139 96 21MB
German Pages 207 Year 1976
GERHARD REINECKE
Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 28
Die Beweislastverteilung im Bürgerlichen Recht und im Arbeitsrecht als rechtspolitische Regelungsaufgabe
Von
Dr. Gerhard Reinecke
DUNCKER &
HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Ge druckt 1976 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
© 1976 Duncker
ISBN 3 428 03603 4
Vorwort Die Beweislastverteilung im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozeß ist nach wie vor ein vielbehandeltes Thema. Ein Ende der Diskussion über Grundlagen und Einzelprobleme der Beweislast ist nicht abzusehen. Im Vordergrund steht heute die Frage, von welchen Gesichtspunkten sich der Richter bei der Schaffung richterlicher Beweislastregeln leiten lassen soll. Die Unklarheiten in diesem Punkte überraschen nicht, sind doch auch die sachlichen Gründe der gesetzlichen und gewohnheitsrechtlichen Beweislastregeln bisher nur sehr unzureichend erforscht worden. Die vorliegende Arbeit soll zur Lösung dieser und anderer bei der Ausfüllung von Regelungslücken auftauchender Probleme beitragen. Sie hat im Sommersemester 1975 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung wurden bis zum 1. 3. 1976 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Wilhelm Dütz, der die Arbeit in jedem Stadium durch Anregungen und Kritik sehr gefördert und mir während meiner Tätigkeit als Assistent an seinem Lehrstuhl weitgehend Zeit zu eigener Forschungstätigkeit gelassen hat. Herrn Prof. Dr. Arwed Blomeyer, dem Zweitgutachter der Arbeit, danke ich für hilfreiche Hinweise und Verbesserungsvorschläge, Herrn Prof. Dr. Dieter Reuter, an dessen Lehrstuhl ich jetzt tätig bin, für wohlwollende Förderung bei der Drucklegung der Arbeit. Meinen ehemaligen Kollegen Jürgen Heyer, jetzt Richter am Landgericht, und Martin Gertich, jetzt Richter am Arbeitsgericht, danke ich dafür, daß sie verschiedene Problemkreise mit mir diskutiert und dadurch ebenfalls zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Schließlich danke ich dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Essen, für finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung. Berlin, im März 1976
Gerhard Reinecke
Inhaltsübersicht Einleitung
Problemstellung
15
Erster Teil
Zur Beweislast im allgemeinen A. Begriff und Bedeutung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die verschiedenen Möglichkeiten, die Beweislast zu regeln . . . . . . . . . . C. Der Versuch, die Beweislastverteilung aus der materiell-rechtlichen Norm herzuleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und die wichtigsten gesetzlichen Sonderregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Die sachlichen Gründe für die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und die gesetzlichen Beweislastsonderregeln . . . . . . F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zum Verhältnis von Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis . . . . . .
18 18 22 25 27 34 73 89
Zweiter Teil
Die Beweislastverteilung in einzelnen Fallgruppen A. Die Beweislastverteilung bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung
99 100
B. Die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung .... .. .... 112
C. Die Beweislastverteilung bei Streit um den Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . 161 Schluß
Zusammenfassung in Thesen
189
Literaturverzeichnis
193
Gesetzesregister
203
Sachregister
205
Inhaltsverzeichnis Einleitung
Problemstellung
15
Erster Teil
Zur Beweislast im allgemeinen
18
A. Begriff und Bedeutung der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
B. Die verschiedenen Möglichkeiten, die Beweislast zu regeln . . . . . . . . . .
22
C. Der Versuch, die Beweislastverteilung aus der materiell-rechtlichen Norm herzuleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
D. Die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und die wichtigsten gesetzLichen Sonderregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Vorbemerkung
II. Die ungeschriebene Grundregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anknüpfung der Beweislastgrundregel an die unterschiedliche materiell-rechtliche Bedeutung der Normen . . . . . . . . . . . .
2. Die positive Geltung der abgewandelten Grundregel . . . . . . . .
27 27
28 28 30
III. Erscheinungsformen und positive Geltung der gesetzlichen Beweislastsonderregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 E. Die sachlichen Gründe für die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und die gesetzlichen Beweislastsonderregeln . . . . . . . . . .
I. Meinungsstand
34
35
li. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten - die Kriterien der Beweislastnormen und ihre Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten als Kriterien der Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
a) Das Kriterium der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahrscheinlichkeit und Beweislastsonderregeln . . . . . . bb) Wahrscheinlichkeit und Beweislastgrundregel . . . . . . . . cc) Die Feststellung der Wahrscheinlichkeitswerte . . . . . . . .
40 40 42 43
Inhaltsverzeichnis
9
b) Das Kriterium der Beweismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Vermeidung von Negativbeweisen . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Beweislastverteilung nach Sphären . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Vergleich der Auswirkungen von Beweislastnormen und die Funktion der Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der methodische Ansatzpunkt zur Erkennung der Funktion der Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Einfluß der Beweislastverteilung auf die Anzahl der Fehlurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Anzahl der Fehlurteile in Abhängigkeit vom Kriterium der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Anzahl der Fehlurteile in Abhängigkeit von den Beweismöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Einfluß der Beweislastverteilung auf die außerprozessuale Leistungsbereitschaft der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44 45 48 51
d) Die Funktion der Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
III. Besondere Motive für einzelne Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . .
64
1. Das Motiv der Prozeßabschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Begünstigung des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Rechtsfolgen als gesetzgeberisches Motiv für einzelne Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Förderung des Rechtsverkehrs und Schutz des Besitzstandes b) Der Präventivzweck schadenersatzrechtlicher Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Begünstigung des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Rechtsfolgen als notwendige Folge jeder Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
IV. Zusammenfassung F. Der Bereich richterticher Beweislastregeln
I. Der Eindruck vom geschlossenen System der gewohnheitsrecht-
51 51 55 55 58 60
66 67 68 69 71 71 73
liehen und gesetzlichen Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
li. Die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinungen . . . .
74
1. Allgemeine Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussagen zu Einzelfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74 75
III. Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte als Grundlage der eigenen Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Die §§ 193 - 198 des ersten Entwurfs zum BGB und die Gründe
für deren Streichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme zu Einzelfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 81
Inhaltsverzeichnis
10
IV. Das System der gewohnheitsrechtlichen, gesetzlichen und richterrechtlichen Beweislastregeln im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Die Beweislastverteilung im Bereich des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beweislastverteilung außerhalb des BGB . . . . . . . . . . . . . . . .
83 85
3. Hinweise für die Bildung richterrechtlicher Beweislastregeln (Zusammenfassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 G. Zum Verhältnis von Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis . . . . . .
89
I. Die in der Rechtspraxis bestehenden Unklarheiten . . . . . . . . . . . . . .
89
II. Wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Rechtsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 III. Die sad1lichen Gründe für Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Die dem Anscheinsbeweis zugrunde liegenden Erwägungen . .
93
2. Die Erwägungen, die zu einer Beweislastumkehr führen können 95 IV. Zusammenfassung
97
Zweiter Teil
Die Beweislastverteilung in einzelnen Fallgruppen
99
A. Die Beweislastverteilung bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung . . 100
I. Die Beweislast bei Streit über die Entgeltlichkeit einer vom Anspruchsteller erbrachten Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Höhe der Vergütung 101 1. Die Höhe der Vergütung und die im Streitfall auftauchenden
Beweislastprobleme
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
2. Insbesondere: Die Beweislastverteilung bei Klagen auf die übliche Vergütung ... . ................ .. ................ .. .. a) Meinungsstand b) Die gesetzliche Beweislastverteilung .... . ..... . ... . . . . .. . . aa) Gesetzessystematik und dispositives Recht . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzesfassung und Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . c) Gründe für und gegen richterrechtliche Beweislastsonderregeln ...... . .. . . . .......... ... ... . . .............. . . . . .. aa) Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten .. . . .. .. bb) Die unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Stellung der Vertragsparteien .... . .. ..... . ........ .. . . ... cc) Ergebnis
104 104 105 105 106 108 109 110 111
Inhaltsverzeichnis
B. Die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsv erletzung
11 112
I. Überblick 112 1. Bedeutung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Beweisanforderungen und Beweislast bei Schadensersatzansprüchen aus Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 li. Die Beweislastverteilung bei Ansprüchen aus positiver Vertrags-
verletzung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Die Rechtsprechung ...... ........ . . ....... ... . ... .. . . .. .. . . 116
a) Die Rechtspr echung des Reichsger ichts .. ....... . .... .... . . b) Die Recht spr echung n ach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die wichtigsten in der Literatur vertretenen Meinungen . . . . a) Die herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Meinung von Prölss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Meinung von Hans Stoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
116 117 120 120 122 123
3. Kritische Stellungnahme . .. . . . .... . . .. ... . .... .. ...... . ..... 124 a) Die Anknüpfung der Beweisla stverteilung an d ie genaue Bestimmung des Leistungsinhalts (Kritik der v on H an s Stoll vertretenen Meinung) ............ . . . ........... . . . ....... 124 b) Vergleich der materiell-rechtlichen Tatbestände der Leistungsstörungen (Kritik der herrschenden Meinung) . . . . . . 128 c) Die Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen (Kritik der von Prölss vertretenen Meinung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. Eigene Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 a ) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Die den gesetzlichen Beweislastsonderregeln für Leistungsstörungen zugrunde liegenden Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB .. .. . . bb) Die Beweislastsonderregeln der §§ 548, 602, 694, 701 Abs . 3, 732 Satz 2 BGB, 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB, 45 LuftVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Analyse einzelner Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Scha densersatzansprüche wegen Beschädigung einer verwahrten Sache und wegen Verletzung eines Fahr gastes ....................... . ............. . ... .. . . ... bb) Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des einen Vertragspartners in den Räumlichkeiten oder durch Gegenstände des anderen Vertragspartners ... .. .. . . . cc) Schadensersatzanspr ü che wegen Körper verletzung bei ärztlicher Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134 134 137 138 138 140 143 150
III. Die Beweislastverteilung bei Haftung des Arbeitnehmers aus gefahrgeneigter Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur Ar beitnehmer -
haftung bei gefahrgeneigt er Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Die Beweisla stverteilung bei gefahrgeneigter Arb eit in Rechtsprechung und Literatur .. ..... . .. .. ................ . ..... . . 154
12
Tnhaltsverzeichnis a) Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Die in der Literatur vertretenen Meinungen ........... .. . 155 3. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Kritische Stellungnahme zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Die quantitative und qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
C. Die Beweislastverteilung bei Streit um den Fortbestand von Dauer-
schuldverhättnissen, insbesondere von Arbeitsverhältnissen . ..... .. . . 161
I. Allgemeines zur Beweislast bei Streit um die Wirksamkeit von Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung ... . ... .. . 161
2. Die Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Die Anwendung der ungeschriebenen Grundregel der Beweislastverteilung . . ........ . . . ..... . . . ...... .. ....... . . .. b) Ausdrückliche Beweislastsonderregeln und Gesetzesfassung c) Die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen w egen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses .. .. d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162 163 164 166
II. Die Beweislastverteilung bei ordentlicher Kündigung von Arbeitsverhältnissen durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Die Beweislastregel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG . . . . . . . . . . . . 166
a) Die Bedeutung der Beweislastregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Die Auswirkungen der beschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen auf die Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Die sachlichen Gründe für § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG . . . . . . . . 170 2. Die Beweislastregel des § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG ..... . .. .... 171 a) Die Bedeutung der Beweislastregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Die sachlichen Gründe für § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG .. ... . 172 3. Sonstige Beweislastprobleme im Kündigungsschutzprozeß . ... 173 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 III. Die Beweislastverteilung bei Kündigung v on Arbeitsverhältnissen aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Die Beweislast für das Vorliegen eines w ichtigen Grundes .... 176 2. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ..... . ...... .. . . .. .. 178 3. Ergebnisse ....... . .. . .. .. ... ... .... . .... .............. .. .. .. 181
IV. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Befristung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhaltsverzeichnis 1. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Vereinbarung
eines befristeten Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinungen ...... . .. . .... . ..... . ... . .... . . . ....... . .............. b) Eigene Auffassung ..... . ...................... . . . . . ..... aa) Die gesetzliche Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Gründe für und gegen eine richterrechtliche Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beweislastverteilung bei Streit über das Vorliegen sachlicher Gründe für eine Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinungen ........... . .......... . ....... .. ............ .. ... . .... b) Eigene Auffassung ............ .. ............... ... .. . .. . 3. Ergebnisse ....... .. ................ ... .............. . . . . . . . .
13
182 182 183 183 184 185 185 186 188
Schluß
Zusammenfassung in Thesen Literaturverzeichnis Gesetzesregister
189
........ .. . . ............... . .............. .... .. . . 193
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Einleitung
Problemstellung Die Beweislastverteilung im Zivilprozeß ist ein seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten vielbehandeltes Thema 1 • Man sollte meinen, daß in so langer Zeit wenn nicht über alle Einzelheiten, so doch über die Grundlagen der Beweislastverteilung Einigkeit erzielt werden konnte. Rosenberg, der Autor der bekanntesten deutschen Monographie über die Beweislast, war in der Tat der Meinung, es gebe nicht allzu viele Fragen, die noch streitig geblieben seien2 • Mit dieser Aussage ist jedoch weder der damalige, noch der heutige Diskussionsstand zutreffend gekennzeichnet. Man denke nur an den schon seit der Zeit vor Inkrafttreten des BGB geführten Streit zwischen "Leugnungs-" und "Einredetheorie"(n), bei dem es im wesentlichen um die Beweislastverteilung hinsichtlich des Inhalts mündlich abgeschlossener Verträge geht3, sowie an die Auseinandersetzung um die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen aus positiver Vertragsverletzung4 • Bei dem Versuch, diese und andere Zweifelsfragen zu lösen, tauchen immer wieder fünf Probleme auf. (1) Zunächst macht es schon Schwierigkeiten, die vom Richter anzuwendenden geltenden Beweislastnormen zu erkennen. Umstritten sind hier insbesondere Begriff und Bedeutung der sogenannten rechtshindernden Tatsachen. (2) Mit der erstgenannten Problematik hängt eine andere - die der richterrechtlichen Beweislastregeln - sehr eng zusammen: Weitgehend ungeklärt sind bis heute genaue Reichweite und Grad der Verbindlichkeit von ungeschriebener Beweislastgrundregel und gesetzlichen Beweislastsonderregeln. Es entsteht der Eindruck, daß der Richter im Bereich der Beweislastverteilung vielfach Rechtsschöpfer ist, ohne sich dessen bewußt zu sein. Erste wichtige Voraussetzung für eine rational nachvollziehbare, methodisch einwandfreie Problemlösung ist 1 2
3
4
Vgl. nur das Literaturverzeichnis bei Leipo~d, S. 205- 219. Rosenberg, S. VI. Vgl. dazu unten 1. Teil F II 2, III 1, Nachweise Fn. 291 - 298. Vgl. dazu ausführlich 2. Teil B.
16
Einleitung
es aber, die rechtspolitisch offene Regelungsaufgabe auch als solche zu erkennen. (3) Unklar ist häufig ferner, von welchen Gesichtspunkten sich der Richter bei der Schaffung richterrechtlicher Beweislastregeln leiten läßt und leiten lassen soll. Das Für und Wider der jeweiligen Regelungsalternativen wird meist nicht so offen diskutiert und abgewogen, wie dies erforderlich wäre. (4) Bei dem Prozeß der Rechtsgewinnung sind auch die Erwägungen heranzuziehen, die hinter der ungeschriebenen Grundregel der Beweislastverteilung und den gesetzlichen Beweislastsonderregeln stehen. Die sachlichen Gründe der Beweislastregeln sind aber noch immer nicht genügend erforscht worden- eine Tatsache, die in der Literatur schon häufig beklagt wurde5 • (5) Schließlich stößt man immer wieder auf die Frage, ob in bestimmten Fallgruppen die Beweislast umzukehren ist oder aber die Grundsätze über den Anscheinsbeweis anzuwenden sind. Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Rechtsfiguren bereitet in der gerichtlichen Praxis sehr große Schwierigkeiten.
Zu keinem dieser fünf Problemkreise hat sich bisher eine allgemein akzeptierte Auffassung herausgebildet. Einer der Gründe für diese Schwierigkeiten mag darin liegen, daß es im deutschen Recht keine zusammenhängende gesetzliche Regelung der Beweislastverteilung und nur wenige ausdrückliche Beweislastregeln gibt. Die noch im ersten Entwurf zum BGB- §§ 193 bis 198- vorgesehenen allgemeinen Vorschriften und mit ihnen die Grundregel der Beweislastverteilung, wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen6 • Die vorliegende Arbeit versucht, diese Probleme aus der Sicht des zur Ausfüllung der Regelungslücken und damit zur Rechtsgestaltung berufenen Richters anzugehen. Damit stehen die bei der Rechtsschöpfung, der Bewältigung der "Rechtspolitischen Regelungsaufgabe" auftauchenden Fragen- also die Problemkreise (2), (3) und (4)- im Vordergrund. Die anderen oben skizzierten Probleme sind jedoch mit zu behandeln, da sie mit den vorgenannten untrennbar zusammenhängen und insoweit auch kaum auf gesicherte Erkenntnisse zurückgegriffen werden kann. In einem ersten Teil sollen also nach grundsätzlichen Ausführungen (A bis C), unter anderem zu Begriff und Bedeutung der Beweislast, zunächst die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und 5 Vgl. z. B. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S . 345; Leipotd, S . 44; Rehbinder, NJW 1971, 1507; Schwering, S. 153; Musielak, S. 353 und schon Brodmann, AcP 98, 143. 6 Vgi. dazu unten 1. Teil F III 1.
Problemstellung
17
die wichtigsten gesetzlichen Sonderregeln dargestellt werden (D), sodann - ausführlicher - die sachlichen Gründe dieser Beweislastregeln (E). Im Anschluß daran ist der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln genauer zu bestimmen (F) und schließlich zum Verhältnis von Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis Stellung zu nehmen (G).
In einem zweiten Teil werden die im ersten Teil gewonnenen Erkenntnisse auf einzelne Fallgruppen angewandt. Darin geht es um die Beweislastverteilung bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung (A), bei positiver Vertragsverletzung (B) und bei Streit um den Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere von Arbeitsverhältnissen (C). Es wird unter anderem zu zeigen sein, wie Grundregel und gesetzliche Beweislastsonderregeln einerseits und richterliche Rechtsschöpfung andererseits zusammenwirken. Alle drei Fallgruppen gehören gleichzeitig zum Bürgerlichen Recht und zum Arbeitsrecht. Die Erörterung auch arbeitsrechtlicher Beweislastprobleme erschien deswegen zweckmäßig, weil auch schon das materielle Arbeitsrecht vielfach Richterrecht ist und die verschiedenen zu berücksichtigenden Interessen dort besonders deutlich werden.
2 Reinecke
Erster Teil
Zur Beweislast im allgemeinen A. Begriff und Bedeutung der Beweislast Der Richter hat im Prozeß Rechtssätze auf Lebenssachverhalte anzuwenden. Von diesen Sachverhalten erlangt er in zwei Stufen Kenntnis. Zunächst werden bestimmte Tatsachen(-behauptungen) in den Prozeß eingebracht, in Verfahren mit Verhandlungsgrundsatz nur von den Parteien, in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz auch vom Richter. Diese Tatsachen sind unter die Tatbestandsmerkmale der Norm(en) zu subsumieren, welche die begehrte Rechtsfolge aussprechen (sog. Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung). Sind sie darunter subsumierbar, so muß festgestellt werden, ob die behaupteten erheblichen Tatsachen in Wirklichkeit vorliegen oder nicht. Das ergibt sich aus dem unstreitigen Sachverhalt, dem Verhalten der Parteien im Verfahren und "einer etwaigen Beweisaufnahme"(§ 286 ZP0) 1 • Hinsichtlich einer einzigen erheblichen Tatsache sind unabhängig von der Verfahrensart drei Ergebnisse möglich2 : (1) Die Wahrheit der Tatsachenbehauptung ist erwiesen. (2) Die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung ist erwiesen. (3) Weder die Wahrheit noch die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung ist erwiesen (Zustand der Beweislosigkeit oder non liquet) 3 • Geht man nun davon aus, daß die Tatsache nur für ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal einer Norm erheblich ist, weitere erhebliche Tatsachen nicht vorliegen und die übrigen Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt sind, so ist das Ergebnis in den Fällen (1) und (2) eindeutig. Im Fall (1) gelangt der Richter zur Bejahung der Rechtsfolge. Im Fall
Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 323 f. Von der Möglichkeit, daß der Richter vom (Nicht-)Vorliegen einer Tatsache entgegen der Wahrheit überzeugt wird - etwa durch bestochene Zeugen, gefälschte Urkunden oder eine falsche Beweiswürdigung - , soll hier abgesehen werden. 3 Der Richter ist hier nicht verpflichtet, sich in jedem Falle zu der Überzeugung entweder vom Vorliegen oder aber vom Nichtvorliegen der Tatsache durchzuringen. Wäre dies der Fall - und das ist theoretisch durchaus denkbar - , könnte es nicht zu einem nonliquet kommen. Vgl. Korsch, S. 76 ; Leipo!d, S. 18. 1
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A. Begriff und Bedeutung der Beweislast
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(2) muß der Richter den Eintritt der Rechtsfolge aufgrund dieser Norm verneinen4 • Im Fall (3) ist es theoretisch denkbar, daß der Richter nicht zu einer Sachentscheidung kommt, mit der Folge, daß der Kläger später sein Begehren erneut dem Richter unterbreiten könnte. Damit wäre jedoch eines der wesentlichen Ziele eines jeden Prozesses, nämlich die endgültige Bereinigung des Streits und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens zwischen den Parteien, nicht erreicht. In vielen Fällen käme dies sogar einer in einem Rechtsstaat verbotenen Rechtsverweigerung gleich5• 6• Das Grundgesetz gewährleistet jedoch einen effektiven richterlichen Rechtsschutz und damit regelmäßig auch eine richterliche Sachentscheidung7• Die Rechtsordnung ordnet also eine Sachentscheidung auch im Falle des non liquet an 8• Diese ergeht zu Lasten der Partei, welche die Beweislast trägt. Beweislast ist demnach das Risiko, den Prozeß zu verlieren, wenn eine erhebliche Tatsache nicht bewiesen werden kann9 • Die Beweislast in diesem Sinne wird auch als objektive oder materielle Beweislast oder im Anschluß an Rosenberg 10 als Feststellungslast bezeichnet. Die Verteilung der Beweislast bestimmt somit den Inhalt der Entscheidung bei Unklarheit über erhebliche Tatsachen. Diese Entscheidung kann im Einzelfall von der Entscheidung abweichen, die bei Erwiesenheit des wahren Sachverhalts hätte ergehen müssen11, und insofern falsch sein. In diesem Sinne wird im folgenden der Begriff Fehlurteil gebraucht. Fehlurteile dieser Art sind zwar uner4 Möglicherweise ist dieselbe Rechtsfolge jedoch in Anwendung einer anderen Norm zu bejahen, was uns hier nicht näher interessieren soll. Vgl. dazu Leipold, S. 20 f. 5 Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. li, S. 319 f.; Leipold, S. 33 f.; Grunsky, S. 364; Lüke, JZ 1966, 587 f.; Dubischar, JuS 1971, 385; Schwindel, S. 112 ff.; aus der älteren Literatur : Richard Schmidt, S. 474; Korsch, S. 7 f.; Betzinger,
s. 2.
6 Ein ausdrückliches Rechtsverweigerungsverbot enthält z. B. Art. 4 Code Civil, aber auch Art. 6 Abs. 1 EuropMRK; allgemein zum Rechtsverweigerungsverbot vgl. Schumann, ZZP 81, S. 79 ff. 7 Vgl. dazu Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 115 ff., zu den in bestimmten Grenzen rechtlich zulässigen Sachurteilsvoraussetzungen S. 166 ff. ; Bettermann, Die Grundrechte, 3. Bd., 2. Halbbd., S. 784. 8 BGHZ 17, 252, 262 ff. macht davon bei der Klage auf Feststellung des Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft eine Ausnahme. Vgl. dazu zustimmend A. Blomeyer , JZ 1955, 605; Bernhardt, JR 1966, 323. 9 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 341; Bernhardt, § 34 II, S. 221, JR 1966,
322; Grunsky, § 41 I, S. 422; Schönke I Kuchinke, §57 I, S. 260; Lent I Jauernig, § 50 III 3, S. 165; Dubischar, JuS 1971, 386; Lepa, DRiZ 1966, 112; Feiste!, S. 80; Richard Schmidt, S. 474; Fickel, S. 15; Kasparek, S. 68. 10 s. 16. 11 Darauf weisen hin: Leipold, S. 49; Lepa, DRiZ 1966, 112; Schwindel, S. 108 f.; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 28 zu Art. 8 ZGB; Guldener, S. 18; vgl. auch Prölss, S. 95. 2*
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1. Teil, A. Begriff und Bedeutung der Beweislast
wünscht, sie lassen sich jedoch nicht vollkommen vermeiden, wenn ein Zwang zur Sachentscheidung auch im Falle des non liquet besteht. Die Frage, wann ein non liquet vorliegt, und wann damit die Beweislast entscheidungserheblich wird, hängt davon ab, unter welchen Umständen man einen Beweis als geführt ansieht. Je mehr Anforderungen man an die Beweisführung stellt, desto größere Bedeutung hat die Beweislast und umgekehrt12 • Nach dem in § 286 ZPO verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung muß der gesamte Inhalt der Verhandlungen und das Ergebnis "einer etwaigen Beweisaufnahme" den Richter von der Wahrheit oder Unwahrheit der Tatsachenbehauptung überzeugen13• Die h. M. verlangt sogar, daß die Überzeugung des Richters "in vollem Umfang" begründet wird 14• Angesichts der Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten15 bedeutet das jedoch nicht eine absolute jeden Zweifel ausschließende Gewißheit, sondern einen sehr hohen, "jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Grad von Wahrscheinlichkeit" 16• So ist grundsätzlich die Beweislast entscheidungserheblich in dem Bereich zwischen der sehr hohen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals und dem gleichen Grad von Wahrscheinlichkeit für sein Nichtvorliegen17 • Die Bedeutung der Beweislastverteilung wird größer, wenn das Gesetz wie etwa in § 1591 Abs. 1 Satz 2 BGB für den Beweis einen be12 Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 337; Lepa, DRiZ 1966, 112. über den Einfluß, den umgekehrt die Beweislastverteilung auf die Beweiswürdigung ausübt, vgl. Rosenberg, S. 67 ff. mit weit. Nachw.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 361. 13 Das bedeutet gegenüber der legalen Beweistheorie regelmäßig eine Erleichterung der Beweisführung; Rosenberg, S. 63; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 24 zu Art. 8 ZGB; vgl. auch Wolf, S. 6. 14 BGH LM Nr. 1 zu§ 91 a ZPO; Nr. 45 zu§ 256 ZPO (beide zum Anscheinsbeweis); HainmüHer, S. 38; A. Blomeyer, Gutachten, S. 14 f.; kritisch zur Formel von der vollen richterlichen Überzeugung: Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 344. 15 Darauf weisen hin: Rosenberg, S. 181; Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 328; Pohle, MdR 1949, 386 f.; Ficket, S. 10. 18 BGHZ 7, 116, 119 f.; 18, 311, 318; RGZ 162, 223, 229 f .; Rosenberg, S. 181; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 362; Gutachten, S . 15 f.; Schönke I Kuchinke, § 56 II, S. 254; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 286, Anm. I 1; Pohle, MdR 1949, 386 f. ("an Gewißheit grenzendes Maß von Wahrscheinlichkeit"). Leonhard, S. 166, 170 und im Anschluß an ihn Lepa, S. 29, DRiZ 1966, 112, fordern "ein gewisses erhebliches Übergewicht" (?). Sanden, VersR 1966, 201 verlangt keinen "sehr hohen" Grad, sondern nur einen "hohen" Grad von Wahrscheinlichkeit; Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 328, 348, will eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit", d. h. eine Wahrscheinlichkeit von über 50 °lo, genügen lassen. Mit Recht betont Ekelöf, ZZP 75, S. 292, daß bei der Beweiswürdigung in der Praxis der Wahrscheinlichkeitsgrad nur sehr selten durch eine Prozentziffer angegeben werden kann. 17 Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 337; Lepa, DRiZ 1966, 112.
A. Begriff und Bedeutung der Beweislast
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sonders hohen Wahrscheinlichkeitsgrad fordert1 8• Das Feld des non liquet verkleinert sich, wenn zur Erbringung des Beweises ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit ausreicht. Hier sind zunächst die überwiegend bei typischen Geschehensabläufen angewandten Grundsätze über den Anscheinsbeweis zu nennen19, die ein "hohes Maß an Wahrscheinlichkeit" genügen lassen20, insbesondere aber der Anwendungsbereich von § 287 ZPO und § 252 BGB, wo "an die Stelle der sonst erforderlichen Einzelbegründung . . . das freie Ermessen des Gerichts" tritt21 . Hier hat die Beweislast nur geringe Bedeutung; sie ist nur dann entscheidungserheblich, "wenn mangels greifbarer Anhaltspunkte . . . das richterliche Ermessen vollends in der Luft schweben würde"22, 23. 18 Vgl. dazu A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 362, Anm. 2 und Schneider, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 252 BGB, BI. 3 R. Ähnlich § 51 Abs. 4 Satz 2 Bundesseuchengesetz und dazu Weitnauer, S. 16 f. Nach BGHZ 7, 116, 120 soll allerdings bei § 1591 BGB der Grad der zu fordernden Wahrscheinlichkeit derselbe sein wie sonst auch bei der richterlichen Überzeugungsbildung. Das ist jedoch insofern bedenklich, als dann dem Wortlaut des § 1591 Abs. 1 Satz 2 BGB ("den Umständen nach offenbar unmöglich") keine Bedeutung zukäme. 19 Einen "typischen Geschehensablauf" verlangen BGHZ 2, 5; 6, 169; BGH LM Nr. 7, 10, 11, 12 zu § 286 (C) ZPO; Rosenberg I Schwab, § 114, 1., S. 593; Lepa, DRiZ 1966, 112, 114; der BGH wendet die Grundsätze über den Anscheinsbeweis aber teilweise auch sonst an, z. B. BGHZ 11, 227, 230 f.; BGH VersR 1957, 252; vgl. dazu A . Blomeyer, Gutachten, S. 35. Nach Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 333, gilt der Anscheinsbeweis auch für seltene, "atypische" Fälle. 20 So BGH LM Nr. 2, 11 zu§ 286 (C) ZPO; ähnlich Nr. 53 zu§ 286 (C) ZPO, BI. 2. Nach anderen Urteilen, z. B. BGH LM Nr. 7, 12 zu§ 286 (C) ZPO, muß auch hier die Überzeugung des Richters "in vollem Umfange" begründet sein; so auch Rosenberg I Schwab, § 114, 1., S. 593; wohl auch Diederichsen, VersR 1966, 212; ähnlich Musielak, S. 126 ff. Weitnauer, S. 15, verlangt einen Wahrscheinlichkeitsgrad, der erheblich über 50 Ofo liegt. Zu den Anforderungen an die Entkräftung des Anscheinsbeweises und allgemein das Verhältnis von Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr s. unten G II. 21 BGH LM Nr. 3 zu § 287 ZPO; RGZ 148, 68, 70 ; 168, 47, 48 f . § 252 BGB verlangt eine "Wahrscheinlichkeit", d. h. wohl einen Wahrscheinlichkeitsgrad von über 50 Ofo. Diesen Wahrscheinlichkeitsgrad verlangt Weitnauer, S. 18, auch für eine Schätzung nach § 287 ZPO. Ebenso wohl auch BGH NJW 1972, 1515, 1516 ("überwiegende Wahrscheinlichkeit"). Einen höheren Wahrscheinlichkeitsgrad verlangt wohl RGZ 125, 121, 125. Beide Vorschriften können als Beweiserleichterungen bezeichnet werden, so ausdrücklich BGH NJW 1964, 661, 663; BAG AP Nr. 1 zu § 287 ZPO, BI. 2 R; BAG 20, 96, 100 = AP Nr. 1 zu § 252 BGB, BI. 2 R; BAG AP Nr. 2 zu § 252 BGB mit zust. Anm. Dütz, SAE 1973, 116. Nach Schneider, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 252 BGB, BI. 3 R, gewährt § 252 BGB eine über § 287 ZPO hinausgehende Beweiserleichterung. 22 Vgl. zu § 287 ZPO BGH LM Nr. 3; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 287 Anm. III 1; Wieczorek, § 287, Anm. D II b sowie Henckel, JuS 1973, 722, und zu § 252 BGB BAG 20, 96, 100 f. = AP Nr. 1 zu § 252 BGB, BI. 2 R. 23 Geringere Beweisanforderungen stellt auch § 1600 o Abs. 2 Satz 2 BGB. Danach ist die Vaterschaftsvermutung des § 1600 o Abs. 2 Satz 1 BGB schon dann entkräftet, "wenn nach Würdigung aller Umstände schwerwiegende Zweifel an der Vaterschaft bestehen". Vgl. dazu aus der neuesten Rechtsprechung BGH NJW 1973, 1927, 2249; 1976, 367 u. A n kermann, NJW 1974, 584.
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1. Teil, B. Die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten
B. Die verschiedenen Möglichkeiten, die Beweislast zu regeln Wie selbstverständlich wird meist davon ausgegangen, daß bei Unklarheit über eine einzige Tatsache nur eine der Parteien die Beweislast trägt. Theoretisch denkbar wäre auch, daß beide Parteien einen Teil des Risikos trügen, so daß etwa bei einer Leistungsklage der Beklagte zur Zahlung eines bestimmten Bruchteils der geltend gemachten Summe verurteilt würde24 • Eine solche Entscheidung wäre jedoch in jedem Falle insofern ein Fehlurteil, als bei Erwiesenheit des wahren Sachverhalts anders hätte entschieden werden müssen, und würde demnach als richterliche Entscheidung keine der Parteien zufriedenstellen. Wohl aus diesem Grunde gilt seit alters her, daß die ganze Beweislast hinsichtlich des (Nicht-)Vorliegens einer bestimmten Tatsache immer nur bei einer Partei liegt25 • Damit gibt es hinsichtlich einer bestimmten Tatsache grundsätzlich immer nur zwei Möglichkeiten, die Beweislast zu verteilen: Entweder muß die eine Partei (P1) das Vorliegen der Tatsache (s) beweisen oder die andere Partei (P2) das genaue Gegenteil davon (non-s), nämlich das Nichtvorliegen der Tatsache26 • So hat z. B. bei einer vertraglichen Leistungsklage entweder der Anspruchsteller die Beweislast für die Volljährigkeit des Anspruchsgegners zur Zeit des Vertragsschlusses oder aber umgekehrt dieser die Beweislast für seine Nichtvolljährigkeit, d. h. seine Minderjährigkeit. Dementsprechend entscheidet bei Unklarheit über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von s - im Beispielsfalle die Volljährigkeit - der Richter entweder so, als ob s nicht vorliegt (wenn P 1 s zu beweisen hat), oder aber so, als ob s vorliegt (wenn P2 non-s zu beweisen hat). Denkgesetzlich ist keine der beiden Möglichkeiten von vornherein ausgeschlossen. Der Versuch, die Verteilung der Beweislast auf logische Gründe zurückzuführen, geht daher fehl 27 • Insbesondere ist die früher 24 Das erwägen auch Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 337 f.; Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 321; Bettermann, Verhandlungen des 46. deutschen Juristentages, Bd. II, Teil E, S. 27; Reinhardt, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 41; Henckel, JuS 1975, 224 und Gautschi, S. 32, 480, 486. Der Bruchteil k önnte sich etwa nach dem Wahrscheinlichkeitsgrad richten, der für d as Bestehen des Anspruchs spricht. 25 J edoch beruht ein zwischen den Parteien geschlossener Vergleich häufig auf der Erwä gung, d aß d as Risiko für eine - teure - Beweisaufnahme mit unsicherem Ausgang geteilt wird. Vgl. den Hinweis von Bötticher, ZZP 68, 231. 28 Leipold, S. 35; Guldener, S. 20; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 21 zu Art. 8 ZGB; vgl. schon Jhering, Besitzwille, S. 151. 27 So auch Richard Schmidt, S. 476; Raape, AcP 147, 240; Rosenberg, S. 95 f. Jedoch wurden die im ersten Entwurf des BGB zunächst vorgesehenen Bestimmungen über die Beweislast von der 2. Kommission u. a. deshalb gestrichen, weil für die Regelung der Beweislast logische Gründe maßgebend
B. Die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten
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weit verbreitete Ansicht unzutreffend, daß der Beweis sog. negativer Tatsachen unmöglich sei und demnach aus logischen Gründen von niemandem verlangt werden könne. Heute ist allgemein anerkannt, daß der Beweis negativer Tatsachen denkgesetzlich durchaus möglich ist28 , wenn sich auch in der Praxis häufig Schwierigkeiten ergeben29 • Dabei kann das Nichtvorhandensein von Tatsachen - negative Tatsachen im engeren Sinne30 - allerdings nur indirekt bewiesen werden, wenn man unter direktem Beweis nur die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung der zu beweisenden Tatsache selbst versteht31 • Die Beweisschwierigkeiten werden z. T. dadurch vermindert, daß an die Führung des Negativbeweises geringere als die üblichen Anforderungen gestellt werden32 • Zu beachten ist schließlich, daß negative Tatsachen häufig - jedoch nicht immer - auch ebensogut positiv ausgedrückt werden können33• So ist die Aussage, eine Person sei noch nicht volljährig, gleichbedeutend mit der Aussage, eine Person sei minderjährig. Es bleibt also bei der obigen Feststellung, daß es hinsichtlich einer Tatsache immer zwei Möglichkeiten der Beweislastverteilung gibt, von denen keine einen logischen Vorrang besitzt. Die Wahl zwischen den jeweils zwei Möglichkeiten kann die Rechtsordnung dem Richter überlassen, der dann den Einzelfall ohne Bindung an bestimmte Normen zu entscheiden hätte34 • Die Beweislastverteilung kann jedoch auch unabhängig vom Einzelfall, d. h. abstraktgenerell durch Normen geregelt sein. Wie wir später sehen werden, gelten entsprechend der kontinental-europäischen Tradition im Bürseien; s. Protokolle I, S. 516 = Mugdan I, S. 815 und die Ausführungen unter F III 1. Auch nach Leonhard, S. 141, läßt sich die Beweislastverteilung z. T. auf die Logik zurückführen. 28 Leipold, S. 47, Anm. 15; Schwering, S. 113; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 194 zu Art. 8 ZGB und ausführlich v. Greyerz, S. 21 ff. Schon in den Motiven zum 1. Entwurf des BGB, I, S. 383 = Mugdan I, S. 561, wird die gegenteilige Auffassung als überwunden angesehen; ebenso Wach, ZZP 29, 388. Dennoch ist der Satz "negativa non sunt probanda" vielen Juristen noch immer als angeblicher Rechtssatz geläufig. 29 Dies kann einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die die Beweislastverteilung beeinflussen. s. dazu unten E II 2 b aa. 30 Zum Begriff der negativen Tatsache v. Greyerz, S. 17 f. 31 v. Greyerz, S. 21 ff.; Rosenberg, S. 331; Lepa, S. 79; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 194 zu Art. 8 ZGB. 32 RG JW 1918, 1814; v. Greyerz, S. 41; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 205 zu Art. 8 ZGB. Speziell zum Negativbeweis des§ 282 BGB s. Motive II, S. 48 = Mugdan II, S. 26; ferner z. B. BGH LM Nr. 6 zu§ 282 BGB; BAG BB 1960, 940; Esser, Schuldrecht AT, § 35 III 1, S. 208; A. Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 24 VI, S. 131. Vgl. die Beispiele für geminderte Beweisanforderungen, 2. Teil, A II 2 c aa.; C III 1, 2. 33 v. Greyerz, S. 11 f.; Korsch, S. 108; Schwering, S. 113, halten es dagegen immer für möglich, einen Tatbestand positiv zu formulieren. 34 Ein solches System bevorzugen z. B. Schwering, S. 154 f.; Gautschi, s. 10 ff.
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1. Teil, B. Die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten
gerliehen Recht für einen großen Teil der Fälle bestimmte Beweislastnormen35. Tatbestand einer Beweislastnorm ist die prozessuale Unklarheit über das Vorliegen der Tatsachen, die unter ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal einer bestimmten Norm, die nicht Beweislastnorm ist, subsumierbar sind, oder verkürzt ausgedrückt, die Unklarheit über das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals36. Geht man bei der Frage, wieviele Möglichkeiten der Beweislastverteilung es gibt, nicht von der einzelnen Tatsache bzw. dem einzelnen Tatbestandsmerkmal, sondern vom Anspruch aus, so sieht man, daß es hier nicht nur zwei Regelungsmöglichkeiten gibt. Denn das Bestehen eines Anspruchs oder einer anderen im Prozeß geltend gemachten Rechtsfolge hängt vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Vielzahl von Tatsachen bzw. Tatbestandsmerkmalen ab. So setzt z. B. ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises voraus, daß ein Kaufvertrag, bestehend aus Angebot und Annahme, abgeschlossen wurde (§§ 145 ff., 433 BGB)37 ; es darf sich dabei nicht um eine Scherzerklärung gehandelt haben (§ 118 BGB); die Beteiligten müssen geschäftsfähig gewesen sein (§§ 104 ff. BGB); eine evtl. vorgeschriebene Schriftform muß eingehalten worden sein (§§ 126, 127 BGB); der Vertrag darf weder sittenwidrig (§ 138 BGB) noch wirksam angefochten sein (§§ 119, 120, 123, 142 BGB); die Forderung darf weder erfüllt (§ 362 BGB), noch erlassen (§ 397 BGB), noch auf einen anderen als den AnspruchssteHer übertragen worden sein (§ 398 BGB); sie muß ferner fällig sein (§ 271 BGB) usw. Diese Umstände bilden zusammen mit allen weiteren erforderlichen, die hier nicht genannt wurden, den (Gesamt-)Tatbestand des vollständigen Rechtssatzes; und erst dieser vollständige Rechtssatz bestimmt die konkrete Rechtsfolge (hier Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises) für einen Sachverhalt38. Hinsichtlich jedes einzelnen dieser Umstände gibt es nun wieder zwei Möglichkeiten, die Beweislast zu verteilen. Auf die Gesamtheit aller Umstände bezogen, ergibt sich daraus eine Fülle möglicher Kombinationen. Anders ausgedrückt: Hinsichtlich eines bestimmten Anspruchs besteht jeweils eine Vielzahl von Möglichkeiten der Beweislastverteilung. ss Die Vorzüge eines solchen Systems betonen z. B. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 348; Rosenberg, S. 93, 98; Bötticher, ZZP 68, 231; Lepa, S. 6; Wach, ZZP 29, 367; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 28, 115 ff. zu Art. 8 ZGB. 36 Leipold, S. 59; Korsch, S. 73; Dubischar, JuS 1971, 386; zur Wirkungsweise der Beweislastnormen und deren systematischer Einordnung neuerdings Leipold, S. 60 ff., 67 ff. 87 Genau genommen müßte es jeweils heißen : Es müssen solche Tatsachen vorliegen, die rechtlich als Angebot und Annahme zu werten sind. Aus Gründen der Vereinfachung stehen hier die Rechtsbegriffe für die Tatsachen. 88 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 280; ähnlich Larenz, Methodenlehre, S. 232 ff., 243; Neuner, S. 179 f. Rosenberg, S. 208, spricht vom "idealen Tatbestand"; vgl. schon Jhering, Besitzwille, S. 151 ff.
C. Beweislastverteilung und materiell-rechtliche Norm
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C. Der Versuch, die Beweislastverteilung aus der materiell-rechtlichen Norm herzuleiten Angesichts besonderer gesetzlicher Bestimmungen über die Beweislast und der Fülle der Möglichkeiten, die Beweislast zu verteilen, scheint es erstaunlich, wenn immer wieder behauptet wurde und wird, die Beweislastverteilung ergäbe sich unmittelbar aus der anzuwendenden materiell-rechtlichen Norm39 selbst, oder: es gäbe keine besonderen von der materiell-rechtlichen Norm unterscheidbaren, d. h. gedanklich trennbaren Beweislastnormen. Nach dieser Meinung ist die Beweislastverteilung im Zivilprozeß nur "Kehrseite" des Bürgerlichen Rechts40 • Zu derselben Folgerung müßten auch die Vertreter der sog. Normentheorie kommen41 • Diese gehen davon aus, daß der Richter einen Rechtssatz nur dann anwenden kann, wenn er vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen überzeugt ist. Die Anwendung des Rechtssatzes hat danach nicht nur dann zu unterbleiben, wenn der Richter vom Nichtvorhandensein der tatsächlichen Voraussetzungen überzeugt ist, sondern auch dann, wenn insoweit Unklarheiten bestehen. Den Nachteil der Nichtanwendung im Falle des Zweifels treffe sonach notwendig die Partei, deren Sieg von der Anwendung des Rechtssatzes abhänge, woraus sich als einziges Prinzip der Beweislastverteilung ergebe, daß jede Partei die Bew eislast für die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm trage42 • Auch in diesem Modell ist für Beweislastnormen kein Platz, da sich schon aus der materiell-rechtlichen Norm selbst der Inhalt der Entscheidung im Falle des non liquet ergibt. Wird dennoch von Beweislastnormen gesprochen43 , so kann darin nur eine gedankliche Inkonsequenz gesehen werden44 • Ob es besondere Beweislastnormen neben den materiell-rechtlichen Normen gibt, hängt vom Verständnis des Tatbestandes von Rechts39 Darunter werden hier alle Normen verstanden, die nicht Beweislastnormen sind. Vgl. Pohle, MdR 1949, 388; Leipold, S. 67. 40 So z. B. Leonhard, S. 136 f., 175; Schwindel, S. 95, 139; Wolf, S. 9; dagegen z. B. Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 328 ff. ; Leipold, S. 29; Ri chard Schmidt, S. 475; Korsch, S. 8; B r odmann, AcP 98, 160 f.; Kasparek, S. 3; Musielak, S. 2 ff.; weit. Nachw. bei Leipold, S. 17, Anm. 2. 41 Insbes. Rosenberg, S. 11 ff., 98 ff.; ferner z. B. N i k isch, Zivilprozeßrecht, § 82 III 3, S. 319; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 345; Lent I Jauerni g, § 50 IV, S. 165 f.; Rosenberg I Schwab, § 118 I 2, S. 608 ; Zeiss, S. 185 ; Mühl, S. 105; ähnlich Betzinger, S. 2. 42 Rosenberg, S. 12; BGHZ 53, 245, 250. 43 z. B. Rosenberg, S. 5 ff., 77 ff., 84 (gegen Leonhard), vgl. andererseits s. 117 ff. 44 So zutreffend Leipold, S. 31 ff.; ebenso Schwindel, S. 118, 138 f., der vom selben Ausgangspunkt wie Rosenberg und die h. M. zu der Ansicht gelangt, daß es keine besonderen Beweislastnormen gäbe. Gegen die Normentheorie auch Wach, ZZP 29, 384.
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1. Teil, C. Beweislastverteilung und materiell-rechtliche Norm
normen ab. Es ist also der Tatbestand einer Rechtsnorm zu betrachten45 • Stellen wir uns dazu eine Rechtsnorm mit dem Tatbestand T, bestehend aus den Tatbestandsmerkmalen t 1 bis tn und der Rechtsfolge R vor; weiterhin den in den Prozeß eingeführten Sachverhalt S, bestehend aus den Tatsachen(behauptungen) s, bis s", die sich unter tt bis tn subsumieren lassen (erhebliche Tatsachen). Um die Darstellung nicht zu sehr zu erschweren, sollen außer St bis Sn keine weiteren unter t 1 bis t 11 subsumierbaren Tatsachen in den Prozeß eingeführt worden sein. Die eine Möglichkeit des Verständnisses der Rechtsnorm ist die folgende: Wenn St bis Sn wahr sind, tritt R ein. Der dazugehörige Negativsatz lautet: Wenn mindestens eine der Tatsachen s 1 bis Sn nicht wahr ist, tritt R aufgrund dieser Rechtsnorm46 nicht ein. Bei dieser Lesart knüpft die Rechtsfolge an das Vorhandensein der Tatsachen, nicht auch an ihren Beweis im Prozeß an. Die Rechtsnorm würde dann lauten: Wenn ein unter T subsumierbarer Sachverhalt (nicht) wahr ist, tritt R aufgrund dieser Norm (nicht) ein. Die Rechtsnorm hielte also keine Lösung für den Fall bereit, daß weder das Vorhandensein noch das Nichtvorhandensein von Tatsachen im Prozeß bewiesen wäre. Man könnte die Rechtsnorm aber auch anders verstehen: Wenn die Tatsachen St bis Sn bewiesen (oder unstreitig) sind, tritt R ein47. Der dazugehörige Negativsatz lautet: Wenn mindestens eine der Tatsachen St bis s" nicht erwiesen ist, tritt R aufgrund dieser Rechtsnorm nicht ein. Die Rechtsnorm würde dann lauten: Wenn (k)ein Sachverhalt erwiesen ist, der unter T subsumierbar ist, tritt R aufgrund dieser Norm (nicht) ein. Der Beweis des Sachverhalts, soweit er nicht unstreitig ist, gehört dann als zusätzliches Tatbestandsmerkmal zum Tatbestand der Norm. Wäre dieses Verständnis der Rechtsnorm richtig, so bedürfte es tatsächlich besonderer Beweislastnormen nicht, da schon die materiellrechtliche Norm selbst eine Lösung für den Fall des non liquet bereit hielte. Jedoch sprechen Wortlaut und Sinn der Gesetze gegen diese Auffassung. Denn nach dem Wortlaut der geltenden Gesetze aller Rechtsgebiete treten die Rechtsfolgen schon bei Existenz bestimmter Tatsachen, nicht erst bei deren Beweis im Prozeß ein48 • So lautet beispielsweise der Tatbestand von § 823 Abs. 1 BGB: "Wer ... das Leben 45
46
Zum Folgenden insbes. Leipold, S. 19 ff., 23 ff.
V gl. Fn. 4.
47 So Leonhard, S. 127, dessen Formulierung: "Wenn der Tatbestand a und b erwiesen ist, . .. " allerdings ungenau ist, da nicht der Tatbestand, sondern Tatsachen Gegenstand des Beweises sind.
48
Leipold, S. 23 f.
I.
Vorbemerkung
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eines anderen ... verletzt ... ", und nicht etwa "Ist erwiesen, daß jemand das Leben eines anderen verletzt hat, .. .".Nur ausnahmsweise wird eine Rechtsfolge an den - meist außerprozessualen - Nachweis einer Tatsache geknüpft, z. B. §§ 111, 179 BGB. Außerdem zwänge ein solches Normverständnis zu der Folgerung, daß die materiell-rechtlichen Normen nur im Prozeß gelten und den Inhalt des Urteils bestimmen49 , nicht aber außerhalb des Prozesses als Verhaltensnormen unmittelbar für die Parteien. Die Rechtsnormen hätten dann höchstens insofern einen mittelbaren Einfluß, als sich die Parteien an dem- unsicherenprozessualen Beweisergebnis eines künftigen Prozesses orientierten. Auch für eine solche Annahme ergeben sich aber aus dem geltenden Recht keinerlei Anhaltspunkte. Die Rechtsordnung wendet sich mit Verboten und Geboten zunächst unmittelbar an die Rechtsunterworfenen; Rechte und Pflichten entstehen, verändern sich, erlöschen ohne Rücksicht auf künftig darum geführte Prozesse50• Auch die Mehrzahl der Rechtsunterworfenen geht hiervon aus. Sie richtet sich in ihrem Verhalten an der Rechtsordnung aus, nicht etwa in erster Linie aufgrund einer späteren Beweisbarkeit des ihre Rechte und Pflichten begründenden Sachverhalts, sondern weil sie sich rechtlich, nicht nur moralisch gebunden fühlt. Die rein prozessuale Auffassung der Rechtsnormen, nach welcher der gelungene Beweis des Sachverhalts zusätzliches Tatbestandsmerkmal der materiell-rechtlichen Norm ist, trifft daher nicht zu: Das materielle Recht knüpft Rechtsfolgen zunächst nur an das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Tatsachen, ohne etwas über die Behandlung der Fälle des prozessualen non liquet zu sagen. Erst besondere, von den materiell-rechtlichen Normen gedanklich zu trennende Beweislastnormen bestimmen die Entscheidung dieser Fälle. D. Die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und die wichtigsten gesetzlichen Sonderregeln I. Vorbemerkung Im deutschen Recht fehlt, wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, eine zusammenhängende gesetzliche Regelung der Beweislastverteilung. Die Bedeutung der wenigen ausdrücklichen Beweislastregeln erschließt sich erst im Zusammenhang mit der ungeschriebenen Grundregel der Beweislastverteilung. Diese ist also zuerst zu behandeln. Da 49 So z. B. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 242 ff.; Binder, Rechtsnorm und Rechtspflicht, S. 23 ff.; weit. Nachw. bei Leipold, S. 27, Anm. 33 und S. 28, Anm. 42. 50 s. dazu im einzelnen L eipold, S. 27 ff. ; Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 328 ff.
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1. Teil, D. Beweislastgrundregel und gesetzliche Sonderregeln
es kaum ausdrückliche Beweislastregeln gibt, ist die Suche nach dem genauen Inhalt der bestehenden Beweislastregeln schwierig. In solchen Fällen besteht die Gefahr, die Frage nach der positiven Geltung dieser Vorschriften in unzulässiger Weise mit der Frage nach ihren sachlichen Gründen zu vermengen. Hier soll versucht werden, beide Fragen streng zu trennen. Dies ist notwendig, um die Reichweite der bestehenden Beweislastnormen genau bestimmen und so den Bereich abgrenzen zu können, in dem der Richter die Beweislast ohne Bindung an Normen verteilen muß. II. Die ungeschriebene Grundregel
1. Die Anknüpfung der Beweislastgrundregel an die unterschiedliche materiellrechtliche Bedeutung der Normen
Nach immer noch h . M. lautet die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung so: Wer ein Recht geltend macht, hat die tatsächlichen Voraussetzungen der rechtsbegründenden Normen zu beweisen, wer das Bestehen des Rechts leugnet, die tatsächlichen Voraussetzungen der rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Normen; oder kürzer: Der Anspruchsteller trägt die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, der Gegner die Beweislast für die rechtshindernden, -vernichtenden und -hemmenden Tatsachen51 • Eine Beweislastregel kann an die Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden Normen (Tatsachen) einerseits, rechtshindernden, -vernichtenden und -hemmenden Normen (Tatsachen) andererseits nur dann anknüpfen, wenn diese Unterscheidung schon unabhängig von der Beweislastverteilung im materiellen Recht vorhanden ist52• Anders ausgedrückt: Schon aus dem materiellen Recht muß sich ergeben, ob ein Merkmal t ,. des Gesamttatbestandes Tatbestandsmerkmal einer rechtsbegründenden Norm, oder das genaue Gegenteil dieses Merkmals (non-t") Tatbestandsmerkmal einer rechtshindernden, -vernichtenden oder -hemmenden Norm ist. Dieser Frage soll im folgenden zuerst nachgegangen werden. Denn erst nachdem sie bejaht worden ist, hat 51 Rosenberg, S. 105; Rosenberg I Schwab, § 118 III 2, S. 611; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 345 f.; Lent I Jauernig, § 50 IV, S. 165 f.; Bernhardt, § 34 III a. E., S. 225; Zeiss, S. 145; Schönke I Sehröder I Niese, § 58 III, S. 261; Stein I Jonas I Pohle, 18. Aufl., § 282, Anm. IV 1; Wieczorek, § 282, Anm. E III, c, d; Baumbach I Lauterbach, Anh. § 282, Anm. 2; Thomas I Putzo, § 282, Anm. 5 d; Lüke, JZ 1966, 589; Redeker, NJW 1966, 1579; BGHZ 3, 342, 346 und aus der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte BAG AP Nr. 2 zu § 111 BBiG, Bl. 2; AP Nr. 4 zu § 276 BGB, Vertragsbruch, Bl. 3. Vielfach sprechen allerdings die genannten Autoren vereinfachend von der Beweislast des Klägers und des Beklagten. s. dazu unten 2, a. E. 52 Leipold, S. 35 f.
II. Die ungeschriebene Grundregel
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es Sinn, nach der positiven Geltung der von der h. M. aufgestellten Grundregel zu fragen. Zunächst zu den rechtsbegründenden, -vernichtenden und -hemmenden Normen, Begriffen, die den meisten Juristen geläufig sind und selten in Frage gestellt werden. Rechtsbegründende Normen enthalten alle die Merkmale des Gesamttatbestandes, die zur Begründung des Rechts erforderlich sind. Rechtsvernichtende (-hemmende) Normen enthalten in umgekehrter Form die Tatbestandsmerkmale des Gesamttatbestandes, die das einmal entstandene Recht vernichten (in seiner Durchsetzbarkeit hemmen). Für das Ergebnis eines um ein bestimmtes Recht R1, beispielsweise eine Kaufpreisforderung, geführten Prozesses ist es ohne Bedeutung, ob dieses Recht etwa mangels Einigung gar nicht erst entstanden oder ob es später etwa durch Erfüllung wieder erloschen ist. In keinem Falle tritt die angestrebte Rechtsfolge- Verurteilung zur Zahlung - ein. Insoweit kommt es also nicht darauf an, ob ein bestimmter Umstand tn (die Einigung, das Nichtvorliegen der Erfüllung) Tatbestandsmerkmal einer rechtsbegründenden Norm oder sein Gegenteil, non-tn (das Nichtvorliegen der Einigung, die Erfüllung), Tatbestandsmerkmal einer rechtsvernichtenden Norm ist. Denn in jedem Falle tritt die Rechtsfolge ein, wenn eine unter tn subsumierbare Tatsache Sn vorliegt, sie tritt nicht ein, wenn sie nicht vorliegt. Dennoch ist die Unterscheidung, ob ein Recht gar nicht erst entstanden, oder zwar entstanden, aber zu einem späteren Zeitpunkt erloschen ist, von großer rechtlicher und praktischer Bedeutung. Denn der Bestand oder Nichtbestand eines Rechts R1 zu einem bestimmten Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraumes kann seinerseits wieder Tatbestandsmerkmal einer anderen Norm mit einer anderen Rechtsfolge (R2) sein. So setzt z. B. ein Anspruch aus Unmöglichkeit, Verzug oder positiver Vertragsverletzung (R2) voraus, daß ein anderes Recht, das Recht auf die ursprünglich geschuldete Leistung (R1), zunächst einmal entstanden und während seines Bestehens verletzt worden ist53• Schon materiell-rechtlich, also unabuängig von der Frage der Beweislast, bedeutet es demnach einen Unterschied, ob ein Tatbestandsmerkmal des Gesamttatbestandes Tatbestandsmerkmal einer rechtsbegründenden Norm ist oder sein Gegenteil Tatbestandsmerkmal einer rechtsvernichtenden Norm54 • Entsprechendes gilt für rechtshemmende Normen. Nun zu den rechtsbegründenden und rechtshindernden Normen: Letztere enthalten in negativer Fassung die Merkmale des Gesamt63 Umgekehrt setzt ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (R2) voraus, daß ein die Vermögensverschiebung rechtfertigender Anspruch (Rl) nicht bestanden hat. M Bötticher, ZZP 68, 233; Leipold, S. 37; wohl auch Neuner, S. 180 f .
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1. Teil, D. Beweislastgrundregel und gesetzliche Sonderregeln
tatbestandes, die die Entstehung des Rechts hindern. Als rechtshindernd wird z. B. die Minderjährigkeit angesehen, da sie die Entstehung bestimmter Ansprüche hindere. Man kann jedoch genausogut sagen: Die Volljährigkeit ist rechtsbegründend. Ob das Vorliegen eines Umstandes (Volljährigkeit) rechtsbegründend oder sein Nichtvorliegen (Nichtvolljährigkeit = Minderjährigkeit) rechtshindernd ist, spielt für keine vom materiellen Recht ausgesprochene Rechtsfolge eine Rolle. Rechtsbegründende und rechtshindernde Normen beziehen sich beide auf den Augenblick der Rechtsentstehung. Es bedeutet demnach materiell-rechtlich keinen Unterschied, ob ein Umstand Tatbestandsmerkmal einer rechtsbegründenden Norm oder sein genaues Gegenteil Tatbestandsmerkmal einer rechtshindernden Norm ist55 • Die Beweislastverteilung kann demnach zwar an die Unterscheidung von rechtsbegründenden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Normen anknüpfen, nicht aber an die Unterscheidung von rechtsbegründenden und rechtshindernden Normen. Demjenigen, der das Bestehen eines Rechts leugnet, kann durchaus die Beweislast für das Nichtvorliegen rechtsbegründender Tatsachen auferlegt werden. Das kann sich aus der Entstehungsgeschichte, der Fassung einer Norm oder aus anderen Erwägungen ergeben. Es ist unschädlich, wenn auch unzweckmäßig, insoweit von rechtshindernden Normen zu sprechen56• Wenn man aber daraus wiederum etwas über die Beweislastverteilung herleitet, so handelt es sich um eine bloße Tautologie57• Damit kann die Grundregel sinnvollerweise nur lauten: Soweit nicht abweichende Regeln eingreifen, trägt der Anspruchsteller die Beweislast für das Vorliegen der rechtsbegründenden Tatsachen, der Anspruchsgegner aber die Beweislast für das Vorliegen der rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Tatsachen. 2. Die positive Geltung der abgewandelten Grundregel
Im vorigen Abschnitt war noch nichts über die positive Geltung der abgewandelten Grundregel gesagt worden. Ein ausdrückliche Beweislastregel dieses Inhalts fehlt. Sie kann auch nicht mittelbar aus gesetz55 Leonhard, S. 77 f.; Korsch, S. 123, Anm. 20; Neuner, S. 180; Friederichs, S. 284; Leipold, S. 38ff.; Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 331; Stein/ Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 2; Bötticher, ZZP 68, 232 f.; Dütz, SAE 1974, 157; Musielak, S. 295; Schuster, S. 78; auch Rosenberg I Schwab, § 105 II 2 a, S. 542, geben das zu; ebenso wohl auch Lepa, S. 60; a. A. insbes. Rosenberg, S . 132 ff. 56 So z. B. Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 2; Dütz, SAE 1970, 157; Musielak, S. 299; und wohl auch Rosenberg I Schwab, § 118 III 2, S. 611 einerseits und § 105 l i 2 a, S. 542 andererseits. 57 Wach, ZZP 29, 384; Leonhard, S. 80; Leipold, S. 42; Ekelöf, ZZP 75, S. 297; Grunsky, § 41 III 2 a aa, S . 427 f .; Schuster, S. 78.
II. Die ungeschriebene Grundregel
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liehen Beweislastregeln erschlossen werden. § 193 des Ersten Entwurfs zum BGB enthielt die Grundregel in der abgewandelten Form, d. h. ohne die rechtshindernden Tatsachen58• Die Bestimmung wurde jedoch mit der Begründung gestrichen, sie sei selbstverständlich, "da sie nur ausspreche, was sich nach den Grundsätzen der Logik ergebe und auch ohne gesetzlichen Ausspruch nicht verkannt werde" 59• Wenn auch der Hinweis auf die Logik verfehlt ist60 , so kann man doch sagen, daß dieser Satz heute wie zur Zeit der Entstehung des BGB ganz allgemein anerkannt ist. Eine Mindermeinung in der Literatur hält ihn in der abgewandelten Form für geltendes Recht61 . Doch auch die h. M. in Literatur und Rechtsprechung erkennt diesen Satz an; sie hat ihn nur fälschlicherweise um die sog. rechtshindernden Tatsachen erweitert62 . Die Grundregel in der abgewandelten Form gilt damit heute gewohnheitsrechtlich63. Nach ihr trägt der Anspruchsteller grundsätzlich nicht die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs, sondern nur für das Entstehen64 • 65 • In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zur Präzisierung der Grundregel: In ihr ist vom Anspruchsteller und Anspruchsgegner die Rede. Da sich der Anspruchsteller meistens in der Klägerrolle, der Gegner in der Beklagtenrolle befindet, sprechen manche Autoren vereinfachend von der Beweislast des Klägers und des Beklagten66. Es besteht jedoch Einigkeit darüber, daß auch der Beklagte Anspruchsteller sein kann, z. B. bei der negativen Feststellungsklage oder bei der Aufrechnung im Prozeß67 • Insofern ist die Verteilung der Beweislast 68 Interessanterweise taucht der Begriff der rechtshindernden Tatsachen im Gesetzesentwurf selbst nicht auf, wohl aber in den Motiven I, S. 382 =
Mugdan I, S . 561.
Protokolle I, S. 516 = Mugdan I, S. 815. s. oben B. 61 z. B. Leipold, S. 45 f .; Funk, S. 32; ZöHer I Stephan, § 282, Anm. V 3. Nach Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 322, beherrscht die Grundregel in abgewandelter Form wohl alle Rechtsordnungen; ähnlich Kummer, Berner Kommentar, Anm. 9 zu Art. 8 ZGB. 62 s. oben II 1, Fn. 51. 63 So z. B. Wach, ZZP 29, 386 ; Korsch, S. 18; Richard Schmidt, S. 475; Stein I Jonas I Pohle, 18. Aufl., § 282, Anm. IV 2. a. E.; a. A. Leipold, S. 46; Musielak, S. 313 sowie Funk, S. 30, die hier von einem "stillschweigenden Gesetzesrecht" sprechen. 6 4 Motive I, S. 382 = Mugdan I, S. 561. 65 Zur Durchbrechung der Grundregel durch richterrechtliche Beweislastsonderregeln vgl. unten F. 59
60
66 67
z. B. Rosenberg, S. 205; Zeiss, S. 185.
h. M., z. B. BGHZ 17, 252, 260; OLG Karlsruhe, RsprOLG 29, S. 98 ;
Rosenbe1·g, S. 173 ff.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 345; Pohle, MdR 1949, 386, 388; Leipold, S. 49; Bernhardt, JR 1966, 323; Schmeling, S. 144 f.; Richard Schmidt, S. 478 f.; H enle, S. 341; Gulden er, S. 28; Friederichs, S. 284.
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1. Teil, D. Beweislastgrundregel und gesetzliche Sonderregeln
von der prozessualen Stellung der Beteiligten als Kläger oder Beklagte unabhängig. 111. Erscheinungsformen und positive Geltung der gesetzlichen Beweislastsonderregeln
Die Grundregel gilt nur insoweit, als nicht abweichende gesetzliche oder richterrechtliche Beweislastregeln eingreifen. Diese abweichenden Regeln können ihrerseits teilweise durchbrachen werden, so daß in diesem Bereich wiederum die Grundregel anwendbar ist usw. Die abweichenden Regeln und die diese durchbrechenden Regeln sollen hier Beweislastsonderregeln genannt werden. Manche Autoren sprechen hier auch von einer Beweislastumkehr; jedoch soll dieser Ausdruck in der vorliegenden Arbeit speziell den richterrechtlichen Beweislastsonderregeln vorbehalten bleiben. Gesetzliche Beweislastsonderregeln sind sehr zahlreich; sie können daher nicht annähernd vollständig wiedergegeben werden. Vielmehr sollen nur die verschiedenen Techniken dargestellt werden, deren sich der Gesetzgeber bei der Aufstellung von Beweislastsonderregeln bedient hat. Vereinzelt ist die Beweislast ausdrücklich geregelt; im BGB zum Beispiel §§ 282, 345, 358, 363, 442, 542 Abs. 3, 636 Abs. 2, im Arbeitsrecht z. B. § 1 Abs. 2, 3 KSchG. Für das BGB spielt jedoch die sprachliche Fassung der materiellen Rechtssätze eine weit größere Rolle als die ausdrückliche Regelung. In den Motiven zum Ersten Entwurf des BGB 68 heißt es dazu: "Bei der Fassung der Vorschriften (ist) im allgemeinen das Bestreben darauf gerichtet gewesen, hinsichtlich der einzelnen rechtserzeugenden Thatbestände den Umfang der Anführungspflicht und damit mittelbar auch der Beweispflicht thunlichst erkennbar zu machen." So hat nach dem Willen der Verfasser des BGB abweichend von der Grundregel derjenige, der das Bestehen eines Rechts leugnet, die Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen solcher Rechtssätze zu tragen, die sich an einen vorangehenden Rechtssatz mit Wendungen wie "es sei denn, daß", "dies gilt nicht", "wenn nicht" anschließen, also bei negativer Fassung des zweiten Rechtssatzes, vgl. z. B . §§ 121 Abs. 2, 145, 273 Abs. 1, 2 BGBG9 , 70 • Bei den mit den Wendungen "wenn nicht" "sofern 68 Motive I , S. 382 = Mugdan I, S. 561; vgl. auch Protokolle I, S. 516 = Mugdan I, S . 815. 69 s. ferner §§ 130 Abs. 1 Satz 2, 178 Satz 1, 181, 287 Satz 2, 460 Satz 2 BGB. 7° Protokolle, S. 8814 = Mugdan II, S. 500; Leipold, S. 51, 55; Larenz, Methodenlehre, S. 242; Henle, S . 348 f .; Baumbach I Lauterbach, Anh. § 282,. Anm. 2 und ausführlich Rosenberg, S. 126 ff. mit zahlreichen weit. Beisp.
