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German Pages 426 [427] Year 2003
Susanne Fracke . Die betriebliche Weiterbildung
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 214
Die betriebliche Weiterbildung Verantwortung des Arbeitgebers im intakten und bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
Von
Susanne Fracke
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrutbar.
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany
© 2003 Duncker &
ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-11025-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Vorwort Die Arbeit hat der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen im Sommersemester 2002 als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis März 2002 berücksichtigt. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hansjörg Otto, möchte ich für die Begleitung meines Werdegangs seit der Einstellung als studentische Hilfskraft herzlich danken. Die Beschäftigung an seinem Lehrstuhl prägte meine Studien- und Promotionszeit nicht nur in fachlicher Hinsicht maßgeblich. Darüber hinaus danke ich Frau Prof. Dr. Barbara Veith für die sehr zügige und engagierte Erstellung des Zweitgutachtens. Daneben gilt mein Dank all denen, die am Gelingen der Arbeit durch Gespräche, Hinweise und Diskussionen, aber auch durch das richtige Maß an Ablenkung beteiligt waren. Unter ihnen hervorzuheben ist Dr. Frauke Wilken, die zusätzlich Korrektur las und einiges verständlicher machte. Nicht möglich gewesen wäre die Arbeit ohne meine Eltern und deren fortwährende Unterstützung in jeglicher Hinsicht. Steffen Salzmann nahm gemeinsam mit meinem Vater die Mühe der Durchsicht des letzten Entwurfs auf sich. Erfurt, im November 2002
Susanne Fracke
Inhaltsverzeichnis 1. Teil
§1
§2
Einführung und Grundlagen
25
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
A. Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
B. Gang der Untersuchung ......................................................
27
Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung .................................
29
A. Die betriebliche Weiterbildung ...............................................
29
I. Begriff der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
11. Die Betrieblichkeit der Weiterbildung als untersuchungsbegrenzendes Merkmal ...............................................................
30
1. Bestehende Definitionen ............................................
31
2. Eigener Zuordnungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
III. Ergebnis und Themenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
B. Inhaltliche Unterteilung ......................................................
36
I. Allgemeine und politische Weiterbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
11. Berufliche Weiterbildung ...............................................
38
111. Ergebnis ................................................................
39
Träger der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
D. Arten der Weiterbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .
40
I. Lernen in der Arbeitssituation ..........................................
40
11. Selbstgesteuertes Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
111. Lehrveranstaltungen ....................................................
42
IV. Informationsveranstaltungen ............................................
42
c.
v.
E-Learning .............................................................
43
8
Inhaltsverzeichnis E. Teilnahmenachweise und Abschlüsse nach durchgeführter Weiterbildung. . . . .
43
F. Ziele der betrieblichen Weiterbildung ... . ....................................
45
G. Kosten und Kostenträger der Weiterbildung ..................................
47
H. Ergebnis .....................................................................
48
2. Teil
§3
Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
49
Regelungen zur Weiterbildung im Völker- und Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
A. Völkerrechtliche Bestimmungen .. . . . . .. .. . . .. . . . . . . .. . . . . .. . . . .. .. .. . . . . .. .. .
49
I. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte .............................
50
11. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. .
51
III. Das 1. Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ....................................................
52
IV. Europäische Sozialcharta ...............................................
53
V. Vereinbarungen der Internationalen Arbeitsorganisation .. . . . . . . . . . . . . . . .
55
VI. Ergebnis der Bedeutung der völkerrechtlichen Bestimmungen. . . . . . . . . . .
56
B. Bestimmungen des Rechtes der Europäischen Gemeinschaft.. . .. . . . . .. . . ... . .
56
I. Primärrecht ............................................................
56
I. Beschäftigungspolitik gern. Artt. 125 ff. EG .........................
57
2. Sozialvorschriften gern. Artt. 136 ff. EG ............................
58
3. Berufliche Bildung gemäß Artt. 149, 150 EG ........................
59
a) Art. 149 EG ......................................................
59
b) Art. 150 EG .................. .. .......... .. .............. .. ......
61
4. Präambel und Art. 3 EG .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .
62
5. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer ...
62
6. Ergebnis zu primärrechtlichen Regelungen ..........................
63
11. Sekundäres Gemeinschaftsrecht .. . . . . .. . . . . . . .. . . . . .. . . . .. . .. . . . . .. . . . . .
64
III. Europäische Grundrechtecharta .........................................
66
IV. Zusammenfassung zur Bedeutung europarechtlicher Regelungen . . . . . . . .
66
§4
Inhaltsverzeichnis
9
Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung ...........................
67
A. Bedeutung der Grundrechte für das Verhältnis von Privaten ..................
67
I. Wirkungen der Grundrechte zwischen Privaten .........................
67
11. Umsetzung der Schutzpflichtenlehre im Privatrecht .....................
69
B. Vorgaben des Grundgesetzes zur Weiterbildung ..............................
70
I. Weiterbildung und Berufsfreiheit .......................................
71
1. Weiterbildung als Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG .................
71
2. Gewährleistungsumfang der Berufsfreiheit für die Weiterbildung....
74
a) Aussagen der Literatur...........................................
74
b) Stellungnahme............................................ . ......
75
aa) Subjektiv-rechtlicher Gehalt des Art. 12 GG .................
75
bb) Objektiv-rechtlicher Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG ...........
75
(I) Art. 12 Abs. I GG als Teilhaberecht .....................
77
(2) Verfassungsauftrag zur Weiterbildung? ..................
77
(3) Art. 12 Abs. 1 GG als staatliche Schutzpflicht ...........
79
(a) Schutzpflichten bezüglich der Weiterbildung ........
80
(b) Handlungspflicht des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
3. Ergebnis zur Weiterbildung als Bestandteil der Berufsfreiheit .......
81
11. Weiterbildung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht .................
82
1. Weiterbildung und menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung ........
83
a) Verhältnis der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung zur Berufsfreiheit .......................................................
84
b) Gewährleistungsumfang .................................. . ......
85
2. Weiterbildung und das Recht auf Selbstentfaltung ...................
86
3. Weiterbildung und Erhalt des materialisierten Status des Arbeitnehmers ............... ...... ..... ........ ..... ............. ...... ......
87
4. Zusammenfassung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht ...........
88
III. Weiterbildung und die allgemeine Handlungsfreiheit ....................
89
IV. Weiterbildung und der Gleichheitssatz ..................................
89
V. Ergebnis zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben .......................
90
C. Vorgaben der Landesverfassungen ............................................
91
I. Verhältnis Bundesverfassungsrecht zu Landesverfassungsrecht .........
91
11. Weiterbildung im Landesverfassungsrecht ..............................
92
III. Landesverfassungen und Einrichtung einer Weiterbildungsmaßnahme .. .
93
D. Ergebnis zu den Vorgaben der Verfassung ............................. . ......
93
10
Inhaltsverzeichnis
§5
Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung ...................................
94
A. Einfaches Bundesrecht .......................................................
94
I. Das Beratungsrecht des § 90 Abs. 2 S. I 2. HS BetrVG für die betriebliche Weiterbildung .....................................................
94
11. Wirkung der Personalplanung gemäß §§ 92 Abs. I, 92a BetrVG auf die betriebliche Weiterbildung ..............................................
96
III. Die Berufsbildung gemäß §§ 96 ff. BetrVG .............................
97
I. Der Berufsbildungsbegriff im Betriebsverfassungsgesetz und der allgemeine Begriff der betrieblichen Weiterbildung ....................
98
2. Förderung der Berufsbildung gemäß § 96 BetrVG ...................
99
3. Einrichtungen und Maßnahmen der Berufsbildung gemäß § 97 BetrVG ............................................................. 101 a) Beratung über Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtungen zur Berufsbildung gemäß § 97 Abs. I BetrVG ............ 101 b) Mitbestimmung bei der Einführung betrieblicher Berufsbildung .. 101 aa) Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechtes nach § 97 Abs. 2 BetrVG .............................................. 102 bb) Zusammenfassung zur Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Einführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen . . . . . 105 4. Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen gemäß § 98 BetrVG ............................................................. 106 a) Die Entscheidung über das Ob der beruflichen Bildung........... 106 b) Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers durch einen individuellen Teilnahmeanspruch gemäß § 98 Abs. 3 BetrVG .......................................................... 107 5. Ergebnis zu Berufsbildungsvorschriften gemäß §§ 96 ff. BetrVG .... 107 IV. Bedeutung des § 81 Abs. I, 2 BetrVG für die betriebliche Weiterbildung
108
1. Die Unterrichtung im Sinne des § 81 Abs. 1,2 BetrVG .............. 109 a) Voraussetzung an den zu unterrichtenden Arbeitnehmer .......... 112 aa) Berufsbezogene Kenntnisse als notwendige Voraussetzung .. 112 bb) Erfüllung der Stellenbeschreibung als notwendige Voraussetzung ......................................................... 113 cc) Stellungnahme .............................................. 114 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Inhaltsverzeichnis b) Anforderungen an die vorzunehmende Maßnahme
11
118
aa) Berufsbildender Charakter als negative Grenze für § 81 Abs. 1,2 BetrVG ....................................... 118 (I) Form der Unterrichtung ................................. 119 (2) Die Berufsbezogenheit der Einweisung als negatives Abgrenzungsmerkmal ...................................... 120 bb) Abgrenzung nach funktions- oder berufsbezogenem Schwerpunkt........................................................ 121 ce) Arbeitsnotwendige Maßnahmen............................. 122 dd) Beschleunigungsfunktion der Maßnahme .................... 122 ee) Stellungnahme .............................................. 123 (1) Kritik an der Entweder-Oder-These...................... 123 (a) Regelungsebene des § 81 Abs. 1,2 BetrVG und der §§ 96 ff. BetrVG .................................... 124 (b) Bewußte Nichtregelung von Beteiligungsrechten .... 125 (c) Zweck der Mitbestimmungsrechte................... 126 (d) Gehalt des § 81 Abs.4 BetrVG ...................... 126 (e) Zusammenfassung .................................. 127 (2) Unbeachtlichkeit der Form der Unterrichtung.. . .... . . . .. 128 (3) Kritik am negativen Abgrenzungsmerkmal der Berufsbezogenheit ............................................... 129 (4) Kritik an der Ansicht Eichs .............................. 129 (5) Kritik an der Ansicht Oetkers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 130 (6) Kritik an der "Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt" ......... 130 (7) Ergebnis ................................................ 131 c) Ergebnisse zu den Voraussetzungen der Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG ................................................ 132 d) Verfassungsgemäße Ausweitung des § 81 Abs. 1,2 BetrVG ...... 135 2. Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG als Weiterbildung...... 136 a) Unterrichtungsmaßnahmen gemäß § 81 Abs. I, 2 BetrVG mit Berufsbildungscharakter ......................................... 137 b) Unterrichtungsmaßnahmen gemäß § 81 Abs. I, 2 BetrVG ohne Berufsbildungscharakter ......................................... 137 c) Ergebnis zur Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1 BetrVG als Weiterbildung .......................................................... 139 3. Leistungsumfang der Unterrichtung ................................. 139
12
Inhaltsverzeichnis 4. Konkurrenz des § 81 Abs. I, 2 BetrVG mit den echten Mitbestimmungsrechten nach §§ 97 ff. BetrVG ................................ 140 5. Durchsetzung der Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG ...... 141 a) Selbständige Klagbarkeit . . . . . . .. . . . . . ... . . . .. . . . .. ... . . . . . . . . . ... 142 b) Sonstige Folgen der Pflichtverletzung ............................ 143 c) Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Begriff der Obliegenheit..................................... 143 bb) Abgrenzung Obliegenheit - Rechtspflicht ................... 144 d) Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG als Pflicht oder Obliegenheit? ....................................................... 145 6. Ergebnis zur Unterrichtungspflicht gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG ... 146 V. Erörterung der Anpassungsmöglichkeiten an die geänderte Tätigkeit des
Arbeitnehmers gern. § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG ........................... 147 l. Erörterungspflicht .................................................. 147
2. Folgen der unterlassenen Erörterung für das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ................................................... 149 3. Ergebnis zur Erörterungspflicht gemäß § 81 Abs. 4 BetrVG ......... 150 VI. Die Förderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG und die betriebliche Weiterbildung ................. 150 l. Freie Entfaltung der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
2. Inhalt und Umfang der Förderung gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG ....... 152 a) Rechtscharakter des § 75 Abs. 2 BetrVG ......................... 153 b) Vergleichbarkeit des Regelungsumfangs von § 75 Abs. 2 BetrVG mit dem des § 96 Abs. I S. I BetrVG ............................ 154 c) Regelungsumfang des "Fördems" im Sinne des § 75 Abs. 2 BetrVG .............................................. 155 3. Ergebnis zum Fördergebot gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG .............. 156 VII. Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge ................ 156 VIII Normen der Sozialversicherungsrechte und betriebliche Weiterbildung.. 157 1. Individuelle Förderung der beruflichen Weiterbildung gemäß § 3 Abs. 2 SGB I .................................................... 157 2. Besondere Verantwortung des Arbeitgebers für berufliche Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 2 SGB III ............... 158 a) Inhalt des § 2 Abs. 2 SGB III . .. . . . . ... . . . .. . . . .. . . . . . . ... . . . .. . .. 158 b) Sozialrechtliche Wirkung des § 2 Abs. 2 SGB III ................. 159
Inhaltsverzeichnis c) Wirkung des § 2 SGB III im Arbeitsrecht
13 161
aa) Das Ob der Wirkung der sozialrechtlichen Norm des § 2 Abs. 2 SGB III im Arbeitsrecht .......................... 162 bb) Arbeitsrechtliche Auswirkungen des § 2 Abs. 2 Nr. I SGB III
163
(1) Konkretisierung der Erörterungspflicht in § 81 Abs. 4 BetrVG ..................................... 164 (2) Bedeutung für § 75 Abs. 2 BetrVG ...................... 165 d) Ergebnis zu § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III ............................. 166 3. Berufliche Weiterbildung und Integration Arbeitsloser .............. 166 IX. Weiterbildung und Entwürfe ftir eine zukünftige gesetzliche Gestaltung 167 I. Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes 1992 ......................... 167
2. Gesetzentwürfe der Länder für ein Arbeitsvertragsgesetz ............ 168 3. Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes .......................... 169 X. Ergebnis zu den Normen des einfachen Bundesrechts ................... 170 B. Landesgesetzliche Regelungen ............................................... 173 §6
Vereinbarungen auf kollektiver Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 A. Vereinbarungen durch die Sozialpartner...................................... 174 I. Regelungsbefugnis. -möglichkeiten und -grenzen der Sozialpartner ..... 176 I. Tarifvertragliche Regelungen ....................................... 176
a) Verfassungsrechtliche Grundlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Verfassungsrechtliche Grenzen tarifvertraglicher Regelungen .... 177 c) Grenzen tarifvertraglicher Regelungen durch allgemeine RechtsgrundSätze und allgemeines Gesetzesrecht ....................... 178 d) Grenzen tarifvertraglicher Regelungen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Normart ................................ 178 aa) Normative Regelungen des Tarifvertrages und dessen Geltungsgrenzen durch das Tarifvertragsgesetz .................. 179 (l) Regelung durch Inhaltsnormen .......................... 179
(2) Regelung durch Betriebsnormen ......................... 180 (3) Regelung durch betriebsverfassungsrechtliche Normen.. 182 (a) Zulässigkeit der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten .............................................. 183 (b) Besondere Beschränkungen bei der Erweiterung des § 98 BetrVG ........................................ 184 (aa) Gesetzessystematik als Beschränkung der Erweiterung von Beteiligungsrechten ............. 184
14
Inhaltsverzeichnis (bb) Beeinflussung der unternehmerischen Freiheit durch Erweiterung des § 98 BetrVG zum echten Mitbestimmungsrecht.......................... 186 (ce) Weitere Zulässigkeitsschranken für die Erweiterung von Mitbestimmungsrechten .............. 188 (4) Regelung gemeinsamer Einrichtungen gemäß §4Abs.2TVG ......................................... 189 bb) Schuldrechtliche Regelungen des Tarifvertrages ............. 190 2. Außertarifliche Vereinbarungen..................................... 191 11. Beispiele für Qualifizierungsregelungen im Tarifvertrag ................ 192 1. Weiterbildungsvereinbarungen in der chemischen Industrie ......... 193 2. Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag I der IG Metall und des Verbandes der Metallindustrie .......................................... 193 3. Tarifvertrag zur Qualifizierung der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg ................................................ 195 a) Inhalt der tariflichen Regelung ................................... 196 b) Fortentwicklung der Regelung gegenüber LGRTV I und rechtliche Bewertung ................................................. 197 4. Tarifvertragliehe Qualifizierung bei debis ........................... 199 a) Inhalt der tariflichen Regelung ................................... 199 b) Rechtliche Bewertung der Regelung ............................. 200 5. Tarifvertragliehe Qualifizierung in der Textil- und Bekleidungsindustrie in Westdeutschland ............................................ 201 III. Ergebnis zu den Sozialpartnervereinbarungen ........................... 202 B. Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene ...................................... 202 I. Regelungsbefugnis und Wirkung der Einigungen auf betrieblicher Ebene 203 1. Vereinbarungen unter Beteiligung des Betriebsrates ................. 204 a) Erzwingbare Betriebsvereinbarung ............................... 204 b) Freiwillige Betriebsvereinbarung ................................. 206 aa) Mitbestimmung bei der Errichtung von Sozialeinrichtungen 206 bb) Mitbestimmung bei sonstigen "sozialen" Angelegenheiten... 207 (I) Zulässigkeit der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten bei der betrieblichen Weiterbildung durch freiwillige Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 208 (2) Zwischenergebnis....................................... 210 c) Regelungsabrede ............................. . ................... 210
Inhaltsverzeichnis 2. Vereinbarungen auf individualrechtlicher Grundlage
15 211
a) Gesamtzusage ................................................... 211 b) Betriebliche Übung .............................................. 212 II. Beispiele für Qualifizierungsregeln auf betrieblicher Ebene ............. 212 1. Bestehende Qualifizierungsregelungen .............................. 213
a) Ausgewählte Regelungsinhalte von Betriebsvereinbarungen ...... 213 b) Konkrete Einzelbeispiele ......................................... 214 2. Musterbetriebsvereinbarung ......................................... 215 III. Ergebnis zu den Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene ................ 216
c. §7
Ergebnis zu den Vereinbarungen über Weiterbildungen auf kollektiver Ebene 217
Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
217
A. Vertraglich festgelegte Weiterbildung ........................................ 217
B. Durch die allgemeine Fürsorgepflicht vermittelte ungeschriebene originäre Pflichten zur Weiterbildung .................................................. 218
I. Ungeschriebene Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis................... 218 1. Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis ................................ 219
2. Entwicklung des ideellen Persönlichkeitsschutzes ................... 221 3. Pflichten des Arbeitgebers aus § 242 BGB .......................... 222 a) Grundsätzliche Erwägungen zur Begründung von Ansprüchen aus § 242 BGB ....................................................... 223 b) Persönlichkeitsschützende Handlungspflichten ................... 224 c) Förderpflichten im Hinblick auf die Persönlichkeit des Arbeitnehmers ......................................................... 225 d) Ergebnis zur Begründung von Pflichten aus § 242 BGB .......... 226 II. Weiterbildung und Berufsfreiheit des Arbeitnehmers .................... 227 1. Gewährleistung der Durchführung der Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . .. 227 a) Weiterbildungszeit als Arbeitszeit im Sinne des § 3 ArbZG ....... 228 aa) Pflicht zur Weiterbildung als Determinante .................. 230 bb) Arbeitsplatzbezug als Determinante ......................... 230 cc) Ergebnis zur Bestimmung der Weiterbildungszeit als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. 232 b) Folge der Anerkennung der Weiterbildungszeit als Arbeitszeit.... 232 c) Umfang und Durchsetzung der Freistellung ...................... 234 aa) Schutzpflichten als selbständig klagbare Erfüllungsansprüche 234 bb) Freistellungspflicht als selbständig einklagbare Erfüllungspflicht ....................................................... 237 d) Ergebnis zur Gewährleistung der Durchführung der Weiterbildung
237
16
Inhaltsverzeichnis 2. Gewährleistung der Organisation und Finanzierung der Weiterbildung ................................................................ 238 3. Ergebnis zu Weiterbildungspflichten aufgrund der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers ...................................................... 238 III. Weiterbildung als Schutz der Persönlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238 1. Schutzpflicht zu menschengerechter Arbeitsplatzgestaltung ......... 239 2. Schutzpflicht zur Selbstentfaltung der Persönlichkeit ................ 240 a) Weiterbildungspflicht bei Beschäftigung unkündbarer Arbeitnehmer? ......................................................... 243 (1) Vertraglich vereinbarte Unkündbarkeitsklauseln und deren Auswirkung auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers 244 (a) Allgemeine Erwägungen zur Begrenzung der Weiterbildung unkündbarer Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . . .. 245 (b) Konkrete Begrenzungskriterien für eine Weiterbildung unkündbarer Arbeitnehmer .................... 246 (2) Weiterbildungsanspruch bei gesetzlichen Unkündbarkeitsklausein ............................................ 248 b) Durchsetzbarkeit einer Weiterbildungspflicht im ungekündigten Arbeitsverhältnis . . . . . .. . . . .. . . . .. .. . . . . .. . . . .. . . . .. . . .. . . . .. . . ... 249 c) Ergebnis zur Schutzpflicht aus dem Recht zur Selbstentfaltung der Persönlichkeit ................................................ 250 IV. Weiterbildung und andere verfassungsrechtliche Gewährleistungen ..... 251 V. Ergebnis zu ungeschriebenen Weiterbildungspflichten aus den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten ....................................... 251 C. Ungeschriebene derivative Pflicht zur Weiterbildung durch den allgemeinen
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz .............................. 251 1. Differenzierungsverbote ................................................ 252
1. Absolute Differenzierungsverbote ................................... 253 2. Relative Differenzierungsverbote ................................... 254 a) Differenzierung nach dem Alter .................................. 254 b) Differenzierung nach der Länge der Arbeitszeit .................. 256 c) Differenzierung nach der Länge des Arbeitsvertrages............. 257 d) Sonstige Differenzierungsmerkmale .............................. 258 H. Folgen einer unzulässigen Differenzierung .............................. 258 III. Ergebnis zur Weiterbildung und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ......................................................... 260 D. Ergebnis zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen als Folge der arbeitsrechtlichen Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 260
Inhaltsverzeichnis §8
17
Zusammenfassung und Bewertung der Regelungen zur Einführung von Weiterbildungen im intakten Arbeitsverhältnis ............................... 261 A. Zusammenfassung ........................................................... 261 B. Bewertung ................................................................ . .. 263
3. Teil
Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis §9
265
Bestandsschutz des Arbeitsplatzes als Verfassungsgarantie ..... . ............. 265 A. Verfassungsrechtliche Aussagen zum Bestandsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 B. Ergebnis ..................................................................... 267
§ 10 Gesetzliche Vorgaben der Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeits-
verhältnis ....................................................................... 268 A. Fortbildung und Umschulung nach § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG ............. 268 I. Begriff der Fortbildung und Umschulungsmaßnahme im Kontext des § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG ........................................ 269 1. Die Umschulung i. S. d. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG ............... 270 a) Meinungsstand ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 270 b) Stellungnahme................................................... 271 2. Die Fortbildung i. S. d. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG ................ 274 3. Verhältnis der Fortbildung und Umschulung i. S. d. KSchG zu bloßer Einarbeitung und Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG 275 a) Einordnung der Einarbeitung und Unterrichtung i. S. d. § 81 Abs. 1,2 BetrVG ........................................... 275 b) Abgrenzung der Unterrichtungspflicht gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG von der Fortbildung und Umschulung i. S. d. § I Abs. I S. 3 1. HS KSchG .............................. 276 4. Ergebnis ............................................................ 280 11. Die zumutbare Fortbildung und Umschulung im System des Kündigungsschutzgesetzes .................................................... 280 111. Anwendung der Fortbildungsklausei gemäß § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG in Abhängigkeit von der Art der Kündigung ............................ 282 1. Personenbedingte Kündigung ....................................... 282 a) Krankheitsbedingte Kündigung .................................. 283
2 Fracke
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Inhaltsverzeichnis b) Kündigung aufgrund fachlicher Eignungsmängel ................. 284 aa) Fachlicher Eignungsmangel als personenbedingter Kündigungsgrund? ................................................ 284 (I) Abgrenzung des personenbedingten vom verhaltensbedingten Kündigungsgrund ............................... 285 (2) Weiterbildung als Nebenpflicht der Arbeitnehmer ....... 286 (a) Teilnahme als Nebenpflicht der Arbeitnehmer....... 287 (b) Eigeninitiative der Arbeitnehmer zur Weiterbildung 288 (3) Zuordnung zu verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 289 bb) Kündigung aufgrund fehlender objektiver Eignungsvoraussetzungen ................................................... 290 ce) Kündigung aufgrund subjektiver fachlicher Eignungsmängel
290
c) Ergebnis zu den personenbedingten Kündigungsgründen ......... 291 2. Verhaltensbedingte Kündigung ...................................... 292 3. Betriebsbedingte Kündigung ........................................ 294 4. Ergebnis zur Abhängigkeit der FortbildungskIauseJ von den einzelnen Kündigungsgründen ............................................ 294 IV. Beschäftigungsmöglichkeit nach zumutbarer Fortbildung und Umschulung .................................................................... 295 1. Umfang der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit .............. 296 a) Horizontal zu berücksichtigende freie Arbeitsplätze .............. 296 b) Zumutbare und geeignete Beschäftigung als Bestimmungsgesichtspunkte eines freien Arbeitsplatzes .......................... 298 c) Vorliegen eines freien Arbeitsplatzes ............................. 303 d) Räumliche Reichweite der anderweitigen Beschäftigungspflicht .. 303 2. Zeitlicher Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des freien Arbeitsplatzes .............................................................. 304 a) Verzicht auf zeitliche Begrenzung bei freiem Arbeitsplatz nach zumutbarer Fortbildung und Umschulung ........................ 306 b) Ergebnis zum zeitlichen Anknüpfungspunkt für das Vorliegen des freien Arbeitsplatzes ............................................. 308 3. Ergebnisse zur Bestimmung eines freien Arbeitsplatzes für eine anderweitige Beschäftigung ........................................... 308 V. Zumutbarkeit von Fortbildung und Umschulung ........................ 309 1. Grundsätzliche Kostentragung der Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen gemäß § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG .................... 309
Inhaltsverzeichnis
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2. Zumutbarkeit der Fortbildung und Umschulung für den Arbeitnehmer ................................................................. 311 a) Einverständnis des Arbeitnehmers als Ersatz für die Zumutbarkeit 312 b) Kriterien zur Bestimmung der Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer .......................................................... 313 c) Ergebnis zur Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer. . . . . . . . . . . . . . . .. 315 3. Zumutbarkeit der Fortbildung und Umschulung für den Arbeitgeber 316 a) Kriterien für eine zumutbare Fortbildung und Umschulung in Rechtsprechung und Literatur .................................... 317 aa) Zumutbarkeitskriterien in der Rechtsprechung des BAG ..... 317 (I) Rechtsprechungsübersicht ............................... 317
(2) Zusammenfassung der Kriterien......................... 321 bb) Zumutbarkeitskriterien in der Literatur ...................... 321 (1) Literaturübersicht ....................................... 321
(2) Zusammenfassung der Ansichten der Literatur .......... 326 b) Kritische Bewertung und eigene Vorstellungen................... 327 aa) Systematische Voraussetzungen für die Interessenabwägung 327 bb) Auswirkungen von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen auf wirtschaftliche und betriebliche Belange des Arbeitgebers ....................................................... 328 (I) Eigenkosten und Dauer der Maßnahme als Kostenfaktor 328
(a) Möglichkeit der Begrenzung der Maßnahme auf eine bestimmte Länge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 329 (b) Bestimmung des normativen Anhaltspunktes für die Zumutbarkeit ....................................... 330 (2) Einfluß bestehender Weiterbildungsstrukturen sowie betrieblicher und außerbetrieblicher Maßnahmen auf betriebliche Belange ....................................... 331 (3) Abschließende Betrachtung der wirtschaftlichen und betrieblichen Beanspruchung des Arbeitgebers. . . . . . . . . . . .. 332 (4) Weitere Vorgehensweise bei der Zumutbarkeitsprüfung .. 332 cc) Einfluß arbeitnehmerbezogener Kriterien auf das in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG konkretisierte Bestandsschutzinteresse .... 333 (I) Art der Maßnahme...................................... 333
(2) Arbeitsvertragliche Festlegung des Arbeitsumfanges .... 334 (3) Kündigungsgrund ....................................... 336 (a) Personenbedingte Kündigung ....................... 336 (aa) Zumutbarkeitserwägungen bei krankheitsbedingter Kündigung ............................. 336 (bb) Zumutbarkeitserwägungen bei Kündigung aufgrund fachlicher Eignungsmänge1 .............. 339
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Inhaltsverzeichnis (b) Verhaltensbedingte Kündigung...................... 339 (c) Betriebsbedingte Kündigung........................ 340 (4) Persönliche Merkmale der Arbeitnehmer................ 341 (a) Alter des Arbeitnehmers ............... . ............ 341 (b) Betriebszugehörigkeit ............................... 343 (c) Unterhaltsverpflichtung ............................. 344 (5) Abschließende Betrachtung der arbeitnehmerbezogenen Kriterien ................................................ 344 dd) Einfluß der bisherigen Weiterbildungspraxis des Arbeitgebers auf den Bestandsschutz des Arbeitnehmers .................. 345 (I) Einfluß bisher durchgeführter Weiterbildungsmaßnahmen ..................................................... 345 (2) Einfluß unterlassener Weiterbildungsmaßnahmen . . . . . . .. 346 (3) Erhöhung des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III ................................. 347 (4) Ergebnis zum Einfluß von Handlungen des Arbeitgebers auf den Bestandsschutz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 348 ee) Die Zumutbarkeit beeinflußende Faktoren durch Sicherung und Begrenzung der Kostenlast .............................. 349 (1) Abschluß von Rückzahlungsklauseln im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG ............................ 349 (a) Freiwilligkeit einer Rückzahlungsklausel ............ 351 (b) Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln ............. 351 (c) Auswirkung von Rückzahlungsklauseln auf die Zumutbarkeit ....................................... 354 (2) Wirkung der finanziellen Beteiligung der Arbeitnehmer und Dritter auf die Zumutbarkeit ........................ 355 (a) Finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer an Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen ........... 356 (b) Finanzielle Beteiligung Dritter an Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen ............................ 358 (3) Ergebnis ................................................ 359 c) Ergebnis zur Zumutbarkeit der Fortbildung und Umschulung auf den Arbeitgeber ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 359 VI. Auswahl der fortzubildenden und umzuschulenden Arbeitnehmer bei konkurrierenden Beschäftigungsansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 361 1. Bedeutung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG im Hinblick auf konkurrierende Weiterbeschäftigungsansprüche ............................ 363 a) Differenzierung nach der Reichweite des Direktionsrechts . . . . . . .. 363 b) Differenzierung nach Grad der Qualifizierungsbedürftigkeit ...... 364 c) Verzicht auf zusätzliche Differenzierungsmerkmale .............. 366
Inhaltsverzeichnis
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2. Auswahlkriterien der Arbeitnehmer bei konkurrierenden Weiterbeschäftigungsansprüchen ............................................. 366 3. Ergebnis zur Auswahl der Arbeitnehmer bei konkurrierenden Beschäftigungsansprüchen ....................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 369 VII. Kollektivrechtliche Einflüsse auf Fortbildung und Umschulung im Falle einer anstehenden Kündigung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 369 1. Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG 370
2. Anderweitige Beschäftigung nach Fortbildung oder Umschulung und die Beteiligung des Betriebsrats ................................ 371 3. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Bildungsmaßnahmen gemäß §§ 97,98 BetrVG ................................................... 374 a) Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 97 BetrVG .......... 374 b) Die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 98 BetrVG ......... 376 4. Ergebnis zu den kollektivrechtlichen Einflüssen auf Fortbildung und Umschulung ........................................................ 377 VIII. Rechtscharakter des § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG ....................... 378 IX. Ergebnis zu zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen gemäß § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG .................................... 379 B. Widerspruch des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG als anspruchsbegründende Pflicht zur Weiterbildung ............................... 379 C. Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 380 D. Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitsamt gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 5 SGB III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 380 E. Ergebnis zu den gesetzlichen Vorgaben für die Weiterbildung im kündigungsgefährdeten Arbeitsverhältnis ................................................ 381 § 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung zur Vermeidung von Kündigungen auf kollektiver Ebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 382 A. Tarifvertragliche Weiterbildungsvereinbarungen zur Vermeidung von Kündigungen ....................................................................... 382
I. Qualifizierung in Rationalisierungsschutzabkommen ................... 383 1. Qualifikationsbezogene Regelungsinhalte der Rationalisierungsschutzabkommen ................................................... 383 2. Rechtliche Bewertung .............................................. 384 II. Qualifizierung in Beschäftigungsschutzabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 386 III. Ergebnis zu den tariflichen Weiterbildungsvereinbarungen zur Vermeidung von Kündigungen ................................................. 388
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Inhaltsverzeichnis B. Betriebliche Weiterbildungsvereinbarungen zur Venneidung von Kündigungen .......................................................................... 388 I. Interessenausgleich oder Sozialplan zur Vereinbarung von Weiterbildungsmaßnahmen ...................................................... 390
11. Interessenausgleich und Sozialplan zur Beschäftigungssicherung und ihr Verhältnis zu den konkurrierenden Ansprüchen aus §§ 96 ff. BetrVG . . .. 393 III. Folgen der Zuordnung der Weiterbildungsvereinbarung ................. 395 C. Ergebnis zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen zur Venneidung von Kündigungen auf kollektiver Ebene. . . .. .. . . . . . .. . . . . .. . . . .. . . .. . . . . .. . .. 396 § 12 Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen ..................................................... 397 A. Vertragliche Qualifizierungsvereinbarungen zur Erhaltung der Beschäftigung 397
B. Ungeschriebene vertragliche Pflichten zur Erhaltung der Beschäftigung ...... 397 § 13 Zusammenfassung und Bewertung der Regelungen zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis .......... 400
A. Zusammenfassung ........................................................... 400 B. Bewertung ................................................................... 401
4. Teil Schlußbetrachtung
403
Literaturverzeichnis .. .. .. . . . . .. . .. .. . . . . .. . . . .. .. . . .. .. .. . . .. .. . . . .. . . .. . . . .. . . . .. . .. 406 Stichwortverzeichnis ........................ . ........................... . ............ 424
Abkürzungsverzeichnis AMRK
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
APS
Ascheid I Preis I Schmidt, Großkommentar zum KSchG
ArbSchG
Arbeitsschutzgesetz
ArbVG92
Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes 1992
AWbGNRW
Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen
Baden-Württem. Verf
Baden-Württembergische Verfassung
Bayr.Verf.
Bayrische Verfassung
BDA
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
BetrVG-E
Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes
BFQGSH
Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein
BMA
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
BmA
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
Brandb.Verf.
Brandenburgische Verfassung
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EMRK
Europäische Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten
ESC
Europäische Sozia1charta
HaKo
Kündigungsschutzgesetz, Handkommentar, Fiebig u. a. (Hrsg.)
HAS
Handbuch des Arbeits- und Sozialrechts
HdbStR
Handbuch des Staatsrechts, Isensee I Kirchhof (HrSg.)
HK-KSchG
Heidelberger Kommentar zum KSchG, Dorndorf u. a.
lAD
Internationale Arbeitsorganisation
IGBCE
Industriegewerkschaft Bau, Chemie, Energie
ILD
Internationallabour organisation
KR-Bearbeiter
Gemeinschaftskommentar zum KSchG, Etzel u. a.
Meck. Vorpom. Verf.
Verfassung von Mecklenburg Vorpommern
MünchArbRI Bearbeiter
Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Richardi I Wlotzke (Hrsg.)
NBildUG
Niedersächsisches Bildungsurlaubsgesetz
NRW Verfassung
Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen
Rhein!.-Pf. Verf.
Verfassung des Landes Rheinand-Pfalz
Saar!. Verf.
Saarländische Verfassung
Sachs.-Anh. Verf.
Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt
Sächs. Verf.
Sächsische Verfassung
24 Schles. -Holst. Verf. SchwbAV SGBIX SGB III SWBG TzBfG Verf. HBremen ZP
Abkürzungsverzeichnis Verfassung des Landes Schleswig-Holstein Zweite Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabenverordnung) Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Sozialgesetzbuch - Drittes Buch, Arbeitsförderung Saarländisches Weiterbildungs gesetz- und Bildungsfreistellungsgesetz Gesetz über Teilzeit und befristete Arbeitsverträge Verfassung der Hansestadt Bremen Zusatzprotokoll
1. Teil
Einführung und Grundlagen § 1 Einleitung
A. Problemaufriß Der Weiterbildung wird in der Gesellschaft! und insbesondere von den Arbeitsvertragsparteien eine immer größere Bedeutung beigemessen. Das steigende Bewußtsein für die Weiterbildung ist auf die Erkenntnis zurückzuführen, daß in der heutigen Gesellschaft Wissen der wichtigste Rohstoff ist 2 und deshalb gerade in der sich ständig wandelnden sowie hoch technisierten Wirtschaft niemand auf dem einmal erreichten Ausbildungsstand verharren darf. Die Notwendigkeit sich ständig zu qualifizieren wird unter anderem durch die durchschnittlich auf 5 Jahre gesunkene Halbwertszeit des beruflichen Wissens verdeutlicht. Noch kürzer sind die Halbwertszeiten für Technologie- (3 Jahre) und EDV-Wissen (1 Jahr).3 Gerade solche Kenntnisse werden heutzutage aber nicht mehr nur von einigen Spezialisten erwartet, sondern finden immer mehr Eingang in alle Berufssparten. Der Wissensverfall ist ein Phänomen des gesamten Arbeitsmarktes. 4 Wie notwendig qualifizierte Arbeitnehmer für die Wirtschaft sind, verdeutlicht die Einführung der Green Card zur Besetzung offener Stellen in dem Bereich der Informationstechnologie. 5 Ohne Einwände gegen eine solche erleichterte Einwanderung von Arbeitnehmern aus anderen Ländern zu haben, muß aus Sicht der schon in den Betrieben befindlichen Arbeitnehmer gefragt werden, ob nicht viele Arbeitsplätze ebenso mit bereits beschäftigten Arbeitnehmern hätten besetzt werden können. Notwendig wäre dann aber von Beginn an deren kontinuierliche Weiterbildung gewesen, um der technischen Entwicklung standhalten zu können. Wird das zukünftig nicht beachtet, müssen auch die ersten Green Card Besitzer bald wieder durch neue - in anderen Ländern ausgebildete - ersetzt werden. I Eine Bewußtseinssteigerung bezogen auf die Notwendigkeit von Qualifizierungen ist auch in der Bevölkerung erkennbar, etwa 95 % der Bürger empfinden Weiterbildung als wichtig bzw. sehr wichtig, in: Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung 1991, S. 46. 2 Mehrländer, Zukünftige Qualifizierung von Beschäftigten, S. 5. 3 Klier, S. 12 m. w. N. 4 Vgl. Klier, S. 15 ff. und Abb. 5. 5 V gl. Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT-ArGV), BGBI. 11, 2000, S. 1176 ff. (Green eard Verordnung); vgl. dazu auch BR-Drucks 335/00 v. 2. 6. 2000.
26
1. Teil: Einführung und Grundlagen
Im Jahr 1995 wurden von der privaten Wirtschaft ungefahr 34 Milliarden DM zur Qualifizierung der Arbeitnehmer aufgewendet. Die Arbeitgeber beteiligen sich damit an der Finanzierung der beruflichen Weiterbildung in etwa zwei von drei Fällen. 6 Trotzdem wird sowohl nach allgemeinem Verständnis im Arbeitsleben als auch im juristischen Schrifttum unbefangen eine Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen verneint. 7 Wer ist also Nutznießer der vom Arbeitgeber aufgewendeten Milliarden und warum? Bleibt es tatsächlich stets allein dem Arbeitgeber überlassen, wen er weiterbildet und aus welchem Anlaß? Oder gibt es doch rechtliche Beschränkungen der Freiheit des Arbeitgebers, über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen zu entscheiden? Die vorliegende Arbeit will unter diesen Fragestellungen die bestehenden geschriebenen und ungeschriebenen Verpflichtungen zur Weiterbildung näher untersuchen. Es soll geklärt werden, welche Verantwortung dem Arbeitgeber für die Weiterbildung der Arbeitnehmer durch bereits bestehende Regelungen übertragen wurde und wie diese Bestimmungen anzuwenden und auszugestalten sind. Nicht unberechtigt ist die Frage, warum sich die vorliegende Arbeit gerade mit der Rolle des Arbeitgebers befaßt, ist doch zunächst der Staat für jede Art der Bildung der Bürger zuständig und müßte daher auch für die Weiterbildung der Arbeitnehmer die treibende Kraft sein. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Arbeitgeber von weitergebildeten und damit gut ausgebildeten sowie engagierten Mitarbeitern profitiert. Ob es schon aus diesen Gründen eine Inpflichtnahme des Arbeitgebers gibt, interessiert in rechtlicher Hinsicht unabhängig davon, welche Pflichten den Staat treffen und wie diese in Zukunft noch ausgebaut werden müßten. Zur besseren Veranschaulichung der praktischen Relevanz der Untersuchung wird ein Beispiel vorangestellt, auf welches im Verlauf der Untersuchung stets wieder Bezug zu nehmen ist. Beispiel]
Im Zuge der Globalisierung der Märkte wird der Technologiebetrieb T-GmbH von der belgischen M- N.V. übernommen. Die Zusammenarbeit beider Betriebe soll vorangetrieben und die Kommunikation, wenn möglich sofort, spätestenfalls aber nach Ablauf des nächsten Jahres, in englischer Sprache erfolgen. Belgische und deutsche Ingenieure der Forschungsabteilungen sollen jeweils die Stärken der anderen nutzen und daher in der Lage sein, Projekte gemeinsam zu betreuen. 8
6 Die Beteiligung erfolgt allerdings meist in Form von Lohnfortzahlung (60 %), unmittelbare Kostenzuschüsse sind wesentlich seltener (7 %), Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, S. 274; vgl. auch Süddeutsche Zeitung v. 19./20. 01. 2002, S. 1. 7 Unter anderem: Gi/berg, S. 228; MünchArbR/ Matthes § 351 Rn. 21. 8 Statt des unbekannten Unternehmens könnten auch die Metro AG oder DaimlerChrysler angeführt werden, die jeweils 2000 (vgl. Süddeutsche Zeitung v. 17. 5. 2000, S. 29) bzw. 1998 (nach der Fusion der Dairnler Benz AG mit der Chrysler Corporation) Englisch als Unternehmenssprache festlegten.
§ 1 Einleitung
27
Wie soll sich aber der 50-jährige Ingenieur - 30 Jahre nach dem letzten Fremdsprachenunterricht in der Schule und höchstens noch urlaubserprobten Sprachkenntnissen - plötzlich mit seinen neuen Kollegen verständigen? Erfüllt er deshalb nicht mehr die Anforderungen an seinen Arbeitsplatz? Unter welchen Voraussetzungen sollte oder muß der Arbeitgeber Sprachkurse anbieten? Welche Folgen hat es, wenn die Kurse während der Arbeitszeit stattfinden? Das Beispiel verdeutlicht die praktische Relevanz der zunächst nur abstrakt gestellten Frage nach der Verantwortung des Arbeitgebers für die Weiterbildung der Arbeitnehmer im Arbeitsalltag. Im folgenden sollen die rechtlichen Vorgaben für die Weiterbildung untersucht und die praktischen Auswirkungen anhand dieses Beispiels erklärt werden.
B. Gang der Untersuchung Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll die Frage nach der dem Arbeitgeber obliegenden Verantwortung für die Weiterbildung der Arbeitnehmer sein. Das beinhaltet primär die Frage, ob es eine Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung der betrieblichen Weiterbildung gibt. Hier ist näher auseinanderzusetzen, ob bzw. wann der Arbeitgeber dazu bestimmt werden kann, eine Weiterbildung für die Arbeitnehmer zu initiieren. Der Begriff des Initiierens einer Weiterbildung ist dabei sehr weit gefaßt. Er beinhaltet nicht allein die Einrichtung von Weiterbildungsstätten, sondern kann auch bedeuten, daß Betriebsfremde mit einer konkreten Weiterbildung beauftragt oder die Arbeitnehmer zu bestimmten Weiterbildungskursen gesandt werden, die der Arbeitgeber durch bezahlte Freistellungen oder Übernahme der Maßnahmekosten finanziert. Kurz, "initiieren" steht für Übernahme der Verantwortung bei der Durchführung der Weiterbildungsmaßnahme durch den Arbeitgeber. Daneben ist zu analysieren, was der Arbeitgeber außerdem im Zusammenhang mit Weiterbildungsmaßnahmen zu beachten hat und welche Bestimmungen sein Verhalten ihn in Zukunft beeinflussen könnten. Hauptziel der Untersuchung sollen nicht die technischen Einzelheiten der Durchführung einer Weiterbildung - also Fragen über das Wie der Vornahme von Freistellungen oder der Kostenverteilung im einzelnen - sein, sondern das Ob der Einrichtung von Bildungsmaßnahmen. Begonnen wird im ersten Teil mit einer Einführung zum Begriff der Weiterbildung im allgemeinen und der betrieblichen im besonderen (§ 2). Danach sind die einzelnen Regelungen zu untersuchen, wobei vor allem interessant ist, ob es Unterschiede zwischen Weiterbildungsaktivitäten im intakten Arbeitsverhältnis und in dem von einer anstehenden Kündigung bedrohten gibt. So könnte eine bevorstehende Kündigung eine Weiterbildung einerseits sinnlos erscheinen lassen, andererseits wäre aber auch vorstellbar, daß gerade in dieser Situation Weiterbildungen zur Vermeidung der Kündigung vorzunehmen sind. Zur besseren Darstellung dieser beiden Grundkonstellationen wird die Arbeit in zwei
28
1. Teil: Einführung und Grundlagen
Hauptteile gegliedert. Zunächst ist auf mögliche Regelungen zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen im intakten Arbeitsverhältnis einzugehen (2. Teil), bevor sich im 3. Teil eine entsprechende Untersuchung für den Fall einer anstehenden Kündigung anschließt. Die Teile 2 und 3 beginnen jeweils mit den bestehenden völkerrechtlichen, europarechtlichen, verfassungsrechtlichen sowie einfachgesetzlichen Bestimmungen und deren Wirkung auf die Pflichten und Obliegenheiten des einzelnen Arbeitgebers. Danach ist auf die Wirkung kollektiver Vereinbarungen und die möglichen Formen ihres Abschlusses einzugehen. Zuletzt werden jeweils die sich aus dem konkreten Arbeitsverhältnis ergebenden geschriebenen und ungeschriebenen Verpflichtungen des Arbeitgebers näher betrachtet. Schwerpunkt des 2. Teiles ist zum einen die Klärung des Weiterbildungsbezuges der Unterrichtungspflicht gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG. Zum anderen werden insbesondere Überlegungen dazu angestellt, ob sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht Ansprüche der Arbeitnehmer auf Weiterbildungsmaßnahmen begründen lassen. Kern der Untersuchung des 3. Teiles ist die kündigungsschutzrechtliche Norm des § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG, die ausdrücklich festlegt, daß der Arbeitgeber vor einer Kündigung zumutbare Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen vorzunehmen hat. Die Norm wirft in ihrer Anwendung viele Probleme auf, denen in einer umfassenden Analyse nachgegangen wird. Im abschließenden 4. Teil sind die gefundenen Ergebnisse zu bewerten und die hier aufgeworfenen Fragen zusammenfassend zu beantworten. Einzuschränken bleibt die Dimension der zu analysierenden Normen. Die vielfältigen einfachgesetzlichen Normen, die Weiterbildungen für besondere Arbeitnehmergruppen betreffen, werden nicht im einzelnen näher untersucht. Zwar bestimmen beispielsweise die §§ 2 Abs. 3, 5 Abs. 3 ASiG, daß der Arbeitgeber Betriebsärzte bzw. die Fachkräfte für Arbeitssicherheit freizustellen und die Kosten ihrer Weiterbildung zu tragen hat, allgemeingültige Aussagen lassen sich daraus aber nur begrenzt ableiten. Ebenso verhält es sich beispielsweise mit § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX, der eine gesonderte, weiterbildungsrelevante Regelung trifft, in welcher verlangt wird, Schwerbehinderte so zu beschäftigen, daß sie ihre Fähigkeiten möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. 9 Gleiches gilt für die Fortbildungsregelungen für Betriebsräte gern. § 37 BetrVG IO, die in der Untersuchung wegen ihres speziellen Anwendungsbereiches ebenfalls unberücksichtigt bleiben.
Vgl. auch MünchArbRI eramer Ergänzungsbd. § 236 Rn. 45. Ebenfalls in diese Nonnkategorie gehören § 11 SchwerbehindertenG (Werkstättenverordnung), wonach dem Fachpersonal Gelegenheit zur Teilnahme an Fortbildungen zu geben ist und § 108 Abs. 2 SeemannsG, wonach der Kapitän die Fortbildung der Jugendlichen an Bord zu fördern hat. 9
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§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung
29
§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Erörterungen ist zunächst das Spektrum der Weiterbildung aufzuzeigen. Sie gehört dem quartiären Bildungssektor an, ist also neben Schule, Berufsausbildung und Hochschule die vierte Säule der Bildung. Einerseits soll ein Überblick über die Weiterbildung gegeben und andererseits verdeutlicht werden, wie unterschiedlich die einzelnen Maßnahmen in ihren Inhalten (unter B), den Maßnahmeträgern (unter C), der Art der Durchführung (unter D), den Abschlüssen (unter E), den Zielen (unter F) und bezüglich der Kostenträger (unter G) sind. Bereits in diesem Stadium der Arbeit ist es wichtig, die Arbeitgeberinteressen bei den einzelnen Ausprägungen der Weiterbildung, ihren Zielen und Abschlüssen im Auge zu behalten und aufzuzeigen. Schließlich wird die - wie auch immer rechtlich fundierte - Inanspruchnahme des Arbeitgebers bei Weiterbildungsmaßnahmen immer davon abhängen müssen, um welche Art Maßnahme es sich handelt, welchen Nutzen sie hat, welche Kosten verursacht werden und ob das Interesse an der Maßnahme eher auf Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite liegt.
A. Die betriebliche Weiterbildung Die betriebliche Weiterbildung soll den Rahmen der Arbeit vorgeben. Es soll untersucht werden, ob bzw. welche einzelnen (Pflicht)Aufgaben dem Arbeitgeber dabei zukommen. Deshalb ist zunächst festzustellen, welche Bedeutung der Begriff "Weiterbildung" hat, sowie, was gerade die "Betrieblichkeit" einer Weiterbildung ausmacht.
I. Begriff der Weiterbildung
Der Begriff der Weiterbildung läßt sich keiner Wissenschaft absolut zuordnen. Die Weiterbildung hat fächerübergreifende Bedeutung, und Versuche einer Begriffsbildung sind noch vielfältiger, als die sich mit ihr befassenden wissenschaftlichen Disziplinen. 1I Mangels einer Legaldefinition wird die Terminologie in den einzelnen Gesetzen, Verordnungen und Abhandlungen meist mit unterschiedlichen Merkmalen versehen. Der Deutsche Bildungsrat versteht unter Weiterbildung ganz allgemein alle Bildungsprozesse, die der Erweiterung der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten,
11 Pädagogik, Psychologie, Rechtswissenschaft, Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften.
30
1. Teil: Einführung und Grundlagen
Einstellungen, Verhaltensweisen und Fertigkeiten dienen. 12 Zeitlich stelle sie die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß der ersten Bildungsphase dar. 13 Untergrenze ist danach das bloße funktionale Weiterlernen durch Teilnahme am öffentlichen oder privaten Leben. Sie ist somit unterschritten, wenn der Lernprozeß lediglich beiläufig durch Gespräche, Fernsehsendungen oder kurze Einarbeitung bzw. Anlernen am Arbeitsplatz erfolgt. 14 Es ist unnötig, für das funktionale Lernen die Rolle des Arbeitgebers zu untersuchen, weil das Lernen lediglich Nebeneffekt vielgestaltiger Beschäftigungen der Arbeitnehmer ist. Näher beleuchtet werden sollen allein zusätzliche Betätigungen des Arbeitgebers, die ihm unabhängig von der Erfüllung der Hauptleistungspflichten obliegen und durch welche ein Wissenszuwachs bei den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmern erfolgt. Trotzdem sind die Übergänge zwischen funktionalem Lernen und tatsächlicher Weiterbildung oft fließend, so daß eine genaue Trennung nur schwer möglich ist. 15 Der Nachteil der Definition des Deutschen Bildungsrates, ihre nur sehr allgemeine Abgrenzung, ist zugleich ihr Vorteil. Sie ist in der Lage, alle bestehenden Erklärungsversuche zu vereinigen. Eine differenziertere Einordnung ergibt sich dann aus der Betrachtung der Weiterbildung in bezug auf die Inhalte, Ziele und Träger der Weiterbildungsmaßnahme, aber auch bezüglich des Umfanges der dem Arbeitgeber dabei zukommenden Aufgaben.
11. Die Betrieblichkeit der Weiterbildung als untersuchungsbegrenzendes Merkmal
Untersuchungsgegenstand der Arbeit soll die Weiterbildung sein, bei der dem Arbeitgeber einzelne Aufgaben zukommen können bzw. müssen, die also mit, durch oder im Betrieb erfolgt. Im Betrieb durchgeführte oder vorn Arbeitgeber veranlaßte Weiterbildungen stellen den größten Anteil an durchgeführten beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen. 16 Vordergründig ist bezweckt, das Unternehmen durch Ausschöpfen des Potentials der Arbeitnehmer wettbewerbsfähig zu erhalten. Die Arbeitnehmer sollen dem Standard und Wandel ihres Arbeitsplatzes entsprechend weitergebildet werden. 17 Erwünschter und häufig eintretender Nebeneffekt ist die 12 Deutscher Bildungsrat, Strukturplan für das Bildungswesen, S. 51 f. Darauf auch zurückgreifend, Diemer / Peters, S. 23 f.; Dönneweg, S. 36 ff., nimmt diese Definition ebenso als Ausgangspunkt wie die Kultusministerkonferenz, DVV magazin, 1994/2, S. 51 ff. (51). 13 Deutscher Bildungsrat 1972, S. 197. 14 Deutscher Bildungsrat 1972, S. 197; Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 15; Diemer/ Peters, S. 25. 15 Dazu noch einmal im 2. Teil unter § 5 A IV 2 b) 1 S. 137 f. 16 Heidemann, S. 9; Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, S. 219 ff. mit Tabelle 9.6 (S.220). 17 Wittpoth, S. 8.
§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung
31
Förderung von Kreativität und Aktivität der Arbeitnehmer, genauso wie Erhaltung geistiger Mobilität. 18 Obwohl in den meisten Statistiken und Abhandlungen der Begriff der betrieblichen Weiterbildung verwendet wird, gibt es nur wenige Definitionen zu ihrer Umschreibung und genauen Abgrenzung gegenüber der nichtbetrieblichen Weiterbildung. Offenbar gehen die jeweiligen Verwender der sehr häufig gebrauchten Terminologie vom unproblematischen Verständnis aus. Wäre der Begriff tatsächlich derart eindeutig, dürfte bei seiner Anwendung kein Definitionsspielraum bestehen. Allein die Betrachtung der "betrieblichen Berufsbildung" i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG zeigt aber die vielfältigen Verständnismöglichkeiten. 19 1. Bestehende Definitionen
Bevor die juristischen Definitionsversuche für die betrieblichen Bildungsrnaßnahmen i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG, die auch unter den weiten Begriff der Weiterbildung subsumiert werden können, näher beleuchtet werden, sind die Bestimmungen der Betrieblichkeit aus anderen Fachbereichen zu betrachten. Gerade auf deren Zuordnung stützen sich die statistischen Daten wirtschafts- und sozial wissenschaftlicher Untersuchungen, weswegen sie auch in einer juristischen Arbeit zu beachten und einzuordnen sind. WeifJ, tätig beim Institut der deutschen Wirtschaft, versteht unter betrieblicher Weiterbildung alle betrieblich veranlaßten oder finanzierten Maßnahmen, die zu einer Erhaltung, Anpassung, Erweiterung oder Verbesserung der beruflich relevanten Kompetenzen der Mitarbeiter oder des Unternehmers führen,zo Ähnlich definiert eine Forschungsgruppe des Soziologischen Instituts Göttingen die betriebliche Weiterbildung, wonach es eine Form organisierten Lernens sein muß, die betrieblich veranIaßt und/oder durchgeführt und finanziert wird. 21 Trotz der beiden Definitionen bleibt unklar, wann genau eine Maßnahme als betrieblich veranlaßt gilt. Muß der Arbeitgeber die Maßnahme nur anregen oder sind weitere Initiativen gefordert? Offen ist ebenfalls, wie hoch die finanzielle Unterstützung des Arbeitgebers sein muß, soll sie eine betriebliche Maßnahme darstellen. Jedenfalls kann schon die bloße Freistellung genügen, so nicht noch weitere finanzielle Unterstützungen gewährt werden und die Arbeitsbefreiung nicht aufgrund der Bestimmungen der Landesbildungsurlaubsgesetze erfolgt. Landesbildungsurlaubsgesetze bestehen mittlerweile in 12 Bundesländern22 und regeln Freistellungen von Wittpoth. S. 78. Dazu sogleich S. 32. 20 WeifJ. Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 15 f. 21 Gutachten für das BMBW, Teil 2, S. 193 ff. (198). 22 Berlin, Brandenburg, Bremen, Harnburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpornrnem, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schieswig-Holstein. 18 19
32
1. Teil: Einführung und Grundlagen
Arbeitnehmern für die allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung. 23 Die betriebliche Weiterbildung wird von ihnen aber gerade nicht erfaßt. In der juristischen Begriffsbildung war lange umstritten, ob "betrieblich" i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG funktional oder örtlich zu verstehen ist. 24 Mittlerweile gehen die Rechtsprechung und die überwiegende Ansicht in der Literatur von einem funktionalen Verständnis aus. Betrieblich ist eine Bildungsmaßnahme unabhängig von der örtlichen Durchführung der Maßname immer dann, wenn sie betriebsbezogen ist, also vom Arbeitgeber getragen 25 oder veranstaltet und für die Arbeitnehmer seines Unternehmens durchgeführt wird. 26 Für die Begriffsbildung der vorliegenden Arbeit erscheint aber selbst das von der herrschenden Meinung verfolgte funktionale Verständnis für den betrieblichen Bildungsbegriff zu eingeschränkt. 27 Außerbetriebliche Weiterbildungsmaßnahmen 28 i. S. d. Betriebsverfassungsgesetzes, also solche, die von externen Trägem angeboten werden und auf deren inhaltliche Gestaltung der Arbeitgeber keinen Einfluß hat29 , wären nicht erfaßt, sind aber gerade in kleinen und mittelständischen Betrieben eine häufig beanspruchte Form der Weiterbildung 30 und können bei der vorliegenden Untersuchung nicht ausgespart werden. Auch der Besuch von Fachmessen, eine immer 23 Dazu auch unter 2. Teil § 5 BIS. 173. Vgl. auch die Vorschläge des 63. DJT im 2. Teil § 5 A XIS. 173 ff. Zur Aufschlüsselung der einzelnen Teilnahmevoraussetzungen sowie zu Statistiken über die Teilnahmehäufigkeit vgl. Link/Wierer, AuA 1999, 555 ff. 24 Vgl. zu dieser, mittlerweile nahezu zugunsten des funktionalen Begriffs aufgegebenen Meinungsverschiedenheit, BAG - 1 ABR 10/90 - v. 4. 12. 1990, unter B. 11. 3. der Gründe, AP Nr. 1 zu § 97 BetrVG; - 1 ABR 21/91 - v. 12. 11. 1991 unter B. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 8 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 28/99 - v. 18.4. 2000 unter B. I. 2. a) bb) der Gründe, AP Nr. 9 zu § 98 BetrVG; F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 35; Kraft, NZA 1990,457 ff. (458) m. w. N. 25 Zum Begriff des Trägers einer Weiterbildungsmaßnahme zugleich unter CIS. 39 f. 26 BAG - 1 ABR 10/90 - v. 4. 12. 1990, unter B. 11. 3. der Gründe, AP Nr. 1 zu § 97 BetrVG; - 1 ABR 28/99 - v. 18.4.2000 unter B. I. 2. a) bb) der Gründe, AP Nr. 9 zu § 98 BetrVG; F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 35; GK-Kraft, § 98 BetrVG Rn. 2; Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 95 f. 27 Damit soll jedoch nicht das funktionale Verständnis der Betrieblichkeit i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG in Frage gestellt werden. 28 Tenninologisch ist hier zu beachten, daß außerbetrieblich nicht mit nicht betrieblich gleichzusetzen ist. Leider wird in Literatur und Rechtsprechung aber nicht darauf eingegangen, wodurch sich außerbetriebliche von nichtbetrieblichen Maßnahmen unterscheiden bzw. warum auch bei außerbetrieblichen ein - eingeschränktes - Mitbestimmungsrecht bestehen soll. Gerade hier läge eine für die vorliegende Arbeit verwendbare Definition, schließlich sollen alle betrieblichen Maßnahmen untersucht werden. 29 BAG - 1 ABR 28/99 - v. 18.4. 2000 unter B. I. 2. a) bb) der Gründe, AP Nr. 9 zu § 98 BetrVG; F/K/H/E/S, § 96 Rn. 35; GK-Kraft, § 98 BetrVG Rn. 2. 30 Der Anteil externer Lehrveranstaltungen liegt bei Betrieben mit weniger als 100 Arbeitnehmern bei 49 %, in Großunternehmen mit mehr als 1000 Arbeitnehmern dagegen nur bei 12,9 %, dazu: Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 140 f., Wittpoth, S.86.
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häufiger praktizierte Form der Information der Mitarbeiter31 , wäre so nicht als betriebliche Maßnahme anerkannt. Daher ist nach anderen Abgrenzungskriterien für die hier zu betrachtende Betrieblichkeit zu suchen. Zwar stellt auch Hammer wie die überwiegende Ansicht auf den Betriebsbezug einer Bildungsmaßnahme ab 32 , das funktionale Verständnis greift nach ihm aber zu kurz. Wann eine Maßnahme betriebsbezogen ist, soll sich allein aus einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ergeben können. Maßgeblich ist danach, ob der Arbeitgeber die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme in irgendeiner Form materiell begünstigt oder deren Durchführung erleichtert. 33 Eine solche wirtschaftliche Betrachtungsweise führt wesentlich weiter als der funktionale Betriebsbezug, doch ist fraglich, ob diese Abgrenzung für die vorliegende Untersuchung umfassend genug ist. Hammer argumentiert unter dem Gesichtspunkt, daß jede betriebliche Weiterbildung der Mitbestimmung des Betriebsrats bedarf. Folglich wäre immer dann mitzubestimmen, wenn sich der Arbeitgeber materiell in irgendeiner Form beteiligt. Das mag zwar dem Zweck der §§ 96 ff. BetrVG entsprechen34, aber nicht der allgemeinen Bedeutung, die der Begriff betriebliche Weiterbildung haben kann und die hier im Mittelpunkt stehen soll. Die vorliegende Arbeit verfolgt einen anderen Ansatzpunkt, indem sie fragt, ob der Arbeitgeber sich an bestimmten Maßnahmen beteiligen muß. Zu einem Zirkelschluß führte es, beschriebe man die betrieblichen Bildungsrnaßnahmen mit der materiellen Beteiligung, obwohl die Möglichkeit einer erzwungenen materiellen Beteiligung des Arbeitgebers doch gerade erst herausgefunden werden soll. Die juristische Definition der Betrieblichkeit einer Weiterbildungsmaßnahme i. S. d. §§ 96 BetrVG kann für die vorliegende Arbeit somit nicht maßgeblich sein. Der über die Eingrenzung der Mitbestimmungsrechte definierte Betrieblichkeitsbegriff der §§ 96 ff. BetrVG ist somit für die Umschreibung der Betrieblichkeit im Rahmen dieser Arbeit ungeeignet.
31 Fachkongresse, Messen und Ausstellungen sollen nach einem Großteil der Literatur keine Bildungsmaßnahmen sein, da es an didaktischer Gestaltung und systematischer Aufbereitung der Wissensvermittlung fehlt; vgl. zu der unterschiedlichen Einordnung Hf S f G Glaubitz, § 96 BetrVG Rn. 4; GK-KraJt, § 98 BetrVG Rn. 36; MünchArbRf Matthes § 351 Rn. 14. 32 Hammer; S. 155. 33 Hammer; S. 157. Die Ausführungen sind aber nicht differenziert genug. So übersieht Hammer beispielsweise, daß eine finanzielle Beteiligung auch gegeben sein kann, ohne daß eine Maßnahme auch betriebsbezogen ist, wenn es sich bspw. um eine nach den Landesbildungsurlaubsgesetzen notwendige Freistellung handelt. 34 Vorzugswürdig ist jedoch der funktionale Betrieblichkeitsbegriff der herrschenden Meinung.
3 Fracke
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
2. Eigener Zuordnungsversuch
Den Begriff der Betriebsbezogenheit beibehaltend, müßte er durch ein anderes Kriterium näher beschrieben werden können. Es könnte statt auf materielle Gesichtspunkte vordergründig auf ideelle abgestellt werden. Ist eine Qualifizierung vor allem für den Arbeitnehmer nützlich und besteht kein Bezug zu der beruflichen Tatigkeit, liegt offenkundig auch kein Fall der betrieblichen Weiterbildung vor. Sobald jedoch Inhalte vermittelt werden, die beruflich in irgendeiner Weise verwertbar sind, wird die Abgrenzung schwierig. Probleme ergeben sich, weil der Arbeitgeber oft nicht erkennen kann oder erkennen will, daß auch er an einer bestimmten Bildungsmaßnahme seines Mitarbeiters ein betriebliches Interesse hat. Die einzelnen Interessen lassen sich oft nicht eindeutig ermitteln bzw. trennen. So kommt es dem Arbeitgeber unabhängig vom Inhalt der Weiterbildung immer zugute, wenn ein Arbeitnehmer sich außerhalb der Arbeitszeit fortbildet und so seine Kreativität erhöht sowie die Lemfähigkeit erhält. Selbst durch Besuch eines nicht berufs spezifischen Sprachkurses werden die Arbeitnehmer häufig flexibler einsetzbar. Gibt der Arbeitgeber nicht unaufgefordert ein deutliches betriebliches Interesse an, werden Indizien notwendig, um mit objektiven Kriterien das betriebliche Interesse und damit die unter betriebliche Weiterbildung fallenden Maßnahmen besser bestimmen zu können. Eine Parallele ergibt sich im vorliegenden Fall aus der Bestimmung des § 95 Abs. 2 SGB III, wonach die Förderung der Weiterbildung durch Mittel der Arbeitsförderung zu versagen ist, wenn die Maßnahme im überwiegenden betrieblichen Interesse liegt. Für die Bestimmung einer betrieblichen Weiterbildungsmaßnahme kann insoweit auf die bereits bestehende Literatur und Rechtsprechung zu § 95 Abs. 2 SGB III zurückgegriffen werden, als jede wegen betrieblichem Interesse i. S. d. § 95 Abs. 2 SGB III abgelehnte Maßnahme eine betriebliche Weiterbildung darstellt. Zu eng ist die Betrachtung allerdings, wenn nur wegen § 95 Abs. 2 SGB III abgelehnte Weiterbildungsmaßnahmen als betriebliche Maßnahmen bezeichnet würden. Zumindest zum Teil geförderte Maßnahmen können trotzdem im betrieblichen Interesse liegen. Es könnte also von einem deutlichen betrieblichen Interesse auszugehen sein. Dieses muß nicht so intensiv wie das in § 95 Abs. 2 SGB III beschriebene überwiegende betriebliche Interesse sein, aber über das übliche Interesse eines Vorgesetzten an der Freizeitgestaltung der Arbeitnehmer hinausgehen 35 . Überwiegendes betriebliches Interesse soll ein Mehr gegenüber deutlichem Interesse darstellen, von dem weiteren Begriff aber vollständig erlaßt sein. 35 Gemeint ist damit das normale Interesse des Arbeitgebers daran, daß der Arbeitnehmer seine Freizeitgestaltung so verbringt, daß die Arbeitsleistung nicht darunter leidet bzw. bestenfalls sogar verbessert wird. Unter dieser Prämisse wird ein Arbeitgeber üblicherweise daran interessiert sein, Arbeitnehmer zu beschäftigen, die sich auch in ihrer Freizeit qualifizieren und somit aktiv und mobil bleiben.
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Indizien für das Vorliegen eines betrieblichen Interesses i. S. d. § 95 Abs. 2 SGB III sind die mittelbare oder unmittelbare betriebliche Trägerschaft der Weiterbildung, die Durchführung einer Weiterbildung eines fremden Trägers für den Betrieb sowie die Teilnahme eines Arbeitnehmers an einer Weiterbildung auf Veranlassung des Arbeitgebers. 36 Während die ersten beiden Anhaltspunkte sowohl der funktionalen als auch wirtschaftlichen Betrachtung der §§ 96 ff. BetrVG entsprechen, orientiert sich die dritte allein an dem Anstoß für die Weiterbildung. 37 Sicher wird die Veranlassung der Weiterbildung durch den Arbeitgeber in der Praxis in vielen Fällen dazu führen, daß der Arbeitgeber die Finanzierung zumindest teilweise übernimmt. Sie ist aber nicht Grundvoraussetzung. Auch ein auf diese Weise beschriebenes betriebliches Interesse knüpft jedoch letztlich allein an Handlungen des Arbeitgebers an, und die Betriebsbezogenheit ließe sich mit Sicherheit stets nur nach Planung oder zumindest Veranlassung konstatieren. Jedoch muß hier unterschieden werden zwischen freiwilligen Handlungen des Arbeitgebers und solchen, die ihm durch die Rechtsordnung oktroyiert werden. Während die freiwilligen Weiterbildungsbeteiligungen zu einer subjektiv veranlaßten Betriebsbezogenheit der Maßnahme führen, die sich tatsächlich erst mit Beginn der Planungsphase als solche erkennen läßt, kann bei Pflichtmaßnahmen das betriebliche Interesse objektiv festgestellt werden, sobald die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen. Festzustellen, ab wann eine Pflichtmaßnahme vorliegt, ist Ziel dieser Arbeit. Eine Weiterbildung ist danach immer dann als betrieblich zu bezeichnen, wenn der Arbeitgeber ein objektiv oder subjektiv bestehendes deutliches Interesse an der Vermittlung neuer Kenntnisse hat. Werden im Rahmen dieser Arbeit die Begriffe betrieblich oder betriebsbezogen im Kontext von Weiterbildungsmaßnahmen verwendet, ist - soweit nicht anders gekennzeichnet - von diesem weiten Verständnis und dem Bezug auf das deutliche Interesse des Arbeitgebers auszugehen.
III. Ergebnis und Themenbezug
Als betriebliche Weiterbildung sind demnach Bildungsprozesse zu bezeichnen, die der Erweiterung der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Fertigkeiten eines Arbeitnehmers in seiner beruflichen Tätigkeit dienen und an denen der Arbeitgeber ein deutliches betriebliches Interesse hat. Ein solches ist durch Indizien feststellbar. Diese orientieren sich in erster Linie an materiellen Gesichtspunkten, können aber auch aus sonstigen Umständen, wie der mehrfachen Aufforderung seitens des Arbeitgebers, geschlossen werden.
Niewald, in: Gage!, § 95 SGB III Rn. 1. Außerdem entspricht sie dem von der Göttinger Forschungsgruppe des Soziologischen Instituts vorgeschlagenem Kriterium, vgl. Gutachten für das BMBW, Teil 2, S. 193 ff. (198). 36
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
Mit den Versuchen einer Begriffsbestimmung wird deutlich, daß das Merkmal der Betrieblichkeit eine allgemeine Umschreibung für eine Fülle von möglichen Maßnahmen des Arbeitgebers ist. So kann sie sich aus der Freistellung der Arbeitnehmer unter Entgeltfortzahlung genauso wie der Übernahme der Maßnahmekosten oder Anbieten der betrieblichen Räume ergeben. Festzuhalten bleibt, daß immer, wenn der Arbeitgeber zu Weiterbildungsmaßnahmen für die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer in irgend einer Art und Weise verpflichtet wird, zugleich eine betriebliche Weiterbildungsmaßnahme besteht.
B. Inhaltliche Unterteilung Die Weiterbildung kann ihrem Inhalt nach grundsätzlich in allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung unterteilt werden?8 Die betriebliche Weiterbildung ist in der Regel berufliche Weiterbildung. Es ist aber nicht auszuschließen, daß ein Arbeitgeber auch politische und - das ist wahrscheinlicher - allgemeine anbietet. So können beispielsweise Universitätsangestellte während der Arbeitszeit Yogakurse zum Erlernen besserer Entspannung oder Englischkurse besuchen. Daher, sowie aufgrund der häufig fließenden Grenzen bei der thematischen Einteilung der Weiterbildungsmaßnahmen39 , müssen an dieser Stelle auch die allgemeine und politische Weiterbildung kurz erläutert werden.
I. Allgemeine und politische Weiterbildung
Die allgemeine Weiterbildung geht auf die persönlichen Bedürfnisse und Interessen des Einzelnen ein und dient primär der Weiterentwicklung der Persönlichkeit. 4o Sie umfaßt zur Erweiterung der Grundbildung sehr verschiedene Bereiche. Neben der Aneignung neuer Wissensbestände gehören das Nachholen des Schulabschlusses sowie der Abbau von Bildungsdefiziten zwischen sozialen Schichten, Religionen und Geschlechtern dazu. Außerdem wird Hilfe zur Bewältigung der unterschiedlichen Lebensabschnitte und zu verschiedenen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung (wie beispielsweise Seidenmalerei, Fotografieren) gegeben. 41 Durch politische Bildung soll den Bürgern die Fähigkeit vennittelt werden, am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen, die eigenen Interessen dabei erkennen und vertreten zu können. Außerdem sollen sie in die Lage versetzt werden, 38 So die typischste Grundunterteilung, wobei man die politische auch als Teil der allgemeinen Weiterbildung ansehen könnte, vgl. Diemerl Peters, S. 24 f.; Wittpoth, S. 69 f. m.w.N. 39 Vgl. zu den oft fließenden Übergängen Bahnmüllerl BispincklSchmidt, S. 13 m. w. N. 40 Diemerl Peters, S. 27. 41 Zum Ganzen Diemer I Peters, S. 26.
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ihre gesellschaftlichen Rollen und Aufgaben verantwortlich und kompetent zu übemehmen. 42 Ein möglicher Betriebsbezug ist bei diesen Inhalten der Weiterbildung auf den ersten Blick kaum erkennbar, das geforderte deutliche Interesse des Arbeitgebers an derartigen Maßnahmen kaum vorstellbar. Jedoch ist die allgemeine Weiterbildung auch im betrieblichen Alltag nicht ausgeschlossen. Wie später noch genauer auszuführen sein wird43 , erkennen das BAG44 und Teile der Literatur an, daß auch dem Arbeitgeber grundsätzlich eine Verantwortung für die Förderung der Persönlichkeit zukommt. 45 Wie sogleich zu zeigen ist, ist diese nicht zwingend allein der beruflichen Bildung zuzuordnen, die vor allem der Anpassung an die wechselnden Anforderungen des Arbeitsplatzes dient. Daß es nicht undenkbar ist, dem Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen und politischen Bildung in verhältnismäßiger Weise Pflichten aufzuerlegen, die ihm nicht direkt zum Vorteil gereichen, zeigen die als verfassungsgemäß anerkannten46 Weiterbildungs gesetze der Länder. Sie haben nicht die Förderung des betrieblichen Zwecks 47 , sondern die gesamtgesellschaftlich wichtige Motivation bildungsfernerer Arbeitnehmer zur Weiterbildung als Ziel; die Lasten sind jedoch vom Arbeitgeber zu tragen.
42 Deutscher Bildungsrat, Strukturplan für das Bildungswesen, S. 57; Diemer! Peters, S. 27; Dönneweg, S. 32. Außerdem wird dies so z.T. in den Landesbildungsurlaubsgesetzen benannt, vgl. § 1 Abs. 3 BFG Rh.-Pf, § 3 Abs. 4 BFQG SH, § 1 Abs. 3 HessBUG. 43 2. Teil § 7 B I 3 b)undc) 1 S. 224f. und S. 225 f. 44 BAG - GS 1/84 - v. 27. 2. 1985 unter C.I.2.b) der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 45 Ehmann. FS für Wiese, S. 99 ff. (104 f., 111); ErfKl Dieterich. Art. 2 GG Rn. 80 f.; eher zurückhaltend und in der dogmatischen Begründung unsicher, Isele. FS für Schwinge, S. 143 ff. (146 f.); Kramer, S. 130 f. der eine solche Förderpflicht in Deutschland wohl auch neben § 75 Abs. 2 BetrVG als gegeben ansieht; Wiese. ZfA 1996,439 ff. (464 ff.); Zöllner! Loritz. ArbeitsR, § 16 11 1 S. 206 ff. Allerdings besteht Einigkeit, daß solche Pflichten nur sehr zögerlich zu bejahen sind. 46 So verbindlich für das hessische und nordrhein-westfälische Bildungsurlaubsgesetz entschieden von BVerfG - 1 BvR 563/85,1 u.a - v. 15. 12. 1987 unter C.II.2.a) der Gründe sowie LS, BVerfGE 77. 308 ff. = AP Nr. 62 zu Art. 12 GG. Der Anerkennung durch das BVerfG steht nicht entgegen, daß der Umfang der Freistellungen und die generelle Rechtmäßigkeit als solche nicht trotzdem in Frage gestellt werden, vgl. Dönneweg. S. 89 ff., Mauer; S. 63 ff. Von der Verfassungsmäßigkeit der Landesbildungsurlaubsgesetze wird hier ausgegangen. A. A. in neuster Zeit Hopfner, NZA 2001, 6 ff. m. w. N. 47 Ganz im Gegenteil, vorrangig betrieblichen Zwecken dienende Weiterbildungen werden gern. § II Abs. 2 Nr. 3 NBildG, § 9 S. 3 AwbG NRW, § 33 Abs. 4 Nr. 4, § 5 SWBG, § 20 Abs. 3 Nr. 2 BFQG SH gerade nicht umfaßt.
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
11. Berufliche Weiterbildung
Berufliche Weiterbildung liegt vor, wenn bestimmte Maßnahmen der Anpassung an die sich wandelnden Anforderungen der Arbeitsplätze und des Arbeitsmarktes dienen. Die Arbeitnehmer sollen dadurch ihre berufliche Qualität, Mobilität und Flexibilität erhalten und vergrößern. 48 Nach den Inhalten der Weiterbildung kann grob zwischen Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung unterschieden werden49 . Die Fortbildung soll gern. § lAbs. 3 BBiG ermöglichen, die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erhalten, zu erweitern, der technischen Entwicklung anzupassen oder beruflich aufzusteigen (§ lAbs. 3 BBiG).5o Sie ist also ein Lernprozeß, der sich an eine Berufsausbildung oder praktische Tätigkeit anschließt und sich in Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung unterteilen läßt. 51 Demgegenüber soll die Umschulung gern. § lAbs. 4 BBiG zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen. Sie dient der Vermittlung neuer Kenntnisse für eine andersartige Berufsqualifikation. 52 Betriebliche Einarbeitung umfaßt dagegen das Einführen des Arbeitnehmers auf den neuen bzw. geänderten Arbeitsplatz sowie das Vermitteln der betriebs- und arbeitsplatzspezifischen Fähigkeiten. Im Unterschied dazu bleibt der Arbeitsplatz bei der Anpassungsfortbildung der gleiche, und es kommen lediglich neue Aufgaben aufgrund neuer Erkenntnisse und Methoden innerhalb des Berufes trotz grundsätzlich unveränderter Arbeitsaufgabe auf den Arbeitnehmer zu. 53 Ein sehr großes Interesse an der beruflichen Weiterbildung hat der Arbeitgeber. An durchgeführten Weiterbildungsmaßnahmen ist er meist in irgendeiner Weise involviert, so wird beispielsweise fast die Hälfte aller beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen in Betrieben durchgeführt. 54 Die berufliche Weiterbildung kann auch als Qualifizierung55 , sollte aber nicht als Berufsbildung bezeichnet werden, da letzterer Terminus zu Verwechslungen mit dem im Betriebsverfassungsgesetz verwendeten engeren Begriffführt. 56 Diemer / Peters, S. 26 f., Dönneweg, S. 31. HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. 1 Berufliche Bildung, Rn. 11; Diemer/ Peters, S. 117. 50 Diese Definition wird auch im Betriebsverfassungsrecht allgemein anerkannt, vgl. F 1 H/K/E/S, § 96 BetrVG Rn. 22; GK-Krajt, § 98 BetrVG Rn. 7. 51 Herkert, BBiG-Kommentar, § 46 Rn. 7. 52 Herkert, BBiG-Kommentar, § 47 Rn. 9. 53 Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, S. 27. Unter diesen Kontext lassen sich beispielsweise qualitätssichernde Maßnahmen fassen, deren Bedeutung auch von den Unternehmern als immer wichtiger eingeschätzt wird. 81 % der Betriebe mit bis zu 49 Arbeitnehmern stufen qualitätssichernde Maßnahmen als sehr wichtig ein, bei Unternehmen mit 50499 Arbeitnehmern sind es noch 77 % und bei noch größeren Unternehmen 67 %; vgl. iwd v. 20.1. 2000, 3/2000 S. 8. 54 Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 23. 55 Auf die eigentlich speziellere Bedeutung des Begriffes hinweisend: Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 14 f. 48 49
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III. Ergebnis
Inhaltlich kann Weiterbildung sowohl politische als auch allgemeine und berufliche Qualifizierungen umfassen. Im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung sind die allgemeine Weiterbildung mit dem Ziel der Weiterentwicklung der (Arbeitnehmer)Persönlichkeit und die berufliche Weiterbildung möglich. Vor allem diese beiden Formen der Weiterbildung bedingen sich oft, und ihre Grenzen sind fließend. 57
C. Träger der Weiterbildung Jede Weiterbildungsmaßnahme muß von einem Träger übernommen werden. Im Arbeitsförderungsrecht wird gern. § 21 SGB III die juristische oder natürliche Person als Träger einer Maßnahme bezeichnet, die sie selbst durchführt oder durch Dritte durchführen läßt. Dem entspricht auch die Auffassung des BAG, das den Arbeitgeber dann als Träger einer Berufsbildungsmaßnahme ansieht, "wenn er die Bildungsmaßnahme allein durchführt, oder - bei Zusammenarbeit mit einem Dritten - auf Inhalt und Durchführung der Maßnahme rechtlich oder tatsächlich einen beherrschenden Einfluß hat,,58. Es gibt staatliche, private und betriebliche Träger. Die staatliche Weiterbildung kann dabei einerseits von Bund, Ländern oder Gemeinden vorgenommen werden, andererseits aber auch von öffentlich-rechtlichen Körperschaften wie der IHK, den Berufsgenossenschaften oder den Handwerkskammern. 59 Private Anbieter sind neben unabhängigen Bildungsinstituten auch Verbände und Vereine. Während die allgemeine und politische Weiterbildung überwiegend von staatlichen Trägern durchgeführt wird6o , konzentriert sich die berufliche auf die Betriebe61 .
56 Zur Berufsbildung gern. der §§ 96 ff. BetrVG und der Abgrenzung zu § 81 Abs. I, 2 BetrVG vgl. 2. Teil § 5 A IV 1 b) 1 S. 118 ff. sowie Kraft, NZA 1990, 457 ff. 57 Föhr/Bobke, Arbeitsrecht für Arbeitnehmer, S. 237 f. 58 BAG - 1 ABR 10/90 - v. 4. 12. 1990 unter B.II.3.a) der Gründe sowie 2. LS, AP Nr. 1 zu § 97 BetrVG; - I ABR 21/91 - v. 12. 11. 1991 unter B.II.1. der Gründe, AP Nr. 8 zu § 98 BetrVG. 59 Gagei, in: Gagei, § 21 SGB III Rn. 3, vgl. aber auch: Richter, in: Gagei, § 33 AFG Rn. 15 m. w. N. 60 Träger allgemeiner Weiterbildung waren 1997 zu 29 % Volkshochschulen, 6 % jeweils Kirchen und Verbände gegenüber 7 % Arbeitgebern; vgl. Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, 2000, Tab. 9.3 1 S. 209. Für die politische Weiterbildung wird der Arbeitgeberanteil wegen des meist nur sehr geringen Bezugs zur Tätigkeit und der daher kaum meßbaren Vorteile, eher noch weiter zurückgehen. 61 1994 waren Träger beruflicher Weiterbildungen zu 53 % Arbeitgeber und zu 10 % Private, während die Kammern lediglich 6 % aufweisen konnten. Berufsverbände und Akademien waren mit jeweils 5 % noch häufiger vertreten als Berufsgenossenschaften, Fach- und
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
Betriebe, der öffentliche Dienst, Kammern und Wirtschafts- und Berufsverbände62 sind häufig Träger sogenannter geschlossener Maßnahmen. Sie sind speziell auf die eigenen Arbeitnehmer, Angestellten oder Verbands- bzw. Kammerangehörigen zugeschnitten und größtenteils auch nur für sie zugänglich. 63 Demgegenüber sind Maßnahmen öffentlicher Träger wie Hochschulen, Kommunen und Länder ebenso wie die kommerzieller Träger, der Gewerkschaften und der Kirche, vorwiegend für alle zugängliche Veranstaltungen. 64
D. Arten der Weiterbildung Die Weiterbildung kann in sehr unterschiedlichen Formen erfolgen, wobei je nach Untersuchungs schwerpunkt andere Einordnungen vorteilhaft sind. Für die folgende Bearbeitung soll zwischen Lernen in der Arbeitssituation, selbstgesteuertem Lernen sowie Lehr- und Informationsveranstaltungen unterschieden werden. 65 Dabei kann nicht jeweils nur eine Form gewählt, sondern es können auch verschiedene im Rahmen einer Weiterbildungsmaßnahme kombiniert werden. I. Lernen in der Arbeitssituation Lernen in der Arbeitssituation 66 wird im Rahmen der beruflichen und hier vor allem der betrieblichen Weiterbildung relevant und immer häufiger praktiziert67 • Umfaßt sind Unterweisungen, Einarbeitung, Traineeprogramme und Workshops. In Abgrenzung zum funktionalen Lernen mit und bei der Arbeit bedarf es einer speziellen Organisation, die erkennen läßt, daß eine Qualifizierung gewollt und nicht bloßer Mitnahmeeffekt ist. 68 Das Interesse des Arbeitgebers an dieser QualiHochschulen mit jeweils 2 %; vgl. Wittpoth, S. 73 Abb. 4. Im Vergleich dazu fiel die Beteiligung der Arbeitgeber als Träger 1997 auf 48 %, während die anderen um etwas 1 bis 2 Prozentpunkte zulegten, vgl. Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, Tabelle 9.6/ S. 220. 62 Z. B. Arbeitgeberverbände. 63 Wittpoth, S. 71, 86. 64 Diemerl Peters, S. 56 Abb.; Wittpoth, S. 70. 65 Angelehnt an Weij3, Der Arbeitgeber, 1994,330 ff., Wittpoth, S. 81. Laut einer Statistik von 1994 lernen 74 % aller Befragten selbständig am Arbeitsplatz, 37 % durch Vorträge oder Halbtagsseminare, 37 % durch SelbstIernen in ihrer Freizeit, 21 % durch den Besuch von Fachmessen und Kongressen sowie 19 % durch eine von einer außerbetrieblichen Person am Arbeitsplatz durchgeführte Schulung, Kuwan, Selbstorganisiertes Lernen im Prozeß der Arbeit, S. 89 ff. (91, Tab. I) m. w. N. 66 Das Lernen in der Arbeitssituation umfaßt die auch als Training "on-the-job" und "near-the-job" bezeichnen Maßnahmen, vgl. Breisig, S. 87 f. Gi/berg, S. 200 ff.; Wittpoth, S. 79 f. 67 Bahnmüllerl BispincklSchmidt, S. 14. 68
Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 16, Wittpoth, S. 81.
§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung
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fizierungsform ist erfahrungsgemäß sehr groß, da mit relativ geringem Aufwand eine gute Wirkung erzielt werden kann. Außerdem können die Kosten der Weiterbildung vergleichsweise klein gehalten werden, schon weil es nicht zu völligem Ausfall der Arbeitszeit kommt und keine Reise- und Unterhaltskosten entstehen. Vor allem in kleinen Betrieben ist dies die häufigste Form der Mitarbeiterweiterbildung. 69 Diese Form der Weiterbildung dient sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber kann die Fähigkeiten der Arbeitnehmer seinen Vorstellungen entsprechend kostengünstig an einen Arbeitsplatz anpassen. 70 Dabei kann besonders auf die Details des Arbeitsprozesses eingewirkt werden, die dem Arbeitgeber wichtig sind und der Arbeitnehmer optimiert seine Arbeitsleistung speziell für den konkreten Arbeitsplatz. Dem Arbeitnehmer nützt das Lernen am Arbeitsplatz meist lediglich in der speziellen betrieblichen Situation und nicht bei einem eventuellen Arbeitgeberwechsel. Daher wird das Interesse an dieser Form der sehr arbeitsplatzspezifischen Weiterbildung vor allem der Arbeitgeber haben; jedenfalls ist das für eine betriebliche Weiterbildung geforderte deutliche Interesse gegeben. Nachteil dieser Weiterbildungsart ist die meist kurzfristige und daher häufig auch unsystematische Herangehensweise. Stellt der Arbeitgeber Mängel oder Defizite bei der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten fest, werden diese zwar schnell behoben, ein zukunftsweisendes Lernkonzept besteht meist aber nicht. 71
11. Selbstgesteuertes Lernen Selbstgesteuertes Lernen umfaßt Aktivitäten wie Lesen von Fachliteratur und Benutzung von Lernprogrammen und Leittexten. Es kann aber auch unter Anleitung in der Form von Femlehrgängen vorgenommen werden. 72 Die Möglichkeiten bei dieser Form der Weiterbildung sind sehr vielfältig. Ungeachtet der Ausgestaltung im einzelnen müssen sich die Teilnehmer mehr engagieren als bei anderen Weiterbildungsformen, wenn die Qualifizierung erfolgreich sein soll. Sie nehmen die verschiedenen Angebote nicht nur wahr, sondern haben sie selbst zu verwirklichen. Der Arbeitgeber wird immer ein Interesse daran haben, daß die Arbeitnehmer auch se1bstgesteuert lernen. Da jedoch der Erfolg mit dem des Lernens in der 69 Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 116 und Tabelle 17 I S.117. 70 So beliefen sich die Kosten für das Lernen in der Arbeitssituation 1995 auf 164 DM je Mitarbeiter gegenüber 563 DM für interne Lehrveranstaltungen, vgl. Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, Abb. 12.21S. 272. 71 Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 24 f. 72 Weiß, Der Arbeitgeber, 1994, S. 330 ff. (330). Der Anteil von Fernlehrgängen ist derzeit eher noch gering. Mit 170 000 Teilnehmern an Fernunterrichtslehrgängen wurde 1992 die höchste Anzahl erreicht. 1997 waren es nach kontinuierlichem Rückgang lediglich noch 120000 Teilnehmer, vgl. Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, S. 353.
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
Arbeitssituation nicht vergleichbar ist, überwiegt der Nutzen des Lernens in der Arbeitssituation und damit zugleich das Interesse des Arbeitgebers an der Weiterbildung in Verbindung mit praktischer Tätigkeit.
111. Lehrveranstaltungen Klassischerweise findet eine Weiterbildung in Lehrveranstaltungen statt. Umfaßt sind Seminare, Kurse und Lehrgänge zu den verschiedensten Themen bei unterschiedlichster Dauer. Im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung werden sowohl externe, also von außerbetrieblichen Trägern geleitete, als auch interne Lehrgänge durchgeführt. Diese Lehrgangsveranstaltungen erreichen im Gegensatz zum Lernen am Arbeitsplatz in gleicher Zeit ein größeres Publikum und die Wissensvermittlung erfolgt einheitlicher. Wegen der früher nur in dieser Form durchgeführten Weiterbildungen werden diese Maßnahmen oft auch als Weiterbildung im engeren Sinne bezeichnet. 73 Ein deutliches Interesse des Arbeitgebers an Lehrveranstaltungen wird stets gegeben sein, wenn die Inhalte der Lehrveranstaltungen allgemein betrieblich relevante Themen betreffen. So kann der Kenntnisstand der Belegschaft erhöht und angeglichen werden, die Kollegen können von ihren Erfahrungen berichten und so voneinander lernen. Da es sich zumeist um allgemeiner verwertbare Informationen als bezüglich des Lernens in der Arbeitssituation handelt, ist aber auch das Eigeninteresse der Arbeitnehmer an Lehrveranstaltungen als sehr hoch einzuschätzen.
IV. Informationsveranstaltungen Erst in neuerer Zeit wurden Informationsveranstaltungen wie Besuche von Fachmessen, Kongresse und Vorträge als Weiterbildungsmarkt erschlossen. 74 Dadurch soll Fachwissen aktualisiert sowie neueste Erkenntnisse aus Forschung und Technik vermittelt werden. Messen dienen allgemein dazu, Neuerungen in allen Lebens- und Arbeitsbereichen vorzustellen. Vor allem Fachmessen sind im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung wichtig, um neue Produkte vorzustellen und deren Anschaffung und Nutzung in den Betrieben voranzutreiben. Die Arbeitnehmer werden in die Lage versetzt, besser vergleichen und selbst anbieten zu können. Vorträge zu den verschiedensten Themen bieten oft einen kurzen Einblick in eine bestimmte Materie und können Anlaß zu weiteren Nachforschungen im Rahmen selbstgesteuerten Lernens sein. Zumindest aber geben sie Denkanstöße für bestimmte Problemlösungen und erweitern den Horizont der Teilnehmer, wodurch deren Kreativität je nach Sachgebiet privat und/ oder beruflich erhöht werden 73
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Wittpoth. S. 67. Weiß. Kosten und Strukturen der Weiterbildung, S. 17 f.
§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung
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kann. Infonnationsveranstaltungen sind von kurzer Dauer und finden häufig außerhalb der Arbeitszeit statt. Sie verursachen so zumindest wenig indirekte Kosten in Fonn von Freistellungs- und Lohnkosten. Bei berufsbezogenen Inhalten ist von einem betrieblichen Interesse auszugehen.
V. E-Learning Das E-Learning entdecken immer mehr Betriebe als neue Fonn der Weiterbildung für sich. Es basiert auf dem Bereitstellen multimedialer Lerninhalte im unternehmenseigenen Intranet oder im Internet. 75 Vorteil dieser Fonn der Weiterbildung ist, daß sie sich meist vom Arbeitsplatz aus durchführen läßt und dadurch geringe Kosten bei minimalem Zeitaufwand entstehen. Im Rahmen des E-Iearning lassen sich verschiedene Arten des Lernens durchführen. Zum einen gibt es einem herkömmlichen Seminar ähnelnde virtuelle Kurse, bei denen die Teilnehmer zumindest in einem chatroom76 miteinander kommunizieren können, wenn die Kurse nicht sogar lautsprecherunterstützt sind. Zum anderen sind aber auch Kurse möglich, die dem selbstgesteuerten Lernen gleichen und auf die jeder in dem Tempo und Zeitabstand zugreifen kann, den er für notwendig hält. Vor allem große Unternehmen wie DaimlerChrysler, IBM, Lufthansa, oder Volkswagen machen bisher von der Möglichkeit des E-Iearnings Gebrauch, jedoch sind sich die Anbieter solcher Kurse sicher, daß bald auch kleinere und mittlere Betriebe diese Angebote nutzen werden77 • Vor allem aus Kosten- und Flexibilitätserwägungen ist dies gut vorstellbar.
E. Teilnahmenachweise und Abschlüsse nach durchgeführter Weiterbildung Nicht nur Inhalte, Träger und Fonnen der Weiterbildung sind sehr verschieden, auch die zu erreichenden Abschlüsse differieren sehr stark. In den §§ 46 Abs. 1,47 Abs. 2 BBiG ist festgelegt, daß zum Nachweis von, durch die berufliche Fortbildung oder Umschulung erworbenen besonderen Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen, die zuständige Stelle78 Prüfungen durchführen kann. Daß allgemein anerkannte Abschlußzeugnisse im Rahmen von Weiterbildungen vergleichsChaton, E-learning - Lernen im Intranet, www.faznet.de v. 19.01. 2001. Virtuell erzeugter Raum im Internet. Unter dieser Intemetadresse können die Zugangsberechtigten entweder sofort lesen, was ein anderer Teilnehmer schreibt, oder durch jeweils am Computer der Teilnehmer installierte Kameras und Mikrofons sich sogar sehen und hören. 77 Chaton, E-Iearning - Lernen im Intranet, www.faznet.de v. 19.01. 2001. 78 Wer zuständige Stelle ist, ergibt sich aus den §§ 73 ff. BBiG. 75
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
weise selten vergeben werden, ergibt sich vor allem aus zwei Gründen: Erstens handelt sich um eine ausschließliche Zuständigkeit einer hoheitlichen Stelle. Hoheitliche Stellen sind gern. § 1 Abs. 2 IHKG die IHK und gern. §§ 45, 91 Abs. 1 Nr. 4, 4a HWO Handwerkskammern. 79 Nur sie können somit nach erfolgreichem Abschluß den Titel "staatlich Geprüfte / r" verleihen. 8o Die öffentlich anerkannten Prüfungen beruhen auf §§ 46, 47 BBiG und 42 HWO i.Y.m. Weiterbildungsverordnungen, wodurch der Abschluß im Gegensatz zu privaten Bildungsträgern, die nur eigene Lehrgangsprüfungen ohne hoheitlichen Charakter durchführen können 8 ], zumindest eine Grundgewähr einheitlicher Kenntnisvermittlung bietet. Gerade bei der betrieblichen Weiterbildung überwiegt aber die private Trägerschaft deutlich. Zweitens sind §§ 46 Abs. 1,47 Abs. 2 BBiG "Kann"-Vorschriften, deren tatsächliche Durchführung allein im Ermessen der zuständigen Behörde liegt. Für Weiterbildungen privater Träger gibt es keine verbindliche Festlegung, die den Teilnehmern einen Anspruch auf ein Zeugnis oder zumindest eine Teilnahmebescheinigung zugesteht. Dadurch wird die ohnehin schon problematische Vielgestaltigkeit des Weiterbildungsmarktes weiter erhöht. Mangelnde Transparenz der Bildungsrnaßnahmen setzt sich fort in fehlender Transparenz der Abschlüsse. Selbst bei bestehender Möglichkeit, einen Abschluß zu erwerben, läßt sich dessen Qualität nur schwer beurteilen, solange keine einheitlichen Prüfungsmaßstäbe bestehen. Deshalb sind vor allem in den letzten Jahren Bemühungen ersichtlich, die verschiedenen Weiterbildungsmaßnahmen und damit auch deren Abschlüsse zu vereinheitlichen. 82 Eingeführt wurden auch aus diesem Grund Gütesiegelverbände, die zumindest innerhalb eines solchen Verbandes eine bessere Transparenz von Abschlüssen gewähren sollen. 83 Trotz dieser Bemühungen erlangen aber auch weiterhin alle die keine anerkennenden Abschlüsse, die an betriebsinternen Weiterbildungen teilnehmen. 84 Von der Möglichkeit, einen Abschluß zu erwerben, ist auch das jeweilige Interesse des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers abhängig. Je anerkannter ein Zeugnis auch außerhalb des eigenen Betriebes ist, um so höher wird das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbildung sein. Dagegen ist der Arbeitgeber in erster Linie an der Teilnahme und nicht dem Abschluß einer Maßnahme interessiert. Zwar bürgt gerade ein anerkannter Abschluß häufig für die Qualität der Maßnahme, ist ein Kurs mit gleichen Inhalten ohne Prüfung aber deutlich billiger, kann das den Ausschlag für den Arbeitgeber geben. Allerdings sind die Vorteile einer Herken, § 46 BBiG Rn. 8. Andererseits sind sie dazu aber auch nicht verpflichtet. D. h. es ist nur vom pflichtgemäßen Ermessen der Kammern abhängig, ob sie Prüfungen mit staatlichem Abschluß durchführen oder nicht. Genauer dazu Frentzell Jäkell Junge, IHKG-Kommentar, S. 54 ff. 81 Vgl. dazu Herken, § 46 BBiG Rn. 8. 82 Kritisch zum bestehenden Zustand auch Gi/berg, S. 38 ff. 83 Kuwan/Waschbüsch, Zertifizierung und Qualitätssicherung in der beruflichen Weiterbildung, S. 35 f. 84 Vgl. Heidemann, S. 54. 79
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§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung
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durch Prüfung abzuschließenden Weiterbildung für den Arbeitgeber nicht zu unterschätzen. Der Teilnehmer wird engagierter teilnehmen und das Erlernte schon wegen der Gefahr des Durchfallens wiederholen und selbständig vertiefen. Die Gefahr einer wert-, weil wirkungslosen Teilnahme des Arbeitnehmers nimmt dadurch ab.
F. Ziele der betrieblichen Weiterbildung
Die Ziele der Weiterbildung sind vielfältig. Sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber haben ein Interesse an der Qualifizierung, verbinden aber meist unterschiedliche Erwartungen mit ihr. 85 Grundsätzlich lassen sich Anpassungsund Aufstiegsfunktionen sowie präventive, innovative und kurative Funktionen unterscheiden. 86 Durch Anpassung an die Veränderungen der Arbeitsumwelt sollen die Arbeitnehmer trotz Veränderung der beruflichen Anforderungen in die Lage versetzt werden, ihnen weiter gerecht zu werden. In Zeiten des ständigen Wandels der Arbeitsumwelt und der fortwährenden technischen Erneuerungen und betrieblichen Umstrukturierungen, ist eine Qualifizierung - meist verbunden mit einer Spezialisierung - oft unumgänglich. Diese Unerläßlichkeit hat auch der Gesetzgeber erkannt, als er 1988 mit § 81 Abs. 4 BetrVG87 eine Vorschrift explizit zur Erörterung von Neuerungen innerhalb des Betriebes in das Betriebsverfassungsgesetz einfügte. Danach muß der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer die eingeführten Neuerungen erörtern und darüber beraten, wie die fachlichen Defizite ausgeglichen werden können. Ohne daß damit automatisch eine Pflicht zur Anpassungsweiterbildung durch den Arbeitgeber verbunden ist88 , soll der Arbeitnehmer zumindest auf die mögliche Notwendigkeit einer solchen ausdrücklich verwiesen werden. 89 Dabei ist branchenabhängig, wie sehr Arbeitnehmer diesem Anpassungszwang unterliegen, gänzlich entziehen kann man sich dem aber kaum. Selbst im eher handwerklich geprägten Gewerbe werden kontinuierlich neue Maschinen entwikkelt, die zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit auch eingesetzt werden müssen. Vorteile aus der Anpassungsweiterbildung ziehen einerseits die Arbeitnehmer, da sie sich den neuen Arbeitsanforderungen gewachsen fühlen und mit einer positiven Einstellung mit Neuerungen umgehen können. Außerdem werden leistungs85 Dazu auch Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 20 f. m. w. N.; Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 72 ff. 86 Münch, Berufliche Weiterbildung in der EU, S. 11 ff. (17 ff.) m. w. N. 87 Damals handelte es sich noch um Abs. 3, später wurde aber ein neuer Abs. 3 eingefügt und der bisherige Abs. 3 wurde zu Abs. 4, vg!. BGB!. I, 1996, S. 1246 ff., 1252 f. 88 Vg!. zu dieser Vorschrift im einzelnen 2. Teil § 5 A V / S. 147 ff. 89 Gesetzesbegründung BT-Drucks. 111 2503, S. 35; BT-Drucks. 11 /3604, S. 12. Dazu auch GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 18 f. m. w. N.
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
bedingte KündigungsgfÜnde vennieden. 9o Andererseits profitieren die Arbeitgeber, die Potentiale ihrer Mitarbeiter durch Ausschöpfen derer bisher ungenutzten Reserven besser verwenden können. Häufiges Ziel einer Weiterbildung ist ein angestrebter beruflicher Aufstieg. 91 Schon mit dem Betrieb verbundene Arbeitnehmer können so durch Qualifizierung eine höhere Position erlangen. Zweifellos kommt eine Aufstiegsqualifizierung den betroffenen Arbeitnehmern zugute, die in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können und dennoch die Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg und somit auch zum Mehrverdienst haben. Vorteile für das Unternehmen ergeben sich daraus, daß es keine neuen Arbeitnehmer in Führungspositionen einarbeiten muß, da gerade dies häufig länger dauert. Außerdem können Vorgesetzte beschäftigt werden, die ihre Mitarbeiter mit deren Stärken und Schwächen aus eigenen Erfahrungen kennen. Eng mit der Anpassungsfunktion zusammen hängt die kurative Funktion. Hauptzweck ist hier nicht die Anpassung der Arbeitnehmer an neue Gegebenheiten, sondern die Beseitigung bereits bestehender Defizite. 92 Die Arbeitnehmer werden so vor Kündigung aufgrund von Leistungsmängeln geschützt und ganz im Sinne des Unternehmens kann zusätzlich die Arbeitsproduktivität durch Qualifizierung gesteigert werden. 93 Möglich ist auch eine präventive Weiterbildung; die Arbeitnehmer sollen - noch bevor Änderungen am Arbeitsplatz auftreten - vorbeugend qualifiziert werden. 94 Das kann die Innovationsfähigkeit der Mitarbeiter fördern und das Betriebsklima verbessern bzw. auf einem hohen Stand halten. Schließlich erkennen die Mitarbeiter, daß dem Unternehmer an ihrer Person und Qualifizierung gelegen ist und er nicht an beliebigen Mitarbeiterwechsel bei Änderung der Anforderungen interessiert ist. Allerdings können sich bei rein präventiven Maßnahmen Motivationsprobleme schon für die freiwillige Teilnahme als auch bei der Durchführung der konkreten Maßnahme ergeben. Das vorausschauende Weiterbilden führt zu systematischem Wissensaufbau, der spätere, meist unter Zeitdruck stehende und dadurch weniger durchdachte Maßnahmen nahezu überflüssig werden läßt. 95
90 Nach einer Umfrage des BMBF gaben 12 % aller Befragten an, an einer Weiterbildung aus Anpassungsgründen teilzunehmen. Das erscheint um so höher, als insgesamt nur 30 % überhaupt angaben, Weiterbildungsmaßnahmen zu besuchen. Die Anzahl derer, die die Anpassung als Ziel angeben ist seit der erstmaligen Erfassung 1988 (damals noch 8%) prozentual zwar stetig gestiegen, aber im Vergleich zur absoluten Weiterbildungsteilnahme (damals insgesamt 18%) in etwa gleich geblieben. In: Kuwan, Berichtssystem Weiterbildung VII, S. 27. 91 In einer der Studie für das BMBF gaben 3 % der Arbeitnehmer den Aufstieg als Ziel an. Diese Anzahl schwankte im Laufe der Jahre immer zwischen 2 % und 4 %. 92 Brandsma, S. 22; Münch, Berufliche Weiterbildung in der EU, S. 11 ff. (18 f.). 93 Bahnmüller / Bispinck/ Schmidt, S. 20. 94 Brandsma, S. 22. 95 Bahnmüller / Bispinck/ Schmidt, S. 24 f.
§ 2 Grundlagen der betrieblichen Weiterbildung
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Auch die innovative Komponente der Weiterbildung darf nicht unterschätzt werden. Obgleich es sich um einen Nebeneffekt der reinen Wissensvermittlung handelt, wird durch die Vermittlung von Wissen häufig Neugier geweckt und Interesse an mehr Wissen hervorgerufen. Berufliche Weiterbildung wird innovativ in die Gestaltung der Arbeitsorganisation und Arbeitsprozesse eingebunden. 96 Die Menschen sollen dadurch aktiver, initiativer und kreativer werden. 97 Die Bedeutsamkeit dieses Ziels verstärkt sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der eigenen Schul- und Ausbildung.
G. Kosten und Kostenträger der Weiterbildung Abschließend ein kurzer Überblick über die Kostenarten und möglichen Kostenträger der Weiterbildung. Die entstehenden Kosten lassen sich in direkte und indirekte Kosten unterteilen. Während direkte Kosten Personalkosten für Weiterbildungspersonal im eigenen Betrieb, Dozentenhonorare, Lehrmittelkosten, Reisekosten sowie Teilnehmer- und Prüfungsgebühren darstellen, sind als indirekte Kosten die durch Ausfall der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz entstehenden finanziellen Belastungen zu verstehen. 98 Für einen großen Anteil der Kosten der Weiterbildung kommt der Arbeitgeber auf. Die Ausgaben dafür wurden 1995 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 35 Milliarden DM (etwa 17 Mrd. Euro) angegeben. Leider divergieren die Angaben der Beträge stark, was einerseits daran liegt, daß in die verschiedenen Untersuchungen unterschiedliche Arten der Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen werden. Zusätzlich läßt sich oft nur schwer trennen, ob eine bestimmte Ausgabe speziell wegen der Weiterbildung angefallen ist oder ohnehin notwendig geworden wäre. Besonders problematisch ist die genaue Bezifferung der Kosten des Lernens in der Arbeitssituation, da - wie bereits dargestellt - schon die Feststellung, ab wann ein solches vorliegt, sehr schwierig ist. Neben dem Arbeitgeber müssen die Arbeitnehmer häufig selbst für die Weiterbildungen aufkommen. Sie nehmen zum Teil vollkommen unabhängig von ihrer betrieblichen Arbeit an einer Qualifizierung teil, obwohl ein inhaltlicher Zusammenhang durchaus gegeben ist und der Arbeitgeber auch davon profitiert. Außerdem beteiligen sich die Arbeitnehmer nicht selten an den Kosten einer vom Arbeitgeber angeregten betrieblichen Weiterbildung. Dritter Finanzier der Weiterbildung ist der Staat. 99 Er trägt betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen zum Teil mit. Die Art der Förderung ist dabei sehr unter96 97 98
Brandsma. S. 21 f. Wittpoth. S. 78. Weifl. Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 148.
Möglich ist die Förderung dabei durch direkte Bundeszuschüsse, Landesfördermittel oder durch Zuteilung seitens der Bundesanstalt für Arbeit gemäß den Regeln des SGB III. 99
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1. Teil: Einführung und Grundlagen
schiedlich und findet entweder durch Unterstützung des Betriebes, der Maßnahme als solcher oder aber der Arbeitnehmer statt. Von hoheitlicher Seite kann gerade in den letzten Jahren finanzielle Unterstützung auch durch die europäische Union erlangt werden. Es gibt zahlreiche Programme zur Förderung der Weiterbildung der EG-Bürger. 1oo
H. Ergebnis Schon der Begriff der Weiterbildung ist vielgestaltig, ihre Durchführung ungleich differenzierter. Beides sollte aufgezeigt und Einblick in die Materie gewährt werden. In der folgenden Arbeit wird von einem weiten Weiterbildungsbegriff ausgegangen. Die Betrieblichkeit wird durch ein deutliches Interesse des Arbeitgebers begrenzt.
100 StaudenmiJyer, BayVBl 1995,321 ff. (324 f.); Fischer, in: Lenz, EG-Vertrag, Vorbem. Artt. 149, 150 Rn. 5 f. Vgl. auch 2. Teil § 3 B I 3 / S. 59 ff.
2. Teil
Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis Im zweiten Teil soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern der Arbeitgeber Weiterbildungsmaßnahmen durchführen muß, solange ein intaktes, also nicht von einer Kündigung unmittelbar bedrohtes, Arbeitsverhältnis vorliegt. Eine Untersuchung innerhalb der allgemeinen Pflichten im Arbeitsverhältnis, unabhängig von einer konkret gegebenen Kündigungssituation, erscheint notwendig, weil dies den Nonnalfall des Arbeitsverhältnisses darstellt und eine Kündigung häufige Konsequenz vorher vernachlässigter Pflichten ist. Dabei werden alle die Weiterbildung inhaltlich betreffenden Nonnen ihrer Rangfolge nach auf ihren Regelungsgehalt untersucht. Im Rahmen der Darstellung der völker-, europa- und verfassungsrechtlichen Nonnen (§§ 3,4) ist zunächst festzustellen, ob und wie sie wirken, bevor auf eine eventuelle Drittwirkung gegenüber dem Arbeitgeber einzugehen ist. Die einfachgesetzlichen Nonnen sind auf ihren speziellen Gehalt in bezug auf die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber zu untersuchen (§ 5). Bezüglich der Tarifvertragsbestimmungen und Betriebsvereinbarungen ist erst auf eventuelle Regelungsprobleme einzugehen, bevor eine Auswahl bestehender Regelungen näher beleuchtet wird (§ 6). Abschließend ist zu untersuchen, ob sich gesetzlich nicht geregelte Pflichten oder Beschränkungen des Arbeitgebers bei seiner Entscheidung über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen aus einzelvertraglichen Vereinbarungen oder dem Zusammenspiel arbeitsrechtlicher Grundsätze mit der Generalklausel des § 242 BGB und dem grundrechtlichen Schutzgehalt ergeben können (§ 7).
§ 3 Regelungen zur Weiterbildung im Völker- und Europarecht A. Völkerrechtliche Bestimmungen Die internationalen Verflechtungen der Wirtschaft wirken sich auch auf das Arbeits- und Sozialrecht aus. Vor allem in den Jahren nach 1945 wurden von den Vertretern der einzelner Staaten unzählige völkerrechtliche Abkommen und Verträge geschlossen sowie Empfehlungen und Erklärungen internationaler Organisationen erlassen. Deren Wirkungen sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von blo4 Fracke
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
50
ßen Empfehlungen über den Status lediglich völkerrechtlicher Verbindlichkeit bis zu innerstaatlicher Verbindlichkeit. Selbst die Einordnung einer völkerrechtlichen Bestimmung in einen bestimmten Status der Verbindlichkeit ist nur scheinbar auch eine konkrete Bestimmung der Wirkung. Innerstaatliche Verbindlichkeit bedeutet nicht automatisch, daß dem einzelnen auch unmittelbar Rechte aus den ratifizierten Abkommen zustehen. I Handelt es sich bei den völkerrechtlichen Vereinbarungen um sogenannte "non self-executing" Normen, verpflichtet sich der Staat, die dem einzelnen als Zielvorstellung zugebilligten Rechte gestaltend durch Gesetze oder durch Verordnungen auszuführen beziehungsweise auf die Umsetzung in Tarifverträgen 2 oder Betriebsvereinbarungen hinzuwirken. 3 Für Normen, die den Willen der Parteien zur Ausführung erkennen lassen und hinreichend bestimmt sind (selfexecuting), bleiben derartige Ausführungsakte zwar weiterhin möglich, sind für eine unmittelbare Wirkung aber nicht mehr nötig. 4
I. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte5 Nach Art. 26 AMRK hat jeder Mensch ein Recht auf Bildung. Der fachliche und berufliche Unterricht soll allgemein zugänglich sein und die höheren Studien allen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen in gleicher Weise offenstehen. Zwar bestimmt Art. 26 der AMRK damit ein allgemeines soziales Menschenrecht auf Bildung, die Erklärung entfaltet aber keine rechtlich verbindliche Wirkung. 6 Der programmatische Charakter führt lediglich dazu, daß die AMRK Vorbild für zu schaffende Normen ist und - auch bezüglich der Weiterbildung 7 - als Auslegungshilfe herangezogen wird. 8 Jedoch nimmt Art. 26 AMRK keinen Einfluß auf die Entscheidung des Arbeitgebers über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen.
LeinemannlSchütz, ZfA 1994, 1 ff. (10); Stern, Staatsrecht I, § 14 IV 5 d " S. 505 f. So beispielsweise für das Übereinkommen Nr. 142 der IAO vorstellbar, das von Gesamtarbeitsverträgen spricht. Nach deutschem Recht können damit nur Tarifverträge gemeint sein, da aber bei Tarifverträgen eine flächendeckende Wirkung nicht gewährleistet werden kann, kann keine tatsächliche Umsetzung erfolgen, vgl. Mauer, S. 45. 3 LeinemannlSchütz, ZfA 1994, I ff. (6 f.). 4 LeinemannlSchütz, ZfA 1994, 1 ff. (11). 5 Die AMRK wurde am 10. 12. 1948 von der UNO erlassen. Text in Sartorius 11 Nr. 19 und GAOR, III Resolutions (UN-Doc.A/81O) p. 71. 6 BVerfG - I BvR 548/68 - v. 17. 12. 1975 unter B. 3. der Gründe, BVerfGE 41,88 ff.; MünchArbR 1Birk § 17 Rn. 10 m. w. N. 7 Streitig ist, ob neben der explizit genannten Schulbildung auch die Weiterbildung umfaßt ist. Vgl. dazu einerseits Köhler, S. 283; andererseits aber Karpen, S. 52. 8 MünchArbRI Birk § 17 Rn. 10 m. w. N. Vgl. auch Karpen, S. 54 f. I
2
§ 3 Regelungen zur Weiterbildung im Volker- und Europarecht
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11. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Seit 1966 gibt es den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 9 Art. 13 IPwskR konkretisiert Art. 26 AMRK. In Abs. 1 wird das Recht eines jeden auf Bildung anerkannt. Außerdem stimmen die Vertragsstaaten danach darin überein, daß: "die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Bewußtseins ihrer Würde gerichtet sein muß. Sie stimmen ferner überein, daß die Bildung es jedermann ermöglichen muß, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, [ ... ] ."
Durch die Verbindung mit dem in Art. 6 IPwskR benannten Recht auf Arbeit lO soll auch das nicht ausdrücklich benannte Recht auf Weiterbildung gewährleistet sein. II Die Bundesrepublik Deutschland ratifizierte den IPwskR 12 , weswegen er seit 1976 13 auch innerstaatlich verbindlich wirkt. Seine Wirkung entfaltet er jedoch in erster Linie gegenüber dem Staat, der die im IPwskR festgeschriebenen Ziele mit allen ihm zur Verfügung stehenden geeigneten Mitteln, vordergründig aber gesetzlichen Maßnahmen (Art. 2 Abs. 1), realisieren soll. Selbständige Ansprüche der Bürger gegen den Staat sind wegen der Unbestimmbarkeit der non self-executing Normen bezüglich der Erfüllung der Ziele und der fehlenden Rechtsfolgenregelungen nicht gegeben. 14 Daher erschöpft sich der Einfluß des IPwskR ebenfalls in einer Auslegungsregel und der Festlegung sehr allgemeiner Grundsätze und geht so in seiner Wirkung über die in den einfachen Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland zum Teil schon gesetzlich festgeschriebenen Positionen nicht hinaus. 15 9 Der IPwskR wurde am 16. 12. 1966 von der UNO erlassen. BGBI. 11,1973, S. 1570 und BGBI. 11, 1976, S. 1122; UNTS Vol.992 p. 3. Text in Sartorius 11 Nr. 21. 10
An. 6lPwskR:
(I) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht auf Arbeit an, welches das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, umfaßt, und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz dieses Rechts. (2) Die von einem Vertragsstaat zur vollen Verwirklichung dieses Rechts zu unternehmenden Schritte umfassen fachliche und berufliche Beratung und Ausbildungsprogramme sowie die Festlegung von Grundsätzen und Verfahren zur Erzielung einer stetigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und einer produktiven Vollbeschäftigung unter Bedingungen, welche die politischen und wirtschaftlichen Grundfreiheiten des einzelnen schützen. 11 Lichtenberg, ZSR 1986,701 ff. (707); Mauer; S. 29 f. Zuleeg, RdA 1974, 321. A. A. HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. I Berufliche Bildung, Rn. 25. 12 Gesetz v. 23.11. 1973, BGBI. 11,1973, S. 1169. 13 Gern. Art 27 Abs. I IPwskR tritt der Pakt 3 Monate nach Hinterlegung der 35. Ratifikationsurkunde in Kraft. 14 Franzen, AR-Blattei SD, 920, Rn. 9; D/K/L-Kittner; S. 47 ff.; HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. I Berufliche Bildung, Rn. 25; Mauer; S. 31; Zuleeg, RdA 1974,321 ff. (324). 15 Echterhölter; BABI 1973, 496 ff. (499); kritischer in Bezug auf bereits bestehende Regelungen: Zuleeg, RdA 1974,321 ff. (332).
4*
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
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Eine veränderte Wirkung des IPwskR könnte sich ergeben, würde der Präambel stärkere Wirkung beigemessen. Nach ihr vereinbaren die Vertragsstaaten dieses Paktes die nachfolgenden Artikel: ,,[ ... ] Im Hinblick darauf, daß der einzelne gegenüber seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört, Pflichten hat und gehalten ist, für die Förderung und Achtung der in diesem Pakt anerkannten Rechte einzutreten-" Von dieser Aufforderung in der Präambel sind auch die Art. 6, 13 IPwskR umfaßt. Nach dem Wortlaut käme daher der gesamten IPwskR Drittwirkung ZU I6 , und Adressat der Regelungen könnten bezüglich der sie betreffenden Regelungen auch die Arbeitgeber sein. Dagegen spricht aber die von den Vertragsstaaten bewußt schwach gehaltene Durchsetzbarkeit des Paktes. 17 Dieser Charakter wäre durch eine Drittwirkung hervorrufende Präambel vollkommen verändert. Hinzu kommt, daß sich im eigentlichen Vertragstext stets nur die Vertragsstaaten als Partner verpflichten sollen und der einzelne nicht mehr erwähnt wird. 18 Außerdem könnten die als bloße Ziele ausgestalteten Vorschriften erst recht nicht gegenüber Privatpersonen zu einem konkreten Anspruch führen. Ebenfalls wäre unklar, ob der Wortlaut der Präambel auch die Arbeitgeber erfaßt, die als juristische Person auftreten, da die Präambel lediglich von "Mitmenschen" spricht. Letztlich muß eine Drittwirkung der Normen des IPwskR abgelehnt und die Bedeutung des Schlußsatzes der Präambel auf ein "feierliches Bekenntnis" ohne Rechtspflicht begrenzt werden. 19 Obwohl trotz innerstaatlicher Geltung und somit rechtlicher Verbindlichkeit der IPwskR Arbeitgeberpflichten oder sonstige zur Beschränkung der Arbeitgeberfreiheit führende Maßnahmen daraus nicht begründet werden können, verdeutlichen die Vorschriften die Bedeutung der Weiterbildung für den einzelnen und die Gesellschaft. III. Das 1. Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten20 Ein sehr allgemein gefaßtes Recht auf Bildung gewährleistet Art. 2 des 1.ZPEMRK, indem lediglich darin bestimmt ist, daß niemanden das Recht auf Bildung verwehrt werden darf. Das Zusatzprotokoll erweitert die bürgerlich-liberalen Grundrechte in der EMRK und entfaltet gern. Art. 5 des I. ZP-EMRK eine der EMRK entsprechende innerstaatliche Verbindlichkeit. 21 Das Recht auf Bil16
Zuleeg, RdA 1974,321 ff. (326).
Zur politischen Notwendigkeit dieses Zugeständnisses: Echterhälter; RdA 1974,496 ff. (496). 18 Zuleeg, RdA 1974,321 ff. (326). 19 Zuleeg, RdA 1974,321 ff. (326). 20 BGBI. 11,1956, S. 1880; UNTS Vo1.213 p. 262. Text in Sartorius 11 Nr. 131. 21 D/K/L-Däubler, S. 541. 17
§ 3 Regelungen zur Weiterbildung im Völker- und Europarecht
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dung ist negativ umschrieben und lediglich als Gewährleistung des Zugangs zu schon vorhandenen Bildungsmöglichkeiten zu verstehen. 22 Ein Anspruch auf eine konkrete Planung und Durchführung einer Bildungsmaßnahme ergibt sich wegen der unbestimmten Formulierung des Art. 2 S. 1 des 1. ZP-EMRK nicht. Anhaltspunkte für eine mittelbare Drittwirkung sind nicht erkennbar, so daß individuelle Beschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte lediglich wegen der staatlichen Nichtverwirklichung gern. Art. 34 des 11. ZPEMRK denkbar sind. Die rechtliche Wirkung reicht bezogen auf die Ausgestaltung des Rechts der Weiterbildung somit nicht weiter als die des Paktes für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte 23 und bestimmt die Verantwortung des Arbeitgebers bei der beruflichen Weiterbildung der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht näher.
IV. Europäische Sozialcharta24 Ein Recht auf Einrichtung einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme könnte durch die Europäische Sozia1charta (ESC), respektive Art. 10 Nr. 3 ESC, gewährt werden. Danach verpflichten sich die Vertragsparteien: "soweit notwendig, folgendes sicherzustellen oder zu fördern: a) geeignete und leicht zugängliche Ausbildungsmöglichkeiten für erwachsene Arbeitnehmer, b)besondere Möglichkeiten für die berufliche Umschulung erwachsener Arbeitnehmer, die durch den technischen Fortschritt oder neue Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt erforderlich wird,".
Dem Wortlaut nach liegt eine Verpflichtung zur Förderung der Weiterbildung in Form der Umschulung der Arbeitnehmer vor, für die zunächst geeignete Weiterbildungsmaßnahmen bereitgestellt werden müßten. Fraglich ist, in welcher Form die ESC gilt, also vor allem, ob und gegebenenfalls wie die Normen innerstaatliche Wirkung entfalten und ob auch Dritte zur Verwirklichung der Bestimmungen angehalten werden können. Die 1961 erlassene ESC wurde 1964 von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert25 und trat am 25. 2. 1965 in Kraft. 26 Im Vergleich zu anderen völkerrechtlichen Verträgen trifft sie sehr genaue Anordnungen. Zu ihrer Wirkung werden verschiedene Ansichten vertreten, wobei nicht immer deutlich 22 23
Norgarrd, EuGRZ 1981,633 ff. (633 f). HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Th. I Berufliche Bildung, Rn. 26; Mauer; S. 31.
Text in Nipperdey I Nr. 1152. Gesetz zur ESC, BGBI. II, 1964, S. 1262. 26 BGBI. II, 1965, S. 1122. Die Wirkung der ESC wurde seit 1961 mehrfach ergänzt und erweitert. Durch die Revidierte Fassung der ESC vom 3. 6. 1996 wurde sie vollständig erneuert, jedoch hat die Bundesrepublik Deutschland bisher keine dieser Änderungen ratifiziert, vgl. BT-Drucks. 13/11415, S. 12 ff. 24 25
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
wird bzw. bewußt keine Aussage darüber erfolgt27 , welche Art der Verbindlichkeit - völkerrechtliche oder innerstaatliche - vorliegen soll. Grund dafür ist wohl der Wortlaut des Teil III des Anhangs der ESC, in dem sie als Charta mit rechtlichen Verpflichtungen internationalen Charakters bezeichnet wird. Einig sind sich sowohl die Bundesregierung, als auch das Bundesverwaltungsgericht und der überwiegende Teil des Schrifttums, daß keine unmittelbare Anwendbarkeit der Vorschriften gegeben sein so1l28. Trotz der Bestimmtheit der Normen der ESC handelt es sich in erster Linie um eine rechtspolitische Zielsetzung, deren Umsetzung und Ausführung in nationales Recht sich die Vertragsstaaten vorbehalten haben. Aus der Regelung in Teil III des Anhangs zur Europäischen Sozialcharta i. Y.m. Art. 38, 21 ff. ESC ergibt sich, daß eine Kontrolle der Erfüllung des Vertrages lediglich durch einen vom Ministerkomitee ernannten Sachverständigenausschuß erfolgt, welcher die Erfüllung des Vertrages überwacht, ohne ernsthafte Sanktionen vorzusehen. 29 Diese - zugegebenermaßen sehr schwache Kontrolle - geht der Anwendungskontrolle durch die nationalen Gerichte vor. Größere Bedeutung entfaltet die ESC aber als Auslegungsregel. So müssen sich die nationalen und europäischen Richter bei der Anwendung des Rechts an die Regeln halten, um die als verbindlich akzeptierten völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht zu verletzen. 30 Ungeklärt ist dabei bisher, wie sich eine Empfehlung des Ministerkomitees gern. Art. 29 ESC auf eine Auslegung nationalen Rechts auswirkt?1 Da es eine solche bezüglich Art. 10 Nr. 3 ESC jedoch (noch) nicht gibt, ist der Frage an dieser Stelle nicht weiter nachzugehen. Ansprüche kann der einzelne aus der ESC jedenfalls nur herleiten, wenn eine schon bestehende nationale Norm der ESC konform auszulegen ist.
27 BVerfG - 1 BvR 404/78 - v. 20. 10. 1981 unter B. I. 5. b) der Gründe, AP Nr. 31 zu § 2 TVG; BAG - 1 AZR 342/83 - v. 12. 9. 1984 unter B. 11. 2. c) der Gründe, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 28 BT-Drucks. 13/11415, S. 15; so auch schon die damalige Bundesregierung in der Denkschrift zum Entwurf der ESC, BT-Drucks. IV /2117, S. 28; BVerwG - 7 C 12.92 - v. 18. 12. 1992 unter 2. der Gründe, AP Nr. 1 zu Art. 16 ESC; MünchArbR/ Birk § 17 Rn. 98; Konzen, JZ 1986, 157 ff. (162); MünchArbR/Otto § 284 Rn. 54; Zuleeg, EuGRZ 1992, 329 ff. (330) m. w. N. A. A. HzA-Bengelsdoif, Gr. 9 Tb. 1 Berufliche Bildung, Rn. 29. der lediglich völkerrechtliche Verbindlichkeit annimmt. 29 BVerwG - 8 B 3/96 - v. 5. 3. 1996, ZKF 1997, 110 ff.; -7 C 12.92 - v. 18. 12. 1992 unter 2. der Gründe, AP Nr. 1 zu Art. 16 ESC; Zuleeg, RdA 1974, 321 ff. (324). 30 BVerfG - I BvR 1213/85 - v. 2. 3. 1993 unter A. III. 2. der Gründe, BVerfGE 88, 103 ff.; weitergehend auch die Ausfüllung von Lücken zulassend: BAG - 1 AZR 342/83 - v. 12. 9. 1984 unter B. 11. 2. c) der Gründe, AP Nr. 81 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Zuleeg, EuGRZ 1992, 329 ff. (330); vgl. auch MünchArbR/ Otto § 284 Rn. 54 m. w. N. 31 Am Beispiel des Art 6 Nr. 4 ESC; Ablehnung der Empfehlung durch die Bundesregierung, BT-Drucks. 13/11415, S. 17 f.; kritisch dazu: Däubler, AuR 1998, 144 ff. (145 ff. und 148).
