davon ausgehen, daß die Dichter sich in völligem Einklang mit der allgemeinen Meinung befanden, wenn sie nur Anakreons sympotischerotische Dichtung als wirklich anakreontisch ansahen. Die Beschränkung der anacreonteischen Dichter auf diesen Bereich der anakreontischen Dichtung stellt daher nicht eine absichtliche Stilisierung dar, sondern einfach eine Übernahme des zu ihrer Zeit schon längst gängigen Bildes von Anakreon und seiner Dichtung. Tabelle 1: Erwähnungen von Anakreon und seiner Dichtung bis zum sechsten nachchristlichen Jahrhundert, geordnet nach sympotischerotischen Erwähnungen mit Fragment (A), sympotisch-erotischen Erwähnungen ohne Fragment (B), nicht sympotisch-erotischen Erwähnungen mit Fragment (C), nicht sympotisch-erotischen Erwähnungen ohne Fragment (D), nicht klassifizierbaren Erwähnungen mit Fragment (E) und nicht klassifizierbaren Erwähnungen ohne Fragment (F). Spalte G bezeichnet die Anzahl der Erwähnungen. Zeit

A

B

C

D

7./6.Jh.v.Chr. 5.Jh.v.Chr.

1 Kritias

5./4.Jh.v.Chr. 4.Jh.v.Chr.

1 Platon 1 Aristoteles 1 Aristoxenos

1 Ephoros 1 Diogenes [Artemon] 1 Heraklides Pont. [Artemon] 1 Chamai1 Chamaileon [Artemon] 4./3.Jh.v.Chr. leon 1 Klearchos

102

E

F G 1 Alkaios 1 1 Hellanikos 2

2 Platon

3 7 1 Aristoxenos 1 Ephoros

5

1 Hermesianax 1 Menodo- 3 Menodo3.Jh.v.Chr. tos tos 1 Chrysippos 1 Neanthes 1 Theokrit 2 PseudoSim. 1 Aristoph. 3./2.Jh.v.Chr. Gram. 1 Alexis 1 Moschos [allgemeine Erw.] 2.Jh.v.Chr. 1 Poseido2./1.Jh.v.Chr. nios 2 Dionysios [allgemeine 1 AristoniErw.] 1.Jh.v.Chr. cus 2 Philoxenos 1.Jh.v./n. Chr. 1 Strabo 3 Strabo 1 Heraklei1.Jh.n.Chr. tos 1 Longinus 1 Ammonius [erot. Spott1./2.Jh.n. 1 Ammodichtung] Chr. nius 1 Apollonius 2 Apollonius 1 Dion 1 Dion 1 Favorinus 1 Harpokration 1 Herennius 1 Phlegon 2 Plutarch 1 Plutarch 2 Plutarch [Artemon]

1 Hermesianax 9

2 1 1 6 1 Tryphon 4 2

1 Ammonius

1 Heraclides

1 Ael. Dion. Attic. 3 Apollonios Dysk.

2.Jh.n.Chr. 10 Herodian 3 Herodian 3 Herodian 1 Lukian 1 Lukian 5 Maximos

18

62

4 He6 Herodian rodian 1 Luki1 Luan kian

103

1 Pausanias 1 Pausanias Atticus

1 Pausanias Atticus 1 Pollux [erot. Spottdichtung]

8 Pollux

3 Pollux

1 Sextus Empiricus 4 Sueton

2./3.Jh.n. Chr.

2 Aelian 1 Clemens Alexandrinus

1 Sueton

1 Aelian 1 Clemens Alexandrinus 2 Hermogenes

1 Zenobius 2 Aelian [allgemeine Erw.]

1 Zenobius 11 1 Clemens Alexandrinus [erot.]

1 Philostrat 3. Jh.n.Chr. 4. Jh.n.Chr.

2 Himerius 3 Himerius 1 Julian 1 Julian 1 Libanios 1 Synesios

5.Jh.n.Chr. 4 Hesych 1 Orion 1 Orus

1 Themisti- 3 Choirous boskos 7 Hermias 1 Hesych 1 Orion 1 Orion

104

63

2 1 Himerius 18

1 Choiroboskos 2 Hesych 1 Orion 2 Stobaios [allgem. Legende]

2 Stobaios Gesamt

1 Menander Rhetor 3 Himerius [polit.]

1 Hippolytos

50

27 (davon 17 eindeutige) 11

21

11

Tabelle 2: Erwähnungen von Anakreon und seiner Dichtung ab dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert, geordnet nach sympotisch-erotischen Erwähnungen mit Fragment (A), sympotisch-erotischen Erwähnungen ohne Fragment (B), nicht sympotisch-erotischen Erwähnungen mit Fragment (C), nicht sympotisch-erotischen Erwähnungen ohne Fragment (D), nicht klassifizierbaren Erwähnungen mit Fragment (E) und nicht klassifizierbaren Erwähnungen ohne Fragment (F). Spalte G bezeichnet die Anzahl der Erwähnungen. Zeit

9.Jh.n.Chr. 10.Jh.n.Chr. 11.Jh.n.Chr.

12.Jh.n.Chr. 13.Jh.n.Chr.

A

B

C D 1 Photius 2 Etymolo- [erot. gicum Ge- Spottdich1 Photius nuinum tung] 1 Johannes Rhetor, 1 Suda 1 Suda 5 Suda 2 Etymo2 Etymologicum 2 Michael logicum Gudianum Gudianum Psellus 1 Etymologicum Symeonis, 2 Etymolo6 Etymo- gicum Sy- 3 Etymologicum meonis, 1 logicum Magnum, Etymologi- Magnum, 1 Eu9 Eustathicum Ma- 7 Eustathius stathius us gnum 2 PseudoZonaras

14.Jh.n.Chr. 15.Jh.n.Chr. 3 Arsenius Gesamt 25 12

1 Arsenius 16 1

E

F

G

3 Photius

1 Photius

8

1 Suda 7 Suda 4 Etymologicum Gu- 2 Michael dianum Psellus

16 12

1 Johannes Tzetzes, 2 9 Etymolo- Etymologigicum Ma- cum Magnum, 3 gnum, 6 Eustathius Eustathius 51 3 PseudoZonaras 5 2 Gnomologium Vaticanum 2 1 Michael Apostolius, 1 Arsenius 6 28 18

105

Tabelle 3: Klassifizierung der Anakreon-Fragmente, nach der Zählung der Ausgabe von Gentili, soweit nicht anders angegeben, geordnet nach sympotischen Gedichten (A), erotischen Gedichten (B), Gedichten, die sowohl sympotische als auch erotische Elemente enthalten (C), Gedichten, die sich keiner der anderen Kategorien zuordnen lassen (D), Gedichten, deren Inhalt nicht klassifizierbar ist (E), Spottgedichten teils erotischen Inhaltes (F), Gedichten hymnischen Inhaltes (G) und Gedichten politischen Inhaltes (H). Ged. A 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 x 17 18 19 x 20 21 22 23 24 x 25 26 27 28 29 30 x 31 x 32 x

106

B C D E F G H x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

Ged. A 33 x 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 x 49 50 51 52 53 54 55 56 57 x 58 59 60 61 62 63 64

B C D E F G H x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

Ged. A 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 x 103 x 104 x

B C D E F G H x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

Ged. A 105 106 107 108 109 110 x 111 112 113 114 115 116 117 118 x 119 120 121 x 122 123 x 124 125 126 127 128 x 129 130 131 132 133 134 135 x 136 x 137 138 139 140 141 142 143 144 x

B C D E F G H x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

x x x x x x x

107

Ged. A 145 146 147 148 149 x 150 151 152 153 154 x 155 156 157 158 159 x 160 x 161 x 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 x 175 176 177 178 179 180

B C D E F G H x x x x x x x x x x x x

x x x x x x x x x x x x x x

Ged. A 181 182 x 183 184 x 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 R1 R4 R174 R175 R177

B C D E F G H x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x

x x x x

An4+ 28 61 18 54 14 3 13 zahl 16 108

III. b) 2) B) Das poetologische Programm In Zusammenfassung der obigen Stellen läßt sich zunächst beobachten, daß Anakreon bereits im 5. Jh.v.Chr. bei Kritias442 vollständig auf das Bild des sympotisch-erotischen Dichters festgelegt ist, und daß diese Festlegung damit einhergeht, daß seine tatsächliche Dichtung gänzlich hinter der unbestimmten Topik dieses Bereiches verschwindet, wodurch es schwerfällt, ein konkretes Programm seiner Dichtung zu erstellen. Bei Kritias werden folgende Elemente genannt: Anakreon, der als Verkörperung seiner Dichtung erscheint, verfaßt Lieder zu weiblichen Melodien443, ist Ansporn bei Symposien, hat eine verführerische Wirkung auf Frauen, ist dem Aulos, der für die politische Dichtung steht, entgegengesetzt, liebt dementsprechend den Barbitos444, ist süß und angenehm und sorgenfrei, seine Liebe ist alterslos und unsterblich, solange es noch Symposien gibt, welche durch das Weintrinken, durch Frauenchöre und das Kottabos-Spiel (vgl. Anakreon Frg.31G) charakterisiert werden. Insgesamt lassen sich also vier große Themen feststellen, nämlich Liebe, Wein und Symposion, Alter und Alterslosigkeit sowie Abgrenzung gegen nicht sympotisch-erotische Dichtung. Athenaios zeigt dadurch, daß er in seiner Einleitung des Kritias-Zitates445 zum einen betont, Anakreon werde zu Athenaios’ Zeit ‚von allen’ und ‚immer’ nur wegen seiner erotischen Dichtung im Munde geführt, zum anderen hierfür aber kein Beispiel aus seiner eigenen Zeit, sondern im Gegenteil aus einer Zeit, die möglichst nahe an Anakreons Lebenszeit heranreicht, wählt, daß aus seiner Sicht eine hohe Kontinuität in der Wahrnehmung Anakreons seit Entstehung der anakreontischen Dichtung besteht. Die von Athenaios hier dargestellte Wahrnehmung anakreontischer Dichtung durch Kritias und seine Bekräftigung, an dieser Wahrnehmung habe sich nichts geändert, sind um so glaubwürdiger und aussagekräftiger als davon auszugehen ist, daß Athenaios noch Zugang zu einer Ausgabe von Anakreons Gedichten hatte, wodurch gewährleistet ist, daß seine Sicht nicht oder zumindest nicht stark von 442 443

444

445

Siehe S.64f. Eine Bemerkung, die in späterer Zeit auch sehr wohl als Hinweis auf die Metrik, speziell, im Sinne des Demetrius, den akatalektischen anaklastischen ionischen Dimeter a minore (siehe Kap. III.b)1)) gelesen werden konnte. Möglicherweise auf dieser Angabe von Kritias fußend nennt Neanthes (3. Jh.v.Chr., siehe S.67) Frg.5,4 Anakreon sogar als Erfinder des Barbitos, doch ist der Begriff auch schon bei Sappho belegt, wie Gentili zu Anakreon Frg.149G bemerkt, und es ist ohnehin anzunehmen, daß es sich beim Barbitos um ein Instrument handelt, das die Griechen von einem fremden Volk übernommen haben, siehe Abert, 1760-1767, bes. 1764. In dieser Arbeit wird der Barbitos im Deutschen stets mit männlichem Geschlecht versehen. Im Griechischen herrscht über das Geschlecht Uneinigkeit, es findet sich als maskulinum, als femininum und auch als neutrum, siehe LSJ s.v., weshalb eine willkürliche Festlegung im Deutschen zu erfolgen hatte. Athenaios, Deipnosophistai 13,74,17f. (600d4): [Ἔρως] ὃν ὁ σοφὸς ὑμνῶν αἰεί ποτε Ἀνακρέων πᾶσίν ἐστιν διὰ στόματος.

109

der zu seiner Zeit bereits existierenden anacreonteischen Dichtung beeinflußt ist. Ein deutliches Zeugnis für die undifferenzierte Wahrnehmung frühgriechischer erotischer Dichtung liefert im 4./3. Jh.v.Chr. Klearchos446, wenn er bezüglich erotischer Dichtung sagt, die sogenannten lokrischen Gedichte unterschieden sich in nichts von denen von Sappho und Anakreon. Daß Theokrit447 in Kenntnis des anakreontischen Gesamtwerkes auf diese einseitige und undifferenzierte Wahrnehmung hinweist, hat keinerlei ändernde Wirkung, wie etwa die wohl ebenfalls aus dem 3. Jh.v.Chr stammenden Pseudo-Simonideischen Epigramme448 zeigen, welche die Altersthematik noch um Anakreon als alten und stets trunkenen Dichter und die erotische Thematik um Anakreons Knabenliebe erweitern. Dies zeigt, daß spätestens zu diesem Zeitpunkt auch die biographistische Lesart anakreontischer Dichtung voll und ganz etabliert ist. Durch diese werden im weiteren Verlauf der Erwähnungen vor allem die Liebschaften Anakreons mit Smerdies, Bathyll, Megisteus und Kleobulos thematisiert, ansonsten verbleibt auch die biographistische Lesart bei dem allgemeinen Bild des alten, sympotischerotischen Dichters. Der hohe Allgemeinheitsgrad der Aussagen über Anakreon zeigt, mit welcher Freiheit sich die anacreonteischen Dichter ans Werk machen konnten. Es war also nicht so, daß alles, was sich nicht exakt an der überlieferten Dichtung Anakreons orientierte, als unanakreontisch zu gelten hatte, sondern daß umgekehrt alles, was ausdrücklich und eindeutig sympotischerotische Dichtung war und sich um ein lyrisches Ich drehte, das sich mit den Themenbereichen ‚Liebe/Knabenliebe’, ‚Symposion’, ‚Alter’, ‚ausdrücklich unhomerische Dichtung’ auseinandersetzte, gute Chancen hatte, anakreontisch zu klingen. Fragt man also heutzutage bei einem anacreonteischen Gedicht als erstes danach, was daran nach heutigem Wissensstand nicht anakreontisch sein kann, so ignoriert man die Ausgangssituation, in der sich die anacreonteischen Dichter befanden. Das Bild von Anakreon als sympotisch-erotischem Dichter war gemeinhin so gestaltet, daß es den Dichtern durchaus beträchtliche Freiheiten ließ bei dem Versuch, anakreontisch zu dichten. Um feststellen zu können, wie sich das durch die vier eben genannten Themen inhaltlich festgelegte Programm anakreontischer Dichtung in Anakreons eigener Dichtung den anacreonteischen Dichtern darbot, ist ein Blick auf die überlieferten Fragmente nötig. Die überlieferten Fragmente stellen eine Sammlung der prominentesten weil überhaupt zitierten und meist auch oft zitierten Stücke anakreontischer Dichtung dar, und es ist daher wahr446 447 448

Siehe S.67. Siehe S.68. Siehe S.68.

110

scheinlich, sofern es sich nicht sogar direkt nachweisen läßt, daß die anacreonteischen Dichter gerade diese bekannten Stücke ihrer eigenen Dichtung zugrunde gelegt haben. Als Basis für die Betrachtung der Carmina Anacreontea werden im Folgenden die Grundzüge der Behandlung der genannten Bereiche der sympotisch-erotischen Dichtung bei Anakreon kurz beschrieben, ausgehend von der Darstellung von Eros in den Fragmenten 13G, 14G, 25G, 35G, 37G, 38G, 65G, 83G und 84G. Frg.13G liefert das Bild eines spielenden, verspielten Eros, der durchaus nicht weit entfernt ist von denjenigen Vorstellungen, die Eros als kleinen Jungen sehen449, ebenso wie der Eros in Frg.83G. Die Verse sind geprägt von der spielerischen Leichtigkeit und dem Scherz der Liebe, aber auch von ihrer Unerfülltheit, die, und hier ist bereits die Verflechtung der Bereiche durch Anakreon deutlich sichtbar, aufgrund des durch die grauen Haare symbolisierten Alters des lyrischen Ich unerfüllt bleiben muß, ebenso wie in Frg.84G, wo das Alter ebenfalls eine erotische Begegnung verhindert aufgrund der Ablehnung des lyrischen Ich durch den begehrten Jüngling, der in Frg.84G durch Eros selbst symbolisiert wird, ein Bild, das der Szene trotz der mißglückten Liebe eine heitere Leichtigkeit verleiht. Das spielerische Moment der Liebe ist, wiederum in Verbindung mit dem Moment der (noch) unerfüllten Liebe, auch Gegenstand in Frg.14G (V.4: συμπαίζουσιν), in dem das lyrische Ich Dionysos bittet, er möge ihm Kleobulos gewogen stimmen. Zudem tritt hier Dionysos im Verbund mit Eros und Aphrodite auf, was dieses Gedicht zu einem Paradebeispiel für die Verbindung des Erotischen mit dem Sympotischen macht. Frg.25G beschreibt mit dem originellen Bild von Eros als Schmied die Gefühlswandlungen, welche die Liebe auszulösen vermag. Hier wird zugleich auch ein weiteres wesentliches Element anakreontischen Dichtens deutlich, nämlich der Erfindungsreichtum hinsichtlich des Gebrauches von Bildern und Metaphern. In Frg.35G findet sich das auch in den Anacreontea gebrauchte Bild der Flucht vor Eros. Ein Preis von Eros wegen seiner Lieblichkeit und wegen der Macht, die er besitzt, ist Gegenstand von Frg.37G. Dieses Fragment ist auch sehr bedeutsam für den Umgang Anakreons mit Texten anderer Autoren. Die Verse 4 und 5450 spielen eindeutig auf Hesiods Theogonie an451, und die Verbindung der Lieblichkeit von Eros mit seiner, wie die Wortwahl (δυνάστης, δαμάζει) zeigt, großen

449

450 451

Eine genaue Interpretation des Gedichtes findet sich bei Braghetti, Giovanna: Anakreon, Freiburg 1994, S.40-46, die S.43 auf Alkman Frg.58,1 PMG verweist, wo Eros ebenfalls als Junge dargestellt wird. Anakreon Frg.37G,4f.: ὅδε καὶ θεῶν δυνάστης, / ὅδε καὶ βροτοὺς δαμάζει. Hesiod, Theogonie 120-122: ἠδ’ Ἔρος, ὃς κάλλιστος ἐν ἀθανάτοισι θεοῖσι, / λυσιμελής, πάντων τε θεῶν πάντων τ’ ἀνθρώπων / δάμναται ἐν στήθεσσι νόον καὶ ἐπίφρονα βουλήν.

111

und gewalttätigen Macht greift das Motiv des γλυκύπικρος452 auf. Während die motivische Parallele zu Sappho dem Wesen des Eros geschuldet ist und keine weiteren Implikationen enthält, ist der Umgang mit Hesiod bemerkenswert. Anakreon ist weit davon entfernt, sich in seiner Dichtung über Eros als kosmogonische Potenz zu äußern, so daß der einzige Sinn der Evozierung des hesiodeischen Hintergrundes darin besteht, die Ehrwürdigkeit und die Bedeutung von Eros zu betonen und so den eigenen Preis des gar nicht kosmogonischen, sondern zarten und bekränzten, also allein für Liebesbeziehungen zuständigen Eros in seiner Bedeutung zu steigern durch die implizite Hinzufügung einer mythologischen Komponente. Hesiod wird hier ganz in den Dienst von Anakreons Aussageabsicht gestellt, eine Vorgehensweise, die auch von den anacreonteischen Dichtern rege genutzt wird. Frg.38G zeigt, wie schon Frg.14G, eine Verbindung des erotischen und des sympotischen Bereiches, wobei der Wein dem lyrischen Ich den Mut geben soll, mit Eros in einen Faustkampf zu treten, also sich mit der personifizierten Liebe auseinanderzusetzen, wobei das Bild des Kampfes das Liebeserlebnis als keineswegs unbeschwerlich darstellt. Das so erfindungsreiche Bild des Faustkampfes mit Eros griff Anakreon selbst wieder auf in Frg.65G453, wo er nach schwerem Kampf mit Eros diesen mit Hilfe von Dionysos flieht, sich also aus den Liebesmühen in den Weingenuß rettet. Die Darstellung von Eros ist insgesamt sehr ambivalent. Er kann durch seine Zartheit großes Glück gewähren, doch ebenso kann er hartes Unglück bringen aufgrund seiner allesbezwingenden Macht. Gleichwohl ist es meist kein Kampf auf Leben und Tod, oft vielleicht nur ein Kampf im Traum454, zumindest aber mit dem Anschein des Unwirklichen und damit auch mit einer, in den Gedichten gelegentlich durch die kindliche Verspieltheit des Eros zusätzlich betonten, distanzierenden Leichtigkeit, die auch die subjektiv bisweilen unerträglichen Schmerzen, welche Eros zufügen kann (vgl. Frg.25G), bei objektiver Sicht erträglich werden läßt, sofern man nicht schon viel früher die Flucht ergreift (vgl. Frg.35G455), wobei Erlösung, wie in Frg.29G, auch aus dem Tod kommen kann. Eine Möglichkeit, sich selbst die erotischen Schmerzen erträglich zu machen, besteht im Weingenuß, welcher einem aber auch den nötigen Mut verschaffen kann, sich in ein Liebesverhältnis zu stürzen (vgl. Frg.38G). Hinderlich in der erotischen Begegnung kann ein hohes Alter sein, welches durch die nicht mehr ansprechende äu-

452 453

454 455

Sappho Frg.130,2L-P. Daß Frg.65G wahrscheinlich nach Frg.38G entstanden ist belegt Gentili S.48 und S.202. So möglicherweise in Frg.13G, 25G, 35G, 83G. Ob der sprechende Name des Pythomandros so zu verstehen ist, daß das lyrische Ich sich in seine eigenen Vernunft flüchtet (so Braghetti S.116f.), ist nicht klar, aber unstrittig ist, daß von einer wiederholten Flucht des lyrischen Ich vor Eros die Rede ist.

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ßere Erscheinung Abneigung oder Desinteresse beim erstrebten Partner hervorruft456. Diese inhaltlichen Aspekte gehen formal mit einem beachtlichen motivischen Erfindungsreichtum einher sowie mit der Tatsache, daß die genannten Sachverhalte selten rein objektiv, wie etwa in Frg.37G, dargestellt werden, sondern daß es meist ein lyrisches Ich gibt, welches die Wirkung der Liebe am eigenen Leib erfährt. Was lexikalische und motivische Anleihen anbelangt, so bedient Anakreon sich mit recht großer Unbefangenheit sowohl bei anderen Dichtern als auch in seinem eigenen Werk. Dabei werden jedoch alle Anleihen eindeutig dem eigenen sympotisch-erotischen poetologischen Programm untergeordnet, und kriegerische Dichtung wird ausdrücklich abgelehnt (Frg.56G und wohl auch 49G). Diese formalen Grundsätze sind auch für die restliche erotische und für die sympotische Dichtung gültig, nur die Motivpalette wird noch erweitert. In Frg.4G findet sich die Ablehnung von Macht und Reichtum, vermutlich zugunsten eines sympotisch-erotischen Lebens, Frg.5G stellt durch dreimalige Anapher des Namens Kleobulos die Intensität der Liebe zu dem genannten dar, Frg.15G handelt von der vom Geliebten gar nicht wahrgenommenen Liebe des lyrischen Ich, dargestellt im Bild des Geliebten, der die Zügel der Seele des lyrischen Ich in Händen hält ohne es zu wissen. Frg.23G scheint eine erfüllte Liebe zu einem jungen Knaben zu beschreiben, welche möglicherweise, sofern man, wie Gentili, Frg.23G mit Frg.22G in Verbindung setzt, durch die schöne Dichtung des lyrischen Ich angebahnt wurde, womit auch die Dichtung selbst ausdrücklich in den sympotisch-erotischen Kontext eingebunden wird. Frg.28G bietet einen breit ausgeführten Vergleich eines jungen Mädchens mit einem Kitz. Tiermotivik in der erotischen anakreontischen Dichtung findet sich auch noch, ebenfalls ausgedehnt, in Frg.78G, entspricht aber allgemeiner erotischer poetischer Topik. Ein weiteres Naturmotiv, das die Liebestrunkenheit verdeutlicht, enthält Frg.94G, wo der Sturz in das schäumende Meer den Liebestaumel darstellt, wobei ausdrücklich die Wiederholung dieser in Wirklichkeit unwiederholbaren Handlung betont und so ihr metaphorischer Charakter distanzierend verdeutlicht wird. Der zweite für die sympotisch-erotische Dichtung bedeutsame und daher sowohl in der anakreontischen als auch in der anacreonteischen Dichtung gut vertretene Gott ist Dionysos. In den Fragmenten 30G und 31G wird der Bereich des Dionysos, das Symposion, durch Bekränzung und KottabosSpiel charakterisiert, in Frg.123G findet sich Dionysos in Verbindung mit dem Komos. In Frg.33G wird auf das rechte Maß beim Weingenuß hingewiesen, wobei das lyrische Ich den Sklaven auffordert, eine verhältnismäßig starke Mischung herzustellen, doch kein Besäufnis nach Skythenart will, 456

So beispielsweise in Frg.13G.

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sondern ein gesittetes Trinken bei schönen Gesängen. Als Gott direkt angefleht wird Dionysos in Frg.14G, wo er, mit Eros im Gefolge, bei der Anbahnung einer Liebesbeziehung behilflich sein soll. In Frg.16G wird seine Macht durch das Epitheton ἐρίβρομος betont. Auch zeigt sich an diesem Fragment wiederum, wie wenig Scheu Anakreon hat, Formulierungen anderer Autoren aufzugreifen, denn es findet sich im homerischen Dionysos-Hymnos (Hymnus 7) die Formulierung Διόνυσος ἐρίβρομος (V.56), und diese dürfte, auch wenn der Hymnos vielleicht erst nach Entstehung der anakreontischen Gedichte niedergeschrieben wurde, älter sein457. Frg.32G scheint Dionysos mit den Mänaden zu verbinden, doch läßt sich nichts Sicheres über das Fragment aussagen458. In Frg.65G soll Dionysos dem lyrischen Ich wohl dabei helfen, Eros zu entfliehen, d.h. der Wein wird als Heilmittel für Liebessorgen gesehen. In diesem Fragment erscheint auch, ebenso wie in Frg.14G und Frg.68G, Aphrodite, die von Anakreon als mit Eros austauschbar verwendet zu werden scheint. Insgesamt fällt die starke Verbindung von Dionysos mit Eros auf, die zeigt, daß bei Anakreon der sympotische Bereich mit dem erotischen Bereich oft eine geschlossene Einheit bildet. In Frg.36G begegnet die Altersthematik, und zwar in recht negativer Darstellung, wobei zu beachten ist, daß das Gedicht nur bei Stobaios und nirgends sonst, auch nicht in Auszügen, erscheint, also zwar bekannt war, aber nicht oft zitiert wurde. Das lyrische Ich beklagt in diesen Versen, daß das Alter es mit sich gebracht habe, daß die Jugend ihm nicht mehr zulächle, und es sagt, daß es Angst vor dem Tod habe. Diese Darstellung zeigt, im Gegensatz zur Darstellung eines angenehmen Alters in Frg.22G, die negativen Folgen des Greisenalters. Wie bei Eros, der Freuden, aber auch Schmerz bringen kann, wie beim Weingenuß, der schön und maßvoll oder eben maßlos erfolgen kann, so findet sich also auch beim Alter eine ambivalente Darstellung. Daß die Darstellung des Alters in den überlieferten Fragmenten überwiegend negativ ist, ist eine mit Vorsicht zu betrachtende Tatsache. Zum einen gibt es Fragmente wie etwa 78G, wo in V.2 die Erfahrung des lyrischen Ich und damit indirekt sein Alter, das hier einer erotischen Begegnung jedoch keineswegs hinderlich zu sein scheint, thematisiert wird, und zum anderen, und das ist besonders im Hinblick auf den Vergleich mit der anacreonteischen Dichtung zu betonen, ist auch in Frg.36G das Leben dem lyrischen Ich nach wie vor süß, und die Angst vor dem Tod bringt auch eine Lebensgier zum Ausdruck. Es wird hier also durchaus ein Greis dargestellt, 457

458

Die Sekundärquellen helfen hier nicht weiter, weil die anakreontische Formulierung nicht wegen des Epithetons, sondern wegen der Form zitiert wird, so bei Herodian Περὶ παθῶν 3,2,330,22 (siehe Anm.278). Aufgegriffen wurde die Formulierung auch vom homerischen Hymnos 26, ebenfalls einem Dionysos-Hymnos, gleich im ersten Vers (Διόνυσον ἐρίβρομον) und später dann von den orphischen Hymnen (30,1 und 48,2) und von Panyassis (Frg.13,2 und Frg.17,2 Bernabel). So auch Braghetti S.103-105.

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dem die Lebensfreude noch nicht abhanden gekommen ist, sondern dem sie lediglich, zumindest bisweilen, vom Tod überschattet wird. Hinzu kommt auch, daß die Beleglage zu dürftig ist, um über die Darstellung des Alters und des Alterns bei Anakreon gesicherte Aussagen zu treffen, denn wie Frg.77G, das ein alterndes lyrisches Ich aufweist, zeigt, gibt es bei Anakreon lyrische Ichs in allen Lebensaltern, nur mehr läßt sich darüber nicht feststellen. Die Bereiche des Erotischen, des Sympotischen und des Poetologischen sind hingegen, wie die vorangegangene Beschreibung gezeigt hat, in Anakreons Dichtung klar erfaßbar. Die dargestellten Elemente aus diesen Bereichen bilden damit den poetologischen Rahmen, den die anacreonteischen Dichter mit ihrer eigenen Dichtung auszufüllen versuchten. Wie sie diesen vorgefundenen Rahmen wahrgenommen und möglicherweise verändert haben, soll die nachfolgende Untersuchung der Anacreontea zeigen. Zur Sprache Anakreons459 ist noch anzumerken, daß sie, neben dem offensichtlichen und von den anacreonteischen Dichtern ebenfalls häufig verwendeten ionischen Dialekt, von Einfachheit geprägt ist und auch große sprachliche Ähnlichkeiten von verschiedenen Gedichten zuläßt460. Aber auch Wortspiele und originelle Metaphern sind Bestandteil anakreontischer Dichtung461. Vor der Betrachtung der Carmina Anacreontea ist noch ein kurzer Blick darauf zu werfen, ob die lateinische Literatur oder ob bildliche Darstellungen dem bereits aus den griechischen Testimonien und den anakreontischen Fragmenten erstellten Bild von Anakreon und seiner Dichtung noch weitere Aspekte hinzuzufügen haben.

III. c) Erwähnungen in der lateinischen Literatur Die Erwähnungen Anakreons und seiner Dichtung in der lateinischen Literatur bedürfen keiner ausführlichen eigenen Darstellung, weil sie, wie ein kurzer Einblick zeigen wird, wenig Neues erbrächte, stützt sich die lateinische Literatur doch im wesentlichen auf die griechische. Im Bereich der Metrik haben sich, wie Gentili in seinen testimonia de metris462 zeigt, kleine Erweiterungen ergeben, doch auch nur dadurch, daß von verschiedenen auch in den überlieferten Fragmenten nachweisbaren Metra ausdrücklich gesagt wird, daß sie von Anakreon verwendet wurden. Oft wird jedoch le459

460 461

462

Was in dieser Arbeit zu Anakreons Sprache ausgeführt wird, verdankt sich zu einem großen Teil der Darstellung bei Rozokoki S.18*-20*. So beispielsweise in den Anfangsversen von Frg.33G und Frg.38G. Rozokoki verweist für ersteres S.19* auf Anakreon Frg.14G,9-10 (Κλευβούλῳ σύμβουλος) und für letzteres S.18* auf Frg.94G,2 (μεθύων ἔρωτι). Gentili S.112-115.

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diglich auf die antiken Grammatiker, allen voran Hephaistion, zurückgegriffen. Was die Erwähnungen von Anakreon anbelangt, so zeigen die von Rozokoki463 angeführten Stellen aus der lateinischen Literatur, daß sich auch hier keine Veränderung des in der griechischen Literatur gezeichneten Bildes von Anakreon erkennen läßt. Für die literarische Rezeption einschlägig sind Horaz, Oden 4,9464, der sich auf Anakreons sympotische Dichtung bezieht, und vor allem Cicero, der in Tusculanae Disputationes 4,71 bemerkt: „Anacreontis quidem tota poesis est amatoria“. Es läßt sich daher feststellen, daß Anakreon auch in der lateinischen Literatur ebenso wie in der griechischen als sympotisch-erotischer Dichter erscheint. Eine möglicherweise in der lateinischen Literatur stärkere Trennung zwischen der Person Anakreons und seiner Dichtung, wie sie bei Horaz und Cicero durchscheint, ist dabei ohne Wirkung geblieben, weil zum einen in der griechischen Vorstellung die Einheit von Leben und Werk Anakreons sehr ausgeprägt war, und wohl auch weil zum anderen über Anakreon so wenig Biographisches bekannt war, daß, wer sich über Anakreons Leben äußern wollte, sich zwangsläufig an seine Dichtung zu halten hatte, wobei als einzige wirklich anakreontische Dichtung auch in römischer Zeit, der griechischen Tradition folgend, die sympotisch-erotische angesehen wurde.

III. d) Bildliche Darstellungen465 Eine umfassende Übersicht über die Darstellungen Anakreons in Statuen und Büsten sowie auf Vasen, Gemälden und Mosaiken bietet Rosenmeyer466. Die Darstellungen von Anakreon als Komast, wie sie sich auf drei archaischen rotfigurigen Vasen, deren älteste auf etwa 515 v.Chr. zu datieren ist, 463 464

465

466

Rozokoki S.4-6. Horaz, Oden 4,9,9-12: nec siquid olim lusit Anacreon, / delevit aetas; spirat adhuc amor / vivuntque commissi calores / Aeoliae fidibus puellae. Zahlreiche wertvolle Auskünfte zu diesem Thema verdanke ich dem Klassischen Archäologen Alexander Heinemann (Freiburg), der mir neben mündlichen Mitteilungen auch Einblick in seine demnächst erscheinende Dissertation („Der Gott des Gelages. Dionysos, Satyrn und Mänaden auf attischem Trinkgeschirr“), in der er sich unter anderem auch mit Anakreon-Darstellungen befaßt, gewährte. Die nachfolgenden Ausführungen gegen Rosenmeyer bezüglich der Deutungen der einzelnen Darstellungen fußen maßgeblich auf den Auskünften von Heinemann, worauf allerdings im folgenden nicht jedesmal einzeln hingewiesen wird. Die Abbildungen finden sich sämtlich bei Rosenmeyer, Tafeln I-III (nach S.20) bzw. bei Richter, Gisela: The portraits of the Greeks, 3 Bde., London 1965, Bd. 1, S.75-78 mit Fig. 271-298. Richters kurze Ausführungen zu den Darstellungen (S.78) decken sich weitestgehend mit denen von Heinemann. Rosenmeyer, S.22-36. Zu den frühen Vasendarstellungen von Anakreon als Komast siehe auch Blech, S.313.

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finden, sowie etwas spätere sympotisch-erotische Darstellungen bereiten poetologisch keine Probleme467, weil sie mit der Darstellung von Anakreon in der Literatur völlig übereinstimmen, wobei hier besonders auf die Epigramme von Theokrit468 und Leonidas von Tarent469 sowie auf Pausanias470 hinzuweisen ist, welche die Darstellung Anakreons durch Statuen zum Gegenstand haben. Auf den Vasen abgebildet ist ein sympotisch-erotischer Anakreon, zwar meist ohne das Moment des Alters, denn er befindet sich, soweit dies erkennbar ist, auf fast allen Darstellungen in voller Lebensblüte, dafür mit ausgeprägter Betonung des sympotischen Aspektes. Gewisse Probleme bereiten eine Statue471, die als Kopenhagener Anakreon-Statue bekannt ist, und mehrere mit der Statue weitestgehend übereinstimmende Büsten, für die alle von demselben Vorbild auszugehen ist, welches um 440 v.Chr. entstanden sein dürfte. Diese Statue stellt nach Ansicht von Rosenmeyer, im Gegensatz zu der von Pausanias beschriebenen, Anakreon in der Blüte seines Lebens und in voller Manneskraft dar. Rosenmeyer interpretiert die Statue in Verbindung mit einem in Autun gefundenen Mosaik vom Ende des 2. Jh.n.Chr. so, daß sich hier eine Darstellung von Anakreon als politischem Dichter, so wie er einem auch etwa in den unter seinem Namen überlieferten Epigrammen begegnet, auf die sie allerdings nicht verweist, handelt. Ihre These ist, daß diese Darstellung sich im Lauf der Jahrhunderte verselbständigt hat und dann auch mit ausdrücklich sympotisch-erotischen Versen, welche die andere Seite von Anakreons Dichtung repräsentierten, kombiniert werden konnte, so wie auf dem Mosaik in Autun. An dieser Kombination habe sich, zumal in einer eher entlegenen Gegend wie Autun, niemand gestört, weil zum einen die gewählte Porträtdarstellung für Anakreon einschlägig war und weil zum anderen die zitierten Verse ebenso einschlägig für seine Dichtung waren. Zudem verweist Rosenmeyer darauf, daß die Carmina Anacreontea gerade die beiden in Autun zitierten Stücke wieder aufgriffen (Frg.38G - CA 52A und Frg.49G - CA 47), was sie als Beleg dafür wertet, daß die Carmina Anacreontea die Wahrnehmung von Anakreons Dichtung noch stärker auf den sympotisch-erotischen Bereich beschränkt hätten, wohingegen sich in der ikonographischen Tradi467

468 469 470 471

Archäologisch ist die Zuordnung zu Anakreon mit Ausnahme einer Vase, auf der er namentlich gekennzeichnet ist, sehr unsicher. Die Komasten-Darstellungen beziehen sich wahrscheinlich nicht auf Anakreon, sondern sind lediglich allgemein ostionisch stilisiert. Das Fragment, auf dem eine Lyra mit dem Namen Anakreon beschriftet ist (bei Rosenmeyer als Plate II (left) abgebildet) zeigt nur, daß Anakreons Dichtung gerne beim Symposion gespielt wurde, soll aber nicht den auf der Vase dargestellten Lyra-Spieler bezeichnen, weil der Name dann in Nähe der Person, aber nicht auf dem Instrument stünde. Theokrit, Epigramm 17 (AG 9,599). Leonidas von Tarent, AG 16,306. Pausanias, Graeciae Descriptio 1,25,1, siehe Anm.303. Diese bespricht Rosenmeyer ausführlich S.27f.

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tion der andere Teil von Anakreons Dichtung erhalten habe, so daß in der Darstellung und der Inschrift je ein anderer Aspekt von Anakreons Dichterpersönlichkeit zum Ausdruck komme. Rosenmeyer bezieht sich in ihrem Verständnis der Statue auf Wilamowitz472 und nimmt auch an, das theokriteische Epigramm sowie das von Leonidas von Tarent bezögen sich tatsächlich auf existierende Statuen von Anakreon473. Abgesehen davon, daß den beiden literarischen Epigrammen sicherlich keine Statue zugrunde lag, mißdeutet Rosenmeyer die Kopenhagener Statue in Verbindung mit dem Autun-Mosaik als besonders männliche und kraftvolle Darstellung474, die sie in einem Gegensatz zu dem sympotisch-erotischen Anakreon der Literatur sieht. Die Bekleidung der Kopenhagener Statue ist typisch für einen Komasten. Was die Darstellung des Körpers anbelangt, so ist es im auf idealtypische Darstellung ausgelegten 5. Jh.v.Chr. schlicht nicht denkbar, daß eine solche Darstellung stärkere Züge von Trunkenheit oder erotischem Begehren aufweisen könnte. Auch Alterszüge sind bei Statuen aus dieser Zeit eine absolute Seltenheit. Das dafür bekannte Pindar-Porträt stammt überdies nicht aus Athen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß der Kopenhagener Anakreon keine Alterszüge aufweist. Die Darstellung sagt also nichts über das Verständnis von Anakreon, sondern nur etwas über die Darstellungskonventionen der frühen Klassik aus. Zudem ist die Kopenhagener Statue keineswegs so bekannt und repräsentativ, wie Rosenmeyer meint. Die Villa, aus der die Statue stammt, weist insgesamt eine sehr ungewöhnliche Ausstattung auf. Die AnakreonStatue gehörte zu einer Gruppe von Apoll und den Musen, bei der zwei Dichterstatuen standen, eine davon der Anakreon, wobei beide Statuen die jeweils einzigen sind, die von diesen Dichtern existieren. Es handelt sich bei diesen Statuen also um individuelle Sonderanfertigungen, die nicht auf eine breite Tradition verweisen475. 472

473 474

475

Wilamowitz: Sappho und Simonides, S.111: „Seine kyzikenische Statue mag ihn immer noch in derselben Würde dargestellt haben wie die athenische, die ja oft genug copirt ist und vielleicht auch für Teos maßgebend war, als man dem berühmten Landsmann dort das Denkmal setzte, für welches Theokrit (17) die Inschrift gemacht hat. Es sagt nichts besonderes, deutet aber die Knabenliebe discret an, in der er selbst dem Vorbilde Anakreons folgte. Diese Standbilder haben das Urteil der Welt nicht bestimmt, und ihre Nachklänge auf den Münzen von Teos lehren daher gar nichts.“. Dies widerlegt für Theokrit überzeugend Bing, und es gilt ebenso für Leonidas. Rosenmeyer zur Statue S.28: „The whole impression of the body is so strong and virile that art historian once mistook it for the Spartan singer Tyrtaeus“. Zum Mosaik S.34: „Like the earlier examples of statuary, the mosaic offers few individual traits or features. [...] In all honesty, the mosaic portrait of Anacreon would be impossible to identify were it not for the accompanying inscription.“. Ausführlicher mit der Statue befassen sich Schefold, Karl, u.a.: Die Bildnisse der antiken Dichter, Redner und Denker, 2. Aufl. Basel 1997 und Ridgway, Brunilde Sismondo: „An issue of methodology: Anakreon, Perikles, Xanthippos“, in: American Jour-

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Das Mosaik in Autun soll ebenfalls keine individualisierende Darstellung von Anakreon liefern, denn dann wären die auf dem Mosaik zitierten Verse überflüssig. Die Darstellung auf dem Mosaik bedient sich, wie etwa die vergleichbare Darstellung von Pindar zeigt476, beim Typus des archaischen Dichters und repräsentiert daher keine zweite Tradition von AnakreonDarstellungen. Dies wird gerade durch die beigestellten Verse aus der sympotisch-erotischen Dichtung bestätigt. Es zeigt sich daran zum einen, daß diese Verse so typisch für Anakreon waren, daß man anhand ihrer die Darstellung sofort auf Anakreon beziehen würde, und es zeigt zum anderen, daß genau an diesen typisierten Anakreon bei der Darstellung zu denken ist. So unterlaufen die bildlichen Darstellungen also nicht den literarischen Befund, weil sie keine zweite, nicht sympotisch-erotische AnakreonTradition widerspiegeln, sondern bestätigen den literarischen Befund, weil sie zeigen, daß es nur eine Tradition gegeben hat.

III. e) Zusammenfassung Das Bild von Anakreon, das sich aus der altgriechischen Literatur gewinnen läßt und das mit demjenigen der lateinischen Literatur sowie dem der bildlichen Darstellungen in den Grundzügen übereinstimmt, entspricht dem Bild, welches die Antike von seiner Dichtung hatte. Leben und Werk sind bei Anakreon untrennbar miteinander verbunden, und sie verschmelzen in dem Bild des sympotisch-erotischen Dichters, welches dann die Dichter der Carmina Anacreontea rezipiert haben. Daneben war aber stets, wie sowohl die Anakreon zugeschriebenen Epigramme in der Anthologia Graeca als auch vor allem die zahlreichen Zitate bei den Grammatikern zeigen, eine durchaus gut ausgeprägte Kenntnis auch der nicht sympotisch-erotischen Dichtung vorhanden. Dieser Teil des anakreontischen Werkes fand jedoch schon seit Anakreons Lebzeiten, wie die Vasendarstellungen zeigen, weitaus weniger Beachtung als der sympotisch-erotische Teil. Über die Gründe hierfür läßt sich lediglich spekulieren. Eine Rolle spielte sicherlich die Tatsache, daß Anakreon als erster griechischer Dichter sehr persönliche erotische Dichtung verfaßte, indem er ein lyrisches Ich auftreten ließ, das mit dem Dichter identifiziert werden konnte und anhand dessen Schicksal er die Wirkmacht von Wein und Liebe darstellte. Im Vergleich dazu waren seine Gedichte über politische Verhältnisse wie etwa die Herrschaft des Polykrates zu konventionell und damit den Werken anderer Dichter wie vor allem Alkaios zu ähnlich, als daß sie große Wirkung hätten entfalten können. In der späteren Rezeption könnte hinzukommen, daß im Gegensatz zu den Ele-

476

nal of Archaeology 102, 1998, 717-738, die sich, allerdings nicht besonders überzeugend, zu möglichen Attributen des Kopenhagener Anakreon äußert. Siehe hierzu Rosenmeyer S.34.

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menten der politischen Dichtung die Aspekte der sympotisch-erotischen Dichtung von unveränderter Aktualität und Verständlichkeit waren. Für den Vergleich mit den Carmina Anacreontea ist aber lediglich das Faktum der Reduktion von Anakreon auf seine sympotisch-erotische Dichtung von Bedeutung, nicht die noch in der archaischen Zeit zu suchenden Gründe hierfür. Für das Bild, welches sich aus der griechischen Literatur bezüglich der anakreontischen Dichtung ergibt, sind sowohl die starke Betonung des sympotisch-erotischen Bereiches wie auch die relativ hohe Unbestimmtheit charakteristisch, zwei Phänomene, die sich auch an den bildlichen Darstellungen beobachten lassen. Konkretisiert werden kann das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung tatsächlich nur an den überlieferten Fragmenten. Der Spielraum dessen, was potentiell als anakreontisch angesehen werden konnte, war damit für die anacreonteischen Dichter relativ hoch. Ob sie diesen Spielraum genutzt haben und wie sehr sie sich an die thematischen und motivischen Vorgaben der anakreontischen Dichtung gehalten haben, ist Gegenstand des nächsten Kapitels. Obgleich die Überlieferungslage für Anakreons Werk nicht sonderlich gut ist, lassen sich über diese Fragen plausible Aufschlüsse gewinnen.

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IV. Die Carmina Anacreontea als literarische Generation Die nachfolgende Betrachtung der Carmina Anacreontea wird sich, weil das Erkenntnisinteresse darauf beschränkt ist, notwendigerweise darauf konzentrieren, ob die Carmina Anacreontea in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung stehen und was dies für die beiden Corpora und ihre Beziehung zueinander bedeutet. Die Tatsache, daß hierfür alle Gedichte des Corpus der Carmina Anacreontea eingehend zu untersuchen sind, darf also nicht die Erwartung wecken, es handele sich um eine Art Kommentar, denn es ist allenfalls ein poetologischer Kommentar, in dem versucht wird, das poetologische Programm des jeweiligen Gedichtes darzulegen und mit demjenigen, das hinter der anakreontischen Dichtung steht, zu vergleichen. Daß hierdurch auch ein besseres Verständnis bestimmter Gedichte und bestimmter Einzelstellen erzielt wird, ist ein Effekt, der zwar zugleich den Kommentarcharakter der nachfolgenden Darlegungen verstärkt, doch soll dies nicht ablenken von dem Ziel, die poetologischen Bezüge zwischen der anacreonteischen und der anakreontischen Dichtung zu klären.

IV. a) Zum Corpus und seiner Überlieferung477 Das Corpus der Carmina Anacreontea ist im wesentlichen in der sogenannten Anthologia Palatina überliefert, die etwa zwischen 930 und 950 n.Chr. entstand und die zahlreiche Gedichte aus verschiedenen früheren Gedichtsammlungen enthält. Die Carmina Anacreontea, die sich in dem in Paris aufbewahrten zweiten Teil der Handschrift befinden, wurden sämtlich vom Schreiber J niedergeschrieben. J war wahrscheinlich auch derjenige, der die Gedichte ausgewählt hat, und er hat auch Schreibfehler, die ihm unterlaufen waren, anhand der Vorlage korrigiert. Überschrieben ist die Sammlung der Carmina Anacreontea mit Ἀνακρέοντος Τηΐου συμποσιακὰ ἡμιάμβια, abgeschlossen wird sie durch die Worte τέλος τῶν Ἀνακρέοντος συμποσιακῶν. Im Inhaltsverzeichnis findet sich der Eintrag Ἀνακρέοντος Τηΐου 477

Die folgenden Angaben stützen sich auf Wests Ausführungen in dem Vorwort seiner Ausgabe der Carmina Anacreontea, auf Wests Aufsatz (West, Martin Litchfield: „The Anacreontea“, in: Murray, Oswyn (ed.): Sympotica, Oxford 1990, 272-276; dieser Aufsatz erläutert unter anderem die Gruppierung der Gedichte ein wenig ausführlicher) und auf die durch die Bibliothèque Nationale in Paris ermöglichte Autopsie der Handschrift.

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συμποσιακὰ ἡμιάμβια καὶ ἀνακρεόντια καὶ τρίμετρα, welcher, so Wests Vermutung478, aus den Titeln der Vorlagen der Anthologia Palatina zusammengestellt ist, wobei die genannten Trimeter nicht in der Anthologia Palatina enthalten sind. Die Vermischung von anacreonteischen Metren mit Trimetern ist aber eine Erscheinung, die erst mit dem 6. Jh.n.Chr. beginnt. Diese Gedichte, die also noch später entstanden sind als die in der Anthologia Palatina überlieferten, sind zwar nicht in der Anthologia Palatina enthalten, doch daß sie in einem der Anthologia Palatina zugrundeliegenden Sammelwerk enthalten waren, zeigt, daß dieses vermutlich erst nach dem 6. Jh.n.Chr entstanden ist, die Quellen der Anthologia Palatina somit zumindest teilweise recht jung waren. Über die genaue Entstehungszeit der jeweiligen Gedichte läßt sich wenig sagen. West unterteilt sie in drei Gruppen, die er vier verschiedenen Vorlagen zuordnet. Er unterscheidet eine alte, fast noch aus klassischer, d.h. römischer Zeit stammende Vorlage, aus der die Gedichte 1, 4 und 6-20 entnommen sein sollen, eine weitere, im wesentlichen die Gedichte 21-34 umfassende, die noch älter war, deren Anfänge also möglicherweise noch fast bis in die hellenistische Zeit zurückreichten, und die auch erweiterte und interpolierte479, aber auch jüngere Gedichte enthielt, sowie eine dritte und eine vierte, die beide aus dem 5. und 6. Jh.n.Chr. stammten und die die jüngeren Gedichte 2, 5 und 35-60 enthielten. An der Problematik der zeitlichen Einordnung der Gedichte zeigt sich als Vorteil des literarischen Generationenbegriffes, daß er allein vom literarischen Werk selbst ausgeht, ungeachtet zeitgeschichtlicher Umstände, außer sie wären poetologisch relevant, doch finden sich in den Carmina Anacreontea ohnehin auch bei näherer Suche nur sehr wenige, recht unsichere Bezüge auf die mutmaßliche Entstehungszeit des jeweiligen Gedichtes, die noch dazu poetologisch irrelevant sind. So erübrigt sich für diese Untersuchung im wesentlichen die Frage nach der zeitlichen Einordnung der Carmina Anacreontea, weil die wichtige chronologische Frage, ob nämlich für alle anacreonteischen Gedichte gilt, daß sie nach der anakreontischen Dichtung entstanden sind, zweifelsfrei mit ja zu beantworten ist. Relevant kann eine relative Chronologie dann werden, wenn davon auszugehen ist, daß ein anacreonteisches Gedicht möglicherweise von einem anderen anacreonteischen Gedicht abhängt. Diese Problem ist jedoch selten und wird bei den jeweiligen Gedichten behandelt. Der zweite Vorteil der Konzeption eines literarischen Generationenverhältnisses besteht darin, daß sie von der Aussage der Texte ausgeht, die ihrerseits auf der Aussageabsicht der Autoren beruht. Ein Gedicht zu verstehen bedeutet, das zu erfassen, was der Autor mit dem Gedicht aussagen 478 479

West: Carmina Anacreontea, S.V. So West: Carmina Anacreontea, S.XVIII mit Anm.1 und Anm.2. Auf die dort von West genannten Punkte wird bei der Interpretation der jeweiligen Gedichte eingegangen.

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wollte. Mit dieser Grundannahme löst sich ein zweites Problem weitgehend auf, nämlich das Problem mehrerer Autoren. Wie die verschiedenen Versionen von CA 4 sowie weitere Stellen480 zeigen, ist anzunehmen, daß zumindest manche der Carmina Anacreontea in ihrer vorliegenden Form auf zwei oder noch mehr Autoren zurückgehen, insofern als das ursprüngliche Gedicht durch von anderen Autoren vorgenommene Veränderungen erst in seine vorliegende Form gebracht wurde. Für das Verständnis der Gedichte ist dies jedoch nur dann relevant, wenn die späteren Autoren bei ihren Eingriffen in die Gedichte einem anderen poetologischen Programm gefolgt sind als die früheren Autoren. Da sich dies bei den Carmina Anacreontea nicht erkennen läßt, ist es für das Verständnis der Gedichtaussage und damit auch für die Untersuchung eines literarischen Generationenverhältnisses unerheblich, ob ein Gedicht in seiner vorliegenden Form von einem Autor stammt oder von mehreren. Dementsprechend wird das Corpus der Carmina Anacreontea im folgenden daraufhin untersucht, ob ihm ein konsistentes poetologisches Programm zugrunde liegt, um feststellen zu können, ob die Carmina Anacreontea auch eine poetologische Einheit bilden, und wenn ja, wie sich das poetologische Programm der Carmina Anacreontea zu dem der anakreontischen Dichtung verhält, oder ob sie nur aufgrund äußerer Ähnlichkeiten zu einer Gruppe zusammengefaßt werden können. Dafür werden die Gedichte nach auffallenden inhaltlichen oder formalen Merkmalen gruppiert, um so ein besonderes Augenmerk auf die poetologische Relevanz dieser Hauptmerkmale im Rahmen der Gedichtinterpretation richten zu können. Es soll dabei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die nachfolgenden Ausführungen keinen Kommentar zu den Carmina Anacreontea darstellen sollen, sondern daß die Untersuchung allein dem Ziel dient, das programmatische poetologische Verhältnis der Carmina Anacreontea zu der anakreontischen Dichtung zu untersuchen, wofür eine genaue Untersuchung jedes einzelnen Gedichtes unerläßlich ist. Hierbei wird zunächst das konsistente poetologische Programm, welches sich, wie die Untersuchung zeigen wird, den programmatischen Gedichten des Corpus entnehmen läßt, dargestellt. Im Anschluß daran werden dann sämtliche Gedichte daraufhin

480

West: Carmina Anacreontea, S.XVIII, verweist auf mehrere Stellen, die zumindest den Verdacht der Veränderung oder Interpolation aufkommen lassen. West nimmt an, daß wahrscheinlich bei CA 8 und CA 14 am Ende der Gedichte Verse nachträglich hinzugefügt wurden, was jedoch fraglich ist. Hierauf sowie auf die anderen seiner Ansicht nach interpolierten Stellen und auf die von ihm angenommenen lacunae wird, soweit nötig, bei dem jeweiligen Gedicht eingegangen, wobei ganz allgemein darauf hingewiesen sei, daß vor allem Giangrande, Giuseppe: „On the text of the Anacreontea“, in: Quaderni Urbinati 19, 1975, 177-210, in vielen dieser Fälle im Gegensatz zu West die Ansicht vertritt, der überlieferte Text sei nicht zu beanstanden.

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untersucht, ob sie diesem poetologischen Programm explizit und implizit entsprechen.

IV. b) Die explizit poetologischen Gedichte (1,2,20,23,60) Das poetologische Programm der Carmina Anacreontea läßt sich den beiden programmatischen Anfangsgedichten sowie den ausschließlich poetologischen Gedichten 20 und 23 und dem Schlußgedicht der Sammlung, CA 60, entnehmen. Sowohl das erste als auch das zweite Gedicht der Sammlung scheinen Anfangsgedichte früherer Sammlungen, auf welche für die Zusammenstellung der Sammlung in der Anthologia Palatina zurückgegriffen wurde, zu sein. Beide Gedichte beinhalten wesentliche Momente der anacreonteischen Vorstellung von Dichtung, weshalb sie, unter Hinzuziehung der anderen poetologischen Gedichte sowie unter Verweis auf weitere Gedichte, sofern diese explizit Poetologisches enthalten, im Folgenden zur Klärung des Programmes der Carmina Anacreontea eingehend untersucht werden sollen481. Daß es sich bei dem ersten Gedicht um das Einleitungsgedicht einer früheren Sammlung anacreonteischer Dichtung gehandelt haben dürfte, kann aufgrund der Programmatik des Gedichtes, die vor allem in dem Motiv der Dichterweihe zum Ausdruck kommt, als sicher gelten. Daß das erste Wort des Gedichtes der Name ‚Anakreon’ ist, zeigt, daß Anakreon Bezugspunkt für die nachfolgende Bestimmung eines dichterischen Programmes ist. Anakreon tritt dabei nicht so sehr als historische Persönlichkeit auf, sondern vielmehr als Personifizierung dessen, was der Verfasser des Gedichtes als das poetologische Programm anakreontischer Dichtung ansah. Daß Anakreon nicht als historische Person, sondern als Vertreter einer bestimmten Art von Dichtung bedeutsam ist, gilt dabei nicht nur für dieses Gedicht, sondern für alle anacreonteischen Gedichte. Damit befinden sich die anacreonteischen Gedichte in Einklang mit der bis zu ihrer Entstehungszeit erfolgten Beschäftigung mit Anakreon und der anakreontischen Dichtung, wie in Kapitel III 481

Ein Versuch, das Programm anacreonteischer Dichtung zu fassen, wurde bereits von Rosenmeyer (Vor allem S.50f. Dort S.51 über die Dichter der Anacreontea: „They repeat, reduce, freeze an image, and recreate the older poet to suit their own tastes; [...]. They stereotype an already stereotyped model“.) unternommen. Ihre Untersuchung hat jedoch das generelle Problem, daß sie sich der Frage nach dem poetologischen Programm nicht systematisch zuwendet und daß sie daher beim Vergleich der Anacreontea mit Anakreon nicht durchweg das zur Entstehungszeit der Gedichte gängige Bild von Anakreon und seiner Dichtung zugrunde legt, sondern daß sie es mit ihrem eigenen, heutigen, mischt. Für ihre Untersuchung ist dies nicht weiter von Belang, weil sie bei der Untersuchung der einzelnen Gedichte bei motivischen Ähnlichkeiten mit anderen Texten oft gar nicht versucht, zwischen gewollten und zufälligen Ähnlichkeiten zu unterscheiden.

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gezeigt wurde. Die historische Person Anakreons tritt zurück hinter der aus seinem Werk erschlossenen poetischen Person. In den ersten drei Versen des ersten Gedichtes wird der Beginn einer Begegnung des lyrischen Ich mit Anakreon beschrieben, wobei ausdrücklich gesagt wird, daß es sich um eine Traumbegegnung handelt (ὄναρ λέγω, V.3), was für eine Dichterweihe typisch ist482, da eine derartige Dichterweihe nie real stattfinden kann, weil an ihr stets Personen beteiligt sind, die real inexistent sind, denn es ist Sinn der dargestellten Dichterweihe, die eigene Einsicht nicht als natürliche Erkenntnis, sondern als eine höhere, gottgegebene Inspiration erscheinen zu lassen. Das Bild des Traumes ist geeignet und daher beliebt, um eine solche zwar nicht reale, aber doch wirkliche Begegnung des Dichters mit einer göttlichen Gestalt plausibel zu beschreiben, sofern man die Begegnung nicht einfach als real darstellen und den dann bestehenden inneren Widerspruch der tatsächlichen Unmöglichkeit einer solchen Begegnung unausgeräumt lassen möchte483. Die Begegnung des lyrischen Ich mit Anakreon verläuft in dem Gedicht so, daß zunächst das lyrische Ich Anakreon sieht, denn sonst könnte es nicht wissen, daß Anakreon es ansah (ἰδών, V.1), und daß dann das lyrische Ich von Anakreon gesehen und aus einiger Entfernung heraus, denn sonst könnte es nicht anschließend zu ihm hinlaufen (κἀγὼ δραμὼν πρὸς αὐτόν, V.4), von ihm angesprochen wird. Was Anakreon sagt, wird nicht wiedergegeben, weil es für die innere Logik des Gedichtes irrelevant ist. Entscheidend ist, daß es Anakreon ist, der sich an das lyrische Ich wendet, daß also die Initiative, die zu der näheren Begegnung des lyrischen Ich mit Anakreon führt, allein von Anakreon ausgeht. Im Rahmen der inneren Logik des Gedichtes näher zu beleuchten ist nun die Frage, woher das lyrische Ich überhaupt weiß, daß es sich bei der Person, von der es angesprochen wird, um Anakre482

483

Rosenmeyer S.65 verweist noch auf weitere Dichterweihen, was allerdings für das Verständnis des Gedichtes entbehrlich ist, da hier nur der Topos bedeutsam ist, kein konkreter Vergleichstext. Das bekannteste Beispiel für letzteres ist das Musenproöm in Hesiods Theogonie. Daß Musen nicht real existent sind stand auch zum Zeitpunkt der Abfassung der betreffenden Verse außer Zweifel, und Hesiod selbst war sicherlich nicht der Ansicht, er hätte tatsächlich eine Begegnung mit jenen göttlichen Wesen gehabt, doch spielt dies für seine Absicht, seinem Werk durch einen Bezug zum Göttlichen einen höheren Wahrheitsanspruch zu verleihen, keine Rolle, und auch dem Leser ist klar, daß der realen Darstellung keine Realität, sondern die Absicht des Dichters, durch die vorgegebene Realität seiner Darstellung die Bedeutung seiner Aussage zu unterstreichen, zugrunde liegt. In den Traum verlagert wird die Musenbegegnung erst in der hellenistischen Rezeption, so etwa in Kallimachos’ Aitienprolog, wird dann aber schnell gängig. Was die Traumbegegnung anbelangt, so wird damit, zumal Anakreon sich in Begleitung von Eros befindet, aber auch auf mögliche Traumbegegnungen des lyrischen Ich mit Eros in Anakreons Dichtung (vgl. Frg.13G, 25G, 35G, 83G) angespielt.

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on handelt. Anakreon wird sich dem lyrischen Ich kaum vorgestellt haben, zumal dann anzunehmen wäre, das lyrische Ich hätte nicht gleich gewußt, daß der, der es anspricht, Anakreon ist, sondern es hätte dies nachträglich erst erfahren, wobei dann weiterzufragen wäre, woraus es ihm nachträglich plötzlich ersichtlich geworden wäre, und warum dieser Vorgang dann in der vorliegenden Beschreibung nur ungenau wiedergegeben worden wäre. Vielmehr ist daher davon auszugehen, daß das lyrische Ich bereits auf den ersten Blick wußte, daß es sich bei der von ihm gesehenen Person um Anakreon handelte. Hierfür muß das lyrische Ich bereits vor dieser Begegnung ein Bild von Anakreon gehabt haben, welchem die gesehene Person so unverwechselbar entsprach, daß das lyrische Ich sie sofort zweifelsfrei als Anakreon identifizieren konnte. Hieraus folgt, daß es sich bei der Beschreibung Anakreons, die im weiteren Verlauf des Gedichtes gegeben wird, um genau das Anakreonbild handelt, welches das lyrische Ich bereits vor dieser Begegnung hatte. Nachdem das lyrische Ich von Anakreon angesprochen wurde, läuft es zu ihm hin und umarmt ihn mit großer Zuneigung, erwidert also den von Anakreon ausgehenden Impuls sehr heftig (φιλήσας, V.5). Es ist zudem zu vermuten, daß das lyrische Ich bereits vor dieser persönlichen Begegnung aufgrund des Bildes, welches es von Anakreon hatte, Zuneigung zu Anakreon gefaßt hatte. Die Zuneigung erklärt sich aus der Art des Anakreonbildes, welches das lyrische Ich hatte und hat und wie es in den folgenden Versen dargestellt wird. Anakreon wird in den Versen sechs und sieben beschrieben als ‚ein Greis zwar, aber schön, schön und begierig auf Beischlaf’. Seine Anziehungskraft erklärt sich aus dem zweimal aufgeführten Attribut καλός (VV. 6; 7). Welcher Art jedoch die Schönheit ist, die ihn so anziehend macht, wird nicht gesagt. Die Beschreibung fährt fort mit dem Hinweis, Anakreons Lippe rieche nach Wein, und Eros führe den schon zitternden an der Hand, wobei durch dieses Bild erklärt wird, warum das Alter Anakreons erotischen Begierden nichts anhaben kann. Dann habe Anakreon einen Kranz von seinem Kopf genommen, welcher nach ihm selbst, also nach Wein, roch. Der Kranz als solcher symbolisiert die Dichtung, der Weingeruch verweist speziell auf die sympotische Dichtung, und das erotische Element ist durch den entsprechenden Gott selbst vertreten. Dies ist der Rahmen, in den Anakreon hier eingebettet wird484 und der zugleich auch den Rahmen der anakreontischen Dichtung ebenso wie den der anacreonteischen bildet, so die Aussage des Gedichtes.

484

Diese Einbettung von Anakreon in den sympotisch-erotischen Kontext speziell auch mit dem Symbol des Kranzes ist alt. So bietet die Schale des Oltos, datiert auf 515 v.Chr., also noch zu Anakreons Lebzeiten entstanden, eine der frühesten Darstellungen, die zeigen, daß die Verfasser sympotischer Dichtung die Bekränzungstradition des Symposions zur eigenen stilisierten Darstellung übernahmen. Zu dieser und einer weiteren entsprechenden Darstellung Anakreons siehe ausführlicher Blech S.313.

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Daß dieser Anakreon, der sich dem lyrischen Ich darbietet, keine idiosynkratische Vorstellung des Verfassers von CA 1 von Anakreon verkörpert, sondern der tradierten entspricht, wird zu Beginn des Gedichtes durch die in der Literatur übliche Betonung des Herkunftsortes von Anakreon (ὁ Τήϊος μελωιδός, V.2) nahegelegt und später durch die Darstellung von Anakreon als dem sympotisch-erotischen Bereich angehörend bestätigt. Beide Elemente sind feste Bestandteile der traditionellen Darstellung von Anakreon. Das poetologische Programm, das mit diesem Anakreonbild verbunden ist und das durch den Kranz symbolisiert wird, wird von dem durch das lyrische Ich repräsentierten anacreonteischen Dichter direkt von Anakreon übernommen. Dargestellt wird diese Übernahme im Gedicht dadurch, daß das lyrische Ich sich den Kranz um die Stirn bindet, eine Handlung, deretwegen es sich selbst aus späterer Sicht als Tor (μωρός, V.14) bezeichnet, was jedoch nicht ernstlich darauf hinweisen soll, daß es im Nachhinein bereute, sich der anacreonteischen Dichtung485 verschrieben zu haben, denn dann wäre nicht zu erklären, warum es ein anacreonteisches Gedicht verfaßt hat, sondern darauf, daß es sich der Folgen seiner Handlung und des Ausmaßes seiner Vereinnahmung durch Anakreon zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bewußt war. Seither hat das lyrische Ich nicht mehr aufgehört mit Eros, was so zu verstehen ist, daß es sich, vor allem wohl hinsichtlich seiner Dichtung, nicht mehr aus dem Bereich des Erotischen hinausbewegt hat. Die Einschätzung, daß es ein Tor gewesen sei, weist zudem auf die starke Bedeutung, welche der Bereich des Gefühls für die anakreontische und auch die anacreonteische Dichtung hat, hin. Das lyrische Ich wendet sich φιλήσας (V.5) zu Anakreon hin, ist somit also deshalb ein Tor, weil es in dieser Situation nur vom Gefühl ergriffen war und ohne jede Reflexion gehandelt hat, welche erst im Nachhinein erfolgte. Unter poetologischem Aspekt ist festzuhalten, daß die erste Hinwendung zu Anakreon aus einem Gefühl heraus erfolgt. Das lyrische Ich fühlt sich zu Anakreon hingezogen (φιλήσας, V.5), welcher, und darauf legt seine Beschreibung Wert, besonders die erotische (καλός, VV. 6; 7) und die sympotische (φίλευνος, V.7) Thematik seiner Dichtung verkörpert. So entsteht der Anreiz zur Übernahme des poetologischen Programmes, welche durch den Kranz dargestellt wird, und damit auch zur Übernahme der bestimmten literarischen Form erst dann, wenn man sich, wie das lyrische Ich, zunächst in

485

Daß es sich bei dem ersten Gedicht tatsächlich um anacreonteische Dichtung handelt, wird rein formal zum einen durch die Kürze des Gedichtes und zum anderen vor allem durch das Metrum, einen katalektischen iambischen Dimeter wie er bei Anakreon selbst in Frg.49G und 50G und in Verbindung mit einem katalektischen ionischen Dimeter in Frg.25G zu finden ist, ausgedrückt.

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innerer Begeisterung entschlossen hat, etwas über die sympotisch-erotische Thematik auszusagen486. Die Gesamtdeutung des Gedichtes ergibt sich aus dem programmatischen Anspruch, der mit dem Motiv der Dichterweihe einhergeht. Hierdurch klärt sich auch die Identität des in dem Gedicht nicht näher charakterisierten lyrischen Ich. Wenn ein Autor ein Gedicht über ein lyrisches Ich verfaßt, welches seinerseits nach einer Dichterweihe Dichtung verfaßt, so spricht nichts dagegen, für die Interpretation des Gedichtes das lyrische Ich mit dem Autor gleichzusetzen und die Dichterweihe als Bild dafür zu verstehen, wie es dazu kam, daß der Autor sich berufen fühlte, Dichtung in der Art und Weise zu verfassen, wie es das lyrische Ich nach dieser Dichterweihe tun wird und wie der Autor selbst es in Form des Gedichtes tut. Es liegt in diesem Gedicht somit eine Selbstaussage des Autors vor, der seine Hinwendung zu einer bestimmten Art von Dichtung durch dieses Bild zum Ausdruck bringt. Die Inspiration zu dieser Art von Dichtung kommt nicht aus dem Autor selbst, sondern tritt in Form von Anakreons Dichtung an ihn heran. Er fühlt sich von dieser Dichtung angesprochen, denn sie erscheint ihm schön. Gleichzeitig hat er aber auch das Bild von Anakreon, welches in der Literatur von ihm gezeichnet wurde und welches dem Bild von Anakreon, wie er hier im Gedicht auftritt und wie er sich auch schon in seiner eigenen Dichtung dargestellt hatte, entspricht. Anakreon wird gesehen als der trunkene und lüsterne Dichter, weil er Verfasser sympotisch-erotischer Dichtung ist und sich in seiner Dichtung selbst in entsprechender Weise stilisiert hat487. Eben solche sympotisch-erotische Dichtung will, wie das Symbol der Dichterweihe zeigt, auch der Verfasser dieses Gedichtes schreiben, und zwar in der Art Anakreons. Das poetologische Programm anakreontischer Dichtung soll auch das Programm anacreonteischer Dichtung sein, so die Aussage des Einleitungsgedichtes. Wenn nun das poetologische Programm für anacreonteische Dichtung dasselbe sein soll wie das für die Dichtung Anakreons, so stellt sich 486

487

Es ist fragwürdig, wenn Rosenmeyer (S.62f.) darüber spekuliert, daß es die archaische Tradition gewesen sein könnte, welche die Nachahmer faszinierte, denn von solchen Traditionen gab es einige. Noch fragwürdiger ist ihre Ansicht, die Nachahmung diene der Wertschätzung des Vorbildes (S.62: „Their motto is simply „imitate Anacreon,“ to valorize the model.“), weil nicht erklärt wird, warum das Vorbild diese Wertschätzung erhält und weil sicher nicht die Wertschätzung selbst, sondern der Grund der Wertschätzung der Grund für die Nachahmung ist. Grund für die Wertschätzung dürfte zwar durchaus auch die ästhetische Qualität von Anakreons Dichtung und sein darauf beruhendes hohes Ansehen als Dichter sein, vor allem aber dürfte ein hoher Reiz von der Thematik selbst ausgegangen sein. Dieses Anakreon-Bild kann man seiner Dichtung dann entnehmen, wenn man, wie es seit der Entstehung der Gedichte oft geschah, in Identifikation des lyrischen Ich mit dem Dichter selbst die Dichtung biographistisch interpretiert. Siehe hierzu auch die obigen Ausführungen zu Anakreon und seiner Dichtung (Kap. III.).

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die Frage, wie das poetologische Programm Anakreons nach Meinung anacreonteischer Dichter aussah. Um diese beantworten zu können, ist es notwendig, das gesamte Corpus der Anacreontea in die Betrachtung miteinzubeziehen. Methodisch ist dabei zu trennen zwischen dem Programm, welches sich aus poetologischen Aussagen innerhalb des Corpus konstruieren läßt, und dem, welches durch die Gedichte selbst exemplifiziert wird, denn jedes Gedicht entsteht nach einem bestimmten poetologischen Programm, dessen Grundsätze in dem Gedicht verwirklicht werden und die sich daher ihrerseits aus dem betreffenden Gedicht erschließen lassen. Zunächst wird das Programm dargestellt, das sich aus den poetologischen Aussagen konstruieren läßt. Daß sich aus den verschiedenen poetologischen Aussagen ein konsistentes Programm ergibt, wird die Untersuchung zeigen. In einem zweiten Schritt wird untersucht, welche programmatischen Aussagen sich aus den Gedichten selbst ableiten lassen. Im dritten Schritt, der jedoch zusammen mit dem zweiten im Rahmen der Behandlung der einzelnen Gedichte erfolgen wird, wird untersucht, ob alle Gedichte des Corpus mit dem aus dem Corpus ableitbaren poetologischen Programm in Einklang stehen oder ob es Gedichte gibt, denen ein anderes Programm zugrunde liegt. In einem vierten und letzten Schritt ist zu prüfen, ob sich das Programm der Carmina Anacreontea mit demjenigen Programm sympotischerotischer Dichtung deckt, welches im Entstehungszeitraum der Gedichte als das anakreontische galt. Im Einleitungsgedicht findet sich für das Programm der Anacreontea eine Festlegung des Gegenstandes der anacreonteischen Dichtung. Es ist dies der Bereich des Sympotisch-Erotischen. Hierin wurde oftmals eine Verengung des Anakreon-Bildes auf allein diesen Bereich gesehen. Die Dichter der Anacreontea haben damit jedoch, wie sich gezeigt hat, nur das AnakreonBild übernommen, das sie bereits vorfanden488. Um ihrer Meinung nach tatsächlich anakreontisch dichten zu können, mußten die Dichter der Anacreontea, und darin manifestiert sich ihr literarisches Generationenbewußtsein, auf das anakreontische Programm sympotisch-erotischer Dichtung zurückgreifen und ihre eigene Dichtung ganz aus diesem Programm heraus erzeugen. Dieses Vorgehen findet in CA 1 jedoch nicht nur seine theoretische Darstellung in der Dichterweihe, sondern auch seine praktische Exemplifikation durch das Gedicht selbst, indem der Dichter dieselben formalen und inhaltlichen Mittel anwendet wie Anakreon489. Formal ist vor allem, neben der Tatsache, daß es sich, wie bei den anakreontischen Gedichten, um ein recht kurzes Gedicht handelt, das Metrum zu nennen, der verschiedentlich als für 488 489

Siehe Kap. III.b)2)B). Die folgenden Ausführungen setzen Kap. III.b)2)B) über das poetologische Programm Anakreons voraus.

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Anakreon typisch bezeichnete katalektische iambische Dimeter490, durch den der Dichter sein Gedicht formal in eine Nachfolgebeziehung zur anakreontischen Dichtung stellt. Inhaltlich ist als erstes die Art und Weise zu nennen, wie das Motiv der Dichterweihe in dem Gedicht eingesetzt wird. Durch das Auftreten von Anakreon in Begleitung von Eros statt der konventionell üblichen Musen wird die Dichterweihe gänzlich in die anakreontische Welt eingebunden und somit vom allgemeinen Motiv in eine speziell anacreonteische Szene umgewandelt, weil es vom anacreonteischen Dichter ausschließlich auf die durch Anakreon als Dichter und Eros als Thema der anakreontischen Dichtung verkörperte literarische Vorgängergeneration bezogen wird. Die für den Leser unerwartet starke Einbindung des Motivs in den anacreonteischen Kontext durch eine Art Apotheose von Anakreon als dichterische Inspiration gebenden göttlichen Wesens verleiht dem Gedicht zusätzlich das Element der Scherzhaftigkeit, verbunden mit Erfindungsreichtum. Dieser kommt sprachlich zum Ausdruck in der Verwendung des seltenen φίλευνος491, wobei die Sprache ansonsten schlicht ist, bisweilen prosaisch wie in V.8, meist jedoch der allgemeinen poetischen Sprache entspricht492, ohne Besonderheiten aufzuweisen. Die inhaltlichen Hauptelemente in CA 1 sind der generationale Bezug auf die anakreontische Dichtung und, darauf beruhend, die Elemente von Eros und Wein, die in anakreontischer Tradition als prizipiell positiv charakterisiert werden, und, da es sich um ein Programmgedicht handelt, die Dichtung selbst. Das Gedicht stellt sich also sowohl explizit als auch implizit in ein generationales Verhältnis zur anakreontischen Dichtung und gibt somit den Rahmen vor, in dem sich die nachfolgenden Gedichte hinsichtlich ihrer formalen und inhaltlichen Elemente zu bewegen haben. Ein besonderer und im ersten Gedicht noch nicht thematisierter Bereich der anacreonteischen Programmatik ist das Verhältnis anakreontischer und anacreonteischer Dichtung zu den Werken anderer Dichter. Sehr wichtig hierfür ist CA 2, in welchem das Verhältnis zur homerischen Dichtung thematisiert wird. Der Inhalt des Gedichtes besteht darin, daß das lyrische Ich die Lyra Homers fordert, jedoch ohne die blutige Saite. Diese Forderung ist an eine Mehrzahl von Personen gerichtet, doch folgt gleich darauf die an eine einzelne Person, vermutlich einen Sklaven, gerichtete Aufforderung, dem lyrischen Ich Becher gefüllt mit Ordnungen, denen Gesetze beigemischt 490 491

492

Vgl. Kap. III.b)1). Dieses Adjektiv findet sich nur hier, das zugehörige Substantiv φιλευνοία nur bei Josephus Genesius (10. Jh.n.Chr.), Βασιλεῖαι, 3,5,25 (φιλευνοίας), der deutlich später als die Carmina Anacreontea ist. Dieser allgemein poetischen Sprache ist auch die Augmentlosigkeit bei περιπλάκην (V.5) zuzurechnen, so auch West: Carmina Anacreontea, S.XII, dessen Ausführungen zur Sprache der Anacreontea in dem Vorwort seiner Ausgabe generell in dieser Arbeit stets herangezogen wurden.