III. Gesetzliche Beweislastsonderregeln
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nicht" eingeleiteten Rechtssätzen ist zu beachten, daß der Gegner nur dann die Beweislast trägt, wenn beide Worte unmittelbar zusammenstehen oder aber nur durch Worte wie "er", "sich", "sie" oder ähnliches getrennt sind, vgl. z. B. § 273 Abs. 1, 2 BGB71 • Andernfalls bleibt es bei der Anwendung der Grundregel, so z. B. bei § 151 Satz 1 BGB72 • 73 • Das redaktionelle Mittel, die Beweislastverteilung deutlich zu machen, besteht also darin, mehrere Rechtssätze nach dem sprachlichen RegelAusnahme-Schema aufzubauen. In den vom Gesetz als Ausnahme betrachteten Rechtssätzen, die man als "Gegennormen" bezeichnen kann74, steht demnach neben der materiell-rechtlichen Norm, die Rechtsfolgen an die Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen knüpft, eine von dieser gedanklich zu trennende Beweislastnorm. Es ist heute allgemeine Meinung, daß der Gesetzgeber in dieser Weise auch die Beweislast mitgeregelt hat75• Ein weiteres gesetzgeberisches Mittel zur Verteilung der Beweislast ist die Aufstellung von widerlegliehen Tatsachenvermutungen, z. B. §§ 938, 1117 Abs. 3 BGB76 • Die Besonderheit dieser Beweislastsonderregeln, deren praktische Bedeutung sich aus § 292 ZPO ergibt, besteht darin, daß ihre Anwendung vom Vorliegen tatbestandsfremder Voraussetzungen (sog. Vermutungsbasis) abhängt, die vom Vermutungsbegünstigten zu beweisen sind77• Gelingt dieser Beweis nicht, so bleibt es bei der Anwendung der allgemeineren BeweislastregeL Man kann hier also von einer Zweigleisigkeit der Beweislastregelung sprechen78 • Schließlich erweisen sich auch die den Tatsachenvermutungen sehr ähnlichen widerlegliehen Rechtsvermutungen, z. B. §§ 891, 1006 BGB, s. ferner z. B. §§ 179 Abs. 1, 426 Abs. 1 Satz 1, 432 Abs. 1 Satz 1 BGB. s. ferner § 293 BGB. 73 Daß es auf die Stellung des Wortes "nicht" ankommt, wird in den Protokollen, S. 8814 = Mugdan II, S. 500, ausdrücklich betont. 74 Rosenberg, S. 103 ff.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 280; Dubischar, JuS 1971, 388, 390. 75 Rosenberg, S. 126 f.; Leipold, S. 52 f.; Dubischar, JuS 1971, 389; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 4 b.; Enneccerus I Nipperdey, Allgemeiner Teil, 1. Halbbd., § 56 I 3, S. 332 f.; Schänke I Sehröder I Niese, § 58 III, S. 261; einschränkend früher Wach, ZZP 29, 380, 383 und wohl auch Richard Schmidt, S. 487; weit. Nachw. bei Leipold, S. 52, Anm. 30, 31. 78 Dubischar, JuS 1971, 387; v . Greyerz, S. 13 f.; Musielak, S. 61 ff. und eingehend Leipold, S . 73 ff. sowie Rosenberg, S . 199 ff. mit weit. Beisp. s. 214 ff. 77 Rosenberg, S. 203, 209; Leipold, S. 92 f. Mitunter werden auch einfache Beweislastsonderregeln als Vermutungen bezeichnet, z. B. BGHZ 5, 23, 26. Auch der Gesetzgeber verwendet den Begriff "Vermutungen" nicht einheitlich, vgl. Weitnauer, S. 16. Dies sollte im Interesse einer einheitlichen Terminologie jedoch möglichst vermieden werden. 71
72
78
Leipold, S . 93.
3 Reinecke
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
als gesetzgeberisches Mittel zur Regelung der Beweislast79 • Von den Tatsachenvermutungen unterscheiden sich die Rechtsvermutungen insofern, als diese die Beweislast nicht nur für die Voraussetzungen eines einzelnen Tatbestandsmerkmals, sondern für alle tatsächlichen Voraussetzungen des vermuteten Rechts regeln80• E. Die sachlichen Gründe für die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung und die gesetzlichen Beweislastsonderregeln Nachdem geklärt worden ist, wie die Grundregel der Beweislastverteilung lautet und welcher Regelungstechniken sich der Gesetzgeber bei der Aufstellung der Beweislastsonderregeln bedient hat, ist nun der Frage nach den sachlichen Gründen für diese Beweislastregeln nachzugehen. Denn hieraus ergibt sich gleichzeitig, von welchen Erwägungen der Richter bei der Ausfüllung von Regelungslücken auszugehen hat. Um Aufschluß über die sachlichen Gründe gesetzlicher Beweislastregeln zu erhalten, wird man zuerst in den Gesetzgebungsmaterialien nach Hinweisen suchen. Dort wird zwar bei den durch die sprachliche Fassung ausgedrückten Beweislastregeln zur Verdeutlichung des gesetzgeberischen Willens bisweilen darauf hingewiesen, wer die Beweislast trägt81 • Jedoch finden sich nur in ganz wenigen Fällen auch kurze Bemerkungen darüber, warum einer Partei die Beweislast auferlegt wird. So heißt es beispielsweise zu der Beweislastregel des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Geschäftsherr könnte den Entlastungsbeweis ggf. unschwer erbringen, während umgekehrt der Beweis des Geschädigten häufig scheitern würde82• Ob diese Begründung zutreffend ist, wird im einzelnen zu prüfen sein83 • Ferner wird in den Protokollen noch eine allgemeine Begründung für die Beweislastverteilung gegeben: Hierfür seien logische Gründe, Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsrücksichten maßgebend84 • Diese Äußerung ist jedoch zu allgemein, um als Grundlage für die folgenden Erörterungen zu dienen. 79 Dazu im einzelnen Rosenberg, S. 225 ff. mit weit. Beisp.; Musielak, S. 76 ff. und Leipold, S. 93 ff.; s. auch Richard Schmidt, S. 487.
8o
Leipold, S. 100.
Vgl. zum heutigen § 118 BGB Motive I, S. 194 = Mugdan I, S. 459 f .; zu den §§ 833, 834 Satz 2 BGB P rotokolle, S. 2867 = Mugdan II, S. 1124; Denkschrift, S. 99 = Mugdan II, S. 1268; zu § 836 Abs. 1 Satz 2 BGB Protokolle, S. 2883 = Mugdan II, S. 1151; Denkschrift, S. 101 = Mugdan II, S. 1269 f. 82 Denkschrift, S. 98 f. = Mugdan II, S. 1268; ähnl. Protokolle, S. 2770 = Mugdan II, S. 1090 zum heutigen§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB: Es sei zweckmäßiger, dem Aufsichtspflichtigen die Beweislast aufzuerlegen, da dieser leicht imstande sei, die Gründe seines Verhaltens darzulegen. ss Vgl. unten 1 b bb. 84 Protokolle, S. 516 = Mugdan I, S. 815. Die hier gegebene Begründung dient der 2. Kommission als Argument für die St reichung der im 1. Entw. 81
I. Meinungsstand
35
Wenden wir uns also der Literatur zu. Obwohl es zahlreiche Arbeiten über Beweislastfragen gibt, finden sich doch nur relativ wenige Erörterungen über die der Beweislastverteilung zugrunde liegenden Erwägungen. So behandelt Rosenberg in seiner fast 400seitigen Monographie über die Beweislast "den Grund der Beweislastverteilung" nur auf insgesamt 8 Seiten85• Diese Vernachlässigung der Frage nach dem "Warum" wurde, wie bereits in der Einleitung erwähnt, schon des öfteren beklagt86 • Erst die in jüngerer Zeit erschienenen Abhandlungen von Lepa87 und Prölss8B beschäftigen sich vorwiegend mit den sachlichen Gründen der Beweislastverteilung89• Dennoch wird eine Vielzahl von Motiven für Beweislastregeln genannt. Der Überblick wird dadurch erschwert, daß z. T. die Frage nach den sachlichen Gründen einer Norm mit der Frage nach der positiven Geltung vermischt wird90 • So ist bei manchen Äußerungen, insbesondere, wenn von der Beweislastverteilung im einzelnen Fall die Rede ist, nicht ganz klar, ob sie nur die unter D. behandelten Beweislastnormen erklären wollen, oder ob darin fälschlicherweise der InhaU einer geltenden Norm gesehen wird. - Zunächst sollen die in der Literatur heute noch vertretenen Meinungen kurz dargestellt werden. I. Meinungsstand
Viele Autoren legen sich als erstes die Frage vor, warum überhaupt die Beweislast auf beide Parteien "verteilt" ist und nicht ausschließlich bei einer Partei liegt. Dabei geht man wie selbstverständlich von der primären Beweislast des Anspruchstellers (Klägers) aus. Zur Begründung dafür, daß auch der Anspruchsgegner (Beklagte) 91 einen Teil der (§§ 193- 198) vorgesehenen allgemeinen und besonderen Vorschriften über die Beweislastverteilung. 85 S. 90 - 97: § 8, Die Beweislastverteilung und ihr Grund im allgemeinen. 86 Einleitung, Fn. 5. 87 Die Verteilung der Beweislast im Privatrecht und ihre rationelle Begründung, Diss. Köln, 1963. 88 Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, München 1966, S. 63 ff. Siehe ferner Schuster, "Beweislastumkehr extra legem", Die Verteilung der Beweislast nach der Verantwortungsbereichs- und Normentheorie, Diss. Freiburg, 1975. 89 Aus der älteren Literatur ist hier zu nennen die 1913 erschienene Monographie des Schweizer Autors Gautschi, Beweislast und Beweiswürdigung bei freiem richterlichem Ermessen. Da Gautschi zwischen Beweislastverteilung und Beweiswürdigung nicht genau trennt und entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers auch die Beweislastverteilung allein dem Richter überlassen will, ist seine Schrift weithin unbeachtet geblieben. 90 s. oben D I. 91 Zur Gleichsetzung von Anspruchsteller und Kläger sowie Anspruchsgegner und Beklagtem s. oben IV B 2, S. 16. 3•
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
36
Beweislast trage, wird von Rosenberg 92 und anderen Autoren ausgeführt: Jede Rechtsverfolgung sei von vornherein aussichtslos, wenn der Anspruchsteller sämtliche Voraussetzungen für das Bestehen des Rechts beweisen müsse. Dies würde ihn beweislos und damit rechtlos machen93 • Auf der Suche nach einem einheitlichen Leitprinzip der Beweislastverteilung gelangen die meisten Autoren zu Aussagen wie: Die Beweislastverteilung folge Geboten der Billigkeit, Zweckmäßigkeit und der ausgleichenden Gerechtigkeit94, oder ähnlich: Die Beweislastverteilung strebe eine angemessene Verteilung des Beweisrisikos an95 . Konkreter werden die Ausführungen, wenn es um die Erklärung einzelner Beweislastregeln geht. Am häufigsten findet sich der Hinweis, daß den Beweislastnormen Wahrscheinlichkeitssätze, Lebensregeln oder ein statistisches Regelausnahmeverhältnis zugrunde lägen: Die Beweislast werde - wie es z. B. bei Kegel heißt96 - grundsätzlich dem auferlegt, der zu seinen Gunsten behaupte, was nicht überwiegend wahrscheinlich ist, da es gerechter sei, im Falle des non liquet nach dem Wahrscheinlichen zu urteilen als nach dem Unwahrscheinlichen97· 98. Sehr plastisch sagt Henle99, die Beweislastnormen seien "gefrorene Erfahrungssätze". Derselbe Gedanke liegt auch der Äußerung von A. Blomeyer100 zugrunde, nach dem der Antragsteller nur die Tatbestandsmerkmale des vollständigen Rechtssatzes 101 zu beweisen habe, aus denen sich normalerweise und deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit die Rechtsentstehung ergebe102• - Demgegenüber beto92
s. 91.
Ebenso auch Schwindel, S. 152; Richard Schmidt, S. 475; ähnlich z. B. Wach, ZZP 29, S. 365; Lepa, S. 75; Musielak, S. 382; Funk, S. 40 f., 51; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 112, 141 zu Art. 8 ZGB und schon Jhering, Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, 1. Abt., S. 206, und Besitzwille, S. 151. 94 So Rosenberg, S. 91, 93, auf S. 96 gegen eine Zurückführung der Beweislastverteilung auf die "Natur der Sache"; Pohle, AcP 155, 178; Bernhardt, JR 1966, 323; Schwindel, S. 152; Lepa, S. 69; Musielak, S. 382; Richard Schmidt, S. 475; Wach, ZZP 29, 367; Rabel, RheinZ 1923, 431; ähnlich Kummer, 93
Berner Kommentar, Anm. 114 zu Art. 8 ZGB; vgl. auch Protokolle (Fn. 84). 95 Kummer, Berner Kommentar, Anm. 134 ff. zu Art. 8 ZGB; v. Greyerz,
s. 32, 45.
Festgabe für Kronstein, S. 335. Ähnlich v. Greyerz, S. 13. 98 Vgl. auch § 194 Abs. 1 des 1. Entw. zum BGB: "Wer die rechtliche Wirkung eines Thatbestandes wegen besonderer die regelmässige Wirksamkeit ausschliessender Thatsachen verneint, hat diese besonderen Thatsachen zu beweisen" und dazu Motive I, S. 382 = Mugdan I, S. 561. 96 97
99
s. 347.
Zivilprozeßrecht, S. 345. Zu diesem Begriff s. oben B. 1 02 Wie die Genannten im Ergebnis auch Leipold, S. 53 ff.; Pohle, Festschrift für Dölle, II, S. 325; ders., AcP 155, 178; Dubischar, JuS 1971, 389; Musielak, S. 366, 381, 383 f.; Funk, S. 64 f.; Rabel, RheinZ 1923, 436; Heins1oo 101
I. Meinungsstand
37
nen Rosenberg103 und im Anschluß an ihn Lüke104, daß es nicht auf die Regel des Lebens, sondern auf die des Gesetzes ankäme. Gleicher Meinung ist Brodmann 105, der ausführt, es sei durchaus verkehrt, die Beweislast im einzelnen Falle danach zu verteilen, was wahrscheinlich ist. Jedoch wenden sich die zuletzt genannten Autoren wohl weniger gegen die Zurückführung gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Beweislastnormen auf eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung106, als vielmehr gegen den in der früheren Literatur bisweilen unternommenen Versuch, das gesetzgeberische Motiv zum Inhalt einer geltenden Norm zu machen. Neben dem Wahrscheinlichkeitsargument wird zur Erklärung der Beweislastregeln fast ebenso häufig der Sphärengedanke herangezogen. Der Gesetzgeber habe vielfach in dem Bestreben, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, die Beweislast der Partei aufferlegt, in deren Sphäre sich der streitige Vorgang abgespielt hat, da sie zur Aufklärung in der Regel besser als der Gegner in der Lage seP 07 • Ekelöf108 bringt diesen Gedanken auf die knappe Formulierung: Daß eine Partei das Beweismaterial beherrscht, ist ein Argument für ihre Beweislast. Der Sphärengedanke hat neuerdings in Prölss109 wieder einen starken Befürworter gefunden. Nach ihm entspricht es sogar einem überpositiven Gerechtigkeitsgebot, bei Schadensersatzprozessen dem in Anspruch Genommenen die Beweislast für solche Vorgänge aufzuerlegen, die sich in seinem Gefahrenbereich abgespielt haben. Denn der G eschädigte befinde sich in Beweisnot, da er den Gefahrenbereich des möglichen Schädigers nicht übersehen könne. Im Zusammenhang damit heißt es häufig, daß auch der Präventivzweck der Haftungsnormen eine Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen fordere 110. Leonhard111 , Roheimer, RheinZ 1924, 8 und schon Jheri ng (1889), Der Besitzwille, S. 159: Der Gesetzgeber habe bei der Gestaltung des Beweises eine möglichste Deckung des abstrakten Rechtssatzes mit der Wirklichkeit anzustreben. Einschränkend demgegenüber Wach, ZZP 29, S. 386. 103 s. 125. 10' JZ 1966, 589. 105 AcP 98, S. 154. 108 So räumt Rosenberg, S. 211, selbst ein, daß die Lebenserfahrung für den Gesetzgeber zum Motiv einer gesetzlichen Vermutung geworden sein kann. 107 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346; Henle, S. 347; Brodman n, AcP 98, S. 144; Leipold, S. 57; Dubischar, JuS 1971, 393; W eitnauer, S. 13; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 274; Musielak, S. 367, 371, 383; Funk, S. 66; Guldener, S. 19; Gautschi, S. 25; ähnl. Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 339, der hier von Leichtigkeitsbeweis spricht. 108 ZZP 75, S. 297 f. 109 s. 74 ff. 110 Prölss, S. 76; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275; und insbesondere Heinsheimer, RheinZ 1924, 7. 111
s. 177.
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
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senberg 112 und Kummer113 weisen dagegen darauf hin, daß Schwierigkeiten der Beweisführung noch nicht von der Beweislast befreiten. Die entgegengesetzte Ansicht sei schon deshalb unhaltbar, weil man nach ihr die Beweislast in jedem Falle anders bestimmen müßte. Auch diese Äußerungen sind wohl weniger als Beitrag zur Erklärung bestehender Beweislastnormen aufzufassen, sondern eher als Mahnung an den Richter, die gewohnheitsrechtlich oder gesetzlich angeordnete Beweislastverteilung nicht allzu leichtfertig wegen Beweisschwierigkeiten im Einzelfall außer Kraft zu setzen. Übereinstimmung herrscht darüber, daß die Verfasser des BGB bestrebt waren, den Beweis negativer Tatsachen möglichst weitgehend zu verhindern114, weil dabei regelmäßig besondere Schwierigkeiten auftauchten115. Nach Rosenberg116 werden jedoch die Beweisschwierigkeiten beim Negativbeweis überschätzt. Neben diesen drei Haupterwägungen werden z. T. noch andere Gründe genannt. So kann nach A. Blomeyer117 die Beweislastverteilung dadurch beeinflußt werden, daß der Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Rechtsfolgen begünstigt werden soll 118• Nach Pohle119 sind die Beweislastregeln u. U. auch von Wertungen anderer Rechtsgebiete abhängig. Dazu wird in der Literatur beispielsweise ausgeführt, daß einige Beweislastregeln den Besitzstand schützen120 ; an anderen erweise sich die Eigentümer-, Gläubiger- oder Schuldnerfreundlichkeit des BGB 121 ; z. T. dienten sie auch der Prozeßabschreckung122 • Die Frage, ob die gesetzlichen Beweislastregeln des Bürgerlichen Rechts auch den Schutz des wirtschaftlich oder sozial Schwächeren bezwecken, wird dagegen, soweit ersichtlich, in Deutschland nirgendwo angesprochen. Außerhalb des Arbeitsrechts123 wird selbst bei der Erör112
s. 332.
Berner Kommentar, Anm. 184 zu Art. 8 ZGB. z. B. Rosenberg, S. 333 ff.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346; Pohle, AcP 155, S. 179; Lepa, S. 78; Funk, S. 68 f.; Betzinger, S. 153. 115 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346; Lepa, S. 79 ff.; Guldener, S. 53; v. Greyerz, S. 39, 43 f.; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 194 ff. zu Art. 8 ZGB; Gautschi, S. 25. 113
114
116
s. 331.
Zivilprozeßrecht, S. 347. Ähnlich Lüke, JZ 1966, 589; Musielak, S. 366, 373, 382 f. sowie ausführlich Funk, S. 59 ff. Schuster, S. 116 f. spricht in diesem Zusammenhang von rechtspolitischen Zielsetzungen der Beweislastverteilung. 119 AcP 155, S. 178. 12o Leipold, S. 48 f .; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 28 zu Art. 8 ZGB. 121 Dubischar, JuS 1971, 389 ; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 347. 122 Lepa, S. 69 ff.; Richard Schmidt, S. 475. 123 Vgl. insoweit die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen 117 11 8
li. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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terung richterrechtlicher Beweislastregeln, etwa im Bereich der Produzentenhaftung124, die Problematik, ob die unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Stärke der Parteien die Beweislast beeinflussen könne, kaum diskutiert. Nur Dubischar 125 kommt darauf zu sprechen, wenn er ausführt, daß die Gerichte häufig zu Lasten derjenigen Partei entscheiden, die als Versicherungs- oder Produktionsunternehmen vom Nachteil einer Entscheidung nach Beweislast weniger hart als das Individuum getroffen werden. In der Schweiz wird diese Problematik dagegen schon in der älteren Literatur behandelt. Nach Gautschi1 26 ist das "Humanitätsmoment" bei der Beweislastverteilung zu berücksichtigen. Dagegen soll nach Kummer127 und Guldener128 die "wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit" im konkreten Fall keinen Einfluß auf die Beweislastverteilung haben. II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten die Kriterien der Beweislastnormen und ihre Funktion
Anhand von Beispielen aus dem geltenden Recht soll nachgeprüft werden, ob die Beweislastverteilung, wie es in der Literatur behauptet wird, von der Wahrscheinlichkeit und den Beweismöglichkeiten abhängig ist. Es geht also erstens um die Frage, ob die Beweislast meist so verteilt ist, daß die geringere Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der zu beweisenden Tatsache spricht129• Zweitens ist zu untersuchen, ob die Beweislast z. T. nach Sphären verteilt ist und Negativbeweise weitgehend vermieden werden und so die Beweislast die Partei trifft, welcher der Beweis leichter fällt als dem Gegner130 • Sind diese Fragen zu bejahen, so soll weiter dem Problem nachgegangen werden, ob hinter des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer aus gefahrgeneigter Arbeit, 2. Teil, B III 2 a, b. 12 4 Vgl. unten F II 2, Fn. 296. 125 JuS 1971, 394; vgl. jetzt auch Schuster, S. 117, 138, der hier von einer sozialpolitischen Zielsetzung der Beweislastverteilung spricht. 128 s. 25, 413. 127 Berner Kommentar, Anm. 124 zu Art. 8 ZGB. 128 s. 19. 129 Dazu sogleich 1 a. Der Begriff Wahrscheinlichkeit wird hier im Sinne der sog. objektiven oder Häufigkeitstheorie verstanden. Danach können sich Wahrscheinlichkeitsaussagen nur auf "Kollektive" beziehen, d. h. auf eine Gesamtheit von (sich wiederholenden) Fällen, in der die relative Häufigkeit mit fortschreitender Zahl der Wiederholungen einem Grenzwert zustrebt und die nicht einer bestimmten Gesetzmäßigkeit folgen. Die Aussage, ein bestimmter Vorgang habe sich wahrscheinlich so (und nicht anders) abgespielt, steht also verkürzt für die Aussage, daß sich Vorgänge der vorliegenden Art häufiger so als anders abspielen. Vgl. dazu ausführlich Weitnauer, S. 3 ff. mit weiteren Nachweisen. 130 Dazu 1 b.
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
den gefundenen Kriterien noch andere Erwägungen stehen, aus denen dann die Funktion der Beweislastnormen ableitbar wäre131 •
1. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten als Kriterien der Beweislastverteilung In diesem Abschnitt geht es um die ersten beiden angesprochenen Problemkreise. Dazu soll zunächst ein oben 132 ausgeführter Gedankengang wieder aufgenommen werden. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Beweislast für das Merkmal tn des Gesamttatbestandes zu verteilen. Entweder muß der Anspruchsteller tn beweisen oder Anspruchsgegner das Nichtvorliegen von tn, also non-tn133 • 134• Bei der Suche nach den Kriterien der Beweislastverteilung gilt es zunächst herauszufinden, ob tn im Rechtsleben weniger häufig vorliegt als non-tn oder umgekehrt. Sodann ist zu prüfen, ob tn besser vom Anspruchsteller als non-tn vom Anspruchsgegner zu beweisen ist oder umgekehrt und ob die höhere oder niedrigere Aufklärungsquote etwas mit der Vermeidung von Negativbeweisen und der Beweislastverteilung nach Sphären zu tun hat. a) Das Kriterium der Wahrscheinlichkeit aa) Wahrscheinlichkeit und Beweislastsonderregeln Eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung hinter einer Beweislastregel vermutet man insbesondere dort, wo der Gesetzgeber Beweislastsonderregeln durch die sprachliche Fassung, d. h. durch ein sprachliches Regel-Ausnahme-Schema, ausgedrückt hatl 35• Als Beispiel dieser Gruppe soll die in § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Beweislastsonderregel dienen. Nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB hängt das Wirksamwerden einer jeden Willenserklärung davon ab, daß sie nicht vor oder spätestens gleichzeitig mit ihrem Zugang widerrufen wird. Aus der negativen Fassung dieses Rechtssatzes {"sie wird nicht wirksam, wenn ... ") ist abzuleiten, daß die Beweislast für einen (rechtzeitigen) Widerruf bei dem liegt, der sich auf das Nichtwirksamwerden der Willenserklärung beruft, also wenn es um vertragliche Ansprüche geht, regelmäßig beim Anspruchsgegner. Aus der praktischen Erfahrung ergibt sich, daß Willenserklärungen in den meisten Fällen nicht widerDazu l i 2. s. oben B. 133 Dabei kann t,. auch ein negatives, non-tu auch ein positives Tatbestandsmerkmal sein. 134 Genau genommen bezieht sich die Beweislast jeweils auf die unter tn oder non-tn subsumierbaren Tatsachen (vgl. Fn. 37). 135 s. oben D III. 131
132
II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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rufen werden; der Widerruf ist also erheblich seltener als der NichtWiderruf. Die in § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Beweislastregel beruht demnach auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung, da sie die Beweislast so verteilt, daß der seltenere Vorgang, der Widerruf, zu beweisen ist. Gleichbedeutend ist die Aussage, dieser Beweislastregel liege eine Lebensregel oder ein statistisches Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrunde. Eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung steht auch hinter zahlreichen anderen Beweislastregeln, die durch ein sprachliches Regel-AusnahmeSchema ausgedrückt sind. Davon können hier nur noch einige wenige aufgezählt werden: §§ 118, 121 Abs. 2 BGB (negative Fassung des Rechtssatzes: "Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung ... ist nichtig"; "Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn ... "), § 178 Satz 1 BGB ("es sei denn, daß ... "),§ 181 BGB ("soweit nicht ... "). Jeweils ist das weniger Wahrscheinliche zu beweisen, bei § 118 BGB der Mangel der Ernstlichkeit, bei § 121 Abs. 2 BGB, daß seit der Abgabe der Willenserklärung schon 30 Jahre verstrichen sind, bei § 178 Satz 1 BGB, daß der Mangel der Vertretungsmacht dem anderen Teil bekannt, und bei § 181 BGB, daß dem Vertreter das Selbstkontrahieren gestattet war. Ebenso lassen die Beweislastregeln der §§ 832 Abs. 1 Satz 2, 833 Satz 2, 834 Satz 2, 836 Abs. 1 Satz 2 BGB (negative Fassung des Rechtssatzes: Die Ersatzpflicht bzw. Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn ...), die dem Verantwortlichen den Entlastungsbeweis für Beachtung der erforderlichen Sorgfalt auferlegen, das weniger häufige Geschehen beweisen; denn bei den genannten Haftungstatbeständen ist im Falle eines Schadenseintritts ein Verschulden wohl häufiger als fehlendes Verschulden 136• Dagegen müssen andere Überlegungen maßgeblich gewesen sein für die in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Beweislastsonderregel, obwohl auch sie durch ein sprachliches Regel-Ausnahme-Schema ausgedrückt ist (negative Fassung des Rechtssatzes: Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn ... ). Denn ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Geschäftsherrn ist durchaus nicht wahrscheinlicher als fehlendes Verschulden137• In manchen Fällen bleibt fraglich, ob sich eine Wahrscheinlichkeitsaussage (noch) machen läßt, z. B. bei den Beweislastsonderregeln der §§ 145, 320 Abs. 1 Satz 1 BGB ("es sei denn, daß ... "). Denn "freibleibende" Angebote und die Vereinbarung einer Vorleistungspflicht sind im heutigen Rechtsleben sehr häufig. Daraus ergibt sich: Eine durch ein sprachliches Regel-AusnahmeSchema ausgedrückte Beweislastsonderregel kann zwar auf einer 138 In der Hauptsache waren hierfür allerdings die unter 1 b bb und III 3 b genannten Erwägungen maßgebend. 137 Ebenso Dubischar, JuS 1971, 387. Siehe dazu ferner unten b bb.
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruhen, muß es aber nicht. Sprachliches Ausdrucksmittel für eine Beweislastregel und deren sachlicher Grund sind also jeweils genau zu trennen138• Umgekehrt können auch ausdrückliche Beweislastsonderregeln wie die des § 282 BGB 139 oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen wie die der §§ 891 Abs. 1; 1253 Abs. 2 BGB auf einem statistischen Regel-Ausnahme-Verhältnis beruhen140• Die in der Literatur fast durchgehend vertretene Meinung, daß sich zahlreiche Beweislastregeln auf eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung, eine Lebensregel oder ein statistisches Regel-Ausnahme-Verhältnis zurückführen lassen 141 , ist daher im Ergebnis zutreffend. Wenn Rosenberg142 und Lüke143 betonen, daß es nicht auf die Regel des Lebens, sondern auf die Regel des Gesetzes ankäme, so beruht diese Auffassung letzten Endes auf der nicht klar durchgeführten Unterscheidung zwischen sprachlichem Ausdruckmittel für eine Beweislastregel und zugrunde liegenden Erwägungen. Damit bleibt man bei der Beschreibung der sprachlichen Form der Beweislastregel stehen, ohne etwas über die Hintergründe der Regelung auszusagen. bb) Wahrscheinlichkeit und Beweislastgrundregel Die Untersuchung, ob auch die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung144 auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruht, ist für die einzelnen Bestandteile der Grundregel getrennt durchzuführen, und zwar zunächst für die rechtsbegründenden Tatsachen, die beim Nichteingreifen von Sonderregeln vom Anspruchsteller zu beweisen sind. Zur Verdeutlichung stelle man sich als rechtsbegründende Tatsache den Vertragsschluß bei einer vertraglichen Leistungsklage vor. Fragt man, ob es wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ist, daß sich zwischen zwei Personen ein rechtsbegründender Vorgang abgespielt hat, im Beispielsfall also ein Vertrag abgeschlossen wurde, so ist man geneigt, darauf zu antworten: Es ist zumindest nicht unwahrscheinlich145. Denn nach der Erfahrung der am Rechtsleben Beteiligten ist in vielen oder sogar den meisten Fällen, in denen ein vertraglicher Leistungsanspruch gerichtlich geltend gemacht wird, dieser Anspruch 138 Das hat Leipold, S . 53 ff., ausführlich dargelegt. Ebenso im Ergebnis auch Leonhard, S. 73 ff.; Dubischar, JuS 1971, 389 und Kummer, Berner Kommenta r, Anm. 173 zu Art. 8 ZGB. 139 Zu dieser Vorschrift ausführlich unten, 2. Teil, BI 2, II 4 b aa. 14° Kummer, Berner Kommentar, Anm. 320 zu Art. 8 ZGB; und wohl auch Rosenberg, S. 211. 141 s. oben E I. 142 s. 125. 143 JZ 1966, 589. 144 s. oben D II. 145 So wohl auch Leipold, S . 48.
II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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mindestens einmal entstanden. Bei dieser Betrachtungsweise wird jedoch nicht berücksichtigt, daß die erfahrbare Rechtspraxis maßgeblich auch auf der in allen Rechtsordnungen anerkannten BeweislastgrundregeP46 beruht. Eben weil die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen beim Anspruchsteller liegt, besteht von daher auch für den unlauteren Rechtsgenossen regelmäßig kein Anlaß, Ansprüche geltend zu machen, die nicht entstanden sind. Hätte dagegen der Anspruchsgegner die Beweislast für das Nichtvorliegen rechtsbegründender Tatsachen, so wäre dies geradezu eine Einladung, Ansprüche geltend zu machen, die nicht einmal entstanden sind147. Damit ist der Blick frei für die auch hier zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsüberlegung: Nimmt man aus einer größeren Gruppe der Bevölkerung, z. B. der Bevölkerung eines Staates oder einer Stadt, zwei beliebige Personen heraus, so ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich gerade zwischen diesen beiden rechtsbegründende Tatsachen zugetragen haben, im Beispielsfalle also ein rechtsbegründender Vertrag abgeschlossen wurde, äußerst gering. Sehr wahrscheinlich ist dagegen die Annahme, daß rechtsbegründende Tatsachen in Wirklichkeit nicht vorliegen. Wenn also die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung dem Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen auferlegt, so ist nach ihr der Sachverhalt zu beweisen, der nicht überwiegend wahrscheinlich ist148. Ebenfalls auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruht der Teil der Grundregel, nach dem die rechtshemmenden Tatsachen vom Anspruchsgegner zu beweisen sind; denn das Vorliegen rechtshemmender Tatsachen {z. B. Ablauf der Verjährungsfrist) ist seltener als ihr Nichtvorliegen. Dagegen läßt sich der die rechtsvernichtenden Tatsachen betreffende Teil der Grundregel nicht auf eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung zurückführen; denn man kann nicht sagen, daß im Rechtsleben das Vorliegen rechtsvernichtender Tatsachen (z. B. Erfüllung) seltener ist als ihr Nichtvorliegen. Hier müssen andere Erwägungen zugrunde liegen149• cc) Die Feststellung der Wahrscheinlichkeitswerte Soweit wir bisher zu dem Ergebnis kamen, daß einer bestimmten Beweislastnorm eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung zugrunde liegt, 148 So Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 322; ähnlich Kummer, Berner Kommentar, Anm. 9 zu Art. 8 ZGB. 147 Die Grundregel wirkt also prozeßabschreckend. s. dazu unten 111 1. 148 Ebenso im Ergebnis wohl auch Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 336, Fn. 47; a. A. Leipold, S. 48 und wohl auch Musielak, S. 355, dessen Bemerkung, nur die gültige Grundregel sei praktikabel, allerdings wenig aussagekräftig ist. 149 s. dazu unten 1 b aa.
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
konnte die Feststellung, ob t,. oder non-tn häufiger ist, allein nach der Lebenserfahrung - und das bedeutet: ohne Rückgriff auf statistisches Material - getroffen werden. Die Wahrscheinlichkeitswerte liegen hier also nahe bei 0 Ofo oder bei 100 %. Es ist zu vermuten, daß auch noch nach vielen anderen Beweislastregeln jeweils das weniger Wahrscheinliche zu beweisen ist, ohne daß dies in gleicher Weise offensichtlich wäre. Hier dürften die Wahrscheinlichkeitswerte näher an 50 Ofo liegen und daher sehr schwer festzustellen sein150• Jedoch ist nicht anzunehmen, daß eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung hier gesetzgeberisches Motiv der Beweislastnorm ist; denn auch der historische Gesetzgeber hatte statistisches Material nicht zur Verfügung. Umgekehrt kann man davon ausgehen, daß in den Fällen, in denen schon nach der Lebenserfahrung offensichtlich ist, daß das weniger häufige Geschehen zu beweisen ist, auch der Gesetzgeber diese Wahrscheinlichkeitsüberlegung zugrunde gelegt hat, auch wenn die Gesetzesmaterialien darüber- wie meist- keinen Aufschluß geben 151 • Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber trotz der sicher vorhandenen Schwierigkeiten in Zukunft auf (mehr) statistisches Material zurückgreifen könnte. Er hätte dann bei der Schaffung von Beweislastnormen eine vernünftige und nachprüfbare Entscheidungsgrundlage auch in den Fällen, in denen die Wahrscheinlichkeitswerte näher bei 50 Ofo liegen. Diese Hilfe wäre - wenn überhaupt - nur von der Rechtssoziologie zu erwarten, die unter anderem auch die Aufgabe hat, den Gesetzgeber (und Richter) mit statistischem Material zu versorgen152 . Für die Gegenwart gilt jedoch leider noch fast uneingeschränkt die von Gautschi 1913 getroffene Feststellung153, daß es keine Rechtsstatistik gibt, in der aufgezeichnet ist, wieviel häufiger sich diese oder jene juristische Tatsache ereignet als ihr Gegenteil. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Wahrscheinlichkeitsüberlegungen für viele Beweislastregeln maßgebend sind, die Bedeutung dieses Kriteriums aber angesichts der Schwierigkeiten, genauere Wahrscheinlichkeitswerte zu ermitteln, auch nicht überschätzt werden darf. b) Das Kriterium der Beweismöglichkeiten Nunmehr ist zu untersuchen, ob der Gesetzgeber im allgemeinen das leichter Beweisbare zum Beweisgegenstand macht, indem er Negativ150 Auch Kegel, Festgabe für Kronstein, S. 338, weist darauf hin, daß die Wahrscheinlichkeit oft nur in groben Grenzen bestimmt werden kann. Ähnlich die Feststellung von Ekelöf, ZZP 75, S. 292, dort allerdings im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung. 151 s. oben E (vor 1). 152 Lautmann, Soziologie vor den Toren der Jurisprudenz, S. 20 f. 153 s. 29.
II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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beweise vermeidet und die Beweislast nach Sphären verteilt. Dazu soll zunächst geklärt werden, was unter einem Negativbeweis und einer Beweislastverteilung nach Sphären oder Gefahrenbereichen zu verstehen ist und worin die Schwierigkeiten eines Negativbeweises und eines Beweises von Vorgängen, die sich in der Sphäre des Gegners abgespielt haben, besteht. Schließlich ist zu prüfen, welche Beweislastnormen gerade diese Schwierigkeiten vermeiden, indem sie der anderen Partei den Beweis des Gegenteils auferlegen. Dabei werden die besseren oder schlechteren Beweismöglichkeiten - wie schon erwähnt154 - an der zu erwartenden Aufklärungsquote gemessen. D. h.: Die besseren Beweismöglichkeiten hat die Partei, die das ihr günstige (Nicht-)Vorliegen von tn zu einem höheren Prozentsatz beweisen kann als die andere Partei das Gegenteil155. Die jeweiligen Prozentsätze können allerdings nur indirekt und mangels statistischem MateriaP58 nur im Wege der Schätzung ermittelt werden. Die Aussage, daß eine Beweislastnorm das leichter Beweisbare beweisen läßt und so Beweisschwierigkeiten vermeidet, läßt sich also nur dann treffen, wenn schon nach der Lebenserfahrung offensichtlich ist, daß die Aufklärungsquoten sehr stark voneinander abweichen. In diesem Falle kann man davon ausgehen, daß auch der Gesetzgeber diese Erwägungen angestellt hat. aa) Die Vermeidung von Negativbeweisen Unter Negativbeweis wird im allgemeinen der Beweis der Behauptung eines Nichtgeschehens 157 oder der Beweis, daß sich ein Umstand nicht ereignet hat, verstanden158. Es ist jedoch, wie oben bereits angedeutet159, zu differenzieren: Negativbeweis im engeren Sinne ist bei deskriptiv umschriebenem Beweisthema der Beweis des Nichtvorhandenseins einer Tatsache, z. B. der Beweis dafür, daß die Person P zum Zeitpunkt Z nicht am Ort 0 war, Negativbeweis im weiteren Sinne ist bei normativ umschriebenem Beweisthema der Beweis von Tatsachen, auf die eine bestimmte Beurteilung nicht zutrifft, z. B. der Beweis, daß eine Person an einem bestimmten Geschehen kein Verschulden trifftl 60 • Wenn wir unter einem direkten Beweis die unmittelbare sinnliche Wahrnehmung der zu beweisenden Tatsache selbst verstehen, so kann der Negativbeweis im engeren Sinne - anders als der Negativbeweis im weiteren Sinne - nur indirekt, d. h. über den Beweis anderer 154 s. oben 1 (vor a). 155 Einschließlich der unstreitigen Fälle. m Vgl. auch oben 1 a cc. 157 Rosenberg, S. 330. 15B A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346. 159 s. oben B. m v. Greyerz, S. 17 f.
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
positiver Sachumstände geführt werden. Dabei wird das Nichtvorhandensein der Tatsache entweder aus der Wahrnehmung solcher Sachumstände geschlossen, die beim Vorhandensein der Tatsache nicht wahrnehmbar wären, oder aber daraus, daß bestimmte Personen die Tatsache nicht wahrnehmen, sie aber wahrnehmen müßten, wenn sie vorhanden wäre161 . Im obigen Beispielsfall bedeutet das: Die Nichtanwesenheit von P kann daraus geschlossen werden, daß sich P zum Zeitpunkt Z an einem anderen Ort als 0 befunden hat oder daraus, daß eine andere Person, zum Zeitpunkt Z am Ort 0 anwesend, den P dort nicht wahrgenommen hat. Theoretisch läßt sich jeder Negativbeweis führen 162• Es ergeben sich jedoch praktische Schwierigkeiten beim Auffinden und Beweisen der das Vorhandensein der Tatsache ausschließenden positiven Sachumstände. Der Beweis dafür, daß P zum Zeitpunkt Z nicht am Ort 0 war, läßt sich noch verhältnismäßig einfach führen, da es in Fällen dieser Art jeweils mehrere positive Sachumstände gibt, die schon jeder für sich allein das Vorhandensein der Tatsache (Anwesenheit von P) ausschließen. Auch hier ist jedoch der Gegenbeweis, der Beweis der Anwesenheit, in der Regel wesentlich leichter. - Je weniger eng nun das Nichtvorhandensein einer Tatsache räumlich oder zeitlich, personell oder sachlich begrenzt ist, desto mehr Sachumstände müssen vorliegen und bewiesen werden, um das Vorhandensein der Tatsache auszuschließen. Damit steigen die Beweisschwierigkeiten. Ist die Zahl der positiven Sachumstände unübersehbar groß, so spricht man von unbestimmten negativen Tatsachen163 • Um eine unbestimmte negative Tatsache geht es z. B. bei der Behauptung, die Person P habe während eines längeren Zeitraumes eine bestimmte Handlung unterlassen, z. B. sie habe ein Jahr lang nicht geraucht oder sei ein Jahr lang nicht in Deutschland gewesen. Der Beweis dafür kann bei ungeminderten Beweisanforderungen kaum je geführt werden164 • Umgekehrt wäre bei dem Gegenbeweis, dem Beweis vom Vorhandensein der Tatsache, mit einer erheblich höheren Aufklärungsquote zu rechnen165• Dazu reicht in den genannten Beispielsfällen der Beweis aus, daß P während eines Jahres nur einmal geraucht hat, nur einmal in Deutschland gewesen ist. Das Bestreben des Gesetzgebers, insbesondere den Negativbeweis im engeren Sinne und die damit verbundenen Beweisschwierigkeiten zu 161 162
s. oben B.
v. Greyerz, S. 43.
163 Dazu ausführlich Kummer, Berner Kommentar, Anm. 194 ff. zu Art. 8 ZGB und v. Greyerz, S. 27 ff., 43 f. m. weit. Nachw. 164 Siehe vorige Fn. Allgemein zu den Beweisschwierigkeiten beim Negativbeweis auch die im Abschnitt I, Fn. 115 Genannten. 165 v. Greyerz, S. 31.
II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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vermeiden, zeigt sich an zahlreichen Beweislastregeln, von denen hier nur einige wenige genannt werden können166 • Zunächst soll hingewiesen werden auf die ausdrücklichen Beweislastregeln der §§ 345, 358 BGB. Sie legen dem Schuldner, der die Verwirkung der Vertragsstrafe oder die Zulässigkeit des von der Nichterfüllung abhängigen Rücktritts bestreitet, die Beweislast für die Erfüllung auf, machen davon aber eine Ausnahme, wenn "die geschuldete Leistung in einem Unterlassen besteht". Hier bleibt es bei der Anwendung der ungeschriebenen Grundregel der Beweislastverteilung, d. h. der die Vertragsstrafe fordernde oder zurücktretende Gläubiger muß positiv die Zuwiderhandlung beweisen. Dem Schuldner ist so der Beweis dafür, daß er nicht gegen die Unterlassungspflicht verstoßen hat, abgenommen 167• Auch mit der in § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltenen BeweislastregeP 68 wird ein Negativbeweis vermieden; denn Beweisgegenstand ist der Widerruf, nicht etwa das Nichtvorliegen eines Widerrufs. Ferner ist in diesem Zusammenhang die große Gruppe der Vorschriften zu nennen, die die Entstehung eines Rechts vom guten oder bösen Glauben abhängig machen169• Die begünstigte Partei ist gutgläubig, wenn sie bestimmte erhebliche Umstände nicht kennt; sie ist bösgläubig, wenn sie diese Umstände kennt, meist auch, wenn die Partei sie fahrlässig oder grob fahrlässig nicht kennt (vgl. § 932 Abs. 2 BGB). Der gute Glaube ist also eine negative Tatsache, die den bösen Glauben begründende Kenntnis dagegen eine positive Tatsache170• Zur Vermeidung von Negativbeweisen ist in den weitaus überwiegenden Fällen die Kenntnis oder (grob) fahrlässige Unkenntnis, also der böse Glaube, zu beweisen 171 • Zu beachten ist, daß auch der Beweis der fahrlässigen Unkenntnis meist ein Beweis positiver Tatsachen ist; denn es geht dabei - entgegen dem ersten Eindruck - nicht um den Beweis der Unkenntnis, sondern um den Beweis solcher meist positiver Sachumstände, die eine nicht widerlegte und daher unterstellte Unkenntnis als fahrlässig erscheinen lassen. So ist nach den in den §§ 892 Abs. 1 Satz 1, 932 Abs. 1 Satz 1, 933, 934, 936 Abs. 2 ("es sei denn, daß ... ") und 937 Abs. 2 BGB (negative Fassung des Rechtssatzes) enthaltenen Beweislastregeln dem Erwerber der böse Glaube nachzuweisen. Ebenso ist nach den Beweislastregeln in den §§ 122 Abs. 2, 179 Abs. 3 Satz 1, 307 Abs. 1 Satz 2, 439 Abs. 1, 460 Satz 1 BGB (negative Fassung der Weitere Beispiele bei Rosenberg, S. 333 ff. Rosenberg, S. 334; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 347. 168 s. dazu schon oben a aa. 169 s. dazu ausführlich Rosenberg, S. 333 ff. 176 Rosenberg, S. 335. 171 Daneben mag diese Beweislastverteilung auch auf der Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruhen, daß die meisten Menschen redlich sind. 166
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
Rechtssätze) vom Anspruchsgegner zu beweisen, daß der Anspruchsteller einen rechtsbegründenden Umstand kannte oder kennen mußte172• Neben zahlreichen Beweislastsonderregeln vermeidet auch die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung173 den Negativbeweis und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Nach ihr hat der Anspruchsteller die rechtsbegründenden Tatsachen, z. B. den Vertragsschluß, zu beweisen; nicht etwa trägt der Gegner die Beweislast für das Nichtvorliegen des Vertragsschlusses. Ferner hat nach der Grundregel der Anspruchsgegner die rechtsvernichtenden und -hemmenden Tatsachen, z. B. Erfüllung und Stundung, zu beweisen. Dem Anspruchsteller bleibt so der Beweis dafür erspart, daß die Schuld nicht erfüllt und nicht gestundet wurde. Doch nicht überall läßt sich ein Negativbeweis vermeiden 174 • So verlangt das Gesetz in einigen wenigen Fällen den Nachweis des guten Glaubens, d . h. den Beweis der Unkenntnis von erheblichen Tatsachen, so z. B. bei den §§ 179 Abs. 2, 526 Satz 2 (Anwendung der Grundregel), 560 Satz 1, 694 BGB 175 (es sei denn, daß . .. ") 176• Ferner muß der Schuldner, der Ansprüche aus Gläubigerverzug geltend macht, nachweisen, daß der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht angenommen hat (§ 293 BGB) 177 , der Gläubiger hat nach der in § 297 BGB enthaltenen Beweislastsonderregel (negative Fassung des Rechtssatzes) zu beweisen, daß der Schuldner nicht leistungsbereit war178• Da jedoch die Fälle, in denen ein Negativbeweis verlangt wird, gegenüber den Fällen, in denen er vermieden wird, durchaus in der Minderzahl sind, ist die in der Literatur vertretene Meinung, daß die Verfasser des BGB Negativbeweise weitgehend vermieden haben179, zutreffend. bb) Die Beweislastverteilung nach Sphären Es ist nun zu untersuchen, ob die Beweislast auch nach Sphären oder Gefahrenbereichen verteilt ist und so Beweisschwierigkeiten vermieden werden. Dabei wird die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber Rosenberg, S. 335 ff. mit weiteren Fallgruppen. s. oben D II, E II 1 a bb. 174 Zur Möglichkeit, die Beweisanforderungen zu vermindern, s. oben B. 175 Für die Beweislastregel des § 694 BGB dürfte jedoch in erster Linie der Sphärengedanke maßgebend gewesen sein (vgl. unten bb. a. E.). 178 Rosenberg, S. 337 mit weiteren Beispielen; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346. 177 Das ergibt sich aus der Grundregel; der Konditionalsatz des § 293 BGB enthält keine Beweislastsonderregel. Vgl. dazu oben D III. 178 Rosenberg, S. 332. 179 s. oben I. 172
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schon bei der Schaffung der materiellrechtlichen Norm180 die Beweismöglichkeiten berücksichtigt hat, etwa indem die Rechtsfolgen nur an leicht beweisbare Vorgänge anknüpfen181, hier vernachlässigt. Um den Begriff der Sphäre oder des Gefahrenbereiches im Zusammenhang mit der Beweislast zu bestimmen, stelle man sich zwei Parteien eines Rechtsstreits vor. Zur Sphäre einer Partei gehören dann zunächst der von ihr beherrschte räumlich-gegenständliche Bereich182 sowie ihre persönlichen Eigenschaften und innere Vorgänge, wie z. B. Handlungsmotivationen 183• Dazu zählt ferner allgemein das Verhalten dieser Partei oder der von ihr abhängigen Personen184, soweit es nicht regelmäßig von der anderen Partei kontrolliert werden kann, also insbesondere auch die sog. "innerbetrieblichen Geschehensabläufe" 185• In all diesen Fällen kann die eine Partei Vorgänge in ihrer Sphäre, in dem von ihr beherrschten Bereich, erheblich besser übersehen und beweisen als die andere Partei, die sich häufig in Beweisnot befindetl86, da der Gegner kaum etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen und manchmal sogar den Geschehensablauf verdunkeln würde187 • Beweislastverteilung nach Sphären bedeutet demnach, daß die Partei die Beweislast trägt, die aufgrund ihrer tatsächlichen Nähe zum Beweisgegenstand regelmäßig die besseren Beweismöglichkeiten hat188 , also eine höhere Aufklärungsquote als der Gegner erzielen kann. 180
s. Fn. 39.
z. B. statt an innere an äußere Vorgänge; dazu Jhering, Geist des Römischen Rechts, 3. Teil, 1. Abt., S. 207 f., der hier von "Veräußerlichung des Tatbestandes" spricht; sowie Dubischar, JuS 1971, 387. 182 Prölss, S. 83. 183 Dubischar, JuS 1971, 393. 184 Prölss, S . 84. 185 Dubischar, JuS 1971, 393. 186 Prölss, S. 75. 187 Vgl. Heinsheimer, RheinZ 1924, 7. Die Beobachtung, daß die nicht beweisbelastete Partei meist nicht zur Aufklärung des Sachverhalts, sondern eher zu seiner Verdunklung beiträgt, gilt zwar zunächst für jede Beweislastverteilung. Jedoch kommt diesem Argument ein besonderes Gewicht erst dann zu, wenn die beweisbelastete Partei schlechte, der Gegner dagegen gute Beweis- und damit auch Verdunklungsmöglichkeiten hat. 188 Ahnlieh die h. M., z. B. A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346; L eipold, S. 57; Weitnauer, S. 13; Ekelöf, ZZP 75, S. 297 f.; H enle, S. 347; Brodmann, AcP 98, S. 144; a. A. Hans Stoll, Festschrift für Fritz v. Hippel, S. 536, 556, der die "Gefahren- und Verantwortungsbereiche" der Parteien durch Vertragsauslegung ermitteln will. Da die Sphären oder Gefahrenbereiche selten genau bestimmt werden, ergeben sich jedoch vielfach Unklarheiten, vgl. z. B. Guldener, S. 122; Kleinewefers I Wilts, VersR 1967, 624. Unklar bleibt insbesondere der Sphärenbegriff, den die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung und unerlaubter Handlung gebraucht - vgl. die Hinweise bei Dubischar, JuS 1971, 392 und StoH, a.a.O., S. 521 (dazu im einzelnen unten 2. Teil, B II 3 c, 181
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
Auf dem Sphärengedanken beruhen zahlreiche Beweislastregeln des Bürgerlichen Rechts. So hat beispielsweise der Anspruchsgegner die Beweislast dafür, daß er nicht oder nur beschränkt geschäftsfähig oder deliktsfähig war, also die Beweislast für persönliche Eigenschaften. Dies war für den Mangel der Geschäftsfähigkeit in § 194 Abs. 2 des 1. Entwurfs zum BGB ausdrücklich ausgesprochen189 ; es ergibt sich heute aus der negativen Fassung der Rechtssätze, z. B. §§ 105 Abs. 1 und 2, 827 Satz 1, 828 Abs. 1 und 2 BGB 190 : Das BGB definiert nicht die Geschäfts- und Deliktsfähigkeit, sondern deren Einschränkungen. Die Beweislastsonderregel des § 118 BGB 191, nach der der Anspruchsgegner den Mangel der Ernstlichkeit beweisen muß, kann auch darauf zurückgeführt werden, daß dieser besser als der Gegner seine eigenen Gedanken kennt und beweisen kann. Eine Beweislastverteilung nach Sphären findet sich am häufigsten im Schadensersatzrecht Anspruchsvoraussetzung ist hier - von wenigen Fällen der Gefährdungshaftung abgesehen - stets ein zu mißbilligendes Verhalten, also Vorsatz oder die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Nachweis der Fahrlässigkeit fällt dem Geschädigten regelmäßig sehr schwer. Häufig wird er sogar nicht einmal in der Lage sein, die erforderlichen Behauptungen aufzustellen. Es sind hier insbesondere zwei große sich z. T. überschneidende Fallgruppen zu erwähnen, bei denen sich der Schädiger zu entlasten hat. Die erste betrifft Fälle, in denen der einen Partei ein Schaden entsteht durch Abhandenkommen, Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, die sich in fremder Obhut, also im räumlichgegenständlichen Bereich der anderen Partei, befindet. Hier sind u. a. zu nennen die Beweislastregeln der §§ 548, 701 Abs. 3 BGB (negative Fassung der Rechtssätze), §§ 390 Abs. 1, 429 Abs. 1 HGB ("es sei denn, daß .. .") und § 45 LuftVG (negative Fassung des Rechtssatzes), soweit er sich auf die Schadensersatzpflicht für Schäden an Frachtgütern und Reisegepäck bezieht (§ 44 Abs. 2 LuftVG) 192 • 193• - Die zweite Gruppe Fn. 161) Zu weit und damit unbrauchbar ist auch der von Schuster, S. 122 ff. benutzte Begriff des Verantwortungsbereichs. 189 Aus der Streichung der Vorschrift kann nichts Gegenteiliges hergeleitet werden, da sie in den Motiven I, S. 382 = Mugdan I, S. 561, als allgemein anerkannt bezeichnet wurde und sich in den Protokollen, S. 516 = Mugdan I, S. 815 der Hinweis findet, daß die Praxis regelmäßig zur gleichen Beweislastverteilung komme. 190 Vgl. zu dieser Fallgruppe ausführlich Rosenberg, S. 337 ff., und BayOb LGZ 1967, 319, 335. 1n s. dazu oben 1 a aa. 192 Prölss, S . 80. 193 Ähnlich sind die Fälle, in denen eine Person verletzt wird, die sich in einem fremden Einflußbereich befindet. Hier ist bisher allein die Beweislastregel des § 45 LuftVG zu nennen, soweit sie sich auf Personenschäden (§ 44 Abs. 1 LuftVG) bezieht.
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betrifft Fälle, in denen ein Schaden entsteht durch den Zustand einer fremden Sache, durch technische Anlagen oder Vorgänge oder aber durch das Verhalten eines Menschen (oder Tieres), die ein anderer zu beaufsichtigen hat. Beispiele dafür sind die Beweislastregeln der §§ 694 ("es sei denn, daß ... "), 836 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 7 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 45 LuftVG (negative Fassung der Rechtssätze), § 1 ReichshaftpflichtG (ausdrückliche Beweislastregel), §§ 831 Abs. 1 Satz 219\ 832 Abs. 1 Satz 2195 , 833 Abs. 1 Satz 2 und 834 Satz 2 BGB ("es sei denn, daß ... ")1 96 • Auch die Meinung, daß sich viele Beweislastregeln auf den Sphärengedanken zurückführen ließen, erweist sich damit als zutreffend. c) Zwischenergebnis Als Ergebnis der bisherigen Überlegungen ist festzuhalten: Der Gesetzgeber hat die Beweislast in den meisten Fällen so verteilt, daß bewiesen werden muß, was nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Insbesondere im Schadensersatzrecht wird die Beweislast vielfach auch nach Sphären verteilt. Negativbeweise werden weitgehend vermieden.
2. Der Vergleich der Auswirkungen von Beweislastnormen und die Funktion der Beweislastverteilung a) Der methodische Ansatzpunkt zur Erkennung der Funktion der Beweislastverteilung Es stellt sich nunmehr die Frage, warum die Beweislast nach den drei soeben herausgearbeiteten Kriterien verteilt ist. Aussagen in den Gesetzgebungsmaterialien und in der Literatur, nach denen die Beweislastverteilung Geboten der Billigkeit, Zweckmäßigkeit und der ausgleichenden Gerechtigkeit folge 197, können hier nicht weiterhelfen, da sie zu allgemein und daher nicht nachprüfbar sind198• Ähnlich unbe194 Hier weist der Gesetzgeber selbst darauf hin, daß der Geschäftsherr den Entlastungsbeweis ggf. unschwer erbringen könnte, vgl. Denkschrift, S. 98 f. = Mugdan II, S. 1268; Dubischar, JuS 1971, 393. 195 Dazu Protokolle, S . 2770 = Mugdan II, S. 1090. 196 Bei den meisten Beweislastregeln dieser zweiten Gruppe mag auch der Gedanke mitgespielt haben, die Haftung im Ergebnis einer Gefährdungshaftung anzunähern oder eine schon bestehende Gefährdungshaftung zu verstärken; s. unten III 3 b. Die meisten der auf dem Sphärengedanken beruhenden Beweislastregeln - außer denen der §§ 548, 831 Abs. 1 Satz 2 BGB - lassen sich auch auf die Überlegung zurückführen, daß ein fahrlässiges Verhalten wahrscheinlich ist (s. oben a). 197 Vgl. oben E (vor I), Fn. 84; EI, Fn. 94. 198 Ebenso auch Pohle, AcP 155, S. 178.
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stimmt bleibt KegeF 99, der zur Begründung dafür, daß die Beweislast meist nach der Wahrscheinlichkeit verteilt ist, ausführt, es sei gerechter, im Falle des Nichtgelingens eines Beweises nach dem Wahrscheinlichen zu entscheiden als nach dem Unwahrscheinlichen. Eine genauere Begründung gibt Leipold 200 • Nach ihm enthält das Urteil im Falle des non liquet, wenn hinter der Beweislastregel eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung steht, eine Wahrscheinlichkeit dafür, daß sein Inhalt der wahren Tatsachen- und damit Rechtslage entspricht. Auf diese Äußerung wird noch einzugehen sein2o1• Um die tieferen Gründe zu finden, die zur Schaffung einer bestimmten Norm geführt haben, ist es nützlich, die bestehende Norm in ihren Auswirkungen mit gedachten Normen zu vergleichen, die dieselbe Rechtsfrage in anderer Weise regeln. Dieses Verfahren ist kompliziert und zeitraubend, wennes-wie meist- eine Vielzahl von Regelungsmöglichkeiten gibt. Es ist erheblich leichter durchzuführen, wenn wie bei den Beweislastnormen - regelmäßig nur zwei Alternativen bestehen. Denn die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Tatbestandsmerkmals kann grundsätzlich nur beim Anspruchsteller oder aber beim Anspruchsgegner liegen202 • Im Folgenden sollen also bestehende Beweislastnormen, soweit für sie die unter 1. entwickelten Kriterien maßgebend waren, mit gedachten Beweislastnormen verglichen werden, die die Beweislast j eweils in entgegengesetzter Weise verteilen. Vergleichsgegenstand sind die Auswirkungen beider Beweislastnormen, zunächst diejenigen Auswirkungen, die das Prozeßergebnis beeinflussen: Beweislastnormen bestimmen den Inhalt der richterlichen Entscheidung bei Unklarheit über das Vorliegen materiellrechtlicher Tatbestandsmerkmale203 • Diese Entscheidung kann, wie bereits oben ausgeführt wurde204, im Einzelfall von der Entscheidung abweichen, die bei Erwiesenheit des wahren Sachverhalts hätte ergehen müssen und insofern ein Fehlurteil sein. Als Beispiel soll die in § 932 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene Beweislastnorm ("es sei denn, daß ... ") dienen, nach der der (ehemalige) Eigentümer dem Erwerber nachweisen muß, daß dieser z. Z. des Erwerbs nicht in gutem Glauben war. Hier sind FehlFestgabe für Kronstein, S. 335. S . 56. Ähnlich Funk, S. 65, der in diesem Zusammenha ng von dem "Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs in die materiellrechtliche Gestaltung von Rechtsbeziehungen" spricht, diesem Prinzip jedoch nur eine sekundäre Bedeutung - nach dem hier unter III 3 behandelten Motiv - zuweist. 201 s. unten b aa. 202 s. oben B. 203 s. oben A, B. 204 s. oben A. 199
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urteile zu Lasten des ehemaligen Eigentümers möglich, und zwar dann, wenn der Erwerber nicht in gutem Glauben war, der Beweis jedoch nicht geführt werden kann. Man stelle sich nun eine Beweislastnorm vor, nach der der Erwerber die Beweislast für seinen guten Glauben trägt. Hier gibt es Fehlurteile zu Lasten des Erwerbers, wenn dieser seinen in Wirklichkeit bestehenden guten Glauben nicht beweisen kann. Viele Autoren weisen darauf hin, daß Beweislasturteile Fehlurteile sein können 205. Daß die Gründe für Beweislastnormen in erster Linie oder teilweise durch Abwägung der jeweils möglichen Fehlurteile gefunden werden können, mag zwar den meisten der im Abschnitt I referierten Meinungen zugrunde liegen, ist aber in dieser Klarheit soweit ersichtlich- zum ersten Mal von Kummer ausgesprochen worden206. Leipold, der sich diese Betrachtungsweise zu eigen macht207, betont zutreffend die grundlegende methodische Bedeutung dieses Ansatzes208. Nach Kummer liegt in diesem Abwägen sogar letztlich der die Beweislastverteilung allein bestimmende Gesichtspunkt209. Fehlurteile können in verschiedener Beziehung miteinander verglichen werden. Wenn nach Kummer210 die Beweislast jeweils dem auferlegt ist, für den Fehlurteile weniger unbillig sind, so wird damit wiederum auf einen zu allgemeinen, weil nicht nachprüfbaren Maßstab zurückgegriffen211 . Viel näher liegt es, die Anzahl der Fehlurteile miteinander zu vergleichen. Denn es ist zu vermuten, daß sie bei den jeweils zwei möglichen Regelungsalternativen nicht gleich ist und daß ein Zusammenhang mit den unter 1. entwickelten Kriterien der Beweislastverteilung besteht. Die Anzahl der Fehlurteile soll also der erste Vergleichsgegenstand sein. Es gibt jedoch noch weitere Auswirkungen von Beweislastnormen, die miteinander zu vergleichen sind. Da die Beweislastnormen das Prozeßergebnis beeinflussen können und sich die Parteien des Rechts205 s. oben A, Fn. 11. 20& In Berner Kommentar, Anm. 28, 114 zu Art. 8 ZGB. 207 S. 49, Fn. 19; vgl. auch Funk, S. 58 f., der diese Methode jedoch zu Unrecht nur auf die Beweislastsonderregeln anwenden will. 208 Ebenso wie Kummer, v. Greyerz in seiner Berner Diss. "Der Beweis negativer Tatsachen", insbesondere S. 31. Die klarste ältere Darstellung dieses Problems gibt - schon 1889 - Jhering, Besitzwille, S. 160, der jedoch insoweit keine Resonanz gefunden hat. 209 Berner Kommentar, Anm. 114 zu Art. 8 ZGB. 210 s. Fn. 209. 211 s. oben, Fn. 197 f. Ebenfalls noch ausfüllungsbedürftig ist die Aussage, die Beweislastregel sei so zu gestalten, daß das geringere Übel in Kauf genommen wird - so Leipold, S. 49; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 28 zu Art. 8 ZGB.
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
verkehrs in ihrem Verhalten auch an dem zu erwartenden Ergebnis möglicher Prozesse ausrichten, beeinflußt die Beweislastverteilung insbesondere auch die außerprozessuale Leistungsbereitschaft der Parteien. Das sei wiederum anhand der Beweislastregel des § 932 Abs. 1 Satz 1 BGB verdeutlicht. Da der (ehemalige) Eigentümer die Bösgläubigkeit nachzuweisen hat, verringern sich seine Prozeßchancen. Dies wirkt im bestimmten Umfang als Ermunterung an den Erwerber, sich auch dann auf den guten Glauben zu berufen, wenn dieser nicht vorhanden war. Die umgekehrte Beweislastverteilung wirkt sich dagegen negativ auf die Prozeßchancen des Erwerbers aus. Im Hinblick darauf könnte er sich dazu gezwungen sehen, einem Herausgabeverlangen des ehemaligen Eigentümers auch dann nachzukommen, wenn er gutgläubig war, dies aber nicht beweisen kann. Die Beweislastverteilung hat also neben den Fehlurteilen noch andere negative Auswirkungen: Wenn der Anspruchsteller die Beweislast trägt, wird der Gegner in einigen Fällen bestehende Ansprüche wegen der ihm günstigen Beweislastverteilung nicht erfüllen, ohne daß es zum Prozeß kommt. Wenn die Beweislast beim Anspruchsgegner liegt, wird dieser bisweilen gerade wegen der Beweislastverteilung trotz Nichtbestehens eines Anspruchs leisten. Auch hier liegt es nahe, daß die Anzahl dieser außerprozessualen Übel bei den jeweils zwei möglichen Beweislastnormen verschieden ist. Es sind also im Folgenden die Anzahl der Fehlurteile und die Anzahl der außerprozessualen Übel zu vergleichen, ein Vorgang, den man als quantitative Abwägung bezeichnen kann. Gleichzeitig ist der Zusammenhang aufzuhellen, der zwischen diesen Zahlen und den im ersten Abschnitt entwickelten Kriterien der Beweislastverteilung besteht. Zuvor kann jedoch schon die Frage beantwortet werden, warum die Beweislast nicht ausschließlich bei einer Partei, etwa dem Anspruchsteller, liegt. Jede Beweislastnorm hat in bestimmtem Umfang die beschriebenen unerwünschten Folgen. Das Bestehen eines Rechts hängt nun vom Vorliegen oder Nichtvorliegen sehr vieler Umstände ab, und hinsichtlich jedes der zahlreichen Merkmale des Gesamttatbestandes212 stellt sich die Frage, wer die Beweislast und damit das Risiko der unerwünschten Folgen trägt, von neuem. Im Prozeß werden beide Parteien gehört; sie haben grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten, Prozeßverlauf und -ergebnis zu beeinflussen. Schon dieser Gesichtspunkt der Chancengleichheit spricht für eine Verteilung der Beweislast auf beide Prozeßparteien213 • Auch aus dem Grundgesetz läßt sich dies ableiten: Die im Grundgesetz enthaltene Garantie effektiven rich212 213
s. oben B.
Richard Schmidt, S. 480; ähnlich Dubischar, JuS 1971, 389; für den Ver-
waltungsgerichtsprozeß ebenso Lüke, JZ 1966, 591.
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terlichen Rechtsschutzes214 gilt für beide Parteien, für den Anspruchsteller wie den Anspruchsgegner. Das verbietet es, hinsichtlich aller Merkmale des Gesamttatbestandes allein einer Partei die Beweislast und damit die Last möglicher negativer Auswirkungen, insbesondere von Fehlurteilen, aufzuerlegen. b) Der Einfluß der Beweislastverteilung auf die Anzahl der Fehlurteile Im Folgenden soll der Zusammenhang zwischen der Beweislastverteilung und den unter 1. entwickelten Kriterien einerseits und der Anzahl der Fehlurteile andererseits anhand einiger schon bekannter Beispiele rechnerisch dargestellt werden215 • Dabei kann die Anzahl der in Anwendung einer Beweislastnorm ergehenden Fehlurteile natürlich nicht unmittelbar festgestellt werden, da die Anwendung der Beweislastnorm gerade die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts voraussetzt. Die Anzahl der Fehlurteile kann jedoch mittelbar, als Funktion anderer Größen wie derjenigen der Wahrscheinlichkeit und der Beweismöglichkeiten dargestellt werden. Obwohl es insoweit nur Näherungswerte gibt216, ist es aus Gründen der besseren Verständlichkeit erforderlich, mit bestimmten Zahlenwerten zu rechnen. Ein solches Vorgehen ist unbedenklich, da die Berechnungen nur eine ungefähre Aussage darüber ermöglichen sollen, ob die bestehenden oder die gedachten Beweislastnormen mehr Fehlurteile verursachen, es also auf rechnerisch genaue Ergebnisse nicht ankommt. aa) Die Anzahl der Fehlurteile in Abhängigkeit vom Kriterium der Wahrscheinlichkeit Als erstes Beispiel soll wiederum die in § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Beweislastregel dienen, die auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruht217 • Stellen wir uns dazu eine vertragliche Leistungsklage vor. Geht man davon aus, daß die Abgabe zweier übereinstimmender Willenserklärungen feststeht, so hängt das Bestehen des Anspruchs (u. a.) davon ab, ob der Anspruchsgegener seine Willenserklärung widerrufen hat oder nicht. Die Gesamtzahl dieser Klagen, die vor deutschen Gerichten innerhalb einer bestimmten Zeit anhängig sind, sei x . Aus der Gerichtspraxis ist bekannt, daß ein Widerruf von WilDütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, S. 115 ff. Soweit ersichtlich, hat bisher nur Jhering, Besitzwille (1889), S. 160, die Aussage, daß hinter vielen Beweislastregeln eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung steht, anhand eines Beispiels näher konkretisiert. 21e Vgl. oben 1 a cc und 1 b. 211 s. dazu 1 a aa. 214
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lenserklärungen durch den Anspruchsgegner sehr selten ist. Es sei hier angenommen, daß der Wert bei 1 °/o von x liegt. Nach der geltenden Beweislastnorm des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB trägt der Anspruchsgegner die Beweislast für den Widerruf. Ihr ist die - gedachte - Beweislastregel gegenüberzustellen, welche die Beweislast entgegengesetzt verteilt, also dem Anspruchsteller die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Widerrufs auferlegt. Die Anzahl der bei der geltenden Beweislastnorm möglichen Fehlurteile218 ist dann von vornherein durch die Anzahl der Fälle begrenzt, in denen tatsächlich widerrufen wurde, also 1 Ofo von x, die Anzahl der bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung möglichen Fehlurteile dagegen durch die Anzahl der Fälle, in denen tatsächlich nicht widerrufen wurde, also 99 Ofo von x. Denn bei der geltenden Beweislastnorm entscheidet der Richter so, als ob nicht widerrufen wurde, bei entgegengesetzter Beweislastverteilung dagegen so, als ob ein Widerruf vorläge. Es ist offensichtlich, daß auch die Anzahl der von der geltenden Beweislastnorm tatsächlich verursachten Fehlurteile erheblich geringer ist als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung wäre. Dies bestätigt auch eine genauere Berechnung unter Einbeziehung der Beweismöglichkeiten und der Anzahl der Falschbehauptungen. Da nach § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB die Beweis- und Behauptungslast beim Anspruchsgegner liegt, wird dieser in den Fällen, in denen die Willenserklärung in Wahrheit nicht widerrufen wurde, kaum je den Widerruf behaupten, z. T. weil er nichts Wahrheitswidriges vortragen will, z. T. aber auch deshalb, weil seine wahrheitswidrige Behauptung ihm wegen der ihn treffenden Beweislast keinen Vorteil eintragen kann. Hingegen wird der Anspruchsteller in manchen Fällen auch dann behaupten, daß der Gegner nicht widerrufen habe, wenn dies in Wirklichkeit doch der Fall war. Denn seine wahrheitswidrige Behauptung kann ihm wegen der Beweislast des Anspruchsgegners den Prozeßgewinn eintragen. Die Anzahl der Fälle mit wahrheitswidrigen Behauptungen des Anspruchstellers ist jedoch nicht sehr hoch. Sie kann im Extremfall 1 °/o von x betragen, da nur in 1 Ofo von x Fällen überhaupt ein Widerruf vorliegt. Die Anzahl der möglichen Fehlurteile ist ebenfalls auf 1 Ofo von x begrenzt. Geht man weiter davon aus, daß der Widerruf in 90 Ofo der Fälle vom Anspruchsgegner bewiesen werden kann oder unstreitig ist, so sind 0,1 Ofo von x Fehlurteile, die von der Beweislastnormdes § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB verursacht wurden. Dieselbe Berechnung soll nun für die gedachte Beweislastregel durchgeführt werden, die dem Anspruchsteller die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Widerrufs auferlegt. Ausgangspunkt sei eine gleiche Anzahl von Prozessen (x) und ein gleicher Prozentsatz von Widerrufsfällen (1 Ofo). Diese 218 Fehlurteile, die dadurch entstehen, daß der Richter vom (Nicht-)Vorliegen einer Tatsache entgegen der Wahrheit überzeugt wird, bleiben bei diesen Berechnungen außer Betracht (vgl. oben Fn. 2), da sie nicht von der Beweislastnorm verursacht wurden.