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V. Vereinbarungen der Internationalen Arbeitsorganisation Die Internationale Arbeitsorganisation IA0 32 besitzt für das internationale Arbeitsrecht überragende Bedeutung. Die Übereinkommen werden von einer internationalen Konferenz aus Vertretern der Regierung und der Sozialpartner gern. Art. 19 Nr. 1, 2 IAO-Verfassung mit einer Mehrheit von 2/3 beschlossen. Innerstaatliche Geltung erlangen sie nach Ratifizierung des jeweiligen Staates. 33 Deutschland ratifizierte unter anderem auch die einen Bezug zur Weiterbildung habenden Übereinkommen "Bildungsurlaub" Nr. 14034 , "Berufsberatung und Berufsbildung im Rahmen der Erschließung des Arbeitskräftepotentials" Nr. 142 35 sowie "Berufliche Rehabilitation und Beschäftigung Behinderter" Nr. 15936. In Art. 2 des Übereinkommens Nr. 142 "Berufsbildung und Berufsberatung" heißt es: [ ... ] hat jedes Mitglied offene, anpassungsfähige und einander ergänzende Systeme des allgemeinen und berufsbildenden Unterrichts [ ... ] und der Berufsbildung zu erarbeiten und zu entwickeln, ohne Rücksicht darauf, ob diese Systeme innerhalb oder außerhalb des Schulsystems ausgeübt werden.
Die Staaten sollen sich demzufolge um Systeme der Berufsbildung bemühen. Außer Betracht gelassen, daß die Bundesrepublik Deutschland der - nicht unumstrittenen - Ansicht ist, diesem Ziel bereits nachgekommen zu sein 37 , ist die Formulierung in Art. 2 IAO-Übereinkommen Nr. 142 jedenfalls nicht konkret genug, um subjektive Rechte der Arbeitnehmer oder Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers daraus abzuleiten. Auch der auf Art. 2IAO-Übereinkommen aufbauende Art. 4, der eine Erweiterung der bestehenden Systeme fordert, kann keine Individualrechte begründen. Denn obgleich Art. 5 des Übereinkommens die Zusammenarbeit der Vertrags staaten mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden sowie sonstigen möglichen Partnern vorsieht, wird für diese keine alleinige Verantwortlichkeit festgelegt. Somit kann auch das Übereinkommen Nr. 142 keine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einleitung einer Weiterbildungsmaßnahme begründen. Durch IAO-Übereinkommen Nr. 159 soll die berufliche Rehabilitation behinderter Arbeitnehmer in den einzelnen Mitgliedsländern verbessert werden, um Behinderten zu ermöglichen, eine geeignete Beschäftigung zu finden und beizubehalten sowie beruflich aufzusteigen (Art. 1 Abs. 2). Eine Pflicht des einzelnen Arbeitgebers, für die in seinem Betrieb eingestellten Behinderten Rehabilitationsmaßnahmen durchzuführen, kann sich aus den Regelungen des Übereinkommens nicht ergeben. Erstens richten sie sich an die Mitgliedsländer und zweitens sind sie für 32 33 34 35
36 37
Die englische Bezeichnung ist International Labour Organisation (ILO). LeinemannlSchütz, ZfA 1994, 1 ff. (12); MünchArbR/ Birk § 17 Rn. 49. V. 24. 6. 1974, BGBI. II, 1976, S. 1526; Text in: D/K/L Nr. 236. V. 23. 6. 1975, BGBI. II, 1980, S. 1370; Text in: BT-Drucks. 8/3550,6 ff. V. 20. 6. 1983, BGBI. II, 1983, S. 170; Text in: BT-Drucks. 11/1953,6 ff. Denkschrift zum Übereinkommen, BT-Drucks. 8/3550, S. 11.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
eine Anspruchsbegründung nicht bestimmt genug. Von der Bundesrepublik Deutschland bereits erlassene und diese Forderungen umsetzende Normen zur Rehabilitation Behinderter befinden sich beispielsweise im SGB III.
VI. Ergebnis der Bedeutung der völkerrechtlichen Bestimmungen
Die Untersuchung der bestehenden völkerrechtlichen Normen ergab zweierlei. Zum einen ist unverkennbar, daß es einige Normen des internationalen Arbeitsrechts gibt, die Bezüge zur betrieblichen Weiterbildung aufweisen. Andererseits stellt auch nach der notwendigen Ratifikation keine dieser Normen ein self executing - also unmittelbar anspruchs begründendes - Gesetz dar. Sie dienen vielmehr in erster Linie dazu, ausführende Gesetze im nationalen Recht anzuregen und sind Auslegungshilfe für schon bestehende Normen.
B. Bestimmungen des Rechtes der Europäischen Gemeinschaft Während die völkerrechtlichen Regelungen in erster Linie Wert auf die Erhaltung der Souveränität der Staaten legen, ist das Recht der Europäischen Gemeinschaft als supranationales Recht in die Rechtsordnung aufgenommen und hat als solches einen grundsätzlichen Anwendungsvorrang vor nationalem Recht. 38 Die europarechtliche Rechtssetzung hat demnach sowohl zwischen Staat und Bürger als auch zwischen Privaten ungleich mehr Einfluß auf die nationalen Beziehungen. Obwohl die europäische Einigung ursprünglich primär auf eine wirtschaftliche Gemeinschaft ausgerichtet war, lassen sich immer mehr sozialrechtliche Bestimmungen im EG finden. Das Bestreben um eine Rechtsvereinheitlichung der EGMitgliedsländer umfaßt mittlerweile eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Regelungen und dabei auch die Aus- und Weiterbildung betreffende.
I. Primärrecht
Das Europäische Gemeinschaftsrecht läßt sich in Primärrecht und Sekundärrecht unterteilen. Zum durch die Mitgliedstaaten geschaffenen Primärrecht werden das Recht der Gemeinschaftsverträge, das Gemeinschaftsgewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze gezählt. 39 Für die vorliegende Frage eventuell bedeutsame bildungspolitische Ansätze lassen sich weder im Gemeinschaftsgewohnheits38 Unter Supranationalität versteht man das Recht einer internationalen Organisation, in vormals souveränen Bereichen der Mitgliedstaaten, selbst Recht zu setzen und diese dadurch zu verpflichten; Schweitzer/Hummer, Rn. 872. 39 EAS-Haedrich, B 1000, Rn. 31; Schiek, S. 32.
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recht noch in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen finden. Zu untersuchen bleibt aber, ob Bestimmungen aus dem EG-Vertrag40, aus welchem sich auch unmittelbare Verpflichtungen ergeben können, ebenfalls zu Individualansprüchen der Arbeitnehmer oder zu Beschränkungen des Arbeitgebers bei der Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen führen können. Eine unmittelbar verpflichtende Wirkung gegenüber Dritten ist anerkannt bei den vier Grundfreiheiten des gemeinsamen Marktes, möglich aber auch bei erst später als unmittelbar wirkenden und somit als Grundrechte der Gemeinschaft akzeptierten Vorschriften, wie der Gleichbehandlung von Mann und Frau gern. Art. 141 EG41 • Das gilt jedoch nicht für alle Normen des EG. Neben direkt anwendbaren Vorschriften gibt es Kompetenznormen für die Setzung von Sekundärrecht und normierte Zielvorstellungen der Gemeinschaft. Inhaltlich die Bildung betreffend und somit für die vorliegende Untersuchung relevant sein, können nur die die Beschäftigungspolitik der Gemeinschaft betreffenden Art. 125 ff. EG, die soziale Fragen regelnden Art. 136 ff. EG sowie die Art. 149 f. EG, die die allgemeine und berufliche Bildung zum Gegenstand haben. Bildungspolitische Aussagen treffen außerdem die Präambel und der Grundsätze der Tätigkeit der Europäischen Gemeinschaft aufführende Art. 3 EG. Dem Primärrecht zuzurechnen und ebenfalls auf ihre Wirkung zu untersuchen ist die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte.
1. Beschäjtigungspolitik gern. Artt. 125 Jf. EG
Die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik soll durch den neu in den Vertrag von Amsterdam eingefügten Titel über die Beschäftigung besser koordiniert werden. In Art. 125 EG werden Zielvorstellungen zur Verbesserung der Beschäftigung benannt. Darunter befindet sich das Ziel, mehr Beschäftigung durch Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer zu erreichen. Die Vorschriften der Art. 125 ff. EG sind vor allem als Ziele für eine zukünftige Gemeinschaftspolitik und nur zum Teil als der Gemeinschaft Kompetenzen überlassende Normen ausgestaltet42 , weswegen sich Rechte einzelner nicht daraus ableiten lassen. Trotz der eindeutigen Zielbestimmung für das Handeln der Gemeinschaft in Art. 125 EG bleibt die Zuständigkeit für die Beschäftigungspoli-
40 Ohne Zusatz handelt es sich bei der Bezeichnung EG im folgenden immer um Normen des Vertrages der Europäischen Gemeinschaft in der seit 1. 5. 1999 gültigen Fassung von Amsterdam. Die auf dem Vertrag von Maastricht beruhenden Normen werden mit EG-Vertrag gekennzeichnet. Vgl. zu dem Zitiervorschlag: JuS 2000, 99 f. (100). 41 Vgl. die Rechtsprechung zu Art. 119 EG-Vertrag Getzt Art. 141 EG). Begonnenen mit EuGH - Rs 43/75 (Defrenne 11) - v. 8. 4. 1976, Slg. 1976, 455 ff., wurde Art. 119 EG-Vertrag als gegenüber jedermann unmittelbar anwendbare Norm anerkannt. Dazu auch Junker; JZ 1994, 277 ff. (281). 42 Callies/Ruffert-Krebber, Art. 125 EG Rn. 4 f.; Coen in: Lenz, EG-Vertrag, Vorbem. Art. 125-130 EG Rn. 7 f.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
tik hauptsächlich bei den Mitgliedstaaten. 43 Das ergibt sich zum einen aus Art. 126 EG, wonach die "Mitgliedstaaten [ ... ] durch ihre Beschäftigungspolitik im Einklang mit [ ... ] Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft zur Erreichung der in Art. 125 genannten Ziele" beitragen (Abs. 1). Gemäß Abs. 2 betrachten die "Mitgliedstaaten [ ... ] die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamen Interesse und stimmen ihre diesbezüglichen Tatigkeiten ... im Rat aufeinander ab, wobei einzelstaatliche Gepflogenheiten in bezug auf die Verantwortung der Sozialpartner berücksichtigt werden.". Noch deutlicher wird diese Grundzuständigkeit jedoch in Art. 127 Abs. 1 EG, nach welchem die Gemeinschaft die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten lediglich fördern und unterstützen, die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten dabei aber als eigene Handlungsgrenze stets beachten soll. Nur bei Erforderlichkeit einer Ergänzung der Beschäftigungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten (Art. 127 Abs. 1 S. 1 letzter HS EG) darf die Gemeinschaft tätig werden. Aussagen über eine Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbildung, ergeben sich aus den Art. 125 ff. EG nicht. Diese Vorschriften können aber notwendige Voraussetzung für sekundärrechtliche Bestimmungen sein. Zusätzlich sind sie als Auslegungsregeln für das Sekundärrecht und andere Regeln des EG stets heranzuziehen. 44 2. SozialvorschriJten gem. Artt. 136ff. EG
Auffallend ist die erhebliche Erweiterung der Sozialvorschriften in den Art. 136 ff. EG gegenüber den Art. 117 ff. EG des Vertrages von Maastricht. Das läßt sich hauptsächlich auf die Integration der Vorschriften des Sozialabkommens von Maastricht nach Anerkennung durch Großbritannien zurückführen. Abgesehen davon gab es inhaltlich nur wenige Erweiterungen gegenüber den prinzipiell schon bei Abschluß des Maastrichter Abkommens feststehenden Regelungen. 45 In Art. 136 EG werden Ziele genannt, die auf eine Verwirklichung der sozialen Grundrechte der ESC46 und der "Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989,,47 gerichtet sind. Danach nehmen sich die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten vor, die Beschäftigung zu fördern und das Arbeitskräftepotential im Hinblick auf eine dauerhaft hohe Beschäftigung zu entwickeln (Art. 136 EG). Obwohl konkrete Ziele benannt sind, ist die Aufzählung nur pro43 Callies/Ruffert-Krebber, Art. 125 EG Rn. 3; eoen in: Lenz, EG-Vertrag, Vorbem. Art. 125 -130 EG Rn. 10. 44 eoen, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 136 Rn. 5; Zuleeg, EuGRZ 1992, 329 ff. (331 ff.). 45 Callies/Ruffert-Krebber, Art. 137 EG, Rn. 4. Die Entwicklung wesentlich günstiger beurteilend, eoen, in: Lenz, EG-Vertrag, Vorbem. Art. 136-145, Rn. 3. 46 Dazu schon unter § 3 A IV I S. 53 f. 47
Dazu unter § 3 B I 5 / S. 62 f.
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grammatisch, ohne dem einzelnen einen Anspruch auf die Einhaltung der erwähnten sozialen Grundrechte bzw. den dazu benannten Vorstellungen ermöglichen zu wollen und zu können. 48 Nicht anders ist der sich auf Art. 136 EG beziehende Art. 140 EG zu verstehen. 49 Der Gemeinschaft kommt lediglich eine koordinierende Funktion mit dem Ziel zu, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu erleichtern. 50 Eine Richtlinienkompetenz stellt Art. 137 Abs. 2 EG dar. Fraglich ist, ob darauf gestützte, mögliche Sekundärrechte auch die Bildungspolitik und die Verpflichtung des Arbeitgebers zu Weiterbildungsmaßnahmen erfassen könnten. Nach Art. 137 Abs. 1 4. Spiegel strich können unterstützende Regelungen zur Tätigkeit der Gemeinschaft bei der beruflichen Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Personen erlassen werden. Die hier erfolgende Untersuchung beschränkt sich jedoch auf Aufgaben des Arbeitgebers bei der Weiterbildung, setzt also ein bestehendes Arbeitsverhältnis voraus. Sekundärnormen aufgrund dieser Kompetenz können keine für die Untersuchung relevanten Pflichten der Arbeitgeber begründen. Nach der Bestimmung unter Abs. 3 5. Spiegelstrich kann die Gemeinschaft finanzielle Beiträge zur Förderung der Beschäftigung beschließen und somit theoretisch auch die Weiterbildung zur Sicherung der Beschäftigung finanziell unterstützen. Jedoch können Beschlüsse gern. Art. 137 Abs. 3 EG nur einstimmig gefaßt werden. Dies ist bislang noch in keinem Fall geschehen. 51 Die Sozialvorschriften des EG in der Fassung von Amsterdam haben trotz der inhaltlichen Erweiterung gegenüber denen des Vertrages von Maastricht keine unmittelbare Bedeutung für die Durchführung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen. Bedeutung erlangen sie bei der Auslegung anderer Vertragsvorschriften und des sekundären Gemeinschaftsrechts im Sozialbereich. 52 Außerdem sind sie Anzeichen dafür, daß die Weiterbildung auch auf europäischer Ebene zunehmend an Bedeutung gewinnt. 3. Berufliche Bildung gemäß Artt. 149, 150 EG
a) Art. 149 EG Die europarechtlichen Spezialvorschriften zur beruflichen Bildung sind die Artt. 149, 150 EG. Streitig ist, ob Art. 149 EG nur die allgemeine Bildung betrifft, also das Schulwesen und - dies ist ebenfalls streitig53 - das Hochschuleoen, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 136 Rn. 5. eoen, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 140 Rn. 1. 50 eoen, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 140 Rn. 2. 51 eoen, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 137 Rn. 31. 52 EuGH, - Rs 126/86 (Zaera) - v. 29. 9.1987, EAS EG-V Art. 117 Nr. 1 Rn. 14; - Rs C72/91 (Sloman Neptun Schiffahrts-AG) - v. 17.3. 1993, EAS EG-V Art. 117 Nr. 2 Rn. 26. 53 Zum Streitstand: Grabitz/ Hilf-Blanke (Maastrichter Fassung), Art. 126, 127 EGV Rn. 5 f. m. w. N.; Fischer, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 149 Rn. 3 m. w. N. 48 49
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wesen 54 oder auch die berufliche Bildung. 55 Beträfe Art. 149 EG auch die berufliche Bildung, wäre er als Generalnorm für das Bildungswesen zu verstehen, die im Anwendungsbereich von Art. 150 EG für die berufliche Bildung als lex specialis verdrängt würde. Dem Wortlaut ist nicht zu entnehmen, daß Art. 149 EG nur für die allgemeine Bildung im Sinne der Schulbildung gelten soll. Während Art. 150 EG von "beruflicher Bildung" spricht, wird in Art. 149 EG lediglich der Ausdruck "Bildung" verwendet. Das sagt aber nichts darüber aus, ob Bildung allgemein, also im Sinne genereller Bildung, oder allgemeine (Schul)Bildung erfaßt sein soll. Auch die teleologische Betrachtung ergibt nicht, warum nur im Rahmen der "allgemeinen" Bildung gern. Art. 149 EG die Entwicklung der europäischen Dimension und damit vor allem das Erlernen anderer europäischer Sprachen gefördert werden soll. Gerade das in der Einleitung zu dieser Arbeit dargestellte Beispiel 156 , in welchem Sprachkurse zur Verständigung mit den belgisehen Kollegen erforderlich werden, macht die Unerläßlichkeit einer Sprachförderung auch im beruflichen Umfeld deutlich. Ebenso verhält es sich beispielsweise mit der Förderung der Fernlehre (Art. 149 Abs. 2 6.Spiegelstrich), die ohne Grund der beruflichen Bildung gern. Art. 150 EG vorenthalten werden würde. Die Beispiele lassen die Notwendigkeit einer weiten Auslegung des Begriffes der allgemeinen Bildung erkennen, zumal die Kompetenzen in den Artt. 149 f. EG abschließend sind57 . Art. 149 EG erfaßt somit die Bildungspolitik generell und ist als eine für die berufliche Bildung beachtliche Vorschrift anzusehen. Die rechtliche Wirkung des Art. 149 EG wird jedoch durch das Harmonisierungsverbot58 in Art. 149 Abs. 4 EG erheblich eingeschränkt. Danach dürfen keine mitgliedstaatlichen Maßnahmen erlassen werden, die auf eine Harmonisierung der Bildungspolitik ausgerichtet sind. Vielmehr dürfen sie lediglich unverbindlich unterstützt, ergänzt oder gefördert (Abs. 1) werden. Die Ziele des Art. 149 EG dürfen somit nur anhand von Empfehlungen und Fördermaßnahmen verwirklicht werden. 59 Empfehlungen legen dem jeweiligen Adressaten ein bestimmtes Verhalten nahe, sind aber gern. Art. 249 Abs. 5 EG nicht verbindlich. Fördermaßnahmen definiert der Vertrag der Europäischen Gemeinschaft (EG) nicht, der Europarat bezeichnet sie als Gemeinschaftsmaßnahmen zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten oder zur Unterstützung und Ergänzung ihres Handelns in den betreffenden Bereichen. Wesentliches Element der Förderung von Calliesl Ruffert-Krebber, Art. 149 EG, Rn. 9 m. w. N. FeuchtofenlBrackmann, RdJB 1992,468 ff. (471 f.); SchweitzerlHummer, Rn. 1335; Seidel! Beck, Jura 1997, 393 ff. (396 f.). 56 Vgl. 1. Teil § 1 A / S. 26. 57 Dittmannl Fehrenbacher, RdJB, 1992,478 ff. (484); Grabitzl Hilf-Blanke (Maastrichter Fassung), Art. 126, 127 EG Rn. 17; SchweitzerlHummer, Rn. 1633. 58 Umfassend dazu und zu weiteren Nachweisen DittmannlFehrenbacher, RdJB, 1992, 478 ff. 59 DittmannlFehrenbacher, RdJB 1992,478 ff. (483). 54 55
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Gemeinschaftsmaßnahmen ist meist die finanzielle Unterstützung zur Erreichung der bildungspolitischen Ziele. 6o Häufigste bzw. am stärksten beachtete Maßnahmen sind die Aktionsprogramme, wie beispielsweise ERASMUS oder PETRA, die auf Beschlüssen des Rates beruhen, von der Kommission durchgeführt und der Gemeinschaft finanziert werden. 61 In Anbetracht der Ausgangsfrage, ob der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen Weiterbildungsmaßnahmen für seine Arbeitnehmer bereitzustellen hat, oder ob ihm eine bestimmte Verantwortung zugewiesen wird, muß der Einfluß der nach Art. 149 EG zulässigen und gerade gewollten Empfehlungen oder Fördermaßnahmen auf die Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen untersucht werden. So hat die Tätigkeit der Gemeinschaft gern. Art. 149 Abs. 2 l.Spiegelstrich das Ziel, die europäische Dimension des Bildungswesens durch Erlernen der Sprache zu fördern. Jedoch kann sich daraus eine Pflicht des Arbeitgebers, dieses Ziel durch Einführen eines Sprachkurses für seine Mitarbeiter zu verwirklichen, nicht ergeben. Ungeachtet der Frage, ob auch Sprachkurse aus betrieblicher Notwendigkeit von Art. 149 EG erfaßt sind, können sich unmittelbare Folgen schon deshalb nicht ergeben, weil Art. 149 EG gerade keinen verbindlichen Charakter hat. Eine direkte Anwendbarkeit, vergleichbar mit Art. 141 EG (jetzt noch deutlicher als noch der frühere Art. 119 EGV), liegt nicht vor und auch abgeleitete Verpflichtungen sind wegen der bloß unterstützenden und mitgestaltenden Funktion nicht möglich. b) Art. 150 EG Art. 150 EG ist lex specialis zu Art. 149 EG und die speziellste Norm des Vertrages der Europäischen Gemeinschaft zur beruflichen Bildung. In Abs. 1 wird klargestellt, daß die Gemeinschaft eine Politik der beruflichen Bildung verfolgt, die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützen und ergänzen soll. Absatz 2 zählt die Ziele und die einzig zulässigen Gebiete unterstützender Tätigkeit abschließend auf. 62 Den Handlungsinstrumenten des Art. 149 EG vergleichbar, können Maßnahmen und Empfehlungen auch im Rahmen der beruflichen Bildung wegen des ebenfalls bestehenden Harmonisierungsverbotes nur rechtlich unverbindlichen Charakter haben. Zwar spricht Abs. 2 l.Spiegelstrich vom Ziel der Erleichterung der Anpassung an industrielle Wandlungsprozesse, insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung, doch kann sich ein einzelner weder darauf berufen noch können die Staaten aufgrund dessen zum Bereitstellen einer geeigneten Maßnahme aufgefordert werden. Drittwirkung gegenüber einem Arbeitgeber ist somit erst recht abzulehnen.
61
Vgl. Schwarze-Simm, Artt. 149, 150 EG Rn. 30 ff. Seidel/Reck, Jura 1997, 393 ff. (400); Staudenmayer; BayVBI. 1995, 321 ff. (324
62
Fischer; in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 150 Rn. 4; Schweitzerl Hummer; Rn. 1633.
60
m.w.N.).
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4. Präambel und Art. 3 EG
Neu in die Präambel aufgenommen wurde die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten, "durch umfassenden Zugang zur Bildung und durch ständige Weiterbildung auf einen möglichst hohen Wissensstand der Vdlker hinzuwirken". Die Aufnahme in die Themenbestimmung des EG markiert die steigende Bedeutung der Weiterbildung. Jedoch ist unstreitig, daß die Präambel lediglich Auslegungshilfe für den Vertragstext ist, ohne daß einzelne Rechte daraus abgeleitet werden können. 63 Ebenfalls eher beschreibender Natur ist Art. 3 EG. Hier werden die Themen aufgezählt, denen sich die Politik der Gemeinschaft widmet, wodurch der Befugnisbereich des Art. 308 EG eingegrenzt werden sol1. 64 Direkte Anwendung findet Art. 3 EG nicht und kann auch keine neuen Erkenntnisse für die Auslegung der bereits benannten Normen des Vertrages der Europäischen Gemeinschaft bringen.
5. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer65
Die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte, die die im EG nur teilweise festgelegten sozialen Ziele umfassender bestimmt, wird ebenfalls dem Primärrecht zugeordnet. 66 Sie legt in den einzelnen Artikeln arbeits- und sozialrechtliche Mindeststandards fest, deren Geltung von der Gemeinschaft angestrebt wird, ohne daß sie als verbindliches Recht der EG gilt. 67 Trotzdem bestimmt Titel I Nr. 15 Abs. 2 der Charta, daß: ,,[ ... ] die Unternehmen [ ... ] in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Voraussetzung für eine Fort- und Weiterbildung schaffen, die es jedem ermöglicht [ ... ] sich weiterzubilden und vor allem im Zuge der technischen Entwicklung neue Erkenntnisse zu erwerben."
Obwohl die europäischen Normen sonst vor allem die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner ansprechen, werden hier im Rahmen bildungspolitischer Ziele direkt die Unternehmer in die Verantwortlichkeit für die Weiterbildung einbezogen. Für die Gemeinschaft ist es somit nicht undenkbar, die Unternehmer zur Gewährlei63 Lenz. in: Lenz, EG-Vertrag, Präambel Rn. 1; Schwarze-Schwarze. Präambel EGV m.w.N. 64 Lenz. in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 3 Rn. 2. 65
Vom 9.12.1989, KOM (89) 248, endg. Text in: D/K/L, Nr. 409; Sartorius 11 Nr. 190.
Vgl. EAS-Haedrich. B 1000 Rn. 32; A. A. offensichtlich Däubler; der die ESC in seiner kommentierten Textsammlung dem sekundären Gemeinschaftsrecht zuordnet. Letztlich ist die formale Zuordnung unbeachtlich, da daraus keine konkreten Rechtswirkungen abgeleitet werden können. 67 EAS-PreisIBütejisch. B 1100 Rn. 11; MünchArbRI Birk § 18 Rn. 81; Schweitzerl Hummer; Rn. 1522. 66
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stung einer hohen Bildung und Anpassungsfahigkeit durch fortwährende Weiterbildung zu verpflichten. Zwar führt diese Idealvorstellung allein noch nicht zu individuellen Rechten der Arbeitnehmer, aber sie ist politischer Anstoß für Aktionsprogramme, die wiederum die Umsetzung der Ziele durch Richtlinien zur Folge haben. So geht beispielsweise auch die Richtlinie über die Einsetzung der europäischen Betriebsräte ursprünglich auf die Gemeinschaftscharta zurück. 68 Wegen der von Artt. 149 f. EG sehr eng gesetzten Grenzen ist jedoch fraglich, ob die Gemeinschaftscharta ähnliche Erfolge in bezug auf die beruflich Bildung haben kann. Zukünftig müssen zugunsten einer stärkeren Regelung der Weiterbildung gerade diese Beschränkungen ausgelotet werden, und die Gemeinschaft ist gehalten, gegebenenfalls auch gegen den Willen der Mitgliedstaaten, der Gemeinschaftscharta zu größtmöglicher Wirkung zu verhelfen. Ob das teilweise schon gelungen ist und wie sich die Gemeinschaftscharta als Auslegungsregel auswirkt, ist Bestandteil späterer Betrachtungen69 . 6. Ergebnis zu primärrechtlichen Regelungen
Die primärrechtlichen Vorschriften zur Bildung können keine unmittelbaren Ansprüche der Arbeitnehmer bezüglich Pflichten der Arbeitgeber begründen. Selbst als Kompetenznormen sind sie wegen des bestehenden Harmonisierungsverbotes nur begrenzt wirksam. Gleichwohl sind die Vorschriften nicht überflüssig. Die Erweiterung des ursprünglichen Art. 128 EG in der Maastrichter Fassung des EG zeigt, daß sich die Gemeinschaft der Wichtigkeit einer gemeinsamen Bildungspolitik bewußt und trotz Vorbehalten aus den Mitgliedstaaten bereit ist, sie mit dem Ziel einer qualitativ hochstehenden Bildung in der Gemeinschaft auszubauen. Wegen des Verbotes verbindlicher Rechtssetzung durch die Gemeinschaft, können die Mitgliedstaaten nur aufgrund des Prinzips der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG) zur Unterstützung verpflichtet sein. Eine solche Pflicht liegt immer dann vor, wenn die Gemeinschaft eine ergänzende oder unterstützende Maßnahme einleitet, sie für ihre wirksame Entfaltung aber durch die Mitgliedstaaten mit ausgeführt werden muß. Allerdings bezieht sich die Gemeinschaftstreue nur auf unterstützende Tätigkeiten und Unterlassen von vertragsgefährdenden Maßnahmen. Beides kann nicht zu einer Pflicht zur Bereitstellung von Weiterbildungsmaßnahmen durch die Arbeitgeber führen. Hinzu kommt, daß durch die Gemeinschaftstreue allein die Mitgliedstaaten und nicht Dritte verpflichtet werden. 7o Im Vordergrund der Regelungen steht also nicht die harmonisierende, sondern die koordinierende Funktion des Gemeinschaftsrechts. Bedeutung entfalten die Weitere Nachweise EAS, PreislBütefisch, Rn. 11 und Fn. 13. Zunächst wird unter 11. I S. 64 ff. auf das Sekundärrecht eingegangen, Auslegungsgesichtspunkte sind aber auch im nationalem Recht immer wieder einzubeziehen. 70 Lenz, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 10 Rn. 9. 68 69
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Normen daher vor allem als Auslegungsgrundsätze für nationale Normen. Trotz dieser zunächst als nicht sehr schlagkräftig zu erachtenden Wirkung, ist schon die Tatsache, daß es mittlerweile soziale und bildungspolitische Regelungen gibt, ein Erfolg. Auch Art. 119 EWG Vertrag fristete 20 Jahre lediglich ein Dasein als (wettbewerbsrechtliche) Zielbestimmung bevor der EuGH ihm unmittelbare Wirkung zuerkannte. 71 Diesen Erfolg hätte Frau Defrenne72 20 Jahre zuvor nicht erreichen können. Die Zeit und die in allen Bereichen zunehmenden Regelungen der Gleichberechtigung von Mann und Frau führten zu einer Änderung der Wirkung der Norm. Eine vergleichbare Entwicklung kann durchaus auch bei den bildungpolitischen Regelungen möglich sein, zumal die Regelungsdichte in diesem Bereich in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Im Ergebnis ist die explizite Erwähnung der beruflichen Bildung positiv zu bewerten. Zwar ist das einerseits ein Zeichen dafür, daß die Bildungspolitik bei den einzelnen Staaten verbleibt, andererseits zeigt es aber auch, daß die Europäische Gemeinschaft die berufliche Weiterbildung als wichtig ansieht und die sich ihr bietenden Spielräume bei der Ausgestaltung nutzen will. Vor allem kann für die berufliche Weiterbildung, welche im Gegensatz zur allgemeinen Bildung auf kein sehr ausgeprägtes Netz von gesetzlichen Vorschriften verweisen kann73, VOn Beginn an auf größere Vereinheitlichung gedrängt werden. 11. Sekundäres Gemeinschaftsrecht Bedeutendste Rechtsquelle des europäischen Gemeinschaftsrechts ist das sogenannte Sekundärrecht. Dessen rechtliche Wirkung hängt davon ab, ob es sich um Richtlinien und Verordnungen, also verbindliches Recht oder um unverbindliches Recht, sogenanntes "soft law", in Form von Empfehlungen, Stellungnahmen, Entschließungen, etc. handelt. Wegen des im bildungs- und beschäftigungspolitischen Bereich bestehenden Harmonisierungsverbotes betreffen nur wenige Richtlinien und Verordnungen die berufliche Bildung. Bezogen auf die Frage, ob der Arbeitgeber eine Weiterbildungsmaßnahme bereitzustellen hat, ist keine dieser Regelungen thematisch einschlägig. Das ist folgerichtig, weil es Kompetenzprobleme gäbe, sobald die im Primärrecht festgeschriebene Souveränität der Mitgliedstaaten in diesem Punkt eingeschränkt wäre. Jedoch befinden sich Unter den lediglich politisch beachtlichen Empfehlungen, Stellungnahmen sowie Weiß- und Grünbüchern verschiedene Vorstellungen über die Ausgestaltung des Bildungssystems. Relativ 71 Vgl. die Rechtsprechung zu Art. 119 EG-Vertrag (jetzt Art. 141 EG). Begonnenen mit EuGH - Rs 43/75 (Defrenne 11) - v. 8. 4. 1976, Slg. 1976, 455 ff. EAS Teil C, Art. 119 EG Nr. 2 Rn. 4 ff., 40, wurde Art. 119 EG als unmittelbar anwendbare Norm anerkannt. Schwarze-Rebhahn, Art. 141 EG Rn. 8 m. w. N. 72 So der Name der belgischen Stewardeß, die die SABENA-Fluggesellschaft verklagte und damit maßgeblich zur Rechtsprechungsentwicklung beitrug. 73 Das gilt nicht nur für Deutschland sondern auch für andere EG-Länder. Vgl. dazu Brandsma, S. 24 ff.
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§ 3 Regelungen zur Weiterbildung im Völker- und Europarecht
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allgemein beschäftigt sich das Weißbuch mit dem Titel: "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung - Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert" mit dem Problem der Anpassung der Bildungssysteme und den Zielen für eine Reform in den Mitgliedstaaten. 74 Die Mitgliedstaaten erkannten dem Weißbuch zufolge die Notwendigkeit der Anpassung und des Ausbaus der beruflichen Bildung an. 75 Als allgemeines Ziel streben sie die Einbindung des Privatsektors in die Entwicklung der Berufsausbildungssysteme an. 76 Die Unternehmer sollen für die berufliche Bildung mitverantwortlich gemacht werden und geeignete gesetzliche und steuerliche Anreize die Mitwirkung unterstützen. 77 Europarechtliche Entschließungen, Empfehlungen, Schlußfolgerungen, etc. beschäftigen sich mit einzelnen, als besonders dringlich erachtenden Regelungen, wie der Gleichberechtigung von Mann und Frau 78 oder dem erleichterten Zugang von Frauen zur Weiterbildung 79 . Der Beantwortung der Frage, wer die als dringlich erachteten Weiterbildungsmaßnahmen bereitstellen muß, kommt die Empfehlung 93 / 404 / EWG am nächsten 80. Darin empfiehlt der Rat der Gemeinschaft, daß die Mitgliedstaaten Maßnahmen mit dem Ziel ergreifen sollen, die Unternehmer zu ermutigen, die Entwicklung der betriebs- und beschäftigtenspezifischen Weiterbildung zu fördern (11.3 der Empfehlung). An die Gemeinschaft gewandt, erhofft der Rat sich Unterstützung der Unternehmer durch die Mitgliedstaaten in Form von besonderen Anreizen und technischen Hilfen für deren Tatigwerden (11.4). Das bedeutet jedoch gleichzeitig, daß die Unternehmer die Verantwortung für diese Weiterbildungsmaßnahmen tragen sollen. Letztlich handelt es sich trotzdem nur um eine gern. Art 249 Abs. 5 EG unverbindliche Aussage von allein politischem Interesse verbunden mit der Hoffnung auf ein entsprechendes Verhalten der Mitgliedstaaten. Auch im sekundären Gemeinschaftsrecht gibt es somit kaum Aussagen darüber, wer die als so dringlich erachteten Weiterbildungsmaßnahmen bereitstellen muß. Gleichwohl finden sich Ansätze, die Überlegungen in den Mitgliedstaaten anregen sollen, die Unternehmer in die Frage der Weiterbildung stärker einzubeziehen. Es erscheint möglich, daß solche Anregungen in Zukunft auch zu Veränderungen des Primärrechts oder der nationalen Rechtssetzung führen könnten.
Weißbuch, Kap. 7, S. 129 ff. Weißbuch, Kap. 7.2, S. 129 ff. 76 Weißbuch, Kap. 7.2, S. 129. 77 Weißbuch, Kap. 7.4, S. 133. 78 Z. B Vorschlag der Kommission zur Änderung der RL 76/207 IEWG; KOM(96) 93 end. -96/0095 [CNS], AbI. EG Nr. C 179 v. 22. 6. 1996, S. 8 = EAS A 6260. 79 Z. B. Empfehlung 87/567/EWG, AbI. EG Nr. L 342 v. 4.12.1987, S. 35 = EAS A 5070. 80 ABI. EG Nr. L 181 v. 23. 7.1993, S. 37. 74
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5 Fracke
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111. Europäische Grundrechtecharta Am 7. 12. 2000 wurde auf dem Gipfel der EU Staats- und Regierungschefs in Nizza die EU-Grundrechtecharta proklamiert. 81 Darin wird in Art. 14 Abs. 1 jeder Person das Recht auf Bildung sowie Zugang zur beruflichen Aus- und Weiterbildung gewährleistet. Die Verfasser der Grundrechtecharta lehnten sich inhaltlich einerseits bewußt an die bereits bestehenden Regelungen in den Mitgliedstaaten sowie an Art. 2 des 1. ZP-EMRK82 an 83 und nahmen andererseits ausdrücklich die Erweiterung auf die Weiterbildung mit auf. 84 Fraglich ist, welche Auswirkungen diese Festschreibung für die EU-Bürger hat, denn die Rechtsnatur und damit auch die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta ist weiterhin umstritten. Da sich aber sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat und die Kommission für eine rechtsverbindliche Charta ausgesprochen haben, wird sie in jedem Fall deren Rechtspraxis beeinflussen. 85 Bei der nächsten Regierungskonferenz könnte die Grundrechtecharta dann in die Verträge der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union aufgenommen werden. 86 Derzeit können sich die EU-Bürger aber noch nicht darauf berufen. Die explizite Aufnahme der Weiterbildung zeigt damit zwar erneut die steigende Relevanz der Qualifizierung auch nach Abschluß der Berufsausbildung, kann aber weder Ansprüche der Arbeitnehmer begründen noch Beschränkungen des Arbeitgebers bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen bedeuten.
IV. Zusammenfassung zur Bedeutung europarechtlicher Regelungen Die Untersuchung der europarechtlichen Regelungen hat ergeben, daß der Europäischen Gemeinschaft die Bedeutung der Weiterbildung bewußt ist. In dem Amsterdamer Vertrag wurde der Bezug zur Weiterbildung an verschiedenen Stellen hergestellt, allerdings unterliegen die Gesetzgebungskompetenzen auch weiterhin der Bildungshoheit der Länder. Trotzdem belegen die gerade noch zulässigen Aktivitäten auf der Ebene des Sekundärrechts sowie die Festschreibung eines Rechtes auf Bildung und Zugang zur Weiterbildung in der Grundrechtecharta das gestiegene Bewußtsein bezüglich der Weiterbildung. Auch wenn vor allem im Sekundärrecht auf die Verantwortung der Unternehmer für Weiterbildungen hingewiesen wurde, können sich aus den derzeit bestehenden Regelungen keine Be81
82 83 84 85
86
ABI. EG C 364 v. 18. 12.2000. Vgl. § 3 A III / S. 52. Begründung zur EU-Grundrechtecharta, EuGRZ 2000, 559 ff. (562). Begründung zur EU-Grundrechtecharta, EuGRZ 2000, 559 ff. (562). Krüger/ Polakiewicz. EuGRZ 2001.92 ff. (93). Krüger/ Polakiewicz. EuGRZ 2001.92 ff. (93).
§ 4 VerfassungsrechtIiche Aussagen zur Weiterbildung
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schränkungen bei deren freier Entscheidung über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben. Die einzelnen Regelungen können also nur als Auslegungsgesichtspunkte in die Betrachtung bereits bestehender Normen einfließen.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung Nach Untersuchung des internationalen Rechts sind das nationale Verfassungsrecht und dessen Aussagen zur Weiterbildung zu analysieren. Dabei werden zunächst die Regelungen des Grundgesetzes näher beleuchtet (unter A) und nachfolgend - dem Föderalismus in Deutschland Rechnung tragend - ausgewählte Normen der Landesverfassungen (unter B). Wegen der zentralen Bedeutung der Weiterbildung für diese Arbeit muß hinterfragt werden, in welcher Weise die Weiterbildung verfassungsrechtlich fundiert ist. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben bilden den Rahmen für die zu beantwortende Frage, welche Ansprüche die Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber haben können. Auf die hier gewonnenen Ergebnisse kann dann im weiteren Verlauf der Arbeit stets Bezug genommen werden.
A. Bedeutung der Grundrechte für das Verhältnis von Privaten Die Grundrechte richten sich grundsätzlich an den Staat, der die darin angegebenen Rechte des Bürgers nicht verletzen darf. Nur in AusnahmeHillen, wie Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG, ist den Grundrechten ausdrücklich Wirkung gegenüber Dritten beigelegt, regeln sie also unmittelbar das privatrechtliche Verhältnis. Ziel der Arbeit ist jedoch, zu untersuchen, ob der Arbeitgeber unter bestimmten Gesichtspunkten veranlaßt werden kann, Weiterbildungsmaßnahmen für seine Arbeitnehmer durchzuführen. Bevor die grundrechtlichen Vorgaben zur Weiterbildung im einzelnen näher beleuchtet werden (unter B), muß dargestellt werden, wie die Grundrechte auch zwischen Privaten87 , also Arbeitgebern und Arbeitnehmern Wirkung entfalten können (unter I und 2).
J. Wirkungen der Grundrechte zwischen Privaten Vor allem im Arbeitsrecht wurde wegen des staatsähnlichen Organisations- und Herrschaftsgefüges zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer früher von einer unmittelbaren Grundrechtswirkung als Ordnungssätzen des sozialen Lebens aus ge87 Zu der Lehre von der unmittelbaren und mittelbaren Drittwirkung, sowie der Schutzpflichtenlehre umfassend, Stern, Staatsrecht III/ 1, § 76 11, S. 1538 ff. m. w. N.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
gangen. 88 Das wurde zurecht ganz überwiegend abgelehnt. 89 Seit Dürig besteht weitgehendes Einvernehmen darüber, daß Grundrechte im Verhältnis Privater zueinander mittelbar wirken müssen. 90 Grundrechte vermitteln danach durch den, neben dem subjektiven abwehrrechtlichen Gehalt stehenden, objektiv-rechtlichen Gehalt91 immer auch eine objektive Werteordnung, die auf die gesamte Rechtsordnung ausstrahlt. 92 Wird dieser in den gesetzlichen Regelungen nicht beachtet, müssen die Privatnormen im Streitfall durch die Gerichte verfassungskonform ausgelegt werden. Verhindert also ein Bürger durch sein Verhalten, daß ein anderer seine grundrechtlich geschützten Rechte nicht wahrnehmen kann, muß einer unzumutbaren Beeinträchtigung im Rahmen der objektiv-rechtlichen Gewährleistung über die Generalklauseln der §§ 138,242,315 BGB Einhalt geboten werden. 93 Canaris war maßgeblich an einer Modifikation der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung und der Entwicklung der heute herrschenden Ansicht der Wirkung der Grundrechte über den Schutzcharakter der Grundrechte beteiligt. 94 Er griff die Schutzfunktion der Grundrechte auf, auf die das BVerfG erstmals für den Lebensschutz im Schwangerschaftsurteil verwiesen hatte 95 und die es seit dem Handelsvertreterurteil auch für das Privatrecht in ständiger Rechtsprechung annimmt. 96 Nicht mehr allgemein die objektive Werteordnung der Grundrechte, sondern insbesondere die aus ihr folgenden Schutzgebote, sollen maßgeblich sein. Der Privatgesetzgeber und die das Recht ebenfalls fortbildende Rechtsprechung sind danach nicht mehr nur allein bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts an die Grundrechte gebunden, wonach das Zivilrecht nicht im Übermaß in geschützte Rechtspositionen eingreifen darf. Zusätzlich sind sie aufgrund des in den Grundrechten enthaltenen Schutzauf88 VgI. Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 ff. (419 ff. m. w. N.); diesen Ansatz ablehnend, aber mit einer guten Darstellung Zöllner AcP 176 (1976), 221 ff. (236 ff.). 89 VgI. Canaris, AcP 184 (1984), 211 ff. m. w. N. Kritisch Gamillscheg, AcP 164 (1964), S. 385 ff. (419 ff.) und auch heute noch den Streit um die mittelbare und unmittelbare Drittwirkung als überflüssig ansehend, Gamillscheg, KollArbR I, § 7 11 4 aIS. 313 f. 90 Dürig, FS für Nawiasky, S. 157 ff. (176 ff.); Maunz/Dürig-Dürig, Art. I Abs. I GG Rn.5. 91 Zur Doppelfunktion der Grundrechte, BVerfG - 1 BvR400/51 - v. 15. 1. 1958 unter B. 11. 1. der Gründe und 1. LS, BVerfGE 7, 198 ff.; Böckenförde, Der Staat, 1990, 1 ff. (7); Stern, Staatsrecht HI/I, § 68 I, S. 754. Kritisch lsensee, HdbStR V, § 111 Rn. 84 m. w. N. 92 BVerfG - 1 BvR400/51 - v.15. 1. 1958 B. 11. 1. der Gründe, BVerfGE 7, 198 ff.; Jarass, AöR 11 0 (1985), S. 363 ff. (393); Stern, Staatsrecht 111/1, § 69 H 5, S. 922 und 111, S. 923 ff. 93 Ständ. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfG - 1 BvR 400151 - v. 12. 1. 1958 unter B. 11. 1. der Gründe sowie 1.,2. LS, BVerfGE 7, 198 ff.; Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar, Vorb. Rn. 59 ff.; Pieroth/Schlink, Rn. 210 m. w. N. 94 Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff. (225 ff.). 95 BVerfG - 1 BvF I, 2,3,4,5,6/74 - v. 25. 2. 1975 unter C. 11. 1. der Gründe, BVerfGE 39, 1 ff. 96 BVerfG - 1 BvR 26/84 - v. 7. 2. 1990 unter C. I. 3. der Gründe, BVerfGE 81, 242 ff. = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG mit Anm. Canaris; vgI. auch BVerfG - 1 BvR 1341/90 - v. 24. 4. 1991 unter C. 11. 1. der Gründe, BVerfGE 84, 133 ff.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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trages verpflichtet, Eingriffe durch das Verhalten Privater auf der Ebene des Zivilrechts abzuwehren. Das Minimum des durch die Grundrechte zu gewährenden Schutzes darf auch im einfachen Recht nicht unterschritten werden. 97 Der Gedanke der Schutzfunktion ist seither als die zentrale Funktion der objektiv-rechtlichen Elemente der Grundrechte anerkannt. 98 Die Auffassung vom Schutzauftrag der Grundrechte bildet heute die Rechtfertigung für die legislativen oder judikativen Eingriffe in die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
11. Umsetzung der Schutzpflichtenlehre im Privatrecht Die aus der objektiv-rechtlichen Seite des jeweiligen Grundrechtes gewonnenen Erkenntnisse zum Schutz der Privaten fließen als Auslegungsgesichtspunkte in bestehende Normen ein und können gegebenenfalls als Bestandteil einer Schutzpflicht über § 242 BGB eigenständig Pflichten oder Obliegenheiten begründen. 99 Für die Weiterbildung können die Grundrechte beispielsweise über die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Einfluß erlangen. 100 Gibt es keine speziellen, den Schutz bekräftigenden Gesetze, ist die Rechtsprechung subsidiär zur grundrechtskonformen Konkretisierung der bestehenden Vorschriften verpflichtet. 101 Die Legislative kann dann durch die Judikative zur Erfüllung verpflichtet werden. Die Art und Weise, in der der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nachkommt, bleibt ihm überlassen. 102 Nicht der bestmögliche, sondern hinreichender Schutz muß erreicht werden. I03 Dabei kann der Staat sich selbst zu Handlungen zugunsten des Beeinträchtigten verpflichten, aber auch Handlungsoder Unterlassungsansprüche an den "Verletzer" des Grundrechtes oder an zumindest mittelbar involvierte Dritte erlassen. Der gesetzgeberische Ermessensspielraum wird erst verlassen, wenn das Untermaß der Grundrechtsbeeinträchtigung unterschritten ist oder der andere durch die neue Regelung unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. 104 97 Erstmals so deutlich Canaris, AcP 184 (1984), 201 ff. (228); ErfK 2 1Dieterich, Ein!. GG Rn. 40 m. w. N., noch ausführlicher in Vorauflage Vorbem. GG Rn. 44. 98 ErfKI Dieterich, Ein!. vor GG, Rn. 37; Stern, Staatsrecht 111/1, § 76 IV 5, S. 1572 ff. Zu den weiteren Funktionen des objektiv-rechtlichen Gehaltes, Stern, a. a. 0., § 69, S. 890 ff. und Jarass, AöR 110 (1985), S. 363 ff. (365 ff.). 99 Stern, Staatsrecht III 1 1, § 76 IV 7 c, S. 1584. Dazu unter § 7 B 11 S. 218 ff. 100 Dazu im einzelnen unter § 7 Bill S. 227 ff. und III 1 238 ff. 101 Badura, FS für Molitor, 1 ff.; ErfKI Dieterich, Art. 2 GG Rn. 67; Stern, Staatsrecht IIII 1, § 76 IV 7, S. 1582 ff. (1584 f.). 102 BVerfG - 1 BvF 1,2,3,4,5,6/74 - v. 25. 2. 1975 unter C. III. der Gründe, BVerfGE 39, 1 ff.; Jarass, AöR llO (1985), 363 ff. (383); Stern, Staatsrecht III/l, § 76 IV 5 67, S. 1577 f.; Zöllner; RDV 1985, 1 ff. (10). 103 BVerfG - 1 BvR 1397/93 - v. 21. 2. 1995 unter C. I. 3. a) der Gründe, BVerfGE 92, 140 ff. 104 Vg!. Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (383 ff.).
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
In § 4 soll sich allein mit der Frage näher beschäftigt werden, ob die Grundrechte auch Aussagen zur Weiterbildung enthalten und welche ins Privatrecht ausstrahlenden objektiv-rechtlichen Aussagen sie beinhalten. Die Umsetzung ins Privatrecht wird einmal im Rahmen der Auslegung der bestehenden Normen untersucht (§ 5)105 und erlangt zum anderen vor allem für die sich aus der arbeitsvertraglichen Beziehung ergebenden Einschränkungen Bedeutung (§ 7)106.
B. Vorgaben des Grundgesetzes zur Weiterbildung Die Verfassung setzt die obersten Leitlinien und Grundsätze für das Zusammenleben im Staat. Die in ihr getroffenen oder auch fehlenden Aussagen zur Weiterbildung sind für die weitere Arbeit richtungsweisend. Daß die Weiterbildung im Grundgesetz keine explizite Erwähnung findet, bedeutet nicht zwangsläufig auch eine fehlende verfassungsrechtliche Verankerung. Die verfassungsrechtliche Grundlage der Weiterbildung kann sich aus dem Sozialstaatsprinzip, Art. 12 Abs. 1 GG, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gern. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG oder dem Gleichheitssatz gern. Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren wurden neben den bürgerlichen Grundrechten sogenannte soziale Grundrechte wie beispielsweise ein Recht auf Arbeit oder ein Recht auf Bildung l07 als Leistungsrechte gegenüber dem Staat viel diskutiert. Die Abnahme der Diskussion um die sozialen Grundrechte bzw. deren Herleitung aus der Verfassung weist eher auf Austausch aller juristischen Argumente denn tatsächliche Angleichung der gegensätzlichen Positionen hin. 108 Ins Gespräch kamen die sozialen Grundrechte vor allem wieder durch die Landesverfassungen der neuen Bundesländer, die häufig "soziale Grundrechte" enthalten. 109 Zusätzlich ist zu erwarten, daß die Weiterbildung und deren rechtliche Grundlage durch Impulse des europäischen Rechtes neu zur Debatte gestellt werden. Die ständig im Fluß befindliche Interpretation ist also stets unter den Gegebenheiten der jeweiligen gesellschaftlichen Situation neu zu überprüfen. Unter dieser Prämisse sollen im folgenden Abschnitt die im Grundgesetz angelegten Aussagen der einschlägigen Grundrechte zur Weiterbildung näher erörtert werden (unter I bis IV).
S. 94 ff. S.217ff. 107 Dreier, in: Dreier, Vorb. Rn. 42. 108 Vgl. Kutscha, ZRP 1993,339 ff. (340). 109 Vgl. dazu Kutscha, ZRP 1993,339 ff. m. w. N. zu Vor- und Nachteilen solcher Regelungen. 105
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§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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I. Weiterbildung und Berufsfreiheit Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit sowie die freie Wahl des Ausbildungsplatzes, womit häufig ein Recht auf Arbeit oder ein Recht auf Bildung in Verbindung gebracht und deren Umfang diskutiert!1O wird. Ein ebenfalls in diesen Bereich gehörendes Recht auf Weiterbildung oder deren Zuordnung zu einem bestimmten Grundrecht ist kaum Gegenstand der ErörterungY! Soweit die Weiterbildung Erwähnung findet, wird die für ein Recht auf Ausbildung der ganz herrschenden Meinung entsprechende Formel wiederholt, wonach es kein Recht auf Aus- bzw. Weiterbildung gibt, der Staat aber gern. Art. 12 Abs. 1 GG i.Y.m. Art. 3 GG und dem Sozialstaatsprinzip dazu verpflichtet sein soll, durch Regelung, Organisation und Finanzierung ein berufliches Aus- und Weiterbildungs system zu unterhalten, ohne jedoch dem einzelnen einen subjektiven Anspruch auf Teilhabe zu gewähren. 112 Die Selbstverständlichkeit beim Gleichsetzen beider Materien verwundert, da die Weiterbildung im Gegensatz zur Ausbildung in Art. 12 Abs. 1 GG gerade nicht benannt wird. Soll also eine der Ausbildungsfreiheit entsprechende staatliche Verpflichtung aus Art. 12 Abs. 1 GG i.Y.m. Art. 3 GG und dem Sozialstaatsprinzip zur Unterhaltung eines Weiterbildungssystems bestehen, müßte die Weiterbildung überhaupt Bestandteil des einheitlichen Grundrechtes sein und gleiche Gewährleistungen wie die benannte Ausbildungsfreiheit zur Folge haben. Daher ist zunächst zu untersuchen, ob die Weiterbildung von dem Schutzbereich des Art. 12 GG erfaßt wird (unter 1.) und anschließend, wie weit der Umfang der Gewährleistung reicht (unter 2.). Hierbei ist zwischen dem subjektiv-rechtlichen Gehalt (unter aa» und der objektiv-rechtlichen Aussage (unter bb» zu unterscheiden.
1. Weiterbildung als Schutzgut des Art. 12 Abs. 1 GG
Die Berufsfreiheit ist ein einheitliches, den Komplex der beruflichen Betätigung durch Berufswahl, Berufsausbildung und Berufsausübung umfassendes Grundrecht.!!3 Nach allgemeiner Ansicht ist Beruf jede nicht nur vorübergehende Betäti-
110 Vgl. dazu unter anderem: Kunig, in: von Münch, GG-Kommentar, Art. 2 GG Rn. 29; T. Oppermann, HdbStR V, § 135 Rn. 83 ff. m. w. N.; Maunz/Dürig-Scholz , Art. 12 GG Rn. 44 ff. und Rn. 61 ff. 111 Unter den wenigen, die sich äußern, tut sich vor allem Richter hervor, der häufig zu dieser Problematik veröffentlicht; vgl. in: Überlegungen zur Kodifikation von Grundrechten, S. 119 ff.; in: DöV 1987,586 ff.; in: Gagei, AFG-Kommentar, vor § 33 Rn. 32 ff., und in: Recht der Weiterbildung, S. 45 ff., 73 ff., 143 ff. Außerdem Bubenzer, S. 216 ff., 344 ff.; Mauer, S. 58 f.; HzA-Bengelsdoif, Gr. 9 Th. I, Rn. 75. Auch BVerfG - 1 BvR 563/85 - v. 15. 12. 1987 unter C 11 2 b) der Gründe, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG. 112 So Bubenzer, S. 216 ff., 344 ff.; HzA-Bengelsdoif, Gr. 9 Th. I, Rn. 75; Richter, Recht der Weiterbildung, S. 46.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
gung, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient und nicht schlechthin gemeinschädlich ist. 114 Es handelt sich um den Schutz der ausgeübten Arbeit, die keinen anerkannten Beruf darstellen muß. 115 Neben der Wahl des Berufes wird vor allem die berufliche Betätigung geschützt. Der Schutz ist jedoch nicht durch einmalige Wahl und Beginn der Tätigkeit erschöpft; umfaßt ist die berufliche Betätigung von der Wahl über die Ausübung bis zur Beendigung. 116 In der sich ständig entwickelnden Industriegesellschaft könnte aber auch eine berufliche Mitentwicklung der Arbeitnehmer unentbehrlich sein. Jeder Bürger wechselt statistisch in seinem Arbeitsleben nach der Ausbildung mindestens zweimal den Beruf1l7 und muß daher Umschulungen und Qualifizierungen vornehmen. Außerdem gehören für einen Großteil der Arbeitnehmer Qualifizierungen und Spezialisierungen innerhalb eines Berufes zur Normalität. 118 . Zu klären ist daher, ob auch die Weiterbildung in einer bereits ausgeübten oder für eine neue Tätigkeit von der Berufsfreiheit umfaßt ist. Hauptanliegen der Qualifikation im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung ist zum einen, eine flexiblere Einsetzbarkeit der Arbeitnehmer zu erreichen bzw. zu erhalten. Sie zielt darauf, die Freiheit der Berufswahl auch künftig zu ermöglichen. Damit schützt sie möglicherweise eine zukünftige berufliche Betätigung. Nur eine berufliche Weiterentwicklung befähigt die Arbeitnehmer in vielen Fällen, ihre Arbeitsplätze auch noch nach Jahren auszufüllen. So vermeiden sie, daß ihnen gekündigt wird oder sie versetzt werden, weil sie der Dynamik der Anforderungen an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr folgen können. Daher versteht beispielsweise; Richter nicht nur die gerade ausgeführte Arbeit als Beruf, sondern auch die spätere Qualifizierung in dem einmal gewähltem Beruf. 119 Das derart um die Weiterbildung erweiterte Grundrechtsverständnis versucht Gagel zutreffend damit zu begründen, daß jeder Wechsel, jedes Umlernen nach und für Modernisierungen im Arbeitsprozeß nötig und üblich iSt. 120 Ein Berufsbegriff, der sich nur starr auf eine 113 BVerfG - I BvR 596/56 - v. 11. 6. 1958, unter B. IV. 3. b) der Gründe BVerfGE 7, 377 ff.; BVerfG - 1 BvL 32170 und 25171 - v. 18. 7. 1972 unter C. I. 1. der Gründe, BVerfGE 33, 303 ff. 114 Gubelt, in: von Münch, GG-Kommentar, Art. 12 GG Rn. 8; Schmidt-Bleibtreul Klein, GG-Kommentar, Art. 12 Rn. 6. 115 BVerfG -1 BvR 596/56- v. 11. 6.1958 unter B. IV. 3. b) der Gründe, BVerfGE 7, 377 ff. 116 PierothlSchlink, Rn. 813. 117 Laut Süddeutscher Zeitung v. 1. 5. 2000 (S. 2) üben immer mehr Deutsche zwei bis drei verschiedene Berufe in ihrem Arbeitsleben aus. 118 Statistiken zur beruflichen Weiterbildung auch schon im 1. Teil § 1 A / S. 25 f. und § 2 B II / S. 38 f.
119 Richter, in: GageI, Vor § 33 AFG Rn. 61; mit weiteren Begründungsversuchen Gage/, in: GageI, § 1 AFG Rn. 32 ff.; weniger ausführlich, aber im Ergebnis immer noch gleicher Ansicht, Gagei, in: Gagei, § 1 SGB III, Rn. 26 ff. A. A. AK-Rittstieg, Art. 12 GG Rn. 120, der zwar die Weiterbildung als von Art. 12 GG umfaßt sieht, sie aber der Ausbildungsfreiheit zuordnet. 120 Vgl. Gagei, in: Gagei, § 1 AFG Rn. 23.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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einmal begonnene Tätigkeit bezieht, ist nicht mehr zeitgemäß und würde dem Freiheitsrecht Wirksamkeit nehmen. Die Qualifizierung im Beruf (Weiterbildung I21 ) ist daher ebenso wie die Qualifizierung zum Beruf (Ausbildung) als von Art. 12 Abs. I GG umfaßt anzusehen, auch wenn lediglich letztere ausdrücklich benannt ist. Die Weiterbildung wird häufig mit der Ausbildung gleichgesetzt. 122 Das läßt die Frage aufkommen, ob die Gewährleistung der Weiterbildung der Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte speziell zu- bzw. untergeordnet werden kann und die Erkenntnisse zur Ausbildung damit unbesehen für die Weiterbildung zu übernehmen sind. Der Begriff der Ausbildungsstätte ist weit zu verstehen und umfaßt jede über die allgemeine Schulbildung hinausgehende Einrichtung, die der Ausbildung für einen oder mehrere Berufe dient. 123 Schon der Bezug zur Ausbildung läßt eine Gleichstellung aber als verfehlt erscheinen. Obwohl beide Materien unter berufliche Bildung zu fassen sind, gehen sie von verschiedenen Ansatzpunkten aus. Durch die Ausbildung sollen Kenntnisse zur Ergreifung eines Berufes erlangt werden (vgl. § 1 Abs. 2 BBiG). Sie schafft den Grundstock für das spätere Erwerbsleben. Demgegenüber findet die Weiterbildung statt, nachdem schon eine Tätigkeit ausgeübt wurde. So ist das Erlernte zu vertiefen, dem aktuellen Stand in der Wissenschaft und Technik anzupassen oder aber vollkommen Neues zu erlernen (vgl. § lAbs. 3,4 BBiG)124. Die Weiterbildung dient dem Erhalt eines einmal erlangten Status im sich ständig bewegenden beruflichen Bereich bzw. dem Erlangen einer neuen - zusätzlichen - Qualifikation. Auch der einfache Gesetzgeber macht Unterschiede zwischen Aus- und Weiterbildung. Die wenigen Gesetze, die Regelungen zur Weiterbildung treffen, enthalten häufig daneben - und somit bewußt uneinheitlich geregelt - Vorschriften zur Ausbildung. 125 Die Weiterbildung als Bestandteil der Ausbildungsfreiheit anzusehen hieße, die aufgezeigten Unterschiede zu mißachten. Ausbildung ist Voraussetzung für die Wahrnehmung der Berufsfreiheit l26, Weiterbildung dagegen notwendig, um die Berufsfreiheit aufrechtzuerhalten. Die Weiterbildung kann demzufolge nicht Bestandteil der explizit in Art. 12 Abs. 1 S. 1 letzte Alt. GG benannten Ausbildungsfreiheit sein. Sie ist aber von der einen weiteren Schutzbereich umfassenden Berufsausübungsfreiheit erfaßt.
121 Im Rahmen der Prüfung des Art. 12 GG wird immer von der beruflichen Weiterbildung ausgegangen, da allein sie vom Schutzbereich erfaßt ist. 122 Unter anderem HzA-Bengelsdorj, Gr. 9 Tb. 1, Rn. 75; Richter; Recht der Weiterbildung, S. 46. 123 Gubelt, in: von Münch, Art. 12 GG Rn. 26; Wieland, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 12 Rn. 55. 124 Zu den Zielen der Weiterbildung I.Teii § 2 FIS. 45 ff. 125 So trennen sowohl das SGB III als auch das BBiG zwischen Ausbildungs- und Weiterbildungsregeln. 126 BVerfG - I BvL 32170 und 25171 - v. 18.7.1972 unter C. I. I. der Gründe, BVerfGE 33, 303 ff.; Richter; in: Gagei, Vor § 33 AFG Rn. 54; AK-Rittstieg, Art. 12 GG Rn. 122.
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
74
2. Gewährleistungsumfang der Berufsfreiheit für die Weiterbildung
a) Aussagen der Literatur Richter sieht den Staat durch die Freiheit der Berufswahl gern. Art. 12 Abs. 1 GG über den abwehrrechtlichen Gehalt hinaus als verpflichtet an, durch Regelung, Organisation und Finanzierung ein berufliches Aus- und Weiterbildungssystem zu schaffen. Er lehnt ein umfassendes Recht auf Bildung ab und nimmt statt dessen verschiedene einzelne Teilrechte auf Bildung an. Es sollen ein Zugangsrecht, ein Entfaltungsgrundrecht und ein Partizipationsgrundrecht gewährleistet sein. 127 Das Zugangsrecht sei kein generelles Recht auf immer zu gewährenden Zugang zu Weiterbildungen, sondern nur für Zugang nach gleichen Bedingungen für alle. 128 Das Entfaltungsrecht soll eine umfassende Entfaltungsmöglichkeit der Weiterbildungsteilnehmer bezüglich der Themen und Ausgestaltung des Lernens beinhalten. Es soll ein objektives Recht ohne individuellen Anspruch darstellen, daß den Staat lediglich zur Einrichtung eines vielfältigen Bildungsangebots verpflichtet, soweit dies nicht schon durch private Träger gewährleistet wird. 129 Entschärft wird diese Verpflichtung, die in letzter Konsequenz auch einen Anspruch auf Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen zur Folge haben könnte, dadurch, daß sich aus den Grundrechten nur ein grober rechtlicher Maßstab zur Beurteilung des Weiterbildungsangebotes treffen lassen soll. 130 Bestehen also überhaupt irgendwe1che Weiterbildungsangebote, soll damit dem Entfaltungsrecht ausreichend Rechnung getragen sein. Unter Partizipationsrecht versteht Richter; daß die Lernenden an der Gestaltung der Weiterbildung beteiligt werden sollen. 131
Auch Bengelsdorf sieht den Staat zur Regelung, Organisation und Finanzierung eines funktionierenden Weiterbildungssystems verpflichtet. Er sieht einmal ein Zugangsrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG i.Y.m. Art. 3 Abs. 1 und dem Sozialstaatsprinzip als gewährleistet an. 132 Außerdem sei ein derivatives Teilhaberecht bei staatlichen Weiterbildungsangeboten gegeben. Ein originäres Recht läßt sich ihm zufolge aber nicht aus der Verfassung ableiten. 133 Ebenfalls unmöglich soll eine Übertragung dieser beiden Rechte mangels unmittelbarer Grundrechtswirkung und eines einfachen Gesetzes auf die private Wirtschaft sein. 134 Unter dem Gesichtspunkt einer Freistellungspflicht betrachtet Mauer die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Auch sie sieht ein Teilhaberecht in Form eines Zu127
Richter, Recht der Weiterbildung, S. 46 f.
Recht der Weiterbildung, S. 47. Recht der Weiterbildung, S. 47. 130 Recht der Weiterbildung, S. 48. 13l Recht der Weiterbildung, S. 48. I32 HzA-Bengelsdoif, Gr. 9 Tb. I, Rn. 75. 133 HzA-Bengelsdoif, Gr. 9 Tb. I, Rn. 75. 134 HzA-Bengelsdoif, Gr. 9 Tb. I, Rn. 76.
128
129
Richter, Richter, Richter, Richter,
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
75
gangsrechts als gegeben an. 135 Unklar bleibt bei den Ausführungen, ob das nur für die (Berufs-)Ausbildung l36 oder auch die Weiterbildung gelten soll. b) Stellungnahme Die Ausführungen der Literatur geben einen Überblick über die Vorgaben der Verfassung für die Weiterbildung. Jedoch stellen sie zumeist lediglich Ergebnisse von Überlegungen dar, ohne auf deren Grundlage einzugehen. 137 Diese ist aber unverzichtbar, sollen die verfassungsrechtlichen Vorgaben auf ihre Wirkung im Privatrechtsverhältnis untersucht werden. Im folgenden wird deshalb eine Systematisierung und genauere Einordnung vorgenommen. aa) Subjektiv-rechtlicher Gehalt des Art. 12 GG
Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat, die den einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt sichern sollen. 138 Grundrechtsträger haben die Möglichkeit, Eingriffe des Staates in eine angestrebte Weiterbildungsmaßnahme abzuweisen. Das trifft sowohl auf die Beschränkung von Weiterbildungsmaßnahmen generell als auch auf deren spezifische Ausgestaltung zu. So könnten sich Grundrechtsträger gegen ein Gesetz wehren, das für über 50-jährige Arbeitnehmer den Anspruch auf Bildungsurlaub gemäß des jeweiligen Landesbildungsurlaubgesetzes versagt. Darin läge eine Beeinträchtigung der die Qualifizierung umfassenden Berufsfreiheit der Arbeitnehmer ab 50 Jahren. Gerade sie müssen ihre schon vor Jahren in der Ausbildung erlangten Kenntnisse ständig erneuern, wollen sie nicht mit steigendem Alter ihre Arbeitsplätze wegen nicht mehr ausreichender Qualifikation gefährden. bb) Objektiv-rechtlicher Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG
Neben der subjektiven Komponente wohnt den Grundrechten eine objektive Seite inne. Sie verkörpert die objektive Werteordnung eines Grundrechtes und damit die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für dessen Wirkung in allen Bereichen des Rechts. 139 Die Terminologie objektiv-rechtlich bedeutet nicht, daß nicht auch subjektiv-rechtliche Positionen daraus hergeleitet werden können. Mauer, S. 58. So die Bezeichnung durch die Verfasserin, Mauer, S. 58. 137 Eine Ausnahme stellt hier Richter, in: GageI, AFG-Kommentar, Vor § 33 AFG, Rn. 89 ff. dar, auf dessen Ausführungen noch genauer eingegangen wird. 138 BVerfG-l BvR 400/51 - v. 15. l. 1958 unter B. II. l. der Gründe, BVerfGE 7,198 ff. 139 Ständ. Rspr. seit: BVerfG - 1 BvR 400/51 - v. 12. l. 1958 unter B. 11. l. der Gründe und 1.,2. LS, BVerfGE 7, 198 ff.; Jarass. AöR llO (1985), S. 363 ff. (365); von Münch, in: von Münch, GG-Kommentar, Vorb. Art. 1-19 Rn. 22 m. w. N. 135
136
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
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Grund für die mißverständliche Bezeichnung ist lediglich die Funktion - der objektive Wertentscheidungsgehalt - der Ausgangspunkt für schutzgebotene Ableitungen ist und damit auch subjektive Ansprüche vermitteln können muß. 140 Daher ist der objektiv-rechtliche Gehalt im folgenden näher zu untersuchen. Das einheitliche Recht der Berufsfreiheit gern. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet Abwehr von Eingriffen in die Berufsfreiheit. Daher muß bei der Festschreibung der Berufsfreiheit selbstverständlich von der Möglichkeit der Ausübung einer Berufsfreiheit überhaupt ausgegangen worden sein, da lediglich bereits bestehende Handlungsmöglichkeiten beschnitten werden können. Objektiv enthält die Berufsfreiheit danach die Aussage, daß die tatsächlichen Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Berufsfreiheit gegeben sein müssen. 141 Sind sie das nicht, muß die bessere Entfaltung gefördert werden. 142 In welcher Weise das erfolgen kann, ist eine Frage der objektiv-rechtlichen Wirkungsweise des Grundrechtes (unter (1), (2) und (3)). Zu klären ist, ob die Berufsfreiheit auch objektiv-rechtlich die Weiterbildung gewährleistet. Die Weiterbildung bietet Schutz vor Dequalifizierung, um den einmal durch die Ausbildung erlangten Qualifizierungsstand zu sichern. 143 Selbst nach mehrjähriger Ausübung des Berufes sollen die Arbeitnehmer noch den sich ändernden Anforderungen des beruflichen Lebens gerecht werden beziehungsweise sich den neuen Gegebenheiten der Wirtschaft durch Erlernen einer anderen Tätigkeit anpassen können. l44 Die Weiterbildung ist daher für die Wahrnehmung der Berufsfreiheit unerläßlich. Bedeutung kann der objektive Gehalt in verschiedener Hinsicht erlangen. Einmal sind seine Vorgaben bei Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu beachten. 145 Er kann Schutzgebote beinhalten, die ein aktives Handeln des Gesetzgebers zum Fördern und Bewahren gerade dieses Grundrechtsgehaltes gebieten können. 146 Sehr umstritten ist, ob sich aus der objektiven Seite eines Grundrechtes auch subjektive Ansprüche gegen den Staat herleiten lassen. 147 Im folgenden ist daher zu untersuchen, welchen konkreten objektiv-rechtlichen Inhalt Art. 12 GG in Bezug auf Weiterbildungsmaßnahmen hat. Vgl. dazu Jarass. AöR 100 (1985). 363 ff. (367 ff.). BVerfG - I BvL 32170 und 25171 - v. 18.7. 1972 unter C.I. I. der Gründe. BVerfGE 33.303 ff. 142 Richter; in: Gagei. AFG-Kommentar. Vor § 33 Rn. 93 ff. Für die Förderung der Privatschulfreiheit BVerfG - I BvL 8/84 - v. 8. 4. 1987 unter I. 2. c) der Gründe. NJW 1987. 2359 ff.• für die Förderung der Kunstfreiheit: BVerfG - I BvR 712/68 - v. 5. 3. 1974 unter C. 11. 2. b) der Gründe. BVerfGE 36. 321 ff. 143 Richter; in: Gagei. AFG-Kommentar. Vor § 33 Rn. 95. 144 Richter; in: Gagei. AFG-Kommentar. Vor § 33 Rn. 95. A. A. wohl BSG - 7 RAr 33/84 - v. 25. 7.1985. BSGE 58. 291 ff. (302). 145 Stern 111/1, § 69 III 1. S. 923 ff. 146 Stern III /1, § 69 IV 1. S. 931 ff. Dazu auch unter (3) / S. 79 ff. 140
141
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Dazu umfassend Stern III/l, § 69 VI. S. 978 ff.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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(1) Art. 12 Abs. 1 GG als Teilhaberecht
Vor allem bezüglich Art. 12 Abs. 1 GG ist das Bestehen subjektiver - aus der objektiven Werteordnung abgeleiteter - Ansprüche häufig Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es handelt sich dabei um die Frage, ob dem einzelnen Teilhabe an staatlichen Leistungen zu gewähren ist. Ausgangspunkt war die im (ersten) numerus clausus Urteil des BVerfG aufgeworfene Frage, ob der Staat gegebenenfalls verpflichtet sein könnte, das grundrechtliche Wertsystem in dem Sinne umzusetzen, daß er die zur Verwirklichung des Ausbildungsrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG notwendigen Ausbildungsplätze (dort: Studienplätze für Medizin) bereitzustellen hat, wenn die bestehenden Kapazitäten bereits ausgefüllt sind und ein individuelles Recht geltend gemacht wird (originäres Teilhaberecht).148 Ein solches Teilhaberecht kann sich aber allein auf die Teilhabe gegenüber dem Staat beziehen, sie läßt sich nicht gegenüber Privaten geltend machen. Wegen dieser nur öffentlich-rechtlich verpflichtenden Natur eines Teilhabeanspruchs kommt es in der vorliegenden Untersuchung auf die Entscheidung, ob ein originärer Teilhabeanspruch vorliegt oder nicht, nicht an. Selbst ein bestehendes originäres Teilhaberecht könnte keine Aussagen bezüglich der Beschränkung des Arbeitgebers bei der freien Entscheidung über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen beinhalten. (2) Verfassungsauftrag zur Weiterbildung? Aus der objektiv-rechtlichen Seite der Berufswahlfreiheit könnte ein Verfassungsauftrag zur Gewährleistung der Weiterbildung abgeleitet werden, der den nur in sehr weiten Grenzen in die Pflicht zu nehmenden - Gesetzgeber zum Tatigwerden für die im Grundsatz verbriefte Weiterbildung auffordert. Dieser Aufforderung könnte der Gesetzgeber auch durch eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen nachkommen. Verfassungsaufträge sollen sich aus Grundrechten nur ableiten lassen, wenn es sich um den Schutz besonders fundamentaler Freiheiten handelt l49 oder gesetzliche Regelungen zur Unterstützung bzw. Ermöglichung der Grundrechtsausübung, insbesondere Organisations- und Verfahrensvorschriften, erfolgen müssen. ISO Sie sind in ihrem Verpflichtungscharakter sehr eng zu verstehen und führen lediglich in Ausnahmesituationen bei vollständiger Untätigkeit zur Gesetzgebungsverpflich148 BVerfG-I BvL32170und25171-v.18. 7.1972, untere. I. 2. der Gründe, BVerfGE 33,303 ff. 149 Kriele, HdbStR Bd. V, § 110 Rn. 55. 150 Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar, Vorb. Rn. 67; von Münch, in: von Münch, GGKommentar, Vorb. Art. 1- 19 Rn. 26; Schmidt-Bleibtreul Klein, GG-Kommentar, Vorb. v. Art. 1 GG Rn. 25. Für Art. 5 Abs. 3 GG unter anderem: BVerfG - 1 BvR 79,278,282170v. 8. 2. 1977 unter e. I. 1. der Gründe, BVerfGE 43,242 ff.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
tung durch das Bundesverfassungsgericht. 151 Das Bestehen und die Auswirkungen der einen oder anderen Fonn des Verfassungsauftrages für die Weiterbildung sind im folgenden näher zu beleuchten. Es handelt sich bei der Gewährleistung der Weiterbildung nicht um eine den Persönlichkeitskern berührende Freiheit. Trotzdem könnte ein Auftrag zum Erlaß von Organisations- und Verfahrensvorschriften bestehen, um die Durchführung der Weiterbildung überhaupt zu gewährleisten. Für einen solchen Verfassungsauftrag ist es nicht erforderlich, daß es sich um ein Grundrecht von fundamentaler Bedeutung handelt. Ausreichend ist, daß eine elementare Bedeutung der gesetzlichen Regelung für die Wirksamkeit der Gewährleistung besteht. 152 Die Voraussetzungen für die Berufsbildung müßten gegeben sein bzw. sollen nach dem objektiv-rechtlichen Gehalt gefördert werden. Dafür erscheinen Organisations- und Verfahrensregeln unerläßlich. Die Literatur folgert aus dem objektivrechtlichem Gehalt des Grundrechtes auf Ausbildungsfreiheit die Pflicht des Staates zur Regelung, Organisation und Finanzierung eines beruflichen Ausbildungssystems I53 , da eine Ausbildung sonst nicht zu gewährleisten ist. Zu klären ist, ob die Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG ebenso weit gehen soll und ob auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG ein ähnlicher Verfassungsauftrag für die Weiterbildung fonnuliert werden kann. Der Verfassungsgeber war sich der besonderen Bedeutung für die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen sowie seiner Verantwortung für deren Einstieg ins Berufsleben bewußt. Der Unterschied bezüglich der Zielgruppen und dem Zweck der Qualifizierung zwischen Ausbildung und Weiterbildung, der für eine Einordnung in den Schutzbereich der Berufsfreiheit unbeachtlich war l5\ könnte für die Frage eines Verfassungsauftrages bedeutsam sein. Für eine stärkere Bedeutung der Ausbildung spricht, daß gerade die Bildung und Ausbildung der Kinder einen besonderen Stellenwert besitzt, der durch die verfassungsrechtlichen Regelungen in Artt. 6, 7 GG auch in anderen Bereichen ergänzt und bestätigt wird. Die Grundrechte und etwaige aus ihnen hervorgehende Verfassungsaufträge sind jedoch für die Weiterentwicklung bei Veränderung der Gesellschaft offen. Ihre Bedeutung ist nicht starr, sondern in Bewegung. Deshalb muß auch die historische 151
Vgl. Murswiek, HdbStR Bd. V, § 112 Rn. 97; Stern, Staatsrecht III/ I, § 73 III 7 d a,
ß, S. 1286 ff.
Kriele, HdbStR Bd. V, § 110 Rn. 60. HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. 1, Rn. 75; Richter, Recht der Weiterbildung, S. 46. Vgl. auch Maunz/Dürig-Scholz, Art. 12 GG Rn. 65 f. und Wieland, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 12 GG Rn. 167. Das BSG enthielt sich einer ausdrücklichen Stellungnahme, indem es lediglich entschied, daß eine Finanzierung bei vorhandenem eigenem Vermögen nicht erfolgen muß. Ob bei Fehlen eigenen Vermögens eine Pflicht zur Unterstützung bestände, um eine Weiterbildung überhaupt zu ermöglichen, ließ es offen, vgl. BSG - 11 RAr 95/95 - v. 21. 3. 1996 unter 7. der Gründe, SozR 3 -4100 § 137 Nr. 5. 154 Dazu unter B I 1/ S. 71 ff. 152 153
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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Entwicklung von Grundrechtsbetätigungen bei der Bestimmung des objektiven Gehaltes beachtet werden. Die schon früher als positiv, aber nicht dringend notwendig empfundene Weiterbildung ist in ihrer Bedeutung stetig gewachsen. In der schnellebigen Industrie wird langjährige Beschäftigung in lediglich einem Bereich immer häufiger zur Dequalifikation durch fehlende Weiterbildung bzw. fehlende Anwendung des gesamten Wissens spektrums führen. Aus der Zukunfts vision des "lebenslangen Lernens" zur besseren Verwirklichung der Persönlichkeit 155 ist in vielen Bereichen eine dringende Notwendigkeit zur Erhaltung der beruflichen Qualifikation geworden. Mit Blick auf die Notwendigkeit ständiger Weiterbildung und die steigende Bedeutung der Weiterbildung für die Berufsausübungsfreiheit, kann in dem objektiven Gehalt der Berufsfreiheit ebenfalls eine Gewährleistung des Weiterbildungssystems dem Grunde nach gesehen werden. 156 Der Gewährleistung ist Genüge getan, solange durch den Staat in irgendeiner Form Regelung, Organisation sowie Finanzierung erfolgen. 157 Trotz der geringen Regelungsdichte für die Weiterbildung ist der Staat dem nachgekommen, indem er im Berufsbildungsgesetz (BBiG) neben der Ausbildung auch Modalitäten für die Weiterbildung festlegte. Außerdem erfolgt durch die §§ 81 ff. SGB III eine finanzielle Grundsicherung. 158 Der sich aus Art. 12 GG ergebende Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber beinhaltet folglich keine Aussage über die Pflichten des Arbeitgebers bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen. Solange die genannten gesetzlichen Regelungen bestehen, kann sich eine Notwendigkeit neuerlicher gesetzgeberischer Tätigkeit und somit gegebenenfalls auch richterlicher Vorgaben nur ergeben, wenn sich die bestehenden Umstände so ändern, daß der Verfassungsauftrag mit den bestehenden Vorschriften nicht mehr erfüllt werden kann. (3) Art. 12 Abs. 1 GG als staatliche Schutzpflicht Eng mit der Problematik eines Verfassungsauftrages verbunden ist die Festlegung staatlicher Schutzpflichten. Schutzpflichten 159 ergeben sich ebenfalls aus der den Grundrechten innewohnenden objektiven Werteordnung l60 . Durch sie wird 155 Dazu sogleich unter II/S. 82 ff. Vgl. auch Deutscher Bildungsrat, Strukturplan für das Bildungswesen, S. 52. 156 So auch Richter, in: Gagei, AFG-Kommentar, Vor § 33 Rn. 94. 157 Richter, Recht der Weiterbildung, S. 45 f. 158 Richter, in: Gagei, AFG-Kommentar, Vor § 33 Rn. 94 aE, gibt nach den Änderungen des SGB III gegenüber dem AFG zu bedenken, daß die deutliche Abschwächung zwar zulässig war, eine komplette Abschaffung der Förderungsvorschriften des SGB III aber gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen würde. 159 Zur Anerkennung der Schutzpflichtfunktion bei Grundrechten: BVerfG, - I BvF 1,2,3,4,5,6/74 - v. 25. 2. 1975 unter C. II. der Gründe, BVerfGE 39, I ff.; anerkannt; für Art. 12 GG erstmals in: BVerfG - 1 BvR 26/84 - v. 7. 2.1990 unter C. I. 3. der Gründe, BVerfGE 81, 242 ff. 160 Diese Dimension der Grundrechte ist seit BVerfG - 1 BvR 400/51 - v. 15. 1. 1958 unter B. II. 1. der Gründe sowie I. LS, BVerfGE 7, 198 ff. allgemein anerkannt.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
dem Gesetzgeber geboten, die Regelung einer grundrechtlich verankerten Materie vorzunehmen, um die Sicherung des objektiv-rechtlichen Gehaltes des Grundrechtes zu gewährleisten. Bezüglich des Wie des Schutzes steht dem Gesetzgeber ein besonders weiter Beurteilungs- und Gestaltungsraum zur Verfügung, jedoch darf er bei offensichtlichen Fehlentwicklungen nicht tatenlos zusehen. 161 Wiegen Ungleichgewichtslagen so schwer, daß die Wahrnehmung eines Grundrechtes nicht mehr möglich ist und ist der Gesetzgeber dennoch nicht tätig geworden, sind die Gerichte verpflichtet, die bestehenden Normen schutzgebotskonform auszulegen. 162 Unmittelbare Rechte Privater gegen Private können sich ergeben, wenn das Untermaß des aus der Berufsfreiheit zu gewährenden Schutzes der Berufsfreiheit unterschritten ist. Nachfolgend sollen die in Art. 12 GG enthaltenen, staatlichen Schutzgebote bezüglich der Weiterbildung untersucht werden. (a) Schutzpflichten bezüglich der Weiterbildung Zu überlegen ist, wie der Staat die Berufsfreiheit durch Schutz und Förderung der Weiterbildung gewährleisten kann und muß. Zunächst ist den Grundrechtsträgern die Gelegenheit zur Durchführung einer Weiterbildung zu geben. Diese wäre beschnitten, bliebe den Arbeitnehmern als Teil der Grundrechtsträger der Berufsfreiheit schon aus zeitlichen Gesichtspunkten keine Möglichkeit, an Weiterbildungen teilzunehmen. 163 Schutzgebot des Art. 12 Abs. 1 GG ist somit zunächst die Ermöglichung der Durchführung einer Weiterbildung. Zur Ermöglichung einer für die Ausübung der Berufswahlfreiheit wirksamen Weiterbildung gehört auch die Schaffung von Organisation und Verfahren der Weiterbildung, ohne aber dem einzelnen einen Anspruch auf Schutz vor Dequalifizierung zu geben. 164 Es muß lediglich gewährleistet werden, daß die berufliche Qualifikation erhalten bleiben kann, indem sich Arbeitnehmer mit den bestehenden Angeboten Veränderungen anpassen und entsprechend den veränderten Verhältnissen ihr Wissen erneuern können. 165 Auch Organisation und Veifahrensgestaltung der Weiterbildung sind für eine wirksame Qualifizierung mit Ziel der Erhaltung der Berufsfreiheit maßgeblich. Erfolgen keine oder nur wenig Weiterbildungen und droht daher eine generelle Dequalifizierung, muß der Gesetzgeber die Qualifizierung fördern, um dem Gebot des Art. 12 GG gerecht zu werden. Er muß in einem solchen Fall die Durchführung von Weiterbildungen durch Organisations- und Verfahrensvorschriften anregen. 161 BVerfG, - I BvF 1,2,3,4,5,6/74 - v. 25. 2. 1975 unter C. III. der Gründe, BVerfGE 39, 1 ff. Stern, Staatsrecht III/ I, § 76 IV c 67, S. 1577 f. 162 ErfKl Dieterich, Art. 2 GG Rn. 67; Stern, Staatsrecht III/l, § 76 IV 7, S. 1582 ff. (1584 f.). 163 Dazu insbesondere 2. Teil § 7 B 11 I1 S. 227. 164 Richter; in: Gagei, AFG-Kommentar, Vor § 33 Rn. 93, 95. 165 Richter; in: Gagei, AFG-Kommentar, Vor § 33 Rn. 95.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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(b) Handlungspflicht des Gesetzgebers Die staatliche Schutzpflicht gebietet die Ennöglichung der Durchführung, Organisation und Förderung der Weiterbildung. Bewertet werden darf jedoch nicht, in welcher Weise der Staat seine Pflichten erfüllt, sondern lediglich, ob er ihnen überhaupt nachkommt oder ob das schutzgebietende Untennaß unterschritten ist. Dabei kann Förderung auf verschiedene Weise stattfinden. Wirksam wären beispielsweise Anreize durch Übernahme finanzieller Einbußen der an der Weiterbildung beteiligten Arbeitnehmer. Es könnten sowohl Anreize gegenüber den Trägem ausgeübt werden, indem deren Kosten teilweise übernommen werden, als auch gegenüber den Teilnehmern, deren Beteiligung sonst eventuell durch finanzielle Engpässe verringert wird. Wie der Staat der Förderpflicht nachkommt, ist allein ihm überlassen, ein Anspruch auf finanzielle Unterstützung zur Förderung der Grundrechtsverwirklichung besteht ihm gegenüber nicht. 166 Nähere gesetzliche Regelungen der Weiterbildung sind im SGB III und im BBiG vorgenommen. Ungeachtet der Ausgestaltung dieser Gesetze im konkreten Einzelfall könnte darin eine der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers genügende Regelung liegen. Organisation und Prüfungsverfahren sind in §§ 46 f. BBiG geregelt. Eine Förderung der Weiterbildung erfolgt durch finanzielle Anreize und Unterstützungen in den §§ 77 ff. SGB III vor allen für diejenigen Grundrechtsträger, die sich derzeit ohne Arbeit (§ 77 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 SGB II1) oder in stark gefährdeter Position (§ 77 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB II1) befinden. Der Staat ist seinen Schutzpflichten somit grundsätzlich nachgekommen 167; ob sich aber auf arbeitsvertraglicher Ebene konkrete Situationen ergeben, die Schutzansprüche des einzelnen gegen den Staat zur Folge haben, ist später zu untersuchen. 168
3. Ergebnis zur Weiterbildung als Bestandteil der Berufsfreiheit Die Weiterbildung ist Bestandteil der Berufsfreiheit. Der für die vorliegende Untersuchung maßgebliche objektiv-rechtliche Gehalt verpflichtet den Gesetzgeber in Fonn eines Verfassungsauftrages zur Regelung, Organisation und Förderung der Weiterbildung. Er muß diese Grundsätze bei der Auslegung einfachen Rechts beachten. Seiner Schutzpflicht ist der Staat jedenfalls durch die Regelungen im SGB III und BBiG nachgekommen. Aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG lassen sich keine subjektiven Ansprüche der Bürger gegen den Staat herleiten. Sich eventuell aus dem Schutzauftrag an den Staat ergebende Pflichten des Arbeitgebers sind unter § 7 169 näher zu beleuchten. 166 Richter; in: GageI, AFG-Kommentar, Vor § 33 Rn. 94. Gleiches für die Ausbildung ablehnend: Maunz/Dürig-Scholz, Art. 12 GG Rn. 65. So auch BVerwG - V C 88.64 - v. 26. I. 1966 unter 11. I. der Gründe, BVerwGE 23, 149 ff. 167 Vgl. auch Richter; in: Gagel, AFG-Kommentar, Vor § 33 Rn. 94. 168 Dazu § 7 B 111 S. 227 ff.
6 Fracke
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
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11. Weiterbildung und das allgemeine Persönlichkeitsrecht
Die Weiterbildung könnte neben der Berufsfreiheit von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfaßt sein. Während die Autoren, die sich intensiver mit der Weiterbildung beschäftigen, überwiegend auf Art. 12 GG abstellen 170, geht ein Großteil der Literatur lediglich bei Betrachtung des sich aus Art. 2 Abs. I i.Y.m. Art. 1 Abs. I GG ergebenden allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers auf die Weiterbildung ein!7!. Der Unterschied liegt in der Zielrichtung der Weiterbildung. Während bei einer von Art. 12 GG erfaßten Weiterbildungsmaßnahme die bloße Wissensvermittlung zum Erhalt der Berufsfreiheit im Vordergrund steht, werden von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht persönlichkeitsschützende Betätigungen umfaßt. Dazu kann der Erhalt der Kreativität genauso wie die bloße Beschäftigung im Arbeitsverhältnis zählen. Die Weiterbildung kann für beide Gewährleistungen zum geschützten Bereich gehören; für eine vollständige Untersuchung der verfassungsrechtlichen Grundlagen der Weiterbildung ist somit auch Betrachtung beider möglicher Grundlagen unerläßlich. Das bisher noch nicht abschließend definierte, richterrechtlich etablierte allgemeine Persönlichkeitsrecht verbindet den Menschenwürdegehalt des Art. 1 Abs. I GG mit der in Art. 2 Abs. I GG gewährten Persönlichkeitsentfaltung. 172 So soll parallel zur Integrität der Gesundheit in Art. 2 Abs. 2 S. I GG die Sicherheit der menschlichen Person in geistig-seelischer Beziehung gesichert werden.!73 Geschützt wird ein bereits erlangter Status einer Person vor unbefugter Veränderung von außen!74, sein tatsächliches und rechtliches ,,(Mensch)Sein,,175. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht abschließend definiert, also für Interpretationen offen. Trotzdem konkretisierten sich im Laufe der Grundrechtsanwendung S. 218 ff. Vgl. Richter, Recht der Weiterbildung, S. 45 ff. Auch Bengelsdorj (HzA Gr. 9 Tb. I Rn. 75 f.) und Mauer (S. 58) als Arbeitsrechtier stellen auf die Berufsfreiheit ab, unterlassen jedoch die nähere Betrachtung des Art. 2 Abs. 1 LY.m. 1 Abs. 1 GG. 171 Obwohl es hierbei größtenteils um das allgemeine zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht geht, lassen sich die Aussagen auf das verfassungsrechtliche APR zumindest inhaltlich übertragen. Schließlich beruht auch das zivilrechtliche APR auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, und vielfach werden die Unterschiede beider Gewährleistungen gänzlich ignoriert. Vgl. zu verfassungsrechtlichem und zivilrechtlichem APR MünchArbR/ Blomeyer § 97 Rn. 2. Weiterbildung und APR angedacht bei Hallenberger, S. 153 ff. im Zusammenhang mit S. 44 f. sowie Thees, S. 55. 172 Das BVerfG griff erstmals auf das APR in BVerfG - 1 BvL 19/63 - v. 16. 7. 1969 unter C. 11. 1. der Gründe, BVerfGE 27, 1 ff. zurück. Vgl. auch Kunig, in: von Münch, GGKommentar, Art. 2 Rn. 30; Schmidt-Glaeser, HdbStR VI, § 129 Rn. 8 f. 173 BVerfG - 1 BvR 13/68 - v. 15. 01. 1970 unter B. 1. b) der Gründe, BVerfGE 27,344 ff.; Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 17; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 64. 174 Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 2 I Rn. 16. 175 Vgl. Schmidt-Glaeser, HdbdStR VI, § 129 Rn. 19. 169
170
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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bestimmte Bereiche heraus, die zumindest in Teilen eine genauere tatbestandliche Zuordnung ermöglichen. 176 Bezüglich der für die vorliegende Untersuchung relevanten Weiterbildung können ebenfalls verschiedene Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes berührt sein, die aus unterschiedlichen Ansatzpunkten Weiterbildungsmaßnahmen von Arbeitnehmern unter Schutz stellen könnten. Denkbar wäre die Gewährleistung der Weiterbildung aus dem Recht auf menschenwürdige Arbeitsplatzgestaltung 177 , dem Recht auf Selbstentfaltung des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis durch Beschäftigung l78 sowie dem Recht auf Schutz der Persönlichkeit und damit auf Beibehaltung eines einmal erlangten Status des Arbeitnehmers.
1. Weiterbildung und menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung Ziel der Weiterbildung ist neben der Wissensvermittlung der Schutz der Kreativität l79 , die gerade durch stupide, monotone Arbeit zerstört werden kann. Dem könnte durch das Gebot der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung, durch welches den Erfordernissen des Art. 2 Abs. 2 GG und des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes Rechnung getragen werden soll, entgegengewirkt werden. Neben dem anerkannten Gesundheitsschutz ist darin auch die Entfaltung der Arbeitnehmerpersönlichkeit und die Würde des Menschen im Rahmen seiner Tätigkeit zu schützen. 180 Dazu gehören auch Belastungen, die das psychische oder physische Wohlbefinden beeinträchtigen können. 181 Beispiel für entwürdigende Verhaltensweisen sind unter anderem erniedrigende Kontrollen der Arbeitnehmer. 182 Jedoch ist der Schutzbereich weiter zu ziehen. Es muß verhindert werden, daß der Arbeitnehmer zum beliebig verfügbaren Objekt des Arbeitgebers degradiert wird. Durch Verschieben des Schwerpunktes des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes von der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG weiter zur Entfaltung der Persönlichkeit gern. Art. 2 Abs. 1 GG, muß auch die dem Menschen eigene Kreativität einbezogen
Schmidt-Glaeser; HdbStR VI, § 129 Rn. 23, 25. Badura. FS für Berber, S. II ff. (24); Maunz/Dürig-Scholz. Art. 12 GG Rn. 116; Zöllner; RdA 1973,212 ff. (214). 178 Badura. FS für Molitor. 1 ff. (12); vgl. auch Thees. S. 43. 179 Wittpoth. S. 78. Vgl. dazu schon 1. Teil § 2 FIS. 45 ff. sowie § 7 B IIIl/S. 239 f. 180 Vgl. Zöllner; RdA 1973,212 ff. (213). Zur Humanisierung der Arbeitswelt als Ausfluß aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 00: Söllner; Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes. S. 117 ff. 181 ErfKI Wank. § 6 ArbZG Rn. 5; Zöllner/Loritz. Arbeitsrecht, § 29 IV 1 IS. 345. 182 Beispielsweise willkürliche Torkontrollen sowie die Überwachung einzelner Arbeitnehmer durch Kameras oder Abhören. Badura. FS für Berber, S. II ff. (25); vgl. Wiese. ZfA 1971, 273 ff. (284 ff. und 287 ff.). 176
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
werden. 183 Der Mensch muß kommunizieren, sich geachtet und respektiert fühlen sowie auch Einfluß auf den Arbeitsrhythmus haben können. 184 Sind diese Grundbedingungen nicht erfüllt, ist er nicht mehr in erster Linie menschliche, sondern gleichsam maschinelle Arbeitskraft. Zur die Kreativität schützenden Arbeitsplatzgestaltung könnte auch gehören, an Weiterbildungen teilzunehmen. So muß auch am Arbeitsplatz die Möglichkeit zur Weiterbildung bestehen. Dies kann einmal durch einen im Rahmen der arbeitstechnischen Möglichkeiten liegenden kreativen Arbeitsplatz geschehen, der selbständiges Lernen am Arbeitsplatz fördert und unterstützt. Das ist immer dann der Fall, wenn Arbeitnehmer auch Entscheidungen treffen und Vorschläge machen können. Darunter fallt aber auch die bloße Ermöglichung der Weiterbildung, beispielsweise durch Freistellungen von der Arbeit oder aber die Möglichkeit der Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit. a) Verhältnis der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung zur Berufsfreiheit Allgemeine Grundrechte werden von spezielleren verdrängt. 185 Liegen zwei spezielle Grundrechte vor, und wird das Verhalten (hier: die Weiterbildung) durch beide Schutzbereiche erfaßt, ohne daß eines der beiden Grundrechte (hier: Art. 12 Abs. 1 GG) spezieller erscheint, weil es sich von dem anderen (hier: Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) nur durch zusätzliche Merkmale unterscheidet, dann entsteht eine ideale Konkurrenz. 186 Im Gegensatz zur allgemeinen Handlungsfreiheit stellt das allgemeine Persönlichkeitsrecht trotz seiner tatbestandlichen Weite kein Auffanggrundrecht dar. Es hat einen eigenen, neben den anderen Grundrechten stehenden Geltungsbereich. 187 Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes in Form der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung überschneidet sich in vielerlei Hinsicht mit dem der Berufsfreiheit. Trotzdem verfolgen die Grundrechte unterschiedliche Intentionen, die eine ideale Konkurrenz rechtfertigen. 188 Wahrend Art. 12 Abs. 1 GG die Weiterbildung als Voraussetzung für die Erhaltung der Berufsfreiheit umfaßt, schützt und fördert das allgemeine Persönlichkeitsrecht in dieser Ausgestaltung die Entfaltung der Persönlichkeit am Arbeitsplatz. Zöllner; RdA 1973,212 ff. (213). Zöllner; RdA 1973,212 ff. (213). Die von Hanau in: FBIIE, 1982,353 ff. (354 mit Fn. 12) geäußerte Kritik, es handelte sich nicht um unmittelbar aus der Verfassung ableitbare Rechte, mag zwar begründet sein, erfolgt aber zu früh, wenn man sich wie Zöllner noch auf der Schutzbereichsebene befindet. Vorschläge für eine menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung enthielt auch § 10 des Referentenentwurfes für ein Arbeitsschutzgesetz v. 6. 11. 1979, der jedoch so nie umgesetzt wurde, vgl. BT-Drucks. 8/3319, S. 1 ff. (10). 185 Pieroth/Schlink, Rn. 339. 186 Vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 343 f. 187 Dreier; in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 67; Kunig, Jura 1993,595 ff. (603). 188 Maunz/Dürig-Scholz, Art. 12 GG Rn. 116. 183
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§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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b) Gewährleistungsumfang Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist in erster Linie ein subjektives Abwehrrecht zur Gewährleistung einer (menschengerechten) Persönlichkeitssphäre, nicht nur in der Privat- und Intimssphäre, sondern auch am Arbeitsplatz. 189 Das Beispiel auf Seite 75 dieser Arbeit aufgreifend, könnte ein Bildungsurlaubsgesetz, das nicht für über 50-jährige gilt, nicht nur gegen deren Berufsfreiheit, sondern auch gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung verstoßen. Angriffspunkt wäre dabei nicht wie im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG die fehlende Möglichkeit, auch in Zukunft Berufe frei wählen zu können, sondern die fehlende Gelegenheit, die eigene Kreativität als Ausdruck der Persönlichkeit trotz bestehenden Beschäftigungsverhältnisses zu erhalten bzw. weiterzuentwickeln. Die Unmöglichkeit, einen solchen Bildungsurlaub zu nehmen, schränkt ebenso wie die Unmöglichkeit Erholungsurlaub zu erhalten, das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein. 190 Objektiv-rechtlich läßt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Sinne einer menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung keine Gewährleistung dergestalt herleiten, daß der Staat Weiterbildungen am Arbeitsplatz bereitzustellen hat. Dem widerspricht schon die dem Arbeitgeber zuzugestehende unternehmerische Freiheit bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes. Der Gesetzgeber könnte allerdings im verfassungsrechtlichen Rahmen Regelungen treffen, die bestimmte Anforderungen an den Arbeitsplatz stellen. Auf objektiv-rechtlicher Seite muß der Gesetzgeber dabei vor allem bei Verstößen gegen die menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung die Persönlichkeit des Arbeitnehmers schützen und gegebenenfalls unterstützende Regelungen veranlassen. Diese Schutzpflichten erschöpfen sich nicht in abwehrenden Verbotsnormen, sondern können auch Grundlage für aktive Handlungspflichten sein. 19l Dazu gehören für eine menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung neben den arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen, die vor allem physische Beeinträchtigungen verhindern sollen, auch solche, die die (Arbeits)zufriedenheit sowie das schöpferisch kreative Element des Arbeitnehmers schützen und fördern wollen. l92 Der Gesetzgeber hat der Notwendigkeit menschengerechter Arbeitsplatzgestaltung in verschiedenen Normen, wie §§ 81, 82, 84, 90, 91 BetrVG oder auch der Generalklausel des § 75 BetrVG Rechnung getragen. Nicht umgesetzt wurde der vom sozialdemokratisch geführ189 Zur Humanisierung der Arbeitswelt als Ausfluß aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Söllner; Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 117. 190 Vgl. zum Anspruch auf Erholungsurlaub aus Art. 2 Abs. 1 GG bevor er 1963 im BUriG gesetzlich geregelt wurde; BAG - 1 AZR 476154 - v. 20. 4.1956, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Urlaubsrecht (BI. 320 R) mit zust. Anm. Dersch. 191 BVerfG - 1 BvR 409/90 - v. 6. 5. 1997 unter B. 11. 2. b) der Gründe, BVerfGE 96, 56 ff. 192 Eine Reihe von Zielen der Humanisierung der Arbeit aufzählend, Hanau, FB 1IE, 1982,353 ff., insbesondere S. 355.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
ten Arbeitsministerium 1981 eingebrachte Referentenentwurf für ein Arbeitsschutzgesetz, der die menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung neben den Gesundheitsschutz stellt und so diesem Aspekt eine deutlich größere Relevanz verleihen wollte. 193 Die Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers ist schon wegen der Unbestimmtheit der Schutzpflichten und der vielfliltigen Möglichkeiten ihrer Erfüllung sehr groß, so daß ein unmittelbarer Anspruch auf Schaffung eines bestimmten Schutzgesetzes derzeit nicht denkbar ist. Anderes könnte sich freilich durch eine konkrete Beeinträchtigung Dritter ergeben. 194 2. Weiterbildung und das Recht auf Selbstentfaltung
Einen anderen Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes als die menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung beinhaltet das Recht auf Selbstentfaltung durch tatsächliche Beschäftigung im Arbeitsverhältnis. Dabei steht nicht der Erhalt der Kreativität durch Ermöglichung der Weiterbildung während und trotz der Arbeit im Vordergrund, sondern die stetige Entwicklung der Person als eigenverantwortlich handelndes, seine Umwelt gestaltendes sowie Kenntnisse und Fähigkeiten anwendendes Wesen. 195 Möglich ist eine solche Betrachtungsweise nur, wird die Arbeitsleistung zutreffend nicht ausschließlich als Wirtschaftsgut gesehen, sondern auch als Ausdruck der Persönlichkeit. 196 Die unterlassene Beschäftigung trotz bestehendem Arbeitsvertrag hindert den Betroffenen gerade an der Entfaltung dieses Teils seiner Persönlichkeit. 197 Die Ursache für die unterlassene Beschäftigung kann beispielsweise in fehlenden Kenntnissen des Arbeitnehmers nach Änderung der Organisation oder Technologien am Arbeitsplatz liegen. Durch betriebliche Weiterbildung wird der Arbeitnehmer in die Lage versetzt, auch dann weiter beschäftigt zu werden, wenn sich Technologien oder Organisation an seinem Arbeitsplatz verändern. Da eine durch fehlende Kenntnisse der neuen Arbeitsplatzanforderungen herbeigeführte Unmöglichkeit der Beschäftigung überwiegend zur Kündigung des nicht mehr zu Beschäftigenden führen wird, ist in erster Linie die Frage des Persönlichkeitsschutzes durch Erhaltung des Bestandsschutzes betrof193 Kritisch zu solchen Neuerungen, Hanau FB lIE, 1982, 353 ff. (356 f.) der umfangreiche Humanisierungsregeln lieber den sachnäheren Tarif- und Betriebspartnem überlassen will und auf die bestehenden Regelungen als Ausgangs- bzw. Anknüpfungspunkte für neue Regelungen verweist. Dort auch weitere Nachweise zum Referentenentwurf. 194 Dazu § 7 B III I IS. 239 f. 195 Vgl. Hallenberger. S. 47; Thees, S. 54 f. 196 BAG - GS 1/84 - v. 27. 2. 1985 unter C. I. 2. b) der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; direkt auf Art. 2 Abs. I i.Y.m. Art. lAbs. 1 GG abstellend auch schon: - 2 AZR 591/54 - v. 10. 11. 1955 unter 11. der Gründe, BAGE 2, 221 ff.; Badura, FS für Molitor, S. 1 ff. (12). 197 So BAG - 2 AZR 591 154 - v. 10. 11. 1955 unter 11. der Gründe, BAGE 2, 221 ff.; GS 1/84 - v. 27. 2. 1985 unter C.l.2.b) der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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fen l98 . Jedoch ist zwischen Kündigung und bloßer Nichtbeschäftigung zu unterscheiden. Obwohl der Bestandsschutz vom Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG umfaßt ist, wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht wegen des anderen Schutzinhaltes nicht verdrängt. Die eigenständige Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes zeigt sich beispielsweise bei dem Personenkreis unkündbarer Arbeitnehmer, wenn die Erhaltung der Beschäftigung nicht unmittelbar mit dem Bestandsschutz zusammenhängt. Zu klären bleibt, ob die Weiterbildung in solchen Fallgestaltungen als Voraussetzung für die Beschäftigungsmöglichkeit und damit noch als für den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 LY.m. Art. 1 Abs. 1 GG relevantes und zu schützendes Verhalten anzusehen ist. Dafür ist zunächst zu verdeutlichen, daß zwar nicht jede Nichtbeschäftigung auf mangelnde Weiterbildung zurückzuführen ist, aber unterlassene Weiterbildung zu Unmöglichkeit der Beschäftigung führen kann. Gerade in diesen Situationen ist die betriebliche Weiterbildung für die andauernde Beschäftigungsmöglichkeit unerläßlich, so daß beispielsweise das Fehlen einer Weiterbildung zur Anpassung an neue Gegebenheiten, den Schutzbereich der freien Entfaltung der Persönlichkeit berührt. Daraus ergibt sich, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit in einer sich ständig verändernden Arbeitswelt immer häufiger voraussetzt, daß der einzelne vor Unmöglichkeit der Beschäftigung wegen Unkenntnis der neuen Technologien und Organisationen am alten Arbeitsplatz geschützt wird. Unproblematisch ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der abwehrrechtliche Gehalt, der dem Staat unverhältnismäßige Eingriffe in angestrebte Weiterbildungsmaßnahrnen untersagt. Objektiv-rechtlich ist auch der Schutz des einzelnen durch den Staat vor Eingriffen Dritter in das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfaßt. Ob sich daraus einzelne Rechte und Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber ableiten lassen, bleibt zu prüfen. 199 3. Weiterbildung und Erhalt des materialisierten Status des Arbeitnehmers Weniger die Persönlichkeitsentfaltung als vielmehr den Persönlichkeitsschutz umfaßt der dritte in Betracht kommende Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes, der die Weiterbildung im Schutzbereich umfassen könnte. Durch die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes soll der bereits erlangte und gefestigte Status erhalten bleiben, den der Grundrechtsträger einmal erreicht hat, der sich für ihn folglich materialisiert hat. 2OO Der Arbeitnehmer tritt mit einem bestimmten Kenntnisstand in das Arbeitsverhältnis ein und könnte durch diese 198 Zum Bestandsschutz und dessen Verhältnis zur Weiterbildung im einzelnen im 3. Teil § 9/S. 265 ff. 199 Vgl. auch Dreier; in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 2 Rn. 62 m. w. N. Vgl. § 7 BIll/ S. 265 f. 200 Dreier; in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 2 I Rn. 16.
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
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Ausgestaltung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes davor geschützt werden, daß er diesen wieder verliert. Vom Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes könnte einerseits die statische Beibehaltung eines einmal erlangten Standes, andererseits aber auch die (Mit)Entwicklung in der Gesellschaft, in der der Arbeitnehmer lebt und arbeitet, umfaßt sein. Der Mensch ist keine Maschine, die ständig auf dem gleichen Stand bleibt bzw. mit Wechsel der Umstände ohne weiteres ersetzt werden kann. Das hieße, ihn zum bloßen Objekt zu degradieren, wovor gerade auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützen soll. Statt dessen muß dem einzelnen Arbeitnehmer die Möglichkeit der sozialen Entwicklung in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz, der Anpassung an neue Umstände und Weiterentwicklung der erlangten berufsspezifischen Fähigkeiten gegeben werden. Das Recht des Arbeitnehmers auf Beibehaltung des Status, den er bei Eintritt in das Arbeitsverhältnis hatte, und der durch die sich ständig bewegende und weiterentwickelnde Gesellschaft im Verhältnis an Qualität verliert, könnte durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt werden. Schließlich verringert sich der Kenntnisstand, den der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Eintritts in das Arbeitsverhältnis besitzt, schon durch die Dynamik der Arbeitsumwelt relativ, wenn nicht durch Eigeninitiative oder betrieblich veranlaßte Weiterbildung die Fortentwicklung der am Arbeitsplatz benötigten Kenntnisse ausgeglichen wird. Fraglich ist jedoch, ob die Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes derart weitreichend ist. Geschützt werden soll zwar der einmal erlangte Status vor unbefugtem Eindringen des Staates oder Dritter. 201 In den hier zu betrachtenden Fällen verändert sich aber lediglich das Umfeld. Der bestehende und auch erhalten bleibende Status verliert dadurch zwar an Wertschätzung, in ihn wird aber nicht eingegriffen, er verändert sich nicht oder wird sonst beeinträchtigt. Ein Schutz auch vor äußeren Weiterentwicklungen, ohne daß der geschützte Bereich als solcher berührt wird, wäre zu weitgehend. Von dem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gebotenen Integritätsschutz ist ein derart weitreichender Schutz nicht mehr erfaßt. Ein Schutz des einzelnen Arbeitnehmers vor relativem Verlust des Kenntnisstandes den er bei Eintritt in das Arbeitsverhältnis hatte, läßt sich daraus nicht ableiten.
4. Zusammenfassung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht
Das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.Y.m. Art. 1 Abs. 2 GG schützt die betriebliche Weiterbildung unter verschiedenen Gesichtspunkten. Während einmal die Art der Beschäftigung so gestaltet sein sollte, daß die menschliche Kreativität nicht zerstört bzw. sogar gefördert wird, ist als zweiter Aspekt die bloße Ermöglichung der Beschäftigung zu schüt-
201
Dreier, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 2 I Rn. 16.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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zen. Geschützt sind dadurch auch verschiedene Formen der Weiterbildung. 202 Während bei der ersten und zweiten Fallgruppe grundsätzlich jede Weiterbildung vor staatlichen Eingriffen geschützt werden soll, spielt für den Schutz des materialisierten Status nur die berufliche und hier insbesondere die Anpassungsfortbildung eine Rolle. Durch die Feststellung, daß der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes auch Weiterbildungen von Arbeitnehmern umfaßt, ist keine objektiv-rechtliche Gewähr für die Bereitstellung von Weiterbildungsmaßnahmen im Sinne von Verpflichtungen des Staates zu deren Einrichtung getroffen. Eine solche Pflicht läßt sich nicht ableiten. Es kann aber nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß bei Eingriffen Dritter, Maßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer zu treffen sind. Jedoch ist das im Rahmen der Prüfung von arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitgebers zu untersuchen. 203 111. Weiterbildung und die allgemeine Handlungsfreiheit Die Weiterbildung könnte ebenfalls in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes fallen. Jedoch kommt Art. 2 Abs. I GG nach allgemeiner Meinung nur subsidiär zur Anwendung, wenn der Schutzbereich anderer Grundrechte nicht betroffen ist. 204 IV. Weiterbildung und der Gleichheitssatz Der Gleichheitssatz gern. Art. 3 Abs. 1 GG soll gewährleisten, daß gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden. Damit wird sowohl ein Recht auf gleiche Chancen bezüglich des Zugangs zu Weiterbildungsmaßnahmen als auch Gleichbehandlung bei der finanziellen Förderung geschützt. Fraglich ist, ob dem Gleichheitssatz noch eine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt. Entscheidend für den Zugang zu und den Verbleib in den einzelnen Berufen ist die Berufsqualifikation. Als Bestandteil des Gleichheitssatzes gern. Art. 3 Abs. 1 GG, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, kann auch eine Rechtsgleichheit der Start- und Förderungschancen angesehen werden. 2os Das wird vor allem für eine Basisbildung und -ausbildung der Kinder und Jugendlichen anerkannt, da ihnen eine ,,startgleichheit" in das Berufsleben gewährleistet werden soll. Natürlich kann es sich hierbei nur um eine Startchancen-, nicht aber Zielchancengleichheit, handeln.206 Es wäre denkbar, gleiches auch für berufliche AufstiegschanDazu I. Teil § 2 BIS. 36 f. Siehe dazu § 7 B III 1S. 238 ff. 204 Ständ. Rspr. seit BVerfG -I BvR 253/56- v. 16. 1. 1957 unter 11. 2. a) der Gründe; BVerfGE 6, 32 ff.; Kunig, in: von Münch, GG-Kommentar, Art. 2 GG Rn. 12 m. w. N. 205 Maunz/Dürig-Dürig, Art. 3 GG Rn. 91. 206 Maunz/Dürig-Dürig, Art. 3 GG Rn. 91, 113. 202 203
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
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cen207 oder die Möglichkeit, trotz Veränderung der beruflichen Anforderung im Beruf verbleiben zu können, zu gewährleisten. Das wiederum bedeutete, daß der Staat wegen Art. 3 Abs. 1 GG Möglichkeiten zur besonderen Förderung derjenigen schaffen müßte, die einen Bildungsrückstand haben und somit die für Aufstiegsfortbildungen notwendige Grund(aus)bildung nicht besitzen bzw. eine über das "normale" Weiterbildungspotential hinausgehende, besondere Förderung benötigen, um auch weiterhin im Arbeitsprozeß verbleiben zu können. Eine solche Förderung wäre zwar denkbar, ohne daß sie sich zwingend aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt. Durchgeführt wird sie beispielsweise gern. § 77 Abs. 1 3. Alt., Abs. 2 SGB III für Arbeitnehmer ohne Berufsabschluß. Eine grundrechtliche Gewährleistung jedoch, in Form einer generellen Pflicht zur Förderung, kann nicht angenommen werden. Dies führte letztlich zu originären Teilhaberechten 208 , die aber gerade auch im Hinblick auf Art. 12 GG überwiegend abgelehnt werden. 209 Die Verantwortung des Gesetzgebers für die Schul- und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen ist nicht gleichsetzbar mit der für Berufstätige. 210 Der Gleichheitssatz schützt somit vor staatlicher Ungleichbehandlung bei Zulassung und Förderung der Weiterbildung, kann aber keinen Anspruch auf Leistungen gegenüber dem Staat auf Schaffung einer Startgleichheit gewähren. Eine Schutzpflicht dieses Inhaltes muß ebenfalls abgelehnt werden.
V. Ergebnis zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben Die Darstellung des Verfassungsrechtes hat ergeben, daß die Weiterbildung sehr wohl vom Schutzbereich einiger Grundrechte umfaßt und geschützt ist, sich allerdings über die derzeit bestehenden gesetzlichen Regeln hinaus keine staatlichen Handlungspflichten ergeben. Die im Rahmen dieser Untersuchung gewonnenen objektiv-rechtlichen Gehalte der Berufsfreiheit gern. Art. 12 Abs. 1 GG und des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gern. Art. 2 Abs. 1 i.Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG sind aber im Rahmen der Drittwirkung zwischen Privaten zu beachten und könnten auf dieser Ebene zu einer Beschränkung der freien Entscheidung des Arbeitgebers bei der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen führen. Das wird unter § 7 B 211 näher untersucht werden. Außerdem sind die gefundenen objektiv-rechtlichen Gehalte bei der Auslegung bereits bestehender rechtlicher Regelungen zu beachten. Diese Überlegung anführend, aber dann ablehnend, Mauer, S. 59. Vgl. aber auch Richter, Recht der Weiterbildung, S. 46, der ein Minimumgrundrecht auf Bildung aus Art 2 Abs. 1 GG rur diejenigen Erwachsenen anzunehmen scheint, denen schon die gesellschaftliche Grundbildung fehlt. 209 BVerfG - 1 BvL 32170 und 25171 - v. 18.7. 1972, unter C. I. 2. der Gründe, BVerfGE 33,303 ff.; Murswiek, HbdStR V, § 112 Rn. 91 m. w. N. Zum Diskussionsstand: von Münch, in: von Münch, GG-Kommentar, Vorb. Art. 1-19 Rn. 18 ff. 210 Vgl. Dönneweg, S. 147; Maunz I Dürig-Dürig, GG-Komrnentar. Art. 3 Rn. 92; Mauer, S.59. 211 S. 218 ff. 207
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§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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C. Vorgaben der Landesverfassungen Für eine Betrachtung der bestehenden Regelungen für die Weiterbildung ist es unausweichlich, einen kurzen Blick auf die Landesverfassungen zu werfen. Dabei sind vor allem die Verfassungen interessant, die im Gegensatz zum Grundgesetz die Erwachsenen- bzw. Weiterbildung ausdrücklich erwähnen?12
I. Verhältnis Bundesverfassungsrecht zu Landesverfassungsrecht
Gemäß Art. 31 GG bricht Bundesrecht Landesrecht. Bei gleichzeitig bestehendem und mit den bundesrechtlichen Regelungen kollidierendem Landesrecht wird das Landesrecht verdrängt. Etwas anderes ergibt sich zunächst aus Art. 142 GG, wonach mit den Grundrechten übereinstimmendes Landesverfassungsrecht erhalten bleiben soll. Übereinstimmendes Landesverfassungsrecht i. S. d. Art. 142 GG besteht nach herrschender Ansicht, wenn inhaltsgleiches oder weitergehendes Recht gewährleistet wird?13 Liegt eine geringere landesverfassungsrechtliche Gewährleistung vor, ist die Erhaltungsnorm des Art. 142 GG nicht anwendbar, da gerade der grundrechtliche Mindeststandard gesichert werden sol1. 214 Für dem Bundes(verfassungs)recht inhaltsgleiches Landesverfassungsrecht entschied das BVerfG im Einklang mit der herrschenden Ansicht in der Literatur, daß das Landesverfassungsrecht generell - also auch neben dem Anwendungsbereich des Art. 142 GG - nicht verdrängt werden dürfe. 215 Eine Übertragung auch auf weitergehendes Landesverfassungsrecht, entsprechend der herrschenden Auffassung der Literatur bezüglich Art. 142 GG, wurde vom Bundesverfassungsgericht aber nicht erörtert, kann also auch nicht entsprechend angewandt werden. Die Regelungskompetenz des Landesverfassungsgebers ergibt sich für die Weiterbildung aus. Artt. 70, 72 Abs. 1, 74 Nr. 12 GG zumindest solange, bis eine bundesgesetzliche Regelung erfolgt. 216
212 Das ist bei fast allen Landesverfassungen der Fall. Ausnahmen stellen lediglich die Nieders.Verf., die Hess.Verf. sowie die Verf. der Freien Hansestadt Hamburg und die Verfassung Bedins dar. 213 Dietlein, Die Grundrechte in den neuen Ländern, S. 34; Gubelt, in: von Münch, Art. 142 Rn. 7; Sachs, DöV 1985,469 ff. (478). 214 Gubelt, in: von Münch, GG-Komrnentar, Art. 142 Rn. 9. 215 BVerfG - 2 BvN 1/69 - v. 29. l. 1974 unter C. 3. b) der Grunde, BVerfGE 36, 346 ff.; Gubelt, in: von Münch, Art. 31 Rn. 23; Schmidt-Bleibtreul Klein, GG-Komrnentar, Art. 31 Rn. 6. 216 Die Art. 70 ff. GG passen direkt lediglich auf Landesrecht, jedoch darf es nicht sein, daß die Länder eine ihnen nicht zugesprochene Gesetzgebungskompetenz dadurch umgehen, daß sie verfassungsrechtliche Regelungen treffen.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
11. Weiterbildung im Landesverfassungsrecht
Zur Feststellung des Verhältnisses von Landesverfassungsrecht zum Bundesverfassungsrecht stellt sich zunächst die Frage, ob der gegenüber Art. 31 GG speziellere Art. 142 GG anwendbar ist. Zur besseren Anschaulichkeit soll die Untersuchung anhand einer konkreten Norm erfolgen. Als Beispiel für landesverfassungsrechtliche Regelungen der Weiterbildung diene Art. 29 Satz 1 Verffhür, in dem bestimmt wird, daß das Land und seine Gebietskörperschaften die Erwachsenenbildung fördern. 21 ? Mit dem Oberbegriff der Erwachsenenbildung ist neben der allgemeinen und politischen auch die hier zu betrachtende berufliche Weiterbildung umfaßt?18 Die rechtlichen Auswirkungen der Festschreibung der Förderpflicht des Landes sind nicht endgültig geklärt. Zwar herrscht Einigkeit über den fehlenden subjektiven Charakter der Vorschrift, umstritten ist aber, ob es sich lediglich um einen unverbindlichen Programmsatz handelt219 oder ob eine Staatszielbestimmung gegeben ist. 22o Schon der Wortlaut der jeweiligen Bestimmungen221 spricht eher für das Vorliegen einer verbindlichen Pflicht. Wäre lediglich ein Programmsatz das Ziel gewesen, hätten die Verfassungsgeber statt dessen "sollen ... gefördert werden" verwenden müssen. Somit kollidiert die (Landes)Staatszielbestimmung bezüglich einer Förderpflicht der Weiterbildungsmaßnahmen mit der aus dem objektiv-rechtlichem Gehalt des Grundgesetzes gewonnene Schutzpflicht zur Gewährleistung der Durchführung, Regelung, Organisation und Förderung der Weiterbildung?22 Der Anwendung des Art. 142 GG steht aber entgegen, daß sich Art. 142 GG auf in der Landesverfassung befindliche "Grundrechte" und eben nicht Staatszielbestimmungen bezieht. Die Anwendbarkeit des Art. 142 GG auf die landesverfassungsrechtlichen Bildungsbestimmungen scheitert somit tatbestandlich und Art. 31 GG ist heranzuziehen. Dem Wortlaut nach wäre das Landes(verfassungs)recht gebrochen. Doch kommt die von Rechtsprechung und überwiegender Ansicht der Literatur anerkannte Einschränkung des Art. 31 GG223 zum Tragen, zufolge 217 Ähnlich oder gleich: Art. 22 Baden-Württem.Verf.; Art. 139 Bayr.Verf.; Art. 33 Abs. 1 Brandb.Verf.; Art. 35 Verf. HBremen; Art. 16 Abs. 4 Meck.Vorpom.Verf.; Art. 17 Abs. 1 NRW Verfassung; Art. 108 Sächs.Verf.; Art. 30 Abs. 2 S. 2 Sachs.-Anh.Verf.; Art. 9 Abs. 2 Schles.Holst.Verf. Als Volksbildung bezeichnend, ansonsten aber vergleichbar, Art. 37 Abs. 1 Rheinl.-Pf.Verf.; Art. 32 Saarl.Verf. 218 Vgl. Braun, Kommentar zur Verf. Baden-Württemb., Art. 22 Rn. 3. 219 Grasser, BayVBI 1978,323 ff. (324); Meder, Komm. zur Bayr.Verf., Art. 139 Rn. 1 für die ähnlich lautende Bayrische Verfassung. 220 Braun, Komm. Zur Bad.Württem.Verf., Art. 22 Rn. 2; Linck/JutzilHopje, Komm. zur VerfThür, Art. 29 Rn. 2; Maunz, BayVBI. 1978,65 ff. (66). 221 Art. 29 VerfThür "fördern"; Art. 139 Bayr.Verf.: "ist ... zu fördern". 222 Zum objektiven Gehalt des Art. 12 Abs. 1 GG unter § 4 B I 2 b) bb) 1S. 75 ff. 223 Dietlein, Die Grundrechte in den neuen Ländern, S. 34; Gubelt, in: von Münch, Art. 142 Rn. 7; Sachs, DöV 1985,469 ff. (478). Sowie bereits unter § 4 C I1 S. 91.
§ 4 Verfassungsrechtliche Aussagen zur Weiterbildung
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welcher das Landesrecht auch ohne Geltung des Art. 142 GG nicht verdrängt wird, solange sich die Rechtsgehalte in der jeweiligen Landesverfassung und im Grundgesetz entsprechen. Schließlich wird das durch Art. 31 GG zu lösende Problem einer an sich möglichen Konkurrenz zweier Normen hinfällig, stimmen die Vorschrift des Grundgesetzes und die der jeweiligen Landesverfassung inhaltlich überein. 224 Vorliegend handelt es sich sowohl in den meisten Landesverfassungen als auch dem Grundgesetz um verbindliche Gebote an den Gesetzgeber, die Weiterbildung zu fördern, ohne jedoch die Art der Erfüllung vorzugeben. Der Rechtsgehalt ist somit weder darüber hinausgehend noch geringer und die landesrechtlichen Regeln werden nicht durch die Auslegung des objektiv-rechtlichen Gehaltes des Bundesrechts gemäß Art. 31 GG nichtig. Da es sich aber um nebeneinander stehende, parallele Gewährleistungen handelt, verschaffen die Landesverfassungen, die Aussagen zur Weiterbildung treffen, ihren Bürgern keinen zusätzlichen Schutz. Allerdings ist es den Bürgern dieser Länder möglich, Verletzungen des daneben bestehen bleibenden Landesverfassungsrechts vor dem jeweiligen Verfassungsgerichtshof geltend zu machen?25
IH. Landesverfassungen und Einrichtung einer Weiterbildungsmaßnahme Da die Landesverfassungen keine weitergehenden Rechte gegenüber dem Grundgesetz gewährleisten, können diese Vorschriften auch keine Beschränkung der freien Entscheidung des Arbeitgebers über die Durchführung der Weiterbildung treffen oder dem Arbeitgeber sonstige Verpflichtungen bei der Weiterbildung aufgeben, die ihm eine Verantwortung bei der betrieblichen Weiterbildung auferlegen bzw. eine solche näher beschreiben. Das formulierte Staatsziel stellt jedoch eine verbindliche Pflicht des Landesgesetzgebers dar, die Weiterbildung zu fördern. Die Förderpflicht nach den Landesverfassungen richtet sich in erster Linie an das Land und die Gebietskörperschaften 226 , sie kann aber durch gesetzliche Regelungen auch im verfassungs gemäßen Rahmen auf die Arbeitgeber verlagert werden.
D. Ergebnis zu den Vorgaben der Verfassung Abschließend ist festzustellen, daß weder das Grundgesetz noch die Landesverfassungen verbindliche Vorgaben für die Ausgestaltung der Weiterbildung liefern. BVerfG - 2 BvN 1/69 - v. 29. 1. 1974 unter C. 3. b). der Grunde, BVerfGE 36,346 ff. Vgl. zu diesen Überlegungen: BVerfG - 2 BvN 1/ 69 - v. 29. 1. 1974 unter C. 5. c) der Grunde, BVerfGE 36, 346 ff. 226 So beispielsweise Art. 29 Abs. I S. 2 VerfThür. 224
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Das sich die Weiterbildung aber nicht vollkommen unabhängig von verfassungsrechtlichen Vorgaben gestalten kann, zeigen die vielfachen Bezüge, die zwischen grundrechtlichen Gewährleistungen und der Weiterbildung hergestellt werden können. Eine unmittelbare Verpflichtung des Staates zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen kraft Verfassungsrechts muß abgelehnt werden, und auch für den Arbeitgeber ergeben sich keine unmittelbaren Verbindlichkeiten. Jedoch können die landes- und bundesverfassungsrechtlichen Aussagen auf einfachgesetzlicher Ebene bei der Betrachtung der bestehenden Vorschriften im Lichte der Verfassung Bedeutung erlangen. 227
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung Einfachgesetzliche Regelungen sind häufigste Anspruchsgrundlage für Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis. Zu prüfen ist vordergründig, ob den einfachgesetzlichen Regelungen eine Beschränkung des Arbeitgebers bei seiner Entscheidung, Weiterbildungsmaßnahmen vorzunehmen, entnommen werden kann. Daneben ist stets zu untersuchen, inwieweit dem Arbeitgeber sonst durch den Gesetzgeber Verantwortung für die Qualifizierung der Arbeitnehmer übertragen wird.
A. Einfaches Bundesrecht Näher zu analysieren sind mögliche Aussagen durch kollektivrechtliche und individualrechtliche Normen des Betriebsverfassungsgesetzes (I.-Y.). Außerdem sind die sozialrechtlichen Bestimmungen in § 3 Abs. 1 SGB I und § 2 Abs. 1 SGB III sowie deren Einfluß auf die freie Entscheidung zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen näher zu analysieren (VI.).