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sind, zu bringen, damit es trunken tanzen kann in besonnener Raserei und, zum Barbitos singend, ein Trinklied laut singen kann. Als Ort der Handlung soll der Leser sich also ein Symposion vorstellen. Es folgt abschließend nochmals die Aufforderung des lyrischen Ich, ihm die Lyra Homers ohne die blutige Saite zu geben. Kernpunkt des Gedichtes ist die in anakreontischer Tradition erfolgende Abgrenzung gegen Dichtung die nicht nach dem poetologischen Programm der sympotisch-erotischen anakreontischen Dichtung verfaßt ist. Daß die Abgrenzung gegen Homer erfolgt, ist daraus zu erklären, daß Homer für die griechische Literatur der Dichter überhaupt und damit natürlicher Bezugspunkt aller nachfolgenden Dichtungen ist. Auch Anakreon hat sich sowohl implizit als auch explizit gegen Homer und die epische und kriegerische Dichtung abgegrenzt, implizit, indem er Dichtung verfaßte, die völlig anders ist als die epische, explizit, indem er sich gegen epische Dichtung, zumal beim Symposion, wandte493, doch nennt er nie speziell Homer beim Namen, sondern wendet sich stets gegen epischkriegerische Dichtung allgemein, wobei klar ist, daß Homer der Inbegriff des episch-kriegerischen Dichters schlechthin ist. In CA 2 findet sich hingegen eine explizite, programmatische Abgrenzung anacreonteischen Dichtens gegen homerisches Dichten. Der Anspruch besteht darin, Dichtung zu verfertigen, die sich in ihrem Wert mit der homerischen messen kann. Sie kann es weder formal noch inhaltlich, denn in beiden Bereichen ist die anacreonteische von der homerischen Dichtung sehr verschieden, doch in ihrer poetischen und ästhetischen Qualität möchte sie der homerischen vergleichbar sein. Die formale und inhaltliche Verschiedenheit kommt in der Forderung, die Lyra Homers solle ohne ihre blutige Saite weitergereicht werden, zum Ausdruck, denn die blutige Saite ist das Element der großen, kriegerischen Dichtung, wie sie für die Ilias und, wenngleich in geringerem Maße, auch für die Odyssee kennzeichnend ist. Wenn die homerische Dichtung dieser Elemente beraubt wird, so läßt sich auf den verbleibenden Saiten der Lyra, um das Bild des Gedichtes fortzuführen, anspruchsvolle sympotische Dichtung begleiten, so daß die Lyra ihrer Verwendung nach zum Barbitos (V.7) wird. Die Dichtung ist dabei keineswegs der Beliebigkeit anheimgegeben, wie man an der Thematisierung von Regeln494 (VV. 3 und 4) und dem Hinweis auf 493

494

Verwiesen sei hier auf Anakreon Frg.33G, wo das lyrische Ich sagt, es wolle zu schönen Hymnen trinken, worunter sicher keine epische Dichtung zu verstehen ist, sowie auf Frg.37G, wo das lyrische Ich sagt, es wolle Eros besingen, und vor allem auf Frg.56G, wo das lyrische Ich sagt, es wolle niemanden beim Symposion haben, der Streit und tränenreichen Krieg besingt, worunter sämtliche kriegerische Dichtung und damit auch und vor allem die epischen Dichtungen, allen voran die Ilias, fallen. Die Deutung von θεσμῶν (V.3) und νόμους (V.4) ist schwierig und bereitet auch Rosenmeyer (S.127f.) größere Probleme. Rosenmeyer nimmt wohl letztlich eine poetologische Deutung in den Blick, was mit νόμους recht gut geht, da es auch in der Bedeutung ‚Melodie’ verwendet wird, doch läßt dies, und das hindert ein wenig an

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Besonnenheit trotz Raserei (V.6) sieht. In CA 2 wird anacreonteische Dichtung also in anakreontischer Tradition, und somit in generationalem Bewußtsein, in Abgrenzung gegen homerische Dichtung definiert. Formal wird der Bezug auf die anakreontische Dichtung hergestellt durch das Metrum, den für die anakreontische Dichtung typischen anklastischen ionischen Dimeter, und inhaltlich durch den Wunsch des lyrischen Ich, bei einem Symposion zu singen. Die Ekstase495, in der dieses Singen sich vollzieht, wird vom Schlachtfeld zum Symposion verlegt und so nach Ansicht des lyrischen Ich zu einer vernünftigen, wobei mit dem verwendeten Attribut möglicherweise über Platon ein Bezug zu Anakreon hergestellt werden soll496. Ganz eindeutig wird der Bezug auf Anakreon durch die wörtliche Anspielung, die sich in VV. 3 und 4 auf Frg.38G findet497, welches als typisch für Anakreon bekannt war. Sprachlich ist noch die ionische Form λύρην (VV. 1; 9) hervorzuheben, die bewußt gewählt worden sein dürfte nicht nur im Hinblick auf Homer als ionischen Epiker, sondern auch in Erinnerung daran, daß Anakreon, dessen Herkunft aus Teos in der Literatur so oft betont wird, ebenfalls ein ionischer Dichter war498. Der Bezug auf Anakreon ist somit in viel-

495

496

497 498

dieser an sich durchaus verlockenden poetologischen Deutung, θεσμῶν etwas abseits stehen, sofern man nicht annimmt, daß es Synonym zu νόμος hier ausnahmsweise ebenfalls mit musischer Bedeutung gebraucht wird. Einfacher könnte könnte sein, hierin in Verbindung mit σώφρων (V.6) als Seitenhieb auf die epische Dichtung einen Gegensatz zum wilden, besinnungslosen Schlachten bei Homer zu sehen, dem dann die gesittete und geordnete Welt des Symposions gegenübergestellt würde. λύσσα (V.6) wird bei Homer stets zur Bezeichung der Raserei in der Schlacht verwendet, so daß der Dichter von CA 2 sich in der Verwendung dieses Wortes ausdrücklich auf Homer bezieht, um sich von ihm abzugrenzen, indem er die Raserei nicht auf dem Schlachtfeld, sondern beim Symposion stattfinden läßt. Zur Formulierung der ‚besonnenen Ekstase’ gibt es ein paar Parallelstellen (AG 9,406,5-6: ὀψέ ποτ’ εἰς Διόνυσον ἐκώμασα. φεῦ, τίνες ὕδωρ / πίνουσιν μανίην σώφρονα μαινόμενοι; des weiteren z.B. Maximus Confessor, Quaestiones ad Thalassium 55,321, Cyrillus Alexandrinus, Collectio dictorum veteris testamenti [Sp.] 77,1232,57 und Scholia in Euripidem (scholia vetera) Vita-argumentum-scholion sch Ph 792,13), zu denen allerdings kein direkter Bezug besteht, sondern die Verbindung scheint allgemein als Oxymoron beliebt zu sein. Hier in CA 2 soll damit ausgedrückt werden, daß die sympotische Raserei deutlich besser sei als die kriegerische. σώφρων (V.6) könnte auf die bekannte Wendung vom σοφὸς Ἀνακρέων in Platon, Phaidros 235c (siehe S.65) anspielen. CA 2: φέρε μοι ... φέρε μοι ... . Frg.38G: φέρ’ ὕδωρ, φέρ’ οἶνον, ὦ παῖ, φέρε ... . Ansonsten ist das Gedicht sprachlich unauffällig. Im Gegensatz zu der nicht bei Homer, sondern erst im homerischen Merkurhymnus (V.423) und im Margites (Frg.1,3) erwähnten Lyra dürfte es sich bei den Formen κεράσσας (V.4) und ἀείδων (V.7) um spezielle Anspielungen auf Homer handeln, dessen Lyra das lyrische Ich ja für sich fordert, wenngleich dem Dichter zu entgehen schien, daß κεράσσω bei Homer zwar nur für das Weinmischen, aber nur im Medium verwendet wird (Od.3,393; 7,179; 13,50; 18;423). Die Ähnlichkeit von V.5 mit CA 38,21 ist so unspezifisch, daß sie dem allgemeinen Sprachgebrauch zugerechnet werden kann.

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facher Weise vom Dichter kenntlich gemacht worden, so daß er eindeutig ist, auch wenn Anakreon in dem Gedicht nicht genannt wird. Ein Bezug zwischen Anakreon, Sappho und Pindar wird in CA 20 hergestellt, welches einen Sonderfall in der Gruppe der poetologischen Gedichte bildet. Anakreon wird als erster der drei Dichter genannt. Sein Name findet sich in V.1, und er wird, ebenso wie Sappho, deren Name in V.2 genannt wird, als ἡδυμελής bezeichnet. In V.3 wird die pindarische Dichtung (Πινδαρικὸν μέλος) genannt, und alle diese drei Dichter möchte das lyrische Ich gerne gemischt haben, wie es in sympotischer Metapher sagt, denn diese drei so gemischten würden, so scheint es dem lyrischen Ich, sowohl Dionysos als auch Aphrodite als auch Eros austrinken. Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine Mischung anakreontischer, sapphischer und pindarischer Dichtung zu fordern und damit entgegen dem im ersten Gedicht geforderten ausschließlichen Bezug auf Anakreon auch einen Bezug auf Sappho und Pindar zuzulassen und sogar zu wünschen, so daß kein generationales Verhältnis mehr zu Anakreon bestünde, sondern eine verschiedene poetische Elemente vermischende Imitatio dieser drei Dichter nahegelegt würde. Auch metrisch stellt dieses Gedicht einen Sonderfall innerhalb der Carmina Anacreontea dar, weil es aus zwei baugleichen Strophen besteht, die ihrerseits aus verschiedenen Metren zusammengesetzt sind499, welche jedoch größtenteils auch bei Anakreon des öfteren vorkommen, so beispielsweise in Frg.82G und Frg.86G, und daher an anakreontische Dichtung anknüpfen, so daß sich das Gedicht formal am stärksten an die anakreontische Dichtung und nicht etwa an die sapphische oder pindarische anlehnt, wenngleich sich das Gedicht natürlich metrisch deutlich von den übrigen anacreonteischen Gedichten unterscheidet und nicht von denjenigen Metren Gebrauch macht, die als typisch für die anakreontische Dichtung angesehen wurden. Inhaltlich ist Anakreon ebenfalls der wichtigste der drei genannten Dichter, denn er wird als erster genannt, und sein Name im ersten Vers bildet zusammen mit der Nennung von Eros im letzten Vers, der durch die Hinzufügung von αὐτός ausdrücklich als der bedeutendste der drei Götter herausgehoben wird, eine Klammer für die übrigen Verse. Die in dem Gedicht dargestellte Situation ist die eines Symposions, bei dem das lyrische Ich gerne Dichtung von Anakreon, aber auch von Sappho und Pindar hören möchte, und auch Dionysos, Aphrodite und sogar Eros selbst hätten an diesen Dichtungen wohl ihre Freude. Es geht hier also um die Rezeption von Dichtung, was den im Vergleich zu den ersten beiden Gedichten, in denen es um die Produktion von Dichtung ging, etwas anderen Blickwinkel erklärt. Durch die Form des Gedichtes und durch die Betonung, die durch die 499

Das Metrum des Gedichtes ist (so auch West: Carmina Anacreontea, S.XVI): choriambus + iambus | aristophaneus | ibyceus | choriambus + iambus ||.

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Struktur des Gedichtes auf die erotische und durch das Bild des Symposions auf die sympotische Dichtung Anakreons gelegt wird, zeigt der Dichter seine eigene Vorliebe hinsichtlich der Produktion von Dichtung. Die Ehrwürdigkeit des von ihm favorisierten Anakreon und die herausragende Qualität seiner Dichtung wird dadurch betont, daß er neben Sappho und Pindar gestellt und als einer der von Dionysos, Aphrodite und Eros bevorzugten Dichter gezeigt wird. An der Form des Gedichtes läßt sich Anakreon als bevorzugter Dichter des Autors von CA 20 ablesen, im Inhalt wird die Wertschätzung für Anakreon durch seine Einbettung in eine Gruppe von insgesamt drei altehrwürdigen Dichtern zum Ausdruck gebracht, die sich alle drei dadurch auszeichnen, daß ihre Gedichte gerne bei Symposien gehört werden, wodurch Sappho und Pindar wiederum in das besonders für Anakreon typische symposiale Geschehen und damit auf poetologischer Ebene in die anakreontische Struktur von CA 20 eingebunden werden, so daß auch CA 20 in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Mit epischer Dichtung im allgemeinen setzt sich CA 23 auseinander. Obgleich das lyrische Ich gerne Helden und Schlachten besänge, geben die Saiten des Instrumentes nur Erotisches von sich, und daran ändert sich auch nichts nachdem das lyrische Ich zuerst die Saiten und schließlich das gesamte Instrument ausgewechselt hat. Was das Instrument anbelangt, so ist auffällig, daß zuerst von einem Barbitos (V.3) und dann von einer Lyra (VV. 6; 8) die Rede ist. Möglich ist, daß für den Autor des Gedichtes Barbitos und Lyra weitgehend synonyme Begriffe waren500 und es für ihn daher nicht von Bedeutung war, welchen Begriff er verwendete. Wahrscheinlicher ist aber, daß das lyrische Ich, nachdem es mit dem Barbitos auch nach dem Saitenwechsel nicht geklappt hat, schließlich zur Lyra greift, doch selbst mit dieser will ihm keine Heldendichtung gelingen. Was in diesem Gedicht zum Ausdruck kommt, ist das innere Bedürfnis nach anakreontischer Dichtung, das vom Autor des Gedichtes hier, statt auf das lyrische Ich selbst, auf die Instrumente übertragen wird. Dieses Bedürfnis ist kennzeichnend für die anacreonteische Dichtung, und ihm entspringt die strenge Übernahme des anakreontischen Programmes. Sprachlich zeigt sich das Bestreben, anakreontisch zu dichten, ebenso wie bereits in CA 2, an der Verwendung der ionischen Form λύρη (VV. 8; 11)501, metrisch zeigt es sich an der Verwendung des katalektischen iambischen Dimeters. Was die inhaltliche Gestaltung des Gedichtes anbelangt, so fallen der Erfindungsreichtum und der Witz auf, die in dem Bild des eigenwilligen Instrumentes liegen, dem der 500 501

Dies legt die Ähnlichkeit der Instrumente nahe, die auch betont wird von Abert 1764. Um ihres ehrwürdigen Klanges und der epischen Thematik willen findet in V.4 die homerische Form μοῦνον Verwendung, die auch von Anakreon verwendet wurde (Frg.52G), doch hat der Dichter, wie sich an dem wohl korrekt überlieferten μόνους in V.12 zeigt, nicht auf durchgängige Ionisierung geachtet.

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Dichter selbst durch seine vollständige Auswechslung nicht die gewünschten Töne entlocken kann, sondern weiter seine Liebschaften besingen muß. Zu beachten ist aber auch das anfängliche Scheitern des lyrischen Ich bei dem Versuch, sich dem Zwang des durch das Musikinstrument verkörperten Eros zu entziehen, der auch schon im letzten Vers von CA 1 begegnete, denn es zeigt ein Grundphänomen anakreontischer wie anacreonteischer Dichtung, nämlich die Tatsache, daß in den Gedichten oft auf die Ambivalenz des Dargestellten hingewiesen wird. Wichtig an dem Gedicht ist poetologisch jedoch vor allem die Abwendung von der epischen Dichtung durch die Hinwendung zur erotischen Dichtung und speziell, was jedoch nur implizit deutlich wird, zur anakreontischen Dichtung. Abgeschlossen wird die Sammlung der Anacreontea durch das ebenfalls programmatische Gedicht 60. Die dort zu findende Formulierung τὸν Ἀνακρέοντα μιμοῦ (V.30) hat Rosenmeyer dazu veranlaßt, das Verhältnis anacreonteischer zu anakreontischer Dichtung als imitatio zu fassen. Dabei ist zu beachten, daß sich die Nachahmung auf das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung und nicht auf bestimmte einzelne Gedichte erstreckt. CA 60 bedarf nicht nur aufgrund seiner für anacreonteische Dichtung außergewöhnlichen Länge, sondern auch aufgrund seiner mythologischen Thematik und seiner poetischen Anspielungen einer genaueren Untersuchung. Für die folgenden Ausführungen wird der Text in der von West hergestellten Form zugrunde gelegt502. Metrisch bereitet das Gedicht keine Probleme, es besteht aus anaklastischen ionischen Dimetern503. Die am Beginn des Gedichtes stehende Aussage des lyrischen Ich, es werde zum Barbitos singen, weckt, in Verbindung mit dem Metrum, die Er502

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Sowohl für eine Übernahme des überlieferten Textes als auch für tiefgreifende Änderungen lassen sich Argumente anführen, wie die Ausführungen von Giangrande S.202f. und von West, Martin Litchfield: „Problems in the Anacreontica“, in: Classical Quarterly 34, 1984, 206-221, dort S.219-221, zeigen. Zwar scheint eine Bewahrung des überlieferten Textes möglich und daher zunächst prinzipiell ratsam, doch sind auch die von West herangezogenen Vergleichsstellen bei einem so anspielungsreichen Gedicht nicht außer Acht zu lassen. Für die vorliegende Untersuchung kann die Frage allerdings beiseite geschoben werden, weil die fraglichen Stellen für die poetologische Bedeutung des Gedichtes entbehrlich sind. Die Längen am Beginn von V.9 und V.17 stellen wohl keine bewußt eingesetzte metrische Freiheit dar, sondern deuten eher darauf hin, daß das Gedicht aus später Zeit, etwa dem 5. Jh.n.Chr., stammt. Zu dieser Zeit konnten die entsprechenden Silben kurz ausgesprochen werden, so daß der Autor keine Notwendigkeit sah, vollständig auf den Regeln klassischer Prosodie zu beharren, sondern glaubte, Verse zulassen zu können, die nach den Regeln der klassischen Metrik als isosyllabisch anzusehen sind. Zu dieser Vermutung der unbewußten Abweichung von den Regeln der klassischen Metrik paßt, daß der Autor die übrigen Verse nach den klassischen Regeln korrekt gebaut hat, sofern man von der Vernachlässigung der Positionslänge in V.7 absieht und davon ausgeht, dem Autor sei bei V.8 bewußt gewesen, daß die Konsonantenkombination κν nicht positionsbildend sein muß.

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wartung, es mit sympotisch-erotischer Dichtung zu tun zu haben. Daß das lyrische Ich in V.2 sogleich ausdrücklich darauf hinweist, es handele sich nicht um einen Wettkampf, wird zum einen durch den in der epischen Form ἄεθλος (V.2) implizierten Verweis auf Homer unterlaufen und zum anderen dadurch, daß der Anspruch, die Blüte der Weisheit als Lohn für das Gedicht zu erlangen, in seiner Wortwahl auf Pindar rekurriert504. Daß statt der bei Pindar vorhandenen dorischen Form die ionische gewählt wird, ist ein Detail, durch welches der Dichter diesen Verweis auf Pindar gleich in das anacreonteische Konzept des Gedichtes einbettet, indem er über die ionische Form einen Bezug zu Anakreon als ionischem Dichter herstellt. Das Plektron aus Elfenbein (V.5) weist auf eine luxuriöse Umgebung hin, was in Verbindung mit dem folgenden ehrwürdigen literarischen Hintergrund die Herausgehobenheit des lyrischen Ich als eines anacreonteischen Dichters zum Ausdruck bringen, zugleich aber vielleicht auch auf die ionische Weichlichkeit anacreonteischen Lebens im Gegensatz zum episch-heroischen hinweisen soll. Wie es der anakreontischen Tradition entspricht, wird neben der Kraft des Liedes (κροαίνων, V.6) vor allem seine Lieblichkeit (λιγυρὸν μέλος, V.6) betont. Die Nennung des phrygischen Rhythmus’ soll die Leichtigkeit des Gedichtes betonen505, und sie soll auch die Einbindung der folgenden homerischen Anspielung in den anacreonteischen Kontext gewährleisten, wobei auch hier ebenso wie im vorhergehenden Vers sogleich die Intensität des Singens durch die Wahl des Verbes βοάω (V.7) betont wird. Der Bezug zu Ilias 2,460 ist dabei kein spezieller506, sondern er soll lediglich zum allgemeinen Verweis auf Homer dienen und zugleich im Bild des Schwanes den Sänger darstellen, weswegen die Verbindung von Schwan und Sänger in VV.9-10 weiter ausgeführt wird mit zusätzlichem Bezug auf Homer durch Anklänge an den kleinen homerischen Apollonhymnos507. Daß der Gesang dabei als ποικίλος (V.9) charakterisiert wird und als Instrument der Aulos in der Wendung ἀνέμου σύναυλος (V.10) genannt wird, bindet den Homerbezug sogleich wieder in den anakreontischen sympotischen Kontext ein und betont die seit hellenistischer Zeit prominente poetologi504 505

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Pindar, Isthmische Oden 7,18: σοφίας ἄωτον. Den phrygischen Rhythmus hat man sich nach Athenaios, Deipnosophistai 4,84,35 und 2,1,63,6 als einen laufenden, also munteren Rhythmus vorzustellen, im Gegensatz wohl etwa zum epischen Hexameter, und daher nahm vermutlich auch der Verfasser von CA 60 an, dieser Rhythmus sei für muntere Dichtung gut geeignet. In der Ilias-Stelle wird der Lärm der Vogelscharen als Bild für den Lärm der Völker verwendet. Homer, In Apollinem 1: Φοῖβε σὲ μὲν καὶ κύκνος ὑπὸ πτερύγων λίγ’ ἀείδει. Mit dieser Stelle weist CA 60, V.6 und VV.8-10 Ähnlichkeiten auf. Die Verbindung von Apoll und Schwan findet sich auch etwa im kallimacheischen Apollonhymnos (V.5: ὁ δὲ κύκνος ἐν ἠέρι καλὸν ἀείδει), so daß das lyrische Ich in CA 60 durch die Anspielungen eine breite Sammlung literarischer Bezüge erhält, die den Hintergrund für seinen eigenen Auftritt als anacreonteischer Sänger bilden.

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sche Forderung nach Buntheit, d.h. motivischem Abwechslungsreichtum der Gedichte. Der klassische Anruf an die Muse schließt diesen ersten Teil des Gedichtes ab, wobei durch die unübliche Aufforderung des συγχορεύειν wieder die Verbindung zum Anfang des Gedichtes, dem Barbitos, durch den gemeinsamen Bezug zum Symposion hergestellt ist. Die Einleitung verspricht also ein anacreonteisches Gedicht mit mythischem Gegenstand. Im zweiten Teil des Gedichtes, der bis V.23 reicht und über den sich aufgrund der mannigfachen textkritischen Probleme wenig Gesichertes sagen läßt, wird der Mythos von Apoll und Daphne erzählt. Sofern man Wests Herstellung des Textes folgt, begint die Passage damit, daß das lyrische Ich sagt, es habe die Stachel von Eros fliehen können, indem es von der erfolglosen Liebe des Apoll erzählte. Hier würde dann also explizit die heilende Wirkung erotischer Dichtung thematisiert, die wohl darin bestünde, daß die Reflexion über das Gefühl in der Dichtung einen vom direkten Gefühl trennt. Eros selbst wird dadurch erfolglos, daß der Dichter über den erfolglosen Apoll berichtet. Dies wäre eine sehr interessante Version, nur ist sie leider aufgrund der Unsicherheit von Wests Text interpretatorisch nicht belastbar. Der Schwerpunkt der mythischen Erzählung aber, so viel kann man sicher sagen, liegt, auch dies dürfte der Einbindung des Mythos in das poetologische Programm der anacreonteischen Dichtung geschuldet sein508, auf dem erotischen Bereich, dem Begehren Apolls und der durch Zeus erzwungenen Unerfülltheit dieses Begehrens. Dem mythischen Inhalt entsprechend prägen epische und ionische Wörter und Formen die Sprache509. Die Beschreibung des wohlbekannten mythischen Vorganges ist jedoch typisch anakreontisch insofern, als zum einen der erotische Aspekt betont wird510 und zum anderen die Beschreibung sehr scherzhaft endet (VV.22-23): Das Abrupfen eines grünen Blattes ist wahrlich nicht die Form der Annäherung, die Apoll sich gewünscht hatte, es ist lediglich die einzige, die ihm bleibt. Der epische Inhalt wird also durch die Art der Beschreibung anakreontisiert, wodurch der Dichter sich deutlich von epischer Dichtung homerischer Art absetzt. Epische Themen können zwar in anacreonteischer Dichtung vorkommen, aber nur dann, wenn sie mit dem anakreontischen Bereich des 508

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Da sich in den überlieferten Fragmenten von Anakreons Dichtung kein Mythos findet, läßt sich auch nichts Sicheres darüber aussagen, ob das anacreonteische Programm in diesem Punkt mit dem anakreontischen übereinstimmt. An dem Umgang mit Stellen aus Werken anderer Dichter hat sich jedoch bereits gezeigt, daß auch Anakreon eine starke Einbindung literarischen Allgemeingutes in seine dichterische Welt vorgenommen hat, und es ist anzunehmen, daß sich dies auf den Umgang mit mythischen Stoffen übertragen läßt. So z.B. οἶτος (V.11a); κιθάρη (V.13); λαλέων (V.11); ἀνεμώλιος (V.15); σαόφρων (V.16) usw. Durch Formulierungen wie ἐκπέφευγα κέντρα (V.17); γαμέτην ἒχειν (V.16b); κρατέειν κόρην (V.21); τελεῖν Κυθήρην (V.23).

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Sympotisch-erotischen zu tun haben und in anakreontischer Weise dargestellt werden. Auf diesen mythischen Teil folgt eine explizite poetologische Reflexion des lyrischen Ich511. Der Beginn dieser Reflexion in VV.24-29 ist etwas dunkel formuliert, aber durchaus entschlüsselbar. Mit der besten Raserei512 dürfte gemeint sein, daß das lyrische Ich sich von der Begeisterung für die erotische Begebenheit, die als solche nach anakreontischen Maßstäben als positiv zu bewerten ist, dazu hinreißen ließ, diese Begebenheit, entgegen sonstiger anacreonteischer Gepflogenheit, ausführlich darzustellen, womit es doch das eigentliche Ziel seiner Dichtung verfehlte. Es ermahnt sich daher selbst, nun nichts mehr darüber zu erzählen, wie die Liebe auch anderen Göttern ihre Grenzen aufzeigt. Diese Ermahnung ist wohl so zu verstehen, daß zwar grundsätzlich gegen das Thema nichts einzuwenden ist, daß es aber bereits auf für anacreonteische Dichtung ungebührlich breitem Raum behandelt wurde. Es folgt eine Aufforderung des lyrischen Ich, Anakreon, den berühmten Sänger, nachzuahmen. An diese schließt sich eine Ausführung dessen an, was nach Ansicht des lyrischen Ich und damit des Verfassers von CA 60 unter der Nachahmung Anakreons zu verstehen ist. Es wird gesagt, man solle den Knaben, die man sich als bei einem Symposion anwesend vorzustellen hat, eine Schale vortrinken513 (V.32), eine Schale voll mit lieblichen Worten514 (V.33). Diese Formulierung erinnert durch die im Zusammenhang mit

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Da dieser Teil inhaltlich ohne Probleme an VV.1-23 anschließt, besteht kein Grund, VV.24-36 als eigenes Gedicht abzuspalten, wie dies Bergk in seiner Ausgabe und Lambin (S.175) taten. Hier ist hinzuweisen auf die Tatsache, daß erotische Raserei, wenngleich in anderer Weise, so daß die Verbindung nur eine sehr allgemeine ist, auch von Anakreon selbst thematisiert wurde (Frg.46G). Sprachlich ist die Formulierung nicht neu, sondern kann, vielleicht in beabsichtigter sprachlicher Anlehnung an Aristophanes, Thesmophoriazusen 793 (μανίας μαίνεσθ’), ein gewisses Alter und poetische Erlesenheit für sich beanspruchen, doch ist sie in der kaiserzeitlichen und spätantiken Literatur allgemein weit verbreitet. So finden sich allein bei Johannes Chrysostomus 21 Belegstellen. Für die Formulierung φιάλην προπίνειν verweist West: Carmina Anacreontea, S.48 zu Recht auf Pindar, Olympische Oden 7,1-8, denn die wenigen weiteren Belegstellen, unter anderem Xenophon, Anabasis 7,3,27,3, dürften allesamt auf Pindar zurückgehen, auch wenn sie keinen inhaltlichen Bezug zu ihm haben. Der mangelnde inhaltliche Bezug zeigt jedoch, daß die Wendung auch in CA 60 einzig dazu dienen soll, der Sprache einen altehrwürdigen, poetischen Klang zu verleihen, in der Absicht, so der anakreontischen Dichtung auch sprachlich nahe zu kommen. Wörtlich: ‚eine liebliche Schale von Worten’. Es folgen Partizipien im Nominativ Plural Maskulinum, die wahrscheinlich von einem Adhortativ an die 1. Person abhängig sind, doch ist das Prädikat in den erhaltenen Versen nicht überliefert. Es ist anzunehmen, daß sich die auf V.36 folgenden, verlorenen Verse auf die sorgenlösende

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Dichtung verwendete sympotische Metapher an CA 20, in dem von einer Mischung von Anakreon, Sappho und Pindar die Rede war, doch ist dieser Bezug wohl nicht beabsichtigt, zumindest aber ist es kein weitreichender Bezug. Ging es in CA 20 bei der Mischung verschiedener Dichter um poetologische Fragen, so geht es hier bei der für das Symposion und den Kontakt zu Knaben mit Worten gefüllten Schale ausschließlich um die anacreonteische Dichtung mit ihrer sympotischen und erotischen Thematik. Diese Dichtung, so ist wohl in VV.32-33 mitzudenken, soll auch in der Lage sein, die Zuhörer, also die jungen Männer, in erotische Stimmung zu versetzen. Genau diese Wirkung erotischer Dichtung thematisierte bereits Anakreon in Frg.22G, das auch in demselben Metrum verfaßt ist wie CA 60 und auf das hier wahrscheinlich auch angespielt wird. Der generationale Bezug auf die anakreontische Dichtung ist inhaltlich und formal in jedem Falle offensichtlich. Es folgen in VV.34-36 Partizipien im Nominativ Plural Maskulinum, die wahrscheinlich von einem Adhortativ an die 1. Person abhängig sind, doch ist das Prädikat in den erhaltenen Versen nicht überliefert. Es läßt sich daher lediglich feststellen, daß das lyrische Ich sich von gutem Wein (V.34) und vom Rückzug in den Schatten (V.36) Linderung von der Sommerhitze (V.35) erhofft. Poetologisch bedeutsam an der Passage ab V.24 ist, daß die Aufforderung, Anakreon nachzuahmen, scherzhaft an den θυμός (V.24) und damit an den Dichter selbst gerichtet ist. Natürlich kommt der Dichter dieser Aufforderung schon längst nach, denn CA 60 ist ein anacreonteisches Gedicht. Durch diesen Kunstgriff kann der Dichter aber all diejnigen Elemente nennen, die aus seiner Sicht für die Nachahmung anakreontischer Dichtung wichtig sind. Damit ist wieder die Frage erreicht, wie man den Begriff der Mimesis in diesem Gedicht zu verstehen hat. Das Gedicht ist in einem bei Anakreon belegten Metrum verfaßt, es dreht sich um die typisch anakreontische Thematik des Sympotischerotischen und es bindet Elemente, die zunächst nicht dieser Thematik angehören, wie das mythische Exemplum, so in die Thematik ein, wie es dem Vorbild der anakreontischen Dichtung mutmaßlich entspricht. Dabei vernachlässigt es auch nicht die für die anakreontische Dichtung wichtige spielerisch-scherzhafte Gestaltung des Themas, ohne ins Lächerliche abzugleiten. Es sind damit all diejenigen Bedingen erfüllt, die für die Feststellung eines poetologischen Generationenverhältnisses erforderlich sind. Die Mimesis ist hier keine freie Imitatio, sondern eine Übernahme des poetologischen Programmes, weshalb man trotz der Verwendung des Begriffes Mimesis in CA 60 gut beraten ist, des richtigen Verständnisses wegen einen

und mutspendende Wirkung des Weines bezogen haben. Eine gewisse Idealisierung der Szene findet sich in der Nennung von Nektar als Getränk (V.34).

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anderen Begriff, etwa den hier vorgeschlagenen des poetologischen Generationenverhältnisses, zu verwenden. So ergibt sich aus den poetologischen Gedichten 1, 2, 20, 23 und 60 insgesamt ein breites Spektrum an Merkmalen, die sich gegenseitig ergänzen. Formal ist festzustellen, daß die Gedichte in etwa dieselbe Länge wie die anakreontischen Gedichte haben, und an Metren finden sich die für Anakreon als typisch angesehenen und damit für die Carmina Anacreontea bedeutsamsten, der Hemiambus, ein katalektischer iambischer Dimeter (CA 1; 23) und der sogenannte Anacreonteus, ein akatalektischer anaklastischer ionischer Dimeter a minore (CA 2; 60); CA 20 ist, wie oben dargelegt wurde, ein Sonderfall. An den Motiven selbst und an dem Umgang mit Motiven wurde die prinzipielle Ähnlichkeit mit der anakreontischen Dichtung im Bereich der motivisch-thematischen Verarbeitung deutlich. Alle untersuchten poetologischen Programmgedichte, so hat sich gezeigt, folgen explizit und implizit einem konsistenten poetologischen Programm, welches nach Aussage der Gedichte allen anacreonteischen Gedichten zugrunde liegen soll, und dieses Programm besteht darin, das poetologische Programm der anakreontischen sympotisch-erotischen Dichtung in neue Gedichte umzusetzen. Ob allerdings tatsächlich alle anacreonteischen Gedichte diesem Programm folgen und damit in einem poetologischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung stehen, ist im folgenden an den 55 übrigen Gedichten der Sammlung zu prüfen. Dafür ist an ihnen zunächst aufzuzeigen, inwiefern sie überhaupt dem poetologischen Programm entsprechen, wobei sich zeigen wird, daß Elemente wie etwa die Dialektik des Eros, das Spielerische des Eros, die Verwendung eines lyrischen Ich, welches dem anakreontischen lyrischen Ich und damit Anakreon selbst ähnlich ist, aber auch Darstellungselemente wie etwa das Traumerlebnis, welches keineswegs für die Dichterweihe reserviert ist (vgl. Anakreon Frg.13G), sich vielfach in den anderen Gedichten wiederfinden und so eine konsistente poetologische Programmatik erzeugen, welche dazu berechtigt, die Anacreontea als auf Anakreon bezogene literarische Generation anzusehen.

IV. c) Die thematischen Gedichte Die Gedichte werden nicht in fortlaufender Reihung untersucht, denn es handelt sich hier nicht um einen Kommentar, auch wenn eine Untersuchung aller Gedichte eines Corpus zwangsläufig bis zu einem gewissen Grad Kommentarcharakter hat, sondern die Gedichte werden nach auffälligen formalen oder inhaltlichen Kriterien gruppiert, um so auch gleich untersuchen zu können, in welcher Weise und in welchen Kombinationen bestimmte Hauptmerkmale in den jeweiligen Gedichten verarbeitet sind. Die Untersuchungen der einzelnen Gedichte sind gegliedert in die Bereiche ‚Me-

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trik’, ‚Sprache und Stil’ sowie ‚Inhalt und Charakter’, um deutlich zeigen zu können, auf welcher Ebene Ähnlichkeiten oder Unterschiede vorliegen und wie diese im Hinblick auf das Gedicht als ganzes und damit das poetologische Programm zu bewerten sind. Es werden dabei zuerst metrische und anschließend sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der anakreontischen Dichtung aufgezeigt, danach wird die thematische und motivische Ähnlichkeit des jeweiligen Gedichtes mit der anakreontischen Dichtung untersucht, stets unter der Fragestellung, welche poetologische Relevanz die Übereinstimmungen oder Unterschiede besitzen.

IV. c)

1)

Gedichte, in denen Anakreon genannt wird (7,15)

Außer in den poetologischen Gedichten 1, 20 und 60 wird Anakreon noch in zwei weiteren Gedichten, CA 7 und CA 15, namentlich genannt. Diese Gedichte sind daher von besonderem Interesse, weil in ihnen explizit ein bestimmtes Bild von Anakreon gezeichnet wird, das daraufhin zu untersuchen ist, in welchem Verhältnis es zu demjenigen Bild von Anakreon steht, welches die Dichter der Carmina Anacreontea vorfanden. Gedicht 7: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt515. Die prosodische Korrektheit des Gedichtes weist auf eine eher frühe Entstehungszeit hin. Sprache und Stil: Das Gedicht ist sprachlich schlicht und unauffällig. Es bestehen keine Ähnlichkeiten mit anderen literarischen Werken. Inhalt und Charakter: In CA 7 wird der Topos des alten Anakreon verwendetwelcher das lyrische Ich bildet. Das Motiv der Zurückweisung des lyrischen Ich durch Frauen aufgrund seines Alters ist typisch anakreontisch. Es findet sich in Frg.13G und auch in Frg.53G, wobei wörtliche Übernahmen in CA 7 vermieden werden und auch ein anderes Metrum gewählt wurde. Verbunden wird dieses Motiv mit der Thematik des Umgangs mit dem Alter. Das lyrische Ich in CA 7 sagt scherzhaft, es selbst sehe ja nicht, ob es noch Haare habe (VV.6-8), es wisse nur, daß ein Greis um so mehr sich in fröhlichem Scherz vergnügen sollte (πρέπει τὸ τερπνὰ παίζειν, V.10), je näher der Tod sei. Hier wird also in einer Vermischung anakreontischer Motive die Fröhlichkeit des sympotisch-erotischen Lebens auf das Alter übertra515

Für das Vorkommen der verschiedenen Metra bei Anakreon sei hier und für alle weiteren Gedichte auf den Index metrorum bei Gentili S.108-111 und für die Bedeutung der einzelnen Metra für die anakreontische Dichtung in der späteren Literatur auf Kap. III.b)1) verwiesen.

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gen in dem Sinne, daß gesagt wird, man solle das Leben genießen, solange man dies noch kann, der Tod komme schon früh genug. Dies ist in der antiken Literatur zwar ein Gemeinplatz, der hier jedoch eine speziell anakreontische Note dadurch erhält, daß er ganz in ein sich deutlich auf Anakreon beziehendes Gedicht eingebaut ist. Die Beschwerlichkeit des Alters, wie sie von Anakreon etwa in Frg.36G thematisiert wird, findet in diesem Gedicht nur insofern ihren Platz, als am Ende des Gedichtes die Moiren stehen, die das unausweichliche Ende des Lebens verkörpern. In ein generationales Verhältnis zur anakreontischen Dichtung wird das Gedicht zum einen dadurch gestellt, daß Anakreon als lyrisches Ich auftritt, wodurch suggeriert werden soll, er sei auch der Autor des Gedichtes, und zum anderen durch die direkte formale und thematisch-motivische Anlehnung an anakreontische Gedichte. Gedicht 15: Metrik: CA 15 ist, ebenso wie CA 7, in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt, und es weist ebenfalls keine prosodischen Besonderheiten auf. Sprache und Stil: Sprachlich bemerkenswert sind die Ionismen, beginnend mit dem ersten Wort des Gedichtes, ἐρασμίη516, sowie allgemein episch-poetische Formen wie ἠέρος (V.4) oder πνέεις (V.5). Beides soll eine alt und, vor allem auch durch die Ionismen, anakreontisch wirkende Sprache erzeugen. Ansonsten ist das Gedicht in schlichter, klarer und unauffälliger Sprache gehalten und entspricht damit in sehr treffender Weise dem als beiläufiges Geplauder (vgl. V.36) charakterisierten Inhalt. Inhalt und Charakter: CA 15 ist geprägt von Witz und Erfindungsreichtum. Der Inhalt ist klar, und die textkritischen Einzelfragen sind, wie man sich auch im Einzelfall entscheiden mag, für den Sinn des Gedichtes nicht ausschlaggebend. In dem Gedicht wird Anakreon dadurch charakterisiert, daß, so die Konstruktion der Rahmenhandlung, eine Taube, die dem lyrischen Ich begegnet, von diesem gefragt wird, woher sie komme, wer sie sei und was sie zu tun habe, und daraufhin allerhand über Anakreon erzählt, dem sie gehört. Lambin517 äußert sich bezüglich des Gedichtes vor allem über die Entstehungsbedingungen von Literatur zur Entstehungszeit des Gedichtes518. In 516

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Ebenfalls hierhin gehört ἐλευθέρην (V.18). λαλιστέραν (V.36) ist, wie auch West im Apparat anmerkt, vielleicht zu ändern. Die folgenden Ausführungen über Lambins Thesen stützen sich auf Lambin S.181. Lambin gibt zwar keine Entstehungszeit an, doch dürfte diese etwa im 1.-3. Jh.n.Chr. liegen, wie auch aus West: Carmina Anacreontea, S.XVII zu schließen ist. Rosenmeyer S.145 Anm.66 bemerkt richtig, daß Brieftauben vor allem in römischer Zeit vorhanden waren und daß das Gedicht daher eher aus später Zeit stammen dürfte, was sich mit der Datierung von West und Lambin deckt.

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dieser Zeit, so Lambins These, war nur individuelle Dichtung möglich, der jeglicher Bezug etwa zu Mythen, Geschichte, städtischem Leben, kurz, zu allem, was das Individuum übersteigt, fehlt. Deshalb könne sich ein anacreonteischer Dichter schon allein aufgrund der äußeren Umstände nicht mehr zu der Art eines Pindar oder der Tiefe eines Homer aufschwingen und seine Dichtung sei dazu gezwungen, oberflächlich zu sein. Ob einem anacreonteische Dichtung im allgemeinen und CA 15 im besonderen oberflächlich erscheinen mag, sei dahingestellt, handelt es sich hierbei doch um den Bereich des subjektiven Werturteils. Wichtiger ist die Feststellung, daß während all der Jahrhunderte, in denen anacreonteische Gedichte entstanden sind, stets eine so große Anzahl an literarischen und poetischen Formen zur Verfügung stand, daß ein Dichter sich sicherlich nicht aus äußerem Zwang heraus der anacreonteischen Dichtung zuwenden mußte, sondern sehr wohl entscheiden konnte, welche Art von Dichtung er verfertigen wollte, so daß eine Entscheidung für die anacreonteische Dichtung stets eine bewußte Entscheidung war, die weniger äußerem Zwang als vielmehr innerem Antrieb folgte. Was Lambin über die zunehmende Individualisierung von Dichtung sagt519, ist insofern richtig, als bereits bei Anakreon in seiner sympotischerotischen Dichtung eine deutliche Individualisierung festzustellen ist, welche eine grundlegende Neuerung gegenüber der bis dahin vorhandenen Dichtung darstellt520 und somit sicherlich auch dazu beigetragen hat, daß Anakreon gerade für seine sympotisch-erotische Dichtung besonders berühmt wurde. Daß allerdings bei den Carmina Anacreontea die Individualisierung verstärkt worden wäre, und dies aus einem Mangel an literarischen Alternativen heraus, läßt sich nicht erkennen. Einen etwas anderen Blick auf das Gedicht liefert Rosenmeyers ausführliche poetologische Interpretation521, die jedoch zu hinterfragen ist. Rosenmeyer versteht das Gedicht sowohl als Gedicht über anakreontische Themen als auch als ein Gedicht, das seine eigene poetische Entstehung kommentiert522. Sie sieht in der Taube Merkmale eines anacreonteischen Dichters 519

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Lambin spricht von „réduisant le poète à sa dimension personelle, individuelle“ (S.181). Diese bereits S.119f. erwähnte Neuerung der anakreontischen Dichtung bezieht sich darauf, daß Anakreon als erster männlicher Dichter - Sappho ist das weibliche Pendant - persönliche erotische Dichtung verfaßt hat in dem Sinne, daß er ein lyrisches Ich geschaffen hat, das mit individuellen Bildern seine ganz persönliche Sicht seiner eigenen erotischen Erfahrungen zum Ausdruck bringt. Die folgenden Ausführungen über Rosenmeyers Thesen stützen sich auf Rosenmeyer S.142-146. Rosenmeyer S.142: „I would like to end this section with a close reading of poem 15, which epitomizes the programmatic nature of anacreontic poetry, the aspect of selfdefinition that makes it possible for these texts to cohere in an anthology without following rigid organizational principles, as each part implies the larger whole. This

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verkörpert. Auch der anacreonteische Dichter dient nämlich Anakreon freiwillig, möchte diesen Dienst keinesfalls aufgeben und will dem verehrten Dichter möglichst nahe kommen, so wie die Taube, die Krumen von seinem Brot ißt, denselben Wein wie er aus seinem Becher trinkt und auch sonst sein Leben teilt. Hinzufügen könnte man dem noch den Kauf der Taube von Aphrodite durch Anakreon mit einem Lied als Kaufpreis, wenn man die Episode so versteht, daß ein Dichter, der immer schon dem Bereich des Erotischen zugetan war, durch die Lektüre eines Anakreon-Gedichtes dazu gebracht wird, seinem erotischen Interesse nur noch durch die Erzeugung von Dichtung nach den Grundsätzen der anakreontischen Dichtung nachzugehen, also durch die anakreontische Dichtung zum anacreonteischen Dichter wird523. Wenn es nun möglich ist, das Gedicht auf diese Weise poetologisch zu interpretieren, so spricht dies deutlich gegen die These von Lambin, weil es zeigt, daß das Gedicht nicht mangels Alternativen, sondern in ganz bewußter, freier Entscheidung in der vorliegenden Form verfaßt wurde. Problematisch bleibt bei einer poetologischen Interpretation die Identifikation der Taube mit einem anacreonteischen Dichter, weil sich bei weitem nicht alle Elemente wirklich schlüssig poetologisch deuten lassen. Als solche wären etwa der Flug der Taube zu Bathyll oder die Tatsache, daß die Taube Anakreon mit ihren Flügeln bedeckt, zu nennen. Daher ist Rosenmeyers Interpretation wohl letztlich abzulehnen. Unbestreitbar ist aber, daß in dem Gedicht wesentliche Bestandteile anakreontischer Dichtung thematisiert werden524. Anakreontisch ist auch die scherzhafte, originelle Situation, das Gespräch zwischen Anakreons Taube und dem lyrischen Ich. Die Aufnahme verschiedener Elemente der anakreontischen Dichtung schafft, so wohl die

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poem, as many others like it, may be read simultaneously on at least two levels: as a poem on anacreontic themes, and as a poem commenting on its own anacreontic poetic creation.“. Rosenmeyer beläßt es bei der Feststellung daß „This cryptic „small song“ (μικρὸν ὕμνον) is tantalizing: what sort of song did Anacreon write to buy the bird from her owner? Would it have been a religious hymn in praise of the goddess, or a love-song? The reference to the text (and music) is brief, and the flashback passes as the bird goes on to describe her current status as a slave to Anacreon“ (S.145), obgleich die oben gebotene Interpretationsmöglichkeit wohl naheliegend wäre, wenn man Rosenmeyers Interpretationsansatz zugrunde legt. Unter dem Gedicht wird man sich wohl, da von einem ὕμνος die Rede ist, tatsächlich einen Aphrodite-Hymnus zum Preis der Gottheit vorzustellen haben, möglicherweise im Stile des Artemis-Hymnos (Anakreon Frg.1G). Als solche sind beispielsweise die Frage nach dem, was einem im Leben wirklich wichtig sein sollte, zu nennen. Hier spielt das τί σοι μέλει δέ; (V.2) möglicherweise direkt auf Anakreon Frg.126G (τί μοι τῶν ἀγκύλων τόξων †φιλοκιμέρων καὶ Σκυθῶν† μέλει;) an, das jedoch seinerseits Archilochos 19 als Vorbild haben dürfte, vgl. auch CA 8, sowie natürlich die typischen Elemente der sympotisch-erotischen Dichtung wie Bathyll, Aphrodite und der Wein und auch die Thematisierung von Dichtung selbst (μικρὸν ὕμνον, V.12) zu nennen.

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Annahme des Autors, ein Gedicht, das tatsächlich von Anakreon selbst stammen könnte, unter der Prämisse, daß Anakreon sich, was in den überlieferten Fragmenten nicht belegt ist, auch namentlich in seiner Dichtung hätte nennen können. Zu Aphrodite ist noch anzumerken, daß der Dichter von CA 15 wohl noch Kenntnis von Anakreons Hymnendichtung hatte, diese Dichtung jedoch nur im Zusammenhang mit der für Anakreon charakteristischen erotischen Dichtung erwähnt und damit ganz in den erotischen Kontext einbettet. Diese Randstellung der anakreontischen Hymnendichtung stellt jedoch keineswegs eine Verengung durch die anacreonteischen Dichter dar, sondern entspricht der allgemeinen Wahrnehmung525. Daß die Taube nach ihrer Freilassung freiwillig Sklavendienste bei Anakreon verrichten will, dient als Einleitung für die Begründung, die darin besteht, daß sie dann von seinem Brot und seinem Wein leben dürfe. Dies ist, zumal wenn man an Anakreon Frg.93G denkt, wo das lyrische Ich sagt, es habe ein Stück Kuchen und einen großen Becher Wein zum Frühstück gehabt, ein deutlicher Hinweis auf Anakreons sympotische Dichtung. In V.31 tritt noch das Element des Gesanges hinzu, das in anakreontischer Dichtung ebenfalls eine wichtige Rolle spielt526 und das durch die Nennung des Barbitos527 als Schlafplatz der Taube noch ausgeführt wird. Nach dieser reichhaltigen Aufzählung verschiedener Aspekte von Anakreons sympotisch-erotischer Dichtung hat das Gedicht noch ein kurzes, scherzhaftes Ende, indem die Taube das lyrische Ich abrupt wegschickt mit der Begründung, es habe sie noch geschwätziger als eine Krähe gemacht. Das Gedicht ist also zumindest insofern poetologisch, als es wichtige Merkmale von Anakreons sympotisch-erotischer Dichtung implizit nennt, doch gewinnt es seinen generationalen Bezug zu Anakreons Dichtung daraus, daß es die anakreontischen Themen und Motive in anakreontischer Art verarbeitet zu einem Gedicht von originellem Witz und spielerischer Leichtigkeit, beides typische Merkmale anakreontischer Dichtung528.

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527

528

Vgl. hierzu ausführlich Kap. III. Daß die Taube Anakreon beim Spielen wohl des Barbitos mit den Flügeln beschattet, dürfte zum einen dazu dienen, eine logische Erklärung auf der Handlungsebene dafür zu liefern, warum die Taube im Rahmen ihrer Erzählung überhaupt auf Anakreons Gesang zu sprechen kommt, zum anderen schafft es aber auch jene für die sympotisch-erotische Welt so typische sorgenfreie Atmosphäre des Wohlbehagens: man sitzt mit Wein im Schatten und sing von Liebe. Daß der Barbitos auch in Anakreons Dichtung Erwähnung fand, ist Athenaios, Deipnosophistai 4,182f (Anakreon Frg.149G) zu entnehmen. Vgl. beispielsweise Frg.13G, Frg.22G, Frg.25G, Frg.38G.

145

Zusammenfassung: Die Gedichte 7 und 15 weisen beide wichtige Momente anakreontischer und damit auch anacreonteischer Dichtung auf. Betrachtet man die Carmina Anacreontea insgesamt, so ist festzustellen, daß sich nur in fünf von sechzig Gedichten Anakreons Name findet, was daran liegen kann, daß er sich selbst in seiner Dichtung, zumindest soweit dies ersichtlich ist, nie namentlich genannt hat, wenngleich er sein lyrisches Ich oft so gestaltet hat, daß es mit ihm selbst identifizieren konnte oder gar sollte. Für die anacreonteische Dichtung besteht daher keine Notwendigkeit für eine Namensnennung, doch kann sie, wie in CA 7 und vielleicht auch in CA 15, als eine Art Sphragis dazu verwendet werden, für ein bestimmtes Gedicht die Autorschaft Anakreons zu reklamieren, wodurch der generationale literarische Bezug zur anakreontischen Dichtung zusätzlich betont wird. Was die Darstellung von Anakreon in CA 7 und CA 15 anbelangt, so entspricht sie ganz und gar dem allgemeinen Bild.

IV. c)

2)

Gedichte über Bathyll (10,18)

In der anacreonteischen Dichtung wird Bathyll als Geliebter Anakreons außer in den ekphrastischen Gedichten 4 und 17 und zusammen mit Anakreon in CA 15 auch noch in CA 10 und CA 18 genannt. Auffällig dabei ist, daß in den anacreonteischen Gedichten nur Bathyll als Geliebter Anakreons genannt wird, während in den anakreontischen Fragmenten Bathyll nicht vorkommt, dafür aber verschiedene andere Geliebte. Der Grund hierfür ist allerdings nicht bei den anacreonteischen Dichtern zu suchen, sondern vielmehr darin, daß Bathyll schon in der früheren Literatur als der prominente Geliebte Anakreons galt529. Allein die Nennung seines Namens stellt 529

Dies läßt sich unter anderem aus Horaz, Epoden 14,9 schließen: non aliter Samio dicunt arsisse Bathyllo / Anacreonta Teium, / qui persaepe cava testudine flevit amorem / non elaboratum ad pedem. Man kann diese Stelle so erklären wie Kießling (Kießling, Adolf: Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden, 10. Aufl. Berlin 1960, S.541: „dicunt: das weiß also H. nicht aus Anakreons Gedichten, sondern aus dem, was die in den Biographien gesammelten Anekdoten erzählten und hellenistische Epigramme verwerteten. z. B. Dioskorides: τερπνότατε Μούσῃσιν Ἀνάκρεον, ὦ ‚πὶ Βαθύλλῳ / χλωρὸν ὑπὲρ κυλίκων πολλάκι δάκρυ χέας AP VII 31“) und Fink (Fink, Gerhard: Q. Horatius Flaccus, Oden und Epoden, Düsseldorf und Zürich 2002, S.479f.: „Den Umstand, daß kein Gedicht Anakreons dessen [d.h. Bathylls] Namen nennt, erklärte man sich damit, daß der Dichter vor lauter Liebe nicht dazu gekommen sei, seinen Versen auf Bathyllos den für eine Veröffentlichung nötigen letzten Schliff zu geben“), wobei zu beachten ist, daß dies lediglich bedeutet, daß zu Horaz’ Zeit keine Gedichte mit Bathylls Namen von Anakreon überliefert waren, nicht, daß es solche nie gegeben hätte. Vertreter der These von Kießling und Fink können allerdings nicht erklären, wie und woher dann überhaupt die Information gekommen sein sollte, Bathyll sei ein Geliebter von Anakreon gewesen. Es wäre doch seltsam, daß ausgerechnet diese In-

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daher die beiden folgenden Gedichte bereits in eine starke Beziehung zu Anakreon und der anakreontischen Dichtung. Gedicht 10: Metrik: Das Gedicht besteht aus katalektischen iambischen Dimetern und weist keine metrischen oder prosodischen Besonderheiten auf. Sprache und Stil: Auch sprachlich weist das Gedicht wenig Besonderheiten auf. Hinzuweisen ist nur auf die ionische Form σεῦ (VV. 3 und 5) sowie auf das mit epischer Endung versehene und sehr seltene ὑπορθρίαισι (V.9)530. Durch die Verwendung ionisch-epischer Formen erhält das Gedicht einen gehobenen und altertümlichen Klang und damit eine sprachliche Nähe zur anakreontischen Dichtung. Inhalt und Charakter: Der Charakter des Gedichtes ist geprägt von scherzhafter Brutalität. Das lyrische Ich fragt eine Schwalbe531, ob es ihr die

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531

formation als einzige sich außerhalb der biographistischen Interpretation von Anakreons Dichtung überliefert haben sollte (der Bericht über eine Bathyll-Statue, von der Apuleius Florida spricht, wird von Crusius: „Bathyllos“, in: RE III,1,137 zu Recht als unglaubwürdig eingestuft), und das, obwohl von anderen Geliebten in Anakreons Dichtung die Rede ist. Letzteres spricht auch dagegen, daß Bathyll eine Erfindung nachanakreontischer, also etwa hellenistischer, Zeit ist, denn es ist nicht ersichtlich, was Grund und Zweck einer solchen Erfindung hätte sein sollen. Es ist daher am wahrscheinlichsten, mit Crusius: „Bathyllos“ und Gentili (zu Frg.148 mit den Verweisen auf Frg.95 und bes. Frg.81) anzunehmen, daß Bathyll in Gedichten von Anakreon tatsächlich vorkam, auch wenn es dann überrascht, daß ausgerechnet die Gedichte über Bathyll bereits zur Zeit von Horaz nicht mehr überliefert gewesen sein sollten. Watson geht in ihrem Kommentar zu Horaz’ Epoden ebenfalls davon aus, daß es nur Zufall sei - möglicherweise, was sie aber nicht sagt, von der Zuordnung zu bestimmten Büchern, die früher verloren gingen als andere, abhängig - , daß ausgerechnet über Bathyll kein Vers überliefert ist, aber sie verweist für eine Parallele auf Strabo (Watson, Linda C.: A commentary on Horace’s Epodes, Oxford 2003, S.449f.: „It is in consequence likely, that he [i.e. Bathyll] has suffered a similar fate to Polycrates of Samos, of whom Strabo 638 [14,1,16,15] states πᾶσα ἡ ποίησις (of A.) πλήρης ἐστὶ τῆς περὶ αὐτοῦ μνήμης, although to date not a single line of Anacreon mentioning the tyrant has come to light“). Diese Parallele ist untauglich, weil zwischen Strabo und der Neuzeit deutlich mehr verlorenging und verlorengehen konnte als zwischen Anakreon und der Zeit von Horaz. Insgesamt bleibt die Horaz-Stelle hinsichtlich der Anakreon-Überlieferung kryptisch, aber sie zeigt auf jeden Fall, daß Bathyll bereits zu seiner Zeit so fest als Geliebter Anakreons etabliert war, daß davon ausgegangen werden kann, daß diese Tradition bereits vor der Entstehung der CA eingesetzt hat. Das Wort findet sich sonst nur noch bei Constantinus Manasses, Compendium chronicum 4703 (τῶν ὑπορθρίων ὕμνων). Eine Schwalbe findet sich schon in Anakreon Frg.112G. Dort liegt allerdings die Betonung auf ihrem schönen, lieblichen Gesang, so daß man CA 10 als einen scherzhaften Verweis auf das Anakreon-Gedicht sehen könnte. Eine Schwalbe findet sich zu-

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Flügel abschneiden, oder, als wäre er Tereus, die Zunge herausreißen soll. Erklärt wird dieses Ansinnen durch die Frage des lyrischen Ich in VV.8-10. Dort fragt es die Schwalbe, warum sie ihm denn Bathyll aus dem Traum geraubt habe durch ihr morgendliches Gezwitscher. Der Name Bathyll hat, als letztes Wort des Gedichtes, insofern Sphragis-Charakter, als er den Leser glauben machen soll, Anakreon habe das Gedicht geschrieben. Damit zeigt der Dichter, daß er sein Gedicht so verfassen wollte, daß Anakreon als Autor nicht nur in Frage käme, sondern sogar wahrscheinlich wäre. Hierfür müßte der Dichter von CA 10 das Gedicht nach eben den Prinzipien verfassen, nach denen auch Anakreon seine Dichtung verfaßte. Der Verfasser von CA 10 zeigt hierin also die Absicht, seine Dichtung in ein literarisches Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung zu stellen. Daß er diesen Wunsch auch in dem Gedicht selbst umsetzt, zeigt sich etwa im Erfindungsreichtum der Konstruktion der Ausgangssituation. Zudem beschreibt das Gedicht, welche Kraft die Liebe hat und welche Gewalt sie, zumindest in der Phantasie, auslösen kann, indem das lyrische Ich, das eben noch vom Geliebten geträumt hat, plötzlich mit dem Gedanken spielt, zum Tereus zu werden. Die drastischen Bilder zeigen die Intensität der Liebe, die auch in der anakreontischen Dichtung immer wieder mit verschiedenen Mitteln betont wird532. Während die zuerst erdachte Strafe, das Abschneiden der Flügel, noch den ebenso brutalen wie blinden Rachegedanken der ersten Zornesaufwallung ausdrückt, hat die zweite Strafe neben der mythischen Überhöhung den praktischen Vorteil, daß die Schwalbe ohne ihre Zunge nicht mehr störend zwitschern kann. Diese Wandlung ist nicht nur auf der Ebene der inneren Logik wichtig als Überleitung dahin, daß das lyrische Ich sagt, es sei durch das Zwitschern gestört worden, sondern sie ist auch wichtig, um das lyrische Ich als realistische handelnde Person darzustellen, so daß man es als Leser leicht mit der historischen Person Anakreon identifizieren kann533. Motivkombination und formale Umsetzung derselben folgen also dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung, so daß ein literarisches Generationenverhältnis zu dieser besteht.

532

533

dem noch in Anakreon Frg.134G, wo sie als geschwätzig bezeichnet wird, doch ist nicht klar, ob diese Bezeichnung als positiv oder negativ zu verstehen ist, so daß der Bezug von CA 10 auf Frg.134G nicht geklärt werden kann. So beispielsweise in Frg.5G durch die dreifache Nennung des Namens ‚Kleobulos’, in Frg.14G durch die Anrufung mehrerer Götter, in Frg.15G durch das Bild eines Wagenlenkers der Seele und in Frg.29G dadurch, daß die Liebe als so intensiv dargestellt wird, daß nur der Tod sie beenden kann. Rationales Handeln als Merkmal des lyrischen Ich findet sich bei Anakreon beispielsweise in Frg.33G. Dort will das lyrische Ich nicht maßlos trinken, um noch in der Lage zu sein, sich beim Trinken auch noch mit schönen Gesängen zu vergnügen. Diese innere Logik reflektiert dort zugleich noch metapoetisch den Umstand, daß das lyrische Ich mit diesem Gedicht ja gerade einen schönen Gesang verfaßt.

148

Gedicht 18: Metrik: CA 18 ist in akatalektischen anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt. Probleme bereiten V.14 in der überlieferten Form und V.15, welcher zwar inhaltlich nicht zu beanstanden ist, metrisch jedoch als einziger Vers im katalektischen iambischen Dimeter verfaßt und damit nicht einmal isosyllabisch ist. Ob Textverderbnis vorliegt oder ob der Vers vielleicht als eine Art Klausel auf das baldige Gedichtende hinweisen soll, muß offen bleiben. Sprache und Stil: Sprachlich ist auf die ionischen Formen κραδίη (V.9) und σκιήν (V.10) hinzuweisen. Bemerkenswert ist auch die Erzeugung von Intensität im ersten Vers durch die Wiederholung von δότε, denn solche Wiederholungen begegnen des öfteren in der anacreonteischen Dichtung, etwa in CA 16 und CA 20, und haben in der anakreontischen Dichtung eine Entsprechung in Frg.5G. Speziell auf die Wendungen Δότε μοι (V.1) und πιεῖν ἀμυστί (V.2) ist noch einzugehen, weil sich die erste in CA 2,1 und 2,9 und die zweite in CA 9,2 findet. πιεῖν ἀμυστί (V.2) geht wohl eindeutig in beiden anacreonteischen Gedichten auf die Wendung ὅκως ἄμυστιν προπίω in Anakreon Frg.33G zurück. Δότε μοι ist zum einen in der Literatur vielfach verwendet534, so daß es durchaus möglich wäre, daß die Übereinstimmungen rein zufälig sind, weil es zum allgemeinen dichterischen Formenschatz gehörte, doch ist andererseits angesichts der Verwendung der Formulierung auch in anacreonteischen Gedichten, die nicht zum Corpus der Carmina Anacreontea gehören, vielleicht sogar zu vermuten, daß sich die Formulierung in einem heute nicht mehr erhaltenen Gedicht Anakreons fand, doch ist diese These zur Vermeidung eines Zirkelschlusses interpretatorisch nicht belastbar. Es ergibt sich jedoch auch dann kein großes poetologisches Problem, wenn man tatsächlich annimmt, einige der anacreonteischen Dichter hätten diese Formulierung aus einem anacreonteischen Gedicht übernommen, weil wörtliche Übernahmen in so geringem Umfang auch von Anakreon selbst in seiner Dichtung vorgenommen wurden, wie ein Vergleich von Frg.33G mit Frg.38G zeigt535. 534

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Als früheste Vergleichsstelle findet sich Homer, Odyssee 2,212 und 4,669 (ἀλλ’ ἄγε μοι δότε νῆα θοὴν καὶ εἴκοσ’ ἑταίρους). Aus den über einhundert weiteren Belegstellen in Dichtung und Prosa seien exemplarisch genannt: Aristophanes, Nubes 907; ders., Vespae 166; Septuaginta, Judices 8,24,2, Septuaginta, Regnorum i 17,10,3; Hermogenes, Περὶ ἰδεῶν λόγου 2,7,159 (οἷον ‚δότε μοι εἰπεῖν κίναιδον αὐτόν’; das Zitat schreibt er Aischines zu), Libanios, Declamationes 29,1,30,1 (Δότε μοι τὴν χάριν, δότε); ders., Progymnasmata 7,5,8,1 (Δότε δή, δότε τὴν δωρεὰν ἣν οἱ νόμοι κελεύουσιν), Johannes Gramm., Anacreontea 3,11 (Δότε μοι πόθου κύπελλον) und 4,21 (Δότε μοι ῥόδον Κυθήρης,); Georgius Gramm., Anacreontea 1,35 (Δότε μοι ῥόδον φυτεύσω,) und 4,2 (δότε μοι δρέπειν μανένατα·) und Papyri magicae 36,44. Anakreon, Frg.33G,1-2 (ἄγε δὴ φέρ’ ἡμὶν ὦ παῖ / κελέβην) weist große Ähnlichkeit auf mit Frg.38G,1 (φέρ’ ὕδωρ, φέρ’ οἶνον, ὦ παῖ).

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Die Verwendung des Namens Dionysos bzw. Bromios536 als Synonym für Wein ist angesichts der überaus engen Verbindung von Dionysos mit Wein nicht besonders auffällig. Auffällig hingegen ist das selten verwendete κλαδίσκος (V.13), für das es nur wenige Vergleichsstellen gibt537. Daß V.14 metrisch problematisch ist, zog zwar einige mehr oder minder wahrscheinliche Konjekturen nach sich538, doch ist dies für die Gesamtaussage des Gedichtes unbedeutend. Für V.17 ist die direkte und ausschließliche Verbindung mit Platon, die Rosenmeyer aufgrund der Verwendung von καταγώγιον vornimmt, verfehlt, wie diejenigen Vergleichsstellen zeigen, an denen der Begriff in derselben Bedeutung wie bei Platon und CA 18,17 verwendet wird539. Inhalt und Charakter: Die erste Frage zu CA 18 ist die, ob man das Gedicht so untersuchen möchte, wie West es in seiner Ausgabe druckt und wie es zumeist für richtig befunden wird, oder ob man es, wie Lambin, auf Grundlage einer bereits in der Anthologia Palatina als Korrektur vorgenommenen Änderung der Einteilung in zwei Gedichte aufspalten möchte, von denen das erste VV.1-9 und das zweite VV.10-17 umfassen würde. Lam536

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‚Bromios’ erscheint zwar gehäuft bei Euripides und dann vor allem bei Nonnos, aber auch bei Athenaios und in der Anthologia Graeca sowie bei vielen nachklassischen und spätantiken Schriftstellern, ist aber auch bei Aristophanes, Thesmophoriazusen 991, Demosthenes, Oratio in Midiam 52,7 und auch in zwei Pindar-Fragmenten (Dithyramben 70b,6 und 75,10) belegt, so daß es dem Autor von CA 18, ebenso wie dem von CA 46, wohl nicht nur sehr geläufig war, sondern auch nicht als speziell modern erschien und somit als der Sprache Anakreons durchaus gemäß. Dies sind folgende: Galen, De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus 12,35,12; Aelius Aristides, Περὶ τοῦ παραφθέγματος, Jebb 370,17; Johannes Med., Commentarii in Hippocratis librum de natura pueri 2,223,13; Michael Psellus, Orationes forenses et acta 2,267; Eustathius, Commentarii ad Homeri Iliadem 4,757,14; ders., Commentarii ad Homeri Odysseam 1,41,39 und 2,303,34. Hierfür sei verwiesen auf den Apparat von West, dessen eigene Konjektur, die sich auch in seinem Text findet, Lambin (S.220 Anm.37) wohl mit recht für zu gewagt hält. καταγώγιον oder Ähnliches zur Bezeichnung eines locus amoenus findet sich unter anderem bei Platon, Phaedrus 230b2 (καλή γε ἡ καταγωγή) und 259a5, Thukydides 3,68 und Xenophon, De vectigalibus 3,12. Entscheidend für die poetologische Bewertung eines möglichen Vergleichs ist jedoch Rosenmeyers eigene Feststellung (S.200): „The locus itself is, of course conventional“. Als einzigen direkten Hinweis auf Platon sieht Rosenmeyer den Begriff selbst, weil dieser ihrer Ansicht nach ungewöhnlich genug ist, eine direkte Verbindung herzustellen, doch gelingt es ihr nicht, einen überzeugenden inhaltlichen Bezug zwischen besonders der zweiten Phaedrus-Stelle und dem Gedicht aufzuweisen. Mag es also sein, daß der Autor des Gedichtes den Begriff selbst möglicherweise wirklich verwendet hat weil er ihn in dieser Verwendung aus Platon kannte und einen ungewöhnlichen Begriff suchte, doch ein weitergehenderer als der allgemein motivische Bezug läßt sich zwischen den beiden Stellen nicht erkennen.

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bin begründet seine Aufspaltung nur dadurch, daß die Schlußpointe in V.9 die seiner Meinung nach ohnehin gutbegründete Aufspaltung bestätigen würde540. Formale Gründe wie sprachliche oder metrische für eine Aufspaltung gibt es jedoch nicht. Der einzige inhaltliche Grund für eine Trennung in 18a und 18b wäre der, daß jeder der beiden Teile als einzelnes Gedicht aufgefaßt werden könnte, da die Teile jeweils gedanklich in sich abgeschlossen sind. Dagegen spricht jedoch, daß dann der Anfang von 18b sehr unvermittelt und unmotiviert erschiene. Ohne 18a wäre nämlich nur rein durch literarisch-motivische Tradition und nicht auch durch die innere Logik des Gedichtes begründet, warum es ausgerechnet ein schattiges Plätzchen sein muß, an dem das lyrische Ich, welches als Anakreon zu verstehen ist, sich mit Bathyll trifft, und vor allem wäre unklar, inwiefern Bathyll dem Anakreon Schatten spendete. Dies ist nur dann erklärbar, wenn man 18a und 18b als ein Gedicht auffaßt541. Das Gedicht verbindet die beiden Hauptmotive anakreontischer Dichtung, symposiastischen Weingenuß und Liebe, indem es beide als Gegenstände des Strebens des lyrischen Ich zusammenführt und die Liebeserfüllung durch das Zusammentreffen des lyrischen Ich mit Bathyll darstellt. Daß das lyrische Ich als Dürstender nach Wein verlangt, hat motivische Ähnlichkeit mit Frg.108G, wobei dort eine Frau angesprochen wird, so daß sich die Übereinstimmung auf das Dürsten des lyrischen Ich beschränkt. Zahlreich sind die sympotischen Motive, die, wie etwa die Bekränzung (V.6), auch in Anakreons Dichtung häufig begegnen. Seine Liebesglut stillt das lyrische Ich im Schatten Bathylls, wobei West mit seiner erotischen Interpretation von V.13 im Apparat seiner Ausgabe wohl richtig liegt. Diese erotische Thematik wird noch ausgedehnt bis zum scherzhaften Schluß des Gedichtes, der in der rhetorischen Frage besteht, wer denn solch einem Ruheplatz widerstehen könnte. Die Kombination verschiedener Elemente – die Thematik des sympotisch-erotischen Lebensideals, das in teils einfallsreichen und lustigen Bildern dargestellte Motiv der Liebe des lyrischen Ich zu Bathyll, die daraus resultierende Konstruktion des lyrischen Ich als Anakreon und die formale 540

541

Lambin S.184: „La chute en est également spirituelle et confirme le bien-fondé de la distinction des poèmes n° 18 a et 18 b.“. Warum die Trennung wohlbegründet sein soll, erklärt Lambin leider nicht. Die nachträglich vermerkte Trennung der Gedichte in der Anthologia Palatina könnte ihren Grund darin haben, daß die Gedichte zwar in der Vorlage getrennt waren, weil der Autor der Vorlage die Geschlossenheit der Teile als Zeichen dafür genommen hat, daß es sich ursprünglich um zwei Gedichte gehandelt habe, daß aber der Schreiber der Anthologia Palatina aus dem unmittelbaren Sinnzusammenhang der Gedichte heraus sie richtig zu einem zusammengefaßt und erst später aus Treue zur Vorlage die Trennung wieder kenntlich gemacht hat. Es könnte auch sein, daß dem Schreiber der Anthologia Palatina zwei verschiedene Versionen des Gedichtes vorlagen, eine getrennte und eine ungetrennte, doch ist all dies reine Vermutung.

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Ähnlichkeit mit der anakreontischen Dichtung hinsichtlich Metrik, Wortwiederholung und gelegentlicher Neigung zu gesuchten Ausdrücken – führt zu der Feststellung, daß all diese Ähnlichekiten daraus resultieren, daß der Verfasser von CA 18 sein Gedicht nach dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung verfaßt und seine eigene Dichtung dadurch in ein literarisches Generationenverhältnis zur anakreontischen gestellt hat. Zusammenfassung: Zu CA 10 und CA 18 läßt sich zusammenfassend sagen, daß mit Bathyll und seiner Einbettung in einen sympotisch-erotischen Kontext ein starker thematischer Bezug zur anakreontischen Dichtung hergestellt wird, der in formaler und motivischer Gestaltung der Gedichte nach den entsprechenden Grundsätzen der anakreontischen Dichtung ausgeführt wird. CA 18 wird dabei durch die Äußerung von Wünschen in V.1 und V.5 sowie das Futur in V.11 in die Nähe des Wunschtraumes gerückt, so daß auch hier, wie in CA 10, die Sehnsucht wahrscheinlich keine reale Erfüllung findet, was ebenfalls ein typisches Merkmal anakreontischer Dichtung ist542. Die programmatische Ausrichtung von CA 10 und CA 18 an der anakreontischen Dichtung und damit das literarische Generationenverhältnis zu dieser sind unverkennbar.

IV. c)

3)

Gedichte über Wein (21, 22, 38, 42, 43, 45, 47, 48, 49, 50, 52, 52A, 56, 59)

Eine ganze Reihe anacreonteischer Gedichte greift die sympotische Thematik anakreontischer Dichtung auf. Nun war der Motivschatz von Anakreons sympotischer Dichtung, zumindest der promintenten sympotischen Dichtung, so wie wir sie auch aus der Überlieferung kennen, nicht übermäßig groß. Um eine Stereotypisierung zu vermeiden und dem in dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung enthaltenen Aspekt des motivischen Abwechslungsreichtums zu genügen, waren die anacreonteischen Dichter daher aus dieser programmatischen Überlegung heraus gezwungen, in neue Motive zu erfinden und hinzuzunehmen, allerdings stets unter dem Ziel, das sympotische Leben als positiv darzustellen und sich so weit als möglich an die anakreontische Programmatik zu halten543. Zu wel-

542 543

Siehe Kap. III.b)2)B). West: „The Anacreontea“, S.273-275 äußert sich knapp zu ein paar wenigen möglichen zeitgenössischen Elementen in den sympotischen Gedichten, doch wird zum einen nicht klar, inwieweit diese möglichen Elemente tatsächlich in zeitgenössischer sympotischer Praxis verankert waren, und zum anderen haben sie, wie auch aus den Ausführungen von West hervorgeht, keinen poetologischen Wert, so daß ein mögliches literarisches Generationenverhältnis hiervon nicht berührt wird.

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chen Ergebnissen dies im Einzelfall führt, zeigt sich an den jeweiligen Gedichten. Gedicht 21: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt, wobei V.2 von West544 anaklastisch interpretiert wird. Warum überhaupt Anaklasis vorkommt und warum gerade in diesem Vers, sofern der Text gesund ist, läßt sich nicht erklären, möglicherweise deutet dies auf eine eher späte Entstehungszeit des Gedichtes hin, in der Anaklasis auch von Autoren, die mit der alten Metrik vertraut waren, als normale und jederzeit anwendbare Abwandlung eines Metrums angesehen wurde, was daran liegen kann, daß Anaklasis isosyllabische Verse erzeugt, an die man sich im beginnenden Übergang von quantitierender zu iktierender Metrik bereits zu gewöhnen begann. Sprache und Stil: Sprachliche Auffälligkeiten gibt es keine. Inhalt und Charakter: In diesem Gedicht, welches eines der kürzesten unter den Carmina Anacreontea ist, rechtfertigt das lyrische Ich sein Bedürfnis, Wein zu trinken, gegenüber Freunden, die ihn dafür tadeln, dadurch, daß er das Trinken im allgemeinen als ein kosmisches Gesetz darstellt. In der Natur habe alles ein Bedürfnis nach Trank, und wenn er nun eben das Bedürfnis nach Wein habe, so sei auch dies naturgewollt, nach kosmischem Grundprinzip, und daher nicht zu tadeln. Obgleich an diesem Sinn des Gedichtes nicht gerüttelt wird, ist es recht intensiv untersucht worden hinsichtlich seines naturwissenschaftlichen Hintergrundes545 sowie auch hinsichtlich möglicher Anklänge an andere Texte546. Für das Verständnis des Gedichtes ist jedoch die Frage nach der naturwissenschaftlichen Grundlage der einzelnen Beispiele nicht von weitergehender Bedeutung. Zwar mag bei manchen Schriftstellern eine identische naturwissenschaftliche Einzelaussage wie in dem Gedicht erscheinen, 544 545

546

West: Carmina Anacreontea, S.XIV. So Lambin S.193f.; Rosenmeyer S.91 und besonders S.203, wo sie auf die Tragödie, speziell auf Ajax 669-683 und Antigone 712ff. verweist, weil dort ebenfalls menschliche Handlungen durch einen Bezug zu Naturphänomenen gerechtfertigt werden. Dort gibt es jedoch, im Gegensatz zum vorliegenden Gedicht, keine Analogiekette, sondern es werden Naturgesetze als der Handlung vorausgesetzte Normen und nicht als wertneutrale Naturgegebenheiten zur Erklärung innerer Bedürfnisse verwendet. Erläuterungen zur Bestätigung des überlieferten Textes gibt noch Giangrande S.186189. Rosenmeyer S.57, verweist auf das Motiv der Streitvermeidung beim Symposion bei Anakreon Frg.56G, wobei es bei Anakreon um einen poetologischen Streit geht im Gegensatz zur vorliegenden Stelle, so daß ein Bezug unwahrscheinlich ist.

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doch soll damit vom Autor des Gedichtes nicht auf die naturwissenschaftliche Literatur verwiesen werden, so daß der Bezug zu wissenschaftlichen Werken nicht von poetologischem Interesse ist. Die fachwissenschaftlichen Elemente des Gedichtes, die in die letztlich überaus allgemeine Aussage, daß Trinken ein kosmisches Grundprinzip sei, münden, stehen ganz im Dienste des anacreonteischen Dichtungsprogrammes. Daß der zur Abfassungszeit des Gedichtes aktuelle wissenschaftliche Stand in Verbindung mit der Methodik des Analogieschlusses dazu herangezogen werden soll, das Bedürfnis nach Trank und speziell nach Wein zu rechtfertigen, ist eine motivische Neuerung und soll Originalität sichern, nicht die sympotische Thematik unterwandern547. Die scherzhafte Doppelbödigkeit, die in einer plötzlichen, unausgesprochenen Änderung der Prämissen der Analogie – von der Notwendigkeit des Naturgesetzes zur freien Lust des Individuums – liegt, dient der Verteidigung des sympotischen Weingenusses gegen jedwede Einwände und entspricht damit vollständig dem anakreontischen Programm, so daß sich in dem Gedichts nichts findet, was gegen ein poetologisches Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung spräche. Gedicht 22: Metrik: Das Gedicht besteht aus katalektischen iambischen Dimetern, die durch jeweiliges Satzende in vier Strophen zu je vier Versen gegliedert sind, möglicherweise in Anlehnung an die strophische Gliederung anakreontischer Gedichte. Prosodische Auffälligkeiten gibt es nicht. Sprache und Stil: Sprachlich soll die ionische Form ταινίη (V.13) wohl anakreontisch-altertümlich wirken, doch verrät sich die späte Entstehungszeit des Gedichtes, wenngleich vom Autor sicherlich ungewollt, durch den Gebrauch des Konjunktivs statt des Optativs in der zweiten Strophe548. Ansonsten ist das Gedicht sprachlich unauffällig. Inhalt und Charakter: Nach zwei Beispielen für Metamorphosen aus der Mythologie in der ersten Strophe zählt das lyrische Ich auf, welche Metamorphosen es sich für sich selbst wünscht, wobei sich in den beiden nachfolgenden Strophen je zwei Metamorphosen und in der letzten Strophe drei finden549. Das Gedicht ist insofern konventionell, als sich einige seiner Ele547

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Hieran ist auch zu sehen, wie wichtig es gerade bei diesem Gedicht ist, für eine poetologische Einordnung des Gedichtes die die Aussageabsicht tragenden Elemente von den akzidentiellen zu trennen. So auch West: Carmina Anacreontea, S.XII, wo er auch darauf hinweist, daß die späte Form μασθῶι (V.13) vielleicht auf einen Kopisten und nicht auf den Autor des Gedichtes zurückzuführen ist. Unerklärlich weil offensichtlich falsch ist die Aussage von Rosenmeyer S.163: „The three following strophes expand the theme, each presenting two examples of the

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mente auch in anderen literarischen Werken finden550. Nicht ganz so konventionell ist jedoch die Zusammenstellung der Elemente551. Um die Bedeutung der Vergleichsstellen für die poetologische Ausrichtung des Gedichtes klären zu können, ist aber vor allem eine nähere Betrachtung des Inhaltes notwendig. Die erste Strophe bereitet diesbezüglich keine Probleme. Die mythischen Verwandlungen von Niobe und Prokne werden genannt, um als Beispiel für Metamorphosen zu dienen. Nur zu vermuten ist, warum aus der Fülle von Verwandlungsmythen gerade Niobe und Prokne als Beispiele gewählt wurden. Gemeinsam ist beiden Figuren, daß ihrer Verwandlung die Erfahrung schweren Leides durch den Verlust ihnen nahestehender Menschen vorausging und sie nur durch die Verwandlung gerettet oder zumindest ihr Schmerz gelindert werden konnten552. Bei Niobe ist es der Tod ihrer Kinder, der ihr so großen Schmerz bereitet, daß Zeus sie aus Mitleid versteinert. Bei

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poet’s own wish for metamorphosis in order to be near his mistress’ body.“ Richtig jedoch S.164: „The impact of the whole is circular in motif, but the last strophe seems to intensify the mood of wishing, as it contains three different goals matched with the one optative verb, while the two previous strophes contented themselves with neatly parallel dyads and complete syntax.“. Rosenmeyer S.161f. und Lambin S.222 nennen eine ganze Reihe von literarischen Werken, in denen es ebenfalls darum geht, daß der Liebende sich durch eine Verwandlung seiner Geliebten nähern möchte, doch bleiben diese Ähnlichkeiten auf der rein motivischen Ebene. Es ist kein direkter Bezug zwischen dem vorliegenden Gedicht und etwa den von Lambin und Rosenmeyer genannten attischen Skolia festzustellen, sondern lediglich, wie Rosenmeyer es selbst nennt, eine „structural similarity“ (S.161), so daß nicht davon auszugehen ist, daß die Skolia möglicherweise als direkte Vorlage gedient hätten, zumal sich erst recht kein programmatischer Bezug zu ihnen herstellen läßt. Der Wunsch, dem Geliebten nahe zu sein, ist hierfür viel zu allgemein. Er wird seinerseits so stark anakreontisiert, daß gerade darin der programmatische Bezug zur anakreontischen Dichtung sich deutlich zeigt. Rosenmeyer sieht das Phänomen zwar ebenfalls (S.165: „The invocation of a conventional system [das der Skolia] gives structure and method to the new poem, but the innovation of expansion definitely alters the poetic impact.“), interpretiert es aber rein als motivische imitatio der Skolia, ohne die dahinterstehende programmatische imitatio der anakreontischen Dichtung zu sehen. So bemerkt beispielsweise Rosenmeyer, daß nur hier eine derartige Aufzählung von solcher Länge vorkommt. Rosenmeyer S.91: „The anacreontic verses imitate a tradition found in old Attic drinking songs (PMG 900-901, imitated by Anon. AP 5.8384), but whereas these songs were limited most often to one couplet and one image, the anacreontic version keeps on going, placing couplets back to back for an effect of cumulative density and persuasion.“. Ein rationalistisches Verständnis des Niobe-Mythos dahingehend, daß die Versteinerung als Verstummen durch den übergroßen Schmerz zu verstehen wäre, kann für CA 22 jedoch wohl ausgeschlossen werden, da das lyrische Ich sich in Analogie zu den von ihm genannten mythischen Beispielen zu sehen scheint und von einem Verstummen des lyrischen Ich wahrlich nicht die Rede sein kann. Zudem wird in V.2 ausdrücklich auf die tatsächliche steinerne Existenz Niobes in Phrygien verwiesen.