II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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Beweislastverteilung wird den Anspruchsteller nicht zu wahrheitswidrigen Behauptungen veranlassen. Dagegen wird der Anspruchsgegner hier einen Widerruf nicht nur dann behaupten, wenn tatsächlich widerrufen wurde, sondern bisweilen auch dann, wenn in Wirklichkeit kein Widerruf vorliegt. Denn auch seine wahrheitswidrige Behauptung kann dazu führen, daß er wegen der Beweislast des Anspruchstellers den Prozeß gewinnt. Wie oft der Anspruchsgegner wahrheitswidrig einen Widerruf behaupten wird, läßt sich sehr schwer abschätzen. Der Prozentsatz von Falschbehauptungen wird jedoch erheblich höher liegen als bei der geltenden Beweislastnorm, da in 99 °/o von x die abgegebenen Willenserklärungen nicht widerrufen werden, in allen diesen Fällen also theoretisch die wahrheitswidrige Behauptung eines Widerrufs möglich ist. Die Anzahl der im Höchstfall möglichen Fehlurteile liegt, wie oben ausgeführt wurde, bei 99 Ofo von x . Um allein den Einfluß der Wahrscheinlichkeit, die für das Vorliegen der zu beweisenden Tatsache spricht, zu bestimmen, ist wiederum von einer gleich hohen Aufklärungsquote auszugehen, also davon, daß das Nichtvorliegen eines Widerrufs in 90 Ofo der Fälle vom Anspruchsteller bewiesen werden kann oder unstreitig ist. Die Anzahl der von der gedachten Beweislastnorm verursachten Fehlurteile liegt also bei 10 Ofo von 99 Ofo, also bei knapp 10 Ofo von x . Der genauere Vergleich der Fehlurteile bestätigt also die oben getroffene Feststellung, daß die bestehende Beweislastnorm des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB erheblich weniger Fehlurteile verursacht als die entgegengesetzte - gedachte - Beweislastnorm verursachen würde219 • Dieselbe Rechnung soll jetzt für den die rechtsbegründenden Tatsachen betreffenden Teil der Grundregel durchgeführt werden, der ebenfalls auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruht220 • Stellen wir uns auch hier zur Verdeutlichung als rechtsbegründende Tatsache den Vertragsschluß vor. Die Zahl der Prozesse, bei denen der Anspruch von einem Vertragsschluß abhängt, sei x. Die Erfahrung lehrt, daß in den meisten dieser Fälle ein Vertrag tatsächlich abgeschlossen wurde. Der Prozentsatz sei hier mit 80 Ofo angenommen. Der Vertragsschluß wird meist vom Anspruchsteller bewiesen werden können oder aber unstreitig sein. Gehen wir wiederum von 90 Ofo aus, so liegt die Quote der Fehlurteile zu Lasten des Anspruchstellers bei 10 Ofo von 80 Ofo, also bei 8 Ofo von x. Versuchen wir nun herauszufinden, wieviel Fehlurteile die entgegengesetzte Beweislastnorm verursachen würde, die die Beweislast für die Abwesenheit rechtsbegründender Tatsachen dem Anspruchsgegner auferlegt. Geht man von einer unveränderten Prozeßzahl x und einer Aufklärungsquote von 90 Ofo aus, so scheint die Zahl der Fehlurteile hier sogar geringer zu sein als bei der geltenden BeweislastregeL Dabei ist jedoch nicht berücksichtigt, daß die Beweislastverteilung entgegen der obigen Annahme, die zur Vereinfachung der Darstellung zunächst nötig war, auch die Zahl der Prozesse beeinflußt, von einer feststehenden Zahl x also nicht ausgegangen werden kann. Müßte tatsächlich der Anspruchsgegner die Abwesenheit rechtsbegründender Tatsachen beweisen, ohne daß zunächst irgendein Beweis vom Anspruchsteller gefordert würde, so könnte jedermann fast beliebig andere 219 Das Verhältnis beider Zahlenwerte zueinander liegt in diesem Beispiel genau bei 1 zu 99; es entspricht den oben gegebenen Werten über die Häufigkeit eines Widerrufs. 220 s. oben 1 a bb.
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Personen auf irgendeine Leistung verklagen. Da der Anspruchsgegner diesen Beweis häufig nicht führen könnte, gäbe es häufig Fehlurteile zu seinen Lasten. Im Hinblick darauf würden schon einige wenige unlauter handelnde Personen die Zahl der Prozesse um ein Vielfaches vergrößern221 • Wird die Anzahl der Fehlurteile auf dieser Basis ermittelt, so zeigt der Vergleich, daß es erheblich weniger Fehlurteile gibt, wenn der Anspruchsteller die Beweislast für rechtsbegründende Tatsachen hat, als es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung der Fall wäre. Auch bei den anderen oben aufgeführten Beweislastregeln, die auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruhen222 , erbringt der Vergleich der Anzahl der Fehlurteile dasselbe Ergebnis. Ein wesentlicher Grund dafür, daß der Gesetzgeber die Beweislast meist nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit verteilt hat, liegt also darin, daß dann die Anzahl der Fehlurteile in der Regel geringer ist, als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung wäre. Eine abweichende Begründung gibt Leipold223 , 224 • Er meint, daß bei den auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruhenden Beweislastregeln (Beweislast-)Urteile eine Wahrscheinlichkeit dafür enthielten, daß ihr Inhalt der wahren Tatsachen- und Rechtslage entspricht. Damit soll wohl gesagt werden, daß bei einer Beweislastverteilung nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit der prozentuale Anteil der Fehlurteile an den Beweislasturteilen geringer ist als bei den entgegengesetzten Beweislastnormen. Vergleichsgegenstand ist also nach Leipold - anders als nach der hier vertretenen Auffassung - nicht die absolute Anzahl der Fehlurteile, sondern das Verhältnis der Anzahl der Fehlurteile zu der Anzahl der Beweislasturteile. Dieser Vergleich trifft jedoch nicht den entscheidenden Punkt. Denn die Beweislastverteilung beeinflußt beide Größen, die Anzahl der Fehlurteile und die Anzahl der Beweislasturteile, und zwar in unterschiedlicher Weise. Es ist also denkbar, daß bei einer Beweislastverteilung nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit die absolute Anzahl der Fehlurteile geringer, der prozentuale Anteil der Fehlurteile an den Beweislasturteilen dagegen höher ist als bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung. Dies ist dann der Fall, wenn beide Größen steigen, die Anzahl der Beweislasturteile jedoch in stärkerem Maße. Es ist nun kein Grund ersichtlich, der den Gesetzgeber veranlassen könnte, mehr Fehlurteile in Kauf zu nehmen, um den prozentualen Anteil der Fehlurteile an den Beweislasturteilen möglichst gering zu halten. Es bleibt also bei der oben getroffenen Feststellung, daß bei einer Beweislastverteilung nach dem Kriterium der Wahrscheinlichkeit die (absolute) Anzahl der Fehlurteile in der Regel geringer ist als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung wäre. bb) Die Anzahl der Fehlurteile in Abhängigkeit von den Beweismöglichkeiten Wählen wir als Beispiel zunächst die Beweislastregel des § 345 BGB, soweit sie dem Gläubiger die Beweislast dafür auferlegt, daß der Die Grundregel wirkt also prozeßabschreckend, s. dazu unten III 1. Vgl. oben 1 a aa, bb. 223, 224 S. 58; vgl. oben 2 a. 221
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II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
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Schuldner einer Unterlassungspflicht zuwidergehandelt hat und damit dem Schuldner einen Negativbeweis erspart225 • Die Anzahl der Prozesse, in denen nach § 340 BGB ein Anspruch auf Vertragsstrafe wegen Nichterfüllung einer Unterlassungspflicht geltend gemacht wird, sei x. Da hier keine genaueren Aussagen darüber gemacht werden können, ob in den meisten Fällen eine Zuwiderhandlung vorliegt oder nicht, sei hier davon ausgegangen, daß in 50 °/o der Fälle tatsächlich der Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wurde, in 50 Ofo der Fälle dagegen nicht. Eine solche Annahme ist auch nötig, um den Einfluß der Beweismöglichkeiten auf die Zahl der Fehlurteile isoliert darzustellen. Nehmen wir weiter an, daß in 80 Ofo (von 50 Ofo) die Zuwiderhandlung unstreitig ist oder vom Anspruchsteller bewiesen werden kann, so beläuft sich die Zahl der Fehlurteile zu Lasten des Anspruchstellers auf 20 °/o von 50 °/o, also auf 10 °/o vonx. Stellen wir dem die - gedachte - Beweislastnorm gegenüber, die dem Anspruchsgegner die Beweislast für die Erfüllung der Verbindlichkeit (auch) dann auferlegt, wenn sie in einem Unterlassen besteht. Der Beweis dafür, daß jemand einer Unterlassungspflicht nicht zuwidergehandelt hat, ist ein sehr schwer zu führender Negativbeweis. Nimmt man eine Aufklärungsquote von 40 OJo an, so beläuft sich die Anzahl der Fehlurteile zu Lasten des Anspruchsgegners bei gleicher Prozeßzahl auf 60 Ofo von 50 Ofo, also auf 30 Ofo von x 226• Im vorliegenden Fall verursacht also die bestehende Beweislastnorm erheblich weniger Fehlurteile als die entgegengesetzte Beweislastnorm, bei der e in Negativbeweis zu führen wäre. Es soll nun die auf dem Sphärengedanken beruhende Beweislastregel des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB untersucht werden, die dem Geschäftsherrn die Beweislast für fehlendes Auswahl- und Überwachungsverschulden auferlegt227 • Die Anzahl der Prozesse, in denen es auf das Verschulden ankommt, sei x; da eine Wahrscheinlichkeitsaussage wiederum nicht gemacht werden kann, soll angenommen werden, daß in 50 °/o von x den Geschäftsherrn in Wahrheit ein Verschulden trifft, in 50 Ofo dagegen nicht. Wenn ihm der Entlastungsbeweis in 70 Ofo (von 50 Ofo) der F älle gelingt, so sind 30 Ofo von 50 Ofo, also 15 Ofo von x Fehlurteile zu Lasten des Anspruchsgegners. - Stellen wir uns nun vor, daß der Anspruchsteller bei ungeminderten Beweisanforderungen die Beweislast für ein Verschulden des Geschäftsherrn trägt. Hier wäre die Aufklärungsquote erheblich niedriger; es soll ein Wert von 40 Ofo angenommen werden. Bei gleicher Prozeßzahl x läge die Anzahl der Fehlurteile zu Lasten des Anspruchstellers des Geschädigten, bei 60 Ofo von 50 Ofo, also bei 30 Ofo von x und damit deutlich höher als bei der bestehenden Beweislastregel. Es muß hier jedoch von einer ganz erheblich geringeren Anzahl von Prozessen ausgegangen werden. Denn bei so kleiner Gewinnchance s. dazu oben 1 b aa. In Wirklichkeit dürfte die Prozeßzahl und damit die Zahl der Fehlurteile wegen der gestiegenen Prozeßchancen des Anspruchstellers hier eher noch höher liegen. 227 s. oben 1 b bb. 225
226
60
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
würde der Geschädigte einen Rechtsstreit nur in den seltenen Fällen beginnen, in denen die Beweislage für ihn günstig wäre. Erst die den Geschäftsherrn treffende Beweislast macht Ansprüche gegen ihn durchsetzbar; erst dadurch gibt es eine größere Anzahl von Prozessen. Nimmt man bei Beweislast des Anspruchstellers eine um mehr als die Hälfte verminderte Prozeßhäufigkeit an, so liegt die Anzahl der Fehlurteile bei sonst gleichen Daten unter 15 Ofo von x. Bei aller Unsicherheit der Zahlenwerte im einzelnen kann festgehalten werden, daß die auf dem Sphärengedanken beruhende Beweislastregel des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB eine etwas größere Anzahl von Fehlurteilen verursacht als die entgegengesetzte Beweislastnorm. Der tiefere Grund dafür, daß der Gesetzgeber die Beweislast häufig dem auferlegt hat, der die besseren Beweismöglichkeiten hat, liegt also nicht in allen Fällen darin, daß die Anzahl der Fehlurteile geringer ist als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung wäre. Für einige der Normen, die die Beweislast dem Anspruchsgegner mit den besseren Beweismöglichkeiten auferlegt, müssen daher andere Motive maßgebend gewesen sein. Dennoch kann schon an dieser Stelle festgestellt werden: Indem der Gesetzgeber die Beweislast nach den im ersten Abschnitt beschriebenen Kriterien verteilt, wählt er in den meisten Fällen unter den zwei Regelungsmöglichkeiten die aus, bei der es weniger Fehlurteile gibt. Damit ist eine erste wichtige Funktion der Beweislastverteilung gefunden. c) Der Einfluß der Beweislastverteilung auf die außerprozessuale Leistungsbereitschaft der Parteien Die auf den Kriterien der Wahrscheinlichkeit und der Beweismöglichkeiten aufbauenden Beweislastnormen sind nun mit den gedachten Beweislastnormen im Hinblick auf die Anzahl der durch sie verursachten außerprozessualen Übel zu vergleichen. Außerprozessuale Übel sind bei einer Beweislast des Anspruchstellers die Fälle, in denen der Gegner bestehende Ansprüche wegen der ihm günstigen Beweislastverteilung nicht erfüllt, bei einer Beweislast des Anspruchsgegners die Fälle, in denen dieser wegen der ihn treffenden Beweislast trotz Nichtbestehens eines Anspruchs leistet228 • Es soll auch hier mit der in § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltenen Beweislastsonderregel begonnen werden, nach der die Beweislast für einen Widerruf bei dem liegt, der sich auf das Nichtwirksamwerden der Willenserklärung beruft, bei vertraglichen Ansprüchen also regelmäßig beim Anspruchsgegner229 • Da Willenserklärungen nur selten 228
22 9
s. oben 2 a. s. oben 1 a aa, 2 b aa.
II. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
61
widerrufen werden und die Anzahl der Fehlurteile zu Lasten des Anspruchsgegners klein ist, gibt es auch kaum Fälle, in denen die in § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene Beweislastsonderregel den Anspruchsgegner zur Leistung veranlaßt, obwohl ein Anspruch wegen Widerrufs nicht besteht. - Ein anderes Bild ergibt sich bei der gedachten Beweislastnorm, nach der der Anspruchsteller das Nichtvorliegen eines Widerrufs beweisen muß. Da dann der überwiegend wahrscheinliche Vorgang zu beweisen ist, gibt es hier eine erheblich größere Anzahl von Fehlurteilen als bei der bestehenden Beweislastverteilung. Dies führt in vielen Fällen dazu, daß der Anspruchsgegner bestehende Ansprüche nicht erfüllt und es wegen der verminderten Prozeßchancen des Anspruchstellers dennoch nicht zum Prozeß kommt. Man sieht, daß bei der bestehenden Beweislastnorm auch die Anzahl der außerprozessualen Übel geringer ist als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung wäre. Dasselbe ergibt sich bei der Beweislastgrundregel, soweit sie die rechtsbegründenden Tatsachen betrifft. Zwar führt die Beweislast des Anspruchstellers zu einer Anzahl von Fällen, in denen sich der Anspruchsgegner trotz Bestehens eines Anspruchs der Leistung entziehen kann; jedoch wäre bei der umgekehrten Beweislastverteilung die Anzahl der Fälle, in denen der Anspruchsgegner trotz Nichtbestehens eines Anspruchs zur Leistung gezwungen wäre, noch erheblich größer. - Auch bei der Beweislastnorm des § 345 BGB230 käme man zu demselben Ergebnis. Daraus läßt sich schließen, daß die Beweislastnormen, bei denen die Anzahl der Fehlurteile geringer ist, regelmäßig auch weniger außerprozessuale Übel im Gefolge haben als die entgegengesetzten Beweislastnormen. Es fragt sich, ob man die gleiche Beobachtung auch bei den Beweislastnormen machen kann, die - wie die in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB enthaltene - zwar auf dem Kriterium der Beweismöglichkeiten beruhen, aber gerade nicht weniger, sondern mehr Fehlurteile verursachen als die entgegengesetzte Norm es täte. Da der Geschäftsherr sein fehlendes Verschulden in den meisten Fällen auch beweisen kann231 , seine Prozeßchancen also trotz der ihn treffenden Beweislast gut sind, wird es nicht häufig vorkommen, daß er wegen schlechter Beweislage leistet, obwohl er dazu mangels Verschulden nicht verpflichtet ist. Bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung sind die Prozeßchancen des Geschädigten sehr klein. Das führt dazu, daß bei einer großen Anzahl von Fällen der Geschäftsherr bestehende Schadensersatzansprüche nicht erfüllt, ohne daß es zu einem Rechtsstreit 230 231
Dazu oben 1 b aa, 2 b bb. s. oben 2 b bb.
62
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
kommt. Somit treten auch bei der Beweislastnorm des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB weniger außerprozessuale Übel auf als bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung. Daraus läßt sich eine weitere wichtige Funktion der Beweislastverteilung ableiten: Indem der Gesetzgeber die Beweislast nach den im ersten Abschnitt beschriebenen Kriterien verteilt, wählt er unter den zwei Regelungsmöglichkeiten die aus, die weniger außerprozessuale Übel verursacht. Die Meinung von Kummer232 , wonach die Beweislastverteilung letztlich allein durch die Abwägung der Fehlurteile bestimmt wird, ist also in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. d) Die Funktion der Beweislastverteilung Die eingangs233 gestellte Frage, warum der Gesetzgeber unter den zwei Regelungsmöglichkeiten meist die ausgewählt hat, bei der zu beweisen ist, was weniger wahrscheinlich und was besser beweisbar ist, kann nun umfassend beantwortet werden. Der Grund ist darin zu suchen, daß eine Beweislastverteilung nach den genannten Kriterien erstens regelmäßig weniger außerprozessuale Übel im Gefolge hat, zweitens in den meisten Fällen - jedoch nicht immer - weniger Fehlurteile verursacht, als es die entgegengesetzte Beweislastverteilung täte. Ob der historische Gesetzgeber genau dieselben Erwägungen angestellt hat, läßt sich mangels konkreter Anhaltspunkte in den Materialien weder beweisen noch widerlegen. Es ist jedoch zu vermuten, daß sich hinter dem Hinweis auf Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte, die für die Beweislastverteilung maßgebend seien234 , teilweise ähnliche Erwägungen verbergen. Aus diesen Gründen wird hier auch nicht von Motiven der Beweislastnormen gesprochen, sondern der weniger auf bewußte subjektive Zielvorstellungen abstellende Begriff der Funktion verwandt. Auch das Verhältnis beider Norm-Funktionen zueinander ist bereits zum Teil geklärt worden. Die meisten geltenden Beweislastnormen erfüllen beide Funktionen. Sie verursachen also weniger Fehlurteile und gleichzeitig weniger außerprozessuale Übel, als es die - gedachten- entgegengesetzten Beweislastnormen täten. Es gibt jedoch einige - wenige - Fälle, z. B. die Beweislastnorm des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB, in denen die eine Funktion auf Kosten der anderen zur Geltung kommt. Diese Normen verursachen mehr Fehlurteile, jedoch weniger außerprozessuale Übel als es die entgegengesetzten Beweislastnormen 232 233 234
Berner Kommentar, Anm. 114 zu Art. 8 ZGB. s. oben 2 a. Protokolle, S. 516 = Mugdan I, S. 815, vgl. oben E (vor 1).
li. Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten
63
täten. Nur aus diesem Grunde wird hier überhaupt von zwei selbständigen Normfunktionen gesprochen. Für die zuletzt genannten Fälle stellt sich noch die zusätzliche Frage, warum der Gesetzgeber mehr Fehlurteile in Kauf genommen hat, um die Anzahl der außerprozessualen Übel kleiner zu halten, und warum er nicht den umgekehrten Weg gegangen ist. Vergleichen wir dazu die Summe der von der bestehenden und der gedachten Beweislastnorm verursachten negativen Auswirkungen. Sie setzt sich bei der Beweislast des Anspruchstellers aus den Fehlurteilen zu seinen Lasten und den Fällen zusammen, in denen der Anspruchsgegner wegen der ihm günstigen Beweislastverteilung bestehende Ansprüche nicht erfüllt, bei der Beweislast des Anspruchsgegners aus den Fehlurteilen zu dessen Lasten und den Fällen, in denen der Anspruchsgegner trotz Nichtbestehens eines Anspruchs leistet. Bei der Beweislastnorm des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB war die Anzahl der Fehlurteile etwas höher, die Anzahl der außerprozessualen Übel dagegen niedriger als bei der entgegengesetzten Beweislastnorm. Wenn man bedenkt, daß auch in den meisten Bereichen des Schadensersatzrechts nur ein kleiner Teil aller Fälle vor Gericht kommt, so wird klar, daß es wichtiger ist, die Anzahl der außerprozessualen Übel klein zu halten als die Anzahl der Fehlurteile. Man kann also davon ausgehen, daß die Summe der negativen Auswirkungen bei der Beweislast des Geschäftsherrn geringer ist als sie es bei der Beweislast des Geschädigten wäre. Das gleiche gilt natürlich auch für die Beweislastnormen, die sowohl weniger Fehlurteile als auch weniger außerprozessuale Übel verursachen. Beide Funktionen lassen sich demnach so zusammenfassen: Indem der Gesetzgeber die Beweislast nach den Kriterien der Wahrscheinlichkeit und der Beweismöglichkeiten verteilt, wählt er unter den jeweils zwei Regelungsalternativen die aus, bei der die Summe der negativen Auswirkungen, also die Summe der Fälle, in denen eine Partei ihre Rechte gerade wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual noch außerprozessual durchsetzen kann, kleiner ist als sie es bei der anderen möglichen Beweislastverteilung wäre. Die meisten Beweislastregeln beruhen damit auf einer quantitativen Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen. Das bislang Gesagte bezog sich auf die einzelnen Beweislastnormen, die die Beweislast hinsichtlich eines einzelnen oder mehrerer Merkmale des Gesamttatbestandes verteilen. Das Problem der sachlichen Gründe für die Beweislastverteilung soll jedoch noch einmal vom materiellrechtlichen Anspruch her gesehen werden, für den es, wie oben235 gezeigt wurde, jeweils eine Vielzahl von Regelungsmöglich235
s. oben B.
64
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
keiten gibt. Aus dem Grundsatz der Chancengleichheit und der verfassungsrechtlichen Garantie effektiven Gerichtsschutzes war bereits hergeleitet worden, daß die Beweislast auf beide Prozeßparteien verteilt werden muß236 ; jedoch war noch unklar, nach welchen Grundsätzen dies zu geschehen hat. Wenn man die Hauptfunktion der Beweislastverteilung, unter zwei Alternativen die mit der geringeren Anzahl von negativen Auswirkungen auszuwählen, auf den materiellrechtlichen Anspruch überträgt, so kommt man zu dem Grundsatz, aus der Vielzahl von Regelungsmöglichkeiten die auszuwählen, bei der die Summe aller von den verschiedenen Beweislastnormen verursachten negativen Auswirkungen möglichst klein und auf beide Parteien möglichst gleichmäßig verteilt ist. Wenn es in der Literatur237 heißt, auch der Anspruchsgegner müsse einen Teil der Beweislast tragen, damit die Rechtsverfolgung nicht zu sehr erschwert wird, so wird dieser Grundsatz damit nur in unklarer Weise wiedergegeben. Denn es geht einerseits darum, die Anzahl der für den Anspruchsteller negativen Auswirkungen möglichst klein zu halten, also seine Rechtsverfolgung von der Beweislastverteilung her nicht zu erschweren, andererseits darum, die Anzahl der für den Anspruchsgegner negativen Auswirkungen auf ein Minimum herabzudrücken, also dem Anspruchsteller möglichst selten zu Leistungen zu verhelfen, die ihm in Wahrheit nicht zustehen. Beide Forderungen hat der Gesetzgeber bei der Beweislastverteilung zu berücksichtigen. 111. Besondere Motive für einzelne Beweislastnormen
Die im Abschnitt II. beschriebenen Kriterien und Prinzipien der Beweislastverteilung werden für den größten Teil aller Beweislastnormen maßgebend sein. Es können nun die besonderen Motive erörtert werden, die allein oder im Zusammenhang mit den beiden Hauptprinzipien zur Schaffung einzelner (oder kleinerer Gruppen von) Beweislastnormen geführt haben. Auch hier bestimmt der methodische Ansatz von Kummer238 das weitere Vorgehen: Er besteht darin, geltende Beweislastnormen in ihren Auswirkungen mit gedachten Beweislastnormen zu vergleichen, die die Beweislast in entgegengesetzter Weise verteilen. War Vergleichsgegenstand bisher die Anzahl der Fehlurteile und der außerprozessualen Übel, so geht es jetzt um die besonderen Auswirkungen einzelner Beweislastnormen.
238
237
2as
s. oben 2 a. s. oben I. Vgl. dazu oben II 2 a.
III. Besondere Motive für einzelne Beweislastnormen
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1. Das Motiv der Prozeßabschreckung
Bei Betrachtung der Beweislastregeln über die rechtsbegründenden Tatsachen ist klar geworden, daß bei Geltung der - gedachten Beweislastregel, nach welcher der Anspruchsgegner die Abwesenheit rechtsbegründender Tatsachen beweisen muß, schon einige wenige unlauter handelnde Personen die Anzahl der Prozesse erheblich erhöhen könnten239 • Da dies bei der geltenden Beweislastgrundregel nicht der Fall ist, vermindert sie die Anzahl der Prozesse. Die Feststellung von Richard Schmidt240 und Lepa241 , daß die "primäre Beweislast" des Klägers prozellabschreckend wirke, ist daher zutreffend. Es fragt sich nur, ob man mit Lepa242 von einem "Prinzip der Prozeßabschreckung" sprechen kann, das den Hauptgrund für die Beweislast des Klägers, genauer gesagt des Anspruchstellers, bildet. Dazu muß man sich zunächst vor Augen führen, daß die Anzahl der Prozesse tendenziell um so kleiner wird, je mehr Merkmale des Gesamttatbestandes vom Anspruchsteller zu beweisen sind, um so größer, je mehr der Anspruchsgegner mit dem Beweis belastet ist. Denn soweit die Beweislast den Anspruchsteller trifft, wird er dadurch einerseits nicht ermutigt, Prozesse zu beginnen, wo die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen; andererseits wird er in dem Maße, in dem sich das Risiko von Fehlurteilen vergrößert, von einem Prozeß auch dann abgeschreckt, wenn ein Anspruch besteht243 • Soweit dagegen der Anspruchsgegner die Beweislast trägt, wird der Anspruchsteller, der meist Kläger ist, einerseits vom Prozessieren nicht abgeschreckt, andererseits dazu teilweise auch dann ermutigt, wenn ihm kein Anspruch zusteht. Als Beispiel dafür kann die bereits im einzelnen erörterte Beweislastregel des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB dienen244 • Demnach wäre die prozeßabschreckende Wirkung der Beweislastnormen dann am größten, wenn der Anspruchsteller sämtliche Merkmale des Gesamttatbestandes zu beweisen hätte. In diesem Extremfall wären jedoch Ansprüche gerichtlich kaum noch durchsetzbar. Allein der Anspruchsteller trüge das Risiko möglicher negativer Auswirkungen245 239
240 241 242
Vgl. oben II 1 a bb und II 2 b aa.
s. 475.
S. 70; ebenso Schuster, S. 110, 116.
s. 69.
Die prozeßabschreckende Wirkung besteht, obwohl, wie Leipold, S. 49, Anm. 20, zu Recht betont, das Gelingen oder Mißlingen des Beweises im einzelnen Fall nicht immer voraussehbar ist. 2u Vgl. oben II 2 b bb. 245 Unter negativen Auswirkungen von Beweislastnormen wird hier nur die Summe der Fälle verstanden, in denen eine Partei ihre Rechte gerade wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual noch außerprozessual durchsetzen kann; vgl. oben li 2 d. 243
5 R e inecke
66
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
der Beweislastnormen. Dieses Ergebnis wäre aber weder wünschenswert noch verfassungsgemäß, wie oben bereits gezeigt wurde246 • So trägt denn auch in vielen Einzelpunkten der Anspruchsgegner die Beweislast für das Nichtvorliegen rechtsbegründender Tatbestandsmerkmale, obwohl sich dadurch die Anzahl der Prozesse erhöht. Die Hauptfunktion der Beweislastverteilung247 wird also ohne Rücksicht auf die sich dabei ergebende Anzahl von Prozessen verwirklicht. Andererseits gibt es keine Beweislastnormen, bei denen das Ziel der Prozeßabschreckung auf Kosten der oben herausgearbeiteten Hauptfunktion der Beweislastverteilung durchgesetzt wird. Vom Prozeß abzuschrecken, wird also nicht das Hauptmotiv für die "primäre Beweislast" des Anspruchstellers sein; allenfalls handelt es sich dabei um eine erwünschte Nebenwirkung248 •
2. Die qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen Die Hauptfunktion der Beweislastverteilung war durch eine quantitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen ermittelt worden249 • Es wurde danach gefragt, welche der beiden möglichen Beweislastnormen weniger negative Auswirkungen hat. Man kann jedoch, um weitere Gründe für Beweislastnormen zu finden, auch die Frage stellen, ob die negativen Auswirkungen zu Lasten einer Partei in ihrer Art eher erträglich sind als die zu Lasten der anderen Partei. Dabei werden die negativen Auswirkungen nicht gezählt, sondern bewertet, ein Vorgang, der hier als qualitative Abwägung bezeichnet werden soll. Auf einer qualitativen Abwägung beruht beispielsweise der Satz "in dubio pro reo", die Beweislastgrundregel des Strafrechts250 • Die negativen Auswirkungen dieser Norm bestehen darin, daß viele Angeklagte freigesprochen werden, obwohl sie die ihnen zur Last gelegte Straftat begangen haben. Die entgegengesetzte Beweislastverteilung ("in dubio contra reum") hätte in manchen Fällen die Verurteilung von Unschuldigen zur Folge. Da jede Bestrafung den Betroffenen in seiner Persönlichkeits- und Rechtssphäre auf das Schwerste beeinträchtigt, werden 246
II 2 a, a . E.
Vgl. oben II 2 d. 248 So im Ergebnis auch Leipold, S. 49, Fn. 20. 249 Zum Begriff der quantitativen Abwägung vgl. oben II 2 a. 250 Vgl. dazu insbesondere Stree, In dubio pro reo, und Leipold, S. 129 ff. Gegen die Bezeichnung als Beweislastregel wenden sich Henkel, Strafverfahrensrecht, § 23 I 2 c, S. 102 f. und Eberhard Schmidt, Lehrkommentar, Teil1, Erl. 366 ff. 247
111. Besondere Motive für einzelne Beweislastnormen
67
Fehlurteile zu Lasten des Angeklagten allgemein als unerträglich angesehen. Demgegenüber werden die Freisprüche von Schuldigen als das kleinere Übel in Kauf genommen251 . Im Volksmund heißt es sehr plastisch, es sei besser, wenn 99 Schuldige davonkommen, als daß ein Unschuldiger verurteilt wird. Eine qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen liegt auch dann vor, wenn zum Schutz des sozial Schwächeren der stärkeren Partei die Beweislast auferlegt wird252 • Ein Beispiel dafür ist die ausdrückliche Beweislastregel des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG, nach welcher der Arbeitgeber die Tatsachen zu beweisen hat, "die die Kündigung bedingen"253. Sie führt dazu, daß der Arbeitgeber unter Umständen einen Arbeitnehmer weiterbeschäftigen muß, obwohl die Kündigung sozial gerechtfertigt254 war. Bei umgekehrter Beweislastverteilung müßte der Arbeitnehmer unter Umständen trotz sozial ungerechtfertigter Kündigung aus dem Betrieb ausscheiden, ein Ergebnis, das § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG vermeiden will. Dagegen bezweckt wohl keine der zahlreichen gesetzlichen Beweislastregeln des Bürgerlichen Rechts zumindest auch den Schutz des sozial Schwächeren. Ebensowenig werden in der Zivilrechtsprechung soziale Erwägungen als Motive für richterrechtliche Beweislastregeln genannt255. Dennoch dürften zum Teil auch solche Gesichtspunkte und nicht allein der zur Begründung herangezogene Sphärengedanke256 maßgebend sein, wenn die Gerichte häufig der Partei die Beweislast auferlegen, die als Unternehmer von Fehlurteilen weniger hart als das Individuum getroffen wird257 • Auch hinter der Aussage, daß die Beweislastverteilung bisweilen Geboten der Billigkeit folge 258, wird manchmal eine qualitative Abwägung stehen. Dabei bleiben jedoch die Bewertungsmaßstäbe, die sehr unterschiedlich sein können, weitgehend im Dunkeln.
3. Die Begünstigung des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Rechtsfolgen als gesetzgeberisches Motiv für einzelne Beweislastnormen Eine weitere Gruppe von Motiven wird angesprochen, wenn es in der Literatur beispielsweise heißt, daß einige Beweislastregeln den 251 Leipold, S. 133 f.; Rosenberg, S. 91 f.; Stree, S. 14 f. 252
Vgl. dazu die oben I (a. E.) genannten Autoren.
253 Dazu ausführlich unten, 2. Teil, C li 1.
Genauer: Nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG. Vgl. die Urteile zur sogenannten Produzentenhaftung, Fn. 296. 256 Vgl. oben, Fn. 188. 2 57 So zu Recht Dubischar, JuS 1971, 393. 258 Vgl. oben EI, Fn. 84, 94. 25'
255
s•
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
Besitzstand schützten, sich an anderen die Eigentümer-, Gläubigeroder Schuldnerfreundlichkeit des BGB zeige259 • Damit soll angedeutet werden, daß bei manchen Beweislastregeln - zumindest auch - solche Wertungen eine Rolle spielen, die in erster Linie den Normen des materiellen Rechts zugrunde liegen260 • Während es also bisher darum ging, die Zahl der negativen Auswirkungen möglichst klein zu halten oder negative Auswirkungen zu Lasten eines Beteiligten zu vermeiden, ist hier die Beweislastverteilung (auch) ein Mittel zur Erreichung anderer Ziele. So fördern die Beweislastsonderregeln der §§ 892 Abs. 1 Satz 1, 932 Abs. 1 Satz 1 BGB261 den Rechtsverkehr, wenn sie dem (ehemaligen) Eigentümer die Beweislast für den bösen Glauben des Erwerbers auf~ erlegen262 • Um die Verschiedenheit der in diesem Abschnitt behandelten Gründe von den bisher genannten auszudrücken, soll hier mit A. Blomeyer263 von der Begünstigung des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Rechtsfolgen gesprochen werden. Nur einige wenige dieser Motive können hier noch behandelt werden. Bei manchen Beweislastnormen ist freilich unklar, ob damit in erster Linie ein bestimmtes Ziel verfolgt wird oder ob sie eher auf einer qualitativen Abwägung beruhen. a) Förderung des Rechtsverkehrs und Schutz des Besitzstandes Der Rechtsverkehr wird auch durch die Beweislastregeln der §§ 104 ff. BGB gefördert, die nicht die Geschäftsfähigkeit, sondern die Geschäftsunfähigkeit und die beschränkte Geschäftsfähigkeit beweisen lassen264 • Im Falle eines non liquet ist also das Geschäft gültig; die Interessen des Minderjährigen werden an dieser Stelle übergangen, obwohl der Minderjährigenschutz sonst fast immer Vorrang hat.- Eine entgegengesetzte Tendenz verfolgt die Grundregel, soweit sie dem Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen auferlegt. Sie beruht zwar, wie gezeigt wurde, in erster Linie auf einer quantitativen Abwägung der negativen Auswirkungen265 • Daneben mag aber noch eine andere Erwägung eine Rolle gespielt haben: Der Anspruchsteller erstrebt, wenn er den Gegner - notfalls mit Hilfe des s. oben I. Ähnlich Pohte, AcP 155, S . 178. 261 Vgl. dazu auch oben II 1 b aa. 262 A. Btomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 347; Dubischar, JuS 1971, 389; Lüke, JZ 1966, 589, Fn. 16. 263 Zivilprozeßrecht, S. 347; ähnlich von Rippet, Wahrheitspflicht, S. 304, Fn. 35. 264 Vgl. dazu oben II 1 b bb. 265 Vgl. oben II 1 a bb, II 1 b aa, II 2 b aa. 259
260
111. Besondere Motive für einzelne Beweislastnormen
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Gerichts- zu einer Leistung veranlassen will, eine Neugestaltung der Sachlage zu seinen Gunsten. Er ist also der Angreifer, während der Anspruchsgegner, der es beim bisherigen Zustand belassen will, seine Freiheit von rechtlicher Gebundenheit verteidigt. Trägt der Angreifer die Beweislast, so muß in Kauf genommen werden, daß bestehende Verpflichtungen nicht erfüllt werden und der Rechtsverkehr behindert wird. Die umgekehrte Beweislastverteilung würde den Gegner u. U. zur Erfüllung nicht bestehender Ansprüche zwingen. Indem die Rechtsordnung dem Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen auferlegt, entscheidet sie sich im Zweifel gegen den Rechtsverkehr und für die Aufrechterhaltung des status quo. Sie schützt also den Besitzstand und fördert damit den Rechtsfrieden266 • Es scheint dem eben erörterten Gedanken zu widersprechen, wenn die Grundregel dem Anspruchsgegner die Beweislast für das Vorliegen rechtsvernichtender und -hemmender Tatsachen auferlegt. Kommt es hier zu einem non liquet, so steht bereits fest, daß das vom Anspruchsteller geltend gemachte Recht zunächst einmal entstanden ist. Wenn die Grundregel es im Zweifel dabei beläßt, das Gericht also so zu entscheiden hat, als ob das Recht fortbesteht, so wird auch dadurch der Besitzstand geschützt267 • Nach der Grundregel trägt also immer die Partei die Beweislast, die eine ihr günstige Veränderung der Rechtslage behauptet. b) Der Präventivzweck schadensersatzrechtlicher Beweislastnormen Es ist heute allgemein anerkannt, daß die materiellrechtlichen Haftungsnormen neben der Ausgleichsfunktion auch den Zweck haben, Schaden zu verhüten (Präventivzweck)268 • Denn wer sich bewußt ist, für den von ihm verursachten Schaden u. U. haftbar zu sein, wird sich vorsichtiger verhalten, um der Schadensersatzpflicht zu entgehen. Um 288 Leipold, S. 48 f., der darin allerdings im Gegensatz zur hier vertretenen Auffassung die einzig tragende Erwägung sieht; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 28 zu Art. 8 ZGB; ähnlich Peters, MdR 1949, 68; Richard Schmidt, S. 477; Lepa, S. 64 f.; Funk, S. 51 und wohl auch Rosenberg, S. 97. 267 Kummer, Berner Kommentar, Anm. 28 zu Art. 8 ZGB; Leipold, S. 50 f.; a. A. Rosenberg, S. 97. 268 Umstritten ist nur, welches Gewicht dem Präventivzweck zukommt. Nach h. M. handelt es sich dabei nur um einen Nebenzweck, vgl. - freilich im einzelnen unterschiedlich - Esser, Schuldrecht, Allg. Teil, § 40 II., 1. 4., S. 267 f.; Larenz, Schuldrecht, Allg. Teil, § 27 I, S. 275; Deutsch, JZ 1971, 245 f., der zu Recht betont, daß die Schadensersatzpflicht wegen ihrer Unberechenbarkeit häufig mehr gefürchtet wird als strafrechtliche Sanktionen; Buchner, RdA 1972, 158 und wohl auch Heinsheimer, RheinZ 1924, 6 f. Demgegenüber ist z. B. für Marton, AcP 162, S. 42 ff., der Präventivzweck im gesamten Schadensersatzrecht, für Bokelmann, ZRP 1972, 287, bei der Arbeitnehmerhaftung vorrangig.
70
1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
so mehr wird sich derjenige um ein schadensfreies Verhalten bemühen, der bereits einmal Schadensersatz zu leisten hatte269 • Die präventive Wirkung ist um so größer, je weniger materiellrechtliche Haftungsvoraussetzungen es gibt und je besser bestehende Ansprüche durchgesetzt werden können. Aus diesem Grund wird der Präventivzweck bei einer Haftung nach dem Verursacherprinzip270 wesentlich besser erfüllt als bei der das BGB beherrschenden Verschuldenshaftung (vgl. §§ 276 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB). Die Durchsetzbarkeit hängt wegen der vielfach auftauchenden Beweisschwierigkeiten wiederum maßgeblich von der Beweislastverteilung ab 271 • Jene verbessert sich in dem Maße, in dem der Anspruchsgegner den Entlastungsbeweis führen muß. Der Präventivzweck ist also nur dort gefährdet, wo der Anspruchsteller die Beweislast hat, also u. U. bestehende Ansprüche aus diesem Grunde nicht durchsetzen kann. Soweit der Anspruchsgegner die Beweislast und damit das Risiko negativer Auswirkungen trägt, wird die präventive Wirkung dagegen eher verstärkt, da sich dadurch auch eine Verschuldenshaftung im Ergebnis an eine Gefährdungshaftung annähert. So gibt es denn auch zahlreiche Beweislastsonderregeln, die dem Anspruchsgegner den Entlastungsbeweis auferlegen, wenn feststeht, daß dieser den Schaden in der vom Gesetz beschriebenen Weise, etwa durch sein Auto oder Flugzeug, verursacht hat272 , vgl. nur die §§ 282, 831 Abs. 1 Satz 2, 832 Abs. 1 Satz 2, 836 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 7 Abs. 2 StVG und § 33 Abs. 2 LuftVG273 • Obgleich diese Beweislastnormen in erster Linie auf einer quantitativen Abwägung der negativen Auswirkungen beruhen274, ist doch die Annahme gerechtfertigt, daß sie auch am Präventivzweck der Haftungsnormen teilhaben275 : Da der einzelne wegen der verbesserten Durchsetzbarkeit eher mit einer InanspruchVor- und nachtatliehe Prävention im Sinne von Deutsch, JZ 1971, 246. Vgl. z. B. die umfassende Gefährdungshaftung der §§ 22 Abs. 1 WassHG, 33 LuftVG, 833 BGB (soweit es sich um die Haftung für Luxustiere handelt) und die weniger umfassende der §§ 1, 1 a ReichshaftpflichtG, 7 StVG. 271 Die Durchsetzbarkeit ist ferner davon abhängig, wieweit etwa durch die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis - die Beweisanforderungen für den Anspruchsteller herabgesetzt werden können; vgl. auch die Beweiserleichterungen der §§ 287 ZPO, 252 BGB und dazu oben A, a.E. 272 Dies hat nach der Grundregel der Anspruchsteller zu beweisen. 273 Vgl. dazu mit weiteren Beispielen oben II 1 b bb. 274 Vgl. dazu oben II 1 a aa, b bb, insbesondere zu § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB auch II 2 b bb und li 2 c. 275 Wohl auch Prölss, S. 76; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275. Ähnlich schon Heinsheimer, RheinZ 1924, 7, dessen Ausführungen sich jedoch in erster Linie auf den Anscheinsbeweis beziehen. 269
270
III. Besondere Motive für einzelne Beweislastnormen
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nahme durch den Geschädigten rechnen muß, wird er sich vorsichtiger verhalten und weniger Schaden verursachen. c) Die Begünstigung des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Rechtsfolgen als notwendige Folge jeder Beweislastverteilung Bei den bislang aufgeführten Beispielen war es durchaus einleuchtend, wenn gesagt wurde, der Gesetzgeber habe mit einer Beweislastnorm den (Nicht-)Eintritt bestimmter Rechtsfolgen fördern wollen 276 • Auf den ersten Blick erscheint es sogar möglich, auch alle anderen Beweislastnormen auf dieses Motiv zurückzuführen; denn jede Beweislastregel fördert notwendig den Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Rechtsfolgen, indem sie den Inhalt der Entscheidung im Falle des non liquet bestimmt. Es deutet jedoch nichts darauf hin, daß dies das gesetzgeberische Motiv für alle oder auch nur die meisten Beweislastnormen war. Mangels greifbarer Anhaltspunkte in den Gesetzgebungsmaterialien ist man auch hier auf Vermutungen angewiesen. Neben den genannten Beispielen wird dieses Motiv insbesondere dort eine Rolle gespielt haben, wo eine quantitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen nicht zu sicheren Ergebnissen führt, also dort, wo die Wahrscheinlichkeitswerte nahe bei 50 °/o liegen und die Beweismöglichkeiten nicht wesentlich voneinander verschieden sind oder genaueAussagen darüber nicht gemacht werden können. Wenn jede Beweislastnorm notwendig den (Nicht)Eintritt bestimmter Rechtsfolgen fördert, so sind Aussagen wie die, daß eine einzelne Beweislastnorm, z. B. § 282 BGB, nicht nur prozessuale, sondern auch materiellrechtliche Bedeutung habe277 , dann nicht zutreffend, wenn damit eine Besonderheit gerade der Beweislastregel des § 282 BGB bezeichnet werden soll. Denn wenn man überhaupt von einer materiellrechtlichen Bedeutung in diesem Zusammenhang sprechen will, so haben alle Beweislastnormen diese Bedeutung. IV. Zusammenfassung
Die Suche nach den sachlichen Gründen für die gewohnheitsrechtlich geltende Beweislastgrundregel und die gesetzlichen Beweislastsonderregeln hat folgendes ergeben: Die Beweislast ist in den meisten Fällen so verteilt, daß der weniger wahrscheinliche Vorgang zu beweisen ist278. Dies gilt sowohl für die 278 277 278
s. oben I (a. E.).
So Larenz, Schuldrecht, Allg. Teil,§ 22 I, S. 244.
Vgl. oben II 1 a.
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1. Teil, E. Die sachlichen Gründe der Beweislastverteilung
Beweislastgrundregel als auch für zahlreiche Beweislastsonderregeln, insbesondere die überwiegende Anzahl derer, die durch ein sprachliches Regel-Ausnahme-Schema ausgedrückt werden. Bei dieser Aussage muß man sich vor Augen halten, daß zwischen dem sprachlichen Ausdrucksmittel für eine gesetzliche Beweislastregel und dem sachlichen Grund dafür genau zu unterscheiden ist. Ferner werden bei der Beweislastverteilung auch die Beweismöglichkeiten berücksichtigt, indem häufig der Partei die Beweislast auferlegt wird, die besser als der Gegner zur Aufklärung des streitigen Sachverhalts beitragen kann. So werden zum einen Negativbeweise weitgehend vermieden279 • Zum anderen wird die Beweislast - insbesondere im Schadensersatzrecht häufig nach Sphären verteilt. Das bedeutet hier, daß die Partei die Beweislast trägt, die aufgrund ihrer tatsächlichen Nähe zum Beweisgegenstand regelmäßig die besseren Beweismöglichkeiten hat280. Um herauszufinden, warum die Beweislast überwiegend nach den genannten Kriterien verteilt ist, waren geltende Beweislastnormen in ihren Auswirkungen mit gedachten Normen zu vergleichen, die die Beweislast jeweils in entgegengesetzter Weise verteilen. Es ergab sich, daß bei einer Beweislastverteilung nach den Kriterien der Wahrscheinlichkeit und der Beweismöglichkeiten die Summe der Fälle, in denen eine Partei ihre Rechte wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual (Fehlurteile) noch außerprozessual durchsetzen kann, kleiner ist als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung w äre. Somit beruhen die meisten Beweislastnormen auf einer quantitativen Abwägung der - nie völlig zu vermeidenden - negativen Auswirkungen281 • Bei einzelnen Beweislastregeln spielen auch andere Motive eine Rolle282 • So gehen einige Beweislastnormen auf eine qualitative Abwägung zurück, d. h. auf die Bewertung, daß die negativen Auswirkungen - insbesondere die Fehlurteile - zu Lasten der einen Partei eher erträglich sind als die zu Lasten der anderen Partei. - Mit anderen Beweislastnormen soll der Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Rechtsfolgen gefördert werden. Dagegen ist es allenfalls eine erwünschte Nebenwirkung, wenn die Beweislastnormen zu Lasten des Anspruchstellers prozeßabschreckend wirken. Nach dem bislang Gesagten ist es also nicht möglich, alle Beweislastnormen auf einen einzigen Grundgedanken, etwa den von Regel 21e 280
281 282
Vgl. oben II 1 b aa. Vgl. oben II 1 b bb. Vgl. oben II 2. Vgl. dazu oben III.
I. Der Eindruck vom geschlossenen System der Beweislastnormen
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und Ausnahme oder den Sphärengedanken zurückzuführen283 • Selbst die einzelnen Beweislastregeln können häufig nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Erwägungen erklärt werden284 •
F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln I. Der Eindruck vom geschlossenen System der gewohnheitsrechtliehen und gesetzlichen Beweislastnormen
Schon in der Einleitung ist gesagt worden, daß es zahlreiche richterrechtliche Beweislastregeln gibt, und daß es eine erste wichtige Voraussetzung für eine rational nachvollziehbare, methodisch einwandfreie Problemlösung ist, die rechtspolitisch offene Regelungsaufgabe auch als solche zu erkennen. Für die Abgrenzung von gesetzlichen und richterrechtlichen Beweislastregeln kann nach der hier vertretenen Meinung nur der Wille des historischen Gesetzgebers maßgebend sein285 • Danach ist unter Richterrecht nicht nur die freie Ausfüllung von Regelungslücken und eine Rechtsprechung contra legem, sondern auch die analoge Anwendung gesetzlicher Bestimmungen und ihre "ergänzende" Auslegung zu verstehen286. Hier soll nun versucht werden, diesen Bereich des Richterrechts etwas genauer abzustecken. Dies ist gleichbedeutend mit der Aufgabe, Reichweite und Grad der Verbindlichkeit der bisher behandelten Beweislastnormen zu bestimmen. Es besteht Anlaß, diesem Problem einen besonderen Abschnitt zu widmen. Denn 283 So die heute h. M., z. B. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 345; Dubischar, JuS 1971, 394; Pohle, MdR 1949, 389; Ekelöf, ZZP 75, S. 297; Schuster, S. 72 f., 81; aus der älteren Literatur insbesondere Richard Schmidt, S. 470; ebenso für die richterrechtlichen Beweislastregeln des anglo-amerikanischen Rechts Schwering, S. 150 f. 284 Vgl. Dubischar, JuS 1971, 394. So beruht z. B. die Grundregel der Beweislastverteilung einerseits auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung (vgl. oben li 1 a bb), andererseits werden durch sie Negativbeweise verhindert (vgl. oben li 1 b aa); schließlich schützt die Beweislastgrundregel auch den Besitzstand. 285 Der Verf. bekennt sich also zur sog. subjektiven Auslegungstheorie. Zum Streit zwischen dieser und der sog. objektiven Auslegungstheorie kann hier nicht Stellung genommen werden. Vgl. dazu einerseits Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 296 ff., andererseits Säcker, JurA 1971, 31 f., jeweils mit weiteren Nachweisen. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß die sog. subjektive Auslegung in Wahrheit die einzig objektive ist, da sie darauf verzichtet, subjektive Vorstellungen der Rechtsanwender hinter "objektiven Zwecken des Rechts", "emanenten Prinzipien" und der "Rechtsidee" (Larenz, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 298) zu verstecken, so wie es die sog. objektive Auslegung tut. z8e Vgl. auch Esser, Grundsatz und Norm, S. 252 ff., der zu Recht betont, daß in jeder Gesetzes"anwendung" durch den Richter richterrechtliche Elemente enthalten sind, zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung also nur ein quantitativer Unterschied besteht. Ähnlich Larenz, Methodenlehre, S. 350 ff.; Dütz, Funktionswandel des Richters im Zivilprozeß?, ZZP 87, s. 366 ff.
1. Teil, F.
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Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
aus dem Zusammenhang von gewohnheitsrechtlich geltender Beweislastgrundregel und gesetzlichen Sonderregeln könnte der Eindruck entstehen, daß die Beweislastnormen ein geschlossenes System bildeten, aus dem sich für jeden Einzelfall eine Lösung ableiten ließe. Danach wären entweder die Sonderregeln oder aber, falls diese nicht eingreifen, die Grundregel anwendbar; für Richterrecht wäre dann kein Platz. II. Die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinungen
1. Allgemeine Aussagen
Eine Mindermeinung muß schon von ihrem Ansatzpunkt her die Existenz besonderer richterrechtlicher Beweislastregeln leugnen. Dies gilt für die Autoren, für die es keine von den materiellrechtlichen Normen unterscheidbare Beweislastnormen gibt287. Denn die Beweislastverteilung ist nach dieser Meinung nur "Kehrseite" des - geschriebenen oder ungeschriebenen - Bürgerlichen Rechts. Da diese Auffassung jedoch schon im Ansatz unzutreffend ist288, braucht sie hier nicht weiter verfolgt zu werden. Auch für die Vertreter der Normentheorie gibt es nur wenige richterrechtliche Beweislastnormen. Es wird zunächst auf die sorgfältige und durchdachte Beweislastverteilung des BGB hingewiesen280 und dann ausgeführt, daß sich auch in den Fällen, in denen die Gesetzesfassung für nicht maßgeblich erachtet wird, die abweichende Beweislastverteilung angeblich durch "Auslegung" ermitteln ließe2uo. Andere Autoren erkennen dagegen die Rolle des Richterrechts bei der Beweislastverteilung ausdrücklich an291 . Für Rabel292 ist ein differenziertes System gesetzlicher Beweislastverteilung überhaupt nur dann erträglich, wenn die abstrakten Regeln "schmiegsam" sind, vom Richter also ggf. modifiziert werden können, da bei allen Beweislastregeln die "Gefahr ungesunder Scholastik" bestünde. Dubischar293 stellt eine "eigentümliche normative Offenheit" der Beweislastverteilung 287 Leonhard, S. 136 f., 175; Schwindel, S. 95, 139. Vgl. oben C, Nachw. Fn. 40. 289 Rosenberg, S. 228 ; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 345. 290 Rosenberg, S. 128, s. auch die unter b. behandelten Einzelfälle; ebenso im Ergebnis auch Wach, ZZP 29, S. 380, 383, der die Bedeutung der Gesetzesfassung jedoch zu Unrecht unterschätzt, vgl. oben D III, Fn. 75. 291 So insbesondere Dubischar, JuS 1971, 394; Richard Schmidt, S. 484; Rabel, RheinZ 1923, 441 und -- sehr zurückhaltend - Brodmann, AcP 98, S. 142 ff., und wohl auch Redeker, NJW 1966, 1780 und für das Schweizerische Recht Guldener, S. 17; Gautschi, S. 30; von Greyerz, S. IX. 292 RheinZ 1923, 442. 293 JuS 1971, 394. 288
II. Literatur und Rechtsprechung
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fest; er beklagt, daß in unserem Rechtskreis die Vorstellung vom Zusammenwirken von Gesetzes- und Richterrecht weitgehend fehle.
2. Aussagen zu Einzelfällen Zur genaueren Charakterisierung des Meinungsstandes soll noch auf einige Einzelfälle eingegangen werden, in denen die h. M. oder eine gewichtige Mindermeinung die Beweislast anders verteilt als es Grundregel und gesetzliche Beweislastsonderregeln anscheinend gebieten, da solche Abweichungen auf das Vorhandensein richterrechtlicher Beweislastregeln hindeuten. In einigen Fällen hat sich die Rechtsprechung offen zu einer richterrechtlichen Beweislastumkehr bekannt. So wird die Beweislast seit alters her immer dann umgekehrt, wenn die zunächst nicht beweisbelastete Partei der anderen den Beweis schuldhaft unmöglich macht oder wesentlich erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet bzw. nicht vorlegt oder die Aufzeichnung bestimmter Vorgänge, also die Herstellung von Beweismitteln, trotz Bestehens einer Rechtspflicht unterläßt294 . -Auch die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung wird zutreffend als richterrechtlich angesehen, soweit der Schuldner mit dem Beweis belastet wird295 . - Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch die Rechtsprechung des BGH zur sog. Fraduzentenhaftung erwähnt: Der Hersteller hat sich zu entlasten, wenn der Geschädigte nachweist, daß sein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers liegt, d. h. durch einen objektiven Mangel oder einen Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist296, 294 z. B. RGZ 20, 5, 6; 60, 147, 151 f.; 87, 434, 440; 105, 255, 259; 171, 166, 172; BGHZ 6, 224; BGH LM Nr. 15 zu § 287 ZPO, BI. 2 R (betrifft pflichtwidriges Unterlassen ärztlicher Feststellungen), und neuestens BGH, NJW 1972, 1520 f. Im Gegensatz dazu meint die in der Literatur überwiegende Meinung (vgl. z. B. Rosenberg, S. 190 f. ; Leonhard, S. 186 f.; Stein I Jonas I Pohle, 18. Auf!., § 282, Anm. IV 7 b; Lepa, DRiZ 1966, 113; Musielak, S. 137 ff.), dasselbe Ergebnis auch mit einer Regel der Beweiswürdigung begründen zu können. Wie die Rechtsprechung dagegen A. Blom eyer , AcP 158, S. 98 f., der zu Recht darauf hinweist, daß der Schuldhaft verhinderte Beweis auch bei freier Beweiswürdigung jedenfalls dann nicht a ls erbracht angesehen werden kann, w enn die Beweisvereitelung auf unbew ußte Fahrlässigkeit oder ein Verschulden eines Gehilfen ohne Zusammenhang mit der Beweisfrage zurückgeht. 295 Vgl. dazu im einzelnen unten 2. Teil, B. 296 BGHZ 51, 91, insbesondere 104 ff., mit zustimmenden Anmerkungen von Diederichsen, NJW 1969, 269 und Deutsch, JZ 1969, 391 (mit Ausführungen zur Präzisierung dieser Beweislastregel); BGH NJW 1972, 2300, 2302; NJW 1973, 1602. Vgl. dazu ausführlich Wettnauer, Beweisfragen in der Produktenhaftung, Festschrift für Larenz, 1973, S . 905 ff..
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
In einer anderen Gruppe von Fällen weichen Literatur und Rechtsprechung übereinstimmend von der sich aus den Formulierungen des BGB anscheinend ergebenden Beweislastverteilung ab, ohne daß diese Abweichung als richterrechtliche Beweislastregel angesprochen wird. So wird der Anspruchsteller mit dem Beweis für die Einhaltung einer durch Gesetz oder Rechtsgeschäft vorgeschriebenen Form belastet, obwohl § 125 BGB eine durch die negative Fassung ausgedrückte Beweislastsonderregel zu enthalten scheint297 • - Ebenso trägt nach der Rechtsprechung der Rücktrittsberechtigte trotz der Fassung des § 351 BGB die Beweislast für fehlendes Verschulden, wenn die Verschlechterung des empfangenen Gegenstandes feststeht 298 • - Umgekehrt soll der Anspruchsgegner bei Ansprüchen aus § 286 BGB die Beweislast für die Erfüllung, bei Ansprüchen aus § 1300 BGB die "Bescholtenheit" der Braut tragen, obwohl aus der sprachlichen Fassung gesetzliche Beweislastsonderregeln nicht abgeleitet werden können 299 • - Meist wird zwar die Abweichung von der sich aus der Gesetzesfassung anscheinend ergebenden Beweislastverteilung durchaus erkannt300, jedoch entweder als Ergebnis der Auslegung hingestellt3°t, oder aber überhaupt nicht begründet302• Auch dort, wo z. T. seit der Zeit vor lokrafttreten des BGB unentwegt Streit über die Beweislastverteilung herrscht, wird die Frage des Richterrechts nicht angesprochen. Dieser Streit betrifft u. a . Fälle, in denen die Parteien über den Inhalt eines mündlich abgeschlossenen Vertrages verschiedene Darstellungen geben303, z. B. wenn der Anspruchsgegner behauptet, der Vertrag sei unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung abgeschlossen, der Anspruchsteller aber 297 Rosenberg, S. 253; Leonhard, S. 281; Lepa, S . 88; Funk, S. 172 ff. 298 RG SeuffA 63, Nr. 221; ebenso Rosenberg, S. 128. Bei Untergang und
"anderweitiger Möglichkeit der Herausgabe" ist § 282 BGB unmittelbar anwendbar; vgl. BGH NJW 1975, 44; RGZ 56, 261, 270. 299 Zu § 286 Rosenberg, S. 128, 345; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 346; a. A. nur Leonhard, S. 328; zu § 1300 OLG Colmar, RsprOLG 15, 394; OLG Königsberg, RsprOLG 18, 250 f.; Rosenberg, S. 128. 300 Anders allerdings RG SeuffA 63, Nr. 221, das auf den Wortlaut des § 351 BGB überhaupt nicht eingeht und nicht nur bei Unmöglichkeit, sondern auch bei bloßer Verschlechterung§ 282 BGB unmittelbar anwenden will. 301 So insbesondere Rosenberg, S. 128. 302 So z. B. OLG Königsberg, RsprOLG 18, 250 f. zu § 1300; mit Begründung jedoch OLG Colmar, RsprOLG 15, 395, ebenfalls zu§ 1300 BGB. ao3 Bei schriftlich abgeschlossenen Verträgen gibt es dagegen nur insoweit Beweislastprobleme, als es um mündliche Nebenabreden geht. Nach einhelliger Meinung trägt hier die Partei die Beweislast, die sich auf solche Nebenabreden beruft, gleich, welchen Inhalt sie haben sollen; BGH VersR 1960, 812; vgl. schon Motive I, S. 184 = Mugdan I, S. 454. Dies gilt auch, wenn für Vertragsänderungen Schriftform vorgesehen ist und streitig ist, ob der Vertragspartner mit der Gültigkeit einer mündlichen Nebenabrede einverstanden war; vgl. OLG Nürnberg, VersR 1971, 259 sowie OLG Köln BB 1975, 1006 = DB 1976, 147.
li. Literatur und Rechtsprechung
77
einen unbedingten Vertrag abgeschlossen haben will304, oder wenn der Gegner die Vereinbarung einer bestimmten Leistungszeit (Stundung), eines Leistungsortes oder einer bestimmten Vergütung behauptet, nach Angaben des Anspruchstellers dagegen diese Punkte nicht Gegenstand der Vereinbarung waren305 , und schließlich wenn der persönlich in Anspruch Genommene als Stellvertreter eines Dritten gehandelt haben will und der Anspruchsteller dies bestreitet306 • - "Leugnungs-" und "Einredetheorie" sowie zahlreiche Mittelmeinungen streiten hier um die richtige Lösung307 • Sobald anstelle der Beweislastfrage die Frage diskutiert wird, ob eine bestimmte Behauptung Leugnen des Klagegrundes oder selbständige Einrede sei und daraus die Beweislastverteilung abgeleitet wird308, handelt es sich ebenso um eine unzulässige Tautologie wie bei der Qualifizierung eines Umstandes als rechtsbegründend oder rechtshindernd309• Erstaunlicherweise setzen sich Rechtsprechung und Literatur kaum mit der sprachlichen Fassung des BGB und der daraus möglicherweise abzuleitenden Beweislastverteilung auseinander310• Teilweise wird allerdings versucht, aus der Systematik des BGB gesetzliche Beweislastregeln herauszulesen, etwa indem gesagt wird, der Gesetzgeber des BGB betrachte das unbedingte Geschäft als Regel, das bedingte als vom Anspruchsgegner zu beweisende Ausnahme 311 • 304 Für Beweislast des Anspruchstellers: Funk, S. 239 ff.; RGZ 107, 405, 406; RG JW 1902, S. 312, Nr. 13; RG GruchBeitr 51, S. 828, 830; RG DR 1939, 769, Nr. 1; OLG Braunschweig, RsprOLG 15, 125; OLG Karlsruhe, RsprOLG 29, 98 (ausdrücklich auch für die auflösende Bedingung); für Beweislast des Anspruchsgegners dagegen Rosenberg, S. 275 f ., 308 ff.; Hans Kart Mütter, JZ 1953, 727; Musietak, S. 338 ff.; BGH LM Nr. 18 b zu § 282 ZPO (Beweislast) für die auflösende Bedingung. 305 Leistungszeit: Für Beweislast beim Anspruchsteller RGZ 68, 305; RG WarnRspr 1910, 11; OLG Braunschweig, RsprOLG 15, 125; für Beweislast beim Anspruchsgegner: OLG Königsberg, RsprOLG 5, 144; OLG Breslau, Recht 1905, 431; OLG München, RsprOLG 29, 103; LAG Bad.-Württemberg Kamm. Stuttgart, DB 1970, 886; Rosenberg, S. 301; zur Beweislast bei Streit um die Vereinbarung einer bestimmten Vergütungs. unten, 2. Teil, A. 306 Beweislast beim Anspruchsteller: RG WarnRspr 1908, Nr. 102; OLG Rostock, RsprOLG 22, 153; OLG Stuttgart, Recht 1916, Nr. 1069; Funk, S. 269 ff.; Beweislast beim Anspruchsgegner: BGH NJW 1975, 775; BGH LM Nr. 1 zu§ 517 ZPO; OLG Stuttgart, MdR 1954, 415; Rosenberg, S. 275, 315. 307 Eine sehr übersichtliche Darstellung gibt Richard Schmidt, S. 484. 308 Diese Gefahr besteht z. B. bei RGZ 68, 305 ff.; OLG Königsberg, RsprOLG 5, 144; aber auch bei der sonst sehr sorgfältigen Entscheidung des OLG Braunschweig, RsprOLG 15, 125. Vgl. auch die Motive I, S. 383 = Mugdan I, S. 561, zu den §§ 196, 197 des ersten Entwurfs sowie Musietak, S. 331 f. ao9 Vgl. dazu ausführlich oben D 111. ato Eine rühmliche Ausnahme macht OLG Braunschweig, RsprOLG 15, 125, während BGH LM Nr. 1 zu § 517 ZPO zu Unrecht aus § 164 Abs. 1 BGB, LAG Bad.-Württemberg, Kamm. Stuttgart, DB 1970, 886, aus § 271 BGB eine gesetzliche Beweislastsonderregel herauslesen. 311 Rosenberg, S. 301 ff., 310, und aus der Rechtsprechung z. B. RGZ 68, 305,
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
111. Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte als Grundlage der eigenen Meinung
Wie oben bereits ausgeführt wurde, kann für die Abgrenzung von gesetzlichen und richterrechtlichen Beweislastregeln nur der Wille des historischen Gesetzgebers maßgebend sein312. Für unsere Zwecke ist also zunächst zu erforschen, welche Beweislastregeln der Gesetzgeber des BGB hat aufstellen wollen, wobei bloße Meinungsäußerungen unberücksichtigt bleiben.