I. Das Beratungsrecht des § 90 Abs. 2 S. 1 2. HS BetrVG für die betriebliche Weiterbildung Der dem Abschnitt des Betriebsverfassungsgesetzes zu Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung zugehörige § 90 BetrVG regelt Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Betriebsrats. Inhaltlich bestimmt § 90 Abs. 1 BetrVG, daß der Betriebsrat über die Planung von Neu-, Um und Erweiterungsbauten von Fabrikations-, Verwaltungs- und sonstigen betrieblichen Räumen (Nr. 1) sowie technischen Anlagen (Nr. 2), Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen (Nr. 3) und Arbeitsplätzen (Nr. 4) zu unterrichten ist. In § 90 Abs. 2 BetrVG sind sich aus 227
Dazu sogleich und § 7 B, CIS. 218 ff.
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diesen Änderungen ergebende Beratungsrechte statuiert. Beratungsgegenstand sollen die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, insbesondere auf sich für diese ergebende Anforderungen sein. Da solche Änderungen meist eine Anpassung der Qualifizierung der Arbeitnehmer an die neuen Gegebenheiten erfordern, könnten auch Weiterbildungsmaßnahmen zum Beratungsgegenstand werden. So könnten Bedenken des Betriebsrats an einer Durchführung von Weiterbildungen für die betroffenen Arbeitnehmer schon bei der Planung berücksichtigt werden (§ 90 Abs. 2 S. 1 BetrVG). Fraglich ist jedoch, ob sich daraus eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers ergeben könnte. Zweck des § 90 BetrVG ist die Bewahrung des autonomen Arbeitsschutzes auch bei Änderungen des ursprünglichen Arbeitsplatzes, weshalb menschenwürdige Umstände für die Erbringung der Arbeitsleistung bei Änderung der Arbeitsumgebung genauso anzustreben sind, wie eine menschengerechte Arbeitsumwelt. 228 Dazu gehört auch, gemeinsam zu beraten, wie eine geeignete Weiterbildung für die von den Änderungen betroffenen Arbeitnehmer aussehen kann. 229 Allerdings können Beratungsrechte, als eher schwache Mitbestimmungsrechte23o, weder einen Anspruch des Betriebsrats und noch einen solchen des Arbeitnehmers ergeben, selbst wenn deren Durchführung während der Beratung von beiden Seiten als notwendig angesehen wurde. Der Arbeitgeber bleibt in seiner Entscheidung frei. 231 Es handelt sich vielmehr um eine bloße Möglichkeit des Betriebsrats, dem Arbeitgeber bei seiner Entscheidung wichtige Gesichtspunkte in bezug auf eine menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung aufzuzeigen und alternative Lösungsmöglichkeiten zu erörtern. 232 Zumindest eine finanzielle Sanktion bietet die Bußgeldbestimmung des § 121 BetrVG, wonach die fehlende Beratung gern. § 90 Abs. 2 S. 1 BetrVG eine mit bis zu 20.000 DM zu sanktionierende Ordnungswidrigkeit darstellt. Allein wegen des Bußgeldes für eine fehlende Beratung, deren Ergebnis ohnehin ohne jegliche Bindungswirkung ist, kann jedoch nicht von einer unfreien Entscheidung des Arbeitgebers über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen ausgegangen werden.
F/K/H/E/S, § 90 BetrVG Rn. 1 f. F/K/H/E/S, § 90 BetrVG Rn. 47. 230 Zu den Grundstrukturen der Beteiligungsrechte: von Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 200 ff. 231 GK-Wiese, § 90 BetrVG Rn. 32,47; Zöllner; RdA 1973,212 ff. (215). 232 BAG -7 ABR 16/91 - v. 11. 12. 1991 unter B. 11. 3 b) und c) der Gründe, AP Nr. 2 zu § 90 BetrVG; F/K/H/E/S, § 90 BetrVG Rn. 45. Streitig ist, ob der Betriebsrat eine ohne seine Beteiligung durchgeführte Änderung durch einstweilige Verfügung stoppen kann. Hier nimmt die wohl überwiegende Ansicht ein solches Stoppungsrecht nur an, wenn zugleich das Mitbestimmungsrecht nach § 91 BetrVG besteht; vgl. F/K/H/E/S, § 90 Rn. 67; Richardi, § 90 BetrVG Rn. 42; enger: GK-Wiese, § 90 BetrVG Rn. 47; weiter: D/K/K-Klebe, § 90 BetrVG Rn. 37. 228
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
11. Wirkung der Personalplanung gemäß §§ 92 Abs. 1, 92a BetrVG auf die betriebliche Weiterbildung Eine größere Wirkung auf durchzuführende Weiterbildungsmaßnahmen könnte § 92 Abs. 1 BetrVG haben. Danach hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesondere die sich aus dem künftigen Personalbedarf ergebenden Maßnahmen zur Berufsbildung zu unterrichten (Satz 1) und über die Art und den Umfang sich daraus ergebender erforderlicher Maßnahmen und die Vermeidung von Härten zu beraten (Satz 2). Die Personalplanung umfaßt nach allgemeiner Ansicht Überlegungen zur Deckung des gegenwärtigen und künftigen Personalbedarfs in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Dazu gehören im einzelnen Personalbedarfsplanung, Personaldeckungsplanung, Personalentwicklungsplanung sowie Personaleinsatzplanung. 233 Während im Rahmen der Personalbedarfsplanung vorgegeben wird, welche Qualifikationsmerkmale zukünftig für die Arbeitsplätze nötig sind, befaßt sich die Personalentwicklungsplanung mit Fragen der Qualifizierungsmöglichkeiten der bereits beschäftigten Arbeitnehmer. 234 Gegenstand der Personalentwicklungsplanung sind alle Maßnahmen, die durch die unterschiedlichsten Bildungsinvestitionen dazu dienen, den Kenntnisstand zu steigern?35 Die Einzelheiten des Unterrichtungs- und Beratungsrechtes sind im folgenden nicht zu klären 236 , vielmehr ist festzustellen, ob der Arbeitgeber sich durch die Unterrichtung über die geplante Personalentwicklung i. S. d. § 92 Abs. 1 S. 1 BetrVG in irgendeiner Weise bindet oder ob durch die Ergebnisse der Beratung gemäß Satz 2 eine solche Bindungswirkung eintreten kann. 237 Beides würde jedoch dem Zweck des § 92 BetrVG widersprechen. Dem Betriebsrat soll ermöglicht werden, auf die vom Arbeitgeber in freier Entscheidung vorgegebene Personalplanung einzuwirken und dem Arbeitgeber nach ausreichender Information über den Stand der Planung alternative Lösungsvorschläge innerhalb des von ihm vorgegebenen Planungsumfangs zur Umsetzung vorzulegen. 238 Dabei kann durch die Beratung aber nicht eine bestimmte Unternehmerentscheidung erzwungen 239 , sondern nur das Spektrum der Überlegungen erweitert werden. Die erzwingbaren Rechte setzen erst bei den konkret vorgenommenen Maßnahmen, wie Durchführung einer Berufsbildung (§ 98 BetrVG) oder erwogenen Einstellungen und Kündigungen (§§ 99, 102 BetrVG), ein. Schon denknotwendig ausgeschlossen ist eine Festle-
233 BAG - I ABR 60/89 - v. 6. 11. 1990 unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 3 zu § 92 BetrVG; F 1K 1H 1EIS, § 92 Rn. 5; MünchArbR 1Matthes § 346 Rn. 3 f. 234 F/K/H/E/S, § 91 BetrVG Rn. 11, 15; Gilberg, S. 231. 235 MünchArbRI Buchner § 35 Rn. 21, F/K/H/E/S, § 92 BetrVG Rn. 15. 236 Dazu: Gi/berg, S. 230 ff. 237 In einem solchen Sinne wohl: Neyses, BIStSozArbR 1977,321 ff. (322) i.Y.m. der Vorschrift des § 96 BetrVG. 238 Vgl. F/K/H/E/S, § 92 BetrVG Rn. 22; MünchArbRI Matthes § 346 Rn. 10,23. 239 GK-Krajt, § 92 BetrVG Rn. 30; MünchArbRI Matthes § 346 Rn. 30.
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung
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gung des Arbeitgebers auf die von ihm geäußerten Vorschläge im Wege der Unterrichtung, da gerade sie durch die Beratung auch noch verändert werden sollen. Entgegen einer anderslautenden Stimme der Literatur kann sich aus der vorgestellten Personalplanung bzw. deren Beratungsergebnissen keine Bindung gegenüber dem Arbeitgeber ergeben?40 Jedoch zeigt sich, daß dem Arbeitgeber eine Verantwortung für die Qualifizierung der Arbeitnehmer übertragen wird, denn die in Betracht gezogenen Maßnahmen sind nicht grundlos, sondern zur Sicherstellung einer interessengerechten Durchführung der Maßnahmen von Beginn an, mit dem Betriebsrat zu beraten. Die Beteiligungsrechte bei der Personalplanung ergänzt ein neuer § 92a BetrVG, der dem Betriebsrat die Möglichkeit der Initiative zu Maßnahmen für die Beschäftigungssicherung eröffnet. 241 Zu den in Absatz 1 beispielhaft aufgezählten Maßnahmen, die Inhalt einer solchen Initiative sein können, zählt auch die Qualifizierung der Arbeitnehmer. Das allein begründet zwar kein Recht der Arbeitnehmer auf Weiterbildung, aber durch die in Absatz 2 bestimmte Beratung des Arbeitgebers mit dem Betriebsrat über dessen Vorschläge wird der Arbeitgeber gezwungen, sich mit dem Vorgeschlagenem auseinanderzusetzen. Durch eine Begründungspflicht bei Ablehnung (ab 101 Arbeitnehmern hat diese schriftlich zu erfolgen) wird die Beratung als eher schwächeres Beteiligungsrecht aufgewertet.
III. Die Berufsbildung gemäß §§ 96 tT. BetrVG Seit dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 wird im zweiten Unterabschnitt der personellen Maßnahmen die Berufsbildung explizit geregelt, um auf diese Weise die Belegschaftsinteressen bei der Berufsbildung besser zu berücksichtigen. 242 Schon das Vorhandensein dieses Unterabschnittes zeigt, daß dem Arbeitgeber gewisse Regeln bei der betrieblichen Bildung zugewiesen sind, er also von dem Gesetzgeber in die Verantwortung genommen wurde. Inwieweit das im einzelnen geschehen ist, wird nachfolgend näher untersucht. Die §§ 96 ff. BetrVG stellen gegenüber den §§ 90, 92 BetrVG stärkere Beteiligungsrechte dar. Über bloße Beratungsrechte hinausgehend bestehen auch echte Mitbestimmungsrechte. Zu prüfen ist daher ob bzw. wie die Entscheidung des Arbeitgebers über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen durch den Betriebsrat beeinflußt werden kann. 240 Wesentlich mehr Bindungskraft sollte dem § 92 BetrVG nach dem Entwurf des DGB für ein neues Betriebsverfassungsgesetz (1998) zukommen, da aus dem bloßen Beratungsrecht ein Mitbestimmungsrecht werden sollte. Jedoch wurden diese Erwägungen zurecht von der Bundesregierung nicht aufgegriffen. § 92 BetrVG blieb unverändert. Zur Änderung des § 97 BetrVG durch die Reform der Betriebsverfassung vgl. unter § 5 A III 4 a) 1S. 106 f. 241 BT-Drucks. 14/5741, S. 15. 242 ErfKl Hanaul Kania, § 96 BetrVG Rn. 3; MünchArbRI Matthes § 343 Rn. 1 f.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
1. Der Berufsbildungsbegriffim Betriebsve1j'assungsgesetz und der allgemeine Begriff der betrieblichen Weiterbildung
Obwohl Berufsbildung weder im Betriebsverfassungsgesetz noch in anderen Normen legal definiert ist, wird sie im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes weitgehend einhellig als "jede Maßnahme, die den Arbeitnehmern diejenigen Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen soll, die zur Ausfüllung des Arbeitsplatzes und ihrer beruflichen Tätigkeiten dienen"z43 bezeichnet. Die Unterscheidung betrieblich und außerbetrieblich wird aufgrund der Eigenschaft des Arbeitgebers als Träger der Maßnahme getroffen. 244 Demgegenüber ist eine betriebliche Weiterbildung nach der hier vertretenen Ansicht ein Bildungsprozeß zur Erweiterung der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Fertigkeiten des Arbeitnehmers bei seiner beruflichen Tätigkeit, der primär im betrieblichen Interesse liegt. 245 Sowohl die Definition der Berufsbildung im Betriebsverfassungsgesetz, als auch die hier verfolgte Definition der betrieblichen Weiterbildung, sind weit zu verstehen und gehen über die Begriffsbestimmung in den §§ 1, 46 f. BBiG hinaus,z46 Trotzdem entsprechen sie sich nicht. Der Begriff der betrieblichen Weiterbildung ist umfassender als der der Berufsbildung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Die betriebliche Weiterbildung beinhaltet neben der reinen Wissensvermittung zur besseren Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten auch die persönlichkeitsfördernde Bildung. 247 Da der weite Begriff der betrieblichen Weiterbildung die Berufsbildung i. S. d. Betriebsverfassungsgesetzes mit umfaßt, ist für die vorliegende Untersuchung näher zu erörtern, ob die Vorschriften der §§ 96 ff. BetrVG vor allem durch die Beteiligung des Betriebsrats eine Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers über das Ob der Durchführung von Berufsbildungsmaßnahmen bedeuten können.
243 Ständ. Rspr. BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. a) der Gründe. AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; ErfKIHanaulKania, § 96 BetrVG Rn. 6; F/K/H/E/S § 96 BetrVG Rn. 13; Franzen, NZA 2001. S. 865 ff. (866); GK-Krajt. § 96 BetrVG Rn. 8; Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen. S. 94. 244 BAG - 1 ABR 10/90 - v. 4. 12. 1990 unter B. 11. 3. der Gründe. AP Nr. 1 zu § 97 BetrVG; - 1 ABR 21/91 - v. 12. 11. 1991 unter B. 11. 1. der Gründe. AP Nr. 8 zu § 98 BetrVG; F/K/H/E/S § 96 Rn. 35. 245 Dazu ausführlich 1. Teil § 2 AIS. 29 ff. 246 Zur Berufsbildung gern. dem BetrVG: F/K/H/E/S. § 96 BetrVG Rn. 13 m. w. N.; MünchArbRI Matthes § 351 Rn. 13; Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen. S. 80 ff. Für die Weiterbildung: DiemerlPeters. S. 25 f.; Dönneweg. S. 37. 247 Diemer I Peters. S. 25 ff. Vgl. zu Zielen der Weiterbildung auch 1. Teil § 2 FIS. 45 ff.
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung
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2. Förderung der Berufsbildung gemäß § 96 BetrVG
Nach § 96 Abs. 1 S. 1 BetrVG sollen Arbeitgeber und Betriebsrat die Berufsbildung fördern. Förderung i. S. d. § 96 Abs. 1 S. 1 BetrVG bedeutet nach fast einhelliger Meinung weder gegenüber dem Betriebsrat noch gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer eine Pflicht des Arbeitgebers, Berufsbildungsmaßnahmen einzurichten. 248 Vielmehr sollen Arbeitgeber und Betriebsrat auf die Wichtigkeit der Berufsbildung allgemein und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, mit den für die Förderung der Berufsbildung zuständigen Stellen249 , hingewiesen werden. 25o Die Förderpflicht ist eine Amtspflicht, durch die Arbeitgeber und Betriebsrat veranIaßt werden sollen, den Arbeitnehmern die Teilnahme an betrieblichen und außerbetrieblichen Bildungsrnaßnahmen zu ermöglichen 251 sowie auf eine Auswahl der an Bildungsrnaßnahmen teilnehmenden Arbeitnehmer Einfluß zu nehmen, die § 75 Abs. 1 BetrVG entspricht. 252 Weitergehend nimmt Neyses an, die betriebliche Personalplanung könnte dann zu einer zwingenden Notwendigkeit von Bildungsrnaßnahmen führen, wenn der Arbeitsmarkt den Vorstellungen der zuvor aufgestellten Personalplanung nicht gerecht wird. 253 Indes wäre es zu weitgehend, wollte man den Arbeitgeber an seine einmal geäußerte Personalplanung derart binden, daß er auch Bildungsrnaßnahmen danach auszurichten hat. Vielmehr wird ein Fachkräftemangel in einer bestimmten Sparte entweder zur freiwilligen Berufsbildung - optimalerweise arrangiert und finanziert vom Arbeitgeber - oder aber zur Änderung der Personalplanung führen. Eine Pflicht zur Durchführung einer Weiterbildungsmaßnahme kann sich aus § 96 Abs. 1 BetrVG jedenfalls nicht ergeben. Gleiches ist Hamm zu entgegnen, der in Einzelfällen eine Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung von Bildungsmaßnah248 ErfKIHanau/Kania. § 96 BetrVG Rn. 10; F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 34; Gilberg. S. 221 f., 238; GK-Kraft. § 96 BetrVG Rn. 19; MünchArbRI Matthes § 351 BetrVG Rn. 4; Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 98 ff.; Richardi. § 96 BetrVG Rn. 16; Rumpff/ Boewer; F 3.3 Rn. 94. A. A. Hamm. AuR 1992,326 ff. (328); Neyses. BlStSozArbR 1977, 321 ff. (322). Eine Rechtspflicht nimmt auch Heinze an. In: Personalplanung, Einstellung und Kündigung, Rn. 105 mit Fn. 155, jedoch räumt er ein, daß die Pflicht abgesehen von § 23 Abs. 3 BetrVG sanktionslos bleibt und eigene Ansprüche nicht begründet werden können. 249 Solche Stellen sind beispielsweise die Handwerkskammern (§ 74 BBiG), die Industrieund Handelskammer (§ 75 BBiG) oder die Landwirtschaftskammern (§ 79 BBiG). 250 BR-Drucks VII 1786, S. 51. 251 F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 33, GK-Kraft. § 96 Rn. 29. 252 D/K/K-Buschmann. § 96 BetrVG Rn. 21; ErfKI Hanau/Kania. § 96 BetrVG Rn. 10; F/K/H/E/S § 96 BetrVG Rn. 37. Wird dieser Auswahl nicht i. S. d. § 75 Abs. 1 BetrVG nachgekommen, kann sich daraus im Zusammenspiel mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz in Ausnahmefällen ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbildung ergeben, Galperin/Löwisch. § 97 BetrVG Rn. 22, GK-Kraft. § 96 BetrVG Rn. 29 m. w. N. Vgl. auch § 7 CIS. 251 f. 253 Neyses. BlStSozArbR 1977, 321 ff. (322). Sich dem scheinbar kritiklos anschließend, Hallenberger, S. 158.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
men als gegeben ansieht254 , wobei nicht klar wird, worauf genau er diese gründet bzw. ob er sich der Ansicht von Neyses anschließt. Konkretisiert wird § 96 Abs. I S. I BetrVG durch die Sätze 2 und 3 des § 96 BetrVG, die ein Vorschlags- und Beratungsrecht des Betriebsrats bestimmen. Zwar kann eine größere Bindung des Arbeitgebers auch nicht dadurch erfolgen, daß der Arbeitgeber seit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes 255 auf Verlangen des Betriebsrates mit diesem den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln hat (§ 96 Abs. I S. 2 1. HS BetrVG). Diese Bedarfsermittlung ergänzt aber die bereits früher bestehende Pflicht zur Beratung von Fragen der Berufsbildung (§ 96 Abs. I S. 2 2. HS BetrVG). Sie ist oft der erste Schritt zur Durchführung notwendiger Maßnahmen und ermöglicht dem Betriebsrat, seine weiteren Rechte gern. §§ 96 ff. BetrVG wirksamer ausüben zu können. 256 Das in § 96 Abs. I S. 3 BetrVG verankerte Vorschlagsrecht ist nur wirkungsvoll, verhält sich der Arbeitgeber dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gern. §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG entsprechend und setzt sich ernsthaft mit den Vorschlägen des Betriebsrates auseinander. Jedoch ist er selbst dann keinesfalls gebunden. 257 Einzelansprüche können daraus nicht begründet werden. 258 Obwohl sich § 96 BetrVG thematisch mit der Einführung von Berufsbildungsmaßnahmen befaßt, kann der Arbeitgeber nicht gegen seinen Willen zur Einrichtung einer solchen bestimmt werden. Der Gesetzgeber hat § 96 BetrVG gerade abweichend zu den echten Mitbestimmungsrechten des §§ 97 Abs. 2, 98 BetrVG gestaltet 259 , durch welche zumindest mittelbar in Form eines Initiativrechts260 die Einrichtung von Bildungsrnaßnahmen vorangetrieben werden könnte. 261
Hamm, AuR 1992, 326 ff. (328). BGBL I, 2001, S. 2518 ff. 256 BT-Drucks. 14/5741, S. 49. 257 Gilberg, S. 239; von Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 204. 258 F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 33; GK-KraJt, § 96 BetrVG Rn. 29; H/S/G-Glaubitz, § 96 BetrVG Rn. 16; Richardi, § 96 BetrVG Rn. 25. 259 Gi/berg, S. 222. 260 Verwirrend ist die Begriffswahl von Rumpjf/Boewer, F 3.3 Rn. 92 und Heinze, Personalplanung, Einstellung und Kündigung, Rn. 110 ff., die das Vorschlagsrecht des Betriebsrats als Initiativrecht bezeichnen, ohne dabei aber auf die Wirkung eines Initiativrechts bei den echten Mitbestimmungsrechten abzuzielen. 261 Dazu, ob § 98 BetrVG überhaupt ein solches Recht gewährt, unter § 5 A III 41 S. 106. 254
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3. Einrichtungen und Maßnahmen der Berufsbildung gemäß § 97 BetrVG
a) Beratung über Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtungen zur Berufsbildung gemäß § 97 Abs. 1 BetrVG Dem Betriebsrat steht gemäß § 97 Abs. 1 BetrVG ein Beratungsrecht mit dem Arbeitgeber über Einrichtung und Ausstattung betrieblicher Bildungseinrichtungen zu. Dieses greift zwar im Gegensatz zu § 96 BetrVG unabhängig vom Verlangen des Betriebsrats, jedoch trotzdem erst dann, wenn der Arbeitgeber eine Bildungsmaßnahme durchführen will. Die grundsätzliche Entscheidung, ob eine Berufsbildungsmaßnahme durchgeführt werden soll, bleibt also allein dem Arbeitgeber überlassen. 262 Daher sind die Auswirkungen des gegenüber § 96 BetrVG eigentlich spezielleren § 97 Abs. 1 BetrVG bezüglich der hier verfolgten Fragestellung sogar noch geringer. b) Mitbestimmung bei der Einführung betrieblicher Berufsbildung Seit dem 25. 09. 2001 sind die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes zur beruflichen Bildung um eine bedeutende Regelung erweitert. 263 Nach § 97 Abs. 2 BetrVG hat der Arbeitgeber bei von ihm geplanten oder durchgeführten Maßnahmen, die zu einer Änderung der Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer führen oder dazu, daß deren beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen, den Betriebsrat bei der Einführung von betrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen mitbestimmen zu lassen?64 Die Norm stellt ein echtes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates dar, das nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers ein Initiativrecht des Betriebsrats mit umfaßt. 265 Der Betriebsrat muß also nicht nur zustimmen, sondern kann die Einführung von Bildungsrnaßnahmen auch vorantreiben. 266 Damit ist der Arbeitgeber im Rahmen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG nicht mehr als frei anzusehen. Eine berufliche Bildungsmaßnahme kann vom Betriebsrat über die Entscheidung der Einigungsstelle auch gegen den Willen des Arbeitgebers erzwungen werden. Der Betriebsrat kann sich als Sprachrohr der Arbeitnehmer jetzt an Entscheidungen über Bildungsrnaßnahmen beteiligen und die Verteilungsgerechtigkeit der für Qualifikationen aufgebrachten Mittel besser beeinflussen. Natürlich trifft das nicht auf 262 ErfK/ Hanaul Kania, § 97 BetrVG Rn. 1; Gi/berg, S. 239; GK-Krajt, § 97 BetrVG Rn. 3; Hammer; Berufsbildung und Betriebsverfassung, S. 151 f. 263 BGBI. I, 2001, S. 2518 ff. (2520). 264 Zur Entstehungsgeschichte dieser Norm BT-Drucks. 14/5741, S. 15,49 f. sowie BTDrucks. 14/6352, S. 55; vgl. auch Franzen, NZA 2001, S. 865 ff. (865 f). 265 BT-Drucks. 14/5741, S. 49 f.; BR-Drucks 140/01, S. 113 f. 266 BT-Drucks. 14/5741, S. 15.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
jede beliebige Situation im Arbeitsalltag zu, sondern die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG müssen erfüllt sein. aa) Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechtes nach § 97 Abs. 2 BetrVG
Soll der Betriebsrat bei der Einführung einer Berufsbildungsmaßnahme mitbestimmen können, muß der Arbeitgeber zunächst eine Maßnahme geplant oder bereits durchgeführt haben, wodurch sich die Tätigkeit der Arbeitnehmer ändert oder ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr für die Erfüllung der Tätigkeiten ausreichen. Durch die Bezugnahme auf eine geplante oder durchgeführte Maßnahme des Arbeitgebers statt der im ersten Entwurf für § 97 Abs. 2 BetrVG geplanten Aufzählung einzelner Veränderungen des Arbeitsablaufs durch den Arbeitgeber267 , ist der Tatbestand sehr weit gefaßt und es kommt grundsätzlich jede durch den Arbeitgeber vorgenommene Veränderung, die sich auf den Arbeitsprozeß auswirkt, in Betracht. 268 Begrenzt wird der Tatbestand zunächst durch die zweite und dritte Voraussetzung. Zum einen muß sich die Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers ändern. Franzen geht bei dieser Voraussetzung davon aus, daß das Mitbestimmungsrecht erst entsteht, wenn sich bereits durch die Planung oder aber die Durchführung der Maßnahme die Tätigkeit tatsächlich ändert. 269 Er begründet das mit der Verwendung der Präsens von ändern anstatt des im Referentenentwurf noch gebrauchten Futurs (ändern wird27o ).271 Da der Tatbestand des § 97 Abs. 2 BetrVG auch erfüllt ist, wenn eine Planung dazujührt, daß sich die Tätigkeit ändert, handelt es sich meines Erachtens lediglich um eine sprachliche Modifikation ohne tatbestandliche Auswirkung. Anderenfalls müßte schon im Planungsstadium eine Änderung der Tätigkeit erfolgen, soll dieser Teilsatz nicht leerlaufen. Gestützt wird diese Ansicht durch die Begründung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, da dieser Ausschuß zwar die Änderung vorschlug, aber sich nicht zu einer diesbezüglich gewollten inhaltliche Veränderung äußert. 272 Desweiteren dürfen die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer den nunmehr neuen Anforderungen nicht mehr genügen. Es muß also ein direkter Zusammenhang zwischen der Veränderung des Arbeitsprozesses und den nicht mehr genügenden beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten bestehen. Ist 267 BT-Drucks. 14/5741, S. 15,49 f. sowie BT-Drucks. 14/6352, S. 55. Kritisch zu der ersten, sehr eng gefaßten Form schon Däubler, AuR 2001, 1 ff. (7). 268 Vgl. auch Linderkamp, AiB 2001, 641 ff. (642 f.). 269 NZA 2001,865 ff. (866). 270 Vgl. BT-Drucks. 14/5741, S. 15. 271 Franzen, NZA 2001, 865 ff. (866). 272 BT-Drucks. 14/6352, S. 3, 55.
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diese Ursächlichkeit gegeben, stellt der Zusatz beruflich eine Einschränkung dar. Eine vom Arbeitgeber herbeigeführte Veränderung, die nicht berufs- sondern allein arbeitsplatz spezifische neue Kenntnisse verlangt, ist danach nicht umfaßt. Ausgeschlossen wäre beispielsweise die Mitbestimmung des Betriebsrates bei Bildungsrnaßnahmen, wie sie in Beispiel p73 nötig werden. Dort konnten die in der TGmbH beschäftigten Ingenieure durch den neuen, nunmehr internationalen Unternebmenszuschnitt plötzlich nicht mehr mit allen Kollegen kommunizieren. Fehlende englischen Sprachkenntnisse stellen aber keine beruflichen Kenntnisse dar, da diese Sprachkenntnisse (noch) nicht zum Berufsbild eines Ingenieurs gehören. Mit diesem Verständnis korrespondiert auch die Rechtsfolge, denn berufliche Bildungsmaßnahmen sind ja gerade solche, die den Arbeitnehmern berufliche Kenntnisse und Erfahrungen verschaffen sollen, die der Ausfüllung des Arbeitsplatzes und der beruflichen Tätigkeit dienen. 274 Fraglich ist, ob sich die Beschränkung beruflich auch auf Fähigkeiten bezieht. Der Tatbestand könnte auch so zu lesen sein, daß sich die Tätigkeit der Arbeitnehmer ändert und ihre Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Arbeit nicht mehr ausreichen. Unter Fähigkeiten könnten dann alle die Eigenschaften fallen, die nicht berufliche Kenntnisse sind und zusätzlich zur Erfüllung der Aufgabe nötig sind. Dazu, wie der Begriff der Fähigkeiten zu verstehen ist, gibt die Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte. Es könnte einzig ein Bezug auf beide Substantive darin erkannt werden, daß die Begriffe Kenntnisse und Fähigkeiten stets gemeinsam benannt werden. Andererseits wird gerade bei den nach herrschender Ansicht für § 81 Abs. 1, 2 BetrVG verlangten beruflichen Kenntnissen 275 für eine Unterrichtung nicht ebenfalls auf Fähigkeiten abgestellt. Dies könnte für eine alleinige Interpretation von Fähigkeiten sprechen. Jedoch würde dann die Rechtsfolge - die Vornahme einer betrieblichen Bildungsmaßnahme - nicht dazu passen, da hier ja gerade berufliche Kenntnisse vermittelt werden sollen. Fähigkeiten ist daher meines Erachtens im Zusammenhang mit beruflich zu lesen und meint im Gegensatz zu theoretischen Kenntnissen die praktischen beruflichen Eigenschaften. Problematisch ist, daß aus dem Gesetz nicht hervorgeht, ob für das Mitbestimmungsrecht des § 97 Abs. 2 BetrVG ein kollektiver Tatbestand nötig ist. Dieser wird als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal hauptsächlich bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten gern. § 87 BetrVG verlangt. 276 Grund ist der von Natur aus kollektive Bezug gegenüber der häufig allein individuellen Betroffenheit in personellen Angelegenheiten. Jedoch wird auch bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nicht ausschließlich der kollektive Tatbestand verlangt, sondern es wird davon abhängig gemacht, ob nicht die Auslegung des Katalogs des § 87 Abs. I BetrVG ergibt, daß auch in Einzelfällen mitzubestim273 274 275
276
Vgl. S. 26. Dazu bereits oben unter § 5 A III 1/ S. 98. Dazu sowie zu dem hier vertretenen anderen Verständnis unter § 5 A IV 1 a)/ S. 112 ff. Franzen, NZA 2001,865 ff. (867 f.).
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men ist. Da es letztlich doch auf die Auslegung des jeweiligen Mitbestimmungsrechtes ankommt, erscheint es nicht ausgeschlossen, auch bei den personellen Beteiligungsrechten des Betriebsrates einen kollektiven Bezug zu verlangen. Für das Bedürfnis nach einem kollektiven Tatbestand spricht, daß es sich bei §§ 97, 98 BetrVG ebenfalls um echte Mitbestimmungsrechte handelt, die es sonst nur bei den sozialen Angelegenheiten gibt. 277 Zudem betreffen auch die personellen Maßnahmen nicht immer nur Einzelrnaßnahmen, sondern gerade im ersten Unterabschnitt, den allgemeinen personellen Angelegenheiten (§§ 92 ff. BetrVG), handelt es sich um Regelungen, die eindeutig kollektiv ausgerichtet sind. Gleiches muß meines Erachtens auch für die Berufsbildungsmaßnahmen gelten. Gestützt wird diese Betrachtungsweise durch die Zwitterstellung, die Berufsbildungsmaßnahmen zwischen überwiegend individuellen personellen und fast ausschließlich kollektiven sozialen Maßnahmen einnehmen, was sich auch daran erkennen läßt, daß sie noch im BetrVG 1952 den sozialen Angelegenheiten zugeordnet waren?78 Durch die Einführung von § 97 Abs. 2 BetrVG sollte nicht vordergründig die Kündigung des einzelnen Arbeitnehmers verhindert werden 279 , sondern im Vordergrund stand der präventive Schutz der Beschäftigung aller von betrieblichen Änderungen betroffenen Arbeitnehmer?80 Im Bereich der zwingenden Mitbestimmung bei beruflichen Bildungsrnaßnahmen ist daher stets ein vorliegender kollektiver Tatbestand zu verlangen. Das bedeutet, es dürfen nicht ausschließlich die Umstände eines konkreten Einzelfalles eines Arbeitnehmers die Berufsbildung erfordern, sondern es muß ein innerer Zusammenhang zwischen mehreren ähnlichen Maßnahmen gegenüber mehreren Arbeitnehmern bestehen?81 Ein weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal will Franzen in § 97 Abs. 2 BetrVG hineinlesen. So soll ein Mitbestimmungsrecht durch den Betriebsrat zum Ausgleich von Qualifikationsdefiziten nur gegeben sein, wenn eine betriebliche Bildungsmaßnahme erforderlich ist. 282 Die Erforderlichkeit fehlt seiner Ansicht nach immer dann, wenn die fehlenden Kenntnisse der Arbeitnehmer auch durch andere Maßnahmen als berufliche Bildungsrnaßnahmen ausgeglichen werden könnten oder weil keine Aussicht auf Erfolg besteht. 283 Dieser ungeschriebenen tatbestandlichen Begrenzung kann nicht gefolgt werden, da sie nicht notwendig ist. Erstens läßt sich aus § 97 Abs. 2 BetrVG nicht erkennen, daß er gegenüber anderen Franzen, NZA 200 1, 865 ff. (868). Vgl. § 56 I lit. d BetrVG 1952. 279 Zu der diesen Schutz bietenden Norm des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vgl. § 10 AI S. 268 ff. und insbesondere zum Verhältnis des § 97 Abs. 2 zu § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vgl. § 10 A VII 3 al S. 374 ff. 280 Vgl. BT-Drucks. 14/5741, S. 549 f. 281 Vgl. GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 33 m. w. N. 282 NZA 2001,865 ff (867). 283 Franzen, NZA 2001, 865 ff (867,871). 277 278
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Nonnen nur nachrangig greifen soll.284 Wäre das gewollt gewesen und könnte dies durch ein zusätzlichen Tatbestandsmerkmal vennieden werden, hätte der Gesetzgeber dies in § 97 Abs. 2 BetrVG verankern können. Zweitens würde eine Maßnahme, die von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hat und daher nach Franzen nicht erforderlich ist, von Betriebsrat und Arbeitgeber ohnehin nicht vereinbart und könnte auch nicht unter Beachtung des billigen Ennessens gern. § 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG über die Einigungsstelle erzwungen werden. Die tatbestandliche Beschränkung durch ein zusätzliches Merkmal auf lediglich erforderliche berufliche Bildungsrnaßnahmen ist somit abzulehnen.
bb) Zusammenfassung zur Mitbestimmung des Betriebsrates bei der Einführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen Durch die neue Regelung in § 97 Abs. 2 BetrVG soll ein Beitrag zur Beschäftigungssicherung geleistet werden. 285 Dies ist dem Gesetzgeber gerade auch durch die gegenüber dem Referentenentwurf erfolgte Erweiterung auf alle Maßnahmen, die zu einer Änderung der Tätigkeit des Arbeitnehmers führen 286, gelungen. Unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigungssicherung erscheint die Auferlegung der Weiterbildungspflicht gegenüber dem Arbeitgeber auch nicht unangemessen. Zwar wird die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers beeinträchtigt, jedoch läßt sich dies durch Erwägungen des Gemeinwohls rechtfertigen. 287 Die von dem Betriebsrat mitzubestimmenden Maßnahmen beziehen sich ausschließlich auf drohende Qualifikationsverluste, die den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährden288 , weswegen sich das Mitbestimmungsrecht präventiv gegen in naher Zukunft anstehende Kündigungen richtet. 289 Dies ist ein legitimes Ziel unter Einsatz eines angemessenen Mittels. Schließlich werden die mitzubestimmenden Bildungsrnaßnahmen auf arbeitsplatzbezogene, also in erster Linie dem Arbeitgeber unmittelbar zugute kommende Verbesserungen der Erfüllung der Arbeitspflichten begrenzt, solange sie berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten vennitteln. Hinzu kommt, daß der Arbeitgeber in seiner grundsätzlichen Entscheidung darüber, überhaupt Änderungen vorzunehmen, weiterhin frei bleibt. Der Betriebsrat wird erst tätig, wenn die Maßnahme bzw. deren Auswirkungen bereits die Arbeitsverhältnisse beeinflussen. Durch die Einführung des § 97 Abs. 2 BetrVG wurden die Rechte des Betriebsrates bei der Durchführung von Qualifizierungen erheblich erweitert. Er kann jetzt 284 Vgl. zur Kollision mit § 81 Abs. 1, 2 BetrVG in bestimmten Fällen und der Behandlung dieses Problems unter § 5 IV 4/S. 140 f. 285 BT-Drucks. 14/5741, S. 50. 286 BT-Drucks. 14/6352, S. 3, 55. 287 BVerfG - 1 BvR 563/851 - v. 15. 12. 1987 unter C. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG. Vgl. auch § 5 IV 1 d)/S. 135 ff. 288 Dazu im 3.Teil. Zu fachlichen Mängeln: § 10 A III 1 b)/ S. 284 ff. 289 BT-Drucks. 14/5741, S. 50.
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nicht mehr nur bezüglich des Wie einer betrieblichen Bildungsmaßnahme an der Entscheidung teilhaben 29o , sondern auch auf der Vorstufe, dem Ob einer betrieblichen Qualifizierung, mitbestimmen. 4. Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen gemäß § 98 BetrVG
Vor Einführung des § 97 Abs. 2 BetrVG ergab sich das stärkste Mitbestimmungsrecht im Zusammenhang mit den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über die Berufsbildung aus dem echten Mitbestimmungsrecht des § 98 BetrVG. Gemäß § 98 Abs. 1 BetrVG soll der Betriebsrat bei der "Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung" mitbestimmen. Die Absätze 2 - 6 regeln die weiteren Modalitäten. a) Die Entscheidung über das Ob der beruflichen Bildung Es war schon früher ganz herrschende Ansicht, daß sich die Mitbestimmungspflicht des § 98 BetrVG lediglich auf das Wie der Durchführung bezieht. 291 Die von Klebe / Roth zur § 98 BetrVG verfolgte Argumentationslinie, wonach Überlegungen zu der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in § 87 BetrVG heranzuziehen seien 292 und vergleichbar den echten Mitbestimmungsrechten zu den sozialen Angelegenheiten gern. § 87 BetrVG dem Betriebsrat ein Initiativrecht zuzugestehen sei 293 , ist abzulehnen. Ein solches Initiativrecht soll nach Klebe/ Roth bezogen auf die Durchführung einer Bildungsmaßnahme zumindest mittelbar zu einer unfreiwilligen Einrichtung einer Berufsbildungsmaßnahme führen, sobald der Betriebsrat sie verlangt. 294 Jedoch ist ein derartiges Initiativrecht im Rahmen des § 98 BetrVG abzulehnen. Schon der Wortlaut des § 98 BetrVG betrifft lediglich die Durchführung, also das Wie der Berufsbildungsmaßnahmen. Die Einrichtung wird demgegenüber in den §§ 96 f. BetrVG geregelt. Insbesondere jedoch nach der Aufnahme des § 97 Abs. 2 BetrVG in das Betriebsverfassungsgesetz, der ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von beruflichen Bildungsrnaßnahmen regelt und anerkanntennaßen ein Initiativrecht umfaßt295 , besteht kein Grund mehr, ein Initiativrecht aus § 98 BetrVG herzuleiten. Dazu sogleich unter 4 a) I S. 106 f. BAG - 1 ABR 32/86 - v. 8. 12. 1987 unter 11. 1. der Gründe; AP Nr. 4 zu § 98 BetrVG; F/K/R/E/S, § 98 BetrVG Rn. 2; GK-Kraft. § 98 BetrVG Rn. 6; MünchArbRIMatthes § 351 Rn. 21. A. A. KlebelRoth. DB 1989, 1519 ff. (1520). 292 DB 1989. 1518 ff. (1519). 290 291
293 BAG - 1 ABR 65/73 - v. 14. 11. 1974 unter 11. 3. der Gründe, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG mit zust. Anm. Richardi; - 1 ABR 27/80 - v. 31. 8. 1982 unter B. III. 3. der Gründe, AP Nr. 8 zu § 87 BetrVG Arbeitszeit; F/K/R/E/S, § 87 BetrVG Rn. 553 ff. m. w. N.; Richardi. § 87 BetrVG Rn. 68 ff. m. w. N. 294 DB 1989, 1518 ff. (1519). 295 Vgl.§5AIII3b/S.101 ff.
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Das Mitbestimmungsrecht nach § 98 BetrVG kann den Arbeitgeber demnach in seiner freien Entscheidung, eine Bildungsmaßnahme einzurichten, nicht über § 97 Abs. 2 BetrVG hinausgehend beeinflussen. b) Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers durch einen individuellen Teilnahmeanspruch gemäß § 98 Abs. 3 BetrVG Zumindest eine teilweise Einschränkung der freien Arbeitgeberentscheidung könnte sich ergeben, wenn die Teilnehmer an der Bildungsmaßnahme gern. § 98 BetrVG einmal ordnungsgemäß bestimmt sind. Diese Festlegung auf einzelne Arbeitnehmer könnte für die jeweils ausgewählten einen individuellen Anspruch zumindest insofern begründen, als eine andere Auswahl nicht mehr möglich ist?96 Zwar bleibt der Arbeitgeber in seiner grundsätzlichen Entscheidung eine eigentlich angestrebte Weiterbildungsmaßnahme durchzuführen weiterhin frei. Bei Durchführung kann er aber keine anderen Teilnehmer als die bereits festgelegten mehr bestimmen. Die so festgestellte Bindung des Arbeitgebers kann seine grundsätzliche Entscheidungsfreiheit bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen allerdings kaum beeinflussen, jedoch darf der Arbeitgeber nicht vollkommen willkürlich über die Teilnahme an der Weiterbildung entscheiden und er ist verpflichtet, sich bezüglich der Art und Weise der Durchführung einer Weiterbildung mit den Vorstellungen des Betriebsrates als Vertreter der Interessen der Arbeitnehmer auseinanderzusetzen. 5. Ergebnis zu Berufsbildungsvorschriften gemäß §§ 96 ff. BetrVG Durch die Regelung des § 97 Abs. 2 BetrVG wird der Arbeitgeber in seiner grundsätzlichen Entscheidung darüber, ob er Bildungsrnaßnahmen durchführen möchte oder nicht, beschränkt. Der Betriebsrat hat bei der Einführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen mitzubestimmen, wenn die beruflichen Kenntnisse der Arbeitnehmer durch eine vom Arbeitgeber durchgeführte Maßnahme nicht mehr ausreichend sind. Da dieses Mitbestimmungsrecht auch ein Initiativrecht des Betriebsrats erfaßt, kann durch Einschaltung der Einigungsstelle mittelbar die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen auch gegen den Willen des Arbeitgebers erzwungen werden. Die Mitbestimmung des Betriebsrats bezieht sich teilweise 296 Gi/berg, S. 258 f. m. w. N. Vgl. auch Galperinl Löwisch, § 98 BetrVG Rn. 24; Richardi. § 98 BetrVG Rn. 64. A. A. H/SIG-Glaubitz. § 98 BetrVG Rn. 59 f., die nur eine Bindung gegenüber dem Betriebsrat anerkennen; MünchArbRI Matthes § 351 Rn. 46, der nur die individuelle Geltendmachung mangelnder Gleichbehandlung mit den anderen ausgewählten Arbeitnehmern für möglich hält.
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auch auf Unterrichtungsmaßnahmen des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1, 2 BetrVG?97 Zumindest innerhalb des gleichen Anwendungsbereiches werden den Arbei tnehmem also keine zusätzlichen Rechte verschafft. 298 Jedoch ist durch das Kontrollorgan Betriebsrat selbst für die Arbeitnehmer, die nun sozusagen einen doppelten Anspruch erlangen, neben der rechtlichen Möglichkeit die tatsächliche Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen besser abgesichert. Bezüglich des Wie der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen hat der Betriebsrat ebenfalls ein echtes Mitbestimmungsrecht.
IV. Bedeutung des § 81 Abs. 1,2 BetrVG für die betriebliche Weiterbildung
Eine weitere gesetzliche Beschränkung der freien Entscheidung des Arbeitgebers über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen könnte sich aus § 81 Abs. 1,2 BetrVG ergeben. Darin wird bestimmt, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die Anforderungen des konkreten Arbeitsplatzes zu unterrichten hat. Diese Vorschrift beinhaltet, daß der betreffende Arbeitnehmer bei Neueinstellung und Veränderung des Arbeitsplatzes über die Anforderungen der Tätigkeit und die Einordnung in den betrieblichen Ablauf zu informieren ist sowie in die Art der Tätigkeit eingewiesen werden muß?99 Der Arbeitgeber hat die Unterrichtung von sich aus vorzunehmen. Unterläßt er es, kann der Arbeitnehmer den Anspruch individualrechtlich geltend machen. 3OO Schon der Überblick über den Inhalt der Unterrichtung i. S. d. § 81 BetrVG läßt erkennen, daß sie sich nicht nur durch den Adressaten von der nach §§ 90, 92 BetrVG zu erfolgenden Unterrichtung unterscheidet. Trotzdem weckt der Begriff der Einweisung nicht sofort auch die Assoziation zur Weiterbildung. Die Betrachtung eines Beispiels macht jedoch deutlich, wie nah die Materien beieinander liegen. Beispiel 2
Die T-GmbH entwickelt und produziert Mikrochips. Zur Überprüfung ihrer Prototypen verwendet sie hochwertige Testsysteme, die meist innerhalb von zwei Jahren veraltet sind und deshalb häufig erweitert oder ersetzt werden müssen. Nach jeder Neuanschaffung besucht der zuständige Testingenieur vom Verkäufer organisierte, meist in Kursen mit Arbeitnehmern anderer Kunden durchgeführte Einführungsveranstaltungen. Je nach Veränderung gegenüber dem vorherigen System dauern die Kurse von zwei Tagen bis zu zwei Wochen. 297 Zu diesem Individualrecht der Arbeitnehmer zugleich unter § 5 A IV / S. 108 ff. sowie zusammenfassend S. 146. 298 Vgl. zu dem Konkurrenzverhältnis beider Vorschriften § 5 A IV 4/ S. 140 f. 299 BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 9; Richardi, § 81 BetrVG Rn. 3 f. 300 Hammer; ZRP 1998,23 ff. (24); Richardi, § 81 BetrVG Rn. 4.
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Durch die Teilnahme an der Einführungsveranstaltung könnte der Arbeitgeber dem gesetzlichen Gebot zur Unterrichtung gern. § 81 Abs. 2 BetrVG nachgekommen sein, da sich die Anforderungen an den Arbeitsplatz des Ingenieurs durch das neue System geändert haben und er in die Änderungen einzuweisen ist. Ebenso könnte der Kurs als betriebliche Weiterbildung angesehen werden, schließlich lernt der Ingenieur ein neues System kennen und bedienen. Das kann unproblematisch unter den weiten Begriff der betrieblichen Weiterbildung gefaßt werden, die als Erweiterung der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Verhaltensweisen und Fertigkeiten des Arbeitnehmers bei seiner beruflichen Tätigkeit dienender und primär im betrieblichen Interesse liegender Bildungsprozeß301 bezeichnet wird. Stellt das vorliegende Beispiel eine Einweisung dar, die gleichzeitig als betriebliche Weiterbildung bezeichnet werden könnte, wäre der Arbeitgeber wegen § 81 Abs. 1,2 BetrVG nicht mehr als frei in der Entscheidung über die Einführung solcher Weiterbildungsmaßnahmen zu bezeichnen, die zugleich eine Unterrichtung i. S. d. § 81 Abs. 1,2 BetrVG darstellen. Dieser These muß im folgenden nachgegangen werden. Zur Einordnung und Abgrenzung des § 81 BetrVG wird zunächst untersucht, was von einer Unterrichtung umfaßt sein kann (1.), bevor das sehr umstrittene Verhältnis zu den Berufsbildungsmaßnahmen i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG näher betrachtet (2.) und auf den Umfang der Unterrichtung eingegangen wird (3.). Abschließend ist der Rechtscharakter des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG, seine Ausgestaltung als Pflicht oder Obliegenheit, kurz zu erörtern (4.). 1. Die Unterrichtung im Sinne des § 81 Abs. 1,2 BetrVG
Die Unterrichtung i. S. d. § 81 BetrVG erschöpft sich nicht in einer bloßen Information, sondern ist insofern weit aufzufassen, als jeder Arbeitnehmer individuell und präzise auf seinen Arbeitsplatz einzustellen ist. 302 Es sind die Kenntnisse zu vermitteln, die der Arbeitnehmer zur Arbeitsausführung benötigt. 303 Sie bezieht sich insbesondere auf Arbeitsplatz und Arbeitsgerät, die Art der Tätigkeit, die Beschaffenheit der Arbeitsmittel, die Bedienung der Software bei Bildschirmarbeitsplätzen sowie die Bedienung und Wartung von Maschinen und Geräten. 304
Dazu ausführlich: l.Teil § 2 AI S. 30 ff. ErfKIHanaulKania, § 81 BetrVG Rn. 3; F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 3; GKWiese, § 81 BetrVG Rn. 4. 303 Rumpjfl Boewer, F 2.4 Rn. 28; von Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 294 f. 304 BAG, - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. II. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; Hammer, ZRP 1998, 23 ff. (24); F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 4. 301
302
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Während Absatz 1 die Unterrichtung vor bzw. zu Beginn der Tätigkeit umfaßt, betrifft Absatz 2 deren Notwendigkeit im Falle einer Veränderung des Arbeitsbereichs. Der Begriff des Arbeitsbereichs wird vom BAG als Umkehrschluß aus Absatz 1 durch die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben. Welche Arbeitsbereiche in einem Betrieb vorhanden sind, soll sich aus der Organisation des Betriebes ergeben?05 Kurz: der Arbeitsbereich bestimmt sich nach dem konkreten Arbeitsplatz und dessen Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht. 306 Eine Veränderung des Arbeitsbereichs kann einerseits die organisatorische und technische Veränderung bei gleichbleibendem Arbeitsplatz oder in der Arbeitsumgebung sein, andererseits aber auch eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz. 30? Eine Veränderung des Arbeitsbereichs kann, muß aber nicht eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne darstellen?08 Selbstverständlich können Unterrichtungen nur mit Bezug zum konkret betroffenen Arbeitsplatz erfolgen. Fraglich ist aber, was unter Arbeitsplatzbezug zu verstehen ist. Soll lediglich irgendein Bezug zum Arbeitsplatz nötig sein, muß neben anderen Vorteilen ein überwiegender Bezug zum Arbeitsplatz gegeben sein oder ist auf zusätzlich einschränkende Kriterien zu verweisen, um den Arbeitgeber nicht zu sehr zu strapazieren? Die Klärung dieser Frage ist unvermeidbar, kann doch eine Unterrichtung sehr umfassend sein und eine hohe Belastung für den Arbeitgeber bedeuten. 309 Der Arbeitgeber könnte verpflichtet sein, die Arbeitnehmer unabhängig von ihren Vorkenntnissen in jede, durch Veränderungen des Arbeitsbereichs entstehende, neue Tätigkeit einzuweisen. Wird aber der Arbeitsplatz derart verändert, daß sich die beruflichen und sonstigen Grundanforderungen ändern oder hat eine Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz diese Folge, kann nicht automatisch die Pflicht entstehen, den insofern nicht mehr geeigneten Arbeitnehmer gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG einzuweisen?IO Das wäre von der Bedeutung des Begriffs
305 BAG - 1 ABR 33/90 - v. 19.2.1991 unter B. I. 1. der Gründe, (juris); - 1 ABR 381 93 - v. 23. 11. 1993 unter B. 1. a) der Gründe, AP Nr. 33 zu § 95 BetrVG; - 1 AZR 743/95 v. 2. 4. 1996 unter I. 1. der Gründe, AP Nr. 34 zu § 95 BetrVG. 306 D/K/K-Buschmann, § 81 BetrVG Rn. 10; ErfKl Hanau/Kania, § 81 BetrVG Rn. 13; GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 8. 307 ErfKl Hanau/Kania, § 81 BetrVG Rn. 13; F/K/H/E/S, § 81 Rn. 17 f. 308 BAG - 1 AZR 743/95 - v. 2. 4. 1996 unter I. 1. der Gründe, AP Nr. 34 zu § 95 BetrVG; Boewer, DB 1979, 1035 ff. (1037); F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 17. Noch weitergehend: D/K/K-Buschmann, § 81 BetrVG Rn. 10, wonach eine Veränderung des Arbeitsbereichs sogar über eine Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 BetrVG hinausgehen kann. 309 Zum Umfang der Unterrichtung, also der Frage, wie sich die Kosten solcher Maßnahmen verteilen § 5 IV 31 S. 139. 310 Häufig wird es sich in einem solchen Fall um eine Änderungskündigung des Arbeitgebers handeln, bezüglich derer sozialer Rechtfertigung auf § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG zu verweisen wäre.
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"Unterrichtung" nicht mehr in dem Sinne umfaßt, in welchem er in das Gesetz eingeführt wurde. 311 Der Verdeutlichung soll ein weiteres Beispiel dienen: Beispiel 3
Herr A arbeitet in einer Bäckerei als Verkäufer. Da die Bäckerei nur einen kleinen Einzugskreis hat, soll Herr A demnächst mit einem Verkaufswagen zu den umliegenden Wohngebieten fahren und dort verkaufen. A wäre grundsätzlich bereit, die Aufgabe zu übernehmen, ist allerdings nicht im Besitz eines Führerscheins. Mit Verweis auf § 81 Abs. 2 BetrVG verlangt er nun vom Arbeitgeber, ihm die Fahrausbildung zu finanzieren.
Bei Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale des § 81 BetrVG könnte A ein solcher Anspruch tatsächlich zuzugestehen sein. So führt die Bereitstellung eines Verkaufswagens statt der bisher gewohnten Verkaufstheke für A zu einer Änderung seines Arbeitsbereichs. Der Besitz eines Führerscheins hat Arbeitsplatzbezug, so daß ein Unterrichtungsanspruch gegeben zu sein scheint. Scheitern könnte ein Anspruch an der Rechtsfolge, die lediglich Unterrichtung vorsieht. Der Begriff der Unterrichtung wird jedoch sehr weit verstanden. So wie eine Einweisung in ein Softwareprogramm eine Unterrichtung darstellen kann312 , könnte auch eine Fahrunterweisung, also eine Fahrausbildung mit Erwerb des Führerscheins, als solche zu verstehen sein. Es steht außer Frage, daß ein solcher Anspruch zu weit führte und § 81 BetrVG in jeder Hinsicht zu weit ausdehnte. Die Umgestaltung des Arbeitsplatzes ginge für den Arbeitgeber immer einher mit umfassenden Qualifizierungspflichten. Vor jeder betriebsbedingten Kündigung wegen Umstrukturierung des Arbeitsplatzes müßte der Arbeitnehmer umfassend über die Änderungen unterrichtet werden, ohne daß dabei das Korrelat der Zumutbarkeit einer solchen Unterrichtung gegeben ist, wie beispielsweise bei § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG. Nachfolgend soll daher versucht werden, den Tatbestand des § 81 BetrVG präziser zu beschreiben. Die von Rechtsprechung 313 und Literatur314 zur Unterrichtungspflicht angestellten Überlegungen betreffen in erster Linie die Frage, wie sich das Verhältnis des § 81 BetrVG zu den §§ 96 ff. BetrVG gestaltet und wie weit der Berufsbildungsbegriff der §§ 96 ff. BetrVG auszulegen ist. § 81 BetrVG wird somit meist negativ abgegrenzt, ohne den Tatbestand positiv zu beschreiben.
BT-Drucks. VI/1786. BAG, - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. H. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 4; Hamm, AuR 1992,326 ff. (333 f.). 313 BAG - I ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 39/86 - v. 10. 2. 1988 unter H. 1. der Gründe, AP Nr. 5 zu § 98 BetrVG; 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991, unter B. H. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; zuletzt - 8 AZR 599/92 - 23.06. 1994 unter B. III. 2. c) bb) der Gründe (juris). 314 Alexander; NZA 1992, 1057 ff.; Gilberg, S. 150 ff., 157 ff; Hamm, AuR 1992,326 ff.; Hammer; ZRP 1998, 23 ff.; die kritischen Ansichten zusammenfassend: Hammer; ZTR 1996,245 ff.; GK-Kraft, § 96 BetrVG Rn. 9 ff.; Kraft, NZA 1990,457 ff.; Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 86 ff. 311
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Zum besseren Verständnis müssen bei der Betrachtung des Unterrichtungsrechts aus § 81 Abs. 1,2 BetrVG zwei Ebenen unterschieden werden. Zum einen sind die Voraussetzungen zu untersuchen, die ein Arbeitnehmer eifüllen muß, bevor eine Unterrichtungsmaßnahme überhaupt in Betracht kommen kann (unter (a». Dies soll einer unsachgemäßen, übermäßigen Ausweitung des Regelungsgehaltes des § 81 Abs. 1,2 BetrVG vergleichbar der in Beispiel 3 dargestellten entgegenwirken. So braucht eine Unterrichtung nicht erfolgen, wenn der Arbeitnehmer schon den Grundanforderungen des Arbeitsplatzes nicht entspricht. Liegen alle maßgeblichen Voraussetzungen seitens des Arbeitnehmers vor, ist in einem zweiten Schritt zu fragen, ob zusätzlich eine Einschränkung bezüglich der Art der Maßnahme und deren Auswirkungen auf die beruflichen Kenntnisse nötig ist und - falls dies bejaht werden kann - nach welchen Kriterien sie zu erfolgen hat (unter (b». a) Voraussetzung an den zu unterrichtenden Arbeitnehmer Zur Verdeutlichung der sogleich darzustellenden Ansichten dient das folgende Beispiel, anhand dessen die Anforderungen an den Arbeitnehmer jeweils näher untersucht werden: Beispiel 4 315 Obwohl die Tatigkeit in den Sekretariaten der Firma X grundsätzlich auch weiterhin mit der Schreibmaschine ausführbar wäre, wurden Macintosh-PCs der Firma Apple angeschafft. Frau B (23 Jahre, Sekretärin) erlernte in ihrer Ausbildung den Umgang mit Personalcomputern, hat bisher aber noch nie mit einem Macintosh gearbeitet, der in der Bedienung etwas anders funktioniert. Herr C, 50 Jahre und seit 32 Jahren Sekretär, kennt sich mit Computern nicht aus, da es zu seiner Ausbildungszeit nur Schreibmaschinen gab. Auch einen PC bekommen hat Frau D, die als Nachtpförtnerin arbeitet. Sie soll alle nächtlichen Vorgänge im Rechner festhalten, damit keine Informationszettel mehr zwischen Pforte und Geschäftsleitung verlorengehen und sich sowohl die Hausmeister als auch die Geschäftsleitung am nächsten Tag per Intranet sofort und gegebenenfalls gleichzeitig über die nächtlichen Vorgänge informieren können. Zwar bietet der Arbeitgeber in seinem betriebsinternen Weiterbildungsprogramm einen Einführungskurs "Computer für Anfänger. Allgemeine Grundlagen und die Besonderheiten bei der Arbeit mit dem i-Mac" an, er läßt aber weder B noch C und D daran teilnehmen. Für Frau B, Herm C und Frau D stellt sich die Frage, ob sie einen Anspruch auf eine Unterrichtung gern. § 81 BetrVG und somit Teilnahme an den angebotenen Kurs haben.
aa) Berufsbezogene Kenntnisse als notwendige Voraussetzung
In ständiger Rechtsprechung verlangen das BAG und Teile der Literatur als zusätzliche Voraussetzung des Arbeitnehmers, daß er "für die Ausübung ,seiner 315 Das Beispiel ist zum Teil angelehnt an BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1990, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG, in dem das BAG eine betriebliche Bildungsmaßnahrne gern. § 98 BetrVG annimmt.
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Tätigkeit' die erforderlichen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen schon besitzt".316 Frau B erfüllt unproblematisch die geforderten Voraussetzungen. Zwar konnte sie ihre Arbeit bisher ohne PC verrichten, wäre aber auch in der Lage, mit einen Computer zu arbeiten. Schwieriger läßt sich die Frage für Herrn C beantworten. Er ist zwar ausgebildeter Sekretär und besaß zur Zeit seiner Ausbildung die damals geltenden beruflichen Anforderungen. Mittlerweile gehören aber PC-Kenntnisse zum Berufsbild eines Sekretärs. Obwohl Herr C bisher die für die Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen beruflichen Kenntnisse besaß, entspricht er diesen Anforderungen nach Einführung des Computers nicht mehr. Da es aber auf die erforderlichen Kenntnisse am geänderten und nicht am ursprünglichen Arbeitsplatz ankommt, genügt Herr C ihnen nun nicht mehr. Die Voraussetzungen für einen Unterrichtungsanspruch gern. § 81 BetrVG wären daher bei ihm nicht gegeben. Auch Frau D ist ungeschult im Umgang mit Personalcomputern. Jedoch zählen diese Kenntnisse nicht zu den beruflich notwendigen Anforderungen eines Nachtpförtners und als lediglich solcher ist sie eingestellt. Sie würde daher Kenntnisse vermittelt bekommen, die rein arbeitsplatzspezifisch sind und keine Berufsbildung darstellen. Sähe man das Vorhandensein berufsbezogener Kenntnisse als Grundanforderung für die Anwendung des § 81 BetrVG an, scheiterte für Herrn C ein Unterrichtungsanspruch schon an seinen persönlichen Voraussetzungen. bb) Erfüllung der Stellenbeschreibung als notwendige Voraussetzung
Entgegen der Rechtsprechung und herrschenden Lehre in der Literatur stellt Kraft darauf ab, daß der Arbeitnehmer schon vor einer Einweisung in die spezifischen Anforderungen seines Arbeitsplatzes alle die Voraussetzungen erfüllen muß, die normalerweise in einer Stellenbeschreibung des konkreten Arbeitsplatzes zusammengefaßt sein könnten. Der Arbeitnehmer muß also grundsätzlich dem Anforderungsprofil für die Stelle genügen?l? Eine Stellenbeschreibung legt die Funktion des jeweiligen Arbeitnehmers im Betrieb fest und definiert Tätigkeitsbereich sowie Kompetenzen des Stelleninhabers. 318 Eine Stellenbeschreibung liegt im Ermessen des Arbeitgebers und ist Bestandteil seiner unternehmerischen Freiheit. 319 Das sich aus ihr ergebende Anforderungsprofil bezieht sich auf den 316 BAG - 1 ABR 49 183 - v. 5. 11. 1985 unter B. 1. I. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; -1 ABR49 190- v. 23. 4.1991, unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. Ebenso: ErfKI Hanau/Kania, § 81 BetrVG Rn. 2; D/K/K-Buschmann, § 81 BetrVG Rn. 2. 317 GK-KraJt, § 96 BetrVG Rn. 14. Angeschlossen hat sich dieser Ansicht H/S/G-Glaubitz, § 96 BetrVG Rn. 6 b. 318 Zum Anforderungsprofil vgl. GK-KraJt, § 95 BetrVG Rn. 30. 319 BAG - 2 AZR 242/94 - v.lO. 11. 1994 unter B. 1. 3. der Gründe, AP Nr. 65 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; - 2 AZR 811/95 - v. 7. 11. 1996 1. LS, AP Nr. 82 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 8 Fracke
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Arbeitsplatz und gibt an, mit welchen Qualifikationen er hinsichtlich Ausbildung und Fertigkeiten sowie persönlichen und sonstigen Voraussetzungen verbunden ist. 320 Anhaltspunkte können sich aus dem Arbeitsvertrag und dem bestehenden Berufsbild ergeben. Außerdem gehören Stellen beschreibungen zur Personalplanung, über welche der Betriebsrat gern. § 92 BetrVG zu unterrichten iSt. 321 Ergeben sich keine besonderen Anhaltspunkte, ist für die Stellenbeschreibung auf die beruflichen Kenntnisse abzustellen. Da Frau B diese erfüllt, lägen bei ihr die geforderten Voraussetzungen vor. Fraglich ist, ob Herr C eventuell anders als unter aa)322 zu behandeln wäre. Dann müßte die Stellenbeschreibung beispielsweise lauten, Sekretär ohne PC-Kenntnisse. Davon kann aber nach Einführung der Computer ohne ausdrückliche Festlegung gerade nicht mehr ausgegangen werden. Auch nach dieser Ansicht würde Herr C den an § 81 BetrVG gestellten Voraussetzungen nicht gerecht. Auch Frau D erfüllt die an ihre jetzige Stelle geforderten Voraussetzungen nicht mehr. Im Unterschied zu Herrn C entspricht es aber auch nicht den beruflich vorausgesetzten Anforderungen. Wird jedoch auf die Stellenbeschreibung abgestellt, hat sich diese mit Bereitstellung des Computers geändert. Den Anforderungen entspricht nunmehr nur ein Nachtpförtner mit PC-Kenntnissen. Frau D wird dieser nicht mehr gerecht und erfüllte damit die Voraussetzungen des § 81 BetrVG ebenfalls nicht mehr. ce) Stellungnahme
Insgesamt vermag die Ansicht Krafts mehr zu überzeugen, kann jedoch nicht unkritisch übernommen werden. Problematisch an der Ansicht Krafts gegenüber dem Abstellen auf die beruflichen Kenntnisse ist zunächst, daß der Arbeitgeber die Stellenbeschreibung festlegt, ohne sie auch mitteilen zu müssen. Für Außenstehende sind die Voraussetzungen nur schwer erkennbar. Indes bieten neben dem heranzuziehenden Berufsbild der Arbeitsvertrag und die Gestaltung des Arbeitsbereichs Anhaltspunkte. So ist auch ohne besondere Zusätze klar, welche Anforderungen an eine Sekretärin oder einen Sekretär zu stellen sind. Trotzdem ist oft schwierig, festzustellen, welche Anforderungen im einzelnen verlangt sind und wie konkret ein Arbeitgeber diese bestimmen darf, ohne den § 81 BetrVG in rechtsmißbräuchlicher Art und Weise zu umgehen. Wird Frau B aus Beispiel 4 323 der Stellenbeschreibung tatsächlich gerecht, oder könnte diese auch "Sekretärin mit Fähigkeiten im Umgang mit einem Macintosh" lauten? Letzteres ist wohl abzulehnen, zeigt aber, daß es eine Grenze dafür 320 BAG - 1 ABR 6/80 - v. 31. 5. 1983 unter 11. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 95 BetrVG; ErfKI Ascheid, § 1 KSchG Rn. 419. 321 BAG - 1 ABR 63/81 - v. 31. 1. 1984 unter B. 11. 3. der Gründe, AP NT. 3 zu § 95 BetrVG; GK-KraJt, § 95 BetrVG Rn. 30; Richardi, § 95 BetrVG Rn. 19. 322 Dort die Ansicht der Rechtsprechung und von Teilen der Literatur. 323 Vgl. unter A IV 1 a)/S. 112.
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geben muß, wie konkret ein Anforderungsprofil sein kann. Ansonsten könnte der Arbeitgeber die Anforderungen jeweils so eng beschreiben, daß die Voraussetzungen des Arbeitnehmers erst dann den von § 81 BetrVG verlangten entsprechen, wenn eine Einweisung nicht mehr notwendig ist, weil der Arbeitnehmer sämtliche Kenntnisse bereits besitzt. Zur Vermeidung einer solchen Normumgehung wäre ein Abstellen auf die übliche Stellenbeschreibung für Arbeitnehmer mit einer bestimmten Tätigkeit denkbar.
Diese Fähigkeiten muß der Arbeitnehmer darlegen und daran seine Forderung auf Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG anknüpfen. Daran ist festzuhalten, solange sich nicht aus Indizien Anhaltspunkte für besondere Anforderungen ergeben. Diese sind dann vom Arbeitgeber glaubhaft darzulegen. Als Faustformel könnte auf die Anforderungsbeschreibung abgestellt werden, die üblicher- und sinnvollerweise in einer Anzeige für ein Stellenangebot angegeben wäre. Im Fall der Frau B läßt sich aus dem dargestellten Sachverhalt nicht glaubhaft machen, warum sie bereits mit dem Betriebssystem eines Macintosh-PCs gearbeitet haben muß. Denkbar wäre es demgegenüber, gehörte es zusätzlich zu ihren Aufgaben, kleine Anwendungsprogramme zu schreiben. Gemeint sind beispielsweise kleine, bereichsspezifische Statistikprograrnme. Für bloße Anwendung schon bestehender Programme kommt es auf Programmiersprache und Betriebssystem jedoch nicht an. So sind die beruflichen Anforderungen grundsätzlich umfaßt, und trotzdem bleibt Freiraum für zusätzliche Anforderungen. Ergeben sich solche, über das übliche Maß hinausgehende Beschreibungen nicht aus der üblichen Stellenbeschreibung, trägt dann der Arbeitgeber die Beweispflicht für das Vorliegen zusätzlich geforderter Eigenschaften. Vorteil des Abstellens auf die Stellenbeschreibung und somit auf das konkrete Anforderungsprofil ist die Möglichkeit, auch dann die für § 81 BetrVG nötigen Voraussetzungen des Arbeitnehmers zu bestimmen, wenn es sich um eine Tatigkeit handelt, für welche es keine spezielle Berufsbezeichnung oder nur unbestimmte Umschreibungen der berufsspezifischen Kenntnisse gibt. So entstehen vor allem im Multimediabereich, aber auch bei Dienstleistungsanbietern, immer neue Berufsbilder, für die es noch keine Ausbildungsordnungen gibt. 324 Überdies können von der beruflichen Grundqualifikation abweichende Anforderungen festgelegt werden, ohne daß ein Verbiegen bei der Subsumtion nötig wäre. Krafts Kriterium ist leichter handhabbar und orientiert sich gegenüber der vom BAG vertretenen Ansicht und dem Abstellen auf die beruflich erforderlichen Qualifikationen besser am konkreten Arbeitsplatz. Sie ist gerade bei sich ständig neu entwickelnden Berufen, die noch keine eindeutigen Berufsbilder haben, zeitgemäßer. Stellt man mit Kraft auf die Stellenbeschreibung und somit das konkrete Anforderungsprofil ab, so sind die persönlichen Voraussetzungen für eine Unterrichtungspflicht immer gegeben, wenn es sich gern. § 81 Abs. 1 BetrVG um eine Einstellung oder gern. Absatz 2 um eine Veränderung des Arbeitsbereichs durch Ver324
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Gi/berg, S. 154 ff. Vgl. auch Birk, FS für Gnade, S. 311 ff. (316).
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setzung oder Umsetzung des Arbeitnehmers handelt, ohne daß zusätzliche Bildungsvereinbarungen getroffen werden. Der Arbeitgeber stellt durch die Zuweisung des Arbeitsplatzes gerade klar, daß er den Arbeitnehmer als dem von ihm aufgestellten Anforderungsprofil gerecht werdend erachtet. Dies weicht jedoch von der Ansicht des BAG ab, wonach auch die Einweisung bei Einstellung eine berufliche Bildungsmaßnahme darstellen kann und deshalb gerade keine Unterrichtung gern. § 81 BetrVG gegeben ist. 325 Hier muß jedoch differenziert werden. Handelt es sich um eine Einstellung zur Ausbildung, liegen die Voraussetzungen zur Ausfüllung des Berufes gerade noch nicht vor und auch nach hier vertretener Ansicht schiede § 81 BetrVG aus. Liegt aber keine Einstellung zur Ausbildung vor, sondern eine "normale" Einstellung oder eine Um- bzw. Versetzung ohne zusätzliche Ausbildungsbedingungen, wird immer auch eine Einweisung gegeben sein. Diese kann auch eine berufliche Bildungsmaßnahme darstellen, bleibt jedoch zugleich eine Unterrichtung i. S. d. § 81 BetrVG?26 Nähme die Firma X aus Beispiel 4 eine Umsetzung des Herrn C von einem Büro ohne Computer in ein Büro mit Computer vor, ohne mit ihm den Erwerb von Computerkenntnissen zu vereinbaren, müßte davon ausgegangen werden, daß das Anforderungsprofil an die neue Stelle keine PC-Kenntnisse enthält, Herr C demnach die persönlichen Voraussetzungen des § 81 BetrVG erfüllte An dem Fall der Frau D aus Beispiel 4 zeigt sich, daß die Ansicht Krafts gegenüber der Auffassung des BAG enger sein kann. Obwohl Computerkenntnisse weder zu ihrem bisherigen Anforderungsprofil noch zu den beruflich vorauszusetzenden Kenntnissen gehören, erfüllte sie nach Kraft nicht die Voraussetzungen des § 81 BetrVG. Durch den Bezug auf das konkrete Anforderungsprofil wird der Kreis derer, die die Voraussetzung des § 81 BetrVG erfüllen, begrenzt. Jedoch darf die Auslegung einer arbeitsrechtlichen Regelung nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil sie im konkreten Fall weniger dem Arbeitnehmerschutz dient. Maßgeblich müssen sachliche Kriterien sein. Grund für die Einführung des § 81 BetrVG war nicht die Abwälzung der Weiterbildungsaufgaben auf den Arbeitgeber, sondern die Konkretisierung der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht bei der Veränderung des Arbeitsplatzes 327 . Dem Arbeitnehmer sollen seine Aufgabe und Stellung im Gesamtgefüge des Betriebes näher gebracht werden, um zu verhindern, daß er eine bloße ObjektsteIlung einnimmt. 328 Es ist Teil der Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes im Betrieb, daß der Arbeitnehmer den Zusammenhang von Produktionsprozessen oder des Verwaltungsablaufes erkennen und verstehen kann. 329 Das bedeutet nicht, daß die Unterrichtungspflicht restriktiv 325 BAG - 1 ABR 59/92 - v. 20. 4. 1993 unter B. 11. 2. der Gründe, AP Nr. 106 zu § 99 BetrVG. 326 Zum Verhältnis der §§ 96 ff. BetrVG zu § 81 BetrVG sogleich unter § 5 A IV 1 b)ee)/ S. 123 ff. 327 Richardi, § 81 BetrVG Rn. 6; Wiese, RdA 1973, 1 ff. (4). 328 BT-Drucks. VI/1786, S. 47. 329 Söllner; Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 117 ff. (126).
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auszulegen ist, nur sollte der Gesetzeszweck nicht aus den Augen verloren werden. Sprechen die Indizien wie im Beispiel 4 dafür, daß sich das Anforderungsprofil geändert hat und die betroffene Arbeitnehmerin unter diesen Voraussetzungen nicht mehr eingestellt würde, ist es nicht unbillig, den Anspruch aus § 81 BetrVG zu versagen. Zum einen muß im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 81 BetrVG beachtet werden, daß dem Arbeitgeber eine Unterrichtungspflicht auferlegt wird, die sowohl Freistellung als auch Finanzierung der Maßnahme zur Unterrichtung umfaßt. 33o • Dehnt man die Unterrichtungspflicht auf zu viele Arbeitnehmer aus, kann es unvermittelt zu einer Belastung führen, die unzumutbar werden könnte. Eine Korrekturmöglichkeit in Form eines unbestimmten Rechtsbegriffes sieht der Tatbestand in § 81 Abs. 1,2 BetrVG aber nicht vor. Zum anderen ist Frau D beispielsweise nicht rechtlos gestellt: ändern sich die Anforderungen an den Arbeitsplatz derart, daß sie ihnen nicht mehr gerecht werden kann, greifen die Bestandsschutzbestimmungen, insbesondere § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG33\. Zu hinterfragen bleibt der Fall des Herrn C aus Beispiel 4. Sowohl Kraft als auch das BAG kommen zu dem Ergebnis, bei ihm lägen schon die Voraussetzungen des § 81 BetrVG nicht vor. Selbst wenn auf die übliche Stellenbeschreibung in dem hier verstandenen Sinne abgestellt wird, kann schon deshalb kein anderes Ergebnis vorliegen, weil Sekretäre heute üblicherweise PC-Kenntnisse besitzen. Ungeachtet dessen stellt schon die Einführung des PCs in das Büro ein Indiz für eine veränderte Anforderung dar. Ungerecht erscheint dieses Ergebnis, werden Frau Bund Herrn C verglichen. Frau B, die einen solchen Kurs nicht unbedingt benötigt, könnte einen Anspruch haben 332, für Herrn C enfällt ein solcher wegen der fehlenden Grundkenntnisse schon von vornherein. Alle aufgeführten Sichtweisen laufen darauf hinaus, daß jeder Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich die seinen Beruf betreffenden neuen Kenntnisse selbst beizubringen, weil der Arbeitgeber ihn einmal mit diesem Beruf eingestellt hat. Der Arbeitnehmer trägt die Verantwortung für die Erhaltung des Wissensstandes bei Fortentwicklung der beruflichen Anforderungen. Das ist nachvollziehbar, solange es sich um berufliche Weiterentwicklungen handelt, die den Arbeitsplatz nicht betreffen. Führt aber der Arbeitgeber neue Technologien ein, die zur Zeit der Ausbildung des Arbeitnehmers nicht dem beruflichen Standard entsprachen und die er bei Einstellung auch nicht voraussetzte, könnte ein anderes Ergebnis gerechtfertigt sein. Schließlich zieht vor allem der Arbeitgeber Vorteile aus der Neueinführung, die Konsequenzen muß aber der Arbeitnehmer (hier: C) tragen. Dennoch ist der Ausschluß des C von einer Unterrichtung, auf die Frau B einen Anspruch haben kann, sachgerecht. Der Zweck des § 81 BetrVG ist eben gerade nicht die Unterrichtung der Arbeitnehmer zum Erhalt und zur Auffrischung ihrer beruflichen Kenntnisse. Es handelt sich dabei um einen Nebeneffekt, Dazu unter § 5 A IV 31 S. 139. Dazu 3.Teil § IO AIS. 268 ff. 332 Zu überprüfen ist noch, ob es weitere Einschränkungen gibt. Dazu sogleich unter § 5A IV 1 b)/S. 118 ff. 330 33\
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der zwar nicht ausgeschlossen werden soll und darf, aber auch nicht zum Auslegungsgrundsatz erkoren werden kann?33 dd) Ergebnis
Nicht jedem Arbeitnehmer kann die Unterrichtung gern. § 81 BetrVG zugute kommen. Vielmehr müssen zunächst die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Das ist immer dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer schon vor der Unterrichtung die spezifischen Anforderungen an seinen Arbeitsplatz erfüllt, die für eine übliche Stellenbeschreibung des konkreten Arbeitsplatzes genügen würden. Gegebenenfalls ist dieses Anforderungsprofil weiter zu modifizieren, jedoch müssen dann besondere Indizien vorliegen, die seitens des Arbeitgebers darzustellen sind. Durch eine solche objektivierte Ansicht soll auch bei dieser letztlich vom Einzelfall abhängigen Maßnahme mehr Rechtsklarheit geschaffen und sowohl einer Umgehung des § 81 BetrVG durch den Arbeitgeber als auch einer zu weiten Ausdehnung durch die Arbeitnehmerseite vorgebeugt werden. b) Anforderungen an die vorzunehmende Maßnahme Erfüllt der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine Unterrichtung, ist zu prüfen, ob es eine Einschränkung für die Art der vorzunehmenden Maßnahme gibt, oder ob immer eine Unterrichtung durchzuführen ist, wenn die persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Dafür sind zunächst die vorgeschlagenen einschränkenden Kriterien darzustellen (unter aa) bis dd», dann ist zu fragen, ob die EntwederOder-These, an der sich viele der Ansichten orientieren, als Ausgangspunkt für diese Abgrenzungskriterien aufrechtzuerhalten ist (unter ee)(l» und anschließend zu untersuchen, welche der bereits dargestellten Kriterien auch nach der Entscheidung für oder gegen die Entweder-Oder-These weiterhin verwendet werden können (unter ee)(2) bis (7». aa) Berufsbildender Charakter als negative Grenze für § 81 Abs. 1, 2 BetrVG
Obwohl es sich aus dem Gesetz nicht ergibt, lehnen die Rechtsprechung 334 und einige Vertreter der Literatur335 eine Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach 333 Die Argumentation an dieser Stelle schließt nicht aus, trotzdem eine Pflicht des Arbeitgebers im Rahmen des § 75 BetrVG (dazu unter § 5 A VI/So 150 ff.) oder der allgemeinen Fürsorgepflicht (dazu unter § 7 BIS. 218 ff.) anzunehmen, nur wird sie nicht vom Normzweck des § 81 Abs. 1,2 BetrVG getragen. 334 BAG-l ABR49/83 - V. 5.11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, APNr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 49/90 - V. 23.4. 1991, unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; zuletzt - 8 AZR 599/92 - 23.06.1994, unterB. III. 2. c) bb) der Gründe, (juris). 335 F/K/H/E/S, § 81 Rn. 3; So wohl auch: GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 9; H/S/GGlaubitz. § 96 Rn. 6, in der aktuellen (5.) Auflage aber einschränkend Rn. 6 a; von Hoyningen-Huene, Anm. zu AP Nr. 19 zu § 80 BetrVG, unter 2.
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§ 81 Abs. 1,2 BetrVG ab, wenn diese auch berufsbildenden Charakter hat. Sobald ein berufsbildender Charakter gegeben ist, soll nicht mehr § 81 BetrVG anzuwenden, sondern ein Fall der §§ 96 ff. BetrVG gegeben sein (sogenannte EntwederOder-These)?36 Da der Begriff der Berufsbildung einhellig - also auch von Gegnern dieser These - weit aufgefaßt wird337 , werden die Maßnahmen gern. § 81 BetrVG nur sehr restriktiv angenommen. Die Abgrenzung der beiden Regelungsbereiche wird nahezu ausschließlich aus Sicht der §§ 96 ff. BetrVG vorgenommen, weswegen auch die vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien allein aus der Sicht betrachtet werden, ob eine Berufsbildung und gerade keine Unterrichtung mehr vorliegt. (1) Form der Unterrichtung
Vereinzelt wird auf das äußere Erscheinungsbild und die Form der Durchführung der Maßnahme abgestellt. Berufsbildungsmaßnahmen sollen daran erkennbar sein, daß sie systematisch Kenntnisse und Fähigkeiten nach einem Lehrplan bzw. mit dem Betriebsrat abgestimmten Ausbildungsplan vermitteln. 338 Einweisungen sollen dagegen vorliegen, wenn Didaktik und Systematik nicht (zwingend) gefordert sind, sondern die reine Information und nicht die Vermittlung von Wissen den Schwerpunkt bildet. 339 Der Einführungskurs des Testingenieurs aus Beispiel 2 340 . bereitet hier schon Zuordnungsprobleme. Sicher ist, daß er soweit als möglich in Kursform abgehalten wird. So muß der Verkäufer nicht in jedem einzelnen Betrieb seiner Kunden die gleichen Dinge erklären. Schlicht unmöglich ist ein Abstellen auf die Form der Maßnahme bei Betrachtung des. bereitet hier schon Zuordnungsprobleme. Sicher ist, daß er soweit als möglich in Kursform abgehalten wird. So muß der Verkäufer nicht in jedem einzelnen Betrieb seiner Kunden die gleichen Dinge erklären. Schlicht unmöglich ist ein Abstellen auf die Form der Maßnahme bei Betrachtung des Beispiels 4341 . Wahrend Frau B einen Anspruch auf den Kurs bei ihrem Arbeitgeber aus § 81 BetrVG besitzt, könnte Herr C am gleichen Kurs im Rahmen einer 336 Erstmals von Alexander; NZA 1992, 1057 ff. (1058) so benannt. Zur Kritik dazu sogleich unter § 5 A IV 1 b) ee) (1) 1S. 123 ff. 337 BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. 1. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991, unter B. H. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 13; ErfKl Hanau/Kania, § 96 BetrVG Rn. 6; Alexander; NZA 1992, 1057 ff. (1061). 338 In diesem Sinn wohl BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; LAG Berlin - 2 Ta BV 5/85 - v. 21. 2. 1986 unter H. 2. der Gründe, NZA 1986,758 ff.; F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 13; Natzel, Anm. zu AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG unter H.; Stege/Weinspach, §§ 96-98 BetrVG Rn. 15 b. 339 LAG Berlin - 2 Ta BV 5/85 - v. 21. 2. 1986 unter H. 2. der Gründe, NZA 1986, 758 ff.; Stege/Weinspach, §§ 96-98 BetrVG Rn. 16. 340 Vgl. unter § 5 A IV 1 S. 108. 341 Siehe S. 112.
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Berufsbildungsmaßnahme teilnehmen. Eine Unterscheidung nach der Form der Unterrichtung ist ungeachtet der Notwendigkeit einer solchen Abgrenzung überhaupt 342 nicht möglich. (2) Die Berufsbezogenheit der Einweisung als negatives Abgrenzungsmerkmal
Eine Einweisung i. S. d. § 81 BetrVG soll abzulehnen sein, wenn die Maßnahme den Arbeitnehmer nicht nur für den bestimmten Arbeitsplatz, sondern auch beruflich für spätere Beschäftigungen qualifiziere. 343 Es wird differenziert zwischen (bloß) arbeitsplatz- oder funktionsbezogenen Maßnahmen, die eine Einweisung darstellen und (auch) berufsbezogenen Informationen, die keine Einweisung mehr sind. Besucht der Testingenieur aus Beispiel 2344 die Einführungsveranstaltung, stellt es nach der Rechtsprechung für ihn eine Einweisung dar, solange er seinen Beruf ungeachtet der Bedienung des neuen Testsystems auch ohne Einführungskurs ausüben könnte. Ist die Kenntnis des Systems aber eine Grundbefähigung für seine berufliche Tätigkeit, die er nicht nur für seinen aktuellen Arbeitsplatz, sondern die Berufsausübung als solche kennen muß, wäre es keine Maßnahme i. S. d. § 81 BetrVG mehr?45 Als Folge der voranschreitenden Technisierung und Spezialisierung ist immer schwieriger abzugrenzen, welche Kenntnisse auch berufsspezifisch sind. So kann das theoretische Wissen über das spezielle Testsystem bei Bewerbungen des Ingenieurs in den nächsten ein bis fünf Jahren durchaus ein berufsspezifischer Vorteil sein. Danach ist das System in vielen Betrieben wieder durch ein neues ersetzt und Kenntnisse über den Umgang damit stellen lediglich noch am bisherigen Arbeitsplatz - bis zur Erneuerung auch dort - einen Nutzen dar. Was wäre jedoch, wenn sich gerade dieses Testsystem als neuer Standard in der Meßtechnik erwiese und somit in den nächsten 20 Jahren von allen Firmen so oder nur mit unwesentlichen Veränderungen benutzt werden würde. Würde aus der ursprünglich rein arbeitsplatzbezogenen Einweisung i. S. d. § 81 BetrVG eine berufsbezogene Bildungsmaßnahme gern. §§ 96 ff. BetrVG? Diese Überlegung zeigt, daß auch diese Abgrenzung wenig tragfahig ist. Ein PC-Kurs wäre auch für Frau Baus Beispiel 4 eine Vermittlung berufsspezifischer Kenntnisse. Zwar konnte sie bereits vorher mit PCs arbeiten, beherrscht dann aber die Anwendung eines zweiten Betriebssystems. Berufsbezogene Kurse Vgl. dazu unter § 5 A IV 1 b) ee) (1)/S. 123 ff. BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991, unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; zuletzt - 8 AZR 599/92 - v. 23. 06. 1994 unter B. III. 2. c) bb) der Gründe, (juris). F /K/H/E/ S, § 96 BetrVG Rn. 14 ("allen Maßnahmen durch die Einsatzmöglichkeiten erweitert werden"). 344 Vgl. unter § 5 All/ S. 108. 345 Vgl. auch Beispiele bei Gi/berg, S. 155 f. und Hamm, AuR 1992,326 ff. (332 ff.) 342 343
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fallen jedoch in den Geltungsbereich der §§ 96 ff. BetrVG 346, und Frau B hätte demnach keinen Anspruch auf Unterrichtung. 347 Im Gegensatz dazu könnte Frau D ein Anspruch zuzugestehen sein. Ihr werden keine berufs spezifischen Kenntnisse vermittelt, da die berufliche Ausbildung eines Nachtpförtners keine PC-Kenntnisse umfaßt. Zu prüfen wäre die Art der vermittelten Kenntnisse aber sowieso nur, werden nicht schon auf der Vorstufe mit Kraft und der hier vertretenen Ansicht die persönlichen Voraussetzungen verneint. 348 Der Meinung des BAG349 und Teilen der Literatur350 folgend, müßte für Frau B eine berufliche Bildungsmaßnahme angenommen werden. bb) Abgrenzung nach funktions- oder berufsbezogenem Schwerpunkt Der Ansicht des BAG sehr nahestehend, aber dennoch abweichend, ist die Meinung von Eich. Auch er geht davon aus, daß eine Überschneidung der Unterrichtungspflichten gern. § 81 BetrVG und der beruflichen Bildungsrnaßnahmen gern. §§ 96 ff. BetrVG ausscheiden muß. Im Gegensatz zur Rechtsprechung sieht er keine Abgrenzungsprobleme, die eine verengende Auslegung des § 81 BetrVG zur Folge haben, sondern die beiden Regelungen sollen schon logischerweise etwas anderes umfassen. Eine Überschneidung schiede aus, da es sich um Kenntnisse mit Arbeitsplatz- bzw. Funktionsbezug (§ 81 BetrVG) auf der einen Seite und solche mit Berufsbezug auf der anderen Seite handelte?51 Gäbe es Maßnahmen, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen, hätte der thematische Schwerpunkt zu entscheiden?52 Das BAG würde hier, sobald auch nur ein irgendwie gearteter berufsbildender Charakter gegeben ist, immer auf Berufsbildung verweisen. Möglich soll eine relativ scharfe Abgrenzung sein, weil Eich den Begriff der betrieblichen Berufsbildung durch § 1 BBiG definiert sieht353 und somit weniger weit auslegt als die ganz herrschende Meinung. 354 346 Zum Begriff der Berufsbildungsmaßnahme i. S. d. §§ 96 ff. u. a.: F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 12 f.; GK-Kraft, § 96 BetrVG Rn. 4, 7 ff.; Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 94 f. sowie schon unter III 1 1S. 98. 347 So entschied das BAG in einern vergleichbaren Fall, weil der Pe-Kurs freiwillig und auch im weiteren Berufsleben von Vorteil war, vgl. BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1990 unter B. 11. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. 348 Diese sind von der herkömmlichen bzw. vorn Arbeitgeber konkreter gestalteten Stellenbeschreibung abhängig. Dazu unter § 5 A IV 1 a) 1 S. 112 ff. 349 BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1990 unter B. 11. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 7 zu §98 BetrVG. 350 F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 14; ErfKI Hanau/Kania, § 96 BetrVG Rn. 9 m. w. N. 351 Eich, DB 1974,2154 ff. (2155 f.). 352 Eich, DB 1974,2154 ff. (2156). Mit einern solchen Verständnis wohl auch noch Kraft, NZA 1990,457 ff. (459 f.), jetzt aber in GK-Kraft, § 96 BetrVG Rn. 9 ff. 353 Eich, DB 1974,2154 ff. (2155). 354 BAG - I ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991, unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; ErfKI Hanau/Kania, § 96 Rn. 6; Alexander; NZA 1992,1057 ff. (1061).
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Angewandt auf die Beispielsfälle zeigt sich jedoch, daß sich auch durch eine engere Auslegung des betriebsverfassungsrechtlichen Berufsbildungsbegriffes Überschneidungen nicht vermeiden lassen. Die Einweisung in das Testsystem in Beispiel 2 stellt einerseits eine Unterrichtung dar, andererseits könnte aber auch eine Fortbildung gemäß der Definition in § 1 Abs. 3 BBiG gegeben sein. Dann müßte die Einweisung eine Anpassung der beruflichen Fähigkeiten an die technische Entwicklung darstellen. Zwar fehlen dazu nähere Hinweise, es wäre aber unproblematisch vorstellbar. Bei Betrachtung des Beispiel 4 kann in der Kursteilnahme von Frau B ebenfalls sowohl eine arbeitsplatzbezogene Unterrichtung als auch eine, die beruflichen Kenntnisse erweiternde, Fortbildung gesehen werden. Der Schwerpunkt wird bei beiden wohl eher in der Einweisung liegen, läßt sich aber ohne weitere Informationen nicht genau einordnen. Für Frau D wäre es in ihrem Beruf als Nachtpförtnerin zweifelsfrei eine arbeitsplatzbezogene Einweisung. ce) Arbeitsnotwendige Maßnahmen
Auch Oetker folgt wie Eich und die Rechtsprechung der Entweder-OderThese 355 , scheint jedoch den Begriff der betrieblichen Bildung in diesem Zusammenhang sehr eng auszulegen. Dabei stellt er nicht auf die berufliche Verwertbarkeit der Kenntnisse, sondern auf die im Einzelfall ausgeübte Tätigkeit ab. Seiner Ansicht nach sind gemäß § 81 BetrVG zu erfüllende Maßnahmen solche, die die unmittelbar arbeitsvertraglieh geschuldete Leistung betreffen und ohne die eine ordnungsgemäße Erfüllung der konkreten Arbeitsaufgabe nicht möglich wäre. Es sind arbeitsnotwendige Informationen. Betriebliche Bildungsmaßnahmen sollen dagegen vorliegen, wenn die vermittelten Kenntnisse nicht unmittelbar mit der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung im Zusammenhang stehen. 356 Oetkers Ansicht auf Beispiel 2357 und 4 358 angewandt, führt in bezug auf § 81 BetrVG zu sehr weiten Ergebnissen. Der Testingenieur hätte in jedem Fall einen Unterrichtungsanspruch. Aber auch Frau B und Frau D können den Arbeitsplatzbezug und die Notwendigkeit des Kurses nachweisen, da die Erfüllung der geschuldeten Pflichten sonst nicht mehr möglich erscheint. dd) Beschleunigungsfunktion der Maßnahme
Statt auf inhaltliche Kriterien zur Abgrenzung der Unterrichtungsmaßnahmen von denen der beruflichen Bildung will Kraft auf qualitative abstellen. Eine Unterrichtung ohne berufsbildenden Charakter liegt danach immer dann vor, wenn die Maßnahme lediglich Beschleunigungscharakter hat und der Arbeitnehmer sich die 355 356 357 358
Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 87 f. Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 87. Unter S. 108. Unter S. 112.
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Kenntnisse auch selbst durch praktische Tätigkeit beibringen könnte. 359 Damit schließt Kraft nicht aus, daß eine Maßnahme sowohl Unterrichtung als auch berufliche Bildung gern. §§ 96 ff. BetrVG sein kann, da die Form der Durchführung immer noch dem Arbeitgeber überlassen bliebe36o, und er lediglich festlegt, bei welcher Art und Wirkung der zu vermittelnden Kenntnisse eine Unterrichtung zu erfolgen hat. Auf den Einführungskurs in das Testsystem aus Beispiel 2 könnte der Ingenieur problemlos verzichten; er könnte sich auch mit Hilfe eines Handbuches einarbeiten. Auch Frau B aus Beispiel 4 könnte sich mit einem Buch über die Besonderheiten der Anwendungsprogramme eines Macintosh selbst qualifizieren. Frau D braucht hier nicht geprüft zu werden, da ihr nach Ansicht von Kraft schon die persönlichen Voraussetzungen für einen Unterrichtungsanspruch fehlen. ee) Stellungnahme
Die unterschiedlichen Ergebnisse der aufgeführten Meinungen machen eine Entscheidung unumgänglich. Es ist im folgenden festzustellen, ob eine Unterrichtung gern. § 81 BetrVG tatsächlich in den Fällen abzulehnen ist, in denen zugleich eine Berufsbildungsmaßnahme vorliegt. Dann wäre die Ausgangsthese, daß der Arbeitgeber durch § 81 BetrVG zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen angehalten werden kann, zu überdenken. Ist die Entweder-Oder-These aber abzulehnen, muß § 81 BetrVG tatbestandlich weiter präzisiert werden, um die Voraussetzungen für die Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen gern. § 81 BetrVG festzustellen. Die zur Einordnung von Maßnahmen gern. §§ 96 ff. BetrVG und § 81 BetrVG vertretenen Auffassungen lassen sich in zwei große Gruppen einteilen; zum einen in solche, die der Entweder-Oder-These folgen (unter aa) bis cc» und zum anderen in solche, die sich für ein Überlappen der Regelungsbereiche des § 81 BetrVG und der §§ 96 ff. BetrVG aussprechen (unter dd». Da es sich um verschiedene Ansatzpunkte handelt, muß sich zunächst mit der Entweder-Oder-These auseinandergesetzt werden (unter (1», bevor näher auf die aufgestellten Kriterien einzugehen ist (unter (2». (1) Kritik an der Entweder-Oder-These
Ausgangspunkt für die Entweder-Oder-These war die Ansicht des BAG und der zu § 56 BetrVG 1952 entwickelte weite Begriff der Berufsausbildung 361 , der 1985 in einem Urteil des BAG "auf den Begriff der Berufsbildung im Sinne von § 98 GK-Kraft. § 96 BetrVG Rn. 14. GK-Kraft. § 96 BetrVG Rn. 11. 361 BAG - 1 ABR 18/68 - v. 31. 1. 1969 1. LS, AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG 1952 Berufsausbildung mit insofern zust. Anrn. Neumann-Duesberg. 359
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Abs. 1 BetrVG übertragen,,362 wurde. Nach Abstellen auf die Definition des Berufsbildungsbegriffes gern. § 56 BetrVG 1952 nahm das BAG in der maßgeblichen Entscheidung die Abgrenzung des § 98 Abs. 1 gegen Abs. 6 einerseits und § 81 BetrVG andererseits vor. 363 Während die Abgrenzung innerhalb des § 98 BetrVG tatbestandlich begründet ist, beruht die zu § 81 BetrVG allein auf dem Schluß, daß Unterrichtungen gern. § 81 BetrVG, der keine Mitbestimmung verlangt, zwangsläufig mitbestimmungsfrei sein müssen und somit nicht unter die Mitbestimmung der §§ 96 ff. BetrVG fallen können. Dieses und weitere Argumente für oder gegen die These sind im folgenden wertend zu betrachten. (a) Regelungsebene des § 81 Abs. 1,2 BetrVG und der §§ 96 ff. BetrVG Grundgedanke des gegenseitigen Ausschlusses ist, daß in Randbereichen der beiden Normen gleiche Materien geregelt sein können und ein Nebeneinanderstehen zu ungewollten Kollisionen führen würde. Dabei wird jedoch die alleinige Funktion des § 81 BetrVG als Individualnorm außer Acht gelassen, deren Regelungsgehalt trotz des Standorts im Betriebsverfassungsgesetz nicht auf Mitbestimmung ausgelegt ist. Diese kann sich lediglich aus kollektivrechtlichen Normen, wie den §§ 96 ff. BetrVG, ergeben. Nicht erkennbar ist, warum nicht eine individuelle Maßnahme gern. § 81 BetrVG auch eine Mitbestimmung nach §§ 96 ff. BetrVG auslösen können soll. Es handelt sich dabei lediglich um ein Normpaar, das gleiche Materien auf unterschiedlichen Ebenen regelt und sich in Teilbereichen überschneidet. 364 Vergleichbar ist dieses Problem mit einer individualrechtlich gern. § 1 Abs. 2 S.3 2. HS KSchG gebotenen Versetzung. Liegt die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung vor, hat der Arbeitgeber dieser statt des Ausspruchs einer Kündigung nachzukommen. Das kann aber die Reichweite der kollektiven Pflicht, die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen sobald eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne gern. § 95 Abs. 3 BetrVG vorliegt, nicht beschränken. Auch hier führt das Vorliegen der individualrechtlichen Versetzung nicht automatisch zum Ausschluß der erforderlichen kollektiven Mitbestimmung. Die unterschiedliche Wirkung wird nach herrschender Ansicht durch Überlagern der Individualbestimmung von der kollektiven Norm in Einklang gebracht. Danach schließt 362 BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG. 363 BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG. 364 Vgl. auch Alexander, NZA 1992, 1057 ff. (1058 ff.); Richardi, § 96 BetrVG Rn. 14. Auch wenn Richardi davon ausgeht, daß die Unterrichtung mitbestimmungsfrei sei, kann er hier nur meinen, daß eine Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG selbst keine Mitbestimmung verlangt, sie wegen der Berührung mit den berufsbildenden Maßnahmen jedoch dennoch nötig werden kann. Sonst widerspräche er sich, wenn er andererseits die EntwederOder-These ablehnt.
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die rechtmäßige Zustimmungs verweigerung des Betriebsrats zur Versetzung das Vorliegen eines freien Arbeitsplatzes i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG und damit die Möglichkeit der individualrechtlichen Versetzung aus. 365 Ein anderes Beispiel bieten das Mitbestimmungsrecht gern. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG einerseits und die Unterrichtung über Unfallgefahren gern. § 81 Abs. 1 S. 2 BetrVG andererseits?66 Parallelen sollten hier nicht zu den Lösungen der Konflikte gezogen werden, die schon wegen der unterschiedlichen Regelungsgehalte keine Indizwirkung für die vorliegende Problematik entfalten. Es geht vielmehr darum, deutlich zu machen, daß in den dargestellten Fällen individualrechtliche und kollektive Pflichten in Einklang gebracht wurden und nicht von vornherein ein Ausschlußverhältnis anzunehmen ist. (b) Bewußte Nichtregelung von Beteiligungsrechten Oetker geht davon aus, daß die fehlende Regelung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats für Maßnahmen gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG eine bewußte Nichtregelung darstellt. Dies zeige sich daran, daß in anderen Normen des Zweiten Abschnitts des Vierten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes in §§ 82 Abs. 2, 83 Abs. 1 S. 2, 85 Abs. 1 und § 81 Abs. 4 BetrVG jeweils die Möglichkeit geregelt ist, ein Betriebsratsmitglied zur Erörterung, Unterrichtung, Einsichtnahme oder Beschwerde hinzuzuziehen, dies in den § 81 Abs. 1, 2 BetrVG aber gerade nicht geschehen sei?67 Dem hält Hammer entgegen, daß die §§ 84 ff. BetrVG im Fall der Nichterfüllung der Unterrichtungspflicht anerkanntermaßen anwendbar sind und ein Verweis in § 81 BetrVG trotzdem nicht als notwendig erachtet wird?68 Außerdem handelt es sich bei den in den genannten Paragraphen geregelten Beteiligungsrechten nicht um die betriebsverfassungsrechtlichen kollektiven Beteiligungsrechte im Sinne eines gemeinsamen Vorgehens der Betriebspartner, sondern um die Stärkung der individuellen Rechte des Arbeitnehmers beispielsweise durch ein Gespräch mit dem Arbeitgeber. Der Grund für eine Hinzuziehung des Betriebsrats ist ein anderer. Auf eine bewußte Nichtregelung der Mitbestimmungsrechte kann also nicht mit Bezug auf die Vorschriften der Mitwirkungs- und Beschwerderechte des Arbeitnehmers geschlossen werden. Zusätzlich kann Oetker entgegnet werden, daß eine Mitwirkungsregelung in § 81 BetrVG schon deshalb nicht notwendig ist, da die berufliche Bildung mit den §§ 96 ff. BetrVG schon vor Aufnahme des § 81 BetrVG im Betriebsverfassungsgesetz geregelt war und eine Anpassung hätte vorgenommen werden können. Für die Fälle der Unterrichtung 365 BAG - 2 AZR 9/96 - v. 29. 1. 1997 unter II. 2. d) der Gründe, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG Krankheit; Herschel/Löwisch, § 1 KSchG Rn. 186; Hueck/von Hoyningen-Huene Rn. 534; D/K/Z-Kittner § 1 KSchG Rn. 383. 366 Vgl. zu dem Beispiel Hammer; Berufsbildung und Betriebsverfassung, S. 76 f. 367 Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 87. 368 Hammer; Berufsbildung und Betriebsverfassung, S. 78 f.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
mit berufsbildendem Charakter, die in den Regelungsbereich der §§ 96 ff. BetrVG fallen, wäre eine zusätzliche Regelung daher unnötig gewesen. Diese Ansicht wird durch das Normenpaar des § 81 Abs. 2 BetrVG und § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bezüglich der Belehrung über Unfall- und Gesundheitsgefahren gestützt. Auch hier hindert der fehlende Verweis in § 81 Abs. 2 BetrVG nicht daran, das Mitbestimmungsrecht dennoch anzuwenden. Der fehlende Verweis auf ein Mitbestimmungsrecht bedeutet also nicht, daß für Maßnahmen gern. § 81 BetrVG keine Mitbestimmungsrechte möglich sind. Somit ergibt sich aus Oetkers Argumenten kein zwingender Ausschluß zwischen berufsbildenden Maßnahmen gern. §§ 96 ff. BetrVG und Unterrichtungsmaßnahmen i. S. d. Entweder-Oder-These. (c) Zweck der Mitbestimmungsrechte Für eine mitbestimmungsfreie Unterrichtung, die von den mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen der §§ 96 ff. BetrVG abgegrenzt werden soll und somit zwingend auf die Entweder-Oder-These hinaus läuft, führt Oetker die Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer an. 369 Zweck der Mitbestimmungsrechte ist die Schaffung eines Gegengewichts zu den vom Arbeitgeber sonst in Alleinverantwortlichkeit bestimmten Bedingungen im Arbeitsverhältnis. 37o Diese Schutzwürdigkeit fehlt, haben die Arbeitnehmer bereits einen individuellen Anspruch. Zuzugeben ist, daß dem Arbeitnehmer ein Anspruch unabhängig von einer Beteiligung des Betriebsrats zusteht. Allerdings regelten die §§ 96 ff. BetrVG zu der Zeit, als Oetker das Argument aufstellte, nicht das Ob einer Berufsbildungsmaßnahme, sondern lediglich das Wie, so daß diese Argumentation damals nicht greifen konnte. Einer fast 20 Jahre alten Begründung durch eine neue Norm letztlich doch zu seiner Richtigkeit zu verhelfen, ist verfehlt. Hinzu kommt, daß die Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer wegen § 97 Abs. 2 BetrVG sowieso nur dann fehlt, wenn mehrere von der Veränderung der Tätigkeit durch den Arbeitgeber betroffen sind, also der notwendige kollektive Tatbestand 37l vorliegt. Der Argumentation Oetkers kann daher nicht gefolgt werden. (d) Gehalt des § 81 Abs. 4 BetrVG Zur Begründung der Ausschließlichkeit des § 81 BetrVG zu den §§ 96 ff. BetrVG verweist das BAG auf den Wortlaut des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG?72 Nach § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG soll gerade der, bei notwendigen neuen beruflichen Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 88. Vgl. von Hoyningen-Huene, Betriebsverfassungsrecht, S. 3 f. 371 Dazu schon unter § 5 A III 3 b) aa) / S. 75. 372 Im Zeitpunkt der Entscheidung noch Abs. 3, der jedoch 1996 (BGBI. I, 1996, S. 1246 ff., 1252 f.) durch einen neu eingefügten Abs. 3 zu Abs. 4 wurde. Vgl. auch die Erörterungen im 3. Teil unter § 5 A V 1147 ff. 369
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Kenntnissen in Absatz 4 lediglich zugestandene Erörterungs- statt des Unterrichtungsanspruchs, den negativen Rückschluß zulassen, Absatz 1 und 2 beträfen ausschließlich die arbeitsplatzbezogene Veränderung. 373 Dem entgegnet Hamm, daß bei einer in dieser Form tatsächlich gewollten Aussage der direktere Weg ein Festschreiben in den §§ 96 ff. BetrVG gewesen wäre. 374 Zudem bedeutet die Verankerung in den individualrechtlichen Vorschriften nicht mehr, als daß bei grundlegenden Veränderungen vor Vornahme einer Einweisung oder beruflichen Bildungsmaßnahme i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG eine Erörterung über Möglichkeiten der Kenntniserlangung stattzufinden hat. Diese Erörterung kann, muß aber nicht die Notwendigkeit betrieblicher Bildungsrnaßnahmen i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG zur Folge haben. 375 Vielmehr können Arbeitnehmer und Arbeitgeber im erörternden Gespräch auch konstatieren, daß die vorhandenen beruflichen Kenntnisse ausreichen und eine Unterrichtung ohne beruflichen Charakter gern. § 81 Abs. 2, 1 BetrVG ausreicht. Selbst wenn Absatz 4 für konkrete Maßnahmen ausschließlich auf die berufliche Bildung i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG verwiese - was sich aus dem Wortlaut aber nicht ergibt376 -, kann das nicht automatisch zu dem Umkehrschluß führen, daß die Absätze 1,2 nicht im Rahmen der arbeitsplatzbezogenen Einweisung auch darüber hinausgehende Bildungsmaßnahmen i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG umfassen können. Bei Vorliegen der berufsbezogenen Kenntnisse im Rahmen einer arbeitsplatzbezogenen Unterrichtung könnten neue Kenntnisse vermittelt werden, die inhaltlich über eine bloße Einweisung hinausgehen und sowohl eine Einweisung als auch eine Berufsbildung i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG darstellen. Daß dies nicht möglich sein soll, läßt sich jedenfalls nicht der Regelung des § 81 Abs. 4 BetrVG entnehmen. (e) Zusammenfassung Trotz Untersuchung der für die Entweder-Oder-These vorgebrachten Argumente kann diese Lösung nicht überzeugen. Es ist kein Grund ersichtlich, die Unterrichtung nur mitbestimmungsfrei vorzunehmen. Vielmehr kann, ohne Rücksicht auf die §§ 96 ff. BetrVG, stets in einem ersten Schritt über Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterrichtung entschieden werden. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob der Betriebsrat bei der Durchführung der sich als auch berufsbildend herausstellenden Unterrichtung eventuell mitzubestimmen hat. 377 373 BAG - 1 ABR 49/90 - 23. 4. 1991 unter B. H. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. Dem folgend auch Dönneweg, S. 103. 374 Hamm, AuR 1992, 326 ff. (333). 375 Davon geht auch Hammer, in: ZRP 1998, 23 ff. (26 mit Fn. 27) aus. 376 Dazu 3. Teil § 5 A VII S. 147 f. 377 So auch Alexander, NZA 1992, 1057 ff. (1058 ff.); D/K/K-Buschmann, § 96 BetrVG Rn. 10; Hamm, AuR 1992, 326 ff. (334); Hammer, Berufsbildung und Betriebsverfassung, S. 70 ff. (85 f.). Gegen die Entweder-Oder-These wohl auch Däubler, BB 2000, 1190 ff. (1191).
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Die für die Einschränkung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG aufgestellten Kriterien sind somit nochmals zu untersuchen. Jedoch kann diesen Kriterien nach dem gerade gefundenen Ergebnis die Funktion als notwendiges Abgrenzungsmerkmal zu den §§ 96 BetrVG abgesprochen werden, und es ist lediglich zu prüfen, ob ihnen ansonsten eine weitergehende Bedeutung zukommt. (2) Unbeachtlichkeit der Form der Unterrichtung
Wie bereits bei der Anwendung auf Beispiel 2378 und Beispiel 4 angedeutet 379 , ist die Form der Durchführung der Unterrichtung bzw. der Berufsbildungsmaßnahme ein ungeeignetes, weil zu unbestimmtes Unterscheidungskriterium. Um so mehr, als anerkanntermaßen beide Maßnahmen zur Kenntnisvermittlung sowohl in Einzelrnaßnahmen als auch in Kursform vorgenommen werden können. 38o Selbst das BAG stellt in den neueren Entscheidungen nicht mehr auf die Form der Vermittlung, sondern die Art der Inhalte ab?81 Eine Einweisung in ein bestimmtes Arbeitsgerät kann ebenso systematisch erfolgen und an einem Unterrichtungsziel orientiert sein wie ein Fortbildungskurs für Fachenglisch. 382 Möglich erscheint aber auch eine berufliche Bildungsmaßnahme, die hauptsächlich durch "leaming by doing" erfolgt und die verlangte Systematik dadurch gerade vermissen läßt, ohne die Qualität als Bildungsmaßnahme deswegen in Frage zu stellen. 383 Es kann keinen Unterschied für die rechtliche Einordnung einer Maßnahme sein, ob sie für einen einzelnen oder eine Gruppe durchgeführt wird. Hinzu kommt, daß auch Besuche von Messen überwiegend als Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung angesehen werden 384 , diese jedoch weder systematisch noch an einem Lernziel orientiert sind. Systematik und Didaktik der Wissensvermittlung können lediglich ein Indiz dafür liefern, ob es sich dabei um eine Berufsbildungsmaßnahme i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG handelt, können aber nicht die bestimmenden Kriterien darstellen. Wie systematisch die wichtigsten Inhalte des Kurses vermittelt werden können, ist häufig eher eine Frage der Qualität als der Form der Durchführung. Unter § 5 A IV 1S. 108. Unter IV 1 b) aa) (1)/S. 119. 380 Dazu, daß auch Unterrichtungen i. S. d. § 81 BetrVG in Kursen erfolgen können: BAG - 1 ABR 40/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. II. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; - 1 ABR 41/91 - v. 28. 1. 1992 unter B. II. 1. a) der Gründe, AP Nr. 1 zu § 96 BetrVG; anders wohl noch: BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. 1. 1. der Gründe, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG; Hammer; Berufsbildung und Betriebsverfassung, S. 73; Kraft, NZA 1990, 457 ff. (459); Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 87. 381 Vgl. beispielsweise BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. H. 2. a) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. 382 Vgl. zu Beispielen auch Hamm, AuR 1992,326 ff. (333). 383 Gi/berg, S. 166 f. 384 ErfKIHanau/Kania, §96Rn. 7;F/K/H/E/S,§96Rn.13. 378
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(3) Kritik am negativen Abgrenzungsmerkmal der Berufsbezogenheit Auch die Berufsbezogenheit einer Maßnahme des Arbeitgebers als negatives Abgrenzungsmerkmal für eine Unterrichtung 385 f. i. S. d. § 81 Abs. I BetrVG ausgrenzendes Merkmal ist kritisch zu hinterfragen. Dieses Merkmal wurde vor allem eingeführt, um Berufsbildungsmaßnahmen gern. §§ 96 ff. BetrVG von der Unterrichtung für den Arbeitsplatz gern. § 81 BetrVG abzugrenzen. Auch das BAG gesteht eine mit fast jeder Einweisung in einen Arbeitsplatz einhergehende Vermittlung irgendeines Wissens ZU. 386 Die berufliche Relevanz liegt nahe, wird der Arbeitnehmer in eine seinem Beruf entsprechende Tatigkeit eingewiesen. Wie wichtig eine Unterrichtung für das spätere berufliche Fortkommen ist, läßt sich nie genau einschätzen und nicht schon im voraus bestimmen387 Es darf die Einweisungspflicht des Arbeitgebers nicht schmälern, daß nicht nur er, sondern auch der Arbeitnehmer Vorteile aus der Beschäftigung hat. Doch auch der bloße Bezug auf den Beruf als solchen ist bedenklich. Da der Berufsbegriff offen ise 88, läßt sich spezifisches, für eine Berufsausübung notwendiges Wissen, nicht immer genau bestimmen. 389 So ist es gerade für Tätigkeiten, die kein festes Berufsbild haben, nur schwer bzw. nicht möglich festzulegen, welche Kenntnisvermittlung berufsspezifisch ist. Eine Unterrichtungsmaßnahme läßt sich daher nicht danach begrenzen, ob die vermittelten Kenntnisse berufsbezogen sind. (4) Kritik an der Ansicht Eichs Der Ansicht Eichs ist von vornherein entgegenzusetzen, daß die Grundprämisse, daß eine Maßnahme nur Berufsbildung sein kann, wenn sie keine Maßnahme zur Unterrichtung ist, abzulehnen ist. 39o Von dieser Grundvoraussetzung ausgehend, ist es nicht notwendig, auf den Schwerpunkt der Maßnahme abzustellen, um eine wissensvermittelnde Maßnahme einer Unterrichtung oder einer Berufsbildung zuzuordnen. Selbst wenn es sich primär um arbeitsplatzbezogenes Wissen handelt, kann eine Berufsbildungsmaßnahme gegeben sein. Dafür spricht die generell weite Auslegung der betrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen. Die weite Auslegung wurde auch nach Erscheinen des Aufsatzes von Eich beibehalten, ohne auf dessen Vorschlag bei der Definition der Berufsbildung im Betriebsverfassungsgesetz 1972 Vgl.dazuschon§5AIV 1 b)aa)(2)/S.120f. BAG - I ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. b) dd) der Grunde AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. 387 Dazu die Folgerungen für Beispiel 2 unter IV I b) aa) (2) 1 S. 120 f. 388 So anerkannt seit BVerfG -I BvR 596/56 - v. 11. 6.1958 unter B. IV. 2. der Grunde, BVerfGE 7,377 ff. 389 Gilberg, S. 155 ff., 159. 390 Dazu schon unterIV I b) ee) (I)/S. 123 ff. 385
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
einzugehen. 391 Fraglich ist, ob Eich - rückte er von dem Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen Unterrichtung und Berufsbildung ab - die gleichen Kriterien wählte. Ungeachtet der Beantwortung dieser Frage erscheint die mangelnde Rechtssicherheit problematisch. Liegt der Schwerpunkt einer Maßnahme auf dem Arbeitsplatzbezug, wenn die arbeitsvertraglichen Pflichten sonst nicht ordnungsgemäß erfüllt werden können? Dann befände sich auch Eich in dem von Oetke?92 abgesteckten Begrenzungsfeld. Sicher ist das jedoch nicht zu sagen, denn der Begriff des Schwerpunktes ist dehnbar. Problematisch erschiene die Einordnung, wenn eine Kenntnisvermittlung sowohl für die derzeitige Tätigkeit als auch die berufliche Entwicklung unerläßlich ist. So läßt sich für den Testingenieur aus Beispiel 2 393 eben gerade nicht sagen, ob der Schwerpunkt der erhaltenen Informationen im Arbeitsvertrags- bzw. Funktionsbezug oder im Berufsbezug liegt. Während für den Arbeitgeber die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Anforderungen das Maßgebliche ist, könnte für den Arbeitnehmer entscheidender sein, daß er berufliche Kenntnisse erlangt, die ihm einen Arbeitsmarktvorteil verschaffen. (5) Kritik an der Ansicht Oetkers
Auch bei Oetker muß zunächst der Ausgangspunkt einer absoluten Abgrenzung der §§ 96 ff. BetrVG gegen den § 81 Abs. 1, 2 BetrVG gegeneinander abgelehnt werden. 394 Andererseits vermag die Grundidee zu überzeugen. Indem Oetker auf die arbeitsnotwendigen Informationen abstellt, sind alle die Auskünfte umfaßt, die der Arbeitnehmer kennen muß, um die vertraglichen Anforderungen zu erfüllen?95 Nicht mehr und nicht weniger soll § 81 BetrVG erreichen. Daß Oetker bezüglich des Verhältnisses zu §§ 96 ff. BetrVG eine konträre Ansicht vertritt, hat auf die Bestimmung, ob eine Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG vorliegt, keinen Einfluß, da Oetker als Konsequenz seiner Ansicht die berufliche Bildung gern. §§ 96 ff. BetrVG und nicht den § 81 BetrVG beschränken wollte. Oetkers Beschreibung des § 81 Abs. 1,2 BetrVG ist daher insofern zuzustimmen. (6) Kritik an der "Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt" Der hier vertretenen Ansicht, daß sich Unterrichtungs- und Berufsbildungsmaßnahmen überschneiden können, kommt die Betrachtungsweise Krafts396 und ihm folgend Glaubitz397 grundsätzlich am nächsten. Jedoch setzen deren "qualitative 391 BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Grunde, AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG. Dazu auch Hammer, ZTR 1996,245 ff. (246 ff.). 392 Berufsbildungsmaßnahmen, S. 88 f. 393 Unter § 5 A IV 1S. 108. 394 Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 88. 395 Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 87 f. 396 GK-Kraft, § 96 BetrVG Rn. 14 f.
397
H/S/G-Glaubitz. § 96 BetrVG Rn. 6a f.
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Kriterien" allein an dem Gesichtspunkt an, wie leicht die zusätzlichen Kenntnisse erlangbar sind. Damit entsteht der Eindruck, daß auch Kraft sich letztlich von der Überlegung, je mehr zu lernen ist, desto eher sei eine Berufsbildung gegeben, nicht trennen kann. Das entspricht in der Grundidee den Ansichten, die eine Abgrenzung der Berufsbildung gegen die Einweisung vornehmen wollen. Seine Grundprämisse ist, daß immer, wenn auch eine selbständige Einarbeitung möglich wäre, eine Unterrichtung erfolgen kann. Jedoch können auch Berufsbildungsmaßnahrnen im Selbststudium erfolgen, ohne daß solche ausschließlich unter die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG fallen. Bliebe als einziger Unterschied einer Berufsbildung im Selbststudium zu einer Unterrichtung die längere Dauer einer Einarbeitung bzw. des eigengesteuerten Erlernens. Als Anhaltspunkt für eine Unterscheidung bezogen auf die Länge verweist Kraft auf das Stufenschema des früher noch geltenden, mittlerweile aber aufgehobenen § 1246 RV0 398 , nach dem eine betriebliche Anlernzeit für Ungelernte von mindestens drei Monaten gegeben war. Diesem Zeitaufwand vergleichbar sollen (Bildungs)Maßnahmen sein, die einen Einarbeitungsaufwand von 2 - 3 Monaten deutlich verkürzen würden?99 Jedoch läßt sich daran nicht erkennen, bis wann noch eine Unterrichtungsmaßnahme vorliegt, wenn doch gerade kein gegenseitiger Ausschluß anzunehmen ist. Trotz grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Ansicht Krafts ist das Einschränkungskriterium wegen zu großer Rechtsunsicherheit nicht zu übernehmen. (7) Ergebnis Keine der unter b) aa) bis dd)4oo dargestellten Ansichten kann in allen Punkten überzeugen. Wahrend die einen (aa), bb) und ce» von einer meines Erachtens verfehlten Grundprämisse ausgehen und ihre Kriterien allein daran ausrichten, ist die Ansicht Krafts für eine Bestimmung der Voraussetzungen und Grenzen des § 81 BetrVG nicht praktikabel. Überzeugen kann zumindest der Teil der Auffassung Oetkers, nach dem immer dann eine Unterrichtung anzunehmen ist, wenn sie zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten notwendig erscheint. Das wird dem Zweck des § 81 BetrVG gerecht. Eine zu weite Ausdehnung vergleichbar der Forderung nach Fahrunterricht(ung) in Beispiel 3, wird vermieden, verlangt man zuvor das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen. 401 Sind diese sehr engen Anforderungen erfüllt, ist nicht ersichtlich, warum die Art der Maßnahme für einen Anspruch zusätzlich ausschlaggebend sein sollte. Muß der Arbeitnehmer für eine weitere sinnvolle Beschäftigung über Veränderungen unterrichtet werden, hat das zu geschehen. Der 398 399 400
401
folgt. 9*
Aufgehoben mit Wirkung zum l. l. 1992, BGBI. I, S. 2261. Kraft, NZA 1990,457 ff. (459 f.) sowie GK-Kraft, § 96 BetrVG Rn. 16. Vgl. S. 118 ff. Dazu unter I 1 a)/S. 112 ff. Jedoch ist nicht klar, ob Oetker hier der Rechtsprechung
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Arbeitgeber hat ihm zumindest die notwendigen Informationen zu vermitteln. Wird dadurch der Tatbestand der §§ 96 ff. BetrVG berührt, ist das - entgegen Oetker unbeachtlich. Zwar kann auch nach § 97 Abs. 2 BetrVG die Einführung von Qualifizierungsmaßnahmen erzwungen werden, jedoch betrifft das wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen der beiden Normen nur in Randbereichen die gleichen Maßnahmen. Außerdem muß für die Anwendung des Mitbestimmungsrechtes des § 97 Abs. 2 BetrVG immer ein kollektiver Tatbestand gegeben sein402 , auf den es bei der Individualnorm des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG gerade nicht ankommt. Würde also die Anwendung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG bei Maßnahmen ausgeschlossen, die die Grenze zur beruflichen Bildung überschreiten, würde den Arbeitnehmern, für die es allein eine individuelle Maßnahme darstellt, ein Recht genommen, ohne einen adäquaten Ausgleich durch die Mitbestimmung des Betriebsrates zu erhalten. c) Ergebnisse zu den Voraussetzungen der Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1, 2 BetrVG Nach näherer Erörterung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG kann festgestellt werden, daß der Tatbestand, bei dessen Erfüllung der Arbeitgeber die Arbeitnehmer unterrichten muß, zu begrenzen ist. Vor Prüfung der konkreten Maßnahmen müssen die persönlichen Voraussetzungen seitens des Arbeitnehmers vorliegen. Dabei ist auf die Anforderungen, die auch eine Stellenbeschreibung bei der Einstellung verlangen würde, abzustellen. Wird der Arbeitnehmer dieser nicht gerecht, entfällt ein Unterrichtungsanspruch. Liegen diese Voraussetzungen jedoch vor, ist eine Versagung der Unterrichtung lediglich gerechtfertigt, wenn die zu vermittelnden Informationen nicht arbeitsnotwendig sind. Im Unterschied zu den meisten Vertretern der Literatur und der Rechtsprechung wird somit hier nicht vordergründig Wert auf die Art der Maßnahme gelegt, sondern die Voraussetzungen des Arbeitnehmers sind in erster Linie ausschlaggebend. Dadurch ist dem Zweck des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG Rechnung getragen, der die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers403 normiert. Ob und wann die Fürsorgepflicht aktiviert wird, kann nicht hauptsächlich von der Art der durchgeführten Maßnahme abhängig sein, sondern ist zunächst immer anhand der individuellen Arbeitnehmerpersönlichkeit in ihrer Beziehung zum Arbeitsverhältnis festzulegen. Letztlich muß es aber auch nach der hier gefundenen Lösung eine Einzelfallentscheidung bleiben, wann eine Unterrichtung vorliegt, jedoch wird die Einordnung anhand von Kriterien vorhersehbarer.
402 403
Vgl. dazu § 5 A III 3 b) aa)/S. 104. Vgl. zum Zweck des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG BT-Drucks. IV 11786, S. 47.
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Das gefundene Ergebnis ist neben der abschließenden Betrachtung des Beispiels 4404 an zwei weiteren Beispielen zu überprüfen: Frau B erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für eine Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG. Da die Art der Maßnahme nach hier vertretener Auffassung keiner weiteren Einschränkung unterliegt, muß die Firma X Frau B an dem von ihr durchgeführten Computerkurs teilnehmen lassen oder sie auf andere Weise über die Besonderheiten im Umgang mit Programmen eines "i-Mac" unterrichten. Herrn C und Frau D fehlen jeweils schon die persönlichen Voraussetzungen, eine Unterrichtung kommt für beide daher nicht in Betracht. Beispiel S05 Die T-AG führt Qualitätszirkel406 durch, um Qualitätsprobleme, die seit Einführung der neuen elektronischen Steuerungssysteme auftreten, zu beseitigen. In diesen Kursen sollen Fragen der Produktqualität, des Arbeitsablaufs und der Zusammenarbeit der Mitarbeiter geklärt werden. Durch stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer soll deren Verständnis für die Arbeitsabläufe erhöht und die betriebliche Zusammenarbeit verbessert werden. Die Kurse werden von geschulten Moderatoren geleitet, die größtenteils dem Be-trieb angehören.
Der Betriebsrat verlangt gern. § 98 BetrVG Mitbestimmung bei Einführung und Durchführung der Kurse, der Arbeitgeber beruft sich auf § 81 BetrVG und sein alleiniges Bestimmungsrecht. Von den verschiedenen betriebsverfassungsrechtlichen Problemen, die Qualitätszirkel aufwerfen407 , soll hier lediglich die Bedeutung des § 81 BetrVG untersucht werden. Es ist also zu fragen, ob der Arbeitgeber mit der Durchführung eines Qualitätszirkels der ihm nach § 81 Abs. 1, 2 BetrVG gebotenen Unterrichtung nachkommt. Im vorliegenden Fall ist eine Veränderung des Arbeitsbereichs durch Einführung neuer Steuerungssysteme für alle Arbeitnehmer, die mit diesen Geräten in Berührung kommen, gegeben. Der vom Arbeitgeber durchgeführte Qualitätszirkel betrifft nicht die sich mit der Technologie unmittelbar befassenden Ingenieure, sondern die an der Maschinenstraße stehenden Arbeitnehmer. Sie müssen sich mit dem neuen Ablauf der Fertigung vertraut machen, neue Fehlerquellen entdecken und Fehler vermeiden lernen sowie eine neue, optimale Zusammenarbeit miteinander herausfinden. Da sich an der grundsätzlichen Tätigkeit - Einbau verschiedener Teile an der Maschinenstraße - nichts ändert, liegen die persönlichen VoraussetZum Sachverhalt unter § 5 A IV 11 a)/S. 112. Angelehnt an Rische-Braun, WSI-Mitteilungen 1986, S. I ff. (2 f.). 406 Qualitätszirkel sind Arbeitskreise, die auf Wunsch des Arbeitgebers gebildet werden und mehrere Arbeitnehmer eines oder mehrerer Arbeitsbereiche unter der Leitung eines Moderators zusammenfassen. Sie verfolgen das Ziel, die Kommunikation der Arbeiter untereinander zu erleichtern, sollen die Arbeitnehmer motivieren, können aber auch der Fortbildung der Arbeitnehmer dienen, vgl. F/K/H/E/S, § 87 BetrVG Rn. 534 sowie § 96 BetrVG Rn. 30. 407 F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 30 m. w. N.; Rumpff/Boewer, F 2.5 Rn. 43 ff. 404 405
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
zungen in Fonn der zu erfüllenden Anforderungen an die übliche Stellenbeschreibung, weiterhin vor. Eine Einweisung in den neuen Arbeitsablauf ist arbeitsnotwendig, führte eine fehlende doch zu quantitativen und qualitativen Mängeln und damit zu einer Nicht- oder Schlechterfüllung der arbeitsvertraglichen Pflicht der Arbeitnehmer. Der Tatbestand des § 81 BetrVG ist somit erfüllt. Führt der Arbeitgeber also statt einer knappen Einzeleinweisung eine an Arbeitsgruppen orientierte Schulung durch, dient das immer noch der Erfüllung der gebotenen Unterrichtung. Daran kann sich nichts dadurch ändern, daß der Arbeitgeber nicht nur über Änderungen infonniert, sondern auch Vorteile aus der Veranstaltung zieht, weil die Mitarbeiter bei Lösung der Probleme helfen. Werden durch die Durchführung eines Qualitätszirkels außerdem die Voraussetzungen für die Mitbestimmungstatbestände des Betriebsrats erfüllt, kann das die Eigenschaft als Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG nicht beseitigen. Die Mitbestimmungstatbestände treten vielmehr daneben. 408 Beispiel 6409
Die im Kernkraftwerk A mit der Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes beauftragten Arbeitnehmer müssen gern. § 7 Abs. 2 Nr. 1 AtG die erforderliche Fachkunde besitzen. Um die Fachkunde bundeseinheitlich festzustellen, werden Richtlinien erlassen, auf Grundlage derer Ausbildungsstand und praktische Erfahrung nachgewiesen werden müssen sowie eine schriftliche und eine mündliche Fachkundeprüfung abzulegen sind. Die schriftliche Prüfung erfolgt betriebsintern mit von der Aufsichtsbehörde genehmigten Fragen, die mündliche vor einer Kommission von Vertretern des Betriebes, der Genehmigungsbehörde und zwei von der Genehmigungsbehörde hinzugezogenen Sachverständigen. Der Betriebsrat des A Werkes besteht nunmehr darauf, an der Prüfung als Beobachter teilnehmen zu dürfen, da es sich um eine berufsbildende Maßnahme i. S. d. § 98 Abs. 1 BetrVG handele. Eine Teilnahme soll vor allem nötig sein, um geeignete Bewerber für die Prüfung gern. § 98 Abs. 3 BetrVG vorschlagen zu können.