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Prokne ist der Fall etwas schwieriger. Sie muß feststellen, daß ihr Mann ihre Schwester vergewaltigt und danach versteckt hat. Schließlich findet sie ihre Schwester, und die beiden setzen aus Rache Proknes Mann Tereus den gemeinsamen Sohn von Prokne und Tereus zum Mahl vor. Als Tereus sich seinerseits an den Schwestern rächen will, werden diese in Schwalbe bzw. Nachtigall und Tereus in einen Wiedehopf verwandelt553. Die Mythen sind so unterschiedlich, daß es tatsächlich schwerfällt, eine Gemeinsamkeit zwischen dem lyrischen Ich, Niobe und Prokne zu finden. Der einzige Vergleichspunkt dürfte darin liegen, daß den Verwandlungen von Niobe und Prokne ein so schweres persönliches Leid vorausging, daß das lyrische Ich annimmt, sein Leid durch den Verlust der Geliebten, der wohl dadurch zustande kam, daß er von ihr zurückgewiesen wurde, sei dem von Niobe und Prokne vergleichbar. Darauf aufbauend stellt sich das lyrische Ich dann in den drei folgenden Strophen mögliche Metamorphosen vor, die ihn ebenfalls von seinem gegenwärtig sehr großen Leid befreien oder es zumindest lindern könnten. Die tragische Überhöhung des subjektiv zwar sehr großen und außergewöhnlichen, objektiv jedoch eher banalen Leides eines zurückgewiesenen Liebenden ist dabei von erheblicher Komik. Die in den Strophen zwei bis vier vom lyrischen Ich gewünschten Metamorphosen hat Rosenmeyer ausführlich auf literarische Vergleichsstellen hin untersucht554. Kritisch zu prüfen ist allerdings ihr Verständnis der einzelnen Metamorphosen. Der Wunsch nach Verwandlung in einen Spiegel weist schwerlich auf ein erotisches Moment, möglicherweise aus dem Bereich der Prostitution, hin, auch wenn Rosenmeyer dies aufgrund der Tatsache, daß Prostituierte besonders dafür bekannt waren, sich ausgiebig zu schminken, vermutet. Ebenso ist es wohl verfehlt, der Angebeteten eine narzißtische Neigung zu unterstellen555. Beide Vermutungen basieren auf einem Mißverständnis von ἀεί (V.6 und 8). Die Grundsituation des Gedichtes ist die, daß das lyrische Ich eine Frau liebt, die nichts von ihm wissen will, wie aus der Tatsache, daß das lyrische Ich nicht bei ihr ist und auch nicht zu ihr kann, sondern nur durch eine Metamorphose hoffen dürfte, jemals wieder in ihre Nähe zu kommen, ersichtlich ist. Mit ἀεί will das lyrische Ich daher nicht darum bitten, daß sie 553

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Die in CA 22 verwendete Fassung des Mythos greift auf die bei Ovid, Metamorphosen 6,412-674, zu findende Version zurück, doch läßt sich daraus kein poetologischer Bezug ableiten. Zum Problem, welche der beiden in eine Schwalbe und welche in eine Nachtigall verwandelt wird, siehe für Ovid Bömer, Franz: P. Ovidius Naso, Metamorphosen, Buch VI-VII, Heidelberg 1976, ad locum. Die anderen Versionen des Mythos nennt Radke, Gerhard: „Prokne“, in: RE 23,1,247-252, doch wer die Verwandlung durchführt, findet sich in der Überlieferung nicht. Rosenmeyer S.163-166, allerdings ohne schlagendes Ergebnis. Ebenfalls einige Vergleichsautoren nennt Lambin S.222. Vgl. Rosenmeyer S.164.

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ihn in jeder Sekunde seines Lebens ansehen solle, denn niemand sieht ständig in den Spiegel und auch niemand trägt ständig einen Chiton556, sondern es möchte der Geliebten nur prinzipiell dauerhaft und immer wieder nahe sein. Ob sie dabei nun dreimal oder zehnmal täglich in den Spiegel sieht, spielt keine Rolle, viel wichtiger ist, daß sie überhaupt regelmäßig, sogar täglich, hineinsieht und damit ihn ansieht. Ebenso verhält es sich mit dem Chiton. Die Bitten der zweiten Strophe drücken daher nur das Bedürfnis des lyrischen Ich aus, der Geliebten wenn möglich täglich und dauerhaft nahe zu sein. Erotischer wird es in der dritten Strophe, denn nun malt das lyrische Ich sich aus557, was es denn noch alles werden könnte und in welcher Weise es der Geliebten noch nahe sein könnte. So könnte es sich in das Wasser verwandeln, mit dem die Geliebte ihren Körper wäscht, oder in Myrrhe, um die Geliebte duftend einzusalben. Dies ist nicht mehr der Wunsch nach allgemein räumlicher, sondern nach unmittelbar körperlicher Nähe zur Geliebten. Bezeichnend ist jedoch, daß erst die allgemeine Nähe thematisiert wird, die aus einem seelischen Verlangen nach der Geliebten heraus erstrebt wird, und dann erst die körperliche Nähe, die ein erotisches Verlangen voraussetzt. Damit befindet sich das Gedicht in der Tradition anakreontischer Dichtung, in der die seelische Sehnsucht wesentlich stärker thematisiert wird als das erotische Verlangen, welches auch das lyrische Ich bei Anakreon nie explizit ausdrückt. Die meisten Probleme bereitet das Verständnis der vierten Strophe und besonders des letzten Verses. καί in den Versen 14, 15 und 16 so zu verstehen, daß das lyrische Ich Brustband, Perlenkette und Sandale zugleich sein möchte, ist aufgrund des letzten Verses unmöglich, denn mit Füßen wird nur eine Sandale getreten, nicht aber die beiden anderen Gegenstände558. καί ist daher so zu verstehen, daß es alternative Möglichkeiten aufzählt. Das lyrische Ich möchte entweder Brustband werden, wäre aber auch zufrieden wenn es eine Perlenkette würde oder auch wenn es eine Sandale würde. Deutlich erkennbar ist die erotische Antiklimax. Als Brustband wäre das lyrische Ich dem Busen der Geliebten am nächsten, die Perlenkette reicht im556

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Schon gar nicht eine Prostituierte, was ebenfalls gegen Rosenmeyers wohl etwas übererotisierte Interpretation spricht. Natürlich - darauf sei hier zwischendurch für diesen und alle ähnlichen Fälle einmal hingewiesen - kann das lyrische Ich sich gar nichts ausmalen, weil es kein denkendes Subjekt ist, sondern der Verfasser des Gedichtes erschafft ein lyrisches Ich, das er so gestaltet, daß es für den Leser des Gedichtes den Anschein hat, das lyrische Ich male sich etwas aus. Der Einfachheit halber sei jedoch die zwar eigentlich falsche, aber wesentlich kürzere Formulierung verwendet. Gleichwohl wird καί sowohl von Rosenmeyer als auch wahrscheinlich von Lambin, der die Aufzählung asyndetisch übersetzt, so verstanden, daß das lyrische Ich alles zugleich sein möchte.

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merhin noch in die Nähe des Busens, und als Sandale wäre es ihm am fernsten. Der letzte Vers wird sowohl von Rosenmeyer als auch von Lambin so verstanden, daß das lyrische Ich masochistisch veranlagt sei und sich, als sehnlichsten und erotischsten Wunsch, wünsche, eine Sandale zu werden und stets von seiner Geliebten getreten zu werden, und Lambin nimmt sogar an, das lyrische Ich wolle diese Ehre mit keinem anderen teilen559. Hier wird deutlich, worin das Problem von Vers 16 liegt, nämlich in dem Bezug von μόνον. Lambin bezieht es auf με, was allerdings keinen besonders guten Sinn ergibt, sofern man sich die Geliebte nicht als barfüßige Domina vorstellen möchte, was wohl eher abwegig wäre, ebenso wie die Vorstellung, das lyrische Ich wäre auf andere Sandalen eifersüchtig. Die zweite Möglichkeit besteht darin, μόνον auf πάτει zu beziehen. Die Verbindung von μόνον mit Imperativen ist durchaus üblich, so daß diese Möglichkeit zunächst naheliegend aussieht und auch von Rosenmeyer gewählt wird, wobei sie den Vers dann so versteht, daß das lyrische Ich sich nichts sehnlicher und schon gar nichts anderes wünscht, als von der Geliebten getreten zu werden. Diese Möglichkeit wird zudem durch eine Vergleichsstelle bei Philostrat560, in der ein wohl masochistisch veranlagtes lyrisches Ich eben diesen Wunsch äußert, scheinbar gestärkt. Wenn das lyrische Ich jedoch darum bittet, nur getreten zu werden, so stellt sich die Frage, was die Geliebte denn sonst mit ihm, oder besser mit den Sandalen, in die er verwandelt wurde, machen könnte. Die einzige Möglichkeit bestünde darin, daß sie die Sandalen wegstellen und andere verwenden oder sie gar wegschenken könnte, so daß das lyrische Ich nicht mehr bei ihr wäre, und nicht bei der Geliebten zu sein ist für das lyrische Ich ja das Schlimmste, was ihm widerfahren könnte. Insofern wäre dieser Möglichkeit durchaus ein Sinn abzugewinnen, wenngleich vielleicht nicht unbedingt ein überzeugender. Die dritte Möglichkeit besteht darin, es auf ποσίν zu beziehen, doch stellt sich dann sogleich die Frage, womit man denn ein Sandale sonst treten sollte wenn nicht mit den Füßen. Da alle diese drei Möglichkeiten keinen besonders überzeugenden Sinn ergeben, bleibt als vierte Möglichkeit, μόνον auf den gesamten Rest des Verses zu beziehen, was durch seine Stellung am Anfang des Verses unterstützt wird. Es wäre dann zu verstehen als „nur“ im Sinne von „auch eine Sandale will ich gerne werden; nur: tritt mich mit deinen Füßen (damit ich dir nahe bin, und sei es auch auf diese niedere Weise, wenn ich es nicht anders sein 559

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Lambin S.221 übersetzt VV.13-16 wie folgt: „Et puissé-je être bandalette pour ton sein, / Perle pour ton cou, / Sandale : / Foule-moi de tes pieds, moi seul !“. S.222 schreibt er: „Le dernier vers peut, il est vrai, ne pas sembler du meilleur goût, bien que l’on retrouve ce désir dans une lettre d’amour de Philostrate.“. Philostrat Ep.37. Die Ähnlichkeit beruht auf einem falschen Verständnis von CA 22, welches durch eine von Philostrat ausgehende Interpretation des Gedichtes entstand.

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kann)“. Dies würde bedeuten, daß das lyrische Ich in seiner Liebesqual so verzweifelt ist, daß es sich sogar gerne so weit erniedrigen würde, die Gestalt einer Sandale anzunehmen, wenn es dann nur wenigstens der Geliebten nahe sein könnte. Der letzte Vers ist daher keineswegs im Sinne masochistischer Erotik zu verstehen, sondern er führt auf recht drastische Weise das Liebesleid des lyrischen Ich mit dem Bild der getretenen Sandale vor Augen. Dieses Ausgeliefertsein des lyrischen Ich an sein Leid und sein Schicksal deckt sich auch mit den Rollen von Niobe und Prokne. Niobe ist ihrem Schmerz ausgeliefert und wäre es ewig, wenn nicht die Metamorphose einträte, und Prokne hätte der sichere Tod ereilt, wenn sie nicht zuvor verwandelt worden wäre. Das lyrische Ich wünscht sich eine Verwandlung, so erniedrigend sie auch sein mag, um von seinen Liebesqualen befreit zu werden und sie nicht ewig erdulden oder an ihnen zugrunde gehen zu müssen. Das Gedicht enthält zwar sehr wohl Elemente zarter Erotik und leichten Scherzes, doch darf darüber sein ernster Kern, nämlich das Leid eines verschmähten Liebenden, nicht übersehen werden. In dieser Mischung aus Scherz und Ernst ist das Gedicht der anakreontischen Dichtung sehr nahe. An diesem Gedicht zeigt sich besonders deutlich, wie wichtig es ist, gegenüber Vergleichsstellen Vorsicht walten zu lassen. Eine scheinbare Ähnlichkeit muß keiner tatsächlichen Ähnlichkeit entspringen, eine wörtliche Übereinstimmung resultiert nicht immer aus einem poetologischen Bezug. Es können auch völlig verschiedene poetologische Programme zu ähnlichen Gedichten führen, deren jeweiligen Sinn man dann nur durch genaue Betrachtung der poetologischen Wertigkeit der einzelnen Elemente erschließen kann. So hat sich gezeigt, daß CA 22 dem anakreontischen Programm in deutlich höherem Maße folgt als es auf den ersten Blick schien und es tatsächlich in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Gedicht 38: Metrik: CA 38 ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt, wobei in V.16 die metrische Freiheit einer langen Anfangssilbe begegnet, und wird durch sprachliche Merkmale wie Anaphern und Satzschlüsse in sechs Strophen zu je vier Versen561, die umrahmt werden von zwei Anfangs- und zwei Schlußversen, gegliedert, wohl in Anlehnung an anakreontische strophische Gedichte. Für eine eher späte Entstehung des Gedichtes sprechen die Correptio des auslautenden Diphthongs von ἀμπαύεται (V.9) bei Elision eines

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Hierfür ist es notwendig, mit West, der darin Barnes folgt, zwischen V.22 und V.23 den Ausfall eines Verses anzunehmen, was sprachlich durch das in der überlieferten Fassung schlecht erklärbare καί in V.23 nahegelegt wird.

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auslautenden Diphthongs im darauffolgenden Vers und die Dehnung der zwar geschlossenen, aber metrisch offenen Schlußsilbe von Χάρις in V.8. Sprache und Stil: Sprachlich ist die Dialektmischung zu bemerken. Einem dorischen ἐφευρετάν (V.3)562 steht ein ionisches Κυθήρης (V.6) gegenüber, einem sicher nicht dorischen Μέθη (V.7) ein dorisches Λύπα (V.9). Dieses Nebeneinander verschiedener Dialektformen ist wohl verschiedenen Bemühen des Autors geschuldet. Durch die dorischen Formen will er chorlyrische Erhabenheit in die hymnischen Elemente seines Gedichtes bringen, und durch die ionischen Formen epische Größe. Hierzu treten noch epische Formen wie λοχεύθη (V.7) und ἀμπαύεται (V.9)563. Inhalt und Charakter: CA 38 wurde von Rosenmeyer der hymnischen Tradition zugeordnet564, und Lambin565 sieht das Ziel des Gedichtes darin, möglichst viele anacreonteische Motive aneinanderzureihen. Die hymnischen Elemente sind deutlich erkennbar und von Rosenmeyer kurz genannt566. Das Gedicht bedient sich der hymnischen Elemente, um Dionysos zu preisen. Dieser Preis ist darauf angelegt, möglichst viele Aspekte des Gottes darzustellen. Wird von Eros in einem anacreonteischen Gedicht meist nur ein Aspekt dargestellt, so sollen für Dionysos möglichst alle Aspekte in diesem einen Gedicht genannt werden. Das Streben nach Vollständigkeit entspringt nicht, wie Rosenmeyer annimmt, der Vorstellung, daß die Würde des Gottes eine vollständige Nennung all dessen, was den Gott ausmacht, verlangt, sondern sie entspringt einer methodischen Variation. Sowohl Eros als auch Dionysos sollen in der anacreonteischen Dichtung in ihren verschiedenen Aspekten dargestellt werden, doch während bei Eros nie alle Aspekte in einem Gedicht genannt werden, sondern die verschiedenen Autoren jeweils Einzelaspekte des Gottes in ihren Gedichten vorführen, 562

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Die Form ἐφευρετάν (V.3) ist keine echt dorische Form, sonder ein gesuchter Hyperdorismus, wie sich daran zeigt, daß das Wort in dorischer Form nur an dieser Stelle vorkommt, sonst jedoch zwar gut, aber erst spät und vornehmlich in christlicher Literatur belegt ist. Dies jedoch ist dem Dichter nicht bewußt, denn es gehört als Vokabel zu seiner normalen Dichtersprache, doch möchte er hier altertümlich hymnischchorlyrisch klingen und versucht dies über den Hyperdorismus zu erreichen, nicht wissend, daß das verwendete Wort viel zu jung ist für diesen Zweck. Besser gelingt der Versuch durch die Wahl von εὐνάζεσθαι (V.10), welches fünfmal in der Odyssee (4,449; 5,65; 5,119; 20,1; 23,299) und einmal im homerischen Aphrodite-Hymnus (VV.189-190: ἐπεὶ οὐ βιοθάλμιος ἀνὴρ / γίγνεται ὅς τε θεαῖς εὐνάζεται ἀθανάτῃσι) erscheint und des weiteren beispielsweise bei Sophokles und Euripides. Hierzu hätte West auf Nonnos, Dionysiaka 47,132 (οἶνος ἐμοῦ Βρομίου, βροτέης ἄμπαυμα μερίμνης) verweisen können. Zwar besteht zwischen Nonnos und CA 38 wahrscheinlich kein direkter Bezug, doch zeigt sich an Nonnos, daß die Wortwahl des Autors von CA 38 sicher als episch aufgefaßt wurde. Rosenmeyer S.88. Lambin S.190. Rosenmeyer S.88 mit Anm.31.

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hat der Autor von CA 38 den Versuch unternommen, alle Aspekte des zu beschreibenden Gottes in einem Gedicht zu nennen. Das Ziel, einen Gott in all seinen Facetten darzustellen, ist dasselbe, nur das Mittel ein anderes. Daß dieses Vorgehen nicht durch das Wesen des Gottes zu erklären ist folgt daraus, daß sich kein Grund findet, warum Dionysos eine vollständige Darstellung erfordern sollte, Eros aber nicht. Es liegt auch nicht an der hymnischen Form des Gedichtes, denn diese ist sekundär und folgt aus dem Bestreben, den Gott als Ganzes darzustellen und ihn so in seinem Wesen möglichst vollständig zu erfassen. Der Aufbau des Gedichtes ist klar erkennbar. Eingerahmt ist es von der zwei Verse umfassenden Forderung, fröhlich Wein zu trinken und Bakchos zu besingen (VV.1-2 und VV.26-27), welche das Gedicht in den Rahmen eines Symposions einordnen soll. Auf das Symposion weist auch die Eigenschaft von Dionysos hin, die als erste genannt wird. Er ist Erfinder des Tanzes (V.3), und er begehrt alles, was mit Gesang, Musik und Tanz zu tun hat (V.4). Durch diese Erweiterung auf Gesang und Tanz wird übergeleitet zum erotischen Bereich (VV. 5 und 6). Dionysos wird hier als den Eroten wesensähnlich und als Geliebter von Aphrodite bezeichnet, wodurch der sympotische Bereich mit dem erotischen bildlich sehr schön verbunden wird, da auch das Bild der Verbindung selbst dem erotischen Bereich entstammt. Zudem wird der gesamte sympotisch-erotische Bereich abgedeckt, indem neben Dionysos sowohl Eros, zu dem Dionysos eine innere Wesensbeziehung hat, als auch Aphrodite, die nach einer physisch-erotischen Beziehung zu Dionysos strebt567, in das dadurch recht komplexe Gesamtbild eingebunden werden. In dem ersten Abschnitt der Beschreibung von Dionysos, der durch den gleichlautenden Beginn von VV.3-6 mit τόν gekennzeichnet ist, wird somit besonderer Wert auf den Bereich des Sympotisch-erotischen gelegt. Im zweiten Abschnitt der Beschreibung, der VV.8-11 umfaßt, welche alle mit δι’ ὅν beginnen, wird der Bereich des Sympotischen dadurch näher beschrieben, daß Dionysos in Verbindung gesetzt wird mit den Personifikationen der Trunkenheit, welche durch ihn erzeugt wird, der Anmut, die ebenfalls von ihm hervorgebracht wird, und im Gegensatz dazu mit dem Kummer, der durch ihn beendet und der Qual, welche durch ihn beruhigt wird. Es werden also zwei positive Effekte genannt, die er bei demjenigen, der Wein trinkt, hervorruft, und zwei negative, die durch Weingenuß beseitigt oder zumindest gemildert werden. Diese nähere Beschreibung der Wirkung eines Gottes ist ein typisch hymnisches Element. 567

Eine gemeinsame Erwähnung von Dionysos und Aphrodite, allerdings nicht mit spezieller Verbindung der beiden, sondern nur allgemein in einem erotischen Kontext, jedoch in einem ebenfalls hymnischen Gedicht, findet sich bereits bei Anakreon, Frg.14G.

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Auf diesen hymnisch geprägten Teil des Gedichtes folgen drei Strophen (VV.11-22), die die Szenerie des Symposions weiterführen mit besonderer Betonung der sorgenlösenden Kraft des Weines568, die mit dem Topos der Unvorhersehbarkeit der Zukunft verbunden wird, und mit Verbindung zum erotischen Bereich durch den Hinweis darauf, daß zarte Knaben (V.12) den Wein bringen. Auf die beiden Eingangsverse des Gedichtes folgen also vier Strophen mit jeweils vier Versen, wobei die ersten beiden Strophen durch den gleichen Beginn der jeweiligen Verse und die folgenden beiden Strophen durch den gleichen Beginn des ersten Verses der beiden Strophen (τὸ μὲν οὖν πῶμα, V.11 und V.15) gekennzeichnet sind. Die, wie es dem anakreontischen Programm entspricht, sämtlich positiven Eigenschaften, die Dionysos in den ersten beiden Strophen zugeschrieben werden, werden in den folgenden beiden Strophen dadurch wieder aufgegriffen, daß das lyrische Ich sowohl selbst in deren Genuß kommen möchte als auch seine Freunde dazu auffordert, an den Wohltaten des Dionysos teilzuhaben. Ganz explizit genannt wird die Eigenschaft des Weines, demjenigen, der ihn trinkt, Sorgen zu nehmen, indem er, so das verwendete Bild, die Sorgen einem Sturm gleich569 hinwegfegt. In VV. 15 und 16 wird dieses Motiv ohne Metapher nochmals genannt in der Aufforderung, den Wein zu nehmen und die Sorgen fortzuschicken, denn, so die rhetorische Frage in VV. 17 und 18, man hat ja keinen Gewinn davon, sich von Sorgen quälen zu lassen. Hierauf folgt das noch allgemeinere Motiv der Ungewißheit des Menschen bezüglich der Zukunft, welches noch allgemeiner als die vorangegangenen Topoi und schon in archaischer Dichtung sehr verbreitet ist570. Auf diese allgemeinen Aussagen folgt der Wunsch des lyrischen Ich, zu tanzen und bekränzt Scherz zu treiben, gängige Elemente sympotisch-erotischer Dichtung. Der erste Vers der sechsten Strophe, zwischen den überlieferten VV. 23 und 24 gelegen, ist ausgefallen. In V.23 ist von schönen Frauen die Rede, die einen Bezug zu dem vorangegangenen, ausgefallenen Vers gehabt haben müssen, und in VV. 24 und 25 wird, mit Anklang an Anakreon Frg.49G, gesagt, wer sich Sorgen machen wolle, der solle dies ruhig tun, womit implizit die sorgenlösende Kraft des Weines, wie sie bei Anakreon in Frg.39G anklingt, nochmals betont wird. 568 569

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Vgl. CA 48 und CA 56. Der Sturm wird als ἀνεμόστροφος (V.14) bezeichnet. Das Wort ist ein Hapax Legomenon und wurde durch Änderung des ursprünglich geschriebenen ἀνεμότροπος, welches ebenfalls ein Hapax Legomenon wäre, hergestellt, wobei in der Anthologia Palatina selbst bereits ἀνεμότροπος in ἀνεμότροφος, welches wiederum ein Hapax Legomenon wäre, geändert worden war. Welche der Formen die wahrscheinlichste ist, soll hier nicht diskutiert werden, da alle drei Formen inhaltlich dasselbe bedeuten. Der Sturm wird als vom Wind getrieben und damit als besonders stark und wirkungsvoll charakterisiert. Als Beispiel sei verwiesen auf Pindar, Olympische Oden 2,56.

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In dem nach anakreontischem Vorbild in strophischer Gliederung als Symposionslied gestalteten Gedicht schließt sich also an den Preis des Dionysos eine Ausführung an, wie mit dessen Gaben das Leben als ein sympotisches Leben zu gestalten sei, wobei auch erotische Aspekte Erwähnung finden. Die hymnischen Elemente haben in der anakreontischen Dichtung ihre Entsprechung etwa in Frg.1G und Frg.14G, der Preis des sympotischerotischen Lebens wird ohnehin als einer der zentralen Bereiche anakreontischer Dichtung angesehen, was durch eine beträchtliche Zahl der überlieferten Fragmente unterstützt wird, und in dem allgemeinen Motiv der Sorge lassen sich sowohl die Liebessorgen als auch die Alterssorgen der anakreontischen Dichtung wiedererkennen. Der programmatische Bezug und das daraus resultierende generationale Verhältnis von CA 38 zur anakreontischen Dichtung zeigt sich also in der strengen formalen und inhaltlichen Ausrichtung des Gedichtes an der sympotisch-erotischen Dichtung Anakreons. Gedicht 42: Metrik: CA 42 weist, ebenso wie CA 38, eine strenge Gliederung auf. Es besteht aus vier Strophen zu je vier Versen, wobei jede Strophe mit einem reinen ionischen Dimeter beginnt, auf den dann meist anaklastische folgen571. Das Strophenende wird durch Satzende angezeigt. Die Metrik des Gedichtes ist folgende: 1. Strophe: v v – – v v – – / v v – v – v – – / v v – v v v – – / v v – v – v – – 572 2. Strophe: v v – – v v – – / v v – v – v – – / v v – v – v – – / v v – v – v – – 3. Strophe: v v – – v v – – / [V.10] / v v – v – v – – / v v – v – v – – / v v – v – v – – 573 4. Strophe: v v – – v v – – / v v – v v v v – – / v v – v – v – – / v v – v – v – – 574 571

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Eine Mischung von reinen und anaklastischen ionischen Dimetern erscheint bei Anakreon etwa in Frg.33G und Frg.36G. Die Tatsache, daß im dritten Vers das α von ὅταν kurz zu messen ist (so auch West: Carmina Anacreontea, S.XIII), scheint dem Autor des Gedichtes entgangen zu sein. Dies ist ein Hinweis auf die wohl eher späte Entstehungszeit. Das metrische Schema bestätigt hier die Streichung des auch inhaltlich überflüssigen Verses 10, welcher lediglich eine Kommentierung des im vorigen Verses angesprochenen φθόνος enthält. Daß Neid am Herzen nagt, wenn er sich beim Herzen befindet, ist jedoch selbstverständlich. Das Attribut δαϊκτόν (V.10) erscheint bei Homer und Aeschylus, in den zugehörigen Scholien, bei Nonnos und oft in den Posthomerica des Quintus, jedoch in den von Homer abhängigen Stellen meist in der homerischen Form δαϊκταμένων (Ilias 21,146). Die von West im Apparat angesprochene Möglichkeit der Dittographie kann daher als gegeben angesehen werden. V.15 entspricht in der überlieferten Form nicht dem metrischen Schema, was zu verschiedenen Emendationen geführt hat. Im obigen Schema ist die von West gedruckte Variante gegeben, mit der Version von Faber (West, app. crit. ad loc.) wäre das Me-

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Diese Form der metrisch voneinander abgegrenzten Strophen weist eine Anlehnung an anakreontische strophische Gedichte auf575, wobei hier durch die Änderung des ionischen Grundschemas durch Anaklasis in den auf den jeweils ersten Vers folgenden drei Versen der erste Vers einer jeden Strophe hervorgehoben wird576. Allerdings zeigt sich in der Metrik auch deutlich die

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trum mit dem von V.14 identisch. Es beinhaltet jedoch keine der Emendationen die Möglichkeit, ein mit den entsprechenden Versen der anderen Strophen übereinstimmendes metrisches Schema zu erzeugen. Die ursprüngliche Form des Verses ist daher unklar, doch ist mangels alternativer Erklärungen wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß der Autor des Gedichtes zumindest annahm, der Vers hätte, in seiner ursprünglichen Form, dieselbe metrische Form wie die entsprechenden Verse der anderen Strophen, wobei nicht auszuschließen ist, daß der Vers in seiner ursprünglichen Form ebenso wie V.3 einen Quantitätenfehler enthielt, was eine entsprechende Emendation zusätzlich erschweren würde. Metrisch unproblematisch wäre der Vers, wenn man bei der von West gedruckten Version entgegen dem, was West in seinem Conspectus metrorum sagt, annähme, daß der Autor des Gedichtes in seiner Aussprache auslautendes -ιν unter Elision des ν und konsonantischer Verwendung des ι mit dem eigentlich kurzen α von ἅμα zu langem α verschmolzen hat. Eine ähnliche Konstruktion könnte auch das Metrum in CA 43,3 retten, siehe S.168. In Anakreon Frg.36G ist zur metrischen Abgrenzung der durch Satzschluß gekennzeichneten Strophen das anaklastische Grundschema im jeweils vorletzten Vers der beiden je sechs Verse umfassenden Strophen durch einen reinen ionischen Dimeter durchbrochen. Ebenso verhält es sich in der ersten Strophe von Anakreon Frg.33G und vermutlich auch in der unvollständigen zweiten Strophe, von der nur fünf Verse überliefert sind, wobei der letzte, dem Schema der anderen Strophen entsprechend, ein reiner ionischer Dimeter ist. Die Ausführungen von Giangrande (S.198f.) zu textkritischen Fragen aufgrund metrischer Überlegungen sind für die Interpretation des Gedichtes unerheblich. Giangrande möchte das überlieferte φιλολοιδόροισι (V.11) als Hyperurbanismus gegen den hergestellten Genitiv Singular halten. Metrisch sind beide Versionen korrekt, und inhaltlich besteht auch kein Unterschied zwischen ‚der Zunge von jenen, die gerne Schmähungen aussprechen’ und einer ‚gerne Schmähungen aussprechenden Zunge’. Daß in einem ansonsten sprachlich recht ausgefeilten Gedicht ein solcher Hyperurbanismus vorgekommen sein sollte ist jedoch fraglich, so daß wohl eher davon auszugehen ist, daß er sich bei einem Abschreibevorgang eingeschlichen hat. Überdies möchte Giangrande auch das überlieferte ἔφευγεν (V.12) im Text behalten gegen die Emendation ἔφυγον. Grammatikalisch sind beide Versionen problemlos möglich, und inhaltlich macht es wenig Unterschied, ob das lyrische Ich sagt, es selbst habe die leichten Geschosse geflohen oder sein Herz habe die leichten Geschosse geflohen, weil der Sinn in beiden Fällen der ist, daß das lyrische Ich sich von einer bestimmten Art von Dichtung abwendet. Problematisch ist die Metrik, weil man bei der überlieferten Version annehmen müßte, der Vers sei isosyllabisch. Die übrigen Verse sind jedoch bis auf Vers 3 alle metrisch korrekt und in der Anordnung nicht anaklastischer und anaklastischer Verse auf das Strophenschema hin angelegt, und der Fehler von Vers 3 ist insofern anders, als man tatsächlich wissen muß, ob der Vokal und damit die Silbe kurz oder lang ist, wohingegen man die Länge eines Diphtonges sofort sieht. Es ist daher aufgrund der sonst vom Autor auf die Metrik verwendeten

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späte Entstehungszeit des Gedichtes, zum einen an den metrischen Fehlern, die dem Autor unterlaufen sind, zum anderen an der Tatsache, daß alle Verse mit einem Paroxytonon oder einem Properispomenon enden577 und damit schon der iktierenden Metrik nahestehen. Sprache und Stil: Ionisch-episch sind die Formen Ποθέω (V.1), φιλέω (VV. 3 und 8), στυγέω (V.13), φιλολοιδόροιο (V.11) und κροτάφοισιν (V.6)578, eindeutig nicht ionisch hingegen ist χορείας (V.2), wobei bei dieser Form zu bedenken ist, daß sich hier im Laufe der Überlieferung leicht eine Veränderung ergeben haben könnte. Insgesamt zeigt sich das Bestreben des Autors, einen gehobenen Sprachstil zu erreichen. Inhalt und Charakter: Das Gedicht beginnt mit der Aussage des lyrischen Ich, es begehre den fröhlichen Tanz des Dionysos. Sprachlich sind die ersten beiden Verse dadurch kunstvoll gestaltet, daß der erste Vers die in sich geschlossene Aussage beinhaltet, das lyrische Ich strebe nach Dionysos, welche erst durch den zweiten Vers dahingehend präzisiert wird, daß nicht Διονύσου (V.1) Objekt zu ποθέω (V.1) ist, sondern φιλοπαίγμονος χορείας (V.2), so daß das lyrische Ich nicht Dionysos, sondern seinen Tanz begehrt. Dessen Attribut, φιλοπαίγμων, zeigt an, was man sich unter diesem dionysischen Tanz ungefähr vorzustellen hat, nämlich einen fröhlichen, durch Wein angeheiterten Reigen579. Daß ein Symposion den Rahmen für diesen

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Sorgfalt unwahrscheinlich, daß er hier einen isosyllabischen Vers zugelassen hat. Inhaltlich kann man sowohl den Aorist als auch das Imperfekt vertreten, so daß es sich bei dem Diphthong wahrscheinlich um einen Schreibfehler handelt. Die dritte Person könnte jedoch beibehalten werden. Hierauf verweist Lambin S.185. Diese Form hat sich von Homer (Ilias 13,805; 15,609; 15,648; 16,104; Odyssee 11,319) aus in der späteren Literatur (beispielsweise bei Hesiod, Theokrit, Oppian, Nonnos, Papyri Magicae, Anthologia Graeca und natürlich den Homer-Scholien und Lexica) weit verbreitet. Die Verbindung von στέφανος / στέφος / στεφανίσκος mit κρόταφοι findet sich zwar auch in CA 43,1, ist aber inhaltlich nicht so ungewöhnlich daß man einen direkten Bezug der Gedichte aufeinander annehmen müßte, und findet sich zudem bei Athenaios, Deipnosophistai 15,16,12, Aristoteles et Corpus Aristotelicum, Fragmenta varia 1,15,95,10, Ariston Frg.22,7, Oppian, Cynegetica 4,299, Flavius Josephus, Antiquitates Judaicae 3,178,3, Athanasius, Homilia in sanctos patres et prophetas 28,1064,45, Libanios, Declamationes 12,2,27,5, Damascius, De principiis 1,242,15 und in Anthologia Graeca, 5,147,5 und 6,345,5. Diese Stellen zeigen, daß die Formulierung keineswegs ungewöhnlich ist und daher der normalen poetischen Sprache zugerechnet werden kann. Das Attribut hat, ausgehend möglicherweise von Hesiod (Frg.10(a)19 (Nach der Ausgabe Hesiodi Theogonia, Opera et Dies, Scutum, edidit Friedrich Solmsen, Fragmenta Selecta ediderunt R. Merkelbach et M. L. West, Oxford 31990): Κουρ]ῆτές τε [θεοὶ φιλοπα]ίγμονες ὀρχης[τῆρες.), über Aristophanes, Ranae 332 und Plutarch, Quaestiones convivales 709b8, eine recht weite Verbreitung in der Spätantike gefunden, so unter anderem bei Nonnos (Dionysiaka 2,564; 10,332; 11,1; 12,382; 14,411;

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Tanz bilden soll, wird durch den Hinweis auf den Wein bereits nahegelegt und findet seine Bestätigung in den beiden folgenden Versen, in welchen das lyrische Ich sagt, es habe es gerne, wenn es mit einem herangewachsenen Jüngling580 als Mittrinker beim Symposion die Lyra spiele. In dieser ersten Strophe wird also das Symposion als Ausgangssituation mit seinen wichtigsten Elementen, dem Wein, dem Tanz und dem Lyraspiel, in konventioneller Weise dargestellt. Nach diesem Gedichtbeginn mit dem sympotischen Bereich wendet sich das lyrische Ich in der zweiten Strophe dem erotischen zu. Es sagt, es möchte, sich Hyazinthenkränze um die Schläfen windend, zusammen mit Jungfrauen sich singend vergnügen, und zwar sei ihm dies die liebste Tätigkeit von allen. Sprachlich ist die zweite Strophe ebenso wie die erste kunstvoll gestaltet. Neben dem epischen κροτάφοισιν (V.6) fällt vor allem die Wortstellung auf. Die Betonung liegt auf dem letzten Vers der Strophe, V.8, weil erst in diesem Vers das Prädikat erscheint, auf welches das Partizip in V.6 und der Infinitiv in V.7 hindeuten und dadurch eine Erwartung aufbauen, die erst in V.8 erfüllt wird. Inhaltlich wird der erotische Bereich durch die Hyazinthenkränze, welche Erotik insofern andeuten, als die Hyazinthen auf den Geliebten Apolls hinweisen, eröffnet und durch den Umgang mit jungen Frauen fortgeführt581. In der dritten Strophe kommt nach den positiven Aussagen der ersten beiden Strophen nun eine Weiterführung ex negativo. Durch die einleitende Aussage des lyrischen Ich, sein Herz kenne keine Mißgunst, werden auch die drei weiteren Verse der Strophe klar verständlich. Das lyrische Ich sagt, es habe die hohlen Geschosse einer gerne Beleidigungen aussprechenden Zunge geflohen und es hasse Kämpfe während des

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16,242; 19,150; 30,135; 33,208; 37,374; 37,664; 40,152; 41,193; 48,274), Julius Pollux (Onomastikon 5,161,1; 5,161,4; 5,161,6; 6,28,4) und Libanios (Orationes 64,119,8; Declamationes 30,1,68,2). Es bezeichnet durchgängig heiteren, arglosen Scherz. Daß auch herangewachsene Jünglinge traditionell als schön und begehrenswert beim Symposion gelten können zeigt beispielsweise Bremmer, Jan N.: „Adolescents, Symposion, and Pederasty“, in: Murray, Oswin: Sympotica. A Symposium on the Symposion, Oxford 1990, S.135-148. Sprachlich auffällig ist die Wendung μετὰ παρθένων ἀθύρειν (V.7), weil sie der Wendung μετὰ παρθένων ἀθύρων (CA 37,6) sehr ähnlich ist. Die Verbindung von παρθένος und ἀθύρειν tritt sonst nur noch auf bei Bakchylides, Epinicia 13,60, Dionysios von Halikarnaß, Antiquitates Romanae 11,39,6,4 und Anthologiae Graecae Appendix, Epigrammata sepulcralia 364b5. Gleichwohl sind beide Begriffe sehr häufig in der Literatur, der erstere ohnehin, und auch der letztere hat sich seit Ilias und Odyssee über Sappho und Alkaios, Aischylos und Sophokles, Pindar und Bakchylides, Euripides und Plutarch weithin in der Literatur verbreitet, und die Verbindung von CA 37 und CA 42 reicht außer dieser sprachlichen Auffälligkeit nicht über die allgemeine Ähnlichkeit hinsichtlich des sympotisch-erotischen Themenbereiches hinaus. Daß die Formulierung nicht für einen weitergehenden Bezug gebraucht wurde, deutet darauf hin, daß sie wohl als sprachliches Gemeingut für anacreonteische Dichtung angesehen wurde.

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Weintrinkens. Ersteres ist wohl als Wendung gegen iambische Dichtung zu deuten582. Die Aussage des lyrischen Ich, es möge zum Wein keine Kämpfe, ist, in bester anakreontischer Tradition583, poetologisch aufzufassen als Stellungnahme gegen kriegerische und damit vor allem homerische und allgemein epische Dichtung, aber wohl auch gegen für das Symposion verfaßte militärische Dichtungen wie etwa die des Alkaios. Die vierte und letzte Strophe bietet nach der negativen Beschreibung in der vorangegangenen Strophe wieder eine positive Beschreibung dessen, was das lyrische Ich will. Es sagt, daß es gerne bei fröhlichem584 Gelage mit jungen585 Mädchen zum Barbitos tanzen und so ein ungestörtes Leben führen möchte. Soweit das Gedicht selbst. Der Autor des Gedichtes macht in diesem Preis des sympotischerotischen Lebens durch die Aussagen des lyrischen Ich sein eigenes poetologisches Programm deutlich. Dies besteht in einer Abwendung von Spottdichtung, zumindest soweit sie persönlichem Neid entspringt oder mit dem sympotischen Bereich in Konflikt kommen könnte, und kriegerischer Dichtung und in einer Hinwendung zu sympotisch-erotischer Dichtung. Speziell, und daraus resultiert das generationale Verhältnis von CA 42 zur anakreontischen Dichtung, hat der Autor dabei die Dichtung Anakreons vor Augen, wie sich sowohl an den formalen Elementen wie dem Metrum und dem 582

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Rosenmeyer (S.100 Anm.59: „While the narrator claims to have suffered and escaped such „empty darts“ of a rancorous tongue, he is actually indulging in invective even as he speaks, by insulting the slanderers themselves (see Horace Odes 1.18.27)“) ist der Ansicht, daß diese Schmähung selbst eine Invektive darstellt. Zum einen ergibt dies aber inhaltlich keinen Sinn, zum anderen ist die Ablehnung der Invektive sprachlich so nüchtern gehalten, daß es sich nicht um eine Invektive handeln kann, so daß der Bezug zur Invektive ein ablehnender ist. Spott hat für den Verfassser von CA 42 beim Symposion nichts zu suchen. Der Bezug auf Anakreon Frg.56G ist eindeutig. Das Attribut πολύκωμος (V.14) kommt außer an dieser Stelle nur in Anthologia Graeca 9,524,17 (πουλυπότην, πλαγκτῆρα, πολυστέφανον, πολύκωμον) vor, doch ist das Wortbildungsschema gängig, so daß das Wort nicht sonderlich auffällig ist. Ob es vom Autor als bewußte Neuschöpfung eingesetzt wurde, um dem Gedicht sprachliche Originalität und Frische zu verleihen, oder ob er das Wort als in der poetischen Sprache üblich empfand, läßt sich nicht sagen. Sicher ist jedoch, daß es nicht dem Bestreben nach großer oder grundsätzlicher Neuerung zum Zwecke der Abgrenzung gegen Anakreon und seine Zeit gedacht ist, denn dafür sind das Bildungsmuster des Wortes und vor allem auch der Rest des Gedichtes zu konventionell. Trotz der textkritischen Probleme von V.15 dürfte an Substantiv und Atttribut selbst nicht zu rütteln sein, so daß Ergebnisse aus ihrer Betrachtung nicht mit textkritischen Argumenten bezweifelt werden können. Bei νεοθηλής fällt auf, daß das Wort bei Anakreon selbst (Frg.28G,1) vorkommt, also einen direkten Bezug zur anakreontischen Dichtung herstellt, andererseits aber von Anakreon aus Homer (Ilias 14,347) übernommen wurde, was die gelegentliche Verwendung epischer Begriffe in anacreonteischer Dichtung als bereits anakreontisches Element rechtfertigt.

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strophischen Bau als auch an den inhaltlichen Elementen der starken Betonung des sympotischen und erotischen Bereiches und der Arbeit mit Bezügen auf Anakreon zeigt. Gedicht 43: Metrik: Das Gedicht hat in seiner überlieferten Form folgendes Schema von Längen und Kürzen: 1: v v – – v v – – 2: v v – v – v – – 3: v v v – v v – – 4: v v – v – v – – 5: v v – – – v – – 6: v v – v – v – – 7: v v – v – v – – 8: – v – – v v – – 9: v v – – v v – – 10: v v – v – v – – 11: v v – v – – – – 12: v v – – – v – – 13: v v – v – v – – 14: – – v – v v – – 15: v v – v – v – – 16: – – v v – v – – . Es ist deutlich erkennbar, daß der Autor zwar bemüht war, in reinen oder anaklastischen ionischen Dimetern zu schreiben, daß ihm dies aber weitaus nicht immer gelang. Es finden sich in den 16 Versen insgesamt 6 isosyllabische Verse sowie der Schlußvers, bei dem zur Kennzeichnung des Gedichtschlusses die beiden Anfangskürzen zu einer Länge zusammengezogen wurden, so daß der Vers nicht mehr isosyllabisch und somit als Schlußvers klar erkennbar ist. Weitere metrische Fragen werden aufgrund ihrer textkritischen Relevanz und dadurch inhaltlichen Bedeutung unter ‚Inhalt und Charakter’ erörtert. Sprache und Stil: Hier ist zunächst die Textgrundlage des Gedichtes zu erörtern, denn es wurden mehrfach Verse für unecht erklärt, was auch damit zusammenhängt, daß der Versuch einer strophischen Einteilung unternommen wurde. VV. 1 und 2 sind in der überlieferten Form haltbar. Für V.3 übernimmt West das von Barnes statt des überlieferten μεθύωμεν gesetzte μεθύομεν586. VV. 4-7 sind unstrittig. VV. 8-11 sind von Stephanus von ursprünglich ἁβροχαίται δ’ ἅμα κοῦροι / στομάτων ἁδὺ πνεόντων / κατὰ πηκτίδων ἀθύρειν / προχέειν587 λίγειαν ὀμφάν zu ἁβροχαίτας δ’ ἅμα κοῦρος / στομάτων ἁδὺ πνεόντων / κατὰ πηκτίδων ἀθύρει / προχέων λίγειαν ὀμφάν geändert worden. Bei dieser Änderung stört die Tatsache, daß der Singular 586

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Die Änderung ist zwar formal nicht unbedingt notwendig, weil der Vers als isosyllabisch aufgefaßt werden könnte, inhaltlich ist sie jedoch beinahe unabdingbar, vor allem wenn man die Motivik der Aufforderung oder des Wunsches mit Anakreon Frg.4G, Frg.33G, bes. V.10, und Frg.38G in Verbindung setzt und darüber hinaus in Betracht zieht, welch große Aufnahme dieses Motiv in der anacreonteischen Dichtung sonst gefunden hat, etwa in CA 38, CA 42 und CA 44. Die Änderung von προχέειν zu προχέων in der Anthologia Palatina zeigt zwar, daß sich wohl der Schreiber der Carmina Anacreontea an der asyndetischen Aneinanderfügung der Infinitive gestört hat, daß er aber nicht auf die Grammatik geachtet hat, denn das Partizip im Singular ließe sich höchstens an den im folgenden Vers genannten Eros anschließen, was aber keinen Sinn ergibt, weil nicht ersichtlich ist, warum Eros hier singend herumtanzen sollte, und was zudem die Abgrenzung von V.12 zum vorherigen Vers durch δέ übersieht.

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von κοῦρος sich zwar noch mit dem gerade in später Zeit oft singularisch gebrauchten στομάτων588, nicht aber mit πηκτίδων, jedoch wiederum mit ὀμφάν589 verträgt. Hingegen ist der imperativische Gebrauch des Infinitivs, wie er sich dann bei ἀθύρειν und προχέειν zeigt, auch für spätantike Grammatik nicht unüblich590. Es besteht daher aus formaler Sicht kein Anlaß, die überlieferte Version zu ändern, zumal diese auch inhaltlich die bessere ist, wie die Interpretation des Gedichtes verdeutlichen wird. Ein weiteres Problem bieten VV.12-16, bezüglich welcher Lambin591 den Verdacht hegt, sie könnten dem ursprünglichen Gedicht später hinzugefügt worden sein. Er stützt sich dabei jedoch lediglich auf sein ästhetisches Urteil und auf den Vergleich mit CA 48, dessen letzte drei Verse er für hinzugefügt erachtet, was sie jedoch wahrscheinlich nicht sind. Da sich auch keine weiteren Anhaltspunkte, etwa im Bereich der Metrik592, dafür bieten, daß die Verse später hinzugefügt wurden, ist davon auszugehen, daß sie echt sind. Sprachlich ist zu bemerken, daß sich neben ionisch-epischen Formen wie κροτάφοισι (V.1), κατακίσσοισι (V.5) und κοῦρος bzw. κοῦροι (V.8)593 auch das nicht ionisch-epische, sondern dorisch-chorlyrische κούρα (V.4) sowie die Dorismen ὀμφάν (V.11) und χρυσοχαίτας (V.12)594 finden, so daß eine Mischung verschiedener Dialekte vorliegt. Der Dichter hat hier anscheinend recht wahllos auf epische wie chorlyrische Formen zurückgegriffen, um eine möglichst altertümliche und damit aus seiner Sicht wohl anakreontische Sprache zu erzeugen. Der gewählte poetische Eindruck der Sprache wird verstärkt durch seltene Worte, zu denen neben χρυσοχαίτας (V.12) auch ἁβροχαίτας bzw. ἁβροχαίται (V.8)595 zu zählen sind.

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So LSJ s.v. Für den Gebrauch des Singulars bei den Stimmen mehrerer Personen siehe schon Homer, Ilias 20,129 (Ἀχιλεὺς οὐ ταῦτα θεῶν ἐκ πεύσεται ὀμφῆς). Siehe Schwyzer, Eduard: Griechische Grammatik, Bd. 2, München 1950, S.380. Lambin S.186. Die Verse sind in der überlieferten Version wie alle Verse des Gedichtes isosyllabisch und es sind daher auch entgegen der Ansicht von West, app. crit. ad loc., welcher ebenso wie Bergk und Preisendanz die Änderungen von Stephanus übernimmt, VV. 14 und 16 nicht zu ändern, wie Giangrande S.199 anmerkt. Κυθήρης (V.14) ist eine Konjektur von Stephanus und daher hier nicht verwertbar. Hierzu findet sich sogar eine Vergleichsstelle bei Pindar (Pythische Oden 2,16: τὸν ὁ χρυσοχαῖτα προφρόνως ἐφίλησ’ Ἀπόλλων), aus der der Dichter von CA 43 das Wort wahrscheinlich übernommen hat. Das Wort ist insgesamt sehr selten belegt und findet sich sonst nur noch bei Limenius, Paean Delphicus ii et prosodium in Apollinem, 4 (μέλπετε δὲ Πύθιον χρυσοχαίταν ἕκατον εὐλύραν Φοῖβον) und Historia Alexandri Magni, Recensio β 1,30,17 (καὶ εἶδεν αὐτὸν τὸν Ἄμμωνα γηραιόν, χρυσοχαίτην, = Historia Alexandri Magni, Recensio γ (lib. 1) 30,21). Diese übrigen Belegstellen zeigen neben der Erlesenheit auch die Ehrwürdigkeit des Begriffes. Dieses Wort kommt sonst nur noch in Anthologia Graeca 9, 525,2 vor.

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Inhalt und Charakter: Das Gedicht beschreibt die Sehnsucht nach dem idealen sympotisch-erotischen Leben. Das lyrische Ich äußert an den Leser die Aufforderung, mit ihm zusammen trunken zu sein und in harmlosem Scherz zu lachen, wobei alle Rosenkränze um die Stirn gewunden haben596. Zu einem Barbitos, der als typisch für die Begleitung anakreontischer sympotisch-erotischer Dichtung galt, tanzt ein hübsches, bekränztes Mädchen mit Thyrsosstäben, welche direkt auf Dionysos verweisen. Außerdem sind bei dem Symposion Jünglinge mit weichem Haar anwesend, welche aus ihren Mündern süß atmen und, auf der Pektis spielend, ihre helle Stimme verströmen lassen. Zusätzlich zu diesen sind auch noch Eros, mit goldenem Haar, und mit ihm der schöne Lyaios597 und die schöne Aphrodite anwesend, und Eros heißt fröhlich die Alten ein liebliches Tanzlied zu singen. Der sympotisch-erotische Rahmen mit der klassischen Motivik von Musik, Dichtung und schönen Jünglingen, gesteigert durch die Versinnbildlichung von Liebe und Wein in den Göttern Eros, Dionysos und Aphrodite598, zusammen mit den lexikalischen Beobachtungen, zeigt die programmatische Vorbildfunktion der anakreontischen Dichtung für CA 43. Sprachliche Bezüge zu anderen Dichtern wie Homer oder Pindar verbleiben dabei auf der rein sprachlichen Ebene und sind ohne poetologische Relevanz, denn die betreffenden Begriffe stehen ganz im Dienste der Verherrlichung des sympo596 597

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Die Rosenkränze verweisen auf Anakreon Frg.104G. Die Bezeichnung von Dionysos als Lyaios bedarf, auch wenn sie in diesem Gedicht keine besondere Rolle spielt, grundsätzlicher Klärung, da sie in den Carmina Anacreontea öfters erscheint. ‚Lyaios’ ist in der Spätantike verbreitet als Name für Dionysos. Bei Nonnos in den Dionysiaka findet sich Lyaios 211 Mal, womit sich bei Nonnos die überwiegende Zahl der Belege in der griechischen Literatur findet. Die allgemeine Verbreitung der Bezeichnung wird durch ein Sophokles-Scholion belegt (Scholia in Sophoclem (scholia vetera) Antigone 1115,2: ὦ Διόνυσε· οἱ μὲν γὰρ Βάκχον οἱ δὲ Ἴακχον οἱ δὲ Λυαῖον οἱ δὲ Εὔιον οἱ δὲ Διθύραμβον αὐτὸν καλοῦσιν.). Das Wort findet sich erst spät in der griechischen Literatur (Die frühesten Belegautoren sind Cornutus (1. Jh.n.Chr., De natura deorum 58,1-4: τυγχάνει δὲ ὁ Διόνυσος ἤτοι [διόνυξος ὢν ἢ] οἷον διάνυσος παρὰ τὸ διαίνειν ἡμᾶς ἡδέως ἢ ὡσανεὶ διάλυσος κεκλημένος, ἀφ’ ἧς ἀρχῆς καὶ λύσιον αὐτὸν καὶ λυαῖον ἐπωνόμασαν [λύοντα τὰς μερίμνας]) und Plutarch (1./2. Jh.n.Chr., Quaestiones convivales 613C1 und 680B9; Quomodo adulator ab amico internoscatur 68D4; De cohibenda ira 462B4). In der Anthologia Graeca findet sich die Bezeichnung in dem auf Anakreon verfaßten Epigramm 16,308 (VV.1f.: Τὸν τοῖς μελιχροῖς Ἱμέροισι σύντροφον, Λυαῖ’, Ἀνακρέοντα Τήιον κύκνον,) sowie in 5,72; 6,154; 6,158; 7,105; 9,247; 9,406; 11,48; 11,58; 11,59; 11,60; 11,63; 16,7 (Das Epigramm wird in der Anthologia Graeca Alkaios zugeschrieben, wodurch verdeutlicht wird, daß zur Abfassungszeit von CA 4 wohl kein Bewußtsein für die späte Entstehung des Begriffes mehr vorhanden war) und 16,156. In den Carmina Anacreontea wird die Bezeichnung in zehn verschiedenen Gedichten verwendet.). Es ist aber zur mutmaßlichen Entstehungszeit der betreffenden Carmina Anacreontea bereits so verbreitet, daß davon ausgegangen werden kann, daß die Autoren es als ganz gebräuchliche alternative Bezeichnung für Dionysos ansahen. Die Nennung dieser drei Götter im Verbund hat ihr Vorbild in Anakreon Frg.14G.

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tisch-erotischen Lebens und damit der anakreontischen Programmatik, so daß der generationale Bezug von CA 43 auf die anakreontische Dichtung durch sie nicht unterlaufen wird. Implizit angedeutet wird der poetologische Generationenaspekt möglicherweise durch die Erwähnung der Alten in V.15. Daß gerade diese von Eros aufgefordert werden, beim Symposion zu singen, läßt an das Motiv von Anakreon als dem alten, sympotisch-erotischen Dichter denken. Das Symposion und die damit verbundene sympotisch-erotische Dichtung wären dann dasjenige Element, das Anakreon und seine literarischen Nachfolger beim selben Symposion vereint, ein Bild, das die poetologischen Einheit der beiden literarischen Generationen herausstellen würde. Gedicht 45: Metrik: Das Gedicht weist folgende Reihung von Längen und Kürzen auf: 1: v – – – v – – 2: – – v – v – – 3: v – v – v – v – 4: v – v – v – – 5: v – v – – – v – 6: v v – v – v – – 7: – – v – v – – 8: – – v – v – – 9: – – v – – – – 10: – – v – v – – . Es besteht also aus katalektischen (VV. 1; 2; 4; 7; 8; 9; 10) und akatalektischen (VV. 3; 5) iambischen Dimetern mit V.6 als anaklastischem ionischem Dimeter, der jedoch aufgrund der Anaklasis iambischen Charakter hat und zudem dieselbe Zahl an langen und kurzen Silben aufweist wie ein akatalektischer iambischer Dimeter mit kurzen elementa indifferentia. Eine Regelmäßigkeit und damit ein Grund für die Mischung der Metren läßt sich nicht erkennen599. Hinzu treten prosodische Freiheiten in VV. 1 und 9, die die späte Entstehungszeit des Gedichtes, wohl das 5. Jh.n.Chr., zeigen. Sprache und Stil: Als erstes ist darauf hinzuweisen, daß die Ähnlichkeiten von CA 45 mit einem Gedicht von Dioskoros von Aphrodite600 keine Probleme bereiten, weil das Gedicht des Dioskoros sehr wahrscheinlich später

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Man könnte vermuten, daß der Autor damit eine Dramatisierung anstrebte, weil der metrische Wechsel genau diejenigen Verse betrifft, in denen sich das lyrisch Ich mit rhetorischen Fragen, in welche die Feststellung der Unabwendbarkeit des Todes eingebaut ist, an den Leser wendet und so zum einen Spannung erzeugt, zum anderen aber auch seine eigene Ratlosigkeit zum Ausdruck bringt, welcher in der äußeren Form möglicherweise der metrische Wechsel entsprechen soll. Dies ist jedoch reine Spekulation. Dioskoros von Aphrodite (6. Jh.n.Chr.) 28,1-16: ἀεὶ θέλω χορεύειν, / ἀεὶ θέλω λυρίζειν. / γεραρὴν λόγοις ἑορτήν / ἀνα[βά]λλομαι λυρίζειν. / θέλҕγҕουσίν με αἱ Βάχαι / αҕ...υҕ[] / [] / [] / ὅταν πίννω τὸν οἶνον, / εὕδουσιν αἱ μέριμναι· / τί μοι πόνων, τί μοι γόων, / τί μοι μέλει μεριμνῶν; / στρατηγὸν νέον ἔραμαι, / ποθοβλήτην Ἡρακλέα, / δαμάζοντα τοὺς λέοντας· / ἀεὶ τὰς πόλεις σαῶσαι.

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entstanden ist als CA 45601. Dies ergibt sich zum einen aus der mutmaßlich früheren Datierung von CA 45, die allerdings schwierig zu beweisen ist, sowie aus der Tatsache, daß der Beginn des Gedichtes von Dioskoros CA 9 oder CA 23 als Vorbild haben dürfte, so daß davon auszugehen ist, daß Dioskoros sich aus einer Sammlung anacreonteischer Gedichte für sein eigenes Gedicht bedient hat602. Sprachlich ist das Gedicht schlicht und besitzt keine Auffälligkeiten. Inhalt und Charakter: Das Gedicht handelt von der Eigenschaft des Weines, den Menschen von seinen Sorgen befreien zu können, verbunden mit der Überlegung, wozu man sich überhaupt Sorgen machen soll, wenn man schließlich doch sterben muß, auch wenn man es noch gar nicht will. Diese Motive sind verbreitet in archaischer Dichtung; speziell in anakreontischer Dichtung klingen sie in Frg.49G an. Die lösende Wirkung des Weines wird noch betont durch die Verwendung der Bezeichnung Lyaios (V.8) für Dionysos603. Bei Anakreon findet sich die lösende Wirkung des Weines, allerdings nicht auf Sorgen, sondern auf erotische Zurückhaltung bezogen, in Frg.14G. Der speziell anakreontische Charakter von CA 45 und damit das literarische Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung entsteht nicht durch ein einzelnes Motiv oder durch bestimmte lexikalische Übereinstimmungen, sondern in der Verbindung von formalen Elementen, nämlich den für anakreontische sympotische Dichtung als charakteristisch angesehenen Metra, mit den genannten motivischen Elementen sympotischer anakreontischer Dichtung. Gedicht 47: Metrik: Grundmetrum ist der katalektische iambische Dimeter. V.3 weist, mit Synizese in δεήσηι, die Form – – – v v – – auf. V.4 hat die Form eines Aristophaneus. Andere Verse weisen jedoch eine zwar ebenfalls von der des katalektischen iambischen Dimeters abweichende, jedoch keinem anderen gebräuchlichen Schema zuordenbare Folge von Längen und Kürzen auf. So V.5 ( v – – – v – – ) und V.10 ( – v – – v – – ). Es ist daher davon aus601

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So auch Lambin S.196: „Aussi Dioscoros d’Aphroditè emprunta-t-il, comme on sait, une strophe entière à ce texte.“. West datiert in seiner Ausgabe CA 45 allgemein auf das 5. oder 6. Jh.n.Chr.: S.XVIII: „aliae duae quinto ver sexto saeculae confectae, quae poetarum recentiorum doctiorum indoctiorumque Musam continebant; hinc cepit cc. 2. 5. 35–60“. Daraus läßt sich auch schließen, daß die Sammlung der Carmina Anacreontea, wie sie in der Anthologia Palatina vorliegt, wohl, zumindest in Teilen, auf das späte 5. oder frühe 6. Jh.n.Chr. zurückgeht. Siehe zu Lyaios ausführlich Anm.597.

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zugehen, daß alle vom hemiambischen Schema abweichenden Verse als isosyllabisch anzusehen sind. Sprache und Stil: Abgesehen von der üblichen dichterischen Freiheit in VV. 2 und 5 δέ an dritter Position im Satz zu haben, verfügt das Gedicht nicht über besondere sprachliche Merkmale. Inhalt und Charakter: Bezüglich der Reihenfolge der überlieferten Verse besteht keine Einigkeit. Lambin604 behält, abgesehen von der von Bergk eingeführten und auch von West übernommenen Wiederholung von V.2 nach V.11 als V.11a605, im Gegensatz zu West die überlieferte Reihenfolge der Verse bei. Dies rechtfertigt er dadurch, daß er den Versen in der überlieferten Ordnung einen Sinnzusammenhang abgewinnt, indem er annimmt, es sei von obszönen Spielen die Rede. Seine Formulierungen sind jedoch unklar und nicht am Text nachvollziehbar. West hingegen ändert die überlieferte Reihenfolge durch Umstellung von V.3 hinter V.11a606. Inhaltlich liegt dies nahe, da es in VV. 12 und 13 ebenso wie in V.3 um den Tanz geht. Sofern man zusätzlich annimmt, der ursprüngliche V.3 sei ausgefallen, was dadurch begründet ist, daß bei einer Umstellung des V.3 der Anthologia Palatina der Zusammenhang zwischen VV. 1 und 2 und VV. 4 und 5 nicht klar ist, erhält man ein in drei Strophen zu je fünf Versen gegliedertes Gedicht. Zudem erhält man durch die Umstellung eine gute Verbindung zwischen V.11, ob mit oder ohne V.11a spielt keine Rolle, und VV. 12 und 13, die andernfalls nicht gegeben wäre. Man hätte dann statt des verschobenen V.3 den Ausfall eines anderen Verses anzunehmen, aber weil sich V.3 dadurch, daß es auch in ihm um Tanz geht, inhaltlich gut zwischen V.11a und V.12 einfügt und zudem die inhaltliche Verbindung, die Lambin zwischen VV.1-5 konstruiert, recht gesucht erscheint, ist die Lösung von Bergk wohl tatsächlich die beste und soll daher auch für die folgende Untersuchung des Gedichtes zugrunde gelegt werden. Der Inhalt des Gedichtes bereitet weniger Probleme. Das lyrische Ich ist dargestellt als trinkfester und tanzfreudiger Alter beim Symposion und soll daher mit Anakreon identifiziert werden, den der Leser sich damit auch als Autor des Gedichtes vorstellen soll. In den ersten beiden Versen sagt das lyrische Ich von sich, es sei zwar ein Greis, trinke jedoch mehr als die Jüngeren. Der ausgefallene ursprüngliche dritte Vers wird eine Überleitung zu V.4 604 605

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Lambin S.158-160. Diese Maßnahme ist durch das μέν in V.10 notwendig, welches ohne die Einfügung eines Verses, der ein δέ enthält, syntaktisch ohne Gegenstück und daher nicht erklärbar wäre. Da V.11 identisch ist mit V.1, besteht die einfachste Lösung des Problems darin, V.2 nach V.11 zu wiederholen und das Fehlen dieses Verses in der Anthologia Palatina mit einem Fehler des Schreibers zu erklären. Den Text von West übernimmt Rosenmeyer für ihre Erörterung des Gedichtes kommentarlos, siehe Rosenmeyer S.192f.

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beinhaltet haben. In VV. 4 und 5 sagt das lyrische Ich, es habe als Stab, d.h. als Stütze seines Alters, den Weinschlauch, mit Gerten jedoch habe es nichts zu schaffen. Dies ist wohl so zu verstehen, daß das lyrische Ich keinen Bedarf an einem tatsächlichen hölzernen Stock hat, auf den es sich stützen könnte, sondern daß der Wein ihm alle Kraft verleiht, die es benötigt. Lambins Ansicht, V.5 sei so zu verstehen, daß das lyrische Ich ausdrücklich eine erotische Aktivität verneine, scheint eher abwegig, da der Greis im weiteren Verlauf des Gedichtes als recht vital dargestellt wird. Grammatikalisch gibt einem der Text in dieser Frage keine Hilfe, da durchaus vorstellbar ist, daß ein in dem ursprünglichen V.3 befindliches μέν den üppigen Weinkonsum bejaht hat und demgegenüber mit dem δέ in V.5 eine erotische Aktivität verneint wurde. Wer kämpfen wolle, der solle kämpfen, so das Zitat aus dem Werk Anakreons (Frg.49G), das der Autor von CA 47 dem lyrischen Ich in den Mund legt. Ihm aber solle ein Sklave einen Becher süßen, honigfarbenen Weines bringen. Die Formulierung μελιχρὸν οἶνον (V.9) geht auf Anakreon Frg.110G607 zurück. Es folgt die Wiederholung des ersten und wohl auch des zweiten Verses. Anschließend fügt das lyrische Ich hinzu, daß es, sollte es genötigt sein zu tanzen, mitten in der Schar der Anwesenden tanzen werde wie ein Silen. Die Formulierung Σιληνὸν μιμούμενος (VV.12-13) hat Rosenmeyer608 aufgrund des Wortes μιμεῖσθαι Anlaß zum Versuch einer poetologischen Deutung gegeben, doch ist eine Gleichsetzung von Anakreon mit dem Silen schwer möglich, weil, wie oben bereits festgestellt, das lyrische Ich als Anakreon dargestellt wird, und Anakreon nicht zugleich lyrisches Ich und Silen sein kann. Eingehendere Diskussion erfordert Rosenmeyers These, das Verhältnis zwischen CA 47 und dem Werk Anakreons sei ein rein oberflächlich imitatives609, und die Arbeit mit den Versatzstücken solle nur den Zweck haben, ein möglichst anakreontisch klingendes Gedicht zu erzeugen. Was die Versatzstücke anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, daß V.7 in seiner überlieferten Fassung, die man durchaus im Text behalten könnte, nicht mit Anakreon Frg.49G,2 übereinstimmt, daß also die Versatzstücke möglicherweise vom Autor von CA 47 abgewandelt wurden, was an Anakreons Arbeit mit eigenen Versatzstücken in Frg.33G und Frg.38G denken läßt. Zudem ist auffällig, daß sich nur in der zweiten Strophe Versatzstücke aus anakreontischen Gedichten finden, nicht aber in der ersten und dritten Strophe, soweit dies anhand der überlieferten Anakreon-Fragmente ersichtlich ist. Gleich607

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Anakreon Frg.110G: οἰνοχόει δ’ ἀμφίπολος μελιχρὸν οἶνον τρικύαθον κελέβην ἔχουσα. Rosenmeyer S.192f. Rosenmeyer S.55: „The method is pastiche; the effect ist a new composition that resonates with the sentiments of the „real“ Anakreon.“. Zu Pastiche siehe Genette S.80-96 und oben S.41.

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wohl war dem Autor von CA 47 wahrscheinlich klar, daß es sich bei Frg.49G um den Anfang eines Gedichtes handelte, so daß davon auszugehen ist, daß er die Verse bewußt gerade nicht an den Anfang seines Gedichtes gesetzt hat. Zudem hat er sie mit zwei Worten aus Frg.110G kombiniert, auf welches er schon deshalb nicht ausführlicher zurückgreifen konnte, weil es in katalektischen choriambischen Trimetern verfaßt ist. Die erste und die dritte Strophe dagegen sind nicht nur formal durch ihre übereinstimmenden Einleitungsverse von der zweiten abgegrenzt, sondern auch inhaltlich durch ihren, dem anakreontischen Programm entsprechenden, motivischen Erfindungsreichtum, der ausgeht von den Hauptmotiven anakreontischer Dichtung, nämlich einem alten lyrischen Ich (vgl. z.B. Frg.13G), dem Weingenuß (vgl. z.B. Frg.57G und Frg.93G) sowie dem Tanz (vgl. Frg.88G). Der Weinschlauch als Ersatz für den Stock und der silenenartige Tanz sind Bilder, die sich sonst nirgends finden. Hierin sind die Verse, die Stücke aus anakreontischer Dichtung enthalten, gleichsam als Kern eingebettet. Daß die aus der anakreontischen Dichtung übernommenen Motive und Wendungen nicht grundsätzlich neu kontextualisiert wurden, weist nicht, wie Rosenmeyer meint, zwangsläufig auf Pastiche hin. Es geht dem Autor von CA 47 ja gerade nicht um die akribische Reproduktion bestimmter Textmerkmale, denn sonst hätte er in der ersten und dritten Strophe in mindestens demselben Maß auf Stücke aus anakreontischer Dichtung zurückgreifen müssen wie in der zweiten. Stattdessen hat er sich für ein Gedicht entschieden, das sich nicht so sehr wörtlich als vielmehr programmatisch an die anakreontische Dichtung anschließt. Dahinter steht ein poetologisches Generationenbewußtsein, so daß das Verhältnis zwischen CA 47 und der anakroentischen Dichtung nicht als Pastiche, sondern als poetologisches Generationenverhältnis zu beschreiben ist. Gedicht 48: Metrik: VV.1-7 sind in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt, VV.8-10 in anaklastischen ionischen Dimetern. Metrische oder prosodische Besonderheiten gibt es nicht. Sprache und Stil: Bemerkenswert ist das Hapax Legomenon κισσοστεφής (V.5), dem nur das Hapax Legomenon κισσοστέφανον (Anthologia Graeca 9,524,11) vergleichbar ist. Wörtliche Übereinstimmungen mit anderen Gedichten sind aufgrund ihrer poetologischen Implikationen unter ‚Inhalt und Charakter’ behandelt. Inhalt und Charakter: Das Gedicht beinhaltet zwei der großen Themen anacreonteischer Dichtung, die wohltätige Wirkung des Weines und die Einstellung gegenüber Krieg, und ordnet sich auch metrisch der anakreontischen Tradition zu. 175

Poetologisch zu hinterfragen sind die wörtlichen Übereinstimmungen zwischen CA 48 und anderen anacreonteischen Gedichten. CA 48,2 ist identisch mit CA 45,2, und die Formulierung findet sich auch nirgends sonst in der Literatur. Die Formulierung von V.8 (φέρε μοι κύπελλον ὦ παῖ)610 findet sich in ganz ähnlicher Form (ἐμοὶ κύπελλον ὦ παῖ ... φόρησον) in CA 47,810 und ist sonst in der Literatur ebenfalls nicht zu finden, was auch hier einen Bezug nahelegt. Die Formulierung geht zwar auf zwei ähnliche Wendungen im Werk Anakreons611 zurück, doch kommt bei Anakreon nicht das Wort κύπελλον vor, und es ist doch unwahrscheinlich, daß beiden Dichtern unabhängig voneinander genau dieselbe Formulierung in den Sinn gekommen sein sollte. Ebenso ist es mit der Formulierung von V.1 (Ὅταν ὁ Βάκχος ἔλθηι), die aus CA 49,1-4 (... ὁ Βάκχος, ... , ὅταν ... εἰσέλθηι) entlehnt zu sein scheint612. 610

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Außer des metrischen Unterschiedes zwischen VV.1-7 und VV.8-10 findet sich kein völlig zwingender Grund, VV.8-10 von VV.1-7 zu trennen, so wie Lambin dies in der Nachfolge von Hermann für nötig gehalten hat, welcher VV.8-10 für den Beginn eines anderen Gedichtes erachtete, wobei Lambin zur Herkunft dieser Verse gar nichts sagt. Wie sich aber an anderen Gedichten wie beispielsweise CA 49, bei dem die ersten drei Verse in anacreonteischem und die übrigen sieben in hemiambischem Metrum verfaßt sind, zeigt, haben die Dichter der Anacreontea wohl keine Bedenken, Verse verschiedener Metra in ein und demselben Gedicht zu verwenden. Allerdings ergeben VV.1-7, im Gegensatz zu VV.4-10 von CA 49, bereits eine in sich geschlossene Sinneinheit, und daß VV.8-10 nicht einmal isosyllabisch sind, verstärkt nicht gerade den Zusammenhalt. Gleichwohl sollen VV.1-10 im Folgenden zusammen behandelt werden, weil sich, und das ist für diese Untersuchtung das einzig relevante, kein poetologischer Bruch zwischen den beiden Teilen erkennen läßt. Sollte der Dichter absichtlich das Metrum gewechselt haben, so ließe sich dies ebenfalls nicht als poetologischer Bruch erkennen, sondern könnte vielmehr den Versuch darstellen, auf bestimmte bekannte anakreontische Gedichte in jeweils ihrem eigenen Metrum zu verweisen. Es sind dies Frg.33G,1-3 (ἄγε δὴ φέρ’ ἡμὶν ὦ παῖ / κελέβην, ὅκως ἄμυστιν / προπίω, ... ) und Frg.38G,1 (φέρ’ ὕδωρ φέρ’ οἶνον ὦ παῖ), wobei vor allem Frg.33G Vorbild gewesen sein dürfte, da sich hier ebenso wie in den Formulierungen in den Carmina Anacreontea ein Gefäß als Objekt des Tragens findet. Hierbei ist der Gesamteindruck des Gedichtes wichtig. Die Formulierung für sich betrachtet wäre nicht verdächtig, weil sie in beiden Fällen auf Euripides, Bakchen 300 (ὅταν γὰρ ὁ θεὸς ἐς τὸ σῶμ’ ἔλθηι πολύς) zurückgeführt werden könnte, und in der spätantiken und besonders der christlichen Literatur sind Formulierungen mit ὅταν ὁ Θεὸς + Konjunktiv sehr häufig, so daß sie vielleicht auch einfach der gewöhnlichen literarischen Sprache zugeschrieben werden könnte. Lambins (S.187) Verweis auf Pindar, Isthmische Oden 2,47-48 (ὅταν ξεῖνον ἐμὸν ἠθαῖον ἔλθῃς) wegen der Konstruktion ist nicht weiterführend, weil die Konstruktion viel zu verbreitet ist. Es kommt in diesem Fall aber nicht nur auf die Ähnlichkeit der konkreten Stellen oder die Verbreitung einer bestimmten Formulierung an, sondern auch auf die mögliche programmatische Beabsichtigung von Ähnlichkeiten durch einen Autor. Diesbezüglich ist nun anzunehmen, daß sich der Autor von CA 48, da er sich wahrscheinlich bei CA 45 und CA 47 bedient hat, wohl auch bei CA 49 bedient hat, um zu

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Bei den beiden nicht vollständig wörtlichen Entlehnungen fällt auf, daß in beiden Fällen die in CA 48 vorhandene Version deutlich kürzer ist als die Version in dem jeweils anderen Gedicht, so daß wohl davon auszugehen ist, daß der Autor von CA 48 sich bei den anderen Gedichten sprachlich bedient hat, um darauf zu verweisen, daß der Inhalt der beiden anderen Gedichte bei der Lektüre seines Gedichtes mitzudenken ist. Rein formal spricht für die Annahme, CA 48 sei dasjenige, welches auf die anderen Gedichte Bezug nehme, daß es doch wahrscheinlicher ist, daß ein Dichter sich bei drei früheren Gedichten bedient, als daß drei Dichter sich bei ein und demselben früheren Gedicht bedienen. Inhaltlich kommt hinzu, daß nicht ersichtlich ist, was ausgerechnet CA 48 so nachahmenswert machen könnte, daß es für drei andere Gedichte als Vorlage gedient haben sollte, und es ist auch poetologisch nicht einzusehen, warum Dichter, die Dichtung erzeugen, welche abgesehen von der jeweiligen Ähnlichkeit mit CA 48 in generationalem Verhältnis zur anakreontischen Dichtung steht, durch die Übernahme einer gemeinplatzartigen Formulierung auf CA 48 hätten verweisen sollen. Lambins Ansicht lautet hingegen, CA 48, welches für ihn nur VV.1-7 umfaßt, habe als Vorlage gedient, und nicht umgekehrt613. Er nimmt als Anhaltspunkt für seine Ansicht die Tatsache, daß CA 48 im Gegensatz zu den anderen Gedichten keine prosodischen Fehler aufweist, was für ihn bedeutet, daß es früher entstanden sein muß als die fehlerhaften Gedichte. Nun sind jedoch die prosodischen Kenntnisse einzelner Dichter in der Spätantike sehr unterschiedlich, wie etwa das Beispiel des Nonnos im Vergleich mit den gleichzeitigen Dichtern anacreonteischer Gedichte zeigt. Prosodische Korrektheit garantiert nicht automatisch eine frühere Entstehungszeit, und es ist umgekehrt zu vermuten, daß hier ein technisch versierter Autor seine Kunstfertigkeit dadurch zeigen wollte, daß er in seine formal untadeligen Verse in sehr knapper und gehäufter Weise614 Anspielungen auf andere Ge-

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zeigen, mit welch kurzen Wendungen er auf verwandte Gedichte anspielen kann. Da der Bezug auf CA 49 ähnlich dem auf auf CA 47 ist, wo er aber indirekt auch auf Anakreon selbst anspielt, ist mit recht großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß auch eine Anspielung auf CA 49 vorliegt. Lambin S.188: „On objectera sans doute que le vers 2 est aussi dans le poème anacréontique n° 45 et que, sans revenir à Euripide [Anm.37: Cf. Bacchantes, v. 300.], les vers 1 et 8 sont en rapport avec, respectivement, le début du poème n° 49 et le vers 8 du poème n° 47. Mais dans quel sens l’emprunt s’est-il fait ? Même si l’on prend pour seul entere la qualité de la versification, la réponse est aisée : notre texte a servi de modèle aux autres.“. Das Problem, wie dann VV.8-10 zu dem Gedicht gekommen sein sollen und woher die Ähnlichkeit von CA 48,8 mit CA 47,8-10 rührt, spricht er nicht an. Vielleicht geht er, wie Hermann, davon aus, die Verse wären der Anfang eines anderen Gedichtes gewesen und irgendwie, möglicherweise auch aufgrund der Ähnlichkeit mit CA 47, an dieses angehängt worden. Diese Knappheit fällt auch Lambin als bemerkenswert auf (S.187), wobei er nicht erklärt, warum die anderen Gedichte, die ja seiner Ansicht nach auf CA 48 anspielen,

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dichte eingebaut hat615, um dem Gedicht gerade durch die Kombination von literarischer Fülle und äußerer Kürze einen besonderen Reiz zu verleihen. Es treten jedoch noch Ähnlichkeiten mit der anakreontischen Dichtung hinzu. Zu V.3 ist nicht nur, wie von Lambin616, auf Pindar und Bakchylides zu verweisen, sondern vor allem auch auf Anakreon Frg.4G617. Zu V.4 sind Anakreon Frg.22G und Frg.33G heranzuziehen, in denen der schöne Gesang beim Symposion thematisiert wird. Zu V.5 findet sich bei Anakreon Frg.104G zur Bekränzung im allgemeinen und das wohl pseudoanakreontische Epigramm 204G, welches aber vom Verfasser von CA 48 sehr wohl für anakreontisch gehalten worden sein kann, zur Verbindung von Dionysos mit Epheu. Die ungewöhnliche und überraschend harte Wortwahl von V.6 läßt sich allgemein vergleichen mit der Intensität der von Anakreon beschriebenen Gefühle, und V.7 rekurriert auf Frg.49G. V.8 hat seine Vorbilder in Frg.33G und Frg.38G und das Spiel mit der doppelten Verbindung von κεῖσθαι mit μεθύοντα und θανόντα (VV.9-10) ist mit anakreontischen Wortspielen wie in Frg.14G,9-10 und Frg.36G,12 vergleichbar. Der Autor von CA 48 offenbart damit eine virtuose Fähigkeit darin, anakreontische Motive zu einem Gedicht zu verbinden, das zwar auch anacreonteische Formulierungen neben den anakreontischen beinhaltet, doch ist aus poetologischer Sicht zu betonen, daß alle diese Formulierungen in poetologischem Generationenbewußtsein zu dem Zweck eingesetzt werden, ein thematisch und motivisch durch und durch anakreontisches Gedicht zu schaffen. Das poetologische Programm von CA 48 entspricht also dem der anakreontischen Dichtung. Daß im Rahmen der Umsetzung dieses Pro-

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dies so weitläufig tun. Vielleicht um die Kanppheit, die sie nicht übertreffen können, durch Schönheit der Ausschmückung wettzumachen, doch stehen einer Zustimmung zu Lambins Ansicht dann immer noch die anderen oben genannten Punkte im Weg. Überdies ist die metrische Anspielung auf CA 49 zu beachten. CA 48 hat sieben hemiambische Verse, auf die drei anacreonteische Verse folgen, CA 49 hat drei anacreonteische Verse, auf die sieben hemiambische Verse folgen, also eine spiegelbildliche Struktur. Allein schon diese Übereinstimmung sollte einen auch davon abhalten, in CA 48 einzugreifen. Daß CA 48,2 mit CA 45,2 (und CA 45,10) übereinstimmt, liegt wohl daran, daß der Vers für CA 45 sehr bedeutsam ist und der Autor von CA 48 daher durch das Zitat dieses einen Verses gut auf das Gedicht anspielen kann. Um nicht als einfallsloser Plagiator zu erscheinen, änderte er den ersten Vers unter Rückgriff auf CA 49 und kombinierte so die beiden Gedichte. Dies setzt natürlich voraus, daß ihm die anderen Gedichte vorlagen, aber von einer mehr oder minder öffentlichen Verbreitung anacreonteischer Gedichte schon recht bald nach ihrem Entstehen hat man ohnehin auszugehen, weil andernfalls ein Bezug anacreonteischer Dichter auf Gedichte von anderen anacreonteischen Dichtern gar nicht möglich wäre. Lambin S.187. Die Verachtung von Reichtum ist, wie man sehen kann, ein recht verbreitetes Motiv in der archaischen Dichtung. Die genauen Stellen sind: Pindar Frg.124a-b,5-9 SnellMaehler, und Bakchylides Frg.20B Snell.