1. Die§§ 193- 198 des ersten Entwurfs zum BGB und die Gründe für deren Streichung Zur Beantwortung der Frage, welche Beweislastregeln der Gesetzgeber des BGB hat schaffen wollen, kann weitgehend auf das im Abschnitt D. Gesagte Bezug genommen werden: Die gewohnheitsrechtlich geltende Grundregel der Beweislastverteilung313 wird durch zahlreiche gesetzliche Beweislastsonderregeln durchbrochen314. Unter diesen sind nur die wenigen ausdrücklichen Beweislastregeln sofort als solche erkennbar; die Bedeutung der Vermutungen ergibt sich aus § 292 ZPO. Die Bedeutung der Gesetzesfassung als wichtigstes gesetzgeberisches Mittel zur Verteilung der Beweislast erschließt sich dagegen erst dann, wenn man auf die Gesetzgebungsmaterialien zurückgeht315. Die Redaktoren des BGB waren hier so genau, daß aus den genannten sprachlichen Wendungen im allgemeinen ohne weiteres auf die Beweislastverteilung geschlossen werden kann. Dagegen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß die Schöpfer des BGB auch die Gesetzessystematik als Mittel zur Beweislastregelung ansahen316. Bei den unter Rückgriff auf die Gesetzessystematik "gefundenen" Beweislastregeln317 handelt es sich demnach um Richterrecht -Hält man also in jedem der unter II.l. genannten Einzelfälle allein die Gesetzesfassung in Verbindung mit der Grundregel für maßgebend, so trüge bei den §§ 125 und 351 BGB der Anspruchsgegner, in allen anderen Fällen dagegen der Anspruchsteller die Beweislast 307 f.; OLG Breslau, Recht 1905, 431, Nr. 1737; OLG Stuttgart, MdR 1954, 415; und wohl auch Bötticher, ZZP 68, S. 231. 312 Vgl. oben I. 313 Vgl. oben D Il. 314 Vgl. oben D III. 315 Vgl. oben Fn. 68, 70. 318 Selbst aus dem später gestrichenen § 194 Abs. 1 des ersten Entwurfs ("Wer die rechtliche Wirkung eines Thatbestandes wegen besonderer, die regelmäßige Wirksamkeit ausschließender Thatsachen verneint, hat diese besonderen Thatsachen zu beweisen") konnte das, wie sich aus den Motiven (I, S. 383 = Mugdan I, S. 561) ergibt, nicht geschlossen w erden. m Vgl. oben 2 b, Fn. 311.
III. Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte
79
Betrachtet man jedoch die Motive und Protokolle zum BGB genauer, so ergeben sich einige wichtige Korrekturen: Der erste Entwurf zum BGB brachte in seinen §§ 193-198 eine zusammenhängende Regelung der Beweislastverteilung; § 193 enthielt die - jetzt gewohnheitsrechtlieh geltende - GrundregeP18, die übrigen Vorschriften im wesentlichen Beweislastregeln für Ansprüche aus Rechtsgeschäften. Dazu kam- schon im ersten Entwurf- eine große Anzahl weiterer Beweislastsonderregeln, die zum größten Teil durch die Gesetzesfassung ausgedrückt wurdensle. § 195 lautete: "Wer Rechte aus einem Rechtsgeschäfte geltend macht, hat, wenn eine besondere Form zur Gültigkeit desselben erforderlich ist, auch die Beobachtung dieser Form zu beweisen." Der Entwurf verteilte die Beweislast also genauso, wie es die h. M. trotz Streichung des § 195 und trotz entgegengesetzter Gesetzesfassung des § 125 BGB heute tut.
§ 196 lautete: "Wer Rechte aus einem Rechtsgeschäfte geltend macht, hat zu beweisen, daß dasselbe in der von ihm behaupteten Weise zu Stande gekommen ist, auch wenn der Gegner die Errichtung zugesteht, jedoch behauptet, daß das Rechtsgeschäft in anderer Weise, insbesondere unter Beifügung einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung oder unter Beifügung eines Anfangstermines oder Endtermines errichtet worden sei." Damit wäre die Beweislast bei Streit über die Vereinbarung einer Bedingung verläßlich durch das Gesetz entschieden gewesen. In den Motiven zu § 196 wird auch die Beweislast bei Streit über den vereinbarten Leistungsort und über die Vertreterstellung des persönlich in Anspruch Genommenen angesprochen 320 : Erst aus der "Beschaffenheit des Falles" ergebe sich, ob das Vorbringen des Anspruchsgegners ein indirektes Leugnen enthalte und daher der Anspruchsteller die Beweislast trage oder ob es sich dabei um ein Geständnis, verbunden mit einer vom Gegner zu beweisenden Einrede handele. In den beiden hier interessierenden und einigen weiteren Fällen sei "u. U." die Beweislast des Anspruchstellers anzunehmen. Aus diesen sehr vorsichtigen Formulierungen ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber selbst nicht davon ausging, die genannten Fragen seien durch § 196 endgültig und zweifelsfrei entschieden. Die Motive enthalten insoweit also nur eine unverbindliche Meinungsäußerung des Gesetzgebers. Vgl. oben D II 2. Vgl. Motive I, S. 382 = Mugdan I, S. 561. Man beachte auch die sehr vorsichtige Formulierung: "Bei der Fassung der Vorschriften (ist) im AUgemeinen das Bestreben darauf gerichtet gewesen, die Beweislastverteilung thunlichst erkennbar zu machen." 320 Motive I, S. 383 = Mugdan I, S. 561. 318
3!9
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
An anderer Stelle wird das Problem des Richterrechts noch etwas deutlicher angesprochen; es heißt dort hinsichtlich eines heute nicht mehr interessierenden Spezialfalls, daß Wissenschaft und Praxis schon die richtige Lösung finden würden 321 • Insgesamt gesehen strebten jedoch die Verfasser des ersten Entwurfs bei der Beweislastverteilung fast die gleiche Vollständigkeit an wie im materiellen Recht. Die zweite Kommission strich die §§ 193 -198, wofür u. a. folgende Gründe geltend gemacht wurden: "Für die Regelung der Beweislast seien logische Gründe, Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsrücksichten maßgebend, so daß durch Aufstellung genereller Bestimmungen nichts gewonnen werde. Bei richtiger Fassung und Auslegung des Gesetzes müsse sich von selbst ergeben, nicht nur was als Beweisthema, sondern auch wer als dessen Träger anzusehen sei. Die Vorschriften . . . seien überwiegend doktrinären, wissenschaftlichen Inhaltes und müßten deshalb, soweit dies der Fall ist, gestrichen werden322." Wenn hier die Beweislastverteilung z. T. der Rechtswissenschaft, und das bedeutet im Endergebnis dem Richter, überlassen wird, so stehen damit die Lösungen noch nicht in jedem Einzelfall fest, erst Wissenschaft und Praxis müssen sie erarbeiten323 • Auch der Hinweis auf "Billigkeitsund Zweckmäßigkeitsrücksichten", die für die Verteilung der Beweislast maßgebend seien, kann in diesem Zusammenhang wohl nur bedeuten, daß man die Starrheit einer gesetzlichen Regelung nicht für wünschenswert hielt und Wissenschaft und Praxis bewußt Raum für eigene Lösungen ließ. Nachdem schon der erste Entwurf in einigen Fällen eine richterrechtliche Beweislastumkehr unter erleichterten Voraussetzungen zugelassen hatte, ist dieser Bereich durch die ersatzlose Streichung der §§ 193- 198 noch größer geworden. Er umfaßt nunmehr insbesondere alle die Fälle, in denen zwar unstreitig ein Vertrag bestimmten Typs mündlich abgeschlossen wurde, der genaue Inhalt dieses Vertrages jedoch streitig ist. Dies wird in den Protokollen hinsichtlich der Beweislast bei auflösenden Bedingungen (und Endterminen) noch besonders betont. Es heißt dort, daß eine gesetzliche Regelung "für eine gesunde Praxis oft nur Fessel oder bei mechanischer Anwendung unzutreffende Entscheidungen zur Folge haben" würde324 • Die Auslegung führt also in allen diesen Fällen zur Annahme einer gesetzlichen Motive I, S. 383 = Mugdan I, S. 561. Protokolle, S. 516 = Mugdan I, S. 815; vgl. schon Motive I, S. 382 =Mugdan I, S. 561, wo die §§ 193 - 198 des ersten Entwurfs gegen den "naheliegenden Einwand" in Schutz genommen werden, die Beweislastnormen könnten der Rechtswissenschaft überlassen werden. 323 Ahnlieh BGHZ 3, S. 342, 345. 324 S. 525 = Mugdan I, S. 816. 321
3 22
III. Gesetzeswortlaut und Entstehungsgeschichte
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Regelungslücke. Hier kann der Richter bei Vorliegen sachlicher Gründe von der sonst anwendbaren gewohnheitsrechtlich geltenden Beweislastgrundregel abweichen325 •
2. Stellungnahme zu Einzelfällen Aus der Entstehungsgeschichte läßt sich auch entnehmen, daß der Gesetzgeber mit der sprachlichen Fassung des § 125 BGB keine Beweislastsonderregel hat ausdrücken wollen. § 91 Abs. 2 des 1. Entwurfs, Vorgänger des heutigen § 125 BGB, war wie dieser nach dem RegelAusnahme-Schema aufgebaut. Damit sollte jedoch nichts über die Beweislastverteilung ausgesagt werden; denn § 195 des Entwurfs belastete den Anspruchsteller mit dem Beweis. § 195 wurde wie die übrigen Beweislastregeln der §§ 193-198 aus den genannten Erwägungen gestrichen, jedoch nicht deswegen, weil man eine andere Beweislastverteilung wünschte. Man muß es als redaktionelles Versehen bezeichnen, wenn die Fassung des heutigen § 125 BGB beibehalten wurde, obwohl es nahelag, daraus nunmehr die Beweislastverteilung abzuleiten. - Auch hier ist die Entscheidung durch das BGB also nicht vorgezeichnet. Erst der Richter hat darüber zu entscheiden, ob er die Grundregel anwenden oder aber eine - richterrechtliche - Beweislastsonderregel bilden will. Dem Sinn der Formvorschriften entspricht es, mit der h . M. dem Anspruchsteller die Beweislast aufzuerlegen, es also bei der Anwendung der Grundregel zu belassen, zumal keine besonderen Gründe dafür sprechen, diesem den Beweis zu ersparen326 • Auch bei § 351 BGB dürfte die sprachliche Fassung für die Beweislastverteilung ohne Bedeutung sein. Obwohl es nicht möglich ist, mit dem Reichsgericht327 § 282 BGB auch auf die Verschlechterung der Sache anzuwenden, so liegt doch eine Analogie zu dieser Vorschrift so nahe, daß man in den Materialien einen Hinweis des Gesetzgebers erwarten könnte, wenn er wirklich dem Rücktrittsgegner die Beweislast hätte auferlegen wollen. Auch hier handelt es sich also um eine gesetzliche Regelungslücke, bei der die besseren Gründe für die Anwendung der ungeschriebenen Grundregel sprechen. Es ist daher im Ergebnis zu billigen, wenn die Rechtsprechung dem Rücktrittsberechtigten die Beweislast dafür auferlegt, daß er die Verschlechterung des empfangenen Gegenstandes nicht verschuldet hat. Bei § 286 BGB sprechen die Materialien und die ausdrücklichen Beweislastregeln der §§ 345, 358, 542 Abs. 3, 636 Abs. 2 BGB328 gegen die 3z5
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s. unten IV 1. Letzteres betont Lepa, S. 88. RG SeuffA 63, Nr. 221. Der Gesetzgeber hat hier nur deshalb ausdrückliche Beweislastregeln
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
Annahme, daß der Gesetzgeber entsprechend der Grundregel dem Anspruchsteller die Beweislast für die nicht rechtzeitige Erfüllung auferlegen wollte. In den Motiven heißt es dazu329 : "Der richtige Satz, daß wenn besondere, kraft Gesetzes oder Rechtsgeschäftes an die Nichterfüllung eines positiven Schuldverhältnisses geknüpfte Rechtsfolgen geHend gemacht werden, der Gläubiger nicht die Nichterfüllung, sondern der Schuldner die Erfüllung zu beweisen habe, hat in §§ 425, 434 Abs. 2 (cien heutigen §§ 345, 358 BGB- der Verf.) Berücksichtigung gefunden." Die Protokolleaao ergänzen: Bei den Bestimmungen über den Verzug des Schuldners habe man von einer ausdrücklichen Beweislastregel abgesehen, "nicht weil man eine sachliche Verschiedenheit zwischen diesem Fall und den voraufgeführten drei anderen Fällen (d. h. denen der heutigen §§ 345, 542 Abs. 3, 636 Abs. 2 BGB - der Verf.) angenommen hätte, sondern nur deswegen, weil der Verzug des Schuldners keinen selbständigen neuen, vielmehr nur eine Qualifikation des bestehenden Anspruches erzeuge und weil es daher wohl keinem Zweifel unterliegen könne, daß den Schuldner die Beweislast treffe, wenn er durch die Mahnung in Verzug gesetzt zu sein, deshalb bestreite, weil er geleistet habe". - Wenn die h. M. die Beweislast ebenso verteilt, so handelt es sich demnach nicht um eine richterrechtliche, sondern um eine durch Auslegung des BGB ermittelte gesetzliche Beweislastsonderregelsat. Bei § 1300 BGB deutet dagegen nichts auf eine gesetzliche Beweislastsonderregel oder eine Reglungslücke hin, wenn auch zweifelhaft ist, ob der Gesetzgeber die Beweislastproblematik dieser Vorschrift bei der Gesetzesfassung bedacht hat332 • Es ist deshalb auch nicht möglich, im Wege der Auslegung zur Beweislast des Verlobten für die "Bescholtenheit" der Braut zu gelangen333• Vielmehr handelt es sich bei dieser Beweislastverteilung, mit der der Braut ein schwer zu führender Negativbeweis erspart wird334, um eine richterrechtliche Abweichung von der gesetzlichen Beweislastverteilung. Noch deutlicher ist dies bei der Beweislastumkehr im Falle der Produzentenhaftung. Die Beweislastverteilung bei unerlaubter Handlung aufgestellt, "weil die Fassung bei Anwendung der sonst zur Bezeichnung der Beweislast gebrauchten Ausdrucksweise zu schwerfällig geworden sein würde".- Protokolle, S. 8814 = Mugdan II, S. 501. 329 Motive I, S. 383 = Mugdan I, S. 561. 330 Protokolle, S. 8814 = Mugdan II, S. 501. 331 So wohl auch Rosenberg, S. 128, 346. 332 Weder in den Motiven, noch in den Protokollen wird die Beweislastverteilungbei einem Anspruch aus§ 1300 BGB erwähnt. 333 So aber Rosenberg, S. 128. 334 OLG Colmar, RsprOLG 15, 395.
IV. Das System der Beweislastregeln im Zivilrecht
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war im Gesetzgebungsverfahren Gegenstand der Diskussion. Die Beweislastsonderregeln der heutigen §§ 831 ff. BGB wurden erst im zweiten Entwurf des BGB eingefügt, während man im Rahmen des § 823 BGB bewußt auf Sonderregeln verzichtete, u. a. deshalb, weil man fälschlicherweise - davon ausging, daß dafür wegen des Instituts der freien Beweiswürdigung kein Bedürfnis bestünde335 • Wenn dennoch die Rechtsprechung dem Hersteller den Entlastungsbeweis auferlegt, so weicht sie auch hier von der vom Gesetzgeber gewollten Beweislastverteilung ab. Dies läßt sich mit dem beweisrechtlichen Sphärengedanken begründen336 : Zu Recht wird betont, daß allein der Hersteller dazu in der Lage ist, den Grund für die Fehlerhaftigkeit des Produktes aufzuklären337 • IV. Das System der gewohnheitsrechtlichen, gesetzlichen und richterrechtlichen Beweislastregeln im Zivilrecht
1. Die Beweislastverteilung im Bereich des BGB
Die Frage nach dem Vorhandensein richterrechtlicher Beweislastregeln im Bereich des BGB kann nun etwas differenzierter beantwortet werden: In weiten Teilgebieten des BGB hat der Gesetzgeber die Beweislastverteilung genauso abschließend regeln wollen wie das materielle Recht. Zu diesem Zwecke hat er zahlreiche Beweislastsonderregeln geschaffen. Soweit es sich dabei um ausdrückliche oder in die Form von Vermutungen gekleidete Beweislastregeln handelt, ergeben sich keine Unklarheiten. Im übrigen ist aus der Gesetzesfassung regelmäßig die Beweislastverteilung ableitbar. Nur an einigen wenigen Stellen ist dies nach dem aus den Materialien zu entnehmenden Willen des Gesetzgebers nicht der Fall. Hier sind z. B. die §§ 125, 286 und 351 BGB zu nennen; ferner gilt dies überall dort, wo der genaue Inhalt eines mündlich abgeschlossenen Vertrages streitig ist. Inwieweit sich der Richter von der gesetzlichen Beweislastverteilung lösen darf, ist ein allgemeines verfassungsrechtliches Problem, das im Rahmen dieser Arbeit nicht grundsätzlich erörtert werden kann338• Die Rechtsprechung hat auch in diesen Teilgebieten des BGB vereinzelt ihre Macht zur Schaffung richterrechtlicher Beweislastregeln ausMotive II, S. 729 = Mugdan II, S. 407. Vgl. oben E II, 1 b bb. 337 BGHZ 51, S. 104 ff. 338 Vgl. insbesondere Art. 20 Abs. 3 GG, wo es u. a. heißt, daß die Rechtsprechung an "Gesetz und Recht" gebunden ist und dazu z. B. v. Mangoldt I Klein, GG, Art. 20, Anm. VI 4 f.; Maunz I Dürig I Herzog, GG, Art. 20, Anm. 72, 73. 335 336
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
genutzt. Es sei hier nur an die Beweislastumkehr bei Beweisvereitelung und bei der Produzentenhaftung erinnert. Eine Abweichung von gesetzlichen Beweislastsonderregeln wird kaum je in Frage kommen339, wenn man von der Beweislastumkehr bei Beweisvereitelung absieht. Denn hier hat der Gesetzgeber die Beweislastsituation immer im einzelnen überblickt und bewertet. Hingegen wird er dort, wo nach der Gesetzesfassung die Grundregel anwendbar ist und die Materialien schweigen, z. T. die Beweislast im konkreten Falt überhaupt nicht bedacht haben, so daß insoweit nur die Erwägungen einschlägig sind, die allgemein für die Grundregel sprechen. Hier dürfte eine richterrechtliche Beweislastumkehr eher möglich sein. Dort, wo es keine ausdrücklichen Beweislastregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen gibt, und auch aus der Gesetzesfassung die Beweislastverteilung nicht ableitbar ist, wäre zunächst die ungeschriebene Grundregel anwendbar. Da jedoch sonst erst das Zusammenspiel von Grundregel und zahlreichen gesetzlichen Beweislastsonderregeln in der Mehrzahl aller Fälle zu einer befriedigenden Verteilung der Beweislast führt, kann die Grundregel für sich allein wegen ihrer notwendigen Allgemeinheit nicht den gleichen Geltungsgrad wie die gesetzlichen Beweislastregeln des BGB beanspruchen. In dem Bereich, in dem eine gesetzliche Regelung der Beweislast fehlt, kann der Richter schon bei Vorliegen vernünftiger sachlicher Gründe, die sich im wesentlichen aus einer quantitativen und qualitativen Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastregeln ergeben, die Beweislast umkehren340 • Die gewohnheitsrechtlich geltende Grundregel der Beweislastverteilung341 behält aber auch hier eine - wenn auch abgeschwächte - normative Wirkung. Denn nicht die Anwendung der Grundregel, sondern jede Abweichung von ihr bedarf einer genauen Begründung. Liegen vernünftige sachliche Gründe für eine Beweislastumkehr nicht vor, so bleibt es bei der Anwendung der Grundregel. Insgesamt gesehen, hat der Richter jedoch in diesem Bereich bei der Schaffung richterrechtlicher Beweislastsonderregeln einen erheblich größeren Spielraum als dort, wo die Beweislast gesetzlich geregelt ist. Dies ist in den Materialien teils ausdrücklich, teils konkludent ausgesprochen worden342 • - Eine ebenso große Freiheit in der Verteilung
von Greyerz, S. 46. Vgl. dazu unten 3 (4). 341 Vgl. oben D II 2 und die Nachweise Fn. 63. 342 Vgl. einerseits die Gründe, die zur Streichung der Beweislastregel hinsichtlich der auflösenden Bedingung führten, Fn. 324; andererseits die Gründe, die für die Streichung der gesamten §§ 193- 198 maßgebend waren, Fn. 322. 339
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IV. Das System der Beweislastregeln im Zivilrecht
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der Beweislast hat der Richter dort, wo schon das anzuwendende materielle Recht Richterrecht ist, also z. B. bei der positiven Vertrags~ verletzung; denn auch hier fehlen ganz zwangsläufig gesetzliche Be~ weislastsonderregeln.
2. Die Beweislastverteilung außerhalb des BGB Es liegt nahe, auch in den zivilrechtliehen Nebengebieten und insbe~ sondere im Arbeitsrecht die eben entwickelten Grundsätze anzuwenden. Dabei ist jedoch zu differenzieren. In einigen Nebengesetzen hat der Gesetzgeber die Beweislastverteilung ebenso abschließend regeln wollen wie in den meisten Teilgebieten des BGB. Dies gilt insbesondere für die älteren Gesetze mit kodifikatorischem Charakter, z. B. das HGB. Dort wurden auch weitgehend die gleichen Regelungstechniken zum Ausdruck gesetzlicher Beweislastsonderregeln angewandt wie im BGB. Man kann sogar sagen, daß die sprachliche Fassung der Gesetze seit der Schaffung des BGB zum klassischen Mittel der Beweislastverteilung geworden ist. So enthält das HGB z. B. in den §§ 59, 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 Beweislastsonderregeln, die es durch Wendungen wie "soweit nicht" (§ 59 HGB) oder "es sei denn, daß" ausdrückt. Bei vielen modernen Gesetzen, insbesondere auch im Arbeitsrecht, ist dagegen auf die sprachliche Fassung längst nicht so viel Sorgfalt verwandt worden wie beispielsweise beim BGB, so daß daraus auch nicht mit gleicher Sicherheit auf gesetzliche Beweislastsonderregeln geschlossen werden kann343 • Häufig hat der moderne Gesetzgeber an die Beweislastverteilung überhaupt nicht gedacht34', insbesondere wenn es sich- wie im Arbeitsrecht häufiger- um Formelkompromisse handelt, die die eigentliche Interessenahwägung dem Richter überlassen. Es war also vielfach gar nicht beabsichtigt, die Beweislast im Gesetz abschließend zu regeln. Die bestehende Unsicherheit hat dazu geführt, daß der Gesetzgeber wieder mehr auf ausdrückliche Beweislastregeln zurückgreift; vgl. nur die §§ 45 LuftVG, 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, 1 Abs. 2 S. 4, Abs. 3 S. 3 KSchG. Das ist zu begrüßen, da die Gesetzesfassung schon beim BGB trotz ihrer Genauigkeit zu vielen Mißverständnissen und Unklarheiten geführt hat. Trotzdem lassen sich aus den modernen zivil~ und arbeitsrechtlichen Gesetzen meist weniger Beweislastsonderregeln ableiten 343 Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG hinsichtlich des Verschuldens. Obwohl hier keine durch die Gesetzesfassung ausgedrückte Beweislastsanderregel vorhanden ist, trägt nach h. M. der Arbeitgeber die Beweislast dafür, daß die Krankheit durch den Arbeitnehmer verschuldet wurde. Vgl. aus der neueren Rechtsprechung z. B. BAG AP Nr. 9 zu§ 1 LohnFG; LAG Frankfurt, DB 1972, 442 und (einschränkend) BAG DB 1973, 579. au Dütz, SAE 1970, 157 (zur Beweislast bei § 6 Abs. 1 BUrlG).
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
als aus dem BGB und den Nebengesetzen mit kodifikatorischem Charakter. Da also viele Gesetze im Bezug auf die Beweislast weniger vollständig sind, hat dort der Richter auch einen größeren Spielraum bei der Schaffung richterrechtlicher Beweislastsonderregeln345• Die Stellung des Richters bei der Beweislastverteilung ist gerade im Arbeitsrecht auch insofern freier, als hier schon das materielle Recht vielfach Richterrecht ist und insoweit auch die Schaffung von Beweislastsonderregeln vollständig Aufgabe der Rechtsprechung ist. Betrachtet man die Beweislastverteilung im Privatrecht noch einmal im Zusammenhang, so gelangt man zu der Feststellung, daß die Grundregel und die gesetzlichen Sonderregeln längst nicht soweit reichen wie das geschriebene materielle Recht, wobei sich allerdings von Gesetz zu Gesetz teilweise beträchtliche Unterschiede ergeben. Dementsprechend hat der Richter bei der Beweislastverteilung im allgemeinen eine freiere Stellung als sonst348• Wie die Einzelfälle gezeigt haben, wird jedoch die rechtspolitisch offene Regelungsaufgabe von der Rechtsprechung keinesfalls immer als solche erkannt347• Vielfach liest sie ebenso wie Teile der Literatur auch dort Lösungen aus dem Gesetz ab, wo der Gesetzgeber die Beweislast gar nicht hat regeln wollen, etwa indem nicht nur die Gesetzesfassung, sondern auch die Gesetzessystematik für maßgebend erklärt wird. Die schon in den Protokollen zu findende Zurückführung der Beweislastverteilung auf die Logik348 und die Berufung auf die "Natur der Sache" 349 tun ein übriges zur Verdunkelung der wesentlichen Gesichtspunkte350. Zu alledem mag das weitgehende Fehlen ausdrücklicher Beweislastregeln und die ersatzlose Streichung der §§ 193- 198 des ersten Entwurfs zum BGB beigetragen haben. - Demgegenüber gilt es, daran festzuhalten, daß bei der Beweislastverteilung mehr als im materiellen Recht Gesetzes- und Richterrecht zusammenwirken35 1, so daß von einem geschlossenen System der Beweislastverteilung, gebildet allein aus der Grundregel und den gesetzlichen Beweislastsonderregeln352 keine Rede sein kann. 345 Ähnliches gilt für das Verwaltungsrecht, vgl. dazu Bettermann, Die Beweislast im Verwaltungsprozeß (Referat), in: Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. li, Teil E, S. 37 f.; Dubischar, JuS 1971, 390 und R ed eker, NJW 1966, 1780. 346 Die Bemerkung Dubischars von der "eigentümlichen normativen Offenheit" der Beweislastverteilung, JuS 1971, 394, wird von daher verständlich. 347 Ebenso für das Schweizer Recht von Greyerz, S. IX. 348 Protokolle, S. 516 = Mugdan I, S. 815; dagegen bereits oben B. 3 49 z. B. OLG Colmar, RsprOLG 15, 395. 350 Das mag Rab el , RheinZ 1923, 442, zu seiner Warnung vor "ungesunder Scholastik" veranlaßt haben. 351 Ebenso wohl auch Dubischar, JuS 1971, 394. 352 Vgl. oben I.
IV. Das System der Beweislastregeln im Zivilrecht
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3. Hinweise für die Bildung richterrechtlicher Beweislastregeln (Zusammenfassung) Nach dem bislang Gesagten ist weitgehend klar, wie der Richter bei der Beweislastverteilung im Einzelfall vorzugehen hat. Zur Verdeutlichung sei dies noch einmal im Zusammenhang dargestellt. Die Prüfung der Beweislastverteilung im Einzelfall vollzieht sich in vier Stufen. (1) Zunächst sollte sich der Richter die meist leicht zu beantwortende Frage vorlegen, welche Partei im konkreten Fall bei Anwendung der gewohnheitsrechtlich geltenden Grundregel die Beweislast trüge. Dabei ist ggf. zu prüfen, ob wie üblich der Kläger, oder ob ausnahmsweise wie bei der negativen Feststellungsklage oder bei der Prozeßaufrechnung- der Beklagte Anspruchsteller ist. (2) Die zweite - ebenfalls leicht zu beantwortende - Frage lautet: Greifen ausdrückliche Beweislastsonderregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen ein? Dies ist meistens zu verneinen. (3) Dann stellt sich die dritte Frage: Kann aus der sprachlichen Fassung der im Einzelfall augewandten Gesetzesnormen zuverlässig auf gesetzliche Beweislastsonderregeln oder die vom Gesetzgeber gewollte Anwendbarkeit der Grundregel geschlossen werden? Für das BGB sowie einige Nebengesetze mit kodifikatorischem Charakter ist diese Frage zu bejahen, sofern es nicht konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Gesetzesfassung nach dem Willen des Gesetzgebers ausnahmsweise einmal nicht maßgebend sein sollte. Genau entgegengesetzt ist die Lage bei vielen - meist neueren - zivilrechtliehen Nebengesetzen und insbesondere auch fast allen arbeitsrechtlichen Gesetzen. Hier ist die Gesetzesfassung nur dann maßgebend, wenn sich aus der Entstehungsgeschichte positiv Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers ergeben. Die dritte Frage ist natürlich auch dann negativ zu beantworten, wenn schon die anzuwendende materiellrechtliche Norm Richterrecht ist. Kann die zweite oder dritte Frage bejaht werden, so ist die Beweislastverteilung im konkreten Fall gesetzlich geregelt. Sind beide Fragen zu verneinen, so wäre zunächst die gewohnheitsrechtlich geltende Grundregel der Beweislastverteilung anwendbar. (4) Ist die Beweislastverteilung nicht gesetzlich geregelt, so stellt sich die weitere Frage, ob der Richter die Beweislast umkehren soll, wozu er bei Vorliegen sachlicher Gründe befugt ist, oder ob er es bei der Anwendung der ungeschriebenen Grundregel belassen soll. - Ist dagegen die Beweislastverteilung gesetzlich geregelt, so stellt sich diese Frage in veränderter Form. Es gilt hier zu prüfen, ob im Einzelfall
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1. Teil, F. Der Bereich richterrechtlicher Beweislastregeln
ausnahmsweise eine Abweichung von der gesetzlichen Beweislastverteilunggeboten ist. Zur Beantwortung dieser Fragen hat der Richter die Vor- und Nachteile der gesetzlichen oder gewohnheitsrechtliehen Beweislastverteilung einerseits und einer Beweislastumkehr andererseits offen abzuwägen. Dabei sind in erster Linie die Erwägungen herauszuziehen, die der Grundregel und den gesetzlichen Beweislastsonderregeln zugrunde liegen353• Bei der quantitativen Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen ist zunächst zu prüfen, ob das Vorliegen oder Nichtvorliegen des betreffenden Merkmals des Gesamttatbestandes häufiger ist354• Ferner ist zu untersuchen, ob einer Partei der Beweis schwerer fällt als der anderen, etwa weil es sich um unbestimmte negative Tatsachen handeltS55 , oder weil sich der betreffende Vorgang in der Sphäre der anderen Partei abgespielt hat358• - Daran schließt sich eine qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen an: Wird die eine Partei dadurch, daß sie ihre Rechte wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual noch außerprozessual durchsetzen kann, wesentlich härter getroffen als die andere? Gerade diesen bei der Beweislastverteilung des BGB kaum berücksichtigten Gesichtspunkt wird der Richter stärker zu beachten haben als es der Gesetzgeber getan hat. -Schließlich ist zu fragen, ob man den Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Rechtsfolgen (auch) mit der Beweislastverteilung fördern will357• - Da die Grundregel und die gesetzlichen Beweislastsonderregeln auf mehreren dieser Erwägungen beruhen, darf sich auch der Richter bei der Schaffung richterrechtlicher Beweislastregeln nicht nur auf einen der angegebenen Gesichtspunkte beschränken. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte von der gesetzlichen Beweislastverteilung regelmäßig nur dann abgewichen werden, wenn sich für die Abweichung abstrakte Regeln aufstellen lassen358. Dagegen können die in der Praxis sehr häufig auftretenden individuelle Beweisschwierigkeiten oder eine untypische schlechte soziale Lage einer Vgl. oben E. So z. B. Redeker, NJW 1966, 1780. 355 So insbesondere Kummer, Berner Kommentar, Anm. 123 zu Art. 8 ZGB; Guldener, S. 53; von Greyerz, S. 42 ff., der erhebliche Beweisschwierigkeiten auch bei positiven Sachumständen berücksichtigen will. 356 Weitnauer, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 46, der daneben auch den Wahrscheinlichkeitsgrad berücksichtigen will; ebenso schon Brodmann, AcP 98, S. 144. 357 Kummer, Berner Kommentar, Anm. 125 zu Art. 8 ZGB. sas von Greyerz, S. 41; Kummer, Berner Kommentar, Anm. 123 zu Art. 8 ZGB; a. A. Gautschi, S. 30, für den es überhaupt unmöglich ist, Beweislastregeln in abstrakte Formen zu fassen. 353
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I. Die in der Rechtspraxis bestehenden Unklarheiten
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Prozeßpartei eine Entscheidung contra Iegern nicht rechtfertigen359 • Auch bei der Beweislastverteilung im gesetzesfreien Raum hat der Richter darauf zu achten, daß seine Entscheidung verallgemeinerungsfähig ist und sich langsam allgemeine Regeln herausbilden können. Werden diese Grundsätze beachtet, so ist damit der z. T. jahrzehntelange Streit über einzelne Beweislastfragen sicher nicht aus der Welt geschafft, da die Abwägung letztlich auf eine Wertung hinausläuft. Jedoch wird die Diskussion über die Beweislastverteilung durch die Offenlegung der Wertungsgesichtspunkte versachlicht. So werden ein unfruchtbares Theoretisieren einerseits und eine unberechenbare Billigkeitsrechtsprechung andererseits vermieden, deren beider Folgen der Schweizer Autor Kummer so umschreibt: Auch in Deutschland und Frankreich seien viele Einzelfragen der Beweislastverteilung umstritten; in Deutschland bemühe sich vorab die Lehre unter Einsatz dogmatischer Gesichtspunkte, in Frankreich vorwiegend die Praxis um die Lösung der Zweifelsfragen, beiderorts ohne durchschlagenden Erfolg360•
G. Zum Verhältnis von Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis I. Die in der Rechtspraxis bestehenden Unklarheiten
Vor der Behandlung einzelner Fallgruppen ist schließlich noch auf das Verhältnis von Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis und damit allgemein auf das Verhältnis von Beweislast und Beweiswürdigung einzugehen, weil sich in der Praxis nicht selten die Frage stellt, ob in bestimmten Fallgruppen die Grundsätze über den Anscheinsbeweis anzuwenden sind oder aber die Beweislast umzukehren ist. Damit ist eines der Hauptprobleme des heutigen Beweisrechts angesprochen; zu seiner Lösung können im Rahmen dieser Arbeit nur einige Hinweise gegeben werden. Beide Rechtsfiguren werden überwiegend bei Schadensersatzansprüchen und hier insbesondere hinsichtlich des Verschuldens und der (haftungsbegründenden) Kausalität angewandt361 • So wird bei einem Verstoß gegen die sich aus den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften ergebenden Verhaltenspflichten meist die Beweislast bezüglich der Kausalität umgekehrt, wenn an der Gefahrenstelle Ebenso hinsichtlich der Beweisschwierigkeiten Rosenberg, S. 332; LeonBerner Kommentar, Anm. 184 zu Art. 8 ZGB; hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage Guldener, S. 19, und Kummer, a.a.O., Anm.l24. aeo Kummer, a.a.O., Anm. 9 zu Art. 8 ZGB. 381 Hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität wird § 287 ZPO angewandt. s. unten 2. Teil, BI 2, sowie Weitnauer, S. 13 ff. 859
hard, S . 177; Kummer,
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1. Teil, G. Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis
ein Unfall eintritt362, in zunehmendem Maße aber auch bei Verstoß gegen Schutzgesetze363 · 364 . Im übrigen werden jedoch noch meist die Grundsätze über den Anscheinsbeweis herangezogen365 • Auch bei Arzthaftpflichtprozessen wird in weitem Ausmaß der Anscheinsbeweis für Kausalität und Verschulden zugelassen. So spreche der erste Anschein für ein Verschulden des operierenden Arztes, wenn er in der Wunde Gegenstände bestimmter Größe zurückgelassen hat366 • Dagegen soll es zu einer Beweislastumkehrung nur dann kommen, wenn der Arzt einen groben Behandlungsfehler begangen hat367. Die Gründe für die verschiedene Behandlung der Einzelfälle sind jedoch völlig unklar, was auch daran liegen mag, daß Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr bzw. Beweiswürdigung und Beweislast teilweise noch immer nicht genau unterschieden werdensss. 362 z. B. die Pflicht, nur Baugerüste von bestimmter Stärke zu verwenden, so BGH VersR 1955, 105; 1957, 362; Verstoß gegen andere Unfallverhütungsvorschriften: RGZ 95, 138; 128, 320, 329; BGH VersR 1964, 942; Weitnauer, S. 15, a. A. (Anscheinsbeweis) OLG Hamm, BB 1971, 845, sowie BGH DB 1972, 85; ebenso scheinbar auch die Entscheidung des OLG Frankfurt, VersR 1972, 105, die jedoch in Wirklichkeit den Verstoß gegen ein sonstiges Schutzgesetz (SicherheitsfilmG) betrifft. Vgl. zum Ganzen ausführlich Hofmann, S. 29 ff. 383 z. B. BGH VersR 1963, 835 (betrifft § 4 der BrandschutzVO vom 28. 8. 1930), BGHZ 51, 91, 103 f. (§ 6 ArzneimittelG) und wohl auch BGH NJW 1968, 1279, 1281 (§ 13 Abs. 2 BauO NW). 384 Die Unfallverhütungsvorschriften werden von der Rechtsprechung nicht als Schutzgesetze angesehen, vgl. BGH VersR 1955, 105; 1957, 584, sowie neuestens VersR 1969, 827. 385 z. B. bei Verstoß gegen Beleudltungsvorschriften der StVO. Vgl. dazu BGH VersR 1957, 429; 1964, 296, und Hofmann, S. 58 ff.; ähnlich (ungenügend gesicherte Baustelle) BGH VersR 1964, 1082; vgl. auch BGHZ 18, 311, 318 f.: Anscheinsbeweis dafür, daß ein bei übersichtlicher Verkehrslage eingetretener Verkehrsunfall auf alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zurückgeht, wenn die Trunkenheit feststeht. s. dazu Weitnauer, S. 13 ff.; Schänke I Kuchinke, § 56 li, S. 257; vgl. zum Ganzen auch Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 7 a aa; Diederichsen, VersR 1966, 218, Anm. 91. 3 68 BGHZ 4, 138; BGH LM Nr. 15 zu § 286 (C) ZPO; andere Behandlungsfehler: BGHZ 11, 227, 230 f.; BGH VersR 1957, 252 (erster und zweiter Luesfall); BGH LM Nr. 25, 26 zu§ 286 (C) ZPO. Vgl. dazu auch Uhlenbruck, NJW 1965, 1058 ff. 387 BGH VersR 1962, 960; s. dazu im einzelnen unten 2. Teil, li 4 c cc; vgl. zum Ganzen Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 7 a bb. 368 So insbesondere die ältere Literatur und Rechtsprechung, wo gesagt wird, die Grundsätze des Anscheinsbeweises führten zu einer Beweislastumkehr oder der Anscheinsbeweis setze ein non liquet voraus. Vgl. z. B. RG JW 1918, 814, 815; RGZ 119, 58, 62; 150, 134, 139; RG JW 1932, 3704; 1935, 139; 1937, 2190, 2192; Rabel, RheinZ 1923, 428 ff.; Heinsheimer, RheinZ 1924, 1; neuerdings Peters, MdR 1949, 66; Wassermeyer, S. 2 ff.; ähnlich Diederichsen, VersR 1966, 216 ff.; dagegen z. B. A. Blomeyer, Gutachten, S. 18, 21 ff.; Prölss, S. 10 ff.; Weitnauer, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 46; allgemein gegen die Vermengung beider Rechtsfiguren auch Raape, AcP 147, S. 222, 236, 270 ff. und öfter; Stall, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 355; auch die neuere Rechtsprechung unterscheidet meist deutlich; z. B.
II. Wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Rechtsfiguren 91 II. Wesentliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Rechtsfiguren
Einige wesentliche Unterschiede sind bereits im Abschnitt A. angesprochen worden. Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis dienen dazu, dem Richter zu einer Überzeugung zu verhelfen; sie gehören demnach in den Bereich der Beweisführung und -würdigung (§ 286 ZP0) 369. Die Beweislastregeln greifen dagegen erst dann ein, wenn der Richter auch unter Beachtung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis nicht zu der Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer erheblichen Tatsache hat kommen können. Einerseits steht also fest, daß Beweiswürdigung und Beweislast voneinander scharf zu trennen sind370• - Andererseits besteht eine enge wechselseitige Abhängigkeit. Die Beweislastverteilung beeinflußt die Beweiswürdigung371 ; umgekehrt ist die Beweislast von der Beweiswürdigung und damit von den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis abhängig. Denn je geringere/höhere Anforderungen an die Beweisführung der Richter beim Vorgang der Beweiswürdigung stellt, desto geringer/höher ist auch die Bedeutung der Beweislast372 • Bei der Anwendung des Anscheinsbeweises werden aber an die Beweisführung gerade geringere Anforderungen gestellt, indem anstatt des sonst für erforderlich gehaltenen "jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Grades von Wahrscheinlichkeit" nur ein "hohes Maß" von Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Tatsache gefordert wird373• Es handelt sich demnach um eine Beweiserleichterung374. Ebenfalls eine Beweiserleichterung ist nun die den Begünstigten völlig von der Beweislast befreiende (richterrechtliche) Beweislastumkehr. Darin besteht die wichtigste Gemeinsamkeit beider Rechtsfiguren 375• Von daher wird auch verständlich, daß sich die Anwendungsbereiche von Beweislastumkehr und Annscheinsbeweis weitBGHZ 2, 1, 5; BGH LM Nr. 2 zu § 286 (A) ZPO. Für eine scharfe Trennung zwischen Beweislast und Beweiswürdigung auch Rosenberg, S. 62 f.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 361; Dubischar, JuS 1971, 386; Redeker, NJW
1966, 1778. 389 Fohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 324; Prölss, S. 13; Musielak, s. 130. 370 So die heute überwiegende Meinung, vgl. die am Ende der Fn. 368
genannten Autoren. 371 Rosenberg, S. 67 ff.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 361. 372 s. oben A. 373 s. oben A, Fn. 16, 20. 374 BGH LM Nr. 45 zu§ 256 ZPO; BGH LM Nr. 53 zu§ 286 (C) ZPO; a. A. Schönke I Kuchinke, § 56 III 1, S. 255, der den Anscheinsbeweis im Normalfall nicht für eine Beweiserleichterung hält; vgl. auch oben A, Fn. 21. 375 Vgl. den Titel der Abhandlung von Prölss: "Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß" und dort S. 3, sowie von Greyerz, S. 41.
92
1. Teil, G. Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis
gehend überschneiden376, und daß bisweilen im Verlaufe der Rechtsentwicklung aus einem Anscheinsbeweis eine Beweislastumkehr wird377. Gewichtige Unterschiede bestehen aber in den Rechtsfolgen: Der Anscheinsbeweis muß vom Gegner durch einen Gegenbeweis lediglich erschüttert werden. Die von der Rechtsprechung gebrauchte Formel besagt, daß solche Tatsachen vom Gegner zu beweisen sind, aus denen sich die "ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des typischen Herganges" ergibt378. Im Einzelfall schwanken jedoch die Anforderungen an den Gegenbeweis beträchtlich379, was sich z. T. auch in abweichenden Formulierungen ausdrückt; so wird manchmal eine "naheliegende" Möglichkeit380, teilweise sogar die "gleichwertige" Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs verlangt381 . Diese Anforderungen sind jedoch überspannt, wenn man einmal den Ausgangspunkt der Rechtsprechung akzeptiert, wonach beim Anscheinsbeweis eine "hohe" Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Tatsache zu fordern ist382. Es muß daher ausreichen, diese ("hohe") Wahrscheinlichkeit zu widerlegen383, d . h. Tatsachen zu beweisen, aus denen sich ergibt, daß kein "hoher" Grad von Wahrscheinlichkeit für den typischen Geschehensablauf spricht. So ist wohl auch die "ernsthafte" Möglichkeit zu deuten384. Demgegenüber hat bei der Beweislastumkehr der Gegner nunmehr die volle Beweislast für das Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals, d . h . er hat einen Gegenteilsbeweis (Hauptbeweis) zu führen 385. Auch zu 37e Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 325. 377 Pohle, a.a.O.; vgl. auch die Beweislastumkehr in § 16 BSHG, die auf einen in der Rechtsprechung angenommenen Anscheinsbeweis zurückgeht; vgl. dazu A . Blomeyer, Gutachten, S. 19, 42. 378 BGHZ 6, 169; 8, 239; BGH LM Nr. 15, 17, 20a, 25, 53, 53c, 62a zu§ 286 (C) ZPO; zustimmend z. B. A. Blomeyer, Gutachten, S. 19 f.; Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. I 3 b, Anm. IV 7 a aa; Weitnauer, S. 14. 379 Geringe Anforderungen stellt z. B. BGH VRS 20, Nr. 165; hohe Anforderungen stellen BGH VersR 1957, 429 f.; 1963, 317 f.; BGH LM Nr. 53 zu § 286 (C) ZPO; dazu A. Blomeyer, Gutachten, S. 31 ff. 380 BGH VersR 1955, 760, 761; BGH LM Nr. 29 zu§ 286 (C) ZPO; LG Saarbrücken, VersR 1968, 145, 146. 381 BGH LM Nr. 53 b zu § 286 (C) ZPO; Kegel , Festgabe für Kronstein, S. 327, verlangt, von seinem Standpunkt, daß zur Erbringung des Beweises jede Wahrscheinlichkeit über 50 Ofo ausreicht, konsequent, für die ernsthafte Möglichkeit eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 °lo. 382 s. oben A, Fn. 20. 383 So ausdrücklich BGH LM Nr. 2 zu § 286 (C) ZPO; ähnlich Sanden, VersR 1966, 202. 384 Ähnlich wohl A. Blomeyer, Gutachten, S. 51, der die "ernsthafte Möglichkeit" als "gesteiger te" Möglichkeit interpretiert, die der "gesteigerten Wahrscheinlichkeit" des typischen Geschehensablaufs gegenübertreten muß. Vgl. auch Weitnauer, S. 14 f. 38 5 Vgl. A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 368.
III. Die sachlichen Gründe für Anscheinbeweis und Beweislastumkehr
93
seinen Gunsten können wiederum die Grundsätze über den Anscheinsbeweis eingreifen. Das bedeutet im Ergebnis, daß eine sehr hohe bzw. hohe Wahrscheinlichkeit für das Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals bestehen muß. Anders ausgedrückt: Der Gegenteilsbeweis ist erst geführt, wenn das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals sehr bzw. höchst unwahrscheinlich ist, der Gegenbeweis zur Entkräftung des Anscheinsbeweises schon dann, wenn für das Vorliegen des Merkmals nicht mehr eine "hohe", sondern nur noch eine überwiegende oder eine noch geringere Wahrscheinlichkeit spricht386. Die beiden Beweiserleichterungen sind demnach nicht gleichwertig: Die Beweislastumkehr ist für den Begünstigten erheblich vorteilhafter387. Von hieraus ist die Unterscheidung beider Rechtsfiguren mindestens theoretisch leicht zu vollziehen. In der Praxis wiederum verwischen sich z. T. die Unterschiede, da bei der Entkräftung des Anscheinsbeweises häufig nicht nur die Überzeugung erschüttert, sondern auch das Gegenteil bewiesen wird8 ss. 111. Die sachlichen Gründe für Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr
Die vorstehenden Ausführungen haben ergeben, daß eine Beweislastumkehr eine erheblich weitergehende Beweiserleichterung darstellt als die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis. Daraus hatte sich aber noch keine genaue Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Rechtsfiguren herleiten lassen. Um hierüber genauere Aufschlüsse zu erhalten, soll noch einmal auf die der Beweislastumkehr und dem Anscheinsbeweis zugrunde liegenden Erwägungen eingegangen werden. - Dem ersten Eindruck zufolge spielen bei beiden Rechtsfiguren Wahrscheinlichkeitsüberlegungen eine große Rolle, daneben aber auch der beweisrechtliche Sphärengedanke.
1. Die dem Anscheinsbeweis zugrunde liegenden Erwägungen Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis können nur dann angewandt werden, wenn der zu entscheidende Einzelfall zu einer Gruppe ~ 88 Zu den unterschiedlichen Anforderungen an den Gegenbeweis und den Gegenteilsbeweis s. insbesondere A. Blomeyer, Gutachten, S. 18 ff.; Zivilprozeßrecht, S. 367 ff.; s. auch Rosenberg, S. 188. 387 Die Beweiserleichterung ist am größten, wenn sich die Beweislast umkehrt und aus besonderen Gründen der Anscheinsbeweis zur Führung des Gegenteilsbeweises nicht zugelassen wird wie z. B. in § 51 Abs. 4 Satz 2 BSeuchG. Vgl. dazu Weitnauer, S. 15. 388 A. Blomeyer, Gutachten, S. 18 f.; Palandt I Danckelmann, 25. Aufl., § 282, Anm. 1; vgl. auch Bettermann, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. II, Teil E, S. 40 f., der bei Amtspflichtverletzungen die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens umkehren will und dazu bemerkt, daß praktisch dasselbe Ergebnis bei § 823 über den prima-facie-Beweis erreicht wird.
1. Teil, G. Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis
94
gleichgelagerter Fälle gehört und in der weitaus überwiegenden Anzahl dieser Fälle der zu beweisende Umstand gegeben ist, oder - wie die Rechtsprechung es ausdrückt - für das Vorliegen einer Tatsache ein "hohes Maß an Wahrscheinlichkeit" spricht389• Daraus folgt, daß der Anscheinsbeweis imme1· auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung beruht390• Die Hauptproblematik des Anscheinsbeweises liegt nun darin, hinreichend genaue Wahrscheinlichkeitsaussagen zu erhalten391 • Häufig kommen dem Richter allgemein anerkannte Erfahrungssätze zu Hilfe392 • Die in den übrigen Fällen bestehenden Schwierigkeiten übergeht die Rechtsprechung oft dadurch, daß sie dem Anscheinsbeweis Erfahrungssätze zugrunde legt, ohne sich mit dem Grad der Wahrscheinlichkeit ernsthaft auseinanderzusetzen. In vielen Fällen wird nicht einmal gesagt, daß für einen bestimmten Geschehensablauf eine "hohe" Wahrscheinlichkeit spreche. Es finden sich statt dessen Formulierungen wie: der Verstoß (gegen Beleuchtungsvorschriften der StVO) ist "nach aller Erfahrung geeignet", Unfälle herbeizuführen 393 , eine Feststellung, die als Grundlage für einen Anscheinsbeweis nicht ausreicht. Die Mahnung von Weitnauer394, daß die Gerichte in der Annahme von Erfahrungssätzen vorsichtiger sein und sich darüber Rechenschaft ablegen sollten, wie sie zu Erfahrungssätzen gekommen sind, ist daher berechtigt. Läßt sich die erforderliche Wahrscheinlichkeitsaussage nicht machen, so kommt als Beweiserleichterung ausschließlich eine Beweislastumkehr in Betracht395 • Bei der Frage nach der Anwendbarkeit der Grundsätze über den Anscheinsbeweis spielen jedoch auch noch andere Erwägungen eine Rolle. Auch abgesehen von den Fällen, in denen das Gesetz ausdrücklich die Anforderungen an die Beweisführung erhöht396, kann sich aus den Wertungen des materiellen Rechts ergeben, daß in bestimmten Vgl. oben A, a. E., Fn. 20, und Weitnauer, S. 13 f. Weitnauer, S.. 13. 391 Vgl. oben E II 1 a cc, sowie Frey, Larenz, Reimer Schmidt, Wieacker in Diskussionsbeiträgen zum Karlsruher Forum 1966, S. 37, 40, 42, 45. 392 z. B. BGHZ 18, 311, 318 f. (vgl. Fn. 365). 393 BGH VersR 1964, 296, 1082; vgl. zu dem in Fällen dieser Art vorliegenden Wahrscheinlichkeitsgrad Hauß, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 38. 394 s. 14. 395 Von daher bestehen schwere Bedenken gegen den Anscheinsbeweis in BGHZ 11, 227, 230 f.; BGH VersR 1957, 252 (erster und zweiter Luesfall), wo für die Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Krankheit wohl nicht einmal eine überwiegende Wahrscheinlichkeit sprach. So auch D i ederichsen, VersR 1966, 222; Hauß, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 38, und Uhlenbruck, NJW 1965, 1059. 396 z. B. § 1591 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. dazu A, a. E., Fn. 18. 389
39o
III. Die sachlichen Gründe für Anscheinbeweis und Beweislastumkehr
95
Fällen der Anscheinsbeweis nicht zuzulassen ist. So hat der BGH unter Hinweis auf § 130 BGB zu Recht entschieden, daß der Beweis des Zuganges eines Einschreibebriefes nicht schon dann geführt ist, wenn die Absendung feststeht397 • Auch die Zurückhaltung von Rechtsprechung und Literatur in der Annahme von Erfahrungssätzen über individuelle Willensentschlüsse und Handlungsmotive398 läßt sich wohl z. T. auf solche - gesetzliche oder außergesetzliche - Wertungen zurückführen. Demnach ist das Bestehen einer hohen Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Geschehensablauf zwar eine notwendige, jedoch nicht immer auch eine hinreichende Bedingung für die Anwendbarkeit der Grundsätze über den Anscheinsbeweis. Daneben läßt sich zur Erklärung der im Anscheinsbeweis liegenden Beweiserleichterung teilweise auch der beweisrechtliche Sphärengedanke399 und der Präventivzweck der Haftungsnormen400 heranziehen401 . Dabei handelt es sich jedoch nicht um Erwägungen, die für den Anscheinsbeweis konstitutiv sind. 2. Die Erwägungen, die zu einer BeweisLastumkeh1· führen können
Die Überlegungen, die der Richter vor einer Beweislastumkehr anzustellen hat, sind bereits oben402 angesprochen worden: Er hat in erster Linie solche Erwägungen heranzuziehen, die der Grundregel und den gesetzlichen Beweislastsonderregeln zugrunde liegen. Auch hier spielt also das Kriterium der Wahrscheinlichkeit eine Rolle403 ; dabei handelt es sich jedoch nur um eine von mehreren Erwägungen. 397 BGHZ 24, 308, 312 f.; Hauß, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 38; ebenso im Ergebnis Rosenberg, S . 253. Unzutreffend ist allerdings die Meinung des BGH, es fehle hier an einem Erfahrungssatz - wie hier Diederichsen, VersR 1966, 221; zweifelnd auch A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, s. 364. 398 Vgl. RGZ 153, 135, 137; BGH LM Nr. 11, 42 a zu § 286 (C) ZPO; A . Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 364; im Ergebnis anders die frühere BGHRechtsprechung (z. B. BGH LM Nr. 14 zu § 138 [C d] BGB) für die sittenwidrige Motivierung beim "Geliebten-Testament", und dazu A. Blomeyer, Gutachten, S. 38 f. Vgl. zum Ganzen Henke, Individualität und Anscheinsbeweis, JR 1961, 48 ff. 399 Vgl. dazu oben E II 1 b bb. 4oo Vgl. dazu oben E III 3 b. 401 Ebenso für den Sphärengedanken auch Diederichsen, VersR 1966, 218; Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 325; wohl auch Kegel, Festgabe für Kronstein, S . 339; sowie speziell zum Arzthaftpflichtprozeß BGHZ 4, 138; BGH LM Nr. 15, 25, 26 zu§ 286 (C) ZPO, die das Verhalten des Arztes während einer Operation betreffen; und Uhlenbruck, NJW 1965, 1058. 402 F IV 3. 403 Diederichsen, VersR 1966, 221; Pohle, Festschrift für Dölle, Bd. II, S. 325; Redeker, NJW 1966, 1780; a . A. Raape, AcP 147, S. 234; Brodmann, AcP 98, S. 154; Lüke, JZ 1966, 589, Anm. 14; und wohl auch BGHZ 39, 103,
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1. Teil, G. Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis
Die Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsüberlegung für die Beweislastumkehr hängt davon ab, ob die Beweislastverteilung im konkreten Fall gesetzlich geregelt ist oder nicht404 : Der Umstand, daß die zu beweisende Tatsache mit überwiegender oder sogar hoher Wahrscheinlichkeit vorliegt, rechtfertigt für sich allein keine Abweichung von der gesetzlichen Beweislastverteilung, da dies z. T. gesetzlichen Wertungen widerspräche und man damit allgemein die Beweisanforderungen zu sehr herabsetzen würde. Eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung vermag aber in Ausnahmefällen zusammen mit anderen Erwägungen, etwa dem Kriterium der Beweismöglichkeiten {Beweislastverteilung nach Sphären und Vermeidung von Negativbeweisen) eine Beweislastverteilung contra legem rechtfertigen405. So beruht z. B. die Beweislastumkehr bei Beweisvereitelung406 einerseits darauf, daß eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsache spricht, deren Beweis vereitelt wurde, andererseits auf dem Gedanken, daß nur so der Vernichtung oder Nichtherstellung von Beweismitteln vorgebeugt werden kann407. Dagegen können Wahrscheinlichkeitsüberlegungen dort, wo die Beweislastverteilung nicht gesetzlich geregelt ist, wo also zunächst nur die ungeschriebene Grundregel eingreift, eher zu einer richterrechtlichen Beweislastumkehr führen. Allerdings werden auch in diesen Fällen meist mehrere Erwägungen für die Abweichung von der Grundregel sprechen. So beruht die Beweislastumkehr hinsichtlich des Verschuldens bei Beschädigung einer verwahrten Sache auf einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung und auf dem beweisrechtlichen Sphärengedanken408. Gerade im Zusammenhang mit anderen Erwägungen kann für eine Beweislastumkehr nicht nur eine "hohe" Wahrscheinlichkeit, wie sie für den Anscheinsbeweis erforderlich ist, sondern auch schon eine "überwiegende" Wahrscheinlichkeit herangezogen werden409. 107; sowie Bernhardt, JR 1966, 324. Vgl. auch Schwering, S. 151, der berichtet, daß im amerikanischen Recht umstritten ist, ob sich aufgrund einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung die Beweislast (burden of persuasion) umkehrt, oder ob dies nur im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist. 404 Vgl. oben F IV 3. m Vgl. oben F IV 1, Fn. 338. 408 s. oben F II 2. 407 Vgl. auch den Präventivzweck schadensersatzrechtlicher Beweislastsonderregeln (E III 3 b). Es dürfte sich hier um die einzige Fallgruppe handeln, in der die Beweislastumkehr auch Strafcharakter trägt. Sie erscheint als angemessene "Vergeltung" für die schuldhafte Herbeiführung der Beweislosigkeit. 408 Vgl. BGHZ 3, 162. 'ot a. A. Weitnauer, S. 16, der die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen für eine Beweislastumkehr überschätzt, wenn er ausführt, daß sich die unterschiedlichen Beweiserleichterungen bei Verstößen gegen Schutzgesetze (vgl. oben I) nur dann rechtfertigen lassen, wenn der Verstoß
IV. Zusammenfassung
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IV. Zusammenfassung
Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis gehören in den Bereich der Beweiswürdigung; sie beeinflussen aber die Beweislast insofern, als deren Bedeutung von den Beweisanforderungen abhängt und beim Anscheinsbeweis diese Anforderungen herabgesetzt werden. Sowohl die Beweislastumkehr als auch der Anscheinsbeweis sind Beweiserleichterungen, wobei die Beweislastumkehr für den Begünstigten erheblich vorteilhafter ist. Während der Gegner einen Anscheinsbeweis nur erschüttern muß, hat er bei einer Beweislastumkehr den Gegenteilsbeweis zu führen. - Die Gründe für die Anwendung beider Rechtsfigureen überschneiden sich. Während eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung für den Anscheinsbeweis konstitutiv ist, ist sie nur eine von mehreren Erwägungen, die zu einer Beweislastumkehr führen können410 : Läßt sich ein konkreter Fall einer Fallgruppe zuordnen und besteht in dieser Fallgruppe eine "hohe" Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen anderer (erheblicher) Tatsachen, so sind die Grundsätze über den Anscheinsbeweis hinsichtlich dieser anderen Tatsache(n) anzuwenden, wenn nicht bestimmte gesetzliche oder außergesetzliche Wertungen dies verbieten. U. U. kommt aber auch eine Beweislastumkehr in Betracht. Im Bereich gesetzlicher Beweislastregeln ist bei der Beweislastumkehr große Zurückhaltung am Platze411 , so daß es hier regelmäßig nur zur Anwendung der Grundsätze für den Anscheinsbeweis kommen kann. Außerhalb dieses Bereichs gibt es dagegen keine Priorität für eine der beiden Beweiserleichterungen. Besteht nicht nur eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Tatsache, sondern hat der Gegner auch die besseren Beweismöglichkeiten, etwa weil sich der streitige Sachverhalt in seiner Sphäre abgespielt hat, so spricht dies eher für eine Beweislastumkehr, da ein Anscheinsbeweis dann evtl. zu leicht erschüttert werden kann. Auch die qualitative Abwägung der Fehlurteile412 kann hier die Wahl zwischen den beiden Beweiserleichterungen beeinflussen: Da der Anscheinsbeweis vom Gegner nur erschüttert, gegen Unfallverhütungsvorschriften erheblich unfallträchtiger ist als der Verstoß gegen sonstige Schutzgesetze. D. h., es müßte eine "hohe" Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß ein Unfall auf den - feststehenden Verstoß gegen ein sonstiges Schutzgesetz zurückzuführen ist und eine noch höhere Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Unfall und Pflichtverletzung sprechen, wenn es sich um den Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift handelt. Ein solch unterschiedlicher Grad von Wahrscheinlichkeit läßt sich jedoch aus den vorliegenden Entscheidungen (Fn. 362, 365) nicht belegen und wird sich auch kaum je belegen lassen. 410 So richtig Weitnauer, S. 13; zweifelnd Diederichsen, VersR 1966, 222. 411 s. oben F IV. 412 Vgl. oben E III 2. 7 Reinecke
1. Teil, G. Beweislastumkehr und Anscheinsbeweis
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nicht aber widerlegt zu werden braucht, so besteht hier immer noch die Gefahr von Fehlurteilen zu Lasten der begünstigten Partei. Soll dies verhindert werden, so hat der Richter die Beweislast umzukehren.- Dennoch lassen sich die Anwendungsbereiche der beiden Rechtsfiguren nicht ganz genau gegeneinander abgrenzen. Anders verhält es sich dann, wenn in einer Fallgruppe nur ein Wahrscheinlichkeitsgrad unterhalb der Schwelle der für den Anscheinsbeweis geforderten "hohen" Wahrscheinlichkeit besteht, oder wenn sich - wie so häufig - eine Wahrscheinlichkeitsaussage überhaupt nicht machen läßt: Hier kommt als Beweiserleichterung nur eine Beweislastumkehr in Betracht, wenn die dafür nötigen Voraussetzungen vorliegen. Nach dem bislang Gesagten gibt es keinen einleuchtenden Grund dafür, daß die Rechtsprechung bei Verstößen gegen Schutzgesetze oder Unfallverhütungsvorschriften z. T. den Anscheinsbeweis zuläßt, z. T. aber die Beweislast umkehrt413 • Um den Präventivzweck der Haftungsnormen zu verstärken, ist es sinnvoll, einheitlich in allen den Fällen, in denen ein Schaden eingetreten ist und eine genau umschriebene Verhaltenspflicht verletzt wurde, deren Zweck (auch) in der Vermeidung von Schäden dieser Art besteht, die Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden umzukehren, und zwar unabhängig davon, um welche Art von Rechtspflicht es sich handelt4 14• Auch in einigen anderen Fällen sollte die Rechtsprechung den Anscheinsbeweis durch eine Beweislastumkehr ersetzen, wenn Klarheit darüber besteht, daß der Anscheinsbeweis immer einen hohen Wahrscheinlichkeitswert für das Vorliegen einer Tatsache erfordert und wenn deutlicher als bisher erkannt wird, daß an vielen Stellen die Beweislast nicht gesetzlich geregelt wird415 •
Vgl. oben I. Gegen die Differenzierung auch Hofmann, S. 36 f. ; a. A. Musietak, S. 156 ff., der bei Verstoß gegen Schutzgesetze und Unfallverhütungsvorschriften eine Beweislastumkehr ablehnt. m Vgl. oben F IV 2. 413
414
Zweiter Teil
Die Beweislastverteilung in einzelnen Fallgruppen Im zweiten Teil dieser Arbeit sollen die im ersten Teil entwickelten Grundsätze auf einzelne Fallgruppen angewandt werden. Eingangs (A) wird die Beweislastverteilung bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung, insbesondere der üblichen Vergütung behandelt. Im Anschluß daran wird die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung erörtert (B). Innerhalb dieser - mit Abstand größten - Fallgruppe wird auf Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer aus gefahrgeneigter Arbeit besonders eingegangen. Die letzte Fallgruppe (C) betrifft die Beweislastverteilung bei Streit über den Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere von Arbeitsverhältnissen. Für die Auswahl der Fallgruppen war neben den in der Einleitung genannten Gesichtspunkten in erster Linie ihre große praktische Bedeutung maßgebend, die sich aus der Anzahl der veröffentlichten Entscheidungen und der Literaturstimmen ablesen läßt. In zweiter Linie kam es darauf an, solche Fallgruppen zu finden, die nicht nur zum Bürgerlichen Recht, sondern auch zum Arbeitsrecht gehören. Die Schwerpunkte liegen jedoch etwas unterschiedlich. Während die unter A behandelten Beweislastfragen hauptsächlich für Werkverträge und nur am Rande auch für Arbeitsverträge relevant sind, ist die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung (B) für alle Vertragstypen, also auch im Arbeitsrecht, von großer praktischer Bedeutung. Demgegenüber beziehen sich die Ausführungen unter C zum größeren Teil nur auf Arbeitsverhältnisse; andere Dauerschuldverhältnisse, wie z. B. Mietverträge, werden nur am Rande angesprochen. Ferner sei darauf hingewiesen, daß sämtliche drei Fallgruppen vertragliche Ansprüche zum Gegenstand haben; sie begleiten den Lauf eines Schuldverhältnisses von Anfang bis zum Ende. Bei der ersten Gruppe geht es um die Beweislast hinsichtlich des Vertragsinhalts, also solcher Tatsachen, die sich am Anfang der vertraglichen Beziehungen ereignen. Bei der zweiten Fallgruppe betrifft die Beweislast Tatsachen während des Vertragsablaufs. In der dritten Fallgruppe geht es schließlich um solche Tatsachen, die zum Ende des Vertragsverhältnisses führen können. 7*
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2. Teil, A. Beweislast bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung
A. Die Beweislastverteilung bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung Bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung können die Parteien, wenn der Vertragsschluß feststeht, zum einen über die Entgeltlichkeit, zum anderen über die Höhe der Vergütung streiten. I. Die Beweislast bei Streit über die Entgeltlichkeit einer vom Anspruchsteller erbrachten Leistung
Klagt jemand die Vergütung für eine von ihm erbrachte Leistung ein, so kann der Anspruchsgegner zunächst geltend machen, daß es sich um ein unentgeltliches Geschäft gehandelt habe. Nach der ungeschriebenen Grundregel hat hier der Anspruchsteller die Beweislast für die Entgeltlichkeitl. Bei einigen Vertragstypen des BGB, insbesondere bei Dienst- und Werkverträgen, "gilt" jedoch eine Vergütung "als stillschweigend vereinbart", wenn die Leistung "den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist" (§§ 612 Abs. 1, 632 Abs. 1, 653 Abs. 1, 689 BGB). Die Gesetzgebungsmaterialien2 bezeichnen diese Vorschriften als Auslegungsregeln; ihre Bedeutung für die Beweislast wird nicht ausdrücklich erwähnt. In Rechtsprechung und Literatur werden sie jedoch übereinstimmend als Beweislastsonderregeln behandelt3• Liegen Umstände vor, die die Leistung nur gegen eine Vergütung erwarten lassen, so trägt der Anspruchsgegner die Beweislast dafür, daß die Leistung nach dem Willen beider Parteien unentgeltlich erfolgen sollte. 1 Einhellige Meinung, z. B. RG JW 1906, 462, Nr. 18; RG WarnRspr 1912, Nr. 336; OLG Dresden, Recht 1906, 858, Nr. 2096; OLG Rostock, RsprOLG 21, S. 206; OLG Colmar, RsprOLG 24, S. 393; Rosenberg, S. 103 f., 281 f.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 350; ebenso wohl auch Musielak, S . 348. Fast alle Zitate beziehen sich auf den Fall, daß der Anspruchsteller die Hingabe eines Geldbetrages als Darlehen behauptet, der Gegner sich demgegenüber auf Schenkung beruft. Ebenso LAG Hamm, DB 1975, 1564 = BB 1975, 1067: Beweislast des Arbeitgebers, der vom Arbeitnehmer für die Inanspruchnahme eines LKW zu privaten Zwecken eine Vergütung fordert. Vgl. auch BAG AP Nr. 26 zu § 612 BGB, wo die Beweislast für eine atypische Entgeltregelung dem Anspruchsteller auferlegt wird. 2 Motive II, S. 459 = Mugdan II, S. 296. 3 BGH DB 1975, 1982; RG WarnRspr 1914, Nr. 117; RAG ARS 36, S. 162; OLG Rostock, Recht 1909, Nr. 1478; OLG Cassel, SeuffA 75, Nr. 128; Soergel I Wlotzke I Volze, § 612 Anm. 6; Staudinger I Nipperdey I Mohnen I Neumann, § 612, Anm. 2; Rosenberg, S. 299 (zu den Auslegungsregeln im allgemeinen). Die bei den §§ 612 Abs. 1, 632 Abs. 1, 653 Abs. 1, 689 BGB gewählte Form der Fiktion ist jedoch verfehlt, da Fiktionen als verkürzte Verweisungen nicht widerlegbar sind (Staudinger I N i pperdey I Mohnen I Neumann, § 612, Anm. 2; vgl. auch Rosenberg, S. 213; Larenz, Methodenlehre, S. 245 ff.). Die Bedeutung dieser Normen als Beweislastsonderregeln wäre klarer, wenn der Gesetzgeber statt dessen die Form der Vermutung gewählt hätte.
