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German Pages 412 Year 1998
NICOLAI KRANZ
Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 163
Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung
Von
Nicolai Kranz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Kranz, Nicolai:
Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung I von Nicolai Kranz. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 163) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09447-6
Alle Rechte vorbehalten
© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09447-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Meiner lieben Frau Annegret
Vonvort Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 1997/98 als Dissertation angenommen. Der im August 1996 fertiggestellte und geringfiigig überarbeitete Text berücksichtigt die bis Juni 1996 erschienene Literatur. Zwei kurz danach folgende Entwicklungen hätten eine umfassende Überarbeitung nahelegen können: (1.) Im September 1996 diskutierte der Deutsche Juristentag auf Grundlage eines - berücksichtigten - Gutachtens von Ferdinand Kirchhof die zentrale Frage der Arbeit nach der "richtigen" Lastenverteilung im Bundesstaat; die Literatur reagierte mit einer Flut von Aufsätzen. (2.) Zur folgenden Jahreswende rückten die Reformvorschläge zur Finanzierung der Rentenversicherung die Bundeszuschüsse ins Bewußtsein der Bevölkerung; hierauf reagierte die Wissenschaft bis heute kaum. Die Arbeit greift beiden Entwicklungen voraus. Ich habe von einer Aktualisierung abgesehen. Ich danke allen, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit begleitet haben: an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Klaus Schiaich fiir die großzügige Gelegenheit zu eigenständiger Arbeit während meiner Assistentenzeit an seinem Lehrstuhl fiir Öffentliches Recht und Kirchenrecht der Universität Bonn und fiir vieles mehr, Herrn Professor Dr. Wolfgang Löwer fiir die Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Professor Dr. Stefan Korioth fiir die Anregung des Themas während unserer gemeinsamen Assistentenzeit und die beständige Diskussionsbereitschaft, fiir wertvolle Anregungen und Kritik auch Herrn Rechtsassessor Fridtjof Filmer, sowie dem "Altmeister" des Finanzverfassungsrechts Dr. Herbert Fischer-Menshausen, ferner dem Herausgeber der Schriftenreihe fiir die Aufnahme der Dissertation und dem Bundesrat fiir die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Ein besonderes Wort des Dankes gilt auch meinen Eltern: Sie ermöglichten mir die fUr diese Arbeit grundlegende Ausbildung. Vor allen aber danke ich meiner lieben Frau Annegret, die sich fachlich und noch mehr - persönlich in besonderer Weise um die Arbeit verdient gemacht hat: Ohne sie wäre die Arbeit so nicht zustande gekommen. Deshalb gehört sie ihr. Bonn, im April 1998
Nicolai Kranz
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung .............................................................................................................. 19 Einführung .................................................................................................................... 22 1. Kapitel
Die Bedeutung der Bundeszuschüsse fdr die Finanzierung der Sozialversicherung
28
I. Die Finanzierung der Sozialversicherung- Ein Überblick .......................................... 30 II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung........................................... 33
I. Finanzielle Situation der Sozialversicherung und deren Ursachen ........................ 34 2. Finanzielle Entwicklung der Beiträge und ZuschUsse ............................................ 39 III. Die ZuschUsse des Bundes im einzelnen ..................................................................47
I. Entwicklung der "klassischen" Sozialversicherung bis zum Zweiten Weltkrieg .... 47 2. ZuschUsse zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten .................. 57 a) Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg .......................................................... 57 b) Rentenreform 1992 - § 213 I SGB IV ............................................................... 63 c) Abgrenzung der Zuschüsse zur Bundesgarantie ................................................ 66 3. ZuschUsse in der Kranken- und Unfallversicherung .............................................. 71 4. Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung ........................................ 72 a) Zuschuß zur landwirtschaftlichen Alterssicherung ............................................ 73 b) Zuschuß zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung .................................. 76 c) Zuschuß zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung....................................... 77 d) Struktur- oder Einkommenspolitik? .................................................................. 79
5. Zuschuß zur Bundesknappschaft ............................................................................ 80 a) Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs ................................................. 80 b) Abgrenzung zur Garantie................................................................................... 81
10
Inhaltsverzeichnis 6. Zuschüsse in der Arbeitslosenversicherung .......................................................... 83 a) Entwicklung ....................................................................................................... 83 b) Abgrenzung zur Garantie................................................................................... 84 c) Erforderlichkeit einer präzisen Rechtsgrundlage ............................................... 85 7. Zusarnrnenfassung ................................................................................................. 86
2. Kapitel
Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für alle Zuschüsse?
87
I. Wortlaut ...................................................................................................................... 87
I. "Die Zuschüsse" ..................................................................................................... 87
2. "Zu den Lasten der Sozialversicherung" ................................................................ 88 3. "Mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe" ............. 89 4. "Der Bund trägt" .................................................................................................... 90
II. Systematik .................................................................................................................. 93
I . Art. 120 I 1-3 00 ................................................................................................... 93 2. Art. 120 I 5 GG ...................................................................................................... 94 III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG .................................. 95 1. Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee ............................................................... 96 2. Parlamentarischer Rat .................................................................................... ...... I 0 1 3. Überleitungsgesetze 1950-1955 ........................................................................... 110 4. Finanzreform 1955 ..................................................................................... .......... 113
5. Neufassung des Art. 120 I GG im Jahre 1965 ...................................................... 117 6. Finanzreform 1969 ............................................................................................... 121 7. Änderung der Vorschrift im Jahre 1969 ............................................................... 122 8. Verfassungskommissionen 1976 und 1993 .................................................. ........ 122 9. Ergebnis ........................................................................................... .................... 122 IV. Richterrechtliche Ausweitung der Zuschußpflicht ................................................. 124 V. Behandlung der Vorschrift in Literatur und Sozialpolitik ....................................... 127 VI. Wandel der Normsituation/Bedeutungswandel? .................................................... 129
Inhaltsverzeichnis
1l
VII. Zusa.nunenfassung ................................................... .............................................. 131
3. Kapitel Die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Zuschüsse zur Sozialversicherung
135
I. Bundeszuschüsse als wesentliches Merkmal der Sozialversicherung? ...................... 136 II. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie für die Sozialversicherung .......................... 138
I. Bundesgarantie gern. Art. 120 I 4 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot? ................. 139 a) Sozialstaatliche Herleitung der Bundesgarantie............................................... 139 b) Institutionelle Garantie der Sozialversicherung? ............................................. 141 c) Zwischenergebnis ............................................................................................ 145 2. Bundesgarantie aufgrunddes Sozialstaatsgebots i.V.m. Art. 14 GG? .................. l45 3. Sozialstaatliche Gewährleistungspflicht und Gleichheitssatz ........................... 147 4. Staatliche Garantieträgerschaft als sozialstaatliches Organisationsprinzip? ......... 147 5. Ergebnis ............................................................................................................... 148 III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben ........... l49
I. Staatszuschüsse als Staatausgaben ....................................................................... 149 2. Vorgaben für die Finanzierung der Sozialversicherung ......................... .............. 150 3. Beitrags- versus Zuschußfinanzierung ................................................................. 154 a) Sozialversicherungsbeiträge im Abgabensystem ............................................. 155 b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beitragspflicht .............................. 155 aa) Versicherungsschutz als Gegenleistung - Art. 14 GG I Art. 2 I GG .......... 156 bb) Beitragspflichtiger Personenkreis - Art. 3 I GG ........................................ 156 cc) Herausforderung des Gleichheitssatzes durch Fremdlasten ....................... 158 ( l) Herrschende Meinung ......................................................................... 160 (2) Versicherungsprinzip ...... .. .................................................................. 166 (3) Stellungnahme..................................................................................... l68 c) Konsequenz für den Gesetzgeber..................................................................... l76 4. Bemessungskriterien für die staatlich zu finanzierenden Fremdlasten ................. 177 a) Gesetzgeberisches Konzept (§§ 1389 I RVO, 116 I AVG) ............................. 178 b) Konzept der versicherungsfremden Leistungen ....................................... ........ 180
12
Inhaltsverzeichnis c) § 30 SGB IV .................................................................................................... 183 d) Abgabenrechtliches Konzept ........................................................................... l86 e) Finanzwissenschaftliches Prinzip der fiskalischen Äquivalenz ....................... 187
t) Wicksell'sche Einstimmigkeitsregel ................................................................. l9l g) Finanzwirtschaftliche Berücksichtigung intertemporaler Äquivalenz ............. 195 h) Stellungnahme ................................................................................................. 196 aa) Rechtswissenschaftliche Konzepte ............................................................ 196 bb) Relevanz wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse ............................... 198 cc) ZWischenergebnis ...................................................................................... 204 5. Zusammenfassung ................................................................................................ 205 IV. Verfassungsvorgaben filr die Organisation der Sozialversicherung ....................... 206 1. Festschreibung der mittelbaren Staatsverwaltung? ............................................... 208 2. Festschreibung der sozialen Selbstverwaltung? ................................................... 210 3. Ergebnis ............................................................................................................... 212 V. Europäisches Gemeinschaftsrecht.. .......................................................................... 213 1. Art. 92 I EGV als gemeinschaftsrechtliche Schranke? ......................................... 213 2. Landwirtschaftliche und knappschaftliehe Sozialversicherung als Sonderflille? .. 215 3. Ergebnis ............................................................................................................... 216 VI. Zusammenfassung ............................................................................................... ... 216 4. Kapitel Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung
220
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes .................................. 222
l.Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee .............................................................. 222 2. Parlantentarischer Rat .......................................................................................... 224 3. Überleitungsgesetze 1950-1955 ........................................................................... 230 4. Finanzreform 1955 ............................................................................................... 234 5. Neufassung des Art. 120 I GG im Jahre 1965 ...................................................... 235 6. Finanzreform 1969 ............................................................................................... 236 7. Weitere Entwicklung ............................................................................................ 236 8. Ergebnis ...................................................................................................... ......... 238
Inhaltsverzeichnis
l3
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung .......................................... 239 1. Einfilhrung ........................................................................................................... 239 2. Sozialversicherung als Aufgabe i.S.d. Art. 104 a I GG ........................................ 242 3. Sozialversicherungsgesetze als Geldleistungsgesetze (Art. 104 a Ill GG)? .......... 245 a) Unmittelbare Anwendung des Art. 104 a Ill GG? ........................................... 245 b) Analoge Anwendung des Art. 104 a Ill GG? ................................................... 248 c) Anwendung des Rechtsgedankens des Art. 104 a Ill GG?............................... 248 d) Zwischenergebnis ............................................................................................ 249 4. Maßgeb1ichkeit des Art. 104 a IV GG? ................................................................ 249 5. Ungeschriebene Finanzierungskompetenz des Bundes? ...................................... 250 6. Ergebnis ............................................................................................................... 252 Ill. Staatszuschüsse und Staatspraxis............................................................................ 252 1. Unzulässige Ausweitung eines auslaufenden Kompetenztitels ............................ 252 2. Gesetzgebungskompetenz als finanzverfassungsrechtlicher Dispens? ................. 255 3. Mittelbare Staatsverwaltung als finanzverfassungsrechtlicher Dispens? .............. 257 4. Unitarisierungsdruck als finanzverfassungsrechtlicher Dispens? ......................... 260 a) Unitarische Grundtendenz der Sozialversicherung .......................................... 260 b) Kritik ............................................................................................................... 262 aa) Finanzverfassung kein soft law .................................................................. 262 bb) Art. 20 I GG: "sozialer Bundesstaat" ......................................................... 263 cc) Nutzen und Chancen des Föderalismus ..................................................... 266 ( 1) Integrationsfunktion .............................................................................. 266 (2) Gewaltenteilende Funktion .................................................................... 268 (3) Innovationsfördernde Funktion ............................................................. 269 (4) Fragwürdiger Konkurrenzföderalismus ................................................. 269 (5) Ökonomische Funktion ......................................................................... 273 (6) Zusammenfassung ................................................................................. 273 dd) Zwischenergebnis ...................................................................................... 274 c) Verfassungsgebot zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse? ............. 275 d) Zwischenergebnis ............................................................................................ 278 5. Ergebnis .............................................................................................................. 278
14
Inhaltsverzeichnis
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip ............................................. 279 l. Vorgeschichte des "Konnexitätsprinzips" ............................................................ 280 2. Entstehungsgeschichte des Art. l 04 a I GG ......................................................... 285 3. Lösungsansätze filr die bundesstaatliche Lastenverteilung seit 1948- aktuelle Reformbestrebungen ............................................................................................ 290 a) Gesetzgebungskompetenz ................................................................................ 290
b) Verwaltungskompetenz ................................................................................... 294 c) Sachverantwortung .......................................................................................... 298 4. Ergänzende Stellungnahme .................................................................................. 299 a) Maßgeblichkeit der Auffassungen vor der Finanzreform 1969........................ 300 b) Bundesstaatssichemde Funktion ..................................................................... 302 aa) Ausgabenverteilung und kongruente Einnahmenverteilung ...................... 302 bb) Die Anziehungskraft des größten Etats ..................................................... 315 cc) Das "Konnexitätsprinzip" als "Zitiergebot" ............................................... 318 dd) Funktionale Gliederung der Staatsorganisation ......................................... 319 ee) Zwischenergebnis ...................................................................................... 320 c) Demokratische und verwaltungsökonomische Funktion ................................. 321 d) Finanzwissenschaftliche Funktion ................................................................... 323 aa) Die ökonomische Theorie des Föderalismus ............................................. 323 bb) Rechtsnormative Relevanz ........................................................................ 330 cc) Zwischenergebnis ...................................................................................... 332 e) Zwischenergebnis ............................................................................................ 334
5. Ergebnis ............................................................................................................... 334 V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung .............................................. 335
l. Verwaltungsökonomische Funktion ..................................................................... 336 a) Externe sozialversicherungsrechtliche Rechtsaufsicht... .................................. 337 aa) Umfang ...................................................................................................... 338 bb) Effizienz ....................................................... :............................................ 339 cc) Effektuierung durch Länderzuschüsse ....................................................... 341 ( l) Sachausgaben ........................................................................................ 341 (2) Zweckausgaben ..................................................................................... 342
Inhaltsverzeichnis
15
dd) Systemwidrigkeit der Bundeszuschüsse- fehlender Bundeseinfluß? ....... 344 b) Externe Kontrolle durch den Bundesrechnungshof......................................... 345 aa) Kontrollkompetenz gern. Art. 114 II l, 2 GG? .......................................... 346 bb) Kontrollkompetenz gern. § 55 I HGrG ...................................................... 347 c) Pauschales Erstattungsverfahren ...................................................................... 351 d) Zwischenergebnis ........................................................................................ .... 353 2. Finanzwissenschaftliche Funktion ....................................................................... 353 3. Bundesstaatssichemde Funktion .......................................................................... 3 55 a) "Konnexitäts-" und Kongruenzprinzip ...................................................... .. .... 356 b) Bundeszuschüsse als gefährliche Mischfinanzierungen .................................. 357 c) Stärkung der Eigenstaatlichkeil der Länder ......................................... ............ 361 d) Kompetenz- statt Beteiligungsf6deralismus .................................................... 363 e) Zwischenergebnis ............................................................................................ 367 4. Ergebnis ............................................................................................................... 367 VI. Zusammenfassung ......................................................................................... ......... 367 5. Kapitel Länderzuschüsse und die Föderalisierung der Sozialversicherung
371
I. Föderalisierung der Sozialversicherung .................................................................... 3 72
I. Neufassung des Art. 87 II GG .............................................................................. 3 72 2. Weitere Pläne .......................................................................................... ............. 373 3. Begründung .......................................................................................................... 374 II. Kritik in der Literatur ............................................................................................... 375 III. Duales System und Föderalismus ........................................................................... 3 76 IV. Rechtspolitische "Kosten-Nutzen-Analyse" ..... ........................................ .............. 378
I. Regionalisierung in der Arbeitslosenversicherung ............................................... 3 78 2. Regionalisierung in der Rentenversicherung ...................... .................................. 378 3. Regionalisierung in der Krankenversicherung ..................................................... 3 81 4. Nutzen und Chancen des Föderalismus für die Sozialversicherung .............. ....... 381 a) Integrationsfunktion ......................................................................................... 382
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Inhaltsverzeichnis b) Gewaltenteilende Funktion .............................................................................. 383
V. Einheitlichkeit der Sozialleistungen durch kooperativen Föderalismus .................. 384 VI. Föderalisierung der Sozialversicherung und Länderzuschüsse .............................. 385 1. Erhöhte Effizienz der Aufsichtsfilhrung ............................................................... 385 2. Beseitigung des interkorporativen Finanzausgleichs ............................................ 386 3. Systembedingte Ungleichheiten ........................................................................... 387 4. Vereinheitlichung der Aufsichtsfilhrung durch Regionalisierung ........................ 388 VII. Föderalismus, soziale Selbstverwaltung und Länderzuschüsse ............................. 389 Vorschlag fnr eine Verfassungsrevision .................................................................... 391 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 393
Abkürzungsverzeichnis AK,GG
Altemativkommentar, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, bearb. von A. Azzola u.a.
ASMK
Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer
BK,GG
Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Gesamtherausgeber: R. Dolzer
BR-Drucks.
Drucksachen des Deutschen Bundesrates
BT-Drucks.
Drucksachen des Deutschen Bundestages
DM
Deutsche Mark
EvStL
Evangelisches Staatslexikon
FAG
Finanzausgleichsgesetz
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FG
Festgabe filr/der
FinÄndG
Finanzänderungsgesetz
FS
Festschrift für
GK-SGB IV
Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften, hg. von W. Gleitze, P. Krause, B. v. Maydell u.a.
Halbbd.
Halbband
HDR
Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, hg. von F. Ruland
HStR
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hg. von J. Isensee und P. Kirchhof
KEU
Kommentar zur Europäischen Union, hg. von E. Grabitz und M. Hilf
KJHG
Kinder- und Jugendhilfegesetz vom 26.6.1990
KLG
Kindererziehungsleistungsgesetz
M/D/H/S, GG
Grundgesetz, Kommentar, von T. Maunz, G. Dürig, R. Herzog, R. Scholz u.a.
Mio.
Million(en)
2 Knnz
18
Abkürzungsverzeichnis
Mrd.
Milliarde( n)
ParlR. FinAussch. Sten.Prot.
Parlamentarischer Rat, Sitzungen des Ausschusses filr Finanzfragen, maschinenenschriftliche Manuskripte der wörtlichen Protokolle (mit Berichtigungen) - unveröffentlicht. Zitiert werden die Seitenangaben der jeweils mehrere Sitzungen erfassenden Bände des Parlamentsarchivs des Deutschen Bundestages unter Angabe des Sitzungsdatums. Die Seitenzahlen der in anderen Bibliotheken insbes. im Bundesarchiv in Koblenz zugänglichen Abschriften und Kopien stimmen hiermit nicht überein.
ParlR. HptAussch.
Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49
RM
Reichsmark
Sitz.
Sitzung
SRH
Sozialrechtshandbuch, hg. von B. Baron v. Maydell und F. Ruland
Sten.Prot.
Stenographische Protokolle
svs
Schriften des Vereins filr Socia1politik
vM,GGK
Grundgesetz-Kommentar, hg. von I. v. Münch
WD
Wirtschaftsdienst
ZfSH/SGB
Zeitschrift fiir Sozialhilfe und Sozialgerichtsbarkeit
ZSR
Zeitschrift filr Sozialreform
Die übrigen verwendeten Abkürzungen entsprechen dem "Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache", bearbeitet von Hildebert Kirchner und Fritz Kastner, 3. Auflage, Berlin/New York 1983.
Vorbemerkung Das Sozialrecht regelt die Finanzierung der Sozialversicherung eindeutig: Sie ist grundsätzlich aus Beiträgen zu fmanzieren. Daneben hat der Bund Zuschüsse zu zahlen. Ihr Finanzvolumen explodiert: 1996 zahlte der Bund an die Sozialversicherung I 03 Milliarden DM gegenüber noch 53,6 Milliarden DM im Jahre I990 1• Das Sozialrecht regelt nicht, welche Leistungen der Sozialversicherung aus den Beiträgen der Versicherten bzw. ihrer Arbeitgeber und welche Leistungen durch die Bundeszuschüsse und damit aus Steuergeldem zu finanzieren sind. Auch die Verfassungsrechtslage ist dunkel; F. Kirchhof2 spricht von einer rechtlichen terra incognita. Nach ganz herrschender Meinung ist Art. I20 I 4 GG die verfassungsrechtliche Grundlage filr die Bundeszuschüsse. Die Vorschrift lautet: "Der Bund trägt die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe".
Art. I20 I 4 GG ist - nach einem Blick auf die Finanzierung der Sozialversicherung, die historische Entwicklung der Bundeszuschüsse und ihre gegenwärtige sozialrechtliche Ausgestaltung - Ausgangspunkt und Gegenstand der folgenden Untersuchung. Die Arbeit behandelt im wesentlichen zwei Fragenkreise. Erstens: Was sind nach geltendem Verfassungsrecht die Grundlagen und Grenzen fiir die Zahlung von Bundeszuschüssen zur Sozialversicherung? Hierzu werden vor der eigentlichen verfassungsrechtlichen Untersuchung zunächst auf unterverfassungsrechtlicher Ebene das sozialversicherungsrechtliche Finanzierungssystem erläutert und die Zuschüsse finanzrechtlich abgegrenzt und qualifiziert (I. Kapitel). Die anschließende. verfassungsrechtliche Untersuchung beginnt mit einer Auslegung des Art. 120 I 4 GG (2. Kapitel). Danach orientiert sie sich gleichermaßen an den sich gegenseitig ergänzenden und umsetzenden grundrechtliehen (3. Kapitel) wie finanzverfassungsrechtlichen (4. Kapitel) Anforderungen. Die zweite Frage lautet: Ist die derzeitige Praxis der Zahlung von Bundeszuschüssen verfassungspolitisch sinnvoll (5. Kapitel)?
1 BMF,
Finanzbericht 1998, S. 189.
2 F Kirchhof, DRY 1993, S. 437,439.
20
Vorbemerkung
Die Monographien über die Beiträge zur Sozialversicherung sind zahlreich. Über die Zuschüsse gibt es nicht eine. Das Thema hat neuerdings aber Konjunktur: Lütjohann hat in seiner Dissertation aus dem Jahre 1994 die Zuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich untersucht3 . Vieß behandelt in seiner 1995 erschienenen Dissertation die europarechtliche Bedeutung der Bundesmittel fiir die landwirtschaftliche Sozialversicherung". Beide Arbeiten hat der Verfasser erst nach Fertigstellung seiner Untersuchung eingesehen; sie fmden überwiegend in den Fußnoten Berücksichtigung. Bis Anfang der 80er Jahre hat sich die staatsrechtliche Literatur nur wenig mit den Bundeszuschüssen beschäftigt5 und sie in der Folgezeit nicht mehr thematisiert. Erst zu Beginn der 90er Jahre gerieten die Zuschüsse wieder in ihr Blickfeld6 . Bislang liegt keine Darstellung der komplexen historischen, sozialrechtlichen, wirtschaftswissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Probleme vor, die die Bundeszuschüsse aufwerfen. Vereinzelte detaillierte Untersuchungen innerhalb umfangreicherer Abhandlungen7 berücksichtigen die wichtigen ilideralen Aspekte unzureichend. Außerdem erweist sich die Staatsrechtslehre auch angesichts der Bundeszuschüsse als weitgehend "fmanzblind". Die vorliegende Bearbeitung liefert erstmals eine monographische Darstellung der historischen Entwicklung und gegenwärtigen sozialrechtlichen Ausgestaltung der Bundeszuschüsse in den verschiedenen Versicherungszweigen, um diese als Grundlage filr die anschließende verfassungsrechliehe Untersuchung einzusetzen und dabei wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse8 ergänzend heranzuziehen. Erst die komplexe Darstellung der Bundeszuschüsse ermöglicht und for-
Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 12014 GG. Vieß, Die Bedeutung des EG-Rechts filr die Bundesmittel in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. 5 In den 50er Jahren beschäftigten sich u.a. Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673 ff. und Köttgen, DÖV 1953, S. 358 ff. mit den Bundeszuschüssen. Es folgten Beiträge von Rösener, NJW 1962, S. 1995 ff.; Sturm, DVBI. 1965, S. 719 ff. und Heckt, DÖV 1966, S. 10 ff. Anfang der 80er Jahre setzte sich Diemer, VSSR 1982, S. 31 ff. kritisch mit den Bundeszuschüssen auseinander. Maunz, in: MIDIH/S, GG Art. 120 erwähnt sie in seiner Kommentierung von März 1966 nur am Rande. Die Kommentierungen Holtkottens, in: BK, GG Art. 120 (1969) und Schaefers, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 120 (1983) sind wenig umfangreicher. Die anderen Kommentare zum Bonner Grundgesetz widmen den Zuschüssen zur Sozialversicherung keine oder nur wenige Zeilen. 6 Bieback., VSSR 1993, S. lff.; vgl. die Nachweise in Fn. 7. 7 Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, 1970; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, 1991; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93; ders. , in: Sozialfinanzverfassung, S. 65 ff.; ders., DRY 1993, S. 437 ff. 8 In der Finanzwissenschaft erstmals Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 (1981), S. 143, 171 ff., in der Finanzwirtschaft Hofmann, SF 1996, S. 126 ff. 3
4
Vorbemerkung
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dert zahlreiche teils interdisziplinäre Querbezüge, die die Brisanz der BundeszuschUsse verdeutlichen: Sie tauchen Uberall als Fremdkörper auf. Ziel der Arbeit ist die Kritik des gegenwärtigen Rechtszustandes und die Erarbeitung eines Vorschlages zu seiner Neuregelung, der die Arbeit abschließt.
Einführung Die Leistungen in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung sind explosionsartig gestiegen: von 383,1 Milliarden DM im Jahre 1987 auf 714,3 Milliarden DM im Jahre 1993 1• Der Finanzierungsumfang ist beträchtlich, die Tendenz steigend. Beides belegt - zusammen mit der Bedeutung der Sozialversicherung fiir die Bevölkerung und dem sozialstaatliehen Auftrag - die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Finanzierung der Sozialversicherungsträger und einer präzisen, rechtssicheren und gerechten Verteilung der fmanziellen Verantwortung. Dies gilt urnso mehr, als die Haushaltslage von Bund und Ländern durch die wirtschaftliche Rezession und die Folgen der Wiedervereinigung Deutschlands weit über das gewohnte Maß hinaus angespannt ist. Auf der Suche nach Entlastung verlagern Bund und Länder ihre Aufgaben zunehmend auf Sonderhaushalte. Ein solches Vorgehen verschleiert den öffentlichen Finanzbedarf in seiner Gesamtheit und erschwert die Finanzkontrolle. Die oftrnals in Anspruch genommenen Sonderhaushalte der Sozialversicherungsträger kommen fiir solche Verschiebungen nicht mehr in Frage. Sie sind durch die demographische Entwicklung und den Rückgang der Anzahl der Erwerbstätigen Belastungen ausgesetzt, die eine klare und eindeutige Regelung zur Verteilung der monetären Verantwortung dringlicher denn je erscheinen läßt. Um den ökonomisch nicht mehr vertretbaren Anstieg der Beitragssätze und Lohnzusatzkosten zu bremsen, hat die Sozialpolitik auf der Suche nach weiteren Finanzquellen die Bundeszuschüsse entdeckt: Wegen der angespannten finanziellen Situation der Sozialversicherungsträger häufen sich in jüngerer Zeit Forderungen nach ihrer Erhöhung. Die Bundeszuschüsse sollen die versicherungsfremden Aufgaben der Sozialversicherung fmanzieren, die der Sozialversichertengemeinschaft nicht angelastet werden können, da fiir ihre Finanzierung der Bund zuständig sei. Das Institut fiir Deutsche Wirtschaft (lW) hat die "falsch" fmanzierten Leistungen der Sozialversicherung fiir das Jahr 1994 auf knapp 130 Mrd. DM beziffert2 • In der Rentenversicherung machen sie etwa ein Drittel der jährlichen Gesamtleistungen aus. Z.T. wird auch gefordert, die Bun1 Zahlen entnommen aus: Statistisches Jahrbuch 1989, S. 400; 1994, S. 482 (Berechnungsstand ftir 1993: Ende 1993 ). Die Summen enthalten: die Leistungen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, der knappschaftliehen Rentenversicherung, der Kranken-, der Unfall- und der Arbeitslosenversicherung, sowie der Alterssicherung der Landwirte. 2 FAZ Nr. 78 v. 1.4.1996, S. 13.
Einflihrung
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deszuschüsse zusätzlich zur Finanzierung des Solidarausgleichs innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft heranzuziehen und entsprechend zu erhöhen3 . Die Bundeszuschüsse sind als Finanzierungsmittel der Sozialversicherung fragwürdig. Das kommt in der politischen Tagesdiskussion zu kurz. Die Finanzierung der Sozialversicherung bittet den sozialversicherten Beitragspflichtigen zweimal zur Kasse: primär durch den Beitrag, als dessen Gegenleistung er Versicherungsschutz erhält, sekundär - nach dem haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzip ohne Gegenleistungsbezug - über die Steuer. Darüber hinaus nehmen die steuerfmanzierten Staatszuschüsse auch den Teil der Bevölkerung zu Gunsten der Sozialversicherung in Anspruch, der außerhalb der Sozialversicherungsgemeinschaft steht. Beides bedarf der Rechtfertigung. Da der Anteil der Bundeszuschüsse an den Einnahmen der Sozialversicherung unabhängig von der Forderung nach seiner Erhöhung ohnehin seit 1989 kontinuierlich ansteigt, erfolgt die Finanzierung der Sozialversicherung zunehmend aus Steuergeldem. Der Beitrag wird als Finanzierungsmittel der Sozialversicherung zurückgedrängt. Diese Entwicklung stellt den Versicherungscharakter der Sozialversicherung in Frage. Für die h.M. hat Art. 120 I 4 GG als Kompetenztitel für die Bundeszuschüsse zentrale Bedeutung. Die Vorschrift fiihrt seit jeher ein Schattendasein, aus dem sie nur selten herausgetreten ist'. Vieles ist daran erstaunlich: Die auf Grundlage des Art. 120 I 4 GG gezahlten Zuschüsse zur Sozialversicherung sind dem Volumen nach der mit Abstand umfangreichste Posten bei den Ausgaben des Bundes - als nächstgrößter gerade "halbsogroßer" Posten folgte 1993 die Verteidigung mit 51,1 Milliarden DM. Die Vorschrift verdient schon von daher Beachtung. Sie fungiert als Rechtsgrundlage für den kostenträchtigsten Einzeltitel im Bundeshaushalt Ausgerechnet die "teuerste" Vorschrift des Grundgesetzes durchbricht den für die gesamte Verfassung geltenden allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz. Dieser Grundsatz ist in Art. 104 a I GG niedergelegt, an der Spitze der als Finanzverfassung bezeichneten Vorschriften im X. Abschnitt des Grundgesetzes über das Finanzwesen. Er verteilt die Finanzierungskompetenz für Staatsausgaben auf Bund und Länder nach dem sog. Konnexitätsprinzip: Danach folgt die Finanzierungspflicht der Verwaltungskompetenz. Die Verwaltungskompetenz für die Sozialversicherung liegt gern. Art. 30, 83 GG grundsätzlich bei den Ländern. Sie führen die Sozialversicherungsträger gern. Art. 87 II GG in mittel3 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 152 ff., 160, 164 ff. 4 Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, erwähnt die zur Finanzverfassung der Art. I 04 a GG ff. zählende Vorschrift in seiner künlich erschienenen materialreichen Dissertation bezeichnenderweise nirgends.
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barer Staatsverwaltung (z.B die 23 Landesversicherungsanstalten und 947 der insgesamt 1238 gesetzlichen Krankenkassen). Nach dem Konnexitätsgrundsatz des Art. 104 a I GG müßten deshalb - gäbe es Art. 120 I 4 GG nicht - grundsätzlich die Länder die Zuschüsse zur Sozialversicherung zahlen. Um die Bundeszuschüsse gegenüber der allgemeinen Lastenverteilungsregel zu rechtfertigen, reicht Art. 120 I 4 GG aber nicht aus. Jedenfalls führen Literatur, Rechtsprechung und Politik zur Legitimation der Bundeszuschüsse einen bunten Strauß weiterer Argumente an, mit denen sich die vorliegende Arbeit auseinandersetzt Staatliche Zuschüsse gerade des Bundes seien ein Wesenselement der Sozialversicherung. Er trage für die Sozialversicherung eine Mitverantwortung. Der Bund sei wegen seiner detaillierten Sozialgesetzgebung für die Defizite verantwortlich, die einen Zuschuß erforderlich rnachen5. Der Lastenverteilungsgrundsatz des Art. 104 a I GG basiert aber auf der Prämisse, daß die Verwaltung die Kosten verursacht und nicht die Gesetzgebung6. Art. 104 a I GG soll auf die Sozialversicherung jedoch nicht anwendbar sein. Die parafiskalische Organisation der Sozialversicherungsträger und die Vereinheitlichungstendenz des Bundes-Sozialrechts entzöge die Sozialversicherung der bundesstaatliehen Kompetenzordnung7• Das ist mit dem Ziel der bundesstaatliehen Lastenverteilungsregel, die das Nebeneinander verschiedener Verwaltungszuständigkeiten ökonomisch effizient organisieren will, kaum zu vereinbaren. Immerhin verfügt der zahlende Bund gegenüber den Versicherungsträgem der Länder nicht über eine maßgebliche Finanz- und Fachaufsicht, die zur Einflußnahme auf ihr Finanzgebaren erforderlich wäre8• Jene liegt bei den Ländern. Sie verursachen durch ihre Verwaltungstätigkeit einen Teil der Defizite "ihrer" Sozialversicherungsträger. Da fremdes Geld leichter ausgegeben wird als eigenes, erscheint eine Beteiligung der Länder an den Folgen ihres Handeins geboten9 . Die Finanzwissenschaft hat auch aus diesem Grunde im Interesse ökonomischer Rationalität gefordert, die Länder an den staatlichen Zuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung zu beteiligen10• Eine Beteiligung der Länder würde ihr Interesse an einer wirkungsvollen Aufsicht erhöhen und hierdurch Kosteneinsparungen ermöglichen 11 •
Vgl. nur Bieback, VSSR 1993, S. 1, 19, 26, 33. Vgl. nur Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a, Rn. 4. 7 /sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 10 ff. 8 BT-Drucks. VIII/166, S. 30. 9 Vgl. Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 358 m.w.N. 10 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 196. 11 A.A. /sensee, NZS 1993, S. 281, 284. 5
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Der Lastenverteilungsmodus des Art. 104 a I GG ist neuerdings wieder heftig umstritten. Anlaß hierzu gaben insbesondere die hohen finanziellen Belastungen der Kommunen durch die Bundessozialhilfe und die für sie nahezu unerfüllbare Pflicht zur Gewährung eines Kindergartenp1atzes. Wegen der hohen Kosten, die der Bundesgesetzgeber den Kommunen zugewiesen hat, häufen sich Forderungen, die Finanzverantwortung der Gesetzgebungskompetenz folgen zu lassen. Der Bund soll die Kosten der von ihm "erfundenen" Aufgaben auch spüren, um nicht mehr "auf Kosten der Länder normative Wohltaten zu verteilen" 12. Ob hierzu die propagierte Änderung des in Art. I 04 a I GG geregelten Konnexitätsprinzips geeignet und erforderlich ist, darf aus staatsorganisatorischen und finanzwissenschaftlichen Erwägungen bezweifelt werden. Die Kommunen beklagen die Höhe der Sozialleistungen zu Recht. Der Ausweg aus der Finanzmisere besteht aber nicht allein in einer Verschiebung der Finanzverantwortung. Damit wäre wenig gewonnen. Der leichter gangbare Weg führt über eine Senkung der Sozialhilfeausgaben. Die "Durchnorrnierung" des Sozialrechts beläßt den Kommunen zwar bei der Leistungsgewährung wenig Errnessensspielräume. Die vielfach behauptete und zur Begründung einer Finanzverantwortung des Bundes interessengerecht ins Feld geführte Einflußlosigkeit der Kommunen auf die Höhe der Sozialleistungen ist aber eine Chimäre. Das haben die Realisten unter den Kommunalpolitikern inzwischen erkannt und jüngste Überprüfungen bestätigt. Die vorliegende Untersuchung wird hierzu über ihren eigentlichen Gegenstand hinaus Stellung beziehen und neue Argumente zur Verteidigung des allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes des Art. 104 a I GG in die Diskussion um die Verteilung der Finanzverantwortung im Bundesstaat einbringen.
Die Bundeszuschüsse entsprechen nur soweit dem Konnexitätsprinzip, wie bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger die Sozialversicherung ausfUhren (z.B. die BfA); ein Teil der juristischen Literatur hat jedoch in letzter Zeit die Existenzberechtigung bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger in Frage gestellt. Der "goldene Zügel" der Bundeszuschüsse stellt sich den aktuellen verfassungspolitischen Initiativen zur Regionalisierung der Sozialversicherung entgegen13 • Die angestrebte prinzipielle Verdrängung des Bundes aus dem sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsvollzug erscheint wegen seiner verbleibenden fmanziellen Letztverantwortlichkeit inkonsequent. Landeszuschüsse entsprächen eher den Bestrebungen zur Föderalisierung der Sozialversicherung, freilich in einem von ihren Befürwortem wohl kaum beabsichtigten Ausmaß. Die Teilnehmer einer Tagung zum Thema "Regionalisierung oder Zentralisierung in der Rentenversicherung?" diskutierten die Frage, ob im Zuge einer
12 F. Kirchhof, Empfehlen sich Maßnahmen, um in der Finanzverfassung Aufgabenund Ausgabenverantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden stärker zusammenzuführen?, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 58. Vgl. schon den Beschluß der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Länderparlamente vom 24.9.1991, Nds. LTDrucks. 12/2797, S. 25; Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 146 ff., 154. 13 BT-Drucks. 12/6000; BR-Drucks. 360/92; Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281 ff. Kritik bei /sensee, NZS 1993, S. 281 ff.
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konsequenten Regionalisierung der Bundeszuschuß zur Rentenversicherung entfallen könnte, unlängst "hoch kontrovers" 14• Offenbar ist die derzeitige Praxis der Bundeszuschüsse auf Grundlage des Art. 120 I 4 GG doch nicht so gesichert, wie die Sorglosigkeit der juristischen Literatur vermuten läßt. Schewe 15 weist darauf hin, die Auflösung der Bundesorganisation werde nicht ohne Folgerungen für die Bundesfmanzverantwortung bleiben. Eine derartige Entwicklung leiste einem Streit über die Auslegung des Art. 120 GG Vorschub. Die Literatur hat hierzu bislang nicht Stellung bezogen. Die vorliegende Arbeit möchte das ändern. Isensee räumt ein, daß es sich bei der Rechtsgrundlage des Art. 120 I 4 GG um einen "morschen Rechtstitel" handelt. Seine "angemessene Formulierung und Placierung" böte "Stoff für eine Verfassungsrevision" 16• Art. 120 I 4 GG will schon seiner systematischen Stellung nach nicht recht greifen: Am Ende des Grundgesetzes außerhalb der Finanzverfassung unter den Übergangs- und Schlußbestimmungen placiert, steht er "inmitten von Finanzvorschriften über Kriegsfolgelasten, eingerahmt zwischen der Verteilung der Aufwendungen (Abs. 1 Satz 1-3) und einer Klarstellung der Entschädigungsansprüche für Kriegsfolgelasten (Abs. 1 Satz 5)". Art. 120 I 4 GG erscheint prima facie als "Interimsregelung für kriegsbedingte Lasten", nicht aber als Kompetenztitel für die Bundeszuschüsse als "permanente und reguläre Finanzierungsquelle der Sozialversicherung" 17. Tatsächlich regelt die Vorschrift nur die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung und war nur für eine Übergangszeit gedacht. Beides ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, wurde von Rechtsprechung und Literatur jedoch verkarmt. Heute unterstützen die Bundeszuschüsse praeter Iegern als zentralistische Finanzierungsquelle der Sozialversicherung deren ohnehin starke unitarische Tendenzen. Das explodierende Finanzvolumen der Zuschüsse droht die in Art. 20 I GG geforderte und durch Art. 79 III GG verfassungsfest unter die sog. Ewigkeitsgarantie gestellte Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland aus den Angeln zu heben: Selbständigkeit der Länder ist ohne Finanzautonomie nicht denkbar, denn die Verfügungsmacht über Finanzmittel bedeutet politische Macht. Die Bundeszuschüsse haben nicht nur die Sozialversicherung in fmanzielle Abhängigkeit zum Bund gebracht, sondern auch die zu ihrer Verwaltung 14 Wagner, SF 1994, S. 170, 171 f. mit einer zusammenfassenden Wertung der Diskussionsveranstaltung der Gesellschaft ftlr sozialen Fortschritt e.V. in Bonn am 25.5. 1994. 15 Schewe, SF 1994, S. 166, 169. 16 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 12. 17 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, II.
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zuständigen Länder. Diese Entwicklung korrespondiert der von Littmann in seiner Abschlußvorlesung diagnostizierten Mutation der "Finanzverfassung von einer Ordnung, die mit foderativen Grundsätzen nicht unvereinbar schien, zu einem Regelwerk, das in der Tendenz die Schalthebel der Macht zum Bund verlagert". Littmann bezeichnet die durch diesen W andlungsprozeß bewirkten "ökonomisch und rechtlich kritische[n] Verhältnisse ( ... ) als Untiefen" 18 . Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, diese Untiefen auszuloten. Die in der bundesstaatliehen Ordnung angelegte Vielfalt stellt sich entgegen verbreiteter Annahme dem auf Vereinheitlichung drängenden Sozialstaat nicht entgegen. Sie kann ihn fordern und hält bislang z.T. ungenutzte Chancen zu seiner Verwirklichung bereit.
18 Littmann,
Staatswissenschaften und Staatspraxis 2 (1991), S. 31, 34.
1. Kapitel
Die Bedeutung der Bundeszuschüsse für die Finanzierung der Sozialversicherung Die Sozialversicherung 1 ist eine öffentlich-rechtliche Zwangsversicherung mit freiwilliger Beitritts- bzw. Fortsetzungsmöglichkeit Sie schützt gegen typische soziale Gefahren, bei denen kollektive Vorsorge möglich ist und ergänzt oder ersetzt die Selbsthilfe des einzelnen2 • Organisatorisch gliedert sie sich ent1 Der Tenninus "Sozialversicherung" ist ein weitgefaßter "verfassungsrechtlicher Gattungsbegriff, der alles urnfaßt, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt", BVerfDE 11, 105 (111 f.); 63, 1 (34 f.); 75, 108 (148); vgl. Papier, in: SRH, A.3 Rn. 13; F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,446. Der Begriff erfaßt nicht nur die zunächst in der RVO und später auch in anderen Gesetzen geregelten "klassischen" vier Versicherungszweige, die sich auf die Bereiche Krankheit, Alter, Invalidität und Unfall beschränken. Das zeigt schon der Wortlaut der Kompetenznenn des Art. 74 Nr. 12 GG, der für die Sozialversicherung zentrale Bedeutung hat und sie prägt: Er schließt die "Arbeitslosenversicherung" in die "Sozialversicherung" ein. Damit stellt sich die Kompetenznonn einem Verständnis entgegen, wonach die "Sozialversicherung" nur die vier ursprünglichen Versicherungszweige beinhalte. Die Vorschrift will "die Einbeziehung neuer Lebenssachverhalte in das Gesamtsystem 'Sozialversicherung' " ennöglichen "wenn die neuen Sozialleistungen in ihren wesentlichen Strukturelementen ( ...) dem Bild entsprechen, das durch die 'klassische' Sozialversicherung geprägt ist", BVerfGE 11, 105 (112). Der letzte Anwendungsfall dieser offenen Begriffsbestimmung war jüngst die Einführung der Pflegeversicherung. Demgegenüber erscheint es wenig sinnvoll, an Stelle des Begriffs "Sozialversicherung" von "Sozialversicherungen" zu sprechen. Zwar käme hierdurch die Vielfalt der unter der "Sozialversicherung" erfaßten Lebenssachverhalte besser zum Ausdruck. Eine solche Präzisierung würde dem status quo eher gerecht, als der zur Zeit übliche die Vielfalt eher verschleiemde singuläre Gebrauch des Begriffs. Doch würde die so gewonnene Präzisierung den Eindruck erwecken, Art. 74 Nr. 12 GG solle nur die derzeit existierenden Sozialversicherungszweige regeln und stehe für die Einbeziehung neuer Bereiche nicht offen. Der Parlamentarische Rat verwarf die vorgeschlagene Verwendung eines die Arbeitslosenversicherung einschließenden Plurals nach kurzer Debatte aus Praktikabilitätsgründen und im Interesse der Klarstellung, ParlR. FinAussch. 13. Sitz. vom 6.10.1948, Sten.Prot. S. 36 f., 39, 56. Uneinheitlicher Sprachgebrauch z.B. bei Schulin, Gutachten E zum 59. DJT, S. 57, 59,64 f. 2 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 11; Richardi, in: EvStL, Sp. 3285. Vgl. zu Begriff und Wesen der Sozialversicherung Wolff!Bachof, Verwaltungsrecht, Bd. 3, § 139 Rn. 10 in Anlehnung an die frühere Vorschrift des§ 4 SGBAT: Die Sozialversicherung dient "der Existenzsicherung großer Bevölkerungsgruppen bei Einkommensausfall infolge Krankheit, Arbeitsunfall, Mutterschaft, Minderung der
1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
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sprechend der versicherten Risiken Krankheit, Schwangerschaft, Invalidität, Alter, Tod unter Zurücklassung Unterhaltsabhängiger und Arbeitslosigkeit in die vier Versicherungszweige Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung3. Die verschiedenen Bücher des Sozialgesetzbuches (SGB), sowie die Reichsversicherungsordnung (RVO) und das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) regeln die Versicherungszweige getrennt. In allen Versicherungszweigen fiihren rechtsfahige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung die Sozialversicherung in mittelbarer Staatsverwaltung4 (§§ 29 I SGB-IV, 189 I 1 AFG). Dabei sind Iandes- und bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger in einer fiir den unbefangenen Betrachter leicht irritierenden Weise zu unterscheiden: Landesunmittelbare Landesversicherungsanstalten nehmen die Rentenversicherung der Arbeiter wahr, die bundesunmittelbare Bundesversicherungsanstalt fiir Angestellte (BfA) hingegen die Rentenversicherung der Angestellten; die Bundesknappschaft fiihrt die Rentenversicherung der Bergarbeiter gleichermaßen in mittelbarer Bundesverwaltung; die Vielzahl der unterschiedlichen Krankenkassen sind wiederum überwiegend landesunmittelbar, während die Bundesanstalt fiir Arbeit (BA) die Arbeitslosenversicherung in bundesunmittelbarer Staatsverwaltung fiihrt5.
Erwerbsfähigkeit und Alter durch notwendige Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit sowie durch wirtschaftliche Sicherungen auch der Angehörigen und der Hinterbliebenen". Vgl. ferner BSGE 6, 213 (218, 227 f.); BVerfGE 11, 105 (112 f.). 3 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 11; Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, S. 603, 640 versteht unter "Sozialversicherung" nur die drei "klassischen" Zweige der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Vgl. aber oben Fn 1. 4 Im folgenden gilt entsprechend der allgemein üblichen Terminologie: Mittelbare Staatsverwaltung ist Verwaltung durch Iandes- oder bundesunmittelbare Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Präziser wäre die Unterscheidung in Iandes- und bundesmittelbare Körperschaften usw., denn staatsunmittelbar sind sie gerade nicht. Die irreflihrende Tautologie findet auch in der zentralen Vorschrift des Art. 87 II GG Verwendung. Hier dient sie der Abgrenzung zwischen den Körperschaften bzw. Anstalten von Bund und Ländern. "Bundesunmittelbar" in Art. 87 II GG bringt die unmittelbare Unterstellung der dort aufgeführten Rechtsträger unter den Bund zum Ausdruck. Dadurch erfolgt die Abgrenzung zum sonst üblichen Sprachgebrauch: Sie unterstehen dem Bund nicht auf dem Umweg über Behörden der Länder; Schmidt-Bleibtreu, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 87 Rn. 5. Genauso könnte man stets von Körperschaften usw. des Bundes oder der Länder sprechen und das Problem umgehen. 5 Mangels mitgliedschaftlicher Struktur bezeichnet Maurer, Verwaltungsrecht, § 23 Rn. 48 m.w.N. die BA als öffentlich-rechtliche Anstalt. Dies korrespondiert zwar mit der Bezeichnung des Trägers der Arbeitslosenversicherung als Bundesanstalt, widerspricht aber der Normierung des § 189 I 1 AFG, wonach die BA eine "rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung" ist. Die BA wird deshalb auch hier als Körperschaft bezeichnet; genauso Hendler, in: SRH, B.6 Rn. 37. A.A. mit beachtlichen Gründen WolfJ!Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 339 f.; Schulin, Sozialrecht, Rn. 624. /sensee, DB 1985, S. 2681, 2684 f. spricht von einer "TitularKörperschaft", die Versicherten und die Beitragszahler seien Benutzer und nicht Mit-
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Die Differenzierung zwischen Iandes- und bundesunmittelbarer Verwaltung der Sozialversicherung ist auch bei näherem Hinsehen nicht immer ohne weiteres verständlich. Die Verfassungspolitik stellt sie zunehmend in Frage6 • Wegen der Fülle der Organisationen wird hier auf eine abschließende Aufzählung aller Sozialversicherungsträger verzichtet. Gemeinsam ist den drei "klassischen" Versicherungszweigen ein Grundbestand an Pflichtversicherten. Zu ihm zählen insbesondere Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Ausbildung beschäftigt sind, sowie Behinderte und Landwirte (§ 2 II SGB IV). Die Versicherungspflicht fUhrt zur Mitgliedschaft, die Grundlage fiir den Leistungsanspruch ist.
I. Die Finanzierung der Sozialversicherung - Ein Überblick Die Sozialversicherung dient wie jede Versicherung der gemeinsamen "Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielfalt" 7• Reguläres und primäres Finanzierungsmittel der Sozialversicherung ist der Beitrag8. Daneben nennt das Sozialrecht als weitere Finanzierungsquellen staatliche Zuschüsse und sonstige Einnahmen(§§ 20 SGB IV, 167, 187 AFG\ Der Beitrag ist der Preis fiir die Möglichkeit, Sozialleistungen zu erhalten. In der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung tragen Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Beitrag grundsätzlich hälftig 10; der Arbeitgeberanteil hat Ent-
glieder. Vgl. flir die anderen Träger der Sozialversicherung ders., in: Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 486. Zur Abgrenzung von Körperschaften und Anstalten eingehend Lerche, in: M/D/H/S, GG Art. 87, Rn. 160 Fn. 63. 6 Vgl. unten 5. Kapitel I. 7 BSGE 6, 213 (218, 227 f.) m.w.N.; BVerfGE 11, 102 (112). 8 §§ 20 SGB IV, 3, 220 I SGB V, 153 II SGB VI, 723 I RVO, 167 AFG; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S 12 f., der die Eigenunfallversicherung (geregelt in den §§ 653 ff. RVO) als Ausnahme (vgl. § 29 IV SGB IV) erläutert. Der Beitrag zur Sozialversicherung ist ein eigenständiger Abgabentyp. Vgl. statt vieler hier nur F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 16 und im einzelnen unten 3. Kapitel III 3. 9 Für die Finanzierung der Sozialversicherung hat § 20 SGB IV zentrale Bedeutung. Die Vorschrift findet genauso wie die meisten anderen Vorschriften des SGB gern. § 1 II I SGB IV aus sachsystematischen Gründen auf die Arbeitslosenversicherung keine Anwendung, obwohl der Gesetzgeber die Arbeitslosenversicherung ausweislich des Art. 74 Nr. 12 GG als Teil der Sozialversicherung ansieht; Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 12. Die Arbeitslosenversicherung wird überwiegend in den Vorschriften des AFG geregelt; beachte aber§ 1 II 2 SGB IV. 10 §§ 249 I SGB V, 168 I Nr. I SGB VI, 167 f., 172 AFG; zu den Ausnahmen Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S, 19 m.w.N.
I. Die Finanzierung der Sozialversicherung - Ein Überblick
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geltcharak:ter11 . In der Unfallversicherung trägt der Unternehmer den Beitrag allein, da er durch die Versicherung seiner eigenen Person Versicherungsschutz erhält und die Versicherung seiner Beschäftigten seine Unternehmerhaftpflicht gern. §§ 636 f. RVO weitgehend ablöst. Neben dem Unternehmer in der Unfallversicherung zieht das Sozialrecht auch in den anderen Versicherungszweigen weitere, in ihrer Funktion meist mit dem Arbeitgeber vergleichbare Dritte zur fremdnützigen Beitragszahlung heran (§ 20 SGB IV) 12. Deren Zahlungspflichten folgen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts "aus spezifischen Solidaritäts- und Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen Zahlungsverpflichteten und Versicherten". Sie sind der sachliche Grund fiir die fremdnützige Belastung13.
In der Rentenversicherung bringen die Beitragspflichtigen die Beiträge seit 1969 im Umlageverfahren auf. Es legt den gegenwärtigen Bedarf im voraus oder nachträglich auf die aktuell Beitragspflichtigen um14 . Auch der Bund zahlt Beiträge zur Sozialversicherung: Er trägt in Erfüllung seiner Pflichten als Arbeitgeber den Arbeitgeberanteil seiner Beschäftigten und ggf. Nachversicherungsbeiträge fiir Bundesbeamte, Soldaten und sonstige Beschäftigte, sowie einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge der Wehr- und Zivildienstleistenden15 . Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt, Rn. 90. Zu den Finanzierungspflichten Dritter Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 18 ff., 56 ff. 13 BVerfGE 75, 108(158); kritisch Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 58 ff. Vgl. im einzelnen unten 3. Kapitel III 3. 14 Das mit der Rentenreform 1969 eingeführte Umlageverfahren steht im Kreuzfeuer der sozialpolitischen Kritik. Es geht auf Mackenroth und dessen Erkenntnis zurück, nur das Volkseinkommen der laufenden Periode könne den Sozialaufwand inflationsneutral decken; Mackenroth, Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, S. 41 ff. Überblick über die historische Entwicklung der Finanzierung der Rentenversicherung auch unter ökonomischen Aspekten bei Brück, Sozialpolitik, S. 68 ff., 179 ff., der anschaulich die Entwicklung vom reinen Kapitaldeckungsverfahren über dessen Spielarten des Anwartschaftsdeckungs- und später des Abschnittdeckungsverfahrens (seit 1957) zum gegenwärtig praktizierten Umlageverfahren beschreibt und erläutert. Vgl. ferner Preller, Sozialpolitik, 2. Halbbd., S. 440 ff.; Rische, in: HDR, 2 Rn. 14 ff.; Wannagat, in: FS Gitter, S. 1055 ff.; sowie Liebing, DRY 1966, S. 79 f., auch zum ursprünglichen Kapitaldeckungsverfahren der einzelnen Landesversicherungsanstalten vor 1900. Märsche/, DRY 1990, S. 619 ff. schildert die Entwicklung der Finanzierungsverfahren der Rentenversicherung aus versicherungsmathematischer Sicht. 15 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 74 ff. Der Arbeitgeberanteil ist gern. § 20 SGB IV nicht ein Beitrag eines Dritten; vgl. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 75. Das folgt auch aus dessen Entgeltcharakter (str.; vgl. allein hierzu Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 20 f. m.w.N.); vgl. unten 3. Kapitel III b bb. Demgegenüber sind die Beitragszahlungen des Bundes an die Wehr- und Zivildienstleistenden Beiträge eines Dritten i.S.d. § 20 SGB IV. Der 11
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Fernerhin erstattet der Bund den Sozialversicherungsträgem in allen Versicherungszweigen die Ausgaben fiir die Ausfiihrung von Aufgaben, die ihr der Sozialgesetzgeber auferlegt hat, obwohl sie nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören und sie fiir diese Aufgaben auch keinerlei Verantwortlichkeit trifft 16• Die Erstattungen bezwecken die gesamte einzelfallorientierte Übernahme der Kosten im Sinne einer direkten Kostenabgeltung. So erstattet der Bund der BA die Kosten der Arbeitslosenhilfe. Den Rentenversicherungsträgem erstattet er die Kosten der Kinderzuschüsse, sowie die Aufwendungen fiir Pflichtbeitragszeiten bei Erwerbsunfähigkeit im Beitrittsgebiet und fiir Invalidenrenten. Die Krankenkassen erhalten verschiedene Aufwendungen nach dem Mutterschutzgesetz erstattet (§§ 188 AFG, 291, 291a SGB VI, 12 I, III 4, 14 II, III MuSchuG). Die Erstattungen sind nach h.M. sonstige Einnahmen i.S.d. § 20 SGB IV. Hierzu zählen im wesentlichen selbsterwirtschaftete Vermögenserträge und Erträge aus externen Zahlungen. Seit dem Übergang vom Anwartschaftsdeckungs- zum Umlageverfahren bei der Finanzierung der Rentenversicherung stehen Rücklagen und Betriebsmittel in den Sozialversicherungszweigen nur noch begrenzt zu Anlagezwecken zur Verfiigung. Ein Kapitalstock, dessen Anlage früher einen erheblichen Teil der Einnahmen der Sozialversicherung ausmachte, wird nicht mehr gebildet17• Mit Ausnahme der Unfallversicherung haben die selbsterwirtschafteten Vermögenserträge nur noch einen geringen Anteil an den Einnahmen der Versicherungszweige18. ·Zu den externen Zahlungen gehören neben den Erstattungen des Bundes auch Erstattungen anderer Sozialversicherungsträger sowie Erstattungen zu Unrecht erbrachter Leistungen. Ob es sich hierbei tatsächlich um sonstige Einnahmen i.S.d. § 20 SGB IV handelt, ist zweifelhaft. Die verschiedenen Er-
Bund ist wegen der Besonderheit der Dienstverhältnisse nicht Arbeitgeber im Sinne der Vorschrift. Seine Beitragspflicht folgt nicht aus seiner Arbeitgeberpflicht, sondern aus Art. 12 a GG: Das Wehr- oder Zivildienstverhältnis ist ein verfassungsrechtlich vorgesehenes Dienstverhältnis, das im Interesse der Allgemeinheit besteht. Da die Ableistung des Dienstes die Allgemeinheit begünstigt, ist die Finanzierung aus den von ihr aufgebrachten Steuermitteln durch den Bund sachgerecht; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 75 f. 16 Übersicht bei Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 77 ff.; F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 71. Zu den Erstattungen nach dem Fremd- und Auslandsrentengesetz vom 7.8.1953 (BGBI. I S. 848 ff.) Schneider, DRV 1962, S. 73, 74 ff. 17 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 21. 18 In der Unfallversicherung dürfen die Berufsgenossenschaften gern. § 755 RVO eine Rücklage bis zur dreifachen Höhe der jährlichen Renteneinnahmen ansammeln; vgl. auch§ 753 III RVO. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 15, 21.
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
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stattungen korrigieren um- oder fehlgeleitete Zahlungen. Sie sind keine originären Einnahmequellen19. Das ergibt sich auch aus § 30 II SGB IV: Die Erstattungen sollen die Durchführung fremder Aufgaben kompensieren. Unter externen Zahlungen sind richtigerweise nur die Zahlung von Säumniszuschlägen, von Ordnungs-, Zwangs-, Verwarnungs- und Bußgeldern seitens der Versicherten zu verstehen und seitens der Nichtversicherten, die Zahlungen Dritter aufgrundnach §§ 116 ff. SGB X auf die Sozialversicherungsträger übergegangener Schadensersatzansprüche20. Bei den Zuschüssen schließlich trägt der Bund einen Teil der Ausgaben des jeweiligen Versicherungsträgers im Sinne einer Mitfmanzierung. Sie sind neben dem Beitrag das bedeutsamste Finanzierungsmittel der verschiedenen Zweige der Sozialversicherung. Insbesondere in der Rentenversicherung der Arbeiter und in der Arbeitslosenversicherung zahlt der Bund erhebliche Zuschüsse. Fernerhin leistet der Bund Zuschüsse zur Rentenversicherung der Angestellten, sowie zur landwirtschaftlichen Alters-, Kranken- und Unfallversicherung. Außerdem trägt er das ständige Deflzit der Bundesknappschaft In der Kranken- und Unfallversicherung sind die staatlichen Zuwendungen mit den allgemeinen Zuschüssen an die anderen Versicherungszweigen nur schwer vergleichbar, aber auch hier zahlt der Bund letztlich Zuschüsse. Die Länder leisten keine Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger; nur in der See-Unfallversicherung entrichten die Küstenländer einen Beitragszuschuß21 (§ 878 RV0}.22
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung Die gegenwärtige Situation der Sozialversicherung wird durch die explosionsartige Steigerung ihres Finanzvolumens geprägt.
19 Ähnlich aber nur f\lr die Zahlungen im Finanzausgleichsverfahren zwischen den Sozialversicherungsträgem Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 22. Die Rechtfertigung der Bundeszuschüsse mit der Kompensation versicherungsfremder Lasten macht ihre Einordnung als originäre Finanzierungsquelle i.S.d. § 20 SGB IV gleichermaßen problematisch; hierzu unten 3. Kapitel III 4 b. 20 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 22. 21 Vgl. hierzu näher unten 4. Kapitel Fn. 153. 22 Neben den drei tragenden Säulen der Finanzierung der Sozialversicherung - den Beiträgen, den Erstattungen und den Zuschüssen - trägt auch die einkommenssteuerliehe Begünstigung von Beiträgen und Rentenzahlungen gleichsam als vierte Säule maßgeblich zur Finanzierung der Sozialversicherung bei; hierzu Mackscheidt/Böttger/ Gretschmann, FinArch 39 (1981}, S. 383,384 f. 3 Kranz
1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
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1. Finanzielle Situation der Sozialversicherung und deren Ursachen Durch die Wiedervereinigung Deutschlands stieg die Zahl der Beitragszahler zwar an. Die Zuführung von Finanzmitteln blieb wegen der einkommensorientierten Beitragshöhe aber hinter der vergleichsweise schnelleren Anpassung auf der Ausgabenseite zutück. Heute ist nicht absehbar, ob die sukzessive Steigerung des ostdeutschen Lohnniveaus hier in wenigen Jahren zu einer Angleichung an westdeutsche Verhältnisse führen wird. Die ostdeutschen Bundesländer machen im Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft eine tiefgreifende Strukturkrise durch. Der drastische Abbau der Arbeitsplätze ist zwar zurückgegangen. Für eine befriedigende Beschäftigungslage muß das Güter- und Dieostleistungsangebot einschließlich der Infrastruktur jedoch den Bedürfnissen des Marktes entsprechen und die Produktivität westdeutsches Niveau erreichen23 . Neben der Wiedervereinigung sind auf der Ausgabenseite eine Reihe weiterer Faktoren für den zunehmenden Finanzbedarf der Sozialversicherungsträger verantwortlich: Medizinischer und technischer Fortschritt ermöglichen leistungsfähigere Behandlungen, erfordern gleichzeitig aber aufwendigere und damit kostspieligere Diagnose- und Behandlungsmethoden. Dies erhöht den Finanzbedarf in der Kranken- und Unfallversicherung24, den der Trend zur Technisierung der Medizin zusätzlich aufbläht. Die Verlängerung der Lebensdauer durch den medizinischen Fortschritt verlängert die Leistungszeit in der Rentenversicherung. Vor allem stellen die zeitverzögert einsetzenden Folgen der demographischen Entwicklung die Rentenversicherung vor besondere Probleme: Durch die hohe Lebenserwartung und die gleichzeitig niedrige Geburtenrate steigt der Anteil der alten Menschen 23
Barth/K/auder, ArbuSozPol. 1994, S. 7, 9 f.
Fernerhin ist der Wandel des Krankheitsbildes von Infektions- zu chronisch degenerativen Krankheiten, deren Behandlung aufwendiger ausfallt und einen geringeren Heilungserfolg hat, flir die Zunahme der Ausgaben in der Krankenversicherung mitverantwortlich; Brück, Sozialpolitik, S. 105. Auch die "Nichtmarktfähigkeit" von Gesundheitsdienstleistungen flihrt zu einem hohen Finanzbedarf: Letztlich existiert keine wirksame Kontrolle der Behandlungskosten, da die unmittelbare Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung das Kostenproblem aus dem Verhältnis zwischen Arzt und Patienten ausklammert. Die fehlende Kontrollinstanz schaltet das Kostenbewußtsein des Konsumenten der Gesundheitsdienstleistung aus. Die Angebots- und Nachfrageentscheidung fällt weitgehend in der Person des Arztes zusammen. Die allgemein geringen Produktivitätsfortschritte im Dienstleistungssektor tuen ihr übriges. Zum Ganzen Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 335 Fn. 25. Der grundlegende Fehler der gesetzlichen Krankenversicherung besteht in dem fehlenden Anreiz flir wirtschaftliches Handeln. Es ist für alle Beteiligten vorteilhaft, wenn sie möglichst viele Leistungen zu Lasten der Krankenkassen produzieren und konsumieren. Verschwendung wird belohnt. 24
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
35
an der Bevölkerung langfristig an. In der Sozialversicherungsgemeinschaft stehen den aus dem Erwerbsleben austretenden und zur Gruppe der Leistungsempfanger hinzutretenden Personen zunehmend weniger ins Erwerbsleben und zu Beitragszahlern werdende Mitglieder gegenüber25 . Eine Rückkehr der langsam in Rotation geratenen Alterspyramide in die idealtypische und so standfeste Situation Anfang der 80er Jahre ist vor Mitte des nächsten Jahrhunderts nicht zu erwarten26• Einstweilen steht die Pyramide auf dem Kop:f2 7 • In dieser instabilen Lage werden kostensenkende Maßnahmen und die Abkehr von der bisherigen durch Freigebigkeit und Großzügigkeit gekennzeichneten Sozialpolitik durch den allgemeinen Anstieg der Personalkosten konterkariert. Dessen Ursache liegt vor allem im gesteigerten Wohlstandsanspruch der Gesellschaft, der über die Lohnsteigerungen und die daran gekoppelte Dynamisierung der Lohnersatzleistungen in der Rentenversicherung fiir zusätzlichen Finanzbedarf sorgt. Die Sozialversicherung mutiert von einer bloßen Grund- zu einer umfangreichen Wohlstandssicherung.
25 Nicht nur die demographische Entwicklung, sondern auch sozialstruktureHe Bestimmungsfaktoren beeinflussen die Relation zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern: Durch die bildungspolitisch bedingt langen Ausbildungszeiten ist der versicherte deutsche Student durchschnittlich fast 30 Jahre alt, wenn er in das Erwerbsleben eintritt und zum Beitragszahler wird; Bundeskanzler Kohl in BT-Sten.Ber. 12/15655 f.; vgl. Ruland, DRV 1994, S. 213, 220. Weitere sozialstruktureHe sowie volks- und betriebswirtschaftliche Bestimmungsfaktoren flir die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung (frühere Inanspruchnahme von Erwerbsunfähigkeitsrenten und Altersruhegeldem, betriebliche Rationalisierungsstrategien, Veränderungen der Zeitbedürfnisse und in der Lebensgestaltung) nennt Heine, in: HDR, 5 Rn. 5. 26 Eine Berechnung der OECD aus dem Jahre 1988 geht von einer annähernden Verdoppelung des Altenquotienten von 1990 bis zum Jahr 2030 aus, OECD, Ageing populations, p. 32, table 14. Der Altenquotient (old age dependency ratio) ist das zahlenmäßige Verhältnis alter Menschen zu Personen in der Erwerbstätigkeitsphase. Die Relation ermöglicht allerdings nur tendenzielle Aussagen über die ·Entwicklung des Finanzbedarfs eines Alterssicherungssystems, da es hierflir vorrangig auf das Verhältnis von Rentenempfängern zu erwerbstätigen Beitragszahlern ankommt. Entsprechende Berechnungen des Quotienten zwischen Rentenempfangern zu Beitragszahlern ergaben flir den vorgenannten Zeitraumjedoch nur geringfügige Abweichungen zu der Entwicklung des Altenquotienten. Die derartigen Berechnungen zugrunde liegenden Annahmen über Fertilität, Mobilität und Migration sind im übrigen nicht unumstritten; vgl. hierzu m.w.N. und einem auszugsweisen Abdruck der Ergebnisse der OECD- Studie Schmäh!, in: Zukunft der sozialen Sicherung, S. 126, 138 ff. Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 144m. zahlreichen w.N. geht gleichfalls von einer Verdoppelung des "Alterslastquotienten" (Zahl der Renten je 100 Versicherte) von 1986 bis zum Jahre 2030 aus. Vgl. zur demographischen Entwicklung auch den Gesetzesentwurf zum Rentenreformgesetz 1992, BT-Drucks. 11/4124, S. 136 f. ; Barth!Hain/Mül/er, DRV 1994, S. 228 ff.; Heine, in: HDR, 5 Rn. 3 f. 27 lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 34 spricht von einem "alterslastigen Bevölkerungspilz".
36
I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Die demographische Entwicklung steigert den gesamtstaatlichen Finanzbedarf, beeinflußt die ökonomische Situation und letztlich den Arbeitsmarkt. Die Zunahme der Anzahl alter Menschen wirkt sich auch auf die Arbeitslosigkeit aus. Umgekehrt veranlassen arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ältere Menschen zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitsmarktpolitik treibt den durch hohe Arbeitslosigkeit ohnehin strapazierten Finanzbedarf der Rentenversicherung zusätzlich in die Höhe, indem sie die Finanzprobleme der Arbeitslosenversicherung auf die Rentenversicherung abwälzt. Derartige Wechselwirkungen zwischen den Versichertengruppen der verschiedenen Sozialversicherungszweige bieten Anlaß, die Verteilung der Finanzverantwortung für die sozialen Sicherungssysteme zwischen den Generationen und den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu überdenken28 • Die Neuordnung von Risiken und Lasten ist eine wesentliche Seite der inneren Wiedervereinigung im Sozialstaat. Sie ist wegen der wachsenden Finanzbedrängnis der Haushalte des Staates und der sozialen Selbstverwaltung von drängender Aktualität29 . Die Ausgabenexplosion im Arbeitsmarkt ist in erster Linie mit den Folgen der Vereinigung zu erklären; die Privatisierungen tragen hierfür eine hohe Verantwortung. Aber auch die westdeutsche Rezession mit der beide Teile Deutschlands treffenden Strukturkrise von Industrie und Großbetrieben blieb nicht folgenlos 30. Insbesondere in den östlichen Teilen Deutschlands stehen den Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit wegen der niedrigen Löhne vergleichsweise geringe Einnahmen zu Verfügung. Schließlich ist auch die z.T. verfehlte und an grundlegenden ökonomischen Erkenntnissen nicht ausgerichtete - auch nicht ausrichtungswillige31 - Wirtschaftspolitik für die zunehmende Arbeitslosigkeit und den wachsenden Finanzbedarf in der Arbeitslosenversicherung mit verantwortlich. All dies fiihrte 1993 zusammen mit den Sozialleistungen in den Sondersystemen (Bundesknappschaft, Landwirtschaft), in den beamtenrechtlichen Systemen, den Arbeitgeberleistungen, dem Kindergeld, dem Erziehungsgeld und weiteren Sozialleistungen zu einem Sozialbudget in Höhe von 1,063 Billionen
Schmäh/, in: Zukunft der sozialen Sicherung, S. 126, 141. lsensee, Referat zum 59. DJT 1992, Bd. II, Q 35, 36 f. 30 Vgl. Kühl, ArbuSozPol. 1994, S. 25. 31 Vgl. die Reaktionen auf die Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Der Rat fordert regelmäßig erfolglos u.a. eine Verringerung der Staatskomponente bei der Finanzierung der Sozialversicherung. Die Politik zeigt an den vom ökonomischen Sachverstand getragenen Gutachten der Sachverständigen stets intensives verbales Interesse, ist oft aber nicht bereit, den Vorschlägen zu entsprechen. Vgl. z.B. die Kommentare in FAZ Nr. 268 von 18.11.1994, S. I, 19. 28 29
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
37
DM gegenüber noch 575 Milliarden DM im Jahre 198532 . Das Sozialbudget, das über dem Umfang aller Sozialleistungen Auskunft gibt, hat mehr als das 2,3fache des Bundeshaushaltes erreicht. Der Finanzbedarf ist beträchtlich, die Tendenz steigend: Übersicht 1
Sozialversicherung und Sozialbudget (in Mrd. DM)33
Sozialbudget
Anteil der Sozialversicherung
1987
632,4
383,1
(60,6 %)
1990
714,8
435,1
(60,9 %)
1993
1.062,6
714,3
(67,2%)
Übersicht 2
Ausgabenexplosion in der Sozialversicherung (in Mrd. DM)34
1987
1990 3
1991
1992
1993
196,3
225,5
273,5
301,2
335,1
Arbeitslosenversicherung
36
41,4
71,9
93,5
109,5
Krankenversicherung
125
141,7
183
210,5
211,8
Unfallversicherung
13,8
15,9
18,8
21,3
23,3
Rentenversicherung b
a Angaben fllr 1990 ohne neue Bundesländer und Berlin Ost b Rentenversicherung der Arbeiter, der Angestellten, Bundesknappschatl.
Die politischen Bestrebungen gehen dahin, den Beitragszahler in der Sozialversicherungtrotzsteigender "Belastungsquote" (Anzahl der Leistungsbezieher im Verhältnis zur Anzahl der Beitragszahler) nicht zu überfordern und das
Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1987, S. 405; 1994, S. 482. Abweichungen durch Runden der Zahlen. Zur Sozialversicherung zählen hier: die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, die Bundesknappschaft, die Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung, sowie die Altershilfe der Landwirte. Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1989, S. 400, 1992, S. 488, 1994, S. 482 (Berechnungsstand flir 1993: Ende 1993); eigene Berechnungen. 34 Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1989, S. 403 ff.; 1992, S. 491 ff.; 1994, S. 484 ff.; 1995, S. 461 ff. Rentenversicherungsbericht 1997, BT-Drucks., 12/8309, S. 122 f., 166 f; eigene Berechnungen. 32 33
38
I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Bruttoleistungsniveau (Verhältnis der Versicherungsleistungen zum Arbeitsentgelt) stabil zu halten. Folgende defmitorische Beziehung veranschaulicht die Beziehung zwischen Bruttoleistungsniveau und dem erforderlichen Beitragssatz auf Grundlage des Umlageverfahrens. Dabei sei zG die Zahl der Lohn- und Gehaltsempfänger, G die durchschnittliche Höhe der Bruttoarbeitsentgelte, b der Beitragssatz, zL die Zahl der Leistungsempranger und L die durchschnittliche Höhe der Leistungen. Daraus ergibt sich folgende Bilanzgleichung:
zG x G x b = zL x L oder
zL L b=-
zG
X-
G
Die Gleichung verdeutlicht die Abhängigkeit der Faktoren untereinander: Soll ein bestimmtes Bruttoleistungsniveau LIG stabil bleiben, hängt die Höhe des erforderlichen Beitragssatzes b von der Belastungsquote zLJzG ab. Verschlechtert sich dieser Quotient, ist der Beitragssatz zu erhöhen, um ein konstantes Leistungsniveau zu bewahren35 . Herabsetzungen des Leistungssatzes sind in der Bevölkerung genauso unpopulär wie Beitragserhöhungen. Jede Modifikation der Faktoren setzt eine politisch brisante Entscheidung voraus. Deshalb rücken neben den Beiträgen der Versicherten als primäre Finanzierungsmittel der Sozialversicherung andere Finanzierungsquellen36 in den Mittelpunkt des Interesses. Die Diskussion um die Finanzierung der Sozialversicherung macht vor weitreichenden Änderungen der bisherigen Finanzierungsund Versicherungssysteme nicht halt: U.a. wird an eine Umstellung der bisherigen primären Beitragsfmanzierung auf eine sog. Wertschöpfungsabgabe gedacht, oder - über die Umstellung des Finanzierungssystems hinausgehend- an die Umstellung des gesamten Rentenversicherungssystems auf eine staatlich finanzierte Grundsicherung für jedermann mit der Option privater Zusatzversicherung37.
35 Vgl. die entsprechenden Ausführungen für die Rentenversicherung bei Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 335. 36 Übersicht bei Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141 ff., 160 ff; Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 336. 37 Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 336. Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion bezüglich der Rentenversicherung Ruland, DRY 1994, S. 213 ff.
li. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
39
Vornehmlich bewegt sich die Diskussion jedoch in den Bahnen der derzeitigen Systeme38• Hier besteht nur geringfilgiger Spielraum. Neben den angesprochenen Möglichkeiten der Leistungskürzungen oder der Erhöhung des Reitragssatzes bleibt nur die Steigerung der Bundeszuschüsse. Deren Anstieg spürt der Bürger nicht unmittelbar. Deshalb steht dies augenscheinlich politisch weniger brisante Instrument zur Behebung der Finanznöte der Sozialversicherungssysteme bei den gegenwärtigen Diskussionen um die finanzielle Sanierung der Sozialversicherung oft an erster Stelle39 . 2. Finanzielle Entwicklung der Beiträge und Zuschüsse Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Beiträgen und Bundeszuschüssen und deren jeweiligen Anteilen an den Ausgaben und Einnahmen läuft in den Versicherungszweigen mit den größten Finanznöten auf eine tendenzielle Erhöhung der Staatsquote hinaus. Im Jahre 1992 finanzierten die Beiträge 67,1 % der Ausgaben der Arbeiterrentenversicherung gegenüber noch 69,1 %im Jahre 1988. Die wegen der höheren Durchschnittseinkommen der Beitragszahler fmanziell weniger belastete Rentenversicherung der Angestellten fmanzierte ihre Ausgaben im seihen Jahr hingegen zu 99% aus Beiträgen (1988: 94,2 %). Bei der knappschaftliehen Rentenversicherung lag dieser Anteil nur bei 16,6% und bei der Arbeitslosenversicherung bei 82% (1988: 82,5 %)40 . In der Kranken- und Unfallversicherung liegt die Beitragsfmanzierung deutlich über 90 %41 . Der Anteil der Beiträge an den zu finanzierenden Ausgaben nimmt kontinuierlich ab. Auch wenn die Verschiebungen um letztlich wenige Prozentpunkte nicht so gravierend er38 Der Vorstandsvorsitzende des VDR Erich Standfest hält eine Umstellung des gesetzlichen Alterssicherungssystems fiir nicht erforderlich. Zur Bestätigung verweist er auf ein Gutachten der Prognos AG, wonach der Gesetzgeber den Beitragssatz in der Rentenversicherung von gegenwärtig 19,2% im ungünstigsten Fall auf28,4% im Jahre 2030 anheben mtisse. Die Rentenversicherung bleibe auf Grundlage des derzeitigen Systems finanzierbar; FAZ Nr. 271 von 22.11.1994, S. 13; Ruland, DRY 1994, S. 213 ff. 39 Vgl. die Forderungen des Direktors des VDR Franz Ruland, FAZ Nr. 272 von 23.11 .1994, S. 15; Gemeinsames Positionspapier Gesamtmetaii/IG Metall zum Standort Deutschland: Ftir Wettbewerbsfahigkeit und mehr Beschäftigung, April 1994, S. 15 f., zit.nach Kühl, ArbuSozPol. 1994, S. 25, 29; Leienbach, Der Arbeitgeber 1987, S. 752 ff. 40 Anteile flir die gesetzliche Rentenversicherung errechnet aus den Angaben im Bericht der Bundesregierung tiber die gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenversicherungsbericht 1993), BT-Drucks. 12/5470, S. 35 f., 38 f., 187, 189; flir die Arbeitslosenversicherung BArbBI. 2/1993, S. 381, 384; 2/1990, S. 202,204. 41 Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1994, S. 484, 486; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 14.
40
I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
scheinen mögen, sind die absoluten Größenordnungen der Finanzbewegungen gigantisch: Wären die Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter 1992 in demselben Maße durch Beiträge fmanziert worden wie 1988, hätten ihr zusätzliche Beitragsmittel in Höhe von 3,1 Milliarden DM zufließen müssen. Bei dem Anteil der Beiträge an den Gesamteinnahmen der Versicherungszweige sieht die Entwicklung ähnlich aus: In sämtlichen Zweigen der Rentenversicherung ist ein anteiliger Rückgang der Beiträge zu verzeichnen. Auch in der Unfallversicherung nimmt der Beitragsanteil an den Einnahmen ab: Übersicht 3
Beitragseinnahmen der Versicherungszweige (in Mrd. DM)42 1980
1987
1992
Rentenversicherung der Arbeiter
57,5 (71 ,2%)8
70,3 (70%)
102,7 (69,6%)
Rentenversicherung der Angestellten
53,7 (90,5%)
78 (92,3%)
123,2 (89,6%)
knappschaftliehe Rentenversicherung
2,3 (17,3%)
2,7 (17,6%)
3,7 (16,6%)
landwirtschaftliche Altershilfe
0,8 (27,8%)
1,0 (27,1%)
1,4 (25,6%)
Unfallversicherungb
10,6 (92,5%)
12,9 (92,4%)
21,7 (90,1%)
Krankenversicherung
83,5 (94,4%)
120,9 (96,6%)
193,9 (96,4%)
Arbeitslosenversicherung
17,3 (82,9%)
32,3 (93,3%)
76,7 (86,5%)
8
In Klammem: Anteil an den Gesamteinnahmen des Versicherungszweiges einschließlich der Bundeszuschüsse
b 1987 einschließlich Schülerunfallversicherung
Der Beitragsanteil in der Angestelltenversicherung ist trotz identischer Beitragssätze höher als in der Arbeiterrentenversicherung. Die Abweichung beruht auf den Einkommensunterschieden zwischen Arbeitern und Angestellten, vor allem aber auf dem Strukturwandel von der Arbeiter- zur Angestelltengesell42 Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 1983, S. 394 f., 398; 1989, S. 400, 403 f., 408; 1994, S. 482, 484, 486, 492; flir die Arbeitslosenversicherung BABI. Nr. 2/1981, S. 238 f.; Nr. 2/1988, S. 248, 250; Nr. 2/1993, S. 381, 384; eigene Berechnungen.
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
41
schaft. Er fiihrte in der Arbeiterrentenversicherung zu einer Verringerung der arbeitenden Beitragszahler gegenüber den inaktiven Leistungsbeziehem, während die Entwicklung in der Angestelltenversicherung hierzu in umgekehrt proportionalem Verhältnis verlief. Die Bundeszuschüsse füllen die strukturell bedingte Finanzierungslücke in der Arbeiterrentenversicherung. Der Bund gleicht auch die Finanzierungsdefizite in zwei weiteren vom Strukturwandel besonders getroffenen Wirtschaftszweigen aus: Er leistet Zuschüsse an die Bundesknappschaft als Träger der Rentenversicherung der Bergarbeiter und an die Träger der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Und schließlich kommt der Bund auch für konjunkturbedingt eher kurzfristige Wandlungen in der Wirtschaftsstruktur auf, wie sie im Anstieg und Rückgang der Beschäftigtenzahlen zum Ausdruck gelangen: Er trägt die Defizite der Arbeitslosenversicherung. Die Bundeszuschüsse sind neben dem Beitrag das bedeutsamste Finanzierungsmittel der Sozialversicherung. Sie betrugen 1993 gut 96 Milliarden DM. Davon entfielen 1993 49,6 Milliarden DM auf die gesetzliebe Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, die damit 16,4% ihrer gesamten Ausgaben bestritt und 12,9 Milliarden DM auf die Bundesknappscbaft, die auf diese Weise 54,5% ihrer Ausgaben abdeckte. Die Alterssicherung der Landwirte erhielt im Jahre 1993 aus Bundesmitteln 3,8 Milliarden DM (73,6% der Ausgaben). An die Arbeitslosenversicherung zahlte der Bund Zuschüsse in Höhe von 24,4 Milliarden DM (22,3% der Ausgaben)43 . In der gesetzlichen Kranken- und Unfallversicherung ist die Sachlage komplizierter; bei den Zahlungen des Bundes an diese Versicherungszweige handelt es sieb - jedenfalls im sozialfmanzrecbtlichen Sinne- um Erstattungen44• Der Anteil der Zuschüsse an den Einnahmen und Ausgaben der Sozialversicherungsträger steigt entgegen der friiheren Entwicklung seit 1989 spiegelbildlich zur skizzierten Entwicklung der Beiträge an45 : Für die Rentenversicherung 43 Abweichungen durch Runden der Zahlen; Quellen: BMF, Finanzbericht 1995, S. 191; Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung (Rentenversicherungsbericht 1994), BT-Drucks. 12/8309, S. 122 f., 166 f.; Materialband zum Agrarbericht 1994 der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/6751, S. 130; ANBA, Arbeitsstatistik 1993 -Jahreszahlen, S. 318; eigene Berechnungen. Bei den absoluten Zahlen handelt es sich z.T. um vorläufige Angaben. 44 Anders die Finanzwissenschaft: Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme, S.l45, 159 f. ermittelt für 1988 einen Bundeszuschuß zur Krankenversicherung in Höhe von 1,3 Milliarden DM und einen Zuschuß zur Unfallversicherung von 450 Millionen DM. Hierzu im einzelnen unten III 3. 45 Das war nicht immer so; vgl. für die Situation im Jahre 1970 Preller, Sozialpolitik, 2. Halbbd., S. 444; für die Rentenversicherung Rische, in: HDR, 32 Rn. 124 mit Tabelle 5: danach nahm der Anteil der Bundeszuschüsse an den Rentenausgaben in den verschiedenen Zweigen der Rentenversicherung seit 1957 insbesondere bis 1977 mit teilweise erheblichen Schwankungen insgesamt ab. Wegen der Diskontinuität dieser insbesondere durch gesetzgebefische Eingriffe herbeigeführten Entwicklung (hierzu im einzelnen unten III 2 a, b; 3. Kapitel III 4 c, f; 4. Kapitel III) liegt entgegen Rische,
42
I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
hat der Bund 1992 noch 58,6 Milliarden DM ausgegeben; für 1994 wurde schon im November 1993 mit einem Bundeszuschuß in Höhe von 72,4 Milliarden DM gerechnet-46 • Der Etatentwurf der Bundesregierung für 1997 enthält einen Ansatz von 81,6 Mrd. DM47 . In der Arbeitslosenversicherung explodierte das Zuschußvolumen innerhalb nur eines Jahres von 8,9 Milliarden DM (1992) auf 24,4 Milliarden DM (1993). Die Regierungskoalition strebt mit ihren Sparbeschlüssen vom 24.4.1996 eine Streichung des Zuschusses an die BA an; für die praktische Umsetzung dieses Vorschlags legte sie bislang kein Konzept vor48 . Die angestrebte Streichung des Bundeszuschusses an die BA begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken49. Der Haushaltsentwurf für 1997 enthält für die Bundeszuschüsse an die Arbeitslosenversicherung keinen Ansatz und damit ein hohes Haushaltsrisiko: Die Haushaltsplanung unterstellt eine Steigerung der Beschäftigungsrate von 0,6% im Westen und 0,1% im Osten5°. Die folgenden Übersichten verdeutlichen die Abhängigkeit der Ausgabenfinanzierung von den Bundeszuschüssen in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen:
a.aO. keine ständige anteilige Abnahme der Bundeszuschüsse an den "Gesamtausgaben" (in der nachfolgenden Tabelle fUhrt Rische nur die Rentenausgaben auf) der Rentenversicherung vor. Diese Aussage ist angesichts der von Rische nicht einbezogenen Entwicklung der Bundeszuschüsse zur Bundesknappschaft zusätzlich unpräzise. Sie zählt zur Rentenversicherung. Differenzierter Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), s. 383,384,389 f. 46 FAZ Nr. 275 vom 26.11.1993, S. 16. Die Zunahme der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung ist z.T. Folge umfangreicher Änderungen des SGB VI: Seit 1992 enthalten diese Zuschüsse die Erstattungen des Bundes nach dem Kindererziehungsleistungs-Gesetz und dem Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz. Diese Änderungen führten 1992 zu einer Erhöhung des Zuschusses um knapp 5 Milliarden DM; vgl. Rentenversicherungsbericht 1993, S. 34. Außerdem hat das Rentenreformgesetz 1992 einen Finanzverbund zwischen Rentenausgaben, Beitragssatz und Bundeszuschuß hergestellt, der den Zuschuß bei ungefähr 17,5 % der Rentenausgaben festschreiben sollte und die Zuschüsse zusätzlich erhöhte. Die Anhindung der Zuschüsse entsprach den Wünschen der Rentenversicherungsträger. Sie hatten ein Absinken des Anteils der Bundeszuschüsse an den Rentenausgaben, also den Zweckausgaben der Sozialversicherung beflirchtet und beobachtet; Rische, in: HDR, 2 Rn. 124, 159 f.; Genzke/Wilhelm, DAngVers 1990, S. 105, 109; vgl. unten III 2 b. Die aktuelle Zunahme der Zuschüsse korrespondiert mit den Interessen der Rentenversicherungsträger. Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, S. 54 prognostizierte sie bereits im Jahre 1955 als Folge der demographischen Entwicklung; vgl. oben I. 47 FAZNr. 160von 12.7.1996, S.l5. 48 FAZ Nr. 98 von 26.4.1996, S. 2. 49 Hierzu unten 3. Kapitel III 3 b cc (I), c, VI. 5°FAZNr. 160von 12.7.1996,S. 15.
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
43
Übersicht 4 Bundeszuschuß zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter (in Mrd. DM)51
Zuschuß Anteil an den Ausgaben
1977
1981
1985
1989
1993
13,3
14,8
20,7
23,3
40,5
17,9%
17,7%
21,6%
21,2%
24,5%
Übersicht 5 Bundeszuschuß zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Angestellten (in Mrd. DM)52
Zuschuß Anteil an den Ausgaben
1977
1981
1985
1989
1993
3,0
3,9
4,7
5,2
9,1
5,3%
6,4%
6,0%
5,8%
6,0%
Übersicht 6 Bundeszuschuß zu den Ausgaben der knappschaftliehen Rentenversicherung (in Mrd. DM)53
Zuschuß Anteil an den Ausgaben
1977
1981
1985
1989
1993
7,0
8,5
8,4
9,7
12,9
58,7%
61,0%
57,2%
58,7%
54,5%3
a Alte Länder: 60,5%
51 Abweichungen durch Runden der Zahlen. Quellen: Rentenversicherungsbericht 1993, S. 186 f. ; 1994, S. 40 f., 45 f.; eigene Berechnungen. 52 Abweichungen durch Runden der Zahlen; Quellen: Rentenversicherungsbericht 1993, S. 188 f.; 1994, S. 40 f., 45 f. ; eigene Berechnungen. 53 Abweichungen durch Runden der Zahlen. Quellen: Rentenversicherungsbericht 1994, S. 166 f.; eigene Berechnungen.
44
1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse Übersicht 7 Bundeszusc:huß zu den Ausgaben der Arbeitslosenversicherung (in Mrd. DM)54 1977
1981
1985
1989
1993
Zuschuß
./.
8,2
./.
1,9
24,4
Anteil an den Ausgaben
./.
29,1%
./.
4,8%
22,3%
Die Zuschüsse belasten den Bundeshaushalt in zunehmendem Maße. Machten sie im Jahre 1952 noch 9,5% der Bundesausgaben aus, so liegen sie mittlerweile (1993) bei 21%. Zwischen 1957 und 1983 schwankten sie mehr oder weniger unregelmäßig zwischen 12,1 und 17,2% der Bundesausgaben; seit 1983 ist erstmalig ein länger andauernder kontinuierlicher Anstieg von 14,6 auf 21% zu verzeichnen55. Die gesamte Belastung der öffentlichen Haushalte durch die Bundeszuschüsse kommt erst in dem Quotient aus der Summe der Zuschüsse und der Summe der Steuereinnahmen aller Gebietskörperschaften aussagekräftig zum Ausdruck. Die Relation zwischen dem gesamtstaatlich verlUgbaren Finanzvolumen und dem gesamtstaatlich getragenen Aufwand der Bundeszuschüsse verdeutlicht die gesamtwirtschaftliche Belastung. Die Bundeszuschüsse werden wie alle Staatsausgaben in aller erster Linie aus Steuergeldem fmanziert. Sie belasten nicht nur die steuerzahlenden Privatpersonen, sondern auch Unternehmen und Kapital. Was dem Bund vermittels der Zuschüsse genommen wird, steht der gesamtstaatlich verlUgbaren Finanzmasse nicht mehr zur VerfUgung und kann im Finanzausgleich nicht mehr auf andere Körperschaften verteilt werden. Eine Betrachtung der Zuschüsse nur in Verhältnis zu den Finanzmitteln des Bundes greift zu kurz: Der Bund hat verschiedentlich eigene Ausgaben auf die Sozialversicherungsträger abgewälzt, um seinen Haushalt zu sanieren. Unter Inanspruchnahme der ihm gern. Art. 74 Nr. 12 GG fiir die Sozialversicherungsgesetzgebung zustehenden konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz hat er Aufgaben von dem einen auf den anderen Versicherungsträger übertragen56. Daher ist die Belastung durch die Bundeszuschüsse oft über längere Pe54 Abweichungen durch Runden der Zahlen. Quellen: ANBA, Nr. 2/1978, S. 321; 2/1987, S. 239; 2/1986, S. 155 f.; 2/1990, S. 204; ANBA, Arbeitsstatistik 1993 -Jahreszahlen, S. 318; eigene Berechnungen. 55 BMF, Finanzbericht 1995, S. 192 ff. Der !Ojährige Anstieg der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung von 1984 bis 1993 wurde in der Umbruchsituation des Jahres 1990 kurz unterbrochen; die Zuschüsse sanken um 3%. Im Folgejahr stiegen sie wieder um 3 112%. 56 Vgl. z.B. Muhr, DRY 1973, S. 57, 58; im einzelnen unten III 2 a, b; 3. Kapiteiiii 4 c, f; 4. Kapitel III 3.
II. Die Zunahme des Finanzbedarfs der Sozialversicherung
45
rioden hinweg unabhängig von der Entwicklung des tatsächlichen Finanzbedarfs der Sozialversicherung konstant geblieben. Die Höhe der Zuschüsse wurde nicht nur von dem jeweiligen Finanzbedarf der Sozialversicherungsträger beeinflußt, sondern zusätzlich von den auch politischen Opportunitäten folgenden Entscheidungen darüber bestimmt, welcher staatliche oder mittelbar staatliche Haushalt welche Aufgaben fmanzieren sollte. Die gängige Gegenüberstellung von Bundeszuschüssen und Bundesausgaben57 gibt über die Staatsquote bei der Finanzierung der Sozialversicherung - verstanden als Beteiligung des Staates an den Ausgaben der Sozialversicherung - nur unzureichend Auskunft. Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung belasten den Gesamtstaat, nicht nur den Bund58 . Die gesamtstaatliche Belastung durch die Bundeszuschüsse stieg von 7,7% des Steueraufkommens aller Gebietskörperschaften im Jahre 1962 auf 12,8% im Jahre 1993 59 • Vor dem Hintergrund des zunehmenden Finanzbedarfs der Sozialversicherung und der politischen Tendenz, eher die Staatsquote zu erhöhen, als die Beitragssätze anzuheben, ist für die Zukunft mit ihrer fortgesetzten Steigerung zu rechnen. Für die Entwicklung der Bundeszuschüsse in der Rentenversicherung hat Dudey entsprechende Berechnungen angestellt: Der Quotient aus den erforderlichen Bundeszuschüssen und den erwarteten Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden betrug 1991 6,1 %, wird kurz nach der Jahrtausendwende 8% überschreiten und danach steil ansteigen. Schon im Jahre 2030 wird der Quotient 14% betragen; für 2045 sind 16% in Sicht. Auch bei Zugrundelegung weniger dramatischer Determinanten werden die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung im Jahre 2030 die 12%Marke überschreiten60. Damit ist das "Zwischenhoch" der fmanziellen Lage der Sozialversicherungsträger erwartungsgemäß61 abgezogen. Die Zeit abnehmender Bundeszuschüsse ist vorüber62•
57 So z.B. flir die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung van Almsick, SozVers. 1990, s. 5, 6, 8. 58 Vgl. zur umstrittenen akademischen Frage nach der Anzahl der Glieder des Bundesstaates die Nachweise bei Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 217 Fn. l. Die Betrachtung der Belastung einer Volkswirtschaft durch ihre Ausgaben fordert jedenfalls eine funktionale Betrachtungsweise, der das von Hesse, a.a.O. entwickelte Verständnis vom grundgesetzliehen Bundesstaat als nur einem Staat am ehesten entspricht. 59 Abweichungen durch Runden der Zahlen. Quellen: BMF, Finanzbericht 1995, S. 188 ff.; 236 ff.; eigene Berechnungen. 60 Dudey, WD 1993, S. 363, 364 ff. m.N. zu den zugrundegelegten Determinanten und kritscher Stellungnahme. Ökonometrische Untersuchung der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines erhöhten und über Steuern refinanzierten Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung auf Basis des Prognos-Gutachtens aus dem Jahre 1995 bei Eitenmüller/Hain, DRY 1996, S. 55 ff. m.w.N. Zum Prognos-Gutachten Standfest, DRY 1995, S. I ff. 61 Diemer, VSSR 1982, S. 31, 35.
46
1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Die skizzierte Entwicklung gibt Anlaß, über das quantitative Problem der Mittelaufbringung und Finanzierbarkeit hinaus nach den Ursachen der zunehmenden Staatszuschüsse zu fragen. Dabei gewinnen die hiermit in wechselseitigem Zusammenhang stehenden systematischen Fragen nach der rechtlichen Einordnung und Begründung der Finanzierungsarten der Sozialversicherung an Bedeutung63 . Die Sozialversicherung fmanziert sich - ihrem Versicherungscharakter gemäß - primär aus Beiträgen. Die Bundeszuschüsse sind ihr als Finanzierungsart fremd. Die steigenden Zuschüsse stellen zusammen mit ihrer Verwendung als allgemeine Finanzierungsquelle der Sozialversicherung die Dominanz des Beitrags in Frage. Der CDU-Wirtschaftsrat hat jüngst eine Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung von gegenwärtig rund 20 auf 30% ihrer Ausgaben gefordert, um sie von den versicherungsfremden Leistungen zu entlasten; auch die Fremdlasten in der Krankenversicherung sollen aus Steuermitteln finanziert werden64. Für die Bundeszuschüsse stellen sich vor dem skizzierten Hintergrund eine Fülle von Fragen65: -Worin bestehen die rechtlichen Funktionen der Zuschüsse? -Welche Auswirkungen haben sie? - Gibt es normative Vorgaben für die Verwendung der Zuschüsse und ihre Höhe? Welche Ausgaben der Sozialversicherungsträger sind aus Beiträgen zu fmanzieren, welche aus Zuschüssen? Wie hoch dürfen die Bundeszuschüsse und damit die Fremdfmanzierungsquote der Sozialversicherungsträger sein, ohne in Fremdbestimmung auszuarten? Dürfen Umverteilungsgesichtspunkte eine Rolle spielen? -Darf der Bund durch Kürzung seiner Zuschüsse der Sozialversicherung Finanzmittel entziehen und auf diese Weise ihre Ausgabenpolitik beeinflussen? Darf er Zuschüsse kürzen, um seinen Haushalt zu sanieren? - Wieso werden die staatlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung vom Bund und nicht von den Ländern bezahlt? Gibt es auch in der Sozialversicherung eine Konnexität zwischen Aufgaben und Finanzierung? Sollten auch die Länder an der Finanzierung der Zuschüsse beteiligt werden?
62 Vorausberechnungen des Bundesministeriums ftir Arbeit und Sozialordnung prognostizieren allerdings ein Absinken des Anteils der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten von gegenwärtig (1994) 20,84% auf 19,8% bis zum Jahre 2008; Rentenversicherungsbericht 1994, BT-Drucks. 12/8309, S. 60. 63 F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437,438. 64 FAZ Nr. 97 von 25.4.1996, S. 15. 65 Vgl. Kilian, in: Sozialfinanzverfassung, S. 87, II 0 f.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
m.
47
Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
Die Beantwortung dieser Fragen kann nicht ohne eine Betrachtung der historischen Entwicklung der Zuschüsse und ihre gegenwärtige sozialrechtliche Ausgestaltung erfolgen. Erst auf diese Weise werden die unterschiedlichen und gemeinsamen Funktionen der Bundeszuschüsse in den verschiedenen Soziaiversicherungszweigen deutlich.
1. Entwicklung der "klassischen" Sozialversicherung bis zum Zweiten Weltkrieg66 Die Verantwortung des Staates fiir Wohlfahrt und soziale Kontrolle blickt in Anbetracht der gemeindlichen Fürsorge in Deutschland auf eine alte Tradition zurück. Die seit Mitte des 14. Jahrhunderts institutionalisierte kommunale Armenfiirsorge knüpfte bis 1842 nach dem traditionellen Heimatprinzip an den Geburtsort an, seitdem nach einjährigem Aufenthalt an den Aufenthaltsort. Schon der Absolutismus und das Preußische Allgemeine Landrecht hielten die Fürsorge zwar fiir eine staatliche Aufgabe, doch blieb die fmanzielle Zuständigkeit zunächst an die kommunale Ebene gebunden67• Die gemeindliche Fürsorge erschöpfte sich in der Gewährung von Unterkunft, Verpflegung und medizinischer Betreuung68, war insgesamt jedoch unzureichend69 . Daneben sorgten die Kirchen bzw. Klöster und Orden sowie seit dem 11. Jahrhundert die Zünfte und Gesellenverbände fiir die soziale Sicherung der Bevölkerung70• Im Bergbau bildeten sich wegen dessen besonderer Gefahren schon früh Genossenschaften zur sozialen Absicherung. Sie mußten wegen ~es hohen Finanzbedarfs in steigendem Maße neue Einnahmequellen erschließen und fiihrten be66 Vgl. Sander, DRV 1968, S. 371 ff.; Hoffmann, DAngVers 1982;--S. 401 ff.; Rische, in: HDR, 32 Rn. 74 ff.; van Almsick, Die Sozialversicherung 1990, S. 5 ff. Zur Geschichte des Sozialrechts und der Sozialversicherung m.w.N. Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 15 ff., insbesondere Fn. 22, 34. Zur historischen Entwicklung der staatlichen Beteiligung an der Finanzierung der Rentenversicherung jetzt Kreikebohm, Zeitschrift für Sozialreform 1995, S. 480 ff. mit Abdruck umfangreicher Materialien. 67 Tennstedt, in: SRH, A.2 Rn. 2 ff.; Rische, in: HDR, 32 Rn. 75. Frühere Ansätze für staatliche Beteiligungen an der sozialen Fürsorge sieht Sander, DRV 1968, S. 3 71 in der von Peisistratos im 6. Jahrhundert von Chr. eingerichteten Staatsfürsorge in Athen und in der Versorgung des römischen Proletariats mit "Brot und Spielen". In Rom errichtete Kaiser Nerva im 1. Jahrhundert n. Chr. staatlich finanzierte sog. Alimentationsstiftungen zugunsten armer Kinder; Kreikebohm, Zeitschrift für Sozialreform 1995, S. 480,481 m.w.N. 68 Rische, in: HDR, 32 Rn. 75. 69 Sander, DRV 1968, S. 371,372. 70 Rische, in: HDR, 32 Rn. 74, 77; Sander, DRV 1968, S. 371.
48
I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
reits im 15. Jahrhundert Pflichtleistungen ihrer Mitglieder ein. Aus dieser Zeit stammt einer der ersten Vorläufer der heutigen Staatszuschüsse: Der König verzichtete in der Knappschaftsordnung des Oberbergamtes Dortmund vom 14.12.1824 zugunsten der Knappschaft auf ihm zustehende Strafgelder71 • Wegen der unzureichenden sozialen Fürsorge der Kommunen bildeten die Arbeiter mit zunehmender Industrialisierung eigene Fabrikkassen und einzelne branchenspezifische Hilfskassen mit optionaler Beitrittsmöglichkeit Die meisten Arbeiter nutzten sie nicht72 . Die staatliche Verantwortung lebte erst während der Revolution 1848/49 aus Furcht vor dem herandrängenden Proletariat richtig auf73 . Unter dem Eindruck der revolutionären Unruhen und der sozialen Not rückte die soziale Frage immer mehr in das öffentliche Bewußtsein. So kam die Sozialgesetzgebung des Reichs in Gang74 : Zunächst wurde im Jahre 1884 die Krankenversicherung für gewerbliche Arbeiter einge:fiihrt. 1885 folgte die Ein:fiihrung der Unfallversicherung. Die gesetzliche Versicherung von Alter und Invalidität begann im Jahre 1891 mit der Ein:fiihrung der Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter, zu der das Reich erstmals staatliche Zuschüsse leistete, die mit den heutigen Bundeszuschüssen vergleichbar sind. Seit dem Jahre 1900 wurden auch Angestellte mit einem Jahreseinkommen bis 2000 RM gegen die sozialen Risiken des Alters und der Invalidität versichert; zur Angestelltenversicherung zahlte das Reich jedoch zunächst keine Zuschüsse. Die traditionellen Knappschaftskassen blieben landesrechtlich geregelt und von der Reichsgesetzgebung weitgehend unberührt. Gegenüber der Versicherung des sozialen Risikos der Arbeitslosigkeit bestanden noch erhebliche Bedenken75 • Die heutigen Bundeszuschüsse in der Rentenversicherung entstanden in ständiger Weiterentwicklung aus dem früheren Reichsbeitrag, den das Reich auf Bismarcks Initiative hin seit lokrafttreten des Gesetzes über die Invaliditätsund Altersversorgung am 1.1.1891 in Höhe von 50 RM zu jeder Rente zahlte76. Hierin erschöpfte sich die Beteiligung der öffentlichen Hand jedoch nicht: Das
Sander, DRY 1968, S. 371, 372; Rische, in: HDR, 32 Rn. 79 f. Sander, DRY 1968, S. 371,372. 73 Ungenau Ritter, Die Entstehung der Sozialversicherung, S. 83 f. 74 Ritter, Die Entstehung der Sozialversicherung, S. 83 ff.; Rische, in: HDR, 32 Rn.
71
72
81.
Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. I 0 ff. §§ 19 Satz 2 und 26 des Gesetzes betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22.6.1889 (RGBI. S. 97 ff.). Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401, 402; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 4; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 93 f.; Heinze, in: FS Krohn, S. 109, 113; Sander, DRY 1968 S. 371, 374; Rische, in: HDR, 32 Rn. 85, 105; Märsche/, DRY 1990, S. 619 ff. Vgl. zur Sozialgesetzgebung durch Bismarck ferner Liebing, DRY 1966, S. 68, 69 ff. 75
76
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
49
Reich erstattete den Versicherungsanstalten die auf die Militärdienstzeit entfallenden Rentenanteile; ferner übernahm es die Kosten fiir das Reichsversicherungsamt und ließ über die Postämter unentgeltlich Beitragsmarken fiir die Rentenversicherung ausgeben und Renten auszahlen77• Bismarck wollte aber die gesamte Sozialversicherung aus Steuermitteln fmanzieren 78 • Im Gesetzgebungsverfahren blieb davon als Kompromiß und nur mit Zustimmung eines Teils des Zentrums jener feste Reichszuschuß zu jeder Rente übrig. Dieser entgegen Bismarcks Vorstellungen gering ausgefallene Zuschuß erhöhte sich in seiner Gesamtheit lediglich durch die Zunahme der Rentnerzahlen und folgte nicht der Entwicklung der Rentenhöhe. Bismarck hatte sich mit seiner Idee einer Staatsrente nicht durchsetzen können79• Anstelle der von ihm vorgesehenen zentralistischen Reichsanstalt fiir die Unfall- und Altersversicherung rief der Gesetzgeber auf Betreiben des Zentrums hin die bis heute existierenden Berufsgenossenschaften und Landesversicherungsanstalten ins Leben80• Auch hier war Bismarck erfolglos. Die Einführung des Reichszuschusses wurde zum Kristallisationspunkt der divergierenden sozialpolitischen Positionen Bismarcks und des Teils der hinter ihm stehenden Konservativen einerseits und der diesbezüglich in sich gespaltenen katholisch-sozialen Bewegung andererseits81 • Die kontroversen Positionen sind bis heute fiir das Verständnis der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung relevant: Nach Bismarcks Auffassung bestand ein allgemeines Bedürfnis nach Absicherung fiir die Risikofälle von Alter und Invalidität. Aus diesem Grunde sollte die in der Steuerzahlergemeinschaft repräsentierte Allgemeinheit aus dem Volkseinkommen die Kosten der Invaliditäts- und Rentenversicherung tragen, dagegen nicht die zahlenmäßig kleinere Gruppe der durch die Versicherung begünstigten Beitragszahler82• Sozialpolitische Reformen sollten das Anschwellen der sozialistischen Bewegung verhindem helfen, indem der Arbeiter durch das staatliche Angebot sozialen Schutzes befriedet und fiir das Reich gewonnen werden sollte. Im wesentlichen setzte der Druck und die Furcht vor der sozialistischen Arbeiterbewegung die sozialpolitischen Reformen in Gang83 • Die SoSander, DRY 1968, S. 371, 374; Rische, in: HDR, 32 Rn. 86. Ritter, Die Entstehung der Sozialversicherung, S. 88. Vermutlich regte die von Napoleon III. 1850 errichtete "Caisse nationale des retraites pour Ia vieillesse", die staatliche Zuschüsse erhielt, Bismarck zur Schaffung einer Altersversorgung für Arbeiter an. Zu dessen folgenden Bemühungen zur Umsetzung seines Vorhabens Sander, DRY 1968, S. 371, 374. 79 Nipperdey, Deutsche Geschichte, 1. Bd., S. 342 f. 8 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 85. 81 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 83. 82 Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383,385. 83 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65 , 76. 85; Ritter, Die Entstehung der Sozialversicherung, S. 85 f.; Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 385. 77 78
°
4 Kranz
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
zialgesetzgebung war für Bismarck Ausdruck eines Staatssozialismus als Konsequenz der modernen christlichen Staatsidee. Der hierin zum Ausdruck gelangende Glaube an die soziale Verantwortung des Staates unterschied den konservativen vom liberalen Flügel des deutschen Protestantismus, wobei der Verdienst der christlich-sozialen Bewegung des Protestantismus für die staatliche Sozialpolitik nicht überbewertet werden sollte84• Das eigentlich Bemerkenswerte an den Anfängen der Sozialversicherungsgesetzgebung war die Betonung staatlicher Interventionen in Abkehr von den damaligen Hauptideologien des Liberalismus und des Sozialismus, die sich in der Ablehnung staatlicher Maßnahmen zur Lösung der sozialen Frage einig waren. Die Durchsetzung gerade dieses Weges über die Parteigrenzen hinweg ist auch dem Einfluß der christlich-sozialen Bewegung zuzuschreiben: Auf protestantischer Seite waren dem Pietismus nahestehende Personen sowie die grundsätzliche Identifikation des preußischen Staates mit der überwiegend lutherisch geprägten Kirche für die Sozialgesetzgebung impulsgebend. Auf katholischer Seite herrschte zwar zunächst die Auffassung, die Kirche und nicht der Staat habe die soziale Frage zu lösen, doch bekannte sich die Zentrumspartei schon bei ihrer Gründung zu einer staatlichen Sozialpolitik85 . Abgesehen von dem maßgeblichen Einfluß einzelner einflußreicher Persönlichkeiten wurde die Sozialgesetzgebung weniger durch sozialpolitisches Engagement geprägt86. Parteiübergreifend war eher die Treue zu Kaiser und Reich entscheidend, verbunden mit einer "als selbstverständlich angenommenen Schätzung des Staates, die einem kaum trennbaren Gemisch aus idealistischer Staatstheorie und lutherischer Lehre von der Obrigkeit entstammte"87 . Vor diesem Hintergrund ist auch der Einfluß zu sehen, den die katholische Soziallehre auf die Gestaltung des Sozialversicherungssystems unbestreitbar ausgeübt hat. Das Zentrum sprach sich gleichfalls für eine staatliche Intervention in die Sozialversicherung aus, stand der von Bismarck erwünschten monetären Verantwortung des Staates für das soziale System aber mehrheitlich ablehnend gegenüber. Man befürchtete, die Einführung eines Staatszuschusses könnte einem nicht erwünschten "Staatssozialismus" Vorschub leisten: Da der Zuschuß aus Steuergeldem fmanziert werde, müsse letztlich auch der nichtversicherte Handwerker, Bauer oder Beamte, der auch nicht mehr als der versicherte Arbeiter verdiene, dessen soziale Absicherung mitfmanzieren. Eine solche soziale Umverteilung war unerwünscht. Verschiedene Zentrumsabgeordnete betrachte-
Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 80 f. Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 77, 80, 82. 86 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 81. 87 Schick, Kulturprotestantismus und soziale Frage, S. 121; Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 81 Fn. 46. 84 85
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
51
ten sie als "ein gefahrliebes Stück Kommunismus" 88 . Bei einer staatlichen Beteiligung verlöre die Versichertengemeinschaft ihren Charakter als Solidargemeinschaft, die sich selbst durch Beiträge fmanziere. Hierunter leide auch das Christentum, da das Angebot gesamtstaatlicher Hilfe die ortsnähere gemeindliche Hilfe und die familiäre Solidarität schwäche89. Außerdem untergrabe der Staatszuschuß die Sparsamkeit und den Arbeitswillen des Volkes90. Das Zentrum wollte die Sozialversicherung ausschließlich aus Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber und nicht durch den staatliche Mittel finanzieren. Stattdessen favorisierten die Zentrums-Politiker als staatliche Komponente den Aufbau staatlicher Einrichtungen zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und -nehmem, um auf diese Weise eine Eskalation des Klassenkampfes zu vermeiden. Staatliche Interventionen sollten dem Arbeitsschutz und der Gleichberechtigung der Arbeiter dienen. Das war Bisrnarck zu teuer und wurde von ihm - vordergründig allein aus wirtschaftlichen Erwägungen - abgelehnt91. Auch in der föderalen Frage unterschieden sich die Vorstellungen des Zentrums fundamental von den Bismarckschen Positionen: Die Zentrums-Politiker dachten mehrheitlich korporatistisch. Sie plädierten fiir eine ausschließlich beitragsfmanzierte und in dezentralisierter Selbstverwaltung geführte Sozialversicherung92. Bismarck hatte gänzlich anderes im Sinn. Ihm ging es um eine Sozialverwaltung mit stark zentralistischen Zügen. Unfall- und Altersversicherung sollten durch eine zentrale Reichsanstalt verwaltet werden. Die von ihm angestrebte ausschließlich staatliche Finanzierung der Sozialversicherung war vor dem Hintergrund der sich in diesem System offenbarenden zentralistischen Staatsauffassung nur konsequent. Der tiefere Sinn der Bismarckschen Politik erschließt sich jedoch erst, wenn man sich die Abhängigkeit des Reiches von den jährlich durch Reichstagsbeschluß festgelegten Matrikularbeiträgen der Länder vergegenwärtigt. Bismarck wollte das Reich vermittels einer Vergrößerung des ihm zustehenden Finanzvolumens aus diesem System der Abhängig88 Abg. Dr. Hitze (Zentrum), Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89, I. Bd., 10. Sitz. vom 7.12.1888, S. 177; Abg. Grad (fraktionslos), Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89, I. Bd., II. Sitz. vom 10.12.1888, S. 203; vgl. Sander, DRY 1968, S. 371,374. 89 Abg. Dr. Orterer (Zentrum), Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89, 2. Bd., 52. Sitz. vom 4.4.1889, S. 1265 ff.; Sander, DRY 1968, S. 371,374. Diese Argumentation wurdejüngst gegen die Einflihrung der Pflegeversicherung vorgebracht. 90 Abg. Rintelen (Zentrum), Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89, 2. Bd., 53. Sitz. vom 5.4.1889, S. 1305; vgl. Sander, DRY 1968, S. 371,374 m.w.N. 91 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 85. 92 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 83.
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
keiten befreien. Hierzu kam ihm die Sozialversicherung gerade recht. Nach seinen Vorstellungen hätten die Länder dem Reich die Mittel fiir die Finanzierung der Sozialversicherung zur Verfügung stellen müssen. Dies hätte den finanziellen Entscheidungsspielraum des Reiches vergrößert. Die dem Reich zustehenden indirekten Steuern sollten angehoben und das Tabakmonopol als neue Steuerquelle eingefiihrt werden, um dem Reich die Finanzierung der Sozialversicherung zu ermöglichen93 . Bismarck konnte seine Pläne nur in geringem Umfang umsetzen, da die ablehnende Haltung der Mehrheit des Zentrums letztlich nur die Einfiihrung einer staatlichen Beteiligung an der Finanzierung einer im übrigen entgegen Bismarcks Vorstellungen dezentral organisierten Rentenversicherung erlaubte. Die Tendenz des Reichszuschusses war jedoch klar ersichtlich: Er diente als zentralistisches Finanzierungsinstrument in einem dezentral gegliederten Verwaltungssystem dazu, den Einfluß des Reiches auf die Sozialversicherung zu sichern und dessen Unabhängigkeit gegenüber den Ländern auszubauen. Das war der primäre Hintergrund fiir die Einfiihrung des Reichszuschusses, dessen christlich soziale Motivation hier nicht in Abrede gestellt werden soll. Der staatliche Zuschuß zur Sozialversicherung hat seine damalige Tendenz bis heute behalten. Bei näherer Betrachtung der gegenwärtigen Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung kehren eine Vielzahl der schon bei Einfiihrung des Reichzuschusses diskutierten Argumente wieder. So ist in der Begründung des Entwurfs fiir das Alters- und Invalidenversicherungsgesetz94 bereits ein Großteil der Argumente enthalten, die die Bundeszuschüsse bis heute bestimmen: "Endlich aber hat auch das Gemeinwesen als solches, das Reich, welches durch seine Gesetzgebung einer großen, allgemein verbindlichen sittlichen Verpflichtung gerecht zu werden sucht, um das berechtigte Bedürfnis des Arbeiters nach einem erreichbaren Maße von Fürsorge für den Fall des Alters und der Invalidität zu befriedigen und dadurch die gesamrnte Erwerbs- und Gesellschaftsordnung zu stützen, ein unmittelbares und lebhaftes Interesse daran, daß dieser als berechtigt erkannte Zweck auch wirklich erreicht werde. Dieses Interesse ist ein allgemeines. Deshalb wird sich das Reich nicht damit begnügen dürfen, lediglich die zunächst Betheiligten, nämlich Arbeitnehmer und Arbeitgeber, zu Aufwendungen für den erstrebten Zweck anzuhalten; vielmehr wird das an der geplanten Einrichtung so stark interessirte Gemeinwesen einen Theil der erforderlichen materiellen Opfer auf seine eigenen Schultern, auf allgemeine Reichsmittel zu übernehmen haben. Diese Verplichtung ist urnso weniger abzuweisen, als anderenfalls wenigstens fiir einzelne Berufszweige die Last unerschwinglich, die Erreichung des Zweckes also in Frage gestellt werden würde. Es reicht auch nicht aus, wenn das Reich diese seine Verpflichtung nur so weit aner93 Vgl. Ritter, Die Entstehung der Sozialversicherung, S. 87 f.; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 94; Tennstedt, in: SRH, A.2 Rn. 10. 94 Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89, 4. Bd., Erster Anlageband, Drs. Nr. 10 vom 22.1l.l888, Begründung des Gesetzentwurfs betreffend die Alters- und Invaliditätsversicherung, S. 58 (Hervorhebungen vom Verf.); Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 4.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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kennen wollte, daß dasselbe, wie von einigen Seiten verlangt wird, für etwaige Nothfalle einzelne Beihülfen zusagte. Schon weil solche Beihülfen auf die in Betracht kommenden Personen ungleich wirken müßten, würden sie die Erreichung des Zwecks nicht fördern, sondern hindern, sie würden Unzufriedenheit statt Beruhigung hervorrufen. ( ...) Es wäre ein nicht zu rechtfertigender innerer Widerspruch, wenn das allgemeine Interesse des Reichs an einer möglichst normalen Gestaltung der sozialen Verhältnisse nicht auch in einer antheiligen Aufwendung von Reichsmitteln zur Bestreitung der zu erwartenden Gesamtbelastung seinen entsprechenden Ausdruck fande. Dazu kommt noch die Erwägung, daß durch die Alters- und Invaliditätsversicherung, wie bereits erwähnt, eine erhebliche Erleichterung einer anderen öffentlichen Last, der öffentlichen Armenpflege, eintritt. Die jetzigen Träger der Armenlast, die öffentlichen Armenverbände, werden wie wohl von keiner Seite bestritten wird, durch die derzeitige Armengesetzgebung so ungleichmäßig getroffen, daß die Übernahme wenigstens eines Theils der Armenlast auf die breitesten Schultern, d. h. auf das Reich, wiederholt in Anregung gebracht worden ist. Die Altersund Invaliditätsversicherung bietet den gewiesenen Weg, um den in dieser Beziehung laut gewordenen berechtigten Wünschen in der Gestalt des Reichsbeitrags entgegenzukommen. Seinen Beitrag zu den Kosten wird das Reich am zweckmäßigsten durch antheilige Übernahme eines Drittels der durch die Renten erforderlich werdenden Aufwendungen leisten."
In der Aussprache über den Gesetzesentwurf tauchten eine Vielzahl der bis heute angeführten Argumente für die Zuschüsse auf95 : Für die Vertreter der Deutschkonservativen und Bismarck war der Reichszuschuß Konsequenz der mittels der Sozialversicherung erfolgenden Zusicherung des Existenzminimums durch den Staat. Für die Sozialdemokratie war er als Rückvergütung von den Rentnern gezahlter indirekter Steuern "ein Akt der Gerechtigkeit"96. Den Nationalliberalen und den bei ihnen maßgeblich vertretenen Großindustriellen verbürgte der Zuschuß, daß die Belastung der Sozialversicherung nicht allein die Arbeitgeber treffen sollte97 • Aus volkswirtschaftlicher Sicht gewährleistete der Zuschuß den Arbeitgebern "als conditio sine qua non ihrer eigenen Beteiligung am Alterssicherungsystem qua Arbeitgeberbeiträge" die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie98 . Das Zentrum sah im Zuschuß teilweise
95 Vgl. zum folgenden insbes. Krusch, Begründung und Normierung von Barleistungen in der Sozialgesetzgebung 1881- 1911, S. 91 ff. m.w.N.; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 4. 96 Abg. Bebet (SPD), Sten.Ber. über die Verhandlungen des Reichstags, VII. Legislaturperiode, IV. Session 1888/89, 2. Bd., 52. Sitz. vom 4.4.1889, S. 1285 ff.; vgl. Mackscheidt!Böttger!Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 386. Vgl. Wagner, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 37 (1881), S. 102, 159. 97 Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 4; Mackscheidt!Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 386; jeweils m.w.N. 98 W. Hirsch, Bericht über die Verhandlungen der industriellen Vereine, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 12. Jg. (1888), S. 321 ff. für die "Industrielle Vereinigung", zit. nach Mackscheidt!BöttgerGretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 386.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
eine "Assekuranzprämie" der Gesellschaft für ihre eigene künftige Sicherheit; die Mehrheit wollte ihn wegen seiner Subsidiarität nur Hilfsbedürftigen gewähren. Die Freisinnige Partei äußerte Befürchtungen, daß mit dem Zuschuß der Versicherungszwang erkauft werde99 . Nach einem Teil der neueren Literatur sollte der Reichszuschuß dem Ausgleich der unterschiedlichen Arbeitsentgelte dienen, um einen sozialen Ausgleich zu ermöglichen100. Tatsächlich bewirkte die Zahlung des Zuschusses einen Ausgleich. Ausweislich der Materialien wollte bei der Einführung des Reichsbeitrags aber niemand mit dem Zuschuß zielgerichtet einen sozialen Ausgleich herbeiführen. Jedenfalls stand eine derartige Absicht nicht im Vordergrund der Betrachtungen 10 1. Die gegenwärtige Gestalt des Sozialstaates ist bis heute maßgeblich von den damaligen Vorstellungen insbesondere des Zentrums geprägt: "Einerseits eine starke zentralstaatliche Funktion im Bereich der Gesetzgebung, die sich auch vor Interventionen in den Wirtschaftskreislauf nicht scheut; das ist die antiliberale Komponente. Andererseits die Stabilisierung und Pazifizierung des Interessengegensatzes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern außerhalb des staatlichen Einflusses, was sich heute als Tarifautonomie und als Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger im wesentlichen niederschlägt; hierin liegt das korporatistische und antisozialistische Element dieser Politik. Endlich die Betonung des Föderalismus, des Rechts der Freien Wohlfahrtspflege, kurzum der dezentralen Problemlösung im Sinne dessen, was in der Folge der katholischen Soziallehre als 'Subsidiaritätsprinzip' seinen Begriff fand; (... )das ist die antietatistische Komponente, welche in den Anfangen, vor allem dem preußisch-bismarckschen Zentralismus zuwiderlief."102 Die Ursprünge der im Verlauf der vorliegenden Untersuchung auftauchenden Argumentationsstränge und die ihnen zugrundeliegenden politischen Strömungen liegen zu einem bedeutenden Teil in den geschilderten Anfangen der Sozialversicherungsgesetzgebung begründet. Die verfassungspolitischen Ausführungen dieser Arbeit sehen sich insoweit in den skizzierten sozialgeschichtlichen Kontext eingebettet, wenngleich die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung heute wesentlich vielschichtigere Probleme von z.T. ganz anderer Natur aufwerfen, als sie vorstehend zum Ausdruck gelangten. Ging es gegen Ende des letzten Jahrhunderts vornehmlich aus politisch-ideologischen Gründen um die Eindämmung des drohenden "Staatssozialismus", so wird die Auseinander-
99 Krusch, Begründung und Normierung von Barleistungen in der Sozialgesetzgebung 1881 - 1911, S. 97 f. m. w. N.; vgl. Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 4. 100 Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401, 402; Schewe, in: FS W. Bogs, 1959, S. 333, 350 f.; ders., in: FS W. Bogs, 1967, S. 147, 157. 101 Nach Schewe, in: FS W. Bogs, 1959, S. 333, 350 wurden Staatszuschuß und sozialer Ausgleich seit 1934 gleichgesetzt. 102 Kaufmann, ZSR 1988, S. 65, 86.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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setzung heute vor dem Hintergrund zunehmender fiskalischer Not eher mit ökonomischen und sozialpolitischen Argumenten geführt103 . Im weiteren sozialgeschichtlichen Verlauf entwickelten sich die Zuschüsse zur Sozialversicherung wie folgt: Die Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 104 faßte die bestehenden Einzelgesetze über die Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung der Arbeiter zusammen und dehnte den Reichszuschuß auf die Witwen- und Waisenversorgung aus 105 • Das Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20.12.1911' 06 erhöhte die Grenze für die Einbeziehung der Angestellten in die Rentenversicherung auf ein Jahresgehalt von 5000 Mark und schuffür diese Versicherung eine eigene Reichsanstalt; die Angestelltenversicherung mußte jedoch weiterhin ohne Reichszuschüsse auskommen 107 . Nach Ende des Ersten Weltkriegs war die Rentenversicherung durch die Leistungen an die zahlreichen invaliden Kriegsteilnehmer und die kriegsbedingt Hinterbliebenen enormen Belastungen ausgesetzt. Das Reich unterstützte sie aber nur unzureichend und darlehensweise 108 • Da das Reich die Zuschüsse zu den Renten nicht erhöhte, ging ihr quotaler Anteil an der Rentenfmanzierung während der Inflation stark zurück109 • § 1285 RVO 1924 110 setzte die Zuschüsse absolut herab. Krieg und Inflation entwerteten das angesammelte Vermögen der Rentenversicherung. Der Rückgang der Beitragseinnahmen in der Weltwirtschaftskrise hatte zusätzliche inflationäre Auswirkungen. Hierauf reagierte die Reichsgesetzgebung im Jahre 1925 mit der Einführung eines globalen Zuschusses zur Invalidenversicherung, der nicht mehr individuell zu jeder Rente gezahlt wurde 111 . In der Weltwirtschaftkrise mußte das Reich ihn zunehmend kürzen112 . Die 1924 gegründete Reichsknappschaft113 erhielt jedoch 103 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 171. 104 RGBI. I S. 509. 105 §§ 1285, 1387 RVO 1911; vgl. Rische, in: HDR, 32 Rn. 90; Sander, DRV 1968, S. 371, 375; Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 21. 106 RGBI. I S. 989; Mörschel, DRV 1990, S. 619,639. 1°7 Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 24. 108 Rische, in: HDR, 32 Rn. 92. 109 Mörschel, DRV 1990, S. 619, 631. 110 RVO i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.12.1924 (RGBI. I S. 779). II! § 7 des Gesetzes über Zolländerungen vom 17.8.1925 (RGBI. I S. 261); Rische, in: HDR, 32 Rn. 94; Sander, DRV 1968, S. 371, 376; Bieback, VSSR 1993, S. I, 6. 112 Art. 2 des Gesetzes zur Vorbereitung der Finanzreform vom 28.4.1930 (RGBI. I S. 145 f.); Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8.12.1931 (RGBI. I S. 699 ff. ); Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialversicherung sowie zur Erleichterung der Wohlfahrtslasten der Ge-
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
weiterhin hohe Zuschüsse, da ihr Zusammenbruch nur so vermieden werden konnte 114. Nachdem sich die Wirtschaftslage allmählich besserte, weitete die "Verordnung des Reichspräsidenten zur Milderung von Härten in der Sozialversicherung und in der Reichsversorgung" vom 18.2.1933 die Beteiligung des Reiches nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten115 wieder aus, wenn auch zunächst geringfügig 116• Das "Gesetz zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftliehen Rentenversicherung" (sog. Sanierungsgesetz) vom 7.12.1933 117 führte zu einer starken Erhöhung der Reichzuschüsse: Das Reich zahlte Zuschüsse zu jeder Invalidenund Witwen(r)rente in Form eines Grundbetrags in Höhe von 72 RM für jede Witwen(r)rente und 36 RM für jede Waisenrente. Außerdem zahlte es einen globalen jährlichen Reichsbeitrag in Höhe von 200 Mio. RM (nach Übernahme des Saarlandes 204 Mio. RM). Die Zuschüsse zur Knappschaft blieben unverändert. Die Angestelltenversicherung erhielt nach wie vor kein Zuschuß 118 . Das Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung (sog. Ausbaugesetz) vom 21.12.1937 119 richtete die Rentenversicherung auf die bevölkerungs-und wehrpolitischen Ziele des Nationalsozialismus aus 120• Da die Sozialversicherung als eine Angelegenheit des gesamten deutschen Volkes empfunden wurde, sollte die Allgemeinheit fiir ihre Finanzierung aufkommen121 • In Folge dessen war es nur konsequent, daß das Reich die Rentenversicherung einschließlich der Angestelltenversicherung bei den Belastungen unterstützte, die ihr aus den Steigerungsbeträgen fiir die Zeit des Wehr-, Reichsarbeits- und nach Kriegsmeinden vom 14.6.1932 (RGBI. I S. 273 ff.); vgl. Sander, DRV 1968, S. 371, 376; Rische, in: HDR, 32 Rn. 95. 113 Das am 1.1.1924 in Kraft getretene Reichsknappschaftsgesetz vom 23.6.1923 (RGBI. I S. 431) faßte die über 100 selbständigen Knappschaftsvereine im Reichsknappschaftsverein (seit 1926: Reichsknappschaft) zusammen; Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 43; Mörschel, DRV 1990, S. 619,646 ff. 11 4 Sander, DRV 1968, S. 371,376 f. 115 Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 60. 116 § 2 der Verordnung (RGBI. I S. 69); Sander, DRV 1968, S. 371, 377; Rische, in: HDR, 32 Rn. 97. 117 RGBI. I S. 1039. 118 §§ 1 II 2, 3 I 2, 9 I des Gesetzes; Sander, DRV 1968, S. 371, 377; Rische, in: HDR, 32 Rn. 97; Mörschel, DRV 1990, S. 619,634. 119 RGBI. I S. 1393. 120 Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 69. 12t Die Reichversicherung 1938, S. 1, 2- der zitierte Beitrag mit dem Titel "Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21.12.1937" (RGBI. I S. 1393) ist namentlich nicht gekennzeichnet; Sander, DRV 1968, S. 371, 378. Vgl. zu einer Finanzierungsverantwortung der Allgemeinheit unten 2. Kapitel III 1, 3. Kapitel III jeweils m.w.N.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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ausbruch auch Kriegsdienstes entstanden122. Indem das Reich als Gegenleistung für diese ideologisch bedeutungsvollen Dienste eine soziale Absicherung gewährte, wollte es möglichst viele für die damit verbundenen Aufgaben gewinnen123. Diese ideologische lnstrumentalisierung der Rentenversicherung 124 wurde später arbeitsmarktpolitisch mißbraucht125: Mit zunehmender Knappheit der Arbeitskräfte erhöhten vereinfachte V erfahren der Rentenentziehung den Arbeitsdruck.126
2. Zuschüsse zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten a) Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg Nach Ende des Zweiten Weltkriegs trat zu den bei Einfiihrung des Reichzuschusses angefiihrten Argumenten ein weiteres hinzu: Mit den sog. Überleitungsgesetzen nahm der Bund zusammen mit den Kriegsfolgelasten die zunächst von den Ländern getragenen kriegsbedingten Rentenlasten auf sich 127. Auf diese Weise sicherte er die anfangs katastrophale Finanzlage der Rentenversicherung. Der Krieg und die Währungsreform des Jahres 1948 hatten das Deckungskapital der Sozialversicherungsträger vernichtet: Der nationalsozialistische Einheitsstaat hatte die Rentenversicherungsträger gesetzlich gezwun122 § 3 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über den Ausbau der Rentenversicherung vom 1.9.1938 (RGBI. I S. 1142); § 3 I der Verordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie die knappschaftliehe Pensionsversicherung während des besonderen Einsatzes der Wehrmacht vom 13.10.1939 (RGBI. I S. 2030). Hierzu Sander, DRY 1968, S. 371, 378; Rische, in: HDR, 32 Rn. I 00 f. jeweils mit einem weiteren Überblick über die Entwicklung der Sozialversicherungsgesetzgebung im Dritten Reich. Am Grundsatz der Beitragsfinanzierung der Angestelltenversicherung wurde festgehalten. Allerdings zahlte die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung (RfAV) an die Reichsanstalt für die Angestelltenversicherung (RfA) nach dem Ausbaugesetz einen Beitrag, dessen Verbuchung unter deren Beitragseinnahmen erfolgte. Außerdem leistete das Reich verschiedene Erstattungen u.a. nach der Verordnung vom 1.9.1938 für die Steigerungsbeträgeaus den Wehrpflichtleistungen; vgl. im einzelnen Märsche/, DRV 1990, S. 619, 644. 123 Rische, in: HDR, 32 Rn. 101. 124 Vgl. auch Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, s. 94. 125 Vgl. Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 69.
126 Übersichten über die Entwicklung der Anteile der Zuschüsse an den Einnahmen der Arbeiterrentenversicherung und der Rentenzahlungen in der Zeit von 1891 bis 1938 sowie über die Entwicklung der Zuschüsse und der Einnahmen und Ausgaben der knappschaftliehen Rentenversicherung in der Zeit von 1908 bis 1938 bei Märsche/, DRV 1990, S. 619, 637 f., 647 Tabelle 5 f., 9. 127 Vgl. im einzelnen unten 2. Kapitel I 4, III 3, 4. Kapitel I 3.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
gen, den größten Teil der Rücklagen in Reichsanleihen anzulegen. Die Währungsreform vom 20.6.1948 liquidierte sie. Die allgemeinen Umstellungssätze der Währungsreform werteten die nicht in Reichsforderungen angelegten Vermögenswerte der Sozialversicherung um 90 % herab. Gleichzeitig stellte das dritte Währungsreformgesetz, mit dem die drei westlichen Besatzungsmächte letztmalig von ihrer Gesetzgebungshoheit Gebrauch machten, die Leistungsverpflichtungen der Sozialversicherung im Verhältnis 1 : 1 auf die neue Währung um128. Die deutschen Versuche, den Vermögensreserven der Sozialversicherung eine Vorrangstellung einzuräumen, scheiterten am Widerstand der Besatzungsmächte129. Die Rentenversicherung erlitt durch die Währungsumstellung einen Vermögensverlust von etwa 8 Mrd. DM 130. Die Bevölkerung empfand die Währungsumstellung und die weiteren kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung wie überhaupt die Bewältigung der Folgen der NS-Herrschaft als eine Aufgabe des Gesamtstaates, die von der Allgemeinheit zu tragen war 131 . Die Väter des Grundgesetzes verliehen diesem Empfmden Ausdruck, indem sie in Art. 120 GG die Finanzierungszuständigkeit des Bundes fiir die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung verankerten132 . Die einfachen Überleitungsgesetze transformierten diese Finanzierungspflicht entsprechend133. Der Bund übernahm durch Erstartungen und Zuschüsse in einer Vielzahl von Einzelgesetzen die kriegsbedingten Mehraufwendungen der Versicherungsträger134. Die Rentenreform von 1956/57 vereinheitlichte sie 135 : Anstelle 128 Drittes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens, Teil II, 4. Abschnitt, § 23, in Kraft getreten am 27. Juni 1948 (Military Govemment Gazette, Germany, British Zone ofControl Nr. 25/1948, S. 871), zit. nach Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, S. 86 Fn. 215. Zu den unübersichtlichen Finanzierungsverfahren der Sozialversicherung unmittelbar nach Kriegsende Heinze, in: FS Krohn, S. 109, 118 ff. ; Sander, DRY 1968, S. 371, 379; Rische, in: HDR, 32 Rn. 103 ff. 129 Zu den Folgen der Währungsumstellung flir die Sozialversicherung Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, S. 94 m.w.N. 130 Schewe, SozSich 1966, Beil. zu Heft 5, S. 9. 131 BT-Drucks. I/1064 vom 19.6.1950, S. 10; Höcker, BB 1959, S. 1076; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 10; Sander, DRY 1968, S. 371,380; Hoffmann, DAngVers 1982, s. 401' 403. 132 Nach h.M. regelte die Vorschrift die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung schlechthin. Dieser Auslegung folgt die Untersuchung nicht; hierzu unten 2. Kapitel. 133 Zum Übergang der anfänglichen Finanzierungszuständigkeit der Länder auf den Bund durch das "Erste Überleitungsgesetz" vom 28.11 .1950 (BGBI. S. 773) und zur Entstehung des Art. 120 I 4 GG unten 2. Kapitel III 3, 4. Kapitel I 3. 134 § 27 des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen flir Heimkehrer (Heirnkehrergesetz) vom 19.6.1950 (BGBI. S. 22lff.); § 90 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) vom 20.12.1950 (BGBI. S. 790 ff. ); § 72 II des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11.5.1951 (BGBI. I S. 307 ff. ); § 3 des Gesetzes über die Ge-
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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der verschiedenen Einzelerstattungen und Zuschüsse führte § 1389 RVO einen einheitlichen pauschalierten Betrag in anfangs gesetzlich festgelegter Höhe ein und koppelte dessen weitere Entwicklung an die allgemeine Bemessungsgrundlage, derzufolge die Renten der durchschnittlichen Bruttolohnentwicklung folgten1 36. § 1389 I RVO lautete: "Der Bund leistet zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter, die nicht Leistungen der Alterssicherung sind, einen Zuschuß."
Die Rentenreform kodifizierte in § 116 I Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) als zweite wesentliche Neuerung erstmalig auch einen Zuschuß zur Angestelltenversicherung, der ihr bisher insbesondere aufgrund der höheren Einkommen der Angestellten verwehrt wurde 137. In der Rentenreform 1956/57 entstand das bis zur Rentenreform 1992 gültige Konzept der§§ 1389 I RVO, 116 I AVG, wonach der Zuschuß auf den Ausgleich der Leistungen zu beschränken ist, "die nicht Leistungen der Alterssicherung sind" 138. Dieses Konzept stellte die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung auf eine völlig andere Grundlage
währung von Zulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen und über Änderungen des Gemeinlastverfahrens (Rentenzulagengesetz -RZG-) vom 10.8.1951 (BGBI. I S. 505 f.); § 9 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die einstweiligen Gewährung einer Teuerungszulage zur Abgeltung von Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln (Teuerungszulagenänderungsgesetz -TZÄndG-) vom 25.6.1952 (BGBI. I S. 350 ff.); § 5 des Gesetzes über die Erhöhung der Grundbeträge in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten sowie über die Erhöhung der Renten in der knappschaftliehen Rentenversicherung (Grundbetragserhöhungsgesetz) vom 17.4.1953 (BGBI. I S. 125 f.); §§ 13 f. des Gesetzes über Fremdrenten der Sozialversicherung an Berechtigte im Bundesgebiet und im Land Berlin über Leistungen der Sozialversicherung an Berechtigte im Ausland sowie über freiwillige Sozialversicherung (Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz) vom 7.8. 1953 (BGBI. I S. 848 ff.); § 7 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22.8.1949 (WiGBI. S. 263 f.)- diese Vorschrift begründete eine Finanzierungszuständigkeit der Länder, die der Bund später gleichfalls übernahm. Vgl. die Übersichten bei Brackmann, Hdb. der Sozialversicherung, Bd. 3, S. 662 d f.; Heinze, in: FS Krohn, S. 109, 119 f.; Sander, DRY 1968, S. 371, 380 f. Außerdem zahlte der Bund einen Zuschuß zu den Aufwendungen für die Tbc-Bekämpfung; Heinze, in: FS Krohn, S. 109, 120; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, s. 95 . 135 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz- ArVNG) vom 23.2.1957 (BGBI. I S. 45 ff.); Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz -AnVNG) vom 23.2.1957 (BGBI. I S. 88 ff.); Rische, in: HDR, 32 Rn. 105. 136 Rische, in: HDR, 32 Rn. 106. Nur die Erstattungen gern. § 72 des Gesetzes zu Art. 131 GG (vgl. oben Fn. 134) wurden beibehalten; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 94. 137 Rische, in: HDR, 32 Rn. 106; Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401,402. 138 Der Wortlaut des§ I 16 I AVG entspricht dem des§ 1389 I RVO.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
als den früheren Reichszuschuß 139: Die Bundeszuschüsse sollten die fmanzielle Selbständigkeit der Versicherung betonen 140• Sie sollten der Erstattung der Kosten dienen, die der Rentenversicherung aus Aufgaben entstanden, die ihr der Gesetzgeber aus allgemeinen sozialpolitischen Erwägungen übertragen hatte, die jedoch nicht zu den Leistungen der Alterssicherung gehörten141 • Hierzu zählten insbesondere die Kriegsfolgelasten und Kosten, die den Versicherungsträgem aus der gesetzlichen Verpflichtung entstanden, auch beitragslose Zeiten bei der Leistungsbemessung zu berücksichtigen142 . Die §§ 1389 I RVO, 116 I AVG normierten also eine Zweckbindung der Zuschüsse. Hinter diesem Konzept des Gesetzgebers stand der Gedanke, "die Beitragszahler bei Versorgungsleistungen zu entlasten, die nicht das individuelle Altersrisiko des Beitragszahlers ausgleichen, nach verbreiteter Ansicht aber zu den vom Beitragszahler zu fmanzierenden Versorgungsleistungen zählen" 143 • Solche zuschußfähigen Leistungen waren u.a. 144 : (I) Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, die der Individualsicherung dienen, (2) Witwen- bzw. Witwerrenten und Waisenrenten, die bei der Hinterbliebenenversorgung hinzuzurechnen sind, (3) Beiträge zur Krankenversicherung dieser Rentnergruppen, (4) Maßnahmen zur Erstattung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, (5) Beitragserstattungen, die z.B. bei nicht erfüllter Wartezeit zurückgezahlt wurden, (6) Kinderzuschüsse, (7) anteilige Verwaltungs- und Verfahrenskosten. Der Zuschuß war in diesem Konzept nicht mehr ein allgemeiner staatlicher Beitrag zu der im gesamtstaatlichen Interesse erfolgenden sozialen Absicherung. Vielmehr stellte die Rentenreform des Jahres 1956/57 die Alterssicherung auf eine privatversicherungsähnliche Grundlage mit äquivalenztheoretischer Struktur, wonach aus den jeweiligen Beiträgen der Versicherten nur die Versicherungsleistungen selbst, alle anderen Leistungen jedoch durch den Staat zu fmanzieren waren145 . Die Praxis beachtete diese Einschränkung der §§ 1389 I RVO, 116 I AVG kaum. Die Zweckbindung war eine bedeutungslose Formel mit allein programmatischem Charakter, da eine getrennte Bilanzierung nicht
Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 10. Vgl. die Begründung des damaligen Regierungsentwurfes BT-Drucks. 11/2437, S. 83; Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401, 404; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 12. 141 Vgl. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 95; Rische, in: HDR, 32 Rn. 107. 142 Rische, in: HDR, 32 Rn. 110. 143 Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383,398. 144 Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 399 mit Quantifizierung der Leistungen S. 400 Tabelle 4. 145 Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 387. 139
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III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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erfolgte und auch sonst nirgends eine Bindung der Zuschüsse an die Aufgaben der Alterssicherung konkretisiert war146• Weder bestimmte das Sozialrecht, wozu die Versicherungsträger den jeweils erhaltenen Zuschuß verwenden, noch bei welcher Rechnungsposition sie ihn als Einnahme verbuchen sollten147. Faktisch wurden die Bundeszuschüsse zur Deckung der Finanzierungsdefizite der Haushalte der Sozialversicherungsträger verwandt und damit zu den Ausgaben der Rentenversicherung schlechthin gezahlt148 . Da die Zuschüsse die Rentenversicherungsträger prozentual in allen Ausgabenbereichen gleichmäßig entlasteten, sprach man treffend von einem "allgemeinen" Zuschuß 149 • Die Zweckbestimmung der§§ 1389 I RVO, 116 I AVG blieb bloß nominell 150• Seit der Rentenreform waren die Bundeszuschüsse entgegen den Vorstellungen der Opposition151 nicht mehr an die Entwicklung der Ausgaben und Aufgaben der Sozialversicherung gekoppelt. Die Zuschüsse richteten sich entsprechend den Wünschen des Finanzministeriurns152 nach der Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte und damit auch des Steueraufkommens. Ihr Anteil an den Rentenausgaben nahm ab, wenn die Rentenausgaben beispielsweise durch Zunahme der Rentnerzahlen oder Änderungen des Leistungsrechts schneller wuchsen als die Durchschnittslöhne und -gehälter153 • Deshalb forderten die Rentenversicherungsträger eine zusätzliche Anhindung der Zuschüsse an die Rentenausgaben154• Auch die Zuschußpraxis des Bundes erregte wegen der vielfaltigen haushaltspolitisch bedingten Eingriffe des Gesetzgebers in die Zu-
146 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 95; Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 387; Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401, 403; Plagemann/Piagemann, DAngVers 1981, 125, 127. 147 Sander, DRV 1968, S. 371 , 382. 148 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 95; Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, s. 143, 171. 149 Brackmann, Hdb. der Sozialversicherung, Bd. 3, S. 662 f.; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 95. 150 Vgl. unten 2. Kapitel I 2; die Kritik 3. Kapitel III 4 a, h aa; vgl. 4. Kapitel li 2 a.E., V I a cc (1), dd. 151 Abg. Schellenberg, 2. Deutscher BT, 186. Sitzg. am 18.1.1957, Sten.Ber. S. 10437 f.; Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401,402. Vgl. Muhr, DRV 1973, S. 57,60 f. 152 Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, S. 361. 153 Ruland, in: HDR, 19 Rn. 56; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 95. 154 Muhr, DRV 1973, S. 57, 62, 65; Mörschel, DRV 1978, S. 332, 349; Heine, in: HDR, 5 Rn. II; Kritik aus finanzwissenschaftlicher Sicht bei Mackscheidt!Böttgerl Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383,388 f. Für Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 12 ist die Entkoppelung der Zuschußentwicklung von den Rentenausgaben eine Verstärkung der Selbständigkeit der Versicherungsträger.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
schußzahlungenden Unmut der Versicherungsträger155 • Die Rentenreform hatte zwar eine größtmögliche Unabhängigkeit der Rentenversicherungsträger vom Bundeshaushalt beabsichtigt. Diese Absicht ließ sich aus fiskalischen Gründen jedoch nicht verwirklichen. Die Zuschüsse wurden von 1964 bis 1967 sowie im Jahre 1972 teilweise durch die Gewährung von Schuldbuchforderungen und die Ausgabe von Bundesschatzbriefen ersetzt156, von 1968 bis 1971 und in den Jahren 1981 und 1983 partiell gekürzt157 und von 1973 bis 1975 zum Teil gestundet158 . Die damit verbundenen fmanziellen Belastungen konnten die Versicherungsträger oft nur unter großen Schwierigkeiten durch den umfangreichen Verkauf versicherungseigener Wertpapiere und Beitragserhöhungen auffangen, soweit nicht innerhalb des Finanzverbundes zwischen Arbeiter- und Angestelltenversicherung ein Ausgleich möglich war. Zeitweise waren vorfristige Einlösungen der Bundesschuldbuchforderungen und vorzeitige Rückzahlungen der gestundeten Bundeszuschüsse unumgänglich159 .