Zu fragen ist, ob es sich nicht um eine Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG handelt, über deren Teilnehmer der Betriebsrat gerade nicht mitzubestimmen hat. 4IO Das BAG entschied sich für Vorliegen einer Berufsbildungsmaßnahme gern. § 98 BetrVG, da es sich um Kenntnisse und Fähigkeiten handelt, die den Arbeitnehmern zur Ausfüllung ihres Arbeitsplatzes und ihrer beruflichen Tätigkeit dienen. Das Vorliegen einer Unterrichtung gern. § 81 BetrVG lehnten es mit Hinweis auf die Entweder-Oder-These ab. 411 Indes kommt es nach der hier vertretenen Ansicht darauf nicht an. Bezogen auf die bloße Durchführung der Prüfung paßt 408 Für ein solches Nebeneinander von §§ 96 ff. und § 81 Abs. 1,2 BetrVG auch Däubler, BB 2000. 1190 ff. (1193). 409 Sachverhalt beruht auf: BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985. AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG. 410 Vgl. die Ausführungen unter § 5 A IV 1 b) ee) (1) (c)/S. 126 f. 411 BAG - 1 ABR 49/83 - v. 5. 11. 1985 unter B. I. 1. der Gründe. AP Nr. 2 zu § 98 BetrVG. Kritisch zu dieser Annahme des BAG und dem Gericht Inkonsequenz bei der Anwendung der eigenen Abgrenzungsmerkmale zwischen Berufsbildungs- und Unterrichtungsmaßnahme vorwerfend. Däubler, BB 2000. 1190 ff. (1191).
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schon die Rechtsfolge des § 81 BetrVG nicht. Unterrichtung bedeutet nicht Prüfung, sondern kann eine solche lediglich vorbereiten. Anderes könnte sich bezüglich der vorher zu erfolgenden Lehrgänge ergeben. Zu deren Einordnung müßten jedoch die Angaben im Sachverhalt umfassender sein. Handelt es sich um Lehrgänge, die sich auf Neuerungen im Arbeitsprozeß beziehen und deren Kenntnis der Arbeitgeber nicht zu Anforderungen für die Stellenbeschreibung erhoben hat, ist § 81 BetrVG einschlägig; der Betriebsrat könnte bei der Auswahl der Teilnehmer dann nicht mitbestimmen412 . Dienen Lehrgänge und Prüfungen jedoch der Auffrischung bereits vorhandenen Wissens, ist § 81 BetrVG nicht maßgeblich, weil weder eine NeueinsteIlung i. S. d. Vorschrift des § 81 Abs. 1 BetrVG noch eine Veränderung gemäß Absatz 2 gegeben wäre. d) Verfassungsgemäße Ausweitung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG Das hier entwickelte Verständnis der Unterrichtung i. S. d. § 81 Abs. 1 BetrVG darf die Rechte des Arbeitgebers nicht in verfassungswidriger Weise beeinträchtigen. So ergibt sich ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit dadurch, daß dem Arbeitgeber die Entscheidung darüber oktroyiert wird, ob er eine Bildungsmaßnahme durchführt oder nicht. Determiniert wird die unternehmerische Freiheit dabei durch verschiedene Grundrechte. Sie ist quasi ein Oberbegriff für die dem Arbeitgeber zustehenden wirtschaftlichen Freiheitsrechte aus Artt. 12 Abs. 1413 , 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. 414 Diese Gesamtbezeichnung, aufgrund derer durch jahrelange Praxis allgemeine Grundsätze der Unternehmensautonomie entstanden sind415 , macht im konkreten Fall eine Einzelbetrachtung für jedes dieser betroffenen Grundrechte aber nicht entbehrlich416 • Die unternehmerische Freiheit kann durch gesetzgeberische Entscheidungen beeinträchtigt werden, sie darf die Rechte lediglich nicht in unverhältnismäßiger Weise beschneiden. Vorliegend könnte die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers beschnitten sein, weil ihm vorgegeben wird, daß er die Arbeitnehmer nach Änderungen der Organisation oder des Arbeitsablaufes zu unterrichten hat. Jedoch sind gesetzliche Regelungen der Berufsausübung statthaft und bleiben innerhalb des Rahmens des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, solange sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden und die gewählten Mittel zur Erreichung 412 Zum Ausschluß dieses Mitbestimmungsrechtes bei Vorliegen des § 81 Abs. 1,2 BetrVG § 5 A IV 1 b) (ee) (1) (c)/S. 126 f. 413 Umfassend Art. 12 GG als Grundrecht des Arbeitgebers: C. Müller, Berufsfreiheit des Arbeitgebers. 414 Beuthien. ZfA 1988, 1 ff. (1 f.). 415 Zu dem Grund und Kernbereich der Unternehmensautonomie vgl. Beuthien. ZfA 1988, 1 ff. (6 ff.). 416 C. Müller, Berufsfreiheit des Arbeitgebers, S. 213 f. Vgl. auch BVerfG - 1 BvR 532/ 77 u. a. - v. 1. 3. 1979 unter C. III. der Gründe, BVerfGE 50, 290 ff. und die dort nacheinander erfolgende Prüfung aller wirtschaftlichen Grundrechte.
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des verfolgten Zwecks sowohl geeignet als auch erforderlich sind. Außerdem muß bei einer Gesamtabwägung zwischen Schwere des Eingriffs und Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Zumutbarkeit noch gewahrt bleiben. 417 Durch die Unterrichtung sollen dem Arbeitnehmer Aufgabe und Stellung im Gesamtgefüge des Betriebes näher gebracht werden, um zu verhindern, daß er an seinem Arbeitsplatz eine bloße ObjektsteIlung einnimmt. 418 Dies ist ein legitimes, dem Gemeinwohl zuträgliches Ziel. Die Unterrichtung ist auch geeignet, dem Arbeitnehmer Verlauf und Funktion der Arbeitsabläufe nahe zu bringen und somit eine ObjektsteIlung zu verhindern. Unverhältnismäßig wird die Unterrichtung nicht dadurch, daß im Rahmen schwerwiegender Änderungen auch umfassendere Unterrichtungen vorzunehmen sind, die ebenfalls Bildungscharakter entfalten können. Schließlich bleibt der Arbeitgeber frei in der Entscheidung darüber, ob und in welcher Intensität er Veränderungen der Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers oder des Arbeitsablaufes vornimmt. Ihm wird gerade nicht vorgegeben, wie er sein Unternehmen zu führen hat. Bestimmt wird lediglich, daß er den Arbeitnehmer diesen Änderungen nicht schutzlos aussetzen soll, ihn also über die arbeitsorganisatorischen und -technischen Auswirkungen der Unternehmerentscheidung infonnieren muß. Einer unzumutbaren Weiterbildungsverpflichtung wird durch die Beschränkung auf die Arbeitnehmer vorgebeugt, die die persönlichen Voraussetzungen für eine Unterrichtung erfüllen. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Arbeitgebereigentums kann ebenfalls nicht angenommen werden. Der Arbeitgeber wird also auch durch die weite Lesart des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG nicht unverhältnismäßig in seiner unternehmerischen Freiheit beschnitten. Das hier vertretene Verständnis des § 81 Abs. 1,2 BetrVG ist verfassungsgemäß. 2. Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1, 2 BetrVG als Weiterbildung
Nach der Darlegung des Tatbestandsverständnisses des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG ist anhand der Definition der betrieblichen Weiterbildung zu untersuchen, ob es sich bei Unterrichtungen tatsächlich um Weiterbildungsmaßnahmen handeln kann. Dann wäre der Arbeitgeber zumindest in der Entscheidung über solche Weiterbildungsmaßnahmen nicht mehr frei, die zugleich Unterrichtungen i. S. d. § 81 Abs. I, 2 BetrVG sind. Dafür ist zunächst der Begriff der betrieblichen Weiterbildung nochmals darzulegen. Betriebliche Weiterbildung ist nach hier vertretener Ansicht ein der Erweiterung der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen, Verhaltensweisen sowie Fertigkeiten des Arbeitnehmers bei seiner 417 BVerfG - 1 BvR 563/851 - v. 15. 12. 1987 unter C. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG; - 1 BvL 44/86 und 48/87 - v. 23. 1. 1990 unter C. 11. 1. a) der Gründe, AP Nr. 1 zu § 128 AFG. 418 BT-Drucks. VII 1786 S. 47.
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beruflichen Tätigkeit dienender und im deutlichen betrieblichen Interesse liegender Bildungsprozeß.419 a) Unterrichtungsmaßnahmen gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG mit Berufsbildungscharakter Unproblematisch läßt sich das Vorliegen betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen für solche Unterrichtungen bejahen, die auch Berufsbildungsmaßnahmen i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG sind. Sie können als Weiterbildungsmaßnahmen angesehen werden. 42o Die Betrieblichkeit, also das betriebliche Interesse im Sinne der hier entwickelten Definition421 , ergibt sich auch ohne den tatsächlich bestehenden Willen des Arbeitgebers schon aus der Vermutung des deutlichen betrieblichen Interesses, weil die Unterrichtung auf Veranlassung des Arbeitgebers stattfindet und er außerdem meist Träger der Maßnahme sein wird. 422 b) Unterrichtungsmaßnahmen gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG ohne Berufsbildungscharakter Unklar ist, inwieweit auch solche Unterrichtungsmaßnahmen i. S. d. § 81 Abs. 1 S. 1 BetrVG unter die weite Definition der Weiterbildung fallen, die keine Berufsbildungsmaßnahmen i. S. d. §§ 96 ff. BetrVG darstellen. Das beträfe die Maßnahmen, die vom BAG und einem Großteil der Literatur als Unterrichtung i. S. d. § 81 BetrVG angesehen werden. Gibt es solche Maßnahmen, müßte selbst bei Verfolgen der überwiegenden Ansicht - also der herrschenden Entweder-Oder-These - eine Einschränkung bei der freien Entscheidung über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen angenommen werden. Dann würde sich die in dieser Arbeit zu untersuchende Pflicht zur Durchführung von Weiterbildungen auch auf solche Maßnahmen erstrecken, die keine berufliche Kenntniserweiterung zur Folge haben, aber arbeitsplatzbezogene Unterrichtungen darstellen und zumindest die individuellen Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen des Arbeitnehmers betreffen. Solche Maßnahmen könnten sich trotz des Arbeitsplatzbezugs und der in diesem Zusammenhang vermittelten Kenntnisse der allgemeinen Weiterbildung423 zuordnen lassen, weil durch die Wissenserweiterung auch die Persönlichkeit des Arbeitnehmers gefördert wird424 • 419 420
421 422 423 424
Dazu ausführlich 1. Teil § 2 A 111 S. 30 ff. Dazu unter § 5 A III 1 I S. 98. Dazu 1. Teil § 2 AIS. 29 ff. Zu dieser Vermutung § 2 A 11 2 I S. 34 ff. Dazu im 1. Teil § 2 B 1/ S. 36 f. Vgl. zu Weiterbildung und deren Verbindung zum Recht auf SeIbstentfaltung § 4 B 11 2 I
S. 86 f.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Man könnte darauf abstellen, daß jede Kenntnisvennittlung und Erweiterung der individuellen Fähigkeiten persönlichkeitsfördernd ist, ohne daß es auf den berufsbezogenen Charakter ankommt. Zwar haben die Infonnation des Arbeitgebers über die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers im Arbeitsablauf gern. § 81 Abs. I S. I I.Var. BetrVG sowie die Einordnung des einzelnen Arbeitnehmers in den Arbeitsablauf gemäß der 3. Variante des § 81 Abs. 1 S. 1 BetrVG überwiegend infonnatorischen Charakter und die Kenntnisvermittlung ist im Erklären der einzelnen Arbeitsabläufe zu sehen. Gleichwohl könnte auch diese Erweiterung des Wissens des Arbeitnehmers dem weiten Weiterbildungsbegriff des Deutschen Bildungsrates425 gerecht werden. Schließlich steht gerade innerhalb der allgemeinen Weiterbildung die Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund, speziell für die betriebliche allgemeine Weiterbildung die Entwicklung der Arbeitnehmerpersönlichkeit426 Die Vermittlung der Aufgabe, Verantwortung sowie Einordnung des einzelnen am Arbeitsplatz bzw. in den Arbeitsprozeß insgesamt helfen, die Zusammenhänge am Arbeitsplatz und das Zusammenspiel der verschiedenen Tätigkeiten zu überschauen. Es stellt nach dem weiten, hier verfolgten Weiterbildungsbegriff eine betriebliche allgemeine Weiterbildung der (Arbeitnehmer)Persönlichkeit dar. Ebenfalls keine berufsbildenden Maßnahmen gern. §§ 96 ff. BetrVG - die aber trotzdem berufliche betriebliche Weiterbildung sei könnten - sind die Maßnahmen, die über die Art der Tatigkeit unterrichten. Daß auch sie der beruflichen Weiterbildung zuordnenbar sein können, ergibt sich aus dem weiteren Verständnis der allgemeinen Definition gegenüber dem Berufsbildungsbegriff des §§ 96 ff. BetrVG. Umfaßt sind neben der Kenntnisvermittlung für die Berufsqualifikation (diese wären Maßnahmen gern. §§ 96 ff. BetrVG) auch solche, die sich allein auf den Arbeitsplatz beziehen. 427 Die gern. § 81 Abs. 1 S. 1 2.Var. BetrVG erfolgende Erklärung spezieller Methoden und verwendeter Technologien am Arbeitsplatz428 sowie die Vermittlung detaillierter Kenntnisse über gesetzliche Bestimmungen429 können somit ebenfalls den beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen zuzurechnen sein. Jedoch ist hier die Grenze zum lediglich funktionalen Lernen in der Arbeitssituation fließend. Noch nicht unterschritten wäre die Grenze zum funktionalen Lernen beispielsweise bei einem "Grundkurs Hygiene I + 11" und "Hygiene der nicht sterilen Arbeitsmittel". In diesen Kursen sollte bei den Arbeitnehmern eines Unternehmens in der pharmazeutischen Industrie in einer jeweils eineinhalbstündigen Veranstaltung das Verständnis für Hygienemaßnahmen und Hygienetechnik in der Pharmaproduktion bzw. ein vertieftes Verständnis für Hygienemaßnahmen bei der Herstellung von Arzneimitteln geweckt 425 426 427
428 429
Deutscher Bildungsrat, Strukturplan fUr das Bildungswesen, S. 51 f. Dazu § 4 B 111 S. 82 ff. Zum Begriff der beruflichen Weiterbildung 1. Teil § 2 BIll S. 38 f. GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 5. D/K/K-Buschmann, § 81 BetrVG Rn. 8; GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 5.
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werden. 43o Geht man davon aus, daß die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ohne die Unterweisung nicht ausüben konnten, da sie bestimmte Vorschriften einhalten müssen, soll die Mitteilung dieser Vorschriften sowie der Versuch des Arbeitgebers, den Arbeitnehmern den Sinn dieser Vorschriften deutlich zu machen, nach dem BAG eine Unterrichtung im Sinne von § 81 BetrVG sein, also gerade keinen berufsbildenden Charakter haben. 431 Trotzdem findet durch die Unterrichtung eine Erweiterung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer statt, die nicht in gleicher Weise durch Berufserfahrung erlangt werden könnte und somit über bloß funktionales Lernen hinausgeht. In diesen Fällen liegt also eine berufliche Weiterbildung vor, über deren Durchführung der Arbeitgeber ebenfalls nicht frei entscheiden kann. c) Ergebnis zur Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1 BetrVG als Weiterbildung Unterrichtungen gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG lassen sich in drei unterschiedliche Bildungsstufen einteilen. Es kann sich zunächst um solche handeln, die lediglich das Erreichen von umfangreicherer Berufserfahrung beschleunigen, ohne die Grenze zur Weiterbildung zu überschreiten. Unterrichtungen mit Weiterbildungscharakter lassen sich dann weiter in solche mit berufsbildender und in solche mit arbeitsplatzbezogener Wissensvermittlung unterscheiden. Die Grenzen sind aber im einzelnen fließend. Wichtig ist, daß nachgewiesen wurde, daß der Arbeitgeber in der Situation des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG auch schon nach geltendem Recht in seiner Entscheidungsfreiheit darüber, ob er Weiterbildungsmaßnahmen durchführt oder nicht, beschränkt wird. 3. Leistungsumfang der Unterrichtung
Die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG obliegt vollständig dem Arbeitgeber. Er hat zum einen für die Kosten der Maßnahme aufzukommen, unabhängig davon, ob es sich um eine vom eigenen Personal durchzuführende Einweisung oder um Fremdpersonal handelt. Außerdem muß er den unter Umständen eintretenden Arbeitsausfall kompensieren und trotzdem den Lohn an die zu Unterrichtenden weiter zahlen. Das ergibt sich aus § 81 Abs. 1, 2 BetrVG, der die Unterrichtung bestimmt, ohne Einschränkungen bezüglich ihrer Durchführung zu benennen. 430 BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. b) bb) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. 431 BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. b) bb) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis 4. Konkurrenz des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG mit den echten Mitbestimmungsrechten nach §§ 97 ff. BetrVG
Das hier verfolgte weite Verständnis des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG führt dazu, daß die Unterrichtung mit den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates bei der Einführung von betrieblichen Bildungsrnaßnahmen gern. § 97 Abs. 2 BetrVG und der Auswahl der Teilnehmer gern. § 98 Abs. 3 BetrVG in bestimmten Fällen konkurriert. Ob beide Rechte in diesen Situationen nebeneinander stehen können oder ob entweder dem Individualanspruch oder dem Mitbestimmungsrecht der Vorzug zu geben ist, ist nachfolgend zu klären. Bisher gibt es in der Rechtsprechung und der Literatur keine Äußerungen zu dieser Frage. Dies ist einmal auf die herrschende Ansicht des Ausschließlichkeitsverhältnisses von Unterrichtungsrecht und beruflichen Bildungsrnaßnahmen zurückzuführen, wodurch eine Konkurrenz schon durch die tatbestandliche Begrenzung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG ausgeschlossen wurde. Zusätzlich findet dieser Umstand seine Begründung aber darin, daß es nur wenig entscheidungserhebliche Fälle in diesem Bereich gibt und weil es sich bei § 97 Abs. 2 BetrVG um eine neue Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes handelt. Eine ähnliche Problematik wurde jedoch in Bezug auf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gern. § 98 Abs. 3, 4 BetrVG und den Individualanspruch auf Teilnahme an einer Weiterbildung nach den Landesbildungsgesetzen erkannt und diskutiert. Ohne daß es gerichtliche Entscheidungen dazu gibt, gehen Stimmen der Literatur davon aus, daß die Anwendung des § 98 Abs. 3 BetrVG mangels Schutzbedürftigkeit des einzelnen Arbeitnehmers ausgeschlossen sei. 432 Damit wird für die Auflösung der Kollision auf der Rechtsfolgenseite eine Ansicht aufgegriffen, die in der vorliegenden Arbeit auf der Tatbestandsseite noch abgelehnt wurde. 433 Einem Zurücktreten des Mitbestimmungsrechtes ist in den Fällen tatsächlicher Konkurrenz nach Prüfen des Tatbestandes wegen des fehlenden Schutzbedürfnisses zuzustimmen. Eine solche, auf EinzeWille bezogene Herausnahme der Geltung des Mitbestimmungsrechtes wird den Kritikern der kollidierenden Regelungen gerecht und gewährleistet gleichzeitig maximale Betriebsratsmitbestimmung bei der Durchführung von Unterrichtungsmaßnahmen mit berufsbildendem Charakter. Wie bereits erwähnt, ergeben sich vergleichbare Probleme, wenn mehrere Arbeitnehmer durch eine Änderung in ihrem Arbeitsbereich i. S. d. § 81 Abs. 2 BetrVG einen Unterrichtungsanspruch haben und gleichzeitig der Tatbestand des § 97 Abs. 2 BetrVG434 erfüllt ist. In diesen Fällen laufen Initiativ- und Mitbestim432 F/K/H/E/S, § 98 BetrVG Rn. 36; H/S/G-Glaubitz, § 98 BetrVG Rn. 62; Stege/ Weinspach, §§ 96-98 BetrVG Rn. 43. 433 Allerdings führte die Überlegung Oetkers gerade zu einern umgekehrten Ergebnis, nämlich der Einschränkung des Individualrechtes. Vgl. dazu § 5 A IV 1 b) ee) (1) (c) 1 S. 126 f. 434 Zu den Voraussetzungen unter § 5 A III 3/S. 102 ff.
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mungsrecht des Betriebsrats ebenfalls quasi leer, da der Anspruch auf Einrichtung der Unterrichtung schon durch die betriebsverfassungsrechtliche Individualnorm gegeben ist. Liegen tatsächlich die Voraussetzungen für beide Tatbestände vor, fehlt es für ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates wiederum an der Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer. Die Mitbestimmung des Betriebsrats ist in diesen Fällen aus arbeitnehmerschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht erforderlich. Fraglich ist, ob sie dennoch erfolgen muß, um die Unterrichtungsmaßnahme nicht anderenfalls in Anlehnung an die Theorie der notwendigen Mitbestimmung unwirksam werden zu lassen. 435 Hier muß jedoch das Mitbestimmungsrecht hinter den Individualinteressen zurücktreten, da sonst der Sinn der Mitbestimmungsrechte in sein Gegenteil verkehrt würde. Besteht ein Individualanspruch, entfällt die Notwendigkeit des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung mit gleichem Inhalt. Natürlich können Arbeitgeber und Betriebsrat weiterhin darüber hinausgehend eine Betriebsvereinbarung abschließen, jedoch handelt es sich dann um eine freiwillige, für die der Betriebsrat zwar die Initiative ergreifen kann, die aber nicht nach § 97 Abs. 2 BetrVG erzwingbar ist. Ebenfalls zu Kollisionen führt der Fall der Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Auswahlentscheidung über die Teilnehmer gern. § 98 Abs. 3 BetrVG, wenn gleichzeitig eine Unterrichtung nach § 81 Abs. 1, 2 BetrVG geboten ist. Der Betriebsrat kann Vorschläge für die Auswahl der an der Bildungsmaßnahme zu beteiligenden Arbeitnehmer unterbreiten. Erklärt der Arbeitgeber sich mit den Vorgeschlagenen nicht einverstanden, soll nach § 98 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle entscheiden. Die Entscheidung wird notwendig, wenn sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsrat Teilnehmer vorschlagen und es dadurch mehr Bewerber als Plätze gibt. 436 Der Fall wird in der Praxis selten auftreten, hieße es doch, daß der Betriebsrat sein Veto gegen die notwendige Unterrichtungsmaßnahme eines Arbeitnehmers einlegt. Auch in diesem Fall kann die Anwendung des § 98 Abs. 3 BetrVG mangels Schutzbedürftigkeit für die Fälle ausgeschlossen werden, in denen bereits ein Individualanspruch auf eine Unterrichtung mit berufsbildendem Charakter vorliegt. 437 5. Durchsetzung der Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG
Zu prüfen bleibt, ob bzw. wie der einzelne Arbeitnehmer eine Unterrichtungsmaßnahme erlangen kann, wenn der Arbeitgeber sie nicht von selbst vornimmt. Zwar wird allgemein von einer Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers gesprochen, Vgl. dazu GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 103 ff. m. umf. N. BAG - 1 ABR 32/86 - v. 8.12.19871. und 2. LS, AP Nr. 4 zu § 98 BetrVG; F/K/ H/E/S, § 98 BetrVG Rn. 33; GK-KraJt, § 98 BetrVG Rn. 19. 437 In diesem Sinne wohl auch Hammer, Berufsbildung und Betriebsverfassung, S. 80 f. Immer wenn bereits individuelle Positionen den Arbeitnehmer schützen, läuft das Mitbestimmungsrecht quasi leer und kann zurücktreten. 435
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jedoch stellt nicht jede als Pflicht bezeichnete Aufgabe zugleich einen durchsetzbaren Anspruch dar. Die größte Wirkung haben gesetzliche Gebote an den Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer bei Nichterfüllung in irgendeiner Art und Weise gegen den Arbeitgeber vorgehen kann. Mögliche Folgen der Nichtvornahme eines gesetzlichen Gebotes sind eine selbständige Klage beziehungsweise Anhörung im Beschlußverfahren auf Erfüllung (unter a)), ein Rechtsverlust oder zumindest Rechtsnachteile des Gläubigers sowie eine Schadensersatzpflicht (unter b)). Außerdem könnte § 81 Abs. 1, 2 BetrVG keine echte Rechtspflicht des Arbeitgebers, sondern eine Obliegenheit darstellen (unter c)), die bei Mißachtung zum Verlust arbeitgebereigener Rechtspositionen führt. Nach Darstellung der allgemeinen Voraussetzungen wird die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG (unter d)) näher betrachtet und zugeordnet. a) Selbständige Klagbarkeit Die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG könnte eine echte Rechtspflicht des Arbeitgebers darstellen. Die selbständige Einklagbarkeit von Einzelpflichten richtet sich zunächst danach, ob ein eigenständiger Zweck verfolgt wird438 , woraus sich aber nicht im Umkehrschluß ableiten läßt, daß stets automatisch ein Erfüllungsanspruch gegeben ist. Unproblematisch sind die Fälle, in denen die Folge einer Nichtbeachtung der Pflicht explizit in der Vorschrift festgelegt ist. Allerdings fehlen solche konkreten Festlegungen gerade in gesetzlichen Schutzvorschriften fast vollständig. Auch der hier in Frage stehende § 81 Abs. 1, 2 BetrVG enthält keine Rechtsfolgenregelung. Bei fehlenden vertraglichen Vereinbarungen wäre somit nie ein klagbarer Erfüllungsanspruch gegeben. Da die Schutzpflichten dann nur schwer durchsetzbar und somit weniger wirkungsvoll wären, wird bei positiv geregelten Pflichten, die keine Rechtsfolgenregelung enthalten, wie etwa §§ 60, 62, 112 HGB, 618 BGB, nach allgemeiner Meinung ebenfalls ein Erfüllungsanspruch anerkannt. 439 So ist beispielsweise die Forderung nach einem § 618 BGB entsprechenden Arbeitsplatz auch ohne normimmanente Regelung einklagbar. 44o Ware § 81 Abs. 1, 2 BetrVG eine echte Rechtspflicht, müßte er als ausdrückliche Regelung auch selbständig einklagbar sein. Palandtl Heinrichs, § 242 BGB Rn. 25. Für das Abeitsschutzrecht: BAG - 5 AZR 34/75 - v. 10. 3. 1976, AP Nr. 17 zu § 618 BGB; StaudingerlOetker, § 618 BGB Rn. 162; Wlotzke, FS für HiigerlStumpf (1983), S. 723 ff. (744 ff.). 440 MünchKomm I Lorenz, § 618 BGB Rn. 62 ff.; StaudingerlOetker, § 618 BGB Rn. 250 ff.; Wlotzke, FS für Hilger I Stumpf, S. 723 ff. (744 f.); die praktische Relevanz gerade dieses Anspruchs wird allerdings genauso einhellig bezweifelt. Das liegt vor allem daran, daß das Zurückbehaltungsrecht sowie der Hinweis an den Betriebsrat oder die Aufsichtsbehörde effektiver erscheint; vgl. StaudingerlOetker, § 618 BGB Rn. 251 f. m. w. N.; ErfKl Wank, § 618 BGB Rn. 28 m. w. N. 438
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b) Sonstige Folgen der Pflichtverletzung Neben der selbständigen Einklagbarkeit der Schutzpflichten kommt ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB mit der Arbeitsleistung in Betracht, sofern es sich um keine geringfügige Pflichtverletzung handelt. 441 Außerdem besteht unabhängig von der selbständigen Klagbarkeit die Möglichkeit eines entweder auf pVv oder deliktsrechtliche Vorschriften gestützten Schadensersatzanspruchs. 442 In extremen Fällen arbeitgeberseitiger Nebenpflichtverletzungen kann dem Arbeitnehmer unter Umständen ein Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB zustehen. 443 c) Obliegenheiten Wie bereits angedeutet, wird der Begriff "Pflichten" für sämtliche Verhaltensanforderungen verwendet. Er ist aber nicht nur unbestimmt, was Umfang und Rechtsgrundlage der Pflichten anbelangt444 , sondern auch in der Terminologie. Pflichten, oder genauer: echte Rechtspflichten, sind Verhaltensanforderungen, mit denen ein Rechtsanspruch korrespondiert. Die Rechtsordnung kann aber auch lediglich Obliegenheiten anordnen, um einer "Pflicht" des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer zur Geltung zu verhelfen. 445 Auch die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG könnte lediglich eine solche Obliegenheit darstellen. aa) Begriff der Obliegenheit
Obliegenheiten kommen vor allem im Versicherungsrecht vor und sind Verhaltensanforderungen446, denen nachzukommen überwiegend im Interesse des 441 ErfKl Wank, § 618 BGB Rn. 32. Ebenso Otto, AR-Blattei SD, 1880, Rn. 53, der sich allerdings auf § 320 Abs. 2 BGB stützt. Zum Streitstand, ob § 273 BGB oder § 320 BGB vg!. einerseits Oetker, § 618 BGB Rn. 260 ff. und andererseits Otto, AR-Blattei SD, 1880, Rn. 47 ff. 442 ErfKl Preis, § 611 BGB Rn. 886 m. w. N. 443 ErfKl Preis, § 611 BGB Rn. 886. 444 V g!. den Versuch einer nur teilweisen Einordnung und Begrenzung unter 11. und 111. 445 Zum Begriff der Obliegenheit umfassend, Reimer Schmidt, vor Anm. 1, S. 314, 316 f. (Zusammenfassung). Kritisch zur herrschenden Obliegenheitstheorie und die Verbindlichkeitstheorie annehmend, aber mit gutem Überblick, Prölls/Martin-Prölls, § 6 VVG Rn. 30. Vg!. auch Wieling, AcP 176 (1976), S. 334 ff. (346 und Fn. 48). 446 Umstritten ist dabei, ob es sich bei Obliegenheiten um echte Rechtspflichten mit abgeschwächter Sanktion (so ein Teil der Literatur I Verbindlichkeitstheorie) oder keine echten Rechtspflichten handelt (so die überwiegende AnsichtlObliegenheitstheorie). Umfassender zur Rechtsnatur der Obliegenheiten vg!. BrucklMöller, VVG, § 6 Rn. 8 f. m. w. N.; StaudingerlSchmidt, Ein!. Vor §§ 241 ff. BGB Rn. 283 ff. m. w. N.; Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. (347).
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Berechtigten liegt, weil er sonst eine ihm günstige Rechtsposition verliert. 44? Sie werden auch als Maßnahmen minderer Zwangsintensität ohne Anspruch auf Erfüllung und gegebenenfalls Schadensersatz bezeichnet. 448 Das gilt zum Beispiel für die einem Kaufmann gern. § 377 HGB auferlegte Rügeobliegenheit. Bei Unterlassen der Anzeige eines Mangels oder einer Falschlieferung verliert der Kaufmann die ihm sonst zustehenden Gewährleistungsrechte. Die häufige Bezeichnung der Rügeobliegenheit als "Anzeigepflicht" verdeutlicht die Achtlosigkeit bei Verwendung des Begriffs "Pflicht". Auch im Arbeitsrecht gibt es nur selten ausdrücklich benannte Obliegenheiten. Meist lassen sich die Verhaltensanforderungen kaum zwischen nicht durchsetzbarer unselbständiger Schutzpflicht und Obliegenheit abgrenzen. bb) Abgrenzung Obliegenheit - Rechtspflicht
Problematisch ist, daß nicht nur die Begriffe "Pflicht" und "Obliegenheit" häufig synonym verwandt, sondern auch die Rechtsfolgen teilweise gleichgesetzt werden. Ein Beispiel bietet die vom Arbeitgeber vorzunehmende Anhörung im Falle einer anstehenden Verdachtskündigung. 449 Hinzu kommt, daß sich nicht einklagbare Pflichten und Obliegenheiten lediglich durch die (Nicht)Bewährung mit Schadensersatz voneinander unterscheiden. Maßgeblich für die oft schwierige Abgrenzung kann nicht der Wortlaut der Vorschrift sein, sondern sie muß sich aus der Interessenlage beider Partner bei Verletzung der Verhaltensnorm ergeben. Das Befolgen einer Obliegenheit wird in erster Linie immer im Eigeninteresse des Schuldners des zu erfüllenden Gebotes liegen, weil er eine Rechtsposition sonst nicht erlangen kann. 45o Die Rechtspflicht ist demgegenüber im Fremdinteresse zu erfüllen und kann, um trotzdem den notwendigen Druck auf den Schuldner auszuüben, eingeklagt werden bzw. zumindest eine Schadensersatzpflicht begründen. 451 Wollen die Parteien gleiche Rechtsfolgen auch für eine ursprünglich als Obliegenheit beschriebene Verhaltensnorm, ist es immer noch möglich, eine bestehende Obliegenheit privatautonom zur Pflicht zu qualifizieren. 452
447 Palandtl Heinrichs, Ein!. v. § 241 BGB Rn. 16; Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. (346,348). 448 Reimer Schmidt, S. 314, 316 f., Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. (346). 449 BAG - 2 AZR 587/94 - v. 13. 09. 1995 unter 11. 4. a) der Gründe, AP Nr. 19 zu § 626 BGB Verdacht einer strafbaren Handlung. Vg!. dazu Hoefs, S. 190 ff. m. w. N. 450 BrucklMöller, VVG-Kommentar, § 6 Rn. 5; Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. (348). 451 BrucklMöller, VVG-Kommentar, § 6 Rn. 7. 452 OLG Hamm - 20 U 146/92 - v. 9.12. 1992 unter 1. der Gründe, VersR 1993, 1519 ff.; Prölls/Martin-Prölls, § 6 VVG Rn. 31.
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung
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d) Unterrichtung gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG als Pflicht oder Obliegenheit? Nahezu einhellig wird in der Literatur bezüglich § 81 Abs. 1, 2 BetrVG von einer echten Rechtspflicht des Arbeitgebers ausgegangen, die vom Arbeitnehmer selbständig im Urteilsverfahren einklagbar ist. 453 Dies hat auch zur Folge, daß dem Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitsleistung gern. § 273 BGB zusteht, solange die Unterrichtung nicht erfolgt ist. Obwohl er den Arbeitnehmern ebenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht einräumen will, geht von Hoyningen-Huene davon aus, daß es sich um Obliegenheiten handelt. 454 Folgte man der Ansicht von Hoyningen-Huenes, wären Obliegenheiten den unselbständigen Nebenpflichten nicht nur gleichzusetzen, sondern ihnen in ihren rechtlichen Auswirkungen sogar überlegen, da unselbständige Pflichten "nur" Voraussetzung für Schadensersatzforderungen nach Verletzung sein können. Fraglich ist, ob ein Zurückbehaltungsrecht tatsächlich anzuerkennen ist, da es dem Zweck der Obliegenheiten, ein Mittel zur freien Verfügung in der Hand des Berechtigten zu sein, widersprechen würde. Eine Zustimmung zu von HoyningenHuene wäre zugleich die Festlegung darauf, daß es sich bei Obliegenheiten ebenfalls um Rechtspflichten hande1t455 . Wäre das aber so, könnte und müßte die Unterscheidung in unselbständige Nebenpflichten und Obliegenheiten aufgegeben werden, da es doch weder in Voraussetzung noch Umfang oder Durchsetzbarkeit einen Unterschied gäbe. Dann wäre die Bezeichnung als Fachterminus überflüssig und auch in rechtlicher Hinsicht nur noch eine sprachliche Alternative. Obliegenheiten sind aber gerade als Verhaltensanforderungen ohne Rechtspflichtcharakter eingeführt. 456 Sie sollen maßgeblich sein, wenn deren Erfüllung vollkommen in das Belieben des Berechtigten gestellt ist. Werden auch die Obliegenheiten als Pflichten behandelt, ist diese Abgrenzung nicht mehr möglich, ohne daß es aber für diese Gleichstellung eine Begründung gäbe. Ungeachtet der Kritik an der Rechtsfolge müßte schon die Zuordnung des § 81 Abs. 1,2 BetrVG als Obliegenheit abgelehnt werden. Von Hoyningen-Huene stützt seine Ansicht wohl darauf, daß bei nicht erfolgter Unterrichtung eine Kündigung wegen Leistungsmängeln nicht erfolgen kann 457 und die Unterrichtung somit eine Kündigungsobliegenheit darstellt. Jedoch handelt es sich bei dem Unterrichtungs453 F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 28; Richardi, § 81 BetrVG Rn. 16; Wiese, RdA 1973, S. I ff. (8). 454 MünchArbR § 303, Rn. 13. Das erscheint schon insofern unschlüssig, als er als Nachweis die Autoren zitiert, die er zuvor zutreffend als Vertreter der Ansicht aufführt, die von einer Pflicht und nicht Obliegenheit ausgehen. Hier fehlt zumindest ein Hinweis auf sein Verständnis von Obliegenheiten. 455 Dazu Prölls/Martin-Prölls, § 6 VVG Rn. 30 m. w. N. 456 Ganz h.M., Enneccerus I Nipperdey, § 74 IV I S. 444; Larenz/Wolf, BGB AT, § 1311 2 c) I S. 264 ff.; Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. (347). 457 MünchArbRlvon Hoyningen-Huene § 303 Rn. 13.
10 Fracke
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
recht nicht um eine Vorschrift, nach der in erster Linie Weiterbildung zur Vermeidung von Kündigungen vorgenommen werden sol1. 458 Vielmehr sollen den Arbeitnehmern ihre Aufgaben und die Stellung im Gesamtgefüge des Betriebes näher gebracht werden. So soll verhindert werden, daß der einzelne Arbeitnehmer eine bloße ObjektsteIlung einnimmt. 459 Auch ohne daß eine Kündigung ansteht, liegen die durch eine Unterrichtung vermittelten Informationen im Interesse des Arbeitnehmers, so daß nach den Abgrenzungsmerkmalen einer Rechtspflicht von einer Obliegenheit eine ordnungsgemäße Unterrichtung in erster Linie im Fremd-, hier also im Arbeitnehmerinteresse, erfolgt. Die Ausgestaltung des § 81 BetrVG als echte Rechtspflicht hindert allerdings nicht daran, daß mögliche Auswirkungen auf eine Kündigungsabsicht des Arbeitgebers dennoch im Rahmen der Zumutbarkeit einer möglichen Fortbildung und Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG beachtet werden müssen. 460 Mit der ganz überwiegenden Ansicht in der Literatur ist davon auszugehen, daß es sich bei der Unterrichtung des Arbeitnehmers gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG um eine selbständig einklagbare Pflicht handelt.
6. Ergebnis zur Unterrichtungspflicht gemäß § 81 Abs. 1, 2 BetrVG Die These, daß der Arbeitgeber zur Einrichtung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet sein kann und damit insofern in seiner Entscheidung über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen beschränkt ist, ist zutreffend. Für den Bereich der gemäß § 81 Abs. 1, 2 BetrVG bestehenden Unterrichtungspflicht kann stets von einer beruflichen betrieblichen Weiterbildung gesprochen werden, wenn die vorzunehmende Unterrichtung berufsbildenden Charakter hat. Zusätzlich können Unterrichtungsmaßnahmen teilweise der allgemeinen betrieblichen Weiterbildung zugerechnet werden, da durch Erklärung der Arbeitsabläufe die allgemeinen Kenntnisse erweitert werden und dies eine die Arbeitnehmerpersönlichkeit fördernde allgemeine Weiterbildung darstellt. Außerdem stellen solche rein arbeitsplatzbezogenen Unterrichtungen Weiterbildungsmaßnahmen dar, die nicht bloß funktionales Lernen in der Arbeitssituation sind. In § 81 Abs. 1, 2 BetrVG ist daher eine Vorschrift zu sehen, die zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet. Ungeachtet anderer Faktoren liegt die Betrieblichkeit i. S. d. hier verfolgten Begrenzung schon deshalb vor, weil die Kosten allein vom Arbeitgeber zu tragen sind. 461 Gemeinsam ist den hier festgestellten Weiterbildungspflichten, daß sie lediglich die Vermittlung der zur Erfüllung des Arbeitsplatzes notwendigen Informationen gebieten. Daher wird die BilDazu schon unter § 5 A IV 1 a) cc)1 S. 116 f. BT-Drucks. VI 11786, S. 47. 460 Dazu 3. Teil § 10 AIS. 268 ff. und insbesondere V 3 b) dd) (2)/S. 346 f. 461 V gl. dazu 1. Teil § 2 A II I S. 30 ff. 458
459
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung
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dungsverantwortung in § 81 BetrVG auch nicht unzulässig auf den Arbeitgeber abgewälzt. Es handelt sich lediglich um eine nunmehr gesetzlich verankerte Fürsorgepflicht, die sich aus der Inanspruchnahme der Arbeitskraft für das arbeitgebereigene Unternehmen ergibt.
V. Erörterung der Anpassungsmöglichkeiten an die geänderte Tätigkeit des Arbeitnehmers gern. § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG Nachdem gerade § 81 Abs. 1, 2 BetrVG Gegenstand der Untersuchung waren und eine Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbildung LS. einer Unterrichtung des Arbeitnehmers konstatiert wurde, ist nunmehr der Inhalt des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG näher zu beleuchten. Darin heißt es, der Arbeitgeber müsse, sobald feststeht, daß sich die Tätigkeit des Arbeitnehmers ändern wird und seine beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung nicht ausreichen, mit dem Arbeitnehmer das weitere Vorgehen darüber erörtern, wie die Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten den künftigen Anforderungen angepaßt werden können. Zu klären ist einmal, wie sich die Erörterung gestaltet, sowie, ob sich daraus Konsequenzen für eine eventuell vom Arbeitgeber durchzuführende Weiterbildung ergeben.
1. Erörterungspflicht
Schon die unterschiedliche Bezeichnung innerhalb des § 81 BetrVG verdeutlicht - und auch sonst kann als gesichert gelten - daß eine Erörterung i. S. d. § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG462 nicht mit der Unterrichtung in § 81 Abs. 1 BetrVG gleichzusetzen ist. Wahrend die Unterrichtung die Vermittlung der Kenntnisse umfaßt, bezieht sich die Erörterung nicht schon auf die Anpassung an die neuen Gegebenheiten, sondern es sollen in einer Vorstufe Möglichkeiten diskutiert werden, wie das Defizit des Arbeitnehmers ausgeglichen werden kann. 463 Nach Ansicht des BAG ging der Gesetzgeber davon aus, daß im Falle des § 81 Abs. 3 S. 2 BetrVG (jetzt § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG) eine Anpassung der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten, also eine berufliche Fortbildung erforderlich wäre und eine Unterrichtung im Sinne von § 81 Abs. 1 BetrVG nicht genüge. 464 Diese Aussage muß für die hier vertre462 Häufig wird dieser Absatz auch heute noch mit § 81 Abs. 3 zitiert (vgl. ErfK/ Hanau/ Kania, § 81 BetrVG Rn. 14; Stege/Weinspach, § 81 BetrVG Rn. 10 c, obwohl § 81 BetrVG seit 1996 novelliert ist [BGBl. I S. 1246 ff., 1252 f.]). 463 BAG - I ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG; ErfK/Hanau/Kania, § 81 BetrVG Rn. 14 f., F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn.25. 464 BAG - I ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. Zu dieser Ansicht des BAG auch schon § 5 All 1 b) ee) (1) (d)/ S. 126.
10*
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
tene Auffassung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG relativiert werden, denn aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, daß es sich stets um eine Fortbildung handeln muß. Auch eine Unterrichtung kann berufsbildenden Charakter haben und eine Anpassung kann ebenso durch bloße Unterrichtung ohne Berufsbildungscharakter wie eine solche mit Bildungscharakter erfolgen. 465 Problematisch ist, ob dem Arbeitnehmer aufgrund des Erörterungsanspruchs auch ein Anspruch auf die dort festgestellten notwendigen Anpassungsmaßnahmen zuzusprechen ist. Aus dem Wortlaut läßt sich eine solche Schlußfolgerung nur schwer ziehen. Der Gedanke ist jedoch wegen des explizit eingefügten Zusatzes, wonach die Erörterung der Anpassung "im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten" erfolgen soll, berechtigt. Wäre § 81 Abs. 4 S. 1 BetrVG so zu lesen, daß nur die erforderlichen Anpassungen zu erörtern sind, ohne jegliche Verpflichtung, sie auch durchführen zu müssen, fehlte der Anlaß, überhaupt auf die betrieblichen Möglichkeiten hinzuweisen. 466 Es ist daher mißverständlich, daß die Beschränkung auf die betrieblichen Möglichkeiten ausdrücklich aufgenommen wurde. 467 Die Einschränkung könnte jedoch auch derart zu lesen sein, daß der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer nur die Anpassungsmöglichkeiten näher erörtern muß, die im betrieblichen Rahmen erfüllbar sind. 468 Meines Erachtens kann - soll der Gesetzeswortlaut in bezug auf den "Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten" nicht völlig ignoriert werden - § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG nur so verstanden werden, daß der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer die betrieblichen Möglichkeiten zu erörtern hat, die zur Anpassung an die geänderten Bedingungen in Betracht kommen. Diese können dann auch Unterrichtungen i. S. d. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG sein. Außerbetriebliche Weiterbildungen können zwar besprochen werden, sind aber von der Erörterungspflicht nicht zwingend erfaßt. Sie können bei Nichterwähnung also auch keine nachteiligen Folgen hervorrufen. 469 Das schließt nicht aus, gleichwohl aus der Fürsorgepflicht eine Erörterungspflicht abzuleiten, die sich nicht auf die betrieblich möglichen Weiterbildungen beschränkt. 47o
465 Dazu, daß Unterrichtung i. S. d. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG diese beiden Möglichkeiten beinhaltet: § 5 A IV 1 b) ee) (1)/S. 123 ff. A. A. F/K/H/E/S, § 96 BetrVG Rn. 14; GKWiese, § 81 BetrVG Rn. 21. 466 Vgi. dazu auch GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 21. 467 BT-Drucks. 11/3604, S. 12; BT-Drucks. 11/3618, S. 9 f. 468 So ErfKl Hanaul Kania, § 81 BetrVG Rn. 15. Weitergehend, auf alle Maßnahmen bezogen: F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 25 und wohl auch GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 21. 469 So wohl auch ErfKl Hanaul Kania, § 81 BetrVG Rn. 15; Richardi, § 81 BetrVG Rn. 19. 470 Vgi. GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 21.
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung
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2. Folgen der unterlassenen Erörterung für das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses
Soweit ersichtlich war bisher noch nicht entscheidungserheblich, wie sich eine unterlassene Erörterung auswirkt. In der Literatur wird meist - wenn auch ohne nähere Begründung - die Ansicht vertreten, eine Unterlassung führte bei einer später in Betracht gezogenen Kündigung seitens des Arbeitgebers dazu, daß dem Arbeitnehmer vor einer personenbedingten Kündigung ein längerer Anpassungszeitraum zum nachträglichen Erwerb der notwendigen Kenntnisse zu gewähren sei. 471 Dieser Lösung ist im Ergebnis zuzustimmen, sowohl Herleitung als auch Anwendung sind aber weitgehend unklar. Die Verlängerung des Anpassungszeitraumes wird sich in erster Linie auf anstehende personenbedingte Kündigungen beziehen472 , ist aber auch bei aufgrund von Umstrukturierungen nötig werdenden betriebs bedingten Kündigungen vorstellbar. § 81 Abs. 4 BetrVG selbst sieht keine Sanktionen vor. Es ist also ein unvollständiger Rechtssatz473 , eine lex impeifecta. Allein die Tatsache einer fehlenden Rechtsfolge kann jedoch nicht automatisch zu dem Schluß führen, daß die Vorschrift insgesamt sanktionslos sei. 474 Viele Rechtssätze erhalten ihre konstitutive, Rechtsfolgen begründende Wirkung erst aus der Verbindung mit anderen Rechtssätzen. 475 Herauszufinden ist, ob die Erörterungspflicht eine echte leges impeifecta ist oder doch mit anderen Normen zusammen wirkt.
Eine ausdrückliche Verbindung des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG mit einer anderen Norm läßt sich nicht erkennen, insbesondere sind die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 119 ff. BetrVG nicht anwendbar. Soll die Erörterungspflicht aber wirksam und nicht lediglich ein Programmsatz sein, muß nach Verbindungsnormen gesucht werden, die ein Unterlassen sanktionieren. Da die logische Folge unterlassener Anpassung an neue Anforderungen des Arbeitsplatzes eine Kündigung ist, muß ein Zusammenspiel mit den Kündigungsvorschriften betrachtet werden. Eine Kündigung ist immer dann sozial ungerechtfertigt, wenn nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG eine zumutbare Fortbildung und Umschulung statt dessen erfolgen könnte. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Zumutbarkeit solcher Fortbildungsund Umschulungsmaßnahmen für den Arbeitgeber muß näher ausgestaltet werden. Die Ausgestaltung könnte auch in Verbindung mit der Erörterungspflicht geschehen und so die Zumutbarkeit gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu Lasten des 471 F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 25; ErfK/Hanau/Kania, § 81 BetrVG Rn. 16; Löwisch, BB 1988, 1953 ff. (1954); Stege/Weinspach, § 81 BetrVG Rn. 14. 472 ErfK/Hanau/Kania, § 81 BetrVG Rn. 16 und Löwisch, BB 1988, 1953 ff. (1954); weiter wohl F / K / H / E / S, § 81 BetrVG Rn. 25 die die personenbedingte Kündigung nur beispielhaft nennen. 473 Zu den Bestandteilen eines vollständigen Rechtssatzes und der Struktur eines Rechtssatzes, vgl. Larenz, Methodenlehre, Kap. 2 I. / S. 250 ff. 474 Vgl. Schmitt Glaeser, S. 29. 475 Larenz, Methodenlehre, Kap. 2 2. / S. 257.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Arbeitgebers verschieben, wenn statt dessen Möglichkeiten der Anpassung an die neuen Gegebenheiten, die eine Kündigung hätten vermeiden können, nicht erörtert wurden. Auf diese Weise erklärt sich das Ergebnis der in der Literatur vertretenen Ansichten zur Wirkung des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG. 476
3. Ergebnis zur Erörterungspflicht gemäß § 81 Abs. 4 BetrVG Die Erörterungspflicht des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG kann selbständig keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung der festgestellten Bildungsrnaßnahmen begründen. Möglich ist aber ein Einfluß auf den unbestimmten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit bei einer vor einer Kündigung durchzuführenden Fortbildung oder Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG. Verletzt der Arbeitgeber seine Erörterungspflicht, kann sich daraus im Zusammenspiel mit anderen Faktoren die Unwirksamkeit einer später ausgesprochenen Kündigung ergeben. Durch die Erörterungspflicht kann der Arbeitgeber daher mittelbar sowohl in seiner Kündigungsfreiheit, als auch bei der Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen beschränkt werden.
VI. Die Förderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG und die betriebliche Weiterbildung Nach § 75 Abs. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schützen und zu fördern. Schutz und Förderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit sind im Rahmen des § 75 Abs. 2 BetrVG entsprechend der zu Art. 2 Abs. 1 GG entwickelten Definition zu verstehen, ohne daß zugleich eine unmittelbare Wirkung des Art. 2 Abs. 1 GG angeordnet wird. 477 Es handelt sich vielmehr um eine einfachgesetzliche Konkretisierung, die aufgrund expliziter Festschreibung der Förderpflicht über den lediglich abwehrrechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG hinausgeht. 478 Die Persönlichkeits sphäre des Arbeitnehmers soll geschützt und seine freie Entfaltung durch entsprechende Gestaltung der Arbeitsbedingungen gefördert werden. 479 Vor allem die Förderung der Persön476 Vgl. auch bei der Betrachtung der Zumutbarkeit des § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG, 3. Teil § 10 A V 3 b) dd) (2)/S. 346 f. 477 Das ergibt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte des § 75 Abs. 2 BetrVG, vgl. GK-Kraft, § 75 BetrVG Rn. 66; Hallenberger; S. 44 f. m. w. N.; M. Hammer; S. 24 m. w. N. 478 Isele, FS für Schwinge, S. 143 ff. (146). Daher kommt es auch nicht darauf an, ob man der Ansicht folgt, die nur Abwehrpflichten als Ausfluß aus der Fürsorgepflicht ansieht (Wiese, ZfA 1996,439 ff. (469 f.) m. w. N.), oder durch Bestehen von Schutzpflichten auch schon im Rahmen der Fürsorgepflichten die Förderung der Persönlichkeitsentfaltung anerkennt (Ehmann, FS für Wiese, S. 99 ff. [103 f.] m. w. N.). 479 GK-Kreutz § 75 BetrVG Rn. 70, 82; F/K/H/E/S, § 75 BetrVG Rn. 63.
§ 5 Gesetzliche Vorschriften zur Weiterbildung
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lichkeit des Arbeitnehmers könnte auch durch Weiterbildungsmaßnahmen erreicht werden. 480 Deshalb ist nachfolgend zu untersuchen, ob der Arbeitgeber durch § 75 Abs. 2 BetrVG zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet werden kann. Bedeutung und Gehalt der Norm, vor allem jene der Förderpflicht, sind nicht abschließend geklärt. 481 Um festzustellen, ob sich aus § 75 Abs. 2 BetrVG eine Verpflichtung zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben kann, ist zunächst auf die Bedeutung des Merkmals der Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers im Rahmen des § 75 Abs. 2 BetrVG sowie dessen Beziehung zur Weiterbildung einzugehen (1.). Sodann sind der rechtliche Gehalt und die Reichweite des "Förderns" näher zu untersuchen (2.).
1. Freie Entfaltung der Persönlichkeit Der Begriff der Persönlichkeitsentfaltung ist nicht fest umrissen. Dem einzelnen soll durch sie ein Autonomierecht bezüglich des Ob und Wie der Gestaltung seines Lebensumfeldes und seiner Handlungen zugestanden werden. 482 Bezogen auf die Arbeitsbeziehung ist der Begriff der Persönlichkeitsentfaltung zunächst ebenso offen gestaltet, wodurch auch ein Bezug zu den betrieblichen Gegebenheiten leicht herzustellen ist. 483 Zu den Umständen, die von der Entfaltungsfreiheit erfaßt werden können, gehört unter anderem, die Umwelt im Betrieb mitzugestalten, in Kontakt zu Kollegen treten zu können, einen den Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, aber auch die Möglichkeit der stetigen (Weiter)Entwicklung des Arbeitnehmers. 484 Ebenso wie im Rahmen der Erwägungen zur Menschenwürde gern. Art. I GG485 , darf der Arbeitnehmer auch im Sinne seiner Entfaltungsmöglichkeiten nicht bloßes Objekt des Arbeitsprozesses werden. 486 Die betriebliche Weiterbildung könnte der Entfaltung der Arbeitnehmerpersönlichkeit dienen. Soll der Arbeitnehmer nicht im Laufe der Jahre bloßes Objekt des Arbeitsprozesses werden, muß ihm die Möglichkeit gegeben werden, sich auch im Arbeitsprozeß zu verwirklichen. Dieses Ziel kann auch durch berufliche Weiterbildung erreicht werden, wenn es dem Arbeitnehmer dadurch möglich ist, sich tätigkeitsbezogen weiterzuentwickeln und seine beruflichen Fähigkeiten zu vervollkommnen. Er kann sich in seinem Beruf bzw. bei seiner Tätigkeit um so besser Dazu schon § 4 BIll S. 82 ff. Wiese, ZfA 1996,439 ff. (477). 482 M. Hammer; S. 20 f. 483 F/KIHIE/S, § 75 BetrVG Rn. 78. 484 F/K/H/E/S, § 75 BetrVG Rn. 78; Hallenberger; S. 47; Richardi, § 75 BetrVG Rn. 33 ff. 485 Hallenberger; S 46. 486 So auch M. Hammer; S. 25. 480
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
verwirklichen, je qualifizierter er ist. 487 Nach Abschluß einer beruflichen Ausbildung gehört dazu vor allem, daß er sich auf dem einmal erreichten beruflichen Niveau stabilisiert und weiterentwickelt. Verfolgt eine Weiterbildung dieses Ziel, kann sie Teil der Persönlichkeitsentfaltung sein und somit unter die Regelung des § 75 Abs. 2 BetrVG fallen. Einen weiteren Aspekt verfolgt die allgemeine Weiterbildung, die neben der Vermittlung von Wissen vordergründig die Persönlichkeit fördern und entwickeln will. 488 Da sich die allgemeine Persönlichkeit nicht von der Arbeitnehmerpersönlichkeit trennen läßt, läge auch hier in der Weiterbildung ein Beitrag zur Entfaltung der Arbeitnehmerpersönlichkeit, durch den auch die allgemeine Weiterbildung auf die rechtliche Grundlage des § 75 Abs. 2 BetrVG gestützt werden könnte. 2. Inhalt und Umfang der Förderung gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG
Nach § 75 Abs. 2 BetrVG soll die Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung gefördert werden. Der Gesetzgeber wollte durch § 75 Abs. 2 BetrVG der allgemeinen Forderung nach verstärkter Beachtung der Persönlichkeitsrechte Rechnung tragen und den ohnehin bestehenden Schutz der Persönlichkeitsentfaltung erweitern. 489 Daher ist auch einer früher vertretenen Ansicht zu widersprechen, wonach durch die Verwendung des Begriffes "Fördern" lediglich die Abwehr unzulässiger Eingriffe in das Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht gemeint sei. 49o Bei solchem Verständnis wäre die explizite Erwähnung der Förderpflicht in § 75 Abs. 2 BetrVG neben der Schutzpflicht unnötig. 491 Unklar ist jedoch, ob der Gehalt des § 75 Abs. 2 BetrVG über den der im Wortlaut ähnlichen Norm des § 96 Abs. I S. I BetrVG492 hinausgeht. Stellt die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats regelnde Berufsbildungsnorm die speziellere und § 75 Abs. 2 BetrVG verdrängende Vorschrift dar, erübrigt sich eine weitere Untersuchung. 493 Zur Untersuchung des Verhältnisses der beiden Normen zueinander sind deren Inhalt und Umfang zu vergleichen (b». Eine Überschneidung der Regelungsbereiche kommt jedoch überhaupt nur dann in Betracht, wenn es sich um gleiche Regelungsebenen und nicht zum einen um eine Amtspflicht und zum anderen um einen Individualanspruch handelt. Dies ist zunächst näher zu beleuchten (unter a». 487 488 489
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Eich, DB 1974,2154 ff. (2154 f.); Hallenberger, S. 153. Diemer / Peters, S. 27. Dazu auch schon: 1. Teil § 2 B 1/ S. 36 f. BT-Drucks. VII 1786, S. 46. GK-Thiele4 , § 75 BetrVG Rn. 56. Hallenberger, S. 83. Dazu § 5 A III 2/S. 99 f.
Löwisch, AuR 1972,359 ff. (364), geht davon aus, daß § 75 Abs. 2 BetrVG nicht weitergehend sein kann als die speziellen Vorschriften der Berufsbildung gern. §§ 96 ff. BetrVG. 493
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a) Rechtscharakter des § 75 Abs. 2 BetrVG Die überwiegende Meinung in der Literatur geht davon aus, daß es sich auch bei § 75 BetrVG um eine reine Amtspflicht handelt, aus welcher sich für den einzelnen keine Rechte ableiten lassen. 494 Dem stehen zwei Ansichten gegenüber, die auf unterschiedlichen Wegen einen Individualanspruch des einzelnen Arbeitnehmers bejahen. Einige sehen in § 75 Abs. 2 BetrVG eine Konkretisierung der Fürsorgepflicht, vergleichbar den Normen des §§ 81 ff. BetrVG. 495 Andere gehen noch weiter und leiten ohne Zuhilfenahme der Fürsorgepflicht aus § 75 Abs. 2 BetrVG ein subjektives Recht des Arbeitnehmers ab. 496 Für die Annahme einer Amtspflicht spricht zunächst der dem § 96 Abs. 1 S. 1 BetrVG sehr ähnelnde Wortlaut, bei welchem eine Amtspflicht anzunehmen ist. 497 Der Wortlaut allein spricht somit nicht für ein Individualrecht. Für eine Amtspflicht könnte die Systematik sprechen. Zwar befindet sich § 75 Abs. 2 BetrVG ebenso wie die Individualrechte der §§ 81 ff. BetrVG im Vierten Teil des Betriebsverfassungsgesetzes, aber eben gerade nicht im gleichen Unterabschnitt, dem der Mitwirkungs- und Beschwerderechte des Arbeitnehmers. Gleichwohl bedeutet die Zuordnung zum Abschnitt "Allgemeines" nicht automatisch, daß es sich nur um Amtspflichten handelt. Die historische Betrachtung498 ergibt keine Aufschlüsse; im BetrVG 1952 gab es die Vorschrift noch nicht, und die Gesetzesbegründung 499 bietet keine Anhaltspunkte in die eine oder andere Richtung. Eine teleologische Auslegung des § 75 Abs. 2 BetrVG kann auch nicht zu eindeutigen Ergebnissen führen. Für das Vorliegen eines Individualrechtes spräche es, wäre nachweisbar, daß die Förderung nicht lediglich eine Zielvorstellung im Rahmen der objektiven Ordnung wäre, sondern zumindest auch dem Individualinteresse des Begünstigten dienen sollte. 5OO Das könnte sich vorliegend daraus ergeben, 494 Erman/Ehmann 9 , Anhang zu § 12 BGB Rn. 406; F/K/H/E/S, § 75 BetrVG Rn. 65 (anders noch in der 17. Aufl. Rn. 2Ia); GK-Kreutz, § 75 BetrVG Rn. 68,19 f.; H/S/G-Glaubitz, § 75 BetrVG Rn. 15; Kort, RdA 1992, 378 ff. (383); Richardi, § 75 BetrVG Rn. 33; Thees, S. 174. 495 Niederalt, S. 159 ff., 163 f.; Riedei, ArbRGegw. 14 (1976), S. 79 ff.(91). 496 Hallenberger, S. 127 ff.; Isele, FS für Schwinge, S. 143 ff. (146); Löwisch, AuR 1972, S. 359 ff. (364). 497 Dazu 2. Teil § 5 A III 2/ S. 99 f. Auch ohne daß innerhalb der verschiedenen Ansichten zu § 96 BetrVG von einer Amtspflicht gesprochen wird, ergibt sich dies bei der herrschenden Ansicht schon aus dem Normverständnis. Auch bezüglich der von Neyses, B1StSozArbR 1977,321 ff. (322) vertretenen Ansicht lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß er einen Individualanspruch anerkennen will, sondern es soll sich um eine vom Betriebsrat gegenüber dem Arbeitgeber zu verlangende Einrichtung handeln, die noch nicht auf einzelne Arbeitnehmer spezifiziert ist. 498 Dazu, wenn auch mit anderen Schlußfolgerungen: Haneberg, S. 16 ff. (33 ff., 36). 499 BT-Drucks. VII 1786, S. 40. 500 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, GG-Kommentar, Art. 19 Abs. IV Rn. 121 ff., 136 ff. m. umf. N.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
daß die Persönlichkeitsentfaltung nicht im Kollektiv, sondern nur die eines jeden einzelnen gefördert werden kann. 50l Gleichwohl widerspräche das auch nicht der Einordnung als Amtspflicht, weil der einzelne stets Teil des Arbeitskollektivs ist und die Betriebspartner nicht nur dem Kollektivinteresse und der dabei größtmöglichen individuellen Persönlichkeitsentfaltung verpflichtet sind. Vielmehr sollen sie auch den Interessen der einzelnen Arbeitnehmer gebührend Rechnung tragen. 502 Den alleinigen Amtspflichtcharakter könnte demgegenüber unterstreichen, daß nur Betriebsrat und Arbeitgeber als Normverpflichtete genannt werden 503 und die Vorschrift sich gerade nicht wie die §§ 81 ff. BetrVG an die Arbeitnehmer richten. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen bei ihren Handlungen immer die Persönlichkeitsentfaltung der Arbeitnehmer als oberstes Leitbild und Schranke beachten. Es geht darum, daß die Arbeitnehmer nicht zum Objekt betrieblicher Regelungen gemacht, sondern um ihrer selbst willen gefördert werden. 504 Die Argumente im Zusammenhang betrachtet ergeben keine eindeutigen Anhaltspunkte für die Einordnung des § 75 Abs. 2 BetrVG als Individualrecht. Da es sich bei dem Betriebsverfassungsgesetz jedoch um ein Gesetz handelt, welches in erster Linie die Pflichten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat regelt und nur ausnahmsweise auch subjektive Rechte der Arbeitnehmer begründet, ist mangels überzeugender Anzeichen nur von einer Wirkung gegenüber Arbeitgeber und Betriebsrat auszugehen. 505 Als ebenfalls für diese Auffassung sprechend, kann die Gesetzesüberschrift herangezogen werden. So heißt es in § 75 BetrVG "Gundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen". Dabei kann es sich nur um eine Handungsanweisung an Arbeitgeber und Betriebsrat handeln, was sie in ihrer Funktion als Betriebspartner - also ihrer Amtsträgereigenschaft - gegenüber den Arbeitnehmern beachten sollen. Trotzdem muß der Regelungsgehalt des § 75 Abs. 2 BetrVG weiter untersucht werden, denn eine Einschränkung der freien Unternehmerentscheidung über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen kann auch aus einer Verpflichtung gegenüber dem Betriebsrat folgen. b) Vergleichbarkeit des Regelungsumfangs von § 75 Abs. 2 BetrVG mit dem des § 96 Abs. 1 S. 1 BetrVG Eine mögliche Bindung gegenüber dem Betriebsrat zur Förderung der Weiterbildung der Arbeitnehmer kann sich nur ergeben, wenn § 75 Abs. 2 BetrVG nicht durch ausschließliche Spezialität des § 96 Abs. 1 S. I BetrVG verdrängt wird. Dann müßten von den Normen gleiche Regelungsbereiche umfaßt sein. 506 501 502
503 504 505
Hallenberger, S. 130. F/K/H/E/S,§75BetrVGRn.77. GK-Kreutz, § 75 BetrVG Rn. 68,19. Richardi, § 75 BetrVG Rn. 35; Wiese, RdA 1973, I ff. (3). In diesem Sinne auch Thees, S. 173 f.
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Ein Unterschied ergibt sich jedoch aus der Reichweite der Förderung. Während § 75 Abs. 2 BetrVG die Persönlichkeitsentfaltung und somit sowohl die berufliche, als auch allgemeine Weiterbildung umfaßt, erstreckt sich § 96 Abs. I S. I BetrVG lediglich auf berufliche (Weiter)bildungsmaßnahmen. Aufgrund der Unterschiede in Tatbestand und Rechtsfolgen muß ein Spezialitätsverhältnis abgelehnt werden. 507 c) Regelungsumfang des "Förderns" im Sinne des § 75 Abs. 2 BetrVG Es bleibt zu prüfen, welche Wirkung das "Fördern" i. S. d. § 75 Abs. 2 BetrVG im einzelnen habt und ob es den Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat zur Bereitstellung von Weiterbildungsmaßnahmen verpflichten kann. Trotz der fehlenden Vergleichbarkeit kann § 96 Abs. I S. I BetrVG zur Auslegung herangezogen werden. In der Berufsbildungsvorschrift wird die Förderung als Zielgedanke ohne anspruchsbegründenden Charakter angesehen. 508 Dafür, daß die tatbestandlieh weitergehende Norm des § 75 Abs. 2 BetrVG eine umfassendere Regelungsintensität hat, gibt es keine Anhaltspunkte. 509 Auch wäre § 96 Abs. I S. 1 BetrVG und die, um seinen Geltungsbereich geführte Diskussion obsolet, da immer noch § 75 Abs. 2 BetrVG als weitergehendere und leichter erfüllbarere Anspruchsnorm bliebe. Hinzu kommt die gleiche Grundstruktur und der ähnliche Regelungsgehalt beider Normen, die eine Vermutung der gleichen Bedeutung zusätzlich stützen. 510 Die Förderung der Persönlichkeitsentfaltung gern. § 75 Abs. 2 BetrVG ist somit ebenfalls "nur" als objektiver Zielgedanke des Betriebsverfassungsrechts anzusehen. Arbeitgeber und Betriebsrat werden angehalten, auf eine positive Gestaltung des Arbeitsplatzes im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung hinzuwirken, ohne jedoch einen Anspruch des Betriebsrats auf Beteiligung oder sonstige Bindungswirkungen des Arbeitgebers zu statuieren. 511 Dabei muß der Förderpflicht nicht nur bei Ausgestaltung der bestehenden Beteiligungsrechte, sondern auch außerhalb derer beachtet werden. 512 Dem fehlenden Anspruch steht eine Sanktion gern. § 23 Abs. 1, 3 BetrVG bei grober Verletzung der Förderpflicht im Rahmen der betrieblichen Entscheidungen nicht entgegen. 513 506 Mit ähnlicher Grundprämisse, aber in die entgegengesetzte Richtung argumentierend: Hallenberger; S. 154 ff. 507 Anders jedoch Hallenberger; S. 154 ff. (160). 508 Vgl. § 5 III 21 S. 99 f. 509 GK-Kreutz. § 75 BetrVG Rn. 86. 510 So auch: Hallenberger; S. 154 ff. 511 F/K/H/E/S, § 75 BetrVG Rn. 63; GK-Kreutz. § 75 BetrVG Rn. 86 f.; Richardi. § 75 BetrVG Rn. 33 f. 512 GK-Kreutz. § 75 Rn. 86. 513 F/K/H/E/S, § 75 BetrVG Rn. 82; GK-Kreutz. § 76 BetrVG Rn. 86, 89; Richardi. § 75 BetrVG Rn. 39.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
3. Ergebnis zum Fördergebot gemäß § 75 Abs. 2 BetrVG
Die in § 75 Abs. 2 BetrVG enthaltene Amtspflicht kann keine Pflicht oder Obliegenheit des Arbeitgebers zur Einrichtung einer Weiterbildungsmaßnahme begründen. VII. Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge
Die gestiegene Bedeutung der Weiterbildung insgesamt zeigt sich auch in der legislativen Beachtung, die ihr im neuen Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) geschenkt wurde. 514 Zu untersuchen ist, welche Auswirkungen dieses Gesetz auf die Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen haben könnte. Sowohl für die Teilzeitbeschäftigten (§ 10 TzBfG515 ) als auch die befristetet beschäftigten Arbeitnehmer (§ 19 TzBfG516 ) wird eine gleichberechtigte Teilhabe an im Betrieb durchgeführten Weiterbildungsmaßnahmen gefordert. Danach soll der Arbeitgeber dafür sorgen, daß teilzeitbeschäftigte und befristet eingestellte Arbeitnehmer gegenüber den unbefristet Vollzeitbeschäftigten bei der Durchführung betrieblicher Weiterbildung nicht ohne dringende betriebliche Gründe benachteiligt werden. Die Weiterbildungsverpflichtung des Arbeitgebers bezieht sich nicht allein auf die aktuelle Tatigkeit des in Teilzeit befindlichen oder befristet Beschäftigten, sondern auch auf die generelle Verbesserung der beruflichen Qualifikation für eine spätere Übernahme 517 oder größere berufliche Mobilität518 der Betroffenen. Der unbestimmte Rechtsbegriff der dringenden betrieblichen Gründe i. S. d. §§ 10, 19 TzBfG wird im Gesetz nicht näher erläutert. Ohne abschließenden Charakter entfalten zu wollen, sollen dies nach dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter anderem erhebliche Beeinträchtigungen der Organisation, des Arbeitsablaufs (wie z. B. Fehlen einer Ersatzkraft), der Sicherheit im Betrieb oder auch unverhältnismäßig hohe Kosten sein. 519 514 Gesetz v. 21. 12. 2000, BGBI. I, S. 1966 ff.; Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/ 4374 v. 24. 10.2000 und 14/4625 v. 15. 11. 2000. 515 § 10 TzBfG: Der Arbeitgeber hat Sorge zu tragen, daß auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Förderung der beruflichen Entwicklung und Mobilität teilnehmen können, es sei denn, daß dringende betriebliche Gründe oder Ausund Weiterbildungswünsche anderer teilzeit- oder vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen. 516 § 19 TzBJG: Der Arbeitgeber hat Sorge zu tragen, daß auch befristet beschäftigte Arbeitnehmer an angemessenen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Förderung der beruflichen Entwicklung und Mobilität teilnehmen können, es sei denn, daß dringende betriebliche Gründe oder Aus- und Weiterbildungswünsche anderer Arbeitnehmer, entgegenstehen. 517 BT-Drucks. 14/4374, S. 21. 518 BT-Drucks. 14/4374, S. 18. 519 BMA, Flexibel arbeiten, S. 5.
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Obwohl sich die Bundesvereinigung der Arbeitgeber bereits gegen den Entwurf verwahrt hat520 , erscheint diese Lösung grundsätzlich nicht zu weitgehend. Den Arbeitnehmern wird kein Anspruch auf Einführung einer Weiterbildungsmaßnahme zugestanden, sondern lediglich die Teilhabe an einer vom Arbeitgeber initiierten. Der Arbeitgeber bleibt so zwar frei in seiner Entscheidung über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen, bindet sich aber dann und muß gegebenenfalls Weiterbildungsmaßnahmen in einem erweiterten Umfang vornehmen.
VIII. Normen der Sozialversicherungsrechte und betriebliche Weiterbildung
Die berufliche Weiterbildung ist auch Bestandteil sozialrechtlicher Regelungen. Explizit erwähnt wird sie vor allem in § 3 Abs. 2 SOB I und §§ 2 , 77 ff., 229 ff. SOB III. Im folgenden soll untersucht werden, ob bzw. in welchem Umfang sich daraus eine Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben kann oder ob sich daraus eine sonstige Beschränkung der freien Entscheidung des Unternehmers über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen ergibt. 1. Individuelle Förderung der beruflichen Weiterbildung gemäß § 3 Abs. 2 SGB I
Nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 SOB I soll derjenige ein Recht auf individuelle Förderung seiner beruflichen Weiterbildung haben, der am Arbeitsleben teilnimmt. Die sehr weit gefaßte Norm, die durch das Arbeitsförderungsrecht (§§ 77 ff. SOB III) konkretisiert wird, stellt ein soziales Recht für die Bürger als Adressaten der Sozialleistungen dar (vgl. § 1 SOB 1).521 Sozialleistungen sind Leistungen, die ein Leistungsträger des Sozialrechts zur Erfüllung der sozialen Rechte erbringt. 522 Leistungsträger des Sozialrechts ist gern. § 12 SOB I der Staat. Da nicht der Arbeitgeber, sondern der Staat Adressat des Fördergebotes ist, können sich daraus gegen den Arbeitgeber keine Aufgaben zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben und auch sonst werden dem Arbeitgeber keine Aufgaben zugewiesen.
Rundschreiben derBDA 11/87 v. 15.9.2000, S. 7 und 11. Zur sehr umstrittenen Frage, wie soziale Rechte wirken, vgl. Mrozynski, SGB I-Kommentar, § 2 Rn. 3 ff. m. w. N. 522 Ost/Mohr/Estel/'fUJnn, Grundzüge des Sozialrechts, S. 29. 520
521
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
2. Besondere Verantwortung des Arbeitgebers für berufliche Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs. 2 SGB m523
Im Gegensatz zu der Bestimmung im SGB I sind Adressaten des § 2 Abs. 2 SGB III neben den Arbeitsämtern die Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Um erfassen zu können, ob diese Vorschrift eine Bedeutung für die Einrichtung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen hat, ist zuerst näher auf den Inhalt einzugehen (unter a)), bevor untersucht wird, ob bzw. wie § 2 Abs. 2 SGB III im Sozialrecht (unter b)) und im Arbeitsrecht (unter c)) wirkt. a) Inhalt des § 2 Abs. 2 SGB III Die Generalklausei des Satzes I weist zunächst auf den Zusammenhang der Beschäftigung von Arbeitnehmern und Arbeitslosen aufgrund unternehmerischer Entscheidungen und die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung hin. Zugleich wird den Arbeitgebern aufgrund dieses Zusammenhanges ein verantwortungsvoller Umgang mit beschäftigungs- und somit sozialkassenschädigenden Maßnahmen nahegelegt. Satz 2 zählt in zwei Regelbeispielen auf, in welcher Weise die Arbeitgeber der Verantwortung gerecht werden können. Maßgebend für die Aufgaben des Arbeitgebers bei Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen könnte § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB III sein. Danach sollen die Arbeitgeber im Rahmen ihrer Mitverantwortung für die Entwicklung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer prophylaktisch für die Anpassung an sich ändernde Umstände sorgen. Der Gesetzgeber verfolgte mit dieser Regelung das Ziel, die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit - und damit die Solidargemeinschaft - nicht durch berufliche Weiterbildungsmaßnahmen zu belasten, die eigentlich dem Arbeitgeber zugute kommen. 524 In welcher Fonn diese Sollvorschrift zu erfüllen ist, wird nicht ausgeführt, jedoch unterstreicht die Bestimmung die Komplementärund Kompensations- bzw. auch die Ausfallfunktion des Sozialrechts. 525 Denkbar wäre, daß der Arbeitgeber den betreffenden Arbeitnehmern im Interesse des längerfristigen Erhalts des Arbeitsplatzes die Teilnahme an inner- und außerbetrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen anbieten muß. 526 Da es sich lediglich um eine Mitverantwortung handelt, müßte auch ohne tatbestandliehe Erwähnung besonderer Wert auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Arbeitgeber 523 Der jetzige § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III entspricht vollkommen dem vor dem 01. 01. 2002 geltenden § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB III a. F. 524 BT-Drucks. 13 I 4941, S. 152; dazu auch Beckenschulze, BB 1998,791 ff. (792). Bestätigend auch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs auf eine Anfrage aus dem Bundestag (BT-Drucks. 13 110398, S. 17 f.); Clever; ZFSHI SGB 1998,3 ff. (6); GK-Feckler; § 2 SGB III Rn. 6; Jahn/Groß/Schmidt, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 4. 525 Preis, NZA 2000, 914 ff. (916).
526
Bepler; in: Gagei, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 8.
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gelegt werden. Bepler will sogar darüber hinausgehend zusätzlich zur Mitverantwortung für die berufliche Leistungsfähigkeit am konkreten Arbeitsplatz und eventuell zukünftige Aufgaben eine Mitverantwortung für die allgemeine berufliche Entwicklung innerhalb des Arbeitsmarktes annehmen. 527 Weniger weitgehend, aber ebenfalls dem Gesetzeszweck Rechnung tragend, könnte eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Kostenübernahme oder lediglich zur Freistellung von der Arbeitspflicht für eine vom Arbeitnehmer in Eigenverantwortung veranlaßte Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme sein. Welche Maßnahmen des Arbeitgebers die generelle Forderung nach Sorge um die leistungsmäßige Anpassung an sich ändernde Umstände jedoch konkret zur Folge haben soll, läßt sich aus der sehr allgemein gefaßten Vorschrift nicht erkennen. Die inhaltliche Unbestimmtheit im Detail wäre unproblematisch, wenn § 2 Abs. 2 Nr. I SGB III lediglich eine dem SGB III vorangestellte Norm mit programmatischer Nennung des Gesetzesziels, ohne unmittelbare rechtliche Auswirkungen darstellen würde. Im folgenden ist also zu untersuchen, ob und wie § 2 Abs. 2 SGB III im öffentlich-rechtlichen Sozialrecht bzw. darüber hinausgehend im privatrechtlichen Arbeitsrecht Wirkung entfaltet. b) Sozialrechtliche Wirkung des § 2 Abs. 2 SGB III Daß § 2 Abs. 2 SGB III Wirkung im Sozialrecht entfaltet, ergibt sich schon aus dem Standort innerhalb der grundsätzlichen Vorschriften des SGB III. Für eine nicht bloß programmatische Wirkung spräche die Ausgestaltung des Absatz 2 als Sollvorschrift. Im öffentlichen Recht richten sich die Sollvorschriften meist an die Träger öffentlicher Gewalt und stellen für diese wegen Art. 20 Abs. 3 GG noch unangreifbarer als für Privatpersonen zwingende Handlungsanweisungen dar. 528 Handelt es sich aber um atypische Fälle einer Sollvorschrift, bei denen ein sachlicher Grund Abweichungen von der Norm notwendig macht529 oder stellt die Norm lediglich einen Programmsatz ohne Regelungsfunktion dar, kann ausnahmsweise ein Ermessens- und damit Handlungsspielraum der Behörde bestehen. 530 Vorliegend richtet sich die zu prüfende Norm gerade nicht an den Staat, sondern an die Arbeitgeber. Für eine programmatische Wirkung ohne Regelungscharakter führt Schlegel an, daß Regelbeispiele nicht weiter gehen können, als es die zugrundeliegende Norm zuläßt. 531 Der den Grundsatz darstellende Satz I sei aber gerade
527
In: Gagei, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 9.
528
Maurer; § 611/ S. 104. Z. B. § 18 Abs. 1 SchwbG, nach dem die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle inner-
529
halb eines Monats getroffen werden soll; eine längere Frist ist nur möglich, wenn ein sachlich gerechtfertigter Grund dafür besteht, ErfK/ Steinmeyer; § 18 SchwbG Rn. 1. 530 Preis, NZA 1998,449 ff. (453 m. w. N.). 531 Schlegel, in: H/H/S/T /E, § 2 SGB III Rn. 14.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
nicht als Sollvorschrift gestaltet, sondern eher als Hinweis zu verstehen. Bepler lehnt diese Betrachtungsweise ab und verweist auf die grundsätzlich zwingende Wirkung von Sollvorschriften, unabhängig davon, ob es sich bei der zu betrachtenden Nonn um die Konkretisierung einer unverbindlichen Grundnonn handelt. 532 Die Ansicht Beplers, es wäre schon kein Grund ersichtlich, aus anderen Gründen von der unverbindlichen Fonnulierung zum "sollen" zu wechseln, ist überzeugend. Gleichwohl fehlen § 2 Abs. 2 SGB III zu einer effektiven Gebotsnonn Rechtsfolgenregelungen, die bei Nichtbeachtung des geforderten Verhaltens greifen und damit die rechtsgestaltende Wirkung forcieren. Wirkungsvoll kann die Nonn des § 2 Abs. 2 SGB III lediglich sein, geben mit ihr zusammenwirkende Nonnen auch die Folgen bei Verletzung vor. 533 Zur Intensivierung und Konkretisierung der sozialrechtlichen Wirkung des § 2 Abs. 2 SGB III kommen lediglich Vorschriften der verschiedenen Sozialgesetzbücher oder andere öffentlich-rechtliche Regelungen in Betracht. 534 Zu denken ist im vorliegenden Zusammenhang beispielsweise an Zuschüsse für Maßnahmen des Arbeitgebers gern. §§ 254 ff. SGB III 535 , die bei Nichtbeachtung des § 2 Abs. 2 SGB III unabhängig von der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen wegen § 255 Abs. 2 Nr. 2 SGB III zu versagen sind. 536 . Indes bringen diese Nonnen nur begrenzt mit sich, daß der Arbeitgeber schon vor Durchführung der Betriebsänderung veranlaßt wird, eine Weiterbildung durchzuführen oder zumindest zu unterstützen. Maßgeblich wird § 2 Abs. 2 S. I SGB III hierbei erst, wenn der Arbeitgeber Sozialplanmaßnahmen vornehmen will und dabei unterstützende Förderung der BA anstrebt. Eine verbindliche Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber, durch welche die Schaffung oder Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen für ihn zur Pflicht wird, können sie nicht auslösen. Jedoch könnte § 2 Abs. 2 SGB III eine sozialrechtliche Obliegenheit537 des Arbeitgebers darstellen. 538 Unterläßt der Arbeitgeber eigenverantwortliche beschäftigungsschützende Handlungen, treffen ihn zwar keine Sanktionen, aber es werden ihm in seinem Interesse liegende Rechtspositionen versagt. 539 Problematisch bleibt 532 533 534
Bepler; in: GageI, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 27. Bepler; in: GageI, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 28; Rüthers, NJW 1998,283 ff. (283). Wolf, AuA 1998,7 ff. (8).
Häufiger werden im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 SGB III die Regelungen zur Kurzarbeit gern. § § 169 ff. SGB III angeführt, jedoch wird diesbezüglich auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB III verwiesen; z. B. Rüthers, NJW 1998, 283 ff. (283). Die Wirkung des § 2 Abs. 1 SGB III bleibt dabei die gleiche. 536 Ohne Bezug auf § 255 Abs. 2 Nr. 2 SGB III, aber mit gleicher Folgerung: Clever; ZfSH/SGB 1999,3 ff. (8); Preis, NZA 1998,449 ff. (454); so wohl auch Cord Meyer; NZA 1998,403 ff. (406). A. A. Bepler; in: GageI, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 31. 537 Allgemein zu Obliegenheiten § 5 A IV 5 c) I S. 143 ff. 538 Cord Meyer; NZA 1998,403 ff. (406). 539 Zum Begriff der Obliegenheit: Palandtl Heinrichs, Einl. v. § 241 BGB Rn. 16; Wieling, AcP 176 (1976), S. 334 ff. (346, 348). Vgl. auch § 5 A IV 51 S. 143 ff. 535
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dabei jedoch die Unbestimmtheit der einzelnen Regelbeispiele und des hier insbesondere zu betrachtenden § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III. Es ist nicht vorstellbar, eine Förderung für Maßnahmen nach §§ 254 ff. SGB III allein deshalb zu versagen, weil der Arbeitgeber den betreffenden Arbeitnehmern keine Weiterbildungsmaßnahme eingerichtet hat, sondern lediglich zu Freistellungen bereit gewesen wäre. Die Rechtssicherheit, wann Vorbemühungen i. S. d. § 2 Abs. 2 SGB III für eine überhaupt zu ermöglichende Förderung ausreichen, ist erheblich beeinträchtigt, solange es keine verbindlichen Verordnungen oder Richtlinien gibt, wie die Vorschrift zu handhaben ist. Hinzu kommt, daß es - wenn überhaupt - nur im Nachhinein zu Nachteilen wegen einer unterlassenen Weiterbildung kommen kann. Zwar wird ein Arbeitgeber, dem einmal die Unterstützungsleistungen gern. § 254 SGB III untersagt wurden 54o, eventuell später in einer vergleichbaren Situation vorher Weiterbildungsmaßnahmen durchführen. Unmittelbar rechtsgestaltender Einfluß kann jedoch nicht entfaltet werden. c) Wirkung des § 2 SGB III im Arbeitsrecht Eine eventuelle Pflicht des Arbeitgebers, Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen, kann durch § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III nur begründet werden, wenn durch eine sozialrechtliche Norm unmittelbar Einfluß auf das Arbeitsrecht und somit auf die Rechte und Pflichten innerhalb der Arbeitsbeziehung genommen werden kann. Das Arbeitsförderungsrecht liegt an einer Schnittstelle zwischen Arbeits- und Sozialrecht; sozialrechtliche Normen beeinflussen mittelbar die arbeitsrechtlichen Beziehungen, umgekehrt können auch arbeitsrechtliche Bestimmungen im Sozialrecht Geltung erlangen. 54l Dabei läßt sich kein grundsätzliches System erkennen, das schematisch angewandt werden kann. So haben die sozialrechtlichen Regelungen zur Abgrenzung des Selbständigen vom Arbeitnehmer gern. § 7 Abs. 4 SGB IV einerseits gerade keine Auswirkung für den arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff. Andererseits wird jeder, der Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne ist, automatisch auch als solcher im Sozialrecht angesehen (§ 7 Abs. 1 SGB IV).542 Beispiele für eine starke gegenseitige Einflußnahme bieten die Regelungen zur Kurzarbeit543 , bei denen arbeitsrechtliche Entscheidungen ständig in Wechselwirkung mit den sozialrechtlichen Förderungsvoraussetzungen stehen, und § 146 SGB III (früher § 116 AFG)544, durch den ein starker Einfluß auf das Streikverhalten und somit das hauptsächliche kollektivrechtliche Streitregelungsinstrument im Arbeitsrecht genommen wird. 545 540
Dazu auch 3. Teil § 11 B / S. 388 ff.
54l Beispiele dazu u. a. bei Hanaul Peters-Lange. NZA 1998, 785 ff. (790 ff.) und
I. Schmidt. AuR 1997, 461 ff. 542 Heinze. NZA 2000, 5 ff. (6 m. w. N.). 543 Umfassend: Heinze. RdA 1998, 14 ff. 544 Dazu MünchArbR / Otto § 282 Rn. 79 ff. 11 Fracke
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Die Meinungen zur Wirkung des § 2 Abs. 2 SGB III auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen sind sehr verschieden. Ein Teil der Literatur geht von einer unmittelbaren Wirkung im Arbeitsrecht aus und sieht beispielsweise die sozialrechtliche Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III als Ausgestaltung des kündigungsschutzrechtlichen ultima ratio Grundsatzes an, womit gleichzeitig eine Erweiterung der zu bedenkenden milderen Mittel verbunden sei. 546 Andere lehnen eine arbeitsrechtliche Wirkung vollkommen ab. 547 Eine vermittelnde Ansicht erkennt eine Wirkung im Arbeitsrecht an, beschränkt aber die inhaltliche Weite auf eine Bestätigung der bereits bestehenden Regeln. 548 Das BAG enthielt sich bisher einer Stellungnahme. 549 Problematisch an der von der Literatur seit 1997 zu § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III geführten Diskussion55o ist, daß zumeist die rechtspolitische Frage, ob der Kündigungsschutz durch eine Regelung des SGB III erschwert werden darf oder nicht überwiegt und die Grundfrage, ob bzw. auf welche Weise die Norm aus dem SGB III in das Arbeitsrecht übertragen werden kann, übergangen wird. 55J Deshalb wird in einem ersten Schritt auf die grundsätzliche Anwendbarkeit eingegangen (unter aa)), bevor in einem zweiten Schritt die konkreten Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber untersucht werden (unter bb)). aa) Das Ob der Wirkung der sozialrechtlichen Nonn des § 2 Abs. 2 SGB III im Arbeitsrecht Das Sozialrecht steht zum Arbeitsrecht nicht von vornherein in einem gegenseitigen Ausschlußverhältnis. Bieback geht von einem grundsätzlichen Nebeneinanderstehen und Ergänzen aus; es soll durch eine praktische Konkordanz, also eine 545 Zu weiteren Beispielen sozialrechtlicher Vorschriften mit arbeitsrechtlicher Wirkung vgl. Preis, NZA 1998,449 ff. (454). 546 Schaub, NJW 1997,810 f. (810 f.). Im Ergebnis ebenso: Gagei, FS für ArbG Rh.-Pf., 521 ff. (526 ff.). Auch das ArbG Gelsenkirchen - 2 Ca 3762/96 - v. 28. 10. 1997, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 100, sieht in § 2 Abs. 1 SGB III eine Erweiterung des Kündigungsschutzes. Dazu mit krit. Anm. Hamacher; ebd. 547 Ettwig, NZA 1997, 1152 f. (1l52 f.); Wolf, AuA 1998,7 ff. (8). So wohl auch Bauer/ Haußmann, NZA 1997, llOO ff. (1l01 f.), die sich nicht genau dazu äußern, wie sie § 2 SGB III verstehen, sondern in erster Linie Schaub kritisieren. 548 Bepler; in: Gagei, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 38. Bieback, AuR 1999,209 ff. (211); Rolfs, NZA 1998, 17 ff. (18 f.). So auch Preis, NZA 1998,449 ff. (455 f.), der zwar eine Erweiterung des derzeit praktizierten Kündigungsschutzes darin sieht, diese Folge aber auch schon im KSchG angelegt erkennt. Eine Erweiterung des KSchG i.S.e. Rücknahme der durch das ArbBeschFG vorgenommenen Erleichterungen lehnt der Parlament. Staatssekretär in seiner Antwort auf eine Anfrage im Bundestag (BT-Drucks. 13/10398, S. 17 f) ausdrücklich ab. 549 In BAG - 2 AZR 91/98 - v. 12. 11. 1998 unter B. 11. 4., AP Nr. 51 zu § 2 KSchG, hat das BAG ein Entscheidung darüber ausdrücklich dahinstehen lassen. 550 Unter anderem: Bauer/Haußmann, NZA 1997, llOO ff.; Löwisch, NZA 1998,729 f.; Preis, NZA 1998,449 ff.; Rolfs, NZA 1998, 17 ff.; Rüthers, NJW 1998,283 f.; Schaub, NJW 1997,810 f.; Wolf, AuA 1998,7 ff. 551 Gagei, FS für Dieterich, 169 ff. (172); Heinze, NZA 2000, 5 ff. (5 f.).
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verhältnismäßige Einschränkung oder Ergänzung der Normen, maximal mögliche Wirksamkeit im Arbeits- und Sozialrecht hergestellt werden. 552 Ob zum Teil die Verdrängung eines Rechtsgebietes vorliegt und wie sich die Ergänzungen gestalten, soll bzw. muß für jede Norm neu entschieden werden. 553 Dafür sind die Bedingungen und Zusammenhänge der jeweiligen Rechtsbereiche zu erforschen und eine zweckmäßige Verknüpfung anzustreben. 554 Schon aus dem Zweck des § 2 Abs. 2 SGB III ergibt sich die Notwendigkeit der Geltung auch im Arbeitsrecht. So soll das Arbeitsförderungsrecht subsidiar zu der Pflicht der Arbeitgeber zur Förderung der Arbeitnehmer und Erhaltung der Arbeitsplätze sein; die Arbeitgeber regeln ihre Beziehungen zu den Arbeitnehmern aber auf privatrechtlicher Ebene und können auch nur dort den geforderten Einfluß nehmen. 555 Die Überschreitung vom Sozial- zum Arbeitsrecht ist notwendige Konsequenz der vom SGB III angeordneten Verlagerung der Verantwortung für den Arbeitsmarkt auf die Arbeitsvertragsparteien. 556 Diesen Umstand übersehen diejenigen, die die Wirkung des § 2 Abs. 2 SGB III allein auf öffentlich-rechtlicher Ebene ansiedeln, weil sie unterschiedliche Regelungsbereiche des § 2 Abs. 2 SGB III und des Arbeitsrechts, beispielsweise des KSchG annehmen. 557 Folge dieser Auffassung wäre vollständige Wirkungslosigkeit des § 2 Abs. 2 SGB III in privatrechtlicher Richtung. Ein solches Verständnis ist für die Erhaltung der sozialrechtlichen Wirkungsweise nicht erforderlich und somit ohne besondere Anhaltspunkte auch nicht möglich. Eventuell individuell vorzunehmende Einschränkungen einer Wirkung auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen sind erst Bestandteil des zweiten Schrittes, des Wie der Wirkung. Eine pauschale Versagung der arbeitsrechtlichen Wirkung muß jedenfalls abgelehnt werden. bb) Arbeitsrechtliche Auswirkungen des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB 1II
Wie § 2 Abs. 2 SGB III im Arbeitsrecht wirkt, kann nur durch Betrachtung des Gesamtzusammenhangs erörtert werden. Die im Sozialrecht lediglich obligatorisch wirkende Vorschrift könnte im Arbeitsrecht weitergehende Folgen haben. So könnte der Arbeitgeber zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet sein. Eine zu beachtende Beeinträchtigung der sozialrechtlichen Wirkung 558 wäre darin nicht zu erblicken. Vielmehr wäre eine solche Maßnahme gerade Ausdruck des angestrebten verantwortungsvollen Umganges mit der Bieback, AuR 1999,209 ff. (209 f.). Bieback, AuR 1999,209 ff. (209). 554 Gagel, FS für Dieterich, 169 ff. (173). 555 Bieback, AuR 1999,209 ff. (211); Preis, NZA 1998,449 ff. (454 f.). 556 Bepler, in: GageI, SGB III Kommentar, § 2 Rn. 37. 557 Bauer/Haussmann, NZA 1997, 1100 ff. (1101); Ettwig, NZA 1997, 1152 f., (1153); Wolf, AuA 1998,7 ff. (8). 558 Dazu unter § 5 AVI 2 b)/S. 159 ff. 552 553
11*
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Beschäftigungssicherung von Arbeitnehmern. Eine Einschränkung des § 2 Abs. 2 SGB III kann demnach nicht wegen entgegenstehender sozialrechtlicher Bedeutung vorgenommen werden. Sollte es sich jedoch um einen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers handeln, müßte § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III geeignet sein, einen solchen zu begründen. Die Eigenschaft als Sollvorschrift scheint zunächst dafür zu sprechen. Jedoch ist "sollen" eine Aufforderung, die mit unterschiedlichen Zweckrichtungen verwandt werden kann. Sie kann einerseits bloße Ordnungs- und Formfunktion haben, andererseits aber auch privatrechtliche Nebenpflichten oder Obliegenheiten begründen. 559 Soll ein individueller Anspruch bestehen, muß die jeweilige Vorschrift neben anderen Zielen zumindest auch dem Individualinteresse des Begünstigenden dienen. 56o Ein Individualinteresse geht aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III aber nicht hervor. Die Gesetzesmaterialien schließen es nicht explizit aus, erwähnen es aber auch nicht, und der Gesamtzusammenhang spricht eher dagegen. 561 Trotzdem könnte die teleologische Betrachtung etwas anderes ergeben. Zweck des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III ist die generelle Subsidiarität staatlicher Leistungen gegenüber der Privaten. 562 Gestützt wird diese Zweckbestimmung dadurch, daß § 2 Abs. 2 S. 1 SGB III nicht nur die Verantwortung für die im eigenen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, sondern auch die für die Arbeitslosen betont. 563 Hinzu kommt, daß es sich um eine sehr allgemein gehaltene Gebotsnorm ohne Rechtsfolgenregelung handelt. Ein Vergleich läßt sich hier mit § 75 Abs. 2 BetrVG ziehen, aus dem auch kein Anspruch auf bestimmte Handlungen des Arbeitgebers begründet werden kann, obwohl es unmißverständlich heißt: " ... haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit ... zu fördern. ,,564 Sowohl die Struktur als auch die Auslegung des § 2 Abs. 2 SGB III sprechen gegen eine unmittelbar anspruchsbegründende Wirkung. Eine Wirkung als Auslegungsrichtlinie kommt zwar in Betracht, aber ebenso wie im Rahmen der sozialrechtlichen Geltung ist zur Intensivierung der Wirkung eine Verbindung mit Normen des Arbeitsrechts nicht nur möglich, sondern auch notwendig. Im folgenden ist daher zu überlegen, welche Wirkung § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III auf die bereits untersuchten arbeitsrechtlichen Vorschriften mit Bezug zur Weiterbildung haben könnte. (1) Konkretisierung der Erörterungspflicht in § 81 Abs. 4 BetrVG In seiner Wirkung verstärkt werden könnte auch § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG, in welchem es heißt, daß der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer erörtern muß, wie 559
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563 564
Umfassend zu Sollvorschriften im Privatrecht: Preis, NZA 1998,449 ff. (453). Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Rn. 121 ff., 136 ff. BT-Drucks. 13/4941, S. 152. Clever, ZFSH/ SGB 1998,3 ff. (6); GK-Feckler, § 2 SGB III Rn. 6. Vgl. auch Gagei, FS für Dieterich, S. 169 ff. (171). Dazu unter § 5 A VII S. 150 ff.
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dessen berufliche Fähigkeiten den sich ändernden Bedingungen angepaßt werden können. Nach einhelliger Ansicht besteht keine Pflicht des Arbeitgebers, die notwendigen Anpassungsmaßnahmen auch vorzunehmen 565 , weshalb auch in Verbindung mit der sozialrechtlichen Subsidiaritätsklausel keine Verpflichtung des Arbeitgebers erfolgen kann. Zwar kann das Zusammenspiel mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 SOB III bestimmen, in welche Richtung die Erörterung zu gehen hat. Der Arbeitgeber kann sich aber seiner Verantwortung für die Erhaltung des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers nicht durch die bloße Aussprache entziehen. Er muß vielmehr mit dem Arbeitnehmer vor allem solche Möglichkeiten erörtern, durch die er seiner Mitverantwortung gerecht wird und die dem Arbeitnehmer die bestmögliche Chance bieten, den Arbeitsplatz zu behalten. Aber dadurch wird lediglich das Ziel des § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVO konkretisiert, ohne die Entscheidung des Arbeitgebers über die Durchführung solcher erörterten Weiterbildungs maßnahmen zu beeinflussen. (2) Bedeutung für § 75 Abs. 2 BetrVO Fraglich ist, ob § 75 Abs. 2 BetrV0566 durch das Zusammenwirken mit § 2 Abs. 2 SOB III konkretisiert werden könnte. Die sehr allgemein gehaltene Pflicht zum Fördern der Persönlichkeitsentfaltung (§ 75 Abs. 2 BetrVO) könnte durch die Mitverantwortung der Arbeitgeber für die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer und deren Möglichkeit, sich an ändernde Umstände anzupassen ( § 2 Abs. 2 Nr. 1 SOB III), ergänzt und spezifiziert werden. Daß der ständige Lernprozeß Bestandteil der Persönlichkeitsentfaltung ist, wurde bereits dargelegt. 567 Jedoch wird die Pflicht des § 75 Abs. 2 BetrVO durch die Verbindung mit § 2 Abs. 2 Nr. 1 SOB III nicht konkreter, sondern es ist lediglich eine Richtung der Persönlichkeitsentfaltung benannt und der Arbeitgeber wird für diese als mitverantwortlich bezeichnet. Zwei weit und sanktionslos verfaßte Normen, die nicht erkennen lassen, daß einem einzelnen ein Anspruch gegeben sein soll, können auch durch Zusammenwirken kein anderes Ergebnis hervorrufen. Die gesuchte verpflichtende Wirkung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SOB III durch das Zusammenspiel mit einer arbeitsrechtlichen Vorschrift kann bei der Oeneralklausel des § 75 Abs. 2 BetrVO nicht erreicht werden. Es bleibt lediglich die Feststellung, daß die in § 75 Abs. 2 BetrVO geforderte Förderung durch die Aussage des SOB III und die darin hervorgehobene Mitverantwortung des Arbeitgebers für die Weiterbildung gestützt, aber in der Wirkung nicht verändert wird.
565 So die amtliche Begründung: BT-Drucks. 11/2503, S. 35 und auch die Vertreter der Literatur: F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 25; GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 21. Außerdem zu § 81 Abs. 4 BetrVG: 3. Teil § 10 A V 3 b) dd) (2) 1S. 346 f. 566 Dazu schon unter § 5 A VII S. 150 ff. 567 Siehe § 5 A VI 1/S. 151 f.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
d) Ergebnis zu § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III kann sowohl im Sozial- als auch im Arbeitsrecht wirken. Aufgrund des sehr weiten Verständnisses und der fehlenden Rechtsfolgenregelungen handelt es sich in erster Linie um eine programmatische Norm zu Beginn eines Gesetzes, welches die Subsidiarität der staatlichen gegenüber den privaten Leistungen betont. Obligatorische Wirkung entfaltet § 2 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG im Zusammenhang mit den Fördervorschriften des SGB III. Im Arbeitsrecht konkretisiert § 2 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG vor allem die bestehenden Normen, die Zusammenhänge zur Weiterbildung aufzeigen, kann jedoch über die schon bestehenden Rechte hinausgehende Ansprüche nicht begründen.
3. Berufliche Weiterbildung und Integration Arbeitsloser
Erst seit dem 1. 1. 2002 gibt es im SGB III die Vorschriften zur Jobrotation. 568 In den §§ 229 ff. SGB III wird geregelt, daß der Arbeitgeber anstelle von Arbeitnehmern, die an einer beruflichen Weiterbildung teilnehmen, Arbeitslose beschäftigen kann. Durch die neuen Regelungen wird der Arbeitgeber zwar nicht in seiner Entscheidung, die Arbeitnehmer weiterzubilden, eingeschränkt, die Arbeitgeber sollen aber durch staatlichen Einfluß zu mehr betrieblicher Weiterbildung ihrer Mitarbeiter motiviert werden. Gemäß § 229 SGB III werden bei zeitweiser Einstellung eines Arbeitslosen anstelle des gerade in einer Weiterbildungsmaßnahme befindlichen Arbeitnehmers Zuschüsse zwischen 50 und 100 % des nach § 218 Abs. 3 SGB III zu berücksichtigenden Arbeitsentgeltes des Vertreters (§ 230 SGB III) gewährt. Diese Zuschüsse bedeuten eine finanzielle und betriebsorganisatorische Entlastung während der Qualifizierung des Stammpersonals. Eine weitere, Einfluß auf die Weiterbildungsentscheidung ausübende arbeitsrechtliche Erleichterung stellt die Vorschrift des § 231 SGB III dar, in welcher die vertretungsweise Einstellung während der Qualifizierung des betrieblichen Arbeitnehmers als sachlicher Befristungsgrund anerkannt wird. Gerade durch die hier bestehende enge Verbindung der sozialrechtlichen Vorschriften mit arbeitsrechtlichen Regelungen soll die betriebliche Weiterbildung forciert werden. Dieses Modell der Jobrotation stellt den Versuch des Gesetzgebers dar, neben der erleichterten Wiedereingliederung Arbeitsloser die betriebliche Weiterbildung zu fördern. Damit nimmt sich die Arbeitsförderungsbehörde erstmals ernsthaft dem lebenslangen Lernen noch im Arbeitsprozeß stehender Arbeitnehmer an. Unterstützt und beschleunigt wurde die Einführung der §§ 229 SGB III in das Arbeitsförderungsrecht sicher auch durch die Äußerungen der beiden Gutachter , der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht auf dem 63. Deutschen Juristentag. Unter dem Thema "Möglichkeit arbeits- und sozialrechtlicher Beiträge zur Bekämpfung 568
BGBl. I, 2001, S. 3443 ff.
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der Arbeitslosigkeit,,569 forderten sowohl Hanau 570 als auch Kleinhenz 571 eine stärkere Zusammenarbeit von Staat und Arbeitgeber und führten das in Dänemark erfolgreich laufende Modell der Jobrotation als Vorbild an. 572 Zwar ist diesen Aussagen und den neuen gesetzlichen Regelungen im Grundsatz zuzustimmen, doch werden sich die Einsätze Arbeitsloser eher auf die Bereiche beschränken, in denen eine Einarbeitung leicht möglich ist. Leider betrifft das gerade im heutigen Technologiezeitalter eine immer geringer werdende Anzahl von Arbeitnehmern. Doch auch wenn die Freiwilligkeit der Arbeitgeberentscheidung über ob, wann und wie betrieblicher Weiterbildung damit weiterhin bestehen bleibt, durch die geringeren finanziellen und betriebsorganisatorischen Aufwendungen, die auch noch verbunden werden mit einer bezahlten Erprobung neuer Arbeitnehmer, wird die Weiterbildung für die Arbeitgeber aber attraktiver gestaltet. Es bleibt zu hoffen, daß betriebliche Weiterbildung unter Nutzung dieses staatlich geförderten Angebotes angenommen wird und zu einer Erhöhung der Bereitschaft der Arbeitgeber führt.
IX. Weiterbildung und Entwürfe für eine zukünftige gesetzliche Gestaltung
Die Bedeutsamkeit der Weiterbildung erkennend, befassen sich verschiedene Gesetzgebungsvorhaben auf individualrechtlicher und kollektiver Ebene häufiger mit Überlegungen zur Regelung dieser Materie. Es soll untersucht werden, inwiefern diese Gesetzgebungsvorhaben die Entscheidung des Arbeitgebers über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen hätten beeinflussen können. Auch wenn die beiden vorzustellenden Entwürfe nicht umgesetzt worden, zeigen sie eine Tendenz auf und bestätigen, daß Weiterbildung auch in der Gesetzgebung immer häufiger wird. 1. Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes 1992
Schon vor einigen Jahren entstanden und wohl in dieser Form nicht mehr umzusetzen ist der Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes von 1992. In §§ 75 f. ArbVG 92573 sollen individualrechtliche Regelungen zur Weiterbildung gesetzlich fixiert werden. In § 75 ArbVG 92 ist die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen Kleinhenz, Gutachten B; Hanau, Gutachten C. Hanau, Gutachten zum 63. Dff, C 87 f. 571 Heinze, Referat zum 63. Dff, 9. These/L 54. 572 Vgl. zu dem dänischen Modell (sogenanntes AMU-System): Hanau, Gutachten zum 63. Dff, C 45 ff; siehe auch Lenze, Europäische Perspektiven einer Reform des Arbeitsförderungsrechts, S. 43 ff.; vgl. auch unter § 5 A X/So 170 ff. 573 Vgl. Gutachten zum 59. DJT Bd. I, Diskussionsentwurf, D 42 f. 569
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
geregelt. Dem Arbeitnehmer sollte danach gern. § 75 Abs. 1 S. 1 ArbVG 92 ein Freistellungsanspruch unter Lohnfortzahlung bei vom Arbeitgeber verlangter Weiterbildung gewährt werden. Nur bei zusätzlichem persönlichen Interesse des Arbeitnehmers sollte er auch verpflichtet werden können, außerhalb der Arbeitszeit teilnehmen (Satz 2). Die Kosten der Weiterbildungsmaßnahme hat gern. § 75 Abs. 2 BetrVG der Arbeitgeber zu tragen. Mangels besonderer Abgrenzung wie in Absatz 1, muß dabei davon ausgegangen werden, daß er gleichfalls die auch dem persönlichen Interesse des Arbeitnehmers dienende Weiterbildung zahlt. Kaum eine Beschränkung finden die Freistellungs- und Kostentragungspflichten des Arbeitgebers durch die sehr weite Definition der Weiterbildung in Absatz 3. Berufliche Fortbildung soll danach berufliche Anpassungs-, Erhaltungs- und Aufstiegsfortbildung sein, die Umschulung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen. In § 76 ArbVG 92 sind Grundsätze der Ausgestaltung von Rückzahlungsklauseln normiert. Damit den Vertragspartnern aber auch weiterhin freigestellt wird, wann eine Weiterbildung stattzufinden hat, war die Grundprämisse der eingesetzten Kommission, nur die Durchführung der Weiterbildung zu regulieren und gerade nicht auch deren Einführung. Ein individueller Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers oder eine sonstige Beschränkung der freien Entscheidung des Arbeitgebers ließe sich daraus also auch bei Umsetzung nicht herleiten. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Entwurf für eventuell später erfolgende gesetzliche Regelungen als Vorbild herangezogen wird oder vielleicht auch - beispielsweise durch einen europäischen Anstoß - gleich weitergehende Regelungen getroffen werden. 2. Gesetzentwürfe der liinder für ein Arbeitsvertragsgesetz
Einen neuen Schub erhielt Bewegung für eine Kodifikation des Arbeitsvertragsrechtes durch die Regelung in Art. 30 des Einigungsvertrages, in welcher der Gesetzgeber verpflichtet wird, möglichst bald ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetz zu schaffen. Sachsen574 und Brandenburg575 legten daraufhin Entwürfen vor, die aber bis heute auch in modifizierter Form nicht zu einem Arbeitsvertragsgesetz führten. Der allgemeinen Entwicklung und den heutigen Erkenntnissen Rechnung tragend sind auch in den Beschlußvorlagen Regelungen zur Weiterbildung enthalten. Zwar werden jeweils in §§ 75, 76 Kostentragung und Freistellung geregelt, jedoch unterscheiden sich die beiden Entwürfe im Detail. Das sächsische Modell orientiert sich bezüglich der Regelungen zur Weiterbildung 576 sehr stark an dem Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes 1992. Da aber auf die Regelung der Kosten verzichtet wurde, ist davon auszugehen, daß bewußt nur die Freistellung der Arbeitnehmer 574 575 576
BR-Drucks 293/95. BR-Drucks 671 /96. BR-Drucks 293/95, S. 41 f., S. 120 (Begründung).
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geregelt werden sollte. 577 Ebenfalls nicht erfolgt ist eine Definition der Weiterbildung. Damit ist der Entwurf insofern inkonsequent, als er zwei entscheidende Regelungen im Rahmen der Weiterbildung unterläßt und viele Rechtsstreitigkeiten gerade zu diesen Punkten vorprogrammiert wären. Umfassender sind die im brandenburgischen Entwurf enthaltenen Vorschläge. 578 Zunächst werden Weiterbildungsmaßnahmen definiert (§ 75 Abs. 1). Dabei entspricht die Definition in etwa der des § 75 ArbVG 92, enthält aber zusätzlich die Feststellung, daß die Weiterbildung auf einer Entscheidung des Arbeitgebers beruhen muß. Das heißt, es sind nicht nur solche erfaßt, die auf Verlangen des Arbeitgebers vorgenommen werden, sondern auch die, die der Arbeitnehmer selbst plant oder für die er sich bewirbt und denen der Arbeitgeber zustimmt.579 In Absatz 2 werden Maßnahmekosten und Entgeltfortzahlung während der Weiterbildung dem Arbeitgeber auferlegt. Der § 76 des Entwurfes dient der Kodifizierung der bisher entstandenen Rechtsprechung zur Rückzahlung von Weiterbildungskosten, wenn der Arbeitnehmer die Weiterbildungsmaßnahme vorzeitig abbricht oder das Arbeitsverhältnis wegen einer Kündigung des Arbeitnehmers oder in seinem Verhalten liegender Gründe beendet wird. Obwohl keiner der Entwürfe in geltendes Recht umgesetzt wurde, wird einmal mehr erkennbar, welche Wichtigkeit einer Regelung der Weiterbildung zukommt. Die einheitlichen Ansichten zur Entgeltfortzahlung und den Rückzahlungsvereinbarungen in den zwei Länderentwürfen und dem ArbVG 92 zeigen, daß diesbezüglich eine Regelung sicher möglich wäre. Genauso wird aber auch bewußt, daß die Übernahme der Maßnahmekosten noch ein streitbarer Punkt ist. 580 Zu Fragen einer eventuellen Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbildung der Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen äußerten sich beide Entwürfe nicht. Zwar kann nach dem brandenburgischen Entwurf die Weiterbildung auch dann erfaßt sein, wenn sie auf Initiative des Arbeitnehmers erfolgt, doch bleibt es auch hier eine freiwillige Entscheidung des Arbeitgebers, ob er den Vorschlag annimmt. 3. Entwuif eines Betriebsveifassungsgesetzes
Den Änderungen der betrieblichen Praxis der letzten 30 Jahre Rechnung tragend, versprach die rot-grüne Regierungskoalition, wie im Koalitionsvertrag festgehalten581 , noch in der 14. Legislaturperiode das Betriebsverfassungsgesetz zu 577 BR-Drucks 293/95, S. 41 (§ 75), S. 120 im Vergleich zu § 75 Abs. 2 ArbVG 92, Gutachten zum 59. DJT Bd. I, Diskussionsentwurf, D 43. 578 BR-Drucks 671/96, S. 59 f., 194 ff. (Begründung). 579 BR-Drucks 671 /96, S. 195. 580 Dazu, daß die Übernahme der Maßnahmekosten selbst bei § lAbs. 2 S. 3 I.HS KSchG streitig ist: § 10 A V I / S. 309 f. 581 Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen von 1998, I. 8./S. 10.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
modernisieren. Im Zuge dieses Vorhabens taten sich vor allem DGB und DAG mit Vorschlägen hervor, bevor die Regierung ihre Vorschläge einbrachte, die dann auch umgesetzt wurden 582 • Nach den zunächst von DGB und DAG veröffentlichten Vorschlägen sollte die Weiterbildung durch Veränderung der §§ 96 ff. BetrVG als wichtiges Anliegen der Zukunft gestärkt und dem Betriebsrat mehr Einfluß auf die Einrichtung solcher Maßnahmen gegeben werden. Aus diesem Grund sah § 97 BetrVG-E (DGB und DAG) explizit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen vor. Zusätzlich sollte der Betriebsrat gemäß § 98 Abs. 1 BetrVG-E (DGB und DAG) bei der Ein- und Durchführung von Maßnahmen mitzubestimmen haben. Unverständlich war in diesem Zusammenhang die vom DGB angedachte Beschneidung der Individualrechte aus § 81 BetrVG583 zu Gunsten einer verbesserten Mitbestimmung des Betriebsrats584 . Dadurch wäre ein individuelles Recht des Arbeitnehmers ohne Notwendigkeit entfallen. 585 Die Regierung griff die Vorschläge der Gewerkschaft zum Teil auf und als bedeutendste Änderung im Rahmen der Qualifizierung der Arbeitnehmer ist das von DGB und DAG angeregte jetzt bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen gern. § 97 Abs. 2 BetrVG586 anzusehen.
x. Ergebnis zu den Normen des einfachen Bundesrechts Auf bundesrechtlicher Ebene lassen sich einige Vorschriften finden, nach denen die Weiterbildung gefördert werden soll. Ein Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf Einrichtung einer Weiterbildungsmaßnahme kann einmal durch die Erfüllung der - zum Teil auch ungeschriebenen - Voraussetzungen des § 81 Abs. 1,2 BetrVG erlangt werden. Außerdem kann durch die Initiative des Betriebsrates eine Qualifizierungsmaßnahme auch gegen den Willen des Arbeitgebers bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG über die Einigungsstelle erzwungen werden. Die anderen bildungsrelevanten Vorschriften sind zu allgemein gefaßt (§ 75 Abs. 2 BetrVG und § 2 Abs. I Nr. 1 SGB III), verfolgen eine andere Zweckrichtung (§§ 96, 98 BetrVG und § 3 Abs. 2 SGB I) oder stellen Erleichterungen bei Durchführung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen dar, die dem Arbeitgeber die Entscheidung leichter machen sollen (§§ 229 SGB III). Vgl. dazu vor allem § 5 A I, II und III/S. 94,101 ff. sowie 72 ff. So soll sich § 81 Abs. 1 BetrVG in Zukunft nur noch auf die Unterrichtung zu Beginn des Arbeitsverhältnisses und nicht mehr auf eine solche nach Veränderungen des Arbeitsumfeldes beziehen. Absatz 2 soll ersatzlos wegfallen. 584 Novellierungsvorschläge des DGB zum BetrVG 1972, S. 78. 585 Zur Kritik an der Auffassung, § 81 Abs. 1, 2 BetrVG stünde der Mitbestimmung des Betriebsrats entgegen, vgl. § 5 A IV I b) ee) (I)/S. 123 ff. 586 Vgl. § 5 A III 3 b)/S. 101 ff. 582 583
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Daß die Weiterbildung immer stärker Gegenstand gesetzgeberischer Tätigkeit wird, ist sowohl an den Vorschriften des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge als dem Job-AQTIV-Gesetz und vor allem den Neuerungen in dem Betriebsverfassungsgesetz zu erkennen. Zusätzlich befaßte sich die Abteilung Arbeits- und Sozialrecht auf dem 63. Deutschen Juristentag mit der Möglichkeit arbeits- und sozialrechtlicher Beiträge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. 587 Die Thesen von Hanau zu dem von ihm erstellten Gutachten fordern eine Erweiterung der knappen Regelungen des § 46 BBiG. So soll den gestiegenen Weiterbildungserfordernissen Rechnung getragen und sie auf eine beide Seiten absichernde rechtliche Grundlage gestellt werden. 588 Dabei greift er wohl auch auf die Überlegungen vom 59. Deutschen Juristentag und den damals verabschiedeten § 76 ArbVG 1992 zurück. 589 Außerdem regt Hanau eine Erweiterung der Regelungen der Landesbildungsurlaubsgesetze der Länder an, will sie aber inhaltlich mehr auf die berufliche Weiterbildung orientiert sehen. Eine finanzielle Entlastung der Arbeitgeber soll dabei durch die ersatzweise Beschäftigung Arbeitsloser statt der sich gerade Weiterbildenden erfolgen. 59o Die Forderungen Hanaus sind insofern zu begrüßen, als gerade fehlende Normen oft zu einer die Weiterbildung bremsenden rechtlichen Ungewißheit führen. Jedoch sind die Forderungen meines Erachtens nicht weitgehend genug. Wichtiger wäre es beispielsweise, die arbeitsplatzbezogene Information i. S. d. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG klärend festzuschreiben. Der von Hanau erwogene ersatzweise Einsatz Arbeitsloser ist nicht nur eine weiterbildungsfördernde Maßnahme für die bereits Beschäftigten, sondern bietet auch Arbeitslosen die Möglichkeit des Lernens in der Arbeitssituation. Im Rahmen dieses Modells könnte der Arbeitgeber durch Weiterbildung entstehende Kosten zumindest teilweise auf den Staat abwälzen und damit die Weiterbildungsaktivitäten sicher deutlich ankurbeln. 591 Zu den von Däubler in seinem Referat verfaßten Thesen gehört die Forderung nach Klarsteilungen bezüglich der Weiterbildung. So sollen die Arbeitnehmer verpflichtet werden, an arbeitsplatzbezogenen Weiterbildungen teilzunehmen, im Gegenzug dafür aber auch die damit verbrachte Zeit vom Arbeitgeber als Arbeitszeit anerkannt werden. Däublers Forderung, dem Betriebsrat ein Initiativrecht für im betrieblichen Interesse liegende Qualifikationen zu gewähren 592 , wurde zumindest teilweise durch § 97 Abs. 2 BetrVG bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes umgesetzt. Auch Heinze greift in seinen Thesen die Möglichkeiten der WeiKleinhenz, Gutachten B; Hanau, Gutachten C. Hanau, Gutachten zum 63. DJT, C 87 f. 589 Dazu unter § 5 IX 1 / S. 167 f. 590 Hanau, Gutachten zum 63. DJT, C 87 f. 591 Vgl. zu dem auf diese Weise funktionierenden dänischen Modell (sogenanntes AMUSystem): Hanau, Gutachten zum 63. DJT, C 45 ff.; siehe auch Lenze, Europäische Perspektiven einer Reform des Arbeitsförderungsrechts, S. 43 ff. 592 Däubler; Referat zum 63. DJT, L 14; These 11. 8/L 29. 587 588
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terbildung auf. Gleich Hanaus Erwägungen sollen Staat und Arbeitgeber enger zusammenarbeiten, indem während der Weiterbildungsphase der Beschäftigten vertretungsweise Arbeitslose eingesetzt werden. 593 Teilweise sind die Überlegungen des 63. Deutschen Juristentages - ob durch des Juristentag beeinflußt oder nicht - mit dem Job-AQTIV-Gesetz der Bundesregierung und den seit 01. 01. 2002 geltenden Regelungen des §§ 229 SGB III umgesetzt. 594 Im Anschluß an den 63. Deutschen Juristentag beschäftigte sich Löwisch mit den dortigen arbeits- und sozialrechtlichen Beiträgen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. 595 Dabei mißt er vor allem der beruflichen Qualifikation ein großes Gewicht zu, da nur so die bestehende Diskrepanz zwischen den Arbeitsuchenden einerseits und der Nachfrage nach qualifizierten Beschäftigten andererseits beseitigt werden kann. 596 Daß dem so ist, läßt sich schon an der Einführung der Green Card zur Besetzung der offener Stellen in den Bereichen der Informationstechnologie erkennen. 597 Löwisch hält Hanaus Forderungen für nicht weitgehend genug, will zusätzlich durch tarifliche und betriebliche Regelungen aufgewendete Weiterbildungszeiten auf die in den Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzen gewährten Freistellungen anrechnen. 59B Dadurch sollen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber zu einer vermehrten betrieblichen Weiterbildungsaktivität angeregt werden. 599 Ob eine betriebliche Weiterbildung durchgeführt wird, bleibt aber auch in diesem Fall Arbeitgeberermessen. Auch ohne meßbare Ergebnisse für den die Weiterbildung betreffenden Bereich zeigen die Beiträge des 63. Deutschen Juristentages, daß auch die Wissenschaft die Relevanz der Weiterbildung nicht verkennt. Konkrete gesetzliche Regelungen zur Förderung der betrieblichen Weiterbildung sind in naher Zukunft zu erwarten. Wobei ein Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers auf jährliche Weiterbildung und somit Auffrischung der Kenntnisse weniger wahrscheinlich ist, als eine stärkere Einbindung des Betriebsrats auch schon bei der Entscheidung über die Einführung von Bildungsrnaßnahmen. Festgehalten werden kann aber, daß dem Arbeitgeber durch gesetzliche Regelungen eine immer größere Verantwortung für die Weiterbildung der Arbeitnehmer zugewiesen wird.
595
Heinze, Referat zum 63. DJT, 9. These/L 54. Vgl. § 5 A VIII 3/S. 166 f. Löwisch, JZ 2000, 806 ff.
596
Löwisch, JZ 2000, 806 ff. (809).
593 594
Vgl. Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hoch qualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT-ArGV), BGBl. 11, 2000, S. 1176 ff. (Green eard Verordnung); vgl. dazu auch BR-Drucks 335/00 v. 2. 6. 2000. 598 Löwisch, JZ 2000, 806 ff. (810). 599 Löwisch, JZ 2000,806 ff. (810). 597
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
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B. Landesgesetzliche Regelungen Viele Länder fördern Weiterbildungseinrichtungen durch eigene gesetzliche Festlegungen. Jedoch haben diese Regelungen keinen Einfluß auf die Beziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer. Desweiteren gibt es mittlerweile in 12 Bundesländern Landesbildungsurlaubsgesetze6OO, in welchen ein gesetzlicher Anspruch auf Bildungsurlaub festgelegt ist. 601 Bildungsurlaub beinhaltet allgemeine, politische und betriebliche Weiterbildung. 602 Sobald die Voraussetzungen erfüllt sind, muß der Arbeitgeber den Arbeitnehmern bezahlten Bildungsurlaub gewähren. Obwohl es sich dabei um eine bezahlte Freistellung handelt, nehmen im Bundesdurchschnitt nur etwa 1,5 % der Arbeitnehmer ihre diesbezüglichen Rechte wahr. 603 Die hier zu untersuchende betriebliche Bildung ist zwar gerade nicht Bestandteil der Freisteilungsregelungen, jedoch haben sich auf dem 63. Deutschen Juristentag einige Vertreter der Wissenschaft für eine bessere Verknüpfung der Bildungsurlaubsgesetze mit denen der betrieblichen Weiterbildung ausgesprochen.
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene Als Besonderheit des Arbeitsverhältnisses können die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht nur durch Verfassungs-, Gesetzes- und Einzelvertragsbestimmungen beeinflußt werden, sondern auch durch kollektive Vereinbarungen. Diese sollen eine gleichgewichtige Verhandlungsposition der Arbeitnehmer insgesamt gegenüber dem Arbeitgeber schaffen. Relevanz entfalten solche Regelungen auch und vor allem in Materien, bei denen grundsätzlich alle oder größere Gruppen von Arbeitnehmern betroffen sein können und die Arbeitgeber nicht immer bereit sind, die eigentlich notwendigen Qualifizierungen ihrer Mitarbeiter vorzunehmen. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Regelungen über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen getroffen werden können, die den Arbeitgeber in seiner freien Entscheidung darüber, ob er Weiterbildungsmaßnahmen durchführt oder nicht, beschränken. Daran anschließend wird jeweils ein kurzer Einblick in die bereits bestehenden kollektiven Vereinbarungen zur Weiterbildung gegeben. 600 Berlin; Brandenburg; Bremen; Hamburg; Hessen; Mecklenburg-Vorpommem; Niedersachsen; Nordrhein-Westfalen; Rheinland-Pfalz; Saarland; Sachsen-Anhalt; Schleswig-Holstein. 601 Zur Verfassungsmäßigkeit des Bildungsurlaubs vgl. BVerfG - I BvR 563/85 - v. 15. 12. 1987 unter C. 11. der Gründe, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG; vgl. aber auch die ablehnende Ansicht: Hopfner; NZA 2001, 6 ff. m. w. N. 602 Zur Aufschlüsselung der Teilnehmer und zu den Problemen des Bildungsurlaubs, Link/Wierer; AuA 1999, S. 555 ff. 603 Eine wenig gefragte Errungenschaft, in: Süddeutsche Zeitung v. 12. /13. 01. 2002, S. V 1113.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
A. Vereinbarungen durch die Sozialpartner Den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden kommt als Sozialpartnern ein großer Einfluß auf die Regelung der Arbeitsbedingungen zu. Trotz kritischer Stimmen zu dem bestehenden Tarifvertragssystem werden die meisten Arbeitsbeziehungen auch heute vielfaltig durch Tarifverträge beeinflußt. 604 Obwohl erste Qualifizierungstatbestände schon in den sechziger Jahren in einzelnen Tarifverträgen zu finden waren, nehmen derartige Regelungen bisher lediglich einen geringen Raum ein. 605 Allerdings ist ein deutlicher Anstieg der Wertigkeit bei Tarifverhandlungen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union in den neunziger Jahren zu erkennen. 606 Bisher überwiegen noch deutlich Qualifizierungsabkommen in Form von Rationalisierungsschutzabkommen, also solche, durch die lediglich die unmittelbare Gefahrdung des Arbeitsplatzes abgewendet werden soll.607 Qualifizierungsrege1n für die in diesem Teil der Arbeit allein interessierenden intakten Arbeitsverhältnisse sind eher selten. 608 Indes erkennen auch die Sozialpartner die aus vielerlei Gründen steigende Notwendigkeit der ständigen Qualifizierung der Arbeitnehmer. Erklärtes Ziel ist es mittlerweile, den Tarifvertrag zu einem Instrument für mehr Beschäftigungssicherung und -förderung zu entwickeln. 609 So schreibt die BDA auf ihrer Homepage zum Thema betriebliche Weiterbildung: "Betriebliche Weiterbildung ist zum einen verstärkt notwendig, um mit der immer geringer werdenden ,Halbwertszeit des Wissens' mithalten zu können. [ ... ] Zum anderen ist Weiterbildung auch heute schon als Zukunftsaufgabe für Betriebe zu sehen. So werden in etwa 8 bis 10 Jahren große Anteile der Belegschaften das ruhestandsfähige Alter erreichen. Zugleich wird geburtenbedingt die Zahl der Nachwuchskräfte drastisch sinken. In Zukunft werden somit Unternehmen mit tendenziell (über)alterten Belegschaften dem technologischen und Wissenswettlauf gegenüberstehen. Daher muß heute die Weiterbildung ,erlernt' werden. Jedes Unternehmen, das diese Entwicklung heute verpaßt, läuft Gefahr, in 15 Jahren aufgrund ungenügender qualifikatorischer Anpassung des Wissens vom Markt verdrängt zu werden. Weiterbildung bietet somit heute schon Vorteile für Unternehmen und Mitarbeiter.,,610
604 Im Jahr 2000 galten ca. 55.000 Tarifverträge in ganz Deutschland, und ca. 70 % der Beschäftigten sind bei einem tarifgebundenem Arbeitgeber beschäftigt, in: Pressemitteilung des BMA v. 6. 2. 2001. 605 Vgl. Bahnmüller; Tarifliche Regulierung beruflicher Weiterbildung, S. 167 ff. (167 ff.); P. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 13,60. 606 Münch, Berufliche Weiterbildung in der EU, S. 56 f. 607 Vgl. auch Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 41 ff., 49. Dazu auch 3. Teil § 11 All S. 383 ff. 608 Vgl. aber die Beispiele unter 11 4 und 5/ S. 199 ff. und 201, die TV von debis sowie der Bekleidungs- und Textilindustrie. 609 Hanau, RdA, 1998,65 ff. (65). 610 http://www.bda-online.de/www / bdaonline.nsfl MainFrameSet; v. 08. 07. 2000.