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grammes auch Elemente aus anderen anacreonteischen Gedichten verwendet wurden, ist dabei poetologisch zweitrangig, da die poetologischen Programme sowohl von CA 48 als auch von der anakreontischen Dichtung als auch von der anacreonteischen Dichtung identisch sind. Man könnte allerdings, um die Trennschärfe des literarischen Generationenbegriffes zu erhöhen, in diesem Fall nochmals speziell darauf verweisen, daß eine motivische imitatio von anderen anacreonteischen Gedichten vorliegt, deren poetologische Relevanz freilich nicht zu klären ist618. Gedicht 49: Metrik: CA 49 ist, wie West es formuliert, „pessima prosodiae ratione conditum“619, vielleicht schon mit einem Übergang zu iktierender Metrik. Feststellen läßt sich lediglich, daß es aus drei Versen mit je acht Silben, die wohl ionischen Dimetern mit bzw. ohne Anaklasis ähnlich sein sollen, gefolgt von sieben Versen, denen der katalektische iambische Dimeter zugrunde liegt, besteht, und damit immerhin das Bemühen des Autors erkennen läßt, anakreontische Versmaße zu verwenden. Zudem läßt sich eine strophische Gliederung erkennen durch Satzende nach V.5 und durch die Tatsache, daß V.5 und V.10 mit dem Wort χορεύειν enden. Sprache und Stil: Sprachlich auffällig sind die künstlich hergestellten Dorismen in VV. 7; 8; 9 und wohl auch V.4620, die, wie Lambin621 richtig sagt, eine erhabene Sprache ausdrücken sollen, wobei dem Verfasser von CA 49 jedoch nicht mehr bewußt ist, daß anakreontische sympotisch-erotische Dichtung ionisch ist, sondern er wählt einfach Formen, die sich für ihn archaisch und ehrwürdig anhören. Die eher späte Entstehungszeit des Gedich618 619 620

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Vgl. zu diesem Problem S.31f. West: Carmina Anacreontea, S.XV Anm.1. Zu diesen Formen äußert sich ausführlicher Lambin S.193. Das problematische weil zweimal als Substantiv belegte, in CA 49 jedoch vielleicht als Adjektiv gebrauchte μεθυδώτας (V.4) kommt, worauf auch Lambin S.193 verweist, außer in CA 49 noch in Orphica, Hymni 47,1 und in Anthologia Graeca 9,524,13 in der Form μεθυδώτην vor. Auf diese Stellen verweist auch West (app. crit. ad loc.), der wohl eine nähere Beziehung zu der Stelle in den Orphica für möglich hält, weil das Wort dort in Verbindung mit Dionysos verwendet wird, doch ist eine Verbindung vom Gott des Weines mit dem Phänomen der Trunkenheit ein solcher Gemeinplatz daß diese Ähnlichkeit als rein zufällig angesehen werden kann, zumal keine nähere Verbindung zwischen den Texten ersichtlich ist. Daß das Wort, zumindest soweit die Belegstellen erkennen lassen, zur Zeit Anakreons wohl noch nicht existent war, ist ebenfalls ein Umstand, der dem Autor offensichtlich nicht bewußt war, denn ein Streben nach Altertümlichkeit in einzelnen Formen wäre bei absichtlicher Verwendung junger Wörter unerklärlich. Lambin S.193.

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tes zeigt sich auch in der Bezeichnung von Dionysos als Lyaios622 (V.2). Gerade hier in CA 49 zeigt sich allerdings, daß mit diesem Namen kein christliches Gedankengut unterschwellig in das Gedicht hineingetragen werden soll, denn sonst wäre unerklärlich, warum der Gott in V.1 als Διὸς παῖς und als Bakchos bezeichnet wird. Inhalt und Charakter: CA 49 behandelt die Themen Wein, Liebe und das Symposion, bei welchem noch das Element des Tanzes hinzutritt. Das lyrische Ich erzählt, wie es durch den Weingenuß veranlaßt wird zu tanzen und wie groß seine Liebe zu den sympotischen Vergnügungen des Weines, des Gesanges und der Liebe ist. Die Hervorhebung des Tanzes in V.5 stellt möglicherweise einen Rückgriff auf den silenenhaften Tanz des lyrischen Ich in CA 47 dar623. Auch in CA 49 hat man sich Anakreon als das lyrische Ich vorzustellen. Es ist bei CA 49 nicht zu erkennen, daß die Darstellung einer sympotisch-erotischen Welt jenseits aller alltäglichen Probleme poetologische Relevanz besäße. Sie scheint nicht dazu gedacht zu sein, eine gewollte inhaltliche Abgrenzung zu der oftmals doch die Grundprobleme menschlichen Lebens thematisierenden Dichtung Anakreons herzustellen, zumal das Problembewußtsein anakreontischer Dichtung zur Entstehungszeit dieser eher späten Anacreontea wahrscheinlich zumindest von manchen Dichtern gar nicht mehr wahrgenommen oder reflektiert wurde. Das Ideal des sorgenfreien sympotisch-erotischen Lebens ist hier dasselbe wie bei Anakreon, nur wird die Kontrastierung mit der Lebenswirklichkeit nicht explizit gemacht, sondern dem Leser überlassen. Daher läßt das Gedicht insgesamt das als literarisches Generationenbewußtsein zu wertende Bestreben des Autors erkennen, ein seiner eigenen Ansicht nach anakreontisches Gedicht zu verfassen. Gedicht 50: Metrik: CA 50 ist das metrisch am stärksten strukturierte anacreonteische Gedicht. Es besteht aus sieben Strophen zu je vier Versen. Der zweite 622 623

Siehe hierzu ausführlich Anm.597. West (app. crit. ad loc.) stellt auch einen Bezug zwischen CA 49 und CA 38,21 her, wobei zu bedenken ist, daß die Verbindung θέλω mit Infinitiv nicht nur in den Carmina Anacreontea, etwa in CA 9, sondern allgemein häufig ist und daher nicht von einer beabsichtigten Übereinstimmung auszugehen ist. Die Sprichwörtlichkeit von den durch Wein tanzenden Alten findet sich belegt durch Eriphus Frg.1,2-3 (οἶνον λέγουσι τοὺς γέροντας, ὦ πάτερ, / πείθειν χορεύειν οὐ θέλοντας, entnommen aus Athenaios, Deipnosophistai 4,12,26-27 (134c5-6)) und in einem bei Athenaios (Deipnosophistai 10,31,19 (428a9)) belegten und bei Macarius Chrysocephalus, Paroemiae 6,25,2 aufgenommenen Fragment aus einem sophokleischen Satyrspiel (οἶνος ἄνωγε γέροντα καὶ οὐκ ἐθέλοντα χορεύειν).

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Vers jeder Strophe ist ein reiner ionischer Dimeter, die übrigen Verse sind anaklastische ionische Dimeter. Prosodisch fällt nur die kurze Messung des auslautenden Diphthongs von ἀπορίπτονται (V.6) auf sowie die Dehnung der zweiten Silbe von νόον (V.23). Sprache und Stil: Anakreontisch wirken sollen ionisch-epische Formen wie δονέει (V.12), κούρην (V.19), ἀείδω (V.20) und κυρτοῖσι (V.22). Der Begriff πολύφροντις (V.7) ist erst spät belegt, dann allerdings, vor allem in der christlichen Literatur, insgesamt etwa dreißig Mal anzutreffen624. Hieraus dürfte auf einen christlichen Bildungshintergrund des Autors zu schließen sein, mit dem sich auch V.6 anders als durch einen Bezug zu CA 45,2 oder CA 48,2 erklären läßt625. Geht man davon aus, daß der Autor aufgrund seiner christlichen Bildung diesen Sprachgebrauch, der sich offensichtlich auch bei Nonnos niedergeschlagen hat, gewohnt war, dann wäre so auch die Verbindung von μέριμνα mit einem Kompositum von ῥίπτειν erklärbar. Eine ebensolche christliche Bildung darf man wohl auch als Quelle der entsprechenden Formulierung bei dem von West zitierten Gregor von Nazianz, Carmina 2,1,88,25, annehmen. Bei Nonnos findet sich auch siebenfach das sonst sehr seltene und auf Sophokles, Antigone 953 und Euripides, Hippolytos 754 zurückgehende ἁλίκτυπος (V.8), das wohl über Nonnos als altertümliches Wort Eingang in CA 50 gefunden hat. Die Verbindung mit dem auf Homer zurückgehenden, aber sehr verbreiteten ἀήτη findet sich sonst nirgends, so daß wohl das geläufige Substantiv durch das gesuchte Attribut aufgewertet werden sollte. Die Formulierung πολυανθέσιν ἐν αὔραις (in blütenreichen (d.h. von Blütenduft erfüllten) Lüften, V.11) findet sich sonst nirgends, doch ist das Attribut homerisch626, so daß die Formulierung nicht so sehr Erfindungsreichtum als vielmehr einen erhabenen Stil zeigt. Zu VV.14-15 (στεφάνους ἄνθεσι πλέξας / ἐπιθείς τε τῶι καρήνωι) findet sich im Apparat von West erstaunlicherweise kein einziger Verweis, ob624

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Einer der frühesten Belege ist Septuaginta, Sapientia Salomonis 9,15,2: καὶ βρίθει τὸ γεῶδες σκῆνος νοῦν πολυφρόντιδα. Es findet sich eine ähnliche Wendung (ἐπιρρίπτειν τὴν μέριμναν) nämlich beispielsweise in Novum Testamentum (Epistula Petri i 5,7,2: πᾶσαν τὴν μέριμναν ὑμῶν ἐπιρίψαντες ἐπ’ αὐτόν; diese Stelle wird etwa vierzig Mal in der christlichen Literatur zitiert) und Septuaginta (Psalmi 54,23,1: ἐπίρριψον ἐπὶ κύριον τὴν μέριμνάν σου), aber auch bei Nonnos (Dionysiaka 12,290: προτέρας δ’ ἔρριψε μερίμνας und ebd., 21,287: καὶ θεὸς ἀμπελόεις προτέρας ἔρριψε μερίμνας τερπωλῆς τ’ ἐπέβαινεν). Es findet sich in Odyssee 14,353 (ὅθι τε δρίος ἦν πολυανθέος ὕλης) und Hymni Homerici, In Pana 17 (οὐκ ἂν τόν γε παραδράμοι ἐν μελέεσσιν ὄρνις ἥ τ’ ἔαρος πολυανθέος ἐν πετάλοισι θρῆνον ἐπιπροχέουσ’ ἀχέει μελίγηρυν ἀοιδήν), hat dann aber auch Verbreitung in christlichen Texten gefunden, etwa bei Eusebius und Gregor von Nazianz.

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gleich eine äußere Ähnlichkeit des Verses mit CA 42,5-6 (στεφανίσκους δ’ ὑακίνθων / κροτάφοισιν ἀμφιπλέξας), CA 43,1-2 (Στεφάνους μὲν κροτάφοισι / ῥοδίνους συναρμόσαντες) und CA 44,2-3 (τὸ ῥόδον τὸ καλλίφυλλον / κροτάφοισιν ἁρμόσαντες) deutlich erkennbar ist. Es besteht aber auch keine weitergehende Ähnlichkeit oder gar ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Stellen, denn die äußere Ähnlichkeit ist der Ähnlichkeit der beschriebenen Sache, der Bekränzungsgepflogenheit bei einem Symposion, geschuldet627. Zu VV.19-20 (ἀγκάλαις δὲ κούρην / κατέχων, Κύπριν ἀείδω) verweist West auf CA 41,7-8 (ἁπαλὴν παῖδα κατέχων / Κύπριν ὅλην πνέουσαν). Die Ähnlichkeit ist auf den ersten Blick recht groß, jedoch nur, weil in beiden Stellen die Worte κατέχων und Κύπριν vorkommen. Nun ist es für die erotische Dichtung kein unübliches Motiv, wenn einer jemand anderes im Arm hält, und die Nennung von Aphrodite ist ein Gemeinplatz. Die Übereinstimmung könnte daher durchaus zufällig sein, zumal sich sonst keine sprachlichen Bezüge zwischen den Gedichten finden. Sollte einer der beiden Dichter aber tatsächlich auf die Formulierung des anderen zurückgegriffen haben, so hat er sie zumindest so stark abgewandelt, daß von einem absichtlichen Bezug nichts mehr zu merken ist. Auf weitere sprachlichen Einzelfragen wird aufgrund von deren interpretatorischer Bedeutung unter ‚Inhalt und Charakter’ eingegangen. Inhalt und Charakter: CA 50 hat, ebenso wie die drei vorangehenden Gedichte, die Auswirkungen des Weingenusses zum Thema. Es ist gegliedert in sieben Strophen zu je vier Versen, wobei alle Strophen mit demselben Vers beginnen. Zu diesem Vers (ὅτ’ ἐγὼ πίω τὸν οἶνον) verweist West auf ähnliche Stellen in den Carmina Anacreontea, nämlich auf CA 45,1 (ὅταν πίνω τὸν οἶνον) und auf CA 59,11 (ὃν ὅταν πίνηι γεραιός). Die Wendung ist allerdings so verbreitet628 und sowohl der Inhalt als auch die grammatikali-

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Es gibt neben den sehr zahlreichen Vergleichsstellen mit etwa gleich großer Ähnlichkeit in der Wortwahl auch Stellen, die mit CA 50,14-15 eine noch höhere Übereinstimmung haben als die anderen Stellen der Anacreontea, bei denen aber mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, daß die Übereinstimmung im Wortlaut rein zufällig ist. Solche Stellen sind Athenaios, Deipnosophistai 15,30,14-20 (οὗτος ὁ ποιητὴς καὶ τὴν τῶν στεφάνων χρῆσιν εἰδὼς φαίνεται δι’ ὧν λέγει· ἣ δὲ σὺν ἀμφιπόλοισι φιλομειδὴς Ἀφροδίτη .... πλεξάμεναι στεφάνους εὐώδεας ἄνθεα γαίης ἂν κεφαλαῖσιν ἔθεντο θεαὶ λιπαροκρήδεμνοι, Νύμφαι καὶ Χάριτες, ἅμα δὲ χρυσῆ Ἀφροδίτη, καλὸν ἀείδουσαι κατ’ ὄρος πολυπιδάκου Ἴδης), Eusebius, Historia ecclesiastica 5,1,36,4 (ἐκ διαφόρων γὰρ χρωμάτων καὶ παντοίων ἀνθῶν ἕνα πλέξαντες στέφανον προσήνεγκαν τῷ πατρί) und Zosimus, Περὶ τοῦ θείου ὕδατος (e cod. Venet. Marc. 299, fol. 113v) 2,143,12 (καὶ ἐκ πολλῶν ἀνθέων στέφανον πλέξας, ἀνεθέμην τῷ δεσπότῃ μου). Vergleichstellen sind beispielsweise Aristophanes, Equites 92 (ὅταν πίνωσιν ἄνθρωποι) und Pax 1354 (Φήσεις γ’ ὅταν ἐσθίῃς οἶνόν τε πίῃς πολύν) sowie Novum

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sche Konstruktion sind so gewöhnlich, daß sich kein näherer Bezug zwischen CA 50 und den angegebenen Vergleichsstellen erkennen läßt. Die Wendung scheint häufig verwendet zu werden wenn es darum geht, eine Schilderung über die Wirkung des Weines einzuleiten, und damit zum gängigen Repertoire anacreonteischer Dichter zu gehören, ohne daß bei ihrem Gebrauch an eine bestimmte Vorlage zu denken wäre. Ein Problem der Textkonstitution bietet die erste Strophe, die in der Anthologia Palatina aus nur drei Versen besteht. West nimmt aber nicht den Ausfall eines Verses an, sondern zerlegt den Vers, vor dem vermutlich noch ein Vers stand, um aus ihm, unter Heranziehung ähnlicher Formulierungen, zwei Verse zu bauen, was allerdings Lambin zu Recht für etwas gewagt hält629. Grundsätzlich ist jedoch klar, daß es in der ersten Strophe darum geht, daß das lyrische Ich bzw. dessen durch den Weingenuß erfreutes Herz singt. Damit wäre eine Verbindung zwischen Wein und Gesang geschaffen, denn der Gesang entsteht dadurch, daß das Herz durch Wein erfreut wird, eine deutliche Anlehnung an Anakreon Frg.57G. In der zweiten Strophe wird die Befreiung von Sorgen als Eigenschaft des Weines genannt. In der dritten Strophe wird diese Befreiung von den Sorgen auf originelle Weise ausgeführt, indem sie als Versetzung des lyrischen Ich in eine andere Welt, unter der man sich eine anakreontische Idealwelt vorstellen kann, durch Dionysos dargestellt wird. Sprachlich ist zur dritten Strophe anzumerken, daß λυσιπήμων (V.10) unter Rückgriff auf Orphica, Hymni 2,11 und 59,20 (beide λυσιπήμονες) von Pierson als Konjektur für das überlieferte Hapax Legomenon λυσιπαίγμων in den Text gebracht und von West übernommen wurde. Dieser Eingriff ist jedoch wohl überflüssig, denn man kann durchaus annehmen, daß der dem Dionysos wesenseigene Scherz auch dazu beiträgt, daß er die Sorgen des lyrischen Ich zerstreuen kann. Ausgedrückt würde dadurch dann die gängige Erfahrung, daß Weingenuß Heiterkeit erzeugen kann. In der vierten Strophe wird zunächst das Motiv dionysischer Entrücktheit in eine Ideallandschaft fortgeführt. Das lyrische Ich flicht Blütenkränze, welche es sich dann aufs Haupt legt. Dieser Topos ist auch in der anakreontischen Dichtung vertreten, etwa in Frg.38G und Frg.104G, so daß er hier auch direkt auf Anakreon verweisen könnte. So bekränzt besingt das lyrische

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Testamentum, Evangelium secundum Marcum 14,25,3 (ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ). Lambin S.189: „La première strophe présente une lacune. M. L. West propose audacieusement ... “. Es wäre auch wesentlich leichter, den Ausfall eines Verses zu erklären als die Frage zu beantworten, warum von den ursprünglich zwei Versen ausgerechnet die überlieferten Worte zu einem neuen Vers zusammengefügt worden sein sollen während die anderen Worte ausfielen, doch hat West Grund zu der Versteilung, weil sich der überlieferte Vers nicht ins metrische Schema fügt. Eine überzeugende Heilung der Stelle ist nicht in Sicht.

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Ich einen ruhigen Verlauf des Lebens, welcher dem als Ideal von dem lyrischen Ich der anakreontischen Dichtung ersehnten Leben entspricht. Wie so ein ruhiges Leben abgesehen von Weingenuß und Selbstbekränzung aussieht, führt die fünfte Strophe aus, in der das lyrische Ich den erotischen Bereich anspricht und ihn als den zweiten Bereich neben dem in der vorigen Strophe genannten sympotischen nennt, den es weintrunken besingt. Das erotische Verhältnis wird, wie es auch für die anakreontische Dichtung typisch ist, nicht ausgeführt, sondern nur angedeutet durch die Bemerkung des lyrischen Ich, es halte, Aphrodite besingend, ein Mädchen im Arm. Nach der erotischen Zuwendung zu einem Mädchen in der fünften Strophe geht es in der sechsten Strophe um die sympotische Gesellschaft von Jünglingen, in der sich das lyrische Ich befindet. Der genaue Inhalt der Strophe ist dabei folgender: wenn ich Wein trinke, dann mache ich unter dem Einfluß gebogener Becher [d.h. unter dem Einfluß des Weines] meinen Geist einfach630 [d.h. ich richte meinen Geist auf das fürs Leben Grundsätzliche, nämlich auf Dionysos und damit auf die Elemente, die das anacreonteische sympotisch-erotische Leben ausmachen, und blende so gleichzeitig alle Sorgen und alle Dinge des wechselnden Alltags aus] und erfreue mich am dionysisch-sympotischen Beisammensein mit Jünglingen. Auf das in der vorangehenden Strophe genannte Einsalben des Körpers631, das dem Zusam630

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Die Formulierung τὸν ἐμὸν νόον ἁπλώσας (V.23) bereitet Schwierigkeiten, weil nicht ganz klar ist, worauf die Vereinfachung des Geistes zu beziehen ist. Die Formulierung scheint aus der christlichen Literatur übernommen zu sein, wo mit ihr eine Konzentration auf Gott ausgedrückt wird. Hieraus kann man schließen, daß der Autor von CA 50 diese ihm aus der Sprache der christlichen Literatur, welche ihn ihrerseits wohl aus früherer philosophischer Literatur übernommen hat, offensichtlich sehr geläufige und daher auch in anacreonteischem Kontext nicht anstößig erscheinende Formulierung dazu verwendet, eine Hinwendung des lyrischen Ich zu Dionysos und all dem, was in anacreonteischem Kontext mit Dionysos verbunden wird, auszudrücken. Als Vergleichsstellen seien beispielhaft die folgenden genannt: Plotin, Enneades 5,1,9,1-3 (Ἀναξαγόρας δὲ νοῦν καθαρὸν καὶ ἀμιγῆ λέγων ἁπλοῦν καὶ αὐτὸς τίθεται τὸ πρῶτον καὶ χωριστὸν τὸ ἕν, τὸ δ’ ἀκριβὲς δι’ ἀρχαιότητα παρῆκε); Themistius, In Aristotelis libros de anima paraphrasis 5,3,14,10-12 (Ἀναξαγόρας δὲ μόνος τὴν συγγένειαν ταύτην αὐτῆς ἀφαιρεῖται, καὶ γιγνώσκεσθαι πάντα ὑπ’ αὐτῆς συγχωρῶν τὰ ὄντα, πάντη ἀμιγῆ καὶ ἁπλοῦν φησιν εἶναι τὸν νοῦν, καὶ οὐδενὶ ὅμοιον ὧν γιγνώσκει·); Gregorius Nyssenus, Ad imaginem dei et ad similitudinem 44,1333,4446; Iamblichos, De mysteriis 7,4,12-13; Porphyrios, In Platonis Parmenidem commentaria (fragmenta) 9,3-4; Origenes, Commentarium in evangelium Matthaei 15,26,4-7; Georgius Pisides, Heraclias 1,240-241; Cyrillus, De adoratione et cultu in spiritu et veritate 68,541,21-22 und 68,624,2-4. Daß Myrrhe wohlduftend sei, ist ein Gemeinplatz, der sich auch in zahlreichen anderen Texten findet. Ungewöhnlich ist hingegen die Formulierung, mit der das Einsalben des Körpers ausgedrückt wird (τέγξας δέμας, VV.18-19). Sie findet sich sonst nur noch in Anthologia Graeca 9,619,3-4 (ἐνθάδε γὰρ τέγγουσα τεὸν δέμας εὗρες ἐλέγξαι

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mensein mit Mädchen vorausgeht, welches von Aphrodite bestimmt wird, folgt hier der Weingenuß, der dem Zusammensein mit Jünglingen vorausgeht, welches von Dionysos bestimmt wird. Die Parallelität des inhaltlichen Aufbaus und die Folgerichtigkeit, mit der auf die Thematisierung von Mädchen die Thematisierung von Jünglingen erfolgt, ist klar ersichtlich632. Nachdem das Weintrinken in der sechsten Strophe schon mehr Raum eingenommen hat als in der vorangehenden, wendet sich das lyrische Ich in der siebten Strophe dem Weintrinken selbst als Hauptgegenstand der Betrachtung zu, wobei der letzte Vers hiervon auszunehmen ist, da er auf das gesamte Gedicht bezogen werden muß. Das Weintrinken sei, so sagt das lyrische Ich, nur für es selbst ein Gewinn, weil es den Wein mit sich nehmen werde, wenn es sterbe, und sterben müsse schließlich alles. Dadurch, daß der Tod am Ende des Gedichtes steht und gleichsam, so die Aussage von V.28, über allem schwebt, soll hier mit dem Gemeinplatz, daß man ohnehin sterben muß und daher das Leben genießen soll, speziell die Richtigkeit anakreontischer Lebensführung gerechtfertigt werden. Obgleich das Gedicht erkennen läßt, daß sein Autor vermutlich einen christlichen Bildungshintergrund hatte und daß es eher spät entstanden ist, steht es in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung. Der formale Bezug wird in der metrischen und strophischen Gestaltung deutlich. Ebenso deutlich sind die motivischen Bezüge zur anakreontischen Dichtung, wobei hier nicht nur die mit Wein und Liebe verbundenen Motive zu nennen sind, sondern auch das in der anakreontischen Dichtung bedeutsame Motiv des Todes, auch wenn es bei Anakreon meist mit dem Alter verbunden ist, weil der letzte Vers das Gedicht vor harmloser Belanglosigkeit bewahrt und in guter anakreontischer Tradition die Bedeutung des Weines vor allem vor dem Hintergrund der drückenden Sorgen des Lebens betont. Die christlichen Anklänge hingegen werden nicht herausgestellt, sondern sie fließen unbewußt in den anakreontischen Kontext ein und werden vollständig in ihn integriert und seinem poetologischen Programm untergeordnet.

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/ Ἥρην Ἰναχίοις χεύμασι λουσαμένην) und Anthologia Graeca 11,354,17-18 (εἰ δ’ ἐθέλεις, τὸν παῖδα Κλεόμβροτον Ἀμβρακιώτην / μιμοῦ καὶ τεγέων σὸν δέμας ἐκχάλασον) und scheint in ihrer Gesuchtheit dem sprachlichen Originalitätsanspruch anakreontischer Dichtung gerecht werden zu wollen. Die Wendung σῶμα τέγγειν findet sich hingegen häufiger, allerdings auch erst in nachchristlicher Zeit, so etwa mehrfach bei Athenaios und Galen. Rosenmeyer S.86-91 bestreitet eine sinnvolle Reihung der einzelnen Punkte.

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Gedicht 52: Metrik: Das Gedicht gliedert sich in zwei Strophen, die metrisch kunstvoll gestaltet sind. VV. 1 und 3 sind anaklastische ionische Dimeter, VV. 2 und 4 katalektische iambische Dimeter. In der zweiten Strophe ist die Verteilung der Metren umgekehrt, mit der Variation, daß statt der reinen nun anaklastische ionische Dimeter verwendet werden. In der Gedichtmitte treffen so, zur deutlichen Trennung der Strophen, mit V.4 und V.5 zwei Verse desselben Versmaßes aufeinander. Sprache und Stil: Sprachlich weist das Gedicht keine Besonderheiten auf. Die Sprache ist schlicht, und sprachliche Einheiten gehen nie über die Versenden hinaus. Stilistisch ist das Gedicht sehr ausgefeilt gestaltet. VV. 1 und 3 sind durch die Versanfänge Τί με und τί δέ formal miteinander verbunden, und beide Verse leiten eine aus zwei Versen bestehende Frage ein, so daß auch VV. 2 und 4 durch die grammatikalische Konstruktion miteinander verbunden sind und so zu einer inneren Geschlossenheit der ersten Strophe führen. Die zweite Strophe wird zusammengehalten durch den Beginn von VV. 5 und 7 mit μᾶλλον δίδασκε, durch die sowohl inhaltlich als auch durch ihren ähnlichen Klang ebenfalls aufeinander bezogenen Endworte dieser Verse, πίνειν und παίζειν, sowie durch die durch ihre Bedeutung für die anakreontische und die anacreonteische Dichtung auch inhaltlich stark miteinander verbundenen Götternamen am Ende von VV. 6 und 8, Λυαίου und Ἀφροδίτης. Der Zusammenhalt zwischen den beiden Strophen wird durch die Spannung zwischen ihrer großen formalen Ähnlichkeit und ihrer inhaltlichen Gegensätzlichkeit erzeugt633. Eine sprachliche Klammer zwischen den beiden Strophen ist auch das Wort διδάσκειν, welches sich in V.1 auf Bildungsinhalte bezieht und in VV. 5 und 7 auf den Weinund Liebesgenuß scherzhafte Anwendung findet. Diese starke formale Geschlossenheit von CA 52 ist auch ein Argument für die Trennung von CA 52 und CA 52A, welche in der Anthologia Palatina als ein Gedicht verzeichnet sind. Inhaltlich wird die Trennung dadurch wahrscheinlich, daß in CA 52A das lyrische Ich ein alter Mann ist, wohingegen das lyrische Ich in CA 52 jung zu sein scheint, weil es noch unterrichtet wird. Die Gedichte 52 und 52A werden hier daher getrennt untersucht.

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Die von Lambin S.248 gebotene alternative Gliederung hat keinerlei Entsprechung im Inhalt und ist folglich zu verwerfen. Das Gedicht ist ganz klar in zwei Strophen gegliedert und lebt von der inhaltlichen Spannung zwischen diesen Strophen, die in der spiegelbildlichen metrischen Gestalt ihren formalen Ausdruck findet. Metrisch wechseln sich anakreontische bzw. anaklastische anakreontische Verse, die dann das Aussehen ionischer Dimeter haben, und hemiambische Verse ab. Lambin S.247-249 verweist aber zu Recht auf prosodische Lizenzen und vor allem auf die Tatsache, daß alle Verse mit Paroxytona enden, was eine späte Entstehungszeit des Gedichtes nahelegt.

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Inhalt und Charakter: Die erste Strophe befaßt sich mit den Gesetzen und der Rhetorik, die zweite mit Wein und Liebe. Bei seiner inhaltlichen Untersuchung des Gedichtes beschränkt Lambin sich im wesentlichen auf VV. 1 und 2 und mutmaßt, der Autor des Gedichtes stamme möglicherweise aus Beirut, wo, neben Athen, Rom und Konstantinopel, eine der zur Entstehungszeit des Gedichtes noch vorhandenen juristischen Fakultäten lag und zugleich die anacreonteische Dichtung wohl eine relativ hohe Beliebtheit genossen hat634. Lambin geht also davon aus, daß der Bezug des lyrischen Ich, welches, so Lambins Ansicht, mit dem Autor gleichzusetzen sei, zu den von ihm genannten νόμοι und ἀνάγκαι ῥητόρων kein literarischer, sondern ein biographischer ist. Der Autor hat, so Lambins Ansicht, tatsächlich Gesetzeskunde und Rhetorik studiert, möglicherweise in Beirut, und macht sich über seine Lehrer lustig, indem er den Genuß von Wein und Liebe als viel besser bezeichnet als das trockene Studium jener Fächer. Diese Ansicht teilt Rosenmeyer, wobei sie hinzufügt, man habe hier zwischen den Zeilen auch eine Zurückweisung anderer Texte zu lesen und nennt als Beispiele Platons Nomoi und die Rhetorik des Aristoteles635, was eine Übertragung der anakreontischen Zurückweisung epischer Dichtung (vgl. Anakreon Frg.56G) auf den Bereich der philosophisch-rhetorischen Bildung darstellen würde. Nach dem Verständnis von Lambin und Rosenmeyer speist sich also die erste Strophe des Gedichtes aus dem persönlichen Lebensweg des Autors, wobei dieser laut Lambin gar nicht exemplarisch und laut Rosenmeyer zumindest nicht in erster Linie exemplarisch zu verstehen ist. Damit wäre dies der erste Fall in den Carmina Anacreontea, in dem ein Autor sich als Individuum und historische Persönlichkeit und nicht als im Bezug zum sympotisch-erotischen Bereich der anakreontisch-anacreonteischen Dichtung konstruierten Autor in seine Dichtung einschreibt. Dies würde auch bedeuten, daß der Autor nicht das poetologische Programm der Carmina Anacreontea übernimmt, welches beinhaltet, daß keine Akzidentien persönlicher oder zeitgebundener Art in die Dichtung eingebracht werden sollten, sondern im Gegensatz dazu gerade seine individuellen Lebensumstände auf den anacreonteischen Lebensentwurf treffen läßt. Die aus dieser Konfrontation erwachsende Aussage wäre dann der scherzhafte Hinweis an die Lehrer, daß man doch über allem Studium auch die schönen Seiten des Lebens nicht vergessen sollte. Eine etwas allgemeinere Interpretation versucht Rosenmeyer mit dem Hinweis, man könne bei dem in der ersten Strophe Gesagten auch an eine generelle Kritik an der Beschäftigung mit juristischen und rhetorischen Schriften denken. Dennoch hält sie an einer Gleichsetzung des Dichters mit 634 635

So Lambin S.248-249. Rosenmeyer S.203: „Here, instead of a mock battle between symbolic rival gods [es ging ein Vergleich mit CA 21 voraus], we read between the lines a repudiation of other texts, perhaps Plato’s Laws and Aristole’s Rhetoric.“.

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dem lyrischen Ich fest. Diese Gleichsetzung liegt deshalb nahe, weil man einen Dichter hat, der anacreonteische Verse schreibt, und ein lyrisches Ich, das sich zum anacreonteischen Leben bekennt und dieses Bekenntnis in anacreonteischen Versen äußert. Letzteres ist jedoch ohnehin zwangsläufig der Fall, wenn der Dichter anacreonteische Verse schreibt, ersteres besagt nur, daß Dichter und lyrisches Ich sich darin ähneln, daß beide dem anacreonteischen Lebensentwurf zugeneigt sind. Dies ist allerdings die einzige mit Sicherheit feststellbare Ähnlichkeit zwischen Dichter und lyrischem Ich. Nahezu ebenso sicher ist aber die Unähnlichkeit zwischen dem lyrischen Ich und dem Dichter, denn der Dichter hat, und das ist beim lyrischen Ich, welches sich ja gerade im Studium des Rechts und der Rhetorik zu befinden scheint, wohl bereits ein intensives Studium der Literatur und der Dichtkunst hinter sich, wie sowohl die ausgefeilte Gliederung des Gedichtes als auch sprachliche Merkmale zeigen636. Das lyrische Ich ist offensichtlich ein junger Mann, der sich mit dem Studium des Rechts und der Rhetorik zu beschäftigen hat und der einen anderen, der ihn sowohl in Gesetzeslehre als auch in Rhetorik zu unterrichten scheint, anspricht637 mit der rhetorischen Frage, warum er ihm denn Gesetze und rhetorische Regeln beibringe, und was es sich denn um seine nichtsnutzigen Worte kümmern sollte, und dann mit der Aufforderung, der Lehrer solle ihn doch lieber im Weintrinken und in der Liebesausübung unterrichten, fortfährt. Dieses lyrische Ich wird vom Dichter in paradigmatischer Funktion eingeführt. Der Leser soll sich in die Rolle eines solchen Jünglings, der sich mit anderen Dingen als dem anacreonteischen Leben zu beschäftigen hat, hineinversetzen und sich die Fragen des lyrischen Ich ebenso wie die aus diesen rhetorischen Fragen folgenden Aufforderungen zueigen machen. Es soll sich in der Phantasie des Lesers die Szene eines Gespräches eines Schülers mit seinem möglicherweise auch gar nicht anwesenden, sondern nur vom Schüler imaginierten Lehrer aufbauen, wobei der Leser sich selbst in der Rolle des Schülers sehen soll, der in der scherzhaften Hinterfragung einer ihm von außen aufgezwungenen Tätigkeit zu dem Schluß gelangt, daß das, was das 636

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Siehe hierzu oben unter ‚Sprache und Stil’. Die literarische Bildung des Autors zeigt sich etwa in dem Gebrauch der sowohl in der homerischen als auch in der nachhomerischen Dichtung verbreiteten Wendung χρυσῆ Ἀφροδίτη (V.8). Eine souveräne Beherrschung speziell des in der sympotisch-erotischen Dichtung gläufigen Vokabulars zeigt sich in der so originellen wie eleganten Bezeichnung des Weines als ἁπαλὸν πῶμα Λυαίου (V.6), wobei letzteres mit aller Vorsicht, die bei ästhetischen Beurteilungen anzuwenden ist, gesagt sei. Auch dies ist eine Auffälligkeit dieses Gedichtes. Normalerweise würde man erwarten, daß der Leser der Angesprochene ist, denn das hier durchgeführte Alternativmodell funktioniert nur, wenn das Geschilderte in hohem Maße in der Lage ist, die Phantasie des Lesers anzuregen.

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Leben eigentlich schön und lebenswert macht, doch das von den Alltagssorgen durch die Kraft des Weines befreite Leben ist, in welchem man sich dann besonders den Freuden der Liebe widmen kann. Aus diesem paradigmatischen Verständnis der dargestellten Szene ergibt sich somit als Inhalt des Gedichtes der Kontrast zwischen den aufgezwungenen Sorgen des alltäglichen Lebens, die dem Menschen selbst gar nichts bringen, und dem dem Menschen wesensgemäßen anakreontischen Leben, welches durch das, wie die Nennung von Dionysos und Aphrodite zeigt, göttliche Ideal des Wein- und Liebesgenusses dargestellt wird. Wenn auch der erste Eindruck, den man von dem Gedicht gewinnt, vom Scherz der konkreten Lehrer-Schüler-Szene geprägt sein mag, so liegt doch auch ein wenig Ernst in der sich daraus ergebende Mahnung an den Leser, vielleicht auch das eigene Leben zu überdenken hinsichtlich der ὠφελοῦντα (V.4), also dessen, was dem Menschen wirklich nützt, natürlich mit dem wiederum scherzhaft formulierten Ergebnis, daß es das angenehme und sorgenfreie anakreontisch-anacreonteische Leben ist, das sich durch den Genuß von Wein und Liebe auszeichnet. Hinter dieser anakreontischen Thematik tritt der möglicherweise zeitgenössische Gehalt des Gedichtes völlig zurück. Auch die Sprache verfügt nicht über eine bewußt zeitgenössische Färbung. Ob der Autor tatsächlich jemals Juristerei studiert hat, ist unsicher638, und es ist vor allem poetologisch nicht relevant. Die genannten Fachgebiete sind austauschbar, sie stehen nur beispielhaft für alles, was nicht dem sympotisch-erotischen Lebensideal entspricht. Poetologisch folgt das Gedicht daher dem Programm der anakreontischen Dichtung. Gedicht 52A: Metrik: VV. 1 und 2 sind anaklastische ionische Dimeter mit falscher Prosodie bei κάραν (V.1). Bei V.3 geht West von einer kurzen Messung von μου aus und interpretiert den Vers als ionischen Dimeter mit kontrahiertem erstem Biceps. Diese Interpretation ist möglich, jedoch nicht sicher, weil ungewiß ist, welche prosodischen Freiheiten der Autor sich genommen hat. Sicher ist nur, daß der Vers sieben Silben hat und damit eine weniger als die übrigen Verse, wodurch er zusätzlich zu seiner Stellung in der Gedichtmitte 638

Dies hängt, wie Lambin S.249 richtig betont, auch von der Entstehungszeit des Gedichtes ab, weil es ab 529 n.Chr. nur noch drei juristische Fakultäten gab. Daß der Autor des Gedichtes, sofern es denn erst zu Beginn des 6. Jh.n.Chr. entstanden ist, sich nicht gegen theologische Bildung gewandt hat, mag zum einen seiner eigenen Sicherheit gedient haben, war aber vielleicht auch im Hinblick darauf beabsichtigt, daß Gesetzeslehre und Rhetorik neben der literarischen Bildung, gegen die sich der Autor schlecht wenden kann, weil er ja der anakreontischen Dichtung nacheifert, die klassischen Bildungsgebiete waren und damit gerade nicht für die Zeit des Autors, sondern aus Sicht des Autors für die Zeit Anakreons als typisch erscheinen sollten.

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herausgehoben wird und gleichzeitig klauselartig den Gedankengang der ersten beiden Verse beschließt. VV. 4 und 5 sind reine ionische Dimeter ohne prosodische Auffälligkeiten. Sprache und Stil: Sprachlich auffällig ist, daß der Dichter bei κάραν (V.1) nicht die ionische Form gewählt hat, sofern die überlieferte Form auch die ursprüngliche ist, doch lassen sich hieraus keine weiteren Schlüsse ziehen. Ansonsten ist das Gedicht sprachlich unauffällig. Inhalt und Charakter: Bestimmend für das Gedicht ist der nahe Tod des greisen lyrischen Ich639, das nach Wein verlangt, um den Gedanken an den Tod zu verdrängen und sich für die kurze ihm verbleibende Zeit möglichst lebendig zu fühlen. Daß man das Leben genießen soll, weil man ohnehin sterben muß, ist ein Gemeinplatz. Die bedrohliche Darstellung des nahen Todes entspricht der bei Anakreon Frg.36G, auf dessen Anfangsverse der Dichter von CA 52A vielleicht für seinen Anfangsvers zurückgegriffen hat. Daß der Dichter von der anakreontischen Dichtung zumindest eine gewisse Kenntnis hatte zeigt auch der auf Frg.38G,1 zurückgreifende V.2. Das Gedicht nimmt sich also deutlich die anakreontiche Dichtung zum Vorbild, wobei die hohe wörtliche Übereinstimmung von V.2 mit Anakreon Frg.38G,1 vom Autor im Sinne einer Sphragis beabsichtigt gewesen sein dürfte, damit jeder literarisch gebildete Leser sofort Anakreon als Verfasser von CA 52A und als dessen lyrisches Ich vor Augen hat. Die für das literarische Generationenverhältnis kennzeichnende Identität der poetologischen Programme wird bildlich durch die Identifikation des mit dem Autor gleichzusetzenden lyrischen Ich mit Anakreon dargestellt. Gedicht 56: Metrik: Das Gedicht besteht aus anaklastischen ionischen Dimetern. Prosodisch fällt nur die Dehnung der letzten Silbe von πεπεδημένον (V.8) auf, die wohl der späten Entstehungszeit des Gedichtes geschuldet ist, weshalb West zu Recht die überlieferte Form im Text behält. Sprache und Stil: Der Stil des Gedichtes ist, ebenso wie die Sprache, schlicht und entspricht damit der anakreontischen Tradition, ebenso wie die ionisch-epische Färbung, z.B. durch τελέων (V.4). Die in V.7 für den Wein gewählte Bezeichnung γόνος ἀμπέλου findet sich sonst nirgends in der griechischen Literatur. Ähnlich konstruiert ist eine Wendung bei Pindar, allerdings mit παῖς statt γόνος (Nemeische Oden 9, 51: ἀμπέλου παῖδ’), die dennoch stets als Vorbild für CA 56,7 angesehen wird. Jedoch findet sich im neuen Testament die ebenfalls ähnliche Wen639

Die Frage, ob man in V.4 statt des überlieferten με lieber μή lesen sollte, spielt für den Inhalt keine Rolle.

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dung γέν(ν)ημα ἀμπέλου640, die dann in vielen christlichen Texten aufgegriffen wird. Hinzu kommt, daß der Autor von CA 56 die Wendung offenbar selbst für ein wenig ungewöhnlich hält, denn er erklärt sie soglich durch einen Zusatz (γόνον ἀμπέλου, τὸν οἶνον). Ein direkter Rückgriff auf Pindar ist daher alles andere als sicher, weshalb die Stelle keine poetologischen Aussagen erlaubt. Auf weitere sprachliche Besonderheiten des Gedichtes wird wegen deren Bedeutung für die inhaltliche Frage, wie christlich das Gedicht ist, bei ‚Inhalt und Charakter’ eingegangen. Inhalt und Charakter: CA 56 ist das am stärksten christlich beeinflußte Gedicht in der Sammlung der Carmina Anacreontea. Rosenmeyer äußert sich nicht zu dem Gedicht, Lambin zeigt die motivischen Ähnlichkeiten zwischen dem Bild, das von Dionysos in dem Gedicht gezeichnet wird, und Jesus auf641, und er legt auch eine Interpretation des Gedichtes nahe, nach der der Autor durch das Aufzeigen dieser Ähnlichkeiten die Figur des Dionysos in den christlichen Kontext hinein retten wollte. Dies belegt Lambin mit Verweisen auf die bei anderen Schriftstellern geäußerte These, die christliche Religion sei in der heidnischen bereits angelegt gewesen, und der Feststellung, daß der Übergang von der heidnischen zur christlichen Religion kein abrupter, sondern ein kontinuierlicher gewesen sei, wobei sich die Kontinuität besonders in der Ähnlichkeit zwischen Dionysos und Jesus zeige642. Die Ähnlichkeit von Dionysos mit Jesus ist in dem Gedicht nicht nur, wie Lambin dies zeigt, auf der motivischen, sondern auch auf der sprachlichen Ebene nachweisbar. Beispielhaft sei hier verwiesen auf die Formulierung θεὸς κατῆλθε (V.4), die sich außer an dieser Stelle nur in christlichem Kontext findet, so etwa bei Celsus643, Epiphanius644, Athanasius645, Pseudo-

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Novum Testamentum, Evangelium secundum Matthaeum 26,29,2: λέγω δὲ ὑμῖν, οὐ μὴ πίω ἀπ’ ἄρτι ἐκ τούτου τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω μεθ’ ὑμῶν καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ πατρός μου; Evangelium secundum Marcum 14,25,2: ἀμὴν λέγω ὑμῖν ὅτι οὐκέτι οὐ μὴ πίω ἐκ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως τῆς ἡμέρας ἐκείνης ὅταν αὐτὸ πίνω καινὸν ἐν τῇ βασιλείᾳ τοῦ θεοῦ; Evangelium secundum Lucam 22,18,2: λέγω γὰρ ὑμῖν [ὅτι] οὐ μὴ πίω ἀπὸ τοῦ νῦν ἀπὸ τοῦ γενήματος τῆς ἀμπέλου ἕως οὗ ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ ἔλθῃ; Septuaginta, Isaias 32,12,2: καὶ ἐπὶ τῶν μαστῶν κόπτεσθε ἀπὸ ἀγροῦ ἐπιθυμήματος καὶ ἀμπέλου γενήματος;. Lambin S.198-203. Entsprechende Belege nennt Lambin S.297f. Celsus, Ἀληθὴς λόγος 5,2,2: Θεὸς μέν, ὦ Ἰουδαῖοι καὶ Χριστιανοί, καὶ θεοῦ παῖς οὐδεὶς οὔτε κατῆλθεν οὔτε κατέλθοι. Epiphanius, Panarion (= Adversus haereses) 2,278,15: ὁ θεὸς Λόγος καὶ ἐλθὼν ἐσαρκώθη ἀπὸ Μαρίας καὶ ἐν τῷ Ἰορδάνῃ κατῆλθεν. Athanasius, Orationes tres contra Arianos 26,429,30: Εἰ δὲ Θεός ἐστι σάρκα φορῶν, ἐπειδὴ καὶ τοῦτό ἐστιν ἀληθῶς, καὶ ὁ Λόγος σὰρξ ἐγένετο, καὶ Θεὸς ὢν ἐπὶ γῆς κατῆλθε.

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Macarius646, Palladius647, Hippolytus648, Johannes Damascenus649, in den Concilia Oecumenica650 und im neuen Testament651. Die Verwendung von κατέρχεσθαι in der Bedeutung ‚herabkommen’ ist zwar an sich nicht besonders auffällig, da das Wort in dieser Bedeutung sehr vielfältig einsetzbar ist, ebenso wie καταβαίνειν und κατιέναι, doch ist auffällig, daß für das Herabkommen Gottes zu den Menschen stets κατέρχεσθαι als Bezeichnung gewählt wird, sei es in Verbindung mit θεός oder mit anderen Begriffen wie beispielsweise κύριος und σωτήρ652. Dadurch ist auch auf der rein sprachlichen Ebene eine Verbindung zu den Beschreibungen von Jesus hergestellt. Aufgrund der eindeutigen motivischen und sprachlichen Bezüge, die in dem Gedicht zwischen Dionysos und Jesus hergestellt werden, ist für die Interpretation des Gedichtes davon auszugehen, daß sie vom Autor des Gedichtes bewußt hergestellt wurden, und daß es sich nicht nur um Zufälligkeiten aufgrund der dem Autor aus seiner offensichtlichen Lektüre christlicher Schriften vertrauten Bilder und Wendungen handelt. Die Frage ist, warum der Autor Dionysos in einer Weise dargestellt hat, die sich sprachlich und motivisch bei den Darstellungen von Jesus bedient, und in welcher Beziehung das Gedicht zum poetologischen Programm Anakreons steht. Was die Beziehung von Dionysos zu Jesus anbelangt, so werden die Gemeinsamkeiten der beiden nicht herausgestellt, um sie als Konkurrenten einander gegenüber zu stellen, sondern um ihre Ähnlichkeit zu unterstreichen. Der Gott, auf den sich das Gedicht bezieht, ist jedoch eindeutig nicht Jesus, sondern Dionysos, was nicht nur durch die Überschrift, die das Gedicht in der Anthologia Palatina erhalten hat (εἰς διόνυσον), sondern auch durch die starke Verbindung zum Wein, speziell dadurch, daß der 646

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Pseudo-Macarius, Sermones 64 (collectio B) 6,2,7,8: εἰ δὲ ὁ θεὸς εἰς τοσαύτας ὕβρεις καὶ πάθη καὶ ταπείνωσιν κατῆλθε. Palladius, Dialogus de vita Joannis Chrysostomi 48,10: Μὴ κατάλυε τὰ πράγματα τῆς ἐκκλησίας καὶ μὴ σχίζε τὴν ἐκκλησίαν, δι’ ἣν ὁ Θεὸς εἰς σάρκα κατῆλθεν. Hippolytos, Contra haeresin Noeti 17,2,3: πιστεύσωμεν οὖν, μακάριοι ἀδελφοί, κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν ἀποστόλων ὅτι Θεὸς Λόγος ἀπ’ οὐρανῶν κατῆλθεν εἰς τὴν ἁγίαν παρθένον Μαρίαν. Johannes Damascenus, Vita Barlaam et Joasaph 274,32: καὶ ὅτι ὁ μονογενὴς Υἱὸς καὶ Λόγος τοῦ Θεοῦ καὶ Θεὸς διὰ τὴν ἡμετέραν σωτηρίαν κατῆλθεν ἐπὶ τῆς γῆς εὐδοκίᾳ τοῦ Πατρὸς καὶ συνεργίᾳ τοῦ ἁγίου Πνεύματος. Concilia Oecumenica (ACO), Concilium universale Ephesenum anno 431 1,5,1,222,16: ὅτιπερ αὐτὸς ὁ ἐκ θεοῦ πατρὸς λόγος ὁ ἀληθινὸς θεὸς ὁ ἐκ θεοῦ ἀληθινοῦ τὸ φῶς τὸ ἐκ τοῦ φωτὸς ἐσαρκώθη τε καὶ ἐνηνθρώπησε, κατῆλθεν, ἔπαθεν, ἐγήγερται δὲ ἐκ νεκρῶν. Catenae (Novum Testamentum), Catena in Acta (catena Andreae) (e cod. Oxon. coll. nov. 58) 298,4: ὅθεν καὶ αὐτὸς οὐ μετὰ φαντασίας κατῆλθεν ἐπὶ γῆς, ἀλλὰ λεληθότως θεσμῷ ἀνθρώπων, γενόμενος ἐκ γυναικὸς, καὶ ποιῶν σημεῖα καὶ ἰάσεις, δι’ ὧν ἔπειθεν ὅτι Θεὸς ἦν. So beispielsweise bei Clemens Alexandrinus, Excerpta ex Theodoto 1,1,1,4 (κατῆλθεν ὁ Σωτήρ) und 4,67,4,3 (ὁ Κύριος κατῆλθεν).

192

herunterkommende Gott ausschließlich dadurch charakterisiert wird, daß er den Menschen den Wein bringt, deutlich wird. Den Wein zu den Menschen gebracht zu haben ist, obgleich der Wein gerade auch im frühen Christentum eine wichtige Rolle spielt, eindeutig das Verdienst von Dionysos und nicht das von Jesus, denn selbstverständlich hatten die Menschen schon Wein bevor Jesus auf die Erde kam. Der Charakter des Gedichtes ist hymnisch, wodurch das Gedicht Ähnlichkeit hat mit hymnischen Gedichten Anakreons wie Frg.1G. Das Wortspiel in VV. 1 und 2 (ἐν πόνοις ἀτειρῆ - ἐν πόθοις ἀταρβῆ) entspricht sowohl formal (vgl. Frg.14G,9-10 und Frg.36G,12) als auch inhaltlich in der Verbindung von Liebe und Leid, die an anakreontisches Liebesleid denken läßt (vgl. z.B. Frg.5G), aber vor allem auch in der in erotischen Dingen ermutigenden Wirkung von Wein (vgl. Frg.38G) der Motivik anakreontischer Dichtung. Die sorgenlösende Kraft des Weines erstreckt sich auch auf Liebessorgen und kann dort ermutigend helfen, und zu dieser sympotischerotischen Verbindung tritt in V.3 noch das sympotische Element des Tanzes, welchem der Wein ebenfalls förderlich ist. Auf Jesus ist nur das erste Element, die Befreiung von Sorgen, übertragbar, die beiden anderen Elemente, vor allem der sympotische Tanz, sind nur mit Dionysos verbunden. In VV.8-14 wird über die gute Wirkung des Weins und auch des Weinbaus gehandelt, zum Preis von Dionysos, wobei sprachlich noch die stark an Anakreon Frg.5G erinnernde Anapher von VV.11-13 auffällt. Das ‚andere Jahr’ in V.14 wurde, ebenso wie die Trennung zwischen Körper und Seele in VV.12-13, als Verweis auf christliches Gedankengut angesehen653. Was die Trennung von Körper und Seele anbelangt, so ist diese spätestens seit Platon gedankliches Allgemeingut und für einen literarisch gebildeten Menschen des 6. Jh.n.Chr. durchaus nicht automatisch und ausschließlich mit dem Christentum verbunden. Auch sprachlich ist etwa die Wendung γλυκὺς θυμός (V.13) keineswegs mit der christlichen Litertaur, sondern mit Homer verbunden654. Das ‚andere Jahr’ bezeichnet ganz einfach das nächste Jahr, in dem der zuvor beschriebene Kreislauf von Weinanbau, Weinernte und Weinerzeugung wieder von neuem beginnt. Es ist also, wie sich schon in den ersten drei Versen zeigt, nicht das Anliegen des Gedichtes, Dionysos als eine Art Vorgänger von Jesus erscheinen zu lassen, sondern seinen Eigenwert herauszustellen, welcher darin besteht, daß er in seiner Macht und in seinen Fähigkeiten Jesus durchaus ebenbürtig ist. Die Parallelen zu Jesus werden gezogen, um Dionysos als einen auch nach den Maßstäben der christlichen Gesellschaft, in der der Autor des Gedichtes lebt, überaus großen und verehrungswürdigen Gott darzustellen. 653 654

So z.B. von Lambin S.200. Mit Ilias 3,139 (Ὣς εἰποῦσα θεὰ γλυκὺν ἵμερον ἔμβαλε θυμῷ) und 20,467 (οὐ γάρ τι γλυκύθυμος ἀνὴρ ἦν οὐδ’ ἀγανόφρων), aufgegriffen beispielsweise mehrfach in den homerischen Hymnen und von Theokrit, Idyll 16,41-42 (γλυκὺν ἐξεκένωσαν θυμὸν).

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Der programmatische Anspruch, der durch das Metrum und durch die motivischen Bezüge zu Anakreon aufgestellt wird, wird also nicht unterwandert, so daß generationales Verhältnis von CA 56 zur anakreontischen Dichtung bestünde, sondern er wird durch die Dienstbarmachung der Bezüge zu Jesus für den anakreontischen Kontext und damit deren Einbindung in das anakreontische poetologische Programm gestärkt. Gedicht 59: Metrik: Das Gedicht besteht fast durchgängig aus anaklastischen ionischen Dimetern, nur in V.4 findet sich unerklärlicherweise ein reiner ionischer Dimeter. In V.1 ist die Langmessung des α in μελανόχρωτα zu bemerken, aber gerade bei Dichrona sind solche Fehler in dieser späteren Zeit häufig. Für die Interpretation ist nur wichtig, daß ausschließlich Metren Verwendung finden, die zur Entstehungszeit des Gedichtes als typisch anakreontisch galten. Sprache und Stil: Dialektale Merkmale finden sich in dem Gedicht nicht. Durch gewählte Ausdrücke wie μελανόχρωτα (V.1) und epische Formen wie ἐπιληνίοισιν (V.8) wird eine gehobene poetische Sprache erzeugt mit dem Ziel, alt und damit anakreontisch zu wirken. Inhalt und Charakter: Das Gedicht befaßt sich, wie aus den genannten Göttern Dionysos und Eros leicht ersichtlich ist, mit der typischen sympotisch-erotischen Thematik anakreontischer Dichtung. Unkonventionell ist die Handlung des Gedichtes, weil sie in die Thematisierung einer Vergewaltigung als Folge von Weingenuß mündet. Das Gedicht beginnt mit der Schilderung einer Weinlese. Die Weinlese ist zwar nicht Gegenstand anakreontischer Dichtung, ist jedoch dem sympotischen Bereich zugehörig und wird in CA 59 durch Motive wie den Preis des Dionysos (V.7, vgl. z.B. Anakreon Frg.16G) durch Hymnen (V.8, vgl. Frg.14G) in die anakreontische Themenwelt eingebunden. Der erste Teil des Gedichtes (VV.1-10) endet mit der Fertigstellung des neuen Weines, und dieser erste Teil befaßt sich, wie das letzte Wort, Bakchos (V.10), deutlich zeigt, mit Dionysos und dem Wein, der von ihm, so ist auch hier in der Verwendung von Βάκχος als Synonym für οἶνος mitzudenken, den Menschen geschenkt wird (vgl. CA 56). Der zweite Teil des Gedichtes befaßt sich mit dem Weingenuß und seinen Auswirkungen. Das Motiv des trinkenden Alten beim Symposion erinnert sofort an Anakreon655, und bei den grauen Haaren ist ebenfalls, entgegen der von West angeführten Vergleichsstellen, wohl vor allem an Anakreon Frg.13G und Frg.36G zu denken. 655

Siehe auch oben zu CA 56.

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Wenn nun ein Jüngling, so die Fortführung, einem Mädchen nachgestellt hat, und mit ihr unter schattigen Blättern liegt, wenn sie sich ausruhen will, dann kommt unpassenderweise Eros, und der Jüngling vergewaltigt das Mädchen. Diese Handlung wird in den beiden Schlußversen darauf zurückgeführt, daß übermäßiger Weingenuß gerade bei jungen Leuten zu sittenwidrigem Verhalten führen kann. So ungewöhnlich die Geschichte ist, gemessen an der anakreontischen Dichtung, so anakreontisch sind doch die Motive, aus denen sich ihre Aussage zusammensetzt. Der maßvolle Weingenuß der Alten dürfte auf die zweite Strophe von Anakreon Frg.33G zurückgehen, wo das lyrische Ich fordert, nicht nach Skythenart, d.h. nicht übermäßig, zu trinken, und der dort erwähnte Gesang findet in CA 59 seine Entsprechung im Tanz. das Nachstellen des Jünglings kann allgemein als konkrete Umsetzung der bei Anakreon vielfach thematisierten erotischen Sehnsucht angesehen werden, und die erotische Maßlosigkeit (ἄτακτα, V.26), die in der Vergewaltigung liegt, deckt sich mit Anakreon Frg.94G und dessen Erläuterung durch Philostrat, wo von τῶν ἀκρατῶς ἐρώντων die Rede ist656. Es wird hier also, nach der wie bei Anakreon sehr positiven Darstellung des maßvollen Weingenusses, die bei Anakreon nur indirekt als negativ dargestellte Maßlosigkeit im Weingenuß dadurch direkt als negativ dargestellt, daß als überaus unerwünschte Folge solch unmäßigen Weingenusses der bei Anakreon ebenfalls negativ bewertete übermäßige Liebesgenuß dargestellt wird. Das direkt aus der anakreontischen Dichtung übernommene Hauptthema des Gedichtes besteht also darin, die in mehreren Gedichten Anakreons als erstrebenswert beschriebene Eigenschaft der Mäßigung dadurch als besonders erstrebenswert erscheinen zu lassen, daß auf drastische Weise dem Leser vor Augen geführt wird, wohin Maßlosigkeit auch in dem an sich so positiven sympotisch-erotischen Bereich führen kann. Die Umsetzung eines poetologischen Programmes erfordert, wie an diesem Gedicht besonders gut zu sehen ist, von dem Dichter jeweils eine Entscheidung, welche Freiheiten und Abweichungen von konkreten Vorbildtexten durch das in diesen Texten verkörperte Programm noch vertretbar sind und ab welchem Punkt man beginnt, ein eigenes, neues Programm umzusetzen. Die Grenzen sind hierbei fließend, und gerade bei einem poetologischen Programm wie dem anakreontischen, das ein hohes Maß an Erfindungsreichtum in der motivischen Umsetzung einer bestimmten Thematik fordert, ist die Grenzziehung besonders schwierig. Da in CA 59 nicht der Versuch erkennbar ist, an der grundsätzlich positiven Bedeutung von Wein und Liebe zu rütteln, sondern nur der Exzeß negativ dargestellt wird, und das Gedicht damit thematisch in den Grenzen des anakreontischen Pro656

Philostrat, Imagines 1,15,2,17-18: φησὶ περὶ τῶν ἀκρατῶς ἐρώντων ὁ Τήιος.

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grammes bleibt, ist trotz der augenfälligen Unterschiede noch von einem literarischen Generationenverhältnis auszugehen. Zusammenfassung: Die sympotischen Gedichte zeigen, bei all ihrer individuellen Verschiedenheit, zahlreiche Motive anakreontischer sympotischer Dichtung, nicht selten auch in Verbindung mit Motiven aus der erotischen anakreontischen Dichtung. Diese Motive, und das ist kennzeichnend für das literarische Generationenbewußtsein der Dichter, werden dabei immer in derselben Absicht eingesetzt, in der sie auch von Anakreon eingesetzt wurden. Es findet keine Neukontextualisierung statt in dem Sinn, daß ein Motiv in einem anacreonteischen Gedicht andere Zwecke zu erfüllen hätte als in einem anakreontischen, sondern die programmatische Übernahme des sympotischen Kontextes gewährleistet, daß die Motive in ihrer ursprünglichen Funktion verwendet und dadurch sofort als anakreontisch erkannt werden. Das Ergebnis sind Gedichte, die nach den Prinzipien anakreontischer Dichtung gestaltet sind. Es sind dabei immer wieder dieselben anakreontischen Grundmotive, die in je anderer Gestaltung und auch in immer wieder leicht anderen Kombinationen in Erscheinung treten. Die konkrete Umsetzung der Motive kann stark variieren, hier kann sich auch der Erfindungsreichtum der Dichter zeigen. Auch sprachlich und metrisch sind, oft je nach Kenntnisstand des jeweiligen Dichters, deutliche Unterschiede zu sehen, doch sind diese gerade nicht Ausdruck gewollter Neuerung, sondern sie lassen immer das Bestreben erkennen, der anakreontischen Sprache möglichst nahe zu kommen. So ergibt sich bei den Gedichten insgesamt ein einheitliches poetologisches Bild dahingehend, daß sie sowohl formal als auch inhaltlich nach den Grundsätzen anakreontischer Dichtung gestaltet wurden und daher zu dieser in generationalem Verhältnis stehen.

IV. c)

4)

Ein Gedicht über die Ablehnung von Reichtum

Gedicht 8: Metrik: CA 8 ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Metrische Auffälligkeiten gibt es keine. Sprache und Stil: Sprachlich sind die Ionismen Γύγεω (V.1) und Σαρδίων (V.2) zu erwähnen, grammatikalisch der erst in nachklassischer Zeit belegte Gebrauch von ὡς (V.11) in der Bedeutung ‚solange bis’. Der Stil ist einfach, oft nimmt ein Satz genau einen Vers ein.

196

Inhalt und Charakter: CA 8 beginnt mit vier Versen, die einem Archilochos-Fragment nachgebildet sind657. Im Gegensatz zu dem ArchilochosFragment fällt jedoch die Kürze der Aufzählung in CA 8 auf. Es wird durch die Anleihe lediglich das Motiv in den Raum gestellt, welches, kurz gesagt, darin besteht, den Sinn des Lebens nicht im Streben nach Geld und Macht zu sehen. Der Verweis ist aber nicht so zu verstehen, daß der Dichter dichten wollte wie Archilochos, sondern die wörtlichen Übernahmen gewährleisten zum einen einen archaisch und damit auch anakreontisch klingenden Anfang, und zum anderen dient der Beginn als Hinleitung zum typisch anakreontischen Thema des sympotischen Weingenusses. Hierdurch sowie durch das ebenfalls auf Anakreon verweisende Metrum beinhaltet die Anleihe bei Archilochos keinen programmatischen Anspruch, sondern gewährleistet archaische Sprache und Thematik. Der Schwerpunkt liegt nicht auf der intertextuellen Beziehung, sondern auf dem Inhalt, vor allem dem sprichwörtlichen658 Reichtum des Gyges. Gyges’ Reichtum wird als das wahre Glück der sympotische Weingenuß entgegengesetzt. Dieser Teil des Gedichtes (VV.7-15) beginnt mit dem schon bei Anakreon (Frg.104G) zu findenden Motiv der Bekränzung mit Rosen. Es folgt (VV.9-10) der Gemeinplatz, man solle sich um die Gegenwart kümmern da man die Zukunft ja nicht wissen könne, und daran schließt sich eine Aufforderung zum sympotischen Trinken mit Würfelspiel und einer Trankspende an Dionysos, damit nicht eine Krankheit komme, die einen vom Weintrinken abhalte, was im Sinne einer tödlichen oder zumindest sehr schweren Krankheit zu verstehen ist, an. Die Angst des Menschen vor den Beschwernissen des Alters und vor dem Tod ist in dem Gedicht somit deutlich präsent (V.11 und VV.14-15), womit ein anakreontisches Motiv (vgl. Frg.36G) aufgenommen wird. Dadurch gewinnt auch die Bezeichnung von Dionysos als Lyaios einen besonderen Sinn, denn Dionysos soll hier den Menschen von seinen Sorgen befreien, und zwar nicht nur durch den Weingenuß, sondern als verläßliche Schutzgottheit. Das generationale Verhältnis von CA 8 zur anakreontischen Dichtung wird am stärksten in dieser Zentrierung auf das fröhliche und sorgenfreie sympotisch-erotische Leben und die Bedrohung dieses Ideals durch

657

658

Archilochos 19,1-4: οὔ μοι τὰ Γύγ τοῦ πολυχρύσου μέλει, / οὐδ’ εἷλέ πώ με ζῆλος, οὐδ’ ἀγαίομαι / θν ἔργα, μεγάλης δ’ οὐκ ἐρ τυραννίδος· / ἀπόπροθεν γάρ ἐστιν ὀφθαλμῶν ἐμῶν. Aus der Tatsache, daß CA 8 mit denselben Worten wie das Archilochos-Fragment beginnt, kann man zudem für das Archilochosfragment schließen, daß der erste Vers des Fragmentes tatsächlich der erste Vers des ursprünglichen Gedichtes sein muß. Eine Anspielung auf die Archilochos-Stelle findet sich aber überdies schon bei Anakreon Frg.126G (τί μοι τῶν ἀγκύλων τόξων †φιλοκιμέρων καὶ Σκυθῶν† μέλει;). Diese Sprichwörtlichkeit zeigt beispielsweise die in der Ausgabe von West genannte Vergleichsstelle Gregor von Nazianz, Carmina de se ipso 2,1,88,7f.

197

Krankheit und Tod deutlich, die das Gedicht thematisch und motivisch stark in die anakreontische Tradition stellen.

IV. c)

5)

Gedichte über Alter und Alterslosigkeit (39, 40, 53)

Die in der anakreontischen Dichtung mit Frg.13G und Frg.36G prominent vertretene Thematik des beschwerlichen Alters wirft naturgemäß die Frage auf, ob und wie dieser Themenbereich von der anacreonteischen Dichtung aufgegriffen wurde, zumal dieser Themenbereich nur indirekt, nämlich über die Zurückweisung des Liebenden durch den Geliebten wegen seines zu hohen Alters, mit der erotischen Thematik verbunden ist. Eine Antwort auf diese Frage können CA 39, CA 40 und CA 53 geben. Gedicht 39: Metrik: Metrum ist der katalektische iambische Dimeter, in V.3 mit Anaklasis im ersten Metrum. Prosodische Auffälligkeiten gibt es keine. Sprache und Stil: Die Sprache ist klar und einfach, sie weist weder Besonderheiten noch Dialektmerkmale auf. Falls jedoch in V.2 die in der Anthologia Palatina vorhandene Korrektur von χορευτήν in χορευτάν die ursprüngliche Version liefern sollte, was nicht unwahrscheinlich ist, so wäre dies eine um des altertümlichen Klanges willen gewählte dorischchorlyrische Form659. Inhalt und Charakter: CA 39 beschäftigt sich mit dem Alter. Dem lyrischen Ich, so sagt es, gefällt sowohl ein lustvoller alter Mann als auch ein junger Tänzer. Wenn nämlich der Alte tanzt, so ist er bezüglich seiner Haare, welche an dieser Stelle stellvertretend für das gesamte Äußere stehen, weil sich an ihnen das Alter aufgrund ihrer dann weißen Farbe besonders deutlich erkennen läßt, zwar ein alter Mann, hinsichtlich seines Geistes und Herzens aber ist er jung. Dieses Gedicht kann zum einen so verstanden werden, daß aus Sicht des lyrischen Ich und damit auch aus Sicht des Autors alte Leute dann zumin659

Die Form χορευτάν sieht zwar aus wie ein Hyperdorismus (vgl. ἐφευρετάν in CA 38,3), findet sich aber außer an dieser Stelle noch bei Pindar, Fragmenta, Partheneia, Frg.99,1 und bei Lyrica Adespota (PMG), Frg.19,1,3. Andere dorische Formen des Wortes sind nicht belegt. Ob es sich also bei der Form an der vorliegenden Stelle um einen Hyperdorismus aus dem Streben nach altertümlicher Ausdrucksweise in Unkenntnis des tatsächlichen Vorkommens der Formen handelt oder ob die Form bewußt aus alter Dichtung übernommen wurde um dem Gedicht einen möglichst anakreontischen Klang zu verleihen, läßt sich nicht sicher sagen, doch spricht der Vergleich mit CA 38,3 wohl eher für die erstere Möglichkeit.

198

dest im Geiste noch jung sind, wenn sie so wie junge Leute am Tanz teilnehmen, möglicherweise im Rahmen eines Symposions und möglicherweise in Gesellschaft junger Mädchen. Es kann aber auch speziell auf Anakreon hin verstanden werden. Anakreon bezöge dann dem Gedicht zufolge seine Jugend daraus, daß er sich jungen Leuten gleich verhält. Da zumindest das lyrische Ich des Gedichtes jung zu sein scheint660, ließe sich zudem aus dem Gedicht die Begründung für eine spezifische Nähre des lyrischen Ich zu Anakreon entnehmen und für Anakreons ewig jugendliches Alter, dessen Paradoxon darin besteht, daß Anakreon zwar als alter Mann erscheint, aber aufgrund seiner sympotisch-erotischen Aktivitäten als zumindest innerlich junger Mann angesehen wird. Ferner ließe sich dann noch eine poetologische Deutung des Gedichtes vornehmen, da Anakreon innerhalb der Carmina Anacreontea ja ausschließlich als Personifikation seiner Dichtung erscheint. Die Jugend Anakreons wäre dann ein Bild für die ewige Jugend und damit zeitlose Aktualität seiner äußerlich betrachtet natürlich schon sehr alten Dichtung. Innerlich ist die Dichtung jedoch ewig jung, da sie sich mit sympotisch-erotischen Themen beschäftigt, und daher ist sie auch für den Autor dieses anacreonteischen Gedichtes stets liebenswert (φιλῶ, VV. 1 und 2), weil sie, wie der Greis des Gedichtes, dadurch das Attribut τερπνός (V.1) verdient, daß sie aufgrund ihrer sympotisch-erotischen Thematik eine ewige innere Jugend und damit auch Aktualität besitzt. Motivisch ist die Ähnlichkeit mit der anakreontischen Dichtung insofern auf den ersten Blick eher gering als bei Anakreon das lyrische Ich sein Alter, auch durch die Zurückweisung seiner erotischen Absicht, die es aufgrund seines Alters erfährt, eher als negativ ansieht (Frg.13G und Frg.36G). Andererseits erscheint das lyrische Ich bei Anakreon gerne als glücklicher Symposiast wie etwa in Frg.33G. Hieraus ist es verständlich, wenn der Autor von CA 39 das lyrische Ich als einen Greis darstellt, der beim Symposion das Alter und die damit verbundenen Sorgen vergißt und so zu neuer Jugend gelangt. Das Gedicht poetologisch zu deuten mag vielleicht etwas weit hergeholt erscheinen, doch ist die Thematisierung des Verhältnisses von Alter und Jugend in einem anacreonteischen Gedicht stets allein dadurch schon poetologieverdächtig, daß zum einen Anakreon meist als alter Mann erscheint und zwischen seiner und der anacreonteischen Dichtung mehrere Jahrhunderte liegen, und daß zum anderen das Verhältnis von Alter und Jugend auch in anderen Gedichten und in CA 7 sogar speziell im Hinblick auf Anakreon thematisiert wird. So kann CA 39 auch als eine Begründung der zeitlosen 660

Dies folgt daraus, daß das lyrische Ich sich über den Greis so äußert, als würde dieser im Gegensatz zu ihm selbst einer anderen Altersgruppe angehören, da bezüglich des Greises nur in der dritten Person die Rede ist und er nicht in einem ‚wir’ erscheint, wie es wohl zu erwarten wäre, wenn er derselben Altersgruppe angehörte wie das lyrische Ich.

199

Aktualität des anakreontischen Dichtungsprogrammes verstanden werden. Es ist aber auf jeden Fall der anakreontischen Dichtung programmatisch so stark verbunden, daß es in einem literarischen Generationenverhältnis zu ihr steht. Gedicht 40: Metrik: Das Gedicht besteht aus ionischen Dimetern, doch mit so großen metrischen und prosodischen Freiheiten, daß sich für die einzelnen Verse oft kein befriedigendes Schema angeben läßt, wie man auch an Wests diesbezüglichen Versuchen661 erkennen kann. Dies spricht für eine späte Entstehungszeit des Gedichtes, wohl etwa das 6. Jh.n.Chr., welche durch die Tatsache, daß alle Verse entweder mit einem Paroxytonon oder einem Properispomenon enden, also deutliche Zeichen iktierender Metrik aufweisen662, bestärkt wird. Hinzu kommen zwei Verse mit sieben Silben, die wohl katalektische ionische Dimeter sein sollen663. Sprache und Stil: Die selbstverständliche Bezeichnung von Dionysos als Lyaios (siehe Anm.597) ist ebenfalls ein Merkmal für späte Entstehungszeit. Ansonsten gibt es in dem Gedicht keine sprachlichen Auffälligkeiten. Das

661 662

663

West: Carmina Anacreontea, S.XIVf. Daß Lambin S.198 vermutet, die Verse seien, abgesehen von dem letzten Vers, der jedoch ohnehin eine gewisse Formelhaftigkeit in den späten Anacreontea besitzt, bewußt nach iktierender Metrik gebaut, um Aktualität zu erzielen, scheint zweifelhaft, weil das Gedicht in seiner inhaltlichen Konventionalität nicht auf Modernität angelegt ist und weil bei einer bewußten Entscheidung für iktierende Metrik der Autor des Gedichtes vielleicht nicht unbedingt den Schlußvers als Kontrast übernommen hätte sondern einen Anfangsvers. Es ist daher wohl eher anzunehmen, daß der Autor kein Gespür mehr für die Differenzen zwischen quantitierendem und iktierendem Metrum besaß, zumindest kein so ausgeprägtes, daß er willens gewesen wäre, das Gedicht in quantitierendem Metrum zu verfassen, was allerdings nicht als poetologische Abgrenzung, sondern als allgemeiner Wandel in der Bedeutung metrischer Formen zu verstehen ist. Nun könnte zwar vermutet werden, daß der letzte Vers dem Gedicht erst nachträglich beigefügt wurde, doch wäre dies rein auf den metrischen Formalien beruhende Spekulation, da sich der Vers seinem Sinn nach sehr gut in das Gedicht einfügt, weil erst die Berufung auf Dionysos eine Legitimation und zugleich auch erhöhende Auszeichnung des dargestellten Lebensideals ist. Die metrischen Probleme von V.5 und auch V.6 sollten nicht dazu verführen, die Verse für nachträglich eingefügt zu halten, weil sie sich inhaltlich insofern gut in das Gedicht einfügen als sie die Hinwendung zum sympotischen Leben erklären als eine Abwendung von den Sorgen des Lebens, welche insbesondere, wie in VV.1-4 ausgeführt wird, in der Angst vor dem Tod bestehen. Gleichwohl ist es möglich, daß sie dem ursprünglichen Gedicht, welches dann nicht mehr vollständig rekonstruierbar wäre, aber wohl dieselbe Grundaussage wie die jetzige Fassung hatte, bei einer späteren Bearbeitung hinzugefügt wurden.

200

Motiv des Lebensweges ist keineswegs so originell, wie Lambin dies behauptet664, sondern in der Literatur verbreitet665. Inhalt und Charakter: Das Gedicht nennt als Ziel anacreonteischen Lebens das Scherzen, das Lachen und das Tanzen, und zwar zusammen mit Dionysos. Die Begründung für dieses Lebensziel ist denkbar einfach und konventionell. Das lyrische Ich beruft sich auf die Kürze des Lebens und die Ungewißheit der Zukunft. Einen trotz dieser motivischen Allgemeinheit speziell anakreontischen Charakter erhält das Gedicht formal durch das Metrum und durch die einfache und klare Sprache und inhaltlich durch die in V.8 genannten Lebensziele. Dabei ist der Tanz mit dem sympotischen und das Spiel mit dem erotischen Bereich verbunden. Speziell anakreontisch ist auch der deutliche Verweis auf den Tod, der als eine durchaus drückende und ernstzunehmende Gefahr nicht nur in V.4, sondern vor allem nochmals in V.7 genannt wird, was eine Verbindung zu Anakreon Frg.36G,5-6 herstellt. Auch an diesem Gedicht zeigt sich, daß für ein literarisches Generationenverhältnis nicht immer alle Punkte eines poetologischen Programmes gleichzeitig umgesetzt werden müssen. Obgleich in CA 40 das Element der Innovation im Umgang mit Motiven nicht sehr ausgeprägt ist, entspricht das Gedicht dem Programm der sympotisch-erotischen anakreontischen Dichtung. Gedicht 53: Metrik: Das Gedicht ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt, nur der letzte Vers ist ein reiner ionischer Dimeter. Außer der wohl mit

664

665

Lambin S.197: „Il y a dans le poème anacréontique n° 40 un peu plus d’originalité que dans les précédent, avec surtout l’image du chemin de la vie (v. 2), prolongée dans les vers 3 et 4.“. Es erscheint unter anderem bei Platon, Politeia 600b1; Xenophon, Memorabilia 2,1,21,6; Isokrates, Ad Demonicum (orat. 1) 5,5; Plutarch, Caesar 15,2,4; ders., Cato Minor 6,5,2; ders., De tranquillitate animi 470d8; Philo Judaeus, Legum allegoriarum libri i-iii 3,253,5; ders., De gigantibus 64,7; ders., Quod deus sit immutabilis 61,4; ders., De vita Mosis (lib. i-ii) 1,195,5; Lukian, Menippus sive necyomantia 4,4; ders., Amores 46,12. Ebenfalls des öfteren findet sich die Wendung βιότοιο τρίβον, wohingegen βιότου τρίβον nur an der vorliegenden Stelle erscheint. Ersteres wird in der Form Ποίην τις βιότοιο τάμοι τρίβον Plato Comic., Epigramma 9,359,1, Heraclitus, Fragmenta Frg.138,2 oder Posidippus, Epigrammata 9,359,1 zugeschrieben und findet sich bei Johannes Stobaeus, Anthologium 4,34,57,2 und in der Anthologia Graeca 9,359,1 und es findet sich als Οὔτι μίη βιότοιο πέλει τρίβος bei Gregorius Nazianzenus, Carmina quae spectant ad alios 1530,4 und als Παντοίην βιότοιο τάμοις τρίβον in der Anthologia Graeca 9,360,1, wo es Metrodoros zugeschrieben wird.