155 Vgl. für die Gemeinschaft von Versicherten und Rentnern der Angestelltenversicherung e.V. recht drastisch Seiler, GRV aktuell8. Jahrgang, Mitteilung vom 5.7.1982, S. I ff. 156 § 20 HaushaltsG 1964 vom 13.5.1964 (BGBI. II S. 477 ff.); § 10 II Hausha1tsG 1965 vom 18.3.1965 (BGBI. II S. 193 ff.); Art. 8 HaushaltssicherungsG vom 20.12.1965 (BGBI. I S. 2065 ff.); § 29 Hausha1tsG 1967 vom 4.7.1967 (BGBI. II S. 1961 ff.). Die Übernahme von Bundesschatzbriefen durch die BfA im Jahre 1972 erfolgte durch freiwillige Vereinbarung; Hoffmann, DAngVers 1982, S. 40 I, 404 f.; Rische, in: HDR, 32 Rn. 112. 157 Art. 2 §§I Nr. 3 und 2 Nr. 4 FinÄndG 1967 vom 21.12.1967 (BGBI. I S. 1259 ff.); § 27 HaushaltsG 1981 vom 13.7.1981 (BGBI. I S. 630); Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401,405 f.; Rische, in: HDR, 32 Rn. 113, 122. Zur Kürzung im Jahre 1981 und deren z.T. heftige Kritik durch die Rentenversicherungsträger und die Medien differenzierend Plagemann!Piagemann, DAngVers 1981, S. 125 ff. Diese Kritik intendierte konstruktiv eine Verstetigung der staatlichen Zuweisungen als Voraussetzung flir eine längerfristige Planung der Rentenfinanzen. Sie richtete sich ferner gegen die Untergrabung des Vertrauensschutzes der Versicherten durch die Zuschußkürzungen, den Plagemann!Piagemann, a.aO., S. 126 zwar aus politischer Sicht für wichtig, normativ jedoch für irrelevant halten. 158 § 21 HaushaltsG 1973 vom 6.7.1973 (BGBI. I S. 733 ff.); § 20 HaushaltsG 1974 vom 31.5.1974 (BGBI. I S. 1229 ff.); § 20 HaushaltsG 1975 vom 16.4.1975 (BGBI. I S. 917 ff.). Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401, 405; Rische, in: HDR, 32 Rn. 112 ff.; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 97; Mackscheidt/Böttgerl Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 389. van Almsick, Die Sozialversicherung 1990, S. 5, 8 mit Tabelle 2 nennt insgesamt 14 Fälle, in denen der Bund von der Regelbindung der Bundeszuschüsse abwich, um seinen Haushalt zu entlasten. Eine Typisierung der staatlichen Zugriffe auf die gesetzliche Rentenversicherung unternimmt Nullmeier, in: Regieren in der Bundesrepublik IV, S. 147, 156 f. 159 Überblick über die verschiedenen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Versicherungsträger bei Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401,404 ff.; Rische, in: HDR, 32 Rn. 112 ff.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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Hierin liegt die Ursache fiir die Forderungen der Rentenversicherungsträger nach einer Regelbindung der Zuschußhöhe und der Auszahlungsmodalitäten160.
b) Rentenreform 1992- § 213 I SGB IV Der Gesetzgeber reagierte auf die Kritik an den staatlichen Eingriffen und der fehlenden Anhindung der Zuschüsse an die Entwicklung der Rentenausgaben mit dem Rentenreformgesetz 1992 161 • Seitdem regelt§ 213 I SGB VI die Bundeszuschüsse - nun fiir die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten einheitlich162: "Der Bund leistet zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten Zuschüsse."
In der Arbeiterrentenversicherung verteilt das Bundesversicherungsamt die Zuschüsse auf die verschiedenen landesunmittelbaren Träger nach dem Verhältnis ihrer Beitragseinnahmen (§§ 227,219 II SGB VI). Adressaten des§ 213 SGB VI sind die Rentenversicherungsträger. Die Vorschrift gibt ihnen einen einfachrechtlichen Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses gegen den Bund163 • § 213 II SGB VI enthält einen Selbstregulierungsmechanismus zwischen Bundeszuschüssen, Rentenanpassung und Beitragssatz zur Verstetigung der staatlichen Zuweisungen an die Sozialversicherungen164• Die Zuschüsse folgen 160 Gutachten der Kommission des VDR, Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 128 ff.; Hoffmann, DAngVers 1982, S. 401,407. 161 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBI. I S. 2261 ). Zu den Änderungen Bank/ Brachmann!Kreikebohm/Schmidt, Rentenreform 1992; Frerich!Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik, Bd. 3, S. 251 ff.; Genzke!Wilhelm, DAngVers 1990, S. 105 ff. 162 Hauck, in: Hauck/Haines, SGB VI, K § 213, Rn. 10 Fn. 16. 163 Hauck, in: Hauck/Haines, SGB VI, K § 213 Rn. 10. Zur verfassungsrechtlichen Grundlage eines solchen Anspruchs unten 3. Kapitel III. 164 § 213 II SGB VI lautet: "Der Zuschuß des Bundes zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter (Bundeszuschuß) und der Zuschuß des Bundes zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Angestellten (Bundeszuschuß) ändern sich jeweils im folgenden Kaiendeijahr in dem Verhältnis, in dem die Bruttolohn- und-gehaltssumme je durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer im vergangeneo Kalenderjahr zur entsprechenden Bruttolohn- und -gehaltssumme im vorangegangenen Kalenderjahr steht. Bei Veränderungen des Beitragssatzes ändert sich der Bundeszuschuß zusätzlich in dem Verhältnis, in dem der Beitragssatz des Jahres, für das er bestimmt wird, zum Beitragssatz des Vorjahres steht." Die Vorschrift gilt gern. § 287e I SGB VI nicht flir das Beitrittsgebiet. Nach der Kernaussage der komplizierten Sonderregelung des § 287e II SGB VI wird der BundeszuschuB zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten im Beitrittsgebiet in dem seihen Verhältnis zu den dortigen Rentenausgaben geleistet und fortgeschrieben, wie der Bundeszuschuß im übrigen Bundesgebiet zu den dortigen Rentenausgaben
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
nicht mehr allein der Entwicklung der Arbeitsentgelte, sondern zusätzlich der Entwicklung des Beitragssatzes. Er ist gern. § 158 SGB VI so festzusetzen, daß die voraussichtlichen Beiträge zusammen mit den anderen voraussichtlichen Einnahmen die voraussichtlichen Ausgaben der Rentenversicherung decken. Da die Vorschrift die Entwicklung des Beitragssatzes an die Ausgaben der Rentenversicherung bindet, folgen die an die Beitragssatzentwicklung gekoppelten Zuschüsse gleichermaßen der Ausgabenentwicklung in der Rentenversicherung. Die Zuschüsse lassen sich nun mit folgender Formel ermittein16S: E(n-2)
Bs(n)
B(n)=B(n-1) x - - x - E(n-3) Bs(n-1) B = n = E = Bs =
Bundeszuschuß Jahr, für das der Bundeszuschuß festgesetzt wird Bruttolohn- und Gehaltssumme je Beschäftigten Beitragssatz
Die maßgeblichen Größen der Rentenanpassung und des Beitragssatzes legt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung fest(§§ 69, 160 SGB VI). § 213 II SGB VI regelt nur die jährliche Veränderung der Zuschüsse. § 287 IV SGB VI setzt ihre Höhe für das Jahr 1992 einmalig fest 166. Eine Änderung erfordert wegen der Einbindung der Zuschüsse in das Haushaltsgesetz die Zustimmung des Parlaments 167. Da die §§ 213, 287 IV SGB VI die Zuschüsse sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach gesetzlich festlegen, handelt es sich bei der Zustimmung des Parlaments nur um einen formalen Akt168. Diese Fixierung erschwert haushaltspolitisch bedingte Kürzungen, macht sie aber nicht unmöglich. Zwar kann der Verordnungsgeber von den gesetzlichen Vorgaben nicht abweichen. Der Sozialgesetzgeber kann jesteht; Hauck, in: Hauck!Haines, SGB VI, K § 287e Rn. 4. Die Fortschreibung des Zuschusses erfolgt ftir das Beitrittsgebiet und das übrige Bundesgebiet zwar auf unterschiedliche Weise. Die Rechtsgrundlage flir die Zahlung des Zuschusses ist jedoch einheitlich in§ 213 I SGB VI normiert; Hauck, in: Hauck/Haines, SGB VI, K § 287 d Rn. 3f. Zu den Staatszuschüssen zur Rentenversicherung der DDR Andel, in: Finanzierungsprobleme der deutschen Einheit II, S. 63, 65 ff.; Nul/meier, in: Regieren in der Bundesrepublik IV, S. 147, 159 ff. 165 Genzke/Wilhe/m, DAngVers 1990, S. 105, 109. 166 Für das Beitrittsgebiet gilt § 287e II SGB VI. 167 Hauck, in: Hauck!Haines, SGB VI, K § 213 Rn. 9; Ruland, in: HDR, 19 Rn. 57. 168 Hauck, in: Hauck!Haines, SGB VI, K § 213 Rn. 9.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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doch § 213 II SGB VI ändern, steht hierbei aber unter besonderem Begründungszwang169. Gegen den neu eingeftlhrten Selbstregulierungsmechanismus richtet sich heftige Kritik: Er werde der vom Sozialbeirat und vom VDR geforderten Bindung der Zuschüsse an die Entwicklung der Rentenausgaben nicht gerecht, da er den quotalen Anteil der Zuschüsse an der Finanzierung der Rentenausgaben nicht erhöhe, sondern nur auf dem gegenwärtigen Niveau festschreibe 170. Immerhin verhindert der Mechanismus aber ein weiteres Absinken des Anteils der Zuschüsse an den Rentenausgaben. Die geforderte Anhindung an die Rentenausgaben erfolgt über die beitragsbezogene Dynamisierung der Zuschüsse. Da sich die Fortschreibung der Beitragssätze an den voraussichtlichen zukünftigen Ausgaben der Rentenversicherung orientiert, folgt die Festsetzung der Zuschüsse gleichermaßen den künftig zu erwartenden Rentenausgaben. Das übersieht die pauschal gegen eine fehlende Anhindung der Zuschüsse an die Rentenausgaben gerichtete Kritik an der Neuregelung 171 . Eine Anhindung der Zuschüsse an die tatsächlich entstandenen Ausgaben wäre aber möglicherweise sinnvoller172. Die mit dem Rentenreformgesetz 1992 eingefilhrten Regelungen gehen nicht mehr von einer Zweckbindung der Bundeszuschüsse aus. Die Zuschüsse dienen dazu, die Finanzlücken der Rentenversicherungsträger zu schließen, ohne daß für deren Entstehung ein detaillierter buchungsmäßiger Nachweis erforderlich ist. Der Haushaltsplan der Versicherungsträger erfaßt den jeweiligen Zuschuß auf der Einnahmen-, die Verwaltungs- und Verfahrenskosten auf der Ausgabenseite. Zwischen beiden Seiten besteht keine Beziehung im Sinne einer Zweckbindung. Es erfolgt keine getrennte Bilanzierung. Vielmehr dienen nach dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Gesamtdeckung (§§ 9 HGrG, 8 BHO) alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben. § 9 der Verordnung über das Haushaltswesen in der Sozialversicherung (SVHV) hat diesen Grundsatz übernommen und für die gesamte Sozialversicherung verbindlich gemacht. Ausnahmen gibt es wegen der Besonderheiten der Sozialversicherung nicht173 . Durch die unverändert fehlende Zweckbindung der Einnahmen zahlt der Bund die Zuschüsse zu den Ausgaben der Rentenversicherung schlechthin. Die Bun169 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 97 f.; Ruland, in: HDR, 19 Rn. 57 mit kritischen Anmerkungen zum Se1bstregu1ierungsmechanismus. Vgl. auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 1114124, S. 139 sowie die Stellungnahme des Sozialbeirates BT-Drucks. 11/4334, S. 8 Tz. 29. 170 Gutachten des Sozialbeirats, BT-Drucks. 1114334, S. 5 ff.; Ruland, in: HDR, 19 Rn. 58. Vgl. Heine, in: HDR, 5 Rn. 54, 81. 171 Heine, in: HDR, 5 Rn. 81. 172 Vgl. im einzelnen unten 3. Kapitel III. 173 Gleitze, in: GK-SGB IV,§ 69, Rn. 8 f. s Kranz
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
deszuschüsse zur Rentenversicherung werden deshalb wie schon die vormaligen Zuschüsse nach §§ 1389 I RVO, 116 I AVG auch gegenwärtig und gleichermaßen berechtigt als "allgemeine" Zuschüsse bezeichnet 174. Kreikebohm bezeichnet sie treffend als ''bloßen Finanzpuffer"1 75 .
c) Abgrenzung der Zuschüsse zur Bundesgarantie Die regehnäßige Zahlung der Zuschüsse zur Rentenversicherung ist keine Ausprägung der aus sozial- und verfassungsrechtlichen Gründen hergeleiteten Bundesgarantie. Diese Garantie verpflichtet den Bund nach h.M. dazu, die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung sicherzustellen. Daraus folgt seine finanzielle Einstandspflicht fiir Notfalle, in denen die Mittel des jeweiligen Rentenversicherungsträgers - aus welchen Gründen auch immer - zur Erfiillung seiner Verpflichtungen nicht ausreichen. Der Bund muß aber nicht wegen dieser Garantie darüber hinaus regelmäßige Zahlungen an die Rentenversicherung leisten. Garantie und Zuschuß sind voneinander abzugrenzen 176. Schon die getrennte historische Entwicklung beider Institute legt eine differenzierte Betrachtung nahe. Die sog. Reichsgarantien entwickelten sich neben den Reichszuschüssen zur Rentenversicherung nicht als regelmäßige Finanzierungsform, sondern als Mittel zur fmanziellen Absicherung der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten durch das Reich im fmanziellen Notfall. Nach Einfiihrung der Rentenversicherung regelte§ 44 des Gesetzes über die Invaliditäts- und Altersversorgung vom 22.6.1889 177 als letzte Absicherung ihrer Finanzierung zunächst eine Haftung des Kommunalverbandes, den die Errichtung der Versicherungsanstalt jeweils begünstigte; bei Zahlungsunfahigkeit
174 Stellungnahme des Sozialbeirats zum RRG 1992, BT-Drucks. 11/4334, S. 5. Vgl. für die Zuschüsse nach "altem" Recht schon oben a und die Kritik unten 3. Kapitel III 4 a, h aa; vgl. ferner 4. Kapitel II 2 a.E., V I a cc (1 ), dd. 175 Kreikebohm, Zeitschrift für Sozialreform 1995, S. 480, 500. 176 Bundeszuschuß und -garantie werden überwiegend getrennten Betrachtungen unterworfen: Vgl. schon Abg. Schellenberg, Deutscher BT 143. Sitz. vom 4.5.1956, Sten.Ber. S. 7569 und in der Literatur F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 39; Bieback, VSSR 1993, S. I, 4 f.; Schenke, in: FS Meinhold, S. 338, 341, 343; Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 91 ff.; van Almsick, SozVers 1990, S. 5, 9, II; Rürup, WD 1981, S. 276. Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 17 f. differenziert zwischen Garantie und Zuschuß und hält den Bundeszuschuß dabei flir "die augenfälligste Beteiligung der Allgemeinheit an der Alterssicherung". Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 98 f. spricht von "zwei Formen" staatlicher "Finanzhilfe". Auch die Finanzwissenschaft unterscheidet zwischen Bundeszuschüssen und Bundesgarantie; Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 320, 322. 177 RGBI. S. 97.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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des Kommunalverbandes traf diese Garantie den jeweils zuständigen Bundesstaat. § 1402 RVO 1911 178 führte diese Garantie fort, § 1373 RVO 1911 ergänzte sie um eine Haftung des Reichs für dessen Sonderanstalten. Das Ausbaugesetzvom 21.12.1937 fiihrte mit§ 1384 II RVO erstmals eine Reichsgarantie für die Invalidenversicherung ein. Das Reich verpflichtete sich in Form einer Rückgriftbaftung, die Leistungsfahigkeit der Versicherung aufrecht zu erhalten 179 . Die Rentenreform von 1956/57 führte diese Garantie neben den Bundeszuschüssen als von den Zuschüssen unabhängige Bundesgarantien in den §§ 1384 I RVO, 111 I A VG180 fort und erstreckte sie auf sämtliche Ausgaben der Rentenversicherung. Im Gegensatz zu den Bundeszuschüssen unterlagen die Garantien keinen inhaltlichen Begrenzungen 181 . Nach der Legaldefmition des § 1384 I RVO sollte die Bundesgarantie eine anders nicht zu schließende Finanzierungslücke durch Bundesmittel sichem 182 . Gegenstand der Garantie war die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherungsträger183. Zu den Deckungsmitteln, die nach § 1384 I RVO vorrangig in Anspruch zu nehmen waren, gehörten auch Einnahmen im Finanzausgleich zwi178 RGBI. I S. 509. 179 § 32 des Gesetzes (RGBI. I S. 1393). Später weitete § 168 III AVG diese Regelung auf die Angestelltenversicherung aus. Daneben hafteten gern. §§ 1400, 1402 RVO die Gemeindeverbände oder die Länder für die Rentenversicherungsträger ihres Zuständigkeitsbereichs, wenn deren Leistungen über die Ausgaben hinausgingen. Vgl. zur Entwicklung der Finanzierungskompetenz nach dem 2. Weltkrieg unten 4. Kapitel I. Zur Entstehungsgeschichte der Garantien für die Sozialversicherung Bieback, VSSR 1993, S. 1, 6; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 114 f.; Rische, in: HDR, 32 Rn. 99; Sander, DRV 1968, S. 371,378 f.; Schenke, in: FS Meinhold, S. 338, 345 f. 180 § 1384 I RVO i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung der Rentenversicherung der Arbeiter (Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG) vom 23.2.1957 (BGBI. I S. 45) war textidentisch mit § 111 I AVG i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (AngestelltenrentenversicherungsNeuregelungsgesetz- AnVNG) vom 23.2.1957 (BGBI. I S. 88) und lautete: "Reichen die Beiträge zusammen mit den sonstigen Einnahmen voraussichtlich nicht aus, um die Ausgaben der Versicherung für die Dauer des nächsten Jahres zu decken, so sind die erforderlichen Mittel vom Bund aufzubringen (Bundesgarantie). Das Nähere wird durch besonderes Gesetz bestimmt." 181 Bieback, VSSR 1993, S. I, 6. 182 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 113. 183 Die Garantie der Zahlungsfähigkeit der Versicherungsträger gibt ihren Gläubigem, also insbesondere den Leistungsberechtigten, keinen direkten Anspruch gegen den Bund. Deswegen ist die Bundesgarantie entgegen Bieback, VSSR 1993, S. I, 14 und Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 98 nicht eine Ausfallbürgschaft Bei einer Ausfallbürgschaft hat der Gläubiger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Bürgen, wenn der Hauptschuldner nicht zahlt und die Zwangsvollstreckung und die Verwertung anderer Sicherheiten erfolglos verlaufen sind; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 113, 117 f.; ähnlich Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 2.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
sehen den Sozialversicherungsträgem184. Die Garantie griff erst ein, wenn der Finanzausgleich die Liquidität nicht mehr sichern konnte 1ss. Seit dem Rentenreformgesetz 1992 regelt§ 214 I SGB VI die Bundesgarantie für die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten einheitlich: "Reichen in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten die liquiden Mittel der Schwankungsreserve nicht aus, die Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, leistet der Bund den Trägem der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten eine Liquiditätshilfe in Höhe der fehlenden Mittel (Bundesgarantie)."
§ 214 I SGB VI ändert den subsidiären Charakter der Garantie nicht. Die Neuerung besteht darin, daß die Rückzahlungsverpflichtung im Garantiefall gern. Absatz 2 der Vorschrift 186 spätestens im kommenden Jahr als Ausgabe zu berücksichtigen ist. Dieser Rückzahlungsmodus beeinflußt die Fortschreibung des Rentenwertes und des Bundeszuschusses187 • Die Bundesgarantie ist nur noch eine vorübergehende darlehensweise Liquiditätshilfe, die spätestens bis Ende des nächsten Jahres zurückzuzahlen ist188• Die Einstellung des über-
184 Der Finanzausgleich zwischen der Rentenversicherung der Angestellten und der Rentenversicherung der Arbeiter und innerhalb der Arbeiterrentenversicherung ist Regelungsgegenstandder §§ 218, 219 III SGB VI (vor der Rentenreform 1992: §§ 1383 a, 1390 II RVO). Hierzu Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 158 ff. 185 Der Fall trat in der 35jährigen Geschichte des§ 1384 I RVO nur einmal im Jahre 1985 ein. Der Bund stellte der Rentenversicherung durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RVFinanzG) vom 16.5.1985 (BGBI. I S. 766) zusätzliche Bundesmittel in Höhe von 1,5 Mrd. DM zu Verfugung, von denen sie letztlich nur 228 Mio. DM in Anspruch nahm; van Almsick, SozVers 1990, S. 5, 9; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 116. 186 § 214 II SGB VI lautet: "Die vom Bund als Liquiditätshilfe zur Verfugung gestellten Mittel sind zurückzuzahlen, sobald und soweit sie im laufenden Kaiendeijahr zur Erfullung der Zahlungsverpflichtungen nicht mehr benötigt werden, spätestens bis zum 31. Dezember des auf die Vergabe folgenden Jahres; Zinsen sind nicht zu zahlen." 187 §§ 158 I; 68, 2 Nr. 2; 213 II 2 SGB VI; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 120. 188 Da der Bund der Rentenversicherung demnach nur vorübergehend Mittel zur Verfugung stellen muß, bezeichnet Schewe, SF 1994, S. 166, 169 die in§ 214 I SGB VI ausdrücklich als solche bezeichnete "Bundesgarantie" als "gesetzliche Lüge". Genzke/Wilhelm, DAngVers 1990, S. 105, 109 und Rische, in: HDR, 32 Rn. 127 ff. sprechen zurückhaltender von einer "Liquiditätshilfe" bzw. "Liquiditätssicherung". Für Hauck, in: Hauck!Haines, SGB VI, K § 214 Rn. 2 ff. macht der Regelungsmechanismus zwischen Beitragssatz, Bundeszuschuß und Rentenanpassung die Funktion einer Bundesgarantie als letzte finanzielle Absicherung der Rentenversicherung "obsolet"; der Klammerzusatz "Bundesgarantie" in § 214 I SGB VI sei daher "problematisch". Nach der Begründung zum Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eines Rentenreformgesetzes 1992 und der gleichlautenden Regierungsbegründung sollte die als "Liquiditätssicherung" titulierte Regelung des § 209 SGB VI, die später in den textgleichen § 214 SGB VI einging, die Vorschrift zur Bundesgarantie ersetzen; BT-Drucks. 1114124 s. 193; 11/4452, s. 6.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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gangsweise zur Verfügung gestellten Betrages in die primär durch Beiträge und Zuschüsse zu fmanzierenden Ausgaben des Folgejahres sichert seine vorgeschriebene Rückzahlung. Nach der Konstruktion der Bundesgarantie ist der Fall undenkbar, daß ihre Rückzahlung im Folgejahr nicht möglich ist. Reichen die Mittel am Ende dieses Jahres wiederholt zur Ausgabenfmanzierung nicht aus, tritt der Garantiefall erneut ein. Die Bundesgarantie ist neben den Beiträgen und Zuschüssen kein weiteres FinanzierungsmitteL Der Wortlaut des§ 214 I SGB VI ist erfreulich klar: Der subsidiäre Charakter der auf seiner Grundlage erfolgenden Mittelvergabe kommt deutlich zum Ausdruck. Der Klammerzusatz am Ende der Vorschrift bezeichnet ihren Regelungsgehalt ausdrücklich als "Bundesgarantie". § 214 I SGB VI kommt einer Legaldefmition nahe. Das Sozialrecht grenzt Zuschüsse und Garantien als zwei unterschiedliche Institute klar gegeneinander ab: Die Bundesgarantie soll die Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung nur im Notfall sicherstellen. Es handelt sich um eine Ausfallhaftung. Sie greift nur, wenn die in den§§ 158 II SGB VI, 20 SGB IV aufgefiihrten regulären Finanzierungsmittel der Rentenversicherungsträger (Beiträge, Zuschüsse, sonstige Einnahmen) nicht ausreichen, um ihre Ausgaben zu decken. Die grundsätzliche fmanzielle Eigenverantwortlichkeit und SelbDennoch ist mit dem Wortlaut des § 214 I SGB VI weiterhin von einer "Bundesgarantie" ftir die Rentenversicherung zu sprechen; genauso Bieback, VSSR 1993, S. I, 5 f. Allerdings folgt sie nicht allein aus§ 214 I SGB VI, sondern zusätzlich aus dem Ausbau des Umlageverfahrens, das mit dem jährlich festzusetzenden Beitragssatz den fortwährenden Bestand einer ausreichenden Schwankungsreserve von einer Monatsausgabe zumindest theoretisch garantiert. Droht die Aufzehrung der Schwankungsreserve, ist sie durch Erhöhung des Beitragssatzes aufzufüllen. Für die Kritik an der Terminologie des§ 214 I SGB VI spricht, daß der Garantiefall grundsätzlich nicht mehr eintreten kann. Doch er ist denkbar: Die Begründung der Rechtsänderung nennt neben fehlerhafter Berechnungen des Beitragssatzes oder der Schwankungsreserve eine falsche Einschätzung der ökonomischen Faktoren, die die Rentenfinanzen bestimmen; in Frage kommen auch unvorhersehbare Änderungen der Wirtschaftslage, die der Verordnungsgeber bei Festsetzung der Beitragssätze nicht berücksichtigen konnte und schon vor der nächsten Festsetzung notfallartige Finanzhilfen ftir den betroffenen Rentenversicherungsträger erfordern; BT-Drucks. 11/4124 S. 193; vgl. Genzke/Wilhelm, DAngVers 1990, S. 105, 107, 109; Hauck, in: Hauck/Haines, SGB VI K § 214, Rn. 3. Tatsächlich wird die Schwankungsreserve im Oktober 1996 voraussichtlich nur noch 0,2 Monatsausgaben betragen; FAZ Nr. !57 von 9.7.1996, S. II. § 214 I SGB VI knüpft an ein überkommenes Rechtsinstitut des Sozialversicherungsrechts an. Die Vorschrift regelt, wie die Finanzen der Rentenversicherungsträger trotz unvorhersehbarer Belastungen vor dem Zusammenbruch bewahrt werden können. Die hierfür in§ 214 I SGB VI bereit gehaltene Rettungsmöglichkeit ist im Sinne eines letzten Mittels wie in der früheren Vorschrift des§ 1384 I RVO die Bundesgarantie. Die Vorschrift des § 214 I SGB VI normiert wie ihre Vorgängerin eine subsidiäre Einstandspflicht des Staates gegenüber der Rentenversicherung. Unverändert geht es auch bei der Neuregelung des§ 214 I SGB VI um die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit des Rentenversicherungssystems für den finanziellen Notfall.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
ständigkeit der Versicherungsträger bzw. des jeweiligen Versicherungszweiges bleibt unangetastet. Der Bundeszuschuß ist demgegenüber ein Finanzierungsmittel der Rentenversicherung, das ihr regelmäßig zufließt. Er ist insoweit mit dem Beitrag vergleichbar, als er neben den Beiträgen und Erstattungen als drittes fmanzielles Standbein der Rentenversicherung dient und im Sinne einer Mitfmanzierung der Aufgaben einen stetigen wesentlichen Einnahmebestandteil der Rentenversicherungsträger darstellt. Das folgt schon aus der Abgrenzung im Gesetzestext: § 213 I SGB VI regelt die "Zuschüsse" "zu den Ausgaben der Rentenversicherung". Die Rentenversicherung soll gern. § 153 II SGB VI mit den Beiträgen die Ausgaben im Sinne des § 153 I SGB VI decken. Diese Zuschüsse sind nach§ 20 SGB IV "Mittel der Sozialversicherung". Die Bundesgarantie wird weder in § 153 I SGB VI unter den Einnahmen der Rentenversicherung aufgefiihrt, noch erwähnt die allgemeine Vorschrift des § 20 SGB IV die Garantie oder die auf ihrer Grundlage fließenden Zuwendungen als "Mittel der Sozialversicherung". Die Bundesgarantie des § 214 I SGB VI will die Zahlungsverpflichtungen der Rentenversicherung im fmanziellen Notfall sicherstellen. Damit verfolgt sie ein gänzlich anderes Ziel als die Zuschüsse. Gleichwohl haftet dem Begriff "Zuschuß" seinem Wortlaut nach ähnlich wie einer Garantie ein subsidiäres Element an: Es handelt sich um eine fmanzielle Zuwendung abseits der regulären Finanzierungsform des Begünstigten. Entsprechend sind die Bundeszuschüsse fmanzielle Zuwendungen des Bundes an die primär beitragsfmanzierte Rentenversicherung. "Zuschuß" bedeutet dem Wortlaut nach: Die Sozialversicherung ist fortgesetzt vorrangig durch die Beiträge ihrer Versicherten zu fmanzieren. Die staatlichen Zuwendung dürfen dies nicht in Frage stellen (also zumindest die Höhe der Beitragseinnahmen nicht überschreiten) 189 • Sie dürfen aber regelmäßig gezahlt werden und können auch entfallen, wenn die Beitragseinnahmen einmal ausreichen sollten. All dies ist jedoch so nicht kodifiziert und wird der vorzunehmenden Abgrenzung zwischen Garantie und Zuschuß nicht gerecht. "Zuschuß" bedeutet nur so viel wie "fmanzielle Zuwendung". Der Terminus bezeichnet eine Zahlungsform, nicht mehr. Warum die Zahlung im Einzelfall erfolgen muß oder kann, sollte sich aus den Vorschriften ergeben, die "Zuschüsse" normieren. Das ist überwiegend jedoch nicht, oder nicht in ausreichend klarem Maße der Fall. Deshalb liegt der Gedanke nahe, sämtliche Zuschüsse als Ausfluß der Bundesgarantien anzusehen. Das dem Begriff "Zuschuß" anhaftende subsidiäre Element rückt die Zahlungsform jedoch nicht so weit in die Nähe einer Garantie, daß die allgemeinen Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung als Ausfluß der Bundesgarantie erscheinen. Vielmehr ist zwischen den allgemeinen Zu189
Vgl. Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 103.
111. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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schüssen im Sinne eines stetigen regulären Finanzierungsmittels der Rentenversicherung und denjenigen Zuschüssen zu differenzieren, die ausnahmsweise aufgrund der sozialrechtlich normierten Bundesgarantie bei Eintritt des Garantiefalls zu zahlen sind. Beides hat nichts miteinander zu tun.
3. Zuschüsse in der Kranken- und Unfallversicherung Der Bund zahlt keine Zuschüsse zur Kranken- und Unfallversicherung, die den allgemeinen Bundeszuschüssen in der Rentenversicherung entsprechen190. Das ist überwiegend historisch zu erklären. Bismarck hatte ursprünglich auch die Krankenversicherung durch Reichszuschüsse zumindest mitfmanzieren wollen, scheiterte bei der Durchsetzung seines Vorhabens jedoch am Widerstand der Parlamentsmehrheit191 • Die Sozialpolitik hat das damalige Finanzierungsmodelllange Zeit nicht grundlegend in Frage gestellt. Neuerdings kommt aber Kritik auf: Der Bund soll auch Zuschüsse zur Krankenversicherung zahlen, um den hohen Anteil der versicherungsfremden Leistungen - insbesondere aus der beitragsfreien Mitversicherung- zu kompensieren192 . Dem Gedanken nach taucht hier das vom Gesetzgeber verworfene Konzept der§§ 1389 I RVO, 116 I AVG auf, wonach die Zuschüsse dem Ausgleich von Leistungen der Sozialversicherung dienen sollen, die nicht zu ihren Aufgaben zählen 193 • Ein mit der Garantie fiir die Rentenversicherung vergleichbares Institut existiert fiir die Krankenversicherung nicht mehr; die frühere kommunale Garantieträgerschaft in§ 389 II RVO a.F. hat der Gesetzgeber im Jahre 1977 gestrichen. Für die Krankenversicherung besteht nur eine richterrechtliche, aus verfassungs-und sozialrechtlichen Grundsätzen anerkannte Bundesgarantie194. 190 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 91. Die finanzwissenschaftliche Literatur erfaßt unter den Bundeszuschüssen an die Krankenversicherung verschiedene Zuwendungen des Bundes. Diese Zuwendungen sind im sozialrechtlichen Sinne nicht allgemeine Zuschüsse, sondern Erstattungen, die zu den sonstigen Einnahmen nach § 20 SGB IV zählen; vgl. oben I und II 2. Die Finanzwissenschaft sieht die sozialrechtliche Differenzierung, fragt aber funktional nach dem jeweiligen Leistungsträger und unterscheidet nicht zwischen einzelfallorientierten Erstattungen und allgemeinen zweckungebundenen Zuwendungen; vgl. Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. I45, I 59 f. 191 Vgl. oben I. 192 Schmäh/, DRV I994, S. 357, 368 f. Im Jahre I993 beliefen sich die versicherungsfremden Leistungen in der Krankenversicherung auf 5I,8 Mrd. DM; FAZ von 12.2.1996, s. I3. 193 Vgl oben 2 a und im einzelnen unten 3. Kapitellll 3 a cc, III4 a, III4 g aa. 194 Die grundlegende Entscheidung des BSG vom 16.Il.1978, BSGE 47, I48 ff. hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden; hierzu Bieback, VSSR I993, S. I, I 0 ff. und unten 2. Kapitel IV, 3. Kapitel II. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. II8 f. verweist zusätzlich auf die frühere Garantiehaftung der Arbeitge-
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Zur gesetzlichen Unfallversicherung zahlte der Bund von 1965 bis 1967 Zuschüsse195, als sie nach Verteilung der Altlasten der knappschaftliehen Unfallversicherung auf die Berufsgenossenschaften196 die Neulasten nicht mehr aus eigener Kraft fmanzieren konnte. Hierdurch hat der Bund seine Garantiehaftung für die Unfallversicherung implizit anerkannt. Der Gesetzgeber hat den Eintritt des Garantiefalls durch die verfassungsrechtlich zulässige Errichtung des obligatorischen Finanzausgleichs zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften nach Art. 3 UVNG 1967 197 jedoch begrenzt. Auch in der Vorschrift des § 652 II 1 RVO kommt die Garantiehaftung des Bundes fiir die gesetzliche Unfallversicherung zum Ausdruck. Danach gehen die Verpflichtungen einer bundesunmittelbaren Berufsgenossenschaft mit ihrer Auflösung auf den Bund über. Die Literatur begründet mit diesem Argument nur eine Bundesgarantie ftir die Unfallversicherung. Satz 2 der Vorschrift regelt als weiteren Fall den Übergang der Rechte und Pflichten bei Auflösung einer landesunmittelbaren Berufsgenossenschaft und nennt hierfür das Land als Rechtsnachfolger. § 652 II 2 RVO regelt also eine Landesgarantie198.
4. Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung Der Bund zahlt erhebliche Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Alters-, Kranken- und Unfallversicherung. Das agrarsoziale Sicherungssystem schützt im Gegensatz zu den allgemeinen Systemen nicht primär abhängig Beschäftigte, sondern selbständige Unternehmer. Die Beteiligung des Bundes dient hier dem Ausgleich gewandelter Wirtschaftsstrukturen. Sie haben in der Landwirtschaft eine Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern herbeigefiihrt, die weit über das in anderen Wirtschafts- und Berufszweigen übliche Maß hinher und Innungen für Betriebs- bzw. Innungskrankenkassen nach § 390 RVO, die das Gesundheits-Reformgesetz vom 20.12.1988 (BGBI. I S. 2477) aufgehoben hat. 195 § 723 II RVO i.d.F. des Art. I § I des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften in der gesetzlichen Unfallversicherung und der knappschaftliehen Rentenversicherung vom 15.9.1965 (BGBI. I S. 1349); vgl. zum folgenden Bieback, VSSR 1993, S. I, 8. 196 Art. 3 Gesetz zur Neuregelung der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - UVNG) vom 30.4.1963 (BGBI. I S. 241 ). 197 Art. 3 UVNG in der Fassung des Artikels 2 § 4 des Gesetzes zur Verwirklichung der mehljährigen Finanzplanung des Bundes, II. Teil - Finanzänderungsgesetz 1967 vom 21.12.1967 (BGBI. I S. 1259); hierzu BVerfGE 23, 12 (24, 29); 36, 383 (395). Beide Entscheidungen erwähnen entgegen Bieback, VSSR 1993, S. I, 8 aber keine Bundesgarantie ftir die Unfallversicherung. Der Finanzausgleich fallt nicht mit der Bundesgarantie zusammen, er kommt ihr zuvor. I9S Vgl. zur Finanzverantwortung der Länder unten 4. Kapitel.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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ausgeht. Der Einsatz der Bundesmittel verfolgt im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit in der Europäischen Union agrarstrukturelle Ziele. Darüber hinaus wird den Bundeszuschüssen eine einkommenspolitische Funktion beigernessen199. Zwischen den Trägem der drei Zweige der landwirtschaftlichen Sozialversicherung besteht zwar ein Verwaltungsverbund200. Die Zuschüsse weisen in den drei Versicherungszweigen jedoch Besonderheiten auf, die eine getrennte Betrachtung erfordern.
a) Zuschuß zur landwirtschaftlichen Alterssicherung Vor der Reform durch das Agrarsozialreformgesetz 1995201 bezeichnete der Gesetzestext die Alterssicherung der Landwirte als Altershilfe. Sie war schon begrifflich nicht als Vollsicherung gedacht. Die Altershilfe sollte ergänzend zum Altenteil hinzutreten und die Hofabgabe der älteren Bauern zur Senkung des Durchschnittsalters der Betriebsinhaber sichem202 • Die terminologische Änderung soll die Zugehörigkeit der Alterssicherung zur Sozialversicherung verdeutlichen, um die Abgrenzung zur Sozialhilfe zu dokumentieren. Die Alterssicherung zielt wie die frühere Altershilfe nur auf eine Teilsicherung203 • Bereits bei ihrer Einfiihrung im Jahre 1957204 waren Bundeszuschüsse wegen der geringen Zahl der Beitragszahler und der hohen Zahl der Leistungsempfänger unumgänglich. Im Jahre 1961 mußte der Gesetzgeber die ursprünglich vorgesehene ausschließliche Beitragsfmanzierung durch § 8 GAL um eine 199 Noe/1, Die Altershilfe f\lr Landwirte, S. 136 und Noe/1/Janssen, Die Krankenversicherung der Landwirte, S. 110 differenzieren zwischen agrarpolitischen und sozialpolitischen Zielen. Vgl. unten d. 200 § 32 I SGB IV. Vgl. im einzelnen Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 102 m.w.N.; Breuer, in: SRH, 18 Rn. 3. Die engen personellen Verbindungen und Überschneidungen in diesem Verbund tangieren die rechtliche Selbständigkeit der Versicherungsträger: Die überwiegend identische Besetzung der Selbstverwaltungsorgane unterschiedlicher Sozialversicherungsträger und die Personalunion der Geschäftsflihrung kollidieren mit der sozialrechtlichen Selbstverwaltung. 201 Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung (Agrarsozialreformgesetz 1995 ASRG 1995) vom 20.7.1994 (BGBI. I S. 1890). Schwerpunkt war eine Sachreform im Bereich der Alterssicherung. Zu den Änderungen von Einem, Agrarrecht 1994, S. 349 ff.; Wirth, in: Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1994, S. 67 ff.; ders., Die SV 1995, S. 89 ff.; Flecken, Die SV 1995, S. 57 ff.; Rombach, Alterssicherung der Landwirte (1995). 202 Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 109. 2°3 von Einem, Agrarrecht 1994, S. 349, 350. 204 Gesetz über eine Altershilfe flir Landwirte vom 27.7.1957 (BGBI. 1957 I S. 1063); zur Entstehungsgeschichte Noe/1, Die Altershilfe ftir Landwirte, S. 123 ff.
l. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
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Zuschußfmanzierung ergänzen205 . Hierbei handelte es sich zunächst um eine Defizithaftung des Bundes. Der Bund war zur Abdeckung aller Aufwendungen der Altershilfe verpflichtet, die nicht aus Beiträgen fmanziert werden konnten206. Später fixierte der Gesetzgeber den Anteil der Bundesbeteiligung durch die Bestimmung eines Prozentsatzes an den Gesamtaufwendungen. Gern. § 13 1 GAL waren die Bundesmittel als fester Anteil der Aufwendungen aller landwirtschaftlichen Alterskassen fiir Alters-, Hinterbliebenen- und Waisengelder in Höhe von 77,5 %207 zu errechnen und zwar- im Gegensatz zu den Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung der Angestellten und Arbeiter - ausgabenbezogen. Die Bundesmittel unterlagen bis 1986 keiner Zweckbestirnrnung. Von Anfang 1991 bis Ende 1994 waren gern. §§ 3 c, 4 b GAL 15,75 % der Mittel fiir sozial gestaffelte Beitragszuschüsse zu verwenden208 . Das ASRG 1995 hat die bisherige Defizithafung der Beitragszahler durch eine Defizithaftung des Bimdes ersetzt. Der Bund trägt gern. §§ 66, 78 ALG nicht mehr einen festgesetzten Anteil an den Ausgaben, sondern ihren durch Beiträge nicht gedeckten Rest. Gern. § 66 II ALG sind die Bundesmittel den Beiträgen gleichgestellte Einnahmen "zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben"209 .
205 Gesetz zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3.7.1961 (BGBI. I S.
845).
206 von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts,
s. 223.
207 von Maydell!Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 83 ff. haben die unterbliebene einkommensorientierte Differenzierung der Zuschüsse aus verteilungs-und einkommenspolitischen Gründen kritisiert: Wegen des Grundsatzes des Einheitsbeitrages in der landwirtschaftlichen Altershilfe (§ 12 II 1 GAL) kämen die Bundesmittel als Beitragssubvention allen Versicherten gleichmäßig zugute, ohne daß eine Differenzierung zwischen einkommensstarken und -schwachen Versicherten erfolge. Dieser Finanzierungsmodus stelle sich einer Angleichung der unterschiedlichen landwirtschaftlichen Einkommen entgegen. Gegen eine allein einkommenspolitische Funktion des Bundeszuschusses (hierzu von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 9 f., 84, 89 f.) erheben sich allerdings aus verschiedenen Gründen erhebliche Bedenken; vgl. unten 3. Kapitel III 4 b cc (3). Das ASRG 1995 hat auf die Kritik reagiert. Das Prinzip des Einheitsbeitrages behält § 114 ALG zwar bei. Die§§ 32 f. ALG sehen aber einkommensabhängige Beitragszuschüsse vor. Nach § 68 ASRG orientieren sich die Beiträge an der Entwicklung in der gesetzlichen Rentenversicherung. 208 Vgl. im einzelnen von Maydell!Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 45 ff., 78, 85. Zum Ganzen Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 105 m.w.N. 209 § 66 II ALG lautet: "Einnahmen sind insbesondere die Beiträge und die Mittel des Bundes zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben". § 78 ALG lautet: "Der Bund trägt den Unterschiedsbetrag zwischen den Einnahmen und den Ausgaben der Alterssicherung der Landwirte eines Kalenderjahres; er stellt hiermit zugleich deren dauernde Leistungsfähigkeit sicher."
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
75
Der Sprachgebrauch im ALG ist auffällig: Die zentralen Normen der§§ 66, 78 ALG bezeichnen die Zahlungen des Bundes an die Altershilfe der Landwirte ähnlich wie schon die §§ 12 f. GAL als "Mittel des Bundes" bzw. "Beteiligung des Bundes". Diese Terminologie weicht von der gängigen Bezeichnung der Bundesmittel in den anderen Sozialversicherungsgesetzen als "Zuschüsse" ab. "Zuschüsse" i.S.d. ALG sind die Zahlungen nach den§§ 32 ff., 107 ALG, die unmittelbar der Beitragssenkung der Versicherten dienen210• Von "Zuschüssen" spricht das ALG nur in Verbindung von Zahlungen an oder zugunsten der Versicherten. Die Eigenart der landwirtschaftsgesetzlichen Terminologie ist in erster Linie mit den spezifischen Finanzierungsverfahren der landwirtschaftlichen Alterssicherung zu erklären, die im Gegensatz zu anderen Versicherungszweigen beitragsunterstützende Zuwendungen kennt. Bei den "Bundesmitteln" i.S.d. ALG handelt es sich um Zuschüsse des Bundes an die landwirtschaftliche Alterssicherung, die den Zuschüssen an die anderen Versicherungszweige entsprechen. Da die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Alterssicherung seit Anfang der 70er Jahre mehr als 75% ihrer Rentenausgaben fmanzieren, bezeichnet Bley sie als Subventionen. Er spricht der landwirtschaftlichen Alterssicherung deshalb den Sozialversicherungscharakter ab211 • Das ist nicht richtig. Zwar geht der Alterssicherung durch die steigende Bundesbeteiligung in zunehmenden Maße das Merkmal der eigenen Vorsorge verloren, durch das sich die Sozialversicherung von der Fürsorge und der Versorgung unterscheidet212 • Der Rückgang des Beitragsanteils kollidiert mit der sozialrechtlichen Selbstverwaltung, zu der auch die Finanzierung aus eigenen Quellen zählt213 . Die Charakterisierung eines sozialen Sicherungssystems als Sozialversicherung hat aber keine quantitative Komponente214• Der Gesetzgeber hat nirgends festgelegt, wie hoch der Beitragsanteil an den Ausgaben eines sozialen Sicherungssystems bemessen sein muß, damit es noch zur Sozialversicherung zählt215 . 210 Die für diese "Beitragszuschüsse" erforderlichen "Leistungsaufwendungen" trug gern. § 13 S. 3 GAL der Bund. Das ist nun nicht mehr der Fall. 211 Bley, Sozialrecht, S. 114 ff. Zum str. Subventionscharakter der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung unten 3. Kapitel I Fn. 9. 212 Vgl. von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 86 f. 21 3 Vgl. unten 3. Kapitel IV. 214 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 103 markiert die äußerste Grenze flir die Steigerung der Zuschüsse damit, daß der Versicherungscharakter mindestens gleichwertig erhalten bleiben müsse. 215 Für von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 87 gewährleistet die Finanzierung von ca. einem Drittel des Gesamtaufwandes der Altershilfe im Jahre 1986 deren Charakter als Sozialversicherung (vgl. den Nachw.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Wichtiger ist, daß der Versicherte ungeachtet der hohen Bundeszuschüsse durch seine Beitragszahlung den Anspruch auf die Versicherungsleistung erwirbt und seine Beitragsleistungen der Finanzierung der gegenwärtigen Leistungsbezieher dienen216• Insoweit bleibt der Charakter der Sozialversicherung erhalten. Dem Leistungsbezieher, der einst seine Beiträge an ein Soziaiversicherungssystem entrichtet und damit die damaligen Leistungsbezieher unterstützt hat, darf heute der spezifische - auch aus der Anerkennung seiner eingezahlten Beiträge als "Sozialversicherungs"beiträge folgende - grundrechtliche Schutz seiner Anwartschaft nicht mit der Begründung versagt werden, daß die gegenwärtig ihn fmanzierende Generation zu leistungsschwach sei, um seine Leistungen zu fmanzieren und er wegen der deshalb erforderlichen staatlichen Unterstützung nun nicht mehr "sozialversichert" sei2 17• Außerdem sind die Bundeszuschüsse der Preis fiir die berufsständische Gliederung der Sozialversicherung. Soweit sie durch Änderungen der Wirtschaftsstruktur bedingt sind, treffen sie die verschiedenen Berufszweige zwangsläufig in unterschiedlicher Intensität. Eine besonders hohe Zuschußquote in einem einzelnen Zweig eines Systems nimmt diesem aber nicht den Charakter des Ganzen218 .
b) Zuschuß zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung Die Krankenversicherung der Landwirte entstand erst im Jahre 1972219 • Ihre Finanzierung erfolgt in etwa hälftig durch nach Beitragsklassen gestaffelte Beiträge220 und Zuschüsse des Bundes (§ 37 KVLG 1989)221 . Der Anteil der Zuschüsse an den Gesamtausgaben steigt auch in diesem Versicherungszweig
S. 213 Fn. 168). Mittlerweile liegt dieser Anteil bei abnehmender Tendenz nur noch bei 27%; Materialband zum Agrarbericht 1994 der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/6751, s. 130. 216 Fundamentaler unten 3. Kapitel II, IV: Sozialversicherung ist immer das, was der Sozialgesetzgeber als Sozialversicherung bestimmt. Für die Finanzierung der Sozialversicherung ist es seit dem Übergang zum Umlageverfahren nicht wesensbestimmend notwendig, daß der mögliche künftige Bedarf aus Mitteln der Gefahrdeten gedeckt wird, sondern daß der gegenwärtige tatsächliche Bedarf gedeckt wird; vgl. aber von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 86 m.w.N. 21 7 Vgl. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 106. 218 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 106. 219 Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte- KVLG vom 10.8.1972 (BGBI. I S. 1433); zur Entstehungsgeschichte detailliert Noe/1/Janssen, Die Krankenversicherung der Landwirte, S. 97 ff. 22 Kritisch von Maydel//Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. I 07 ff. 221 Das ASRG 1995 hat diesen Finanzierungsmodus beibehalten.
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III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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kontinuierlich an: 1984 deckte der Zuschuß in Höhe von 1 Mrd. DM 40,7% der Gesamtausgaben; 1993 lag dieser Anteil schon bei 50,5% (1,9 Mrd. DM)222 . Der Zuschuß zur landwirtschaftlichen Krankenversicherung ist im Gegensatz zur landwirtschaftlichen Altershilfe nicht anteilig an den Gesamtaufwendungen des Versicherungszweiges festgeschrieben. Er dient vornehmlich der Finanzierung der sog. Altenteiler. Der Bund unterstützt die im Zeitpunkt der Gründung der Versicherung beitragspflichtigen Altenteiler gern. § 37 II KVLG 1989, soweit ihre eigenen Beiträge die Aufwendungen fiir Leistungen nach dem KVLG nicht decken223 • Die Bundesbeteiligung soll nicht nur die inaktiven, sondern auch die aktiven Beitragszahler fmanziell entlasten224• Die Gesetzesbegründung sieht in dem Bundeszuschuß einen weiteren Beitrag zur Einkommensverbesserung der Landwirte225 und zur Behebung der Folgen des landwirtschaftlichen Strukturwandels. Auch belaste die Bindung der Erzeugerpreise durch die Europäische Marktordnung die Landwirtschaft schon genug. Die einkommenspolitischen Auswirkungen der Bundesbeteiligung sind brisant: Der Bundeszuschuß gleicht die Beitragsbelastung fiir die Landwirte nicht nur an die Belastung in der allgemeinen Krankenversicherung an, sondern senkt sie erheblich unter deren Niveau226.
c) Zuschuß zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung Die landwirtschaftliche Unfallversicherung ist der älteste Versicherungszweig der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Sie wurde bereits im Jahre 1886 eingefiihrt227 und ist heute in den§§ 776 ff. RVO geregelt. Wie die anderen Zweige der landwirtschaftlichen Sozialversicherung fmanziert sich auch die landwirtschaftliche Unfallversicherung aus Beiträgen228 und Bundesrnitteln.
222
Materialband zum Agrarbericht 1994 der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/6751,
s. 132.
223 Ferner zahlt der Bund gern. § 37 III KVLG 1989 Zuschüsse an verschiedene von der Versicherungspflicht befreite Personenkreise. 224 Vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs zum KVLG durch die Bundesregierung vom 30.12.1971, BT-Drucks. Vl/3012, S. 35; Breuer, in: SRH, 18 Rn. 69. 225 BT-Drucks. Vl/3012, S. 24; von Maydell!Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 128. 226 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 103 f. m.w.N. 227 Reichsgesetz betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftliehen Betrieben beschäftigen Personen vom 5.5.1886 (RGBl. S. 132); Breuer, in: SRH, 18 Rn. 2. 228 Vgl. im einzelnen von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 152 ff.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
Die Bundeszuschüsse betrugen im Jahre 1993 0,6 Mrd. DM (42,3% des Umlagesolls) gegenüber 0,26 Md. DM im Jahre 1984 (24,6% des Umlagesolls)229. Diese Zuschüsse sieht die RVO nicht vor. Nach§ 802 RVO, der auf den Finanzierungsmodus fiir die allgemeine Unfallversicherung in den§§ 723 f. RVO verweist, sind die Aufwendungen der landwirtschaftlichen Unfallversicherung allein durch das Beitragsaufkommen zu fmanzieren. Die Zahlung des Zuschusses erfolgt auf Grundlage eines Titels im Haushaltsplan i.V.m. dem Haushaltsgesetz. Nur das jeweilige Haushaltsgesetz sichert die Zahlung der Bundesmittel rechtlich ab. Bei Anwendung des im Subventionsrecht diskutierten Gesetzesvorbehalts auf die Zuschüsse zur Sozialversicherung, ist dieser Gesetzesvorbehalt hier möglicherweise verletzt230. Nach der Begründung im Haushaltsplan hat der Zuschuß neben der strukturpolitischen Zielsetzung auch eine einkommenspolitische Komponente, indem er durch Senkung der Unternehmerbeiträge zur kostenmäßigen Entlastung landwirtschaftlicher Betriebe beitragen soll231 . Die Verteilung der Bundesmittel erfolgt auf Grundlage von unveröffentlichten Allgemeinen Nebenbestimmungen und Besonderen Nebenbestimmungen des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten betreffend die Verteilung von Bundeszuschüssen232 . Danach werden die Bundesmittel auf die einzelnen Berufsgenossenschaften grundsätzlich entsprechend deren jeweiligen Anteilen an den gesamten Leistungsaufwendungen verteilt233 . Anschließend erfolgt eine einkommensorientierte Aufteilung auf die einzelnen Mitglieder234. 229 Materialband zum Agrarbericht 1994 der Bundesregierung, BT-Drucks. 12/6751, S. 133. Das Umlagesoll ist der Überschuß der Aufwendungen des Vmjahres, den die Beitragszahler in der Landwirtschaft und die Bundesmittel finanzieren. 230 So ftir den Gesetzesvorbehalt in § 31 I SGB IV wegen der Beitragssenkungen durch die Zuwendungen von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 165 f. Vgl. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung,
s. 104.
231 Bundeshaushaltsplan 1994, Einzelplan 10, Kapitel 1002 (Allgemeine Bewilligungen), Titelgruppe 01 (Landwirtschaftliche Sozialpolitik), Erläuterungen zu Titel 65652223; von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 135.
232 Der Inhalt der Nebenbestimmungen geht aus den jeweiligen Zuwendungsbescheiden hervor; von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 161 mit beispielhaftem Abdruck der Besonderen Nebenbestimmungen in Anlage 18. 233 Zu den Ausnahmen von MaydellBoecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 162. Sie kritisieren diesen Verteilungsmodus wegen des fehlenden Anreizes zur Leistungsverhütung, da sich die Höhe der Bundesmittel nach der Höhe der erbrachten Leistungen richtet (S. 166 f.). 234 von Maydel/1 Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 167, kritisieren die Verfehlung des einkommenspolitischen Ziels der Bundesbeteiligung, da Unternehmen mit hohem Einkommenspotential von den Bundesmitteln genau-
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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Hierbei unterliegen die Bundesmittel einer Zweckbindung, die ihre Vergabe auf die Finanzierung der Zulagen an Schwerverletzte und die Beitragssenkungen bestimmter Untemehmen235 beschränkt. Der Haushaltsgesetzgeber legt die Höhe der Bundesmittel weder ausgabenbezogen noch anhand bestimmter zu finanzierender Aufwendungen, sondern in Form eines absoluten Betrages fest236.
d) Struktur- oder Einkommenspolitik? Die problematische Abgrenzung zwischen strukturpolitischer und einkommenspolitischer Zielsetzung der Bundesbeteiligung in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung hat zur Forderung nach einer exakten Quantifizierung der Bundeszuschüsse gefiihrt237 . Die Forderung ist als solche berechtigt und sinnvoll. Vielleicht ist eine Quantiftzierung sogar verfassungsrechtlich geboten238. Die Begründung der Forderung aber trägt nicht. Eine Abgrenzung zwischen strukturpolitischen und einkommenspolitischen Zielen scheitert an der Teilidentität von Struktur- und Einkommenspolitik. Dazwischen läßt sich keine Trennlinie ziehen239 . Strukturpolitische Maßnahmen ziehen stets Konsequenzen fiir die Einkommen der durch sie berührten Personenkreise nach sich. Sie haben deshalb auch einkommenspolitische Bedeutung240. Die Begründungen der verschiedenen zitierten Gesetzesentwürfe unterscheiden infolgedessen nicht zwischen den beiden fiir sich gar nicht so verschiedenen Zielen. Die Differenzierung wurde im Verlauf wissenschaftlicher Untersuchungen und dem damit oft einhergehenden Bestreben nach Typisierung entwickelt. Sie wirkt künstlich und wirft mehr Fragen auf, als sie beantworten kann. Sie zeigt jedoch das Bemühen, die Bundeszuschüsse quantitativ in irgendeiner Weise in den Griff zu bekommen1 ähnlich wie das frühere Konzept fiir die gesetzliche Rentenversicherung. Hierzu wird die Untersuchung auf Grundlage des geltenden
so profitieren wie solche mit niedrigem Einkommenspotential; vgl. die entsprechende Kritik für die landwirtschaftliche Altershilfe oben Fn. 207. 235 Vgl. §§ 776 I Nr. I, 779 RVO. 236 von Maydelll Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts,
s. 223 f.
237 von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts,
s. 90.
238 Vgl. hierzu 3. Kapitel III. 239 Anders aber Hagedorn, ZSR 1985, S. 253, 264 und auch- mit anderem Ergebnis - Krasney/Noell/Zöllner, Das landwirtschaftliche Sozialrecht und Möglichkeiten seiner Fortentwicklung, S. 122. 240 Das sehen auch von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 218 so.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
V erfassungsrechts präzisere und leichter anzuwendende Kriterien entwickeln -nicht nur für die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung241 .
5. Zuschuß zur Bundesknappschaft Gern. § 215 SGB VI trägt der Bund das regelmäßige Deftzit der Bundesknappschaft242. Die Bundesknappschaft ist der einheitliche Träger der Rentenund Krankenversicherung der im Bergbau Beschäftigten243 . Der Bund bezuschußt nur die Rentenversicherung der Bergarbeiter. Die knappschaftliehe Krankenversicherung bedarf keines Bundeszuschusses. Das FinanzierungsdefiZit der knappschaftliehen Unfallversicherung wird durch einen Finanzausgleich mit den anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften ausgeglichen (Art. 3 UVNG)244 .
a) Entwicklung seit Ende des Zweiten We/tkriegs245 In der Renterneform 1956/1957 schrieb § 128 RKG die Beteiligung des Bundes an der knappschaftliehen Rentenversicherung fest246. Die Renterneform 1992247 ersetzte die Vorschrift durch§ 215 SGB VI. Der Zuschuß zur knappschaftliehen Rentenversicherung dient wie die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung insbesondere dem Ausgleich gewandelter Wirtschaftsstrukturen248 . Durch den rückläufigen Einsatz der Kohle als Energieträger gingen auch im Bergbau die Beschäftigten- und entsprechend die Versichertenzahlen stark zurück. Der Beitragsanteil steht bei der Bedeutung der Finanzierungsmittel für die Einnahmen erst an dritter Stelle: Nach dem Zuschuß folgen die Einnahmen aus dem seit der Renterneform
241 Unten 3. Kapitel III. 242 Der Wortlaut der Norm ist mißverständlich. Hierzu unten b. 243 Die Unfallversicherung der Bergarbeiter wird durch die Bergbau-Berufsgenossenschaft gesondert durchgeftihrt. Vgl. zu den bislang erfolglosen Forderungen ihrer Zusammenlegung mit der Bundesknappschaft zu einem einheitlichen Sozialversicherungsträger Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 101 m.w.N. 244 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. II 0. 245 Zu den Anfängen vgl. oben I. 246 Gesetz zur Neureglung der knappschaftliehen Rentenversicherung (Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz- KnVNG) vom 21.5.1957 (BGBI. I S. 533); Märsche/, DRY 1990, S. 619, 652. 247 Vgl. oben 2 a. 248 Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 12; nuancierend Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 109.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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1956/1957 ausgeweiteten Wanderversicherungsausgleich zwischen den verschiedenen Zweigen der Rentenversicherung.
Danach werden die Leistungen der Versicherungszweige je Versichertem als Gesamtleistung grundsätzlich durch denjenigen Versicherungsträger festgestellt und gezahlt, in dessen Zuständigkeitsbereich die letzte beitragspflichtige Beschäftigung fiel (§§ 80, 126 SGB VI249). Die Versicherungsträger der anderen Versicherungszweige erstatten dem Träger des leistenden Versicherungszweigs den auf sie entfallenden Leistungsanteil (§ 223 SGB VI)250_ Der Zuschuß zur Bundesknappschaft erzeugt keine sozial nicht gestaffelten Subventionseffekte, wie die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Bedenklich ist der Zuschuß aber auch hier, soweit er die Beiträge unter das Niveau in der allgemeinen Krankenversicherung subventioniert251 .
b) Abgrenzung zur Garantie Die Literatur sieht § 215 SGB VI, der die Bundesbeteiligung fiir die Bundesknappschaft regelt, überwiegend als Normierung einer Bundesgarantie an252 . Die Vorschrift regelt jedoch den Bundeszuschuß zur Bundesknappschaft. Ihr Wortlaut ist weniger deutlich als ihr rentenversicherungsrechtliches Pendant (§ 213 SGB VI).§ 215 SGB VI lautet: "In der knappschaftliehen Rentenversicherung trägt der Bund den Unterschiedsbetrag zwischen den Einnahmen und den Ausgaben eines Kalepderjahres; er stellt hiermit zugleich deren dauernde Leistungsfähigkeit sicher." Die Norm hat dem eindeutigen Wortlaut ihres Halbsatzes 1 nach eine Defizithaftung zum Inhalt. Das ist angesichts der fmanziellen Situation der Bundesknappschaft auch nicht verwunderlich: Die Einnahmen aus den Beiträgen ihrer Versicherten sind wegen der wenigen noch im Bergbau beschäftigten Arbeitnehmer gering, die Belastung durch die hohe Zahl der Rentenempfänger hoch. Der Gesetzgeber ging bei Normierung der Vorschrift davon aus, daß der Bund regelmäßig fmanziell in die Bresche springen und Zuschüsse zahlen muß, um das stetige DefiZit der Bundesknappschaft zu decken und den Rückgang der Beschäftigtenzahl im Bergbau auszugleichen. Es wäre widersinnig gewesen, zusätzlich eine Garantie fiir den Eventualfall zu normieren, daß die Mittel der Versicherung nicht ausreichen, da man dessen Eintritt nicht fiir möglich gehal249 Vgl. aber§ 142 SGB VI. 250 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 169 f.; Mörsche/, DRV 1990, s. 619, 652 f. 251 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 110. Vgl. oben 4 b. 252 Bieback, VSSR 1993, S. 1, 5; Jahn, ZVersWiss 1971, S. 184, 200; F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437,439 f.; Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 113, anders aber aufS. 108 ff. 6 Kranz
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
ten hat. Der Wortlaut der Vorschrift liefert keinen Hinweis darauf, daß sie ausschließlich eine Ausfallhaftung regelt, die nur im Notfall gleichsam als letztes Mittel eingreifen soll253 • Aus Hs. 2 der Vorschrift ergibt sich nichts anderes. § 215 2. Hs. SGB VI beschreibt nur die Funktion der in Halbsatz 1 angeordneten Lastentragung des Bundes: Die Lastentragung des Defizits "stellt ( ...) zugleich" die "dauernde Leistungsfähigkeit" der knappschaftliehen Rentenversicherung sicher. Das hat nichts mit einer Garantiehaftung zu tun. Dies ergibt sich auch aus der Abgrenzung zu § 214 I SGB VI, wo der Gesetzgeber deutlich zu erkennen gibt, was er unter einer Bundesgarantie für die Sozialversicherung versteht. Der Klammerzusatz in § 213 II I SGB VI hat übrigens keine dem Zusatz in § 214 I SGB VI vergleichbare Funktion. § 213 II I SGB VI enthält keine Legaldefinition. Der Zusatz stellt nur klar, daß unter einem "Bundeszuschuß" im Sinne des Satzes 2 der Vorschrift sowohl der "Zuschuß des Bundes zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter" im Sinne des Satzes I, als auch der dort gleichfalls genannte "Zuschuß des Bundes zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Angestellten" zu verstehen ist. Der Klammerzusatz in § 213 II I SGB VI dient nur zur Verkürzung des Normtexts. Zwar verwendet der Gesetzgeber den Begriff "Bundeszuschuß" nicht konsequent für jede finanzielle Beteiligung des Bundes. Deshalb kann in solchen Fällen (z.B. § 215 SGB VI) aber immer noch ein Zuschuß im Sinne des § 213 II SGB VI, also im Sinne eines stetigen Einnahmebestandteils vorliegen. Auch aus der in § 153 II SGB VI getroffenen Abgrenzung zwischen dem "Bundeszuschuß", der zu den "Einnahmen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten" zählt und den "Mittel[n] des Bundes zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben" als "Einnahmen der knappschaftliehen Rentenversicherung" ergibt sich nicht, daß für die knappschaftliehe Rentenversicherung kein Bundeszuschuß normiert ist. Der unterschiedlichP- Sprachgebrauch für die Bundesmittel in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und der knappschaftliehen Rentenversicherung erlaubt allenfalls den Schluß auf eine unterschiedliche Funktion des Einsatzes der Bundesmittel in den verschiedenen Versicherungszweigen.
§ 215 SGB VI ordnet gleichsam progranunatisch an, daß der Bund das permanente Finanzierungsdefizit der knappschaftliehen Rentenversicherung deckt. Das entspricht auch dem Wortlaut des früheren§ 128 RK.G254• Danach dienten die Bundesmittel ausdrücklich der "dauernden Aufrechterhaltung der Leistungen". Damit war nicht eine ausnahmsweise greifende Garantie gemeint. § 215 SGB VI sollte das nicht ändern. Die Vorschrift normiert keine Bundesgarantie fiir die Bundesknappschaft.
253
254
Anders Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 113. S. oben a.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
83
6. Zuschüsse in der Arbeitslosenversicherung a) Entwicklung Während die Bismarcksche Sozialgesetzgebung sich des Risikos der Arbeitslosigkeit noch nicht angenommen hatte, begann dessen versicherungsförmige Ausgestaltung in der Weimarer Republik durch die in Art. 143 WRV mit Verfassungsrang versehene Erwerbslosenfürsorge des Reiches. Im Jahre 1924 wurde sie in die Arbeitslosenfürsorge umbenannt. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG)255 transformierte die Fürsorge im Jahre 1927 in eine Sozialversicherung. Neben der Versicherung regelte das A VAVG eine Krisenfürsorge sowie die Arbeitsvermittlung und die Berufsberatung. Das Gesetz übertrug die Zuständigkeit der Gemeinden und Länder für die Arbeitsverwaltung auf das Reich. Staatliche Zuschüsse sah es nicht vor256 • § 163 AVAVG räumte dem Reichsarbeitsminister aber die Möglichkeit einer Darlehensgewährung ein. Wegen des erheblichen Finanzbedarfs der Versicherung - insbesondere in der Weltwirtschaftskrise - wurden hieraus schon im Jahre 1930 Zuschüsse257. Während des Dritten Reichs blieb das A VAVG nur formal in Kraft. Der Arbeitsmarkt wurde nach kurzer Zeit total reglementiert, Freizügigkeit und freie Arbeitsplatzwahl wurden stark eingeschränkt, es herrschten militärische Umgangsformen. Obwohl die getroffenen Zwangsmaßnahmen zur "Vollbeschäftigung" führten, mußten die Versicherten weiterhin Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichten. Sie dienten nun dazu, bevölkerungspolitische Maßnahmen und die staatlichen Zuschüsse an die Rentenversicherung zu fmanzieren2S 8 . § 168 AVAVG ( 1957)259 wandelte die Darlehens- in eine unbegrenzte Zuschußpflicht um. Der Gesetzgeber machte sie schon 1969 mit der bis heute geltenden Vorschrift des § 187 II AFG wieder rückgängig: Die Zuschußpflicht des Bundes setzt erst nach vorrangiger Darlehensgewährung und (grundsätzlich) dem Verbrauch der gesamten Rücklage ein260. Sind die Voraussetzungen des § 187 II AFG erfüllt, hat der Bund die erforderlichen Zuschüsse zu gewäh255 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung i.d.F. vom 16.7. 1927 (RGBI. I S. 187 ff.). 2 56 Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 44 ff. 257 Bogs, Die Sozialversicherung in der Weimarer Demokratie, S. 126 ff.; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 99 f.; Bieback, VSSR 1993, S. I ,7. 25 8 Tennstedt, in: SRH, 2 Rn. 74. 259 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (A VA VG) i.d.F. vom 3.4.1957 (RGBI. I S. 322 ff.). 260 Vgl. zu den Einzelheiten und Einschränkungen Schönefelder!Kranz/ Wanka, AFG § 187, Rn. 10 ff., 17 ff.
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I. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
ren. Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) hat hierauf einen vor dem Sozialgericht Nürnberg einklagbaren Rechtsanspruch261 . Dieser Anspruchscharakter des § 187 II AFG entspricht dem klagbaren Anspruch, den § 214 SGB VI den Rentenversicherungsträgern gegen den Bund im Garantiefall einräumt. Die auf den ersten Anschein hin klare Regelung des§ 187 II AFG ist bei näherem Hinsehen äußerst fragwürdig.
b) Abgrenzung zur Garantie § 187 II AFG steht einer Bundesgarantie wn einiges näher, als einem Bundeszuschuß262. Die Vorschrift fungiert zwar als Rechtsgrundlage für den stetigen Bundeszuschuß zur Arbeitslosenversicherung263 . Doch kommt der in§ 214 I SGB VI für eine Garantie geforderte subsidiäre Charakter in § 187 II AFG deutlich zum Ausdruck: "Kann der Bedarf der Bundesanstalt auch durch Darlehen nach Absatz I nicht gedeckt werden, so gewährt der Bund die erforderlichen Zuschüsse nach Art. 120 des Grundgesetzes. "264
§ 187 II AFG greift nach dem Gesetzeswortlaut als letztes Mittel, wenn der Bedarf der Arbeitslosenversicherung auch durch Darlehen nicht zu fmanzieren ist. Dadurch unterscheidet sich die Vorschrift von ihrem rentenversicherungsrechtlichen Pendant in § 213 SGB VI, das in Absatz 1 eine regelmäßige Zuschußzahlung normiert und darüber hinaus nicht vorsieht, daß der Bund keine Zuschüsse zahlen muß, wenn die Beitragseinnahmen ausreichen. Aus der Einbindung der Zuschüsse in den Selbstregulierungsmechanismus nach Absatz 2 ergibt sich vielmehr entsprechend der Absicht des Gesetzgebers, daß die Vorschrift einen Wegfall der Zuschüsse ausschließt. Für die Arbeitslosenversicherung regelt § 187 II AFG dies so nicht265 . Bei der Normierung der Vorschrift konnte und mußte der Gesetzgeber nicht davon ausgehen, daß die Arbeitslosenversicherung für alle Zeit eines Zuschusses bedürfen würde. Die Arbeitslosigkeit ist versicherungsmathematisch nicht kalkulierbar und als gesamtwirtschaftliche Größe nicht im voraus zu errech-
22.
261 §§54 V, 57 I SGG, 189 I AFG; Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG § 187, Rn. 7,
262 Vgl. Bieback, VSSR 1993, S. I, 5. 263 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 99 ff., vgl. S. I 13. 264 Hervorhebung vom Verf. 265 Schmid, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 256 ff. plädiert flir eine Regelbindung des Zuschusses zur Arbeitslosenversicherung.
III. Die Zuschüsse des Bundes im einzelnen
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nen266• Zuschußzahlungen waren zwar in der Nachkriegszeit zunächst erforderlich. Die gegenwärtig auf staatliche Zuschüsse angewiesene fmanzielle Situation der Arbeitslosenversicherung zeigt erneut, daß das Erfordernis solcher Zahlungen nicht auszuschließen ist. Deshalb ist eine Finanzierungsquelle sinnvoll, die im Notfall fehlende Beitragseinnahmen ersetzen kann. Bislang kam die BA aber in keinem Jahr ohne Bundesmittel aus267. Der Zuschuß zur Arbeitslosenversicherung ist fiir die BA faktisch genauso ein stetiger Einnahmebestandteil, wie der Zuschuß zur Rentenversicherung fiir die Rentenversicherungsträger. Jener ist jedoch in § 213 I SGB VI ausdrücklich normiert, die regelmäßige Zahlung des Bundeszuschusses zur Arbeitslosenversicherung in § 187 II AFG indessen nicht. Zwar verwendet auch§ 187 II AFG den Begriff "Zuschüsse", doch handelt es sich dabei um die technische Bezeichung der Modalität, in der die Zahlung aufgrund der Vorschrift erfolgen soll. Die Norm regelt keine regelmäßige Deflzithaftung, die mit § 215 SGB VI vergleichbar ist, der die stetigen Zuschüsse zur knappschaftliehen Rentenversicherung normiert268 . Aus der Gegenüberstellung beider Normtexte ergibt sich, daß § 215 SGB VI von einem stetigen DefiZit ausgeht. Die Vorschrift ordnet gleichsam programmatisch an: "der Bund ... trägt ... den Unterschiedsbetrag". Demgegenüber geht § 187 II AFG nur ausnahmsweise von einer Unterdeckung nach erfolgter Darlehensgewährung aus und sieht erst dann Zuschußzahlungen vor. Ein allgemeiner Bundeszuschuß wie in §§ 213 I, 215 SGB VI ist als reguläres Finanzierungsmittel von grundlegend anderer Funktion. c) Eiforderlichkeit einer präzisen Rechtsgrundlage
Die in § 187 II AFG nur fiir den Ausnahmefall vorgesehene Zahlung von Bundesmitteln zur DefiZitdeckung der Arbeitslosenversicherung ist praktisch zur Regel geworden und hat dem fmanziellen Volumen nach gigantische Ausmaße erreicht. Der in den Haushaltsplänen des Bundes als Rechtsgrundlage fiir die Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung zitierte269 Kompetenztitel des § 187 II AFG ist zu morsch, um ihre Last zu tragen. Es handelt sich um einen einfachen Finanzierungsmodus ohne legitimierenden Beiklang. Der Bundeszu266 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 100, 113. Das wurde auch schon im Parlamentarischen Rat klar erkannt; ParlR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 187 ff. 267 Finanzbericht 1995, S. 188 ff., Funktionskennziffer 22, 25 mit Angaben seit 1952. 268 So aber Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 100, 113. 269 Vgl. auch die Angaben in den Februarheften der Amtlichen Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit (ANBA), z.B. ANBA 1993, S. 381,385.
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1. Kapitel: Die Bedeutung der Bundeszuschüsse
schuß zur Arbeitslosenversicherung fmdet im einfachen Recht keine Stütze. Es wäre aus Gründen der Rechtssicherheit sinnvoll, den Wortlaut der Vorschrift ihrem tatsächlichen Bedeutungsgehalt anzupassen. Die Verwendung öffentlicher Gelder erfordert eine präzise, mit zunehmenden Umfang und steigender Bedeutung der Mittel unter erhöhten Anforderungen stehende Rechtsgrundlage. Eine solche ist vielleicht aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht erforderlich. Damit ist die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Zuschüsse aufzuwerfen. 7. Zusammenfassung Die regelmäßigen allgemeinen Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung waren zu den verschiedenen Zeiten unterschiedlich motiviert. Als staatliche Finanzhilfen standen sie politisch stets unter Legitimationsdruck Die Begründungsmuster reichen von einer generellen - oder auch nur volkswirtschaftlich begründeten -Finanzverantwortung der Allgemeinheit über die Kompensation versicherungsfremder Lasten bis hin zu struktur- und einkommenspolitischen Funktionen. Das Sozialrecht sieht eine einheitliche Ausgestaltung der Bundeszuschüsse nicht vor. Das ist z. T. mit den jeweiligen Besonderheiten der verschiedenen Versicherungzweige zu erklären. Übereinstimmung besteht nur bei der Regelung über die Verwendung der staatlichen Mittel: Sie gibt es nicht.
2. Kapitel
Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für alle Zuschüsse? Die verfassungsrechtliche Grundlage für die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung ist nach ganz h.M. Art. 120 I 4 GG: "Der Bund trägt die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe."
I. Wortlaut Der Wortlaut der Norm eröffnet dem Sozialgesetzgeber ein weites Betätigungsfeld. 1. "Die Zuschüsse"
Art 120 I 4 GG sieht "die Zuschüsse" zur Sozialversicherung als zulässig an. Aus der Vorschrift geht nicht hervor, ob unter den Zuschüssen stetige finanzielle Zuwendungen des Staates zu verstehen sind, oder die ausnahmsweise aufgrund einer Bundesgarantie für die Sozialversicherung zu gewährenden Zahlungen 1• Sie macht auch nicht deutlich, ob es sich bei den Zuschüssen um rückzahlbare oder endgültige Zuwendungen handel{
1 Nach BSGE 47, 148 ff. regelt Art. 120 I 4 GG die Lastenverteilung ftir Zahlungen aufgrund einfachgesetzlicher Bundesgarantien und bestätigt die verfassungsrechtliche Bundesgarantie aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG. Für Teile der Literatur folgt diese Garantie aus Art. 120 I 4 GG oder aus Art. 120 I 4 GG i.V.m. Art. 20 I GG. Hierzu unten 3. Kapitel 111. 2 Diemer, VSSR 1982, S. 31, 45. Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 3 m.w.N. erläutert den allgemeinen Sprachgebrauch: Danach ist ein Zuschuß ein Betrag, "der jemand zur Verfügung gestellt wird, um ihm bei der Finanzierung einer Sache zu helfen", eine "finanzielle Hilfe"; den sozialversicherungsrechtlichen Sprachgebrauch berücksichtigt er nicht. Hierzu oben 1. Kapitel III insbes. 2 c.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
Zu der Höhe der Zuschüsse triffi die Vorschrift gleichermaßen keine Aussage. Die Inhaltslosigkeit des Begriffs "Zuschüsse" räwnt dem einfachen Sozialgesetzgeber bei ihrer Ausfiillung einen weiten Spielrawn ein. Der Sozialgesetzgeber soll regeln, ob und ggf. in welchen Bereichen der Sozialversicherung der Bund Zuschüsse zahlen soll und aus welchen Gründen. 3 2. "Zu den Lasten der Sozialversicherung"
"Lasten" im Sinne des Art. 120 I 4 GG sind "fmanzielle ( ... ) Folgen (Kosten), die den öffentlichen Händen in irgendeiner Form entstehen"4 • Die Norm stellt aber nicht klar, welche Lasten oder welche Gruppe von Lasten der Bund im einzelnen bezuschussen karm. Lütjohann versteht unter "Lasten" i.S.d. Art. 120 I 4 GG "Finanzlücken"5 . Das ist falsch. "Lasten" i.S.d. Art. 120 I 4 GG sind alle "Sachausgaben" der Sozialversicherung6.
3 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 112 f. schließt aus der Praxis des einfachen Gesetzgebers darauf, daß Art. 120 I 4 GG auch die sozialrechtlichen Erstattungen erfaßt. Was der einfache Gesetzgeber macht, ist für die verfassungsrechtliche Begriffiichkeit aber nicht ohne weiteres maßgeblich; vgl. unten III 3, S. Im übrigen differenziert jedenfalls das Sozialrecht präzise zwischen Erstartungen und Zuschüssen. 4 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland (Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz- RüstAitFG), BT-Drucks. 12/3257, S. 10 (Hervorhebung vom Verf.). Der Bundesrat verhalf Art. 120 Abs. I GG zu unverhoffier Aktualität: Er legte einen Gesetzesentwurf über die Finanzierung der Sanierung von Rüstungsaltlasten vor und stützte die Finanzierung dieses von den Ländern auszuführenden Gesetzes durch den Bund auf besagten KompetenztiteL Die Bundesregierung begründete die Ablehnung des Entwurfs u.a. mit der Finanzverantwortung der Länder für Umwelt- und Naturschutz nach Art. 104 a I GG, BT-Drucks. 12/3257, S. 13 f.; Häde, JA 1994, S. 10; hierzu unten 4. Kapitel II, IV. 5 Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 7 f. mit verfehlter Bezugnahme auf F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. I, der nur schreibt: "Art. 120 Abs. I S. 4 GG verpflichtet den Bund zur Deckung von Finanzlücken der Sozialversicherung". Das aber ist keine Definition der "Lasten" i.S.d. Vorschrift. 6 F. Kirchhof, DRV 1989, S. 32, 38; ders., in: Sozialversicherung, S. 59, 73 . Die verfehlte Begriffsbestimmung Lütjohanns setzt sich bis in den Titel seiner Arbeit fort und veranlaßt ihn zu Formulierungen wie: "Nach Art. 120 I 4 GG trägt der Bund die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung uneingeschränkt" (S. 41 ), oder: "Art. 120 I 4 GG erklärt die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung zur Bundesaufgabe"(S. SI). Der Beitragszahler bleibt außen vor. Das steht in krassem Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch und korrespondiert nicht mit den sozialrechtlichen Vorschriften zur Finanzierung der Sozialversicherung: Nach § 20 SGB IV sind die staatlichen Zuschüsse eines unter mehreren regulären Finanzierungsmitteln der Sozialversicherung. Sie sollen bei der von Lütjohann untersuchten Rentenversicherung gern.
I. Wortlaut
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Da Art. 120 I 4 GG nur "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung" und nicht zu den Lasten ihrer Träger vorsiehe, verteilt die Vorschrift nicht die Kosten der Verwaltungsaufgaben8. Das entspricht der fmanzverfassungsrechtlichen Spezialregelung des Art. 104 a V I GG, wonach der Bund nicht die Verwaltungskosten der Leistungsträger eines Landes tragen darf. Dieser Vorschrift liegt die Trennung zwischen Zweck- und Sachausgaben zugrunde. So wie die Praxis die einfachrechtlichen Zweckbindungen der Zuschüsse mangels buchungstechnischen Nachweises nicht beachtet 10, läuft auch das Trennungsgebot des Art. 104 a V 1 GG praktisch leer. Das liegt u.a. daran, daß z.B. die Personalausgaben als "klassische" Verwaltungsausgaben zu den "Lasten der Sozialversicherung" und damit zu den Zweckausgaben gehören, da zu den buchungstechnisch "Lasten" auch die Aufwendungen filr die Durchfiihrung der Aufgabe der Sozialversicherung zählenu. In diesem Sinne wich die Umsetzung des einfachen Rechts auch schon vor dem Rentenreformgesetz I 992 von der verfassungsrechtlichen Vorgabe ab, obwohl die Zuschüsse nach altem Recht einer Zweckbindung unterlagen: Den nach § 1389 I RVO zuschußfähigen Leistungen wurden die anteiligen Verwaltungs- und Verfahrenskosten hinzugerechnet12. Die Praxis wird das Trennungsgebot des Art. 104 a V I GG künftig erst recht nicht mehr beachten, da die Neuregelung der Zuschüsse zur Rentenversicherung in § 213 SGB VI nicht mehr eine Zweckbindung der Zuschüsse vorsieht.
3. "Mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe"
Art. 120 I 4 GG nennt aus Gründen der Rechtsklarheit Zuschüsse zur Sozialversicherung "mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeits-
§§ 153 II, 213 I SGB VI als reguläres Finanzierungsmittel ihre Ausgaben finanzieren und ggf. Finanzlücken schließen. Hierzu oben I. Kapitel III. Lütjohann erwähnt die sozialrechtlichen Vorschriften, die die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung regeln, in seiner Arbeit über diese Zuschüsse nicht. 7 Nur insoweit a.A. Maunz, in: MID/H/S, GG Art. 120, Rn. 23. 8 Bieback, VSSR 1993, S. 1, 17, 33; Siekmann, in: Sachs, GG Art. 120, Rn. 19. 9 F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 73; Schmidt-Bleibtreu, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 120 Rn. 8; Bieback, VSSR 1993, S. 1, 17. 10 Vgl. oben 1. Kapitel III 2 a, bunddie Kritik unten 3. Kapitel III 4 a, h aa; vgl. 4. Kapitel II 2 a.E., V 1 a cc (1), dd. 11 Vgl. filr die Ausgaben der Rentenversicherung der Angestellten die Klarstellung durch Heinke-Marburger, in: Koch/Hartmann/Aitrock!Fürst, AVG-Kommentar, Bd. IV b, § 116 Erl. Il. 12 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 187.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
losenhilfe" 13 • Die Verfassungspraxis weicht auch von dieser Vorgabe ab: Der Zuschuß an die BA erfolgt zu ihrem gesamten Haushalt, der auch die in Art. 120 I 4 GG nicht genannte Arbeitsvermittlung einschließt. Die Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 12 GG trennt die Arbeitsvermittlung von der Arbeitslosenversicherung. Die Literatur begründet die Abweichung zu Art. 120 I 4 GG mit der Arbeitslosenversicherung als maßgeblicher Finanzierungsquelle der BA 14 . Diese rechtstatsächliche Argumentation kann aber nicht begründen, warum die Arbeitsvermittlung entgegen Art. 120 I 4 GG Bundeszuschüsse erhält. Doch zielt die Argumentation in die richtige Richtung: Sie führt zu der Frage, ob die Finanziening der Arbeitsvermittlung durch die Beiträge der Versicherten, die der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung dienen sollen, zulässig ist und ob der Zuschuß zur Arbeitsvermittlung jenseits des Wortlauts des Art. 120 I 4 GG wegen einer möglichen Verfassungswidrigkeit ihrer Beitragsfinanzierung verfassungsgemäß ist. Das 3. Kapitel dieser Arbeit wird diese Frage beantworten 15• 4. "Der Bund trägt"
Bei der Verteilung der Finanzverantwortung ist der Wortlaut des Art. 120 4 GG ausnahmsweise eindeutig: Die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung sind vom Bund zu tragen. Die Formulierung "trägt" fmdet auch in der Lastenverteilungsvorschrift des Art. 104 a I GG Verwendung. Art. 120 I 4 GG ist gleichfalls eine Lastenverteilungsvorschrift Sie verteilt die Last der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung. Wenn der Sozialgesetzgeber keine Zuschüsse zur Sozialversicherung regelt, muß der Bund keine Zuschüsse leisten. Anderenfalls müssen die Zuschüsse vom Bund kommen. Das schreibt Art. 120 I 4 GG dem Gesetzgeber mit dem imperativen Präsens "Der Bund trägt ... " vor16• Die Vorschrift bestimmt aber nicht, welche Ausgaben der Bund
13 Das 14. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 30.7.1965 (BGBI. I S. 649) ersetzte bei der Neufassung des Art. 120 I GG das Wort "Arbeitslosenflirsorge" durch "Arbeitslosenhilfe", um den Verfassungswortlaut an die Änderung des Sozialrechts (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 23.12.1956, BGBI. I S. 1018) anzupassen; vgl. die Begründung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 15.8.1964, BT-Drucks. IV/2524 S. 9. 14 Schönefelder/Kranz, AFG § 187, Rn. 21. 15 Unten 3. Kapitel III 3 b cc (1). 16 BVerfGE 9, 305 (318); 14,221 (235); Maunz, in: M/0/H/S, GG Art. 120, Rn. 17.
I. Wortlaut
9I
in welcher Höhe und ob er überhaupt Ausgaben zu übernehmen hat. "Verfassungsvollzug ist [hier] normalerweise Gesetzesvollzug" 17• Nach vereinzelt vertretener Auffassung handelt es sich bei Art. I 20 I 4 GG nicht um eine Regelung der Lastentragung, da die Norm nicht hinreichend bestimmt sei 18 • Der L~tenverteilungsgrund~atz. des Art. I 04 a I GG, nach ?em Bund und Länder ~~s~ndert d1e Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung Ihrer Aufgaben ergeben , 1st für sich genommen aber gleichermaßen unbestimmt. Welche Ausgaben Art. I04 a I GG verteilt, ergibt sich nicht aus der Vorschrift selbst, sondern aus der Verteilung der wahrzunehmenden Aufgaben nach Art. 30, 83 GG. Und um die Ausgabenhöhe zu ermitteln, sind die Kosten der Aufgaben zu errechnen.
Aus Art. 120 I 4 GG geht nicht hervor, ob der Bund die gesamten Belastungen aus den Zuschüssen unmittelbar zu übernehmen hat, oder ob zunächst auch Abstufungen und eine Beteiligung der Länder möglich sind20• Dies zu regeln, ist Aufgabe des einfachen Gesetzgebers. Der umfassenden Formulierung "trägt" zu Folge kommt es für Art. 120 I 4 GG nur darauf an, daß die Aufwendungen letztlich dem Bund zur Last fallen21 • Zunächst kann die Finanzierungslast andere Gebietskörperschaften treffen- beispielsweise die Ländel2. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber normieren müssen, daß der Bund die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung unmittelbar "zahlen" soll. "Tragen" kann der Bund die Zuschüsse aufunterschiedliche Weise. Welchen Spielraum diese Formulierung dem Gesetzgeber eröffnet, zeigt sich anschaulich anhand der Überleitungsgesetze der Jahre I 950- I 955. Mit ihnen nahm mit der Bund den Ländern die Kriegsfolgelasten und die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung ab23 • Die Überleitungsgesetze trugen der Forderung des Art. I20 I GG Rechnung, wonach der Übergang der Einnahmen und Ausgaben auf den Bund durch ein Bundesgesetz erfolgen mußte. Sie regelten die Lastentragung durch den Bund auf unterschiedliche Weise24:
17 Ho/tkotten, in: BK, GG Art. I20, Anm. II I a; C. Schmitt, Rechtsstaatlicher Verfassungsvollzug, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 452, 460; a.A. Maunz, in: M/0/H/S, GG Art. I20, Rn. 7; vgl. aber ders., ebd., Rn. I 7. 18 Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, s. I24 f. 19 Hierzu unten 4. Kapitel II, IV. 20 Holtkotten , in: BK, GG Art. I 20, Anm. II 3 geht zu weit, wenn er über den insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. I20 I 4 GG hinaus nicht nur für Art. I20 I I GG, sondern auch für Art. 120 I 4 GG eine endgültige Beteiligung der Länder für möglich hält; anders Bieback, VSSR I 993, S. I, I 7 mit Verweis auf BVerfGE 9, 305 ff. 21 BVerfGE 9, 305 (318); 14, 221(235); Maunz, in: M/DIH/S, GG Art. 120, Rn. 17. 22 BVerfGE 9, 305 (317). 23 Zu den Überleitungsgesetzen oben 1. Kapitel III 2 a, unten III 3, 4. Kapitel I 3. 24 Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 70 ff.; vgl. zum Einzelerstattungs- und zum Pauschalierungsverfahren Kurzwelly, Die Kriegsfolgenhilfe, S. 34 ff.; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 31 ff.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
-Nach dem sog. Bewirtschaftungsverfahren tätigten die Länder die Aufgaben kammissionsartig in eigenem Namen flir Rechnung des Bundes. Die Bundeshauptkasse stellte ihnen die erforderlichen Mittel unmittelbar zu Lasten des Bundeshaushalts zur Verfllgung. Gern. §§ I I, 21 Erstes Überleitungsgesetz i.d.F. vom 28.11.195025 war dieses Verfahren ursprün~lich der flir alle in diesem Gesetz geregelten Lasten vorgesehene Finanzierungsmodus2 • -Im Wege des sog. Einzelerstattungsverfahrens gern. § 16 a des Ersten Überleitungsgesetzes i.d.F. vom 4.9.1953 27erstattete der Bund den Ländern die Aufwendungen flir die Arbeitslosenflirsorge in voller Höhe28 . Die Länder zahlten die Lasten einer bestimmten Aufgabe zunächst aus eigener Tasche. -Bei dem sog. Pauschalierungsverfahren galt der Bund den Ländern ihre Aufwendungen flir von ihnen ausgeflihrte Aufgaben in Form von Pauschbeträgen ab, die den voraussichtlich zu tätigenden Aufwendungen entsprachen. Dieses Verfahren ersetzte das Erstattungsverfahren flir die Kriegsfolgenhilfe gern. § 21 a I Erstes Überleitungsgesetz i.d.F. vom 28.4.1955 29 • Das Pauschalierungsverfahren statuierte neben der primären Finanzverantwortung des Bundes auch eine Finanzverantwortung der Länder, da sie flir die Höhe der Einzelausgaben verantwortlich waren30. -Bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung hat der Gesetzgeber eine Auswechslung des Schuldners vorgenommen: Der Bund hat als Rechtsnachfolger des Reichs die anfangs von den Ländern getragenen Zuschüsse zur Sozialversicherung übernommen. Dies Verfahren tauscht den nach der verfassungsrechtlichen Verteilung der Finanzierungskompetenzen zuständigen Schuldner gegen einen anderen aus. Die anderen Finanzierungsverfahren gelangten flir die Sozialversicherung einschließlich der Arbeitslosenversicherung gern. § 1 I Ziff. 10, 11 Erstes Überleitungsgesetz i.d.F. vom 28.11. 1950 von Anfang an nicht zur Anwendung.
All diesen Verfahren ist gemeinsam, daß den Bund die fmanzielle Letztverantwortung trifft. Daneben gab es noch ein mit dem Wortlaut des damaligen wie des heutigen Art. 120 I GG unvereinbares Verfahren. - § 2 Erstes Überleitungsgesetz vom 28.11.195031 sah flir das Rechnungsjahr 1950 eine Beteiligung der Länder an den vom Bund zu tragenden Aufwendungen flir verBGBl. I S. 773. Änderung erstmalig durch § 21 I Erstes Überleitungsgesetz i.d.F. vom 28.4.1955 (BGBl. I 1955 S. 193). Vgl. zum Bewirtschaftungsverfahren die ablehnende Haltung von Fischer-Menshausen, DÖV 1955, S. 261, 264. 27 BGBl. I S. 1320. 28 Vgl. auch § 27 II Gesetz über Hilfsmaßnahmen flir Heimkehrer (Heimkehrergesetz) vom 19.6.1950 (BGBl. S. 221). 29 BGBl. I S. 193. § 21 a Erstes Überleitungsgesetz wurde durch das Vierte Überleitungsgesetz vom 27.4.1955 (BGBl. I S. 189) eingefligt. 30 Vgl. die Begründung zu den Entwürfen eines Finanzverfass'ungs-, Finanzanpassungs- und eines Länderfinanzausgleichgesetzes, BT-Drucks. II/480 S. 52, 122, 124; Fischer-Menshausen, DÖV 1955, S. 261, 265; Kurzwel/y, DÖV 1955, S. 281,282 ff. ; Wodrich , DÖV 1955, S. 285 ff. 31 Erstes Gesetz zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Erstes Überleitungsgesetz) vom 28.11.1950 (BGBl. S. 773). 25 26
II. Systematik
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schierlene Länderaufgaben in Form einer Interessenquote in Höhe von I 0-25 % vor. Hier lag die Finanzverantwortung nicht nur beim Bund, sondern anteilig auch bei den Ländern. Auch für die damals noch als Arbeitslosenfürsorge bezeichnete heutige Arbeitslosenhilfe regelte § 2 Ziff. 9 Erstes Überleitungsgesetz i.d.F. vom 28.11.1950 eine Beteiligung der Länder. Schon im Folgejahr hob die erste Änderung des Ersten Überleitung_sgesetzes diese Länderbeteiligung wie die meisten anderen Interessenquoten wieder auf'~.
Eine anteilige Finanzverantwortung der Länder kollidierte schon mit dem Wortlaut des Art. 120 I GG a.F. Sie wäre auch heute mit Art. 120 I 4 GG nicht vereinbar. "Der Bund trägt" bedeutet, daß die letztendliche Zahlungsverpflichtung den Bund und nur den Bund trifft.
II. Systematik Die systematische Stellung des Art. 120 I 4 GG spricht fiir eine eingeschränkte Interpretation seines offenen Wortlauts. 1. Art.120 I 1-3 GG Gern. Art. 120 I 1-3 GG hat der Übergang der dort geregelten Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes zu erfolgen. Art. 120 I 4 GG sieht ein solches Gesetz fiir die Lasten der Sozialversicherung nicht vor33 • Die Vorschrift ordnet die Lastentragung von sich aus an. Jedes Sozialgesetz, das Zuschüsse zur Sozialversicherung regelt, muß eine Finanzierungskompetenz des Bundes vorsehen. Das ist heute bei fast allen Zuschüssen zur Sozialversicherung auch der Fall34• Die ganz h.M. hält eine Finanzierungskompetenz der Länder oder auch nur deren Beteiligung an der Finanzierung der Zuschüsse aus diesen und anderen Erwägungen35 für verfassungswidrig. Insoweit stimmt die Systematik mit dem Wortlaut überein. 32 Änderungen durch§ I I Erstes Überleitungsgesetz i.d.F. vom 21.8.1951 (BGBI. I S. 779); vgl. auch § 13 Zweites Überleitungsgesetz vom 21.8.1951 (BGBI. I S. 774). Kurzwelly, DÖV 1955, S. 281,282. Hierzu im einzelnen unten 4. Kapitel I 3. 33 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 195 Fn. 8 vertritt deshalb die Auffassung, daß Art. 120 I GG die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung als bundesgesetzlich geregelt voraussetzt. 34 F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 73 ff. kritisiert deshalb die Länderzuschüsse zur See-Unfalllversicherung gern. § 878 RVO und die Verpflichtung der Landesversicherungsanstalten in § 218 II SGB VI, ggf. Liquiditätshilfe an die BfA zu leisten. Genauso Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 54 ff. 35 Vgl. hierzu unten 4. Kapitel.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
2. Art. 120 I 5 GG Im übrigen stößt die systematische Stellung des Art. 120 I 4 GG in der Literatur auf erhebliche Kritik: Die Vorschrift steht am Ende des Grundgesetzes außerhalb der Finanzverfassung unter den Übergangs- und Schlußbestimmungen "inmitten von Finanzvorschriften über Kriegsfolgelasten, eingerahmt zwischen der Verteilung der Aufwendungen (Abs. I Satz I-3) und einer Klarstellung hinsichtlich der Entschädigungsansprüche für Kriegsfolgelasten (Abs. I Satz 5)". Art. 120 I 4 GG erscheint so als "Interimsregelung für kriegsbedingte Lasten", nicht aber als Kompetenztitel für den Bundeszuschuß als "permanente und reguläre Finanzierungsquelle der Sozialversicherung"36• Der systematisch enge Zusammenhang spricht dafür, daß es sich bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung nach Art. 120 I 4 GG so wie bei den Aufwendungen für die Kriegsfolgelasten nach Art. I20 I - 3 und 5 GG um verlorene, mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Kriegsende zurückgehende Zahlungen handele 7• Die derzeit steigenden Zuschüsse würden demnach schon aus diesem Grunde von Art. 120 I 4 GG nicht erfaßt. Das gilt auch für die darlehensweise Gewährung der Zuschüsse nach§ I87 II AFG und§ 214 SGB VI, da zurückzuzahlende Gelder nicht "verloren" sind. Da die vorangehenden und folgenden Sätze des Art. I20 GG nur die K.riegsfolgelasten regeln, liegt der Gedanke nahe, die Lastenverteilung nach Art. I20 I 4 GG auf die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung zu beschränken38 • Art. I20 I 5 GG bestärkt diese nur selten vertretene Auf/sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, II f. Diemer, VSSR 1982, S. 31 , 45; vgl. BVerfGE 9, 305 (324); BT-Drucks. 1213257, s. 10, 13. 38 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 101; Diemer, VSSR 1982, S. 31 ff.; SG Münster Urteil vom 1.10.1968, Az. S 14 a Kr 50/67 (unveröffentlicht, zit. nach Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 46 Fn 3). A.A. die ganz h.M. in Literatur und Rechtsprechung: BVerlGE 14, 221 (235 f.); BSGE 34, 177 (179); F. Kirchhof, in: Sozialversicherung- Organisatorische Gliederung und funktionale Einheit der Sozialverwaltung, S. 59, 75; ders., DRY 1989, S. 32, 39; ders., in: FS Dürig, S. 447, 459 ff.; ders., in: HStR, Bd. IV, § 93, Rn. 31 ff. m.w. N.; ders., Gutachten zum 61. DJT, TyposkriptS. 38 f.; Klein, in: Öffentliches Finanzrecht, S. I, 13; Schaefer, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 120 Rn. 17; Bieback, VSSR 1993, S. I, 16; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 73, 126, 216 f. ; Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 9 ff., 19 ff. Kritisch, im Ergebnis aber genauso /sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 12, 38; kritisch früher auch schon Fischer-Menshausen , DÖV 1952, S. 673, 674; 1955, S. 261, 264; 1956, S. 161 , 169; Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 365; Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 196 ff. ; TroegerGutachten, S. 55 Tz. 216. 36 37
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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fassung: Er schließt den Absatz 1 des Art. 120 GG mit den Worten ab: "Die durch diesen Absatz geregelte Verteilung der Kriegsfolgelasten auf Bund und Länder ( ...)". Diese Formulierung läßt die Interpretation zu, daß der gesamte Absatz 1 des Art. 120 GG nur die Verteilung der Kriegsfolgelasten regelt39• Anderenfalls hätte der Gesetzgeber diesen Satz 5 vor die Regelung über die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung placiert. Aus dessen Wortlaut ergibt sich zwar nicht zwingend, daß Kriegsfolgelasten der einzige Regelungsinhalt des Art. 120 I GG sind40 • Doch spricht hierfiir die enge systematische Stellung insbesondere zu Satz 4, der mit dem die Vorschrift abschließenden Satz 5 in unmittelbarer Nachbarschaft steht. Dieser letzte Satz des Absatzes 1 der Vorschrift hat wegen seiner Placierung am Ende des Absatzes gleichsam eine Klammerfunktion, aus der fiir den gesamten Absatz klärend folgt: Hier werden nur Kriegsfolgelasten geregelt.
ill. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte41 des Art. 120 I GG Dieser systematische Befund korrespondiert mit dem Ergebnis der histori. G ~ sehen und genensehen Untersuchung des Art. 120 I 4 GG . Ausgangspunkt ist folgende Frage: Sollte die Vorschrift nur Bundeszuschüsse zu den kriegsbedingten Belastungen der Sozialversicherung regeln, oder mit der ganz h.M. ZuKrause, VSSR 1980, S. 115, 129 Fn. 102 wendet sich gegen eine enge Auslegung der Vorschrift, da "die gesonderte Erwähnung der Sozialversicherungsträger ( ...)keinen Sinn hätte", wenn Art. 120 I 4 GG auf die Kriegsfolgelasten beschränkt werde. Das besagt ftir sich allerdings noch nichts; außerdem erwähnt die Vorschrift die "Sozialversicherungsträger" nicht. 39 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 101. Bezeichnenderweise tituliert Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu!Klein, Kommentar zum GG seine Kommentierung zu Art. 120 allein "Sonderregelung ftir Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten" und erwähnt die Zuschüsse zur Sozialversicherung nur mit einem einzigen Satz. Nach Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 10 hebt Art. 120 I 5 GG den eigenständigen Charakter des Art. 120 I 4 GG hervor. Das ist abwegig. 40 Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 49; Bieback, VSSR 1993, S. 1, 16. 41 Häberle, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 293, 311 spricht von einer "entwicklungsgeschichtlichen" Auslegung. 42 Vgl. zur terminologischen Differenzierung nur F. Müller, Juristische Methodik, S. 204 ff. 43 Der problematische Komplex der Lastentragung nach Art. 120 I 4 GG durch den Bund wird einer gesonderten Untersuchung unterworfen und erst im 4. Kapitel dieser Arbeit wieder aufgegriffen. Die nachfolgende Betrachtung schließt die Entstehung der Finanzverantwortung des Bundes weitgehend aus; vgl. hierzu unten 4. Kapitel I.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
schüsse zu ihren sämtlichen Lasten? Die Frage läßt sich mit isoliertem Blick auf die Entstehung der Norm nicht beantworten. Die Entwicklung der Nachbarsätze im seihen Absatz ist von entscheidender Bedeutung: Sie messen der einfachgesetzlichen Umsetzung des Art. 120 I GG verfassungsrechtliche Bedeutung bei. Deshalb ist die Regelungsabsicht des historischen V erfassungsgesetzgebers nur über die Anwendungsgeschichte der Vorschrift zu ermitteln. Das macht die Veifassungsinterpretation des Art. 120 I 4 GG methodisch zu einem Drahtseilakt44 • 1. Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee
Art. 120 I 4 GG ist auf Art. 121 des vom Herrenchiemseer Konvent erarbeiteten Entwurf eines Grundgesetzes (HChE) zurückzuführen45 . Dessen Wortlaut spricht fiir ein weites, nicht nur die kriegsfolgebedingten Lasten der Sozialversicherung erfassendes Verständnis der Zuschüsse46 : "Der Bund trägt insbesondere 1. die Kosten der Bundesverwaltung einschließlich der Kosten für eine Verwaltung, die die Länder nach den Weisungen des Bundes führen; 2. die Kosten der Besatzung und die äußeren und inneren Kriegsfolgelasten; 3. die Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und die Lasten der Arbeitslosenfürsorge, soweit die Sozialversicherungsträger Mittel des öffentlichen Haushalts in Anspruch nehmen müssen." 47 Die umfassende Formulierung "Lasten der Sozialversicherung" bedeutet keine Beschränkung auf allein kriegsfolgebedingte Lasten der Sozialversicherung. Die Formulierung "soweit die Sozialversicherungsträger Mittel des öffentlichen Haushalts in Anspruch nehmen müssen" reduziert die Finanzierungslast des Bundes allgemein auf Notlagen, nicht aber auf ausschließlich kriegsfolgebedingte fmanzielle Engpässe. Auch die numerisch getrennte Auffiihrung der Regelungskomplexe "Kosten der Besatzung und ( ...) Kriegsfolgelasten" einer- und "Lasten der Sozialversicherung ( ...)" andererseits indiziert eine umfassende, nicht auf die Kriegsfolgelasten begrenzte Auslegung.
44 Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, setzt sich dem Risiko nicht aus, indem er die einfachgesetzliche Umsetzung des Art. 120 I 4 GG nicht berücksichtigt. 45 Bericht über den Verfassungskonvent aufHerrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, C) Entwurf eines Grundgesetzes, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 504, 607. 46 Bieback, VSSR 1993, S. I, 15 f. ; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 126; Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 47 ff. 47 Hervorhebung vom Verf.
111. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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Allein mit dieser getrennten Auffiihrung läßt sich eine weite Auslegung des heutigen Art. 120 I 4 GG aber nicht begründen48 • Sie ist auch für Art. 121 HChE nicht zweifelsfrei. Immerhin trennt Art. 121 Nr. 2 HChE auch die Besatzungs- von den Kriegsfolgelasten durch das Wort "und", obwohl Besatzungskosten Kriegsfolgen sind. Das mag aus Gründen der Klarstellung erfolgt sein. Möglicherweise sollte die numerisch getrennte Aufführung der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung aber nur klarstellen, daß zu den vom Bund zu tragenden Kriegsfolgelasten insbesondere die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung zählten. Denn das war wegen der anfänglichen Finanzierungskompetenz der Länder49 keinesfalls selbstverständlich. Der "Darstellende Teil" des Berichts über den Herrenchiemseer Konvent geht auf die Zuschüsse zur Sozialversicherung nur wenig ein. Die Sachverständigen schätzten ihre Höhe entgegen teilweise vorgebrachter Bedenken lediglich auf einen Betrag von 300 Mio. DM. Daraus läßt sich - auch unter Berücksichtigung der damals wesentlich höheren Kaufkraft der Deutschen Mark auf die geringe Bedeutung schließen, die den Zuschüssen bei den Beratungen beigemessen wurde. Der "Kommentierende Teil" erwähnt die Zuschüsse zur Sozialversicherung mit keinem Wort. Die Ausführungen sind unklar50: Unter der Überschrift "Die Verteilung der finanziellen Ausgaben und Lasten zwischen Bund und Ländern" führt eine "Schätzung der dem Bund zufallenden Lasten" nacheinander auf: "l. Kosten der Bundesverwaltung ( ...) 2. Besatzungs- und Reparationskosten ( ...) 3. Zuschüsse zur Sozialversicherung ( ...)". Anschließend folgt ein Passus, wonach "dazu ( ... )die (...) Aufwendungen flir kriegsursächliche Fürsorgelasten kommen, nämlich: die Renten der Köperbeschädigten, die Versorgungsbezüge der verdrängten Beamten, eines bestimmten Kreises der Wehrmachtsangehörigen usw., die Sozialrenten der Flüchtlinge, die Zuschüsse an Fürsorgeverbände zum Unterstützungsaufwand flir Flüchtlinge und die Kleinrentnerftirsorge".
Die Schätzung erfaßt in einer im sozialrechtlichen Sprachgebrauch damals wie heute unüblichen Weise unter den Fürsorgelasten Leistungen der Sozialversicherung. Aus der Addition der kriegsursächlichen Fürsorgelasten zu den Zuschüssen zur Sozialversicherung ("dazu ... kommen") folgt im Umkehrschluß, daß die "Zuschüsse zur Sozialversicherung" nicht die kriegsbedingten
48 A.A. offenbar Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 126, der insbesondere aus der getrennten Auff'tihrung in Art. 121 HChE auf ein umfassendes Verständnis der Zuschüsse nach Art. 120 14 GG schließt. 49 Vgl. hierzu unten 5, sowie 4. Kapitel I l. Sie übersieht Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG. 50 Bericht über den Verfassungskonvent aufHerrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, B) Darstellender Teil, S. 53 f. (Hervorhebung vom Verf. ).
7 Kranz
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
Lasten der Sozialversicherung enthielten51 . Offenbar lag dieser Schätzung ein umfassendes Verständnis der Zuschüsse zugrunde. Aber die Aufzählung der kriegsursächlichen Fürsorgelasten ist unvollständig. Die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung gingen weit über ihre unter den Fürsorgelasten aufgeführten Leistungen hinaus52• Die Aufzählung reicht nicht zur Begründung eines weiten Verständnisses der "Zuschüsse zur Sozialversicherung" i.S.d. Art. 121 HChE aus. Art. 121 HChE sollte keinen erschöpfenden Katalog vom Bund zu fmanzierender Aufgaben erstellen. Die Teilnehmer des Konvents fügten das Wort "insbesondere" in die Vorschrift entgegen vielfach geäußerten Bedenken ein, um auf den beispielhaften Charakter der Aufzählung hinzuweisen. Sie hielten die Übernahme der Kosten der Bundes- und der Bundesauftragesverwaltung durch den Bund (Nr. I des Art. 121 HChE) für eine Selbstverständlichkeit. Innerhalb der Vorschriften über die Finanzverfassung hob der Entwurf weitere Bereiche hervor, in denen der Konvent die Finanzierungskompetenz des Bundes als wichtig und selbstverständlich empfand. Art. 121 HChE sollte der Klarstellung dienen und eine Signalfunktion übernehmen. So enthält die Aufzählung des Art. 121 HChE die damals als besonders dringlich erachteten Ausgaben des Bundes: Das waren die Kriegsfolgelasten und die Lasten der kriegsbedingt besonders strapazierten Sozialversicherung, deren Finanzlage durch die Währungsreform zusätzlich angespannt war. Die zitierte Passage der "Schätzung der dem Bund zufallenden Lasten" greift aus dem Katalog des Art. 121 HChE die Positionen Nr. 1 und 3 in verkürzender, aber unveränderter Weise heraus. Position Nr. 2 der Schätzung erwähnt die in Art. 121 Nr. 2 HChE aufgeführten Kriegsfolgelasten hingegen nicht mehr. Stattdessen erfolgt eine summarische Schätzung der Besatzungskosten insoweit also noch in Übereinstimmung mit Art. 121 HChE - und- insoweit abweichend - der Reparationskosten. Damit stellt sich die Frage, was die Teilnehmer des Herrenchiernseer Konvents unter Kriegsfolgelasten verstanden. Eine Gleichsetzung der Kriegsfolgemit den Reparationslasten scheidet als abwegig von vorne herein aus. Unter Kriegsfolgelasten wurde ausweislich der angeführten Passagen des "Darstellenden Teils" in offenbar recht undifferenzierter Weise ein bunter Strauß kriegsursächlicher Folgekosten in den verschiedensten Bereichen verstanden. Der "Darstellende Teil" nennt hiervon beispielhaft die Besatzungs- und Reparationskosten, sowie verschiedene Soziallasten aus den Bereichen der Sozial51 Vgl. auch den Vorschlag des Delegierten ftir Schlewig-Holstein, Fritz Baade, Direktor des Instituts ftir Weltwirtschaft an der Universität Kiel, in der 7. und letzten Plenarsitz. vom 23.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 484 f. 52 Vgl. insbesondere oben I . Kapitel III 2 a Fn. 134.
111. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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fiirsorge und der Sozialversicherung. Die Kriegsfolgelasten standen ersichtlich im Vordergrund des Poblembewußtseins der Teilnehmer des Konvents. Da die Aufzählung der vom Bund zu fmanzierenden Aufgaben in Art. 121 HChE nur beispielhaft gemeint war, ist kaum einzusehen, warum ausgerechnet fiir die Zuschüsse zur Sozialversicherung eine umfassende Finanzierungskompetenz des Bundes auf Dauer festgeschrieben werden sollte. Auch heute differenzieren Literatur und Rechtsprechung nur selten zwischen kriegsbedingten und nicht kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung - inzwischen stehen die nicht kriegsbedingten Lasten im Vordergrund des Problembewußtseins. Daß der Verfassungsgesetzgeber sich damals einer größeren Präzision befleißigte, hieße -auch unter Berücksichtigung der bei der Erarbeitung der Verfassung herrschenden Zeitnot- dessen Differenzierungsvermögen zu überfordern. Der Herrenchiernseer Konvent hat über die nicht kriegsbedingten Zuschüsse zur Sozialversicherung kaum nachgedacht53 • Dafiir bestand aus zweierlei Gründen auch kein Anlaß: Zum einen ergibt sich aus Art. 42 III HChE, daß man Bundeszuschüsse an die Länder soweit fiir unbedenklich erachtete, wie sie die Befugnis der Länder zur Ausführung der Bundesgesetze nicht tangierten54. Derartige Bedenken ließen sich gegen die nach der Reichsversicherungsordnung vorgesehenen Bundeszuschüsse an die Sozialversicherungsträger der Länder kaum vorbringen. Der Verfassungsgesetzgeber hielt die nicht kriegsfolgebedingten Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung fiir unbedenklich und glaubte auf ihre explizite verfassungsrechtliche Normierung verzichten zu können. Zum anderen war die ausdrückliche Erwähnung der kriegsbedingten Zuschüsse zur Sozialversicherung in Zusammenhang mit der Regelung der Frage der Kriegsfolgelasten aus einer bei den Beratungen nur unzureichend zum Ausdruck gekommenen Überlegung von erheblicher Bedeutung: Hätte der Gesetzgeber in Art. 121 HChE nur eine Finanzierungspflicht des Bundes fiir die Kriegsfolgelasten normiert, hätte Anlaß zu der Annahme bestanden, daß solche
53 Nur Otto Küster, Rechtsanwalt und Abteilungsleiter im Justizministerium von Württemberg-Baden, betrachtete die Sozialversicherung zu Beginn der Beratungen in der 2. Plenarsitzung des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee vom 11.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 112 f. als Daueraufgabe, nachdem er sich vorher zu den Kriegsfolgelasten geäußert hatte. Ihm ging es vorrangig aber nicht um eine Differenzierung zwischen Kriegsfolgelasten und Dauerlasten der Sozialversicherung, sondern um die von ihm in Frage gestellte Zuordnung der Finanzierungskompetenz zum Bund; vgl. hierzu unten 4. Kapitel I I. 54 Art. 42 III HChE lautete: "Bedingungen, unter denen der Bund Zuschüsse oder Vergünstigungen gewährt, dürfen nicht so festgesetzt werden, daß dadurch die Befugnis der Länder zur Ausführung der Bundesgesetze ausgeschaltet wird", Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, C) Entwurf eines Grundgesetzes, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 504, 588.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
Kriegsfolgen, die sich nicht zu Lasten der Gesamtgesellschaft auswirkten, sondern nur der Sozialversichertengemeinschaft - als einer zahlenmäßig kleineren Gruppe von Bürgern der Gesamtgesellschaft - zur Last fielen, nicht durch die gesamtgesellschaftlich aus Steuermitteln fmanzierten Bundeszuschüsse ausgeglichen, sondern aus den Beitragsmitteln der Sozialversichertengemeinschaft fmanziert werden sollten. Die Kriegsfolgelasten sollten jedoch nicht auf die Beitragszahler der Sozialversicherung abgewälzt, sondern von der Steuern zahlenden Gesamtgesellschaft gemeinschaftlich getragen werden. Zwar hat niemand diesen Gedanken bei den Beratungen des Herrenchiemseer Konvents mit Blick auf die Zuschüsse zur Sozialversicherung unmittelbar ausgesprochen55• Die gesamtgesellschaftliche Finanzierung der Kriegsfolgelasten stand jedoch gleichsam als Leitbild im Zentrum der Überlegungen zur Lastenverteilung56• Von hieraus sind alle zu den Kriegsfolgelasten oder mit ihnen in Zusammenhang getroffenen Regelungen zu interpretieren. Es erscheint insoweit nur konsequent, wenn die Teilnehmer des Konvents bei der Regelung der Kriegsfolgelasten klarstellten, daß auch für die kriegsbedingten Belastungen der Sozialversicherung keine abweichende Regelung getroffen, sondern dem Prinzip gefolgt werden sollte, vermittels der Bundesfmanzierung die Gesamtgesellschaft für die Folgen des Krieges aufkommen zu lassen. Die Erwähnung der Zuschüsse zur Sozialversicherung in Art. 121 HChE war Ausdruck einer Selbstverständlichkeit. Ihre Aufnahme in den Verfassungstext erfolgte im Interesse der Rechtsklarheit Art. 121 HChE sollte aber nicht eine Finanzierungskompetenz des Bundes für die Lasten der Sozialversicherung schlechthin normieren. Diese Interpretation ist sicherlich nicht zwingend. Sie ist vor dem historischen Hintergrund und nach Auswertung des überlieferten Materials jedoch durchaus möglich. Die zur Begründung eines weiten Verständnisses oftmals angeführte Formulierung des Art. 121 HChE enthält für sich genommen zwar eine eindeutige Aussage zum heutigen Regelungsinhalt des Art. 120 I 4 GG: Wortlaut und Systematik des Entwurfs sprechen für eine umfassende Regelung der Lasten der Sozialversicherung. Die Eindeutigkeit dieser Auslegung verliert aber vor dem Hintergrund des weiteren genetischen Befunds an Gewicht. Die Ausführungen im "Darstellenden Teil" bringen wenig Klärung. Zugunsten eines weiten Verständnisses der zu bezuschussenden Lasten der Sozialversicherung, das sich nicht nur auf deren kriegsbedingte Lasten reduziert, lassen sie sich schon aus folgendem Grunde kaum anführen: Eine Seite nach der Erörterung von Art. 121 HChE legt eine Schätzung der insgesamt auf den Bund zukommenden "Bundeslast" nur einen "Lastenetat" zugrunde, der aus den "Besat55 Eindeutig später die Begründung zum Entwurf eines Fremdrenten- und Auslandrentengesetzes vom 19.3.1953, BT-Drucks. 1/4201, S. 23; Abg. Dr. Schellenberg (SPD) in der 76. Sitz des BT vom 18.6.1959, Sten.Ber. S. 4205 und in der 96. Sitz. des BT vom 22.1.1960, Sten.Ber. S. 5295. 56 Vgl. im einzelnen unten 4. Kapitel I I.
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zungskosten (..) zuzüglich der sonstigen Kriegsfolgelasten" zusammengesetzt ist; in das Rechnungsergebnis sind die Zuschüsse zur Sozialversicherung mit . hnet57 . emgerec 2. Parlamentarischer Rat
Selbst wenn der Herrenchiemseer Konvent tatsächlich die Regelung einer Finanzierungskompetenz des Bundes für sämtliche Lasten der Sozialversicherung beabsichtigt haben sollte, so rückte der Parlamentarische Rat hiervon jedenfalls ab. Die Beratungen im Parlamentarischen Rat konzentrierten sich noch wesentlich stärker auf die damals drängenden Probleme der Bewältigung der Kriegsfolge- und Besatzungslasten. Die Abgeordneten erörterten die Lasten der Sozialversicherung meist nur am Rande und stets nur in Zusammenhang mit den Kriegsfolgelasten58 : Der Finanzausschuß legte den von ihm angehörten Sachverständigen einen Fragenkatalog59 vor, um in "der fmanziell völlig unübersichtlichen Lage, die vor allem durch die Kriegsfolgekosten" entstanden war60, einen Überblick über die kriegsbedingten Lasten zu gewinnen. Der Katalog führte 8 Positionen auf. 7 waren ausdrücklich kriegsbedingt Zwischen ihren stand die Frage nach der Höhe der Zuschüsse zur Sozialversicherung im Rechnungsjahr 1947. Die Kriegsfolgen hatten die in diesem Jahr gezahlten Zuschüsse in erheblichem Maße beeinflußt. Ihre Höhe war kaum dazu geeignet, Folgerungen auf die später zu zahlenden Summen zu ziehen61 • Sämtliche anderen Fragen bezogen 57 Bericht über den Verfassungskonvent aufHerrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, B) Darstellender Teil, S. 54. 58 Vgl. die anschauliche Übersicht bei Holtkotten, in: BK, GG Art. 120 Anm. I. Auch die Darstellung im Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F. Bd. I, 1951, S. 834 ff. erweckt den Eindruck, der Parlamentarische Rat habe die Lasten der Sozialversicherung kaum behandelt. Diese Darstellung ist entgegen Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 17 Fn. 55, nicht deshalb mißverständlich, sondern entspricht gerade der damaligen Gewichtung. 59 Par!R FinAussch 3. Sitz., ParlR. Drs. 45. 60 Abg. Dr. Walter Menzel (SPD), Innenminister in Nordrhein-Westfalen und stellvertretender Ministerpräsident, ParlR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 181. 61 Die Sachverständigen konnten die Frage nach der Höhe der Zuschüsse zur Sozialversicherung anfangs mangels entsprechenden Materials nicht beantworten; ParlR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 158. Sie erkannten jedoch, daß die Schätzung des Herrenchiemseer Konvents entschieden zu niedrig war; PariR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 187 f.; vgl. ParlR. FinAussch. 8. Sitz. vom 29.9. 1948, Sten.Prot. S. 114 f., 10. Sitz. vom 30.9.1948, Sten.Prot. S. 4, 13. Sitz. vom 6.10. 1948, Sten.Prot. S. 36 f., in denen die Sachverständigen stark differierende Schätzungen überreichten.
I 02
2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
sich auf die Höhe der verschiedensten Kriegsfolgelasten. Nach anderen staatlichen Ausgaben fragte der Katalog nicht. Es ging ausschließlich darum, einen Überblick über die kriegsbedingten Lasten zu gewinnen. Die Frage nach der Höhe der Zuschüsse zur Sozialversicherung sollte hiervon keine Ausnahme machen. Der Ausschuß behandelte die Zuschüsse insbesondere in seiner 6. und 7. Sitzung. Hierbei standen die Kriegsfolgelasten im Vordergrund. So zählte der als Sachverständiger geladene rheinland-pfälzische Finanzminister Dr. Hoffmann die "Frage der Hilfestellung bei Sozialversicherungen" beispielhaft zu "einigen Ergänzungsaufgaben des Bundes auf wirtschaftlichem und sozialen Gebiet"; vorher hatte der Ausschuß eingehend die Zuweisung der Kriegskosten und Kriegsfolgekosten an den Bund erörtert62 • Derbayerische Finanzminister Dr. Kraus hielt einen Länderfmanzausgleich bezeichnenderweise wegen der Kriegsfolgekosten, nicht aber wegen der Lasten der Sozialversicherung fiir erforderlich63 • All dies läßt auf die vergleichsweise geringe Bedeutung schließen, die der Parlamentarische Rat den Zuschüssen zur Sozialversicherung damals beimaß. In einer Anlage zur 6. Sitzung des Finanzausschusses unterbreiteten mehrere Sachverständige einen Vorschlag zur Formulierung der Finanzverfassung, der die Kriegsfolgelasten und die Lasten der Sozialversicherung ähnlich wie Art. 121 HChE numerisch getrennt aufführt. Anschließend folgt eine Schätzung der Bundesausgaben, die wie im "Darstellenden Teil" des Herrenchiemseer Konvents nacheinander nennt: "1. Kosten der Bundesverwaltung ... 2. Besatzungskosten ... 3. Zuschüsse zur Sozialversicherung". Ein hiervon separiert aufgefiihrter Lastenausgleich sollte u.a. die "Sozialversicherungsrentner" befriedigen64. Dieser Lastenausgleich sollte neben den Zuschüssen ein weiteres Finanzzuweisungssystem etablieren. Die Schätzung der Bundesausgaben erfolgte ausdrücklich "ohne Berücksichtigung des künftigen Lastenausgleichs fiir die Bizone". Mit der Befriedigung der Rentner war eine Begünstigung der Rentenversicherung insgesamt gemeint. Die Schätzung zählt Personenkreise auf, die der Lastenausgleich begünstigen sollte: "die politisch Verfolgten( ... ), die Fliegergeschädigten, die Sozialversicherungsrentner und die Kleinrentner". Um diese einheitlich personenbezogene Aufzählung nicht zu durchbrechen, werden die Rentner gleichermaßen in personam genannt und nicht in ihrer Organisation angesprochen. Offenbar sollten die "Zuschüsse zur Sozialversicherung" also nicht die Zuschüsse zur Rentenversicherung fmanzieren. Daraus folgt nicht, 62
19.
Dr. Hans Hoffmann (SPD), 6. Sitz des FinAussch. vom 23.9.1948, Sten.Prot. S.
6. Sitz des FinAussch. vom 23.9.1948, Sten.Prot. S. 75. Anlage zur Niederschrift über die 6. Sitz. des FinAussch., Sten.Prot. S. 213 (im Anschluß an das Protokoll der 6. Sitz.), S. 4 f. 63
64
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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daß die Schätzung unter den Zuschüssen zur Sozialversicherung nur die Zuschüsse zu den anderen Versicherungszweigen erfaßt. Das hätte man zum Ausdruck gebracht. Für eine andere Verwendung der "Zuschüsse zur Sozialversicherung" bleiben wenig Zwecke übrig. Offenbar sollten die "Zuschüsse zur Sozialversicherung" ihre nicht aus dem Lastenausgleich zu deckenden kriegsfolgebedingten Lasten fmanzieren. Die Beratungen in der 7. Sitzung des Finanzausschusses bringen den engen Zusammenhang zwischen Kriegsfolgelasten und Lasten der Sozialversicherung besonders deutlich zum Ausdruck: Zunächst beschäftigte sich der Ausschuß mit statistischen Fragen, um anband des Fragenkatalogs 'einen Überblick über die Einnahmen und Ausgaben zu gewinnen. Dann ging er auf die "Abgrenzung der Finanzhoheit ein". Anfangs konzentrierten sich die Beratungen auf die Verteilung der Einnahmen. Als der Zusammenhang mit den zu fmanzierenden Ausgaben zunehmend in den Vordergrund rückte, warf der Abgeordnete Dr. Menzel die Frage auf: "Wer müßte Träger der Verpflichtung fiir die sachlichen und personellen Kriegsfolgekosten sein?"65 Die Belastungen der "Sozialversicherungsträger" nahm er hiervon ausdrücklich aus: "Aber lassen wir diesen Komplex einmal beiseite". Entsprechend bezog der Abgeordnete Dr. Seebohm in die "gesamten Kriegsfolgekosten sachlicher und persönlicher Art" die "sozialen Leistungen fiir die Schwerbeschädigten und sonstigen Bedürftigen, fiir verdrängte Beamte usw." -also auch die Renten- als "Zuschläge zur Sozialversicherung" mit ein66• Seebohm verstand unter Kriegsfolgekosten auch die kriegsbedingten Belastungen der Sozialversicherung67 • Lütjohann irrt, wenn er meint, Seebohm hätte von einem Prinzip gesprochen, "wonach im Zonenhaushalt der britischen Zone die Lasten der Sozialversicherung [umfassend] ausdrücklich von der Gesamtheit und nicht von den Ländern getragen wurden". Seebohm bezog sich auf die "Lasten, von denen Herr Dr. Menze1 sprach" und das waren gerade nicht die Lasten der "Sozia1versicherungsträger", sondern "die Kriegsfolgekosten personeller und sachlicher Art, Flüchtlingsrenten, Aufbaukosten usw." Es ging bei der Diskussion um die von Menzel eingangs aufgeworfene Frage. Darauf weist Seebohm an der von Lütjohann zitierten Stelle ausdrücklich hin. Er spricht nur "bestimmte Zuschläge zur Sozialversicherung, die Zahlungen für Kriegsfolgekosten, auch für die Schwerbeschädigten usw." an, "die bisher vom Zonenhaushalt getragen worden wa-
ParlR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 183. Dr. Hans Christoph Süsterhenn (DP), Minister a.D., MdL Bayern, Par1R. Fin Aussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 196 f. 67 Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 15 vor Fn. 49 meint, niemand habe die Lasten der Sozialversicherung als Teil der Kriegsfolgelasten gesehen. Er liefert a.a.O. aber selbst Nachweise zu Äußerungen, die in Zusammenhang mit den Lasten der Sozialversicherung von kriegsbedingten sozialen Lasten sprechen. 65
66
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
ren" 68 . Die 7. Sitzung des Finanzauschusses behandelte ausschließlich kriegsbedingte Lasten. Nur in diesem Zusammenhang sind die in ihrem Verlauf getätigten Äußerungen verständlich. Teilweise herrschte Unklarheit. Die folgende Äußerung des Abgeordneten Dr. Greve ist fiir die damalige Verwirrung bezeichnend: "Wir sind davon ausgegangen, daß die Kriegsfolgeschäden einschl. der sozialen Verpflichtungen, die unabhängig von ihrer Eigenschaft als Kriegsfolgeschäden anzusehen sind, vom Bund zu tragen sind... "69. Dieser sprachlich nicht eindeutigen Äußerung zufolge sah Greve die "sozialen Verpflichtungen" offenbar als "Kriegsfolgeschäden" an. Klarheit herrschte hingegen bei den für sich allerdings sehr unterschiedlichen Schätzungen über die Höhe der Zuschüsse zur Sozialversicherun~: Sie führten die verschiedenen Versicherungszweige voneinander getrennt auf 0 und legten die im Jahre 1947 gezahlten Zuschüsse zugrunde. Unmittelbar nach Kriegsende enthielten diese Zahlungen in erheblichem Maße Zahlungen zu den Kriegsfolgelasten, die fiir die Finanznöte der Sozialversicherungsträger ursächlich waren. Soweit der Parlamentarische Rat die Lasten der Sozialversicherung erörterte, orientierten sich die Beratungen in erster Linie an diesen Zahlen. Die Beratungen gingen aber auch auf die Vorkriegssituation insbesondere der Jahre 1927 bis 1933 ein. Die Teilnehmer orientierten sich an den damals gezahlten überwiegend allgemeinen und stetigen Zuschüssen. Sie erkannten, daß diese Zuschüsse 8 bis 14 Jahre nach Ende des 1. Weltkriegs nicht in dem Maße zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung erfolgten, wie unmittelbar nach Ende des 2. Weltkriegs71 • Wie schon bei den Beratungen des Herrenchiernseer Konvents standen auch bei den Beratungen des Finanzausschusses des Parlamentarischen Rates die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung im Vordergrund des Problembewußtseins. Die Abgeordneten verwiesen immer wieder auf den provisorischen Charakter des nur für eine Übergangszeit gedachten Grundgesetzes 72• Es sollte sich PariR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 196. Dr. Otto-Heinrich Greve (SPD), Rechtsanwalt und Notar, ParIR. FinAussch. I 0. Sitz. vom 20.9.1948, Sten.Prot. S. 31 . 70 Vgl. insbes. Abg. Dr. Hermann Höpker-Ascho.ff(FDP), Staatsminster a.D., preußischer Finanzminister von 1915 bis 1931, in der 13. Sitz. des FinAussch. vom 6.10. 1948, Sten.Prot. S. 36 f. 71 In diesem Sinne etwa Abg. Otto Suhr (SPD), Stadtverordnetenvorsteher in Berlin, ParlR. FinAussch. 7. Sitz vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 187. 72 Der Abgeordnete Dr. Greve begründete seine Ansicht, die Materie des Art. 120 GG in einem einfachen Bundesgesetz zu regeln, mit derem temporären Charakter. Dem hielten mehrere Abgeordnete den ohnehin provisorischen Charakter des GG entgegen; 68 69
111. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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wie jede "Verfassung(... ) einer weisen Zurückhaltung befleißigen". Der hessische Finanzminister Dr. Hilpert forderte sie "besonders für das gesamte Problem der Ordnung" der Finanzen73 . Der Abgeordnete Dr. Höpker-Aschofflegte in der 13. Sitzung des Finanzausschusses den letztlich angenommenen Art. 12274 vor. Er faßte die Art. 121 f. HChE zusammen. Die in Art. 122 enthaltene Aufzählung war für die Kriegsfolgelasten so wie schon die Aufzählung in Art. 121 HChE nicht abschließend und nicht konstitutiv, sondern deklaratorisch gemeines. Für die Zuschüsse zur Sozialversicherung sind die überlieferten Ausfiihrungen etwas unklar, doch ging man hier wohl eher von einer konstitutiven Funktion der Vorschrift aus 76• Eine solche Differenzierung korrespondiert auch mit dem Wortlaut und der Systematik des späteren Art. 120 I GG a.F.: Danach war eine nähere bundesgesetzliche Regelung nur für die Übertragung der Kriegsfolgelasten erforderlich, nicht aber für die Übertragung der Zuschüsse zur Sozialversicherung. Der Allgemeine Redaktionsausschuß schlug vor, die Aufzählung der Aufgaben und Lasten des Bundes im ersten Teil des Art. 122 zu streichen, da es ungewöhnlich sei, in einer Verfassung festzulegen, wofür Staatseinnahmen zu
ParlR. FinAussch. 13. Sitz. vom 6.10.1948, Sten.Prot. S. 33 f., 41; genauso später im Hauptausschuß Abg. Dr. Carlo Schmid (SPD), Stellvertretender Ministerpräsident und Justizminister in Württemberg-Hohenzollem, ParlR. HptAussch. 41. Sitz (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 519. 73 Wemer Hilpert (CDU), stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister in Hessen, 6. Sitz des FinAussch. vom 23.9.1948, Sten.Prot. S. 31. 74 Der dem Hauptausschuß durch den Finanzausschuß am 13.10.1948 zugeleitete Entwurf des Art. 122 lautete in dem hier wesentlichen Teil: "Zur Deckung der Ausgaben des Bundes, insbesondere 1. der Kosten der Bundesverwaltung, 2. der Aufwendungen des Bundes flir Besatzungskosten und sonstige äußere und innere Kriegsfolgelasten, 3. der Zuschüsse des Bundes zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge, dienen folgende Einnahmen ... ", ParIR. Drs. 176/II (Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, S. 182). 75 Par!R. FinAussch. 13. Sitz. vom 6.1 0.1948, Sten.Prot. S. 4 f., 35 f., 41 (Abg. Dr. Greve: "Wir sollten uns aber nicht in der Verfassung festlegen und sollten ... das andere der Gesetzgebung überlassen"), 43, 51. Jedenfalls flir die Kriegsfolgelasten und die Besatzungskosten ging man übereinstimmend von einer lediglich deklaratorischen Funktion der Vorschrift aus, um den Weg offen zu halten, in späteren Gesetzen auch eine zusätzliche anteilige Lastentragung der Länder neben der des Bundes begründen zu können; Anm. 1 des Allgemeinen Redaktionsauschusses zum Entwurf des Art. 122, ParlR. Drs. 374 (Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, S. 182): "Diese Vorschriften haben keine konstitutive Bedeutung"; anders Vors. Dr. Schmid und dagegen Abg. Dr. HöpkerAschojf, Par!R. HptAussch. 14. Sitz. vom 2.l.l948 (2. Lesung), Sten.Prot. S. 167 und ders. in der 41 . Sitz. des HptAussch. vom 15.1.1949 (2. Lesung), Sten.Prot. S. 513; vgl. hierzu im einzelnen unten 5, sowie 4. Kapitel I 2 und die Darstellung bei Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. I (insbes. S. 4). 76 Vgl. hierzu unten 4. Kapitel I 2.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
verwenden seien. Er kritisierte nur die Zweckbindung der Einnahmen. Für die detaillierte Lastenzuweisung schlug er einen besonderen Artikel vor77• In der 1. Lesung des Hauptausschusses leitete der Abgeordnete Dr. Dehler die sich über die anschließenden Sitzungen erstreckende Debatte zu folgender Frage ein: Sollte Art. 122, wie bisher beabsichtigt, wegen des temporären Charakters der Kriegsfolgelasten zusammen mit den Vorschriften über das Finanzwesen aufgeführt, oder in die Übergangsbestimmungen übernommen werden?78 In der 2. Lesung brachte der Abgeordnete Schlör hiermit auch die Soziallasten in Zusammenhang, die er "als eines Tages wegfallend" bezeichnete79. Deshalb führte die von der CDU/CSU in der 2. Lesung beantragte aber abgelehnte Neuformulierung des Art. 122 die Lasten der Sozialversicherung, wie auch die anderen Bundesausgaben, nicht mehr auf. Nach dem Vorschlag sollten die Kriegsfolgelasten dem Bund in einem gesonderten Artikel in den Übergangsbestinunungen zugewiesen werden80• Offenbar reichte es nach dem Verständnis der CDU/CSU aus, dem Bund nur übergangsweise die Kriegsfolgelasten zuzuweisen, um dem Regelungsinhalt des Art. 122 zu erfassen. Das spricht dafiir, daß der Bund nach Art. 122 nur die kriegsbedingten Belastungen der Sozialversicherung bezuschussen sollte. Allerdings ging der Hauptausschuß in seiner 2. Lesung mehrfach auf die Lasten der Sozialversicherung in einer Weise ein, die fiir eine getrennte Betrachtung der Kriegsfolgelasten und der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung spricht. Der Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff trennte die Kriegsfolgelasten und die Lasten der Sozial- und der Arbeitslosenversicherung durch das Wort "und"8 \ was fiir sich genommen aber noch recht wenig besagt82. Wesentlich deutlicher wurde die Trennung zwischen Kriegsfolgelasten und den Zuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung in den Ausfiihrungen des Abgeordneten Dr. Seebohm83 . Sie faßten die vorher in den Beratungen zum Ausdruck gelangten Grundgedanken zusammen, kurz bevor der Hauptausschuß
77
ParlR. Drs. 324, S. 3.
78 Dr. Thomas Dehler, Landesvorsitzender der FDP in Bayern, ParlR. HptAussch.
14. Sitz. vom 2.12.1948, Sten.Prot. S. 166. 79 Kaspar Gottfried Schlör (CSU), Oberregierungsrat, 41. Sitz. des HptAussch. (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 511. 80 PariR. Drs. 508; zit. nach Holtkotten , BK, GG Art. 120, S. 5. 81 PariR. HptAussch. 41. Sitz. vom 15.1.1949 (2. Lesung), Sten.Prot. S. 513. 82 Vgl. oben I. 83 PariR. HptAussch. 41. Sitz. vom 15.1.1949 (2. Lesung), Sten.Prot. S. 516 (Hervorhebungen vom Verf.).