II. Die Höhe der Vergütung
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Dieselbe Beweiserleichterung gewährt nach h. M. die Dispositivnorm des § 354 Abs. 1 HGB demjenigen, der "in Ausübung seines Handelsgewerbes einem anderen Geschäfte besorgt oder Dienste leistet" 4 . Sind die Voraussetzungen für die Anwendung des § 354 Abs. 1 HGB streitig, so kommt dem Kaufmann die Vorschrift des § 344 Abs. 1 HGB zu Hilfe, wonach die von ihm vorgenommenen Rechtsgeschäfte "im Zweifel als zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehörig" gelten. Im BGB fehlen entsprechende Bestimmungen, so daß nach der Grundregel der Anspruchsteller die Umstände beweisen muß, die die Leistung nur gegen Entgelt erwarten lassen5 • Dennoch sind in der Praxis die Unterschiede zum HGB nicht sehr groß. Denn der Bundesgerichtshof hat diesen Beweis zu Recht schon dann als geführt angesehen, wenn der Anspruchsteller Leistungen nicht unerheblichen Umfangs im Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit erbracht hat8 • Gleiches muß, von einigen wenigen Sonderfällen abgesehen, dann gelten, wenn jemand für einen anderen in abhängiger Stellung Arbeit leistet7. Der Dienstherr oder Arbeitgeber muß also nachweisen, daß der Leistende unentgeltlich arbeiten wollte. Gelingt ihm dies nicht, so hat er die Tätigkeit zu entlohnen. II. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Höhe der Vergütung
1. Die Höhe der Vergütung und die im Streitfall auftauchenden Beweislastprobleme Die Höhe der zu zahlenden Vergütung richtet sich zunächst nach dem Vertragsinhalt. Haben sich die Parteien (unstreitig) auf eine bestimmte Vergütung geeinigt, so geht der Anspruch grundsätzlich auf die vereinbarte Vergütung. Das ist nach dem das Bürgerliche Recht beherrschenden Grundsatz der Privatautonomie an und für sich selbstverständlich, ist aber in den §§ 433 Abs. 2, 535, 611 Abs. 1, 631 Abs. 1 BGB noch einmal ausdrücklich ausgesprochen worden8 • • "Der Kaufmann tut nichts umsonst" - Staub I Gadow, § 354 Einl.; von Godin in RGRK zum HGB, § 354, Einl.; Düringer I Rachenburg I Werner, § 354, Anm. 2; zur Beweislast: von Godin, a.a.O., Anm. 18; Staub I Gadow,
a.a.O., Anm. 19. 5 BGH DB 1969, 1022; DB 1975, 1982; OLG Rostock, Recht 1909, Nr. 1478. 8 BGH DB 1969, 1022; DB 1975, 1982 für den Dienstvertrag des Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes; a. A. für die Tätigkeit des Maklers wohl OLG Dresden, Recht 1906, 858, Nr. 2096. 7 Vorsichtiger dagegen RAG ARS 36, S. 162, das Art, Umfang und Dauer der Tätigkeit für maßgebend hält. Im konkreten Fall sah das RAG den Beweis als geführt an, da der Kläger über mehrere Monate lang ganztags für eine Organisation tätig war. 8 Vgl. auch -weniger deutlich- §§ 608, 652 Abs. 1 Satz 1 BGB.
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2. Teil, A. Beweislast bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung
Liegt nun eine solche Vereinbarung (unstreitig) nicht vor, so ist bei Dienst-, Werk- und Maklerverträgen nach den§§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB die "taxmäßige", d. h. die amtlich festgesetzte, bzw. die übliche Vergütung "als vereinbart anzusehen". Dabei ist unter üblicher Vergütung die ortsübliche Vergütung zu verstehen9 • Für andere Vertragstypen ist bei Fehlen einer Vereinbarung § 316 BGB maßgebend, wonach der die Vergütung Fordernde diese "im Zweifel" "nach billigem Ermessen" (§ 315 Abs. 1 BGB) bestimmen kann. § 316 BGB greift auch dann ein, wenn bei den vorgenannten Vertragstypen eine Vergütung weder vereinbart noch amtlich festgesetzt ist und es auch keine übliche Vergütung gibt, oder wenn insoweit ein Spielraum besteht1°. - Ähnliche Bestimmungen enthalten die §§ 59 Satz 1, 87 b Abs. 1, 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB, nach denen die vereinbarte oder übliche Vergütung zu zahlen ist. Ergänzend greifen § 59 Satz 2 HGB sowie § 316 BGB ein. Die praktische Bedeutung aller dieser Vorschriften ist jedoch - von ihrer eventuellen Bedeutung als Beweislastregeln einmal abgesehen gering; denn wenn es an einer ausdrücklichen Vereinbarung fehlt, so ergibt doch meist die Auslegung (§§ 133, 157 BGB), daß die amtlich festgesetzte bzw. übliche Vergütung stillschweigend vereinbart worden ist11 • Im Arbeitsrecht gibt es hinsichtlich der Lohnhöhe bekanntlich einige Besonderheiten. Bei Geltung eines Tarifvertrages (§§ 3, 5 TVG) oder einer Betriebsvereinbarung (zulässig im Rahmen der §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG) ist die vereinbarte oder übliche Vergütung nur insoweit maßgebend, als dies für den Arbeitnehmer günstiger ist (§ 4 Abs. 3 TVG). Dabei ist der übliche Lohn keinesfalls immer mit dem Tariflohn identisch. Er kann höher, aber auch tiefer liegen12• Ersteres ist insbesondere in Zeiten anhaltender Vollbeschäftigung, letzteres eher in wirtschaftlichen Krisenzeiten der Fall. Daher hat der nichttarifgebundene Arbeitnehmer (Außenseiter) bei Fehlen einer Lohnabrede nicht ohne weiteres einen Anspruch auf den Tariflohn 13 • 9 h. M., z. B. RG GruchBeitr 48, S. 911; Staudinger I Nipperdey I Mohnen I Neumann, § 612, Anm. 30; Rick, AuR 1960, 369. 10 BGH LM Nr. 1 zu § 316 BGB; BGH NJW 1966, 539; RG WarnRspr 1932,
Nr. 35; OLG Braunschweig, OLGZ 1966, 16; ebenso schon die Protokolle, S. 2143 = Mugdan II, S. 898. 11 RG SeuffA 58, S. 260; Nikisch, Bd. 1, S. 338 für § 612 Abs. 2 BGB ; Soergel I Mormann, § 653, Anm. 1; Rosenberg, S. 288 für den Kaufvertrag; Martinius, Recht 1905, 642. 12 So zutreffend Rick, AuR 1960, 369 mit weiteren Nachweisen; Soerg el I Siebert I Wlotzk e I Volze, § 612, Anm. 12; a. A. Denecke in RGRK, § 612, Anm.4. 13 BAG BB 1960, 1059.
II. Die Höhe der Vergütung
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Bei Streit über die Höhe der Vergütung sind im wesentlichen drei Fallkonstellationen von Bedeutung: (1) Der Gläubiger fordert die von ihm nach den §§ 315, 316 BGB "nach billigem Ermessen" festgesetzte oder "angemessene" Vergütung; der Schuldner will dagegen nur eine niedrigere Vergütung bezahlen. Hier wird sich der Gläubiger entweder darauf stützen, daß ihm das Recht zur Leistungsbestimmung im Vertrag eingeräumt worden sei oder aber darauf, daß "der Umfang der . . . Gegenleistung nicht bestimmt" sei. Der Schuldner wird dagegen behaupten, es sei eine niedrigere Vergütung (ausdrücklich oder stillschweigend) vereinbart worden. Das Nichtvorliegen einer Preisvereinbarung oder die vertragliche Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts sind rechtsbegründende Tatsachen. Da gesetzliche Beweislastsonderregeln nicht eingreifen, liegt die Beweislast dafür beim Anspruchsteller. Der Gläubiger hat also insbesondere zu beweisen, daß die vom Schuldner behauptete Vereinbarung nicht vorliegt14 • (2) Der Gläubiger fordert eine höhere als die ("taxmäßige" oder) übliche Vergütung; der Schuldner will nur die übliche Vergütung zahlen. Hier wird der Gläubiger die Vereinbarung der höheren Vergütung behaupten, der Schuldner wird vortragen, daß die übliche Vergütung vereinbart worden sei oder aber, daß die Parteien über die Höhe der Vergütung nichts vereinbart hätten. Das Vorliegen der vom Gläubiger behaupteten Preisvereinbarung ist eine rechtsbegründende Tatsache, für die der Gläubiger die Beweislast trägt, da gesetzliche Sonderregeln nicht eingreifen und eine richterrechtliche Beweislastumkehr nicht erforderlich ist. (3) Der Gläubiger fordert die ("taxmäßige" oder) übliche Vergütung; der Schuldner will nur eine geringere als die übliche Vergütung zahlen. Hier ist es der Gläubiger, der behaupten wird, daß die übliche Vergütung vereinbart wor den sei oder daß es eine Preisabrede nicht gebe. Der Schuldner wird sich demgegenüber auf die Vereinbarung einer niedrigeren als der üblichen Vergütung berufen. Das Nichtvorliegen der vom Schuldner behaupteten Vereinbarung einer niedrigeren Vergütung gehört zu den rechtsbegründenden Tatsachen. Über die Beweislastverteilung herrscht jedoch Streit; sie soll im folgenden Abschnitt ausführlicher behandelt werden.
14 So auch die heute einhellige Meinung, vgl. z. B. RGZ 57, 49; Soergel I Schmidt, § 316, Anm. 5; Staudinger I Werner, § 316, Anm. 5, § 315, Anm. 16; Rosenberg, S. 289; a. A. noch Marti nius, Recht 1905, 642.
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2. Teil, A. Beweislast bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung 2. Insbesondere: Die Beweislastverteilung bei Klagen auf die übliche Vergütung
a) Meinungsstand Es kommt im Rechtsleben sehr häufig vor, daß sich der Anspruchsgegner gegen Ansprüche auf Zahlung der üblichen Vergütung mit der Behauptung wehrt, es sei eine niedrigere als die übliche Vergütung vereinbart worden. Wie die Zahl der veröffentlichten Entscheidungen zeigt, gilt dies in erster Linie für Werkverträge, in zweiter Linie für Maklerverträge und in geringerem Umfang auch für Handelsvertreterund Handelsgehilfenverträge15• 16• Die in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegende Meinung erlegt bei Ansprüchen aus den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB und § 87 b Abs. 1 HGB einheitlich dem Anspruchsteller die Beweislast auf17• Etwas anderes soll bei Werkverträgen jedoch dann gelten, wenn die Höhe der Vergütung durch Handelsbrauch bestimmt ist18• Eine Mindermeinung will dagegen in allen diesen Fällen dem Anspruchsgegner die Beweislast auferlegen19, während Rosenberg differenziert: Bei den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB trage der Anspruchsteller, bei § 87 b Abs. 1 HGB der Anspruchsgegner die Beweislast20 • Zu den §§ 59, 354 Abs. 1 und 420 Abs. 1 HGB gibt es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen21 • 15 Zu § 632 Abs. 2 BGB: OLG Saarbrücken, OLGZ 1966, 14; OLG Köln, BB 1973, 1095; BGH LM Nr. 1 zu§ 2136 BGB; BGH LM Nr. 3 zu§ 632 BGB; RG JW 1907, 175; OLG Breslau, RsprOLG 28, S. 192; OLG München, DR 1943, 246 (auch zu § 612 Abs. 2); vgl. auch OLG Celle, BlGrBWR 1964, 187; zu§ 653 Abs. 2 BGB: OLG Celle, RsprOLG 6, S. 86; OLG Bremen, BB 1969, 109 (auch zu den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB und § 87 b Abs. 1 HGB); zu § 87 b Abs. 1 HGB: LAG Bremen, DB1960, 1212; RG SeuffA 78, S. 69 (auch zu den §§ 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB). BAG BB 1971, 653, betrifft dagegen die Beweislast für die unveränderte Übernahme eines Arbeitsverhältnisses heute überholt durch § 613 a BGB. 18 Auch Rosenberg, S. 290, sieht den Schwerpunkt der Problematik bei den Werkverträgen; ebenso schon Martinius, Recht 1905, 643. 17 Vgl. sämtliche der genannten Entscheidungen sowie Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 5 a. E.; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 351; Betzinger, S. 165; Staudinger I Nipperdey I Mohnen I Neumann, § 612, Anm. 33; Soergel I Siebert I Wlotzke I Volze, § 612, Anm. 13; Denecke in RGRK, § 612, Anm. 4; § 632, Anm. 3; Matthes, AR-Blattei, (D) Beweislast I, 3. Forts.-Bl.; Staudinger I Riedel, § 631, Anm. 33, § 653, Anm. 6 b; Soergel I Ballerstedt, § 632, Anm. 7; Erman I Wagner, § 632, Anm. 5; Palandt I Thomas, § 632, Anm. 4, § 653, Anm. 3d; Brüggemann in Großkomm. z. HGB, § 87 b, Anm. 1; SchlegelbergeT I Schröder, § 87 b, Anm. 4 a; Staub I Bondi, § 88, Anm. 13 und neuestens Schumann, NJW 1971, 495. 18 BGH LM Nr. 3 zu§ 632 BGB; Staudinger I Riedel, § 632, Anm. 7; Erman I Wagner,§ 632, Anm. 5; Palandt I Thomas, § 632, Anm. 4. 19 So Mettenheim, NJW 1971, 20 sowie Musielak, S. 349; aus der älteren Literatur Oertmann, !l 612, Anm. 3; Martinius, Recht 1905, 642, und wohl auch Richard Schmidt, S. 486. 20 S. 289 ff., 292 mit weiteren Nachweisen, insbesondere zu Entscheidungen vor 1900; ebenso Funk, S. 227 ff.
II. Die Höhe der Vergütung
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Der jetzige Meinungsstand läßt eine Klage auf die übliche Vergütung bei mündlichem Vertragsschluß als wenig aussichtsreich erscheinen. Das mag einer der Gründe dafür sein, daß nicht noch erheblich mehr Judikatur zu den behandelten Beweislastfragen-insbesondere außerhalb des Werkvertragsrechts - vorliegt. Im Arbeitsrecht mag dazu auch die Tatsache beigetragen haben, daß Tarifverträge häufig Schriftform für den Arbeitsvertrag vorschreiben. b) Die gesetzliche Beweislastverteilung aa) Gesetzessystematik und dispositives Recht Das Nichtvorliegen der vom Schuldner behaupteten Vereinbarung einer niedrigeren als der üblichen Vergütung ist, wie bereits gesagt wurde, eine rechtsbegründende Tatsache, für die bei Anwendung der Grundregel der Anspruchsteller (Gläubiger) die Beweislast trüge. Dies ist bei den §§ 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB der Kaufmann oder Lagerhalter, bei den §§ 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB der Werkunternehmer oder Makler und bei den §§ 612 Abs. 2 BGB, 59, 87 b Abs. 1 HGB der Arbeitnehmer bzw. Handelsvertreter. Ausdrückliche Beweislastregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen greifen nicht ein. Bei der weiteren Suche nach der gesetzlichen Beweislastverteilung wird neben der Gesetzesfassung auch die Gesetzessystematik herangezogen. Nach Rosenberg folgt die Beweislast des Anspruchstellers bei Ansprüchen aus den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB daraus, daß das BGB wie bei Kauf- und Mietverträgen (§§ 433 Abs. 2, 535 BGB) auch bei Dienst- und Werkverträgen die Vereinbarung einer Vergütung (§§ 611 Abs. 1, 631 Abs. 1 BGB), bei Maklerverträgen das Versprechen eines Maklerlohnes (§ 652 Abs. 1 BGB) verlange22• Aus dem Fehlen entsprechender Bestimmungen im HGB sei zu entnehmen, daß bei Ansprüchen aus den §§ 59, 87 b Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB der Anspruchsgegner die Beweislast für das Vorliegen einer Preisvereinbarung habe23 • Wie bereits oben ausgeführt wurde, gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Schöpfer des BGB und des HGB neben den ausdrücklichen Beweislastregeln, den Vermutungen und der Gesetzesfassung auch die Gesetzessystematik als Mittel zur Beweis21 Für Beweislast des Anspruchsstellers: Staub I Bondi, § 59, Anm. 33; Matthes, AR-Blattei, (D) Beweislast I, 4. Forts.Blatt; Schtegetberger I Schröder, 4. Aufl., § 420, Anm. 2; für Beweislast des Gegners: Rosenberg, S. 292; Betzinger, S. 163, 165; von Godin in RGRK zum HGB, 2. Aufl., § 354, Anm. 18; Staub I Gadow, § 354, Anm. 19. 22 S. 289 ff.; ähnlich Stein I Jonas I Schumann I Leipold, § 282, Anm. IV 5 a. E.; Betzinger, S. 165; BGH LM Nr. 3 zu§ 632 BGB; RG SeuffA 78, S. 69. 23 Rosenberg, S. 292; a. A. offenbar RG SeuffA 78, S. 69 zu § 87 b Abs. 1
HGB.
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2. Teil, A. Beweislast bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung
Iastregelung ansahen24 • Die Argumentation von Rosenberg kann also hier nicht weiterhelfen. Ferner wird in diesem Zusammenhang die Frage erörtert, ob die §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB, 59, 87 b Abs. 1, 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB Dispositivnormen sind, und ob sich daraus etwas für die Beweislastverteilung herleiten läßt. Denn es wird die Meinung vertreten, daß Vereinbarungen, die Abweichungen vom dispositiven Recht enthalten (sog. accidentalia negotii) vom dem zu beweisen sind, der sich darauf beruft25 • Dieser Gedankengang soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden, da er in den zu behandelnden Beweislastfragen keine Klarheit bringt. Denn teilweise werden gerade die §§ 612, 632, 653 BGB aus dem Geltungsbereich dieser Regel herausgenommen26 • Teilweise wird zwar die aufgestellte Regel als solche konsequent durchgeführt, jedoch ohne ersichtlichen Grund zwischen den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB einerseits und den §§ 59, 87 b Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB andererseits insofern differenziert, als nur letztere als Dispositivgesetze angesehen werden27 • Demnach kann sich auch hier die gesetzliche Beweislastverteilung in Ermangelung von ausdrücklichen Beweislastregeln und von Vermutungen (§ 292 ZPO) nur aus der Gesetzesfassung und aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben. bb) Gesetzesfassung und Gesetzgebungsmaterialien Die nunmehr zu beantwortende Frage lautet: Kann aus der sprachlichen Fassung der Vorschriften zuverlässig auf gesetzliche Beweislastsonderregeln oder die vom Gesetzgeber gewollte Anwendbarkeit der Grundregel geschlossen werden? Die beiden Bestandteile dieser Frage sollen getrennt beantwortet werden. u s. oben Erster Teil, F III 1. 25 S z. B. RGZ 57, 46, 49; Rosenberg, S. 294 ff., mit weiteren Nachweisen; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 349 ff.; Enneccerus I Nipperdey, § 189, S. 1151; Musielak, S. 322 f.; a. A. Bernhardt, S. 226. 28 So A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 351; vgl. auch Staub I Gadow, § 354, Anm. 19. 27 So Rosenberg, S. 291 f. Wenn man unter dispositivem Recht alle die Rechtsvorschriften versteht, die den Parteien (ausdrücklich oder stillschweigend) abweichende Vereinbarungen gestatten, so gehören alle genannten Vorschriften dazu, obwohl sie z. T. in der Form einer Fiktion auftreten (§§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB; § 87 b Abs. 1 HGB)- ebenso wohl auch A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 351, Anm. 3. Auch hier ist die Form der Fiktion unangebracht (vgl. oben, Anm. 3). Die Dispositivnorm müßte richtigerweise lauten: "Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist die übliche Vergütung geschuldet" (vgl. § 88 Abs. 3 HGB a. F., Vorgänger des heutigen § 87 b Abs. 1). Bezüglich der Rechtsfolgen sind beide Fassungen gleichbedeutend.
Il. Die Höhe der Vergütung
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Von den hier interessierenden Bestimmungen ist allein § 59 HGB nach dem Regel-Ausnahme-Schema aufgebaut ("soweit nicht besondere Vereinbarungen ... über die ... Vergütung getroffen sind"). Mangels konkreter Anhaltspunkte in den Gesetzgebungsmaterialien28 ist also davon auszugehen, daß § 59 HGB eine - sprachlich verkürzte Beweislastsonderregel enthält29• Der "Prinzipal" muß also beweisen, daß eine niedrigere als die "dem Ortsgebrauch entsprechende Vergütung" vereinbart wurde. Demgegenüber enthalten die einander entsprechenden §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB, 87 b Abs. 1 HGB nach ihrer sprachlichen Fassung keine gesetzlichen Beweislastsonderregeln. - Unklar sind Fassung und Aufbau der§§ 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB. Sie entsprechen in dieser Hinsicht weder § 59 HGB noch den soeben erörterten Bestimmungen. Da sie jedoch keine der Wendungen enthalten, mit denen im BGB und HGB sonst gesetzliche Beweislastsonderregeln ausgedrückt zu werden pflegen, und auch in den Gesetzgebungsmaterialien die Beweislast nicht angesprochen wird 30, muß man auch hier vom Fehlen solcher gesetzlichen Beweislastsonderregeln ausgehen31 • Damit scheint festzustehen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers bei allen genannten Bestimmungen außer bei § 59 HGB der Anspruchsteller die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Vergütungsvereinbarung trägt32• Doch wäre ein solcher Schluß voreilig. Bei den hier zu behandelnden Fällen ist unstreitig ein Vertrag bestimmten Typs mündlich abgeschlossen worden; streitig ist nur der genaue Inhalt dieses Vertrages. Oben war jedoch bereits festgestellt worden, daß der Gesetzgeber des BGB diese Fragen nicht hat regeln wollen33• Mindestens bei Ansprüchen aus den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB ist also der Richter ermächtigt, schon bei Vorliegen vernünftiger sachlicher Gründe von der sonst anwendbaren gewohnheitsrechtlich geltenden Beweislastgrundregel abzuweichen. Maßgebend sind hier in erster Linie die Erwägungen, die der Grundregel und den gesetzlichen Beweislastsonderregeln zugrunde liegen. Vgl. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, S . 60. s. oben 1. Teil, D III; ebenso im Ergebnis Rosenberg, S. 292; a. A. Staub I Bondi, § 59, Anm. 33. 30 Vgl. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, S. 212, 270. 31 a. A. für § 354 Abs. 1 HGB von Godin in RGRK z. HGB, 2. Auf., § 354, Anm. 18, unter Berufung auf den Wortlaut. 32 So unter Berufung auf den Wortlaut, insbesondere OLG Celle, RsprOLG 6, S. 86; Schumann, NJW 1971, 495; SchlegelbergeT I Schröder, § 420, Anm. 2. 33 s. oben 1. Teil, F III 1 (dort insbesondere die Ausführungen zu § 196 des Ersten Entwurfs), F IV 1. 28
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2. Teil, A. Beweislast bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung
Hinsichtlich der Ansprüche aus den §§ 87 b Abs. 1, 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB scheint sich zunächst ein Gegenschluß zu § 59 HGB anzubieten: Der Gesetzgeber habe dem Anspruchsteller dadurch die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Preisvereinbarung auferlegt, daß er dort nicht die gleiche sprachliche Fassung wie bei § 59 HGB gewählt habe. Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber des HGB mit der Fassung der §§ 87 b Abs. 1, 354 Abs. 1 und 420 Abs. 1 die Beweislast hat regeln wollen. Denn zum einen fehlt in den Materialien jeder Hinweis darauf34 • Zum anderen spricht auch die ganz unterschiedliche Fassung dieser Vorschriften gegen die Annahme, daß der Gesetzgeber die Frage der Vergütung und die sich daran anschließenden Beweislastfragen im Zusammenhang gesehen hat. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Klagt der Handlungsgehilfe nach §59 HGB auf die übliche Vergütung, so trägt der Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen einer abweichenden Vereinbarung. Bei Ansprüchen aus den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB, 87 b Abs. 1, 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB ist dagegen die Beweislast nicht gesetzlich geregelt. c) Gründe für und gegen richterrechtliche Beweislastsonderregeln Die Entscheidung zwischen den zwei Regelungsalternativen verlangt eine sowohl quantitative wie qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen. Diese Auswirkungen bestehen, wie oben näher ausgeführt35, in der Summe der Fälle, in denen eine Partei ihre Rechte wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual (Fehlurteile) noch außerprozessual durchsetzen kann. Trägt in unserem Fall der Anspruchsteller die Beweislast, so kommt es immer dann zu negativen Auswirkungen, wenn in Wahrheit über die Höhe der Vergütung nichts vereinbart wurde, der Beweis dafür jedoch nicht gelingt, oder sich der Anspruchsteller mit Rücksicht auf die schwierige Beweislage mit der vom Gegner freiwillig gezahlten Vergütung begnügt. Bei einer Beweislast des Anspruchsgegners treten negative Auswirkungen ein, wenn in Wahrheit ein niedrigerer als der übliche Preis zwischen den Parteien vereinbart wurde, der prozessuale Beweis jedoch mißlingt oder im Hinblick auf das Mißlingen der vom Anspruchsteller geforderte übliche Preis gezahlt wird. 34 s. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, S. 87 (zu § 88 Abs. 3 HGB a. F., dem Vorgänger des heutigen § 87 b Abs. 1), S. 212, 270. as s. oben 1. Teil, E II 2 d.
li. Die Höhe der Vergütung
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aa) Wahrscheinlichkeit und Beweismöglichkeiten Die quantitative Abwägung läuft zunächst auf eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung hinaus. Ist bei mündlichem Vertragsschluß das Fehlen einer ausdrücklichen Preisvereinbarung bzw. die ausdrückliche Vereinbarung des üblichen Preises häufiger als die Vereinbarung einer niedrigeren als der üblichen Vergütung? Da bei (unstreitigem) Fehlen einer ausdrücklichen Preisvereinbarung meist stillschweigend die übliche Vergütung vereinbart ist36 , so können wir statt dessen auch fragen: Wird häufiger die übliche oder eine niedrigere als die übliche Vergütung vereinbart? Ersteres ist definitionsgemäß zu bejahen, wenn wir unter üblicher Vergütung die Vergütung verstehen, die in der überwiegenden Anzahl der Fälle vereinbart wird. Die Vertragsinhalte dürften jedoch im Arbeits- und Handelsrecht, hier insbesondere bei Bestehen eines Handelsbrauches, erheblich einförmiger sein als sonst im Bürgerlichen Recht37• Dies spricht dafür, bei handels- und arbeitsrechtlichen Ansprüchen dem Anspruchsgegner die Beweislast für das Vorliegen einer Preisabrede aufzuerlegen. Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis können nicht herangezogen werden, zum einen, da das dafür erforderliche hohe Maß an Wahrscheinlichkeit hier wohl nicht vorliegt, zum anderen deswegen, weil es sich um den Beweis von - trotz aller Typizität - individuellen Willensentschlüssen handelt, bei denen im allgemeinen für den Anscheinsbeweis kein Platz ist38 • Ferner sind die Beweismöglichkeiten der Parteien zu untersuchen. Eine Beweislastverteilung nach Sphären kommt hier nicht in Frage; denn die vertraglichen Vereinbarungen gehören nicht zur "Sphäre" eines einzelnen, sondern zu einem beiden Vertragsparteien gemeinsamen Bereich. Dennoch können die Beweismöglichkeiten typischerweise unterschiedlich sein, z. B. im Arbeitsrecht. Der Arbeitsvertrag wird in größeren Betrieben auf Arbeitgeberseite meist nicht durch diesen selbst, sondern wiederum durch einen anderen Arbeitnehmer abgeschlossen, der im Streitfall als Zeuge auftreten kann, während der Arbeitnehmer regelmäßig nicht imstande ist, Zeugen zu benennen. Diese Überlegenheit besteht jedoch unabhängig davon, wer die Beweislast trägt. Gegen die Beweislast des Anspruchstellers scheint jedoch die Tatsache zu sprechen, daß dieser einen Negativbeweis, den Beweis, daß eine niedrigere als die übliche Vergütung nicht vereinbart wurde, zu führen hätte39 • Die hierbei auftauchenden Beweisschwierigkeiten köns. oben A II 1. Ebenso für den Handelsbrauch BGH LM Nr. 3 zu § 632 BGB. as s. oben 1. Teil, G III 1. 39 So insbesondere Mettenheim, NJW 1971, 20.
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2. Teil, A. Beweislast bei Klagen auf Zahlung einer Vergütung
nen jedoch schon dadurch wesentlich gemildert werden, daß an die Behauptungslast des Gegners höhere Anforderungen gestellt werden. Beschränkt man die Beweislast des Anspruchstellers in solchen Fällen mit dem BGH auf die Widerlegung der vom Gegner zu behauptenden Preisabrede40 , so ist dieser Beweis nicht schwieriger als der (positive) Beweis vom Vorhandensein einer Preisabrede. bb) Die unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Stellung der Vertragsparteien Bei der qualitativen Abwägung ist zu untersuchen, ob typische soziale Unterschiede vorhanden sind, die dazu führen, daß die eine Vertragspartei von den negativen Auswirkungen der Beweislastverteilung regelmäßig wesentlich härter als die andere getroffen wird. Das Ergebnis ist bei den einzelnen Vertragstypen verschieden. Bei Ansprüchen aus den §§ 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB ist weder der anspruchstellende Kaufmann oder Lagerhalter, noch der Anspruchsgegner typischerweise sozial stärker als der andere. - Im Werkvertragsrecht (§ 632 Abs. 2 BGB) dürfte der Unternehmer häufig wirtschaftlich stärker als der Auftraggeber sein. Daneben gibt es allerdings auch Fälle, in denen ein kleinerer Unternehmer einem wirtschaftlich stärkeren und geschäftsgewandteren Auftraggeber gegenübersteht41 • Ähnlich ist die Situation bei Maklerverträgen (§ 653 Abs. 2 BGB). Bei der Vermittlung von Wohnräumen ist der Makler typischerweise wirtschaftlich und sozial stärker als der Wohnungssuchende. Typische soziale Machtunterschiede bestehen schließlich auch im Arbeitsrecht (§§ 612 Abs. 2 BGB, 87 b Abs. 1 i. V. m. 65 HGB) und im Handelsvertreterrecht (§ 87 b Abs. 1 HGB). Trüge der Anspruchsgegner die Beweislast, so müßten es Arbeitgeber oder Unternehmer hinnehmen, in einigen wenigen Fällen die übliche Vergütung zahlen zu müssen, obwohl ein niedrigerer Preis mündlich verabredet war. Demgegenüber würden Arbeitnehmer oder Handelsvertreter wesentlich härter getroffen, wenn sie sich mit einer niedrigeren als der üblichen Vergütung begnügen müßten, obwohl eine Preisabrede nicht vorlag; denn die Vergütung ist hier die unmittelbare Lebensgrundlage. Dies spricht dagegen, dem Arbeitnehmer oder Handelsvertreter die Beweislast aufzuerlegen. - Ähnliches gilt in abgeschwächter Form auch 40 So BGH LM Nr. 1 zu § 2136 BGB. Danach muß der Werkunternehmer den Beweis, daß ein fester Werklohn nicht vereinbart wurde, nur dann führen, wenn er Besteller eine solche feste Preisvereinbarung behauptet. Nach den Entscheidungsgründen reicht dafür auch die Behauptung des Gegners, es sei vereinbart worden, daß er bloß eine in seinem Ermessen stehende Vergütung zu zahlen brauche (vgl. den Hinweis auf OLG Breslau, RsprOLG 28, S. 192). 41 Dazu Schumann, NJW 1971, 496.
II. Die Höhe der Vergütung
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für das sonstige Dienstvertragsrecht, soweit dort nicht die Problematik durch staatliche Preisfestsetzung (z. B. BRAGebO, KostO) weitgehend entschärft wurde. Die unterschiedliche wirtschaftliche und soziale Macht der Vertragsparteien ist auch noch in anderer Hinsicht von Bedeutung. Die nonliquet-Situation, in der es auf die Beweislastverteilung ankommt, entsteht dadurch, daß der Vertrag nur mündlich abgeschlossen wurde. Bei Schriftform würde dagegen die Frage nach der Beweislast kaum auftauchen, da es keine Beweisschwierigkeiten gäbe. Wo- wie hier- die Beweislastverteilung nicht gesetzlich geregelt ist, erscheint es nicht unbillig, die Beweislast der Partei aufzuerlegen, die für das non liquet eher verantwortlich ist42 • Der wirtschaftlich schwächere und damit meist auch geschäftsungewandte Vertragsteil, insbesondere also der Arbeitnehmer, Handelsvertreter oder Wohnungssuchende, wird vielfach an einen Streit überhaupt nicht denken und sich auf eine unter vier Augen gegebenen mündliche Zusage verlassen. Aber auch wenn ihm ein schriftlicher Vertrag eigentlich lieber wäre, wird er oft gehemmt sein, diesen Wunsch zu äußern und durchzusetzen, da er häufig sicher zu Unrecht - Nachteile befürchtet. - Aus der Sicht des stärkeren und geschäftsgewandten Vertragsteils ist die Lage jedoch anders. Er wird die Möglichkeit von Streitigkeiten eher in seine Überlegungen einbeziehen und kann ohne weiteres "für seine Unterlagen" auf schriftlicher Ausfertigung des Vertrages bestehen43 • Beide Erwägungen sprechen bei den §§ 612 Abs. 2 BGB, 87 b Abs. 1 HGB für die Beweislast des Anspruchsgegners, bei den §§ 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB dagegen eher für die Beweislast des Anspruchstellers. cc) Ergebnis Die Abwägung aller für die Beweislastverteilung relevanter Umstände führt zu dem Ergebnis, bei Ansprüchen aus den §§ 612 Abs. 2 BGB, 87 b Abs. 1 HGB entgegen der h. M. dem Arbeitgeber oder Unternehmer wie im Falle des § 59 HGB die Beweislast für das Bestehen einer Vergütungsabrede aufzuerlegen. Auch bei den §§ 354 Abs. 1, 420 Abs. 1 HGB und bei Bestehen eines Handelsbrauchs sprechen die besseren Gründe für die Beweislast des Anspruchsgegners. Demgegenüber ist der h. M. zuzustimmen, soweit sie bei den in der Praxis sehr häufigen Ansprüchen aus den §§ 632 Abs. 2, 653 Abs. 2 BGB dem An42 Ein ähnlicher Gedanke liegt der Beweislastumkehr bei Beweisvereitelung zugrunde, die jedoch nur bei Verletzung einer Rechtspflicht zur Herstellung von Beweismitteln oder zu deren Aufbewahrung eingreift. Vgl. oben 1. Teil, VI B 2, Fn. 294, und VII C 2. 43 Ebenso für den Unternehmer im Werkvertragsrecht Schumann, NJW
1971,496.
112
2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
spruchsteUer die Beweislast für das Nichtvorliegen der vom Gegner zu behauptenden Preisabrede auferlegt44 .
B. Die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung I. Oberblick
1. Bedeutung und Ziel der Untersuchung Die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung ist - wie bereits erwähnt - von großer praktischer Bedeutung. Dies läßt sich unschwer aus der noch ständig wachsenden Zahl der dazu veröffentlichten Entscheidungen und Literaturstimmen entnehmen. Die Zahl der Stellungnahmen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Rechtsprechung und Literatur in der Behandlung mancher Fallgruppen zu völlig übereinstimmenden Ergebnissen kommen. So ist unbestritten, daß bei Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung einer verwahrten Sache der Anspruchsteller (Hinterleger) neben dem Bestehen des Schuldverhältnisses nur zu beweisen hat, daß die Sache während der Verwahrung beschädigt wurde und infolgedessen ein Schaden eingetreten ist; im übrigen hat sich der Verwahrer zu entlasten45. Andererseits gibt es Fälle, bei denen Voraussetzungen und Umfang einer Beweislastumkehr weiterhin streitig sind, z. B. bei Schadensersatzansprüchen aus der Verletzung ärztlicher Vertragspflichten. Einigkeit besteht nur darüber, daß der Anspruchsteller nicht nur den Eintritt eines Schadens bei der Behandlung, sondern mindestens auch das Vorliegen eines ärztlichen Kunstfehlers nachzuweisen hat46 • Umstritten ist jedoch insbesondere, unter welchen Voraussetzungen sich die Beweislast für die Kausalität zwischen Kunstfehler und Körperschaden umkehrt. Nach der Rechtsprechung ist dies erst dann der Fall, wenn der Arzt einen groben Behandlungsfehler begangen hat47 und dieser 44 Zu den in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Meinungen vgl. oben 2 a, Fn. 16 - 21. 45 So z. B. RGZ 138, S. 40, 42; BGHZ 3, S. 162, 174; 41, S. 151, 154 f .; Rosenberg, S. 350 f .; Hans StoU, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 541; Prölss, S. 67, 83; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 1!11, S. 209. 46 z. B. RGZ 78, S. 432, 445; 128, S. 121, 123; 171, S. 168, 171; BGH NJW 1959, 1583; BGH VersR 1962, 960; BGH NJW 1969, 553, 554; Hans StoU, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 553 f.; Prölss, ZZP 82, S. 468 ff. 47 BGH VersR 1962, 960; zuvor wurde sogar der Beweis eines schuldhaften groben - so BGH NJW 1959, 1583 - oder sogar Schuldhaft leichtfertigen Behandlungsfehlers verlangt, so z. B. RGZ 171, S. 168, 171; anders wohl RG HRR 1937, Nr. 1301, wonach sich der Arzt zu entlasten hat, wenn feststeht, daß er bei einer Röntgenbehandlung durch Nichtanwendung einer Trenn-
I. Überblick
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Behandlungsfehler den äußeren Umständen nach gerade zu der eingetretenen Schädigung führen konnte48 • Die überwiegende Meinung in der Literatur läßt dagegen den Nachweis eines jeden, d. h. auch eines leichten Behandlungsfehlers ausreichen49 • Auch hinsichtlich der Begründung für die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung gibt es trotz jahrzehntelangen Streits ganz unterschiedliche Auffassungen. Dies gilt für die im Ergebnis unstreitigen Fälle ebenso wie für die umstrittenen. Im folgenden soll zunächst ein Überblick über die Beweisprobleme bei Schadensersatzansprüchen aus Leistungsstörungen (2.) und über Rechtsprechung und Literatur zur Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung (II., 1., 2.) gegeben werden. Daran schließt sich eine kritische Stellungnahme zu den vertretenen Meinungen und die Entwicklung der eigenen Meinung an (11., 3., 4.). Vollständigkeit wird dabei nicht angestrebt. Ziel der Untersuchung ist es vielmehr, anhand einiger Beispiele den Weg aufzuzeigen, der zu sinnvollen Lösungen der offenen Beweislastprobleme führt und einleuchtendere Erklärungen der unbestrittenen Ergebnisse ermöglicht. Dazu werden insbesondere die im Ersten Teil gewonnenen Erkenntnisse herangezogen. Schließlich soll am Ende dieses Abschnitts (III.) als Beispiel für arbeitsvertragliche Schadensersatzansprüche die Beweislastverteilung bei Haftung des Arbeitnehmers aus gefahrgeneigter Arbeit gesondert erörtert werden. 2. Beweisanforderungen und Beweislast bei Schadensersatzansprüchen aus Leistungsstörungen
Die Schadensersatzansprüche wegen Unmöglichkeit oder Verzug sind im BGB ausdrücklich geregelt (§§ 280, 286, 325, 326 BGB). Materiellwand o. ä. eine ernstliche Gefahr für den Patienten heraufbeschworen und dieser Verbrennungen erlitten hat. 48 BGH NJW 1959, 1583; 1967, 1508; 1968, 1185; 1968, 2291, 2293; 1970, 1230 f.; ähnlich BGH VersR 1970, 544; ebenso für Fehler des Krankenhauspersonals BGH NJW 1971, 241, 243. Auch hinsichtlich des Verschuldens soll sich die Beweislast nur bei Nachweis eines groben Behandlungsfehlers umkehren BGH NJW 1969, 553. 49 z. B. Hans StoU, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 552, Fn. 143, S. 554; Kleinewefers I Wilts, VersR 1967, 619 ff.; Hanau, NJW 1968, 2291; Hofmann, S. 22 ff., 99; NJW 1974, 1644; Joachim Schmidt, JuS 1975, 434. Wie die Rechtsprechung dagegen A. Blomeyer, AcP 158, S. 106, und Uhlenbruck, NJW 1965, 1064. Nach Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., 5. Aufl., § 23 I b, S. 264 f., kehrt sich die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens bei dem Nachweis eines jeden Behandlungsfehlers um; ebenso wohl auch Prölss, ZZP 82, S. 475, der hinsichtlich der Kausalität eine Beweislastumkehr grundsätzlich ablehnt. Nach Musielak, S. 145 ff., 155 lassen sich die Ergebnisse der Rechtsprechung schon durch die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis erreichen. 8 Reinecke
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
rechtliche Voraussetzung dafür ist, daß infolge eines vom Schuldner zu vertretenen Umstandes die Leistung unmöglich bzw. trotz Mahnung nicht rechtzeitig erbracht wird und dies zu einem Schaden des Gläubigers führt50• Einen allgemeinen gesetzlichen Tatbestand, der alle Schadensersatzansprüche wegen sonstiger Leistungsstörungen erfaßt, gibt es nicht, wohl aber einige Sondertatbestände, z. B. §§ 463, 538, 635, 694, 701 BGB, 390, 429, 454 HGB, 44, 45 LuftVG usw. In dem weiten Bereich, in dem besondere gesetzliche Haftungsnormen für Vertragsverletzungen nicht vorhanden sind, greift das von der Rechtsprechung entwikkelte Institut der positiven Vertragsverletzung ein51 • Danach hat der Gläubiger einen Schadensersatzanspruch, wenn ein Verhalten des Schuldners, das eine Verletzung einer schuldrechtlichen Verpflichtung darstellt und vom Schuldner zu vertreten ist, einen Schaden verursacht52. Wäre die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung53 anwendbar, so trüge bei allen Schadensersatzansprüchen aus Leistungsstörungen der Anspruchsteller, d. h. der Geschädigte, die Beweislast. Das Gesetz kommt ihm jedoch in zweierlei Hinsicht zu Hilfe, durch Aufstellung von Beweislastsonderregeln und durch Herabsetzung der Beweisanforderungen. So gilt für die Ansprüche aus Unmöglichkeit die ausdrückliche Beweislastregel des § 282 BGB, nach der die Beweislast den Schuldner trifft, wenn streitig ist, "ob die Unmöglichkeit der Leistung die Folge eines vom Schuldner zu vertretenen Umstandes ist". Eine entsprechende Beweislastregel ergibt sich für Ansprüche wegen Verzuges aus der sprachlichen Fassung des § 285 BGB im Zusammenhang mit der des vorangehenden § 284 BGB; beide sind nach dem Regel-AusnahmeSchema aufgebaut (§ 285: "Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange ... ")54• Der Entlastungsbeweis, an den im allgemeinen keine zu 50 Auch das Verschulden ist also materiellrechtliche Anspruchsvoraussetzung, vgl. auch Diederichsen, VersR 1966, 216; Raape, AcP 147, S. 220, und Heinrich Stall, AcP 136, S. 290. Die Meinung, daß das Verschulden "nur nach dem Wortlaut" des § 280 BGB Anspruchsvoraussetzung ist - so Gütdner, S. 11 -, beruht auf mangelnder Trennung der Ebenen des materiellen Rechts und der Beweislast; ähnlich mißverständlich auch A. Hueck, AP Nr. 8 zu§ 626 BGB, Bl. 6; s. dazu oben 1. Teil, III. 51 Vgl. dazu A. Btomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 30, S. 158 ff.; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 52 V- VII, S. 380 ff.; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I, s. 266 ff. 52 Prötss, S. 65. 53 Vgl. oben, 1. Teil, D II 2. 54 Die Beweislastregeln der §§ 282, 285 BGB gelten selbstverständlich auch dann, wenn der Gläubiger die Rechte aus den §§ 325, 326 BGB geltend macht, s. dazu Oertmann, BGB, 2. Buch, § 282, Anm. 2.
I.
Überblick
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hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, da es sich um einen Negativbeweis handelt55, kann auf zweierlei Weise geführt werden: Der Schuldner beweist entweder, daß ihm kein Verschulden zur Last fällt, oder aber, daß sein Verschulden nicht ursächlich für die Unmöglichkeit bzw. die nicht rechtzeitige Leistung war56• Auch bei einigen jedoch nicht allen - der sonstigen gesetzlich normierten vertraglichen Schadensersatzansprüche greifen gesetzliche Beweislastsonderregeln ein, z. T. ausdrückliche wie in § 45 LuftVG, überwiegend aber solche, die durch die Gesetzesfassung ausgedrückt sind, wie z. B. in den §§ 694 BGB, 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB ("es sei denn, daß ... "), § 701 Abs. 3 BGB ("Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn ... "), §§ 548, 602 BGB (negative Fassung des Rechtssatzes: " . .. nicht zu vertreten"). Angesichts der klaren gesetzlichen Regelungen gibt es hier kaum Probleme. Unabhängig vom Bestehen gesetzlicher Beweislastsonderregeln greift bei allen Schadensersatzansprüchen zugunsten des Geschädigten § 287 Abs. 1 ZPO ein, der die Beweisanforderungen gegenüber denen des § 286 ZPO erheblich herabsetzt57• § 287 Abs. 1 ZPO bezieht sich auf die Schadenshöhe und die sog. haftungsausfüllende Kausalität, d. h. den Ursachenzusammenhang zwischen haftungsbegründendem Verhalten (konkretem Haftungstatbestand) und Schaden. Für die übrigen Tatsachen sowie die sog. haftungsbegründende Kausalität, d. h. den Ursachenzusammenhang zwischen den einzelnen Tatsachenelementen des konkreten Haftungstatbestandes gilt dagegen § 286 ZP058• Bei allen Leistungsstörungen hat also der Anspruchsteller die Verletzung (irgend-)eines seiner Rechtsgüter nach§ 286 ZPO zu beweisen. Als außergesetzliche Beweiserleichterungen kommen die (richterrechtliche) Beweislastumkehr und der Anscheinsbeweis in Frage59• Sie bieten sich insbesondere dort an, wo gesetzliche Beweislastsonderregeln fehlen. Das ist bei einigen gesetzlich geregelten vertraglichen Schadensersatzansprüchen (z. B. §§ 538, 635 BGB) und- notwendigerweise 65 Vgl. Motive li, S. 48 = Mugdan li, S. 26; RGZ 74, S. 342, 344; BGH LM Nr. 6 zu § 282 BGB; A. BLomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 25 V, S. 131; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 Ill 1, S. 208. 56 RGZ 101, S. 153; SoergeL I Schmidt, § 282, Anm. 1. 57 Vgl. oben 1. Teil, A, Fn. 21. 58 Herrschende Rechtsprechung und herrschende Meinung, z. B. BGHZ 4, S. 192, 196 f.; BGH NJW 1968, 2291, 2293, sowie neuestens BGH DB 1973, 1168; A. BLomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 366 f.; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 44 V, S. 308; Dütz, SAE 1971, 105; Hanau, NJW 1968, 2292; a. A. PröLss, S. 53 ff. (mit zahlreichen Nachweisen für die herrschende Meinung, S. 54, Fn. 160 f.), der an dieser Stelle nicht berücksichtigt, daß § 287 Abs. 1 ZPO auch dann eingreift, wenn streitig ist, "ob ein Schaden entstanden" ist. 59 Allgemein zu den Voraussetzungen für die Anwendung beider Rechtsfiguren s. oben 1. Teil, G III, F IV 3.
s•
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
- auch im Bereich des allgemeinen nicht normierten Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung der Fall, da es hier keine Gesetzesfassung gibt, die für die Beweislastverteilung maßgebend sein könnte. Bei den - hier nicht weiter zu behandelnden - Ansprüchen aus den §§ 538, 635 BGB ist nach dem Willen des Gesetzgebers zwar zunächst die ungeschriebene Grundregel der Beweislastverteilung anwendbar. Da jedoch die Gesetzgebungsmaterialien zu diesen Vorschriften keinen Hinweis zur Beweislast enthalten, ist anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Beweislast im konkreten Fall nicht bedacht hat. Daher ist auch dort eine richterrechtliche Beweislastumkehr nicht ausgeschlossen60. - Im Bereich des hier zu erörternden nicht normierten Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung hat der Richter dagegen von vornherein einen größeren Spielraum: Schon bei Vorliegen vernünftiger sachlicher Gründe kann er die Beweislast umkehren61 • Es geht hier also nicht um Gesetzesauslegung, die prinzipiell nur zu einem "richtigen" Ergebnis führen kann, sondern um richterliche Rechtschöpfung mit mehreren möglichen Ergebnissen, die mehr oder weniger sinnvoll sein können. II. Die Beweislastverteilung bei Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung im allgemeinen
1. Die Rechtsprechung62 a) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Mehrfach hat das Reichsgericht den Grundsatz ausgesprochen, daß bei positiver Vertragsverletzung der Gläubiger im allgemeinen auch die Beweislast für das Verschulden habe63 • Dennoch kam das Reichsgericht in sehr vielen Fallgruppen, von denen hier die wichtigsten aufgeführt werden sollen, zu t-iner Beweislastumkehr. So hatte sich nach zahlreichen Entscheidungen beim Personenbeförderungsvertrag der Unternehmer zu entlasten, wenn ein Fahrgast bei der Beförderung oder beim Ein- und Aussteigen einen Personenschaden erlitten hat64 • Ebenso wurde beim Gastaufnahme- und Beherbergungs60 61
Vgl. oben 1. Teil, F IV 1 und BGHZ 48, S. 310, 312 (zu § 635 BGB).
s. oben 1. Teil, F IV 1, 3.
62 Ausführliche Darstellung der gesamten Rechtsprechung bei Güldner, S. 72 ff.; kürzere Darstellungen bei Prötss, S. 66 ff.; Soerget I Schmidt, Anm. 41, 42 vor § 275; Hans StoH, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 518 ff.; über die Rechtsprechung des Reichsgerichts berichten auch Raape, AcP 147, S. 217 ff., und Lindenmaier, Festschrift für Raape, S. 351 ff.; Wassermeyer, s. 85 ff. 63 z. B. RGZ 66, S. 289, 291 f.; RG JW 1912, 682 ; RGZ 150, S. 135, 139. 64 RGZ 66, S . 12; RG JW 1908, 196; 1912, 874; RGZ 83, S. 343; WarnRspr
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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vertrag dem Wirt die Beweislast auferlegt, wenn ein Gast infolge mangelhaften Zustandes von Räumen, Vorrichtungen oder von Geschirr verletzt wurdees. Auch bei sonstigen Werk-66 und Dienstverträgen87 bis auf Arztverträge68 wurde im allgemeinen die Beweislast umgekehrt, und zwar nach einer häufig wiederkehrenden, formelhaft gebrauchten Wendung -immer dann, "wenn sich aus der Sachlage zunächst der Schluß rechtfertigt, der Unternehmer (bzw. der Dienstverpflichtete) habe die ihm obliegende Sorgfalt verletzt" 89, so auch bei einigen Entscheidungen zu Beförderungs- und Gastaufnahmeverträgen70 • In diesen, aber auch in vielen anderen Fällen unterschied das Reichsgericht jedoch (noch) nicht oder mindestens nicht genau zwischen einem Anscheinsbeweis und einer echten Beweislastumkehr71 ; deshalb haben diese Entscheidungen heute nur noch eine beschränkte Bedeutung. In den kurz nach Inkrafttreten des BGB entschiedenen Fällen wurde als Begründung für die Beweislastumkehr nur angeführt, daß der Unternehmer . . . sich immer dann zu entlasten habe, wenn er seine vertragliche Leistungspflicht nicht erfüllt habe72 • In neueren Entscheidungen findet sich zusätzlich zu der oben erwähnten Formel von dem sich aus der Sachlage zunächst rechtfertigenden Schluß der Hinweis, daß eine Beweislastumkehr insbesondere dann in Frage komme, wenn der Schaden aus einer Sphäre hervorgegangen sei, für die der Schuldner verantwortlich seF3 • b) Die Rechtsprechung nach 1945 Der Bundesgerichtshof übernahm zunächst die Rechtsprechung des Reichsgerichts und kam zu einer Beweislastumkehr bei Personenbeför1915, Nr. 125; RGZ 86, S . 321; RG JW 1932, 2025, 3704; 1933, 838; 1935, 193; 1937, 2190; a. A. RGZ 124, S . 49; 126, S. 329; 137, S. 141. 85 RGZ 65, S. 11; RG JW 1910, 281; 1935, 122; 1938, 2976; 1939, 559; RGZ 160, s. 153. 88 RG LZ 1916, 1483; RGZ 148, S. 148; 150, S . 134, 139; RG JW 1938, 2976; dahingestellt RG WarnRspr 1936, Nr. 168, S. 322. 87 RGZ 58, S. 410, 413; RG JW 1935, 115; RG DR 1944, 182, 184. 88 z. B. RGZ 78, S . 432; RG WarnRspr 1922, Nr. 7; RG HRR 1932, Nr. 96, Nr. 1643; RG JW 1933, 2701; 1937, 2592 = HRR 1937, Nr. 1301. 89 RGZ 148, S . 148, 150; 160, S. 153, 155; RG JW 1935, 115, Nr. 5; RG DR 1944, 182, 184. 70 RG JW 1935, 122; 1938, 2976. 71 RGZ 150, S. 134, 139; RG JW 1932, 3704; 1935, 193; 1937, 2190, 2192. s. dazu oben 1. Teil, G, mit weiteren Nachweisen Fn. 368. 72 RGZ 66, S. 12; RG JW 1908, 196; 1912, 874; RGZ 83, S. 343; RG WarnRspr 1915, Nr. 125, RGZ 86, S. 321 ; 65, S. 11, 13 f.; RG JW 1910, 281; RG LZ 1916, 1483; RGZ 58, S . 410, 413. 73 z. B. RGZ 148, S. 148, 149 f.; RG JW 1937, 2190, 2192 ; RG DR 1944, 182, 184; ähnlich RGZ 150, S. 134, 139, und früher schon RGZ 86, S. 321, 322.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
derungs- und Gastaufnahmeverträgen74 sowie für Werk- und Dienstverträge75 in allen den Fällen, in denen die Schadensursache im Gefahren- und Verantwortungsbereich des Verpflichteten lag. Wann dies der Fall war, wurde dabei meist nicht genau gesagt, aber im Einzelfall offenbar fast immer bejaht76 . Auch bei Verträgen mit Verwahrungspflichten hat sich nach der Rechtsprechung der Verwahrer zu entlasten, wenn die Sache während der Verwahrung beschädigt wurde77 • In neuerer Zeit wurde diese Beweislastumkehr auch auf Kauf-78 und Mietverträge ausgedehnt7 9 • Ferner hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs derjenige, der eine vertragliche Aufklärungs- oder Beratungspflicht verletzt, die Beweislast dafür, daß der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, weil sich der Geschädigte über jeden Rat oder Hinweis hinweggesetzt hätte80. Während die frühen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs für die Beweislastumkehr noch das zusätzliche Erfordernis aufstellten, "daß die Sachlage zunächst den Schluß rechtfertige, der Unternehmer habe die ihm obliegende Sorgfalt verletzt" - jedoch ohne diesem Gesichtspunkt ein entscheidendes Gewicht beizumessen81 - , steht in der neueren Rechtsprechung die Begründung mit den Gefahrenbereichen eindeutig im Vordergrunds2 • Es heißt nun etwa, es sei für den Anspruchsteller unzumutbar, einen Beweis über Dinge zu führen, die "seinem Gefahrenkreis und regelmäßig auch seiner Sachkenntnis entzogen sind" 83 , wobei allerdings die Gefahrenkreise selten genau bestimmt werden84 • Der Bundesgerichtshof hält auch gemeinschaftliche GefahBGHZ 8, S. 239; BGH NJW 1959, 1366. BGHZ 5, S. 299 (öffentlich-rechtliches Geschäftsbesorgungsverhältnis); BGHZ 23, S. 288; 27, S. 236; 28, S. 251; BGH VersR 1963, 195; 1964, 1063; 1966, 344; neuestens BGH LM Nr. 18 zu§ 282 BGB; BGH VersR 1970,831. 78 Das bemerkt zu Recht Gütdner, S. 121 f. 77 BGHZ 3, S. 162; 41, S. 151; BGH DB 1967,858. 78 BGH LM Nr. 6 zu § 377 HGB; offengelassen in BGH VersR 1958, 216, 217. 79 BGH NJW 1964, 33 ff. 80 BGHZ 61, S. 118, und dazu Hofmann, NJW 1974, 1641; vgl. aus der neuesten Rechtsprechung auch BGH LM Nr. 16 zu § 282 BGB (Fall der Nichterfüllung einer kaufvertragliehen Nebenpflicht - Konkurrenzverbot -). 81 BGHZ 8, S. 239, 241; 23, S. 288, 290; 27, S. 236, 238; BGH LM Nr. 6 zu § 377 HGB, BI. 4 R. 82 BGHZ 28, S. 251; BGH VersR 1959, 948; 1963, 195; 1964, 1063; BGH NJW 1964, 33; BGHZ 41, S. 151; BGH LM Nr. 16, 18 zu§ 282 BGB. 83 z. B. BGHZ 28, S. 251, 254; BGH NJW 1964, 33, 35; BGH LM Nr. 18 zu § 282 BGB. 84 So richtig Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 521. 74
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li. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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renhereiche für denkbar und kommt auch hier, teilweise nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen, zu einer Beweislastumkehr85• Manchmal unterscheidet die Rechtsprechung - wie die herrschende Lehre86 auch zwischen einer objektiven und subjektiven Pflichtwidrigkeit oder einem objektiven und subjektiven Tatbestand der Vertragsverletzung und erstreckt die Beweislastumkehr nur auf letzteren bzw. das Verschulden, ohne jedoch beide Argumentationsweisen immer zu trennens 7• Bisweilen reicht dem BGH zur Annahme einer objektiven Pflichtwidrigkeit der Eintritt eines Schadens bei Vertragsdurchführung ausss. In manchen Urteilen wird ausdrücklich betont, daß sich die Beweislastumkehr nicht auf die Frage des Kausalzusammenhangs zwischen objektiver Pflichtwidrigkeit und Schaden beziehe, die Beweislast dafür also beim Anspruchsteller bleibeB9 • Andererseits ist es ständige Rechtsprechung, daß sich der Anspruchsgegner gerade auch wegen des Kausalzusammenhang zu entlasten hat, wenn feststeht, daß ein objektiver Verstoß gegen die Fürsorgepflicht nach § 618 BGB vorliegt, der generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden herbeizuführen90 • Dasselbe wird angenommen bei der groben Verletzung von Berufspflichten, insbesondere bei Arztverträgen91, und bei der Verletzung von bestimmten Aufklärungspflichten92 • Obwohl sich die Rechtsprechung bisher immer nur sehr behutsam weiterentwickelt hat, läßt sich mittlerweile doch die Tendenz feststellen, die Beweislast bei fast allen (Vertrags-)Typen positiver Ver85 BGH VersR 1964, 632, ohne weitere Voraussetzungen; BGHZ 27, S. 236, 238 f.; BGH VersR 1966, 344, mit der weiteren Voraussetzung, daß feststeht, daß weder der Anspruchsteller noch ein unbeteiligter Dritter für den Schaden ursächlich sein können; a. A. OLG Düsseldorf, NJW 1966, 736, und im Ergebnis auch ArbG Berlin, DB 1971, 2484. 86 s. dazu unten 2 a. 87 So z. B. BGHZ 28, S. 251, 253; BGH NJW 1964, 33, 35; BGH VersR 1963, 385; 1964, 1063; BGHZ 42, S. 16, 18 f.; BGH LM Nr. 16, 18 zu § 282 BGB; BGH VersR 1970, 832. 68 BGHZ 41, S. 151; BGH NJW 1964, 33, 35; ähnlich BGHZ 28, S. 251, 253; 48, S. 310, 311, wonach durch den Nachweis eines baulichen Mangels regelmäßig auch die nichtgehörige Erfüllung des Architektenvertrages bewiesen sei; ebenso ausdrücklich LG Mönchengladbach, NJW 1973, 191, 192. 89 BGH VersR 1958, 216, 217; 1963, 385; 1964, 1063, 1064; BGHZ 42, S. 16, 18; BGH VersR 1966, 292, 294; ähnlich BGH NJW 1969, 553, 554; BGH LM Nr. 18 zu§ 282 BGB; BGH VersR 1970, 831; BGH NJW 1974, 795. 90 So schon RGZ 95, S. 103; 138, S. 37; RG JW 1936, 803; BGHZ 27, S. 79; ebenso RAG 16, S. 1, 3; wohl auch BAG AP Nr. 1 zu § 618 BGB; vgl. auch OLG Hamm, unveröffentlicht, mitgeteilt von Fikentscher, Schuldrecht, § 47 II, S. 232, und BGH DB 1973, 1843; weitere Nachweise bei Hofmann, S. 21. 91 BGH NJW 1962, 959 ("Schwimmeister-Fall"). Zu den Arztverträgen vgl. die Nachweise in Fn. 47 und 48. 92 BGHZ 61, S. 118, 121.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
tragsverletzung umzukehren93. Trotz mancher Gemeinsamkeiten sind jedoch die Voraussetzungen und der genaue Gegenstand der Beweislastumkehr bei den verschiedenen Fallgruppen durchaus sehr unterschiedlich. So wird verständlich, daß die Rechtsprechung pauschale Aussagen über die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung nach wie vor vermeidet9'. 2. Die wichtigsten in der Literatur vertretenen Meinungen
Keine der heute noch vertretenen Meinungen belasten den Gäubiger in allen Fällen der positiven Vertragsverletzung mit dem vollen Beweis95. Jedoch bestehen Meinungsverschiedenheiten darüber, ob in allen oder nur in manchen Fallgruppen vom Schuldner der Entlastungsbeweis zu fordern ist, worauf im einzelnen sich die Beweislast von Gläubiger und Schuldner erstreckt und wie dies zu begründen ist. Dabei haben fast alle Autoren das Bestreben, die Beweislastverteilung für sämtliche Fälle positiver Vertragsverletzung auf eine einzige Grunderwägung zurückzuführen und die Ergebnisse in einer einfachen Formel zusammenzufassen. a) Die herrschende Meinung Nach der wohl noch herrschenden Meinung, die im wesentlichen auf Raape zurückgeht96, soll bei positiver Vertragsverletzung der Gläubiger stets die Beweislast für das Vorliegen einer objektiven Pflichtwidrigkeit einschließlich des Kausalzusammenhangs zwischen dieser und dem Schadenseintritt haben, der Schuldner aber für den Mangel der subjektiven Pflichtwidrigkeit Anders ausgedrückt: Der Schuldner wird für verpflichtet gehalten, den Beweis für seine Schuldlosigkeit zu führen97. Dabei heißt es, die Beweislastregeln der §§ 282, 285 BGB seien So auch Güldner, S. 113; Soergell Schmidt, Anm. 41 vor§ 275. z. B. RGZ 148, S. 148, 150; BGHZ 8, S. 239, 241; 23, S. 288, 290; BGH LM Nr. 6 zu§ 377 HGB, BI. 4; BGH NJW 1962, 31; 1964, 33, 36; BGH VersR 1966, 292, 294; anders jedoch bisweilen das BAG, z. B. BAG 3, S . 280, 286. Vgl. auch Nipperdey, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S . 40. 95 So jedoch früher z. B. Oertmann, BGB, 2. Buch, § 282, Anm. 2; ebenso scheinbar Wolf, S. 46 ff., der jedoch von einem engeren Begriff der positiven Vertragsverletzung ausgeht. Weitere Nachweise bei Güldner, S. 48, Anm. 3. 98 Die Beweislast bei positiver Vertragsverletzung, AcP 147, S. 217 ff. 97 So insbesondere Raape, AcP 147, S. 218; Schänke, DR 1944, 184 f.; A. Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 30 III, S. 163; Enneccerus I Lehmann, § 55 li 3, S. 238; Ballerstedt, Festschrift für Nipperdey 1955, S. 271; Rosenberg, S. 367; Köpcke, S. 161 f.; Güldner, S. 68 ff.; wohl auch Lindenmaier, Festschrift für Raape, S. 359, und Baumgärtel, MdR 1959, 207, der aber die zusätzliche Voraussetzung aufstellt, daß die Schadensursache im . Gefahren93
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II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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analog anzuwenden98 , oder ähnlich: Aus den §§ 282, 285 BGB sowie aus Beweislastregeln in Vorschriften wie den §§ 548, 602, 694, 701 Abs. 3, 732 Satz 2 BGB, 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 606 Satz 2 HGB, 58 Abs. 1 BinnSchG sei der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, "daß in allen bestehenden Schuldverhältnissen der Schuldner, der für eine Forderungsverletzung irgendwelcher Art verantwortlich gemacht wird, seine Schuldlosigkeit oder beweisen muß, daß seine Pflichtwidrigkeit ... nicht den entstandenen Schaden verursacht habe" 99• 100. Diese Beweislastumkehr wird damit gerechtfertigt, daß der Gläubiger andernfalls in Beweisnot gerate, da es sich um Vorgänge in der Sphäre des Schuldners handele101 • Auch soll damit das Vertrauen des Gläubigers auf das rechtlich bindende Wort des Schuldners geschützt werden102. Die objektive Pflichtwidrigkeit sei dabei jeweils als pflichtwidriges Verhalten zu verstehen103 ; sie liege bei den §§ 280, 285 BGB in der Unmöglichkeit der Leistung bzw. der nicht rechtzeitigen Leistung, bei positiver Vertragsverletzung z. B. in der Überlassung einer gefahrdrohenden Sache an den Gast, in einem gefahrdrohenden Zustand von Räumlichkeiten104, in der Beschädigung einer Sache während der Beförderung105 oder in der Begehung eines ärztlichen Kunstfehlers106.
bereich des Schuldners liegt, was im Ergebnis zu einer Annäherung an die Meinung von Prölss (s. b) führt. Weitere Nachweise aus der früheren Literatur bei Güldner, S. 50, Anm. 1. 98 Raape, AcP 147, S. 289; A. Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 30 III, S. 163; Ballerstedt, Festschrift für Nipperdey, 1955, S. 271 und wohl auch Baumgärtel, MdR 1959, 207. 99 Rosenberg, S. 367; auch Raape, AcP 147, S. 275 f., betont die Bedeutung der §§ 429, 606 HGB, 58 BinnSchG. 100 Raape, AcP 147, S. 232 ff., kommt zu einer Beweislastumkehr auch bei bestimmten delikUschen Verkehrssicherungspflichten, wobei er von einer angeblich bestehenden - Anzeigepflicht ausgeht, wohl um zu einer analogen Anwendung von § 694 BGB zu kommen (vgl. andererseits aber S. 289) . .to1 Raape, AcP 147, S. 217 ff., insbesondere S. 222, 229; Lindenmaier, Festschrift für Raape, S. 359; Köpcke, S. 161; Güldner, S. 17, 69 ff., 119. 102 Ballerstedt, Festschrift für Nipperdey, 1955, S. 271; Raape, AcP 147, S . 222, 242; Köpcke, S. 161. 103 Raape, AcP 147, S. 218, 258; Köpcke, S. 28 (vgl. auch S. 12); Güldner, S. 135; ebenso Prölss, S. 65, und Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 273,
die jedoch keine Anhänger der h. M.. sind. 1o4 Raape, AcP 147, S. 258, 278. 105 Raape, AcP 147, S. 276. Dort heißt es zwar, die objektive Pflichtwidrigkeit liege in der Beschädigung infolge der Beförderung, dies sei jedoch schon durch den Beweis der Ablieferung in unbeschädigtem Zustand bewiesen. 106 Palandt I Heinrichs,§ 282, Anm. 2 e.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
b) Die Meinung von Prölss Eine zweite Meinung, insbesondere vertreten von Prölss107, kommt zwar im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen wie die herrschende Meinung, begründet sie jedoch anders108• Die Vertreter dieser Meinung betonen besonders, daß die §§ 282, 285 BGB und teilweise auch die Beweislastregeln in den §§ 548, 694, 701 Abs. 3 BGB, 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB sowie ähnlichen Vorschriften auf die besseren Beweismöglichkeiten des Schuldners und damit auf den beweisrechtlichen Sphärengedanken zurückzuführen seien109. - Auch bei der positiven Vertragsverletzung sei - ebenso wie bei deliktischen Schadensersatzansprüchen - die Beweislast nach Sphären zu verteilen, und zwar wegen der auch hier häufigen Beweisnot des Gläubigers 110, und auch deswegen, um den Schuldner dazu anzuhalten, vorsorglich Maßnahmen zur Schadensverhütung zu treffen111 • Nach dieser Meinung hat der Gläubiger (der Geschädigte) zu beweisen, daß die Schadensursache gerade aus dem Gefahrenbereich des Schuldners stammt; im übrigen hat sich der Schuldner zu entlasten112 • Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich die Beweislastumkehr auch auf Teile des sog. objektiven Tatbestandes, verstanden als pflichtwidriges Verhalten, erstreckt113• Der "Gefahrenbereich" wird als tatsächlicher Lebensbereich aufgefaßt, der vom Inanspruchgenommenen im Hinblick auf die Schädigung regelmäßig beherrschbar ist114 und der erkennbar abzugrenzen 107 Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, S. 65 ff.; die Beweisverteilung nach Gefahrenbereichen, VersR 1964, 901 ff. 108 Keine Unterschiede sehen St audinger I Werner, § 282, Anm. 12; Güldner, S. 121 ff., und wohl auch Palandt I Heinrichs, § 282, Anm. 2. 109 Prölss, S . 79 f ., der in der Beweislastverteilung nach Sphären ein überpositives Gerechtigkeitsgebot sieht; Palandt I Hei nrichs, § 282, Anm. 1 a; Fikentscher, Schuldrecht, § 44 II 3, S. 201. 110 Prölss, S . 72 ff.; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275, der in § 282 BGB auch "ein Stück Erfüllungsgarantie" sieht, jedoch diesen Gedanken nicht ohne weiteres auf die Fälle positiver Vertragsverletzung übertragen will. Vgl. auch Fikentscher, Schuldrecht, § 47 !I, S . 231 f., der von der Anwendbarkeit der ungeschriebenen Grundregel ausgeht, nach der die volle Beweislast beim Anspruchsteller liegt, die Grundregel aber durch den Sphärengedanken modifizieren will. 111 Prölss, S. 76; Laren z, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275. 112 Prölss, S. 82; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b , S. 274 f. 113 Prölss, S. 79; ebenso wohl auch Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 273, 275, der die Beweislastumkehr auf Grund des Sphärengedankens teilweise auch auf die Kausalität zwischen Pflichtwidrigkeit und Schaden erstreckt; sowie Fikentscher, Sclluldrecht, § 47 II, S. 232 : "Ausnahmsweise" Beweislastumkehr auch hinsichtlich des obje ktiven Tatbestandes. 114 Prölss, S. 83 ff., der typische Fallgruppen zur Bestimmung der Gefahrenbereiche aufzeigt; vgl. oben 1. Teil, E II 1 b bb.