201

West herzustellenden Prodelision in V.1 gibt es keine Auffälligkeiten metrischer oder prosodischer Art. Sprache und Stil: In dem Gedicht finden sich sowohl ionische666 als auch dorische667 Formen, so daß sich keine bestimmte dialektale Färbung, sondern lediglich das Bemühen des Dichters, eine alt klingende poetische Sprache herzustellen, erkennen läßt. Inhalt und Charakter: Lambin668 beschreibt das Gedicht hinreichend und weist auch auf das grundsätzliche Problem hin, welches hinsichtlich des Verhältnisses zwischen CA 53 und der Dichtung Anakreons besteht, nämlich die Tatsache, daß in den überlieferten Fragmenten von Anakreons Dichtung das Alter meist als beschwerlich dargestellt wird, und daß von einer Sorgenfreiheit eines Alten wie man sie in CA 53 findet bei Anakreon nicht die Rede ist. Die Lösung des Problems ist, wie auch bei CA 39, in einer Verbindung zweier anakreontischer Motive, nämlich dem des alten lyrischen Ich und dem des fröhlichen, sympotischen lyrischen Ich, zu suchen. Das Motiv der wohl durch den Weingenuß hervorgerufenen Stärke des lyrischen Ich, die in V.11 genannt wird, hat bei Anakreon eine Entsprechung in Frg.38G, wo das lyrische Ich die durch den Weingenuß gewonnene Stärke allerdings zum Kampf mit Eros einsetzen will, während hier eine erotische Komponente nicht erkennbar ist. Andere Motive wie die in V.6 genannte Bekränzung und das in V.7 genannte graue Alter, welches wegen der altersgrauen Haare als grau bezeichnet wird, sind gängige Motive anakreontischer Dichtung669, so daß nicht nur ein formaler, sondern auch ein starker motivischer Bezug zur anakreontischen Dichtung besteht, und die Hauptaussage des Gedichtes, welche in einer positiven Bewertung des Weingenusses besteht, ist ohnehin typisch anakreontisch, so daß das Gedicht in dieser Merkmalskombination deutlich ein generationales Bewußtsein seines Autors erkennen läßt. Zusammenfassung: Auch den Carmina Anacreontea fehlt es nicht an der Wahrnehmung der Beschwernisse, die das Alter mit sich bringen kann. Gleichwohl findet sich in den Carmina Anacreontea keine ausweglos negative Darstellung des Alters, sondern eine, durch die anakreontische Dichtung allerdings abgedeckte670, 666 667 668 669

670

So z.B. χορείην (V.3), Διονυσίης (V.9), ὀπώρης (V.10). So z.B. ἥβα (V.2), ῥοὰν (V.10). Lambin S.206-208. Die Bekränzung findet sich beispeilsweise in Frg.104G, die grauen Haare in Frg.36G und Frg.77G. Hier ist zum einen auf die generell sorgenlösende Kraft des Weines, wie sie sich beispielsweise bezüglich Liebessorgen in Frg.65G und Frg.72G dargestellt findet, hinzuweisen, zum anderen auf die sympotischen Freuden eines hinsichtlich seines Alters

202

Verbindung zwischen der Beschwerlichkeit des Alters und der befreienden, sorgenlösenden Kraft des Weines und damit des sympotischen Bereiches überhaupt. Auch wenn in der konkreten Verbindung des Altersmotivs mit dem Bereich des Symposions und speziell dem des Tanzes wohl bis zu einem gewissen Maß eine anacreonteische Neuerung zu sehen ist, so ist zum einen zu beachten, daß die Probleme des Alters deutlich angesprochen werden, und daß zum anderen das sympotische Motiv ebenfalls ein typisch anakreontisches ist, so daß die Neuerung lediglich in einer neuen Motivkombination besteht, noch verbunden mit besonderer Betonung des Aspektes des Tanzes für den sympotischen Bereich, daß aber die Neuerung keineswegs der Logik des anakreontischen poetologischen Programmes widerspricht, wie sich am Beispiel der Liebessorgen, die in manchen Fragmenten wie z.B. Frg.5G und Frg.46G nur dargestellt werden, in anderen hingegen671 auch mit dem sorgenlösenden Aspekt des Weines verbunden sind, zeigt. Es findet also keine poetologische Abgrenzung von dem anakroentischen Programm statt, so daß alle anacreonteischen Altersgedichte in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung stehen.

IV. c)

6)

Beschreibungen von Landschaften (41, 46)

Zwei der Carmina Anacreontea entwerfen Ideallandschaften, die zwar auf den ersten Blick nicht sehr anakreontisch aussehen, weil in den überlieferten Fragmenten der anakreontischen Dichtung keine derartigen Landschaften vorkommen, doch kann eine nähere Untersuchung zeigen, daß dieses Motiv in das poeotlogische Programm der anakreontischen Dichtung problemlos integrierbar ist. Gedicht 41: Metrik: Die Metrik des Gedichtes ist sehr frei, und auch die Prosodie ist unsicher. VV.1-7 basieren metrisch auf ionischen Dimetern, V.8, der aus sieben Silben besteht, hat iambisch-ionischen Charakter, doch weist das Gedicht auch keine iktierende Metrik auf. Das Gedicht dürfte daher wohl im 6. Jh.n.Chr. entstanden sein.

671

nicht näher charakterisierten lyrischen Ich wie beispielsweise in Frg.33G und Frg.38G. Unklar muß dabei bleiben, ob die Motivmischung in den CA eine gewisse Neuerung der anacreonteischen Dichter beinhaltet, oder ob sich ein konkretes Vorbild in der anakreontischen Dichtung fand. Siehe Anm.670.

203

Sprache und Stil: Die Sprache ist, abgesehen von der ionischen Form αὔρην (V.4)672, schlicht, aber durchaus kunstvoll673. Inhalt und Charakter: In CA 41 wird ein Idealbild anacreonteischen Lebens entworfen. Ein Sprecher sagt, wie schön es doch sei, dort umherzugehen, wo die Wiesen langes Gras tragen und wo der zarte Zephyr angenehmste Luft ausatmet und einen Rebenzweig von Bakchos zu sehen und unter seine Blätter zu tauchen, dabei ein zartes Mädchen umschlingend, welches gänzlich Kypris atmet. Daß die Erzählung faktisch (ἐστί, V.1) und nicht hypothetisch (ἦν) getätigt wird, ist darin begründet, daß der Leser den beschriebenen Vorgang in seiner Phantasie bei der Lektüre des Gedichtes erlebt. Vergleichbar sowohl in der Phantasie-Situation als auch in der realen Darstellung ist Anakreon Frg.83G, in dem das lyrische Ich in den Olymp zu Eros fliegt, um die Gunst des Geliebten zugesprochen zu bekommen. Anakreontisch an CA 41 ist also neben der sympotisch-erotischen Thematik die Phantasie-Motivik, die zugleich die Unerfüllbarkeit deutlich macht, die in diesem Wunsch, in einer solchen Ideallandschaft sein zu können, implizit ist. Die Idealisierung des sorgenfreien sympotisch-erotischen Lebens entspricht der anakreontischen Dichtung. Durch die Thematisierung des Ideals ist implizit auch seine Unveränderlichkeit angesprochen, es gilt für die anacreonteischen Dichter noch ebenso wie für Anakreon. Diese Kontinuität ist programmatisch für CA 41, durch sie wird das generationale Verhältnis zur anakreontischen Dichtung noch betont. Gedicht 46: Metrik: CA 46 ist in anaklastischen und reinen ionischen Dimetern verfaßt, wobei keine Regelmäßigkeit im Wechsel der verschiedenen Formen erkennbar ist und zudem die Metrik gegen Ende des Gedichtes hin unklarer wird. Prosodisch sind VV. 1 (wegen der Synizese in ἔαρος) und 6 (wegen der Synizese in γέρανος, ähnlich wie in V.1 und in CA 47,3) auffällig. All das deutet auf eine recht späte Entstehungszeit des Gedichtes hin. Sprache und Stil: Sprachlich ist das Gedicht unauffällig, es enthält weder besondere Dialektformen noch sonstige Merkmale. Inhalt und Charakter: CA 46 wird zwar gegen Ende hin unklar, doch der Anfang mit VV.1-6 ist gut verständlich. Das lyrische Ich wendet sich mit der wiederholten und in VV. 5 und 6 im Gegensatz zu VV.1-5 nicht mehr durch 672

673

Bei Homer ist diese Form nur in Odyssee 5,469 belegt. Sehr verbreitet ist sie in der Spätantike. So fügt sich ἁπαλήν (V.7) in den erotischen Rahmen, der bereits durch λεπτός (V.3) und ἡδυτάτην (V.3) angedeutet wurde, und πνέουσαν (V.8) greift das für die Vitalität der Szene bedeutsame ἀναπνεῖ (V.4) verdeutlichend auf.

204

einen anders beginnenden Vers getrennten Aufforderung ἴδε πῶς an den Leser. Rosenmeyer674 sieht dies als das Bestreben, Kommunikation herzustellen, doch ist eine solche Metalepse nicht sonderlich auffällig. Wichtiger ist die von Rosenmeyer ebenfalls genannte Lebendigkeit der Beschreibung675. Der wiederholte Imperativ ἴδε soll den Leser lediglich dazu bringen, sich das, worauf der Imperativ hinweist, nämlich den beginnenden Frühling etc., in seiner Phantasie möglichst anschaulich auszumalen. Der Leser wird mit den Augen seiner Phantasie auf gleichsam immer neue Szenen und Details hingestoßen, die sich allmählich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Wie umfassend die Beschreibung ist, wird dadurch deutlich, daß sie sowohl Erde als auch Wasser und Luft einschließt. Mehr als diese allgemeinen Dinge kann man jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit aussagen, weil mit V.10 die Textverderbnis beginnt. CA 46 ist jedoch durch die Chariten mit den Rosen und wohl in V.12 Dionysos klar gekennzeichnet als Bechreibung einer eindeutig anakreontischen Ideallandschaft. Zwar ist der Bezug zur anakreontischen Dichtung, der sich hieraus ergibt, nicht sonderlich stark, doch zieht man noch das Metrum in Rechnung und die Verbindung von Chariten, Dionysos und Rosen sowie die Tatsache, daß sich keine deutlichen Bezüge zu anderer Literatur oder sonstige Versuche, den programmatischen Bezug zur anakreontischen Dichtung einzuschränken oder zu durchbrechen, finden, so kann man auch in solch einem Fall von einem literarischen Generationenverhältnis sprechen. Zusammenfassung: CA 41 und 46 haben deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit der anakreontischen Dichtung aufgewiesen als zunächst zu vermuten gewesen wäre, weil sich das Motiv der Idealvorstellung insofern gut in die anakreontische Dichtungskonzeption fügt, als es ein Sehnsuchtsmoment beinhaltet. Dieses ist auch der anakreontischen Dichtung zueigen, so daß die Idealvorstellung nach den Maßstäben anakreontischer Poetologie keine Neuentwicklung ist, sondern höchstens eine Weiterentwicklung eines bereits vorhandenen Motives. Zudem wurden in beiden Gedichten die Idealbilder mit Elementen aus dem sympotisch-erotischen Bereich angefüllt, und auch die Metrik ließ ein deutliches Bemühen erkennen, anakreontische Versmaße zu verwenden. Der formale und inhaltliche Bezug auf die anakreontische Dichtung verweist daher auf ein literarisches Generationenverhältnis.

674

675

Rosenmeyer S.76: „The phrase allows the poet to open a channel of communication with the addressee, and repeatedly to regain his attention in case it strays, as well as to describe vividly the surrounding landscape.“ Siehe Anm.674.

205

IV. c)

7)

Gedichte über Raserei (9, 12)

CA 9 und CA 12 sind sprachlich nicht nur untereinander verbunden, sondern vor allem auch mit der anakreontischen Dichtung. Angesichts von Anakreon Frg.33G, insbesondere der zweiten Strophe, mag der Wunsch nach einer ‚Mania’ jedoch zunächst als nicht dem anakreontischen poetologischen Programm entsprechend erscheinen. Daher stellt sich besonders die Frage, um welche Art von Mania es in den beiden Gedichten geht und ob diese Mania mit dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung vereinbar ist. Gedicht 9: Metrik: CA 9 ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Besonderheiten sind keine vorhanden. Sprache und Stil: Auffällig ist die dreifache Wiederholung des Verses θέλω, θέλω μανῆναι, (VV. 3; 9; 19) der einmal der Vers πιεῖν, πιεῖν ἀμυστί676 (V.2) vorausgeht. Die Wiederholung erzeugt eine sprachliche Intensität, die derjenigen vergleichbar ist, die in Anakreon Frg.5G durch die dreifache Wiederholung des Namens ‚Kleobulos’ erzeugt wird. Anakreontisch ist auch die ionische Färbung der Sprache (φαρέτρην, V.11), die in diesem Gedicht jedoch auch den epischen Beispielen geschuldet sein kann, zumal auch episches Vokabular vorhanden ist677, wobei sich jedoch in V.4 die attische Form Ἀλκμέων findet. Inhalt und Charakter: Das lyrische Ich äußert in dem Gedicht den Wunsch nach sympotischer Raserei in Abgrenzung zur tragisch-epischen und stilisiert sich damit zu einem ‚sympotischen Helden’. In diesem Lobpreis des sympotischen Lebens, der durch einen scherzhaften Vergleich verschiedener Arten von Raserei erfolgt, enthält das Gedicht auch eine poetologische Komponente. Diese ergibt sich aus der Priamelform der Darstellung. 676

677

Die Verbindung von ἀμυστί mit πίνειν, wie sie auch in CA 18,2 vorkommt, ist so gewöhnlich, daß nicht von einem direkten Bezug der Gedichte aufeinander auszugehen ist. Die Belegstellen zeigen sogar, daß ἀμυστί nahezu ausschließlich und sogar sprichwörtlich mit πίνειν verwendet wird. Beispielhaft sei verwiesen auf Lucianus (Lexiphanes 8,2-3: ἐπίνομεν δὲ ἀμυστὶ καὶ ἤδη ἀκροθώρακες ἦμεν.) und Aelius Dionysius Atticus (Ἀττικὰ ὀνόματα, α, 102,1: · οὕτω Φερεκράτης (Frg.202K.) ἐπιρρηματικῶς.). Was jedoch denkbar ist, und durchaus auch nicht unwahrscheinlich, ist ein Bezug sowohl von CA 9 als auch von CA 18 auf Anakreon Frg.33G,2-3 (ὅκως ἄμυστιν προπίω). So ist μετ’ ἀσπίδος κραδαίνων τὴν Ἕκτορος μάχαιραν (VV.14-15) wahrscheinlich aus Homer, Ilias 13,504 bzw. 16,614 (αἰχμὴ δ’ Αἰνείαο κραδαινομένη κατὰ γαίης) entlehnt.

206

Nach Nennung der Muttermörder Alkmeon und Orest sagt das lyrische Ich, es selbst, das niemanden getötet habe, wolle in Raserei geraten, indem es roten Wein trinke, dessen rote Farbe hier als Kontrast zum vergossenen Blut betont wird so wie der Becher in V.16 in Kontrast zu den Waffen der iliadischen Helden steht. In der Nennung von Herakles (V.10), Iphiteion (V.12) und Aias (V.13) zusätzlich zu Alkmeon und Orest ist eine Ablehnung tragischer Dichtung zu sehen, ebenso wie in den anschließend aufgezählten iliadischen Helden eine Ablehnung epischer Dichtung zu sehen ist. Diese hat ihr Vorbild in Anakreon Frg.56G, und die sympotische Raserei hat eine Ähnlichkeit in der erotischen Raserei, von der in Anakreon Frg.46G die Rede ist. Der Bezug zur anakreontischen Dichtung wird also mehrfach auf lexikalischer und motivischer Ebene hergestellt und wird inhaltlich durch die Abgrenzung gegen andere Arten von Dichtung als die sympotische bekräftigt. Unter der Mania ist keine negative Raserei zu verstehen, denn negativ ist die kriegerische Raserei der Helden, sondern es ist an eine Art sympotischer Ekstase zu denken, die allerdings nicht mit einem Exzeß einhergeht, sondern die ein Entrücktsein in die sympotisch-erotische Welt anakreontischer Dichtung meint. Es wird also kein Gegenmodell zum maßvollen anakreontischen Weingenuß entworfen, sondern es wird der Gegensatz zwischen kriegerischer und sympotischer Ekstase poetologisch betont. Gerade dadurch stellt der Autor von CA 9 sein Gedicht in ein poetologisches Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung. Gedicht 12: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt und weist keine metrischen Besonderheiten auf. Sprache und Stil: Die Sprache ist ionisch gefärbt, wie sich etwa an den Formen οὔρεσιν (V.3), δαφνηφόροιο (V.6) und ἑταίρης (V.11) zeigt. ἡμίθηλυν (V.2) ist Hapax Legomenon und zeugt damit von gewisser sprachlicher Ausgefallenheit, wenngleich die Wortbildung konventionell ist678. Die Wendung λάλον ὕδωρ (V.7) findet sich in erotischem Kontext beispielsweise bei Achilles Tatius679, doch ist nicht von einem direkten Bezug auszuge-

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679

Vergleichbar ist etwa die Formulierung Ἄҕττιν ἡμιγύνην (Tragica Adespota, Frg.732*5), wobei dieses Attribut etwas häufiger belegt ist und es bei beiden Attributen verschiedene Komposita-Varianten gibt wie beispielsweise ἀνδρόθηλυς. Achilles Tatius (2. Jh.n.Chr.), Leukippe und Klitophon 2,14,8,1-6: ἐπεὶ καὶ ποταμὸς Ἰβηρικός, εἰ μὲν ἴδοις αὐτὸν εὐθύς, οὐδὲν ἄλλου κρείττων ἐστὶ ποταμοῦ· ἢν δὲ ἀκοῦσαι θέλῃς τοῦ ὕδατος λαλοῦντος, μικρὸν ἀνάμεινον ἐκπετάσας τὰ ὦτα. ἐὰν γὰρ ὀλίγος ἄνεμος εἰς τὰς δίνας ἐμπέσῃ, τὸ μὲν ὕδωρ ὡς χορδὴ κρούεται, τὸ δὲ πνεῦμα τοῦ ὕδατος πλῆκτρον γίνεται, τὸ ῥεῦμα δὲ ὡς κιθάρα λαλεῖ.

207

hen, weil hierfür sowohl die Formulierung als auch der Kontext zu unspezifisch sind. Inhalt und Charakter: Wie in CA 9 wird priamelhaft zwei negativen Beispielen das sympotisch-erotische Lebensideal der anakreontischen Dichtung gegenübergestellt. Der letzte Vers des Gedichtes ist identisch mit CA 9, VV. 3; 9; 19, die Formulierung θέλω μανῆναι erscheint sonst nirgends in der griechischen Literatur und überdies finden sich in CA 12 drei Formen von μαίνομαι (ἐκμανῆναι (V.4), μεμηνότες (V.8), μανῆναι (V.12)), analog dazu in CA 9 dreimal die Form μανῆναι (VV. 3; 9; 19) und dreimal die Form ἐμαίνετο (VV. 4; 10; 13). Es ist daher ein Bezug zwischen den beiden Gedichten anzunehmen, nur ist unklar, welches der beiden Gedichte dem anderen als Vorlage diente680. Lambin (S.264) vermutet, daß CA 12 älter sei, doch ist dies nicht beweisbar, denn beide Gedichte sind kunstvoll gebaut681 und unterscheiden sich in Sprache und Metrik nicht voneinander. Abgesehen davon, daß das sympotische Ideal in CA 12 noch um eine erotische Komponente erweitert wird, sind die Gedichte in ihrer Aussage identisch, nur sind in CA 12 keine literarischen Beispiele gewählt worden, so daß hier keine poetologische Komponente enthalten ist, sondern bekannte Beispiele für kultische Ekstase, wodurch das sympotisch-erotische anakreontische Lebensideal eine kultische Überhöhung erfährt. Da beide Gedichte in ihrer Thematik und Motivik eindeutig und ausschließlich dem anakreontischen Programm folgen und lediglich verbale Übereinstimmungen aufweisen, stehen beide in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung, wenngleich für zumindest eines der beiden Gedichte möglicherweise eine Dreiecksbeziehung anzunehmen ist682. Zusammenfassung: Unter der ‚Mania’ ist in beiden Gedichte keine sinnlose Raserei zu verstehen, sondern vielmehr eine sympotisch-erotische Ekstasis im Sinne des Heraustretens aus dem eigenen Lebenszusammenhang und des Eintretens in die anakreontische, sympotisch-erotische Welt. Hierin liegt auch der qualitative Unterschied der Raserei des lyrischen Ich zur Raserei der in den Gedichten genannten mythischen Figuren. Die Gefahr einer Entartung, wie sie in CA 59 beschrieben wird, besteht hier nicht, weil die Mania nur als Bild dient für den Eintritt in ein sympotisch-erotisches Leben, wie es in CA 12,9-12 ge680

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Denkbar wäre auch, daß beide Gedichte von demselben Autor stammen, der hier zwei jeweils sehr eigenständige Variationen einer Grundidee vorführt. Bei CA 12 spielen die Strophenanfänge (οἱ μέν (V.1) - οἱ δέ (V.5) - ἐγὼ δέ (V.9)) auf Sappho Frg.16 an, doch ist hierin keine programmatische Abkehr zu sehen, denn Sappho Frg.16 ist ebenfalls ein erotisches Gedicht, und das rhetorische Motiv wird nur zur Stützung der sympotisch-erotischen Lebensweise herangezogen. Zur Problematik des Bezuges allgemein siehe S.31f. und auch Anm.680.

208

nannt wird. Das diesen Gedichten zugrundeliegende poetologische Programm stimmt daher mit dem der anakreontischen Dichtung überein.

IV. c)

8)

Gedichte über Liebe / Eros (6, 11, 13, 14, 19, 24, 25, 26, 27, 28, 29, 29A, 30, 31, 32, 33, 35, 36, 37, 44, 51, 55, 58)

Die größte Gruppe anacreonteischer Gedichte bilden die erotischen Gedichte, was nicht verwunderlich ist angesichts der Tatsache, daß diese, zumindest in der Rezeption so wie sie sich heute sowohl durch die sekundären Quellen als auch durch die überlieferten Fragmente darstellt, auch den überwiegenden Teil von Anakreons Werk ausmachen. Da jedoch der Motivschatz der anakreontischen erotischen Dichtung bereits zur Entstehungszeit der Carmina Anacreontea bei weitem nicht mehr so groß gewesen sein dürfte, daß sich alle anacreonteischen Dichter darauf hätten stützen können ohne in den Bereich der simplen Nachahmung oder des Plagiats zu geraten, war zwangsläufig die Erfindung neuer Motive oder eine Übernahme von Motiven aus anderen Kontexten in den anakreontischen notwendig. Ob die Dichter der betreffenden Carmina Anacreontea dabei nach den Prinzipien der anakreontischen Dichtung vorgegangen sind, wird die Betrachtung der Gedichte zeigen. Gedicht 6: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Prosodisch auffällig ist nur die fälschliche Langmessung des Iota von ἔπιον (V.5), denn sie zeigt, daß auch in vergleichsweise früh entstandenen683 anacreonteischen Gedichten schon Fehler bei Fragen der konkreten Quantität von Dichrona vorkommen. Sprache und Stil: Die Sprache ist schlicht und soll, etwa durch die ionisch-epische Form πτεροῖσι (V.7), alt und poetisch klingen. Inhalt und Charakter: Das Gedicht verbindet auf sehr engem Raum die Themen Liebe, Symposion und Dichtung. Die Handlung, daß das lyrische Ich einen kleinen, geflügelten Eros in Rosen findet, ihn in Wein taucht und trinkt und daß dieser Eros es dann in seinen Gliedern bzw. Liedern kitzelt, ist sehr erfindungsreich, denn keines dieser drei Motive findet sich vorher in der griechischen Literatur. Traditionell anakreontisch ist jedoch das Anfangsmotiv der sympotischen Bekränzung, und speziell der Rosenkranz

683

West: Carmina Anacreontea, S.XVII rechnet CA 6 noch zu „illa vetus ac paene classica [sylloga] quam Gellius noverat“.

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kann als Anspielung auf Anakreon (Frg.104) verstanden werden684. Das Weintrinken ist ganz allgemein Bestandteil der sympotischen Dichtung, doch ist hier durch das Hineintauchen von Eros in den Wein eine besonders starke erotische Komponente gegeben, und die Tatsache, daß das lyrische Ich als weintrinkender Dichter dargestellt ist, läßt an Anakreon Frg.57G und Frg.93G denken. Die in dem Flechten von Kränzen in V.1 enthaltene Anspielung auf das Verfassen von Dichtung wird durch die doppelte Bedeutung von μέλος (V.6) wieder aufgegriffen und ist nun ebenfalls mit dem erotischen Bereich verbunden in Form von Eros, der sich in den Gliedern und den Liedern des lyrischen Ich bewegt und ihnen, so die Bedeutung des Kitzelns mit den Flügeln, Reiz und Antrieb für Leben und Dichtung ist. Eros als Motivation für Leben und Dichtung ist auch ein wichtiges Moment der anakreontischen Dichtung, so beispielsweise in Frg.14G und Frg.22G. Insgesamt läßt sich feststellen, daß bei CA 6 der Gestaltung aller Ebenen, metrisch, lexikalisch und motivisch-thematisch, das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung zugrunde lag, so daß CA 6 in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Gedicht 11: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Die Prosodie ist korrekt, was auf eine eher frühe Entstehungszeit des Gedichtes hinweist. Die Wortverbindung δέ οἱ (V.3) ist entgegen der Annahme von West (S.XIII) nicht als echter Hiat zu bewerten, sondern als Verwendung homerischer Sprache, in der diese Verbindung aufgrund des noch wirksamen Digammas nicht mit einem Hiat belastet war und daher auch in späterer Dichtung nicht als anstößig empfunden wurde. Sprache und Stil: Ionisch-epischer Sprachgebrauch zeigt sich außer in V.3 auch in der Form νεηνίης (V.2), wobei in diesem Gedicht die ionischepische Sprache nicht nur einen alten, anakreontischen Klang erzeugen, sondern auch einen Gegensatz zu der dorischen Passage (VV.7-11; der dorische Dialekt soll den Sprecher als plump und ungebildet zeigen) bilden soll. Die Sprache ist recht erfindungsreich. Ein wächserner Eros erscheint nirgends sonst in der griechischen Literatur, und auch der ‚Ἔρως παντορέκτης’685 (V.11) ist eine sonst nicht zu findende Formulierung. Der 684

685

Allerdings sind Rosenkränze in der Dichtung ein so verbreitetes Motiv (siehe Blech S.70ff. und S.141, dort zum Rosenkranz als Siegerkranz bei Simonides), daß es sich allenfalls um eine schwache Anspielung handelt. παντορέκτης (V.11) kommt nur sieben Mal in der Literatur vor und kann daher als die Begierde des Eros ausgesucht betonend gelten. Die weiteren Stellen sind: Adamantius Judaeus Medicus, Physiognomonica 1,16,15: παντορέκται; ebd. 2,41,13: παντορέκται; Eusebius, Demonstratio evangelica 3,5,69,5: παντορέκτας; Porphyrius,

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von West angegebene Sophokles-Bezug von V.8 ist wohl nicht stark genug, um eine direkte Verbindung glaubhaft zu machen686. Inhalt und Charakter: Im elften Gedicht wird die Ambivalenz von Eros beleuchtet. So erfindungsreich wie die Sprache ist, so originell und ungewöhnlich ist auch der so leicht und scherzhaft formulierte Inhalt. Ein junger Mann will einen wächsernen Eros um jeden Preis verkaufen, ein anderer will ihn kaufen, so die einfache Handlung. Der Verkäufer gibt als Verkaufsgrund an, der Eros sei παντορέκτας (V.11), alles begehrend. Hierdurch wird darauf angespielt, daß Eros dem Liebenden nicht nur die Begierde einflößt, den Gegenstand der Liebe zu besitzen, sondern daß auch die Liebe ihrerseits vom Liebenden vollständig Besitz ergreift, insofern als der Liebende in bisweilen sehr hohem Maße von seiner Liebe beherrscht wird. Daß das Gefühl, von Liebe erfüllt zu sein, jedoch auch einen sehr hohen Reiz auf den Menschen ausübt, zeigt sich in der Drohung des Käufers an den wächsernen Eros, er werde ihn schmelzen, wenn er ihn nicht sofort in Liebe entbrennen ließe. Inhaltlich entspricht dies der anakreontischen Darstellung von Eros durch die Ambivalenz und dadurch, daß das Gefühl, von Liebe verzehrt zu werden, von dem seiner Sprache nach wohl aus Ionien stammenden lyrischen Ich als positiv bewertet wird. Sprachlich zeigt sich anakreontischer Einschlag und damit die programmatische Vorbildfunktion der anakreontischen Dichtung für CA 11 in der wortspielartigen Verbindung von Ἔρως (V.14) und φλογὸς (V.16) als der jeweils eine Wirkung von Hitze (πύρωσον (V.15) - τακήσηι (V.16)) erzeugenden Elemente. Gedicht 13: Metrik: CA 13 ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Es gibt weder metrische noch prosodische Auffälligkeiten. Sprache und Stil: Die Sprache ist einfach und unauffällig, nur durchsetzt mit ionisch-epischen Formen wie φαρέτρην (V.6), δοῦρα (V.10), βοείην (V.10 und 18) und καρδίης μευ (V.16).

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De abstinentia 1,42,28: παντορέκτας; Constantinus Manasses, Compendium chronicum 3257: παντορέκτα; ebd. 6219: παντορέκτην. Der Bezug zu Sophokles (Oedipus Colonus 575: Τοῦτ’ αὐτὸ νῦν δίδασχ’, ὅπως ἂν ἐκμάθω) ist zwar auf reiner Wortebene sehr hoch, weil sich nur hier die Konstruktion ὅπως ἂν mit dem Kompositum ἐκμανθάνειν findet, doch ist zum einen das Kompositum sehr verbreitet und zum anderen die Konstruktion mit dem Simplex, so daß die Übereinstimmung wohl zufälliger Art ist. Vergleichsstellen mit dem Simplex finden sich beispielsweise bei Euripides (Iphigenia Aulidensis 540: ὅπως ἂν μὴ Κλυταιμήστρα τάδε μάθηι) und in der Septuaginta (Psalmi 118,71,2: ὅπως ἂν μάθω τὰ δικαιώματά σου), von wo aus sich die Formulierung weit in der christlichen Literatur verbreitet hat.

211

Inhalt und Charakter: In CA 13 beschreibt das lyrische Ich seinen Kampf mit Eros, den es, wie es einem Kampf von Menschen mit Göttern naturgemäß ist, verliert. Der Kampf mit Eros als Versuch, sich ihm zu widersetzen, ist ein anakreontisches Motiv, vgl. Anakreon Frg.38G. Daß das lyrische Ich sich dabei so gut gegen Eros rüstet wie es einem Menschen nur möglich ist, wird durch das scherzhafte Mittel der epischen Überhöhung ausgedrückt, indem beschrieben wird, wie sich das lyrische Ich zum Kampf rüstet als ob es Achill wäre687. Nachdem das lyrische Ich den Pfeilen von Eros noch ausweichen konnte, verwandelt sich Eros selbst in einen Pfeil und trifft das lyrische Ich mitten ins Herz. Das lyrische Ich ist hierdurch besiegt, weil es sich in diesem nunmehr inneren Kampf nicht mehr wehren kann. Die Innerlichkeit der Liebe und die Wehrlosigkeit des Menschen ihr gegenüber, so wie sie in diesem Gedicht zum Ausdruck kommen, ist auch ein bedeutendes Thema der anakreontischen Dichtung (vgl. z.B. Frg.5G). Daß der ernste Gehalt dabei in eine scherzhafte Form verpackt ist, entspricht, wie etwa Anakreon Frg.38G zeigt, ebenfalls dem poetologischen Programm anakreontischer Dichtung. Gedicht 14: Metrik: CA 14 ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Prosodisch fällt nur die erforderliche Kurzmessung der Schlußsilbe von Γαδείρων (V.25) auf, ein Phänomen, das allerdings in Dichtung aus dieser Zeit nicht unüblich ist, wie auch die anderen Beispiele bei West (S.XIII) zeigen688. Sprache und Stil: Die Sprache ist einfach, und Satzglieder reichen nie über das Versende hinaus. Stilistisch bemerkenswert sind die zahlreichen Wiederholungen689, deren inhaltliche Funktion darin besteht zu zeigen, wie weitläufig die Aufzählung ist, um so die Anzahl der aufgezählten Geliebten noch höher erscheinen zu lassen. Die Formulierung καλαὶ γυναῖκες (V.13) geht auf die bei Homer vorkommende Wendung Ἀχαιΐδα καλλιγύναικα690 687

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Ein Beispiel für eine epische Überhöhung findet sich zwar nicht in den überlieferten Fragmenten Anakreons, doch ist für das Prinzip der Überhöhung Anakreon Frg.14G grundsätzlich vergleichbar. Dort handelt es sich um eine Art kultische Überhöhung, weil in hymnischer Form verschiedene Götter angerufen werden, nur damit sie Kleobulos dem lyrischen Ich gewogen stimmen. Zu diesem Problem sowie zu kleinen weiteren metrischen Unebenheiten, die allerdings durch Emendation überzeugend beseitigt wurden, siehe West: „Problems in the Anacreontica“, S.209f. So z.B. die Konditionalsätze VV.1-2 und VV. 3-4, θές (VV. 8 und 11) und τίθει (V.14) sowie οὔπω (VV.19; 20) und οὐ (V.21). Homer, Ilias 3,74-75: ναίοιτε Τροίην ἐριβώλακα, τοὶ δὲ νεέσθων / Ἄργος ἐς ἱππόβοτον καὶ Ἀχαιΐδα καλλιγύναικα; ebd. 3,257-258: ναίοιμεν Τροίην ἐριβώλακα, τοὶ δὲ νέονται / Ἄργος ἐς ἱππόβοτον καὶ Ἀχαιΐδα καλλιγύναικα. Das Epitheton ist je-

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zurück. Auch wird auf ionische Sprache zurückgegriffen, so bei Καρίης (V.16). Inhalt und Charakter: Das Gedicht weist Katalogform auf. Die Situation ist die, daß das lyrische Ich eine unbekannte Person anspricht und zum Buchhalter seiner Liebschaften macht. Bereits in diesem Anfangsteil (VV.1-6) wird die große Zahl der Liebschaften ausgedrückt durch das Adynaton, alle Blätter der Bäume und alle Wogen des Meeres aufzuzählen691. Nach diesen einleitenden Versen zählt das lyrische Ich dem Buchhalter auf, wieviele Liebschaften er für welche geographische Gegend zu notieren habe. Mit diesem kleinen Kunstgriff läßt der Dichter das lyrische Ich eben die Aufzählung anfertigen, die er das lyrische Ich von jenem Unbekannten fordern läßt, so daß letztlich der Leser zu demjenigen wird, der die Liebschaften mitzählt. Die Aufzählung selbst nennt Zahlen von Geliebten in immer entlegeneren Gegenden. Lambin692 weist zu Recht darauf hin, daß in diesem Gedicht zum ersten Mal in der Literatur Geliebte nicht mit Namen, sondern nur in ihrer Anzahl genannt werden. Zum Zwecke der Abwechslung verwendet hier also der anacreonteische Dichter das Motiv der Liste, jedoch nicht, um sich als motivischer Neuerer von Anakreons Dichtung abzugrenzen, sondern um, ganz im Sinne anakreontischer Dichtung, eine neue Form in anakreontisches Dichten einzubinden. Durch diese listenartige Aufzählung693 wird das

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doch nicht auf Achaia beschränkt, wie sich an Homer, Ilias 2,683: οἵ τ’ εἶχον Φθίην ἠδ’ Ἑλλάδα καλλιγύναικα; ebd. 9,447: οἷον ὅτε πρῶτον λίπον Ἑλλάδα καλλιγύναικα und ebd. 13,412: ὄφρ’ ἂν ἐγὼν ἔλθω Σπάρτην ἐς καλλιγύναικα zeigt. Auch gibt es bei Hesiod und noch späteren Schriftstellern auch eine Beistellung des Epithetons zu noch weiteren Städten und Gegenden. Durch die Ähnlichkeit mit Homer ist auch das überlieferte καλλιγύναικες erklärbar. Wie die von West im Apparat angeführten Vergleichsstellen (Apollonius Rhodius 4,214ff., Theokrit 16,60 und Lukian, Amores 49,2) zeigen, sind diese Motive der Unzählbarkeit zumindest zur Entstehungszeit des Gedichtes, die Lambin (S.213) auf das 2. oder 3. Jh.n.Chr. datiert, so verbreitet, daß sie zum allgemeinen dichterischen Motivbestand gehören und somit zu CA 14 keine konkrete Vorlage existiert. Die Unzählbarkeit von Blättern findet sich als Motiv bereits bei Homer (Odyssee 9,51-52: ὅσα φύλλα καὶ ἄνθεα γίνεται ὥρῃ, / ἠέριοι·.), die Unzählbarkeit der Meereswogen ist ein noch verbreiteteres Motiv und findet sich beispielsweise in der Anthologia Graeca (AG 9,34,1-3 (Antiphilos von Byzanz zugeschrieben): Μυρία με τρίψασαν ἀμετρήτοιο θαλάσσης κύματα καὶ χέρσῳ βαιὸν ἐρεισαμένην ὤλεσεν οὐχὶ θάλασσα.). Rosenmeyer S.90 mit Anm.34, weist auf das in Komödien und hellenistischen Epigrammen auftretende Motiv der ‚Einkaufsliste’ hin, wo es darum geht, durch die Aufzählung einer großen Menge von Gegenständen Eindruck zu machen. Das Prinzip ist sicherlich dasselbe, aber ein konkreter Bezug ist nicht erkennbar. Lambin S.211. Es handelt sich hierbei wohl um eine Katalogparodie auf die im Epos vorkommenden Aufzählungen. Poetologisch ist das Mittel der Parodie hier nicht sonderlich bedeutsam, denn es ist ganz in den Dienst des anacreonteischen poetologischen Programmes gestellt: es soll Scherz erzeugt werden, und zwar im erotischen Bereich. Diese

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lyrische Ich als in voller Manneskraft stehend charakterisiert. Auf der erotischen Reise wird nicht nur die Anzahl der Liebschaften immer größer694, sondern das lyrische Ich entfernt sich auch immer weiter von Griechenland und gelangt bis an die Grenzen der Welt. Diese doppelte Ausdehnung verdeutlicht die Grenzenlosigkeit des erotischen Begehrens des lyrischen Ich. Poetologisch interessant ist der Bezug auf Homer in VV.12-13 (siehe unter ‚Sprache und Stil’). Daß das lyrische Ich gerade in Korinth nicht mehr genau bezifferbare Schwärme von Liebschaften hat, wird unter Rückgriff auf Homer damit begründet, daß in Achaia die Frauen eben besonders schön seien. Homer dient also lediglich dafür, ein bestimmtes Element des Gedichtes plausibel zu machen und ist damit zwar als Autorität hinter dieser Anspielung zu sehen, doch wird seine Autorität dadurch, daß sein einziger Zweck darin besteht, die Liebschaften des lyrischen Ich glaubhaft zu machen, vollständig in den Dienst des anakreontischen poetologischen Programmes gestellt. Was die Gesamtaussage des Gedichtes anbelangt, so ist es die schiere Fülle der Liebesbeziehungen, die im Mittelpunkt des Gedichtes steht und die beim Leser Erstaunen auslösen soll und dem Gedicht seinen Sinn verleiht. Die Fülle weist auf die Macht des erotischen Strebens, welches das lyrische Ich in die entlegensten Winkel der Erde treibt, gleichwohl, wie die Endlosigkeit des Strebens zeigt, ohne je wirklich befriedigt worden zu sein. Auch hier findet sich also, neben all dem Stolz des lyrischen Ich ob seiner Eroberungen, unterschwellig das Motiv der ewigen unerfüllten Sehnsucht, was eine typisch anakreontische Ambivalenz zum Ausdruck bringt. Das Gedicht folgt also, trotz augenfälliger Unterschiede, bei genauerer Betrachtung nicht nur in seiner Thematik, sondern auch in seiner motivischen Gestaltung dem Programm der anakreontischen Dichtung und steht daher in einem literarischen Generationenverhältnis zu dieser. Gedicht 19: Metrik: Das Gedicht ist in Pherekrateen abgefaßt. West (S.XVI) weist auf die Ähnlichkeit dieses Metrums mit dem ionischen Dimeter hin. Indem West das Metrum in die Nähe dieses als typisch anakreontisch angesehenen Metrums rückt, rechtfertigt er seine Verwendung in anacreonteischer Dich-

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thematische Verbindung ist hier poetologisch-programmatisch höher zu gewichten als die Neuerung im Bereich der literarischen Mittel. In den überlieferten Gedichten Anakreons findet sich keine Parodie, aber daraus ist eben nicht eine programmatische Distanzierung abzuleiten wenn wie hier das neue Mittel ganz im Dienst des alten Zwecks steht. Die unnennbar große Zahl für Korinth stellt dabei eine Ausnahme dar, durch die besonders auf die Schönheit der Frauen als entscheidendes Kriterium für eine Liebesanbahnung hingewiesen wird.

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tung unter Rückgriff darauf, was zur Entstehungszeit des Gedichtes metrisch als typisch anakreontisch angesehen wurde. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß auch Pherekrateen in Anakreons Dichtung verwendet werden, und zwar auch stichisch, wie sich an Frg.9G zeigt. So könnte es sich also um einen Rückgriff auf ein zwar wohl nicht als typisch anakreontisch angesehenes, aber gleichwohl in anakreontischer Dichtung gut belegtes Metrum handeln, um die Bandbreite der in anacreonteischer Dichtung verwendeten Metren gut anakreontisch zu erweitern. Hierzu würde auch die strophische Gliederung des Gedichtes passen. Sprache und Stil: Die Sprache ist schlicht, gedankliche Einheiten fallen stets mit den metrischen Einheiten zusammen. Speziell poetisch ist nur die ionische Form στεφάνοισι (V.2). Inhalt und Charakter: Lambin695 stört sich an der Tatsache, daß Eros nicht als mächtiger Gott, wie oftmals in der Dichtung früherer Jahrhunderte, sondern in der Rolle des Gefangenen dargestellt ist, aber damit zeigt er lediglich, daß ihm die Komik des Bildes entgeht. Nun ist ausnahmsweise einmal Eros derjenige, der gefangen ist, während er sonst derjenige ist, der die Herzen der Menschen und Götter durch die Liebe heillos gefangen nimmt. Auch diese Heillosigkeit wird in dem Gedicht parodiert, indem es Aphrodite nicht gelingt, Eros freizukaufen. Kallos, die ja normalerweise das Objekt von Eros ist, bleibt hier als handelndes Subjekt unerbittlich hart. Es ist allerdings auch möglich, das Gedicht nicht nur, wie eben gezeigt, als parodistischen Scherz, sondern als Wesensbeschreibung von Eros zu verstehen, wobei nicht das gesamte Wesen des Gottes, sondern nur ein Aspekt herausgestellt werden soll. Das Verständnis des Gedichtes hängt von dem Schlußvers ab. δουλεύειν δεδίδακται heißt eindeutig, daß Eros von irgendjemandem gelehrt wurde, Diener zu sein. Nun stellt sich die Frage, wer ihn denn das gelehrt haben soll. Hierauf gibt es zwei Antworten: zum einen Kallos, zum anderen er selbst. So wie auch ein Liebender die Erfahrung machen muß, daß er bereit ist, für die Geliebte jegliche Art der Sklaverei zu erdulden, so ist Eros hier durch sein eigenes Wesen, das darin besteht, ein Streben nach Schönheit zu sein696, gezwungen, Sklave der Schönheit zu sein. Gegen die Macht, die das Schöne auf einen vom Eros Beseelten ausübt, sind selbst Götter machtlos, wie an dem vergeblichen Lösungsversuch von Aphrodite gezeigt wird. Zunächst wird Eros zwar von den Musen gefesselt, doch er

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Lambin S.225f. Rosenmeyer äußert sich nicht zu dem Gedicht. Diese Ansicht wurde zwar prominent von Platon in Symposion 201a9f. (ὁ Ἔρως κάλλους ἂν εἴη ἔρως) formuliert, doch steht dahinter nur die grundsätzliche Erfahrung, daß man schöne Dinge und Menschen begehrt (vgl. bei Anakreon z.B. Frg.5G und Frg.13G), und dieses Streben nach schönen Menschen wurde in Eros personifiziert.

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muß erkennen, daß das, was ihn wirklich an Kallos fesselt, nicht irgendwelche Kränze sind, sondern sein eigenes Wesen. Die Musen verleiten dabei auch zu einer poetologischen Deutung. Sie stellen das Bindeglied zwischen Kallos und Eros dar. Die Schönheit zeigt sich in den schönen Künsten wie Dichtung und Tanz, und die schönen Künste ihrerseits wecken beim Leser oder Betrachter ein Begehren. Die Fesselung von Eros durch die Musen mittels eines Kranzes könnte man poetologisch als die Entstehung erotischer Dichtung deuten und damit im weiteren Sinne als den musischen Aspekt von Symposien. Daß Eros erst dann überhaupt in Verbindung zu Kallos treten kann, wenn er von den Musen gefesselt wurde, wäre poetologisch so zu deuten, daß Erotisches erst dadurch wirkliche Schönheit gewinnt, wenn es in die metrischen Fesseln der Dichtung gelegt wurde, aus denen er, so die Pointe des Schlußverses, gar nicht mehr herauswill, weil erotische Dichtung ihm nun selbst als der angemessenste Aufenthaltsort für ihn erscheint. Eine solch stark poetologische Deutung wäre dann aber wahrscheinlich auch rein poetologisch zu sehen als Preis erotischer Dichtung und ohne Aussagebezug zur Lebenswelt, denn daß der Autor auf den dann immerhin möglichen rein impliziten Gegensatz von Leben und Dichtung hinauswollte in dem Sinn, daß Eros nur noch in der Dichtung zu seinem Recht käme und lebensweltlich damit nur noch im Symposion anzutreffen wäre, ist unwahrscheinlich, weil dadurch siene eigene Dichtung zu einem letztlich unmotivierten, leeren Spiel würde. Das Gedicht zeigt aber, ob man es nun poetologisch lesen will oder nicht, in jedem Fall deutlich das anakreontische Bestreben anacreonteischer Dichter, den Bereich des Erotischen in seinen verschiedenen Aspekten darzustellen. Gedicht 24: Metrik: Das Metrum von CA 24 ist der katalektische iambische Dimeter. Metrisch folgt das Gedicht, abgesehen von der Langmessung der zweiten Silbe von κέρατα (V.1), den klassischen Regeln. Sprache und Stil: Außer der ionischen Form ποδωκίην (V.3) finden sich keine Besonderheiten. Zu direkt inhaltlich relevanten sprachlichen Mitteln siehe ‚Inhalt und Charakter’. Inhalt und Charakter: In dem Gedicht wird durch Naturvergleiche die Schönheit der Frau als deren natürliches Verteidigungsmittel charakterisiert. Lambin (S.217f.) vermutet bei dem Autor eine rhetorische Bildung und einen Hang zur stoischen Philosophie. Die Vermutung einer rhetorischen Bildung mag richtig sein, war sie doch zur Entstehungszeit des Gedichtes, wohl etwa dem 4. Jh.n.Chr., so Lambin (S.217f.), durchaus die übliche Bildung der gehobenen Schichten, gerade in den großen Zentren des Ostens, so daß der Autor des Gedichtes nicht bestrebt ist, seine Bildung bewußt zur 216

Schau zu stellen, sondern sich lediglich der ihm gängigen Ausdrucksweisen bedient. Die Formulierung φύσις ἔδωκεν (VV.1-2) läßt jedoch wohl nicht speziell auf rhetorische oder stoische Bildung des Autors schließen, da sie zumal in den nachchristlichen Jahrhunderten ein Gemeinplatz in der Literatur ist697. Obgleich natürlich zu beachten ist, daß die einzelnen Autoren bisweilen sehr unterschiedliche Physis-Begriffe verwenden, so ist doch festzustellen, daß die Wendung so verbreitet ist, daß sie sprachlich nicht auffällig ist. Auch die Substantivierung τὸ νηκτόν (V.5) ist keineswegs so außergewöhnlich wie es bei Lambin erscheint698. Darauf hingewiesen sei zum einen, um Lambins aus dieser falschen Annahme gezogene Folgerungen über rhetorische oder stoische Einflüsse ein wenig zu relativieren, und zum anderen, um zu verhindern, daß Originalität dort gesehen und in die Interpretation einbezogen wird, wo sie gar nicht vorhanden ist. Tatsächlich selten ist die Form ποδωκίην (V.3), doch handelt es sich hierbei um eine gewöhnliche, ionisierte Analogiebildung, und so wurde sie auch in der Antike bereits verstanden699. Die Zuteilung bestimmter Eigenschaften an bestimmte Lebewesen durch die Natur, auch mit dem Begleitelement, daß dem Zuteilenden für irgendein 697

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Die Formulierung φύσις ἔδωκε(ν) findet sich unter Einbeziehung der Verbalkomposita dutzendfach in der griechischen Literatur, so beispielsweise an den folgenden Stellen: Diogenes Laertius, Vitae philosophorum 8,91,5; ders., Epigrammata 7,744,4; Dionysios von Halikarnaß, Antiquitates Romanae 3,10,3,7; ebd., 19,15,7,4; Dio Chrysostomos, Orationes 38,12,7; Philostrat, Epistulae et dialexeis 2,2,44. Die Formulierung φύσις δίδωσι(ν) findet sich ebenfalls vielfach, so beispielsweise bei Sophokles, Oedipus Coloneus 446; Diogenes Laertius, Vitae philosophorum 7,89,11; Plutarch, De fraterno amore 482b5; ders., Quaestiones convivales 618b12; Dionysios von Halikarnaß, De Demosthenis dictione 40,22. Ebenso findet sich häufig φύσις in Verbindung mit anderen Formen von δίδωμι. Lambin S.218: „L’emploi, sans autre exemple, de l’adjectif νηκτός (v. 5) en tant que substantif sent, de plus, l’école de rhétorique.“. Andere Stellen, an denen νηκτός im Singular oder Plural mit Artikel substantiviert verwendet wird, sind beispielsweise: Gregorius Nyssenus, De vita Mosis 2,236,8; Johannes Stobaios, Anthologium 1,49,45,165; ebd. 1,49,69,48; ebd. 1,49,69,59; Michael Psellus, Oratoria minora 4,97; Athanasius, Liber de definitionibus 28,541,45; Hephaestion Astrologus, Apotelesmatica 46,9; Basilius, Homiliae in hexaemeron 7,1,28; ebd. 7,1,35. Dies zeigt Julius Pollux, Onomastikon 2,194,7: εὐποδία ἀποδία, ποδωκία ποδώκης. Dies ist zugleich die einzige Stelle, an der sich das Substantiv außer in CA 24 findet. Dreimal findet sich noch die Form ποδωκίστατος: Porphyrius, Quaestionum Homericarum ad Iliadem pertinentium reliquiae 22,165ff.,1; Scholia In Homerum, Scholia in Iliadem (scholia vetera) 22,165,3: ὁ ποδωκίστατος πάντων οὐ καταλαμβάνει τὸν Ἕκτορα und Eustathius, Commentarii ad Homeri Iliadem 4,496,22: δυσχερὲς γὰρ νοῆσαι πήδημα εἰς ὅσον δουρὸς ἐρωή, εἰ καί τις τοῦτο βιάσεται τῷ Ἀχιλλεῖ ἐπαληθεῦσαι, διότι τε ποδωκίστατός ἐστι;. Zurück gehen all diese Formen auf die homerische Wendung πόδας ὠκὺς Ἀχιλλεύς (z.B. Ilias 1,58, insgesamt 30 Mal in der Ilias).

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Lebewesen scheinbar nichts mehr übrig bleibt, ist ein verbreiteter Topos, der bereits in Platons Pythagorasmythos zu finden ist700, wo er für anthropologisch-erkenntnistheoretische Aussagen verwendet wird, so daß die Einbindung in CA 24 dem üblichen anakreontischen Umgang mit bekannten Motiven entspricht. In CA 24 wird das Motiv dazu verwendet, die Wirkmacht weiblicher Schönheit darzustellen, welche all das, was den Männern an Waffen zur Verfügung steht, und sei es auch Eisen oder Feuer, zu besiegen vermag. Da die weibliche Schönheit damit genau das besiegt, was den Männern ihr φρόνημα (V.7) zur Verfügung stellt, wird zugleich allgemein festgestellt, daß kein Mann der Schönheit einer Frau gewachsen ist und sich ihr daher auch nicht entziehen kann, selbst mit äußerster Anstrengung seines Geistes nicht. Gegen die Waffen einer schönen Frau sind Männer einfach machtlos. So platt diese Aussage erscheinen mag, so reizvoll ist sie doch verpackt, da durch die doppelte Klimax die mit der Bewunderung der Größe einer Macht einhergehende Furcht vor dieser miteinbezogen wird. Am Beginn des Gedichtes wird in einer ersten Klimax aufgezählt, was verschiedene Tiere von der Natur erhalten haben und am Ende dieser Aufzählung steht der Mann. Jedoch auch er, obgleich sozusagen das höchste unter den Tieren, ist machtlos gegenüber weiblicher Schönheit. Diese Aussage wird so dargestellt, daß zunächst die Waffen der Männer, ebenfalls in einer Klimax, aufgezählt werden, nämlich Schilde, Lanzen, Eisen und Feuer, und an deren Spitze steht die Schönheit in Form einer schönen Frau (καλή τις οὖσα, V.13). Was als allgemeine Lebenserfahrung aus dem erotischen Bereich gelten kann, wird hier so gestaltet und mit literarischen Mitteln aufgewertet, daß zum einen die weibliche Schönheit bewundernd verherrlicht wird, daß aber zum anderen auch ein wenig männlicher Wehmut ob deren Macht neben aller Bewunderung in den Versen mitschwingt. Diese anakreontische Mischung, welche bestrebt ist, die Ambivalenz dessen, was sie betrachtet, stets zu berücksichtigen, verhindert auch in diesem Fall ein Abgleiten in die Banalität und ist zugleich ein weiteres Moment des poetologischen Generationenverhältnisses von CA 24 zur anakreontischen Dichtung. Gedicht 25: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt und weist keine Besonderheiten auf, was auf eine eher frühe Entstehungszeit hindeutet. Sprache und Stil: Die Sprache ist ionisch-episch, wie sich an den Formen ἐτησίη (V.2), καλιήν (V.3), εἶς (V.4), μευ (V.6), καρδίηι (V.7), καλιήν (V.7) und μῆχος (V.17) erkennen läßt. 700

Platon, Protagoras 320d-321d. Weitere Vergleichsstellen nennt Lambin S.218.

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Die Klarheit der Sprache findet eine Entsprechung in der klaren inhaltlichen Gliederung des Gedichtes, die ihrerseits in der sprachlichen Gliederung verdeutlicht wird, so etwa durch die Reihung ὃ μὲν - ὃ δ’ - ὃ δ’ (VV.8-10) und durch die Wiederholung von καλιήν (VV. 3 und 7). Inhalt und Charakter: Das lyrische Ich beschreibt die Sorgen, die es aufgrund der Tatsache, daß es nach immer neuen Liebschaften strebt ohne daß es ein Mittel dagegen wüßte, mit dem Bild von Schwalben. Das ganze Gedicht ist dabei so angelegt, daß das lyrisch Ich zu einer Schwalbe spricht. Schwalben, so sagt es zu ihr, bauen im Sommer ein Nest, doch im Winter verschwinden sie in Richtung Nil oder Memphis. Eros aber flicht in seinem Herzen immer ein Nest, und auch wenn eine Begierde flügge wird, so schlüpft gerade eine andere und wieder andere befinden sich in einem Entwicklungsstadium irgendwo dazwischen, so daß immer ein Geschrei herrscht der Jungen, die die Schnäbel nach Futter aufreißen, und die größeren Eroten füttern die kleineren, die wiederum, sobald sie selber groß sind, wieder andere ausbrüten. Das lyrische Ich weiß nicht, was es dagegen tun soll, denn es hat nicht die Kraft, so viele Eroten wieder loszuwerden701. Das Bild ist originell gewählt und gut durchdacht. Es sind die Details, die den Wert des Gedichtes ausmachen, so etwa das Flattern und Schreien der kleinen Eroten und Begierden, welches die innere Unruhe verbildlicht, unter der das lyrische Ich leidet. Seine Gefühle lassen ihm keine ruhige Minute, sein Herz ist stets in Aufruhr, denn kaum ist das eine Verlangen weg so kommt schon das nächste. Gelungen ist auch das Bild der kleinen Eroten, die von den größeren gefüttert werden, liegt es doch im Wesen der Begierde, stets selbst größer zu werden und auch weitere Begierden nach sich zu ziehen. Daß ausgerechnet eine Schwalbe gewählt wurde, hat mehrere Gründe. Zum einen sind Schwalben dem menschlichen Empfinden nach sehr unruhige und kleine Vögel, sie fliegen schnell und nicht immer nach erkennbarem Muster, was sie sehr geeignet dafür macht, den inneren Aufruhr des lyrischen Ich dazustellen. Mit diesem Aufruhr sind sie auch verbunden durch 701

ἐκβοῆσαι kommt allein in dieser Infinitivform in der griechischen Literatur insgesamt 31 Mal vor, ἐκσοβῆσαι hingegen käme in dieser Form nur hier vor. In anderen Formen ist das Verb an folgenden Stellen belegt: Plutarch, Quaestiones convivales 715c9: ἐκσοβήσας; Julius Pollux, Onomastikon 1,199,4: ῥᾷον ἂν ἐκσοβοῖ τὴν κόνιν; Johannes Stobaios, Anthologion 1,49,44,312: διότι οὐδὲν τῶν ὁμογενῶν οὔτε ἐκσοβήσουσιν οὔτε θοινήσονται; Nicephorus I, Refutatio et eversio definitionis synodalis anni 815, 72,16: καθελοῦσα καὶ ἐκσοβήσασα; Hesych, Lexicon, ε,1498,1: · ἐξορμᾶν ποιεῖ. ἐκσοβεῖ; Cyrill, De adoratione et cultu in spiritu et veritate 68,516,3: εἰ τὸ τῷ Θεῷ δοκοῦν οὐκ ἐκσοβήσονται. Es ist nun gut vorstellbar ist, daß ursprüngliches ἐκσοβῆσαι durch das geläufigere ἐκβοῆσαι ersetzt wurde. Wahrscheinlich ist dies vor allem daher, weil ἐκβοῆσαι keinen guten Sinn ergibt, wie West im Apparat gegen Giangrande in knappen Worten darlegt, so daß ursprünglich wohl ἐκσοβῆσαι im Text stand.

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ihr vieles und helltönendes Zwitschern702. Darüber hinaus verkörpern sie als Zugvögel eine allgemeine Unstetigkeit und sind auch Frühlingsbote703, was sie in den erotischen Bereich rückt, denn der Frühling ist nicht nur für die Schwalben die klassische Zeit der Partnersuche und des Nestbaus, sondern im übertragenen Sinne auch für die Menschen. Poetologische Bedeutung hat sie dadurch, daß sie auch in der anakreontischen Dichtung mehrfach vorkam und daß sie geeignet ist, in typisch anakreontischer Weise die Ambivalenz der Liebe zwischen freudigem frühlingshaftem Aufbruch und zwanghafter Unruhe zu symbolisieren704. Auf den ersten Blick mag man dem Gedicht vorwerfen, es verniedliche den großen Gott Eros doch sehr wenn es ihn als kleine, nestbauende Schwalbe darstellt, doch darf man dabei den ernsten Aspekt der großen inneren Unruhe nicht aus den Augen verlieren. Der Ausdruck erotisch bedingter innerer Unruhe ist sehr anakreontisch, wie sich etwa an Anakreon Frg.5G zeigt, in welchem ebenfalls ein leichter Scherz in der gar so intensiven Darstellung durchklingen dürfte. Was den Vergleich der Liebeserfahrung mit einem dem allgemeinen Erfahrungsbereich angehörenden Vorgang anbelangt, so hat das Gedicht ein prinzipielles Vorbild in Anakreon Frg.25G, wo Eros als Schmied dargestellt wird. Der konkrete Vergleichsgegenstand kann dabei, wie sich am Erfindungsreichtum der anakreontischen Dichtung zeigt, frei gewählt werden, so daß CA 25 aus poetologischer Sicht anakreontisch ist. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, daß hier, wie auch sonst bisweilen in der anacreonteischen Dichtung, etwa in CA 14, von vielen Liebschaften die Rede ist, wohingegen in den überlieferten Fragmenten Anakreons jeweils nur ein Geliebter erscheint, weil bei Anakreon insgesamt ebenfalls verschiedene Geliebte erscheinen705.

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Die helle Stimme der Schwalben wird schon in Homer, Odyssee 21,411 erwähnt, als geschwätzig erscheint sie in Anakreon Frg.134G, was dann in CA 10 aufgegriffen wurde. Als Frühlingsbote erscheint sie bei Hesiod, Opera et dies 568. Als Symbol für einen Dichter taugt sie wohl eher nicht, wie ihre Verwendung zur Dichterparodie in Aristophanes, Ranae 93 und 681 (vgl. Euripides Frg.88 Radt) zeigt. Das Gezwitscher der Schwalbe wurde zudem verglichen mit der Sprache der Barbaren, siehe Aischylos, Agamemnon 1050. Wenn sie bei Anakreon, Frg.112G als süßtönend und liebreizend bezeichnet wird, so dürfte das mit ihrer Funktion als Frühlingsbote, als welcher sie die beste Zeit für die Liebe ankündigt, zu tun haben. Nicht so sehr das Gezwitscher an sich ist so wunderbar, sondern der Umstand, daß es erotische Freuden verheißt. So etwa Smerdies in Frg.3G, Kleobulos in Frg.5G und Frg.14G, Leukaspis in Frg.96G und nicht namentlich genannte Geliebte beispielsweise in Frg.12G, 13G, 15G und 44G.

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Gedicht 26: Metrik: Metrum ist der katalektische iambische Dimeter. Die Tatsache, daß es weder metrische noch prosodische Auffälligkeiten gibt, weist auf eine frühe Entstehungszeit, also spätestens wohl das 3. Jh.n.Chr., hin. Sprache und Stil: Auffälligkeiten gibt es nicht, die Sprache ist geprägt von anakreontischer Einfachheit. Inhalt und Charakter: Das lyrische Ich spricht in diesem Gedicht einen Unbekannten an, der über Theben und alles was damit zusammenhängt spricht und mit welchem sich wohl beispielhaft der Leser, der an kriegerische Dichtung gewöhnt ist, identifizieren darf. Ein anderer, so das lyrische Ich, redet über Phrygiens Kriege, es selbst aber über seine eigenen Gefangennahmen. Dabei ist es weder ein Reiter noch ein Fußsoldat und auch keine Flotte, gegen die es sich zur Wehr setzen müßte, sondern ein anderes, neues Heer, das ihn von Augen ausgehend trifft706. Ferner ist auf das Wort καινός (V.6) einzugehen. Es ist zu verstehen im Sinne von „neuartig“, und zwar neuartig im Verhältnis zu den in den vorangehenden Versen aufgezählten Streitkräften, nicht zu den dem lyrischen Ich bereits wohlbekannten Streitkräften, denn die Vorstellung, das lyrische Ich sei ein altgedienter Soldat, verträgt sich nicht gut mit λέγεις (V.1), denn so wie die anderen auch nur über die Ereignisse in Theben und Phrygien reden, womöglich ohne sie selbst erlebt zu haben, denn nicht jeder Dichter nahm an den Schlachten teil die er besang707, so redet auch er nur von Reitern und Fußsoldaten, ohne daß er damit eigene Erfahrungen hätte. Eigene Erfahrungen hat er nur mit der Liebesbegegnung. καινός ist aber gleichzeitig auch im Sinne von neuartig im Verhältnis zu den bis zum damaligen Zeitpunkt gemachten Erfahrungen des lyrischen Ich zu verstehen, so daß in diesem Gedicht die Erfahrung eines neuartigen Liebeserlebnisses beschrieben wird708. Von freudigem Verliebt706

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Der letzte Vers setzt die zur damaligen Zeit gültige Vorstellung voraus, daß das menschliche Auge sieht indem es Strahlen aussendet und daher beim Sehvorgang das gesehene Objekt vom Auge mit den von diesem ausgehenden Strahlen getroffen wird. Vergleichsstellen hierzu liefert Lambin S.215. Bei Theben (natürlich ist hier an das in Boiotien gelegene zu denken) dürfte hierbei an alle Dichter gedacht sein, die sich mit dem Thebanischen Sagenkreis beschäftigt haben, zu denen vornehmlich die Tragiker zählen, doch findet sich Theben bereits bei Homer, etwa in Ilias 4,385ff., wo es um den Kampf des Tydeus gegen die Kadmeier geht, ebenso wie in Ilias 5,800ff., und Phrygien erscheint ebenfalls schon bei Homer, beispielsweise in Ilias 2,862 und 3,184ff., so daß als erster Dichter, der über Schlachten berichtet, an denen Phryger und Thebaner beteiligt sind, Homer zu nennen wäre, doch richtet sich das anacreonteische Gedicht ganz allgemein gegen jede Art von Schlachtendichtung. Dies ist auch ein wesentlicher Unterschied zu dem auf den ersten Blick nah verwandten CA 24. Sicher ist beiden das Motiv der konventionellen Waffen gemeinsam, mit

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sein ist allerdings nicht die Rede. Die Betonung liegt auf der Machtlosigkeit des Liebenden, der sich gegen den Reiz, den die Geliebte auf ihn ausübt, nicht wehren kann und gänzlich von ihm gefangen ist. Es ist ein Gefühl des Ausgeliefertseins und der Unsicherheit, von dem das lyrische Ich hier rückblickend erzählt. Gleichwohl drückt die Terminologie von ἁλώσεις (V.3) und ὤλεσεν (V.4) aus, daß die Erfahrung für das lyrische Ich schmerzhaft war, daß also die Liebe wohl unglücklich endete. In diesem Gedicht wird durch die militärische Begrifflichkeit die Brutalität der zerstörerischen Wirkung unerfüllter Liebe dargestellt. Zugleich wird aber auf poetologischer Ebene Stellung bezogen gegen all diejenigen, die als Dichter über herkömmliche Kriege reden. Dies ist nicht der Bereich, in dem sich der anacreonteische Dichter betätigt, sondern er redet nur über Liebe und alles was mit diesem Bereich zu tun hat, nicht aber über Schlachten. Durch den Vergleich mit solchen literarischen Werken möchte der Dichter zum einen auf der inneren Ebene der Handlung epische Überhöhung als stilistisches Mittel nutzen, zum anderen möchte er aber auf poetologischer Ebene den Anspruch auf qualitative Äquivalenz erheben. Seine Dichtung ist anders, aber deshalb nicht ästhetisch minderwertig. Derselbe Anspruch findet sich auch bereits in dem ausschließlich poetologisch angelegten, aber auf die Abgrenzung gegenüber dem Epos beschränkten CA 2. Besondere Beachtung erfordert die Beziehung von CA 26 zu Sappho Frg.16,1-4709. Ähnlich ist vor allem die rhetorische Konstruktion von CA 26,1-3 und Sappho Frg.16,1-4. Dies scheint aber nicht mehr als eine lustige Anspielung zu sein, wie sie auch schon in CA 12 verwendet wurde, deren Scherz darin besteht, daß man die spezielle rhetorische Gestaltung aus der sapphischen in die eigene Dichtung übernimmt. Inhaltlich sind die Ähnlichkeiten von Sappho Frg.16,1-4 mit der Dichtung Anakreons durch den gemeinsamen Preis des erotischen Begehrens so hoch, daß kein poetologischer Gegensatz und damit auch keine Unterwanderung des anakreontischen poetologischen Programmes in der Übernahme der sapphischen Konstruktion zu sehen ist, zumal in CA 26 das Motiv poetologisch verwendet wird, während bei Sappho die Lebenswirklichkeit im Vordergrund steht. Wo bei Sappho das φαῖσ’ ἔμμεναι κάλλιστον auf den Gegenstand menschlichen Begehrens zielt, befaßt sich in CA 26 das λέγεις rein mit dem Gegenstand der - in diesem Falle dichterischen - Erzählung. Diese Poetologisierung der sapphischen Konstruktion rückt CA 26 in starke Nähe zu Anakreon, der sich in 56G ebenfalls speziell gegen kriegerische Dichtung beim Symposion wendet, weil diese nichts mit der idealisierten Wirklichkeit des sympotischerotischen Lebens zu tun hat. Die einzigen Kämpfe, die das sympotisch-

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denen die Waffen einer Frau nicht vergleichbar sind. Die Ausgestaltung und Verwendung des Motives ist aber eine sehr unterschiedliche. Sappho, Frg.16,1-4: ο]ἰ μὲν ἰππήων στρότον οἰ δὲ πέσδων / οἰ δὲ νάων φαῖσ’ ἐπ[ὶ] γᾶν μέλαι[ν]αν / ἔ]μμεναι κάλλιστον, ἔγω δὲ κῆν’ ὄτ- / [ ]τω τις ἔραται·.

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erotische lyrische Ich noch auszufechten hat, sind Kämpfe mit der Liebe. So stellt es CA 26 dar, und hierfür findet sich ein prominentes Vorbild im Faustkampf des lyrischen ich mit Eros in Anakreon Frg.38G. Die motivische Anleihe bei Sappho wurde vom Autor von CA 26 also dadurch anakreontisiert, daß sie von der sapphischen Lebenswirklichkeit710 in die auf poetologische und erotische Aspekte beschränkte sympotisch-erotische anakreontische Kunstwelt transferiert und somit vollständig in das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung integriert wurde. Der Bezug auf Sappho spricht daher nicht gegen die Annahme eines literarischen Generationenverhältnisses zwischen CA 26 und der anakreontischen Dichtung. Im Hinblick auf das Gesamtcorpus der Carmina Anacreontea ist bezeichnend, daß nicht nur die Freuden, sondern auch die Schmerzen, die die Liebe bereiten kann, in teils sehr drastischen Bildern beschrieben werden, mit Motiven und Mitteln, die eine epische Überhöhung ermöglichen. Die Wirkung beruht hierbei auch darauf, daß keine Wertung, weder aus Sicht des lyrischen Ich noch aus Sicht eines übergeordneten Erzählers, stattfindet, sondern daß die Ereignisse einfach aus Sicht und Empfindung des lyrischen Ich beschrieben werden. Diese Technik der bloßen Beschreibung des eigenen Zustandes ist typisch anakreontisch, wie sich etwa an Frg.5G, 36G und 46G zeigt, und sie trägt stark zu dem besonders perönlichen Charakter der anakreontischen wie der anacreonteischen Dichtung bei.

Gedicht 27: Metrik: Metrum ist der katalektische iambische Dimeter. Die Tatsache, daß es weder metrische noch prosodische Auffälligkeiten gibt, weist auf eine frühe Entstehungszeit, also spätestens wohl das 3. Jh.n.Chr., hin, ganz wie bei CA 26. Sprache und Stil: Auch hier ist, wie bei CA 26, festzustellen, daß es keine Auffälligkeiten gibt und daß die Sprache geprägt ist von anakreontischer Einfachheit. Diese Ähnlichkeit der Gedichte hat wohl, zusammen mit der zeitlichen Nähe ihrer vergleichsweise frühen Entstehung, dazu geführt, daß sie zu einem Gedicht zusammengefaßt wurden. Inhalt und Charakter: Bereits Stephanus hat die in der Anthologia Palatina zu einem Gedicht verbundenen Gedichte 26 und 27 voneinander getrennt711. 710

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Auch diese kann natürlich rein literarische Fiktion sein, aber sie ist zumindest nicht so erkennbar fiktional wie die Konstruktion des sympotisch-erotischen Lebens bei Anakreon. Diese Trennung ist eindeutig erforderlich, da die beiden Gedichte sprachlich nicht miteinander verbunden sind, der zweite Gedichtteil in sich geschlossen ist (dies zeigt sich sowohl an der Gliederung in zwei Strophen, die auch sprachlich voneinander abgegrenzt sind (Ἐν ἰσχίοις μὲν (V.1) - ἐγὼ δὲ (V.5)), aber eben dadurch eindeutig nur

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CA 27 beginnt mit der Feststellung des lyrischen Ich, man könne Pferde an ihren Brandzeichen auf den Hüften und bestimmte Männer an ihrem Kopfschmuck erkennen. Um was für Männer es sich dabei handelt, ist nicht gänzlich klar. Lambin712 erklärt Παρθίους (V.3) kurzerhand zum Hapax Legomenon und versteht es als Nebenform zu Παρθικούς, was jedoch mit der Beleglage nicht vereinbar ist713. Ob in CA 27 jedoch tatsächlich an Parther oder an jenen Skythenstamm zu denken ist, wird wohl nicht zweifelsfrei zu klären sein, da auch eine Verwechslung der beiden Völker durch den Autor des Gedichtes nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, doch ist dies für das Verständnis des Gedichtes wohl auch nicht weiter bedeutsam. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß die Folgerungen, die Lambin aus der Erwähnung der Parther für seine Datierung des Gedichtes zieht, und damit auch die von Lambin daraus geschlossenen Vermutungen über zeitgenössische literarische Bezüge zur Komödie und zum Roman, auf einer sehr unsicheren Datierung des Gedichtes beruhen und daher sehr spekulativ sind. Nach der Nennung der Erkennungszeichen von Pferden und Männern in der ersten Strophe geht es in der zweiten Strophe im Gegensatz zu diesen allgemeinen Möglichkeiten der Erkennung um die Erkennung von Liebenden durch das lyrische Ich. Dieses, so sagt es, erkenne Liebende sofort, weil

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aufeinander bezogen sind, sowie durch lexikalische Verbindungen wie χάραγμα (V.2 und 8) oder Ἐν ἰσχίοις (V.1) - ψυχῆς ἔσω (V.8)), und auch dadurch, daß die inhaltliche Verbindung zwischen den Gedichten nicht über die gemeinsame Beziehung zum sympotisch-erotischen Bereich hinausreicht. Lambin S.216. Dort weist er auch darauf hin, wie ungewiß es ist, zu welcher Zeit in welcher Gegend Pferde gebrandmarkt wurden. Παρθίους ist keineswegs Hapax Legomenon, sondern erscheint nur im Akkusativ Plural ausschließlich an dieser Stelle. In anderen Kasus findet es sich bei Herodian, De prosodia catholica 3,1,130,30: ἔθνος πάλαι μὲν Σκυθικόν, ὕστερον δὲ φυγὸν ἢ μετοικῆσαν ἐπὶ Μήδους, κληθὲν δὲ οὕτως παρὰ Μήδοις διὰ τὴν φύσιν τῆς αὐτοὺς δεξαμένης γῆς ἑλώδους καὶ ἀγκώδους οὔσης, ἢ διὰ τὴν φυγήν, καθότι οἱ Σκύθαι τοὺς φυγάδας πάρθους καλοῦσι. λέγονται δὲ καὶ Πάρθοι καὶ Πάρθιοι.; ebd. 3,1,145,2: ἔθνος Σκυθικὸν οἱ καὶ Πάρθιοι καὶ Παρθυαῖοι. ἔστι δὲ καὶ Πάρθος πόλις Ἰλλυρική. Ἀπολλόδωρος ἐν χρονικῶν.; Stephanus Grammaticus, Ethnica 507,7: πόλις Ἰλλυρική. Ἀπολλόδωρος ἐν χρονικῶν. λέγεται δὲ καὶ ἀρσενικῶς, ὡς Πολύβιος. τὸ ἐθνικὸν Παρθῖνος. ἔθνος πάλαι μὲν Σκυθικόν, ὕστερον δὲ φυγὸν ἢ μετοικῆσαν ἐπὶ Μήδους, κληθὲν δὲ οὕτως παρὰ Μήδοις διὰ τὴν φύσιν τῆς αὐτοὺς δεξαμένης γῆς ἑλώδους καὶ ἀγκώδους οὔσης, ἢ διὰ τὴν φυγήν, καθότι οἱ Σκύθαι τοὺς φυγάδας πάρθους καλοῦσι. λέγονται δὲ καὶ καὶ καὶ καὶ Παρθυαία ἡ χώρα καὶ Παρθυηνή καὶ Παρθυηνός· καὶ χώρα Μακεδονίας. Von Παρθικοὶ im Zusammenhang mit Pferden spricht zwar Strabo, Geographica 11,13,7,10-13: τοὺς δὲ Νησαίους ἵππους, οἷς ἐχρῶντο οἱ βασιλεῖς ἀρίστοις οὖσι καὶ μεγίστοις, οἱ μὲν ἐνθένδε λέγουσι τὸ γένος, οἱ δ’ ἐξ Ἀρμενίας· ἰδιόμορφοι δ’ εἰσίν — ὥσπερ καὶ οἱ Παρθικοὶ λεγόμενοι νῦν — παρὰ τοὺς Ἑλλαδικοὺς καὶ τοὺς ἄλλους τοὺς παρ’ ἡμῖν, doch ist dies kein Grund, die beiden Bezeichnungen gleichzusetzen, da sich hierfür keinerlei weitere Anhaltspunkte finden.

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sie ein zartes Brandzeichen auf der Seele haben. Daß dieses Brandzeichen von der Liebesglut verursacht wurde, kann man sich dazudenken, und das Attribut λεπτόν (V.7) verweist ganz allgemein auf die Zartheit der Liebe. Offengelassen wird, wie das lyrische Ich dieses Zeichen allein durch äußere Anschauung sofort erkennen kann wenn es doch in der Seele der Liebenden ist. Daß von mehreren Liebenden die Rede ist, ist nur als allgemeiner Plural aufzufassen. Man kann dabei zwar beispielsweise an ein Liebespaar denken, das als solches zu erkennen ist, man kann aber auch etwa an die erkennbare Freude oder Trauer eines einzelnen glücklich oder unglücklich Liebenden denken, so daß hier, in anakreontischer Tradition, die Ambivalenz der Liebe bewußt gewahrt bleibt, weil keine Festlegung auf eine bestimmte Möglichkeit erfolgt. Obgleich man den Zustand von Liebenden am äußeren Schein sogleich erkennt, ist doch das eigentliche Erkennungszeichen tief in der Seele. Diese tiefe Innerlichkeit des Liebesgefühls, welche zugleich seine gute äußere Sichtbarkeit verursacht, ist das Thema des Gedichtes. Lambin vermutet nun, Dichtung von so starker Innerlichkeit stehe unter dem Einfluß des griechischen Romans714, doch ist diese Vermutung recht vage. Näher läge es wohl, auf die starke Innerlichkeit anakreontischer Dichtung zu verweisen, wie sie etwa in Frg.5G zutage tritt. Letztlich wiegt poetologisch die eindeutige Beziehung zur anakreontischen Dichtung aber schwerer als die nicht eindeutigen, sondern nur möglichen Beziehungen zu anderen Werken715, so daß ein literarisches Generationenverhältnis zwischen CA 27 und der anakreontischen Dichtung besteht. Gedicht 28: Metrik: Metrum ist der anaklastische ionische Dimeter. In V.1 wird auffälligerweise Hiat zugelassen, was auf eine eher frühe Entstehungszeit hindeuten könnte, ansonsten sind, abgesehen von der Langmessung der ersten Silbe von Ἄρης (V.13), keine Auffälligkeiten festzustellen. Sprache und Stil: Das Gedicht weist, neben ionischer Sprachfärbung716, auch speziell homerische Formen und Wendungen auf, die jedoch aufgrund ihrer poetologischen Relevanz unter ‚Inhalt und Charakter’ untersucht werden.

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Lambin S.216 sagt, das Gedicht „peut n’être pas sans rapport avec l’esprit que nous retrouvons, en Grèce, aux II et III siècles, dans le roman“. Siehe hierzu auch Hinds, vgl. Anm.70. So beispielsweise in Κυθήρης (V.1).