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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ohne weitere Debatte unter Berücksichtigung eines ergänzenden Vorschlags des Fünferausschusses in dritter Lesung am 10.2.1949 Art. 122 annahm84: "Wenn wir den ersten Abschnitt des Artikel 122 den Übergangsbestimmungen zuweisen, so ist dabei zu betonen, daß wir hier keine erschöpfende Aufzählung vorgenommen, sondern nur bestimmte besonders wichtige Gebiete herausgehoben haben. Daß der Bund die Kosten der Bundesverwaltung zu tragen hat, versteht sich von selbst. Daß der Bund die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung zu tragen hat, ist gleichfalls selbstverständlich. Diese beiden Aufgaben des Bundes werden auch in Zukunft bestehen bleiben. Dagegen sind die Aufwendungen des Bundes ftir Besatzungskosten und die sonstigen äußeren und inneren Kriegsfolgelasten, wenn auch ftir einen längeren Zeitraum, als vorübergehende Aufgabe anzusehen. Daher ist es zweclanäßig sie auch in den Übergangsbestimmungen festzulegen. Ich bin allerdings der Auffassung, daß es zweclanäßig wäre (...), die Frage der Zuschüsse des Bundes zu den Lasten der Sozialversicherung hier zu erwähnen, und zwar aus Gründen der Klarheit. Ich sehe hier ein Gebiet, auf dem der Bevölkerung eindeutig gesagt werden kann, daß der Bund sich als Treuhänder for alle die Menschen fohlt, die der Sozialversicherung unterliegen, und die Garantie dafür übernimmt, daß die Leistungen der Sozialversicherung unter allen Umständen aufrechterhalten bleiben. Das ist auch für die Einstellung vieler Menschen zu dem gesamten Grundgesetz von entscheidender Bedeutung. Deshalb sollte man nicht daran vorbeigehen, eine solche Bestimmung ausdrücklich aufzunehmen." Diese Ausführungen sprechen zwar für eine getrennte Betrachtung der Kriegsfolgelasten und der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung. Die h.M. fiihrt sie zusammen mit Art. 121 HChE als maßgeblichen Beleg dafür an, daß Art. 120 I 4 GG nicht nur die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung regelt85 • Aus den Ausführungen Seebohms ergibt sich jedoch nicht zweifelsfrei, daß mit den Zuschüssen zur Sozialversicherung mehr als die nur kriegsbedingten Zuschüsse gemeint waren. Möglicherweise verstand Seebohm unter den Zuschüssen zur Sozialversicherung in Übereinstimmung mit den meisten anderen im Verlauf der Verfassungsgebung getätigten Äußerungen gleichfalls nur die kriegsbedingten Zuschüsse. Vielleicht trennte er sie von den übrigen Kriegsfolgelasten nur, weil schon damals absehbar war, daß die Kriegsfolgen die Sozialversicherung über Jahrzehnte hinweg noch zu einer Zeit belasten würden, in der ihre Bedeutung für die anderen öffentlichen Aufgabenträger längst zurückgegangen sein würde. Derartige Annahmen sind jedoch eher spekulativ. Fest steht, daß die Ausführungen Seebohms einander widersprechen: Wenn er die Bundesaufgaben der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung als auch in Zukunft bestehend ansah, warum wollte er die Zuschüsse dann "aus Gründen der Klarheit" zusammen mit den vorübergehenden Kriegsfolgelasten in die Übergangsbestimmungen aufgenommen wis84 Vgl. hierzu im einzelnen nur die Darstellung im Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F., Bd. I, S. 836 m.w.N. 85 So jetzt auch Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 16 f.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
sen? Ein Klarheitsgewinn ist nicht ersichtlich. Genausowenig ist einzusehen, inwieweit eine nur übergangsweise Normierung der Finanzierungskompetenz des Bundes für die Sozialversicherung das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hätte bestärken können. Tatsächlich hat die Bevölkerung hiervon niemals ernsthaft Notiz genommen, jedenfalls nicht aufgrund der Vorschrift des Art. 120 I GG (1949) bzw. des heutigen Art. 120 I 4 GG. Und das Sicherheitsgefiihl einer überwiegend sozialversicherten Bevölkerung läßt sich kaum dadurch bestärken, daß der Staat nur fiir eine Übergangszeit Zuschüsse zur Sozialversicherung übernimmt. Wer die Ausführungen Seebohms als maßgeblichen Beleg für ein weites, nicht nur Kriegsfolgen erfassendes Verständnis der Zuschüsse zur Sozialversicherung ansieht, sollte dies bedenken. Darüber hinaus verlieren die Ausführungen vor den übrigen bisher angefiihrten Materialien, die überwiegend für ein enges Verständnis der Zuschüsse sprechen und unter Berücksichtigung des Wortlauts und der Systematik des Art. 120 I 4 GG an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund läßt sich die "weite" Auslegung der "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung" durch die ganz h.M. nicht allein auf die Ausführungen Seebohms und die getrennte Aufführung der Zuschüsse zur Sozialversicherung und der Kriegsfolgelasten in den vorgrundgesetzliehen Entwürfen der Vorschrift stützen. Deren numerische Form ging in die erste Fassung des Art. 120 GG nicht ein. Der Verfassungsgesetzgeber hat sich im weiteren Verlauf der verfassungsrechtlichen Entwicklung der Vorschrift niemals eindeutig für ein weites Verständnis der Zuschüsse i.S.d. Art. 120 I 4 GG ausgesprochen86• Das wäre für die Auslegung der h.M. aber erforderlich, denn sie weicht von dem eindeutigen systematischen Befund ab und ist deshalb begründungspflichtig. Die Ausruhrungen Seebohms dienen oft als Beleg daftlr, daß Art. 120 I GG (1949) eine verfassungsrechtliche Bundesgarantie für die Sozialversicherung regeln sollte. Der Begriff "Garantie" wird jedoch bis auf die Äußerung Seebohms im übrigen Verlauf der Entstehung des Art. 120 I GG ( 1949) nicht verwandt. Seebohm betrachtete die Zuschüsse zur Sozialversicherung als Ausfluß einer aus anderen, nicht näher dargelegten Grundsätzen abgeleiteten Bundesgarantie flir die Sozialversicherung. Allein darauf läßt sich ein auch die Zahlungen aufgrund der einfachgesetzlich normierten Bundesgarantien erfassendes Verständnis der Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht stützen. Auch hierfür wäre eine entsprechend deutliche Äußerung des Verfassungsgesetzgebers erforderlich, die aber fehlt.
Trotz mehrfacher Ablehnung der Aufnahme des Art. 122 in die Übergangsbestimmungen nahm der Hauptausschuß die geänderte und durch den Allgemeinen Redaktionsausschuß in Art. 138 c-5 umbenannte Vorschrift letztlich an. Der Verfassungsgesetzgeber nahm sie 1949 letztlich als die bis zum 30.7.1965 87 gültige erste Fassung des Art. 120 I GG in die Übergangsbestim86 87
Vgl. die weitere Darstellung der Entwicklungsgeschichte im folgenden. 14. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 30.7.1965 (BGBI. I S. 649).
111. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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mungen des Grundgesetzes auf'8 • Art. 120 I GG (1949) legt ähnlich wie schon Art. 121 HChE auf den ersten Anschein hin eine getrennte Betrachtung der kriegsbedingten und der nicht kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung nahe: "Der Bund trägt die Aufwendungen flir die Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten nach näherer Bestimmung eines Bundesgesetzes und die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluß der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge." Der Normtext differenziert bei der Anordnung der Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Kriegsfolgelasten und die Sozialversicherung zwischen verschiedenen Zahlungsformen: Einerseits spricht er von "Aufwendungen" andererseits von "Zuschüssen". Er verbindet beide Regelungskomplexe in differenzierender Weise durch das Wort "und". Die "Aufwendungen fiir die(..) Kriegsfolgelasten" soll der Bund "nach näherer Bestinunung eines Bundesgesetzes" tragen; fiir die "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung" ist ein solches Gesetz hingegen nicht erforderlich89. Die im Normtext des Art. 120 I GG (1949) vorgenommenen Differenzierungen sind genauso wie bei Art. 121 HChE nur ein Indiz fiir eine getrennte Betrachtung der Kriegsfolgelasten und der Zuschüsse zur Sozialversicherung90• Sie enthalten fiir deren Inhalt und Umfang keine abschließend klärende Aussage. Ob der Verfassungsgeber damals eine Finanzierungskompetenz des Bundes fiir Zuschüsse zu sämtlichen Lasten der Sozialversicherung festschreiben wollte, ist auch wegen des übergangsweisen Charakters der zu entwerfenden Verfassung zweifelhaft: Zwar wurden immer wieder Stinunen laut, die ihren dauerhaften Charakter betonten91 • Letztlich war den Abgeordneten ihr temporärer Charakter aber bewußt92. Dies galt für Art. 122 in besonderem Maße. Soweit die Vorschrift die Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Soziallasten normieren sollte, betrachtete der Parlamentarische Rat diese Lasten "als eines
88 Vgl. hierzu im einzelnen nur die Darstellung im Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart, N.F., Bd. 1, S. 835 ff. m.w.N. 89 Vgl. hierzu oben II. 90 Das Gutachten der Kommission des VDR, Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 122 f. schließt aus der wörtlichen Auslegung des Art. 120 GG a.F. und aus der Entstehungsgeschichte darauf, daß die Vorschrift nicht nur die Zuschüsse zu den kriegsfolgebedingten Lasten der Sozialversicherung, sondern zu ihren allgemeinen Lasten regelt. 91 Abg. Dr. Greve in der 13. Sitz. des FinAussch. vom 6.10.1948, Sten.Prot. S. 33. 92 So insbesondere der Vorsitzende des Hauptausschusses Dr. Schmid, ParlR. HptAussch.41. Sitz (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 519.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
Tages wegfallend". Deshalb sollten sie in den Übergangsbestimmungen geregelt werden93 • Außerdem hielten die Abgeordneten insgesamt nur eine situationsbezogene Regelung der Finanzfragen für möglich. Sie vertraten die Ansicht, daß sich gerade in der Finanzgesetzgebung tagespolitische Erfordernisse widerspiegeln. Um den Gesetzgeber späterer Zeiten nicht unnötig einzuengen, sollte die Materie des Art. 122 nicht- wie zunächst beabsichtigt- in den Abschnitt über das Finanzwesen eingebaut, sondern in die Übergangsbestimmungen aufgenommen werden. Die besonderen Voraussetzungen, die die Gesetzgebung der Nachkriegszeit prägten, sollten die Weiterentwicklung der Verfassung nicht mehr als unbedingt nötig erschweren. Die Verfassung sollte der künftigen Bundesgesetzgebung die Möglichkeit offen halten, "der Entwicklung in einem weiten Umfang Rechnung zu tragen"94• Nach Lütjohann erfolme die Aufnahme des Art. 122 in die Übergangsbestimmungen ohne weitere Überlegung 5• Das triffi nicht zu.
3. Überleitungsgesetze 1950-1955 Art. 120 I GG (1949) hatte den Bundesgesetzgeber mit der Regelung der Lastenübertragung beauftragt. Er kam Art. 120 I GG (1949) in der Nachkriegszeit mit der Überleitungsgesetzgebung96 nach97 • Sie hat für die Auslegung des Art. 120 I 4 GG maßgebliche Bedeutung. Was der einfache Gesetzgeber macht, kann zwar nur sehr begrenzt Gegenstand der Verfassungsinterpretation sein. Aber das Verständnis des einfachen Gesetzgebers ist für die Verfassungsinterpretation jedenfalls aufschlußreich. Für das Verständnis des Art. 120 I GG (1949) ist es von besonderer Relevanz, denn der Verfassungsgesetzgeber hat die Überleitungsgesetzgebung im Jahre 1965 bestätigt98 •
93 Abg. Schlör (CSU) in der 41. Sitz. des HptAussch. (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 511. 94 In diesem Sinne insbesondere Abg. Dr. Seebohm in der 41. Sitz. des HptAussch. (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 515 f. und später in ders. Sitz. der Vorsitzende Dr. Schmid: "(...)wenn unser Grundgesetz solange Bestand haben müßte, bis wir keine Besatzungskosten und keine Kriegsfolgelasten mehr zu tragen haben, dann wäre es um den Bestand Deutschlands schlimm bestellt". 95 Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 47 m.w.N. zu den angeblich nicht angestellten Überlegungen. 96 Vgl. oben I 4, II. 97 Begründung des Ersten Überleitungsgesetzes, BT-Drucks. I/I 064, S. I 0. 98 Hierzu unten 5.
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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Die Beratungen konzentrierten sich - unverändert unter dem maßgeblichen Eindruck der Bewältigung der Kriegsfolgen99 - im wesentlichen auf eine quotale Lastenbeteiligung der Länder 100• Sie wurde für die Zuschüsse zur Sozialversicherung kaum diskutiert und auch nicht eingeführt. Die Teilnehmer behandelten die Zuschüsse zur Sozialversicherung anfangs nur arn Rande 101 • Die Begründung des Entwurfs des Ersten Überleitungsgesetzes 102 erwähnt sie mit keinem Wort. Den Ausführungen der Begründung zufolge sind die Kriegsfolgelasten der einzige Regelungsinhalt des Art. 120 I GG (1949) und entsprechend des Ersten Überleitungsgesetzes. Das folgt schon aus dem ersten Satz der Begründung: "Artikel 120 GG trägt dem Grundgedanken Rechnung, daß es eine gerneinsame Angelegenheit des deutschen Volkes ist, die Kriegsfolgelasten zu tragen" 103 • § 1 Nr. 7, 8 des Entwurfs nennt die Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung und zu den Lasten der Sozialversicherung. Da das Gesetz nur Kriegsfolgelasten regeln sollte, ist anzunehmen, daß es sich hier nur um die Zuschüsse zu den kriegsfolgebedingten Lasten der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung handelt. Um klarzustellen, welche Lasten die gern. § 1 I Nr. 11 Erstes Überleitungsgesetz vom 28.11.1950 104 auf den Bund übergeleiteten Zuschüsse zur Sozialversicherun~ bezuschussen sollten, enthielt § 17 des Gesetzes eine detaillierte Aufzählung 05 • Über diese Aufzählung debattierten die gesetzgebenden Körperschaften nicht. Es bestand Klarheit darüber, welche Ausgaben im einzelnen auf den Bund übergehen sollten. Die Aufzählung führt zunächst die schon bisher vom Reich gezahlten Zuschüsse zur Sozialversicherung auf, die der Krieg erheblich in die Höhe getrie99 Vgl. z.B. Dr. Hilpert (Hessen) zum Entwurf eines Überleitungsgesetzes in der 20. Sitz. des BR vom 12.5.1950, Sten.Prot. S. 334, der sich im Zusammenhang mit Art. 120 GG wie folgt äußerte: "An sich sollten bereits vom I. Oktober 1949 ab die Besatzungskosten, die Kriegsfolgelasten und ähnliches mehr vom Bund bezahlt werden" (Hervorhebung vom Verf.). 100 Vgl. z.B. die 20. Sitz. des BR vom 12.5.1950, Sten.Prot. S. 235 ff. und die 73. Sitz. des BT vom 12.7.1950, Sten.Prot. S. 2644 ff. 101 Bundesfinanzminister Schäffer erwähnte die Zuschüsse in seiner umfangreichen Stellungnahme zum Entwurf eines Überleitungsgesetzes vom 19.6.1950, BT-Drucks. I/1064 mit einem einzigen Satz, BT, 73. Sitz. vom 12.7.1950, Sten.Prot. S. 2644. Vgl. im einzelnen unten 4. Kapitel I 3. 102 BT-Drucks. I/1064, S. 10 ff. 103 BT-Drucks. I/1064, S. 10 (Hervorhebung vom Verf.). Vgl. differenzierter Dr. Höpker-Aschoff, BT, 86. Sitz. vom 15.9.1950, Sten.Prot. S 3218 f. 104 BGBI. I 1950, S. 773. 105 Unveröffentlichtes Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.7.1950 Az. II C 4200-28/50 betr. den Entwurf eines Überleitungsgesetzes - BTDrucks. 1064-, S. 8.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
ben hatte. Der Leistungsfall trat durch die Kriegsfolgen bei einer Vielzahl der Versicherten früher ein und erhöhte so den Gesamtbetrag der nun vom Bund zu zahlenden Grundbeträge. Das galt entsprechend für die vormals vom Reich gezahlten Beträge, die zur dauernden Aufrechterhaltung der Leistungen der knappschaftliehen Rentenversicherung erforderlich und nun auf den Bund übergegangen waren. Außerdem hatte der Krieg der Sozialversicherung einen Großteil ihrer Beitragszahler genommen. Das strapazierte die ohnehin durch den erhöhten Finanzbedarf und die Währungsreform belasteten Haushalte der Sozialversicherungsträger zusätzlich. Daneben führte die Aufzählung eine Vielzahl weiterer kriegsbedingter Ausgaben der Sozialversicherungsträger auf. § 17 Erstes Überleitungsgesetz vom 28.11.1950 enthielt eine Aufstellung teilweise oder vollständig kriegsbedingter Lasten der Sozialversicherung. Dieser Katalog lag dem Verfassungsgesetzgeber bei der Verabschiedung des Art. 120 I GG (1949) nicht vor. Deshalb kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der Verfassungsgesetzgeber unter den Zuschüssen zur Sozialversicherung i.S.d. Art. 120 I GG (1949) die in§ 17 Erstes Überleitungsgesetz aufgeführten Ausgaben verstanden wissen wollte. Das sollte sich erst mit der Neufassung des Art. 120 GG im Jahre 1965 ändern 106• Was der einfache Gesetzgeber kurz nach Verabschiedung des Art. 120 I GG (1949) als dessen Regelungsinhalt angesehen hatte, kommt in dem Katalog des Ersten Überleitungsgesetzes und in dessen Begründung jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck: Er verstand unter den gern. Art. 120 I GG (1949) zu bezuschussenden Lasten der Sozialversicherung deren ganz überwiegend kriegsbedingte Lasten. Hierfür spricht noch ein weiterer Umstand: Nach dem Wortlaut des Art. 120 I GG (1949) war ein Bundesgesetz zur Überleitung der Zuschüsse zur Sozialversicherung auf den Bund im Gegensatz zur Überleitung der Kriegsfolgelasten nicht erforderlich107• Der einfache Gesetzgeber hat diese Differenzierung nicht zur Kenntnis genommen. Er hat in den Überleitungsgesetzen nicht nur die Kriegsfolgelasten, sondern auch die Zuschüsse zur Sozialversicherung auf den Bund übertragen. Das war nicht nötig, denn Art. 120 I GG ordnete den Lastenübergang der Zuschüsse von sich aus an. Offenbar sah der einfache Gesetzgeber zwischen den Kriegsfolgelasten und den Zuschüssen zur Sozialversicherung keinen wesentlichen Unterschied. Die undifferenzierte Vorgehensweise des einfachen Gesetzgebers bei der Lastenübertragung spricht dafür, daß das Erste Überleitungsgesetz in Ausführung des Art. 120 I GG a.F. nur die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung regeln sollte. 106 107
Hierzu unten 5. Vgl. oben I.
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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4. Finanzreform 1955 Art. 107 GG (1949) hatte dem Bundesgesetzgeber den Auftrag erteilt, eine endgültige Finanzausgleichsregelung 108 zu treffen. Die Finanzreform des Jahres 1955 109 sollte diesen Auftrag erfiillen 110• In der Reform ging es bedingt durch die ständig wiederkehrenden Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über die Steuerverteilung in erster Linie darum, eine stabilisierende Revision der provisorischen, unter dem maßgeblichen Einfluß der Besatzungsmächte zustande gekommenen Regelung des Finanzausgleichs im Rahmen der bisherigen Finanzverfassung vorzunehmen 111 • Kernstück der Reform war die Aufteilung der Erträge aus der Einkommen- und der Körperschaftsteuer auf Bund und Länder. Die Reform setzte vorrangig an der Steuerverteilung an. Die Zuschüsse zur Sozialversicherung wurden nicht berücksichtigt, sondern nur in Zusammenhang mit der Überleitungsgesetzgebung der vorangegangenen Jahre erwähnt 112• Hier waren sie aber von entscheidender Bedeutung, da sie für die staatsfmanzielle Notwendigkeit der Finanzreform mit verantwortlich waren: Der Überleitungsvorgang hatte zwar "das Mißverhältnis zwischen Finanzkraft und Belastung der einzelnen Länder, wie es sich vorher aus dem zufälligen, rein regionalen Anfall der Lasten und des Steueraufkommens ergeben hatte, erheblich verrnindert" 113 • Dennoch hatte er für die einzelnen Länder unterschiedliche Folgen: Die Überleitung hatte die steuerschwachen, durch die Kriegsfolgen besonders belasteten Länder stark entlastet. Die steuerstarken, mit Kriegsfolge- und Soziallasten aber weniger belasteten Länder hatte die Überleitung hingegen geschwächt. Durch diese horizontalen Ausgleichseffekte wirkte sich die Übertragung der Lasten und der hierzu erforderlichen Deckungsmittel 108 Zur Endgültigkeit eines Finanzausgleichs differenzierend BT-Drucks. 11/480, S. 38 Tz. 38; Fischer-Menshausen, DÖV 1956, S. 161, 162 f. 109 Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) vom 23.12.1955 (BGBI. I S. 817) nebst Ausflihrungsgesetzen. Vgl. BT-Drucks. 11/480; dazu Fischer-Menshausen, DÖV 1956, S. 161 ff. und Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, IV 2 b cc (3). 110 Vgl. BT-Drucks. 111480 S. 16, 34. Art. 107 GG (1949) forderte ftir die endgültige Steuerverteilung auf Bund und Länder in der Verfassung kurioserweise nicht ein verfassungsänderndes Gesetz i.S.d. Art. 79 II GG, sondern nur ein mit einfacher Mehrheit zu beschließendes Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Zum problematischen Rechtscharakter dieses Gesetzes BT-Drucks. 111480, S. 41 f. Tz. 47 ff. In den Schlußabstimmungen hat das Gesetz die gern. Art. 79 II GG erforderlichen Mehrheitenjedenfalls erreicht; Fischer-Menshausen, DÖV 1956, S. 161, 162 mit Fn. 9. 111 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104a -109 Rn. 6 f.; BT-Drucks. V/2861, S. 10, 20. 112 Begründung zu den Entwürfen eines Finanzverfassungs-, Finanzanpassungs- und Länderfinanzausgleichsgesetzes vom 29 .4.1954, BT-Drucks. 111480, S. 31; vgl. unten 4. Kapitel I 4. 113 BT-Drucks. IU480, S. 32.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
auf den Bund für die Länder unterschiedlich aus. Im Ergebnis führte der Überleitungsvorgang sogar zu einer Erhöhung der Gesamtbelastung aller Länder in Höhe von 170 Mio. DM. Es waren allerdings weniger die zusätzlichen Aufwendungen, sondern eher die regional unterschiedlichen Auswirkungen des Überleitungsvorgangs, die zu einer unterschiedlichen Verteilung der Finanzkraft unter den Ländern führten. Die Finanzreform versuchte diesem und anderen Mißständen durch eine Neuordnung der Steuerverteilung Herr zu werden. Sie packte das Problem damit auf der Einnahmenseite an, anstatt - was theoretisch genauso möglich gewesen wäre - eine entsprechende Korrektur auf der Ausgabenseite vorzunehmen. Hierzu hätte der Reformgesetzgeber den Überleitungsvorgang rückgängig machen müssen. Das wurde jedoch schon wegen der politischen Brisanz eines solchen Vorhabens nicht in Erwägung gezogen114. Auch für den Bund blieb der für ihn kostenträchtige Überleitungsvorgang nicht folgenlos: Seine bereits durch die Überleitung gestiegene fmanzielle Belastung erhöhte sich absolut und im Verhältnis zu den Ausgaben der Länder in der Folgezeit durch sozialpolitische Maßnahmen und außenpolitische Verpflichtungen. Um die zusätzlichen Lasten tragen zu können, machte der Bundesgesetzgeber von der Inanspruchnahmebefugnis gern. Art. 106 II GG (1949) Gebrauch und hob den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer seit 1951 sukzessive an. Die ursprünglich allein den Ländern zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer erhielt zunehmend die Funktion eines nach Bedarfsdringlichkeit zu verteilenden Deckungsmittels. Die Finanzreform 1955 hat den sich in dieser Entwicklung abzeichnenden Übergang vom Trennzum Verbundsystem verfassungsrechtlich nachvollzogen, indem sie die Einkommen- und die Köperschaftsteuer Bund und Ländern in Art. 106 III GG (1955) faktisch als Gemeinschaftssteuern zuwies 115• Die Überleitung der Zuschüsse zur Sozialversicherung auf den Bund war sicherlich nicht die einzige und auch nicht die wichtigste staatsfmanzielle Ursache für diesen Teil der Finanzreform. Dennoch hatte sie auf die quotenmäßige Verteilung beider Steuern auf Bund und Länder, so wie sie die Verfassung anfänglich festgeschrieben hatte, erhebliche Auswirkungen: Wäre die Finanzierungskompetenz für die Zuschüsse zur Sozialversicherung bei den Ländern geblieben, hätten sie mit einem höheren als dem ihnen ursprünglich zugedachten Anteil in Höhe von 40 % bedacht werden müssen, um die ihnen obliegenden fmanziellen Verpflichtungen erfüllen zu können. Die vom Gesetzgeber der Finanzreform 1955 vorgefundene finanzielle Situation beider bundesstaatli-
BT-Drucks. 11/480, S. 52. Die Verwendung des Begriffs "Gemeinschaftssteuer" hat die Gesetzesbegründung aber bewußt vermieden. 114 115
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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eher Ebenen war also in hohem Maße durch die Finanzierungskompetenz des Bundes für die Zuschüsse zur Sozialversicherung geprägt. Die im Zuge der Überleitung der Kriegsfolgelasten auf den Bund erfolgte Übertragung der Zuschüsse zur Sozialversicherung hat die Finanzreform des Jahres 1955 zu einem guten Teil mit in Gang gesetzt. Die Begründung der damals vorgelegten Gesetzesentwürfe erwähnt die Zuschüsse aber nur am Rande. Sie geht allein bei der Schilderung der Ursachen der zu behebenden fmanzrechtlichen Mißstände gelegentlich auf die Zuschüsse ein. Ausdrücklich benannt werden sie aber nirgends. Wenn die Begründung der Finanzreform von Art. 120 I GG (1949) spricht, dann nur in dem Sinne, daß die Vorschrift dem Bund die Finanzierungskompetenz fiir die "Kriegsfolge- und Soziallasten" 116 zuweist. Der Begriff "Sozialversicherung" fällt in der Begründung nur ein ein. M a1117. z1ges Das ist umso bemerkenswerter, als die Finanzreform 1955 in engem Zusammenhang mit der Steuerverteilung auch die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern neu regelte. Hierauf soll an dieser Stelle noch nicht näher eingegangen werden 118 • Es bedarfkeiner weiteren Einzelheiten, um die verfassungsrechtliche Neuregelung der Lastenverteilung ohne ausdrückliche Berücksichtigung der neben den Kriegsfolgelasten einzigen verfassungsrechtlich bereits verteilten Last als erstaunlich zu bezeichnen. Zwar erwähnt die Gesetzesbegründung Art. 120 I GG (1949) mehrfach als Ausnahme des neu zu normierenden allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes, wonach "die Ausgaben, die durch die Wahrnehmung einer Aufgabe entstehen, dem Träger der Aufgabe zur Last fallen" 119• Doch bezeichnet sie die in der Vorschrift geregelten Ausgaben in verkürzender Form mit einer Ausnahme undifferenziert als "Kriegsfolge- und Soziallasten" oder "-ausgaben". Die Begründung erwähnt die "Sozialversicherung" als Begünstigte der Zuschüsse nach Art. 120 I GG (1949) nur an einer Stelle in einem Klammerzusatz und auch nur, um sie von den vorstehenden und nachfolgenden Betrachtungen aus unerklärlichen Gründen ausdrücklich auszuschließen120 • Die nachfolgende Kritik an der Ausnahme von der allgemeinen Lastentragungsregel in Art. 120 I GG (1949) bezieht sich konsequent nur ("namentlich") auf den Teil der Sozialgesetzgebung, der das Fürsorgewesen regelt. Die Sozialversicherung bleibt außen vor. Gänzlich undifferenziert wird im weiteren Verlauf mehrfach von
BT-Drucks. 11/480, S. 31 BT-Drucks.II/480, S. 51 Tz. 67. 118 Hierzu unten 4. Kapitell. 119 BT-Drucks.II/480, S. 46 f., 49, 5lff., 106, 121. Hierzu unten 4. Kapitel I 4. 120 BT-Drucks. 111480, S. 51 Tz. 67.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
"sozialen Kriegsfolgeausgaben" gesprochen121 , in denen sich der Regelungsinhalt des Art. 120 I GG (1949) ausweislich der Begründung zur Änderung des Ersten Überleitungsgesetzes zu erschöpfen scheint. Diese Änderung erfolgte zwar in erster Linie auf dem Gebiet der Kriegsfolgelasten. Ihre Begründung steht jedoch mit den anderen gleichzeitigen Änderungen der Finanzreform in so engem Zusammenhang, daß die mehrfach vorgenommene Beschränkung des Art. 120 I GG (1949) auf die kriegsbedingten Lasten nur mit einem hieraufreduzierten Verständnis des Gesetzgebers der Finanzreform erklärt werden kann. Bezeichnend ftir das damalige Verständnis der Zuschüsse zur Sozialversicherung sind auch die folgenden Äußerungen des Abgeordneten Dr. Schellenberg (SPD) im Verlauf der kurz nach der Finanzreform 1955 durchgeftihrten Rentenreform 1956/5i 22: "Der Bund soll sich (...)wie bisher mit 40 v.H. an den Rentenausgaben beteiligen als Ersatz ftir die Milliardenwerte, die durch Krieg- und Währungsumstellung verlorengegangen sind" 123 ; "der Bundeszuschuß ist einmal ein Ausgleich ftir die durch Krieg und Währungumstellung verlorengegangenen Vermögenswerte, er ermöglicht eine Erstattung ftir die Rentenverluste beispielsweise der Heimatvertriebenen, er dient weiter einem teilweisen Ausgleich der zusätzlichen Kriegslasten der kriegsbeschädigten Rentner" 124. Weitere Funktionen maß der einfache Gesetzgeber dem Bundeszuschuß zur Rentenversicherun:5 nicht bei. Die Bundesgarantie behandelte Schellenberg von den Zuschüssen getrennt1 • All dies erweckt den Eindruck, daß der Gesetzgeber sein Augenmerk so wie schon der Parlamentarische Rat auch 10 Jahre nach Kriegsende im wesentlichen auf die Bewältigung der Nachkriegssituation richtete. Art. 120 I GG (1949) wurde als Kompetenztitel für die Finanzierung der Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht erläutert. Die amtliche Begründung der Finanzreform liefert keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß die unverändert übernommene Vorschrift des Art. 120 I GG (1949) mehr enthalten könnte, als vom Parlamentarischen Rat beabsichtigt. Dennoch war die Finanzreform für das Verständnis des Verfassungsgesetzgebers von den Zuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung von erheblicher Bedeutung: Die Reformgesetze tasteten den vom einfachen Gesetzgeber beschlossenen Überleitungsvorgang nicht an, obwohl ihre amtliche Begrün-
121 BT-Drucks. 111480, S. 52, 121. Der ftlr die Finanzreform maßgebliche Beamte des Bundesfinanzministeriums Fischer-Menshausen verstand unter den "nach Art. 120 Abs. 1 GG vom Bund zu finanzierenden Sozialausgaben" bezeichnender Weise nur die "Kriegsfolgenhilfe, Kriegsopferversorgung usw."; Fischer-Menshausen, DÖV 1956, S.
161, 167; 1955, s. 261, 264. 122 Vgl. oben I. Kapitel III 2 a. 123 2. BT, 143. Sitz. vom 4.5.1956, Sten.Prot. S. 7569. 124 2. BT, 154. Sitz. vom 27.6.1956, Sten.Prot. S. 8350. 125 Abg. Dr. Schellenberg in der 143. Sitz. des 2. BT vom 4.5.1956, Sten.Prot. S. 7569: "Der Gesetzesentwurfregelt ferner die Bundesgarantie, die sich aus Art. 120 des
Grundgesetzes ergibt".
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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dungseine Folgen für die staatsfmanzielle Notwendigkeit der Reform mit verantwortlich gemacht hatte. Der Verfassungsgesetzgeber hat die Überleitungsgesetze dadurch konkludent anerkannt. Da sie in Ausführung des Art. 120 I GG (1949) ergingen, liegt es nahe, die in ihnen vorgenommene Konkretisierung des Art. 120 I GG (1949) als verfassungsrechtlich maßgeblich anzusehen 126• Jedenfalls hat der Verfassungsgesetzgeber diese Konkretisierung gebilligt. S. Neufassung des Art. 120 I GG im Jahre 1965 Auch die nach 6jähriger Beratung erfolgte Neufassung des Art. 120 I GG im Jahre 1965 127 schenkte den Bundeszuschüssen zur Sozialversicherung keine Beachtung, obwohl die EinfUgung des jetzigen Satzes 2 über die bisherige konkludente Anerkennung hinaus die ausdrückliche Sanktionierung der folgenreichen Überleitungsgesetze durch den Verfassungsgesetzgeber bedeutete. Bei der Änderung der Vorschrift ging es um eine umfassende Bestätigung des status quo 128 : Die Neufassung des Art. 120 GG hat die Verfassungsmäßigkeit der Interessenquoten für die Kriegsfolgelasten und die frühere Arbeitslosenfürsorge bestätigt129• Art. 120 I 2 GG regelt nun, daß Bund und Länder diese Lasten tragen, wenn Bundesgesetze dies vor dem 1.10.1969 so vorsahen. Die Vorschrift erfaßt die Überleitungsgesetze und erkennt damit die dort vorgesehenen Interessenquoten, die eine Lastentragung durch Bund und Länder zum Gegenstand hatten, verfassungsrechtlich an130• Hierzu unten 5. 14. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 30.7.1965 (BGBI. I S. 649). 128 BT-Drucks. III/2858, S. 2; IV/3467, S. 2. Zur Neufassung prägnant Schaefer, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 120 Rn. 4, 13 ff.; kritisch Maunz, in: M/DIH/S, GG Art. 120, Rn. 19 ff. 129 Vgl. oben 3. Die aufGrundJage der zwischen dem Bundesfinanzminister und den Finanzministern der Länder vereinbarten "Grundsätze flir eine abschließende Regelung der Übernahme von Kriegsfolgelasten im Sinne von Art. 120 GG auf den Bund" vom 13./14.10.1960 (sog. Dürkheimer Abkommen) erfolgte Neufassung des Art. 120 GG sanktionierte ferner den Lastenausgleich gern. § 6 LAG u.ä.; vgl. die Übersichten bei Schaefer, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 120 Rn. 10, 12. Der neben Satz 2 neu eingefUgte Satz 3 sah flir bundesgesetzlich noch nicht geregelte Kriegsfolgelasten eine "Schutzklausel" zugunsten des Bundes vor, derzufolge der Bund bis zum 1.10.1965 von den Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbänden erbrachte bundesgesetzlich nicht geregelte Aufwendungen ft.ir Kriegsfolgelasten nicht übernehmen mußte. 130 Das bedeutet flir Art. 120 I 4 GG keine Erweiterung: Nach dessen Wortlaut kann nur der Bund Zuschüsse zu den Lasten der Arbeitslosenhilfe zahlen. Die Überleitungsgesetzgebung hatte an diesen Lasten nur flir das Jahr 1950 eine quotale Beteiligung der Länder vorgesehen. Art. 120 I 2 GG hat allein diesen Verstoß gegen Art. 120 I GG a.F. nachträglich sanktioniert. Eine weitergehende Funktion hat die Sanktion nicht. Art. 120 I 2 GG wirkt ex tune. 126 127
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
Wichtig ist: Diese Anerkennung bezieht sich nicht nur auf die in Art. 120 I 2 GG ("diese Kriegsfolgelasten") gemeinten und in den Überleitungsgesetzen auf den Bund übertragenen "Aufwendungen für die Besatzungskosten und die sonstigen inneren und äußeren Kriegsfolgelasten" nach Art. 120 I 1 GG, sondern auch auf die gleichfalls in den Überleitungsgesetzen geregelten kriegsbedingten Zuschüsse zur Sozialversicherung. Die Neuregelung sollte "eine abschließende Regelung der Übernahme von Kriegsfolgelasten im Sinne von Art. 120 GG auf den Bund" treffen 131 • Sie beschränkte sich nicht allein auf die Anerkennung der Interessenquoten. Die Regelungsabsicht des Verfassungsgesetzgebers zielte auf eine umfassende und klarstellende verfassungsrechtliche Bestätigung des gesamten Lastenübergangs. Hierzu zählten auch die in den Überleitungsgesetzen geregelten Zuschüsse zur Sozialversicherung. Mangels gegenteiliger Hinweise ist davon auszugehen, daß der Verfassungsgesetzgeber bei der Sanktionierung des Lastenübergangs unter den Zuschüssen zur Sozialversicherung im Sinne des Art. 120 I 4 GG- so wie der einfache Gesetzgeber in § 1 I Nr. 11 Erstes Überleitungsgesetz - die im Katalog des § 17 Erstes Überleitungsgesetz enthaltenen kriegsbedingten Zuschüsse zur Sozialversicherung verstand. Der Katalog fiihrt die Zuschüsse zur Rentenversicherung der Angestellten und die Zuschüsse aufgrund der sozialrechtlichen Bundesgarantien nicht auf. Sie gehören deshalb nicht zu den Zuschüssen i.S.d. Art. 120 I 4 GG. Das BSG war in seiner Entscheidung vom 24.5.1972 anderer Meinung: Der einfache Gesetzgeber könne den auf Art. 120 GG und damit aufhöherrangigem Verfassungsrecht beruhenden Lastenübergang nicht nachträglich einschränken 132• Die Aufzählung in § 17 Erstes Überleitungsgesetz sei deshalb ergänzungsfähig. Deshalb könnten auch dort nicht erwähnte Lasten allein aufgrund von Art. 120 I GG auf den Bund übergegangen sein. Der Bundesgesetzgeber hielt die Aufzählung der einzelnen auf den Bund übertragenen Lasten zwar nicht ftir abschließend. Er machte den Übergang anderer Lasten jedoch von einer bundesgesetzliehen Regelung abhängig 133 . Er ging ersichtlich davon aus, daß Art. 120 I GG nicht selbst den Übergang deljenigen Lasten regelte, die das Erste Überleitungsgesetz oder andere Bundesgesetze auf den Bund übergeleitet hatten. Anderenfalls wäre die gesamte Überleitungsgesetzgebung überflüssig gewesen. Die Auffassung des BSG korrespondiert zwar mit dem Wortlaut und mit der Systematik des Art. 120 I GG. Der Bundesgesetzgeber hat Art. 120 I GG aber nur unzureichend zur Kenntnis genommen. Der Verfassungsgesetzgeber hat diese Praxis mit der Einfügung des Art. 120 I 2 GG im Jahre 1965 bestätigt. Sie sollte die schon aus der Finanzreform hervorgehende konkludente Billigung der Überleitungsgesetze durch den Verfassungsgesetzgeber ausdrücklich sanktionieren. Das wäre nicht erforderlich gewesen, wenn der Verfassungsgesetzgeber davon ausgegangen wäre, daß Art. 120 I GG den Lastenübergang schon aus sich heraus anordnet. 131
129. 132 133
So die Bezeichnung der Grundsätze des Dürkheimer Abkommens; vgl. oben Fn. BSGE 34, 177 (179). Vgl. zu dieser Entscheidung unten IV, 4. Kapitel III I. BT-Drucks. 111064, S. II.
111. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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Die Änderung des Art. 120 I GG ging auf einen Beschluß des BVerfG vom 16.6.1959 134 zurück, der das Gesetz über die Tilgung von Ausgleichsforderungen135 als mit Art. 120 GG (1949) unvereinbar und nichtig erklärt hatte. Bei der Entscheidung ging es ausschließlich um die Verteilung der Kriegsfolgelasten zwischen Bund und Ländern, soweit Art. 120 I 1. Hs. sie erfaßte 136. Hieraufhat sich die spätere Änderung der Vorschrift im Sinne einer Ergänzung auch beschränkt137. Der Inhalt des ursprünglichen Art. 120 I GG (1949) ging unverändert in die Sätze 1 und 4 der Neufassung ein. In der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es: "Satz 4 entspricht bis auf eine Abweichung dem bisherigen zweiten Halbsatz von Art. 120 Abs. 1. Er ist aus redaktionellen Gründen von dem die Kriegsfolgelasten regelnden ersten Halbsatz abgetrennt worden, ohne den materiellen Inhalt der Vorschrift zu ändem" 138• Die Änderung sollte den Teil des Art. 120 I GG (1949), der die Zuschüsse zur Sozialversicherung regelte, sachlich nicht berühren 139. Demnach bleibt der vom Parlamentarischen Rat festgelegte und durch den Gesetzgeber der Finanzreform konkludent präzisierte Bedeutungsgehalt der Regelung maßgeblich. Die zitierte Passage spricht deshalb nicht abweichend von dem bisherigen Verständnis zugunsten eines nicht nur die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung erfassenden Verständnisses der Norm. Sie erlaubt auch nicht, aus der Regelung der Kriegsfolgelasten im ersten Halbsatz des bisherigen Art. 120 I BVerfGE 9, 305 ff. Hierzu auch unten IV. Gesetz vom 14.6.1956 (BGBI. I S. 507) i.d.F. vom 23.3.1957 (BGBI. I S. 285). 136 Nach Auffassung des Gerichts muß der Bund die bundesgesetzlich geregelten Kriegsfolgelasten gern. Art. 120 I GG (1949) alleine tragen. Deshalb müsse der Bund bei der Normierung solcher Gesetze, die zusätzliche Aufwendungen flir Kriegsfolgelasten zur Folge haben, gleichzeitig regeln, daß und wie er diese Aufwendungen trägt. Da der Rechtsbegriff "Kriegsfolgelasten" hinreichend bestimmt sei, verfUge der Gesetzgeber über keine Befugnis zur Legaldefinition der von ihm zu tragenden Kriegsfolgelasten; hierzu kritisch die Urteilsanmerkung von Görg, DVBI. 1960, S. 432 f. 137 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 120 des Grundgesetzes vom 9.3.1961, BT-Drucks. III/2590, S. 7 f.; schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses vom 23.6.1961, BT-Drucks. III/2858. Der Gesetzgeber konnte den Entwurf in der 3. Legislaturperiode nicht mehr verabschieden; die Bundesregierung legte ihn in der folgenden Legislaturperiode wied~r vor. Vgl. deshalb ferner die Begründung des Entwurfs eines .. . Gesetzes zur Anderung des Grundgesetzes vom 15.8.1964, BT-Drucks. IV/2524 (= BR-Drucks. 267/64), S. 8; Finanzminister Qualen (Schleswig-Holstein) in der 271. Sitz. des BR vom 26.6.1964, Sten.Ber. S. 113; Abg. Jahn in der 135. Sitz. des Rechtsausschusses vom 20.5.1965, Sten.Prot. S. 8 (unveröffentlicht); schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses vom 21.5.1965, BTDrucks. IV/3467. 138 BT-Drucks. III/2590, S. 8; IV/2524, S. 9. 139 BT-Drucks. IV/3467, S. 2; IV/2524 S. 8 f.; und schon III/2858, S. 2; Bieback, VSSR 1993, S. I, 16; Diemer, VSSR 1982, S. 31, 57; Sturm DVBI. 1965, S. 719, 722 f.; Maunz, in: M/D/H/S, GG Art. 120, Rn. 20. 134
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
GG im Umkehrschluß zu folgern, der zweite Halbsatz habe nicht die Kriegsfolgelasten zum Inhalt. Die Verselbständigung des Regelungsinhalts des zweiten Halbsatzes der bisherigen Vorschrift in einem eigenen Satz in der neuen Vorschrift besagt fiir sich noch nichts. Zwar legt sie die Interpretation nahe, der Verfassungsgesetzgeber habe auf diese Weise die Eigenständigkeil des Regelungsinhalts dieses Satzes betonen wollen 140• Über dessen konkreten Inhalt ist damit aber keine neue Aussage getroffen. Da die Neufassung den bisherigen Inhalt der Vorschrift hinsichtlich der Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht ändern sollte und der gleichzeitig neu eingefügte Satz 5 deutlich darauf hinweist, daß Art. 120 I GG die Kriegsfolgelasten regelt, bedeutet die Verselbständigung des bisherigen Halbsatzes 2 des Art. 120 I GG a.F. eine Hervorhebung der kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Nach ganz h.M. erschöpft sich die Funktion des neu eingefügten Satzes 5 in der Klarstellung, daß Art. 120 I GG keine Anspruchsnorm fiir den Bürger ist, sondern nur die fmanzielle Verantwortung zwischen Bund und Ländern regelt. Der Staatsbürger soll aus der Vorschrift keine Ansprüche gegen die öffentliche Hand herleiten können 141 • Das ist aber noch nicht alles: Art. 120 I 5 GG bestärkt den ohnehin erweckten Eindruck, daß die unmittelbar vorher geregelten Zuschüsse zur Sozialversicherung in engem Zusammenhang mit den Kriegsfolgelasten im übrigen Teil des Absatzes stehen. Anderenfalls hätte der Verfassungsgesetzgeber den Satz 5 auch als Satz 4 der Vorschrift vor die Regelung über die Zuschüsse zur Sozialversicherung aufnehmen können. Dies geschah jedoch nicht. Deshalb spricht viel dafiir, daß die Vorschrift nur die kriegsbedingten Zuschüsse zur Sozialversicherung regelt. Dem Verfassungsgesetzgeber kann ein derart naheliegendes Verständnis des Satzes 5 nach 6jähriger Beratung kaum entgangen sein. Dies erscheint urnso unwahrscheinlicher, als Satz 5 ausdrücklich der Klarstellung dienen sollte. Auch wenn sich die Klarstellung nach der Begründung der Verfassungsänderung auf den fehlenden Anspruchscharakter der Vorschrift bezieht, ist ein auf die kriegsbedingten Zuschüsse reduziertes Verständnis des Art. 120 I 4 GG doch so offensichtlich, daß es in die Überlegungen des Verfassungsgesetzgebers mit einbezogen gewesen sein muß. Gegenteiliges läßt sich nicht mit dem Verweis darauf begründen, aus Satz 5 folge noch nicht, daß die Kriegsfolgelasten der einzige Regelungsgehalt des Art. 120 I GG seien 142• Ein derartiges Verständnis des gerade um der Klarstellung willeneingefügten Satzes 5 ist keinesfalls offenkundig und widerspricht unter Berücksichtigung des 140 Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 50. 141 BT-Drucks. IV/2524, S. 9; IV/3467, S. 2; Schaefer, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 120 Rn. 16; Maunz, in: M/D/H/S, GG Art. 120, Rn. 20. 142 Bieback, VSSR 1993, S. I, 16.
111. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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Wortlauts und des Kontexts der Vorschrift den herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden 143 • Art. 120 I 5 GG besagt: Der gesamte Absatz 1 des Art. 120 GG regelt nur Kriegsfolgelasten. Zwar ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 120 I GG einzelne Anhaltspunkte für eine entgegenstehende Interpretation, doch bleibt es insoweit bei wenigen Äußerungen einzelner Abgeordneter und nicht umgesetzten Gesetzesentwürfen. Der objektivierte Wille des Verfassungsgesetzgebers geht seit der EinfUgung des Satzes 5 deutlich dahin, unter den zu bezuschussenden Lasten der Sozialversicherung nur diejenigen zu verstehen, die auch der übrige Teil des Art. 120 I GG regelt. Für eine entgegenstehende, von dem bisherigen Verständnis abweichende Auslegung bedürfte es eines dahingehenden Betätigungswillens des Verfassungsgesetzgebers, der im Verfassungstext oder aus dem Zusammenhang zwischen der alten und der neuen Regelung offenbar werden müßte. Ein solcher ist nicht ersichtlich. Einzelne Äußerungen oder Entwürfe im Gesetzgebungsverfahren, die auf ein weites Verständnis der Zuschüsse i.S.d. Art. 120 I 4 GG schließen lassen, können nicht allein entscheidend sein. Die Normvorstellungen der an der Vorbereitung des Gesetzes beteiligten Personen sind "wertvolle Hilfen" fiir das Verständnis der Vorschrift. "Sie stellen in der Regel aber nicht den Willen des eigentlichen Gesetzgebers dar" 144 •
6. Finanzreform 1969 Die Finanzreform des Jahres 1969 145 legte das überlieferte Verständnis des Art. 120 GG zugrunde. Nach dem ausdrücklichen Hinweis in der amtlichen Begründung sollte Art. 120 GG als Sonderregelung des allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes unberührt bleiben 146• Weder die Begründung noch das für die Reform maßgebliche sog. Troeger-Gutachten erwähnt die Zuschüsse zur Sozialversicherung. Die Begründung geht auf den Inhalt der Vorschrift nicht ein. Die Gutachter erörterten Art. 120 GG nur kurz als "Sonderregelung für die Fi-
Vgl. BVerfGE II, 126 (130); 82, 6 (II). Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 165; BVerfGE I, 299 (312); Krüger, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 142 f. 145 15., 20., 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 8.6.1967 (BGBI. I S. 581) und vom 12.5.1969 (BGBI. I S. 357, 359). 146 Begründung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 30.4.1968, BT-Drucks. V/2861, S. 51 Tz. 289; vgl. auch BT-Drucks. V/4104 S. 5. 143
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
nanzierung der Kriegsfolgelasten" und schlugen keine Neufassun9 der Vorschrift vor, da sie die Kriegsfolgelasten als auslaufend betrachteten 14 •
7. Änderung der Vorschrift im Jahre 1969 Die letzte, kurz nach der Finanzreform erfolgte Änderung der Vorschrife 48 beschränkte sich darauf, den Termin für eine Beteiligung der Länder an den Kriegsfolgelasten in Satz 2 auf den 1.10.1969 zu verschieben, um die Länder an den durch eine Änderung des§ 6 LAG gewährten Entschädigungsleistungen für Schäden in der ehemaligen DDR und Ost-Berlin zu beteiligen 149• Die Gesetzesbegründung erwähnte die Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht. 8. Verfassungskommissionen 1976 und 1993 Das änderte sich auch nicht, als der Bundestag eine Enquete-Kommission fiir Fragen der Verfassungsreform einsetzte. Der von der Kommission 1976 vorgelegte Schlußbericht150 befaßte sich nirgends mit den Zuschüssen zur Sozialversicherung. Das gilt auch für den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission aus dem Jahre 1993 151 • 9. Ergebnis Art. 120 I 4 GG ist nur vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit verständlich. Der Entstehungsgeschichte läßt sich nicht mit letzter Gewißheit entnehmen, daß die Vorschrift nur die Lasten für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung verteilen sollte. Sie liefert aber auch keinen zwei-
147 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland (Troeger-Gutachten), S. 55 Tz. 216. 148 24. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.7.1969 (BGBI. I S. 985). 149 Vgl. die Begründung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 18.4.1969, BT-Drucks. V/4104, S. 3; Bundesminister ftir Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte Windelen in der 335. Sitz. des BR vom 7.3.1969, Sten.Ber. S. 66 f., sowie in ders. Sitz. Minister Wertz (Nordrhein-Westfalen), Sten.Ber. S. 73 ff.; Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses vom 8.5.1969, BT-Drucks. V/4178; Debatten in der 235. Sitz. des BT vom 14.5.1969, Sten.Ber. S. 12987 ff. und in der 340. Sitz. des BR vom 20.6.1969, Sten.Ber. S. 154 ff. 150 Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform vom 9.12.1976, BTDrucks. VII/5924. 151 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5.11.1993, BT-Drucks. 12/6000.
III. Entstehungs- und Anwendungsgeschichte des Art. 120 I GG
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felsfreien Hinweis darauf, daß daran gedacht war, dauerhaft eine Finanzierungskompentenz des Bundes fiir sämtliche Zuschüsse zur Sozialversicherung zu normieren. Dennoch geht die ganz h.M. meist nahezu bedenkenlos hiervon aus. Darin liegt der Gewinn der vorstehenden Untersuchung: Sie zeigt, daß die Entstehungsgeschichte des Art. 120 I 4 GG entgegen der h.M. deren weite Auslegung der "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung" nicht einwandfrei belegt. Im Gegenteil spricht der entstehungs- und anwendungsgeschichtliche Befund eher fiir ein eingeschränktes Verständnis der Zuschüsse. Für die Beantwortung der Frage, ob Art. 120 I 4 GG sämtliche Zuschüsse zur Sozialversicherung regelt, folgt aus der grammatischen und systematischen Auslegung des Art. 120 I 4 GG folgendes: Der Wortlaut des Art. 120 I 4 GG ist zwar ausfiillungsbedürftig. In systematischer Zusammenschau mit dem unmittelbar nachfolgenden Satz 5 des Art. 120 I GG ergibt sich aber, daß auch Satz 4 so wie der gesamte Absatz 1 des Art. 120 GG nur Kriegsfolgelasten regelt. Nach der historischen und genetischen Untersuchung fuhrt die Berücksichtigung der Anwendungsgeschichte zu folgendem Ergebnis: "Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung" i.S.d. Art. 120 I 4 GG sind nur die in § 17 Erstes Überleitungsgesetz aufgefiihrten Ausgaben. Diese Vorschrift stammt aus dem Jahre 1955 und regelt überwiegend kriegsbedingte Ausgaben. Hierauf reduziert sich das vom Verfassungsgesetzgeber entwickelte Verständnis der nach Art. 120 I 4 GG zu bezuschussenden Lasten. Die Vorschrift erfaßt die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Arbeiterrentenversicherung und der knappschaftliehen Sozialversicherung. Sie regelt weder die kriegsbedingten Zuschüsse zur Rentenversicherung der Angestellten, noch die Zahlungenaufgrund der einfachgesetzlichen Bundesgarantien. Aus Art. 120 I 4 GG ergibt sich ferner in Zusammenschau mit§ 1 I Nr. 9, 10 Erstes Überleitungsgesetz, daß die Vorschrift auch die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe regelt. Zuschüsse zu nicht kriegsbedingten Lasten der aufgezählten Versicherungzweige regelt Art. 120 I 4 GG nicht. Wer den Anwendungsbereich der Vorschrift über die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten hinaus ausdehnen möchte, ist angesichts des entgegenstehenden systematischen Befunds in der Begründungspflicht Der Satz 5 des Art. 120 I GG bringt deutlich zum Ausdruck, daß Art. 120 I GG insgesamt nur Kriegsfolgelasten regelt. Das ist der objektive Sinn der Vorschrift. Die Entstehungsgeschichte stellt sich einer solchen Auslegung nicht entgegen. Sie korrespondiert vielmehr mit der ausdrücklichen Bezeichnung des Art. 120 I 4 GG als Übergangsvorschrift Im Zweifel ist jedenfalls der Bedeutungszusammenhang entscheidend. Selbst wenn die Beratungen auf Herrenchiemsee von einem umfassenden Verständnis der Zuschüsse ausgegangen sein sollten, so rückten
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates hiervon jedenfalls ab: Sie wollten nur die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung regeln. Über die weitere Gestaltung der Sozialpolitik machten sie sich recht wenig Gedanken. Umnittelbar nach Kriegsende war die Bewältigung der Nachkriegssituation wichtiger. Im übrigen herrschte über die Funktion der sozialen Für- und Vorsorge weitgehend Unklarheit, die in ihrer häufigen terminologischen Vermischung deutlich zum Ausdruck gelangte. "Rückschauend muß man begrüßen", so konstatierte Auerbach aus einer Distanz von
25 Jahren, "daß der Parlamentarische Rat 1949 kaum ins einzelne gehende sozialpo-
litische Bestimmungen in das Grundgesetz aufgenommen hat. Nicht nur hatte der Rat sehr wenige Fachkundige in seinen Reihen. Vor allem bestand damals erst eine unzureichende Klarheit über die eigentliche Aufgabe der Sozialrechtsbereiche und der einzelnen sozialen Leistungen, und es hätte die Gefahr bestanden, daß Überholtes verfassungsrechtlich festgeschrieben würde" 152. Auch und gerade Art. 120 I GG war nur für eine Übergangszeit gedacht153 • Das haben Rechtsprechung und Literatur aber ganz überwiegend genauso verkannt, wie die korrespondierende Beschränkung der Zuschüsse im Sinne der Vorschrift auf die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung:
IV. Richterrechtliche Ausweitung der Zuschußpflicht Das BVerfG rückte bei seiner ersten Entscheidung zu Art. 120 GG 154 zwar die Kriegsfolgelasten fallbedingt in den Vordergrund. Es ließ jedoch durchblikken, daß sich der Regelungsgehalt der Vorschrift hierin nicht erschöpft, wenn es konstatiert, daß Art. 120 GG (1949) "eine Gruppe von Lasten anführt, die der Bund( ...) zu tragen hat" 155 • In seiner nächsten Entscheidung zu Art. 120 GG (1949) 156 wird das Gericht deutlicher: Art. 120 GG (1949) zähle "neben den Kriegsfolgelasten die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung als gesonderten, vom Bund zu übernehmenden Ausgabenblock" auf. Bedingt durch den Ausgangsfall 157 ging es dem Gericht bei dieser Feststellung um die m Auerbach, in: Sozialpolitik, S. 271, 272 f. Vgl. hierzu noch unten 4. Kapitel I I b, h. 154 BVerfGE 9, 305 ff. vom 16.6.1959; vgl. oben III 5 mit Fn. 136. Vgl. vorher schon BVerfGE I, 167 (183) mit der bloßen Feststellung, Art. 120 GG bürdedem Bund die Kriegsfolgelasten auf. 155 BVerfGE 9, 305 (329). 156 BVerfGE 14,221 ff. vom 24.7.1962 = SGb 1962, S. 301 mit Anm. Schroeter. 157 Das Gericht entschied, der Bund sei aus Art. 120 I GG (1949) nicht dazu verpflichtet, den gewerblichen Berufsgenossenschaften die gern. § 9 I FRG von ihnen zu tragenden Fremdrentenlasten zu ersetzen. Art. 120 I GG (1949) regele nur das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und sei keine Anspruchsnorm. Die Sozialversiche153
IV. Richterrechtliche Ausweitung der Zuschußpflicht
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Klarstellung des Regelungsgehalts des Art. 120 GG (1949). Jener erschöpfe sich in der Regelung des fmanzwirtschaftlichen Verhältnisses von Bund und Ländern- konkret: in der Zuweisung der Finanzierungskompetenz158 . Eine weitergehende Aussage wollte das Gericht nicht treffen. Das wird u.a. 159 dadurch deutlich, daß es eine Subsumtion der streitbefangenen Fremdrenten unter die "Kriegsfolgelasten" des Art. 120 GG (1949) vermieden und auch nicht fiir erforderlich gehalten hae 60• Die anderenfalls notwendige Abgrenzung zu den "Lasten der Sozialversicherung" hat das Gericht so umgangen. Das BSG hat das BVerfG aber beim Wort genommen und in seiner Entscheidung vom 24.5.1972 festgestellt, Zuschüsse i.S.d. Art. 120 I 4 GG seien nicht nur solche zu den kriegsfolgebedingten Lasten der Sozialversicherung. Das BVerfG habe einen "inneren Zusammenhang zwischen" den Regelungen der Kriegsfolgelasten und den Lasten der Sozialversicherung "nicht angenommen"161. Es handele sich bei Art. 120 I 4 GG, so die erneute Revisionsentscheidung des Gerichts vom 16.11.1978 in derselben Sache, "um einen gesonderten, vom Bund zu übernehmenden Aufgabenblock, dem jeder einschränkende Zusatz fehlt" 162. rungsträger könnten als Dritte aus der Vorschrift keine Ansprüche gegen den Bund geltend machen. Deshalb sei nicht klärungsbedürftig, ob Fremdrenten in der Unfallversicherung Kriegsfolgelasten sind. Art. 120 I GG ( 1949) ordne als Lastenverteilungsregel an, daß die letztendliche Lastentragung den Bund nur treffen muß, wenn eine einfachgesetzliche Vorschrift den Staat dazu verpflichtet, Kriegsfolgelasten zu tragen. Das Gericht hat damit seine in E 9, 305 ff. getroffene umfassendere Aussage, wonach der Bund seine Finanzierungspflicht anordnen müsse, wenn er Kriegsfolgelasten bundesgesetzlich regelt, präzisiert. 158 BVerfGE 14, 221 (234 ff.). Genauso schon BVerwG DÖV 1962, S. 107; vgl. hierzu BGHZ II, 43 (53); 13, 81 (85). A.A. Rösener, NJW 1962, S. 1995 ff.: Aus der Entstehungsgeschichte folge als "Wiile" der Verfassung, der "Staat" habe sämtliche Kriegsfolgelasten zu tragen. Wortlaut und Entstehungsgeschichte belegen jedoch, daß Art. 120 I GG den Bund zur Lastentragung nur verpflichtet, wenn ein Bundesgesetz eine staatliche Finanzierungspflicht ftir Kriegsfolgelasten anordnet; wie hier auch schon Fischer-Menshausen, DÖV 1955, S. 261, 264; Görg, DÖV 1951, S. 625,627. Der Gesetzgeber hat der Auffassung des BVerfG mit der Neufassung des Art. 120 I GG im Jahre 1965 Rechnung getragen, indem er die Lastentragung im Sinne der Vorschrift auf das Bund-Länder-Verhältnis beschränkte und auch Gemeinden und deren Verbände als mögliche endgültige Träger von Kriegsfolgelasten nannte; hierzu oben III 5. 159 Das Gericht beschäftigt sich mit Ausnahme der erwähnten Passage ausschließlich mit den Kriegsfolgelasten. 160 BVerfGE 14, 221 (237). 161 BSGE 34, 177 (179). Das Gericht entschied, wegen der in Art. 120 I 4 GG geregelten Lastenverteilung müsse letztlich der Bund und nicht der zur Länderebene gehörende zuständige beklagte Gemeindeverband für die Defizite der klagenden ortsansässigen Krankenkassen aufzukommen. Es wies die Klage mangels Passivlegitimation ab. Vgl. zu dieser Entscheidung oben III 5. 162 BSGE 47, 148 (157). Mittlerweile richtete sich die Klage zutreffend gegen die Bundesrepublik Deutschland; das Gericht wies sie nun mit der Begründung ab, die ein-
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
Zur Begründung verweisen beide Entscheidungen auf die Ausfiihrungen des BVerfG. Diese bewegen sich aber aus zwei Gründen in einem anderen rechtlichen Zusammenhang: Die erste Entscheidung des BVerfG erörterte die Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht. Die zweite Entscheidung fiihrte die in Art. 120 I GG enthaltene Regelung der Zuschüsse zur Sozialversicherung nur an, um darzulegen, daß Art. 120 I GG das Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelt. Auch wenn das Gericht eine Subsumtion der Fremdrenten unter die Kriegsfolgelasten vermieden hat, so ging es bei der Entscheidung jedenfalls um kriegsbedingte Fremdrenten, keinesfalls aber um nicht kriegsbedingte Zuschüsse zur Sozialversicherung. Hinsichtlich des Inhalts und Umfangs dieser Zuschüsse hat das BVerfG auf die Sozialgesetzgebung verwiesen, da Art. 120 I GG hierzu keine Aussage treffe 163 . Hiermit hat das Gericht seine vorangehende Aussage, wonach es sich bei den Kriegsfolgelasten und den Lasten der Sozialversicherung um zwei getrennte Aufgabenblöcke handele, erkennbar relativiert. Darüber hinaus unterscheiden sich die Sachverhalte, die den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zugrunde liegen, noch aus einem anderen Grunde fundamental von denen der sozialgerichtlichen Entscheidungen: Bei den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ging es - am Rande - um die Finanzierungskompetenz fiir bestimmte Lasten der Sozialversicherungsträger, bei den sozialgerichtlichen Entscheidungen hingegen um die Finanzierungszuständigkeit im Falle der damals noch einfachgesetzlich geregelten Garantie fiir die Ortskrankenkassen164• Hier wirkt sich die schon erläuterte Unterscheidung zwischen allgemeinen Zuschüssen und subsidiären Garantien fiir die verschiedenen Sozialversicherungszweige aus: Das BVerfG äußerte sich zur Finanzierungskompetenz fiir stetige staatliche Zuschüsse im Sinne eines regulären Finanzierungsmittels, das BSG hingegen zur Finanzierungskompetenz fiir Zahlungen, die der Staat nur ausnahmsweise im Defizitfall an die Sozialversicherungsträger leistet. Beides hat nichts miteinander zu tun. Das BVerfG hat zu den einfachgesetzlichen Bundesgarantien keine Aussage getroffen 165 • schlägige Anpruchsgrundlage des § 389 II 2 RVO sei obsolet. Das verkennt Diemer, VSSR 1982, S. 31, 42. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift im Jahre 1977 gestrichen, das Urteil erging aber noch zum alten Recht; Bieback, VSSR 1993, S. I, II f. ; vgl. oben l. Kapitel III 3. Das Gericht konstruierte statt dessen aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG eine verfassungsrechtliche Bundesgarantie flir die Krankenversicherung; hierzu unten 3. Kapitel II. Es wies die Klage dennoch ab, da die erforderliche einfachgesetzliche Norm zur Ausgestaltung dieser Garantie fehlt. Auch befand sich die klagende Kasse nicht in einer existentiellen Notlage, die dem Gericht ausnahmsweise erlaubt hätte, eine Leistungsverpflichtung des Bundes festzustellen. 163 BVerfGE 14, 221 (235). 164 Vgl. oben l. Kapitel III 3. 165 Das übersieht Diemer, VSSR 1982, S. 31 , 40.
V. Behandlung der Vorschrift in Literatur und Sozialpolitik
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Das BSG konnte die Ausführungen des BVerfG wegen der völlig unterschiedlichen Sachverhalte nicht zur Begründung seiner Entscheidung heranziehen. Soweit das BSG auf die Ausführungen des BVerfG verweist, handelt es sich hier um den Aufbau einer rechtlich fragwürdigen Argumentationskette 166• Da die Entscheidungen des BSG zur staatlichen Garantie fiir die Sozialversicherung ergingen, können sie zur Beantwortung der Frage nach dem Inhalt der stetigen allgemeinen staatlichen Zuschüsse nicht, oder nur zum Zweck der Abgrenzung, herangezogen werden. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Ableitung der Bundesgarantie entspricht die Entscheidung des BSG dem Verständnis des Verfassungsgesetzgebers, wie es der Entstehungsgeschichte des Art. 120 I GG zu entnehmen ist: Das Gericht leitet die Garantie nicht aus Art. 120 I 4 GG ab, sondern begründet sie aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I Gd 67 • Es geht zutreffend davon aus, daß Art. 120 I 4 GG nicht die Bundesgarantien zur Sozialversicherung verfassungsrechtlich absichert, sondern als Lastenverteilungsvorschrift nur die Verteilung der Finanzverantwortung fiir Zuschüsse aufgrund der sozialrechtlichen Garantien bestimmen kann. Wegen der Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 120 I 4 GG auf die Zuschüsse zu den kriegsfolgenbedingten Lasten der Sozialversicherung, ist die Vorschrift auf die heute aufgrund der Bundesgarantien zu leistenden Zahlungen nicht mehr anwendbar. Die sich gegenwärtig noch auf die Sozialversicherung auswirkenden Kriegsfolgen sind ihrem Umfang nach hinreichend bekannt. Sie werden in die Haushaltsplanung der Sozialversicherungsträger mit eingestellt und fiihren nicht zu den außerordentlichen unvorhersehbaren Situationen, die zum Eintritt des Garantiefalls fiihren.
V. Behandlung der Vorschrift in Literatur und Sozialpolitik Im Gegensatz zur richterrechtlichen Ausweitung der Zuschußpflicht bringt die juristische Literatur die Zuschüsse zur Sozialversicherung häufig mit den Kriegsfolgen in Verbindung. So begründet Zacher Art. 120 I GG (1949) in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1961 über die "Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland" zeitgenössisch wie folgt: "Da die heute vorhandenen sozialen Gefällesituationen weithin kriegsbedingt sind, ist der Bund daher gehalten, in erheblichem Umfange soziale Aufwendungen zu übernehmen, 166
167
Vgl. Diemer, VSSR 1982, S. 31 , 42. BSGE 47,148 (153). Vgl. zu dieser Begründung unten 3. Kapitel li.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
die nach den allgemeinen Grundsätzen von den Ländern zu bestreiten wären"168. Zacher hält die Übertragung der Finanzierungskompetenz für die Zuschüsse zur Sozialversicherung von den Ländern auf den Bund nach Art. 120 I GG ( 1949) fiir kriegsbedingt In späteren Jahren verwies die Sozialpolitik zunehmend darauf, die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung seien nur zum Teil mit der Abgeltung der Kriegsfolgelasten zu erklären 169. Häufig werden die Bundeszuschüsse jedoch auch in jüngerer Zeit überwiegend 170 - vereinzelt sogar ausschließlich 171 - mit der Bewältigung der Kriegsfolgen erklärt. Immerhin besteht hinsichtlich der teilweisen Kriegsbedingtheit der Zuschüsse Einigkeit. Die Literatur pflichtet der ursprünglichen gesetzgebensehen Absicht bis heute bei, wonach nicht die Sozialversicherungsgemeinschaft, sondern die Gesamtgesellschaft fiir die Finanzierung der Kriegsfolgelasten zuständig ist172• Der Krieg wird zutreffend als eine Angelegenheit des Gesamtstaates empfunden, deren Folgen deshalb auch der Gesamtstaat und nicht die Versichertengemeinschaft zahlen soll. Infolgedessen legte der Gesetzgeber der Rentenversicherung nach dem Zweiten Weltkrieg eine Vielzahl von Aufgaben auf, die unmittelbar auf den Krieg und damit einhergehende politische Maßnahmen zurückzuführen waren. Die sich daraus ergebenden Leistungen sollten als nicht versicherungsmäßig begründete Leistungen nicht durch die Beitragszahler, sondern vermittels der Bundeszuschüsse aus Steuergeldem fmanziert und damit durch die Gesamtgesellschaft getragen werden. Die Bundeszuschüsse sollten der Erstattung von Vermögenswerten dienen, die der Krieg und die folgende Währungsumstellung den Rentenversicherungsträgem entzogen hatte und die ihnen - im Gegensatz zu allen anderen Schuldnern der öffentlichen Hand - niemand ersetzte. Sie sollten ferner die zahlreichen von der Rentenversicherung erbrachten kriegsbe168 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland (unverändert veröffentlicht 1980), S. 196. 169 Schewe/Schenke/Meurer/Hermsen, Übersicht über die Soziale Sicherung, S. 112. 170 Winterstein, Das System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 55; Brackmann, Hdb. der Sozialversicherung, Bd. 3, S. 662 b. 171 Schreyer, VSSR 1983, S. 95, 99, 102, die Art. 120 I GG als verfassungsrechtliche Begründung der Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichen Altershilfe ablehnt, da die Altershilfe für Landwirte keine Kriegsfolgelasten trage. Letzteres triffi allerdings nicht zu. Inkonsequent hält Schreyer trotz ihres nach dem hier vertretenen Verständnis richtigen Ansatzes die Finanzierungskompetenz des Bundes für die Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung(§ 187 AFG) wegen Art. 120 I 4 GG für unbedenklich. Auch wenn Art. 120 I 4 GG diese Zuschüsse nennt, sind sie im Gesamtgefuge des Art. 120 I GG gleichfalls auf die kriegsbedingten Lasten zu beschränken. Die Entstehungsgeschichte der Bundeszuschüsse liefert keine Hinweise auf eine Differenzierung zwischen kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung und nicht kriegsbedingten Lasten der Arbeitslosenversicherung. 172 Ho.flmann, DAngVers 1982, S. 401,403.
VI. Wandel der Nonnsituation!Bedeutungswandel?
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dingten Mehrleistungen ausgleichen. Solche Mehrleistungen entstanden beispielsweise aus der Anrechnung von Ersatzzeiten (z.B. Wehrdienstzeiten, Zeiten der politischen Verfolgung, Kriegsgefangenschaft, Internierung oder Verschleppung, Vertreibung, Flucht) und Ausfallzeiten (fiir kriegsbedingte Krankheit und Arbeitslosigkeit) sowie durch die Zurechnungszeiten für kriegsbedingt umfassendere oder frühere Invalidität. Ferner sollten die Zuschüsse der Versichertengemeinschaft die Rentenleistungen an solche Personen ersetzen, deren Ehepartner im Krieg gefallen oder durch Kriegseinwirkungen gestorben waren. Außerdem dienten sie dem Ausgleich des Beitragsdeflzits, das sich für die Rentenversichertengemeinschaft durch den Kriegstod potentieller Beitragszahler und entsprechender Geburtenausfälle (sog. mittelbare Kriegsfolgelasten) ergab173. Im Jahre 1966 entsprach die Höhe der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung in etwa ihren kriegsbedingten Lasten. Wegen der immensen Höhe dieser Lasten sah sich der Gesetzgeber dazu veranlaßt, auch die Steuerzahler in die Finanzierung der Rentenversicherung mit einzuschalten 174• Mit dem Rückgang der Kriegsfolgen rückten im Verlauf der sozialpolitischen und sozialrechtlichen Entwicklung andere Faktoren zur Legitimation der Bundeszuschüsse in den Vordergrund. Heute werden die Zuschüsse überwiegend mit der Abgeltung versicherungsfremder Lasten begründet175 • Hierzu zählen die Kriegsfolgelasten nur unter anderen.
VI. Wandel der Normsituation!Bedeutungswandel? Die Begründung der staatlichen Beteiligung an der Sozialversicherung hat im Verlauf der sozialrechtlichen Entwicklung mehrfach gewechselt176. Die z.T. stark voneinander abweichenden Begründungen hatten sicherlich zu einem großen Teil aus ihrer jeweiligen Zeit heraus ihre Berechtigung. Sie wird hier 173 Brück, Allgemeine Sozialpolitik, S. 182, der den "Rentenberg" der Jahre 19761980 zum Teil mit der kriegsbedingten Dezimierung der Beitragszahler erklärt (S. 187); vgl. Preller, Praxis und Probleme der Sozialpolitik, 2. Halbbd., S. 444 f., 453; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 9 f.; Sozialenquete-Kommission, Soziale Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 94; Liebing, DRY 1966, S. 68, 74 f.; Sander, DRY 1968, S. 371 , 379 f. Vgl. oben I. Kapitel in Fn. 134 die Übersicht über die Vielzahl der vom Bund übernommenen kriegsbedingten Mehraufwendungen der Versicherungsträger. Vgl. auch die umfassende Übersicht über die fremden, ausschließlich kriegsbedingten Verpflichtungen der Rentenversicherung im Jahre 1962 bei Schneider, DRY 1962, S. 73 ff., sowie bei Heinze, in: FS Krohn, S. 109, 119 f., der (1954) davon ausgeht, daß die kriegsbedingten Zahlungen nach Überwindung der Kriegsschäden einzustellen sind (S. 124). 174 Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 9 f. 175 Hierzu unten 3. Kapitel III 3 b cc, 4 b. 176 Vgl. schon oben I. Kapitel III 1, 2 a.
9 Kranz
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
nicht in Abrede gestellt. Fraglich ist aber, ob und inwieweit das Verfassungsrecht diese sozialpolitischen Wandlungen nachvollziehen kann. Immerhin handelt es sich hier nicht um Verfassungswandel, sondern um ein geändertes Verständnis des einfachen Sozialgesetzgebers. Zwar verweist Art. 120 I 4 GG mit der Verwendung des Begriffs "Sozialversicherung" auf das vom einfachen Gesetzgeber zu gestaltende Sozialrecht Leisner bezeichnet die Norm deshalb als offene Verweisung 177• Der Verfassungsgesetzgeber hat sich im Verlauf der Entstehungsgeschichte des Art. 120 I 4 GG zu den Bundeszuschüssen zur Sozialversicherung aber sehr zurückhaltend geäußert. Meist hat er die Zuschüsse überhaupt nicht erwähnt. Der zurückhaltende Umgang des Verfassungsgesetzgebers mit Art. 120 I GG verbietet die Annahme einer stillschweigenden Zustimmung zu dem Wandel des sozialpolitischen Verständnisses der Vorschrift weg von einem Kompetenztitel für ganz überwiegend kriegsbedingte Zuschüsse zur Sozialversicherung hin zu einer umfassenden Zuständigkeitsverankerung jedweder Zahlungen des Bundes an die Sozialversicherung. Schweigen ist grundsätzlich keine Zustimmung. Für den kostenträchtigsten Posten im Bundeshaushalt ist eine Ausnahme nicht zulässig. Anderenfalls wäre das RegelAusnahme-Verhältnis in sein Gegenteil verkehrt. Die Aufrechterhaltung des Art. 120 I 4 GG in Kenntnis der bisherigen Praxis ist keine verfassungsrechtlich maßgebliche stillschweigende Zustimmung zum Wandel der Vorschrift zu einem Kompetenztitel fiir sämtliche Zuschüsse zur Sozialversicherung. Das gilt auch fiir die Neufassung der Vorschrift im Jahre 1965. Sie brachte für die Zuschüsse zur Sozialversicherung keine Änderung. Schewe sieht hierin zwar die Bekräftigung der von ihm ausgemachten Vorstellung des Verfassungsgesetzgebers, derzufolge die Sozialversicherung stets staatliche Zuschüsse erhalten und sich nicht allein durch Beiträge fmanzieren soll 178• Die Gesetzesmaterialien liefern hierfiir aber keine ausreichenden Anhaltspunkte. Mangels gegenteiliger Hinweise kann sich eine stillschweigende Zustimmung des Verfassungsgesetzgebers nur auf das bisherige eingeschränkte Verständnis des Art. 120 I GG (1949) beziehen. Wer der Norm einen neuen Regelungsgehalt beimessen will, der über die schon vom Parlamentarischen Rat intendierte Beschränkung der Zuschußzahlungen hinausgeht, muß den ausdrücklich dahingehenden Bestätigungswillen des Verfassungsgesetzgebers nachweisen. Diesen Nachweis hat die h.M. aber niemals gefiihrt. Deshalb spricht eine - allerdings widerlegbare - Vermutung für das überkommene Verständnis der Vorschrift. 177 Leisner, Von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 23 f. 178 Schewe, SozSich. 1966, Beil. zu Heft 5, S. 2. Ähnlich auch Ruland, Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken, 1987, S. 467, 472, gleichfalls jedoch ohne Beleg.
VII. Zusammenfassung
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Die Annahme eines Bedeutungswandels der Vorschrift ist unzulässig, da sie als verfassungsrechtliche Ausnahmeregelung einen nicht nur schmalen Anwendungsbereich in den Grenzen ihres objektiven Sinnzusammenhangs hat. 179 Ein Wandel der Normsituation kann den Inhalt einer Norm nur im Rahmen des Wortsinns und des Kontextes der Vorschrift ändern. Anders wäre es nur, wenn der bisherige Zweck "unerreichbar oder gegenstandslos geworden ist" 180• Die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung machen immer noch einen erheblichen Teil ihrer Gesamtlast aus. In der Rentenversicherung betrugen sie im Jahre 1993 21,7 Mrd. DM; das sind 8,3% der gesamten Rentenleistungen 181 • Die Kriegsfolgelasten sind die mit Abstand "teuerste" Fremdlast der Rentenversicherung182. Der bisherige Zweck des Art. 120 I 4 GG ist noch erreichbar. Die Vorschrift ist gültige Rechtsgrundlage für Bundeszuschüsse in zweistelliger Milliardenhöhe. Es besteht kein Anlaß, danach zu fragen, ob die Vorschrift heute einen anderen vernünftigen Zweck zu erfüllen vermag. Außerdem erlaubt die "erhöhte Stabilisierungsfunktion" der Verfassung nur unter restriktiven Voraussetzungen die Annahme eines Bedeutungswandels 183 • Das spricht urnso mehr für eine enge Auslegung. Der Ausnahmecharakter des Art. 120 I 4 GG bestärkt dies Ergebnis: Die Vorschrift durchbricht die verfassungsrechtliche Grundentscheidung fiir eine funktionale Gliederung der Staatsorganisation184 und weist dem Bund als einzige grundgesetzliche Vorschrift die Finanzierungskompetenz fiir einen bestimmten Aufgabenbereiche zu 185 •
VII. Zusammenfassung Aus dem Wortlaut des Art. 120 I 4 GG ergibt sich nicht, ob "Zuschüsse" im Sinne der Vorschrift auch Zuschüsse aufgrund der sozialrechtlichen Bundesga-
179 Das Institut des Bedeutungswandels einer Verfassungsvorschrift, der "Verfassungswandel" ist umstritten. "Verfassungsinterpretation oder Verfassungsänderung bzw. Verfassungsbruch - tertium non datur!"; Häber/e, in: Probleme der Verfassungsinterpretation, S. 293,316 f. m.w.N. 180 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 171. 181 FAZ Nr. 36 von 12.2.1996, S. 13. 182 Zum Vergleich: Die Aufwendungen für die Anrechnungszeiten als "zweitteuerste" Fremdlast betrugen im seihen Jahr "nur" 13,6 Mrd. DM (5,2% der Gesamtleistungen). 183 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 173. 184 Das Grundgesetz verteilt die Finanzierungskompetenz genauso wie die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz nicht nach Sachgebieten, sondern nach Funktionen; hierzu unten 4. Kapitel IV 4 b dd. 185 Vgl. Strickrodt, Die Finanzverfassung als politisches Problem, S. 20; F. Klein, in: FS Giese, S. 61, 100; Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. II I a.
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
rantien sein können. Der Verfassungsgesetzgeber hat sich niemals in diese Richtung geäußert. Es fällt deshalb schwer, diese Garantien mit dem einfachen Sozialgesetzgeber und der ganz h.M. in der sozialrechtlichen Literatur in der Vorschrift des Art. 120 I 4 GG abgesichert zu sehen. Die staatlichen Garantien ftir die verschiedenen Sozialversicherungszweige sind vielmehr aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen abzuleiten 186• Eine weitergehende verfassungsrechtliche Verankerung der Garantien war und ist bis heute nicht erforderlich. Art. 120 I 4 GG kann als Lastenverteilungsvorschrift nur bestimmen, daß staatliche Zahlungen auf Grundlage einer Garantie vom Bund kommen müssen. In diesem Sinne hat sich der Verfassungsgesetzgeber aber gleichermaßen niemals geäußert. Er erörterte die Vorschrift stets in Verbindung mit den regelmäßig wiederkehrenden kriegsbedingten Zahlungen an die Sozialversicherung, niemals jedoch in Verbindung mit den ausnahmsweise im Garantiefall zu leistenden Mitteln. Zuschüsse an die Sozialversicherung im Sinne des Art. 120 I 4 GG sind demnach nicht die im Garantiefall erfolgenden staatlichen Zahlungen an einzelne Sozialversicherungsträger oder einen ganzen -versicherungszweig. Art. 120 I 4 GG verteilt nur die Last für solche Zuschüsse zur Sozialversicherung, die wie die Beiträge ihrer regelmäßigen Finanzierung dienen. Die h.M. leitet aus der nur für eine Übergangszeit gedachten Regelung des Art. 120 I 4 GG auch heute noch eine Finanzierungskompetenz des Bundes für diejenigen Ausgaben der Sozialversicherung ab, die über ihre kriegsfolgebedingten Lasten hinausgehen. Der Blick in die Entstehungsgeschichte des Art. 120 I 4 GG hat gezeigt, daß der Verfassungsgeber eine solche Kompetenz nicht begründen wollte. Er wollte sich bei der Lastenverteilung nicht festlegen, um den Gesetzgeber späterer Zeiten nicht unnötig einzuengen. Auch aus diesem Grunde nahm er Art. 120 GG in die Übergangsvorschriften auf, obgleich ohnehin die Auffassung herrschte, daß das Grundgesetz insgesamt eine vorläufige Verfassung sein sollte. Für den Inhalt des Art. 120 GG wollte der Verfassungsgeber die Vorläufigkeit seines Regelungsinhalts durch Aufnahme der Vorschrift in die Übergangsvorschriften aber noch zusätzlich betonen. Art. 120 GG wurde schon 1951 im Bundestag als der "einzige zeitgenössische Artikel des Grundgesetzes" bezeichnee 87 • Die mittlerweile 47jährige Existenz dieses noch dazu in steigendem Maße an Bedeutung gewinnenden Kompetenztitels befremdet188 •
186 Zur verfassungsrechtlichen Garantie ftir die Sozialversicherung und deren richterrechtlicher Entwicklung sogleich unten 3. Kapitel II. 187 Görg, DÖV 1951, S. 625. 188 Heckt, DÖV 1966, S. 10 bezeichnete schon die Neufassung des Art. 120 GG im Jahre 1965 als einen ungewöhnlichen Vorgang. Es sei ungewöhnlich, wenn eine Übergangsvorschritt nach 16 Jahren noch einmal neu gefaßt werde.
VII. Zusammenfassung
133
Der Verfassungsgesetzgeber hat dem übergangsweisen Charakter des Art. 120 I GG nicht Rechnung getragen. Er hat sich niemals -auch nicht seit dem Rückgang der Kriegsfolgelasten - dazu veranlaßt gesehen, die Vorschrift zu ändern. Entsprechend hat auch der einfache Gesetzgeber das Erste Überleitungsgesetztrotz dessen mehrfacher Neufassung in den für die Zuschüsse zur Sozialversicherung wesentlichen Bestimmungen (§§ 1 I Nr. 11; 17) nicht neugefaßt Obwohl er eine bundesgesetzliche Regelung zur Lastenübertragung für erforderlich gehalten hat, hat er außerhalb der Überleitungsgesetze keine weiteren Lasten auf den Bund übertragen 189 • Im Gegenteil beschwor der Sozialgesetzgeber Art. 120 I GG in geradezu formelhafter Weise, wenn er die bisherigen und die Einführung neuer Bundeszuschüsse verfassungsrechtlich begründen wollte 190• Hier hat die Verfassungspraxis eine nur vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit verständliche und nur für diese Zeit gedachte Regelung bis in die heutige Zeit mitgeschleppt, ohne daß der Verfassungsgesetzgeber ihren eigentlichen Bedeutungsgehalt in Frage gestellt hat. Das ist auch kaum verwunderlich, denn niemand nahm an der Praxis der Bundeszuschüsse Anstoß: die Länder nicht, weil sie es naturgemäß lieber sahen, wenn ein anderer die Finanzverantwortung trug; die Versicherten nicht, weil ihnen die Zuschußzahlung durch den Bund - soweit sie ihnen überhaupt bewußt war- die Sicherheit des sozialen Systems zu verbürgen schien; die Versicherungsträger nicht, weil es ihnen letztlich nicht darauf ankam, aus welchen Quellen die Mittel flossen, die sie ausgeben konnten; und schließlich der Bund nicht, zum einen, weil seine Sozialgesetzgebung wegen seiner gleichzeitigen Finanzierungspflicht niemals ernsthaft in Frage gestellt wurde, und zum anderen, weil die Begründung einer anderweitigen Finanzierungskompetenz für die Bundeszuschüsse - beispielsweise bei den Ländern -, letztlich nur durch eine Verminderung des ihm disponiblen Finanzvolumens möglich gewesen wäre. Die nicht in Frage gestellte Verfassungspraxis der Bundeszuschüsse beruht auf einem über alle gesellschaftlichen und staatsorganisatorischen Grenzen hinweg bestehenden politischen Konsens. Die Zuschußzahlungen bedürfen als Staatsausgaben aber einer verfassungsfesten Rechtsgrundlage. Art. 120 I 4 GG erfüllt dieses Erfordernis nicht. Die Vorschrift ist Lastenverteilungsregel für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Sie scheidet als Kompetenztitel Vgl. oben Ili 3. Vgl. z.B. für die Begründung einer Bundesgarantie Abg. Dr. Sche/lenberg, 143. Sitz. des BT vom 4.5.1956, S. 7569; Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (Rentenversicherungsgesetz), BT-Drucks. 1112314, S. 88; Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (Rentenversicherungsgesetz -RVG-), BR-Drucks. 196/56, S. 82; Gutachten der Kommission des VDR, Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 123. 189 190
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2. Kapitel: Art. 120 I 4 GG als verfassungsrechtliche Grundlage?
fiir die außerordentlichen und fiir die regelmäßigen Zuschüsse an die Träger der Sozialversicherung aus. Art. 120 I 4 GG wird den Anforderungen an eine Rechtsnorm nicht gerecht, auf deren Grundlage jährlich öffentliche Mittel in fast dreisteiliger Milliardenhöhe gezahlt werden. Wem diese Vorschrift als Rechtsgrundlage solcher Zahlungen nicht genügt, der stößt auf der Suche nach einem weiteren Rechtstitel nur auf den jeweiligen Titel im Bundeshaushaltsplan. Eine Delegation an den einfachen Gesetz- und Verordnungsgeber ist mit Art. 20 I, III GG nur schwer vereinbar191 . Auch die richterrechtliche Konkretisierung des Art. 120 I 4 GG scheint bedenklich. Daß die Staatspraxis ein der derzeitigen Situation entsprechendes Verfassungsgewohnheitsrecht geschaffen hat, kann nur mit äußerster Zurückhaltung erwogen werden192• Der Verweis auf die Klarheit der staatspraktischen Anwendung der Vorschrift ist unbefriedigend193. Die stetigen, allgemeinen Zuschüsse zur Sozialversicherung sind im Grundgesetz nicht eindeutig verankert.
Diemer, VSSR 1982, S. 31, 60. Diemer, VSSR 1982, S. 31, 65. 193 Jsensee, NZS 1993, S. 281 , 284; ders., in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, II f.
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3. Kapitel
Die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Zuschüsse zur Sozialversicherung Der Verband der Rentenversicherungsträger (VDR) hat den Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung in einem 1987 erschienenen Gutachten "Multifunktionalität" attestiert' und die Frage ihrer verfassungsrechtlichen Verortung dabei zurückgestellt. Die Zuschüsse hätten entgegen der damals noch einfachrechtlich kodifizierten Beschränkung der Zuschüsse auf versicherungsspezifische Lasten "eine Reihe von Entlastungs-, Ausgleichs- und Sicherungsfunktionen". Unter den beiden erstgenannten Funktionen verstehen die Gutachter den Ausgleich von Lasten, die der Gesetzgeber der Versicherung im Interesse der Allgemeinheit auferlegt hat (die Kriegsfolgelasten, der Familienlastenausgleich und der rentenversicherungsrechtliche Ausgleich fiir Ausbildungszeiten); weiterhin sollen die Zuschüsse dem Ausgleich von Lasten dienen, die sich für die Rentenversicherung aus der Berücksichtigung besonderer Lebenslagen ergeben (z.B. die Renten nach Mindesteinkommen) und der Kompensation von Kosten, die dem Risikobereich anderer Versicherungsträger zuzuordnen sind. Die Sicherungsfunktion bestehe in der "Pflicht des Bundes zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Einrichtung" und seiner "Haftung als letztverantwortlicher Organisator der gesetzlichen Rentenversicherung"; hierbei gehe es auch um den "Schutz der Beitragszahler vor übermäßiger Belastung" und den "Schutz der Leistungsberechtigten vor übermäßigen Eingriffen". Auch das BVerfG geht von unterschiedlichen Funktionen der Zuschüsse aus: Sie seien "nicht etwa reine Subventionen des Staates für die Versichertengemeinschaft(... ), sondern(... ) zumindest auch ein Ausgleich fiir die der Versichertengemeinschaft aus Gründen des Allgemeinwohls auferlegten öffentlichen Lasten ( ... ) (zum Beispiel Finanzierung des durch Ersatz- und Ausfallzeiten verursachten Mehrbedarfs) "2. Die verfassungsrechtlich gebotene Funktion der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung besteht aber nicht in einem derart bunten Strauß. Sie erfüllen eine verfassungsrechtlich klar umrissene Aufgabe, die sich in der vorgenannten 1 Gutachten der Kommission des VDR, Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 121 ff. 2 BVerfGE 54, 11 (30), Hervorhebung vom Verf.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Ausgleichsfunktion erschöpft. Die Sozialpolitik mag den Zuschüssen zusätzlich eine Sicherungsfunktion beimessen; es gibt aber keine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, Zuschüsse in Erfüllung dieser Funktion zu leisten. Das Grundgesetz regelt die Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht - mit Ausnahme der Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung nach Art. 120 I 4 GG. Aus dem grundgesetzliehen Normenbestand ergeben sich aber Rückschlüsse, die eine Eingrenzung der übrigen Zuschüsse ermöglichen. Die Literatur nennt eine Vielzahl verfassungsrechtlicher Normen und Institute, die diese Zuschüsse zur Sozialversicherung prägen. Doch nicht alle angefiihrten Rechtsinstitute haben die Zuschüsse tatsächlich zum Gegenstand.
I. Bundeszuschüsse als wesentliches Merkmal der Sozialversicherung? Eine verbreitete Ansicht in der Literatur umgeht eine verfassungsrechtliche Verortung der Zuschüsse, indem sie ihre stetige Zahlung als für das Wesen der Sozialversicherung typisch ansiehe. W. Bogs verweist zur Begründung auf die Existenz staatlicher Hilfe seit Entstehung der Sozialversicherung4 • Kriterien der Traditon und Kontinuität haben aber verfassungsrechtlich nur begrenzte Aussagekraft5• Außerdem erhielt die Krankenversicherung bislang keine staatlichen Zuschüsse. Allein aus der Tradition der Sozialversicherung heraus lassen sich die Zuschüsse kaum legitimieren6. Um zu klären, ob es sich bei den Zuschüssen um ein wesenbestimmendes Merkmal der Sozialversicherung handelt, scheint ein kurzer Blick auf ihre 3 Plagemann/Plagemann, DAngVers 1981, S.)25, 127; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 2; Schewe/Schenke/Meurer/Hermsen, Ubersicht über die Soziale Sicherung, S. 110; m.w.N. A.A. Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 21: "Es gibt kein 'Wesen' der Sozialversicherung"; die Unterschiede zwischen den einzelnen Soziaiversicherungssystemen seien zu groß; ders., SGb 1987, S. 133, 136; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 100 insbes. Fn. 355: Ob dieser Ansatz deskriptiv oder verfassungs-normativ gemeint ist, bleibe offen. 4 W. Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, s. 53 f. s Anders z.T. die Tendenz in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, insbes. bei Kompetenzvorschriften, vgl. BVerfGE 41, 205 (219 f. ); hierzu kritisch Zweigert/Reichert-Facilides, ZVersWiss 1971, S. I, 28. 6 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. I 02; Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 90.
I. Bundeszuschüsse als wesentliches Merkmal der Sozialversicherung?
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Aufgaben und Organisationsstrukturen sinnvoll, da sie das "Wesen" der Sozialversicherung prägen: Die Sozialversicherung soll ein sicheres System sozialer Versorgung ermöglichen, da dem Zwang zur Versicherung die Unbedingtheit der Sicherung entsprechen muß 7• Um die Wertbeständigkeit der Versicherungsleistungen zu garantieren, kommt einer Staatsgarantie große Bedeutung zu8 • Regelmäßige zweckungebundene staatliche Zuschüsse, die der Bund über den fmanziellen Notfall hinaus gewährt, sind hierzujedoch nicht zwingend erforderlich. Dem Gedanken der Versicherung als solcher ist - jedenfalls im einfachen Recht - das Prinzip der individuellen Äquivalenz von Beitrag und Versicherungsleistung immanent. Danach sind die Aufgaben der Versicherung primär durch Beiträge zu fmanzieren. Regelmäßige staatliche Zuschüsse - z. T. wird in diesem Zusammenhang von Subventionen gesprochen9 - stellen sich dem die Versicherung als solche ausmachenden Äquivalenzgedanken entgegen und damit den Versicherungscharakter jedenfalls in Frage 10• Die Versicherungsträger sind öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaften (§ 29 I SGB IV, Art. 87 II GG), die ihre Mittel durch Beiträge ihrer Mitglieder aufbringen. Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung wird in Frage gestellt, wenn ihre Einnahmen durch steigende Staatszuschüsse zunehmend aus fremden Töpfen stammen. "Die wesentliche Legitimation der Autonomie fällt weg, wenn es nicht mehr um die Verwaltung eigener Beträge geht"u. Diese grob skizzierten und nicht abschließend aufgeführten "wesensprägenden Merkmale" der Sozialversicherung liefern einen Überblick über die zentralen Grundprinzipien der Sozialversicherung 12• Allein hieraus ergibt sich bereits: Die regelmäßig als stetige Einnahmebestandteile an die SozialversicherungsträZur verfassungsrechtlichen Begründung im einzelnen unten III. Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 102. 9 Ob die Bundeszuschüsse Subventionen sind, ist umstr. Dafür: Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 103; Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 149 m.w.N. zum Subventionscharakter insbes. der sozialen Sicherung der Landwirte. A.A. Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 14 f., da die Bundeszuschüsse die gesamte Bevölkerung begünstigten; deshalb handele es sich bei ihrer Zahlung nicht, wie für den Subventionsbegriff erforderlich, um die Gewährung von Sondervorteilen; Peschel, Die Sozialversicherung 1960, Beilage "Selbstverwaltung in der Sozialversicherung", S. I f. Vgl. oben 1. Kapitel III4 a. 10 Die Charakterisierung eines sozialen Sicherungssystems als Sozialversicherung hat aber keine quantitative Komponente; vgl. oben I. Kapitel III 4 a. Zum Versicherungscharakter unten lll. 11 Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 104; /sensee, in: Sozialfinanzverfassung,S. 7, 16. 12 Vgl. im einzelnen unten III, IV. 7
8 Leisner,
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
ger gezahlten Bundeszuschüsse gehören nicht zum "Wesen" der Sozialversicherung13. Jedenfalls ist die Argumentation mit dem Wesen der Sozialversicherung gleichbedeutend mit dem Argument der Traditon. Es kann die Geltung des Grundgesetzes nicht entkräften 14. Wenn das Grundgesetz über die Verfassungsmäßigkeit der Bundeszuschüsse hinreichend Auskunft gibt, müssen entgegengesetzte Traditionen, die sich in einem "Wesen" der Sozialversicherung manifestieren, zurücktreten. Das Grundgesetz gibt solche Auskunft.
II. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie für die Sozialversicherung Die regelmäßige Zahlung der Zuschüsse kann wegen des subsidiären Charakters einer Garantiehaftung 15 nicht mit einer verfassungsrechtlichen Bundesgarantie für die Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherung begründet werden. Eine solche Garantie greift wie die einfachrechtlichen Garantien für die Sozialversicherung nur im Ausnahrnefall 16• Damit ist der Auffassung, wonach den Zuschüssen eine verfassungsrechtlich gebotene Sicherungsfunktion zukommen soll, bereits in einem entscheidenden Punkt der Boden entzogen: Das zentrale Argument für diese Sicherungsfunktion besteht darin, die Zuschüsse zur Sozialversicherung seien Ausfluß einer Garantie. Im übertragenen, nicht aber im rechtlichen Sinne kommt den Zuschüssen zwar eine Sicherungsfunktion zu: Sie sichern - so wie jede Zahlung an die Sozialversicherung - deren Funktionsfähigkeit; die Zuschüsse sind "Ausdruck der 'Treuhänderschaft' des Bundes" 17 • Mit dem juristischen Verständnis einer Garantie hat dies aber nichts gemein. Die verschiedenen Bundesgarantien für die Sozialversicherungszweige fmden im Verfassungstext keine explizite Absicherung. Die h.M. geht mit unter-
13 Im Ergebnis genauso Diemer, VSSR 1982, S. 31, 53; Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 21. 14 Ruland, SGb 1987, S. 133, 136. 15 S. oben I. Kapitel III 2 c bb. 16 F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 39. Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG übersieht diese Differenzierung, da er die sozialrechtlichen Vorschriften zu den Bundeszuschüssen zur Rentenversicherung nicht untersucht. Er gelangt deshalb zu dem Ergebnis, die Zuschüsse seien Ausfluß einer verfassungsrechtlichen Bundesgarantie für die Rentenversicherung; vgl. im einzelnen unten I b. 17 Wallerath, in: HDR, II Rn. 62, 64 (Hervorhebung vom Verf.).
II. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung
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schiedlicher Begründung von der Existenz einer verfassungsrechtlichen Bundesgarantie für die Sozialversicherung aus. 1. Bundesgarantie gern. Art. 120 I 4 GG i.V.m. dem Sozialstaatsgebot?
Das BSG hat eine solche Garantie in Ermangelung ihrer verfassungsrechtlichen Regelung aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG als konkrete institutionelle Garantie 18 der jeweiligen Träger und Organisationsformen der Sozialversicherung hergeleitet: Es schließt "aus dem Sozialstaatsprinzip" auf "das Erfordernis, die OKKn [Ortskrankenkassen] als Institutionen zur Grundsicherung des sozialen Krankenschutzes funktionsfähig zu halten'" 9. a) Sozialstaatliche Herleitung der Bundesgarantie Die vor allem wegen der Begründung einer institutionellen Garantie fiir die Ortskrankenkassen problematische Entscheidung20 hat verbreitet Anlaß zu Mißverständnissen gegeben: Ein Teil der Literatur verwendet sie als Beleg fiir eine unmittelbar aus Art. 120 I 4 GG21 oder aus Art. 20 I i.V.m. 120 I 4 GG 22 abzuleitende Bundesgarantie für die Sozialversicherung. Beides ist nicht richtig. Das BSG versteht die Bundesgarantie für die Sozialversicherung als eine allein aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG abzuleitende Verpflichtung. Da das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG die Gewährung sozialer Sicherung und damit auch die Gewährung sozialen Krankenschutzes als Verfassungsaufgabe einstuft23 , ergebe sich aus dem Sozialstaatsprinzip die staatliche Verpflichtung, einen derartigen Schutz zu gewährleisten. Weitergehend meint das Gericht, die Gewährleistungspflicht bestehe in der fi-
18 C. Schmitt, Verfassungslehre, 2. Aufl., 1928, S. 170 ff. formulierte die institutionelle Garantie erstmals als Begriff und präzisierte sie im Jahre 1931; ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, S. 143 ff., 149, 155. Danach ist eine institutionelle Garantie "eine echte(... ) verfassungsgesetzliche Garantie" fiir "etwas Gegenwärtiges, formiert und organisiert Bestehendes und Vorhandenes" (Institution). 19 BSGE 47, 148 (157). Anders BVerfGE 36,383 (393); 39,302 (314 f.). 20 Hierzu unten b. 21 F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437, 439; Sielanann, in: Sachs, GG Art. 120, Rn. 19. 22 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 126 ff.; SozialenqueteKommission, Soziale Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 57; Gutachten der Kommission des VDR, Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 124; unklar Bieback, VSSR 1993, S. I, 19. 23 BSGE 47, 148 (153); vgl. Bieback, VSSR 1993, S. I, 19 f. m.w.N.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
nanziellen Absicherung der zur Bewältigung dieser Aufgabe vorgesehenen Organisation. Diese Verpflichtung weist das BSG allein aufgrund des Sozialstaatsgebots letztlich dem Bund zu. Anschließend konstatiert das Gericht, daß Art. 120 I 4 GG zu dem gleichen (nicht zu dem seihen) Ergebnis fiihrt24 • Allerdings begründe die Vorschrift keinen eigenständigen Zahlungsanspruch. Sie enthalte keine eigenständige Zahlungsverpflichtung. Art. 120 I 4 GG bezwecke die Vornahme einer Lastenverteilung; die Vorschrift diene der Haushaltsabgrenzung zwischen Bund und Ländern und betreffe allein deren Innenverhältnis. Damit liegt das BSG auf der seihen Linie wie das BVerfG, dessen Entscheidungen zu Art. 120 I GG es auch mehrfach zitiert. Es betrachtet Art. 120 I 4 GG zutreffend als reine Lastenverteilungsvorschrift, die erst greift, wenn eine einfachrechtliche Regelung eine staatliche Garantie für die Sozialversicherung regelt, die im Garantiefall eine Zuschußverpflichtung begründet. Nur wenn eine solche Regelung existiert und der Garantiefall auch eintrete, treffe den Bund nach Art. 120 I 4 GG die fmanzielle Letztverantwortung. Der Bund müsse auch nicht als erster leisten; zunächst könnten beispielsweise auch die Länder die Zuschüsse bezahlen. Dann folgt der Teil der Entscheidungsgründe, der in Verbindung mit einer anderen Äußerung zu Mißverständnissen in der Literatur geführt hat: Das Gericht spricht plötzlich von einer der "Bundesrepublik Deutschland ( ...) aus Art 20 Abs 1, Art 120 Abs 1 Satz 4 GG erwachsende[n] Zuschußpflicht" 25 , wo es doch die Zuschußpflicht im Garantiefall bisher allein aus Art. 20 I GG abgeleitet und Art. 120 I 4 GG nur als Regelung der Finanzierungskompetenz angesehen hat. Da das Gericht in Zusammenhang mit dieser Äußerung ohne Veranlassung den bisher nicht behandelten Überleitungsvorgang anspricht, kann sich die hinsichtlich der Bundesgarantie problematische Äußerung kaum auf die dort nicht geregelte Bundesgarantie26 beziehen, sondern nur auf den Regelungsgegenstand der Überleitungsgesetze: die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Deutlicher konstatiert das Gericht etwas später, die "Zuschußpflicht des Bundes" - nicht die Garantiepflicht - sei "nicht nur eine Frage der fmanzverfasBSGE 47, 148 (154). BSGE 47, 148 (155). Die Entscheidungsgründe wirken recht flüchtig verfaßt So hat das Gericht die "Bundesregierung" (Hervorhebung vom Verf.) als möglicherweise aus Art. 120 I GG verpflichtet hingestellt. Am Ende der Entscheidungsgründe lehnt es eine Übernahme von Lasten der Mitglieder einer Defizitkasse durch die Gesamtheit der Staatsbürger ab, da sich eine "derartige Lastenverschiebung ( ... )weder aus Art 120 Abs 1 GG noch aus Art 120 Abs I Satz 4 GG" herleiten lasse; von dem Regelungsgehalt des gesamten Absatzes 1 des Art. 120 GG sprach das Gericht vorher jedoch kaum; gemeint ist wohl Art. 20 I GG. 26 Vgl. oben 2. Kapitel III 3. 24 25
II. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie fl.ir die Sozialversicherung
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sungsrechtlichen Zuordnung einer Soziallast, sondern zugleich eine Verpflichtung aus dem Sozialstaatsprinzip. Art. 20 Abs 1 GG enthält den Auftrag des Verfassungsgebers, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nach sozialen Grundsätzen zu organisieren. Eine der daraus folgenden Aufgaben ist es, für das Funktionieren eines staatlichen Sozialversicherungssystems zu sorgen"27• Daraus ergibt sich unter Berücksichtigung der einleitenden Ausführungen zur Garantie, daß das Gericht sowohl die verfassungsrechtliche Bundesgarantie für die Sozialversicherung, als auch die stetigen Zuschüsse zur Sozialversicherung allein aus Art. 20 I GG ableitet. Art. 120 I 4 GG enthält als Lastenverteilungsregelung danach eine "Konkretisierung der Sozialstaatsklause1" .28 Auch nach Auffassung des einfachen Gesetzgebers begründet Art. 120 I 4 GG keine Garantie für die Sozialversicherung: § 112 I BHO sieht eine Prüfung der unmittelbaren Sozialversicherungsträger durch den Bundesrechnungshof nach § 111 I BHO nur vor, wenn eine gesetzliche Garantieverpflichtung des Bundes existiert. Der Gesetzgeber geht erkennbar davon aus, daß eine solche Garantie ohne entsprechende einfachgesetzliche Normierung nicht besteht. Die Entstehungsgeschichte liefert gleichermaßen keinen gegenteiligen Hinweis. Art. 120 I GG sollte keine Garantieträgerschaft des Bundes für die Sozialversi. 29 cherung norrmeren . Art. 120 I 4 GG regelt als bloße Lastenverteilungsvorschrift keine Bundesgarantie für die Sozialversicherung.
b) Institutionelle Garantie der Sozialversicherung? Die Entscheidung des BSG stieß in der juristischen Literatur wegen der Begründung einer institutionellen Garantie für die Ortskrankenkassen zu Recht auf erhebliche Kritik. Das Gericht hat dem Sozialstaatsprinzip nicht nur eine Bundesgarantie zur Bewältigung der Verfassungsaufgabe des sozialen Krankenschutzes entnommen. Weit darüber hinaus soll Art. 20 I GG den Fortbestand der Ortskrankenkassen als detjenigen Körperschaften garantieren, die diesen Schutz gegenwärtig gewährleisten, indem sie letztlich eintreten, wenn alle anderen Kassen im gegliederten System der Krankenversicherung hierzu nicht in der Lage sind.
BSGE 47, 148 (157). Genauso jetzt Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 91 , 94 und mit Verweis aufdie Entstehungsgeschichte S. 106. 29 Vgl. oben 2. Kapitel III. 27
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Die ältere juristische Literatur hat eine institutionelle Garantie für sozialrechtliche Institutionen in vergleichbarer Weise aus Art. 20 I oder aus Art. 20 I i.V.m. 74 Nr. 12, Art. 87 II und 120 I 4 GG begründee0 • Das Sozialstaatsgebot in Art. 20 I GG ist jedoch zu abstrakt, um konkrete Garantien fiir bestehende Einrichtungen zu begründen. "Die Lehre von der institutionellen Garantie der Sozialversicherung und verwandter Einrichtungen sieht auf Verfassungsebene bereits als Erfiillung, was das Grundgesetz nur als Auftrag enthält: die Herstellung der sozialen Gerechtigkeit"31 • Aus ergänzender Hinzuziehung der Art. 74 Nr. 12, 87 II, 120 I 4 GG ergibt sich nichts Konkreteres. Die in diesen Kompetenzvorschriften aufgefiihrten Institutionen nahm der Verfassungsgesetzgeber zur Abgrenzung der Aufgabenbereiche von Bund und Ländern in den Verfassungstext auf. Sie beschränken sich auf die ihm bekannten Institutionen. Eine so begründete Bestandsgarantie würde der nur um der Aufgabenzuweisung willen erfolgten Aufnahme einzelner Institutionen in diese Kompetenzvorschriften eine materiell rechtliche Wirkung auf die Staatsorganisation beimessen, die der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hat. Aus diesem Grunde lehnt die Literatur die Begründung institutioneller Garantien aus Kompetenzvorschriften heute zutreffend ab32• Nach Auffassung der neueren Literatur handelt es sich bei der verfassungsrechtlichen Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung nur um eine sozialstaatliehe Mindestgarantie fiir ihre Leistungsfähigkeit. Anderenfalls werde die Freiheit des Gesetzgebers zur näheren Ausgestaltung des Sozialstaats mißachtet. Dem Gesetzgeber müsse wegen des parlamentarisch demokratischen Prinzips die Aufgabe erhalten bleiben, Art, Organisation und Niveau des sozialen Min33 destschutzes selber festzulegen . Das folgt letztlich auch aus dem Sozialstaatsgebot selbst. Dem Staat muß die Möglichkeit erhalten bleiben, die sich fiir ihn aus seiner sozialstaatliehen Verpflichtung heraus ergebenden Aufgaben auf die jeweils zweckmäßigste Weise
30 Nachweise bei H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 619 f. Fn. 3; lsensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 27; Gössl, Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 123. 31 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 27 f. 32 Grundlegend H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 619 ff.; vgl. ferner nur Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 123 m.w.N. und jetzt auch Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 78, 123 ff. 33 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 127; Bieback, VSSR 1993, S. I, 20 f., der unzutreffend davon ausgeht, daß sich auch das BVerfG in E 36, 383 (393) und E 39, 302 (314 f.) für eine Garantie der konkreten Organisationsform im Sinne einer Garantie der einzelnen Sozialversicherungsträger ausgesprochen habe; das hat das BVerfG in diesen Entscheidungen gerade nicht entschieden, worauf Eieback später (S. 22) erstaunlicherweise auch Bezug nimmt.
II. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie für die Sozialversicherung
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organisatorisch zu bewältigen. Die sozialen Ansprüche des einzelnen Bürgers richten sich nach und ergeben sich aus den Grundrechten. Sie sind ihrerseits auch Ausprägungen des Sozialstaatsprinzips. Das Sozialstaatsprinzip schreibt dem Staat die Hilfe fiir Hilfsbedürftige vor und verpflichtet ihn deshalb zu sozialer Aktivität. Art. 20 I GG enthält einen Verfassungsauftrag, gewährt aber keine individuellen Rechte34• Mehr ist dem Sozialstaatsprinzip nicht zu entnehmen: Es garantiert keinen festen Bestand an Staatsaufgaben und nicht den einmal erreichten Stand sozialstaatlicher Leistungen35 . Die Sozialstaatsklausel schreibt den sozialen Versicherungsträger weder eine bestimmte Organisationsform vol6 , noch bestimmt sie, daß es überhaupt eine Sozialversicherung im heutigen Sinne geben muß. Der Staat kann seinen sozialen Verpflichtungen im Gegenteil auch auf andere Weise nachkommen. Und er muß diese Möglichkeit behalten, um in Zeiten wirtschaftlicher Not so flexibel reagieren zu können, daß er auf jeden Fall zur Erfüllung des Verfassungauftrags des Art. 20 I GG in der Lage ist. So kann er staatliche Versicherungspflichten begründen und die organisatorische Bewältigung der Versicherungsaufgaben zwangsweise privaten Organisationen auferlegen. Die soziale Sicherung der Bevölkerung muß nach dem Sozialstaatsprinzip noch nicht einmal zwingend durch eine soziale Versicherung erfolgen. Eine gesetzliche Anordnung zwangsweiser Privatvorsorge des Einzelnen könnte - deren organisatorische Absicherung unterstellt der Verpflichtung des Staates aus dem Sozialstaatsprinzip genügen. Alternativ wäre auch eine umfassende egalitäre soziale Mindestversorgung aus Steuermitteln verfassungsrechtlich denkbar37 • Sozialversicherung ist immer das, was der Sozialgesetzgeber als Sozialversicherung bestimmt. Die organisatorische Flexibilität des Sozialstaates ist Ausdruck wie Forderung des Sozialstaatssatzes. Der aus Art. 20 I GG folgende Auftrag zur Realisation des Sozialstaats umschließt "die Kompetenz( ... ), drängende soziale Probleme von heute den sozialen Lösungen von gestern vorzuziehen" 38 . Art. 20 I GG erteilt dem Staat einen sozialen Vorsorgeauftrag, keinen Versicherungsauftrag. Eine institutionelle Ga-
34 Vgl. BVerfGE I, 97 (105); Papier, in: SRH, 3 Rn. 8; Badura. DÖV 1989, S. 491, 492, 494 f. bezeichnet den "Sozialstaatssatz ( ...) als Prinzip der Verfassungsordnung, ( ...)als eine der Leitideen der materiellen Verfassungsnormen, ( ... ). als Idee und Verfassungsnorm"; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 124. 35 Isensee, in: HStR, Bd. III, §57 Rn. !53 m.w.N. 36 Vgl. hierzu unten IV 2. 37 Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer beitragsfinanzierten "Volksversorgung" ist umstritten: Dagegen Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, S. 41, 51 f. und Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 106 ff. Dafür H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 621; Kloepfer, VSSR 1974, S. 156, 162, 167, 169; Krause, VSSR 1980, S. 115, 121; Wannagat, in: FS Fechner, S. 207, 220 f. 38 Zacher, in: FS H. P. Ipsen, S. 207; Badura, DÖV 1989, S. 491 , 496.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
rantie der Sozialversicherung oder sogar ihrer einzelnen bestehenden Organisationsformen kann und darf dem Sozialstaatsprinzip nicht entnommen werden39• Art. 20 I GG garantiert die Zahlungsfahigkeit des Sozialstaats, nicht die des konkret organisierten Versicherungsträgers. Das Sozialstaatsprinzip schreibt nur eine staatliche Garantie fiir die Erfüllung des durch den jeweiligen Soziaiversicherungszweig erfüllten Vorsorgeauftrags vor, nicht aber für die Existenz seines Organisationsbestandes40 • Damit sichert die sozialstaatliche Garantie die Fortsetzung der von dem jeweiligen Versicherungszweig oder dessen organisatorischem Nachfolger gewährten sozialen Vorsorge. 41 Gegenwärtig wird die soziale Vorsorge durch die Sozialversicherung in ihrer überkommenen Organisation gewährleistet. Da deren Auflösung oder auch nur grundlegende organisatorische Neuordnung kaum denkbar ist, läuft die abstrakte staatliche Garantie der sozialen Vorsorge auf eine Garantie für die Zahlungsfähigkeit des jeweils aktuell organisierten Sozialversicherungsträgers hinaus. Das wollte das BSG vermutlich zum Ausdruck bringen. Wegen der gesetzgeberischen Freiheit zur organisatorischen Gestaltung der Sozialversicherung muß dieser Träger jedoch nicht mit dem Träger identisch sein, an den der Versicherte einst seine Beiträge entrichtete. Eine Versteinerung des Organisationsbestandes der Sozialversicherungsträger kann das BSG nicht ernsthaft gemeint haben, auch wenn die Ausführungen in der Entscheidung eine solche Interpre-
39 A.A. Heinze, Gutachten zum 55. DJT, E 61 m.w.N. und ein großer Teil der juristischen Literatur. Mittlerweile mit Einschränkungen aber immer noch gegen den hier vertretenen Standpunkt Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 77 ff. 40 Vgl. Wal/erath, in: HDR, II Rn. 64: Danach garantiert der Gesetzgeber den Vorsorgeauftrag der Rentenversicherung, nicht aber die Rentenversicherung selbst. Die verfassungsrechtliche Garantie schützt nur die Aufgabe der sozialen Sicherung der Bevölkerung. 41 Nach Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 72, insbes. 93 f., 101 ff., 108, 114 begründet Art. 20 I GG eine "eingeschränkte Garantiepflicht", die gern. Art. 120 I 4 GG den Bund verpflichtet, der Rentenversicherung in existenzbedrohenden Situationen zur Seite zu stehen, sofern er nicht Ersatz schafft. Die Anerkennung einer wenn auch eingeschränkten Garantiepflicht für die Rentenversicherung kontrastiert mit der auch von Lütjohann befürworteten weiten Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Sozialstaats (insbes. S. 78 ff.)- jedenfalls terminologisch. Der Staat muß gern. Art. 20 I GG die Fortsetzung der gegenwärtig von der Rentenversicherung durchgeführten sozialen Vorsorge garantieren. Er kann seiner Garantiepflicht durch Zuschüsse an die Rentenversicherung nachkommen. Er käme seiner Garantiepflicht aber gleichermaßen durch eine Abschaffung der Rentenversicherung nach, sofern er eine neue Organisation schafft, die zur Fortsetzung der sozialen Vorsorge in der Lage ist. Eine Garantiepflicht, die die Abschaffung dessen, was sie garantiert, als gleichwertige Pflichterfüllung zum Inhalt hat, ist keine Garantie. Art. 20 I GG schützt primär die soziale Vorsorge, erst sekundär die vom Gesetzgeber jeweils zu diesem Zweck vorgesehene Institution.
II. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie flir die Sozialversicherung
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tation nahelegen. Eine institutionelle Garantie ist im übrigen noch nicht zwingend eine Garantie des status quo zu einem bestimmten Zeitpunkt'~2 • c) Zwischenergebnis
Art. 120 I 4 GG enthält keine verfassungsrechtliche Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung. Nur soweit der Garantiefall aufgrund von Kriegsfolgen eintritt, sind die dann erfolgenden staatlichen Zahlungen an die Sozialversicherung Zuschüsse i.S.d. Art. 120 I 4 GG. Nur dann müßte der Bund sie aufgrund der Lastenverteilungsvorschrift des Art. 120 I 4 GG tragen. Dieser Fall ist aber heute nicht mehr denkbar. Einzig erwägenswert wäre es, die deutsche Wiedervereinigung als Kriegsfolge anzusehen43 • Soweit die Wiedervereinigung die Sozialversicherung belastet und aus diesem Grunde der Garantiefall eintritt, könnte Art. 120 I 4 GG möglicherweise eine Finanzierungskompetenz des Bundes begründen. Auch aus Art. 20 I GG folgt keine verfassungsrechtliche Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung. Das Sozialstaatsgebot verpflichtet den Staat nur zur Garantie sozialer Vorsorge.
2. Bundesgarantie aufgrunddes Sozialstaatsgebots i.V.m. Art.14 GG? Teile der Literatur leiten eine Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung mit unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Begründunf aus Art. 14 GG44 her - teilweise unter Hinzuziehung des Sozialstaatsgebots4 . Der Individualschutz des Art. 14 I GG begründe eine Institutsgarantie fiir die sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche, aus der eine institutionelle Garantie der Sozialversicherungsträger folge46• Doch hat die in Art. 14 I GG enthaltene Institutsga-
42 C. Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien in der Reichsverfassung, S. 155 ff.; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 123 Fn. 57. 43 A.A. Siekmann, in: Sachs, GG Art. 120, Rn. 11, da die entscheidende Ursache fllr die Wiedervereinigung nicht der zweite Weltkrieg, sondern die Nachkriegsentwicklung in der sowjetischen Besatzungszone war; vgl. Schaefer, in: vM, GGK Bd. 3, Art. 120 Rn. 9. 44 Schenke, in: FS Meinhold, S. 338, 339 ff. 45 Bieback, VSSR 1993, S. 1, 23 ff., da der Staat dem Bürger durch die Versicherungspflicht Mittel entziehe, die er anderenfalls zur privaten Vorsorge verwenden könne. 46 Heinze, Gutachten zum 55. DJT, E 63. Entgegen Bieback, VSSR 1993, S. 1, 22 Fn. 93 gerade nicht Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 39, der sich zwar ftir eine Bundesgarantie ftir die Sozialversicherungsträger im Sinne einer ultima ratio ausspricht, deren Begründung aus Art. 14 I GG jedoch kritisch gegenübersteht (S. 24 f.). 10 Kranz
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
rantie sozialversicherungsrechtlicher Positionen mit einer institutionellen Garantie schon begrifflich nichts zu tun47. Die grundrechtliche Sicherung individueller Ansprüche führt nicht zur grundrechtliehen Absicherung der zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Organisationen. Hier gelten die Ausführungen zur institutionellen Bundesgarantie flir die Sozialversicherung entsprechend. Auch aus den Grundrechten folgt keine institutionelle Garantie für die Sozialversicherung. Art. 14 I GG ist für die soziale Vorsorge aber nicht folgenlos: Das Grundrecht ergänzt die sozialstaatlich begründete systemneutrale Mindestgarantie des Bundes für die soziale Absicherung im Sinne einer Konkretisierung48 • Dabei vermag es nicht eine bestimmte Höhe der Ansprüche, sondern nur - aber immerhin- deren Relation zueinander festzuschreiben49. Hierin liegt ein über die sozialstaatliche Garantie hinausgehender grundrechtlicher Schutz der sozialen Ansprüche des Staatsbürgers. Das Sozialstaatsprinzip gewährleistet ihm nur ein Mindestmaß sozialer Absicherung. Art. 14 I GG sichert darüber hinaus dessen Differenzierung entsprechend der graduell verschiedenen grundrechtliehen Beeinträchtigungen, die die Leistungsberechtigten vor dem Eintritt des Leistungsfalls durch die jeweils unterschiedliche Beitragsbelastung erlitten haben. Deshalb greift ein zentrales Argument gegen die Einführung einer steuerfinanzierten Staatsbürgerversorgung nicht. Sie entzieht dem Sozialversicherten nicht seinen sozialversicherungsrechtlichen, durch Art. 14 I GG in seinem Bestand geschützten Anspruch50. Der Staat könnte - und müßte - die befürchtete grundrechtliche Beeinträchtigung der vormaligen Beitragszahler durch steuerliche Vergünstigungen kompensieren, die den bisher geleisteten Beiträgen entsprechen. Nur die noch nicht beitragspflichtigen Staatsbürger, die von der Einführung einer steuerfinanzierten Volksversorgung in vollem Umfang profitieren würden, wären der Steuerpflicht in vollem Maße unterworfen. Im übrigen wären übergangsweise Abstufungen vonunehmen. Wer kun vor dem Eintritt des Leistungsfalls steht, müßte mehr als nur eine Grundvorsorge erhalten.
Der freiheitliche Schutz des Art. 14 I GG flir die eingezahlten Beiträge des Sozialversicherten reduziert sich zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips auf einen differenzierten anteiligen Ausgleich der jeweils vom Bürger erlittenen Einbußen an grundrechtlicher Freiheit. Der Bestandsschutz erstreckt sich auf die "Relation der Beitragsleistung des einzelnen Versicherten zu den anderen Beitragspflichtigen desselben Zeitabschnitts"51 • Wer nicht in die Sozialver-
47 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 124 f. und 64 ff. zum Verhältnis von Beitrag und Eigenleistung, der sich für einen gestuften Eigentumsschutz ausspricht (S. 67 ff.). Vgl. Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 24 f. 48 Das übersieht Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 81 ff. 49 /sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 25. 50 So aber Heinze, Gutachten zum 55. DJT, E 63. 51 Heinze, Gutachten zum 55. DJT, E 68.
li. Verfassungsrechtliche Bundesgarantie flir die Sozialversicherung
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sicherungeingezahlt hat, genießt diesen grundrechtliehen Schutz nicht. Art. 14 I GG schützt den anteiligen Ausgleich der von der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten zum gesetzlich vorgeschriebenen Zweck der sozialen Sicherung erlittenen kollektiven Freiheitsbeeinträchtigung. Art. 14 I GG verwirklicht hier Anteilsgerechtigkeit Das grundsätzlich als Freiheitsrecht verstandene Grundrecht wirkt im Lichte des Sozialstaatsprinzip als Gleichheitsrecht Dieser differenzierte anteilige Schutz beeinflußt aber nicht die absolute Höhe der vom Bund im Garantiefall an das jeweilige soziale Sicherungssystem zu zahlenden Gelder. Sie richtet sich allein nach dem Sozialstaatssatz. Aus Art. 14 I GG folgt weder isoliert noch unter Hinzuziehung des Sozialstaatsgebotes eine verfassungsrechtliche Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung. 3. Sozialstaatliche Gewährleistungspflicht und Gleichheitssatz Wegen der regional insbesondere bei den Krankenversicherungen erheblichen Beitragssatzunterschiede sieht Bieback auch Art. 3 I GG als Grundlage fiir die staatliche Garantiehaftung an. In ihr konkretisiere sich die staatliche Verpflichtung zur Beseitigung gleichheitswidriger Beitragsbelastungen, "die auf Strukturunterschieden beruhen, die der einzelnen Versicherungsgemeinschaft legitimerweise nicht zugerechnet werden können" 52• Letztlich handele es sich um "eine Garantiehaftung fiir unzurnutbar hohe Beiträge"53 • Auch diese Garantiepflicht kann nur gegenüber dem jeweiligen staatlichen Vorsorgesystem bestehen. 4. Staatliche Garantieträgerschaft als sozialstaatliches Organisationsprinzip? Nach Auffassung des BSG ist der Staat verpflichtet, "für die Verbindlichkeiten des öffentlichen Rechtsträgers einzutreten (Gewährträgerhaftung) oder für seine Zahlungsfähigkeit durch fmanzielle Zuschüsse (Anstaltslast) zu sorgen( ... ). Wenn er Verwaltungsträger schafft, die staatliche Aufgaben wahrnehmen, muß er auch dafiir sorgen, daß diese Träger leistungsfähig sind und bleiben"54. Neben der verfassungsrechtlichen Begründung der Garantie treffe den Staat eine größere Verwaltungsveranwortung, wenn er die Sozialversiche52 Bieback, VSSR 1993, S.l, 28 ff., der zu Unrecht davon ausgeht, Art. 3 I GG gälte zwischen Staatsorganen und juristischen Personen auch als Grundrecht und nicht nur als innerstaatliches Verfassungsprinzip (S. 28). 53 Bieback, VSSR 1993, S. I, 27. 54 BSG Beschluß vom 17.9.1981, USK 81287, S. 1258 rechte Sp.; kritisch Bieback, VSSR 1993, S. 24.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
rung in mittelbarer Staatsverwaltung fiihrt. Die Garantieträgerschaft folge aus der "Integration der Träger der Sozialversicherung in die allgemeine Staatsverwaltung". Sie ergebe sich insbesondere aus dem staatlichen Aufsichtsrecht und der detaillierten staatlichen Gesetzgebung. Bieback spricht von einer "faktischen Ingerenz des Staates"55 . Isensee erklärt sie folgendermaßen: "Da der soziale Rechtsstaat seine Bürger zu einer bestimmten Organisation ihrer sozialen Sicherheit zwingt, haftet er in verfassungsrechtlicher Konsequenz gleichsam aus vorangegangenem Tun- dafür, daß die fmanzielle Leistungskraft in der Krise nicht verlorengeht" 56• Die Haftung des Staates für die soziale Sicherung folgt aber aus dem Soziaistaatsprinzip und nicht aus allgemeinen verwaltungsorganisatorischen Grundsätzen. Die staatliche Garantie erfährt in den verwaltungsorganisatorischen Grundsätzen lediglich ihre Konkretisierung, nicht aber ihre Begründung.
5. Ergebnis Die außerordentlichen staatlichen Zahlungen an die Sozialversicherung im Garantiefall fmden ihre Rechtsgrundlagen in den sozialrechtlichen Bundesgarantien. Diese Garantien sind Ausprägungen des Sozialstaatssatzes des Art. 20 I GG. Für diese Zahlungen ist deshalb allein das Sozialstaatsprinzip die verfassungsrechtliche Grundlage. Wegen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist der Staat aber nicht verfassungsrechtlich dazu verpflichtet, solche Garantien zu normieren. Sieht er sie vor, bindet er sich selbst. Dann muß er im Garantiefall Zuschüsse an die Sozialversicherung leisten. Die bundesstaatliche Verteilung der Finanzverantwortung für diese Zuschüsse folgt den allgemeinen Vorschriften. Sie sind Gegenstand des 4. Kapitels dieser Arbeit.
55 Bieback, VSSR 1993, S. I, 25 m.w.N.; Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 39; von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 219. Vgl. H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 623 m.w.N., wonach Art. 3 I GG den Gesetzgeber rechtsgrundsätzlich zu einem Mindestmaß an Systemtreue verpflichtet. Der Gesetzgeber müsse sich an den von ihm selbst gewählten Sachgesetzlichkeiten orientieren, solange und soweit er an seinen Ordnungsentscheidungen festhält Wenn der Gesetzgeber sich flir eine Sozialversicherung entschieden hat, habe er deren Bestand zu garantieren, solange er sich nicht für eine andere Form der sozialen Vorsorge entscheidet. Aus dieser Sicht stellt sich die Bundesgarantie für die Sozialversicherung als Ausfluß des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der gesetzgebensehen Systemtreue dar. 56 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 39.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben fiir die Finanzierung von Staatsaufgaben 149
111. Verfassungsrechtliche Vorgaben f"ür die Finanzierung von Staatsausgaben Die folgenden Ausfiihrungen sollen klären, ob die regelmäßigen Staatszuschüsse zur Sozialversicherung als Staatsausgaben verfassungsrechtlich zulässig sind. Möglicherweise ist der Staat zu ihrer Zahlung sogar verfassungsrechtlich verpflichtet. Dann wäre eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelung der staatlichen Zuschüsse entbehrlich. Die Frage danach, welche bundesstaatliche Ebene zur Finanzierung der Staatszuschüsse verpflichtet ist, wird zunächst zurückgestellt. Ihre Beantwortung erfolgt im 4. Kapitel dieser Untersuchung. 1. Staatszuschüsse als Staatsausgaben
Die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung werden aus Steuergeldern finanziert. Sie sind deshalb Staatsausgaben. Die Steuer ist neben den Sonderabgaben die einzige hoheitlich auferlegte Geldleistung, die der Bürger zahlen muß, ohne eine Gegenleistung zu erhalten57. Er hat noch nicht einmal Anspruch auf eine bestimmte Verwendung der von ihm erwirtschafteten und gezahlten Gelder. Der Staat deckt seinen allgemeinen Finanzbedarf in erster Linie mit diesen zweckungebundenen Steuermitteln. Die Bundesrepublik Deutschland ist "Steuerstaat" 58 . Auf diese Weise kann sie die ihr verfassungsrechtlich auferlegten Verpflichtungen erfiillen und ihren Bürgern die ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Freiheiten ermöglichen. Das Grundgesetz regelt die staatliche Berechtigung zur Steuererhebung nicht. Die finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften über die Gesetzgebungs-, Ertrags - und Verwaltungszuständigkeiten fiir die Steuern (Art. I 05 bis 108 GG) setzen sie voraus. Die Steuererhebung greift in die grundrechtliche Freiheit und Gleichheit des Bürgers ein. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieses Eingriffs folgt aus dem Spannungsverhältnis zwischen sozialstaatlicher Verpflichtung und privatwirtschaftlicher Wirtschaftsordnung: Die verfassungsrechtliche Anerkennung und Garantie der privatnützigen Arbeitskraft und des Eigentums in Art. 12 und 14 GG nimmt dem Staat jegliche Möglichkeit, den fiir die Gestaltung des Sozialstaats erforderlichen Finanzbedarf aus eigener Kraft zu decken. Der Ausweg in die Staatswirtschaft ist ihm weitgehend versperrt. Was bleibt, ist die im Wege der Steuererhebung bewirkte und durch die Sozialpflichtigkeit ermöglichte staatliche Teilhabe an der privatnützigen Ver-
57 Vgl. § 3 I AO 1977; Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. lOS Rn. 6 a. 58 Vgl. zum Prinzip des Steuerstaats nur lsensee, in: FS lpsen, S. 409 ff.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
wendungvon Arbeit und Eigentum59: "Ermächtigungsgrundlage für die Steuer ist die Sozialpflichtigkeit privatnützigen Erwerbs und privatnützigen Vermögens"60. Wegen des haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzips (§ 7 HGrG) dienen alle staatlichen Einnahmen als Deckungsmittel für alle staatlichen Ausgaben61 . Der Staat kann mit den steuerfmanzierten allgemeinen Haushaltsmitteln solange nach freiem Belieben den öffentlichen Finanzbedarf decken, wie er die Bindungen des Haushaltsrechts beachtet. Deshalb kann er in Ausübungs staatlicher Fürsorge auch die von ihm zur Staatsaufgabe gemachte Sozialversicherung durch steuerfmanzierte Zuschüsse unterstützen62. Rechtsgrundlage fiir solchefreiwilligen - Zahlungen ist das Sozialstaatsprinzip und damit Art. 20 I GG. Art. 120 I 4 GG ist vielleicht zur verfassungspolitischen "Legitimation" der Staatszuschüsse an die Sozialversicherung wichtig63 . Sie bedürfen aber zu ihrer verfassungsmäßigen "Rechtfertigung" keines besonderen verfassungsrechtlichen Kompetenztitels64• Staatszuschüsse an die Sozialversicherung sind verfassungsgemäß65. Verpflichtet die Verfassung den Staat zur Mitfmanzierung der Sozialversicherung?
2. Vorgaben für die Finanzierung der Sozialversicherung Das Grundgesetz enthält weder zur Finanzierung der Sozialversicherung noch zu ihren Aufgaben oder zu ihrer Organisation eine grundlegende Aussage66. Es regelt die Sozialversicherung nur sporadisch und uneinheitlich. Die einschlägigen Vorschriften sind weit verstreut: Im 7. Abschnitt des Grundgesetzes erstreckt Art. 74 Nr. 12 GG die konkurrierende Gesetzgebung auf die
59 Vgl. P. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 88 Rn. 46 ff.; Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 105 Rn. 5. 60 P. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 88 Rn. 51. 61 Hierzu Kisker, in: HStR, Bd. IV, § 89 Rn. 77. 62 Diesen Ansatz übersieht Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG. 63 F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437,439 flir die Zuschüsse zur Rentenversicherung. 64 F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437,445. Falsch deshalb Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 148 f., 164, der eine "Rechtfertigung" der Bundeszuschüsse prüft. 65 Die Finanzierung der Zuschüsse aus den allgemeinen Haushaltsmitteln belastet jeden Bürger gleichmäßig. Insoweit werfen sie keine Gleichheitsprobleme auf; F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 76; ders., DRV 1993, S. 437,445. 66 Umfassend Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 200 ff., 216 ff. m.w.N.; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. I, 6.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 151
Sozialversicherung. Der 8. Abschnitt beschäftigt sich in Art. 87 II GG mit der Organisation der Sozialversicherungsträger und in den Übergangsvorschriften weist Art. 120 I 4 GG dem Bund die Finanzierungskompetenz für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung zu. Die Verfassung regelt die Sozialversicherung nicht unmittelbar. Das Sozialstaatsgebot und der Grundsatz der Menschenwürde zeichnen ihre "Grundlinien" vor. Den Vorschriften ist nur zu entnehmen, daß es "die Sozialversicherung" gibt. Das Grundgesetz geht von der "Möglichkeit" der Sozialversicherung aus, ohne sie jedoch institutionell zu gewährleisten67 • Literatur und Rechtsprechung entnehmen diesem kargen Normenbestand freilich die "Finanzverfassung der Sozialversicherung"68 bzw. die "Sozialfinanzverfassung"69. Die Normierung der Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung in Art. 74 Nr. 12 GG enthalte nicht nur als Annex der Sachkompetenz die Kompetenz zur Regelung des Sozialversicherungsbeitrags70 , sondern - weit über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - dessen unmittelbare verfassungsrechtliche Anerkennung 71 . Das ist nicht ohne weiteres verständlich. Art. 87 II GG liefert keinen Hinweis auf die Finanzierungsmodalitäten der nur z.T. in der Vorschrift angesprochenen Iandes- und bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger72. Und Art. 120 I 4 GG ist ohnehin auf einen engen Anwendungsbereich begrenzt. Etwas plausibler erscheint es, mit dem BVerfG auf einen verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff der Sozialversicherung73 abzustellen, der- begrifflich- ihre Beitragsfmanzierung urnfaße4 . Der Verfassungsgesetzgeber ging bei Normierung der Vorschriften über die Sozialversicherung zwar von dem überkommenen Verständnis der Sozialversicherung aus, das ihre Beitragsfmanzierung einschließt. Die Verfassung räumt dem einfachen Gesetzgeber für die nähere Ausgestaltung der Sozialversicherung aber einen weiten Gestaltungsspielraum ein75• Er soll die wesentlichen Entscheidungen zur Ausgestaltung des Sozialversicherungsrechts wegen dessen Krause, VSSR 1980, S. 115, 120; vgl. oben II 1 b. So der Titel der Dissertation von Göss/. 69 So der Titel des von Schulin redigierten Sammelbandes zu der unter diesem Thema veranstalteten 5. Sozialrechtslehrertagung vom 6. bis 8. März 1991 in Göttingen. 70 V gl. /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 29. 71 BSG SGb 1987, S. 169, 171; F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437,440. Das Grundgesetz erwähnt bemerkenswerterweise zwar staatliche Zuschüsse zur Sozialversicherung, nicht aber den Beitrag; /sensee, DRV 1980, S. 145, 148. 72 Anders F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437, 440. Vgl. im einzelnen unten IV. 73 BVerfGE 11, 105 (112 f.); 75, 108 (146). Vgl. hierzu oben I. Kapitel I Fn. I. 74 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 48. 75 Vgl. oben II 1. 67
68
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
erheblicher sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung selbst treffen76• Der Sozialgesetzgeber kann zu diesem Zweck auch von der Beitragsfmanzierung der Sozialversicherung abweichen. Art. 20 I GG stellt sich sogar einer Auflösung der Sozialversicherung nicht entgegen77• Das Grundgesetz statuiert keine ausdrücklichen Vorgaben für die Finanzierung der Sozialversicherung78• Es ermöglicht aber zahlreiche Rückschlüsse auf die Finanzierung der Sozialversicherung, solange und soweit das Sozialrecht ihre Finanzierung wie seit jeher als Beitragsfmanzierung regelt. Der Beitragsfmanzierung stehen die Staatszuschüsse als Staatsausgaben gegenüber. Sie bewirken eine sekundäre Finanzierung der primär beitragsfmanzierten Sozialversicherung. Die Abgrenzung zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Finanzierung der Staatsausgaben einerseits und den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Erhebung der Beiträge als Finanzierungsmittel der Sozialversicherung andererseits ermöglicht Schlußfolgerungen auf die Staatszuschüsse. Die Art. 105 ff. sehen für die Finanzierung der Staatsausgaben die Steuerfinanzierung vor. Das Grundgesetz kennt aber jenseits des allgemeinen Staatshaushalts mit der impliziten Anerkennung der beitragsfmanzierten Sozialversicherung in Art. 74 Nr. 12, 87 II, 120 I 4 GG als spezieller sozialstaatlicher Aufgabe auch andere Finanzierungsformen für Staatsausgaben. Der Sozialversicherungsbeitrag wird verfassungsrechtlich hier zwar nicht ausdrücklich geregelt, aber implizit anerkannt. Demgegenüber regeln die Art. 105 ff. GG die Gemeinlast der Steuer. Sie grenzen die Steuer mittelbar von dem Sozialversicherungsbeitrag als einer Sonderlast ab79, die nicht alle Bürger, sondern nur eine besondere Gruppe unter ihnen trifft. Einen weitergehenden Aussagegehalt haben diese fmanzverfassungsrechtlichen Vorschriften nicht. Sie unterscheiden insbesondere nicht ausdrücklich und allein zwischen Steuern und Sonderlasten80, auch wenn sich diese Unterscheidung letztlich aus der Finanzverfassung ergibt. Sie schreibt die Steuer als reguläres staatliches Finanzierungsmittel vor. Der Sozialversicherungsbeitrag ist als "nichtsteuerliche Abgabe dagegen die rechtfertigungsbedürftige Ausnahrne"81 • Diese Unterscheidung ergibt sich aus der Finanzverfassung, wird jedoch von ihr nicht vorgegeben82• Die Finanzverfassung normiert keine Vorgaben für den Sozialversicherungsbeitrag. Sie setzt zwar durch die Normierung
Vgl. flir die Rentenversicherung Ruland, in: HDR, 19. Rn. 111. Hierzu oben Il. 78 Insoweit auch F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. I. 79 F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,442. 80 So offenbar aber F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,441. 81 Isensee, Referat zum 59. DJT, Bd. II, S. Q 35, 50. 82 A.A. Isensee, Referat zum 59. DJT, Bd. II, S. Q 35, 50. 76
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III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 153
der Steuer "negative Zäsuren"83, doch ist der Gesetzgeber bei der Auferlegung von Beiträgen in erster Linie an die freiheits- und gleichheitsrechtlichen Vorschriften gebunden. Hier sind die Vorgaben für die Sozialversicherungsbeiträge zu suchen. Das Verhältnis des Sozialversicherungsbeitrags zur Finanzverfassung ist kompliziert, weil es sich bei der sozialen Umverteilung über Beiträge und Versicherungsleistungen der Sache nach um eine Materie handelt, die eigentlich Gegenstand der Finanzverfassung sein müßte84• Der Verfassungsgesetzgeber hat die Sozialversicherungsbeiträge hier dennoch nicht geregelt. Das spricht umso mehr dafür, dem einfachen Gesetzgeber bei der Gestaltung der sozialen Vorsorge einen weiten Spielraum einzuräumen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Sozialversicherungsbeitrag folgen aus den allgemeinen Maßgaben des Grundgesetzes, insbesondere dem Rechtsstaatsgebot und dem Gleichheitssatz. Die fmanzverfassungsrechtlichen Vorschriften über die Steuer sind demgegenüber im Sinne einer Negativabgrenzung - im Sinne eines "So gerade nicht!" - zu berücksichtigen. Die auf dieser Grundlage zu ermittelnden Verfassungsvorgaben für den Sozialversicherungsbeitrag sind Teil des sog. "ungeschriebenen Finanzrechts des Grundgesetzes". Es ergibt sich aus der Anwendung des geschriebenen Rechts exklusive des geschriebenen Finanzrechts85• Die Zuschüsse sind insbesondere aus folgenden Gründen fragwürdig: Während der Beitrag als primäres Finanzierungsmittel der Sozialversicherung nicht steuerfmanziert ist, erfolgt die Finanzierung der Staatszuschüsse genauso wie der anderen Zuweisungen der öffentlichen Hand (Erstattungen, Beiträge) aus Steuergeldem. Damit werden die Zuschüsse von Unternehmen und Privaten getragen. Die Finanzierung der Sozialversicherung bittet den sozialversicherten Beitragspflichtigen zweimal zur Kasse: primär durch den Beitrag - als Gegenleistung erhält der Beitragszahler Versicherungsschutz, sekundär über die Steuer - nach dem haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzip ohne Gegenleistungsbezug. Zusätzlich nehmen die steuerfmanzierten Staatszuschüsse den Teil der Bevölkerung zu Gunsten der Sozialversicherung in Anspruch, der außerhalb der Sozialversicherungsgemeinschaft steht. Wegen des haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzips ist die Inanspruchnahme der Steuerrechts-Subjekte rechtlich zulässig, auch wenn sie politisch brisant sein mag.
Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 12. Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, Einleitung S. LXXII, vgl. auch S. LXXXIV. 85 K. Vogel, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, S. 265 ff. 83
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Die Beitragspflicht greift wie die Steuerpflicht in die grundrechtliche Freiheit und Gleichheit des Bürgers ein. Mit den Staatszuschüssen versucht der Gesetzgeber, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs zu entsprechen. Jede "Verminderung der Bundeszuschüsse bedeutet" dabei "ein Mehr an Belastung fiir die Versicherten, so daß dem Dispositionsrecht des Gesetzgebers mindestens dieselben engen Grenzen gesetzt sind, wie auf den übrigen Gebieten der Eingriffsverwaltung"86• Auf der anderen Seite bewirken die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung mittelbar eine staatliche Begünstigung ihrer Mitglieder, die den außerhalb der Sozialversichertengemeinschaft stehenden Steuerzahlern (Selbständige, Beamte) nicht gewährt wird. All dies führt zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten. Die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung sind verfassungsrechtlich nur schwer greifbar. 3. Beitrags- versus Zuschußfinanzierung Sie gewinnen ihre Bedeutung und verfassungsrechtliche Gestalt als Finanzierungsmittel der Sozialversicherung erst aus der Abgrenzung zu den Anforderungen an die Rechtfertigung der Beitragspflicht87• Der umgekehrte Weg führt nicht weiter: Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Beitrag ergeben sich nicht wegen seiner unterbliebenen Regelung in der Finanzverfassung aus der Abgrenzung zu den Zuschüssen. Für den Beitrag gelten die allgemeinen Regeln des Abgabenrechts88• Die Anwendung der Regeln des Abgabenrechts auf den Sozialversicherungsbeitrag89 dient der Abgrenzung der Finanzierungsverantwortung von Sozialversichertengemeinschaft und Gesamtgesellschaft Auf diese Weise lassen sich diejenigen Ausgaben der Sozialversicherung bestimmen, die aus Staatszuschüssen zu fmanzieren sind90 : Was nicht durch Beiträge fmanziert werden kann, unterfällt den Zuschüssen.
ZVersWiss 1971, S. 185,204. Konsequent ohne Berücksichtigung dieses Ansatzes Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG. 88 So insbesondere F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,441 ff. 89 Die Anwendung der Regeln des Abgabenrechts auf den Sozialversicherungsbeitrag ist umstr.; Überblick bei Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 50 ff. Allgemein zur Rechtfertigung von Abgaben Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 87 ff., 96 ff.; zur Rechtfertigung von Beiträgen P. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 88 Rn. 183 f., 213 ff. und zur Ausgrenzung des Sozialversicherungsbeitrags Rn. 218, 272, 275. 90 F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,447. 86 Jahn, 87
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 155
a) Sozialversicherungsbeiträge im Abgabensystem
Beiträge zur Sozialversicherung sind Geldleistungen, die Versicherte und deren Arbeitgeber aufgrund gesetzlicher Vorschriften zur Deckung des Finanzbedarfs der Versicherungsträger erbringen91 • Mangels Konkurrenz zur Steuer handelt es sich nicht um Sonderabgaben92• Das folgt nach Auffassung des BVerfG auch aus einer tatsächlichen und rechtlichen Trennung der "Finanzmasse der Sozialversicherung ( ...) von den allgemeinen Staatsfmanzen"93 • Abgabenrechtlich handelt es sich bei den Sozialversicherungsbeiträgen nach h.M. . . Abgabentyp94 . um emen etgenen b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beitragspflicht
Die Beitragspflicht ist Folge der gesetzlich begründeten Pflichtmitgliedschaft in der Sozialversicherungsgemeinschaft Sie ist als Eingriff in grundrechtliche Freiheit (Art. 14 bzw. 2 I GG95) und Gleichheit (Art. 3 I GG) des Bürgers nur gerechtfertigt, wenn sie einem legitimen Ziel dient und die BVerfGE 14,312 (318). BVerfG EuGRZ 1990, 28 (38). 93 BVerfGE 75, 108 (148). Zur Kritik unten 4. Kapitel III 3. 94 BVerfGE 14, 312 (317 f.); BSG SGb 1987, S. 169, 171; /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 31 ff., 42; ders., in: Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 485 ff. ; Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 52; Heun, DVBI. 1990, S. 666, 669; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 16; Oster/oh, NJW 1982, S. 1617, 1619 f.; Schuppert, in: FS Thieme, S. 227, 231. 95 Ob die Auferlegung der Beitragspflicht als Auferlegung einer Geldleistungspflicht in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt, ist umstritten. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und der Auffassung eines Teils der Literatur ist bei der staatlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten Art. 2 I GG und nicht Art. 14 GG anzuwenden: BVerfGE 4, 7 (17); 81 , 108 (122); BVerwGE 87, 324 (330); BGHZ 83, 190 (194 f.); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 14, Rn. 12; Papier, in: M/DIH/S, GG Art. 14, Rn. 42, 161, 165 ff. m.w.N., 174; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 14 Rn. 4 a. Demgegenüber halten von Mangoldt/K/ein/Starck, GG, Bd. I, Art. 2 Rn. 60; P. Kirchhof. in: HStR, Bd. IV, § 88 Rn. 88; Kimminich, in: BK, GG Art. 14, Rn. 60 ff. m.w.N.; /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 67 ff. und Krause, VSSR 1980, S. 115, 130 Art. 14 GG bei der Auferlegung der Beitragspflicht zur Sozialversicherung flir einschlägig. Auf Grundlage dieser Ansicht ist die Auferlegung der Beitragspflicht als Geldleistungspflicht eine Inhalts- und Schrankenbestimmung, nicht aber eine Enteignung (so vor dem sog. Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG noch /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 69 f.; danach wohl noch Krause, VSSR 1980, S. 115, 130 Fn. 109). Anderenfalls käme man zu dem unsinnigen Ergebnis, die sonst gleichermaßen als Enteignung zu qualifizierende Steuerpflicht mangels Entschädigungsregelung flir nichtig zu erklären. Oft findet die freiheitsrechtliche Relevanz der Sozialversicherungspflicht bei der Erörterung ihrer Rechtfertigung keine Berücksichtigung; vgl. z.B. F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 17; ders. , DRY 1993, S. 437,440 ff. 91
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Pflichtmitgliedschaft als Mittel zur Erreichung dieses Zieles geeignet, erforderlich und angemessen ist96• Die klassische Rechtfertigung des grundrechtliehen Freiheitseingriffs erfolgt in erster Linie mit einem Verweis auf den Erhalt des staatlichen Versicherungsschutzes als Gegenleistung97 (hierzu aa). Darüberhinaus ist bei der Auferlegung der Beitragspflicht die Abgrenzung des belasteten Personenkreises vor dem Gleichheitssatz zu legitirnieren98 (hierzu bb). Besondere gleichheitsrechtliche Probleme ergeben sich schließlich, wenn Beitragsmittel Leistungen an Personenkreise fmanzieren, die außerhalb der Sozialversichertengemeinschaft stehen (hierzu cc). Diese Probleme sind nur durch Staatszuschüsse zu lösen. aa) Versicherungsschutz als Gegenleistung- Art. 14 GG I Art. 2 I GG99 Der Erhalt des Versicherungsschutzes rechtfertigt als Gegenleistung den aus der Beitragspflicht resultierenden Eingriff in die grundrechtliche Freiheit des Beitragszahlers. Der Sozialversicherungsbeitrag ist "der Preis fiir die Möglichkeit, Sozialleistungen zu erhalten" 100• Der Genuß des Versicherungsschutzes reicht; der Leistungsfall kann auch ausbleiben 101 • Diese Rechtfertigung der staatlich auferlegten Beitragspflicht setzt den Beitrag als Leistung und den Versicherungsschutz als Gegenleistung zueinander in Bezug. Durch diesen Gegenleistungsbezug unterscheidet sich der Sozialversicherungsbeitrag von der gegenleistungsunabhängig erhobenen Steuer. Hierdurch genügt er der verfassungsrechtlichen Mindestanforderung, wonach der Sozialversicherungsbeitrag eine steuerfremde Struktur aufweisen muß 102 • bb) Beitragspflichtiger Personenkreis- Art. 3 I GG 103 Die Abgrenzung des beitragspflichtigen Personenkreises ist wegen der eingeschränkten Identität von Beitragszahlern und Leistungsempfangern schwierig: Die Beitragspflicht trifft auch Personen, die keinen Versicherungsschutz genießen (Arbeitgeberbeitrag). Und im Gegensatz zur Gemeinlast der Steuer Vgl. nur lsensee, in: Sozia1finanzverfassung, S. 7, 21. F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 17; Krause, VSSR 1980, S. 115, 130 f. m.w.N.; lsensee, DRV 1980, S. 145, 148. Vgl. die Ausnahme in BVerfGE 53, 313 (326 ff.). 98 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 145, 147 f. 99 Vgl. oben Fn. 95. 100 Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 89. 101 BVerfGE 80, 297 (309 f.). 102 /sensee, DRV 1980, S. 145, 148; Krause, VSSR 1980, S. 115, 133. 103 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 62 ff. 96 97
111. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 157
belastet sie als Sonderlast zwar einen großen, nicht aber den gesamten Teil der Bevölkerung. So sind mehr als ein Viertel der Bevölkerung nicht rentenversicherungspflichtig (z.B. Beamte und Selbständige) 104• Diese Differenzierungen bedürfen der Rechtfertigung vor Art. 3 I GG. Wieso tragen Nichtversicherte eine besondere Verantwortung fiir die potentiellen Leistungsempfanger? 105 Der Beitrag des nichtversicherten aber beitragspflichtigen Arbeitgebers zur Sozialversicherung läßt sich mit dessen sozialer Fürsorgepflicht fiir den Arbeitnehmer 106 oder mit der Verwertung der Arbeitskraft des Versicherten durch den Arbeitgeber mit Unternehmerrisiko und chance 107 begründen 108• Ein weiteres Beispiel fiir Finanzierungspflichten "Dritter" ist die- nach umstrittener Auffassung des BVerfG verfassungsgemäße 109 Künstlersozialabgabe. Der Beitrag des Arbeitgebers zur Unfallversicherung ist demgegenüber nicht fremd- sondern eigennützig, da er die zivilrechtliche Haftpflicht des Arbeitgebers weitgehend ausschließt(§§ 636 ff. RVO). Die Literatur legitimiert die problematische Abgrenzung des belasteten Personenkreises mit dem gemeinsam zu tragenden Risiko. Zu diesem Zweck entwickelte sie das Kriterium der spezifischen sozialen Gruppenhomogenität Es soll die gesetzlich angeordnete Gruppensolidarität rechtfertigen 110• Die Homogenität sei durch die Rechtswirklichkeit vorgegeben 111 • Isensee schreibt: 104 F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437, 441; nach Ru/and, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 154 beträgt dieser Anteil weniger als ein Fünftel. 105 BVerfGE 75, 108 (158) fordert "spezifische ( ... ) Solidaritäts- oder Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen Zahlungsverpflichteten und Versicherten". Die Literatur verlangt z.T. eine soziale Gruppenhomogenität als Voraussetzung für gesetzlich angeordnete Gruppensolidarität; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 18 f., 63 . 106 BVerfGE 11, 105 (113); 14, 312 (317); 75, 108 (158 f.); Krause, VSSR 1980, S. 115, 131 f.; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 90 ff., 94. 107 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 56 ff.; /sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 29. 108 Diese Rechtfertigung greift nur, sofern man den Arbeitgeberbeitrag nicht wirtschaftswissenschaftlich als materiellen Lohnbestandteil, sondern entsprechend der gesetzlichen Regelung als Beitragselement betrachtet; anders z.B. Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 147 m.w.N. Vgl. /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 19 Fn. 6 m.w.N.; F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 74 f., der den hälftigen Arbeitgeberbeitrag in Anlehnung an die steuerrechtliche Betrachtung als Lohnkostenbestandteil materiell dem Arbeitnehmer zuweist, um den Arbeitgeberanteil nicht als Ausfluß des Solidarprinzips darstellen zu müssen. 109 BVerfGE 75, 108 ff.; a.A. F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 79; Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 147 f. 110 /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 13 ff. , 17 ff., 62 f.; P. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 88 Rn. 275; Schulin, Gutachten E zum 59. DJT, S. 62, 92 ff. Ablehnend Kloepfer, VSSR 1974, S. 156, 158 ff.; Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 45, der nur Versicherte und Nichtversicherte unterschieden
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
"Die Homogenität erwächst etwa aus der Zugehörigkeit zur seihen Berufsart, aus der Tätigkeit im seihen Wirtschaftssektor oder aus der Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Eine Gruppe der Gesellschaft kann dann einem besonderen gesellschaftlichen Umverteilungssystem unterworfen werden, wenn sie durch gemeinsame soziale Interessen verbunden ist. ( ... )Ob das Band der Gruppensolidarität haltbar und sinnvoll geknüpft ist, läßt sich einer Probe unterziehen: Eine Umverteilungsgemeinschaft ist nach sachgerechten Kriterien zusammengeschlossen, wenn das typische ausgleichsbelastete Mitglied(...) bei normalem Gang seiner Lebensverhältnisse selbst einmal in den Genuß der Ausgleichsleistungen gelangen könnte" 112•
Die durch gemeinsame Interessen geprägte und in der Sozialversichertengemeinschaft vereinte homogene Gruppe liegt vor, wennjedes Versicherungsmitglied potentiell die Möglichkeit hat, selbst irgendwann einmal Versicherungsleistungen zu erhalten. Im übrigen ist bei der Abgrenzung des belasteten Personenkreises an das Kriterium der Leistungsfähigkeit anzuknüpfen: "Sinn der Sozialversicherung ist es, durch Geld- oder Naturalleistungen die Leistungsfähigkeit zu substituieren, wenn deren reguläre Basis, die Arbeitskraft, dauerhaft oder zeitweise ausfällt"113. Die Leistungsfähigkeit läßt sich aber nur soweit als Legitimationskriterium heranziehen, wie das Bedürfnis nach sozialem Schutz reicht. Es entfällt oberhalb der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze oder bei anderweitiger sozialer Sicherung durch private oder beamtenrechtliche Vorsorgesysteme 114• Dann ist eine Beitragspflicht mit dem Gleichheitssatz nicht mehr vereinbar. cc) Herausforderung des Gleichheitssatzes durch Fremdlasten Der fur die Rechtfertigung des freiheitsrechtliehen Eingriffs erforderliche Gegenleistungsbezug bleibt gewahrt, soweit Sozialversicherungsbeiträge nur Leistungen fmanzieren, die den Versicherten zugute kommen. Finanziert die Sozialversicherung aus Beitragsmitteln aber die Ausführung sozialversiche-
wissen will und Differenzierungen innerhalb der Sozialversicherung für fiktiv hält, die sich an anderen Kritierien orientieren. Skeptisch Krause, VSSR 1980, S. 115, 127 f. m.w.N. zu kritischen Stimmen, S. 136 Fn. 146. 111 Jsensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 18 f., 49 f. m.w.N. Nach Kloepfer, VSSR 1974, S. 156, !59 f. wird die Solidarität innerhalb der Sozialversicherung nicht vorgefunden, sondern vom Gesetzgeber in Erfüllung seiner sozialstaatliehen Verpflichtung gestiftet. Isensee, in: Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 461, 480 Fn. 58 kritisiert diese Überdehnung der SozialstaatsklauseL 112 Jsensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 18, 20. 113 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 20; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 55 ff. 114 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 21 f., 28 m.w.N.; a.A. Krause, VSSR 1980, S. 115, 122 mit fehlerhaften Hinweisen auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in Fn. 48 f.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 159
rungsfremder Aufgaben, strapaziert die Beitragspflicht neben der freiheitlichen Grundrechtsbeeinträchtigung auch und vor allem den Gleichheitssatz. Der Eingriff ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber der Sozialversichertengemeinschaft sog. Fremdlasten auferlegt. Fremdlasten sind nicht durch die Beiträge, sondern durch Staatszuschüsse zu fmanzieren. Das folgt aus Art. 3 I GG. Der in seiner Bedeutung problematische und vielschichtige Begriff der Fremdlasten 115 ist für Sozialpolitik und juristische Literatur zum Reizwort geworden. Nach herkömmlichem Verständnis sind Fremdlasten der Sozialversicherung solche Lasten, die die Sozialversicherung trägt, die aber aus sozialversicherungsfremden Aufgaben entstehen 116• Fremde Aufgaben sind solche, die im Zuständigkeitsbereich eines anderen stehen. Damit kommt entweder eine Körperschaft in Frage, deren Mitglieder nicht der Sozialversichertengemeinschaft angehören, oder eine Körperschaft, von der einige Mitglieder auch Mitglieder der Sozialversichertengemeinschaft sind. Versicherungsfremde Aufgaben der Sozialversicherung sind also Aufgaben einer anderen Körperschaft innerhalb der Gesamtgesellschaft oder Aufgaben der Gesamtgesellschaft selbst. Die Bestimmung der Fremdlasten erfolgt nach demjeweiligen Aufgabenträger. Anders akzentuiert folgende Defmition: "Fremdlasten sind solche Finanzierungsaufgaben, die nicht der (legitimen) Solidargemeinschaft und ihren Angehörigen zugute kommen, sondern einer heterogenen Bevölkerungsgruppe oder der staatlichen Allgemeinheit" 117• Danach kommt es nicht darauf an, in wessen Zuständigkeitsbereich die Ausführung der Aufgabe fällt, sondern wem der Vorteil aus ihrer Ausführung zufließt. Beides kann sich decken: Die Sozialversicherung befreit den Staat von seinen Pflichten, wenn sie Aufgaben ausführt, zu deren Ausführung der Staat verpflichtet ist. Dann kommt dem Staat die Aufgabenausführung "zugute". Dem Sozialversicherten fließen die Vorteile aus der Ausführung staatlicher Aufgaben oft gleichermaßen zu. Wegen der faktisch vorhandenen Überschneidungen differenzieren viele Darstellungen der Fremdlasten nicht zwischen den beiden grundverschiedenen Begriffsbestimmungen.
Welchem dieser Ansätze ist zu folgen? Eine Fremdlast der Sozialversicherung liegt nicht schon immer dann vor, wenn eine durch die Sozialversicherung fmanzierte Aufgabe nur einem Teil der Sozialversicherten zugute kommt, weil der Leistungsfall nicht bei allen Versicherten eintritt. Das ist versicherungstypisch. Wichtiger ist: Eine durch Bei-
Zu ihm z.B. Schulin, Gutachten E zum 59. DJT, S. 116. Grundlegend Krause, VSSR 1980, S. 115 ff. Vgl. im einzelnen unten 5 b. 117 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 42 f. (Hervorhebung vom Verf.). 115
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
tragsleistungen fmanzierte Aufgabe der Sozialversicherung, die nicht allen Sozialversicherten Vorteile bringt, ist auch keine Fremdlast, wenn jeder Versicherte potentiell die Möglichkeit hat, davon zu profitieren, weil und nur weil er Versicherungsmitglied ist. Dann ist der gern. Art. 3 I GG erforderliche Gegenleistungsbezug gewahrt. Ob er tatsächlich jemals Leistungen bezieht, ist irrelevant. So zählt insbesondere der Familienlastenausgleich (die leistungssteigemde Anrechnung von Kindererziehungs- und Beriicksichtigungszeiten in der Rentenversicherung) entgegen verbreiteter Ansiche 18 allein schon deshalb nicht zu den Fremdlasten 119• Der Begriff der Fremdlasten läßt sich mittels der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beitragspflicht leicht konturieren. Probleme sind verfassungspolitisch motiviert: Die h.M. mißt der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Sozialversicherungsbeitrags verfassungsrechtlich bestimmende Relevanz bei. Die Gegenansicht zieht den Kreis der Fremdlasten weiter, um der Forderung nach einer Erhöhung der Staatszuschüsse Nachdruck zu verleihen. (1) He"schende Meinung
Nach h.M. ergibt die Auslegung des Art. 74 Nr. 12 GG, daß zwei einander entgegengesetzte Prinzipien die Sozialversicherung prägen: Das versicherungstechnische sog. Äquivalenz- oder Versicherungsprinzip, wonach der Beitragspflicht mit dem Versicherungsschutz eine entsprechende Gegenleistung gegenüberstehen müsse und- auch- das Prinzip des sozialen Ausgleichs 120, das den Staat dazu verpflichte, innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft einen sozialen Ausgleich herzustellen. Der Sozialversicherungsbeitrag sei verfassungsrechtlich nicht nur durch Äquivalenz, sondern auch durch Solidarität konstituiert121.
Vgl. z.B. Schmäh/, DRV 1994, S. 357,368 f. VSSR 1980, S. 115, 137 f., 159 f. 120 BVerfDE 10, 141 (166); 21, 362 (378); 59, 36 (49 f.); 79, 87 (101 f.). Das BVerfG hat in einzelnen Entscheidungen zwar dem Solidaritätsprinzip den prinzipiellen Vorrang vor dem Versicherungsprinzip eingeräumt- so insbesondere BVerfDE 11, 105 (117); 14, 312 (318), zurückhaltender E 51, 115 (124); 53, 313 (328) - in neuerer und bestätigter Rechtsprechung jedoch einmal mehr das eine, einmal mehr das andere Prinzip betont; BVerfDE 79, 87 (101). Vgl. Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 146, 152 f. Mit umfangreicher Begründung, eingehender Darstellung der unterschiedlichen Positionen und zahlreichen w.N. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 41 ff. 121 lsensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 16, 42, 48; Krause, VSSR 1980, S. 115, 135. 118
119 Krause,
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben fiir die Finanzierung von Staatsaufgaben 161
Das Äquivalenzerfordernis folgt aber aus dem Gleichheitssatz, nicht aus der Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 12 GG 122 . Dem Beitragspflichtigen muß wegen der Ungleichbehandlung durch die "Vorzugslast" des Beitrags ein Anspruch auf staatliche Bevorzugung erwachsen. Diese Bevorzugung besteht nicht allein in der undifferenzierten Gewährung des Versicherungsschutzes; sie folgt bereits aus den Freiheitsrechten123 und wird dem Charakter des Sozialvesicherungsbeitrags als einer Sonderlast nicht gerecht. Art. 3 I GG verlangt mehr: Zwischen dem Beitrag und der staatlichen Gegenleistung muß der Höhe nach Äquivalenz bestehen 124 • Dieses Äquivalenzerfordernis hat drei Konsequenzen: (1.) Nur Beitragszahler dürfen Versicherunggschutz und Versicherungsleistungen erhalten; die Beitragspflicht verliert ihre Rechtfertigung, wenn Leistungen auch Nichtversicherte begilnstigen. (2.) Werden die NichtBeitragspflichtigen an diesen Leistungen nicht beteiligt, liegt eine Ungleichbehandlung vor125 • (3.) Die Lasten filr solche Leistungen sind deshalb als Fremdlasten durch Staatszuschüsse zu finanzieren. Das folgt aus Art. 3 I GG. Nach h.M . wird das Versicherungsprinzip durch das sog. Solidarprinzip modifiziert: Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG verpflichte den Staat, innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft fiir sozialen Ausgleich zu sorgen 126• Das Solidarprinzip entkoppele den Beitrag vom individuellen Risiko, um den gesamten Finanzbedarf innerhalb der Versicherung zu decken. Es "bewirkt also einen Transfer, es sorgt filr Umverteilung und Ausgleich" innerhalb der Versichertengemeinschaft127. Tatsächlich erzeugt die nach Leistungsfahigkeit gestaffelte Beitragserhebung in der gesetzlichen Krankenversicherung eine soziale Umverteilung. Die fmanziell Leistungsfähigeren unterstützen die Bezieher niedrigerer Einkommen. "Der versicherungsrechtliche Leistungsaustausch gleitet über in sozialrechtliche Umverteilung ( ... ).Die Sozialversicherung erweist sich als Medium der 'zweiten Ein-
Vgl. im einzelnen unten (3). Hierzu oben aa. 124 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 145, 151. 125 Zum Ganzen anschaulich Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 145 f. 126 BSG SGb 1987, S. 169, 170. 127 F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 19. Die Literatur bringt mit dem Solidarprinzip unterschiedliche Inhalte in Verbindung; F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 76; ders., DRV 1993, S. 437, 443 f.: Neben dem sozialen Ausgleicherfaßt es als Verantwortungsprinzip die Fälle, in denen nicht leistungsberechtigte Dritte (z.B. Arbeitgeber) Beiträge zahlen, und als Prinzip der staatlichen Fürsorge die Staatszuschüsse. Erfolgt die Zahlung der Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger als Abgeltung fiir die Durchfilhrung versicherungsfremder Aufgaben, berühren sich beide Prinzipien, da die versicherungsfremden Leistungen auch einen sozialen Ausgleich bewirken. Eine typologisierende Trennung der vom Solidarprinzip erfaßten Phänomene ist kaum möglich. 122 123
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
kommensumverteilung'. Der Beitrag wandelt sich vom Entgelt des Versicherungsschutzes zum Mittel der Überwälzung sozialer Lasten. Die Überwälzung durch Beitragsgestaltung vollzieht sich im Solidarausgleich. Bestimmungsgrund des Sozialversicherungsbeitrags ist nicht allein das Eigeninteresse des Versicherten an der Freistellung von einem Lebensrisiko, sondern auch das Solidaritätsgebot, welches das leistungsfähige Mitglied verpflichtet, für den Versicherungsaufwand des leistungsschwachen einzustehen. Die versicherungswirtschaftliche Gefahrengemeinschaft, die im wohlverstandenen Eigennutz des einzelnen gründet, verwandelt sich in die Solidargemeinschaft, die durch das Solidarprinzip (Ausgleichsprinzip) konstituiert wird" 128 •
Dieser soziale Ausgleich fmdet nur innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft statt. Und er wird nur von ihr und nicht als Fremdlast von der Allgemeinheit fmanziert. Isensee begründet diese Verteilung der Finanzverantwortung mit der "realen Interessengemeinsamkeit" innerhalb der von der Rechtsordnung vorgegebenen homogenen Gruppe 129: Das sozialstaatlich interpretierte Wohl der Allgemeinheit rechtfertige vor dem Gleichheitssatz die durch den sozialen Ausgleich vermittels der Beitragsvergünstigung bewirkte Subventionierung der sozial Schwächeren. Die spezifische soziale Verantwortlichkeit innerhalb der einfachrechtlich vorgegebenen und durch gemeinsame Interessen geprägten homogenen Gruppe der Sozialversicherten legitimiere die fehlende Einstandspflicht der Allgemeinheit 130. "Im Ergebnis spiegelt die kompetenzrechtliche Form des Solidarausgleichs das einfache Gesetzesrecht wider. Die verfassungsrelevante Rechtsfigur des Sozialversicherungsrechts ist eine Abstraktion der traditionswahrenden Regelungen des Unterverfassungsbereichs"131. F. Kirchhof stellt zur Rechtfertigung der gleichheitsrechtlichen Beeinträchtigungen durch die bei Erlaß der Grundgesetzes vorgefundenen sozialen Ausgleichsstrukturen praktische "Konkordanz von Art. 3 GG auf der einen und den Art. 1, 6, 74 und 87 GG auf der anderen Seite" her 132• Er mißt dem Argument des Traditionellen entscheidenden Wert bei. Das Solidarprinzip wird aber durch Leistungen an Empfänger überfordert, fiir die der Beitragszahler keine Verantwortung hat133 • Dann wird "das Solidarprinzip zugunsten eines Sozialisierungsprinzips verlassen" 134. Die verantwortliche Gemeinschaft ist in Anspruch zu nehmen. 128 /sensee, Umverteilung durch Sozia1versicherungsbeiträge, S. 15 f. 129Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 20. Hierzu oben bb. 130 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 60, 62 f. 131
Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 50.
132 F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 80; ders., DRV 1993, S. 437,
444 f.
133 F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 21 m.w.N. 134 F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 69.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben fiir die Finanzierung von Staatsaufgaben 163 Wenn die Beitragspflicht den Versicherten eine Ausgleichslast zugunsten einer fremden Gruppe ohne Entschädigung auferlegt, liegt eine Inhaltsbestimmung i.S.d. Art. 14 I 2 GG vor 135, die in ihren Auswirkungen von so schwerem Gewicht sein kann, daß die faktischen Folgen fiir den Betroffenen einer Enteignung entsprechen. F. Kirchhof schreibt: "Art. 14 GG schützt ( ... ) vor dem Unterschreiten der Beitragsäquivalenz zum Zwecke sozialpolitischer Umverteilung über das historisch vorgefundene Solidarprinzip hinaus" und fungiert als "Sperre [vor] politisch motivierter, nicht wirtschaftlich erzwungener Umverteilung" 136. Darüber hinaus verletzt die Ausgleichslast fiir fremde Gruppen Art. 3 I GG 137.
Erfilllt die Sozialversicherung Aufgaben, die nicht nur im Interesse der Sozialversicherungsgemeinschaft, sondern im Interesse der Gemeinschaft aller Steuerzahler stehen, sind diese nach h.M. wegen der gemeinsamen und nicht nur spezifisch gruppenbezogenen Komponente auch gemeinschaftlich und deshalb aus Steuergeldem zu fmanzieren 138 . Hierzu dienen die Bundeszuschüsse. Solche gemeinschaftlichen Aufgaben, deren Regelungsgegenstand nicht mehr allein dem Verantwortungsbereich der Versichertengruppe zugeordnet werden kann, möglicherweise also nicht risikoadäquat ist, sind z.B. die Kriegsfolgelasten als allgemeine Lasten 139• Da auch die Wiedervereinigung Deutschlands letztlich eine Kriegsfolge ist, handelt es sich bei den spezifisch einheitsbedingten Lasten der Sozialversichertengemeinschaft gleichfalls um eine Angelegenheit des Zentralstaats 140 • Die Ausweitung des Geltungsbereichs der gesetzlichen Rentenversicherung ist aber keine versicherungsfremde Last, weil die Ausdehung zugleich auf den Aktiven- und den Rentnerbestand erfolgte. Wegen des Umlageverfahrens können die zu DDR-Zeiten nicht leistungsadäquaten Beiträge die heutige Generation nicht belasten 141 • Die zusätzlichen Belastungen der Rentenversicherung sind hingegen Fremdlasten. Für die Folgen der Nachkriegspolitik in der sowjetischen Besatzungszone läßt sich keine gesteigerte Verantwortung gerade der Sozialversicherten begründen. Wenn die zusätzlichen einheitsbedingten Zahlungen der Sozialversicherung Ausdruck der Solidarität zwischen den Deutschen in den alten und den neuen Bundesländern ist, dann besteht diese Solidarität zwischen allen Bürgern. "Für ein höheres Maß an Solidarität nur zwischen den Sozialversicherten ( ... ) gibt es keine
Vgl. P. Kirchhof, in: HStR, Bd. 4, § 88 Rn. 88 ff., 93 ff. Vgl. oben Fn. 95. F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 69 f. 137 /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 62 ff. 138 /sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 14 f. 139 Diemer, VSSR 1982, S. 31, 63. Die Belastungen der Sozialversicherung durch die demographische Entwicklung zählen nicht zu den allgemeinen Lasten; Schewe, SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 11 mit näherer Begründung. 140 Tretner, in FAZ Nr. 226 vom 28.9.1991, S. 13. A.A. Siekmann, in: Sachs, GG Art. 120, Rn. II; vgl. oben II I c. 141 Hofmann, SF 1996, S. 126, 127 f. 135
136
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
plausible Erklärung" 142 • Entsprechend sind die Leistungen nach dem Fremdrentengesetz überwiegend gleichermaßen Aufgaben der Gesamtgesellschaft 143 • Auch die Arbeitsförderung durch die Bundesanstalt fiir Arbeit kommt jedermann zugute 144, nicht nur den Versichertenaufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung. Sie ist eine gemeinschaftliche Aufgabe und aus Steuergeldern zu fmanzieren. Die beitragsfinanzierten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der individuellen Förderung der beruflichen Bildung, der Arbeits-und Berufsberatung (§§ 15, 25 AFG) und der Arbeitsvermittlung(§ 13 AFG) fordern die Aufuahme oder Fortsetzung einer beitragspflichtigen Beschäftigung. Sie erfolgen damit im Interesse der Beitragszahler. Bei solchen präventiven Maßnahmen ist eine Verknüpfung mit den Beitragszahlern (als Voraussetzung für die Rechtfertigun~ von Leistungen, die auch im Interesse von NichtBeitragszahlern erfolgen) möglich 14 • Entsprechendes gilt flir die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (§ 6 AFG). Das BVerfG legitimiert die Beitragsfinanzierung demgegenüber mit dem besonderen gemeinsamen Interesse aller abhängig Beschäftigten an einem gesunden Arbeitsmarke 46 • Die Zuweisung der arbeitsmarktpolitischen Aufgaben an die Bundesanstalt flir Arbeit (BA) ist wegen deren Sachkompetenz und der bestehenden Amtshilfepflicht zwar sinnvoll 1 ~7 , jedoch kommen diese Maßnahmen nicht nur den Beitragszahlern zugute, sondern jedermann148• Insoweit handelt es sich flir die Versichertengemeinschaft anteilig um eine Fremdlast149. Deshalb soll nach in jüngerer Zeit zunehmend vertretener Auffassung eine Steuerfinanzierung die Beitragsfinanzierung der arbeitsmarktpolitischen Leistungen der BA ablösen 150. Ein solcher Finanzierungsmodus würde der berechtigten
142 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 150 flir die Leistungen nach dem Fremdrentengesetz. 143 A.A. Hofmann, SF 1996, S. 126, 127 f. 144 lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 28. 145 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 46 f. 146 BVerfGE 53,313 (328 ff.); noch offen gelassen in E 51, 115 (124 f.). 147 F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 69; Alternative bei Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 59; hierzu unten 5. Kapitel I 2. 148 BVerfGE 53, 313 (327). 149 Nach lsensee, NZS 1993, S. 281, 283 und Krause, VSSR 1980, S. 115, 151 sind die arbeitsmarktpolitischen Aufgaben der BA Fremdlasten der Arbeitslosenversicherung. Für F.Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 69 ist die Verwendung der Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung der Berufsberatung für jedermann, der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und des Führens von Statistiken über den eigenen Bedarf hinaus eine "sozialisierende Umverteilung der Zahlungen der Versichertengemeinschaft an die Allgemeinheit", sofern kein staatlicher Kostenersatz erfolgt; dann werde "das Solidarprinzip zugunsten eines Solidarisierungsprinzips verlassen". Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 149 m.w.N. hält die arbeitsmarktpolitischen Aufgaben der BA wegen mangelnder Identität von Beitragszahlern und Leistungsempfangern flir verfassungswidrig. 150 lsensee, NZS 1993, S. 281, 283 m.w.N.; ders., in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 27 f.; Jetter, ArbuSozPol. 1994, S. 64 ff. Kritik aus politischer Sicht bei Kühl, ArbuSozPol. 1994, S. 25, 27 ff., der u.a. die Auslieferung der BA an den Bundesfinanzminister befürchtet. Problematisch an dem Vorschlag ist u.a., daß nur Gebietskörperschaften als
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 165 Forderung nachkommen, die von den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der BA profitierenden Selbständigen und Beamten in die Finanzierung dieser Leistungen einzubeziehen 151 , ohne auf das verfassungsrechtlich bedenkliche Finanzierungsmittel der Arbeitsmarktabgabe152 ausweichen zu müssen. Der neueste Sparvorschlag der Re~ie rungskoalition zielt in die Gegenrichtung: Sie will den Zuschuß an die BA streichen 53 . Der beabsichtigten Entlastung der Steuerzahler korrespondierte eine entsprechende Belastung der Beitragszahler. Volkswirtschaftlich wäre nichts gewonnen. Der Nachteil ist evident: Die Finanzverantwortung der Allgemeinheit ftir die Arbeitsmarktpolitik fände keine Berücksichtigung. Die gegenwärtig aufgrundder fragwürdigen Vorschrift des§ 187 II AFG an die Arbeitslosenversicherung gezahlten staatlichen Zuschüsse sind zwar faktisch dazu in der Lage, der Versichertengemeinschaft die Einbußen aus den versicherungsfremden Leistungen zu kompensieren, aber nicht rechtlich: Die Gewährung der Zuschüsse erfolgt nach dem Gesetzestext nur im finanziellen Notfall. Ihre dauerhafte Zahlung ist normativ nicht abgesichert 154• Die Koalition hätte leichtes Spiel.
In der Legitimation der Staatszuschüsse mit der Erfiillung gemeinschaftlicher Aufgaben kommt dem Gedanken nach das frühere gesetzgebensehe Konzept des § 1389 I RVO wieder zum Ausdruck: Gemeinschaftliche Aufgaben sind Aufgaben, die zwar der Sozialversicherung dienen, von denen aber gleichfalls die Gemeinschaft aller Steuerzahler profitiert. Sie sind anteilig versicherungsfremde Aufgaben. Deshalb soll die Gemeinschaft der Steuerzahler ihren Anteil an diesen Aufgaben auch bezahlen. Die staatlichen Zuschüsse sind danach sachgerecht, wenn über den beitragsfmanzierten Solidarausgleich innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft hinaus zielgerichtet ein gesamtstaatlicher Solidarausgleich erfolgt155• Der erfor-
möglicher Abgabengläubiger einer Steuer in Frage kommen, die BA also nicht; hierzu m.w.N.lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 17. Zu den finanztheoretischen Unterschieden zwischen beitrags- und steuerfinanzierten Systemen der sozialen Sicherung Schmid, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 256, 260 ff., der flir einen regelgebundenen Bundeszuschuß an die BA plädiert. t st Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 149 f., 168 ff. mit umfangreicher Begründung und w.N.; a.A. BVerfGE 53, 313 (330), da sich die Tätigkeit der Beamten außerhalb des Arbeitsmarktes vollziehe. ts2 Eine Arbeitsmarktabgabe der nicht arbeitslosenversicherten Personen ist eine fremdnützige Sonderabgabe, da sie keine besondere Verantwortung flir die Versicherten der BA trifft. Deshalb zu Recht ablehnend Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141 , 168 ff. m.w.N., der diesen Personenkreis statt dessen zu Beitragszahlern machen möchte (S. 171 ). t s3 FAZ Nr. 98 v. 26.4.1996, S. 2. Der Haushaltsentwurf ftir 1997 enthält flir die Zuschüsse zur BA keinen Ansatz; FAZ Nr. 160 v. 12.7.1996, S. 15; vgl. oben I. Kapitel II 2 und unten c, VII. 154 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141 , 149 f. und schon oben I. Kapitel III 6, 7. tss Grundlegend zum sozialen Ausgleich durch die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung Schewe, in: FS W. Bogs, 1959, S. 333 ff. ; ders., SozSich., Beil. zu Heft 5, S. 4 ff.; ders. , in: FS W. Bogs, 1967, S. 147, 157 ff. Zur Einkommensumverteilung
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
derliehe spezifische Verantwortungszusammenhang zwischen Gebern und Nehmem im Solidarausgleich entfällt, wenn Sozialbeiträge allgemeine Staats~ b en fimanz1eren 156. au1ga 0
(2) Versicherungsprinzip
Der den Sozialversicherungsträgem nahestehende Teil der juristischen Literatur geht davon aus, die Sozialversicherung sei allein durch das Versicherungsprinzip geprägt. Die Ausblendung des Solidarprinzips hat weitreichende Konsequenzen fiir den Umfang der aus Beitragsmitteln zu fmanzierenden Lasten der Sozialversicherung und damit fiir die Höhe der Staatszuschüsse. Ruland hält den sozialen Ausgleich innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft wegen des Versicherungsprinzips fiir ein versicherungsfremdes Element. Als Fremdlast könne er nicht aus Beitragsmitteln bezahlt werden. So wie die anderen Fremdlasten müßten die steuerfmanzierten Bundeszuschüsse auch den sozialversicherungsinternen sozialen Ausgleich fmanzieren 157 • In der Krankenversicherung hebt die leistungsbezogene Beitragserhebung die nach dem Versicherungsprinzip zu fordernde Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung auf. Dieser soziale Ausgleich sei im Wege einer Steuerfmanzierung durch die Allgemeinheit zu fmanzieren 158 • Schmäh! will auch die beitragfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern als versicherungsfremde Leistung durch Steuergelder fmanziert wissen 159• In der Rentenversicherung besteht demgegenüber wegen der beidseitigen Anhindung von Beitragserhebung und Versicherungsleistung an das jeweilige durch die Zuschüsse aus ökonomischer Sicht Schmäh/, in: Soziale Probleme der modernen Industriegesellschaft, 2. Halbbd., S. 519, 551 ff. 156 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 27; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 20 f. 157 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 152 ff., 160, 164 ff. 158 Schmäh/, in: Versicherungsprinzip und soziale Sicherung, S. 89, 91 f. versucht die stärkere Beteiligung höher Verdienender an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Prinzip "time is money" zu begründen, indem er als Gegenleistung flir den Beitrag nicht den Versicherungsschutz, sondern die Verminderung des Einkommensausfalls durch die schnellere Genesung in Beziehung setzt; der höhere Einkommensausfall bei den "Besserverdienenden" rechtfertige deren stärkere finanzielle Beteiligung; vgl. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 40 Fn. 14. Abhängig Beschäftigte erleiden jedoch wegen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall keinen EinkommensausfalL Daran ändert auch die Bewertung der Freizeit mit den Opportunitätskosten nichts; so aber Schmäh/, a.a. 0., S. 92. 159 Schmäh/, DRY 1994, S. 357, 368 f. Eine rein versicherungsmäßig arbeitende Sozialversicherung fordert aus ökonomischer Sicht auch Meinhold, Fiskalpolitik durch sozialpolitische Parafisci, S. 113.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben ftir die Finanzierung von Staatsausgaben 167
Einkommen des Versicherungsmitglieds Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung im Sinne einer Teilhabe- oder Anteilsgerechtigkeit160 - nicht im Sinne einer Beitragsäquivalenz wie in der Privatversicherung. Allerdings ergeben sich hier ähnliche Probleme wie in der Krankenversicherung: Die derzeitigen Beitragszahler fmanzieren wegen des Umlageverfahrens mit ihren Beitragsleistungen die hohen Versicherungsleistungen an die vorangegangene Generation. Wegen der demographischen Entwicklung werden sie später niedrigere Leistungen erhalten, als sie gegenwärtig selbst fmanzieren. Die demographische Entwicklung fällt nach Rulands Ansicht in die gesamtstaatliche Verantwortungssphäre. Deshalb dürfe die Sozialgesetzgebung den gegenwärtig Versicherten das "Sonderopfer zugunsten der jetzigen Rentner" nicht allein auferlegen; die Allgemeinheit müsse dies Sonderopfer mittragen. Auch dieser soziale Aus. hl61 sei. aus steuergeldern zu fimanzieren . 162. g1eic Nach Ruland müßte der Staat also auch Zuschüsse zur Krankenversicherung zahlen; die Zuschüsse zur Rentenversicherung müßten entschieden höher ausfallen.163 Der wesentliche Unterschied zwischen dem Versicherungs- und dem Solidarprinzip liegt im Ergebnis in der Zuordnung der Finanzierungskompetenz. Ruland geht es bei der Zuweisung der Finanzierungsverantwortung darum, wegen des Prinzips der Beitragsäquivalenz einen beitragsfmanzierten Solidarausgleich innerhalb der Gemeinschaft aller Sozialversicherten als gleichheitswidrig abzulehnen. Das Kriterium der "Gruppenhomogenität" könne die teilweise 160 Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 152; Kolb, DRY 1984, S. 177, 180 f. spricht von Teilhabeäquivalenz. 161 F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 66 f. spricht treffender vom intergenerationellen Ausgleich. Nach Krause, VSSR 1980, S. 115, 139 f., 153 f. sei er durch den Generationenvertrag gerechtfertigt: "Danach trägt die im Erwerbsleben stehende aktive Bevölkerung die Rentenlast der wegen Alters, Invalidität oder Todes ausgeschiedenen, früher aktiven Generation, weil diese die Rentenlast einer früheren Generation getragen hat und weil jene erwartet, daß die künftige Generation ihre Rentenlast übernehmen wird wie beim Altenteil". Nach BVerfGE 54, II (28) besteht der Generationenvertrag darin, daß "der Versicherte mit seinen Beiträgen zur Finanzierung der zur Zeit der Beitragsentrichtung fälligen Rentenzahlungen bei[trägt und] ( ...) daflir einen staatlich garantierten Anspruch gegen die Versichertengemeinschaf [erhält], nach Erreichen der Altersgrenze durch die dann Erwerbstätigen ebenfalls versorgt zu werden". Vgl. zum intergenerationellen Ausgleich in der Rentenversicherung auch Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, s. 143, 175 f. 162 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 158 f.: Ein weiteres Äquivalenzproblem bestehe darin, daß die freiwilligen Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung keine Ausfall- oder Zurechnungszeiten angerechnet bekommen und grundsätzlich auch keine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten erhalten können, obwohl sie genauso hohe Beiträge wie die Pflichtmitglieder zahlen müssen. 163 Vgl. zur Beitragsäquivalenz in der Unfall- und Arbeitslosenversicherung nur Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 40 f. m.w.N.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
fremdnützige Beitragsgestaltung nicht rechtfertigen, da sich aus der Gleichheit der Risiken keine gesteigerte Verantwortung füreinander begründen lasse. Die Gruppenhomogenität rechtfertige nur den versicherungsimmanenten Risikoausgleich, nicht jedoch einen darüber hinausgehenden sozialen Ausgleich. Außerdem sei sie angesichts der Ausweitung der Sozialversicherung auf die verschiedensten Bevölkerungskreise ohnehin zweifelhaft 164 • Es seien Steuermittel einzusetzen, wenn der fmanzielle Ausgleich zwischen den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung deren unterschiedliche Belastungen mit dem Ziel nivelliert, innerhalb der Gemeinschaft aller Sozialversicherten einen Solidarausgleich herbeizufiihren. Die Bundeszuschüsse müßten auch den sozialversicherungsinternen Solidarausgleich fmanzieren. Ruland hält die derzeitigen Zuschüsse fiir viel zu niedrig 165• (3) Stellungnahme
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes verpflichtet die staatlich organisierte Allgemeinheit zu gesamtstaatlicher Solidarität. Sie verwirklicht sich fmanziell über die Steuer im gesamtstaatlichen sozialen Ausgleich 166• Wieso innerhalb der Sozialversichertengemeinschaft eine gesteigerte Solidarität bestehen soll, die nicht mit dem Versicherungszweck zusammenhängt, ist in der Tat schwer verständlich. Das verfassun~srechtlich vorgesehene Instrument für soziale Umverteilung ist die Steuer 1 7, nicht der Sozialversicherungsbeitrag 168 • Die Sozialversicherungsgemeinschaft ist kein Medium fiir soziale Umverteilung. Nach h.M. ist der Solidarausgleich aber die entscheidende soziale Komponente, mit der sich die Sozialversicherung inhaltlich von der Privatversicherung unterscheidet. Die Privatversicherung bemißt die Beiträge am zu versichemden Risiko und nicht an der Leistungsfähigkeit der Versicherungsnehmer 169• Wichtiger ist jedoch - abgesehen von formalen Unterschieden - der Zwangscharakter
Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, !54 f. Vgl. Ruland, DRY 1987, S. 527 ff.; ders., in: HDR, 19 Rn. 56 f. m.w.N. Zum Vergleich der beiden Prinzipien aus mathematischer Sicht Märsche/, DRY 1978, S. 332 ff. 166 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 74. 167 Vgl. Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 27. 168 Warum Solidarität oder Brüderlichkeit als Lebenselemente des Staates mit Kloepfer, VSSR 1974, S. 156, !58 f. der Umverteilung auch durch Sozialversicherungsbeiträge bedürfen, ist nicht einzusehen. 169 /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 16, 48. Vgl. BVerfGE 17, I (9). 164 165
111. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 169
der Versicherungspflicht170• Er steht in krassem Gegensatz zur fakultativen Beitrittsmöglichkeit zur Privatversicherung. Außerdem unterscheiden sich Sozial- und Privatversicherung durch unterschiedliche Finanzierungsmodi: In der Sozialversicherung bewirkt die lohnbezogene Beitragsgestaltung eine Typisierung der zusammengefaßten guten und schlechten Risiken. Sie kompensiert die Anhindung des Beitrags an das zu versichemde Risiko in der Privatversicherung. Diese Kompensation fiihrt zwangsläufig auch zu einem sozialen Ausgleich zwischen arm und reich. Der sozialversicherungsinterne soziale Ausgleich ist letztlich aber nur mittelbare Folge der lohnbezogenen Beitragsgestaltung in der Sozialversicherung. Versicherung ist mit der h.M. "die gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren [Risiko-] Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit" 171 • Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmung beschreiten Sozial- und Privatversicherung mit der lohnbzw. risikobezogenen Beitragserhebung letztlich nur zwei unterschiedliche Wege mit demselben Ziel: Die Beitragserhebung soll den Finanzbedarf der jeweiligen Versicherung decken, um den Versicherungszweck zu bewältigen. Die Unterscheidung nach den Finanzierungsmodi bliebe auch erhalten, wenn - wie von Ruland gefordert - Steuergelder den sozialen Ausgleich in der Sozialversicherung fmanzieren würden. Dann wäre die Beitragslast für die Versicherten geringer; eine prinzipielle Änderung der Finanzierungsform wäre hiermit aber nicht verbunden. Im übrigen prägt die Sozialversicherung ihr öffentlich-rechtlicher Charakter. Die Privatversicherung ist hingegen privatrechtlicher Natur. Das hat auch inhaltliche Konsequenzen. Der Solidarausgleich ist nicht das allein entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Sozial- und Privatversicherung. Der Kern des Problems liegt jedoch woanders: Die h.M. konstruiert einen verfassungsrechtlichen Begriff der Sozialversicherung und konturiert ihn mit dem einfachen Sozialrecht Da der Solidarausgleich im Sozialversicherungsrecht mit angelegt ist, soll er auch verfassungsrechtlich festgeschrieben sein. Ruland rückt demgegenüber die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die einfachrechtlich ausgestaltete Sozialversicherung in den Vordergrund. Er verzichtet auf einen Verfassungsbegriff der Sozialversicherung und prüft den sozialversicherungsrechtlichen Normenbestand am Maßstab der Grundrechte, insbesondere am Maßstab des Gleichheitssatzes. 170 Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 155; ders., SGb 1987, S. 133, 136. A.A. mit zirkulärer Begründung Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 48, da die Gesetzgebungskompetenz für die Sozialversicherung nicht greife, wenn die "sozialversicherungsspezifische Umschichtung" fehle. Ob die Umschichtung sozialversicherungsspezifisch ist, ist gerade die Frage. 171 BVerfGE II, 105 (112); BSGE 6, 213 (218, 227 f.) m.w.N.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Die umstrittene Abhängigkeit des verfassungsrechtlichen Verständnisses des Begriffs "Sozialversicherung" von dem unterverfassungsrechtlichen Sozialversicherungsrecht gründet in der "Dialektik des Verfassungsgesetzes ( ... ): daß die höchste Norm der staatlichen Rechtsordnung zugleich die inhaltsärmste ist, und daß die inhaltliche Konkretisierung der Verfassungsnormen in hohem Maße auf Rezeption des niederrangigen Rechts angewiesen ist, das sie beherrschen soll" 172 • Die h.M. entwickelt ihr verfassungsrechtliches Verständnis der "Sozialversicherung" aus der Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 12 GG 173 • Das geht zu weit. Die Kompetenznormen der Art. 70 ff. GG sind ihrer Natur nach inhaltlich auf die Zuweisung von Regelungskompetenzen begrenzt. Hierin erschöpft sich ihr materiell-rechtlicher Inhale 74 • Die Kompetenzvorschriften bedürfen für die Zuweisung der Gesetzgebungskompetenzen der inhaltlichen Konkretisierung durch unterverfassungsrechtliche Vorschriften. Sie knüpfen dabei zwar an einen vorgefundenen einfachrechtlichen Normenbestand an, transferieren diesen jedoch nicht auf Verfassungsebene und gestalten ihn auch nicht näher aus. Das ist Aufgabe des einfachen Gesetzgebers. Mit der von Ruland propagierten Negation des Solidaritätsprinzips als die Sozialversicherung mitbestimmende Maxime öffnet sich der Sozialversicherungsbeitrag wieder der von der h.M. für abgeschlossen gehaltenen abgabenrechtlichen Betrachtung 175 • Die entscheidende Begründung für die Ausgrenzung des Sozialversicherungsbeitrags aus der traditionellen abgabenrechtlichen Dreiteilung in Gebühren, Beiträge und Steuern 176 fallt weg, wenn der Sozial172 Jsensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 30; dazu grundlegend Leisner, JZ 1964, S. 201 ff.; ders., Von der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung. 173 Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 44 ff., 49 f. 174 A.A. Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 30. 175 Ruland, SGb 1987, S. 133, 135, spricht der Einordnung in die Abgabentypologie nur zweitrangige Bedeutung zu; genauso Osterloh, NJW 1982, S. 1617, 1620. Demgegenüber ist ftir Heun, DVBI. 1990, S. 666 "die Zuordnung zu einem Abgabentypus nicht bloß Ausgeburt wissenschaftlicher Systematisierungs- und Definitionssucht, sondern Voraussetzung der kompetenziellen Zuweisung und der verfassungsrechtlichen Legitimation der Abgabeerhebung". Beides ist nur teilweise richtig. Abgabenrechtliche Typenbildung und verfassungsrechtliche Anforderungen an staatliche Abgaben unterscheiden sich nicht in ihrer Bedeutung im Sinne eines Rangverhältnisses, sondern stehen zueinander in wechselseitigem Bezug: Die Typisierung ist Ausfluß der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Abgabenerhebung. Gleichzeitig gewinnt sie bei der verfassungsrechtlichen Oberprüfung einer Abgabe Bedeutung, indem sie als Summe der verfassungsrechtlichen Erkenntnisse die Einordnung der zu überprüfenden Abgabe in die vorgefundene Typologie fordert. Hierdurch findet die abgabenrechtliche Typologie Eingang in die Verfassungsprüfung, die sie erleichtert. Beide sind gleichermaßen nicht Selbstzweck. Das Beispiel des Sozialversicherungsbeitrags verdeutlicht die unlösbare Verbindung zwischen der Formtypik des Abgabenrechts und der materialen Abgabengerechtigkeit; Isensee, Urnverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 66. 176 Allein hierzu P. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 88 Rn. 181.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 171
Versicherungsbeitrag ähnlich wie Gebühren und Beiträge im wesentlichen durch den Gegenleistungsbezug 177 geprägt wird. Vielmehr nähert sich der Beitragdarmdurch den gemeinsamen Nermer des Äquivalenzgedankens der Sonder- oder Vorzugslast an. Er steht damit aber noch nicht gegenüber den gegenleistungsunabhängig erhobenen Steuern und Sonderabgaben zusammen mit Gebühr und Beitrag als Entgelt für Sonderleistungen des Staates auf einer Stufe. Der Sozialversicherungsbeitrag unterscheidet sich von den anderen Sonderlasten unverändert durch den versicherungsimmanenten Risikoausgleich 178 • Jener weist gegenüber den Sonderlasten immer noch so viel Besonderheiten auf, daß sich eine Typologisierung des Sozialversicherungsbeitrags als Beitrag im klassischen abgabenrechtlichen Sirme verbietet. Der Sozialversicherungbeitrag gerät durch den Risikoausgleich nicht in Konkurrenz zur Steuer und wird deshalb nicht zur Sonderabgabe 179• Wegen des erforderlichen Gegenleistungsbezugs reiht er sich auf der anderen Seite der typologisierten Abgabeformen neben den Gebühren und Beiträgen als weitere Sonderlast mit speziellem Rechtfertigungsbedarf180 ein. Gössl weist eingangs seiner umfangreichen Argumentation fiir das Fürsorgeprinzip darauf hin, daß er nicht erörtern möchte, "ob das Versicherungsprinzip bei der grundrechtliehen Prüfung einzelner Regelungen auf ihre Lastengerechtigkeit herangezogen werden karm" 181 • Auf dieser Grundlage ist eine Auseinandersetzung mit dem Versicherungsprinzip kaum möglich, da es gerade in der Wahrung der Lastengerechtigkeit seine Begründung und Notwendigkeit erfährt: Voraussetzung für die Rechtfertigung einer nicht alle Bürger gleichmäßig treffenden Beitragserhebung vor dem Gleichheitssatz ist nach dem Versicherungsprinzip die Beitragsäquivalenz. Ihre Störung stellt die Lastengerechtigkeit in Frage. Gössl hält eine Störung der Beitragsäquivalenz für nicht justiziabel, da potentielle Kläger durch die Leistungsnormen nicht beschwert würden. Jene körmten lediglich geltend machen, durch die Verfassungswidrigkeit des auf die Leistungsnorm entfallenden Beitragsanteils unmittelbar betroffen zu sein. Dies
Differenzierend Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 46, 89, 98 f. Ähnlich Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 51 f. A.A. F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 71, der den Sozialversicherungsbeitrag als Sonderlast einstuft und den Risikoausgleich offenbar wie hier als Gegenleistung betrachtet. 179 Vgl. BVerfG EuGRZ 1990, S. 28, 38. A.A. Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 146 mit Fn. 32, 153, der den Sozialversicherungsbeitrag wegen dessen teilweiser Fremdnützigkeit als Sonderabgabe behandelt. 180 F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 71. 181 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 43. 177 178
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
ist so geschehen 182 ; Gössl erwähnt die Entscheidung des BSG nicht. Auch die Möglichkeit einer abstrakten Normenkontrolle zieht er nicht in Erwägung 183 • Ferner führt er aus, "aus den Grundrechten" folge "kein Anspruch auf Unterlassung einer bestimmten Verwendung öffentlicher Mittel". Im Gegensatz zu den als Beleg angefiihrten Entscheidungen des BVerfG über Verfassungsbeschwerden 184 ginge es bei einer abstrakten Normenkontrolle um die Überprüfung der Lastengerechtigkeit des sozialversicherungsrechtlichen Abgabensystems und nicht um die konkrete Verwendung der Beitragseinnahmen. Gössls Verweis auf die griffige Formel "no taxation without representation" wirkt in Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung mit dem Versicherungsprinzip unpassend. Die Formel ist auf Steuern zugeschnitten, nicht auf Beiträge. Wegen des Nonaffektationsprinzips genießt der Gesetzgeber bei der Verwendung der Steuergelder weitgehende Freiheit. Aus dieser Freiheit folgt das Erfordernis nach demokratischer Kontrolle. Bei den Beiträgen gilt das Nonaffektationsprinzip nicht. Deshalb ist eine demokratische Kontrolle hier nicht in annähernd vergleichbar intensivem Maße erforderlich. Außerdem sichert die Zweckbindung der Beitragseinnahmen gegen ihre mißbräuchliche Verwendung. Auch Gössls "funktionell-rechtliche" Argumentation überzeugt nicht: "Der Versuch, das Versicherungsprinzip qua Verfassungsinterpretation durchzusetzen, greift" gerade nicht "in die Prärogative des Gesetzgebers ein". Der Gesetzgeber kann in der Sozialversicherung nicht nach freiem Belieben "das Versicherungsprinzip oder den sozialen Ausgleich betonen" 185, da er bei der Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenzen an die Grundrechte gebunden ist und bleibe 86 • Gössl ist zu konzedieren, daß diese Bindung die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte erhöht und die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers einschränkt. Das hat aber noch nichts mit der Anerkennung sozialer Grundrechte zu tun 187, die das Grundgesetz in der Tat nicht kennt. Es geht vielmehr um die Geltungskraft der dem Grundgesetz bekannten Grundrechte. Die Kompetenznormen des Grundgesetzes haben keine materiell-rechtlichen Wir182 BSG SGb 1987, S. 169 ff. Das Gericht hat die Klage mit einer äußerst umstrittenen Begründung abschlägig beschieden; vgl. zur Kritik nur Ruland, SGb 1987, S. 133 ff. 183 So aber die von Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 43 in Fn. 33 zitierte Entscheidung BSG SozR 2200 §385 RVO Nr. 10, S. 45. 184 BVerfGE 67, 26 (37); EuGRZ 1988, S. 496,499. 185 Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 44 f. 186 Auf dem Gebiet der Sozialversicherung folgt die Bindung der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit aus der bundesstaatliehen Kompetenzverteilung, den fOrmliehen Gesetzesvorbehalten und den Zielen und Schranken der sozialen Rechtsstaatlichkeit; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 28. 187 So aber Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 44.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 173
kungen, die die Grundrechte außer Kraft setzen könnten188• Zwar können die Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes grundrechtsbegrenzende Wirkungen entfalten, doch dürfen Kompetenzzuweisungen nicht zur Konstruktion grundrechtsfreier Räume führen. Solche kennt das Grundgesetz nicht, wenn es um die Eingriffe in die grundrechtliehen Freiheiten der Bürger geht. Das ergibt sich aus Art. 1 III GG189• Die von Gössl in unterschiedlichem Zusammenhang argumentativ herangezogene "Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers", die sich wie ein roter Faden durch seine Ausführungen zieht, ist wichtig - auch und gerade bei der Konkretisierung des Sozialstaatsgebots190• Sie darf hierbei aber nicht derart überhöht werden, daß sie zur Brechstange der Lastengerechtigkeit des Abgabensystems mutiert. Wenn sich aus den Grundrechten das Versicherungsprinzip ergibt, kann die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers nicht so weit gehen, daß er sich hierüber ohne weitere Rechtfertigung hinwegsetzt 191 • Nicht nachvollziehbar ist, wieso das Sozialstaatsgebot dem Gesetzgeber für die Gestaltung des Sozialstaats eine weitgehende Entscheidungsfreiheit zwischen Versicherungs- oder Fürsorgeprinzip einräumen muß. Wenn der Gesetzgeber die soziale Vorsorge als Sozialversicherung regelt, ist er bei der Auferlegung der Beiträge an die Grundrechte gebunden. Sie prägen den verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff der Sozialversicherung - zusätzlich zu den formalen Kriterien ihrer Organisation und Finanzierung. Das Versicherungsprinzip gibt die verfassungsrechtlichen Wertungen wieder, an die sich der Gesetzgeber halten muß. Deshalb greift die h.M. bei ihrer Argumentation für das Fürsorgeprinzip auf Rechtfertigungselemente des Versicherungsprinzips zurück: An die Stelle der Beitragsäquivalenz setzt sie das Verbot der Finanzierung von Fremdlasten. Dies Verbot unterscheidet sich bis auf seine weitere Fassung 192 prinzipiell insofern nicht von dem Erfordernis der Beitragsäquivalenz, als es gleichermaßen den Äquivalenzgedanken zum Ausdruck bringt. Gössl fordert fiir die Rechtfertigung der Beitragspflicht die Möglichkeit einer Verknüpfung zwischen Leistungen an Nicht-Beitragszahlerund Beitragszahler. Das BVerfG verlangt einen "spezifischen Solidaritätszusammenhang". Das Versicherungsprinzip
188 Falsch deshalb BVerfGE 41,205 (218 ff., 227 f.); bedenklich auch BVerfGE 14, 105 (lll) und Lerche, Rundfunkrnonopol, S. 52 ff., 69, 78 f.; vgl. die Darstellung bei Bettermann, WiR 1973, S. 184,201 ff. 189 Bettermann, WiR 1973, S. 184,201. 190 Vgl. oben II l b. 191 F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 80 fordert "praktische ( ...) Konkordanz von Art. 3 GG auf der einen und den Art. l, 6, 74 und 87 GG auf der anderen Seite" als Voraussetzung flir die verfassungsrechtliche Billigung eines Solidarausgleichs, der den Grundsatz der Belastungsgleichheit beeinträchtigt. 192 Beiträge dürfen auch in die sozialversicherungsinterne Umverteilung fließen, Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 46.
174
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
nimmt in der Sozialversicherung einen größeren Umfang ein als herkömmlich angenommen. Das hat F. Kirchhofbei der Abgrenzung beider Prinzipien nachgewiesen193. Eine Vielzahl allgemein dem Solidarprinzip zugerechneter Leistungsphänomene beruht auf dem Risikogedanken. Der Risikogedanke zählt zum Versicherungsprinzip, weil die Beitragsleistungen nach dem Kostendekkungsgrundsatz, der das Versicherungsprinzip aus fmanzrechtlicher Sicht prägt, "das Risiko" idealiter abdecken. Häufig liegt deshalb keine Umverteilung vor, sondern ein versicherungstypischer Risikoausgleich194• So weitgehende Konsequenzen, wie sie die Vertreter des Versicherungsprinzips bei der Bemessung der Bundeszuschüsse ziehen, ergeben sich aus dem Prinzip der Beitragsäquivalenz aber nicht. Die Gegenleistung für den Beitrag besteht nicht allein im V ersicherungsschutz, sondern auch in der gewonnenen Solidarität der Versichertengemeinschaft Deshalb ist der beitragsfmanzierte Solidarausgleich auch i.S.d. Versicherungsprinzips unbedenklich. Der Reitragszahler erhält für seine Beitragsleistung nicht nur den Risiko-, sondern auch den Solidarausgleich. Die Solidarität der Versichertengemeinschaft kann sich auch für die Bezieher der höheren versicherunfspflichtigen Einkommen als ihre präsumtiven Financiers positiv auswirken 19 , wenn sie - aus welchen Gründen auch immer - zur Gruppe der "Schlechterverdienenden" wechseln. In der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben dem Beitragszahler Risikoprüfungen bei Versicherungseintritt und spätere Risikoaufschläge im Gegensatz zur Privatversicherung erspart. Das kann für den Bezieher eines höheren Einkommens fmanzielle V orteile bedeuten, die weit über seine höhere Beitragslast hinaus die Solidarität der Versichertengemeinschaft herausfordern. Dann verwirklicht sich der sozialversicherungsimmanente und versicherungstypische Risikoausgleich zu seinen Gunsten. Durch den privatversicherungsfremden Solidarausgleich wird der Risikoausgleich letztlich billiger erkauft. Der soziale Ausgleich innerhalb der Krankenversicherung kann sich auch zugunsten des zunächst durch ihn Belasteten auswirken. Das ist eine Erklärung für den zunehmenden Beitritt versicherungsfreier Personen zur gesetzlichen Krankenversicherung. Das "Sonderopfer" aus dem sozialen Ausgleich innerhalb der jeweiligen Versichertengemeinschaft trifft ihre Mitglieder genauso, wie die Finanzierungslast für den Risikoausgleich und den Versicherungsschutz. Die Allgemeinheit trägt hierfür keine Finanzierungsverantwortung. Denn nur die Versicherten können in den Genuß von Versicherungsleistungen kommen und einen Vorteil aus der Versicherung ziehen. Leistungen, die ihnen als Mitglieder der Versichertengemeinschaft potentiell zugute kommen können, sind auch von ih-
F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 72 ff. F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 73 f. mit eingängigen Beispielen. 195 Vgl. auch /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 20, 70. 193
194
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 175
nen zu fmanzieren. Nicht nur der Versicherungschutz kann solche Leistungen bewirken. Sie sind auch im sozialen Ausgleich mit angelegt. Die Grenzen des versicherungsinternen Solidarausgleichs ergeben sich aus einem - weit verstandenen - Prinzip der Beitragsäquivalenz. Sie laufen entsprechend dem gemeinsamen Nenner beider Prinzipien auf ein Verbot der Finanzierung von Fremdlasten durch Beiträge hinaus. Hierfür sind Steuermittel einzusetzen. Fremdlasten sind solche Lasten der Sozialversicherung, die aus Leistungen an Nichtversicherte entstehen. Solange die Leistungen den Versicherten zugute kommen, liegen keine Fremdlasten vor 196• Das gilt auch, wenn nicht alle Versicherten, sondern nur ein Teil von ihnen in den Genuß der Versicherungsleistungen gelangt. Entscheidend ist, daß die anderen Versicherten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Versicherungsgemeinschaft potentiell die Möglichkeit haben, diese Leistungen gleichfalls zu erhalten. Daß einzelne Versicherungsleistungen aufgrund von Umständen erforderlich werden, die außerhalb der Verantwortungssphäre der Versichertengemeinschaft liegen, ist irrelevant. So sind insbesondere Leistungen, die ihren Entstehungsgrund in der Verantwortungssphäre des Gesamtstaats fmden, nicht schon deshalb Fremdlasten. Das Versicherungsprinzip setzt durch die Forderung nach Beitragsäquivalenz den Beitrag als Leistung und den Versicherungsschutz als Möglichkeit, Versicherungsleistungen bei Eintritt des Leistungsfalls zu erhalten, zueinander in Bezug. Wer fiir den Leistungsfall verantwortlich ist, spielt hierbei keine Rolle. Ob die Gewährung der Leistung Aufgaben anderer, außerhalb der Sozialversichertengemeinschaft stehender Personen oder Körperschaften erfiillt, ist gleichfalls bedeutungslos. Deshalb kommt es ftir die Bestimmung der Fremdlasten nicht darauf an, wessen Aufgabe die jeweilige Versicherungsleistung erfiillt, sondern wem die Leistung einen finanziell spürbaren Vorteil bringt. Erst die Einforderung von Beiträgen über die Versicherungsäquivalenz hinaus bedeutet die Finanzierung vor dem Gleichheitssatz nicht zu rechtfertigender Fremdlasten197 • Beitragsäquivalenz und Solidarausgleich sind keine sich zwingend widersprechenden Forderungen. Die nach bisherigem Verständnis konträren Prinzipien fließen vielmehr ineinander, wenn man als Gegenleistung nicht nur den Versicherungsschutz, sondern auch die Option auf Solidarität akzeptiert.
196 197
Krause, VSSR 1980, S. 115, 132 f.; F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,442. Vgl. F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,442.
176
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
c) Konsequenz fiir den Gesetzgeber
Dem Gesetzgeber stehen zur Verallgemeinerung der Sonderopfer durch die Fremdlasten - theoretisch - zwei Möglichkeiten offen: Er kann die Sozialversicherung als steuerfmanzierte Volksversicherung umgestalten und ihre Lasten so auf die Gesamtgesellschaft umlegen; dann gäbe es schon begrifflich keine Fremdlasten mehr. Dieser Weg ist jedoch verfassungspolitisch bedenklich 198 und dem Gesetzgeber nach h.M. in der Literatur verfassungsrechtlich versperrt199. Die zweite Möglichkeit besteht darin, die Fremdlasten durch Steuergelder auszugleichen und auf diese Weise das Sonderopfer zu verallgemeinern. Dieser Weg wird derzeit mit den Bundeszuschüssen beschritten. Sie kompensieren der Sozialversicherung die durch Fremdlasten erlittenen Vermögenseinbußen. Der Beitragszahler erhält - mediatisiert durch die Sozialversicherung als Organisation- einen Ausgleich für die teilweise fremdnützige Verwendung seiner zwangsweise an die Sozialversicherung abgeführten Gelder. Das ist die verfassungsrechtlich gebotene Funktion der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung. Sie folgt unmittelbar aus Art. 3 I GG. Eine Streichung der Zuschüsse wä..c. "drig200. re veuassungsw1
Vgl. nur H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 606 f. /sensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, S. 41, 51 f. und Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. I 06 ff. A.A. H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 621; Kloepfer, VSSR 1974, S. 156, 162, 167, 169; Krause, VSSR 1980, S. 115, 121; ders., in: Sozialfinanzverfassung, S. 41, 47 f. ; Wannagat, in: FS Fechner, S. 207, 220 f. Soweit die Einführung einer steuerfinanzierten Staatsbürgerversorgung die Grundrechte der privaten Versicherungsträger aus Art. 14 und 12 I GG durch eine Begrenzung ihrer bisherigen Betätigungsfelder beeinträchtigt, würde ihnen die Einführung einer staatlich finanzierten Grundvorsorge ftir jedermann die Möglichkeit eröffnen, individuelle Zusatzversorgungen zum Ausgleich der gegenwärtigen umfassenden sozialen Sicherung anzubieten. Da eine egalitäre Staatsvorsorge aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus als Mindestvorsorge auszugestalten wäre, böten sich ftir private Versicherungsträger zahlreiche neue Betätigungsfelder. Damit blieben ihnen gleichzeitig Möglichkeiten zur Weiterverwendung ihrer durch die Etablierung einer Staatsversorgung verkürzten Eigentumsposition. Sie könnten die erlittenen grundrechtliehen Beeinträchtigungen kompensieren. Eine Ausweitung der Sozialversicherung durch Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen begegnet demgegenüber wegen der kompensationslosen Beschneidung privatversicherungswirtschaftlicher Betätigungsfelder erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken; hierzu Ruland, in: Die Sozialversicherung und ihre Finanzierung, S. 141, 162 m.w.N. 200 Vgl. aber den Vorschlag der Regierungskoalition zur Streichung des Zuschusses an die BA; hierzu oben III 3 b cc (1), I. Kapitel II 2 und unten VII. 198
199
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 177
4. Bemessungskriterien für die staatlich zu finanzierenden Fremdlasten Die Verfassung regelt die Höhe der staatlichen Zuschüsse nicht201 • Das Sozialrecht äußert sich hierzu meist zurückhaltend202 ; die§§ 213, 287 IV SGB VI normieren die Fortschreibung der Zuschüsse zur Rentenversicherung, begrenzen aber nicht ihre aktuelle Höhe. Das Sozialrecht regelt auch nicht, welche Ausgaben der Staat der Sozialversichertengemeinschaft im einzelnen durch steuerfmanzierte Zuwendungen ausgleichen muß. Die Beantwortung dieser Frage ist seit jeher umstritten. Vor der Rentenreform 1992 sahen die §§ 1389 I RVO, 116 I AVG ein Konzept zur Aufteilung der Finanzierungslast zwischen Staat und Sozialversicherung vor. Die juristische Literatur, die Sozialpolitik und die Finanzwissenschaft haben verschiedene hiervon abweichende Konzepte erarbeitet. Diese insbesondere fiir die Rentenversicherung entwickelten Konzepte lassen sich dem Grundgedanken nach auf die anderen Zweige der Sozialversicherung übertragen. Sie fmden ihren gemeinsamen Nenner in der Unterscheidung von Fremd- und Eigenaufgaben. Lütjohann geht auf diese Konzepte nicht ein. Die Zuschußpflicht des Bundes ergebe sich aus Art. 120 I 4 i.V.m. 20 I GG. Der Bund habe der Rentenversicherung in existenzbedrohenden Notlagen im Sinne einer "eingeschränkten Garantiepflicht" zur Seite zu stehen, sofern er nicht Ersatzmöglichkeiten zum Schutz der Versicherten schafft. Nach oben hin seien die Zuschüsse verfassungsrechtlich durch den Versicherungscharakter begrenzt. Er folge aus dem grundgesetzliehen Sozialversicherungsbegriff. Innerhalb dieses Rahmens stehe es dem Bund wegen der gesetzgebensehen Freiheit zur Ausgestaltung des Sozialstaats frei, in welcher Höhe er Zuschüsse erbringe203 . In diesem pragmatischen Ansatz hat eine grundrechtliche Verpflichtung zur Zuschußzahlung keinen Platz. Der verfassungsrechtliche Sozialversicherungsbegriff soll nur eine obere Grenze für die Zuschußzahlungen markieren. Sie sei überschritten, wenn die Sozialversicherung ihren Finanzbedarf nicht mehr vorrangig aus Beiträgen bestreitet. Lütjohann wirft die Frage nicht auf, ob der grundgesetzliche Begriff der Sozialversicherung eine ausschließliche Finanzierung versicherungsmäßiger Leistungen aus Beitragsmitteln fordert. Überdies verwickelt sich Lütjohann in Widersprüche, wenn er einerseits einen verfassungsrechtlich feststehenden Sozialversicherungsbegriff vertritt, andererseits Art. 20 I GG eine weitgehende Gestaltungsfreiheit des Sozialgesetzgebers entnimmt. Hier kommt die Geltungskraft der Grundrechte zu kurz. Auch hat die einfachgesetzliche Festschreibung des Versicherungscharakters nicht ohne weiteres verfassungsrechtliche Relevanz. Doch selbst wenn dem so wäre: Der Sozialgesetzgeber hat keine quantitative Begrenzung der Zuschußfinanzierung festgelegt. Mit der Argumentation Lütjohanns wäre der landwirtschaftlichen und der knappschaftliehen Sozialversicherung wegen ihrer überwiegenden Zuschußfinanzierung der Sozialversicherungscharakter abzusprechen204 . F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 37. Vgl. oben 2. Kapitel I I. Vgl. oben I. Kapitel III. 203 Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 72, insbes. 93 f., 101 ff., 108, 114; vgl. oben II I b Fn. 41. 204 Hiergegen oben I. Kapitel III 4, 5. 201
202
12 Kranz
178
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Die Bestimmung der Eigenaufgaben der Sozialversicherung ist problematisch, weil es keinen Katalog historisch vorgefundener Aufgaben der Sozialversicherung gibt und auch keinen verfassungsrechtlich feststehenden Begriff der Sozialversicherung205 • Vielmehr ist es dem Sozialgesetzgeber überlassen, jeweils festzulegen, was er unter "Sozialversicherung" versteht. Die Bestimmung der Fremdaufgaben ist gleichermaßen schwierig. Soweit hiermit Aufgaben der Gesamtgesellschaft gemeint sind, stellt sich die Frage, welche Aufgaben die Gesamtgesellschaft eigentlich hat und wo diese festgeschrieben sind. Das vorstehend skizzierte und im folgenden noch weiter auszubreitende abgabemechtliche Konzept umgeht diese Schwierigkeiten, indem es bei der Bestimmung der Fremdlasten nicht auf die Aufgaben der Sozialversicherung und die Fremdaufgaben, sondern auf die vergleichsweise unschwer nachzuvollziehenden fmanziellen Leistungsströme zwischen der Sozialversicherung und den durch ihre Leistungen allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Sozialversicherung jeweils Begünstigten abstellt. Dieses Konzept korrespondiert mit einem neueren Vorschlag der Finanzwirtschaft. Unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse sollen die gängigen- z.T. schon angesprochenen - sowie weitere Konzepte zur Abgrenzung der Finanzierungsverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung nun noch einmal kurz angerissen und unter Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse anschließend einander gegenübergestellt und dabei auch auf ihre Praktikabilität hin untersucht werden. a) Gesetzgeberisches Konzept (§§ 1389 IR VO, 116 I A VG)
Bis zur Renterneform 1992 umschrieb das Sozialrecht die Eigenaufgaben der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten gesetzlich als Leistungen der Alterssicherung. Das ergibt sich im Umkehrschluß aus der damaligen Formulierung der §§ 1389 I RVO, 116 I AVG, wonach die Bundeszuschüsse "zu den Ausgaben der Rentenversicherung" zu leisten waren, "die nicht Leistungen der Alterssicherung sind". Die Zuschüsse sollten der Rentenversicherung die Kosten erstatten, die ihr aus Aufgaben entstanden, die nicht zu den Leistungen der Alterssicherung zählten, die ihr der Gesetzgeber jedoch aus allgemeinen sozialpolitischen Gründen auferlegt hatte206 • In dieser Regelung kam zwar durch die materielle Beschreibung der Versicherungsaufgabe relativ deutlich zum Ausdruck, wozu der Bund Zuschüsse Iei205
206
V gl. oben II l b.
Vgl. oben 1. Kapitel 111 2 a.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben ftir die Finanzierung von Staatsausgaben 179
sten sollte: Alles, was nicht dem eigentlichen Versicherungszweck diente, wurde als Fremdlast behandelt und löste die Zuschußpflicht des Bundes aus. Die Eigenaufgaben der Rentenversicherung bestanden danach nur in den Vorsorgeleistungen. Hierzu zählten insbesondere nicht die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten wegen Invalidität, die deshalb neben anderen nicht versicherungsmäßigen Leistungen207 jedenfalls nach den §§ 1389 I RVO, 116 I AVG vom Bund zu tragen waren. Die Formulierung des damaligen Gesetzestextes war fragwürdig: Die nicht zu bezuschussenden Leistungen der Alterssicherung enthielten immer noch eine Reihe nicht versicherungsmäßiger Lasten. Die Zuschüsse dienten nicht der Kompensation sämtlicher nicht versicherungsgemäßer Leistungen. Eine exakte Deckungsregel war nicht normiert. Das gesetzgebensehe Konzept ermöglichte nur schwer eine Quantiflzierung der Zuschüsse208 • Ihm war nicht zweifelsfrei zu entnehmen, welche Versicherungsleistungen allein aus Beiträgen und welche allein aus Zuschüssen finanziert werden sollten. Verallgemeinert läßt sich das Konzept mit folgender Budgetgleichung umschreiben, in der das Fehlen einer eindeutigen Deckungsregel zum Ausdruck gelange09: LNV+ LV=BZ+ B LNV = Nicht-Vorsorgeleistungen Leistungen der Vorsorge LV Bundeszuschuß BZ Beiträge B
Immerhin legte das gesetzgebensehe Konzept aber einen historisch und funktional angemessenen Versicherungsbegriff zugrunde210. Die Praxis beachtete das Konzept allerdings niche 11 • Über die Höhe der Zuschüsse wurde allenfalls politisch entschieden. Zudem konnte der Gesetzgeber das Konzept durch einfaches Bundesgesetz abschaffen - das geschah in der Renterneform 1992. 207 Vgl. im einzelnen oben 1. Kapitel UI 2 a; Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 186 f.; F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437,446. 208 Rürup, WD 1981, S. 276, 278 ff. hält sämtliche Quantifizierungsversuche für fruchtlos. Kritisch auch Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 187 f.; vgl. aber S. 189, Tabelle 2 und Mackscheidt!Böttger!Gretschmann, FinArch 39 (1981 ), S. 383, 399 mit Quantifizierung der Leistungen S. 400 Tabelle 4. 209 Vgl. Mackscheidt!Böttger!Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383,399. 210 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 188. 211 Vgl. oben 1. Kapitel III 2 a.
180
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Im geltenden Sozialrecht existiert nun keine Regelung mehr, die eine Zweckbindung der Zuschüsse vorsieht. 212 Die damalige Ausformung dieses Konzepts der "nicht versicherungsmäßigen Lasten" war zwar nicht in der Lage, eine Zweckbindung der Zuschüsse zu erreichen. Dem Ansatz nach wäre auf seiner Grundlage jedoch eine dezidierte Bestimmung der Eigenaufgaben der Sozialversicherung möglich gewesen, wenn man das Konzept enger gefaßt hätte.
b) Konzept der versicherungsfremden Leistungen Nach dem insbesondere von den Rentenversicherungsträgem und den ihnen nahestehenden Sozialrechtlern vertretenen Konzept der versicherungsfremden Leistungen sollen in der Rentenversicherung die Beiträge auf Basis des äquivalenzfundierten Versicherungsprinzips die originären Versicherungsleistungen fmanzieren. Die staatlichen Zuschüsse sollen demgegenüber die Leistungen abdecken, die dem Fürsorgeprinzip entspringen und das Versicherungsprinzip in sozialpolitischer Absicht ergänzen bzw. korrigieren. Der Staat soll die Ausgaben für solche Aufgaben zahlen, die keinen Versicherungscharakter haben und deshalb nicht zum Aufgabenbereich der Rentenversicherung gehören. Solche versicherungsfremden Aufgaben soll die Rentenversicherung beispielsweise wahrnehmen: bei der leistungssteigemden Anrechnung beitragsloser Zeiten der Kindererziehung- und -berücksichtigung (§§56 f. SGB VI)- der sog. Familienlastenausgleich - sowie von Ausbildungsausfall- und Ersatzzeiten, bei der Zahlung von Renten nach Mindesteinkommen (§ 262 SGB VI, Art. 82 RRG 1992) oder bei der Erbtingong von Leistungen nach dem Fremdrentengesetz. Auch die Aufwendungen für vorzeitige und flexible Ruhegelder, für die günstigere Bewertung der ersten fiinf Versicherungsjahre und für die Erwerbs-, Berufsunfahigkeits-, sowie Hinterbliebenenrenten als Kriegsfolge sollen zu den versicherungsfremden Aufgaben zählen213 • Im einzelnen ist hier aber vieles umstritten214. Die Einordnung der verschiedenen gesetzlichen Aufgaben der Sozial-
212 Vgl. zum Ganzen oben 1. Kapitel III 2 a, b; 2. Kapitel I 2; unten h aa, 4. Kapitel II 2 a.E., V 1 a cc (1), dd. 213 Übersicht bei Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 31 (1981 ), S. 383, 394 ff., sowie bei Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 182 f. 214 Eine Vielzahl der herkömmlich als versicherungsfremd angesehenen Aufgaben sind nach Krause, VSSR 1980, S. 115, 143 ff. keine Fremdlasten. Aus finanzwissenschaftlicher Sicht kritisch auch Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 184 f. und aus finanzwirtschaftlicher Perspektive insbes. Hofmann, SF 1996, S. 126 ff. Vgl. aber Orsinger, DAngVers 1967, S. 41 ff; Mörschel, DRV 1978. S. 332 ff.; Muhr, DRV 1973, S. 57.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 181
versicherung als versicherungsfremd oder versicherungstypisch bereitet der Wissenschaft erhebliche Schwierigkeiten. Für die anderen Versicherungszweige wird eine entsprechende Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung diskutiert. So werden als versicherungsfremde Leistungen in der Arbeitslosenversicherung insbesondere die arbeitsmarktpolitischen Aufgaben der BA genannt215 • In der Krankenversicherung wird u.a. auf die beitragsfreie Mitversicherung, sowie auf das Mutterschaftsgeld und die beitragsfreie Versicherung bei Bezug von Erziehungsgeld oder bei Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz im Ralunen der Familienhilfe verwiesen. Die Zweistufigkeil dieses Konzepts versicherungskonformer und versicherungsfremder Leistungen läßt sich mit folgenden komplementären Dekkungsregeln ausdrücken216: (1) VA = B (2) VFA = BZ (VA= versicherungskonforme Ausgaben, VFA = versicherungsfremde Ausgaben, B = Beiträge, BZ = Bundeszuschuß)
Der große Vorteil dieses Konzepts liegt darin, daß eine Quantifizierung der versicherungsfremden Leistungen im Vergleich zum gesetzgebensehen Konzept relativ leicht möglich ist. Der VOR ermittelte für das Jahr 1993 sachfremde Leistungen der Rentenversicherung in Höhe von 82,8 Mrd. DM. Das sind 31,6% der gesamten Rentenleistungen. Nach Abzug der Bundeszuschüsse verbleibt danach eine fehlfmanzierte Fremdbelastung in Höhe von 33,2 Mrd. DM (12,7% aller Rentenleistungen)217 : Vgl. hierzu oben 3 b cc (I). Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 181 f. 217 FAZ Nr. 36 v. 12.2.1996, S. 13 m.w.N. Eine Übersicht über die "versicherungsfremden Leistungen" in der Rentenversicherung und deren anteilige Quantifizierung an den Rentenausgaben hat auch Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 182 ff. mit Tabelle 1 zusammengestellt; genauso Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 394 ff. mit Tabelle 3. Aus mathematischer Sicht kam Mörschel, DRV 1978, S. 332, 338 ff. zu ähnlichen Ergebnissen. Orsinger, DAngVers 1967, S. 41 ff. hat die einzelnen Beträge der versicherungsfremden Leistungen der Angestelltenversicherung flir das Jahr 1967 versicherungsmathematisch errechnet. Schmäh/, DRV 1994, S. 357, 369 ff. m.w.N. zu anderen Berechnungen plädiert ftir einen Bundeszuschuß zur Rentenversicherung in einer Größenordnung von 30 % der Rentenausgaben. Rehfeld/Luckert, DRV 1989, S. 112 ff. gleichfalls m.w.N. kommen auf rund 35 %. Deutlich restriktiver nun der finanzwirtschaftliche Ansatz von Hofmann, SF 1996, s. 126 ff. 215 216
182
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Übersicht 8
Die versicherungsfremden Leistungen der Rentenversicherung Zahlungen ftir
Mrd.DM
Prozent
1. Kriegsfolgelasten
21,744
8,3
2. Anrechnungszeiten
13,627
5,2
3. Vorzeitige Altersrenten
12,682
4,8
4. Höherbewertung Berufsausbildung
7,010
2,6
5. DDR-Folgelastenausgleich
6,285
2,4
6. Familienlastenausgleich
6,131
2,3
7. Krankenversicherung der Rentner
4,627
1,8
8. Arbeitsmarktbedingte Renten
3,751
1,4
9. Renten nach Mindesteinkommen
2,840
1,0
10. Sonstiges
4,045
1,8
Summe
82,779
31,6
minus Bundeszuschuß
49,6
18,9
33,179
12,7
261,819
100,0
=
Fremdbelastung
Gesamtvolumen der Rentenleistungen
Inzwischen sind mit den Leistungen nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz218 (1995: bis 1998 insgesamt 1,3 Mrd. DM) und den Renten für 35.000 deutschsprachige Juden aus Osteuropa (zunächst jährlich 200 Mio. DM) weitere fremde Lasten hinzugekommen. Die verschiedenen insbesondere in der Finanzwissenschaft angestellten Berechnungen kommen wegen der abweichenden Auffassungen darüber, welche Leistungen der Sozialversicherung versieheFür die Arbeitslosenversicherung hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1992/1993, Ziff. 201 Tabelle 47 den Anteil der versicherungsfremden Leistungen am Budgetvolumen der Bundesanstalt ftir Arbeit ftir 1992 auf 53,7 %geschätzt. In der Krankenversicherung beziffert Schmäh/, DRY 1994, S. 357, 368 f. den Anteil der versicherungsfremden Leistungen (er nennt insbesondere die beitragfreie Mitversicherung, das Mutterschaftsgeld und die beitragsfreie Versicherung bei Bezug von Erziehungsgeld oder von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz im Rahmen der Familienhilfe) ftir das Jahr 1992 aufrund 20% der Ausgaben. Zur vertikalen Aufteilung der staatlichen Zuschüsse zwischen Bund und Ländern vgl. unten 4. Kapitel. 218 Ruland, DRY 1995, S. 28, 33 spricht von einem "Sündenfall".
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 183
rungsfremd sind, zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen219• Übereinstimmend ergibt sich jedoch, daß die gegenwärtigen Bundeszuschüsse entschieden zu niedrig sind, um den Versicherungsträgem ihren Aufwand ftir diejenigen Leistungen zu kompensieren, die der Staat nach dem Konzept der versicherungsfremden Leistungen fmanzieren muß. Zum Ausgleich dieser Fehlfmanzierungen hätten die Zuschüsse allein an die gesetzliche Rentenversicherung, die Krankenversicherung und die Arbeitslosenversicherung ftir das Haushaltsjahr 1992 nach Schmäh! um grob veranschlagte 100 Mrd. DM höher ausfallen müssen220. Nach der Erhebung des VDR betragen die versicherungsfremden Leistungen in diesen Versicherungszweigen im Folgejahr insgesamt 186,5 Mrd. DM. Neben den besagten 82,8 Mrd. DM in der Rentenversicherung entfallen davon 51,8 Mrd. DM auf die Krankenversicherung und 51,9 Mrd. DM auf die Arbeitslosenversicherung. Die Probleme dieses Konzepts entstehen bei seiner praktischen Umsetzung: Was versicherungsfremd und was versicherungskonform ist, läßt sich nur unter größten Schwierigkeiten gegeneinander abgrenzen.
c) § 30SGB IV Im gegenwärtigen Recht enthält § 30 SGB IV einen Ansatz zur Bestimmung der Eigenaufgaben der Sozialversicherungsträger. Die Vorschrift lautet in dem hier wesentlichen Teil: "(1) Die Versicherungsträger dürfen nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden. (2) Den Versicherungsträgem dürfen Aufgaben anderer Versicherungsträger und Träger öffentlicher Verwaltung nur aufgrund eines Gesetzes übertragen werden; dadurch entstehende Kosten sind ihnen zu erstatten."
§ 30 II SGB IV trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aufgabengestaltung der Sozialversicherung221 teilweise Rechnung: Die Vorschrift 219 Schmäh/, DRV 1981, S. 195, 196 f. räumt ein, daß die Abgrenzung nach der Versicherungsfremdheit letztlich auf Konvention beruht, definiert aber einen "unumstrittenen Kernbereich", wonach die Bundeszuschüsse etwa 30% der Rentenausgaben finanzieren müßten. Hofmann, SF 1996, S. 126, 128 stellt dem Haushaltsansatz für die Bundszuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung für das Rechnungsjahr 1995 in Höhe von 72,7 Mrd. DM versicherungsfremde Leistungen in Höhe von nur 15,7 Mrd. DM gegenüber. 220 Schmäh/, DRV 1994, S. 357, 370 ff., der flir eine verteilungs- und beschäftigungspolitisch sinnvollere Belastungsverteilung eine strukturelle Änderung der Abgabenquote vorschlägt, die über eine Senkung der Lohnstückkosten unmittelbar die Lohnkosten reduziert und hierdurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöht. 221 Hierzu oben 3.
184
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
knüpft die Übertragung von Aufgaben anderer Versicherungsträger bzw. anderer Träger öffentlicher Verwaltung auf die Sozialversicherung im Sinne eines Gesetzesvorbehalts an das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung und fordert zusätzlich eine Vollkostenerstattung für die Ausführung dieser übertragenen Fremdaufgaben. Hierdurch statuiert sie letztlich das Verbot, Mittel der Sozialversicherung für versicherungsfremde Aufgaben zu verwenden. Die Vorschrift schichtet die versicherungsfremden von den -eigenen Aufgaben nach demjeweiligen Aufgabenträger ab. Was versicherungsfremd und was versicherungseigen ist, bestimmt der Gesetzgeber222• Damit ist für die inhaltliche Bestimmung der Eigenaufgaben nichts gewonnen, da ihre Defmition formell von dem jeweiligen Gesetz abhängt, materiell hingegeu nicht weiter umschrieben wird. "Das Problem besteht doch gerade darin, inwieweit der Gesetzgeber den Rentenversicherungsträgern neue Aufgaben übertragen kann, ohne seine eigenen Bundesmittel zu deren Finanzierung einsetzen zu müssen" 223 . Zudem ist die materielle Eignung des Versicherungsträgers als Abgrenzungskriterium fraglich. Die Vorschrift des § 30 II SGB IV ist für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand jedoch aus anderen Gründen von erheblicher Bedeutung: Bezeichnenderweise sieht § 30 II SGB IV für die Kompensation der Kosten, die den Versicherungsträgern aus der Auführung versicherungsfremder Aufgaben entstehen, das Erstattungs- und nicht das Zuschußverfahren vor. Diese für alle Sozialversicherungsträger geltende Vorschrift verliert durch die Ausweitung der Zuschußpraxis immer mehr an Bedeutung. Bei den Erstattungen nach § 30 II SGB IV geht es wie bei den Zuschußzahlungen um die Finanzierung von Fremdlasten. Da die verfassungsrechtliche Legitimation der Bundeszuschüsse dem Ansatz nach der Begründung für die Erstattungen entspricht, besteht der Unterschied zwischen beiden Finanzierungsquellen einzig darin, daß bei den Erstattungen eine einzelfallorientierte Kompensation erfolgt, während die Zuschüsse der globalen Erstattung versicherungsfremder Ausgaben dienen sollen. Letztlich könnten die Zuschüsse also auch entfallen und die Kompensation versicherungsfremder Ausgaben vollständig auf dem Erstattungswege stattfmden. Dann wären die jeweils zu erstattenden Fremdlasten offen zu legen. Das würde dem Gebot der Haushaltsklarheit und -wahrheit eher entsprechen. Gegenwärtig ist dies nur bedingt der Fall. Unter dem Titel "Zuschuß des Bundes an die Rentenversicherung der Arbeiter" bzw. "der Angestellten" erfaßt der 222 Krause, VSSR 1980, S. 115, 116 hält§ 30 II SGB IV verfassungsrechtlich für bedenklich, da die Norm früher ergangenen Vorschriften nachträglich die Pflicht zur Regelung der Kostenerstattung auferlegt. 223 F. Kirchhof, DRY 1993, S. 437,447 (Hervorhebung vom Verf.).
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 185 Haushaltsplan sowohl die Zuschüsse als auch einen Großteil der Erstattungen -die vorangestellten Titel weisen sie nur z.T. gesondert aus224 • Das ist vor der in § 13 III BHO nonnierten Pflicht zur haushaltsmäßigen Einzeldarstellung bedenklich225. Beispielhaft für die "Verwandtschaft" zwischen Zuschüssen und Erstattungen ist der Umgang mit der rentensteigemden Anrechnung der Kindererziehungszeiten: Nach Inkrafttreten des KLG226 arn 13.7.1987 erstattete der Bund den Rentenversicherungsträgem den Aufwand für ihre rentensteigemde Anrechnung. Seit dem 1. 1. 1992 sind die Erstattungen entfallen. Die Kompensation der Aufwendungen erfolgt nun im Wege der Bundeszuschüsse, in die der Aufwand für die Kindererziehungszeiten mit eingerechnet wird. Der Aufwand fllr Kindererziehungszeiten ist eine Leistung des Farnilienlastenausgleichs, die im Interesse der Allgemeinheit erfolgt und deshalb nach h.M. aus Steuermitteln zu zahlen ist227 • Die Abschaffung der Zuschußpraxis zugunsten eines reinen Erstattungsverfahrens hätte die Klarheit der Zuordnung der Finanzierungskompetenz für sich: Die Allgemeinheit kompensierte der Sozialversicherung über die Zahlung der steuer-und damit gesamtgesellschaftlich fmanzierten Erstattungen die ihr zugute kommenden Aufwendungen, die Versicherungsgemeinschaft trüge über die Beiträge die allein ihren Zwecken dienlichen Leistungen. Überschneidungen wären vermieden, da die Steuerbelastung die Mitglieder der V ersicherungsgemeinschaft auch zur Zahlung der "gesamtgesellschaftlichen Aufwendungen" mit heranzöge. Vor allem wären die Bundeszuschüsse als globales Finanzierungsmittel der Sozialversicherung nicht mehr erforderlich. Das bedeutet keineswegs niedrigere Einnahmen für die Sozialversicherung. Ihr würden nun sämtliche Fremdlasten auf dem Erstattungswege einzelfallorientiert ersetzt. Das ist nach der derzeitigen globalen Zuschußpraxis nicht immer der Fall, wie sich schon am Beispiel der Kindererziehungszeiten zeigt: Die Entwicklung der zu ersetzenden Aufwendungen folgt seit der Abschaffung des Erstattungsverfahrens der Fortschreibung der Bundeszuschüsse und damit der Entwicklung der Bruttoentgelte und des Beitragssatzes. Seit der Einstellung der Aufwendungen für Kindererziehungszeiten in die Zuschüsse orientiert sich die Kostenübernahme damit nicht mehr an den tatsächlichen Aufwendungen der Sozialversicherungsträger, sondern an ganz anderen Faktoren. Ob die Zuschüsse den So224 Bundeshaushaltsplan 1995, Einzelplan 11, Kapitel 1113 (Sozialversicherung), Titel656 01 und 02. 225 Vgl. pauschaler Diemer, VSSR 10 (1982), S. 31, 59. 226 Gesetz über Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung für Kindererziehung von Müttern der Jahrgänge vor 1921 (Kindererziehungsleistungsgesetz - KLG) vom 12. Juli 1987 (BGBI. I 1987, S. 1585 ff.). 227 Vgl. hierzu aber oben 3 b cc vor (1). Zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 79 f. Wegen der praktizierten Steuerfinanzierung spricht von Einem, DVBI. 1987, S. 979, 980 den Leistungen nach dem KLG zutreffend den Sozialversicherungscharakter ab.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
zialversicherungsträgern immer noch die Aufwendungen ausgleichen, die ihnen aus der Anrechnung von Kindererziehungszeiten entstehen, ist seit dem Übergang auf das Zuschußverfahren nicht mehr gewährleistet. Die Finanzierungsverantwortung wird so verwischt. Bei dem Übergang auf ein an § 30 II SGB IV angelehntes einzelfallorientiertes Erstattungsverfahren wären die an die Sozialversicherung fließenden Gelder für die Sozialversicherungsträger im übrigen kalkulierbarer, die Zahlungen für den Bund im einzelnen leichter bestimmbar - ein in seinen praktischen Auswirkungen kaum zu überschätzender Vorteil gegenüber dem derzeitigen Zuschußverfahren. Doch gehört die Frage nach der optimalen Zahlungsform für die vom Staat an die Sozialversicherung zu leistenden Gelder eigentlich gar nicht hierhin. Ihre Beantwortung ergab sich gleichsam als "Nebenprodukt" auf der Suche nach dem optimalen Abgrenzungskriterium für die Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung.
d) Abgabenrechtliches Konzept F. Kirchhof grenzt - wie ausgeführt228 - die durch Zuschüsse zu [manzierenden Fremd- von den durch Beitragsmittel zu fmanzierenden Eigenaufgaben nach den fmanzrechtlichen Grundsätzen des Abgabenrechts ab. Der Grundsatz der Belastungsgerechtigkeit fordert einen "Sachgrund zur Sonderbelastung" der Beitragpflichtigen229 • Der besondere Legitimationsgrund besteht im V ersicherungsanspruch, den der Beitragspflichtige als Gegenleistung erhält. Eigenaufgaben der Rentenversicherung sind diejenigen Aufgaben, für die dieser Legitimationsgrund besteht. "Wo diese besondere Rechtfertigung fehlt, beginnen die Fremdaufgaben und muß der Bundeszuschuß einsetzen"230• Vor Art. 3 I GG kommt es darauf an, ob der Beitragsbelastung ein adäquater Ausgleich gegenübersteht. Dieser Ausgleich liegt vor, wenn die aus Beitragsmitteln fmanzierten Versicherungsleistungen den grundrechtlich beeinträchtigten Beitragzahlern zumindest in ihrer Gesamtheit potentiell zugute kommen, weil und nur weil sie Mitglied der Sozialversicherungsgemeinschaft sind. Ob eine derartige Bestimmung der Fremdaufgaben in allen Fällen eine Abgrenzung der Aufgabenbereiche zwischen Staat und Sozialversicherung ermöglicht, ist allerdings zweifelhaft. So kommen die als Kriegsfolgelasten finanzierten Leistungen der Sozialversicherung beispielsweise in der Regel auch
Vgl. oben 3. F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437, 441,445, 447. 230 F. Kirchhof, DRV 1993, S. 437, 447. 228 229
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 187
und gerade den Mitgliedern der Sozialversicherungsgemeinschaft zugute, obgleich es sich bei der Bewältigung der Kriegsfolgelasten um eine typisch gesamtstaatliche Aufgabe handelt. Ähnliches gilt für die Mittel der Sozialversicherung, die spezifisch zur Bewältigung der Folgen der deutschen Wiedervereinigung eingesetzt wurden. Ohne die hiermit zusammenhängenden Probleme weiter als im Verlauf der Untersuchung teilweise schon erfolgt zu vertiefen, zeigt sich, daß die abgabenkonzeptionelle Bestimmung der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung erhebliche Probleme bei ihrer praktischen Umsetzung aufwirft, wenn sich die Finanzströme von Staat und Sozialversicherung berühren. Und dennoch: Kommen die Leistungen der Sozialversicherung sowohl dem Gesamtstaat als auch den Sozialversicherten zugute, ermöglicht das Konzept im Regelfall eine klare Abgrenzung der Finanzierungsverantwortung beider Haushaltsträger. Ein Rest an Dezisionismus läßt sich nicht vermeiden, solange die Sozialversicherung mit der Versicherung sozialer Risiken in sozialstaatlich geforderter Weise auch immaterielle Werte schafft und wahrt. In seinen praktischen Auswirkungen ist das abgabenrechtliche Konzept eher als das Konzept der versicherungsfremden Leistungen - nach dem die Bundeszuschüsse wesentlich höher ausfallen müßten - dazu in der Lage, die derzeitige Höhe der Bundeszuschüsse zu rechtfertigen. Denn nach dem abgabenrechtlichen Konzept ist einer Vielzahl von versicherungsfremden Leistungen der versicherungsfremdnützige Charakter abzusprechen. Ein großer Teil der als versicherungsfremd eingestuften Leistungen des jeweiligen Sozialversicherungszweiges kommt potentiell den Mitgliedern dieses Zweiges gerade und nur wegen ihrer Mitgliedschaft zugute: Wer nicht rentenversichert ist, bekommt keine beitragslosen Zeiten rentensteigernd anerkannt, er erhält keine Kinderzuschüsse, keine Ruhegelder und keine Rente nach Mindesteinkommen. Wer nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung ist, kann niemals von den Vorteilen des Familienlastenausgleichs profitieren. e) Finanzwissenschaftliches Prinzip der fiskalischen Ä·quivalenz
Das Konzept der versicherungsfremden Leistungen (oben b) hat in der Finanzwissenschaft Beifall gefunden. In der Finanzwissenschaft wurde vorgeschlagen, die Verteilung der Finanzverantwortung zwischen Sozialversicherung und Staat nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz231 vorzunehmen. Nach diesem Prinzip sollen "Nutznießer und Kostenträger öffentlicher Leistungen nicht auseinanderfallen", da "fehlende fiskalische Äquivalenz infolge räumlicher Nutzenstreuung" zu "einer Unterversorgung mit öffentlichen Leistungen 231
Dazu grundlegend Olson, in: Föderalismus, S. 66 ff.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
und damit zu einer nicht-pareto-optimalen" Allokation fiihrt232• Nach dem sog. Pareto-Kriterium ist ein Zustand einem anderen vorzuziehen, wenn zumindest ein Individuum eine Erhöhung seines Nutzens erfährt, ohne daß ein anderes benachteiligt wird233 • Um das Allokationsoptimum zu erreichen, sind die Faktoren zur Produktion von Gütern und Leistungen gemäß den Präferenzen der Bürger auf die effizienteste Weise einzusetzen234 • Hierzu dient das fiskalische Äquivalenzprinzip. Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz eignet sich nicht nur zur Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern, für das es ursprünglich im Rahmen der ökonomischen Theorie des Föderalismus entwickelt wurde235 • Es läßt sich auch für die Abgrenzung der Finanzierungsräume von unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung nutzbar machen. Auf der Grundlage des fiskalischen Äquivalenzprinzips werden in der Finanzwissenschaft Ausgleichszahlungen an die Träger der Rentenversicherung empfohlen, um eine Internalisierung der für den Staat positiven und die Rentenversicherungsträger negativen externen Effekte zu erzielen236• Die externen Effekte237 ergeben sich daraus, daß von dem angebotenen Kollektivgut der Sozialversicherung auch außerhalb des Kollektivs befmdliche Personen profitieren (spill-overs), oder- umgekehrt- Mitglieder des Kollektivs Anteil am Nutzen der Angebote benachbarter Kollektive haben (spill-ins). In beiden Fällen stimmen die vom Nutzen Betroffenen mit den an der Abstimmung Beteiligten nicht überein. Das erschwert die Konsensfmdung. Oft müssen Kompromisse geschlossen werden. Sie wären nicht erforderlich, wenn nur die Sozialversicherten oder nur die außerhalb der Sozialversichertengemeinschaft
Heun, Der Staat 31 (1992), S. 205,219 m.w.N. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 84 m.w.N.; Heun, Der Staat31 (1992),S.205,219. 234 Vgl. Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. 3. 235 Vgl. hierzu unten 4. Kapitel IV 4 d aa. 236 Vgl. zum folgenden insbesondere Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 167 f., 194 ff. und differenzierter unten 4. Kapitel IV 4 d aa; ferner Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 31 (1981), S. 383,401 ff.; Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145 ff. 237 Vgl. zum folgenden Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 85 ff. m.w.N. zur allokationstheoretischen Analyse der externen Effekte und ihrer Systematisierung in Fn. 229. Die grundlegende Analyse der externen Effekte durch Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 39 ff. m.w.N. zeigt, daß die folgenden Ausführungen ihre komplexe Problematik vereinfachen. Ein tieferes Eindringen in die Materie würde den rechtswissenschaftliehen Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. 232 233
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 189
stehenden Bürger die jeweils anstehenden Entscheidungen träfen238 • Wohlstandsoptimale Lösungen werden zu beidseitigem Nachteil aus zwei Gründen verfehlt: Die externen Effekte verletzen das dem Pareto-Kriterium immanente Selbstbestimmungsprinzip, wonach nur die von den Individuen selbst positiv bewerteten Wertbewegungen wohlstandoptimierende Folgen haben können. Eine solche Nutzenbewertung ist aber nur möglich, wenn das Individuum sämtliche Folgen seines Handeins bei seiner Entscheidungsfmdung zugrunde legen kann. Demgegenüber verschleiern die externen Effekte gegenüber dem Individuum einen Teil seiner Handlungsfolgen und bewirken eine unfreiwillige Beeinflussung des Nutzenniveaus anderer Individuen. Diese Verletzung des individualistischen Selbstbestimmungspostulats, wonach jeder selbst über den von ihm zu realisierenden Nutzen und die von ihm zu tragenden Kosten entscheiden soll, stellt sich der intendierten Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt in den Weg239• Zusätzlich verzerren negative wie positive Drittwirkungen der externen Effekte die Produktionskosten des öffentlichen Guts "Sozialversicherung"240 : Wird die jeweilige Sozialleistung unter Verlagerung der Kosten auf den Staat als Dritten kompensationslos erbracht, erweist sich ihre "Produktion" als zu billig. Dann wird von diesem "Gut" zu viel "hergestellt", die verfügbaren Ressourcen werden übermäßig genutzt. Umgekehrt - und das ist bei der Abgrenzung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung das vorrangige Problem - wird die Produktion zu teuer, wenn der Nutzen der Sozialversicherung kompensationslos nicht nur den Beitragszahlern, sondern dem Staat und damit der in der Steuerzahlergemeinschaft zusammengefaßten Allgemeinheit zufließt241 • Natürlichem Marktverhalten entspräche es, wenn weniger Sozialleistungen erbracht würden. Dem stellt sich jedoch die Sozialgesetzgebung entgegen. Die externen Effekte verursachen also eine Differenz zwischen den einzelwirtschaftlich kalkulierten und den volkswirtschaftlich tatsächlich entstehenden Produktionskosten bzw. dem Konsurrmutzen242 •
238 Vgl. allgemeiner Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 167 f., 194 ff. 239 Vgl. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 86. 240 Nach Breton, in: Föderalismus, S. 77, 78 f. müßte man bezüglich der Sozialversicherung präziser von einem nicht-privaten Gut sprechen. Die Begriffe Kollektivgüter und öffentliche Güter werden hier als Synonyme verwandt; vgl. zu terminologischen Differenzierungen die Nachw. bei Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 36 in Fn. 8. 241 Vgl. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 86. 242 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 86 m.w.N.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Da eine exakte Erfassung des Kreises der Nutznießer eines Kollektivguts aus praktischen Gründen nicht immer möglich ist und zur Schaffung günstiger Verwaltungseinheiten verschiedene Kollektivgüter gemeinsam verwaltet werden müssen, lassen sich solche externen Effekte nicht immer vermeiden. In solchen Fällen müssen die Kollektive, wollen sie die Effekte zur AllokationsOptimierung ausgleichen ("internalisieren"), untereinander Ausgleichszahlungen vornehmen, also einen ergänzenden Finanzausgleich schaffen243 • Wenn das Kollektiv der gesetzlichen Rentenversicherung durch seine Leistungen den Staat entlastet, ist deshalb ein Ausgleich erforderlich244 • Bei der Bestimmung der Vorteile, die Staat und Sozialversicherungsgemeinschaft durch die Leistungen der Sozialversicherung zufließen, ergibt sich ein praktisches Problem: Sie sind nicht immer exakt quantifizierbar245 • Der fmanzielle Vorteil, den eine Maßnahme fiir den Begünstigten bewirkt, läßt sich unproblematisch nur soweit meßbar bestimmen, wie er sich in Geld ausdrücken läßt. Das ist aber bei den Vorteilen, die dem Gesamtstaat durch die Leistungen der Sozialversicherung dadurch zufließen, daß diese bei der Ausführung ihrer eigenen Aufgaben gleichzeitig auch staatliche Aufgaben wahrnimmt, nicht immer möglich. Besitzt der Vorteil keinen schätzbaren Marktoder Verkehrswert, handelt es sich also um einen immateriellen Vorteil, bleibt nur die Möglichkeit der Schätzung. Hierdurch gerät ein beträchtliches Moment an Unsicherheit in die nach dem fmanzwissenschaftlichen Konzept vorzunehmende Bestimmung der Staatszuschüsse. Nach fmanzwissenschaftlicher Auffassung sind die Bundeszuschüsse ähnlich wie bei dem Konzept der versicherungsfremden Leistungen mit der Kompensation versicherungsfremdnütziger Leistungen zu begründen, wobei die Bestimmung dieser Leistungen im einzelnen die dargelegten Schwierigkeiten bereitet. Die Finanzwissenschaft modifiziert das Konzept der versicherungsfremden Leistungen, indem sie ähnlich wie das abgabenrechtliche Konzept bei der Ermittlung der externen Effekte danach fragt, wem aus der Sozialversicherung welcher Nutzen jeweils zufließt. Damit ist für die Abgrenzung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung gegenüber dem abgabenrechtlichen Konzept nicht viel gewonnen. Immerhin findet das Konzept in dem fmanzwissenschaftlichen Ansatz jedoch seine Bestätigung246 . Die Abgrenzungsschwierigkeiten bleiben aber dieselben.
243 Dieser ergänzende Finanzausgleich darf wegen seiner beschränkten Problemlösungskapazität nicht zu umfangreich werden. 244 Vgl. zur Verteilung der Finanzverantwortung auf Bund und Länder unten 4. Kapitel IV 4 d. 245 Vgl. auch zum folgenden Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 87 Rn. 90. 246 Zu den rechtlichen Schlußfolgerungen unten g bb .
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben ftir die Finanzierung von Staatsausgaben 191
f) Wicksell'sche Einstimmigkeitsregel Doch geht es einem jüngeren fmanzwissenschaftlichen Vorschlag zur Abgrenzung der Finanzverantwortung von Staat und Sozialversicherung darum nur sekundär und kommt es für diesen Vorschlag darauf auch nicht an: Mackscheidt möchte ein Finanzausgleichssystem zwischen Staat und Sozialversicherung einrichten, das in seinen Grundzügen dem Finanzausgleich zwischen Ländern und Gemeinden entspricht. Dieser Finanzausgleich dient dazu, die Gemeinden durch ein System allgemeiner und zweckungebundener staatlicher Zuweisungen in die Lage zu versetzen, die ihnen auferlegten Aufgaben auch durchführen zu können247• Wichtig für den Vorschlag Mackscheidts ist: Die Gemeinden können die Auferlegung einer Aufgabe unter Umständen auch ablehnen, wenn ihre Finanzierung nicht gesichert ist. Die Landesverfassungen und die Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 II GG sichern dieses Recht verfassungsrechtlich ab - in allerdings umstrittenen Umfang. Darüber hinaus vertreten die kommunalen Spitzenverbände die Gemeindeinteressen wirksam beispielsweise im Finanzplanungsund im Konjunkturrat Hierdurch können sie die Bundespolitik nachhaltig beeinflussen. Auch haben die Gemeinden über ihre Vertreter in den Landtagen ein zusätzliches Mittel zur lnteressenwahrung. Die Einführung des vorgeschlagenen Finanzausgleichsystems zwischen Staat und Sozialversicherung könnte nach fmanzwissenschaftlicher Auffassung die Allokationsrationalität und die Autonomie der Parafiski der Sozialversicherung gleichermaßen stärken248. Hierzu wäre den Sozialversicherungsträgem weitergehend noch als den Gemeinden - die nicht nur praktisch, sondern rechtlich abgesicherte Möglichkeit einzuräumen, die Auferlegung neuer Aufgaben ablehnen zu können, wenn ihre Finanzierung nicht gesichert ist249. Mackscheidt hat deshalb in Anlehnung an einen Vorschlag, den schon Wieksen im Jahre 1896 als Abstimmungsverfahren bei der Einstimmigkeitsreget unterbreitet hat250, für die Rentenversicherung folgendes vorgeschlagen251: Die Rentenversicherung soll die gesetzliche Übertragung einer Aufgabe ablehnen können, wenn nicht gleichzeitig deren Finanzierung gesichert ist. Werden keine Ausgleichszahlungen angeboten, oder reichen angebotene Zah-
Hierzu im einzelnen unten 4. Kapitel IV 4 b aa. Vgl. Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 31 (1981), S. 383,404 f. 249 Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145, 168 ff.
247 248
m.w.N.
°Knut Wicksell, Finanztheoretische Untersuchungen, S. 115 ff.
25
251
Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145, 168 ff.
m.w.N.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
lungen nicht aus, um die Finanzierung der neuen Aufgabe ohne Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen durchzufiihren, soll die Rentenversicherung berechtigt sein, der Bundesregierung einen Gegenvorschlag zu unterbreiten. Sodann wäre auf Bundesebene zu entscheiden, ob die geplante Aufgabe politisch so attraktiv ist, daß ihre Verwirklichung auch noch in der gewandelten Form sinnvoll ist. Nach dem Modell Wicksells kann jeder Vorschläge in der Hoffnung machen, fiir sich einen möglichst großen Vorteil zu erzielen. Gleichzeitig muß er für jede Ausgabe, die bei der Umsetzung seines Vorschlags entstehen würde, einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten. Stimmt niemand dagegen, bringt der V arschlag offenbar allen einen Vorteil und eine Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt. Wenn hingegen einer der Beteiligten eine Schmälerung seiner Wohlfahrt befiirchtet, weil die ihn treffenden zusätzlichen Belastungen im Vergleich zum erwarteten Nutzen des neuen Gutes zu hoch sind, wird er gegen diesen Vorschlag stimmen. Bei einer strengen Einstimmigkeitsregel wird sich ein solcher Vorschlag nicht durchsetzen können. Dann haben nur diejenigen Vorschläge Erfolg, die allen eine Wohlfahrtssteigerung bringen. Auf "diese Weise wird also genau das als wohlfahrtssteigernd politisch gefördert, was mittels des Pareta-Kriteriums in der Wohlfahrtsökonomik auch theoretisch verlangt wird" 252 • Praktizierbar ist natürlich nur der von Wiekseil auch vorgeschlagene relative Abstimmungsmodus. Überträgt man dies Modell auf den Finanzausgleich zwischen dem Bund und der Sozialversicherung und betrachtet den Bundesgesetzgeber und die Träger der Sozialversicherung als zwei Abstimmungsberechtigte in einer Volksgesamtheit, so zeigt sich, daß hier gerade das Gegenteil des Wicksell'schen Modells verwirklich ist: Der Bundesgesetzgeber kann permanent neue Varschläge zur Übertragung von Aufgaben an die Sozialversicherung ohne begleitenden Finanzierungsplan zur Abstimmung stellen, ohne daß der Sozialversicherung ein Vetorecht zusteht. Da dem Nutzen aus solchen Vorschlägen zunächst keine politisch unpopulären Belastungen aus Steuerzahlungen gegenüber stehen, besteht eine permanente Neigung, solche Vorschläge einzubringen. Eine paretooptimale Allokation wird so verhindert. Die schon beschriebene Praxis der Verschiebebahnhöfe253 - hat dies bestätigt: In der Vergangenheit haben die gesetzgebenden Körperschaften vielfach die Schaffung neuer sozialer Leistungen mit Erfolg als neue soziale Errungenschaften vorgeschlagen und der Sozialversicherung übertragen. Das versprach Wählerstimmen. Stimmenverluste waren kaum zu befürchten, da weder unpopuläre Steuererhöhungen noch Ausgabenkürzungen folgten. Die Lasten fielen in den jeweiligen Zweigen der Sozialversicherung an, oftmals verzögert, da der Bund zumindest flir eine Übergangszeit Zuschüsse aus Steuermitteln 252 253
Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145, 169. Vgl. hierzu oben c und I. Kapitel II 2, III 2 a, b; ferner unten 4. Kapitel III 3.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben flir die Finanzierung von Staatsausgaben 193 zahlte. Das Hin- und Hergeschiebe der finanziellen Lasten aus den neu geschaffenen sozialen Leistungen verwischte die finanzielle Verantwortlichkeit und schaltete jedes Kostenbewußtsein allein schon dadurch aus, daß die Belastungen oftmals nur flir eine Übergangszeit bei der einen oder anderen Ebene - Staat, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung - lokalisiert blieben. Am Ende war es aber stets die Sozialversicherung, die die Zeche flir die Innovationsfreudigkeit des Sozialgesetzgebers bezahlte. Das war auch politisch opportun, denn der Abgabenwiderstand gegenüber Beiträgen ist erheblich geringer als gegenüber Steuern. Der politischen Öffentlichkeit war das Trennungsgebot zwischen der Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben aus Steuermitteln und Sozialversicherungsaufgaben aus Beitragsmitteln lange Zeit nicht bewußt. Deshalb regte sich nur wenig Widerstand, wenn der Gesetzgeber die Grenzen überschritt254• Der Bund hat von der Möglichkeit, seinen eigenen Haushalt auf Kosten der Sozialversicherung zu entlasten, im Wege der Sozialgesetzgebung gerne und rege Gebrauch gemacht, indem er in vielen Fällen Staatsaufgaben auf die Sozialversicherungsträger übertragen und mit den zu ihrer Durchflihrung erforderlichen Ausgaben deren Haushalte belastet hat. Nach dem Wicksell'schen Einstimmigkeitsmodell stinunt jeder Wähler gegen die Übertragung einer neuen Aufgabe, wenn die Kosten fiir ihn höher sind als der sich aus der Durchfiihrung der Aufgabe durch gerade ihn ergebende Nutzen. Die Sozialversicherung würde also namens ihrer beitragszahlenden Mitglieder bei jeder vorgeschlagenen Übertragung einer versicherungsfremden Last ihr Veto einlegen, weil dann die Kosten für die Rentenversicherung höher sind als der Nutzen. Da die Sozialversicherung ihre Interessen im Gesetzgebungsverfahren nur über ihre Interessenverbände einbringen kann und ihr ein solches Vetorecht nicht zusteht, wird sie bei der Abstinunung über sie treffende Lasten übergangen. Der nach dem Wicksell'schen Abstinunungsverfahren in Gang gesetzte Erkundungsprozeß wird in wohlfahrtsverhindernder Weise ausgeschaltet. "Die Ablehnung eines Vorschlags ist ja zugleich die Aufforderung, einen besseren vorzulegen, und der zunächst gescheiterte Vorschlag des einen kann durch einen [hierdurch verbesserten] Gegenvorschlag des anderen doch noch zum Erfolg kommen. Es ist einerseits ein Wettbewerb der Mitglieder eines Abstimmungsgremiums untereinander, andererseits aber auch ein Wettbewerb der Gegenstände und Ideen, über die abzustimmen ist. Es wird(...) ein Stück Erkundungsprozeß bei einem politischen Abstimmungsverfahren in Gang gesetzt, wie wir ihn sonst nur beim Marktmechanismus kennen" 255. Dabei kann sich eine geplante soziale Leistung auch als zu teuer erweisen. Wenn der politische oder soziale Nutzen fiir keine Seite so hoch ist, daß sie ihre Finanzierung übernehmen will, wird ihre Einfiihrung scheitern. Das wäre in
254 Gegenwärtig erwägt der Verband der deutschen Handwerker gegen die Sozialabgaben wegen des hohen Anteils der beitragsfinanzierten versicherungsfremden Leistungen Verfassungsbeschwerde beim BVerfG zu erheben. Vgl. zur jüngeren Entwicklung bereits oben die Einflihrung. 255 Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145, 170. 13 Kranz
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
mancherlei Fällen wünschenswert gewesen -jedenfalls unter Efftzienzgesichtspunkten. Die wohlfahrtsökonomischen Vorteile dieses Erkundungsprozesses können sich nach der gegenwärtigen Rechtskonstruktion nicht auswirken. Möchte man die beschriebenen V orteile des Marktmechanismusses auch fiir die Abstimmungen über den Finanzausgleich zwischen Bund und Sozialversicherung nutzen, so müßte der Gesetzgeber fiir die jeweiligen Sozialversicherungszweige (I.) ein Abstimmungsorgan einrichten und diesem (2.) ein Vetorecht gegen solche Initiativen aus der Bundesebene einräumen, die der Sozialversicherung externe Aufgaben übertragen möchten. Als Abstimmungsorgan kämen beispielsweise die Vertreterversammlungen der jeweiligen Sozialversicherungsträger, deren bürokratische Institutionen oder die jeweiligen Verbände in Betracht. Zur Erreichung des Wicksell'schen Ideals ist das Abstimmungsorgan so zu wählen, daß es tatsächlich noch die Interessen der Versicherten und nicht die einer Bürokratie vertritt. Wenn die Sozialversicherung über ein solches Vetorecht verfUgt, könnte sie jeden unterfmanzierten Aufgabenvorschlag zurückweisen. Deshalb ist über den Vorschlag Mackscheidts hinaus (3.) zu fordern, daß die Sozialversicherung einen unterfmanzierten Vorschlag nur unter BeifUgung eines neuen Finanzierungsvorschlags zurückweisen darf. Dann erfolgt die Kosten-NutzenAnalyse zwangsläufig auf beiden Ebenen. Ein solches konstruktives Vetorecht ist wichtig, denn ohne ein Vetorecht ist die Gefahr eines Mißbrauchs des Einstimmigkeitsprinzips zu groß. Die Umsetzung der Einstimmigkeitsregel in der von Mackscheidt vorgeschlagenen Form würde die Sozialversicherung geradezu einladen grundsätzlich jeden Vorschlag zur Aufgabenübertragung abzulehnen, um zusätzlichen fmanziellen Belastung zu entgehen. Bei der Verteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung geht es aber nicht um die Hemmung des Sozialstaats, sondern um dessen Effektuierung. Deshalb wird der Vorschlag Mackscheidts hier in modifizierter Form vorgelegt. Das vorgeschlagene Verfahren bietet im wesentlichen drei Vorteile: Es steuert zwangsläufig der Neigung des Bundes entgegen, sich über die Parafiski der Sozialversicherung fmanziell zu entlasten. Darüber hinaus dient es der Effektuierung des Sozialstaats, indem der Gesetzgeber neue soziale Maßnahmen nur noch unter Vomahme einer verschärften Kosten-Nutzen-Analyse einfUhren kann. Schließlich gewährleistet das Abstimmungsverfahren zwangsläufig eine eindeutige Verortung der fmanziellen Zuständigkeiten auf jeweils der Ebene, die sich zur Finanzierung der neuen Maßnahme bereit erklärt hat. Das ist fiir den vorliegenden Untersuchungsgegenstand die wichtigste Funktion. Ein solcher Automatismus kann die verschiedenen referierten Verfahren zur Abgrenzung der Finanzveranwortung zwischen Staat und Sozialversicherung
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 195
fiir die Zukunft überflüssig machen. Für den status quo ist jedoch eine Aufteilung nach einem dieser Verfahren vorzunehmen. g) Finanzwirtschaftliche Berücksichtigung intertemporaler Äquivalenz
Das abgabenrechtliche Konzept (oben d) entspricht fmanzwirtschaftlichen Überlegungen zur Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Rentenversicherung. Die Finanzwirtschaft verteilt die Finanzverantwortung nach dem versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip in seiner durch das Umlageverfahren modifizierten Form256• Das Äquivalenzprinzip läßt sich vereinfachend und verallgemeinernd als "genuines Tauschprinzip der Marktwirtschaft grob als Gleichheit von Leistung und Ge~enleistung" charakterisieren. Das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip 57 unterscheidet sich durch die Berücksichtigung des versicherungstypischen Umverteilung und des zeitlichen Auseinanderfallens von Leistung und Gegenleistung von dem finanzwissenschaftliehen Äquivalenzprinzip, das sich nur auf die nutzenbezogene Gleichheit von Leistung und Gegenleistung bezieht. Es berücksichtigt über die Entsprechung von Leistung und Gegenleistung hinaus die intertemporale Äquivalenz, indem die Lohnveränderungsrate als Verzinsungsfaktor fungiert258 • Die Versicherungspflicht bewirkt eine- niedrig verzinsliche - Zwangsanleihe. Die Rentenversicherung transferiert durch die intertemporale Umverteilung Einkommen in die Zukunft. Das versicherungstechnische Kriterium der Beitragsäquivalenz fordert Äquivalenz der Rentabilität der verschiedenen Einkommen zu verschiedenen Zeitpunkten. Dieser Vergleich fmdet über einen zu ermittelnden Diskontierungsfaktor, einen Rechnungszins statt. Da die Finanzierung der Rentenversicherung im Umlageverfahren erfolgt, ist ein interner Rechnungszins zu errechnen: Es ist die Rendite zu ermitteln, die der durchschnittlich Versicherte für eine bestimmte Zeitperiode erzielt, "der interne Zinsfuß dieser Versichertengeneration"259• Das sei an folgendem Beispiel dargestellt: In der Rentenversicherung können alle Versicherten durch Anrechnungszeiten (z.B. Ausbildungszeiten) ohne Beitragszahlung Rentenansprüche erwerben. Nur Versicherte erhalten bei Eintritt des Leistungsfalls Leistungen aus den Anrechnungszeiten. Ihre Finanzierung erfolgt durch die Beiträge der aktiven Beitragszahler. Der - fiktive 256 Hierzu Kreßmann, Das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip in der gesetzlichen Altersversicherung der Bundesrepublik Deutschland; Mackscheidt/Böttgerl Gretschmann, FinArch 31 (1981), S. 383, 394; Hofmann, SF 1996, S. 126 ff. 257 Hierzu schon oben 3 b cc. 258 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 180. 259 Hofmann, SF 1996, S. 126.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
durchschnittliche Versicherte liegt bezüglich seiner Einkommensverluste und seiner späteren Bezüge genau im Durchschnitt. Aus den Anrechnungszeiten erwachsen ihm zusätzliche Rentenanspruche, die seinen Beitragsmehrbelastungen entsprechen. Er erreicht mit seinen Beiträgen die Rendite, die sich aus dem Umlageverfahren für seine Generation ergibt. Das Umlageverfahren belastet Versicherte, die keine oder nur unterdurchschnittliche Anspruche aus den Leistungstatbeständen haben zugunsten der Versicherten mit überdurchschnittlichen Vergünstigungen. Innerhalb der Rentenversicherung fmdet ein dem Äquivalenzprinzip widersprechender Transfer statt. "Versicherungsfremd ist aber natürlich nur die Abweichung vom Durchschnitt. Daher ist es falsch, die genannten Vergünstigungen insgesamt den versicherungsfremden Leistungen zuzuordnen"260. Leistungstatbestände, die nur zwischen Versicherten umverteilen, gleichen sich im Bestand der Rentenversicherung aus. Auch wenn für den einzelnen positive oder negative versicherungsfremde Wirkungen entstehen, sind solche Ausgleichselemente nicht insgesamt versicherungsfremd. Ein solcher "interner Ausgleich" bewirkt keine versicherungsfremden Leistungen. Deshalb ist auch der rentenversicherungsinterne Solidarausgleich keine versicherungsfremde Leistung. Entsprechendes gilt für die Höherbewertung der Berufsausbildung. h) Stellungnahme Das abgabenrechtliche Konzept ist vorzugswürdig. aa) Rechtswissenschaftliche Konzepte Das Konzept der versicherungsfremden Leistungen (oben b) ist wegen der engen Fassung des Versicherungsbegriffs fragwürdig. Das Konzept läßt zwar Quantifizierungen zu. Die vorzunehmende Bestimmung der originären Sozialversicherungsaufgaben scheitert aber an den geschilderten praktischen Schwierigkeiten. Außerdem berucksichtigt das Konzept bei der Rentenversicherung nicht die Modifikation des versicherungstechnischen Äquivalenzprinzips durch das Umlageverfahren. Es stellt nur auf die temporale Äquivalenz ab. Ein Rückgriff auf das gesetzgebensehe Konzept (oben a), empfiehlt sich trotz des historisch und funktional angemessenen Versicherungsbegriffs261 wegen der fehlenden äquivalenztheoretischen Strukturen jedoch nicht. Soweit die öffentlichen Zuschüsse danach z.B. Berufsunfähigkeitsrenten fmanzieren kön260
Hofmann, SF 1996, S. 126, 127.
Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 188. 261
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 197
nen, kommt das Äquivalenzprinzip nicht zur Anwendung. Auch den grundrechtlichen Anforderungen wäre eher entsprochen, wenn solche Leistungen, die als Versicherungsrisiko potentiell nur den Sozialversicherten zugute kommen können, auch durch sie fmanziert würden. Außerdem korrespondiert die alleinige Anhindung der Zuschußzahlungen an das Funktionselement der Nicht-Versicherungsleistung nicht mit der heutigen Funktion staatlicher Zuschüsse zur Sozialversicherung. Schon bei der Kodifizierung des gesetzgebensehen Konzepts fiir die Rentenversicherung im Jahre 1957 entsprach die Zuschußzahlung fiir nicht versicherungsmäßige Leistungen nicht der historischen wohlfahrtsstaatliehen Funktion der Zuschüsse als pauschaler Anteil des Staates an der einzelnen Rente. Nachdem der Bundesgesetzgeber der Sozialversicherung in den vergangenen Jahrzehnten im Interesse des Gemeinwohls eine Vielzahl von Aufgaben auferlegt hat, die sie im Jahre 1957 noch nicht durchführen mußte, erscheint das gesetzgebensehe Konzept heute als eindimensional und sachwidrig. Auch die praktischen Erfahrungen, die seit der Rentenreform des Jahres 1957 mit dem gesetzgebensehen Konzept gesammelt werden konnten, sprechen gegen seine Wiederbelebung: Über die Höhe der Zuschüsse wurde allenfalls politisch entschieden262: Hierdurch geriet ein in seinem Ausmaß kaum zu überschätzendes dezisionistisches Moment in die Verteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung, das eine stetige Finanzplanung der Sozialversicherungsträger unmöglich machte, deren Finanzautonomie gravierend einschränkte und die Selbstverwaltung in Frage stellte263• Mit dem fmanzwissenschaftlichen Konzept (oben e) kann der Haushaltsgesetzgeber unter Hinnahme einer vergleichsweise geringen Unsicherheit ermitteln, welche Leistungen der Sozialversicherung die Sozialversichertengemeinschaft selber zahlen und welche ihr die Gemeinschaft der Steuerzahler mittels staatlicher Zuwendungen ersetzen muß. Die nach diesem Konzept zu stellende Frage, wem die Ausführung einer Aufgabe durch die Sozialversicherung jeweils zugute kommt, ermöglicht eine qualitative und quantitative horizontale Aufteilung der staatlichen Zuschüsse fiir die jeweilige Rechnungsperiode264• Das abgabenrechtliche Konzept (oben d) berücksichtigt bei der Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Rentenversicherung überdies das 262 Mackscheidt!Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 399 ff.; vgl. Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 187 f. und oben I. Kapitel III 2 a, b; 2. Kapitel I 2; a; unten 4. Kapitel II 2 a.E., V I a cc (1), dd. 263 Vgl. hierzu unten IV. 264 Eine endgültige Festschreibung im Sinne einer quantitativen Bestimmung ist naturgemäß selbst ohne jenes Rests an Unsicherheit nicht möglich, da öffentliche Lasten keine konstanten Größen sind; Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 674 Fn. 6.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
versicherungstechnische Äquivalenzprinzip in seiner durch das Umlageverfahren modifizierten Form und wird dadurch auch fmanzwirtschaftlichen Anforderungen gerecht (oben g). Das abgabenrechtliche Konzept zeichnet die verfassungsrechliehe Funktion der Staatszuschüsse nach. Sie sind nicht nur ein finanzieller Ausgleich des Staates an die Sozialversicherung fiir deren nicht versicherungsmäßige Leistungen, sondern bewahren durch die Kompensation versicherungsfremdnütziger Leistungen gleichzeitig und vor allem die Lastengerechtigkeit des Abgabensystems. Eine eindimensionale Betrachtungsweise, wie nach dem gesetzgebensehen Konzept oder nach dem Konzept der versicherungsfremden Leistungen, würde dem nicht gerecht. Ein Rest an Dezisionismus ist der Preis, der fiir eine den grundrechtliehen und ökonomischen Anforderungen gleichermaßen entsprechende Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung hingenommen werden muß. bb) Relevanz wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse Das abgabenrechtliche Konzept entspricht den skizzierten fmanzwirtschaftlichen und z.T. den fmanzwissenschaftlichen Anforderungen. Das ist erfreulich. Aber welche rechtliche Bedeutung ist den Erkenntnissen der Finanzwirtschaft und der Finanzwissenschaft beizumessen? Das ist an dieser Stelle zwar noch nicht von entscheidender Bedeutung, denn das abgabenrechtliche Konzept verdient aus den angeführten rechtlichen Gründen ohnehin den Vorzug. Doch steht zum einen der über das abgabenrechtliche Konzept hinausgehende fmanzwissenschaftliche V arschlag Mackscheidts einstweilen im luftleeren Raum und erscheint es zum anderen sinnvoll, schon möglichst früh die rechtliche Relevanz eines solchen interdisziplinären Vorgehens zu erörtern, da die Untersuchung im weiteren Verlauf wiederholt auf fmanzwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreift. Die Frage ist so neu inzwischen nicht mehr. Sie stellt sich im Grunde genommen immer dann, wenn der Jurist bei seiner Arbeit Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften berücksichtigen möchte. Und sie drängt nach einer einheitlichen, fiir jede Wissenschaft auf der einen und rur jedes Rechtsgebiet auf der anderen Seite einheitlich geltenden Beantwortung. Dennoch herrscht bei ihrer Beantwortung insbesondere bei der Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse oftmals Unsicherheit. Sie kommt z.B. in der etwas hilflosen, an § 1 II, 111 SteueranpassungsG angelehnten Formulierung zum Ausdruck, eine "wirtschaftliche Betrachtungsweise" vornehmen zu wollen265 • 265 Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, l. Band, S. 143, 165 f.; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 8 m.w.N.