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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sein muß 115 • Für den Fall, daß es abgrenzbare Gefahrenbereiche nicht gibt, wird teilweise die beweisrechtliche Grundregel ausdrücklich für anwendbar erklärt116• Es wird aber nicht erwogen, ob auch andere Erwägungen zu einer von der Grundregel abweichenden Beweislastverteilungführen können117• c) Die Meinung von Hans Stoll Eine dritte Meinung, insbesondere vertreten von Hans Stoll118, sieht in § 282 BGB nicht so sehr eine Ausnahme von der Grundregel, nach der der Angreifer sämtliche rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen hat, als eine Ausnahme von der - angeblichen - Beweislastregel, daß der Rechte aus einem Schuldverhältnis geltend machende Gläubiger nur die Existenz des Schuldverhältnisses zu beweisen habe, der Schuldner aber, daß und warum er befreit worden sei, und zwar auch dann, wenn sich die Frage der Befreiung nur incidenter, also als Vorfrage z. B. für einen Schadensersatzanspruch, stelle; § 282 BGB mache davon insofern eine Ausnahme, als der Gläubiger hier die Unmöglichkeit zu beweisen habe119• Deshalb habe grundsätzlich nicht der Gläubiger die Nichterfüllung, sondern der Schuldner die Erfüllung zu beweisen, und zwar nicht nur dann, wenn der Gläubiger auf Erfüllung klage, sondern auch dann, wenn er aus der Nichterfüllung Rechte herleite. Das ergebe sich auch aus den §§ 345, 358, 542 Abs. 3, 636 Abs. 2 BGB und mittelbar aus § 363 BGB. Ausnahmen davon seien den §§ 345, 358 BGB hinsichtlich der Unterlassungspflichten zu entnehmen, ferner § 442 BGB sowie § 282 BGB. Nach dieser allgemeinen Beweislastregel für Leistungsstörungen trage demnach der Schuldner im Hinblick auf die Leistungserwartung des Gäubigers das Befreiungsrisiko120• Diese Regel gelte auch, aber auch nur für solche Fälle der positiven Vertragsverletzung, bei denen es um die Befreiung des Schuldners von seiner Leistungspflicht geht, also für die Fälle der Schlechterfüllung121 . Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275. So Fikentscher, Schuldrecht, § 47 II, S. 231 f. 117 Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S . 274, begründet zwar die Beweislastumkehr bei positiver Vertragsverletzung auch mit dem Wahrscheinlichkeitsgedanken, will diesem allein jedoch wohl keine Bedeutung beimessen. 118 Die Beweislastverteilung bei positiven Ver t ragsverletzungen, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 517 ff. 119 Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 531 f.; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 208. 120 Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 534, 556; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 52 VII 4, S. 389, der sekundär bei positiver Vertragsverletzung auch den Sphärengedanken anwenden will; Soergel I Schmidt, Anm. 41 vor § 275, a. E.; Wassermeyer, S. 89 f .; Heinrich Stoll, AcP 136, S. 312. 121 Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 534 f.; Wassermeyer, S. 89; ähnlich Heinrich Stoll, AcP 136, S. 312 f.; Moll, S. 43 ff.; Spenneberg, &~~ . 115
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Der Gläubiger habe hier nur seinen (Begleit-)Schaden und dessen Verursachung durch einen objektiven Leistungsmangel zu beweisen. Im übrigen sei es Sache des Schuldners, sich zu entlasten. Wesentlich sei daher die genaue Bestimmung des Leistungsinhalts, und hieraus folge automatisch die Beweislastverteilung122• Ganz aus dem Kreis der Leistungspflichten auszuscheiden seien die sog. Schutzpflichten aus sozialem Kontakt, die der Sache nach zum Recht der unerlaubten Handlung gehörten und auch hinsichtlich der Beweislast gleich zu behandeln seien; d. h., der Geschädigte habe grundsätzlich die schuldhafte Verletzung der Schutzpflicht zu beweisen123. Die genaue Bestimmung des Leistungsinhalts sei bisweilen schwierig, insbesondere bei Verträgen mit Obhutspflichten. Teilweise sei hier ein bestimmter Sicherungserfolg geschuldet, so meist beim Verwahrungsvertrag, teilweise aber auch nur ein bestimmtes vorsichtiges Verhalten oder die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften, so z. B. bei Verträgen über ärztliche Behandlung124• Im ersteren Falle habe der Gläubiger neben seinem Schaden nur die Rechtsgutverletzung, im zweiten Fall zusätzlich die Verletzung einer Verhaltenspflicht zu beweisen. Im übrigen habe sich der Schuldner zu entlasten. Nur hier passe die Formel, daß der Gläubiger die objektive Pflichtwidrigkeit, der Schuldner den Mangel der subjektiven Pflichtwidrigkeit zu beweisen habe125 •
3. Kritische Stellungnahme In diesem Abschnitt geht es nicht so sehr um Einzelergebnisse, sondern mehr um die Art und Weise, in der man zu diesen Ergebnissen gelangt. Aus diesem Grunde steht die Kritik an den in der Literatur vertretenen Meinungen im Vordergrund. a) Die Anknüpfung der Beweislastverteilung an die genaue Bestimmung des Leistungsinhalts (Kritik der von Hans Stoll vertretenen Meinung) Nach Hans Stoll126 ist "beweisrechtliches Kernproblem ... die Bestimmung des Leistungsinhalts, woraus sich dann die Beweislastver122
Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 537, 543. Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 527 f.;
für bestimmte Schutzpflichten und Verkehrssicherungspflichten soll es aber Ausnahmen geben, vgl. S. 557; Wassermeyer, S. 39 f.; ähnlich Heinrich StolZ, AcP 136, S. 313, und Moll, S. 56. 124 Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 538 f., 553. Auch nach Heinrich StolZ, AcP 136, S. 313, ist es bisweilen schwierig zu ermitteln, ob der Schuldner ein Leistungs- oder aber nur ein Schutzinteresse des Gläubigers verletzt hat. Ebenso Spenneberg, S. 20. 125 Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 554. 123
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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teilung von selbst ergibt". Dazu gehöre zum einen die Abgrenzung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten, zum anderen, falls es sich um Leistungspflichten handele, die Abgrenzung zwischen Erfolgs- und Verhaltenspflichten. Im folgenden ist zu prüfen, ob der Ansatz von Stoll eine methodisch einwandfreie und sinnvolle Lösung der Zweifelsfragen ermöglicht. Zunächst zur Abgrenzung von Leistungs- und Schutzpflichten. Nach Stoll kommt es entscheidend darauf an, ob eine "Pflicht im Vertrag bei vernünftiger Auslegung" noch eine Stütze findet und damit vertragliche Leistungspflicht ist, oder ob es sich um eine bloße Schutzpflicht aus sozialem Kontakt handelt, die unabhängig vom Zustandekommen eines Vertrages besteht127. Die Abgrenzung ist vielfach außerordentlich schwierig, beispielsweise hinsichtlich der Pflicht des Gastwirts, gefahrlosen Zugang zu den Gasträumen zu gewähren. Nach Stoll128 soll es sich dabei um eine vertragliche Leistungspflicht handeln. Man könnte sie jedoch ebensogut als Schutzpflicht ansehen, da sie auch gegenüber solchen Gästen besteht, mit denen ein Vertrag nicht abgeschlossen wird 129. - Doch selbst wenn man hier mit Stall von einer Leistungspflicht sprechen will, ist nicht einzusehen, warum die Beweislastverteilung in diesen und anderen Fällen vom Zustandekommen eines wirksamen Vertrages abhängen soll. Der Gast, der schon beim ersten Betreten der Gasträume zu Fall kommt, verdient den gleichen Schutz wie derjenige, dem dieses Mißgeschick erst nach der Bestellung von Speisen oder Getränken passiert. Aus diesem Grunde verteilt auch der Bundesgerichtshof die Beweislast bei culpa in contrahendo nicht anders als bei positiver Vertragsverletzung130. So will denn auch Stoll selbst bei bestimmten Schutz- und Verkehrspflichten eine Beweislastumkehr entsprechend der bei Leistungspflichten zulassen131. Dadurch wird jedoch die Bedeutung der Abgrenzung von Leistungs- und Schutzpflichten für die Beweislastverteilung wieder in Frage gestellt132 • 128 Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 543. 127 Hans StoH, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 524 ff., 526. us Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 525. 129 Es liegt nahe, daß die Pflichten hier letztlich im Hinblick auf das rechtspolitisch erwünschte Ergebnis abgegrenzt werden - vgl. SchLechtriem, VersR 1973, 583, Fn. 32. 130 Vgl. den "Bananenschalen-Fall", BGH NJW 1962, 31: Der Warenhausunternehmer hat sich zu entlasten, wenn feststeht, daß sich ein Besucher infolge eines ordnungswidrigen Zustandes des Fußbodens verletzt. 131 Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 557. m Ähnlich Emmerich, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, S. 445. Nach Prölss, S. 72 ff.; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275, folgt die Beweislastverteilung bei vertraglichen und delikUschen Schadensersatzansprüchen gleichen Grundsätzen (s. oben 2 b); ähnlich wohl auch Nipperdey, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 1966, S. 40.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Im übrigen hat, wie die gesetzliche Beweislastsonderregel des § 694 BGB zeigt, auch der Gesetzgeber die Beweislastumkehr nicht durchgehend an die Verletzung von Leistungspflichten geknüpft. Denn die Pflichten des Hinterlegers nach § 694 BGB sind als Schutzpflichten und nicht als Leistungspflichten anzusehen133• Wenden wir uns nun der These zu, nach der sich die Beweislastverteilung weiterhin nach der Abgrenzung von Erfolgs- und Verhaltenspflichten richte, was sich insbesondere bei Verträgen mit Obhutspflichten zeige134 • 135• Hiergegen sind insbesondere methodische Bedenken geltend zu machen. Die Beweislastverteilung kann nur dann von der genauen Bestimmung des Leistungsinhalts und damit von der Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Verhaltenspflichten abhängig gemacht werden, wenn diese Unterscheidung auch unabhängig von der Beweislastverteilung eine praktische Bedeutung hat. Ist dies nicht der Fall, so ist die Vermutung unabweisbar, daß der Leistungsinhalt gerade im Hinblick auf eine aus anderen Gründen für wünschenswert gehaltene Beweislastverteilung bestimmt wird. Von der genauen Bestimmung des Leistungsinhalts hängt ab, was im einzelnen der Gläubiger vom Schuldner fordern kann, worauf sich ggf. die Leistungsklage (und damit auch die Vollstreckung eines Urteils) richten muß, und wann Unmöglichkeit der Leistung vorliegt. Beim Sachkauf beispielsweise schuldet der Verkäufer nicht nur ein auf Übergabe und Übereignung der Sache abzielendes pflichtgemäßes Bemühen, sondern Übergabe und Übereignung selbst. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Aussage ist auch sinnvoll, obwohl ein Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung nur bei schuldhaftem Verhalten besteht. Denn auf Übergabe und Übereignung hätte sich eine evtl. Leistungs133 Ebenso Raape, AcP 147, S. 242, und wohl auch Heinrich StoH, AcP 136, S. 300, Fn. 95; a. A. Hans StoH, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 528, dem zuzugeben ist, daß es sich nicht um eine zentrale Bestimmung handelt. Hans Stoll sieht in § 694 BGB nicht so sehr einen Fall der Verschuldenshaftung, sondern einen Ausdruck des Bestrebens, dem Verwahrer den Ersatz des Schadens zu sichern, den dieser durch seine Tätigkeit für den Hinterleger erlitten hat; damit soll wohl die fehlende Vergleichbarkeit mit den sonstigen Fällen positiver Vertragsverletzung unterstrichen werden. 134 Hans StoH, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 538. 135 Es liegt nahe, eine Erfolgsschuld i. S. von Stoll (erst) dann anzunehmen, wenn der Schuldner auch ohne Verschulden Schadensersatz leisten muß. Diese Abgrenzung ist jedoch nicht gemeint, da ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung, um dessen Beweislastverteilung es hier geht, materiellrechtlich unstreitig ein schuldhaftes Verhalten voraussetzt - vgl. oben I 2. Vom Inhalt des vertraglichen Schadensersatzanspruchs her gesehen ist z. B. bei Verträgen mit Obhutspflichten ohne Garantievereinbarung immer nur ein bestimmtes ordnungsgemäßes Verhalten geschuldet und nicht der "Erfolg", daß die Person oder Sache unversehrt bleibt.
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klage zu richten, darauf richtete sich auch die Vollstreckung (§§ 883 ff., 894 ZPO). Bei Verträgen mit Obhutspflichten ist dagegen die Abgrenzung von Verhaltens- und Erfolgspflichten sehr schwierig, da Gesetzes- und Vertragsauslegung hier meist nicht weiterführen. So ist z. B. bei Personenbeförderungsverträgen seit langem streitig, ob der Unternehmer neben der Pflicht zu sorgfältigem Verhalten auch die Erfolgspflicht hat, den Fahrgast unversehrt ans Ziel zu bringen136• Ferner ist festzustellen, daß die Abgrenzung für Fälle dieser Art keine praktische Bedeutung hat. Denn teils sind die Obhutspflichten nur unselbständige Nebenpflichten und damit nicht selbständig einklagbar; teils richten sie sich recht unbestimmt auf die Verhütung von Schäden und werden als solche selten eingeklagt. Sie werden bedeutsam erst bei ihrer Verletzung, also wenn es um den Schadensersatzanspruch gehtl 37 . Daher werden hier Verhaltens- und Erfolgspflichten fast zwangsläufig nach der gewünschten Beweislastverteilung abgegrenzt. Anders ist nicht zu erklären, warum Rechtsprechung und Lehre von einer Erfolgspflicht des Unternehmers ausgehen, den Fahrgast unversehrt ans Ziel zu bringen. Dabei wird nicht berücksichtigt, daß sich die Beweislastumkehr zugunsten des Fahrgastes auch anders begründen läßt138• Wenn also die genaue Bestimmung des Leistungsinhalts gerade im Hinblick auf die Beweislastverteilung erfolgt, so kann daraus schon aus logischen Gründen nichts für die Beweislastverteilung hergeleitet werden. Der dabei gemachte methodische Fehler beruht wohl auf mangelnder gedanklicher Trennung der Ebene des materiellen Rechts und der der Beweislastverteilung, und ist damit wahrscheinlich eine Nachwirkung jener abzulehnenden Auffassung, die die Beweislastverteilung unmittelbar aus der materiellrechtlichen Norm ableitetl 39 • 138 Bejahend z. B. RGZ 62, S. 119, 120; 66, S. 12, 15; 86, S. 321, 322; 126, S.. 137, 141; RG JW 1937, 2190; BGH NJW 1959, 1366; Stall, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 543; Raape, AcP 147, S. 266; SchlegelbergeT I Liesecke, Anm. 13 vor § 664 HGB; Schaps I Abraham, Anm. 15 vor § 664 HGB ; Vortisch I Zschucke, BSchG, § 77, Anm. 1 c; Finger, EVO, Vorbemerkung 6 a vor§ 8.Verneinend z. B. Wassermeyer, S. 93 f.; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., 7. Aufl., S. 284; vgl. auch Lindenmaier, Festschrift für Raape, S. 351 ff., sowie Marton, AcP 162, S. 82 ff., der es widersprüchlich findet, dort von Erfolgsschuld zu sprechen, wo nur eine Verschuldeoshaftung besteht. 137 Heinrich Stall, AcP 136, S. 289 f.; vgl. auch Hans Stall, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 528, der von den Schutzpflichten sagt, sie seien nicht erfüllbar, sondern nur verletzbar. us Vgl. unten II 4 c aa. 189 s. oben 1. Teil, C. Diesbezügliche Unklarheiten werden gefördert durch den Gebrauch der Formel, bei Unmöglichkeit oder Verzug hafte der Schuldner, wenn er sich nicht entlaste. Oft wird nicht berücksichtigt, daß dieser Satz zwei Aussagen enthält, eine über das materielle Recht, eine über die Beweislastverteilung.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Die Meinung, nach der beweisrechtliches Kernproblem die Bestimmung des Leistungsinhalts sei, woraus sich dann die Beweislastverteilung von selbst ergebe, ist daher abzulehnen. b) Vergleich der materiell-rechtlichen Tatbestände der Leistungsstörungen (Kritik der herrschenden Meinung) Nach der herrschenden Meinung sind die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB auf positive Vertragsverletzung analog anzuwenden140. Analogie bedeutet die Übertragung der für einen oder mehrere Tatbestände gesetzlich festgelegten Rechtsfolge auf einen (vom Beurteiler gebildeten) ähnlichen Tatbestand, der im Gesetz nicht geregelt ist1 41. Die für die Analogie erforderliche Regelungslücke liegt hier vor, da die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung ebensowenig wie deren materiell-rechtlicher Tatbestand gesetzlich geregelt ist. Bevor die Ähnlichkeit der gesetzlich geregelten Tatbestände mit den ungeregelten festgestellt und ein Werturteil darüber abgegeben werden kann, ob rechtliche Gleichbehandlung geboten ist142, muß geklärt werden, welcher (gesetzlich nicht geregelte) Tatbestand Vergleichsgegenstand ist. Anders ausgedrückt: Die Formel von der analogen Anwendung der §§ 282, 285 BGB muß klar erkennen lassen, worauf sich bei Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung die Beweislast von Anspruchsteller und Anspruchsgegner erstrecken soll. Nach herrschender Meinung beinhaltet die Analogie, daß der Gläubiger stets die Beweislast für das Vorliegen einer objektiven Pflichtwidrigkeit einschließlich des Kausalzusammenhangs zwischen dieser und dem Schadenseintritt hat, der Schuldner aber die Beweislast für den Mangel der subjektiven Pflichtwidrigkeit. Diese Aussage erscheint auch einleuchtend, wenn man die materiell-rechtlichen Tatbestände von Unmöglichkeit und Verzug einerseits und von positiver Vertragsverletzung andererseits miteinander vergleicht. Die einzelnen Voraussetzungen für Ansprüche aus Unmöglichkeit und Verzug sind vom Gesetz vorgezeichnet: (1) Bestehen eines schuldrechtlichen Anspruchs (2) Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung bzw. nicht rechtzeitige
Leistung trotz Mahnung (3) Vertretenmüssen 140 141 142
Vgl. oben 2 a. Larenz, Methodenlehre, S. 366. Larenz, Methodenlehre, S. 367.
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
129
(4) Schaden
(5) Kausalität zwischen Unmöglichkeit bzw. nicht rechtzeitiger Lei-
stung und Schaden.
Es liegt nahe, die Anspruchsvoraussetzungen bei positiver Vertragsverletzung143 in gleicher Weise zu unterteilen und nur unter (2) statt Unmöglichkeit bzw. nicht rechtzeitige Leistung die "objektive Pflichtwidrigkeit" einzusetzen. Damit erscheint der Aufbau der Tatbestände vollkommen parallel; Unmöglichkeit bzw. nicht rechtzeitige Leistung erscheinen als bloße Unterfälle der objektiven Pflichtwidrigkeit. Es erhebt sich jedoch die Frage, was unter objektiver Pflichtwidrigkeit zu verstehen ist. Die herrschende Meinung versteht darunter jeweils ein pflichtwidriges Verhalten. Betrachten wir zunächst noch einmal die gesetzlichen Tatbestände von Unmöglichkeit und Verzug. Bei einem sehr weit gefaßten Verhaltensbegriff ließe sich das Unterlassen rechtzeitiger Leistung zur Not noch als Verhalten qualifizieren, nicht aber die Unmöglichkeit der Leistung. Die Begriffe "Unmöglichkeit" und - bei engerem Verhaltensbegriff - auch die "nicht rechtzeitige Leistung" beschreiben vielmehr einen Zustand oder Erfolg14\ nämlich das regelmäßige Ergebnis eines pflichtwidrigen Verhaltens145. Damit ist aber schon der Ausgangspunkt der herrschenden Meinung für eine analoge Anwendung der §§ 282, 285 BGB auf alle Fallgruppen positiver Vertragsverletzung in Frage gestellt. Als Ausweg bietet sich an, unter objektiver Pflichtwidrigkeit immer einen der Unmöglichkeit vergleichbaren Zustand zu verstehen. Dies ist jedoch nicht möglich, da bei vielen Verträgen, insbesondere Dienstverträgen (z. B . über ärztliche Behandlung), die Erreichung eines bestimmten Zustandes oder Erfolges nicht geschuldet ist. Will man demgegenüber mit der herrschenden Meinung unter objektiver Pflichtwidrigkeit bei positiver Vertragsverletzung stets ein pflichtwidriges Verhalten verstehen, so stünde damit schon fest, daß die Tatbestände der Leistungsstörungen nicht parallel aufgebaut sind, und es daher an der für eine Analogie erforderlichen Rechtsähnlichkeit fehlt1 46. Vgl. oben I 2. Vgl. zur Abgrenzung der Begriffe "Erfolg" und "Verhalten" Münzberg, s. 24 ff. 145 Enneccerus I Lehmann, § 55 I 5, S. 236; Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 535; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd. § 24 I b, S. 273; Beuthien, AP Nr. 67 zu § 611 BGB, Haftung des Arbeitnehmers, Bl. 5; ähnlich Musielak, S. 178; kritisch zur Formel von der analogen Anwendung von§ 282 BGB auf positive Vertragsverletzungen auch Mayer-Maly, AP Nr. 7 zu § 282 BGB, Bl. 7. 146 Ähnlich die in der vorigen Fußnote genannten Autoren. 143
144
9 Reinecke
130
2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Außerdem käme die herrschende Meinung bei konsequenter Anwendung der von ihr aufgestellten Regel in einigen Fällen zu allseits mißbilligten Ergebnissen, z. B. bei Ansprüchen wegen Beschädigung einer verwahrten Sache. Nach übereinstimmender Ansicht hat der Hinterleger nur zu beweisen, daß die Sache während der Verwahrung beschädigt wurde und infolgedessen ein Schaden eingetreten istl 47 • Die Beschädigung ist jedoch ein bestimmter Zustand; ein pflichtwidriges Verhalten des Schuldners (Verwahrers) steht damit noch nicht fest, da die Beschädigung z. B. auch die Folge eines unabwendbaren Naturereignisses sein könnte. Die herrschende Meinung müßte also vom Hinterleger den häufig sehr schwierigen Beweis des pflichtwidrigen Verhaltens des Verwahrers verlangen. Diese Konsequenzen wollen auch die Vertreter der herrschenden Meinung nicht ziehen. Sie erreichen das dadurch, daß sie entgegen den eigenen Aussagen unter objektiver Pflichtwidrigkeit hier und in einigen anderen Fällen nicht ein pflichtwidriges Verhalten, sondern einen Zustand oder Erfolg verstehen, wie die Beschädigung der verwahrten Sache oder den gefahrdrohenden Zustand von Räumlichkeiten. Dementsprechend verschiebt sich auch die Bedeutung des komplementären Begriffes der subjektiven Pflichtwidrigkeit (bzw. des Verschuldens). Auch die Rechtsprechung ist in diesem Punkte uneinheitlich. So gebraucht der BGH die Begriffe "objektive Pflichtwidrigkeit" bzw. "objektiver Tatbestand" bald handlungsbezogen 148, bald erfolgsbezogen149 ; vielfach bleibt die Bedeutung dieser Begriffe auch unklar150• m . Damit erheben sich aber gegen die herrschende Meinung dieselben Bedenken wie gegen die Meinung von Stoll: Die Begriffe objektive und subjektive Pflichtwidrigkeit werden gerade im Hinblick auf die aus anderen Gründen gewünschte Beweislastverteilung definiert. Die Aussage, daß die §§ 282, 285 BGB auf positive Vertragsverletzung analog anzuwenden seien, läßt also nicht erkennen, worauf sich im einzelnen Nachweise oben Fn. 45. So z. B. BGH VersR 1963, 385; 1966, 292, 294. 149 So z. B. BGH NJW 1964, 33, 35. 150 So z. B. BGHZ 28, S. 251, 253; 41, S. 151, 153; ebenso unklar der Begriff der "festgestellten Vertragsverletzung", die für die Beweislastumkehr Voraussetzung sei (so BGH VersR 1968, 650); vgl. auch PröLss, S. 67 f. Dagegen geht Musielak, S. 168 ff. offenbar davon aus, daß die Begriffe "objektiver" und "subjektiver Tatbestand" einen festumrissenen Bedeutungsinhalt haben. 151 Die Unklarheiten bei der Definition des Begriffs objektive Pflichtwidrigkeit erinnern an den Streit um "Erfolgs-" oder "Handlungsunrecht" bei der Bestimmung der Rechtswidrigkeit. Vgl. dazu Larenz, Schuldrecht, 2. Bd., § 72 I c, S. 461 ff.; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 9 II, S. 62 f.; und Münzberg, passim (s. insbesondere S. 330 f., wo auf die Gefahr hingewiesen wird, mit der Bestimmung der Rechtswidrigkeit auch eine "verdeckte Beweislastverteilung" vorzunehmen). 141 148
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
131
die Beweislast von Anspruchsteller und Anspruchsgegner erstreckt. Die von der herrschenden Meinung und Teilen der Rechtsprechung gebrauchte scheinbar so einfache Formel für die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung erweist sich damit entweder als falsch oder aber als inhaltsleer. Das kann im Ergebnis nicht verwundern. Denn Unmöglichkeit und Verzug sind genau abgegrenzte Tatbestände, zugeschnitten in erster Linie auf solche Leistungen, bei denen der Schuldner einen über die Leistungstätigkeit hinausgehenden Erfolg schuldet152• Positive Vertragsverletzung dagegen ist ein uneinheitlicher unscharfer Auffangtatbestand für alle die Leistungsstörungen, die nicht Unmöglichkeit oder Verzug sind. Er reicht von Fallgruppen echter Schlechterfüllung bis hin zu solchen Fallgruppen, die am besten als unerlaubte Handlung bei Vertragserfüllung gekennzeichnet sind153• c) Die Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen (Kritik der von Prölss vertretenen Meinung) Nach Prölss hat der Gläubiger zu beweisen, daß die Schadensursache gerade aus dem Gefahrenbereich des Schuldners stammt; im übrigen hat sich der Schuldner zu entlasten154 • Damit wird auf den beweisrechtlichen Sphärengedanken abgestellt, auf dem, wie oben gezeigt wurde, zahlreiche gesetzliche Beweislastregeln beruhen155• Vom hier vertretenen Standpunkt aus ist es zu begrüßen, wenn der Versuch gemacht wird, die Beweislast bei positiver Vertragsverletzung in erster Linie nach solchen Kriterien zu verteilen, die allgemein für die gesetzliche Beweislastverteilung maßgebend sind, zumal da sich die anderen Erklärungsversuche als untauglich erwiesen haben156• Dennoch erheben sich auch gegen diese Meinung gewichtige Bedenken. Zunächst einmal ist schon die Ausgangsthese von Prölss anfechtbar, nach der die gesetzlichen Beweislastsonderregeln für Schadensersatzansprüche aus Leistungsstörungen, insbesondere die §§ 282, 285 BGB, fast ausschließlich mit dem beweisrechtlichen Sphärengedanken zu erklären sindm. Auch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen dürften hier Hans Stotl, Festschrift für Fritz von Hippel, S . 535. Hans Stotl, Festschrift für Fritz von Hippel, S . 527; Rosenberg, S. 360; Güldner, S. 33 ff.; Heinrich Stotl, AcP 136, S. 286; vgl. dazu allgemein 152
153
Köpcke, Typen positiver Vertragsverletzung, S. 13, 163 ff., mit übersichtlicher Darstellung bisheriger Systematisierungsversuche. 154 s. oben 2b. 155 s. oben 1. Teil, E II 1 b bb. 15& s. oben 1. Teil, F IV 3. 157 Besonders deutlich Prö!ss, S . 79 f., der die §§ 282, 285 BGB dann nicht 9•
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
eine Rolle spielen 158• Dementsprechend werden auch für die Beweislastverteilungbei positiver Vertragsverletzung mehrere Gesichtspunkte maßgebend sein. Dazu soll jedoch erst im nächsten Abschnitt im einzelnen Stellung genommen werden. Sodann vermag die Formel von den Gefahrenbereichen auch einige fast allseits akzeptierte Ergebnisse der Rechtsprechung nicht befriedigend zu erklären. Nach ganz herrschender Meinung hat z. B. bei Personenbeförderungsverträgen der Anspruchsteller nur zu beweisen, daß er während der Beförderung oder beim Ein- und Aussteigen verletzt wurde159• Damit steht aber noch keinesfalls fest, daß die Schadensursache aus dem Gefahrenbereich des Transportunternehmers stammt, da für viele Unfälle in erster Linie die Unachtsamkeit der Fahrgäste verantwortlich zu machen ist. Konsequenterweise müßte Prölss dem Fahrgast die Beweislast dafür auferlegen, daß die Verletzung nicht auf eigene Fahrlässigkeit zurückgeht, ein Beweis, der vielfach nicht gelingen wird. Auch andere von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle zeigen deutlich, daß vielfach für eine Beweislastumkehr kaum noch etwas übrigbleibt, wenn man dem Gläubiger den Beweis dafür auferlegt, daß die Gefahrenursache weder vom Gläubiger, noch von Dritten gesetzt wurde1so. Schließlich bleibt die Bedeutung der Begriffe "Gefahrenbereich" und "Verantwortungsbereich" vielfach unklar, insbesondere bei ihrer Verwendung durch die Rechtsprechung161 • Von einer Beweislastverteilung nach Sphären oder Gefahrenbereichen wird im Rahmen dieser Arbeit und auch von Prölss nur dann gesprochen, wenn die Partei die Beweislast trägt, die aufgrund ihrer tatsächlichen Nähe zum Beweisgegenstand regelmäßig die besseren Beweismöglichkeiten hat162• In der sonstigen Literatur und in der Rechtsprechung verbergen sich dagegen hinter der "Beweislastverteilung nach Gefahrenbereichen" häufig (auch) eine qualitative Abwägung163 oder andere Motive. Dies führt in der Diskussion häufig zu Mißverständnissen. anwenden will, "wenn die streitigen Vorgänge sich nicht im Bereich des Schuldners ereignet haben". 158 Vgl. oben 1. Teil, E II 1 b bb, Fn. 196. 1sD s. Fn. 64, 74, 136. 180 Vgl. z. B. BGH LM Nr. 53 c zu § 286 (C) ZPO. Kritisch zur Auffassung von Prölss auch Schuster, S. 70 ff. 181 z. B. BGHZ 27, S. 236; 28, S. 251; BGH LM Nr. 53 c zu § 286 (C) ZPO; BGH LM Nr. 16 zu § 282 BGB. Die Unbestimmtheit dieser Begriffe rügen auch Emmeri ch, Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, S. 445 und Musielak, S . 170 ff. 1s2 Vgl. oben 1. Teil, E II 1 b bb und dort Fn. 188. 1ss Vgl. oben 1. Teil, E III 2, Fn. 257.
ll. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
133
Aus all diesen Gründen kann auch der Meinung von Prölss in dieser Form nicht zugestimmt werden. 4. Eigene Meinung
a) Grundlagen Aus dem bislang Gesagten ergibt sich, daß das Problem, oder besser: die zahlreichen Einzelprobleme der Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung weder allein durch die genaue Bestimmung des Leistungsinhalts oder der Gefahrenbereiche, noch allein durch eine analoge Anwendung der §§ 282, 285 BGB lösbar sind. Damit ist jedoch eine analoge Anwendung der gesetzlichen Beweislastsonderregeln für Leistungsstörungen auf einzelne Fallgruppen positiver Vertragsverletzung durchaus noch nicht ausgeschlossen. Ferner erscheint es nach den bisherigen Ausführungen sinnvoll, in der Diskussion über die Beweislastverteilung Begriffe wie objektive und subjektive Pflichtwidrigkeit, sowie objektiver und subjektiver Tatbestand der Pflichtverletzung möglichst nicht mehr zu verwenden, da sie keinen festumrissenen Bedeutungsinhalt haben, und bei Begriffen wie Verschulden und Gefahren- oder Verantwortungsbereich immer erst klarzustellen, was darunter verstanden wird; denn anderenfalls bleiben auch die Aussagen über die Beweislastverteilung, die sich auf diese Begriffe beziehen, unklar. Die Diskussion leidet sehr darunter, daß dies nicht immer geschieht 164 • Aus diesem Grunde soll im folgenden ganz konkret danach gefragt werden, ob der Gläubiger nur den Eintritt eines Schadens während oder infolge der Vertragsdurchführung zu beweisen hat, oder weitergehend etwa den ordnungswidrigen Zustand einer Sache, oder sogar die Verletzung einer Verhaltenspflicht. Die eigene Auffassung dürfte bereits in Umrissen deutlich geworden sein: Bei Ausfüllung der hier bestehenden Regelungslücke sind in erster Linie die Erwägungen heranzuziehen, die hinter der Grundregel und den gesetzlichen Beweislastsonderregeln stehen. Insoweit kann auf die Ausführungen des Ersten Teils verwiesen werden165• Es ist klar, daß dabei die gesetzlichen Beweislastsonderregeln für Leistungsstörungen und die diesen zugrunde liegenden Überlegungen eine besondere Rolle spielen; sie sind daher zunächst im Zusammenhang darzustel184 In der Literatur findet sich sehr häufig die Aufforderung, die einzelnen Beweispunkte deutlich zu unterscheiden, teilweise jedoch ohne vorher die Begriffe zu klären; z. B. Rosenberg, S. 350, Fn. 5, S. 363; Leonhard, S. 334; s. auch Heinrich StolZ, AcP 136, S. 311 f.; Raape, AcP 147, S. 284; Güldner,
s. 43. t&s
Vgl. insbesondere 1. Teil, F IV 3.
134
2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
len (b). Vor diesem Hintergrund sind dann die einzelnen Fälle oder Fallgruppen zu analysieren. Dafür werden im Abschnitt c) einige Beispiele gegeben, wobei gleichzeitig zur einschlägigen Rechtsprechung und Literatur Stellung genommen wird. Bei den hier nicht erörterten Fallgruppen ist in gleicher Weise zu verfahren. Es besteht kein Anlaß, eine Beweislastumkehr auf bestimmte Vertragstypen zu beschränken, wie es im Ergebnis etwa die Rechtsprechung des Reichsgerichts getan hat166. Bei der Verschiedenartigkeit der unter dem Sammelbegriff "positive Vertragsverletzung" zusammengefaßten Leistungsstörungen167 erweist sich die getrennte Betrachtung der - vom Beschauer gebildeten Fallgruppen als wichtige Voraussetzung dafür, die Problematik der Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung richtig in den Griff zu bekommen. Erst nach der Einzelanalyse läßt sich feststellen, ob es eine einheitliche Formel für die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung gibt. b) Die den gesetzlichen Beweislastsonderregeln für Leistungsstörungen zugrunde liegenden Erwägungen aa) Die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB Die Meinungen über die den §§ 282, 285 BGB zugrunde liegenden Erwägungen gehen weit auseinander. In den Materialien zum BGB finden sich keinerlei Hinweise, so daß man hier auf Vermutungen angewiesen ist1 68. Die wohl überwiegende Meinung169 führt die §§ 282, 285 BGB auf die besseren Beweismöglichkeiten des Schuldners, also den beweisrechtlichen Sphärengedanken, zurück. Auch der Präventivzweck der Haftungsnormen wird in diesem Zusammenhang genannt170. Teilweise werden diese Gesichtspunkte sogar für allein maßgebene gehalten171. 168 Vgl. oben 1 a. Dagegen auch Raape, AcP 147, S . 288; Schönke, DR 1944, 184 f .; Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 555; Prölss, S. 77; Güldner, S. 119 f .; Staudinger I Werner, § 282, Anm. 12. 187 Vgl. oben 3 b, a. E. 188 Vgl. Motive und Protokolle, Mugdan II, S.. 26 f., 530 (zum heutigen § 282 BGB), S . 33, 536 f. (zum heutigen § 285 BGB). 169 z. B . BGH LM Nr. 2 zu § 688 BGB; BGH LM Nr. 14 zu § 282 BGB = VersR 1965, 788; BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); Fikentscher, Schuldrecht, § 44 II 3, S. 201; Palandt I Heinrichs,§ 282, Anm. 1 a; Soergel! Schmidt, § 282, Anm. 1; Prölss, S. 79; Güldner, S. 17; Raape, AcP 147, S. 222; Schneider, DRiZ 1966, 284; Stehl, AuR 1970, 261; ebenso auch Musielak, S . 179. 170 Prölss, S . 76; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 275. 171 Prölss, S . 79 f., s. Fn. 157 ; Stehl, AuR 1970, 261.
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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Ob diese Begründung richtig ist, hängt insbesondere auch davon ab, unter welchen Bedingungen man den Entlastungsbeweis als geführt ansehen will. Da der zwingende Beweis der Nichtschuld wie jeder Negativbeweis nur sehr schwer zu erbringen ist, werden im allgemeinen nur geringere als die üblichen Beweisanforderungen gestelltl 72 • Ohnehin ist der Schuldner nicht stets verpflichtet, die Ursache für die Unmöglichkeit im einzelnen aufzuklären173 • Man begnügt sich vielmehr mit dem Beweis solcher Tatsachen, die die Einhaltung aller gebotenen Sorgfalt "hinreichend wahrscheinlich" machen174 . Gerade bei solchen leicht geminderten Beweisanforderungen ist der Schuldner wegen seiner räumlichen und zeitlichen Nähe oder seiner größeren Sachkenntnis eher als der Gläubiger zur Aufklärung und zum Beweis der streitigen Vorgänge in der Lage, weil sich der Beweis meist auf sein eigenes Handeln beziehen wird, das ja zur (rechtzeitigen) Erbringung der Leistung führen sollte. Die §§ 282, 285 BGB beruhen damit auf dem beweisrechtlichen Sphärengedanken. Ebenso ist anzunehmen, daß beide Beweislastregeln auch am Präventivzweck der materiellrechtlichen Haftungsnormen teilhaben. Fraglich ist, ob den §§ 282, 285 BGB noch andere Erwägungen zugrunde liegen. So liegt es z. B. nahe, daß sie auch auf einem statistischen Regel-Ausnahme-Schema beruhen, wonach für ein Verschulden ein überwiegender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht. Meist wird dazu nicht ausdrücklich Stellung genommen, z. T. wird dieser Gedanke ausdrücklich abgelehnt175, und zwar mit der Begründung, die Lebenserfahrung spreche nicht dafür, daß jede176 Unmöglichkeit schuldhaft herbeigeführt worden sei177• Das ist jedoch eine Verkennung des Wahrscheinlichkeitsarguments. Die Lebenserfahrung muß nicht dafür sprechen, daß bestimmte Umstände in jedem Fall vorliegen, sondern nur in der überwiegenden Anzahl der Fälle. - Wenn sich hier auch die Wahrscheinlichkeitswerte mangels statistischem Material nicht genau 172 Vgl. Motive Il, S. 48 = Mugdan II, S. 26; RGZ 74. S. 342, 344; BGH LM Nr. 6 zu § 282 BGB; BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB IHaftun€( des Arbeitnehmers); A. BlomeJJer, Allgemeines Schuldrecht, § 24 VI, S. 131; Esser, Sr:huldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 208; Erman I Battes, § 282, Anm. 9; Soergel I Schmidt, § 282, Anm. 2: strengere Anforderungen stellen RG HRR 1937, Nr. 497; BGH NJW 1952, 1170. 173 Motive II, S. 48 = Mugdan li, S. 26. 174 So z. B. BAG AP Nr. 20 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 208. 175 Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 208; Gütdner, S. 16; BaHerstedt, Festschrift für Nipperdey, 1955, S. 271; Raape, AcP 147, S. 222. 176 Hervorhebung von mir. 177 Güldner, S. 16; ähnlich Ballerstedt, Festschrift für Nipperdey, 1955,
s. 271.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
feststellen lassen178, so wird man wohl doch sagen können, daß Unmöglichkeit und Verzug in der überwiegenden Anzahl der Fälle eben nicht infolge höherer Gewalt oder infolge eines Verschuldens des Gläubigers eintreten, sondern gerade aufgrund eines schuldhaften Verhaltens des Schuldners. Damit beruhen die §§ 282, 285 BGB auch auf einer W ahrscheinlichkeitsüberlegung179. Nach einer anderen Meinung sollen die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB in erster Linie oder mindestens teilweise auf einer Leistungserwartung des Gläubigers beruhen180 oder - mehr aus der Perspektive des Schuldners gesehen - auf dem Prinzip, "daß der Schuldner für sein als rechtlich bindend hingegebenes Wort einstehen muß"tst. Tatsächlich ist meist eine Leistungserwartung des Gläubigers vorhanden. Sie richtet sich zunächst darauf, daß der Schuldner die vertragliche Leistung erbringt und daß dies rechtzeitig geschieht182 • Manchmal vertraut der Gläubiger auch gerade darauf, daß bei Unmöglichkeit oder nicht rechtzeitiger Leistung wenigstens ein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch besteht. Die Erwartung des Gläubigers bezieht sich dabei meist nicht speziell auf eine ihm günstige Beweislastverteilung183; denn meist denken die Parteien bei Vertragsschluß nicht an die Beweislastverteilung bei eventuellen späteren Schadensersatzprozessen184. Die Leistungserwartung des Gläubigers spräche daher in erster Vgl. oben 1. Teil, E II 1 a cc. Nach Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 24 I b, S. 274, ist dies nur ein Argument für die Beweislastumkehr bei positiver Vertragsverletzung. 180 Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 556; Soergel/ Schmidt, Anm. 40 vor§ 275 BGB (a. E.); Moll, S. 56; Spenneberg, S . 27. 181 Ballerstedt, Festschrift für Nipperdey, 1955, S. 271; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 208; Raape, AcP 147, S. 222, 242; ähnlich wohl auch Köpcke, s. 161. 182 Die evtl. bestehende Erwartung, der Schuldner werde in der richtigen Weise leisten und dem Gläubiger bei der Vertragsdurchführung auch sonst keinen Schaden zufügen, könnte allenfalls im Hinblick auf die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung interessant sein, nicht aber für die §§ 282, 285 BGB. 183 Ähnlich Prölss, S. 77. 184 Es besteht jedoch grundsätzlich die Möglichkeit, in den Vertrag eine Vereinbarung auch über die Beweislastverteilung aufzunehmen, sog. Beweislastverträge. Vgl. dazu A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, S. 354 ff.; Sachse, ZZP 54, S. 409 ff. Vgl. insbesondere zur Zulässigkeit von Beweislastvereinbarungen in AGB: BGHZ 41, S. 151, 154; BGH NJW 1973, 1192, 1193; 1974, 1236; 1976, 44; OLG Karlsruhe, DB 1971, 572; OLG Frankfurt, NJW 1974, 559. In § 9 Nr. 15 des Regierungsentwurfs eines AGB-Gesetzes (Bonn 1975 sowie Bundesratsdrucksache 360175) ist ein generelles Verbot u. a . solcher Bestimmungen vorgesehen, durch die dem Kunden die Beweislast für Umstände auferlegt wird, "die im Verantwortungsbereich des Verwenders liegen". Zu Beweislastvereinbarungen in Tarifverträgen: Feistel, Die Zulässigkeit der Normierung von Beweislastregeln in Tarifverträgen, Diss. Köln 1966. 178 179
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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Linie für eine verschuldensunabhängige Haftung, die es in diesem Bereich nicht gibt, aber nicht so sehr für eine bestimmte Beweislastverteilung. Die Bedeutung dieses Arguments für die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB darf also nicht überschätzt werden. Richtiger ist es, sich mit der Feststellung zu begnügen, daß die §§ 282, 285 BGB zu einer Annäherung an eine Garantiehaftung führen185. Das ergibt sich daraus, daß der Schuldner auch dann verurteilt wird, wenn in Wahrheit die Unmöglichkeit bzw. die verspätete Leistung nicht auf Umständen beruhen, die von ihm zu vertreten sind, der Entlastungsbeweis aber nicht gelingt. Die §§ 282, 285 BGB, die die Interessen des Gläubigers höher bewerten als die des Schuldners, mögen daher auch auf einer qualitativen Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen beruhen188• Die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB lassen sich demnach nicht auf einen einzigen Grundgedanken zurückführen. Vielmehr beruhen sie einerseits auf der quantitativen Abwägung, wonach der Schuldner besser als der Gläubiger in der Lage ist, die streitigen Vorgänge aufzuklären, und nach der ferner eine größere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Unmöglichkeit bzw. der Verzug auf einem Umstand beruht, den der Schuldner zu vertreten hat, andererseits auf der qualitativen Abwägung, die die Position des Gläubigers gegenüber der des Schuldners bevorzugt1B7 • bb) Die Beweislastsonderregeln der§§ 548, 602, 694, 701 Abs. 3, 732 Satz 2 BGB; 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB; 45 LuftVG Die genannten Vorschriften betreffen bis auf § 694 BGB die Fallgruppe, daß durch Verlust, Beschädigung oder Verschlechterung einer in fremder Obhut befindlichen Sache, bei § 45 LuftVG auch durch Verletzung einer in fremder Obhut befindlichen Person, ein Schaden entstehtl88. Sie beruhen, wie oben bereits ausgeführt wurde189, zunächst einmal auf dem beweisrechtlichen Sphärengedanken. 185 A. Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 24 I, VI, S. 119, 131; Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., § 20 I, S. 205 f. 1ss Vgl. oben 1. Teil, E III 2. 187 Demgegenüber werden in der Literatur überwiegend nur Teilaspekte gesehen; vgl. z. B. Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 556; Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 208; Prölss, S. 79 f . Wegen der Verschiedenartigkeit der Gründe ist auch die von Prölss, a.a.O., ohne Nennung von Beispielen vorgeschlagene "teleologische Reduktion" des § 282 BGB abzulehnen, nach der § 282 BGB dann nicht anwendbar sein soll, "wenn die streitigen Vorgänge sich nicht im Bereich des Schuldners ereignet haben". 188 Die materiellrechtlichen Haftungsvoraussetzungen sind zwar in der Formulierung verschieden, vgl. einerseits etwa § 732, Satz 2 BGB, andererseits§ 454 HGB; aber in der Sache bestehen kaum Unterschiede. t89 1. Teil, E II 1 b bb; vgl. insbesondere Prölss, S. 83 f.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Ferner gehen die meisten der genannten Beweislastsonderregeln auch auf eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung zurück190 ; denn es besteht jeweils ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Verlust oder die Beschädigung der Sache bzw. die Verletzung der Person auf ein vom Schuldner zu vertretendes Verhalten zurückgeht. Bei den §§ 548, 602 BGB besteht dagegen wohl keine Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine eingetretene Veränderung oder Verschlechterung der Sache durch den nicht "vertragsmäßigen" Gebrauch verursacht wurde. Gerade in diesen beiden Fällen würde die Summe der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen191 kaum größer sein, wenn der Gesetzgeber auf die Schaffung von Beweislastsonderregeln verzichtet hätte, also der Gläubiger die Beweislast für den nicht vertragsmäßigen Gebrauch hätte. Daran zeigt sich aber, daß der beweisrechtliche Sphärengedanke für sich allein eine durchaus begrenzte Bedeutung hat1 92 • In zweiter Linie mögen die hier behandelten Vorschriften ebenso wie die §§ 282, 285 BGB auch auf einer qualitativen Abwägung beruhen. Schließlich sind die Beweislastsonderregeln der §§ 701 Abs. 3, 732 Satz 2 BGB, 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB, 45 LuftVG unbedingt erforderlich, um den Verwahrer oder Transportunternehmer zu sorgfältigem Verhalten zu veranlassen. Somit spielt hier der Präventivzweck eine ganz besonders wichtige Rolle 193. c) Die Analyse einzelner Fallgruppen Nach übereinstimmender Meinung hat der Anspruchsteller bei allen Fallgruppen das Bestehen eines Vertrages oder sonstigen Schuldverhältnisses zu beweisen. Im übrigen sind die von Rechtsprechung und Literatur aufgestellten Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr bei den verschiedenen Fallgruppen durchaus sehr unterschiedlich. Die Fälle mit der weitestgehenden Beweislastumkehr stehen hier am Anfang. aa) Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung einer verwahrten Sache und wegen Verletzung eines Fahrgastes Hauptbeispiele für eine sehr weitgehende Beweislastumkehr sind die bürgerlich-rechtlichen Verwahrungsverträge sowie die Personenbeför190 So auch Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 209 (für § 390 HGB und die darauf verweisenden §§ 407 Abs. 2, 417 HGB); wohl auch Raape, AcP 147, s. 276. ut Vgl. oben 1. Teil, E II 2 d. 192 a. A. wohl Prölss, S. 74 ff. 193 Esser, Schuldrecht, Bd. 1, § 33 III 1, S. 209, spricht in diesem Zusammenhang davon, die Beweislast des Schuldners gehöre beim Verwahrungsvertrag zu den .,essentialia negotii".
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derungsverträge. So hat - wie bereits erwähnt194 - bei Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung der verwahrten Sache der Anspruchsteller nach einhelliger Meinung zu beweisen, daß die Sache während der Verwahrung beschädigt wurde (§ 286 Abs. 1 ZPO) und infolgedessen ein Schaden entstanden ist(§ 287 Abs. 1 ZPO); im übrigen hat sich der Verwahrer zu entlasten. Diese Beweislastverteilung ist auch sachgemäß. Sie rechtfertigt sich mit genau denselben Erwägungen, die den §§ 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB zugrunde liegen195 : Also in erster Linie dem beweisrechtlichen Sphärengedanken und einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung. Eine sekundäre Frage ist es dann, ob man zur Erlangung dieses Ergebnisses § 282 BGB 196 oder aber die Beweislastsonderregeln der §§ 390 Abs. 1, 429 Abs. 1, 454 HGB analog anwendet197 • Treffender erscheint die Analogie zu den handelsrechtliehen Vorschriften, da hier gerade auch die Beweislast bei Beschädigung von sich in der Obhut einer anderen Person befindlichen Sachen geregelt ist. Ebenso günstig wird die Lage des Fahrgastes bei Schadensersatzansprüchen aus Personenbeförderungsverträgen beurteilt. Nach überwiegender Meinung kehrt sich die Beweislast schon dann um, wenn feststeht, daß ein Fahrgast während der Beförderung oder beim Einund Aussteigen getötet oder körperlich beeinträchtigt wurde198• Der Transportunternehmer hat dann zu beweisen, daß der Unfall nicht auf einen von ihm zu vertretenden Umstand zurückzuführen ist. Gegen eine so weitgehende Beweislastumkehr wird z. T. geltend gemacht, daß der Fahrgast regelmäßig seine Bewegungsfreiheit nicht völlig verliere, der Schaden also auch durch eigene Unvorsichtigkeit eintreten könne, und daß Gefahren jeweils auch von außen drohten199• Dies trifft sicher zu. Dennoch ist der Reisende, wie es das Reichsgericht s. oben I 1, Fn. 45. Vgl. oben b bb. 198 So z. B. BGHZ 3, S. 162, 174; Hans Stolt, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 541. 197 So z. B. BGHZ 41, S. 151, 152 f.; Rosenberg, S. 350 f .; Raape, AcP 147, 194
195
s. 275.
198 So z. B. BGHZ 8, S. 239; BGH NJW 1959, 1366, und zahlreiche Entscheidungen des RG - vgl. Fn. 64; Rosenberg, S. 351; Hans Stolt, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 542 ff.; ebenso wohl auch Schaps I Abraham, Anm. 15, 17 vor § 664 HGB; einschränkend RGZ 124, S. 49; 126, S. 329, und im Ergebnis auch Raape, AcP 147, S. 267 f. (der fälschlicherweise einen Unterschied zwischen einem bloß zeitlichen und einem ursächlichen Zusammenhang zwischen Beförderung und Verletzung macht - vgl. den Hinweis von Stoll, a.a.O., S. 543); a. A. Wassermeyer, S. 93 f.; und wohl auch Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., 7. Aufl., S. 284, und SchlegelbergeT I Liesecke, Anm. 16 vor § 664 HGB. 199 Wassermeyer, S. 93 f.; Raape, AcP 147, S. 267 f.; wohl auch Larenz, Schuldrecht, 1. Bd., 7. Aufl., S. 284; vgl. auch RGZ 124, S. 49.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
einmal sehr plastisch ausgedrückt hat200, "der Herrschaft und Verfügungsmacht des Unternehmers überantwortet, er kann sich den Einwirkungen der Beförderungsmaßnahmen und -einrichtungen nicht entziehen und muß die Betriebstätigkeit über sich ergehen lassen". Für die Verletzung sind also in der ganz überwiegenden Anzahl aller Fälle technische Vorgänge ursächlich201 • Daraus ergibt sich zweierlei: Erstens hat der Unternehmer regelmäßig die besseren Beweismöglichkeiten. Zweitens spricht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Schaden auf einen vom Unternehmer zu vertretenden Umstand zurückgeht, wenn auch der Grad der Wahrscheinlichkeit nicht so groß ist wie bei einem Schaden an aufbewahrten Sachen. Diesen zweiten wesentlichen Gesichtspunkt hat nur die ältere Rechtsprechung und Lehre202 angesprochen, wenn die Beweislastumkehr hier (und in anderen Fällen) davon abhängig gemacht wurde, "daß die Sachlage zunächst den Schluß rechtfertige, der Unternehmer habe die ihm obliegende Sorgfalt verletzt". Nur am Rande sei bemerkt, daß wohl infolge der Ablösung dieser im Hinblick auf den Anscheinsbeweis sicher mißverständlichen Formulierung durch die Formel von den Gefahrenbereichen in der Diskussion um die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu Unrecht in den Hintergrund traten. Dieselben· Erwägungen liegen der Beweislastsonderregel des § 45 LuftVG (i. V. m. § 44 Abs. 1 LuftVG) zugrunde, dessen analoge Anwendung hier angebracht ist203 • Aus all diesen Gründen ist der herrschenden Meinung zuzustimmen204 • bb) Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des einen Vertragspartners in den Räumlichkeiten oder durch Gegenstände des anderen Vertragspartners Etwas weiter geht die Beweislast des Anspruchstellers in zwei einander sehr ähnlichen Fallgruppen. Die erste betrifft Fa1Ie, in denen RGZ 86, S. 321, 322. Ahnlieh Hans StoU, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 544: Der Fahrgast ist "bei Verletzungen während der Fahrt in aller Regel passives Opfer". 202 Vgl. Fn. 81, 69 f. 203 Da der die Haftung des Eisenbahnunternehmers regelnde § 1 des Reichshaftpflichtgesetzes und die in ihm enthaltene Beweislastregel im Gegensatz zu den §§ 44 f. LuftVG auch außervertragliche Ansprüche betrifft, kommt eine analoge Anwendung von § 1 RHG nicht in Frage. 2o4 Auch bei Schiffsschleppverträgen einem besonderen Typ von Werkverträgen - ist eine Beweislastumkehr angebracht, wenn der geschleppte Kahn einen Unfall erleidet. Zwar erfordert dieser Vertrag ein Zusammenwirken der Besatzungen des schleppenden und des geschleppten Kahns, so daß der Sphärengedanke nicht anwendbar ist. Jedoch ist das Verhalten des Schiffers die Hauptgefahrenquelle; bei einem Unfall ist sein Schuldhaftes 2oo
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ein Vertragspartner bei Durchführung (irgend-)eines Vertragsverhältnisses in die Räume des anderen gelangt und dort zu Schaden kommt, z. B. der Gast in den Räumen des Gastwirts, aber auch der Fahrgast in den vom Beförderungsunternehmer beherrschten Räumlichkeiten, etwa dem Wartesaal oder auf dem Bahnsteig205 • Die zweite Gruppe betrifft Fälle, in denen bei vertragsgemäßem Kontakt mit bestimmten Vorrichtungen oder Gegenständen des Vertragspartners ein Schaden eintritt. Eine Haftung besteht hier regelmäßig nur dann, wenn der Schaden auf einem ordnungswidrigen Zustand der Räume oder Vorrichtungen beruht und dieser seinerseits auf ein schuldhaftes Verhalten zurückgeht. Nach ganz herrschender Meinung reicht es nicht aus, wenn der Anspruchsteller den Schadenseintritt in den Räumen oder bei Benutzung der Vorrichtungen des Vertragspartners beweist. Vielmehr soll sich die Beweislast erst dann umkehren, wenn feststeht, daß der Schaden infolge eines ordnungswidrigen Zustandes eingetreten ist206 • Auch hier sind die gleichen Erwägungen maßgebend: Nicht schon der Unfall in den vom Gegner beherrschten Räumlichkeiten, etwa der Sturz im Wartezimmer, sondern erst die Verursachung des Unfalls durch den ordnungswidrigen Zustand der Räume, etwa die übergroße Glätte des Fußbodens, macht ein schuldhaftesVerhalten des Anspruchsgegners wahrscheinlich. Ebenso verhält es sich bei Schäden, die während der Benutzung von Vorrichtungen entstehen, mit denen der Vertragspartner seine Verpflichtungen erfüllt oder die er zur Verfügung stellt. Auch der beweisrechtliche Sphärengedanke spricht für eine Beweislastumkehr hinsichtlich des für den ordnungswidrigen Zustand ursächlichen Verhaltens. Denn der Anspruchsgegner kann erheblich leichter beweisen, daß er sich pflichtgemäß verhalten hat als der Anspruchsteller das Gegenteil. Es stellt sich jedoch noch die Frage, ob es bei diesen Fallgruppen sinnvoll ist, die Beweislastumkehr unter bestimmten Voraussetzungen Verhalten also wahrscheinlich (vgl. BGHZ 27, S. 236, 238 f.; RGZ 112, S. 41, 42). Im Gegensatz dazu will der BGH (a.a .O.) die Beweislast erst dann umkehren, wenn der Kahneigner bewiesen hat, "daß jede mögliche Schadensursache ausscheidet, die in seinen Verantwortungsbereich oder den eines Dritten fällt". Wie hier dagegen RGZ 10, S. 164, 167 f.; 112, S. 41, 42; sowie Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 546 f. 205 Raape, AcP 147, S. 274, und Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 547, stellen mit Recht die Gemeinsamkeit dieser Fälle heraus. 208 z. B. RGZ 65, S. 11; 126, S. 137, 142 (Pflicht zur Beleuchtung des Bahnsteigs); RG JW 1935, 122; 1939, 559; RGZ 160, S . 153; vgl. auch RGZ 148, S. 148 ("Wasserwellenfall"); BGH VersR 1959, 948; NJW 1964, 33; Raape, AcP 147, S. 258 ff.; Hans StolZ, Festschrift für Fritz von Hippe!, S . 547; a . A. wohl RGZ 86, S. 321, 322, wo aber schon ein ordnungswidriger Zustand nicht feststand. Gleiches soll bei der Verletzung eines vorvertragliehen Schuldverhältnisses gelten- BGH NJW 1962, 31; LG Essen, VersR 1964, 1186.
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auch auf die Kausalität zwischen ordnungswidrigem Zustand und Verletzung zu erstrecken. So hat schon bisher die Rechtsprechung zu § 618 BGB unter Berufung auf den sozialen Schutzzweck dieser Vorschrift entschieden207 • Zwar kann die Kausalität vielfach mit Hilfe eines Allscheinsbeweises bewiesen werden, z. B. dann, wenn der Anspruchsteller dort stürzt, wo der Fußboden nicht in ordnungsgemäßem Zustand ist, und es keine konkreten Anhaltspunkte für andere Schadensursachen gibt208 • Auch hier tauchen manchmal Zweifel auf; denn zum einen stürzen die meisten Menschen auf einer solchen Stelle nicht, zum anderen fallen Menschen häufig auch an solchen Plätzen, die sich nicht in ordnungswidrigem Zustand befinden. In anderen Fällen fehlt es jedoch unzweifelhaft an der für den Anscheinsbeweis erforderlichen "hohen" Wahrscheinlichkeit, so z. B. wenn sich die vom Anspruchsgegner zur Verfügung gestellten Wohnoder Arbeitsräume in gesundheitsgefährdendem Zustand befinden und der Anspruchsteller erkrankt209 ; hier kommt also als Beweiserleichterung nur eine Beweislastumkehr in Betracht210 • Der Beweis der Kausalität zwischen ordnungswidrigem Zustand und Verletzung ist für den Anspruchsteller außerordentlich schwer, wenn der Anscheinsbeweis nicht möglich ist. Man kann hier von typischen Beweisschwierigkeiten sprechen. Doch auch die Beweismöglichkeiten des Anspruchsgegners sind sehr schlecht; denn mindestens ebenso schwierig ist der Negativbeweis der Nichtursächlichkeit, so daß sich aus dem beweisrechtlichen Sphärengedanken für die Lösung nichts entnehmen läßt. Entscheidende Bedeutung gewinnt hier der Präventivzweck der Haftungsnormen211. Die drohende Schadensersatzpflicht soll den Verpflichteten dazu anhalten, die Räumlichkeiten und Sachen, mit denen der Vertragspartner in Berührung kommt, in ordnungsgemäßem Zustand 207 Der ordnungswidrige Zustand muß generell geeignet sein, den eingetretenen Schaden herbeizuführen - vgl. RGZ 95, S. 103; 138, S. 37; RG JW 1936, 803; BGHZ 27, S. 79; BAG GS, AP Nr. 2 zu § 611 (Gefährdungshaftung des Arbeitgebers); BAG AP Nr. 1 zu § 618 BGB (im zu entscheidenden Fall wurden jedoch die Grundsätze über den Anscheinsbeweis herangezogen, s. sogleich); AP Nr. 16 zu§ 618 BGB; weitere Nachweise bei Hofmann, S. 21, Fn. 38, 39, 41 und Musielak, S. 184 ff. Ein Teil der Literatur sieht in dieser Rechtsprechung fälschlicherweise nur einen Anwendungsfall der Grundsätze über den Anscheinsbeweis - so z. B. Staudinger I Nipperdey I Mohnen I Neumann, § 618, Anm. 46; Soergel I Wlotzke I Volze, § 618, Anm. 29; Nickisch, Arbeitsrecht, Bd. 1, § 36 V 4, S. 487 f.; gegen eine Beweislastumkehr
Prölss, S. 104 f. 2os 209
So BAG AP Nr. 1 zu § 618 BGB. So die Sachverhalte in RGZ 95, S. 103; 138, S. 37; ähnlich BGHZ 27,
S. 79 (Stabilitätsmangel eines Schiffs). 210 Das wird in der Literatur (vgl. Fn. 207) bisweilen übersehen. 2u Vgl. oben 1. Teil, E III 3 b.
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zu erhalten und dadurch Schaden zu verhüten. Der Druck zu sorgfältigem Verhalten ist um so größer, je besser durchsetzbar - auch im Hinblick auf die Beweissituation-Schadensersatzansprüche sind. Trüge der Anspruchsteller die Beweislast für die Kausalität zwischen ordnungswidrigem Zustand und Verletzung, so würde die Durchsetzung des Anspruchs sehr häufig daran scheitern. Das Ziel, Schaden zu verhüten, wäre nicht im nötigen Ausmaß erreicht. Aus diesem Grunde ist die Beweislast für die Kausalität zwischen Verletzung und ordnungswidrigem Zustand umzukehren, wenn dieser auch im Einzelfall geeignet war, eine Verletzung der eingetretenen Art herbeizuführen und wenn ferner zwischen beidem ein genügend enger örtlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht212 • Mit dem Erfordernis eines genügend engen Zusammenhangs sollen von der Beweislastumkehr solche Fälle ausgeschlossen werden, bei denen für die Kausalität eine nur geringe Wahrscheinlichkeit spricht. Eine Beschränkung dieser Beweislastumkehr auf Fälle des § 618 BGB ist nach alledem nicht gerechtfertigt213 , wenn auch der soziale Schutzzweck dieser Vorschrift ein zusätzliches Argument für die Beweislast des Anspruchsgegners ist. cc) Schadensersatzansprüche wegen Körperverletzung bei ärztlicher Behandlung Weiter als in den bisher behandelten Fallgruppen geht die Beweislast des Anspruchstellers bei der Verletzung bestimmter Berufspflichten, die auf den Schutz vor Gefahren für Körper und Gesundheit gerichtet sind. Ganz im Vordergrund stehen hier die Verträge über ärztliche und krankenpflegerische Behandlung214 • Nach herrschender Rechtsprechung hat der Anspruchsteller einen groben Behandlungsfehler des Arztes zu beweisen. Erst dann soll sich die Beweislast hinsichtlich der Kausalität von Kunstfehler und Verletzungseintritt215 und hinsieht212 Daran fehlte es z. B. bei BGH VersR 1966, 292, 293 f. Diese Entscheidung ist daher im Ergebnis zu billigen. 213 Ähnlich Hans Stoll, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 550 ff., 553, der das Erfordernis aufstellt, daß .,mit dem pflichtwidrig geschaffenen Verletzungsrisiko typischerweise das beweisrechtliche Risiko der Unaufklärbarkeit des Kausalzusammenhangs verbunden" ist. Stoll rechtfertigt die Beweislastumkehr damit, daß in diesen Fällen die Verhaltenspflichten auch den Zweck hätten, eine Beweisnot des Gläubigers zu verhindern. Dies dürfte aber nur auf solche Pflichten zutreffen, die die Erhaltung oder Herstellung von Beweismitteln zum Inhalt haben.- Vgl. oben 1. Teil, F li 2, Fn. 294. 214 Vgl. dazu noch den .,Schwimmeister-Fall", BGH NJW 1962, 959, s. oben
II 1 b.
215 Zur Verdeutlichung sei darauf hingewiesen, daß es sich bei der .,Kausalität" von Kunstfehler und Verletzungseintritt häufig nicht um die Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie handelt, sondern um die Vermeidbarkeit der Schadenszufügung bei pflichtgemäßem Verhalten. Dies gilt ohnehin für eine .,Schadensverursachung" durch Unterlassen, aber vielfach auch bei
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
lieh des Verschuldeus umkehren216 • Dies wird im wesentlichen mit Billigkeitserwägungen begründet. Zur Verdeutlichung sei noch darauf hingewiesen, daß sich die genannten Grundsätze in erster Linie auf die ärztlich-medizinische Behandlung i. e. S. beziehen, etwa das ärztliche Verhalten bei Operationen. Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung vom Patienten meist nicht den Nachweis eines groben ärztlichen Fehlers, wenn das schädigende Verhalten im Vorfeld der eigentlichen Behandlung, also mehr im ärztlich-organisatorischen Bereich liegt217 • So kann sich die Beweislast umkehren, wenn ohne ersichtlichen Grund im Krankenblatt an sich gebotene Eintragungen fehlen218 • Es handelt sich dabei um einen Unterfall der Beweislastumkehr bei Verletzung der Pflicht zur Aufbewahrung oder Herstellung von Beweislastmitteln219 • In der Tat wäre hier eine Privilegierung des Arztes nicht zu rechtfertigen. Ferner soll sich die Beweislast nach der Rechtsprechung auch dann umkehren, wenn der Arzt nicht die nötigen Eintragungen, sondern schon die nötigen Untersuchungen unterlassen hat, z. B. die Nachschau nach einer Operation220 • - Ebenso hat bei unterlassener oder ungenügender Aufklärung über das Operationsrisiko der Arzt zu beweisen, daß der Patient in die gleiche Behandlungsart auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte221 • Der tiefere Grund dafür, daß in den zuletzt genannten positivem Tun (vgl. dazu neuestens Hofmann, Die Umkehr der Beweislast in der Kausalfrage, passim, insbesondere S. 86 ff.). So steht bei vielen während oder kurz nach einer ärztlichen Behandlung eingetretenen Gesundheitsschäden fest, daß sie ohne die Behandlung in dieser Form nicht eingetreten wären. Damit ist die ärztliche Behandlung im Sinne der Äquivalenztheorie für den Schaden kausal. Wie Hofmann, S. 78 ff., überzeugend dargelegt hat, geht es auch nicht an, zwischen einer Kausalität "an sich" und einer Verursachung durch die vorwerfbare Tat zu unterscheiden. Entscheidend ist vielmehr, ob die Gesundheitsbeschädigung auch bei einer lege artis durchgeführten Behandlung eingetreten, also vermeidbar gewesen wäre. Da diese Problematik üblicherweise unter dem Stichwort "Kausalität" behandelt wird, soll auch hier die übliche Terminologie beibehalten werden. 2u s. oben B I 1, Fn. 46- 49. 217 Vgl. aus der älteren Rechtsprechung RG HRR 1937, Nr. 1301 (s. Fn. 47); wohl nur scheinbar von der BGH-Rechtsprechung abweichend OLG Köln, VersR 1968, 283, wo das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers bejaht wurde, sowie OLG Saarbrücken, JVBl Saar 1967, 183, wo nicht einmal ein einfacher Kunstfehler nachgewiesen war. 218 Vgl. dazu neuestens BGH NJW 1972, 1520: Die Lues des Klägers war mit Arsen und künstlich erzeugtem Fieber behandelt worden, was unbestritten nur bei Paralyseverdacht zulässig war. Entsprechende Eintragungen im Krankenblatt fehlten jedoch. Der BGH legte dem Beklagten die Beweislast dafür auf, daß gleichwohl Paralyseverdacht bestand. 219 s. oben 1. Teil, F II 2, Fn. 294, und zu den Gründen G III 2, Fn. 406 f. 220 BGH LM Nr. 15 zu § 287 ZPO; vgl. zu diesen beiden Fallgruppen die Nachweise bei Uhtenbruck, NJW 1965, 1063, Fn. 88- 92. 221 BGHZ 29, S. 176, 187; RGZ 163, S. 129, 138 f., und dazu Hofmann, s. 12 ff.