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Inhalt und Charakter: Rosenmeyer717 interpretiert das Gedicht poetologisch und sieht starke Anlehnungen an Kallimachos. Den ersten Bezug sieht sie zwischen der Formulierung παρὰ Λημνίαις καμίνοις (V.2), welche sie in Beziehung setzt zu Kallimachos, Aitia Frg.115,11718 (πҕαρ’ Ἡφҕαҕ[ί]ςҕ[τοιο καμίνοις) und zu der sie als weitere Vergleichsstelle noch Nonnos, Dionysiaka 29,376 (παρ’ Ἡφαίστοιο καμίνοις) angibt. Hinzuzufügen wären allerdings drei Scholien-Notizen719 sowie ein Epigramm der Anthologia Graeca720. Das Lysistrate-Scholion zeigt, daß es durchaus nicht unüblich war, die Schmiede des Hephaistos in Lemnos mit dem Begriff κάμινος zu bezeichnen721, und das Gedicht in der Anthologia Graeca zeigt dadurch, daß es keinen besonderen Bezug zu Kallimachos aufweist, daß die Verwendung der Formulierung in der Literatur nicht ungewöhnlich und auch nicht unbedingt auf Kallima-

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Rosenmeyer S.100f. Nach der Zählung von Pfeiffer, Rudolf: Callimachus, Bd.1 Fragmenta, Oxford 1949, Bd.2 Hymni et Epigrammata, Oxford 1953. Scholia In Aristophanem, Scholia in aves (scholia vetera), Argumentum-scholion sch av, 436,9: Ἄλλως. ἐπιστάτην Καλλίστρατος τὸ τῇ ἐσχάρᾳ ἐπιτιθέμενον ξύλον. οἱ δὲ πυριστάτην πλαττόμενον τινὰ ξύλινον ἐν ταῖς ἐσχάραις, ὡς παρὰ ταῖς καμίνοις τὸν Ἥφαιστον ἀναπλάττουσιν. Scholia In Aristophanem, Scholia in Lysistratam (scholia vetera), Argumentum-scholion sch lys, 299,3: Λήμνιον τὸ πῦρ: Ἀντὶ τοῦ πάνυ γενναῖον. ἢ ἀπὸ τῶν Λημνίων γυναικῶν, πορνῶν οὐσῶν ἢ ἀπὸ τῶν καμίνων τοῦ Ἡφαίστου. Scholia In Lycophronem (scholia vetera et recentiora partim Isaac et Joannis Tzetzae) 227,5: EG 52759 (aliter P) δὲ παρόσον ἐν Λήμνῳ μυθεύονται εἶναι τοῦ Ἡφαίστου τὰς καμίνους. ss3 ἀπὸ κεραυνοβόλου δένδρου ἐν Ἑλληνικαῖς χώραις ἐν Λήμνῳ T πρώτως εὑρέθη τό τε πῦρ καὶ αἱ ὁπλουργίαι, κάθως ἐν τῷ περὶ Χίου κτίσεως Ἑλλάνικος ἱστορεῖ ἵνα μὴ κατὰ πλάτος τὴν ἱστορίαν ἐπεξεργαζώμεθα. Anthologia Graeca 6,61,1-6 (Agathios Scholastikos zugeschrieben): Ὦ ξυρὸν οὐράνιον, ξυρὸν ὄλβιον, ᾧ πλοκαμῖδας / κειραμένη πλεκτὰς ἄνθετο Παμφίλιον, / οὔ σέ τις ἀνθρώπων χαλκεύσατο, πὰρ δὲ καμίνῳ / Ἡφαίστου χρυσέην σφῦραν ἀειραμένη / ἡ λιπαροκρήδεμνος, ἵν’ εἴπωμεν καθ’ Ὅμηρον, / χερσί σε ταῖς ἰδίαις ἐξεπόνησε Χάρις. Eine Alternative wäre der Begriff χαλκεῖον, doch ist dieser mit 17 Belegstellen nicht wesentlich häufiger als κάμινος, so daß man aus der Verwendung von κάμινος tatsächlich keine sicheren Schlüsse ziehen kann. χαλκεῖον findet sich als mehr oder minder direkte Bezeichnung für die Schmiede des Hephaistos an folgenden Stellen: Apollonius Rhodius, Argonautica 4,761; Platon, Symposion 197b2; Lukian, De sacrificiis 8,14; Julius Pollux, Onomastikon 7,105,1; Pseudo-Apollodorus, Bibliotheca 1,26,1; Agathocles, Frg.9,2; Aristonicus, De signis Iliadis, zu 18,369, Z.2; Dialexeis (Δισσοὶ λόγοι, Fragmenta) 9,9; Johannes Stobaios, Anthologion 4,20a,36,85; PseudoZonaras, Lexicon, α,78,24; Proklos, In Platonis Parmenidem 829,15; Etymologicum Genuinum, α,195,2; Etymologicum Magnum 33,24; Scholia In Apollonium Rhodium, Scholia in Apollonii Rhodii Argonautica (scholia vetera) 292,8; Scholia In Callimachum, Scholia in Hymnos (scholia vetera) (scholia ψ ex archetypo) zu Hymnos 3, Scholion 47,2; Scholia In Homerum, Scholia in Iliadem (scholia vetera) zu 14,231a1, Z.7; Suda, Lexicon, χ,37,1.

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chos bezogen war. Als alleiniges Indiz für einen direkten Bezug genügt diese Ähnlichkeit mit Kallimachos daher nicht. Die übrigen Ähnlichkeiten, die Rosenmeyer anführt, sind nicht mehr direkt sprachlicher, sondern allgemein inhaltlicher Art. Daß Eros γλυκύπικρος722 ist, was in dem Gedicht mit μέλι τὸ γλυκύ (V.6) und χολήν (V.7) ausgedrückt wird, ist ein Gemeinplatz. Gleichwohl ist richtig, daß Ares als klassischer Held dargestellt ist, wie sprachlich durch die Verwendung homerischer Wörter deutlich zu sehen ist723, wenngleich auch hier anzumerken ist, daß der Dichter sich nicht um philologische Genauigkeit bemüht hat724, sondern einfach bestrebt war, mittels homerischen Vokabulars Ares als typischen Krieger darzustellen. Eros selbst ist jedoch zumindest im Text nicht als gegensätzlich zu Ares dargestellt, auch wenn Rosenmeyer diesen Eindruck erweckt, so daß ihre poetologische Deutung sich nicht am Text belegen läßt, denn die zur Darstellung von Eros und seinen Handlungen verwendeten Wörter sind weder antihomerisch noch charakterisieren sie Eros als dem Ares wesenhaft entgegengesetzt, zumal er nicht die Süße, sondern

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Ausgehend von Sappho Frg.130L-P hat sich dieser Begriff in der späteren Literatur verbreitet, unter anderem in der Verbindung mit βέλος, die sich auch in CA 28,10 findet: Anthologia Graeca 12,109,1-4 (Meleager zugeschrieben): Ὁ τρυφερὸς Διόδωρος ἐς ἠιθέους φλόγα βάλλων / ἤγρευται λαμυροῖς ὄμμασι Τιμαρίου, / τὸ γλυκύπικρον Ἔρωτος ἔχων βέλος. ἦ τόδε καινὸν / θάμβος ὁρῶ· φλέγεται πῦρ πυρὶ καιόμενον. Zur Entstehungszeit von CA 28 war die Bezeichnung von positiven Liebesgefühlen als süß und von negativen als bitter in der Literatur so gängig, daß Rosenmeyers Ansicht „Anacreontic 28 alludes again to Sappho’s erotic motifs“ (S.169) nicht zwingend ist. Natürlich ist es möglich, daß der Verfasser von CA 28 bei der Formulierung auf Sappho zurückgegriffen hat, doch wäre dieser Bezug auf Sappho kein gegen Anakreon gerichteter Bezug, vgl. auch oben zu CA 26. So ist etwa ἐξ ἀυτῆς στιβαρὸν δόρυ κραδαίνων (VV.8-9) eine rein aus homerischen Wörtern zusammengesetzte Formulierung, die sich allerdings in dieser Form nicht bei Homer findet. Vgl. auch Anm.724. So findet sich beispielsweise die genaue Wendung στιβαρὸν δόρυ noch nicht bei Homer, sondern erst, wie auch Wests Apparat zu entnehmen ist, der Batrachomyomachia 207 als Vergleichsstelle nennt, bei in homerischer Tradition entstandenen Werken. Außer in der bei West genannten Stelle findet sich die Wendung auch noch in Quintus, Posthomerica 1,236 und Manuel Philes, Carmina 3,113,17, was insgesamt zeigt, daß die Wendung als homerisch empfunden wurde. Möglicherweise ist es nur Zufall, daß sie in Ilias und Odysse nicht erscheint, denn es finden sich dort sehr ähnliche Wendungen wie beispielsweise die Bezeichnung des Speers der Athene in Ilias 5,745f.: λάζετο δ’ ἔγχος / βριθὺ μέγα στιβαρόν. βέλος (V.10) ist zwar homerisch, εὐτελίζειν (V.10) ist dagegen erst spät belegt, so unter anderem einmal bei Plutarch (De communibus notitiis adversus Stoicos 1073c14) und Lukian (Pro imaginibus 13,2), öfter bei Athanasius, Photius und Origenes, Eustathius und Catenae (Novum Testamentum), sehr oft bei Didymus Caecus sowie in Homer- und sonstigen Scholien.

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die Galle725 den Pfeilen beimischt. Wenn das Gedicht aber wahrscheinlich nicht poetologisch zu verstehen ist, so muß ihm ein anderer Sinn abzugewinnen sein. Lambin vermutet eine Familiengeschichte mit Eros als Kind von Aphrodite, Hephaistos als Gemahl von Aphrodite und Ares als ihrem schon gegenwärtigen oder künftigen Liebhaber. Doch auch für diese Vermutung findet sich in dem Gedicht keinerlei Anhaltspunkt. Eros ist nicht erkennbar als Kind dargestellt, und ob Ares wegen Aphrodite zur Schmiede von Hephaistos kommt oder um für sich selbst irgendeine Schmiedearbeit erledigen zu lassen, was durch die Tatsache, daß er wohl gerade aus der Schlacht kommt, weil er noch die Lanze schwingt, nahegelegt würde, bleibt unklar. Betrachtet man das Gedicht im einzelnen, so beginnt es mit Hephaistos, der allerdings nicht namentlich genannt, sondern über seine Frau Aphrodite und seine Schmiede in Lemnos charakterisiert wird. Dieser verfertigt aus Eisen Geschosse, und zwar Geschosse τῶν Ἐρώτων (V.3). Daß man sich hierunter viele kleine Eroten vorzustellen habe, welche die Geschosse abschießen, ist angesichts der Nennung von Eros im weiteren Verlauf des Gedichtes nicht unbedingt wahrscheinlich. Plausibler scheint es vielleicht, gegen die communis opinio eine Kleinschreibung von ἐρώτων vorzunehmen726 und es so zu verstehen, daß diese Pfeile für das Hervorrufen von Liebesregungen geeignet und für das Entstehen von Liebesbeziehungen verantwortlich sind, doch wäre auch eine Variation zwischen einem und mehreren Eroten nicht sonderlich ungewöhnlich727. Für das Verständnis des Gedichtes ist die Frage zwar nicht von besonderer Bedeutung, doch ist sie von Interesse bezüglich des Verhältnisses der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung, weil in letzterer stets nur von einem Eros die Rede ist. Sollte aber in V.3 tatsächlich von mehreren Eroten die Rede sein, so wären dies, da im weiteren Verlauf des Gedichtes nur von einem Eros die Rede ist (VV. 7; 10; 11; 17), wohl kleine Gehilfen des Gottes. Jedenfalls ist festzustellen, daß sich in diesem Fall die Vorstellungen von einem Eros und vielen Eroten nicht widersprächen, sondern ergänzten und daher von dem Verfasser des Gedichtes die Vorstellung von mehreren Eroten als so geläufig und selbstverständlich empfunden 725

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Lexikalisch ist zwar anzumerken, daß der Dichter nicht die ionisch-homerische Form des Wortes verwendet, doch kann dies auch einfach metrische Gründe haben und ist daher nicht poetologisch verwertbar. Zur Groß- und Kleinschreibung von Eros in den Carmina Anacreontea siehe Lambin S.222, der auf diesbezügliche Unterschiede zwischen den Herausgebern verweist, so beispielsweise für CA 29A. Im Manuskript der Anthologia Palatina ist kein Unterschied zwischen großem und kleinem Epsilon zu erkennen, so daß die Deutung der Eroten tatsächlich ganz den Herausgebern und Kommentatoren überlassen ist. Als Beispiel sei verwiesen auf Georgius Grammaticus, Anacreontea, wo sich in Frg.1,6 mehrere Eroten (τὸ γένος τὸ τῶν Ἐρώτων) und in Frg.1,91f. nur noch ein Eros findet (Βελέων Ἔρωτος οἶδεν / τὸ ῥόδον πλέον με τέρπειν).

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wurde, daß sie zum einen keinen Widerspruch innerhalb des Gedichtes erzeugte und damit zum anderen auch keinen Widerspruch zur anakreontischen Dichtung oder gar eine Abgrenzung von dieser implizieren sollte. Nach der Nennung der Schmiedetätigkeit des Hephaistos wird über die Weiterverarbeitung der Pfeile berichtet. Aphrodite taucht deren Spitzen in süßen Honig, doch Eros mischt Galle bei, die für ihre Bitterkeit bekannt ist728. Nun kommt Ares hinzu, direkt vom Schlachtfeld, lanzenschwingend, und macht sich über den Pfeil von Eros lustig. Grund dafür dürfte sein, daß der Pfeil recht klein ist, was jedoch nicht so zu deuten ist, daß Eros als Knabe zu denken wäre und es sich daher um einen entsprechend kindlich kleinen Pfeil, fast eine Art Spielzeugpfeil, handelte. Nichts hindert einen, sich Eros in diesem Gedicht als großen und starken Gott vorzustellen, denn die kleine, kindliche Version kann in den Eroten (V.3) gesehen werden, und daher ist die Stelle wohl eher so zu verstehen, daß zum einen Eros solche Wirkmacht hat, daß bereits ein sehr kleiner Pfeil genügt um Großes anzurichten, und daß zum anderen die Liebeskraft ihrer äußeren Erscheinung nach nicht groß und kriegerisch, sondern klein, zart und zierlich auftritt und ihre Wirkung erst im Inneren entfaltet, wenn sie das Herz getroffen hat, wobei dieses tiefere Verständnis der Stelle nicht die zunächst ins Auge fallende Komik des Gegensatzes von großem Gott und kleinem Pfeil einerseits und kleinem Pfeil und großer Wirkung andererseits verdecken soll. Wie in der anakreontischen Dichtung wird also sowohl auf die leichte, angenehme Seite der Liebe eingegangen als auch auf die Last, welche die Liebe sein kann, wenn man es, wie Ares, nicht schafft, sich von ihr zu befreien. Die Wirkmacht der Liebe ist stärker als alle kriegerische Gewalt, und Aphrodite weiß um dieses Wesen der Liebe, weshalb sie ob der Überheblichkeit des Ares lächelt, weil sie weiß, daß diese gestraft werden wird sobald er auf Eros’ Aufforderung hin den Pfeil in die Hand nimmt. So geschieht es, und Ares stöhnt unter der Last des Pfeiles, doch als er ihn an Eros zurückgeben will, verweigert dieser die Rücknahme und weist ihn an, den Pfeil noch zu (be)halten. Ares spürt also, welche Macht und auch welche Last die Liebe sein kann. Möchte man den Pfeil nicht als reines Abstraktum, sondern als mögliche Vorausdeutung auf eine tatsächliche Liebeserfahrung von Ares sehen, so scheint die von Rosenmeyer angesprochene Möglichkeit729, daß diese Szene auf die Liebesbeziehung zwischen Ares und Aphrodite vorausdeutet, durchaus plausibel zu sein. Ares würde sich dann dadurch, daß er den Pfeil nimmt, in Aphrodite verlieben. Daß Eros sich weigert, den Pfeil zurückzunehmen und Ares damit von der Liebesregung wieder zu befreien, soll, wie es bereits im Bild der Beimischung von Galle ausgedrückt wurde, die 728

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Daß Galle als bitter gilt, findet sich hundertfach in der antiken Literatur. Die früheste Stelle, an der Galle ausdrücklich als bitter bezeichnet wird, ist wohl Sophokles Frg.854,1 Radt (πικρὰν πικρῷ κλύζουσι (sc. ἰατροί) φαρμάκῳ χολήν). Rosenmeyer S.100 Anm.61.

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zwanghafte Last verdeutlichen, welche die Liebe sein kann, und ihre Unverfügbarkeit für den von ihr Befallenen betonen. Auch in diesem Gedicht steht also, ganz in anakreontischer Programmatik, die beschwerliche Seite der Liebe im Vordergrund, wenngleich natürlich auch die angenehme Seite, der süße Honig, von Aphrodite persönlich bereitgestellt und auf die Pfeile aufgetragen, nicht fehlt. Der inhaltliche Bezug auf die erotische Thematik und die motivischen Parallelen zur anakreontischen Dichtung werden von sprachlichen Bezügen trotz der genannten Unsicherheiten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unterlaufen, so daß CA 28 in einem poetologischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Gedicht 29: Metrik: CA 29 ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt. Metrische Besonderheiten gibt es keine. Sprache und Stil: Sprachlich ist die Dichte bemerkenswert, die in der Einfachheit der Ausdrucksweise liegt. Sie wird vor allem durch die starke Beschränkung sehr deutlich, die in der mehrfachen Wiederholung derjenigen Worte liegt, die die Beschwernis bzw. die Liebe bezeichnen730. Inhalt und Charakter: Daß die Trennung dieses Gedichtes vom vorherigen durch Stephanus richtig ist, ist an der starken inneren Geschlossenheit von CA 29 und CA 29A klar ersichtlich731. Ebenfalls klar ist die Aussage von CA 29. Das Gedicht verzichtet auf jegliche Bilder, verwendet eine überaus einfache, unpoetische Sprache und erreicht gerade dadurch seine große Wirkung. Die knappen, emotionslos gehaltenen Feststellungen bezüglich der Schwierigkeiten der Liebe drücken die innere Ruhe aus als Resultat jener übergroßen Trauer, die denjenigen ergreift, der den Menschen, mit dem er in einer Liebesbeziehung verbunden war, verloren hat. Es ist das kürzeste der anacreonteischen Gedichte und in seiner Art sehr ähnlich Anakreon Frg.46G. Ebenfalls anakreontisch ist es durch die Darstellung des Gefühls verlorener Liebe, wie es sich bei Anakreon etwa in Frg.15G findet.

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χαλεπόν (V.1) - χαλεπόν (V.2) - χαλεπώτερον (V.3); φιλῆσαι (V.1) - φιλῆσαι (V.2) φιλοῦντα (V.4). So auch Lambin S.219f.

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Gedicht 29A732: Metrik: CA 29A ist in anaklastischen ionischen Dimetern abgefaßt. Besonderheiten sind keine feststellbar. Sprache und Stil: Ionisch-poetische Formen finden sich in V.2 (σοφίη), V.7 (τοκῆες) und V.9 (ὀλλύμεσθα). Inhalt und Charakter: Zunächst wird aufgezählt, was in der Liebe heutzutage733 nicht mehr von Bedeutung ist, nämlich Abstammung, Weisheit und Lebensweise, welche früher noch von Wichtigkeit in Liebesdingen waren, da sie einen Mann attraktiv machten. Heutzutage aber zählt nur noch Geld. Diese Aussage ist verpackt in den Wunsch des lyrischen Ich, daß der zugrunde gehen möge, der als erster begonnen hatte, Geld zu lieben. Die verheerende Wirkung der Liebe zum Geld bestehe nämlich darin, daß zum einen verwandtschaftliche Bindungen wie die zu Brüdern und Eltern nicht mehr Bestand haben, daß es ferner Kriege und Bluttaten wegen des Geldes gibt und daß, was das Schlimmste ist, auch die Liebenden, zu denen das lyrische Ich auch und vor allem sich selbst zählt, zugrunde gehen734. Der Topos der rücksichtslosen Geldgier ist zu allgemein als daß man in dem Gedicht einen zeit- und sozialkritischen Hintergrund erblicken könnte. Das Gedicht will vielmehr auf eine grundsätzliche Problematik aufmerksam machen, nämlich die Frage, wie weit der Mensch in seinem Streben nach materiellem Besitz gehen sollte und welche Konsequenzen sich daraus ergeben können. Die Bedeutung des materiellen Bereiches im menschlichen Leben ist von Natur aus stets vorhanden, weshalb auch die Liebe zum Geld sehr alt ist, doch kommt es auf die Stellung dieser Liebe zum Geld an. Man sollte jedoch, so die Aussage des Gedichtes, zwischen der Liebe zum Geld und der Liebe zu anderen Menschen strikt trennen, und man sollte sich daher den Geliebten nicht nach seinem Vermögen aussuchen, sondern nach anderen 732

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Die Trennung von 29A und 29 durch Mehlhorn ist zum einen wegen der inneren Geschlossenheit der beiden Gedichte, zum anderen wegen deren geringen inhaltlichen Zusammenhanges als richtig anzusehen. Hinzu kommt die Tatsache, daß Nicetas Eugenianos nur CA 29 imitiert, wie auch Lambin S.219 bemerkt. Wie öfter in den Carmina Anacreontea stellt sich die Frage, ob man ἔρωτα (V.1) als die Liebe allgemein auffaßt wie etwa West oder, wie Campbell (siehe den Apparat von West), als die personifizierte Liebe, den Liebesgott. Je nachdem findet sich in den Ausgaben Klein- oder Großschreibung. Für CA 29A ist der Liebesgott eindeutig auszuschließen, denn gerade für ihn zählen ja noch die Werte, die in der heutigen allgemeinen Liebe nicht mehr zählen, sondern dem Wert des Geldes weichen mußten. Mit der heutigen Zeit ist die innere Zeit des Gedichtes gemeint, die mit seiner Abfassungszeit gleichzusetzen sein dürfte. Beachtenswert ist die wohlüberlegte Verwendung von ἀπόλοιτο (V.4) und ὀλλύμεσθα (V.9), welche zu einem changieren des Bezuges von πρῶτος (V.4) zwischen attributiv zu φιλήσας (V.4) und prädikativ zu αὐτός ὁ (V.5) führt.

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Kriterien735. Die Abwendung vom Geld ist dabei ein allgemein verbreitetes, aber auch anakreontisches Motiv, wie sich an Frg.4G zeigt. Ebenfalls auf Anakreon könnte der Begriff der σοφίη (V.2) verweisen. Platon (Phaidros 235c4) bezeichnet Anakreon als σοφός, was durch Anakreon Frg.78G dahingehend erhellt wird, daß man sich vorzustellen hat, Anakreon sei in Liebesdingen erfahren und zwar so, daß er sich für das sympotisch-erotische Leben als das im Sinne eines gesunden Menschenverstandes vernunftgemäße einsetze. In CA 29A wird zudem implizit das Idealbild des erotischen Lebens dadurch gekennzeichnet, daß Krieg, Streit und die sonstigen Übel ihm fern sind, was wiederum an die Ablehnung kriegerischer Dichtung beim Symposion durch Anakreon (Frg.56G) denken läßt. Diese Verteidigung des erotischen Lebens mit anakreontischen Mitteln und Argumenten berechtigt zur Feststellung eines potologischen Generationenverhältnisses zwischen CA 29A und der anakreontischen Dichtung. Gedicht 30: Metrik: CA 30 ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt. Besonderheiten gibt es keine. Sprache und Stil: Das Gedicht bedient sich ionisch-epischer Sprache in Formen wie κίχανεν (V.5) und δοκέω (V.7), ist aber ansonsten sprachlich recht unauffällig. Inhalt und Charakter: Das Gedicht gliedert sich in zwei Hälften, in deren erster ein Traum erzählt und in deren zweiter er gedeutet wird736. Das lyrische Ich sagt, es habe geträumt, es sei gelaufen, mit Flügeln an den Schul-

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Von diesen werden drei aufgezählt, γένος (V.1), σοφίη (V.2) und τρόπος (V.2). Unter γένος hat man sich wohl die edle Abstammung vorzustellen, die nicht für Einfluß, Macht oder Geld, sondern vielmehr für die moralische Integrität des Betreffenden bürgen soll, unter σοφίη keine philosophische Weisheit, sondern einen gesunden Menschenverstand und eine praktische Lebensweisheit, und unter τρόπος angenehme Umgangsformen und ein freundliches Wesen. Bei den genannten Kriterien γένος (V.1), σοφίη (V.2) und τρόπος (V.2) ist zwar auf den ersten Blick befremdlich, daß sie nicht mit körperlichen Dingen zu tun haben und daher auf eine Innerlichkeit der Liebe weisen, für die sich bei Anakreon keine direkten Belege finden (So ist zwar beispeilsweise in Frg.15G trotz des Attributes in V.1 weitgehend offengelassen, wodurch das angesprochene Kind über die Seele des lyrischen Ich herrscht, doch ist anzunehmen, daß die Reize des Geliebten hauptsächlich körperlicher Art sind.), doch sind in dem Gedicht weniger die Werte selbst wichtig als vielmehr die Tatsache, daß es immaterielle Werte sind, die die Abgrenzung von der Liebe zum Geld deutlich machen sollen. Zum Motiv des Traumes in der anakreontischen Dichtung siehe auch S.112; S.125 mit Anm.483; S.140.

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tern, doch Eros habe es, obgleich er Blei737 an seinen schönen Füßchen hatte, verfolgt und auch eingeholt. Ob man sich den Eros in diesem Traum als Knaben vorzustellen hat, ist zwar wegen des Diminutivs ποδίσκοις (V.4) zunächst naheliegend, aber bei genauerer Betrachtung nicht ganz sicher. ποδίσκος ist sehr selten belegt und erscheint sonst nur je zwei Mal bei Herodas738 und Pseudo-Codinus739. Wie jedoch aus Herodas 7,113 ersichtlich ist, kann die Form auch scherzhaft-spöttisch verwendet werden, und es wäre nicht unwahrscheinlich, daß sie auch hier so zu verstehen ist, denn dem lyrischen Ich dürften angesichts seiner eigenen Flügel die noch dazu bleibeschwerten Füße von Eros recht unzulänglich erschienen sein, so daß es hier nicht um irgendeine objektive Beschreibung, sondern allein um die subjektive Sicht des lyrischen Ich geht. Eine bestimmte Vorstellung über das Aussehen von Eros läßt sich dem Gedicht daher nicht entnehmen. Nach dieser Traumerzählung fragt sich das lyrische Ich, was denn der Traum zu bedeuten habe, und sagt dann, wie es selbst den Traum deuten würde. Es selbst glaube, daß es in viele „Eroten“, d.h. Liebesbeziehungen verstrickt gewesen sei (ἐν ἔρωσί με πλακέντα, V.8) und sich aus den einen von diesen zwar habe lösen können, daß er aber nur einem bestimmten Eros740 verbunden sei. Dieser eine ist gemäß der inneren Logik des Gedichtes genau der, welcher ihn im Traum eingeholt hat, also der Gott selbst, welcher der einzige war, der dem im Traum geflügelten lyrischen Ich aufgrund seiner Macht mit Leichtigkeit folgen und es einholen konnte. Das lyrische Ich wollte zumindest im Traum der Last seiner Liebschaften entfliehen, doch, so

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Daß gerade Blei die Füße von Eros beschwert, liegt zum einen daran, daß es recht schwer ist. Zum anderen ist es nicht so wertvoll wie Gold, denn daß Gold als göttliches und wunderbares Metall einen Gott an etwas hindern sollte, ergäbe ein seltsames Bild. Herodas, Mimiambi 7,94: ψαῦσαι ποδίσκων ὦν Πόθοι τε κἤρωτες ψαύουσιν; ebd. 7,113: φέρ’ ὦδε τὸν ποδίσκον. Pseudo-Codinus, Patria Constantinopoleos 2,79,8: αἱ ἱστορίαι τοῦ μονολίθου καὶ αἱ ἡνιοχευτικαὶ στῆλαι σὺν ταῖς βάσεσιν αὐτῶν ταῖς ἐνιστόροις καὶ τῶν περιπάτων οἱ κίονες σὺν τῶν κεφαλαίων καὶ ποδίσκων αὐτῶν καὶ τῶν ἐν σφενδόνι καὶ τῶν στηθέων καὶ συστεμάτων αὐτῶν καὶ σκαλίων καὶ σωλέων καὶ ἁπλῶς ὁπόθεν ἐκεῖσε εὑρίσκεται γραφή; ebd. 2,104,6: Οἱ δὲ κίονες ὀκτὼ καὶ οἱ ποδίσκοι. ἑνί (V.10) ist wahrscheinlich nicht in ἐνί zu ändern, wenngleich es metrisch und auch grammatikalisch (συνδεθῆναι mit ἐν kommt vor bei Athanasius, Orationes tres contra Arianos 26,305,13 und Zosimus, Βίβλος ἀληθὴς Σοφὲ Αἰγυπτίου καὶ θείου Ἑβραίων κυρίου τῶν δυνάμεων Σαβαώθ (e cod. Paris. B.N. gr. 2327, fol. 260r, ed. M. Berthelot and C.É. Ruelle, Collection des anciens alchimistes grecs, vol. 2., Paris 1888, repr. London 1963), 213f.) möglich wäre, da die Konstruktion mit reinem Dativ doch wesentlich häufiger ist. Nähme man die Änderung dennoch vor, so wäre der Sinn vielleicht etwa folgender: aus den anderen Liebesbeziehungen konnte ich mich befreien, aber in irgendeine (ich kann nun darüber nachdenken in welche von den vielen wohl) bin ich doch (seelisch) fest eingebunden.

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die Hauptaussage des Gedichtes741, vor dem Gott selbst gibt es kein Entkommen, sogar dann nicht, wenn man die im wahrsten Sinn des Wortes traumhafte Möglichkeit hat, geflügelt zu entfliehen. Das Motiv der geflügelten Flucht findet sich freilich nicht bei Anakreon, sondern lediglich allgemein das Motiv der Flucht vor Eros (Frg.65G), doch steht es im Dienste einer anakreontischen Hauptaussage, so daß der generationale poetologische Bezug zur anakreontischen Dichtung gegeben ist. Gedicht 31: Metrik: CA 31 ist, wie bereits die Gedichte 28-30, in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt ohne daß es metrische Besonderheiten zu bemerken gäbe. Sprache und Stil: Einzelne ionisch-epische Formen742 sollen dem Gedicht, wie in anacreonteischer Dichtung üblich, einen möglichst alten und damit anakreontischen Klang verleihen. Diesen Formen stehen junge Wörter gegenüber, die allerdings nicht bewußt als solche gewählt wurden, sondern dem zur Entstehungszeit des Gedichtes normalen Sprachgebrauch geschuldet sind743. Inhalt und Charakter: Lambin weist mit Recht darauf hin, daß es sich bei diesem Gedicht sowohl um die Wiedergabe eines Phantasieerlebnisses als auch um die eines Traumerlebnisses handeln könnte744, was möglicherweise der Grund dafür ist, warum dieses Gedicht auf ein Gedicht mit expliziter 741

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Die Thematik der Unentfliehbarkeit von Eros findet sich in der anakreontischen Dichtung indirekt in Frg.25G, wo das lyrische Ich den Qualen sicher gerne entflöhe, aber nichts darauf hindeutet, daß eine Flucht möglich sein könnte. Auch das Adynaton in Anakreon Frg.38G, einen Faustkampf mit Eros zu wagen, dürfte in diese Richtung deuten. So etwa τροχάοντα (V.6), τεῖρεν (V.6), κραδίη (V.7), das zwar nicht ionische, von Homer aber bevorzugte ἄχρις (V.7) und πτεροῖσιν (V.10). Ganz eindeutig homerisch ist die außer bei Homer (Ilias 5,796f.: ἱδρὼς γάρ μιν ἔτειρεν ὑπὸ πλατέος τελαμῶνος / ἀσπίδος εὐκύλου; ebd. 17,744f.: ἐν δέ τε θυμὸς / τείρεθ’ ὁμοῦ καμάτῳ τε καὶ ἱδρῷ σπευδόντεσσιν; ebd. 21,51: τεῖρε γὰρ ἱδρὼς φεύγοντ’ ἐκ ποταμοῦ) nur noch im Kommentar des Eustathius vorkommende Formulierung τεῖρεν ἱδρώς (V.6). Hierzu zählt etwa das erst in nachchristlicher Zeit belegte συντροχάζειν (V.3; einer der frühesten Belege ist Septuaginta, Ecclesiastes 12,6,4). Auch entspricht die Verwendung von ῥάβδωι (V.1) nicht ganz der homerischen, weil der Begriff bei Homer nicht für eine Rute mit der man jemanden prügelt, aber unter anderem für den Stab des Hermes verwendet wird, mit dem er die Menschen in Schlaf versetzt oder aufweckt. Es könnte sich daher, will man einen Homerbezug in diesem in der gesamten, später vor allem auch der christlichen Literatur sehr gebräuchlichen Wort sehen, um einen Hinweis darauf handeln, daß eine Traumerzählung vorliegt. Lambin S.232. Als mögliche Vorbilder für Phantasie- oder Traumerlebnisse finden sich bei Anakreon z.B. Frg.13G und Frg.25G.

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Traumerzählung folgt. Rosenmeyer sieht in dem Gedicht starke Verbindungen zu Homer, wohingegen Lambin in dieser Hinsicht bedeutend zurückhaltender ist745. Zum Gedicht im einzelnen. Das lyrische Ich erzählt in VV.13, Eros habe ihn mit einer Hyazinthenrute heftig geprügelt und ihm befohlen, mit ihm mitzulaufen. Daß der Dichter als im ersten Vers genannte Rute eine Hyazinthenrute wählt, ist dem erotischen Zusammenhang geschuldet, denn Hyakinthos war der Geliebte des Apoll. In den folgenden zwei Versen erzählt das lyrische Ich von dem Weg, über den Eros es jagt. Das lyrische Ich geht durch steile Bergbäche, durch Dickichte und Schluchten und ist dabei von Schweiß geplagt. Zu den Verbindungen zu Homer sagt Rosenmeyer746, die Anspielung auf Homer weise zum einen darauf hin, daß die Situation in einer Katastrophe enden werde, und sie zeige zum anderen eine deutliche Trennung zwischen homerischer und anacreonteischer Dichtung. Die Gemeinsamkeit des lyrischen Ich mit Diomedes und Lykaon beschränkt sich darauf, daß alle drei schwitzen, wobei die Situation des von Eros gejagten lyrischen Ich deutlich verschieden ist von der der kämpfenden Helden. Daß Krieg und Liebe einiges gemeinsam haben und daß beide sehr anstrengend sein können, ist die Hauptaussage dieser Anspielung. Es liegt aber keine tiefergehende Verbindung zu Homer mit dem Zweck einer Distanzierung und einer Vorausdeutung vor, wie Rosenmeyer annimmt. Der Bezug soll dazu dienen, das Leiden des lyrischen Ich episch zu überhöhen, wobei das lyrische Ich durchaus scherzhaft auf dieses Erlebnis zurückblickt, zumal es ja zumindest in dieser Form kein reales Erlebnis war. Eine poetologischprogrammatische Bedeutung hat der Verweis auf Homer nicht, es geht nicht um eine ausdrückliche Abgrenzung von Homer und es geht auch nicht um den Versuch, die eigene Dichtung der homerischen in gewisser Hinsicht gleichzustellen, sondern es wird innerhalb des anacreonteischen Dichtungsprogammes das Mittel epischer Überhöhung zur Darstellung der Differenz zwischen subjektiver und objektiver Wahrnehmung von Liebesschmerz angewendet. Homer als der Dichter schlechthin dient den anacreonteischen Dichtern wie auch schon Anakreon747 als motivische Folie,

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Lambin verweist lediglich S.232 Anm.62 auf Ilias 21,51f. zu V.6. Rosenmeyer S.153f.: „In Chapter 3 I discussed instances of ironic allusion, most of which set up a direct contrast between epic and anacreontic modes. These include analogies between the poet as a victim of Eros (31), and the warriors Diomedes (Il. 5.796) and Lykaon (Il. 21.51) as victims of warfare; the common vocabulary of sweat, exhaustion, and pursuit implies the hidden strength of Eros and the futility of attempts at flight: both epic models end in disaster. The allusion thus intensifies the moment and predicts a parallel outcome, yet keeps the two systems distinct; the overall impact is still one of incongruity and difference.“. Hier ist zum einen an die Ablehnung epischer Dichtung beim Symposion zu denken, zum anderen aber auch an Gedichte wie etwa Frg.38G oder das mit diesem wohl sehr ähnliche Frg.65G, wo das lyrische Ich sich sogar anschickt, mit einem Gott zu kämp-

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denn an die homerische Erhabenheit kann und will schon Anakreon nicht mehr heranreichen, so daß er homerische Bilder verwenden kann, um einer bestimmten Situation epische Größe zu verleihen, was im Falle von Situationen, denen eine solche Größe eigentlich unangemessen ist, die beabsichtigte scherzhafte Wirkung erzielt. Das Herz schlägt also dem lyrischen Ich bis zur Nase748, und es wäre fast umgekommen, so zumindest das subjektive Gefühl, doch Eros kühlt ihm die Stirn mit seinen zarten Flügeln749. Dieses Bild zeigt, daß doch alles bei weitem nicht so ernst ist wie es zunächst schien, und verdeutlicht damit auch nochmals, daß der epische Bezug rein dem Spannungsaufbau diente. Schließlich fragt Eros das lyrische Ich mit unschuldheuchelnder Bosheit, ob es denn nicht lieben könne, und thematisiert damit eine Reflexion darüber, was es bedeutet, zu lieben, und welche Anstrengungen das Lieben mit sich bringen kann. Ähnlichkeit bezüglich der Intensität des Dargestellten Leidens hat das Gedicht mit Anakreon Frg.25G, und das Motiv der Flucht vor Eros findet sich in Frg.65G. Sowohl das Thema und die Art seiner Behandlung als auch die motivischen Anleihen bei Anakreons Dichtung zeigen, daß CA 31 poetologisch in einem generationalen Verhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Gedicht 32: Metrik: Das Gedicht ist in anaklastischen ionischen Dimetern abgefaßt, metrische Auffälligkeiten gibt es keine. Sprache und Stil: Der Dichter ist erkennbar bemüht, einen gehobenen Sprachstil zu verwenden, besonders in den Versen, in denen das lyrische Ich den Gott Eros direkt anspricht. So ist die Verwendung von κρᾶτα (V.14) und der Ionismus ἑταίρην (V.15) zu erklären, wobei letzterem allerdings, sei

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fen, doch ist ein Kampf mit Eros nicht den homerischen Kämpfen vergleichbar, und genau daraus resultiert auch die Komik solcher Stellen. Diese Wendung ist zwar nirgendwo sonst belegt, doch scheint sie der allgemeinen Vorstellung zu entspringen, daß nicht die Lunge, sondern das Herz es ist, welches mit der Nase atmet, und daß daher bei hoher Anstrengung das Herz bis in die Nase hinaufgeht, um besser atmen zu können. Vergleichsstellen hierfür sind beispielsweise Stephanus Medicus, Commentarii in priorem Galeni librum therapeuticum ad Glauconem 1,335,14: ἀναπνεῖ γὰρ ἡ μὲν καρδία διὰ στόματος καὶ ῥινὸς und Nemesius, De natura hominis 23,31: ὡς διὰ τοῦ στόματος καὶ τῆς ῥινὸς ἡ καρδία τὸ λιγνυῶδες ἐν ταῖς ἐκπνοαῖς ἀνωθεῖται. Ein Blick in Wests Apparat zeigt, daß für diese Stelle auch Konjekturen in Erwägung gezogen wurden, die dem Text einen recht brutalen Sinn verliehen hätten. Diese entbehren jedoch, wie Giangrande S.192 darlegt, einer Grundlage, da die Stelle nicht verderbt ist.

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es aus Unkenntnis oder Nachlässigkeit des Autors oder aus einem Fehler in der Überlieferung heraus750, die Form χορείας (V.17) gegenübersteht. Inhalt und Charakter: Die generelle Motivik von CA 32 bewegt sich im wohlbekannten Rahmen von der Ermahnung zum Lebensgenuß in Erinnerung an den allen Menschen sicheren Tod. Auch die einzelnen Motive des Gedichtes sind verbreitet, wie sowohl die zahlreichen Vergleichsstellen im Apparat von West als auch die Ausführungen von Lambin751 zeigen, wobei letzterer zudem deutlich darauf hinweist, daß die Ähnlichkeiten wohl eher nicht einem direkten Bezug, sondern dem allgemeinen Kontext der Entstehungszeit des Gedichtes und der Allgemeinheit der Thematik geschuldet sind752. Der Inhalt des Gedichtes ist folgender: Das lyrische Ich möchte gerne auf Myrten und Lotusgras gebettet liegen, einen Trinkspruch ausbringen auf nicht näher bezeichnete Dinge und Eros als Mundschenk haben. Die Gründe dafür, daß das lyrische Ich sich einen derart idealisierten Zustand wünscht, werden in den folgenden Versen angeführt. Das Leben rolle gleich einem Wagenrad unaufhörlich dahin, und wir würden bald daliegen als Staub sich auflösender Knochen753. 750

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Ganz allgemein auf das Problem der Überlieferung weist West: Carmina Anacreontea, S.XII hin, wobei er gerade bei den hier in Frage stehenden Ionismen der Handschrift vertraut, wie sich S.XI (mit Anm.2) zeigt. Die von West bemerkten Unterschiede in der Schreibweise bei verschiedenen Gedichtgruppen können aber auch darauf zurückzuführen sein, daß in der die jeweilige Gedichtgruppe betreffenden Vorlage der Anthologia Palatina eine bestimmte Schreibweise einheitlich durchgeführt wurde. Gewißheit läßt sich in diesen Fragen jedoch nicht erlangen. Für Nachlässigkeit oder Unkenntnis könnte die eher späte Entstehungszeit des Gedichtes sprechen, die sich etwa in der Verwendung von ὡς (V.13) in der Bedeutung ‚solange’ zeigt. Lambin S.194ff. Dies nimmt Lambin ausdrücklich auch an für die Ähnlichkeiten von VV.11ff. mit einem Gedicht von Straton (Anthologia Graeca 11,19,1-6: Καὶ πίε νῦν καὶ ἔρα, Δαμόκρατες· οὐ γὰρ ἐς αἰεὶ / πιόμεθ’ οὐδ’ αἰεὶ παισὶ συνεσσόμεθα. / καὶ στεφάνοις κεφαλὰς πυκασώμεθα καὶ μυρίσωμεν / αὑτούς, πρὶν τύμβοις ταῦτα φέρειν ἑτέρους. / νῦν ἐν ἐμοὶ πιέτω μέθυ τὸ πλέον ὀστέα τἀμά· / νεκρὰ δὲ Δευκαλίων αὐτὰ κατακλυσάτω). Das Motiv mag zwar auf den ersten Blick christlichen Einfluß vermuten lassen, doch ist dieser bei näherer Betrachtung der Vergleichsstellen unwahrscheinlich. Daß die Knochen selbst zu Staub werden, findet sich sonst nur in Anthologiae Graecae Appendix, Epigrammata sepulcralia 747,19: κόνις ἀμυδρὰ τῶν ταπεινῶν ὀστέων, dem wohl fiktiven Grabgedicht eines Georgios, der sich in dem Gedicht als Hirte aus Kerkyra bezeichnet. Oft aber findet sich die Verbindung von Knochen mit Staub, der wohl aus dem Zerfall des umgebenden Gewebes entstanden ist (hierzu siehe auch die Vergleichsstellen bei West), oder die Verbrennung von Knochen zu Asche, auch in nicht offensichtlich christlichen Texten, so daß letztlich davon auszugehen ist, daß es sich bei der Annahme, die Knochen zerfielen nach dem Tode zu Staub, um eine mehr

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Es folgen zwei rhetorische Fragen, in deren erster sich ein σέ (V.11) findet, das zumeist unpersönlich aufgefaßt wird754. Verstanden wird die Stelle dann so, daß der Sinn von Opfern hier in Zweifel gezogen werde, wobei die Unnötigkeit von Opfern bisweilen begründet wird mit der Ansicht, die Existenz von Göttern überhaupt solle in dem Gedicht verneint werden755. Letztere Ansicht ist jedoch durch die Anrufung von Eros durch das lyrische Ich in VV.13-18 eindeutig widerlegt. Daß der Zweifel am Sinn von Opfern nicht Gegenstand von VV. 11 und 12 sein kann, wird dadurch offensichtlich, daß bei diesem Verständnis kein inhaltlicher Bezug zwischen diesen Versen und dem Rest des Gedichtes hergestellt werden könnte. Daher ist die Auffassung von σέ als „man“ vielleicht nicht die beste Lösung, zumal angesichts der Tatsache, daß σέ in dieser Formulierung an keiner anderen Stelle, an der die Formulierung vorkommt756, so aufzufassen ist. Zu dem formalen Aspekt der grammatikalisch parallel konstruierten und durch die betonte Anfangsstellung von ἐμέ durch den so hergestellten Gegensatz eindeutig aufeinander bezogenen Sätze τί σε δεῖ λίθον μυρίζειν - ἐμὲ μᾶλλον μύρισον kommt der inhaltliche Aspekt, daß Eros in V.16 als der mit μύρισον Angesprochene identifiziert wird und daß Eros zudem in der imaginierten Szene der einzige und von Beginn an Anwesende neben dem lyrischen Ich ist. Der Sinn der Worte soll daher wohl folgender sein: du, Eros, brauchst nicht meinen Grabstein zu salben und auch nicht auf die Erde Wein zu gießen; jetzt, solange ich lebe, tue mir Gutes und laß mich deine Gaben genießen. Es ist die Aufforderung an den Gott, jetzt sogleich mittels seiner Macht dem lyrischen Ich in vollem Umfang seine Gaben zur Verfügung zu stellen, es zu salben und in Rosen zu hüllen und ihm eine Gespielin zu beschaffen solange es noch lebt, denn, so die Begründung des lyrischen Ich für seine Forderung, es möchte, bevor es gezwungen sei, in die Unterwelt hinabzugehen, seine Sorgen zerstreuen. Mit dieser Sorge des Menschen aufgrund seiner Sterblichkeit greift der Autor eine Thematik auf, die, wie sich an Anakreon Frg.36G zeigt, typisch anakreontisch ist. Daß dabei eine deutliche Akzentverschiebung erfolgt von der Sorge hin zu einer möglichen Lösung, ist durch das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung abgedeckt. Wie sich in

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oder minder verbreitete Annahme handelte, der im vorliegenden Fall keine bestimmte Quelle zugrunde liegt. Eine wahrscheinlich nicht christliche Herkunft des Motives legen auch die von Lambin S.203 aufgeführten Stellen nahe. Dies zeigen die Übersetzungen von Rosenmeyer (S.252: „What use ist it to shower myrrh on a stone? What use to pour libations in vain to the earth?“) und Lambin (S.195: „À quoi bon mouiller de parfums une pierre? À quoi bon verser sur la terre de vaines libations?“). Lambins dahingehende Interpretation zeigt sich an seiner Äußerung „L’Olympe était vide.“ (S.196). Beispielhaft sei verwiesen auf Tragica Adespota, Frg.350: τί δῆτα θύειν δεῖ σε κατθανούμενον;.

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Anakreon Frg.33G zeigt, ist das sympotische und damit auch das sympotisch-erotische Leben757 frei von der Sorge um den eigenen Tod758, so daß CA 32 eine geschlossene anakreontische Thematik aufweist. Bemerkenswert ist, daß in CA 32 nicht, wie in CA 48, CA 50 und CA 56, Dionysos, sondern Eros derjenige Gott ist, der dem lyrischen Ich die Sorgen nehmen soll. Dies weist auf die enge Verbindung des sympotischen Bereiches mit dem erotischen hin. In ihrer Funktion für die sympotisch-erotische anakreontische Welt sind die beiden Götten über das Symposion so stark miteinander verbunden, daß sie mitunter austauschbar sind. Diese enge Verbindung ist bereits in der anakreontischen Dichtung angelegt, wie Frg.14G zeigt. Hieran wird deutlich, in welchem Maße und auf welche Weise CA 32 der Gedankenwelt und dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung verbunden ist. Gedicht 33: Metrik: CA 33 ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt. Prosodisch fällt die Langmessung der ersten Silbe von ὕδωρ (V.22) auf759. Sprache und Stil: Die Sprache des Gedichtes ist stark homerisch geprägt. Da die Ähnlichkeiten möglicherweise auf konkrete Bezüge zurückzuführen sind, werden sie unter ‚Inhalt und Charakter’ abgehandelt, weil sie dort gleich auf ihre poetologische Relevanz hin untersucht werden können. Inhalt und Charakter: Das Gedicht beginnt mit der Angabe, daß es Mitternacht sei. Diese Zeitangabe wird ergänzt durch den Stand der Sternbilder zu diesem Zeitpunkt. In exakt dieser Weise findet sich die Beschreibung zwar nirgends, doch die Verbindung von Arktos und Bootes paßt zur Uhrzeit und findet sich zudem schon bei Homer760. Ob es sich nun nur um den großen oder um den großen und den kleinen Bären handelt761, ist für das 757

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Die Verschmelzung des sympotischen mit dem erotischen Bereich zu einer idealen Lebenswelt zeigt sich bei Anakreon beispielsweise in Frg.14G. Was in der anakreontischen Dichtung als beschwerlich thematisiert wird ist stets nur das Alter. Der Tod selbst spielt in der anakreontischen Dichtung keine Rolle. Nur in Frg.29G ist vom Sterben die Rede, allerdings wird es dort als Befreiung von den Mühen des Lebens genannt. Lambin S.237 weist noch auf prosodische Unregelmäßigkeiten bei σχίσας (V.9) und ἀπέθλιβον (V.22) hin, die West jedoch offensichtlich nicht als solche anerkennt, weil er sie in seiner Ausgabe nicht erwähnt. Homer, Odyssee 5,271-273: οὐδέ οἱ ὕπνος ἐπὶ βλεφάροισιν ἔπιπτε / Πληϊάδας τ’ ἐσορῶντι καὶ ὀψὲ δύοντα Βοώτην / Ἄρκτον θ’, ἣν καὶ ἄμαξαν ἐπίκλησιν καλέουσιν. Beläßt man den Dual in V.2, wie Giangrande und Lambin dies gegen West bevorzugen, verliert man zwar die Parallele bei Theokrit, gewinnt aber einen Hyperurbanismus, der dem auch sonst beispielsweise an den Homerismen und Ionismen, auf die auch Lambin S.237 verweist, ersichtlichen Versuch des Dichters, einen hohen

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Verständnis der Handlung nicht von Bedeutung. VV. 2 und 3 dienen, ebenso wie VV. 4 und 5, zum einen als retardierende Momente dem Spannungsaufbau, weil der Leser doch gerne erfahren möchte, was denn nun um Mitternacht geschah, zum anderen aber dienen sie auch dazu, in ihrer Ausführlichkeit die Glaubwürdigkeit des Gesagten zu untermauern. Der gehobene Klang und die epische Breite der Erzählung zeigen sich sprachlich in homerisch-episch-ionischer Ausdrucksweise762. Erst in V.6 beginnt, nach dieser Einleitung, die eigentliche Erzählung. Eros habe an die Türverriegelung geklopft763 und das lyrische Ich habe gefragt, wer denn an der Tür rüttle und ihm seine Träume zerschneide. Das Zerschneiden der Träume ist zum einen sprachlich auffällig. Sehr passend zum Bild des Zerschneidens ist eine Tmesis festzustellen (κατά μευ σχίσας, V.9764), ein geschickter Kunstgriff und zugleich auch typisch für epische Sprache. Zum anderen ist bemerkenswert, daß ausgerechnet das Zerstören eines Traumes besonders hervorgehoben wird. Dies dürfte den Sinn haben, nochmals die Wirklichkeit des Erzählten zu betonen, um so herauszustreichen, daß es sich bei dem Erzählten eben gerade nicht um einen Traum, sondern um eine tatsächliche Begebenheit handelt. Eros antwortete dem lyrischen Ich, es solle sich nicht fürchten, denn er sei nur ein Kind, das durchnäßt und die ganze mondlose Nacht hindurch umhergeirrt sei. Diese Verse zeigen, daß es sich bei der Angabe über die Sternbilder in VV. 2 und 3 tatsächlich um eine ganz allgemeine Angabe handelt, denn wenn es regnet und es so dunkel ist, daß man den Mond nicht sehen kann, kann das lyrische Ich beim Öffnen der Tür auch keine Sternbilder gesehen haben, sondern hat lediglich festgestellt, daß es tiefe Nacht war,

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Sprachstil zu gewinnen, entspräche. Die Parallele mit Theokrit wäre auch, sofern sie bestünde, rein sprachlicher Art und hätte mit dem Inhalt des Gedichtes nichts zu tun, weshalb sie aufgegeben werden kann. Neben der bereits genannten allgemeinen Ähnlichkeit der Sternenbeschreibung sind dies in VV.1-5 das homerisch-poetische Wort μέροψ, welches jedoch bei Homer im Gegensatz zu der vorliegenden Stelle selten alleine steht, und die ionisch-epischhomerische Form κέαται. Zu einer Auflistung der Homerismen und Ionismen für das gesamte Gedicht siehe Lambin S.237. Die Formulierungen sollen jedoch insgesamt weniger spezifisch homerisch als vielmehr allgemein gehoben poetisch klingen. Deutlich wird dies, wenn man sich beispielsweise Vergleichsstellen zu μερόπων δὲ φῦλα (V.4) ansieht, besonders Aischylos, Supplices 554 (πολλὰ βροτῶν διαμειβομένα φῦλα) und Alkman Frg.106,1,1 (είπατέ μοι τάδε φῦλα βροτήσια), wobei in CA 33 die homerisierende Abwandlung der Wendung auffällt, was zeigt, daß der Dichter nicht um philologische Genauigkeit, sondern nur um den archaischen Klang bemüht war. Zu türenrüttelnden Göttern vergleiche Kallimachos, Hymnus in Apollinem (2), V.3: καὶ δή που τὰ θύρετρα καλῷ ποδὶ Φοῖβος ἀράσσει. Mehr als eine allgemeine motivische Ähnlichkeit zwischen den beiden Textstellen läßt sich jedoch nicht erkennen. Auf diese Tmesis sowie auf die in V.15 weist auch Lambin S.237 hin, der jedoch nur von der allgemeinen Gesuchtheit dieser Stilfigur in anacreonteischer Dichtung spricht.

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und erst nun in der nachträglichen Erzählung die Zeitangabe ausgeschmückt. Das lyrische Ich öffnet die Türe und sieht ein Kind mit Bogen, Flügeln und Köcher, holt es ins Haus, setzt es an den Herd, wärmt und trocknet es. Das Trocknen ist sprachlich auffällig gestaltet. ἀποθλίβω ist erst ab dem 4. Jh. v. Chr. belegt765, augmentierte Formen gar nicht766. Die Wendung ὑγρὸν ὕδωρ (V.22) wurde von Martlew767 mit zahlreichen Vergleichsstellen als gängige Bezeichnung für fließendes Wasser erwiesen, die auf Homer, Odyssee 4,458, zurückgeht, doch so weit verbreitet ist, daß eine direkte Entlehnung aus Homer nicht nachzuweisen, wenngleich doch wahrscheinlich ist, wie die anderen Anspielungen des Gedichtes zeigen. Jedoch haben diese Anspielungen in dem Gedicht lediglich die Aufgabe, Dichtung von hohem Niveau in altertümlicher Sprache und in anakreontischer Art zu erzeugen. Nachdem Eros sich aufgewärmt hat, möchte er gerne sehen, ob sein Bogen durch die Feuchtigkeit Schaden genommen hat, so sagt er zumindest. Dies erinnert an Odysseus, der den Bogen nach seiner Heimkehr auf Wurmfraß prüft, um ihn anschließend gegen die Freier einzusetzen768. Eros also spannt den Bogen und trifft das lyrische Ich mitten in die Leber, hat also wie Odysseus einen Probepfeil abgeschossen, der offensichtlich auch mitten ins Ziel getroffen hat, und der Pfeil sitzt nun in der Leber wie ein Stachel. Eros springt freudig lachend auf und fordert das lyrische Ich auf, sich mit ihm darüber zu freuen, daß der wie der des Odysseus aus Horn gefertigte Bogen keinen Schaden genommen hat, im Gegensatz allerdings zum Herz769 des lyrischen Ich. Sprachlich zeigt auch der Schlußteil die Bemühung des Dichters, ein hohes, homerisch-episches Sprachniveau zu erreichen. Die Frage, ob der Dich765 766

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Frühester Beleg ist Aristoteles, Historia animalium 632a17 (ἀποθλίβουσιν). Neben dieser Stelle findet sich nur im 12./13. Jh.n.Chr. Eustathius, Commentarii ad Homeri Odysseam 1,97,41 (ὅτι καὶ φοινίκων ἀπεθλίβετο οἶνος) und Nicetas Choniates, Historia (= Χρονικὴ διήγησις) 1,1,71,9 (εἴτ’ οὖν ὡς ῥᾶγες αἷμα τὸ ζωτικὸν ἀπεθλίβοντο τοῖς λογχηφόροις ληνοβατούμενοι). Martlew, Ian C.: „The Significance of ὑγρὸν ὕδωρ in Anacreontic 33.22“, in: Classical Quarterly 44, 1994, S.277-278. Homer, Odyssee 21,393ff. Auch die Wendung τόξον πειρᾶσθαι (VV.24-25) etwa ist wahrscheinlich dem 21. Gesang der Odyssee entlehnt. Lambin geht auf diese Stelle nicht ein, West führt sie im Apparat als Vergleichsstelle an. Hierzu Rosenmeyer S.103f.: „In poem 33 the text imitates the Odyssey, but tracks down one of the most disturbingly violent scenes of the whole epic. The actions of the anacreontic Eros, in violation of the custom of guest-friendship (ξενία) turning his pitiless bow and arrow against his host, are described in these words (33.24-29): [ ... ] The imagery also applies to Odysseus before the slaughter of the suitors (Od. 21.393-95).“. Herz und Leber werden hier synonym als Bezeichnung für den ‚Sitz des Lebens’ verwendet. In die Leber getroffen wird beispielsweise auch der Zyklop bei Theokrit, Idyll 11, doch dürfte dies wohl eine zufällige Übereinstimmung sein.

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ter tatsächlich eine homerische Sprache erzeugen will oder nur ein hohes sprachliches Niveau, das möglichst archaisch und anakreontisch klingen soll, kann aber wohl nicht abschließend beantwortet werden. Da einige Motive wahrscheinlich oder sogar sicher auf Homer zurückgehen, ist es nicht unverständlich, wenn der Dichter zusammen mit den Motiven auch gleich bestimmte Wendungen bei Homer entlehnt hat, da er damit auch die Gewähr hat, einen hohen und archaischen Sprachstil zu schaffen. Wichtig für die Beurteilung des Homer-Bezuges ist vor allem das Verständnis des Gedichtes. Eros benimmt sich einerseits wie die Freier gegen jegliches Gastrecht, versucht aber den Bogen wie Odysseus. Hieran sieht man bereits, daß kein durchgängiges Muster aus der Odyssee übernommen ist, sondern lediglich einzelne Motive, die aber nach anakreontischem Muster zu einem neuen Ganzen verwoben werden und weder den ganzen homerischen Hintergrund noch gar das homerische Dichtungsprogramm unterschwellig in das anacreonteische Gedicht hineintragen sollen. Es ist eher der Versuch des Dichters, die Sprache und auch die Bildersprache der anakreontischen Zeit so gut wie er es eben vermag wieder lebendig werden zu lassen, auch durch die Einbindung epischer Motive in das poetologische Programm. Inhaltliches Ziel ist es, Eros als Personifikation der Liebe in seinem Wesen und Wirken zu charakterisieren. Liebe achtet nicht auf Konventionen wie das Gastrecht, sie kann jemanden, auch wenn er noch so rechtschaffen, arglos und mitleidvoll (ἐλέησα, V.14) ist, zu jeder Tages- und Nachtzeit ereilen und sich ihm wie ein Stachel ins Herz bohren. Auch in diesem Gedicht stehen wieder die Schmerzen, die die Liebe bereiten kann, im Vordergrund, denn Eros sagt ausdrücklich, das lyrische Ich werde Mühen und Leiden in seinem Herz haben (σὺ δὲ καρδίαν πονήσεις, V.32). Daß Eros auf so fröhliche Weise solch grausamen Scherz treibt, mag seltsam anmuten, und seine teilnahmslose Feststellung, das lyrische Ich werde leiden, mag auf den ersten Blick auch nicht recht zum Gott der Liebe passen, aber all dies soll versinnbildlichen, daß Liebe bisweilen nicht nur wahl-, sondern auch völlig rücksichtslos den Menschen treffen kann. Da auch dies zum Wesen der Liebe gehört, muß auch dies ein Wesenszug von Eros sein, der in diesem Gedicht dargestellt werden soll. Der Rückgriff auf alte, epische Sprache und Motive soll dabei lediglich dazu dienen, möglichst anakreontisch zu wirken. Es ist noch kurz auf die äußere Erscheinung von Eros in dem Gedicht einzugehen. Er wird als kleiner Junge beschrieben, ausgestattet mit Pfeil und Bogen, den für Eros typischen Attributen. Nun kann man natürlich sagen, dem liege eine späte Vorstellung von Eros zugrunde, derzufolge Eros als kleiner Junge darzustellen ist. Gleichwohl wird in dem Gedicht begründet, warum Eros als kleiner Junge erscheint, nämlich um vom lyrischen Ich für ungefährlich gehalten, was sich als Trugschluß erweisen wird, und daher überhaupt erst eingelassen zu werden. Es kann daher auch die Vorstellung zugrunde liegen, Eros habe die Gestalt nur zur Tarnung angenommen. Dies 242

ist jedoch vielleicht wiederum unwahrscheinlich angesichts der wahrhaft kindlichen Freude, die er ob der gelungenen Erprobung seines Bogens an den Tag legt. Ob dies bedeutet, daß eine späte Vorstellung von Eros in dem Gedicht zur Darstellung kommt, läßt sich jedoch nicht sagen, weil Eros möglicherweise schon bei Anakreon selbst (Frg.13G) als Kind dargestellt ist. Aber auch wenn CA 35 insgesamt vielleicht äußerlich eher etwas weiter von der anakreontischen Dichtung entfernt ist als andere anacreonteische Gedichte, so ist dies durch die Entstehungszeit bedingt, nicht durch eine Veränderung des poetologischen Programmes. Gedicht 35: Metrik: CA 35 ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Prosodische Besonderheiten gibt es keine. Sprache und Stil: Sprachlich bietet das Gedicht eine Mischung aus ionisch-epischen (ῥόδοισι (V.1), Κυθήρην (V.7)) und dorisch-lyrischen Formen (τᾶς (V.5), ἅ (V.13), τᾶς μελίττας (V.14)). Dem Autor kam es also, sofern ihm, weil das Gedicht wohl recht spät entstanden ist, der Unterschied überhaupt noch bewußt war, wohl lediglich auf einen archaischen Klang der Sprache an, ohne daß er eine nähere Kenntnis der Besonderheiten anakreontischer Sprache gehabt hätte770. Inhalt und Charakter: Die Ähnlichkeit von CA 35 mit dem pseudotheokriteischen Idyll 19 ist auffallend, doch ist das Verhältnis der beiden Gedichte zueinander nicht ganz so klar wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Dies liegt an der nicht genau bestimmbaren Entstehungszeit beider Gedichte und daran, daß die Gedichte sich doch nicht so ähnlich sind wie es zunächst den Anschein hat. Für die vorliegende Untersuchung soll jedoch davon ausgegangen werden, daß der Autor von CA 35 Kenntnis vom pseudotheokriteischen Idyll 19 hatte, denn dieser Fall ist immerhin möglich771. Lambin geht von einem Imitationsverhältnis mit gleichwohl deutlichen Abwandlungen aus772. Betrachtet man aber zunächst die Ähnlichkeiten, so läßt 770

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An der möglichen Ähnlichkeit mit dem pseudo-theokriteischen Idyll 19 kann die Dorisierung kaum liegen, findet sich doch dort die Form μέλισσα (V.6), und eine vom Autor tatsächlich bewußt gewählte Dialektmischung dieser Art wäre unerklärlich und ohne Sinn. Dies legt Lambin S.234f. dar. Ebenso ist hinzuweisen auf Rosenmeyer S.174, speziell auf ihren Verweis auf Lloyd-Jones in Anm.50, da eine Beurteilung des zeitlichen Verhältnisses aufgrund sprachlicher Kriterien doch trotz aller Unsicherheiten weitaus weniger subjektiv ist als die ebenfalls oft erfolgte Orientierung an inhaltlichen Kriterien. So Lambin S.234f. Eingehender untersucht Rosenmeyer S.174-177 das Verhältnis der beiden Gedichte zueinander.

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sich nur die feststellen, daß Eros von einer Biene gestochen wird und zu seiner Mutter Aphrodite geht, welche die Wunden, die er bei Menschen verursacht, mit dem Stich einer Biene vergleicht773. Die Ausgestaltung ist jedoch eine grundsätzlich verschiedene774. Während im pseudotheokriteischen Idyll der Schmerz, den die Stiche der Biene verursachen, durch das Lachen der Kypris als letztlich harmlos charakterisiert wird, so daß die bukolische Idylle als solche durch diesen kleinen Zwischenfall nicht in Gefahr gerät, und auch der Liebesschmerz dadurch, daß er mit dem Stich der Biene verglichen wird, als letztlich unschädlich bezeichnet wird, steht in CA 35 der zumindest subjektiv nicht nur im Moment etwas unangenehme und schmerzhafte, sondern existenzbedrohende Charakter des Liebesschmerzes im Vordergrund, und Bukolisches ist in dem Gedicht nicht zu finden. Daß Eros sich in Rosen aufhält, ist ein typisch anacreonteisches Motiv775. Die Verwundung an sich gehört zur allgemeinen Motivik, und daß Eros in beiden Gedichten in den Finger gestochen wird, ist der allgemeinen Lebenserfahrung zuzurechnen, die eben darin besteht, daß man Bienen zumeist entweder mit den Füßen oder mit den Fingern durch versehentliche Berüh773

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Daß Eros dem Menschen mit einem Stachel Schmerzen zufügt, eine Vorstellung, bei der der Vergleich mit einer Biene dann sehr naheliegend ist, findet sich beispielsweise in Anthologia Graeca 12,250,5f.: ἔρρ’ ἐπὶ σοὺς μελίπαιδας ὅποι ποτέ, δραπέτι, σίμβλους, / μή σε δάκω· κἠγὼ κέντρον ἔρωτος ἔχω. Dies ist auch einem Vergleich mit den von Lambin S.234f. und Rosenmeyer S.174ff. genannten Stellen zu entnehmen. Um zu zeigen, wie weit sich Motive verstreuen können ohne daß sich ein direkter Bezug zwischen den Texten, in denen sie vorkommen, herstellen ließe, sei durch einen Verweis auf Anthologia Graeca 4,3,129 (ἑκταῖον δὲ μέλος κλέπτουσα Κυθήρη) illustriert, wo Aphrodite einen Honigdiebstahl begeht, während es in Idyll 19 Eros ist. Das Motiv des Honigdiebstahls ist zwar das selbe, doch haben die Texte wohl schwerlich miteinander zu tun. Dies weist darauf hin, daß der allgemeine literarische Motivschatz vielleicht doch größer und weniger stark poetologisch aufgeladen ist als man zunächst annehmen möchte. Hierzu ist CA 6 zu vergleichen. Daß das Motiv auf Anakreon selbst zurückginge, ist nicht nachweisbar. Wichtig für die Überprüfung, ob das Gedicht dennoch in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht, ist allein die Tatsache, daß das Motiv der inneren Logik des poetologischen Programmes entspricht. Wenn man nämlich über Eros schreiben möchte, muß man bisweilen auch einen Ort nennen, an dem er sich aufhält, und dann liegt es nahe, ihn sich in einem Rosengarten aufhalten zu lassen, weil Rosen die Blumen sind, die man am stärksten mit der Liebe verbindet und die folglich am besten zu Eros passen. Wenngleich also Rosen als Aufenthaltsort für Eros nicht auf Anakreon selbst zurückzuführen sind, so zeugen sie doch zumindest von dem Bemühen um konsequente Systemimmanenz. An anderen Stellen als hier in den Anacreontea findet sich das Motiv von Eros, der sich in Rosen aufhält, nicht. Eros in sonstiger Verbindung mit Rosen findet sich beispielsweise bei Nonnos, Dionysiaka 47,466f. (πορφυρέοις δὲ ῥόδοισι περίτροχον ἄνθος ἑλίσσων μάντις Ἔρως πυρόεις στέφος ἔπλεκε) und ist für die darstellende Kunst belegt für Zeuxis durch Suda α,2494,3f. (Ζεῦξις ὁ ζωγράφος ἐν τῷ ναῷ τῆς Ἀφροδίτης ἔγραψεν Ἔρωτα ὡραιότατον, ἐστεμμένον ῥόδοις.).

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rung so in Bedrängnis bringt, daß man von ihnen gestochen wird. Das schmerzliche Aufjaulen von Eros gehört ebenfalls in den Bereich der allgemeinen Lebenserfahrung, ebenso wie die Tatsache, daß er, dargestellt als kleiner Junge, zu seiner Mutter eilt776. Die Formulierung καλὴ Κυθήρη, die auch in CA 17,15 und CA 43,14 vorkommt, ist dabei nicht so sehr typisch anacreonteisch als vielmehr ein Gemeinplatz, denn der Gedanke, daß die Göttin der Schönheit selbst schön sei, ist verbreitet777. Bei Aphrodite nun drückt Eros seinen Schmerz über den Bienenstich aus indem er sagt, er sterbe gleich. Objektiv gesehen ist dies zwar eine starke Übertreibung, aber sie gibt das subjektiv wahrgenommene Gefühl treffend wieder. Daß die Biene nicht einfach als Biene, sondern zunächst von Eros als kleine, geflügelte Schlange bezeichnet wird, hat seinen Grund darin, daß ihm die Biene nicht wie den Bauern als einfache Biene, sondern als überaus gemeines und hinterlistiges Wesen, als welches eben die Schlange gilt778, erscheint. So wird schließlich auch Eros von einem unglücklich Liebenden nicht einfach als eigentlich harmloser Gott, sondern als gemeines und grausames Wesen empfunden. Aphrodite antwortet ihm auf seine Klage mitleidlos mit der Frage, wie sehr wohl die leiden, die er trifft, wenn er selbst bereits am Stachel einer Biene so leidet. Das Leiden des Eros und das Leiden an Eros stehen im Zentrum des Gedichtes, wie sich an dessen Aufbau unschwer erkennen läßt. Die beiden Verse, die mit ὄλωλα, dem Ausdruck großen Leidens, beginnen779, stehen genau in der Mitte des Gedichtes, der erste und der letzte Vers beginnen jeweils mit 776

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Ob er hierfür tatsächlich seine Flügel einsetzt, wie Ventura (Ventura, Carlos Simões: „A signifição de πετασθείς numa ode Anacreôntica“, in: Humanitas 4, 1952, 43-59) annimmt, oder ob lediglich die Geschwindigkeit des Eilens verdeutlicht werden soll, ist für die poetologische Interpretation unerheblich. Vergleichsstellen sind unter anderem Hymni Homerici, In Venerem 1f.: Αἰδοίην χρυσοστέφανον καλὴν Ἀφροδίτην / ᾄσομαι; Platon, Symposion 203c3f.: καὶ ἅμα φύσει ἐραστὴς ὢν περὶ τὸ καλὸν καὶ τῆς Ἀφροδίτης καλῆς οὔσης; Theokrit, Idyllia 3,46: τὰν δὲ καλὰν Κυθέρειαν; Georgius Grammaticus, Anacreontea Frg.3,38: καλὴ Κυθήρη; Lukian, Amores 16,14: Ἀφροδίτην καλὴν; Carmina Popularia (PMG), Fragmenta 26,2: ὦ καλὰ Ἀφροδίτα; Apollonius, Lexicon Homericum 168,32: καλῆς; Scholia In Lucianum (scholia vetera et recentiora Arethae) 21,10,8: ἔλεγεν Ὅμηρος τὴν ἀντὶ τοῦ καλήν; Plotin, Enneades 5,8,13,16: καὶ ἡ Ἀφροδίτη αὐτὴ καλή. Ob sich in der Wahl der Schlange biblischer Bezug zeigt, muß wohl offen bleiben, ist aber unwahrscheinlich, denn daß Schlangen allgemein einen schlechten Ruf haben zeigt schon Homer, Ilias 12,200ff., und dementsprechend finden sich in der späteren Literatur zahlreiche weitere Stellen, an denen Schlangen als bedrohlich dargestellt werden. Dieses Wort wird auch andernorts dazu verwendet, erotisches Leiden zu bezeichnen, so beispielsweise in Anthologia Graeca 5,162,3: οἴχομ’, Ἔρωτες, ὄλωλα, διοίχομαι.

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Ἔρως, und der letzte Vers endet mit βάλλεις, welches dadurch, daß es oft auch im militärischen Bereich verwendet wird, dem ganzen einen Anstrich von grausamer Härte gibt. Diese Thematisierung des Liebesleides ist, wie etwa ein Vergleich mit Anakreon Frg.25G zeigt, dem Prinzip nach anakreontisch, und ebenso die Intensität der Liebesempfindung (vgl. Anakreon Frg.5G). Subjektiv erscheint es dem unglücklich Liebenden so, als gäbe es für ihn keinerlei Rettung mehr, wenngleich der objektiv feststellbare Schaden sehr gering ist. Durch Aphrodites Antwort wird zum einen darauf hingewiesen, wie dramatisch das Nichterkennen dieses Verhältnisses zwischen subjektivem und objektivem Leid für denjenigen ist, der es erleidet, aber auch wie unverständlich es für denjenigen sein kann, der es als Außenstehender betrachtet. Das pseudotheokriteische Idyll hingegen thematisiert und problematisiert das Liebesleid weitaus nicht so eingehend und differenziert, denn es legt Wert auf die Freude, welche die Liebe im bukolischen Bereich generell bereitet. Deutlich wird dies besonders an der Bezeichnung von Aphrodite als μάτηρ γελάσασα (Theokrit, Idyll 19,7), die eine Heiterkeit verbreitet, von der in CA 35 nur wenig zu spüren ist. Poetologisches Vorbild für CA 35 ist daher die anakreontische Dichtung. Gedicht 36: Metrik: Das Grundmetrum des Gedichtes ist der katalektische iambische Dimeter. West: CA, S.XIV erklärt diejenigen Verse, die nicht diesem Schema entsprechen, als anaklastische Varianten des katalektischen iambischen Dimeters, was möglich ist. Die Alternative wäre, in den entsprechenden Versen prosodische Freiheiten oder Fehler anzunehmen. Auf jeden Fall zeigen diese Probleme, daß das Gedicht wohl sehr spät, nämlich auf das 5. oder 6. Jh.n.Chr. (so auch West: CA, S.XVIII) zu datieren ist. Sprache und Stil: Sprachlich findet die späte Entstehungszeit ihren Niederschlag ebenso wie in CA 35 in dem Nebeneinander von ionischen (ἁπαλαῖσι, V.15) und dorischen (τὰν Ἀφροδίταν, V.16) Formen. Inhalt und Charakter: Wenn Reichtum in der Lage wäre, so das Gedankenspiel des lyrischen Ich, für Gold Leben zu gewähren, so würde es eifrig sparen, damit, wenn eines Tages Krankheit780 an es heranträte, diese etwas Gold von ihm nehmen könnte und weiterginge. Weil es aber dem Menschen 780

Der ohne Artikel substantivierte Infinitiv ist mit Giangrande S.198 und Lambin S.257 Anm.35 nicht zu emendieren, wenngleich Lambin sich an der Konstruktion aus grammatikalischen Gründen stört, weil sich wenige Vergleichsstellen finden (siehe zu diesen Lambin ebd.). Da sie inhaltlich aber gut verständlich ist, sollte der, zumindest nach heutiger Beleglage, grammatikalischen Ungewöhnlichkeit nicht so viel Gewicht beigemessen werden, daß man in den Text eingriffe. Diese Ansicht vertritt auch Lambin.

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nicht möglich ist, den Tod durch Geld abzuwenden, so ist es nicht sinnvoll zu jammern oder zu sparen781. Als Konsequenz aus dieser Überlegung will das lyrische Ich im Kreis von Freunden trinken und auf weichen Betten der Liebe, die durch Aphrodite symbolisiert wird, frönen. In diesem Gedicht werden also verschiedene anakreontische Motive miteinander verbunden, wobei ihr ursprünglicher Sinn gewahrt bleibt. Die Ablehnung von Reichtum entspringt Anakreon Frg.4G, an welches sich als zweite Strophe wahrscheinlich sogar eine Hinwendung zum sympotisch-erotischen Leben anschloß, doch wird dieses auch sonst vielfach in der anakreontischen Dichtung gepriesen, z.B. in Frg.33G, Frg.38G und Frg.124G. Die thematisch-motivische Verknüpfung mit der anakreontischen Dichtung zeigt deren poetologische Vorbildfunktion, die zu einem poetologischen Generationenverhältnis führt. Gedicht 37: Metrik: CA 37 besteht aus anaklastischen ionischen Dimetern, wobei kleinere prosodische Unregelmäßigkeiten in VV. 3, 11 und 12 festzustellen sind, die eine eher späte Abfassungszeit vermuten lassen. Sprache und Stil: Die Sprache ist in ihrer Wortwahl durchaus poetisch und gewählt782. Die einzige dialektal auffällige Form ist das ionisch-epischpoetische ἄκροισι (V.4). 781

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Ob man sich in V.8 für jammern (στενάζω) oder für das durch Emendation herzustellende sparen (στεγάζω) entscheidet, hängt an dem Verständnis der folgenden Verse. Tilgt man mit West V.9, weil man ihn für eine nachträgliche erklärende Erweiterung zu der überlieferten Version von V.8 hält und weil man dann drei inhaltlich in sich geschlossene Strophen herstellen kann, so empfiehlt sich die Emendation. Dann bereiten auch die von Lambin S.257 Anm.36 als nicht in den Zusammenhang passend empfundenen VV. 10 und 11 keine Probleme mehr. Möchte man jedoch den überlieferten Text behalten, so empfiehlt es sich, von der strophischen Gliederung des Gedichtes abzurücken und eine andere Gedichtstruktur anzunehmen. Diese sähe dann so aus, daß im Mittelpunkt des Gedichtes, nämlich in VV. 8 und 9, denen sieben Verse vorausgehen und sieben Verse folgen, die Vergeblichkeit von Klagen steht, eingekleidet in zwei rhetorische Fragen. Eingerahmt wird das Gedicht von Plutos in V.1, von dem sich das lyrische Ich im Laufe des Gedichtes abwendet hin zu der in V.16 genannten Aphrodite. Das Gedicht hätte damit denselben Bau wie das in der Sammlung direkt vorangehende Gedicht 35. Für die vorliegende Untersuchung sind diese Fragen jedoch nicht von weiterführender Bedeutung. δακέθυμα (V.9) ist eine seltene Vokabel, doch zeigen die Belegstellen, daß sie wohl gerade deshalb in der Spätantike gerne verwendet wurde. Das Wort erscheint bei Simonides Frg.74,1,5-6 (ὧι μὴ δακέθυμος ἱδρὼς / ἔνδοθεν μόληι, aus: Clemens Alexandrinus, Stromata 4,7,48,4,7); Sophokles, Philoktet 705f. (ἁνίκ’ ἐξανείη / δακέθυμος ἄτα); Gregorius Nazianzenus, Carmina de se ipso 1229,8; ders., Carmina quae spectant ad alios 1508,12; Hesych, Lexicon δ,127,1, sowie bei Eustathius, Constantinus Manasses, im Etymologicum Magnum, einem Lexikon zu Gregor von Nazianz und

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Inhalt und Charakter: In diesem Gedicht erzählt das lyrische Ich wie auch in CA 1 und CA 30 und wohl auch in CA 31 und CA33 einen Traum, was gleich in V.1 dadurch deutlich gemacht wird, daß das lyrische Ich die Erzählung mit der Information, es habe des Nachts783 geschlafen, beginnt. Die Umstände des Schlafes werden in VV. 2 und 3 näher beschrieben. Bezieht man ἁλιπορφύροις τάπησι (V.2) auf ἐγκαθεύδων (V.1), so bedeutete dies, daß es eingehüllt in mit echtem Purpur gefärbte Decken und, so die Aussage von V.3, erfreut durch Dionysos geschlafen hätte784. Letzteres kann nichts anderes bedeuten, als daß es vor dem Schlafengehen Wein getrunken hat. Bei dieser Konstruktion bleibt allerdings fraglich, welchen Sinn V.2 haben soll. Kostbare Purpurdecken sind ein Zeichen von Reichtum, doch ob das lyrische Ich reich oder arm ist, spielt in dem Gedicht keine Rolle. Die Purpurdecken wörtlich als Purpurdecken zu verstehen ergibt daher keinen Sinn. ἁλιπορφύροις τάπησι (V.2) ist daher vielmehr auf γεγανυμένος Λυαίωι (V.3) zu beziehen. Das lyrische Ich wird von Dionysos mit purpurnen Decken erfreut. Die purpurnen Decken sind dann zu verstehen als Rotwein, den das lyrische Ich reichlich getrunken und sich daher gleichsam mit ihm zugedeckt hat785. In diesem dionysisch inspirierten Traum eilt das lyrische Ich schnell in vergnüglichem Spiel auf Zehenspitzen, wodurch die Leichtigkeit und der Traumcharakter des Spieles dargestellt werden sollen, mit jungen Frauen umher786. Der Inhalt der vier folgenden Verse (VV.7-10) ist, daß

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einem Sophokles-Scholion. Dieser Befund zeigt deutlich, daß auch seltene Begriffe aus alter Dichtersprache in die Dichtersprache spätantiker Zeit übernommen wurden allein wegen ihres altertümlichen Klanges und nicht zu Zwecken der motivischen oder gar programmatischen Anspielung auf die Quelle. Ob man nun um des Metrums willen in V.1 νυκτός lesen möchte oder ob man annimmt, der Vers sei wie VV. 3; 5; 11 und 12 isosyllabisch und den Plural im Sinne von ‚im Verlauf der nächtlichen Stunden’ behalten möchte, ändert am Sinn des Verses nichts. Diese Konstruktion wählen sowohl Rosenmeyer S.255 als auch Lambin S.266 in ihren Übersetzungen ohne auf die Verse näher einzugehen. Ganz abgesehen von der Interpretation besteht auch schon eine rein lexikalische Verbindung zu Anakreon Frg.129G, so daß die Wendung Sphragis-Charakter haben könnte. Daß die Formulierung μετὰ παρθένων ἀθύρων (V.6) sich in nahezu identischer Form in CA 42,7 findet ist nicht geeignet, eine Verbindung zwischen den Gedichten zu konstruieren, da sich sowohl der Versanfang μετὰ παρθένων auch noch in CA 59,3 findet als auch das Verb ἀθύρειν in CA 5,19 und CA 43,10, so daß davon auszugehen ist, daß eine solche Formulierung dem allgemeinen Sprachschatz der Dichter der Anacreontea zuzurechnen und nicht spezifisch genug ist, um eine spezielle Verbindung zwischen Gedichten, in denen sie vorkommt, herzustellen, sofern eine solche Verbindung nicht durch weitere formale oder inhaltliche Parallelen nahegelegt wird. Dies ist jedoch bezüglich CA 37 und CA 42 nicht der Fall.