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Wenn der Rechtsanwender sich die Frage nach der Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse stellt - das ist leider selten - weicht er häufig auf die Erörterung des Verhältnisses von Ökonomie und Recht aus. Die allgemeine Unsicherheit, die die Rechtswissenschaft bei der Behandlung dieses Themas an den Tag legt, resultiert zu einem guten Teil aus den seit jeher erheblichen Vorbehalten des Juristen gegenüber einer Beschäftigung mit den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere gegenüber der Berücksichtigung ihrer Erkenntnisse. Die Rechtswissenschaft ist traditionell fmanzblind. Sie hat erst in jüngerer Zeit und bislang nur vereinzelt Bereitschaft gezeigt, sich auf wirtschaftswissenschaftliche Gedankengänge einzulassen. Die Ökonomie ist hingegen seit den 60er Jahren gegenüber ihrer Nachbarwissenschaft erheblich aufgeschlossener: Die in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelte "ökonomische Analyse des Rechts"266 , deren Einfluß in jüngster Zeit auch in der deutschen Rechtswissenschaft spürbar wird267, versucht "mit den Konzepten und Denkweisen der modernen Wirtschaftstheorie zu einem vertieften Verständnis rechtlicher Probleme und zu einer größeren Rationalität der juristischen Argumentation zu gelangen" 268 • Die Frage ist damit hinsichtlich der rechtlichen Relevanz jedenfalls dieses Ansatzes schon beantwortet: Die ökonomische Analyse des Rechts analysiert Rechtsnormen aus ökonomischer Perspektive. Sie wurde von Ökonomen entwickelt und umschreibt Aufgaben des Rechts und Anforderungen an das Recht ausgehend vom Ökonomieverständnis. "Sie ist eine Funktionsbeschreibung des Rechts, keine juristische Methodenlehre"269• Deshalb kann sie fiir den Rechtswissenschaftler entgegen dem von ihr erhobenen "Universalitätsanspruch"270 nur als Interpretationshilfe bei der entstehungsgeschichtlichen und teleologischen Auslegung einer Norm von Bedeutung sein271 , indem sie die wirtschafts266 Vgl. die grundlegenden Beiträge in dem Sammelband Assmann!Kirchner/Schanze (Hg.), Ökonomische Analyse des Rechts, Tübingen 1993 mit der maßgeblichen Arbeit von Coase, S. 129 ff. aus dem Jahre 1960. Vgl. ferner grundlegend Posner, Economic Analysis of Law, 2. Aufl. 1977, sowie die umfangreichen Nachw. bei Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 1 ff. und Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c cc. 267 Vgl. seit dem maßgeblichen Werk von Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts (1986, dort insbes. S. 21 ff.) die beharrliche Kritik der ökonomischen Analyse des Rechts durch Fezer, JZ 1986, S. 817 ff., 1988, S. 223 ff., ihre Verteidigung durch Ott/Schäfer, JZ 1988, S. 213 ff., sowie die vermittelnden Arbeiten von Kirchgässner, JZ 1991, S. 104 ff. m.w.N. in Fn. 5 und Kübler, in: FS Steindorff, S. 687 ff. Einführend Burow, JuS 1993, S. 8 ff. 268 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. I. 269 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c cc. 27°Fezer, JZ 1986, S. 817,819 m.w.N. 271 Vgl. Zacher, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 172 f.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
theoretischen Motive des Gesetzgebers erklärt und die ökonomischen Folgen normativer Entscheidungen verdeutliche72• Die Frage nach der rechtlichen Relevanz wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse ist eine Rechtsfrage, keine interdisziplinäre Frage273 und schon gar nicht eine wirtschaftswissenschaftliche Frage. Von daher hilft die ökonomische Analyse des Rechts hier nicht weiter. Mit ihrer Hilfe lassen sich Recht und Ökonomie entgegen einer verbreiteten abweichenden Auffassung zwar über einen gemeinsamen Handlungsbegriff zueinander in Bezug setzen274• Doch geht es vorliegend nicht um die abstrakte Frage nach dem Verhältnis von Recht und Ökonomie. Vorrangig geht es darum, ob sich aus der Ökonomie rechtsnormative Aussagen ableiten lassen, "also Aussagen darüber, wie Rechtsregeln auszulegen sind" 275 • Die abstrakten Untersuchungen über das Verhältnis von Ökonomie und Recht behandeln diese Frage eher am Rande. Für den Rechtsanwender ist ihre Beantwortung jedoch von vorrangiger Bedeutung. Abstrakte Ausführungen helfen ihm bei seiner konkreten Arbeit wenig. Ihn interessiert, welcher rechtlich relevante Bedeutungsgehalt ökonomischen Erkenntnissen beizumessen ist. Zugespitzt formuliert geht es nach Korioth um folgendes: "Kann das ökonomische Entscheidungssystem zur Effizienz und Rationalität des juristischen beitragen, indem das ökonomische Kriterium der Nutzenmaximierung auf die Auslegung von Rechtsregeln Einfluß nimmt?"276 Die Frage läßt sich auch ohne einen umfan,reichen Rekurs auf das Verhältnis von Ökonomie und Recht beantworten2 7. Sie ist unproblematisch zu
Assmann, in: Ökonomische Analyse des Rechts, S. 17, 42. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c. 274 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 29 f. Diese Bezugsmöglichkeit schließt eine verbreitete Auffassung aus. Recht und Ökonomie seien streng voneinander zu trennen. Die Rechtswissenschaft sei reine Interpretationswissenschaft. Ihr Verhältnis zur Wirtschaftwissenschaft bestehe allein in dem gegenseitigen Informationsaustausch; Veitt, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 8, 9; zurückhaltender Coing, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 1 ff. Auf diese Weise läßt sich die Beziehung zwischen Recht und Ökonomie jedoch nicht angemessen beschreiben, "weil der Erkenntnisgegenstand der einen Wissenschaft von vornherein aus dem Erkenntnisbereich der jeweils anderen herausdefiniert wird". Die eine Wissenschaft ist für die andere "bestenfalls 'Hilfswissenschaft'. Jede der beiden Wissenschaften kann der anderen gegenüber ihren Primat behaupten". Beide Wissenschaften haben "kein gemeinsames wissenschaftliches Thema". Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 8; vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c aa. 275 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c. 276 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c. 277 Zacher, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 172 f. hat das schon, bevor die deutsche Rechtswissenschaft 272
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III. Verfassungsrechtliche Vorgaben filr die Finanzierung von Staatsausgaben 201
bejahen, wenn Rechtsnormen spezifisch ökonomische Begriffe rezipieren278 . Der Verfassungsgesetzgeber hat beispielsweise in den Art. 104 a IV, 109 II, IV, 115 I 2 GG den ökonomisch theoretischen Begriff des "gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" 279 in die Verfassung aufgenommen; in § 1 StabG ging er in niederrangiges Verfassungsrecht ein. Auch wie ein "Markt" abzugrenzen ist, auf dem Wettbewerb stattfmdet und was überhaupt unter "Wettbewerb" zu verstehen ist, was eine "marktbeherrschende Stellung" ist und wann sie "mißbraucht" wird, läßt sich nur unter Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse begreifen280 • Zumindest ist dann eine - in ihrer Reichweite freilich fragwürdige - Auseinandersetzung mit den ökonomische Erkenntnissen erforderlich. Ob die Rezeption eines ökonomischen Begriffs zu einer Gesamtrezeption der ggf. mit dem Begriff verbundenen wirtschaftswissenschaftlichen Theorie fllhrt, oder ob sie lediglich korrekturflihige Richtlinien vorgibt und wer zur Vornahme solcher Korrekturen ggf. berechtigt oder sogar verpflichtet wäre, wirft weitere Fragen auF81 . Hier soll als Ergebnis folgende Feststellung genügen: Die Erhebung eines ökonomischen zu einem rechtlichen Begriff beraubt ihn jedenfalls nicht seines spezifisch ökonomischen Inhalts. Seine rechtswissenschaftliche Auslegung kann sich nicht von seiner wirtschaftswissenschaftlichen Bedeutung abkapseln282, sofern nicht die Entstehungsgeschichte ausdrückliche Hinweise in den Gesetzesmotiven darauf liefert, daß eine Rezeption des ökonomischen Bedeutungsgehaltes gerade nicht beabsichtigt war. Das ökonomisch-normative Effizienzkriterium kann nur dann ein rechtsnormatives Kriterium sein, wenn die Rechtsnorm es ausdrücklich anordnet, oder als Ergebnis einer Interpretation nach juristischen Regeln oder durch die Rezeption eines ökonomischen Begriffs zuläßt. Im übrigen aber können ökonomische Wertungen die juristische Nonnativität nicht verdrängen; Korioth führt dies wie folgt weiter: "Eine Ökonomisierung durch ausschließliche Instrumentalisierung des Rechts zur Effektuierung wirtschaftlicher Zwecke ist ausgeschlossen. ( ... ) Sache des Juristen ist die Entscheidungsaufgabe, Geltungsgrund der Aussagen der Rechtswissenschaft ist das geltende Recht. Die Entscheidungsmodelle des Handeins bei Ökonomen können von der ökonomischen Analyse des Rechts Kenntnis nahm, auf knapp zwei Seiten bewerkstelligt. 278 Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 158. 279 Hierzu Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 158 f.; Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 121 ff. 280 Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 162. 281 Weiterfilhrend m.w.N. Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 159 f. ; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c. 282 Vgl. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 122.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
diese juristische Entscheidungsaufgabe nicht verdrängen. Aussagen der Ökonomie können richtig oder falsch sein. Sie sind empirisch oder theoretisch begründet. Im Rahmen der normativen Wohlfahrtsökonomie beruhen sie zudem auf Wertungen, wenn auch nicht auf subjektiven Bewertungen. All diese Eigenschaften ökonomischer Aussagen sind unabhängig davon, ob sie im Einklang mit dem ~eltenden Recht stehen. Umgekehrt bleibt die Geltung des Rechts davon unberührt "28 •
Eine rechtliche Regelung gilt auch dann, wenn sie ökonomischer Rationalität widerspriche84• Mit diesem radikalen Befund sperrt sich die Rechtswissenschaft aber nicht schlechthin gegen die Erkenntnisse ihrer Nachbarwissenschaft Zur Rechtswissenschaft gehört nicht nur die Rechtsanwendungslehre, sondern auch die Rechtsetzungslehre285 • Nur bei der Auslegung von Normen ist auf eine strenge Trennung zu achten. Hier markiert der Wortsinn die äußerste Grenze der möglichen Auslegung286 • Bei der Normsetzung können die Erkenntnisse anderer Wissenschaften demgegenüber in beliebiger Weise Eingang in die Rechtswissenschaft fmden. Doch dazu sogleich. Als Zwischenergebnis ist zunächst festzuhalten: Die wirtschaftswissenschaftliche Bedeutung eines Begriffs kommt als Bestandteil des geltenden Rechts in Frage, wenn eine Norm spezifisch ökonomische Begiffe verwendet. Die sozialrechtlichen Vorschriften über die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung enthalten keine ökonomischen Begriffe, sondern nur Rechtsbegriffe. Über die Verteilung der Finanzverantwortung zwischen Sozialversicherung und Staat geben sie keine Auskunft. Das gilt auch fiir die Verfassungsvorschriften, die die Staatszuschüsse außerhalb der Finanzverfassung287 prägen, insbesondere fiir Art. 3 I GG. Damit stellt sich eine weitergehende Frage: Können ökonomische Einsichten über die Verbindungslinie der gesetzlichen Rezeption ökonomischer Begriffe hinaus Bedeutung im Recht entfalten? Korioth hat die Frage fiir Art. 106 f. GG aufgeworfen. Wenn Rechtsregeln keine ökonomischen Begriffe enthalten, sei nach anderen konkreten im Recht vorgezeichneten Verbindungslinien zwischen beiden Wissenschaften zu suchen. Die Berücksichtigung ökonomischer Erkenntnisse sei möglich, wenn Normen "unbestimmte, ihrer sprachlichen Fas-
Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c cc. Ott/Schäfer, JZ 1988, S. 213, 214; genauso schon Zacher, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, S. 172 und Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 153. 285 Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, I. Band, S. 143, 153. 286 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 141 ff., 163 ff. 287 Vgl. hierzu 4. Kapitel IV 4 d bb. 283 284
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 203
sung nach offene Begriffe" enthalten. Hier könne die Ökonomie Auslegungshilfe sein. Korioth formuliert vorsichtig: "wo ( ... ) der juristische Gehalt der Begriffe keine alles klärende Stringenz entfaltet, kann die Frage nach dem ökonomisch rationalen Verständnis der Norm, aber auch nach den ökonomischen Wirkungen alternativ möglicher Interpretationen Auslegungshilfen geben". Offene Begriffe- wie beispielsweise in Art. 106 III GG: "gleichmäßiger Anspruch", "notwendige Ausgaben" oder in Art. 107 II GG: "Finanzkraft", "allgemeiner Finanzbedarf", "leistungsschwach" - erlauben "den Rückgriff auf theoretisch abgeleitete Aussagen der Wohlfahrtsökonomie jedenfalls als Kontrollüberlegung zur Lösung juristischer Wertungsprob lerne; zumindest erzwingen die Anforderungen ökonomischer Rationalität präzise Begründungen, wo verschiedene Verständnisse möglich sind. Das beabsichtigt keine unbesehene Übertragung ökonomischer Begriffsgehalte und Erkenntnisse in den Rechtsraum, sondern eine Zusammenarbeit, die die Eigenständigkeit beider Disziplinen nicht vernachlässigt. Vermeiden läßt sich damit, daß die Ergebnisse der Norminterpretation den Charakter des Zufälligen annehmen ( ... ). Maßstab für die Heranziehung des Außerrechtlichen bleibt freilich das Recht selbst" 288 •
Im übrigen sind die Erkenntnisse der Ökonomie für den Rechtsanwender grundsätzlich irrelevant. Er hat bei seiner Arbeit von dem vorgefundenen Normenbestand auszugehen. "Eine Jurisprudenz, die sich als dogmatische Wissenschaft normativen Charakters versteht" kann nichts "von einem Erkenntnisprogramm erwarten, welches anstelle normativer Aussagen aufgrund von Normen Aussagen über Normen und noch dazu über alternative Normvorschläge macht" 289• Nach Bebrens lassen sich beide Wissenschaften zwar über einen gemeinsamen Handlungsbegriff zueinander in Bezug setzen: "Beide Disziplinen haben das menschliche Verhalten im Sinne des Entscheidens zwischen Alternativen zum Gegenstand". Deshalb müsse "die Jurisprudenz lernen ( ...), Rechtsnormen selbst als Entscheidungen zwischen Alternativen zu begreifen und auf der Grundlage des ökonomischen Denkens zu anlaysieren"290. Doch ist diese Aufforderung in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtet291 , der nach den Steuerungswirkungen des Rechts fragt. Zwar ist auch bei der Interpretation von Normen wegen ihrer sozialen Verankerung und Wirksamkeit nach den Wirkungen und der bei der Normsetzung angestrebten Ordnung zu fragen292• Aber diese Frage ist in die Vergangenheit gerichtet. Sie zielt auf die Erforschung des gesetzgebensehen Willens. Für die Auslegung einer Norm läßt sich hieraus wenig gewinnen.
Bebrens Appell an den Gesetzgeber wirkt in der Rechtspolitik und ist hier im Bereich der Normsetzung von erheblicher Bedeutung. Die ökonomische Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c cc. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 27. 290 Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 29 f. 291 Vgl. Kirchgässner, JZ 1991, S. 104, 107. 292 Vgl. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, S. 27. 288
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Analyse des Rechts kann für den Gesetzgeber rechtspolitische Hilfe sein293 • Die Wirtschaftswissenschaft gibt Auskunft über das Recht für die Rechtspolitik. Recht und Rechts~olitik sind aber nicht durch wirtschaftstheoretische Erkenntnisse determiniert 94 • Eine Verpflichtun~ des Gesetzgebers zum Erlaß möglichst effizienter Gesetze ist nach h.M. abzulehnen 95 • "Der Gesetzgeber schuldet gar nichts anderes als das Gesetz"; er schuldet "ein wirksames, also gültiges und verfassungsmäßiges Gesetz" 296, nicht aber ein effizientes Gesetz. Keine Norm verpflichtet ihn dazu, die Forschungsergebnisse anderer Disziplinen in seine Überlegungen mit einzubeziehen297• Die juristische Analyse hingegen darf selbst im Rahmen der teleologischen Auslegung einer Norm ökonomische Erkenntnisse nicht berücksichtigen, wenn sie keine ökonomischen oder zumindest offenen Begriffe enthält, die eine Verbindungslinie zwischen Recht und Ökonomie herstellen könnte. Wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse können bei der juristischen Interpretation einer Norm nur in deren Wortlautgrenzen Berücksichtigung fmden. Ökonomische Gesetze haben keine Macht über rechtliche Normen. Die "wirtschaftliche Betrachtungsweise" des Rechts ist keine "Zauberformel"298 • cc) Zwischenergebnis Was bedeutet das für die Abgrenzung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung? Ausdrücklich geregelt ist sie nirgends. Das abgabenrechtliche Konzept folgt aus Art. 3 I GG. Das Grundrecht enthält weder ökonomische Begriffe, noch unbestirnrnte Rechtsbegriffe, über die wirtschaftstheoretische Erkenntnisse in seine Auslegung einfließen könnten. Das abgabenrechtliche Konzept fmdet in dem fmanzwissenschaftlichen und insbesondere in dem fmanzwirtschaftlichen Ansatz seine Bestätigung. Umgekehrt stirnrnen beide Ansätze mit denjenigen grundrechtliehen Wertungen überein, die das abgabenrechtliche Konzept be293 294
Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, III 5 c cc. Zacher, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft,
Soziologie und Statistik, S. 172. 295 Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, insbes. S. 24, 58 ff. 296 Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 506. 297 A.A. für die Erkenntnisse der Finanzwissenschaft bei der Steuergesetzgebung Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 1091. Ökonomen beklagen hier zu Recht die Vernachlässigung wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse; vgl. Gantner!Thöni, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 2. Band, S. 223, 231. Vgl. zum Verhältnis von Gesetzgeber und Wirtschaftswissenschaft Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 155 f. 298 Raisch/Schmidt, in: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaft, 1. Band, S. 143, 166.
III. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Finanzierung von Staatsausgaben 205
gründen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen haben an dieser Stelle die Funktion einer Stimmigkeitskontrolle. Die fmanzwissenschaftlichen Erkenntnisse sind soweit in den Bereich der Rechtspolitik zu verweisen, wie sie Forderungen stellen, die über die verfassungsrechtlichen hinausgehen. Der Staat muß der Sozialversicherung nur die im Sinne des abgabenrechtlichen bzw. fmanzwirtschaftlichen Konzepts versicherungsfremdnützigen Leistungen ersetzen. Der referierte Vorschlag Mackscheidts ist rechtsnormativ irrelevant. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hat seine Aufnahme rechtspolitische Funktion. 5. Zusammenfassung Die derzeitige Praxis der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung bezweckt den Ausgleich von Ausgaben der Sozialversicherungsträger, die diesen bei der Ausfiihrung solcher Aufgaben entstehen, die nicht zum Aufgabenbereich der Sozialversicherung gehören. Die verfassungsrechtlich wie fmanzwirtschaftlich gebotene Funktion der Staatszuschüsse besteht hingegen darin, diejenigen Leistungen der Sozialversicherung zu fmanzieren, die der Gesamtgesellschaft zugute kommen und den Sozialversicherten nicht angelastet werden können, weil sie nicht allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft von diesen Leistungen profitieren können, sondern wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gesamtgesellschaft. Die verfassungsrechtliche Bestimmung der Staatszuschüsse entrückt sie von ihrer sozialrechtlichen Funktion: Der Zuschuß zur Sozialversicherung ist nicht ein mit dem Beitrag vergleichbares Finanzierungsmittel, das den allgemeinen Finanzbedarf der Sozialversicherung deckt, sondern eine Zuwendung, die dem fmanziellen Ausgleich versicherungsfremdnütziger Ausgaben dient. Die Formulierung "Zuschuß" wird dieser Abgrenzung nicht gerecht und trägt eher zur Verwirrung bei. Die Bezeichnungen "Erstattung" oder "Ausgleich" würden dem kompensativen Charakter der Zahlungen eher entsprechen. Sie wären aussagekräftiger299 • Im 299 Auch Orsinger, DAngVers 1967, S. 41 ff. weist auf die irreführende Terminologie hin und will den Begriff "Bundeserstattung" verwandt wissen. Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 174 und Mackscheidt/Böttger/Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383,396 Fn. 25 sprechen von "Abgeltung" bzw. "Entgelt". Jahn, ZVersWiss 1971 , S. 185, 204 schlägt "Bundesbeitrag" vor, stiftet hierdurch allerdings eher zusätzliche Verwirrung, da der Bund z.B. ftir seine Bediensteten tatsächlich selbst "Beiträge" entrichtet. Das spricht auch gegen die von Heinze, in: FS Krohn, S. 109 ff. verwandte Formulierung "Staatsbeitrag". Das Gutachten der Kommission des VDR, Zur langfristigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung, S. 132 spricht von einem "Bundesanteil"; diese For-
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Interesse eines einheitlichen Sprachgebrauchs mit der Literatur wird im folgenden dennoch die Formulierung "Zuschüsse" verwandt. Die nach dem abgabemechtlichen Konzept bestimmten Zuschüsse bewahren die Lastengerechtigkeit des Abgabensystems, indem sie die durch Auferlegung von Fremdlasten gefährdete Abgrenzung zwischen steuerfmanzierten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben einerseits und beitragsfmanzierten spezifisch sozialversicherungstypischen Aufgaben andererseits aufrecht erhalten. Ohne die staatlichen Zuschüsse wäre die sozialgesetzliche Auferlegung der Sozialversicherungsbeiträge als grundrechtliehen Eingriff verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die staatliche Verpflichtung zur Zahlung der Zuschüsse folgt aus dem Grundsatz der Belastungsgleichheit aller Bürger und damit unmittelbar aus Art. 3 I GG. Das Grundrecht fordert den Abschied vom Konzept der versicherungsfremden Leistungen. Die Staatszuschüsse müssen gern. Art. 3 I GG die versicherungsfremdnützigen Leistungen der Sozialversicherung fmanzieren. Das gegenwärtige Recht hat diese verfassungsrechtlich gebotene Funktion der staatlichen Zuschüsse nur unzureichend berücksichtigt. Die rentenversicherungsrechtliche Anhindung der Zuschuß- an die Beitragsentwicklung konterkariert die mit den Bundeszuschüssen ansatzweise aufrechterhaltene Lastengerechtigkeit des Abgabensystems, da sich ihre Zahlung entgegen der verfassungsrechtlichen Forderung nicht an der Höhe der fremdnützigen Lasten orientiert300. Für die Zukunft sollte der Gesetzgeber der Sozialversicherung das Recht einräumen, die gesetzliche Übertragung einer Aufgabe ablehnen zu können, wenn nicht gleichzeitig deren Finanzierung gesichert ist. Dabei sollte er ihr gleichzeitig die Pflicht auferlegen, im Ablehnungsfall einen konstruktiven Neuvorschlag fiir die Finanzierung der geplanten Aufgabe vorzulegen. Die Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung würde dann automatisch erfolgen.
IV. Verfassungsvorgaben für die Organisation der Sozialversicherung Art. 3 I GG legt fest, welche Mittel der Staat mindestens an die Sozialversicherung zahlen muß. Wegen des haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzip mulierung wird der ausgleichenden Funktion der Zuschüsse nicht gerecht; sie erweckt den Eindruck, als ob der Bund mit seiner Beteiligung aus sozialstaatlicher Fürsorge heraus eine regelmäßige dritte Finanzierungssäule der Sozialversicherung errichtet. Das mag politisch so sein. Eine dahingehende verfassungsrechtliche Pflicht gibt es nicht. 300 Vgl. F. Kirchhof, in: Sozialfinanzverfassung, S. 65, 77.
IV. Verfassungsvorgaben ftir die Organisation der Sozialversicherung
207
kann er auch mehr leisten. Das Höchstmaß solcher "freiwilligen" Zuschüsse ergibt sich nicht aus dem Grundgesetz, sondern - das Ergebnis der nachstehenden Ausführungen sei vorweggenommen - aus dem einfachen Sozialrecht Die "freiwilligen" Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger finden ihre Grenzen dort, wo sie die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger tangieren. "Bei der Selbstverwaltung handelt es sich um öffentlich-rechtliche Organisationseinheiten, die gegenüber dem staatsunmittelbaren Behördensystem institutionell verselbständigt, aber gleichwohl dem Staatsverband eingegliedert sind und sich dadurch auszeichnen, daß bestimmte öffentliche Angelegenheiten von den davon besonders berührten Personen, den Betroffenen, eigenverantwortlich (das heißt höchstens unter staatlicher Rechtsaufsicht) verwaltet werden"301. Die staatlichen Zuschüsse sind vor dem letzten der drei konstitutiven Merkmale dieser Begriffsbestimung problematisch: Die eigenverantwortliche Aufgabenerfiillung302 fordert nicht nur "die Beschränkung der staatsbehördlichen Aufsichtstätigkeit auf eine Rechtrnäßigkeitskontrolle" 303 • Sie verlangt darüber hinaus eine weitgehende fmanzielle Unabhängigkeit der jeweiligen Selbstverwaltungskörperschart vom Staat, wenn das in diesem Merkmal enthaltene freiheitssichernde Staatsdistanzprinzip real werden soll. Die Finanzautonomie ist eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung institutioneller Eigenständigkeit. Der Gedanke der Selbstverwaltung wird zunehmend in Frage gestellt, wenn die zu verwaltenden Gelder nicht mehr aus den eigenen Töpfen stammen, sondern aus fremden Quellen fließen. Soweit sich die Sozialversicherungsgemeinschaft durch die Beiträge selbst fmanziert, ist die von der sozialrechtlichen Selbstverwaltung geforderte Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger gewährleistet. Den Beiträgen stehen die staatlichen Zuschüsse als von außen kommende Finanzmittel gegenüber. Sie können die Selbstverwaltung der Sozialversicherung gefährden304. Ihre ständigen Kürzungen potenzieren die Gefahr: Wenn die Bundessozialgesetzgebung die Sozialversicherungsträger schon in Abhängigkeit von Fremdmitteln bringt, sollten sie zumindest mit festen Zu. k alkul"1eren k""onnen305 . we1sungen
301 Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 20; vgl. zum Selbstverwaltungsbegriff ders., a.a.O. Rn. 12 ff. m.w.N. 302 Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 22 f. 303 Hendler, in: HStR, Bd. IV,§ 106 Rn. 36. 304 Vgl. Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 16; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. I 03 f. 305 Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, S. 334 forderte im Interesse der - gemeindlichen - Selbstverwaltung schon 1932 "rechtlich genau umgrenzte Zuweisungen des Staates".
208
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Erfolgt die Bestimmung der Zuschüsse nach dem oben entwickelten Konzept, sind sie auch und gerade im Hinblick auf die Selbstverwaltung der Sozialversicherung unproblematisch. Wenn die Zuschüsse Sozialversicherungsausgaben fmanzieren, die nicht der Versichertengemeinschaft zugute kommen, kompensieren sie die Fremdlasten, die der Bundesgesetzgeber der Sozialversicherung auferlegt hat. Solche Zuschüsse stellen die durch Fremdlasten beeinträchtigte Finanzautonomie der Sozialversicherung wieder her. Darüber hinausgehende Zuschüsse sind als von außen kommende Finanzmittel vielleicht willkommen. Sie kollidieren aber mit der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger. Der Gedanke der Selbstverwaltung der Sozialversicherung dient zur Stimmigkeitskontrolle der abgabenkonzeptionellen Bestimmung der Staatszuschüsse. Aus Art. 3 I GG ergibt sich, in welcher Höhe der Staat mindestens Zuschüsse zahlen muß. Die Gefährdung der Selbstverwaltung der Sozialversicherung markiert die obere Grenze. Ihre rechtliche Einordnung ist freilich fragwürdig: Handelt es sich um eine verfassungsrechtliche oder um eine einfachrechtliche "Schranke"?
1. Festschreibung der mittelbaren Staatsverwaltung? Ob die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger durch Art. 87 II GG oder nur durch die einfachrechtliche Vorschrift des § 29 I SGB IV festgeschrieben ist (hierzu 2), hat in der Literatur - eng in Zusammenhang mit der hiervon aber zu trennenden Frage nach der verfassungsrechtlichen Festschreibung der mittelbaren Staatsverwaltung fiir die Sozialversicherungsträger - immer wieder Anlaß zu Diskussionen gegeben. Die Ergänzung des Art. 87 II GG um einen weiteren Satz im Jahre 1994306 hat der Kontroverse weder ihre Grundlage entzogen, noch die Aussagekraft der Norm im Hinblick auf die Organisationsform der Sozialversicherung entscheidend erweitert. Nach der alten Fassung der Vorschrift ergab sich aus ihrem Wortlaut unzweifelhaft nur, daß Sozialversicherungsträger, deren Zuständigkeit den Bereich eines Landes überschreiten, als bundesunmittelbare Körperschaften zu organisieren waren. Art. 87 II GG a.F. enthielt keine Aussage zur Organisationsform der Sozialversicherungsträger der Länder. Art. 87 II 1 GG stimmt nun mit dem Wortlaut des Art. 87 II GG a.F. überein. Aus dem neu eingefugten Satz 2 folgt, daß das Grundgesetz auch lan-
306 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBI. I S. 3146 ff.).
IV. Verfassungsvorgaben für die Organisation der Sozialversicherung
209
desunmittelbare Sozialversicherungsträger für verfassungsrechtlich möglich hält: Diejenigen Sozialversicherungsträger, deren Zuständigkeit das Gebiet eines Landes, aber nicht von mehr als drei Ländern überschreiten, sind als landesunmittelbare Körperschaften zu führen, wenn die beteiligten Länder die Aufsichtsführung über den Versicherungsträger einem der Länder zuweisen. Damit ist allerdings immer noch nicht geregelt, wie die nur für ein Land zuständigen Sozialversicherungsträger zu organisieren sind. Bei der Neufassung des Art. 87 II GG ging es nicht um die verfassungsrechtliche Kodifizierung des Organisationsbestandes der Sozialversicherung, sondern um die Setzung eines foderalismusfreundlichen Akzents307• Immerhin haben die landesunmittelbaren Körperschaften als nicht nur denkbare, sondern seit jeher existierende Organisationsform der auf Länderebene tätigen Sozialversicherungsträger nun erstmals Eingang in den Verfassungstext gefunden. Der Regelungsinhalt des Art. 87 II GG erschöpft sich aber unverändert in der Festschreibung der mittelbaren Staatsverwaltung der Sozialversicherung auf länderübergreifender Ebene. Die foderalismusfreundliche Neufassung hat für die Organisation der Sozialversicherung auf Länderebene verfassungsrechtlich nichts Neues gebracht. Art. 87 II GG schreibt unverändert nicht vor, daß die nur auf der Ebene eines Landes tätigen Sozialversicherungsträger in mittelbarer Staatsverwaltung zu führen sind. Dies zu regeln, ist Aufgabe des einfachen Gesetzgebers. Verfassungsrechtlich wäre demnach auch eine landesunmittelbare Verwaltung der Sozialversicherung zulässig. Sozialversicherungsverwaltung ist also nicht zwingend mittelbare Staatsverwaltung. Art. 87 II GG enthält vielmehr in alter und neuer Fassung nur - aber immerhin - eine "Richtungsentscheidung"308 für die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherungsträger. Die Vorschrift normiert aber nicht deshalb eine landesunmittelbare Organisation der auf Länderebene zuständigen Sozialversicherungsträger, weil die landesübergreifend zuständigen Sozialversicherungsträger als Iandes- oder bundesunmittelbare Körperschaften zu führen sind. Art. 87 II GG ist auf die Landesversicherungsanstalten nicht unmittelbar anwendbar. Deren Zulässigkeil ergibt sich zum einen aus Art. 74 Nr. 12, 72 II GG. Der Bund kann durch die Sozialgesetzgebung die Art und Weise bestimmen, wie und in welcher Organisationsform die Aufgabe der Sozialversicherung auf Landesebene auszu307 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000, S. 42. Vgl. zur Neufassung Schmidt-B/eibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu!Klein, Kommentar zum GG, Art. 87 Rn. 1, 5 und zu den vorangegangenen Vorschlägen unten 5. Kapitel I l. 308 Vgl. Krebs, in: HStR, Bd. III, § 69 Rn. 56 a.E., der die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherung als durch Art. 87 II GG vorgegeben ansieht und die Vorschrift - anders als hier - nur als Richtungsentscheidung zugunsten eines verfassungsrechtlichen Gebots körperschaftlicher Verfaßtheit der Sozialversicherungträger versteht. Vgl. BVerfGE 11, 105 (123 f.). 14 Kranz
210
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
führen ise09 . Zum anderen berechtigt ihn Art. 84 I GG unmittelbar zur Schaffung von Landeskörperschaften 310•
2. Festschreibung der sozialen Selbstverwaltung? Die Frage geht über die Berechtigung zur Schaffung landesunmittelbarer Sozialversicherungsträger hinaus. Art. 87 II GG schreibt als Organisationsnorm, die in erster Linie die Verwaltungskompetenz von Bund und Ländern abgrenzen will311 , schon nicht eine mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherung fese 12 • Doch selbst wenn dem so wäre: Mittelbare Staatsverwaltung ist nicht gleichbedeutend mit Selbstverwaltung313 • Die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger wird weder durch Art. 87 II GG noch sonst verfassungsrechtlich vorgeschrieben und schon gar nicht garantiert. Für die Sozialversicherung existiert keine mit der institutionellen Garantie des Art. 28 II GG vergleichbare Vorschrift, die den Gemeinden das Selbstverwaltungsrecht verfassungsrechtlich gewährleistet314• Entsprechend Vgl. Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 19. von Einem, DVBI. 1987, S. 979, 981. Ob der Bund hierzu der Zustimmung des Bundesrates bedarf, wurde von BVerfGE 11, 105 (124) offengelassen-entgegen dem eindeutig daflir sprechenden Wortlaut des Art. 84 I GG. Das BVerfG will die Vorschrift überdies auf die Sozialversicherungsträger der Länder nur entsprechend anwenden. 311 BVerfGE 21,362 (371); 39,302 (315); Hendler, in: HStR, Bd. IV§ 106 Rn. 57; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 2 f. 312 BVerfGE 36, 383 (393); 39, 302 (315); Papier, in: SRH, A.3, Rn. 23 ff.; anders aber ders., NZS 1995, S. 241, 242. A.A. ferner F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 1, der a.a.O. in Rn. 3 einräumt, Art. 87 II GG deute die Wahrnehmung der Aufgabe der Sozialversicherung durch Köperschafren mit Selbstverwaltung nur an; Krebs, in: HStR, Bd. III § 69 Rn. 56. Verfehlt die nur bei fallbezogenem Verständnis zutreffende Passage in BVerfGE 63, I (36): Art. 87 II GG normiert entgegen der mißverständlichen Äußerungen des Gerichts nicht eine Unzuständigkeit der Länder flir die Verwaltung "der" Sozialversicherungsträger und bestimmt auch nicht, "daß die [also alle] sozialen Versicherungsträger durch bundesunmittelbare Köperschaften des öffentlichen Rechts zu führen sind". Diese Aussage des Gerichts kollidiert mit Art. 30, 83 GG. Art. 87 II GG fordert auch nicht eine mittelbare Verwaltung durch eigenständige Körperschaften. Das hat des Gericht bereits in E 36, 383 (393) zutreffend anders festgestellt: "Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Aufgliederung in selbständige, voneinander unabhängige und nach dem Selbstverwaltungsprinzip organisierte Versicherungsträger nicht". 313 Vgl. hierzu mit eingehender Begründung nur Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 41 ff. m.w.N. auch zu abweichenden Auffassungen. 314 Vgl. insbesondere BVerfGE 79, 127 (143 ff.) und hierzu nur Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 61 ff. m.w.N. 309 310
IV. Verfassungsvorgaben flir die Organisation der Sozialversicherung
211
fehlen auch Vorschriften, die die Selbstverwaltung der Sozialversicherung315 zusätzlich absichern. Die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie ist justiziell durch die konununale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 I Nr. 4 b GG abgesichert: Die Gemeinden können bei vermeintlicher Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 II GG das Bundesverfassungsgericht anrufen. Finanziell wird ihre Selbstverwaltung durch ihre Beteiligung am Steueraufkonunen gesichert (Art. 106 V- VIII GG)316• Die Sozialversicherung ist im numerus clausus der Selbstverwaltungsgarantien des Grundgesetzes nicht enthalten317. Das Recht zur Selbstverwaltung wird den Sozialversicherungsträgem erst durch das einfache Sozialrecht gewährt (§ 29 SGB IV). Die verfassungsrechtliche Position der Sozialversicherungsträger ist gegenüber staatlichen Eingriffen entsprechend schwächer als die Position der verfassungsrechtlich institutionell abgesicherten Gemeinden318 • Der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 29 I SGB IV, wonach die Träger der Sozialversicherung rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung sind, entspricht keine verfassungsrechtliche V erbürgung319• Art. 87 II GG grenzt als Kompetenznorm nur die Verwaltungszuständigkeit des Bundes und der Länder gegeneinander ab. Sie enthält keine Garantie der sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltung320• Der Bundesgesetzgeber wäre nicht gehindert, die soziale Selbstverwaltung aufzuheben und die Durchführung der gesamten Sozialversicherung in unmittelbarer Staatsverwaltung anzuordnen, solange er dabei das Sozialstaatsprinzip beachtee21 • Das Grundgesetz enthält weder eine institutionelle Garantie der Sozialversicherung, noch eine Garantie ihrer tragenden Organisationsprinzipien, zu denen die Selbstverwaltung zählt322• Art. 87 II GG enthält zwar einen "selbstverwaltungsfreundlichen Regelungsakzent"323. Die Vorschrift setzt für die Selbstverwaltung der Sozialversi315 Zum Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger vgl. die Nachweise bei Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 220 mit Fn. 544. 316 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht § 22 Rn. II. Vgl. zur Finanzhoheit der Kommunen im einzelnen unten 4. Kapitel IV 3 b, 4 b. 317 Hendler, in: HStR, Bd. IV,§ 106 Rn. 55 ff. 318 Broß, SGb 1986, S. 251 f. m.w.N. 3 19 Papier, in: SRH, A.3, Rn. 23; BVerfGE 39, 302 (314). 320 Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, 7. Abschnitt Rn. 220; ausführlich Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 65 ff., 79 f.; w.N. auch zu abw. Meinungen bei Reiter, in: FS Zeidler, 1987, Bd. I, S. 597, 615 Fn. 148 und Schnapp, in: FS Unruh, S. 881,887 Fn. 38. 321 Stößner, Die Staatsaufsicht in der Sozialversicherung, S. 26 m.w.N. zu abw. Auffassungen. Für die Krankenversicherung wie hier BVerfGE 39, 302 (315). 322 BVerfGE 39, 302 (314); vgl. schon oben I I b. 323 H. Bogs, in: Soziale Selbstverwaltung, Bd. I, S. 30.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
cherung gleichsam einen speziellen verfassungsrechtlichen Bezugspunkt. Hierdurch genießt sie einen stärkeren verfassungsrechtlichen Schutz, als die übrige gleichfalls institutionell nicht abgesicherte Selbstverwaltung beispielsweise im gewerblichen oder berufsständischen Bereich324 . Gegen ihre aus praktischen Gründen nicht ratsame, durch einfaches Bundesgesetz aber mögliche Abschaffung ist damit eine auch rechtlich hervorgehobene, vielleicht besonders schützende Barriere errichtet. Sie ist aber nicht verfassungsrechtlich fundiert. Art. 87 II GG stellt nur klar, daß der Sozialgesetzgeber vom Grundsatz der Länderexekutive gern. Art. 30, 83 GG fiir diejenigen Sozialversicherungsträger abweichen kann, deren Zuständigkeitsbereich das Gebiet eines Landes überschreitet; überschreitet der Zuständigkeitsbereich das Gebiet von mehr als drei Ländern, muß er von diesem Grundsatz abweichen. Mehr enthält Art. 87 II GG nicht. Die Organisation der übrigen Sozialversicherungsträger als in mittelbarer Staatsverwaltung der Länder zu führende Selbstverwaltungskörperschaften folgt nicht aus der Verfassung, sondern aus dem Sozialrecht Der vom Bundesverfassungsgericht geprägte verfassungsrechtliche Gattungsbegriff "Sozialversicherung" beinhaltet zwar wie ihre primäre Beitragsfmanzierung die mittelbare Staatsverwaltung und die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger325 • Beide Organisationsprinzipien kennzeichnen die Sozialversicherung und zählen in diesem Sinne zu ihren konstituierenden Organsiationsmerkmalen. Deshalb sind jene aber noch nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Der Gesetzgeber des Grundgesetzes fand die Sozialversicherung in ihrer historisch überkommenen einfachgesetzlich ausgestalteten Form vor. Auf diesem Befund gründete sein Verständnis. Er hat die Sozialversicherung bei der Verfassungsgebung nur wenig berücksichtigt und schon gar nicht verfassungsrechtlich detailliert ausgestaltet. Soweit das Grundgesetz die Sozialversicherung erwähnt, erschöpft sich ihr Regelungsinhalt in der Zuweisung von Kompetenzen. Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Organisationsform der Sozialversicherung vor.
3. Ergebnis Die obere Grenze der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung ist damit nur einfachrechtlicher Natur. Sie verläuft dort, wo die Zahlung von Staatsgeldem die sozialrechtlich fundierte Selbstverwaltung der Sozialversicherung beeinträchtigen.
324 325
Hendler, in: HStR, Bd. IV,§ 106, Rn. 57 Fn. 115, Rn. 65. BVerfGE 11, 105 (113). Hierzu schon oben l. Kapitel Fn. l.
V. Europäisches Gemeinschaftsrecht
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V. Europäisches Gemeinschaftsrecht Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Reche 26 ist der gemeinschaftsrechtliche Normenbestand auf eventuelle Vorgaben oder Schranken fiir die staatlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung hin zu untersuchen. Für die Sozialversicherung sind die Sozialvorschriften der Art. 117 ff. EGV einschlägig. Sie stellen der Gemeinschaft kein rechtlich besonders bedeutsames Instrumentarium zur Verfiigung, um die dort aufgefiihrten Aufgaben durchzufiihren. Die Sozialpolitik soll den Mitgliedstaaten als nationale Domäne vorbehalten bleiben327• Das hat auch die EG-Kommission empfohlen. Die Sozialvorschriften des EGV beschäftigen sich nicht mit Staatszuschüssen zu den sozialen Vorsorgesystemen der Mitgliedstaaten. 1. Art. 92 I EGV als gemeinschaftsrechtliche Schranke?
Die Art. 92 ff. EGV enthalten zwar Bestimmungen über staatliche Beihilfen, die einen Maßstab fiir den Einsatz von Staatszuschüssen bilden könnten. Die einschlägige Vorschrift des Art. 92 I EGV ist aber ersichtlich auf unmittelbare Subventionen an private Wirtschaftssubjekte und nicht auf Staatszuschüsse an Sozialversicherungsträger zugeschnitten: Danach "sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen". Staatszuschüsse zur Sozialversicherung sind generell keine Beihilfen im Sinne dieser Vorschrift. Die Verhandlungsdelegationen haben ausdrücklich anerkannt, daß Leistungen der Staaten an Sozialversicherungsträger keine Beihilfen an Unternehmen sind328 •
BVerfGE 31, 145 (173 f.); 73, 339 (368); 75, 223 (244 f. m.w.N.); 85, 191 (204). von Maydell!Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 349 f.: Jansen, in: Grabitz/Hilf, KEU, Art. 118 Rn. I; Curall/Pipkorn, in: Groeben/ Thiesing/Ehlermann, EWGV, Art. 117 Rn. 1. 328 Ever/ing, in: Wohlfahrt!Everling/Glaesner/Sprung, Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Art. 92, Rn. 2. Genauso offenbar auch Wenig, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWGV, Art. 92, Rn. 4, 7. A.A. auf Grundlage eines weiten Beihilfebegriffs jetzt Vieß, Die Bedeutung des EG-Rechts für die Bundesmittel in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, S. 26. 326
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Der EuGH sieht das anders: Er hat die Frage, wann eine aus staatlichen Mitteln bewirkte Entlastung von Sozialabgaben eine mit Art. 92 I EWGV (jetzt: EGV) unvereinbare Beihilfe ist, in einer insoweit bis heute grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1974 beantwortee29. Eine unvereinbare Beihilfe liege vor, wenn eine Maßnahme "die Unternehmen eines bestimmten Industriezweiges teilweise von den fmanziellen Lasten freistellen soll, die sich aus der normalen Anwendung des allgemeinen Sozialversicherungssystems ergeben, ohne daß diese Befreiun§ durch die Natur oder den inneren Aufbau dieses Systems gerechtfertigt ist" 33 • Danach könnten Staatzuschüsse von Art. 92 I EGV erfaßt sein. Sie senken die Beitragslast der Sozialversicherten und der Arbeitgeber, die die Produktionskosten maßgeblich beeinflußt. Die Zuschüsse fiihren damit zu einer Freistellung von Lasten, die Unternehmen aus der Anwendung des Sozialversicherungssystems entstehen. Der Wortlaut des Art. 92 I EGV ist freilich enger. Für die gemeinschaftsrechtliche Unvereinbarkeit von Staatszuschüssen zur Sozialversicherung müßte es sich um Zuwendungen handeln, die bestimmte Unternehmen oder einzelne Produktionszweige begünstigen. Es geht also nicht nur um eine Lastenfreistellung. Die staatliche Maßnahme muß vielmehr zu einer geziehen unmittelbaren Begünstigung fiihren. Die Begünstigung müßte außerdem eine Wettbewerbsverzerrung bewirken, die den Handel mit den Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Diese Voraussetzungen liegen fiir die Staatszuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung der Bundesrepublik Deutschland nicht vor. Sie begünstigen keine bestimmten Unternehmen oder Produktionszweige gezielt durch eine Sonderunterstützung. Der Staat zahlt die Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger. Das fiihrt in den einzelnen Versicherungszweigen zwar zu einer Senkung der anderenfalls erforderlichen höheren Abgaben. Die Staatsbeteiligung bewirkt eine Beitragsermäßigung zugunsten der Beitragszahler und damit auch der Arbeitgeber. Diese Begünstigung ist wegen der Zuschußzahlung an die Versicherungsträger aber nur eine mittelbare. Das gilt fiir die Senkung der Produktionskosten in den unterschiedlichen Unternehmen und Produktonszweigen, auf die sich die Beitragszahler verteilen, erst recht: Die Beitragsbegünstigung senkt die Produktionskosten erst auf dem Umweg der selbst nur mittelbar begünstigten Beitragszahler. Die Staatszuschüsse bewirken auch nicht die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Hier fehlt es schon an den erforderlichen Vergleichsmaßstäben. Die Sozialversicherungssysteme der Mitgliedstaaten sind derart unterschiedlich ausgestaltet, daß möglicherweise wettbewerbsverzerrende Senkungen der Pro-
329 Hierzu eingehend Vieß, Die Bedeutung des EG-Rechts für die Bundesmittel in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, S. 30 ff. 330 EuGH Rs. 173/73, Slg. 1974, S. 709, 719.
V. Europäisches Gemeinschaftsrecht
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duldionskosten in den verschiedenen Produktionszweigen der Mitgliedstaaten durch die Staatszuschüsse in ihrem Ausmaß kaum überschaubar und schon gar nicht miteinander vergleichbar sind. Das Gemeinschaftsrecht geht von der sozialen Neutralität aus. Es interessiert sich nicht im einzelnen fiir die Gestaltung der sozialen Vorsorgesysteme der Mitgliedstaaten. Deshalb überläßt es ihnen die Entscheidungsfreiheit über die mittelbare Ausgestaltung ihrer internationalen Konkurrenzsituation mittels der Gestaltung der sozialen Vorsorge. 2. Landwirtschaftliche und knappschaftliehe Sozialversicherung als Sooderfälle?331
Für die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung und zur Bundesknappschaft ist die Sachlage nur komplizierter, wenn man sich auf den Ansatz des EuGH einläßt: In der Landwirtschaft und im Bergbau senken die Staatszuschüsse die Abgabenlast und verringern dadurch die Produktionskosteo. Zwar begünstigen die Staatszuschüsse damit nicht- wie fiir Art. 92 I EGV erforderlich- gezielt einzelne Unternehmen332, wohl aber bestimmte Produktionszweige im Sinne einer teilweisen Lastenfreistellung. Es sei dahingestellt, ob der EuGH auch die Staatszuschüsse an die landwirtschaftliche Sozialversicherung und an die Bundesknappschaft hätte erfassen wollen. Geäußert hat er sich hierzu nicht. Jedenfalls folgen die staatlichen Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung nicht nur in der landwirtschaftlichen und der knappschaftliehen Sozialversicherung, sondern in allen Sozialversicherungszweigen der Bundesrepublik Deutschland aus der "Natur" und dem "inneren Anbau" ihres "allgemeinen Sozialversicherungssystems"333 • Es geht bei ihrer Zahlung nicht allein um eine Freistellung der Belastungen der Unternehmen aus der normalen Anwendung dieses Systems, sondern auch und gerade um die Freistellung der Arbeitnehmer. Diese Freistellungen sind aber nicht nur "durch die Natur oder den inneren Aufbau dieses Systems" gerechtfertigt, sie werden durch das allgemeine Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland vielmehr gefordert. Dies System wird durch das Sozialrecht und die Verfassung geprägt, 33 1 Hierzu jetzt eingehend Vieß, Die Bedeutung des EG-Rechts ftir die Bundesmittel in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, S. 44 ff. 332 Nach von Mayde/1/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 375 begünstigt die Gewährung staatlicher Mittel auch den einzelnen Unternehmer, wenn sie einen bestimmten Produktionszweig entlastet. Diese faktische Entlastung wird als bloß mittelbare Begünstigung von Art. 92 I EGV, der die Begünstigung von Unternehmen und Produktionszweigen aber ausdrücklich trennt ("oder"), aber nicht erfaßt. 333 Differenzierter von Maydell!Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 376; Vieß, Die Bedeutung des EG-Rechts ftir die Bundesmittel in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, S. 39 ff.
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3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
insbesondere durch Art. 3 I, 20 I GG. Die Staatzuschüsse entlasten die Beitragszahlet bei der Finanzierung sozialversicherungsfremdnütziger Ausgaben, die der Gesetzgeber der Sozialversicherung auch bedingt "durch die Natur" und den "inneren Aufbau" ihres Systems auferlegt hae34• Die Kompensation solcher Belastungen hat keine wettbewerbsverzerrende Folge, sie stellt die wettbewerbsneutrale Situation wieder her335• Das gilt auch und gerade fiir die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen und knappschaftliehen Sozialversicherung, da das Sozialrecht die berufsständische Gliederung der Sozialversicherung vorgibt und sie aus Sicht der Betroffenen zufällig ist. Die gewandelten Wirtschaftsstrukturen haben die Unternehmen dieser Produktionszweige besonders nachteilig getroffen. Der Staat kompensiert mit seinen Zuschüssen die Beiträge der sinkenden Zahl ihrer erwerbstätigen Mitglieder. Auch aus diesem Grunde sind die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung und zur Bundesknappschaft genauso wie die übrigen Staatszuschüsse zur Sozialversicherung keine Beihilfen im Sinne des Art. 92 I EGV336•
3. Ergebnis Die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung sind mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
VI. Zusammenfassung Es gibt keine verfassungsrechtliche Bundesgarantie fiir die Sozialversicherung. Art. 20 I GG verpflichtet den Staat, den Fortbestand der gegenwärtig durch die Sozialversicherung durchgefiihrten sozialen Vorsorge zu garantieren. Der Sozialgesetzgeber kann in Erfiillung dieser Verpflichtung staatliche Garantien zugunsten der Sozialversicherung normieren. Zahlungen aufgrund dieser Garantien sind Zuschüsse zur Sozialversicherung. Eine verfassungsrechtliche Pflicht, solche Zahlungen ausschließlich an die Sozialversicherung zu leisten, besteht aber nicht. Der Staat kann seine sozialstaatliehen Verpflichtung Vgl. oben III. In diesem Sinne auch von Einem, Agrarrecht 1994, S. 349, 350. Differenzierter und z.T. a.A. Vieß, Die Bedeutung des EG-Rechts für die Bundesmittel in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung, S. 72 ff. 336 Im Ergebnis genauso flir die Zuschüsse zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung von Maydell/Boecken, Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Sozialrechts, S. 376 f.: Die Zuschüsse seien Ausdruck der Einstandspflicht des Bundes zur Funktionsgewährleistung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung als Korrelat seiner Berechtigung zur Schaffung von Pflichtversicherungssystemen. 334 335
VI. Zusammenfassung
217
auch erfüllen, indem er ein neues soziales Vorsorgesystem schafft, das die gegenwärtige soziale Vorsorge durch die Sozialversicherung fortführt. Wegen des haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzips steht es dem Staat jederzeit frei, die Sozialversicherung durch Zuschüsse zu unterstützen. Art. 3 I GG verpflichtet den Staat zur Zahlung von Zuschüssen an die Sozialversicherung, um ihre versicherungsfremdnützigen Leistungen zu fmanzieren. Hierunter sind diejenigen Leistungen zu verstehen, zu deren Gewährung der Sozialgesetzgeber die Sozialversicherung verpflichtet hat, die aber nicht nur den Sozialversicherten aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Sozialversicherung zugute kommen, sondern der Gesamtgesellschaft Diese Einschränkung, die früher im Konzept des § 1389 I RVO dem Ansatz nach zum Ausdruck kam, ist zur Zeit weder im einfachen Recht noch im Verfassungsrecht kodifiziert. Die Staatszuschüsse werden ohne irgendeine Zweckbindung zu den Ausgaben der Sozialversicherung schlechthin fezahlt und dienen auch dazu, ihren steigenden Finanzbedarf zu fmanzieren3 7• Da ihr Anteil an den Einnahmen der Sozialversicherung seit 1989 kontinuierlich ansteigt, wird die Sozialversicherung zunehmend aus Steuergeldem fmanziert und der Beitrag als Finanzierungsmittel der Sozialversicherung zurückgedrängt. Diese Entwicklung nimmt in steigendem Maße die Gemeinschaft der Steuerzahler zugunsten der mit ihr nicht deckungsgleichen Gemeinschaft der Sozialversicherten in Anspruch. Staatliche Zuschüsse sind als allgemeines Finanzierungsmittel der Sozialversicherung zwar nicht schlechthin verfassungswidrig. Art. 3 I GG verpflichtet den Staat sogar in den gezogenen Grenzen zur Zahlung solcher Zuschüsse - die von der Regierungskoalition vorgeschlagene Streichung des Zuschusses zur Arbeitslosenversicherung wäre verfassungswidrig338. Die skizzierte Entwicklung verstößt aber durch die Inanspruchnahme von Steuermitteln für Leistungen der Sozialversicherung in umgekehrtem Sinne gegen das Äquivalenzprinzip, wenn Steuergelder versicherungs(eigen)nützige Leistungen fmanzieren: Das widerspricht genauso wie die Finanzierung versicherungsfremdnütziger Leistungen aus Beitragsmitteln dem
337 Da der Abgabenwiderstand gegenüber Beiträgen niedriger ist, ist es finanzpsychologisch sinnvoller, den zunehmenden Finanzbedarf der Sozialversicherung durch Beitragserhöhungen aufzufangen, als durch steuerfinanzierte Staatszuschüsse. Denn im Gegensatz zur Steuer erhält der Versicherte flir seinen Beitrag den Versicherungsschutz als Gegenleistung. Das erweckt den Eindruck gerechterer Lastenverteilung; m.w.N. Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 166; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 34 Fn. 96; vgl. ferner Schmäh/, in: Beiträge zur Reform der Rentenversicherung, S. 219, 242; ders., DRY 1981, S. 195, 196; sowie die soziologische Untersuchung der Beitragsfinanzierung der Sozialversicherung durch Braun, in: Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, S. 351 , insbes. 360 ff. 338 Hierzu oben III 3 b cc (1), c und 1. Kapitel li 2.
218
3. Kapitel: Die Verfassungsmäßigkeit der Staatszuschüsse
Versicherungscharakter der Sozialversicherung und kollidiert überdies mit der sozialrechtlichen Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger gern. § 29 I SGB IV, die die Höhe der Zuschüsse nach oben hin begrenzt. Der Sozialversicherung ist nicht geholfen, wenn sie sich auf staatliche Zuschüsse verlassen muß, deren Zahlung in das freie Ermessen des Haushaltsgesetzgebers gestellt ist. Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, daß Art. 3 I GG den Staat vielmehr in klar umrissenen Grenzen zur Zuschußzahlung verpflichtet. Sofern man der Verfassung das sog. Versicherungsprinzip entnimmt, bedarf die vorgenommene Einschränkung keiner verfassungsrechtlichen Regelung. Da hierüber jedoch gestritten wird, ist eine verfassungsrechtliche Kodifizierung in Konkretisierung von Art. 3 I GG wünschenswert. Das trüge auch dem Sicherheitsbedürfuis der Bevölkerung Rechnung. Die Finanzmisere der Sozialversicherung und die Diskussion um die Verteilung der Finanzverantwortung für das soziale Sicherungssystem zwischen Steuer- und Beitragszahlern hat die Bevölkerung stark verunsichert. Eine verfassungsrechtliche Klarstellung ist sinnvoll. Um den Sozialgesetzgeber nicht mehr als nötig und sozialstaatlich zulässig339 einzuengen, ist die verfassungsrechtliche Normierung einer staatlichen Zuschußpflicht unter den Vorbehalt einer sozialrechtlichen Beitragsfmanzierung der sozialen Vorsorge zu stellen. Nur solange der Staat die soziale Vorsorge als Sozialversicherung regelt, verpflichtet ihn Art. 3 I GG zur Zuschußzahlung. Eine Konkretisierung dieser Verfassungsvorschrift darf nichts weitergehendes regeln, um die Erhaltung der Flexibilität des Sozialstaats nicht zu gefahrden. Das gebietet das Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG. Wenn der Gesetzgeber die staatliche Verpflichtung zur Leistung von Zuschußzahlungen hinreichend präzise bestimmt, stellen die Zuschüsse die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger nicht in Frage, da sie ihre Belastung durch versicherungsfremdnützige Leistungen ausgleichen. Derartige Zuschüsse gefährden die Selbstverwaltung nicht, sondern sichern ihren Bestand. Auch aus diesem Grunde sollte die staatliche Verpflichtung zur Leistung von Zuschüssen an die Sozialversicherung verfassungsrechtlich fixiert werden340. Mit dem Ergebnis, daß Art. 3 I GG den Staat zur Zahlung von Zuschüssen an die Sozialversicherung verpflichtet, ist noch keine Aussage darüber getroffen, welcher staatlichen Ebene die Finanzierungslast obliegt. Das gilt gleichermaßen für die Zuschüsse aufgrund der einfachgesetzlichen Garantien und für die freiwilligen Zuschüsse.
339 Vgl. oben I I b. 340 Vgl. hierzu den Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzesam Ende des 5. Kapitels der Untersuchung.
VI. Zusammenfassung
219
Vor den Grundrechten steht der Staat dem Bürger als Einheitsstaat gegenüber. Die grundrechtliehen Ansprüche des Bürgers richten sich nicht gegen eine bestimmte bundesstaatliche Ebene, die allein durch die Grundrechte nicht verpflichtet wird. Die Grundrechte begründen Staatsaufgaben. Sie verpflichten die öffentliche Gewalt global. "In der bundesstaatliehen Ordnung des Grundgesetzes, in der die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse zwischen Bund und Ländern kompetentiell aufgeteilt ist, binden die Grundrechte bei der Wahrnehmung bestehender Kompetenzen, begründen jedoch nicht selbst Kompetenzen" 341 . Art. 3 I GG statuiert mit der Erstattungspflicht die Zuschußzahlung als Staatspflicht Aus ihr folgt noch nicht die Kompetenz. Die Zuschußpflicht knüpft gleichsam als Annex an die staatliche Aufgabe der sozialen Vorsorge an. Ist die Existenz einer Staatsaufgabe festgelegt, ist ihre Ausfiihrung innerhalb des staatlichen Organisationsgefüges einer bestimmten Organisationseinheit zuzuweisen342 . Die Verteilung der bundesstaatliehen Zuständigkeit fiir die Ausführung von Staatsaufgaben ist Gegenstand der grundgesetzliehen Kompetenzordnung (Art. 30, 70 I GG). Art. 3 I GG verteilt auch nicht die Finanzverantwortung. Die Verteilung der Finanzverantwortung fiir die Ausführung von Staatsaufgaben auf Bund und Länder ist Gegenstand der Finanzverfassung (Art. 104 a ff. GG).
BVerfGE 81, 3 10 (334). Zur Differenzierung zwischen Staatsaufgabe und Kompetenz /sensee, in: HStR, Bd. III, §57 Rn. 141; ders., in: HStR, Bd. V,§ III Rn. 148; ders., DVBI. 1995, S. I, 3 ff.; P. Kirchhof, in: HStR, Bd. III, § 59 Rn. 17 ff. 341
342
4. Kapitel
Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung Die Verfassung verteilt die Finanzverantwortung1 fiir die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung nur z.T. Außerhalb der Finanzverfassung normiert die Spezialvorschrift des Art. 120 I 4 GG fiir die kriegsbedingten Zuschüsse zur Sozialversicherung die Finanzierungskompetenz des Bundes. Die h.M. entnimmt der Vorschrift darüber hinaus als Selbstverständlichkeit, daß der Bund auch alle übrigen staatlichen Zuschüsse an die Sozialversicherung zahlen muß2 • Das entspricht auch der vorherrschenden Meinung in der politischen Öffentlichkeit. Die Finanzverantwortung fiir die Defizite der Sozialversicherung treffe 1 Im folgenden werden die Begriffe Finanz- oder Finanzierungsverantwortung, Ausgabenverantwortung, Ausgabenkompetenz und Finanzierungskompetenz meist als Synonyme verwandt; ähnlich umfassend auch Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 10, differenzierter, in der Sache aber genauso Rietdorf, DÖV 1953, S. 225 ff., der die Finanzverantwortung in eine "Deckungs-" und in eine "Ausgabenverantwortung" unterteilt; Ludwig, Der Städtetag 1953, S. 141 ff. spricht von einer zusätzlichen "Deckungsverantwortung". Kaufmann, Die Reichsreform 1933, S. 324 ff. formulierte schon früh den Begriff "Finanzverantwortung", der im folgenden aus noch näher darzulegenden Gründen vornehmliehe Verwendung finden wird; vgl. unten IV 4 b bb. Differenzierter neuerdings F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 9 f, der die Finanzverantwortung als Oberbegriff verwendet und in die Finanzierungslast, Finanzierungskompetenz und Transferbefugnis unterteilt. 2 BVerfGE 14, 221 (235 f.); BSGE 34, 177 (179); F. Kirchhof, in: Sozialversicherung- Organisatorische Gliederung und funktionale Einheit der Sozialverwaltung, S. 59, 75; ders., DRY 1989, S. 32, 39; ders., in: FS Dürig, S. 447, 459 ff.; ders., in: HStR, Bd. IV,-~ 93, Rn. 31 ff. m.w.N.; ders., Gutachten zum 61. DJT, TyposkriptS. 38 f.; Klein, in: Offentliches Finanzrecht, S. I, 13; Schaefer, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 120 Rn. 17; Bieback, VSSR 1993, S. I, 16; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 73, 126, 216 f.; Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 9 ff., 19 ff. Kritisch, im Ergebnis aber genauso Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 12, 38; kritisch früher auch schon Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 674; 1955, S. 261, 264; 1956, S. 161, 169; Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 365; Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 196 ff.; TroegerGutachten, S. 55 Tz. 216. A.A. Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. 10 I; Diemer, VSSR 1982, S. 31 ff.
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
221
den Bund, denn er sei für die Sozialpolitik und damit für eventuell entstehende Finanzlücken verantwortlich. Die politische Tagesdiskussion bringt die Haushaltslöcher der Sozialversicherungsträger in der Regel mit dem Arbeits- und Sozialminister in Verbindung, der sich hierzu in periodischen Abständen medienwirksam zu Wort meldet. Die Landesminister beziehen hier wesentlich seltener Stellung. Auch die Rentenversicherungsträger der Länder verhalten sich eher zurückhaltend. Ihr Sprachrohr ist der Verband der Rentenversicherungsträger (VDR), ein Bundesverband, der die landesspezifischen Probleme der Landesrentenanstalten interessengerecht bündelt und - in den Augen der Öffentlichkeit - damit auf dieselbe staatliche Ebene transferiert, auf der die BfA und die BA ohnehin angesiedelt sind: auf die Bundesebene. Hier werden die finanziellen Probleme der Sozialversicherungsträger in aller erster Linie thematisiert. Daß die Beitragsbescheide der Arbeiterrentenversicherung und der Krankenversicherung von landesunmittelbaren Sozialversicherungsträgem stammen, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Sie werden den Versicherten selten genug zugestellt und ihr Aussteller wird oft nicht wahrgenommen. In die Zeitung schaut man häufiger und es gibt Zeiten, in denen keine Nachrichtensendung die Schilderung der düsteren fmanziellen Lage der Sozialversicherung versäumt. Von daher ist es wenig erstaunlich, wenn der Bürger die Sozialversicherung meist mit dem Bund in Verbindung bringt. Über die Finanzverantwortung entscheidet aber nicht die öffentliche Meinung, sondern die Verfassung: Art. 120 I 4 GG weist dem Bund als Spezialvorschrift nur die Finanzierungspflicht für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung zu. Außerhalb seines Anwendungsbereiches richtet sich die Verteilung der Finanzverantwortung für die übrigen Zuschüsse nach den allgemeinen Vorschriften (hierzu II). Der verfassungsrechtliche Befund zur Finanzierungszuständigkeit für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung führt entgegen der ganz h.M. in der Literatur (hierzu III) nicht dazu, dem Empfmden der öffentlichen Meinung in einer ausschließlichen Finanzierungskompetenz des Bundes Ausdruck zu verleihen. Die Finanzverfassung schreibt sie nicht vor. Und auch die anderen Verfassungsvorschriften und -prinzipien sprechen gegen eine Finanzverantwortung des Bundes. Nach dem bundesstaatliehen Subsidiaritätsprinzip kommen in erster Linie die Länder fiir die Erfüllung der staatlichen Zuschußpflicht zur Sozialversicherung in Betracht.
222
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes3 Entgegen der ganz h.M. war schon die verfassungsmäßige Begründung einer ausschließlichen Finanzierungkompetenz des Bundes fiir die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung nach Art. 120 I 4 GG keineswegs unumstritten. Die Entstehungsgeschichte zeigt deutlich, daß der Verfassungsgesetzgeber die Finanzierungsverantwortung fiir diese Zuschüsse nicht bedenkenlos nur beim Bund begründen wollte. Auch eine Finanzierungkompetenz der Länder wurde in Erwägung gezogen4 • 1. Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee Die drängende Problematik der Bewältigung der Nachkriegssituation prägte die Beratungen auf dem Herrenchiemseer Konvent und im Parlamentarischen Rat. Im Vordergrund standen die Kriegsfolgelasten und - bezogen auf die Sozialversicherung - deren kriegsbedingte Belastungen. Konsequent erörterten die Beteiligten die Frage der Finanzierungskompetenz nur fiir diese Lasten. Die Begründung des Art. 121 HChE geht auf die Finanzierungsverantwortung für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung nicht ein5 • Schon in der zweiten Plenarsitzung des Herrenchiemseer Konvents kommen in den Ausführungen des Mitarbeiters Küster erhebliche Bedenken gegen eine Finanzierungsverantwortung des Bundes für die Zuschüsse zur Sozialversicherung zum Ausdruck. Im Zentrum der Debatte über Finanz- und Wirtschaftsfragen stand die Frage, "welche fmanziellen Ausgaben( ...) dieser Übergangsstaat zu leisten" haben sollte6 . Das war fiir den übergangsweisen Charakter der zu treffenden Regelung bezeichnend. Küster entgegnete auf den zwar eher zentralistischen, aber gleichermaßen kritischen Beitrag seines Vorredners Brill7: 3 Vgl. hierzu schon oben 2. Kapitel III I, 2 und zum folgenden auch die Darstellung der Entstehungsgeschichte des Art. 120 GG bei Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. I, die wie hier schwerpunktmäßig die Begründung der Finanzierungskompetenz des Bundes behandelt - allerdings flir den gesamten Regelungsinhalt des Absatzes I der Vorschrift. 4 Das übersieht Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 45 ff. 5 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, B) Darstellender Teil, S. 53 f.; vgl. oben 2. Kapite!III I. 6 Hermann Brill, Staatssekretär und Chef der hessischen Staatskanzlei (SPD), Delegierter für Hessen, in der 2. Plenarsitz. vom 11.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 110. 7 Brill, ebd., S. 111: "Selbst wenn alle Aufgaben, die ich unter dem Sarnmeltitel der Reichsschuldenverwaltung betrachtet habe, einmal erledigt sind(... ), wird die soziale Sicherung des deutschen Volkes weitere große Ansprüche an die Gesamtkasse stellen. ( ...)
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
223
"Wir sind uns alle darüber einig, daß die großen, jetzt auf uns lastenden finanziellen Probleme, wie Kriegsschädenausgleich, Besatzungskosten und Reparationen, Gesamtaufgaben sind, deren Regelung der Bund nicht einfach den Ländern oder Gemeinden überlassen kann. Dies würde aber zunächst nur heißen, daß von Bundes wegen eine gesetzgebensehe Lösung notwendig ist. Keineswegs ist damit aber gesagt, daß es sich um Probleme handeln muß, die notwendig über die Bundeskasse laufen ( ...) [wird für verschiedene Kriegsfolgeschäden näher ausgeflihrt]. Dadurch wird die von uns nicht gewünschte Folgerung vermieden, daß das betreffende Problem über die Bundeskasse läuft. Dies gilt erst recht for solche Aufgaben, die nicht zu den einmalig übernommenen gehören, sondern die Daueraufgaben wären, wie die Sozialversicherung, die Altersversorgung oder sonstige Rentenversicherungen. Auch da wird niemand daran zweifeln, daß der Bund die Tendenz hat, auf diesem Gebiet der Sozialversicherung Gesetze zu erlassen. Diese würden aber dahin zu lauten haben, daß auf Länderbasis Sozialversicherungsanstalten gegründet werden, die unter der Aufsicht der Länder stehen und deren Finanzierung Sache der Länder wäre. Dann könnte kaum der Fall eintreten, daß ein Land wesentlich über den Durchschnitt belastet ist. Sollte er wirklich eintreten, bestünde Gelegenheit zu einer Zuschußzahlung an das besonders belastete Land. Damit würde aber keine Lösung gewählt, die dies zu einer kassen- und finanzmäßigen Angelegenheit des Bundes macht. Gerade die Art und Weise, wie die Sozialversicherung fast von selbst unter die Aufgaben des Bundes hereingeschoben wurde, zeigt, wie vorsichtig man sein muß" 8 .
Die Reaktion auf die hier zu Recht angemeldeten Bedenken macht auf geradezu frappierende Weise deutlich, welchen Stellenwert man derartigen Überlegungen beimaß: Der Delegierte Baade brach die weitere Erörterung der Ausfiihrungen Küsters mit der Begründung ab, man käme hier zu einer Frage, "die im wesentlichen wissenschaftlicher Natur" set Anschließend folgen Ausruhrungen zur düsteren wirtschaftlichen Situation Nachkriegsdeutschlands, das als Notgemeinschaft nach einer zentralen Wirtschafts- und Finanzpolitik verlange10. Hier wird offenbar, wie sehr man unter dem Eindruck der drängenden und eher faßbaren Probleme eine tiefergehendere Beschäftigung mit der Lasten-
Das Deutsche Reich hat schon früher 450 bis 600 Millionen Mark in die Invalidenversicherung hineingeschossen, die sich niemals nach dem Versicherungsprinzip getragen hat. Es ist eine Frage der Gesetzgebung, ob das so weitergehen soll oder ob nicht andere Organisationen geschaffen werden sollen, ob das soziale Risiko im deutschen Volk nicht besser verteilt werden kann"; vgl. ders., ebd., S. 121 . Zentralistischer auch für die Sozialversicherung später in derselben Debatte Otto Suhr, Stadtverordnetenvorsteher in Berlin (SPD), Delegierter für Berlin, in der 2. Plenarsitz. vom 11.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 118. 8 Rechtsanwalt und Abteilungleiter im Justizministerium von Württemberg-Baden Otto Küster, in der 2. Plenarsitz. vom 11.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 112 f. (Hervorhebungen vom Verf. ). 9 Fritz Baade, Direktor des Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Delegierter für Schleswig-Holstein, in der 2. Plenarsitz. vom 11.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 113. 10 Baade, ebd., S. 113 ff.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
verteilung jedenfalls für den Bereich der Sozialversicherung in den Hintergrund stellte - eine aus damaliger Sicht vielleicht verständliche Haltung. Für die Kriegsfolgelasten war das Problembewußtsein schärfer. Hier wurde die bundesstaatliche Lastenverteilung zu einer der am meisten und heftigsten diskutierten Fragen. Der Bremer Bürgermeister und Senator Spitta leitete die Kontroverse ein: "Ich bitte sich dann noch folgende grundsätzliche Frage zu überlegen und im Ausschuß zu erörtern: Es wäre auch politisch von Vorteil, wenn die Länder an den Besatzungskosten nicht nur durch Vermittlung des Bundes, sondern zu einem kleinen Teil auch unmittelbar interessiert wären. Es käme dann dazu, daß die elf Landtage scharfe Debatten über die Besatzungskosten führen und auch die Regierungen der Länder mit der Besatzungsmacht fortgesetzt über diese Frage verhandeln würden. Auch stehen die Länder - wenigstens ist es in Bremen so - dem Apparat der Besatzungsmächte näher und können besser beobachten, wo gesündigt wird. Und es wird gesündigt. Die Fehler, die hier begangen werden, und die Verschwendung, die auf Besatzungskosten betrieben wird, können von den Ländern, die nahe dabei sind, besser aufgedeckt und kontrolliert werden als von dem darüberstehenden Bund. So bitte ich denn zu überlegen, ob nicht ein Teil der Besatzungskosten, etwa 10 Prozent, bei den Ländern als Last verbleiben soll" 11 • Die Diskussion über eine derartige Interessenquote erstreckte sich in der Folgezeit nicht nur auf die Besatzungskosten, sondern auf sämtliche Kriegsfolge- und einige weitere -lasten. Hierbei sprachen die Beteiligten mehrfach eine mögliche Beteiligung der Länder an den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung an. Für diese Lasten war eine ausschließliche Finanzierungskompetenz des Bundes besonders umstritten, da auch eine alleinige Finanzierungskompetenz der Länder in Betracht kam.
2. Parlamentarischer Rat Im Finanzausschuß des Parlamentarischen Rates plädierte der als Sachverständige geladene hessische Finanzminister Hilpert als erster für die Einfiihrung einer quotalen Beteiligung der Länder, zunächst jedoch nur an den Besatzungskosten: "Der Trend zum erhöhten Aufwand verstärkt sich, je höher man hinaufsteigt. Jede Verwaltung, die auf einem etwas niederen Niveau steht, die etwas mehr in der Blicknähe steht(...) [,] ist weniger aufwendig. (... )Dieser Trend zum erhöhten Aufwand (... )hat uns auch dazu veranlaßt, (...)wieder sehr eingehend zu prüfen, ob es, wenn man dazu kommen sollte, dem Bund die Besatzungskosten zu übertragen, nicht zumindest flir eine Übergangszeit zweckmäßig wäre, die Länder mit einer Interessen11 Theodor Spitta, Bürgermeister und Senator flir Justiz und Verfassung in Bremen, Delegierter ftir Bremen, in der 2. Plenarsitz. vom 11 .8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 116 f.
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
225
quote zu beteiligen. Die Nähe, die Beobachtung dessen, was vorgeht - ich will nicht meinem Kollegen Dr. Kraus die Pointe vorwegnehmen, vielleicht hat er sie eingangs gebracht, die Schuhplattlertänzerin in Berchtesgaden mit einem Riesengehalt pro Monat -, alle diese Dinge, die sich unten unmittelbar abspielen, werden natürlich, wenn sie nach oben kommen, wo man sich bekanntlich nur mit den großen entscheidenden Fragen beschäftigt, untergehen. Die praktische Nähe wird dadurch wegfallen. Es ist daher richtig, wenn man überhaupt zu der Übertragung der Besatzungskosten käme, doch vielleicht eine gewisse Interessenquote zu halten und ein ganz bestimmtes Sprachrohr, ein vielfältiges und besseres Sprachrohr, als es jemals wahrscheinlich ein Bundesparlament sein könnte, zu erhalten" 12. Für die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung stellte der Finanzausschuß erstmals in seiner 7. Sitzung die Frage nach der Finanzierungskompetenz13. Aus der kontroversen Diskussion erhellt, daß eine Finanzverantwortung des Bundes keineswegs selbstverständlich war: Der Sachverständige Hartmann wies bezüglich der kriegsursächlichen Fürsorgelasten mehrfach darauf hin, er halte "es in keiner Weise für geboten, diese kriegsursächlichen Fürsorgelasten irgendwie auf den Bund zu übernehmen". Zu diesen Lasten zählte der Parlamentarische Rat wie schon der Herrenchiemseer Konvent entgegen der herkömmlichen Terminologie auch verschiedene kriegsursächliche Lasten der Sozialversicherung14. Weiter führte Hartmann aus: "Die Renten der Körperbeschädigten werden jetzt von den Ländern gezahlt. Warum soll es dabei nicht bleiben?" 15. Dem hielt der Abgeordnete Seebohm entgegen, "daß sich nach Durchführung des Lastenausgleichs eine ganze Reihe von zusätzlichen Kosten ergeben werden, die nach meiner Auffassung nicht den Ländern angelastet werden können, weil sonst eine verschiedenartige Belastung der Länder herauskommt und wir den Finanzausgleich unerhört erschweren. Man sollte darauf abstellen, den Finanzausgleich so einfach und so leicht wie möglich zu machen, indem man so viel wie möglich dieser von der Allgemeinheit zu tragenden Kosten auf den Bund übernimmt und dem Bund dafür die entsprechenden Einnahmen zuweist. Sonst kommen wir nie zu einer Klarheit, sonst werden sich große Schwierigkeiten ergeben" 16. Der stellvertretend als Vorsitzender amtierende Abgeordnete Dr. HöpkerAschoff faßte die Diskussion zusammen. Hierbei kam er auf eine mehrfach erörterte Beteiligung der Länder an den kriegsbedingten sozialen Belastungen zu sprechen:
12 PariR. FinAussch. 6. Sitz. vom 23.9.1948, Sten.Prot. S. 32 f., mit z.T. unleserlichen handschriftlichen Korrekturen, die ein zweifelsfreies Zitat nicht ermöglichen. Vgl. für eine Beteiligung der Länder an den Besatzungskosten die Ausführungen des gleichfa11s als Sachverständigen geladenen bayerischen Finanzministers Kraus in ders. Sitz., Sten.Prot. S. 84 ff. Zu den Interessenquoten ferner PariR. FinAussch. 7. Sitz vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 185; 10. Sitz. vom 30.9.1948, Sten.Prot. S. 12 f., 31 ff. 13 PariR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 190 ff. 14 Vgl. oben 2. Kapitel III l. 15 PariR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 191. 16 PariR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 197 f. (Hervorhebung vom Verf.). 15
Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz fl.ir die Staatszuschüsse
"Es ist von verschiedenen Herren hervorgehoben worden, insbesondere von Minister Hilpert, daß, wenn man die Besatzungskosten und die sozialen Lasten, die kriegsbedingt sind, auf den Bund übernimmt, man unter allen Umständen die Länder mit einer erheblichen Interessenquote beteiligen muß - es wurde der Satz von 25% genannt-, weil sie die Verwaltung haben und weil es von entscheidender Bedeutung ist, daß sie im Interesse der Sparsamkeit finanziell interessiert sind" 17. Bei der Diskussion um die Interessenquoten ging der Finanzausschuß auf die Sozialversicherung eher am Rande ein. Schon nach kurzer Zeit zogen die Beteiligten eine quotale Beteiligung der Länder an den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung nicht mehr in Erwägung 18 • Die Diskussion zeigt aber, daß der Verfassungsgeber die Frage der Finanzierungskompetenz im Bundesstaat auch für die Sozialversicherung stellte. Er hielt eine Finanzierungskompetenz des Bundes für die in der Verwaltungszuständigkeit der Länder liegenden Sozialversicherungsträger keinesfalls für selbstverständlich. Die Erläuterungen der vom Finanzausschuß angenommenen und an den Hauptausschuß weitergeleiteten Fassung des Art. 122 weisen auf die Möglichkeit der vorgelegten Fassung hin, die Länder an den dort genannten Lasten zu beteiligen 19• Das bezieht sich auch auf die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Der Hauptausschuß betonte in seiner I. Lesung entgegen der im Allgemeinen Redaktionsausschuß wiederholt vertretenen Auffassung20 den konstitutiven Charakter des Art. 122 für die Zuschüsse zur Sozialversicherung. Offenbar gingen die Beteiligten von einer fmanziellen Zuständigkeit der Länder aus. Anderenfalls hätte es ausgereicht, Art. 122 eine lediglich deklaratorische Wirkung beizumessen. Gerade dies war aber nicht gewollt. Das folgt aus den Ausführungen des Vorsitzenden Schmid und dem weiteren Verlauf der Diskussion: "Ich habe Artikel 122 so verstanden, als ob durch die Fassung zum Ausdruck gebracht werden soll, daß bestimmte Ausgaben zur Bundeskompetenz gehören. Deswegen enthält diese Bestimmung nicht nur eine deklaratorische Aufzählung, sondern sie ist eine konstitutive Festsetzung. Sie sagt nämlich, daß Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten zur Zuständigkeit des Bundes gehören, ferner, daß die Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfiirsorge, soweit es sich um Zu17 PariR. FinAussch. 10. Sitz. vom 30.9.1948, Sten.Prot. S. 33, vgl. auch schon S. 31 f. (Hervorhebung vom Verf.). 18 Vgl. hierzu die Erläuterung des Vorschlags des Abg. Dr. Höpker-Aschoffin der 13. Sitzung des Finanzausschusses vom 6.10.1948 zu Art. 122, Sten.Prot. S. I, 4; vgl. zu diesem Vorschlag und seinem Wortlaut schon oben 2. Kapitel III 2 mit Fn. 74 f. 19 PariR. Drs. 176111, S. I f.; vgl. oben 2. Kapitel Ill 2. 20 Anm. des Allgemeinen Redaktionsauschusses zum Entwurf des Art. 122, Par!R. Drs. 324, S. 3 (Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, S. 74) und Anm. I des Allgemeinen Redaktionsauschusses zum Entwurf des Art. 122, ParlR. Drs. 374 (Der Parlamentarische Rat, Bd. 7, S. 182): "Diese Vorschriften haben keine konstitutive Bedeutung"; vgl. hierzu schon oben 2. Kapitel III 2.
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
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schüsse dazu handelt, Sache des Bundes sind und nicht Sache der Länder. Das
scheint mir der Sinn der Fassung zu sein". Hierauf räumte Höpker-Aschoff ein, "daß es ungewöhnlich ist, etwas Derartiges in eine Verfassung hineinzuschreiben. Wir sind hier einem Wunsch der Länder gefolgt. ( .. ) Außerdem haben diese Bestimmungen eine materielle Bedeutung. Sie bringen ein Stück Lastenausgleich zum Ausdruck. Sie sollen eben ausdrücken, daß diese wesentlichen Ausgaben vom Bund getragen werden sollen und bieten insofern eine Begründung dc:for, daß wir im Finanz-
ausgleich dem Bund erhebliche Steuereinnahmen zuweisen" 2
•
Auch in der 2. Lesung des Hauptausschusses gingen die Beteiligten von der grundsätzlichen Finanzierungszuständigkeit der Länder aus: Höpker-Aschoff wollte die "Zuschüsse zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung" als "gewisse Aufgaben und Ausgaben zu Gesamtaufgaben und -ausgaben des Bundes" gemacht wissen22 • Hätte es sich bei ihnen um genuine Bundesaufgaben gehandelt, wäre es jedenfalls nicht erforderlich gewesen, in der Aufzählung des Art. 122 "ein großes Stück Finanzausgleich" verwirklicht zu sehen. Dann wäre die Bestimmung überflüssig gewesen. Der Hauptausschuß stellte sich im Gegenteil bewußt und ausdrücklich gegen die vorn Allgemeinen Redaktionsausschuß festgestellte deklaratorische Funktion des Art. 12223 und betonte- wie schon in der 1. Lesung - den konstitutiven Charakter der Vorschrift. Das bezog sich auch und gerade auf die Frage der Finanzverantwortung. Bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat war man sich der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung zwar bewußt. Die Beteiligten hielten aber einen Krieg - wie schon der Herrenchiernseer Konvent - für eine außenpolitische Angelegenheit und deshalb den Gesamtstaat für zuständig24, wenn es um die Finanzierung der aus den Kriegsfolgen erwachsenden Aufgaben ging, auch wenn diese von den Ländern durchzuführen waren. Diese unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wie auch später ganz herrschende Ansicht erschien vielen so selbstverständlich, daß sie nicht weiter begründet wurde25 . Folgende Äußerung Troegers aus dem Jahre 1948 ist bezeichnend:
21 ParlR. HptAussch. 14. Sitz. vom 2.12.1948 (2. Lesung), Sten.Prot. S. 167; (Hervorhebung vom Verf.). 22 PariR. HptAussch. 41. Sitz. vom 15.1.1949 (2. Lesung), Sten.Prot. S. 513. 23 Vgl. oben Fn. 20. 24 Vgl. schon oben 2. Kapitel III 1, 2 und flir den Verfassungskonvent auf Herrenchiernsee beispielsweise Spitta, 2. Plenarsitz. vom 11 .8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 116. 25 So z.B. BGHZ 11, 43 (53); 13, 81 (85); Rösener, NJW 1962, S. 1995, 1997. Übersicht über die entsprechende Gesetzgebung vor dem 2. Weltkrieg bei Höcker, BB 1959, S. 1076 und BGHZ 11,43 (53). Vgl. ferner Sander, DRV 1968, S. 371,380.
228
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
"Der Krieg ist von allen Teilen der Bevölkerung und von allen Ländern des Deutschen Reiches verloren worden, er muß deshalb in seinen Folgen alle Teile des deutschen Volkes möglichst gleichmäßig treffen" 26•
Entsprechend sollte der Bund übergangsweise27 auch die kriegsbedingten Verluste der Sozialversicherung tragen, nicht aber die Versichertengemeinschafe8. Der Regelungsinhalt des heutigen Art. 120 I 4 GG sollte ausweislich der Beratungen im Parlamentarischen Rat klarstellen, daß vom zunächst nicht verfassungsmäßig verankerten Prinzip der Konnexität von Verwaltungs- und Ausgabenverantwortung (erst 1955 angedeutet in Art. 106 IV 2 Nr. 1 GG a.F. 29 und 1969 kodifiziert in Art. 104 a I GG30 übergangsweise abgewichen werden und der Bund die Finanzierung der spezifisch kriegsfolgebedingten Lasten den Ländern abnehmen sollte32 • Nach dieser bis heute geltenden Leitlinie fiir die bundesstaatliche Lastenverteilung richtet sich die Finanzierungs- nach der Verwaltungskompetenz33 • Da die Beratungen fiir die Sozialversicherung von einer Verwaltungskompetenz der Länder ausgingen, war die Finanzierungskompetenz der Länder die zwangsläufige Folge. Das galt auch fiir die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Art. 120 I GG a.F. sollte fiir diesen Bereich ausnahmsweise eine Finanzierungskompetenz des Bundes regeln. Das ergibt sich zum einen aus dem Bedürfnis, dem Regelungsinhalt der Vorschrift einen konstitutiven Charakter beizumessen. Eine Finanzierungskompetenz des Bundes wurde offenbar keineswegs fiir selbstverständlich gehalten. Vielmehr hielt man deren Anordnung fiir notwendig. Zum anderen erhellt aus den im Verlauf der Verfassungsgebung getätigten Äußerungen, daß der Gedanke einer Konnexität zwischen Verwaltungskompetenz und Finanzierungslast den damaligen Überlegungen zur Finanzierungskompetenz fiir die kriegsbedingten Lasten jedenfalls zugrunde lag34 • Wieso es letzten Endes dennoch zu einer Finan-
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Troeger, Finanzpolitische Fragen der Gegenwart, S. 43. Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 365; Görg, DVBI. 1960, S. 432. 28 Diemer, VSSR 1983, S. 31, 32 f. 29 Finanzverfassungsgesetz v. 23.12.1955 (BGBI. I S. 817, 818). 3° Finanzreformgesetz v. 12.5.1969 (BGBI. I S. 359). 31 Zur Entstehungsgeschichte des Art. 104 a I GG unten IV 2. 32 Bieback, VSSR 1993, S. 1, 16; Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. I (S. 4) und li 2 a für die Überleitungsgesetzgebung; Diemer, VSSR 1982, S. 31, 56 und 38 Fn. 29 mit Verweis auf Art. 120 I GG a.F. 33 Hierzu unten li I und IV. 34 Sachverständiger Storck, Beigeordneter des Deutschen Städtetages in Köln, ParlR. FinAussch. 8. Sitz. vom 29.9.1948, Sten.Prot. S. 100; Abg. Dr. Kleindinst (CSU) in der 41. Sitz. des HptAussch. (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 519. Vgl. hierzu im einzelnen unten IV 2. 26 27
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
229
zierungskompetenz des Bundes für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung kam, hatte sicherlich die unterschiedlichsten Ursachen: Im Vordergrund standen ausweislich der bisher angefiihrten Diskussionsbeiträge zum einen oberflächliche Praktikabilitätsüberlegungen35 . Zum anderen verdeutlichen mehrere Beiträge ein starkes Interesse daran, den Bund nach außen möglichst fmanzschwach erscheinen zu lassen, um auf diese Weise der Auferlegung weiterer Reparationszahlungen zu entgehen36• Der Bund sollte vor den Alliierten mit leeren Taschen dastehen. Möglicherweise wollte der Verfassungsgeber dem Bund auch aus diesem Grunde die Finanzierungslast für die Zuschüsse zur Sozialversicherung auferlegen. Diese These korrespondiert mit dem "Plan", den sich die CDU nach Auffassung von Fischer für die Verhandlungen zurechtgelegt hatte, von dem aber niemand offen sprach: "Ausgangspunkt des Planes war die Überlegung, daß es im Moment noch gar nicht zu erkennen war, in welcher Weise, ob überhaupt, und wenn, wie hohe Reparationen zu zahlen sein würden. In den Jahren 1945-1948 hatten sich die einzelnen Länder wieder langsam zu funktionsfähigen Gebilden entwickelt, die, da eine Zentralinstanz fehlte, alle Aufgaben in eigener Verantwortlichkeit durchführten. Diese nun schon recht fest etablierten Länder sollten durch entsprechende Verfassungsartikel, die zudem noch den Wünschen der Sieger entgegenkamen, finanziell völlig unabhängig gemacht werden. Gleichzeitig gedachte man, dem Bund alle Kriegsfolgelasten aufzubürden. Dadurch hätte man den Siegern, falls diese eine Politik der totalen Ausbeutung zu treiben planten, ein Schnippchen geschlagen. Der Bund würde nämlich bald zahlungsunfähig werden, die Länder jedoch könnten unbeschadet weiterexistieren. Würden sich dann die Alliierten an den Ländern schadlos halten wollen, das heißt, diese zu den Reparationszahlungen zwingen, so müßten sie sich über die von ihnen selbst genehmigte Verfassung hinwegsetzen, was keinesfalls das Vertrauen der Deutschen und gegebenenfalls auch anderen Nationen den drei Westmächten gegenüber erhöhen würde" 37. Verständlicherweise enthalten die offiziellen allgemein zugänglichen Quellen keinen Hinweis auf diesen Plan. Deshalb ist das "Leere-Taschen-Argument" als Begründung für die verfassungsrechtliche Zuweisung der Finanzierungslast für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversiche-
So z.B. die zitierten Ausführungen des Abg. Seebohm oben Fn. 16. Abg. Paul, ParlR. FinAussch. 7. Sitz. vom 24.9.1948, Sten.Prot. S. 213; Abg. Binder in ders. Sitz., Sten.Prot. S. 214; Sachverständiger Storck, ParlR. FinAussch. 8. Sitz. vom 29.9.1948, Sten.Prot. S. 124 f. Auf dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee ähnlich schon der Delegierte Drexelius in der 2. Plenarsitz. vom 11.8.1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 122. Vgl. auch Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, S. 101 f. 37 Fischer, Parlamentarischer Rat und Finanzverfassung, S. II 0. 35
36
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
rung an den Bund nicht zu belegen. Die These, der Verfassungsgeber habe den Bund durch Auferlegung dieser Last möglichst fmanzschwach erscheinen lassen wollen, erscheint unter Beliicksichtigung verschiedener Äußerungen während der Beratungen aber überzeugend. Den Alliierten war bei der ganzen Sache unwohl. Der alliierte Finanzberater Fisher-Freeman äußerte bei einer Besprechung von Mitgliedern des Parlamentarischen Rats mit den Alliierten die "Angst" der Alliierten vor der "Zahlung von Bundesmitteln in die Haushalte der Länder" 38 • 3. Überleitungsgesetze 1950-1955
Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Kriegsfolgelasten vor Inkrafttreten des Grundgesetzes zunächst von den Ländern getragen39. Anfangs weigerten sie sich, die gesetzlichen Zuschußpflichten des Reiches zur Sozialversicherung vollständig zu übemehmen40 • Dennoch gingen 40 % der Zuschüsse zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, sowie die Zuschüsse zur knappschaftliehen Kranken- und Rentenversicherung mit Inkrafttreten des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 17.6.1949 auf die Länder über41 • Die Länder trugen bis zum Inkrafttreten des Art. 120 GG a.F. und seiner Umsetzung durch die Überleitungsgesetze42 auch die Verpflichtung aus der Reichsgarantie fiir die Rentenversicherung(§§ 138411 RVO, 168 III AVG/3 •
38 Besprechung zwischen Mitgliedern des Parlamentarischen Rats und Vertretern der alliierten Verbindungsstäbe und Finanzexperten in Bonn v. 9.3.1949, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 8, Nr. 52, S. 158, 167. 39 BVerfGE 9, 305 (318); 14, 221 (235); Rösner, NJW 1962, S. 1995, 1997; Sander, DRY 1968, S. 371, 379 f. mit näheren Erläuterungen. 40 Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, S. 94, 99. 41 Abschnitt I Art. I § I I, ll, Art. 2 § 5 I, Abschnitt IV §§ 15, 18 Gesetz über die Anpassung von Leistungen der Sozialversicherung an das veränderte Lohn- und Preisgefüge und über ihre finanzielle Situation (Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz) vom 17.6.1949 (WiGBI. S. 99 ff.); § 2 I Verordnung zur Durchführung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 27.6.1949 (WiGBI. S. 101); Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland, S. 94, 99 m.w.N.
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
231
Die Umsetzung des Art. 120 GG a.F. erfolgte ftir die Besatzungs- und sonstigen Kriegsfolgelasten in zwei Schritten: Die Zuschüsse zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung sollte von Anfang an gern. § 1 Nr. 7, 8 Erstes Überleitungsgesetz ausschließlich der Bund fmanzieren. Für die anderen Lasten begründete das 1. Überleitungsgesetz primär eine gesamtstaatliche Finanzierungspflicht. Die Länder hatten sich mit Interessenquoten in Höhe von 10 bis 25 % an ihrer Finanzierung zu beteiligen. Das 2. Überleitungsgesetz beseitigte den Großteil dieser Quoten, da sie sich für die fmanzschwachen Flüchtlingsländer ungünstig auswirkten und auf erheblichen politischen Widerstand trafen. Sie blieben nur noch für einen Teil der Kriegsfolgelasten in Höhe von 15 % für einige Zeit erhalten. Das Finanzministerium hatte mit den Interessenquoten positive Erfahrungen gemacht. Die Länder waren wegeri ihrer Eigenbeteiligung erwartungsgemäß stark daran interessiert, die Kosten in den Bereichen niedrig zu halten, in denen die Interessenquoten sie anteilig zur Lastentragung verpflichteten. Das Finanzministerium wollte die Quoten deshalb erhöhen und auf andere Lasten ausweiten. Dem ständigen Druck auf ihre Beseitigung konnte es jedoch nicht standhalten. Am Ende schaffte der Gesetzgeber die Interessenquoten ganz ab. Die heftigen Abwehrreaktionen der Länder44 verdeutlichen die Effizienz ihrer erzieherischen Wirkung45 . Der Abschaffung der Interessenquoten ging jene heftige, äußerst kontrovers geführte Diskussion über Sinn und Zweck einer teilweisen oder vollständigen Finanzierungskompetenz der Länder bzw. des Bundes voraus, die für die Überleitungsgesetzgebung schon bei der ersten Debatte über den ersten Entwurf eines Überleitungsgesetzes im Bundesrat eingesetzt hatte46 und bereits auf dem
42 Die Umsetzung des Art. 120 GG a.F. erfolgte hinsichtlich der Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozalversicherung durch die Überleitungsgesetze vom 28.11.1950 und 21.8.1951, sowie die entsprechende Änderung des § 5 Sozialversicherungs-AnpassungsG vom 17.6.1949 durch § 28 des Gesetzes über die Errichtung der BfA vom 7.8.1953 (BGBI. I S. 857); vgl. zur Überleitungsgesetzgebung m. w.N. oben 2. Kapitel I 4, III 3.; Görg, DÖV 1951, S. 625 ff. Die Überleitungsgesetze wären ftir die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung nur hinsichtlich der Festlegung des 1.4.1950 als Tag des Lastenüberganges von Bedeutung gewesen, da sie bereits durch die grundgesetzliche Vorgabe vom Bund zu tragen waren; vgl. hierzu oben 2. Kapitel II 1, sowie Heckt, in: Das Deutsche Bundesrecht VII F 12 S. 3. Die Praxis des Gesetzgebers hat den Überleitungsgesetzen eine wesentlich bedeutungsvollere Rolle zugewiesen; vgl. oben 2. Kapitel III 3, 5. 43 Abschnitt I Art. 2 § 5 II 2 Sozialversicherungs-AnpassungsG vom 17.6.1949; Heinze, in: FS Krohn, S. 109, 117. Vgl. zu dieser Garantie oben I. Kapitel III 2 c aa. 44 Vgl. z.B. 121 . Sitz. des BR vom 9 .4.1954, Stenoprot. S. 83 f. 45 So der damals maßgebliche Finanzbeamte im Finanzministerium Fischer-Menshausen in einem Gespräch mit dem Verf. 46 BR, 20. Sitz. vom 12.5 .1950, Sten.Prot. S. 333 ff.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Herrenchiemseer Konvent und im Parlamentarischen Rat mit nicht weniger geringer Intensität geführt worden war. Die Sozialversicherung hatte man dort jedoch schon recht früh von den angestellten Überlegungen ausgenommen. Die Zuschüsse zur Sozialversicherung hatten bei der Überleitungsgesetzgebung auch sonst eine nachrangige Bedeutung. Bundesfmanzminister Schäffer erwähnte die Zuschüsse in seiner umfangreichen Stellungnahme zum Entwurf eines Überleitungsgesetzes47 allein mit einem Satz und auch nur, um mit der apodiktischen Feststellung Interessenquoten für diesen Bereich auszuschließen, den Ländern fehle bei der Sozialversicherung jegliche Einwirkungsmöglichkeit48. Die Beratungen behandelten die allgemeinen stetigen Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht. Es ging nur um die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Für diese Zuschüsse war die Anordnung der Finanzierungskompetenz des Bundes eine Selbstverständlichkeit. Das entsprach der schon die Verfassungsgebung beherrschenden Überzeugung, wonach der Bund für die Finanzierung sämtlicher Kriegsfolgen zuständig war. Sie kommt in dem bereits zitierten Einleitungssatz der Begründung des Entwurfs des Ersten Überleitungsgesetzes deutlich zum Ausdruck: "Artikell20 GG trägt dem Grundgedanken Rechnung, daß es eine gemeinsame Angelegenheit des deutschen Volkes ist, die Kriegsfolgelasten zu tragen"49. Das Überleitungsgesetz sollte nur die Kostenträgerschaft regeln und dem Bund zuweisen. Für die Verwaltung sollten die "Landesregierungen und ebenso die Sozialversicherungsträger" zuständig bleiben. Sie sollten "ihre persönlichen 47 Entwurf eines Gesetzes zur Überleitung der Besatzungslasten, sonstigen Kriegsfolgelasten und von Steuern und Monopolerträgen auf den Bund (Überleitungsgesetz) vom 19.6.1950, BT-Drucks. I/1064. 48 BT, 73. Sitz. vom 12. 7.1950, Sten.Prot. S. 2644. Aus gleichem Grunde gegen die letztlich aber eingeführte Interessenquote im Bereich der Arbeitslosenhilfe Dr. Hoffmann, Finanz- und Wiederaufbauminister des Landes Rheinland-Pfalz, in ders. Sitz., Sten.Prot. S. 2646; Abg. Ewers, S. 2648 f. Dafür Abg. Dr. Höpker-AschofJS. 2653 f.: Der Parlamentarische Rat habe bei der Formulierung des Art. 120 GG eine eventuelle interessenquotale Beteiligung der Länder nicht ausschließen wollen; ders., BT, 86. Sitz. vom 15.9.1950, Sten.Prot. S. 3220. Dafür auch -mittlerweile als Vertreter des Bundesfinanzministeriums- Ministerialrat Fischer-Menshausen, Kurzprotokoll der 35. Sitz. des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen vom 20. 7.1950, S. 3 (unveröffentlicht). Die Befürworter der Interessenquoten verwiesen bezüglich der Kriegsfolgelasten und der Arbeitslosenflirsorge auf die Möglichkeit, eine Lastenübertragung auch gar nicht zu regeln, da für den Lastenübergang schon gern. Art. 120 I GG a.F. eine bundesgesetzliehe Regelung erforderlich war. Wegen der Freiheit des Gesetzgebers sei es verfassungsrechtlich erst recht zulässig, nur einen Teil der Lasten auf den Bund zu übertragen. Der Gesetzgeber hat beispielsweise die Kriegsfolgelasten der Kriegszerstörung und die n:!ittelbaren Flüchtlingslasten nicht auf den Bund übergeleitet; Fischer-Menshausen, DOV 1955, S. 261, 265 Fn. 19. Die h.M. hielt die Interessenquoten damals schon aus diesem Grunde flir verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Neufassung des Art. 120 I GG im Jahre 1965 hat die Interessenquoten nachträglich sanktioniert; vgl. oben 2. Kapitel III 5. 49 BT-Drucks. I/1064, S. 10.
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
233
und sächlichen Verwaltungskosten selber" tragen, um die Länder als "Träger der Einrichtungen und der Verwaltung zu einer möglichst sparsamen Verwaltungsfiihrung" anzuhalten50 . Bei der Bemessung der unterschiedlichen - für die Sozialversicherung nicht eingeführten - Interessenquoten orientierte sich der Gesetzgeber an den Einflußmöglichkeiten, die die Länder auf eine sparsame und wirtschaftliche Verwendung der Mittel hatten51 • Für die kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung wurde eine Beteiligung der Länder weder eingefiihrt noch diskutiert. Offenbar gingen die an der Gesetzgebung Beteiligten davon aus, daß die Länder im Bereich der Sozialversicherung keine Einflußmöglichkeiten hatten, die über die ohnehin von ihnen zu tragenden persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten hinausgingen. Djese Schlußfolgerung findet ihre Bestätigung in verschiedenen damaligen Äußerungen. Die Finanzexperten Fischer-Menshausen und Höpker-Aschoff vertraten eine hiervon - jedenfalls ftir die Arbeitslosenhilfe - abweichende Auffassung 52, die in der folgenden Gesetzgebung kurzfristig Berücksichtigung fand: Für die damals noch als Arbeitslosenfiirsorge bezeichnete heutige Arbeitslosenhilfe fiihrte der Gesetzgeber anfangs eine lnteressenquote ein; er schaffte sie jedoch schon im Folgejahr wieder ab53 • Fischer-Menshausen hat sich damals vehement für eine prozentuale Beteiligung der Länder an der Finanzverantwortung des Bundes ausgesprochen und zur Begründung auf den Grundsatz der Kongruenz von Finanz- und Verwaltungsverantwortung verwiesen, den Art. 120 I GG a.F. durchbreche54 : Es sei erforderlich "die auf den Sachgebieten des Art. 120 GG bestehende Diskrepanz zwischen Finanzverantwortung (Bund) und Verwaltungsverantwortung (Länder) künftig zu beseitigen oder wenigstens zu mildem". Aus diesem Dilemma sieht Fischer-Menshausen zwei Auswege: Entweder müsse der Gesetzgeber die Verwaltungszuständigkeit des Bundes seiner Finanzverantwortung anpassen -das ist die radikalste Lösung, die Verwaltung der Sozialversicherung wäre danach vollständig auf den Bund zu übertragen -, oder aber er müsse "die Länder mit einem angemessenen prozentualen Kostenbeitrag (Interessenquote) an der Finanzverantwortung des Bundes stärker(... ) beteiligen". Die Rechtfertigung flir eine solche interessenquotale Beteiligung folge aus der "Erfahrungstatsache, daß ein öffentlicher Verband, der über die Mittel eines anderen Verbandes verfügen kann, hierbei leicht in einen Interessenkonflikt gerät und der Versuchung erliegt, die ihm anvertrauten Mittel nicht mit der gebotenen 'diligentia quam in suis' zu verwalten". Fischer-Menshausen hält eine Beteiligung der Länder an von ihnen bewirtschafteten Bundesausgaben im Bereich des Art. 120 GG flir unbedenklich, wenn eine Interessenquote zur Förderung einer spar-
BT-Drucks. 1/1064, S. I 0 ff. BT-Drucks. 1/1064, S. 12. 52 Vgl. oben die Nachw. in Fn. 48. 53 Vgl. oben 2. Kapitel I 4. 54 Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 674, 678, der alternativ auf die Möglichkeit einer Nachflihrung der Verwaltungsverantwortung des Bundes hinweist; vgl. die kommentierte Wiedergabe bei Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. II 3 b (S. 10) m.w.N. 50
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
samen Verwaltung geeignet und angebracht ist. Hiermit schließt er sich einer früheren Entscheidung des BVerfG an, in der das Gericht solchen Interessenquoten verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit bescheinigt hat55.
Der Gesetzgeber ging bei den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung davon aus, daß eine Interessenquote mangels entsprechender Einwirkungsmöglichkeiten der Länder keinen Sinn hat. Zu den übrigen Zuschüssen zur Sozialversicherung hat er sich nicht geäußert.
4. Finanzreform 1955 Die Zuschüsse zur Sozialversicherung fanden in der Finanzreform des Jahres 195556 insgesamt keine Berücksichtigung. Sie wurden deshalb auch nicht in Zusammenhang mit dem neu normierten Art. 106 IV 2 Nr. 1 GG a.F. 57 erwähnt, der das Prinzip der Vollzugskausalität - damals sprach man wie selbstverständlich von dem "allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz"- als ein dem Grundgesetz immanentes Prinzip im Sinne einer Klarstellung58 verdeutlichte. Art. 120 GG a.F. wurde mit all seinen Tatbeständen als Ausnahme von dem nun verfassungsrechtlich niedergelegten allgemeinen Prinzip verstanden59 : "Hierbei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: I. Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben; Art. 120 Abs. 1 bleibt unberührt."
Im übrigen gingen die Beratungen auf die Vorschrift nicht näher ein. Daß Art. 120 GG a.F. dem Bund die Ausgabenverantwortung fiir Sachgebiete übertrug, die nicht zu seinem Kompetenzbereich gehörten, wurde zwar gesehen und kritisiert, letztlich aber hingenommen. Eine "Rückverlagerung sozialer Kriegsfolgeausgaben auf die Länderhaushalte" widersprach nach damaliger Überzeugung "dem Charakter und der Bedeutung dieser Lasten, die die politische Öffentlichkeit allgemein als nationale Verpflichtung" empfand60 • Die Reform zog die Möglichkeit einer gemeinsamen Erfiillung nationaler Verpflichtungen auf der Ebene der Länder nicht in Erwägung.
55 BVerfGE 9, 305 (330). Kritisch zur Förderung einer sparsamen Bewirtschaftung durch eine Beteiligung der Länder und hierzu m.w.N. Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 32 f. 56 Vgl. oben 2. Kapitel III 4 m.w.N. 57 Finanzverfassungsgesetz v. 23.12.1955 (BGBI. I S. 817, 818). 58 BT-Drucks. 111480, S. 46 f. Tz. 59, S. 105 f. Tz. 156; V/2861 , S. 21 Tz. 60, S. 30 Tz. 113. 59 BT-Drucks. 111480, S. 46 f. Tz. 59, S. 49 Tz. 64, S. 51 ff. Tz. 67, S. 106 Tz. 156. 60 BT-Drucks. 111480, S. 52 Tz. 67.
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
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Die Finanzreform strebte mit der Neuordnung des bundesstaatliehen Finanzausgleichs die Sicherstellung des Finanzbedarfs der öffentlichen Hand an. Ihr Kernstück war neben der Revision der Steuerverteilung die Verteilung der finanziellen Lasten zwischen Bund und Ländern. Das Problem der Aufgabenund Lastenverteilung im Bundesstaat hatte zentrale Bedeutung. Die Normierung des "Konnexitätsprinzips" als allgemeine Maxime der bundesstaatliehen Lastenverteilung sollte dies Problem mit dem Ziel lösen, die Ausgabenverantwortung der Aufgabenverantwortung anzupassen. Erstaunlich ist, daß die Begründung zum Entwurf des Finanzverfassungsgesetzes die in Art. 120 a.F. GG genannte Sozialversicherung als kostenträchtigsten Ausnahmetatbestand des "Konnexitätsprinzips" nicht erwähnt. Sie übt zwar vehemente Kritik am Sondertatbestand des Art. 120 GG, blendet die Sozialversicherung dabei aber regelrecht aus: Schon der Einleitungssatz schließt die Sozialversicherung von den folgenden Betrachtungen ausdrücklich aus. Die folgenden Betrachtungen erörtern die Aufgabenverwaltung nur im Bund-Länder-Verhältnis. Die gleichfalls zur Landes- bzw. Bundesverwaltung zählenden Sozialversicherungsträger fmden keine Berücksichtigung. Die Begründung kritisiert in erster Linie den in Vollzug des Art. 120 GG erfolgten Überleitungsvorgang. Damit stehen die Kriegsfolgelasten im Vordergrund der Betrachtungen. Die Sozialversicherung bleibt außen vor.
5. Neufassung des Art.120 I GG im Jahre 1965 Bei der umfangreichen Neufassung der Vorschrift im Jahre 1965 ging es ausschließlich um die Verteilung der Kriegsfolgelasten zwischen Bund und Ländern im Sinne einer Zementierung des status quo61 • Zwar sollte die Änderung des Art. 120 GG a.F. der Vermeidung unabsehbarer Störungen des bundesstaatliehen Finanzgefüges dienen, doch spielten sich sämtliche Reformüberlegungen nur im Bereich des weiten Feldes der Kriegsfolgelasten ab. Die im Interesse der Stabilisierung des Bundesstaats erfolgte Änderung der Vorschrift beschränkte sich auf eine Regelung der Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiet der Kriegsfolgelasten. Sie sollte deren bisherige Verteilung aufrecht erhalten62 . Vgl. oben 2. Kapitel III 5. Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Artikels 120 des Grundgesetzes vom 9.3.1961, BT-Drucks. III/2590, S. 7 f., sowie entsprechend die Begründung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 15.8.1964, BT-Drucks. IV/2524 (= BR-Drucks. 267/64), S. 7 f. Vgl. ferner den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vom 23 .6.1961, BT-Drucks. III/2858; Finanzminister Qualen (Schleswig-Holstein) in der 271. Sitz. des BR vom 26.6.1964, Sten.Ber. S. 113; Abg. Jahn in der 135. Sitz. des Rechtsausschusses vom 20.5.1965, Sten.Prot. S. 6 ff. (unveröffentlicht), sowie den entsprechenden schriftlichen Bericht des Rechtsaus61
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
6. Finanzreform 1969 Die Finanzreform des Jahres 196963 kodifizierte das Prinzip der Vollzugskausalität zu Beginn der Finanzverfassung in Art. 104 a I GG64 als allgemeines Lastenverteilungsprinzip. Die Erläuterung der Vorschrift erwähnt die Sozialversicherung nicht. Auch auf Art. 120 GG geht sie nicht weiter ein. Art. 120 GG fmdet nur als Sonderregelung zu Art. 104 a I GG Berücksichtigung65 • Das für die Reform maßgebliche sog. Troeger-Gutachten weist ähnlich wie die Begründung des Finanzreformgesetzes 1955 kurz auf den Widerspruch zu Art. 120 GG hin. Vom Vorschlag einer Neuverteilung der nach Auffassung der Kommission in Art. 120 GG ausschließlich geregelten Kriegsfolgelasten (sie) sieht es ab, da die Kommission diese Lasten als auslaufend betrachtete66 •
7. Weitere Entwicklung Die Änderung der Vorschrift im Jahre 196967 regelte eine Ausweitung der Beteiligung der Länder an den Kriegsfolgelasten. Die Gesetzesbegründung erwähnt die Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht. Der Bundesrat kritisierte die mit den Grundsätzen der Finanzreform kollidierende Fortsetzung der fmanziellen Beteiligung der Länder an den Ausgaben des Bundes68. Die Bundesregierung entgegnete, die Finanzreform habe die Sonderregelung des Art. 120 GG ausweislich ihrer Begründung nicht berührt69 • Die Enquete-Kommission Verfassungsreform empfahl im Jahre 1976, an dem bisherigen System der Finanzverfassung festzuhalten70• Auch der LasteDverteilungsgrundsatz war in der Kommission nicht umstritten. Bemerkenswerterweise diskutierte die Kommission als dessen Ausnahmen allein Rechtsinstitute aus dem Bereich gemeinsamer Aufgabenerfiillung: die Gemeinschaftsaufgaben, die Investitionshilfekompetenz des Bundes und seine Mitfmanzierungsschussesvom 21.5.1965, BT-Drucks. IV/3467; Senator Kramer (Hamburg) in der 284. Sitz. des BR vom 11.6.1965, Sten.Ber. S. 154. 63 Vgl. oben 2. Kapitel III 6. 64 Zu dessen Entstehungsgeschichte unten IV 2. 65 BT-Drucks. V/2861, S. 51 Tz. 289. 66 Troeger-Gutachten, S. 55 Tz. 216. 67 Vgl. oben 2. Kapitel III 7. 68 Begründung des Bundesrates zur Ablehnung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, BT-Drucks. V/4104 Anlage 2. 69 Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Beschluß des Bundesrates, BTDrucks. V/41014, Anlage 3. 70 Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform vom 9 .12.1976, BTDrucks. VII/5924, S. 196, 200.
I. Entstehungsgeschichte der Finanzverantwortung des Bundes
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kompetenz für die Ausfiihrung seiner Geldleistungsgesetze durch die Länder71 • Auf Art. 120 GG, den die Begründung des Finanzreformgesetzes 1969 als Ausnahme vom allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz immerhin noch erwähnte, geht die Kommission nicht ein. Für den Untersuchungsgegenstand ist ihr folgender Beschluß von richtungsweisender Bedeutung: "Den Ländern Mittel ftir ihre Aufgaben zu verschaffen, ist primär Sache des Finanzausgleichs; Finanzbeiträge nach Art. 104 b (neu)[, der die in den Artikeln 91 a, 91 b und I 04 a IV GO geregelten Mitfinanzierungen des Bundes zusammenfassen sollte,] sollten nur subsidiär eingesetzt werden" 72 •
Die Zuschüsse zur Sozialversicherung unterlaufen die hier zum Ausdruck gelangende primäre Bedeutung des Finanzausgleichs: Bundeszuschüsse an landesunmittelbare Sozialversicherungsträgem entlasten die Länderhaushalte. Sie begünstigen die gern. Art. 104 a I GG an sich fmanzierungspflichtigen Länder73. Die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat die fmanzausgleichende Wirkung der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung übersehen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands fanden sie auch bei der breit angelegten fmanzverfassungsrechtlichen Reformdiskussion74 keine Erwähnung. Die Beratungen der vom Bundesrat eingesetzten Kommission Verfassungsreform75 und der im Jahre 1991 eingesetzten Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat gingen auf die Zuschüsse nicht ein76. Auch die Lastenverteilung im Bundesstaat wurde nicht weiter erörtert. Die Teilnehmer stellten Fragen der Finanzverfassung zurück, obwohl die angestrebte Stärkung des Föderalismus ihre Überprüfung nahelegte. Die Beteiligten hielten eine angemessene Behandlung dieses Themenkomplexes in der Kürze der fiir die Beratungen zur Verfiigung stehenden Zeit nicht fiir möglich77• Außerdem fanden bereits fmanzministerielle Beratungen fiir die anstehende Finanzreform des Jahres 1995 statt. Bezeichnenderweise wurde auch in Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Föderalisierung der Sozialversicherung durch die - mittler71 Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform vom 9.12.1976, BTDrucks. VII/5924, S. 200, vgl. insbesondere das Sondervotum Barbarino S. 212 ff. und dessen kritische Würdigung S. 215 f.; hierzu unten IV 4 b. 72 Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform vom 9. I 2. I 976, BTDrucks. VII/5924, S. 196. 73 Vgl. hierzu unten II, V. 74 Vgl. zu den aus der Debatte hervorgegangenen Vorschlägen die Nachw. bei Bauer, demnächst in: HStR, Bd. IX, § 202 Fn. 232 f. und ferner Fn. 17, 3 7. 75 Vgl. hierzu BR-Drucks. 360/92. 76 Zur Diskussion über eine Reform der Finanzverfassung nach der Wiedervereinigung Deutschlands Bauer, demnächst in: HStR, Bd. IX, § 202 Rn. 45 ff. 77 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission vom 5. 11 . 1993, BT-Drucks. 12/6000, s. 114 f.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
weile umgesetzte -Änderung des Art. 87 II GG78 nicht auf die Zuschüsse zur Sozialversicherung eingegangen. Nur Schewe wies in der Zeitschrift fiir Sozialen Fortschritt weitsichtig darauf hin, eine Föderalisierung der Sozialversicherung werde nicht ohne Folgen fiir die Finanzverantwortung des Bundes fiir die Staatszuschüsse bleiben79 • Im Gesetzgebungsverfahren zum Solidarpakt80 und dessen teilweiser Neuregelung des bundesstaatliehen Finanzausgleichs erörterten die Beteiligten zwar finanzverfassungsrechtliche Probleme. Niemand hat aber das Prinzip der Vollzugskausalität als allgemeine Lastenverteilungsregel in Frage gestellt. Außerparlamentarische verfassungspolitische Initivativen der Gemeinden fanden keine Berücksichtigung. Damit ist es bis heute bei dem im Jahre 1969 zu Beginn der Finanzverfassung in Art. 104 a I GG normierten Lastenverteilungsgrundsatz und der in den Übergangsvorschriften geregelten Ausnahme des Art. 120 I 4 GG geblieben. Art. 120 GG gelangte jüngst zu unverhoffier Aktualität: Die Bundesregierung wehrte sich gegen den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Finanzierung von Rüstungsaltlasten und die darin geregelte Finanzierungskompetenz des Bundes mit Verweis auf Art. 120 GG als Ausnahme vom "Konnexitätsgrundsatz". Da die Finanzierungsverantwortung ftir Umwelt- und Naturschutz bei den Ländern läge, unterlaufe eine Finanzierung der in dem Gesetz geregelten Maßnahmen durch den Bund den allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz weit über die in Art. 120 GG geregelte Ausnahme hinaus81 •
8. Ergebnis Vor dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund ist der Erwähnung der Sozialversicherung in Art. 120 I GG nur eine klarstellende Funktion beizumessen: Hätte Art. 120 I GG nur die Kriegsfolgelasten erwähnt, hätte Anlaß zu der Annahme bestanden, die Verfassung belasse die kriegsfolgebedingten Belastungen der Sozialversicherung zusammen mit deren regulären Belastungen in der Finanzierungszuständigkeit der Länder. Das sollte vermieden werden82• Für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung war eine Finanzierungszuständigkeit des Bundes alles andere als selbstverständlich. Deshalb normiert Art.
78 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBI. I S. 3146 ff.); vgl. zur Neufassung oben 3. Kapitel V. 79 Schewe, SF 1994, S. 166, 169. Hierzu im einzelnen unten 5. Kapitel. 80 Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms- FKPG vom 23. Juni 1993, BGBI. I S. 944; hierzu Bauer, demnächst in: HStR, Bd. IX, § 202 Rn. 49 ff. 81 Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzesentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 12/3257, S. 13 f. (Anlage 2). 82 Diemer, VSSR 1982, S. 31 , 3 8 f. Fn 29.
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
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120 I 4 GG bis heute fiir die Staatszuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung eine Finanzierungspflicht des Bundes.
ll. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung Für den weitaus größten Teil der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung enthält die Verfassung keine ausdrückliche Regelung der Finanzverantwortung. Die Verteilung der Finanzverantwortung fiir Staatsaufgaben richtet sich nach Art. 104 a I GG.
1. Einführung Art. 104 a I GG normiert an der Spitze der grundgesetzliehen Finanzverfassung als Grundregel der Lastenverteilung: "Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt"83 • Die "Ausgabentragung" folgt der Aufgabenwahrnehmung. Aufgabenwahrnehmung ist die Betätigung der Gebietskörperschaften innerhalb der verfassungsrechtlich gezogenen Zuständigkeitsgrenzen84. "Aufgaben" im Sinne der Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG sind die verfassungsrechtlich den Gebietskörperschaften zugewiesenen unmittelbar kostenverursachenden Funktionen. Das sind nach dem Willen des Gesetzgebers in der Regel die Verwaltungsaufgaben85 • Die "Ausga83 Art. 120 I 4 GG ist neben den Vorschriften der Art. 91 a, 91 b, 104 a II-IV und 106 VIII GG eine weitere Ausnahmevorschrift zu Art. 104 a I GG. Art. 120 I 4 GG ist gegenüber Art. I 04 a I GG Iex specialis; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 126; Maunz, in: M/D/H/S, GG Art. 120, Rn. I; vgl. BVerfGE 9, 305 (329); 14, 221 (235); Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 70; Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 43. 84 Birk, in: AK, GG Art. 104 a, Rn. 8. 85 Finanzverantwortung und Verwaltungsverantwortung decken sich nach FischerMenshausen, in: vM, GGK, Bd. 3 (zuerst I. Aufl. 1978), Art. 104 a Rn. 4 entgegen der früher von ihm vertretenen Ansicht nicht generell: "Aufgabe" im Sinne des Art. 104 a I GG könne nicht schlechthin mit "Verwaltungsaufgabe" gleichgesetzt werden, da das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG beispielsweise auch den Vorgang der Gesetzgebung und Rechtsprechung als solchen einschließlich der Finanzierung des dazu erforderlichen Verwaltungsapparats erfasse. "Aufgabe" im Sinne des Art. 104 a I GG ist vielmehr "jede dem Bund und den Ländern durch das GG erkennbar zugewiesene Betätigung". Die unmittelbar kostenverursachende Betätigung ist dabei in der Regel der Verwaltungsvollzug. Fischer-Menshausen hat mit dieser Einschränkung auf die Kritik von Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 28 f., 56 reagiert. Anders (Finanzveranwortung = Verwaltungsverantwortung) noch Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 675; 1956, S. 161 , 167 und im Anschluß hieran die h.M. BTDrucks II/480, S. 46 Tz. 59; BT-Drucks V/2861, S. 30 Tz. 114 f.; Sturm, DÖV 1968, S.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
bentragung" folgt damit der Verwaltungskompetenz86• Die Verfassung hat in Art. 104 a I GG fiir die Verteilung der bundesstaatliehen Finanzverantwortung die Entscheidung zugunsten einer Konnexität zwischen Finanzverantwortung und Verwaltungskompetenz getroffen. Die Literatur spricht deshalb meist von dem "Konnexitätsprinzip" oder dem finanzverfassungsrechtlichen "Konnexitätsprinzip". Aber diese Formulierung ist blaß. Sie sagt nichts darüber aus, zwischen welchen Kriterien das Prinzip eine Konnexität im Sinne einer Verbindung herstellt. "Etymologisch wird nur irgendein Zusammenhang ausgedrückt" 87• Der spezifische Inhalt der bundesstaatlichen Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG wird so nicht deutlich. Er ist nicht leicht zu greifen. Die scheinbar klare Formulierung des Art. 104 a I GG hat eine Tücke. Die Vorschrift trifft zunächst die Grundentscheidung zugunsten eines Verursacher- oder Kausalitätsprinzips: Diejenige bundesstaatliehe Ebene, die durch ihre Aufgabenwahrnehmung Ausgaben verursacht, soll diese Ausgaben auch tragen. Damit ist dem Wortlaut nach aber noch nicht gesagt, was unter "Aufgaben" zu verstehen ist. Das Grundgesetz verwendet den Begriff der "Aufgabe" nicht einheitlich. In den Art. 29 I 1, 30 GG bezeichnet er eine Betätigung in eigener Zuständigkeit, die an vorgegebene Kompetenznormen anknüpft. Die Art. 87 b I 2, 87 d II, 89 II 2 GG spezifiZieren die aufgefiihrten "Aufgaben" durch einen Tätigkeitskreis, beschreiben sie selbst aber nicht nähel8 . Die staatlichen Aufgaben umfassen die drei Staatsfunktionen Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die Rechtsprechung scheidet als maßgebliches Lastenverteilungskriterium aus. Ihre Entscheidungen begründen keine Finanzierungslast Sie ergibt sich aus der Anwendung des Rechts durch die Rechtsprechung und damit durch das Recht selbst. Anderenfalls hinge die Verteilung der Finanzierungslast davon ab, ob das Prozeßrecht den Rechtsstreit einem Bundes- oder Landesgericht zuweist. Die Lastenverteilung würde dann in Abhängigkeit vom Handeln der Parteien erfolgen. Sie wäre willkürlich. Der prozessuale Instanzenzu.p ist als Abgrenzungskriterium ftir die bundesstaatliche Lastenverteilung untauglich8 .
Zwischen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz besteht nur teilweise Übereinstimmung: beispielsweise in den Fällen der Art. 87, 87 b, 87 d, 88 f.
466, 468; Erichsen, Die Konnexität von Aufgaben und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 30 f., 35, 37; BayVGH NVwZ 1993, S. 794, 795; Schach! Wieland, Finanzierungsverantwortung ftir gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 72. 86 Allgemein hierzu Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 2, Art. 104 a Rn. 3 ff.; Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 22 ff. 87 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. II Fn. 12. 88 Vgl. im einzelnen und m.w.N. Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 47. 89 Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 54; F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 71 f.
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
241
GG, im Bereich des Polizei- und Gemeindewesens, der Kultusverwaltung - soweit es sich bei ihr nicht um eine Gemeinschaftsaufgabe nach Art. 91 a GG handelt-, sowie der Verwaltungszuständigkeit der Länder, wenn der Bund von seiner Befugnis zur konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit keinen Ge90 •• brauch gemacht hat . Uberwiegend fallen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz auseinander. Daß Art. 104 a I GG mit "Aufgaben" Verwaltungsaufgaben meint, ergibt sich erst aus der Entstehungsgeschichte und zwar - entgegen anderer Ansicht - eindeutig91 • Damit hat der Verfassungsgesetzgeber durch Normierung des Art. 104 a I GG eine zweite Grundentscheidung getroffen: Der Verwaltungsvollzug verursacht die für die bundesstaatliche Lastenverteilung maßgeblichen Ausgaben. F. Kirchhofbezeichnet diese Form der Konnexität in seinem Gutachten für den 61. Deutschen Juristentag vergleichsweise treffender als "Prinzip der V ollzugskausalität". Diese Formulierung fmdet im folgenden nur gelegentlich Verwendung. In der Nachkriegszeit hat die Diskussion um die bundesstaatliche Lastenverteilung den Begriff des "Konnexitätsprinzips" inhaltlich mit der Verbindung von Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz besetzt. Überwiegend wird auch hier in geringfügig präzisierender Übereinstimmung mit der bisherigen Literatur von dem Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG, gelegentlich auch bloß von dem "Konnexitätsprinzip" gesprochen; das soll nichts anderes besagen. Der Verfassungsgeber hätte für die bundesstaatliche Lastenverteilung an Stelle des Verwaltungsvollzugs auch die gesetzliche Aufgabenbegründung als maßgebliche ausgabenverursachende Aufgabe bestimmen können. F. Kirchhof stellt dem Frinzip der Vollzugskausalität deshalb das "Prinzip der Gesetzeskausalität" gegenüber. Mit seinem Gutachten stellt er sich an die Spitze erneuter verfassungspolitischer V ersuche, die bundesstaatliche Lastenverteilung anstelle des Prinzips der Vollzugskausalität nach dem Prinzip der Gesetzeskausalität vorzunehmen und Art. 104 a I GG entsprechend zu ändem92. Hierzu wird weiter unten Stellung genommen93 . Zunächst werden die Staatszuschüsse im Lichte des geltenden Rechts betrachtet. Art. 104 a I GG weist die Finanzverantwortung nach dem Prinzip der Vollzugskausalität zu. Diejenige bundesstaatliche Ebene, die eine Ausgabe durch ihre Verwaltungstätigkeit verursacht, soll sie auch fmanzieren. Die Finanzverantwortung ergibt sich aus der Verwaltungkompetenz. Nach der grundgesetzliehen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern in Art. 30, 83 GG nehmen die Länder die staatlichen Aufgaben wahr, soVogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 27. Hierzu unten IV 4 a. 92 Vgl unten IV 3 a. 93 Vgl. unten IV 4. 90
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16 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
fern die Verfassung dem Bund nicht ausdrücklich eine Verwaltungszuständigkeit einräumt. In der Regel sind die Länder für die Ausfiihrung von Staatsaufgaben zuständig. Die Länder haben deshalb gern. Art. 104 a I GG auch die grundsätzliche F inanzierungskompetenz.
2. Sozialversicherung als Aufgabe i.S.d. Art. 104 a I GG Das gilt auch für die Sozialversicherung. Die Länder führen die Sozialversicherungsgesetze gern. Art. 83 GG grundsätzlich als eigene Angelegenheit aus und bedienen sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben der als Landesbehörden errichteten Versicherungsanstalten. Deshalb müssen gern. Art. 104 a I GG grundsätzlich die Länder die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung bezahlen. Gegen die Anwendung des Art. 104 a I GG auf die Sozialversicherung spricht auf den ersten Blick, daß Personal- und nicht Gebietskörperschaften die Sozialversicherung in verfassungsrechtlich indizierter (Art. 87 II GG) und sozialrechtlich festgeschriebener(§ 29 I SGB IV) mittelbarer Staatsverwaltung94 führen. Art. 104 a I GG ist überdies nur auf das Verhältnis von Bund und Ländern zugeschnitten. Die bundesstaatliche Lastenverteilungsregel klammert die Gemeinden als weitere Gebietskörperschaften aus. Die Finanzverfassung gilt aber für die gesamte Landesorganisation95 . Daß sie nur zwischen Bund und Ländern unterscheidet, zwingt nicht zu dem Schluß, die mittelbare Staatsverwaltung von ihren Bindungen freizustellen, sondern erstreckt ihre Geltungskraft auch auf die mittelbare Staatsverwaltung durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Der Verfassungsgeber wollte mit der Normierung einer allgemeinen Lastenverteilungsvorschrift keinen insoweit rechtsfreien Raum schaffen. Auch mittelbar-staatliche Verwaltung ist "Verwaltung". Die Selbstverwaltung der Sozialversicherung macht hiervon keine Ausnahme, denn auch sie ist vollziehende Gewalt im Sinne des Art. 20 II, III GG. Die Sozialversicherung der Bevölkerung ist Ausübung der Staatsgewalt96• Die Personalkörperschaften der landesmittelbaren Sozialversicherungsträger zählen genauso zum Verwaltungsraum der Länder, wie die Verfassung im zweistufigen Gesamtstaatsaufbau die Gemeinden als Gebietskörperschaften der Länderseite zurechnet97 • Zwar stehen die Sozialversicherungsträger außerhalb des Instanzenzuges der unmittelbaren Staatsbehörden; die gesetzlich geregelte Staats-
Vgl. oben 3. Kapitel IV. F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 35. 96 F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 71. 97 BVerfGE 86, 148 (215 f.); BVerwGE 44, 351(364). 94
95
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
243
aufsicht98 ersetzt für die mittelbare Staatsverwaltung die dienstliche Nachordnung. Der zweigliedrige Bundesstaat des Grundgesetzes kennt aber nur zwei staatliche Ebenen99 : Die Versicherungsträger sind nach dem "Grundsatz der fmanzwirtschaftlichen Zweistufigkeit des Gesamtstaats" 100 wie die Gemeinden nach Art. 106 IX GG als Glieder des jeweiligen Landes zu behandeln. Von daher stehen der Anwendung des Konnexitätsprinzips auf die Sozialversicherung keine Einwendungen entgegen. Die Ausgaben und Aufgaben der Sozialversicherungsträger sind den Ländern zuzurechnen. Art. 104 a I GG gilt auch . 1vers1c. herung 101. . soz1a fiir d1e Der Ausnahmecharakter des Art. 120 I 4 GG bestätigt diesen Befund: Da Art. 120 I 4 GG unstreitig eine Ausnahme von Art. 104 a I GG ist, muß auch Art. 104 a I GG auf die Sozialversicherung anwendbar sein. Nur soweit die Sozialversicherungsträger gern. Art. 87 II GG bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts sind (BA, BfA, Bundesknappschaft, Bundesbahn-Versicherungsanstalt) fällt die Verwaltungskompetenz in den Zuständigkeitsbereich des Bundes; hier scheint die praktizierte Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Staatszuschüsse -jedenfalls vor dem Hintergrund des Art. 104 a I GG- systemgerecht zu sein 102• Überwiegend werden die drei klassischen Zweige der Sozialversicherung - Kranken-, Rentenund Unfallversicherung - jedoch von einer Fülle landesmittelbarer Versicherungsträger wahrgenommen. Im Jahre 1993 gab es allein 1238 gesetzliche Krankenkassen, von denen 947 landesmittelbar waren; für die Rentenversicherung der Arbeiter sind 23 Landesversicherungsanstalten zuständig 103• Die Verwaltungskompetenz für die Sozialversicherung liegt in erster Linie im Bereich der Länder 104• Gern. Art. l 04 a I GG müssen grundsätzlich die Länder die staatlichen Zuschüsse zu denjenigen Sozialversicherungszweigen zahlen, die in landesmittelbarer Staatsverwaltung geführt werden. Hierzu unten V I a. Vgl. aber die Ausnahmevorschrift des Art. 106 VIII GG, wonach der Bund zum Ausgleich von Sonderbelastungen direkte Finanzzuweisungen an die Kommunen leisten darf; vgl. hierzu nur Schoch!Wieland, Finanzierungsverantwortung flir gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 84 ff., 88, 197 f. 100 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 68; BVerwGE 44, 351 (364). 101 Genauso Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 31,37 f. 102 Vgl. aber die Kritik an Art. 87 II GG unten 5. Kapitel: Bundesunmittelbare Versicherungsträger kollidieren mit der grundsätzlichen Verwaltungszuständigkeit der Länder. 103 Oldiges, SF 1994, S. 163; vgl. Gitter, Sozialrecht, S. 186 m.w.N. ; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 2. 104 Vgl. Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 11. 98
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
Für die VeJWaltungskosten der landesunmittelbaren Sozialversicherunßsträger folgt die Finanzierungskompetenz der Länder zusätzlich aus Art. 104 a V l GG 5• Art. 104 a VI GG bestätigt den in Art. 104 a I GG niedergelegten Lastenverteilungsgrundsatz 106• Durchbrechungen des Konnexitätsgrundsatzes sind gern. Art. 104 a I 3. Hs. GG nur bei den "Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung" der "Aufgaben ergeben" - den sog. Zweckausgaben- möglich. Bei den Sachausgaben, zu denen insbesondere die VeJWaltungskosten zählen, ist dies gern. Art. 104 a V 1 GG ausgeschlossen107• Sie sollen bei der Behörde bleiben, bei der sie entstehen. Die Bundeszuschüsse finanzieren jedoch faktisch in einfachrechtlich zulässißer Weise entgegen der Anordnung des Art. 104 a V 1 GG auch die VeJWaltungskosten 8• Für die- subsidiäre- sozialstaatlich fundierte Garantiehaftung des Bundes 109 wird dies ausdrücklich anerkannt: Sie soll auch eine "veJWaltungs-organisatorisch begründete Einstandspflicht des Staates" mitumfassen 110• Diese Begründung läßt sich auf die Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht übertragen.
Der Bund ist gern. Art. 104 a I GG nur für die Zuschüsse an die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger zuständig. Die Spezialregelung des Art. 120 I 4 GG weist ihm überdies die Finanzierungskompetenz für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung zu. Gäbe es Art. 120 I 4 GG nicht, würde auch für diesen Bereich der allgemeine Lastenverteilungsgrundsatz wieder aufleben. Dann wären die Länder gern. Art. 104 a I GG auch für diese Zuschüsse fmanzierungspflichtig, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimme 11 • Die Bundeszuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger nach Art. 120 I 4 GG sind in der Finanzverfassung des Grundgesetzes von Anfang an ein Fremdkörper gewesen. Das ist das Bemerkenswerte an Art. 105 F. Kirchhof, in: Sozialversicherung- Organisatorische Gliederung und funktionale Einheit der SozialveJWaltung, S. 59, 73. 106 Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 24. 107 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 104, a Rn. 12; F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 37 Fn. 99. Die Abgrenzung zwischen Zweck- und Sachausgaben ist kompliziert; vgl. hierzu jeweils m.w.N. Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 24; von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 20 f. mit Erläuterung des Sinn und Zwecks des Art. 104 a V l GG; FischerMenshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 39; Kommission flir die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland (TroegerGutachten), S. 54 Tz. 211; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu!Klein, Kommentar zum GG, Art. l 04 a Rn. 27, der die Abgrenzung bei Geldleistungsgesetzen für relativ einfach hält. Sachausgaben sind die VeJWaltungsaufgaben, die for das Handeln der VeJWaltung, also für den Betrieb des VeJWaltungsapperates erforderlich sind. Zweckausgaben sind die Ausgaben, die durch das VeJWaltungshandeln ftir den jeweils mit dem Handeln verfolgten Zweck (Sachanliegen) enstehen. 108 Vgl. oben I. Kapitel III 2 a; 2. Kapitel I 2; 3. Kapiteliii 4 a, h aa und unten V I a cc (I), d. 109 S. oben 3. Kapitel I I. 110 Bieback, VSSR 1993, S. I, 26; vgl. hierzu oben 3. Kapitel I 4. 111 Genauso Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 39, 41.
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
245
120 I 4 GG: Die Vorschrift beschränkt sich darauf, dem Bund die finanzielle Last für einen - in seiner Höhe noch nicht einmal näher bestimmten - Teil der Sozialaufwendungen zuzuschreiben, während die Zuordnung der Verwaltungskompetenzen auf diesem Gebiet weiterhin den allgemeinen Vorschriften der Art. 30, 83 GG folgt. Dieser inkongruente Finanzierungsmodus durchbricht das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG. Herbert Fischer-Menshausen112 hat schon früh darauf hingewiesen, hierdurch werde "ein ansehnlicher Teil der nach Art. 120 GG aus Bundesmitteln zu finanzierenden Ausgaben von den Ländern (nach Maßgabe des Landesrechts auch von den Gemeinden) verwaltet(...); die Finanzverantwortung des Bundes ist also hier auf Sachgebieten statuiert worden, die verwaltungsmäßig nicht zu seinem Kompetenzbereich gehören". Die fehlende Konnexität zwischen Verwaltungs- und Finanzierungskompetenz berge die Gefahr in sich, daß die verwaltenden Stellen nicht mit der gebotenen "diligentia quam in suis" vorgingen 113 .
3. Sozialversicherungsgesetze als Geldleistungsgesetze (Art. 104 a 111 GG)? Art. 104 a III GG begründet als weitere Ausnahmevorschrift zu Art. 104 a I GG keine Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Staatszuschüsse zur
Sozialversicherung.
a) Unmittelbare Anwendung des Art. 104 a III GG? Eine Anwendung des Art. 104 a III GG auf die Sozialversicherungsgesetze scheitert nicht bereits daran, daß die Vorschrift allein auf die Lastenverteilung von Steuergeldem zugeschnitten ist, die Sozialversicherung hingegen primär aus Beiträgen fmanziert wird. Die Vorschrift steht zwar in engem Zusammenhang mit Art. 106 GG, der den Ländernaufgrund ihrer umfassenden Verwaltungs- und damit Finanzverantwortung einen Anspruch darauf einräumt, entsprechend ihrer Lastenbeteiligung an den gesamtstaatlichen Einnahmen beteiligt zu werden 114. Zwischen Bund und Sozialversicherungsträgem fehlt ein entsprechendes Kompensationsinstrumentll 5 • Bei einer Anwendung des Art. 104 a III GG auf die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung ginge es 112 Vgl. zu seiner Person und seinen verschiedenen Ämtern während der Entstehung des Grundgesetzes Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. 2, Einleitung S. LXXXIX und unten IV 3 b. Fischer-Menshausen hat die Entwicklung der Finanzverfassung von Anfang an zunächst u.a. als Finanzsachverständiger im Unterausschuß II des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee, später als maßgeblicher Finanzbeamter im Bundesfinanzministerium geprägt und kommentiert sie bis heute. Die Überarbeitung seiner bedeutenden Kommentierung der Finanzverfassung, in: vM, GGK, Bd. 3 erscheint in Kürze in der 3. Auflage des Kommentars. 113 Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 674, 678; vgl. Köttgen DÖV 1953, S. 358, 365; BVerfGE 9, 305 (329). 114 Hierzu im einzelnen unten IV 4 b aa. 115 von Einem, DVBI. 1987, S. 979, 982.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
jedoch nicht um das Verhältnis zwischen Sozialversicherungsträgem und Bund, sondern um das Bund-Länder-Verhältnis, denn die mittelbare Staatsverwaltung durch Sozialversicherungsträger zählt zur Landesverwaltung. Sozialversicherungsgesetze sind aber keine Geldleistungsgesetze i.S.d. Art.
104 a 111 GG.
Geldleistungsgesetze im Sinne dieser Vorschrift sind nicht alle Gesetze, die fmanzielle Leistungen zum Gegenstand haben und dadurch Kosten verursachen, obwohl der Wortlaut ein solches Verständnis nahelegt Die Geldleistung i.S.d. Art 104 a 111 GG ist eine Zuwendung von Zahlungsmitteln, "die nicht allein im Hinblick auf eine Gegenleistung ( ... ) oder zur Erfiillung einer Verpflichtung aus eigenem vorausgegangenen Verhalten des Leistenden (... ) erfolgt". Entscheidend ist, "ob auf der Ausgabenseite des Haushalts eine Belastung erfolgt, ohne daß damit zugleich eine entsprechende Entlastung - also insbesondere eine Befreiung von einer Geldschuld, die nicht allein in der gesetzlichen Pflicht zur unentgeltlichen Leistung besteht- verknüpft ist" 116• Es handelt sich um "geldliche nicht von einer Gegenleistung abhängige, einmalige oder laufende Zuwendungen ( ... ), die im Rahmen eines bundesgesetzt geregelten Leistungssystems aus öffentl. Mitteln an private (oder gleichzubehandelnde öffentl.) Empfangsberechtigte gewährt und von den Ländern oder Gemeinden in eigener Zuständigkeit ausgezahlt werden" 117• Der Rechtsanspruch des Sozialversicherten nach§ 38 SGB I richtet sich gegen die Gefahrengemeinschaft118, nicht unmittelbar gegen den Staat. Wegen der öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung des Versicherungsverhältnisses richtet sich der Anspruch im Fall des Risikoeintritts gegen die in§§ 18 ff. SGB I aufgefiihrten öffentlich-rechtlichen Versicherungsträger, die gern. § 12 SGB I für die Sozialleistungen zuständig sind. Das Sozialrechtsverhältnis ist ein gegenseitiges Rechtsverhältnis 119, bei dem die Hauptpflichten der Beteiligten in der Gewährung sozialen Schutzes(§§ 11, 18-29 SGB I) einerseits und- grundsätzlich- in der Beitragszahlung andererseits (§§ 249 ff. SGB V, 20 ff. SGB IV)
Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 81. Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a, Rn. 16; Stern, Staatsrecht, Bd. II, S. 1141. 118 Gitter, Sozialrecht, S. 48. 119 Seewald, in: Kasseler Kommentar, Bd. 1, SGB I, vor §§ 38-47 Rn. 2. A.A. im Hinblick auf die Äquivalenz zwischen Sozialversicherungsbeitrag und -Ieistung und insoweit zutreffend schon W Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit und seiner Reform, S. 25 f., 64 ff.; vgl. Zacher, DÖV 1970, S. 3, 12; Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, S. 14 f. Die starke Abschwächung des Äquivalenzprinzips in der Sozialversicherung - vgl. hierzu H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 413 ff. - hebt das prinzipielle sozialversicherungsrechtliche Synallagma jedoch nicht auf. 116 117
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
247
bestehen 120• Der mittelbar staatliche Versicherungsträger erfiillt mit der Leistungsgewährung deshalb nicht nur seine sozialstaatliche Verpflichtung; er kommt darüber hinaus seiner schuldrechtlichen Verpflichtung aus dem synallagmatischen Sozialrechtsverhältnis nach: Die Leistungsgewährung ist die dem Sozialversicherungsträger obliegende Gegenleistung zur grundsätzlich vorangegangenen Beitragszahlung, von der er sich durch die jeweilige Leistungsgewährung partiell befreit. Die "Zuwendung" hängt normalerweise von der Gegenleistung ab. Der als Ausgabe zu bilanzierenden Leistungsgewährung korrespondiert die Entlastung von der Verbindlichkeit. Sozialversicherungsgesetze sind deshalb keine Geldleistungsgesetze i.S.d. Art. 104 a III GG 121 • Die Sozialversicherungsgesetze werden einem weiteren Erfordernis des Art. I 04 a III GG nicht gerecht: Sie teilen die Lasten ihrer Ausfiihrung nicht quotenmäßig zwischen Bund und Ländern auf. Nur solche Gesetze lösen aber die Rechtsfolgen des Art. I04 a III GG aus 122• Diese Regelung wird zwar heftig kritisiert, da Art. I 04 a III GG die Herbeifiihrung seiner Rechtsfolgen in das Ermessen des Bundesgesetzgebers stellt; er kann den mit der Vorschrift bezweckten Schutz der Länder vor übermäßiger Kostenbelastung durch bloßes Unterlassen einer Regelung aushebeln 123 • Doch ist die in Art. I04 a III GG getroffene Regelung geltendes Recht. Für die Sozialversicherungsgesetze kommt seine unmittelbare Anwendung nicht in Frage. Deshalb bleibt es bei dem Grundsatz des Art. I04 a I GG 124 • Außerdem ist Art. I04 a III GG nur anwendbar, wenn die Ausfiihrung der Gesetze nach Art. 83 ff. GG den Ländern obliegt 125 • Die Sozialversicherungsgesetze werden auch durch bundesmittelbare Sozialversicherungsträger ausgefilhrt. Auch hieran scheitert eine Anwendung des Art. I04 a III GG 126 •
120 Seewa/d, in: Kasseler Kommentar, Bd. I, SGB I, vor §§ 38-47 Rn. 2 ff. Vgl. Meinhold, Fiskalpolitik durch sozialpolitische Parafisci, S. 18. 121 Genauso jetzt Lütjohann, Die Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung nach Art. 120 I 4 GG, S. 39 ff. 122 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 19; Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 90, 95 jeweils m.w.N. 123 Kritik bei Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 19 m.w.N., 45. 124 Klein, in: Schmidt-Bieibtreu!Klein, Kommentar zum GG, Art. 104 a, Rn. 17; Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 22. 125 Maunz, in: MJD/H/S, GG Art. 104 a, Rn. 36 (Anm. III 2 d). 126 Vgl. fiir den anders gelagerten Fall des KLG von Einem, DVBI. 1987, S. 979, 982; zum KLG vgl. oben 3. Kapitel III 4 c.
248
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
b) Analoge Anwendung des Art. 104 a //1 GG? Gegen eine analoge Anwendung des Art. 104 a III GG auf die Sozialversicherung spricht zunächst, daß die Auslösung seiner Rechtsfolgen dann unerwünscht im Ermessen des Bundesgesetzgebers stünde. Darüber hinaus ergeben sich weitere Bedenken: Wäre Art. 104 a III GG auf die Sozialversicherungsgesetze anwendbar, unterstünden die Landesversicherungsanstalten - wenn der Bundesgesetzgeber eine quotale Verteilung der Lasten zwischen Bund und Ländern vorsähe - gern. Art. 85 III GG dem Weisungsrecht des Bundes. Die mittelbare Staatsverwaltung steht aber außerhalb des Instanzenzuges der unmittelbaren Staatsbehörden127. Ein staatliches Weisungsrecht kollidiert mit der verfassungsrechtlich indizierten (Art. 87 II GG) und sozialrechtlich kodifizierten(§ 29 SGB IV) mittelbaren Staatsverwaltung der Sozialversicherungsträger.
c) Anwendung des Rechtsgedankens des Art. 104 a 1// GG? Fischer-Menshausen hat sich zugunsten einer Finanzierungskompetenz des Bundes für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung auf den Rechtsgedanken des Art. 104 a III GG berufen 128• Mit der Vorschrift sollte die Möglichkeit eröffnet werden, vom allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz des Art. 104 a I GG in den Fällen abzuweichen, "in denen der Bundesgesetzgeber Zahlungen an einen festumrissenen Empfangerkreis angeordnet und die Voraussetzungen, Höhe und Modalitäten dieser Leistungen so eindeutig normiert hat, daß der Vollzug nach vorgegebenen Regeln gleichsam programmiert abläuft und für einen eigenverantwortl. Verw.errnessen der ausführenden Landesbehörden praktisch kein Raum mehr bleibt" 129• In diesen Fällen sollten die Länder ungeachtet des Gesetzesvollzugs in landeseigener Verwaltung von den Zweckausgaben befreit werden, da "hier der innere Grund entfällt, mit den Aufwendungen solcher Gesetze die Länderhaushalte zu belasten" 130• Da die bundesrechtlichen Sozialgesetze das Leistungs- und Beitragsgefiige der Sozialversicherung detailliert festlegen, bleibt den Sozialversicherungsträgem keinerlei Möglichkeit von diesen Vorgaben abzuweichen. Das spricht da-
von Einem, DVBI. 1987, S. 979, 982 m.w.N. Fischer-Menshausen in einem Gespräch mit dem Verf. 129 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 15; BT-Drucks. V/2861 S. 31 f. Tz. 124 f. 13°Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 15 (Hervorhebung vom Verf.). 127
128
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
249
für, daß auch hier der "innere Grund" für eine Belastung der Länderhaushalte nicht vorliegt. Fischer-Menshausen postuliert aber mit seiner Begründung des Art. 104 a III GG, die mittelvetwaltenden Stellen hätten nur bei eingeräumtem Vetwaltungsermessen Einfluß auf die zum Vollzug der Gesetze erforderlichen Mittel. Das trifft auf die Ausfiihrung der Sozialversicherungsgesetze nicht zu. Die Sozialversicherungsträger haben weitreichende Möglichkeiten über den Tatbestand des Leistungsfalls zu entscheiden. Und die Länder verfügen über verschiedene Möglichkeiten, im Rahmen der ihnen zustehenden Aufsichtsbefugnisse Einfluß auf die Sozialversicherungsträger auszuüben. Das wird weiter unten ausfUhrlieh erläutert 131 • d) Zwischenergebnis Aus Art. 104 a III GG folgt weder unmittelbar noch analog eine Finanzierungskompetenz des Bundes für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung; auch der Rechtsgedanke der Vorschrift spricht nicht für eine solche Kompetenz.