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Fällen eine Beweislastumkehr unter erleichterten Voraussetzungen zugelassen wird, ist nicht ohne weiteres ersichtlich222 • Nachdem klar geworden ist, daß auch die Rechtsprechung zur Beweislastumkehr in Arzthaftpflichtprozessen nicht für alle Fallgruppen einheitlich ist, können wir uns nun wieder dem Hauptgegenstand dieses Abschnitts zuwenden, der Beweislastumkehr bei ärztlicher Behandlung im engeren Sinne, die der Bundesgerichtshof erst bei Nachweis eines groben Behandlungsfehlers zuläßt. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die Rechtsprechung, wohl in dem Bestreben, zu einer Beweislastumkehr zu kommen, manchmal die Tendenz erkennen läßt, die Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt zu erhöhen und auch leichtere Fehler als grobe Behandlungsfehler hinzustellen223 • Die Diskussion über die Voraussetzungen einer Beweislastumkehr im Bereich der ärztlichen Behandlung soll mit einigen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen begonnen werden: Es besteht keine aUgemeine Wahrscheinlichkeit dafür, daß der während der Behandlung eingetretene Tod oder die Verletzung auf einen (schuldhaften) Behandlungsfehler zurückgehen. Denn selbst anerkannte Heilmethoden wirken durchaus nicht bei allen Patienten; fast jeder ärztliche Eingriff birgt Risiken in sich, die schwer überschaubar sind224 ; eine Behandlung muß vielfach durchgeführt werden, auch w enn die Erfolgsaussichten gering sind; schließlich kann die Ursache völlig außerhalb der Behandlung liegen. Jedoch mag in einigen besonders gelagerten Fällen die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, daß die Verletzung auf ein fahrlässiges Verhalten des Arztes zurückgeht. Denn bei bestimmten Behandlungsarten gibt es Verletzungen, die typischerweise oder fast ausschließlich bei bestimmten Behandlungsfehlern eintreten. Ist dagegen ein - einfacher oder grober - Kunstfehler des Arztes bewiesen, so spricht meist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit auch für eine fahrlässige, also schuldhafte Begehung; denn wenn der als Maßstab genommene Durchschnittsarzt unter normalen Umständen eine solche Verletzung nicht vermeiden kann, so wird dies wohl kaum als Kunstfehler bezeichnet werden. - Demgegenüber besteht nicht immer eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen (feststehendem) Kunstfehler und Verletzung. Aber auch bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers muß die für eine KausaEbenso Kleinewefers I WHts, VersR 1967, 621. Das bemerken zu Recht Hanau, NJW 1968, 2291 sowie Schuster, S. 19. Die Unterschiede zwischen grobem und einfachem Behandlungsfehler verwischt Musi elak, S. 154. 224 Vgl. z. B. RG HRR 1937, Nr. 1301 = JW 1937, 2592; BGH LM Nr. 25 zu§ 286 (C) ZPO; Hans Sto!l, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 554. 222
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lität sprechende Wahrscheinlichkeit nicht größer sein; sie kann es jedoch, da sich die Schwere eines Behandlungsfehlers auch nach der Wahrscheinlichkeit möglicher Schäden bemessen wird225 • Danach kommt als Beweiserleichterung in der überwiegenden Anzahl der Fälle nur die Beweislastumkehr in Betracht226 • Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis, die ebenfalls eine Beweiserleichterung darstellen, können zwar vielfach hinsichtlich solcher Umstände angewandt werden, die bei einem feststehenden Behandlungsfehler den Schuldvorwurf begründen, jedoch sehr viel weniger häufig hinsichtlich der Kausalität227 • Hier wird es meist von vornherein an der dafür nötigen "hohen" Wahrscheinlichkeit fehlen; vielfach kann der Anscheinsbeweis vom Arzt auch allzu leicht erschüttert werden228 • Hinsichtlich der Beweismöglichkeiten ist zu bemerken, daß die eigentliche Behandlung fast immer in der Sphäre des Arztes liegt. Dieser trifft die Anordnungen; der Patient kann mangels Sachkenntnis kaum je erkennen, ob diese sinnvoll oder fehlerhaft sind; bei manchen Operationen, aber auch bei Behandlungen nach Unfällen ist er nicht bei Bewußtsein. Der Beweis auch schon eines einfachen Behandlungsfehlers wird dem Patienten regelmäßig sehr schwerfallen, während der Arzt seinerseits eher beweisen kann, daß er keinen Behandlungsfehler begangen hat, nämlich durch den Nachweis pflichtgemäßen Verhaltens229 • Dies spräche dafür, dem Arzt bei jeder Verletzung während der Behandlung den Entlastungsbeweis dafür aufzuerlegen, daß die Verletzung nicht auf einen schuldhaften Behandlungsfehler zurückzuführen ist. - Hat der Arzt einen Kunstfehler begangen, so liegen die Umstände, die den Verschuldensvorwurf rechtfertigen können, auch in seiner Sphäre, da sie fast immer in der Person des Arztes oder 225 Zu weitgehend Musielak, S. 148. Nach ihm beruht die Qualifizierung eines Kunstfehlers als grob fahrlässig in erster Linie auf einer erhöhten Wahrscheinlichkeit zwischen Fehler und Schaden. Eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung findet sich z. B. in BGH NJW 1971, 241, 243. Es heißt dort, angesichts des Grades der vom Beklagten verschuldeten Gefahrerhöhung könne es die Billigkeit erfordern, dem Kläger die Last des - meist aussichtslosen- positiven Ursächlichkeitsbeweises abzunehmen. Wenn in BGH NJW 1967, 1508, die Voraussehbarkeit der Verletzung als wesentlicher Grund für die Beweislastumkehr genannt wird, so wird damit nicht auf die Wahrscheinlichkeit, sondern auf die Art des Schuldvorwurfs abgehoben. 22o Vgl. oben 1. Teil, G IV. 221 Vgl. oben 1. Teil, GI, Fn. 366. 228 Vgl. dazu A. Blomeyer, AcP 158, S. 105; Hofmann, S. 8, 23; Uhlenbruck, NJW 1965, 1060; Joachim Schmidt, JuS 1975, 434. Nach Musielak, S. 149 ff., lassen sich die Ergebnisse der Rechtsprechung auch bei Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis erreichen. Dabei wird jedoch übersehen, daß die von der Rechtsprechung bisweilen gebrauchte Formel von der "geeigneten und naheliegenden Schadensursache" nicht gleichbedeutend ist mit der für den Anscheinsbeweis zu fordernden "hohen" Wahrscheinlichkeit. 229 Ebenso z. B. Schuster, S. 134; a. A. wohl RGZ 78, S. 432, 435.
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in der Organisation der Krankenbehandlung begründet sind. Auch insoweit besteht kein Anlaß, die Beweislast erst bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers umzukehren. Der Beweis der Kausalität zwischen (feststehendem) Behandlungsfehler und Verletzung ist für den Patienten regelmäßig sehr schwer zu führen - auch bei verminderten Beweisanforderungen. Mindestens ebenso schwierig ist jedoch für den Arzt der Negativbeweis, daß sein Kunstfehler nicht ursächlich für die Verletzung war230 • Dabei hat die Schwere des Behandlungsfehlers keinen Einfluß auf die Beweismöglichkeiten231. Demnach kann der beweisrechtliche Sphärengedanke hier nicht zur Lösung beitragen232 • Bei der qualitativen Abwägung ist zu fragen, wen die Last der negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen schwerer trifft233, den Patienten, der bestehende Ansprüche infolge von Beweisschwierigkeiten nicht durchsetzen könnte, oder den Arzt (bzw. Krankenhausträger), der trotz Nichtbesteheus eines Anspruchs Schadensersatz leisten müßte. Jeder Kunstfehler, nicht nur der schwere, bringt die Gefahr außerordentlich hoher Schäden mit sich. Der Arzt ist regelmäßig gegen Haftpflicht voll versichert; auch der Patient ist meist durch die Sozialversicherung geschützt, jedoch nicht gegen alle Behandlungsfolgen. So erhält er bei Frühinvalidität regelmäßig nur eine sehr geringe Rente. Dies spricht dafür, nicht allein dem Patienten das Risiko der negativen Auswirkungen aufzubürden234 • Auch im Rahmen einer solchen Billigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung ist es meiner Ansicht nach nicht angebracht, nach der Schwere des Behandlungsfehlers zu differenzieren235, da die Beweislastumkehr keine "Strafe" für besonders schweres Verschulden sein sollte. Die einzige Fallgruppe, in der eine bestimmte Beweislastverteilung (auch) Strafcharakter trägt, dürfte die Beweislastumkehr bei Beweisvereitelung sein236 • Hier erscheint die Beweislastumkehr als angemes230 Vgl. z. B. RGZ 78, S. 432, 435; BGH LM Nr. 25 zu § 286 (C) ZPO, BI. 2; BGH NJW 1971, 241, 243 (s. Fn. 225); Hofmann, S. 18, 99. 23 1 So zu Recht Hofmann, S. 24. 232 a. A. wohl Fikentscher, Schuldrecht, § 47 II, S. 232, der den Sphärengedanken als Begründung für die Beweislastumkehr in einem Fall heranzieht, in dem streitig war, ob die Tb-Erkrankung eines Kindes auf eine Ansteckung durch eine mit Tb infizierte Kindergärtnerin zurückging. 233 Vgl. oben 1. Teil, E III 2. 234 Ahnlieh Hofmann, S. 18 f., für den das Schutzbedürfnis der Patienten das tragende Argument für eine Beweislastumkehr bei Arzthaftpflichtprozessen ist. 235 a. A. insbesondere A. Btomeyer, AcP 158, S. 105 f., der die Beweislastumkehr in den Arzthaftpflichtprozessen in erster Linie auf Zumutbarkeitserwägungen stützt. Wie hier dagegen Hofmann, S. 24 f. 238 s. oben 1. Teil, G III 2, Fn. 407, und F II 2, Fn. 294.
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
sene "Vergeltung" für die schuldhafte Herbeiführung der Beweislosigkeit. An diesen Gedanken will die Rechtsprechung anknüpfen, wenn sie eine Beweislastumkehr bei Arzthaftpflichtprozessen bisweilen auf folgende Weise begründet: Es sei billig, den Arzt dafür einstehen zu lassen, wenn er durch einen groben Behandlungsfehler eine Lage herbeigeführt habe, die nicht mehr erkennen lasse, ob sein Versagen oder eine andere Ursache den schädigenden Erfolg herbeigeführt habe237 • Dabei wird jedoch übersehen, daß die Pflicht zur Einhaltung der ärztlichen (und pflegerischen) Kunstregeln einzig und allein dazu dient, dem Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen, nicht aber (auch) den Zweck hat, Beweisschwierigkeiten bei eventuellen Schadensersatzprozessen zu verhindern238 • Der Präventivzweck der Haftungsnorm spricht hier kaum für eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten, da die allgemeine Befolgung der ärztlichen Behandlungsregeln auch bei einer dem Arzt günstigen Beweislastverteilung im großen und ganzen gesichert wäre. Umgekehrt ist darauf zu achten, daß die Ausgestaltung der Schadensersatzpflicht, bei der die Beweislastverteilung eine große Rolle spielt, nicht zu einer Lähmung der Handlungsbereitschaft und Initiative des Arztes führt239 • Eine solche Lähmung könnte aber eintreten, wenn sich der Arzt schon bei jeder Verletzung eines Patienten während der Behandlung zu entlasten hätte. Dies würde den Patienten in ihrer Gesamtheit mehr Schaden zufügen als eine ihnen ungünstige Beweislastverteilung. Das ist wohl der wichtigste Grund dafür, daß allgemein dem Patienten die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers auferlegt wird. Damit ist die Gefahr einer Lähmung der ärztlichen Handlungsbereitschaft durch eine zu weitgehende Beweislastumkehr praktisch ausgeschlossen. Ein darüber hinausgehender Schutz des Arztes ist nicht erforderlich. Von daher gesehen ist es also unschädlich, die Beweislast schon bei Vorliegen eines einfachen Behandlungsfehlers umzukehren. Die Abwägung aller relevanten Umstände hat gezeigt, daß es einerseits nicht sinnvoll ist, die Beweislast für die Verursachung der Verletzung durch einen schuldhaften Behandlungsfehler zugunsten des Pa237 BGH LM Nr. 25 zu § 286 (C) ZPO = VersR 1956, 499, 500; BGH VersR 1962, 960; ähnlich BGH NJW 1967, 1508. 238 Da die eine Verletzung ärztlicher Kunstregeln darstellende Handlung immer mit der identisch ist, die die Beweislosigkeit bezüglich der Kausalität herbeiführt - denn hätte der Arzt lege artis behandelt, so wüßte man, ob die Verletzung auch dann eingetr eten wäre-, spräche gerade diese Begründung gegen jede Differenzierung nach der Schwere des Behandlungsfehler s. Vgl. Kleinewefers I Wilts, VersR 1967, 620 f.; gegen diese Argumentation des BGH im Ergebnis auch A. Blomeyer, AcP 158, S. 105, sowie Prölss, S. 96 ff. 2 39 Vgl. auch Hofmann, S. 26 f .
II. Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung im allg.
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tienten schon bei jeder Verletzung im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung umzukehren, daß andererseits eine Differenzierung nach der Schwere des Behandlungsfehlers nur schlecht zu rechtfertigen ist. Es ist daher geboten, entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für eine Beweislastumkehr das Vorliegen eines jeden auch eines einfachen - Behandlungsfehlers genügen zu lassen. Hinsichtlich der Kausalität sollte sich jedoch die Beweislast nur unter der weiteren von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzung umkehren, daß der Behandlungsfehler den äußeren Umständen nach gerade zu der eingetretenen Schädigung führen konnte240 • Diese Einschränkung ist sachgemäß, um von der Beweislastumkehr solche Fälle auszuschließen, in denen für eine Kausalität von Behandlungsfehler und Verletzung nur eine geringe Wahrscheinlichkeit spricht241 • Es ist anzunehmen, daß bei einer solchen Beweislastverteilung das Risiko der negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen zum einen relativ klein und zum anderen so gleichmäßig wie möglich auf beide Parteien verteilt ist242 : Der Patient trägt das Risiko, dem Arzt das Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht nachweisen zu können; der Arzt wird in einigen wenigen Fällen in Anspruch genommen, weil ihm der Beweis fehlender Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Verletzung nicht gelingt. Die hier herausgearbeiteten Grundsätze führen im Regelfall zu vernünftigen, den Interessen beider Seiten gerecht werdenden Ergebnissen. In besonders gelagerten Einzelfällen ist dies jedoch nicht der Fall. So ist beispielsweise nicht einzusehen, warum bei einem ordnungswidrigen Zustand von Behandlungsräumen oder ärztlichen Geräten andere als die unter bb) entwickelten Grundsätze maßgebend sein sollten, warum also der Arzt bzw. Krankenhausträger auch insoweit gegenüber dem Gastwirt, Vermieter oder Ladeninhaber privileigert sein soll. Die Beweislast muß sich also schon dann umkehren, wenn der Patient einen ordnungswidrigen Zustand von Räumen oder Geräten nachweist und feststeht, daß dieser auch geeignet war, eine Gesundheitsbeschädigung der eingetretenen Art herbeizuführen und daß zwischen beidem ein genügend enger zeitlicher und örtlicher Zusammenhang bestand243• Vgl. oben Fn. 48. Nach den hier angestellten Erwägungen ist eine unterschiedliche Beweislastverteilung bei vertraglicher und deliktischer Haftung des Arztes nicht gerechtfertigt. Ebenso wohl auch BGH VersR 1962, 960, und Hofmann, S. 22. 242 Vgl. oben 1. Teil, E II 2 d. 243 BGH NJW 1971, 241, verlangt auch hier den (im zu entscheidenden Fall gelungenen) Nachweis eines groben Fehlers des Krankenpflegepersonals. Diese Fallgestaltung ist jüngst aktuell geworden in der Hamburger "Beta240
241
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Ähnliches gilt bei der möglichen Ansteckung durch Mitpatienten. Hier muß es - entgegen der Rechtsprechung des BGH - ausreichen, wenn der Anspruchsteller beweist, daß er an derselben ansteckenden Krankheit erkrankt ist, an der auch ein im selben Zimmer untergebrachter Mitpatient gelitten hat und dessen isolierte Unterbringung geboten war244 • Dies ist insoweit eine Abweichung von den hier vorgeschlagenen allgemeinen Grundsätzen, als mit der gemeinsamen Unterbringung ein ärztlicher Behandlungsfehler, verstanden als fehlerhaftes Verhalten des Arztes, noch nicht feststeht. Von einem Behandlungsfehler könnte in diesem Zusammenhang nur dann gesprochen werden, wenn der Arzt von der ansteckenden Krankheit des Mitpatienten gewußt hat oder hätte wissen müssen. dd) Ergebnisse Die Analyse hat ergeben, daß es sinnvoll ist, für die Beweislastumkehr bei den verschiedenen Fallgruppen positiver Vertragsverletzung auch unterschiedliche Voraussetzungen aufzustellen. Maßgebend für die Unterscheidung ist dabei weniger der Vertragstyp als die konkrete Sachverhaltsgestaltung, unter der die Verträge durchgeführt werden. Dies ist insbesondere bei Behandlung der zweiten Fallgruppe, bei der es um die (mögliche) Schadensverursachung durch einen ordnungswidrigen Zustand von Sachen ging, deutlich geworden. Bei vertraglichen Ansprüchen wegen Beschädigung einer verwahrten Sache oder Verletzung einer beförderten Person sind die Ergebnisse der Rechtsprechung zu billigen. Danach reicht es für eine Beweislastumkehr aus, wenn der Anspruchsteller die Beschädigung während der Verwahrung oder die Verletzung während des Transports nachweist. Der Verwahrer hat dann zu beweisen, daß die Beschädigung n icht auf einen von ihm zu vertretenden Umstand zurückzuführen ist. - Der Rechtsprechung ist auch insoweit zuzustimmen, als sie bei der Schadensverursachung durch einen ordnungswidrigen Zustand von dem Anspruchsgegner gehörenden Sachen diesem die Beweislast dafür auferlegt, daß er den ordnungswidrigen Zustand nicht zu vertreten hat. tron-Affäre" : Infolge eines Defekts an einem Strahlengerät hatten 1971 in einem Hamburger Krankenhaus zwei Krebskranke den Tod gefunden, einige weitere schwere Lähmungen davongetragen. Vgl. den Bericht in der Wochenzeitung "Der Spiegel", 1973, Nr. 12 (19. März), S. 60 ff. 244 a. A. wohl BGH NJW 1969, 553, sowie BGH VersR 1965, 91 (Anspruch eines Untersuchungsgefangenen aus § 839 BGB); wie hier dagegen in einem ähnlichen Fall OLG Hamm vom 13. 10. 1960, unveröffentlicht, mitgeteilt von Fikentscher, Schuldrecht, § 47 II, S. 232 (mögliche Ansteckung eines Kindergartenkindes durch Kindergärtnerin) ; sowie Fikentscher, a.a.O. (vgl. Fn. 232); Hans StoU, Festschrift für Fritz von Hippel, S. 552, Fn. 143, und Hofmann, S. 27 (beide im Hinblick auf BGH VersR 1965, 91). Interessanterweise betreffen alle drei genannten Entscheidungen Tb-Erkrankungen.
III. Beweislast bei gefahrgeneigter Arbeit
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Es ist dagegen nicht begründet, die Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität zwischen ordnungswidrigem Zustand und Verletzung auf Ansprüche aus § 618 BGB zu beschränken. - Ferner ist es nicht sinnvoll, wenn die Rechtsprechung bei Verträgen über ärztliche und krankenpflegerische Behandlung die Beweislast für Verschulden und Kausalität nur bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers umkehrt. Es muß hier der Nachweis eines jeden, auch eines leichten, Behandlungsfehlers ausreichen. Schon diese Auswahl von Fallgruppen bestätigt, daß es eine einheitliche Formel für die Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung nicht gibt und nicht geben kann. Es ist daher sehr zu begrüßen, daß die Rechtsprechung245 - anders als die Literatur - von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht den Versuch unternimmt, alle Einzelergebnisse in einer einfachen Formel zusammenzufassen246 • Bedauerlicherweise werden jedoch sonst in Literatur und Rechtsprechung vielfach allgemeinere Aussagen über die Beweislastverteilung gemacht, die sich als falsch oder aber als inhaltsleer erwiesen haben247 • Dadurch wird die Diskussion sehr erschwert. Zu sinnvollen Lösungen gelangt man nur dann, wenn für kleinere überschaubare Fallgruppen die negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen quantitativ und qualitativ abgewogen und die jeweiligen Folgen einer bestimmten Beweislastverteilung mit berücksichtigt werden. 111. Die Beweislastverteilung bei Haftung des Arbeitnehmers aus gefahrgeneigter Arbeit
Die Rechtsprechung zur Beweislastverteilung bei positiver Vertragsverletzung im Arbeitsrecht ist mittlerweile sehr reichhaltig. Sie betrifft jedoch sehr unterschiedliche Fälle, z. B. Ansprüche eines Arbeitgebers gegen eine Gewerkschaft wegen Verletzung der tarifv ertragliehen Friedenspflicht248, die Schadensersatzklage eines Lehrlings gegen seinen Lehrherrn wegen unzureichender Ausbildung249, den Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen Nichtanmeldung Vgl. Fn. 94. Das begrüßt von seinem Standpunkt aus auch Hans StoH, Festschrift für Fritz von Hippe!, S. 556. 247 z. B. die, daß sich die Beweislastumkehr nicht auf die Kausalität zwischen objektiver Pflichtwidrigkeit und Schaden beziehe (s. oben 1 b, Fn. 89); vgl. zu sonstigen allgemeinen Aussagen 3 a- c. 248 BAG 3, S. 280 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG (Friedenspflicht). Dort heißt es ganz undifferenziert, daß § 282 BGB auch auf positive Vertragsverletzungen anzuwenden sei. 249 BAG AP Nr. 22 zu § 611 BGB (Lehrverhältnis), wo ohne Begründung - § 282 BGB angewandt wird. 245
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
zu einer Pensionskasse250 , ferner Ansprüche des Arbeitgebers gegen die Arbeitnehmer einer Akkordgruppe auf Schadensersatz wegen Schlechtleistung251, Ansprüche aus Mankohaftung252 und schließlich solche aus gefahrgeneigter Arbeit253. Nach den unter II. herausgearbeiteten Ergebnissen können für diese verschiedenartigen Fallgruppen nicht einheitliche Grundsätze gelten. Daher soll hier als Beispiel für eine in der arbeitsgerichtliehen Praxis besonders wichtige Fallgruppe die Beweislastverteilung bei Haftung des Arbeitnehmers aus gefahrgeneigter Arbeit behandelt werden.
1. Die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitnehmerhaftung bei gefahrgeneigter Arbeit Bevor auf die Beweislastverteilung eingegangen wird, soll kurz die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Haftung bei gefahrgeneigter Arbeit in Erinnerung gerufen werden. Nach den Grundsätzen des Bürgerlichen Rechts (vgl. insbes. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB) hat der Schuldner jeden durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit verursachten Schaden voll zu ersetzen. Im Rahmen einiger weniger Rechtsverhältnisse, zu denen das Arbeitsverhältnis nicht gehört, haftet der Schuldner nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (vgl. z. B. §§ 521, 599 BGB). Die Unterscheidung weiterer Fahrlässigkeitsgrade und eine daran angelehnte Haftungsabstufung dem Umfang nach sind dem BGB dagegen fremd. In Abweichung davon hat das Bundesarbeitsgericht für die Haftung bei gefahrgeneigter Arbeit folgende Grundsätze aufgestellt: Den durch leichteste Fahrlässigkeit (leichteste oder geringe Schuld)254 verursach250 BAG AP Nr. 7 zu § 282 BGB, wo dem Anspruchsgegner in analoger Anwendung von § 282 BGB die Beweislast für sein Nichtvertretenmüssen dann auferlegt wird, wenn die Schadensursache in seinem "Gefahrenbereich" liegt. Ähnlich BAG DB 1975, 356, für Schadensersatzansprüche gegen den Arbeitgeber wegen Verletzung der nachvertraglichen Fürsorgepflicht. 251 BAG BB 1974, 1208. Danach soll der Arbeitgeber nur die Beweislast dafür tragen, daß der Schaden durch vertragswidrige Schlechtleistung der Gruppe verursacht worden ist; im übrigen habe der einzelne Arbeitnehmer zu beweisen, daß er selbst fehlerfrei gearbeitet habe oder ihn kein Verschulden treffe. Dies folge aus einer Anwendung des Gefahrenbereichsgedankens. Vgl. dazu Kniffka, BB 1976, 274. 252 Vgl. hierzu nur BAG AP Nr. 4, 20, 32, 49, 53, 54, 57, 64, 67 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); AP Nr. 2 zu § 1 ErstattG; AP Nr. 1 zu § 276 BGB (Vertragsverletzung) sowie in Kürze Reinecke, Die Mankohaftung des Arbeitnehmers, ZfA 1976. 253 BAG 19, S . 66 = AP Nr. 5 zu§ 282 BGB; AP Nr. 42, 58, 59, 63, 70 zu§ 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); LAG Bremen, DB 1962, 442; BGH DB 1973, 1797; vgl. auch BAG AP Nr. 7 zu§ 282 BGB, BI. 4. 254 Zur Bedeutung der nicht einheitlich gebrauchten - Begriffe Fahrlässigkeit und Schuld bei der Arbeitnehmerhaftung und ihrem Verhältnis zueinander vgl. neuerdings B ok elmann, Grobe Fahr lässigkeit, S. 58 ff.
III. Beweislast bei gefahrgeneigter Arbeit
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ten Schaden hat der Arbeitgeber allein zu tragen. Bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz (schwerer Schuld) hat der Arbeitnehmer den Schaden in voller Höhe zu ersetzen. Bei einem Fahrlässigkeitsgrad, der zwischen leichtester und grober Fahrlässigkeit liegt (normale oder mittlere Schuld)255, ist der Schaden je nach den Umständen des Einzelfalles auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzuteilen256 • Außerhalb des Bereichs gefahrgeneigter Tätigkeit haftet der Arbeitnehmer dagegen für jede, auch die leichteste, Fahrlässigkeit in vollem Umfang257 . Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts liegt gefahrgeneigte Arbeit dann vor, "wenn die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, daß auch dem sorgfältigen Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die für sich allein zwar jedes Mal vermeidbar waren, mit denen aber angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit als mit einem typischen Abirren der Dienstleistung erfahrungsgemäß zu rechnen ist" 258• - Hauptbeispiel dafür ist das Führen eines Kraftfahrzeuges, insbesondere eines Lkw, das in aller Regel, jedoch nicht stets, als gefahrgeneigte Arbeit angesehen wird259. Dagegen rechnet die herrschende Meinung die Fälle der sog. Mankohaftung grundsätzlich nicht hierher, d. h. der Arbeitnehmer haftet für jedes von ihm fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführte Manko in voller Höhe260 • Dahinter steht die Befürchtung, daß eine Haftungsmilderung in diesem Bereich den Präventivzweck der bürgerlich-rechtlichen Haftungsnormen 261 ernsthaft gefährden würde. Im folgenden soll hier von mittlerer Fahrlässigkeit gesprochen werden. Ständige Rechtsprechung - mit freilich im einzelnen unterschiedlicher Terminologie, vgl. z. B. BAG AP Nr. 8, 14, 23, 26 und insbesondere Nr. 33 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers) sowie BAG AP Nr. 5 zu § 282 BGB. Vgl. zum Ganzen Gamillscheg I Hanau, Die Haftung des Arbeitnehmers, 2. Auf!., 1974. 257 BAG AP Nr. 8 zu§ 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); AP Nr. 5 zu § 282 BGB; BB 1974, 1208. 25 s BAG AP Nr. 5 zu § 282 BGB; AP Nr. 4 zu §§ 898, 899 RVO. Vgl. auch die Einschränkung in BAG AP Nr. 22 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers) und neuerdings die vorsichtige Ausweitung des Begriffs in BAG AP Nr. 50, 53 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers). Es ist sehr zweifelhaft, ob die Gefahrneigung der geeignete Anknüpfungspunkt für eine Haftungsmilderung ist; kritisch dazu z. B. Hanau, AP Nr. 53, 56 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers) ; Gamillscheg I Hanau, S. 52 ff. Auf diese Problematik kann hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. 259 Bejahend z. B. BAG AP Nr. 23, 33, 42, 58, 59, 63, 70 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); AP Nr. 5 zu§ 282 BGB ; verneinend BAG AP Nr. 22 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); einschränkend auch BAG AP Nr. 26, 56 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers). 2oo Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 252. 261 Vgl. dazu oben 1. Teil, E 111 3 b. 255
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
2. Die Beweislastverteilung bei gefahrgeneigter Arbeit in Rechtsprechung und Literatur a) Die Rechtsprechung Nach ständiger Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts, die ausschließlich Kraftfahrzeugunfälle ohne unmittelbare Beteiligung anderer Fahrzeuge betrifft, findet § 282 BGB im Bereich der gefahrgeneigten Arbeit keine Anwendung262 • Das bedeutet, daß sich die Beweislast nicht zu Lasten des in Anspruch genommenen Arbeitnehmers umkehrt. Der Arbeitgeber hat also dem Arbeitnehmer mittlere oder grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen. Genauer gesagt: der Arbeitgeber hat die Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß der Arbeitnehmer mit mittlerer oder grober Fahrlässigkeit gehandelt hat, und dadurch ein Schaden entstanden ist. Dabei können dem Arbeitgeber die Grundsätze über den Anscheinsbeweis zu Hilfe kommen. Zwei Besonderheiten sind hier jedoch zu beachten: Zum einen kann nach der Rechtsprechung nur die mittlere263, nicht aber die grobe Fahrlässigkeit durch Anscheinsbeweis dargetan werden264 • Zum anderen werden bei mittlerer Fahrlässigkeit an den Entlastungsbeweis des Arbeitnehmers regelmäßig wohl geringere als die üblichen Anforderungen gestellt265 • Das Nichteingreifen einer Beweislastumkehr zugunsten des Arbeitgebers begründet die Rechtsprechung im wesentlichen mit zwei Erwägungen. Zum einen heißt es, die Anwendung von§ 282 BGB auf positive Vertragsverletzungen sei dann gerechtfertigt, wenn die Schadensursache aus dem Gefahrenbereich des Schuldners, hier des Arbeitnehmers, hervorgegangen sei. Das sei bei gefahrgeneigter Arbeit nicht der Fall; denn die Haftungsmilderung beruhe gerade darauf, daß die 262 Vgl. die Nachweise in Fn. 253; anders im Ergebnis noch RAG ARS 34, S. 357, sowie LAG Niedersachsen, ARSt 1966, 36; vgl. auch BAG AP Nr. 5 zu § 549 ZPO, wonach auch bei nichtgefahrgeneigter Arbeit die §§ 282, 285 BGB auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar seien. 263 Vgl. BAG AP Nr. 5 zu § 282 BGB ; AP Nr. 31, 42, 63 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers). 264 BAG AP Nr. 42, 72 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); BGH DB 1973, 1797 (im Anschluß an BGH VersR 1968, 668); vgl. auch BAG AP Nr. 63 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehme rs) mit zustimmender Anmerkung von M edicus, BI. 5. Zur Begründung heißt es, daß bei Feststellung grober Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände zu berücksichtigen seien, bei denen es keine auf typische Geschehensabläufe hinweisende Erfahrungssätze gäbe. 265 BAG AP Nr. 5 zu § 282 BGB; AP Nr. 31 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers). Dagegen wendet sich Sieg, AP Nr. 5 zu § 282 BGB, BI. 6 R. Vgl. allgemein zu den Anforderungen an den Entlastungsbeweis oben 1. Teil, G II.
II!. Beweislast bei gefahrgeneigter Arbeit
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Schadensursache in der Gefahrgeneigtheit der Arbeit liege, die ihrerseits wieder zum Betriebsrisiko und Gefahrenbereich des Arbeitgebers gehöre266 • - Zum anderen wird darauf verwiesen, daß dem Gesetzgeber des BGB die Unterscheidung nach dem Grad der Fahrlässigkeit bei gefahrgeneigter Arbeit fremd gewesen sei und daher § 282 BGB, der sich auf alle Arten von Verschulden, auch die leichteste Fahrlässigkeit, erstrecke, dann nicht anwendbar sei, wenn es gerade auf den Grad der Fahrlässigkeit ankomme267 • - Nur in einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Bremen268 werden soziale Gesichtspunkte angesprochen. Es heißt dort, daß eine Beweislastumkehr zu Lasten des abhängigen Arbeitnehmers mit dem das Arbeitsrecht beherrschenden Schutzgedanken kaum vereinbar sei. b) Die in der Literatur vertretenen Meinungen Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird von Brox269 , Bötticher270 und Gamillscheg I Hanau271 gebilligt. Die genannten Autoren verweisen darauf, daß die bei Ausführung gefahrgeneigter Arbeit entstehenden Schäden zum Verantwortungsbereich des Arbeitgebers gehörten, insbesondere wenn man bedenke, daß der Arbeitnehmer in die betriebliche Organisation des Arbeitgebers einbezogen sei und daher als Schadensursache nicht erst eine eventuelle Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers, sondern schon die Inbetriebnahme des Kraftfahrzeugs durch den Arbeitgeber anzusehen sei. Auch Stehl272 lehnt bei Autounfällen eine Beweislastumkehr ab, da es insoweit an einem eigenverantwortlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers fehle. Im übrigen könne aber bei positiver Vertragsverletzung im Arbeitsrecht eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, da in einigen wenigen Fällen durchaus ein eigenständiger Herrschaftsbereich des Arbeitnehmers vorhanden sei.
Die überwiegende Meinung in der Literatur kommt dagegen - ebenfalls unter Berufung auf den Sphärengedanken - zu Ergebnissen, die BAG AP Nr. 5, 7 zu§ 282 BGB; BAG AP Nr. 7 zu§ 282 BGB, Bl. 4. BAG AP Nr. 42 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers) ; AP Nr. 5 zu§ 282 BGB; BGH DB 1973, 1798. 288 DB 1962, 442. 289 SAE 1967, 144. 270 AR-Blattei D, Haftung des Arbeitnehmers, Entsch. 43, 2. Forts.Bl. vgl. auch Nikisch, Arbeitsrecht, I. Bd., § 27 V 6, S. 308, der eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers grundsätzlich ablehnt. 271 Die Haftung des Arbeitnehmers, S. 88 f., die dem Arbeitgeber zu Recht auch die Beweislast dafür auferlegen, daß die Arbeit nicht gefahrgeneigt war. 272 Die Beweislast bei positiver Vertragsverletzung im Arbeitsverhältnis, AuR 1970, 257, 266. 288
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
von denen des Bundesarbeitsgerichts abweichen273 . Wie auch sonst bei positiver Vertragsverletzung habe der Arbeitnehmer sich dann zu entlasten, wenn der Arbeitgeber bewiesen habe, daß das Schadensereignis aus dem Herrschafts-, Gefahren- oder Obhutsbereich des Arbeitnehmers hervorgegangen sei, da nur der Arbeitnehmer den Schadensablauf überblicken könne. Dies sei bei Kraftfahrzeugunfällen regelmäßig der Fall274 . Nach Sieg275 und Trinkner276 soll jedoch der Arbeitgeber, der vom Arbeitnehmer vollen Schadensersatz verlangt, die Beweislast für das Vorliegen gTobeT Fahrlässigkeit haben. - Interessanterweise stützen sich also sämtliche genannten Autoren in erster Linie auf den Sphären- oder Gefahrenbereichsgedanken; sie verstehen jedoch offenbar darunter nicht dasselbe. Soziale Gesichtspunkte werden nur am Rande berührt. So weisen Brox277 und Bötticher278 darauf hin, daß eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers die einmal gewährte Haftungserleichterung in vielen Fällen wieder entwerten würde, während Hansen279 und Woltereck280 der Auffassung sind, daß der soziale Schutzgedanke einer Beweislastumkehr nicht entgegenstehe.
3. Eigene Auffassung a) Kritische Stellungnahme zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Nach der hier vertretenen Auffassung kommt es bei der Ausfüllung von Regelungslücken in erster Linie auf eine quantitative und qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen beider Regelungsalternativen an281 • Von daher ist es unzweckmäßig, wenn das Bundesarbeitsgericht die Diskussion über die Beweislastverteilung bei gefahrgeneig273 Sieg, AP Nr. 5 zu § 282 BGB, BI. 5; AP Nr. 1 zu § 276 BGB; TTinkneT, BB 1967, 672; Medicus, AP Nr. 58 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers), BI. 8; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast I, 5. Forts.Bl., und wohl auch Hansen, AuR 1968, 295; Woltereck, AuR 1964, 329; Hucck, Arbeitsrecht, 1. Bd., § 35 II 3, S. 230, Fn. 33 a. 274 So ausdrücklich Sieg, AP Nr. 5 zu§ 282 BGB, BI. 5 R; TTinkneT, BB 1967, 673; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast I, 6. Forts.Bl.; Kritisch zur Rechtsprechung des BAG auch P. Sch!osser, AP Nr. 4 zu § 276 BGB, Vertragsbruch, BI. 4 R, 5. 275 AP Nr. 5 zu § 282 BGB, BI. 5 R; AP Nr. 42 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers), BI. 4 R. 276 BB 1967, 673. 277 SAE 1967, 145. 278 AR-Blattei, D, Haftung des Arbeitnehmers, Entsch. 43, 3. Forts.Bl. 279 AuR 1968, 298. 280 AuR 1964, 329 beide jedoch in erster Linie im Hinblick auf die Beweislastverteilung bei der Mankohaftung. 281 Vgl. oben 4 a c dd und 1. Teil, F IV 3.
111. Beweislast bei gefahrgeneigter Arbeit
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ter Arbeit nur unter dem Blickwinkel der analogen Anwendung des § 282 BGB führt282 • Denn es besteht die Gefahr, daß dadurch die für die Beweislastverteilung maßgeblichen Wertungen verdunkelt werden283 • Doch auch abgesehen von diesem Einwand bestehen gegen die Begründung des Bundesarbeitsgerichts Bedenken. Es soll zunächst zu dem Argument Stellung genommen werden, § 282 BGB sei nicht anzuwenden, weil dem Gesetzgeber die Unterscheidung nach dem Grad der Fahrlässigkeit bei gefahrgeneigter Arbeit fremd gewesen seF84• Auch das BGB kennt Rechtsverhältnisse, in denen der Schuldner nur grobe Fahrlässigkeit (und Vorsatz) zu vertreten hat, vgl. z. B. die §§ 521, 599, 708, 1359 BGB. Nach h. M. ist § 282 BGB auch in diesen Fällen anwendbar, da die Vorschrift nicht auf einen bestimmten Fahrlässigkeitsgrad, sondern allgemein auf das Vertretenmüssen abstellt: Der Schuldner hat jeweils zu beweisen, daß er denjenigen Sorgfaltsgrad aufgewendet hat, zu dem er nach dem konkreten Schuldverhältnis verpflichtet war, bei den §§ 521, 599 BGB also, daß er nicht grob fahrlässig gehandelt hat285 • Bei gefahrgeneigter Arbeit würde dies bedeuten: Der Arbeitnehmer, welcher der vollen oder anteiligen Haftung entgehen wollte, hätte nachzuweisen, daß er nicht mit grober oder mittlerer Fahrlässigkeit gehandelt hat. Die Unterscheidung nach dem Grad der Fahrlässigkeit steht also einer Beweislastumkehr in entsprechender Anwendung von§ 282 BGB nicht im Wege2B6 • Fraglich ist auch, ob man die Anwendbarkeit des § 282 BGB mit der Begründung ausschließen kann, die Haftungsmilderung bei gefahrgeneigter Arbeit beruhe darauf, daß die Schadensursache in der Gefahrgeneigtheit der Arbeit liege und diese wiederum zum Betriebsrisiko und Gefahrenbereich des Arbeitgebers gehöre287• Das Bundesarbeitsgericht setzt hier offenbar die Begriffe Betriebsrisiko und Gefahrenbereich gleich und verwendet sie als Erklärung dafür, warum bei (bewiesener) leichtester oder mittlerer Fahrlässigkeit der Arbeitnehmer gar nicht oder nur anteilig haftet. Der Begriff Gefahrenbereich in dies. oben Fn. 253. Zu den Einwänden, die allgemein gegen die Formel von der (analogen) Anwendung von § 282 BGB auf positive Vertragsverletzung erhoben werden müssen, vgl. oben B II 3 b, und speziell auf positive Vertragsverletzung im Arbeitsrecht Mayer-Maly, AP Nr. 7 zu § 282 BGB, Bl. 7. 284 Vgl. oben Fn. 267. 285 BGH LM Nr. 14 zu § 282 BGB; Soergel I Schmidt, § 282 BGB, Anm. 2; Erman I Battes, § 282, Anm. 10; Rosenberg, S. 360; Medicus, AP Nr. 58 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers) Bl. 8; unklar dagegen Staudinger I Werner, § 282, Anm. 6, 7. 286 Ähnlich Medicus, AP Nr. 58 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers), Bl. 8, der § 282 BGB hinsichtlich der mittleren Fahrlässigkeit nicht für analog anwendbar hält. 287 Vgl. BAG, Fn. 266, sowie Brox und Bötticher, Fn. 269, 270. 282
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2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
ser Bedeutung ist jedoch nicht identisch mit dem in Hinblick auf die Beweislastverteilung gebrauchten. Denn Beweislastverteilung nach Sphären oder Gefahrenbereichen bedeutet, daß die Partei die Beweislast trägt, die aufgrund ihrer tatsächlichen Nähe zum Beweisgegenstand regelmäßig die besseren Beweismöglichkeiten hat288 • Daraus folgt, daß auch im Bereich gefahrgeneigter Arbeit eine Beweislastverteilung nach Sphären- oder Gefahrenbereichen nicht notwendig zur Beweislast des Arbeitgebers führt 289 • An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr, wie schillernd der Begriff Gefahrenbereich ist und wie wichtig es daher ist, sich über seine Bedeutung klar zu werden, wenn man ihn verwendet. Die diesbezüglichen Unklarheiten in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur überraschen jedoch nicht, da sich das Bundesarbeitsgericht eng an den Bundesgerichtshof anlehnt290 und sich auch dort - ebenso wie in der zivil(prozeß-)rechtlichen Literatur - häufig mißverständliche Formulierungen finden 291 • So werden "Sphäre" und "Gefahrenbereich" als Kriterien der Beweislastverteilung vielfach auch dann herangezogen, wenn in Wahrheit nicht so sehr auf die Beweismöglichkeiten, sondern auf die Schutzbedürftigkeit einer Partei oder ähnliche Gesichtspunkte abgestellt wird 292 • Demgegenüber gilt es daran festzuhalten, daß beide Erwägungen nichts miteinander zu tun haben und daher auch in der Diskussion streng auseinanderzuhalten sind. Die Argumente, die das Bundesarbeitsgericht gegen eine Beweislastumkehr ins Feld führt, sind demnach nicht stichhaltig. b) Die quantitative und qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen Im Rahmen der quantitativen Abwägung293 soll zunächst auf die Beweismöglichkeiten eingegangen werden. Betrachten wir insbesondere den in der arbeitsgerichtliehen Praxis wichtigsten Fall, den Kraftfahrzeugunfall ohne unmittelbare Unfallbeteiligung anderer Fahrzeuge. Das Kraftfahrzeug ist in der Regel dem Arbeitnehmer anvertraut; der Arbeitgeber kann kaum kontrollieren, wie der Arbeitnehs. oben 1. Teil, E II 1 b bb. Ähnlich Sieg, AP Nr. 5 zu § 282 BGB, BI. 5 R; Trinkner, BB 1967, 673; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast I, 6. Forts.Bl.; Stehl, AuR 1970, 263. 290 Besonders deutlich BAG AP Nr. 7 zu § 282 BGB, Bl. 2 R. 291 Darauf wurde im Rahmen dieser Arbeit schon mehrfach hingewiesen, vgl. oben B II 3 c; 1. Teil, E 111 b bb (Fn. 188), E 111 2. 292 Vgl. in der arbeitsrechtlichen Literatur z. B. Stehl, AuR 1970, 264 ff. 293 Vgl. zu dem Begriff quantitative und qualitative Abwägung 1. Teil, 288 289
E II 2 a, E 111 2.
III. Beweislast bei gefahrgeneigter Arbeit
159
mer seine Tätigkeit als Fahrer ausführt294 . Daher muß man sagen, daß der Arbeitnehmer dem Unfallgeschehen tatsächlich erheblich näher steht, sich also der aufzuklärende Vorgang in seiner Sphäre zugetragen hat. Der Arbeitgeber befindet sich hinsichtlich der Fahrlässigkeit regelmäßig in Beweisnot. Der Arbeitnehmer hat demgegenüber wohl - gerade im Hinblick auf die geringeren Anforderungen an den Entlastungsbeweis295- die besseren Beweismöglichkeiten, auch wenn diese wegen des häufigen Fehlens von Zeugen nicht überschätzt werden dürfen296 • - Der Sphärengedanke ist jedoch - was in Literatur und Rechtsprechung vielfach übersehen wird - nur einer von mehreren Gesichtspunkten, die die Beweislastverteilung beeinflussen können297. Für die quantitative Abwägung sind noch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen anzustellen. Nach der Lebenserfahrung ist bei Autounfällen ohne Beteiligung anderer Fahrzeuge ein fahrlässiges Verhalten des Arbeitnehmers, der den Wagen steuert, wahrscheinlich. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, mit welchem Fahrlässigkeitsgrad der Arbeitnehmer gehandelt hat. Man kann wohl nicht davon ausgehen, daß hier allgemein eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen mindestens mittlerer Fahrlässigkeit spricht298 . Noch weniger wahrscheinlich ist es, daß der Arbeitnehmer grob fahrlässig gehandelt hat. Wahrscheinlichkeitsaussagen, die eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers rechtfertigen, lassen sich also nicht treffen. Jedoch kann bei bestimmten FallgestaZtungen, etwa wenn ein Kraftfahrer ohne erkennbaren Anlaß auf einer übersichtlichen, gut ausgebauten und ausreichend ausgeleuchteten Straße von der Fahrbahn abkommt, sogar eine "hohe" Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen mittlerer Fahrlässigkeit sprechen, so daß insoweit die Grundsätze über den Anscheinsbeweis eingreifen299. - Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß die quantitative Abwägung gegen eine Beweislastumkehr hinsichtlich der groben Fahrlässigkeit spricht, im übrigen aber keine eindeutige Stellungnahme ermöglicht. 294 Vgl. aber die Kontrollmöglichkeiten durch Fahrtenschreiber oder ähnliches. 295 Vgl. oben II 4 b aa. 296 Ebenso die in Fn. 273 Genannten. Wenn d emgegenüber darauf verwiesen w ird, daß auch der Arbeitgeber den Unfall verschuldet haben kann, etwa durch eine d en Arbeitnehmer übermäßig belastende Einsatzregelung - vgl. B ötti cher, AR-Blattei, D , Haftung d es Arbeitnehmers, Entsch. 43, 3. Forts.Bl. -, so ist damit nur die hiervon zu trennende Frage des Mitverschuldens angesprochen. 297 s. oben 11 4 c dd und 1. Teil, F IV 3. 2os Ahnlieh Brox, SAE 1967, 146. 299 s. BAG AP Nr. 5 zu § 282 BGB; Nr. 42, 63 zu § 611 BGB (Haftung des Arbeitnehmers); kritisch insoweit Brox, SAE 1967, 146; vgl. dazu oben 2 a (Fn. 263 - 265).
160
2. Teil, B. Beweislast bei positiver Vertragsverletzung
Auch der Präventivzweck der Haftungsnorm verlangt nicht unbedingt eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers. Denn dieser wird regelmäßig allein schon deshalb vorsichtig fahren, weil er sich durch Unfälle meist selbst gefährden würde300• Entscheidende Bedeutung gewinnt hier die qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen; sie bestehen darin, daß eine Partei ihre Rechte wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual noch außerprozessual durchsetzen kann. Dabei muß die Frage beantwortet werden, ob die negativen Auswirkungen zu Lasten einer Partei in ihrer Art eher erträglich sind als die zu Lasten der anderen ParteP01 • Trüge der Arbeitnehmer die Beweislast, so würde er vielfach auch dann zu voller oder anteiliger Haftung herangezogen werden, wenn er in Wirklichkeit gar nicht mit grober oder mittlerer Fahrlässigkeit gehandelt hat, der Entlastungsbeweis aber nicht gelingt. Hätte der Arbeitgeber die Beweislast, so müßte er damit rechnen, einen bestehenden Schadensersatzanspruch nicht durchsetzen zu können, und zwar dann, wenn der Arbeitnehmer zwar mit grober oder mittlerer Fahrlässigkeit gehandelt hat, der Nachweis aber nicht gelingt. Man steht hier in der Tat vor der Alternative, dem - sozial schwächeren Arbeitnehmer die einmal gewährte Haftungserleichterung über eine Beweislastumkehr teilweise wieder wegzunehmen302 oder aber die Lage des Arbeitnehmers im Ergebnis noch etwas zu verbessern. Auch die gemilderte Haftung kann den Arbeitnehmer noch aufs Schwerste belasten, insbesondere wenn man bedenkt, daß die Schadenshöhe vielfach außer Verhältnis zur Höhe des Arbeitslohnes steht. Es geht daher m. E. nicht an, die mühsam erreichte Haftungserleichterung über eine Beweislastumkehr teilweise wieder rückgängig zu machen. Viel eher erträglich ist es, wenn der Arbeitgeber bisweilen bestehende Schadensersatzansprüche wegen der ihn treffenden Beweislast nicht durchsetzen kann; denn der Schaden wird höchst selten persönliche Auswirkungen im Arbeitgeberbereich haben und kann zumeist über eine Versicherung oder aber über die Preise auf viele Schultern verteilt werden. 300 Etwas anderes gilt für die sog. Mankohaftungsfälle (vgl. Fn. 252). Hat der Arbeitnehmer alleinigen Zugang zu einer Kasse oder einem Warenlager oder sind ihm Werkzeuge oder ähnliches zur alleinigen Verfügung anvertraut, so ist eine Beweislastumkehr bei nachgewiesenem Manko oder bei Beschädigung erforderlich, um die Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen zu sichern und so den Arbeitnehmer zu sorgfältigem Verhalten zu veranlassen. Teilweise geht es hier auch um die Verhinderung vorsätzlicher strafbarer Handlungen (Unterschlagungen usw.). Vgl. dazu i. e. Reinecke, Fn. 252. aot Vgl. oben 1. Teil, E III 2. 30 2 Darauf weisen hin Brox, SAE 1967, 145; Böt ticher, AR-Blattei, D, Haftung des Arbeitnehmers, Entsch. 43, 3. Forts.Bl.
I. Die Wirksamkeit von Kündigungen
161
Diese qualitative Abwägung rechtfertigt es also, mit dem Bundesarbeitsgericht eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers mindestens im Bereich gefahrgeneigter Arbeit abzulehnen; und in diesem Sinne läßt sich auch mit dem Landesarbeitsgericht Bremen303 sagen, daß eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitnehmers mit dem das Arbeitsrecht beherrschenden Schutzgedanken nicht vereinbar ist. C. Die Beweislastverteilung bei Streit um den Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere von Arbeitsverhältnissen I. Allgemeines zur Beweislast bei Streit um die Wirksamkeit von Kündigungen
1. Die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung Dauerschuldverhältnisse, die für eine bestimmte Zeit eingegangen worden sind, enden regelmäßig mit Ablauf dieser Zeit304• Die wichtigsten Endigungsgründe für sonstige Dauerschuldverhältnisse sind die ordentliche und die außerordentliche Kündigung 305 • Für die Wirksamkeit einer Kündigung müssen - auch abgesehen von den besonderen Kündigungsschutzbestimmungen für Mieter und Arbeitnehmer - eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Die Kündigung, eine empfangsbedürftige Willenserklärung, muß zugehen (§ 130 BGB); eine gesetzliche oder vertraglich vorgesehene Kündigungsfrist muß eingehalten werden, ebenso eine gesetzliche (z. B. § 564 a Abs. 1 BGB) oder vertraglich vereinbarte Schriftform (§§ 125 ff. BGB); der Kündigende muß geschäftsfähig sein(§§ 104 ff. BGB); die Kündigung darf nicht angefochten werden (§§ 119 f., 123, 142 BGB) und weder sittenwidrig sein, noch gegen Treu und Glauben verstoßen (§§ 138, 242 BGB). Für die außerordentliche Kündigung muß ein wichtiger Grund vorliegen usw. 306•
2. Die Beweislastverteilung Über alle genannten Punkte kann unter d en Parteien Streit herrschen, so daß es auch bei Kündigungen zahlreiche Beweislastprobleme DB 1962, 442. Vgl. §§ 564 Abs. 1, 604 Abs. 1, 620 Abs. 1, 723 Abs. 1 BGB, 131 Nr. 1 HGB; vgl. auch§§ 609 Abs. 2 BGB, 89 HGB. aos Vgl. z. B. §§ 542 ff., 553 ff., 564 Abs. 2, 564 a ff., 605, 609, 620 Abs. 2, 621 ff., 671, 723 ff. BGB, 89 f., 131 Nr. 6, 132 HGB, 15 BBiG. Weitere Endigungsgründe sind z. B. die Anfechtung und der Aufhebungsvertra g. Vgl. auch § 131 HGB. aos s. oben 1. Teil, B (a. E.). 303
304
11 Reinecke
162 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen gibt. So kann z. B. streitig sein, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt, oder Umstände vorhanden sind, die die Kündigung sittenwidrig machen oder als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, oder der Kündigungsempfänger kann bestreiten, daß die gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist eingehalten wurde307• a) Die Anwendung der ungeschriebenen Grundregel der Beweislastverteilung Bei der Beweislastverteilung hat man sich zunächst zu überlegen, welche Partei bei Anwendung der Grundregel die Beweislast trüge308 • Nach der Grundregel trägt der Anspruchsteller die Beweislast für die rechtsbegründenden, der Anspruchsgegner die Beweislast für die rechtsvernichtenden und -hemmenden Tatsachen. Es ist also zu fragen, ob die Kündigung rechtsbegründend oder aber rechtsvernichtend oder -hemmend ist und gegebenenfalls auch, welche Partei Anspruchsteller und welche Anspruchsgegner ist. Die Antwort hängt von der Art des geltend gemachten Anspruchs und von dem mit der Klage verfolgten Rechtsschutzziel ab. Der Anspruch auf Erbringung der vertragsmäßigen Leistung, z. B. auf Zahlung des Mietzinses (vgl. §§ 535, S. 2, 611 Abs. 1 BGB, 59 S. 1, 87 ff. HGB), setzt voraus, daß das Dauerschuldverhältnis noch besteht; dies ist incidenter zu prüfen. Das Vorliegen einer wirksamen Kündigung ist also rechtsvernichtend und daher bei Anwendung der Grundregel vom Anspruchsgegner zu beweisen. - Andere Leistungsansprüche, z. B. die auf Rückgabe oder Rückerstattung der dem Vertragspartner überlassenen Sachen oder Werte (§§ 556 Abs. 1, 604 Abs. 1, 607 Abs. 1, 667, 985 BGB) setzen umgekehrt voraus, daß das Dauerschuldverhältnis nicht mehr besteht. Hier kann man einerseits sagen, daß die wirksame Kündigung das Recht auf Rückgabe begründet, andererseits, daß die Kündigung das Recht des Inanspruchgenommenen, die überlassenen Sachen oder Werte zu benutzen, beendet, also vernichtet. Nach beiden Anschauungen hätte gemäß der Grundregel der Rückfordernde die Beweislast für die Wirksamkeit der Kündigung309 • 307 Davon zu unterscheiden ist der Streit darüber, ob eine von den gesetzlichen Kündigungsfristen abweichende Kündigungsfrist vereinbart wurde. Die Beweislast hat nach ganz h. M. die Partei, die eine Abweichung behauptet. Vgl. z. B. RGZ 57, S. 46; RG JW 1904, 174; RG, Recht 1910, Nr. 303, Nr. 1932; Rosenberg, S. 307; Staudinger I Kiefersauer, § 564, Anm. 23; Soergel I Mezger, § 564, Anm. 6; a. A. Leonhard, S. 370. 3os Vgl. zur Prüfungsreihenfolge 1. Teil, F IV 3. 309 Genauer gesagt: Die Beweislast für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich die Wirksamkeit der Kündigung (Rechtsfrage) ergibt.
I. Die Wirksamkeit von Kündigungen
163
Bei Schadensersatzansprüchen nach den §§ 628 Abs. 2 BGB, 89 a Abs. 2 HGB ist das Vorliegen einer wirksamen außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB oder § 89 a Abs. 1 HGB, da rechtsbegründend, vom Anspruchsteller zu beweisen. Eine Sonderstellung nehmen die weiter unten zu behandelnden Schadensersatzansprüche wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses, insbesondere wegen vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstelle durch den Arbeitnehmer ein310• Bei den Feststellungsklagen nach § 4 KSchG geht es unmittelbar um die Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung, bei Klagen nach den §§ 256, 280 ZPO um das Bestehen des Dauerschuldverhältnisses311 • Auf Feststellungsklagen kann die Grundregel nicht unmittelbar angewandt werden, da es hier keinen Anspruchsteller im engeren Sinne gibt. Da es aber hierbei mittelbar um das Weiterbestehen der Ansprüche auf Erbringung der vertragsmäßigen Leistung, also bei § 4 KSchG um den Lohnanspruch (und den Anspruch auf Beschäftigung) geht, kann man den die Feststellung Begehrenden (Arbeitnehmer) als Anspruchsteller bezeichnen, die sich auf die Beendigung berufende Partei (Arbeitgeber) als Anspruchsgegner. Demnach ist die Kündigung rechtsvernichtend, die ihre Wirksamkeit bedingenden Tatsachen bei Anwendung der Grundregel also vom Gegner (Arbeitgeber) zu beweisen312 • b) Ausdrückliche Beweislastsonderregeln und Gesetzesfassung Nachdem die erste Frage, wer bei Anwendung der Grundregel die Beweislast trüge, beantwortet ist, muß geprüft werden, ob ausdrückliche Beweislastsonderregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen eingreifen. Für die Dauerschuldverhältnisse ist hier nur die ausdrückliche Beweislastsonderregel des§ 542 Abs. 3 BGB zu nennen313• 310 Nicht zur Fallgruppe C gehören die Schadensersatzansprüche wegen Kündigung "zur Unzeit" (§§ 627 Abs. 2, S. 2, 671 Abs. 2, S. 2, 723 Abs. 2, S . 2 BGB) und die Lohnfortzahlungsansprüche trotz Kündigung(§ 6 Abs. 1 LFZG). Denn hier steht d ie Wirksamkeit der Kündigung fest ; die Parteien streiten hier nur noch darüber, ob die Kündigung "zur Unzeit" oder "aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit" erfolgte. Zur Beweislast bei Ansprüchen aus § 627 Abs. 2 BGB vgl. Monjau, RdA 1959, 367. 311 Vgl. zur Streitgegenstandsproblematik im Kündigungsschutzprozeß Hueck, KSchG § 4, Anm. 48 ff. 312 Kummer, Berner Kommentar, Rdnr 161 f . zu Art. 8 ZGB; Rosenberg, S. 121; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast, 7. Forts.Bl.; auch in BAG, AP Nr. 18 zu § 3 KSchG, Bl. 5, wird die Kündigung als r echtsvernichtender Einwand bezeichnet; a. A. LAG Düsseldorf, DB 1974, 831, jedoch ohne Begründung. 3 13 Vgl. dazu Rosenberg, S. 345.
164 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
Sodann stellt sich die Frage, welche Bedeutung die sprachliche Fassung der hier einschlägigen Kündigungsvorschriften für die Beweislastverteilung hat. Aus der sprachlichen Fassung des BGB ergibt sich, daß bei Kündigungen - ebenso wie bei anderen Willenserklärungen derjenige, der sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft, den Zugang der Kündigung beweisen muß. Gleiches gilt für die Einhaltung der Kündigungsfrist314 und bei außerordentlicher Kündigung für das Vorliegen eines wichtigen Grundes 315 • Dagegen hat, wer sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft, die Tatsachen zu beweisen, aus denen sich z. B. die Geschäftsunfähigkeit des Kündigenden ergibt316, ebenso die Tatsachen, aus denen folgt, daß die Kündigung sittenwidrig ist oder gegen Treu und Glauben verstößt (§§ 138, 242 BGB) 317 • Dies hat das Bundesarbeitsgericht hinsichtlich der §§ 138, 242 BGB auf die Kündigungsschutzklage eines nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegenden Arbeitnehmers jüngst noch einmal ausgesprochen318• Daraus ergibt sich, daß die Lage des eine Kündigung angreifenden Arbeitnehmers außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes auch hinsichtlich der Beweislast sehr schlecht ist. c) Die Beweislastverteilung bei Schadensersatzansprüchen wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses Schließlich sei noch kurz auf die schon erwähnten Schadensersatzansprüche wegen vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses, insbesondere wegen vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstelle durch den 314 h. M., vgl. z. B. Staudinger I Kiefersauer, § 564, Anm. 23; Erman I Schopp, § 564, Anm. 11; Leonhard, S. 370; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast, 7. Forts.-
Bl. Zur Beweislast für die Einhaltung einer vorgeschriebenen Form vgl. oben 1. Teil, F II 2, III 2. 315 Rosenberg, S . 380 f. Durch das erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. August 1969 wur den die Bestimmungen über die Kündigung von Arbeitsverhältnissen im HGB und in der Gewer beordnung sowie einigen anderen Gesetzen gestrichen. Damit sind auch die aus der sprachlichen Fassung der damaligen §§ 71, 72 HGB (als ein wichtiger Grund zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ist es, sofern nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen, namentlich anzusehen: ...) ableitbar en B eweislastsonderregeln weggefallen. Vgl. dazu Sieg, RdA 1962, 141, mit weiteren Nachweisen. 316 s. oben 1. Teil, E II 1 b bb. 317 Streng genommen handelt es sich bei § 242 BGB nicht um eine gesetzliche, sondern um eine - allerdings ganz allgemein anerkannte - richterrechtliche Beweislastsonderregel, da sich aus § 242 BGB keine gesetzliche Beweislastsonderregel herleiten läßt. Vgl. zur Beweislastverteilung bei § 242 BGB z. B. Staudinger I Weber,§ 242, Anm. D 81, D 622. 318 Urteil vom 28. 9. 1972, JZ 1973, 375; ebenso Monjau, RdA 1959, 367, sowie Röhsler, DB 1969, 1152, für die "ungehörige" Kündigung. - Vgl. allgemein zur Beweislast bei der Berufung auf§ 138 BGB BGHZ 53, S . 369; BGH DB 1970, 1435.
II. Ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen
165
Arbeitnehmer, eingegangen. Letzterer wird häufig behaupten, daß er wirksam ordentlich oder außerordentlich gekündigt habe, oder daß das Vertragsverhältnis einverständlich aufgehoben worden sei. Hier ist das Nichtvorliegen einer wirksamen Kündigung und das Nichtvorliegen eines Aufhebungsvertrages für den Schadensersatzanspruch rechtsbegründend. Denn wenn wirksam gekündigt wurde, so entsteht der Anspruch nicht. Bei Anwendung der Grundregel hätte also der Anspruchsteller die Beweislast. Die abweichende Auffassung des Bundesarbeitsgerichts319 beruht darauf, daß die Grundregel fälschlicherweise nicht auf den Schadensersatzanspruch, sondern auf den Anspruch auf Erbringung der Arbeitsleistung bezogen wird. Grundlage für diesen Anspruch ist, sofern nicht besondere gesetzliche Bestimmungen, z. B. § 16 BBiG, § 124 b GewO, eingreifen, das Rechtsinstitut der positiven Vertragsverletzung320, für das es weder ausdrückliche noch durch die Gesetzesfassung ausgedrückte Beweislastregeln gibt. Hier kann der Richter schon bei Vorliegen vernünftiger sachlicher Gründe von der sonst anwendbaren gewohnheitsrechtlich geltenden Beweislastgrundregel abweichen321, a22. Es ist jedoch sinnvoll, unter Abweichung von der Grundregel und in Anlehnung an die vorbehandelten Ansprüche und Klagearten die Beweislast für das Vorliegen einer wirksamen Kündigung (bzw. den Abschluß eines Aufhebungsvertrages) der Vertragspartei aufzuerlegen, die sich auf die vorzeitige Beendigung beruft, also bei Schadensersatzansprüchen die Beweislast ebenso zu verteilen wie bei Ansprüchen auf die ursprünglich geschuldete Leistung. Dies gilt auch für die - häufigen - Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer oder Lehrling wegen Verlassens der Arbeits- oder Lehrstelle (vgl. §§ 16 BBiG; 124 b GewO), zumal da hier der Schadensersatzanspruch an die Stelle des nicht durchsetzbaren Anspruchs auf Erbringung der Arbeitsleistung tritt323.
31 9 BAG AP Nr. 4 zu § 276 BGB, Vertragsbruch, BI. 3 (mit zustimmender Anmerkung P. Schlosser, BI. 4 R); BAG AP Nr. 2 zu§ 111 BBiG. 320 RGZ 149, S. 401, 404; BGH BB 1958, 541; a. A. (Schuldnerverzug) Hueck I Nipperdey, 1. Bd., § 35 I, S. 223 ; (Unmöglichkeit) Gumpert, BB 1963, 397; dahingestellt von BAG AP Nr. 4 zu§ 276 BGB, Vertragsbruch. 321 Vgl. oben BI 2. 322 Auch wenn man die vorzeitige Beendigung als Schuldnerverzug oder Unmöglichkeit ansähe, wären doch die Beweislastsonderregeln der §§ 282, 285 BGB jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar, da die vom Anspruchsgegner behauptete Kündigung nicht allein die Frage des Vertretenmüssens betrifft, sondern schon die Frage, ob überhaupt noch eine Leistung geschuldet ist. Ebenso BAG AP Nr. 4 zu§ 276 BGB, Vertragsbruch, BI. 3. 323 Im Ergebnis ebenso die in Fn. 319 genannten Entscheidungen des BAG.
166 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen d) Ergebnis Das Ergebnis der bisherigen Überlegungen läßt sich so zusammenfassen: Sofern nicht Beweislastsonderregeln eingreifen, trägt die Partei die Beweislast, die sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft. II. Die Beweislastverteilung bei ordentliclter Kündigung von Arbeitsverhältnissen durch den Arbeitgeber
Über die Wirksamkeit ordentlicher Kündigungen von Arbeitsverhältnissen entscheiden die Arbeitsgerichte zumeist auf Kündigungsschutzklagen von Arbeitnehmern nach§ 4 KSchG.- Bei der Erörterung der Beweislastverteilung ist von den ausdrücklichen Beweislastregeln in § 1 Abs. 2 S. 4 und Abs. 3 S. 3 KSchG auszugehen. Danach hat der Arbeitgeber die Beweislast für die Tatsachen, die gemäß Abs. 2 "die Kündigung bedingen", der Arbeitnehmer aber die Beweislast für die Tatsachen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt i. S. von Abs. 3 S. 1 erscheinen lassen.
1. Die Beweislastregel des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG a) Die Bedeutung der Beweislastregel § 1 Abs. 1 KSchG stellt Voraussetzungen nicht für die Wirksamkeit, sondern für die Unwirksamkeit von Kündigungen auf; ebenso beschreibt Abs. 2 nicht die sozial gerechtfertigte, sondern die "sozial ungerechtfertigte" Kündigung. Die negative Fassung dieser Rechtssätze spräche also für die Beweislast des Arbeitnehmers324 ; die ausdrückliche Beweislastregel des Satz 4 war also erforderlich, um Klarheit darüber zu schaffen, daß nicht der Arbeitnehmer, sondern der Arbeitgeber die Bew eislast trägt. Hier bestätigt sich die weiter oben getroffene Feststellung325, daß die sprachliche Fassung arbeitsrechtlicher Gesetze für die Beweislastverteilung längst nicht die Bedeutung hat wie die des BGB und älterer zivilrechtlicher Gesetze mit kodifikatorischem Charakter. Die Beweislast des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG erstreckt sich auf die "in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers" liegenden Gründe ebenso wie auf die "dringenden betrieblichen Erfordernisse", die der Weiterbeschäftigung entgegenstehen326 und - bei 3 24 Ebenso Hersehe! I Steinmann, KSchG, § 1, Anm. 53; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I,§ 51 V 7, S. 767; unzutreffend dagegen Monjau, RdA 1959, 367. 325 1. Teil, F IV 2. 326 Vgl. zu den Beweisanforderungen Kunkel, NJW 1953, 927, sowie LAG Düsseldorf, DB 1953, 147, wo es zutreffend heißt, daß der Arbeitgeber seiner
II. Ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen
167
Widerspruch des Betriebsrats bzw. der Personalvertretung- auch auf das Nichtvorliegen der inS. 2 Nr. 1, 2 genannten Voraussetzungen 327• 3 2s. Der Arbeitgeber hat auch dann die Beweislast für das Vorliegen eines der Kündigungsgründe des Abs. 2, wenn Belegschaft oder Betriebsrat die Entlassung eines Arbeitnehmers wegen angeblicher Störung des Betriebsfriedens verlangen (vgl. § 104 BetrVG) 329 • Überhaupt läßt sich sagen, daß die Stellungnahme des Betriebsrat (§ 3 KSchG) die Position von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zwar bei der Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) faktisch häufig verbessern wird, daß sich dadurch aber an der Beweislastverteilung nichts ändert330. Die Gerichte konnten sich angesichts der klaren gesetzlichen Regelung meist darauf beschränken, die Anwendbarkeit der Beweislastregel des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG auch auf den zu entscheidenden Fall zu bestätigen und einige Ausführungen zum genauen Gegenstand der Beweisführung des Arbeitgebers zu machen. Als Beispiel dafür sei aus der neueren Judikatur ein Urteil des LAG Düsseldorf331 genannt, wo es zutreffend heißt, daß der Arbeitgeber die Beweislast dafür habe, daß die Entlassung gerade dieses Arbeitnehmers unumgänglich sei, also dessen Arbeitsplatz weggefallen und eine Weiterbeschäftigung zu gleichen oder geänderten Arbeitsbedingungen nicht möglich sei. Ferner sei hier auf ein Urteil des LAG Stuttgart332 hingewiesen, das § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG zu Recht auch auf Änderungskündigungen anwendet, obwohl § 2 KSchG auf die Beweislastregeln von § 1 KSchG nicht verweist333.