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Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, Interessenvertreter der von der geringen Halbwertszeit des Wissens besonders betroffenen Branche der Metall und Elektroindustrie, bezeichnet die Qualifizierung als "ein entscheidendes Mittel der Zukunftssicherung6J1 ", das "den besten Schutz vor Verlust des Arbeitsplatzes bietet612". Die IG Metall kommt in einer "Zukunftsdebatte" für die Tarifpolitik der nächsten Jahre zu folgendem Ergebnis: ,,[ ... ] Die Gewerkschaft wolle eine Konzeption zur Weiterbildung und lebenslangem Lernen entwickeln [ ... ]. Die Beschäftigten bräuchten in den Tarifverträgen einen Rechtsanspruch auf bezahlte Qualifizierungs- und Weiterbildungszeiten. [ ... ],,613
Für das Jahr 2001 hatte die IG Metall das Thema Berufliche Weiterbildung daher auf die tarifpolitische Tagesordnung gesetzt.614 Der DGB gab im Juli 2000 ein Positionspapier heraus, in welchem er konkrete Handlungsforderungen aufstellte, um zukünftig die Weiterbildung für alle zu ermöglichen. Neben Forderungen an den Gesetzgeber wendet sich das Papier auch an die Tarifvertragsparteien und Betriebspartner. Unter anderem sollen zeitliche Mindestansprüche für Weiterbildungen festgelegt werden. Außerdem wird gefordert, daß die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter qualifikationsgerecht beschäftigen, eingruppieren und entlohnen sollen, sowie daß die Übernahme der Weiterbildungskosten durch die Betriebe gesichert wird. 615 Die Ausführungen zeigen, daß die Sozialpartner Regelungen zur Qualifizierung treffen wollen. Die Ziele und Wege weichen aufgrund der unterschiedlichen Interessen stark voneinander ab. 616 Ob der Wille zur Regelung auch eine automatische oder eine erzwingbare Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber erfaßt, soll näher beleuchtet werden. Zu erörtern ist außerdem, auf welche Weise die tarifliche Rechtssetzung erfolgt bzw. erfolgen kann und wo die rechtlichen Grenzen insbesondere für Regelungen zur Weiterbildung liegen (unter 1.). Anschließend werden einige ausgewählte Vereinbarungen kurz dargestellt und bewertet (unter 11.).
Zukunftssicherung durch Qualifizierung, S. 8. Zukunftssicherung durch Qualifizierung, S. 9. 613 !GM Pressedienst Nr. 53/2000. 614 Abmayr, metall 12/2000, S. 15 ff. (18). Als unmittelbares Ergebnis dieser Bemühungen ist der zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg und der IGM Baden-Württemberg zustande gekommene Tarifvertrag zur Qualifizierung vom Juni 2001 anzusehen. Vgl. dazu auch § 6 A 11 3/S. 195 f. 615 Positionspapier des Deutschen Gewerkschaftsbundes, S. 6. 616 Während die IGM Gleichbehandlung bzw. Bevorzugung benachteiligter Beschäftigungsgruppen verlangt (Positionspapier S. 6), geht Gesamtrnetall davon aus, daß es eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiter, und damit besonders für die Gruppe der geringer Qualifizierten, nicht geben kann (Zukunftssicherung durch Qualifizierung, S. 10). 611
612
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
I. Regelungsbefugnis, -möglichkeiten und -grenzen der Sozialpartner Die Sozialpartner können bindende Regelungen über die Arbeitsbedingungen treffen. Dies erfolgt überwiegend in Form eines Tarifvertrages, kann aber auch durch außertarifliche Vereinbarungen geschehen. Da beide nicht gleich zu bewerten sind, ist zunächst der Tarifvertrag näher zu betrachten (unter 1), bevor außertarifliche Regelungen näher zu erörtern sind (unter 2).
1. Tarifvertragliehe Regelungen a) Verfassungsrechtliche Grundlage Die tarifvertragliche Regelungsbefugnis der Sozialpartner ergibt sich aus Art. 9 Abs. 3 GG, dem Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, Vereinigungen zu bilden. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet den Bestand, die Ausgestaltung und die Betätigung der Koalition. Die Tarifautonomie ist Bestandteil der Betätigungsgarantie. 617 Die dadurch erteilte Regelungsbefugnis erstreckt sich auf alle Bedingungen, durch welche die abhängige Arbeit im Betrieb berührt wird. Obwohl die Tarifautonomie in erster Linie einen sozialen Schutzauftrag hat618 , können auch unternehmerische Entscheidungen umfaßt sein, solange sie den Unternehmer überwiegend in seiner Rolle als Arbeitgeber betreffen und keine unternehmerische Grundentscheidungen wie arbeitsmarktpolitische Zielsetzungen oder grundsätzliche Fragen der Betätigung darstellen. 619 Unter Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen fallen nicht nur die grundsätzlichen Fragen der Begründung, Beendigung und des Inhaltes des Arbeitsverhältnisses, sondern auch solche, die mit der Entwicklung des Arbeitslebens i.w.S. zusammenhängen, wie Schutz vor Rationalisierungen und Folgen der technischen Entwicklung. 62o Die hier zu untersuchenden Regelungen zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen sind vor allem zum Schutz vor Rationalisierungen und der Anpassung an die technische Entwicklung zu zählen, aufgrund der die Tarifvertragsparteien bei ihrer Regelung den verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie erfahren. Grundsätzlich umfaßt wären von der Tarifautonomie daher auch die von der Gewerkschaft angestrebten Rechte, die den Arbeitnehmern konkrete Ansprüche einräumen oder solche, die den Betriebsrat an der Einführung von Weiterbildungs617 BVerfG - 1 BvR 779/85 - v. 26. 6.1991, unter C. I. 1. a) der Gründe, AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; - 1 BvR 1312/85 - v. 2. 3. 1993, unter C. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 126 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG-l ABR 72/98 - v. 20. 4.1999 unterB. 11. 2. b) bb) der Gründe, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG; ErfK / Kissel, Art. 9 GG, Rn. 44; Säcker / Oetker; S. 33. 618 Beuthien, ZfA 1984, 1 ff. (14).
619 Wiedemann, in: Wiedemann, Einleitung Rn. 456; Zöllner/Loritz, ArbeitsR, § 8 III 1/ S.112. 620 BAG - I AZR 123/89 - v. 3. 4. 1990 unter B. I. I. der Gründe, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG.
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maßnahmen maßgeblich beteiligen und damit die sonst alleinige unternehmerische Entscheidung beschränken. Bezüglich der Grenzen sind die Ausführungen unter b) und c) zu beachten. b) Verfassungsrechtliche Grenzen tarifvertraglicher Regelungen Tarifverträge können nicht jede Regelung schrankenlos gewährleisten. Sie sind an die Grundrechte gebunden. Der schuldrechtliche Teil eines Tarifvertrages ist mittelbar an den Grundrechten zu messen. Wegen der gesetzesähnlichen Wirkung der normativen Bestandteile ist streitig, ob die Grundrechtsbindung unmittelbar oder mittelbar erfolgt. Eine überwiegende Ansicht läßt sich dabei kaum feststellen, denn wie innerhalb des BAG621 sind auch die Vertreter der Literatur uneinig. 622 . Ungeachtet dieser Differenzen über die Art der Grundrechtsbindung müssen die Tarifpartner bei Abschluß eines Tarifvertrages die Grundrechte des jeweils anderen beachten. Besonders maßgebliche Normen sind für den Arbeitgeber die Berufsfreiheit gern. Art. 12 GG, das Eigentumsrecht gern. Art. 14 GG sowie die Vertragsfreiheit gern. Art. 2 GG. Gegenüber den Arbeitnehmern sind ebenfalls vor allem die Berufsfreiheit gern. Art. 12 GG, der Gleichbehandlungsgrundsatz gern. Art. 3 GG und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gern. Art. 2 Abs. 1 GG i.Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu beachten. Wird dem Arbeitgeber durch eine tarifvertragliche Regelung die Pflicht auferlegt, Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer einzurichten, ist dadurch seine Unternehmensautonomie, also seine Berufsfreiheit und sein Eigentumsrecht LV.m. der allgemeinen Handlungsfreiheit, beruhrt. Wegen der den Tarifvertragsparteien zukommenden Tarifautonomie ist eine solche Regelung jedoch trotzdem möglich, solange sie die Unternehmensautonomie des Arbeitgebers nicht völlig verdrängt, sondern sie in einen angemessenen Ausgleich mit den Arbeitnehmerinteressen bringt. 623 Vereinbaren die Tarifvertragspartner beispielsweise einen allgemeinen Weiterbildungsanspruch des Arbeitnehmers von 10 Tagen im Jahr oder daß 621 Früher eindeutig unmittelbare Grundrechtswirkung: Ständ. Rspr. seit: - 1 AZR 305154 - v. 15. 1. 1955, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG (BI. 2 R, 3). Heute einerseits der 7. Senat, der der Schutzpflichtenlehre folgt: BAG - 7 AZR 641/96 - v. 25. 2. 1998 unter 3. b) der Gründe, AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt; bestätigend: -7 AZR 700/96 - v. 11. 3. 1998 unter III. 2. b) der Gründe, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Tarifverträge: Luftfahrt. Andererseits der 4. Senat, der sich ausdrücklich einer Stellungnahme zum 7. Senat enthält: BAG - 4 AZR 668/98 - v. 5.10.1999 unter III. 2. der Gründe, AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; - 4 AZR 177/99 - v. 26. 4. 2000 unter 11. 4. der Gründe und 2. LS, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Verdienstsicherung. 622 Für eine unmittelbare Grundrechtsgeltung: Gamillscheg, KolIArbR, § 16 I 1 c)1 S. 667 ff. m. umf. N.; f.jjwischl Rieble, § 1 TVG Rn. 155 f., dagegen für eine mittelbare: Dieterich, FS für Schaub, S. 117 ff. (122,133); MünchArbRIRichardi § 10 Rn. 32; Singer, ZfA 1995,611 ff. (623, 625 ff.) alle m. w. N. 623 BAG - 1 AZR 123/89 v. 3. 4. 1990 unter B. H. 1. der Gründe, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG; Beuthien, ZfA 1984, 1 ff. (12).
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dem Betriebsrat fortan ein Mitbestimmungsrecht bezüglich des Ob der Einrichtung einer Weiterbildungsmaßnahme zustehend so1l624, könnte darin durchaus ein unzulässiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit vorliegen. Letztlich muß die Verfassungsmäßigkeit immer am konkreten Fall geprüft werden. c) Grenzen tarifvertraglicher Regelungen durch allgemeine Rechtsgrundsätze und allgemeines Gesetzesrecht Tarifverträge entfalten zwar häufig nonnative, also für die Arbeitnehmer gesetzesähnliche Wirkung (§ 4 Abs. 1 TVG), sie stehen in der Hierarchie aber grundsätzlich unter den Gesetzen. 625 Eine Verdrängung des Gesetzesrechts durch Tarifverträge ist nur möglich, wenn es sich um dispositives, einseitig zwingendes oder tarifdispositives Recht handelt. 626 In allen anderen Fällen gehen die gesetzlichen Festlegungen vor. Unabdingbar und damit immer zu beachten sind die gesetzlichen Generalklausein wie § 242 BGB oder § 138 BGB. Gleiches gilt für die tragenden Grundsätze des Arbeitsrechts, selbst wenn diese nicht gesetzlich fixiert sind. 627 Werden schuldrechtliche Vereinbarungen durch Tarifverträge getroffen, müssen diese immer in den vom höherrangigen Recht gesetzten Grenzen erfolgen. In bezug auf tarifvertraglieh durchzuführende Qualifizierungsmaßnahmen haben die Tarifvertragsparteien vor allem die zwingenden Nonnen des Berufsbildungsgesetzes, der Arbeitnehmerweiterbildungsgesetze der Länder, die Regelung in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG628 sowie die Nonnen des BetrVG629 zu beachten. d) Grenzen tarifvertraglicher Regelungen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nonnart Neben den allgemeinen Grenzen, die für alle Nonnarten des Tarifvertrages gleichennaßen gelten, müssen die Tarifvertragsparteien entsprechend dem Charakter der Nonn zusätzliche Beschränkungen der Regelungsbefugnisse beachten. Dabei 624 Hier bejaht einen Verstoß gegen die Rechte des Arbeitgebers: P. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 270 f. Als bedenklich, aber zulässig stuft GK-KraJt, vor § 92 BetrVG Rn. 25 eine solche Regelung ein. Ebenfalls vorsichtig: MünchArbRI Löwischl Rieble § 259 Rn. 62. Vgl. auch unter § 6 AI 1 d) aa) (3) (bb)/S. 186 ff. 625 Zur Normenhierarchie im Arbeitsrecht vgl. Otto, Einführung, Rn. 111 ff. 626 Zum Verhältnis Tarifvertrag - Gesetzesrecht umfassend MünchArbRI Löwischl Rieble § 259 Rn. 81 ff. 627 Deren Geltung ist nicht unumstritten, sie werden vom BAG aber immer wieder herangezogen. Ständ. Rspr. seit: BAG - 3 AZR 400/68 - v. 3. 10. 1969 unter IV. 3. der Gründe, AP Nr. 12 zu § 15 AZO; kritisch dazu Loritz, ZfA 1990, 133 ff. (193 f.) m. w. N. 628 Dazu 3. Teil § 10 AIS. 268 ff. 629 Dazu sogleich genauer d) aa). Vgl. auch: BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10.2. 1988 unter B. 11. 2. b) der Gründe, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972.
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ist besonders zwischen den gern. § 4 Abs. 1,2 TVG unmittelbar und zwingend geltenden normativen Bestimmungen (unter aa)) und den auf schuldrechtlicher Ebene liegenden (unter bb)) zu unterscheiden. aa) Normative Regelungen des Tarifvertrages und dessen Geltungsgrenzen durch das Tarifvertragsgesetz
Eine Tarifnorm entfaltet nur normative Wirkung, wenn gern. §§ 1 Abs. 1,4 Abs. 1 TVG der Inhalt, der Abschluß oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geordnet wird bzw. eine betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Frage betroffen ist oder eine gemeinsame Einrichtung gern. § 4 Abs. 2 TVG vorliegt. Qualifizierungstarifverträge können Inhaltsnormen, Betriebsnormen oder betriebsverfassungsrechtliche Normen enthalten sowie gemeinsame Einrichtungen regeln. (1) Regelung durch Inhaltsnormen
Zu Inhaltsnormen gehören alle Bestimmungen, die nach dem Willen der Tarifvertragsparteien den Inhalt der Arbeitsverhältnisse normieren sollen. Der weit zu verstehende Begriff des Inhalts des Arbeitsverhältnisses 630 umfaßt auch die im betrieblichen Interesse liegende Qualifikation der tarifgebundenen Arbeitnehmer. 631 Zusätzliche Beschränkungen durch das Tarifvertragsgesetz für die Anerkennung als Inhaltsnorm bestehen nicht. Ein in einem Tarifvertrag geregelter Anspruch der Arbeitnehmer auf eine Weiterbildung ist somit allein an der verfassungsrechtlich gewährleisteten unternehmerischen Freiheit zu messen. Das kann nur für jeden einzelnen Fall im Rahmen einer Abwägung geschehen. Obwohl es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, bestimmte Weiterbildungsmaßnahmen von vornherein abzulehnen 632 , sind Tarifvertragsklauseln, die allgemeine und politische Weiterbildungen gewähren, eher unzulässig als solche für eine berufliche bzw. arbeitsplatzbezogene Qualifizierung. Anhaltspunkte kann dabei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Verfassungsmäßigkeit der Arbeitnehmerweiterbildungsgesetze bieten633 , nach welcher eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung eines jährlichen fünftägigen bezahlten Bildungsurlaubs für politische, allgemeine oder berufliche Weiterbildungen noch als verfassungsgemäß angesehen wurde. 634 Jedoch wurde auch bei der damaligen Entscheidung nicht ausgeschlossen, daß es zu einer verfassungsrechtlichen Beeinträchtigung des Arbeitgebers und damit zu einer Pflicht zur Änderung des Landesgesetzes kommen 630 631
632 633
Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 27; Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 316 f. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 27. A. A. P. Schlaffke, S. 262 ff. (266 f.). BVerfG - 1 BvR 563/85 u. a. - v. 15. 12. 1987 unter C. 11. der Gründe und 2. LS, AP
Nr. 62 zu Art. 12 GG. 634 Kritisch dazu P. Schlaffke, S. 54 ff. m. w. N. 12*
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kann, wenn es durch eine über die Erwartungen hinausgehenden Inanspruchnahme des Bildungsurlaubsgesetzes zu einer unzumutbaren Kostenbelastung des Arbeitgebers kommt. 635 An dieser Stelle ist noch einmal auf das Ausgangsbeispiel 636 Bezug zu nehmen. Dabei ging es um den Technologiebetrieb T-GmbH, der seinen Mitarbeitern zwar vorgibt, dienstlich mit den belgischen Kollegen eng zusammen zu arbeiten und damit Englisch zu sprechen, ihnen aber bisher keine Sprachkurse anbietet. Eine entsprechende Regelung, die beispielsweise allen tarifgebundenen Arbeitnehmern einen Anspruch auf Teilnahme an einen vom Arbeitgeber eingerichteten Sprachkurs gewährt, könnte im Tarifvertrag in Form einer Inhaltsnorm erfolgen. Bedenken bezüglich der Zulässigkeit würden sich erst ergeben, wenn die Kurse in unrealistischer Art und Weise ausgestaltet wären. Inhaltsnormen, die den Arbeitnehmern im intakten Arbeitsverhältnis Ansprüche auf präventive Weiterbildung zugestehen, sind in der Praxis äußerst selten637 , ein deutliches Anwachsen solcher Vereinbarungen ist wegen der hohen Kostenbelastung aber auch in Zukunft eher unrealistisch. Weitaus häufiger werden Regelungen durch betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Normen bzw. die Schaffung gemeinsamer Einrichtungen vereinbart. Dabei ist zu fragen, ob durch solche Regelungen die freie Entscheidung des Arbeitgebers über die Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen beschränkt wird bzw. inwiefern sich eine Förderung der betrieblichen Weiterbildungsmaßnahme daraus ergeben kann. (2) Regelung durch Betriebsnormen Betriebliche Normen regeln Angelegenheiten, die dem Arbeitnehmer als Mitglied der Belegschaft betreffen. 638 Da gern. § 3 Abs. 2 TVG auch nichtorganisierte Arbeitnehmer von der Vereinbarung betroffen sind, beschränkt sich die Zulässigkeit betrieblicher Normen auf Angelegenheiten, die sich lediglich betriebseinheitlich verwirklichen lassen. 639 Die Regelungsgrenze ist überschritten, sobald keine die Arbeitsbedingungen betreffenden Sachverhalte mehr geregelt werden. 64o Umfaßt sind daher vor allem Fragen der Ordnung des Betriebes und solche über betriebliche Einrichtungen (Solidamormen).641 Soll durch eine Regelung in einem Qualifizierungstarifvertrag beispielsweise eine gesonderte Weiterbildungsabteilung eingerichtet werden, läge darin die Rege635
BVerfG - 1 BvR 563/85 u. a. - v. 15. 12. 1987 unter C. 11. 2. b) der Gründe, AP Nr. 62
zu Art. 12 GG. 636 637 638 639 640 641
l.Teil § 1 AIS. 26. Vgl. aber Tarifvertrag von debis unter § 6 A 11 41 S. 199 ff. Oetker; in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 568. SäckerlOetker; S. 145; ErfKl Schaub, § 1 TVG Rn. 112. Rieble, ZTR 2000, 1 ff. (7) mit dem Beispiel von Umweltvereinbarungen. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 36; Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 559.
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lung eines arbeitsrechtlichen Sachverhaltes, der zur Erhaltung der innerbetrieblichen Gleichbehandlung betriebseinheitlich zu regeln ist und somit eine betriebliche Tarifnorm bedeutet. Besteht in einem Betrieb erst einmal eine solche Weiterbildungsabteilung, ist auch davon auszugehen, daß häufiger Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt werden. Ohne daß sich also ein unmittelbarer Einfluß auf spätere Arbeitgeberentscheidungen bezüglich der Durchführung von Qualifizierungen ergibt, könnten dadurch generell mehr Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt werden. Regelungsprobleme ergeben sich für die Festlegung von Weiterbildungseinrichtungen in Tarifverträgen zunächst nicht. Fraglich erscheint jedoch, welche faktische Durchsetzungsmöglichkeit für solche betrieblichen Einrichtungen besteht, wenn der Arbeitgeber der Vereinbarung nicht nachkommt. Umstritten ist dabei schon, wer die Adressaten von Betriebsnormen sind. Während eine Ansicht davon ausgeht, sowohl Arbeitgeber als auch die Belegschaft als Ganzes und Betriebsrat wären die Adressaten642 , erkennt ein Großteil der Literatur lediglich den Arbeitgeber als Adressat an. 643 Zuzustimmen ist letzterer Ansicht. Da dem Betriebsrat keine neuen Rechte vermittelt werden und er nicht als Vertreter der Belegschaft bei einem nicht an sie speziell adressiertem Recht auftreten kann, sind Betriebsnormen auch nicht an ihn gerichtet. 644 Damit fehlt jedoch sowohl dem Betriebsrat als auch dem einzelnen Arbeitnehmer die Möglichkeit, ein eventuelles Versäumnis des Arbeitgebers einzuklagen. Der Betriebsrat kann zwar seine Beschwerdemöglichkeit gern. § 80 Abs. I Nr. I BetrVG nutzen. 645 Diese Norm gewährt kein Klagerecht auf Erfüllung, sondern ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der genannten Rechtsvorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen, wobei das Betriebsverfassungsgesetz davon ausgeht, daß der Arbeitgeber einer berechtigten Beanstandung in aller Regel auch Rechnung tragen wird. 646 Auch die Gewerkschaften haben keine Erfüllungsansprüche gegen den tarifbrüchigen Arbeitgeber eines Verbandstarifvertrages647 in der Hand, da sich selbst der ohnehin sehr umstrittene allgemeine Unterlassungsanspruch648 lediglich auf BeseiDieterich, Betriebliche Normen, S. 85; MünchArbRI Löwischl Rieble § 270 Rn. 13. lngeljinger, Arbeitsplatzgestaltung durch Betriebsnormen, S. 48; Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille, S. 233 f; Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 585. 644 Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 585. 645 Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 585. 646 BAG - 1 ABR 9/83 - v. 16. Juli 1985 unter B. H. 3. der Gründe, AP Nr. 17 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; - 1 ABR 59/84 - v. 10.6. 1986 unter B. IV. 2. der Gründe und 2. LS, AP Nr. 26 zu § 80 BetrVG; Galperinl Löwisch, § 80 BetrVG Rn. 13; Richardi, § 80 BetrVG Rn. 18. 64? Etwas anderes ergibt sich bei einem Haustarifvertrag. Dann ist der Arbeitgeber der Vertragspartner der Gewerkschaft und sie kann schuldrechtliche Erfüllungsansprüche gegen ihn geltend machen. 648 BAG - 1 ABR 72/98 - v. 20. 4. 1999 unter B. H. 2. a) und b) der Gründe, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG; MünchArbRI Löwischl Rieble § 275 Rn. 10 ff. m. w. N. 642 643
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tigung tarifwidriger Handlungen und nicht auf die Durchsetzung der Tarifvereinbarung bezieht. 649 So können die Gewerkschaften zwar den Arbeitgeberverband auf Durchführung verklagen, der aber kann lediglich mit verbandsrechtlichen Schritten gegen den Arbeitgeber vorgehen. 65o Eine eigenständige Klage des Verbandes gegen ein Mitglied des gegnerischen Verbandes ist nach ganz herrschender Ansicht nicht möglich. 651 Die Vereinbarung über die Einrichtung einer betrieblichen Weiterbildungs stätte durch die Tarifvertragsparteien ist demzufolge ein sinnvoller Schritt, kann aber noch nicht gewährleisten, daß dem auch tatsächlich auf betrieblicher Ebene Folge geleistet wird. Um diese Probleme auszuschließen, sollte dem Betriebsrat im Tarifvertrag gleichzeitig ein Kontrollrecht eingeräumt werden. Selbst wenn die Umsetzung der betrieblichen Norm erfolgt, ergeben sich daraus aber noch keine unmittelbaren Erweiterungen betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen. (3) Regelung durch betriebsverfassungsrechtliche Normen Durch betriebsverfassungsrechtliche Normen können von der Betriebsverfassung abweichende Beteiligungsrechte geregelt werden. 652 Dies kann einmal durch Aufwerten eines schwächeren Mitbestimmungsrechts zu einem stärkeren geschehen, zum anderen aber auch durch Hinzunehmen neuer, beteiligungspflichtiger Tatbestände. 653 Für die betriebliche Weiterbildung sind einerseits Bestimmungen denkbar, die dem Betriebsrat zusätzliche Rechte bei der Entscheidung über die Art der Weiterbildung, die Kosten oder die Auswahl der Teilnehmer zubilligen. Andererseits wären tarifliche Regelungen möglich, die dem Betriebsrat schon bei Einführung von betrieblichen Bildungsrnaßnahmen echte Mitbestimmungsrechte zugestehen. Auf diese Weise könnte der Betriebsrat die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen erzwingen und die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen wäre beschränkt. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz stellen Mindestbestimmungen dar, die nicht begrenzt werden dürfen. 654 Jedoch Vgl. MünchArbRI Löwischl Rieble § 275 Rn. 18. Vgl. dazu MünchArbRI Löwischl Rieble § 277 Rn. 19 m. w. N.; Wiedemann. in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 722 ff. 651 Ständ. Rspr.: BAG - 1 AZR 274/56 - v. 8. 11. 1957 unter I. der Gründe und 1. LS, AP Nr. 7 zu § 256 ZPO; Löwischl Rieble, § 4 TVG Rn. 73; Wiedemann. in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 727 m. w. N. A. A. Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1386; Gamillscheg. KollArbR Bd. I, § 15 X 2 dl S. 632 ff.; Hanau, RdA 1998, 65 ff. (71); die der Gewerkschaft in besonderen Situationen durch Rechtsfortbildung einen einklagbaren Anspruch zugestehen wollen. 652 Kempen/Zachert. § 1 TVG Rn. 38; Zöllner/Loritz, § 35 IIII S. 389. 653 Oetker; in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 598. 654 ErfKI Schaub, § 1 TVG Rn. 116; GK-Kraft. vor § 92 Rn. 9; MünchArbRI Matthes § 327 Rn. 13 ff.; Säcker 1Oetker; Tarifautonomie, S. 240; GK- Wiese, Einleitung Rn. 72. 649
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sind auch Erweiterungen nur eingeschränkt möglich. 655 Zur Feststellung, ob bzw. wann diese zulässig sind, muß schrittweise erst geklärt werden, ob eine Erweiterung wegen abschließendem Charakter des Betriebsverfassungsgesetzes schon von vornherein abzulehnen ist (unter (a». Falls nicht, ist danach zu fragen, ob neben den ohnehin geltenden Beschränkungen dem Betriebsverfassungsgesetz immanente Grenzen beachtet werden müssen (unter (b)). Selbst bei Bejahung dieser beiden Punkte bezüglich Regelungen der betrieblichen Weiterbildung bleibt zu klären, ob die so an sich zulässige Regelung nicht auf unzulässige Art und Weise erfolgt ist. 656 (a) Zulässigkeit der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten Wäre eine grundsätzliche Ablehnung der Erweiterung von Beteiligungsrechten gewollt, müßte das BetrVG diesbezüglich eine abschließende Regelung darstellen. Das wird allgemein für die organisatorischen Vorschriften bejaht657 , ist jedoch für die sonstigen Beteiligungsrechte streitig. 658 Gegen eine abschließende Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes spricht die Beibehaltung der §§ I Abs. I 2.HS, 4 Abs. I S. 2 TVG ohne Einschränkung auf bestimmte betriebsverfassungsrechtliche Sachverhalte auch nach Inkrafttreten des BetrVG. So war schon nach Einführung des BetrVG 1952 umstritten, ob daneben noch Raum für eine tarifliche Erweiterung der Beteiligungsrechte ist659 , was den Gesetzgeber aber nicht zu einer KlarsteIlung im BetrVG 1972 bewegen konnte. 660 Sollte eine Erweiterung der Beteiligungsrechte aus Sicht des Gesetzgebers ausgeschlossen sein, hätte im BetrVG 1972 auf diese Auseinandersetzung reagiert werden können und müssen. Außerdem ist das BetrVG ein Arbeitnehmerschutzgesetz, welches ohne ausdrückliche Beschränkung 655 Dazu Zöllner / Loritz, § 35 III I S. 389 f. m. w. N. Weiter die Rechtsprechung des BAG: - 1 ABR 70/86 - v. 10. 2. 1988 unter B. 11. 2. der Gründe, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972 mit krit. Anm. Lund; - 1 ABR 35/94 - v. 31. 1. 1995 unter B. 11. 4. der Gründe, AP Nr. 56 zu § 118 BetrVG. Zum Streitstand bezüglich der hier interessanten (allgemeinen) personellen Beteiligungsrechte vgl. GK-Kraft, vor § 92 BetrVG Rn. 10 ff. m. w. N.; Maus, S. 142 ff.; Rumpjf/Boewer, F, Rn. 132; Schaub, § 202 VI I/S. 1974 Rn. 20. 656 Dies ist dann für einzelne Regelungen unter 11 I 192 ff. zu prüfen. 657 BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10. 02. 1988 unter 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1034, 1055; HIS I G-Hess, § 3 BetrVG Rn. 1; Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 274; Söcker I Oetker, Tarifautonomie, S. 197 f.; Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 33. 658 Zum Streitstand: F/K/H/E/S, § 1 BetrVG Rn. 212 ff.; GK-Kraft; vor 92 BetrVG Rn. 10 ff.; Oetker, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 598 ff.; Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 25 ff.; Zöllner / Loritz, § 35 III I S. 389 f. 659 BAG - 2 AZR 28/57 - v. 24. 9. 1959 unter 11. 4. der Gründe, AP Nr. 11 zu § 611 BGB Akkordlohn; - 2 AZR 503/56 - v. 8. 10. 1959 unter III. 2. b) der Gründe (BI. 139 f.), AP Nr. 14 zu § 56 BetrVG 1952. 660 BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10.2. 1988 unter B. 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972. A. A. Richardi, NZA 1988,673 ff. (675).
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immer nur einseitig zwingend ausgestaltet iSt. 661 Hinzu kommt, daß nach § 2 Abs. 3 BetrVG die Wahrnehmung der Interessen der Sozialpartner für ihre Mitglieder gerade nicht vom BetrVG berührt sein sol1. 662 Auch die Argumentation, das BetrVG 1972 wäre ein Kompromißgesetz, welches für folgende Veränderungen nicht mehr offen ist663 , kann nicht überzeugen. Nahezu jedes Gesetz ist Ausdruck gegenseitigen Nachgebens und nicht schon allein deshalb zweiseitig zwingend. Erweiterungen betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen scheitern demnach nicht an genereller Unzulässigkeit, ihre Zulässigkeit ist für Regelungen der betrieblichen Weiterbildung im einzelnen zu prüfen. (b) Besondere Beschränkungen bei der Erweiterung des § 98 BetrVG Nachdem festgestellt wurde, daß eine Erweiterung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats durch tarifliche Betriebsverfassungsnormen grundsätzlich erfolgen kann, ist im folgenden zu untersuchen, ob es eventuell besondere Einschränkungen gibt. (aa) Gesetzessystematik als Beschränkung der Erweiterung von Beteiligungsrechten Obwohl sich BAG und herrschende Ansicht der Literatur einig sind, daß eine Erweiterung der Beteiligungsrechte nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, wird eine Erweiterung vom BAG und einem Teil der Literatur meist dann abgelehnt, wenn die grundsätzlich im BetrVG angelegte Systematik gestört wird. 664 Das ist vor allem dann der Fall, wenn zu der ohnehin bestehenden Beschränkung der unternehmerischen Freiheit eine über das vom Betriebsverfassungsgesetz festgelegte Eingriffsmaß hinausgehende Verletzung der unternehmerischen Freiheit hinzukommt. 665 Unzulässig könnte eine Erweiterung aber auch 661 BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10. 2. 1988 unter B. II. 2. b) der Grunde, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; F/K/H/E/S, § 1 BetrVG Rn. 222;. KempenlZachert, § 1 TVG Rn. 272 f. A. A. GK-KraJt, vor § 92 BetrVG Rn. 23; Richardi, NZA 1988,673 ff. (675). 662 BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10.2. 1988 unter B. II. 2. b) der Grunde, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972. Ouo, NZA 1992,97 ff. (101 f.). 663 BAG - 1 ABR 70/86 - v.lO. 2. 1988 unter B. II. 2. c) der Grunde, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972. 664 BAG - 1 ABR 70/86 - v.lO. 2. 1988 unter B. II. 2, 3. der Grunde, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. auch Anm. Lund a. a. O. unter 4. a.; - 56/94 - v. 9. 5. 1995 unter I. 2. d) der Grunde, AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG Einigungsstelle; P. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 76; GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 13; in diese Richtung wohl auch: Oetker; in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 601, 602. 665 BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10. 2. 1988 unter B. II. 3. b) der Grunde, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972; vgl. auch Anm. Lund a. a. O. unter 4. a.; - 56/94 - v. 9. 5. 1995 unter I. 2. d) der Grunde, AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG Einigungsstelle; P. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 78 f., 271; Oetker; in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 601, 602; GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 13.
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durch zusätzliche, gerade vom Betriebsverfassungsgesetz zu vermeiden versuchte Abhängigkeit schutzwürdiger Arbeitnehmerinteressen von der Betriebsratsentscheidung sein.666 Eine Veränderung der Grundstruktur des BetrVG und der dabei gemachten Zugeständnisse in beide Richtungen kann auf diese Weise weniger bei den sozialen - für die der Betriebsrat ohnehin eine nahezu umfassende funktionelle Zuständigkeit hat - als vor allem bei den weniger weitgehend geregelten wirtschaftlichen, aber auch den personellen Maßnahmen erfolgen. 667 Im Falle der Erweiterung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Rahmen der betrieblichen Weiterbildung müßten die Tarifvertragsparteien das bereits bestehende sehr differenzierte Regelungssystem beachten. Die konkretere Ausgestaltung und insofern auch die Erweiterung eines Mitbestimmungsrechts bei der Durchführung betrieblicher Bildungsrnaßnahmen nach § 98 BetrVG wäre keine Veränderung und kein zusätzlicher Eingriff in die weiterhin freie unternehmerische Entscheidung, eine Weiterbildung überhaupt durchzuführen. Nicht zulässig wäre nach diesen Überlegungen die Festlegung eines echten Mitbestimmungsrechts bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen und somit fortan nicht nur Betriebsratsbeteiligung bezüglich des Wie einer Entscheidung, sondern auch des Ob. 668 Nach diesen Ausführungen könnte die unternehmerische Entscheidung, Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen, auch nicht durch eine betriebsverfassungsrechtliche Regelung, die dem Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht und somit auch ein Initiativrecht bei der Einführung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen zugesteht, angeregt werden. Fraglich ist jedoch, ob die unternehmerische Freiheit wirklich nicht außerhalb der durch das Betriebsverfassungsgesetz gesetzten Grenzen neuerlich beeinflußt werden darf. Schließlich wurde gerade festgestellt, daß es sich bei dem Betriebsverfassungsgesetz um ein Kompromißgesetz mit lediglich einseitig zwingendem Charakter handelt. 669 Die Tarifvertragsparteien, die aufgrund freiwilliger Mitgliedschaft tätig werden und deren Betätigung durch die Tarifautonomie geschützt ist, müssen auch unternehmerische Entscheidungen über das im BetrVG verankerte Maß hinaus treffen können, zumindest solange nicht erklärt wird, daß das Betriebsverfassungsgesetz die Maximalbeschränkung der unternehmerischen Freiheit darstellt. Zugegebenermaßen 666 Löwisch, AuR 1978, S. 97 ff. (98 f.); lahnke, S. 196; GK-KraJt, vor § 92 BetrVG Rn. 24; so wohl auch Lund, Anm. zu BAG -1 ABR 70/86 - unter 4. b), AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG. 667 Die überwiegende Meinung im Schrifttum erkennt eine Erweiterbarkeit der sozialen Angelegenheiten an, deutlich weniger bejahen dies bei den personellen Angelegenheiten und für die wirtschaftlichen wird es größtenteils völlig abgelehnt; dazu: Gamillscheg, KollArbR Bd. I, § 15 VII. 6. c) und d)/S. 614 ff.; lahnke, S. 194 ff.; Spilger, Tarifvertragliches Betriebsverfassungsrecht, S. 25 ff., 38, 46 ff. m. umf. N. 668 So P. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 271; a. A. Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 374; Löwisch, AuR 1978, S. 97 ff. (98); Meier-Krenz, S. 167. 669 Unter (a)/S. 183f.
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gelten gerade betriebsverfassungsrechtliche Normen für alle Arbeitnehmer, also auch für die nichtorganisierten. Das ist aber unproblematisch, solange es sich wie bei der hier maßgeblichen beruflichen Weiterbildung um für Arbeitnehmer günstige Regelungen handelt. Es muß also nicht untersucht werden, ob durch die betriebsverfassungsrechtliche Regelung im Tarifvertrag eine zusätzliche unternehmerische Entscheidung verlangt wird, die so bisher nicht der Regelungsstruktur im BetrVG entspricht. Sondern es ist zu fragen, ob die entsprechende Erweiterung der Rechte des Betriebsrats die unternehmerische Entscheidungsprärogative unzulässig beeinträchtigt. Diese Grenze ist je nach bisheriger Ausgestaltung der Beteiligungsrechte unterschiedlich zu ziehen. Eine bloße Feststellung, ob das System der Beteiligungsrechte geändert wird, wäre ohne unmittelbare Aussagekraft. Es hat eine an der Unternehmensautonomie des Arbeitgebers gern. Artt. 12, 14 i.Y.m. 2 GG orientierte Prüfung der Zulässigkeit zu erfolgen. 67o (bb) Beeinflussung der unternehmerischen Freiheit durch Erweiterung des § 98 BetrVG zum echten Mitbestimmungsrecht Die unternehmerische Freiheit671 ist mit der Tarifautonomie in das Verhältnis zu setzten und in einen verfassungsmäßigen Ausgleich zu bringen. Dabei darf die Unternehmensautonomie nicht vollkommen verdrängt werden. Ein meist unverhältnismäßiger Eingriff in die Unternehmensautonomie liegt aber auch schon vor, wenn die beabsichtigte tarifliche Regelung den Bestand, Umfang oder die Zielsetzung des Unternehmens betrifft672 und wenn dem Unternehmer keine sinnvolle und eigenverantwortliche Möglichkeit des Wirtschaftens mehr verbleibt. 673 Daher sollen die Sozialpartner zunächst darauf beschränkt sein, sozialrechtliche Folgeregelungen unternehmerischer Entscheidungen zu vereinbaren. 674 In den Fällen jedoch, in denen die Mitbestimmung des Betriebsrats zu spät erfolgen würde und die Folgen der unternehmerischen Entscheidung schon derart belastend sind, daß sie sich durch die Mitbestimmung des Betriebsrats kaum noch mildem oder ausgleichen lassen675 , muß die Tarifautonomie zugunsten der Arbeitnehmer die Unternehmensautonomie weiter beschränken. Hier muß zugunsten der Arbeitsbedingungen bzw. anderer die Arbeitnehmer in sozialer Hinsicht betreffender Aspekte schon Vgl. auch Schwarze, Im Dienste der Tarifvertragsparteien, S. 116, 118 f. Zu der untemehmerischen Freiheit auch schon § 5 A IV 1 d) / S. 135 ff. 672 Wiedemann, RdA 1986,231 ff. (236). 673 Wiedemann, RdA 1986,231 ff. (240). 674 BAG - 1 AZR 123/89 - v. 3. 4. 1990 unter B. H. 2. der Gründe, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG; Wiedemann, RdA 1986,231 ff. (239). 675 BAG - 1 AZR 123/89 - v. 3. 4. 1990 unter B. H. 2. der Gründe, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG; Beuthien, ZfA 1984, 1 ff. (14), der sich damit auf Vollmer. JA 1978, 53 ff. (54) bezieht. 670
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die unternehmerische Entscheidung gesteuert werden 676 , ohne daß dabei die festzustellende Grenze zum vollkommenen Verlust eigenverantwortlichen wirtschaftlichen Auftretens überschritten wird. 677 Die betriebliche Weiterbildung betrifft eine Materie, bei der die Grenzen zwischen unternehmerischer sowie sozialer und damit tariflich regelbarer Materie fließend sind. So ist beispielsweise zwar die Einführung neuer Technologien unproblematisch eine unternehmerische Entscheidung, die Einführung von Kursen über diese neuen Technologien aber weniger deutlich einordnenbar. Einerseits stellt es eine wirtschaftliche Entscheidung dar, ob eine Bildungsmaßnahme einzurichten ist oder nicht, denn der Arbeitgeber kann grundsätzlich selbst entscheiden, welche Qualifikation seine Mitarbeiter haben sollen. Andererseits ist es aber auch eine sozialrechtliche Folgeregelung bezüglich der Einführung neuer Technologien, denn bei Nichteinweisung bzw. nur unzureichender Information über die sich ändernden betrieblichen Strukturen und Arbeitsweisen stehen eventuell später betriebs- oder personenbedingte Kündigungen an. 678 Hier muß also die unternehmerische Entscheidung durch eine soziale Regelung "aufgefangen" werden können. Die Tarifvertragsparteien können dem vorbeugen, indem sie schon von vornherein einen Weiterbildungsetat festlegen. Besser, weil flexibler handhabbar und die spezielle Situation des jeweiligen Betriebes beachtend, sind jedoch echte Mitbestimmungsrechte, die dem Betriebsrat eingeräumt werden. Dann kann er im Fall der von ihm so erkannten Notwendigkeit versuchen, eine Einführung betrieblicher Bildungsrnaßnahmen zu veranlassen. Die unternehmerische Freiheit ist dadurch auch nicht unzulässig eingeschränkt, bleibt doch dem Arbeitgeber immer noch die Entscheidung über die Einführung und Verwendung neuer Technologien überlassen. Unproblematisch zulässig ist die Mitbestimmung des Betriebsrates nach Einführung des § 97 Abs. 2 in das Betriebsverfassungsgesetz für Fälle, in denen sich die Tatigkeit der Arbeitnehmer durch Maßnahmen des Arbeitgebers geändert hat oder wodurch ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr ausreichen, da die Mitbestimmung seit dem 25. 09. 2001 dort festgeschrieben ist. 679 Für diese Fälle handelt es sich jetzt nur noch um einen deklaratorischen Verweis auf das Gesetz und es besteht somit schon kein Widerspruch zu den Grundaussagen des Betriebsverfassungsgesetzes mehr. Jedoch ist auch bei betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen zur Weiterbildung, die nicht auf konkreten Veränderungen des Arbeitgebers beruhen, nicht von vornherein Unzulässigkeit anzunehmen. Betriebsverfassungsrechtliche Regelungen, die dem Betriebsrat ein echtes Mitbestim676 BAG - 1 AZR 123/89 - v. 3. 4. 1990 unter B. 11. 2. der Gründe, AP Nr. 56 zu Art. 9 GG; Beuthien, ZfA 1984, 1 ff. (14); Säckerl Oetker; Tarifautonomie, S. 82 f. 677 Wiedemann, RdA 1986, 231 ff. (240). 678 Nicht zu vergessen sind in diesem Fall schon die bestehenden Regeln des § 81 BetrVG (dazu unter § 5 A IV 1S. 108 ff.) und des § 1 Abs. 2 S. 3 2.HS KSchG (dazu § 101 S. 268 ff.), die aber nicht alle Fälle erfassen können. 679 BGBI. I, 2001, S. 2518 ff. Vgl. auch schon § 5 A III 3 b)/S. 101 ff.
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mungsrecht bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen zugestehen, sind grundsätzlich zuzulassen. Anderes kann sich lediglich aus der von der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit zu trennenden Überprüfung der individuellen Regelungen ergeben. So werden betriebsverfassungsrechtliche Regelungen in ihrer konkreten Ausgestaltung ungeachtet des sonstigen Inhaltes eher zulässig sein, wenn im Streitfall die Einschaltung der Einigungsstelle vereinbart ist. Sie schafft ein Korrelat zwischen den gewöhnlich gegenläufigen Interessen VOn Arbeitgeber und Betriebsrat und muß ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Interessen des Betriebes und der Arbeitnehmer nach billigem Ermessen (§ 76 Abs. 5 S. 3 BetrVG) treffen. Außerdem sind Regelungen, die dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung jeglicher Weiterbildungsmaßnahmen ungeachtet der betrieblich gesetzten Ursache geben, kritischer im Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages zu betrachten, als solche, die auf technologischen Veränderungen beruhen. Trotz Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers haben die Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer Tarifautonomie grundsätzlich die Befugnis, dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht einschließlich eines Initiativrechtes bei der Einführung Von Weiterbildungsmaßnahmen zu verleihen. 680 (cc) Weitere Zulässigkeitsschranken für die Erweiterung VOn Mitbestimmungsrechten Ferner sind weitere Einschränkungen zu beachten. Betriebsverfassungsrechtliche Regelungen sind jedenfalls unzulässig, wenn der Betriebsrat zu Regelungen ermächtigt wird, die die Tarifvertragspartner selbst nicht treffen könnten. 681 Dazu zählen einmal Regelungen, die unzulässigen Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen der Anders- und Nichtorganisierten haben 682 und solche, die nicht als belegschaftsnützlich anzusehen sind, weil sie Fragen betreffen, die außerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG liegen 683 . Eine tarifvertragliche Bestimmung, die dem Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht bezüglich der Einführung von betriebs-, unternehmens- oder tätigkeitsbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen zusagt, wäre eine nur betriebseinheitlich vornehmbare Angelegenheit, die nicht in unzulässiger Weise die inhaltliche Ge-staltung der Arbeitsbedingungen des einzelnen beträfe. Wie bereits festge680 Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 374; Löwisch, AuR 1978, S. 97 ff. (98); Meier-Krenz, S. 167. A. A. P. Schlaffke, S.271. 681 ErfKl Schaub, § 1 TVG Rn. 117; GK-Wiese, § 87 Rn. 14. 682 GK-Kraft, vor § 92 BetrVG Rn. 27; MünchArbRI Löwischl Rieble § 261 Rn. 31 m. w. N. Anders die Rechtsprechung des BAG: - 1 ABR 70/86 - v. 10. 2. 1988 unter B. 11. 2. der Gründe, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG 1972. 683 Vgl. MünchArbRI Löwischl Rieble § 261 Rn. 31, die als Beispiel aufUmweltvereinbarungen ohne Bezug zum Arbeitsverhältnis verweisen.
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stellt684 , ist die betriebliche Weiterbildung auch keine außerhalb des verfassungsrechtlichen Bereiches liegende Angelegenheit. Unter Beachtung der sonstigen verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Grenzen685 ist ein tariflich festgelegtes Initiativrecht grundsätzlich von der Regelungsbefugnis umfaßt. (4) Regelung gemeinsamer Einrichtungen gemäß § 4 Abs. 2 TVG Gemäß § 4 Abs. 2 TVG können die Tarifvertragsparteien sogenannte gemeinsame Einrichtungen schaffen. Dies sind von den Tarifvertragsparteien eingerichtete und von ihnen abhängige Organisationen, deren Zweck und Organisationsstruktur die Tarifvertragsparteien selbst festlegen und deren Aufgaben meist über das einzelne Unternehmen hinausreichen. 686 Typische gemeinsame Einrichtungen sind die in § 4 Abs. 2 TVG beispielhaft genannten Urlaubs- und Lohnkassen sowie Kassen für zusätzliche Altersversorgung und Ausgleichskassen für rationalisierungsbedingte Kündigungen. Auch im Bereich der beruflichen Bildung werden sie immer häufiger eingesetzt. So werden die Ausbildungsverhältnisse in der Bauindustrie über eine gemeinsame Einrichtung finanziert 687 , aber auch für die Weiterbildung werden zunehmend gemeinsame Einrichtungen geschaffen, wie etwa Kassen für Maßnahmekostenübernahme und die Lohnfortzahlung während der Weiterbildung. 688 Zum Teil sollen die Gelder auch verwendet werden, um Informationen über neue Techniken, fortschrittliche Organisationsmöglichkeiten und Maßnahmen überbetrieblicher Qualifizierung zu sammeln. 689 Einschränkungen der Regelungsbefugnis außerhalb der ohnehin geltenden Grenzen690 brauchen bei den gemeinsamen Einrichtungen nicht beachtet werden. Innerhalb dieser Grenzen ergeben sich vor allem in zweierlei Hinsicht Probleme. Einerseits gelten die tariflichen Grenzen, die auch für die normativen Normen gemäß § 1 Abs. 1 TVG Zulässigkeitsschranke sind. 691 Zum anderen ist die häufig ange684
Dazu unter § 6 All a) I S. 176 f.
Dazu unter § 6 All b) und c)/S. 177 ff. BVerfG - 1 BvR 24/74 und 439/79 - v. 15.7. 1980 unter A. I. 2. und B. II. 2. b) der Gründe, BVerfGE 55, 7 ff.; Wiedemann. in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 610; Zöllner/Loritz. § 35 IV IS. 390. 687 Kempen/Zachert. § 4 TVG Rn. 142. 688 TV über die Berufsbildung im Gerüstbaugewerbe v. 02. 07. 1991. vgl. dazu auch P. Schlaffke. Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 204 ff.; TV über die Errichtung von Innovationsstelle und Förderungswerk für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk v. 12. 12. 1990, wobei in diesem TV lediglich 30 % der Gelder dafür ausgegeben werden sollen. 689 TV über die Errichtung von Innovationsstelle und Förderungswerk für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk v. 12. 12. 1990; dazu auch Otto I Schwarze. ZfA 1995, 639 ff (659 ff.), die die rechtliche Zulässigkeit genauer untersuchen, und P. Schlaffke. Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 206 f. 690 Dazu unter § 6 All b) und c)1 S. 177 ff. 691 Ottol Schwarze. ZfA 1995,639 ff. (645 ff.). 685
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wandte Zulässigkeit der Einziehung von Arbeitnehmerbeiträgen zu überprüfen. 692 Eine solche Einziehung ist nicht generell unzulässig, sondern am jeweiligen Zweck der gemeinsamen Einrichtung und deren Ausgestaltung zu messen. So dürfen keine Aufgaben durch Arbeitnehmerbeiträge (mit)finanziert werden, die nach der gesetzlichen Regelung allein dem Arbeitgeber obliegen. 693 Insofern greifen Bedenken bezüglich einer Beteiligung der Arbeitnehmer an Qualifizierungskassen kaum durch. Die Weiterbildungskosten werden nur in Ausnahmefällen dem Arbeitgeber allein zugewiesen. 694 Jedoch ist bei Ausgestaltung der gemeinsamen Einrichtung zu beachten, daß Beitrag und Anspruch des Arbeitnehmers nicht in einem unangemessenen Verhältnis stehen dürfen. Eine noch so geringe Beteiligung wird unwirksam, stehen ihr keine angemessenen Ansprüche gegenüber. 695 Das ist jedoch keine Frage der generellen Unzulässigkeit, sondern Bestandteil der Kontrolle, auf welche Art und Weise eine grundsätzlich zulässige Regelung erfolgt ist. 696 Die Einführung gemeinsamer Kassen zur Finanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen verschafft den Arbeitnehmern teilweise Ansprüche auf Leistungen aus diesen Fonds, wenn sie an bestimmten Bildungsrnaßnahmen teilnehmen. Die Teilnahme ist allerdings von weiteren - fondsspezifischen - Voraussetzungen abhängig und steht nicht jedem Arbeitnehmer zu. Die Entscheidung über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen kann durch solche gemeinsamen Einrichtungen nicht beschränkt werden, jedoch wird die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen dadurch positiv beeinflußt. bb) Schuldrechtliche Regelungen des Tarifvertrages
Der Tarifvertrag ist nicht nur Normen-, sondern auch Schuldvertrag. In diesem Teil werden gern. § 1 Abs. 1 1. HS TVG die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien geregelt. Neben den, einem Tarifvertrag immer immanenten Friedensund Durchführungspflichten können auch andere schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen werden. 697 Bezüglich des Inhaltes schuldrechtlicher Vereinbarungen unterliegen die Tarifpartner keinen zusätzlichen Beschränkungen durch das TVG. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob es sich um Regelungen handelt, die auch
Umfassend dazu: Dtto / Schwarze, ZfA 1995,639 ff. (678 ff.). Dtto / Schwarze, ZfA 1995, 639 ff. (681 ff., 688) m.urnf.N. 694 Wie die bisherige Untersuchung - insbesondere § 5/ S. 94 ff. dieser Arbeit - gezeigt hat, wird dem Arbeitgeber nur in Ausnahmefällen die allgemeine Verantwortlichkeit für die betriebliche Weiterbildung gesetzlich ausdrücklich zugewiesen (vgl. dazu vor allem § 5 IV / S. 108 ff.). Allerdings sind auch die noch folgenden Untersuchungen in § 7 B IIII S. 240 ff., CIS. 251 ff. und dem 3. Teil (§§ 9,10,11 und l2/ab S. 265 ff.) zu beachten. 695 Vgl. Dttol Schwarze, ZfA 1995,639 ff. (683 f.). 696 Dazu sogleich unter H. I S. 192 ff. 697 MünchArbRI Löwischl Rieble § 253 Rn. 28, 40; Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 TVG Rn. 753. 692 693
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dem nonnativen Teil des Tarifvertrages zugänglich wären. 698 Streitig ist, ob auch Vereinbarungen Gegenstand schuldrechtlicher tarifvertraglicher Absprachen sein können, die über im nonnativen Teil regelbare Sachverhalte hinausgehen. 699 Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da Regelungen zur betrieblichen Weiterbildung nach der soeben erfolgten Untersuchung der nonnativen Bestandteile des Tarifvertrages 700 grundsätzlich möglich sind. Für die Abgrenzung, ob nonnative oder obligatorische Vereinbarungen getroffen wurden, ist allein der Wille der Tarifvertragsparteien maßgeblich. 701 Grund für eine obligatorische Nonn kann sein, daß die Tarifpartner keinen endgültigen Komprorniß finden konnten, die Regelung für einen Flächentarifvertrag zu spezifisch wäre oder eine nonnative Regelung mit den daran anknüpfenden spezifischen Rechtsfolgen einfach nicht gewollt ist. 702 Eine Beschränkung der freien Entscheidung des Arbeitgebers durch schuldrechtliche Vereinbarungen in Tarifverträgen ist sehr unwahrscheinlich, da die Sozialpartner dann auch den Weg über die nonnatiyen Tarifvertragsklauseln hätten wählen können.
2. Außertarifliche Vereinbarungen
Immer häufiger treffen die Sozialpartner sogenannte außertarifliche Vereinbarungen703, die bisher vor allem den Bereich des Umweltschutzes sowie der Frauenund Beschäftigungsförderung regeln. 704 Als Folge der "Flucht aus dem Tarifvertrag 705 " werden jedoch auch andere Bereiche Bestandteil einer Vereinbarung, und es sind ebenfalls Regelungen über die Weiterbildung möglich. Solche außertariflichen Vereinbarungen unterliegen keiner besonderen Beschränkung durch das TVG, da sie ja gerade einvernehmlich von dessen Geltungsbereich ausgenommen wurden. Gleichwohl fallen Vereinbarungen zur Weiterbildung unter den von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Bereich. Weil das Grundrecht mittelbar über die Generalklausein auch auf außertariflichen Absprachen einwirkt, entsprechen die Rege698 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 175; MünchArbRI Löwischl Rieble § 253 Rn. 41; Wiedemann, in: Wiedemann, § I Rn. 746. 699 Däubler, Tarifvertragsrecht Rn. 175; p. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 80 ff.; Wiedemann, in: Wiedemann, § 1 Rn. 746 ff. 700 Siehe schon unter § 6 All d)aa) 1S. 179 ff. 701 BAG - 4 AZR 872/95 - v. 5. 11. 1997 1. LS und unter 11. 1. 1. der Gründe, NZA 1996, 654 ff. 702 Plander, FS für Kehrmann, S. 295 ff. (300 ff.); Wiedemann, in: Wiedemann § 1 Rn. 18 ff. 703 Auch "kollektive Schuldverträge", ,,(schuldrechtliche) Koalitionsverträge", "sonstige Kollektivverträge", "Sozialpartnervereinbarung" oder "softagreement"; vgl. BAG - 4 AZR 872/95 - v. 5.11. 1997 unter 11. 1.,2. der Gründe, AP Nr. 29 zu § I TVG. 704 P. Schlaffke, Weiterbildung im Tarifvertrag, S. 83. 705 Dazu Hanau, RdA 1998, 65 ff. (68 ff.).
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
lungsgrenzen für außertarifliche Vereinbarungen denen, die auch für den schuldrechtlichen Teil des Tarifvertrages gelten. 706
n. Beispiele für Qualifizierungsregelungen im Tarifvertrag Nachdem die Probleme und Grenzen tarifvertraglicher Regelungen zu Fragen der Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen aufgezeigt wurden, sind nunmehr einzelne bestehende Regelungen der Sozialpartner näher zu betrachten. Sie sind darauf zu untersuchen, ob bzw. wie sie die freie Entscheidung des Arbeitgebers über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen beeinflussen. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Weiterbildungsregelungen in den Tarifverträgen schon ihrer Intention nach deutlich. Zweck können beispielsweise Änderungen und Umstrukturierungen im Betrieb oder der Arbeitsumwelt generell sein sowie Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit (u. a. Mutterschutz und Erziehungsurlaub) oder die betriebsintern ermöglichte Aufstiegsfortbildung. Vorliegend interessieren ausschließlich Regelungen, die generell auf die Arbeitnehmer im Arbeitsprozeß zugeschnitten sind. 707 Näher zu beleuchten sind die Vereinbarungen in der chemischen Industrie, da gerade der Arbeitgeberverband Chemie und die IG BCE oft Vorreiter für Neuerungen sind (unter 1.). Großes Interesse hatte 1988 der von IG Metall und dem Verband der Metallindustrie in Baden-Württemberg abgeschlossene Lohn- und Gehaltstarifvertrag hervorgerufen, da darin erstmals Planung und Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen für ein großes Tarifgebiet vorgeschrieben wurden. Diese Regelungen sind unter 2. näher zu betrachten. Im Jahr 2001 wurde als Ergebnis der Qualifizierungsoffensive 2001 708 zwischen dem Verband der Metallund Elektroindustrie Baden-Württemberg e.Y. und der IGM Baden-Württemberg ein spezieller Tarifvertrag zur Qualifizierung abgeschlossen, dessen Regelungen unter 3. näher erörtert werden. Stellvertretend für Unternehmen der Informationstechnologiebranche, bei denen ständige Weiterbildungsmaßnahmen für den Erhalt der Wettbewerbsflihigkeit unvermeidbar sind, sind die Tarifklauseln von debis (unter 4) zu betrachten. Daß auch andere Industriebereiche Qualifizierungsregeln treffen, soll beispielhaft der Tarifvertrag der Textil- und Bekleidungsindustrie (unter 5.) zeigen. MünchArbRI Löwischl Rieble § 280 Rn. 26, § 278 Rn. 6 f. Nicht unterschieden werden soll dabei zwischen spezieller beruflicher Weiterbildung, etwa aufgrund Änderungen der Arbeitsorganisation notwendig werdenden Kurse, und allgemeiner, wie dem Besuch von Buchmessen für Angestellte des Buchhandels. So enthält der TV des Herstellenden und verbreiteten Buchhandels Berlin (West) v. 31. 10. 1996 vielfliltige Regelungen zur Freistellung von der Arbeit zur Erweiterung der allgemeinen beruflichen Qualifikation. Die Arbeitnehmer haben in 2 Jahren bis zu 10 Tagen einen Anspruch auf Freistellung, um beispielsweise an Kursen zur Schaufenstergestaltung, Sprachkursen oder solchen für die elektronische Datenverarbeitung teilzunehmen (§ 9 Nr. 1 TV). 708 Vgl.§6AIS.174. 706 707
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
193
1. Weiterbildungsvereinbarungen in der chemischen Industrie
In den Tarifverträgen der chemischen Industrie lassen sich keine expliziten Weiterbildungsregelungen für das intakte Arbeitsverhältnis finden. Es gibt indessen eine außertarifliche Sozialpartnervereinbarung zur Weiterbildung. 709 Darin wird zunächst die Bedeutung der Weiterbildung beschrieben. Dieser Bedeutung soll durch Einrichtung einer Weiterbildungsstiftung Rechnung getragen werden, deren Zweck die Förderung der berufsbezogenen Weiterbildung ist. Dies soll unter anderem durch Entwicklung von Weiterbildungskonzepten, Erstellung von Materialien, Beratung der Unternehmen und der Betriebsräte geschehen. 710 Nach 2.b) der Vereinbarung wird jedoch die Annahme dieser Hilfestellungen den Betrieben freigestellt. Es gibt keine dem einzelnen Arbeitgeber daraus entstehende Beschränkung. Obwohl die chemische Industrie vielfach innovative Regelungen fördert, neu in die Tariflandschaft einführt und auch die schon am 7. 6. 1993 errichtete Stiftung ein Fortschritt ist, bestehen weder Einzelansprüche der Arbeitnehmer noch Errichtungspflichten der Arbeitgeber. IG BCE und der Bundesarbeitgeberverband Chemie setzen auf Eigeninitiative der Unternehmen und Annahme des durch die Stiftung gemachten Angebotes. Daß bisher nicht weiterbildungswillige Arbeitgeber durch die Stiftung zur Weiterbildung ihrer Mitarbeiter motiviert werden, ist mehr Hoffnung als positive Erfahrung. Vielmehr handelt es sich vordergründig um eine Unterstützung derjenigen, die sowieso schon Bildungsrnaßnahmen durchführen. 2. Lohn- und GehaltsrahmentariJvertrag I der IG Metall und des Verbandes der Metallindustrie
1988 wurde im Pilotbezirk Nordwürttemberg/Nordbaden der Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag I711 zwischen der IG Metall und dem Arbeitgeberverband vereinbart712 , der erstmals Qualifizierungsregeln für das intakte Arbeitsverhältnis vorsah?13 Die auch heute noch in dieser Fassung geltenden und hier interessanten Bestimmungen lauten (Auszug): 3.1 Um die Beschäftigten rechtzeitig auf aktuelle und zukünftige Anforderungen, die sich aus technischen und organisatorischen Veränderungen ergeben haben oder zukünftig ergeben werden, zu qualifizieren, ennittelt der Arbeitgeber den jeweiligen Bedarf an Qualifikation. 709 Vereinbarung vorn 21. 1. 1993, in: Außertarifliche Sozialpartnervereinbarungen der Chemischen Industrie, Bundesarbeitgeberverband Chemie e.Y. (Hrsg.), Stand: Dezember 1997; S. 13 ff. 710 Ziff. 2 a) der Vereinbarung. 7ll Im folgenden LGRTV I. 712 Tarifabschluß war der 11. 02. 1988 mit Wirkung zum 1. 04. 1988. Es folgten gleichlautende Vereinbarungen 1989 in Südwürttemberg / Hohenzollern und Südbaden. 713 Bahnmüller/Bispinck/Schmidt untersuchen umfassend die Bildungspolitik in den Betrieben der Metallindustrie nach Einführung des LGRTV I.
13
Fracke
194
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
3.2 Mit dem Betriebsrat ist der vorn Arbeitgeber ermittelte Qualifikationsbedarf einmal jährlich zu beraten. Der Betriebsrat [... ] kann die Qualifizierungsinteressen der Beschäftigten in die Beratungen einbringen. 3.3 Auf der Grundlage der Beratungsgespräche legt der Arbeitgeber mindestens einmal jährlich den zu deckenden Qualifizierungsbedarf fest. Dabei sind außer den betrieblichen Belangen im Rahmen des Möglichen auch die Qualifizierungsinteressen der Beschäftigten zu berücksichtigen. Im Rahmen des festgelegten Qualifikationsbedarfs werden Art, Umfang und Durchführung der Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Betriebsrat beraten. [... ] Solche Qualifizierungsmaßnahmen sind diejenigen Maßnahmen, die der Arbeitgeber im Rahmen des festgelegten Qualifizierungsbedarfs zielgerichtet dazu einsetzt, um im Hinblick auf die festgestellten technisch und organisatorisch bedingten Veränderungen der Anforderungen oder Arbeitsaufgaben Qualifikationslücken zu schließen. [... ] Nicht gemeint ist der ständig notwendige Anpassungsprozeß der Qualifikation der Beschäftigten, wie er z. B. durch Erfahrung oder Unterweisung geschieht. [... ]
3.6 Die Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen werden, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden, vorn Arbeitgeber getragen. Die Zeit der Qualifizierungsmaßnahme sowie innerhalb der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit liegende Reisezeit gelten als Arbeitszeit; das Monatsentgelt wird fortgezahlt.
Die umfassenden Vereinbarungen beziehen sich vor allem auf die Prozedur der Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs und die Übernahme der Kosten bei Teilnahme an einer Weiterbildung, ohne dabei Ansprüche des einzelnen Arbeitnehmers auf eine Weiterbildung zu gewähren. Die jährlich vorgeschriebene Ermittlung des Qualifikationsbedarfs konnte nicht die erhofften Impulse für eine Weiterbildungspolitik bringen. Ganz im Gegenteil gehen laut einer Umfrage 52 % der im Tarifgebiet tätigen Betriebsräte und 63 % des Managements davon aus, keinerlei Initiative zu Weiterbildungsmaßnahmen durch die Regelung erfahren zu haben. 714 Daß aber gerade hierin ein angestrebtes Hauptziel des Tarifvertrages lag, zeigt schon die Art der Regelungen, die primär auf betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnormen beruht (§§ 3.1- 3.3 LGRTV I). Ihre Wirksamkeit ist unstreitig, weil durch § 3 LGRTV I die Normen des Betriebsverfassungsgesetzes nicht erweitert werden, die Letztentscheidung über eine Weiterbildung stets der Arbeitgeber allein treffen kann. 715 Der 1988 als sehr fortschrittlich angesehene Tarifvertrag hat spätestens seit der letzten Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes v. 25. 09. 2001 716 einiges an seiner bahnbrechenden Wirkung verloren und bleibt wie im Falle des § 97 Abs. 2 BetrVG teilweise sogar hinter der Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes zurück. 717
716
Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 21. Vgl. auch Bahnmüllerl BispincklSchmidt, S. 59, 226 ff. BGBI. I, 2001, S. 2518.
717
Vgl. zu den neuen Regelungen § 5 A III 3 b)/ S. 101 ff.
714 715
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
195
Lehnt der Arbeitgeber Weiterbildungsmaßnahmen von vornherein ab, entgeht er auch den in § 3.6. LGRTV I in Fonn von Inhaltsnonnen verankerten Kostentragungs- und Freistellungspflichten. Zusätzlich zu dieser ohnehin nur begrenzt wirksamen Tarifvertragsgestaltung ist nur ein knappes Viertel der Anwender des Tarifvertrages der Meinung, ihn sachgerecht zu erfüllen718, wodurch sich zu inhaltlichen Defiziten umsetzungstechnische Mängel gesellen. Obwohl der Tarifvertrag in zulässiger Weise die Vorbereitung von Maßnahmen der Weiterbildung regelt bzw. Regelungen auf betrieblicher Ebene anregt, konnte die erhoffte Wirkung auf die Weiterbildungsaktivität der Unternehmen in der Metallbranche sowie der gesamten Tarifvertragslandschaft nicht erreicht werden. Von allgemeinen Pflichten zur Durchführung von Bildungsmaßnahmen oder Ansprüche einzelner Arbeitnehmer sind die Nonnen noch weit entfernt. Bei der kritischen Betrachtung des LGRTV I darf aber nicht übersehen werden, daß er Vorbild für weitere Qualifizierungstarifverträge war und gerade in Anlehnung an ihn die Tarifverträge der Infonnationstechologieunternehmen konkreter gestaltet worden719 . 3. Tarifvertrag zur Qualifizierung der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg
Der LGRTV I war nicht nur Vorbild für Infonnationstechnologieunternehmen720 , sondern auch für neue Qualifizierungsregelungen in flächentarifverträgen. 721 Im September 2001 722 trat der Tarifvertrag zur Qualifizierung zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg und der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg in Kraft. Er war Ergebnis hart geführter und zum Teil mit Warnstreiks unterstützter723 Auseinandersetzungen und zeigt, daß die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Notwendigkeit der Qualifizierung nicht nur erkannt haben, sondern auch in ihren tariflichen Regelungen umsetzen.
Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 21. Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 15. 720 Dazu sogleich unter § 6 A II 4/ S. 199 ff. 721 Gemäß § 7.1 wird § 3 LGRTV I für die Tarifgebiete in Baden-Württemberg ausdrücklich außer Kraft gesetzt. 722 § 7.1 des Tarifvertrages. Der Tarifvertrag ist gern. § 7.2 mit 3-Monatsfrist zum Quartal erstmals zum 31. 12. 2004 kündbar. 723 So legten am 18. 05. 2001 in 120 Betrieben 60.000 Beschäftigte ihre Arbeit nieder, vgl. Tarif-Chronik 2001, unter: www.boeckler.de/wsi / tarchiv / chronik. 718 719
13*
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
196
a) Inhalt der tariflichen Regelung Zunächst wird in § 2 definiert, was unter betrieblicher Weiterbildung im Sinne dieses Tarifvertrages zu verstehen ist. Davon soll neben der Erhaltungsqualifizierung, also der Qualifizierung, um die ständige Fortentwicklung des Wissens im Rahmen des eigenen Aufgabengebietes nachvollziehen zu können, die Anpassungsqualifizierung, die dem Arbeitnehmer ermöglicht veränderte Anforderungen im eigenen Aufgabengebiet erfüllen zu können, gehören. Außerdem sind alle Maßnahmen umfaßt, die es den Arbeitnehmern ermöglichen, andere gleich- oder höherwertige Tätigkeit übernehmen zu können. Herausgenommen werden explizit die persönliche Weiterbildung und die allgemeine Weiterbildung der Arbeitnehmer. Die wichtigsten Bestimmungen für die nachfolgende Analyse sind: 3.1
Beschäftigte haben einen Abspruch auf ein regelmäßiges Gespräch mit dem Arbeitgeber, in dem gemeinsam festgestellt wird, ob ein Qualifizierungsbedarf besteht. Soweit ein Qualifizierungsbedarf besteht, werden die notwendigen Maßnahmen vereinbart. Hierzu können die Beschäftigten Vorschläge machen. ( ... ) Wird nichts anderes geregelt, ist das Gespräch jährlich zu führen. ( ... )
Soweit erforderlich, wird im Rahmen der Gespräche bei älteren Beschäftigten besonders auf deren Basiswissen im eigenen Aufgabengebiet eingegangen. Ziel ist, deren Qualifikation auf dem jeweils erforderlichen Stand für ihre Aufgabenerledigung zu erhalten. 3.4
Die Kosten dieser Qualifizierungsmaßnahmen werden, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden, vom Arbeitgeber getragen. Die Zeit der Qualifizierungsmaßnahme sowie die innerhalb der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit liegende Reisezeit, gelten als Arbeitszeit; das Monatsentgelt wird fortgezahlt.
3.5.3 Beschäftigte, die an einer Qualifizierungsmaßnahme im Sinne des § 2 teilgenommen haben, sind verpflichtet, die dadurch erreichte Qualifikation einzusetzen, soweit die Arbeitsaufgabe dies verlangt. Dies schließt einen flexiblen und bedarfsorientierten Einsatz ein. 4.1
Kann in Betrieben ab 300 Beschäftigten kein Einvernehmen i. S. d. 3.1 zwischen Beschäftigten und Vorgesetzten hergestellt werden, wird versucht, in einer paritätischen Kommission eine einvernehmliche Lösung zu erzielen.
4.2
In Betrieben bis 300 Beschäftigten erfolgt diese Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
5.1
Beschäftigte habe nach 5 Jahren Betriebszugehörigkeit Anspruch auf eine einmalige, bis zu drei Jahren befristete Ausscheidungsvereinbarung mit gleichzeitiger Wiedereinstellungszusage für weitergehende Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen der persönlichen beruflichen Entwicklung. Vollzeitbeschäftigte können anstelle einer Freistellung einen Anspruch auf befristete Teilzeitstelle für die Dauer dieser Qualifizierungsmaßnahme geltend machen. Nach Ende der Qualifizierungsmaßnahme haben die Beschäftigten einen Anspruch auf einen, dem vorherigen Arbeitsplatz vergleichbaren, zumutbaren gleich- oder höherwertigen Arbeitsplatz. ( ... ).
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
197
Abschließend wird in § 6 des Tarifvertrages die Einrichtung einer gemeinsamen Agentur der Tarifvertragsparteien vereinbart, die bei Betrieben und Beschäftigten das Bewußtsein für die Weiterbildung stärken soll. Es gehört unter anderem zu ihren Aufgaben, Weiterbildungskonzepte für besonders bildungsbedürftige Gruppen zu entwickeln, Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungschancen vorzuschlagen, Qualifikationsengpässen entgegenzuwirken, Information und Transparenz bei außerbetrieblichen beruflichen Qualifizierungsangeboten zu verbessern sowie Unternehmen und Betriebsräte über Angebot, Methoden und Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen zu beraten.
b) Fortentwicklung der Regelung gegenüber LGRTV I und rechtliche Bewertung Die hier vorgestellten Regelungen bedeuten eine merkliche Fortentwicklung gegenüber den noch im LGRTV I geltenden Vereinbarungen. Das wird zunächst an der Definition der betrieblichen Weiterbildung deutlich, die gerade auch Anpassungsqualifizierungen umfaßt und sie nicht wie noch der LGRTV I explizit von den Förderungen ausnimmt. Als deutlicher Fortschritt ist die intensivere Auseinandersetzung mit den von einer Weiterbildung betroffenen Arbeitnehmern zu bewerten. So können sie sich jetzt aktiv an dem Gespräch über ihren Qualifizierungsbedarf mit dem Arbeitgeber beteiligen und sind nicht in erster Linie, wie noch früher bzw. auch heute noch in den anderen Tarifgebieten, auf die Verhandlungsführung des Betriebsrates angewiesen (vgl. § 3.2 LGRTV im Vergleich zu § 3.1 des Qualifizierungs-TV). Der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermittelte Qualifizierungsbedarf kann zur Vereinbarung der notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen führen, die auch auf Vorschlag der Beschäftigten erfolgen können. Wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kein Einvernehmen hergestellt, greifen nach § 4.1 und 2 die ebenfalls geregelten Konfliktlösungsmechanismen ein. In Betrieben mit über 300 Arbeitnehmern wird hierfür eine paritätische Kommission tätig, in kleineren Betrieben der Betriebsrat. Gerade in Betrieben mit weniger als 300 Arbeitnehmern verbleibt die Entscheidung über eine Weiterbildung letztlich doch beim Arbeitgeber, vor allem weil es einmal keine erzwingbare Entscheidung wie beispielsweise im Falle des § 97 Abs. 2 BetrVG gibt. Zum anderen aber auch, weil gerade in diesen kleineren - Betrieben häufig kein Betriebsrat vorhanden ist und somit der Arbeitnehmer keine zusätzliche Unterstützung seines Verlangens bekommt. Trotzdem hat aber jeder Arbeitnehmer mindestens einmal jährlich die Chance, durch engagiertes Auftreten sowie Zeigen von Interesse und Bemühen auf seine individuellen betrieblichen Weiterbildungsvorstellungen hinzuweisen. Nicht zuletzt durch § 4.2 bleibt auch in dem Qualifizierungstarifvertrag die Rolle des Betriebsrates sehr bedeutend, aber die individuelle Verantwortlichkeit der einzelnen Arbeitnehmer wird deutlich gestärkt.
198
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Zukunftsfähig und vorausschauend ist die Regelung des § 3.1, die eine besondere Förderung der älteren Arbeitnehmer zum Auffrischen und Anpassen des Basiswissens an die neuen Gegebenheiten enthält. Gerade in der heutigen Zeit, in welcher der Anteil der 45 bis 65-jährigen Arbeitnehmer in der Metallindustrie bis zum Jahr 2010 auf 53 % steigen wird724 , ist es wichtig, eine besondere Förderung dieser Beschäftigungsgruppe aufzunehmen. Dabei handelt es sich um eine rechtmäßige Regelung, weil die Ungleichbehandlung gegenüber anderen Arbeitnehmer ein zulässiges Ziel darstellt. Gerade die Gruppe der älteren Arbeitnehmer ist dem größten Wissensverfall ausgesetzt und hat den längsten Abstand zu der die beruflichen Kenntnisse vermittelnden Ausbildung. Geblieben ist die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers, vorbehaltlich der Übernahme der Finanzierung von Dritten sowie die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes während der Teilnahme an einer betrieblichen Qualifizierung. Jedoch ist durch die erhebliche Ausweitung der Qualifizierungsmöglichkeiten die zu investierende Summe ungleich höher. Schon deshalb ist es geboten, daß der Tarifvertrag für Arbeitnehmer, die an betrieblichen Weiterbildungen teilnehmen, nicht nur Rechte sondern auch Pflichten normiert. Als über die im LGRTV I bestehenden hinausgehend ist die in § 3.5.3 verankerte Pflicht zum flexiblen und bedarfsorientierten Einsatz der erlangten Qualifikation anzusehen. Wie weit solche Einsatzverpflichtungen gehen können, muß im Laufe der Anwendung des Qualifizierungstarifvertrages geklärt werden. Klar sein dürfte aber, daß darin eine erhebliche Erweiterung der arbeitgeberseitigen üblichen Weisungsbefugnis zu sehen ist. Neu gegenüber dem LGRTV I sind die Bestimmungen über die persönliche Weiterbildung. Sie wird nicht mehr völlig aus der tariflichen Regelung ausgespart, sondern erfährt eine, von der betrieblichen Weiterbildung getrennte, Regelung. Die bis zu dreijährige Freistellung bzw. die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung während einer persönlichen Weiterbildung hat Vorteile für die Arbeitnehmer und das Unternehmen. Auf diese Weise freigestellte Arbeitnehmer werden in der Regel motiviert auf ihren Arbeitsplatz zurückkehren und für höherwertige Aufgaben bereit sein. Selbst wenn die Bildungsmaßnahme zunächst nicht direkt mit der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten in Verbindung steht, können die Arbeitnehmer ihr neu erlangtes Wissen in vielfältiger Weise mit in den Dienst des Betriebes stellen. Die Tarifvertragsparteien haben aus den zu dem LGRTV I angestellten Untersuchungen725 die zeigten, daß die durch den LGRTV I erhofften Erfolge bei der Weiterbildung ausblieben, ihre Schlüsse gezogen und es ist eine Agentur zur Förderung der Weiterbildung zu gründen (§ 6). Diese paritätisch besetzte Agentur kann ein wichtiges Glied zur Umsetzung der tarifvertraglich geregelten Instrumente werden und vor allem auch zur Unterstützung der Weiterbildungsvorhaben in klei724
725
Allespach, Unternehmen auf dem Prüfstand - Ergebnisse der Qualifizierung, S. 5. V gl. nur Bahnmüller / Bispinck / Schmidt, Betriebliche Weiterbildung und Tarifvertrag.
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
199
neren Betrieben sehr wichtig sein. Sie kann ein bedeutender Faktor dafür werden, ob bzw. daß die angedachten Instrumente zur Steigerung der betrieblichen Weiterbildung in der Metall- und Elektroindustrie greifen. 4. Tarifvertragliehe Qualifizierung bei debis
Die 1990 gegründete DaimlerChrysler Services (debis) AG, Berlin, ist das globale Dienstleistungsunternehmen der DaimlerChrysler AG und in den Bereichen Finanzservice und Informationstechnologie tätig. Der 1998 abgeschlossene Ergänzungstarifvertrag726 zum daneben weiter geltenden Flächentarifvertrag I Berlin / Brandenburg für debis umfaßt weitergehende tarifliche Vereinbarungen zur Qualifizierung, welche auch in der Presse Beachtung fanden, da sie ein Recht auf Weiterbildung verankern. 727 Welchen rechtlichen Gehalt dieses Recht auf Weiterbildung hat, ist näher zu beleuchten. a) Inhalt der tariflichen Regelung In § 7 Ergänzungstarifvertrag heißt es (Auszug): 7.2 Einmal jährlich erstellt der Arbeitgeber auf Grundlage der strategischen und operativen Planung eine Bildungsplanung; diese ist mit dem zuständigen Betriebsrat zu beraten. Die konkrete Ausgestaltung der geplanten Maßnahme wird auf betrieblicher Ebene mit dem Betriebsrat vereinbart. 7.3 Mindestens einmal jährlich führt der Vorgesetzte mit dem Arbeitnehmer ein Gespräch über mögliche Qualifizierungsmaßnahmen. Qualifizierungsmaßnahmen werden auch auf Initiative des Arbeitnehmers vereinbart. 7.4 Der Arbeitgeber trägt die Kosten und den Zeitaufwand der Bildungsrnaßnahmen, die für die Erfüllung der aktuellen und geplanten Aufgaben erforderlich sind und vorrangig den Charakter der Einarbeitung in neue Projekte haben oder unternehmensspezifische Arbeits- und Vorgehensweise, Systeme und Prozesse betreffen. Bei sonstigen Qualifizierungsmaßnahmen, die zwischen dem Vorgesetzten und dem Arbeitnehmer vereinbart werden, trägt der Arbeitgeber die Kosten. Der Zeitaufwand wird je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen. Für diese Bildungsrnaßnahmen haben Beschäftigte einen jährlichen Mindestanspruch von 5 Arbeitstagen.
Die Tarifklausel ist umfangreich und enthält verschiedene Ansätze zur Regelung der betrieblichen Weiterbildung. Ausgangspunkt bleibt gleichwohl die in unternehmerischer Alleinverantwortlichkeit aufgestellte Bildungsplanung (§ 7.2 Ergän726 Abgeschlossen am. 3. 9. 1998 zwischen der "Tarifgemeinschaft von Dienstleistungsunternehmen" für den Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg und derIGM. 727 Financial Times Deutschland v. 2. 5. 2000, S. 15.
200
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
zungs-TV). Weitergehend als beispielsweise die Erörterungspflicht in § 81 Abs. 4 S. 2 BetrVG ist das jährliche Gespräch über mögliche Qualifizierungsmaßnahmen (§ 7.3 Ergänzungs-TV). Es findet ohne den konkreten Anlaß einer Betriebsänderung statt, und somit können auch präventive Qualifizierungsvorhaben und Aufstiegsfortbildungen beraten werden. Allerdings ist die bis dato fortschrittliche tarifliche Regelung von § 96 Abs. 1 S. 2 BetrVG quasi überholt worden. Weitergehend ist lediglich noch das zeitliche Element, die jährliche Beratungspflicht. Jedoch auch diese nur, wenn der Betriebsrat die seine Rechte aus § 96 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht zumindest in jährliche Abständen ausübt. Der Berufsbildungsbedarf wäre jedenfalls auch nach der gesetzlichen Regelung schon - zumindest auf Veranlassung - mit dem Betriebsrat zu diskutieren. Ein Anspruch auf Kostenübernahme und Lohnfortzahlung ergibt sich aus § 7.4 Abs. 1 Ergänzungs-TV für eiforderliche Bildungsrnaßnahmen. Das beinhaltet zwar nicht, daß der Arbeitgeber eine solche Maßnahme auch selbst anbieten muß, die Arbeitnehmer haben aber zumindest einen Anspruch auf Förderung der erforderlichen Weiterbildungen in Form von Kostenübernahme und Lohnfortzahlung. Die Vorschrift ähnelt § 81 Abs. 1, 2 BetrVG, in welchem auch die Einarbeitung in unternehmens spezifische bzw. neue Methoden und Arbeitsmittel im Vordergrund steht. Jedoch sind die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1,2 BetrVG etwas enger, weswegen die Arbeitgeber im Gegensatz zu § 7.4 Ergänzungs-TV verpflichtet sind, die Einweisung von sich aus zu veranlassen. 728 In der Praxis werden geeignete Maßnahmen sicher meist vom Arbeitgeber angeboten oder zumindest herausgesucht, denn so kann er die Verwendung der von ihm aufgebrachten finanziellen Mittel am besten beeinflussen. Durch Eigenvorschläge des Arbeitgebers entgehen beide Seiten der Gefahr einer Diskussion darüber, ob die betreffende Maßnahme tatsächlich erforderlich ist. b) Rechtliche Bewertung der Regelung § 7.2 Ergänzungs-TVenthält zum einen betriebsverfassungsrechtliche Normen. So wird in Satz 1 2. HS bestimmt, daß der Unternehmer die von ihm aufgestellte Bildungsplanung mit dem Betriebsrat beraten muß. Das stellt insofern eine Erweiterung des § 96 Abs. 1 S. 2 a.F. BetrVG dar, als der Arbeitgeber gesetzlich lediglich zur Beratung auf Verlangen des Betriebsrats und nicht automatisch im jährlichen Turnus verpflichtet ist. Das Mitbestimmungsrecht erfährt dadurch aber keine inhaltliche Erweiterung und die Regelungsbefugnis ergibt sich unproblematisch aus § 1 Abs. 1 2. HS TVG. Die unter § 7.2 Satz 2 Ergänzungs-TV benannte Pflicht des Arbeitgebers, mit dem Betriebsrat die Ausgestaltung der geplanten Maßnahmen zu vereinbaren, klingt einerseits weitergehend als die Beratungspflicht aus § 97 Abs. 1 BetrVG, hatte aber schon vor der Einführung des § 97 Abs. 2 BetrVG in das Betriebsverfassungsgesetz in Verbindung mit dem Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen gern. § 98 BetrVG lediglich 728
Dazu unter § 5 A IV / S. 108 ff.
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
201
deklaratorischen Charakter. Seitdem der Betriebsrat unter den Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG sogar ein echtes Mitbestimmungsrecht hat, geht die gesetzliche Regelung in den entsprechenden Fällen sogar über die tarifliche hinaus. Trotzdem sind solche - deklaratorischen - Tarifnonnen in ihrer Wirkung im betrieblichen Alltag nicht zu unterschätzen. Das zeigen die Befürchtungen einiger Manager nach Einführung von Qualifikationsregelungen ganz deutlich, nach denen die Nonnen des § 96 ff. BetrVG durch den Tarifvertrag einen neuen Stellenwert in der betrieblichen Arbeit erlangen. 729 Genau das ist aber ein Ziel des Tarifvertrages, auch wenn keine unmittelbare Auswirkung auf eine Pflicht zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen besteht. Die Betriebsräte sollen sich trotzdem bei der Bildungsarbeit aktiv beteiligen und konstruktive Vorschläge entwickeln. Die Inhaltsnonnen in § 7.3 und 4 Ergänzungs-TV überschreiten die tariflichen Regelungsbefugnisse ebenfalls nicht. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei § 7.3 um eine Anregung zu Qualifizierungsmaßnahmen, ohne den Arbeitgeber dadurch zu verpflichten. Eine diesbezügliche Erweiterung gegenüber der Erörterungspflicht des § 81 Abs. 4 BetrVG läßt sich aus dem Wortlaut nicht schließen. Nahezu revolutionär ist aber die einen Anspruch festlegende Klausel des § 7.4. Relativiert wird diese Einschätzung jedoch bei Betrachtung des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG mit dem hier vertretenen Verständnis73o, nach weIchem Unterrichtungen auch berufsbildenden Charakter haben können. Jedenfalls weitergehend als die gesetzliche Pflicht ist die nach Satz 2 zu gewährende Kostenübernahme und der Mindestfreistellungsanspruch von 5 Tagen.
5. Tarifvertragliehe Qualifizierung in der Textil- und Bekleidungsindustrie in Westdeutschland
Den Tarifvertrag zur Förderung von Aus-, Fort- und Weiterbildung der Textilund Bekleidungsindustrie gibt es seit 1997. 731 Darin wird zuerst die Bildung einer paritätischen Weiterbildungskommission festgelegt, der unter anderem die Festlegung der Förderungsbedingungen, die Auswahl der zu fördernden Maßnahmen und gegebenenfalls auch die Auswahl der zu fördernden Personen obliegt (§ 3). In § 4 TV wird der von allen Arbeitgebern zu zahlende Bildungsbeitrag für die Förderung der Maßnahmen geregelt. Die Einzelheiten der Förderung, wie Maßnahme-, Reise- und Verpflegungskostenübernahme sind in § 5 TV vereinbart, jedoch bestimmt Absatz 5 ausdrücklich, daß ein Rechtsanspruch auf Förderung nicht besteht. In § 6 TV wird die Vorgehensweise bei den Freistellungen nonniert. Ohne Verdienstminderungen kann von erfolgreichen Freistellungen vor allem dann ausgegangen werden, wenn es sich um eine nach § 5 TV zu fördernde Maßnahme han-
730
V gl. Bahnmüller / Bispinck/ Schmidt, S. 238 f. V gl. dazu § 5 A IV / S. 108 ff. (139).
731
Die derzeit geltende Fassung ist vom 26. 6. 1999.
729
202
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
delt, die nicht länger als eine Woche dauert. Das ist auch der Zeitraum für vorrangig zu fördernde Maßnahmen nach § 5 TY. Im Anhang des Tarifvertrages wird auf Richtbeispiele für zur Förderung geeignete Maßnahmen verwiesen. Unter den 20 nicht abschließenden Themenbereichen werden zum Beispiel die Einführung neuer Technologien, neue Formen der Arbeitsorganisation, Qualitätsmanagement, Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie soziale Kompetenzen als Zielrichtung genannt. Damit unterscheiden sich die Zielrichtung der Weiterbildung in der Textilund Bekleidungsindustrie nicht von den allgemeinen Themenbereichen für berufliche Weiterbildung. Der spezielle Qualifizierungstarifvertrag der Textil- und Bekleidungsindustrie bestimmt keine Pflichten oder Obliegenheiten des Arbeitgebers bei der Einrichtung bzw. zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen. Durch die Einrichtung der paritätischen Kommission und deren Förderrichtlinien wird lediglich die Sensibilität für die Weiterbildung geweckt, wobei sich auch hier in erster Linie wieder die Arbeitgeber angesprochen fühlen werden, die Weiterbildungen sowieso schon in Betracht ziehen. III. Ergebnis zu den Sozialpartnervereinbarungen
Die Sozialpartner haben die Notwendigkeit der Weiterbildung erkannt, und sie wird immer häufiger auch zum Inhalt der tariflichen und außertariflichen Absprachen. Trotzdem Pflichten des Arbeitgebers, Weiterbildungsmaßnahmen einzurichten und durchzuführen - soweit ersichtlich - tariflich kaum begründet werden, sind die Vorstöße der Tarifvertragsparteien positiv zu beurteilen. Ein Vorreiter im haustariflichen Bereich ist debis als Unternehmen der Informationstechnologie, das einen Anspruch auf die für die Erfüllung der Arbeitspflicht erforderlichen Bildungsmaßnahmen gewährt. Der in Baden-Württemberg abgeschlossene Flächentarifvertrag steht bereits unter dem Einfluß des geänderten Betriebsverfassungsgesetzes und geht in vielen Regelungen noch einen Schritt weiter. Der Wille zur Beschäftigungssicherung durch Qualifizierung läßt sich an diesem Vertrag eindeutig erkennen und ist positiv zu beurteilen. Alle anderen untersuchten Tarifverträge überlassen letztlich immer dem Arbeitgeber die abschließende Entscheidung darüber, ob er Weiterbildungsmaßnahmen durch Kostenübernahme oder bezahlte Freistellung fördern will.
B. Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene Weiterbildung liegt häufig im betrieblichen Interesse, weshalb auch weiterhin die größten Initiativen für die berufliche Weiterbildung auf betrieblicher Ebene erfolgen. 732 Vorteil solcher Regelungen ist die Nähe zwischen Arbeitgeber und Betriebs732
Heidemann, S. 9; Lindena, S. 9.
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
203
rat, die gezieltere Bildungsmaßnahmen ermöglicht. 733 Im Gegensatz zu TarifklauseIn verdrängen Regelungen auf betrieblicher Ebene zwingendes Gesetzesrecht nicht, sondern gestalten vorwiegend bereits bestehende Normen aus. Problematisch ist, daß vor allem kleinere Betriebsräte ohne freigestellte Mitglieder mit solchen Aufgaben - auch nach eigenen Angaben - oft überfordert sind. Sie nehmen in erster Linie dringende Aufgaben, wie die Zustimmung zu Einstellungen und Eingruppierungen, Prüfung von erwogenen Kündigungen, Mitgestaltung von Prämienvereinbarungen und Arbeitszeitmodellen wahr oder erstellen Sozialpläne. 734 Ungeachtet der Tatsache, daß die Mitbestimmung nach den §§ 96 ff. BetrVG letztlich immer zur Beteiligung des Betriebsrats führen muß, ist es für Eigeninitiative und Einbringung der Vorstellungen des Betriebsrats über die festgeschriebenen Rechte hinaus dann oft schon zu spät. Dem Wortlaut nach widersprechen dieser Ansicht die §§ 96 f. BetrVG, die dem Betriebsrat ein Mitberatungsrecht zugestehen, welches notwendigerweise im Vorfeld einer Maßnahme relevant wird. Jedoch "berät" der Arbeitgeber in der Praxis meist erst, wenn er sich selbst schon über den Verlauf der Weiterbildung im klaren ist. 735 Nach eigenen Angaben engagieren sich die Betriebsräte am stärksten bei der Auswahl der Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen bzw. bei den Beschwerden auf Anfrage wegen Nichtberücksichtigung bestimmter Arbeitnehmer. 736 Dieser bisherige Schwerpunkt der bildungspolitischen Tatigkeit des Betriebsrates könnte sich durch den neuen § 97 Abs. 2 BetrVG etwas verschieben und die Betriebsräte in Zukunft aktiver an der Einführung von Qualifizierungen beteiligt werden. Im folgenden sollen die Vorschriften der §§ 96 ff. BetrVG737 jedoch nur aufgrund der Art ihrer Umsetzung und nicht bezüglich ihres Inhaltes Gegenstand der Untersuchung sein. Vordergründig ist der Frage nachzugehen, auf welche Weise Vereinbarungen mit welcher Rechtsgrundlage und mit welchen Grenzen auf betrieblicher Ebene geschlossen werden können (1.). Außerdem ist die Gestaltung einiger bereits bestehender Regelungen zu betrachten (11.). I. Regelungsbefugnis und Wirkung der Einigungen auf betrieblicher Ebene
Die Möglichkeiten der Regelungen auf betrieblicher Ebene sind vieWHtig. Sie können einmal unter Beteiligung des Betriebsrates erfolgen (unter 1.). Dabei sind 733 Lindena, S. 9, mit insgesamt aber zu kritischer Betrachtung tarifvertraglicher Regelungen, S. 9 ff. 734 Bahnmüller, S. 167 ff. (181); Gi/berg, S. 57; Grass, ZfP 1997, 140 ff. (145); Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 265. Zu den Ursachen für das Beteiligungsdefizit vgl. auch Däubler, BB 2000, S. 1190 ff. (1191). 735 Müller / Schienstock, S. 31. Statistische Daten zur Beteiligung des Betriebsrats bei der Weiterbildung: Gi/berg, AiB 2000,17 ff. (17), Grass, ZfP 1997,140 ff. (145 ff.). 736 Zum Ganzen, Bahnmüller / Bispinck/ Schmidt, S. 172 ff. (174 f.); Gi/berg, AiB 2000, 13 ff. (14). 737 Dazu schon unter § 5 A III / S. 97 ff.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
neben erzwingbaren und freiwilligen Betriebsvereinbarungen (unter a) und b» auch Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Weiterbildung in Form einer Regelungsabrede (unter c» möglich. Unabhängig von der Mitbestimmung des Betriebsrats kann auf individualrechtlicher Grundlage durch betriebseinheitliche Vornahme (unter 2.) sowohl durch Gesamtzusage (unter a» als auch durch betriebliche Übung (unter b» eine Bindung des Arbeitgebers an seine bisherige Qualifizierungspraxis entstehen. Die einzelnen Rege1ungsmöglichkeiten sollen im folgenden mit Blick auf eventuelle Besonderheiten im Rahmen der betrieblichen Bildungsrnaßnahmen kurz näher betrachtet werden. 1. Vereinbarungen unter Beteiligung des Betriebsrates
a) Erzwingbare Betriebsvereinbarung Hat der Betriebsrat bei der Durchführung von betrieblichen Bildungsrnaßnahmen mitzubestimmen, kann das in Form einer Regelungsabrede oder durch eine erzwingbare Betriebsvereinbarung geschehen. 738 Die Betriebsvereinbarung ist in § 77 Abs. 2 bis 6 BetrVG geregelt. Vergleichbar dem normativen Teil des Tarifvertrages wirken auch ihre Regelungen unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis ein (§ 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG). Die Regelungsbefugnis für erzwingbare Betriebsvereinbarungen muß sich aus den besonderen Normen des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben. Dabei sind für die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses betreffende Abmachungen die Grenzen des § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG bzw. § 87 Abs. 1 S. 1 1. HS BetrVG zu beachten. Bei Vereinbarungen über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten muß die Sperre des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG dagegen nicht beachtet werden. 739 Weigert sich der Arbeitgeber, mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung der Weiterbildung abzuschließen, kann auf eine Regelungsabrede ausgewichen werden. Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat jedoch nicht einigen und rufen die Einigungsstelle an, hat der Betriebsrat das Recht, eine Entscheidung in Form einer Betriebsvereinbarung zu verlangen. 740 Erzwingbare Mitbestimmung ist in der betrieblichen Bildung in drei Fällen denkbar. Zum einen fordert § 97 Abs. 2 BetrVG zwingend Mitbestimmung bei der Einführung von Qualifizierungsmaßnahmen. Immer wenn der Arbeitgeber Maßnahmen plant oder durchführt, die zu einer Änderung der Tatigkeit von Arbeitnehmern führen und sie daher keine ausreichenden Kenntnisse und Fähigkeiten mehr haben, müssen sich die Betriebsparteien über eine Einführung von Weiterbildungsmaß738 GK-Wiese § 98 Rn. 10; Oetker Berufsbildungsmaßnahmen, S. 115; Richardi, § 98 BetrVG Rn. 15; noch a. A. DietzlRichardi, § 98 BetrVG Rn. 7, wonach nur eine Betriebsvereinbarung die mögliche Form der Regelung der Berufsbildung erlauben sollte. 739 F/K/H/E/S, § 77 BetrVG Rn. 65. 740 Hanau, Betriebsvereinbarung-Regelungsabrede, S. 67 ff. (79).
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nahmen einigen. Da § 97 Abs. 2 BetrVG keine Regelung darüber enthält, in welcher Art und Weise die Mitbestimmung zu erfolgen hat, ist davon auszugehen, daß sie wie bei den echten Mitbestimmungsrechten bei den sozialen Angelegenheiten gern. § 87 Abs. 1 BetrVG741 und wie bei § 98 BetrVG742 wahlweise durch Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede erfolgen kann. Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen, entscheidet die Einigungsstelle darüber. Festzuhalten bleibt aber, daß sobald die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG vorliegen 743, die Möglichkeit besteht, den Arbeitgeber gegebenenfalls auch gegen seinen Willen in Form der Regelungsabrede oder der Betriebsvereinbarung zur Einführung einer Qualifizierungsmaßnahme zu veranlassen. Schließen die Betriebsparteien eine Betriebsvereinbarung ab, können sich aus dieser unmittelbare Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer bezüglich einer Weiterbildung ergeben. Desweiteren verlangt § 98 BetrVG zwingend Mitbestimmung bei der Durchführung betrieblicher Bildungsrnaßnahmen. Betriebsrat und Arbeitgeber müssen sich - wiederum wahlweise durch Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede 744 zumindest auf den Minimalinhalt der von § 98 BetrVG geforderten Beteiligung einigen, oder die Einigungsstelle entscheiden lassen. Für die Frage, ob der Arbeitgeber zu Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet werden kann oder sich seine Entscheidung über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen sonst in irgendeiner Weise beeinflussen läßt, kann allerdings aus § 98 BetrVG kein entsprechendes Recht hergeleitet werden. 745 Außerdem besteht zwingende Mitbestimmung nach § 87 Abs. I Nr. 8 BetrVG bei Regelungen über Sozialeinrichtungen. Eine Sozialeinrichtung ist eine auf Dauer eingerichtete, abgrenzbare Organisation mit einem zweckgebundenen Sondervermögen, die der Verwaltung bedarf. 746 Eine solche Sozialeinrichtung kann auch eine Fortbildungseinrichtung sein. 747 Richtet ein Arbeitgeber beispielsweise ein kleines Sprachlabor ein, für welches er auch zukünftig ein bestimmtes Budget zur Verfügung stellt, das von einem Sprachlehrer geleitet wird und zu dem alle Arbeitnehmer nach Anmeldung grundsätzlich Zugang haben, könnte es sich dabei um eine Sozialeinrichtung handeln. Ließe sich eine Betriebsvereinbarung über die Schaffung einer solchen Sozialeinrichtung vom Betriebsrat erzwingen, könnte es sich dabei um eine mittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Bereitstellung 741 BAG -GS 1/ 82 - v. 16. 9. 1986 unter C. 11. 3. c) der Gründe, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG mit Anm. Otto; GK-KraJt, § 77 BetrVG Rn. 18; GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 86. 742 GK-Wiese § 98 BetrVG Rn. 10; Oetker Berufsbildungsmaßnahmen, S. 115; Richardi, § 98 BetrVG Rn. 15; noch a. A. Dietzl Richardi, § 98 BetrVG Rn. 7. 743 Vgl. dazu § 5 A III 3 b) aa)/S. 102 f. 744 GK-Wiese § 98 BetrVG Rn. 10; Oetker Berufsbildungsmaßnahmen, S. 115; Richardi, § 98 BetrVG Rn. 15; noch a. A. DietzlRichardi, § 98 BetrVG Rn. 7. 745 § 5 A III 4/ S. 106 ff. Vgl. aber auch zu der geplanten Änderung des § 97 BetrVG: §5AIX2/S.169ff. 746 Richardi, § 87 BetrVG Rn. 665; GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 678. 747 Richardi, § 87 BetrVG Rn. 671; GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 692.
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von Bildungseinrichtungen handeln. Das Recht aus § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ist jedoch lediglich ein Mitbestimmungsrecht bezüglich der Art und Weise einer vom Arbeitgeber ins Leben gerufenen Sozialeinrichtung. Sowohl die Errichtung der Sozialeinrichtung als solche wie auch die Dotierung des dafür zur Verfügung zu stellenden Sondervermögens bleiben allein Sache des Arbeitgebers. 748 Auch das anerkannte Initiativrecht des Betriebsrats bezieht sich nicht auf das Ob sondern entsprechend der Reichweite des Mitbestimmungsrechtes lediglich auf das Wie. 749 Durch erzwingbare Betriebsvereinbarungen können dem Arbeitgeber Pflichten zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen auferlegt werden, wenn die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG erfüllt sind. Die einzelnen Arbeitnehmer können aus der so abgeschlossenen Betriebsvereinbarung unmittelbare und zwingende Ansprüche auf Einführung einer Weiterbildungsmaßnahme erlangen. Die ebenfalls bestehenden echten Mitbestimmungsrechte aus § 98 BetrVG und § 87 BetrVG ermöglichen eine zwingende Mitbestimmung bei der Ausgestaltung von betrieblichen Bildungsrnaßnahmen und verhelfen den Arbeitnehmern nach ihrem Abschluß insofern ebenfalls zu unmittelbaren Ansprüchen. b) Freiwillige Betriebsvereinbarung Neben der erzwingbaren Betriebsvereinbarung sind auch freiwillige möglich. Deren Rechtsgrundlage und somit Befugnis zum Treffen von Vereinbarungen mit normativer Wirkung ist § 88 BetrVG. Die Aufzählung in Nr. I bis 3 ist lediglich beispielhaft, daneben sollen auch andere soziale Maßnahmen geregelt werden können. aa) Mitbestimmung bei der Errichtung von Sozialeinrichtungen
Der Betriebsrat kann mit dem Arbeitgeber gemäß § 88 Nr. 2 BetrVG eine freiwillige Betriebsvereinbarung über die Errichtung von Sozialeinrichtungen abschließen. In Ergänzung zu der zwingenden Mitbestimmung gern. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ist damit die Verpflichtung zur Errichtung einer betrieblichen Bildungseinrichtung möglich. Besteht die freiwillige Betriebsvereinbarung einmal, kann der Arbeitgeber die dann zu verlangende Mitbestimmung auch schon bezüglich des Ob der Einrichtung lediglich durch eine ablösende Betriebsvereinbarung oder durch Kündigung gern. § 77 Abs. 5 BetrVG wieder abwenden.
748 Ständ. Rspr. seit: BAG - I ABR 16/72 - v. 13. 3. 1973 unter B. 3. der Gründe, AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG Werkmietwohnungen mit zust. Anm. Richardi; F/K/H/E/S, § 87 BetrVG Rn. 345; Richardi, § 87 BetrVG Rn. 678, 682. 749 Richardi, § 87 BetrVG Rn. 699; GK-Wiese, § 87 BetrVG Rn. 705, 715.
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bb) Mitbestimmung bei sonstigen "sozialen" Angelegenheiten
Die Tenninologie des § 88 BetrVG macht durch die Verwendung von "insbesondere" deutlich, daß Nr. 1- 3 nicht abschließend sind. 75o Trotzdem ist die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrats für personelle Maßnahmen wie die Weiterbildung nicht unproblematisch, da § 88 BetrVG eine Nonn aus dem Bereich der sozialen Angelegenheiten ist. Jedoch legt die ganz herrschende Meinung § 88 BetrVG auch in dieser Beziehung weit aus und erstreckt die Regelungsbefugnis gleichennaßen auf alle den Inhalt des Arbeitsverhältnisses umfassenden personellen Vereinbarungen. 751 Grund ist wohl vor allem die Erkenntnis, daß die Grenzen zwischen den sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten oft fließend sind752 und die Einteilung der Mitbestimmungsrechte als Abgrenzungskriterium für § 88 BetrVG nicht verwendbar ist. Das gilt um so mehr, als die Weiterbildung ohnedies noch im BetrVG 1952 wohl eher als soziale Angelegenheit behandelt worden wäre. 753 Sie nimmt - wie auch die menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung (§§ 90 f. BetrVG) - als personelle Maßnahme eine Zwitterstellung ein754 und kann somit Bestandteil einer freiwilligen Betriebsvereinbarung i. S. d. § 88 BetrVG sein. 755 Denkbar sind durch auf § 88 BetrVG gestützte Betriebsvereinbarungen; sowohl die Erweiterung individueller Rechte, die die materiellen Arbeitsbedingungen betreffen als auch die Erweiterung betrieblicher oder betriebsverfassungsrechtlicher Vereinbarungen. Würde dem einzelnen Arbeitnehmer durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung ein Anspruch auf eine jährlich vom Betrieb durchzuführende Weiterbildungsmaßnahme eingeräumt, handelte es sich um die Regelung einer materiellen Arbeitsbedingung, zu der die Betriebsparteien, unter Beachtung der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG und der sonstigen Grenzen, die Verfassung und Gesetze setzen, befugt sind. Darüber, in welcher Häufigkeit solche freiwilligen Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden, gibt es keine statistischen Erhebungen. Es ist aber anzunehmen, daß eine solche Bindung nur selten erfolgt.
750 Ganz herrschende Ansicht, vgl. D / K/ K-Berg. § 88 BetrVG Rn. 1; Löwisch. § 88 BetrVG Rn. I; GK-Wiese. § 88 BetrVG Rn. 7. 751 GK-Wiese. § 88 BetrVG Rn. 11; Hempelmann. S. 150; Oetker; NZA 1986, 148 ff. (148 f.); Otto. NZA 1992,97 ff. (102); Richardi. § 88 BetrVG Rn. 4. Noch weiter BAG -GS 3/85 - v. 7. 11. 1989 unter C. I. 2. der Gründe, AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG =EzA § 77 BetrVG Nr. 34 m. krit. Anm. Otto; F / K / H / E / S § 88 BetrVG Rn. 4. 752 BAG -GS 3/85 - v. 7. 11. 1989 unter C. I. 2. a) der Gründe, AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG; D/K/K-Berg. § 88 BetrVG Rn. 4. 753 Damals war die Berufsausbildung, als einziger die Bildung betreffender Tatbestand im BetrVG 1952 noch in § 56 Abs. 1 Buchst.d BetrVG 1952 und damit als soziale Angelegenheit geregelt. 754 Vgl. F / K/H/E/ S. § 1 BetrVG Rn. 220 für die menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung. 755 Vgl. auch D/K/K-Berg. § 88 BetrVG Rn. 4.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Häufiger könnten wiederum betriebsverfassungsrechtliche Klauseln existieren, welche die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats erweitern. Zu prüfen sind daher die Grenzen der Regelungsbefugnis bei solchen freiwilligen Betriebsvereinbarungen, da durch die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte doch zwingende Mitbestimmung bei der betrieblichen Berufsbildung erreicht werden könnte. So könnte vereinbart werden, daß der Betriebsrat künftig nicht nur unter den Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG bezüglich des Ob einer Bildungsmaßnahme mitzubestimmen hätte. Das berührt die sehr umstrittene Frage des Betriebsverfassungsrechtes, ob Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats durch betriebsverfassungsrechtliche Betriebsvereinbarungen erweitert werden können. 756 (1) Zulässigkeit der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten bei der
betrieblichen Weiterbildung durch freiwillige Betriebsvereinbarung
Die Diskussion zur Möglichkeit der Erweiterung von Mitbestimmungsrechten durch freiwillige Betriebsvereinbarung entspricht in etwa der Problematik von Mitbestimmungsrechten, die betriebsverfassungsrechtliche Klauseln in Tarifverträgen erweitern. 757 Hier wie dort werden Ansichten von absoluter Ablehnung einer Mitbestimmungserweiterung758 über verschieden ausgestaltete vermittelnde Ansichten 759 bis zu praktisch unbeschränkter Zulässigkeit solcher Vereinbarungen vertreten760 . Trotzdem ist nicht zwingend Gleichbehandlung geboten, handelt es sich vorliegend doch nicht um die Delegation eines Rechtes durch in der Normsetzungshierarchie über den Betriebspartnern stehende Entscheidungsträger, sondern die von einer Erweiterung Betroffenen werden selbst tätig. Hilfreich ist diese Erkenntnis indes nicht, läßt sich auch diese Tatsache in beide Richtungen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit - interpretieren. Wegen der besonderen Ermächtigung zur Rechtssetzung durch autonomen Eintritt in den Verband und Abschluß eines Tarifvertrages könnte den Tarifvertragsparteien erlaubt sein, was für die nicht aufgrund autonomer Entscheidung geltende Betriebsverfassung zu unter756 Dazu unter anderem: BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10. 2. 1988 unter 11. 2. und 3. der Gründe, AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG; -GS 3/85 - v. 7.11. 1989 unter C. I. 2. b) der Gründe, AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG = EzA § 77 BetrVG Nr. 34 mit kritischer und insoweit vorsichtigerer Anm. Otto; F/K/H/E/S, § 77 BetrVG Rn. 45 Hempelmann. S. 133 ff.; GK-Kreutz. § 77 BetrVG Rn. 70. 757 Dazu schon unter § 6 All d) aa) (3)/S. 182 ff. 758 HIS I G-Glaubitz. § 87 BetrVG Rn. 40 und -Hess. vor § 1 BetrVG Rn. 67; S/W, § 87 BetrVG Rn. 7. 759 Jahnke. S. 195 ff.; GK-Kraft, vor § 92 BetrVG Rn. 24 f.; GK-Wiese. § 87 BetrVG Rn. 13. 760 BAG - 1 ABR 70/86 - v. 10.2.1988 unter 11. 2., 3. der Gründe (unter 3.b) der Gründe deutet das BAG an, daß eine Beteiligung an der Entscheidung des "Ob" der Einstellung zu weit ginge), AP Nr. 53 zu § 99 BetrVG; - 1 AZR 56/94 - v. 9. 5. 1995 unter I. 2. d) der Gründe, AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG Einigungsstelle. D/K/K-Däubler, Einleitung Rn. 84 ff.; F/K/H/E/S, § 1 BetrVG Rn. 212 ff., 219 f.
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sagen iSt. 761 Andererseits wäre die Argumentation möglich, daß die Betriebspartner selbst am besten entscheiden können, ob und wie sie die gesetzlich festgelegten (Mindest)Mitbestimmungsregeln erweitern wollen. Schließlich werden sie freiwillig und ohne jeglichen Kompromißdruck durch das BetrVG tätig. Die Argumente für und gegen eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte sind so vielfältig wie die Lösungsansätze. 762 Nach den bereits erfolgten Erörterungen zu den Tarifnormen kann jedenfalls als geklärt gelten, daß das BetrVG keine grundsätzlich abschließende Regelung darstellt. 763 Überzeugend ist daher, die Zustimmung zu einer solchen Erweiterung von der Art des Mitbestimmungsrechts abhängig zu machen. 764 Die betriebliche Weiterbildung gehört zu den personellen Maßnahmen. Diesen wird ausdrücklich in § 102 Abs. 6 BetrVG eine Erweiterung der Mitbestimmung zugestanden. Ist eine Mitbestimmungsergänzung in der sensiblen Materie des Kündigungsschutzes zulässig, erscheint es schwierig, Gegenargumente bei der betrieblichen Weiterbildung zu finden. Natürlich könnte auf die Nichtregelung der Weiterbildung im Vergleich zu der gern. § 102 Abs. 6 BetrVG ausdrücklich erfolgten Regelung abgestellt werden. Jedoch erhebt das BetrVG gerade keinen Anspruch auf abschließende Regelung. Vielmehr kann § 102 Abs. 6 BetrVG genauso als Argument in die entgegengesetzte Richtung verwendet werden: die ausdrückliche Regelungsbefugnis für eine von § 88 BetrVG gerade nicht erfaßte Materie zeigt die Erstreckung der Möglichkeit der Mitbestimmungserweiterung neben den von § 88 BetrVG erfaßten auch in andere, dann aber speziell zu benennende Bereiche. Grundsätzlich ist gegen eine Mitbestimmungserweiterung im Rahmen der personellen Angelegenheiten nichts einzuwenden. Die im Rahmen der tarifvertraglichen Erweiterung besonders zu beachtende Unternehmensautonomie spielt bei einer Erweiterung durch Betriebsvereinbarung kaum eine Rolle, schließlich handelt der Arbeitgeber freiwillig und unter dem Schutz seiner Privatautonomie. 765 Nicht notwendig ist es daher auch, betriebsverfassungsrechtliche Klauseln auf Betriebs-, Tätigkeits- oder Unternehmensbezug zu beschränken. 766 Statt dessen rücken hier die Rechte der Arbeitnehmer als Maßstab in den Vordergrund, und die zunehmende Abhängigkeit des einzelnen Arbeitnehmers von den Entscheidungen des Betriebsrats ist besonders zu beachten. Schwierig wird für den Betriebsrat dann vor allem, die Interessen der Belegschaft mit denen des einzelnen in Einklang zu 761 Vgl. BAG - 1 ABR 30/86 - v. 18.8. 1987 unter B. III. 2. b) der Gründe, AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG mit abI. Anm. v. von Hoyningen-Huene. 762 Meinungsstand bei GK-KraJt. vor § 92 BetrVG Rn. 10 ff. m. w. N. 763 Dazu auch schon die Argumente unter § 6 All d) aa) (3) (a)/S. 182 ff.
lahnke. Tarifautonomie. S. 195 ff.; GK-Wiese. Einleitung Rn. 71. Vgl. aber GK-KraJt. vor § 92 BetrVG Rn. 25, der den Kembereich der unternehmerischen DisPQsitionsfreiheit ggf. tangiert sieht, daraus aber keine Unzulässigkeit ableitet. 766 Diese Einschränkung wird bei betriebsverfassungsrechtlichen Normen im Tarifvertrag als notwendig erachtet, vgl. § 6 All d) aa) (3) (b) (bb)/S. 186 f. 764
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bringen und jeweils so weit wie möglich zu wahren. 767 Jedoch ist das für die hier durchgeführte Untersuchung unproblematisch, da die betriebliche Weiterbildung keine personelle Einzelmaßnahme ist und das Belegschaftsinteresse dem der einzelnen Arbeitnehmer grundsätzlich entsprechen wird. Eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte im Rahmen der betrieblichen Bildung ist somit zuzulassen. 768 (2) Zwischenergebnis Von der Zulässigkeit der Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der betrieblichen Weiterbildung vom alleinigen Wie der Durchführung zum Ob ist auszugehen. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, daß die konkrete Ausgestaltung einer solchen Klausel nicht trotzdem die für Betriebsvereinbarungen gesetzten Grenzen überschreiten kann. Festgestellt wurde lediglich, daß eine Erweiterung nicht schon an der grundsätzlichen Regelungsbefugnis für diese Art der Betriebsvereinbarung scheitert. 769 c) Regelungsabrede Eine Regelungsabrede ist jede verbindliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die nicht Betriebsvereinbarung ist. Umfaßt ist sie von § 77 Abs. I BetrVG, ansonsten jedoch nicht explizit geregelt770 . Regelungsabreden können über alle Angelegenheiten im Betrieb getroffen werden und unterliegen gerade nicht den Beschränkungen des Tarifvorranges. 77 ! Im Gegenzug wirken sie nicht normativ und können die Betriebspartner nur schuldrechtlich verpflichten. 772 Auch Regelungsabreden genügen nach herrschender Ansicht dem Erfordernis der echten Mitbestimmung773 ; die Durchführung einer Weiterbildungsmaßnahme gern. § 98 Abs. 1 BetrVG kann daher durch sie vorgenommen werden. 774 lahnke, Tarifautonomie, S. 196; GK-Krajt, vor § 92 BetrVG Rn. 24. Hempelmann, S. 150; lahnke, Tarifautonomie, S. 196. A. A. GK-Krajt, vor § 92 BetrVG Rn. 25. 769 Dazu sogleich unter § 6 Bill S. 212 ff. 770 GK-Kreutz, § 77 BetrVG Rn. 7. 771 BAG - 1 ABR 72/98 - v. 20. 4. 1999 unter B. 11. 1. b) aa) (1) der Gründe und 1. LS, AP Nr. 89 zu Art. 9 GO mit Anm. Richardi; F/K/H/E/S, § 77 BetrVG Rn. 90; ErfKl Hanaul Kania, § 77 BetrVG Rn. 71; GK-Kreutz, § 77 BetrVG Rn. 114; Wank in: Wiedemann, § 4 TVG, Rn. 577. 772 F/K/H/E/S, § 77 BetrVG Rn. 183; Hanau, Betriebsvereinbarung-Regelungsabrede, S. 67 ff. (75). Zu den verschiedenen Möglichkeiten, auf welche Weise Regelungsabreden wirken können: Straßner, Regelungsabreden, S. 46 ff. 773 BAG -1 AZR 646/54 - v. 7. 9.19563. LS, AP Nr. 2 zu § 56 BetrVG 1952 mit Anm. Dersch; -GS 1/82 - v. 16.9. 1986, unter C. 11. 3. c) der Gründe, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG; F I K I H I EIS, § 77 BetrVG Rn. 189; GK-Kreutz § 77 BetrVG Rn. 18. A. A. Dietz I Richardi, § 87 BetrVG Rn. 54; Senne, Regelungsabrede, S. 73 ff., 78 ff. 774 GK-Wiese § 98 BetrVG Rn. 10; Oetker Berufsbildungsmaßnahmen, S. 115; Richardi, § 98 BetrVG Rn. 15; noch a. A. DietzlRichardi, § 98 BetrVG Rn. 7. 767
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Obwohl die Regelungsabrede formlos und daher leichter abschließbar ist, stellt sie gerade für die Inhalte von Arbeitsverhältnissen betreffenden Vereinbarungen häufig nicht das favorisierte Regelungsinstrument von Arbeitgeber und Betriebsrat dar. 775 Mangels normativer Wirkung muß sich der Arbeitgeber häufig zur Umsetzung der Abrede in die Einzelarbeitsverhältnisse verpflichten. 776 Eine erneute Abänderung kann dann nur auf gleichem Weg, also meist Änderung der einzelnen Arbeitsverhältnisse, geschehen. Wollen Arbeitgeber und Betriebsrat eine künftige Verpflichtung zur Einrichtung von betrieblichen Bildungsrnaßnahmen festlegen, kann das in Form einer Regelungsabrede auch schuldrechtlich geschehen. 777 2. Vereinbarungen aufindividualrechtlicher Grundlage
a) Gesamtzusage Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene können auch ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgen. Macht der Arbeitgeber den Arbeitnehmern durch förmliche Bekanntgabe Zusagen über zusätzliche Leistungen und muß der einzelne Arbeitnehmer dies als Leistungsversprechen auffassen, führt das nach ganz herrschender Ansicht für jeden einzelnen Arbeitnehmer, bei dem auf den Willen zur Annahme geschlossen werden kann, zu einer Vertragsänderung. 778 Erfolgt die Zusage nicht unter einem Änderungs- oder Widerrufsvorbehalt seitens des Arbeitgebers, kann die spätere Lösung nur durch eine Änderungskündigung erfolgen779 , anderenfalls bleibt dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf die zugesagte Leistung erhalten. Weiterbildungsorientierte Gesamtzusagen werden sich in erster Linie auf Freistellungen und Kostenübernahmen beziehen. Möglich wäre auch die Zusage eines Weiterbildungsanspruchs für jeden Arbeitnehmer am Schwarzen Brett780, jedoch ist das praktisch kaum vorstellbar. Solche Aktivitäten des Arbeitgebers basieren wiederum allein auf freiwilliger Basis.
Hanau, Betriebsvereinbarung-Regelungsabrede, S. 67 ff. (79 f.). Dazu Straßner; Regelungsabreden, S. 66 ff. m. umf. N. 777 Hanau, Betriebsvereinbarung-Regelungsabrede, S. 67 ff. (77); Schipprowski, Regelungsabrede, S. 14 am Beispiel der Sozialeinrichtung. 778 BAG, - GS 1/82 - v. 16. 9. 1986 unter C. 11. 1. a) der Gründe, AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG; - 9 AZR 667/97 - v. 19. 1. 1999 unter I. 1. der Gründe, (unv.); ErfK/ Preis § 611 BGB Rn. 274; ähnlich Krämer; Gesamtzusage, S. 86 ff., 128. 779 ErfKl Preis, § 611 BGB Rn. 274; Zöllner/Loritz. § 6 I 6 eiS. 71. 780 Das Schwarze Brett ist als typisches Instrument der Bekanntgabe von Gesamtzusagen allgemein anerkannt, vgl. BAG - GS 1/82 - v. 16.9. 1986 unter C. 11. 1. a) der Gründe. AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG. 775
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b) Betriebliche Übung Nimmt der Arbeitgeber tatsächliche Handlungen gegenüber den Arbeitnehmern vor, kann das eine verbindliche Wirkung - eine betriebliche Übung - zur Folge haben. Eine betriebliche Übung entsteht durch regelmäßige Wiederholung gleichförmiger Verhaltensweisen im Betrieb, die die Arbeitnehmer nach §§ 133, 157 BGB als Versprechen dauerhafter Leistungen auffassen müssen. Der jeweiligen Handlung wird nach mindestens dreimaliger Gewährung anspruchs begründende Wirkung beigelegt.78\ Obwohl die häufigsten Fälle betrieblicher Übung Zusatzvergütungen oder Aufwandsentschädigungen betreffen782, kann auch eine Qualifizierungspraxis zur Anspruchsbegründung führen. Denkbar sind Fälle, in denen der Arbeitgeber zur Förderung der Weiterbildung der Arbeitnehmer vorbehaltlos jährlich eine bestimmte Summe zur Kostentragung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen bereithält und die Arbeitnehmer hierfür auch bezahlt freistellt. Der dadurch entstehenden Bindung, ungeachtet seines Bindungswillens, wird er sich nicht immer bewußt sein. Grundsätzlich vorstellbar ist eine betriebliche Übung, die sich daraus ergibt, daß der Arbeitgeber mehrere Jahre nacheinander Schulungskurse durchführt. So kann ein jährlich durchgeführter Computerkurs, etwa: "Grundlagen und Einführung in die Arbeit mit dem PC", für die jeweils angesprochene Arbeitnehmergruppe einen Anspruch begründen. Die Schwierigkeit ergibt sich bei ungenau begrenzten Teilnehmerkreisen daraus, die angesprochene Arbeitnehmergruppe herauszufinden, da gerade bei gleichem Kursthema eine einmalige Teilnahme genügen wird. Werden fortführende Kurse angeboten, stellt sich die Frage, ob eine gleichförmige Verhaltensweise vorliegt. Aus den genannten Gründen wird eine betriebliche Übung daher nur selten anzunehmen sein. 11. Beispiele für Qualifizierungsregeln auf betrieblicher Ebene
Wie gerade festgestellt, können Regelungen, die den Arbeitgeber eine Aufgabe bei der Errichtung von Weiterbildungsmaßnahmen zuweisen, nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Deshalb sollen im folgenden Abschnitt nicht nur tatsächlich bestehende Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene dargestellt werden (unter 1.), sondern auch eine Auswahl an Musterbetriebsvereinbarungen aufgezeigt werden (unter 2.). 781 Ständ. Rspr.: RG - 153/37 - v. 19. 1. 1938 4. LS, ARS 33, 172; u. a. BAG - 6 AZR 137/86 - v. 23. 6. 1988 unter 11.3. a) der Gründe, AP Nr. 33 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; - 10 AZR 290/98 - v. 4. 5. 1999 unter II. 1. der Gründe, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; Zöllner / Loritz, § 6 I 71 S. 71. Zur rechtl. Qualifizierung: Singer, ZfA 1993,487 ff. (489 f.) m. umf. N. 782 ErfKI Preis, § 611 BGB Rn. 284 m. w. N.
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1. Bestehende QualiJizierungsregelungen
Eine von der Hans-Böckler-Stiftung 1999 durchgeführte Untersuchung zeigt Schwerpunkte für die die betriebliche Weiterbildung betreffenden Vereinbarungen auf. Dies sind Verfahrensregeln zu Mitbestimmung, Bildungsplanung, Weiterbildungszeit und Finanzierung, Qualifizierungsansprüche bzw. Förderung eigener Weiterbildung sowie Personal- und Kompetenzentwicklung. 783 Als ausgewählte Regelungsgehalte sind die Vereinbarungen zur Weiterbildungszeit und Finanzierung sowie die zu Qualifizierungsansprüchen bzw. individueller Weiterbildungsförderung (unter a» näher zu betrachten. Daran anschließend ist auf drei konkrete Beispiele (unter b» näher einzugehen. a) Ausgewählte Regelungsinhalte von Betriebsvereinbarungen Die Regelung von Weiterbildungszeit und Finanzierung gehört zu den traditionellen Themen der betrieblichen Weiterbildung?84 Die dabei übliche Formulierung ist laut der Untersuchung folgende: Für betrieblich veranlaßte Weiterbildungsmaßnahmen wird der / die Mitarbeiter / in unter Fortzahlung des Entgelts von der Arbeit freigestellt. Anfallende Kosten werden vorn Unternehmen getragen. 785
Immer häufiger werden auch gestufte Regelungen dergestalt getroffen, daß die betriebliche Kostentragung mit geringer werdendem, unmittelbarem Arbeitsplatzbezug abnimmt. 786 Problematisch erscheint dabei die konkrete Bestimmung, ab wann die jeweils nächste Stufe erreicht ist. Da dies in letzter Konsequenz dem Arbeitgeber überlassen bleibt, kann die Übernahme der Kosten im Einzelfall doch wieder ungewiß sein. Es ist aber festzustellen, daß bei betrieblich veranlaßten, also meist arbeits- oder betriebsnotwendigen Weiterbildungsmaßnahmen, die Beteiligung des Arbeitgebers zu einer vollständigen Übernahme der Kosten führt. Handelt es sich um Weiterbildung, die nicht vom Arbeitgeber veranlaßt wird, ergeben sich aus den Vereinbarungen keine Qualifizierungsansprüche ohne Eigenbeteiligung der Arbeitnehmer, vielmehr ist immer eine Kombination aus Eigenbeteiligung und dann entsprechender betrieblicher Beteiligung gegeben. 787 Verschwindend gering sind Ansprüche auf Freistellung für solche nicht betrieblich veranlaßte Weiterbildung für eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr. Bei den untersuchten 290 Vereinbarungen mit Weiterbildungsbezug konnten solche Vereinbarungen nur zweimal gefunden werden. 788 783
784 785 786
787 788
Heidemann, S. 19. Heidemann, S. 26. Hier: Gesamtbetriebsvereinbarung Chemische Industrie, in: Heidemann, S. 26. Heidemann, S. 27. Heidemann, S. 28. Heidemann, S. 29.