4. Maßgeblichkeit des Art. 104 a IV GG? Auch Art. l 04 a IV GG hilft bei der Begründung einer Finanzierungskompetenz des Bundes nicht weiter. Zwar ist Art. 104 a IV GG eine andere grundgesetzliche Bestimmung i.S.d. Art. 104 a I GG. Sie durchbricht den allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz, indem sie den Bund unter näher beschriebenen Voraussetzungen dazu ermächtigt, an die Länder Finanzmittel fiir deren eigene Aufgabendurchführung zu zahlen. Die zu bezuschussende Aufgabe ist - das schreibt Art. 104 a IV 1 GG vor - näher individualisiert, die Zahlung zweckgebunden. Das allein entzieht die auf den Vetwendungszweck Sozialversicherung beschränkten Staatszuschüsse nicht dem Anwendungsbereich der Vorschrift. Art. 104 a IV l GG regelt aber nicht regelmäßige Zuwendungen 132, wie die Zuschüsse zur Sozialversicherung. Überhaupt ist der Sinn des Art. 104 a IV GG ein gänzlich anderer: Die Finanzhilfen nach Art. 104 IV 1 GG sollen die Länder zu einer expansiven Investitionstätigkeit veranlassen 133 • Es geht um Unten V. Vgl. zur Dauer der Zuwendungen den Einschränkungsversuch von Starck, JZ 1975, S. 363, 364 und dessen Kritik durch von Arnim, in: HStR, Bd. IV, § I 03 Rn. 51 . 133 von Arnim, in: HStR, Bd. IV, § I 03 Rn. 45 a.E. 131
132
250
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Sachinvestitionen und deren Förderung 134, nicht aber, wie bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung, um die stetige Finanzierung einer öffentlichen sozialstaatlichen Aufgabe. Aus den drei Tatbeständen für Zahlungen nach Art. 104 a IV 1 GG ergibt sich als Zweck der Vorschrift die Förderung wirtschaftlichen Wachstums. Der Bund soll die Möglichkeit erhalten, seiner Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nachzukommen. Die Vorschrift ist keine erschöpfende Regelung fiir jede zweckgebundene Zahlung des Bundes an die Länder. Der ausgeprägt wirtschaftliche Bezug der Norm stellt sich einem solchen Verständnis entgegen. 135 Obwohl die Vorschrift nicht als Notanker zur Begründung einer Finanzierungskompetenz des Bundes für die Zuschüsse zur Sozialversicherung ausgeworfen werden kann, ist es sinnvoll, sie hier im Zusammenhang zu erwähnen, denn die Argumentationsmuster der - im übrigen vehementen - Kritik an den Finanzzuweisungen aufgrundvon Art. 104 a IV 1 GG 136 entsprechen in weiten Teilen der Kritik an den Bundeszuschüssen.
5. Ungeschriebene Finanzierungskompetenz des Bundes? Auch eine ungeschriebene Finanzierungskompetenz des Bundes für die Staatszuschüsse liegt nicht vor. Derartige von der h.M. anerkannte Finanzierungszuständigkeiten137 knüpfen nach der allgemeinen Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG wie jede FiKlein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 104 a Rn. 18. Vgl. von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 43. 136 Selmer, AöR 101 (1976), S. 238, 246; von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 46, 52; Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 23; Wendt, in: HStR, Bd. IV,§ 104 Rn. 93; vgl. auch BVerfGE 41, 291 (308). Kritik aus ökonomischer Sicht im Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. 1118472, S. 213 Tz. 445 f. Vgl. unten IV 4 und V 2. 137 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 9 ff.; Brockmeyer, in: Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik, FS Klein, S. 633 ff.; Maunz, in: M/DIH/S, GG Art. 104 a, Rn. 15 ff.; von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 53; Klein, in: Schmidt-Bieibtreu/Kiein, Kommentar zum GG, Art. 30 Rn. 7. Vgl. auch BT-Drucks. V/2861, S. 23 f. Tz. 73 ff. und den daraufhin erarbeiteten Entwurf einer "Verwaltungsvereinbarung über die Finanzierung öffentlicher Aufgaben von Bund und Ländern" (sog. Entwurf des Flurbereinigungsabkommen). Der Entwurf erhielt zwar nicht die Zustimmung aller Länder. Er erlangte in der Praxis jedoch erhebliche Bedeutung als interne Richtschnur für die Abgrenzung ungeschriebener Finanzierungskompetenzen des Bundes. Auszugsweiser Abdruck der entscheidenden Passagen des Entwurfs bei Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 30 Rn. 8; vollständiger Abdruck bei Frey, in: Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aus finanzverfassungsrechtlicher und finanzwirtschaftlicher Sicht, S. 76 ff. Zu den ungeschriebenen Finanzierungskompetenzen kritisch lsensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 212 mit zahlreichen w.N. zur h.M. in Fn. 586. 134 135
II. Staatszuschüsse und grundgesetzliche Lastenverteilung
251
nanzierungszuständigkeit an die verfassungsrechtlich zugewiesenen Verwaltungszuständigkeiten an. Deshalb handelt es sich bei den ungeschriebenen Finanzierungskompetenzen um "Folgezuständifkeit[en) "138 und eigentlich um ungeschriebene Verwaltungszuständigkeiten13 • Eine solche "andere Regelung" i.S.d. Art. 30, 83 GG läßt sich bei der Ausführung von Bundesgesetzen als "lückenfüllende 'ultima ratio'" 140 nur unter restriktiven Voraussetzungen in Ermangelung einer geschriebenen Zuständigkeit begründen. Hier kommen ungeschriebene Verwaltungszuständigkeiten des Bundes nur ganz ausnahmsweise in Betracht, so z.B. wenn das Verwaltungshandeln eines Landes den Gesetzeszweck nicht mehr erreichen kann 141 • Da die Ausführung der Sozialversicherungsgesetze gern. Art. 30, 83 GG und der einschlägigen sozialrechtlichen Vorschriften grundsätzlich Sache der Länder ist, existiert für diesen Bereich bereits eine geschriebene Verwaltungszuständigkeit Eine ungeschriebene Verwaltungszuständigkeit des Bundes für die Sozialversicherung läßt sich ersichtlich nicht begründen. Darüber hinaus sind die ungeschriebenen Verwaltungszuständigkeiten grundsätzlich nur auf den Bereich der gesetzesfreien Verwaltung zugeschnitten, da in diesem Bereich typischerweise eine Normierung fehlt. Die Verwaltung der Sozialversicherung ist hingegen streng gesetzesakzessorische Verwaltung. Die Folgen der deutschen Wiedervereinigung haben vereinzelt zur Begründung einer ungeschriebenen Finanzierungskompetenz des Bundes für die "Bewältigung einigungsbedingter Einmalaufgaben" Anlaß gegeben. Die Wiedervereinigung hat zwar zu hohen Belastungen der Sozialversicherung, insbesondere der Arbeitslosenversicherung geführt. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine "Einmalaufgabe", sondern um eine "Daueraufgabe". Die Wiedervereinigung Deutschlands dispensiert grundsätzlich nicht von der Finanzverfassung, sondern fordert ihre Anwendung gerade heraus. Die Konnexität von Verwaltungs- und Ausgabenverantwortung kann nur für außerordentlichen Beistand in Notfällen durchbrachen werden 142• Die Länder tragen auch und gePauker, Das ERP-Sonderverrnögen, S. 116. Klein, in: Verantwortlichkeit und Freiheit, FS Geiger, S. 501, 502; Maunz, in: M/D/H/S, GG Art. 104 a, Rn. 15; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu!Kiein, Kommentar zum GG, Art. 30 Rn. 7. Zu den ungeschriebenen Verwaltungszuständigkeiten BVerfGE II, 6 (17 f.); 22, 180 (216 f.); 41, 291 (312); zur frühen Rechtsprechung des BVerfG Bullinger, AöR 96 (1971), S. 237 ff.; rechtsvergleichend Achterberg, AöR 86 (1961), S. 63 ff., insbes. S. 88 ff.; Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 87 Rn. 25. Ohne nähere Begründung ablehnend Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 215 f. m.w.N. 140 In dieser Form nur hinsichtlich der ungeschriebenen Verwaltungszuständigkeit kraftNaturder Sache Pauker, DÖV 1988, S. 64, 66 m.w.N. 141 Klein, in: Schmidt-Bleibtreu!Klein, Kommentar zum GG, Art. 30 Rn. 7. 142 Vgl. insoweit auch Eckerts, DÖV 1993, S. 281,290 f. 138
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
rade bei der Bewältigung einigungsbedingter Einmalaufgaben eine Mitverantwortung 143. Das BVerfG hat bereits 1961 festgestellt: Eine allein fmanziell bedingte Überregionalität bzw. eine Überforderung der regionalen Finanzkraft kann nicht kraftNaturder Sache eine Bundeszuständigkeit begründen 144 • 6. Ergebnis Gern. Art. 104 a I GG sind grundsätzlich die Länder fiir die Finanzierung der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung zuständig. Der Bund muß die Staatszuschüsse an die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger zahlen. Die Spezialregelung des Art. 120 I 4 GG verpflichtet ihn überdies zur Finanzierung der Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger.
111. Staatszuschüsse und Staatspraxis Die Verfassungspraxis geht andere Wege. Die Finanzierung der Staatszuschüsse erfolgt nahezu ausschließlich durch den Bund. Rechtsprechung und Wissenschaft haben die Staatspraxis nachgezeichnet.
1. Unzulässige Ausweitung eines auslaufenden Kompetenztitels Der Rechtsprechung war der Ausnahmecharakter des Art. 120 I 4 GG anfangs bewußt. Dennoch dehnte sie den Anwendungsbereich der Vorschrift ohne Begründung weiter aus und zitierte sich schließlich in undifferenzierter Weise nur noch selber, wenn es darum ging, eine Finanzierungskompetenz des Bundes fiir jedwede Art von Zuschüssen zur Sozialversicherung zu begründen, die über die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten hinausgehen. Das BVerfD hat in seiner zweiten Entscheidung zu Art. 120 I GG a. F. die Formulierung des Art. 120 I GG a.F. ohne Not zum Anlaß genommen, über die 143 Selmer, Peter: Die bundesstaatliche Finanzverfassung und die Kosten der deutschen Einheit, in: Klaus Stern (Hg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. I, EigentumNeue Verfassung- Finanzverfassung, Köln u.a. 1991, S. 189,206 ff.; ders., Grundsätze der Finanzverfassung des vereinten Deutschlands, in: VVDStRL 52 (1993), S. 10, 31 ff.; vgl. hierzu demnächst Bauer, in: HStR, Bd. IX, § 202 Rn. 61 . 144 BVerfGE 12, 205 (251); vgl. Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, S. 813, 815 Fn. 19 a.E.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
253
in der ersten Entscheidung 145 ausgesprochene Finanzierungskompetenz des Bundes für die Kriegsfolgelasten hinaus auf dessen Finanzierungskompetenz für die gesamten Lasten der Sozialversicherung zu schließen146. Erstaunlich an dieser Auslegung ist, daß das Gericht schon in seiner ersten Entscheidung konstatiert hatte, Art. 120 I GG a.F. stelle fiir seinen engen Bereich eine Ausnahme dar; grundsätzlich gelte der allgemeine Lastenverteilungsgrundsatz, nach dem die Ausgaben- der Aufgabenkompetenz zu folgen habe 147. Die Ausweitung des Ausnahmecharakters der Vorschrift begründet der entscheidende Senat nicht148. Das BSG hat sich bei der Ablehnung einer allgemeinen Zuschußpflicht der Länder für die Defizite "ihrer" Sozialversicherungsträger auf die apodiktischen Ausfiihrungen des BVerfG gestützt149. Den Unterschied zwischen den beiden Verfassungsgerichtsentscheidungen hat das Gericht nicht gesehen. Auch die erneute Revisionsentscheidung des BSG, die vorläufig letzte Entscheidung zu Art. 120 I 4 GG, geht auf diesen Unterschied nicht ein150. Das Gericht legt das Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG so aus, als sei der Bund alleiniger Zuschußschuldner151.
Im übrigen ist die Bezugnahme des BSG auf die Ausfiihrungen des BVerfG wegen der stark voneinander abweichenden Sachverhalte äußerst bedenklich152. Die ganz h.M. in der Literatur legitimiert die Finanzierungskompetenz des Bundes, indem sie den Anwendungsbereich des Art. 120 I 4 GG in zwei Schritten ausweitet:
(1.) Art. 120 I 4 GG regele nicht nur die Finanzierungskompetenz des Bundes für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung, sondern begründe für sämtliche Staatszuschüsse zur Sozialversicherung die Finanzverantwortung des Bundes. Diese Auslegung ist nach dem Ergebnis des 2. Kapitels dieser Arbeit nicht haltbar. 145 BVerfGE 9, 305 (317 f.); vgl. zum Inhalt der Entscheidung oben 2. Kapitel III 5 Fn. 136. 146 BVerfGE 14, 221 (235); vgl. zum Inhalt der Entscheidung oben 2. Kapitel IV Fn. 157; Diemer, VSSR 1982, S. 31, 38. 147 BVertDE 9, 305 (328 f.) m.w.N.; genauso 14, 221 (233 f.). 148 Das Urteil ist auch aus anderen Gründen auf vielfache Kritik gestoßen; vgl. oben 2. Kapitel IV und Diemer, VSSR 1982, S. 31, 38 ff. m.w.N. 149 BSGE 34, 177 (179); vgl. zum Inhalt der Entscheidung oben 2. Kapitel IV Fn. 161.
150 BSGE 47, 148 ff. (vom 16.11.1978); vgl. zum Inhalt der Entscheidung oben 2. Kapitel IV Fn. 162. 151 Vgl. zur Kritik oben 3. Kapitel I 1. 152 Vgl. hierzu ausführlich oben 2. Kapitel IV.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
(2.) Über das Gebot der Bundesfmanzierung hinaus, statuiere Art. 120 I 4 GG ein Verbot der Länderfmanzierung: Art. 120 I 4 GG untersage den Ländern grundsätzlich jegliche Bezuschussung der Sozialversicherung153 . Die Länder müßten gern. Art. 104 a V 1 GG allerdings die Verwaltungskosten der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger tragen 154. Nach der ganz h.M. brauchen die Länder die Defizite "ihrer" Versicherungsämter ungeachtet ihrer grundsätzlichen Verwaltungskompetenz für die Sozialversicherung grundsätzlich nicht selbst zu tragen. Der von Rechtsprechung und Literatur unzulässig auf Art. 120 I 4 GG gestützte Finanzierungsmodus kollidiert mit der in Art. 104 a I GG kodifizierten Grundregel der Lastenverteilung, die nur Bundeszuschüsse an bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger erlaubt. Die Wissenschaft hat zwar bisweilen kritisch auf die Systemwidrigkeit der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung hingewiesen. Letztlich hat sie sich aber- in der Nachkriegsdiskussion z.T. noch unter Verweis auf den übergangsweisen Charakter des Art. 120 I 4 GG - fast ausnahmslos mit der Finanzierungskompetenz des Bundes einverstanden erklärt155. Dennoch scheint sie von der Tragfähigkeit des Art. 120 I 4 GG als Kompetenztitel für sämtliche Bundeszuschüsse nicht grenzenlos überzeugt zu sein. Jedenfalls zieht die ganz h.M. eine Vielzahl weiterer Argumente heran, um die Systemgerechtigkeit der Finanzierungskompetenz des Bundes jenseits des Art. 120 I 4 GG zu begründen. Das wäre nicht nötig, denn ihrer Meinung nach ordnet Art. 120 I 4 GG diese Kompetenz an. Die h.M. fiihlt ersichtlich verbleibenden Begründungszwang.
153 F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 31 ff. m.w.N.; ders., in: Sozialversicherung - Organisatorische Gliederung und funktionale Einheit der Sozialverwaltung, S. 59, 75; ders., DRY 1989, S. 32, 39; Klein, in: Öffentliches Finanzrecht, S. I, I3; Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 38; Maunz, in: M/DIH/S, GG Art. 120, Rn. 24; a.A. Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 73; Diemer, VSSR I982, S. 31 ff. und schon Holtkotten, in: BK, GG Art. I20, Anm. II 3 c (S. 14 f.). Andererseits werden solche Finanzierungen vereinzelt praktiziert: Nach dem "Bremer Primat der Drittmittelbindung" leistet das Land Bremen Zusatzaufwendungen für AHM-ergänzende Programme; im Jahre 1992 machten diese Zuschüsse immerhin einen Anteil von I7 % der gesamten für diese Programme getätigten Aufwendungen aus; hierzu Lüsebrink/Pollmeyer, ArbuSozPol. I994, S. 3I, 39 f. Ferner zahlen die Bundesländer in den Küstenbezirken gern. § 878 I RVO Zuschüsse zu den Mitgliedsbeiträgen, die die Unternehmen der Küstenfischerei zur See-Unfallversicherung erbringen; hierzu Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 73 und schon oben I. Kapitel I a.E. Zum Ganzen aufGrundJage einer extensiven Anwendung des Art. I20 I 4 GG kritisch F. Kirchhofund Lütjohann; vgl. oben 2. Kapitel I 4 Fn. 34. 154 Bieback, VSSR 1993, S. 1, 17; F. Kirchhof, in: Sozialversicherung-Organisatorische Gliederung und funktionale Einheit der Sozialverwaltung S. 59, 73; ders. , in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 37. Vgl. oben II 2 a.E.: Das Gebot des Art. I04 a V I GG läuft praktisch leer. ISS Vgl. die Nachw. oben in Fn. 2.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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2. Gesetzgebungskompetenz als finanzverfassungsrechtlicher Dispens? Zunächst verweist die Literatur auf die Sozialgesetzgebung des Bundes: Durch seine detaillierte Gesetzgebung regele der Bund das Leistungs- und Beitragsgefüge der Sozialversicherungsträger und deren Organisationsstrukturen. Nach h.M. ist er deshalb auch für die Entstehung der fmanziellen Defizite der Sozialversicherungsträger verantwortlich, die die Zuschußzahlungen erforderlich machen. Diese Verantwortlichkeit müsse sich in einer fmanziellen Einstandpflicht des Bundes widerspiegeln. Er habe durch die Sozialgesetzgebung wesentlichen Einfluß auf Leistungen und Finanzierung, Verwaltung und Organisation der landesmittelbaren Träger der Sozialversicherung. Durch die Neugestaltung dieser Faktoren könne er Defizite, die einen Zuschuß erforderlich machen, schon im Ansatz bekämpfen 156• Letztlich soll die Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund die Ausnahmeregelung des Art. 120 I 4 GG begründen. Wenn der Bund in der Sozialversicherung gesetzgeberisch tätig wird, kann er sich auf den Kompetenztitel des Art. 74 Nr. 12 GG stützen, sofern die Voraussetzungen des Art. 72 II GG erfüllt sind. Art. 74 Nr. 12 GG schreibt für die Sozialversicherung die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz fest. Hierin erschöpft sich aber der Regelungsgehalt der Norm. Sie regelt nicht die Finanzierungskompetenz. Im gesetzesgebundenen Raum entstehen Ausgaben regelmäßig erst durch den Vollzug der Gesetze. Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen ist fiir die Finanzierungsverantwortung grundsätzlich nicht von Bedeutung. Sie eröffnet dem Bund nur dann eine Finanzierungskompetenz, "wenn ein aufgrund dieser Kompetenz erlassenes Bundesgesetz durch die bundeseigene Verwaltung oder durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten (Art. 86) oder im Auftrage des Bundes (Art. 85) auszuführen ist" 157• Deshalb verstoßen Bundeszuschüsse an die bundesunmittelbaren Versicherungsträger nicht gegen das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG. Für die Zuschüsse an die landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger gilt dies jedoch nicht. Das Ergebnis einer Norrnsetzung ist keine unmittelbar kostenverursachende Funktion im Sinne des Art. 104 a I GG. Für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung bedeutet das: Jenseits des eingeschränkten Anwendungsbereichs des Art. 120 I 4 GG läßt sich die praktizierte Finanzierungskompetenz des Bundes nicht unter Verweis auf die von ihm gern. Art. 72, 74 Nr. 12 GG in 156 So ftir die Zuschüsse: lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 10 f. ; Lerche, in: M/D/H/S, GG Art. 87, Rn. 158 f. und für die Garantie: Bieback, VSSR 1993, S. I, 19, 26, 33. 157 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. I 04 a Rn. 4.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
Anspruch genommene Gesetzgebungskompetenz begründen. Der Akt der Gesetzgebung begrundet nach geltendem Recht keine Finanzverantwortung. Nach dem Lastenverteilungsgrundsatz des Art. 104 a I GG kommt es für die Finanzierungskompetenz nicht darauf an, welche Gebietskörperschaft die Verwaltungsaufgaben und damit die zu ihrer Bewältigung erforderlichen Ausgaben durch Erlaß entsprechender Gesetze veranlaßt hat. Entscheidend ist allein, wer mit der Wahrnehmung der Aufgaben betraut ist158. Nicht die Gesetzgebung verursacht im Sinne der grundgesetzliehen Lastenverteilung die Kosten, sondern die Verwaltung. Erst durch die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe entstehen Kosten 159, nicht durch die "Schaffung" der Aufgabe. Soweit die kompetenzrechtliche Argumentation Bundeszuschüsse auch an landesunmittelbare Versicherungsträger vorsieht, zieht sie unsystematisch das sog. Veranlassungsprinzip des Art. 104 a II GG heran. Dieses Prinzip -von F. Kirchhof nun treffend als Prinzip der Gesetzeskausalität bezeichnet - fmdet im Bereich der Bundesauftragsverwaltung Anwendung und macht dort Sinn: Hier nehmen die Länder Aufgaben des Bundes wahr. Im Sinne des Lastenverteilungsgrundsatzes handelt es sich bei der Bundesauftragsverwaltung um Aufgaben des Bundes, auch wenn die Länder sie ausfiihren160. Die Länder haben dabei nur einen eingeschränkten Wirtschaftlichkeitsspielraum161 , da die Landesbehörden gern. Art. 85 III, IV GG den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden unterstehen. Deren Weisungsbefugnis begründet die zentrale Einflußbefugnis des Bundes und damit dessen letzte Verwaltungsverantwortung162. Da die Verwaltungsverantwortung das fiir die bundesstaatliche Lastenverteilung maßgebliche Kriterium ist, veranlaßt der Bund im Bereich des Art. 104 a II GG die Ausgaben- jedenfalls im Sinne des Lastenverteilungsgrundsatzes163. Konsequenz ist deshalb die gesamte Kostenübernahme durch den Bund. Art. 104 a II GG bestätigt das Prinzip der Vollzugskausalität als maßgebliche Leitlinie fiir die bundesstaatliche Lastenverteilung164. 158 BVerfGE 26, 338 (390); BT-Drucks. V/2861, S. 30 Tz. 114; Birk, in: AK, GG Art. 104 a, Rn. 8 m.w.N. 159 BT-Drucks. V/2861, S. 30 Tz. 114. 160 Troeger-Gutachten, S. 52 f. Tz. 205; Begründung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 30.4.1968, BT-Drucks. V/2861, S. 30 Tz. 116. A.A. von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 29. 161 Birk, in: AK, GG Art. 104 a, Rn. ll. 162 Troeger-Gutachten, S. 52 f Tz. 205. 163 Genauso nun auch F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT 1996, Typoskript, S. 40, da die Gesetzgebung des Bundes die Kosten verursache. 164 BT-Drucks. V/2861, S. 30 Tz. ll6, S. 51 Tz. 290; Schoch/Wie/and, Finanzierungsverantwortung für gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 132 f. m.N. zu der unzutreffenden Ansicht, Art. 104 II GG durchbreche das Konnexitätsprinzip; die Vorschrift normiere das Prinzip der Gesetzeskausalität, weil die Legislativtätigkeit des Bundes die Kosten hervorruft; so z.B. F. Kirchhof, Gutachten zum 61 . DJT
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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3. Mittelbare Staatsverwaltung als finanzverfassungsrechtlicher Dispens? Um die Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung jenseits des Art. 120 I 4 GG zu begründen, verweist die h.M. ferner auf die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherungsträger. Isensee 165 sieht in den wenigen verfassungsrechtlichen Vorschriften, die die Strukturlinien der Sozialversicherung vorzeichnen, eine Spaltung der Finanzverfassung: Der magere Normbestand der Art. 74 Nr. 12, 87 II und 120 I 4 GG reicht für ihn aus, die Finanzierung der Sozialversicherung von den im übrigen für alle Staatsaufgaben geltenden verfassungsrechtlichen Bindungen freizustellen. Zwar seien die Grundsätze der Finanzverfassung auf die mittelbare Staatsverwaltung der Gemeinden anwendbar (vgl. Art. 106 IX, 107 II 1 Hs. 2 GG) 166, doch folge aus der in Art. 87 II GG vorgeschriebenen parafiskalischen Organisation der Sozialversicherungsträger deren Ausgliederung aus der in den haushaltsrechtlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden bundesstaatliehen Kompetenzordnung 167• Die als Parafisci oder intermediäre Finanzgewalten bezeichneten Körperschaften stehen zwischen dem staatlichen und dem privaten Bereich. Sie zeichnen sich in erster Linie durch die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die Verfügung über eigene Finanzquellen und meist über eine Zwangsmitgliedschaft aus. Mit der finanzsoziologischen Bezeichnung der Sozialversicherung als Parafiscus gelangt ihre Ausgliederung aus der unmittelbaren Staatsverwaltung gleichermaßen sinnträchtig zum Ausdruck, wie ihre strukturelle Verwandschaft mit der unmittelbaren Staatsverwaltung: Die Parafisci grenzen sich von den Fisci insbesondere durch eine gesonderte, von den Haushalten der Fisci getrennte Abrechnung ab, weisen aber durch ihre im wesentlichen gesetzesgebundene Ausgabengestaltung und durch ihre Finanzierung aus gesetzlich fixierten Abgaben zahlreiche Parallelen zur unmittelbaren Staatsverwaltung auf. Die daraus resultierende Spannung zwischen der Nähe zum staatlichen Hoheitsbereich einerseits und der gleichzeitigen Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben des Staates und einer Gruppe seiner Bürger andererseits, schafft erhebliche rechtliche Abgrenzungschwierigkeiten. 168
1996, Typoskript, S. 27 f., 40. Die Gesetzesmaterialien sprechen gegen diese Interpretation. 165 Jsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, I 0, 15 f. 166 BVerfGE 86, 148 (215 f.); BVerwGE 44, 351 (364); Klein, in: Schmidt-Bieibtreu!Kiein, Kommentar zum GG, Art. 104 a Rn. 5. 167 lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 10. Vgl. aber F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 33 ff.; ders., in: FS Dürig, S. 447, 456 ff. 168 Vgl. zum Ganzen Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 7 m.w.N.; Meinhold, Fiskalpolitik durch sozialpolitische Parafisci, insbes. S. I, 18; Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 165 f.; Smekal, in HdWW, Bd. 3, S. 1; Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. 8 ff., I 05 f.; umfassende Darstellung bei Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, S. 208 ff., 454 ff., zur Rechtfertigung der Bildung von Parafisci S. 550 ff. 17 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz fiir die Staatszuschüsse
Die parafiskalische Organisation entzöge die Beitragseinnahmen der Versicherungsträger der "allgemeinen haushaltspolitischen Verteilungsmasse"; so würde "fiskalischer Begehrlichkeit" gewehrt. Die Organisation dezentraler Fonds sichere die Zweckbindung des Beitragsaufkommens und dessen richtige Bemessung. Sie trage dem Gebot der Globaläquivalenz Rechnung, wonach die Ausgaben eines Versicherungsträgers grundsätzlich durch Beiträge zu decken sind. Diese "fmanzorganisatorische Funktion" bilde fmanzverfassungsrechtlich den eigentlichen Rechtfertigungsgrund für die soziale Selbstverwaltung169. Die Bundeszuschüsse fungieren hier als Bindeglieder zwischen den fiskalischen und den parafiskalischen Haushalten. Sie "spannen die unmittelbare Staatsverwaltung und die mittelbare Sozialstaatsverwaltung zur Funktionseinheit zusammen"170 und schaffen zwischen der "Finanzverfassung der Sozialversicherung" und der Steuerfmanzverfassung eine Verbindung 171 . Art. 87 II GG schreibt die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherungsträger jedoch nicht vor172. Aber selbst wenn dem so wäre: Die zentrale Begründung fiir die Freistellung der Sozialversicherung von den Bindungen der Finanzverfassung greift nicht. Die "fehlende Haushaltsflüchtigkeit" der Einnahmen ist eine Chimäre: "Die rechtliche und tatsächliche Trennung der Finanzmasse der Sozialversicherung von den allgemeinen Staatsfmanzen, ( ...) die notwendig wäre, um die Nichtberücksichtigung der Sozialversicherung in der bundesstaatliehen Finanzverfassung zu begründen, ist ( ...) gerade nicht gegeben"173. Der Bundesgesetzgeber kann im Gegensatz zum Landesgesetzgeber vermittels Aufgabenübertragung oder Zuschußkürzungen auf die Finanzmasse der Sozialversicherung zu eigenen Zwecken zugreifen. Durch die mehrfach erwähnten sog. Verschiebebahnhöfe hat er der Sozialversicherung Aufgaben zur Durchfiihrung und Finanzierung übertragen, die bisher aus dem Bundeshaushalt fmanziert wurden1 74. Der Bundesgesetzgeber hat auf diese Weise in der 169 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 15 f. Vgl. zum Ganzen P. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 88 Rn. 274; Ruland, in: HDR, 19. Rn. 63. Vgl. ferner Schewe, Soz Sich., Beil. zu Heft 5, S. 12, der- im Jahre 1966- davon ausging, die damalige finanztechnische Gestaltung der Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung (einmalige gesetzliche Festsetzung und anschließende Fortschreibung) stärke die Selbständigkeit der Versicherung. 170 F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 71. 171 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 53, 209; F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 67, 71 f. 172 Vgl. oben 3. Kapitel V. 173 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 214. Vgl. aber Ruland, in: HDR, 19. Rn. 63 . 174 Eingehend Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 8, 31 f. mit Beispielen flir "Verschiebebahnhöfe", 53 f., 198, 207 ff., 213 ff., anders S. 33 ff.; Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, S. 381 ff. Der mit dem Rentenreformgesetz 1992 eingeführte Selbstregulierungsmechanismus des § 213 II SGB VI erschwert haushaltspoli-
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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Vergangenheit verschiedentlich der Renten- und Arbeitslosenversicherung Minder- oder Mehreinnahmen anderer Versicherungszweige zugewiesen. Ein anschauliches Beispiel fl.lr die Aufgabenverschiebung vom Bund zur Sozialversicherung liefert die im Jahre 1987 beschlossene Sprachförderung von Aussiedlern, Asylberechtigten und Kontingentflüchtlingen durch einen Lehrgang mit ganztägigem Deutschunterricht175 . Diese Maßnahme wurde schon vorher in geringerem Umfang von der BA finanziert und vom Bund bezahlt. Im Jahre 1988 definierte der Bundesgesetzgeber diese Förderung jedoch als arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Ihre Finanzierung trägt seitdem nicht mehr der Bund, sondern die BA. An Stelle der Steuermittel werden jetzt die Beitragsmittel der Versicherungsnehmer zur Finanzierung der Sprachförderung eingesetzt. Hierdurch wollte sich der Bund ausreichenden finanziellen Freiraum schaffen, um die geplante Einbeziehung älterer Frauen in die Kindererziehungsleistungen bezahlen zu können 176. Doch auch diese Sozialleistung kompensiert der Bund der belasteten Rentenversicherung nach anfanglieh einzelfallorientierter Erstattung mittlerweile nur noch durch die globalen Bundeszuschüsse. Wenn diese Zuschüsse nicht ausreichen, müssen letztlich die Beitragszahler in die Bresche springen. Diesmal hat der Bund den Schwarzen Peter der Rentenversicherung zugeschoben.
Über die Defmition der Aufgaben und Ausgaben hat der Bundesgesetzgeber direkten Zugriff auf die gesamte Finanzmasse der Sozialversicherung. Zwar kann er über die Sozialversicherungsbeiträge keine zusätzlichen Einnahmen schaffen, wohl aber eine Verringerung seiner Ausgaben erreichen. Die Funktion der Bundeszuschüsse als Bindeglieder zwischen den fiskalischen und parafiskalischen Haushalten spricht nicht für, sondern gegen die angebliche fmanzorganisatorische Trennung der Haushalte: Daß der Bund durch Kürzung der Zuschüsse seinen eigenen Haushalt sanieren kann, ist evident und in der Vergangenheit oft geschehen177• Quartier bezeichnet den Zuschuß zur Rentenversicherung treffend als "fmanzpolitische Manövriermasse" 178 . Über die Zuschußkürzungen verlagert der Bund seine eigenen Haushaltsprobleme auf die Haushalte der Sozialversicherungsträger, die Leistungen kürzen, Rücklagen auflösen und Beitragssätze anheben müssen 179 . Überdies kann der Bund auf diese Weise die Sozialversicherungsträger disziplinieren: Durch Kürzung seiner Zuschüsse kann er die Sozialversicherungsträger zu einer restriktiveren Ausgabenpolitik veranlassen 180 . Eine solche Einflußnahme gerät mit der sozialrechtlichen Selbstverwaltung in Konflikt. tisch bedingte Kürzungen, macht sie jedoch nicht unmöglich; vgl. im einzelnen oben 1. Kapitel II 2, insbes. III 2 a, b; 3. Kapitel III 4 c, f. 175 Vgl hierzu Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145, 162. 176 Zum KLG vgl. oben 3. Kapitel III4 b. 177 Hierzu im einzelnen oben 1. Kapitel III 2 a. 178 Quartier, in: HDR, 9. Rn. 43. 179 Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 213 f. 180 Vgl. Kilian, in: Sozialfinanzverfassung, S. 87, 124.
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz fUr die Staatszuschüsse
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Mittelbar greift der Bund über die Zuschußkürzungen auch auf die Beitragseinnahmen zu: Der jeweils betroffene Sozialversicherungsträger kann das nach der Kürzung in seinem Haushalt hinterlassene Finanzloch nur mit Beitragsmitteln füllen. Drittmittel (z.B. Erträge aus eigenem Vermögen der Versicherer) stehen nur begrenzt zur Verfügung oder sind zweckgebunden (Erstattungen). Angesichts des enormen Finanzbedarfs sind sie überdies kaum in der Lage, die Haushaltsengpässe der Versicherungsträger zu überbrücken. Nicht nur die Zuschüsse sind deshalb finanzpolitische Manövriermasse, sondern das gesamte den Sozialversicherungen zur Verfügung stehende Finanzvolumen181. Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung verbinden den zentralstaatlichen Haushalt des Bundes und die parafiskalischen Haushalte der Iandes- und bundesmittelbaren Sozialversicherungsträger zu einer prekären, intransparenten Form von Haushaltsverflechtung außerhalb der finanzverfassungsrechtlich vorgesehenen Bahnen182.
4. Unitarisierungsdruck als finanzverfassungsrechtlicher Dispens? Ferner begründet die h.M. die Finanzierungskompetenz des Bundes für die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung jenseits des Art. 120 I 4 GG mit einer eher praktisch-funktional orientierten Argumentation, die die unitarischen Grundtendenzen der Sozialversicherung in den Vordergrund rückt. Sie soll eine Spaltung der Finanzverfassung plausibel machen, die die Sozialversicherung in einen finanzverfassungsrechtsfreien Raum transferiert und von den Bindungen des Art. 104 a I GG befreit. Diese Argumentation wählt die sozialrechtlich bewirkten Erscheinungsformen der modernen öffentlichen Sozialversicherungsverwaltung als Ausgangspunkt. Sie stellt nicht - wie die kompetenzrechtliche Argumentation 183 - auf den Akt der Gesetzgebung ab, sondern auf die sozialrechtliche Gestaltung des öffentlichen Lebens. Normativ stützt sie sich auf Art. 20 I, 3 I GG.
a) Unitarische Grundtendenz der Sozialversicherung Der auf "einheitliche Lebensverhältnisse" drängende Sozialstaat lasse nicht zu, "daß das Leistungs- und Beitragsniveau davon abhängt, ob der Versiehe181 Das hat Mackscheidt, in: Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung I, S. 145, 163, 166 f. zu heftiger Kritik aus ökonomischer Sicht veranlaßt IX2 Hierzu unten V 3 a. IXJ
Oben 2.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
261
rungsträger zur Bundes- oder zur Landesorganisation gehört" 184. "Der Sozialstaat( ... ) verlangt( ... ) eine weitgehende sachliche Unitarisierung" 185 . Auch das soziale Staatsziel des Art. 20 I GG dränge auf materielle Gleichheit der Lebensbedingungen und verbinde sich mit dem unitarischen Prinzip. Das Recht der sozialen Sicherheit wehre sich gegen föderative Verschiedenheit. Zur Begründung verweist die h.M. u.a. auf den Regierungsentwurf zum Finanzreformgesetz 1969, in dem es heißt: "Die öffentliche Meinung nimmt wesentliche Leistungs- und Belastungsunterschiede als Preis flir eine weitgehende eigenstaatliche Lösung der öffentlichen Aufgaben durch die Länder nicht mehr hin. Annähernd gleichmäßige öffentliche Leistungen ( .. )sind auch im Bundesstaat zur selbstverständlichen Forderung geworden" 186.
Diese Forderung der öffentlichen Meinung hat den Sozialgesetzgeber zu detaillierten bundesgesetzliehen Vorgaben für die Sozialversicherungsträger veranlaßt Die verbleibenden Ungleichheiten regeln die Versicherungsträger des Bundes und der Länder intern, indem sie die Anwendung des Sozialrechts untereinander koordinieren 187 : Der VDR entscheidet für seine Mitglieder gern. § 5 I seiner Satzung verbindlich offene Interpretationsfragen des bundeseinheitlich vorgegebenen Sozialrechts, um zu dessen einheitlicher Auslegung und Anwendung zu gelangen 188 . Diese verbandsmäßige Koordination überlagert als föderativer Kompromiß die bundesstaatliehen Distinktionen. Im interföderalen Finanzausgleich zwischen den Sozialversicherungsträgern verschiedener Länder findet dieser Ausfluß sozialer Selbstverwaltung sein sozialrechtlich gebilligtes Pendant 189. Isensee stellt fest: "Die bundes - wie die landesmittelbaren Versicherungsträger bilden eine bundesweite Funktionseinheit, in der die verfassungsrechtliche Zweiteilung von Bund und Ländern praktisch aufgehoben wird. Der Föderalismus weicht einem präteekonstitutionellen sozialversicherungsautonomen Unitarismus" 190• Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung kämen den unitarischen Tendenzen der Sozialversicherung entge-
184 lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 10; ders., NZS 1993, S. 281, 284; Ruland, in: HDR, 19. Rn. 116 ff. 185 Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 127; Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1230, 1234. 186 BT-Drucks. V/2861, S. II Tz. 10; lsensee, NZS 1993, S. 281, 284; ders., in: HStR, Bd. 4, § 98 Rn. 251; Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1230, 1234; Heintzen!Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60. 187 lsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 10. 188 Ruland, in: HDR, 19. Rn. 118. 189 Mit berechtigter Kritik F. Kirchhof, in: HStR, Bd. IV, § 93 Rn. 34. 190 /sensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, I 0.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
gen, indem sie unmittelbare und mittelbare Staatsverwaltung zur Funktionseinheit zusammenspannten191.
b) Kritik Wieso dieser Unitarismus einer Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Staatszuschüsse bedarf, ist nicht schlüssig. Überdies ist fraglich, ob tatsächlich die Auffassung in der Bevölkerung verbreitet ist, die staatlichen Verwaltungsleistungen müßten bundeseinheitlichen Standard haben und nach bundeseinheitlichen Grundsätzen erfolgen. Jedenfalls erscheint diese - erstmals wohl von Hettlage so formulierte Argumentation192 - so ganz zwingend denn auch wieder nicht, "wenn man bedenkt, wie sehr die behauptete Sensibilität fiir Unterschiede zwischen den Ländern bei den öffentlichen Leistungen und Lasten kontrastiert mit der offenbar robusten Toleranz der Bundesbürger fiir alle anderen Ungleichheiten in der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen"193. Die Begründung der 1955er Finanzreformjedenfalls attestiert der öffentlichen Meinung eine geringere Empfmdlichkeit gegenüber regionalen Differenzierungen bei der Erbringung öffentlicher Leistungen, gleichwohl sie einen "Wandel in den politischen Grundanschauungen" bereits registriert194. Ob dieser Wandel, wie vom Bundesgesetzgeber 14 Jahre später festgestellt, nun tatsächlich stattgefunden hat, und falls ja, ob das öffentliche Meinungsklima dem immer noch entspricht, sei dahingestellt: Regionale Differenzierungen in der Art und im Wirkungsgrad des Aufgabenvollzugs und Unterschiedlichkeiten bei der Erbringung öffentlicher Leistungen liegen jedenfalls im Wesen des Bundesstaats begründet und sind "als Preis fiir die staatspolitischen Vorzüge eines freiheitlichen Verfassungssystems in Kauf zu nehmen" 195 . aa) Finanzverfassung kein soft law Die unitarische Argumentation hebelt mit praktischen Erwägungen die rechtsverbindlichen fmanzverfassungsrechtlichen Entscheidungen des Grundgesetzes aus 196. Allein die Klarheit der staatspraktischen Anwendung dispen191 Vgl. Jsensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 10; ders., NZS 1993, S. 281, 284; F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 71 f. 192 Hettlage, VVDStRL Heft 14 (1956), S. 2, 19. 19 3 Scharpf, in: Die alte Bundesrepublik, S. 146, 148. 194 BT-Drucks. III480, S. 48 Tz. 62. 195 BT-Drucks. 111480, S. 48 Tz. 62. 196 So in Zusammenhang mit den bundesgesetzlich erzwungenen Finanztransfers zwischen den Bundesländern F. Kirchhof, in: FS Dürig, S. 447, 461 f.; vgl. ders., in: HStR, Bd. IV,§ 93 Rn. 35. F. Kirchhofzieht aus seiner Kritikjedoch keine Konsequen-
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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siert nicht von den Vorschriften der Finanzverfassung197 . Die Finanzverfassung ist kein Recht minderer Geltungskraft, das hinter den sozialrechtlichen Erscheinungsformen der Sozialversicherung zurückzutreten hat. Das BVerfG hat in seiner richtungweisenden Entscheidung zum Finanzausgleich nach Art. I 07 GG festgestellt: Die "finanzverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes [bilden] einen der tragenden Pfeiler der bundesstaatliehen Ordnung. Insgesamt sollen sie eine Finanzordnung sicherstellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Ertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt( ... ). Nur auf der Basis einer hinreichenden Finanzausstattung sind die Länder und ist der Bund in der Lage, die eigene Staatlichkeit zu entfalten. Insofern ist es unabdingbar, daß die bundesstaatliche Verfassung die finanziellen Positionen des Bundes und seiner Glieder bestimmt und absichert. ( ... )Diese Ordnungsfunktion der Finanzverfassung schließt es aus, ihre Geltung - sei es insgesamt, sei es in Teilen - als Recht von minderer Geltungskraft anzusehen, das etwa bis zur Willkürgrenze abweichenden Kompromissen und Handhabungen zugänglich ist, sofern nur ein vertretbares Ergebnis erreicht wird. Ebensowenig sind die Normen der Finanzverfassung mit minder verbindlichen Regelungen im Bereich des Völkerrechts ('soft law') vergleichbar. Dem bundesstaatliehen Verfassungsverhältnis würde auf diese Weise in einem zentralen Punkt seine Stabilität und die Sicherheit, die Freiheit verbürgt, genommen" 198 .
Daß die Sozialgesetzgebung den Sozialversicherungsträgem wenig eigene Entscheidungsspielräume läßt, trifft zu. Auch, daß auf diese Weise die Gleichheit der Lebensbedingungen im Bundesgebiet gefördert werden soll und wird. Schenke spricht insoweit zutreffend von einem "im Sozialstaatsprinzip normativ angelegte[n] Egalisierungssog" 199 . Egalisierung bedeutet aber nicht denknotwendig Unitarisierung. Nur durch eine vereinheitlichende Bundesgesetzgebung wird der Bundesstaat noch nicht zum unitarischen Staat. bb) Art. 20 I GG: "sozialer Bundesstaat" "Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes ist als Staatszielbestimmung eingebettet in die Staatsfundamentalnorm der bundes-, demokratie- und rechtsstaatlichen Ordnung (Art. 20 Abs. I, 28 Abs. 1 1 GG). Ihm kommt in diesem Geflecht kein Vorrang zu. Das Sozialstaatsprinzip ermächtigt den Staat daher nicht zu beliebiger Sozialgestaltung ( ...); die staatliche Sozialgestaltung ist vielmehr eingebunden in die bundesstaatliche Kompetenzverteilung" 200 . Das aus dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 I GG und dem Grundsatz des Art. 3 I GG zen gegen die normative Fundierung der Finanzierungskompetenz des Bundes in Art. 120 I 4 GG, die er im Gegenteil unterstützt (Rn. 34). 197 So aber Jsensee, NZS 1993, S. 281, 284 fiir Art. 120 I 4 GG. 198 BVerfGE 72, 330 (388 f.); hierzu Vogel, HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 123, 127 m.w.N. 199 Schenke, JuS 1989, S. 698. 200 Papier, in: SRH, A.3 Rn. 5 m.w.N.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
abzuleitende Gebot zur Herstellung sozialer Gleichheit201 fmdet seine Grenze in dem bundesstaatliehen Egalisierungsverbot Das sozialstaatliche und gleichheitsrechtliche Postulat weicht das bundesstaatliche Egalisierungsvebot zwar auf. Doch kann die Forderung zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse nicht sinnvoll bedeuten, daß an jedem Ort in der Bundesrepublik die gleiche Erfiillung der öffentlichen Aufgaben gewährleistet sein soll202 • Einer solchen Forderung könnte schon praktisch nicht entsprochen werden. Die Fixierung der Rechtspolitik auf den sozialen Leistungsstaat fördert die "Dynamik der wirtschaftlich-sozialen Egalisierung, Effektuierung und Verselbstzweckung" und wird dem verfassungspolitischen Auftrag des Art. 20 I GG nicht gerecht203 • Das Sozialstaatsverständnis reduziert sich auf die staatlichen Sozialleistungen. Es geht nicht mehr um das sozial Nötige, sondern um das fmanziell und technisch Machbare, nicht um das Existenzminimum "alter Art", sondern um das egalitäre Jedermannsrecht auf Daseinsvorsorge204. Die moderne Wohlstandsgesellschaft beurteilt die Qualität der Rechtspolitik danach, ob sie den maximal möglichen "Glücksgewinn" erzielt205 . Gleichzeitig soll der soziale Leistungsstaat seinen Bürgern im Normalfall gleichmäßige Lebensqualität verbürgen206. Diese Mentalität kommt auch in der Begründung des Regierungsentwurfs des Finanzreformgesetzes aus dem Jahre 1969207 zum Ausdruck. Sie wird deshalb immer dann angefiihrt, wenn es um die Rechtfertigung der mittlerweile fiir selbstverständlich gehaltenen egalitären Tendenzen des Sozialstaats geht208 .
201 Vgl. hierzu Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 890 ff. m.w.N. 202 Fischer-Menshausen, in: Probleme des Finanzausgleichs I, S. 135, 148 f. 203 Die Rechtspolitik hat den Auftrag des Sozialstaatsprinzips trotzmancher z.T. berechtigter Kritik im Großen und Ganzen durch das qualitativ und quantitativ engmaschige soziale Netz erfüllt; vgl. mit mehr Begeisterung Schmitt Glaeser, AöR I 07 (1982), S. 337, 354. Die hier vorgebrachte Kritik will diesen Erfolg nicht schmälern. Die Bundesrepublik ist ein "planender, lenkender, leistender, verteilender, individuelles wie soziales Leben erst ermöglichender Staat"; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 212. 204 Dürig, in: M/D/H/S, GG Art. 3, Abs. I Rn. 74; Schmitt Glaeser, AöR I 07 (1982), s. 337, 354 f. 205 Das Rechtsstaatsprinzip grenzt das Sozialstaatsprinzip jedoch ein: Eine "umfassende staatliche Fürsorge, die das Gemeinwesen in einen Wohlfahrts- oder Versorgungsstaat verwandeln möchte und selbstverantwortliche Freiheit aufhebt, entspricht nicht mehr dem Prinzip des sozialen Rechtsstaates"; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 215. 206 Zum Ganzen Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337, 354 f., 358 f. 207 Vgl. oben vor aa. 208 Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60; Isensee, NZS 1993, S. 281, 284; vgl. aber kritisch ders.; in: HStR, Bd. IV,§ 98 Rn. 251.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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Aus dieser Gesinnung entspringt der allein auf die Effizienz zentraler Organisationen vertrauende Zentralismusglaube: Staatliche Sozialleistungen glaubt man nur noch in zentraler Weise optimal erbringen zu können. Der Sozialstaat mutiert zur jedermann zugänglichen ökonomischen Beglückungsinstitution, die "wirksame und egalitäre Leistungen mit Bundesleistungen identiflziert"209 und die föderativen Differenzierungen in den verfassungsrechtlichen Gesetzgebungs- und Finanzierungskompetenzen überrollt210. Der "Bundesstaat" des Art. 20 I GG geht darüber verloren. Die egalitäre Staatsauffassung kulminiert in dem Ausruf: "Egalisierung verlangt Zentralisierung"! 211 "Der Trend wird als Faktum genommen, dem sich die Rechtswelt zu fügen" hat212 . Das entspricht nicht juristischer Methodik. Die Formel vom sozialen Bundesstaat hat möglicherweise schon aus entstehungsgeschichtlichen Gründen keine "spezifisch kombinatorische Bedeutung"213. Vielleicht war die Formel nur redaktionell motiviert214. Das in ihr immerhin enthaltene föderative Moment erteilt der Rechtspolitik aber den Auftrag, die Bundesstaatlichkeit bei der Erfüllung der sozialstaatliehen Verpflichtungen nicht nur nicht untergehen zu lassen, sondern ihr neben den unitarischen Impulsen des Sozialstaats eigenständige und maßgebliche Bedeutung beizumessen. Die Verfassungswirklichkeit hat die föderativen Möglichkeiten nicht genutzt. Isensee schrieb vor der 1994 erfolgten länderfreundlichen Neufassung des Art. 72 II GG215 , deren fOderalismusfördemde Wirkungen bisher noch nicht wesentlich greifen konnten, kritisch: "Das sozialstaatliche Leitbild, das sich in der Praxis durchgesetzt hat, ist die 'Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse' im Bundesgebiet. Im Verfassungstext erscheint die Formel als eine der Voraussetzungen, unter denen der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen darf (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG) ( ... ). Die Kompetenzhürde des Verfassungsgesetzes wird in der Verfassungswirklichkeit umfunktioniert zur Entgrenzung der Bundeskompetenzen ( ... ). Was Hemmnis sein sollte, wird zur Triebfeder. Im Feld des sozialen Staatsziels hat sich- praeter constitutionem - eine allgemeine Zuständigkeitsvermutung zugunsten des Bundes etabliert ( ...), weil im wesentlichen doch nur der Bund als befähigt gilt, die rechtli-
209 Schmitl Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337,358 f.
Jsensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 251. Hofmann, in: HStR, Bd. I§ 7 Rn. 60. 212 Lerche, in: FS Berber, S. 299; Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 42, mit Kritik aus methodischer Sicht S. 39 ff. 213 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, 686, 737. 214 Jsensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 250 m.w.N.; vgl. aber ders., Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 232 m.w.N., wonach die Formel mehr sei, als ein redaktioneller Zufall. 215 Hierzu sogleich unten c. 210 211
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
chen und die finanziellen Standards zu setzen und zu sichern, deren die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bedarf'' 216.
In einem solchen Konzept haben Länderzuschüsse zur Sozialversicherung keinen Platz. cc) Nutzen und Chancen des Föderalismus217 Diese Verfassungspraxis verkennt, daß das föderale System eine Vielzahl z.T. ungenutzter- Chancen zur Verwirklichung des Sozialstaats bereit hält. Die Formel vom sozialen Bundesstaat bekommt unter Subsidiaritätsgesichtspunkten materialen Sinn: "Die Dezentralisation der sozialen Dienste vergrößert die Chancen zur Menschlichkeit, zu unbürokratischer Zuwendung, zur Einsicht in die Lebensbedürfnisse" 218 . Über das föderative Prinzip fließt in die sozialstaatliehe Aufgabenerfüllung das Subsidiaritätsprinzip ein219• Der Bundesstaat fördert Individualität. Er effektuiert den Sozialstaat, nicht nur ökonomisch, aber auch. Wer den Sozialstaat nicht braucht, verkennt dies leicht. Wer bei der verfassungspraktischen Umsetzung des Art. 20 I GG das Subsidiaritätsprinzip in den Vordergrund rückt weiß, was die Formel vom sozialen Bundesstaat in Art. 20 I GG gesellschaftspolitisch - über ihre juristische und politische Funktion hinaus - für ein Gemeinwesen, dessen Bürger sich auch zur Mitmenschlichkeit verpflichtet fühlen, sinnvoll bedeuten kann. Wer sich als Teil eines solchen Gemeinwesens versteht, muß sich fragen: Warum nicht nutzen, was in ihr steckt? Föderalismus dient keinem Selbstzweck und ist keine LeerformeL (1) Integrationsfunktion
Das föderative System eröffnet den Bürgern Möglichkeiten zur Identifikation, zur Konsensfmdung und zum eigenen Engagement, die größere Nähe zur politischen Herrschaft herstellen können und deren Kontrolle ermöglichen. Der Bürger kann politische Entscheidungen besser nachvollziehen, staatlichen Handlungsbedarf eher erkennen und den politischen Prozeß leichter verfolgen. Ggf. kann er staatlichem Handeln leichter begegnen. Solche Nähe ermöglicht
216
Isensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 250 m.w.N.
Vgl. hierzu unter gleichnamiger Überschrift die Ausführungen von Bohley, in: Föderalismus, Demokratische Struktur fllr Deutschland und Europa, S. 31, 49 ff. 218 Isensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 250 m.w.N. 219 Zur Subsidiaritätsproblematik im Bundesstaat /sensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 224 ff. m. zahlreichen w.N. 217
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
267
Kritik, weckt aber auch eher Verständnis und Akzeptanz. Die Entscheidungen der Amtsinhaber sind orts- und sachnäher, personen- und situationsgerechter. Im föderativen Staat haben die Bürger die Möglichkeit, sich nicht nur mit dem einen übergeordneten Gemeinwesen, sondern in unterschiedlicher Intensität mit einem oder mehreren von verschiedenen selbstverantwortlichen Gemeinwesen zu identifzieren, die neben und unter dem übergeordneten Gemeinwesen bestehen; "sie sind nicht auf einen einzigen 'rettenden Strohhalm' angewiesen"220. Je mehr Identifikationsmöglichkeiten ein Gemeinwesen seinen Bürgen bietet, umso höher ist dessen Bindungs- und Integrationskraft und umso sicherer sein Bestand. Die Finanzwissenschaft versucht, die Vorteile aus dieser Integrationskraft mit dem Theorieansatz der meritorischen Güter zu erklären221 : Im Gegensatz zum unitarischen Staat biete die im föderativen Staat angebotene kollektive Identität vervielfachte Ansatzpunkte für sog. meritorisches ("verdienstvolles") Handeln, das langfristig den Fortbestand eines Gemeinwesens gewährleiste. Meritorische Güter sind Handlungen oder Leistungen, "die im Bewußtsein der Bevölkerungsmehrheit keine oder vielleicht noch keine Rolle spielen oder über deren Bedeutung eine Mehrheit mangels besseren Wissens sich falsche Vorstellungen macht, die aber für das Gemeinwohl und für die Erhaltung gemeinsamer Werte und einer gemeinsamen Kultur und damit auch einer kollektiven Identität erforderlich sind"222 . Der Nutzen aus der Existenz eines gebietskörperschaftlich organisierten Gemeinwesens besteht nach der Theorie der meritorischen Güter im Aufbau und in der Wahrung des Gemeingeistes und des von ihm im Interesse des Gemeinwohls geprägten Handeins der Bürger. Dieser Vorteilläßt sich in Geld nicht messen, ist aber auch für den Ökonomen von erheblicher Bedeutung. Zusätzlicher Nutzen aus der im föderativen Staat erzielten kollektiven Identität erwächst dem Gemeinwesen aus einer Senkung der Transaktionskosten bei der Kommunikation und der Suche nach Kommunikation mit Menschen gleicher kollektiver Identität223 . Und vordergründig besteht der Nutzen in den Freuden des Alltags: "Freude am Erfolg von Kollektivgruppen-Mitgliedem, sei es deren Gewinn von Sportmedaillen, sei es deren Ehrung durch Literatur- oder Wissenschaftspreise oder sei es die Befriedigung über das Ansehen des eigenen 220
Bohley, in: Föderalismus. Demokratische Struktur für Deutschland und Europa,
s. 31, 55.
221 Vgl. nur die Darstellung dieses Ansatzes bei Bohley, in: Föderalismus. Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, S. 31, 51 ff. m.w.N. 222 Bohley, in: Föderalismus. Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, s. 31, 52. 223 Eingehend Bohley, in: Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik, FS Klein, S. 541,549 ff. m.w.N. aufGrundJage der Spieltheorie.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
Kollektivs und von dem, was dieses an Gestaltungen seines Territoriums hervorgebracht hat. Identität verschafft Selbstwertgefiihl"224. (2) Gewaltenteilende Funktion Neben der bestandssichemden Integrationsfunktion bewirkt der Föderalismus im grundgesetzliehen Bundesstaat - grob umrissen - eine dreifache Form der Gewaltenteilung225 : (1.) auf gesamtstaatlicher Ebene vertikal durch Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern, verstärkt durch parteienstaatlich differierende Mehrheitsverhältnisse, ferner (2.) auf Länderebene horizontal durch Verteilung der Staatsgewalt auf verschiedene Länder, geschwächt durch verschiedene Erscheinungsformen des kooperativen Föderalismus einerseits und die vorangige Bedeutung des parlamentarischen Geschehens auf Bundesebene andererseits, und schließlich (3.) auf Bundesebene durch Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung vermittels ihrer Vertretung im Bundesrat, ggf. verstärkt durch abweichende Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und -rat, jedenfalls gesichert durch den Länderbezug von Gesetzen, der sich einem parteipolitischen Gleichklang der Entscheidungen in Bundestag und Bundesrat entgegenstellt, aber geschwächt durch den Zwang zur politischen Kompromißbildung, der den Schwerpunkt der politischen Entscheidungsfmdung aus dem Parlament heraus in einen nicht öffentlichen und daher der demokratischen Kontrolle nur schwer zugänglichen Bereich transferiert. Die politische Praxis effektuiert diese Gewaltenteilung u.a. auf folgende Weise: - Zeitversetzte Parlamentswahlen fUhren zu nahezu ständigem Wahlkampf. Sie ermöglichen den jeweiligen Mehrheitsparteien eine ständige Orientierung am Wählerwillen. Wegen der oftmaligen Identität von Iandes- und bundespolitischen Themen und der maßgeblichen Beeinflussung der Wähler durch bundespolitische Entscheidungen werden die Landtagswahlen gleichsam zu partiellen Plebisziten über die Bundespolitik - Über den aus Vertretern der Landesregierungen konstituierten Bundesrat fmdet deren Verwaltungserfahrung und Sachverstand Eingang ins Gesetzge-
224 Bohley, in: Föderalismus. Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, S. 31,54 f. Fn. 39. 225 Vgl. hierzu grundlegend Hesse, Der unitarische Bundesstaat und zum folgenden den Überblick bei Schenke, JuS 1989, S. 698 ff.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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bungsverfahren. Dies bewirkt gleichzeitig eine wechselseitige intrabürokratische Kontrolle von Bundes- und Landesbürokratie. - Die horizontale und vertikale staatliche Gewaltenteilung liefert durch das Bundesstaatsprinzip wichtige "Impulse für eine gesellschaftliche Gewaltenteilung durch Dezentralisation gesellschaftlicher Macht"226: Parteien, Verbände, Wirtschaftssubjekte und nicht zuletzt auch ein Großteil der Sozialversicherungsträger orientieren sich in ihrer organisatorischen Struktur an den bundesstaatlich vorgegebenen Gliederungen. Das staatsorganisatorische Bundesstaatsprinzip gewinnt gesellschaftsorganisatorische Relevanz und stellt sich zentralistischen Herrschaftsstrukturen entgegen. (3) Innovationsfordernde Funktion
Der Föderalismus ermöglicht das Experiment des großen Vorhabens im Kleinen. Die Länder können "Wegbereiter und Weichensteller für neue politische Einrichtungen und Aufgaben sein, indem sie im räumlich überschaubaren Bereich gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel umsetzen, Anstöße geben, Alternativen erproben, Experimentier-, Pilot- und Innovationsaufgaben übemehmen'1227• Er bietet den Politikern die Chance, auf den unteren staatlichen Entscheidungsebenen das nötige Rüstzeug zu erwerben, um in größere Verantwortung hereinzuwachsen. Wer umfassendere Verantwortung scheut oder nicht übernehmen kann, vermag politische Ambitionen auf der unteren Ebene zu befriedigen. Und schließlich gewährleistet die Mehrstufigkeit staatlicher Entscheidungsebenen eine höhere Problemlösungsfahigkeit228. (4) Fragwürdiger Konkurrenzfoderalismus
Die effizienzsteigemden Auswirkungen des in jüngerer Zeit vielfach mit Begeisterung vertretenen sog. Konkurrenz- oder Wettbewerbsföderalismus sind indes heftig umstritten: Im Modell des Konkurrenzföderalismus stehen die Gebietskörperschaften mit ihrem Angebot an kollektiven Gütern miteinander in Wettbewerb. Ein Bürger, dem das Angebot der einen Gebietskörperschaft nicht zusagt, kann in eine Schenke, JuS 1989, S. 698, 702. Stober, BayVBI. 1989, S. 97, 101. 228 Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 26. 226 227
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
andere abwandern, deren Angebot eher seinen Bedürfnissen entspricht. Dies fiihrt -jedenfalls dem Modell nach- zu einer Vereinigung von Bürgern mit identischen oder zumindest teil-identischen Präferenzen und hierdurch zu einer pareto-optimierenden Bildung homogener Bereitstellungskollektive229 . Die drohenden Abwanderungsbewegungen der Bürger fiihren unter den Gebietskörperschaften zu einem Standortwettbewerb. Er soll die Effizienz staatlicher Aufgabenerfiillung steigern. Der Bundesstaat schafft mit der Ermöglichung politischer Vielfalt die Voraussetzung fiir einen solchen Wettbewerb: Durch "die Ermöglichung von Alternativen, die Zulassung geistiger, historischer, kultureller, sozialer, landschaftlicher, wirtschaftlicher und geographischer Vielfalt, die Pflege und Hervorhebung von Eigenarten und die Schaffung sowie Entfaltung neuer Freiräume"230 können die Einzelstaaten die Überlegenheit ihres politischen Systems durch dessen möglichst attraktive Gestaltung demonstrieren. Hierdurch können sie die Wirtschaftssubjekte dazu veranlassen, sich in ihrem Land niederzulassen. Dabei kommen den wirtschaftlichen Faktoren besondere Bedeutung zu. Die steuerzahlenden Wirtschaftssubjekte werden sich z.B. durch eine ansprechende Gestaltung der steuerlichen Bedingungen zu einer Ansiedlung oder Umsiedlung veranlaßt sehen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kritisiert deshalb die unzulänglich verwirklichte Haushaltsautonomie der Länder, die ihre Beteiligung im Bundesrat nur unzureichend kompensiere. Der Rat empfiehlt eine Vergrößerung der steuerlichen Autonomie der Länder. Regionale Unterschiede in den Steuerbelastungen würden dem Bürger spürbar den Zusammenhang zwischen Ansprüchen auf kollektive Leistungen und Belastungen verdeutlichen. Die Länder könnten die Früchte sparsamer Haushaltsfiihrung durch Steuersenkungen an ihre Bürger weitergeben. Durch entsprechende steuerliche Anreize könnten sie Standortwettbewerb betreiben. Im derzeitigen Finanzausgleich erhalten die "armen" Länder mindestens 95 % der durchschnittlichen Finanzkraft Das verringert fiir "arme" und "reiche" Länder den Anreiz zu sparsamer Haushaltsfiihrung: Die "armen" Länder brauchen unter großzügiger Ausgabenpolitik nur wenig zu leiden, die "reichen" Länder können durch sparsame Haushaltsfiihrung wegen ihrer Verpflichtung zum Ausgleich nur wenig gewinnen. Nach Ansicht des Sachverständigenrates liegt die Rechtfertigung des Föderalismus vor allem in "dem Grundgedanken ( ...), daß die mehrheitlichen Wünsche der Bürger regional streuen können und ( ... ) dementsprechend in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens unterschiedliche Lösungen bei der Erfiillung öffentlicher Aufgaben den Wohlstand erhöhen 229 . Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 45. Vgl. zum ParetaKriterium oben 3. Kapitel III 4 e. 23° Stober, BayVBI. 1989, S. 97, 101.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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können". Auf diese Weise könne "ein Wettbewerb der Gebietskörperschaften entstehen, der die Efftzienz staatlicher Wirtschaftsbetätigung erhöht" 231 . Im Modell des Konkurrenzfoderalismus beeinflußt die Politik des einen Landes die der anderen Länder und schließlich auch die des Bundes und leitet Fortschritt ein232 • Im Interesse der Erhaltung und Erweiterung der eigenen Macht kämpfen die Parteien um den Wahlbürger: Die werbende Demonstration der Konkurrenzfähigkeit und Überlegenheit des eigenen politischen Systems bewirkt im parteienstaatlichen Bundesstaat "politische Herrschaftskonkurrenz ( ...). Konkurrenz, wo immer sie auftritt, wann immer sie Alternativen zuläßt und worauf sie sich immer bezieht, schafft Wettbewerb, löst Verkrustung und ist ein Dauertest an dem jedermann Diskrepanzen zwischen Ideologie und Wirklichkeit, Verheißung und Erfahrung, Propaganda und Realität ablesen und sich ein eigenes Urteil bilden kann" 233 . Das trifft sicher zu. Im grundgesetzliehen Bundesstaat hat aber nicht allein der Konkurrenzfoderalismus innovationsfordernde Funktion: Der Föderalismus ermöglicht bereits durch die Mehrstuftgkeit der Entscheidungsebenen das Experiment im Kleinen, das bei Gelingen Ameize zur Nachahmung nach außen sendet. Solche Ameize werden zwar im Wettbewerb intensiviert. Sie resultieren jedoch nicht zwingend aus wettbewerbliehen Konstellationen, sondern aus dem natürlichen Bestreben, bessere Lösungen zu übernehmen und ggf. weiterzuentwickeln. Der Mensch wird nicht allein durch Konkurrenz zum Handeln veranlaßt Der Wettbewerb ist nicht das Zauberwort, das dem Föderalismus neuen Sinn einhauchen kann. Richtig ist jedoch, daß der Wettbewerb die innovationsfordernde Funktion des Föderalismus intensiviert. Auf diese Weise bekommt das Modell des Konkurrenzfoderalismus seinen Sinn. Das hierfür grundlegende Postulat von der grenzenlosen Migrationsfähigkeit der Bevölkerung wird verbreitet bezweifelt. Benz hält es geradezu für zynisch, daß die Bürger auf Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern mit Abwanderungsbewegungen reagieren sollen, weil die Politik die deutsche Wiedervereinigung u.a. mit der Beendigung des Wanderungsstroms aus Ost-Deutschland begründet hat234. Wie dem auch sei, die Mobilität der Bevölkerung ist je-
231 Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. 1118472, S. 216 Tz. 459 und zum vorangehenden S. 211 ff. Tz. 435,438 f., 440 f., 443, 453 f. 232 Stober, BayVBI. 1989, S. 97, 101. 233 Rupp, in: Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 377, 381. 234 Benz, in: Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, S. 454, 464.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
denfalls nicht grenzenlos235 • Im Vergleich zu anderen Bundesstaaten ist sie gerade in der Bundesrepublik äußerst schwach ausgeprägt. Ob in der Mentalität ihrer Bevölkerung vergleichbar günstige Voraussetzungen filr einen Konkurrenzfoderalismus wie beispielsweise in der Schweiz oder in den USA vorliegen, ist fraglich. Die Erfolgsaussichten des Konkurrenzfoderalismus sind in der Bundesrepublik mit erheblicher Zurückhaltung zu bewerten. Die Stärkung der Finanzverantwortung der Länder könnte zu einer Unterversorgung mit öffentlichen Leistungen führen, die sich der erwünschten efftzienten Allokation entgegenstellt236• Auch Ausweichreaktionen der Steuerzahler bei regional stark abweichenden Steuerbelastungen müssen nicht zwangsläufig im Sinne volkswirtschaftlicher Efftzienz liegen. Selbst die Befilrworter des Wettbewerbsfoderalismus räumen hier mögliche distributive Nachteile ein237. Im übrigen wird die Problemlösungskapazität des Konkurrenzföderalismus in der Bundesrepublik auch wegen dessen Überlagerung durch den kooperativen Föderalismus als gering eingeschätzt. Die vereinheitlichenden Kooperationen zwischen den Bundesländern würden sich einem Wettbewerb entgegenstellen und die horizontale gewaltenteilende Funktion des Wettbewerbsfdderalismus verkürzen238 . Einem Konkurrenzfoderalismus wäre in der Bundesrepublik auf Grundlage des derzeitigen politischen Systems wenig Erfolg beschieden. Unabhängig von den fraglichen Voraussetzungen in der Mentalität der Bevölkerung liegen auch die verfassungsrechtlichen Grundvoraussetzungen nicht vor, auf deren Grundlage das Modell des Konkurrenzfoderalismus funktionieren kann. Diese Vor-
235 Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 46 f., 50; Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 36. Rupp, in: Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, FG Gesellschaft ftir Rechtspolitik, S. 377, 383 geht offenbar von gänzlicher Immobilität der Bürger aus, der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Jahresgutachten 1990/ 91, BT-Drucks. 1118472, S. 211, Tz. 435 von deren grenzenloser Mobilität. Beides trifft nicht zu. 236 Benz, in: Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, S. 454, 464; Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 46 mit weiteren Beispielen ftir ineffiziente Allokationen im Konkurrenzföderalismus. 237 Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. 11/8472, S. 215 Tz. 453. 238 Schon Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 159 räumte die wettbewerbsverkürzende Funktion des kooperativen Föderalismus ein; deutlicher später ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Rn. 234; Rupp, in: Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, FG Gesellschaft flir Rechtspolitik, S. 377, 382; Schenke, JuS 1989, S. 698, 700.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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aussetzungen müßte der Verfassungsgeber erst schaffen. Die Ausweitung der Steuerautonomie der Bundesländer wäre ein erster Schritt in diese Richtung239. Aber damit ist es nicht getan. Die Forderung nach Ausweitung der Einnahmenautonomie der Länder als entscheidende Voraussetzung fiir die Erweiterung ihrer Entscheidungsautonomie verdeutlicht die Begrenztheit des herrschenden Verständnisses von kompetetivem Föderalismus. In dessen Logik ist die Entscheidungsautonomie nur durch Stärkung der Einnahmenautonomie zu steigern. Dieser Ansatz greift zu kurz: Entscheidungsautonomie erfordert Finanzautonornie. Sie besteht nicht allein in der Einnahmenautonornie, sondern gleichermaßen in der Ausgabenautonomie. Wettbewerbsföderalismus macht erst Sinn, wenn er neben erweiterter Einnahmenautonomie eine Ausweitung der Ausgabenautonomie anstrebt. In ein solchermaßen erweitertes Verständnis von kompetetivem Föderalismus fügt sich eine Finanzierungskompetenz der Länder fiir die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung nahtlos ein. (5) Ökonomische Funktion Wie auch immer man zum Konkurrenzföderalismus stehen mag: Die Entscheidung fiir den Föderalismus ist keinesfalls gleichbedeutend mit der Wahl des ökonomisch weniger sinnvollen Weges. Eine föderalistische Staatsgliederung ermöglicht im Vergleich zu einem zentralistischen Staatswesen eine bedarfsgerechtere Versorgung mit öffentlichen Gütern. Föderalismus und ökonomische EffiZienz sind keine Antagonismen. Das hat die fmanzwissenschaftliche ökonomische Theorie des Föderalismus bewiesen240• Das noch von Henle fiir die bundesstaatliche Finanzverfassung diagnostizierte Dilemma: "Bessere Finanzordnung auf Kosten des Föderalismus oder Föderalismus auf Kosten der Finanzordnung?"241 entspricht nicht den neueren Erkenntnissen der Finanzwissenschaft. (6) Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen haben einen groben Überblick über die Chancen gegeben, die der grundgesetzliche Föderalismus bietet. Das Angebot, diese Chancen zu nutzen, besteht. Es wurde bislang jedoch nicht in vollem Umfang angenommen. Der Föderalismus im Grundgesetz läuft sich aber trotz einer
239 A.A. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern V 3 d bb (2). Vgl. unten V 3 b a.E. 24° Hierzu unten IV 4 d aa. 241 Henle, DÖV I 966, S. 608. 18 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Vielzahl entgegenstehender z.T. zeitgeistgerechter Diagnosen nicht tot242 . Im Gegenteil häufen sich in letzter Zeit Initiativen, die dem Föderalismus in der Verfassungspraxis nicht nur den Stellenwert einräumen wollen, der ihm nach dem Verfassungstext ohnehin zukommt, sondern ihn durch weitergehende Verfassungsänderungen noch untermauem möchten. Die aktuellen Bestrebungen zur Regionalisierung der Sozialversicherung sind eine dieser Initiativen. Sie werden im 5. Kapitel dieser Arbeit dargestellt und auf Grundlage der vorstehenden Ausfiihrungen befürwortet. Hierbei wird sich zeigen, daß die grundsätzliche Finanzierungskompetenz der Länder für die Staatzuschüsse zur Sozialversicherung mit diesen Bestrebungen korrespondiert. dd) Zwischenergebnis Eine Einführung von Länderzuschüssen würde der Forderung des Art. 20 I GG gerecht und die Bindungskraft der Finanzverfassung respektieren. Zwar mag zur Sicherung eines wirksamen Aufgabenvollzugs eine einheitliche Finanzierungskompetenz des Bundes für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung sinnvoll sein. Möglicherweise handelt es sich bei der Sozialversicherung um eine überregionale Aufgabe, die ihrem Wesen nach die Mannigfaltigkeit des foderativen Aufgabenvollzugs nicht erträgt243 • Ob das so ist, ist jedoch eine politische Frage. Ihre Beantwortung ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Auf Grundlage des geltenden Rechts spricht jenseits des engen Anwendungsbereichs des Art. 120 I 4 GG nichts zugunsten der praktizierten Finanzierungskompetenz des Bundes. Die Tendenz zur rechtspolitischen Einebnung foderaler Eigenständigkeit widerspricht der Formel vom "sozialen Bundesstaat" in Art. 20 I GG, die ungeachtet der geringen Beachtung, die Literatur und Rechtsprechung ihr gewidmet haben244, ein föderatives Moment enthält245 . Für die Verwirklichung des Sozialstaats muß nicht immer und nur der Bund tätig werden. Trotz "aller Spannung und Gegensätzlichkeit der beiden" im sozialen Bundesstaat enthaltenen staatsfundamentalen "Verfassungsprinzipien" erteilt die Formel der Rechts-
242 Vgl. Rupp, in: Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 377, 378 f. 243 Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 677; vgl. ders., in: HdWW, Bd. 2, S. 636, 644 f.; BT-Drucks. 11/480, S. 48 f. Tz. 62. 244 Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337, 360 f. m.w.N. Beachtung fand die Formel bei Köttgen, in: Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 431 ff. und jüngst bei Papier, NZS 1995, S. 241, 243 f. nun auch in Zusammenhang mit einer Regionalisierung der Sozialversicherung; vgl. schon ders., in: SRH, A.3 Rn. 5 und oben 4. Kapitel III 4. 245 Diemer, VSSR 1982, S. 31, 44.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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politik den Auftrag, "sie möglichst in Ausgleich und Korrelation zueinander zu bringen"246. Ausgleich und Korrelation bedeuten aber nicht, die Auflösung der "Antinomie zwischen 'Sozialstaat' und 'Bundesstaat"'247 durch die Konstruktion eines verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen sozialen Einheitsstaats. Vielmehr sind Bund und Länder gleichermaßen soziale Interventionssubjekte248 mit gleichen Rechten und Pflichten. In der Verfassung ist nirgends erkennbar, daß der einen oder anderen föderalen Ebene bei der Erfiillung der sozialstaatliehen Pflichten der Vorzug zu geben wäre. Das gilt auch fiir die Pflicht des Staates, Zuschüsse an die Sozialversicherung zu leisten. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum der Bund und nicht die Länder diese Zuschüsse bezahlen müssen. c) Verfassungsgebot zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse?
Entgegen z.T. vertretener Auffassung gibt es auch kein verfassungsrechtlich verankertes Gebot zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse249, das möglicherweise eine Finanzierungskompetenz des Bundes fiir die Staatszuschüsse begründen könnte.
246 Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337, 361; vgl. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 145. 247 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 218; /sensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 249. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 145 sieht im einzelnen zwar Konfliktmöglichkeiten, im grundsätzlichen aber keine Antinomie zwischen Bundes- und Sozialstaatlichkeit, "weil die im Sozialstaat geforderten Formen einheitlicher und gleichmäßiger Ordnung nicht notwendig im Widerspruch zu den Gestaltungsformen des unitarischen Bundesstaates stehen". 248 Vgl. Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 22. 249 Hettlage, VVDStRL, 31 (1973), S. 99, 100 entnimmt Art. 72 I1 Nr. 3 GG a.F. und dem Sozialstaatsprinzip den "Verfassungsauftrag zur Förderung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet". 0/diges, SF 1994, S. 163, 164 spricht von einem "verfassungsmäßigen Auftrag zur Erzielung möglichst einheitlicher Lebensverhältnisse". Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 203 sieht in der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse die "Maxime des bundesstaatliehen Finanzausgleichs". Zeller, in: Der Souverän auf der Nebenbühne, S. 147, 152 f. spricht bedeutungsvoll von einer "de facto ( ...) Staatsfundamentalnorm", Däubler, in: Gegenrede, FS für Mahrenholz, S. 455, 462 von einem "Staatsziel". Nach Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 43 ist der Begriff der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ein "permanenter Regelungsauftrag für die Regierung, auf die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse hinzuwirken", der sich nicht aus den Normen der Art. 72 II a.F. und 106 III GG als Vereinheitlichungsauftrag, sondern aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
Seit der Neufassung des Art. 72 II GG im Jahre 1994250 ist Art. 106 III 4 Nr. 2 GG die einzige verfassungsrechtliche Vorschrift, die die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zum Gegenstand hat. Hier ist sie einer der Maßstäbe bei der Festsetzung der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern. Die Vorschrift enthält nicht das sozialstaatliche Ziel zur Gewährleistung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet251 . Das Grundgesetz formuliert ein solches Ziel nicht. Art. 106 GG regelt die Aufteilung der Steuererträge zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, nicht den Sozialstaat. Der Normtext ist zu karg, um ein verfassungsrechtliches Ziel zu normieren. Die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist ein sozialstaatliches "Leitbild, das sich in der Praxis durchgesetzt hat"252. Art. 72 II GG knüpft in seiner Neufassung bei der konkurrierenden Gesezgebung das Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung alternierend an das Erfordernis der "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet"253 . Die in der Vorschrift angesprochene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse können die Länder leichter erreichen, als die vormals flir eine bundesgesetzliche Regelung geforderte "Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse". Die neue Erfordernisklausel schränkt die Bundeskompetenz zusätzlich ein, um einem allzu formal unitaristischen Kompetenzverständnis vorzubeugen. So wie die Neufassung des Art. 87 II GG254 geht auch diese gleichermaßen föderalismusfreundliche Änderung des Grundgesetzes auf die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission255 zurück. Das Einheits-Postulat ist allenfalls eine bundespolitische Richtlinie, nicht aber ein fmanzwirtschaftlicher Vereinheitlichungsauftrag. Nichts anderes folgt aus dem Sozialstaatsgebot und dem allgemeinen Gleichheitssatz256 . Hierzu steht nicht zwingend im Widerspruch, daß die Sozialversicherung einen "Auftrag zur einheitlichen Funktion" erhalten hat, grob umrissen im Sozialstaatsgebot, dem Prinzip der Menschenwürde und den Kompetenznormen der
250 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBI. I S. 3146 ff.). 251 So aber offenbar /sensee, in: HStR, Bd. 4, § 98 Rn. 241, vgl. aber Rn. 251. 252 /sensee, in: HStR, Bd. 4, § 98 Rn. 251 . 253 Neufassung durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBI. I S. 3146). Zur Neufassung Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu!Klein, Kommentar zum GG, Art. 72 Rn.1, 6 f. m.w.N., 9. 254 Vgl. oben 3. Kapitel IV 1. 255 BT-Drucks 12/6000, S. 33 ff. 256 Vgl. Korioth, DVBI. 1991, S. 1048, 1056 f. m.w.N.; Mahrenholz, in: AK, GG Art. 109, Rn. 14. Schmilt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337,360 m.w.N. spricht von einer "Zielvorstellung", die im GG verankert sei und zu "den strukturbestimmenden Dimensionen der bundesstaatliehen Ordnung" zählt. Vgl. auch P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 15 ff.; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gern. Art. 107 II GG, S. 25 ff.
III. Staatszuschüsse und Staatspraxis
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Art. 74 Nr. 12 und 87 II GG257 . Für eine einheitliche Funktion reicht die Gewährleistung von Mindeststandards aus258 . Nur die Existenz einer Vorsorge gegen Alter, Erwerbsunfähigkeit, Krankheit und Arbeitslosigkeit, die in ihrem Mindestmaß dem Sozialstaatsgebot und dem Prinzip der Menschenwürde entsprechen muß, ist zu gewährleisten. Oberhalb einer "Existenzschwelle" sind Differenzierungen verfassungsgemäß. Der föderale Staat muß fiir ein "Mindestmaß an Einheitlichkeit" sorgen. Auch so läßt sich der Begriff der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse verstehen259. Das Sozialstaatsgebot schreibt nicht gleichmäßigen Wohlstand im Leistungsfall vor, sondern verpflichtet den Gesetzgeber, sich zur "Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle( ... ) zu bemühen" 260, so heißt es in der wohl ersten zentralen Aussage des BVerfG zum Sozialstaatsprinzip261 . Eträglichkeit bedeutet nicht Einheitlichkeit, und Einheitlichkeit nicht Gleichheit262. Freilich dürfen die regionalen Unterschiede keinen "faktischen Binnenwanderungsdruck" auslösen. Denn Wanderungsbewegungen aufgrund ungleicher Lebensverhältnisse könnten die innere, auf lange Sicht auch die äußere staatliche Einheit bedrohen und mit dem Recht auf Freizügigkeit im Bundesgebiet (Art. 11 GG) kollidieren263. In diesem Sinne ergibt sich auch aus dem Sozialstaatsprinzip das an Bund wie Länder adressierte Gebot, im Bundesgebiet gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen, das das bundesstaatliche Egalisierungsverbot gleichzeitig begrenzt. Der Bundesgesetzgeber muß das sozialstaatliche Egalisierungsgebot und das bundesstaatliche Egalisierungsverbot zu einem schonenden Ausgleich bringen. Die föderalismusschützende Funktion des Art. 106 III 4 Nr. 2 GG fordert, die "'Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse' nicht als Motor eines unitarischen Bundesstaates, sondern als notwendige Grenze föderaler Vielfalt zu verstehen"264, um das fiir den Bestand des Bundesstaats notwendige 257 F. Kirchhof, in: Sozialversicherung, S. 59, 62 m.w.N. 258 Vgl. Korioth, DVBI. 1991, S. 1048, 1057; Hofmann, in: HStR, Bd. I,§ 7 Rn. 60. 259 Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 45. 260 BVerfDE 1, 97 (105); Papier, in SRH, AJ Rn. 8 (durch falsches Zitat verallgemeinernd). 261 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, Einleitung S. LXXIII. 262 Vgl. Wieland, DVBI. 1992, S. 1181, 1182. 263 Rennert, Der Staat 32 (1993), S. 269, 274 f.; Wieland, DVBI. 1992, S. 1181, 1182. Insoweit ergeben sich aus juristischer Sicht Bedenken gegen das finanzwissenschaftliche Postulat von der Migrationsfähigkeit der Bevölkerung. Vgl. zu weiteren Bedenken oben b cc (4). 264 Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 46.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
Mindestmaß an Einheitlichkeit in föderativer Vielfalt zu wahren. Eine solche Interpretation ist seit der föderalismusfreundlichen Änderung des Art. 72 II GG, die die "Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" durch die "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" ersetzt hat, umso gebotener. Beide Normen können im Interesse einer einheitlichen Auslegung der Verfassung nicht zusammenhangslos interpretiert werden. Der Verfassungsgeber hat durch die Neufassung der Vorschrift erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse von nun an ein geringes Gewicht beizumessen ist. Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist ein interpretationsfahiger und -bedürftiger Verfassungsbegriff. Die Verfassung äußert sich nicht zu dem angemessenen Maß an Einheitlichkeit. Der Begriff ist "offen für sich ändernde Entwicklungsströme des Föderalismus"265 • Verfassungsrechtlich ist allein entscheidend: Die Verfassung normiert das Postulat zur Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nicht. Es vermag deshalb nicht eine verfassungsrechtliche Freistellung der Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung von den fmanzverfassungsrechtlichen Bindungen zu begründen. d) Zwischenergebnis
Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grund, die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherung von den fmanzverfassungsrechtlichen Bindungen wegen der einfachrechtlichen Vereinheitlichungstendenzen des Sozialrechts zu dispensieren. Was "die öffentliche Meinung" davon hält, ist rechtlich irrelevant. 5. Ergebnis Die Begründung der Finanzierungskompetenz des Bundes für sämtliche Staatszuschüsse zur Sozialversicherung durch die ganz h.M. trägt nicht. Sie überdehnt den auf Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung beschränkten Anwendungsbereich des Art. 120 I 4 GG. Die verschiedenen Begründungen der Systemgerechtigkeit der angeblich in Art. 120 I 4 GG geregelten Finanzierungskompetenz des Bundes halten einer näheren Überprüfung nicht stand. Sie führen nicht zu einer Freistellung der Staatszuschüsse von den fmanzverfassungsrechtlichen Bindungen des Art. 104 a I GG. Die kompetenzrechtliche Argumentation der h.M. liefert aber Anlaß, den Sinn und Zweck des Art. 104 a I GG im Bereich der Sozialversicherung zu hinterfragen: 265 Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 43.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
279
Läuft die ratio der bundesstatlichen Lastenverteilungsregel hier möglicherweise leer?
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip Das Prinzip der Vollzugskausalität war als maßgebliche Leitlinie fiir die bundesstaatliche Lastenverteilung schon vor und auch während der beiden großen Finanzreformen umstritten266 • Heute stellen es interessierte Kreise wieder in Frage, insbesondere im Hinblick auf die gesetzgebefisch veranlaßten Aufgaben der Kommunen, die die Gemeindehaushalte in erheblichem Maße belasten (Sozialhilfekosten, Kindergartenplatz). Einzelne sehen das Prinzip der Gesetzeskausalität sogar in Art. 104 a I GG verankert oder legen die Vorschrift im Sinne dieses Prinzips aus267• Überwiegend zielen die Forderungen im Hinblick auf den erkennbar entgegenstehenden Willen des Verfassungsgesetzgebers aber auf eine Verfassungsrevision268 . Der Konnexitätsgrundsatz des Art. 104 a I GG ist heftigen verfassungspolitischen Angriffen ausgesetzt. Potentielle Verteidiger haben sich bislang kaum zu Wort gemeldet269. Die Vermutung fiir die Vernünftigkeit des bestehenden Rechtszustands scheint seinen Befiirwor-
266 Gegen das "Konnexitätsprinzip": Ludwig, der Städtetag 1953, S. 141 ff.; von d. Heide, DVBI. 1953, S. 289 ff.; Rietdorf, DÖV 1953, S. 225, 226 ff.; Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 360 ff.; Henle, DÖV 1966, S. 608, 610, 613; 1968, S. 396, 402. Dafür: Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. 10, 13 f.; insbes. 1952, S. 673 ff.; sowie 1953, S. 229 f.; 1955, S. 261, 262 ff.; 1956, S. 161, 167; Sturm, DÖV 1968, S. 466, 468 f. Vgl. zum Ganzen Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 30 ff. mit anschaulicher Diskussion der abweichenden Auffassungen, die sich für eine mehr oder weniger starke Berücksichtigung des "Verursacherprinzips" aussprechen; im einzelnen war hier vieles umstr. Vgl. Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 194 f. mit einer Übersicht über die unterschiedlichen Auffassungen vor der Finanzreform 1955 und im einzelnen unten 2, 3. 267 Schmidt-Jortzig, VVDStRL 52 (1993), S. 164; F. Kirchhof, VVDStRL 52 ( 1993 ), S. 158, der eine Neuregelung aus Gründen der Rechtssicherheit aber flir besser hält; Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland sprechen aufS. 60 f. von "Interpretationsmöglichkeiten" des Art. 104 a I GG halten aufS. 63 aber eine "Änderung von Art. I 04 a Abs. I GG" für erforderlich. 268 Beschluß der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Länderparlamente vom 24.9.1991, Nds. LT-Drucks. 12/2797, S. 25; Schach, in: Der Landkreis, S. 253, 257; ders., ZRP 1995, S. 387 ff.; Schoch/Wie/and, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 146 ff., 154; F. Kirchhof, VVDStRL 52(1993), S. 71, 94, anders dann aber in dem nachfolgenden Diskussionsbeitrag S. 158; pointiert jetzt ders., Gutachten zum 61 . DJT. 269 Nur Karstendiek, ZRP 1995, S. 49 ff. hat sich kurz gegen eine Reformbedürftigkeit des Art. 104 a I GG ausgesprochen.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
tern eine Verteidigung entbehrlich zu machen. Oder wähnen sie sich in der Defensive? Der Verfassungsgesetzgeber hat sich schon in der Finanzreform des Jahres 1955 ausdrücklich fiir die Normierung der Konnexität zwischen Verwaltungsund Finanzierungsverantwortung entschieden und dies in der Finanzreform 1969 nachdrücklich bestätigt. Hierdurch hat er sich eindeutig von anderen Möglichkeiten zur Abgrenzung der Finanzierungsverantwortung zwischen Bund und Ländern abgesetzt. Bei den Diskussionen um die bundesstaatliche Lastenverteilung kristallisierten sich neben den beiden Antipoden des "Konnexitätsprinzips" einerseits und des "Veranlassungsprinzips" andererseits weitere Positionen heraus, die nach einem Überblick über die Entwicklung der Lastenverteilungsreget von 1871 bis zur Finanzreform des Jahres 1969 (hierzu 1. und 2.) im folgenden zusammen mit den beiden bis heute die Diskussion um Art. 104 a I GG beherrschenden konträren Prinzipien dargestellt werden (3.)270. Die historische Kontroverse und die neuere verfassungspolitische Diskussion um eine Reformbedürftigkeit des Art. 104 a I GG verdeutlichen dessen Sinn und Zweck. Erst vor diesem Hintergrund ist die ratio der geltenden Lastenverteilungsregel verständlich (4.). Dieses Verständnis ist Voraussetzung, um zu beurteilen, ob sich Sinn und Zweck der bundesstaatliehen Lastenverteilungsregel auch in der mittelbaren Staatsverwaltung der Sozialversicherung wirksam entfalten können (hierzu V.).
1. Vorgeschichte des "Konnexitätsprinzips" Der Zusammenhang von Aufgabenabgrenzung und Ausgabenverteilung klingt schon in Art. 4 der Reichsverfassung vom 16.4.1871 (RV 1871)271 an: "Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: ( ...) 2) die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die for die Zwecke des Reichs zu verwendenden Steuern".
Die Vorschrift verbindet die Gesetzgebungs- mit der Ertragshoheit Zusätzlich bringt der Verfassungstext die Ertragshoheit in Abhängigkeit zur Verwendung der Steuern "fiir die Zwecke des Reichs". Das Reich hat die ihm zugewiesenen Steuern fiir seine Zwecke, also fiir seine Aufgaben zu verwenden. Hierin offenbart sich die Möglichkeit einer Verknüpfung von Lastentragung und Auf270 Eine detaillierte Darstellung der Entstehung des Konnexitätsprinzips haben auch Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. I ff., 13 ff., 27 ff. vorgelegt. 271 Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 (RGBI. 1871 S. 63), (Hervorhebung vom Verf.).
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
281
gabenwahmehmung. Der Verfassungsgesetzgeber normierte diese Verknüpfung zwar nicht im Sinne einer bundesstaatliehen Lastenverteilunsgregel, aber er legte sie der Verfassung offenbar wie selbstverständlich zugrunde272 • Der Zusammenhang zwischen Lastentragung und Verwaltungsverantwortung erhellt aus Art. 70 RV 1871: Die Vorschrift teilt dem Reich nur die weniger ergiebigen Zölle und indirekten Steuern zu. Diese Einnahmenverteilung entspricht seiner in Art. 4 RV 1871 auf die notwendig zentral durchzuführenden Aufgaben beschränkten Verwaltungszuständigkeit Damit orientiert sich die Ertragsverteilung erkennbar an der Verwaltungszuständigkeit Die Verfassung regelte keine weitergehende Ertragsverteilung. Sie unterstellte, daß der Finanzbedarf des Reichs auf dessen Verwaltungsaufgaben begrenzt ist. Daraus folgt: Die Verfassung sah eine über diese Verwaltungsaufgaben hinausgehende Ausgabenlast nicht vor. Sie normierte zwar das Prinzip der Vollzugskausaltität nicht ausdrücklich als Lastenverteilungsmaxime, setzte es aber bei der Verteilung der Reichsfmanzen stillschweigend voraus273 . Auf diese Weise erlangte es bei den bundesstaatliehen Kämpfen um die Verteilung der Steuererträge, die zur Einführung der sog. "Franckenstein'schen Klausel" fiihrten, besondere Bedeutung274. Wesentlich deutlicher kommt das Prinzip unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919 (WRV)275 zum Ausdruck. Sie normierte ähnlich wie Art. 4 RV 1871 in ihrem Art. 8 noch keine Lastenverteilungsregelung: "Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise ftir seine Zwecke in Anspruch genommen werden. Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen."
272 Das übersieht Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 34 f. 273 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. \04 a, Rn. 13 f. 274 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 13 f. Die Franckenstein'sche Klausel flihrte an Stelle der angestrebten finanziellen Selbständigkeit zu einer neuen Abhängigkeit zwischen Reich und Gliedstaaten, indem sie den Einzelstaaten einen steigenden Anteil an den Reichseinnahmen sicherte, die ursprünglich in der Reichsverfassung von 1871 als Provisorium gedachten Matrikularbeiträge der Länder an das Reich zur Deckung dessen so geschaffenen künstlichen Defizits nun verewigte und das Reich in dauerhafte finanzielle Abhängigkeit zur wechselnden Finanzlage der Länder brachte; vgl. hierzu Ger/off, Die Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches, S. 161 ff.; Vogel/Kirchhof, in: BK, GG vor Art. 104 a- 115, Rn. 9; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, IV 2 b aa (4). 275 Die Verfassung des Deutschen Reichs vom II. August 1919 (RGBI. 1919 S. 1383).
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Art. 8 S. 1 WRV enthält den Gedanken des Prinzips der Vollzugskausalität gleichermaßen eher mittelbar und versteckt. Im übrigen begründet die Verfassungsvorschrift in Satz 2 die summarische Rechtspflicht des Reichs, "auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen", wenn es Abgaben oder sonstige Einnahmen der Länder nach Satz 1 der Vorschrift gesetzlich in Anspruch nimmt. Art. 8 S. 2 WRV sollte "der Entwicklung zum Einheitsstaat auf dem Umwege der finanziellen 'Aushöhlung' der Länder entgegentreten"276. Das Landessteuergesetz vom 30.3.1920277 setzte die verfassungsrechtliche Forderung in eine "unspezifzierte Kostenbeteiligung des Reichs" 278 um: §52 "Wenn das Reich den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) neue Aufgaben zuweist, so soll die Beteiligung des Reichs an den Kosten gesetzlich geregelt werden."
§ 56 111 "Soweit das Reich Aufgaben übernimmt, die im Rechnungsjahr 1919 den Ländern und den Gemeinden (Gemeindeverbänden) oblagen, oder neue Aufgaben den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) überträgt, erfolgt eine entsprechende Änderung des gewährleisteten Betrags."
Ähnlich regelte § 59 des Finanzausgleichsgesetzes vom 23.6.1923 279 : "Das Reich darf den Ländern oder Geimeinden (Gemeindeverbänden) neue Aufgaben nur zuweisen, wenn es gleichzeitig für Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge trägt. Was unter neuen Aufgaben in diesem Sinne zu verstehen ist, entscheidet sich nach dem Stande vom I. April 1920. Die Vorschrift des Abs. I gilt entsprechend bei wesentlicher Erweiterung bereits bestehender Aufgaben."
Aufgaben im Sinne dieser drei Vorschriften sind ersichtlich Verwaltungsaufgaben. Die Vorschriften verpflichteten das Reich dazu, den Ländern Verwaltungsaufgaben nur zu übertragen, wenn es ihnen gleichzeitig die hierfür erforderlichen zusätzlichen Einnahmen zuweist280. Die Vorschriften sind keine Lastenverteilungsregelungen281 . Sie regeln die Einnahmenverteilung. Aber das ist nicht alles: Sie gehen implizit davon aus, daß einer Umverteilung der Auf276 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom II. August 1919 (1933), Art. 8 Anm. 3. 277 RGBI. I S. 402. 278 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 14. 279 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden (Finanzausgleichsgesctz), RGBI. I S. 494, 504. Die Vorschrift ist textgleich mit § 54 Finanzausglcichsgesetz vom 27.4.1926 (RGBI. I S. 203, 21 0). no Vgl. Popitz, in: Hdb. der Finanzwissenschaft, I. Aufl., 2. Bd., S. 338, 346, 371. 281 So aber F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 13 f.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
283
gaben eine Umverteilung der Ausgaben folgt. Deshalb sehen die Vorschriften Änderungen bei der Einnahmenverteilung vor282 . Dahinter steht der nun auch in der Wissenschaft anerkannte Grundsatz, wonach der zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben Verpflichtete deren Finanzierung zu übernehmen und zu verantworten hat283 . Verwaltungsaufgaben und Ausgaben gehörten schon damals wie selbstverständlich zusammen. Aus diesem Grunde war insbesondere § 59 Finanzausgleichsgesetz 1923 für die Entwicklung der bundesstaatliehen Lastenverteilung von erheblicher Bedeutung. Bühler bescheinigte der Vorschrift aber nur geringe Erfolgsaussichten, gleichfalls vor dem Hintergrund einer selbstverständlichen Konnexität zwischen Verwaltungsaufgaben und Ausgaben284: Da der ganze neue Staatskurs seit dem Umsturz gekennzeichnet ist durch Steigerung der Aufgaben und damit der Ausgaben aller öffentlichen Verbände und die vom alten Reiche übernommene Regelung, daß das Reich Gesetze erläßt, die Länder sie aber auszuführen haben, gerade auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege weitgehend erhalten blieb, so sind tatsächlich auf dem Wege der Lastenzuweisung seitens des Reichs die Finanzen der Länder und mittelbar damit ihr Verhältnis zum Reiche mindestens ebenso beeinflußt worden wie durch die Regelung der Steuerquellen. Um dem einigermaßen abzuhelfen, enthält das Finanzausgleichsgesetz in § 54 den Satz, daß das Reich Ländern und Gemeinden neue Aufgaben nur zuweisen dürfe, wenn es gleichzeitig für die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge trage, - eine Bestimmung, die aber ebenso wie einige andere nicht mehr als einen guten Vorsatz darstellt." D ie Verteilung der Finanzverantwortung erlangte für die Verteilung der bundesstaatliehen Gewichte zwischen Bund und Ländern zunehmende Bedeutung. In diesem Zusammenhang wies Lassar schon im Jahre 1926 auf die Steigerung des Reichseinflusses durch die Reichszuschüsse hin285 . Im Jahre 1931 betonte Popitz286 in seinem für die Studiengesellschaft ftir den Finanzausgleich erstatteten Gutachten die Notwendigkeit einer der Verwaltungszuständigkeit entsprechenden Lastenverteilung. Er forderte eine scharfe Unterscheidung zwischen lokaler öffentlicher (Gemeinde-) und zentraler Wirtschaft, der die Lastenverteilung entsprechen müsse. Die Lasten der lokalen öffentlichen Wirtschaft und Verwaltung dürften nicht den Staat, sondern müßten 282 Das verkennt F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 14. 283 Marku/1, Kommentar zum Gesetz über den Finanzausgleich (1923), S. 469. Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. I 04 a, Rn. 15. Dieser Zusammenhang findet bei Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 35 f. keine Berücksichtigung. 284 Bühler, in: Hdb. des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, § 29 Anm. 111 D I (Hervorhebung vom Verf.). 285 Lassar, JöR XIV ( 1926), S. I, 20 f. ; vgl. hierzu Medicus, JöR XX ( 1932), S. I, 17f., 104 ff. 286 Zu seinen Aussagen umfassend Korioth, Der Finanzausleich zwischen Bund und Ländern, 111 5 a; vgl. ferner unten 4 b bb.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
die ihm eingegliederten Verbände treffen. Diese Konzeption der Lastenverteilung war Teil des von Popitz erarbeiteten Gesamtkonzepts eines nach Rechtsstruktur und Wirtschaftskraft einheitlichen, eigenständigen und den Erfordernissen der zentralstaatlich gelenkten Gesamtwirtschaft angepaßten Unterbaus öffentlicher Finanzwirtschaft, das durch die Konnexität zwischen Lastenverteilung und Verwaltungsverantwortung die Eigenständigkeit aller öffentlichen Wirtschaftsträger betonte und sie zu gesamtwirtschaftlicher Kooperation zusarnrnenfiigte287. Die Lastenverteilung wirkte sich dabei im Verhältnis zwischen Reich und Ländern nur mittelbar aus: Popitz Vorschläge führten zunächst zur Bildung einer durch das ganze Reich hindurch einheitlichen "Lokalfmanzrnasse". Sie sollte zwischen Reich und Gerneinden verteilt und aus der "Länderrnasse" herausgenommen werden, die die bisherige Finanzausgleichsregelung zwischen Reich und Ländern verteilt hatte288 . Für die verbleibende zwischen Reich und Ländern zu verteilende "Zentralfmanzmasse" schlug Popitz die Bildung einer "Länderquote" vor. Deren Höhe sollte sich an dem jeweiligen Bestand der von den Ländern auszuführenden Verwaltungsaufgaben orientieren289 . Wegen des überragenden Gewichts der "Lokalfmanzrnasse" war diese Quote jedoch von nachrangiger Bedeutung. Popitz Konzept ist der gedankliche Vorgänger für das "Konnexitätsprinzip" in Art. 104 a I GG290.
§ 54 Finanzausgleichsgesetz 1938291 setzt Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahrnenverteilung erstmals im Sinne dieses Prinzips ausdrücklich zueinander in Bezug. Die Vorschrift ist für das bundesstaatliche Finanzrecht revolutionär: "Werden den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) neue Pflichten auferlegt oder bestehende Pflichten erweitert, durch die ihnen neue Lasten erwachsen, so ist gleichzeitig flir die Bereitstellung der erforderlichen Mittel Sorge zu tragen". Aus ihr ergibt sich zunächst, daß durch die Reichsgesetzgebung hervorgerufene Mehrbelastungen der Länder und Gerneinden bei der Einnahmenverteilung im Finanzausgleich zu berücksichtigen sind. Dabei geht die Vorschrift und das ist neu - ausdrücklich von einer Kausalitätsbeziehung zwischen Pflichten- und Lastenerweiterung aus: Mehrbelastungen sind im Finanzausgleich zu berücksichtigen, wenn und weil Pflichtenerweiterungen zu Lastenerweiterun287 Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden,
s. 9, 14 f.
288 Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden,
s. 185 f., 338 f.
2S9 Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, S. 328. 290 Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 16. 291 Drittes Gesetz zur Änderung des Finanzausgleichs vom 31. Juli 1938 [Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden i. d. F. vom 31 . Juli 1938] (RGBI. I S. 966, 967).
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
285
gen filhren. Eine Pflichtenerweiterung zieht also eine Lastenerweiterung nach sich292 . Wichtig ist: Die Lasten erwachsen den Ländern oder Gemeinden. Sie sind Träger der Finanzlast Das verkennt F. Kirchhofl93 . §54 Finanzausgleichsgesetz 1938 ist die erste Vorschrift, die offenkundig von einer bundesstaatliehen Lastenverteilung ausgeht. Und sie normiert als bis heute einzige Vorschrift den filr die bundesstaatliche Finanzverteilungstrias maßgeblichen Zusammenhang zwischen Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmenverteilung: Mit den Ausgaben schiebt sie zwischen Aufgaben- und die Einnahmenverteilung ein drittes - bislang nur implizit mitgedachtes- Kriterium filr die Verteilung der staatlichen Finanzen. Die Einnahmenverteilung soll die Länder nicht mehr unmittelbar dazu in die Lage versetzen, ihre Aufgaben ("Pflichten") auch durchfilhren zu können. Sie soll sie in die Lage vesetzen, die sich aus den ihnen zugewiesenen Aufgaben filr sie ergebenden Lasten tragen zu können. Das "Konnexitätsprinzip" ist keine Erfmdung der Nachkriegszeit. Der nationalsozialistische Einheitsstaat errichtete später ein technisches Lasten- und Aufgabenverteilungssystem, das das bisherige Finanzausgleichssystem durch ein System willkürlicher Finanzzuweisungen ersetzte und den Ländern jede fmanzielle Eigenständigkeil nahm. Die Finanzausgleichsverordnung vom 30.10.1944294 sah filr deren Finanzierung sog. Reichszuweisungen vor, die nach dem jeweiligen Ausgabenbedarf der Länder errechnet wurden. Eine systematische Lastenverteilungsregel war in der willkürlichen nationalsozialistischen Wirtschaftsgestaltung nicht denkbar.
2. Entstehungsgeschichte des Art. 104 a I GG Ursprünglich enthielt das Grundgesetz keine allgemeine Lastenverteilungsvorschrift. Es setzte die Konnexität zwischen Ausgaben- und Verwaltungskompetenz als Selbstverständlichkeit voraus295 . Auf dem Herrenchiemseer Konvent und im Parlamentarischen Rat war man sich der Bedeutung einer Konnexität zwischen Verwaltungs- und Ausgabenverantwortung filr die bundesstaatliche Finanzordnung durchaus bewußt. Bei der Erarbeitung des bundesstaatliehen Lastenverteilungssystems waren überwiegend Beamte und Finanzexperten beteiligt, die schon in der Vorkriegszeit und auch bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung mit finanzwirtschaftliehen Fra292 Vgl. Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 678 Fn. 31. Diesen Zusammenhang übersieht F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 14; vgl. auch § 59 Finanzausgleichsgesetz i.d.F. vom 23 .6.1923 (RGBI. I S. 483, 504). 293 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 14. 294 Verordnung über die einstweilige Regelung des Finanz- und Lastenausgleichs (Finanzausgleichs-Verordnung) vom 30.10.1944 (RGBI. I S. 282). 295 Vogel/Kirchhof, BG, GG Art. 104 a, Rn. 1.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
gestellungenund Problemen in Berührung gekommen waren. Der damals als Sachverständige angehörte und für die endgültige Kodifizierung des Konnexitäsprinzips im Jahre 1969 maßgebliche Finanzbeamte Fischer-Menshausen hat bereits in seiner frühesten diesbezüglichen Veröffentlichung auf die vom "Konnexitätsgrundsatz" ausgehende Vorschrift des§ 54 Finanzausgleichsgesetz 1938, sowie aufPopitz verwiesen296, dessen Name untrennbar mit dem "Konnexitätsgrundsatz" verbunden ist. Auch in den Diskussionen auf dem Herrenchiemseer Verfassungskonvent und im Parlamentarischen Rat fiel der Name Popitz immer wieder. Die Beteiligten bedauerten, seinen Rat bei der Erarbeitung des Verfassungsentwurfs nicht einholen zu können und verwiesen dankbar auf das von ihm hinterlassene wissenschaftliche Werk297. Das "Konnexitätsprinzip" gehörte zu den grundlegenden praktischen und im Ansatz wissenschaftlich aufgearbeiteten Erfahrungen der vorkriegszeitliehen Finanzverwaltung, die der Erarbeitung der heutigen Regelungen des Grundgesetzes wesentlich zugrunde lagen.
Art. 30 HChE formuliert eine allgemeine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder. Sie bezieht sich insbesondere auf "die Verwaltung, die Rechtspflege, die Inanspruchnahme von Einnahmequellen und die Bestreitung öffentlicher Ausgaben" und damit gleichermaßen auf Verwaltung wie Ausgaben. Entsprechend sieht Art. 42 I HChE die Durchführung der Bundesgesetze als eigene Angelegenheit der Länder vor. Zusätzlich sollte der vom Parlamentarischen Rat nicht übernommene Art. 42 III HChE auch die fmanzielle Eigenständigkeit der Länder betonen, indem er ihre schon in den Art. 30, 42 I HChE vorgesehene Eigenständigkeit in der Verwaltung gegen eine Einflußnahme des Bundes mit Hilfe von Dotationsauflagen absichert: "Bedingungen, unter denen der Bund Zuschüsse oder Vergünstigungen gewährt, dürfen nicht so festgesetzt werden, daß dadurch die Befugnis der Länder zur Ausführung der Bundesgesetze ausgeschaltet wird". Der Regelungszusammenhang aus Art. 30 und Art. 42 III HChE ordnet die Finanzierungskompetenz der allgemeinen Kompetenzverteilung zu und setzt die Eigenständigkeit der Länder im Bereich der Finanzen und im Bereich der Verwaltung zueinander in Bezug298 . Die fmanzielle Eigenständigkeit erscheint als Voraussetzung der Eigenständigkeit im Bereich der Verwaltung. Deutlicher hebt der "Darstellende Teil" die Bedeutung der Konnexität zwischen Aufgaben und Ausgaben für die Ordnung des bundesstaatliehen Finanzwesens hervor. Er rückt den in Art. 37 HChE ausgesprochenen "Gedanken der Selbstverantwortung sowohl des Bundes als auch der Länder in ihrer Einnahmen- wie in ihrer Ausgabenwirtschaft in den Vordergrund.( ... ) Die Höhe der Ausgaben des Bundes einerseits, der Länder und ihrer Gemeinden andererseits wird je durch den Umfang ihrer Aufgaben bestimmt. ( ... ) Aus der Beschränkung des Aufgabenbereichs und des daraus resultierenden Finanzbe296 Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. 10, 14; vgl. auch den Einleitungssatz des zentralen Aufsatzes zum "Konnexitätsprinzip" DÖV 1952, S. 673 ff. 297 Es erscheint von daher entgegen Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 16 unwahrscheinlich, daß Popitz Konzeption den Schöpfern des Grundgesetzes nicht in vollem Umfang bewußt gewesen sein soll. 298 Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. I 04 a, Rn. I.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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darfs des Bundes ergibt sich folgerichtig" eine diesem Finanzbedarf entsprechende Aufteilung der Steuerquellen299. Dennoch verzichteten die Beteiligten auf die ausdrückliche Normierung einer Lastenverteilungsvorschrift, da der Ausgabenbedarf von Bund und Ländern nicht zu übersehen war und die vorläufig gedachte Verfassung den Verfassungsgesetzgeber späterer Zeiten nicht unnötig einengen sollte300; nur für die Kriegsfolgelasten regelte Art. 120 I GG a.F. eine ausdrücklichte Lastenzuweisung an den Bund. Das "Konnexitätsprinzip" motivierte insbesondere die Diskussion um die Interessenquoten: Der Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff plädierte ganz im Sinne dieses Prinzips im Interesse sparsamer Bewirtschaftung wiederholt und energisch für eine interessenquotale Beteiligung der Länder301 . In der verabschiedeten Verfassung klingt dies vorgrundgesetzliche Prinzip in der Einnahmenverteilungsregel des Art. 107 III GG a.F. an: Die Vorschrift verpflichtet den Bundesgesetzgeber, im endgültigen Finanzausgleich jeden Beteiligten "entsprechend seinen Aufgaben" mit Steuermitteln auszustatten. Spiegelbildlich formulierte schon Art. 29 I 2 GG a.F. das bis heute geltende Ziel, Länder zu schaffen, "die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können". Das Finanzverfassungsgesetz des Jahres 1955 deutet das Prinzip der Vollzugskausalität in Art. 106 IV 2 Nr. 1 GG a.F. wiederum nur als Leitlinie für die bundesstaatliche Einnahmenverteilung an302 : "Hierbei ist von den folgenden Grundsätzen auszugehen: 1. Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben; Art. 120 Abs. I bleibt unberührt"3°3. Immerhin fand das Konnexitätsprinzip aber erstmals Eingang in die Verfassung. Der vorangegangene Entwurf der Bundesregierung hatte als Art. 106 II GG noch eine allgemeine Lastenverteilungsvorschrift vorgesehen: "Der Bund trägt die zur Ausübung der staatlichen Befugnisse und zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben erforderlichen Ausgaben, soweit die Wahrnehmung dieser Befugnisse und Aufgaben Sache des Bundes ist, und die in Art. 120 Abs. I bezeichne-
299 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom I 0. bis 23. August 1948, B) Darstellender Teil, S. 54, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 533 f. Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 2. 300 Vgl. oben 2. Kapitel III I, 2, VII; F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 14. 301 Vgl. auch Abg. Dr. Kleindinst (CSU) in der 41. Sitz. des HptAussch. (2. Lesung) vom 15.1.1949, Sten.Prot. S. 519 und ferner Delegierter Spitta oben I I; Sachverständiger Hilpert oben I 2jeweils m.w.N. 302 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 17. 303 Finanzverfassungsgesetz v. 23.12.1955 (BGBI. I S. 817, 818). Vgl. oben I d.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
ten Ausgaben. Die Länder tragen die übrigen zur Ausübung der staatlichen Befugnisse und zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben erforderlichen Ausgaben" 304.
Tragender Leitgedanke des Entwurfs war die These: "Es entspricht einer anerkannten verwaltungsökonomischen Forderung, daß die Gebietskörperschaft, die flir die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung einer Verwaltungsaufgabe verantwortlich ist (Aufgabenverantwortung), auch flir die finanzielle Sicherstellung des Aufgabenvollzugs einstehen soll" 305.
Auf dieser Grundlage stellt der Entwurf eine "Konnexität zwischen Aufgaben-, Ausgaben- und Steuerverteilung"306 her: "Da die zu verteilenden Steuereinnahmen der Deckung von Ausgaben dienen und die Ausgaben der finanzielle Reflex von Aufgaben sind, ist die Vorschrift des Art. 107 Satz 3 nur verständlich ( ... ), wenn ihr die These zugrunde liegt, daß die Ausgabenverteilung der Aufgabenverteilung entspricht, also die Ausgaben, die durch die Wahrnehmung einer Aufgabe entstehen, dem Träger der Aufgabe zur Last fallen. Unter "Aufgaben" im Sinne dieser Verfassungsbestimmung sind Verwaltungsaufgaben, nicht etwa gesetzgebefisch veranlaßte Aufgaben zu verstehen" 307.
Der Bundesrat hielt diese Regelung als ein "dem Grundgesetz immanentes Prinzip"308 in seiner Zielsetzung für anerkennenswert. "Der Hinweis auf das Anerkannte, Natürliche oder Klare" ist entgegen F. Kirchhof keineswegs erstaunlich. Die Regelung war die konsequente und bewußte Fortsetzung der bisherigen Finanzausgleichsgesetze, insbesondere des § 54 Finanzausgleichsgesetz 1938309 • Erst das Finanzreformgesetz von 1969310 hat das Prinzip der Vollzugskausalität als maßgebliche Lastenverteilungsmaxime in Art. 104 a I GG normiert. Seine ausdrückliche Aufnahme in den Verfassungstext diente ausdrücklich der "Klarstellung"; Art. 104 a I GG wurde nicht als Neuregelung verstanden311 • Der entscheidende Anstoß für die Normierung des Prinzips der Vollzugskausalität kam von einer Sachverständigenkommission unter dem Vorsitz des Staatsministers a.D. Troeger, die der Bundesfinanzminister im März 1964 damit beauftragt hatte, ein Gutachten zur Vorbereitung einer umfassenden Reform der Finanzverfassung zu erarbeiten; es wurde später nach ihrem Vorsitzenden benannt. Die Ausführungen über das Prinzip BT-Drucks 111480, S. 2. BT-Drucks 11/480, S. 43 Tz. 53, genauso S. 46 Tz. 59; S. 48 Tz. 62; S. 49 Tz. 64; S. 106 Tz. 156. 306 BT-Drucks 11/480, S. 1105 Tz. 153. 307 BT-Drucks 11/480, S. 46 Tz. 59. 308 BT-Drucks. 111480, S. 106 Tz. 156. 309 A.A. F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 16. Vgl. aber FischerMenshausen, DÖV 1948, S. 10, 14. 31° Finanzreformgesetz v. 12.5.1969 (BGBI. I S. 359). 311 Troeger-Gutachten, S. 51 Tz. 200; BT-Drucks V/2861, S. 21 Tz. 60, S. 30 Tz. 304 305
113.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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der Vollzugskausalität tragen - wie schon die einschlägige Bundestagsdrucksache zur Finanzreform des Jahres 1955 312 - die unverkennbare Handschrift des nunmehrigen Ministerialdirektors a.D. Fischer-Menshausen, der der Kommission als Mitglied angehörte. Fischer-Menshausen hatte das von ihm so bezeichnete "Konnexitätsprinzip" bereits in der Nachkriegsdiskussion erstmals als Leitsatz für die Verteilung der Finanzverantwortung im Bundesstaat herausgearbeitet und mit Nachdruck vertreten313 . Da der von der Bundesregierung entwickelte und letztlich in die Verfassung übernommene Entwurf des Art. 104 a I GG unmittelbar auf diesen Teil des Troeger-Gutachtens zurückging, ist Fischer-Menshausen als der Wegbereiter der finanzverfassungsrechtlichen Fundierung des "Konnexitätsprinzips" anzusehen. Die Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes im Troeger-Gutachten enthielten neben Art. I 04 a I GG selbst in den Art. 104 a II und IV auch bereits die das "Konnexitätsprinzip" flankierenden Vorschriften der textidentischen Art. 104 a II und V GG3 14 .
Die Placierung des Art. 104 a I an die Spitze des X. Abschnitts des Grundgesetzes läßt unschwer auf dessen fmanzverfassungsrechtliche Bedeutung und auf den Stellenwert schließen, den die Finanzreform der Vorschrift beimaß. Die Frage nach der Lastenverteilung im Bundesstaat stand entsprechend am Anfang der Begriindung des Finanzreformgesetzes. Ihre Beantwortung war das oberste Ziel der Reform. "Am Anfang eines jeden föderativen Systems steht die Aufteilung der politischen Wirkungsbereiche für Bund und Länder. Da die Erfüllung von Aufgaben(...) unlösbar mit Ausgaben verbunden ist, stellt sich damit zugleich die Frage nach der Lastenverteilung und der Zuteilung der verfügbaren öffentlichen Mittel. Die Finanzverfassung bestimmt Richtung und Möglichkeiten der öffentlichen Aufgabenerfüllung, sie entscheidet darüber, ob von den vorhandenen Mitteln zum Wohle des Ganzen der wirkungsvollste Gebrauch gemacht werden kann. ( ...)Für die Aufteilung der Aufgaben zwischen Bund und Ländern ist eine Lösung zu finden, die die Verantwortung der einzelnen Aufgabenträger klar gegeneinander abgrenzt, Überschneidungen vermeidet und einen wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel gewährleistet"315 .
Diese Lösung war das nun in Art. 104 a I GG normierte "Konnexitätsprinzip".
312 BT-Drucks. 111480. 313 Fischer-Menshausen, erstmalig DÖV 1948, S. 10, 13 f.; sodann insbes. 1952, S. 673 ff.; sowie ferner 1953, S. 229 f.; 1955, S. 261,262 ff.; 1956, S. 161, 167. Vgl. Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 28. 314 Troeger-Gutachten, S. 174 (Anlage 1). 315 Begründung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) vom 30.4.1968, BT-Drucks. V/2861, S. 10 f. Tz. 2, 12. 19 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
3. Lösungsansätze für die bundesstaatliche Lastenverteilung seit 1948 - aktuelle Reformbestrebungen Auf der Suche nach einer Regel fiir die Lastenverteilung im Bundesstaat vertrat die Literatur in der Nachkriegszeit divergierende Standpunkte. Im Gegensatz zum Gesetzgeber war die Konnexität zwischen Verwaltungs- und Lastenverteilung für die Wissenschaft alles andere als "natürlich und klar". Einigkeit bestand über die Notwendigkeit eines rechtsverbindlichen Lastenverteilungssystems, das der Tagespolitik und dem fmanzopportunistischen Kräftespiel entzogen sein sollte. Es sollte die innerstaatlichen Finanzbewegungen verstetigen, um ständige Auseinandersetzungen über die Finanzierungspflicht und kasuistische Kostenverteilungsentscheidungen zu vermeiden und den fmanziellen Spielraum fiir die Gebietskörperschaften berechenbar zu machen. Für die vorzunehmende Lastenverteilung wurde auf sehr unterschiedliche Kriterien abgestellt.
a) Gesetzgebungskompetenz Vor Normierung des Art. 104 a I GG forderte insbesondere Henle, die Finanzverantwortung nicht mit der Verwaltungs-, sondern mit der Gesetzgebungsverantwortung zu verknüpfen. Da die perfektionistische Gesetzgebung Inhalt und Umfang der Verwaltungsausgaben bestimme und der Verwaltung nur noch einen geringen Spielraum bei der Ausführung der Gesetze einräume, müsse der Gesetzgeber die Folgen seines Handeins selbst spüren und verantworten316. Seit Beginn der 90er Jahre haben Bundesländer und Kommunen diese Forderung aus unterschiedlichen Gründen wieder aufgegriffen. Politik317 und Literatur318 unterstützen sie in zunehmendem Maße. Der Bundespräsident bezog im August 1994 deutlich Position: "Wirklich beherrschend ist gerade in einer Zeit, in der Knappheit der Finanzen herrscht, daß unsere Finanzverfassung auf dem falschen Fuß Hurra schreit. Die Regel, die unter normalen Menschen gilt, auch in unserem Privatleben, die heißt: wer 316 Henle, DÖV 1966, S. 608, 613; 1968, S. 396,402. 317 Vgl. z.B. Beschluß der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 24. September 1991 "Reform der Finanzverfassung", NdsLT-Drucks. 12/2797, S. 22 f., mit Änderungsvorschlag aufS. 25 . 318 Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland (1993), S. 59 ff., 62 f.; Schneider, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), S. 3, 7 f.; Schach, in: Der Landkreis 1994, S. 253, 257; ders., ZRP 1995, S. 387, 388; Schach/ Wieland, Finanzierungsverantwortung ftir gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben (1995); F. Kirchhof, Gutachten zm 59. DJT. (1996). Dagegen Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 30.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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zahlt schaffi an; und wer anschaffen will, der soll gefälligst bezahlen. Bei uns gibt es sehr viele Bereiche, in denen der Bund anschaffi und die Länder und die Kommunen bezahlen müssen. Das halte ich für einen ganz großen Strukturmangel unserer Verfassung. Und der muß irgendwann einmal in Angriff genommen werden" 319.
Der Präsident des Bundesrats und der nordrhein-westfälische Finanzminister haben sich angeschlossen320• Die Wissenschaft hat die Frage nach der "richtigen" bundesstaatliehen Lastenverteilung bei der Staatsrechtslehrertagung 1992 aufgegriffen321 • Ausgangspunkt der Diskussionsbeiträge war folgende These des Berichterstatters F. Kirchhof3 22 : "Die Ausgabenkompetenz sollte sich nach der Aufgabenverursachung und verantwortung richten. Die Zweckausgaben der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder trägt der Bund, soweit den Ländern kein Spielraum bei der Ausführung zusteht; die Verwaltungsausgaben bleiben bei den Ländern."
In der Literatur haben Henke, Schuppert, Schoch und Wieland nach fast 30 Jahren die Argumentation Henles erneut gegen das inzwischen verfassungsfeste "Konnexitätsprinzip" ins Feld gefiihrt: "Struktur und Inhalt heutiger Gesetze mit einer früher nicht gekannten Norrnierungstiefe und rechtlichen Bindung der normanwendenden Verwaltung" hätten der Vorschrift des Art. 104 a GG ihre Prämisse genommen, wonach der Gesetzesvollzug die Höhe der Ausgaben bestimme. Es widerspreche dem Kerngehalt des Konnexitätsgedankens, wenn die eine bundesstaatliche Ebene Entscheidungen auf Kosten der anderen treffen könne. Da Entscheidungsverantwortung und Firtanzierungslast nicht mehr in einer Hand lägen, sei ein "Paradigmenwechsel" vorzunehmen323 • Die Kritik zielt auf eine Änderung des Art. I 04 a I GG. Anlaß sind insbesondere die ständig steigenden Sozialhilfeausgaben - im Jahre 1993 knapp 49 Mrd. DM324 -, die nach der bundesgesetzliehen Regelung der §§ 96 ff. BSHG überwiegend die Städte und Landkreise, nicht aber der rechtsetzende Bund trägt. Entsprechend beruht auch der Rechtsanspruch auf ei319 ARD-Femsehinterview (Berichte aus Bonn) v. 5.8.1994; zit. nach Schoch!Wieland, Finanzierungsverantwortung flir gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 51; w.N. bei Karstendiek, ZRP 1995, S. 49. 320 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 51 f. und Karstendiek, ZRP 1995, S. 49 jeweils m.w.N. 321 VVDStRL 52 (1993). Überblick über den Verlauf der Diskussion bei Henneke, in: Die Kreise im Bundesstaat, S. 61, 127 ff. 322 VVDStRL 52 (1993), S. 71, 94, 110 Ls. 18. 323 Schach, in: Der Landkreis 1994, S. 253, 257 m.N. auf Änderungsvorschläge zu Art. 104 a 111 GG; ders., ZRP 1995, S. 387, 388. Kritische Resignation bei Heun, Der Staat 31 {1992), S. 205, 209 ff. 324 Schoch!Wieland, Finanzierungsverantwortung flir gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 35, 228. F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 9 distanziert sich dezidiert von einer Motivation seiner Untersuchung durch den kommunalen "Ruf nach mehr Geld".
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
nen Kindergartenplatz auf einem Bundesgesetz (Art. 1 § 24 KJHG). Es veranlaßt die fmanzierungspflichtigen Kommunen (Art. 1 § 69 KJHG) zu Investitionen in Höhe von etwa 21 Mrd. DM und jährlichen Betriebskosten von 4 bis 7 Mrd. DM325 • Die Kommunen haben wegen ihres real kaum vorhandenen Ermessens wenig Möglichkeiten, die Leistungshöhe auf diese Weise zu beeinflussen und hierdurch zu einer Senkung der von ihnen zu tragenden Kosten beizutragen. Es gibt Berechnungen, wonach die Kommunen aufgrund der Durchnormierung des Sozialhilferechts allenfalls 10 % der Sozialhilfeausgaben beeinflussen können326 • Dieser Befund veranlaßte Schoch/Wieland zu dem Verdikt, "daß es sich bei der Sozialhilfeverwaltung materiell um eine staatliche Auftragsangelegenheit handelt" 327, fiir die das "Konnexitätsprinzip" keine Anwendung fmdet. Sie intendieren mit der vorgeschlagenen Änderung der Lastenverteilungsregel eine Beteiligung des Bundes an den Kosten der Sozialhilfe. F. Kirchhof hält in seinem Gutachten zum 61. Deutschen Juristentag im September 1996 eine Verfassungsrevision fiir erforderlich, um den Bund dazu anzuhalten, nicht mehr "auf Kosten der Länder normative Wohltaten zu verteilen". Art. 104 a I GG sei dergestalt zu ändern, daß die Finanzierungsverantwortung mit der Gesetzgebungskompetenz zusammenfalle, wenn den Ländern bei der Ausfiihrung der Gesetze kein Entscheidungsspielraum verbleibt. Grundsätzlich solle der Bund die Zweckausgaben fiir die Ausfiihrung von Bundesgesetzen durch die Länder tragen. Die Länder seien nur dann zur Kostentragung zu verpflichten, wenn ihnen bei der Ausfiihrung der Bundesgesetze ein Spielraum eingeräumt ist. "Nicht das BSHG als Normenkomplex 'macht' die Kosten, sondern erst die einzelnen Sozialhilfeleistungen". F. Kirchhof stellt nicht die erste Grundentscheidung in Frage, die Art. 104 a I GG für die bundesstaatliche Lastenverteilung trifft. Die Lastenverteilung soll unverändert nach dem Kausalitätsprinzip erfolgen. Er bezweifelt aber die weitergehende Prämisse, "daß es tatsächlich das Verwalten ist, welches Kosten verursacht". Das geltende Recht setze fiir die Lastenverteilung "an der zeitlich letzten, unmittelbaren causa an, wo die Kosten zwar entstehen, aber letztlich doch nur zutage treten, während sie ein anderer - der Gesetzgeber - zuvor schon abschließend bestimmt und einen Dritten - die Verwaltung - durch bindende Vorgaben zur Kostenverursa-
325 Vgl. zu diesen Summen Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 37; Schoch, ZRP 1995, S. 387. Kritisch zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz Jsensee, DVBI. 1995, S. 1 ff. m.w.N. 32 6 Vgl. die Nachw. bei Schoch!Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 102. Neuere Berechnungen verschiedener Unternehmensberatungen kommen in Übereinstimmung mit jüngsten Untersuchungen der Landesrechnungshöfe aber aufwesentlich höhere Anteile; hierzu unten 5. 327 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 103.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
293
chung gezwungen hat. ( ...)Entscheidend ist vielmehr, wer aus eigenem Willen bei bestehenden Handlungsalternativen die wesentliche Ursache setzt. Es kommt auf den Spielraum an, den eine Stelle bei der Entscheidung besitzt, ob sie eine Aufgabe erfüllen will, und auf die Frage, wie sie den Spielraum hinsichtlich der fmanziellen Konsequenzen ausnutzt". 328 Als weiterer Vorteil einer Konnexität zwischen Aufgabenerfmdung und Kostenregelung wird eine Erhöhung der fmanzwirtschaftlichen Transparenz ausgemacht. Mit jedem Handlungsprogramm sei zwangsläufig auch eine Finanzierungsregelung verbunden, da die Deckung im Rahmen der eigenen Steuer- oder Abgabenhoheit erfolgen müsse329 . Die Forderung nach einer Verknüpfung der Gesetzgebungs- mit der Finanzverantwortung ist nicht neu. Vor der endgültigen Normierung des Konnexitätsprinzips in Art. 104 a I GG als Lastenverteilungsregel forderten neben Henle auch andere vehement und mit leichten Abweichungen in der Begründung und Unterschieden in der Begrifflichkeit eine Normierung des Prinzips der Gesetzeskausalität Rietdorf und v. d. Heide unterteilen die Finanzverantwortung in eine "Dekkungs-" bzw. "Aufbringungsverantwortung", worunter sie die Verantwortung für die Bereitstellung der für den Aufgabenvollzug erforderlichen Mittel verstehen und eine "Ausgabenverantwortung", als die Verantwortung für deren Bewirtschaftung. Die Deckungsverantwortung liege beim jeweiligen Träger der Gesetzgebung, da dieser die Kosten verursache, indem er die zu vollziehenden Aufgaben erst schaffe330. Ähnlich, doch weitergehend und mit abweichender Terminologie argumentiert Ludwig: Die durch Art. 109 I GG gesicherte haushaltswirtschaftliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Länder habe nur einen Sinn, wenn der Bund die Länder nicht durch seine Gesetzgebung fmanziell belasten könne. Aus dem Regelungsinhalt des Art. 120 GG a.F. folge, daß dem Bund mit der Gesetzgebungszuständigkeit auch die Finanzverantwortung übertragen sei. Die Finanzverantwortung liege nicht bei den Ländern. Sie seien für die Verwaltung der bundesgesetzlich bestimmten Lasten im Sinne des Art. 120 GG a.F. nach den allgemeinen Vorschriften der Art. 30, 83 GG zuständig. Den Ländern käme nur eine nachrangige "Deckungsverantwortung" für die von ihnen auszufUhrenden Aufgaben zu. Vorrangig sei aber die Finanzverantwortung des Bundes, die sich aus seiner Gesetzgebung und der damit begründeten Aufgabenverantwor-
328
F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 58 ff.
Beschluß der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 24. September 1991 "Reform der Finanzverfassung", NdsLT-Drucks. 12/2797, S. 22 f. 330 Rietdorf, DÖV 1953, S. 225,226, 228; von d. Heide, DVBI. 1953, S. 289,290. 329
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
tung ergebe. Weiter soll die durch Art. 110 II 2 GG a.F. vorgeschriebene Ausgleichung des Haushaltsplans in Einnahmen und Ausgaben ihren Sinn nur entfalten, wenn die vom Bundestag beschlossenen Gesetze auch fmanziell vom Bund zu verantworten seien. Und schließlich bestimme Art. 107 GG a.F., daß sich die Steuerverteilung auf Bund und Länder nach den ihnen obliegenden Aufgaben richte und nicht an der Verwaltungszuständigkeit orientiere33l. Aufgabenwahrnehmung im Sinne der bundesstaatliehen Lastenverteilung ist danach die Wahrnehmung der Gesetzgebungskompetenz. Das ist der gemeinsame Nenner der vorstehenden Auffassungen, die die Literatur bislang gegenüber dem "Konnexitätsprinzip" verbreitet als "Veranlassungsprinzip" bezeichnet hat332 . Damit ist aber nicht gesagt, wer bzw. was etwas veranlaßt Die von F. Kirchhof eingeführte Bezeichnung: "Prinzip der Gesetzeskausalität" ist inhaltsreicher. b) Verwaltungskompetenz
Fischer-Menshausen hat das "Konnexitätsprinzip" erstmals im Jahre 1948 herausgearbeitet und bis heute nachdrücklich vertreten333 . Der von ihm vorgeschlagenen und durch die Einfugung des Art. 104 a I GG ins Grundgesetz übernommenen "Verteilungsregel liegt das verwaltungsökonomische Postulat zugrunde, Aufgabenzuständigkeit und Ausgabenveranwortung in einer Hand zu vereinigen, mithin der Gebietskörperschaft, die fiir den Vollzug einer Aufgabe verantwortlich ist, auch die Verantwortung fiir die Finanzierung dieser Aufgabe zuzuweisen"334. Fischer-Menshausen leitet diese Verteilungsregel im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise aus empirisch unterlegten verfassungsrechtlichen und fmanzwissenschaftlichen Erwägungen ab.
331 Ludwig, Der Städtetag 1953, S. 141, 142 f.; von d. Heide, DVBI. 1953, S. 289 ff. 332 Genauso schon Maunz in seiner Erstkommentierung in Maun:z/Dürig/Herzog zu Art. 106 a. F. (März 1964), zit. nach Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 34; vgl. aber die Neukommentierung nach der Finanzreform 1969 Maunz, in: M/D/H/S, GG Art. I 04 a, Rn. 9; in Anschluß an dessen Terminologie Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 30; und jüngst noch Henke!Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S.
60.
333 Fischer-Menshausen, erstmalig DÖV 1948, S. 10, 13 f.; sodann insbes. 1952, S. 673 ff.; sowie 1953, S. 229 f.; 1955, S. 261, 262 ff.; 1956, S. 161, 167; in: Probleme des Finanzausgleichs I (1978), S. 135, 143 f.; in: HdWW, Bd. 2 (1980), S. 640 ff., 643 ff.; in: vM, GGK, Bd. 3 (1983), Art. 104 a Rn. 3 ff. (demnächst in 3. Aufl.). 334 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 3 (Hervorhebung vom Verf.).
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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Auf verfassungsrechtlicher Seite begründet er das "Konnexitätsprinzip" prinzipiell und funktional: Das Bundesstaatsprinzip fordere ein Finanzsystem, das die angemessene Aufgabenerfiillung der Gebietskörperschaften sicherstellt und die Gebietskörperschaften an den insgesamt verfiigbaren Finanzmitteln entsprechend dem Verhältnis ihrer fmanziellen Lasten beteilige. Diese Lasten seien in ihrer Höhe durch Inhalt und Umfang der von den Gebietskörperschaften wahrzunehmenden Aufgaben bestimmt. Damit stellt Fischer-Menshausen zwischen Ausgabenund Aufgabenverteilung einen fmanzwirtschaftlichen Zusammenhang her335 . Wichtig ist: "Aufgaben" im Sinne dieser Lastenverteilungsregel sind die unmittelbar kostenverursachenden Funktionen. Das sind im Bundesstaat in der Regel die Verwaltungsaufgaben der Exekutive einschließlich der Parlamentsund Justizverwaltung336• Die Verfassung verteilt die Verwaltungsaufgaben zwischen Bund und Ländern regelmäßig nach den allgemeinen Kompetenznormen der Art. 30, 83 GG. Die Lastenverteilungsregel knüpft an die verfassungsrechtlich zugewiesene Verwaltungszuständigkeit an: "Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen (Art. 70 f.) ist fiir die Ausgabenverteilung ohne Belang; denn Ausgaben entstehen im gesetzgebundenen Raum regelmäßig erst durch den Vollzug der Gesetze"337 • Die Veranlassung einer kostenverursachenden Regelung, die Normsetzung, sei fiir die Ausgabenverteilung irrelevant. Das ist das zentrale Dogma des "Konnexitätsprinzips". Hierdurch grenzt es sich von den anderen Vorschlägen zur Lastenverteilung ab. Fischer-Menshausen verläßt die verfassungsrechtliche Argumentation hier zugunsten einer auf Erfahrungswerten beruhenden. Staatsfunktional dient die von Fischer-Menshausen vorgenommene Kombination der Finanzierungslast mit der Verwaltungszuständigkeit der parlamentarischen Kontrolle. Denn diese Kontrolle könne sich nur gegenüber derjenigen Verwaltung wirksam entfalten, die Aufgabenvollzug und die Bereitstellung der hierfiir erforderlichen Mittel in einer Hand hält und damit gleichermaßen zu verantworten habe. Im administrativ-technischen Sinne bewirke die Verteilung der bundesstaatliehen Finanzverantwortung nach dem "Konnexitätsprinzip" eine Vielzahl von Verwaltungsvereinfachungen: Sie vermeide gegenseitige Erstattungen, Mehrfachfmanzierungen und verwaltungsinterne Verrechnungen mit den jeweils hierzu erforderlichen Verwaltungsvorgängen (Nachweise, Kontrollen usw.), da
335 Dieser Zusammenhang lag bereits § 54 des früheren Finanzausgleichsgesetzes zugrunde; Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. 10, 14 Fn. 4. 336 Vgl. oben Fn. 85. 337 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 4 (Hervorhebung vom Verf.).
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
jede Gebietskörperschaft für die in ihrem Vollzugsbereich anfallenden Ausgaben selber und allein aufzukommen habe. Aus fmanzwissenschaftlicher Sicht habe die Verknüpfung von Ausgabenverantwortung und VOllzugskompetenz den Vorteil klarer Grenzziehung für sich: Sie verhindere Mischverwaltung, Kompetenzkonflikte und Reibungsverluste. Dies entspreche der staatswirtschaftlichen Forderung, mit den Kosten der Verwaltung auch den Träger der Verwaltung zu belasten338. Die Zuweisung der Finanzierungsveranwortung an den Verband, der im Rahmen seines in der Regel weiten Gestaltungsspielraums die Art und Weise des Aufgabenvollzugs unmittelbar beeinflussen kann, böte am ehesten die Gewähr für eine möglichst ökonomische Durchfiihrung der Aufgabe. Denn das Interesse des aufgabenvollziehenden Verbandes nehme zu, wenn er die Ausfiihrung der Aufgaben auch selbst fmanziell zu veranworten hat. Dies ist eine zwar nicht rechtswissenschaftich begründete, aber empirisch erwiesene Verwaltungserfahrung, die Fischer-Menshausen bereits im Jahre 1948 auch unter Rückgriff auf die im nationalsozialistischen Verteilungsstaat mit den Reichzuweisungen gemachten Erfahrungen entwickelt hat339: "Die Länder waren ( ... ), soweit ihnen die erforderlichen Deckungsmittel durch Reichsüberweisungen zugefUhrt wurden, einer aktiven Haushaltspolitik weitgehend enthoben. Diese Einschränkung ihres Wirkungsbereichs ftihrte allmählich zum Rückgang des Länderinteresses an der Steuerkraft der heimischen Wirtschaft und zum Nachlassen der eigenen Bemühungen um eine möglichst wirtschaftliche und zurückhaltende Haushaltsftihrung. Denn es ist verständlich, daß die Ausgabenpolitik eines Gemeinwesens weitgehend mitbeeinflußt wird von der Art, wie die Deckungsmittel bezogen werden, insbesondere ob sie der eigenen Wirtschaft entstammen und eigener Einwirkung zugänglich sind, oder ob sie, ihrer regionalen Herkunft entkleidet, von einer Zentrale nur mechanisch zugewiesen werden" 340.
Aus dieser Beobachtung heraus sucht Fischer-Menshausen einen Weg, der die "Triebfeder" des "Eigennutzes" der Länder instrumentalisiert und "den Belangen der Gemeinschaft dienstbar macht". Hierzu müßten die "Verbände unter einen politisch-psychologischen Zwang zur Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit gestellt werden". Die Besonderheit dieses Ansatzes liegt darin begründet, daß er den "äußeren Zwang eines obrigkeitlichen Finanzsystems ( ... ) durch ein selbsttätig wirkendes Regulativ [ersetzt], das den Hebel innerhalb der Länder
Fischer-Menshausen, DÖV 1952, 673, 675. Fischer-Menshausen stand dabei auch unter dem Eindruck der Denkschrift des Präsidenten des Deutschen Reichs zur Förderung der Reichsreform und des Finanzausgleichs (unter Zugrundelegung der oldenburgischen Verwaltungsrefom von 1.?33), die nachdrücklich den Verantwortungsgedanken vertrat; Fischer-Menshausen, DOV 1948, S. 10, 13 Fn. 2 mit Verweis auf Kaufmann, Die Reichsreform 1933, S. 324 ff. 340 Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. I 0, 12. 338
339
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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und Gemeinden ansetzt" 341 • Eine geordnete Haushaltswirtschaft soll nicht mehr durch mechanische Mittel von oben her erreicht werden. Das "Konnexitätsprinzip" setzt das bisher unterschätzte psychologische Willensmoment in der Verwaltung fmanzpolitisch ein und macht es auf diese Weise nutzbar: "Das Maß des öffentlichen Aufwands ist keineswegs in dem vielfach behaupteten Umfang zwangsläufig, sondern wird letzten Endes von Menschen bestimmt, deren Verantwortungsbewußtsein, Energie und Verwaltungskunst naturgemäß verschieden sind. Diese Eigenschaften gilt es anzusprechen und in einen gesunden Wettbewerb zu spannen ( ... ). Nachhaltigen Erfolg verspricht mithin nur ein System, das jedem Land die größtmögliche Selbstveranwortung flir die Ordnung seines Haushalts zuweist und damit die Willenskräfte zur Entfaltung bringt, die imstande sind, die eigene Verwaltung zu Sparsamkeit und höherer Leistung anzuhalten" 342 .