Darlegungspflicht nicht schon durch einen Hinweis auf die angespannte Geschäftslage in dem betreffenden Wirtschaftszweig genügt (vgl. unten Fn. 331). 327 Insoweit unklar Hueck, KSchG, § 1, Anm. 150. 328 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Vermutung von § 2 Abs. 2 S. 3 Arbeitsplatzschutzgesetz und dazu Hueck, KSchG, § 1, Anm. 153. 329 LAG Stuttgart, DB 1970, 2328; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 149. 330 Zu weitgehend dagegen Maus, KSchG, § 1, Anm. 254, nach dem auch im Prozeß eine tatsächliche Vermutung für eine ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte spricht, wenn der Betriebsrat hinsichtlich der sozialen Auswahl gleicher Meinung ist wie der Arbeitgeber. 331 AuR 1971, 156; ganz ähnlich schon LAG Düsseldorf, DB 1953, 147 (s. Fn. 326); vgl. auch Hueck, KSchG, § 1, Anm. 150; einschränkend wohl Kunkel, NJW 1953, 927 f. 33 2 BB 1969, 917 = DB 1969, 1348. 333 Vgl. auch ArbG Husum, ARSt 1971, 47: Der Arbeitgeber hat bei einer mit Krankheit des Arbeitnehmers begründeten Kündigung die Beweislast dafür, daß die Krankheit in absehbarer Zeit nicht behebbar ist oder es sich um eine Krankheit handelt, bei der die Gefahr neuer Schübe besteht.
168 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
b) Die Auswirkungen der beschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen auf die Darlegungs-und Beweislast Bei der Behandlung dieses Problems soll ausgegangen werden von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts33 4, bei der u. a. streitig war, ob eine Entlassung durch Einführung von Kurzarbeit vermeidbar gewesen wäre. Das Bundesarbeitsgericht legt dem Arbeitnehmer die Beweislast dafür auf, daß die Einführung von Kurzarbeit sinnvoll und möglich gewesen wäre, wenn der Arbeitgeber die Notwendigkeit einer Betriebseinschränkung nachgewiesen hat. Im Anschluß an die Feststellung, daß auch vor einer betriebsbedingten Kündigung eine umfassende allgemeine Interessenahwägung erforderlich ist, kommt das Bundesarbeitsgericht ferner zu der - in den mitgeteilten Gründen nicht weiter abgesicherten - allgemeinen Aussage, daß die bei dieser Abwägung zu berücksichtigenden Umstände von der Partei darzulegen und zu beweisen sind, die sich zu ihren Gunsten darauf beruft. In einer neueren Entscheidung335 hat das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitnehmer die Beweislast für solche Umstände auferlegt, aus denen sich ergeben soll, daß eine Rationalisierungsmaßnahme des Arbeitgebers offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Es ging dabei um die Behauptung des gekündigten Arbeitnehmers, der Betrieb sei nur deshalb organisatorisch neu gegliedert worden, um seine Entlassung zu ermöglichen. Es geht in diesen Entscheidungen um die schwierig zu beantwortende Frage, welche Auswirkungen die beschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen336 auf die Darlegungs- und Beweislast der Parteien hat. Der Arbeitgeber hat sicher die Beweislast dafür, daß er überhaupt die Interessen umfassend abgewogen hat337 • Steht dies fest, so hat der Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz behalten will, solche Tatsachen zu behaupten, aus denen sich ergibt, daß die Kündigung trotz beschränkter Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen sozial ungerechtfertigt ist. Den Arbeitnehmer trifft insoweit also die Darlegungs- oder Behauptungslast Damit ist noch nicht gesagt, daß er auch die Beweislast trägt. Denn die Darlegungslast folgt der Beweislast zwar in aller Regel, jedoch nicht immer338• AP Nr. 14 zu § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung. DB 1974, 438. 336 Vgl. hierzu statt aller: Hueck, KSchG, § 1, Anm. 104, mit weiteren Nachweisen. 337 So auch Herschel, in der Anmerkung zu der in Fn. 334 genannten Entscheidung, BI. 3. 3 38 Vgl. dazu ausführlich Rosenberg, S. 49 ff. 3 3'
335
li. Ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen
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Man wird hier differenzieren müssen: Handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, die ohne große Schwierigkeiten nachprüfbare Verhältnisse im Betrieb betreffen, z. B. eine konkrete anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, so ist kein Grund ersichtlich, den Arbeitgeber von der ihn nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG treffenden Beweislast zu befreien339. Anders verhält es sich nur mit solchen tatsächlichen Grundlagen der Unternehmerischen Entscheidung, die nur sehr schwer gerichtlich nachgeprüft werden können, etwa die Behauptung des Arbeitnehmers, die Nachfrage nach den im Betrieb hergestellten Waren werde entgegen der Erwartung des Arbeitgebers nicht sinken, sondern steigen, so daß sein Arbeitsplatz gar nicht wegfalle, ebenso die Behauptung, eine unternehmerische Entscheidung beruhe auf der Absicht, den Arbeitnehmer zu benachteiligen. Eine Nachprüfbarkeit solcher Tatsachenbehauptungen, scheidet in aller Regel aus, da sonst die Unternehmerische Entscheidung selbst Gegenstand der Nachprüfung wäre340 • Dies geht zu Lasten des Arbeitnehmers. Es ist daher verständlich, wenn auch ungenau, hier von einer Beweislast des Arbeitnehmers zu sprechen. Wendet man diese Grundsätze auf die vom BAG entschiedenen Fälle an, so ist festzustellen, daß die aufgrund sinkender Nachfrage getroffene Entscheidung, nicht Kurzarbeit einzuführen, sondern einige Arbeitnehmer zu entlassen, nicht gerichtlich nachgeprüft werden kann. Gleiches gilt von der Behauptung, die Unternehmerische Entscheidung sei in Benachteiligungsahsicht erfolgt. Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sind also im Ergebnis zu billigen341 . Dagegen ist der Satz, daß die bei der Abwägung zu berücksichtigenden Umstände von der Partei zu beweisen sind, die sich darauf beruft, in dieser Allgemeinheit ebensowenig zutreffend wie der Satz, daß der Arbeitnehmer die Beweislast für das Vorliegen der Umstände habe, die eine Rationalisierungsmaßnahme als offenbar unvernünftig oder willkürlich erscheinen lasse. Es bleibt aber festzuhalten, daß die beschränkte Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen auch die Nachprüfbarkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen notwendig ausschließt und insofern dem Arbeitgeber die Last der Beweisführung erheblich erleichtert342.
siehe oben a, Fn. 331. Vgl. auch Kunkel, NJW 1953, 928. 341 Ebenso Herschel, AP Nr. 14 zu § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung, BI. 3; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 149. 342 Weitergehend wohl Kunkel, NJW 1953, 928. as9
34o
170 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen c) Die sachlichen Gründe für § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG Da sich in den Gesetzgebungsmaterialien zum Kündigungsschutzgesetz keinerlei Hinweise finden 343, ist man auch hier auf Vermutungen angewiesen. Zunächst läßt sich feststellen, daß § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG beweisen läßt, was weniger wahrscheinlich ist. Denn auf die Gesamtzahl aller Arbeitsverhältnisse bezogen ist das Nichtvorliegen von Kündigungsgründen erheblich häufiger als ihr Vorliegen. Eine größere Bedeutung scheint hier aber der beweisrechtliche Sphärengedanke zu haben. Es ist offensichtlich, daß der Arbeitgeber das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse, die der Weiterbeschäftigung entgegenstehen, weit besser beweisen kann als der Arbeitnehmer ihr Nichtvorliegen. Dieser hat regelmäßig nur beschränkte Kenntnisse von der Betriebs- und Unternehmensgestaltung, so daß es ihm häufig schon Schwierigkeiten machen würde, die erforderlichen Behauptungen aufzustellen. Aber auch für die personen- und verhaltensbedingte Kündigung gilt nicht anderes344 • Denn Kündigungsgrund ist hier nicht der isoliert für sich allein betrachtete Arbeitnehmer, sondern seine Person und sein Verhalten im Hinblick auf seine Arbeitsstelle und den Betrieb; und dies kann wiederum der Arbeitgeber besser übersehen. So kann der Arbeitgeber eine etwaige geringere Leistungsfähigkeit des gekündigten Arbeitnehmers im Vergleich zu anderen meist unschwer anhand seiner Unterlagen darlegen und beweisen. Es ist weiter zu vermuten, daß hinter der Beweislastregel des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastentscheidungen steht345 . Der sozial Stärkere, der Arbeitgeber, trägt die Beweislast. Im Zweifel besteht also das Arbeitsverhältnis fort, u . U. also auch dann, wenn in Wahrheit die Kündigung sozial gerechtfertigt war, dem Arbeitgeber aber der Nachweis nicht gelingt. Damit wird das bei Beweislast des Arbeitnehmers unausweichliche Ergebnis vermieden, daß die die Kündigung angreifenden Arbeitnehmer bisweilen trotz Nichtbestehens eines Kündigungsgrundes ihren Arbeitsplatz verlieren, weil ihnen der Nachweis des Nichtbestehens mißlingt. Schließlich wird durch § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG die Zahl der Kündigungen verringert, eine sozialpolitisch sehr erwünschte und wohl auch vorausgesehene Folge. Denn wenn der Arbeitnehmer die Beweislast 343 Vgl. Regierungsentwurf mit Begründung, BT-Drucks., 1. Wahlperiode, Nr. 2090. 344 Ebenso Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, § 51 V 7, S. 768. 345 Vgl. oben 1. Teil, E !II 2.
II. Ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen
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trüge, so würde der Arbeitgeber zum einen nicht durch eventuelle Beweisschwierigkeiten an einer Kündigung gehindert, zum anderen würden bisweilen auch ohne Bestehen eines Kündigungsgrundes Entlassungen im Vertrauen darauf ausgesprochen, daß den betroffenen Arbeitnehmern im Kündigungsschutzprozeß der Beweis des Nichtvorliegens von Kündigungsgründen nicht gelingt oder wegen der geringeren Gewinnchancen ein Prozeß gar nicht erst angestrengt wird.
2. Die Beweislastregel des§ 1 Abs. 3 S . 3 KSchG a) Die Bedeutung der Beweislastregel Nach § 1 Abs. 3 S. 1, 1. Halbs. KSchG kann sich die Sozialwidrigkeit einer Kündigung auch daraus ergeben, daß "der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat". Gemäß S. 2 gilt dies dann nicht, wenn "berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung" anderer Arbeitnehmer erfordern "und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen". Die Beweislastregel des Satz 3 verweist nur auf Satz 1, nicht auf Satz 2. Der Arbeitnehmer hat also auch nur zu beweisen, daß soziale Erwägungen nicht (ausreichend) berücksichtigt wurden 346. Dagegen trägt der Arbeitgeber die Beweislast für die Voraussetzungen des Satz 2, also dafür, daß "berechtigte betriebliche Bedürfnisse" die Weiterbeschäftigung anderer Arbeitnehmer erfordern, die vom sozialen Standpunkt weniger schutzbedürftig sind. Darauf deutet auch das sprachliche Regel-Ausnahme-Schema hin, nach dem § 1 Abs. 3 S. 1 und 2 KSchG aufgebaut sind347. Der Arbeitnehmer kann sich bei dem Beweis der Voraussetzungen von Satz 1, 1. Halbs. nicht darauf beschränken, seine eigene schlechte soziale Lage darzutun. Er ist vielmehr dazu gezwungen, darzulegen und notfalls auch zu beweisen, daß andere konkret zu benennende Arbeitnehmer sozial besser gestellt sind als er selbst. Der gekündigte Arbeitnehmer muß daher faktisch einen Kollegen zur Entlassung vorschlagen348. Dabei kommt dem Arbeitnehmer jedoch jetzt der durch das erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. 8. 1969 eingeführte 348 BAG AP Nr. 26 zu § 1 KSchG; AP Nr. 14 zu § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 3 R. 347 BAG AP Nr. 25 zu § 1 KSchG; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 151; Monjau, RdA 1959, 366 ; Maus, KSchG, § 1, Anm. 252; ebenso im Ergebnis Wigo Müller, DB 1975, 2135. 348 BAG AP Nr. 14 zu § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung, Bl. 3 R; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 151; Auffarth I Müller, KSchG, § 1, Anm. 246; Monjau, RdA 1959, 366.
172 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen 2. Halbsatz von Satz 1 zu Hilfe, der den Arbeitgeber zur Nennung der für die getroffene soziale Auswahl maßgeblichen Gründe und damit zur Nennung der für eine Kündigung außerdem noch in Frage kommenden Arbeitnehmer und ihrer sozialen Daten verpflichtet349• Die Erfüllung seiner Darlegungs- und Beweislast ist dem Arbeitnehmer dadurch erheblich erleichtert worden. b) Die sachlichen Gründe für§ 1 Abs. 3 S. 3 KSchG Auch wenn man die durch § 1 Abs. 3 S. 1, 2. Halbs. KSchG eingetretene Erleichterung der Beweisführung in die Betrachtung einbezieht, bleibt die Beweislastregel des Satz 3 sehr bedenklich. Sie läßt sich zunächst einmal nicht mit einer Wahrscheinlichkeitsüberlegung rechtfertigen; denn die vom Arbeitnehmer zu beweisende nicht ausreichende Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte durch den Arbeitgeber ist keinesfalls weniger wahrscheinlich als das Gegenteil, nämlich die Beachtung dieser Gesichtspunkte. - Wäre der beweisrechtliche Sphärengedanke maßgebend, so hätte der Arbeitgeber die Beweislast; denn er kennt, besonders in größeren Betrieben, die sozialen Verhältnisse anderer Arbeitnehmer erheblich besser als der Gekündigte und kann sie deshalb auch besser beweisen. Die Beweislast des Arbeitgebers hätte weiterhin die erwünschte Folge, daß dieser sich mehr um eine sorgfältige soziale Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer bemühen würde. Es gäbe also weniger Streit in diesem Punkte, und der Arbeitnehmer wäre weniger oft gezwungen, unter Verstoß gegen die Solidarität andere Kollegen zur Entlassung vorzuschlagen350• Jedoch muß in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden, daß die Berufung auf fehlerhafte soziale Auswahl der entlassenen Arbeitnehmer auch bei Beweislast des Arbeitgebers immer ein mehr oder weniger deutlicher Vorschlag des gekündigten Arbeitnehmers ist, statt seiner andere Arbeitnehmer zu entlassen351 • Insgesamt gesehen läßt sich also feststellen, daß sich die Beweislastregel des § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG sachlich kaum rechtfertigen läßt, daß vielmehr die ganz überwiegenden Gründe für die Beweislast des Arbeitgebers sprechen. - Diese Erwägungen erlauben es indessen nicht, sich über die ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers hinwegzusetzen; jedoch wird man dort, wo eine analoge Anwendung von § 1 Abs. 3 KSchG in Betracht kommt, die Beweislastregel eventuell nicht mitübernehmen. Vgl. dazu Hueck, KSchG, § 1, Anm. 128, 151; W i go Müller, DB 1975, 2135. Ähnlich Hueck, KSchG, § 1, Anm. 151; Auffarth I Müller, KSchG, § 1, Anm. 246; Monjau, RdA 1959, 366. 351 Das wird z. B. übersehen von Monjau, RdA 1959, 366. 349
350
II. Ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen
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Dafür sei hier noch ein - mittelbar ebenfalls zur Fallgruppe C gehörendes- Beispiel aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erwähnt. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat bekanntlich in seinem Beschluß vom 21. 4. 1971 die lösende Aussperrung unter bestimmten Umständen für zulässig erachtet, dem Arbeitgeber aber eine Wiedereinstellungspflicht nach billigem Ermessen auferlegt. In der Begründung heißt es: § 1 Abs. 3 KSchG zeige, daß sich der - hier in abgeschwächter Form fortwirkende - Bestandsschutz gerade auch auf die sachgerechte Auswahl der Arbeitnehmer erstrecke. Daher habe der Arbeitgeber auch bei der Wiedereinstellung sachgerecht auszuwählen. Die Beweislastregel des § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG wendet das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht an. Es legt vielmehr zu Recht dem Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen der Gründe auf, die ihn zur Ablehnung der Wiedereinstellung berechtigen und begründet dies mit der "Sach- und Beweisnähe" des Arbeitgebersm. Der Arbeitgeber hat also auch darzulegen und zu beweisen, daß er bei der Auswahl aller Wiedereinzustellenden soziale Gesichtspunkte i. S. von § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG genügend beachtet hat353•
3. Sonstige Beweislastprobleme im Kündigungsschutzprozeß Nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG kann der Arbeitnehmer, dem die Fortsetzung des durch die Kündigung nicht aufgelösten Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist, beantragen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Hier ist der Arbeitnehmer Anspruchsteller; die Umstände, die die Unzumutbarkeit ergeben, sind rechtsbegründend und daher vom Arbeitnehmer zu beweisen. - Auch der Arbeitgeber kann diesen Antrag stellen, "wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit" zwischen den Parteien nicht erwarten lassen. Diese Gründe sind gegenüber dem mit der Kündigungsschutzklage mittelbar geltend gemachten Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohn rechtsvernichtend354, also vom Arbeitgeber zu beweisen355. Im Kündigungsschutzprozeß können auch schon die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes streitig sein. 352 BAG GS AP Nr. 43 zu Art. 9 GG, Arbeitskampf, Bl. 11 R, 12. 363 So ausdrücklich BAG DB 1972, 143, 146. 364 siehe oben I 2 a (a. E.). m Ebenso im Ergebnis Hueck, KSchG, § 9, Anm. 1, 21, mit Ausführungen zur Rechtslage vor dem ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. 8. 1969; zum Antrag des Arbeitnehmers auch Sieg, RdA 1962, 142. Vgl. auch § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG und dazu Hueck, KSchG, § 14, Anm. 12.
174 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
Einigkeit besteht darüber, daß der Arbeitnehmer die Begründung des Arbeitsverhältnisses zu beweisen hat356, da dieser Umstand rechtsbegründend ist und der Arbeitnehmer als Anspruchsteller anzusehen ist357. Nach einhelliger Meinung hat der Arbeitnehmer bei Kündigungsschutzklagen nach § 4 KSchG auch die Beweislast dafür, daß der Arbeitgeber das bestehende Arbeitsverhältnis durch eine als Kündigung anzusehende Willenserklärung beenden wollte358 • Dieser Auffassung ist zuzustimmen, da dem Arbeitgeber dadurch ein schwer zu führender Negativbeweis erspart wird. Im übrigen ist schlecht vorstellbar, § 1 KSchG anzuwenden, wenn nicht einmal feststeht, ob der Arbeitgeber überhaupt gekündigt hat. Die praktische Bedeutung dieses Beweislastproblems ist allerdings nicht sehr groß. Behauptet der Arbeitgeber, er habe gar nicht gekündigt, und wollen beide das Arbeitsverhältnis fortsetzen, so wird der Prozeß regelmäßig anders als durch Urteil enden, etwa durch Klagerücknahme oder Vergleich. Behauptet der Arbeitgeber jedoch, nicht er, sondern der Arbeitnehmer habe gekündigt, so wird dieser regelmäßig von der - nur auf Feststellung der Unwirksamkeit einer ganz bestimmten Arbeitgeberkündigung gerichteten Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG zu einer auf Zahlung des Lohns gerichteten Leistungsklage oder aber zu einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO übergehen, bei der das (Fort-)Bestehen des Arbeitsverhältnisses Streitgegenstand ist359• In beiden F ällen hat nach der Grundregel der Arbeitgeber als Anspruchsgegner die Beweislast dafür, daß das Arbeitsverhältnis durch eine wirksame Kündigung des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers (oder durch Aufhebungsvertrag) geendet hat360• Die Frage nach der Beweislast für das Vorliegen einer Kündigung des Arbeitgebers stellt sich also praktisch nur dann, wenn der Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheiden will und einen Abfindungsanspruch nach§ 9 KSchG geltend macht. Hier ergibt sich die Beweislast des Arbeitnehmers auch aus der Anwendung der ungeschriebenen Grundregel : Das Vorliegen einer Kündigung ist für den Abfindungsanspruch rechtsbegründend, also vom Anspruchsteller zu beweisen. In seltenen Fällen mag schließlich auch streitig sein, ob das Arbeitsverhältnis "ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden 356 BAG AP Nr. 18 zu § 3 KSchG, BI. 4 R; AP Nr. 55 zu § 1 KSchG; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 152; Auffarth I MülLer, KSchG, § 1, Anm. 245. as1 s. oben I 2 a (a. E.). 358 BAG AP Nr. 18 zu § 3 KSchG, BI. 4 R; Monjau, RdA 1959, 368; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 152; Herschel I Steinmann, KSchG, § 1, Anm. 52; Auffarth I MülLer, KSchG, § 1, Anm. 245. 359 Zur Streitgegenstandsproblematik vgl. Hueck, KSchG, § 1, Anm. 48 ff.; Monjau, RdA 1959, 368 f. aso Ebenso Monjau, RdA 1959, 368 f.
II. Ordentliche Kündigung von Arbeitsverhältnissen
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hat", während die Vollendung des 18. Lebensjahres heute anders als in der Nachkriegszeit praktisch immer feststehen wird. Nach h . M. sind diese Voraussetzungen vom Arbeitnehmer zu beweisen361 • Es soll jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, daß die Wartezeit erfüllt ist, wenn der Arbeitnehmer das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen ihm und dem Arbeitgeber mehr als sechs Monate vor Zugang der Kündigung bewiesen hat. Für die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses und seine Neubegründung zu einem noch nicht sechs Monate zurückliegenden Zeitpunkt soll dann der Arbeitgeber die Beweislast tragen362 • Die Beweislastverteilung ist hier nicht gesetzlich geregelt; es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber bei der Fassung des § 1 Abs. 1 KSchG überhaupt an die Beweislastverteilung gedacht hat. M. E. spricht in diesen - praktisch allerdings fast bedeutungslosen - Fällen nichts gegen die Anwendung der Grundregel. Es trägt also der Arbeitgeber die Beweislast dafür, daß das Arbeitsverhältnis noch nicht länger als sechs Monate bestand oder aber zwischenzeitlich unterbrochen wurde. Ohnehin hat der Arbeitgeber nach der sprachlichen Fassung der §§ 14, 23 Abs. 1 S. 1 KSchG die Beweislast dafür, daß der Gekündigte zu dem vom Kündigungsschutzgesetz (teilweise) ausgenommenen Personenkreis gehört und daß es sich um einen Kleinbetrieb mit fünf oder weniger Arbeitnehmern handelt363. Schließlich kann im Kündigungsschutzprozeß noch streitig sein, ob der Arbeitgeber vor d er Kündigung den Betriebsrat angehört hat, was nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG Voraussetzung für eine wirksame Kündigung ist. Da bei Kündigungsschutzklagen die Kündigung als rechtsvernichtend anzusehen ist, hat der Arbeitgeber als Anspruchsgegner die Beweislast für die Anhörung des Betriebsrats364 • 4. Ergebnisse
Durch § 1 Abs. 2 S. 4, Abs. 3 S. 3 KSchG sind die wesentlichen Beweislastprobleme im arbeitsgerichtliehen Kündigungsschutzprozeß gesetzlich gelöst worden. Die beschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit unternehmerischer Entscheidungen verändert entgegen der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die Beweislastverteilung bei betriebsbedingter Kündigung nicht; sie er leichtert jedoch dem Arbeitgeber die Last der Beweisführung. Die Beweislastregel des § 1 Abs. 3 S . 3 KSchG ist rechts361 Monjau, RdA 1959, 367; Si eg, RdA 1962, 138; Hueck, KSchG, § 1, Anm. 38, 152; Auffarth I Müller, KSchG, § 1, Anm. 245. 3 62 Hueck, KSchG, § 1, Anm. 38; a. A. Monjau, RdA 1959, 367. 383 Monjau, RdA 1959, 367; a. A. Sieg, RdA 1962, 138. 364 Vgl. oben I 2 a (a. E.); ebenso BAG DB 1975, 2138, 2140 jedoch unter direkter Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG - sowie LAG Hamm, DB 1972, 2408; a. A. LAG Düsseldorf, DB 1974, 831.
176 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
politisch verfehlt, so daß ihre analoge Anwendung, etwa auf die Wiedereinstellungspflicht nach lösender Aussperrung, nicht in Betracht kommt. Die Voraussetzungen für die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Zahlung einer Abfindung nach§ 9 KSchG hat die Partei zu beweisen, die die Auflösung beantragt. Der Arbeitnehmer trägt die Beweislast für die Begründung des Arbeitsverhältnisses und für das Vorliegen einer Kündigungserklärung. 111. Die Beweislastverteilung bei Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus wichtigem Grund
Über die Wirksamkeit von außerordentlichen Kündigungen haben die Arbeitsgerichte zumeist in Kündigungsschutzprozessen nach den §§ 4, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG zu befinden, ferner auch bei Schadensersatzklagen nach§ 628 Abs. 2 BGB. Im ersten Fall handelt es sich notwendig, im zweiten Fall regelmäßig um Kündigungen des Arbeitgebers. Über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers haben die Gerichte manchmal im Rahmen von Schadensersatzklagen wegen vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstelle zu entscheiden, wenn der Arbeitnehmer zu seiner Verteidigung geltend macht, er habe von seinem Recht zur außerordentlichen Kündigung Gebrauch gemacht365. Hier soll eingegangen werden auf die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes (1.) sowie auf die sehr umstrittene Frage, wer die Beweislast für die (Nicht-)Einhaltung der 2-WochenFrist des § 626 Abs. 2 BGB trägt (2.).
1. Die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes Der Grundsatz, daß der Kündigende die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes trägt, ist in Literatur und Rechtsprechung allgemein anerkannt366 • Dies ergibt sich für die auf § 628 Abs. 2 BGB gestützte Schadensersatzklage und für die Feststellungsklage aus der direkten oder sinngemäßen Anwendung der Grundregel, für die Schadensersatzklage des Arbeitgebers wegen vorzeitigen Verlassens der Arbeitsstelle aus der Erwägung, daß gegenüber dem Anspruch auf Erbringung der Arbeitsleistung nach der Grundregel der Arbeitnehmer die Beweislast für die Voraussetzungen einer wirksamen außerordentlichen Kündigung hätte und kein sachlicher Grund für eine Abwei365
s. oben I 2 c.
Soergel I Wlotzke I Volze, § 626, Anm. 50; Erman I Küchenhoff, § 626, Anm. 50; Staudinger I Nipperdey I Mohnen I Neumann, § 626, Anm. 10, 50; Sieg, RdA 1962, 138 f.; Jobs, BB 1972, 502; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast, 7. Forts.Bl.; Rosenb erg, S. 380 f . 366
III. Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus wichtigem Grund
177
chung besteht, wenn der Arbeitgeber stattdessen Schadensersatz fordert367. Die Rechtsprechung hat diesen Grundsatz im wesentlichen bestätigt368 und demgemäß zu Recht § 282 BGB hier für unanwendbar erklärt369 . Besonders hingewiesen sei hier zunächst auf eine Entscheidung des LAG Hamm370, das dem Arbeitgeber die Beweislast für einen ordnungsgemäßen Zustand des dem Arbeitnehmer überlassenen Pkw auferlegt, wenn dieser sich unter Hinweis auf zu stark abgefahrene Reifen und die ausgeschlagene Lenkung weigert, den Wagen zu fahren, und deshalb fristlos entlassen wird. Entgegengesetzte Entscheidungen gibt es zu der Frage, wer bei Kündigungen wegen unberechtigten Fernbleibens von der Arbeit die Beweislast trägt, wenn der Arbeitnehmer behauptet, ihm sei Urlaub gewährt worden371 • Beide Parteien hätten hier Beweisschwierigkeiten; der Arbeitgeber hätte den Negativbeweis zu führen, daß er das Fernbleiben nicht erlaubt hat. Die Beweismöglichkeiten des Arbeitgebers bessern sich jedoch erheblich, wenn man den Arbeitnehmer zu einer genauen Darstellung der Umstände verpflichtet, die ihn zum Fernbleiben berechtigen, und die Beweislast des Arbeitgebers auf deren Widerlegung beschränkt. Es ist dann gerechtfertigt, die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung auch in diesen Fällen beim kündigenden Arbeitgeber zu belassen372. In Abweichung von dem Grundsatz, daß der Kündigende den wichtigen Grund nachzuweisen hat, hat das LAG Düsseldorf dem wegen übler Nachrede gekündigten Arbeitnehmer die Beweislast dafür auferlegt, daß die ehrverletzende Tatsachenbehauptung der Wahrheit entspricht373. Diese Abweichung ist jedoch berechtigt, da auch im Strafprozeß nach § 186 StGB der Angeklagte den Wahrheitsbeweis zu erbringen hat und kein Anlaß besteht, den Täter im Arbeitsrecht gegenüber dem Strafrecht zu begünstigen374• 387 Vgl. oben I 2 a, c. aee Vgl. z. B. RAG ARS 20, S. 94; BAG AP Nr. 3 zu § 626 BGB, Bl. 4; AP Nr. 4 zu § 276 BGB, Vertragsbruch; AP Nr. 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist ( = DB 1972, 2407); LAG Düsseldorf, AuR 1972, 185. 369 BAG AP Nr. 8 zu § 626 BGB. 370 AuR 1972, 185.
371
Für Beweislast des Arbeitnehmers LAG Düsseldorf, Kammer Köln, DB
1971, 2319. Für Beweislast des Arbeitgebers ArbG Aalen, ARSt 1972, 99, Nr. 113. 372 So zutreffend ArbG Aalen, ARSt 1972, 99, Nr. 113; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast, 7. Forts.Bl.; ähnlich BGH BB 1958, 602, zur Beweislast bei der Verwirkung; vgl. auch Sieg, RdA 1962, 139. 373 LAG Düsseldorf, Kammer Köln, DB 1969, 1300. 374 Schönke I Schröder, StGB, § 186, Anm. 10 ff.; Leipold, S. 159 (mit all12 Reinecke
178 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
2. Die BeweisLastverteiLung bei Streit über die EinhaLtung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB Nach § 626 Abs. 2 S. 1 BGB kann eine Kündigung aus wichtigem Grunde "nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen". Es handelt sich dabei um eine Ausschlußfrist, die den Kündigenden veranlassen soll, sich in kurzer Zeit über das Ob der Kündigung klarzuwerden, weil es nach Ablauf dieser Frist zweifelhaft ist, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich unzumutbar ist. Wird nach Ablauf von zwei Wochen gekündigt, so wird nach § 626 Abs. 2 BGB unwiderlegbar vermutet, daß ein vorhandener wichtiger Grund seine die fristlose Entlassung rechtfertigende Wirkung verloren hat375• Es ist bisher lebhaft umstritten, wer die Beweislast hinsichtlich der Zwei-Wochen-Frist trägt. Während das Bundesarbeitsgericht in zwei neueren Entscheidungen dem Arbeitgeber die Beweislast auferlegt376, hat sich der wohl noch überwiegende Teil der Literatur für die Beweislast des Arbeitnehmers ausgesprochen377• Genauer gesagt, geht es dabei um die Beweislast hinsichtlich des Zeitpunktes, "in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt" hat (§ 626 Abs. 2 S. 2 BGB). Steht der Beginn der Frist fest, so hat nach der ungeschriebenen Grundregel der Beweislastverteilung der Kündigende zu beweisen, daß die Zwei-WochenFrist eingehalten wurde; dies ist allgemein anerkannt378• Grundsätzlich hat der Kündigende die Beweislast für die Voraussetzungen einer wirksamen Kündigung; er hätte also auch die Beweislast dafür, daß er die Kündigungsgründe erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor der Kündigung erfahren hat. Ausdrückliche Beweislastsonderregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen greifen nicht ein. Aber auch aus der sprachlichen Fassung des § 626 Abs. 2 BGB läßt sich eine gesetzLiche Sonderregel nicht ableiten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn § 626 Abs. 2 BGB ähnlich wie die §§ 121 Abs. 2, 124 Abs. 3 BGB davon spräche, daß die Ausübung des Kündigungsrechts "ausgeschlossen" oder "unzulässig" sei, wenn dem Kündigenden gemeinen Ausführungen zur Beweislastverteilung bei Verweisungen des BGB auf das Strafrecht, S. 152 ff.). 375 BAG AP Nr. 65 zu § 626 BGB, Bl. 3; AP Nr. 3, 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist, Bl. 5 R. 376 BAG AP Nr. 3, 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist. 377 So insbesondere Schleifenbaum, DB 1972, 879, und ohne nähere Begründung- Stahlhacke, S. 38; Brm, AuR 1971, 170 f.; Matthes, AR-Blattei, D, Beweislast, 7. Forts.Bl.; wie das BAG dagegen Jobs, BB 1972, 501; Söl!ner, AP Nr. 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist, Bl. 9; Schwerdtner, SAE 1973, 140. 378 Vgl. nur Rosenb erg, S. 382 ff., und BayObLG 1966, 218, 223, zu den Ausschlußfristen im allgemeinen. Auch das BAG geht davon aus- vgl. den Wortlaut des ersten Leitsatzes von BAG AP Nr. 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist.
III. Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus wichtigem Grund
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die zugrunde liegenden Tatsachen länger als zwei Wochen bekannt seien. In diesen Fällen trüge der Gekündigte nach dem Willen des Gesetzgebers die Beweislast. Für die Beweislast des Gekündigten scheint jedoch zu sprechen, daß § 626 Abs. 2 BGB an den in den alten §§ 123 Abs. 2, 124 Abs. 2 Gew0 379 zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken anknüpft und ihn verallgemeinert380. Nach diesen Bestimmungen war eine fristlose Entlassung aus den in den §§ 123 Abs. 1 und 124 Abs. 1 Gewü genannten Gründen "nicht mehr zulässig, wenn die zugrunde liegenden Tatsachen" dem Arbeitgeber oder Arbeiter länger als eine Woche bekannt waren. Es entsprach allgemeiner Auffassung, daß der Gekündigte dem Kündigenden die mehr als einwöchige Kenntnis des Kündigungsgrundes nachzuweisen hatte381 . Diese Beweislastverteilung ergab sich jedoch zwanglos aus der sprachlichen Fassung der §§ 123 Abs. 2, 124 Abs. 2 Gewü. Da die Gesetzesfassung des § 626 Abs. 2 BGB davon abweicht, besteht kein Anlaß für die Vermutung, daß der Gesetzgeber die alte Beweislastverteilung mit übernehmen wollte3B2, Nun wurde jedoch die sprachliche Fassung des § 626 Abs. 2 BGB im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens an die der §§ 1594, 1595 a, 1944, 2082, 2283 BGB angeglichen383, die sämtlich Ausschlußfristen für die Ausübung von Anfechtungsrechten enthalten; und nach h. M. hat auch dort der Anfechtungsgegner die Beweislast384 , was bei § 626 Abs. 2 BGB wiederum für die Beweislast des Gekündigten sprechen könnte385. Eine solche Argumentation übersieht jedoch, daß der Gesetzgeber bei der Schaffung des heutigen § 626 Abs. 2 BGB ausweislich der Materialien386 an die Beweislastverteilung überhaupt nicht gedacht hat und es sich bei den genannten Ausschlußfristen nicht um gesetzliche, sondern um richterrechtliche Beweislastregeln handelt. Es ist nach alledem davon auszugehen, daß sich aus dem Gesetz eine von der Grundregel abweichende Beweislastverteilung nicht ergibt. Jedoch könnten noch andere Erwägungen für die Beweislast des Gekündigten sprechen. 379 Gleichzeitig mit Änderung des § 626 Abs. 2 BGB aufgehoben durch das erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. 8. 1969. s8o BAG AP Nr. 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist, Bl. 5 R, 6; vgl. auch Brill, AuR 1971, 168. 381 LAG Düsseldorf, DB 1956, 848; Monjau, RdA 1959, 367; Sieg, RdA 1962, 140; Hueck I Nipperdey, Bd. 1, § 60 I 1 h, S. 607. 382 Ebenso im Ergebnis BAG AP Nr. 4 zu § 626 Ausschlußfrist 383 Vgl. dazu Jobs, BB 1972, 501, und insbesondere BriU, AuR 1971, 167 f. 384 BGH LM Nr. 1 zu§ 1594 BGB; RG WarnR 1921, 120, Nr. 100; Rosenberg, s. 382 ff. 385 So Schleifenbaum, BB 1972, 879. 386 Vgl. dazu Brill, AuR 1971, 167 f., mit weiteren Nachweisen.
12•
180 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen spielen hier keine Rolle. - Der beweisrechtliche Sphärengedanke spricht für die Beweislast des Kündigenden, da die Kenntnisnahme vom Kündigungsgrund zu seinem Einfluß- und Kontrollbereich gehört. Der Kündigende kann - wie das Bundesarbeitsgericht zutreffend ausführt3 87 - regelmäßig ohne größere Schwierigkeiten angeben, wann und unter welchen Umständen er von dem Kündigungsgrund erfahren hat, während der Gekündigte allenfalls Vermutungen aussprechen könnte, also meist nicht einmal imstande wäre, die erforderlichen Behauptungen aufzustellen. Jedoch kann der Beweis, (erst) zu einem bestimmten Zeitpunkt von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt zu haben, auf den bei ungeminderten Beweisanforderungen sehr schwierigen Negativbeweis hinauslaufen, vorher davon keine Kenntnis gehabt zu haben388• Dieser Gefahr kann man jedoch dadurch begegnen, daß man schärfere Anforderungen an die Behauptungslast des Gekündigten stellt und die Beweislast des Kündigenden auf die Widerlegung dieser Behauptungen beschränkt: Der Kündigende hat zunächst Termin und nähere Umstände der Kenntniserlangung möglichst genau anzugeben, damit der Gekündigte zu einer Überprüfung in der Lage ist. Will dieser demgegenüber behaupten, daß der Kündigende den Kündigungsgrund schon länger als zwei Wochen vor der Kündigung erfahren hat, so muß er seinerseits genau darlegen, wann und unter welchen Umständen389• Wenn sich die Beweislast des Kündigenden auf die Widerlegung dieser Angaben beschränkt, sind seine Beweismöglichkeiten insgesamt gesehen doch besser als die des Kündigungsempfängers. Die quantitative Abwägung der negativen Auswirkungen der Beweislastverteilung spricht also für die Beweislast des Kündigenden. Aus der qualitativen Abwägung läßt sich nichts herleiten, da es weder für den Gekündigten noch für den Kündigungsempfänger eine übergroße Härte bedeutet, wenn das Gericht entgegen der Wahrheit von der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist ausgeht. - Daß bei Beweislast des Kündigenden die Zahl der wirksamen außerordentlichen Kündigungen etwas geringer ist, als sie es bei Beweislast des Kündigungsempfängers wäre, kann für das Arbeitsr echt als erwünschte Folge angesehen werden390• Nach alledem ist dem Bundesarbeitsgericht zuzustimmen, wenn es dem Kündigenden die Beweislast dafür auferlegt, daß er von den für 387 AP Nr. 4 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, Bl. 6; zustimmend Söllner, a.a.O., Bl. 9; Schwerdtner, SAE 1973, 140. 388 Darauf weist hin: Schleifenbaum, BB 1972, 880. 389 Ähnlich BAG AP Nr. 4 zu § 626 BGB, Ausschlußfrist, Bl. 6, wonach der Kündigungsempfänger qualifiziert bestreiten muß. 390 s. oben II 1 c.
IV. Befristung von Arbeitsverhältnissen
181
die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor der Kündigung erfahren hat, wobei sich diese Beweislast auf die Widerlegung der Behauptungen des Gekündigten beschränkt.
3. Ergebnisse Der Kündigende trägt die Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Dies gilt auch für Kündigungen wegen unberechtigten Fernbleibens von der Arbeit, wenn der Arbeitnehmer behauptet, ihm sei Urlaub gewährt worden. Der Kündigende trägt ferner die Beweislast dafür, daß er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor der Kündigung erfahren hat. Der Gekündigte kann sich jedoch nicht mit einem Bestreiten dieser Behauptung begnügen, sondern muß im einzelnen darlegen, wann und unter welchen Umständen der Kündigende von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Beweislast des Kündigenden beschränkt sich auf die Widerlegung dieser Behauptungen. IV. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Befristung von Arbeitsverhältnissen
Nach übereinstimmender Meinung von Rechtsprechung und Literatur sind befristete Arbeitsverträge zulässig 391 • Dies ergibt sich aus § 620 Abs. 1 BGB und dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Diese Vertragsgestaltung darf jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht dazu mißbraucht werden, zwingende Rechtsnormen des Kündigungsschutzes, insbesondere das Kündigungsschutzgesetz, zu umgehen. Dabei kommt es nicht auf eine Umgehungsabsicht, sondern - im Sinne der objektiven Theorie - auf die objektive Funktionswidrigkeit des Rechtsgeschäfts an 392• Befristete Arbeitsverträge müssen demnach, um zulässig zu sein, einen "verständigen sachlich gerechtfertigten Grund haben". "Die wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse der Parteien oder einer Partei müssen für die Verträge sprechen." Andernfalls tritt an die Stelle des befristeten Arbeitsverhältnisses ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Dauer, auf das die (umgangenen) Kündigungsschutzbestimmungen anwendbar sind. Eine Befristung ist beispielsweise gerechtfertigt zur Erprobung oder bei nur vorübergehendem Arbeitsanfall, in manchen künstlerischen Berufen oder auf besonderen Wunsch des Arbeitnehmers. Dabei 391 Grundlegend BAG GS, AP Nr. 16 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag; ferner AP Nr. 26, 28, 31, 33- 37 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag; aus der Literatur z. B. Hueck I Nipperdey, 1. Bd., §55 III, S. 530 ff. 392 BAG GS, AP Nr. 16 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, BI. 3 R.
182 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
ist "auf die Frage der Üblichkeit im Arbeitsleben und darauf, was verständige und verantwortungsbewußte Parteien zu vereinbaren pflegen", "Gewicht zu legen"s&s. Über die Frage, ob eine wirksame Befristung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, entscheiden die Arbeitsgerichte meist auf Klagen von Arbeitnehmern, die auf Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses gerichtet sind, seltener auch auf Klagen, mit denen ein Lohnanspruch geltend gemacht wird. - In diesen Prozessen tauchen im wesentlichen zwei Beweislastprobleme auf, die beide in Rechtsprechung und Literatur viel erörtert werden. Zum einen kann regelmäßig nur bei mündlichem Vertragsschluß-streitig sein, ob ein befristeter oder unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Wenn von der Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses auszugehen ist, kann zum anderen streitig sein, ob ein sachlicher Grund für die Befristung vorlag.
1. Die Beweislastverteilung bei Streit über die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses a) Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinungen Die in Rechtsprechung und Literatur überwiegende Meinung legt der Partei die Beweislast auf, die die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses behauptet, in den genannten Fällen also dem Arbeitgeber 394• Dies wird einmal damit begründet, daß unbefristete Arbeitsverhältnisse in der Praxis die Regel seien395 und - da diese regelmäßig Bestandsschutz genießen - auch sozialstaatlich gesehen den Vorzug verdientens&e. Weiter heißt es, die Vereinbarung einer Befristung (eines Endtermins) sei ebenso wie die Kündigung als rechtsvernichtende Tatsache anzusehen und daher vom Arbeitgeber zu be393 So insbesondere BAG GS, AP Nr. 16 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 4. 394 LAG DüsseldorfiKöln, BB 1966, 82; LAG Düsseldorf, DB 1968, 1718; ArbG Lörrach, DB 1963, 1259; ArbG Kiel, ARSt, Bd. 20, Nr. 125, und schon LAG Gleiwitz, ARS Bd. 33, LAG S . 85, Nr. 19; Leser, BB 1965, 1151; Falkenberg, DB 1971, 433; Stahlhacke, S. 103; Hueck I Nipperdey, 1. Bd., § 55 III 2, S. 533; Nikisch, 1. Bd., § 47 II 1, S. 671; Trieschmann, AP Nr. 1 zu § 620 BGB, Probearbeitsverhältnis, BI. 3 R; Staudinger I Nipperdey I Mohnen I Neumann, § 620, Anm. 43; Staudinger I Coing, § 163, Anm. 10, § 157, Anm. 14; Soergel/ Knopp,§ 163, Anm. 7; Rosenberg, S. 308. 3 95 So insbesondere die Literatur, z. B. Stahlhacke, S. 103; Hueck I Nipperdey, 1. Bd., §55 III 2, S . 533; Nikisch, 1. Bd., § 47 II 1, S. 671; ähnlich BAG AP Nr. 7 zu § 1 KSchG, BI. 2 R. 398 BAG AP Nr. 14 zu § 1 KSchG (wo dies allerdings nicht im Hinblick auf die Beweislastverteilung ausgesprochen wird); Hueck I Nipperdey, 1. Bd., § 55 III 2, S. 533; Stahlhacke, S. 103.
IV. Befristung von Arbeitsverhältnissen
183
weisen397• Schließlich wird darauf verwiesen, daß die Befristung ein Endtermin im Sinne von § 163 BGB sei und daher die Beweislast ebenso wie im Falle des Streits über die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung beim Anspruchsgegner liege398• Nach der Gegenmeinung gehört das Bestehen eines unbefristeten Dauerschuldverhältnisses zum Klagegrund, der vom Anspruchsteller (Arbeitnehmer) zu beweisen istauu. b) Eigene Auffassung aa) Die gesetzliche Beweislastverteilung Fragen wir uns zunächst wieder, welche Partei bei Anwendung der Grundregel die Beweislast trüge. Es liegt nahe, die Vereinbarung einer Befristung ebenso wie die Kündigung als rechtsvernichtend anzusehen400. Dieser Vergleich ist jedoch irreführend. Es soll angenommen werden, der Arbeitgeber behaupte gegenüber dem - mit der Feststellungsklage mittelbar geltend gemachten - Lohnanspruch des Arbeitnehmers, daß das Arbeitsverhältnis bis zum 30. 6. 1975 befristet sei. Dann entsteht der Lohnanspruch für die Monate ab Juli von vornherein nur, wenn ein unbefristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Der Abschluß eines unbefristeten Vertrages ist also rechtsbegründend und wäre daher bei Anwendung der Grundregel vom Anspruchsteller (Arbeitnehmer) zu beweisen4 ot. Ausdrückliche Beweislastsonderregeln oder gesetzliche Vermutungen greifen nicht ein; ebensowenig läßt sich aus der sprachlichen Fassung des § 620 BGB eine gesetzliche Beweislastsonderregel ableiten. Damit scheint festzustehen, daß nach dem Willen des Gesetzgebers der Anspruchsteller (Arbeitnehmer) die Beweislast trägt. Dieser Schluß wäre jedoch voreilig. Denn es ist hier unstreitig ein Vertrag bestimmten Typs (Arbeitsvertrag) abgeschlossen worden; streitig ist nur, ob dafür eine Befristung, d. h. ein Endtermin, vereinbart wurde. Gerade von der Beweislast bezüglich der Vereinbarung von Endterminen (und auflösenden Bedingungen) wird aber in den Protokollen402 ausdrücklich gesagt, daß der Gesetzgeber diese Frage nicht hat regeln wollen. Es liegt 397 So LAG Düsseldorf, DB 1968, 1718; LAG Gleiwitz, ARS Bd. 33, LAG, S. 85, Nr. 19, die allerdings beide etwas ungenau von "rechtsauflösenden" Tatsachen sprechen. 398 Leser, BB 1965, 1151 ff.; Staudinger I Coing, § 163, Anm. 10, § 157, Anm. 14; Soergel I Knopp,§ 163, Anm. 7; Rosenberg, S. 308. 399 LAG Düsseldorf, BB 1958, 1132; LAG DüsseldorfiKöln, DB 1961, 39; KaufmG Hamburg, JW 1925, 1929; Monjau, RdA 1959, 368. 400 s. oben I 2 a; vgl. auch Leser, BB 1965, 1153. 401 Davon geht wohl auch LAG Düsseldorf, BB 1958, 1132, aus. a. A. LAG Düsseldorf, DB 1968, 1718; LAG Gleiwitz, ARS, Bd. 33, LAG, S. 85, Nr. 19. 402 S. 525 = Mugdan I, S. 816, und dazu 1. Teil, F III 2.
184 2. Teil, C . Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
also eine gesetzliche Regelungslücke vor. Hier kann der Richter schon bei Vorliegen vernünftiger sachlicher Gründe von der sonst anwendbaren gewohnheitsrechtlich geltenden Beweislastgrundregel abweichen403. Da die Beweislastverteilung hinsichtlich der Vereinbarung auflösender Bedingungen ebenfalls nicht gesetzlich geregelt ist, läßt sich auch aus der Verweisung des § 163 BGB auf § 158 BGB nichts herleiten404. bb) Die Gründe für und gegen eine richterrechtliche Beweislastumkehr Innerhalb der quantitativen Abwägung kommt es zunächst darauf an, ob häufiger befristete oder unbefristete Arbeitsverträge abgeschlossen werden. Es ist offensichtlich, daß unbefristete Arbeitsverhältnisse in der Praxis des Arbeitslebens die Regel darstellen. Zwar trifft es zu und entspricht auch dem im Ersten Teil405 ausführlich begründeten Standpunkt, daß eine tatsächliche Vermutung (allein) nicht zu einer Abweichung von der gesetzlichen Beweislastverteilung führen kann406 . Da aber insoweit die Beweislastverteilung eben nicht gesetzlich geregelt ist, sind die Wahrscheinlichkeitswerte hier von großer Bedeutung. Der beweisrechtliche Sphärengedanke kann hier zur Lösung nichts beitragen; denn die vertraglichen Vereinbarungen gehören - wie bereits oben anläßlich der Erörterungen zur Beweislastverteilung bei Klagen auf die übliche Vergütung ausgeführt wurde407 - nicht zur "Sphäre" eines der Beteiligten, sondern zu einem beiden Vertragsparteien gemeinsamen Bereich. Die qualitative Abwägung ergibt, daß es den Arbeitnehmer wesentlich härter träfe, wenn er seinen Arbeitsplatz verlöre, obwohl ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vereinbart war, als wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz Verabredung einer Befristung weiterbeschäftigen muß, weil der Beweis nicht gelingt. Denn der Arbeitgeber kann sich von dem Arbeitnehmer bei Vorliegen sachlicher Gründe auch unter Geltung des Kündigungsschutzgesetzes wieder trennen. - Bei Beweislast des Arbeitgebers werden mehr Arbeitsverhältnisse dem Bestandsschutz unterworfen als bei Beweislast des Arbeitnehmers; und dies kann als sozialpolitisch sehr erwünschte Folge bezeichnet werden. Die 403 a. A. offenbar die h. M., besonders deutlich LAG Düsseldorf, DB 1968, 1718; unklar insoweit Leser, BB 1965, 1152 f. 404 a. A. anscheinend Staudinger I Coing, § 163, Anm. 10, § 157, Anm. 14; Soergel I Knopp,§ 163, Anm. 7 ; Rosenberg, S. 308. 405 G III 2. 406 So LAG Düsseldorf, DB 1968, 1718; Leser, BB 1965, 1152 f. 407 A II 2 c aa.
IV. Befristung von Arbeitsverhältnissen
185
h. M. spricht in diesem Zusammenhang davon, daß das unbefristete Arbeitsverhältnis sozialstaatlich gesehen den Vorzug verdiene408 • Die größere wirtschaftliche und soziale Macht des Arbeitgebers spricht auch noch aus anderen Gründen für dessen Beweislast: Der Arbeitgeber kann viel eher als der Arbeitnehmer die durch die Mündlichkeit des Vertragsschlusses hervorgerufene non-liquet-Situation vermeiden, indem er auf schriftlichem Vertragsschluß besteht, ein Gedanke, der bereits bei Erörterung der Fallgruppe A 409 genauer ausgeführt wurde. Die quantitative und die qualitative Abwägung sprechen also für die Beweislast des Anspruchsgegner (Arbeitgebers), so daß der h. M. zuzustimmen ist.
2. Die Beweislastverteilung bei Streit über das Vorliegen sachlicher Gründe für eine Befristung a) Die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Meinungen Das Bundesarbeitsgericht legt in ständiger Rechtsprechung dem Arbeitnehmer die Beweislast dafür auf, "daß für den Abschluß des befristeten Arbeitsvertrages keine sachl. vernünftigen Gründe vorgelegen haben, oder daß solche Gründe nur vorgeschoben sind" 410 • Denn zunächst spreche "eine Vermutung für die Rechtswirksamkeit von befristeten Arbeitsverträgen"; das Nichtvorliegen von sachlichen Gründen sei die vom Arbeitnehmer zu beweisende Ausnahme. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts kann sich jedoch "die Beweisführungslast nach Lage des jeweiligen Falles darin ändern", "daß der Arbeitgeber seinerseits das Vorbringen des Klägers, das dem ersten Anschein nach zutreffend ist, durch Gegendarlegungen und Gegenbeweise zu entkräften hat" 411 • Eine solche Änderung wird insbesondere dann angenommen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund mehrerer hintereinander geschalteter befristeter Arbeitsverträge (sog. Kettenarbeitsverträge) jahrelang für den Arbeitgeber tätig war412 • Es ist in diesen Fällen nicht ganz klar, ob der Arbeitgeber zur Entkräftung des Anscheinsbeweises nur solche Tatsachen zu beweisen hat, aus denen sich die "ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des typischen Hergangs" ergibt413, oder s. oben Fn. 396. II 2 cbb. 410 So insbesondere BAG GS, AP Nr. 16 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag; ebenso BAG AP Nr. 17, 19, 20, 34, 35 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag. m BAG AP Nr. 16 (GS), 33, 34, 35 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag. 412 BAG AP Nr. 34, 35 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag. 413 Vgl. oben 1. Teil, G II. 408 409
186 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
ob das Bundesarbeitsgericht an den Gegenbeweis größere Anforderungen stellt. Die überwiegende Meinung in der Literatur will dagegen dem Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen sachlicher Gründe auferlegen414, was z. T. mit der Beweisnot des Arbeitnehmers 415, zum Teil mit der analogen Anwendung von § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG416 begründet wird. b) Eigene Auffassung Auch hier ist zu fragen, wer bei Anwendung der Grundregel die Beweislast trüge. Oben war gesagt worden, daß die Vereinbarung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses rechtsbegründend ist. Steht aber fest, daß ein- etwa bis zum 30. 6. 1975 -befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart wurde, so entsteht der Anspruch auf Lohn für die Monate ab Juli nur bei Unwirksamkeit der Befristung, also bei Nichtvorliegen sachlicher Gründe. Das Nichtvorliegen dieser Gründe ist rechtsbegr ündend, also bei Anwendung der Grundregel vom Arbeitnehmer zu beweisen. Ausdrückliche Beweislastsonderregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen greifen nicht ein; ebensowenig kann aus der sprachlichen Fassung des § 620 BGB etwas für die Beweislastverteilung hergeleitet werden. Der vom Bundesarbeitsgericht zur Nachprüfung befristeter Arbeitsverträge herangezogene Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung, die als Unterfall des § 134 BGB anzusehen ist417, spricht wie die Grundregel für die Beweislast des Arbeitnehmers, wenn man mit der h. M. die Beweislast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen von § 134 BGB der Partei auferlegt, die sich darauf beruft418 • Man wird 414 GamiHscheg, AcP 164, S. 392; Grotheer, S. 64 f. ; Falkenberg, DB 1971, 433 ; M endigo, AuR 1955, 95 ; ähnlich im Ergebnis Manfred Wolf, AP Nr. 35 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 6 R. Wie das BAG dagegen Hueck, AP Nr. 17 zu§ 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 4 R; Baarz, DB 1965, 744. Eine Mittelmeinung vertritt Wiedemann, AP Nr. 35 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 5 R, der in Anlehnung an § 282 BGB jeder Partei
die Beweislast für die Tatsachen auferlegt, die zu seiner Organisationssphäre gehören. Ähnlich § 6 des ErgänzungsTV zum Normalvertrag Chor vom 28. 1. 1972, mitgeteilt von Palenberg, AP Nr. 36 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, BI. 7 R. 415 So Falkenberg, DB 1971, 433. Auch das BAG (AP Nr. 35 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 2 R) sowie Baarz, DB 1965, 744, sehen die Beweisnot des Arbeitnehmers. 416 So Grotheer, S. 64 f.; Mendigo, AuR 1955, 95; ähnlich GamiHscheg, AcP 164, 392.
417 s. dazu Soergel I Hefermehl, § 134, Anm. 38 ff. Die neuere Rechtsprechung nennt - im Gegensatz etwa zu BAG AP Nr. 7 zu § 1 KSchG - die Vorschrift des§ 134 BGB in diesem Zusammenhang nicht. 41 8 BAG JZ 1973, 375; RGZ 148, S. 61; Rosenberg, S. 260; ähnlich wohl Hueck, AP Nr. 17 zu § 620 BGB, Befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 4 R.
IV. Befristung von Arbeitsverhältnissen
187
aber aus der negativen Fassung von § 134 BGB (ein Rechtsgeschäft ... ist nichtig ...) eine gesetzliche Beweislastregel nicht ableiten können, da Beweislastprobleme bei § 134 BGB sehr selten auftauchen und auch der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Vorschrift daran nicht gedacht hat419. -Die Beweislastverteilung für das Vorliegen sachlicher Gründe ist demnach gesetzlich nicht geregelt. Für die quantitative Abwägung läßt sich aus Wahrscheinlichkeitsüberlegungen nichts herleiten. Denn man kann nicht sagen, daß im Falle der Vereinbarung von befristeten Arbeitsverhältnissen das Vorliegen sachlicher Gründe für die Befristung seltener ist als ihr Nichtvorliegen. Ebensowenig zutreffend ist es allerdings, wenn es in der Literatur heißt, die Mehrheit der Arbeitgeber denke vernünftig und sachlich und vereinbare nur bei Vorliegen berechtigter Gründe eine Befristung des Arbeitsverhältnisses, so daß eine Vermutung für die Rechtswirksamkeit der Befristungsahrede spreche420 • Der beweisrechtliche Sphärengedanke spricht für die Beweislast des Arbeitgebers, da die sachlichen Gründe für eine Befristung, z. B. ein nur vorübergehender Bedarf, zur Betriebs- bzw. Unternehmensgestaltung gehören, die der Arbeitgeber erheblich besser übersieht als der Arbeitnehmer. Dieser geriete regelmäßig in Beweisnot, auch wenn sich die Beweislast nur auf die Widerlegung des vom Arbeitgeber anzugebenden Befristungsgrundes beschränkte421 • Bei der qualitativen Abwägung ist - wie in allen Rechtsstreitigkeiten um den Fortbestand von Arbeitsverhältnissen - zu berücksichtigen, daß die Beweislast des Arbeitnehmers zum unberechtigten Verlust des Arbeitsplatzes führen kann, hier trotz Nichtvorliegeng sachlicher Gründe für eine Befristung. Dies trifft den Arbeitnehmer härter als es den Arbeitgeber träfe, wenn er wegen der bei ihm liegenden Beweislast den Arbeitnehmer weiter beschäftigen müßte, obwohl die Befristung sachlich gerechtfertigt war. - Der Gedanke, daß unbefristete Arbeitsverhältnisse sozialstaatlich gesehen den Vorzug verdienten, läßt sich also auch hier heranziehen422. Hätte der Arbeitgeber die Beweislast, so wäre damit bei befristeten Arbeitsverhältnissen nur eine dem § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG entsprechende Lage hergestellt. Vgl. Motive I, S. 210 f. = Mugdan I, S. 468 f.; Protokolle, S. 276 f. = I, S. 724 f. Daß die Gesetzesfassung zwar regelmäßig, jedoch nicht durchgehend für die Beweislastverteilung maßgebend sein sollte, ergibt sich aus den Motiven (1, S. 382 = Mugdan I, S. 561, und dazu oben 1. Teil, D III, Fn. 68). Auch in den Fn. 418 genannten Entscheidungen wird die Beweislast nur obiter angesprochen. 420 So aber Baarz, DB 1965, 744. 421 Vgl. Fn. 415. 422 Ähnlich Grotheer, S. 64 f., und wohl auch Gamillscheg, AcP 164, S. 392. 419
Mugdan
188 2. Teil, C. Beweislast und Fortbestand von Dauerschuldverhältnissen
Die quantitative und qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen sprechen also für die Beweislast des Arbeitgebers. Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts, daß die Vermutung für die Rechtswirksamkeit der Befristung spreche und daß Nichtvorliegen sachlicher Gründe daher die vom Arbeitnehmer zu beweisende Ausnahme sei, ist demgegenüber zu formal und vermag daher nicht zu überzeugen. Es ist also sinnvoll, entgegen der Meinung des Bundesarbeitsgerichts dem Arbeitgeber die Beweislast für das Vorliegen der Gründe aufzuerlegen, die eine Befristung des Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigen. 3. Ergebnisse
Die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat diejenige Partei zu beweisen, die sich darauf beruft, im Regelfall also der Arbeitgeber. Auch die Beweislast für das Vorliegen eines die Befristung rechtfertigenden sachlichen Grundes trägt der Arbeitgeber. Dies ergibt sich aus dem beweisrechtlichen Sphärengedanken und der Erwägung, daß ein unberechtigter Arbeitsplatzverlust den Arbeitnehmer härter trifft als den Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers trotz Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Befristung des Arbeitsverhältnisses.
Schluß
Zusammenfassung in Thesen I. 1. Die gewohnheitsrechtlich geltende Grundregel der Beweislastverteilung lautet: Soweit nicht abweichende Regeln eingreifen, trägt der Anspruchsteller die Beweislast für das Vorliegen der rechtsbegründenden Tatsachen, der Anspruchsgegner aber die Beweislast für die rechtsvernichtenden und -hemmenden Tatsachen. Wenn die noch immer herrschende Meinung dem Anspruchsgegner die Beweislast auch für das Vorliegen der rechtshindernden Tatsachen auferlegt, so liegt dem eine bloße Tautologie zugrunde.
2. Der Gesetzgeber des BGB drückt Beweislastsonderregeln in erster Linie durch die Gesetzesfassung aus, indem er mehrere Rechtssätze nach einem sprachlichen Regel-Ausnahme-Schema aufbaut. Ausdrückliche Beweislastsonderregeln oder solche in Form gesetzlicher Vermutungen finden sich dagegen nur selten. 11. 1. Die Suche nach den sachlichen Gründen der Grundregel und der gesetzlichen Beweislastsonderregeln hat folgendes ergeben: Die Beweislast ist in den meisten Fällen so verteilt, daß der weniger wahrscheinliche Vorgang zu beweisen ist. Dies gilt sowohl für die Grundregel als auch für zahlreiche gesetzliche Beweislastsonderregeln. Ferner trägt häufig jene Partei die Beweislast, welche die besseren Beweismöglichkeiten hat. So werden zum einen Negativbeweise weitgehend vermieden; zum anderen wird die Beweislast - insbesondere im Schadensersatzrecht- häufig nach Sphären verteilt. 2.
Bei der Beweislastverteilung nach diesen Kriterien ist die Summe der negativen Auswirkungen, also der Fälle, in denen eine Partei ihre Rechte wegen der sie treffenden Beweislast weder prozessual (Fehlurteile), noch außerprozessual durchsetzen kann, kleiner als sie es bei der entgegengesetzten Beweislastverteilung wäre.
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Zusammenfassung in Thesen
Damit beruhen die meisten Beweislastnormen auf einer quantitativen Abwägung der - nie völlig zu vermeidenden - negativen Auswirkungen.
3. Dagegen lassen sich nur sehr wenige Beweislastregeln (auch) auf eine qualitative Abwägung zurückführen, d. h. auf die Bewertung, daß die negativen Auswirkungen, insbesondere Fehlurteile, zu Lasten einer Partei in ihrer Art eher erträglich sind als die zu Lasten der anderen Partei. Insbesondere bezweckt wohl keine der zahlreichen gesetzlichen Beweislastregeln des Bürgerlichen Rechts auch den Schutz des sozial Schwächeren.
4. Teilweise ist die Beweislastverteilung (auch) ein Mittel zur Erreichung anderer Ziele. So fördern einige Beweislastregeln den Rechtsverkehr; schadensersatzrechtliche Beweislastnormen haben vielfach am Präventivzweck der materiellrechtlichen Haftungsnormen teil. Dagegen ist es allenfalls eine erwünschte Nebenwirkung, wenn die Beweislastnormen zu Lasten des Anspruchstellers prozeßabschreckend wirken.
III. 1. Im Bereich des BGB und der - meist älteren - zivilrechtliehen Nebengesetze mit kodifikatorischem Charakter kann aus der sprachlichen Fassung, den ausdrücklichen Beweislastregeln und den gesetzlichen Vermutungen regelmäßig auf die vom Gesetzgeber gewollte Beweislastverteilung geschlossen werden. Nur an einigen wenigen Stellen ist dies nach den Gesetzgebungsmaterialien nicht der Fall. Nicht gesetzlich geregelt ist insbesondere die Beweislastverteilung hinsichtlich des genauen Inhalts mündlich abgeschlossener Verträge. 2.
Bei vielen neueren Gesetzen, zu denen auch fast alle arbeitsrechtlichen Gesetze gehören, war dagegen eine abschließende Regelung der Beweislastverteilung von vornherein nicht beabsichtigt. Die Gesetzesfassung ist hier nur dann maßgebend, wenn sich aus der Entstehungsgeschichte positiv Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers entnehmen lassen.
3. Insgesamt gesehen hat der Richter bei der Beweislastverteilung eine freiere Stellung als bei Anwendung des materiellen Rechts. Vielfach lesen Rechtsprechung und Literatur jedoch auch dort Lösungen aus dem Gesetz ab, wo der Gesetzgeber die Beweislast gar nicht hat regeln wollen.
Zusammenfassung in Thesen
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4. Liegt eine gesetzliche Beweislastregelung nicht vor, so kann der Richter schon bei Vorliegen vernünftiger sachlicher Gründe, die sich im wesentlichen aus einer quantitativen und qualitativen Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastregeln ergeben, die Beweislast umkehren.
IV.l. Die Bedeutung der Beweislastverteilung ist um so größer, je höher die Anforderungen an die Beweisführung sind und umgekehrt. Die Beweislastverteilung wird also von den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis insofern beeinflußt, als diese für die Beweisführung statt des sonst erforderlichen "jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Grades" ein "hohes Maß" von Wahrscheinlichkeit genügen lassen.
2. Von beiden Beweiserleichterungen ist die Beweislastumkehr für den Begünstigten erheblich vorteilhafter, da der Gegner zur Entkräftung des Anscheinsbeweises nur die "ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des typischen Hergangs" beweisen muß, bei der Beweislastumkehr aber einen Gegenteilsbeweis zu führen hat. 3. Eine Wahrscheinlichkeitsüberlegung ist für den Anscheinsbeweis konstitutiv, während sie nur eine unter mehreren Erwägungen ist, die zu einer Beweislastumkehr führen kann.
4. Die Anwendungsbereiche beider Rechtsfiguren überschneiden sich. Die Rechtsprechung wendet jedoch die Grundsätze über den Anscheinsbeweis vielfach auch dort an, wo mangels "hoher" Wahrscheinlichkeit als Beweiserleichterung ausschließlich eine Beweislastumkehr in Frage kommt.
V. Die Behandlung der Fallgruppen hat - abgesehen von den Einzelergebnissen, die an dieser Stelle nicht wiederholt werden sollen folgendes ergeben: 1. Bei der Ausfüllung von Regelungslücken kommt man nur dann zu sinnvollen Ergebnissen, wenn man die negativen Auswirkungen der jeweiligen Regelungsalternativen quantitativ und qualitativ abwägt und die weitergehenden Folgen einer bestimmten Beweislastverteilung
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Zusammenfassung in Thesen
mitberücksichtigt Der Richter darf sich also nicht darauf beschränken, etwa nur nach den besseren Beweismöglichkeiten oder nach den Wahrscheinlichkeitswerten zu fragen.
2. Bei dem Vergleich der Beweismöglichkeiten ist zu erwägen, ob man der Partei, der man die Beweislast auferlegen will, nicht durch eine Herabsetzung der Beweisanforderungen - etwa durch Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis - helfen kann. Müßte eine Partei einen Negativbeweis führen, so ist vor einer Beweislastumkehr jeweils zu bedenken, ob die Beweisschwierigkeiten dadurch gemindert werden können, daß man an die Behauptungslast des Gegners höhere Anforderungen stellt und die Beweislast auf die Widerlegung dieser konkreten Behauptungen beschränkt. 3.
Bei Behandlung der positiven Vertragsverletzung ist klar geworden, daß es bei größeren Fallgruppen erforderlich sein kann, kleinere, überschaubare Unterfallgruppen zu bilden, bei denen die für die quantitative und qualitative Abwägung maßgebenden Umstände etwa gleich sind. Einheitsformeln, die Lösungen für alle einzelnen Beweislastproblerne innerhalb solcher größerer Fallgruppen anzubieten scheinen, erweisen sich bei näherem Hinsehen häufig als falsch oder aber als inhaltlich viel zu unbestimmt.
4. Bei der Schaffung richterrechtlicher Beweislastregeln spielt die qualitative Abwägung der negativen Auswirkungen von Beweislastnormen eine erheblich größere Rolle als bei Entstehung der gesetzlichen Beweislastregeln, etwa denen des BGB. Dennoch wird dieser Gesichtspunkt in Rechtsprechung und Literatur kaum erwähnt. Damit ist die richterliche Beweislastverteilung auch von der typischerweise unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Stärke der Prozeßparteien abhängig - ein Gesichtspunkt, der im Arbeitsrecht für die Beweislast des Arbeitgebers sprechen kann. Demgegenüber kann eine untypische, schlechte soziale Lage einer Partei die Beweislastverteilungnicht beeinflussen. Wie sich bei der Erörterung der Schadensersatzansprüche aus gefahrgeneigter Arbeit gezeigt hat, ist die qualitative Abwägung insbesondere dort für die Beweislastverteilung ausschlaggebend, wo die quantitative Abwägung der negativen Auswirkungen nicht zu eindeutigen Ergebnissen führt.
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