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Jünglinge, die zarter als Dionysos selbst787 waren, ihn mit Worten, die ihm am Herzen nagten, aufzogen wegen der schönen Mädchen. Die Jünglinge wollten ihn wohl dazu anstacheln, sich lieber mit ihnen als mit den Mädchen zu beschäftigen788. Die bunt gemischte Anwesenheit schöner Jünglinge und Mädchen schafft dabei eine Atmosphäre des freien erotischen Spiels789, wie es nur in der Freiheit eines Traumes möglich ist. Als das lyrische Ich dann aber zum Liebesvollzug schreiten wollte, entflohen sie alle seinem Traum, d.h. das lyrische Ich wachte auf. Auf diese Weise plötzlich alleingelassen, wollte es am liebsten sofort wieder einschlafen. In dieser Handlung ist das typisch anakreontische Motiv der unerfüllten Sehnsucht erfindungsreich umgesetzt. Zudem wird deutlich, daß die sympotisch-erotische anakreontische Welt nur eine Traumwelt ist. Obgleich in der anakreontischen Dichtung nie direkt von einem Traum die Rede ist, so gibt es doch einige Begebenheiten, die nur in der Phantasie oder in einem Traum stattgefunden haben können (s.o. S.117). Auch wird der Realität in der anakreontischen Dichtung breiter Raum gegeben, etwa in den Klagen über das Alter, wodurch eine implizite Kontrastierung von Lebenswirklichkeit und sympotisch-erotischer Idealwelt schon in der anakreontischen Dichtung vorhanden ist. Daß diese Kontrastierung in CA 37 nun explizit gemacht wird, ist dabei nicht als poetologische Neuerung mit dem Zweck der Abgrenzung zu verstehen, weil das Ideal des sorgenfreien sympotisch-erotischen Lebens erhalten bleibt. Diese programmatische Kontinuität sorgt dafür, daß CA 37 in einem poetologischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht und nicht in einem Verhältnis freier Mimesis. Gedicht 44: Metrik: Das Gedicht ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt, doch ist die Prosodie einiger Verse so frei, daß am besten von isosyllabischen Versen zu sprechen ist, weshalb es auch in V.2 ratsam erscheint, die überlieferte Version zu halten, weil V.2 dann wie die übrigen Verse acht Silben hat und damit dem Metrum entspricht. Das Gedicht ist, wie die freie Metrik anzeigt, wohl erst spät entstanden.

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Dies soll die göttliche Zartheit der Jünglinge betonen. Zu CA 52,6 besteht keine weitere Verbindung außer der, daß in CA 52,6 dieselben Worte vorkommen wie in CA 37,8. Eine inhaltliche Parallele ist nicht festzustellen, so daß nicht davon auszugehen ist, daß die äußere Ähnlichkeit gewollt sein könnte. Daß hier sowohl Knaben als auch Mädchen als Ziel des erotischen Begehrens genannt werden, ist durchaus nicht ungewöhnlich. So ist schon bei Anakreon neben etwa Kleobulos (Frg.5G und Frg.14G) auch ein Mädchen Gegenstand eines erotischen Gedichtes (Frg.13G). Vgl. Anakreon Frg.13G.

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Sprache und Stil: Die sprachlichen Verbindungen sind, wie sich bei näherer Betrachtung zeigt, vielfältig, so daß sie wegen möglicher poetologischer Implikationen im inhaltlichen Teil betrachtet werden. Stilistisch fällt die Ehrwürdigkeit auf, die durch Homerismen wie κροτάφοισιν (V.4) erzeugt wird. Inhalt und Charakter: CA 44 scheint in seiner ersten Strophe stark aus den beiden vorangehenden Gedichten zu schöpfen. Für den ersten Vers führt West zum Vergleich ein Gedicht von Georgius Grammaticus an790. Über das genaue zeitliche Verhältnis von CA 44 zur Dichtung von Georgius läßt sich zwar nichts Sicheres sagen, weil CA 44 eher spät entstanden ist, doch selbst wenn man davon ausgeht, daß es später als die Gedichte von Georgios entstanden ist, was allerdings eher unwahrscheinlich ist, so ist dennoch nicht davon auszugehen, daß das Gedicht von Georgius dem Autor von CA 44 als Vorlage diente, weil die Verbindung von Rosen mit Eroten zu allgemein ist um einen direkten Bezug belegen zu können. Die Mischung von den Rosen des Eros mit Dionysos ist hier als Bild der Verbindung des sympotischen mit dem erotischen Bereich zu sehen. Grundlage für das Bild könnten gängige medizinische Vorstellungen bezüglich der Mischung von Rosen mit Wein gewesen sein791, doch wird der Begriff des Mischens oft auch für die Herstellung einer lediglich allgemeinen Verbindung zwischen verschiedenen Dingen verwendet792. Das Attribut der Rose in V.3 ist selten793, ebenso wie die Wendungen der VV. 4 und 5794, wobei diese jedoch 790

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West verweist im Apparat auf Georgius Grammaticus Frg.1,6 (τὸ γένος τὸ τῶν Ἐρώτων) und Frg.1,52 (τὸ ῥόδον τὸ τῆς Κυθήρης). Es ist jedoch anzumerken, daß sich das Gedicht des Georgios insgesamt sehr ausführlich mit der Rose und ihrer Verbindung zu Aphrodite beschäftigt und auch in sich selbst etliche ähnliche Formulierungen hat (als Beispiel sei verwiesen auf V.49 (τὸ φυτὸν τὸ τῆς Κυθήρης), zu vergleichen mit V.52). Solche Formulierungen können daher auch einfach zum gängigen Sprachbestand der anacreonteischen Dichter gehört haben, ohne daß sie mit einem bestimmten Gedicht als Vorlage verbunden gewesen wären. Beispielhaft sei verwiesen auf Galen, De compositione medicamentorum secundum locos libri x, 12,769,6 (τὸν οἶνον καὶ τὸ ὕδωρ μίξας καὶ τούτοις ἐπιβαλὼν ῥόδα) und ebd., 12,798,12 (ἢ ῥόδα ξηρὰ τριβόμενα σὺν οἴνῳ). Siehe hierzu LSJ s.v. μείγνυμι, Abs. II. Es findet sich sonst nur noch bei Hippocrates et Corpus Hippocraticum, De morbis popularibus (= Epidemiae) 7,1,59,12 (πόμα τὸ ἀπὸ τοῦ καλλιφύλλου ξυνήνεγκεν); Constantinus Manasses, Compendium chronicum 89 (ἀνέτελλον καὶ δένδρων καλλίφυλλοι καλλίκομοι κλῶνες ὀπωροφόροι); ebd. 211 (ταῖς χάρισι κατάκομον, καλλίφυλλον, ὡραῖον); Paraphrases In Dionysium Periegetam, In Dionysii periegetae orbis descriptionem 498-512,8 (Ἴδη δρυσὶ θάλλουσα καλλιφύλλοις, ἤτοι ὑψηλαῖς καὶ καλλίσταις). Eine Verbindung von ῥόδος mit ἁρμόττειν oder einem Kompositum davon erscheint sonst nirgends. Eine Verbindung von στέφανος oder στέφος mit ἁρμόττειν oder einem Kompositum wie in CA 43,1-2 findet sich bei Plutarch, Quaestiones convivales 642f6 (ἀκοινώνητον καὶ ἀνελεύθερον ψέγοντες ᾤοντο δεῖν ἅμα τῷ καταθέσθαι τὸν

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starke Ähnlichkeit zu CA 43,1-3 aufweisen. Auch die Ähnlichkeit von CA 44,3-4 mit CA 42,5-6 und CA 43,1-2 ist deutlich. Welches der Gedichte zuerst entstanden ist, läßt sich nicht sagen, und ebensowenig ist auszumachen, ob es eine gemeinsame Quelle für die Ähnlichkeit der Formulierungen gibt oder ob sie auf Zufall beruhen oder, was die plausibelste Möglichkeit zu sein scheint, ob die Verfasser der späteren Gedichte sich des bzw. der früheren als Vorlage bedient haben. Für die nachfolgenden Überlegungen soll die letzte Möglichkeit zugrunde gelegt werden und es soll zudem angenommen werden, daß CA 44 als letztes der drei Gedichte entstanden ist, wobei dies nur die Darstellung erleichtern soll. Die Überlegung selbst gilt jeweils für die beiden als letzte entstandenen Gedichte. Zu klären ist die Frage, welche Konsequenzen sich aus der Tatsache, daß Verfasser von Anacreontea in diesem Fall auf frühere Anacreontea zurückgegriffen haben, für das poetologische Programm, das den späteren Gedichten zugrunde liegt, ergeben. Um dies beurteilen zu können, sind jedoch vorher auch die zweite und dritte Strophe des Gedichtes zu betrachten. In der zweiten Strophe795 wird, auch dies eine Ähnlichkeit, wenngleich nur eine sehr allgemeine, zu dem ersten Gedicht des Georgios, die Rose gepriesen als schönste bzw. edelste796 Blüte, als das, worum der Sommer Sorge trage und als die Blume, mit der das Kind Kytheres, Eros, sich bekränzt. Sprachlich ist die Passage zum einen auffällig durch die dreifache Anapher von ῥόδον, zum anderen aber auch durch die direkte Anrede der Rose797.

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στέφανον ἐπὶ τὴν συνήθη δίαιταν αὖθις μεθαρμόσασθαι τὰς τραπέζας); Michael Psellus, Chronographia 4,2,14 (ἔπειτα δὲ καὶ τὴν βασιλικὴν στεφάνην τῇ κεφαλῇ προσαρμόσασα); Ephraem, Chronicon 5456 (καὶ συναγωγῆς παμμιγοῦς ἠθροισμένης Ἰσαάκιος βασιλεὺς αὐτοκράτωρ φημίζεται δὴ παρὰ πάντων χειλέων, ἐφαρμόσαντός τινος αὐτοῦ τῇ κάρᾳ στέφος μεγίστου κράτορος Κωνσταντίνου); Photius, Bibliotheca 222,187a8 (οἷα στέφανος ἀναρρήσεως ἐπὶ τοῖς ἀθλητικοῖς ἱδρῶσι κατὰ τὸ τέλος ἐναρμοζόμενος); ebd. 239,321b13 (ξύλον ἐλαίας καταστέφουσι δάφναις καὶ ποικίλοις ἄνθεσι καὶ ἐπ’ ἄκρου μὲν χαλκῆ ἐφαρμόζεται σφαῖρα). Eine Verbindung von ἁβρός und γελᾶν findet sich außer in CA 43,3 und CA 44,5 noch in der Anthologia Graeca, 10,2,4 (λειμώνων δ’ ἁβρὰ γελᾷ πέταλα), ebd. 12,125,1-3 (Ἡδύ τί μοι διὰ νυκτὸς ἐνύπνιον ἁβρὰ γελῶντος ὀκτωκαιδεκέτους παιδὸς ἔτ’ ἐν χλαμύδι ἤγαγ’ Ἔρως ὑπὸ χλαῖναν, Meleager zugeschrieben) und ebd. 12,156,4 (ἁβρὰ γελῶν δ’ ὄμμασιν ἐκκέχυσαι.). Die strophische Einteilung in drei Strophen zu je fünf Versen läßt sich vornehmen, wenn man V.7 als unecht aus dem Gedicht streicht. Die Strophen selbst sind jeweils durch starke Sinneinschnitte als solche kenntlich. Das homerische Attribut erfreut sich in der Spätantike auffallender Beliebtheit. Sehr oft findet es sich bei Gregor von Nazianz. Beispielsweise hierfür sei verwiesen auf Gregor von Nazianz, Carmina moralia 918,9 (Ὕδωρ, ποτὸν φέριστον, εὐκρατοῖ φρένας.) sowie auf Anthologia Graeca 9,280,2 (Σπάρτης χαῖρε φέριστον ὕδωρ). Die Anrede einer Rose findet sich sonst nur bei Philostrat, Epistulae et dialexeis 1,17,5 (μηδὲν μέλλε, ὦ φθεγγόμενον ῥόδον, ἀλλ’ ἕως ἔξεστι καὶ ζῇς, μετάδος ἡμῖν ὧν

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In der dritten Strophe spricht das lyrische Ich Dionysos an, er solle es bekränzen, dann werde es bei seinen Heiligtümern die Lyra spielen und es werde in Gesellschaft eines vollbusigen798 Mädchens, mit Rosenkränzen umhüllt, tanzen. Sprachlich ist die dritte Strophe unverfänglich, denn die Rosenkränze, zu denen West auf CA 42,5 und CA 43,1-2 verweist, sind so allgemein, daß sich daraus keine besonderen Bezüge ableiten lassen, wenngleich natürlich möglich ist, daß auch ihr Erscheinen dem Vorbild eines dieser beiden Gedichte geschuldet ist, da angesichts der Übereinstimmungen in der ersten Strophe ohnehin das Vorliegen von CA 43 wahrscheinlich ist799. Die poetologische Bedeutung der starken Ähnlichkeit zu CA 43 besteht darin, daß der Autor von CA 44 sich durch den Bezug zu CA 43 nicht mehr

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ἔχεις) und ebd., 1,63,5 (καλῶς ἐποιήσατε, ὦ ῥόδα, ἀναβιώσαντα, καὶ δέομαι, μείνατε, ἔστ’ ἂν ἔλθω). Das Attribut zeigt das Bestreben des Autors, alte Worte zu verwenden, wohl um sich sprachlich der Zeit Anakreons zu nähern. Das Wort erscheint bei Homer und hat sich von dort aus in der Literatur verbreitet, jedoch zumal in der spätantiken Literatur nicht so stark als daß es den spätantiken Autoren nicht mehr als altertümlich sondern als gängig poetisch erschienen wäre. Es tritt bei den einzelnen Autoren in folgender Anzahl auf (mit Angabe ausgewählter Stellen): Homer (Ilias: 3 - 18,122; 18,339; 24,215, Hymnen: 2 - In Cererem: 5; In Venerem: 257), Pindar (3 - P 1,12; P 9,101; Frg.52f136), Aischylos (1 - Septem 864), Theokrit (1 - Idyllia 17,55), Plutarch (1 - 739d3), Athenaios (1 - 13,16,12), Aristoteles (1 - Mirabilium Ascultationes 840b16), Orphische Hymnen (2), Apion Grammaticus (2), Apollonius Sophista (1), Aristonicus Grammaticus (6), Oracula Sibyllina (1), Gregor von Nazianz (1), Nonnos (9), Nicetas Choniates (1), Paulus Silentiarius (3), Colluthus (1), Eustathius (9), Hesych (2), Etymologicum Genuinum (2), Etymologicum Magnum (2), Etymologicum Symenonis (1), Scholia in Aeschylum (5), Scholia in Homerum (6), Scholia in Pindarum (9), Anthologia Graeca (1 - 7,446,3). Einen Sonderfall bildet hierbei das Wort στεφανίσκος (CA 44,15), welches nicht in CA 43, dafür aber in CA 42,5 vorkommt. Es ließe nämlich auf den ersten Blick darauf schließen, dem Autor von CA 44 hätten sowohl CA 43 als auch CA 42 vorgelegen, denn das Wort ist außer in den Anacreontea sehr selten, doch erscheint es einmal auch in den überlieferten Fragmenten Anakreons (30G), welches auch der mit großem Abstand früheste Beleg für das Wort ist, so daß beide Autoren es unabhängig voneinander aus Anakreon übernommen haben könnten. Aus diesem Grund läßt sich die zeitliche Reihenfolge der drei Gedichte nicht sicher festlegen. Die Belegstellen für στεφανίσκος sind folgende: Anakreon Frg.30G,1 (στεφανίσκους); Athenaios, Deipnosophistai 15,16,14 (στεφανίσκους); Herodian, De prosodia catholica 3,1,317,13 (στεφανίσκη); Longus, Daphnis et Chloe 1,9,2,6 (στεφανίσκους); ebd., 2,32,1,3 (στεφανίσκους); ebd., 3,20,2,4 (στεφανίσκον); Rhetorica Anonyma, Περὶ τῶν ὀκτὼ μερῶν τοῦ ῥητορικοῦ λόγου (e cod. Paris. 2918) 3,603,15 (στεφανίσκοις); Dioscorides Pedanius, De materia medica 1,30,4,10 (στεφανίσκων); Nicetas Choniates, Historia (= Χρονικὴ διήγησις) Isaac 2,1,372,6 (στεφανίσκῳ); ebd., Alex 3,2,526,16 (στεφανίσκων); Theognostus, Canones sive De orthographia 663,3 (στεφανίσκη); Eustathius, Commentarii ad Homeri Odysseam 2,258,46 (στεφανίσκους); CA 42,5 (στεφανίσκους); CA 44,15 (στεφανίσκοις).

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nur Anakreon selbst zum Vorbild nimmt. Während poetologische Auseinandersetzungen mit Homer auch zur Dichtung Anakreons gehörten800 und somit auch in den Anacreontea keinen Bruch des poetologischen Programmes bedeuten, sondern nur das im Rahmen der Poetologie postulierte generationale Verhältnis poetisch konsequent umsetzen, durchbricht ein anacreonteischer Dichter, der sich auf Gedichte der literarischen Generation der Anacreontea, welcher er selbst angehören möchte, bezieht, dieses generationale Verhältnis zu Anakreon indem er nicht mehr nur Anakreon und dessen Dichtung, sondern auch anacreonteische Dichtung als Vorbild heranzieht, in gewisser Weise, wenngleich die Gedichte alle nahezu dem selben poetologischen Programm folgen, doch ist hier die poetologische Relevanz der Motivwahl zu betonen. Dabei spielt es keine Rolle, ob er dies tat, um das generationale Verhältnis zur anakreontischen Dichtung bewußt zu durchbrechen, oder ob es ihm vielmehr darum ging, ein seiner Ansicht nach anacreonteisches Gedicht zu schaffen, und er sich bei anderen anacreonteischen Gedichten bediente, damit sein Gedicht sprachlich auch tatsächlich anacreonteisch aussehe, sondern entscheidend für die vorliegende Betrachtung ist die Tatsache, daß sich ein Bezug zu einem anderen anacreonteischen Gedicht nicht mit dem aus den bisherigen Gedichten des Corpus der Carmina Anacreontea implizit wie explizit ersichtlichen poetologischen Programm vereinbaren läßt. Der Autor von CA 44 will mit seiner Dichtung nicht nur der Dichtung Anakreons, sondern auch der Dichtung anderer anacreonteischer Dichtung nahekommen und übersieht oder vernachlässigt dabei die Tatsache, daß er der Dichtung anderer anacreonteischer Dichter programmatisch nur dann nahekommen kann, wenn er die Dichtung Anakreons und nicht die anacreonteischer Dichter zum Vorbild nimmt. Er zeigt, daß er nicht dichten will wie Anakreon, sondern wie die anacreonteischen Dichter, die vor ihm gedichtet haben, und bildet damit poetologisch gesehen seinerseits bereits eine Nachfolgegeneration zu den Dichtern der Anacreontea, wenngleich diese Beurteilung, darauf sei nochmals hingewiesen, an der Beurteilung der poetologischen Relevanz der Motivübernahme aus anderen anacreonteischen Gedichten abhängt, und diese Relevanz ist in jedem Einzelfall neu zu beurteilen801. Dem gegenüber stehen jedoch zahlreiche Motive aus anakreontischer Dichtung. Sowohl die Form des Hymnos als auch die aufgezählten Götter haben eine deutliche Parallele in Anakreon Frg.14G. Das Motiv des Symposions im allgemeinen und das der sympotischen Bekränzung im besonderen, 800

801

So wendet sich Anakreon beispielsweise in Frg.56G gegen das Besingen von Streit und Krieg beim Symposion, was eindeutig als Ablehnung vor allem homerischer Dichtung zu verstehen ist. So konnte bei CA 42 (siehe S.163ff.) und CA 43 (siehe S.168ff.) trotz motivischer Ähnlichkeiten zu anderen Gedichten die Ansicht, es bestehe ein poetologisches Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung, vertreten werden.

253

welches in der ersten und in der dritten Strophe deutlich dargelegt wird, haben ebenfalls ihren festen Platz in der anakreontischen Dichtung, wobei für die Rosenkränze speziell auf Frg.104G zu verweisen ist. Das Gedicht hinterläßt daher einen zwiespältigen Eindruck. Die Motive und ihre Verwendung entsprechen der anakreontischen Programmatik, wohingegen die lexikalischen Bezüge zu anderen anacreonteischen Gedichten mit der anakreontischen Programmatik eher schlecht vereinbar sind, sofern davon auszugehen ist, daß CA 44 nach den in Frage kommenden anacreonteischen Vorbildgedichten entstanden ist. Hier zeigt sich auch schon das Hauptproblem, nämlich daß die relative Chronologie der betreffenden Gedichte und damit auch die Abhängigkeitsverhältnisse nicht bestimmbar sind. So bleibt letztlich nur, für alle drei Gedichte, CA 42, CA 43 und CA 44, ein literarisches Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung festzustellen, allerdings unter dem Vorbehalt, daß dieses Ergebnis für mindestens eines der Gedichte wohl nicht ganz zutreffend ist. Gedicht 51: Metrik: Das Gedicht ist in katalektischen und teils anaklastischen iambischen Dimetern abgefaßt mit prosodischen Freiheiten und dem um eine Silbe zu langen V.4. Es ist hier also lediglich das zugrundeliegende Versmaß noch zu erkennen, mit dem der Dichter auch an anakreontische Metrik anknüpfen will, doch zeigt sich deutlich, daß das Gedicht spät entstanden ist. Sprache und Stil: Zu der späten Entstehungszeit passen die dorischen Dialektformen. Ionische Formen finden sich überhaupt keine, so daß der Dichter offensichtlich kein Bewußtsein mehr dafür hatte, daß Anakreon ionisch gedichtet hat. Der Dichter bemüht sich sprachlich lediglich darum, an frühgriechische Lyrik anzuknüpfen, ohne jedoch ein differenziertes Bild von der sprachlichen Gestaltung dieser Lyrik zu haben802.

802

Besonders zweifelhaft hinsichtlich ihrer dialektalen Interpretation in diesem Gedicht ist die Form στεφάνοισιν (V.6). Sie findet sich zwar auch in der Chorlyrik, wo sie sich aber wohl äolischem Einfluß verdankt, beispielsweise bei Pindar, Isthmia 7,39 und bei Bakchylides, Epinicia 2,10 und 13,36, und könnte somit von späteren Autoren als aus dichterischer Sicht dorisch angesehen worden sein, doch ist es wahrscheinlicher, daß die Endung, da sie im Epos weitaus häufiger noch vorkommt als in der Chorlyrik, vom Autor von CA 51 wohl als episch verstanden wurde. Es ist ein poetologischer Unterschied, ob ein Autor nur dorisches oder gar hyperdorisches reines Alpha verwendet oder ob er sich auch in der Flexion an die dorischen Gepflogenheiten hält. An sich kann die Form στεφάνοισιν ionisch, äolisch oder altattisch sein. Zur Problematik der dialektalen Gestaltung des Gedichtes vgl. auch Giangrande S.200-202 und Lambin S.208-209.

254

Inhalt und Charakter: In CA 51 richtet ein alter, weißhaariger Mann an ein junges Mädchen die Bitte, es möge doch nicht gleich vor ihm weglaufen wenn es seine weißen Haare803 sieht, und auch nicht, weil ihr die jungen Männer804 des Landes805 zu Füßen liegen, die ihr von ihm als Geschenk806 angebotene Liebe von sich weisen807, sondern sie solle sehen, wie auch in Kränzen die weißen Lilien gut zu den Rosen passen wenn sie mit diesen verflochten werden. Inhaltlich ist das Bestreben, anakreontisch zu wirken, klar erkennbar. Anakreon selbst hat sich in seiner Dichtung ebenfalls als Greis dargestellt, dessen Liebeswerben von einem jungen Mädchen zumindest zunächst zu803

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Die Formulierung πολιὰ ἔθειρα (V.2) ist gesucht. Sie findet sich sont nur noch bei Hymni Homerici, In Venerem 228f. (αὐτὰρ ἐπεὶ πρῶται πολιαὶ κατέχυντο ἔθειραι / καλῆς ἐκ κεφαλῆς εὐηγενέος τε γενείου); Nonnos, Dionysiaka 35,54-56 (ὅττι λιποῦσα / Σιληνοὺς πολιῇσιν ὑποφρίσσοντας ἐθείραις / καὶ Σατύρων δύσμορφον ὅλον γένος); Anthologia Graeca 12,240,1-4 (Ἤδη μοι πολιαὶ μὲν ἐπὶ κροτάφοισιν ἔθειραι, / καὶ πέος ἐν μηροῖς ἀργὸν ἀποκρέμαται· / ὄρχεις δ’ ἄπρηκτοι, χαλεπὸν δέ με γῆρας ἱκάνει. / οἴμοι, πυγίζειν οἶδα καὶ οὐ δύναμαι.; Straton zugeschrieben). Sie wurde vom Autor von CA 51 wohl gewählt, weil er sie als selten und damit als ungewöhnlich und originell und möglicherweise auch als altertümlich und damit der anakreontischen Sprache nahestehend empfand. Die Wendung ἄνθος ἀκμαῖον (V.4) ist ungewöhnlich, doch finden sich wenigstens zwei erhellende Vergleichsstellen. Die eine ist Aelian, De natura animalium 15,10,1-4 (Θήραν δὲ πηλαμύδων εἰπεῖν μὴ πάνυ τι συνειθισμένην οὐκ ἔστιν ἔξω τῆσδε τῆς σπουδῆς. δέκα νεανίαι τὸ ἀκμαιότατον ἀνθοῦντες ἀναβαίνουσι ναῦν ἐλαφρὰν καὶ διὰ ταῦτά τοι καὶ ταχυτάτην), aus der klar wird, daß von ἀκμή und von ἄνθος abgeleitete Wörter problemlos auf junge Männer angewendet werden können. Die zweite ist Anthologia Graeca 7,476,7-8 (αἰαῖ, ποῦ τὸ ποθεινὸν ἐμοὶ θάλος; ἅρπασεν Ἅιδας, / ἅρπασεν· ἀκμαῖον δ’ ἄνθος ἔφυρε κόνις.; Meleager zugeschrieben), in der die Wendung alleine steht zur Bezeichnung einer Gruppe junger Männer. Zum Gebrauch von τᾶς ἐμᾶς im Sinne von τῆς ἐμῆς γῆς verweist Lambin zu Recht beispielhaft auf Thukydides, Historien 6,78,1,1-4 (καὶ εἴ τῳ ἄρα παρέστηκε τὸν μὲν Συρακόσιον, ἑαυτὸν δ’ οὒ πολέμιον εἶναι τῷ Ἀθηναίῳ, καὶ δεινὸν ἡγεῖται ὑπέρ γε τῆς ἐμῆς κινδυνεύειν, ἐνθυμηθήτω οὐ περὶ τῆς ἐμῆς μᾶλλον, ἐν ἴσῳ δὲ καὶ τῆς ἑαυτοῦ ἅμα ἐν τῇ ἐμῇ μαχούμενος). Das Bezugswort γῆ wird hier überhaupt nicht erwähnt, sondern als vom Leser automatisch mitverstanden vorausgesetzt. Giangrande S.201 verweist zudem auf LSJ s.v., II 4 und auf L. Bos, Ellipses Graecae, ed. Schaefer, S.78f., und erklärt dort auch noch den Hinweis auf die ausländische Herkunft des Mädchens unter Verweis auf Anakreon 13G. Dieser Sinn des überlieferten Textes (überliefert ist δωρατά, dorisch für δωρητά) wird von Giangrande S.201 überzeugend als richtig erwiesen. Die dorische Form ist allerdings nicht belegt, und auch die ionische Form δωρητά ist nicht belegt, wohl aber andere Kasus. Es handelt sich also wohl um einen Hyperdorismus, was für die Spätantike nicht unüblich ist. Daß die überlieferte Form διώξεις (V.5) in den Konjunktiv διώξῃς geändert werden muß ist offensichtlich, und Giangrande S.200 Anm.21 erklärt den Fehler überzeugend damit, daß, wie die von ihm genannten Vergeichsstelle CA 8,15 zeigt, die Formen zur Zeit des Schreibers offensichtlich gleich ausgesprochen wurden.

255

rückgewiesen wird808. Dieses Motiv wird vom Autor von CA 51 aufgegriffen. Die Verarbeitung des Motives ist zwar recht konventionell, doch die Kombination mit dem an sich ebenfalls konventionellen Motiv der Verbindung von Rosen und Lilien809 erzeugt, zumal durch das erotisch interpretierbare Schlußwort, das auch einen Verweis auf Anakreon Frg.124G darstellen könnte, einen wohlgefälligen Scherz. Zusammenfassend betrachtet ist der Autor ganz offensichtlich bestrebt, dem poetologischen Programm der anakreontischen Dichtung zu folgen und sein eigenes Werk damit in ein literarisches Generationenverhältnis zu dieser zu stellen, und es lassen sich keine anderen programmatischen Einflüsse feststellen, sondern nur der Lebenszeit des Autors geschuldete sprachliche und metrische Abweichungen. Gedicht 55: Metrik: CA 55 ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt, metrische Probleme gibt es außer in dem wohl verderbten V.3 keine. Sprache und Stil: Die Sprache weist sowohl ionisch-epischen (Κυθήρην, V.31) als auch dorischen (κἀφροδίτα, V.22) Einschlag auf, vermischt mit speziell homerischen Wendungen (ῥοδοδάκτυλος Ἠώς, V.20), und läßt somit insgesamt lediglich das Bemühen um archaisch-ehrwürdigen Klang erkennen. Inhalt und Charakter: Die erste Frage zu CA 55 ist die nach der Einheit des Gedichtes. Lambin nimmt, gegen West, der wie auch die übrigen Herausgeber an der von Stephanus angenommenen Einheit des Gedichtes festhält, an, es handele sich um drei thematisch verwandte Gedichte. Hierfür führt er jedoch nur einen formalen Grund an, nämlich die Tatsache, daß sich in der Anthologia Palatina am Rand des Gedichtes zwei Asterisci finden. West verzeichnet diese auch korrekt in seinem Apparat, bei V.20 und V.30, fügt aber hinzu, die Asterisci markierten die Abschnitte gleichsam als Gedichtanfänge. Dies ist jedoch nicht richtig wie eine nähere Untersuchung des Manuskripts der Anthologia Palatina zeigt. Zeichen für Gedichtanfänge stehen in dem zweispaltig geschriebenen Text immer direkt am Anfang des Verses, welcher den Titel, oder, bei Fehlen eines Titels, den ersten Vers des Gedichtes enthält. Dies bringt Schwierigkeiten für den Teil, den Lambin als drittes Gedicht verzeichnet. Dieser muß inhaltlich gesehen mit V.29 beginnen. Der Asteriscus steht aber erst vor V.30, welcher der erste Vers derjenigen Zeile, die auf die V.29 enthaltende Zeile folgt, ist. Konsequenterweise 808 809

Heranzuziehen sind hier Frg.13G, Frg.36G und Frg.74G. Zu Vergleichsstellen siehe den Apparat von West ad locum, doch gibt es insgesamt noch wesentlich mehr Vergleichsstellen.

256

könnte man annehmen, daß V.29 nur von einem späteren Bearbeiter zur Verbindung der beiden ursprünglich eigenständigen Gedichte eingefügt wurde und daß der Schreiber der Anthologia Palatina eben diesen Verdacht hatte und daher den Asteriscus erst vor V.30 gesetzt hat, weil er die Abschnitte auch als ein Gedicht vorfand, an der Einheit des Gedichtes aber Zweifel hegte, die er durch die Abgrenzung dieser Abschnitte deutlich machte. So wäre dann auch zu erklären, warum in der Anthologia Palatina für die von Lambin als Gedicht 55b und Gedicht 55c bezeichneten Teile kein eigener Titel verzeichnet ist. All dies spricht letztlich dafür, daß der Schreiber der Anthologia Palatina CA 55 als ein Gedicht vorfand und dann seine Zweifel an der Einheit des Gedichtes kenntlich gemacht hat. Da es für die Aufteilung von CA 55 in drei Gedichte aber neben dem wohl ebenfalls hauptsächlich wie bei Lambin auf formale Merkmale gegründeten Zweifel des Schreibers keine starken inhaltlichen Gründe gibt810, ist von einer Aufteilung des Gedichtes abzusehen. CA 55 wird daher im folgenden als ein Gedicht behandelt. Inhaltlich geht es in CA 55 um einen hymnischen Preis der Rose, der vor allem ihre Bedeutung im erotischen Bereich hervorhebt, doch wird sie am Ende des Gedichtes auch in Verbindung mit Dionysos genannt, was ganz allgemein auf ihre sympotische Verwendung, wie sie etwa bei Anakreon Frg.104G genannt ist, hinweisen könnte. Die Form des Hymnos ist bekanntermaßen alt und wurde auch von Anakreon verschiedentlich verwendet, so etwa in Frg.1G, wenngleich nicht sicher ist, ob es von Anakreon auch Hymnen gab, die sich auf den reinen Lobpreis beschränkten, ohne eine Bitte anzuschließen. Abgesehen von grundsätzlichen Ähnlichkeiten geht der Autor von CA 55 jedoch frei mit den Möglichkeiten des Hymnos innerhalb des anakreontischen poetologischen Programmes um und nutzt diese zur Vermischung verschiedenster Motive. Auch sprachlich zeigt sich dieser freie Umgang, und hier soll besonders auf mögliche Bezüge in VV.20-22 kurz eingegangen werden. Die ausdrücklich von Dichtern (σοφῶν, V.23) entlehnten Attribute von Eos, den Nymphen und Aphrodite hat Lambin nach dem Zeitpunkt ihres ersten Vorkommens geordnet. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß alle drei Begriffe 810

Lambin S.288 verweist darauf, daß die Abfolge der Gedanken zwischen den einzelnen Abschnitten unbefriedigend sei, doch liegt dies nicht daran, daß es sich um ursprünglich getrennte Gedichte handeln würde, sondern an der Form des Hymnus. Die Rose wird in verschiedener Hinsicht und aufgrund verschiedener Eigenschaften gepriesen. Da der Autor von CA 55, der sie preist, ein Dichter ist, ist es nur natürlich, wenn die Frage nach der Bedeutung der Rose in der gebildeten Literatur im allgemeinen und insbesondere in der Dichtung an prominenter Stelle, nämlich in der Mitte des Gedichtes, auf auffällige Weise, nämlich in drei aufeinanderfolgenden, durch die Anapher ῥοδο- verbundenen Versen herausgestrichen wird.

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auch in der Spätantike gängig und, auch über Nonnos811, als episch und damit möglicherweise automatisch als alt empfunden wurden, wenngleich zumindest ῥοδόχρους erst in hellenistischer Zeit belegt ist812. Eine absichtliche historische Staffelung der Attribute von homerisch zu hellenistisch ist nicht zu erkennen, sondern es geht, wie auch V.23 zeigt, allein darum, daß die Attribute literarisch etabliert sind. Diese Worte, deren sich die Weisen bedienen813, werden jedoch konsequent vollständig in den Dienst des anakreontischen Programmes gestellt, weil sie nur dazu verwendet werden, die Bedeutung der Rose zu unterstreichen. Das in dem Gedicht auf vielfältige Weise betonte Ansehen der Rose gewinnt seine speziell anakreontische Bedeutung durch die starke Verbindung der Rose mit den für die anakreontische Dichtung wichtigsten Göttern, nämlich Eros (V.7), den Musen (V.10), Dionysos (VV. 18; 43) und Aphrodite (VV. 22; 31), so daß der Lobpreis der Rose zugleich auch einen Lobpreis auf diejenigen Götter darstellt, die für die sympotisch-erotische Dichtung am bedeutendsten sind und damit einen Lobpreis der sympotisch-erotischen Dichtung insgesamt. Diese positive Darstellung der sympotisch-erotischen Dichtung gewährleistet in Verbindung mit der metrischen und motivischen Gestaltung die poetologische Einheit mit der anakreontischen Dichtung und damit ein generationales Verhältnis zu dieser.

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ῥοδοδάκτυλος geht selbstverständlich auf Homer zurück, denn die Formel ῥοδοδάκτυλος Ἠώς findet sich 5 Mal in der Ilias und 22 Mal in der Odyssee und wurde gewählt, um die seit alters her sehr prominente Bedeutung der Rose in diesem Epitheton zu belegen. ῥοδόπηχυς findet sich in Nonnos, Dionysiaka 4,17; 7,252; 11,385; 26,360; 35,37; 47,90 und 48,250, und ῥοδόχρους in Dionysiaka 1,529; 7,257; 7,329; 11,418; 12,111; 15,236 und 47,437. Allerdings ist ῥοδόπηχυς, welches sich 34 Mal in der griechischen Literatur findet, sehr verstreut in der Literatur verbreitet, so daß sich keine bestimmte Quelle hierfür ausmachen läßt, wenngleich es in Nonnos relativ häufig erscheint. Lambin S.291 Anm.46 verweist für dieses Attribut als frühesten Beleg auf ein Gedicht des Dioscorides in Anthologia Palatina 5,56,1, doch dürfte der Beleg bei Theokrit, Idyll 18,31 (ὧδε καὶ ἁ ῥοδόχρως Ἑλένα Λακεδαίμονι κόσμος) noch etwas früher sein. Zudem ist darauf hinzuweisen, daß es sich in der dorischen Form bereits bei Bakchylides findet (die Belegstellen für die dorische Form sind Bakchylides, Epinicia 13,63; ders., Fragmenta dubia 11,10; Lyrica Adespota (SLG), Frg.S460,11; Theokrit, Idyllia 15,128; Eustathius, Commentarii ad Homeri Iliadem 4,275,8; Scholia in Theocritum (scholia vetera) 28,arg,5). Zu bemerken ist auch, daß die Weisen nicht als Einzeldichter in Erscheinung treten, sondern lediglich als autoritätsstiftendes Kollektiv genannt werden, womit ein Bezug auf einen speziellen Dichter so gut wie möglich vermieden werden soll, wobei der Bezug auf Homer zwar ohnehin eindeutig ist, aber insofern einen Sonderfall darstellt, als Homer als Personifikation poetischer Autorität angesehen werden kann.

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Gedicht 58: Metrik: Die metrischen und prosodischen Freiheiten von CA 58 zeigen klar die späte Entstehungszeit des Gedichtes, in der die Regeln der klassischen Metrik durch den ganz allmählich beginnenden Übergang von der quantitierenden zur iktierenden Metrik bereits in Auflösung zu geraten begannen. Erkennbar ist nur, daß es sich wohl um katalektische und akatalektische iambische Dimeter handeln soll, doch weichen einzelne Verse in ihrer Prosodie teilweise erheblich von dem zu erwartenden Schema ab, so daß in solchen Fällen nur noch von isosyllabischen Versen gesprochen werden kann. Sprache und Stil: Das Bemühen um altehrwürdige Sprache zeigt sich in einer bunten Mischung aus dorischen (z.B. δραπέτας, V.1; V.15, im Dativ in V.8) und ionisch-episch-poetischen (z.B. λύρην, V.11; ἀείδω, V.11; ἀοιδάς, V.12) Formen. Inhalt und Charakter: In CA 58 geht es um die verderbliche Sehnsucht nach Gold und darum, daß das lyrische Ich sich von dem so trügerischen Gold abwendet und lieber zur Lyra erotische Dichtung vorträgt. Die Abwendung vom Gold hat in der anakreontischen Dichtung ein allgemeines Vorbild sowohl in der Ablehnung von Reichtum in Frg.4G als auch in Frg.82G, wo der neureiche Artemon verspottet wird weil er sich auf seinen Reichtum so viel einbildet daß er ihn ungeniert zur Schau trägt. Neben der erotischen Dichtung wird durch die Verwendung von κύπελλα (V.27) auch auf das Symposion als Ort dieser Dichtung angespielt, was den Bezug zur anakreontischen Dichtung noch verstärkt. Für eine eingehendere Interpretation ist die Überlieferung des Textes zu schlecht, doch läßt sich klar erkennen, daß die Hauptaussagen und die Hauptmotive anakreontisch sind. Zusammenfassung: Die erotischen anacreonteischen Gedichte zeichnen sich vor allem durch ihren motivischen Erfindungsreichtum aus. Dieser resultiert aber nicht aus dem Bemühen, sich von der anakreontischen Dichtung abzusetzen und die eigene dichterische Begabung in den Vordergrund zu stellen, sondern er ist, wenn man sich die originellen Motive der anakreontischen erotischen Dichtung ansieht, fester Bestandteil des anakreontischen poetologischen Programmes. Metrisch stellen sich die Gedichte ebenfalls, so gut ihre Autoren es vermögen, in die Tradition der anakreontischen Dichtung. Betont werden vor allem die Aspekte der unerfüllten Sehnsucht und damit auch die Tatsache, daß es sich bei dem sorgenfreien sympotisch-erotischen Leben um einen Idealzustand handelt, der so nicht verwirklichbar ist. Des weiteren fällt die teilweise starke Verbindung des erotischen Bereiches mit dem sympoti259

schen auf. Diese und zahlreiche weitere motivische Verbindungen werden ergänzt durch lexikalische Anspielungen. Insgesamt ließ sich feststellen, daß nahezu allen erotischen anacreonteischen Gedichten das poetologische Programm der anakreontischen erotischen Dichtung zugrunde liegt und sie daher in einem poetologischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung stehen.

IV. c)

9)

Gedicht über eine Zikade

Dieses Gedicht ist vielleicht das ungewöhnlichste der ganzen Sammlung und wohl auch das am schwierigsten zu deutende. Daher ist hier in ganz besonderem Maße die Frage zu stellen, ob es überhaupt zur poetologischen Generation der Carmina Anacreontea gezählt werden kann. Gedicht 34: Metrik: Das Gedicht ist in anaklastischen ionischen Dimetern verfaßt. West hat alle ursprünglich isosyllabischen Verse (VV. 7; 8; 15; 17) in metrisch korrekten Emendationen in den Text gesetzt, doch ist mit Giangrande814 zu fragen, ob die Verse nicht in der überlieferten Form zu belassen sind. Sprache und Stil: Die Sprache ist ionisch-episch, um den hymnischen Inhalt angemessen darzustellen. Es finden sich daher neben epischen Wörtern815 zahlreiche unkontrahierte Formen816 und Formen mit ionischer Flexion817. Allerdings finden sich auch Elemente, die einer deutlich späteren Zeit zuzuordnen sind818. 814 815 816

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Giangrande S.195-197. So z.B. οἴμην (V.14). So δενδρέων (V.2), ἀείδεις (V.4), θέρεος (V.11), φιλέουσι (V.12) und φιλέει (V.13). φείδεαι (V.8) ist eine Konjektur von West. So βροτοῖσιν (V.10) und λιγυρήν (V.14). So beispielsweise die Adjektive φίλυπνε (V.16; die Form erscheint sonst nirgends, doch in verschiedenen anderen Formen findet sich das Adjektiv bei Theokrit, Idyllia 18,10 und bei spätantiken Autoren, allerdings nicht besonders häufig; das von Stephanus hergestellte φίλυμνε wäre ohnehin ein Hapax Legomenon, auch wenn es einem gängigen Bildungsmuster folgen würde) und ἀναιμόσαρκε (V.17; das Adjektiv ist ein Hapax Legomenon, doch entspricht seine Bildung etwa dem Muster von ἀναιμορράγητος, welches sich bei Oribasius, Collectiones medicae 45,24,10,6, ebd., 50,7,3,2 und Aëtius, Iatricorum liber XV 5,74 findet, ist also an sich zumindest in der medizinischen Literatur nicht unüblich. Gut belegt wären die Bestandteile der Emendation von Scaliger, ἄναιμε und ἄσαρκε, doch ist der Sinn auch ohne Emendation klar, so daß die Beleglage allein einen Eingriff in den Text wohl nicht rechtfertigen kann. In jedem Fall ist der Begriff jedoch sprachlich in der Spätantike verwurzelt,

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Inhalt und Charakter: In CA 34, welches Rosenmeyer zu Recht als uncharakteristisch für die anacreonteische Dichtung bezeichnet819 und dessen Entstehungszeit auch recht unklar ist820, geht es um eine Zikade. Diese Zikade wird von einem lyrischen Wir glückselig genannt und damit als göttergleiches Wesen gepriesen. Begründet wird die im ersten Vers festgestellte Glückseligkeit der Zikade letztlich mit der im Schlußvers befindlichen Aussage, sie sei beinahe den Göttern gleich821. In den dazwischenliegenden Versen wird ausgiebig begründet, worin diese Gottähnlichkeit der Zikade bestehen soll. Die Zikade sitzt in den Baumwipfeln822, hat am Morgen ein wenig Tau823 getrunken und singt wie ein König, ein Vergleich, durch den die

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denn auch ἄσαρκος erscheint zwar einmal bei Xenophon, Cynegeticus 4,1,6, jedoch hunderte Male in medizinischen und sonstigen spätantiken Schriften, wohingegen aber der erste Bestandteil bereits bei Homer, Ilias 5,342 (ἀναίμονες) belegt ist.) sowie die grammatikalische Konstruktion ἀπὸ μηδενός τι βλάπτων (V.9), für welche Giangrande S.197 eine spätantike Entstehung plausibel macht. Rosenmeyer S.201: „34, a rather uncharacteristic anacreontic poem“. Die Datierungen reichen vom 3. bis 6. Jh.n.Chr., wie Lambin S.281 ausführt, was auch damit zusammenhängt, daß Uneinigkeit darüber besteht, ob die isosyllabischen Verse original sind oder nicht. Diese Ringkomposition des Gedichtes nennt bereits Dihle, Albrecht: „The poem on the Cicada“, in: Harvard Studies in Classical Philology 71, 1967, 107-113, dort S.110 Absatz 4, und Lambin S.282. Die Bezeichnung τὰ τῶν δένδρων ἄκρα für Baumwipfel ist durchaus geläufig, wie folgende Stellen beispielhaft zeigen: Cassius Dio, Historiae Romanae 56,20,3,4; Pausanias, Graeciae descriptio 7,24,12,7; Libanios, Progymnasmata 12,2,2,4. Daß Zikaden normalerweise auf Bäumen sitzen ist biologische Tatsache und zu lesen unter anderem bei Homer, Ilias 3,151; Hesiod, Opera et dies 582; Theokrit, Idyllia 16,95; Aristoteles, Historia animalium 556a21; Aesop, Fabulae 245,1. Die poetische Form δενδρέων ist ebenfalls geläufig und findet sich unter anderem bei Homer, Odyssee 19,520; Hesiod, Frg.204,124; Pindar, Olympia 2,73; ders., Fragmenta incerta 153,1; Kallimachos, Iambi Frg.194,97 und, da sie ionisch ist, elf Mal bei Herodot. Lambin S.282f. unterscheidet den Tau von normalem Wasser dadurch, daß er eine himmlische Flüssigkeit sei, und mißt ihm somit besondere Bedeutung zu. Man kann jedoch auch davon ausgehen, daß es damals einfach als naturwissenschaftliche Tatsache angesehen wurde, daß Zikaden Tau trinken, zumal nach der inneren Logik des Gedichtes der Zikade, die ihr ganzes Leben lang in den Baumwipfeln sitzt, gar kein anderes Wasser regelmäßig zur Verfügung stehen kann als jenes, welches sich als Tau auf den Blättern ansammelt. Mit Regen, der die Blätter befeuchtet ohne dabei der Zikade zu schaden und der auch noch so regelmäßig kommt wie Tau, ist sicherlich nicht zu rechnen, so daß nur Tau als Wasserquelle in Frage kommt. Daß überhaupt erwähnt wird, daß die Zikade Tau trinkt, könnte eine Vorwegnahme der später genannten Bedürfnislosigkeit sein, zumal ausdrücklich gesagt wird, daß sie nur wenig Tau trinkt. Daß es als wissenschaftliche Tatsache galt, daß Zikaden ausschließlich Tau trinken, findet sich an folgenden Stellen: Plutarch, Quaestiones convivales 660f2; Synesios, Hymni 9,45; Gregorius Nazianzenus, Epistulae 26,3,4; Asterius, Commentarii in Psalmos (homiliae 31) 14,3,3; ebd., 14,5,1; Libanios, Declamationes 32,1,25,7; Hermi-

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Würde und die Herrlichkeit des Gesanges der Zikade betont werden. Dieser Königsgedanke wird in den folgenden Versen weitergeführt, in denen gesagt wird, der Zikade gehöre all das, was sie an neugewachsenen Früchten824 auf den Feldern sieht und was die Bäume tragen. Der Begriff βασιλεύς ist zudem insofern treffend, als er bei Homer und auch sonst in der Literatur speziell für Fürsten und Heerführer mit göttlicher Königswürde verwendet wurde, und göttliche Würde bezieht die Zikade von Apoll (VV.13f.), doch übt die Zikade natürlich keine Macht aus. Herrschaftlich also blickt die singende Zikade über Felder und Wälder, doch sie ist den Bauern lieb825, weil sie nichts von dem, was auf Feldern und Bäumen wächst, frißt. Bei den Menschen im allgemeinen ist sie geehrt, weil sie süßer Sommersbote826 ist, wobei süß so zu verstehen ist, daß sie den Sommer mit süßem Gesang ankündigt. Den hat sie, wie sogleich erklärt wird, weil die Musen sie lieben und auch Apoll selbst, der ihr eine helltönende Stimme gab827.

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as, In Platonis Phaedrum scholia 216,5; Johannes Pediasimus, Scholia in Hesiodi scutum (scholia paraphrastica Pediasimi et exegesis Joannis Tzetzae) 660,23; Prokop, Epistula (e cod. Esc. gr. 234) 21; Manuel Philes, Carmina 3,108,25; Pseudo-Zonaras, Lexicon, ε,866,10; Anthologia Graeca 9,92,1. Aus diesen Gründen sind auch die Verweise von Rosenmeyer S.201f. auf Platon für das Verständnis des Gedichtes nicht bedeutsam, weil sich bei Platon nur verbreitete allgemeine Ansichten über die Zikade finden, so daß kein näherer Bezug zwischen den Platonstellen und dem Gedicht ersichtlich ist. Auch an dieser Stelle ist der überlieferte Text zu halten, wie Giangrande S.197 gezeigt hat. καινά ist zu verstehen als primitiae, als erste Früchte an den Bäumen im Sommer. V.8 zu emendieren ist nicht nötig, da er, wie auch VV. 7; 15 und 17, isosyllabisch ist. Zu den metrischen und inhaltlichen Problemen dieser Verse äußern sich ausführlich Dihle S.108f. und Giangrande S.195-197 sowie West: „Problems in the Anacreontica“, S.211, der eine Emendation befürwortet. Letztlich ist aus inhaltlichen wie auch aus philologischen Gründen von einer Emendierung der Verse abzusehen, da der Text in der überlieferten Fassung verständlich und ein Eingriff in diese Verse daher unnötig ist, da das Gedicht, wie Dihle S.108 auch an sprachlichen Merkmalen zeigt, in einer Zeit entstanden ist, in der das Bewußtsein von Quantitäten bereits deutlich zurückgegangen und daher isosyllabische Verse nicht ungewöhnlich waren. Sommersboten können je nach Bedarf verschiedene Tiere sein. Beispielhaft sei verwiesen auf Moero Epicus Frg.1,9f.: Ὣς δ’ αὔτως τρήρωσι πελειάσιν ὤπασε τιμήν, / αἳ δή τοι θέρεος καὶ χείματος ἄγγελοί εἰσιν. Als Beispiel für die weitverbreitete Form θέρεος in Verbindung mit der Zikade sei verwiesen auf Hesiod, Opera et dies 582584: Ἦμος δὲ σκόλυμός τ’ ἀνθεῖ καὶ ἠχέτα τέττιξ / δενδρέῳ ἐφεζόμενος λιγυρὴν καταχεύετ’ ἀοιδὴν / πυκνὸν ὑπὸ πτερύγων, θέρεος καματώδεος ὥρῃ. Die Wendung θέρεος προφήτης ist jedoch einzigartig in der griechischen Literatur. Der Ausdruck λιγυρὴ οἴμη (der spiritus asper bei Wests οἵμην scheint nicht korrekt zu sein, auch wenn im Manuskript der Anthologia Palatina weder Spiritus noch Akzent vorhanden ist, vgl. aber Georgius Choeroboscus, Epimerismi in Psalmos 175,912: Τί διαφέρει οἶμα καὶ οἵμη· οἶμα μὲν γὰρ σημαίνει τὸ ὅρμημα, καὶ Ὅμηρος, οἶμα λέοντος ἔχει, τὸ δὲ οἵμη σημαίνει τὴν ᾠδήν und ders., De spiritibus (excerpta) 214,3537: τὸ Οἵμη, ἡ ᾠδὴ, τινὲς δασύνουσιν, ἀπὸ τοῦ ἐν Οἵμοις, ὅ ἐστιν, ἐν ὁδοῖς, ψάλλεσθαι. καὶ ὁ πτωχοπρόδρομος· Τέρπου θ’ οἱμῶν τῶν καλῶν.) findet sich zwar

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V.15 ist der unter den Kommentatoren wohl umstrittenste Vers des Gedichtes. Lambin828 verteidigt mit Giangrande829 zu Recht die überlieferte Fassung, während Rosenmeyer830 sich der Version von Stephanus, welche auch West druckt, anschließt831. Giangrande versteht den Text so, daß das Geschenk, das die Zikade von Apoll erhalten hat, nämlich ihre schöne Stimme, sie gut schütze und am Leben erhalte832. Man kann den Schutz dann auch noch darauf beziehen, daß die Zikade τίμιος βροτοῖσιν (V.10) ist aufgrund ihres süßen, sommerkündenden Gesanges, und daher auch von den Menschen nichts zu befürchten hat. In VV. 16 und 17 finden sich fünf Eigenschaften, die die in V.18 genannte beinahe erreichte Gottähnlichkeit der Zikade begründen sollen. Die Zikade wird dabei im Vokativ als Träger der Eigenschaften angesprochen. Als erstes wird sie σοφέ, „weise“, genannt. Diese Charakterisierung trug maßgeblich dazu bei, daß Dihle die Darstellung der Zikade als die eines stoischen Weisen empfand. Möchte man die Stelle aus der inneren Logik des Gedichtes heraus erklären, so kann man argumentieren, daß die Zikade von Apoll geliebt wird und von ihm auch ihren Gesang eingegeben bekommt. Daß man durch derartige göttliche Kunst nicht dumm, sondern weise wird, zumal wenn einem die Gabe direkt vom Gott des Geistes verliehen wird, scheint eine plausible Erklärungsmöglichkeit zu sein. Warum sie erdgeboren und schlafliebend ist, wurde von Giangrande833 bereits hinreichend erklärt. Daß die Zikade leidenschaftslos ist, erklärt sich daraus, daß sie keinen äußeren Einflüssen und Regungen unterliegt, da sie beispielsweise keine Nahrung

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nur hier, doch sind ähnliche Formulierungen häufig, so z.B. bei Homer, Odyssee 12,44 (ἀλλά τε Σειρῆνες λιγυρῇ θέλγουσιν ἀοιδῇ); Sappho, Frg.103,10 (λιγύραν [ἀοί]δαν); Theokrit, Idyllia 17,113 (λιγυρὰν ἀναμέλψαι ἀοιδάν); Apollonios Rhodios, Argonautica 1,1085; ebd. 4,914 (λιγυρῇ ὀπὶ); Diogenes Laertius, Vitae philosophorum 5,94,9 (ποιητὴς λιγυρός). Lambin S.282. Giangrande S.195f. Rosenmeyer S.201f. Die Tatsache, daß der Vers in der überlieferten Version isosyllabisch ist, sollte nicht stören, da dies auch für VV. 7; 8 und 17, sofern man diese Verse nicht emendieren oder als verderbt ansehen möchte, gilt. Inhaltlich hat die Konjektur natürlich den Reiz, daß sie die Altersthematik ausdrücklich in das Gedicht einbindet, welche man aufgrund des Tithonos-Mythos unweigerlich mit der Zikade assoziiert. Zudem spielt die Altersthematik, besonders als Altersklage, auch bei Anakreon eine große Rolle (vgl. z.B. Frg.36G), aber auch beispielsweise bei Sappho, wie der Kölner Papyrus zeigt (siehe zu diesem mit sehr nützlichen Vergleichsstellen Bernsdorff, Hans: „Schwermut des Alters im neuen Kölner Sappho-Papyrus“, in: ZPE 150, 2004, 27-35). Giangrande S.195f. erweist diese Vorstellung mit entsprechenden Vergleichsstellen als Topos. Die geänderte Version würde bedeuten, daß der Zikade das Alter nichts anhaben kann. Giangrande S.196 verweist auf einen Topos von schlafbringenden Insekten, zu denen auch die Zikade zählt.

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benötigt und weder Blut noch Fleisch hat. Durch all die aufgezählten Eigenschaften, so der Schlußvers des Gedichtes, sei die Zikade beinahe den Göttern gleich. Dihle interpretiert das Gedicht als Darstellung des Ideals des stoischen Weisen am Beispiel der Zikade. Rosenmeyer gewichtet die Anklänge an Platon834 stärker, doch teilt sie wohl Dihles Auffassung, es handele sich bei dem Gedicht um einen Beweis der Belesenheit und Bildung des poeta doctus, den man sich als Autor vorzustellen habe. Lambin zweifelt zwar daran, daß der Autor des Gedichtes sonderlich gelehrt war, doch zweifelt er nicht daran, daß der Autor sich als poeta doctus darstellen wollte. Den Sinn des Gedichtes sieht er darin, daß der Autor ein von ihm ersehntes Ideal zeichnet, verbleibt aber in dieser Allgemeinheit, während Rosenmeyer (S.202) die Ansicht vertritt, es handele sich um das Ideal eines anacreonteischen Dichters, der, der Zikade gleich, unbehelligt von äußeren Einflüssen süßen Gesang verströmen möchte. Klar ist, daß das Gedicht stark hymnische Züge aufweist, und daß in dieser hymnischen Form die Zikade als glückselig gepriesen wird. Allerdings ist es so, daß die meisten der Eigenschaften, die an der Zikade preisenswert erscheinen, gar nicht auf Menschen übertragbar sind. Daraus schloß Dihle, daß nicht die Eigenschaften, sondern doch die Tatsache, daß die Zikade in diesen ihren Eigenschaften stets sich selbst gleich sei und damit ein ideales Leben führe, im Vordergrund stehe. Richtig ist dabei zwar, daß es sich bei dem Leben der Zikade um die Beschreibung eines Ideals handelt, denn nur dadurch kann überhaupt Ähnlichkeit zu den Göttern, welche ihrerseits ebenfalls Ideale darstellen, angenommen werden. Fraglich ist aber, ob es, wie Dihle meint, um das Ideal des stoischen Weisen geht. Lambin sieht das Ideal der Zikade darin, daß sie dem täglichen Leben enthoben ist und in der Höhe des Baumes gleichsam außenstehend auf das irdische Leben blickt. Konkreter wird Rosenmeyer, die die Zikade als Ideal des anacreonteischen Dichters sieht. Sie gründet dies auf die ihrer Ansicht nach in dem Gedicht behandelten Themen von Liebe, Musik und ewiger Jugend835, wobei jedoch zumindest die letzten beiden Punkte auf den von West gedruckten Änderungen

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Rosenmeyer S.201 vergleicht CA 34 mit Platon, Phaidros 295c2-6 (ἐξ ὧν τὸ τεττίγων γένος μετ’ ἐκεῖνο φύεται, γέρας τοῦτο παρὰ Μουσῶν λαβόν, μηδὲν τροφῆς δεῖσθαι γενόμενον, ἀλλ’ ἄσιτόν τε καὶ ἄποτον εὐθὺς ᾄδειν, ἕως ἂν τελευτήσῃ, καὶ μετὰ ταῦτα ἐλθὸν παρὰ Μούσας ἀπαγγέλλειν τίς τίνα αὐτῶν τιμᾷ τῶν ἐνθάδε.), doch weist sie S.201 Anm.92 unter Nennung weiterer Vergleichsstellen darauf hin, daß die „cicada is of course a popular literary subject, and its story crops up again and again“. Rosenmeyer S.202: „the poet focuses on the fact that old age never wears him [die Zikade] down, that his voice is a delicate gift from the gods, and that he is beloved by all. These are the qualities that matter in anacreontic circles: love, music and immortal youth.“.

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von VV. 15 und 16 beruhen und daher ein sehr unsicheres Fundament für die Verbindung des Gedichtes mit anakreontischer Thematik bieten. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, das in der Zikade dargestellte Ideal poetologisch zu verstehen. Dies wird vom Text nahegelegt durch die Verweise auf Dichtung836 und durch die Tatsache, daß die einzigen Götter, die sich in diesem Hymnus finden, Apoll und die Musen sind. Das lyrische Wir wäre so zu verstehen, daß das lyrische Ich der Autor des Gedichtes ist und mit dem Wir alle bezeichnet, die anacreonteische Dichtung verfassen. Daß das Gedicht anacreonteische Dichtung ist, wird formal durch das Metrum nahegelegt. Diese Dichter sehen nun in der Zikade nicht das Ideal des anacreonteischen Dichters verkörpert, denn darüber, welche Art von Gesang die Zikade erzeugt und ob sie vielleicht irgendwie anacreonteisch singt, wird nichts ausgesagt, sondern sie sind vielmehr der Ansicht, daß die Zikade ideale Möglichkeiten hat, ihre Dichtung hervorzubringen. Es geht in dem Gedicht daher primär um die idealen Entstehungsbedingungen und die mit diesen verbundene ideale Wirkung von Dichtung, insbesondere von anacreonteischer Dichtung. Die Zikade nimmt auf ihrem Baum eine Randstellung ein und ist den Sorgen des alltäglichen Lebens entrückt, erfreut aber die Menschen durch ihren schönen Gesang. Geliebt von den Musen und von Apoll, wie es die Zikade ist, möchte ohnehin jeder Dichter sein, denn mit deren Inspiration kann sein Gesang Vollendung erreichen, und dieser derart inspirierte Gesang schützt ihn837. Von den in V.16 genannten Eigenschaften trifft nur die erste, die Weisheit, auf den Dichter zu, und von den in V.17 genannten ebenfalls nur die erste, die Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen in dem Sinne, daß der Dichter nur auf seine Dichtung gerichtet ist und nicht mit Alltagsgeschäften sich mühen muß. Daß sich nicht alle in VV. 16 und 17 genannten Eigenschaften aus der bildhaften Ebene übertragen lassen, sondern manche nur auf die Zikade zu beziehen sind, zeigt, daß die zikadische und damit auch die dichterische Welt nicht vollständig zugänglich oder offenlegbar sind, sondern daß beide stark in sich geschlossen sind. Der Sinn des Bildes der Zikade liegt somit nicht darin, genau auf den anacreonteischen Dichter oder auf überhaupt irgendeinen Menschen übertragbar zu sein, sondern es geht vielmehr darum, ein stimmiges Bild eines Sängers zu zeichnen, der ein für ihn ideales Dichterleben führt, welches zwar dieselben Grundzüge aufweist wie ein ideales anacreonteisches Dichterleben, nämlich Freiheit von Alltagszwängen, Ehrung durch die Mitmenschen und ein schönes Dichtungsthema, 836 837

Auf Dichtung verweisen ἀείδεις (V.4); γλυκύς (V.11); λιγυρὴν οἴμην (V.14). Wovor und wie ihn sein Gesang schützt, wird nicht ausgeführt, doch besteht der Schutz wohl ganz allgemein darin, daß er nur aufgrund seines durch die Inspiration sehr hochwertigen Gesanges in der Lage ist, ein solches Idealleben zu führen. Konkret kann man sich vielerlei Schutz vorstellen, beispielsweise den vor Anfeindungen von Kollegen und vor möglicher Kritik des Publikums.

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doch ist jenseits dieser Grundzüge in den Einzelheiten große Individualität erlaubt. Diese innere Geschlossenheit, die die Darstellung und das Leben der Zikade aufweisen, wünscht sich auch der Dichter für sich, denn diese Geschlossenheit würde ihm vollständige Konzentration auf die Dichtung ermöglichen. Dies ist in der Praxis zwar unmöglich, zumal wenn man bedenkt, daß die Dichter der Carmina Anacreontea wohl keine Berufsdichter waren, so daß dieses Gedicht möglicherweise auch auf die Schwierigkeiten der Produktion anacreonteischer Dichtung hinweist, doch ist es zumindest als Ideal erstrebenswert, und die anacreonteischen Dichter sahen es zumindest bei Anakreon, bei dem eine hohe Einheit von Dichtung und Leben angenommen wurde, verwirklicht. Diese poetologische Interpretation stellt freilich nur einen Aspekt des Gedichtes dar. Andere Aspekte wie etwa der des naturwissenschaftlichen Hintergrundes oder der des hohen Allgemeinheitsgrades des dargestellten Ideals, welcher sich auch an den Ähnlichkeiten mit anderen Idealdarstellungen, besonders, wenn man Dihle folgt, der des stoischen Weisen, zeigt, sowie auch hymnische Elemente, sind oben und in der genannten Literatur bereits herausgearbeitet worden. Insgesamt ist festzustellen, daß das Gedicht ein in sich geschlossenes Lebensideal zeichnet. Hierin entspricht es der Geschlossenheit der sympotischerotischen anakreontischen Welt, doch ist gerade von dieser Thematik nichts in dem Gedicht zu finden. Dafür wird in dem Gedicht ausführlich auf den Gesang eingegangen, der auch in der anakreontischen Dichtung nicht nur implizit, sondern auch explizit, wie etwa in Frg.33G, thematisiert wird. Motivisch ist das Gedicht außer in seinen hymnischen Elementen weit von der anakreontischen Dichtung entfernt, und der Erfindungsreichtum, welcher in der Beschreibung dieses Zikadenlebens liegt, ist deutlich höher als der in der anakreontischen Dichtung anzutreffende. Formal wird der Bezug zur anakreontischen Dichtung jedoch durch das Metrum und auch durch die ionische Sprache deutlich gemacht, und das dargestellte ideale Dichterleben ist auch in großen Teilen auf das Leben eines anakreontischen Dichters übertragbar. Hier kann also darüber gestritten werden, ob noch ein generationaler Bezug zur anakreontischen Dichtung gegeben ist oder ob man, was, um den literarischen Generationenbegriff nicht in Richtung der imitatio aufzuweichen, ratsamer scheint, von einer freien Anlehnung an die anakreontische Dichtung spricht, die von hoher Originalität geprägt ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß CA 34 gerade in der oben vorgestellten poetologischen Lesart eindeutig und ausschließlich das Leben eines anakreontisch-anacreonteischen Dichters propagiert.

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IV. c)

10) Die ekphrastischen Gedichte (3,4,5,16,17,54,57)

Diejenigen Gedichte, die eine Ekphrasis zum Gegenstand haben, unterliegen am ehesten dem Verdacht, nicht in einem generationalen Verhältnis zur anakreontischen Dichtung zu stehen, weil sich in den von Anakreon überlieferten Fragmenten kein Hinweis darauf findet, daß Anakreon selbst das Motiv der Ekphrasis verwendet hat, wenngleich es auch keinen Hinweis gibt, daß er es nicht verwendet hat. So zeichnet er etwa in der ersten Strophe von Frg.14G die Beschreibung von Dionysos, dem Eros, die Nymphen und Aphrodite, mit ihm zusammen spielend, folgen, während er hohe Gebirge durchstreift, ein Bild, dessen Gestaltung einer Ekphrasis ähnelt838. Die anacreonteischen Ekphraseis aber weisen insofern eine Besonderheit auf, als sie, abgesehen von CA 54 und CA 57, in Anweisungen an einen Künstler verpackt sind. Hier haben die anacreonteischen Dichter, mangels anakreontischer Vorlage, eine eigene Erweiterung der Motivpalette vorgenommen. In der Technik folgen sie dabei dem Prinzip, Übernahmen aus anderen literarischen Werken so zu gestalten, daß das Ergebnis unverwechselbar anacreonteisch wird. Vorbild aller Ekphraseis ist die Schildbeschreibung in Ilias 18,478ff., wo beschreiben wird, wie Hephaistos den Schild des Achill und die auf dem Schild sichtbare Szenerie erschafft. Genau in dieses Vorgehen greift in den betreffenden anacreonteischen Gedichten das lyrische Ich ein, indem es dem dort meist ungenannten Künstler sagt, was er darzustellen habe. Es wird also der Künstler ganz auf den handwerklichen Bereich beschränkt, während der eigentlich künstlerische Bereich, nämlich die Ausgestaltung der Szenerie, vom lyrischen Ich übernommen wird. Sinn dieser Gestaltung ist, daß der Leser sich bewußt wird, daß er selbst derjenige ist, der durch seine Phantasie das jeweilige Kunstwerk zu erschaffen hat. Es liegt also eine sehr überlegte Übernahme und Abwandlung des homerischen Motivs der Ekphrasis vor, die als solche nicht per se als Abgrenzung gegen anakreontische Dichtung zu verstehen ist. Um aber Näheres sagen zu können, sind die Gedichte einzeln zu untersuchen, vor allem auch im Hinblick darauf, welche Szenen in den Ekphraseis geschildert werden. CA 54 allerdings, dies sei auch vorab gesagt, weist außer dem Metrum keinen Bezug zur anakreontischen Dichtung auf, so daß dieses Gedicht nicht in einem poetologischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Gedicht 3: Metrik: Der anaklastische ionische Dimeter signalisiert die erstrebte Zugehörigkeit zur anacreonteischen Dichtung. 838

Auf die Ausmalung von Vorstellungen geht auch Friedländer in seiner vor allem für die spätantike Ekphrasis bahnbrechenden Studie ein (Friedländer, Paul: Johannes von Gaza und Paulus Silentiarius, Leipzig und Berlin 1912, bes. S.75-83).

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Sprache und Stil: Was die Wortwahl anbelangt, so fällt nur in V.2 die eher seltene Wendung λυρικῆς μούσης auf839, die jedoch nicht besonders erfindungsreich ist, was eine Aussage darüber, ob CA 3 vor oder nach CA 16 entstanden ist, erschwert840. Ansonsten ist die Sprache schlicht und unauffällig. Inhalt und Charakter: Poetologische Probleme bereiten die Übereinstimmungen mit CA 16, welche VV.5-8 von CA 3 und VV.6-9 von CA 16 betreffen, weil sie einen Bezug der Gedichte zueinander nahelegen, doch kann dieser nicht eindeutig geklärt werden. Möglicherweise ist zu vermuten, daß CA 3 von demselben Autor wie CA 16 und wohl auch CA 17 stammt und eine weitere Variation des Motives der Ekphrasis bot. Der fragmentarische Zustand von CA 3 und die unsichere Reihenfolge der überlieferten Verse lassen nur wenige Aussagen zu. Die Betonung der Dichtkunst in V.2 und die Tatsache, daß sie durch die Imperative in VV. 1 und 2 deutlich über die bildende Kunst gestellt wird, betont in wohl etwas scherzhafter Weise den Vorrang der Dichtung. Die Fröhlichkeit der Städte (V.6) spiegelt die Fröhlichkeit des Gedichtes wieder. In VV. 3 und 8 wird der sympotische und vor allem der erotische Bereich zum Gegenstand des Gedichtes. Das Oxymoron in V.8, welches in der Verbindung von Liebe mit Gesetzen besteht, denn Liebe hat sich, wie auch die vielmalige Betonung der Macht des Eros in den anakreontischen sowie in den oben untersuchten poetologischen Gedichten zeigt, im allgemeinen gerade nicht an Gesetze zu halten, bleibt mangels näherer Ausführung841 indifferent, doch ist zu vermuten, daß es sich dabei um eine Anspielung auf die homerische Schildbeschreibung handelt, die, ebenso wie die anderen Anspielungen auf die Schildbeschreibung in CA 3, der Agrenzung gegen epische Dichtung dient. Über das poetologische Programm von CA 3 kann wegen seines fragmentarischen Zustandes zwar nichts Genaues gesagt werden, doch lassen die metrische und motivische Gestaltung nach anakreontischen Grundsätzen darauf schließen, daß es in einem poetologischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung steht.

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Diese findet sich sonst nur noch bei Eustathius, Commentarii ad Homeri Iliadem 3,179,11 (ἡ λυρικὴ Μοῦσα) und bei Suda, Lexicon λ,568,4 (τῆς λυρικῆς μούσης). Zu beachten ist auch, daß die Übereinstimmung von V.3 mit Anthologia Graeca 11,32,1 (Μούσης νουθεσίην φιλοπαίγμονος εὕρετο Βάκχος) vielleicht doch eher dafür sprechen könnte, daß CA 3 sowohl auf CA 16 zurückgreift als auch auf das Epigramm der Anthologia Graeca, wenngleich ein über den rein lexikalischen hinausgehender Bezug zu dem Epigramm nicht erkennbar ist. Ob VV. 3 und 4 tatsächlich direkt an V.8 anzuschließen sind, ist zweifelhaft.

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Gedicht 4: Metrik: CA 4 ist in katalektischen iambischen Dimetern verfaßt. Metrische oder prosodische Besonderheiten gibt es keine. Sprache und Stil: Sprachlich fällt lediglich auf, daß das Verb βαθύνω zwar, wenngleich in ganz anderem Kontext, in Ilias 23,421 belegt ist, daß es aber ab der hellenistischen Zeit häufiger erscheint, so daß hierin wohl kein gewählter Homerbezug zu sehen ist, sondern eher davon auszugehen ist, daß hier wie auch im Rest des Gedichtes der Dichter die ihm geläufige poetische Sprache verwendet hat. So zeigt auch die Bezeichnung des Dionysos als Lyaios nicht die Absicht, spezielle sprachliche Bezüge herzustellen (siehe Anm.597). Der Stil des Gedichtes ist insgesamt schlicht und einfach, der Aufbau des Gedichtes ist recht kunstvoll. Auf sechs Verse, die sich im wesentlichen mit der Bearbeitung des Trinkgefäßes beschäftigen, folgen elf Verse über das auf dem Gefäß Darzustellenden, wobei diese Gewichtung ihre sprachliche Entsprechung in den zwei rhetorischen Fragen von VV. 10 und 11 gegenüber der einen in V.4 findet. Diese elf Verse unterteilen sich wiederum in eine Gruppe von fünf und eine von sechs Versen. Obgleich das Gedicht also nicht strophisch gegliedert ist, wie dies bei der anakreontischen Dichtung oft der Fall ist, hat der Autor dennoch eine klare Gliederung vorgenommen, möglicherweise als Ersatz für eine bei stichischem Gebrauch eines Metrums nicht mögliche metrische strophische Gliederung. Inhalt und Charakter: Das Gedicht ist außer in der Version der Anthologia Palatina noch in zwei weiteren Fassungen überliefert, bei Gellius und in der Anthologie des Kephalas. Da die Anthologia Palatina zwei Verse bietet, die in der Fassung bei Gellius fehlen, aber wohl zur Urfassung des Gedichtes gehören, und da zudem die Fassung bei Kephalas zumal gegen Ende hin nicht nur eine deutliche Verkürzung, sondern auch starke Eingriffe in den Text aufweist, zeigt sich hieran, wie stark in die anacreonteischen Gedichte zumindest manchmal eingegriffen wurde. Daß die Anthologia Palatina in diesem Fall die vollständigste und daher wohl auch ursprünglichste Version bietet, ist zwar im Hinblick auf die anderen Gedichte erfreulich, mahnt aber dennoch zur Vorsicht, weil es zeigt, daß die überlieferte Version nicht der ursprünglichen entsprechen muß. Für die nachfolgenden Ausführungen wird die Version 4(i) in der Ausgabe von West zugrunde gelegt. Diese ist die durch die Übernahme zweier Verse aus der Anthologia Palatina erweiterte Version der bei Gellius zu findenden Fassung842. 842

Die von West im Apparat geäußerte Auffassung „haec [i.e. Gellii] sincerissima forma carminis videtur, praeter quod vv. 9 et 15 exciderunt“ hätte, wenn man sie teilen und pauschal auch auf die übrigen Carmina Anacreontea übertragen würde, große Auswirkungen auf die Frage, wie bereitwillig man Konjekturen annehmen sollte. Wests

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In seiner Thematik orientiert sich das Gedicht stark an der Schildbeschreibung, vor allem auch dadurch, daß Hephaistos selbst als ausführender Künstler vom lyrischen Ich angesprochen wird (V.2). Dies dient dem Dichter poetologisch zur Abgrenzung von epischer Dichtung, denn er läßt das lyrische Ich sogleich den Hinweis an Hephaistos aussprechen, er solle ihm keine Schlachten darstellen, denn um Kämpfe kümmere es sich nicht (VV.3f.). Stattdessen fordert das lyrische Ich ein Trinkgefäß, das von großem Fassungsvermögen sein soll, wohl um viel Wein aufnehmen zu können. Es folgt, immer noch in Priameltechnik843, eine Beschreibung der Darstellungen auf dem Gefäß, die wieder mit einer negativen Nennung dessen beginnt, was nicht darauf abgebildet sein soll, nämlich diverse Sternbilder. Ein spezieller Verweis auf die homerische Schildbeschreibung besteht hier darin, daß sowohl der große Wagen als auch Orion und die Pleiaden in Il.18,485-7 vorkommen, so daß auch in dieser Aufzählung eine spezielle Ablehnung epischer Dichtung zu sehen ist. Was hingegen dargestellt werden soll, entstammt sämtlich dem sympotischen Bereich, was, in Verbindung mit der Tatsache, daß es nicht etwa auf einem Schild oder ähnlichem, sondern auf einem Trinkgefäß dargestellt werden soll, die Abgrenzung gegenüber Homer und der epischen Dichtung verdeutlicht. Es werden Weinstöcke, Weintrauben und ein Keltertrog genannt und schließlich goldene Figuren, die in dem Keltertrog die Trauben stampfen sollen. Dies sollen sie zusammen mit Dionysos und mit Eros und Bathyllos tun. In dem letzten Vers des Gedichtes findet somit auch der erotische Bereich, der hier in den sympotischen eingebettet ist, Erwähnung, und es wird durch die Nennung von Bathyllos, dessen Name als letztes Wort des Gedichtes insofern einen Sphragis-Charakter hat als er eindeutig den Anschein erwecken soll, Anakreon sei lyrisches Ich und Autor dieses Gedichtes, der Anspruch des Dichters, CA 4 in ein literarisches Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung zu stellen, bekräftigt. Gedicht 5: Metrik: Das Gedicht ist metrisch eine Mischung aus anaklastischem katalektischem iambischem Dimeter und anaklastischem ionischem Dimeter. Prosodische Fehler begegnen in mehreren Versen (VV. 3; 4; 6; 9; 10; 11; 12; 14; 16; 18), die jedoch auch nicht durch die Längung betonter Silben erklärt werden können, so daß insgesamt eine sehr freie Prosodie und Metrik festzustellen sind844, die zu einer späten Datierung des Gedichtes führen. Eine

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Einschätzung ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten, weshalb in dieser Arbeit oft der, für gewöhnlich von Gentili verteidigten, in der Anthologia Palatina überlieferten Lesart der Vorzug vor einer Konjektur gegeben wurde. Diese ist auch schon bei Anakreon Frg.4G zu vermuten. So auch Lambin S.169.