Das ist sozusagen "der große Trick" des "Konnexitätsprinzips": Es richtet den jeder fmanzmittelverwaltenden Stelle eigenen Egoismus im Interesse des Gemeinwohls gegen sie selbst und instrumentalisiert ihn auf diese Weise als selbsttätig wirkendes Regulativ zugunsten des Gesamtstaats. Gleichzeitig gewinnt die verwaltungspsychologische Argumentation hier staatsprinzipielle Bedeutung, wenn Fischer-Menshausen fortfährt: "Denn die Stärkung der finanziellen Eigenverantwortung wirkt nicht nur erzieherisch auf die behördliche Bürokratie, sondern mehr noch auf die Kräfte der demokratischen Willensbildung: an den konkreten Finanzproblemen können die politischen Parteien am besten erkennen, wie sich ihre ideologisch orientierten Grundanschauungen im öffentlichen Leben und namentlich in der Wirtschaft auswirken und praktisch bewähren. Eine echte und von wirklicher Verantwortung getragene Staatsgesinnung vermag dann auch den Willen ernsthaft durchzusetzen, mit den verfügbaren Mitteln hauszuhalten und erforderlichenfalls hart gegen sich selbst zu sein. Denn das ist die notwendige Folge erhöhter Finanzverantwortung: der bequeme Ausweg, in schwierigen Lagen auf zentrale Beihilfen zurückgreifen zu können, muß grundsätzlich verschlossen sein" 343 .
Das "Konnexitätsprinzip" erscheint als Ausfluß des Demokratieprinzips und - hier schließt die Argumentation für das Konnexitätsprinzip an ihren Ausgangspunkt an - als Ausfluß des Bundesstaatsprinzips, das zusätzlich zur und wegen der Sicherstellung einer angemessenen Aufgabenerfüllung durch die Gebietskörperschaften die eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben fordert. Denn das föderative Prinzip gewährt nicht nur Kompetenzbefugnisse, sondern fordert auch die Ausübung dieser Befugnisse in eigener Verantwortung und in Verantwortung fiir das Ganze. Die "Inanspruchnahme der föde-
Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. 10, 12 (Hervorhebung im Original). Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. I 0, 13 (Hervorhebung im Original). 343 Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. I 0, 13. 341
342
298
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
rativen Rechte erhält erst durch die verantwortliche Wahrnehmung der föderativen Verpflichtungen ihre staatspolitische Legitimation"344. Da die Lastenverteilung nach dieser Ansicht in der Regel an die verfassungsrechtlich vorentschiedene Verwaltungsverantwortung anknüpft, ergibt sich als Konsequenz entsprechend zur primären Verwaltungszuständigkeit der Länder gern. Art. 30, 83 GG auch deren primäre Finanzverantwortung für die Erfüllung von Staatsaufgaben. Das "Konnexitätsprinzip" erstreckt das in den Generalklauseln der Art. 30, 83 GG für die Ausübung staatlicher Befugnisse und Aufgaben statuierte Subsidiaritätsprinzip auf die Verteilung der Finanzverantwortung: Im Zweifel sind die Länder zur Finanzierung staatlicher Aufgaben verpflichtet. c) Sachverantwortung
Köttgen kritisierte in Auseinandersetzung mit den Thesen Fischer-Menshausens schon früh und heftig die Konnexität zwischen Finanzierungs- und Verwaltungsverantwortung: Im modernen Verteilungsstaat ließen sich die Verwaltungsaufgaben in der Regel nicht eindeutig dem Bund oder den Ländern zuweisen, da Bundes- und Landesinitiative nach Maßgabe der Art. 84 f. GG eng ineinandergriffen und eine einheitliche Aufgabe nicht sachwidrig aufgespalten werden dürfe. Eine Zurechnung sei unproblematisch nur möglich, wenn sich eine Aufgabe vom Anfangsstadium planender Initiative bis zu ihrer abschließenden Verwirklichung in selber Hand befmdet. Hierzu zählt Köttgen die auf Art. 87 GG gründende Hoheitsverwaltung des Bundes, sowie den Vollzug von Landesgesetzen in ländereigener Verwaltung345 • Im übrigen aber liege die - von Köttgen so bezeichnete - "Sachverantwortung" im Bereich der Art. 84 f. GG gleichermaßen bei Bund und Ländern: Nicht nur die Länder entschieden über die Art und Weise des Aufgabenvollzugs. Bundesgesetzgeber und -regierung bestimmten "nicht allein über das Ob, sondern in steigendem Umfang auch über das Wie der in Betracht kommenden Aufgaben "346. Es bestehe ein "Dualismus der Verantwortung". Eine alleinige Finanzverantwortung der Länder lasse sich nur dort begründen, wo allein ihr sachlicher Einfluß über Art und Weise des Aufgabenvollzugs entscheidet. Die Finanzverantwortung habe so weit zu reichen wie der Sacheinfluß. Die abstrakten Grenzen der Art. 84 f. GG seien für die Lastenverteilung irrelevant. Sie habe sich vielmehr nach der konkreten bundesrechtlichen Ausgestaltung der Vollzugszuständigkeiten zu richten. Dabei dürfe der Bund den Ländern neue Aufgaben nur übertragen, wenn er
DÖV 1952, S. 673, 675. Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 360. 346 Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 362. 344 Fischer-Menshausen,
345
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
299
gleichzeitig die hierfiir erforderlichen Deckungsmittel bereitstellt347 . Nach dieser Ansicht sind die Finanzmassen von Bund und Ländern nach der unaufhebbaren jeweiligen Situationsgebundenheit jeder Sachverantwortung variabel gegeneinander abzugrenzen. 348 Köttgens Konzept ermöglicht eine eindeutige Lastenverteilung gerade nicht. Wenn die Lastenverteilung an die jeweilige Ausgestaltung der Vollzugszuständigkeit anknüpft, verteilt sie die Finanzmassen zwischen Bund und Ländern variabel. Das Ziel einer eindeutigen Lastenverteilung wird verfehlt349 . Für die Auseinandersetzung mit den anderen beiden Konzepten muß weiter ausgeholt werden:
4. Ergänzende Stellungnahme Die Diskrepanz zwischen der Veranlassung kostenintensiver Gesetze und ihrer Ausfiihrung durch die verfassungsrechtlich zuständigen Körperschaften ist nicht neu. Die Problematik war dem Gesetzgeber bei der Normierung der Konnexitätsprinzips nicht nur bekannt, sondern wurde hoch kontrovers diskutiert. Sie war der Anlaß fii.r die klarstellende Regelung des Art. 104 a I GG. Die Prämisse des Art. I 04 a I GG ist also keineswegs verloren gegangen. Es liegt auch kein "partieller 'Wegfall der Geschäftsgrundlage"'350 der Vorschrift, der nun eine Neuregelung erforderlich macht. Die Normierungsdichte heutiger Vorschriften ist nicht in so entscheidendem Maße höher als bei der Normierung des Konnexitätsprinzips im Jahre 1969, als daß dessen Grundgedanke in sein Gegenteil verkehrt werden müßte. Auch 1969 schränkte die Bundesgesetzgebung den Entscheidungsspielraum der aufgabenausfUhrenden Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften stark ein. Daraus resultierte ja gerade die damals vehemente Kritik an der Einfiihrung des Konnexitätsprinzips als allgemeiner LastenverteilungsregeL Die neu erwachte Diskussion um die "richtige" bundesstaatliche Lastenverteilung bringt nichts Neues. Die Diskussion leidet von jeher unter terminologischen Schwierigkeiten351 : So unterscheidet Ludwig im Jahre 1953 einerseits zwischen einer "Finanzver347 348
28 ff.
Köttgen, DÖV 1953, S. 358, 362 f. Weitere Auffassungen m.N. bei Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn.
349 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 33; Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 32 f. 350 Schach, ZRP 1995, S. 387, 389; Schoch/Wie/and, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 140 ff., 145; F. Kirchhof, Gutachten zum 61 . DJT, Typoskript, S. 63 f. 351 So schon Fischer-Menshausen, DÖV 1953, S. 229.
300
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
antwortung", die sich aus der Aufgabenverantwortung und, da die Regelung der Aufgaben im Wege der Gesetzgebung erfolgt, damit aus der Gesetzgebung ergibt; auf der anderen Seite soll im Bundesstaat (nicht aber im Einheitsstaat) die hiermit nicht identische sog. "Deckungsverantwortung" stehen, der die "Finanzverantwortung" wiederum vorgelagert seP52 • Rietdorf und v. d. Heide verstehen unter "Deckungs- bzw. Aufbringungsverantwortung" umgekehrt die "Finanzverantwortung" im Sinne Ludwigs und bezeichnen dessen "Deckungsverantwortung" als "Ausgabenverantwortung"353 • All dies fuhrt nicht weiter. Die terminologischen Differenzierungen sind willkürlich und wirken z.T. gekünstelt. Ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn ist nicht ersichtlich. Die feinen Unterscheidungen durch F. Kirchhof haben jüngst zwar einen klärenden Beitrag geleistet354: "Die verfassungsrechtliche Finanzverantwortung hat über die Finanzierungskompetenz als Außenzuständigkeit zur Ausgabe von Geldmitteln an Dritte zu entscheiden; sie muß in der Finanzierungslast bestimmen, welche Körperschaften die Kosten einer Aufgabe aus eigenem Haushalt trägt, und muß klären, ob zwischen den Körperschaften Transferbefugnisse oder -pjlichten bestehen, die Finanzhilfen zur Kostenerstattung ermöglichen."
Doch auch diese inhaltliche Abgrenzung ist letztlich willkürlich. Die Begriffe sind austauschbar: Wodurch unterscheidet sich die Finanzierungsverantwortung begrifflich von der Finanzierungskompetenz? Und könnte man anstelle dieser beiden Begriffe nicht gleichermaßen von Finanzierungsbefugnis oder pflicht sprechen? Hier gibt es keinen einheitlichen Sprachgebrauch. a) Maßgeblichkeif der Auffassungen vor der Finanzreform 1969
Nach Vogel/Kirchhof hat die referierte inhaltliche Auseinandersetzung über das maßgebliche Kriterium bei der bundesstaatliehen Lastenverteilung für die Auslegung des Art. 104 a I GG nur nachrangige Bedeutung. Art. 104 a I GG sei "primär aus sich selbst heraus, aus seiner konkreten verfassungsrechtlichen Zielsetzung (seiner 'ratio') zu interpretieren"355 • Das mag so sein, oder auch nicht. Für die Entstehung des Art. 104 a I GG kommt jedenfalls den Ausführungen Fischer-Menshausens maßgebliche Bedeutung zu. Sie fmden sich z.T. wortgleich in den Begründungen der beiden großen Finanzreformgesetze wieder und stimmen inhaltlich mit ihnen vollLudwig, Der Städtetag 1953, S. 141 ff. Rietdorf, DÖV 1953, S. 225 ff.; vond. Heide, DVBI. 1953, S. 289 ff. 354 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 1, 9 f. (Hervorhebungen 352
353
vom Verf.)
355 Vogel/Kirchhof,
in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 36.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
301
ständig überein356. Von daher kann sein oben referierter Standpunkt bedenkenlos fiir die Ermittlung der "konkreten verfassungsrechtlichen Zielsetzung" des Art. 104 a I GG herangezogen werden und auf diese Weise in dessen Auslegung Eingang fmden3 57. Da der genetische Teil einer Norminterpretation gerade die der Normentstehung zugrunde liegenden Überlegungen zu berücksichtigen hat, erstaunt es deshalb nicht, wenn Vogel/Kirchhof im Ergebnis zu einer Auslegung gelangen, die mit dem von Fischer-Menshausen vertretenen Standpunkt in den wesentlichen Grundzügen übereinstimrnt358 . Dies gilt insbesondere fiir die zentrale Frage, ob sich die Ausgaben im Sinne des Art. 104 a I GG aus der Gesetzgebungsoder in der Regel aus der Verwaltungstätigkeit ergeben. Vogel/Kirchhof erteilen dem "Veranlassungsprinzip" bezeichnenderweise unter Bezugnahme auf Fischer-Menshausen eine klare Absage359, die schon die Begründung des Finanzreformgesetzes 1955 gleichermaßen prägnant "zur Verdeutlichung des Verfassungswillens und damit zur Klärung der gegenwärtigen Rechtsunsicherheit" zum Ausdruck brachte360. Der Gesetzgeber stand dabei ganz unter dem Eindruck der dargestellten Diskussion. Sie hatte die einschlägige Literatur vor den beiden Finanzreformen bewegt und ist deshalb bei der Auslegung des Art. 104 a I GG gleichsam als Negativabgrenzung zu berücksichtigen. Damit ist die Grenze einer zulässigen Neuinterpretation markiert: Aufgaben im Sinne des Art. 104 a I GG sind grundsätzlich solche der V erwaltung361 . Die von SchrnidtJortzig unlängst geforderte "gewandelte, problembewußte Interpretation [, die] nicht so sehr auf statische, exogene, formale Kriterien wie die Verwaltungszuständigkeit"362 abstellt, ist unzulässig, soweit sie das Ziel verfolgt, unter Aufgaben im Sinne des Art. 104 a I GG solche der Gesetzgebung zu verstehen. Den sich in jüngerer Zeit wieder häufenden verfassungspolitischen Versuchen, die schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegen das Konnexitätsprinzip vorgebrachte Kritik erneut gegen den Lastenverteilungsgrundsatz in Art. 104 a I GG vorzubringen, ist unverändert die Gedankenfiihrung FischerMenshausens entgegenzusetzen: 356 BT-Drucks. 11/480, S. 43 ff. Tz. 52 ff.; V/2861, S. 30 f. Tz. 113 ff. Vgl. auch genauso das Troeger-Gutachten, S. 49 ff. Tz. 198 ff. 357 Sehr zurückhaltend Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 23. 358 Vgl. zu den Abweichungen oben Fn 85. 359 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 56. 360 BT-Drucks. 11/480, S. 46 f. Tz. 59 f. 361 Insoweit zustimmend auch Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 152; F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, TyposkriptS. 25 f. 362 Schmidt-Jortzig, VVDStRL 52 (1993), S. 163, 164 (Umstellung im Zitat vom Verf.).
302
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
b) Bundesstaatssichernde Funktion
Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG sichert in Zusammenhang mit dem vertikalen Finanzausgleich nach Art. 106 a III 3, 4, IV 1 GG die organisationsrechtlich in Art. 20 I, 79 III GG geforderte und durch Art. 109 I GG haushaltswirtschaftlich gestärkte Eigenstaatlichkeit der Länder. Er ist ein wichtiger Faktor für die vertikale Gewaltenteilung im Bundesstaat. Die vorgeschlagene Änderung des Art. 104 a I GG kollidiert mit dem Bundesstaatsprinzip. aa) Ausgabenverteilung und kongruente Einnahmenverteilung Die Literatur wandte sich schon vor der Normierung des Art. 104 a I GG gegen die Thesen Fischer-Menshausens mit der Begründung, er übergehe die Finanzverantwortung des aufgabenauferlegenden Bundes. Sie übersah, daß Fischer-Menshausen die aus der Gesetzgebung des Bundes folgende Verantwortung keinesfalls unberücksichtigt läßt. Ihr sollte im Wege des vertikalen Finanzausgleichs nachgekommen werden. Er soll die Länder in die Lage versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben auch durchführen zu können. Hierin kommt der Gedanke des § 54 Finanzausgleichsgesetz 1938 und seiner Yorgänger363 zum Ausdruck, wonach die gesetzliche Aufgabenzuweisung an Länder und Gemeinden die gleichzeitige Bereitstellung der zur Bewältigung dieser Aufgaben erforderlichen Mittel nach sich zu ziehen habe. Dieser Rechtsgedanke findet sich in sämtlichen heutigen Landesverfassungen wieder, die eine landesgesetzliche Aufgabenzuweisung an die Gebietskörperschaften in mehr oder weniger stringenter Weise an die Erschließung der hierzu erforderlichen Mittel binden 364.
Soweit Rietdorf, v. d. Heide und Ludwig eine "Deckungs-, Autbringungs-" oder "Finanzverantwortung" berücksichtigt wissen wollen, findet diese bei Fischer-Menshausen Eingang in den Finanzausgleich, während die "Ausgaben-" oder "Deckungsverantwortung" ihren Ausdruck im Konnexitätsprinzip findet. Das spricht auch gegen die Auffassung Henles und die neueren verfassungspolitischen Forderungen365 , die die Lastenverteilung entgegen dem gel363 Vgl. oben I. 364 So z.B. Art. 71 111 LV BW; 83 111 BayLV; 78 111 LV NW; 49 II LV SH; vgl. schon von d. /leide, DVBI. 1953, 289, 291, sowie zu den anderen Landesverfassungen w.N. bei Schoch/ Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranfaßte kommunale Aufgaben, S. 90, 158 Fn. 617, 160 ff. und im einzelnen unten S. 281 mit Fn. 395. 365 Schoch, Der Landkreis 1994, S. 253, 257; ders., ZRP 1995, S. 387 ff.; F. Kirchlwf, VVDStRL 52 ( 1993), S. 71, 94, II 0 Ls. 18; Schoch/ Wieland, Finanzierungsverantwortung für gcsetzgcbcrisch veranfaßte kommunale Aufgaben, S. 148 ff. und 151 ff. mit eingehender Begründung für die Unzulässigkeil einer entsprechenden Verfassungsin-
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
303
tenden Recht an die Gesetzgebungskompetenz knüpfen möchten: Soweit die Gesetzgebung Kosten verursacht, wird der gesetzgeberischen Verantwortung durch den vertikalen Finanzausgleich des Art. 106 GG entsprochen. Wer demgegenüber darauf verweist, der Bund bekomme die Folgen seiner Gesetzgebung finanziell nicht zu spüren, wenn sich die Lastenverteilung an der Aufgabenverteilung und nicht an der Gesetzgebungszuständigkeit orientiert, verkennt Funktion und Bedeutung dieses Finanzausgleichs: Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sind nicht allein durch die grundsätzliche Aufgabenverteilung nach Art. 30, 83 GG und die gern. Art. 104 a I GG nachfolgende Lastenverteilung (Konnexitätsprinzip) geprägt, sondern gleichermaßen durch die sich hieraus wiederum ergebende Einnahmenverteilung (Kongruenzprinzip)366• Sie verteilt das gesamtstaatlich verfiigbare Steueraufkommen auf Bund und Länder: Die Art. 106 I, II, III GG teilen die meisten Steuererträge zwischen Bund und Ländern auf. Diese Aufteilung orientiert sich an dem Umfang ihrer Aufgaben. Dem Bundesgesetzgeber bleibt die Aufteilung des Ertrags der Umsatzsteuer als der neben der Einkommensteuer wichtigsten Steuer überlassen. Gern. Art. 106 III 3 GG kann er die Anteile von Bund und Ländern unter den Voraussetzungen des Art. 106 IV 1 GG durch zustimmungsbedürftiges Gesetz festsetzen, wobei er sich an den Grundsätzen des Art. 106 III 4 GG zu orientieren hat. Die Änderung der Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern ist das bedeutsamste flexible Element bei der Einnahmenverteilung. Nach Art. 106 III 4 Nr. 1 GG sind die "notwendigen Ausgaben" das entscheidende Kriterium für die Verteilung der Umsatzsteuer. Die "notwendigen Ausgaben" ergeben sich gern. Art. 104 a I GG u.a. aus den Aufgaben367. Auch die Umsatzsteuerverteilung erfolgt aufgabenakzessorisch. Die Verteilung des gesamtstaatlichen Steueraufkommens richtet sich nach den von Bund und Länder zu tragenden Ausgaben, die sich ihrerseits aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben368 . "Die Finanzverfassung erweist sich in der aufgabenakzessorischen Ordnung der Finanzen als 'Folgeverfassung'; den Aufgaben kommt der Vorrang vor den Finanzen zu" 369 . "Die dienende-
terpretation; Schneider, Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), S. 3, 7f. Etwas unklar Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 60 f., 63. 366 Vgl. von Arnim, HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 8 f., 16. 367 Differenzierter unten S. 282 f. 368 von Amim, HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 9; vgl. BVerfGE 86, 148 (248). 369 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 25.
304
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
akzessorische Funktion des Finanzausgleichs als bundesstaatlicher Folgeordnung verlangt, mittels der Einnahmenverteilung die gegebene Aufgabenverteilung zu effektuieren"370• Die Verfassung stellt die Verteilung von Einnahmen, Ausgaben und Aufgaben in einen unlösbaren Zusammenhang. Der innere Zusammenhang zwischen dem Konnexitäts- und dem Kongruenzgrundsatz ergibt sich entstehungsgeschichtlich aus ihrer erst in der Finanzreform des Jahres 1969 erfolgten Trennung: Bis dahin normierte Art. 106 IV 2 Nr. 1 GG a.F.371 beide Grundsätze einheitlich. Die Placierung des Konnexitätsgrundsatzes an die Spitze der Finanzverfassung in Art. 104 a I GG sollte diesen Zusammenhang nicht aufbrechen. Das Beziehungsgeflecht aus Aufgaben-, Lasten- und Einnahmenverteilung kann nur in dem verfassungsrechtlich vorgesehenen Zusammenhang betrachtet werden. Die Kritiker des "Konnexitätsprinzips" berücksichtigen ihn nur unzureichend. Gern. Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG muß der Bund die Länder (und damit mittelbar auch die Gemeinden) aus seiner umfassenden Gesetzgebungskompetenz und fmanziellen Gesamtverantwortung heraus im Wege des vertikalen Steuerund Finanzausgleichs durch Änderung der Umsatzsteuerverteilung fmanziell so ausstatten, daß sie die ihnen zugewiesenen Aufgaben durchführen können; das ergibt sich auch aus Art. 106 IV 2 GG, der für kurzfristige Mehrbelastungen Finanzzuweisungen des Bundes an die Länder vorsieht372 und aus Art. 79 III GG, wonach dem einzelnen Land ein angemessener Anteil am Gesamtsteueraufkommen zuzuweisen ist, um seine Finanzhoheit als unantastbares "Hausgut" zu wahren373 • Jede nicht nur marginale bundesgesetzlich bewirkte Vergrößerung ihrer Ausgabenlast vermittelt den Ländern einen - wegen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit nicht justiziablen374 - Anspruch auf Neuverteilung des Gesamtertrags der nationalen Steuerleistung zu ihren Gunsten375 •
°
37 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern V 3 e bb (2) (b) (aa), (a), Hervorhebung vom Verf. 371 Vgl. oben 2. 372 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 6; vgl. Art. 106 Rn. 4 f. von Arnim, HStR, Bd. IV, § 103 Rn. 5 f. Vgl. BVerfGE 32, 333 (338); 39, 96 (108); 55, 274 (300); 72, 330 (383, 388); 86, 148 (213 ff.). 373 BVerfGE 34, 9 (20); vgl. Isensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 276. 374 Zur Justiziabilität finanzverfassungsrechtlicher Vorschriften Fischer-Menshausen, in: Probleme des Finanzausgleichs I, S. 135 ff.; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gern. Art. 107 II GG, S. 92 ff.; Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung. 375 Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 216, 218 mit zahlreichen w.N., 219 ff. , 225 f., 226 f. zu den Grenzen des gesetzgebensehen Beurteilungsspielraums; Fischer-Menshausen, in: Probleme des Finanzausgleichs I, S. 135, 139; ders., in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 106 Rn. 26; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 106 Rn. 14; vgl. ferner Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 30 f. mit Fn. 74; Patzig, AöR 92 (1967),
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
305
Wenn der Bund kostenintensive Gesetze erläßt und die Finanzierungspflicht auf andere staatliche Ebenen überträgt, bekommt er die Folgen seiner Gesetzgebung über das Korrektiv des vertikalen Finanzausgleichs durch Verminderung seines Anteils an der Gesamtsteuermasse zu spüren376. Die Einnahmenverteilung vermittelt Finanzverantwortung. An die Kommunen fmdet wegen der fmanzwirtschaftlichen Zweistufigkeit des grundgesetzliehen Bundesstaats zwar kein unmittelbarer Finanztransfer vom Bund statt. Ihre Einnahmen und Ausgaben gelten im bundesstaatliehen Finanzausgleich aber als Einnahmen und Ausgaben der Länder (Art. 106 IX GG). Im Finanzausgleich werden die Kommunen durch die Länder mediatisiert (Art. 107 II 1 2. Hs. GG): Sie müssen die ihnen zugewiesenen Mittel nach dem System der Art. 106 V, VI, VII GG an die Gemeinden weiterleiten. Die insbesondere durch die Sozialhilfegesetzgebung und durch die Finanzierung der Kindergartenplätze erheblich belasteten Kommunen sind im Wege dieses Finanzausgleichs nach Art. 106 V, VI, VII GG als Teil der Länder (Art. 106 IX GG) dazu in die Lage zu versetzen, die ihnen zugewiesenen Aufgaben auch durchfUhren zu können377• Das ergibt sich aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 II GG, die auch die Finanzhoheit der Kommunen urnfaßt378 . Weitergehend umfaßt die bundesverfassungsrechtlich gewährleistete Finanzhoheit der Kommunen nach verbreiteter Ansicht die angemessene Finanzausstattung oder jedenfalls eine fmanzielle Mindestaustattung der Gemeinden379 . Wie dem auch imS. 297, 304 f. entgegen Erichsen, a.a. oben zur Justiziabilität des horizontalen Finanzausgleichs. Vgl. auch BVerfDE 34, 9 (20). Wie hier auch Maunz, in: M/D/WS, GG Art. 106, Rn. 68: Der Anspruch auf Neufestsetzung des Beteiligungsverhältnisses unterliegt der politischen Beurteilung. Es besteht nur ein Rechtsanspruch auf Aufnahme von Verhandlungen. Erst wenn sich die Argumente der Gegenseite auf pauschales Bestreiten reduzieren, oder rechtlich fehlerhafte, unbeachtliche oder sachfremde Argumente Verwendung finden, erstarkt der Verhandlungsanspruch zu einem vor dem BVerfD einklagbaren Rechtsanspruch. Diese Differenzierung übersieht Karstendiek, ZRP 1995, S. 49, 51 und gelangt deshalb zu dem unzutreffenden Ergebnis, daß der Anspruch auf Neufestsetzung des Beteiligungsverhältnisses justiziabel sei. 376 A.A. F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 35. 377 BVerfDE 86, 148 (215 f.). 378 BVerfDE 71, 25,36 m.w.N.; VerfDH Nds DVBI. 1995, S. 1175 m.w.N. 379 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 45 m.w.N., 109 ff., 176 ff. m.w.N. Vgl. hierzu insbes. VerfGH NW DVBI. 1993, S. 197, 198. Das BVerfG hat die Frage nach dem konkreten Inhalt der kommunalen Finanzhoheit bislang nicht beantwortet. Es hat nicht deutlich gemacht, wann die Finanzhoheit in vor Art. 28 II GG nicht zu rechtfertigender Weise tangiert wird; vgl. BVerfDE 83, 363 (386). Die ergänzende Neufassung des Art. 28 II GG durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBI. I S. 3146 hat lediglich die bisher ohnehin bestehende Rechtslage klargestellt, wonach die Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanzielle Eigenverantwortung umfaßt, im 20 Kranz
306
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
mer sei. Hierzu dient jedenfalls das zweistufige System des allgemeinen vertikalen bundesstaatliehen Finanzausgleichs nach Art. 106 III 4, IV 1 GG und des Finanzausgleichs zwischen Land und Gemeinden nach Art. 106 V, VI, VII GG. In diesem System kommt der Bund seiner Verantwortung aus der Rechtsetzung nach. Deshalb besteht kein Bedarf nach einer Verfassungsrevision zur Änderung des allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes in Art. 104 a I GG380• Diesen Bedarf stützen Schoch/Wieland auf eine angebliche Regelungslücke in der bundesstaatliehen Finanzverfassung und auf einen behaupteten Systembruch: Bei der bundesgesetzliehen Zuweisung von Verwaltungsaufgaben an die Kommunen werde der zweistufige Staatsautbau verlassen. Da die "fmanzverfassungsrechtliche Folgeverfassung" aber in der staatsorganisationsrechtlichen Zweistufigkeil von Bund und Ländern verharre, ergäbe sich einerseits eine Freistellung des Bundes von der Finanzverantwortung für die von ihm im Wege der Gesetzgebung veranlaßten Aufgaben. Andererseits seien die Länder für die von ihnen nicht veranlaßten Aufgaben gleichermaßen nicht verantwortlich, denn die landesverfassungsrechtlichen Deckungsregeln381 verpflichten sie nur dazu, die Kommunen fmanziell in die Lage zu versetzen, die ihnen im Wege der Landesgesetzgebung zugewiesenen Aufgaben auch durchführen zu können. Wenn der Bund bei der Aufgabenzuweisung den zweistufigen Staatsautbau "unter Umgehung der an sich zuständigen Länder" verlasse, könne dem aber nicht "gleichsam als 'Heilung' ein zweiter Systembruch" dergestalt folgen, daß auch die fmanzverfassungsrechtliche Zweistufigkeit verlassen werde und der Bund die Kommunen direkt mit den erforderlichen Mittel ausstatte. Und Art. 28 II GG enthalte kein rechtsverbindliches Junktim zwischen der Aufgaübrigen für die Rechtsfolgen der kommunalen Finanzhoheit aber nichts Neues gebracht; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 28 Rn. II. Der NdsStGH hat die vom BVerfG offen gelassene Frage unlängst für das Land Niedersachsenwegen Art. 57 IV, 58 LV Nds bejaht. Art. 57 IV LV Nds hat folgenden Wortlaut: "Den Gemeinden und Landkreisen und den sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften können durch Gesetz staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden, wenn gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen werden". Art. 58 LV Nds lautet: "Das Land ist verpflichtet, den Gemeinden und Landkreisen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel durch Erschließung eigener Steuerquellen und im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit durch übergemeindlichen Finanzausgleich zur Verfügung zu stellen". Im Wortlaut beider Vorschriften gelangt die im deutschen Kommunalrecht herkömmliche Differenzierung zwischen dem eigenen und dem übertragenen Wirkungskreis erkennbar zum Ausdruck. Aus dieser Abgrenzung schließt das Gericht auf die Verpflichtung des Landesgesetzgebers, im Finanzausgleich "einen besonderen erkennbaren Ansatz für den Ausgleich der Kosten der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises vorzusehen". Die Mittel dieses Ansatz dürften nicht in die finanzkraftabhängige Verteilung des Art. 58 LV Nds einfließen. 380 Vgl. Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 30 f. 381 Vgl. oben Fn. 364.
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benzuweisung an die Kommunen und der Bereitstellung der hierzu erforderlichen Mittel382 • Beides trifft gleichermaßen zu. Die Aufgabenzuweisung an die Kommunen durch Bundesgesetze ist aber kein "Systembruch". Die Länder sind hierfür nicht "an sich" zuständig. Wohl darf der Bund nicht im Wege der Staatsaufsicht unmittelbar auf die Gemeinden zugreifen383 • Er ist auch nicht dazu berechtigt, "die fmanziellen Verhältnisse der Gemeinden unmittelbar ohne Einschaltung der Länder zu ordnen"384• Beides folgt schon aus Art. 30, 70 ff. GG, wonach die Materie Kommunalrecht nicht dem Bund, sondern den Ländern zugewiesen ist. Doch steht es nicht "im Widerspruch zu dem Leitprinzip der bundesstaatliehen Ordnung", wenn der Bund die Kommunen im Wege der Gesetzgebung zur Durchführung von Aufgaben verpflichtet385 . Jedenfalls ist der Bundesgesetzgeber gern. Art. 84 I GG dazu berechtigt, den Gemeinden Aufgaben als Selbstverwaltungsangelegenheiten zuzuweisen, wenn es sich um eine "punktuelle Annexregelung zu einer zur Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers gehörenden materielle Regelung handelt" und wenn diese Annexregelung "für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzugs notwendig ist"386 . Der Bund nimmt im Bereich der Bundessozialhilfe die konkurrierende Gesetzgebungs-
382 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung flir gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 126 f., 185 ff. 383 BVerfGE 8, 122 (137). 384 BVerfGE 26, 172 (182). 385 So aber Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung flir gesetzgeberisch veranJaßte kommunale Aufgaben, S. 186 f. 386 BVerfGE 22, 180 (21 0, 181 Ls. 2); 77, 288 (299). Diese Einschränkung veranJaßte Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung flir gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 119 ff., 123 f. zu einem folgenreichen Verdikt: § 96 I 1 BSHG, der die kreisfreien Städte und Landkreise als örtliche Träger der Sozialhilfe bestimmt, sei wegen Verstoßes gegen Art. 84 I GG verfassungswidrig und deshalb nichtig. Die bundesgesetzliche Festlegung der örtlichen Träger der Sozialhilfe stelle einen unzulässigen Eingriff in die Organisationskompetenz der Länder dar, weil der Durchgriff des Bundes auf die kommunale Verwaltungsebene nicht notwendig sei. Die Länder könnten die örtlichen Träger der Sozialhilfe auch selbst bestimmen. § 96 I 2 BSHG decouvriere die in Satz 1 der Vorschrift getroffene Regelung als nicht notwendig, indem sie die Länder voraussetzungslos dazu ermächtigt zu "bestimmen, daß und inwieweit die Landkreise ihnen zugehörige Gemeinden oder Gemeindeverbände zur Durchflihrung von Aufgaben nach" dem BSHG heranziehen können. Die behauptete Verfassungswidrigkeit des § 96 I BSHG hat zu einer Flut von Anfechtungsklagen der Gemeinden gegen die Kreisumlagen geflihrt. Die Klagebegründungen nehmen die Erhöhung der Kreisumlage zum Ausgangspunkt. Sie wäre nicht notwendig gewesen, wenn sich der jeweilige Landkreis auf die Wahrnehmung der ihm gesetzlich obliegenden Aufgaben beschränkt hätte. Die Ausflihrung der Sozialhilfe zähle nicht dazu, denn § 96 I BSHG sei verfassungswidrig. Es handele sich also bei der Bundessozialhilfe um eine freiwillig übernommene Aufgabe. Eine solche könne aber nicht in die Ermittlung der Kreisumlage eingestellt werden.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
kompetenz gern. Art. 74 Nr. 7 GG in Anspruch. Es ist kein Grund ersichtlich, warum er hierbei nicht auch die zuständigen Behörden bestimmen können soll. Vor allem aber liegt wegen des Finanzausgleichs keine Regelungslücke vor. Der Bund muß die Länder dazu in die Lage versetzen, die ihnen im Wege der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Aufgaben einschließlich der bundesgesetzlieh geregelten Aufgaben der Kommunen durchfUhren zu können. Das Folgeproblem besteht darin, daß die Länder die ihnen aus diesem Grunde zugewiesenen Mittel auch an die Kommunen weiterleiten. Doch das ist von sekundärer Bedeutung. Entscheidend ist zunächst, daß der Bund im Wege des vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG fiir die Folgen seiner Gesetzgebung verantwortlich zeichnet. Es ist nicht richtig, daß er die Folgen seiner Gesetzgebung nicht spürt. Das zwischen "der Trennung von Normsetzung einerseits, Vollzug und Kostenlast andererseits" aufgebaute "Konfliktpotential"387 bewirkt zwar in der Verfassungspraxis die Gefahr, daß der Bundesgesetzgeber die Leistungskraft der Länder samt ihrer Gemeinden überschätzt - aus welchen Gründen auch immer. Dieser Gefahr ist aber nicht durch eine Änderung des in sich konsistenten Regelungssystems zwischen Konnexitätsgrundsatz und vertikalem Finanzausgleich wirksam zu begegnen. Die Verfassungspraxis fände auch dann noch Wege jenseits des Verfassungsrechts, wenn es darum ginge, einer finanziellen Verantwortung des Gesetzgebers zu entgehen. Es erscheint auch kaum sinnvoll, neben dem verfassungsrechtlich vorgesehenen System des Finanzausgleichs durch eine Änderung der Lastenverteilungsreget ein weiteres System zu errichten, das gleichermaßen fmanzausgleichende Wirkung entfaltet. Der Ort fiir die Sicherstellung fmanzieller Leistungsfähigkeit der Gebietskörperschaften ist der Finanzausgleich. Jedes System, das neben dem Finanzausgleich zusätzlich fmanzausgleichende Funktionen aufweist, verschleiert den gesamtstaatlichen Finanzbedarf und behindert die Kontrollfunktion des Parlaments388 • Für die Sozialhilfe verbietet sich ein indirekter Finanzausgleich allein vom Volumen her. Ein jährlicher Finanzstrom in deutlich zweistelliger Milliardenhöhe erzeugt erhebliche horizontale und vertikale Finanzausgleichswirkungen, die nur im Finanzausgleich systemgerecht zu kanalisieren sind. Wer Ausgabensenkungen vermeiden will, kann den übermäßigen Kostenbelastungen der Kommunen nur durch erhöhte Steuerquoten Rechnung tragen. Der Vorschlag der Koalitionsfraktionen, die Gemeinden an der Umsatzsteuer zu beteiligen, zielt jedenfalls in die richtige Richtung389 . Nach geltendem Verfassungsrecht 38 7 Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 358. 388 Vgl. hierzu die Kritik an den Mischfinanzierungen 389
unten V 3 b. BT-Drucks. 13/900; vgl. hierzu Schach, ZRP 1995, S. 387.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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kann eine Mehrbelastung der Gemeinden zugunsten der Länder aber nur als Faktor bei der Neuregelung des Finanzausgleichs Berücksichtigung fmden. Eine Zweckbindung zugunsten der Gemeinden ist nicht möglich390. Gern. Art. 106 V, VI, VII GG müssen in erster Linie die Länder sicherstellen, daß das ihnen wegen der Mehrbelastungen der Gemeinden zugewiesene Geld auch bei den Gemeinden ankommt. Hierin liegt der eigentliche Mißstand für die kommunale Finanzmisere begründet: Es existiert keine Vorschrift, die die Länder in hinreichendem Maße dazu verpflichtet, die ihnen im bundesstaatliehen Finanzausgleich zugunsten der Kommunen zugewiesenen Mittel auch an jene weiterreichen. Nach Art. 106 V GG leiten die Länder den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiter. Art. 106 V 2 GG überläßt die Festlegung des Verteilungsmaßstabes dem Bundesgesetzgeber391 • Das Gemeindefmanzreformgesetz392 knüpft die Verteilung an den Anteil der Gemeinde an der Summe der Einkommensteuerbeträge entsprechend dem Wohnsitz der Steuerpflichtigen, nicht aber an die tatsächlichen Belastungen der Gemeinden. Art. 106 VI GG gewährt den Gemeinden genauso wie Art 106 V GG ein eigenständiges Steuerertragsrecht, indem er die Beteiligung der Gemeinden am Aufkommen der Realsteuern und der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern vorsieht. Aber die Verfassung räumt den Kommunen eigenständige Steuerertragsrechte nur für aufkommensschwache Steuern ein. Art. 106 VII 1 GG beteiligt die Gemeinden an dem maßgeblichen Länderanteil des Gesamtaufkommens der Gemeinschaftssteuern erst nach landesgesetzlicher Maßgabe. Der Landesgesetzgeber bestimmt die Höhe der Beteiligung nach freiem Ermessen in den jeweiligen Finanzausgleichsgesetzen. Das gilt gern. Art. 106 VII 2 GG auch für eine Beteiligung der Gemeinden an den Landessteuern, zu der die Vorschrift den Landesgesetzgeber noch nicht einmal verpflichtet. Nur manche Länder machen hiervon Gebrauch. Art. 106 VII GG weist den Ländern nur abstrakt die Verantwortung ftir eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen zu. Ihre Höhe läßt sich Art. 106 VII GG nicht entnehmen393 • Die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs hängt von den politischen Wertungen des Landesgesetzgebers ab. Die Fi390 Isensee, DVBI. 1995, S. 1. 7. 391 Hierzu kritisch Schoch/Wieland,
Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 81 f., da die Festlegung des Verteilungsmaßstabes durch den Bundesgesetzgeber eine direkte finanzverfassungsrechtliche Beziehung zwischen Bund und Gemeinden herstellt, die die grundsätzliche Mediatisierung der Kommunen durch die Länder durchbricht. 392 Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz) i.d.F. der Bekanntmachung v. 14.12.1993 (BGBI. I S. 2086), zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes v. 7.3.1994 (BGBI. I S. 416). 393 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 83, 91 f.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
nanzausgleichsgesetze der Länder sollen den Finanzbedarf der Kommunen befriedigen. In diesen Bedarf fließen auch die Kosten des Verwaltungsvollzugs gesetzgeberisch veranlaßter Ausgaben ein. Der Landesgesetzgeber ermittelt diese Kosten aber nicht im einzelnen und erstattet sie sodann, sondern berücksichtigt sie nur als Faktor des kommunalen Finanzbedarfs bei der Gesamtwertung der Finanzbedürfnisse von Land und Kommunen. "Das fuhrt dazu, daß der kommunale Finanzausgleich den Kommunen tendenziell nur unzulängliche Mittel ftir den Vollzug ihnen vom Staat übertragener Aufgaben zur Verfugung stellt"394. Und die landesverfassungsrechtlichen Deckungsregeln verpflichten die Länder nur zur Finanzierung landesgesetzlich begründeter kommunaler Aufgaben. Art. 78 III LV NW sieht beispielsweise vor, daß das Land die Gemeinden und Gemeindeverbände gesetzlich nur zur Aufgabenausführung verpflichten darf, wenn es gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten trifft. Zur Sicherung der Finanzhoheit als Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung, die in Satz 3 des neugefaßten Art. 28 II GG zu bundesverfassungsfestem Ausdruck gelangt ist, verknüpfen die Landesverfassungen die Aufgabenzuweisung mit einer mehr oder weniger stringenten Finanzierungsregel: Art. 78 III LV NW enthält ein Junktim zwischen Aufgabenerfindung und Aufgabenfinanzierungsregelung. Weitergehend verpflichtet Art. 71 III 3 LV BW das Land zur vollen Kostendeckung und nicht nur zur Kostenregelung; in Nordrhein-Westfalen fußt die Verpflichtung zur Kostendeckung neuerdings auf einfachgesetzlicher Ebene in§ 3 IV GONWund § 2 IV KrO NW. In den Landesverfassungen von Bayern, dem Saarland und von Schleswig-Holstein fehlt eine vergleichbare Dekkungsregel; immerhin existiert hier aber für den Fall der staatlichen Aufgabenübertragung eine allgemeine Garantenstellung des Landes. Demgegenüber sichern die Verfassungen von Hessen und Rheinland-Pfalz die Gemeinden finanziell nur durch den Finanzausgleich ab und stellen ihnen daneben in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung. Die in den anderen Landesverfassungen zusätzlich vorhandene aufgabenspezifische Deckungsregel ist der hessischen und rheinlandpfälzischen Verfassung nicht bekannt395 .
394 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 92. 395 Vgl. zu den anderen Landesverfassungen oben Fn. 364 m.w.N. Schoch/Wieland, a.a.O, insbes. S. 90 haben die landesverfassungsrechtlichen Verknüpfungen von Aufgabenzuweisung und Finanzierungsregel als Konnexitätsprinzip bezeichnet. Das ist zulässig. Sinnvoll ist es nicht. Die Bezeichnung der landesverfassungsrechtlichen Deckungsregel als Konnexitätsprinzip suggeriert in verwirrender Weise eine Nähe zum bundesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzip des Art. I 04 a I GG, die nicht vorliegt. In den einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Vorschriften geht es stets um die- in der Stringenz ihres Verpflichtungsgehalts graduell differierende (vgl. die Typisierung bei Schoch/Wieland, a.a. oben, S. 160 ff.)- Koppelung von Aufgabenzuweisung und Finanzmittelverteilung, nicht aber - wie bei dem bundesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzip des Art. I 04 a I GG - um die Konnexität zwischen Aufgabenausfiihrung und Finanzierungszuständigkeit. Es geht nicht um die Verteilung der Kostentragungspflicht, sondern um die Verteilung der Mittel, die erforderlich sind, um einer solchen Pflicht nachkommen zu können. Die Iandesrechtlichen Deckungsregeln sind Einnahmen-, nicht Lastenverteilungsregeln. Das bundesverfassungsrechtliche
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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Die Lücke muß der Landesgesetzgeber schließen. Die Weiterleitung der im Finanzausgleich den Ländern zugewiesenen Mittel an die Kommunen ist Sache der Landesverfassungen. Die kommunale Finanzierung ist nicht Regelungsgegenstand des Grundgesetzes396• Weniger aufgrund der - zugegebenenermaßen - immer höheren Regelungsdichte, sondern eher aufgrund der explosionsartigen Zunahme kostenintensiver Bundesgesetze sollte der Verfassungsgesetzgeber aber erwägen, den Anspruch der Länder auf ausreichende Beteiligung an der gesamtnationalen Steuerleistung auf Grundlage des geltenden Rechts zu verstärken. Ein Junktim zwischen Aufgaben- und Einnahmenzuweisung könnte "dem bedenkenlosen Entscheiden zu Lasten fremder Kassen" 397 entgegenwirken, ohne daß gleich der Konnexitätsgrundsatz abgeschafft werden müßte. Der verfassungsrechtlich vorgesehene Zusammenhang zwischen Konnexitätsgrundsatz und vertikalem Finanzausgleich erweist sich nämlich verfassungspraktisch als weniger eng und eher theoretisch. Die Refmanzierung bei der Steuerverteilung ist kein Automatismus. Die Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG formulieren die normativen Verteilungskriterien (laufende Einnahmen, notwendige Ausgaben, billiger Ausgleich usw.) generalklauselartig vage. Sie lassen bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern weite Entscheidungsspielräume offen. Deren Ausfüllung hängt von der Verhandlungsstärke der Beteiligten und damit von politischen Entscheidungen ab. Der fmanzielle Bedarf, der für die Ausführung staatlicher Konnexitätsprinzip und die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen stehen zueinander im Verhältnis der Komplementarität: Wenn sich das Land von seiner grundgesetzliehen Vollzugsaufgabe gern. Art. 83 GG dadurch entlastet, daß es die Kommunen zur Übernahme und Durchführung der öffentlichen Aufgabe verpflichtet, muß es ftir die Kosten der Gesetzesausführung aufkommen. Die Länder sind dazu verpflichtet, die Gemeinden in die Lage zu versetzen, daß sie die ihnen im Wege der Landesgesetzgebung zugewiesenen Aufgaben auch ausführen können. Die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften regeln die Kostentragung im Verhältnis zwischen Land und Kommunen. Sie stellen zwischen dem dreigliedrigen Verwaltungsaufbau und der im zweistufigen Bundesstaat geltenden Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG (Kostentragung im Bund-Länder-Verhältnis) Systemkonformität her. Es handelt sich um komplementäre Deckungsregeln zum finanzverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzip; Schoch/ Wieland, a.a. oben, S. 167. Das sollte auch terminologische Berücksichtigung finden. Komplementarität ist nicht gleichbedeutend mit Identität. Es wäre sinnvoller auf landesverfassungsrechtlicher Ebene von einem landesverfassungsrechtlichen Kongruenzprinzip zu sprechen, da die einschlägigen Vorschriften eine der Aufgabenzuweisung folgende und mit ihr übereinstimmende (kongruente) Finanzierung verlangen. Insofern liegt eine Parallele zum bundesverfassungsrechtlichen Kongruenzprinzip vor, wonach der Bund die Länder im Wege des Steuer- und Finanzausgleichs nach Art. 106 III 4, IV I GG finanziell so ausstatten muß, daß sie die ihnen zugewiesenen Aufgaben durchführen können. Die landesverfassungsrechtlichen Deckungsregeln normieren eine Konnexität zwischen Aufgaben- und Finanzrnittelzuweisung, die mit dem bundesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzip nichts zu tun hat. 396 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 93. 39 7 Schoch, ZRP 1995, S. 387,391.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Aufgaben erforderlich ist, "ist keine objektiv meßbare Größe"398. Schoch!Wieland verweisen darauf, daß dem strukturellen Problem der Sozialhilfelasten nicht im Wege des Finanzausgleichs beizukommen sei. Er stehe "in keinem unmittelbaren Zusammenhang" mit den Belastungen der Länder und Kommunen durch Bundesgesetze. Der Finanzausgleich könne im wesentlichen nur einen Einnahmekraftausgleich bewirken. Er erfasse grundsätzlich nicht die unterschiedlichen Ausgabenbelastungen der Länder und Kommunen399 . Richtig daran ist: Der Finanzausgleich nach Art. 106 III 3, 4, IV 1 regelt die Einnahmennicht die Ausgabenverteilung. "Die Deckungsquotemegelung ist damit Haushaltsausgleich- nicht Finanzlastregelung"400 . Die Berechnung der Deckungsquote vergleicht zwar nicht Aufgaben und Ausgaben, sondern die Einnahmen u.a. mit den "notwendigen Ausgaben"401 . Solange Art. 104 a I GG gilt, orientiert sich die Deckungsquote damit aber auch an den Aufgaben. Wer zur Begründung der Abschaffung des "Konnexitätsprinzips" auf den aufgabenunspezifischen Charakter der Deckungsquotemegelung des Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG verweist4°2, nimmt sein Ziel vorweg. Er bricht den Regelungszusammenhang zwischen Art. 104 a I GG und Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG auf. Erst wenn die bundesstaatliche Lastenverteilung an die Gesetzgebungskompetenz anbinden würde, wäre dem Finanzausgleich jeder Bezug zu den Verwaltungsaufgaben genommen. Das wäre dann auch systemgerecht: Ein Aufgabenbezug wäre im Finanzausgleich nicht mehr erforderlich, wenn das Lastenverteilungssystem die Länder in die Lage versetzt, die ihnen zugewiesenen Aufgaben auch durchführen zu können. Das von F. Kirchhof vorgeschlagene einheitliche "Gesamt-Transfergesetz", das sämtliche Kostenerstattungen im Interesse der Übersichtlichkeit und Transparenz vereint, würde den Finanzausgleich sogar überflüssig machen403. Solange Art. 104 a I GG aber geltendes Recht ist, bleibt der Aufgabenbezug des Finanzausgleichs gewahrt. 398 Maunz, in: MIDIHIS, GG Art. 106, Rn. 58; von Arnim, in: HStR, Bd. IV, § 103 Rn. 16. 399 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 146 mit Verweis auf das Sondervotum Barbarino, BT-
Drucks. VII/5924, S. 215 Tz. 2.4, die Begründung eines abgelehnten Gesetzesentwurfs, der eine hälftige Beteiligung des Bundes an den Sozialhilfeaufwendungen beabsichtigte, BT-Drucks. 1112685, S. 1 und BVerfDE 86, 148 (248 ff.). Vgl. zurückhaltender F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 35, 73 f. Die von Schoch/Wieland zitierte Entscheidung des BVerfD erging zu Art. 107 GG. Das Gericht hat a.a. oben einleitend auf die aufgaben- und damit ausgabenbezogene Ausrichtung des auch Art. 106 GG einschließenden bundesstaatliehen Systems der Verteilung des Finanzaufkommens hingewiesen. 400 F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 35. 401 Zur Berechnung der Deckungsquoten weiterfuhrend Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern V 3 e bb (2) (a) insbes. Fn. 228. 402 So F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 35. 403 Vgl. F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 75 f.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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Wie die Verfassung den Anspruch der Länder auf Beteiligung am gesamtstaatlichen Steueraufkommen im einzelnen gegenüber dem geltenden Recht verstärken könnte, bzw. wieweit sie ihn überhaupt absichert, wird hier nicht weiter untersucht. Sinnvoll erscheint folgender Vorschlag: Barbarino hat in seinem Sondervotum in der Enquete-Kommission Verfassungsreform im Jahre 1976 zusammen mit vier anderen Kommissionsmitgliedern den nicht mehrheitsfähigen Vorschlag unterbreitet, den Grundsatz des Art. 104 a I GG beizubehalten, die Vorschrift aber zum Schutz der Länder vor einer kompensationslosen bundesgesetzliehen Auferlegung von Geldleistungsgesetzen um folgenden Satz zu ergänzen404 : "Bundesgesetze, welche die Länder zu Ausgaben verpflichten, die der Zweck des Gesetzes erfordert (Zweckausgaben), bedürfen der Zustimmung des Bundesrates."
Die Begründung fiihrt aus, der Bundesrat werde einem Gesetz nicht zustimmen, wenn die zu erwartenden Mehrbelastungen der Länder nicht ausreichend abgesichert seien. Dem aus diesen Mehrbelastungen regelmäßig resultierenden Verlangen der Länder auf Überprüfung der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern werde hierdurch erhöhtes Gewicht verliehen405 . Auf diese Weise ließe sich eine Anpassung des vertikalen Finanzausgleichs absichern406. Der Vorschlag korrespondiert mit der Wicksell'schen Einstimmigkeitsregel und macht deren Ausnutzung des Marktmechanismusses für den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern nutzbar4°7 : Der Zustimmungsvorbehalt steuert der Neigung des Bundesgesetzgebers entgegen, den Bundeshaushalt über eine Belastung der Länderhaushalte zu entlasten. Ferner dient er der Effektuierung des Sozialstaats, da sich neue Maßnahmen nur nach einer verschärften KostenNutzen-Analyse durchsetzen lassen. Um zu vermeiden, daß der Bundesrat jeden unterfmanzierten Vorschlag zurückweist, ist der Vorschlag Barbarinos entsprechend dem hier vorgelegten Vorschlag fiir die Neugestaltung des Finanzausgleichssystems zwischen Staat und Sozialversicherung um ein konstruktives Vetorecht zu ergänzen. Der Vorschlag Barbarinos wäre um folgenden Satz zu erweitern:
BT-Drucks. VII/5924, S. 212. BT-Drucks. VII/5924, S. 214 Tz. 1.8. 406 Der nicht umgesetzte und damit letztlich gleichermaßen erfolglose Gesetzgebungsvorschlag der Enquete-Kornmission zielte demgegenüber auf eine unmittelbare Änderung der Lastentragung bei Geldleistungsgesetzen nach Art. I 04 a III GG, um dem Bund die Kosten der Finanzierung von ihm veranlaßter Geldleistungsgesetze auf diese Weise aufzuerlegen; BT-Drucks. VII/5924, S. 196 Tz. 1.4.1., Begründung aufS. 210 f. Tz. 3.6.4: Der Bund solle die mit seinen Geldleistungsgesetzen verbundenen Ausgaben auch spüren. Ähnlich auch der von der Bundesregierung zurückgewiesene Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Harnburg aus dem Jahre 1993, BR-Drucks. 240/93. 407 Vgl. oben 3. Kapitel III 4 f. 404 405
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
"Eine Ablehnung ist mit einem Gegenvorschlag zur Erreichung des Gesetzeszwecks zu verbinden."
Die Frage, wie das Landesverfassungsrecht den Anspruch der Konununen gegen die Länder auf Weiterleitung der ihnen zugewiesenen Mittel verstärken könnte, kann hier nicht beantwortet werden. Die hierzu erforderlichen Ausführungen würden den Rahmen der Untersuchung sprengen408 • Für sie bleibt an dieser Stelle folgendes festzuhalten: Der fmanzverfassungsrechtliche Regelungsmechanismus aus dem in Art. 104 a I GG geregelten Konnexitätsprinzip einerseits und dem vertikalen Finanzausgleich des Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG andererseits sichert und ermöglicht im Interesse des bundesstaatliehen Prinzips die eigenverantwortliche Aufgabenerfiillung der Länder, indem er dafür sorgt, daß die Länder stets die zur Erfüllung der ihnen durch die Bundesgesetzgebung auferlegten Aufgaben erforderlichen fmanziellen Mittel zur Verfiigung haben. Art. 104 a I GG schafft damit im Zusanunenspiel mit Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG das für den Bestand des Bundesstaates unerläßliche Gegengewicht zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes, denn ohne fmanzielle Eigenständigkeit ist staatliche Eigenständigkeit nicht denkbar. Der Regelungszusanunenhang beider Vorschriften bezweckt die Sicherstellung und Entfaltung staatlicher Eigenständigkeit. Art. 104 a I GG hat eine "bundesstaatliche Garantiefunktion". Die geläufige einseitige Betrachtung des Konnexitätsgrundsatzes verkennt dessen Bedeutung. Er entfaltet erst in Wechselwirkung mit dem vertikalen Finanzausgleich oder - genauer - durch die Rechtsfolge409 des vertikalen Finanzausgleichs seine volle bundesstaatssichernde Wirkung. Nach erfolgter bundesgesetzlicher Aufgabenzuweisung oder -ausweitung an die Länder macht die automatische Zuweisung der Finanzierungslast die Länder zunächst nur ärmer. Der Automatismus des Art. 104 a I GG sichert die staatliche Eigenständigkeit der Länder nicht allein. Erst die Rechtsfolge des vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 106 III 4, IV 1 GG weist den Ländern die zur Erfiillung ihrer Finanzierungsverpflichtungen erforderlichen Mittel zu. Erst durch diese kongruente Refmanzierung kann die staatliche Eigenständigkeit der Länder real werden. Die - nicht nur von den Kritikern des Konnexitätsprinzips - vorgenonunene isolierte Betrachtungsweise des Konnexitätsgrundsatzes greift zu kurz, indem sie ihr Augenmerk allein auf den Tatbestand des Art. 104 a I GG richtet, dessen Rechtsfolge aber unberücksichtigt läßt. Ihr tragen die Befürworter einer Änderung der Lastenverteilungsregel nur bei der Betrachtung der verfassungspraktischen Umsetzung ihrer Reforrnvor408 Vgl. zum Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern nur Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern. 409 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 64.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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schläge Rechnung. Die Folge einer Neustrukturierung des Art. I 04 a GG bestünde notwendigerweise darin, daß der Gesetzgeber den Anteil des Bundes am Steueraufkommen erhöht. Es ginge gar nicht darum, "daß die Länder und Kommunen durch die Neufassung des Art. 104 a I GG einen 'Gewinn' machen" sollten, sondern ausschließlich um die Sicherstellung des Wirtschaftens zu Lasten des eigenen Haushalts410 • Hier wird in geradezu frappierender Weise deutlich, wie sehr sich die intendierte Verfassungsrevision dem bundesstaatliehen Prinzip entgegenstellt. Letztlich wird hier eine Verlagerung der Finanzmacht zum Bund betrieben, die die Zuständigkeit der Länder nicht stärkt, sondern schwächt. Um der vordergründigen Entlastung des eigenen Haushalts Willen treiben die Befiirworter einer Normierung des Prinzips der Vollzugskausalität die Aushöhlung des Bundesstaats voran, den eine Vielzahl anderer Einflüsse ohnehin zunehmend in Frage stellt4 11 . bb) Die Anziehungskraft des größten Etats Die Vorschrift des Art. 104 a I GG ist wesentlich von der Einsicht getragen, daß die Verwaltungskompetenz zum Träger der fmanziellen Last tendiert. Wenn "der zahlende Verband die Verwaltungskompetenz nicht bereits besitzt, strebt er sie an und wird sie über kurz oder lang erhalten"412 . Dieser Einsicht liegt eine Beobachtung zugrunde, die Popitz mit der "Anziehungskraft des größten Etats" bzw. "des Zentralstaats" in eine sprachlich griffige Formel brachte. Sie bekam hierdurch einen normativen Beiklang und wurde in der Folgezeit gerne als wissenschaftlich erwiesenes "Gesetz" interpretiert und zitiert413. Nach heutigem Verständnis umschreibt die Formel eine unausweisliche 410 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 150 f. 411 Vgl. hierzu unten V 3d. 412 Fischer-Menshausen, DÖV 1953, S. 229, 230; Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 39. Gegen die Verwendung dieses Erfahrungssatzes wendet sich Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. II b, da hiermit der Versuch unternommen werde, "den Bund mit Hilfe eine Zweckdoktrin aus (...) verfassungsrechtlichen Bindungen zu befreien". 413 Popitz, in: Hdb. der Finanzwissenschaft, I. Aufl., 2. Bd., S. 338, 348 f.; vgl. ders., Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, S. 262 ff. Vgl. zur These von der "Anziehungskraft des größten Etats" Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673; Gerloff, Die Finanzgewalt im Bundesstaat, S. 29 f.; Edling, DÖV 1987, S. 579 ff. Kritisch Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 109; Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 209; Recktenwald, in: Die Verwaltung 16 (1983), S. I , insbes. 5 ff. Entgegen Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 200 f. Fn. 2 hat Popitz seine These nicht nur für das Verhältnis vergleichbarer Gemeinwesen, also z.B. Gemeinden, entwickelt; er übertrug die These auch nicht erst später auf die Relation von Zentral- und Gliedstaaten. Zwar behandelt
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
Ausweitung der zentralstaatlichen Aufgaben und damit des Zentralhaushalts zu Lasten der Länder und Kornrnunen414. Das Schwergewicht liegt dabei auf der Ausweitung der Aufgaben. Sie läßt sich unproblematisch an der Ausweitung der Gesetzgebungskompetenzen ablesen415 . Die empirische Überprüfung der Ausweitung des Zentralhaushalts fordert hingegen eine "kassenmäßige" ausgabenorientierte Analyse. Ausgangspunkt der Überlegungen Popitz ist folgender4 16: Im zweigliedrigen föderativen Einheitsstaat sei dem Zentralstaat "die Aufgabe der Selbstbehauptung des von ihm umschlossenen Volkes vorbehalten". Sie begründe zunächst als Selbstverständlichkeit seine Zuständigkeit flir "die Aufgaben der auswärtigen Verwaltung und der Landesverteidigung ( ... )",sowie die mit einem Krieg zusammenhängenden Aufgaben- wie die Kriegslasten. Daneben ergebe sich - auch aus dem Zusammenhang mit der Außenpolitik - durch die Fragen der einheitlichen Wirtschaftspolitik unvermeidbar eine Ausweitung der zentralstaatlichen Zuständigkeit, die über die Handels- und Zollpolitik hinaus auch eine einheitliche Gewerbeförderung und Regelung der sozialen Angelegenheiten fordert und gemeinsame Gesetzgebung voraussetzt. Die "Einwirkung des Zentralstaates steigt, wenn(... ) gewisse grundsätzliche Fragen der den Gliedstaaten noch vorbehaltenen Gebiete(... ) durch zentrale Gesetze geordnet werden". Wenn die Gliedstaaten eine Verteuerung ihrer Verwaltung durch die zentralstaatlichen Maßnahmen und die Gesetzgebung behaupten, forderten sie eine Kostenübernahme durch den Zentralstaat, der die erforderlichen Mittel bewillige; ferner leiste der Zentralstaat die zur Bewältigung unvorhersehbarer Ereignisse erforderlichen Nothilfen, wenn die Länder finanziell überfordert sind. Durch diese finanziellen Hilfen dringe das Reich ungewollt in die Zuständigkeit der Länder ein. Wenn der Zentralstaat sich aber auf einem Gebiet finanziell beteilige, "so wird er auch stärker in die sachliche Aufgabe hineingezogen: es bedarf der Grundsätze über die Verteilung der Mittel, Rahmenvorschriften zur Sicherstellung richtiger und zweckmäßiger Verwendung, zur Erreichung einer gewissen Gleichmäßigkeit in der Erfüllung des Zwecks folgen, die Aufgabenabgrenzung ist durchbrochen". Die Zuständigkeitserweiterung des Zentralstaats besteht danach in einer Zentralisierung der Aufgabenverteilung in Gesetzgebung, Finanzierung, Planung und Verwaltung417. Hier zeigt sich, daß empirische Überprüfungen der Popitzschen These, die allein eine Verschiebung der Ausgaben- oder Einnahmenvolumina zwischen den Gebietskörperschaften zum Gegenstand haben, ihr nicht gerecht werden. Das primäre Problem besteht flir Popitz in der Aufgabenverteilung418 . Popitz in seiner von Zacher als Beleg angeführten Arbeit aus dem Jahre 1932 "Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden" aufS. 262 ff. in erster Linie das Verhältnis der Gemeinden untereinander, doch hat er seine These schon früher- 1927- hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Reich und Gliedstaaten formuliert; Popitz, in: Hdb. der Finanzwissenschaft, 1. Aufl., 2. Bd., S. 338, 348 f. 414 Vgl. Korioth, DVBJ. 1993, S. 356,364. 415 Eine solche Untersuchung nimmt Edling, DÖV 1987, S. 579, 582 ff. mit Übersicht 1 vor. 416 Die folgenden Zitate sind entnommen aus Popitz, in: Hdb. der Finanzwissenschaft, 1. Auf!., 2. Bd., S. 338, 346 ff. 417 Edling, DÖV 1987, S. 579, 580. 418 Popitz, in: Hdb. der Finanzwissenschaft, 1. Auf!., 2. Bd., S. 338, 346.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
317
Letztlich beschreibt die Formel von der "Anziehungskraft des größten Etats" nur offenkundige Tendenzen einer natürlichen Entwicklung419 . Sie sind juristisch zwar wenig ergiebig. Ihnen liegt jedoch eine zwingende "außerrechtlich vorgegebene, fmanzpolitische Realität"420 zugrunde, die - stärker als Verfassungsrecht421 -nach Berücksichtigung verlangt. Die These von der "Anziehungskraft des größten Etats" verdeutlicht, daß eine Anknüpfung der Finanzierungsverantwortung an die Gesetzgebungskompetenz die Gefahr einer geräuschlosen Aushöhlung der Kompetenz der Länder in sich birgt: Der Bund gewinnt durch die rechtliche Möglichkeit einer Finanzierungsbeteiligung Einfluß auf den Vollzug der letztlich subventionierten Aufgabe. Hierdurch erweitert er seinen Einflußbereich. Da sich die Länder wegen der ihnen auferlegten Aufgaben kaum gegen eine solche Entlastung von der Finanzierungsverantwortung wehren können, erweist sich die Anhindung der Finanzierungs- an die Gesetzgebungskompetenz als wirksames Instrument, in rechtlich schwer zugängliche Zuständigkeitsbereiche der Länder einzudringen422. "Eine Belastung der gesetzgebenden Körperschaften mit den Ausgaben des Gesetzesvollzugs, für den eine andere staatliche Ebene zuständig ist, würde angesichts der Fülle der dem Zentralstaat zugewachsenen legislatorischen Kompetenzen und der den Unterverbänden verbliebenen Exekutivfunktionen bedeuten, daß sich das Schwergewicht des gesamtstaatlichen Finanzvolumens noch mehr als bisher im Zentralhaushalt konzentriert, mit der Folge einer übermäßigen Ausweitung der zentralstaatlichen Ingerenz- und Kontrollbefugnisse gegenüber den regionalen und örtlichen Vollzugsbehörden"423. Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG stellt sich einer solchen dem Bundesstaatsprinzip zuwiderlaufenden Entwicklung durch die klare Abgrenzung der Verwaltungs- und Finanzierungskompetenzen und damit -spielräume der Länder entgegen. Die Erkenntnis, daß der Zahlende über die Verwendung seiner Gelder mitbestimmt, fmdet plastisch seinen Ausdruck in dem oft zitierten Sprichwort "Wer zahlt, schafft an". Darin besteht dieratiodes Art. 104 a I GG: Die Finanzierungspflicht fiir eine bestimmte öffentliche Aufgabe ist nicht nur eine mehr oder weniger unerwünschte Last, sondern begründet als staatli-
419 Ger/off, Die Finanzgewalt im Bundesstaat, S. 30. 420 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 201. 421 Vgl. Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 87 Rn. 26. 422 Vgl. Fischer-Menshausen, in: HdWW, Bd. 2, S. 636, 642 sinngemäß genauso für zentrale Dotationswirtschaften und Mischfinanzierungen bei Fehlen einer klaren Lastenverteilungsregel. 423 Fischer-Menshausen, in: HdWW, Bd. 2, S. 636, 643.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
ehe Kompetenz so wie jede Kompetenz Sacheinfluß424. In der Vorschrift gelangt die auch in den vergleichsweise treffenderen Formulierungen "Finanzierungskompetenz" oder "-befugnis" sinnträchtig mitklingende Ambivalenz jeder Finanzverantwortung zum Ausdruck: Verantwortung begründet Sacheinfluß425. Das "Konnexitätsprinzip" kann und soll verhindern, daß der Bund durch die Übernahme der Finanzierungs- auch die Verwaltungskompetenz anstrebt. Es schützt die Länder gegen eine Aushöhlung und Verkürzung ihrer Verwaltungskompetenzen und bewahrt dadurch ihre staatliche Eigenständigkeit. Es ist eine entscheidende und unerläßliche Funktionsvoraussetzung bundesstaatliehen Seins. Das hatte schon der Herrenchiemseer Verfassungskonvent erkannt. Die Gefahr einer Durchbrechung der bundesstaatliehen Kompetenzordnung auf dem Weg über die Finanzierung von Verwaltungsvorhaben fand ihren Niederschlag in Art. 42 III, 121 I Nr. 1 HChE426• cc) Das "Konnexitätsprinzip" als "Zitiergebot" Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG entfaltet seine bundesstaatssichernde Funktion, indem es gleichsam als "Zitiergebot" wirkt: Wegen Art. 104 a I GG kann der Bund den Ländern nicht stillschweigend Aufgaben durch Übernahme ihrer Finanzierung entziehen. Die Anhindung der Finanzierungsan die Verwaltungskompetenz stellt sich einer faktischen Verlagerung der Verwaltungskompetenz über die Finanzierung entgegen. Eine Finanzierungsverantwortung des Bundes verlangt dessen Verwaltungsverantwortung. Eine Verlagerung der Finanzverantwortung von den Ländern auf den Bund läßt sich wegen des "Konnexitätsprinzips" nur über eine Änderung der bundesstaatliehen Aufgabenverteilung begründen. Wegen Art. 30 GG ist fiir eine Verwaltungskompetenz des Bundes grundsätzlich eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Zuweisung erforderlich427. Das Grundgesetz verlangt fiir die Aufgabenverlagerung ein verfassungsänderndes Gesetz428 . Art. 104 a I GG gewährleistet damit 424 Vgl. Friauf, in: Deutsch-Amerikanisches Verfassungsrechtssymposium, S. 177, 191; vonArnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103, Rn. 15 und unten 5. Kapitel V 3 c.
425 Die Formulierungen "Finanzierungspflicht" oder "-last" reduzieren ihren Bedeutungsgehalt auf den aus kurzsichtiger ökonomischer Betrachtungsweise negativen Teil der Vermögensminderung. Die durch "Finanzierungspflicht" erworbene Mehrung des Einflusses kommt auf diese Weise nicht zum Ausdruck. Deshalb sind die Begriffe "Finanzierungskompetenz", "-befugnis", oder -Verantwortung" präziser. Der Normtext des Art. I 04 a I GG bleibt neutral: "Der Bund und die Länder tragen gesondert die Aus-
gaben ...".
426 Normtext des Art. 42 III HChE auszugweise oben 2. Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. I 04 a, Rn. l. 427 Ausnahmsweise sind ungeschriebene Verwaltungskompetenzen zulässig; hierzu oben II 5. 428 Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 40 f.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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in Zusammenspiel mit Art. 30 GG ein formales Gesetzgebungsverfahren. Die Beteiligung des Bundesrates sichert die Interessenberücksichtigung der Länder; sie konkretisiert die bundesstaatssichemde Funktion des "Konnexitätsprinzips". Die Beteiligung des Parlaments ermöglicht eine parlamentarische Kontrolle der Ausgabenwirtschaft429 . Die von Art. 110 II 1, 114 GG verlangte effektive Haushaltskontrolle wäre erschwert, wenn die Träger der Verwaltungs- und der Finanzierungskompetenz nicht der Kontrolle desselben Organs unterliegen. Dann wäre "der fiir die Ordnungsmäßigkeit des fmanzwirtschaftlichen Verhaltens bedeutsame Ausgabenvollzug nicht einbezogen"430. dd) Funktionale Gliederung der Staatsorganisation Die durch eine noch so detaillierte Gesetzgebung des Bundes herbeigefiihrten fmanziellen Belastungen der Länder sind auch kein unzulässiger Eingriff in deren durch Art. 109 I GG vorgeschriebene haushaltswirtschaftliche Eigenständigkeit431. Finanzielle Belastungen, denen die Länder bei der Ausfiihrung der Bundesgesetze ausgesetzt werden, sind "Konsequenz des Dezentralisationsprinzips der föderativen Verfassung"432 . Sie hat den Ländern fiir die Regelform des Gesetzgebungsvollzugs die Verwaltungskompetenz vorbehalten, ihnen aber gleichzeitig auch die damit verbundenen Pflichten auferlegt. Dahinter steht die fiir den deutschen Bundesstaat grundlegende Entscheidung fiir eine überwiegend funktionale Aufteilung der Staatsorganisation: "Rechtsetzung ist typischerweise Sache des Bundes, die Ausfiihrung der Gesetze Aufgabe der Länder"433 . Das Grundgesetz verteilt die staatlichen Aufgaben und Befugnisse nicht nach Sachbereichen, sondern nach Staatsfunktionen434 . Das Auseinanderklaffen von Gesetzgebungs- und Verwaltungstätigkeit ist im grundgesetzliehen Strukturprinzip des dualistischen Bundesstaats fiir die Bun429 Vogel/Kirchhof, BK, GG Art. 104 a, Rn. 45. 430 Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im BundLänderverhältnis, S. 25 f. 431 Vgl. nur hierzu BVerfGE 26, 338 (391). Art. 109 I GG hat nach umstr. Ansicht keinen eigenen materiellen Aussagegehalt; Selmer, in: FS Thieme, S. 353, 365 m.w.N., 375 f. Hettlage, DÖV 1955, S. I, 5 bezeichnte die Vorschrift schon früh als eine "fromme Verfassungslüge" und "halbe Wahrheit"; Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 180 m.w.N. 432 Vgl. Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 104 a Rn. 6; ders., DÖV 1952, S. 673, 676, 678 Fn. 31. 433 Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 358 m.w.N.; unklar Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 54, deutlicher S. 93, 136 ff. 434 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 235.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
desgesetzgebung mit angelegt. Zwar setzt die "Trennung zwischen Nonnsetzungskompetenz einerseits sowie Vollzugsverantwortung und Finanzierungslast andererseits ( ... ) das Veranlasserprinzip außer Kraft und bewirkt dadurch, daß der Kostenverursacher die Ausgabenlast vielfach nicht spürt"435 • Wer dem rechtsetzenden Bund deshalb die alleinige Finanzverantwortung zuweisen will, stellt aber das den deutschen Bundesstaat prägende Konzept einer funktionalen staatsorganisatorischen Aufteilung in Frage. Die Finanzverantwortung ist in diesem Konzept notwendiger Bestandteil der Verwaltungsverantwortung436 : Eine auf den bloßen Gesetzesvollzug reduzierte Verwaltungstätigkeit der Länder könnte kaum staatliche Eigenständigkeil begründen. Das Grundgesetz räumt den Ländern in der Gesetzgebung nur sekundäre Kompetenzen ein. Die Länder schöpfen ihre staatliche Eigenständigkeil im wesentlichen aus der Verwaltungskompetenz. Verwalten bedeutet Handeln. Verwalten kostet Geld. Auch die Entscheidung darüber, fiir welchen Verwaltungszweck Geld ausgegeben wird und fiir welchen nicht, ist Verwaltung. Ohne eigenen fmanziellen Spielraum wären die Länder bloße Subsumtionsautomaten. Sie würden die Folgen ihres Handeins nicht spüren und hätten sie fmanziell nicht zu verantworten. Fiele die Finanzverantwortung mit der Gesetzgebungsverantwortung zusammen, wäre die Verwaltungskompetenz um ein wichtiges autonomiegewährendes Moment verkürzt. Freilich bliebe die staatsorganisatorische Aufteilung nach Funktionen erhalten, wenn die Finanz- an die Gesetzgebungsverantwortung gebunden wäre. Aber dann macht die funktionale Aufteilung kaum noch Sinn: Die Finanzverantwortung fiir staatliches Verwaltungshandeln läge dann allein bei dem Inhaber der Gesetzgebungskompetenz. Da Finanzverantwortung Sacheinfluß begründet, hätte der Inhaber der Gesetzgebungskompetenz über die Finanzierungs- auch eine jedenfalls mittelbare Verwaltungskompetenz. Das wäre ein großer Schritt in die Richtung einer sachbezogenen Gliederung der Staatsorganisation. ee) Zwischenergebnis Art. 104 a I GG sichert und ermöglicht die staatliche Eigenständigkeil der Länder. Die Vorschrift entfaltet in ihrer bundesstaatssichemden Funktion als Faktor vertikaler Gewaltenteilung freiheitssichemde Relevanz. F. Kirchhof schlägt als Rechtsfolge einer Normierung des Prinzips der Gesetzeskausalität Transferzahlungen vom Bund an die Länder fiir den Aufgabenvollzug vor: "Lediglich [sie!] das Bundesstaatsprinzip könnte von den ( ...) Finanztransfers 435 Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung ftir gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 93. 436 "Oe constitutione lata" zustimmend F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, s. 24 f.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
321
( ...) gefährdet werden". Zu dessen Wahrung seien die Zahlungen "verfassungsrechtlich exakt zu fassen, auf das Erforderliche zu beschränken und ausschließlich zum Ausgleich der Kosten einer Aufgabe zu bemessen. Sie dürfen nicht- wie die Finanzhilfen- an einen Zweck gebunden( ... ) werden"437. Wieso der ausschließliche Ausgleich einer Aufgabe keine Zweckbindung bedeuten soll ist nicht verständlich. Der V arschlag zur Änderung des Art. 104 a I GG zielt bewußt auf eine Schwächung des bundesstaatliehen Prinzips.
c) Demokratische und verwaltungsökonomische Funktion Der Konnexitätsgrundsatz des Art. 104 a I GG macht Aufwendungen für einen Zahlungsverkehr überflüssig, der zur Bewältigung eines internen Kostenausgleichs durch gegenseitige Verrechnungsvorgänge zwischen Bund und Ländern erforderlich wäre438• Die Einsparung technischer "Verfahrenskosten" ist aber eher ein Nebenprodukt des "Konnexitätsprinzips". Wichtiger ist seine demokratische Funktion: Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG stärkt die demokratische Verantwortlichkeit einer Landesregierung, da sie die Ergebnisse ihrer Wirtschaftspolitik fmanziell zu verantworten hat439 ; "zur demokratischen Entscheidungsmacht gehört die Folgenverantwortung"440. Die für sich schon bedeutungsvolle demokratische Funktion des "Konnexitätsgrundsatzes" ist gleichzeitig Mittel für seinen verwaltungsökonomischen Zweck: Er besteht in einer möglichst effizienten Zuordnung der Finanzierungskompetenz im Bundesstaat. Wenn letztlich die Bevölkerung einer Region die mit ihren Aufgabenwünschen verbundenen Kosten selbst tragen muß, werden die politisch Verantwortlichen in ihrem eigenen Interesse für eine möglichst sparsame Erfiillung der öffentlichen Aufgaben sorgen, um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden. Die Vereinigung von Ausgaben- und Deckungsverantwortlichkeit (und deren demokratische Verantwortung und Kontrolle) bei ein und derselben Gebietskörperschaft vermeidet Reibungsverluste aus dem Interessenkonflikt zwischen beiden Verantwortlichkeiten441 • Finanzieren die Bundes437
Verf.).
F. Kirchhof, Gutachten zum 61 . DJT, Typoskript, S. 67 f. (Hervorhebung vom
Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 64 f. Vgl. Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 87 Rn. 35. 440 Isensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 149; P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich als Ergänzung fehlender und als Garant vorhandener Finanzautonomie, S. 13 f. ; F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT, Typoskript, S. 54 f. ; vgl. auch Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gern. Art. 107 II GG, S. 24. 441 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 38; Patzig, AöR 86 (1961), S. 245, 256. 43 8 43 9
21 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Iänder eigene Aufgaben mit Bundesmitteln, ist die Neigung zu einer großzügigeren Bewirtschaftung dieser Mittel stärker, als wenn es sich um eigene Mittel des Landes handelt442• Fremdes Geld wird leichter ausgegeben als eigenes443. Es ist eine "Erfahrungstatsache, daß ein öffentlicher Verband, der über die Mittel eines anderen Verbandes verfUgen kann, hierbei leicht in einen lnteressenkonflikt gerät und der Versuchung erliegt, die ihm anvertrauten Mittel nicht mit der gebotenen 'diligentia quam in suis' zu verwalten"444 • Doch bedarf es hierzu zwingend einer Anhindung der Finanzierungs- an die Verwaltungskompetenz? Ergibt sich der Interessenkonflikt nicht auch aus der Befugnis des Bundesgesetzgebers, die Länder und Konununen im Wege der Gesetzgebung zu Ausgaben zu veranlassen, die sie selbst bezahlen müssen? Warum man auf Kosten anderer leichter großzügig ist, erläutern Finanzpsychologie und Finanzwissenschaft. Dort ist auch der Schlüssel für die Frage nach der "richtigen" Anhindung der Finanzierungskompetenz im Bundesstaat zu fmden. Hier zeigt sich: Die Diskussion um die Verteilung der bundesstaatliehen Finanzverantwortung kann nicht zu einem den rechtswissenschaftliehen Anforderungen genügenden Abschluß gebracht werden. Bei der Frage nach der "richtigen" Zuordnung der Finanzierungskompetenz im Bundesstaat geht es letztlich um die Beantwortung einer "Glaubensfrage"445 . Die staatswirtschaftliche Bedeutung der bundesstaatliehen Finanzverantwortung stellt die juristische Methodik vor unüberwindbare Schwierigkeiten und zeigt symptomatisch ihre Begrenztheit bei der Beurteilung auch wirtschaftwissenschaftlich relevanter Sachverhalte auf. Hier stößt die Rechtswissenschaft in Grenzbereiche vor, die ihr verschlossen und nur interdisziplinär auszuforschen sind. Der besondere Wert der von Fischer-Menshausen vertretenen Auffassung besteht darin, daß er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht als bloßen Selbstzweck begreift, sondern seine eigenen Erfahrungen als Verwaltungs- und Finanzbeamter auf der Suche nach praktischen Lösungen in den wissenschaftlichen Diskurs mit einfließen läßt. Die rechtswissenschaftliche Überzeugungskraft seiner Aussagen verringert sich dabei in gleichem Maße wie deren prakti442 Vogel/Kirchhof, in: BK, GG Art. 104 a, Rn. 38; Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 60 f. 443 Albers, in: Sozialhilfe und Finanzausgleich, S. I, 3; Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 358m.w.N. 444 Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 678. 445 Das wird in der Diskussion um den Lastenverteilungsgrundsatz immer wieder deutlich. Vgl. symptomatisch Ludwig, Der Städtetag 1953, S. 141, 142: "Ich glaube nicht, daß es eines Nachweises bedarf, daß in einer parlamentarischen Demokratie der verantwortlichen Beschlußfassung über eine Aufgabe immer die Finanzverantwortung entsprechen muß", der sich mit der anschließenden apodiktischen Begründung: "Das ist ein Grundprinzip der demokratischen Demokratie" an der Grenze zur argumentativen Hilflosigkeit befindet. Bezeichnend auch die vielfachen - überzeugenden - "staatswirtschaftlichen" Ausführungen bei Fischer-Menshausen.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
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scher Nutzen steigt. Diesen Nutzen einer wissenschaftlichen Erkenntnis erzielt nicht, wer die Wissenschaft als ausschließliche Lebenswirklichkeit begreift. Denn sie erfaßt nur einen theoretischen und damit fiktiven Ausschnitt aus der Realität. Nur eine ganzheitliche Betrachtungsweise vermag praktisch verwertbare Ergebnisse zu bewirken. Allein solche Ergebnisse sind dazu geeignet eine nur praktische Ergebnisse zeitigende verfassungsrechtliche Regel fiir die Lastenverteilung im Bundesstaat zu begründen. Daß Fischer-Menshausen das finanzpolitische Postulat optimaler Kongruenz von Finanz- und Verwaltungsverantwortung446 als Ausgangspunkt seines Gedankenganges wählt und hierfiir verfassungsrechtliche Verbindlichkeit beansprucht, erscheint aus rechtswissenschaftlicher Sicht zwar bedenklich447, ist gerade deshalb in praktischer Hinsicht aber urnso sachdienlicher.
d) Finanzwissenschaftliche Funktion Die vorliegende Untersuchung möchte nun an dieser aus rechtswissenschaftlicher Sicht schwächsten Stelle der Argumentation fiir das Konnexitätsprinzip einen Hebel ansetzen: Im folgenden wird erstmals der Versuch unternommen, das fmanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip zunächst ft.nanzwissenschaftlich zu fundieren und dieser fmanzwissenschaftlichen Fundierung sodann verfassungsrechtliche Relevanz beizumessen. Dabei wird sich zeigen: Die Befiirworter einer Änderung des Art. 104 a I GG wollen fiir die Lastenverteilung im Bundesstaat einen ökonomisch weniger effizienten Weg beschreiten, als das geltende Recht. aa) Die ökonomische Theorie des Föderalismus Ergänzend zur staatsrechtlichen Argumentation fiir den Föderalismus hat die Finanzwissenschaft seit den 60er Jahren die ökonomische Theorie des Föderalismus448 entwickelt, nach der dezentrale Kollektive einem zentralen Baushaltswesen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen überlegen sind. Mit dieser Theorie hat die Ökonomie vereinzelten Versuchen in der Rechtswissenschaft,
446 Kaufmann, Die Reichsreform 1933, S. 324: "Nur die Ordnung des Finanzausgleichs ist richtig, die die Finanzverantwortung der einzelnen Verwaltungsträger ihrer Verwaltungsverantwortlichkeit anpaßt" (Hervorhebung vom Verf.). 447 Köttgen, DÖV 1953, S. 358. 448 Vgl. zu deren verschiedenen, im folgenden nicht im einzelnen unterschiedenen Spielformen und Ansätzen Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 32 f. , 36 ff.; globaler Bohley, in: FS Klein, S. 541, 544; Stober, BayVBJ. 1989, S. 97 ff.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
eine Effizienzfeindlichkeit der bundesstaatliehen Ordnung des Grundgesetzes zu begründen449 , eine eindeutige und überzeugende Absage erteilt. Die Staatsrechtslehre versteht den Bundesstaat als eine staatsrechtlich verwirklichte Form des Föderalismus als "dezentrales, gewaltengliederndes und darin freiheitssicherndes Organisationsprinzip eines einheitlichen politischen Gemeinwesens" 450, das die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben auf Gesamtstaat wie Gliedstaaten verteilt451 . Die Politologie sieht im Föderalismus eine bestimmte Form der Machtverteilung, die die Teilautonomie der regionalen Körperschaften bewahren und dauerhaft sichern soll. Demgegenüber besteht das Wesen des Föderalismus für die Ökonomie in erster Linie "in einer mehrstufigen kollektiven Aufgabenerfüllung und der damit verbundenen Willensbildung und Entscheidung"452• Der Ökonom will zum einen "wissen, welcher Grad an Zentralisierung oder Dezentralisierung der Aufgabenerfüllung am meisten zur Wohlfahrt der Bürger eines Landes beiträgt", um zu entscheiden, welche Gebietskörperschaft welche Aufgabe erfüllen soll; hierzu analysiert er die wohlfahrtsökonomischen Aspekte der Verteilung der Aufgabenerfüllung. Zum anderen analysiert er die wechselseitigen Wirkungen zwischen den gegebenen institutionellen Zuständigkeiten und deren ökonomische Auswirkungen samt der dahinter stehenden Kräfte, die bei den jeweiligen Entscheidungsabläufen über die Verteilung der Aufgabenerfüllung wirken; hierbei interessieren ihn neben dem Ergebnis der Entscheidungsverfahren insbesondere die Verfahren selbst453 • Das Anliegen der ökonomischen Theorie der Föderalismus besteht darin, "die Verteilung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen auf öffentliche Entscheidungsträger ökonomisch zu begründen"454• Das ist ein umfassender Ansatz. Die rechtswissenschaftliche Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG intendiert demgegenüber nur die Verteilung der Ausgaben, dies freilich im gleichfalls umfassenderen Rahmen der bundesstaatliehen Finanzverteilung. Da die ökonomische Theorie des Föderalismus den Regelungsgegenstand des Art. 104 a I GG erfaßt, sind ihre Aussagen über die Ausgabenverteilung im Bundes-
Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 27 f. in: Politik als gelebte Verfassung, FS Schäfer, S. 182, 187. 451 Diese - rechtswissenschaftliche - Abgrenzung findet bei der Gegenüberstellung des rechtswissenschaftliehen und des finanzwissenschaftliehen Föderalismusverständnisses durch Ökonomen nicht immer Berücksichtigung; vgl. z.B. Benz, Föderalismus als dynamisches System, S. 8 ff., der "Bundesstaat" und "Föderalismus" als Synonyme gebraucht und Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 31, nach dem es sich bei dem Föderalismus um eine Organisationsform des Bundesstaates handelt. 452 Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 31 f. m. zahlreichen w.N. 453 Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 32 m.w.N. 454 Zimmermann/Henke, Einflihrung in die Finanzwissenschaft, S. 100. 449
450 Böckenforde,
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
325
staat fiir das Verständnis der bundesstaatliehen Lastenverteilungsregel von besonderer Bedeutung. Die ökonomische Theorie des Föderalismus fragt bei der Verteilung der Ausgabenverantwortung im Bundesstaat danach, welcher Aufbau der öffentlichen Finanzwirtschaft bestimmte ökonomische Kriterien am besten erfüllt. Als solche nennt sie allokative, distributive und stabilitätsorientierte455 . Hinsichtlich des Allokationsziels, also der Frage, welche Gebietskörperschaftsebene welche öffentlichen Güter anbieten soll, fordert sie ausgehend von der Theorie der öffentlichen Güter die Abstimmung der öffentlich abgegebenen Leistungen auf die Präferenzen der Bürger456. Das gilt nicht für die sog. reinen öffentlichen Güter. Hierunter zählen solche Güter, bei denen der Konsum und die Nutzungsmöglichkeit für jedes Individuum innerhalb eines Staatsgebietes unabhängig von seinem geographischen Standort identisch ist, da es keinen ökonomischen Grund für eine dezentralisierte Versorgung mit ihnen gibt. Für diese sog. nationalen Güter empfiehlt sich auch aus ökonomischer Sicht eine zentrale Versorgung457.
Für die übrigen öffentlichen Güter unterstellt dieTheorie, daß in einem Staatsgebiet regionale Unterschiede in den Präferenzen fiir das Niveau, die Struktur und die Ausgestaltung öffentlicher Leistungen bestehen. Solche beispielsweise landsmannschaftlich, religiös oder geographisch bedingten Unterschiede bestünden u.a. in unterschiedlichen Vorstellungen über das Gesundheits- und Bildungswesen, das Kulturleben, die innere Sicherheit, die Umweltqualität oder auch über die Höhe des Staatsanteils bei der Finanzierung öffentlicher Leistungen. Ein regional differenziertes Angebot dieser öffentlichen Leistungen könne diese Unterschiede besser berücksichtigen als eine einheitliche zentrale Vorgabe. Je größer die Unterschiede sind, umso höher sei der Wohlfahrtsgewinn aus einem regional differenzierten gegenüber einem zentral einheitlichem Leistungsangebot458 . Zwar könnte auch eine Zentralgewalt ein differenziertes Angebot abgeben, wenn sie über die regionalen Unterschiede beispielsweise durch Befragungen (direkte Demokratie) oder über regionale Abgeordnete im Zentralparlament hinreichend informiert ist. Doch müßte sich die Zentralinstanz auf eine sehr hohe Nachfrage nach den öffentlichen Leistungen einrichten, wenn die individuellen Präferenzen ohne Berücksichtigung der entstehenden Kosten erhoben würden. Denn bei einer unvollständigen Ansetzung der Kosten wird eine zu hohe Nachfrage artikuliert. Auch das folgt aus der 455 Benz, Föderalismus als dynamisches System, S. 16; Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. I 00 jeweils m.w.N. 456 Vgl. zum folgenden insbes. Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. I 00 ff. 457 Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 92. 4 58 Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 93.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Theorie der öffentlichen Güter. Deshalb soll jede Region nicht nur über ihr Leistungsangebot, sondern auch über die damit verbundenen Ausgaben und die hierzu erforderlichen Einnahmen selbst entscheiden. Diejenige Gruppe von Bürgern, der der Ausgabenvorteil zufließt, solle auch die Abgabenlast festlegen. Nur dann fmde eine Abwägung darüber statt, ob die Produktion eines öffentlichen Gutes (1.) unter Berücksichtigung der hierzu erforderlichen Ausgaben und Einnahmen und deren alternativer Verwendungsmöglichkeiten der erforderlichen Summen (private Verwendung - Frage nach der Höhe der regionalen Staatsquote) überhaupt erwünscht ist und (2.), ob nicht andere öffentliche Leistungen unter Berücksichtigung deren Kosten wichtiger sind (Frage nach der Struktur der regionalen Staatsquote)459. Der Wohlfahrtsgewinn aus diesem im Zentralstaat ausgeschalteten Abwägungsprozeß überwiegt die zusätzlichen Kosten eines - hinreichend effizient gestalteten - dezentralisierten Entscheidungsprozesses, wie sie bei einem föderativen System beispielsweise aus der erhöhten Anzahl der entscheidenden Gremien und der aufwendigeren Koordination des Aufgabenvollzugs entstehen. Nur in manchen Fällen mag eine dezentrale Zuständigkeit zu teuer sein. Eine Ausnahme liegt beispielsweise vor, wenn sich ein Gut aus technischen Gründen nicht in kleinere Einheiten zerlegen läßt und seine dezentrale Anbietung daran scheitert. Die Finanzwissenschaft verteilt die Finanzverantwortung zusammen mit der Gesetzgebungsverantwortung zwischen Bund und Ländern nach dem bereits im 3. Kapitel anläßtich der Abgrenzung der Finanzierungsräume von Staat und Sozialversicherung erläuterten fiskalischen Äquivalenzprinzip460 • Für die Verteilung der Finanz- und Gesetzgebungsverantwortung auf die beiden bundesstaatlichen Ebenen gilt Entsprechendes461 • Obwohl nicht alle Bürger vom Nutzen eines Kollektivguts profitieren, entscheidet oftmals die zentrale Ebene des Gesamtstaats über dessen Produktionsvolurnina und die hierzu erforderliche Finanzierungsstruktur. Hierdurch fallen bei der Entscheidungsfmdung Kosten und u.U. Finanzierungslasten an, die die nicht vom Nutzen des Kollektivguts begünstigten Bürger nicht tragen müßten, wenn sie dem Kollektiv nicht zwangsweise zugeordnet wären. Auch für die Betroffenen selber ergeben sich mögliche Nachteile: Ein Entscheidungsverfahren, das alle Bürger an der Entscheidungsfmdung beteiligt, erschwert die Konsensfmdung. Oft sind Kompromisse erforderlich, die die betroffenen Bürger alleine nicht hätten eingehen müssen. Deshalb sind die Kollektive nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz so zu wählen, daß jene, die aus dem jeweiligen Kollektivgut einen NutZimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. 101 f. Vgl. hierzu oben 3. Kapitel III 4 e. 461 Zum Ganzen Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 166 ff. Einen Überblick über die Beweisführung, die im wesentlichen anband ökonomischer Effizienzkriterien erfolgt, gibt Kirsch, in: Föderalismus, S. 71 ff. 4 59
4 6°
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
327
zen ziehen, auch die sind, die über Produktionsvolurnina und Finanzierungsniveau des Kollektivguts entscheiden und dafür bezahlen462 • Die Übereinstimmung von Entscheidungsträger, Nutznießer und Kostgänger soll das Auftreten externer Effekte im Interesse einer effizienten Allokation verhindern463 • Es empfiehlt sich also, "Kollektivgütergruppen mit ähnlich gelagertem, örtlich begrenzten Wirkungskreis zusammenzufassen, damit funktionsfähige und kostengünstige Verwaltungseinheiten entstehen"464.
Zur Erzielung des ökonomischen Optimums müßte der Staat danach "aus einer Vielzahl funktional definierter Gebietsteile auf vielschichtig sich überlappenden Ebenen bestehen"465 • Ein solches Konzept istjedoch nicht praktikabel. Selbst einem Zusammenschluß der Bürger in einer Vielzahl sich nicht überlagernder Körperschaften steht die zu hohe Zahl der notwendigen Verwaltungseinheiten entgegen. Auch die durchzuführenden Wahlen zu denjeweiligen Entscheidungsgremien sollten nicht ausufern, damit die Kosten des Föderalismus seinen Gewinn nicht aufzehren. "Als theoretische Zweitbestlösung kommt eine Bündelung bei der Bereitstellung öffentlicher Güter auf die Gliedkörperschaften einiger weniger Ebenen in Frage, wobei die Grenzen so gezogen werden sollten, daß die" externen Effekte minimiert werden466 . Nach der ökonomischen Theorie des Föderalismus wird das das Allokationsziel nicht allein durch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz gefördert. Ein weiteres Kriterium der Allokation ist die "Innovationsfähigkeit im öffentlichen Sektor". Der Wettbewerb einer Vielzahl unterschiedlicher dezentraler Entscheidungsträger kann diese Innovationsfähigkeit möglicherweise steigern467. Die Staatsrechtslehre spricht in diesem Zusammenhang von kompetetivem Föderalismus468 . Für die Frage nach der optimalen Verteilung der Finanzverantwortung im Bundesstaat ist der kompetetive Aspekt des Föderalismus von nachrangiger Bedeutung. Die ökonomische Theorie des Föderalismus interessiert für die Verteilung der Finanzverantwortung im Bundesstaat nur soweit, wie sie den Föderalismus durch das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz wirtschaftswissenschaftlich begründet. Sie untermauert den Föderalismus zusätzlich unter Heranziehung einer Mehrzahl weiterer Kriterien insbesondere distributiver und stabilitätsorientierter Art. Der Rahmen der Untersuchung würde gesprengt, wenn all diese Kriterien an dieser Stelle ausgebreitet würden469.
Vgl. Heun, Der Staat 1992, S. 205,219 f. Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 38. 464 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 167. 465 Bohley, in: FS Klein, S. 541, 545. 466 Bohley, in: FS Klein, S. 541, 545. 467 Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. I 02. 468 Hierzu oben III 4 b cc (4). 469 Ein- und weiterführend Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. 102 ff. 462 463
328
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Die Finanzwissenschaft sieht die wohlfahrtsfordernde Bedeutung des Föderalismus nicht allein im für sich schon wohlstandsoptimierenden Aspekt der Dezentralisierung verschiedener öffentlicher Funktionen. Hierfür bedürfte es nicht des Föderalismus. Dezentralisierung im Sinne von Dekonzentration ist auch im Zentralstaat möglich, wenn die regionalen Untergliederungen lediglich ausführende Befugnisse haben und zentral festgelegte Aufgaben ohne eigenen Entscheidungsspielraum durch zentralstaatlich zugewiesene Finanzmittel finanzieren470. Eine solche Interpretation würde die fmanzwissenschaftliche Argumentation für den Föderalismus auf eine allein technische Sicht reduzieren und dadurch um das entscheidende Moment verkürzen. Die Finanzwissenschaft mißt der Verteilung der politischen Willensbildung auf verschiedene Ebenen des öffentlichen Sektors erst wohlfahrtsoptimierende Bedeutung bei471 , wenn auch die untergeordneten Entscheidungsebenen mit Aufgaben- und Einnahmenkompetenz ausgestattet sind. Es geht also um die Dezentralisation der Kompetenzen472 . Aus fmanzwissenschaftlicher Sicht wäre es deshalb wenig sinnvoll, einer unter der Zentralgewalt angeordneten Ebene nur die Kompetenz für die Ausfiihrung einer Aufgabe zuzuweisen, ihr die Entscheidung über deren Finanzierung und die Mittelverwendung überhaupt aber zu entziehen. Denn ein solches Verfahren würde nur bei der Erfüllung solcher Aufgaben den erwünschten Zugewinn an Autonomie bedeuten, für deren Erfüllung keine oder nur geringe Ausgaben erforderlich sind. Je kostenintensiver die Ausführung einer Aufgabe ist, umso mehr fordert gebietskörperschaftliche Autonomie die Berechtigung der Gebietskörperschaften zur eigenständigen Entscheidung über Ausgaben und Einnahmen473 . Die ökonomische Theorie des Föderalismus erklärt bei der Erfüllung einer Vielzahl von Aufgaben die ökonomische Überlegenheit eines dezentral organisierten Bundesstaats gegenüber dem Einheitsstaat. Jener ist zur Internalisierung externer Effekte nicht in der Lage. Die wohlstandsoptimierende Internalisierung der externen Effekte ist am ehesten gewährleistet, wenn jeweils diejenige staatliche Ebene die Aktivitäten erfüllt, die mit ihren Bewohnern dekkungsgleich ist. Der Föderalismus kann den individuellen Präferenzen der Bürger besser Rechnung tragen als die schematische Behandlung im zentralen Einheitsstaat. Denn in dezentralisierten Einheiten sind die Zusammenhänge zwischen Nutzen und Kosten von Leistungsempfangern und Abgabepflichtigen aufgrundihrer geringeren Größe überschaubarer und dadurch kalkulierbarer474. 470 Vgl. Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. 97. 471 Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 91. 472 Zimmermann/Henke, Einführung in die Finanzwissenschaft, S. 97. 473 Zimmermann/Henke, Einftihrung in die Finanzwissenschaft, S. 98. 474 Vgl. Stober, BayVBI. 1989, S. 97; Bohley, in: Föderalismus, Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, S. 31, 49 ff.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
329
Die empfohlene Zusammenfassung von Kollektivgütergruppen spricht nicht nur für eine funktionale Ausgliederung einzelner Staatsaufgaben, wie sie mit der Delegation der sozialen Vorsorge der Bevölkerung auf die Parafisci der Sozialversicherung erfolgt ist. Dieser Empfehlung kommt auch eine Verstärkung selbststeuernder Elemente in der mittelbaren Staatsverwaltung der sich selbst verwaltenden Körperschaften nach. Im Gedanken der Selbststeuerung treffen sich Theorien der Verwaltungswissenschaft, der Rechtssoziologie und der Systemtheorie mit der ökonomischen Theorie des Föderalismus475 • Dabei macht die Finanzwissenschaft im Gegensatz zur Rechtswissenschaft nicht bei den Gebietskörperschaften halt, sondern empfiehlt abhängig vom zu verwaltenden Kollektivgut auch auf Landes- und Bundesebene i.S.d. fiskalischen Äquivalenzprinzips eine Zusammenfassung von Kollektivgütergruppen. Dadurch überträgt sie den Gedanken der Selbststeuerung auf Bund und Länder. Die zur Selbststeuerung erforderliche Finanzautonomie setzt Eigenständigkeit der fmanziellen Entscheidungsfmdungsprozesse voraus, wehrt sich gegen äußere Einflüsse und ist jedenfalls dann garantiert, wenn die jeweilige Gebietskörperschaft ihre Aufgaben durch Gesetz- oder Satzungsgebung selbst defmiert, ausführt und fmanziert. Deshalb sollen die Kollektive selbst über ihre Interessen entscheiden und nicht von außen gesteuert werden. Die "Efftzienz des Wirtschaftssystems im Bereich der öffentlichen Güter [kann] durch die dezentrale, weitgehend eigenverantwortliche Entscheidung der Gebietskörperschaften gesichert werden"476• Eine größere Autonomie der Länder entspricht den allokationspolitischen Zielen477. Eine dezentralisierte Verantwortung für die Durchführung öffentlicher Aufgaben führt gegenüber einer zentralistischen Lösung in der Regel zu Wohlfahrtsgewinnen478 • Göss/, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 211 f. m.w.N. Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. 11/8472, S. 211 Tz. 435; Korioth, DVBI. 1991, S. 1048, 1057 f. 477 Hierzu sind Mischfinanzierungen und Finanzhilfen des Bundes abzubauen und Sonderbedarfe einschließlich der Seehafenlasten und der Einwohnerveredelung abzuschaffen; Franke, VerwArch 82 (1991), S. 526, 541; Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BTDrucks. 1118472, S. 216 Tz. 457. 478 Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. 1118472, S. 211 Tz. 435. Der Erkenntniswert der ökonomischen Theorie des Föderalismus darf für die Verteilung der Finanzverantwortung nicht überbewertet werden. Die Theorie läßt wesentliche ökonomische Aspekte unberücksichtigt: So stellt sie nicht die Frage nach der Stabilität eines föderalistischen Systems, obwohl hiervon die langfristigen Nutzungen und damit die langfristigen Wohlfahrtsgewinne erheblich abhängen. Auch "bleibt der aus der Integration der Bürger in ihr Gemeinwesen unmittelbar anfallende Nutzen ( ...) ausgeklammert"; Bohley, in: FS Klein, S. 541,545. 475
476
330
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
Das fmanzwissenschaftliche Ideal einer Staatsorganisation besteht in einer staatsorganisatorischen Gliederung nach Sachbereichen. Die staatsorganisatorische Struktur der USA hat die ökonomische Forderung nachvollzogen: Sie verteilt die Sachbereiche auf Bund und Staaten und ordnet jeder Ebene jeweils alle drei Staatsfunktionen zu. bb) Rechtsnormative Relevanz Das Grundgesetz hat sich gegen eine sachbezogene Aufteilung der Staatsorganisation entschieden. Der Verfassungsgeber hat die Gesetzgebungskompetenz entgegen dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz grundsätzlich von der Verwaltungskompetenz abgespalten: Die Gesetzgebung ist typischerweise Sache des Bundes, die Verwaltung grundsätzlich Sache der Länder479 • Der Trick der grundgesetzliehen Finanzverteilungs-Trias aus konnexer Aufgaben-, Lasten- und Einnahmenverteilung besteht in dem Versuch, dennoch beiden bundesstaatliehen Ebenen Ameize für sparsames Handeln zu bieten. Hierzu spaltet die Finanzverfassung die Finanzverantwortung in zwei Teile auf: Der eine ist die Lastenverteilung nach Art. 104 a I GG. Da die Länder die Ausgaben für die Finanzierung ihrer Verwaltungsaufgaben tragen müssen, bekommen sie die Folgen ihrer Verwaltungstätigkeit durch Verminderung der ihnen zugewiesenen Einnahmen zu spüren. Das veranlaßt sie zu einer sparsamen Verwaltungstätigkeit Der andere ist die Einnahmenverteilung nach Art. 106 f. GG. Da der Bund die Länder im Finanzausgleich in die Lage versetzen muß, die ihnen aus der Ausführung der von ihm erlassenen Gesetze entstehenden Ausgaben tragen zu können, bekommt er die Folgen seiner Gesetzgebung durch Verminderung seines Finanzvolumens zu spüren. Für den Bund besteht damit Anlaß, die Länder nicht durch kostenintensive Gesetze zu überfordern. Die fmanzverfassungsrechtliche Aufspaltung der Finanzverantwortung durch Einnahmen- und Lastenverteilungsregelungen begründet Finanzverantwortung bei Bund wie Ländern, obwohl das Grundgesetz die Staatsorganisation entgegen dem fiskalischen Äquivalenzprinzip nach Staatsfunktionen aufteilt. Damit entspricht die Verfassung einem Grundgedanken dieses Prinzips: Nur eine fmanzielle Eigenbeteiligung liefert Anlaß zu sparsamem Handeln. Die finanzverfassungsrechtliche Aufspaltung der Finanzverantwortung gewährleistet die Übereinstimmung von Entscheidungsträger und Kostgänger zumindest teilweise.
479
Vgl. oben b dd.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
331
Überdies intendiert das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG mit der Zusammenfassung von Verantwortlichkeiten die Vermeidung von Interessenkonflikten im Interesse ökonomischer Rationalität. Im engen Rahmen der getroffenen Grundentscheidung für eine funktionale Gliederung der Staatsorganisation verfolgt es das ökonomische Allokationsziel, wonach die Produktion öffentlicher Güter den Präferenzen der Bevölkerung als Nutznießer entsprechen und so kostengünstig wie möglich erfolgen soll. Deshalb soll jede Ebene - im Bundesstaat Bund und Länder - für die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Verwaltungsaufgaben selbst verantwortlich sein und die aus dieser Aufgabenausführung enstehenden Ausgaben tragen480• Nichts anderes beabsichtigt die Finanzwissenschaft mit der ökonomischen Theorie des Föderalismus und dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz. Im Gegensatz zur Rechtswissenschaft unterscheidet die Finanzwissenschaft nicht zwischen Gesetzgebung und Durchführung der Aufgabe; die Finanzierung soll durch den erfolgen, der von der selbst defmierten Aufgabe profitiert. Aufgaben- und Ausgabenverantwortung gehören dabei wie selbstverständlich zusammen481 . Von daher sind das fmanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz nicht deckungsgleich. Darüber hinaus unterscheiden sich beide Prinzipien bei der Zuordnung der Finanzverantwortung in der Auswahl ihres jeweiligen Anknüpfungspunkts: Bei dem fiskalischen Äquivalenzprinzip ist dies der Nutzen aus der Ausführung einer Aufgabe, bei dem Konnexitätsprinzip die Ausführung der Ausgabe selbst. Beide Prinzipien treffen sich aber in einem gemeinsamen Ziel: Der Optimierung der Allokation. Dieses Ziel hatte auch der Verfassungsgeber bei der Normierung des Konnexitätsprinzips vor Augen. Das fiskalische Äquivalenzprinzip war ihm zwar nicht namentlich bekannt. Das war auch nicht möglich, denn die Finanzwissenschaft hat es erst später mit der ökonomischen Theorie des Föderalismus herausgearbeit. In seinen Grundzügen war das fiskalische Äquivalenzprinzip dem Gesetzgeber jedoch durchaus bewußt: Seine Verweise auf die verwaltungsökonomischen Vorteile des "Konnexitätsprinzips", auf die Verwaltungserfahrungen und Erfahrungstatsachen, auf die effizienzhindernden Interessenkonflikte bei der Verausgabung fremder Mittel, all dies umschreibt mit anderen Worten genau das, was die Finanzwissenschaft in späteren Jahren mit der ökonomischen Theorie des Föderalismus benannt hat. Es ging dem Verfassungsgeber darum, für die Lastenverteilung im Bundesstaat denjenigen
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48 Franke, VerwArch 82 (1991), S. 526, 532; Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. 1118472, S. 211 Tz. 437. 481 Vgl. die entsprechende Ausgangsfrage der Ausführungen von Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 194; vgl. auch Mackscheidt/Böttgerl Gretschmann, FinArch 39 (1981), S. 383, 402.
332
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Weg einzuschlagen, der unter den verschiedenen bundesstaatssichemden Möglichkeiten für eine solche Verteilung am ehesten die Gewähr fiir eine möglichst effiziente Aufgabenerfüllung bietet. Diese einander entsprechenden Ziele stellen zwischen der Finanz- und der Rechtswissenschaft eine Verbindung her. Über diese Verbindungslinie fmdet die fmanzwissenschaftliche Theorie des ökonomischen Föderalismus Eingang in die rechtswissenschaftliche Auslegung des in Art. 104 a I GG geregelten Konnexitätsprinzips. Auf diese Weise ist eine rechtlich relevante Bezugnahme beider Disziplinen aufeinander möglich: Die fmanzwissenschaftliche Argumentation fiir den Föderalismus ergänzt dessen staatsrechtliche Fundierung. Die staatsrechtliche Begründung des fmanzverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzips erhält ihre praxisgerechte Ausformung dem Grundgedanken nach im Prinzip der fiskalischen Äquivalenz: Das Grundgesetz hat die weitgehende fmanzwissenschaftliche Forderung nach einer Vereinigung von Gesetzgebungs-, Finanzierungs- und Verwaltungsverantwortung nicht erfüllt. Die bundesstaatliche Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG ist aber von dem Bestreben getragen, im gezogenen Rahmen der getroffenen Grundentscheidung fiir eine funktionale Gliederung der Staatsorganisation die selbstdisziplinierenden effiZienzsteigernden Regelmechanismen des fiskalischen Äquivalenzprinzips wirken zu lassen. Dieser Befund darf freilich nicht überbewertet werden. Das fiskalische Äquivalenzprinzip gewinnt durch seine Zielgleichheit mit dem Konnexitätsprinzip nicht verfassungsrechtliche Verbindlichkeit. Der Verfassungsgeber hat sich jedoch durch die KodifiZierung des Art. 104 a I GG an der Spitze der Finanzverfassung dazu bekannt, fiir die Lastenverteilung den ökonomisch effizientesten Weg einzuschlagen. cc) Zwischenergebnis Wer heute die Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG ändern möchte, muß sich auch über die Efftzienz seiner Reformvorschläge Gedanken machen. Eine allein rechtswissenschaftliche und -politische Argumentation wird dem nicht gerecht482 • Wer die Regel fiir die bundesstaatliche Lastenverteilung ändern möchte, trägt nicht allein eine rechtswissenschaftliche und -politische Argumentationslast. Er muß auch ökonomisch begründen, warum eine Koppelung der Finanzierungslast effiZienter ist als die Konnexität zwischen Ausgabenlast und Verwaltungszuständigkeit nach geltendem Recht. Der Nachweis dürfte kaum zu führen sein. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt482 So aber Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgebefisch veranlaBte kommunale Aufgaben; F. Kirchhof, Gutachten zum 61. DJT.
IV. Das finanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip
333
wirtschaftlichen Entwicklung hat sich aus ökonomischen Erwägungen fiir das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG ausgesprochen483 • Für die geltende Lastenverteilungsregel spricht, daß sie die fmanzwissenschaftlichen Forderungen zumindest teilweise erfüllt. Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG ist gleichsam der Minimalkonsens zwischen Finanz- und Rechtswissenschaft. Es sorgt in Verbindung mit seiner Rechtsfolge - dem vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 106 III 4, IV 1 GG- dafiir, daß sowohl der Inhaber der Gesetzgebungs- als auch der Inhaber der Verwaltungskompetenz die Folgen seines Handeins fmanziell zu spüren bekommt. Nur auf diese Weise werden beide Ebenen zu sparsamen Handeln veranlaßt Die Befiirworter einer Normierung des Prinzips der Gesetzeskausalität wollen die Finanzverantwortung allein beim Inhaber der Gesetzgebungskompetenz verorten, wenn der Verwaltungsträger keinen nennenswerten Ermessensspielraum hat. Auch in diesem Fall hat der Träger der Verwaltungsverantwortung aber allein durch die ihm verbleibenden Auslegungs- und Organisations- und Gestaltungsspielräume erheblichen Einfluß auf den Vollzug des Gesetzes und die Höhe der enstehenden Kosten. Das Beispiel des hochgradig "durchnormierten" Sozialversicherungsrechts wird dies sogleich belegen (hierzu V). Der innere Grund des Konnexitätsprinzips besteht nicht nur darin, daß die Verwaltung allein bei einem weiten Ermessensspielraum einen weiten Finanzierungsspielraum hat. Entscheidend ist vielmehr, daß die "Art des Aufgabenvollzugs die Höhe der dafiir aufzuwendenden Haushaltsmittel mitbestimmt"484. Die Art des Aufgabenvollzugs wird nicht nur durch einen weiten Ermessensspielraum beeinflußt, sondern durch eine Vielzahl weiterer Faktoren. Hierzu gehören u.a. die Entscheidungen über das fiir die Durchfiihrung des Verwaltungszwecks einzustellende Personal und der zu errichtenden Verwaltungsgebäude. Auch der Umgang mit den disponiblen fmanziellen Mitteln und die Abwicklung des Zahlungsverkehrs eröffnen weite Gestaltungsspielräume. Sie fallen wie die Ermessensentscheidungen gleichermaßen in den Verantwortungsbereich der Verwaltung. Die Ermessensverwaltung ist nur der typische, nicht aber der alleinige Anwendungsfall des "Konnexitätsprinzips"4 85 . Bei der Sozialhilfe haben ihre Träger weitreichende Iogerenzen auf die anfallenden Kosten: Die Gemeinden und Kreise organisieren die Sozialhilfe unterschiedlich effektiv. Die Ausfüllung der Leistungstatbestände fallt gleichermaßen uneinheitlich aus. Eine Untersuchung des Hessischen Landesrechnungs-
483 Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, BT-Drucks. ll/8472, S. 211 Tz. 437. 484 Troeger Gutachten, S. 51 Tz. 199 (Hervorhebung vom Verf.). 485 Falsch deshalb Schoch/Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgebefisch veranlaßte kommunale Aufgaben, S. 128 f.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
hofs486 hat dies unlängst deutlich gemacht. Danach schwanken die Zuschüsse fiir eine Waschmaschine zwischen zwei benachbarten Kreisen bei identischen Sachverhalten zwischen 250 DM und 850 DM, die Zuschüsse zwischen zwei benachbarten Gemeinden zu einem Elektroherd zwischen 150 DM und 500 DM. In der Bekämpfung des Mißbrauchs der Sozialhilfe lägen nach Auffassung des Rechnungshofs weitere "erhebliche Einsparpotentiale". Eine stichprobenartige Überprüfung bei nur 10 Sozialämtern ergab mögliche Einsparungen in Höhe von jährlich fast 2 Mio. DM. Außerdem ließen die Gemeinden hohe Beträge als Rückstellungen fiir nicht vorhersehbare Ausgaben oft viel zu lange auf Girokonten liegen, anstatt sie kurzfristig zinsgünstig anzulegen. Der selbstdisziplinierende Regelungsmechanismus des fiskalischen Äquivalenzprinzips ist im funktional gegliederten Bundesstaat des Grundgesetzes ohnehin nur eingeschränkt wirksam. Eine Normierung des Prinzips der Gesetzeskausalität würde ihn vollständig ausschalten. e) Zwischenergebnis
Die Anknüpfung der Finanzverantwortung an die in Art. 30, 83 GG geregelte Aufgabenausfiihrung durch Art. 104 a I GG gewährleistet in Verbindung mit der kongruenten Refmanzierung im Wege des vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG die fmanzielle Autonomie von Bund und Ländern. Hierdurch sichert Art. 104 a I GG als Element vertikaler Gewaltenteilung die Eigenstaatlichkeit der Länder. Die Vorschrift stellt sich Aushöhlungen ihrer Verwaltungskompetenzen entgegen, die bei einer Übernahme der Finanzverantwortung durch den Bund zu befiirchten wären. Im zweistufigen Bundesstaat des Grundgesetzes ist die Verantwortung fiir die vom Bund im Wege seiner Gesetzgebung veranlaßten Ausgaben im Finanzausgleich verortet. Die Aufspaltung der Finanzverantwortung durch Ausgabenund Einnahmenverteilung läßt den Bund die Folgen seiner Gesetzgebung und die Länder die Folgen ihrer Ausfiihrung spüren. Beide werden zu sparsamem Handeln veranlaßt Der Gesetzgeber hat mit dem Regelungszusammenhang aus vertikalem Finanzausgleich und "Konnexitätsprinzip" den effizientesten Weg fiir die Lastenverteilung im funktional gegliederten Bundesstaat beschritten.
5. Ergebnis Das in Art. 104 a I GG geregelte fmanzverfassungsrechtliche Konnexitätsprinzip bedarf keiner Änderung. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der 486
FAZ Nr. 153 v. 4.7.1996, S. l.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
335
Gesetzgeber jenseits des in Art. 106 III 4, 3 IV 1 GG vorgesehenen Lastenausgleichssystems ein weiteres Lastenausgleichssystem errichten sollte. Die von den Kritikern des Konnexitätsprinzips vorgeschlagene Verlagerung der gesamten Finanzierungsverantwortung fiir die Zweckausgaben auf den Inhaber der Gesetzgebungskompetenz bringt keinen ökonomischen Vorteil. Die alleinige Anhindung der Finanzverantwortung würde im Gegenteil jegliches Kostenbewußtsein bei der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder ausschalten. Das gilt auch fiir Gesetze, bei deren Ausfiihrung die Länder Spielräume haben. Der Vorschlag birgt überdies und vor allem die Gefahr einer noch stärkeren Akkumulation der Finanzmacht beim Bund in sich: Eine derartige Änderung des Finanzierungsgrundsatzes würde die Ausgaben des Bundes erhöhen, so daß der Finanzausgleich ihm zum Ausgleich mehr Steuereinnahmen zuweisen müßte. Wegen der Begrenztheit der zu verteilenden Mittel korrespondierte der Stärkung des Bundes eine Verkleinerung des fmanziellen Spielraums der Länder. Außerdem würde der Bund auf lange Sicht versuchen, mit der Finanzierungs- die Verwaltungskompetenz an sich zu ziehen, zumindest aber der Finanzierungs- eine Überwachungskompetenz folgen zu lassen. Der Vorschlag würde der ohnehin zunehmenden Beeinträchtigung der staatlichen Eigenständigkeit der Länder weiter Vorschub leisten. Die vorgeschlagene Änderung des Konnexitätsgrundsatzes in Art. 104 a I GG kollidiert mit dem Bundesstaatsprinzip.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung Nach dem Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG müssen die Länder die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung von den Ländern zahlen, wenn sie die Sozialversicherung in mittelbarer Landesverwaltung führen. Die Literatur hat die Anwendung des Art. 104 a I GG auf die Sozialversicherung bisher nicht untersucht. Dazu bestand auch kein Anlaß, da nach ganz h.M. Art. 120 I 4 GG als lex specialis zu Art. 104 a I GG die Finanzierungskompetenz für die Zuschüsse zur Sozialversicherung umfassend regelt. Fischer-Menshausen grenzt die soziale Selbstverwaltung bereits in seinem ersten Aufsatz zum Konnexitätsprinzip von den öffentlichen Aufgaben und damit von der staatlichen Lastenverteilung aus. Es handele sich um eine "Gemeinschaftsaufgabe", die der "privaten Initiative" zu überlassen sei487. Andererseits will er die Träger der Sozialversicherung bei der Aufteilung der Gesamtfmanzmasse in die
487 Fischer-Menshausen,
DÖV 1948, S. 10, 13.
336
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz fiir die Staatszuschüsse
"öffentliche Bedarfsskala" einreihen488 • Die Scheu, die Sozialversicherung als öffentliche Aufgabe zu bezeichnen, tritt offen zu Tage. Die Anwendung des allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatzes des Art. 104 a I GG auf die Sozialversicherung bereitet erbebliche Schwierigkeiten. Die Sozialversicherung stellt wegen der ihr eigenen Gesetzlichkeit einen Grenzfall staatlicher Verwaltung dar, der sich den herkömmlichen für die übrigen Staatsaufgaben geltenden Regeln auf unterschiedlichste Weise zu entziehen sucht. Das haben die bisherigen Ausfiihrungen veranschaulicht489. Hierbei hat sichjedoch ergeben, daß der allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz auch die staatliche Finanzverantwortung für die Sozialversicherung verteilt. Im folgenden soll nun gezeigt werden, daß Länderzuschüsse zur Sozialversicherung auch dem Sinn und Zweck des Art. 104 a I GG entsprechen. Vor allem korrespondiert die Einfiihrung von Länderzuschüssen mit der bundesstaatssichemden Zielsetzung des Art. 104 a I GG (hierzu 3.). Zunächst geht es um die verwaltungsökonomische (hierzu 1.) und fmanzwissenschaftliche (hierzu 2.) Funktion des "Konnexitätsprinzips". Ihr stellt sich das Sozialrecht entgegen:
1. Verwaltungsökonomische Funktion Das durchnormierte Sozialversicherungsrecht läßt den leistungsgewährenden Stellen wenig Entscheidungsfreiräume. Die einschlägigen Vorschriften binden die Sozialversicherungsträger noch wesentlich stärker als das Bundessozialhilferecht die Kommunen. Die leistungsgewährenden Stellen entscheiden aber über die Art und Weise des Aufgabenvollzugs. Hierdurch haben sie genauso wie im Bereich der Bundessozialhilfe erheblichen Einfluß auf die Höhe der Ausgaben. Das wird weiter unten mit Beispielen belegt490. Vor allem effektuiert das "Konnexitätsprinzip" die staatliche Kontrolle der Sozialversicherungsträger und entfaltet auf diese Weise seine verwaltungsökonomische Funktion. Das ist nicht der typische Anwendungsfall des "Konnexitätsprinzips". Primär soll es die leistungsgewährenden Stellen selbst disziplinieren. Eine wirkungsvolle Aufsicht ist aber gleichermaßen in der Lage, Kosteneinsparungen zu ermöglichen. Der verwaltungsökonomische Zweck des "Konnexitätsprinzip" ist auch auf dem Umweg über die Effektuierung der staatlichen Kontrolle der Sozialversicherungsträger zu erreichen. Ihn zu beschreiten, ist nicht unproblematisch. Die Selbstverwaltungskörperschaften der Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. 10, 15. Oben 111 2 bis 4. 490 Unten a cc (l) und (2). 48 8
489
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
337
Sozialversicherung unterstehen nämlich keiner direkten "Staatsleitung" bzw. einer entsprechenden verwaltungsorganisationsrechtlichen Leitungsgewalt491 , die ihre weitgehend uneingeschränkte Kontrolle ermöglichen könnte. Die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherung ist noch weniger fest in die Verwaltung der Länder eingebunden als die mittelbare Staatsverwaltung durch die Kommunen. Für die Finanzkontrolle der Sozialversicherungsträger stehen verschiedene Regelungskomplexe zur Verfügung: Die Vertreterversammlungen der Sozialversicherungsträger entscheiden über die Entlastung des Vorstandes und des Geschäftsfiihrers wegen der Jahresrechnung (§ 77 I 2 SGB IV). In ihrer zweiten Funktion stellt die Vertretersammlung als Organ des Sozialversicherungsträgers die Jahresabschlußrechnung fest; anschließend versendet sie die Abschlußrechnung zur Prüfung an die externe Aufsichtsbehörde492 • Diese interne Kontrolle durch die Vertreterversammlung ist einer staatlichen Kontrolle naturgemäß nicht zugänglich. Hier kann das "Konnexitätsprinzip" nichts bewirken. Aber es kann seine efflziensteigemde Funktion in der externen Kontrolle durch die staatlichen Aufsichtsbehörden der Länder entfalten (hierzu a). Ferner kontrolliert der Bundesrechungshof die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger, wenn sie Zuschüsse durch den Bund erhalten; auf demselben Wege soll der Bundesrechnungshofüber den Gesetzeswortlaut hinaus auch die landesunmittelbaren Versicherungsträger kontrollieren können. Inwieweit eine solche Kontrolle möglich ist, wird im Anschluß an die folgenden Ausfiihrungen zur sozialrechtlich vorgesehenen Kontrolle untersucht (hierzu b). a) Externe sozialversicherungsrechtliche Rechtsaufsicht Die Länder haben wegen des Selbstverwaltungsrechts der Sozialversicherungsträger in der Sozialversicherung gern. § 87 I SGB IV grundsätzlich nur eine Rechtsaufsicht493 , die in der Regel die Minister oder Senatoren fiir Arbeit
Gleitze, in: GK-SGB IV, § 87 Rn. 7. DieVertreterversammlung hat eine Doppelfunktion: "zum einen als rechnungskontrollierendes Entlastungsorgan im internen Bereich des Rentenversicherungsträgers, zum zweiten als die Jahresrechnung endgültig feststellendes Organ"; F. Kirchhof, DRV 1992, s. 269,381 f. 493 Gleitze, in: GK-SGB IV, § 87 Rn. 2 ff.; Zweckaufsicht gern. § 87 II SGB IV auf den Gebieten der Unfallverhütung und der Ersten Hilfe. Zu den Maßstäben der Staatsaufsicht über die Sozialversicherung H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 182 ff.; Bull, VSSR 1977, S. 113 ff.; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, S. 155 ff.; Krause, in: Sozial4 91
492
22 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
und Soziales wahrnehmen(§ 90 II SGB IV), in Nordrhein Westfalen neuerdings das Landesversicherungsamt in Essen494. aa) Umfang Die Wirtschaftsführung der Sozialversicherungsträger hat sich gern. § 69 II SGB IV wie jedes öffentliche Verwaltungshandeln an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auszurichten495 . Es handelt sich hierbei um ein "allgemeines Rechtsgebot"496. Das aufsichtsbehördliche Prüfungsrecht erfaßt gern. § 88 I SGB IV die gesamte "Geschäfts- und Rechnungsführung". Geschäftsführung ist die gesamte Verwaltungstätigkeit; mit der Rechnungsführung ist das Haushalts- und Rechnungswesen gemeint. Die Aufsichtsbehörde kann Beitragserhebung und Leistungsgewährung prüfen und gern. §§ 67 ff. SGB IV die zweckgebundene Mittelverwendung kontrollieren497. Für diese Kontrolle stehen den Aufsichtsbehörden nach den Versicherungszweigen differenzierte Einwirkungsmöglichkeiten von gestufter Intensität zur Verfiigung498 : Am weitesten reicht die Kontrolle der Träger der Rentenversicherung, während in der Unfallversicherung die geringsten Ingerenzbefugnisse bestehen. Nach§ 70 II, III, V SGB IV haben die Versicherungsträger der Aufsichtsbehörde ihren Haushaltsplan auf Verlangen vorzulegen; die Träger der Rentenversicherung der Arbeiter und der landwirtschaftlichen Rentenversicherung sind hierzu von Amts wegen verpflichtet. Die Aufsichtsbehörde kann die Haushaltspläne der Träger der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung bei Rechtsverletzungen beanstanden (§ 70 V 2 SGB IV) - im Gegensatz zu den Haushaltsplänen der Träger der Unfallversicherung, die nur der allgemeinen Rechtsaufsicht unterworfen sind499. Die Haushaltspläne der Renrechtsprechung, FS BSG, Bd. I, S. 185 ff. Vgl. ferner Schnapp, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, FS Unruh, S. 881, 894 ff. 494 Gleitze, in: GK-SGB IV, § 90 Rn. 5; Ruland, in: Besonderes Verwaltungsrecht, S. 667, 759; Hauck!Haines, SGB IV§ 90, Rn. 4. 495 Hierzu H. Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, S. 197 ff. Vgl. die Nachw. unten in Fn. 506 f. 496 BSG, in: SGb 1985, S. 78, 79. Vgl. §§ 6 I HGRG, 7 I BHO. 497 Gleitze, in: GK-SGB IV, § 88 Rn. 2 f. 498 Vgl. zum folgenden Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 25 f.; Hauck/Haines, SGB IV § 70, Rn. I ff., II ff. Die uneinheitliche Ausgestaltung der staatlichen Aufsichts- und Mitwirkungsrechte in den verschiedenen Versicherungszweigen ist schwer verständlich. Hier besteht erheblicher Reforrnbedarf. 499 Für die Haushaltspläne der Unfallkassen der Stadtstaaten gilt ein anderes Verfahren: Sie bedürfen gern. § 70 II a SGB IV der Genehmigung der landesrechtlich zuständigen Stellen.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
339
tenversicherungsträger der Arbeiter und der landwirtschaftlichen Alterskassen kann die Aufsichtsbehörde sogar ggf. im Wege der Zwangsetatisierung aufheben und selbst feststellen,§ 70 III 2, 3 SGB IV. Die Aufsicht über das Haushalts- und Rechnungswesen der Rentenversicherungsträger der Arbeiter und der Träger der landwirtschaftlichen Sozialversicherung geht weit über eine bloße Rechtsaufsicht hinaus500 : Nach § 70 III 2 SGB IV ist eine Beanstandung durch die Aufsichtsbehörde nicht nur wie in der Kranken- und Pflegeversicherung im Falle eines Gesetzesverstoßes oder eines Verstoßes gegen "sonstiges fur den Versicherungsträger maßgebendes Recht" möglich; die Aufsichtsbehörde kann auch einschreiteri, wenn "die Leistungsfähigkeit des V ersiche~gsträgers zur Erfüllung seiner Vetpflichtungen gefährdet wird" 501 . Im Gegensatz zur "klassischen" Rechtsaufsicht ist sie im Rechnungs- und Haushaltswesen hierzu allerdings nicht vetpflichtet. Die Pflicht der Aufsichtsbehörde ist auf eine besonders sorgfältige Prüfung darauf beschränkt, ob sie überhaupt einschreitet502 • In ihren praktischen Auswirkungen kommt die staatliche Aufsicht über die Sozialversicherungsträger einer Zweckmäßgkeitsaufsicht gleich503 .
bb) Efftzienz Gleitze vertritt die Auffassung, eine möglichst efftziente und umfassende Aufsicht würde die Verwaltungstätigkeit der Sozialversicherungsträger in einer vom Gesetz und vom Sinn der Aufsicht nicht geforderten Weise erschweren504. Doch ist nur eine efftziente Aufsicht in ausreichendem Maße in der Lage, die Leistungsfähigkeit der Versicherer sicherzustellen. Dieser Sinn und Zweck des Beanstandungsrechts in der Rentenversicherung der Arbeiter und der landwirtschaftlichen Rentenversicherung ist auch in den anderen Versicherungszweigen zu verfolgen. Das weniger scharf konturierte Beanstandungsrecht in der Kranken- und Pflegeversicherung bzw. die bloße Rechtsaufsicht in der Unfallversicherung erlaubt keine andere Beurteilung. 500
Die Einordnung des § 70 SGB IV ist umstr.: Nach Hauck/Haines, SGB IV § 70,
Rn. 20 a handelt es sich um ein staatliches Mitwirkungsrecht; Schneider, SGb 1991, S.
128 ff. spricht von einem Aufsichtsmittel besonderer Art. Diese systematische Differenzierung ist von geringer praktischer Bedeutung; Bull, VSSR 1977, S. I 13, 131. 501 Das ist über den Gesetzeswortlaut hinaus auch in der Kranken- und Pflegeversicherung möglich. Bull, VSSR 1977, S. 113, 131 vermutet hinter den differenzierten Voraussetzungen, an die das Beanstandungsrecht in § 70 III 2 SGB IV und dem nachträglich eingefUgten § 70 V 2 SGB IV anknüpft, ein Redaktionsversehen. 502 Gleitze, in: GK-SGB IV,§ 70 Rn. 10. 503 Hendler, in: HStR, Bd. IV,§ 106 Rn. 37. 504 Gleitze, in: GK-SGB IV, § 88 Rn. 6.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz fiir die Staatszuschüsse
Inwieweit eine effiZiente Aufsicht den Interessen der Versicherten widersprechen könnte, ist nicht ersichtlichsos. Zwar kollidiert die sich an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 69 II SGB IV) orientierende Rechtsaufsicht bei vordergründiger Betrachtung mit dem Entscheidungsspielraum des Versicherungsträgers, wie er sich aus dessen Selbstverwaltungsrecht ergibt. Deshalb darf die Aufsichtsbehörde nach h.M. in der Literatur erst einschreiten, wenn der Rahmen vernünftigen Verwaltungshandelns überschritten wird. Voraussetzung hierfür ist, daß die fragliche Maßnahme mit den Grundsätzen einer rationellen Verwaltungsfiihrung schlechthin unvereinbar ist506; das soll beispielsweise bei eindeutiger und unzweifelhafter Verschwendung von Beitragsmitteln der Fall sein507 . Das Selbstverwaltungsrecht besteht für die Sozialversicherungsträger aber nicht um seiner selbst Willen. Es soll die soziale Vorsorge der Bevölkerung organisatorisch absichern, um die Erfüllung des sozialstaatliehen Vorsorgeauftrags auf eine von mehreren möglichen Weisen sicherzustellen508 . Das Sozialrecht normiert als Voraussetzung für die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung die staatliche Wahrnehmung der Aufsichts- und Mitwirkungsbefugnisse. Wenn der Staat unter dieser Voraussetzung von seinen Aufsichts- und Mitwirkungsrechten Gebrauch macht, kommt er einer ihm obliegenden Staatsaufgabe nach509• Die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungsträger schränkt die Selbstverwaltung der Sozialversicherung nicht ein, sondern sichert ihren Bestand. Von daher bestehen gegen die im Vergleich zur h.M. deutlich restriktivere Auffassung des BSG keine Bedenken: Wegen des Treuhandauftrages der Sozialversicherungsträger gegenüber ihren beitragzahlenden Mitgliedern wird die Pflicht zu wirtschaftlicher und sparsamer Haushaltsführung durch das Minimalprinzip geprägt. Hieraus folgt das Gebot, bei einer Leistung nicht über das zur Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe notwendige Maß hinauszugehen. Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Maßnahme ist die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung und zwar das folgt aus dem Minimalprinzip- mit dem geringstmöglichen Aufwand510• So ohne nähere Begründung Gleitze, in: GK-SGB IV, § 88 Rn. 6. Hend/er, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 37 m.w.N.; Krause, in: Sozialrechtsprechung, FS BSG, Bd. 1, S. 185, 214 m.w.N. Friauf, DRV 1982, S. 113, 121 und Gleitze, in: GK-SGB IV,§ 89 Rn. 4 ff. sprechen von einer "Einschätzungsprärogative" des Versicherungsträgers. 507 Friauf, DRV 1982, S. 113, 121. 508 Hierzu oben 3. Kapitel 111, IV. 509 Bu/1, VSSR 1977, S. 113, 130. 510 BSG, in: SGb 1985, S. 78, 79 f.; kritisch Seewa/d, in: SGb 1985, S. 51 ff. und Gleitze, in: GK-SGB IV, § 89 Rn. 5 ff. 505
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V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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Im Ergebnis ist jedenfalls eine möglichst effiziente Aufsicht über das Haushalts- und Rechnungswesen zu fordern.
cc) Effektuierung durch Länderzuschüsse Dieser Forderung käme die Anwendung des Art. 104 a I GG auf die mittelbare Staatsverwaltung der Sozialversicherung nach: Die Einführung von Länderzuschüssen würde das Interesse der Aufsichtsbehörde an einer möglichst wirkungsvollen Aufsicht im Sinne des Konnexitätsgrundsatzes erhöhen. Denn das Interesse einer Aufsichtsbehörde nimmt zu, wenn die Gebietskörperschaft, deren Interessen sie wahrnimmt, die Folgen ihres Handelns fmanziell selbst zu spüren bekommt. Solange die Aufsichtsbehörde nicht aus egoistischen Motiven (Sanierung des eigenen Haushalts) tätig wird, sind Kosteneinsparungen die Folge. Das spricht dafür, den Konflikt zwischen sparsamer Haushaltsfiihrung und umfassender Aufgabenerfiillung innerhalb derselben Gebietskörperschaft auszutragen und die Länder zu verpflichten, die Zuschüsse zur Sozialversicherung zu tragen.
(1) Sachausgaben Das Ziel einer solchen Maßnahme ist bei den Sachausgaben am ehesten greifbar: Die Personal- und Verwaltungskosten der Sozialversicherungsträger sind zu hoch. Die Finanzierung dieser Kosten ist zwar gern. Art. 104 a V 1 GG Sache der Länder. Die Vorschrift läuftjedoch-wie ausgefiihrt- im Bereich der Sozialversicherung leer: Da die Bundeszuschüsse die Finanzierungsdefizite der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger pauschal ausgleichen, ist der Bund faktisch auch an der Finanzierung der Verwaltungskosten beteiligt511 . Deshalb besteht für die Landesaufsichtsbehörden nur geringer Anreiz, auf eine sparsame Mittelverwendung in diesem kostenintensiven Bereich bedacht zu sein. Zwar legen präzise bundesrechtliche Vorgaben (bei den Ersatzkassen die Tarifverträge) die Personalkosten in der Sozialversicherung weitgehend fest. Der nicht durchnormierte Teil fallt recht klein aus. Dennoch bleiben genug Bereiche übrig, in denen die Sozialversicherungsträger Entscheidungsfreiheit genießen und nennenswerten Einfluß auf die Höhe der Personalkosten haben. Sie entscheiden beispielsweise über die Eingruppierung ihres Verwaltungspersonals. Den Aufsichtsbehörden steht die Möglichkeit zu, einen unangemessenen Personalaufwand - im Rahmen der eingeschränkten Justiziabilität des unbe-
511
Hierzu oben II 2 a.E., I. Kapitel III 2 a, b; 2. Kapitel I 2; 3. Kapitel III 4 a h aa.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
stimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit - zu beanstanden, wenn das Gebot wirtschaftlicher und sparsamer Haushaltsführung verletzt ist512 . Deutlicher werden die Einsparungsmöglichkeiten bei den Verwaltungskosten: Es bedarf keiner Marmorfassaden, um die Aufgabe der Sozialversicherung zu erfüllen. Die Verwaltungsgebäude der Sozialversicherungsträger sollten durchschnittlichen und zeitgemäßen ästhetischen Anforderungen genügen. Sie müssen hierzu nicht aus demselben kostspieligen Werkstoff erbaut werden, wie einst die Tempel der Antike und heute die - gleichermaßen auch Repräsentationszwecken dienenden- Zentralen deutscher Großbanken513 . Auch die Errichtung von Arbeitsämtern zu Preisen, die den Bau vergleichbarer Gebäude für Banken und Versicherungen um mehr als die Hälfte übersteigen und die Anmietung von Büroräumen zu Quadratmeterpreisen von 70,-- DM/Monat in der Spitzenlage einer mittleren Großstadt sind für die Vermittlung von Arbeitsplätzen nicht unbedingt erforderlich514• Eine efftziente Staatsaufsicht hätte hier weite Betätigungsfelder. (2) Zweckausgaben Aber auch bei den Zweckausgaben könnte die Einführung von Länderzuschüssen zur Sozialversicherung als Folge einer konsequenten Umsetzung des Konnexitätsprinzips des Art. 104 a I GG Kosteneinsparungen ermöglichen. Hierfür bedarf es nicht weiter Ermessensspielräume. Deutlich wird dies beispielsweise bei der Anrechnung rentensteigernder Ausfallzeiten während der Schul-, Fachschul- oder Hochschulausbildung (§§ 58 I Nr. 4, 252 IV SGB VI), deren Anerkennung durch die Rentengemeinschaft fmanziert wird. Hier handelt es sich nach h.M. um sog. versicherungsfremde Leistungen, die der Staat der Rentengemeinschaft zu ersetzen hat. Die Verantwortlichkeit für die Bildungspolitik, die die Ausbildungsdauer beeinflußt, liegt überwiegend bei den Ländern, Art. 30, 70 GG. Allein die einheitliche Streichung des 13. Schuljahres in den alten Bundesländern würde den Finanzbedarf der Sozialversicherung erheblich verringern. Hierfür sind die Länder zuständig. Ähnliches gilt für die Studiendauer, die der Landesgesetzgeber unabhängig von den bundesgesetzliehen Vorgaben im HRG bestimmt. So haben Bayern und Baden-Württemberg den sog. Freischuß vor dem ersten juristischen Staatsexamen, der zu erheblichen Verkürzungen der Studiendauer geführt hat, schon lange vor der bundesgesetzliehen Vorgabe eingeführt. Für die anderen Bundesländer bestand
s12
513
Bu/1, VSSR 1977, S. 113, 133 f. Vgl. Bull, VSSR 1977, S. 113, 134 f.