214
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Aufgrund der fortschreitenden Bedeutung der Weiterbildung wird immer häufiger ein Recht auf Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen in Betriebsvereinbarungen festgeschrieben. So werden der gleichberechtigte Zugang und die Information über durchgeführte Maßnahmen gefördert. 789 Vor allem die Ermöglichung des gleichberechtigten Zugangs kann es Arbeitnehmern in Zukunft erleichtern, an betrieblicher Weiterbildung teilzunehmen. Zwar ist dadurch noch kein Anspruch auf Weiterbildung gegeben, aber die Teilnahme an angebotenen Maßnahmen wird gefördert. Positiv sind außerdem die Regelungen zu bewerten, nach denen bei zum Teil betriebsbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen anteilig die Kosten übernommen werden. Auch dadurch wird die Bildungsaktivität der Arbeitnehmer gefördert. b) Konkrete Einzelbeispiele Ein Beispiel für eine betriebliche Regelung von Weiterbildungsmaßnahmen bietet die METRO AG. Im Frühjahr 2000 wurde Englisch zur Geschäftssprache des Konzerns erklärt. 79o Für die, die nicht ohnehin schon unter der Voraussetzung der Kenntnis der englischen Sprache eingestellt wurden, mußte die Möglichkeit geschaffen werden, sich auch weiterhin verständigen zu können. Auf Nachfrage erklärte die Personalabteilung der METRO AG, daß allen Mitarbeitern der METRO AG Holding wöchentlich die Möglichkeit zur Teilnahme an Kursen gegeben wird. Darüber hinaus erhalten Arbeitnehmer, die Englisch auch als Fachsprache verstärkt benötigen, Einzelunterricht. Absprachen mit dem Betriebsrat wurden nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer getroffen. Auch die DaimlerChrysler AG erhob mit der Fusion 1997 Englisch zur Geschäftssprache. Jedoch werden die Englischkurse nicht durch Betriebsvereinbarung oder aufgrund tarifvertraglicher Klauseln geregelt. Eine Nachfrage im Personalbüro ergab, daß der Unterricht je nach Notwendigkeit vorgenommen wurde bzw. wird. Über das Vorliegen der Notwendigkeit entscheidet jeweils der Vorgesetzte. Um den Bedarf insgesamt zu decken, wurde am Standort Stuttgart ein Englischlehrer eingestellt, der sich auf die speziellen Erfordernisse der DairnlerChrysler AG eingestellt hat. Die Art und Weise der Vornahme solcher Kurse erfolgt ebenfalls sehr unterschiedlich. Teilweise finden sie während der Arbeitszeit statt, teilweise aber auch in der Freizeit. Wird die Notwendigkeit für den Sprachunterricht wegen fehlender arbeitsplatzbezogener Notwendigkeit oder ausreichenden Kenntnissen vom Vorgesetzten nicht festgestellt, ist die betriebliche Sprachschulung nicht möglich.
789 Beispielhaft die Betriebsvereinbarung eines Betriebes im Werkzeugmaschinenbau und die eines Bauuntemehrnens, in: Heidemann, S. 230 f. 790 Süddeutsche Zeitung v. 17. 5. 2000, S. 29.
§ 6 Vereinbarungen auf kollektiver Ebene
215
Bei der Vorgehensweise beider Unternehmen ist fraglich, ob diese Vorgehensweise zulässig ist. Durch § 81 Abs. I, 2 BetrVG können die Arbeitnehmer jeweils keinen Anspruch erlangen, da sich die durchzuführende Unterrichtungspflicht auf Änderungen der Technologie oder Arbeitsorganisation bezieht, welche hier nicht erfaßt sind. Auch § 97 Abs. 2 BetrVG791 kann nichts anderes ergeben, da es sich bei den fehlenden Englischkenntnissen nicht um fehlende berufliche Kenntnisse, sondern um arbeitsplatzspezifische handelt. Jedoch müßte der Betriebsrat sowohl bei der Metro AG als auch bei DaimlerChrysler gern. § 98 BetrVG zumindest bei der Auswahl der Teilnehmer an den Kursen und der Art und Weise der Durchführung beteiligt werden. Sowohl bei der Metro AG als auch bei der DaimlerChrysler AG hätten Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden über die Art und Weise der Durchführung der Englischkurse getroffen werden müssen. Gut wäre es außerdem gewesen, eine freiwillige Betriebsvereinbarung über die Einführung zu treffen, um auf diese Weise über eine schriftliche Abmachung und damit eine einheitliche und für alle nachvollziehbare Regelung zu verfügen. Während bei der Metro AG die Nachfrage nicht eindeutig ergab, ob eine konkrete Betriebsvereinbarung vorliegt oder der Betriebsrat nur in die Planung mit einbezogen wurde, gibt es bei DaimlerChrysler nachweislich keine schriftliche Vereinbarung. Obwohl bei beiden Unternehmen seitens der Arbeitgeber grundsätzlich die Bereitschaft besteht, Sprachkurse anzubieten und auch die Notwendigkeit erkannt wurde, wollen sie sich nicht generell binden. Soweit ersichtlich kann die Vorgehensweise in beiden Unternehmen keine betriebliche Übung darstellen. Ebenfalls ohne Regelung der Weiterbildung kommt ein Betrieb der Halbleiterindustrie derzeit noch aus. Jährlich stellt er den einzelnen Abteilungen einen Etat für Weiterbildung gemeinsam mit einer Liste von tätigkeitsbezogenen Weiterbildungsveranstaltungen zur Verfügung. Jeder Mitarbeiter soll an ein bis zwei dieser fremdorganisierten Veranstaltungen teilnehmen, ohne daß dafür jedoch eine Pflicht besteht. Bisher funktioniert das Prinzip, da der Etat immer ausreichend für alle weiterbildungswilligen Mitarbeiter war und die Mitarbeiter nicht wegen mangelnder Qualifikation gekündigt wurden. Wäre sich der Arbeitgeber bewußt, daß sich der Weiterbildungsetat bei Streichung aus der mittlerweile entstandenen betrieblichen Übung möglicherweise wieder einklagen ließe, würde er sicher eine schriftliche Fixierung bevorzugen. 2. Musterbetriebsvereinbarung
Zur Erleichterung der Betriebsratsarbeit werden vor allem von Gewerkschaften sogenannte Musterbetriebsvereinbarungen an die Betriebsräte ausgeteilt. Diese werden nicht immer umgesetzt, können aber zumindest ein Ausgangspunkt für die Diskussion mit dem Arbeitgeber sein. 791
Vgl. § 5 A III 3 b)/S. 101 ff.
216
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Nach einer Musterbetriebsvereinbarung soll Arbeitnehmern, die mit Geräten der Informations- und Kommunikationstechnik arbeiten sowie denjenigen, die von technischen und organisatorischen Änderungen durch Einsatz dieser Geräte betroffen sind, ein Weiterbildungsanspruch zugestanden werden. 792 Diese Vereinbarung könnte auf der Grundlage des § 88 BetrVG geschlossen werden. Sie entspricht in ihrem Wesen der Norm des § 81 Abs. 1,2 BetrVG, ist in den einzelnen Voraussetzungen aber weiter. 793 Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liegt durch diese Regelung nicht vor, jedoch ist fraglich, ob ein Arbeitgeber sich derart fest auf die Weiterbildung festlegen will und eine solche Betriebsvereinbarung auch tatsächlich durchsetzbar wäre. Darüber, ob bzw. wie häufig die Betriebsvereinbarung auch so umgesetzt wurde, gibt es keine Erhebung. Eine andere Musterbetriebsvereinbarung verzichtet auf die Festschreibung eines konkreten Bildungsanspruchs und nimmt dem Arbeitgeber lediglich das Versprechen ab, daß er die Weiterbildung ermöglicht. Finanziert werden soll sie durch ein vom Arbeitgeber jährlich bereitzustellendes Budget, das sich prozentual aus den Personalkosten ergibt. 794 Da das Qualifizierungsbudget eine feste Größe ist, muß die Ausgabe für Weiterbildungen auch ohne Begründung eines konkreten Anspruchs erfolgen. Jedoch ist der Arbeitgeber in der Verwendung freier, er kann die Mittel einmal für Freistellungen, Reise- und Maßnahmekosten außerhalb seines Betriebes verwenden, andererseits die Weiterbildungsmaßnahme auch selbst initiieren und die Gelder dafür verbrauchen. Eine Kontrolle über das Wie des Einsatzes der finanziellen Mittel übt der Betriebsrat in diesem Fall über die Beteiligungsrechte der §§ 96 ff. BetrVG aus. Daß der Arbeitgeber überhaupt tätig wird, ist neben dem Anspruch aus § 97 Abs. 2 BetrVG über die Betriebsvereinbarung abgesichert. Im Vergleich zu der anderen Betriebsvereinbarung scheint diese realistischer und damit ein Fortschritt für die betriebliche Weiterbildung insgesamt.
III. Ergebnis zu den Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene
Zwingende Regelungen, die der Arbeitgeber auf betrieblicher Ebene mit dem Betriebsrat bzw. den Arbeitnehmern trifft und die zur Einrichtung oder zwingenden Durchführung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen führen, ließen sich lediglich durch eine Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede unter den Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG erkennen. Registriert werden konnten außerdem Regelungen, nach denen der Arbeitgeber vollständig die Kosten für von ihm veranlaßte Maßnahmen übernimmt. Ferner gibt es einige Vereinbarungen, nach denen der Arbeitgeber sich auch an individuell gewählten WeiterbildungsLanderer; AiB 1992, 117 ff. (120 ff.). Vgl. dazu unter § 5 A IV / S. 80 ff. und den Wortlaut der Betriebsvereinbarung in: Landerer; AiB 1992, 117 ff. (120 ff.). 794 Gi/berg, AiB 2000, 13 ff. (16). 792 793
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
217
maßnahmen beteiligt. Möglicherweise kann eine Selbstbindung des Arbeitgebers durch Praktizieren einer bestimmten Weiterbildungsstrategie eintreten.
C. Ergebnis zu den Vereinbarungen über Weiterbildungen auf kollektiver Ebene Die Bemühungen, Regelungen zur Weiterbildung auf kollektiver Ebene zu treffen, nehmen zu. Doch werden den Arbeitnehmern neben der zwingenden Norm des § 97 Abs. 2 BetrVG nur in Ausnahmefällen unmittelbare Ansprüche auf Weiterbildung zugestanden, häufiger handelt es sich um Kosten- oder Freistellungsregelungen. Rechtlich zulässig sind grundsätzlich auch Vereinbarungen, die dem Betriebsrat größere Rechte zugestehen, so daß er zukünftig ein über § 97 Abs. 2 BetrVG hinausgehendes Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen haben könnte. Abgesehen davon wird die Freiheit des Arbeitgebers bei der Entscheidung über die Einführung von Mitbestimmungsrechten aber nicht berührt.
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen Nachdem in der bisherigen Prüfung festgestellt wurde, daß der Arbeitgeber in seiner Entscheidung, Weiterbildung durchzuführen meist frei ist, wird die Untersuchung auf der hierarchisch niedrigsten, aber auch intensivsten Regelungs- und Beziehungsebene fortgesetzt. Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit könnten sich zum einen aus arbeitsvertraglichen Abmachungen (unter A) oder aus ungeschriebenen Verpflichtungen aufgrund der engen arbeitsvertraglichen Beziehung (unter B) ergeben.
A. Vertraglich festgelegte Weiterbildung Arbeitgeber und Arbeitnehmer können im Arbeitsvertrag festlegen, daß der Arbeitgeber für eine angemessene Weiterbildung im Rahmen der betrieblichen und beruflichen Erfordernisse zu sorgen hat. Jedoch fehlen derartige Abmachungen in den bestehenden Musterarbeitsverträgen, so daß Abreden über die Weiterbildung meist in individuellen Nebenabsprachen getroffen werden. 795 Vorwiegend werden darin die Pflicht des Arbeitnehmers zur Teilnahme an der vom Arbeitgeber angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen sowie die Durchführungsgesichtspunkte wie 795
Vgl. Bengelsdorf, in: HzA Gr. 9 Tb. 1, Rn. 210.
218
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Freistellungen, Kostenübemahme seitens des Arbeitgebers 796 und Rückzahlungsklauseln bei Finanzierung der kompletten Bildungsmaßnahme durch den Arbeitgeber797 geregelt. Ausdrückliche Vereinbarungen, die den Arbeitgeber verpflichten, bestimmte Weiterbildungen durchzuführen, gibt es nur in Ausnahmefällen. Eine Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers über die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen gibt es nur dann, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorher freiwillig eine entsprechende Klausel in den Arbeitsvertrag aufnehmen.
B. Durch die allgemeine Fürsorgepflicht vermittelte ungeschriebene originäre Pflichten zur Weiterbildung Fraglich ist, ob der Arbeitnehmer in bestimmten Situationen auch dann eine Weiterbildung vom Arbeitgeber verlangen kann, wenn weder gesetzliche noch kollektive Vereinbarungen vorliegen und auch der Arbeitsvertrag keine ausdrücklichen Bestimmungen enthält. Mangels ausdrücklicher Pflichtenbegründung kraft Gesetzes 798 ist die Möglichkeit der Begründung einer Pflicht, die sich auf Treu und Glauben gern. § 242 BGB stützt, näher zu beleuchten. Zur besseren Einordnung der ungeschriebenen Pflichten sind zunächst die Grundlagen darzulegen, auf denen sie im Verhältnis Arbeitgeber-Arbeitnehmer im einzelnen beruhen und wie sich deren Beziehungen vor allem im Hinblick auf die hier zu betrachtende Fragestellung rechtlich gestaltet (unter I). Danach sind die Schutzgehalte der bereits im Rahmen der verfassungsrechtlichen Untersuchung angesprochenen Grundrechte mit Weiterbildungsbezug auf ihre Eignung zur Herleitung einer Weiterbildungspflicht gegen den Arbeitgeber zu untersuchen (unter 11, III und IV).
J. Ungeschriebene Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis Nachfolgend soll daher zuerst ein Überblick über Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis (unter 1.) und die Entwicklung von die ideellen Persönlichkeitsrechte schützenden Normen (unter 2.) gegeben werden, durch welche die Handlungsfreiheit des Arbeitgebers beschränkt werden könnte. Ob eine Herleitung von Weiterbildungspflichten überhaupt möglich ist oder schon an dogmatischen Grundlagen scheitert, muß danach Unter 3. geklärt werden. Vgl. die Mustervertragsklausel bei Bengelsdorj'. in: HzA Gr. 9 Tb. 1, Rn. 221. Dazu umfassend HalUJu/Stoffels, Beteiligung von Arbeitnehmern an den Kosten der beruflichen Fortbildung, S. 11 ff. 798 Dazu § 5/ S. 94 ff., 170 ff. 796 797
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
219
1. Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis
Das Arbeitsverhältnis ist ein schuldrechtliches Leistungsverhältnis, dessen Hauptanliegen der Austausch vermögenswerter Güter ist, der aber auch ein personaler Charakter anhaftet. 799 Dauerhaftigkeit und Intensität der Bindung führen zu vielen gegenseitigen Einwirkungsmöglichkeiten; schon per definitionem wird von persönlicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers gesprochen. 8OO So ist ein Vollzeitbeschäftigter mehr als acht Stunden im Betrieb und damit kontinuierlich dem vom Arbeitgeber geschaffenen Arbeitsumfeld ausgesetzt. Dieser wiederum erlebt die Arbeitnehmer mit ihren situationsabhängigen persönlichen Stärken und Schwächen. Dabei entstehen mehr Berührungspunkte als bei Vertragspartnern anderer Dauerschuldverhältnisse, deren tatsächlicher Kontakt zwar oft mehrfache, aber nur kurze Begegnungen beinhaltet. Der Arbeitgeber nimmt eine bedeutende und meist auch dominierende Stellung im jeweiligen Lebensabschnitt des Arbeitnehmers ein. Gesetzlich fixierte oder allgemein anerkannte umfassende Nebenpflichten des Arbeitgebers zum Schutz des Arbeitnehmers sollen ein Gegengewicht zu der anderenfalls zu sehr vom Arbeitgeber bestimmten Arbeitsumwelt schaffen. 8ol Aus diesen Nebenpflichten können sich konkrete Ansprüche gegen den Arbeitgeber ergeben, er kann in der Ausübung seiner Rechte beschränkt werden oder Rechte können ihm bei Mißachtung der Pflicht verlorengehen. 802 Neben den Hauptpflichten des Arbeitgebers, die Weiterbildungsmaßnahmen nur umfassen, wenn sie vertraglich ausdrücklich in das Gegenseitigkeitsverhältnis erhoben worden, bestehen unzählige Nebenpflichten803 , die meist als Fürsorgepflichten bezeichnet werden. Fürsorgepflichten sind Nebenpflichten des Arbeitgebers, die ein Korrelat zur Unterordnung der Arbeitnehmer in eine fremde Organisation bieten sollen804 und die den Arbeitgeber verpflichten, die Arbeitnehmerinteressen so zu wahren, wie das unter Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der Interessen der anderen Arbeitnehmer nach Treu und Glauben billigerweise erwartet werden kann. 805 Die Nebenpflichten sind auf Erhalt der Integrität der in den fremden,
799
BAG - 2 AZR 363/58 - v. 25. 4. 1959 unter Ir. 3. a) der Gründe, AP Nr. 15 zu
§ 242 BGB Gleichbehandlung; Krause, AR-Blattei SD, 220.2.1, Rn. 12; Otto, Personale Freiheit, S. 131 ff., 137 f.; Wiese, ZfA 1996,439 ff. (456,478); Zöllner/ Loritz, § 11 11 7 b/
S. 155. Ehmann bezeichnet das als Ausfluß des bestehenden Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrechtes, vgl. FS für Wiese, S. 99 ff. (107). Gegen eine solche Annahme, Weber, RdA 1980, 289 ff. (299). 800 So auch schon Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht Bd. 1, S. 41 ff.; Otto, Einführung, Rn. 49. 801 Vgl. auch Wiese, ZfA 1996,439 ff. (461). 802 Soergel/Kraji, § 611 BGB Rn. 269. 803 Gemeint sind allein Nebenpflichten im engeren Sinne, also nicht die Nebenleistungspflichten. 804 MünchKomm/ Müller-Glöge, § 611 BGB Rn. 404; Otto, Einführung, Rn. 365; Staudinger/ Richardi, § 611 BGB Rn. 811; MünchKomm/ Roth, § 242 BGB Rn. 119.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
arbeitgebergeschaffenen und -kontrollierten Gefahrenkreis eingeordneten Arbeitnehmer ausgerichtet und deshalb als von der Hauptleistung unabhängig anzusehen. Sie werden auch als Nebenpflichten i.e.S. 806 , Rücksichtnahme- und erweiterte Verhaltens- 807 oder Schutzpflichten 808 bezeichnet. Häufig werden sie weiter in Schutz-809 und Förderpflichten untergliedert. 810 Sowohl Pflichten, die die ideellen Interessen der Arbeitnehmer schützen sollen als auch Förderpflichten, deren Ziel die Weiterentwicklung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers ist, sind als Grundlage für Weiterbildungspflichten des Arbeitgebers denkbar, die dem Arbeitgeber gegebenenfalls die Durchführung einer Weiterbildungsmaßnahme gebieten könnten. Nebenpflichten können danach unterschieden werden, ob sie aufgrund spezieller Normen 811 bzw. privatrechtlichen Vereinbarungen bestehen oder Ausfluß des Gedankens von Treu und Glauben gern. § 242 BGB 812 sind. Anhand dieser Eintei805 BAG - 5 AZR 74/62 - v. 1. 2. 1963, unter 3. der Gründe, AP Nr. 10 zu § 670 BGB mit Anm. Küchenhoff; MünchArbRI Blomeyer § 94 Rn. 1; Wiese, ZfA 1996,439 ff. (460). So auch § 69 des Kommissionsentwurfs für ein Arbeitsvertragsgesetz. 806 MünchKomml Müller-Glöge, § 611 BGB Rn. 404; MünchArbRI Blomeyer § 51 Rn. 20 bezogen auf (Neben)pflichten des Arbeitnehmers und § 94 Rn. 12 f. 807 Larenz, Schuldrecht AT, Bd. 1 § 2 11 S. 9 ff. 808 Schutzcharakter können auch Nebenleistungspflichten haben, wenn sie das Erfüllungsinteresse des Gläubigers schützen. Die Grenzen sind oft fließend und die Pflichten überschneiden sich z. T. In der weiteren Arbeit sind unter dem Begriff "Schutzpflichten" immer die Integrität der Vertragspartner schützende Pflichten zu verstehen. 809 Der Begriff der Schutzpflicht steht im weiteren Verlauf der Arbeit für Schutzpflichten i. e. S. und Förderpflichten. Handelt es sich ausnahmsweise um solche Schutzpflichten, die in der weiteren Unterteilung neben den Förderpflichten stehen, wird dieses durch den Zusatz i. e. S. näher gekennzeichnet. 810 Zöllnerl Loritz, ArbeitsR, § 16 I, 111 S. 202 ff.; ErfKI Dieterich, Art. 2 GG Rn. 72 unterteilt noch weiter in Förderungs-, Schutz- und Rücksichtnahmepflichten. Zu den unterschiedlichen Terminologien auch MünchArbRI Blomeyer § 96 Rn. 1, der den unterschiedlichen Bezeichnungen keinerlei Bedeutung beimißt. 811 Dabei kann weiter zwischen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Grundlagen unterschieden werden. Zur Doppelwirkung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften, unter anderem BAG - 8 AZR 121/95 - v. 20. 2. 1997 unter 11. 3. der Gründe, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitgebers; Erman/ Hanau, § 618 BGB Rn. 4; Wlotzke, FS für Hilger 1 Stumpf (1983), S. 723 ff. (738 ff.) m. w. N. 812 Als eigenständige Grundlage dieser allgemeinen Pflichten wurde früher häufig das Arbeitsverhältnis als Gemeinschaftsverhältnis angeführt. Aus diesem Gemeinschaftsverhält nis sollten nach der von Otto von Gierke begründeten und von vielen anderen übernommenen und erweiterten Lehre auch ohne Rückgriff auf das allgemeine oder besondere Schuldrecht Pflichten wegen des persönlichen Herrschaftsverhältnisses begründet werden, vgl. von Gierke, Deutsches Privatrecht 111, S. 609 ff. (620). Heute wird versucht, die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis vollständig an das Schuldrecht anzubinden, vgl. dazu BAG - 5 AZR 632/93 - v. 14. 9. 1994 unter 111. 1. der Gründe, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung; Krause, AR-Blattei SD, 220.2.1; MünchKomml Söllner, § 611 BGB Rn. 375; Weber, RdA 1980,289 ff. (298); Wiese, ZfA 1996,439 ff. (459 f.). Andererseits gibt es gerade in den letzten Jahren Bestrebungen, die Schutzpflichten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf ein gesetzliches Schuldverhältnis zu stützen, vgl. Larenz, Schuldrecht AT Bd. 1, § 24 I al S. 14; Motzer, S. 79 ff., 253 f.; MünchArbRI Blomeyer § 51 Rn. 17.
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
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lung ist zugleich feststellbar, ob es sich um eine präzise umschriebene Pflicht des Arbeitgebers handelt, deren Grenzen sich aus der Rechtsgrundlage ergeben, oder ob es eine § 242 BGB entspringende und somit häufig unschärfer konturierte Pflicht ist. Die Begrenzung der auf der Generalklausei beruhenden Pflicht erfolgt durch eine Abwägung der entgegenstehenden Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. 813 So kann flexibel auf ungeregelte Sachverhalte und damit auch auf neue Gegebenheiten der Arbeitsumwelt allgemein814 und des spezifischen Arbeitsverhältnisses reagiert werden. Vor allem Pflichten des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Arbeitnehmers werden mangels spezieller Regelungen meist auf § 242 BGB gestützt. 815 Da Weiterbildungspflichten des Arbeitgebers nach der bisherigen Untersuchung gegenüber den Arbeitnehmern bislang nur auf § 81 Abs. 1, 2 BetrVG gestützt werden können, ist im folgenden zu untersuchen, ob sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten über § 242 BGB weitere Pflichten begründen lassen. 2. Entwicklung des ideellen Persänlichkeitsschutzes
Eine Begründung von Weiterbildungspflichten muß auf dem ideellen Persönlichkeitsschutz basieren. Die Notwendigkeit, den Körper und die Gesundheit zu schützen sowie Sittlichkeit und Anstand zu wahren, ist seit langem anerkannt. 816 Demgegenüber traten Schutz und Förderung der ideellen Interessen und damit die Arbeitnehmerpersönlichkeit erst in den letzten 40 Jahren verstärkt in den Blickwinkel der Literatur. 817 Maßgeblich dafür war wohl vor allem, daß nach Regelung der lebensnotwendigen grundlegenden arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften und der Überwindung der allgemeinen wirtschaftlichen Not, Raum für ideellen Schutz bestand. Hinzu kam das Grundgesetz mit die Persönlichkeit des einzelnen stärkenden Grundrechten. 818 Die Notwendigkeit zur Sicherung ideeller Interessen und 813 Unter anderem BAG-2 AZR497 194- v. 9.3.1995 unterII. 4. der Gründe, APNr. 123 zu § 626 BGB; - 5 AZR 632/93 - v. 14. 9. 1994 unter III. 1. der Gründe, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung; MünchArbRI Blomeyer § 94 Rn. 17; Wiese, ZfA 1996,439 ff. (461). 814 Wiese, ZfA 1996,439 ff. (457), verweist hier auf die Anpassung der Arbeitsschutzvorschriften an die sich immer weiter entwickelnden Möglichkeiten der Gentechnologie. 815 Ein Beispiel für einen Anspruch aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist der Anspruch auf Entfernung rechtswidriger Abmahnungen aus der Personalakte, wodurch ein wahrheitsgetreues Bild des Arbeitnehmers in dienstlicher und persönlicher Beziehung gesichert werden soll. Ständ. Rspr. seit BAG - 4 AZR 549/57 - v. 25. 02. 1959, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; Wiese, ZfA 1971,372 ff. (311 f., 316 m. w. N.). 816 So schon 1917 von Gierke, Deutsches Privatrecht III, S. 620 f. Auch damals sollte aber der Arbeitgeber schon ,jugendlichen Arbeitnehmern die erforderliche Muße zum Besuch von Fortbildungs- oder Fachschulen [ ... ] gewähren [ ... ].", vgl. von Gierke, S. 621. 817 Isele, FS für Schwinge, S. 143 ff. (144); Kramer; S. 20 f., Wiese, ZfA 1971,272 ff. (274). 818 Wiese, ZfA 1971,272 ff. (273); Hallenberger; S. 9.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
damit auch der Bedarf an gesetzlicher Fixierung steigt mit der Emanzipation der Arbeitnehmer aus der ihnen ursprünglich zugedachten Objektstellung819 . Die sich entwickelnden Persönlichkeitsrechte wurden vielfältiger und allein mit Generalklausein nur noch schwer handhabbar. Daher trug der Gesetzgeber der verstärkten Anerkennung des Menschen als Person in der Arbeitsumwelt auch in der Normgebung Rechnung. Ausdruck dieser Entwicklung sind beispielsweise die Landesbildungsgesetze. Sie wurden aufgrund des IAO Übereinkommens Nr. 140 erlassen und bestimmen, daß die Arbeitnehmer für Bildungsveranstaltungen bis zu fünf Tage im Jahr freizustellen sind. 820. 1994 wurde das BeschäftigtenschutzG, welches die Arbeitnehmer vor Beeinträchtigung ihrer Würde am Arbeitsplatz schützen soll (vgl. § 1 I BeschäftigtenschutzG) verkündet, worin der Arbeitgeber verpflichtet wird, die sexuelle Würde der Arbeitnehmer zu achten und sich bei bestehendem Anlaß schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen. Solche, überwiegend dem ideellen Persönlichkeitsschutz dienende Normen, sind größtenteils Unterlassungsvorschriften. Dies ergibt sich schon daraus, daß das Ziel der Erhalt der Integrität der Persönlichkeit ist, also die Erhaltung des status quo. Gerade dafür sind aber in der Regel keine Handlungen vorzunehmen, sondern meist genügt ein Unterlassen des beeinträchtigenden Verhaltens. Andererseits wird positives Tun immer erforderlich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Eingriffen Dritter schützen soll. 3. Pflichten des Arbeitgebers aus § 242 BGB
Schutzpflichten sind naturgemäß zunächst Abwehrrechte. 821 Fraglich ist, ob trotzdem den Arbeitgeber in seinen Rechten beschränkende Verpflichtungen zu positiven Handlungen möglich sind oder ob es eine grundsätzliche Abhängigkeit von der Rechtsgrundlage gibt. Vor allem bei Förderpflichten kann aber die bloße Abwehr nicht ausreichend sein. Lassen sich keine Handlungspflichten herleiten, wären Förderpflichten mit persönlichkeitsschützendem Inhalt nicht möglich. Zu klären ist daher, ob sich aus § 242 BGB eine Pflicht des Arbeitgebers ergeben kann, Weiterbildungsmaßnahmen zu schaffen. Voraussetzung dafür ist zunächst, daß sich aus § 242 BGB grundsätzlich Ansprüche des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber herleiten lassen. Anschließend stellt sich die Frage, ob die sich aus § 242 BGB ergebenden Ansprüche auch positive Handlungsansprüche und damit solche auf Weiterbildung umfassen können.
Kramer, S. 132. Landesbildungsgesetze bestehen derzeit in 10 Bundesländern: Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein. Dazu auch schon unter § 5 BIS. 173. 821 Thees, S. 126. 819
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a) Grundsätzliche Erwägungen zur Begriindung von Anspriichen aus § 242 BGB Der in § 242 BGB objektivierte Maßstab von Treu und Glauben muß durch ein subjektives Recht des Arbeitnehmers so verdichtet sein, daß sich daraus ein Anspruch ergibt. 822 Die Generalklausei des § 242 BGB ist ein offener Tatbestand, der eine Ermächtigungsgrundlage für die Fortbildung von Handlungen, die bisher nicht gesetzlich normiert, aber aus Treu und Glauben geboten sind, bietet. 823 Auf welche Weise durch § 242 BGB begriindete Pflichten erfüllt werden können, bestimmt sich nach dem Einzelfall, wobei immer vom Prinzip des geringst möglichen Eingriffs ausgegangen wird. Den zu schützenden Interessen des einen Privaten ist in einer schonenden Art Rechnung zu tragen, ohne die entgegenstehenden Interessen des anderen Privaten mehr als nötig zu beeinträchtigen und von der ohne Anwendung des § 242 BGB - geltenden Rechtsfolge zu sehr abzuweichen. 824 Daraus kann nicht geschlossen werden, daß ein Anspruch aus § 242 BGB lediglich Unterlassungen und Beseitigungen zur Folge haben kann, selbst wenn dies naturgemäß die schonenderen Eingriffe sind. Positive Handlungspflichten müssen dann gegeben sein, wenn der berechtigt verfolgte Zweck sich nicht mehr durch Unterlassen oder Beseitigen erreichen läßt. Beispiele für umfangreich bejahte, mittlerweile verfestigte positive und trotzdem ungeschriebene Handlungspflichten sind die Auskunfts- und Belehrungspflichten des Arbeitgebers, aber auch Schutzpflichten Le.S., wie die Pflicht, den Arbeitnehmern zum Schutz ihres Eigentums einen Parkplatz zur Verfügung zu stellen. 825 Wie bereits dargestellt, vermitteln Grundrechte durch den in ihnen enthaltenen objektiv-rechtlichen Gehalt826 immer auch eine objektive Werteordnung, die Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Rechtsordnung hat und Schutzgehalte für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter beinhaltet. 827 Bei der Wirkung der Grundrechte im Privatrecht828 muß gleichermaßen zwischen der Abwehr- und Schutz-
Kreßel, RdA 1992, 169 ff. (171 f.). MünchKomml Roth, § 242 BGB Rn. 1. 824 MünchKomml Roth, § 242 BGB Rn. 46. 825 Dabei muß es den Arbeitnehmern allerdings unmöglich sein, öffentliche Verkehrsmittel oder öffentliche Parkplätze zu benutzen; vgl. dazu Kramer; S. 71 ff. und Kreßel, RdA 1992, S. 169 ff. (171 f. m. w. N.). 826 Zur Doppelfunktion der Grundrechte, BVerfG - 1 BvR 400/51 - v. 15. 1. 1958 unter B.II. 1. der Gründe und 1. LS, BVerfGE 7, 198 ff.; Böckenförde, Der Staat, 1990, 1 ff. (7 ff.); Stern, Staatsrecht III/l, § 68 I, S. 754. Kritisch Isensee, HdStR V, § 111 Rn. 84 m. w. N. 827 BVerfG-l BvR400/51-v. 15. 1. 1958 unterB. II. 1. der Gründe, BVerfGE 7,198 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (393); Stern, Staatsrecht III/l, § 6911 5, S. 922 und III, S. 923 ff. Zu den weiteren Funktionen des objektiv-rechtlichen Gehaltes, Stern, a. a. 0., § 69, S. 890 ff. und Jarass, a. a. 0., 363 ff. (374 ff.). 828 Zu der Lehre von der unmittelbaren und mittelbaren Drittwirkung sowie der Schutzpflichtenlehre umfassend, Stern, Staatsrecht 11111, § 76 11, S. 1538 ff. m. w. N. 822 823
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funktion 829 der Grundrechte unterschieden werden. Ist das subjektive Recht eines Grundrechtsträgers durch bloße Abwehr von Eingriffen nicht realisierbar und würde dadurch das "Untermaß" des ihm zu gewährleistenden Schutzes unterschritten, muß aus der objektiv-rechtlichen Grundrechtsgewährleistung ein Handlungsanspruch gegenüber dem Gesetzgeber folgen. 83o Die Legislative kann dann durch die Judikative zur Erfüllung verpflichtet werden. Wie der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nachkommt, bleibt jedoch ihm überlassen. 831 Er kann sich dabei selbst zu Handlungen zugunsten des Beeinträchtigten verpflichten, aber auch Handlungs- oder Unterlassungsansprüche an den "Verletzer" des Grundrechtes oder zumindest mittelbar involvierte Dritte erlassen. Der gesetzgeberische Ermessensspielraum wird erst dann überschritten, wenn durch die Regelung das Untermaß der Grundrechtsbeeinträchtigung unterschritten ist oder der andere im hier zu betrachtenden Fall der Arbeitgeber - durch die neue Regelung unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Da positive Handlungspflichten oft eine größere Beeinträchtigung eigener geschützter Sphären bedeuten als Unterlassungsvorschriften, sind Vorschriften, die zu Handlungen verpflichten, seltener anzuerkennen. Sie werden aber dennoch für die Geltung zwischen Privaten nicht von vornherein ausgeschlossen. b) Persönlichkeitsschützende Handlungspflichten Vereinzelt wurden positive Handlungsansprüche auch für den Bereich des Persönlichkeitsschutzes anerkannt 832, doch ist diese Möglichkeit nicht unumstritten. Vor allem Wiese will die Herleitung von Pflichten des Arbeitgebers, die sich allein auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gründen, auf Unterlassungspflichten beschränken. 833 Reichen aber Unterlassungspflichten nicht aus, daß Untermaß des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzes zu gewährleisten und entstehen dadurch Schutzlücken, müssen auch positive Handlungen erfolgen können. 834 So hat sich der Arbeitgeber aktiv schützend vor einen Arbeitnehmer zu stellen, wenn die restliche 829 Zur Schutzgebotsfunktion der Grundrechte vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 92 ff.; Stern, Staatsrecht III/ 1, § 76 III 4 b, S. 1560 f. und 76 IV 5, S. 1572 ff. 830 ErfK/ Dieterich, Art. 2 GG Rn. 67; Stern, Staatsrecht III! 1, § 765 aß, S. 1575 f. 831 BVerfG - 1 BvF 1,2,3,4,5,6174 - v. 25. 2. 1975 unter C. III. der Gründe, BVerfGE 39, 1 ff.; Jarass, AöR 110 (1985), 363 ff. (383); Stern, Staatsrecht III! 1, § 76 IV 5 " S. 1577 f.; Zöllner, RDV 1985, 1 ff. (10). 832 ErfK/ Dieterich, Art. 2 GG Rn. 73; Ehmann, FS für Wiese, S. 99 ff. (103 ff.); Hallenberger, S. 37, 92 f.; Kramer, S. 125; HwB-AR/ Marschollek, Fürsorgepflicht 880, Rn. 22; Schwerdtner, Entgelt- und Fürsorgetheorie im Arbeitsrecht, S. 105 f. 833 Wiese, ZfA 1971,273 ff. (280) erkennt solche positiven Pflichten im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes nur an, wenn sie zugleich gegen die davon zu trennende Treuepflicht (Wiese verwendet Treuepflicht anstatt des üblicheren Begriffs der Fürsorgepflicht, d. Verf.) des Arbeitgebers verstoßen. So auch noch Wiese, ZfA 1996,439 ff. (469 f.). 834 ErfK2 / Dieterich, § Art. 2 GG Rn. 73, genauere Erläuterungen dazu noch in der Vorauflage Rn. 81.
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
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Belegschaft oder Kunden ungerechtfertigt die Kündigung verlangen 835 oder durch Mobbing versuchen, den Arbeitnehmer selbst zur Kündigung zu veranlassen 836 . Bei anstehender Verdachtskündigung muß der Arbeitgeber den Verdacht vor Ausspruch der Kündigung genau erforschen, um dem Gebot von Treu und Glauben in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gerecht zu werden. 837 Obwohl es gerade in diesem Fall auch möglich wäre, von der Kündigung abzusehen, würde die Unterlassung hier nicht das schonendste Mittel darstellen. Ebenfalls einen Handlungsanspruch stellt die Pflicht des Arbeitgebers dar, den Arbeitnehmer bei bestehendem Arbeitsvertrag zu beschäftigen. Diesen bejahen das BAG838 und ein Teil der Literatur839 und stützen den Beschäftigungsanspruch auf §§ 611, 613 BGB i.Y.m. § 242 BGB, wobei sie die Generalklausel im Lichte der Artt. 1 Abs. 1 i.Y.m. Art. 2 Abs. 1 GG zum Schutze des Persönlichkeitsrechtes auslegen. Die Begründung positiver Handlungspflichten ist somit auch im Bereich der Persönlichkeitsinteressen teilweise bereits erfolgt. Positive Handlungspflichten lassen sich aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte herleiten. Je nach Anwendungsfall ergibt sich das Untermaß aus den verschiedenen aufeinander treffenden Interessen und deren Gewichtung bei der Abwägung. Eine allgemeine Aussage darüber, wann ein Eingriff zu Handlungspflichten des Gesetzgebers bzw. ersatzweise zu Ansprüchen aus der Generalklausei führen kann, ist also unmöglich. c) Förderpflichten im Hinblick auf die Persönlichkeit des Arbeitnehmers Ebenfalls positive Handlungspflichten zum Schutz der Arbeitnehmerpersönlichkeit aus der Generalklausei des § 242 BGB sind die vom BAG840 und Teilen der 835 BAG - 2 AZR 32/56 - v. 10. 10. 1957 am Ende der Gründe, AP Nr. I zu § 626 BGB Oruckkündigung mit zust. Anm. Hersehel; BAG - 5 AZR 210 158 - v. 11. 02. 1960 LS, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Oruckkündigung mit zust. Anm. Hersehel; BAG - 2 AZR 311/74 - v. 18.09. 1975 I. LS sowie B. I. 2. der Gründe, AP Nr. 10 zu § 626 BGB Oruckkündigung mit weitgehend zust. Anm. Hölters. 836 Zu den Pflichten des Arbeitgebers bei Mobbing umfassend Spamer; S. 142 ff. Vgl. auch Gamillseheg, Arbeitsrecht I, § 3 4 (6)/S. 98 f. m. w. N. 837 Fraglich ist hierbei, ob es sich um eine Pflicht im Rechtssinne oder eine Obliegenheit handelt. Wegen schwieriger inhaltlicher Unterscheidung ist oft unklar, wovon das BAG ausgeht. So BAG - 2 AZR 587/9413 - v. 13. 09. 1995 unter 11. 3. der Gründe, AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, hier obliegt dem Arbeitgeber eine Anhörungspflicht. Trotz Bezeichnung als Pflicht, ist rechtlich eine Obliegenheit gemeint (so deutlich unter 11. 4. a) der Gründe). Vgl. dazu auch Hoefs, Oie Verdachtskündigung, S. 185 ff., 190 ff. m. umf. N. Zur Abgrenzung Pflicht-Obliegenheiten auch schon unter § 5 A IV 5 c) I S. 143 ff. 838 BAG - GS 1/84 - v. 27. 2. 1985 unter c.1. 2. b) der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 839 Krause, AR-Blattei SO, 220.2.1, Rn. 203 ff. m. w. N.; Ouo, Einführung, Rn. 386. 840 BAG - GS 1/84 - v. 27. 2. 1985 unter C. I. 2. b) der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht.
15 Fracke
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Literatur anerkannten Fürsorgepflichten des Arbeitgebers, die Persönlichkeit zu fördern. 841 Dabei handelt es sich nicht mehr um positive Handlungspflichten zum Schutz der Arbeitnehmerpersönlichkeit, sondern um weitergehende Pflichten. Ziel ist die Förderung der Entfaltung und Schaffung von Entfaltungsmöglichkeiten der Persönlichkeit, also die Unterstützung der persönlichen Weiterentwicklung. Soweit ersichtlich, werden vor allem zwei Fallgruppen unter diese Förderpflichten gefaßt, die der menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung842 und die der Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit durch die Arbeit843 sowie die damit zusammenhängende Stellung in der Gesellschaft und im Betrieb. 844 Die Grenzen zwischen Schutz und Förderung sind im Bereich des Persönlichkeitsrechtes fließend und nahezu unbestimmbar845 , so daß Förderpflichten ebenfalls als Bestandteil der Schutzpflichten anzusehen sind. Sie haben lediglich einen weiteren Anspruchsbereich als die "bloßen" Schutzpflichten, beruhen aber nicht auf anderer Rechtsgrundlage. Da sie auch nicht anders zu behandeln sind als die Persönlichkeit betreffende Schutzpflichten, wird eine Unterscheidung in der weiteren Arbeit nicht mehr vorgenommen. d) Ergebnis zur Begründung von Pflichten aus § 242 BGB Abschließend läßt sich feststellen, daß sich aus § 242 BGB für den Arbeitgeber auch im Bereich des Persönlichkeitsschutzes sowohl Unterlassungs- als auch Beseitigungs- und positive Handlungspflichten ergeben können. Die Begründung der nicht auf konkreter Rechtsgrundlage beruhenden Pflichten kann grundsätzlich durch § 242 i.Y.m. Grundrechten des Arbeitnehmers erfolgen, selbst wenn es sich, wie bei der Frage nach einer Pflicht zur Weiterbildung, um positive Handlungsansprüche handelt. Ob dem Arbeitgeber im Einzelfall bestimmte Pflichten auferlegt werden können, bedarf einer Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
841 Ehmann, FS für Wiese, S. 99 ff. (104 f., 111); ErfK/ Dieterich, Art. 2 GG Rn. 72 f.; eher zurückhaltend und in der dogmatischen Begründung unsicher, lsele, FS für Schwinge, S. 143 ff. (146 f.); Kramer, S. 130 f., der eine solche Förderpflicht in Deutschland wohl auch neben § 75 Abs. 2 BetrVG gegeben sieht; Zöllner / Loritz, ArbeitsR, § 16 11 / S. 206 ff. Allerdings besteht ebenso Einigkeit, daß solche Pflichten nur sehr vorsichtig zu bejahen sind. 842 Kramer, S. 126, der sich auf Zöllner, RdA 1973,212 ff. (214 f.) bezieht, ohne das Zöllner selbst diese Forderung als Förderung einordnet; vgl. dazu auch Zöllner / Loritz, ArbeitsR, § 16 I 2/S. 204. 843 So wohl im Ergebnis ErfK2 / Dieterich, Art. 2 GG Rn. 73, genauere Begründung noch in der Vorauflage Rn. 80; Zöllner/ Loritz, ArbeitsR, § 16 II/S. 206 ff. 844 BAG - GS 1 /84 - v. 27. 2. 1985 unter C. I. 2. b) der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 845 Zöllner / Loritz, ArbeitsR, § 16 11 / S. 206 f. Für die spezielle Vorschrift des § 75 Abs. 2 BetrVG das gleiche annehmend, Hallenberger, S. 92.
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11. Weiterbildung und Berufsfreiheit des Arbeitnehmers Der Arbeitgeber könnte zur Weiterbildung des Arbeitnehmers nach Treu und Glauben verpflichtet sein, wenn anderenfalls die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers gern. Art. 12 GG unzumutbar beeinträchtigt und das Untermaß an zu gewährendem Schutz unterschritten wäre. Die Maßnahmen des Staates zur Erfüllung der ihm durch die Berufsfreiheit, insbesondere die Berufsausübungsfreiheit obliegenden Schutzpflichten bezüglich Durchführung, Organisation und Verfahrensgestaltung der Weiterbildung846 dürfen nicht durch Einwirkungen Privater derart beeinträchtigt werden, daß die Berufsausübungsfreiheit nicht mehr ausreichend gewährleistet wird. Liegt eine zu weitgehende Beschneidung der Berufsfreiheit vor und wurde der Gesetzgeber zur Wiederherstellung nicht tätig, sind die Gerichte gefordert, diese Grundrechtsgefährdung durch Schaffung von Schutzbestimmungen zu vermeiden. 847 Dabei lassen die - zunächst meist stellvertretend durch Gerichte vorgenommenen - Handlungen keine rechtliche Fixierung auf bestimmte normative Gestaltungen zu. Die Interessen der Beteiligten in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, wird allein dem Gesetzgeber überlassen. 848 Würde also beispielsweise durch die berufliche Tätigkeit die Wahrnehmung der objektiv-rechtlich verbürgten Möglichkeit der Durchführung der Weiterbildung verhindert, müßte dem Grundrecht zur Wirksamkeit ohne unzulässige Beeinträchtigung anderer verholfen werden. Durch diese Feststellung bliebe die Ausgestaltung der Schutzmaßnahme im einzelnen offen, vorgegeben wäre lediglich, daß eine solche notwendig würde.
1. Gewährleistung der Durchführung der Weiterbildung
Für die im Rahmen dieser Arbeit zu beantwortende Frage, ob der Arbeitgeber stets -oder zumindest unter bestimmten Umständen - Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen hat, scheinen die Gewährleistungen innerhalb der Berufsfreiheit zunächst keine Auswirkungen zu haben, vor allem, weil von staatlicher Seite nur die Durchführung bereits bestehender Maßnahmen, nicht aber deren Einführung zu gewährleisten ist. Jedoch ist vorstellbar, daß grundsätzlich bestehende private oder staatliche berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten wegen ständiger Involvierung in den Arbeitsprozeß nicht wahrgenommen werden können und somit die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahrnen faktisch unmöglich gemacht wird. Das Untermaß der Gewährleistung, bei dem der Gesetzgeber bzw. stellvertretend die Gerichte Gegenmaßnahmen ergreifen müssen, wäre unterschritten, wenn die Möglichkeit der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme quasi nie gegeben und die grundrechtlich zugesicherte Möglichkeit der Teilnahme an WeiterbildungsmaßDazu bereits § 4 B I 2 b)bb)(3)/S. 79 ff. Vgl. BVerfG-l BvR26/84-v. 7. 2. 1990 unter I. 3. der Gründe, BVerfGE 81, 242ff. Vgl. auch schon Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 ff. (227). 848 Vgl. nur: Papier; RdA 2000, 1 ff. (4). 846
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
nahmen zum Erhalt der Weiterbildungsfreiheit daher vollkommen vereitelt wäre. Arbeitgeber, die eine Weiterbildungsteilnahme außerhalb des Arbeitsverhältnisses durch Gestaltung der Arbeitsbeziehung faktisch unmöglich machen, müßten dann gegebenenfalls verpflichtet werden, selbst Maßnahmen zur Gewährleistung der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen bereitzustellen. Um festzustellen, ob eine solche Notwendigkeit besteht, sind die gegenwärtig bestehenden Regelungen am durch Art. 12 GG gebotenen Schutzminimum zu messen. Gegen eine Vereitelung der verbürgten Durchführung der Weiterbildung durch die fehlende (Weiterbildungs)Zeit sprechen die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes. Danach darf die werktägliche Arbeitszeit gern. § 3 ArbZG im Durchschnitt 8 h nicht überschreiten. Neben der Arbeitszeit bleibt so ausreichend Freizeit849 , in der berufliche Weiterbildung erfolgen kann. Probleme ergeben sich erst, sind berufliche Weiterbildungszeiten als Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitszeitgesetzes zu verstehen. 85o Dann könnte ein voll berufstätiger Arbeitnehmer ohne Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz nicht außerhalb der Arbeitszeit an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. 851 Eine Weiterbildung wäre bei Vollbeschäftigten in den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes faktisch unmöglich. Einen Ausweg böte die Verwendung von eigentlich als Erholungsurlaub vorgesehenen Zeiten oder die Freistellung - bezahlt oder unbezahlt - durch den Arbeitgeber. 852 Daher könnte aus Treu und Glauben gern. § 242 BGB geboten sein, dem Arbeitgeber Freistellungspflichten aufzuerlegen. Bevor aber die Lösung solcher Konflikte zu untersuchen ist (unter b)), muß geklärt werden, ob bzw. wann Weiterbildungszeit zugleich als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes angesehen werden kann (unter a». Voranzustellen ist, daß die folgenden Erwägungen nur für die berufliche Weiterbildung gelten, weil die allgemeine oder politische Weiterbildung sich nicht auf die Berufsausübungsfreiheit auswirken kann und daher vom Schutz des Art. 12 GG nicht umfaßt ist. a) Weiterbildungszeit als Arbeitszeit im Sinne des § 3 ArbZG Zu der Problematik der Weiterbildungszeit als Arbeitszeit hat sich Bengelsdorf geäußert. Er stellt vordergründig darauf ab, daß Weiterbildung keine Hauptpflicht 849 Der Arbeitnehmer wäre bei einer maximal möglichen Arbeitsbelastung von lOh i. S. d. § 3 ArbZG mindestens 14 h nicht beschäftigt und somit während dieser Zeit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen in der Lage. 850 Diese Frage wirft auch Bengelsdorf, HzA Gr. 9 Tb. I Rn. 219 auf, ohne aber abschließend Stellung zu beziehen. Zu beachten ist dabei, daß die Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes sich von der privatrechtlich vereinbarten unterscheidet. Die privatrechtlichen Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern sind stets zusammenzuzählen (§ 2 Abs. 1 S. 1 2.HS ArbZG) und ergeben gemeinsam die arbeitsschutzrechtlich zu beachtende. 851 Vorausgesetzt natürlich, daß innerhalb der nächsten 24 Wochen bzw. 6 Monate auch kein Ausgleich erzielt werden kann (§ 3 S. 2 ArbZG). 852 Den vorliegenden Gesichtspunkt zog Mauer, S. 58 f. nicht in Betracht als sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Bildungsfreistellung untersuchte.
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsveruaglicher Beziehungen
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i. S. d. § 611 BGB zur Erbringung der Arbeitsleistung ist und damit bei der Einhaltung der maximalen Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz auch nicht zu berücksichtigen ist. Dennoch rät er "vorsorglich", die Arbeitszeitregeln trotzdem zu beachten. 853 Die Begründung von Bengelsdorj kann nicht überzeugen. Die Unterscheidung zwischen Haupt- oder Nebenpflicht läßt sich oft nur schwer vornehmen. Gerade wenn der Arbeitgeber eine bestimmte Weiterbildungsmaßnahme vorschreibt, ist es unbillig, die dafür aufgebrachte Zeit grundsätzlich nicht als Arbeitszeit anzusehen. Auch in anderen arbeitsrechtlichen Grenzfällen der Pflichtenbestimmung, wie beispielsweise bei der Frage, ob Wasch- und Umkleidezeiten zur Arbeitszeit zu rechnen sind oder nicht, wird auf die jeweilige Vereinbarung abgestellt und keine pauschale Einordnung vorgenommen. 854 Zur besseren Anschaulichkeit der weiteren Erörterungen folgendes Beispiel: In Beispiel ]855 wurde geschildert, daß Mitarbeiter eines deutschen Technologiebetriebes zukünftig mit ihren belgischen Kollegen Englisch sprechen sollen. Die zum Erlernen und Vertiefen der englischen Sprache von der T-GmbH angebotenen Kurse verschiedener Schwierigkeitsstufen sind für alle Arbeitnehmer offen und finden einmal wöchentlich 7.00 Uhr statt. Das ist genau eine Stunde vor Beginn der täglichen Arbeitszeit. Die - alle freiwillig - daran teilnehmenden Arbeitnehmer sind daher zu den üblichen 9,5 h856 eine Stunde zusätzlich im Betrieb. An dem Kurs nehmen auch Herr S und Herr T teil. Während die Kenntnisse des S zur Verständigung ausreichend sind, sich aber durchaus noch sinnvoll verbessern lassen, besteht für T die dringende Notwendigkeit der Teilnahme. Bisher war er jedenfalls nicht in der Lage, sich mit seinen belgisehen Kollegen zu verständigen. Die Zusammenarbeit mit den Belgiern ist für das nächste Projekt aber unumgänglich. Beide fragen den Arbeitgeber, ob sie nicht am Kurstag eine Stunde eher gehen könnten, schließlich kämen sie ja auch eher. Sie würden auch auf den Lohn für die letzte Stunde verzichten. Hier stellt sich die Frage, ob eine Befreiung von der letzten Arbeitsstunde arbeitszeitrechtlich geboten sein könnte und ob eine Unterscheidung in der rechtlichen Behandlung zwischen Sund T getroffen werden kann.
Die Abgrenzung, ob die bei einer Weiterbildung verbrachten Stunden zugleich Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes darstellen oder nicht, kann nicht pauschal beantwortet werden, es muß auf den Zweck der Arbeitszeitbegrenzung abgestellt und dann nach dem jeweiligen Inhalt der betreffenden Weiterbildungsmaßnahmen unterschieden werden. Die Festlegung der Höchstarbeitszeit in § 3 ArbZG dient der Sicherung ausreichender Ruhezeiten der Beschäftigten,857 und nach § I Nr. 1 ArbZG soll dem Bengelsdorf, HzA Gr. 9 Tb. 1 Rn. 219. Vgl. BAG - 5 AZR 122/99 - v. 11. 10. 2000 unter IV. der Gründe, AP Nr. 20 zu § 611 BGB Arbeitszeit. 855 1. Teil § 1 AI S. 26. 856 Auszugehen ist hierbei von einer Fünf-Tage-Woche. 853
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Gesundheitsschutz vordergründig Rechnung getragen werden. Die Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit haben, sich von der Arbeit zu erholen, sich zu entspannen und neue Energie für den nächsten Tag zu sammeln. Zu überlegen ist, woran die Fälle erkennbar sind, bei denen diese Erholungsphase aufgrund einer Weiterbildung nicht beginnen kann. aa) Pflicht zur Weiterbildung als Determinante
Unproblematisch sind die mit einer Weiterbildung verbrachten Stunden als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes anzusehen, in denen der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber zur Teilnahme verpflichtet ist. Sowohl für Herrn Tals auch Herrn S aus dem obigen Beispiel dürfte der Englischkurs danach aber nicht als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes angesehen werden. Problematisch ist, daß auf den Arbeitnehmer auch ohne Verpflichtung durch den Arbeitgeber mittelbar Druck ausgeübt werden kann. Daher kann die Teilnahme an einer Weiterbildung forciert werden, ohne als Pflicht festgelegt zu sein. Außerdem sollen die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes die Gesundheit unabhängig vom Willen des Betroffenen schützen. 858 Wird eine Weiterbildungsmaßnahme mit sehr viel Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbezug durchgeführt, kann die Teilnahme des Arbeitnehmers zwar freiwillig sein, wegen der zu sehr auf seine Tätigkeit bezogenen Inhalte ist es dem Arbeitnehmer aber dennoch nicht möglich, sich in der vom Arbeitszeitgesetz angestrebten Art und Weise von seiner Tätigkeit zu erholen. Es könnte also neben dem Merkmal der Weiterbildung aufgrund einer Weiterbildungspflicht noch andere Kriterien geben, bei denen die Weiterbildungszeit ebenfalls als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes anzusehen ist. bb) Arbeitsplatzbezug als Determinante
Ein wichtiges Abgrenzungsmerkmal dafür, ob es sich um eine Weiterbildung handelt, die auch Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes ist, könnte die Notwendigkeit oder der Bezug der vermittelten Inhalte für den Betrieb oder Arbeitsplatz sein. Sobald die vorgenommene Weiterbildungsmaßnahme generell Tätigkeitsbezug hat und sie zusätzlich für die weitere ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung auch notwendig ist, zumindest aber Relevanz besteht, könnte ein Arbeitsplatzbezug gegeben sein, der ausreicht, um die Weiterbildung als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes anzusehen. Immer dann also, wenn sich der Arbeitnehmer nach 857 Vgl. BAG - 5 AZR 122/99 - v. 11. 10. 2000 unter IV. der Gründe, AP Nr. 20 zu § 611 BGB Arbeitszeit; BayOLG - 3 Ob OWi 136/85 - v. 22. 1. 1986, AP Nr. 6 zu § 105 bGewO. 858 Vgl. BayOLG - 3 Ob OWi 136/85 - v. 22. 1. 1986 am Ende der Entscheidung, AP Nr. 6 zu § 105 b GewO; MünchArbR/ Anzinger § 217 Rn. 14.
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
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der Arbeit nicht mit betriebs- und arbeitsplatzfremden Materien beschäftigen kann, muß von zur vertraglich geschuldeten Arbeitszeit hinzuzurechnender, arbeitsschutzrelevanter gesetzlicher Arbeitszeit ausgegangen werden. So kann die Überbelastung des Arbeitnehmers durch ständigen Arbeitsplatzbezug und die Umgehung des Arbeitszeitgesetzes durch arbeitsnotwendige Weiterbildungen außerhalb der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit verhindert werden. Trotz theoretisch leicht vornehmbarer Abgrenzung ist es praktisch schwierig, die Grenze zwischen lediglich allein persönlichen Interessen des Arbeitnehmers dienender Weiterbildung859 und solcher, die vordergründig für den Arbeitsplatz relevant ist und somit im Arbeitgeberinteresse erfolgt, zu ziehen. Es könnte darauf abgestellt werden, ob die Weiterbildung für die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten notwendig ist. Dies wiederum kann sich grundsätzlich nur aus ausdrücklichen Bestimmungen im Arbeitsvertrag bzw. seiner Auslegung ergeben. Eine solche Abgrenzung führt in letzter Konsequenz immer zu einer Bestimmung des Arbeitgebers über die arbeitszeitrelevante Beanspruchung des Arbeitnehmers. Lehnt der Arbeitgeber die Notwendigkeit einer Weiterbildungsmaßnahme für einen bestimmten Arbeitsplatz auf Nachfrage des Arbeitnehmers wie im Beispielsfall ab, können die jeweiligen Weiterbildungsmaßnahmen nicht als arbeitsschutzrelevante Arbeitszeit anerkannt werden. Nimmt der Arbeitnehmer trotzdem an einem solchen Kurs teil, muß der Unterschied zu einer Maßnahme, bei der der Arbeitsplatzbezug vom Arbeitgeber anerkannt wurde, darin gesehen werden, daß durch Fehlen einer arbeitsplatzbezogenen Weiterbildungsverpflichtung der Druck der zwingenden Teilnahme entfällt. Damit bleibt die Entscheidung über die Teilnahme allein dem Arbeitnehmer überlassen, und es fehlt an einer der Arbeits(streß)situation vergleichbaren Lage. Es läßt sich nicht vermeiden, daß dadurch letztlich doch wieder auf die Freiwilligkeit einer Weiterbildungsmaßnahme abgestellt wird. Ein zusätzliches Korrelat kann lediglich der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz bieten, da der Arbeitgeber einen sachlichen Grund benötigt, vereinbart er mit einem Arbeitnehmer die Notwendigkeit einer Bildungsmaßnahme, mit einem anderen in ähnlicher Situation aber nicht. Auch nach Anerkennung als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes für solche Zeiten, die der Arbeitnehmer bei im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers liegenden Weiterbildungsmaßnahmen zubringt, kann die Teilnahme am Englischkurs sowohl für S als auch für T nicht als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes angesehen werden. Zwar scheint das Interesse des Arbeitgebers an einer Teilnahme des T gegenüber dessen persönlichem Interesse zu überwiegen, verneint er es aber ausdrücklich, ist das zunächst hinzunehmen und nur bei späteren Handlungen des 859 Selbstverständlich liegt jede Weiterbildung auch im Arbeitgeberinteresse, da an zusätzlichen Qualifikationen und Wissensauffrischungen interessierte Mitarbeiter auch bei der Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten motivierter sein werden. Maßgeblich ist aber hier nur das Interesse bezogen auf die "normale" Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Arbeitgebers als widersprüchliches und damit gegen § 242 BGB verstoßendes Verhalten zu beachten 86o . ce) Ergebnis zur Bestimmung der Weiterbildungszeit als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes
Weiterbildung kann immer nur dann als Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes angesehen werden, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ausdrücklich dazu verpflichtet wurde, der Arbeitgeber auf Nachfrage des Arbeitnehmers die Notwendigkeit der Maßnahme bejaht oder wenn bei fehlender Vereinbarung die Auslegung der Umstände ergibt, daß es sich um eine Weiterbildungsmaßnahme handelt, an der das Arbeitgeberinteresse überwiegt. Fehlt es an einer direkten Anweisung, sind als Indizien für ein Überwiegen des Arbeitgeberinteresses etwa das Initiieren einer Bildungsmaßnahme oder - wie im Beispielsfall - das Zurverfügungstellen von Kursräumen oder aber auch Kursmitteln, anzusehen. Ebenfalls Betriebs- und Arbeitsplatzbezug ist zu vermuten, wenn es sich um einen nur den Arbeitnehmern des Betriebes zugänglichen Kurs handelt, der trotz außerbetrieblicher Bildungsstätte allein auf deren Erfordernisse zugeschnitten ist. Liegen Hinweise dieser Art vor, ist seitens des Arbeitgebers zu begründen, daß er diesen Aufwand allein für eine unverbindliche Ermöglichung von Weiterbildungsmaßnahmen betreibt. Außerdem ist Arbeitsplatzbezug gegeben, wird dem Arbeitnehmer im Falle des Fehlens bestimmter Kenntnisse eine Kündigung angedroht. b) Folge der Anerkennung der Weiterbildungszeit als Arbeitszeit Fraglich ist, welche Folge die Zurechnung von bestimmten Weiterbildungszeiten zur Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes hat. 861 Sie könnte dazu führen, daß arbeitszeitrelevante Weiterbildung außerhalb der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit wegen der strikten Grenze des Arbeitszeitgesetzes nur durchgeführt werden kann, wenn der Rahmen der arbeitsschutzrechtlich zulässigen Arbeitszeit nicht bereits ausschöpft ist. Liegt eine Auslastung der arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebenen gesetzlichen Arbeitszeit wie im Beispielsfall vor, ist den betroffenen Arbeitnehmern faktisch die Möglichkeit zur Weiterbildung genommen. Der Schutzauftrag der Verfassung richtet sich aber darauf, der objektiven Grundentscheidung des Art. 12 GG, also der Ermöglichung der Durchführung der Weiterbildung, Geltung zu verschaffen. 860 So kann ein Arbeitgeber, der erst das betriebliche Interesse an einer Weiterbildung verneint, später nicht wegen gerade eines solchen Mangels kündigen. 861 Es handelt sich hierbei im Gegensatz zu arbeitsvertraglichen Arbeitszeiten um arbeitsschutzrechtliche. Die Betrachtung der arbeitsvertraglichen Arbeitszeit hätte stets auch die hiervon zu trennende Frage der Entgeltfortzahlung zur Folge.
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Zunächst muß versucht werden, das bestehende Arbeitszeitgesetz schutzgebotskonform auszulegen. Eine schutzgebotskonforme Auslegung des Arbeitszeitgesetzes könnte eine explizit zulässige Erweiterung der täglichen Höchstarbeitszeit zu Bildungszwecken bedeuten. Jedoch wäre dann das an gesundheitlichen Gesichtspunkten orientierte System des Arbeitszeitgesetzes verändert. Eine solche Veränderung des Gesetzeszwecks, der sich auch aus einem grundrechtlichen Schutzgebot (Art. 2 Abs. 2 GG) ergibt, ist nicht mehr von einer Auslegung des Gesetzes umfaßt. 862 Nunmehr ist zu überlegen, ob der Arbeitgeber über § 242 BGB bis zu einer eventuellen schutzgebotsgerechten Änderung des Arbeitszeitgesetzes verpflichtet werden kann, vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zumindest in dem nach Art. 12 GG gebotenen Mindestmaß bei solchen Weiterbildungsveranstaltungen freizustellen, die Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne bedeuten. Immer dann also, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer Weiterbildung verpflichtet oder die dem Arbeitnehmer angebotene Weiterbildung im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers liegt, müßte er den Arbeitnehmer zumindest für die Stunden, die über die arbeitszeitgesetzlich gestattete Arbeitszeit hinausgehen, von der vertraglichen Arbeitspflicht befreien. Eine solche Verpflichtung beinhaltet allerdings eine Auferlegung von Lasten auf den Arbeitgeber zur Erfüllung einer staatlichen Schutzpflicht. Schon deshalb ist die Gleichsetzung von Weiterbildungszeit und Arbeitszeit i. S. d. Arbeitszeitgesetzes restriktiv am Arbeitsplatzbezug und der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber zu messen. Werden die Grenzen für die Bestimmung der Weiterbildungszeit als Arbeitszeit zu weit gezogen, führte das dazu, daß Arbeitnehmer selbst bestimmen könnten, auf welche Weise sie ihrer Arbeitspflicht nachkommen und dem Arbeitgeber eine von ihnen als wichtig empfundene Weiterbildung oktroyiert. Werden sie andererseits zu eng gezogen, könnte den Arbeitnehmern die Möglichkeit genommen sein, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen bzw. sie werden mittelbar doch gezwungen, in ihrer Freizeit eigentlich arbeitsrelevante Bildungsveranstaltungen zu besuchen, selbst wenn die maximal arbeitsschutzrechtlich mögliche Arbeitszeit bereits durch die vertraglich geschuldete Arbeitszeit aufgebraucht ist. Eine so auferlegte Freistellungsverpflichtung müßte verhältnismäßig sein. Das Maß des aus Art. 12 GG zu gewährenden Schutzes darf also nicht überschritten werden. Eine Freistellungspflicht des Arbeitgebers ist ein geeignetes Mittel, um den Zweck, nämlich die Ermöglichung der Weiterbildung im Rahmen der Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne, zu erreichen. Auch läßt sich ein milderes, gleich geeignetes Mittel nicht erkennen, da sich die Freistellungsverpflichtung lediglich auf solche Arbeitnehmer bezieht, die wegen Vollzeitbeschäftigung sonst an keiner Weiterbildung teilnehmen könnten. Die Angemessenheit ergibt sich daraus, daß sich die Freistellungspflicht des Arbeitgebers auf solche Maßnahmen beschränkt, zu denen er seine Arbeitnehmer verpflichtet oder die im überwiegenden betrieblichen Inter862
Vgl. Larenz, Methodenlehre, Kap. 4, 2 e)/S. 340.
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esse liegen. Er wird also zu einer Freistellung zur Weiterbildung nur dann bestimmt, wenn er den Arbeitnehmer entweder vorher verpflichtete, oder aber sein Interesse an der Weiterbildung aufgrund vorheriger Verhaltensweisen vermutet werden muß. Problematisch erweist sich diese Lösung jedoch bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern mit zwei oder mehr Arbeitsverhältnissen bei mindestens zwei verschiedenen Arbeitgebern. Handelt es sich um inhaltlich gleiche Tatigkeiten und ist eine Relevanz der Weiterbildung für die arbeitsvertraglichen Pflichten auch unstreitig, wird es quasi unmöglich, festzustellen, welchem der Arbeitgeber die Freistellungspflicht aufzuerlegen ist. Diese kann dann nur geteilt werden. Ein Argument des Arbeitgebers gegen diese zusätzliche Belastung könnte dann aber darin bestehen, daß nicht er die Grenze der zulässigen Arbeitszeit ausnutzen will, sondern der Arbeitnehmer. c) Umfang und Durchsetzung der Freistellung Die Freistellung des vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers bezieht sich allein auf die Befreiung von der Arbeitspflicht. Das Schutzgebot der Berufsausübungsfreiheit umfaßt hier lediglich die Ermöglichung der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen, eine Fortzahlung des Entgelts ist davon nicht umfaßt. Das ergibt sich schon daraus, daß in den hier untersuchten Fallgestaltungen die Weiterbildung gerade nicht Teil der Arbeitsverpflichtung ist und der Arbeitnehmer nach dem Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn" keinen Anspruch auf Vergütung hat. Zu klären ist aber, ob es sich um eine echte Rechtspflicht oder um eine Obliegenheit handelt. Nach den bereits dargestellten Abgrenzungskriterien von Pflichten und Obliegenheiten wird danach unterschieden, ob die Verbindlichkeiten im Fremd-, also Arbeitnehmerinteresse liegen und eine Pflicht darstellen, oder ob sie als Obliegenheiten eher im Eigeninteresse des Arbeitgebers erfolgen und die Durchführung in dessen freie Entscheidung gestellt ist. 863 Da es sich bei Überschreiten der Höchstdauer der Arbeitszeit um eine Verletzung eines gesetzlichen Gebotes handelt, kann die Freistellung nicht in das freie Belieben des Arbeitgebers gestellt sein. Es handelt sich daher um keine Obliegenheit, sondern eine Rechtspflicht. Fraglich ist, ob diese sich auch seitens des Arbeitnehmers klageweise durchsetzen läßt. aa) Schutzpjlichten als selbständig klagbare Eifüllungsansprüche
Das Problem der selbständigen Klagbarkeit von aus § 242 BGB entwickelten Verhaltenspflichten ist noch nicht abschließend geklärt. Die Meinungsspanne reicht von genereller Versagung der Einklagbarkeit864 über teilweise ZulasVgl. unter § 5 A IV 5 c) bb) / S. 144 f. Esser / Schmidt, SchuldR AT Bd. 1, § 6 IV / S. 109; Larenz, Schuldrecht AT Bd. I, § 211 S. 11; § 9/S. 100. 863
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sung865 bis zu grundsätzlicher Annahme eines Erfüllungsanspruchs. 866 Fraglich und strittig ist, ob auf die Handhabung bei speziellen Vorschriften zurückgegriffen werden kann, wenn die Fürsorgepflicht auf § 242 BGB gestützt wird. 867 Dann könnte wie bei § 81 Abs. 1, 2 BetrVG, der ebenfalls keine Rechtsfolge enthält, auf Erfüllung geklagt werden. 868 Einerseits könnten die speziellen Normen als abschließende, die sonstige Einklagbarkeit vollständig ausschließende Regelung angesehen werden 869 , andererseits könnte aber die vergleichbare Konstellation auch gerade für die Einklagbarkeit jeglicher Pflichten sprechen. 87o Gegen die Annahme einer ab-schließenden Regelung und somit die Ablehnung eines Erfüllungsanspruchs spricht, daß die Schutzpflichten gerade entwickelt wurden, um neben dem Deliktsrecht eine stärkere vertragsrechtliche Handhabe gerade in den Fällen zu erlangen, in denen erhöhter sozialer Kontakt zwischen mindestens zwei Personen besteht. Schließlich sind die gegenseitigen Einwirkungsmöglichkeiten und somit auch die Gefahren in diesen Fällen ungleich höher. 87 1 Damit ließe sich nicht vereinbaren, daß es nunmehr zwar neben den deliktischen Ansprüchen eine zweite Rechtsgrundlage gäbe, diese sich aber nicht durchsetzen ließe. Die grundsätzliche Ablehnung eines Erfüllungsanspruchs lediglich wegen fehlender ausdrücklicher Regelung ist somit abzulehnen. So ist beispielsweise mittlerweile auch unbestritten, daß der Schutzpflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zu beschäftigen, ein Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüberstehen muß. 872 Schließlich hilft ihm weder späterer Schadensersatz noch die Ausübung eines Leistungsverweigerungsrechts, wenn er gerade tätig werden will. Zu weitgehend erscheint es aber, schematisch jeder Nebenpflicht eine selbständige Einklagbarkeit zuzusprechen. 873 Schutzpflichten sind demnach nicht einheitlich zu behandeln, und es müssen sinnvolle Abgrenzungskriterien gefunden werden. Für die Abgrenzung werden in der Literatur vor allem zwei Kriterien angeführt. 874 Zum einen soll es sich um eine 865 MünchKomml Roth, § 242 BGB, Rn. 208; Schlechtriem, SchuldR AT, Rn. 116 f.; Stürner, JZ 1976,384 ff. (385 ff.). 866 Motzer, JZ 1983, 884 ff. (886 ff.), der ein Nichtbestehen des Anspruchs lediglich aus tatsächlichen Gründen, d. h. wegen fehlender Nachholbarkeit als möglich ansieht. 867 MünchKomml Roth, § 242 BGB Rn. 209. 868 Dazu bereits § 5 A IV 5 a) und d)/S. 142 f., 145 f. 869 Kress, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, S. 7 Fn. 16. 870 Vgl. MünchKomml Roth, § 242 BGB Rn. 209; Stümer, JZ 1976,384 ff. (385). 871 Esser/Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I, § 6 IV IS. 1l0; Motzer, JZ 1983,884 ff. (886 f.); Stümer, JZ 1976, 384 ff. (385). 872 BAG - GS l/84 - v. 27. 2. 1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Erman/Hanau, § 611 BGB Rn. 351; MünchArbRI Blomeyer § 95 Rn. 20. 873 So im Ergebnis Motzer, JZ 1983,884 ff. 874 Köhler, AcP 190 (1990), 497 ff. (509 ff.). Allerdings stellt Köhler noch auf ein drittes Kriterium, das der drohenden Verletzungsgefahr - ganz im Sinne des vorbeugenden quasinegatorischen Unterlassungsanspruchs - ab. MünchKomml Roth, § 242 BGB Rn. 209; Stümer, JZ 1976, 384 ff. (386).
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konkretisierte Pflicht handeln, und der Geschützte darf nicht anderweitig zumutbar
der Gefahr ausweichen können. 875 Dabei muß für einen Erfüllungsanspruch schon eine hinreichend konkretisierte Pflicht genügen 876 , da die Arbeitnehmer wegen der verschiedenen Möglichkeiten der Erfüllung von Handlungspflichten des Arbeitgebers andererseits so gut wie nie einen Erfüllungsanspruch geltend machen könnten. Ein Vergleich mit § 618 Abs. I BGB macht das deutlich. Wie der Arbeitnehmer gern. § 618 Abs. I BGB vor Gesundheitsbeschädigungen geschützt werden kann, ergibt sich oft erst aus dem konkreten, vom Arbeitgeber bestimmten Arbeitsablauf. Selbst wenn die Pflicht auf eine spezielle Arbeitsschutzpflicht konkretisiert ist, bestehen meist weiterhin mehrere Möglichkeiten für deren Erfüllung. Daher ist ein einklagbarer Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung innerhalb des Rahmens einer ordnungsgemäßen Erfüllung zulässig. 877 Ein Beispiel bietet der Nichtraucherschutz im Betrieb. Erst wenn ein von den Auswirkungen des Passivrauchens akut betroffener Arbeitnehmer878 seine Schutzrechte geltend macht, besteht eine Handlungspflicht des Arbeitgebers. 879 Nachdem die Notwendigkeit des Schutzes festgestellt und geltend gemacht wurde, bleibt es gleichwohl dem Arbeitgeber überlassen, in welcher Weise er der Pflicht nachkommt. 88o Er könnte unter anderem ein Rauchverbot erteilen, den Betroffenen versetzen oder eine Belüftungsanlage einbauen. Der Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers auf ermessensfehlerfreies Tätigwerden wird aber von dieser Vielfalt der Möglichkeiten nicht berührt. Sobald eine grundsätzliche Konkretisierung auf eine bestimmte Art der Pflichterfüllung vorliegt, ist ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens des Arbeitgebers bezüglich der Maßnahme denkbar und nicht ohne weiteres abzulehnen. Es wäre nicht einsichtig, bei auf § 242 BGB gestützten Schutzpflichten einen höheren Konkretisierungsgrad zu verlangen als bei auf spezielle Normen gestützten.
Läßt sich eine Pflicht hinreichend konkretisieren, muß dem Schuldner ein Erfüllungsanspruch zusätzlich noch zumutbar sein, weshalb auch die Möglichkeit der klagbaren Schutzpflichten, die immer zu einer Beeinträchtigung der SchuldnerinKöhler; AcP 190 (1990), S. 496 ff. (511); Stümer; JZ 1976, 384 ff. (386 f.). A. A. MünchArbRI Blomeyer § 97 Rn. 41; Zöllner; RdA 1973, 212 ff. (215). 877 MünchKomml Larenz, § 618 BGB Rn. 64; Wlotzke, FS für HilgerlStumpf, 1983, S. 723 ff. (746). 878 Ob auch bei "normaler" Belästigung ein Anspruch aus § 618 Abs. 1 BGB anzunehmen ist, ist sehr umstritten und davon abhängig, ob Passivrauchen zu gesundheitlichen Langschäden führen kann. Zum Teil wird ein solcher Anspruch abgelehnt, vgl. OLG Hamm - 7 VoJlz (WS) 225/81 - v. 1. 3. 1982, MDR 1982, 779 ff.; Leßmann, AuR 1995, 241 ff. (244); Zapka, BB 1992, 1847 ff. (1848). Zum Teil aber auch bejaht, vgl. ArbG Berlin - 9 Ca 400/87 - v. 26. 10. 1988 unter 1. d) der Gründe sowie 4. LS, DB 1988, 2518; Binz/Sorg BB 1994, 1709 ff. 879 ErfKl Wank, § 618 BGB Rn. 22. 880 BVerwG - 2 C 33/82 - v. 13. 9. 1984 unter 11. 3. der Gründe, NJW 1985, 876 f.; LAG München - 2 Sa 542/90 - v. 27. 11. 1990 unter 2. der Gründe, LAGE § 618 BGB Nr. 5; Staudinger/Oetker; § 618 BGB Rn. 257 m. w. N. 875
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teressen führen, einzuschränken ist und immer erst Ergebnis einer Abwägung von Schuldner- und Gläubigerinteresse sein SOll.881 Ein Erfüllungsanspruch ist für eine Schutzpflicht unverhältnismäßig, solange andere Beseitigungen der Rechtsgutsverletzung ebenfalls möglich und zumutbar sind, ohne sofort zu der klagbaren Erzwingung zu greifen. 882 So ist ein milderes Mittel gegenüber einem Erfüllungsanspruch häufig der Abbruch der den Schutzmechanismus auslösenden Kontakte, da der zu Schützende auch so nicht mehr den Gefahrenquellen des anderen ausgesetzt ist. 883 Jedoch ist gerade im Arbeitsrecht der Abbruch des sozialen Kontakts, also die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, meist unzumutbar und ein Erfüllungsanspruch demzufolge als milderes Mittel statt dessen gegeben. 884 Deshalb wird die Klagbarkeit einer Schutzpflicht im Arbeitsrecht daher meist davon abhängen, ob eine Pflicht hinreichend konkretisierbar ist.
bb) Freistellungspjlicht als selbständig einklagbare Erjüllungspjlicht Die gerade festgestellte Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen, wenn sie sonst keine Möglichkeit haben, eine Weiterbildung im arbeitszeitgesetzlich zulässigen Rahmen durchzuführen, müßte sich auch durch einen Erfüllungsanspruch durchsetzen lassen. Da es sich um eine arbeitsrechtliche Schutzpflicht handelt, ist dem Arbeitgeber eher ein Anspruch auf Freistellung zumutbar, als dem Arbeitnehmer die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Pflicht läßt sich auch hinreichend konkretisieren, da eine Freistellung immer den Zeitraum betrifft, während dem der Arbeitnehmer eine Weiterbildung im überwiegenden Interesse oder aufgrund einer Verpflichtung gegenüber dem Arbeitnehmer vornimmt und die arbeitszeitgesetzlich zulässigen Grenzen überschritten sind. Für diese Zeitspanne hat der Arbeitnehmer einen selbständig einklagbaren Freistellungsanspruch. d) Ergebnis zur Gewährleistung der Durchführung der Weiterbildung Eine vom Arbeitgeber für notwendig empfundene Weiterbildung oder eine solche, an der er ein überwiegendes Interesse hat, führt gegenüber einem bereits bis zur Grenze des arbeitszeitrechtlich zulässig beschäftigten Arbeitnehmers zu einer Freistellungspflicht des Arbeitgebers für die Zeit der Weiterbildung. Der Arbeitnehmer kann diese aus § 242 BGB i.V.m. Art. 12 GG abgeleitete Nebenpflicht selbständig durchsetzen. Der Umfang der Freistellung bezieht sich allerdings nur Vgl. Medicus. Bürgerliches Recht, Rn. 208. Stümer, JZ 1976, 384 ff. (386 ff.). Vergleichbar ist wohl die Ansicht von Medicus. nach der Schuldner- und Gläubigerinteressen abgewogen werden müssen. Bürgerliches Recht, § 11 III. Rn. 208; ohne diese Einschränkung allerdings in SchuldR AT, § 35 III 2/ Rn. 424. 883 Köhler, AcP 190 (1990), 498 ff. (504 f.); Stümer, JZ 1976,382 ff. (384). 884 Stümer, JZ 1976, 384 ff. (387). 881
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auf die Befreiung von der Arbeitspflicht und hat keinen Einfluß auf eine Entlohnung während dieser Zeit. Jedoch bleibt trotz dieser Einschränkung die tatsächliche Geltendmachung dieses Rechtes und damit seine praktische Relevanz fraglich. Durch Anerkennung der Freistellungsverpflichtung ist der Arbeitgeber in den Fällen, in denen er eine Weiterbildung verlangt oder in denen sie in seinem überwiegenden Interesse erfolgt, nicht mehr frei in der Entscheidung über die Freistellung des Arbeitnehmers, sondern sie hängt vom Arbeitsvolumen des jeweiligen Arbeitnehmers ab. Dieser Anspruch hat allerdings nur begrenzte praktische Relevanz, weil die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zu maximal 40 Wochenstunden - meist aber weniger - verpflichtet ist und damit deutlich unterhalb der gern. § 3 S. I ArbZG zulässigen 48 Stunden beschäftigt ist. 2. Gewährleistung der Organisation und Finanzierung der Weiterbildung Die ebenfalls aufgrund der Berufsausübungsfreiheit des Arbeitnehmers objektiv-rechtlich zu gewährleistende Organisation und Finanzierung der Weiterbildung 885 kann nicht durch Dritte derart beeinträchtigt werden, daß den Arbeitgeber eine Pflicht zum Ausgleich treffen könnte. 3. Ergebnis zu Weiterbildungspflichten aufgrund der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers Aus der Gewährleistung von Organisation und Finanzierung der Weiterbildung gern. Art. 12 GG lassen sich keine Schutzpflichten begründen, die dem Arbeitgeber die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen auferlegen können. Im Rahmen der Gewährleistung der Durchführung der Weiterbildung kann der Arbeitgeber im Falle einer Vollzeitbeschäftigung der Arbeitnehmer von 48 h verpflichtet werden, sie zur Durchführung einer notwendigen Weiterbildungsmaßnahme zumindest unentgeltlich freizustellen. Damit kann er zwar über die Notwendigkeit einer Weiterbildungsmaßnahme freiwillig entscheiden, nicht aber über seinen Anteil an der Freistellung.
111. Weiterbildung als Schutz der Persönlichkeit Wie schon im verfassungsrechtlichen Teil der Arbeit aufgezeigt, unterfällt die Weiterbildung auch dem Schutzbereich des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechtes gern. Art. 2 Abs. 1 GG i.Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG. 886 Jedoch 885 886
§ 4 BI 2 b)bb)(3)/S. 79 ff. § 4 B lI/S. 82 ff.
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beziehen sich bisherige Ausführungen der Literatur und Rechtsprechung zur Weiterbildung in Verbindung mit der Persönlichkeitsentfaltung überwiegend auf die Abwehr von Eingriffen bzw. die Rechtfertigung für die Auferlegung von staatlichen Lasten. 887 Zu untersuchen bleibt eine eventuelle Begründung aktiver Handlungspflichten. Im Gegensatz zur Berufsfreiheit steht bei den nachfolgenden Überlegungen im Vordergrund, ob durch Weiterbildungen die Entfaltung der Persönlichkeit durch (Selbst)Verwirklichung am Arbeitsplatz ermöglicht und gefördert werden kann. 888 Zu ermitteln ist, ob die Einrichtung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen auf § 242 BGB LV.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG gestützt und dadurch eine Arbeitgeberpflicht begründet werden kann. Dafür sollen die einzelnen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung Bezug zur Weiterbildung aufzeigenden Teilbereiche auf ihren konkreten Schutzgehalt und die privatrechtlichen Folgen untersucht werden.
1. Schutzpflicht zu menschengerechter Arbeitsplatzgestaltung Wegen der durch Art. 2 Abs. 1 GG LV.m. Art. 1 Abs. 1 GG gebotenen Humanisierung der Arbeitswelt ist eine Rechtspflicht des Arbeitgebers zu menschengerechter Arbeitsplatzgestaltung als Ausfluß der Fürsorgepflicht grundsätzlich anerkannt. 889 Zweck der angestrebten menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung ist es, dem Bedürfnis des Menschen nach körperlichem und seelischem Wohlbefinden zu entsprechen. 89o Die Pflicht zu menschengerechter Arbeitsplatzgestaltung891 enthält unter anderem auch den für eine menschenwürdige Arbeit notwendigen Schutz der ideellen Persönlichkeitsinteressen 892, der zugleich die Förderung der 887 BVerfG - 1 BvR 563/85 u. a. - v. 15. 12. 1987 unter C. 11. 2. b) der Gründe, AP Nr. 62 zu Art. 12 GG. Vgl. auch Thees, der im Rahmen seiner Analyse zum Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht bei Untersuchung der Fürsorgepflicht feststellt, daß Fortbildungen noch nicht auf die FÜfsorgepflicht gestützt wurden, wobei allein die Überlegung und Darstellung zeigt, daß er es durchaus für möglich hält; Thees, S. 96. Außerdem gaben 51,1 % befragter Arbeitgeber an, daß die Förderung der Persönlichkeit eine wichtiges Motiv für Weiterbildung wäre, als sehr wichtiges Motiv gaben es immerhin noch 23,7 % an; vgl. Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 74 Abb. 2; vgl. auch die Darstellung der Motive bei PawlowskylBäumer; S. 36, Darstellung 7. 888 Hallenberger; S. 153 ff. im Zusammenhang mit S. 44 f.; Thees, S. 55. Zum verfassungsrechtlichen Konkurrenzverhältnis vgl. § 4 Bill a) / S. 84. 889 Söllner; Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 117 ff. (121). 890 Zöllner/ Loritz, ArbeitsR, § 16 I 2/ S. 204 f. 891 Umfassend zu diesem Thema: Hanau, Die Rechtspflicht zur Humanisierung der Arbeit, in: Betriebsführung und Industrial Engineering (1982), S. 353 ff.; Kreikebauml Herbert, Humanisierung der Arbeit; Wriedt, BB 1987, 1537 ff. 892 Zöllner; RdA 1973, 212 ff. (214 f.) sowie Zöllner/ Loritz, ArbeitsR, § 16 I 2/ S. 204 f. und § 1611/ S. 206 ff. Sich Zöllner anschließend, MünchArbR/ Blomeyer § 97 Rn. 40.
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Persönlichkeit umfaßt. Ausdruck dieser Persönlichkeitsförderung ist auch, daß die Kreativität des Arbeitnehmers trotz der Eingebundenheit in den Arbeitsprozeß erhalten bleibt und sie (weiter)entwickelt werden kann. Die allgemeine Pflicht zu menschengerechter Arbeitsplatzgestaltung kann sich lediglich dann zu einer die Weiterbildung fördernden speziellen Pflicht verdichten, wenn das durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu gewährende Untermaß an der dem Arbeitnehmer zu gewährleistender Persönlichkeitsentfaltung unterschritten wäre und sich allein durch Weiterbildungsmaßnahmen wiederherstellen ließe. Die Möglichkeit der Entfaltung der Persönlichkeit kann nur die Lebenssituation insgesamt betreffen. Der Bezug zum menschengerechten Arbeitsplatz ergibt sich durch die Einbindung der Person in den Arbeitsprozeß und damit auch an den Arbeitsplatz. Zwar muß dabei die Kreativität des einzelnen erhalten bleiben und darf nicht aufgrund der Tätigkeit völlig verloren gehen. Jedoch können fremdbestimmte Organisation des Arbeitsablaufs und Vorgabe der einzelnen Tätigkeitsschritte die Menschengerechtigkeit selbst bei minimaler bzw. fehlender Selbstbestimmungsfreiheit nicht grundsätzlich in Frage stellen. Daran ändert auch die Abnahme der Möglichkeit des einzelnen Arbeitnehmers zu schöpferischer Entfaltung mit voranschreitender Industrialisierung in vielen Berufen nichts. 893 Arbeitsplätze, an denen die Kreativität des einzelnen nicht nur unterdrückt, sondern beseitigt wird, sind nicht denkbar. Selbst bei deren Bestehen kann der Arbeitgeber aber nicht zur Weiterbildung verpflichtet werden, denn die Weiterbildung bietet nur eine Möglichkeit von vielen, die Kreativität zu fördern. Ist das unzulässige Maß an Beeinträchtigung der Persönlichkeitsinteressen unterschritten, wird beispielsweise die Änderung der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes ein geeigneteres Mittel sein. Aus dem Gebot zur menschengerechten Arbeitsplatzgestaltung gern. § 242 BGB i.Y.m. Artt. 2 Abs. 1, lAbs. 1 GG ergibt sich keine Verpflichtung zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen. 2. Schutzpflicht zur Selbstentfaltung der Persönlichkeit
Aus dem auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gern. Art. 2 Abs. 1 GG i. Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Recht auf Selbstentfaltung der Persönlichkeit könnte über die GeneralklauseI des § 242 BGB auch eine Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbildung entwickelt werden. Dieses Schutzgebot beruht auf der Überlegung, daß das Gebot zur tatsächlichen Beschäftigung im Arbeitsverhältnis den Schutz der Selbstentfaltung der Persönlichkeit als Grundlage hat. 894 Die Weiterbil893 Hanau, FB I IE 1982, 353 ff. (356). Deutlich kritischer gegenüber soIchre automatisierten Arbeitsplätzen, Söllner, Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, S. 117 ff. (118). 894 Zwar ist die dogmatische Grundlage nicht unstreitig, Rechtsprechung und Literatur sind sich aber einig, daß das APR Ursache für die rechtliche Anerkennung der Pflicht ist.
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dung ist häufig erst Voraussetzung für eine weiterhin mögliche tatsächliche Beschäftigung, so daß auch sie auf § 242 BGB i. Y.m. Artt. 2 Abs. I, I Abs. I GG gegründet werden könnte. 895 Möglich wäre eine Weiterbildungspflicht danach immer dann, wenn die Beschäftigungspflicht ohne eine Weiterbildung nicht erfüllbar wäre. Gibt es also Konstellationen, in denen die Weiterbildung zwingende Voraussetzung für die Beschäftigung des Arbeitnehmers ist, könnte in diesen Fällen nicht nur die Beschäftigung, sondern auch die Weiterbildung zur Ermöglichung der Beschäftigung Ausfluß aus dem Schutzgebot der freien Entfaltung der Persönlichkeit sein. Immer dann, wenn die Weiterbildung zwingend nötig würde, wäre der Arbeitgeber nicht mehr als frei in seiner Entscheidung über die Durchführung einer Weiterbildung anzusehen. Im Unterschied zu den gerade in Betracht gezogenen Weiterbildungsmaßnahmen zum Erhalt der Kreativität, für die es auf die Art der Weiterbildung nicht ankäme, kann es sich hier wiederum nur um berufliche Weiterbildung handeln. Führt der Arbeitgeber Neuerungen der Technologie und Organisation ein, kann die Beschäftigung eines Arbeitnehmers ohne Kenntnis der neuen Anforderungen unmöglich werden. 896 Sie ist dann lediglich durch Unterrichtung über die Änderungen und Vermittlung der neuen Kenntnisse - also durch eine Anpassungsweiterbildung - möglich. Gleiches gilt für den Wegfall eines Arbeitsplatzes oder eine krankheitsbedingt notwendige Umschulung, immer dann also, wenn dem Arbeitnehmer nicht wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit gekündigt werden kann, aber eine Beschäftigung mit den derzeitigen Fähigkeiten nicht erfolgen kann. 897 Schutz vor Kündigung bei nicht mehr möglicher Beschäftigung des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz bietet grundsätzlich das Kündigungsschutzgesetz, welches eine Kündigung von der vorherigen Untersuchung einer möglichen zumutbaren Fortbildung und Umschulung an einem anderen Arbeitsplatz des Unternehmens abhängig macht (§ 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG). Die aus solchen kündigungsschutzrechtlichen Erwägungen folgende Pflicht zu Weiterbildungsmaßnahmen, ist im 3. Teil näher zu untersuchen. 898 Ist aber eine ordentliche Kündigung gesetzlich oder (tarif)vertraglich ausgeschlossen 899 und kann eine (Weiter)Beschäftigung Vgl. BAG - GS 1/84 - v. 27. 2. 1985 unter C. I. 1., 2. der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Krause, AR-Blattei SD, 220.2.1, Rn. 203 m. w. N. 895 Vgl. auch schon § 4 B II 2IS. 86 f. 8% Die folgende Untersuchung gilt nur für den Fall, in dem die Voraussetzungen der Unterrichtung nach § 81 Abs. 1,2 BetrVG sachlich oder persönlich nicht vorliegen; vgl. dazu § 5 A IV 11 S. 109 ff. 897 Im einzelnen wird hier immer auf die Art der Unkündbarkeit anzustellen sein. So wird tarifvertraglich meist die betriebsbedingte Kündigung ausgeschlossen sein, möglich ist aber auch der generelle Ausschluß einer ordentlichen Kündigung. Zum Schutzzweck vertraglicher Unkündbarkeitsklauseln, von Koppenjels, S. 78 ff. 898 V gl. dazu unter § 10 A / S. 268 ff. Außerdem ist der Frage nachzugehen, wie vorgegangen werden muß, wenn das KSchG persönlich oder sachlich nicht einschlägig ist, § 12/ S. 403 ff. 16 Fracke
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trotzdem nicht erfolgen, bleiben lediglich drei grundsätzliche Lösungsalternativen. Entweder muß auf den verfassungsrechtlich fundierten Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers verzichtet werden900 oder die Kündigung wegen mangelnder Beschäftigungsmöglichkeit, die eigentlich nur einen ordentlichen Kündigungsgrund darstellt, ist auch bei unkündbaren Arbeitnehmern als außerordentliche Kündigung zuzulassen. Dann würde wie bei normal kündbaren Arbeitnehmern die Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG gelten. Die dritte Möglichkeit wäre, daß unter den gegebenen Voraussetzungen die zugestandene Unkündbarkeit eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zur Folge hat, die auch eine Pflicht zur Weiterbildung umfaßt. Zur besseren Anschaulichkeit ist ein Fallbeispiel mit unkündbaren Arbeitnehmern voranzustellen. Beispiel 7 Bezugzunehmen ist dabei auf Beispiel 4. 901 Durch Einführung eines Macintosh-PC der Firma Apple ist der Sekretär Herr B nicht mehr in der Lage, seine Arbeitspflichten vollständig zu erfüllen und kann deshalb an seinem gewohnten Arbeitsplatz nicht weiterbeschäftigt werden. Da Herr B keinen Anspruch auf eine Einweisung gern. § 81 BetrVG hat und sonst kein anderer geeigneter Arbeitsplatz für ihn in der Firma X vorhanden ist, bleibt ihm in Beispiel 4 lediglich die Hoffnung, daß die notwendige Einweisung eine dem Arbeitgeber zumutbare Fortbildungsmaßnahme i. S. d. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG wäre. In diesem Beispiel kommt hinzu, daß Herr B wegen der langen Betriebszugehörigkeit nach § 5 MTV ordentlich unkündbar ist. Frau D arbeitet ebenfalls in der Firma X. Sie ist dort Mitglied des Betriebsrats, sonst aber in allen arbeitsplatzbezogenen Eigenschaften mit Herrn B vergleichbar.
Aus der dem Arbeitgeber obliegenden Beschäftigungspflicht könnte sich auch eine Pflicht zur Weiterbildung ergeben. Dabei ist einmal zu untersuchen, welche Auswirkungen insofern die Unkündbarkeit des Herrn B hat. Zu klären ist außerdem, wie es sich mit Frau D verhält. Besondere Beachtung kommt dabei der Frage zu, ob die gesetzliche Unkündbarkeit bezogen auf eine eventuell durchzuführende Weiterbildung gleiche Folgen haben kann, oder ob sich Unterschiede daraus ergeben, daß es sich einmal um einen zusätzlich gewährten Bestandsschutz aufgrund Bestimmung des Arbeitgebers handelt und einmal um einen gesetzlich zugestandenen.
899 Daß dies vor allem für ältere Arbeitnehmer keine Seltenheit ist, wird durch eine 1996 durchgeführte Umfrage bewiesen. So ist für 56 % der von Tarifverträgen erfaBten Arbeitnehmer die Kündigung ab einem bestimmten Alter tarifvertraglieh ausgeschlossen; vgl. Halbach/Paland/Schwedes/Wlotzke, Übersicht über das Arbeitsrecht, Nr. 2/478. Vgl. auch MünchArbR/Wank § 120 Rn. 20. 900 BAG - GS 11 84 - v. 27. 2. 1985 unter C. I. 1.,2. der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Krause, AR-Blattei SD, 220.2.1, Rn. 203 m. w. N. 901 Vgl. unter § 5 A 11 1 a)/S. 112.
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a) Weiterbildungspflicht bei Beschäftigung unkündbarer Arbeitnehmer? Sollte eine Unmöglichkeit der Beschäftigung unkündbarer Arbeitnehmer tatsächlich zu einer Weiterbildungspflicht des Arbeitgebers führen, müßte dies das geeignetste Mittel sein, die gesetzlichen Vorgaben oder die vertraglich vereinbarte Unkündbarkeit zu befolgen. Zur genaueren Untersuchung muß die rechtliche Behandlung unkündbarer Arbeitnehmer in solchen Situationen näher betrachtet werden, in denen eine weitere Beschäftigung nicht möglich ist. Dabei sind zwei grundsätzliche Konstellationen zu unterscheiden, zum einen die Fälle, in denen eine Weiterbeschäftigung absolut unmöglich ist und zum anderen solche, bei denen eine Weiterbeschäftigung zwar im Moment nicht möglich ist, sich aber - beispielsweise durch Weiterbildung der betroffenen Arbeitnehmer - wieder herbeiführen ließe. Ist die Weiterbeschäftigung eines unkündbaren Arbeitnehmers absolut unmöglich, gibt es also weder den im Arbeitsvertrag beschriebenen Arbeitsplatz noch einen anderen oder kann der Arbeitnehmer die Anforderungen des Arbeitsplatzes dauerhaft nicht mehr erfüllen, besteht ein Widerspruch zwischen Beschäftigungspflicht und Unkündbarkeit. Solche Fälle absoluter Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung unkündbarer Arbeitnehmer sind vom BAG bereits entschieden worden. 902 Danach können unkündbare Arbeitnehmer zwar nur gern. § 626 BGB gekündigt werden, dieser wird aber in modifizierter Form angewandt, da er die Grundsätze der ordentlichen Kündigung einbindet. 903 Ein Teil der Literatur geht bei gleichen Ergebnissen methodisch anders vor und legt, statt § 626 BGB anzuwenden, die Unkündbarkeitsklausel verfassungskonform aus. 904 Damit entscheiden sich Rechtsprechung und Literatur wegen wirtschaftlicher Unzumutbarkeit und Einschränkung der Unternehmerfreiheit gegen eine Aufhebung der Beschäftigungspflicht, auch wenn dies für die Arbeitnehmer ein milderes Mittel als die Zulassung der Kündigung darstellen würde. Ist die Beschäftigung des Arbeitnehmers aber nicht absolut unmöglich, sondern auch nach Veränderung des Arbeitsplatzes oder teil weiser Berufsunfähigkeit noch möglich und fehlen dem unkündbaren Arbeitnehmer lediglich spezifische Kenntnisse zur Weiterbeschäftigung, könnte sich etwas anderes ergeben. Die grundsätzliche Zu lässigkeit einer Pflicht zur Weiterbildung statt Kündigung war schon vor der Normierung in § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG in Rechtsprechung und Literatur anerkannt. 905 Weitergehend könnte bereits vor einer anstehenden 902 U.a. BAG - 2 AZR 227/97 - v. 5. 2. 1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB mit Anm. Höland. Fortführung von BAG - 2 AZR 59/91 - v. 29. 8. 1991, AP Nr. 58 zu § 102 BetrVG und - 2 AZR 113/84 - v. 28. 3. 1985, AP Nr. 86 zu § 626 BGB. 903 U.a. BAG - 2 AZR 227/97 - v. 5. 2. 1998 unter 11. 3. der Gründe, AP Nr. 143 zu § 626 BGB mit zum Teil krit. Anm. Höland; vgl. auch MünchArbR/ Wank § 120 Rn. 20. 904 Bröhl, FS für Schaub, S. 63 ff. (66 f.) m. w. N. 905 Vgl. BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1951 Betriebsbedingte Kündigung mit zust. Anm. A. Hueck; LAG Mannheim -
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Kündigung die Initiative vom Arbeitgeber zu einer Weiterbildung auszugehen haben. Zu klären ist, ob die Vereinbarung einer Unkündbarkeit oder die gesetzliche Verpflichtung dazu konkludent auch die Erklärung beinhaltet, daß eine notwendige Weiterbildung zur Verwirklichung der Beschäftigungsmöglichkeit erfolgen muß. Wegen der unterschiedlichen Motivation für Unkündbarkeitsklauseln ist zunächst von vertraglich vereinbarten Unkündbarkeitsklauseln auszugehen (unter (1» und daran anschließend sind die gesetzlichen Unkündbarkeitsklauseln näher zu betrachten (unter (2». (1) Vertraglich vereinbarte Unkündbarkeitsklauseln und deren Auswirkung
auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Unkündbarkeitsklauseln werden vor allem für ältere Arbeitnehmer häufig in Tarifverträgen vereinbart. Obwohl gerade bei dieser Arbeitnehmergruppe die mit der Unkündbarkeit einhergehende Notwendigkeit von Weiterbildungsmaßnahmen auf der Hand liegt, können den Vertragspartnern die Konsequenzen und Folgekosten bei vor Jahren getroffenen Abmachungen nicht in jedem Fall bewußt geworden sein. Jedoch ist auch schon aus anderen Zusammenhängen bekannt, daß fehlendes Rechtsfolgenbewußtsein nicht vor rechtlichen Konsequenzen schützt. 906 Die Vereinbarung der Unkündbarkeit muß, soll sie nicht bloßes Lippenbekenntnis bleiben, eine erweiterte Fürsorgepflicht zur Folge haben, die eine Weiterbildungspflicht während des Arbeitsverhältnisses derart beinhaltet, daß eine Beschäftigung möglich bleibt. Andernfalls könnten unliebsame, ordentlich unkündbare Arbeitnehmer nach der anerkannten Rechtsprechung zur außerordentlichen Kündigung doch aus dem Arbeitsverhältnis gekündigt werden und der Arbeitgeber hätte nur die ohnehin bestehenden Pflichten i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu beachten. Eine Besserstellung gegenüber "normal" kündbaren Arbeitnehmern ist geboten. Anzuknüpfen ist an der rechtlichen Behandlung der unkündbaren Arbeitnehmer, wenn es sich um eine absolut unmögliche Weiterbeschäftigung handelt. Dabei sind dem Arbeitgeber Kündigungsbeschränkungen bis zu einer bestimmten Schwelle zuzumuten, erst nach deren Überschreitung, wenn also die wirtschaftliche Belastung durch Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar beeinträchtigt wird, darf er trotz Unkündbarkeit kündigen. 907 Ähnliches muß für solche Fälle gelten, bei denen eine Weiterbeschäftigung zwar grundsätzlich möglich, aber nur mit einer Weiterbildung realisierbar ist. Die zugestandene Unkündbarkeit muß hier die Möglichkeit zur Weiterbildung eindeutig in den Vordergrund stellen, und KündiSa 71 /51 - v. 30. 11. 1951; AP 53 Nr. 48; Meisel, BB 1963, 1058 ff. (1060); Auffarthl Müller; § 1 KSchG Rn. 206; und 3. Teil § 10 A V 3 a) aa) (1)/S. 317 sowie bb)(l) / S. 317. 906 So kann eine betriebliche Übung nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil der Arbeitgeber sich nicht binden will. 907 BAG - 2 AZR 762/94 - v. 12. 7. 1995 unter II. 2. der Gründe, AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit mit Anm. Bezani.
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245
gungen können in den hier näher zu betrachtenden Fällen erst als zulässig anzusehen sein, wenn die unternehmerische Freiheit durch Beschäftigung unzumutbar beeinträchtigt oder die wirtschaftliche Belastung durch Nichtbeschäftigung zu groß wird. Im Unterschied zu der Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG, der eine zumutbare Weiterbildung vor einer zulässigen Kündigung vorschreibt, ist aber in den vorliegend zu betrachtenden Fällen nicht der "normale" verfassungsrechtlich zugesicherte Bestandsschutz des Arbeitnehmers maßgeblich908 , da dieser ja gerade für das gesamte noch zu erwartende Arbeitsleben vertraglich zugesichert wurde, sondern allein die wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Arbeitgeber. Während es in den Fällen des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG darum geht, eine Kündigung zu vermeiden, betrifft die Weiterbildung bei unkündbaren Arbeitnehmern in erster Linie die Erhaltung der Beschäftigungsmöglichkeit. Mit welchem Aufwand der Unternehmer für die Beseitigung der Beschäftigungsunmöglichkeit aufkommen muß, läßt sich wegen der unterschiedlichen Fallgestaltungen nicht pauschal beantworten, sondern ist am Einzelfall zu prüfen. Festzuhalten bleibt, daß es eine Pflicht des Arbeitgebers geben muß, den bei ihm eigentlich unkündbar beschäftigten Arbeitnehmer weiterzubilden. Eine solche folgt aus der Vereinbarung der Unkündbarkeit, die über § 242 BGB i.Y.m. Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG eine Weiterbildungspflicht begründet. In bezug auf Beispiel 7 bedeutet das, daß für Herrn B, der mit einem Computer nicht umgehen kann, grundsätzlich eine Weiterbildung in Betracht zu ziehen ist. Diese ergibt sich nicht aus § 81 Abs. 1, 2 BetrVG909 , sondern aus der wegen der Unkündbarkeit des B erweiterten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Haben die den Arbeitnehmer noch zu vermittelnden Kenntnisse einen dem Arbeitgeber unzumutbaren Umfang, kann nicht mehr von einer vermeidbaren Beschäftigungsunmöglichkeit gesprochen werden, sondern es handelt sich dann um eine absolut unmögliche Weiterbeschäftigung. (a) Allgemeine Erwägungen zur Begrenzung der Weiterbildung unkündbarer Arbeitnehmer Zur besseren Darstellung der Weiterbildungspflicht des Arbeitgebers im unkündbaren Arbeitsverhältnis ist der Umfang der durchzuführenden Weiterbildung näher zu untersuchen. Dabei wäre denkbar, daß den Arbeitgeber beispielsweise eine generelle Pflicht zur Weiterbildung seiner unkündbaren Arbeitnehmer im fortlaufenden Arbeitsverhältnis trifft, um sie stets auf dem neusten Stand der Entwicklung zu halten. Jedoch ist diese Beschreibung zu ungenau und nicht greifbar. Selbst wenn der Arbeitgeber eine ständige Qualifizierung für eine Spezialisierung vornimmt, kann sich nach Änderung der Arbeitsumstände oder des Arbeitsplatzes gerade diese als überflüssig erweisen, und der Arbeitnehmer benötigt trotz908 909
Vgl. dazu auch 3. Teil§ IOAV3/S.316. Dazu schon § 5 IV 1 a)/S. 112 ff.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
dem eine weitere Qualifizierung. Deshalb hat sich im Einzelfall das Recht des Arbeitnehmers auf Persönlichkeitsentfaltung nur in den Fällen derart verdichtet, daß die Fürsorgepflicht eine Weiterbildung gebietet, in denen die Beschäftigungspflicht durch die Weiterbildung aufrechterhalten werden kann. Bei durchzuführender Weiterbildung darf die Grenze der dem Arbeitgeber zuzumutenden Aufwendungen für Umschulungen und Fortbildungen gemäß dem für kündbare Arbeitnehmer geltenden § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG nicht unterschritten werden. 910 Vielmehr muß die Arbeitgeberpflicht weiter gezogen werden. Das ergibt sich schon daraus, daß es auf den die Pflicht begrenzenden Bestandsschutz des Arbeitnehmers bei unkündbaren Arbeitnehmern nicht ankommt und dessen Reichweite daher auch nicht begrenzend wirken kann. Die Grenze für eine durchzuführende Weiterbildung ist erreicht, wenn der Arbeitgeber einem eigentlich unkündbaren Arbeitnehmer, entsprechend der Rechtsprechung zu ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern wegen betrieblicher Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses, auch außerordentlich kündigen dürfte. (b) Konkrete Begrenzungskriterien für eine Weiterbildung unkündbarer Arbeitnehmer Für die Feststellung der Zumutbarkeit ist die Belastung des Arbeitgebers im Falle der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit den Vorteilen der Weiterbildungspflicht für den Arbeitnehmer ins Verhältnis zu setzen. Dabei dürfen nicht allein finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle spielen, entscheidend sind unter anderem auch die Erfolgsaussicht einer Weiterbildung bei dem konkreten Arbeitnehmer und die Weiterbeschäftigungsperspektive. Zumindest die finanziellen Mittel, die der Arbeitgeber für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Auslauffrist bei einer möglichen außerordentlichen Kündigung aufwenden müßte, sind für die Weiterbildung aufzubringen. Die Auslauffrist soll bei außerordentlicher Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer immer so lang sein, wie auch die gesetzliche oder tarifliche Frist für eine ordentliche Kündigung vergleichbarer Arbeitnehmer wäre. 911 Abgesehen davon, daß der Arbeitnehmer dann keinen Vorteil aus seiner vermeintlichen Unkündbarkeit ziehen würde, stellt sich das praktische Problem, daß Arbeitnehmer mit vergleichbaren Sozialdaten in der Regel ebenfalls unkündbar sind und somit im Tarifvertrag gerade keine Kündigungsfrist angegeben ist. Auf die gesetzliche Kündigungsfrist zurückzugreifen, wird meist nicht sachgerecht sein, da sie meist kürzer ist als die jeweils längste im Tarifvertrag. Daher sollte für die außerordentliche Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer eine generell geltende Mindestauslauffrist Zur Zumutbarkeit i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG vgl. 3. Teil § 10 A V 3/ S. 316 ff. BAG - 2 AZR 227/97 - v. 5. 2. 1998 unter H. 3. c) der Gründe, AP Nr. 143 zu § 626 BGB mit Anm. Höland; MünchArbRI Wank § 120 Rn. 20; von Koppenfels, S. 71, 74 ff., 218 ff. m. w. N. zu den verschiedenen Ansätzen der Literatur. 910
911
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festgelegt werden. Wird diese Frist in Einzelfällen von Kündigungsfristen kündbarer Arbeitnehmer überschritten, ist die Mindestfrist auf diese Zeitspanne zu erhöhen. Da es sich bei Zugestehen ordentlicher Unkündbarkeit um einen Einschnitt sowohl in die Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerrechte handelt, ist eine Mindestauslauffrist von einem Jahr - also 5 Monate mehr als die längste gesetzliche Kündigungsfrist - durchaus angemessen. Für die hier zu untersuchenden Konstellationen könnte sich daraus eine Verpflichtung zu Weiterbildungsmaßnahmen zumindest in der Länge eines Jahres ergeben, da der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch ohne Weiterbildung bezahlen müßte, ohne ihn beschäftigen zu können. Zwar kommen die Aufwendungen dazu, die eine Weiterbildung in diesem Zeitraum verursachen würde, doch kann der Arbeitnehmer nach der Weiterbildung auch weiterbeschäftigt werden, so daß sich die Ausgaben amortisieren können. Von einer Qualifizierung könnte jedoch beispielsweise abzusehen sein, wenn der betreffende Arbeitnehmer kurz vor dem Ruhestand steht. Die maximale Maßnahmelänge von einem Jahr stellt lediglich eine Faustformel dar, durch welche versucht wird, die zumindest aufzubringenden Mittel zu umschreiben. Bei besonders kostenintensiven oder organisatorisch nur schwer zu bewältigenden Weiterbildungsmaßnahmen kann davon nach unten abgewichen werden. Gleiches muß gelten, wenn der Arbeitnehmer bisher stets Weiterbildungen abgelehnt hat oder wenn eine Qualifizierung wegen der mangelnden individuellen Fähigkeiten wenig Erfolg verspricht. Ebenfalls negativ wird es sich auswirken, wurden vom Arbeitgeber angebotene Weiterbildungsmaßnahmen schon mehrfach seitens des Arbeitnehmers nicht ernsthaft betrieben. Der Nachweis kann sich aus unregelmäßiger Teilnahme oder erfolglosen abschließenden Lernkontrollen ergeben. Letztlich muß die Entscheidung immer individuell getroffen werden. Als Kontrolle können die Aufwendungen für die Weiterbildungsmaßnahme unkündbarer Arbeitnehmer an den für die Zumutbarkeit der Weiterbildung gern. § lAbs. 2 S.3 1. HS KSchG geltenden Kriterien gemessen werden. 912 Die Belastungen einer als wirtschaftlich unzumutbar angenommenen Weiterbildung eines unkündbaren Arbeitnehmers müssen immer weitergehend sein. Für Beispiel 7 bedeuten diese Erwägungen, daß Herrn Bein Computerkurs und eine besondere Einführung in die Arbeit mit einem Macintosh zu gewähren sind. Etwas anderes kann sich lediglich ergeben, wenn es offensichtlich wäre, daß B die Arbeit mit dem Computer nicht erlernen kann. Dafür bietet die Fallgestaltung aber keine Anhaltspunkte.
912
Vgl. die Erwägungen 3. Teil § 10 A V 3/ S. 316 ff.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
(2) Weiterbildungsanspruch bei gesetzlichen Unkündbarkeitsklauseln Die Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers kann nicht nur vertraglich festgelegt sein, sondern auch auf Gesetz beruhen. Dies ist unter anderem bei Funktionsträgern des Betriebes gern. § 15 Abs. 1 KSchG und solchen in Personalvertretungen gern. § 15 Abs. 2 KSchG der Fall, betrifft aber gern. § 9 MuSchG auch schwangere Frauen oder gern. § 18 BErzGG in Elternzeit befindliche Elternteile. Um festzustellen, ob die für die vertraglich vereinbarte Unkündbarkeit gefundenen Regeln auch für die gesetzlich unkündbaren Arbeitnehmer gelten, sind die jeweilige Unkündbarkeitsklausel und der damit verfolgte Zweck näher zu betrachten. Unproblematisch gestalten sich die Fälle gesetzlicher Unkündbarkeit bei Elternteilen, die sich gerade in der Elternzeit befinden. Sie arbeiten während der Zeit nicht, haben also weder Beschäftigungs- noch Entgeltanspruch. Kommen sie nach Ablauf der Elternzeit wieder in den Betrieb, sind sie nicht mehr unkündbar, und es gelten die allgemeinen Regeln. Anders jedoch bei betrieblichen Funktionsträgern, die nicht von ihrer eigentlichen Tätigkeit freigestellt sind. Der gesetzliche besondere Kündigungsschutz soll Betriebsräte und andere Funktionsträger im Betrieb davor schützen, daß sie während ihrer Tätigkeit ordentlich gekündigt werden können und so aus Angst vor Repressalien des Arbeitgeber in ihrer Amtsträgereigenschaft beeinträchtigt sind. 913 Für die Begründung der Weiterbildungspflicht wurde aber gerade auf die zugestandene dauerhafte Beschäftigung im Betrieb abgestellt, die meist durch eine bereits langjährige Beschäftigung begründet ist. Es wäre sowohl gegenüber dem Arbeitgeber als auch den anderen Arbeitnehmern ungerechtfertigt, Frau D und Herrn Baus Beispiel ~14 gleich zu behandeln. Während sich Herr B die Unkündbarkeit durch jahrelange Betriebszugehörigkeit erarbeitet hat, ist Frau D allein wegen ihrer Betriebsratstätigkeit unkündbar. Problematisch ist, daß Frau D dann während ihrer Tätigkeit nur noch eingeschränkt eingesetzt werden kann. Trotzdem wäre eine auf der Unkündbarkeit i.Y.m. § 242 BGB und dem Recht auf Selbstentfaltung beruhende Weiterbildung vom Schutzgebot des Artt. 2 Abs. 1 GG i.V.m. 1 Abs. 1 GG nicht mehr umfaßt. Geschützt werden soll lediglich die durch die Beschäftigung erreichbare Selbstentfaltung der Persönlichkeit. Der zeitweise unkündbare Arbeitnehmer wäre durch eine Weiterbildung gegenüber anderen Arbeitnehmern, denen dieses Recht nicht zukommt, nicht allein für die Zeit des besonderen Kündigungsschutzes bevorteilt, sondern auch danach. Damit verstieße eine Weiterbildung auch gegen § 78 S. 2 1. HS 2.Alt. BetrVG. Gegen diese Argumentation spricht, daß der Arbeitgeber durch Veränderung des Arbeitsplatzes so unliebsame Funktionsträger doch kündigen könnte. Dies ist jedoch hinzunehmen, zumal dem Funktionsträger nicht grundlos, sondern nur wegen Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung aufgrund mangelnder Kenntnisse gekündigt werden kann. 913 914
ErfK/ Ascheid. § 15 KSchG Rn. 1. Vgl. S. 242.
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Auch für Schwangere vor Beginn des Beschäftigungsverbotes kann wegen des Schutzgrundes bezüglich einer Pflicht zur Weiterbildung grundsätzlich nichts anderes gelten, weshalb sich auch für sie durch § 242 BGB keine Weiterbildungsmaßnahme begründen läßt. Der besondere Kündigungsschutz für Schwangere beträgt ca. 13 Monate 915 • Sollte während dieser Zeit eine Weiterbildung nötig werden, muß hier die Beschäftigungspflicht zurücktreten. Zwar kann es sich als sinnvoll erweisen, eine Arbeitnehmerin gerade während dieser Zeit, in der sie körperlich nicht so beansprucht werden kann, weiterzubilden. Eine Pflicht dazu erscheint aber schon deshalb fragwürdig, weil nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, daß die betreffende Arbeitnehmerin das Arbeitsverhältnis später fortsetzen möchte. Außerdem kann die Dauer der nachfolgenden Elternzeit von bis zu 3 Jahren jede Weiterbildungsmaßnahme während der Schwangerschaft weitgehend wertlos machen. Deshalb ist auf eine Weiterbildung zu verzichten. Eine Weiterbildungspflicht aufgrund der dargestellten, gesetzlich angeordneten Unkündbarkeitsregeln ist wegen des zur vertraglichen Unkündbarkeit unterschiedlichen Schutzgrundes abzulehnen. Auch andere gesetzliche Unkündbarkeitsregelungen sind jeweils am Zweck der Regelung zu messen und werden zu gleichen Ergebnissen führen. b) Durchsetzbarkeit einer Weiterbildungspflicht im ungekündigten Arbeitsverhältnis Neben der Begründung der Weiterbildungspflicht stellt sich das praktische Problem der Durchsetzung. Die Frage, ob eine Weiterbildung vorzunehmen gewesen wäre, stellt sich meist erst, wenn einem unkündbaren Arbeitnehmer doch gekündigt wird und der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung geltend macht. Eine außerordentliche Kündigung, obwohl die Beschäftigung nach erfolgter Weiterbildung möglich gewesen wäre, könnte zum Fehlen der für die Anwendung des § 626 BGB (analog) nötigen Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung und damit Unzulässigkeit der außerordentlichen Kündigung führen. Fraglich ist, ob der Arbeitnehmer auch schon vor dem Ausspruch einer Kündigung, die für unkündbare Arbeitnehmer nur aus außerordentlichen Gründen erfolgen kann, einen selbständig einklagbaren Anspruch auf Weiterbildung im unkündbaren Arbeitsverhältnis hat oder ob es sich lediglich um eine Obliegenheit handelt, die dem Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung nimmt. 916 Die hier festgestellte Bestimmung des Arbeitgebers, seiner erweiterten Fürsorgepflicht durch Durchführung einer Weiterbildungsmaßnahme Folge zu leisten, ist 915 Das setzt sich zusammen aus 280 Tagen vom Tag der voraussichtlichen Entbindung abgerechnet (so das BAG in ständ. Rspr. - 2 AZR 566/82 - v. 27.10.1983 LS, AP Nr. 14 zu § 9 MuSchG 1968, zuletzt - 2 AZR 417/97- v. 7. 5. 1998 1. LS, AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG 1968) zuzüglich vier Monaten nach der Entbindung (§ 9 Abs. 1 S. 1 I.HS 2. Vorauss. MuSchG). 916 Vgl.§5AIV3/ S.143ff.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
keine Obliegenheit, sondern eine Rechtspflicht. Sie wird vor allem im Interesse des Arbeitnehmers durchgeführt. Wäre es eine Obliegenheit, müßte der Arbeitgeber bei Nichteinhaltung eine Rechtsposition verlieren. 917 Zwar könnte man davon ausgehen, daß der unterlassene Versuch des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer weiterzubilden und damit die Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten, Voraussetzung der Kündigung ist. Jedoch ist das keine Rechtsposition, die allein in das Belieben des Arbeitgebers gestellt wurde. Die Beschäftigungspflicht ist eine aus dem Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit folgende Pflicht, welche der Arbeitgeber zu erfüllen hat. 918 Deren Erfüllung ist ihm nicht freigestellt, da der Arbeitnehmer eigentlich unkündbar und somit die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Das Recht zur ordentlichen Kündigung ist auch nicht durch den Versuch einer Weiterbildung erreichbar. Andererseits lassen sich die für eine außerordentliche Kündigung notwendigen gesteigerten Voraussetzungen nicht allein durch den Versuch einer Weiterbildung erlangen. Die erweiterte Fürsorgepflicht zur Weiterbildung ist eine mit der Beschäftigungspflicht unkündbarer Arbeitnehmer im Zusammenhang stehende Annexpflicht und als solche ebenfalls eine echte Rechtspflicht. Dabei handelt es sich bei der auf § 242 BGB gestützten Schutzpflicht um eine hinreichend konkretisierbare und dem Arbeitgeber zumutbare Nebenpflicht, die auch selbständig einklagbar iSt. 919 Sie ist konkret genug, da der Beschäftigungspflicht nur durch Anpassung der Fähigkeiten des Arbeitnehmers an die geänderten Umstände Rechnung getragen werden kann. Die Zumutbarkeit ergibt sich daraus, daß gerade in einem Arbeitsverhältnis der Abbruch der Leistungsbeziehung, wodurch die Einklagbarkeit der Schutzpflicht meist überflüssig würde, für den Arbeitnehmer nicht zumutbar ist. 92o c) Ergebnis zur Schutzpflicht aus dem Recht zur Selbstentfaltung der Persönlichkeit Grundsätzlich lassen sich aus dem verfassungsrechtlichen Recht zur Selbstentfaltung der Persönlichkeit keine Schutzpflichten des Arbeitgebers begründen. Dies kommt lediglich in Betracht, wenn es sich um besondere Arbeitnehmergruppen handelt, die ordentlich unkündbar sind. Handelt es sich um eine vereinbarte Unkündbarkeit und ist die Unmöglichkeit der Beschäftigung durch eine Weiterbildung des Arbeitnehmers vermeidbar, ergibt sich aus Treu und Glauben in Verbindung mit der Beschäftigungspflicht eine erweiterte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die zu einer Weiterbildungspflicht führt. An diese Fürsorgepflicht sind höhere Vgl. Wieling, AcP 176 (1976), 334 ff. (346) m. w. N. BAG - GS l/ 84 - v. 27. 2. 1985 unter C. I. 1., 2. der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Krause, AR-Blattei SD, 220.2.1, Rn. 203 m. w. N. 919 Vgl. dazu § 7 BIll c) aa) / S. 234. 920 Vgl. Stümer; JZ 1976,384 ff. (386 f.). 917 918
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Anforderungen zu stellen als an die Pflicht zur Qualifizierung nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG. Es handelt sich dabei um eine selbständig einklagbare Nebenpflicht des Arbeitgebers.
IV. Weiterbildung und andere verfassungsrechtliche Gewährleistungen
Eine Fürsorgepflicht, die aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt anderer Grundrechte eine Durchführung von Weiterbildungen vorschreibt, läßt sich nicht begründen. Die denkbare Möglichkeit, einen - zumindest derivativen - Anspruch auf verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgesichtspunkte zu stützen, muß hinter den in diesen Fall spezielleren, allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zurücktreten. 921 V. Ergebnis zu ungeschriebenen Weiterbildungspflichten aus den verfassungsrechtIichen Schutzpflichten
Es hat sich gezeigt, daß sich aus der aus § 242 BGB i.Y.m. den Grundrechten hergeleiteten Fürsorgepflicht nur in Ausnahmefällen eine Pflicht des Arbeitgebers zur Weiterbildung herleiten läßt. Im kündbaren Arbeitsverhältnis scheitert eine solche Pflicht ohne spezialgesetzliche Grundlage. Jedoch kann dem Arbeitgeber eine Freistellungspflicht auferlegt werden, wenn die im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers liegende Weiterbildung oder eine vom Arbeitgeber angeordnete Weiterbildung bei einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer sonst den gesetzlich gesteckten Rahmen des Arbeitszeitgesetzes überschreiten würde. Im vereinbarten unkündbaren Arbeitsverhältnis besteht eine erhöhte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die zu einer Weiterbildungspflicht führen kann, wenn die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers sonst nicht möglich ist.
C. Ungeschriebene derivative Pflicht zur Weiterbildung durch den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Eine dem einzelnen gegenüber bestehende Verpflichtung zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen könnte sich auch aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben. 922 Der überwiegend als gewohnheits921 Gubelt, in: von Münch, Art. 3 GG Rn. 54; zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aber sogleich unter C / S. 251 ff. 922 Das Bejahen i.V.m. § 75 Abs. 1 BetrVG: Galperin/ Löwisch, § 97 BetrVG Rn. 22; Gilberg, S. 258; H/S/G - Glaubitz, § 96 BetrVG Rn. 16; GK-KraJt, § 96 BetrVG Rn. 29; Richardi, § 96 BetrVG Rn. 25.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
rechtliche Umsetzung des Art. 3 Abs. 1 GG anerkannte allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz923 kann nicht zu einer generellen Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen führen. In Frage steht vielmehr die für die vorliegende Arbeit ebenfalls interessante Untersuchung, ob Arbeitnehmern, die an Weiterbildungsmaßnahmen nicht beteiligt wurden, Teilhabe an vom Arbeitgeber freiwillig für bestimmte Arbeitnehmer durchgeführte Maßnahmen zuzugestehen ist. Näher zu beleuchten ist, ob sich allein daraus, daß dem einen Arbeitnehmer eine Fortbildung gewährt wird, auch ein Anspruch für einen anderen auf Einrichtung einer gleichen oder vergleichbaren Maßnahme gründen läßt. Dabei sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden. Erstens, ob die vom Arbeitgeber für die Auswahl zu der Weiterbildung vorgenommenen Differenzierungskriterien zulässig, also sachgerecht sind (unter I.). Zweitens ist zu überlegen, welche Folgen ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal hat (unter 11.). Zur besseren Veranschaulichung soll Beispiel 8 dienen. Beispiel 8
In der X-GmbH sind Herr A (60 Jahre alt), Frau B (in Teilzeit) und Herr C (schwedischer Staatsbürger) beschäftigt. In der Abteilung, in der sowohl A als auch 8 und C arbeiten, bietet der Arbeitgeber 10 Arbeitnehmern (sowohl Frauen als auch Männern) eine Weiterbildung an, ohne jedoch die konkreten Auswahlgesichtspunkte dafür zu erörtern. Unter den 5 nicht berücksichtigten Arbeitnehmern befinden sich auch A, Bund C, obwohl ihr Arbeitsvertrag exakt dem der anderen entspricht und eine betriebliche Weiterbildung in keinem der 15 Arbeitsverträge vorgesehen ist. Der Arbeitgeber bietet Herrn A die Weiterbildung nicht an, weil dieser "ja sowieso schon zu alt zum Lernen und außerdem nicht mehr lange genug im Unternehmen sei". Ohne weitere Begründung wird Frau 8 von der Weiterbildung ausgeschlossen. Bei Herrn C meint der Arbeitgeber: " ... jedes Land soll gefälligst seine eigenen Leute aus- und weiterbilden. Schweden ist doch so sozial." Alle drei wollen ebenfalls die Weiterbildung besuchen, da sie anderenfalls befürchten, wegen der fehlenden Kenntnisse demnächst gekündigt zu werden.
I. Differenzierungsverbote Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist verletzt, wenn der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern ohne sachlichen Grund von allgemein begünstigenden Regelungen des Arbeitsverhältnisses ausnimmt bzw. schlechter stellt als andere Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage. 924 Ein vom Arbeitgeber festzulegender sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung darf einerseits nicht gegen die absoluten Differenzierungsverbote verstoßen, ander923 Weitere Nachweise über die Herleitung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG bei Lieb, Arbeitsrecht, § 1 IV 31 Rn. 99; MünchArbR I Richardi, § 14 Rn. 7; vgl. aber auch Dtto, Einführung, Rn. 165. 924 Ständ. Rspr. seit: BAG - 4 AZR 644/54 - v. 3. 4. 1957 1. LS, AP Nr. 4 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; ErfKl Preis, § 611 8GB Rn. 853; Schaub, § 112 I 51 Rn. 5.