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bestimmte Systematik ist in der metrischen Gestaltung des Gedichtes nicht zu erkennen, wohl aber, daß nur auf Metren zurückgegriffen wurde, die als typisch für Anakreons Dichtung galten. Sprache und Stil: Dialektal auffällig ist der Ionismus ὥρην (V.4), der als Hinweis auf Anakreon verstanden werden kann. Die späte Entstehungszeit des Gedichtes zeigt sich etwa in dem Begriff καλλιτέχνα (V.1), der erst ab dem 2. Jh.v.Chr. belegt ist845, doch scheint der Autor nicht bewußt diesen Begriff als jungen Begriff gewählt zu haben um sich von Anakreon abzugrenzen, sondern eher als gewählten Begriff, um eine gehobene Sprache zu erzeugen. Poetisch gehobener Sprache gehören auch die Begriffe εὐπέταλος (V.16)846 und εὔβοτρυς (V.17)847 sowie die Bezeichnung von Dionysos als Εὔιος (V.11)848 an. Poetischer Erfindungsreichtum kommt etwa in den sonst nicht zu findenden Formulierungen ἔαρος κύπελλον (V.2) und μύστις νάματος (V.12) zum Ausdruck. Inhalt und Charakter: Das Gedicht ist an einen anonymen Schmied gerichtet mit der Bitte um Herstellung und Verzierung eines Trinkbechers. Durch die Wahl eines Trinkbechers als herzustellenden Gegenstandes wird die Ekphrasis sofort mit dem Bereich des Sympotischen in Verbindung gebracht. In seiner Aussage gleicht das Gedicht CA 4, weil es sich ebenfalls gegen kriegerische Dichtung wendet, die als ξένον und φευκτὸν ἱστόρημα (VV.9f.) bezeichnet und dadurch als einem anacreonteischen Dichter wesensfremd charakterisiert wird. Wahrscheinlich hat das Gedicht aufgrund seiner inhaltlichen Ähnlichkeit mit CA 4 seinen Platz in dessen unmittelbarer Nähe in der Sammlung ge845

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Bei Poseidonios (2./1. Jh.v.Chr., FGrHist 2a,87,F,67,1-2: Σιδόνιοι δὲ πολύτεχνοί τινες παραδέδονται καὶ καλλίτεχνοι) und Strabo (1.Jh.v./1.Jh.n.Chr., Geographica 1,2,33,35 und 16,2,24,2). Die Hauptzahl der Belegstellen findet sich allerdings in der christlichen Literatur der Spätantike. Dieser Begriff kommt zwar bei Aristophanes, Thesmophoriazusen 1000 und Pindar, Parthenion Frg.94b,69 vor, ist aber in der Spätantike, etwa bei Nonnos und in der Anthologia Graeca, so häufig anzutreffen, daß er der allgemeinen poetischen Sprache zuzurechnen ist und nicht einen speziellen Bezug ausdrücken soll. Dieser Begriff ist selten und gewählt. Er findet sich bei Sophokles, Philoktet 548 (ἀπ’ Ἰλίου πρὸς οἶκον ἐς τὴν εὔβοτρυν Πεπάρηθον) und dann erst wieder in der Spätantike bei Nonnos, Kyrill und in der Anthologia Graeca, jedoch insgesamt nur 18 Mal in der griechischen Literatur. Inhaltlich ist kein besonderer Bezug zur Philoktet-Stelle auszumachen, doch dürfte der gebildete Leser wohl an die Sophokles-Stelle gedacht und den Begriff dementsprechend als gewählt empfunden haben. Der Autor erzeugt durch die Verwendung seltener Begriffe ohne auf deren Kontext zu rekurrieren eine Sprache gehobenen und altertümlichen Klanges, verbleibt aber inhaltlich vollständig im anakreontischen Bereich. Diese Bezeichnung erscheint ebenfalls zuerst bei Sophokles (Oidipus Tyrannos V.211: οἰνῶπα Βάκχον εὔιον) und wird dann vor allem von spätantiken Schriftstellern wieder aufgegriffen.

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funden, obgleich es wesentlich später entstanden sein dürfte. Der generationale Bezug zur anakreontischen Dichtung zeigt sich zum einen in der Einbindung des allgemeinen Motives der Ekphrasis in den spezifisch anakreontischen sympotisch-erotischen Kontext, der augenfällig durch die Nennung von Dionysos, Aphrodite und Eros dargestellt wird, und zum anderen in der Ausgestaltung der sympotisch-erotischen Motive. Daß die Eroten unbewaffnet sein sollen (V.14) ist wohl als Anspielung auf den bei Anakreon oft thematisierten Liebesschmerz zu verstehen, der in der idealisierten Darstellung auf dem Trinkbecher zu finden sein soll. Dies ist jedoch nicht als Wendung gegen die anakreontische Dichtung zu verstehen, denn es geht in dem Gedicht nicht, wie bei Anakreon, um die tatsächliche Situation des lyrischen Ich, sondern das, was das lyrische Ich gerne auf dem Becher dargestellt hätte, ist Ausdruck der Wünsche des lyrischen Ich. Es sehnt sich nach einer vollkommen harmonischen sympotisch-erotischen Welt, ebenso wie das lyrische Ich bei Anakreon. Auch inhaltlich folgt das Gedicht also den Grundsätzen anakreontischer Dichtung. Was explizit dargestellt wird, nämlich die geschlossene anacreonteische Welt, wird durch metrische Unzulänglichkeiten zwar faktisch unterlaufen, doch haben die formalen Abweichungen vom anakreontischen Programm keine inhaltliche Entsprechung, weswegen sie als zufällig und nicht als programmatisch gewollt aufzufassen sind. Gedicht 16: Metrik: Das Gedicht besteht aus anaklastischen ionischen Dimetern mit Ausnahme von V.3, der ein reiner ionischer Dimeter ist, wobei unklar ist, warum gerade dieser eine Vers nicht anaklastisch gebaut wurde. Textverderbnis scheint nicht vorzuliegen und ein inhaltlicher Grund ist nicht ersichtlich. Sprache und Stil: Die Sprache ist schlicht, aber nicht kunstlos. Sie weist einige Ionismen auf849, wodurch die Nähe zur anakreontischen Dichtung deutlich gemacht wird, hat aber ansonsten keine Besonderheiten. Den von Rosenmeyer genannten sprachlichen Überschneidungspunkten mit Werken von Achilles Tatius850 sind noch weitere Vergleichsautoren hinzuzufügen851. 849 850

Ῥοδίης (V.3); ἑταίρην (V.5); παρειῆς (V.10); Κυθήρης (V.21). Rosenmeyer S.220. Für die dort aufgeführten Vergleichsstellen gilt, wie auch für die weiteren, daß sie zwar motivische, nicht aber programmatische Ähnlichkeiten mit CA 16 aufweisen, und daß auch die motivischen Ähnlichkeiten so allgemeiner Art sind, daß nicht davon auszugehen ist, daß der Verfasser von CA 16 bewußt auf eine dieser Stellen zurückgegriffen hat. Dies zeigt sich zumal dann, wenn man Rosenmeyers Verweise auf verschiedenste anacreonteische Gedichte zu Achilles Tatius in Rechnung zieht. Die anacreonteischen Gedichte sind zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Autoren verfaßt worden, und daß all diese Autoren bei der Wahl ihrer

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Inhalt und Charakter: Auffallend ist die Ähnlichkeit zu CA 17852, denn in beiden Fällen ist die Ekphrasis als Arbeitsanweisung für einen Maler gehalten853. Dies dürfte auch der Grund sein, warum sie in der Sammlung unmittelbar aufeinander folgen. Obgleich die thematische Ähnlichkeit stark ist, müssen die Gedichte nicht von dem selben Autor stammen, und ein direkter Einfluß der Gedichte aufeinander ist ebenfalls nicht unmittelbar nachweisbar, da es sowohl auf inhaltlicher als auch vor allem auf sprachlicher Ebene deutliche Unterschiede gibt854. Daß die Gedichte entweder vom selben Autor sind oder daß eines der Gedichte einen anderen Autor zur Abfassung des anderen inspiriert hat, ist zwar nicht ausgeschlossen und vielleicht sogar wahrscheinlich, doch die Tatsache, daß die sprachlichen Übereinstimmungen zu gering sind, als daß sich eine solche Möglichkeit stichhaltig erhärten ließe, zeigt einmal mehr den Originalitätsanspruch, der fest in der Programmatik anacreonteischer Dichtung verankert ist und der sich, bei aller thematischen Ähnlichkeit der Gedichte, stets in den einzelnen Gedichten deutlich erkennen läßt, weil kaum eines der Gedichte so viel mit einem anderen gemeinsam hat, daß man es als direktes Vorbild des anderen Gedichtes identifizieren könnte. Was den Inhalt des Gedichtes anbelangt, so hat Lambin recht, wenn er sagt, der Autor wolle mit dem Gedicht in der Phantasie des Lesers die beschriebene Frau, welche trotz aller Details einen Idealtypus darstellt, entstehen lassen855. Die häufige Wiederholung der Anweisung γράφε856 verleiht dem Gedicht einen beschwörenden Charakter und bringt die begierige Un-

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Motive an Achilles Tatius gedacht haben sollen, ist doch unwahrscheinlich. Es ist daher nicht von einem direkten Bezug auszugehen. Dies wird indirekt auch von Rosenmeyers Ausführungen gestützt, so beispielsweise wenn sie sagt „The scene is set as a classic locus amoenus (cf. anacr. 54)“. Hier liegt allgemeine Motivik vor und kein spezieller Bezug. Manuel Philes gibt in Carmina 2,243,11 und 4,31,13 ebenfalls einem Maler Anweisungen. Bei Theodosius, De Creta capta 256-260 finden sich Ratschläge an Xenophon. Schließlich ist auf die Zauberpapyri (z.B. 2,27; 7,392; 8,57) hinzuweisen, in denen allenthalben die Anweisung γράφε erscheint. Zu den Übereinstimmungen mit CA 3 siehe S.267f. Rosenmeyer S.88 bezeichnet die beiden Gedichte als „ „advice to a painter“ poems “, woraus sich auch der Detailreichtum der Gedichte erklärt: Rosenmeyer ebd.: „they must be exhaustive in their details so as not to risk misguiding the artist“. Zu den sprachlichen Unterschieden und dem Problem der Abhängigkeit von CA 17 von CA 16 siehe unten die Ausführungen zu CA 17. So Lambin S.275f. γράφε erscheint sieben Mal in dem Gedicht, wohingegen sich nur sechs andere Imperative der zweiten Person finden, die jeweils nur einmal vorkommen, sowie zwei Imperative der dritten Person.

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ruhe des lyrischen Ich zum Ausdruck, die erst endet, als er seine Geliebte so vor sich sieht, wie er sie haben wollte857. Der Zweck des Gedichtes besteht unter anderem darin, im Spiel mit den Möglichkeiten von Darstellung eine Reflexion darüber anzustellen, daß sowohl Dichtung als auch darstellende Künste beim Betrachter dasselbe Bild erzeugen können, nur daß sich die Mittel dahingehend unterscheiden, daß das Bild im Falle der darstellenden Künste durch Betrachtung und im Falle der Dichtung durch die Vorstellungskraft erzeugt wird. Der Schwerpunkt des Gedichtes liegt allerdings nicht auf der Darstellung eines Gegenstandes durch verschiedene Kunstformen858, sondern ganz konkret auf der Beschreibung der Wirkung eines Gegenstandes, nämlich der Geliebten, und derjenigen Kräfte, welche die Abwesenheit der Geliebten beim Liebenden freisetzen kann. Dadurch, daß der Liebende die Geliebte beschreibt, wird sie für ihn so gegenwärtig, daß er glaubt, sie werde sogleich zu ihm sprechen. Die Unmöglichkeit dieser Tatsache soll zeigen, welch eine Kraft die Sehnsucht besitzt, da sie sogar Unmögliches als möglich erscheinen läßt. Auch ist an dieser Stelle nochmals auf den Beschwörungscharakter der zahlreichen Aufforderungen an den Maler zu erinnern, der in diesem Zusammenhang so zu verstehen ist, daß der Liebende die Geliebte, wenn er sie schon nicht tatsächlich bei sich hat, sie wenigstens so sehr heraufbeschwören will, daß sie für ihn selbst zumindest für kurze Zeit nahezu physisch präsent wird. Die Sehnsucht wird also doch erfüllt, allerdings nur in der Phantasie, so daß sie letztlich unerfüllt bleibt. In dieser Thematik der unerfüllten Sehnsucht liegt der eindeutige Bezug zum Programm anakreontischer Dichtung. Die Darstellung 857

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Mit dieser Überlegung ist auch der oftmals athetierte V.2 durchaus sinnvoll erklärbar als den Beschwörungscharakter verstärkend und folglich in dem Gedicht zu belassen. Durch dieses Ziel gewinnt jedoch die Beschreibung eines Idealtypus und nicht etwa einer konkreten Geliebten ihren Sinn, weil der Idealtypus von allen möglichen Typen am wenigsten Genauigkeit in der Beschreibung erfordert und dadurch auch am einfachsten vom Leser imaginiert werden kann. Jedoch müssen Dichtung und bildende Künste nicht zwangsläufig dasselbe Bild erzeugen, ja sie können es genaugenommen gar nicht, weil die Dichtung in ihrer Beschreibung nie denselben Detailreichtum erzeugen kann wie die Kunst. Hierin liegt aber gerade auch ein Vorteil der Dichtung, da sie, wie am Beispiel der idealen Frau gezeigt wird, die Möglichkeit hat, die vom Leser benötigte Phantasie bei der Erstellung des beschriebenen Bildes dahingehend zu nutzen, daß am Ende tatsächlich jeder Leser dasselbe Bild vor Augen hat, wobei sich die Bilder, die die Leser sich vorstellen, nicht als solche übereinstimmen, sondern in ihrem Wesen. Die Frauen, welche sich die einzelnen Leser vorstellen, können völlig unterschiedlich sein, aber sie können gerade dadurch die Gemeinsamkeit erzeugen, daß jeder Leser sich die für ihn ideale Frau vorstellt. Da das konkrete Ergebnis subjektiv ist, kann auf abstrakter Ebene intersubjektive Gültigkeit entstehen, die auf der konkreten Ebene, welcher die bildliche Darstellung verhaftet ist, in dieser Allgemeinheit unmöglich ist. Diese qualitative Differenz zwischen Dichtung und bildender Kunst hinsichtlich der intersubjektiven Gültigkeit der von ihnen erschaffenen Werke wird jedoch in dem Gedicht nicht explizit thematisiert.

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dieser unerfüllten Liebe bedient sich zwar mit der Ekphrasis eines bei Anakreon nicht vertretenen Mittels, doch es bedient sich seiner auf anakreontische Art859, indem die Ekphrasis in erfindungsreicher Weise in das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung integriert wird. Auffällig sind die mythologischen Anspielungen in VV. 20; 21; 24 und 28860, die zum einen die Überhöhung der abwesenden Geliebten zu einem göttergleichen Wesen durch die Sehnsucht des Liebenden in dessen Vorstellung und zum anderen auch die momentane Unerreichbarkeit der Geliebten, die sie für den Liebenden so fern werden läßt wie sonst nur Götter den Menschen sind, zum Ausdruck bringen sollen. In dieselbe Richtung lassen sich auch einzelne Wörter näher untersuchen, wie etwa das seltene und daher Ehrwürdigkeit ausstrahlende λύγδινος (V.27), das zumeist für parischen Marmor verwendet wird861, was zum einen natürlich die wundervolle Farbe der Haut am Halse der Geliebten charakterisieren soll, zum anderen aber auch, da der Künstler in dem Gedicht ja nicht mit Marmor, sondern mit Wachs arbeitet862, zum Ausdruck bringen soll, daß die Geliebte aus Sicht des Liebenden es auch wert wäre, ebenso wie etwa die zuvor genannten Göttinnen, von denen zahlreiche Marmorstatuen existierten, in parischen Marmor gehauen zu werden. Eine große, unerfüllte Sehnsucht nach der vergötterten Geliebten als Thema, verpackt in eine Ekphrasis und geschrieben in für Anakreon typischem Versmaß, ergibt hier ein formal wie inhaltlich und damit programmatisch stark auf die anakreontische Dichtung bezogenes Gedicht. Gedicht 17: Metrik: CA 17 besteht im wesentlichen aus anaklastischen ionischen Dimetern, bisweilen mit Quantitätsfehlern wie in V.43. Eine Ausnahme bildet nur V.45, der aus unklaren Gründen ein katalektischer iambischer Dimeter 859

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So findet sich der Beschwörungscharakter von Wiederholungen schon bei Anakreon in der dreifachen Anrufung des Kleobulos in Frg.5G. Lambin S.275 verweist auf die mythologischen Bilder in diesen Versen nur allgemein im Zusammenhang mit der Feststellung, daß die Geliebte idealtypisch dargestellt sei. Diese Feststellung findet sich auch bei Rosenmeyer S.220. Belegstellen für das Wort sind Babrius, Mythiambi Aesopici 1,30,1; Historia Alexandri Magni, Recensio α sive Recensio vetusta 1,4,6,7; Historia Alexandri Magni, Recensio β 1,4,22; Historia Alexandri Magni, Recensio γ (lib. 1) 4,44; Historia Alexandri Magni, Recensio γ (lib. 1) 4AL,56; Anthologia Graeca 5,13,3; 5,48,3; 6,209,2; 6,317,2; 7,380,1 (Krinagoras zugeschreiben), 16,262,3; Suda, Lexicon, κ,2277,1-3 und λ,768,14. Als auf parischen Marmor bezogen wird das Wort erklärt bei Philostrat, Imagines 1,2,4 und Scholia in Pindarum (scholia vetera) Nemeische Oden 4, Scholion 129c,7. Ein Grund hierfür könnte sein, daß die Phantasie des Lesers, in der die Geliebte ja auch entstehen soll, in ihrer Beweglichkeit am ehesten mit Wachs vergleichbar ist.

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ist, aber möglicherweise ist der Text hier leicht verderbt, wenngleich die Stelle weder inhaltlich noch grammatikalisch zu beanstanden ist. Sprache und Stil: Ebenso wie bei CA 16 ist die Sprache einfach, aber bewußt mit ionischen und epischen Formen863 durchsetzt, was speziell einen an die anakreontische Dichtung erinnernden und allgemein einen gehobenen Sprachstil erzeugt. Auf einzelne sprachliche Ähnlichkeiten zu CA 16 und ihre Bedeutung für das Verständnis von CA 17 wird zweckmäßigerweise in dem Abschnitt über Inhalt und Charakter des Gedichtes eingegangen. Daß der Dichter bemüht ist, archaische Sprache zu verwenden, um möglichst nahe an die Sprache Anakreons heranzukommen, zeigt sich beispielsweise in V.10864. Daß sich in dem Gedicht auch sprachliche Elemente finden, die nicht der Zeit Anakreons entstammen können und die auch einem völlig anderen Kontext entnommen sind, wie etwa die Wendung ἐλεφάντινος τράχηλος in V.29865, darf nicht den Blick dafür verstellen, daß diese Elemente nichts mit dem Inhalt des Gedichtes zu tun haben und schon gar nicht bewußt in den Text aufgenommen wurden, um etwa unterschwellig christliche oder sonstige nicht-anakreontische Inhalte in den Text einfließen zu lassen, was in einem Gedicht wie CA 17 auch offensichtlich keinen Sinn ergäbe, sondern daß solche Elemente einfach dem sprachlichen Umfeld der Autoren entstammen und von ihnen als normale Begriffe der gehobenen Sprache angesehen wurden. Inhalt und Charakter: CA 17 ist bei Lambin dem Verdacht ausgesetzt, CA 16 als Vorlage gehabt zu haben, wozu Lambin bemerkt, man könne dies deutlich an der ästhetischen Minderwertigkeit von CA 17 gegenüber CA 16 sehen. Begründet wird dieses Urteil damit, daß CA 17 weitaus nicht so originell sei wie CA 16. Überdies seien wohl VV.41-46 nachträglich ergänzt worden866. 863

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Zu ersteren sind die Formen κυανωτέρη (V.11); Κυθήρης (V.15); ῥοδέην (V.18); χνοΐην (V.19); παρειήν (V.19); Διονυσίην (V.33); Παφίην (V.37); φθονερήν (V.38), zu letzteren die Form Πολυδεύκεος (V.32) und μεταμάζιον (V.30; CA 17 ist die einzige literarische Rezeption dieses in Ilias 5,19 vorkommenden Begriffes) zu rechnen. Es werden in diesem Vers nur Worte verwendet, die bereits bei Homer vorkommen, was für ihre Altertümlichkeit bürgt, ὀφρῦς sogar in der bei Homer meist verwendeten kontrahierten Form statt ὀφρύας, welches nur in Od. 9,389 erscheint, doch ist die bei Homer noch erkennbare semantische Differenz zwischen στέφω und στεφανόω offensichtlich im Sprachbewußtsein des Dichters von CA 17 nicht mehr vorhanden. Gleichwohl ist die Absicht des Dichters, archaische Sprache zu verwenden, um dem ebenfalls altertümlich klingenden Anakreon nahe zu kommen, klar erkennbar. Die Wendung ἐλεφάντινος τράχηλος findet sich in Septuaginta, Canticum 7,5,1 und wird zitiert von Origenes, Scholia in Canticum canticorum 17,281,32n; Prokop, Catena in Canticum canticorum 1728,43; Theodoretus, Explanatio in Canticum canticorum 81,188,31. Lambin S.274f.: „Le sens de la relation ne fait ici guère plus de doute que pour les poèmes anacréontiques n° 4 et 5: le poème n° 17 est trop inférieur au précédent, trop

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Gegenstand der Ekphrasis ist nicht, wie in CA 16, eine unbekannte Idealfrau, sondern der als Geliebter von Anakreon bekannte Bathyll, der jedoch ebenfalls idealtypisch beschrieben wird. Es ist aber nicht nur die starke thematische Ähnlichkeit, die eine Verbindung zwischen den beiden Gedichten nahelegt, die in dann als komplementär aufgefaßter Weise einmal eine Frau und einmal einen Mann zum Gegenstand haben, sondern es sind auch sprachliche Merkmale. Schon das erste Wort von CA 17, Γράφε, erinnert an die häufige Verwendung desselben Wortes in CA 16. Betrachtet man die Imperative genauer, so stellt man allerdings fest, daß es durchaus größere Variationen gibt. Γράφε wird nur im ersten und im letzten Vers von CA 17 verwendet. Im ersten Vers dient es dazu, deutlich zu machen, daß Bathyllos mit dem Mittel der Malerei dargestellt werden soll. Danach wird ποίησον bzw. ποίει, welches insgesamt sechsmal erscheint, zum nahezu alleinigen Imperativ der zweiten Person. Häufiger als in CA 16 wird jedoch in CA 17 von der Möglichkeit des Imperativs der dritten Person867 sowie von anderen Arten der Aufforderung868 Gebrauch gemacht. Was den Vergleich des Geliebten mit göttlichen Wesen anbelangt, so ist der Figurenreichtum von CA 17 diesbezüglich größer als der von CA 16. Es werden als weibliche Vergleichspersonen zwar wie in CA 16 Kythere869 und

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peu original, malgré une conclusion assez habile, pour être le modèle. Nous faisons allusion, en parlant d’une conclusion assez habile, aux vers 38 à 40, car les derniers semblent avoir été ajoutés par un autre poète, qui ne manquait pas d’esprit et connaissait également Anacréon, ainsi que le prouve son allusion à Samos (v. 45), mais moins soucieux de la versification et de la suite des idées. On s’étonne, en effet, qu’il y soit question d’enlever du chevalet un Apollon - un tableau, en cours d’exécution, représentant le dieu - pour peindre Bathyllos (v. 43-44), alors que le peintre a déjà été payé grassement (v.42), et doit donc avoir achevé son ouvrage. Et le vers 41 ne paraît pas à sa place.“. Als Argument ist Lambins ästhetisches Empfinden eher ungeeignet. In CA 16 finden sich zwei solcher Imperative (ἐχέτω, V.15, διαφαινέτω, V.31), in CA 17 vier (στεφέτω, V.10, ἔστω, V.12, ἐχέτω, V.26, ἔστω, V.27). CA 17, VV. 23; 35. Die formelhafte Verwendung von ἡ καλὴ Κυθήρη in verschiedenen Kasus, für die West CA 35,7 und CA 43,13 als Vergleichsstellen anführt, begründet keine Ähnlichkeit zwischen diesen Gedichten, sondern stellt einen Gemeinplatz dar. Daß die Göttin der Schönheit selbst schön ist, ist eine verbreitete Vorstellung (Vergleichsstellen sind unter anderem Hymni Homerici, In Venerem 1f., Platon, Symposion 203c3f., Theokrit, Idyll 3,46, Georgius Grammaticus, Anacreontea Frg.3,38, Pseudo-Lukian, Amores 16,14, Carmina Popularia (PMG), Frg.26,2, Apollonios, Lexicon Homericum 168,32, Scholia In Lucianum (scholia vetera et recentiora Arethae) 21,10,8 und Plotin, Enneades 5,8,13,16). Die Form Κυθήρη selbst zeigt zwar deutlich, daß das Gedicht nicht aus anakreontischer Zeit stammen kann, weil diese Form in den verschiedenen Kasus erst spät (sehr oft in der anacreonteischen Dichtung von Georgius Grammaticus und Ioannes Grammaticus sowie in anderen Gedichten der Anthologia Graeca und in den Apotelesmatica des Manetho Astrologus, bei Dorotheus Astrologus und Hephaestion Astrologus sowie bei Platon, Epigrammata 16,210,2 und in den Papyri magicae 4,2908) belegt ist, doch ist sie aus metrischen Gründen in anacreonteischer

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Peitho genannt, jedoch wird nur Aphrodite bei ihrer ersten Nennung (V.15) als eigentliches Vorbild und auch hier schon eher, wie bei ihrer zweiten Erwähnung (V.37) und der von Peitho (V.24), nicht nur als Vorbild, sondern vielmehr auch zur Verdeutlichung der Wirkung des Bathyllos angeführt. Der Bestand an Vorbildfiguren ist in CA 17 zahlenmäßig leicht erweitert870. Zwar findet sich das Motiv eines Vergleiches des Geliebten mit Göttern nicht in anakreontischer Dichtung, doch ist das Motiv hier gut in das Konzept anakreontischer Dichtung eingebunden, denn es soll dazu dienen, den Geliebten göttergleich zu erhöhen, um so die Intensität der Sehnsucht des lyrischen Ich zu verdeutlichen871. Inhaltliche Probleme gibt es ab V.38. Die brachialste Lösung bestünde darin, das Gedicht mit V.37 und der αἰδώς des Bathyllos als Symbol für die stark erotisierende Wirkung, die er auf das lyrische Ich, und damit auch auf jeden Leser, der ihn sich vorstellt, ausübt, enden zu lassen und den Rest einem oder mehreren späteren Autoren zuzuschreiben872. Die zweite Möglichkeit ist die, VV.38-40 noch zu dem Gedicht hinzuzunehmen. Dann muß man sich entscheiden, ob man in V.39 μοί oder μή lesen möchte873. In der ersten Version wäre der Sinn der Verse folgender: du hast eine eifersüchtige Kunst, weil du mir (statt der Vorderseite, die du darstellst, auch) den Rücken (d.h. den überaus wohlgeformten Po des Bathyllos) zeigen könntest, was (vielleicht) das bessere wäre. Die Kunst, die nicht in der Lage ist, Vorderund Rückseite eines Menschen gleichzeitig darzustellen, weil sie eben nur zweidimensional ist, würde als eifersüchtig charakterisiert, so als ob die Kunst bewußt nicht auch den Rücken des Bathyllos darstellen wollte aus Eifersucht, jeder könnte ihn dann sehen. In der zweiten Version wäre der Sinn ein ähnlicher, denn sie würde bedeuten: deine Kunst ist mißgünstig, weil sie nicht in der Lage ist, mir auch den Rücken, den ich doch ebensogern sähe wie die Vorderseite, zu zeigen. Für welche Version man sich entscheidet, spielt für das Verständnis des Gedichtes daher keine große Rolle, weil beide inhaltlich auf dasselbe hinauslaufen: das lyrische Ich beschwert sich darüber, daß die Malerei nicht in der

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Dichtung beliebt als Variation zu dem in den Carmina Anacreontea doppelt so häufig verwendeten verwendeten Ἀφροδίτη und Wiederaufnahme der alten, jedoch metrisch ungeeigneten Form Κυθέρεια. In CA 16 finden sich vier, in CA 17 fünf Vorbildfiguren, wobei am Ende von CA 17 Bathyll seinerseits als Vorbild für eine Apoll-Darstellung empfohlen wird. Vergleichbar wäre Anakreon Frg.14G, wo Eros, die Nymphen, Aphrodite und Dionysos angerufen werden, um Kleobulos dem lyrischen Ich gewogen zu stimmen. Durch diese Götterhäufung soll ebenfalls die Sehnsucht des lyrischen Ich verdeutlicht werden. Obgleich diese Lösung wohl möglich wäre, wurde sie bislang nicht in Erwägung gezogen, wohl weil sie größere Eingriffe in den Text erforderte und vermeidbar ist. Lambin entscheidet sich mit Giangrande für μοί, die übrigen Herausgeber und Kommentatoren für das bereits von Stephanus vorgeschlagene μή.

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Lage ist, Vorder- und Rückseite eines Objektes gleichzeitig darzustellen, obgleich das lyrische Ich so gern alle geliebten Stellen – denn es gibt, wie V.41 nahelegt, auch nicht so interessante Stellen wie etwa die Füße – des Körpers seines Bathyll sähe. Die Passage entspricht durch ihre deutliche Thematisierung des erotischen Begehrens, welches das lyrische Ich gegenüber Bathyll empfindet, anakreontischen Darstellungen874. Zugleich wird durch die Nennung von Bathyll als Geliebtem des lyrischen Ich eine Identifikation des lyrischen Ich mit Anakreon bzw. dem lyrischen Ich der anakreontischen Dichtung nahegelegt, denn obgleich kein Fragment von Anakreon erhalten ist, in dem Bathyll erwähnt wird, so war doch weithin bekannt, daß er als Geliebter in der anakreontischen Dichtung vorkam875. Möchte man hingegen das Gedicht nicht mit dieser scherzhaften Reflexion über die Fähigkeiten verschiedener Künste, deren Ergebnis dahingehend ausfällt, daß die Dichtkunst im Gegensatz zur Malerei in der Lage ist, in der Phantasie des Lesers dreidimensionale Gemälde entstehen zu lassen, und dem in dieser Reflexion enthaltenen Preis von Bathylls Vollkommenheit enden lassen, so stellt sich die Frage nach dem Inhalt von VV.41-46. Deren Sinn ist etwa so zu verstehen: Was soll ich mich noch darum kümmern, dich über die Füße zu unterrichten (die mich doch nicht halb so viel interessieren wie seine Rückseite)? Nimm deinen Lohn, soviel, wie du gesagt hattest, und nimm das Apollbild da runter und mach den Bathyll. Solltest du mal nach Samos kommen, dann male einfach Apoll nach dem Vorbild des Bathyll. Der Inhalt ist klar und sinnvoll und hat mit dem Verweis auf Apoll und Samos einen ebenso scherzhaften wie gelehrten Schluß876, wobei der Scherz darüber, daß Bathyll in seiner unermeßlichen Schönheit problemlos als Vorbild für das Gemälde eines Gottes dienen kann, wohl etwas überwiegt. Problematisch ist nur V.45, weil er in der überlieferten Form nicht ins Metrum paßt und auch bislang keine Konjektur gefunden wurde, die dieses Problem hätte beseitigen können, jedoch ist fraglich, ob man allein aufgrund eines mutmaßlichen Kopistenfehlers VV.42-46 für unecht befinden sollte, denn alles in allem ist das Gedicht in seiner überlieferten Gesamtlänge durchaus in zufriedenstellendem Maße verständlich. In seinem Ton ist CA 17 recht verschieden von CA 16. Es möchte nicht so sehr in eindringlicher Weise das Bild des geliebten Menschen heraufbeschwören, sondern ihn vielmehr in sehr bunter, bilderreicher Sprache möglichst strahlend in all seinen Facetten erscheinen lassen. Das Motiv hierfür ist, neben der Sehnsucht, vor allem die Bewunderung des Geliebten und das Bedürfnis, ihn zu verherrlichen. 874 875 876

Hier ist vor allem auf Frg.5G und Frg.14G zu verweisen. Siehe hierzu näher Kap. IV.c)2) und Anakreon Frg.148G. Lambin S.275 weist kurz auf die Verbindung von Anakreon mit Samos hin. Dort war Anakreon am Hofe des Polykrates, wie unter anderem bei Herodot und Strabo berichtet wird, siehe hierzu näher Crusius: „Anakreon“, 2037f.

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Insgesamt gesehen sind die Ähnlichkeiten zwischen CA 16 und CA 17 so hoch, daß es nicht nur möglich, sondern vielleicht sogar wahrscheinlich ist, daß sie von ein und demselben Autor stammen, der mit diesen beiden Gedichten die Möglichkeiten dieses Gedichttypus aufzeigen wollte. Daß jedoch eines der beiden Gedichte ästhetisch minderwertiger und nur eine etwas kunstlose Nachahmung des anderen Gedichtes wäre, läßt sich nicht behaupten. Sie ergänzen sich im Gegenteil dahingehend, daß jedes auf seine Weise exemplarisch eine Möglichkeit der praktischen Ausgestaltung dieses Gedichttypus vorführt. Besonders durch die Nennung von Bathyll in CA 17, aber auch durch die genannten sprachlichen Elemente, wird deutlich, daß der Autor das Gedicht als ein echt anakreontisches gestalten wollte und es, so gut er dies vermochte, nach dem poetologischen Programm anakreontischer Dichtung verfaßt hat. Gedicht 54: Metrik: Das Gedicht besteht aus katalektischen iambischen Dimetern, wobei versehentliche Fehler in der Prosodie in VV. 8 und 10 auf eine späte Entstehungszeit hinweisen. Sprache und Stil: Sprachlich ist das Gedicht eher schlicht. Gesucht ist lediglich die Bezeichnung Σιδωνίαν γυναῖκα (V.4) für Europa877. Durch diese mythologische Umschreibung wird die Ehrwürdigkeit der beschriebenen Darstellung sprachlich zum Ausdruck gebracht. Bestimmte Formulierungen wie τέμνει κῦμα (V.6)878 oder ἐξ ἀγέλης ἐλασθείς (V.8)879 sind zwar erst spät belegt und daher ein weiteres Zeichen für die späte Entstehungszeit des Gedichtes, doch dürfte dies dem Autor des Gedichtes nicht bewußt gewesen sein, weil ihm diese Ausdrucksweise geläufig und daher wohl nicht weiter auffällig war.

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Lambin S.252 erklärt die Bezeichnung mit einem Verweis auf Achilles Tatius, Leukippe und Klitophon 1,1,2, doch besteht kein Bezug zu dieser Stelle, sondern Achilles Tatius zeigt vielmehr, daß die Formulierung zur damaligen Zeit ohne weiteres verständlich war. Die Ähnlichkeit mit CA 57,19 dürfte zufällig sein, denn die Wendung ist auch in Variationen (etwa mit θάλασσα oder πέλαγος) des öfteren belegt als fester Bestandteil spätantiker poetischer Sprache. Vergleichsstellen sind Nonnos, Dionysiaka 1,93; 1,106-111; 3,204-208; 23,23; 39,369; Oppian, Halieutika 1,224f.; 1,626f.; ders., Kynegetika 2,387; 2,435; 2,595; Johannes Chrysostomus, Ad eos qui scandalizati sunt 7,5,1f.; ders., De spe 60,772,61f. Diese Formulierung ist seltener belegt, aber wohl auch nicht ungewöhnlich nach spätantikem Sprachempfinden wie die inhaltlich völlig anders geartete Vergleichsstelle Anthologia Graeca 9,719,2 zeigt.

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Inhalt und Charakter: Die Ekphrasis in CA 54 ist deutlich anders gestaltet als die in CA 16 und CA 17, denn es handelt sich nicht um eine Anweisung an einen Maler, sondern um die Beschreibung eines vorliegenden Gemäldes, auf dem der Raub der Europa durch Zeus dargestellt ist. Das Motiv ist zwar erotischer Art, und Rosenmeyer880 weist auch darauf hin, daß in V.8 ein etwas subversiver Scherz liegt, weil hier die erotische Initiative der Europa zugeschrieben wird, die den Stier Zeus von seiner Herde wegzieht, doch fällt das Gedicht inhaltlich gleichwohl aus dem thematisch-motivischen Rahmen anakreontischer sympotisch-erotischer Dichtung. Lambin881 sieht das Gedicht als Scherz an, dessen Pointe darin besteht, daß das lyrische Ich seine Ansicht über das Gemälde, die es selbst für keineswegs gesichert hält (δοκεῖ μοι, V.2), seinem Sohn mitteilt, ohne allerdings auf diesen in irgendeiner Weise Rücksicht zu nehmen, und über die dargestellte Szene sinniert (VV.7-10). Lambins Interpretation des Gedichtes ist überzeugend, doch hat das Gedicht inhaltlich außer der ganz allgemeinen Tatsache, daß der Mythos ein erotisches Element enthält, nichts mit der Dichtung Anakreons zu tun. Der Bezug zur anakreontischen Dichtung ist daher zwar formal durch das Metrum, nicht aber inhaltlich gegeben, weshalb dieses Gedicht im Gegensatz zu den anderen ekphrastischen Gedichten nicht in einem generationalen Verhältnis zur anakreontischen Dichtung steht. Gedicht 57: Metrik: Das Gedicht besteht aus anaklastischen ionischen Dimetern. Prosodische Fehler wie in V.8 weisen auf eine späte Entstehungszeit hin. Sprache und Stil: Auffallend ist die Dialektmischung aus ionischen882 und dorischen883 Formen, zu denen sich auch noch allgemein epische Formen884 sowie Elemente aus der spätantiken Alltagssprache885 gesellen. Sowohl die ionischen als auch die dorischen Formen sollen dazu dienen, eine insgesamt poetische Sprache zu erzeugen, wobei der Autor keinen Wert auf dialektale Reinheit, sondern nur auf einen allgemein archaisch-poetischen Klang legt, der wohl dem der archaischen und besonders der anakreontischen Lyrik nahekommen soll.

880 881 882 883

884 885

Rosenmeyer S.107. Lambin S.251f. φύσιος (V.8); δειρῆς (V.18); Παφίης (V.29). τέχνα (V.2); λευκάν (V.5); ἁπαλὰν (V.6); ἀρχάν (V.8); νιν (V.9); ἀλαλημένα (V.12); λευκᾶς (V.13); γαλήνας (V.14). τόρευσε (V.1); χάραξε (V.6); ἀερθείς (V.7); Ἔρος (V.26). θαλάττης (V.4), Anfangsstellung von ἄρα in VV. 1; 2; 5.

281

Der ehrwürdige Charakter der Sprache wird noch verstärkt durch die Übernahme homerischer Wendungen in VV. 4886; 11887; 13-14888; 18889, doch besteht zu den jeweiligen Stellen entweder nur eine rein lexikalische Verbindung oder, sofern der Autor Formulierungen verwendet, die in AphroditeHymnen vorkommen, die ganz konkrete Verbindung über denselben Gegenstand, nämlich Aphrodite. Es geht dem Dichter also nicht darum, über lexikalische Ähnlichkeiten einen programmatischen Bezug herzustellen, sondern die Wendungen werden ganz in den Dienst des eigenen Programmes gestellt, wie dies auch in der anakreontischen Dichtung der Fall ist. Inhalt und Charakter: Diese Ekphrasis besteht nicht aus der Beschreibung einer imaginierten, sondern einer dargestellten Szene. Aus dem in V.1 gebrauchten Verb τορεύω kann zwar geschlossen werden, daß die Szene wohl auf einem Metallgefäß dargestellt ist, doch läßt sich nichts Näheres sagen. Der Gegenstand, auf dem sich die Szene befindet, wird ebensowenig genannt wie der Künstler, und so liegt das Augenmerk ganz auf der Szene selbst. Das Gedicht beginnt geradewegs mit einer Frage des lyrischen Ich nach demjenigen, der die Darstellungen geschaffen hat, ein Kunstgriff, durch den gleich mit der Beschreibung begonnen werden kann ohne daß es sich auch formal um eine reine Beschreibung handelt. In CA 16 und CA 17 erfüllte die Anrede des Künstlers dieselbe Funktion. Gegenstand der Beschreibung ist Aphrodite wie sie, mit Eros, Himeros und Delphinen als Gefolge, durch das Meer zieht. Es ist eine Szene von vollendeter Harmonie, abgesehen davon, daß das Liebesleid kurz thematisiert wird durch die Erwähnung des trügerischen Sinns von Eros (V.25)890. Das 886

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890

V.4 hat sein Vorbild wohl in der homerischen Wendung ἐπ’ εὐρέα νῶτα θαλάσσης (Ilias 2,159; 8,511; 20,228; Odyssee 3,142; 4,123; 4,313), die auch von Hesiod und dann vor allem in nachchristlicher Zeit verwendet wurde. κύμασιν καλύπτει (V.11) beruht wahrscheinlich auf Homer, Ilias 23,693 (μέλαν δέ ἑ κῦμα κάλυψεν), doch findet sich die Formulierung auch in Novum Testamentum, Evangelium secundum Matthaeum 8,24,2 (ὥστε τὸ πλοῖον καλύπτεσθαι ὑπὸ τῶν κυμάτων) und mehrfach sowohl in christlichen als auch in nichtchristlichen Texten der kaiserzeitlichen und spätantiken Literatur. ἁπαλόχροον (V.14) geht wahrscheinlich auf den großen homerischen AphroditeHymnos zurück, in dem von παρθενικὰς ἁπαλόχροας (V.14) die Rede ist. λευκᾶς γαλήνας (VV.13f.) hat seine Entsprechung bei Homer, Odyssee 10,94 (λευκὴ δ’ ἦν ἀμφὶ γαλήνη), welches schon von Sophokles Frg.730e**18 (λευκὴν γαλή[νην) und dann vor allem in der Spätantike übernommen wurde. Die Formulierung ἁπαλῆς δειρῆς (V.18) ist ebenfalls homerisch (Ilias 3,371; 18,177; 19,285), wobei besonders auf ihr Vorkommen im großen und im kleinen homerischen Aphrodite-Hymnos (V.88: ἀμφ’ ἁπαλῇ δειρῇ; V.10: δειρῇ δ’ ἀμφ’ ἁπαλῇ) hinzuweisen ist. VV. 25 und 26 sind textkritisch problematisch. Überliefert ist δολερὸν νόον μερόπων Ἔρος Ἵμερος γελῶντες, was West in δολερὸν νόον μετοίσων Ἔρος Ἵμερος γελῶν τε ändert. Wests Konjekturen scheinen sinnvoll, denn die Harmonie der Szene wird in

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lyrische Ich beschreibt eine Idealdarstellung. Aphrodite, Göttin der Schönheit, zieht in der ihr eigenen Vollkommenheit, welche durch Attribute und durch den Lilien-Vergleich (V.21) ausgedrückt wird, durch das Meer. In diese Vollkommenheit fügen sich Eros, Himeros und die Delphine ein, wobei dem lyrischen Ich sogar Eros gänzlich in diese Harmonie eingebunden zu werden scheint. Hier wird ein Kontrast zur Wirklichkeit eröffnet, in welcher Eros demzufolge oftmals nicht für Liebesharmonie, sondern für Liebesleid sorgt. Obgleich der Liebende sich stets diese Harmonie wünscht, bleibt es oftmals bei der unerfüllten Sehnsucht. Durch die ausführliche Schilderung eines Idealzustandes wird hier die Liebe gepriesen, wie der Mensch sie sich erwünscht, wie sie ihm aber, in ihrer göttlichen Vollkommenheit, oft nicht zuteil wird. Damit befindet sich das Gedicht thematisch in der Nähe der anakreontischen Dichtung, die mehrfach das Leid der unerfüllten Liebe, in dem immer die ersehnte Erfüllung mitschwingt, zum Gegenstand hat, und in der Beschreibung dessen, was eine Göttin gerade macht, ähnelt es Anakreon Frg.1G. Jenes ist zwar ein reiner Hymnos und keine Ekphrasis, doch weist CA 57, zumal wenn man an die lexikalischen Rückgriffe auf die homerischen Aphrodite-Hymnen denkt, auch hymnische Elemente auf. Es sind also in CA 57 gleich mehrere inhaltliche Elemente vorhanden, die in der anakreontischen Dichtung eine Entsprechung finden und die in Verbindung mit dem Rückgriff auf anakreontische Metrik und Motivik sowie Anakreons Technik der Einbindung intertextueller Bezüge die programmatische Identität und damit das generationale Verhältnis aufzeigen. Zusammenfassung: Zusammenfassend läßt sich zu den ekphrastischen Gedichten sagen, daß sie diejenige Gruppe bilden, die den anakreontischen Gedichten, abgesehen von CA 34, am unähnlichsten ist, weil sich das Motiv der Ekphrasis nicht in der anakreontischen Dichtung findet. Auch in der anakreontischen Dichtung werden aber verschiedene literarische Formen, die an sich nicht mit dem sympotisch-erotischen Bereich verbunden sind, wie etwa die des Hymnos (siehe Frg.14G), dazu verwendet, die typisch anakreontischen Inhalte, wie beispielsweise das persönliche Liebesbegehren, zu thematisieren. Dennoch stehen die ekphrastischen Gedichte insgesamt vor allem durch die metrische, thematische und größtenteils auch motivische Bindung an das anakreontische Programm in einem literarischen Generationenverhältnis zur anakreontischen Dichtung, mit Ausnahme von CA 54.

V.27 durch den wohlgeordneten Chor der Fische und die Fröhlichkeit der Aphrodite fortgeführt, so daß für VV.25-26 wohl nur ein Sinn in Frage kommt, der die Harmonie der Darstellung nicht gefährdet.

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IV. d) Zusammenfassung Insgesamt läßt sich zu den anacreonteischen Gedichten feststellen, daß sowohl die poetologischen als auch die thematischen Gedichte das in den poetologischen Gedichten dargelegte poetologische Programm umsetzen, lediglich mit Ausnahme von CA 54 und vielleicht CA 34. Als Programm wird von den Dichtern der Carmina Anacreontea dabei das Programm von Anakreons Dichtung zugrunde gelegt, wobei die Dichter der Carmina Anacreontea, so wie es im wesentlichen schon seit den Lebzeiten Anakreons üblich war, nur Anakreons sympotisch-erotische Dichtung als wirklich anakreontisch angesehen haben. So bilden also die Carmina Anacreontea aus poetologischer Sicht ein Corpus von hoher Geschlossenheit, welches man als literarische Nachfolgegeneration zur anakreontischen Dichtung bezeichnen kann. Dabei sind die anacreonteischen den anakreontischen Gedichten nicht nur in den Hauptaussagen, also in der positiven Bewertung eines von Weinund Liebesgenuß sowie fröhlichem Gesang geprägten Lebens, sondern, und das ist, zumal angesichts der Untersuchung von Rosenmeyer, ein doch sehr bemerkenswertes Ergebnis891, auch in motivischer und sprachlicher Hinsicht in hohem Maße ähnlich, zwar nicht immer in der tatsächlichen motivischen und sprachlichen Gestaltung, aber in der mit der jeweiligen Gestaltung verfolgten Intention. Alle anacreonteischen Gedichte sind in Metra verfaßt, die als typisch anakreontisch oder, wie bei CA 19 und CA 20, zumindest überhaupt anakreontisch gelten können. Sprachlich fällt einerseits auf, daß die Ausdrucksweise in den Gedichten klar und einfach ist, jedoch bisweilen, und auch das entspricht der Sprache Anakreons, mit gesuchten Wörtern durchsetzt und auch in stilistischer Hinsicht teils recht ausgefeilt ist. Daß auch Wörter zu bemerken sind, die zu Anakreons Zeit höchstwahrscheinlich noch nicht existierten, stellt dabei keine absichtliche Neuerung der anacreonteischen Dichter dar, sondern ist einfach der Tatsache geschuldet, daß sie sich dessen zum einen wohl gar nicht bewußt waren, und daß sie es zum anderen wohl auch, sofern sie sich dessen doch bewußt waren, nicht als Distanzierung zu Anakreon empfanden. So hatten sie ja auch in der Metrik nicht den Ehrgeiz, mit großer Akribie besonders anakreontisch zu wirken in ausgefeilter Nachahmung, sondern es genügte ihnen die deutlich erkennbare Ähnlichkeit mit der anakreontischen Dichtung, um den poetologischen Bezug auf Anakreon zum Ausdruck zu bringen. Auch sprachlich sind nicht nur die ionisch-epischen Formen, sondern auch die dorischen Formen, die nicht wegen ihres Dialektes, sondern allein wegen ihres altertümlichen 891

Rosenmeyers Aufführung zahlreicher Ähnlichkeiten mit den Werken verschiedenster anderer Autoren hätte vermuten lassen, daß die Beziehungen der Carmina Anacreontea zur anakreontischen Dichtung abgesehen von den allgemeinen augenfälligen thematischen Ähnlichkeiten eher gering wäre. Die kritische Prüfung und poetologische Bewertung der Bezüge hat jedoch zu einem deutlich anderen Ergebnis geführt.

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Klanges gewählt wurden, dazu gedacht, anakreontisch zu wirken892, ohne daß seitens der Dichter auf diese Formalia so viel Wert gelegt worden wäre, daß die Gedichte tatsächlich aussähen wie aus archaischer Zeit. Inhaltlich ist ähnliches zu beobachten. Die Grundaussagen der anacreonteischen Gedichte stimmen überein mit denen der anakreontischen Gedichte893. Welche Situationen konstruiert und welche Motive in den einzelnen Gedichten verwendet werden, um diese Grundaussagen auszudrücken, ist allerdings stark unterschiedlich. Dies können Motive sein, wie sie schon bei Anakreon vorkommen, so etwa die Zurückweisung des alten lyrischen Ich durch Frauen in CA 7, es können aber auch andere Motive sein, die entweder, wie beispielsweise am Beginn von CA 8 die Ablehnung von Reichtum, ohnehin Allgemeingut in der archaischen griechischen Literatur waren, so daß es inhaltlich bedeutungslos war, von wem sie übernommen wurden, solange sie in ein Gedicht eingebettet wurden, das klar dem anakreontischen Programm894 folgte, oder es können Motive sein, die in der archaischen Dichtung noch gar nicht vorhanden sein konnten, wie etwa der Preis von Dionysos durch den Vergleich mit Jesus in CA 56, die jedoch in eindeutig anakreontischer Weise eingesetzt werden. Solche motivischen Neuerungen sind, ebenso wie Neuerungen, die durch Kombination verschiedener anakreontischer Motive enstehen, etwa bei den Gedichten mit Altersthematik, zum einen abgedeckt durch die anakreontische Dichtung, in der Motive auch in verschiedener Kombination erscheinen können - so gibt es etwa rein sympotische und sympotisch-erotische Gedichte bei Anakreon - zum anderen durch den hohen motivischen Erfindungsreichtum, den Anakreon selbst aufweist, wie etwa in Frg.25G, und überdies bestand angesichts der Tatsache, daß das anacreonteische Corpus doch von nicht allzu geringem Umfang ist und es überdies auch noch weitere anacreonteische Gedichte gab, auch ein Zwang zu einer gewissen motivischen Neuerung, um nicht in einen sich ständig wiederholenden Motivkanon zu verfallen. Diese Vermeidung von Wiederholungen ist daher ein weiteres Element der Carmina Anacreontea, welches das literarische Generationenbewußtsein der Dichter deutlich zutage treten läßt. Die Ähnlichkeit der Metren verdankt sich der Tatsache, daß diese Metren diejenigen waren, welche als typisch für die anakreontische Dichtung galten. Auf motivischer Ebene weisen die Carmina Anacreontea jedoch nahezu keine Bezüge zueinander auf, die über die allgemeine Ähnlichkeit aufgrund des allen anacreonteischen Gedichten gemeinsamen poetologischen Programmes hinausgingen, und auch lexikalische Bezüge sind nicht im Übermaß zu finden, und wenn, dann sind sie doch recht allgemei892

893 894

West: Carmina Anacreontea, S.XVII beschreibt das Phänomen, daß das dialektale Bewußtsein in späterer Zeit stark geschwunden ist, trocken mit den Worten „degenerat sermo“. Eine Ausnahme hierzu bildet CA 54. Zum Begriff des poetologischen Programmes siehe S.25ff.

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ner Natur und haben oft auch ein gemeinsames Vorbild in der anakreontischen Dichtung. So präsentieren sich die anacreonteischen Gedichte in großer Geschlossenheit hinsichtlich ihres poetologischen Programmes, die sich auch darin ausdrückt, daß ihre Dichter Bezüge zu anderen Dichtern in derselben Weise einsetzen wie Anakreon - beispielsweise wenn er sich in Frg.14G homerischer und damit ehrwürdiger Sprache bedient, um ganz nach hymnischem Muster zu beginnen, bis diese allgemeine Form dadurch zu einer sehr anakreontischen wird, daß es darum geht, die Gunst des Geliebten zu erlangen, - nämlich nur im Dienste ihres eigenen, anakreontischen poetologischen Programmes. All dies ergibt zusammen eine so starke programmatische Nähe der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung, daß die Carmina Anacreontea eindeutig als poetologische Nachfolgegeneration zur anakreontischen Dichtung aufgefaßt werden können.

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V. Schluß Ziel der Untersuchung war es, das Verhältnis der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung zu erforschen und mit einem geeigneten Begriff zu erfassen. Entgegen der Vorgehensweise, die induktiv verlief, wurden in der Darstellung die Ergebnisse deduktiv hergeleitet, um auf diese Weise anhand des theoretischen Teiles über den literarischen Generationenbegriff deutlich zu machen, unter welchem Aspekt die anschließende Untersuchung der anakreontischen und der anacreonteischen Dichtung erfolgen würde. Ausgangspunkt waren damit die Carmina Anacreontea und das Bestreben, Rosenmeyers und Lambins Verständnis dieser Gedichte als imitierender und an ihre Entstehungszeit gebunder Dichtung, wie sie es in den beiden wichtigsten neueren Büchern zu den Carmina Anacreontea dargelegt haben, zu prüfen und in einigen grundlegenden Punkten zu revidieren. In der Entwicklung eines eigenen literarischen Generationenbegriffes waren zuerst verschiedene bisherige Versuche einer Anwendung des Generationenbegriffes auf die Literatur zu betrachten. Wilhelm Pinder und vor allem Julius Petersen und Engelbert Drerup hatten in ihren diesbezüglichen Arbeiten jedoch dem literarischen Generationenbegriff einen soziologischen Generationenbegriff zugrunde gelegt, welcher seinerseits in grundlegender Weise von Karl Mannheim dargestellt wurde. Problematisch an dem daraus resultierenden literarischen Generationenbegriff war die Tatsache, daß die literarischen Werke nach ihren Autoren und deren Lebenszeit klassifiziert und dann auch interpretiert wurden. Es wurde also versucht, die Literatur aus den sozialen Umständen ihrer Entstehung heraus zu verstehen, was umso berechtigter ist, je mehr zeitgenössische Elemente einem literarischen Werk innewohnen. Bei Werken wie einem Carmen Anacreonteum allerdings, dessen Entstehungszeit meist nicht einmal auf das Jahrhundert genau angegeben werden kann, weil sich in diesen Gedichten so gut wie nichts Zeitgenössisches findet, kann dieser frühere literarische Generationenbegriff nicht mehr sinnvoll angewendet werden. Gleichwohl besitzt der Generationenbegriff als solcher sowohl aufgrund seiner etymologischen Bedeutung als auch, wenn man den biologischen Generationenbegriff zugrunde legt, aufgrund seiner genealogischen Metaphorik im Sinne von Abstammungslinien ein hohes Anwendungspotenzial im Bereich der Literaturwissenschaft. Besonders deutlich wird dies an seiner Anwendung auf das Verhältnis der anacreonteischen zur anakreontischen Dichtung. Mit dem neuen literarischen Generationenbegriff lassen sich zum einen Texte zu einer Textgruppe zusammenfassen, die weder denselben Autor noch dieselbe Entstehungszeit haben, und es läßt sich zum anderen eine Beziehung zwischen solchen Textgruppen ausdrücken, die jenseits der gän287

gigen Modelle von imitatio oder Intertextualität liegt. Die Gemeinsamkeit aller derselben literarischen Generation angehörenden Texte besteht darin, daß sie demselben poetologischen Programm folgen und daß ihre Autoren dieses poetologische Programm entweder von einer literarischen Vorgängergeneration übernommen oder an eine literarische Nachfolgegeneration weitergegeben haben. Ein konkretes Beispiel hierfür sind die anakreontische und die anacreonteische Dichtung, denn die Dichter der Carmina Anacreontea haben für ihre Gedichte das poetologische Programm anakreontischer Gedichte übernommen. Solch eine Übernahme eines poetologischen Programmes ist daran erkennbar, daß sowohl die Gedichte der Vorgängergeneration als auch die der zugehörigen Nachfolgegeneration dieselben Grundaussagen haben und daß an den Texten der Nachfolgegeneration erkennbar ist, daß ihre Autoren sich etwa bemüht haben, auch formale und inhaltliche Mittel wie etwa das Metrum oder bestimmte Motive vollständig oder zumindest weitgehend zu übernehmen. Um ein solches generationales Verhältnis zwischen der anacreonteischen und der anakreontischen Dichtung nachweisen zu können, war als erstes zu untersuchen, welches Bild der anakreontischen Dichtung die Dichter der Anacreontea vorgefunden haben, um dann bestimmen zu können, ob die Dichter der Anacreontea tatsächlich bemüht waren, sich weitgehend an das Programm der anakreontischen Dichtung, so wie es ihnen vorlag, bei der Abfassung ihrer eigenen Dichtung zu halten oder nicht. Hierfür war es notwendig, die Wahrnehmung Anakreons und seiner Dichtung in der griechischen Literatur, sowie in Ergänzung dazu in der griechischen Kunst und mit einem kurzen Blick auf die lateinische Literatur, bis zur Entstehungszeit der spätesten Anacreontea, also dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert, darzustellen. Dies war bislang noch nicht geschehen, so daß hier Grundlagenarbeit zu leisten war. Die chronologisch vorgehende Untersuchung darüber, in welcher Weise Anakreon und seine Dichtung in der griechischen Literatur Erwähnung fanden, führte zu dem Ergebnis, daß bereits zu Lebzeiten Anakreons eine Verschmelzung der historischen Person Anakreons mit dem lyrischen Ich seiner sympotischerotischen Dichtung erfolgte895, die sich recht konstant über die Jahrhunderte hinweg erhalten hat. So ist auch erklärbar, warum sich die anacreonteischen Dichter Anakreons sympotisch-erotische Dichtung und nicht etwa seine politische Dichtung zum Vorbild genommen haben. Diese war zwar, entgegen der Darstellungen von Rosenmeyer und Lambin, auch weiterhin bekannt, erfuhr jedoch keine literarische Rezeption, sondern findet sich nur bei Grammatikern oder anderen Autoren, die an einer bestimmten Stelle ein 895

Dies ist festzumachen an der Darstellung Anakreons auf dem um 515 v.Chr. entstandenen Oltos-Kylix, siehe Kap. III.d).

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bestimmtes sprachliches oder inhaltliches Interesse hatten. Es ist jedoch andererseits auch nicht zu beobachten, daß sich die Anakreon-Rezeption insgesamt durch die Existenz der Carmina Anacreontea wesentlich verändert hätte, denn Anakreons nicht sympotisch-erotische Dichtung fand weiterhin Beachtung bei den entsprechenden Fachschriftstellern und blieb damit unbeeinflußt von der literarischen Rezeption der sympotisch-erotischen anakreontischen Dichtung durch die Dichter der Carmina Anacreontea. Es läßt sich also zeigen, daß die Dichter der Anacreontea ein konsistentes Bild von Anakreons Dichtung vorfanden, insofern als vom fünften vorchristlichen Jahrhundert an nur Anakreons sympotisch-erotische Dichtung als wirklich anakreontisch angesehen wurde. Gänzlich von der Betrachtung ausgenommen wurden, wie hier nochmals kurz erwähnt sei, die christlichen Anacreontea von Autoren wie Gregor von Nazianz, Synesios von Kyrene oder Sophronios, denn sie stellen eine spezifisch christliche Reaktion in byzantinischer Zeit auf die in der Anthologia Palatina überlieferten heidnischen Anacreontea dar und haben aus diesem Grund mit der Dichtung Anakreons so gut wie nichts mehr zu tun. Ihr Ziel ist es vielmehr, den heidnischen Anacreontea ein christliches Gegenstück gegenüberzustellen, indem sie die metrische Form mit spezifisch christlichen Inhalten und Motiven füllen. Daher konnten sie bei dieser Untersuchung außer Acht gelassen werden. Das, was sich in der griechischen Literatur an Aussagen über Anakreons Dichtung findet, ist sehr allgemein und beschränkt sich im wesentlichen auf die Aussage, daß Anakreon liebliche, sympotisch-erotische Dichtung verfaßt habe. Konkreter sind nur die Aussagen über die von Anakreon verwendeten Metra, denn als typisch anakreontisch werden dort im wesentlichen iambische und ionische Metra genannt, weshalb sich die anacronteischen Dichter auch fast ausschließlich solcher Metra bedienten, obgleich die metrische Variationsbreite der anakreontischen Dichtung, wie sich an den überlieferten Fragmenten von Anakreons Dichtung zeigt, wesentlich höher war. Um einen Anhaltspunkt dafür zu gewinnen, was die anacreonteischen Dichter etwa im Bereich der Motivik für typisch anakreontisch hielten, ist man also auf die überlieferten Fragmente angewiesen. Dabei ist es, wie die Untersuchung gezeigt hat, sehr erstaunlich, wie viele motivische Übereinstimmungen der Anacreontea mit dem Wenigen, was von der anakreontischen Dichtung noch erhalten ist, sich erkennen lassen. Die anacreonteischen Dichter zeigen jedoch, wie schon Anakreon selbst, einen recht hohen Erfindungsreichtum in der konkreten Umsetzung bestimmter Grundmotive und vermeiden auf diese Weise, zumindest in den überlieferten anacreonteischen Gedichten, Wiederholungen und auch die Herausbildung eines eigenen anacreonteischen Motivkanons, was angesichts der Tatsache, daß über viele Jahrhunderte hinweg anacreonteische Dichtung verfaßt wurde, um so bemerkenswerter ist. Der Bezug zur anakreontischen Dichtung in den Haupt289

aussagen und in den Grundmotiven bleibt in den Anacreontea weitestgehend gewahrt. Auch die Dichter der späten Anacreontea haben sich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, denn im Bereich der Metrik etwa kann sich eine späte Entstehungszeit deutlich bemerkbar machen, auch wenn das vom Autor nicht beabsichtigt ist, an das poetologische Programm der anakreontischen Dichtung gehalten. Es läßt sich also trotz der einige Jahrhunderte umfassenden Entstehungszeit der anacreonteischen Gedichte ein einheitlicher programmatischer Bezug zur anakreontischen Dichtung feststellen, welcher zeigt, wie stark bei den anacreonteischen Dichtern das literarische Generationenbewußtsein ausgeprägt war. Dieses literarische Generationenbewußtsein zeigt sich in den Anacreontea sowohl implizit in der Ausführung der Gedichte als auch explizit in den programmatischen Gedichten, welche in besonderem Maße erkennen lassen, wie reflektiert der Bezug der anacreonteischen Dichter auf die anakreontische Dichtung war. Der Nachweis darüber, daß den anacreonteischen Gedichten ein konsistentes poetologisches Programm zugrunde liegt, welches mit dem anakreontischer Dichtung übereinstimmt, wurde in einer Untersuchung der einzelnen Carmina Anacreontea erbracht. Auf der formalen Ebene wurde nachgewiesen, daß in den Carmina Anacreontea sowohl ausschließlich Metra verwendet wurden, die als typisch für die anakreontische Dichtung galten oder die zumindest, wie in den Gedichten 19 und 20, anakreontische Vorlagen hatten, wozu auch das in manchen Gedichten vorhandene Phänomen der strophischen Gliederung gehört, als auch daß die Sprache der Carmina Anacreontea deutlich das Bemühen der Dichter erkennen läßt, in ionisch-poetischer oder, sofern dorische Färbung vorliegt, zumindest archaischer Sprache zu dichten, und daß andererseits auch viele archaische Wendungen und Begriffe, die möglicherweise oder sogar wahrscheinlich auf andere Dichter als Anakreon zurückzuführen sind, über die allgemein verbreitete Verwendung dieser Begriffe in der poetischen Sprache der Spätantike Eingang in die Carmina Anacreontea gefunden haben, ohne noch von poetologischer Relevanz zu sein, ein Aspekt, der bislang weitgehend vernachlässigt wurde. Inhaltlich hat sich gezeigt, daß die Carmina Anacreontea zahlreiche anakreontische Motive enthalten wie etwa das der Ambivalenz von Eros, das Motiv des Alters, ferner zahlreiche Motive im erotischen und sympotischen Bereich wie das der Bekränzung und das des maßvollen Weingenusses, überdies das Motiv der Ablehnung von Reichtum und in einigen Gedichten die sphragisartige Nennung von Bathyll, dem Geliebten Anakreons, dessen Name sich in den überlieferten Fragmenten Anakreons zwar nicht findet, doch kann man in diesem Fall anhand der sekundären Zeugnisse mit Sicherheit davon ausgehen, daß er in Anakreons Dichtung genannt worden war. So ergab diese Untersuchung auch ein umfangreiches Bild von der motivischen Arbeit der Dichter der Carmina Anacreontea. 290

Die theoretische Arbeit, die bei der Neudefinition eines nun wirklich literarischen Generationenbegriffes geleistet wurde, hatte ihren Ausgangspunkt in dem konkreten Bemühen, den Blick bei den Carmina Anacreontea weg von motivischen und lexikalischen Einzelbeobachtungen hin auf das poetologische Programm der Gedichte zu lenken und darauf, inwieweit bestimmte motivische und lexikalische Beobachtungen programmatisch relevant sind, weil sie die Intention des Autors erkennen lassen. Sie führte zu dem allgemeinen Bemühen, die poetologische Relevanz konkreter Beobachtungen wieder bewußt in den Mittelpunkt literaturwissenschaftlicher Arbeit zu rücken. Aus diesen Bestrebungen heraus konnte sowohl ein umfassendes Bild der anakreontischen Dichtung und ihrer Rezeption erarbeitet werden als auch die theoretischen Grunglagen für einen sinnvollen Vergleich der anacreonteischen mit der anakreontischen Dichtung geschaffen werden. So konnte gezeigt werden, daß die Carmina Anacreontea ihrem Wesen nach der anakreontischen Dichtung doch deutlich ähnlicher sind als gerade in jüngerer Zeit angenommen wurde.

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c)

elektronische Hilfsmittel

Thesaurus Linguae Graecae (TLG): Volltextdatenbank altgriechischer Texte.

d)

Textausgaben zu weiteren antiken Autoren

AELIAN: Dilts, Mervin R.: Claudii Aeliani varia historia, Leipzig 1974. Hercher, Rudolf: Claudii Aeliani de natura animalium libri xvii, varia historia, epistolae, fragmenta, 2Bde., Leipzig, Bd.1 1864, Bd.2 1866. AELIUS DIONYSIUS ATTICUS: Erbse, Hartmut: Ἀττικὰ ὀνόματα. Untersuchungen zu den attizistischen Lexika, Berlin 1950. AG: siehe ANTHOLOGIA GRAECA. ALEXIS: Jacoby, Felix: Die Fragmente der griechischen Historiker, Dritter Teil, B, Leiden 1950, Nr.539, 522-523. AMMONIOS: Nickau, Klaus: Ammonii qui dicitur liber De Adfinium Vocabulorum Differentia, Leipzig 1966. ANAKREON: siehe Gentili, Page und Rozokoki unter a). ANTHOLOGIA GRAECA: Beckby, Hermann: Anthologia Graeca, 4 Bde., München, Bd.1 und Bd.2 1957, Bd.3 und Bd.4 1958. APOLLONIOS DYSKOLOS: Schneider, Richard; Uhlig, Gustav: Apollonii Dyscoli quae supersunt, 3 Bde., Leipzig, Bd.1,1 1878, Bd.1,2 1902, Bde.2 und 3 1910. APOLLONIOS SOPHISTA: Bekker, Immanuel: Apollonii Sophistae Lexicon Homericum, Berlin 1833. ARISTONIKOS: Friedländer, Ludwig: Aristonici περὶ σημείων Ἰλιάδος reliquiae emendatiores, Göttingen 1853.

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ARISTOPHANES: Hall, F.W.; Geldart, W.M.: Aristophanis Comoediae, Bd.2, Oxford 1907. ARISTOPHANES GRAMMATICUS: Nauck, August: Aristophanis Byzantii grammatici Alexandrini fragmenta, Halle 2. Aufl. 1848. ARISTOTELES: Oppermann, Hans: Aristoteles, AQHNAIWN POLITEIA, Leipzig 1928. ARISTOXENOS: Wehrli, Fritz: Die Schule des Aristoteles, Heft II: Aristoxenos, Basel und Stuttgart 2. Aufl. 1967. ATHENAIOS: Kaibel, Georg: Athenaei Naucratitae Deipnosophistarum libri XV, 3Bde., Leipzig, Bd.1 1887, Bd.2 1887, Bd.3 1890. B: Bergk, Theodor: Poetae Lyrici Graeci, 4. Aufl. Leipzig 1882. CHAMAILEON: Wehrli, Fritz: Die Schule des Aristoteles, Heft IX, Basel und Stuttgart 2. Aufl. 1969. CHOIROBOSKOS: Consbruch, Maximilian: Hephaestionis enchiridion cum commentariis veteribus, Leipzig 1906. Hilgard, Alfred: Georgii Choerobosci Prolegomena et Scholia in Theodosii Alexandrini canones isagogicos de flexione nominum, Leipzig 1894. [Bd.4,2 in der Reihe ‚Grammatici Graeci’]. CHRYSIPPOS: Arnim, Johannes von: Stoicorum Veterum Fragmenta, Bd.2, Stuttgart 1903. CLEMENS ALEXANDRINUS: Stählin, Otto: Clemens Alexandrinus, 3Bde., Berlin, Bd.1 3. Aufl. 1972, Bd.2 3. Aufl. 1960, Bd.3 2. Aufl. 1970. DEMETRIUS Phalereus: Radermacher, L.: Demetrii Phalerei qui dicitur de elocutione libellus, Leipzig 1901. DIOGENES SINOPENSIS: Snell, Bruno: Tragicorum Graecorum Fragmenta, Bd.1, Göttingen 1971. DION VON PRUSA: Arnim, J. von: Dionis Prusaensis quem vocant Chrysostomum quae exstant omnia, 2Bde., Berlin, Bd.1 1893, Bd.2 1896. DIONYSIOS VON HALIKARNASS: Usener, Hermann; Radermacher, Ludwig: Dionysii Halicarnasei Opuscula, 2Bde., Leipzig Bd.1 1899, Bd.2 1904. D-K: Diels, Hermann; Kranz, Walther: Die Fragmente der Vorsokratiker, 3 Bde., 6. Aufl., Berlin Bd.1 1951, Bde. 2 und 3 1952. EPHOROS: Jacoby, Felix: Die Fragmente der griechischen Historiker, Zweiter Teil, A, Berlin 1926, Nr.70, 37-109. FAVORIN: Barigazzi, Adelmo: Favorino die Arelate, Opere, Florenz 1966. FHG: Müller, Karl: Fragmenta Historicorum Graecorum, 3 Bde., Paris 1841-1849. FGrHist: Jacoby, Felix: Die Fragmente der griechischen Historiker, Berlin ab 1923. GNOMOLOGIUM VATICANUM: Sternbach, Leo: Gnomologium Vaticanum, Berlin 1963.

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HARPOKRATION: Dindorf, Wilhelm: Harpocrationis lexicon in decem oratores Atticos, 2Bde., Oxford 1853. HELLANIKOS: Jacoby, Felix: Die Fragmente der griechischen Historiker, Erster Teil, Berlin 1923, Nr.4, 104-152. HEPHAISTION: Consbruch, Maximilian: Hephaestionis Enchiridion, Leipzig 1906. HERACLIDES Grammaticus: Cohn, L.: De Heraclide Milesio grammatico, Berlin 1884. HERAKLEIDES PONTIKOS: Wehrli, Fritz: Die Schule des Aristoteles, Heft VII, Basel und Stuttgart 2. Aufl.1969. HERAKLEITOS Milesius: Buffière, Félix: Héraclite. Allégories d’Homère, Paris 1962. HERENNIUS PHILO: Palmieri, Vincenzo: Herennius Philo, De Diversis Verborum Significationibus, Neapel 1988. HERMESIANAX: Powell, Iohannes U.: Collectanea Alexandrina, Oxford 1925. HERMIAS: Couvreur, Paul: Hermiae Alexandrini in Platonis Phaedrum scholia, Paris 1901. HERMOGENES: Rabe, Hugo: Hermogenis opera, Leipzig 1913. HERODIAN: Lentz, August: Herodiani Technici reliquiae, 2Bde., Leipzig, Bd.1 1867, Bd.2 1868. [Bde. III,1 und III,2 in der Reihe ‚Grammatici Graeci’]. Hajdú, Kerstin: Ps.-Herodian, De figuris, Berlin und New York 1998. HERODOT: Rosén, Haiim B.: Herodotus, Historiae, 2Bde., Bd.1 Leipzig 1987, Bd.2 Stuttgart und Leipzig 1997. HESYCH: Latte, Kurt: Hesychii Alexandrini Lexicon, 2Bde., Hauniae, Bd.1 1953, Bd.2 1966. HIMERIOS: Colonna, Aristides: Himerii Declamationes et orationes, Rom 1951. HIPPOLYTOS: Marcovich, Miroslav: Hippolytus, Refutatio Omnium Haeresium, Berlin und New York 1986. IAMBLICHOS: [Iamblichi] Theologumena Arithmeticae, ed. Victorius de Falco (1922), editionem addendis et corrigendis adiunctis curavit Udalricus Klein, Stuttgart 1975. IEG: West, Martin Litchfield: Iambi et Elegi Graeci, 2 Bde., 2. Aufl. Oxford Bd.1 1989, Bd.2 1992. JULIAN: Lacombrade, Christian: L’empereur Julien, oeuvres complètes, Bd.II,2, Paris 1964. KLEARCHOS: Wehrli, Fritz: Die Schule des Aristoteles, Heft III, Basel und Stuttgart 2. Aufl. 1969. KRITIAS: Diels, Hermann; Kranz, Walther: Die Fragmente der Vorsokratiker, 6. Aufl. Berlin Bd.2 1952. L-P: Lobel, Edgar; Page, Denys: Poetarum Lesbiorum Fragmenta, Oxford 1955.

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LIBANIOS: Foerster, Richard: Libanii opera, Bd.4, Leipzig 1908. (Pseudo-) LONGINOS: Russell, D.A.: Libellus de Sublimitate, Oxford 1968. LUKIAN: MacLeod, M.D.: Luciani Opera, 4Bde., Oxford, Bd.1 1972, Bd.2 1974, Bd.3 1980, Bd.4 1987. MAXIMOS von Tyros: Hobein, H.: Maximi Tyri Philosophumena, Leipzig 1910. MENANDER Rhetor: Russel, D.A., Wilson, N.G.: Menander Rhetor, Oxford 1981. MOSCHOS: Gow, A.S.F.: Bucolici Graeci, Oxford 1952. NEANTHES: Jacoby, Felix: Die Fragmente der griechischen Historiker, Zweiter Teil, A, Berlin 1926, Nr.84, 191-202. ORION: Sturz, Friedrich Wilhelm: Orionis Thebani Etymologicon, Leipzig 1820. OROS: Alpers, Klaus: Das attizistische Lexikon des Oros, Berlin und New York 1981. PAUSANIAS: Rocha-Pereira, Maria Helena: Pausaniae Graeciae Descriptio, 3Bde., Leipzig, Bd.1 1984, Bd.2 1990, Bd.3 1989. PAUSANIAS ATTICUS: Erbse, Hartmut: Ἀττικὰ ὀνόματα. Untersuchungen zu den attizistischen Lexika, Berlin 1950. PHEREKYDES: Müller, Karl: Fragmenta Historicorum Graecorum, Bd.1, Paris 1841. PHILOSTRAT: Kayser, C.L.: Philostrati opera, Bd.2, Leipzig 1871. PHILOXENOS: Theodoridis, Christos: Die Fragmente des Grammatikers Philoxenos, Berlin und New York 1976. PHLEGON: Jacoby, Felix: Die Fragmente der griechischen Historiker, Zweiter Teil, B, Berlin 1929, Nr.257, 1159-1194. PLATON: Burnet, Ioannes: Platonis Opera, 5Bde., Oxford 1900-1907. PLUTARCH: Lindskog, Cl.; Ziegler, K.: Plutarchi vitae parallelae, Bd.I,2, 3. Aufl. Leipzig 1964. Nachstädt, W.; Sieveking, W.; Titchener, J.B.: Plutarchi moralia, Bd.2 und Bd.4 Leipzig 2. Aufl. 1971. POLLUX: Bethe, Erich: Pollucis onomasticon, 3Bde., Leipzig, Bd.1 1900, Bd.2 1931, Bd.3 1937. QUINTILIAN: Winterbottom, M.: M. Fabi Quintiliani institutionis oratoriae libri duodecim, 2 Bde., Oxford 1970. SCHOLIA IN AESCHYLUM: Scholia in Prometheum vinctum: Smyth, Herbert Weir: „The Commentary on Aeschylus’ Prometheus in the Codex Neapolitanus“, in: Harvard Studies in Classical Philology 34, Cambridge 1921, 1-98. [scholia recentiora Thomae Magistri et Demetrii Triclinii e cod. Neapol. II.F.31]. Herington, C.J: The older scholia on the Prometheus bound, Leiden 1972. SCHOLIA IN ARISTOPHANEM: Scholia in Aristophanem, ed. edendave curavit W.J.W. Koster, Pars I Fasc. II: Scholia vetera in Aristophanis Equites (Scholia vetera in Aristophanis Equites ed. Jones, D. Mervin; Scholia Tricliniana in Aristophanis Equites ed. Wilson, Nigel G.), Groningen und Amsterdam 1969.

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Scholia in Aristophanem, ed. edendave curavit W.J.W. Koster, Pars I Fasc. III,2: Scholia recentiora in nubes (ed. W.J.W. Koster), Groningen 1974. Scholia in Aristophanem, edd. edendave curaverunt W.J.W. Koster et D. Holwerda, Pars II Fasc. I: Scholia vetera et recentiora in Aristophanis Vespas (ed. W.J.W. Koster), Groningen 1978. Scholia in Aristophanem, ed. edendave curavit D. Holwerda, Pars II Fasc. II: Scholia vetera et recentiora in Aristophanis Pacem (ed. D. Holwerda), Groningen 1982. Scholia in Aristophanem, ed. edendave curavit D. Holwerda, Pars II Fasc. III: Scholia vetera et recentiora in Aristophanis Aves (ed. D. Holwerda), Groningen 1991. Scholia in Aristophanem, ed. edendave curavit D. Holwerda, Pars III Fasc. I: Scholia recentiora in Aristophanis Ranas (ed. M. Chantry), Groningen 2001. Scholia in Aristophanem, ed. edendave curavit D. Holwerda, Pars III Fasc. IVb: Scholia recentiora in Aristophanis Plutum (ed. M. Chantry), Groningen 1996. SCHOLIA IN HOMERUM: Erbse, Hartmut: Scholia Graeca in Homeri Iliadem (scholia vetera), Bd.4, Berlin 1975. SCHOLIA IN PINDARUM: Abel, Eugen: Scholia in Pindari Epinicia, pars tertia: Scholia recentia. Volumen prius: Scholia in Olympia et Pythia, Berlin 1891. Tessier, Andrea: Scholia metrica vetera in Pindari carmina, Leipzig 1989. SEXTUS EMPIRICUS: Mutschmann, Hermann: Sexti Empirici opera, Bd.2, Leipzig 2. Aufl. 1964. (Pseudo-) SIMONIDES: Bergk, Theodor: Poetae Lyrici Graeci, Bd.3, 4. Aufl. Leipzig 1882. STEPHANUS GRAMMATICUS: Meineke, August: Stephani Byzantii ethnicorum quae supersunt, Berlin 1849. STOBAIOS: Wachsmuth, Curt; Hense, Otto: Ioannis Stobaei Anthologium, 5 Bde., Berlin, Bd.1-2 1884, Bd.3 1894, Bd.4 1909, Bd.5 1912. STRABO: Radt, Stefan: Strabons Geographika, 6 Bde., Göttingen 2002-2007. SUDA: Adler, Ada: Suidae Lexicon, 4Bde., Berlin Bd.1 1928, Bd.2 1931, Bd.3 1933, Bd.4 1935. SUETON: Taillardat, Jean: Suétone. Περὶ βλασφημιῶν. Περὶ παιδιῶν, Paris 1967. SYNESIOS: Gruber, Joachim; Strohm, Hans: Synesios von Kyrene, Hymnen, Heidelberg 1991. THEMISTIUS: Downey, G.: Themistii orationes, Bd.1, Leipzig 1965. THEOKRIT: Gow, A.S.F.: Theocritus, Cambridge, Bd.1 1950. TRYPHON: Velsen, Arthur von: Tryphonis grammatici Alexandrini fragmenta, Berlin 1853. ZENOBIUS: von Leutsch, E.L.; Schneidewin, F.G.: Epitome collectionum Lucilli Tarrhaei et Didymi, Göttingen 1839 [Bd.1 in der Reihe ‚Corpus paroemiographorum Graecorum’].

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