514 In der Ausgabe Nr. 105 der FAZ vom 6.5.1996 wird aufS. 14 der "Protz und Prunk in den Arbeitsämtern" kritisiert.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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kein fmanzieller Anreiz, schneller zu verfahren. Länderzuschüsse hätten Anlaß zu einer zügigeren Einführung geboten515 . Die bundesgesetzliehen Vorgaben belassen den Sozialversicherungsträgem zahlreiche weitere Handlungsspielräume, die einer staatlichen Aufsicht ein weites Betätigungsfeld eröffnen. So entscheiden die Sozialversicherungsträger über die Ausfiillung unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. Erwerbsfähigkeit) und überwachen den Einzug der Beiträge. Sie entscheiden über die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und den Umgang mit den liquiden Mitteln. Die zügige Reitreibung von Außenständen und die zinsgünstige Anlage kurzfristig verfiigbarer Gelder sind Sache der Versicherungsträger. Weitere Ingerenzen bestehen in der unrichtigen oder irrtümlichen Auslegung von Gesetzen oder Verwaltungsanordnungen, die zu Über- bzw. Unterzahlungen fiihren können516• Auch wenn es sich hierbei um ein allgemeines Risiko staatlicher Verwaltung handelt: Eine wirkungsvolle Rechtsaufsicht könnte hier zumindest in verstärktem Maße einschreiten. Der Bund trägt hierfiir nicht die alleinige Verantwortung. Eine umfassendere Untersuchung der Einsparungsmöglichkeiten, die eine wirkungsvolle Staatsaufsicht über die Sozialversicherung ermöglichen könnte, ist hier nicht möglich. Den hier erst beginnenden praktischen Problemen kann im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht im einzelnen vorgearbeitet werden. Die vorstehenden Beispiele verdeutlichen jedoch, daß nicht nur der Bund wegen seiner Sozialgesetzgebung fiir den Finanzbedarf der Sozialversicherung 515 Wegen des 13. Schuljahres und der Regelstudienzeit von 8-9 Semestern hätte allerdings auch bei einem Länderzuschuß wenig Anreiz zu einer Verkürzung der Studienzeit bestanden, da§ 58 I Nr. 4 SGB VI maximal 7 Jahre nach Vollendung des 16. Lebensjahres rentensteigernd anerkennt. Solange der Gesetzgeber diesen Zeitraum nicht verkürzt, kann eine Verkürzung der Ausbildungzeiten nur zu einer Verringerung der anrechenbaren Ausbildungszeiten fUhren, wenn der Berufseinstieg vor Vollendung des 24. Lebensjahres erfolgt. Deshalb kann nur eine konzertierte Verkürzung der Ausbildungsdauer, die auch vor der Abschaffung des 13. Schuljahres und einer umfassenden Verkürzung der Regelstudienzeiten nicht halt macht, das in der Verkürzung der anrechenbaren Ausbildungszeiten geborgene Einsparungspotential ftir die Konsolidierung der Finanzen der Rentenversicherung verwirklichen. Die Länder entwickeln zugunsten solcher politisch unpopulären Maßnahmen keine Initiative. Hierzu besteht flir sie auch wenig Anlaß, denn nach dem geltenden Recht käme ihnen eine Enlastung der Rentenfinanzen nicht zugute. Eine Übertragung der Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse zur Rentenversicherung auf die Länder könnte dies ändern. Den effizienzsteigemden Auswirkungen dieses Vorschlags stellt sich freilich die intertemporale Komponente der Rentenversicheumg entgegen: Die Einsparungen durch Studienzeitverkür.zungen enstehen erst mit erheblicher Zeitverzögerung. Der wahlbedingt kurzfristig denkende Landesgesetzgeber bekäme die Vorteile seines Handeins nicht unmittelbar zu spüren. 51 6 Holtkotten, in: BK, GG Art. 120, Anm. II 3 b a.E. (S. 13 f.) m.w.N. Weitere Beispiele flir flir den Einfluß der Sozialversicherungsträger auf den Gesetzesvollzug bei Gössl, Die Finanzverfassung der Sozialversicherung, S. 29.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz fUr die Staatszuschüsse
verantwortlich ist. Eine noch so detaillierte Sozialgesetzgebung durch den Bund beläßt den Ländern bei dem Vollzug der Gesetze regelmäßig die Entscheidung über die Tatbestände der zu erbringenden Sozialleistungen - und sei es auch nur mittelbar, wie im Rahmen der beispielhaft angesprochenen Bildungspolitik. Damit sind hinreichende landesrechtliche Ingerenzen auf die Zweckausgaben gegeben, die Einsparungsmöglichkeiten eröffnen könnten. Eine wirkungsvolle staatliche Aufsicht ist insbesondere in der Arbeiterrentenversicherung von erheblicher Bedeutung. Zur Zeit besteht für die Länder wenig Grund, sich über eine Effektuierung ihrer Aufsichtsbefugnisse ernsthaft Gedanken zu machen. "Am wenigsten kümmert sich die Aufsicht über die Landesversicherungsanstalten, die den Ländern zusteht, um die Frage, woher die Geldmittel kommen, die zur Rentenzahlung benötigt werden" 517• Die Länder bekommen die Folgen unzureichender Aufsichtsführung nicht zu spüren. Beitragszahler, Bund und BfA, die selber Zuschüsse des Bundes erhält, füllen die Schwankungsreserve der Landesversicherungsanstalten jährlich bis zur Mindesthöhe wieder auf. "Die Landesversicherungsanstalten können soviel ausgeben wie sie für nötig halten, die Rücklage fiillt sich jährlich wieder auf die Mindesthöhe auf- wie im Märchen! (...)Weil die Rücklage als letztes Glied nie ein Defizit aufweist, brauchen die Landesversicherungsanstalten die Folgen ihrer Einnahmen- und Ausgabengestaltung nie zu tragen" 518 . Da die Länder die Folgen einer unzureichenden Nutzung ihres Kontrollinstrumentariums gegenwärtig mangels ihrer eigenen fmanziellen Beteiligung nicht zu spüren bekommen, besteht für sie wenig Anreiz zur Effektuierung ihrer Kontrollmöglichkeiten. Wenn sie die Zuschüsse an die Landesversicherungsanstalten selbst tragen müßten, wäre dies anders. dd) Systemwidrigkeit der Bundeszuschüsse- Fehlender Bundeseinfluß? Bundeszuschüsse erscheinen demgegenüber wegen der fehlenden Finanzund Fachaufsicht des Bundes über die Sozialversicherungsträger der Länder systemwidrig, da der Bund im Gegensatz zu den Ländern gegenüber den landesmittelbaren Sozialversicherungsträgem nicht über ausreichende Instrumente zur Vermeidung von Defiziten verfiigt. Nach verbreiteter Auffassung hat er auf das Ausgabeverhalten dieser Versicherungsträger sogar überhaupt keinen Einfluß5 19.
517 Schewe, SF 1994, S. 163, 168. 518 Schewe, SF 1994, S. 163, 167. 519 Als Argument gegen eine Bundesgarantie angefUhrt in BT-Drucks. VIII/166, S. 30; vgl. Bieback, VSSR 1993, S. I, 32 f. Vgl. auch BT-Drucks. VIII/557, S. 8 f. Tz. 18; hierzu Bieback, VSSR 1993, S. I, II.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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Dieser Einwand ist nach Bieback immanent begrenzt auf Defizite, die auf Fehlern der Verwaltung beruhen, was sich aus der Abgrenzung von Art. 104 a V GG und Art. 120 I 4 GG ergebe. Wo der Zuschußbedarf allein durch eine nicht ordnungsgemäße Verwaltung landesmittelbarer Versicherungsträger entsteht, seien die Länder gern. Art. 104 a V GG ohnehin zuschußpflichtig. Außerdem habe der Bund durch die Sozialgesetzgebung genug Möglichkeiten zur Deftzitvermeidung520. Beides triffi jedoch nur bedingt zu: Da der Bund seine Zuschüsse mangels getrennter Bilanzierung faktisch auch zu den Verwaltungskosten zahlt521 , tragen die Länder die durch ordnungswidriges Verwaltungshandeln enstandenen DefiZite jedenfalls nicht allein. Außerdem ist nicht ersichtlich, wie der Bund einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Sozialversicherungsträger der Länder durch seine Gesetzgebung wirkungsvoll entgegentreten kann. Im übrigen ist es nicht richtig, daß der Bund das Finanzverhalten der Sozialversicherungsträger in keiner Weise beeinflussen kann.
b) Externe Kontrolle durch den Bundesrechnungshof Da die Zuschüsse zur Sozialversicherung aus dem Bundeshaushalt stammen, besteht ein verwaltungspolitisches Bedürfnis nach einer Kontrolle durch den Bundesrechnungshof. Diesem Bedürfnis tragen entsprechende Regelungen in der Bundeshaushaltsordnung und im Haushaltsgrundsätzegesetz Rechnung. Danach kann der Bundesrechnungshof die Haushalts- und Wirtschaftsführung der bundes- und landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger kontrollieren. Die Kontrolle durch den Bundesrechnungshof tritt selbständig neben die Kontrolle durch die jeweils zuständigen Bundes- oder Landesaufsichtsbehörden, die ihrerseits der Prüfung nach §§ 88 ff BHO unterliegen. Der Rechnungshof betätigt sich als "unabhängiges Organ staatlicher Finanzkontrolle aus eigenem Recht" nicht nur zum Zwecke der Exekutive, sondern gleichermaßen im Interesse der Legislative. Seine Kontrolle geht weit über eine bloße Rechtsaufsicht hinaus und erfaßt auch Fragen der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit522. Sie ist in der Unfallversicherung von besonderer Bedeutung, um in diesem Versicherungzweig die schwächeren Kontrollmöglichkeiten der Landesaufsichtsbehörden zu kompensieren. Die externe Kontrolle der Sozialversicherungsträger ist fragwürdig.
520 Bieback, VSSR 1993, S. I, 33. 521 Vgl. oben II 2 a.E., I. Kapitellll 2 a, b; 2. Kapitel I 2; 3. Kapitel III 4 a, h aa. 522 Vgl. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § III BHO Rn. I, Art. 114 GG Rn. 29.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
aa) Kontrollkompetenz gern. Art. 114 II 1, 2 GG? Die Literatur leitet eine verfassungsrechtlich zwingend vorgeschriebene Kontrollkompetenz des Bundesrechnungshofs z.T. aus Art. 114 II 1, 2 GG her. Sie soll nicht nur das Ausgabeverhalten der Bundesverwaltung bei der Vergabe der Mittel erfassen, sondern auch das Finanzgebaren der Länder bei ihrer Verausgabung. Aus dem Wortlaut des Art. 114 II 1 GG ergibt sich fiir den Bundesrechnungshof jedoch nur eine Kontrollkompetenz fiir die Rechnungsführung des Bundes. Das entspricht dem Gesamtzusammenhang der Art. 110 bis 115 GG, die sich ausschließlich mit der Haushaltswirtschaft des Bundes befassen. Ein Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofs fiir das Finanzverhalten der Länder kollidiert mit ihrer durch Art. 109 I GG festgeschriebenen haushaltswirtschaftlichen Selbständigkeit. Mit der Überantwortung der Gelder in den Verantwortungshereich der Länder endet die Finanzverantwortung des Bundes und es beginnt die der Länder. Der Kontrollauftrag des Bundesrechnungshofs erfaßt nur das Ausgabeverhalten bei der Vergabe der Zuschüsse, also das V erhalten des Bundes, nicht aber das Finanzgebaren der Länder bei der Verausgabung der in ihren Machtbereich gelangten Bundesmittel. "Die bloße Herkunft der Gelder fiihrt nicht zu einer bundesstaatliche Prinzipien negierende Kontrollkompetenz des Bundesrechnungshofs". Es bleibt nur das "Residualinteresse des Bundes nach einer Kontrolle zur eventuellen Rückforderung bei zweckwidriger Verwendung"523. Eine Kontrolle der Zuschüsse auf ihre Erfolgswirksamkeit durch den Bund beeinträchtigt die Selbständigkeit der Länder und stellt das Bundesstaatsprinzip in Frage, das Art. 109 I GG fmanzverfassungsrechtlich fiir die Haushaltswirtschaft gewährleistet524. Aus der abwägenden Herstellung von Konkordanz zwischen Art. 114 II GG einerseits und Art. 20, 28, 109 I GG andererseits ergibt sich die Begrenzung des verfassungsrechtlichen Kontrollauftrags des Bundesrechnungshofs auf Bundesorgane525 . Das ist der verfassungsrechtliche Befund. Die Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft und Finanzkontrolle grundsätzlich frei. Die notwendige Harmonisierung erfolgt erst durch das in Ausführung des Art. 109 III GG erlassene Haushaltsgrundsätzegesetz. Es setzt die verfassungsrechtliche Beschränkung des Kontrollauftrags des Bundesrechnungshofs außer Kraft. 523 F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369,372. 524 F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369, 372; hieraufhat schon früh hingewiesen Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 199 mit Fn. 13. 525 F. Kirchhof. DRV 1992, S. 369, 373.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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bb) Kontrollkompetenz gern.§ 55 I HGrG Die§§ 112 I, 111 I BHO füllen die Lücke aus der fehlenden sozialversicherungsrechtlichen Regelung einer Finanzkontrolle der Sozialversicherungsträger nicht vollständig aus: Sie regeln nur fiir die meisten bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger eine Kontrolle durch den Bundesrechnungshof nach Maßgabe des sozialversicherungsrechtlichen Haushaltsverfahrens, wenn sie staatliche Zuschüsse erhalten, "oder eine Garantieverpflichtung des Bundes gesetzlich begründet ist"526. Demgegenüber sehen die Landeshaushaltsordnungen keine Prüfung der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger durch die Landesrechnungshöfe vor, wenn der Bund ihnen Zuschüsse zahlt. Nur wenn die Länder Zuschüsse leisten oder eine einfachgesetzliche Garantiepflicht der Länder besteht, sieht das Landesrecht gern. §§ 112 der Landeshaushaltsordnungen527 in der Regel eine Kontrolle durch den jeweiligen Landesrechnungshof vor. Da die Länder jedoch keine Zuschüsse zur Sozialversicherung zahlen und es auch keine Landesgarantien fiir die Sozialversicherung gibt, haben diese Vorschriften keinen Anwendungsbereich. Eine Kontrolle der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger durch die Landesrechnungshöfe fmdet nicht statt. Die hierdurch in der Finanzkontrolle der Sozialversicherung entstandene Lücke schließt die praktische Umsetzung des fiir sich schon problematischen §55 I I HGrG auf eine fiir den Bundesstaat prekäre Weise: Nach dieser Vorschrift karm der Bundesrechnungshof wegen der Zuschüsse und der Garantieverpflichtung des Bundes die Haushalts- und Wirtschaftsführung der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger kontrollieren528 . Sie hat folgenden Wortlaut:
526 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 112 BHO Rn. 1 f. Die Sozialversicherungsträger sind damit gegenüber anderen bundes- und landesunmittelbaren juristischen Personen privilegiert, da jene in jedem Fall - also nicht nur bei Erhalt staatlicher Zuschüsse - der Kontrolle durch den zuständigen Rechnungshof unterliegen. Die Kontrollbefugnis besteht für die meisten Sozialversicherungsträger unabhängig von der Zahlung staatlicher Zuschüsse, da das bloße Bestehen einer gesetzlich geregelten Bundesgarantie wegen der hieraus latent vorhandenen Zahlungspflicht ftir die Begründung einer Kontrollbefugnis ausreicht und das Sozialrecht ftir die meisten Zweige der Sozialversicherung eine Garantiepflicht normiert. Auf die Inanspruchnahme aus dieser Garantie kommt es für die Kontrollbefugnis deshalb nicht an. Die Kontrolle der BA erfolgt nicht nach den sozialversicherungsrechtlichen Haushaltsvorschriften, sondern gern. §§ 111 I BHO i.V.m. 223 AFG nach den sinngemäß auf sie anzuwendenden Haushaltsvorschriften des Bundes. 527 Vgl. die Übersicht bei Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, C/112/1. 528 Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 111 BHO Rn 7; Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, C/105/02 f., 112/6.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
"Erhält eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die nicht Gebietskörperschaft, Gemeindeverband, Zusammenschluß von Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbänden oder Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts (...) ist, vom Bund oder einem Land Zuschüsse, die dem Grund oder der Höhe nach gesetzlich begründet sind, oder ist eine Garantieverpflichtung des Bundes oder eines Landes gesetzlich begründet, so prüft der Rechnungshof des Bundes oder des Landes die Haushalts- und Wirtschaftsführung der juristischen Person." Entgegen dem grundgesetzliehen Trennungsgebot regelt die Vorschrift eine haushaltswirtschaftliche Überschneidung der bundesstaatliehen Ebenen. Das allein ist bundesstaatlich bedenklich. Mangels weiterer Vorschriften zur Ausgestaltung der Prüfungskompetenz des Bundesrechungshofs im Haushaltsgrundsätzegesetz will F. Kirchhof die §§ 89 bis 99 und 102 f. BHO, die gern. § 88 I BHO fiir die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsfiihrung der unmittelbaren Staatsverwaltung gelten und gern. §§ 112 I, 111 I 2 BHO entsprechend fiir die Überprüfung der bundesunmittelbaren Sozialsversicherungsträger anzuwenden sind, auf die durch § 55 I HGrG ermöglichte Kontrolle der Landessozialversicherungsträger durch den Bundesrechnungshof in analoger Weise anwenden529. Hierdurch würde der Bundesrechnungshof gegenüber den landesunmittelbaren Sozialversicherungsträgern mit derselben weit über eine bloße Rechtsaufsicht hinausreichenden Prüfungskompetenz ausgestattet, wie sie ihm gegenüber den bundesunmittelbaren Versicherungsträgem gern.§§ 112 I, 111 I BHO zusteht. Diese Gleichstellung kollidiert mit dem Bundesstaatsprinzip. Eine entsprechende Anwendung der bundeshaushaltsrechtlichen Vorschriften gegenüber mittelbaren Landesbehörden widerspricht der Grundwertung des Haushaltsrechts530. Während sich die Kontrollbefugnis des Bundesrechnungshofs gegenüber den bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträgem gern. §§ 112 I, 111 I BHO nicht wie in§ 55 I HGrG auf die Verwendung der Zuschüsse oder die Aktualisierung einer Einstandsgarantie beschränkt, sondern eine weitreichende, das gesamte Finanzgebaren der bundesunmittelbaren Versicherungsträger erfassende Prüfung ermöglicht 531 , schränkt das Bundesstaatsprinzip die Kontrollbefugnisse des Bundesrechnungshofs gegenüber den landesunmittelbaren Sozialversicherungsträgem ein. Hier kommt allenfalls eine Kontrolle der Verwendung der Bundeszuschüsse in Frage, nicht aber eine Überprüfung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsfiihrung des jeweiligen Sozialversicherungsträgers. Eigentlich müßten die Landesrechnungshöfe die erforderlichen Prüfungen vornehmen. 529 F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369,384. 530 A.A. F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369, 384. 531 Piduch, Bundeshausha1tsrecht, § 112 BHO Rn. 2; F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369,382 f.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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Das Landesrecht sieht solche Prüfungen jedoch nicht vor. Die Bundeszuschüsse begründen verwaltungspolitisch zwar ein gesteigertes Kontrollbedürfnis und -interesse des Bundes und ein Bedürfnis nach Ausweitung der Kontrollbefugnis des Bundesrechnungshofes. Art. 114 II 3 GG ermöglicht für einen solchen Fall die Konkretisierung und Ergänzung des in Art. 114 II 1 und 2 GG umschriebenen Aufgabenbereichs des Bundesrechnungshofs durch einfaches Bundesgesetz532 . Das V erfassungsrecht stellt sich damit einer Ausweitung der Kontrollbefugnisse des Bundesrechnungshofs nicht prinzipiell entgegen.
§55 I HGrG kann eine Prüfungskompetenz des Bundesrechnungshofs aber nur innerhalb des durch Art. 114 II 1 und 2 GG und die übrige Verfassung gezeichneten Rahmens begründen. Die Befugnis des Bundesrechnungshofs ergibt sich aus dem einfachen Recht, das sich zwar seinerseits auf Art. 114 II 3 GG stützt, nicht aber aus einem unmittelbaren Verfassungsauftrag, wie ihn die Art. 114 II 1 und 2 GG dem Bundesrechnungshof erteilen533. Das Grundgesetz setzt der einfachgesetzlichen Kontrollbefugnis des Bundesrechnungshofs Schranken: zunächst durch die verfassungsrechtlich festgeschriebene Eigenständigkeit der Länder und zusätzlich durch die gleichfalls verfassungsrechtlich in Art. 87 II GG zumindest organisatorisch vorgesehene Staatsdistanzierung der mittelbaren Staatsverwaltung der Sozialversicherung. Sie stellt sich einer staatlichen Finanzkontrolle zwar nicht prinzipiell entgegen534, begrenzt aber die Kontrolle des Bundesrechnungshofs über die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger, gilt deshalb genauso für die landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger und sorgt in Verbindung mit dem Bundesstaatsprinzip für eine zusätzliche Beschränkung externer Kontrollen535 . Das sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für ein Gesetz nach Art. 114 II 3 GG und dessen Umsetzung. Die Ausweitung der Kontrollbefugnisse des Bundesrechnungshofs nach § 55 I HGrG wird dem in doppelter Weise nicht gerecht: Zum einen begründet sie für eine staatliche Behörde weitreichende Prüfungskompetenz über mittelbar staatliche Institutionen; zum anderen erstreckt sich diese Prüfungskompetenz über die bundesstaatliehen Grenzen hinweg von einer Bundesbehörde auf zur Landesverwaltung zählende Körperschaften. Im Bereich der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung ist eine Art Verwaltungskondominium von Bund und Ländern enstanden536 .
532 Fischer-Menshausen, in: vM, GGK, Bd. 3, Art. 114 Rn. II a. 533 Vgl. F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369, 374. 534 BSGE 52, 294; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 112 BHO Rn. 2. 535 Vgl. F. Kirchhof, DRV 1992, S. 369, 377. 536 Vgl. schon Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahnehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 199.
350
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
Erstaunlich ist, daß F. Kirchhof aus seiner Addition der "distanzierenden Faktoren der Eigenständigkeit der Länder und der Autonomie der mittelbaren Verwaltung zulasten der Befugnisse einer externen Finanzkontrolle"537 keine Konsequenzen zieht, sondern die Kontrollbefugnisse des Bundesrechnungshofs gegenüber bundes- wie landesunmittelbaren Sozialversicherungsträgem einander gleichstellt. Seiner Meinung nach können die verfassungsrechtlichen Schranken, die Art. 20, 28 und 109 I GG der Kontrollbefugnis des Bundesrechnungshofs nach Art. 114 II 1 und 2 GG setzen, bedenkenlos durch Satz 3 derselben Vorschrift außer Kraft gesetzt werden, wenn nur ein hinreichendes Kontrollbedürfnis des Bundes besteht. Die Rechtfertigung des weitreichenden Prüfungsrechts des Bundesrechungshofs gegenüber den landesunmittelbaren Sozialversicherungsträgem durch die Literatur ist überdies widersprüchlich: Das Prüfungsrecht wird auch damit begründet, daß die Zuschüsse zur Erfiillung der eigenen Aufgaben der Zuschußempfanger dienen. Deshalb müsse der Bundesrechnungshof auch das Recht haben, die Haushalts- und Wirtschaftsführung umfassend zu prüfen, um feststellen zu können, ob und inwieweit das Finanzverhalten der Sozialversicherungsträger die Zahlung der Zuschüsse rechtfertige538 . Die Zahlung der Zuschüsse erfolgt aber nach der derzeitigen Staatspraxis und nach ihrer Rechtfertigung durch die h.L. nicht zu den eigenen Aufgaben der Sozialversicherungsträger, sondern kompensiert die Erfiillung fremder Aufgaben. Die extensive Anwendung des§ 55 I HGrG ist mehr noch als die Vorschrift selbst ein unzureichender Notbehelf auf der Suche nach einem wirksamen Kontrollinstrument zur staatlichen Überprüfung des Finanzgebarens der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger. Ob ein solches Kontrollinstrument überhaupt erforderlich ist, ist jedoch zweifelhaft. Immerhin haben die Länder in allen Bundesländern umfangreiche Aufsichtsbefugnisse, die eine wirksame Kontrolle der Sozialversicherungsträger ermöglichen. Bemerkenswert ist, daß die Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger zwar die Aufsichtsbefugnisse der zuständigen Landesbehörden beschränken soll, nicht aber die durch §55 I HGrG eröffneten Kontrollmöglichkeiten durch die Bundesbehörde Bundesrechnungshof. Der Weg zu der verwaltungspolitisch erwünschten Kontrolle der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger fuhrt nicht zwingend über die unsichere Brücke einer analogen Anwendung der §§ 112 I, 111 I 2 BHO. Die vorgeschlagene Einführung von Länderzuschüssen würde das verwaltungspolitische Kontrollbedürfnis des Bundes entfallen lassen. An seine Stelle träte ein Kontrollbedüfnis der zuschußpflichtigen Länder. Für sie sehen die§§ 112 der LanKirchhof, DRY 1992, S. 369, 377. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 111 BHO Rn. 8.
537 F. 538
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
351
deshaushaltsordnungen eine Kontrolle durch die Landesrechnungshöfe vor, wenn die Länder Zuschüsse zahlen. Die derzeit leerlaufenden landesrechtliehen Vorschriften bekämen einen breiten Anwendungsbereich. c) Pauschales Erstattungsverfahren Nach dem Befund des 3. Kapitels dieser Untersuchung ist der staatlichen Finanzverantwortung fiir die Sozialversicherung im Wege des Einzelerstattungsverfahrens nachzukommen539 . Gern. Art. 104 a I GG müßte der Bund die ErstaUungen an die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger fmanzieren; die Länder trügen die Erstattungen an die landesunmittelbaren Versicherungsträger. Dieser aus juristischer Sicht zwingende Verteilungsmodus erscheint nur schwer praktikabel: Die bisherigen Ausführungen zur praktischen Umsetzung des abgabenrechtlichen Konzepts haben gezeigt, daß die jeweilige Bestimmung der versicherungsfremdnützigen Leistungen problematisch ist und die erzielten Ergebnisse häufig Zweifel offen lassen. Eine Aufteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung ist nicht immer möglich. Auch bietet das Einzelerstattungsverfahren für die Sozialversicherungsträger keinen Ameiz zu einer sparsamen Bewirtschaftung der ihnen zugeteilten Mittel. Sie könnten bei der Ausführung von Aufgaben, deren Vorteile nicht den Sozialversicherten, sondern Bund oder Ländern zufließen, stets mit einer Erstattung ihrer Aufwendungen rechnen. Bund und Länder wären gleichermaßen kaum an einer Effektuierung ihrer Aufsicht interessiert. Die Vielzahl der Einzelerstattungen würde überdies einen umfangreichen Zahlungsverkehr erfordern. Um dem zu erwartenden Gewirr einer Vielzahl von Einzelerstattungen zu entgehen und die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der versicherungsfremdnützigen Leistungen im Einzelfall zu vermeiden, ist eine pauschale Aufteilung der Finanzverantwortung für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung sinnvoller. Fischer-Menshausen räumt in einem jüngeren Beitrag540 ein, eine Abweichung vom Konnexitätsprinzip zur Vermeidung umständlicher horizontaler Ausgleichregelungen könne sich im Einzelfall anbieten, wenn der Bund den Ländern größere Ausgaben von überregionaler Bedeutung abnimmt - hierbei hat er augenscheinlich auch die Sozialversicherung im Visier. In einem solchen Fall hält er eine Interessenquotenbeteiligung der Länder an den vom Bund finanzierten Aufgaben für geeignet, um dem erhöhten Aufwand aus der Divergenz zwischen Aufgaben- und Ausgabenverantwortung entgegenzusteuern.
539
Vgl. oben 3. Kapitel III 4 c.
°Fischer-Menshausen, in: HdWW, Bd. 2, S. 636, 644 f.
54
352
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
Die Interessenquote ist jedoch kein Allheilmittel. Zwar weckt sie das Eigeninteresse eines Landes an einer sparsamen Mittelbewirtschaftung. Doch muß es seinen Anteil auch zahlen, wenn es besonders ordnungsgemäß und sparsam wirtschaftet. Die Verringerung der absoluten Höhe seines Anteils liefert zwar einen erheblichen Anreiz ftir die Effektuierung der Haushaltswirtschaft541 , doch bietet ein Verfahren, das die Vorteile aus einer sparsamen Haushaltswirtschaft in vollem Umfang und nicht nur anteilig an die Länder weiterleitet, eher Anlaß zu sparsamer Mittelverwendung. Außerdem würde eine nur quotale Beteiligung der Länder mit Art. 104 a I GG kollidieren: Wenn Art. 104 a I GG die Länder zur Lastentragung verpflichtet, verpflichtet er sie hierzu in vollem Umfang542. Alternativ schlägt Fischer-Menshausen als weitere Möglichkeit ein "pauschales Abgeltungssystem" vor, "das den Vollzugsbehörden die Selbständigkeit des Mitteleinsatzes im einzelnen beläßt(...) und zugleich den mit der Einzelabrechnung verbundenen Prüfungs- und Verwaltungsaufwand erübrigt"543 . Voraussetzung fiir eine pauschale Aufteilung der Finanzverantwortung wäre die einmalige Festsetzung von Pauschbeträgen. Diese Festsetzung müßte auf Grundlage des abgabenrechtlichen Konzepts erfolgen. Wo die Höhe der versicherungsfremdnützigen Leistungen nicht hinreichend sicher bestimmt werden kann, wären Schätzungen vorzunehmen. Die auf dieser Grundlage einmal festgesetzten Pauschbeträge wären sodann in festzusetzenden Perioden zu überprüfen. Wenn der Bundesgesetzgeber der Sozialversicherung neue Leistungen auferlegt, oder der Landesgesetzgeber deren Leistungsmodalitäten mittelbar beeinflußt, wäre eine außerordentliche Überprüfung der Pauschbeträge und ggf. deren Ergänzung vorzunehmen - bei der vorgeschlagenen Einfiihrung des Wicksell'schen Abstimmungsverfahren544 wäre eine Überprüfung obsolet. Das pauschale Erstattungsverfahren böte gegenüber einzelfallorientierten Erstattungen über die Vereinfachung des Zahlungsverkehrs hinaus verschiedene Vorteile: Die Höhe der Erstattungen wäre unabhängig von dem Verhalten der mittelverwaltenden Sozialversicherungsträger. Für sie bestürlde ein hoher Anreiz zu einer sparsamen Mittelverwendung, da die Erstattungsbeträge durch Bund und Länder in jedem Fall feststürlden und ihnen der Vorteil aus jeder getätigten Einsparung unmittelbar zufließen würde545 . Bund und Länder wären in vergleichbarer Weise an einer effiZienten Ausübung ihrer Aufsichtsrechte und Ingerenzbefugnisse gegenüber den Sozialversicherungsträgem interessiert.
541 Das übersieht Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 33 f. 542 Vor Normierung des Art. 104 a I GG hat das BVerfG in E 9, 305 (330) Interessenquoten ftir verfassungsgemäß gehalten. 543 Vgl. hierzu auch Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 33 f. m.w.N. 544 Vgl. oben 3. Kapitel III 4 f. 545 Vgl. Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 33 f.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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Zwar stünden die von ihnen zu zahlenden Pauschbeträge fest. Erfolgte deren periodische Angleichung jedoch im nachhinein, bestünde fiir die Länder Anlaß genug, ihre Einwirkungsmöglichkeiten auf das Finanzgebaren der Sozialversicherungsträger umfangreich zu nutzen, um ihre künftigen Belastungen so niedrig wie möglich zu halten. Das pauschalisierte Erstattungsverfahren vereinigt die Vorteile einer interessenquotalen Beteiligung mit jenen des einzelfallorientierten Erstattungsverfahrens unter gleichzeitiger Vermeidung der mit diesen beiden Formen der Lastentragung einhergehenden Nachteile. Das pauschalisierte Erstattungsverfahren ist fiir den Finanzausgleich zwischen Staat und Sozialversicherung der adäquate Finanzierungsmodus. d) Zwischenergebnis
Das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG kann seine verwaltungsökonomische Funktion auch in der mittelbaren Staatsverwaltung der Sozialversicherung wirksam entfalten. Wenn die Länder die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung fmanzieren müßten, bestünde fiir ihre Aufsichtsbehörden ausreichender Anreiz, das fmanzwirksame Verhalten der landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger zu überprüfen, um eine Senkung der Staatsquote zu erreichen. Die schmalen Ermessensspielräume des Sozialversicherungsrechts schränken das Betätigungsfeld einer solchen Aufsicht im Bereich der Leistungsverwaltung zwar ein. Doch entscheiden die Sozialversicherungsträger über den Tatbestand des Leistungfalls. Außerdem liegt die Finanzmisere der Sozialversicherung nicht allein in dem zu hohen Leistungsniveau begründet. Die kostenintensiven Sachausgaben sind einer Prüfung durch die Aufsichtsbehörden zugänglich. Überdies können die Länder durch ihre politischen Grundentscheidungen mittelbar den Tatbestand des Leistungsfalls beeinflussen. Länderzuschüsse zur Sozialversicherung würden sie fiir die Folgen ihres politischen Handeins finanziell zur Verantwortung ziehen. 2. Finanzwissenschaftliche Funktion
Die Einfiihrung von Länderzuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung entspricht auch jüngeren fmanzwissenschaftlichen Forderungen. Die Finanzwissenschaft verteilt die Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung nach dem fiskalischen Äquivalenzprinzip und empfiehlt auf dessen Grundlage Finanzausgleichszahlungen an die Träger der Sozialversicherung, wenn das Kollektiv des jeweiligen Sozialversicherungszweigs durch seine Leistungen den Staat entlastet546. Das wurde bereits im 3. Kapitel der Unter23 Kranz
354
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz flir die Staatszuschüsse
suchung erläutert. Die Finanzwissenschaft weist die daraus resultierende Zahlungspflicht aber- das hat das vorangegangene Kapitel noch "unterschlagen"nicht undifferenziert dem Zentralstaat zu. Sie fragt funktional danach, welchem Kollektiv - im übertragenen Sinne: welcher Gebietskörperschaft - Aufgaben und Ausgaben zuzurechnen sind547. Auf Grundlage des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz empfiehlt Mackscheidt Finanzausgleichszahlungen der Länder an die Träger der Rentenversicherung, um eine Internalisierung der für die Länder positiven externen Effekte zu erzielen548 . Die Finanzierung der anrechenbaren rentensteigemden Ausfallzeiten durch die Rentenversicherung ist wegen der landesrechtliehen Ingerenzen auf die Ausbildungsdauer aus fmanzwissenschaftlicher Sicht durch die Länder und nicht durch den Bund vorzunehmen549. Aus der Ausfallzeitenregelung erwächst den Ländern ein positiver externer Effekt: Die Rentenversicherung übernimmt staatliche Verantwortung, indem sie während der Ausbildungszeit die sozialen Risiken Alter und Invalidität abdeckt. Ein Landeszuschuß wäre dessen Intemalisierung550. Die Länder müßten "ihren" Rentenversicherungsträgem die Beitragsanteile ersetzen, die auf die jeweiligen ausbildungsbedingten Anrechnungszeiten entfallen. Im einzelnen ist an diesem Vorschlag vieles fragwürdig: Die Länder werden durch die Folgen ihrer Bildungspolitik erst in ferner Zukunft belastet. Die zeitverzögerte Fälligkeit der Rentenansprüche führt bei Konstanz der regulären Altersgrenze flir den rentenrechtlichen Leistungsfall von 65 Jahren und der maximalen Anrechnungszeit flir Ausbildungszeiten bis zu einem Alter von 25 Jahren erst in frühestens 40 Jahren zu einer Belastung der Länderhaushalte. Der Vorschlag kann seine ausgabensenkende Wirkung erst langfristig entfalten. Doch das liegt in der Natur jeder intertemporalen sozialen Vorsorge begründet. Die Zeitverzögerung widerspricht keinesfalls ökonomischem Kalkül, sondern fordert es vielmehr gerade wegen der erforderlichen langfristigen Planung gegenüber dem stets kurzfristigen politischen Denken im politischen Entscheidungsprozeß in besonderer Weise heraus. Problematisch ist auch der nicht unerhebliche zusätzliche Verwaltungsaufwand, der die fiskalische Ergiebigkeit des Vorschlags jedenfalls teilweise konterkarieren würde.
546 Vgl. zum Ganzen oben 3. Kapitel III 4 e. 547 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 194. 548 Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 194 ff., der sein Gutachten mit diesem Vorschlag abschließt. 549 Die Anrechnungszeiten sind nach dem abgabenrechtlichen Konzept keine versicherungsfremdnützige Leistung. Der Staat ist nicht dazu verpflichtet, der Sozialversicherung ihre Finanzierung abzunehmen; hierzu oben 3. Kapitel III 3, 4. 550 Vgl. Mackscheidt, in: Langfristige Probleme der Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, S. 143, 195.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
355
Zentrale Zuschüsse sind in der Regel leichter zu steuern und zu verteilen als die vorgeschlagenen dezentralen Zuschüsse der Länder, die es quotal zu verteilen gälte. Ein weiteres Beispiel liefert die Rente nach Mindesteinkommen, die die Gemeinden als Träger der Sozialhilfe entlastet. Da der umfassendere fmanzwissenschaftliche Begriff des Föderalismus die Gemeinden neben Bund und Ländern als dritte Ebene der Staatlichkeit einschließt551 , sind die Gemeinden aus fmanzwissenschaftlicher Sicht als Hauptbegünstigte zum Finanzausgleich verpflichtet. Da die Gemeinden verfassungsrechtlich Teil der Länder sind, ist die fmanzwissenschaftliche Forderung staatsrechtlich korrigiert gegen die Länder zu richten. Auch aus fmanzwissenschaftlicher Sicht sind die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung in ihrer derzeitigen Form höchst bedenklich. Sie bedürften der Ergänzung um Zuschüsse der Länder. All dies bleibt freilich Stückwerk. Der Grundgedanke des fiskalischen Äquivalenzprinzips fordert in seiner letzten Konsequenz eine Eigenbeteiligung aller Mitarbeiter der Sozialversicherungsträger, deren Verhalten in irgendeiner Weise finanzwirksame Relevanz entfaltet. Nur über deren eigene finanzielle Verantwortlichkeit ließe sich der aus einer Eigenbeteiligung resultierende Anreiz zu sparsamem Verhalten wirklich durchsetzen. Solange der entscheidende Mitarbeiter die Folgen seines Handeins finanziell nur mittelbar zu verantworten hat, solange seine Entscheidungen nur einen Etat schmälern, der - wenn überhaupt - seinen eigenen Handlungsspielraum bei seiner beruflichen Tätigkeit einschränkt, solange wird er Anreiz zur Sparsamkeit nur in eventueller beruflicher Anerkennung finden. Wenn diese Anerkennung sich in flir ihn kalkulierbarer Weise in Geld ausdrücken würde und in proportionalem Verhältnis zu den durch sein Verhalten erzielten Einsparungen stünde, wäre sein sparsames Handeln mehr als bisher gesichert. Tantieme flir Sozialversicherungsangestellte und -beamte sind zur Zeit aber praktisch kaum durchsetzbar.
3. Bundesstaatssichernde Funktion Die vorgeschlagene Einfiihrung von Länderzuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung würde die Haushalte der Länder in erheblichem Maße belasten. Wenn den Ländern für die Zuschüsse nicht ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, darf der Bund aber nicht kompetenzwidrig durch Zuschüsse für Liquidität sorgen. Will er die Länder fmanziell besser stellen, kann er hierfür
551 Nowotny, Der öffentliche Sektor, S. 91 Fn. I m.w.N.; Thöni, Politökonomische Theorie des Föderalismus, S. 33 f. Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, schlug einen dreigliedrigen Aufbau der staatlichen Finanzstruktur entsprechend dem finanzwissenschaftlichen Modell vor. Der Parlamentarische Rat befaßte sich zwar mit diesem Vorschlag, durchsetzen konnte er sich aber nicht; vgl. hierzu m.w.N. Weber, Gemeinden und Landkreise als Garantieträger gesetzlicher Krankenkassen, S. 90 f.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
durch die Sozialgesetzgebung sorgen, indem er beispielsweise Beiträge erhöht oder Leistungen senkt. a) "Konnexitäts-" und Kongruenzprinzip
Anderenfalls muß der Bund die Länder aus seiner umfassenden Gesetzgebungskompetenz und fmanziellen Gesamtverantwortung heraus fmanziell so ausstatten, daß sie ihrer Finanzverantwortung auch gerecht werden können. Hierzu ist eine Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern vorzunehmen. Das kann im Wege einer Verfassungsänderung erfolgen (Art. 106 I, II, III 1 und 2 GG). Dieser Weg böte sich wegen des Volumens der Neuverteilung an. Einfacher wäre eine bundesgesetzliche Änderung der Umsatzsteuerverteilung nach Art. 106 III 3, 4, IV 1 GG552 • Aufbeiden Wegen gewännen die Länder das zurück, was sich der Bund bislang bei der Verteilung der gesamtstaatlich verfiigbaren Finanzmasse auf Kosten der Länder reserviert hat553 . Allein in den verfassungsrechtlich vorgesehenen Bahnen für die Verteilung des bundesstaatliehen Finanzaufkommens ist die fmanzielle Verwirklichung gesamtstaatlicher Solidarität in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise verortet554. Demgegenüber ist es nicht nur überflüssig, sondern verwirrend, die finanziellen Engpässe der sozialen Parafisci im Notfall durch Zahlungen auf Grundlage einer -bereits im 3. Kapitel angesprochenen- verfassungsrechtlichen Bundesgarantie für diese staatlichen Nebenhaushalte zu überbrücken, wo doch eine Landesgarantie ausreicht. Denn die Länderhaushalte sind ihrerseits durch die gesamtstaatliche Solidargemeinschaft abgesichert, solange diese funktions- und leistungsfähig ist. Der Bund sichert die Länder samt ihrer Nebenhaushalte ohnehin fmanziell ab. Das ergibt sich aus der notwendigen Sicherstellung staatlicher Aufgabenerfiillung gegenüber dem Bürger und dem verfassungsrechtlich fundierten Bundesstaatsprinzip und bedarf keiner zusätzlichen einfachrechtlichen Normierung, wie sie beispielsweise in § 214 I SGB VI für die Rentenversicherung erfolgt ist. "Der Ernstfall des Staatshaushalts trifft den Gesamtstaat, oder er bleibt aus" 555 • Es ist auch aus keinem erdenklichen Gesichtspunkt heraus zwingend erforderlich, Zuschüsse gerade des Bundes als Ausgleich für gesamtstaatliche Auf-
Vgl. hierzu oben IV 4 b aa. Vgl. Friauf, in: Deutsch-Amerikanisches Verfassungsrechtssymposium, S. 177, 183; Wendt, in: HStR, Bd. IV,§ 104 Rn. 94. 554 Vgl. Isensee, in: HStR, Bd. IV,§ 98 Rn. 56, 127, 146 ff.; BVerfGE 72, 330 (387 552 553
f.).
555
Isensee, in: HStR, Bd. IV,§ 98 Rn. 127, 150.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
357
gaben einzusetzen, die auf Rechnung der Sozialversicherungsgemeinschaft durchgeführt werden, aber der Gesamtgesellschaft zugute kommen: Der hiermit bezweckte gesamtstaatliche Solidarausgleich kann nach erfolgten Länderzuschüssen und der damit gleichermaßen einhergehenden Belastung der Steuerzahler genauso gut im Wege des fmanzverfassungsrechtlich vorgesehenen vertikalen Finanzausgleichs erfolgen. Er wirkt sich über die Steuer auf alle Staatsangehörigen aus und läßt als Teil eines mehrstufigen Systems zur Verteilung des bundesstaatliehen Finanzaufkommens die staatliche Selbständigkeit von Bund und Ländern erst real werden. "Ziel dieser Verteilung ist, Bund und Länder fmanziell in die Lage zu versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben auch wahrnehmen zu können; erst dadurch ( ...) können sich Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung entfalten"556• Die gesamtstaatliche Solidarität verwirklicht sich fmanziell schon hier über die Verteilung der vom Bürger gezahlten Steuer im Finanzausgleich. Es ist nicht ersichtlich, welcher Vorteil darin liegen könnte, der bündischen Einstandspflicht auf zusätzlichen anderen Wegen jenseits des fmanzverfassungsrechtlichen Lastenverteilungssystems nachzukommen. b) Bundeszuschüsse als gefohrliche Mischfinanzierungen Die auf Art. 120 I 4 GG gestützte Staatspraxis der Bundeszuschüsse verdeckt vielmehr den gesamtstaatlichen Finanzbedarf. Die Bundeszuschüsse bewirken separarierte Finanzzuweisungen des Bundes. Sie stellen wegen ihrer finanzausgleichenden Wirkung einen unerwünschten Nebenweg in der bundesstaatlichen Finanzordnung dar. Das Grundgesetz kennt zwar neben dem Finanzausgleich nach Art. 106 f. GG mit der Mitfmanzierung der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a, 91 b GG und den Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104 a IV GG noch weitere Vorschriften, die fmanzausgleichende Wirkungen entfalten557 • Die aufgrund dieser Vorschriften vom Bund an die Länder fließenden Mittel sind zweckgebunden. Sie dienen nicht, wie die im Rahmen des Finanzausgleichs verteilten Gelder, dem allgemeinen Finanzbedarf der Länder. Hierin liegt ein fundamentaler Unterschied zwischen den Art. 91 a, 91 b, 104 a IV GG einerseits und den Art. 106 f. GG andererseits. Die auf Grundlage des Art. 120 I 4 GG gezahlten Bundeszuschüsse sind in ihrer fmanzausgleichenden Wirkung mit diesen Mischfmanzierungen vergleichbar. Die Zuschüsse sind wegen ihrer Verwendung für den Bereich der Sozialversicherung gleichermaßen zweckgebunden. BVerfGE 72, 330 (383). Das BVerfG bezeichnet diese Vorschriften nicht beispielhaft, sondern abschließend als weitere Vorschriften mit Finanzausgleichswirkungen; vgl. BVerfGE 72, 330 (387 f.). Das ist für das "Schattendasein" des Art. 120 I 4 GG bezeichnend. 556 55?
358
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Die Existenz dieser Vorschriften ändert aber nichts an der gegen die Bundeszuschüsse vorgebrachten Kritik, sondern fordert sie umso mehr heraus: Eine Vielzahl der gegenüber den Mischfmanzierungen vorgebrachten Bedenken treffen auch auf die Bundeszuschüsse soweit zu, wie sie jenseits der Art. 106 f. GG fmanzausgleichende Wirkung entfalten. Bei gemischten Finanzierungen ist grundsätzlich die aus der parallelen Aufgabenwahmehmung resultierende Streuung der Verantwortung fragwürdig55 8: "Geteilte Finanzierung bedeutet geteilte Verantwortung" 559 . Hierdurch werden die Gesamtausgaben fiir eine Aufgabe tendenziell erhöht; das ist fmanzwissenschaftlich nachgewiesen560. "Mischfmanzierungen verringern ( ...) den Anreiz zu sparsamer Haushaltsfiihrung" und fördern "eine Subventionsmentalität, bei der die Anstrengungen erlahmen, Erfolge aus eigener Kraft zu erzielen", wenn sie zeitlich unbefristet erfolgen561 . Gegen Mischfmanzierungen sprechen ferner der regelmäßig durch die erhöhte Zahl der beteiligten Behörden gesteigerte Verwaltungsaufwand, die Beeinträchtigung der haushaltswirtschaftlichen Eigenständigkeit der Länder, "die Gefahr kompetenzüberschreitender Einflußnahme des Bundes mittels des Geldes" und mögliche Fehlleitungen öffentlicher Mittel562 . Der Ort für die Sicherstellung der fmanziellen Leistungsfahigkeit von Bund und Ländern ist der Finanzausgleich nach Art. 106 f. GG. Es ist kein Grund ersichtlich, warum neben diesem allgemeinen Lastenverteilungssystem weitere Systeme mit fmanzausgleichenden Wirkungen errichtet werden müssen. Solche Systeme unterwandern das System des Finanzausgleichs563 , beeinträchtigen dessen Übersichtlichkeit und verschleiern den gesamtstaatlichen Finanzbedarf. Vor allem aber korrespondieren Mischfmanzierungen nicht mit dem bundesstaatliehen Prinzip. BVerfG und Wissenschaft haben diese Gefahr der 558 Vgl. zur fragwürdigen Politikverflechtung statt vieler nur Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 21 ff. m.w.N., die unter Heranziehung empirisch verhaltenswissenschaftlicher Analysen darlegen, warum der bei Durchfllhrung von Gemeinschaftsaufgaben erhöhte Konsensbedarf tendenziell weniger effiziente Problemlösungen und Aufgabendurchführungen zur Folge hat. Diesen Befund übertragen Henke/Schupperl anschließend auf die Mischfinanzierungen. Vgl. zu den Mischfinanzierungen kritisch auch Wendt, in: HStR, Bd. IV § 104 Rn. 91 ff.; Rudolf, in: Freiheit und Verantwortung im Verfassungsstaat, FG Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 343, 347 ff. und die folgenden Nachw. 559 Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 363. 560 Korioth, DVBI. 1993, S. 356,363 m.w.N. 561 Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschafttlichen Entwicklung, BT-Drucks. 1118472, S. 213 Tz. 445 f. 562 Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 360, 363. 563 Vgl. von Arnim, in: HStR, Bd. IV§ 103 Rn. 49, 52.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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Mischfmanzierungen insbesondere für den Bereich der Finanzhilfen nach Art. 104 a IV GG gesehen. Sie haben ihre Zulässigkeil deshalb auf verfassungsrechtlich geregelte Ausnahmefalle beschränkt: "Die Verfassung des Bundesstaates bedarf einer stabilen Verteilung der öffentlichen Einkünfte, insbesondere des Steueraufkommens auf Bund und Länder. Denn Mittel aus dem Bundeshaushalt an die Länder für Landesaufgaben bringen die Länder in Abhängigkeit vom Bund und rühren damit an der Eigenständigkeil der Länder. Eine bundesstaatliche Ordnung muß deshalb prinzipiell sicherstellen, daß Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt an die Länder die Ausnahme bleiben und ihre Gewährung rechtlich so geregelt wird, daß sie nicht zum Mittel der Einflußnahme auf die Entscheidungsfreiheit der Gliedstaaten bei der Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben werden. Diese Gefahr besteht vor allem, wenn der Gesamtstaat allein das Ob und Wie seiner Finanzhilfe bestimmt" und "die Länder auf die Bundesmittel angewiesen sind" 564.
Daß die permanenten Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung angesichts dessen nahezu unbeachtet blieben565 , löst - ungeachtet des für die h.M. ausreichenden Kompetenztitels des Art. 120 I 4 GG- Verwunderung aus. Schon der Parlamentarische Rat hat die fmanzausgleichende Wirkung der Bundeszuschüsse erkannt und mehrfach hervorgehoben566• Niemand hat bislang die Bedenken gegen Mischfmanzierungen gegen die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung vorgebracht, obgleich hier eine von der Interessenlage her vergleichbare Konstellation vorliegt. Bei genauerer Betrachtung treffen die gegen Mischfmanzierungen vorgebrachten Bedenken auf die Bundeszuschüsse sogar in potenzierter Form zu: Bei den "klassischen" Mischfmanzierungen geht es um eine geteilte Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern. Die Finanzierung der Sozialversicherung verteilt die Finanzverantwortung mit den Bundeszuschüssen auf Bund und Sozialversicherung. Darüber hinaus stehen den Ländern als sozusagen dritter Ebene weitreichende lngerenzmöglichkeiten auf die Haushaltsfiihrung und den Haushalt 564 BVerfGE 39, 96 (107); Selmer, AöR 101 (1976), S. 238, 246; von Arnim, in: HStR, Bd. IV, § 103 Rn. 49 m.w.N.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 1141. 565 Soweit ersichtlich hat bislang nur F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71, 94 f. Art. 120 GG im Zusammenhang mit seinem Vorschlag zur "Einführung eines Gebots der Einheit des Transfergesetzes" erwähnt, ohne auf die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung jedoch näher einzugehen: "Ein grundgesetzliches Gebot der Einheit des Transfergesetzes - nach dem Modell der Einheit des Haushalts - würde das Parlament veranlassen, nur einmal im Jahr die gesamte Transferproblematik aufzurollen, das Gesamtkonzept mit Details zu beraten und die Geldfragen insgesamt zu lösen, statt wie bisher neben dem Finanzausgleichsgesetz zahlreiche Sonderregelungen nach den Art. 9la und b, Art. 104 a Abs. 3 und 4, Art. 106 Abs. 6 und 8 sowie Art. 120 GG zu beschließen, die meist weder aufeinander abgestimmt noch zu überschauen sind". Genauso ders., Gutachten zum 61. DJT. 566 Vgl. oben I 2.
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
der Sozialversicherungsträger zu. Die hiermit verbundene Finanzverantwortung spiegelt sich in der Verteilung der Finanzverantwortung fiir die Sozialversicherung nirgends wider. Der Bund stellt den Sozialversicherungsträgem die auf Grundlage des Art. 120 I 4 GG überwiesenen Mittel ohne rechtlich ausreichend abgesicherte Zweckbindungen zur Verfügung. Dieser Finanzierungsmodus verwischt die Verantwortlichkeiten des eigenen Wirtschaftens. Die Sozialversicherungsträger fuhren die ihnen obliegenden Aufgaben in dem Bewußtsein aus, fiir die Folgen ihres fmanzwirksamen Handeins nicht allein verantwortlich zu sein. Die aufsichtsfuhrenden Länder sind erst Recht nicht an einer wirksamen Aufsichtsführung interessiert, denn das Sozialrecht zieht sie zur Finanzierung eventueller Defizite in den Haushalten "ihrer" Sozialversicherungsträger nicht heran. Wenn keiner der Leistungs- bzw. Verantwortungsträger allein zur Finanzierung oder auch nur zur Aufsicht verpflichtet oder befugt ist, ist der über die Vergabe der Leistungen entscheidende Versicherungsträger eher zur Gewährung solcher Leistungen bereit, die er bei alleiniger Zuständigkeit nicht oder zumindest in bescheidenerem Umfang gewährt hätte567 • Außerdem steigt bei beiden Aufsichtsbehörden die Bereitschaft zu einer weniger effizienten Ausübung ihrer Aufsicht, da sie die sich hieraus ergebenden Folgen nicht alleine tragen müssen -"auf Kosten anderer ist man leichter großzügig"568 . Bei der vorgeschlagenen Einfiihrung von Länderzuschüssen zur Sozialversicherung können die landesunmittelbaren Versicherungsträger zwar weiterhin mit staatlichen Zuschüssen rechnen. Sie sind deshalb unverändert nicht alleine zur Finanzierung verpflichtet. Dem Gedanken nach läge auch bei Länderzuschüssen noch eine Mischfmanzierung vor. Jedenfalls wäre die Verantwortlichkeit fiir die Finanzierung unverändert auf Staat und Sozialversicherung verteilt. Für Bund und Länder ist der Abbau der Mischfmanzierungen seit Jahren politisches Ziel. Auch hier soll wegen der vorgebrachten Bedenken keine neue Mischfmanzierung empfohlen werden. Das ist aber auch nicht der Fall. Kennzeichen von Mischfmanzierungen ist die gemischte, also gemeinsame Finanzierung einer Aufgabe. Bei der nach dem abgabenrechtlichen Konzept zu bestimmenden Verteilung der Finanzverantwortung zwischen Staat und Sozialversicherung geht es darum, daß jeder seine eigenen Aufgaben bezahlt, bzw. die ihm aus der Aufgabenausführung jeweils zufließenden Vorteile. Es geht also gerade um getrennte und nicht um gemischte Finanzierung. Die gegen Mischfmanzierungen vorgebrachten Bedenken lassen sich hierauf nicht über56? Borell, Mischfinanzierungen, S. 42. 568 Luther, Die Lastenverteilung zwischen
form, S. 60 m.w.N.
Bund und Ländern nach der Finanzre-
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
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tragen. Sie geben jedoch urnso mehr Anlaß dazu, bei der Verteilung der Finanzverantwortung so sorgfältig wie möglich zu verfahren. Alternativ zu dem Vorschlag, den Ländern die für die Mitfinanzierung der Sozialversicherung erforderlichen Mittel im Wege des Finanzausgleichs zur Verfügung zu stellen, oder durch die Sozialgesetzgebung für ihre ausreichende finanzielle Ausstattung zu sorgen, ist noch ein dritter, einstweilen unpopulärer, aber in Politik und Wissenschaft immer wieder nachhaltig beflirworteter Weg für die finanzielle Kompensation zusätzlicher Länderausgaben denkbar: Der Verfassungsgeber könnte den Ländern durch Erweiterung ihrer Steuergesetzgebungsbefugnis - mehr als bisher - eine eigenverantwortliche Erschließung von Steuerquellen ermöglichen569. Das würde die Eigenständigkeil der Finanz- und Haushaltspolitik der Länder steigern. Ihre Bürger könnten an den Ergebnissen der regionalen Haushaltsführung eher partizipieren. Das würde den politisch-psychologischen Druck zu wirtschaftlicher- und sparsamer Haushaltsführung auf die politischen und staatlichen Entscheidungsorgane erhöhen570. Die Länder würden genötigt, durch möglichst attraktive Ausgestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegenseitig um die Ansiedlung von Privatpersonen und Unternehmen zu werben. Eine solche Konkurrenz zwischen den Ländern könnte die Effizienz der öffentlichen Wirtschaftsführung im Interesse des Einzelnen stärken. Daß das Prinzip ungleichmäßiger Steuerbelastung im Bundesstaat funktioniert, zeigen die Beispiele der USA und der Schweiz571. Die umstrittene Ausweitung der Steuergesetzgebungshoheit der Länder572 soll als denkbares Mittel zur Stärkung eines für sich gleichermaßen umstrittenen kompetetiven Föderalisrnus573 hier nur als eine Möglichkeit zur Finanzierung von Länderzuschüssen zu den Lasten der Sozialversicherung angesprochen, im übrigen aber nicht weiter vertieft werden.
c) Stärkung der Eigenstaatlichkeif der Länder
So seltsam das klingen mag: Die Einfiihrung von Länderzuschüssen würde die Eigenstaatlichkeit der Länder stärken. Sie gewännen durch Übernahme der 569 Vgl. z.B. Jahresgutachten 1990/91 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesarntwirtschafttlichen Entwicklung, BT-Drucks. ll/8472, S. 215, Tz. 453 ff.; Bohley, in: Föderalismus. Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, S. 31, 63 ff. rn.w.N.; Littmann, Staatswissenschaften und Staatspraxis 2 (1991), S. 31, 40 ff. Schon früh Barbarino, Bericht zu Problematik und Reformbedürftigkeit der gegenwärtigen Finanzverfassung, Enquete-Kommission Verfassungsreforrn, Kommissionsdrucksache Nr. 076 vom 12.12.1973, S. 57 ff., zit. nach Friauf, in: Deutsch-Amerikanisches Verfassungsrechtssyrnposium, S. 177, 185 f. 570 Vgl. nur Wendt, in: HStR, Bd. IV,§ 104 Rn. 42 f. 571 Wendt, in: HStR, Bd. IV,§ 104 Rn. 43 m.w.N. 572 Skeptisch z.B. Degenhart, ZfA 1993, S. 409, 420; ablehnend Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern V 3 d bb (2). Moderate Vorschläge zur Stärkung der Steuergesetzgebungshoheit bei Hendler, DÖV 1993, S. 292, 293 ff. m.w.N., für den "zu einem ernstgenommenen Föderalismus insbesondere auch eine nennenswerte Eigenständigkeil der Länder beim Einsatz des steuerrechtliehen Instrumentariums gehört" (S. 299). 573 Vgl. hierzu oben III 4 b cc (4).
362
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Finanzierungskompetenz fiir die Sozialversicherung dadurch in starkem Maße an finanzieller Autonomie, daß sich ihr disponibles Finanzvolumen vermittels der ihnen zusätzlich zuzuteilenden Steuereinnahmen in erheblichem Maße vergrößern würde. "Finanzierungskompetenz ist( ...) nicht nur eine Last, sondern auch ein mögliches Instrument der Einflußnahme", schreibt von Amim und bringt damit die Ambivalenz der Finanzierungskompetenz auf den Punkt574• Die Verfiigbarkeit über Finanzmittel gewährt politische Macht575 und sichert politische Gestaltungspotentiale: Die Macht ist immer dort, wo das Geld ist576• In diesem Sinne böten Ländeszuschüsse zur Sozialversicherung fiir die Länder nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an staatlicher Eigenständigkeit. Hierdurch könnten die Länder ihre auf anderen Gebieten erlittenen Verluste an staatlicher Autonomie und Bedeutung zum Teil kompensieren. Entscheidend fiir die Stärke der Länder gegenüber dem Bund, für ihre staatliche Eigenständigkeit, ist ihre ausreichende Berücksichtigung bei der Verteilung des gesamtstaatlich verfügbaren Steueraufkommens577• Sie orientiert sich am Umfang der von Bund und Ländern durchzuführenden Aufgaben. "Die Wahrnehmung der Kompetenzen kostet Geld" 578, die Durchführung der Sozialversicherung kostet besonders viel Geld. Die Verlagerung der Finanzierungskompetenz fiir die gegenwärtigen Staatszuschüsse an die landesunmittelbaren Sozialversicherungsträger auf die Länder ein jährliches Finanzvolumen in deutlich zweistelliger Milliardenhöhe in ihren Verantwortungsbereich verlagern. Die Länder haben sich mit der Entgegennahme der Bundeszuschüsse mehr geschadet als genützt, indem sie dem Bund Einflußnahme auf ihre fmanzielle Ausstattung zubilligten und dadurch in seine Abhängigkeit gerieten. Sie haben die ihnen angebotenen Gelder zu ihrer eigenen fmanziellen Entlastung gerne entgegengenommen und den Preis der Machtverstärkung beim Bund sehenden Auges akzeptiert579 . Diese deutliche Verschiebung der Finanzkraft zum Bund hat die Zuständigkeit der Länder fiir die Sozialversicherung vermittels der Bundeszuschüsse nach und nach ausgehöhlt. Die Länder haben hier - wie auch sonst im insoweit vergleichbaren Bereich der Dotationswirtschaft des Bundes ihre Degradierung zu Kostgängern des Bundes und damit die Aushöhlung ihrer staatlichen Substanz selbst betrieben, indem sie "um des Augenblickerfolges einer geldlichen Entlastung willen fiir Aufgaben ihres Verantwortungsbereichs von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 15. Vgl. oben IV 4 b. 87 Rn. l. und Staatspraxis 2 (1991), S. 31, 32 f. m.w.N. zu dieser vom Abg. Walter Menzel (SPD) im Finanzausschuß des Parlamentarischen Rates formulierten Hypothese. Sie wurde als Gegenposition zu dem von föderalistischen Ideen geprägten Entwurfvon Herrenchiemsee zur "Fanfare eines politischen Programms". 577 BVerfGE 72, 330 (383); von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 4. 578 von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 4. 579 Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337,359. 574
575 Vgl. Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 576 Littmann, Staatswissenschaften
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
363
Mittel des Bundes" beansprucht und ihm dadurch eine "Erweiterung seines funktionellen Wirkungsbereichs geradezu" aufgedrängt haben580. Das Regime des Bundes kraft Finanzmacht des goldenen Zügels58 1 hat die Sachverfassung im Bereich der Sozialversicherung unterlaufen. Das BVerfG hat die Gefahr einer solchen Entwicklung fiir die Eigenständigkeit der Länder in seiner bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahre 1975 am vergleichbaren Beispiel der Finanzhilfen nach Art. 104 a IV GG erläutert: "Die Staatlichkeil des Bundes und der Länder kann sich nur dann wirksam entfalten, wenn sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten im Rahmen ihrer grundsätzlich selbständigen und voneinander unabhängigen Haushaltswirtschaften (Art. I 09 Abs. I GG) über hinreichende Anteile am Steueraufkommen verfugen und damit nicht von Zahlungen der anderen Seite abhängig sind. Finanzleistungen aus dem Bundeshaushalt an die Länder ftir Landesaufgaben, zu denen auch die Förderung von Investitionen der Gemeinden und Gemeindeverbände gehört, schaffen die Gefahr von Abhängigkeiten der Länder vom Bund. Sie geflihrden damit die verfassungsrechtlich garantierte Eigenständigkeit der Länder, denen das Grundgesetz die volle Sach- und Finanzverantwortung ftir die ihnen obliegenden Aufgaben eingeräumt hat. In einem System, das darauf angelegt ist, eine der Aufgabenverteilung gerecht werdende Finanzausstattung der Länder zu erreichen, dürfen deshalb nach dem bundesstaatliehen Grundverhältnis zwischen Bund und Ländern Bundeszuschüsse in Form von Finanzhilfenfor Landesaufgaben nur eine Ausnahme sein" 582 .
d) Kompetenz- statt Beteiligungsfoderalismus
Die Übertragung der grundsätzlichen Finanzierungskompetenz fiir die Staatszuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung auf die Länder würde deren eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung stärken und der Forderung des Art. 79 III GG, wonach die Finanzhoheit zum "Hausgut" der Länder zählt583 , im Gegensatz zur gegenwärtigen Kompetenzverteilung erst gerecht. Eine solche Kompetenzverschiebung kann einen Teil der Kompetenzeinbußen kompensieren, die die Länder auf anderen Gebieten erlitten haben und - bedingt durch den Prozeß der europäischen Einigung584 - künftig noch erleiden werden.
580 Vgl. schon früh Fischer-Menshausen, DÖV 1952, S. 673, 674 ftir die vergleichbare Dotationswirtschaft des Bundes. 58 1 P. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 147. 582 BVerfGE 39, 96 (108), Hervorhebungen vom Verf. 583 BVerfGE 34, 9 (20); /sensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 276. 584 Vgl. zur Übertragung von Landeskompetenzen auf die Europäische Union durch den Bund Isensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 287, zur deshalb erforderlichen Kompetenzkompensation Rn. 291 ff.; Degenhart, ZfA 1993, S. 409, 422 f.; zu den nach-
364
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
Die derzeitige Tendenz geht dahin, den Ländern als Ausgleich für den Verlust ureigenster Kompetenzen Mitwirkungs- und Einflußrechte auf überregionaler Ebene zu gewähren. Sie gelangte Ende 1992 in den Absätzen 4 bis 6 des neugefaßten Art. 23 GG585, dem sog. Europa Artikel, zu verfassungsfestem Ausdruck. Ein solcher Ausgleich ist aber immer nur Notlösung und widerspricht dem Leitbild des Föderalismus von der eigenverantwortlichen Aufgabenerfiillung. Partizipation kann im Bundesstaat Kompetenzeinbußen rechtfertigen, Kompetenzen ersetzen kann sie nicht. Der "Beteiligungsfoderalismus [ist] keine gleichwertige Alternative zum Kompetenzfoderalismus" 586• Die Beteiligung der Landesparlamente an überregionalen Aufgaben verringert die Möglichkeit demokratischer Anteilnahme der Bürger, indem die Landespolitik für ihn weniger durchschaubar und die Chance effektiver Einflußnahme geringer wird. Außerdem verkürzt der "BeteiligungsfOderalismus" die politische Vielfalt und verringert die Möglichkeiten zum interregionalen Experiment und Wettbewerb587. Im einzelnen gab es eine Vielzahl von Vorschlägen, wie man den Ländern ihre Kompetenzverluste ersetzen könnte588 . In engen Grenzen kann die Einräumung anderweitiger Mitwirkungsrechte Kompetenzverluste der Länder kompensieren. Sie darf die gewaltenteilende Balance aber nicht stören589. Eine Kompetenzkompensation ist stets nur innerhalb der horizontalen oder der ver-
folgenden Ausführungen kurz und instruktiv Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1230, 1236 f. m.w.N. 585 38. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21.12.1992 (BGBI. I S. 2086). Vgl. zur Neufassung der Vorschrift Di Fabio, Der Staat 32 (1993), S. 198 ff.; Klein, in: Schmidt-Bieibtreu!Klein, Kommentar zum GG, Art. 23 Rn. 1 f., 20 ff. 586 /sensee, in: HStR, Bd. IV,§ 98 Rn. 281; Hesse, AöR 98 (1973), S. 1, 20 ff.; dogmatische Überlegungen zur Kompensation von Kompetenzen bei Klein, DVBI. 1981, S. 661, 663 ff. m.N. zu weiteren kritischen Stellungnahmen in Fn. 29. Kritisch auch Schenke, JuS 1989, S. 698, 701 f.; Ossenbühl, in: Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 117, 132, 148. 587 Hesse, AöR 98 (1973}, S. 1, 23. 588 Vgl. z.B. Hesse, AöR 98 (1973), S. 1, 20 ff., der eine Länderbeteiligung an überregionalen Aufgaben, verbunden mit der Einführung eines um einen Zustimmungsvorbehalt modifizierten Einstimmigkeitsprinzips als Ausgleich für den Verlust autonomer Gestaltungsmöglichkeiten im regionalen Bereich vorschlägt, gleichzeitig aber auf die problematische Praktikabiliät seines Vorschlags hinweist. Weiter fordert er gleichwertige, näher spezifizierte Mitwirkungsrechte der Länder, sowie- und das ist für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung - Formen der Finanzierung, die die Beeinträchtigungen der Entschließungsfreiheit durch die Bundesbeteiligungen und der haushaltliehen Ungebundenheit der Länder zu Lasten selbständiger Aufgabenwahrnehmung kompensieren können (S. 28 f.). 589 Vgl. Klein, DVBI. 1981, S. 661,664.
V. Das "Konnexitätsprinzip" in der Sozialversicherung
365
tikalen Ebene der Gewaltenteilung möglich, jeder Austausch vor Art. 79 III GG bedenklich. So konnte das außerhalb der Verfassung geregelte Beteiligungsverfahren des Bundesrates nach dem friiheren Art. 2 II, III des Zustimmungsgesetzes zur Einheitlichen Europäischen Akte590 die integrationsbedingten Kompentenzeinbußen der Länder nicht in ausreichendem Maße ausgleichen: Die zwingend vorgeschriebene Berücksichtigung der Belange der Länder stärkte zwar als vertikales Gewaltenteilungselement deren Stellung gegenüber dem Bund, ließ ihre beeinträchtigte eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung als Element auch horizontaler Gewaltenteilung aber ohne Ausgleich. Der Bundesrat kann "als Bundesorgan die betroffenen einzelnen Länder nicht mediatisieren und nicht majorisieren"591 . Diese Kritik gilt nun auch für das Beteiligungsverfahren des neuen Art. 23 GG, das dem Verfahren nach dem Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte weitgehend entspricht592. Die verstärkte Beteiligung der Länder im Bundesrat gewährt ihnen zusätzliche kollektive Einflußrechte. Sie können den Verlust an individueller Verfügungsmacht jedoch nicht entschädigen. "Die Stimme des Bundesrates ist nicht notwendig die Stimme aller Länder und nicht die Stimme einzelner Länder. Sie ist die Kuriatstimme der Länder, getragen von Ländermehrheiten" 593 • Der in Art. 23 GG betriebene Beteiligungsföderalismus ist kein Surrogat des Kompetenzföderalismus. Die vorgeschlagenen Länderzuschüsse zur Sozialversicherung wären wegen der erforderlichen Anpassung des Finanzausgleichs zugunsten der Länder gleichsam als "Zugeständnisse" im Bereich der Finanzierungskompetenz wesentlich eher dazu geeignet, den Ländern ihre erlittenen Kompetenzverluste zu ersetzen. Eine Erweiterung der Finanzierungsbefugnisse der Länder kann bei entsprechender Ausweitung ihres Finanzvolumens die aus den Bundesbeteiligungen resultierenden Beeinträchtigungen ihrer Entschließungsfreiheit und haushaltliehen Ungebundenheit und die permanente Verkleinerung des Kreises ihrer selbständig wahrzunehmenden Aufgaben adäquater kompensieren als Mitwirkungs- und Mitspracherechte, die kein äquivalenter Ersatz für ureigene Kompetenzen sein können594• Hier geht es nicht um die Beteiligung der Länder 590 Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28. Februar 1986, vom 19. Dezember 1986, BGBI. II 1986, S. II 02. 591 Jsensee, in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 293. 592 Vgl. zu den Differenzen und zur Kritik Di Fabio, Der Staat 32 (1993), S. 198, 208 ff.; Klein, in: Schmidt-Bieibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 23 Rn. 2 ff., 20 ff.; Degenhart, ZfA 1994, S. 409,424 f. 593 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 211 f. 594 Eine Ausweitung der Finanzverantwortung hat schon Hesse, AöR 98 (1973}, S. I, 28 f. vorgeschlagen; vgl. oben Fn. 588. Wegen der politischen Gegebenheiten kritisch Böckenforde, in: Politik als gelebte Verfassung, FS Schäfer, S. 182, 193 f., der ei-
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
an den Entscheidungsprozessen auf europäischer Ebene, nicht um Beteiligungsfoderalismus, sondern um Kompetenzkompensation auf derselben Ebene, auf denen die Kompetenzen der Länder beschnitten wurden. Will man den Ländern den im europäischen Einigungsprozeß erlittenen Bedeutungsverlust ersetzen, so eignen sich klare Kompetenzabgrenzungen auf mitgliedstaatlicher Ebene auch wegen des fehlenden Gemeinschaftsbezuges hierzu eher, als Beteiligungskompensationen. Das Gemeinschaftsrecht steht der innerstaatlichen Kompetenzverteilung grundsätzlich indifferent gegenüber595 • Eine grundsätzliche Übertragung der Finanzierungskompetenz für die Sozialversicherung vom Bund auf die Länder bedroht auch nicht die im europäischen Integrationsprozeß angegriffene Eigenstaatlichkeit des Bundes. Jener befindet sich derzeit in der prekären Situation, seine Staatlichkeit von zwei Seiten aus der Erosion ausgesetzt zu sehen: "Von oben" fordert die voranschreitende europäische Einigung ihren Tribut an staatlicher Souveränität, "von unten" drängen die Länder aus Sorge um den Bestand ihrer eigenen Staatlichkeit auf Revitalisierung und fordern gleichfalls staatliche Kompetenzen ein. Der erwachte innerstaatliche Föderalismus potenziert das "entscheidende Verfassungsproblem der europäischen Integration", wieviel Staatlichkeit die Bundesrepublik aufgeben darfS96• Der Bund muß im Spannungsfeld des europäischen und regionalen Föderalismus auf den Bestand seiner eigenen Staatlichkeit bedacht sein. Letztlich steht seine "substantielle Staatlichkeit" auf dem Spiel. Deshalb fordert die Literatur zu Recht einen bedachten Umgang mit der bundesstaatliehen Kompetenzordnung597• Die unzulässig auf Art. 120 I 4 GG gestützte Finanzierungskompetenz des Bundes für sämtliche Staatszuschüsse zur Sozialversicherung kollidiert mit dieser Forderung in eklatanter Weise. Demgegenüber würde die hier vorgeschlagene Anwendung des Art. 104 a I GG auf die Verteilung der Finanzierungskompetenz fiir die Staatszuschüsse der bundesstaatliehen Kompetenzordnung die ihr nach dem Verfassungstext auch im Bereich der Sozialversicherung zukommende Geltungskraft verschaffen. ne Rückbildung des finanzwirtschaftliehen Verbundsystems zugunsten einer eigenen Finanzwirtschaft der Länder wegen des Postulats der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ftir politisch nicht durchsetzbar hält. Ein hierauf fixierter Föderalismus sei vielmehr "auf den Weg zum unitarisch-kooperativen Bundesstaat(... ) festgelegt". Es ist jedoch nicht recht verständlich, warum eine weitgehend eigenständige Finanzwirtschaft der Länder in einem solchen Staat nicht denkbar sein soll. Die Notwendigkeit der Kooperation erwächst gerade aus der Eigenständigkeil der Partner. Ohne fundamentale Kompetenzen der Länder wäre deren Kooperation nicht oder nur in geringem Umfang erforderlich. Um die Bundesstaatlichkeil im "unitarisch-kooperativen Bundesstaat" wäre es schlecht bestellt. 595 Degenhart, ZfA 1993, S. 409,423. 596 Degenhart, ZfA 1993, S. 409, 425; vgl hierzu eingehend P. Kirchhof, in: HStR, Bd. VII, § 183 Rn. 57 ff. 597 Degenhart, ZfA 1993, S. 409,425.
VI. Zusammenfassung
367
e) Zwischenergebnis
Die Anwendung des Konnexitätsprinzips des Art. 104 a I GG auf die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung würde die Eigenstaatlichkeit der Länder stärken. Das "Konnexitätsprinzip" vermag seine bundesstaatssichemde Wirkung auch und gerade in der Sozialversicherung wirksam zu entfalten. 4. Ergebnis
Die ratio der bundesstaatliehen Lastenverteilungsregel des Art. 104 a I GG läuft im Bereich der Sozialversicherung keinesfalls leer. Länderzuschüsse zur Sozialversicherung würden den Sinn und Zweck des fmanzverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzips in diesem Bereich staatlicher Aufgabenerfüllung verwirklichen.
VI. Zusammenfassung Außerhalb des engen Anwendungsbereichs des Art. 120 I 4 GG richtet sich die Verteilung der Finanzverantwortung fiir die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung nach der allgemeinen Lastenverteilungsvorschrift des Art. 104 a I GG. Über sie fmdet das insbesondere in Art. 30 GG verkörperte bundesstaatliehe Subsidiaritätsprinzip auch auf die staatliche Komponente bei der Finanzierung der Sozialversicherung Anwendung: Die Finanzierung der Staatszuschüsse ist grundsätzlich Sache der Länder. Die Vorschriften der Finanzverfassung dienen auch und vor allem der Kontrolle der in der Verfügungsmacht über Finanzmittel verkörperten Macht. Es geht dabei nicht nur um die effizienteste, sondern auch um die politisch sicherste Lösung des Konflikts um die Verteilung der stets knappen FinanzmitteL Da die Verfügungsmacht über Finanzmittel politische Macht gewährt und politische Gestaltungspotentiale sichert, gewährleisten die eindeutig normierten Finanzierungszuständigkeiten der Finanzverfassung als entscheidende "Funktionsvoraussetzungen der Bundesstaatlichkeit"598 politische Freiheit. "Die Stabilität" der Freiheit verbürgenden "bundesstaatlichen Verfassung ist nur ( ... ) gewährleistet, wenn bei der Konkurrenz der Gebietskörperschaften um die stets knappen Finanzmittel die jeweiligen fmanzverfassungsrechtlichen Kompetenzbereiche strikt gewahrt bleiben"599• Die Finanzverfassung soll mit ihren Vor598 599
Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 360. Korioth, DVBI. 1993, S. 356, 360 m.w.N.
368
4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz für die Staatszuschüsse
schriften über Zuständigkeiten, Handlungsmaßstäbe und -grenzen die durch das Geld verliehene Macht so begrenzen, wie jede Macht im Verfassungsstaat der Begrenzung bedarf600. Vor diesem Hintergrund ist auch Art. 104 a I GG zu sehen: Mit dem "Konnexitätsprinzip" beschreitet die Vorschrift für die bundesstaatliche Lastenverteilung nicht nur den ökonomisch sinnvolleren Weg. Sie schafft für die Länder vor allem die notwendige Voraussetzung für eine eigenverantwortliche Aufgabenerfiillung, indem sie zunächst die Finanzierungskompetenz der Länder für die von ihnen auszufUhrenden Aufgaben festschreibt und damit zusätzlich die Rechtsfolge des vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 106 III 3, 4, IV GG auslöst. Der Finanzausgleich sorgt dafür, daß die Länder die Finanzmittel zur VerfUgung haben, die sie für die Erfiillung ihrer Finanzierungspflicht benötigen, auch und gerade wenn die Gesetzgebung durch den Bund erfolgt. Art. 104 a I GG schafft in Zusammenspiel mit Art. 106 III 3, 4, IV GG das entscheidende Gegengewicht zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Auf diese Weise sichert die Lastenverteilungsvorschrift die staatliche Eigenständigkeit der Länder, ohne die Bundesstaatlichkeit nicht denkbar ist. In seinem bundesstaatssichernden Sinne ist das Konnexitätsprinzip des Art. 104 a I GG ein wichtiger Faktor vertikaler Gewaltenteilung601 . Die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung beeinträchtigen die gewaltenteilende und bundesstaatssichemde Funktion des Art. 104 a I GG und damit der gesamten Finanzverfassung, indem sie dem Bund Verfiigungsrnacht über Finanzmittel einräumen, deren die Länder zur Durchfiihrung der ihnen obliegenden Aufgaben bedürfen. Die Bundeszuschüsse gefährden das Gleichgewicht der fmanziellen Ausstattung von Bund und Ländern. Dieses Gleichgewicht war als fmanzverfassungsrechtlicher Kompromiß aus den Beratungen des Parlamentarischen Rats hervorgegangen, nachdem man sich nicht darauf hatte einigen können, wer in der Finanzausstattung die Vorhand bekommen sollte- nach der Verfassung von 1871 waren es die Länder, nach der Weimarer Verfassung das Reich602 • Zwar hat der zahlende Bund über die Bundeszuschüsse nicht unmittelbar die Verwaltungskompetenz für die Sozialversicherung an sich gezogen, doch hat er 600 Vgl. Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 87 Rn. 2. 601 Vgl. zur Terminologie statt vieler Wolff/Bachoff/Stober, Verwaltungsrecht I,
§ 20 m.w.N.: "Gewaltengliederung". Böckenforde, in: Politik als gelebte Verfassung, FS Schäfer, S. 182, 187. 602 Vogel, in: HStR, Bd. IV,§ 87 Rn. 12; Littmann, Staatswissenschaften und Staatspraxis 2 ( 1991 ), S. 31 ff. zu den Beratungen im Verfassungskonvent auf Herrenchiernsee und im Parlamentarischen Rat. Vgl. hierzu auch den bedeutenden Beitrag zur damaligen Diskussion von Ger/off, Die Finanzgewalt im Bundesstaat (1948), dort insbes. S. II , 14 ff.
VI. Zusammenfassung
369
die Länder mit seiner detaillierten Sozialgesetzgebung zu besseren Subsumtionsautomaten degradiert. Die Länder haben sich ihrer eigenen Entmachtung wegen der fmanziellen Entlastung durch die Bundeszuschüsse gerne unterworfen, denn "Kasse ist wichtiger als Kompetenz" 603• Mit der kritiklosen Entgegennahme der Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung haben sich die Länder einen Bärendienst erwiesen, indem sie dem Bund Einflußnahme auf ihre finanzielle Ausstattung zubilligten und dadurch in seine Abhängigkeit gerieten. Sie haben die ihnen angebotenen Gelder zu ihrer eigenen fmanziellen Entlastung gerne angenommen und den Preis der Machtverstärkung beim Bund sehenden Auges akzeptiert604. Diese deutliche Verschiebung der Finanzkraft zum Bund hat die Zuständigkeit der Länder vermittels der Bundeszuschüsse nach und nach ausgehöhlt und den verfassungsrechtlich vorgesehen Finanzausgleich in weiten Teilen unterwandert. Eine Ablehnung der über die Bundeszuschüsse bewirkten Finanzhilfen war den Ländern bislang politisch nur schwer möglich605 . Beispiele in jüngerer Zeit haben gezeigt, daß die Öffentlichkeit "im allgemeinen wenig Verständnis dafür [hat], wenn ein Land Mittel ablehnt, die der Bund ihm für einen 'guten Zweck' anbietet"606• Auch heute würde eine Änderung der Finanzierungskompetenz für die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung in der politischen Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stoßen. Der Verweis auf die fehlende Zuständigkeit des Bundes würde leicht als formaler Einwand und juristische Spitzfmdigkeit abgetan werden. Daß es dabei aber um vertikale Gewaltenteilung im Interesse der Freiheitssicherung geht, würden viele nicht verstehen. Deshalb sollte bei einer Einführung von Länderzuschüssen neben der erforderlichen politischen Aufklärungsarbeit auch auf die eher greifbaren ökonomischen Vorteile verwiesen werden, die Länderzuschüsse zur Sozialversicherung mit sich bringen könnten. Tendenziell entspricht die "Akkumulation der Finanzmacht beim Bunde"607 einer zwangsläufigen, offensichtlichen und außerrechtlich vorgegebenen Entwicklung, die durch die egalitäre Staatsauffassung gesteigert wird. Zacher hat bereits 1961 darauf hingewiesen, daß dem allgemeinen Egalitätsbedürfnis genauso gut im Wege eines horizontalen Finanzausgleichs entgegengekommen werden könnte. "Dieser Weg wird aber im Vergleich zur Zentralisierung des Finanzwesens als kompliziert und unvollkommen empfunden. Auf diese Weise Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337,359. Vgl. Schmitt Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337, 359. 605 Vgl. BVerfGE 41, 291 (308); von Arnim, in: HStR, Bd. IV,§ 103 Rn. 46; Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 20 ff.; Hesse, AöR 98 (1973), S. 1, 28 f. 606 Vogel, in: HStR, Bd. IV, § 87 Rn. 20. 607 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahnehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 200. 603
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24 Kranz
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4. Kapitel: Die Finanzierungskompetenz ftir die Staatszuschüsse
mündet das Egalisierungsbestreben in die eine große zentralistische Konzentrationsbewegung zum Bundeshaushalt hin" 608 . Für die Zuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung konstatiert er: "Art. 120 GG macht davon nicht etwa eine Ausnahme. Die Norm ist vielmehr Ausdruck dieser Tendenz. Daß sie sich vornehmlich auf soziale Angelegenheiten bezieht oder auswirkt, ist die Besonderheit schlechthin, die die Finanzverfassung fiir den Bereich des Sozialen aufzuweisen hat. Sie ist auch eine Bestätigung dafiir, daß gerade in dieser Richtung die Energien besonders heftig ansetzen"609• Sie haben durch die unzulässige Ausweitung des Art. 120 I 4 GG als Kompetenztitel fiir sämtliche Staatszuschüsse zur Sozialversicherung "so etwas wie ein Verwaltungskondominium von Bund und Ländern" entstehen lassen, das die Länderverwaltung in den "Stromkreis des Bundes" gezogen hat610• Dieser unter bundesstaatliehen Gesichtspunkten höchst fragwürdigen Entwicklung könnte die Einfiihrung von Länderzuschüssen entgegengewirken. Sie würden eine Neuregelung des Finanzausgleichs zugunsten der Länder erfordern, die ihnen verlorene Kompetenzen zurückgäbe.
608 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 200. 609 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 205, 196 ff. ftir die Überlagerung der grundgesetzliehen Kompetenzverteilung durch die finanzverfassungsrechtliche Vorschrift des Art. 120 GG a.F. 610 Zacher, Sozialpolitik und Verfassung im ersten Jahrzehnt der Bundesrepublik Deutschland, S. 199 m.w.N.
5. Kapitel
Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung Gegenwärtig versuchen die Länder, verlorene Kompetenzen durch den Ruf nach mehr Verwaltungskompetenz zurückzugewinnen. Der neu erwachte innerstaatliche Föderalismus fordert u.a. eine vollständige Regionalisierung der Sozialversicherung. Anfang Mai 1996 haben 11 der 16 Bundesländer im Bundesrat einen von Bayern und Baden-Württemberg eingebrachten Gesetzesentwurf zur Regionalisierung der Rentenversicherung unterstützt. Nach diesem Entwurf sollen mit Beginn des Jahres 1998 alle Versichertenkonten der Angestellten und selbständig Tätigen der Jahrgänge 1960 und jünger von der BfA auf die 23 Landesversicherungsanstalten übertragen werden. Die BfA soll für Versicherte dieser Jahrgänge nur zuständig sein, wenn sie Versichertenzeiten im Ausland geltend machen1• Diese Einforderung staatlicher Kompetenz bleibt Stückwerk. Sie spart die Finanzierungskompetenz als Kehrseite der Medaille aus. Niemand hat bislang eine Zuständigkeit der Länder für die Finanzierung der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung gefordert. Eine Bereitschaft der Länder, Landeszuschüsse zur Sozialversicherung zu zahlen, würde ihrer Forderung nach staatlicher Kompetenz Nachdruck verleihen. Eine um die Übernahme der fmanziellen Verantwortung abgerundete Einforderung staatlicher Kompetenz hätte politisch mehr Aussicht auf Erfolg, als der isoliette Ruf nach Verwaltungskompetenz bei gleichzeitiger Freistellung von den fmanziellen Folgen durch die Bundeszuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung. Die Bundeszuschüsse stellen sich zusammen mit der Sozialgesetzgebung des Bundes den aktuellen Tendenzen zur Regionalisierung der Sozialversicherung entgegen, wie sie bereits in den Vorschlägen der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates und- in abgeschwächter Form- der Gemeinsamen Verfassungskommissionund der daraufberuhenden Neufassung des Art. 87 II GG2 FAZ Nr. 104 v. 4.5.1996, S. 13. BR-Drucks. 360/92, Rz. 84 ff.; Beschluß der 70. Konferenz der Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer (ASMK) vom 13./14.10.1993 (unveröffentlicht); BTDrucks. 12/6000, S. 41 f.; 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBI. I S. 3146 ff.). Vgl. zur Neufassung der Vorschrift oben 3. Kapitel IV I. Die Entwicklung wurde durch eine Initiative Bayerns ausgelöst. Sie führte mit Beschluß der 68. ASMK vom 10./11.10.1991 (unveröffentlicht) zur Forderung nach einer 1
2
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5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
zum Ausdruck gekommen sind. Der nicht in Frage gestellte "goldene Zügel" der Bundeszuschüsse läßt die angestrebte prinzipielle Verdrängung des Bundes aus dem sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsvollzug wegen seiner verbleibenden fmanziellen Letztverantwortlichkeit jedoch inkonsequent erscheinen. Landeszuschüsse entsprächen eher den politischen Bestrebungen zur Föderalisierung der Sozialversicherung, freilich in einem von ihren Befürwortem wohl kaum beabsichtigten Ausmaß.
I. Föderalisierung der Sozialversicherung Bislang hat die Initiative nur bei der Neufassung des Art. 87 II GG einen schwachen Erfolg gehabt.
1. Neufassung des Art. 87 II GG Art. 87 II GG a.F. schrieb vor, daß Sozialversicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereiche sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken, zu bundesunmittelbaren Trägem werden. § 90 SGB IV gestaltet die verfassungsrechtliche Vorgabe näher aus: Die Vorschrift unterstellt die bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträger der Bundesaufsicht, die landesunmittelbaren der Landesaufsicht Bei der von der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates vorgeschlagenen Neufassung des Art. 87 II GG ging es im Kern darum, die Verwaltungszuständigkeit fiir die Sozialversicherung erheblich weiter als bisher vom Bund auf die Länder zu übertragen und unter den Ländern in der Sozialversicherung eine Zusammenarbeit zuzulassen. Nach dem etwas komplizierten Vorschlag sollten neue Sozialversicherungsträger grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen, sofern sie nicht ausschließlich fiir Einrichtungen des Bundes bestehen, oder sich ihr Zuständigkeitsbereich auf mehr als drei Länder erstreckt und die Bundesunmittelbarkeit mit Zustimmung des Bundesrates gesetzlich angeordnet wird. Bestehende bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger sollten sofort in landesunmittelbare umgewandelt werden, wenn sie nicht fiir mehr als drei Länder zuständig sind. Bundesunmittelbare Sozialversicherungsträger mit einem weiter gezogenen Zuständigkeitsbereich sollten in bundesunmittelbarer Verwaltung verbleiben, wenn sie durch Bundesgesetz errichtet worden sind (BA, Bundesknappschaft). Anderenfalls sollten sie Organisationsreform der Sozialversicherung; hierzu Leyendecker, ZfSHISGB 1992, S. 281, 282.
I. Föderalisierung der Sozialversicherung
373
binnen vier Jahren in landesunmittelbare Versicherungsträger umgewandelt werden (betroffen waren: die Mehrzahl der Ersatzkassen und Berufsgenossenschaften, einige Betriebskrankenkassen), sofern nicht durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz eine anderweitige Bestimmung getroffen wird3• Dieser Vorschlag setzte sich in der Gemeinsamen Verfassungskommission nur teilweise durch. Die Kritik verwies gegenüber der beabsichtigten Ausweitung der Länderaufsicht über die Sozialversicherungsträger auf die Probleme bei der Bestimmung des aufsichtsfiihrenden Landes, auf die gut funktionierende Bundesverwaltung und auf den erheblichen fmanziellen Aufwand, der mit der Griindung neuer Aufsichtsbehörden der Länder verbunden sei4 • Die inzwischen auf Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission beschlossene Neufassung des Art. 87 II GG greift die föderalismusfreundliche Tendenz des Vorschlags der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates zwar auf. Sie erschöpft sich aber darin, ergänzend zur früheren Fassung der Vorschrift (jetzt Satz 1) in den neu eingefügten Satz 2 für diejenigen Sozialversicherungsträger die Landesunmittelbarkeit vorzusehen, deren Zuständigkeitsbereich das Gebiet eines Landes, aber nicht von mehr als drei Ländern überschreitet, wenn die beteiligten Länder die Aufsichtsführung über diese Versicherungsträger einem der Länder zuweisen5 • Für die Regionalisierung der Sozialversicherung hat die Neufassung der Vorschrift wenig gebracht6 •
2. Weitere Pläne Die Bestrebungen zur Regionalisierung der Sozialversicherung sind ungeachtet des geringen Erfolgs der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates aktuell7 • Neben dem Gesetzesentwurf zur Organisationsreform der Rentenversicherung gelangen die föderalistischen Tendenzen des Vorschlags der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates in einer Vielzahl weiterer Pläne der Länder zum Ausdruck: 3 BR-Drucks. 360/92, Rz. 84 f. Vgl. zum Ganzen anschaulich /sensee, NZS 1993, S. 281 , 282.; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 59; Mende, in: SV 1992, S. 172, 173. 4 BT-Drucks 12/6000, S. 42. 5 Vgl. hierzu oben 3. Kapitel IV l. 6 Papier, NZS 1995, S. 241 f. 7 Vgl. hierzu die Tagung der Gesellschaft ftir sozialen Fortschritt e.V. in Bonn am 25 .5.1994, die im Rahmen einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung das Thema "Regionalisierung oder Zentralisierung in der Rentenversicherung?" diskutierte; Abdruck der Referate mit zusammenfassender Wertung der kontroversen Diskussion in: SF 1994, S. 153 ff. und den Beschluß der ASMK vom 20./21.9.1995 (unveröffentlicht); hierzu Pitschas, DAngVers 1995, S. 418 ff. Vgl. ferner die kritische Stellungnahme von Papier, NZS 1995, S. 241 ff.
374
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
So soll die Rentenversicherung der Angestellten der BfA vollständig entzogen und auf die Landesversicherungsanstalten übertragen werden8• Andere Vorschläge wollen die bundesunmittelbaren Krankenkassen (Ersatzkassen, zahlreiche Betriebskrankenkassen) in einen Verband mit den AOK-Kassen auf Landesebene einbeziehen, oder Beitragsmittel der BA den Ländern zur Förderung einer regionalen Arbeitsmarktpolitik überweisen9 •
3. Begründung Die Befiirworter der Neufassung des Art. 87 II GG haben auf den Widerspruch zwischen den Gewichtsverschiebungen zugunsten bundesweiter Versicherungsträger10 und dem föderativen Staatsaufbau einerseits sowie dem Gedanken der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger andererseits verwiesen. Für die Länder bedeuteten diese Verlagerungen untragbare substantielle Verluste. Die Träger der Sozialversicherungen seien für die regionale Struktur eines Landes Einrichtungen von erheblichem Gewicht. Ohne die Änderung des Art. 87 II GG wäre jede Krankenkassse eines Unternehmens, das in den neuen Ländern einen Zweigbetrieb errichtet, automatisch in Bundesaufsicht überführt worden. So habe das bis zur Neufassung geltende Recht die Betriebskrankenkasse der BMW-AG automatisch der Bundesaufsicht unterstellt, als sie Arbeitnehmer in einer neu errichteten Berliner Filiale versicherte; in Nordrhein-Westfalen ging die Betriebskrankenkasse eines großen Unternehmens in Bundesaufsicht über, als sie einen einzigen Arbeitnehmer in einer baden-württembergischen Filiale versicherte 11 . Die Änderungen verursachten keine erheblichen Mehrkosten. Inhaltlich habe sie schon der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee diskutiert12. Die einheitliche Zuständigkeit der Landesrentenversicherungsanstalten für alle Arbeitnehmer soll die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten verwirklichen helfen13 •
8 Weitere differenzierte Vorschläge zur Neuorganisation der Rentenversicherung bei Wannagat, SGb 1989, S. 140, 143 f.; von Einem, SGb 1992, S. 388, 392 f.; Kolb, DRV 1991 , S. 1 ff.; ders., Die Sozialversicherung 1992, S .. 234,239 f. 9 Zusammenfassend Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58; lsensee, NZS 1993, S. 281. Detailliert Leyendecker, ZfSHISGB 1992, S. 281, 288 f. 10 Vgl. im einzelnen unten III 2. 11 Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281, 285 f. mit Beispielen; vgl. lsensee, NZS 1993, S. 281, 283 mit weiteren Beispielen. 12 Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281, 286; vgl. BR-Drucks. 360/92 Rz. 88 f. 13 Zur Entwicklung dieser Unterscheidung z.B. Mende, in: SV 1992, S. 172, 175 f. m. vielen w.N.; ferner Hromadka, ZfA 1994, S. 251 ff.; umfassend Wank/Müller/
II. Kritik in der Literatur
375
Die Beseitigung der Sonderstellung der Ersatzkassen gegenüber den AOKKassen soll sozialversicherungsrechtliche Ungleichheit beseitigen. Die damit einhergebende Regionalisierung der Kranken- und der Rentenversicherung soll wie die Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik verstärkt den regionalen Bedürfnissen Rechnung tragen14• Von der Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik versprechen sich ihre Befiirworter Synergieeffekte durch aus der Kooperation regionaler wie lokaler Institutionen und Betriebe, die die Beschäftigungsstruktur stärken. Regionale und lokale Konsensbildung sollen die Kontrollen über den Mitteleinsatz verbessern und Mitnahmeeffekte verringern helfen. Fernerhin erhofft man sich eine stärkere Abstimmung der verschiedenen Förderungsinstrumente und deren Verbindung zu problemgerechteren Programmpaketen. Insgesamt geht es um eine problemadäquatere und effiZientere Anwendung des Förderinstrumentariumsls.
n.
Kritik in der Literatur
Die Föderalisierung war schon mit der früheren Fassung des Art. 87 II GG vereinbar, da die Norm keine institutionelle Garantie enthielt16• Teile der Literatur und Politik kritisieren die Zweckmäßigkeit einer über die Neufassung der Vorschrift hinausgebenden Regionalisierung der Sozialversicherung und die Notwendigkeit ihrer verfassungsrechtlichen Regelung. Auch der einfache Gesetzgeber könne ihren Inhalt regeln, da die Verfassung keine institutionelle Garantie des Organisationsbestandes der Sozialversicherung enthalte. Das Grundgesetz ermögliche dem Bundesgesetzgeber in Art. 74 Nr. 12 GG sowohl unitarische wie föderalistische Lösungen, wenn es um die
Schmidt, Arbeiter und Angestellte - Zur Unterscheidung im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht 14 Vgl. fürdie ArbeitsmarktpolitikHü/smeier, SozSich 1992, S. 109, 111 mit Bericht über eine entgegengesetzte Stellungnahme des BMA. l S Beschluß der 70. ASMK vom 13./14.10.1993, S. 28 ff., 60 ff. (unveröffentlicht). Zur Argumentation zugunsten des derzeitigen Zustandes: Vorstand und Geschäfts.fiihrung der BfA, DAngVers 1992, S. 393 ff.; Hülsmeier, SozSich 1992, S. 109, 111; Baum, ArbuSozPoll992, S. 9, 10 ff.; Andre, SF 1994, S. 7 ff. Kritik bei Leyendecker, ZtsWSGB 1992, S. 281, 282 ff., 286; Mende, SV 1992, S. 172, 174 ff.; von Einem, SGb 1992, S. 388, 389 ff. ; Kolb, SV 1992, S. 234, 238; Kirschner, ArbuSozPol 1992, S. 4, 8; vergleichsweise früh Wannagat, SGb 1989, S. 140, 143 f., dem es allerdings nicht um föderale Gesichtspunkte geht. 16 /sensee, NZS 1993, S. 281,283 m.w.N.; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 59. Vgl. oben 3. Kapitel I I.
376
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
Verteilung der Sozialversicherungsträger auf Bund und Länder gehe. Eine verfassungsrechtliche Zementierung der beabsichtigten Föderalisierung enge den Gesetzgeber unnötig ein17• Soweit mit Beitragsmitteln der BA regionale Arbeitsmarktpolitik betrieben werden soll, könne der einfache Gesetzgeber die Landesarbeitsämter und den zum Bundesbereich zählenden Unterbau der BA in Landeskörperschaften umwandeln18. Gegenüber der Föderalisierung als solcher verweist die Kritik auf den Unitarismus der Sozialversicherung -in diesem Zusammenhang unter Zweckmäßigkeitserwägungen19: Die öffentliche Meinung nähme Leistungs- und Belastungsunterschiede als Preis für eine weitgehend eigenstaatliche Lösung nicht hin, da annähernd gleichmäßige Leistungen zu einer Selbstverständlichkeit geworden seien20 • Außerdem bedürfe die Finanzmacht der Fonds der sozialen Selbstverwaltung der Transparenz und Disziplinierung. Hierzu trage der Dualismus zwischen zentralen und dezentralen Trägem der Sozialversicherung als Faktor vertikaler Gewaltenteilung bei. Er diene der Legitimation der sozialen Selbstverwaltung, schütze das gegliederte System der Sozialversicherung, bewahre "seine bescheidenen Chancen zu Innovation und Wettbewerb" und hege den "Restbestand ( ...) systemnotwendiger Ungleichheit"21 •
111. Duales System und Föderalismus Der Verweis der gegen die Regionalisierung vorgebrachten Kritik auf die "systemnotwendige ( ...)Ungleichheit" erstaunt angesichts des vorherigen Verweises auf die Gleichheit der Lebensbedingungen: lsensee sieht sich hierzu veranlaßt, da eine Beseitigung des gegliederten Systems der Krankenversicherung zum "Abbau an organisatorischer Gliederung, an Vielfalt, Vielgestalt und Eigenverantwortlichkeit" fiihren würde. Die mit der Föderalisierung angestreb-
17
60.
lsensee, NZS 1993, S. 281, 283; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58,
18 Mit Argumenten gegen eine umfassendere Regionalisierung der Arbeitslosenversicherung lsensee, NZS 1993, S. 281 , 283; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 59. 19 So ausdrücklich Heintzen!Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60. lsensee, NZS 1993, S. 281 , 282 fordert eine "rechtspo1itische Kosten-Nutzen-Analyse". 20 Vgl. oben 4. Kapitel III 4. 21 Isensee, NZS 1993, S. 281, 285; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60.
III. Duales System und Föderalismus
377
te Ausdehnung und Egalisierung der Finanzausgleichssysteme könne regionale Unterschiede in der Leistungsfähigkeit und -bedürftigkeit beseitigen, "Ungleichheit im Umgang mit knappen Ressourcen, in der Ökonomie der öffentlichen Mittel und in der Anspruchsmentalität und Nachfragemoral" egalisieren und die Eigenverantwortlichkeit des Gebers und des Nehmers schwächen. Das sei gefährlich22 • Diese Ausführungen könnten auch als Plädoyer fiir den Föderalismus verstanden werden. So wird von selber Seite auch darauf hingewiesen, der Sinn foderaler Gliederungen ("Auflockerung und Transparenz der Strukturen, ( ...) Wettbewerb und Anreize fiir Sparsamkeit", Ausschluß von "Zusammenballungen administrativer Macht") werde zwar im wesentlichen durch das duale System und die soziale Selbstverwaltung gewährleistet, aber auch durch die fOderale Aufteilung der Verwaltungszuständigkeiten23 • Der Dualismus zwischen landes- und bundesunmittelbaren Sozialversicherungsträgem soll danach dem Föderalismus vergleichbare Auswirkungen haben. Warum eine Regionalisierung der Sozialversicherung gegenüber einer Beibehaltung des gegliederten Systems verfassungspolitisch weniger wünschenswert sein soll, ist nicht ohne weiteres einzusehen. Die angestrebte Regionalisierung der Sozialversicherung würde die gewaltenteilende Funktion des gegliederten Systems nicht beseitigen, sondern nur von der vertikalen auf die horizontale Ebene verschieben: Die horizontale Gewaltenteilung zwischen den Versicherungsträgem der einzelnen Länder würde die vertikale Gewaltenteilung aus dem Dualismus zwischen zentralen und dezentralen Sozialversicherungsträgem ersetzen. Der Verweis auf die erwiesene Funktionstüchtigkeit des bisherigen Systems24 ist ausschließlich praktischer Natur. Verfassungspolitisch ist aber nicht nur entscheidend, daß das System funktioniert, sondern auch wie es funktioniert. Praktikabilitätsüberlegungen haben rechtspolitisch nur bedingt Überzeugungskraft. Der Veränderer sollte eine "rechtspolitische Kosten-NutzenAnalyse" vorlegen25.
22 Isensee, NZS 1993, S. 281, 284 f. 23
Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58,60 f.
24 /sensee, NZS 1993, S. 281, 282.
25 Zu dieser in jedem Rechtsgebiet geltenden Ausgangsmaxime der Rechtspolitik m.w.N. /sensee, 59. DJT, Bd. II, S. Q 35,43 Fn. 26; ders., ZRP 1985, S. 139, 144 f.
378
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
IV. Rechtspolitische "Kosten-Nutzen-Analyse" Für die Föderalisierung spricht die Ansiedelung der Versicherungsträger im jeweiligen Land. Die Bindung ihrer Personal- und Sachmittel bedeutet für die Länder einen Zugewinn an Arbeitsplätzen, Kaufkraft und an das Land gebundenen Kapitals26 • Gesamtwirtschaftlich betrachtet sind diese Vorteile allerdings marginal, da die Föderalisierung nur Arbeitsplätze und Kapital wnschichtet, nicht aber vermehrt. Für die jeweiligen Länder sind die Sozialversicherungsträger jedoch von erheblicher regional-wirtschaftlicher Bedeutung. 1. Regionalisierung in der Arbeitslosenversicherung
Soweit sich die Befürworter der Föderalisierung von einer Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik eine problemgerechtere und effizientere Tätigkeit der Versicherungsträger versprechen, verdienen die Argumente Zustimmung. Die Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse auf die regionale und lokale Ebene stärkt die soziale Selbstverwaltung, die dadurch zunehmend an Attraktivität gewinnen und bislang ungenutzte Potentiale freisetzen kann27 • 2. Regionalisierung in der Rentenversicherung
In der Rentenversicherung ist der beklagte Substanzverlust der Länder besonders groß: Waren 1953 bei der BfA in Berlin ca. 4 Mio. und bei den Landesversicherungsanstalten 12 Mio. Arbeitnehmer versichert, so hat die BfA die Landesversicherungsanstalten 1990 im Versieherlenbestand überholr8 • Dies Verhältnis wird sich nach der Prognose des Rentenversicherungsberichts wegen der Umkehrung des Verhältnisses Arbeiter/Angstelite weiter zuungunsten der Landesversicherungsanstalten verändem29 • Entsprechend wächst das Haus26 Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281, 282, 285 f. mit anschaulicher Schilderung der Bedeutung der Landesversicherungsanstalten am Beispiel Bayerns. Kritisch Kolb, SV 1992, S. 234, 238; Jsensee, NZS 1993, S. 281, 284; Heintzen!Kannengießer, DAng Vers 1993, S. 58, 61. 27 Beschluß der 70. ASMK vom 13./14.10.1993, S. 32. Dies läßt sich beispielhaft belegen an dem Überblick über die derzeitigen regionalen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Bremen bei Lüsebrink/Pollmeyer, ArbuSozPol. 1994, S. 31 ff., die auf die bereits aktuell praktizierte Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik hinweisen (S. 39 ff., 44 mit Tabelle 2) und die Vorteile einer lokalen Arbeitsmarktpolitik veranschaulichen. 28 Hülsmeier, SozSich 1992, S. 109; Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281, 282.
IV. Rechtspolitische "Kosten-Nutzen-Analyse"
haltsvolumender BfA- 1993: 143 Mrd. DM30 schäftigten liegt bei 20.000 Personen31 •
-
379
ständig an. Die Zahl der Be-
Derartige Größenordnungen sind mit der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder fiir die Sozialversicherung nur schwer vereinbar. Durch die Umkehrung des Arbeiter-/Angestelltenverhältnisses wirkt sich die steigende Geburtenrate bei gleichzeitig zunehmender Lebenserwartung fiir die Landesrentenversicherungsanstalten wirtschaftlich besonders gravierend aus: Wegen der Änderung der Beschäftigungsstruktur kann die Arbeiterrentenversicherung den demographisch bedingt ohnehin erhöhten Finanzbedarf schlechter decken, als die Rentenversicherung der Angestellten32• Darüber hinaus fordert der durch schlechtere Arbeitsbedingungen höhere Anteil an Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten und der größere Aufwand fiir Rehabilitationsmaßnahmen die Arbeiterrentenversicherung fmanziell stärker heraus. Gleichzeitig sind die Einnahmen der Angestelltenversicherung aufgrund höherer Einkommen ihrer Versicherten größer. Aus diesen Gründen zahlt die BfA, bei der sich rund 2/3 des gesamten Barund Anlagevermögens der Rentenversicherung konzentriert, regelmäßig erhebliche Ausgleichsleistungen an die Arbeiterrentenversicherung33 • Eine solche Zentralisierung kollidiert mit dem föderalen Staatsaufbau. Hinsichtlich eventueller Verwaltungskostenvorteile der Landesversicherungsanstalten gehen die Ansichten aufgrund unterschiedlicher Bezugspunkte in den Berechnungen auseinander34• Richtig dürfte sein, daß Landesversicherungsanstalten und BfA letztlich gleichermaßen effizient arbeiten35 • Doch selbst wenn dem nicht so sein sollte, überwiegen die zahlreichen, zu einem erheblichen Teil effizienzsteigemden Vorteile einer Regionalisierung der 29 Die zwischenzeitlich - insbes. im Jahre 1989 und den Folgejahren - zu verzeichnende Zunahme von Versicherten in der Arbeiterrentenversicherung resultiert aus dem Zuzug arbeiterrentenversicherungspflichtiger Aussiedler und aus der Wiedervereinigung Deutschland. Diese Faktoren ändern aber nicht die tendenzielle Verschiebung der Beschäftigungsstruktur; Benkler, SF 1994, S. 155, 156. 30 Rentenversicherungsbericht 1994, BT-Drucks. 12/8309, S. 40, 45. 31 FAZ Nr. 104 v. 4.5.1996, S. 13; Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281,282. 32 Mende, SV 1992, S. 172, 173 f. 33 Mende, SV 1992, S. 172, 174. 34 Hülsmeier, SozSich 1992, S. 109, 110 mit Bericht über die Stellungnahmen des BMA und des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen; von Einem, SGb 1992, S. 388, 390; Meurer, SF 1994, S. 159, 161 ; Schewe, SF 1994, S. 166 f. Kolb, SV 1992, S. 234, 239 f. spricht sich ftir eine differenzierte Betrachtung aus. 35 Mende, SV 1992, S. 172, 174.
380
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
Sozialversicherung eventuelle zusätzliche Verwaltungskosten. Klar ist: Föderalismus gibt es nicht umsonst. Eine dezentral organisierte Rentenversicherung ermöglicht im Rehabilitationsbereich zahlreiche Vorteile, u.a. wegen der engeren Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten, Betriebsärzten und dem ärztlichen Dienst der Rentenversicherung, der verbesserten regionalen Kooperation der Rehabilitationsträger, der umfassenderen und kurzfristigeren Information und Betreuung, der besseren und Zielgerichteteren Auswahl der beteiligten Ärzte und der direkteren und persönlicheren Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt. Die bessere Kenntnis der örtlichen Verhältnisse durch eine Sachbearbeitung vor Ort gewinnt hier große Bedeutung und ermöglicht zahlreiche Efflzienzvorteile36. Vor allem stehen den Kosten adäquate, auf die tatsächlichen örtlichen individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Verwaltungsleistungen gegenüber. Das würde sogar einen höheren Verwaltungsaufwand rechtfertigen37. Die Kritiker einer Regionaliserung verweisen - nicht nur in Zusammenhang mit der BfA - gerne auf die Kostenvorteile einer zentralen Leistungserbringung. Aber wie alle modernen Dienstleistungsunternehmen stoßen auch Verwaltungen mit zunehmender Größe an die Grenzen einer effizienten Leistungserbringung38. Die andauernde zentralistische Tendenz der Zuständigkeitsverschiebungen weg von den länderbezogenen Arbeiterrentenversicherunsträgern hin zur bundesweit zuständigen Angestelltenversicherung konterkariert die prinzipielle Zuständigkeit der Länder. Die Regionalisierung könnte hier korrigierend eingreifen und die ausschließlich historisch erklärbare organisatorische Aufteilung der Rentenversicherung von Arbeitern und Angestellten auf verschiedene föderale Ebenen aufheben.
36
390.
Benkler, SF 1994, S. 155, 158; weitere Vorteile bei von Einem, SGb 1992, S. 388,
37 von Einem, SGb 1992, S. 388, 390. 38 Kolb, SV 1992, S. 234, 238; Benkler, SF 1994, S. 155, 156, 158 ("outsourcing"); Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 72 m.w.N. auch zum Standpunkt des BVerfG,
DVBI. 1989, S. 300, 303, das eine zentrale Verwaltungsorganisation gegenüber der gemeindlichen Selbstverwaltung unter Kostengesichtspunkten "in vielerlei Hinsicht" flir effizienter hält. Diese Auffassung ist in dieser Pauschalität betriebswirtschaftlich nicht haltbar. In diesem Sinne auch Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 230 a.E.
IV. Rechtspolitische "Kosten-Nutzen-Analyse"
381
3. Regionalisierung in der Krankenversicherung39 Die gesetzliche Krankenversicherung hat ähnliche Gewichtsverschiebung zugunsten bundesunmittelbarer zentraler Versicherungsträger zu verzeichnen40: In den alten Bundesländern ist die Zahl der Versicherten bei den Ersatzkassen von ca. 7,6 Mio. im Jahre 1970 auf ca. 12,2 Mio. im Jahre 1990 angewachsen. Die an die Unterscheidung zwischen Arbeiter und Angestellten gebundene Ausformung der Wahlrechte der Versicherten beeinflußte diese Entwicklung wesentlich41 • Hier gilt das gleiche wie für die Rentenversicherung. Darüber hinaus sind u.a. folgende Nachteile des bisherigen Zustandes auszumachen, denen eine Regionalisierung abhelfen könnte: Das unterschiedliche Agieren der Ersatz- und der landesunmittelbaren Krankenkassen bat einen kostentreibenden Wettbewerb und den Verlust regionaler Steuerungsmöglichkeiten zur Folge. Das Fehlen einer regionalen Einnahmenund Ausgabenrechnung verdeckt zusammen mit dem bundeseinheitlichen Beitragssatz der bundesunmittelbaren Träger regionale Handlungsbedürfnisse und macht Transparenz und Wettbewerb nahezu unmöglich. Die fehlende regionale Entscheidungsebene erschwert die Mitgestaltung gesundheitspolitischer Entscheidungen am Ort der Kostenverursachung42 • Eine landesspezifische Gesundheitspolitik ist in dem derzeitigen System nur mit erheblichen Einschränkungen möglich43 • Der Abbau der gravierenden Beitragssatzunterschiede zwischen den landesunmittelbaren Versicherungsträgem (8-16,5 %) könnte die Solidarität der Versicherten stärken44, vor allem aber verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlungen beseitigen helfen. 4. Nutzen und Chancen des Föderalismus für die Sozialversicherung Die Regionalisierung der Sozialversicherung könnte einen Großteil der im Grundgesetz angebotenen Chancen des Föderalismus45 nutzen. 39 Hierzu demnächst Lotbar Hixt, Regionalisierung und Föderalisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, Frankfurt a. M. 1996. 40 Leyendecker, ZfSHISGB 1992, S. 281, 285. 41 Vgl. ZwölfThesen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, "Föderalismus und Sozialversicherung", in: SozSich 1992, S. 112,113. 42 Leyendecker, ZfSHISGB 1992, S. 281,285. 43 BR-Drucks. 360/92, Rz. 86. 44 Hülsmeier, SozSich 1992, S. 109, 110. 45 Hierzu oben 4. Kapitel III 4 b cc.
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5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
a) Integrationsfunktion Eine fOderative Sozialversicherung bietet dem Bürger durch "mehr Ortsund Bürgernähe und die Beachtung regionaler Interessen" ungleich mehr "Chancen ( ... ) zu Engagement und Einflußnahme und damit zur Identiftkation mit den verschiedenen Trägem"46 als das bisherige System. Deutlich wird dies über die bereits angefiihrten Beispiele hinaus z.B. an folgendem: Wendet sich der versicherte Bürger mit Beschwerden oder Petitionen an Landesstellen, teilen diese ihm häufig mit, daß keine Einwirkungsmöglichkeiten in seinem Sinne bestehen, da das angesprochene Versicherungsamt der Bundesaufsicht untersteht47; die Landesstelle muß ihn an das Bundesversicherungsamt verweisen48. Solche Erfahrungen fördern einen Entfremdungsprozeß zwischen Bürger und Verwaltung, dem Technisierung und Anonyrnisierung der Sozialversicherungsverwaltung und nicht zuletzt auch die beständige Erhöhung der Abgabenlast ohnehin Vorschub leisten. Der bisher fehlende oder zumindest wenig ausgeprägte örtliche Bezug kollidiert darüber hinaus mit der verfassungsrechtlich durch Art. 87 li GG für die Sozialversicherung indizierten sozialen Selbstverwaltung: Selbstverwaltung erfordert wegen ihres konstitutiven Merkmals der Betroffenenmitwirkung (Partizipationsprinzip)49 einen örtlich engen Bezug. Erst die lokale Nähe kann zwischen den Sozialversicherungsträgem und den versicherten Arbeitnehmern wie Arbeitgebern eine Mitwirkung der Betroffenen ermöglichen. Diese Nähe können regiona~e Versicherungsträger leichter und besser herstellen, als zentrale Träger. Dies verdeutlichen z.B. die vorteilhaften Bindungen von Auskunfts- und Beratungsstellen oder ärztlichen Beratungsstellen an die Hauptverwaltungen der Träger. Örtliche Stellen der zentralen Versichertenträger (z.B. der BfA) können diese Vorteile mangels eigener Entscheidungsbefugnisse nicht ausreichend kompensieren50• Regionaler Bezug und Ortsnähe ermöglichen Versicherten und Arbeitgebern unmittelbare Einblicke in Verwaltungsstrukturen und eigenverantwortliche Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Die Integrations- und Identiftkations-
46 Zwölf Thesen des Ministeriums ftir Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, "Föderalismus und Sozialversicherung", in: SozSich 1992, S. 112. 47 Leyendecker, ZfSH/SGB 1992, S. 281, 286. 48 BR-Drucks. 360/92, Rz. 86. 49 Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 23 ff. nennt als weitere konstitutive Merkmale die öffentlich-rechtliche Rechtsform und das Merkmal der eigenverantwortlichen Aufgabenerflillung. 50 von Einem, SGb 1992, S. 388, 390 mit zahlreichen weiteren Vorteilen einer dezentralen Organisation der Sozialversicherung.
IV. Rechtspolitische "Kosten-Nutzen-Analyse"
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kraft der Selbstverwaltung resultiert aus der unmittelbaren Einbindung der Versicherten und Arbeitgeber in die Gestaltung der Sozialversicherung, die eine regionale, ortsnahe Betätigung der Entscheidungsträger in überschaubaren Verwaltungseinheiten erst ermöglicht. 51 Integration und Identifikation sind unerläßliche Voraussetzungen für das Funktionieren dieses Systems. Selbstverwaltung und Föderalismus treffen sich soziologisch im Gedanken der Integration und ldentiftkation52•
b) Gewaltenteilende Funktion Darüber hinaus sind Bundesstaatlichkeit und Selbstverwaltung als zwei Erscheinungsformen der Dezentralisation staatlicher Herrschaft53 gleichermaßen Ausdruck des Gewaltenteilungsgedankens. Bundesstaatlichkeit und Selbstverwaltung streuen hoheitliche Macht und dienen dadurch dem Freiheitsschutz. Der Selbstverwaltungsgedanke erfährt im Gewaltenteilungsprinzip innere Abstützung: Das Verwaltungsorganisationsprinzip Selbstverwaltung bewirkt durch die Pluralisierung der hoheitlichen Entscheidungsträger rechtsstaatliche Machtbeschränkung. Es dient damit wie das Bundesstaatsprinzip der im Interesse des Freiheitsschutzes erfolgenden Diversiflzierung hoheitlicher Macht. Hier bestehen der politischen Idee nach Gemeinsamkeiten zwischen Bundesstaatlichkeit und Selbstverwaltung54 • Die "Stärkung foderativer Strukturen durch eine dezentralisierte Erfiillung von Verwaltungsaufgaben [wird] dem Prinzip der Selbstverwaltung mehr gerecht"55• Wer der Verfassung nicht das Gebot zur Föderalisierung der Sozialversicherung entnehmen möchte, darf die 51 Die These von der Qualitätsverbesserung der Verwaltungsleistungen durch Selbstverwaltung ist umstritten. Weil die Verwaltenden mit den Verhältnissen vor Ort besonders vertraut sind, sind sie in diese Verhältnisse auch besonders eingebunden. Daraus erwächst die Gefahr der "Kungelei". Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 74 m.w.N. umschreibt dies vornehmer damit, "daß sich gerade diese Vertrautheit insofern qualitätsmindernd auswirkt, als die sachlich-distanzierte Verwaltungstätigkeit zugunsten eines stärker von irrationalen Faktoren beeinflußten administrativen Prozesses zurückgedrängt wird(...). Denn mit der Nähe zur Sache wächst erfahrungsgemäß das innere Engagement und damit unter Umständen auch der Einfluß der persönlichen Präferenzen und Aversionen auf die zu treffenden Entscheidungen. Es besteht die Gefahr, daß sich die Bereitschaft beziehungsweise der soziale Druck zu besonderen Rücksichtnahmen verstärkt. Namentlich aufgrund der in den engeren Lebenskreisen üblicherweise vorhandenen persönlichen Beziehungen und Abhängigkeiten können leicht sachfremde Erwägungen in den Entscheidungsvorgang eindringen". 52 Vgl. zu dieser Parallele Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 67 ff. mit weiteren Erläuterungen zur Integrationsfunktion der Selbstverwaltung und w.N. 53 Henke/Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 26. 54 Hendler, in: HStR, Bd. IV,§ 106 Rn. 22, 51 jeweils m.w.N. 55 Kolb, SV 1992, S. 234, 240 m.w.N.
384
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
verfassungsrechtlich verankerte soziale Selbstverwaltung als einer der wichtigsten Garanten der Funktionsfabigkeit der sozialen Sicherung nicht aus den Augen verlieren. Die rechtspolitische Kosten-Nutzen-Analyse zeigt, daß eine Viezahl von Gründen für die Regionalisierung der Sozialversicherung sprechen.
V. Einheitlichkeit der Sozialleistungen durch kooperativen Föderalismus56 Den von den Kritikern der Föderalisierung befürchteten Ungleichheiten im Leistungs- und Beitragsgefüge könnte eine Zusammenarbeit der Länder entgegenwirken. Sie gilt schon heute "als probates Mittel, um das Spannungsverhältnis zwischen dem Vielfalt und Dezentralisation einfordernden Bundesstaatsprinzip und den unitarischen Impulsen des Sozialstaatsprinzips aufzulösen"57. Gerade weil die öffentliche Meinung Ungleichheiten nur begrenzt hinnimmt, werden die Länder es gar nicht erst so weit kommen lassen, daß sich wegen gravierender sozialversicherungsrechtlicher Ungleichheiten der Unmut des Wählers über die Maßen erregt. Sie werden sich vorher entsprechend untereinander abstimmen. Solche Abstimmungen werden schon heute in gemeinsamen Einrichtungen der Länder praktiziert58. Föderative Verschiedenheit bedeutet nicht zwangsläufig Ungleichheit der Lebensverhältnisse. Für den Bundesstaat macht es aber einen bedeutenden Unterschied aus, ob der Bund diktiert, oder die Länder sich einigen59• Der praktizierte kooperative Föderalismus wird trotz vielfach geäußerter Kritik mittlerweile ganz überwiegend für verfassungsrechtlich zulässig und praktisch sinnvoll gehalten60 • Der Vorschlag, ihn 56 Vgl. hierzu insbes. Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland; Böckenforde, in: Politik als gelebte Verfassung, FS Schäfer, S. 182 ff. Rudolf, in: HStR, Bd. IV,§ 105. 57 Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60; Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, S. 150. 58 Isensee, NZS 1993, S. 281, 282. m.w.N. und Beispielen; ders., in: HStR, Bd. IV, § 98 Rn. 175; vgl. bereits ders., Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 234 ff.; ferner Rudolf, in: HStR, Bd. IV, § 105 Rn. 14 und zu den verschiedenen Kooperationsverfahren im einzelnen Rn. 29 ff. 59 BVerfGE 12,205 (252); Isensee, NZS 1993, S. 281, 283. 60 Isensee, NZS 1993, S. 281, 282; ders., in: HStR, Bd. IV,§ 98 Rn. 175 ff. jeweils m.w.N. auch zur früheren Kontroverse; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 59 f.; Papier, NZS 1995, S. 241, 244. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen intrafoderativer Kooperation Rudolf, in: HStR, Bd. IV,§ 105 Rn. 79 ff. Vgl. zu den Reformüberlegungen und Entwicklungslinien des kooperativen Föderalismus den interdisziplinären Uberblick bei Henke!Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Län-
VI. Föderalisierung der Sozialversicherung und Länderzuschüsse
385
durch die - inzwischen erfolgte - Neufassung des Art. 87 II GG auch für die soziale Selbstverwaltung verfassungsrechtlich zu ermöglichen, erhielt einhellige Zustimmung61 •
VI. Föderalisierung der Sozialversicherung und Länderzuschüsse Gegen die Föderalisierung wird vorgebracht, landespolitische lngerenzen könnten die Sachlichkeit und Effektivität der Aufgabenerfiillung in der Sozialversicherung nicht fordern. Das ist nicht richtig62• Allerdings werden solche lngerenzen mit der Begründung für eher unwahrscheinlich gehalten, die Länder würden die fmanziellen Folgen ihres Handeins nach ihren eigenen Plänen wegen der beizubehaltenden Zuschußpflicht des Bundes nicht treffen63 • Das triffi nach der gegenwärtigen Verfassungspraxis zu. 1. Erhöhte EffiZienz der Aufsichtsführung Läge die fmanzielle Letztverantwortlichkeit jedoch wie hier vorgeschlagen bei den Ländern, wäre diesem Argument die Basis entzogen. Ein Landeszuschuß böte für die jeweilige Landesregierung und die zuständigen Landesbehörden ausreichend Anlaß, das ihnen zur VerfUgung stehende Instrumentarium staatlicher Aufsicht zu nutzen. Jenes beschränkt sich nicht, wie von den Gegdem im vereinten Deutschland, S. 18 ff. Vgl. ferner aus finanzwissenschaftlicher Sicht Benz; in: Verwaltungsreform und Verwaltungspolitik im Prozeß der deutschen Einigung, S. 454 ff. Aus politikwissenschaftlicher Sicht erläutern Haungs, in: Föderalismus im deutsch-britischen Meinungsstreit, S. 119, 125 ff. und Müller-Brandeck-Bocquet, in: Die Integration Europas, S. 160, 163 ff. aktuelle Probleme des kooperativen Föderalismus und sich daraus ergebende Bedenken. Kritisch Böckenforde, in: Politik als gelebte Verfassung, FS Schäfer, S. 182, 186, 188 f., der im kooperativen Föderalismus eine Rückentwicklung vom souveränitätsbezogenen Konzept der Gewaltentrennung zum ständestaatlich geprägten Konzept der "Gewalt-teilung" ausmacht (S. 188 f. m.w.N.) und strukturelle demokratische Defizite aufzeigt (S. 190}, die der Parteienstaat jedoch politisch überlagert (S. 190 ff. ); Schenke, JuS 1989, S. 698, 700; Ossenbühl, DVBI. 1989, S. 1230, 1234 f.: "Kooperativer Föderalismus ist Exekutivföderalismus". Abwägend Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland; ders.; Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 234. 61 Isensee, NZS 1993, S. 281, 283. 62 Vgl. oben 4. Kapitel V I a. 63 Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60 f.; Isensee, NZS 1993, S. 281, 284. 2~
Kranz
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5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
nern der Föderalisierung angefiihrt, auf die bloße Rechtsaufsicht nach § 87 I SGB Jy64, sondern ermöglicht der Aufsichtsbehörde gern. § 70 SGB IV eine Kontrolle im Haushalts- und Rechnungswesen bis hin zur Notfalls eigenen Feststellung des Haushaltsplans(§ 70 III 2, 3 SGB IV), die weit über eine bloße Rechtsaufsicht hinausgeht und in ihren praktischen Auswirkungen einer Zweckmäßigkeitsaufsicht entspricht65 • Die Länder gewännen durch die Regionalisierung die Personal- und ~ine allerdings eingeschränkte - Organisationshoheit über die Sozialversicherungsträger, sowie Einfluß auf Finanzströme innerhalb des Versicherungssystems und auf die Gestaltung von Verträgen zwischen Krankenkassen und Leistungsträgern66. Angesichts dieser Mitwirkungsrechte der Aufsichtsbehörden sticht das Argument nicht, eine regionalisierte Sozialversicherung entzöge sich wegen des Prinzips der sozialen Selbstverwaltung dem Zugriff der politischen Führungsorgane der Länder67 • Die durch aufsichtsbehördliche Mitwirkungsrechte ermöglichten landespolitischen Iogerenzen können und werden die EfflZienz der Tätigkeit der Sozialversicherungsträger steigern. 2. Beseitigung des interkorporativen Finanzausgleichs Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hält in Verbindung mit ihren Reformvorschlägen auch künftig den über die Ländergrenzen hinaus stattfmdenden interkorporativen Finanzausgleich zwischen den Landesversicherungsanstalten fiir notwendig68 • Gegen ihn richtet sich heftige Kritik, da sich der interkorporative Finanzausgleich den Regeln des horizontalen Finanzausgleichs entzieht und die Fondsverwaltung der Sozialversicherungsträger "praktisch vom Trennungsprinzip der bundesstaatliehen Finanzverfassung frei( ...)stellt"69 • Bedenklich sei auch die Befugnis des Bundes, fiir den Notfall, daß die Länder sich nicht einigen können, Finanztransfers gesetzlich zu erzwingen70 • 64
/sensee, NZS 1993, S. 281, 284; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58,
65
Hendler, in: HStR, Bd. IV,§ 106 Rn. 37. Vgl. oben 4. Kapitel V 1 a aa.
61.
66 Das ist für Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58,61 "wenig". Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 61. Bericht bei Hülsmeier, SozSich 1992, S. 109, 110. Für einen solchen Finanzausgleich Kolb, SV 1992, S. 234, 238 f. 69 /sensee, NZS 1993, S. 281, 284 m.w.N.; Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, s. 58, 60. 70 Heintzen/Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 60. 67
68
VI. Föderalisierung der Sozialversicherung und Länderzuschüsse
387
Landeszuschüsse könnten hier Abhilfe schaffen: Der Finanzausgleich zwischen den Sozialversicherungsträgem der Länder ist obsolet, wenn der Bund die Länder wie vorgeschlagen im Wege des vertikalen Finanzausgleichs nach Art. 106 GG71 gleichmäßig mit den Mitteln ausstattet, die sie zur Zahlung der Landeszuschüsse bedürfen. Der durch Leistungs- und Beitragsunterschiede im Bundesgebiet erforderliche Ausgleich fande dann im Finanzausgleich des Art. 106 GG statt und wäre dort in kompetenzmäßig unbedenklicher Weise verortet Eine Beseitigung des interkorporativen Finanzausgleichs würde einen weiteren Kritikpunkt an der Regionalisierung der Sozialversicherung beseitigen: Übergreifende Finanzausgleichsmaßnahmen, die zu einer Aufhebung des systemintemen Wettbewerbs und damit der Anreize zur Kostenökonomie führen könnten, wären nicht zu befiirchten72 • 3. Systembedingte Ungleichheiten Geringfügige verbleibende Abweichungen zwischen den Ländern, die der interkorporative Finanzausgleich - vielleicht - eher minimieren kann, sind hinzunehmen und "systemnotwendig". Regionale Unterschiede sind im foderativen System angelegt und dessen konstitutiver Bestandteif3• Sie sind selbst im Einheitsstaat und auch innerhalb der einzelnen Bundesländer vorhanden, faktisch nicht vermeidbar74 und in verfassungsrechtlich zulässiger Weise auch gar nicht vollständig abzubauen: Bundes- und Sozialstaatsprinzip drängen nicht nur nach Gleichheit. Aus beiden Prinzipien ergibt sich ein Egalisierungs- und Nivellierungsverboe5, das die äußersten Grenzen der politischen Forderung nach einheitlichen Lebensverhältnissen markiert. Diese Forderung kann weder praktisch sinnvoll noch verfassungsrechtlich zulässig "bedeuten, daß an jedem Ort der Bundesrepublik die gleiche Erfüllung aller öffentlichen Aufgaben gewährleistet sein soll"76• Ein fiir die Herstellung völlig einheitlicher Lebensverhältnisse erforderlicher, die Länderfmanzen nivellierender Länderfmanzausgleich
Vgl. oben 4. Kapitel V 3 a. Isensee, 59. DJT, Bd. II, S. Q 35, 46 m.w.N. 73 Zimmermann, in: Beiträge zu ökonomischen Problemen des Föderalismus, S. 35, 71
72
53.
74 Rudolf, in: HStR, Bd. IV, § 105 Rn. 14, der für regionale Unterschiede im Einheitsstaat beispielhaft auf das Nord-Süd-Gefälle in Italien und für regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern auf die differierenden Arbeitslosenquoten verweist. 75 Henke!Schuppert, Rechtliche und finanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, S. 45. 76 Fischer-Menshausen, in: Probleme des Finanzausgleichs I, S. 135, 149; vgl. hierzu schon oben 4. Kapitel III 4.
388
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
würde die einzelstaatliche Eigenverantwortlichkeit schwächen und wäre nach Auffassung des BVerfG unzulässig77 • Eine "forcierte Einebnung der regionalen Leistungsunterschiede" wäre nach Fischer-Menshausen auch "wirtschafts-und sozialpolitisch unerwünscht, weil sie in den benachteiligten Gebieten den Willen zur Selbsthilfe schwächen und eine auf interregionalen Wettbewerb, Produktivitätssteigerung und ökonomischen Fortschritt gerichtete Entwicklungspolitik beeinträchtigen würde"78 • "Einheitlichkeit i. S. von Gleichwertigkeit der Lebensqualität" kann man sich "in den Ländern sehr wohl und in mancherlei Hinsicht sogar besser im Föderalismus vorstellen ( ...), freilich unter der Prämisse, daß die Länder bei der Steuerverteilung stärker berücksichtigt werden, als dies heute der Fall ist" 79 • 4. Vereinheitlichung der Aufsichtsführung durch Regionalisierung Die Vorschläge zur Regionalisierung der Sozialversicherungsträger ergänzen den hier unterbreiteten Vorschlag zur Etablierung von Ländeszuschüssen, soweit sie auch dort eine Länderverwaltung einfUhren wollen, wo die Bundeszuschüsse wegen der bisherigen Bundesverwaltung sachgerecht und rechtmäßig erschienen80• Die intendierte Regionalisierung der BA und der BfA verschöbe die Verwaltungskompetenz für diese bundesunmittelbaren Versicherungsträger in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Die verbleibenden bundesunmittelbaren Versicherungsträger (Bundesknappschaft, Bundesbahn-Versicherungsanstalt) könnten folgen. Eine derart weitrechende Regionalisierung würde den Ländern gern. § 90 SGB IV die Aufsicht über sämtliche Sozialversicherungsträger zuweisen. Die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger wäre einheitlich bei den Landesaufsichtsbehörden vereint. Überdies müßten die Länder wegen ihrer Verwaltungskompetenz nach dem allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz des Art. 104 a I GG grundsätzlich die Zuschüsse zu den Lasten aller Sozialversicherungsträger tragen. Die einzige Ausnahme wären die Bundeszuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten nach Art. 120 I 4 GG. Den unitarischen Tendenzen der Sozialversicherung kämen unverändert die bundesrechtlich und deshalb einheitlich vorgegebenen Aufsichtsmaßstäbe entgegen. Allein die detaillierte Sozialgesetzgebung böte Gewähr dafür, daß Lei-
BVerfGE 1, 117(131,134). Fischer-Menshausen, in: Probleme des Finanzausgleichs I, S. 135, 148. 79 Schmitl Glaeser, AöR 107 (1982), S. 337,361. 80 Vgl. oben 4. Kapitel 112. 77 78
VII. Föderalismus, soziale Selbstverwaltung und Länderzuschüsse
389
stungs- und Belastungsunterschiede in der Sozialversicherung im Bundesgebiet weitgehend ausblieben. Ein Wechsel in der Zuständigkeit der Versicherungsaufsicht würde sich intern auf das Finanzgebaren der Sozialversicherungsträger auswirken, wenn die Verfassungspraxis ihn de lege lata und zur Steigerung der Efftzienz der Aufsichtsfiihrung mit Landeszuschüssen verbände. Nach außen bliebe fiir die Versicherungsnehmer wegen der bundesgesetzliehen Vorgaben alles beim Alten. Der Sozialgesetzgeber könnte die zu erwartenden Kostenreduzierungen über eine geringere Steigerung oder ggf. sogar Senkung der Beitragssätze an die Versicherten weitergegeben.
VII. Föderalismus, soziale Selbstverwaltung und Länderzuschüsse Art. 87 li GG stellt sich soweit als Ausnahmevorschrift zur bundesstaatliehen Kompetenzordnung dar, als die Vorschrift die Bundesunmittelbarkeit auch solcher Sozialversicherungsträger vorsieht, die nicht fiir das gesamte Bundesgebiet zuständig sind81 • Der Grundsatz des Art. 30 GG ist zwar als "rechtstechnischer Regel-Ausnahme-Mechanismus" konzipiert. Die juristische Regel muß nicht die tatsächliche Regel sein82• Wenn die Ausnahme aber bedeutungsvoller als die Regel zu werden droht, geht der Ausnahmecharakter der Vorschrift verloren. Die Länder beklagen wegen der geschilderten Kompetenzeinbußen83 zu Recht eine Marginalisierung der Landesverwaltung im Bereich der Sozialversicherung. Wenn sie heute die Föderalisierung der Staatsaufgabe "Sozialversicherung" fordern, wendet die h.M. aus guten Gründen ein, die Vorteile einer Regionalisierung wären angesichts der Fortzahlung der Bundeszuschüsse marginal. Da jedoch viel fiir die Dezentralisierung spricht, sollten die Länder mit ihrer Initiative nicht aufhalbem Weg stehen bleiben. In ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse sollten sie die ihnen de lege lata ohnehin grundsätzlich zukommende Finanzierungskompetenz fiir die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung übernehmen. Wer mehr Kompetenz verlangt, muß auch bereit sein, die damit einhergehende Zunahme der ihm obliegenden Pflichten und Verantwortung zu übernehmen. Kompetenz und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden. 81 82
Vgl. Jsensee, NZS 1993, S. 281 , 282; Mende, SV 1992, S. 172, 173. Heintzen!Kannengießer, DAngVers 1993, S. 58, 61.
83 Weitere Zentralisierungstendenzen in der Rentenversicherung schildert Mende, SV 1992, s. 172, 173 f.
390
5. Kapitel: Länderzuschüsse und Föderalisierung der Sozialversicherung
So wie die Selbstverwaltung die Finanzhoheit der Verwaltungsträger voraussetzt, fordert der Föderalismus die fmanzielle Unabhängigkeit der Länder84 • Die wesentliche Legitimation der Autonomiess entfällt, wenn nicht mehr eigene Gelder verwaltet werden. Die ständig zunehmenden Staatszuschüsse stellen die Legitimation der Selbstverwaltung in Frage, solange ihre klare Zweckbindung und Verstetigung ausbleibt86 • Die soziale Selbstverwaltung hängt fmanziell am Tropf des Bundes. Gleichzeitig rütteln die Bundeszuschüsse zur Sozialversicherung als "goldene Zügel" an der Eigenständigkeit der Länder.
Vgl. hierzu oben 4. Kapitel IV, V. Zum Autonomiebegriff, der im engeren technischen Sinn lediglich "die auf gesetzlicher Ermächtigung beruhende Befugnis von organisatorisch verselbständigten Hoheitsträgern zur eigenverantwortlichen Setzung objektiven Rechts in Form von Satzungen" umfaßt, Hendler, in: HStR, Bd. IV, § 106 Rn. 38 f. m.w.N. auch zu Autoren, die die Selbstverwaltung in den Autonomiebegriff mit einbeziehen. 86 Isensee, in: Sozialfinanzverfassung, S. 7, 16; Leisner, Sozialversicherung und Privatversicherung, S. l 03 f. 84
85
Vorschlag f"ür eine Verfassungsrevision Die Zuschüsse zur Sozialversicherung waren bei ihrer Einfiihrung durch Bismarck und in den Nachkriegssituationen dieses Jahrhunderts ein Schwurpunkt fiir die Identifikation des Bürgers mit seinem Staat. Heute bringt die Finanzmisere der Sozialversicherung das staatliche System sozialer Vorsorge erneut in die Krise. Der Staat muß dem verunsicherten Bürger unmißverständlich sagen, wer auf welche Weise und in welchem Umfang fiir die Finanzierung seiner Altersversorgung und die Sicherheit seiner eingezahlten Beiträge verantwortlich zeichnet. Allgemein gehaltene Garantieerklärungen wecken wenig Vertrauen. Die grundgesetzliche Absicherung der Finanzierung der Sozialversicherung ist fiir das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wichtiger denn je. Eine Überregulierung ist aber zu vermeiden. Das Sozialstaatsgebot fordert bei seiner Ausgestaltung im Interesse des Sozialstaats eine weitreichende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Es ist nicht sinnvoll, in die Verfassung eine staatliche Garantie für ein konkretes System der sozialen Vorsorge aufzunehmen. Die staatliche Garantie fiir die soziale Vorsorge folgt ohnehin aus Art. 20 I GG. Auf dieser Grundlage kann der Sozialgesetzgeber staatliche Garantien normieren, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung in außerordentlichen Notlagen zu sichern. Zahlungen im Garantiefall sind Zuschüsse zur Sozialversicherung. Art. 120 I 4 GG regelt entgegen der h.M. nur die Bundeszuschüsse zu den kriegsbedingten Lasten der Sozialversicherung. Da diese Lasten auslaufen, bestehen keine Bedenken dagegen, die Vorschrift unverändert unter den Übergangsbestimmungen beizubehalten. Wegen des haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzips kann der Staat die Sozialversicherung jederzeit durch freiwillige Zuschüsse unterstützen, um seinen sozialstaatliehen Auftrag zu erfüllen; Art. 20 I GG verpflichtet ihn aber nicht zu solchen Leistungen. Aus Art. 3 I GG folgt eine staatliche Zuschußpflicht im Sinne einer Erstattungspflicht: Wenn der Staat einen Großteil seiner Bürger durch die Sozialgesetzgebung zwangsweise zur Sozialversicherungsgemeinschaft zusammenfaßt und der Beitragspflicht unterwirft, darf er nur eine sozialversicherungseigennützige Verwendung der Beitragsmittel regeln. Die Beitragsmittel dürfen nur Leistungen fmanzieren, die dem sozialversicherten Beitragszahler gerade aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Sozialversicherungsgemeinschaft zugute
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Vorschlag flir eine Verfassungsrevision
kommen können. Schreibt der Sozialgesetzgeber die Finanzierung sozialversicherungsfremdnütziger Leistungen aus Beitragsmitteln vor, muß er der Sozialversicherung die hierdurch anfallenden Kosten erstatten, um die Lastengerechtigkeit des Abgabesystems zu bewahren. Die verfassungsrechtliche Erstattungspflicht ist das Korrelat zur sozialrechtlichen Beitragspflicht Eine Bezeichnung der Erstattungen als Zuschüsse entspricht nicht dem kompensativen Charakter dieser Zahlungen. Die Verteilung der Finanzierungskompetenz fiir die Zuschüsse und Erstattungen richtet sich nach Art. 104 a I GG. Danach müssen grundsätzlich die Länder diese Zahlungen leisten. Im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes der Bevölkerung sollte das Grundgesetz die Finanzierungskompetenz fiir die Erstattungen normieren. Da es sich hierbei der Sache nach um eine fmanzverfassungsrechtliche Materie handelt, wäre eine entsprechende Vorschrift in der Finanzverfassung des Grundgesetzes zu placieren. Der Verfassungsgesetzgeber könnte die Ergebnisse dieser Untersuchung mit folgendem Vorschlag zur Änderung des Grundgesetzes praktisch umsetzen: Artikel I 04 a Abs. 1 GG wird um folgende Sätze ergänzt: "Bundesgesetze, welche die Länder zu Ausgaben verpflichten, die der Zweck des Gesetzes erfordert (Zweckausgaben), bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Eine Ablehnung ist mit einem Gegenvorschlag zur Erreichung des Gesetzeszwecks zu verbinden." Hinter Artikel 104 a Abs. 5 GG wird folgender Art. I04 a Abs. 6 GG eingefügt: "(6) Bund und Länder erstatten ihren Sozialversicherungsträgern die Ausgaben solcher Aufgaben, deren Ausführung den Sozialversicherten nicht gerade aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Sozialversicherung zugute kommen kann. Das nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf."
Diese Verfassungsänderung wäre im Sozialrecht durch die Normierung pauschalisierter Ländererstattungen zu flankieren. Die sozialrechtlichen Bundesgarantien sind durch Landesgarantien zu ersetzen.
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