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seits müssen aber auch die selbst gesetzten Regeln beachtet werden (relative Differenzierungsverbote ).925 1. Absolute Dijferenzierungsverbote
Die absoluten Differenzierungsverbote werden durch § 75 Abs. I S. I BetrVG konkretisiert. Eine ungleiche Behandlung wegen Abstammung, Religion, Nationalität, Herkunft, politischer Betätigung, dem Geschlecht oder der sexuellen Identität hat danach zu unterbleiben und macht jede diesbezügliche Maßnahmen unzulässig. Damit steht außer Frage, daß Herr C wegen seiner schwedischen Nationalität nicht von der Weiterbildung ausgeschlossen werden durfte. Die Differenzierung war damit unzulässig. Ob das zur Begründung eines Anspruchs führt, bleibt unter 11. zu klären. Frau B wurde ebenfalls nicht an der Weiterbildung beteiligt. Allerdings kann dadurch, daß sie eine Frau ist, nicht automatisch auf eine geschlechterspezifische Benachteiligung geschlossen werden, zumal andere Frauen aus der Abteilung an der Weiterbildung teilnehmen. Äußert der Arbeitgeber sich aber nicht zu dem Zweck oder gibt er einen anderen - offensichtlich nicht allein maßgeblichen Zweck an, ist der dahinter stehende im Wege der (ergänzenden) Vertragsauslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist dann der objektive Zweckcharakter der Leistung.926 Da der Arbeitgeber in Beispiel 8 keine Auswahlbestimmung angab und auch Frauen an der Weiterbildung teilnehmen läßt, scheinen Frauen nach dem objektiven Zweck jedenfalls nicht generell ausgeschlossen zu sein. Die Nichtberücksichtigung der B als Teilzeitbeschäftigte könnte aber eine Benachteiligung aufgrund ihrer Teilzeitarbeit darstellen. Dies wiederum bedeutet meist einen mittelbaren Verstoß gegen das Differenzierungsverbot, weil zu dieser Beschäftigungsgruppe naturgemäß mehrheitlich Frauen gehören. Nach vom EuGH aufgestellten und vom BAG angewandten Grundsätzen liegt eine mittelbare Diskriminierung immer vor, wenn die Regelung nicht geschlechterneutral ist, nach prozentualen Anteilen eine Geschlechtergruppe wesentlich weniger betroffen ist als eine andere und diese ungleiche Verteilung nicht anders als mit dem Geschlecht bzw. der Geschlechterrolle erklärt werden kann. 927 In Beispiel 8 fehlt die Bekanntgabe der näheren Umstände. Läge aber eine Benachteiligung aller Teilzeitbeschäftigten vor, müßte, obgleich auch Frauen an der Weiterbildungsmaßnahme beteiligt sind, wohl von einem mittelbar hervorgerufenen Verstoß gegen das absolute Differenzierungsverbot ausgegangen werden. Dann wäre es wiederum eine Frage der Sanktion (unter 11.), ob Frau B gegebenenfalls ein Anspruch auf die Weiterbildungsmaßnahme zugestanden werden könnte. 925
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MünchArbR / Richardi § 14 Rn. 27. Blomeyer; in: FS für Gerhard Müller, S. 51 ff. (58 f).
927 EuGH - Rs. 170/84 - v. 13.5. 1986 Beantwortung der ersten vorgelegten Frage, AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; BAG - 3 AZR 66/83 - v. 14. 10. 1986 unter 11.3. a) der Gründe, AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag mit Anm. Pfarr. Vgl. auch GK-Kreutz, § 75 BetrVG Rn. 50.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
2. Relative Differenzierungsverbote
Ein relatives Differenzierungsverbot liegt vor, wenn der vom Arbeitgeber angestrebte Zweck zwar nicht grundsätzlich, aber mit der von ihm gesetzten Relation von Grund und Folge die Pflicht zur Gleichbehandlung verletzt. 928 Diese Grundsätze gelten auch für freiwillige Leistungen des Arbeitgebers, zu denen auch die Weiterbildung zu zählen ist. Dabei kann der Zweck zwar vom Arbeitgeber frei gesetzt werden, dieser darf jedoch nicht sachwidrig sein. 929 Gerade weil es sich aber um eine freiwillige Leistung handelt, ist der Zwecksetzung wegen der unternehmerischen Freiheit ein hohes Gewicht zu verleihen. 93o Im folgenden ist daher immer zunächst der Zweck der Maßnahme näher zu betrachten, bevor die Gruppenbildung untersucht wird. Die Zwecksetzung für die Auswahl von Arbeitnehmern, die an einer Weiterbildung teilnehmen, kann unterschiedlich sein. Ohne Anspruch auf abschließende Darstellung seien nur einzelne Beweggründe für die Auswahl der Teilnehmer für die Weiterbildung angegeben, die selten allein, sondern meist zusammen mit anderen wirken. Zum einen könnte der Arbeitgeber versuchen, die Arbeitnehmer auf zukünftig geplante, aber noch nicht sofort erfolgende Änderungen der Technologie bzw. Arbeitsorganisation vorzubereiten. 931 Ein weiterer Grund für eine Weiterbildung könnte die generelle Steigerung der Leistungsfähigkeit sein. 932 Möglich wäre auch das Ziel, die Tätigkeit für die Arbeitnehmer abwechslungsreicher zu gestalten und so die Arbeitsmotivation zu erhöhen. 933 Je nach Zwecksetzung sind die in Betracht kommenden Differenzierungsmerkmale genauer zu untersuchen. a) Differenzierung nach dem Alter Die Differenzierung nach dem Alter ist ein häufiges Phänomen bei der Weiterbildung. Jedoch lautet die Intention nicht je älter, desto intensiver muß weitergebildet werden, sondern je jünger (und besser qualifiziert) die Arbeitnehmer sind, desto häufiger wird ihnen eine Weiterbildung durch den Arbeitgeber angeboten. 934 MünchArbRI Richardi § 14 Rn. 27. Weber/ Ehrich, ZIP 1997, 1681 ff. (1682). 930 Lieb, Arbeitsrecht, § 1 IV 3 b)/Rn. 105. 931 Dies ist der häufigste Zweck betrieblicher Weiterbildung, in einer Befragung gaben 53 % der Arbeitgeber dies als sehr wichtiges Weiterbildungsmotiv an; vgl. Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 74 Abb. 2; vgl. auch Pawlowsky/Bäumer, S. 36/ Darstellung 7. 932 Laut Umfrage gaben 36,7 % der Arbeitgeber dies als sehr wichtiges und 47 % als wichtiges Motiv der Weiterbildung an; vgl. Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 74 Abb. 2. 933 Laut Umfrage war die Erhöhung der Arbeitsmotivation für 41,5 % der Arbeitgeber sehr wichtig und für 42,5 % ein wichtiger Grund; vgl. Weiß, Kosten und Strukturen betrieblicher Weiterbildung, S. 74 Abb. 2. 928
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§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
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Liegt wie im Fall des Herrn A ein Ausschluß wegen des Alters vor, kann nicht sofort davon ausgegangen werden, daß es sich auch um eine unzulässige Benachteiligung handelt. Beruht die Zurücksetzung auf einer Zukunftsplanung, will der Arbeitgeber also in den nächsten Jahren Vorteile aus der jetzt schon vorgenommenen Qualifizierung ziehen, kann das Alter bzw. die noch im Betrieb zu erwartende Beschäftigung durchaus ein zulässiges Kriterium sein. Jedoch sind auch die anderen Arbeitnehmer nicht für den Rest ihrer Lebensarbeitszeit an das Unternehmen gebunden. Der Arbeitgeber geht ebenso das Risiko ein, sie jetzt für eine Tätigkeit fortzubilden, die sie später nicht ausüben. Allerdings ist es üblich, die Arbeitnehmer bei Teilnahme an einer Weiterbildung durch Rückzahlungsklauseln935 für längere Zeit an den Betrieb zu binden. Eine Ungleichbehandlung älterer Arbeitnehmer könnte danach zumindest gerechtfertigt sein, solange das Verbleiben der älteren Arbeitnehmer im Unternehmen die durch Rückzahlungsklauseln abgesicherte Zeit der jüngeren Arbeitnehmer unterschreitet. Wie lange eine solche Bindung erfolgen kann, läßt sich nicht generell festlegen, sondern ist in Abhängigkeit von der Länge der Ausbildung und den dafür aufgewendeten Mittel stets im Einzelfall zu entscheiden. 936 So ist jedenfalls vom Rentenalter die für die konkrete Weiterbildung maximal zulässige Bindungsfrist abzuziehen, um festzustellen, bis zu welchem Höchstalter die Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind. Ein weiterer Grund für die Nichtberücksichtigung des A könnte aber auch die eventuell geringer werdende Lem- und Aufnahmefähigkeit mit steigendem Alter sein. Hier ist jedoch ein weithin bestehendes Urteil zu relativieren. Zwar nimmt die assoziative Gedächtnisleistung, also die Fähigkeit zur Aufnahme neuen Materials und seine Reproduktion unmittelbar nach der Aufnahme, mit steigendem Alter ab937 , jedoch kann viel durch Erfahrung und Gesamtverständnis derart ausgeglichen werden, daß je nach Art der Weiterbildung im Ergebnis kaum noch Unterschiede bestehen können. 938 Schließlich ist die Lemfähigkeit immer auch vom erworbenen Bildungsgrad, der Art der Berufstätigkeit und anderen somatischen, sozialen und psychischen Faktoren abhängig. 939
934 Jensen, Süddeutsche Zeitung v. 24./25. 3. 2001, S. V 1/25. Dort auch zu Forderungen der Gewerkschaften zur Beseitigung dieses Mißverhältnisses und dem Vergleich mit Dänemark. 935 Zur Verfassungsmäßigkeit von Rückzahlungsklauseln vgl. HanaulStoffels m. umf. N. und das maßgebliche Urteil des BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16. 3. 1994, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Wiedemann. 936 BAG - 5 AZR 241/94 - v. 6. 9. 1995 unter 4. der Gründe, AP Nr. 23 zu § 611 BGB mit krit. Anm. von Hoyningen-Huene, vgl. auch Anm. unter 11. 1. m. w. N. 937 Thomae I Lehr, Leistungsfähigkeit, S. 25 f. 938 Schröder, Altersbedingte Kündigungen und Altersgrenzen im Individualarbeitsrecht, S. 53, 57. 939 Thomae I Lehr, Leistungsfähigkeit, S. 29; Schröder, Altersbedingte Kündigungen und Altersgrenzen im Individualarbeitsrecht, S. 53.
256
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Steht allein die Erleichterung der Arbeit oder die Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch eine abwechslungsreiche, kreative und somit auch menschengerechte Arbeitsstelle im Vordergrund, ist die Auswahl der Teilnehmer nach dem Alter nicht notwendig und somit auch kein zulässiges Kriterium. Eine Differenzierung nach dem Alter verstößt zusätzlich gegen das Fördergebot des § 96 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Zwar ergeben sich dadurch keine weitergehenden Rechte des Betriebsrats, wegen der expliziten Herausnahme dieser Arbeitnehmergruppe werden aber um so höhere Anforderungen an gerade ältere Arbeitnehmer ausschließende Differenzierungsmerkmale zu stellen sein. Der Zweck entscheidet demnach über die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung aufgrund unterschiedlichen Alters. Die üblicherweise erfolgende Weiterbildung zur Vorbereitung auf weitere Beschäftigung und zur langfristigen Leistungssteigerung, läßt eine Differenzierung nach dem Lebensalter in begrenztem Maße zu. Ob sich bei unzulässiger Nichtberücksichtigung ein Anspruch für ältere Arbeitnehmer ergeben kann, wird unter 11. näher untersucht.
b) Differenzierung nach der Länge der Arbeitszeit Liegt eine Differenzierung nach der Länge der Arbeitszeit vor, handelt es sich meist um die Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber in Vollzeit Arbeitenden. Läßt sich in dieser SchlechtersteIlung eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen Arbeitnehmer erkennen 94o, handelt es sich um ein absolutes Differenzierungsverbot und die Ungleichbehandlung ist unzulässig. Jedoch ist auch die bloße Differenzierung nach der Länge der Arbeitszeit bereits als solche unzulässig. Das relative Verbot, Teilzeitarbeitnehmer vor ungleicher Behandlung ohne sachlichen Grund zu schützen, ist in § 4 Abs. 1 TzBfG festgeschrieben. Durch § 10 TzBfG wird das Verbot der Ungleichbehandlung noch einmal für die Weiterbildung konkretisiert, da einer SchlechtersteIlung Teilzeitbeschäftigter bei Aus- und Fortbildung ausdrücklich entgegengewirkt werden SOll.941 Die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen kann danach lediglich aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse versagt werden. Die Regelung selbst hat aber nur Appellfunktion 942 ; liegen dringende betriebliche Erfordernisse vor, stellt das in jedem Fall einen Rechtfertigungsgrund dar. Ebenfalls keine unmittelbaren Auswirkungen hat das Fördergebot des § 96 Abs. 2 S. 2 BetrVG auf die Differenzierung. Jedoch darf die Differenzierung nicht offensichtlich gegen das Fördergebot teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer bei der Weiterbildung verstoßen, will der Dazu schon unter § 7 C I 11 S. 253 f. Vgl. dazu § 5 A VIII S. 156 f. 942 Däubler; ZIP 2000, 1961 ff. (1963 f.); Kliemt, NZA 2001, 63 ff. (69); PreislGotthardt, DB 2000, 2065 ff. (2068). 940 941
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
257
Arbeitgeber einen gegen ihn gerichteten Unterlassungsanspruch gern. § 23 Abs. 3 BetrVG verhindern. Frau B ist in der X-GmbH nur teilzeitbeschäftigt. Wird sie von den Weiterbildungsmaßnahmen ausgenommen, kann darin eine unzulässige Differenzierung liegen, auch ohne daß eine mittelbare Diskriminierung gegeben ist. Die X-GmbH muß den Nachweis erbringen, daß sie Frau B wegen dringender betrieblicher Gründe nicht berücksichtigt hat. Die Rechtsfolge unzulässiger Ungleichbehandlung ergibt sich allerdings nicht aus dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, sondern dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. 943 c) Differenzierung nach der Länge des Arbeitsvertrages Ebenso wie nach der Länge der Arbeitszeit kann auch danach differenziert werden, ob der Arbeitsvertrag mit dem jeweiligen Arbeitnehmer unbefristet oder befristet ist und welche Dauer die Befristung hat. Gern. § 4 Abs. 2 TzBfG ist eine Ungleichbehandlung befristeter Arbeitnehmer danach allein dann zulässig, wenn sachgerechte Gründe dafür vorliegen. Ein sachlicher Grund müßte es meines Erachtens aber auch sein, daß der Arbeitgeber die an einer Weiterbildung teilnehmenden Arbeitnehmer zumindest danach aussucht, ob dem Unternehmen daraus auch ein längerfristiger Vorteil erwachsen kann. Ist das Ziel langfristig angelegt, was sowohl bei der Weiterbildung zur Erlangung neuer Kenntnisse als auch bei der Erhöhung der Arbeitsmotivation der Fall ist, ergibt sich die Zulässigkeit der Nichtbeachtung der befristeten Arbeitnehmer schon aus dieser Zwecksetzung. Anders sind die Fallgestaltungen zu betrachten, bei denen der Hauptzweck die Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch Neuerungen oder die Erklärung verbesserter Arbeitsabläufe ist. Hier ist die Herausnahme der befristet beschäftigten Arbeitnehmer nicht sachgerecht. Eine strengere Kontrolle könnte sich aus § 19 TzBfG944 ergeben. Danach sollen Weiterbildungsmaßnahmen, die auch für befristete Arbeitnehmer angemessen erscheinen, ihnen nur noch aus dringenden betrieblichen Erfordernissen oder wegen Weiterbildungswünschen anderer Arbeitnehmer versagt werden können. Diese Regelung hat aber wiederum lediglich Appellcharakter. 945 Sowohl die nur einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellenden dringenden betrieblichen Erfordernisse als auch die Weiterbildungswünsche anderer Arbeitnehmer sind sachgerechte Gründe für eine Differenzierung.
943 Däubler, ZIP 2000, 1961 ff. (1963 f.); Kliemt, NZA 2001, 63 ff. (69); PreislGotthardt, OB 2000, 2065 ff. (2068). 944 Dazu auch § 5 A VIII S. 156 f. 945 Däubler, ZIP 2000,1961 ff. (1963 f.); Kliemt, NZA 2001, 63 ff. (69); PreislGotthardt, OB 2000, 2065 ff. (2068).
17 Fracke
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
d) Sonstige Differenzierungsmerkmale Außer den aufgezählten können natürlich weitere Differenzierungsmerkmale bestehen, hervorgehoben wurden lediglich die im Rahmen betrieblicher Weiterbildung tatsächlich am häufigsten auftretenden Differenzierungsmerkmale. So ist auch eine grundsätzliche Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten unzulässig 946, kann aber gerade bezüglich der betrieblichen Weiterbildung einen berechtigten Zweck haben. Eine abschließende Aufzählung aller möglichen Differenzierungsmerkmale mit deren zulässigen und unzulässigen Zwecksetzungen ist nicht möglich, vielmehr soll nur ein Denkanstoß gegeben werden, wie in Fällen einer Ungleichbehandlung bei der Auswahl der Arbeitnehmer bei freiwillig eingerichteten Weiterbildungsmaßnahmen zu verfahren ist.
11. Folgen einer unzulässigen Differenzierung
Wurde eine unzulässige Differenzierung festgestellt, ist unklar, ob den benachteiligten Arbeitnehmern ein Anspruch auf Weiterbildung zugestanden werden kann. Soweit ersichtlich, haben sich Rechtsprechung und Literatur bezogen auf Weiterbildungsmaßnahmen kaum mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ungleichbehandlungen bei freiwilligen Sonderzuwendungen des Arbeitgebers oder freiwilligen Ruhegeldvereinbarungen ermöglichen aber Vergleiche für die Rechtsfolge. Dabei werden vorwiegend sogenannte Anpassungen nach "oben" vorgenommen947 , was bedeutet, daß alle unzulässigerweise nicht Berücksichtigten einen Anspruch auf die vorenthaltene Leistung erhalten. 948 Diese von der herrschenden Ansicht vorgeschlagene Möglichkeit, die Ungleichbehandlung wieder auszugleichen, belastet den Arbeitgeber wirtschaftlich oft erheblich. Daher bleiben Überlegungen, wie eine solche Belastung des Arbeitgebers vor allem bei freiwilligen Leistungen verhindert werden kann, nicht aus. 949 Jedoch können die Vorschläge zur
946 Enrwnl Hanau, § 611 BGB Rn. 225; Schaub, § 112 II I b). Rn. 13. Vgl. dazu nur u. a. BAG - 5 AZR 881/78 - v. 5. 3. 1980 2. LS, AP Nr. 44 zu § 611 BGB Gleichbehandlung; - 5 AZR 251/82 - v. 25. I. 1984 I. LS, AP Nr. 68 zu § 611 BGB Gleichbehandlung. 947 BAG - I AZR 250/61 - v. 4. 5. 1962, I. LS, AP Nr. 39 zu § 242 BGB Gleichbehandlung mit Anm. G. Hueck; - 3 AZR 214/80 - v. 30. 11. 1982 unter II 1 a) der Gründe, AP Nr. 54 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, Marhold/Beckers, AR-Blattei SO, 800.1, Rn. 230; Weber/Ehrich, ZIP 1997,1681 ff. (1688). Vgl. auch Maute, S. 108 m. w. N.; MünchKomml Müller-Glöge, § 611 BGB Rn. 459; ErfKl Preis, § 611 BGB Rn. 872 m. w. N. 948 Dazu, ob es sich dabei um einen Schadensersatzanspruch oder um einen Anspruch auf Erfüllung handelt, vgl. Marhold/Beckers, AR-Blattei SO, 800.1, Rn. 229, und MünchArbRI Richardi § 14 Rn. 39 m. w. N. 949 Unter anderem: BAG - 5 AZR 44 1 82 - v. 25. I. 1984 unter I. 3. b) der Gründe, AP Nr. 66 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; - 5 AZR 89/82 - v. 25. I. 1984 unter II. 3. b) der Gründe, AP Nr. 67 zu § 242 BGB Gleichbehandlung.
§ 7 Regelungen zur Weiterbildung aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen
259
Venneidung eines unbilligen Ergebnisses bei der vorliegenden Fallgruppe nur begrenzt Lösungsalternativen aufzeigen. 95o So soll die Anpassung nach oben nur dann durchzuführen sein, wenn sie eindeutig gewollt oder zwingend ist, sonst aber dem freiwillig Leistungen zugestehendem Nonngeber überlassen bleiben. 951 Der kann dann unter mehreren ihm verbleibenden Möglichkeiten eine Alternative aussuchen, die Gleichbehandlung schafft, ohne dabei aber die für die Arbeitnehmer vorteilhafteste Lösung anwenden zu müssen. 952 Einen anderen Lösungsansatz verfolgt Maute, der versucht, die Interessen des freiwillige Leistungen gewährenden Arbeitgebers zu schützen. Je nachdem, wie schutzwürdig das Vertrauen des Arbeitgebers in die Zulässigkeit der selbstentworfenen Richtlinien ist, ist den benachteiligten Arbeitnehmern sofort ein Anspruch zu gewähren oder dem Arbeitgeber ein angemessener Anpassungszeitraum zuzugestehen. 953 Ähnlich äußert sich das BAG, wenn es bei für den Arbeitgeber unerwarteten Anpassungen nach oben, Übergangsfristen zugesteht. 954 Lieb schlägt vor, die Rückwirkung richterlicher Entscheidungen zu begrenzen und wenn überhaupt - lediglich dem Kläger die geltend gemachten Rechte zuzugestehen. Für die Zukunft sei dem Arbeitgeber die Möglichkeit einer Korrektur einzuräumen, die notfalls auch zu Lasten der bisher Begünstigten erfolgen kann. 955 Der Vorschlag der Literatur läßt sich allein bei noch nicht erfolgter Weiterbildung in einen Anspruch auf Neufestsetzung einer Richtlinie und fehlerfreie Entscheidung ummünzen. Dem Zweck der jeweiligen Weiterbildung entsprechend, wären dann lediglich die als zulässig erkannten Auswahlkriterien zu beachten. Nach Beginn bzw. Abschluß der Weiterbildung kann es aber zur Beseitigung der Ungleichbehandlung außer nachträglicher Weiterbildung der anderen Arbeitnehmer keine Alternative geben. Auch der Gedanke, dem Arbeitgeber eine Anpassungsfrist zuzubilligen, wenn er mit der Unzulässigkeit des von ihm gesetzten Zwecks nicht rechnen konnte, führt zu keinem anderen Ergebnis und schöbe die Entstehung eines Anspruchs lediglich hinaus. Bei Lieb können nach Durchführung der Maßnahme nur einzelne Arbeitnehmer einen Anspruch erlangen, nämlich die, die berechtigterweise geklagt haben. Läßt sich die Weiterbildung aber nicht nachholen, würde er einen Erfüllungsanspruch vollkommen ausschließen. Hat die Maßnahme noch nicht begonnen, würde jedoch auch Lieb die Neufestsetzung unter sachgerechter Anwendung der Differenzierungskriterien befürworten. 950 Vgl. MünchKomml Müller-Glöge, § 611 BGB Rn. 459, der in der Anpassung nach oben nicht die zwingende, aber regelmäßig einzig mögliche Variante zur Wiederherstellung der Gleichberechtigung sieht. 951 ErmanI Hanau, § 611 BGB Rn. 233. So auch schon, Wank, RdA 1985, I ff. (14). 952 Wank, RdA 1985, 1 ff. (14). 953 Maute, S. 117 f. 954 BAG - 5 AZR 44/82 - v. 25. 1. 1984 unter I. 3. b) der Gründe, AP Nr. 66 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; - 5 AZR 89/82 - v. 25. 1. 1984 unter II. 3. b) der Gründe, AP Nr. 67 zu § 242 BGB Gleichbehandlung. 955 Lieb, Arbeitsrecht, § 1 IV 3 b) 1 Rn. 106.
17*
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
Nach erfolgter bzw. begonnener Weiterbildung bleibt lediglich die Anpassung nach oben, ansonsten müßten sich die Arbeitnehmer mit der Ungleichbehandlung abfinden. Liegt also eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, müssen die unzulässigerweise nicht berücksichtigten Arbeitnehmer einen Anspruch auf Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme erhalten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Regelungen des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, da sich aus den appell artigen Regelungen kein eigener Anspruch ergibt. 956 Die deutlich restriktivere Ansicht Liebs ist abzulehnen, da der Arbeitgeber sonst bewußt die Gleichbehandlungsregeln umgehen könnte. Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß es sich um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt. IH. Ergebnis zur Weiterbildung und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
Der Arbeitgeber kann gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen verpflichtet werden, wenn er selbst freiwillig bereits Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt und bei der Auswahl der Arbeitnehmer den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht berücksichtigt hat. Obwohl es einen Eingriff in seine unternehmerische Freiheit bedeutet, ist die Gewährung eines Anspruchs die einzige Möglichkeit, Gleichbehandlung wiederherzustellen. Hat die Weiterbildung bisher noch nicht stattgefunden, kann der benachteiligte Arbeitnehmer einen Anspruch auf gleichheitsgerechte Gruppenbildung geltend machen.
D. Ergebnis zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen als Folge der arbeitsrechtlichen Beziehung Selbst ohne Vereinbarungen im Arbeitsvertrag ist die Begründung von Ansprüchen gegen den Arbeitgeber möglich. Zwar reicht die "normale" Fürsorgepflicht nicht aus, um dem Arbeitgeber die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen vorzuschreiben, trifft den Arbeitgeber aber durch hinzukommende Umstände, wie die vertraglich zugesicherte ordentliche Unkündbarkeit, eine erweiterte Fürsorgepflicht, kann dies eine Rechtspflicht zur Durchführung einer Weiterbildung mit den Arbeitnehmern begründen. Ebenso können sich derivative Ansprüche einzelner Arbeitnehmer aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, sobald sie sachwidrig aus einer vom Arbeitgeber unter kollektiven Gesichtspunkten gebildeten Gruppe herausgenommen wurden. Die Pflicht des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern ist jeweils als Rechtspflicht anzusehen, die sich selbständig im Klageweg durchsetzen läßt. 956 Däubler, ZIP 2000,1961 ff. (1963 f.); Kliemt, NZA 2001, 63 ff. (69); PreislGotthardt, DB 2000, 2065 ff. (2068).
§ 8 Zusammenfassung und Bewertung
261
§ 8 Zusammenfassung und Bewertung der Regelungen zur Einführung von Weiterbildungen im intakten Arbeitsverhältnis Die vorstehenden Untersuchungen zeigen, daß die Freiheit des Arbeitgebers bei der Entscheidung über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen insgesamt sehr groß ist, in bestimmten Situationen aber nicht mehr uneingeschränkt erfolgen kann.
A. Zusammenfassung Zur besseren Zusammenfassung der Einzelergebnisse ist zunächst noch einmal auf Beispiel 1957 einzugehen. In einem deutschen Technologiebetrieb (T-GmbH) wurde Englisch als unternehmensinterne Sprache festgelegt, damit sich die deutschen Arbeitnehmer mit ihren Kollegen am belgischen Standort verständigen können. Bisher ungeregelt ist, wie den Arbeitnehmern, die die englische Sprache nicht ausreichend beherrschen, die notwendigen Kenntnisse vermittelt werden. Zu überlegen war in diesem Teil, ob der Arbeitgeber im intakten Arbeitsverhältnis verpflichtet werden kann, Englischkurse einzuführen. Die Ausführungen zum V61ker- und Europarecht zeigen die Bedeutung, die der betrieblichen Weiterbildung in den internationalen und supranationalen Rechtsquellen beigemessen wird, ohne daß sich aber konkrete Ansprüche des einzelnen Arbeitnehmers daraus begründen lassen. Die Untersuchung des Verfassungsrechts ergab, daß die Weiterbildung vom Schutzbereich der Berufsfreiheit gern. Art. 12 GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gern. Artt. 2 Abs. 1 GG i. Y.m. I Abs. 1 GG umfaßt ist. Wegen der nur mittelbaren Wirkung der Grundrechte können sich aber allein aus der Verfassung keine unmittelbaren Verpflichtungen des Arbeitgebers zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben. Eine Pflicht des Arbeitgebers, Weiterbildungsmaßnahmen einzuführen, kann mittelbar auf dem in § 97 Abs. 2 BetrVG verankerten echten Mitbestimmungsrecht beruhen. Der Betriebsrat hat danach bei der Einführung von Qualifizierungsmaßnahmen immer mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Änderungen des Arbeitsprozesses vorgenommen hat, die dazu führen, daß sich die Tatigkeit der Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr ausreichen. Jedoch handelt es sich bei den fehlenden Englischkenntnissen der Ingenieure aus Beispiel 1 nicht um berufliche Kenntnisse oder Fähigkeiten, da diese (noch) nicht als berufs spezifische Kenntnisse verlangt werden. Zusätzlich kann sich unter Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG eine Pflicht des Arbeitgebers ergeben, eine Weiterbildung durchzuführen. Die danach 957
S.26.
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2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
zu erfüllende Unterrichtungspflicht bezieht sich vor allem auf Änderungen der Technologie und Arbeitsorganisation, die vom Arbeitgeber vorgenommen werden. Englischkurse aufgrund der Festlegung dieser Sprache als Unternehmens sprache wie im Beispiel 1 sind von der Unterrichtungspflicht nicht erfaßt. Andere gesetzliche Regelungen, die wie §§ 96, 98 BetrVG, 75 Abs. 2 BetrVG, 81 Abs. 4 BetrVG sowie 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ebenfalls die Weiterbildung betreffen, können die Entscheidung des Arbeitgebers über die Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen nicht unmittelbar beeinflussen. Jedoch zeigen diese Vorschriften, daß die Entscheidung des Arbeitgebers über die betriebliche Weiterbildung trotzdem Zwängen unterworfen ist und daß der Arbeitgeber für die Durchführung der Weiterbildung in die Verantwortung genommen wird. Außerdem können die gerade erörterten Vorschriften eine Rückwirkung auf eine wegen der mangelnden Kenntnisse eventuell später anstehende Kündigung entfalten. Solche Überlegungen sind im dritten Teil näher aufzugreifen. 958 In einer tariflichen Regelung könnten Absprachen darüber getroffen werden, wie den Arbeitnehmern der T-GmbH für die betrieblichen Zwecke Englisch vermittelt werden kann. Ebenso käme eine freiwillige Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in Betracht. Nur sehr differenziert läßt sich die Frage für Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis beantworten. Wurden Englischkenntnisse bei Einstellung vorausgesetzt, müssen die Arbeitnehmer selbst dafür sorgen, daß sie dem erwarteten Kenntnisstand auch gerecht werden. War das nicht der Fall und ist die Weiterbildung für betriebliche Belange im Arbeitsvertrag zugesagt, wird sich das zwar in erster Linie auf rein fachliche Informationen beziehen, durch ergänzende Auslegung müßte aber auch ein Sprachkurs - da ebenfalls betrieblich notwendig - darunter zu subsumieren sein. Liegen keinerlei arbeitsvertragliche Vereinbarungen vor, ist die allgemeine Fürsorgepflicht aus § 242 BGB i.Y.m. dem grundrechtlich gebotenen Schutz des Arbeitgebers zu betrachten. Jedoch kann auch diese im Beispiel 1 keine Weiterbildungspflicht begründen, denn die Arbeitnehmer sind durch die fehlenden Englischkenntnisse weder in ihrer Berufsfreiheit noch der Entfaltung ihrer Persönlichkeit derart beeinträchtigt, daß den Arbeitgeber Handlungspflichten treffen müßten. 959 Es gibt demnach für die Arbeitnehmer der T-GmbH jedenfalls im von einer Kündigung nicht bedrohten Arbeitsverhältnis keine Möglichkeit, Englischkurse von ihrem Arbeitgeber zu verlangen. Gleichwohl gibt es Konstellationen, in denen sich die Schutzgebote aus der Berufsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht derart verdichtet haben, daß eine Pflicht zur Weiterbildung entstehen kann. Das ist einmal der Fall, wenn Arbeitnehmer in den Grenzen des Arbeitszeitgesetzes vollzeitbeschäftigt sind und eine vom Arbeitgeber angeordnete oder im überwiegenden betrieblichen Interesse 958 Zum Einfluß dieser Normen auf die Zumutbarkeit einer Weiterbildungsmaßnahme gern. § lAbs. 2 S. 3 I.HS KSchG vgl. insbesondere 3. Teil § 10 A V 3 b)dd) (2), (3) / S. 346 ff. 959 Vgl. aber das Beispiel unter § 7 BIll a) / S. 229 ff.
§ 8 Zusammenfassung und Bewertung
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liegende Weiterbildung nach der Arbeitszeit erfolgen soll. Hier muß der Arbeitgeber die Arbeitnehmer wenigstens unentgeltlich freistellen. Außerdem trifft den Arbeitgeber bei aufgrund individueller Klauseln unkündbaren Arbeitnehmern eine erweiterte Fürsorgepflicht, die ihm Weiterbildungspflichten auferlegt, um die auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegründete Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten. Beide Schutzpflichten sind echte Rechtspflichten, die sich selbständig durchsetzen lassen. Zusätzlich könnte sich ein derivativer Anspruch auf Weiterbildung aus einer bereits bestehenden Weiterbildungspraxis des Arbeitgebers ergeben. Daß kann einmal durch eine betriebliche Übung erfolgen. Außerdem kann eine unter Verstoß gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vorgenommene Weiterbildung einen Anspruch der gleichheitswidrig benachteiligten Arbeitnehmer begründen.
B.Bewertung Die Untersuchung der bestehenden Regelungen zur betrieblichen Weiterbildung führt zu verschiedenen Ergebnissen. Erstens ist auch die Weiterbildung als verfassungsrechtlich geschützt anzusehen, und dementsprechend treffen den Staat verschiedene Schutzaufträge gegenüber den Arbeitnehmern. Jedoch muß relativierend als zweites festgestellt werden, daß diesen Schutzaufträgen schon mit sehr wenigen gesetzlichen Bestimmungen ausreichend nachgekommen wurde. Nur in Ausnahmefällen kann die Beeinträchtigung Dritter - hier der Arbeitnehmer - eine aus den Schutzpflichten begründete Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben. Drittens ist auf das sehr wichtige neue echte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen gern. § 97 Abs. 2 BetrVG zu verweisen. Diese, erst seit dem 25. 09. 2001 im Betriebsverfassungsgesetz enthaltene Vorschrift, beinhaltet ein Initiativrecht, mit welchem der Arbeitgeber über die Einberufung der Einigungsstelle unter den Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG auch gegen seinen Willen zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen veranlaßt werden kann. Wie sich diese Vorschrift in der Praxis bewährt, bleibt abzuwarten. Mit ihrer Aufnahme in das Betriebsverfassungsgesetz findet die gestiegene Bedeutung der Weiterbildung im Arbeitsleben Niederschlag in einem der maßgeblichsten arbeitsrechtlichen Gesetze. Viertens und damit eine Kernaussage der bisherigen Untersuchung darstellend, wurde nachgewiesen, daß die Vorschrift des § 81 Abs. I, 2 BetrVG entgegen der Ansicht des BAG und eines Teils der Literatur auch Unterrichtungen umfassen kann, die Berufsbildungscharakter haben. In der in § 81 Abs. I, 2 BetrVG vorgeschriebenen Unterrichtung nur die Einweisung des Arbeitnehmers an einen kon-
264
2. Teil: Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis
kreten Arbeitsplatz zu sehen96o , greift zu kurz. Da der einzelne Arbeitnehmer einen individuellen Anspruch auf eine Unterrichtung hat, muß zumindest in bezug auf Maßnahmen die der Erfüllung der Pflicht des § 81 Abs. 1, 2 BetrVG dienen und außerdem als Bildungsmaßnahmen anzusehen sind, davon ausgegangen werden, daß die Entscheidung über die Durchführung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen nicht allein dem Arbeitgeber überlassen bleibt. Als fünfte, für die Ausgangsfrage maßgebliche Konsequenz kann die Erkenntnis festgehalten werden, daß der Arbeitgeber sich auch durch die freiwillige Durchführung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen binden kann und bei gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßender Auswahl der teilnehmenden Arbeitnehmer den benachteiligten Arbeitnehmern ebenfalls Ansprüche zuzugestehen sein können.
960
BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 1. LS, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG.
3. Teil
Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis Nach den Erwägungen zur Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis sind im folgenden die bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnisse näher zu betrachten. Besonderes Augenmerk ist dabei auf zwei Punkte zu richten. Erstens stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis eher verpflichtet werden kann, Weiterbildung vorzunehmen. Zweitens ist näher zu beleuchten, ob es eine Rückwirkung zwischen unterlassener Weiterbildung während der vergangenen Beschäftigungszeit und der nun anstehenden Kündigung gibt. Zur Klärung sollen wiederum die einzelnen auf das Arbeitsverhältnis einwirkenden rechtlichen Vorgaben näher untersucht werden. Den Hauptteil der Ausführungen wird dabei die Erklärung der kündigungsschutzrechtlichen Norm des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG beanspruchen (unter § 10 A), die dem Arbeitgeber gebietet, zumutbare Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen vorzunehmen, wenn sich dadurch eine Kündigung vermeiden läßt. Zwar ist die Rechtsfolge dieser Vorschrift - die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung - eindeutig, die Voraussetzungen sind aber wegen der im Tatbestand verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe nur sehr ungenau umschrieben. Im folgenden soll versucht werden, den Normgehalt präziser zu ermitteln. Völker- und europarechtliche Vorschriften lassen für den Fall des bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnisses keine über die bereits untersuchten Regelungen 1 hinausgehenden Normen finden. Die Untersuchung beginnt daher mit verfassungsrechtlichen Erörterungen.
§ 9 Bestandsschutz des Arbeitsplatzes als Verfassungsgarantie Die Vorgaben des Verfassungsrechts für die Weiterbildung wurden bereits im ersten Teil in § 4 untersucht? Zu überlegen ist an dieser Stelle, welche Erkenntnisse aus einem verfassungsrechtlich gebotenen Bestandsschutz gewonnen werden können und ob die in dieser Arbeit vorgenommene Unterscheidung zwischen
1
2
Vgl. 1. Teil § 3/S. 67 ff. Vgl. S. 67 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
intaktem und bestandsgefährdetem Arbeitsverhältnis auch durch den verfassungsrechtlichen Hintergrund gerechtfertigt ist.
A. Verfassungsrechtliche Aussagen zum Bestandsschutz Als Ausfluß der Privatautonomie ist es grundsätzlich möglich, Verträge einzugehen und wieder zu lösen. Für den Arbeitgeber wird das Interesse, nur die Mitarbeiter zu beschäftigen, die auch seinen Vorstellungen entsprechen, speziell durch Art. 12 GG gewährleistet? Doch steht dem einseitigen Beendigungsrecht des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes entgegen. Dieses Interesse ergibt sich zum einen aus der finanziellen Absicherung, die der einzelne durch die Tätigkeit erlangt und die meist seine Lebens- und Existenzgrundlage darstellt. Zum anderen ist die berufliche Tätigkeit Ausdruck individueller Freiheitsentfaltung und Selbstdarstellung. Fehlende Beschäftigung beeinflußt nicht nur den beruflichen, sondern auch den außerberuflichen Bereich. Sie kann gerade in der heutigen Hochleistungsgesellschaft zu sinkendem Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein führen. 4 Diese Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen in einen Ausgleich gebracht werden, der den kollidierenden Grundrechtspositionen zu möglichst größter Wirksamkeit verhilft. 5 Der Bereich, in dem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht einseitig kündigen kann, stellt dann den verfassungsrechtlich garantierten Bestandsschutz dar. Dieser Bereich, in welchem dem Arbeitgeber geboten wird, eine uneingeschränkte Kündigung zu unterlassen, könnte in seinem Schutzgehalt auch das Gebot erfassen, dem Arbeitnehmer vor sofortiger Kündigung die Möglichkeit zu geben, die Fähigkeiten des Arbeitnehmers an neue Gegebenheiten anzupassen. Vom Bundesverfassungsgericht ist mittlerweile anerkannt, daß die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes in alle Richtungen geschützt werden soll und daher auch die Wahl umfaßt, einen Arbeitsplatz beizubehalten.6 Damit ist die Gewährung des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers verfassungsrechtlich abgesichert. 7 Den Inhalt des Schutzauftrages konkretisiert das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht näher, sondern verweist lediglich darauf, daß ihm mit den bestehenden kündigungsschutzrechtlichen Regeln im wesentlichen Genüge getan wird. 8 Daneben 3 BVerfG-l BvL 15/87 - v. 27. 1. 1998 unter B. I. 3. bb) der Gründe, BVerfGE 97,169 ff.; Lakies, DB 1997, 1078 ff. (1078 f.); Oetker; Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 20. 4 BVerfG-l BvL 15/87 - v. 27.1. 1998 unterB. I. 3. der Gründe, BVerfGE97, 169ff. 5 BVerfG-l BvL 15/87 - v.27. 1. 1998 unterB. I. 3. a) der Gründe, BVerfGE 97, 169ff. 6 BVerfG - 1 BvR 1341190 - v. 24. 4. 1991 unter B. III. 1. der Gründe, BVerfGE 84, 133 ff. 7 BVerfG - 1 BvR 1341190 v. 24. 4. 1991 unter B. III. 1. der Gründe, BVerfGE 84, 133 ff.; Hanau, FS für Dieterich, S. 200 ff. (200). 8 BVerfG - 1 BvR 1341190 - v. 24. 4. 1991 unter C. III. 1. der Gründe, BVerfGE 84, 133 ff. Diese Aussage wurde sowohl 1995, in: - 1 BvR 1397/93 - v. 21. 2. 1995 unter C. I. 1.
§ 9 Bestandsschutz des Arbeitsplatzes als Verfassungsgarantie
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schützen die zivilrechtlichen GeneralklauseIn die Arbeitnehmer dort vor treue- und sittenwidriger Kündigung, wo das Kündigungsschutzgesetz nicht greift. 9 Dem stimmt ein Großteil der arbeitsrechtlichen Literatur zumindest im Grundsatz zu. 10 Unstreitig ist, daß sich aus dem Bestandsschutz weder ein Recht auf Bereitstellung, noch auf grundsätzlichen Bestand eines einmal gewährten Arbeitsplatzes herleiten läßt. 11 Andererseits ist die Garantie eines Mindestschutzes dergestalt unerläßlich, daß die vollständige einseitige Durchsetzung des arbeitgeberseitigen Vertragsbeendigungswillens zu verhindern ist. 12 Für den Ausgleich der gegenläufigen Interessen des Arbeitgebers mit denen des Arbeitnehmers gibt es aber keine feste Größe, es handelt sich um einen großen Bereich, in welchem dem Bestandsschutz ausreichend Rechnung getragen wird. 13 Diesen Anforderungen wird durch die Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG, nach dem eine Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt ist, wenn eine zumutbare Fortbildung und Umschulung unterlassen wird l4 , jedenfalls Rechnung getragen. 15
B. Ergebnis Für die Weiterbildung lassen sich aus den verfassungsrechtlichen Aussagen folgende Schlußfolgerungen ziehen: Will der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigen, kann er das nicht sofort, sondern muß das Interesse des Arbeitnehmers an der Beibehaltung des Arbeitsplatzes beachten. Sollte sich der Kündigungsgrund durch eine Qualifizierung beseitigen lassen, kann dies gerade zur Erfüllung des arbeitder Gründe, BVerfGE 92, 140 ff., als auch 1998 in: - 1 BvL 15/87 - v. 27. l. 1998 unter B. I. 3. a) und b) der Gründe, BVerfGE 97, 169 ff. =JZ 1998,848 ff. mit grundSätzlich zust. Anm. Otto, bestätigt. 9 BVerfG - 1 BvL 15/87 - v. 27. l. 1998 unter B. I. 3. b) ce) der Gründe, BVerfGE 97, 169 ff.; BAG - 2 AZR 15100 - v. 2l. 2. 2001 unter B. 11.4. a) der Gründe, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung; vgl. auch Otto, Anm. zu dieser Entscheidung unter III.l.b), RdA 2002, 103 ff. 10 Dieterich, RdA 1995, 129 ff. (134); Hanau, FS für Kehrmann, S. 23 ff. (29); Lakies, DB 1997, 1078 ff. (1079); Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 31 f., 40. Schon vor den Entscheidungen des BVerfG zu einer Schutzpflicht Stellung nehmend: Badura, FS für Herschel, S. 21 ff. (34 f.) und Papier, DVBI. 1984,801 ff. (813 f.). Vgl. auch Zöllner, Gutachten D zu 52. DIT, D 114 f. 11 BVerfG - 1 BvR 1341/90 - v. 24. 4. 1991 unter C. 111. l. der Gründe, BVerfGE 84, 133 ff.; Kühling, AuR 1994, 126 ff. (128); MünchArbRI Wank § 122 Rn. 6. 12 Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 36; Urban, S. 56. 13 Lakies, DB 1997, 1078 ff. (1079); Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 30 ff., 40 f.; Preis, NZA 1997, 1256 ff. (1258). 14 Dazu im einzelnen unter § 10 AIS. 268 ff. 15 BVerfG - 1 BvR 1341/90 - v. 24. 4. 1991 unter C. III. l. der Gründe, BVerfGE 84, 133 ff.; - 1 BvR 1397/93 - v. 2l. 2. 1995 unter C. I. l. der Gründe, BVerfGE 92, 140 ff.; Kühling, AuR 1994, 126 ff. (128); Lakies, DB 1997, 1078 ff. (1079); Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 36.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
nehmerseitigen Interesses geboten sein. Wie dabei im einzelnen zu verfahren ist, läßt sich nur durch die Auslegung der bestehenden Vorschriften ermitteln, wobei das verfassungsrechtliche Bestandsschutzgebot sowohl in die Auslegung bestehender spezieller Normen, als auch der Generalklausein mit einfließt. Jedenfalls muß es wegen des Bestandsschutzes nach Art. 12 GG als möglich angesehen werden, die freie Entscheidung des Arbeitgebers darüber, ob er die Arbeitnehmer qualifiziert oder nicht, einzuschränken.
§ 10 Gesetzliche Vorgaben der Weiterbildung im be'standsgefährdeten Arbeitsverhältnis Zur Erhöhung des Bestandsschutzes hat der Gesetzgeber viele einfachgesetzliche Normen erlassen. Neben dem Kündigungsschutzgesetz sollen unter anderem Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bürgerlichen Gesetzbuches den Arbeitnehmern helfen, den Arbeitsplatz zu sichern. Normen, die neben dem Bestandsschutz auch einen Bezug zur Weiterbildung aller Arbeitnehmer aufzeigen, sind im folgenden näher auf ihren Inhalt und ein eventuelles Gebot an den Arbeitgeber, Weiterbildung für die bestandsgefährdeten Arbeitnehmer durchzuführen, zu untersuchen. Die noch im ersten Teil vorgenommene Unterscheidung zwischen landes- und bundesrechtlichen Normen wird nicht weiter verfolgt, da keine landesrechtlichen Besonderheiten erkennbar sind.
A. Fortbildung und Umschulung nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG Das Kündigungsschutzgesetz bestimmt in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG, daß eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, "wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen" möglich ist. Damit wird dem Arbeitgeber vor einer Kündigung die Vornahme von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen auferlegt. Aus dieser Vorschrift könnte sich eine unmittelbare Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbildung ergeben, die zeitlich und sachlich an seinen Wunsch zur Kündigung gebunden wäre. Auch ohne genaue Definition der in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG benannten Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen kann davon ausgegangen werden, daß gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG durchzuführende Maßnahmen dem in dieser Arbeit verwendeten und sehr weit gefaßten Weiterbildungsbegriff16 entsprechen. Trotzdem ist eine genaue Bestimmung der Begriffe der Fortbildung und Umschulung für die weitere Untersuchung und die nähere Beschreibung des Tatbe16
Vgl. 1. Teil § 2 AllS. 29 ff.
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standes des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG unerläßlich. Nur auf diese Weise kann der vom Kündigungsschutzgesetz geregelte Bereich der betrieblichen Weiterbildung eingegrenzt werden. Die Begriffsbestimmung soll der weiteren Erörterung vorangestellt werden (unter I.). Danach erfolgt unter 11. bis V. die Einordnung der zumutbaren Fortbildung und Umschulung im System des Kündigungsschutzgesetzes, bevor unter VI. auf die Auswahl der fortzubildenden und umzuschulenden Arbeitnehmer eingegangen wird, wenn mehrere Beschäftigungsansprüche konkurrieren. Das Verhältnis der individualrechtlichen Kündigungsschutznorm zur Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG sowie § 98 BetrVG wird unter VII. näher erörtert. Welche Rechtsnatur der § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG hat, ob es sich also um eine Rechtspflicht oder eine Obliegenheit handelt, ist abschließend unter VIII. näher zu beleuchten.
I. Begriff der Fortbildung und Umschulungsmaßnahme im Kontext des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG werden im Gesetz nicht explizit definiert, und auch aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für deren BedeutungY Bei dem Versuch der Auslegung lassen sich zwei Grundströmungen erkennen: Wahrend sich ein Teil der Literatur an die bestehenden Definitionen im Berufsbildungsgesetz (BBiG) und im Arbeitsförderungsrecht (jetzt SGB III, früher AFG) anlehnt 18, wollen andere die im Kündigungsrecht verwendeten Begriffe gerade als davon unabhängig sehen. 19 Das BAG hat sich bisher nicht festgelegt. 20 Probleme bereitet vor allem die der Definition immanente Zielbestimmung der Umschulung, die Frage also, ob eine Umschulung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu einer anderen beruflichen Tätigkeit führen soll oder nicht. Daher ist im weiteren zunächst die Umschulung näher zu betrachten (1.), bevor auf den Begriff der Fortbildung eingegangen wird (2.).
Vgl. BT-Drucks. VII 2729 und VII 1786. KR/ Etzel, § I KSchG Rn. 766; KraftlRaab, Anm. zu BAG v. 7. 2. 1991, EzA § I KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9; HK-KSchG/WellerIDomdoif, § I KSchG Rn. 921. 19 ErfK/Ascheid, § I KSchG Rn. 564; APS/Kiel, § I KSchG Rn. 617; Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2427); so wohl auch Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (57). 20 Symptomatisch die Ausführungen in: BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. c) der Gründe, AP Nr. I zu § I KSchG Umschulung = EzA § I KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9 mit Anm. KraftlRaab. 17
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
1. Die Umschulung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 31. HS KSchG
a) Meinungsstand Das BAG setzte sich in der Entscheidung vom 7.2. 1991 mit der Frage auseinander, wie der Begriff der Umschulung zu verstehen sei, ohne sich aber abschließend festzulegenY Als weitestes Verständnis scheint das Gericht den allgemeinen Sprachgebrauch anzusehen, wonach eine Umschulung eine Ausbildung in einen anderen Beruf wäre 22 • Es schließt aber auch nicht aus, die Umschulung als Weiterbildung in dem bisher ausgeübten Berut23 - also eher im Sinne einer Fortbildung zu verstehen. 24 Bemerkenswert ist an den Äußerungen des BAG, daß es sich für die an einer Befähigung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit orientierende Auslegung ausdrücklich nicht auf die Legaldefinitionen des - damals noch geltenden und diese Unterteilung ebenfalls vornehmenden - § 47 Abs. 1 S. 1 AFG25 und des § 1 Abs. 4 BBiG bezieht, sondern auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückgreift. 26 Das Gericht will so einerseits dem Unterschied zum Begriff der beruflichen Umschulung Rechnung tragen27 , ist sich aber andererseits trotzdem nicht klar darüber, wie es den gesetzgeberischen Verzicht auf den Zusatz "beruflich" zu verstehen hat. Darin könnte die bewußte Beschränkung der Umschulung auf lediglich solche Maßnahmen liegen, die gerade nicht zu einer anderen beruflichen Tätigkeit führen. 28 Genau entgegengesetzt könnte aber gerade auch die weite Auffassung die 21 BAG - 2 AZR 205/90 - unter B. 11. 3. c) der Gründe, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 22 Wahrig, Brockhaus, Deutsches Wörterbuch. 23 So die nicht nachgewiesene Definition des BAG: - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. d) der Gründe, AP Nr. I zu § I KSchG Umschulung. 24 BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. d) der Gründe, AP Nr. I zu § 1 KSchG Umschulung. 25 Mit Wirksamkeit des AFRG und der Neueingliederung in das SGB III (BGBI 1 1997, S. 594) wurde diese Unterscheidung aufgegeben, und es wird nur noch der Begriff der beruflichen Weiterbildung verwendet (§ 77 Abs. I SGB III). Jedoch besteht die bisherige Definition der Umschulung in § 87 Abs. I Nr. 3 SGB III als zulässiges Ziel der Weiterbildungsförderung weiterhin fort. 26 Vgl. Fn. 23. Unkritisch greift auf §§ I, 47 BBiG und § 47 AFG aber noch die dem Rechtsstreit vorausgehende Entscheidung des LAG Frankfurt a.M. (-12 Ca 67/88 - v. 12. 12. 1989 unter C. 1. a), LAGE § I KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7) zurück. 27 BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. b) der Gründe, AP Nr. I zu § I KSchG Umschulung. Diesen Schluß erwägt das BAG mit Verweis auf die zeitliche Nähe der Gesetzgebung zu einer Entscheidung des BAG (-I AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968, AP Nr. 18 zu § I KSchG 1951 Betriebsbedingte Kündigung mit zust. Anm. A. Hueck). Dort war eine Umschulungspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem bei ihm beschäftigten Piloten angenommen worden, weil bereits bei Vertragsschluß absehbar war, daß der technische Fortschritt früher oder später den Erwerb von Kenntnissen für einen neuen Flugtypen nötig machen würde (unter 3. der Gründe). 28 BAG - 2 AZR 205/90 v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. b) am Ende, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung.
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Folge sein, nach der Umschulung nicht nur auf berufliche Änderungen, sondern auch auf bereits im Arbeitsvertrag angelegte Veränderungen des Arbeitsumfeldes bezogen ist. 29 Dem BAG vergleichbar unentschlossen ist das Schrifttum. Ein Teil stellt auf die Definitionen der §§ 1,46,47 BBiG ab 3o, wonach eine Umschulung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigen würde. Diese Befähigung verlangt nicht zwingend einen Abschluß zu einem anerkannten Ausbi1dungsberuf31 , setzt aber den Erhalt einer Befähigung zu einer andersartigen beruflichen Tätigkeit, also den Wechsel der Fachrichtung, voraus. 32 Vor allem neuere Stimmen in der Literatur sind der Ansicht, die Begrifflichkeiten des Berufsbildungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes könnten wegen der unterschiedlichen Zielrichtung nicht herangezogen werden. 33 Sie verweisen zusätzlich auf den bereits vom BAG angeführten sprachlichen Unterschied wegen des Zusatzes der beruflichen Umschulung. 34 Im Gegensatz zur Fortbildung ziele die Umschulung auf den Erwerb eines Bündels anderer Verrichtungsfähigkeiten ab, die zeitlich für die Weiterbeschäftigung zur Verfügung stehen müssen. Ein Abschluß sei für diese Kenntnisvermittlung nicht notwendig. Dabei schließen die Vertreter dieser Ansicht eine Erweiterung der beruflichen Kenntnisse zu einer anderen beruflichen Tätigkeit aber auch nicht aus. 35 b) Stellungnahme Nach den wiedergegebenen Ansichten ergeben sich drei Möglichkeiten der Definition einer Umschulungsmaßnahme. Eine Umschulung kann einerseits jede Maßnahme sein, welche die Arbeitnehmer zur Ausübung einer anderen beruflichen Tätigkeit befähigt. Hierbei ist weiter zu unterscheiden zwischen einer Umschulung, die nur bei Erhalt der Befähigung zu einer anderen beruflichen Tätig-
29 "Eine restriktive Definition ... , kann dieser Entscheidung aber nicht entnommen werden, ... " , vgl.: BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2.1991 unter B. II. 3. b) am Ende, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 30 KRI Etzel, § 1 KSchG Rn. 766; Huecklv. Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 539; KraftlRaab, Anm. zu BAG v. 7. 2. 1991, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9; HK-KSchGIWellerIDomdoif, § 1 KSchG Rn. 921. 31 § 47 Abs. 3 BBiG ist nur eine Möglichkeit der Umschulung, nicht die alleinige, vgl. Herkert, § 47 BBiG Rn. 9; Natzel, Berufsbildungsrecht, S. 335. 32 BSG 12/7 Rar 103/74 - v. 29. 4.1976, SozR (2) 4100 § 41 Nr. 24, S. 48 ff. (49 f.); Götz, Berufsbildungsrecht, Rn. 9; Herkert, § I BBiG Rn. 12. 33 ErfKI Ascheid, § 1 KSchG Rn. 564; APS 1Kiel, § 1 KSchG Rn. 617; Preis, Prinzipien, S 168 f. In diesem Sinne wohl auch: Birk, FS für Kissel, S. 51 Cf. (57 f.). 34 ErfKI Ascheid, § 1 KSchG Rn. 565; Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2427); APSI Kiel, § 1 KSchG Rn. 617. 35 ErfKI Ascheid, § 1 KSchG Rn. 566; Gaul, BB 1995,2422 ff. (2427).
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
keit vorliegt36 und einer solchen, die zwar auch bei Erhalt einer Befähigung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit vorliegt, aber dies nicht als begriffsbestimmendes Merkmal beinhaltet. Letztere Möglichkeit ist insgesamt die weiteste Auffassung, da alle die beruflichen Fähigkeiten erweiternden Bildungsrnaßnahmen, die dem Arbeitnehmer die Qualifikationen für eine von der bisherigen Tätigkeit abweichende oder diese auch nur erweiternde Beschäftigungsmöglichkeit schaffen, als Umschulung anzusehen sind. 37 Andererseits könnte sich die Umschulung aber auch nach einer dritte Lesart auf bereits im Arbeitsverhältnis angelegte Tätigkeiten beziehen38 . Umschulungen im Sinne einer Befähigung zu einer neuen beruflichen Tätigkeit wären dann gerade nicht mehr von § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG umfaßt, und der Arbeitgeber wäre beispielsweise bei personenbedingten, krankheitsbedingten Kündigungssituationen nicht verpflichtet, einen artfremden Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen39 . Wie gerade an der dritten Variante zu sehen ist, hat das jeweilige Verständnis des Umschulungsbegriffes schon von vornherein große Auswirkungen auf die vom Arbeitgeber in Betracht zu ziehenden Maßnahmen. Gegen die dritten Lesart, die auch von niemandem ernsthaft vertreten wird, spricht deren Eingeschränktheit. Hätte der Gesetzgeber eine Umschulung in einen anderen Beruf vermeiden wollen, hätte dies eine deutlichere Absage an die synonymen Begriffe aus dem Berufsbildungsgesetz, dem Arbeitsförderungsrecht aber auch dem allgemeinen Sprachgebrauch verlangt. Der bloße Verzicht auf den Zusatz "beruflich" kann dafür nicht ausreichend sein. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, daß eine Kongruenz der beruflichen Umschulung in §§ lAbs. 4, 47 Abs. 1 BBiG mit der Umschulung in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vorliegt, denn die getroffene begriffliche Unterscheidung bleibt zu beachten. Eine Gleichsetzung der Begriffe der Fortbildung und Umschulung mit denen aus dem Berufsbildungsgesetz und dem Arbeitsförderungsrecht wird zutreffenderweise kritisiert. 4o Ungeachtet der sprachlichen Unterscheidung sind die Zielrichtungen der jeweiligen Fortbildungen und Umschulungen verschieden. Während 36 KRI Etzel, § 1 KSchG Rn. 766; Huecklv. Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 539; KraftiRaab, Anm. zu BAG v. 7. 2. 1991, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9, S. 16; HK-KSchGIWelierIDomdoif, § 1 KSchG Rn. 921. 37 ErfKlAscheid, § 1 KSchG Rn. 565; APS/ Kiel, § 1 KSchG Rn. 617. 38 So das BAG in seinen Ausführungen über mögliche Interpretationsmöglichkeiten: BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. b) am Ende der Gründe, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 39 So auch der Sachverhalt in: BAG - 2 AZR 205/90 v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. Die betroffene Arbeitnehmerin war wegen einer berufsbedingt eingetretenen Allergie nicht mehr in der Lage, ihre Tätigkeit als Laborfacharbeiterin auszuüben. Die von ihr statt dessen angeregte und sowohl von Betriebsarzt als auch Betriebsrat unterstützte Umschulung zur Büroassistentin, wäre nach der engen Umschulungsdefinition schon von vornherein abzulehnen. 40 Vgl. ErfK/ Ascheid, § I KSchG Rn. 565; APS/ Kiel, § I KSchG Rn. 617.
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sich aus der Zuordnung zu der sozialrechtlichen Vorschrift die Förderungswürdigkeit ergibt, grenzt die arbeitsrechtliche Bestimmung den sachlichen Belastungsumfang des Arbeitgebers ein. Hinzu kommt, daß das BSG im Hinblick auf die Förderung beruflicher Bildungsmaßnahmen ausdrücklich auf die Eigenständigkeit der Begriffsbestimmung im Arbeitsförderungsgesetz hingewiesen hat. 41 Es wäre ungewöhnlich, jetzt für die entgegengesetzte Betrachtung trotzdem auf das SGB III zu verweisen. Daß in erster Linie die inhaltliche Ausgestaltung von Berufsbildungsverhältnissen regelnde Berufsbildungsgesetz42 erscheint ebenfalls als ungeeignet, bei der eventuellen Bestimmung von individualrechtlichen Ansprüchen maßgeblich zu sein. Zutreffend ist daher die Ansicht von Ascheitf3 und Kief4, welche die Umschulung i. S. d. Kündigungsschutzgesetzes quasi als Oberbegriff einmal für die berufliche Umschulung und einmal für die Umschulung in lediglich eine andere, aber beruflich schon angelegte Tätigkeit ansehen. Nicht unbeachtet bleiben darf die Kritik, daß bei diesem Verständnis die Unterschiede zwischen Umschulung und Fortbildung nahezu verschwinden und eine Verwendung beider nebeneinander kaum noch einsichtig ist. 45 Jedoch kann dem entgegengehalten werden, daß die Möglichkeit der Umschulung auch schon unterhalb der Verrichtung einer neuen beruflichen Tätigkeit deren Befähigung zu anderer beruflicher Tätigkeit nicht ausschließt. Je nach Definition der Fortbildung46 könnten solche Fälle nicht mehr umfaßt sein. Ohne die Rechtsfigur der Umschulung könnten dann Grenzfälle, wie etwa der Erwerb einer neuen Fluglizenz, der Fortbildung nicht mehr und der Umschulung noch nicht zuzuordnen sein. Daß die beiden Begriffe sich im Gegenzug überschneiden können, ist schon wegen einer lückenlosen Gewährleistung hinzunehmen. 47 Da sich die Rechtsfolgen nicht unterscheiden, besteht auch kein Bedürfnis für eine klare Abgrenzung. Der weiten Auffassung des Umschulungsbegriffes ist zu folgen. Neben dem Erlernen von Fähigkeiten zur Ausübung einer anderen beruflichen Tätigkeit ist auch schon der Erwerb von Fähigkeiten für die gleiche Tätigkeit aber mit deutlichen Veränderungen, wie das Erlernen der Bedienung eines neuen Flugzeugtyps, umfaßt.
BSG -7 RAr 135/75 - v. 21. 7. 1977, BSGE 173 ff. (175). Vgl. dazu auch: ErfK/ Ascheid, § 1 KSchG Rn. 565; APS/ Kiel, § 1 KSchG Rn. 617. 43 ErfK, § 1 KSchG Rn. 565. 44 APS, § I KSchG Rn. 617. 45 KraftlRaab, Anm. zu BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991, EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9, S. 16. 46 Dazu sogleich unter 2/S. 274 f. 47 Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (57). 41
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2. Die Fortbildung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG Der Begriff der Fortbildung wird weitgehend einheitlich verstanden. So soll der Arbeitnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit in die Lage versetzt werden, den gestiegenen beruflichen Anforderungen noch bzw. weiterhin gerecht zu werden, sowie mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. 48 Uneinigkeit besteht allein bezüglich der Frage, ob vom Fortbildungsbegriff in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG auch solche Weiterbildungsmaßnahmen erfaßt werden, die nach Abschluß der Maßnahme auch zu einer Vertrags- und Funktionsänderung für den Arbeitnehmer führen können. Dieser Streit knüpft vor allem an die Frage an, ob auch die sogenannte Aufstiegsfortbildung von dem Fortbildungsbegriff des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG umfaßt ist. Das müssen diejenigen bejahen, die uneingeschränkt auf die Begrifflichkeiten des Berufsbildungsgesetzes oder des Arbeitsförderungsrechtes verweisen. 49 Meines Erachtens gibt es keinen Grund unter die Fortbildung gern. § 1 KSchG auch eine Aufstiegsfortbildung zu fassen. Das wäre dem Verweis auf §§ 1, 46 BBiG und § 87 Abs. 1 Nr. 1 SGB III aber immanent und beweist einmal mehr, daß die uneingeschränkte Übernahme der Definitionen nicht paßt. Zwar lehnen die Vertreter der weiten Auffassung eine Fortbildung zum Aufstieg zumeist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ab, daß wäre aber nicht notwendig, schiede die Aufstiegsfortbildung wie bei der engeren Definition von vornherein aus. Ist eine Fortbildung richtiger Weise auf solche Situationen begrenzt, in denen keine Funktions- oder Vertragsänderungen notwendig werden 5o, kann sie quasi nur erfolgen, wenn der Arbeitnehmer die Anforderungen an den eigenen Arbeitsplatz nicht mehr erfüllt und aus diesem Grund eine Kündigung wegen Eignungsmängeln ansteht. Die passende Ergänzung zu diesem engen Fortbildungsbegriff ist das weite Verständnis für die Umschulung. Eine solche eingeschränkte Definition hat schon an dieser Stelle feststell bare Folgen für das Gesamtverständnis des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG. So kann die nach § 1 Abs. 2 S. 3 2. HS KSchG mögliche Weiterbeschäftigung zu geänderten Vertragsbedingungen nicht durch die Fortbildung, sondern allein durch eine Umschulung, ermöglicht werden. Dagegen bleibt eine Fortbildung zur Ausfüllung einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit ohne Arbeitsvertragsänderung möglich, da eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht zwingend auch eine Vertragsänderung erfordert. Bei der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit
48 In diesem Sinne: ErfKl Ascheid, § I KSchG Rn. 566; KR-Etzel, § I KSchG Rn. 766; APSI Kiel, § I KSchG Rn. 618; HK-KSchGI Weller/Domdoif, § I KSchG Rn. 921. 49 HK-KSchGIWeller/Domdoif, § I KSchG Rn. 921. KR-Etzel, § I KSchG Rn. 766, spricht zwar nur von Anpassung an gestiegene berufliche Anforderungen, muß aber durch den uneingeschränkten Verweis auch die Aufstiegsfortbildung dazu zählen; ebenso KID I ZKittner, § I KSchG Rn. 401. 50 ErfKl Ascheid, § I KSchG Rn. 566.
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kann es sich daher lediglich um den Fall einer Umsetzung auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz oder die Beibehaltung des vorherigen Arbeitsplatzes handeln.
3. Verhältnis der Fortbildung und Umschulung i. S. d. KSchG zu bloßer Einarbeitung und Unterrichtung gemäß § 81 Abs. I, 2 BetrVG Fortbildung und Umschulung gemäß dem Kündigungsschutzgesetz sind von der bloßen Einarbeitung am Arbeitsplatz und einer eventuell darüber hinausgehenden Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG51 abzugrenzen. 52 Nötig ist die Feststellung des Verhältnisses der Vorschriften zueinander, weil weder die Einarbeitung noch die Unterrichtung gern. § 81 1, 2 BetrVG an den Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG, insbesondere nicht an der Zumutbarkeit, zu messen sind, sondern unabhängig davon zu erfolgen haben. a) Einordnung der Einarbeitung und Unterrichtung i. S. d. § 81 Abs. 1,2 BetrVG Die Einarbeitung ist ein Minus gegenüber Fortbildung und Umschulung. Sie bedeutet, daß sich der Arbeitnehmer auf die neuen Arbeitsumstände einrichten, die Arbeitsabläufe kennenlernen und die Geräte bedienen muß. 53 Die Einarbeitung erfolgt absolut arbeitsplatzbezogen. Sie kann die Grenze zu einer Weiterbildung im hier verstandenen weiten Sinne überschreiten, aber auch unterhalb dieser Grenze liegen und dem bloß funktionalen Lernen zuzurechnen sein. 54 Für eine genaue Abgrenzung ist auf die Kenntnisse abzustellen, die sich der Arbeitnehmer während der Einarbeitung aneignet. Haben diese eher tatsächlichen Charakter, dem Erlangen von Berufserfahrung vergleichbar, liegt keine Weiterbildungsmaßnahme vor. Entfaltet die Einarbeitung demgegenüber Bildungscharakter, wie beispielsweise beim Erlernen bestimmter, arbeitsplatzbezogener Software, handelt es sich um eine Weiterbildungsmaßnahme im hier verstandenen Sinne. Auf die Zumutbarkeit einer Einarbeitung kommt es unabhängig von der Gestaltung der Maßnahme grundsätzlich nicht an. Sie ist vielmehr Ausfluß der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, nach der dem Arbeitnehmer die Einarbeitung auf seinem neuen Arbeitsplatz ermöglicht werden muß. Diese Pflicht ist dem Arbeitsverhältnis immanent, wenn die Tätigkeit an einem neuen Arbeitsplatz begonnen wird. Vgl. § 5 A IV I/S. 109 ff. und 5./S. 146 f. Ebenfalls diese Abgrenzung ansprechend, ohne sie aber m.E. konsequent genug durchzuführen: Birk, FS für Gnade, S. 311 ff. (315 ff.); Birk, FS für Kissel, 51 ff. (57 f.); Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2427). 53 Gaul, BB 1995, S. 2422 ff. (2427). 54 Vgl. § 5 A IV 2 b)/S. 137 ff. 51
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
Auch die Unterrichtung i. S. d. § 81 Abs. 1 BetrVG unterliegt nicht der Abwägung der Arbeitgeberinteressen, da sie nach § 81 Abs. 1, 2 BetrVG ohne Einschränkungen zu erfolgen hat. Wie die Einarbeitung ist sie ebenfalls Ausdruck der Gesetz gewordenen arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht55 . Während es sich bei der Einarbeitung eher um einen Selbstlernprozeß handelt, für den dem Arbeitnehmer ausreichend Zeit gewährt werden muß, erfolgt die Unterrichtung durch Fremdvermiulung. Daß die Übergänge zwischen Einarbeitung und Einweisung fließend sind, ergibt sich schon daraus, daß die Unterrichtung die Einarbeitung mit steigender Intensität beschleunigen kann. 56 Wie die Weiterbildung generell, kann auch die Unterrichtung zumindest zum Teil durch Lernen in der Arbeitssituation oder selbstgesteuertes Lernen erfolgen. 57 b) Abgrenzung der Unterrichtungspflicht gemäß § 81 Abs. 1,2 BetrVG von der Fortbildung und Umschulung i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 31. HS KSchG Durch die Klärung der Unterrichtung und Einarbeitung ist noch keine Abgrenzung zur Fortbildung und Umschulung erfolgt. Diese ist aber notwendig, weil die Unterrichtungspflicht gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG anderen tatbestandlichen Grenzen unterliegt, als die Fortbildung und Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG. Jede anderweitige Beschäftigung gern. § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG könnte bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen immer auch eine Einweisung gern. § 81 Abs. 1 S. 1 BetrVG erfordern, und jede Umstrukturierung des Arbeitsplatzes, die eine Fortbildung zur Erlangung der technischen Kenntnisse und Fähigkeiten nötig macht, auch eine Einweisung gern. § 81 Abs. 2 BetrVG zur Folge haben. Liegen zwei Normen in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen so nah beieinander, ohne sich aber zu entsprechen, ist das Verhältnis im einzelnen näher zu untersuchen. Zur besseren Anschauung ist ein Beispiel voranzustellen: Beispiel 9 Bezug zu nehmen ist auf Beispiel 4 58 . Darin gestaltete die Firma X, die bisher noch völlig ohne Computer ausgekommen war, ihr gesamtes System um. Für alle dafür geeigneten Arbeitsplätze wurden Macintosh-PCs angeschafft. Zur leichteren Umstellung für die Arbeitnehmer bot der Arbeitgeber mehrere Computerkurse mit dem Titel: "Computer für Anfänger - Allgemeine Grundlagen und die Besonderheiten des Macintosh" an. Allerdings beteiligte er nicht alle Arbeitnehmer, und weder Frau B noch Herr C durften an den Kursen teilnehmen.
55 56 57 58
Wiese, RdA 1973, S. 1 ff. (4 ff.). Vgl. GK-KraJt, § 96 BetrVG Rn. 15. Zu den Formen der Weiterbildung, 1. Teil § 2 D / S. 40 ff. 2. Teil § 5 A IV 1 a)/S. 112 ff.
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Frau B, die 23-jährige Sekretärin, kann zwar mit Persona!computern umgehen, hat aber noch nie mit einem Macintosh gearbeitet. Trotzdem war ihr ein Anspruch auf Einweisung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG zuzugestehen. In der jetzt zu verfolgenden Fallgestaltung soll davon ausgegangen werden, daß Frau B ohne den Kurs ihren Arbeitsplatz nicht mehr ausfüllen kann und der Arbeitgeber deshalb wegen eines graduellen Leistungsdefizits eine personenbedingte Kündigung erwägt. In diesem Fall könnte Frau B eventuell neben dem Anspruch aus § 81 Abs. 1,2 BetrVG einen Anspruch aus § I Abs. I S. 3 I. HS KSchG auf eine Weiterbildung haben. Herrn C stand nach dem Beispiel 4 kein Anspruch auf eine Unterrichtung gern. § 81 Abs. I, 2 BetrVG zu, da ihm die persönlichen Voraussetzungen fehlten. Hat er aber einen Anspruch auf zumutbare Fortbildung und Umschulung gern. § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG, ist zu überlegen, ob sich ihm dann auch der Anspruch aus § 81 Abs. 1,2 BetrVG eröffnet.
Wird Frau B in die Anwendungssoftware des Macintosh eingewiesen, erfüllt der Arbeitgeber damit seine Unterrichtungspflicht. Fraglich ist, ob es zugleich eine Bildungsmaßnahme in Fonn einer Fortbildung59 gern. § I Abs. I S. 3 1. HS KSchG darstellen könnte, weil die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten der B an die technischen Veränderungen angepaßt werden. 6o Jedoch könnten sich die auf die beiden unterschiedlichen Nonnen gestützten Maßnahmen in ihrem Anspruchsgehalt nur scheinbar entsprechen. Anzuknüpfen ist für die folgenden Überlegungen zunächst an den jeweiligen Nonnzweck. § 81 Abs. I, 2 BetrVG ist eine die ideellen Arbeitnehmerinteressen betreffende Nonn, die von Beginn an eine Pflicht zur umfassenden Unterrichtung über Neuerungen beinhaltet, damit dem Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Erbringung der Arbeitsleistung ennöglicht wird. 61 Es handelt sich um keine Nonn zur Förderung der Berufsbildung, dies ist lediglich ein Nebeneffekt.62 Dagegen konkretisiert § 1 Abs. 1 S. 3 1. HS KSchG im Kündigungsschutzgesetz den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dient der Sicherung des Bestands eines bedrohten Arbeitsplatzes durch Vennittlung neuer Kenntnisse. Die Bestandssicherung setzt innerhalb eines Arbeitsverhältnisses erst ein, wenn eine Kündigung ansteht. Diese wiederum ist möglich, sobald der Arbeitnehmer die Anforderungen an den Arbeitsplatz nicht mehr erfüllt, oder die Weiterbeschäftigung an dringenden betrieblichen Erfordernissen scheitert. Daß der Arbeitnehmer die Anforderungen an den Arbeitsplatz nicht mehr erfüllt, kann erst festgestellt werden, wenn er nach Änderung des Arbeitsplatzes oder nach einer Umsetzung ordnungsgemäß in die zu verrichtende Tätigkeit eingewiesen wurde und trotzdem nicht mehr den Anforderungen des 59 Es kann sich bei einem Anspruch auf Unterrichtung immer nur um ein Konkurrieren der Fortbildung mit der Unterrichtung handeln, da bei einer Umschulung immer schon die persönlichen Voraussetzungen des Arbeitnehmers für § 81 Abs. 1,2 BetrVG fehlen werden. 60 Dazu, daß das BAG in einem vergleichbaren Fall auch eine berufliche Bildungsmaßnahme gern. § 98 BetrVG annahm: vgl. BAG - 1 ABR 49/90 - v. 23. 4. 1991 unter B. 11. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 98 BetrVG. 61 MünchArbRlvon Hoyningen-Huene § 303 Rn. 8; GK-Wiese, § 81 BetrVG Rn. 5. 62 2. Teil § 5 A IV 1 a)cc) am Ende 1S. 118.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
Arbeitsplatzes gewachsen ist. Daher müßte die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG in solchen Fällen der Fortbildung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vorangestellt werden. In einem anderen Fall könnte es sich aber genau umgekehrt verhalten, und die Fortbildung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG der Unterrichtung voranzustellen sein. Nach der bereits im ersten Teil erfolgten Untersuchung der Voraussetzungen der Unterrichtungspflicht gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG wurde festgestellt, daß eine Einweisung ins Leere läuft, wenn dem Arbeitnehmer schon die grundsätzlichen beruflichen Voraussetzungen fehlen. 63 Deshalb kann eine Unterrichtung nach § 81 Abs. 1,2 BetrVG immer erst erfolgen, wenn der Arbeitnehmer die persönlichen Voraussetzungen für eine Unterrichtung besitzt. Diese könnte er wiederum durch zumutbare Fortbildung und Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG erlangen. Die beiden Normen konkurrieren somit nur scheinbar, tatsächlich beziehen sie sich jeweils aufeinander. Entweder ist die Einweisung in den Arbeitsplatz in Form der Unterrichtung Folge der Fortbildung, da dem Arbeitnehmer die neuen Arbeitsgeräte nach der theoretisch nötigen Kenntnisvermittlung nun am konkreten Arbeitsplatz erklärt werden müssen. Die Unterrichtung kann einer Fortbildung aber auch vorangehen, wenn der Arbeitgeber feststellt, daß der Arbeitnehmer trotz Erklärung der neuen Technologien und Arbeitsabläufe die Arbeitsaufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllen kann. Die scheinbare Überschneidung der beiden Maßnahmen liegt lediglich an dem gleichen Ziel, der nur schwer in juristische Einzelteile zerlegbaren Arbeitgeberhandlung und fehlenden praktischen (gerichtlich entschiedenen) Fällen. Diese These ist an Beispiel 9 näher zu untersuchen. Die Einweisung von Frau B in das Anwendungsprogramm erfolgt gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG. Sollte die Einweisung nicht genügen und erfüllt Frau B die Anforderungen an den Arbeitsplatz trotzdem nicht, kann jedoch auch keine Fortbildung gern. § 1 Abs. 1 S. 3 1. HS KSchG angeschlossen werden, weil die Unterrichtung ja gerade das Defizit des Arbeitnehmers zwischen den beruflichen und den fehlenden arbeitsplatzbezogenen Kenntnissen ausgleichen soll und nicht auf eine bestimmte Kenntnisvermittlung nach oben begrenzt ist. Würde die Einweisung nicht genügen und beziehen sich die weiter bestehenden Kenntnismängel auf die gerade durch die Unterrichtung vermittelten Inhalte, müssen bei Frau B schon vorher die persönlichen Voraussetzungen für die Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG gefehlt haben. Lagen diese Voraussetzungen bei Frau B vor, und ist die Unterrichtung trotzdem nicht ausreichend, wurde sie entweder nicht im erforderlichen Umfang durchgeführt oder Frau B ist für die neuen Anforderungen an den Arbeitsplatz als nicht mehr geeignet anzusehen. Dann müßte nach einem anderweitigen Arbeitsplatz gesucht werden, den Frau B - gegebenenfalls auch nach einer Umschulung - besetzen könnte. Bei getrennter Betrachtung der beiden Handlungen ist jedenfalls eine direkte Konkurrenz wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen und damit auch 63
Dazu 2. Teil § 5 A IV 1 a)cc)/ S. 114 ff.
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den abweichenden Anknüpfungspunkten unmöglich. Frau B steht damit eine Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG, aber keine Fortbildung zu. Sollte der Arbeitgeber keine Unterrichtung vornehmen und Frau B daher wegen gradueller Leistungsmängel kündigen wollen, müßte sie auf § 81 BetrVG verweisen und auf Erfüllung der ihr zustehenden Unterrichtung klagen. Anders gestaltet sich die Situation bei Herrn C. Er ist von vornherein für die geänderten Arbeitsbedingungen nicht ausreichend beruflich qualifiziert. Ihm fehlen die für § 81 Abs. 1, 2 BetrVG zu verlangenden persönlichen Voraussetzungen. 64 Will der Arbeitgeber kündigen, muß er bei Herrn C zunächst eine nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zumutbare Fortbildung durchzuführen. Das bedeutet im konkreten Fall, daß er den grundsätzlichen Umgang mit Computern lernen muß. Ist das geschehen, erfüllt Herr C die persönlichen Voraussetzungen für eine Unterrichtung an seinem konkreten Arbeitsplatz gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG. An dieser Stelle schließt sich die Unterrichtung an, da die Einführung eines Computers eine Veränderung im Arbeitsbereich des C i. S. d. § 81 Abs. 2 BetrVG darstellt. Der Teil des von der Firma X durchgeführten Kurses, der in die Arbeit mit Anwendungsprogrammen eines Macintosh einführt, beruht damit nicht mehr auf der Grundlage des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG, sondern auf § 81 Abs. 1, 2 BetrVG. Üblicherweise werden diese beiden Formen der Kenntnisvermittlung wie im Beispiel in einer tatsächlichen Handlungseinheit erfolgen; eine Abgrenzung findet lediglich auf theoretischer Ebene statt. Sie ist trotzdem erforderlich, weil die durch Abwägung festzustellende Zumutbarkeit sich somit nur auf den ersten Teil, die Herstellung der persönlichen Voraussetzungen für § 81 Abs. 1,2 BetrVG bezieht. Sobald diese vorliegen, beginnt die konkrete arbeitsplatzbezogene Einweisung. Daß diese wiederum Bildungscharakter haben kann, ist unbeachtlich und widerspricht dem hier gefundenen Ergebnis nicht. Das Verhältnis des § 81 BetrVG zu § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG gestaltet sich danach folgendermaßen: Zunächst ist bei einem anderweitigen Arbeitsplatz oder einer Umgestaltung eines Arbeitsplatzes zu prüfen, ob die Defizite des Arbeitnehmers allein auf der neuen Arbeitsplatzumgebung beruhen und durch eine Unterrichtung über die maßgeblichen technischen und organisatorischen Inhalte beseitigt werden können. Fehlen dem Arbeitnehmer dafür die persönlichen Voraussetzungen, würde er also dem üblicherweise für diesen Arbeitsplatz ausgewiesenen Stellenprofil nicht entsprechen, ist zu untersuchen, ob eine zumutbare Fortbildung oder Umschulung in Betracht kommt. Ist das zu bejahen, ist diese durchzuführen. Allerdings dürfen sich die Fortbildungsmaßnahmen nur auf die Herstellung der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten beziehen. Die konkret arbeitsplatzbezogene Kenntnisvermittlung ist Bestandteil der Unterrichtungspflicht, auch wenn sie zusätzlich berufsbildenden Charakter hat. Diese Trennung ist rein theoretischer Natur, tatsächlich verschmelzen beide Wissensvermittlungen in ein und derselben arbeitsplatzorientierten Qualifizierung. Für die Bestimmung der Zumutbarkeit der 64
Vgl. 2. Teil § 5 A IV 1 a)/ S. 112ff.
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Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahme gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG 65 ist diese Teilung aber unerläßlich und deshalb zur Überprüfung einer zumutbaren Fortbildung oder Umschulung vorzunehmen. Für die Einarbeitung, die teilweise auch den Charakter einer Bildungsmaßnahme haben kann, muß das für die Unterrichtung festgestellte entsprechend gelten. Wird also ein Arbeitnehmer fortgebildet oder umgeschult, um einen neuen oder geänderten Arbeitsplatz besetzen zu können, darf die sich daran anschließende Zeit der Einarbeitung, die dem Arbeitgeber meist mehr Kosten als Einnahmen verursacht, nicht als abwägungsrelevant beachtet werden. 4. Ergebnis
Die Fortbildung stellt eine Qualifizierung zur Vertiefung und Erweiterung der vorhandenen beruflichen Kenntnisse dar. Sie bezieht sich lediglich auf die Vermittlung von Kenntnissen, die bei Beibehaltung des bestehenden Arbeitsvertrages für eine weitere Beschäftigung notwendig werden. Die Umschulung ist der deutlich umfassendere Begriff. Jede zur Änderung der bisherigen Tätigkeit notwendige Kenntnisvermittlung stellt eine Umschulung dar, ohne Beschränkung auf einen unveränderten Arbeitsvertrag oder eine gleichbleibende Arbeitsfunktion des Arbeitnehmers. Vor allem im Hinblick auf die Bestimmung der Zumutbarkeit bei Fortbildungsund Umschulungsmaßnahmen ist die Abgrenzung zur Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG und Einarbeitung notwendig. Sobald der Arbeitnehmer die für seinen Arbeitsplatz herkömmlicherweise verwendete Beschreibung erfüllt und arbeitsplatzspezifische Inhalte wegen Neuerungen vermittelt werden müssen, liegt eine Unterrichtung und keine Fortbildung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vor. Auf die Bestimmung der Zumutbarkeit gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG kommt es dann nicht mehr an. 11. Die zumutbare Fortbildung und Umschulung im System des Kündigungsschutzgesetzes
Nach Klärung der maßgeblichen Begriffe ist die zumutbare Fortbildung und Umschulung im System des Kündigungsschutzgesetzes näher zu betrachten. Das Kündigungsschutzgesetz und damit § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG ist nur maßgeblich, wenn der von einer Kündigung betroffene Arbeitnehmer länger als sechs Monate beschäftigt ist (§ 1 Abs. 1 1. HS KSchG) und dem Betrieb66 mehr als 5 Dazu zugleich unter § 10 V 3/S. 316 ff. Zur verfassungskonformen Auslegung dieses Begriffes bei offensichtlicher Umgehung: BVerfG - I BvL 15/87 - v. 27. 1. 1998 unter B. 11. 4. b) aa) der Gründe, AP Nr. 17 zu § 23 KSchG =JZ 1998,848 ff. mit zust. Anm. Otto; Wank, FS für Hanau, 295 ff. (298 ff.). 65
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Arbeitnehmer angehören (§ 23 Abs. I S. 2 KSchG). In diesem Fall ist die Wirksamkeit einer Kündigung von ihrer sozialen Rechtfertigung abhängig (§ I Abs. I 2. HS KSchG). Der unbestimmte Rechtsbegriff der sozialen Rechtfertigung ist zunächst an das Vorliegen eines personenbedingten, eines verhaltensbedingten oder eines dringenden betrieblichen Kündigungsgrundes geknüpft (§ lAbs. 2 S. I KSchG). Liegt schon ein solcher nicht vor, ist die Kündigung ohne weitere Prüfung unwirksam. Auf einer zweiten Stufe sind die in § lAbs. 2, 3, 4 KSchG benannten Unwirksamkeitsgründe zu überprüfen. 67 Deren inhaltliche Ausgestaltung im Zusammenspiel mit den allgemeinen Prinzipien des Kündigungsschutzrechtes wertend vorzunehmen ist. 68 Danach darf der Arbeitnehmer trotz eigentlichem Vorliegen eines Kündigungsgrundes nicht gekündigt werden, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht. Die Weiterbeschäftigung kann entweder an einem anderen Arbeitsplatz bei gleichbleibendem Arbeitsvertrag (§ lAbs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG) oder an einem anderen Arbeitsplatz unter geänderten Arbeitsbedingungen (§ lAbs. 2 S. 2 2. HS KSchG) erfolgen. Ist der Arbeitnehmer für den neuen oder für den bisher von ihm besetzten Arbeitsplatz nicht ausreichend qualifiziert, ist eine zumutbare Fortbildung und Umschulung (§ lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG) möglich. Lediglich im Rahmen dieser Sozialwidrigkeitsgründe und nicht als daneben stehende Regelungen 69 sind die allgemeinen Prinzipien, nämlich die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, das Prinzip der Interessenabwägung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das ultima-ratio-Prinzip sowie das Prognoseprinzip zu beachten. 7o Es ist daher zunächst zu untersuchen, ob es eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit in dem Betrieb oder Unternehmen für den zu kündigenden Arbeitnehmer gibt (mit oder ohne Arbeitsvertragsänderung), oder ob bei lediglich rein fachlichen Defiziten grundsätzlich eine Weiterbeschäftigung an dem bisherigen Arbeitsplatz in Betracht kommt. Erst danach ist die bestehende Qualifikation des Arbeitnehmers zu überprüfen. Reicht sie nicht aus, ist eine Fortbildung oder Umschulung in Betracht zu ziehen. Die folgende Untersuchung befaßt sich ebenfalls zunächst mit den einzelnen Kündigungsgründen. Es soll zunächst untersucht werden, ob eventuell einzelne Kündigungsgründe aus der folgenden Untersuchung völlig herausgenommen werden können, weil eine Fortbildung oder Umschulung nach § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG nie in Betracht kommen kann (III.). Danach ist die Voraussetzung des freien Arbeitsplatzes, ohne den eine Weiterbildung ins Leere laufen würde, näher 67 Zu diesem zweistufigen Aufbau vgl. u. a. MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 1 f.; HaKol Pfeiffer, § 1 KSchG Rn. 147. 68 MünchArbRI Berkowsky § 134 Rn. 28, 64; Bittner/Kiel, RdA 1994, 333 ff. (336 f., 338), Preis, Prinzipien, S. 204 ff. 69 MünchArbRI Berkowsky § 134 Rn. 28; Bittner/ Kiel, RdA 1994,333 (337). 70 MünchArbRI Berkowsky § 134 Rn. 25; Stahlhacke / Preis/Vossen, Rn. 614.
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zu prüfen (IV.). Erst daran anschließend ist auf die Bestimmung der Zumutbarkeit eventueller Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen näher einzugehen (Y.). Die Erörterung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes stellt den Hauptteil der Erwägungen zu § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG dar. Nachfolgend wird zu der Frage der Auswahl weiterzubildender Arbeitnehmer bei konkurrierenden Beschäftigungsansprüchen Stellung genommen. Es soll geklärt werden, wonach die Arbeitnehmer auszuwählen sind, wenn es bei anstehender Kündigung mehr Arbeitnehmer als zu besetzende freie Arbeitsplätze gibt. Im Unterschied zur Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung könnten hier auch andere Gesichtspunkte, wie die Bildungsbereitschaft oder das Alter eine Rolle spielen (VI.). Bevor abschließend die rechtliche Qualifikation der Weiterbildungsklausel und dabei die Frage ihrer Durchsetzbarkeit näher untersucht wird (VIII.), sind die Möglichkeiten der Einflußnahme des Betriebsrats auf die Fortbildung und Umschulung zu betrachten (VII.).
IH. Anwendung der Fortbildungsklausei gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG in Abhängigkeit von der Art der Kündigung Der Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG schränkt die Pflicht zu zumutbarer Fortbildung und Umschulung nicht auf bestimmte Kündigungsgründe ein. Trotzdem ist zu untersuchen, ob nicht schon die Eigenart des jeweiligen Kündigungsgrundes eine Eingrenzung zuläßt, bzw. ob zumindest die Kündigungssituation, in welcher § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG relevant werden könnte, näher beschrieben werden kann. 1. Personenbedingte Kündigung
Das Kündigungsschutzgesetz selbst gibt nicht vor, wann ein personenbedingter Kündigungsgrund gegeben ist. Jedoch ist allgemein anerkannt, daß ein solcher Kündigungsgrund vorliegt, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung und voraussichtlich auch alsbald danach aufgrund persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten zur vertragsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage ist. 71 Es gibt verschiedene personenbedingte Kündigungsgründe. 72 Sollen sie aber durch die hier zu untersuchende Fortbildung und Umschulung beseitigt werden und so eine Kündigung verhindern, sind 71 BAG - 2 AZR 682/87 - v. 20. 5. 1988 unter C. III. 2. b) aa) der Gründe, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung mit Anm. RütherslHensster und Kothe; ErfK/ Ascheid, § 1 KSchG Rn. 170; KR-Etzet, § 1 KSchG Rn. 291. 72 Eine Aufzählung der verschiedensten personenbedingten Kündigungsgründe u. a. in: ErfK/ Ascheid, § 1 KSchG Rn. 245 ff. und KR-Etzet, § 1 KSchG Rn. 304 ff.
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vor allem zwei Konstellationen näher zu untersuchen. Sowohl die krankheitsbedingte Kündigung als auch die wegen fachlicher Eignungsmängel kann durch Weiter- bzw. Umqualifizierung der Arbeitnehmer vermieden werden. a) Krankheitsbedingte Kündigung Eine Krankheit ist grundsätzlich kein Kündigungsgrund. Treten dadurch aber Störungen des Arbeitsverhältnisses auf, die dem Arbeitgeber eine weitere Beschäftigung betrieblich und wirtschaftlich unzumutbar erscheinen lassen, muß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich sein. 73 Führt die Krankheit nicht zu einer generellen Arbeitsunfahigkeit, kann gerade durch eine Umschulung eine Weiterbeschäftigung erreicht werden. Beispielsweise ist kein Grund ersichtlich, einen Kühlschrankrnonteur mit einem Knieleiden nicht zukünftig in der Ersatzteillagerverwaltung oder als Verkäufer im zum Unternehmen gehörenden Haustechnikgeschäft einzusetzen. Die dafür notwendigen neuen Kenntnisse können und müssen ihm jedenfalls solange sie sich in einem dem Arbeitgeber zumutbaren Rahmen bewegen - gerade aufgrund der Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vermittelt werden. Auch eine der am häufigsten zitierten Entscheidungen des BAG zur zumutbaren Fortbildung und Umschulung beschäftigt sich mit einer personenbedingten, respektive krankheitsbedingten Kündigung. 74 In dem von Birk so bezeichneten "Laborantinnenfall" war die 34-jährige Klägerin einschließlich ihrer Ausbildung 17,5 Jahre bei der Beklagten im Labor beschäftigt, wobei sie seit den letzten 8 Jahren wiederholt krankheitsbedingt fehlte. Die bei ihr auftretende Allergie machte eine Weiterbeschäftigung im Labor unmöglich und dem Arbeitgeber unzumutbar. Die von der Klägerin begehrte Umschulung zur Büroassistentin wurde vom Landesarbeitsgericht noch zugestanden 75, vom BAG wegen mangelnder anderweitiger gesicherter Beschäftigungsmöglichkeit aber abgelehnt. 76 Der Fall gab Anlaß für neue Erwägungen des Gerichts zu Fortbildung und Umschulung im Falle anstehender Kündigung, und es wurde deutlich, daß gerade auch die krankheits bedingte Kündigung durch eine Umschulung abgewendet werden kann. Dies ist immer der Fall, wenn die auftretenden Defizite des Arbeitnehmers durch eine andere berufliche Tätigkeit innerhalb des Betriebes oder Unternehmens überwunden werden können. 73 Im einzelnen zu den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung: ErfKl Ascheid. § 1 KSchG Rn. 188 ff. m. w. N. 74 BAG - 2 AZR 205190 - v.7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung = EzA § I KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9 mit krit. Anm. Kraft / Raab. 75 LAG Frankfurt a.M. - 7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 76 BAG - 2 AZR 205190 v. 7. 2. 1991 unter B. H. 2. b) der Gründe, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung.
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Dabei ist bei anstehenden krankheitsbedingten Kündigungen neben der Prüfung der grundsätzlichen Eignung als Kündigungsgrund immer mit besonderer Sorgfalt der Ursache der Krankheit nachzugehen. Eine durch einen Arbeitsunfall hervorgerufene Krankheit oder eine sonstige Berufskrankheit wird dem Arbeitgeber gegenüber "normalen" Erkrankungen 'größere Verpflichtungen auferlegen. 77 Die Art der Krankheit hat daher eine große Bedeutung für die Feststellung der Zumutbarkeit von Fortbildung und Umschulung. 78 Das bedeutet allerdings nicht, das Krankheitsfalle, die nicht auf eine berufsbedingte Erkrankung zurückzuführen sind oder sonstwie mit der Tatigkeit in Verbindung stehen, von vornherein von der Umschulung ausgenommen werden?9 b) Kündigung aufgrund fachlicher Eignungsmängel Weist ein Arbeitnehmer fachliche Eignungsmängel auf, könnte das einen personenbedingten Kündigungsgrund darstellen, der jedoch durch Fortbildung und Umschulung beseitigt werden kann. Die mangelnde Eignung eines Arbeitnehmers ergibt sich aus einem Vergleich des arbeitsplatzbezogenen Anforderungsprofils und dem Leistungsprofil des Arbeitnehmers. Zu unterscheiden ist zwischen objektiven, also personenbezogenen Voraussetzungen, die dem Arbeitnehmer für die Tatigkeit fehlen und ihm fehlenden subjektiven Eigenschaften. 8o aa) Fachlicher Eignungsmangel als personenbedingter Kündigungsgrund?
Schwierigkeiten bereitet die Einordnung der fachlichen Eignungsmängel in die Kategorie der personenbedingten oder verhaltens bedingten Kündigungsgründe. Eine personenbedingte Kündigung soll bei fehlender individueller Einflußmöglichkeit auf die Mängel vorliegen, eine verhaltensbedingte bei durch den Arbeitnehmer begründeten Störungen des Arbeitsverhältnisses. 81 Die Einteilung ist problematisch, weil fachliche Eignungsmängel, solange sie nicht die intellektuelle Leistungsfahigkeit des betreffenden Arbeitnehmers überschreiten, in der Regel zu beseitigen sind. Es ist erfahrungsgemäß lediglich eine Frage der Zeit und des (finanziellen) Aufwandes.
77 Vgl. LAG Frankfurt a.M. -7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. b) ee) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7; Gaul, BB 1995, S. 2422 ff. (2426). 78 Vgl. § 10 A V 3 b) cc) (3) (a) (aa)/S. 336 ff. 79 So aber scheinbar Preis, Prinzipien, S. 449 f. Wie hier: BAG - 7 AZR 295/7822 - v. 22.2. 1980 unter H. 2. c) der Gründe, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG Krankheit mit Anm. G. Hueck; Hunold, Krankheit des Arbeitnehmers, S. 318 f.; MünchKomm / Schwerdtner, Anh. zu § 622 BGB Rn. 294. 80 APS / Dömer, § 1 KSchG Rn. 245; Hunold, NZA 2000, 802 ff. (803). 81 Leuchten/Zimmer; BB 1999, 1973 ff. (1973).
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Bedeutung entfaltet die unterschiedliche Einordnung für die Arbeitnehmer zum einen bei der Interessenabwägung, da bei den Argumenten für einen personenbedingten Kündigungsgrund wegen der Unabhängigkeit vom Willen des Arbeitnehmers ein größerer Aufwand betrieben werden muß als bei verhaltensbedingten und somit durch den Arbeitnehmer steuerbaren Gründen. Zum anderen ist die vorherige Abmahnung zwar bei der verhaltensbedingten Kündigung Kündigungsvoraussetzung, bei der personenbedingten ist dieses aber streitig. 82 Wird sie abgelehnt, ist dem Arbeitnehmer dadurch die Möglichkeit genommen, die bei ihm festgestellten fachlichen Defizite in Eigenregie zu beseitigen. Jedoch bejahen mittlerweile die überwiegende Ansicht der Literatur83 und die Rechtsprechung 84 die Notwendigkeit einer Abmahnung grundsätzlich auch bei personenbedingten Kündigungen. (I) Abgrenzung des personenbedingten vom verhaltensbedingten Kündigungsgrund Allein an der Einflußmöglichkeit auf die Mängel orientiert müßte davon ausgegangen werden, daß personenbedingte fachliche Eignungsmängel nie durch Fortbildung abgewendet werden können. 85 Schließlich ist Fortbildung die Erweiterung und Vertiefung der Kenntnisse und Fähigkeiten an dem gleichen Arbeitsplatz. Sobald durch diese bestehende Defizite beseitigt werden könnten, läge ein gerade durch die fehlende Steuerbarkeit charakterisierter personen bedingter Kündigungsgrund schon nicht vor. Möglich wäre dann bei einer personenbedingten Kündigung nur die Umschulung, denn die Feststellung der fehlenden, wiederherstellbaren, fachlichen Kenntnisse für die ausgeübte Tatigkeit kann immer noch durch einen anderen Arbeitsplatz umgangen werden. Jedoch bezieht sich die Einteilung in persönliche und verhaltensbedingte Gründe auf den im Zeitpunkt der Kündigungssituation bestehenden Willen des Arbeitnehmers, den Mangel sofort zu beheben bzw. zu steuern und nicht auf die grundsätzlich bestehende Möglichkeit. Daher läßt sich auch die Fortbildung gern. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG zur Verhinderung einer Kündigung nicht von vornherein ausschließen.
82 Gegen eine Abmahnung: Hueck/von Hoyningen-Huene, § I KSchG Rn. 185; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 725. Für ein Abmahnungserfordemis: ErfKlAscheid, § I KSchG Rn. 139; KR-Etzel, § I KSchG Rn. 294; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 282. 83 ErfKl Ascheid, § 1 KSchG Rn. 139; KR-Etzel, § I KSchG Rn. 294; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rn. 282. 84 BAG - 7 AZR 228/82 v. 15. 8. 1984 unter 11. 5. b) der Gründe, AP Nr. 8 zu § I KSchG mit Anm. Wolf,' - 2 AZR 526/96 - v. 4. 6. 1997 unter 11. I. d) der Gründe und 2. LS, AP Nr. 137 zu § 626 BGB mit krit. aber im Ergebnis zustimmender Anm. Felderhoff. Das BAG stellt sein dem 4.6. 1997 der Abmahnungsfunktion Rechnung tragend ausdrücklich auf die Steuerbarkeit des Verhaltens ab und nicht auf die jeweils betroffenen Bereiche, wenn es die Notwendigkeit einer Abmahnung prüft. 85 So wohl MünchKomm 1 Schwerdtner, Anh. zu § 622 BGB Rn. 301; Stahlhacke / Preis / Vossen, Rn. 738.
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Die Zuordnung zu personen- und verhaltens bedingter Kündigung ist zunächst unter dem Gesichtspunkt vorzunehmen, ob ein vom Arbeitnehmer arbeitsrechtlich zu vertretendes Tun oder Unterlassen für die mangelhafte Leistung maßgeblich war, der Arbeitnehmer also verpflichtet gewesen wäre, sich fehlende Kenntnisse anzueignen oder nicht. 86 Oblag ihm diese (Neben)Pflicht und ist er ihr nicht nachgekommen, liegt ein verhaltens bedingter Kündigungsgrund vor. 87 Dieser hat in diesem speziellen Fall zur Folge, daß das Versäumnis des Arbeitnehmers nicht über § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu einer vom Arbeitgeber durchzuführenden zumutbaren Fortbildung oder Umschulung führen kann. 88 Wäre das nicht so, würde § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG dazu führen, daß der Arbeitgeber gerade die vom Arbeitnehmer schuldhaft unterlassene Handlung erfüllen müßte. Wichtigster Grund für die Unterscheidung zwischen verhaltensbedingtem und personenbedingtem Kündigungsgrund ist daher der Ausschluß des § lAbs. 2 S. 3 l. HS KSchG für die verhaltensbedingte, auf Eignungsmängeln beruhende Kündigung. Ob die mangelnde fachliche Eignung ein personen- oder verhaltens bedingter Kündigungsgrund ist, bestimmt sich also nach der Art des Mangels unter Beachtung der Ausgestaltung des Arbeitsvertrages. Ist diese Einordnung erfolgt (unter (2», bleibt zu klären, wie dauerhafte (unter bb» oder vermeidbare Mängel (unter cc» zu behandeln sind. (2) Weiterbildung als Nebenpflicht der Arbeitnehmer Hunold meint, die Arbeitnehmer seien stets verpflichtet, sich auch im laufenden Arbeitsverhältnis die für die Erfüllung des Arbeitsplatzes notwendig werdenden zusätzlichen Kenntnisse selbst anzueignen. Davon seien solche Kenntnisse umfaßt, die sich aus Änderungen technischer und organisatorischer Anforderungen ergeben sowie in dem heute üblichen Spektrum der ständigen Wissensemeuerung liegen. Weiterbildung sei eine Nebenpflicht der Arbeitnehmer, die schon aus dem Arbeitsverhältnis folgt, und fachliche Eignungsmängel daher ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund. 89
Ungeachtet der Tatsache, daß die von Hunold durchgeführte Begrenzung sehr unscharf ist und keine eindeutige Bestimmung zuläßt, stehen ihr auch andere Bedenken entgegen. So kann ebenso, wie dem Arbeitgeber nicht pauschal Pflichten zur Weiterbildung des Arbeitnehmers auferlegt werden können9o, dies auch für die Arbeitnehmer nicht möglich sein. Die von Hunold zur Begründung angeführten Hunold, NZA 2000,802 ff. (803 f.); Stahlhackel PreislVossen, Rn. 738. StahlhackelPreislVossen, Rn. 738. 88 Zu den Besonderheiten des verhaltensbedingten Kündigungsgrundes sogleich unter § 10 A III 2/ S. 292 ff. 89 Hunold, NZA 2000, 802 ff. (804, 806). 90 Vgl. dazu die bisherige Untersuchung und insbesondere die Zusammenfassung im 4. Teil / S. 403 ff. 86
8?
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Stimmen der Literatur91 und das ArbG Bonn92 treffen bei genauer Betrachtung ebenfalls eine weniger absolute Aussage, grenzen ihre Ansicht aber gleichermaßen kaum ab. Es muß jedenfalls differenziert werden. Es ist zu unterscheiden zwischen der Frage der Teilnahmepflicht bei von Arbeitgeberseite angebotener Weiterbildung (unter (a)) und der seitens des Arbeitnehmers selbst zu initiierenden Weiterbildung (unter (b)). (a) Teilnahme als Nebenpflicht der Arbeitnehmer Auf die Teilnahmepflicht bezieht sich das von Hunold angeführte ArbG Bonn, wenn es von einer älteren Arbeitnehmerin die Teilnahme an einer BTX-Schulung verlangt. 93 Die Arbeitnehmerin wollte feststellen lassen, daß sie nicht verpflichtet sei, an einem solchen Kurs teilzunehmen, zumal andere - jüngere - Kolleginnen diesen auch nicht zu besuchen bräuchten. Das ArbG Bonn bejahte aber die Teilnahmepflicht der Arbeitnehmerin, die sich schon daraus ergäbe, daß neue Bürokommunikationsmittel jetzt in den Bereich der vertraglich geschuldeten Büroarbeit fielen. 94 Auch Stahlhacke / Preis / Vossen 95 gehen von der Teilnahmepflicht an einer gebotenen Weiterbildung aus, ohne jedoch konkret darzulegen, wann eine solche Gebotenheit vorliegt. Sie verweisen diesbezüglich lediglich auf die den Arbeitnehmer treffende allgemeine Pflicht zur Förderung des Vertragszwecks 96, die jedoch nicht allein maßgeblich sein kann. Es müßte genauer bestimmt werden, unter welchen Voraussetzungen von der Gebotenheit auszugehen ist. Eine solche Pflicht kann nur sehr eingeschränkt bestehen, eine generelle Teilnahmepflicht an jeder Weiterbildung führt meines Erachtens zu weit. 97 Nicht deutlich wird auch, worauf Löwisch in der von Hunol~8 angeführten Ansicht die Nebenpflicht zur Weiterbildung stützt. Jedenfalls schließt Löwisch auch die personenbedingte Kündigung wegen fachlicher Mängel nicht aus, kann also keine unwiederbringliche Arbeitnehmerpflicht als gegeben ansehen. 99 Eine Abgrenzung läßt sich folgendermaßen vornehmen: Ergibt sich die Notwendigkeit zur Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme direkt aus dem Arbeitsvertrag oder aus vom Arbeitgeber vorgenommenen Veränderungen des ArbeitsplatLöwisch, § 1 KSchG Rn. 221; Stahihackel PreislVossen, Rn. 738. In - 4 Ca 751/90 - v. 4. 7. 1990, NZA 1991,512 f. 93 ArbG Bonn - 4 Ca 751/90 - v. 4. 7.1990, NZA 1991,512 f. (512). 94 ArbG Bonn - 4 Ca 751/90 - v. 4. 7. 1990, NZA 1991,512 f. (512). 95 Rn. 738. 96 StahlhackelPreislVossen, Rn. 738. 97 Vgl. zu Pflichten zur Förderung des Untemehmenszwecks auch: MünchArbRI Biomeyer § 54 Rn. 17. Zu den allgemeinen Nebenpflichten des Arbeitnehmers: MünchArbRIBlomeyer § 51 m. w. N. 98 NZA 2000, 802 ff. (804). 99 Löwisch, § 1 KSchG Rn. 221. 91
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zes, beruhen die Eignungsmängel auf einem schuldhaften Unterlassen. Aus dem Arbeitsvertrag kann sich eine solche Pflicht direkt, also durch eine explizite Klausel, aber auch konkludent ergeben. Letzteres ist beispielsweise bei Führungskräften und Spezialisten anzunehmen, bei denen sich die Notwendigkeit ständiger Fortbildung für die Ausübung ihrer Tätigkeit schon aus dem Berufsbild ergibt. 100 Die sich aus den Veränderungen des Arbeitsumfeldes ergebende Teilnahmepflicht an Weiterbildung ergibt sich aus § 81 Abs. 1, 2 BetrVG IOI • Immer dann also, wenn der Arbeitgeber zur Unterrichtung verpflichtet ist, muß der Arbeitnehmer auch daran teilnehmen. Besteht allerdings keine Pflicht zur Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1,2 BetrVG, weil dem Arbeitnehmer schon die persönlichen Voraussetzungen fehlen lO2 , ist er auch nicht verpflichtet, sich diese selbst anzueignen. Sind die Veränderungen nicht so gravierend, daß sie eine Unterrichtungspflicht auslösen, können sie auch für den Arbeitnehmer nicht zur Qualifizierungsverpflichtung führen. (b) Eigeninitiative der Arbeitnehmer zur Weiterbildung Eine andere rechtliche Qualität stellt es dar, wird vollständig eine Eigeninitiative des Arbeitnehmers zur Weiterbildung auch außerhalb der Arbeitszeit verlangt. 103 Diese kann sich sowieso nur auf Maßnahmen beziehen, zu welchen der Arbeitgeber nicht schon nach § 81 Abs. 1,2 BetrVG verpflichtet ist. Gerade die von Hunold verlangten Qualifizierungen im Rahmen der üblichen Schwankungen und Veränderungen sind somit größtenteils lediglich als Teilnahmeverpflichtungen zu bewerten. Jedoch kann es sich um Schwankungen bzw. Entwicklungen der Arbeitsumwelt handeln, in die das Arbeitsverhältnis eingebettet ist. Veränderungen also, die nicht vom Arbeitgeber ausgehen, deren Kenntnis aber für die Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten nötig sind. Als Beispiel kann auch der von Hunold angeführte Jurist dienen, der nicht auf dem bei Einstellung besessenen Kenntnisstand der Gesetze verharren darf, sondern auch Gesetzesänderungen verfolgen muß. I04 Selbst wenn meines Erachtens eine generelle Nebenpflicht zur Weiterbildung in diesen Situationen zu versagen ist, wird dadurch die besondere Ausgestaltung konkreter Arbeitsverhältnisse nicht ausgeschlossen. Abhängig ist eine solche Pflicht des Arbeitnehmers, sich auch nach der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit weiterzubilden, in erster Linie von der individuellen arbeitsvertraglichen Gestaltung lO5 und dem Grundverständnis des Berufsbildes. Dabei muß nicht immer eine ausdrückliche Fortbildungsvereinbarung getroffen sein. Zu Recht sieht Hunold eine D. Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, B I1Rn. 14. Dazu 2. Teil § 5 IV / S. 108 ff. 102 Vgl. 2. Teil § 5 A IV I a)/ S. 112 ff. 103 So scheinbar Hunold, NZA 2000,802 ff. (804 f.). 104 Hunold, NZA 2000, 802 ff. (804). 105 Dies sieht auch Hunold - sich der in dieser Pauschalität fehlenden generelle Anerkennung der eigenen Meinung scheinbar bewußt - auch als sicherste Möglichkeit an, NZA 2000, 802 ff. (805). 100 101
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ausdrückliche Vereinbarung darüber, daß ein Jurist nicht nur die zur Zeit seiner Einstellung bestehende Rechtslage kennen muß, als überflüssig an. Jedoch handelt es sich in diesem Fall nicht um eine Weiterbildungs(neben)pflicht des Arbeitnehmers, sondern vielmehr eine Wechselwirkung mit der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers und damit einen Bestandteil der Hauptpflicht des Arbeitnehmers. Das bedeutet, wird der angestellte Anwalt trotz allgemein verfaßtem Arbeitsvertrag jahrelang lediglich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts beschäftigt und erhält auch nur dementsprechende Mandate, trifft ihn nicht die Pflicht, sich auch mit den Änderungen des Kindschaftsrechts vertraut zu machen. Die Verfolgung von Änderungen innerhalb des Arbeitsrechts ist allerdings keine Nebenpflicht, sondern Bestandteil der Hauptpflicht, da für die ordnungsgemäße Erledigung der ihm aufgetragenen Fälle zwingend notwendig. Die Weiterbildung erfolgt durch Lernen in der Arbeitssituation als bloßer Nebeneffekt schon bei der Recherche für das jeweilige Mandat. Handelt es sich also um Änderungen der Arbeitsumwelt, ergibt sich die Weiterbildungspflicht aus der Beschäftigung. Darüber hinausgehende Kenntnispflichten, also solche, die sich nicht schon durch das Lernen in der Arbeitssituation ergeben, können nicht verlangt werden. Daneben sind durch Eigeninitiative durchzuführende Weiterbildungspflichten immer dann zu bejahen, wenn sie individualvertraglich vereinbart wurden. (3) Zuordnung zu verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung Ist die Weiterbildung durch eine besondere arbeitsvertragliche Vereinbarung zur Pflicht erhoben, kann sie schuldhaft und willentlich in vertragsverletzender Weise unterlassen werden, so daß in dieser Unterlassung ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund zu sehen ist. Fachliche Eignungsmängel können außerdem einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen, wenn eine vom Arbeitgeber gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG vorgenommene Unterrichtung nicht besucht wird oder der betreffende Arbeitnehmer sich unzureichend damit beschäftigt. Ebenfalls einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund stellt es dar, wenn ein Arbeitnehmer sich dem Lernen in der Arbeitssituation verschließt. Fachliche Mängel, die auf anderen als den gerade dargestellten Situationen beruhen, kommen nicht durch die willentliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten zustande und sind somit den personenbedingten Kündigungsgründen zuzurechnen. Ein personenbedingter Kündigungsgrund ist auch anzunehmen, wenn der betreffende Arbeitnehmer zunächst auf seine Weiterbildungs-, respektive Fortbildungspflicht hingewiesen wurde und er ihr zwar nachzukommen versuchte, dabei aber die fachlichen Mängel nicht beheben konnte. Dann kann mangels fortbestehender Pflicht von keiner vertragsverletzenden willentlichen Nichterfüllung des Arbeitsvertrages ausgegangen werden. Ebenfalls personen bedingt, weil nicht beeinflußbar, ist das altersbedingte Nachlassen der Leistungsfähigkeit, jedoch muß dieses Nachlassen über das übliche Maß hinausgehen, da das "normale" Älterwerden kei19 Fracke
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nen Kündigungsgrund darstellt. 106 Jedoch wird ein solches altersbedingtes Nachlassen weniger fachliche Eignungsmängel betreffen, die durch Fortbildung beseitigt werden könnten, sondern es werden in erster Linie körperliche Probleme auftreten. Eignungsmängel können somit je nach Vertragsgestaltung und Umständen des Einzelfalles der personen- oder der verhaltens bedingten Kündigung zugerechnet werden. Für die gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG vom Arbeitgeber durchzuführende Fortbildung und Umschulung kommt jedoch nur die personenbedingte, auf fachlichen Mängeln beruhende Kündigung in Betracht. Bei verhaltens bedingten, auf Eignungsmängeln beruhenden Kündigungsgründen liefe eine Weiterbildung letztlich darauf hinaus, daß der Arbeitgeber gerade zur Durchführung der vom Arbeitnehmer unterlassenen kündigungsrelevanten Handlungen verpflichtet wird. bb) Kündigung aufgrund fehlender objektiver Eignungsvoraussetzungen
Fehlen dem Arbeitnehmer objektive Eignungsvoraussetzungen wie Zeugnisse, behördliche Erlaubnisse oder Befähigungsnachweise, stellt das einen in der Person liegenden Kündigungsgrund dar. 107 Ob solche fehlenden objektiven Eignungsvoraussetzungen durch eine eventuelle Fortbildung und Umschulung heilbar sind, bestimmt sich danach, ob der Arbeitnehmer sie beeinflussen kann. Da das beispielsweise bei Fehlen einer Fahrerlaubnis, eines Befahigungsnachweises oder eines Zeugnisses möglich ist, sind diese Fälle von der Möglichkeit zumutbarer Fortbildungen und Umschulungen nicht auszunehmen. Bei genauer Betrachtung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG stellt sich die Frage, ob vom Begriff der Umschulung und Fortbildung nur die Erlangung der Kenntnisse oder auch das Ablegen der Prüfungen zum Erreichen der den objektiven Mangel beseitigenden Nachweispapiere umfaßt sind. Dem Wortlaut nach sind nur die Erweiterung und Vertiefung der Kenntnisse gewollt. Eine Umschulung wäre aber oft wirkungslos, würden dem Arbeitnehmer zwar die für eine andere Tätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, erhielte er aber nicht die seine Eignung letztlich besiegelnden Papiere. Zeugnisse und Befähigungsnachweise sind somit von der Pflicht des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG grundsätzlich erfaßt. cc) Kündigung aufgrund subjektiver fachlicher Eignungsmängel
Subjektive fachliche Eignungsmängel liegen vor, wenn die Umstände, die zur Schlecht- oder Nichterfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten führen, unmittelbar in der Person des Arbeitnehmers begründet sind. Fehlen bestimmte Eigenschaften völlig, ist das Vorliegen eines Kündigungsgrundes meist ohne weiteres 106
107
Becker-Schaffner, DB 1981, 1775 ff. (1779); K/D/Z-Zwanziger, § I KSchG Rn. 144. MünchArbRI Berkowsky § 136 Rn. 101; Leuchten/Zimmer, BB 1999, 1973 ff. (1973).
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auszumachen. 108 Probleme ergeben sich, wenn lediglich graduelle Leistungsdefizite vorliegen. Solche sind gegeben, wenn der Arbeitnehmer unter angemessener Anspannung seiner individuellen Kräfte und Fähigkeiten insgesamt nicht mehr in der Lage ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. 109 So kann beispielsweise ein zum Zeitpunkt der Einstellung noch geeigneter Arbeitnehmer im Laufe der Jahre seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mehr ausreichend erfüllen. Die Gründe können sowohl in der verminderten Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers als auch der Weiterentwicklung der Anforderungen an den Arbeitsplatz bei gleichem Arbeitsinhalt liegen. Wann ein zur Kündigung genügendes graduelles Leistungsdefizit erreicht ist, kann allerdings nicht objektiv festgestellt werden, sondern ist stets mit subjektiven Wertungen des Arbeitgebers verbundenYo Daher können auch Versuche, diese kündigungsrelevante Grenze festzustellen, nur Hinweise geben oder ähnliche Fälle aufzeigen, aber keinen wirklichen Maßstab an die Hand geben. 11 I Ein Abstellen darauf, ob die Leistung mittlerer Art und Güte i. S. d. § 243 BGB ist ll2, verbietet sich schon wegen der Eigenart der Arbeitsleistung als Speziesschuld. ll3 Auch bei den graduellen Leistungsdefiziten kann danach unterschieden werden, ob es sich um nach einer Fortbildung behebbare Mängel handelt oder nicht. Ergibt sich aus den Umständen des einzelnen Falles, daß auch eine zumutbare Fortbildung den Arbeitnehmer nicht mehr in die Lage versetzten kann, seinen Arbeitsplatz ordnungsgemäß zu erfüllen, ist eine Umschulung zu erwägen. Sowohl Fortbildung, als auch Umschulung kommen bei solchen subjektiven Eignungsmängeln zur Vermeidung einer Kündigung in Betracht. c) Ergebnis zu den personenbedingten Kündigungsgründen In der Person des Arbeitnehmers liegende Kündigungsgründe können durch eine Fortbildung oder Umschulung abgewendet werden. Die ohne willentliche Beeinflussung auftretenden Defizite bei der Vertragserfüllung sind herauszufinden und zielgerichtet entweder durch Fortbildung zu beseitigen, oder es ist nach einer ande108 Fehlende Führungsqualität eines Konzertmeisters, BAG - 3 AZR 50175 - v. 29. 7. 1976, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung mit zust. Anm. Boden; zur Kündigung wegen einer anatomisch bedingten Ansatzschwäche einer Hornistin, LAG Brandenburg - 4 (5/4) Sa 369/92 - v. 10.6. 1994, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr.12. 109 APS 1 Dörner, § 1 KSchG Rn. 248. 110 APSI Dörner, § 1 KSchG Rn. 248; im Ergebnis ebenso: MünchArbRI Berkowsky § 136 Rn. 108. 111 Vgl. zu solchen Versuchen: Becker-Schaffner, OB 1981, 1773 ff. und Leuchten/Zimmer, BB 1999, 1973 ff. (1975 f.). 112 Leuchten/Zimmer, BB 1999, 1973 ff. (1974); Hueck/von Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn.253aff. 113 MünchArbRI Blomeyer § 48 Rn. 64; Staudingerl Richardi, § 611 BGB Rn. 330. 19*
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ren geeigneten Tätigkeit im Unternehmen zu suchen, bei welcher die Defizite nicht zum Tragen kommen. Besondere Beachtung kommt bei krankheitsbedingten Kündigungsgründen der Herkunft der Mängel zu. Je mehr sie in der Sphäre des Arbeitgebers begründet liegen, desto größeres Gewicht ist dem Arbeitnehmerschutz bei Abwägung zumutbarer Qualifizierung zuzugestehen. 2. Verhaltensbedingte Kündigung
Nicht so eindeutig wie bei der personenbedingten Kündigung erscheint die Möglichkeit einer zumutbaren Fortbildung und Umschulung, wenn verhaltensbedingte Kündigungsgründe vorliegen. Das liegt darin begründet, daß Ausgangspunkt einer solchen Kündigung ein zumindest fahrlässiges Verhalten des Arbeitnehmers ist, durch welches er Pflichten des Arbeitsverhältnisses verletzt 114, wodurch sowohl Störungen im Leistungsbereich als auch im betrieblichen Bereich, im Vertrauensoder Unternehmensbereich eintreten können 115. Einige Stimmen in der Literatur lehnen die zumutbare Fortbildung und Umschulung bei Vorliegen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrundes ab. 1I6 Grund sei die schuldhafte Verletzung der Vertragspflichten, aufgrund derer vom Arbeitgeber später nicht verlangt werden könne, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. 117 Das verbiete schon der Sanktionscharakter der Kündigung. 118 Dem halten das BAG und ein Großteil der Literatur entgegen, daß vor allem wegen der fließenden Grenze der personenbedingten zur verhaltensbedingten Kündigung auch bei primär verhaltensbedingt motivierten Kündigungen eine zumutbare Fortbildung und Umschulung nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. 119 Ungerechtfertigt 114 ErfKlAscheid, § 1 KSchG Rn. 288; MünchArbRIBerkowsky § 137 Rn. 3 ff.; KREtzel, § 1 KSchG Rn. 418. 115 BAG - 2 AZR 233/83 - v. 20. 9. 1984 unter 11. 1. der Gründe, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 680. 116 Jeweils für die den Widerspruch des Betriebsrats gern. § 102 Abs. 3 BetrVG, aber wegen des gleichen Wortlautes zwingend gleiche Auswirkungen auf § 1 Abs. 2 S. 3 I.HS KSchG: P. Boewer; DB 1978,251 ff. (253 ff.); H/SIG-Schlochauer; § 102 BetrVG Rn. 93; Stege/ Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 114. Zu Unrecht dieser Meinung zugeordnet: Gamillscheg, FS 25 Jahre BAG, S. 117 ff. (128 f.). II? Buchner; Anm. zu BAG - 4 AZR 1078/77 - v. 24.10.1979, in: AR-Blattei, Beschäftigungspflicht, Entscheidung Nr. 11, unter 1. b) bb) aaa) der Anmerkung; HIS I G-Schlochauer; § 102 BetrVG Rn. 93; Stege/Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 114. Einschränkend auf den Zweck der verhaltensbedingten Kündigung abstellend: Heckelmann, Anm. zu LAG Köln 10 Sa 144/98 - v. 5.11. 1998, EWiR § 1 KSchG 3/99, S. 515 f. (516). Vorsichtigerformuliert, aber im Ergebnis wohl ebenso: Bomhagen, S. 67; Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2426). 118 Stege/Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 116. 119 BAG-2AZR 30/81-v. 22.7.1982 unterIII. 4. a)derGründe, APNr. 5 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung mit insofern zust. Anm. Otto; KR-Erzel, § 102 BetrVG
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erscheint nicht nur die absolute Versagung des Weiterbeschäftigungsanspruchs während des Kündigungsschutzprozesses, sondern auch der Ausschluß einer möglichen Versetzung bei Verhaltensfehlern mit lediglich geringfügigem Verschulden. 120 Vielmehr muß der Verzicht auf eine zumutbare Fortbildung und Umschulung auf solche Konstellationen begrenzt werden, bei denen der mit der Kündigung verfolgte Zweck nicht verwirklicht werden kann, die anderweitige Beschäftigung also nicht geeignet ist, die kündigungsrelevante Lage zu beseitigen. Daher können Sozialwidrigkeitsgründe des § 1 Abs. 2 S. 2, 3 KSchG 121 nur greifen, wenn nach Abwägung der beiderseitigen Interessen im konkreten Fall eine positive Prognose für die zukünftige Beschäftigung erfolgt. Eine negative Prognose bezüglich weiterer zu erwartender Vertragsbrüche und nicht der von Stege/Weinspach angeführte Sanktionscharakter, ist für die soziale Rechtfertigung der verhaltensbedingten Kündigung maßgeblich. 122 Immer dann, wenn die verhaltensbedingte Störung arbeitsplatzbezogen erfolgte, ist eine positive Zukunftsprognose gerade bei anderweitiger Beschäftigung möglich. Gleichwohl können bestimmte Konstellationen der verhaltensbedingten Kündigungsgründe für die zumutbare Fortbildung und Umschulung von vornherein ausgenommen werden. So kann ein auf fachlichen Leistungsmängeln beruhender und dem Arbeitnehmer zuzurechnender Kündigungsgrund 123 nie durch die Erwägung zumutbarer Fortbildung oder Umschulung sozial ungerechtfertigt sein. Vielmehr ist der Arbeitnehmer durch eine Abmahnung an die Beseitigung seiner fachlichen Mängel zu erinnern, seine Pflichten können ihm aber nicht durch Bestandsschutzerwägungen abgenommen werden. Die zumutbare Fortbildung und Umschulung ist dagegen vorstellbar, wenn betriebliche Spannungen Störungen im betrieblichen Bereich zur Folge haben, diese aber durch eine Umsetzung ausgeräumt werden könnten. Preis bringt diese Erwägungen dadurch auf den Punkt, daß er zwischen arbeitsplatzbezogenen und arbeitnehmerbezogenen verhaltensbedingten Störungen des Arbeitnehmers unterscheidet. Da sich die arbeitsplatzbezogenen Störungen durch eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Vertragsbedingungen oder an einer anderen Arbeitsstelle beseitigen lassen 124, muß dem Arbeitnehmer auch die Möglichkeit dazu gegeben werden. Rn. 146; Feichtinger; Rn. 179 f.; F/K/H/E/S, § 102 BetrVG Rn. 42; Hueck/von Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 520; Kassen, S. 172; Richardi, § 102 BetrVG Rn. 137. 120 Ouo, Anm. zu BAG - 2 AZR 30/81 - v. 22.7.1982, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung, 11. 2. a). 121 KR-Etzel, § 1 KSchG Rn. 750. 122 BAG - 2 AZR 215/88 - v. 10. 11. 1988 unter 11.2. d) bb) der Grunde, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Abmahnung; - 2 AZR 604/90 - v. 16.8. 1991 unter 11.3. e) bb) der Grunde, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; MünchArbRI Berkowsky § 137 Rn. 37; Hueck/von Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 274, 274 a; K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 167; Preis, Prinzipien, S. 328 m. w. N. 123 Dazu gerade unter: III 1 b aa) (3) I S. 289 f. 124 Preis, Prinzipien, S. 462 und auch noch NZA 1997, 1073 ff. (1077).
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Das jeweilige Maß des Verschuldens des Arbeitnehmers an dem vertragsverletzenden Verhalten wirkt sich im Rahmen der Interessenabwägung und hierbei auf die dem Arbeitgeber zuzumutenden Aufwendungen bei einer anstehenden Fortbildung und Umschulung aus. 125
3. Betriebsbedingte Kündigung
In den meisten Fällen, in denen eine zumutbare Fortbildung und Umschulung in Betracht gezogen wird, liegen betriebsbedingte Gründe, also dringende betriebliche Erfordernisse vor, die einer unveränderten Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen (§ lAbs. 2 S. I KSchG). Die Ursache für das Fehlen einer Beschäftigungsmöglichkeit entspringt dabei nicht der Sphäre des Arbeitnehmers, sondern beruht auf einer unternehmerischen Entscheidung. 126 Da die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gesetzlich gestattet ist, auch ohne daß der Arbeitnehmer einen Anlaß dafür gegeben hat, sind um so höhere Anforderungen an die Interessenabwägung zu stellen, die letztlich die kollidierenden Interessen der Vertragsparteien zum Ausgleich bringt. 127 Entfallt die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers wegen Auftragsmangels, Organisationsänderung, Fremdfirmeneinsatz etc., muß der Arbeitgeber vor Kündigung anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten prüfen. Stehen der Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz lediglich fehlende Kenntnisse entgegen, können zumutbare Fortbildungsmaßnahmen oder Umschulungen nötig werden. 4. Ergebnis zur Abhängigkeit der Fortbildungsklausel von den einzelnen Kündigungsgründen
Wie die vorherige Prüfung verdeutlicht hat, kann bei keinem der drei ordentlichen Kündigungsgründe von vornherein die zumutbare Fortbildung und Umschulung der Arbeitnehmer aus der Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Arbeitnehmer herausgenommen werden. Unterschiede bei der Bestimmung der Zumutbarkeit werden sich allerdings dadurch ergeben, daß ein Arbeitnehmer, der aufgrund schuldhaften und meist steuerbaren Verhaltens die Vertragspflichten verletzt, im Rahmen einer Interessenabwägung schlechter steht als ein solcher, der die arbeitsvertraglichen Pflichten schuldlos nicht mehr erfüllen kann. Eine gegenüber diesen arbeitnehmerbedingten Kündigungsgründen bessere Abwägungsposition haben die von einer betrieblichen Notwendigkeit betroffenen Arbeitnehmer. 128
127
Vgl. StahlhackelPreislVossen, Rn. 680. ErfKl Ascheid, § I KSchG Rn. 371; StahlhackelPreislVossen, Rn. 624. StahlhackelPreislVossen, Rn. 624.
128
Vgl. zum Einfluß der Kündigungsgründe auf die Zumutbarkeit auch § 10 A V 3 b) ce) (3) I
125 126
S. 336 ff.
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IV. Beschäftigungsmöglichkeit nach zumutbarer Fortbildung und Umschulung Eine Fortbildung und Umschulung kann eine anstehende Kündigung lediglich dann ungerechtfertigt erscheinen lassen, wenn für den Arbeitnehmer überhaupt eine Beschäftigungsmöglichkeit besteht, bei welcher die kündigungsrelevanten Gründe nicht mehr gegeben sind. Dabei kann es sich einmal um die Beschäftigungsmöglichkeit an dem gleichen Arbeitsplatz handeln, den der Arbeitnehmer nach einer Fortbildung wieder ausfüllen kann. 129 Wegen dieser Möglichkeit ist es auch nur zum Teil zutreffend, wenn für die Fortbildung und Umschulung ein freier Arbeitsplatz vorausgesetzt wird 130, da auch der Fortbestand des "eigenen" Arbeitsplatzes schon ausreichend sein kann. 131 Daneben kommen anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten (§ lAbs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG) in Betracht, deren Anforderungen der Arbeitnehmer erst nach einer Umschulung erfüllen kann. Darauf, ob es sich bei den anderen Beschäftigungsmöglichkeiten um solche handelt, auf die der Arbeitnehmer kraft Direktionsrecht des Arbeitgebers verwiesen werden könnte oder ob eine Arbeitsvertragsänderung nötig würde, kommt es wegen § 1 Abs. 2 S. 3 2. HS KSchG nicht an. Bezogen auf die Fortbildung, die eine Weiterbeschäftigung an dem gleichen Arbeitsplatz ermöglicht, ist die Beschäftigungsmöglichkeit unproblematisch. Der Arbeitsplatz war vor der Fortbildung von dem Arbeitnehmer besetzt und wird von ihm auch weiterhin beansprucht. Wahrend der Fortbildung muß er dann entweder unbesetzt bleiben, freigehalten werden oder der Fortzubildende arbeitet zumindest teilweise während der Bildungsmaßnahme weiter. Jedenfalls steht außer Frage, daß ein Arbeitsplatz vorhanden ist. Problematischer gestaltet sich die Feststellung des Vorliegens eines freien Arbeitsplatzes bei einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit. Das Gebot, dem Arbeitnehmer eine andere - freie - Beschäftigung anzubieten statt ihm zu kündigen, ist eine gesetzliche Konkretisierung der gemäß dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch sonst geltenden Erforderlichkeit. 132 Eine Umoder Versetzung ist gegenüber einer Kündigung stets das mildere Mittel. Bei näherer Untersuchung des freien Arbeitsplatzes ist zu überlegen, auf welche Art freier Arbeitsplätze sich die Suche nach einer anderweitigen Beschäftigung überhaupt beziehen kann (horizontale Einbeziehung), bevor die räumliche Reichweite der einzubeziehenden Beschäftigungsmöglichkeiten (vertikale Einbeziehung) näher beleuchtet wird (1.). Sind die grundsätzlich in Betracht kommenden freien ArbeitsRichardi, § 102 BetrVG Rn. 154. So aber Gaul, BB 1995,2422 ff. (2422). 131 KR-Etzel, § 102 BetrVG Rn. 169 a; D/K/K-Kittner, § 1 KSchG Rn. 409; Richardi, § 102 BetrVG Rn. 161. I32 Kiel, S. 43; Preis, Prinzipien, 295 ff. Vgl. auch BAG - 2 AZR 320/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 66 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 129
130
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plätze auf diese Weise ennittelt, ist zu klären, zu welchem Zeitpunkt ein Arbeitsplatz frei sein muß, um in die Betrachtungen einfließen zu können (2.). Bei der Feststellung eines freien Arbeitsplatzes scheint es sich auf den ersten Blick um eine rein objektive Bestimmung dazu zu handeln, ob ein unbesetzter Platz vorhanden ist, der von dem betroffenen Arbeitnehmer gegebenenfalls besetzt werden könnte. Im einzelnen gestaltet sich diese Feststellung aber sehr problematisch.
1. Umfang der anderweitigen Beschäjtigungsmöglichkeit Die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bezieht sich auf alle freien Arbeitsplätze, deren Anforderungsprofil zumindest teilweise mit dem Leistungsprofil des Arbeitnehmers übereinstimmt. 133 Das Leistungsprofil kann aber diesbezüglich nicht nur die Leistungen bezeichnen, zu denen der Arbeitnehmer gegenwärtig in der Lage ist, es sind gerade wegen möglicher zumutbarer Fortbildung und Umschulung gern. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG auch die noch nicht entwikkelten Potentiale des Arbeitnehmers einzubeziehen. 134 Ist also ein Arbeitsplatz frei, den der Arbeitnehmer sofort, nach einer Einarbeitung oder nach einer zumutbaren Fortbildung und Umschulung besetzen kann, ist grundsätzlich eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gegeben. 135 Der unbestimmte Begriff des Leistungsprofils bedarf weiterer Ausgestaltung, ebenso wie die zu beachtenden freien Arbeitsplätze zu begrenzen sind. a) Horizontal zu berücksichtigende freie Arbeitsplätze Da gern. § 1 Abs. 2 S. 3 2. HS KSchG zur Besetzung eines anderen Arbeitsplatzes auch eine Vertrags änderung erfolgen kann, sind Arbeitsplätze zu ungünstigeren Bedingungen ebenfalls mit mitzuberücksichtigen. 136 Deswegen kann für die Möglichkeiten einer anderweitigen Beschäftigung auch nicht auf die Erwägungen zur Vergleichbarkeit eines Arbeitsplatzes i. S. d. Sozialauswahl gern. § 1 Abs. 3 KSchG verwiesen werden. 137 Nicht beachtet werden sollen bei der Auswahl eines 133 MünchArbR/Berkowsky § 140 Rn. 17; Bomhagen, S. 64; APSIDömer, § I KSchG Rn. 99. 134 Vgl. auch MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 24; Löwisch, § I KSchG Rn. 255. 135 Von Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG - 2 AZR 62/83 - v. 27. 9. 1984, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG, unter 6. 136 BAG - 2 AZR 369/89 - v. 29. 3. 1990 unter B. 11. 7. b) aa) der Gründe, AP Nr. 50 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung; MünchArbR/ Berkowsky § 140 Rn. 17. 137 MünchArbR/ Berkowsky § 140 Rn. 18. Häufig treten Mißverständnisse auf, weil sowohl im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib, 2 KSchG als auch bei § lAbs. 3 KSchG von vergleichbaren Arbeitnehmern gesprochen wird. Gemeint sind aber verschiedene Arbeitnehmergruppen.
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freien Arbeitsplatzes vom Arbeitgeber solche Beschäftigungsmöglichkeiten, die eine Beförderung des Arbeitnehmers darstellen würden. 138 Eine betriebshierarchisch höhere Stelle kann, muß dem Arbeitnehmer aber nicht angeboten werden. Das folgt schon aus dem Zweck des Kündigungsschutzgesetzes, wonach dem Arbeitnehmer die Grundlagen seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz in den Grenzen des sozial und wirtschaftlich Vertretbaren für den Arbeitgeber gesichert werden sollen. 139 Der einer freien Unternehmerentscheidung entgegenzustellende Bestandsschutz kann sich also nur auf solche Arbeitsplätze beziehen, die gleiche bzw. geringere Anforderungen an die Arbeitnehmer stellen. Allein Kittner J40 will entgegen der ganz herrschenden Ansicht gerade im Hinblick auf die zumutbare Fortbildung auch auf einer höheren Ebene angesiedelte freie Stellen umfaßt sehen. Unterstützung erhofft er sich seit der Entscheidung vom 5. 10. 1995 141 vom BAG. In der Entscheidung erkennt er eine Kehrtwende von der bisher verfolgten Linie des Gerichts 142. Das BAG hatte zur tatsächlichen Feststellung darüber an das zuständige LAG zurückverwiesen, ob es sich bei dem in Streit stehenden Arbeitsplatz um einen mit dem vorherigen Arbeitsplatz vergleichbaren handelte. Die Zurückverweisung war erfolgt, obwohl außer Frage stand, daß es sich bei der betreffenden Stelle um eine Beförderungsstelle handelte. Das BAG verwies in dem Urteil ausdrücklich darauf, daß es für die Feststellung der Vergleichbarkeit nur indiziell auf die höhere Vergütung abstellt. Maßgeblich sei in erster Linie der Tätigkeitsbezug. 143 Trotz Kenntnis dieser Entscheidung kann der von Kittner gezogenen Schlußfolgerung nicht entsprochen werden. Die Besetzung von Beförderungsstellen zur Sicherung des Bestands des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis greift zu weit in die unternehmerische Freiheit ein und geht über die bloße Sicherung der sozialen Existenz des Arbeitnehmers hinaus l44 . Es ist vielmehr auch weiterhin davon auszugehen, daß keine betriebshierarchisch höheren Ebenen in die Suche nach freien Arbeitsplätzen einfließen müssen. Auch der Verweis auf Fortbildungsmaßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Nach der Definition der Fortbildung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG soll der Arbeitnehmer im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit in die Lage 138 BAG - 2 AZR 369/89 - v. 29. 3. 1990 unter B. 11. 7. der Gründe und 1. LS, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; ErfK I Ascheid, § 1 KSchG Rn. 556; MünchArbRIBerkowsky § 140 Rn. 39; Huecklvon Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 531 jeweils m. w. N. 139 BAG - 2 AZR 369/89 - v. 29.3. 1990 unter B. 11. 7. a) der Gründe und 1. LS, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 140 K/D/Z, § 1 KSchG Rn. 377. 141 BAG - 2 AZR 269/95 - unter 11.3. b) der Gründe, AP Nr. 71 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 142 K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 377. 143 BAG - 2 AZR 269/95 - unter 11. 3. b) der Gründe, AP Nr. 71 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 144 Vgl. BAG - 2 AZR 369/89 - v. 29. 3. 1990 unter B. 11. 7. a) der Gründe und 1. LS, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; APS I Kiel, § 1 KSchG Rn. 631.
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versetzt werden, den gestiegenen beruflichen Anforderungen noch bzw. weiterhin gerecht zu werden sowie mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. 145 Zweck der Fortbildung ist nicht der Aufstieg, sondern die Anpassung an sich ändernde Arbeitsbedingungen. Gerade die von Kittner angeführte Entscheidung des BAG vom 5. 10. 1995 macht deutlich, wie schwierig es ist, eine klare Zuordnung darüber zu finden, weIche Arbeitsplätze einzubeziehen sind und welche schon eine Beförderungsstelle darstellen würden. Auch die der vorangegangenen Beschäftigung teilweise entsprechende Tätigkeit kann nur ein Indiz sein, denn gerade in Fällen der Umschulung sind völlig andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu betrachten, bei denen der Tätigkeitsbezug keine Rolle spielen kann. So läßt sich beispielsweise bei einer arbeitsunfähigen Laborfacharbeiterin nicht ohne weiteres feststellen, ob die freie Stelle als Büroassistentin tatsächlich als freier Arbeitsplatz bezeichnet werden kann oder einen beruflichen Aufstieg darstellen würde. 146 Das Problem wird deutlicher, wenn man etwa zu beurteilen versucht, ob ein wegen Gleichgewichtsstörungen arbeitsunfähiger Müllfahrer zur Büroarbeit umgeschult werden kann. Bedeutet hierbei der soziale Aufstieg auch einen beruflichen? Von Beförderung kann jedenfalls insofern nicht gesprochen werden, als sich beide auf der untersten Hierarchieebene in ihrer Arbeitseinheit befinden. Aber auch hier stellt sich wieder die Frage, ob es darauf tatsächlich ankommen kann. Soll der Arbeitgeber alle unbesetzten Arbeitsplätze auf deren "Brauchbarkeit" für den Arbeitnehmer prüfen, wären zusätzliche Kriterien wünschenswert. Zumindest als Indizien sind Vergütung und Tätigkeitsbezug 147 sowie die jeweilige Hierarchieebene heranzuziehen, entschieden werden muß aber letztlich am Einzelfall. b) Zumutbare und geeignete Beschäftigung als Bestimmungsgesichtspunkte eines freien Arbeitsplatzes Nicht alle freien Arbeitsplätze, die horizontal in die Suche nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit einbezogen werden können, sind auch tatsächlich zu beachten. Das BAG versucht, die anzubietenden freien Arbeitsplätze durch das Kriterium der Zumutbarkeit der Beschäftigung an dem freien Arbeitsplatz zu begrenzen. 148 145 In diesem Sinne: KR-Etzel, § 1 KSchG Rn. 766; APS 1Kiel, § 1 KSchG Rn. 618; HKKSchGIWelier/Domdoif, § 1 KSchG Rn. 921. Vgl. auch § 10 A I 2/S. 274 f. 146 Vgl. dazu den Sachverhalt in: BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. Das BAG sah darin allerdings kein Problem. Der Anspruch auf die Umschulung scheiterte am Vorliegen einer freien Stelle. 147 BAG - 2 AZR 269/95 - unter 11.3. b) der Gründe, AP Nr. 71 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 148 BAG - 2 AZR 62/83 - v. 27. 9. 1984 unter 11. 3. a) der Gründe und 3. LS, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG mit krit. Anm. von Hoyningen-Huene. Dem BAG folgend: RiBAG Bepler, AuR
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Dabei prüft es die Zumutbarkeit gleich zweimal. Einmal dahingehend, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist. Dagegen könnte unter anderem ein verschuldeter Vertrauensbruch bei verhaltens bedingter Kündigung sprechen. Zum anderen prüft es, ob dem Arbeitnehmer das Angebot eines bestimmten Arbeitsplatzes zumutbar ist. Wird dies abgelehnt, soll der Arbeitgeber den eigentlich freien Arbeitsplatz nicht anbieten müssen. 149 Jedoch ist die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gern. § lAbs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG entgegen der Bestimmung in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG gerade nicht durch die Zumutbarkeit begrenzt. 150 Auf die Zumutbarkeit eines Änderungsangebotes und daher die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gegenüber dem Arbeitnehmer kommt es auf dieser Prüfungsstufe daher entgegen dem BAG nicht an. 151 Die Prüfung der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit stellt innerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Erforderlichkeit dar. Es geht also lediglich darum, ein milderes Mittel zur Erreichung des Zweckes - Beseitigung des kündigungsrelevanten Zustandes - zu finden. Ob die anderweitige Beschäftigung aus Sicht des Arbeitgebers verhältnismäßig im engeren Sinne, also angemessen und nach Abwägung der Interessen zumutbar ist, muß je nach Kündigungsgrund l52 , gegebenenfalls daran anschließend geprüft werden. 153 Die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer ist bezüglich der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz unbeachtlich, weil es seine freie Entscheidung ist, ob er ein Änderungsangebot annimmt oder nicht. 154 Nur muß ein Änderungsangebot überhaupt erst einmal erfolgt sein und kann nicht vorher schon hypothetisch durch die Einschätzung Dritter - in diesem Fall des Arbeitgebers 1999, 219 ff. (224). Insgesamt ist es schwer festzustellen, wer dem BAG uneingeschränkt und wer nur in Teilen folgt, da sich einer kurzen Darstellung meist nicht entnehmen läßt, an welchem Punkt genau die Zumutbarkeit geprüft wird. 149 BAG - 2 AZR 62/83 - v. 27. 9. 1984 unter 11. 3. c) aa) der Gründe und 3. LS, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG mit krit. Anm. von Hoyningen-Huene. 150 Von Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG - 2 AZR 62/83 - v. 27. 9. 1984 AP Nr. 8 zu § 2 KSchG, unter 1. b); Kiel, S. 112; Preis, Prinzipien, S. 302. 151 Huecklvon Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 150; Kiel, S. 112; Preis, NZA 1997, 1073 ff. (1077); Schmitt, S. 38 ff. 152 Bei der betriebsbedingten Kündigung ist keine Angemessenheit für den Arbeitgeber zu prüfen, da schon der Kündigungsgrund betriebsbezogen festgestellt wird. Gibt es für die betriebsbezogene Notwendigkeit ein milderes, den Arbeitnehmer weniger belastendes Mittel, muß dieses gewählt werden. Im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung ist die Angemessenheit in der Notwendigkeit eines dringenden betrieblichen Erfordernisses und in § 1 Abs. 3 KSchG abschließend konkretisiert (HaKol Pfeiffer; § 1 KSchG Rn. 147; Bittnerl Kiel, RdA 1994, 333 ff. [346]). Lediglich im Fall der eine zusätzliche Pflicht bedeutenden Fortbildung und Umschulung ist die Angemessenheit einer solche Belastung zu prüfen. Für arbeitnehmerbezogene Kündigungsgründe, also die personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgründe, wird die Angemessenheit der anderweitigen Beschäftigung auf dem freien Arbeitsplatz im nächsten Prüfungsschritt, der Zukunftsprognose oder der abschließenden Interessenabwägung, erwogen (Stahlhacke / Preis /Vossen, Rn. 617 ff.). 153 Kritisch zu der Vorgehensweise des BAG: Kiel, S. 112. 154 Kiel, S. 113; Preis, Prinzipien, S. 302.
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ausgeschlossen werden. Diese Sichtweise verhindert, daß der Arbeitgeber durch eine Fehlinterpretation der Zumutbarkeit Gefahr läuft, dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz nur deshalb nicht anzubieten, weil er falschlicherweise annimmt, dieser würde nach seinem sozialen und wirtschaftlichen Status nicht für den Arbeitnehmer in Betracht kommen. Er venneidet dadurch das Risiko eines Kündigungsschutzprozesses gegen ihn. Nimmt der Arbeitnehmer die freie Stelle an, ist ohne Bedeutung, ob es ihm eigentlich unzumutbar (i. S. d. § 103 Abs. 1 Nr. 2a AFG I55 ) gewesen wäre. Sind in einem Unternehmen also verschiedene freie Arbeitsplätze gegeben, von denen alle dem Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung bieten könnten, kommen alle diese Arbeitsplätze als mildere Mittel gegenüber einer Kündigung in Betracht. Eine Pflicht zur mildesten Maßnahme für den Arbeitnehmer läßt sich dem Erforderlichkeitsgrundsatz nicht entnehmen. 156 Das entbindet den Arbeitgeber auf der anderen Seite natürlich nicht von seiner Pflicht, die Auswahl der anzubietenden Arbeitsplätze nach billigem Ennessen gern. § 315 BGB, also unter Einbeziehung der persönlichen Belastungen des Arbeitnehmers vorzunehmen. 157 Nicht zu übersehen ist natürlich, daß es gerade in einem großen Unternehmen sehr schwierig sein kann, an alle freien Arbeitsplätze zu denken. Jedoch muß von einem Arbeitgeber zumindest erwartet werden, daß er alle die Arbeitsplätze anbietet, von denen ein verantwortungsvoller Arbeitgeber nach gewissenhaften Nachforschungen Kenntnis erlangen konnte.
Preis und ihm folgend Kiel schlagen vor, die freien Arbeitsplätze auf ihre Geeignetheit zur Erreichung des mit der Kündigung angestrebten Zwecks zu überprüfen. Das entspricht der einhellig anerkannten Zuordnung der anderweitigen Beschäftigung zu dem Institut der Erforderlichkeit. Danach muß ein milderes, für den Zweck gleich geeignetes Mittel gesucht werden. 158 Schließlich sei das mildere Mittel "kein Selbstzweck"159, sondern müsse ernsthaft in Betracht gezogen werden. Preis führt als Beispiel für die Ungeeignetheit die Fähigkeiten des Arbeitnehmers an. 160 Fraglich ist, ob die derzeitigen Fähigkeiten eines Arbeitnehmers tatsächlich die Geeignetheit der Um- bzw. Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz beeinträchtigen können, oder ob diese Aussage nicht zu undifferenziert ist. Die Tauglichkeit dieses Kriteriums ist im folgenden daher näher zu untersuchen. 155 So das BAG - 2 AZR 62/83 - v. 27. 9. 1984 unter 11.3. c) aa) der Gründe, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG mit krit. Anm. von Hoyningen-Huene. Aus heutiger Sicht müßte das BAG entscheiden, ob es auch auf die deutlich weiter gefaßte Nachfolgenorm des § 121 SGB III verweisen würde. Dazu kritisch: Bepler, AuR 1999, 119 ff. (124). 156 Kiel! Koch, Rn. 263; a. A. Preis; Prinzipien, S. 307; HK-KSchG / Weller/ Domdoif, § I KSchG Rn. 918. 157 Kiel! Koch, Rn. 263. 158 Lerche, HdbStR Bd. V, § 122 Rn. 16 m. w. N. 159 Preis, NZA 1997, 1073 ff. (077). 160 Preis, Prinzipien, S. 302.
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Die pauschale Anführung der Eignung der Fähigkeiten des Arbeitnehmers für den Arbeitsplatz schränkt die freien Arbeitsplätze von vornherein zu weit ein. So soll ein Facharbeiter genauso wenig für buchhalterische Tätigkeiten geeignet sein, wie umgekehrt ein Buchhalter für von Facharbeitern durchzuführende. 161 Meines Erachtens zeigt gerade dieses Beispiel, daß die Suche nach einem freien Arbeitsplatz ohne Notwendigkeit zu sehr eingeschränkt wird. Anzubieten sind zunächst alle Arbeitsplätze. Ob die Beschäftigung den kündigungsrelevanten Zustand tatsächlich beseitigen kann oder ob die fehlenden fachlichen Kenntnisse zu essentiell sind, ist dann eine Frage der Zumutbarkeit der Umschulung. Ein bereits höchstrichterlich entschiedenes Beispiel bietet erneut der "Laborantinnenfall" 162. Die arbeitsunfähig erkrankte Laborfacharbeiterin strebte zur Vermeidung ihrer Kündigung eine Umschulung zur Büroassistentin an. Hier stellte das BAG nicht auf Zumutbarkeit der anderweitigen Beschäftigung ab 163 , und auch Preis ging in seinem Aufsatz von 1997 zwar auf die Entscheidung ein, stellte die Geeignetheit des Arbeitsplatzes aber nicht in Frage 164. Das müßte er konsequenterweise aber tun, wenn er seine früher geäußerte Ansicht weiter verfolgen würde. 165 Auch mangelnde Rechtssicherheit des Arbeitgebers über die anzubietenden Arbeitsplätze kann kein Argument für die Einschränkung der anzubietenden Arbeitsplätze auf im Sinne von Preis geeignete Arbeitsplätze sein. Denn auch wenn dieser Ansicht gefolgt würde, müßte das jeweilige Gericht im Falle eines Kündigungsschutzprozesses noch überprüfen, ob ein vom Arbeitnehmer geltend gemachter freier Arbeitsplatz tatsächlich für ihn ungeeignet war. Besonders die hier zu untersuchenden Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung führen das vor Augen, ist doch Zweck der Umschulung gerade, den Arbeitnehmer zu einer anderen Tätigkeit zu befähigen. 166 Die Geeignetheit muß meines Erachtens anders bestimmt werden. So kann sie einmal in bezug auf den Kündigungsgrund und die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit untersucht werden. Die Besetzung des freien Arbeitsplatzes mit dem betreffenden Arbeitnehmer muß überhaupt geeignet sein, das Kündigungsschutzinteresse entfallen zu lassen. 167 Das wird bei betriebsbedingten Kündigungen grundsätzlich der Fall sein, bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen kann die grundsätzliche Geeignetheit - wohlgemerkt, nicht die Angemessenheit im konkreten Fall - eingegrenzt werden. So ist bei krankheitsbedingten Kündigungen nach einem geeigneten leidensgerechten Arbeitsplatz zu suchen, bei verhaltensbePreis, Prinzipien, S. 302; ihm folgend: Kiel, S. 112. Zu dem Sachverhalt bereits § 10 III 1 a)1 S. 283. BAG - 2 AZR 205190 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 163 BAG - 2 AZR 205190 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 164 Preis, NZA 1997, 1073 ff. (1078). 165 Vgl. Fn. 160. 166 Dazu § 10 All 1 270 ff. 167 Preis, NZA 1997, 1073 ff. (1077). 161
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dingten danach, ob die verhaltensbedingten Probleme sich überhaupt durch eine Um- bzw. Versetzung lösen lassen. Preis schlägt hierfür die allgemeine Regel vor, daß bei verhaltensbedingten, arbeitsplatzbezogenen Kündigungsgründen anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten durchaus geeignet sein können. Bei arbeitgeberbezogenen Störungen können jedoch anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten von vornherein nicht in Betracht kommen. 168 In diesen Fällen ist also gar nicht erst nach freien Arbeitsplätzen zu suchen. Es ist aber auch vorstellbar, daß ein Arbeitnehmer von vornherein für den freien Arbeitsplatz körperlich nicht geeignet ist. Ein rollstuhlfahrender Buchhalter kann natürlich nicht als Lagerarbeiter beschäftigt werden, genauso wie die Umschulung einer taubstummen Laborantin zur Empfangssekretärin nicht möglich ist. Die Grenze für einen zu beachtenden freien Arbeitsplatz befindet sich also immer dort, wo körperliche Grundanforderungen an den Arbeitsplatz nicht gegeben sind und auch nicht erworben werden können. Fachliche Defizite oder große Herabstufungen in der Betriebshierarchie können dagegen keine Einschränkung bei dem Arbeitnehmer vorzuschlagenden freien Arbeitsplätzen bewirken. Auch einem Prokurist muß eine freie Portierstelle angeboten werden, wenn er dem Leistungsprofil zumindest teilweise entspricht. 169 Sollte diese weite Auffassung dazu führen, daß Geschäftsführer im Kündigungsschutzprozeß geltend machen können, ihnen sei die freie Portierstelle nicht angeboten worden und die Kündigung daher unwirksam, kann und muß bei fehlender Ernsthaftigkeit dieser Einwendung eine Korrektur über die Grundsätze von Treu und Glauben erfolgen. 170 Zweifellos ist es schwierig, tatsächlich fehlende Ernsthaftigkeit festzustellen, so daß davon wohl nur bei wirklich offensichtlich fehlendem Interesse des Arbeitnehmers und somit widersprüchlichem Verhalten bezüglich einer gewollten Weiterbeschäftigung an dem betreffenden Arbeitsplatz ausgegangen werden kann. Die durch ein solches Verständnis entstehende Rechtsunsicherheit ist meines Erachtens hinzunehmen, um nicht schon vorher die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer alle in Betracht kommenden Arbeitsplätze anzubieten, zu beschränken. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Frage, ob bestimmte freie Arbeitsplätze anzubieten sind oder nicht, sich nicht durch das Merkmal der Zumutbarkeit eingrenzen läßt. Es ist lediglich auf eine grundsätzliche Eignung eines Arbeitsplatzes für die zu beseitigende Störung und die körperliche Eignung des betreffenden Arbeitnehmers abzustellen. Unbeachtlich bleiben muß an dieser Stelle die fachliche Eignung, da die dazu eventuell notwendigen Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen erst auf der nächsten Stufe zu prüfen sind. 168 Preis, NZA 1997, 1073 ff. (1077) und auch schon: Prinzipien, S. 496. Vgl. auch BAG - 2 AZR 98/96 - v. 16. 1. 1997 unter 11.2. c) der Gründe, (unv.). 169 Vgl. Beispiel bei: MünchArbR/ Berkowsky § 140 Rn. 36. Sowohl Preis, Prinzipien, S. 302 (von dem das Beispiel wohl erstmals aufgegriffen wurde) als auch Kiel, S. 112, lehnen die Möglichkeit einer solchen Beschäftigung für den Prokuristen ab. 170 Schmitt, S. 40.
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c) Vorliegen eines freien Arbeitsplatzes Um eine anderweitige Beschäftigung in Betracht ziehen zu können, muß ein Arbeitsplatz grundsätzlich frei sein und darf nicht erst nach Kündigung eines anderen Arbeitnehmers frei werden. 171 Ausnahmen sind in zweierlei Hinsicht möglich. So kann sich aus dem Fürsorgegedanken die Pflicht des Arbeitgebers zu einer möglichen Umorganisation ergeben, solange die Umsetzung der von einer solchen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer kraft Direktionsrechts möglich ist. Das ist unter anderem vorstellbar, wenn ein Arbeitnehmer, der mit seinen Kollegen Probleme hat, dadurch vor einer Druckkündigung bewahrt wird, daß der Arbeitgeber eine Austauschumsetzung mit einem Arbeitnehmer einer anderen Schicht VOTnimmt. l72 Möglich ist eine Umorganisationspflicht des Arbeitgebers auch bei Vorliegen eines krankheitsbedingten Kündigungsgrundes, wenn der leidensgerechte Arbeitsplatz besetzt ist. Ist es dem Arbeitgeber möglich, den auf diesem Arbeitsplatz beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb seines Direktionsrechtes zu versetzen, muß er dies tun. 173 Ebenfalls als frei gelten soll ein von einem Leiharbeitnehmer besetzter Arbeitsplatz. 174 Zur Begründung wird darauf verwiesen, daß der Arbeitgeber im Unterschied zu Arbeitsplatzverlusten infolge kompletter Auslagerung bestimmter Tätigkeiten auf Fremdfirmen in Fällen der Leiharbeit seine Arbeitgeberstellung weitgehend beibehält. 175 Obwohl auf den ersten Blick die Veränderungen bei Besetzung eines Arbeitsplatzes mit Leiharbeitnehmern denen eines Einsatzes von Fremdfirmen gleichen, überzeugen die Ausführungen am Ende doch. Es ist anzuerkennen, daß die unternehmerische Entscheidung eine andere Qualität hat, wenn als deren Ergebnis vollkommen auf das Weisungsrecht verzichtet wird. d) Räumliche Reichweite der anderweitigen Beschäftigungspflicht Das Vorliegen freier Arbeitsplätze im Hinblick auf anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten für von einer Kündigung bedrohte Arbeitnehmer läßt sich erst umfasBittnerl Kiel, RdA 1994,333 ff. (339); Wank, RdA 1987, 129 ff. (143). Vgl. auch die Beispiele bei BittnerI Kiel, RdA 1994, 333 ff. (339). 173 BAG - 2 AZR 9196 - v. 29. 1. 1997 unter 11. 1. d) der Gründe, AP Nr. 32 zu § I KSchG Krankheit = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47 mit insofern krit. Anm. Streckel. Dazu auch B IT-Backmeister; § 1 KSchG Rn. 137 f. 174 BAG - 2 AZR 200196 - v. 26. 9. 1996 unter 11. 2. d) der Gründe, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; LAG Bremen - 1 (2) Sa 340196 - v. 2. 12. 1997 unter 2. c) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47 = EWiR § 1 KSchG 2/98, S. 425 f. mit krit. Anm. Schaub; APS 1Kiel, § 1 KSchG Rn. 606; K 1 D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 373; von Hoyningen-Huenel Linck, DB 1993, 1185 ff. (1187). 175 BAG - 2 AZR 200196 - v. 26. 9. 1996 unter 11. 2. d) der Gründe, AP Nr. 80 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; LAG Bremen - 1 (2) Sa 340196 - v. 2.12.1997 unter 2. c) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47. 171
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send bestimmen, wenn klargestellt ist, ob die Suche nach einem freien Arbeitsplatz betriebs-, unternehmens- oder konzernbezogen zu erfolgen hat. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. Ib KSchG müssen die Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden können. Demgegenüber scheint sich die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gern. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG nur auf den Betrieb zu beziehen. Bei dem Widerspruch zwischen Satz 1 und 2 handelt es sich nach mittlerweile nahezu einhelliger Ansicht um eine gesetzgeberische Fehlleistung. Es wurde lediglich vergessen, Satz 1 bei Einfügung von Satz 2 anzupassen. 176 Jeder anderen Lesart steht der historische und systematische Zweck der Regelung entgegen. 177 Der Arbeitgeber hat daher freie Arbeitsplätze sowohl im Betrieb als auch in seinem Unternehmen zu beachten. 178 Für eine konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht fehlt ein Anhaltspunkt in der gesetzlichen Regelung. Das Kündigungsschutzgesetz ist zudem auch nach Sinn und Zweck als arbeitgeberbezogen und nicht als konzernbezogen anzusehen. 179 Etwas anderes kann sich lediglich ergeben, wenn der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet ist, im Versetzungsfall gegebenenfalls auch für verschiedene Konzernunternehmen tätig zu werden. 180 Der freie Arbeitsplatz ist arbeitgeberbezogen zu bestimmen, erfolgt also unternehmensweit, allerdings grundsätzlich ohne Berücksichtigung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten im Konzern.
2. Zeitlicher Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des freien Arbeitsplatzes
Vor allem unter dem Blickwinkel der hier zu betrachtenden zumutbaren Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt 176
Kiel, S. 75.
m Kiel, S. 69 ff. m. w. N. Vgl. dazu auch die gesetzgeberischen Zielvorstellungen bei Neufassung des § 1 Abs. 2, 3 KSchG, BT-Drucks. VII2729, S. 7 und BT-Drucks. VI/1786, S. 32 f. 178 Seit BAG - 2 AZR 109/83 - v. 17.5. 1984 unter C. III. der Gründe und I. LS, AP Nr. 21 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung mit insgesamt krit., aber insofern zustimmender Anm. von Hoyningen-Huene; MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 14; KR-Etzel, § I KSchG Rn. 242; Löwisch, § I KSchG Rn. 258; Stahlhackel PreislVossen, Rn. 628; Wank, RdA 1987, 129 ff. (137) alle m. w. N. A. A. HI S/G-Schlochauer, § 102 BetrVG Rn. 124. 179 BAG - 2 AZR 612/85 - v. 22. 5. 1986 unter B. I. 3. a), 4. a) der Gründe und I. LS, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Konzern; - 2 AZR 255/91 - v. 27. 11. 1991 unter B. III. 1.,2 der Gründe und I. LS, AP Nr. 6 zu § I KSchG Konzern mit zust. Anm. Windbichler; MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 14; APS 1Dörner, § I KSchG Rn. 102; Huecklvon Hoyningen-Huene, § I KSchG Rn. 151; Stahlhackel PreislVossen, Rn. 628. 180 BAG - 2 AZR 612/85 - v. 22. 5. 1986 unter B. I. 4. a) der Gründe, AP Nr. 4 zu § I KSchG Konzern; - 2 AZR 255/91 - v. 27.11. 1991 unter B. III. I. der Gründe, AP Nr. 6 zu § I KSchG Konzern mit zust. Anm. Windbichler; MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 14; Huecklvon Hoyningen-Huene, § I KSchG Rn. 151; Kiel, S. 139 ff. alle m. w. N.
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ein Arbeitsplatz frei sein muß. So kann ein Arbeitsplatz zwar im Moment der anstehenden Kündigung frei sein, eine vorzunehmende Umschulung für die Besetzung des Arbeitsplatzes aber so lange dauern, daß schon die Freihaltung dieser Stelle für den Arbeitgeber unzumutbar ist. Andererseits kann zwar im Moment ein Arbeitnehmer an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt sein, es aber trotzdem absehbar sein, daß der betreffende Arbeitsplatz demnächst frei wird. Im folgenden ist also zu überlegen, ob sich eine allgemeingültige Regel aufstellen läßt, die eine sinnvolle Planung für den Arbeitgeber möglich macht. Der für Kündigungen zuständige zweite Senat des BAG sieht Arbeitsplätze für eine anderweitige Beschäftigung nicht nur dann als frei an, wenn sie im Moment des Ausspruchs der Kündigung frei sind, sondern dehnt dies zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aus. 181 Diese Ausdehnung bezieht sich auf die Arbeitsplätze, die tatsächlich frei werden und nicht solche, bei denen lediglich mit einem Freiwerden gerechnet werden kann. Die Schaffung einer unfreiwilligen Personalreserve kann nicht verlangt werden. 182 In einer neueren Entscheidung wirft das Gericht nach Bestätigung der alten Rechtsprechung erstmals konkret die Frage auf, ob bzw. wie weit dieser Zeitpunkt des Freiwerdens auch nach Ablauf der Kündigungsfrist noch ausgedehnt werden kann. Nach dem BAG sollen die in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werdenden Arbeitsplätze mit einzubeziehen sein, jedenfalls aber freiwerdende Arbeitsplätze in der Zeitspanne, die einem anderen Arbeitnehmer für eine Einarbeitung zu gewähren wäre. 183 Als Begründung führt es die hier zu untersuchende Pflicht des Arbeitgebers zu zumutbarer Fortbildung und Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG an, indem es in einem Erst-Recht-Schluß auf die längere Dauer von Bildungsrnaßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG verweist, die noch andere Kosten erfordert als ein bloßes Abwarten und den Arbeitgeber daher zusätzlich belastet. 184 Diesen Erwägungen des BAG haben sich große Teile der Literatur angeschlossen. 185 181 Ständ. Rspr. seit: BAG - 2 AZR 601172 - v. 13.9. 1973 unter III. 2. a) der Gründe, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG; - 2 AZR 369/89 - v. 29. 3.1990 unter B. 11. 5. a) der Gründe, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. So auch die Instanzgerichte: LAG Köln 11 Sa 1110/96 - v. 7. 11. 19972. LS und S. 2, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 50; LAG Hamburg -7 Sa 5/98 - v. 1. 10. 1989 unter 11.2. b) der Gründe, AfP 1999,192 ff. Zur Entwicklung der Rechtsprechung: Oetker; SAE 1995, 123 ff. (124) m. w. N. 182 BAG - 2 AZR 327/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. 11. 1. b) der Gründe und 1. LS, AP Nr. 67 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. Vgl. auch Schaub, § 131 16 c)/S. 1412; StahlhackelPreislVossen, Rn. 635. 183 BAG - 2 AZR 327/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. 11.1. der Gründe und 1. LS, AP Nr. 67 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 184 BAG - 2 AZR 327/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. II. 1. b) der Gründe und 1. LS, AP Nr. 67 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. Das BAG schließt sich in seinen Erörterungen der von Kiel, S. 88 f., 128 f.; bestätigend: APS / Kiel, § I KSchG Rn. 601 geäußerten Ansicht an. 185 Bittner I Kiel, RdA 1994, 333 ff. (339); APS / Kiel, § 1 KSchG Rn. 601; von HoyningenHuene, Anm. zu BAG - 2 AZR 327/94 - v. 15. 12. 1994, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
Problematisch ist, daß auch der Terminus der absehbaren Zeit bezüglich seiner Länge nur ein unbestimmter Rechtsbegriff ist. 186 Absehbar sind ab dem Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens auch Entwicklungen, die erst in 5 Jahren stattfinden. Außerdem bringen die Erwägungen des BAG keine Erkenntnisse zu der hier vorrangig zu untersuchenden Frage, ob es für die Beachtung freier Arbeitsplätze ebenfalls eine Zeitspanne gibt, wenn die Weiterbeschäftigung nach Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen erfolgen soll. Die einzige Aussage, die den Ausführungen entnommen werden kann ist, daß der zeitliche Anknüpfungspunkt für die bloße Um- oder Versetzung der Arbeitnehmer von dem für Bildungsrnaßnahmen gern. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu trennen ist, da der Erst-Recht-Schluß sonst zu einem Zirkelschluß führt. a) Verzicht auf zeitliche Begrenzung bei freiem Arbeitsplatz nach zumutbarer Fortbildung und Umschulung Bei einer zumutbaren Fortbildung und Umschulung ist es nicht nur nicht nötig, allein auf solche Arbeitsplätze zu verweisen, die zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden, sondern zum Teil auch nicht angebracht. Denn geht die Weiterbildungsmaßnahme über die Kündigungsfrist hinaus, entstehen dem Arbeitgeber zusätzliche Kosten durch Freihalten des Arbeitsplatzes bzw. Einsetzten einer Ersatzkraft, die sich vermeiden lassen, wenn die Weiterbildung beginnt, bevor der Arbeitsplatz überhaupt frei wird. Aus wirtschaftlicher Sicht kann es gerade sinnvoll sein, eine Weiterbildungsmaßnahme von einem Jahr für einen Arbeitsplatz vorzunehmen, der erst in einem Jahr frei wird. Wegen dieser vielgestaltigen Möglichkeiten, eine Fortbildung und Umschulung zu gestalten und dem Willen, die dabei entstehenden Kosten möglichst gering zu halten, darf die Suche nach einem freien Arbeitsplatz nicht auf den Ablauf der Kündigungsfrist oder sich unmittelbar danach ergebende freie Stellen beschränkt werden. Es sollte gar nicht erst versucht werden, einen Zeitraum festzulegen, in welchem die frei werdenden Arbeitsplätze beachtet werden müssen. Vielmehr sollte dem Arbeitgeber in anderer Hinsicht ein mit mehr Sicherheit verbundenes Kriterium an die Hand gegeben werden. Bei Absehen von einer konkreten zeitlichen Beschränkung bleibt nur die Kenntnis vom Freiwerden eines Arbeitsplatzes. Dann müßte der Arbeitgeber jeden frei werdenden Arbeitsplatz berücksichtigen, der ihm zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung bekannt ist oder bekannt sein müßte. Wie lange sich dieser Zeitraum gestaltet, ist zunächst unbeachtlich. Ist er zu lang, scheitert die Maßnahme an der nächsten Prüfungsstufe, der Zumutbarkeit. Kündigung Nr. 77, S. 13 ff. (17 f); Löwisch, § 1 KSchG Rn. 251; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 635. HK-Weller/Domdorf, § 1 KSchG Rn. 905. Eine so weite Ausdehnung ablehnend: Schiefer, NZA 1995,662 ff. (665). 186 Ebenso kritisch: Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 10 Rn. 35; Oetker, SAE 1995, 123 ff. (125).
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Für die alleinige Abhängigkeit des Zeitraumes für einen freien Arbeitsplatz von dem Ende der Qualifizierung spricht auch der Gesetzeswortlaut, in dem es heißt: "Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen [ ... ]187" möglich ist. 188 Hinzu kommt, daß auch bisher für die Fallgestaltungen der zumutbaren Fortbildung und Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG allein auf das Ende der Weiterbildungsmaßnahme abgestellt wird, auch wenn es nicht ausdrücklich so gesagt wird. 189 Die Erörterungen im "Laborantinnenfall,,190 verdeutlichen das: Die Laborfacharbeiterin begehrte eine zumutbare Umschulung zur Büroassistentin. Das LAG Frankfurt a.M. gestand ihr diesen Anspruch ZU. 191 Obwohl für das BAG eine Umschulung der Klägerin an der Frage des freien Arbeitsplatzes scheiterte l92 , war nicht problematisch, daß eine freie Stelle eventuell erst in zwei Jahren vorlag, sondern, daß eine freie Stelle nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit reichte nicht. 193 Das BAG verzichtete somit bei der Prüfung auf die zeitliche Komponente. Diese richtigen Erwägungen machen deutlich, warum eine zeitliche Begrenzung bei frei werdenden Arbeitsplätzen nicht nötig ist, ohne den Arbeitgeber zugleich ins Unermeßliche zu belasten. Die Korrektur erfolgt über die exakte Bestimmung eines freien bzw. frei werdenden Arbeitsplatzes. Über zwei Jahre hinweg wird ein Arbeitsplatz nur in wenigen Fällen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit frei werden, da immer die Gefahr besteht, daß der Arbeitgeber Umstrukturierungen vornimmt oder Arbeitsplätze wegfallen. Lediglich in den Fällen, in denen diese Gefahr nahezu auszuschließen ist, soll dem Arbeitgeber auch die Belastung einer Fortbildung oder Umschulung auferlegt werden. Je zeitnaher ein Arbeitsplatz frei wird, desto eher besteht die Möglichkeit, daß er auch mit der für die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit als frei angesehen wird. Liegt beispielsweise der Zeitpunkt einer Neubesetzung aufgrund der Pensionierung des derzeit dort Hervorhebungen der Verfasserin. Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2423). Der jedoch den Schluß daraus zieht, freie Arbeitsplätze seien grundSätzlich nur innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist zu beachten, maximal noch für 4 bis 6 Wochen nach Ablauf dieses Zeitraumes, S. 2423, 2425. 189 In: BAG - 2 AZR 327/94 - v. 15. 12. 1994 unter 11. 1. b) der Gründe, AP Nr. 67 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung, verweist der Senat ausdrücklich darauf, diese Entscheidung bisher offen gelassen zu haben. 190 Zudem Sachverhalt bereits § lOIII 1 a)/S. 283. BAG-2 AZR205/90-v. 7.2.1991, AP Nr. I zu § 1 KSchG Umschulung. 191 LAG Frankfurt a.M. -7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung, Nr. 7. 192 BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 193 BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 2. b) der Gründe, AP Nr. 1 zu § I KSchG Umschulung. Noch enger Löwisch, § 1 KSchG Rn. 268, dem nur die Gewißheit eines freien Arbeitsplatzes und nicht bereits hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt. 187 188
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3. Teil: Weiterbildung im bestands gefährdeten Arbeitsverhältnis
Beschäftigten erst in zwei Jahren, muß dem Arbeitgeber zugestanden werden, daß seine unternehmerische Konzeption und deren Folgen nicht schon feststehen bzw. er gerade den dann fehlenden Personalbedarf wegen geplanter Umstrukturierungen darlegt. Steht eine Pensionierung aber innerhalb der nächsten 6 - 8 Monate an und bringt der Arbeitgeber keine gegen eine Neubesetzung sprechenden Gründe hervor, könnte durch die Umschulung eines kündigungsbedrohten Arbeitnehmers dessen weitere Beschäftigung nachhaltig gesichert werden. 194 Jedenfalls ist es nicht notwendig, eine Qualifizierung wegen des relativ langen Zeitraumes von vornherein auszuschließen. Wird die Belastung als zu groß eingeschätzt, ist die Maßnahme im Rahmen der Zumutbarkeit abzulehnen. b) Ergebnis zum zeitlichen Anknüpfungspunkt für das Vorliegen des freien Arbeitsplatzes Im Gegensatz zu der Bestimmung eines freien Arbeitsplatzes für eine bloß geplante Um- oder Versetzung kann bei notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen auf einen zeitlichen Anknüpfungspunkt verzichtet werden. Solange zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung bekannt ist, daß ein zu besetzender Arbeitsplatz mit hinreichender Wahrscheinlichkeit frei wird, ist dieser in die nachfolgende Untersuchung einzubeziehen. 3. Ergebnisse zur Bestimmung eines freien Arbeitsplatzes für eine anderweitige Beschäftigung
Wird eine Fortbildung oder Umschulung durchgeführt, so hat dies häufig eine Änderung der Arbeitsbedingungen zur Folge. Dabei kann zum einen der Arbeitsplatz den neuen Erfordernissen angepaßt werden, oder der Arbeitnehmer wird an einen anderen Arbeitsplatz versetzt. Die Möglichkeit dazu ergibt sich aus § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG. Auf einem derart neu zu besetzenden Arbeitsplatz darf kein Arbeitnehmer des Betriebes beschäftigt sein. Dabei sind solche Arbeitsplätze als frei anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind oder die bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei werden. 195 Die Kenntnis des Freiwerdens ist dem Kennenmüssen gleichzustellen. Werden Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen in Betracht gezogen, sind auch Arbeitsplätze einzubeziehen, die erst nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden. Auf einen zeitlichen Anknüpfungspunkt kann in dieser Fallgestaltung verzichtet werden. Maßgeblich ist lediglich, daß der Arbeitsplatz mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Ende der Bildungsmaßnahme frei wird. Preis, HAS, § 19 F, Rn. 99. Werden Arbeitsplätze erst nach Ausspruch der Kündigung frei, handelt es sich um die Problematik der Wiedereinstellungsansprüche, dazu zuletzt: BAG - 7 AZR 904/98 v. 28. 6. 2000, AP Nr. 6 zu § I KSchG Wiedereinstellung. 194
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Die Suche nach einem freien Arbeitsplatz muß sich nur auf solche Arbeitsplätze beziehen, die sich auf gleicher oder niedrigerer betriebshierarchischer Ebene befinden und zur Erreichung des mit der Kündigung angestrebten Zwecks grundsätzlich geeignet sind. Die Frage, ob bestimmte freie Arbeitsplätze anzubieten sind oder nicht, läßt sich nicht durch das Merkmal der Zumutbarkeit eingrenzen. Mangelnde Fähigkeiten der Arbeitnehmer können wegen der Möglichkeit einer Fortbildung und Umschulung auf die Eignung keinen Einfluß haben. Anderes ergibt sich lediglich, wenn der Arbeitnehmer schon wegen seiner körperlichen Voraussetzungen für den betreffenden Arbeitsplatz ungeeignet ist.
V. Zumutbarkeit von Fortbildung und Umschulung Ist das Vorliegen einer kündigungsrelevanten Lage festgestellt und gibt es im Unternehmen freie Arbeitsplätze, die der betreffende Arbeitnehmer nach Erweiterung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten besetzen könnte oder ist eine Weiterbeschäftigung auf dem ursprünglichen Arbeitsplatz bei Erweiterung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitnehmers möglich, muß untersucht werden, ob eine Fortbildung oder Umschulung im konkreten Fall zumutbar ist. Das Besondere an § I Abs. 2 S. 3 I. HS KSchG ist, daß es der einzige Sozialwidrigkeitsgrund ist, der durch Zumutbarkeitserwägungen begrenzt wird. Zumutbarkeit entspricht der Angemessenheit einer Maßnahme, also der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, so daß eine Abwägung der Interessen des Arbeitgebers mit denen des Arbeitnehmers durchzuführen ist. 196 Die folgende Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Zunächst soll näher erörtert werden, wer eigentlich die Kosten einer Weiterbildung nach § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu tragen hat (unter 1.). Daran anschließend ist zu untersuchen, ob sich der Begriff der Zumutbarkeit auf den Arbeitnehmer oder den Arbeitgeber bezieht, oder ob es auf die Zumutbarkeit sowohl für den einen als auch für den anderen ankommt. Sollte letzteres der Fall sein, muß Zumutbarkeit in zwei unterschiedlichen Prüfungen festgestellt werden und kann nicht in einer gemeinsamen Abwägung ermittelt werden. Daher ist zunächst auf die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer (unter 2.) und daran anschließend die für den Arbeitgeber (unter 3.) näher einzugehen.
1. Grundsätzliche Kostentragung der Umschulungs- und Fonbildungsmaßnahmen gemäß § 1 Abs. 2 S. 31. HS KSchG Die hauptsächlichen Kosten entstehen bei einer Weiterbildung durch die Entgeltfortzahlung während der Qualifizierung sowie die Kosten der Maßnahme 196
Preis, Prinzipien, S. 304.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
selbst. 197 Zu klären ist, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer die Kosten für die Weiterbildung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu tragen hat oder ob sich beide die Kosten teilen. Aus dem Gesetz selbst geht erstaunlicher Weise keine eindeutige Zuordnung der Kostentragung hervor. Die im einzelnen vertretenen Meinungen dazu sind sehr verschieden, und höchstrichterliche Grundsätze gibt es bisher nicht. 198
Schlochauer 199 und K. Dörne?OO gehen davon aus, daß den Arbeitgeber eine Vergütungspflicht für die Lernenden nur trifft, wenn es sich um eine innerbetriebliche Maßnahme handelt. Kraft ist dagegen der Ansicht, die Entgeltfortzahlung sei allein davon abhängig, ob der Arbeitnehmer nebenher die Arbeitsleistung noch erbringen könne. 201 Die überwiegende Anzahl derjenigen, die sich mit dem Verständnis des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG beschäftigen, äußert sich nicht oder nur sehr ungenau zur Problematik der Kostentragung?02 In der Literatur wird meines Erachtens überwiegend von einer umfassenden Übernahme seitens des Arbeitgebers ausgegangen. Diese Annahme wird durch die Art und Weise gestützt, in der die Diskussion um die Bestimmung der zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen geführt wird?03 Auch die Autoren, die sich zur Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln äußern und Stellung zur Frage der Kostentragung beziehen, gehen vornehmlich von der Auferlegung der Kostenlast auf den Arbeitgeber aus. 204 Eine zu den anderen Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes umgekehrte Lastenverteilung müßte deutlich gemacht werden, wenn sie gewollt wäre. Es ist nicht vorstellbar, daß als milderes Mittel zur Kündigung der Arbeitnehmer grundsätzlich die Kosten einer möglichen Weiterbildung zu tragen hat. Dann müßte auch Zu der Kostenentstehung bei der Weiterbildung vgl. 1. Teil § 2 GIS. 47 f. Ganz im Gegenteil, daß BAG betonte in seiner Entscheidung v. 16.3. 1994 ausdrücklich, daß bisher in der Rechtsprechung nicht geklärt ist "ob und inwieweit der Arbeitgeber die Kosten zu tragen hat.", BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16.3. 1994 unter A. 11. 1. b) ee) der Gründe, AP Nr. 18 Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Wiedemann. 199 H/S/G, § 102 BetrVG Rn. 130. 200 APS, § 1 KSchG Rn. 108, genaugenommen differenziert Dömer nicht zwischen Maßnahrnekosten und Entge1tfortzahlungskosten, seine Erwägungen müssen sich daher auf beide Kostenarten beziehen und beinhalten damit auch das Entgelt. 201 GK, § 102 BetrVG Rn. 123. 202 Vgl. die Literatur unter § 10 A V 3 a) bb) I S. 321 ff. 203 Vgl. die Literatur unter bb)/S. 321 ff., bei der gerade bezüglich der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Arbeitgeber nur ausnahmsweise auf eine Mitfinanzierung verwiesen wurde. Diese stellt ein Kriterium unter vielen dar, als Regelfall ist die Mitfinanzierung nicht erwähnt. Vgl. auch Hanau, BB 1971,485 ff. (489). Vgl. außerdem die Diskussion zur Zu mutbarkeit für den Arbeitnehmer unter § 10 A V 2 I S. 311 ff. 204 MünchArbRINatzel § 178 Rn. 391 mit 395 f., geht davon aus, daß der Arbeitgeber grundsätzlich nur die Maßnahme, nicht aber die Vergütung währenddessen zahlt. Wohl für eine Übernahme der gesamten Kosten durch den Arbeitgeber: Fauth, DB 1965, 1478 ff. (1481 f.); HanaulStoffels, S. 24 f; KüttnerlReinecke, Rückzahlungsklausel, Rn. 5; Schaub, § 176 II 21 Rn. 6; dagegen: Hoffmann, AuA 1996, 194 ff. (195). 197
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eine deutlichere Abstufung im Kündigungsschutzgesetz bezüglich der anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit mit und ohne Qualifizierungsnotwendigkeit gegeben sein. Anderenfalls könnte sich der Arbeitgeber unliebsamer Arbeitnehmer dadurch entledigen, daß er ihnen nur die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit anbietet, die mit einer Qualifizierung in Verbindung steht und er auf eine kostenbedingte, freiwillige Absage vertraut. Das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit würde für den Arbeitgeber keine große Bedeutung entfalten, trüge der Arbeitnehmer selbst deren Kosten; Qualifizierungsmaßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG dürften dann kaum noch an der Zumutbarkeit des Arbeitgebers scheitem. 205 Im Gegensatz dazu müßte die Zumutbarkeit einer Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahme für den Arbeitnehmer einen deutlich höheren Stellenwert als allgemein angenommen haben, wenn das Entgelt während der Qualifizierung nicht oder sehr gekürzt gezahlt würde. Eine längere Bildungsmaßnahme wäre dann wahrscheinlich dem Arbeitnehmer unzumutbar, bevor der Arbeitgeber sich diese Frage überhaupt stellen müßte. Als Grundprämisse der nachfolgenden Untersuchung ist daher davon auszugehen, daß der Arbeitgeber grundsätzlich alle entstehenden Kosten für eine Bildungsmaßnahme nach § 1 Abs. 2 S. 3 I. HS KSchG zu tragen hat. Ob im Einzelfall durch Vereinbarung geringerer Bezüge während der Qualifizierung die Kosten gesenkt und damit die Zumutbarkeit in eine andere Richtung erweitert werden kann, ist eine andere Frage und an späterer Stelle zu klären206 , wenn generell der Frage nachgegangen wird, ob bzw. wie sich Mitfinanzierungen des Arbeitnehmers oder Dritter auf die Zumutbarkeit gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG auswirken können.
2. Zumutbarkeit der Fortbildung und Umschulung für den Arbeitnehmer
In der Literatur wird überwiegend die Ansicht vertreten, daß es auf die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer nicht ankommt. Der Arbeitnehmer kann entweder mit einer Qualifizierung einverstanden sein, dann müsse noch die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber geprüft werden, oder er ist nicht einverstanden, dann sei eine Weiterbildung auszuschließen, weil dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden könne, in die Qualifizierung eines Unwilligen zu investieren. 207 Meines Erachtens ist es bereits ungenau, bei fehlender Zustimmung des Arbeitnehmers von "Unzumutbarkeit" für den Arbeitgeber zu sprechen, denn bietet er dem Arbeitnehmer eine Maßnahme an, hatte er sie vorher bereits als für ihn zumutbar eingeschätzt. Diese Einschätzung kann nicht durch den fehlenden TeilnahmeZur Zumutbarkeit des Arbeitgebers im Einzelnen unter § 10 A V 3/ S. 316 ff. Dazu unten § 10 A V 3 b)ee) / S. 349 ff. 207 Galperin/Löwisch, § 102 KSchG Rn. 71; GK-KraJt, § 102 BetrVG Rn. 121; von Hoyningen-Huene, § I KSchG Rn. 539. 205
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
willen des Arbeitnehmers wieder rückgängig gemacht werden. Vielmehr fehlt es in diesem Fall lediglich an der Notwendigkeit der Durchführung, weil ein Arbeitnehmer, der sein Einverständnis mit einer Weiterbildung versagt, sich später nicht auf einen Verstoß gegen die soziale Rechtfertigung aufgrund des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG berufen kann. a) Einverständnis des Arbeitnehmers als Ersatz für die Zumutbarkeit Folgt man der Ansicht, daß es auch auf die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer ankommt, wäre eine Kündigung nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG schon dann sozial gerechtfertigt, wenn die einzig in Betracht zu ziehende Maßnahme für einen, also entweder für den Arbeitgeber oder für den Arbeitnehmer, unzumutbar wäre. Bestehen mehrere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, muß der Arbeitgeber dann nach einer Weiterbeschäftigung suchen, die auch in Verbindung mit einer Qualifizierungsmaßnahme sowohl ihm als auch dem Arbeitnehmer zumutbar ist. Es reicht nicht, wenn der Arbeitgeber lediglich eine nach billigen Ermessen sowie in Übereinstimmung mit Treu und Glauben gern. §§ 315,242 BGB ausgesuchte Maßnahme anbietet 208 , sondern es muß sich stets auch um eine dem Arbeitnehmer zumutbare handeln. Gerade bei Vorliegen mehrerer Möglichkeiten der anderweitigen Beschäftigung und der dieser vorangehenden Qualifizierung kann daher der Unterschied bedeutend sein, ob dem Arbeitnehmer die Umschulung oder Fortbildung tatsächlich nicht zuzumuten war, oder ob er lediglich aus anderen Gründen nicht an ihr teilnehmen wollte und deshalb sein Einverständnis versagt. Die voranstehenden Erwägungen zeigen, daß das Einverständnis mit einer Qualifizierungsmaßnahme nicht ohne weiteres die Abwägung für eine Zumutbarkeit i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG ersetzen kann?09 Vielmehr ist der Zusammenhang dieser bei den Begriffe genauer zu untersuchen. Eine Maßnahme, für die der Arbeitnehmer sein Einverständnis erklärt, wird immer als für ihn zumutbar anzusehen sein, selbst wenn dies nach einer objektiven 208 Kiell Koch, Rn. 263. Demgegenüber geht APS / Preis, Grundlagen H, Rn. 71 davon aus, daß das absolut mildeste Mittel zu wählen ist, und damit nur eine Möglichkeit bleiben könne. Jedoch wird bei mehreren Möglichkeiten die für den Betroffenen mildeste von zu vielen subjektive Gesichtspunkte bestimmt, die der Arbeitgeber häufig schon mangels Kenntnis nicht beachten kann. Die Ausübung des billigen Ermessens muß hier ausreichen. 209 So aber der überwiegende Teil derer, die sich überhaupt mit der Frage der Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer auseinandersetzen, vgl. Galperin / Löwisch, § 102 KSchG Rn. 71; GK-KraJt, § 102 BetrVG Rn. 121; von Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 539. Eine getrennte Betrachtung verfolgen aber beispielsweise Stege/Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 143b ff. Ausdrücklich gegen die Prüfung der Zumutbarkeit auf Seiten des Arbeitgebers: Herschell Löwisch, § I KSchG Rn. 188.
§ 10 Vorgaben der Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
313
Prüfung zu verneinen wäre. Umgekehrt muß aber nicht jedes fehlende Einverständnis des Arbeitnehmers zugleich bedeuten, daß es sich um eine für ihn unzumutbare Qualifizierungsmaßnahme handelt. Das Einverständnis kann zum einen an objektiv unzumutbaren Gesichtspunkten scheitern. Es können aber auch rein subjektive Vorstellungen des Arbeitnehmers ausschlaggebend sein. Nur wenn es sich bei der dem Arbeitnehmer angebotenen Qualifizierung um eine diesem objektiv zumutbare Maßnahme handelt, ist der Arbeitgeber seiner aus dem Bestandsschutz folgenden und im Kündigungsschutzgesetz konkretisierten Pflicht nachgekommen. Ob eine Maßnahme dem Arbeitnehmer zumutbar gewesen wäre, ist anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. b) Kriterien zur Bestimmung der Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer Bei der Bestimmung der Kriterien für die Zumutbarkeit einer Weiterbildung für den Arbeitnehmer ist die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers zu beachten. Genauso wie die Frage der Umstrukturierung, Stillegung oder Ausgliederung von Betrieben oder Betriebsteilen des Unternehmens eine freie unternehmerische Entscheidung darstellt 2 !O, deren Auswirkungen nur vom Kündigungsschutzgesetz abgemildert werden, kann dem Arbeitgeber die Pflicht zur Weiterbeschäftigung, nicht aber deren Durchführung im einzelnen aufgegeben werden. Der vom Kündigungsschutzgesetz vorgegebene Kontrahierungszwang bezieht sich daher lediglich auf eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung, ohne aber eine Rangfolge der zu beachtenden Arbeitsplätze vorzugeben. Damit verbleibt dem Arbeitgeber trotz Vorgabe des Ob der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes, das Wie im Rahmen der dem Arbeitnehmer zumutbarer Qualifizierungserwägungen überlassen. 211 Die Unzumutbarkeit einer Maßnahme kann sich für den Arbeitgeber folglich nicht daraus ergeben, daß er nicht die für den Arbeitnehmer beste Möglichkeit ausgesucht hat. Zur besseren Verdeutlichung und Feststellung der die Zumutbarkeit ausmachenden Kriterien soll folgendes Beispiel dienen: Beispiel II Der Großmarkt M will seinen Verwaltungskörper reduzieren. Dem 45-jährigen Arbeitnehmer A bietet der Arbeitgeber eine Umschulung zum Fachverkäufer für Elektrogeräte an, da in der entsprechenden Abteilung in zwei Monaten zwei Arbeitnehmer in den Ruhestand 210 BAG - 2 AZR 155/77 - v. 7. 12. 1978 unter 11. 1. der Gründe, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. Reuter; - 2 AZR 200/96 - v. 26. 9. 1996 unter 11. 2. a) bis c) der Gründe, AP Nr. 80 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 211 Die Frage, ob der Arbeitgeber bei der Suche nach anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten eine Reihenfolge von anzubietenden Arbeitsplätzen bzw. Qualifizierungen zu beachten hat, ist noch weitgehend ungeklärt. Bei dazu anzustellenden Überlegungen sollte aber in jedem Fall beachtet werden, daß § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG (dazu unter § 10 A IV I b)/S. 298 ff.) im Gegensatz zu § lAbs. 2 S. 3 I.HS KSchG gerade keinen Verweis auf die Zumutbarkeit einer Maßnahme enthält.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
gehen. Außerdem sind sonst nur noch Frau B und Frau C in der Abteilung, und viele männliche Kunden lassen sich lieber von Männem beraten. A möchte aber in den Gartenmarkt, in welchem auch ein Arbeitsplatz frei wird. A lehnt deshalb die ihm vom Arbeitgeber angebotene Umschulung ab, macht aber im Kündigungsschutzprozeß die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Gartenmarkt geltend.
Durch das Angebot der Umschulung für die Elektroabteilung könnte der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Ennöglichung einer zumutbaren Umschulung und Fortbildung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG nachgekommen sein. Etwas anderes ergäbe sich lediglich, wenn dem A eine ihm unzumutbare Fortbildung und Umschulung angeboten worden wäre. Spezielle Neigungen und Interessen des Arbeitnehmers - wie durch A in Beispiel 11 geltend gemacht - können auf die Zumutbarkeit und damit Geeignetheit der Maßnahme als milderes Mittel gegenüber der Kündigung keinen Einfluß haben. Vielmehr ist auf objektive Kriterien abzustellen. Ein objektives Kriterium könnten fehlende körperliche und geistige Fähigkeiten des Arbeitnehmers zur Qualifizierung sein. 212 Dem von Schlochauer angeführten alleinigen Verweis auf den Ausbildungsstand213 kann dabei jedoch nicht gefolgt werden. Handelt es sich nicht um eine grundsätzliche intellektuelle Qualifizierungsunfähigkeit, kann der niedrigere Ausbildungsstand keine Unzumutbarkeit begründen. Die Frage, ob eine Überbrückung von einem niedrigeren zu einem höheren Ausbildungsstand möglich erscheint, betrifft wegen der dann längeren Dauer und höheren Kostenintensität in erster Linie den Arbeitgeber und nicht den Arbeitnehmer. Handelt es sich um eine Umschulung auf eine - soweit man das überhaupt sagen kann - niedrigere Ebene, ist die Umschulung dem Betreffenden intellektuell wohl immer zuzumuten. Scheitern kann die Zumutbarkeit aber beispielsweise an altersabhängigen Problemen. 214 Nicht jedem über 55-jährigen sind Qualifizierungen jeder Art noch zuzumuten. Dies ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig, unter anderem von der Zusammensetzung einer Lerngruppe, da ein 55-jähriger nicht Kurse mit 25-jährigen besuchen muß, die in ihrer assoziativen Gedächnisleistung, also der Aufnahme- und sofortigen Reproduktionsfähigkeit häufig schneller und flexibler sind215 . Psychologische Probleme können aber auch bei dem Erlernen des Umganges mit neuen Medien auftreten. Ebenfalls kritisch zu betrachten wären langwierige Bildungsrnaßnahmen für beispielsweise 50-jährige Arbeitnehmer, die ca. 30 Jahre nach ihrem Schul- bzw. Ausbildungsabschluß nicht mehr die Energie für lange Konzentrationsphasen aufbringen können und wollen. Natürlich hängt das wiederum zusätzlich von der bisher ausgeübten Tätigkeit und dem Bil212 H/S/G-Schlochauer, § 102 BetrVG Rn. 127; Stege/Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 144. 213 HI S I G, § 102 BetrVG Rn. 127; ihr folgend Stege /Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 144. 214 H/S/G-Schlochauer, § 102 BetrVG Rn. 127; Stege I Weinspach, § 102 BetrVG Rn. 144. 215 Zum unterschiedlichen Lemverhalten älterer und jüngerer Arbeitnehmer, vgl. Thomael Lehr, Leistungsfähigkeit, S. 25 f. Vgl. auch § 7 C I 2 a)l S. 254 Cf.
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dungsstand des betreffenden Arbeitnehmers ab. Jedoch werden kürzere und praxisorientiertere Qualifizierungen, die auch die im Laufe der Berufsjahre gesammelten wertvollen Erfahrungen älterer Arbeitnehmer besser berücksichtigen, eher zumutbar sein. Keinen der angeführten Gründe kann Herr A aus Beispiel 11 für sich in Anspruch nehmen. Ihm wurde also eine ihm objektiv zumutbare Umschulung angeboten und die Kündigung nach Ablehnung der Umschulung ist somit sozial gerechtfertigt. c) Ergebnis zur Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer Abschließend bleibt festzuhalten, daß die Zumutbarkeit einer Umschulungsoder Fortbildungsmaßnahme auch für den Arbeitnehmer zu prüfen ist. Die Prüfung bezieht sich hierbei allein darauf, ob die gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG durchzuführende Qualifizierungsmaßnahme dem Arbeitnehmer objektiv zuzumuten ist oder ob gerade in bezug auf die Lernfahigkeit anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse dagegen sprechen. Die Betrachtung der Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer wird im Unterschied zu dem "bloßen" Angebot einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit notwendig, weil eine Qualifizierung eine Beeinflussung der Psyche des Arbeitnehmers bedeutet, die zu den Veränderungen bei einer Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz hinzukommt und über sie hinausgeht. Der Arbeitnehmer wird mit dem Erlernen einer anderen beruflichen Tätigkeit konfrontiert oder muß sich meist gerade im fortgeschrittenen Alter - noch mit moderner Technik auseinandersetzen. Ließe sich das durch Zuweisen eines anderen Arbeitsplatzes ohne die Qualifizierungsnotwendigkeit bzw. durch Durchführung einer dem Arbeitnehmer objektiv zumutbaren Weiterbildung vermeiden, ist dem nachzukommen. Dem Arbeitnehmer bei objektiv begründeter Ablehnung ein weiteres Angebot zu verweigern, wäre unbillig. Jedoch bleibt es dem Arbeitnehmer überlassen, auch bei objektiver Unmöglichkeit sein Einverständnis zu erklären und somit die Zumutbarkeit durch Zustimmung herbeizuführen. Es bleibt jedoch festzustellen, daß die Unzumutbarkeit einer Qualifizierung für den Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen gegeben sein wird. Für die Bestimmung der Zumutbarkeit sind objektive Kriterien wie das Lebensalter sowie der körperliche und geistige Zustand zu beachten. Wird dem Arbeitnehmer eine in diesem Sinne unzumutbare Maßnahme angeboten, kann deren Ablehnung eine anschließende Kündigung dann nicht sozial rechtfertigen, wenn es andere Weiterbeschäftigungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten gäbe, die sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer zumutbar sind.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
3. Zumutbarkeit der Fortbildung und Umschulung für den Arbeitgeber
Weitaus größere Bedeutung für die Durchführung einer Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme als die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer hat die Frage der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber. Der Gesetzgeber hat die Verpflichtung zur Durchführung von Umschulungsund Fortbildungsmaßnahmen auf zumutbare begrenzt. Das grundsätzlich mildere Mittel gegenüber der Kündigung ist damit auf seine Angemessenheit im Einzelfall zu überprüfen. Dies paßt nicht in das System der Sozialwidrigkeitsgründe gern. § lAbs. 2, 3 KSchG, bei denen ansonsten grundsätzlich keine Interessenabwägung durchzuführen iSt. 216 Preis hat sich mit dem möglichen Inhalt des Zumutbarkeitsbegriffs näher beschäftigt. Er kommt zu dem Schluß, daß es sich dabei nur um eine Interessenabwägung handeln kann, die die Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen unter Würdigung der gesamten Vertragsbeziehung und dem konkreten Kündigungssachverhalt beurteilt. 217 Die Zumutbarkeit soll die dem Arbeitgeber auferlegten zusätzlichen Pflichten relativieren und einen angemessenen Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewährleisten?18 Gestützt wird dieses Ergebnis durch eine vor Hereinnahme des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG in das Kündigungsschutzgesetz ergangene Entscheidung des BAG?19 Darin wurde die Kündigung eines Piloten als sozial ungerechtfertigt angesehen, weil der Arbeitgeber eine ihm mögliche Umschulung auf einen anderen Flugzeugtyp unterlassen hatte?20 Die Feststellung der möglichen Umschulung erfolgte nach einer Interessenabwägung, die sich auf die vertraglichen und betrieblichen Besonderheiten bezog. 221 Hätte sich der Gesetzgeber bei Hinzufügen der § 102 Abs. 3 Nr. 3-5 BetrVG und der dem entsprechenden § 1 Abs. 2 S. 2, 3 KSchG von der damals bestehenden Rechtsprechung abgrenzen wollen, hätte er das deutlich machen müssen?22 Für jede Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme ist also zu prüfen, ob sie dem Arbeitgeber zumutbar ist, also ein angemessenes milderes Mittel gegenüber BittnerlKiel, RdA 1994,333 ff. (339 f.); Preis, Prinzipien, S. 164 f. Preis, Prinzipien, S. 166 ff. 218 Preis, Prinzipien, S. 304. 219 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5.1968, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1951 mit Anm. A. Hueck. Mit Verweis auf diese Entscheidung in bezug auf die Regelung in § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG: BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. b) der Gründe, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung (allerdings bezogen auf die Bedeutung des Begriffes der Umschulung); Preis, Prinzipien, S. 167 f. 220 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5.1968, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1951 mit Anm. A. Hueck. 221 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1951 mit Anm. A. Hueck. 222 Preis, Prinzipien, S. 168. 216
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einer Kündigung darstellt. Das führt letztlich dazu, daß die Zumutbarkeit jeder Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme am Einzelfall entschieden wird. Es kann aber versucht werden, dem Arbeitgeber bei seiner Entscheidung für oder gegen ein Angebot auf eine Qualifizierung bzw. im Fall der Kündigungsschutzklage dem Richter, einen Leitfaden an die Hand zu geben, der die zu beachtenden Kriterien, deren Beziehung zueinander und deren Gewichtung aufzeigt. Im folgenden ist daher zunächst zu untersuchen, an welchen Kriterien die Zumutbarkeit zu messen sein könnte (unter a». Dafür sind zunächst die bestehenden Aussagen in der Rechtsprechung (unter aa» und Literatur (unter bb» zu nennen, bevor unter b) eine kritische Stellungnahme erfolgt. Im Rahmen dieser Stellungnahme sind zunächst die die wirtschaftliche und betriebliche Belastung des Arbeitgebers hervorrufenden Merkmale einer Weiterbildungsmaßnahme aufzuzeigen (unter ce». Dem werden danach die den Bestandsschutz des Arbeitnehmers ausmachenden Kriterien gegenübergestellt (unter dd) und ee», bevor abschließend der Frage nachgegangen wird, ob bzw. wie der Arbeitnehmer oder Dritte durch mit der Maßnahme nicht unmittelbar zusammenhängenden Faktoren Einfluß auf die Zumutbarkeit nehmen können (unter ff). a) Kriterien für eine zumutbare Fortbildung und Umschulung in Rechtsprechung und Literatur aa) Zumutbarkeitskriterien in der Rechtsprechung des BAG
Entscheidungen, die sich mit zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen beschäftigen, sind gerade in Anbetracht der unzähligen Entscheidungen zum Kündigungsschutzrecht erstaunlich selten. Nachfolgend wird die Entwicklung der Rechtsprechung zu dieser Thematik nachgezeichnet. (I) Rechtsprechungsübersicht Das BAG hat erstmals am 7.5. 1968 die Ein- oder Umschulung eines flugkapitäns ausdrücklich als Grund für eine ungerechtfertigte Kündigung angeführt. Dabei stellte es mangels gesetzlicher Pflicht noch auf die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ab, die ihm gebiete, alles Zumutbare zu tun, um die Kündigung zu vermeiden?23 Die Ein- bzw. Umschulungspflicht sollte sich zwangsläufig aus dem betrieblichen Geschehensablauf ergeben. Als mögliche Begrenzung der Umschulungspflicht wurde das Alter des Piloten angeführt?24 223 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § I KSchG 1951 Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. Hersehe!. 224 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 4. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1951 Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. Hersehe!.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
In der Entscheidung vom 29. 7. 1976 mußte sich das BAG zu der Frage äußern, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt war, weil einem Orchestermusiker nicht im ausreichenden Maße die Möglichkeit zum Umlernen von einem Kontrabaß auf eine Elektro-Bass-Gitarre gegeben wurde?25 Dabei machte der Musiker geltend, daß ihm zwar zwei Jahre vor Kündigung das Erlernen der Elektro-Bass-Gitarre vom Arbeitgeber nahe gelegt wurde, er aber in dieser Zeit, vor allem wegen der weiterhin bestehenden Verpflichtungen im Orchester, nicht ausreichend üben konnte. Zur für die weitere Beschäftigung zufriedenstelIenden Ausführung wäre ein einjähriges Aussetzen und Studium an der Musikhochschule notwendig gewesen. 226 Das BAG bejahte grundsätzlich eine dem Arbeitgeber obliegende Qualifikationspflicht und nannte als abwägungsrelevante Gesichtspunkte den Aufwand für die Umschulung und die Erfolgsaussichten, ohne jedoch diese Punkte weiter auszuführen. 227 Das LAG Frankfurt a.M. hat sich intensiver mit einer Abwägung der Interessen der Arbeitgeberin in der Entscheidung am 12. 12. 1989 auseinandergesetzt. In der Vorinstanz des "Laborantinnenfalls..228 bejahte das Gericht eine zumutbare Umschulungsmaßnahme für eine seit 17,5 Jahren in dem Unternehmen beschäftigte Laborfacharbeiterin zur Büroassistentin?29 Als Kriterien zog das LAG Frankfurt a.M. unter anderem die in der Entscheidung des BAG vom 29. 7. 1976 benannten heran, führte sie näher aus und erweiterte sie. Arbeitnehmerbezogene Kriterien sollten das Alter des Arbeitnehmers, sein Bildungsgrad und die Betriebszugehörigkeit sein. Betriebsbezogenen Charakter hätten die Größe und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebes. 23o Daneben fiel ins Gewicht, daß sich die betreffende Arbeitnehmerin die zur Berufsunfähigkeit führende Allergie im Rahmen ihrer langjährigen Tatigkeit im Labor des Betriebes zugezogen hatte.23\ Die Erwiderung der Arbeitgeberin, schon durch Hinnahme der langwierigen Krankheitszeiten der Beklagten zwischen 1980 und 1987 habe sie das ihr Zumutbare getan, wurden nicht gehört, da solche Ausfallzeiten noch als normal anzusehen seien. 232 Mit dieser Begründung wird freilich deutlich gemacht, daß eine Beachtung der Krankheitszeiten grundsätzlich möglich ist. Gegen die Zumutbarkeit einer Umschulung soll ebenfalls nicht sprechen, daß es sich eigentlich um einen Ausbildungsberuf handelt und die anderen Teilnehmer daher deutlich jünger sind. 233 In - 3 AZR 11/75 -, AP Nr. 1 zu § 373 ZPO. BAG - 3 AZR 11/75 - v. 29. 7.1976 Sachverhalt, AP Nr. 1 zu § 373 ZPO. 227 BAG - 3 AZR 11/75 - v. 29. 7. 1976 unter 2. a) der Gründe, AP Nr. 1 zu § 373 ZPO. 228 Vgl. zum Sachverhalt auch schon unter § 10 III 1 a) / S. 283. 229 - 7 Sa 521/89 -, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 230 LAG Frankfurt - 7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. a) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 231 LAG Frankfurt -7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. b) ee) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 232 LAG Frankfurt - 7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. c) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 225
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In der dazu ergangenen Revisionsentscheidung lehnte das BAG am 7. 2. 1991 eine Verpflichtung zur Umschulung ab?34 Die Weiterbeschäftigung scheiterte jedoch nicht an der Zumutbarkeit der Maßnahme, sondern bereits am Vorliegen eines mit hinreichender Wahrscheinlichkeit freien Arbeitsplatzes. Obwohl der Senat "im Interesse der weiteren Rechtsentwicklung 23s .. Stellung zu zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zog, ging er auf Kriterien der Zumutbarkeit nicht näher ein, verwarf die vom LAG Frankfurt a.M. angeführten Gesichtspunkte aber auch nicht. Das läßt den Schluß zu, daß diese jedenfalls nicht grundsätzlich abzulehnen sind. Obwohl die Konstellation gerade dem ersten Fall zur Umschulung (eines Piloten) vom 7. 5. 1968 sehr gleicht, beschäftigt sich das BAG in seinem Urteil vom 24. 7. 1991 nur mittelbar mit der Frage einer zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG. Zu entscheiden war, ob eine zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus Anlaß einer Qualifizierung abgeschlossene Rückzahlungsklausel wirksam vereinbart wurde?36 Dies konnte daran scheitern, daß der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers - hier der Flugzeugtyp Caravelle - weggefallen war und der Arbeitgeber, wollte er keine betriebsbedingte Kündigung aussprechen, sowieso eine ihm zumutbare Umschulung vornehmen mußte. Dazu kam es in besagtem Fall nur deshalb nicht, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich im Vorfeld auf eine Umschulungsmaßnahme einigten. Die erfolgte Umschulung - die Erlangung der Flugberechtigung für die Boeing 737-300 - ermöglichte die Weiterbeschäftigung. Das BAG entschied, daß die Weiterbildung im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers erfolgte 237 , weswegen der Arbeitnehmer auch nach späterer Kündigung die vom Arbeitgeber aufgewendeten Weiterbildungskosten nicht zurückzahlen mußte. Das kann nichts anderes bedeuten, als daß der Arbeitgeber lediglich seiner gesetzlichen Pflicht nachkam, weil es sich um eine gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zumutbare Umschulungsmaßnahme gehandelt hatte. Dafür sprach auch, daß von freien Stellen für die Boeing 737-300 nach den Ausführungen des Arbeitgebers auszugehen war. Einzelne abwägungsrelevante Kriterien wurden aber kaum aufgeführt. Jedoch wurde darauf verwiesen, daß der Arbeitnehmer durch die Umschulung nicht quantitativ mehr erhielt, als er vorher schon hatte, da die für die Flugerlaubnis notwendige Musterberechtigung 233 LAG Frankfurt - 7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. e) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 234 V gl. - 2 AZR 205/90 -, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 235 BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 unter B. 11. 3. der Gründe, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung; Kritisch zu diesen weitgehenden Äußerungen ohne unmittelbaren Fallbezug: KraftlRaab, Anm. zu BAG v. 7. 2. 1991, EzA § I KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9, S. 16. 236 BAG - 5 AZR 443/90 - v. 24. 7. 1991, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe =EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit krit. Anmerkung Ahrens. 237 BAG - 5 AZR 443/90 - v. 24. 7. 1991 unter 11. 5. c), AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe.
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für die Caravelle mangels Erneuerung verfie1. 238 Dies könnte bedeuten, daß das BAG eine dem Arbeitgeber zumutbare Fortbildung oder Umschulung nicht mehr als gegeben ansieht, wenn dem Arbeitnehmer neben den notwendigen betriebsbezogenen auch zusätzliche Kenntnisse und Vorteile verschafft werden. Ebenfalls nur am Rande erwähnt die Entscheidung des BAG v. 11. 10. 1995 239
ein Kriterium für zumutbare Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. In der Entscheidung wurde eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit eines mittlerweile fluguntauglichen Lehrflugingenieurs als Projektmanager abgelehnt. Grund war das Fehlen der geeigneten Qualifikation, da die Stelle ein abgeschlossenes wirtschaftswissenschaftliches Studium veriangte. 240 Ohne die Prüfung der möglichen Umschulung im Urteil überhaupt vorzunehmen, muß das BAG angenommen haben, daß dem Arbeitgeber eine Umschulung des Elektrotechnikingenieurs unzumutbar war. Kriterium kann wegen des Abschlusses als Ingenieur aber nicht der Bildungsgrad gewesen sein, vielmehr muß wohl die Länge der Ausbildung unter Beachtung der Kosten und des Alters ausschlaggebend gewesen sein. Am 25. 5. 2000 befaßte sich das BAG mit der Weiterbeschäftigung eines Arztes, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses vom Kreiskrankenhaus auf eine ausgegliederte Krankenhaus GmbH widersprochen hatte. 241 Der Kläger machte mit dem Widerspruch geltend, er könne auch auf einer freien Stelle im Gesundheitsamt beschäftigt werden. Jedoch entsprach er dem dort vorgegebenen Anforderungsprofil eines Facharztes für öffentliches Gesundheitswesen nicht, und die Stelle wurde anderweitig besetzt?42 Mangels ausreichender Sachverhaltsaufklärung sah der Senat von umfassenden Abwägungen zu einer eventuell zumutbaren Fortbildungsmaßnahme ab, wollte jedoch berücksichtigt sehen, daß der Arbeitnehmer den Wegfall seines Arbeitsplatzes durch den Widerspruch selbst ausgelöst hat. Gleichzeitig stellte der Senat aber auch fest, daß die Zumutbarkeit einer entsprechenden Fortbildung nicht ohne weiteres abgelehnt werden könne, obwohl nach dem unwidersprochenen Vortrag der Arbeitgeberin von einer dreijährigen Umschulung ausgegangen wurde. 243
238
BAG - 5 AZR 443/90 - v. 24. 7. 1991 unter 11. 5. c), AP Nr. 16 zu
240
BAG - 7 AZR 119/95 - v. 11. 10. 1995 unter 4. der Gründe, AP Nr. 20 zu
§ 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; sehr kritisch dazu Ahrens. EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 8, S. 16 ff. 239 BAG - 7 AZR 119/95 -, AP Nr. 20 zu § 620 BGB Bedingung mit Anm. Winkler von Mohrenfeis. § 620 BGB Bedingung mit Anm. Winkler von Mohrenfels. 241 242 243
Vgl- 8 AZR 406/99 - (juris). BAG - 8 AZR 406/99 - v. 25. 5. 2000 Sachverhalt, Guris). BAG - 8 AZR 406/99 - v. 25. 5. 2000 unter IV. 3. d) der Gründe, (juris).
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(2) Zusammenfassung der Kriterien
Die Kriterien, die das BAG für die wenig strukturiert, und eine Gewichtung Zunächst rallt auf, daß Entscheidungen men bisher nur vereinzelt ergangen sind nicht entwickelt werden mußte.
einzelnen Entscheidungen anführt, sind der einzelnen Punkte ist nicht erkennbar. über zumutbare Qualifizierungsmaßnahund eine klare Linie wohl schon deshalb
Als arbeitnehmerbezogene Gesichtspunkte wurden das Alter des Arbeitnehmers, sein Bildungsgrad, die Betriebszugehörigkeit, der Kündigungsgrund, bisherige zusätzliche Aufwendungen für den Arbeitnehmer, die auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses fortbestehenden Vorteile des Arbeitnehmers sowie die generellen Erfolgsaussichten einer Weiterbildungsmaßnahme beachtet. Bezüglich des Kündigungsgrundes soll bei krankheitsbedingten Gründen die Krankheitsursache in die Interessenabwägung eingehen. Bei betriebsbedingter Kündigung scheint das BAG auch das ausgeübte Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang mit einzubeziehen. Betriebsbezogene Gesichtspunkte der Rechtsprechung sind die allgemeine betriebliche Weiterbildungspraxis, die Höhe des zusätzlich zu betreibenden Aufwands, die Größe und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Betriebes sowie die Verursachung der kündigungsrelevanten Situation.
Als maßnahmebezogen wurden vor allem die Länge und die Kosten einer Qualifizierungsmaßnahme beachtet. bb) Zumutbarkeitskriterien in der Literatur
Nachfolgend sollen anhand ausgewählter Vertreter der Literatur die Hauptströmungen des Verständnisses der Zumutbarkeit herausgearbeitet werden. Dabei handelt es sich zunächst nur um eine Darstellung der Ansichten, die Auseinandersetzung mit ihnen erfolgt schwerpunktmäßig unter b)244. Bereits an dieser Stelle werden jedoch solche Kriterien verworfen, die von vornherein ungeeignet erscheinen. (1) Literaturübersicht Noch vor Aufnahme des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG in das Kündigungsschutzgesetz befaßte sich Meisel mit Überlegungen zu Fortbildungsmaßnahmen. Er ging davon aus, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei Einführung neuer Maschinen die Möglichkeit zur Einarbeitung und zum Erlernen geben muß. Die dabei zumutbare Zeitspanne soll sich nach den Umständen des Einzelfalles richten. Als maßgeblicher Gesichtspunkt sei die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers zu beachten. 245 244
245
S. 327 ff. Meisel, BB 1963, 1058 ff. (1060).
21 Fracke
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Ebenfalls vor Aufnahme in das Kündigungsschutzgesetz stimmte A. Hueck der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Umschulung vorbehaltlos zu. Als abwägungsrelevant erachtete er die Kosten der Maßnahme, generell fehlende Eignung für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz und das Alter des betreffenden Arbeitnehmers. Außerdem seien die individuelle Vertragsgestaltung und die Üblichkeit von Veränderungen im betrieblichen Umfeld zu beachten. 246 Preis verzichtet auf einzelne Kriterien, stellt aber eine allgemeine Formel auf, wonach eine Umschulungs- bzw. Fortbildungsmaßnahme um so nachhaltiger die Weiterbeschäftigung im Unternehmen sichern muß, je stärker in die betrieblichen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitgebers eingegriffen wird. Es sei aber ausdrücklich abzulehnen, die Zumutbarkeit allein von ihrer Finanzierbarkeit abhängig zu machen?47 Ebenso dürfen erlangbare öffentliche Mittel nicht einbezogen werden?48 Maßgeblich seien aber die bisherige Beschäftigungsdauer sowie die konkrete Vertragsgestaltung. 249
Nach Krajt/Raab 250 sind für eine Umschulung sprechende und somit die Zumutbarkeit zugunsten des Arbeitnehmers beeinflussende Umstände beispielsweise eine lange Betriebszugehörigkeit und das Vorliegen einer durch die geschuldete Tätigkeit eingetretenen Berufsunfähigkeit. 251 Erstmals intensiver setzte sich Birk mit der Zumutbarkeit von Fortbildung und Umschulung auseinander. 252 Er stellt fest, daß es keinen abschließenden Katalog abwägungsrelevanter Punkte geben und die jeweilige Entscheidung bei mehreren anstehenden Kündigungen daher verschieden ausfallen kann?53 Die Umschulungsmaßnahme sei bezüglich Art und Dauer zu analysieren. Leider wirft Birk zur näheren Erläuterung vieler Gesichtspunkte lediglich Fragen auf, ohne sie zu beantworten. So fragt er, ob es sich auf eine Bewertung auswirken könne, wenn es sich um eine Umschulung in einen anerkannten Ausbildungsberuf, eine nicht formale andere Qualifikation oder lediglich eine Zusatzqualifikation handelt. Daneben könne zu beachten sein, ob die Umschulung für gleich-, höher- oder geringwer246 A. Hueck, Anm. zu § 1 KSchG Nr. 18 Betriebsbedingte Kündigung, 4. Ablehnend in der Anmerkung zu gleicher Entscheidung Hirsemann, SAE 1969,58 f. (58 f.). Eine Umschulung soll nur dann erfolgen, wenn Kern der Aufgaben und die Berufsbezeichnung gleich bleiben und der Arbeitnehmer für die Umschulung geeignet ist und die Kosten der Qualifizierung sich im vertretbaren Rahmen bewegen. Damit stimmt Hirsemann der heute geltenden Regelung des § 81 Abs. 1,2 BetrVG wohl zu, würde § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG aber ablehnen. 247 Preis, Prinzipien, S. 168. 248 Preis, Prinzipien, S. 168. 249 Preis, Prinzipien, S. 304. 250 BAG - 2 AZR 205190 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung = EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 9 mit Anm. Kraft I Raab. 251 KraftlRaab, Anm. zu BAG 7.2.1991, EzA § 1 KSchG Nr. 9 Personenbedingte Kündigung, S. 14. 252 FS für Kissel, S. 51 ff. (58 ff.). 253 Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (59).
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tigere Tätigkeiten durchzuführen ist. Die Dauer der Maßnahme könnte nach Birk an anerkannten Größen, wie der Höchstförderungsdauer nach § 47 Abs. 3 S. 2 AFG (jetzt mit kürzerer Zeitspanne § 92 Abs. 3 SGB III) zu messen sein oder aber daran, daß sie kürzer sein sollte als die Ausbildung zu einem vergleichbaren Ausbildungsberuf. Unbestimmt, aber wichtig, soll das Verhältnis zwischen Dauer und Kosten der Maßnahme sein. 254 Abwägungsrelevante arbeitnehmerbezogene Kriterien sind nach Birk die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, Fähigkeiten und Erfahrungen sowie allgemeine berufliche Fähigkeiten, wie Flexibilität, Geschicklichkeit, Organisationstalent und Anpassungsbereitschaft. Als arbeitgeberbezogene Kriterien seien Anpassungs- und Modernisierungsdruck sowie die finanzielle Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers oder des Beschäftigungsunternehmens zu berücksichtigen. Dabei seien größere Unternehmen allgemein leistungsfähiger als kleinere. 255 Als betriebsbezogene Kriterien sollen im Betrieb vorhandene Bildungseinrichtungen und die organisatorische Zumutbarkeit von Qualifizierungen zu verstehen sein. 256 Der Umfang der Zumutbarkeit wird nach Birk auch durch den Arbeitsvertrag näher bestimmt. Je enger eine Arbeitsaufgabe umschrieben ist, desto eher wird der Arbeitgeber danach für verpflichtet gehalten werden müssen, den Arbeitnehmer umzuschulen. 257 Birk selbst weist jedoch auf das dabei bestehende Gleichbehandlungsproblem hin, wenn zwei Arbeitnehmer die gleiche Tätigkeit ausüben und bei Änderungen der Arbeitsbedingungen lediglich der umgeschult wird, der einen enger umgrenzten Arbeitsvertrag besitzt. Die Ausführungen von Birk hat Gaul zum Anlaß genommen, sich näher zu den Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zu äußern. 258 Auch er verweist zunächst auf die notwendige Einzelfallentscheidung und darauf, daß die verschiedenen Gesichtspunkte jedesmal neu zu gewichten seien, weswegen er versucht, allgemeingültige Mindestregelungen aufzustellen. Die Maximaldauer einer Qualifizierungsmaßnahme soll Gaul zufolge vier bis sechs Wochen nach Ablauf der Kündigungsfrist betragen, was allerdings nicht ausschlösse, daß auch innerhalb der Kündigungsfrist abzuschließende Maßnahmen wegen erheblicher Kosten abzulehnen seien. 259 Gaul lehnt einen Einfluß der Qualität und möglicher Abschlüsse einer Weiterbildung auf die Zumutbarkeit ab?60 Wichtiges Abwägungskriterium seien die dem Arbeitgeber entstehenden Kosten, wobei Gaul sich gegen eine absolute Unterscheidung danach wendet, ob es sich um eine innerbetriebliche Maßnahme handelt, die vom Arbeitgeber zu übernehmen ist oder um eine vom Arbeitnehmer zu tragende außerbetriebliche. Auch Finanzierungen Dritter seien bei der Abwä254 255 256 257 258 259 260
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Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (59 f.). Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (61). Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (61). Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (61 f.). Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2422). Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425). Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425).
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
gung zu beachten, die Vereinbarung einer Rückzahlung der aufgebrachten Kosten durch den Arbeitnehmer im Falle des Abbruchs der Weiterbildungsmaßnahme oder vorzeitiger Kündigung aber unwirksam?61 Bei vielen weiteren Kriterien schließt sich Gaul den von Birk genannten an. Unbeachtlich sollen jedoch Unterhaltspflichten und das Alter sein, zumindest solange letzteres sich nicht negativ auf die Lemfähigkeit auswirkt. 262 Ascheid will die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Arbeitgebers mit dem Qualifikationsbedarf des Arbeitnehmers abwägen?63 Dabei soll maßgeblich sein, wer die anstehende Kündigung und damit die Notwendigkeit der Maßnahme verursacht hat. Umfassende technische Veränderungen seitens des Arbeitgebers sollen aus diesem Grund für den Arbeitgeber größere Entbehrungen zur Folge haben als die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers aufgrund riskanter Sportausübung in der Freizeit. 264
Übereinstimmend mit Ascheid stellt auch Kittner auf eine Abwägung der Möglichkeiten des Arbeitgebers gegen den Qualifikationsbedarf des Arbeitnehmers ab. Elemente der Abwägung seien die bisherige und restliche Beschäftigungsdauer sowie die Erfolgsaussichten der Maßnahme?65 Abzulehnen sei eine isolierte wirtschaftliche Betrachtungsweise, die sich allein an der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber orientiert?66 Im Rahmen der Interessenabwägung sind vielmehr auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer zu beachten. 267 Welche Bedürfnisse dabei im einzelnen gemeint sind, bleibt leider unklar. Nach Kittner muß sich die wirtschaftliche Zumutbarkeit an den ansonsten üblichen Aufwendungen orientieren, da diese zeigen, was der Arbeitgeber schon im Normalfall für zumutbar hält. 268 Eine bestimmte Länge der Bildungsmaßnahmen will Kittner nicht festlegen. Auch schließt er den Abschluß eines besonderen Ausbildungsvertrages mit dementsprechender Verlängerung des zumutbaren Zeitraumes nicht aus?69 Kiel folgt ebenfalls grundsätzlich der mittlerweile wohl allgemein gültigen Formel, daß die mögliche Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch über einen längeren Zeitraum um so sicherer sein muß, je weiter in wirtschaftliche und betriebliche Belange des Arbeitgebers eingegriffen wird. 27o Dabei führt er keine 261 Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2425). Offengelassen BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16. 3. 1994 unter A. Ir. 1. b) ee) der Gründe, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit zust. Anm. Wiedemann. 262 Gaul, BB 1995,2422 ff. (2426). 263 ErfK, § 1 KSchG Rn. 568. 264 ErfK 1Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568. 265 KIOIZ, § 1 KSchG Rn. 402. 266 K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 402,404. 267 K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 404. 268 K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 404. 269 K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 407. 270 APS, § 1 KSchG Rn. 619; So auch schon: ErfKl Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568; Löwisch, § 1 KSchG Rn. 269; Preis, Prinzipien, S. 169 und 304.
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neuen Abwägungskriterien 271 , führt aber Beispiele an. So soll einem Arbeitgeber, der durch Änderungen eine beträchtliche Gewinnsteigerung bezweckt, in Gestalt von Arbeitsausfall - bezahlt oder unbezahlt - oder Kosten der Weiterbildung mehr zuzumuten sein, als einem, der eine Verlustsituation abwenden muß. Für die Zumutbarkeit von Weiterbildungsmaßnahmen spräche zusätzlich das Bestehen betrieblicher Schulungseinrichtungen. 272 Wie Ascheid verweist auch Kiel darauf, daß verhaltensbedingte und eigenständig verursachte personenbedingte Kündigungsgründe die Zumutbarkeit einschränken. 273 Als abwägungsrelevant sei zusätzlich die konkrete Vertrags gestaltung anzusehen?74 Die Zumutbarkeit soll für den Arbeitgeber überschritten sein, wenn die Qualifizierungsmaßnahme länger als sieben Monate, also länger als die längst mögliche gesetzliche Kündigungsfrist, andauert. 275 Eine umfassende Auseinandersetzung in jüngerer Zeit nimmt Kassen vor. Er erklärt den Arbeitsvertragsbezug als maßgeblich für alle Abwägungskriterien. 276 Ein Abstellen auf die Art der Maßnahme oder die Art des zu erlangenden Abschlusses lehnt er ab, da die Arbeitgeberinteressen dadurch nicht berührt seien. 277 Die Dauer der Maßnahme müsse gleichwohl berücksichtigt werden, pauschal gelte, daß die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber mit der Länge der Maßnahme abnimmt. 278 Die zumutbare Länge einer Weiterbildungsmaßnahme soll sich grundsätzlich an der jeweils geltenden Kündigungsfrist orientieren279, ohne im begründeten Einzelfall aber starr zu sein. 28o Die Kosten einer Qualifizierung seien nur nach Einzelfallbetrachtung einzubeziehen, grundsätzliche Erwägungen, wie der Ausschluß außerbetrieblicher Maßnahmen, verböten sich. Einzubeziehen sind nach Kassen die bereits bestehenden betrieblichen Strukturen für Weiterbildungen, die Eigenbeteiligung des Arbeitnehmers, die Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers sowie Förderungsmöglichkeiten durch Dritte. 281 Allerdings lehnt er es ab, ausschließlich auf wirtschaftliche Interessen abzustellen, da dann die Zumutbarkeit wegen der offensichtlichen Belastung stets in Frage gestellt wäre. Kritisch äußert sich Kassen zum häufig angeführten Merkmal der Betriebsablaufstörungen. Da der Arbeitsplatz sowieso weggefallen sei (betriebsbedingte Kündigung) oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber an dem betreffenden 271
272 273
274 275 276 277
278 279 280 281
Kiel, S. 129, APSI Kiel, § I KSchG Rn. 619 f. APSI Kiel, § I KSchG Rn. 619. APSI Kiel, § I KSchG Rn. 621. APSI Kiel, § I KSchG Rn. 620, und auch schon: Kiel, S. 129. Bittner/ Kiel, RdA 1994,333 ff. (344); APS I Kiel, § 1 KSchG Rn. 620. Kassen, S. 171. Kassen, S. 165 f. Kassen, S. 166. Kassen, S. 166 f. Kassen, S. 167 f. Kassen, S. 169.
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Arbeitsplatz nicht mehr zuzumuten ist (verhaltens- oder personenbedingte Kündigung), würden solche Überlegungen höchstens relevant, wenn der Arbeitgeber damit rechnete, daß der Arbeitsplatz erst im Laufe der Kündigungsfrist frei würde, der Arbeitnehmer wegen der Qualifizierung aber dann schon vorher nicht mehr verfügbar sei bzw. dritte Arbeitnehmer als Lehrende mit der Qualifizierung beauftragt würden. 282 Die noch anstehende Beschäftigungszeit sei zu beachten, nicht aber die bisherige Beschäftigungsdauer, die durch die Berechnung der Kündigungsfrist ausreichend gewürdigt sei. 283 Die sozialen Kriterien der Unterhaltsverpflichtung und des Lebensalters seien nicht explizit zu berücksichtigen. 284 Wieder umfassender sollen die Kündigungsgründe in die Betrachtung einbezogen werden?85 Eine in Erfüllung der Arbeitspflicht zugezogene Berufskrankheit soll die Zumutbarkeitsschwelle für den Arbeitgeber deutlich erhöhen. 286 Mittelbar würden auch der Umfang des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts und damit die Ausgestaltung des Arbeitsvertrages relevant sein. Stünden nämlich für die Weiterbeschäftigung zwei Arbeitsplätze zur Auswahl, von denen einer in Ausübung des Direktionsrechts besetzt werden könne, der andere aber nicht, wäre eine Umsetzung ohne Vertragsänderung eher als zumutbar anzusehen, als eine Weiterbildung mit Vertragsänderung. Das soll aber auf der anderen Seite nicht bedeuten, daß die Bildungsmaßnahme automatisch hinter der "bloßen" anderweitigen Beschäftigung zurücktritt. 287 (2) Zusammenfassung der Ansichten der Literatur
Für die Bewertung der Zumutbarkeit herrscht nur in einigen Punkten ein Grundkonsens. Maßstab der Abwägung ist danach die wirtschaftliche und betriebliche Zumutbarkeit einer Weiterbildungsmaßnahme auf der einen Seite gegenüber dem Qualifizierungsbedarf des Arbeitnehmers auf der anderen. Aufzufüllen sind diese beiden Waagschalen mit Kriterien, welche die konkrete Situation im Betrieb / Unternehmen in bezug auf die durchzuführende Maßnahme und den betreffenden Arbeitnehmer näher umschreiben. Auf der Seite des Arbeitgebers sind dabei vordergründig die Maßnahmekosten und die Länge der Maßnahme sowie schon bestehende Weiterbildungsstrukturen im Betrieb zu beachten. Die betriebliche Zumutbarkeit kann aber auch durch mit dem Arbeitnehmer in Verbindung stehende Kriterien beeinflußt werden. Maßgeblich ist dabei vor allem, wie weit die Weiterbeschäftigung durch die Weiterbildung gesichert werden kann. Daher sind die voraussichtliche Beschäftigungsdauer, die Erfolgsaussichten einer Maßnahme und der 282 283 284
285 286 287
Kassen, Kassen, Kassen, Kassen, Kassen, Kassen,
S. S. S. S. S. S.
169 f. 171. 171 f. 172 f. 173. 174 f.
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bestehende Kündigungsgrund abwägungsrelevant. Wegen des bereits erarbeiteten Bestandsschutzes soll auch die bisherige Beschäftigungszeit beachtet werden. Die Gewichtung und Ausgestaltung der einzelnen Gesichtspunkte erfolgt dabei in verschiedener Weise. b) Kritische Bewertung und eigene Vorstellungen Nach Darstellung der verschiedenen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur soll ein eigenes Abwägungsschema vorgestellt werden. Dabei sind die bereits aufgeführten Gesichtspunkte von Rechtsprechung und Literatur kritisch zu betrachten und gegebenenfalls anzupassen. aa) Systematische Voraussetzungen für die Interessenabwägung
Die Zumutbarkeit der Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme ergibt sich für den Arbeitgeber nicht lediglich aus der Summe der ihn in seiner Unternehmensführung einschränkenden Faktoren, sondern aus einer Abwägung dieser Faktoren mit dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers. Nur wenn bei einer Abwägung dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers das Übergewicht zukommt, muß die Maßnahme vorgenommen werden. Im Ergebnis dürfen die Pflichten des Arbeitgebers dabei nicht weiter gehen als die Pflichten, die auch im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. lb KSchG maximal zulässig sind. Bei der Suche nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit besteht ein begrenzter Kontrahierungszwang288 , der durch die bestehenden Regelungen zu den in Betracht kommenden Arbeitsplätzen begrenzt wird289 und deshalb meist unterhalb des grundrechtsgefahrdenden Grenzbereichs liegt. Im Fall des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG kommt die Pflicht zu einer Bildungshandlung hinzu. Da diese Verpflichtung sehr weit gefaßt ist und zu unangemessenen Eingriffen in die unternehmerische Freiheit führen kann, muß ein Korrektiv eingefügt werden. Das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers wird durch § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG dazu konkretisiert, unter welchem Aufwand er zu qualifizieren ist. Um festzustellen wie hoch der Aufwand sein muß, ist die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers an dem Bestandsschutz des Arbeitnehmers zu messen, der auch durch solche Kriterien näher bestimmt wird, die mit einer Qualifizierung zusammenhängen. Es muß versucht werden, die beiden abwägungsrelevanten Maßstäbe zu objektivieren. Zumindest aber sind Grundgedanken der Gewichtung aufzuzeigen. Vordergründig bestimmt sich der Bestandsschutz aus arbeitnehmerbezogenen Kriterien (unter cc)), jedoch können für die Notwendigkeit einer Qualifizierung auch Verhaltensweisen des Arbeitgebers Auswirkungen haben (unter dd)). Die 288 289
Dazu MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 6 m. w. N. Dazu § 10 A IV I S. 295 ff.
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wirtschaftlichen und betrieblichen Gesichtspunkte seitens des Arbeitgebers 29o , also in erster Linie die durch die Qualifizierungsmaßnahme auftretenden Belastungen und Beschränkungen, werden unter bb) näher behandelt. bb) Auswirkungen von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen auf wirtschaftliche und betriebliche Belange des Arbeitgebers
Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen können große Auswirkungen auf die Unternehmensgestaltung haben. Im folgenden sind die bedeutendsten herauszugreifen und aufzuzeigen. So stellen die wirtschaftlichen Entbehrungen vor allem die für die Maßnahme aufzuwendenden Kosten dar. Davon sind nicht nur die Eigenkosten der Maßnahme erfaßt, sondern auch durch Entgeltfortzahlung des Arbeitnehmers entstehende Ausgaben, denen keine direkte Gegenleistung korrespondiert (unter (1)). Unter betrieblichen Einschränkungen sind ausfallende Arbeitskräfte (sowohl Lernende als auch Lehrende), nötig werdende Umorganisationen sowie der Verzicht auf bestimmte Arbeitskräfte zu verstehen (unter (2)). ( 1) Eigenkosten und Dauer der Maßnahme als Kostenfaktor Die Finanzierung einer Weiterbildungsmaßnahme stellt die wohl größte Belastung für den Arbeitgeber dar. Klar ist aber, daß eine Maßnahme nicht pauschal wegen der Kosten abzulehnen sein kann. 291 Zur besseren Einordnung ist zwischen Kosten, die aufgrund des Arbeitsausfalls entstehen und Eigenkosten der Maßnahme zu unterscheiden. Die Eigenkosten können nicht generell betrachtet werden, da sie jeweils von der Art der bisherigen beruflichen Tätigkeit sowie der Zielqualifizierung abhängen. Naturgemäß steigt die Höhe der Maßnahmekosten mit dem Spezialisierungs- und Wissensgrad der Teilnehmer. Da dies aber meist auch im Verhältnis zum Nutzen steht, den der Arbeitgeber später von dem Qualifizierten erlangt, steht das einer Durchführung der Maßnahme grundsätzlich nicht entgegen. Eine Unverhältnismäßigkeit der Eigenkosten ergibt sich somit vordergründig aus der Länge der Maßnahme. In der Maßnahmelänge spiegelt sich auch ein arbeitnehmerbezogener Aspekt wieder, denn je länger eine Maßnahme dauert, desto geringer war die Vorbildung für den konkreten Arbeitsplatz und um so schwerer gestaltet sich die Qualifizierung. Die Erforderlichkeit einer langen Bildungsmaßnahme bescheinigt einen hohen tatsächlichen Qualifizierungsbedarf, der, um realisiert zu werden, auf einen vergleichbar hohen Bestandsschutz des Arbeitnehmers treffen muß.
290 ErfK I Ascheid, § I KSchG Rn. 558; APS I Kiel, § I KSchG Rn. 619; Herschell Löwisch, § 1 KSchG Rn. 188; Preis, Prinzipien, S. 169. 291 Vgl. nur Kassen, S. 169; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 640; K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 402.
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Die Maßnahme länge ist somit als bedeutender Abwägungspunkt auszumachen. An ihr ist der Vorbildungsgrad des Arbeitnehmers zu erkennen. Je geringer dieser ist, desto höher müssen die den Bestandsschutz ausmachenden Gesichtspunkte einzuschätzen sein, um die Zumutbarkeit einer Fortbildungs- und Umschulungsmöglichkeit für den Arbeitgeber zu bejahen. Aus ihr folgen gleich zwei bedeutende Kostenfaktoren. Einmal steigen die Maßnahmekosten mit längerer Dauer und zum anderen nehmen die Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung zu. Zur Dauer der Maßnahme gibt es sehr differenzierte Ansichten. Vorliegend ist daher zunächst zu untersuchen, ob es überhaupt eine Begrenzung der möglichen Qualifizierungsmaßnahmen auf eine bestimmte Dauer geben kann, weil über diese Grenze hinausgehende Maßnahmen ohne weiter notwendige Abwägung stets eine zu hohe Belastung für den Arbeitgeber darstellen (unter (a)). Sollte dies zu bejahen sein, sind weitere Ausführungen zu der dazugehörigen Zeitspanne anzustellen (unter (b)). (a) Möglichkeit der Begrenzung der Maßnahme auf eine bestimmte Länge Die Rechtsprechung scheint eine Maximaldauer von Weiterbildungsmaßnahmen nicht festlegen zu wollen, jedenfalls ist in den bereits dargestellten Entscheidungen nie ein solcher Grenzwert angenommen worden. Auch die Ausführungen zur Frage der mit in Betracht zu ziehenden anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten292 zeigen zumindest für den Fall der Weiterbeschäftigung nach Fortbildung und Umschulung keine anderen Anhaltspunkte auf. Vielmehr stützte das BAG seine ablehnende Entscheidung im "Laborantinnenfall,,293 gerade nicht auf die Länge der zweijährigen Qualifizierung. 294 Für eine Begrenzung der Länge spricht eine größere Rechtssicherheit, weshalb die von Gaul geäußerte Ansicht, es sei auf absolute Grenzen abzustellen 295 , einiges für sich hat. Jedoch ist eine starre Grenze für Einzelfallentscheidungen zu formalistisch. Es sind zu viele Faktoren zu beachten, die bei einer starren Grenze keinen Ausdruck fänden. Beispielsweise müßte eine längere Maßnahme um so eher zumutbar sein, je besser ein Arbeitnehmer schon während der Qualifizierung auf der späteren Stelle arbeiten kann oder vorübergehend eine andere mit ausfüllt. Es wäre unbillig, wenn die Ausbildung in einen neuen Beruf nach sechsmonatiger theoretischer Umschulung und daran anschließendem, noch zur Ausbildung gehörenden sechsmonatigen Praktikum, welches der Arbeitnehmer schon an der angestrebten neuen Arbeitsstelle ausübt, wegen der Gesamtlänge der Umschulung von dann einem Jahr scheiterte. Hier müssen Nischen für einzelne Entscheidungen bleiben.
292 293 294 295
Dazu unter § 10 A IV 2/ S. 304 ff. Dazu unter § 10 A III 1 a) / S. 283. BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425).
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Um dem Interesse nach Rechtssicherheit und dem nach gerechten Entscheidungen Rechnung zu tragen, sollte eine festzulegende Grenze ein Anhaltspunkt sein, der jedoch für Auslegungen offen bleibt. 296 Damit der Charakter der Grenze unterstrichen wird, wird im folgenden von einem normativen Anhaltspunkt297 gesprochen. Überschreitet eine Qualifizierungsmaßnahme diese Grenze, reicht das allein nicht als Grund für die Unzumutbarkeit, jedoch ist für den Qualifizierungsbedarf des Arbeitnehmers eine höhere Begründungsstufe erreicht. (b) Bestimmung des normativen Anhaltspunktes für die Zumutbarkeit Die Länge der normativen Grenze muß meines Erachtens die geltenden Kündigungsfristen als grundsätzlichen Anhaltspunkt haben, denn wie Gaul zutreffend bemerkt, finden darin die Sozialdaten des Arbeitnehmers Ausdruck?98 Es ist nicht einzusehen, einem erst seit einem Jahr beschäftigten Arbeitnehmer eine Maßnahme mit gleicher Dauer zu gewähren, wie einem schon seit 20 Jahren im Unternehmen tätigen. Die von Bittner / Kiel vorgeschlagenen und an § 622 BGB orientierten, aber für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltenden sieben Monate, sind daher abzulehnen. 299 Abzulehnen ist auch eine Orientierung an § 92 SGB 111. 300 Es handelt sich hierbei um eine andere Ebene, nämlich die staatliche Förderung von Weiterbildungen. Möglich wäre zwar einerseits eine Aussage dergestalt, daß eine Maßnahme, die selbst das Arbeitsamt nicht fördern würde, auch nicht von einem privaten Arbeitgeber verlangt werden könne. Dem ließe sich aber andererseits entgegenhalten, daß der Arbeitnehmer sich gerade bei langer bisheriger Beschäftigungszeit bereits einen sehr hohen Bestandsschutz bei diesem Arbeitgeber erarbeitet hat. Für die Zumutbarkeit einer über die eigentliche Kündigungsfrist hinausgehenden Qualifizierungsdauer spricht die sonst für eine wirkungsvolle Qualifizierung zu knapp bemessene Zeit. Für einen seit fünf Jahren im Betrieb Beschäftigten betrüge die unproblematisch zu bewilligende Kursdauer nur zwei Monate. Zu der jeweiligen individuellen Kündigungsfrist ist somit eine zusätzliche Zeitspanne zu gewähren, die auf der einen Seite eine Qualifizierungsmaßnahme sinnvoll erscheinen läßt, den Arbeitgeber aber andererseits nicht über Gebühr belastet. Drei weitere Monate scheinen dafür angemessen. Dies ist eine Zeitspanne, in der sich einerseits umfangreich neue Kenntnisse vermitteln lassen, die aber andererseits auch nicht zu lang und den Arbeitgeber über Gebühr belastend erscheint. Der normative Anhaltspunkt für die Länge einer Qualifizierungsmaßnahme setzt sich also aus zwei Elementen zusammen, der dynamischen individuellen Kündigungsfrist und einer zusätzlich zu gewährenden dreimonatigen Zeitspanne. 296 297
298
299 300
Birrner/Kiel, RdA 1994,333 ff. (344). Vgl. zu diesem Begriff Birtner / Kiel, RdA 1994, 333 ff. (344). Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425). Birtner / Kiel, RdA 1994, 333 ff. (344). So jetzt auch APS I Kiel, § I KSchG Rn. 620. Aufgeworfen von Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (60).
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Starre Grenzen für die Dauer einer Weiterbildungsmaßnahme sind abzulehnen, da diese die individuelle Situation des Arbeitnehmers nicht ausreichend beachten. Als Richtwert kann aber von der jeweils geltenden Kündigungsfrist zuzüglich drei Monaten ausgegangen werden. Bei Maßnahmen, die diese Länge nicht überschreiten, besteht eine Grundvermutung für eine zumutbare wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers, bei längeren, eine solche dagegen. Beides ist jedoch durch erhöhten Begründungsaufwand in jede Richtung widerlegbar. Zu Lasten der Zumutbarkeit einer Maßnahme wirkt es sich beispielsweise aus, wenn es sich um einen Kurs handelt, der nicht mit dem Ausspruch der Kündigung bzw. in zeitnaher Umgebung beginnt, sondern erst während oder nach Ablauf der eigentlichen Kündigungsfrist. (2) Einfluß bestehender Weiterbildungs strukturen sowie betrieblicher
und außerbetrieblicher Maßnahmen auf betriebliche Belange
Wie bereits dargestellt, können auch andere Faktoren Belastungen für den Arbeitgeber bedeuten. Muß der Arbeitgeber nicht nur umschulen, sondern zusätzlich mindestens einen weiteren Arbeitnehmer zur Unterrichtung abstellen, fallen in der Betriebsorganisation zwei Arbeitskräfte aus?OI Das Bereitstellen geeigneter Räume oder auch Maschinen verhindert, daß diese gleichzeitig für die üblichen Arbeitsvorgänge zu benutzen sind. Daher sind sich die Vertreter der Literatur weitgehend einig, daß bereits bestehende Weiterbildungsstrukturen diese Unbilligkeiten beseitigen bzw. schon in die Betriebsplanung einbezogen sind und daher für eine geringere Belastung des Arbeitgebers sprechen. 302 Eine innerbetriebliche Weiterbildung wird ungeachtet der bestehenden Strukturen immer kostengünstiger sein als eine außerbetriebliche?03 Jedoch ist ungeklärt, wie inner- und außerbetrieblich im einzelnen zu definieren ist. Als innerbetrieblich in diesem Sinne ist sicher auch ein ausbildungsbegleitendes Praktikum auf der später zu besetzenden oder einer ähnlichen Stelle nach theoretischer, außerbetrieblicher Ausbildung anzusehen. Abzulehnen ist die Ansicht, nach welcher allein innerbetriebliche Weiterbildung dem Arbeitgeber überhaupt zumutbar sind. 304 Anderenfalls könnten Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen in kleineren Betrieben nur durchgeführt werden, wenn sie durch Lernen in der Arbeitssituation möglich sind. Es kann also festgehalten werden, daß die Belastung durch Weiterbildungsmaßnahmen um so geringer ist, je mehr Strukturen bereits im Betrieb vorhanden sind. Allerdings ist eine generelle Begrenzung auf innerbetriebliche Weiterbildungsmaßnahmen nicht vorzunehmen. 301 Zu beachten ist dabei allerdings, daß der zu qualifizierende Arbeitnehmer häufig in der Arbeitsorganisation deshalb nicht fehlt, weil sein Arbeitsplatz bereits weggefallen (betriebsbedingte Kündigung) oder eine Beschäftigung dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist (personenoder verhaltensbedingte Kündigung), vgl. Kassen, S. 169 f. 302 Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (61); APS/ Kiel, § I KSchG Rn. 620. 303 ErfK / Ascheid, § I KSchG Rn. 568. 304 GK-KraJt, § 102 BetrVG Rn. 122; H / S / G-Schlochauer, § 102 BetrVG Rn. 130.
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(3) Abschließende Betrachtung der wirtschaftlichen und betrieblichen Beanspruchung des Arbeitgebers Die Zumutbarkeit einer Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme für den Arbeitgeber ergibt sich aus einer Abwägung der dadurch entstehenden betrieblichen und wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers mit den wegen des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers einzukalkulierenden Verlusten. Solche Verluste können beispielsweise durch Fortzahlung des Entgeltes trotz fehlender Beschäftigungsmöglichkeit entstehen. Ohne allein auf wirtschaftliche Aspekte abzustellen, läßt sich die Belastbarkeit des Arbeitgebers trotzdem meist auf solche zurückführen. Ein maßgeblicher Gesichtspunkt ist hierbei die Länge der Qualifizierung. Da es sich bei der Zumutbarkeit der Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme um das Ergebnis einer Abwägung handelt, läßt sich keine absolute Maßnahmelänge festlegen. Wegen des generell bestehenden Bestandsschutzes durch die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber, kann aber eine Grunddauer einer Maßnahme festgelegt werden. Bei Weiterbildungsmaßnahmen, die nicht über die Länge der Kündigungsfrist zuzüglich dreier Monate hinausgehen, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß diese Maßnahmen noch vom Bestandsschutz umfaßt sind. Die häufig angewandte Formel: je größer der Betrieb, desto eher sind Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen zumutbar305 , wird auch hier grundsätzlich bejaht. Jedoch darf dies nur eine Orientierung sein, da Betriebsgröße zwar meist, aber nicht immer zwingend mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einhergeht, und auf die allein kommt es an. 306 Das bedeutet natürlich nicht, daß § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG für wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen keine Geltung entfaltet. Doch muß insbesondere bei anstehenden betriebsbedingten Kündigungen genau geprüft werden, inwieweit die wirtschaftliche Situation eine Weiterbildung zuläßt. 307 (4) Weitere Vorgehensweise bei der Zumutbarkeitsprüfung Um einen ungefähren Richtwert dafür zu erhalten, was als zumutbar für den Arbeitgeber i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG anzusehen ist, muß von der grundsätzlichen Belastbarkeit des Arbeitgebers mit einer Weiterbildungsmaßnahme ausgegangen werden, die nicht länger als die für den jeweiligen Arbeitnehmer geltende Kündigungsfrist zuzüglich drei Monaten andauert. Kann ein Arbeitnehmer innerhalb dieser Zeitspanne weitergebildet werden, ist wegen des generell bestehenden Bestandsschutzes zunächst vorläufig von der Zumutbarkeit der WeiterBirk, FS für Kissel, S. 51 ff. (60 f); Gaul, BB 1995,2422 ff. (2426). Dieses Kriterium ebenfalls in den Vordergrund schiebend: ErfK I Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568. 307 In diesem Sinne auch APS I Kiel, § 1 KSchG Rn. 620, der darauf verweist, daß ein eine Verlustsituation abwenden wollender Arbeitgeber weniger belastbar ist, als ein solcher, der durch die Umstrukturierungen den Gewinn steigern will. 305
306
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bildungsmaßnahme auszugehen. Danach sind die Kriterien, die den Qualifizierungsbedarf des Arbeitnehmers ausmachen und die im folgenden (unter dd) und ee» zu prüfen sind, an dieser Länge zu messen und können die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Das schließt nicht aus, daß eine Weiterbildung auch völlig unzumutbar werden kann. Um die unmittelbaren Auswirkungen der jeweiligen Maßnahmen auf die Zumutbarkeit anschaulicher darzustellen, wird der Einfluß der jeweiligen arbeitnehmerbezogenen Gesichtspunkte stets auf die gerade festgestellte Grundlänge der Maßnahme bezogen. ce) Einfluß arbeitnehmerbezogener Kriterien auf das in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG konkretisierte Bestandsschutzinteresse
Den wirtschaftlichen und organisatorischen Belastungen des Arbeitgebers ist der Bestandsschutz des Arbeitnehmers entgegenzustellen. Die Interessen der Arbeitnehmer an der Weiterbildung und die seinen Bestandsschutz verstärkenden oder begrenzenden Kriterien sind sehr vielfältig. Es sind Überlegungen anzustellen, welche Gesichtspunkte in die Abwägung einzubeziehen sind und in welcher ungefähren Intensität, ohne daß ein abschließendes Prüfungsschema entwickelt werden könnte. Es wird jeweils versucht darzulegen, welche Kriterien den bei der Länge der Maßnahme geforderten erhöhten Begründungsaufwand zur Verlängerung oder Verkürzung einer Weiterbildungsmaßnahme rechtfertigen können. Es ergibt sich aus dem komplexen Zusammenwirken mehrerer Kriterien, daß auch dies wiederum nicht absolut festgelegt werden kann. (1) Art der Maßnahme
Die Art der Maßnahme, also die Frage, ob sie in Kursen durchzuführen ist oder am Arbeitsplatz bzw. ob sie mit einem anerkannten Abschluß enden soll, dürfte grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber haben. Schließlich sucht er die Maßnahme selbst aus, um den Arbeitnehmer an das von ihm erstellte Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes anzupassen. Deshalb verneinen wohl auch Gaul und Kassen die von Birk aufgeworfene Frage, ob der Abschluß der Maßnahme sich auf die Zumutbarkeit auswirkt. 308 Grundsätzlich ist dem zwar zuzustimmen, doch darf nicht übersehen werden, daß das Eigeninteresse des Arbeitnehmers mit einem allgemein anerkannten Abschluß deutlich steigt. 309 Zusätzlich zu dem Erhalt des Arbeitsplatzes erhält er eine anerkannte Qualifikation, die ihm auch im weiteren Berufsleben einen Vorteil verschafft.
308 309
Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (59 f.); Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425); Kassen, S. 165. Vgl. dazu § 2 EIS. 43 ff.
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Würde die Qualifikation wegen des erhöhten Interesses des Arbeitnehmers ein die Maßnahmelänge verkürzendes Merkmal darstellen, bewirkte die zusätzlich mögliche Qualifikation für den Arbeitnehmer im Ergebnis das Gegenteil, denn gerade mit einem Abschluß ausgestattete Bildungsrnaßnahmen sind erfahrungsgemäß länger. Der Arbeitgeber könnte durch Forderung eines qualitativ höheren Abschlusses ungeachtet der sich daraus sowieso ergebenden Folgen, wie der Länge der Maßnahme oder höhere Eigenkosten, seine Zumutbarkeit allein wegen des zu erlangenden Abschlusses herabsetzen. Die Art der Maßnahme, insbesondere ihre Ausstattung mit einem anerkannten Abschluß, kann also keine Auswirkungen auf die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber haben. Die über das bloße Bestandsschutzinteresse hinausgehenden Vorteile des Arbeitnehmers sind ein Nebeneffekt, der hinzunehmen ist. (2) Arbeitsvertragliche Festlegung des Arbeitsumfanges
Die Ausgestaltung des Arbeitsvertrages hat in jedem Fall Einfluß auf die Zumutbarkeit von Fortbildung und Umschulungsmaßnahmen, wenn individuell ein besonderes Engagement des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bezüglich Weiterbildungsmaßnahmen vereinbart wurde. Fraglich ist aber, ob auch Arbeitsverträge ohne solche Klauseln Auswirkungen auf die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber haben können. In dem ersten Urteil zu Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen von 1968 stellte das BAG für die Zumutbarkeit maßgeblich darauf ab, wie der Arbeitsvertrag ausgestaltet war?lO Den Ausschlag für die Zumutbarkeit der Umschulung sollte geben, daß der Pilot ausschließlich als Flugkapitän ohne Begrenzung der Tatigkeit auf einen bestimmten Flugzeugtyp eingesetzt war und daß bei dem konkret von ihm geflogenem schon bei Einstellung die baldige Umstellung auf einen anderen Flugzeugtyp absehbar war. 311 Dagegen sind Teile der Literatur der Ansicht, daß vor allem ein eng gefaßter Arbeitsvertrag positiven Einfluß auf die Zumutbarkeit späterer Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG haben soll?12 Die sich widersprechenden Ansichten zeigen, wie schwierig eine eindeutige Zuordnung ist, und sie lassen grundsätzlich an der Möglichkeit des Abstellens auf die konkrete Vertragsgestaltung zweifeln. Nach Bire I3 und Gaupl4 müßte dagegen bei einem ausschließlich für ein bestimmtes Flugzeug eingestellten Piloten bei 310 BAG - I AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. A. Hueck. 311 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. A. Hueck; so auch Löwisch, § 1 KSchG Rn. 269. 312 Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (61 f.); Gaul, BB 1995,2422 ff. (2426). 313 FS für Kissel, S. 51 ff. (61 f.). 314 BB 1995,2422 ff. (2426).
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sonst gleichen Voraussetzungen die Zumutbarkeit für eine Umschulung eher zu bejahen sein als bei einem Piloten mit allgemeinerer Arbeitsplatzbeschreibung. Für diese Ungleichbehandlung ist kein sachgerechter Grund ersichtlich. 315 Der einzige Unterschied, der sich aus der Arbeitsplatzumschreibung ergibt, ist die Art der Weiterbildungsmaßnahme: Eine Schulung auf ein neues Flugzeug ist für einen Piloten, der für alle Flugzeugarten eingestellt ist, eine Fortbildung, während es für einen für einen bestimmten Flugzeugtyp engagierten Piloten eine Umschulung darstellt. 316 In beiden Fällen gilt es aber eine betriebsbedingte Kündigung zu vermeiden. Einmal durch eine Umschulung (wenn der Arbeitsplatz wegfällt) oder aber durch eine Fortbildung (wenn der Arbeitnehmer nicht mehr qualifiziert genug ist). Die Überlegungen des BAG von 1968 waren damals vielleicht angebracht, sind heute aber nicht mehr erforderlich. Es ging dem Gericht nicht darum, das Wie der Umschulung näher zu bestimmen, sondern um die Begründung des Ob. Mangels Bestehen einer gesetzlichen Regelung zum damaligen Zeitpunkt lag die Vorstellung einer Fortbildung nach Einführung neuer Arbeitsgeräte näher als die einer Umschulung unter Änderung des Arbeitsvertrages. 31 ? Dabei übersah das BAG, daß auch ein enger Arbeitsvertrag - also die Beschränkung auf das fliegen der "Super-Constellation" - den Arbeitgeber nur im Rahmen des § 1 KSchG berechtigt hätte, dem Arbeitnehmer zu kündigen. Ob das Gericht bei einer derartigen Vertragsgestaltung eine Umschulung tatsächlich abgelehnt hätte, ist fraglich. Spätestens seit Übernahme des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG in den Gesetzestext ist aber auch eine notwendig werdende Umschulung zu gewährleisten. Die Überlegungen des BAG zur Vertrags gestaltung eröffnen aber eine weitere Perspektive. Da der Pilot ohne Einschränkungen im Arbeitsvertrag eingestellt wurde, obwohl absehbar war, daß Bildungsrnaßnahmen in naher Zukunft notwendig werden würden, weil eine "Ein- oder Umschulung der Flugkapitäne auf ein anderes Fluggerät im Hinblick auf den ständigen Fortschritt im Flugzeugbau nicht etwas Besonderes 318 " ist, muß geklärt werden, ob bei bestimmten Berufsgruppen eine erhöhte Verpflichtung zu Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen besteht. Das könnte immer solche Berufsgruppen betreffen, bei denen die Halbwertszeit des Wissens kürzer ist als die in anderen Berufen und bei denen eine Kündigung somit schneller möglich wäre. Jedoch ist nicht erkennbar, in welcher Weise sich das auf § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG auswirken könnte, da der Bestandsschutz nicht von der Art der Tätigkeit abhängig ist. Das müßte vielmehr schon eine Pflicht vor anstehenden Kündigungen bedeuten. Solche möglichen Pflichten wurden im 2. Teil unterDas Problem auch erkennend: Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (62). Zu den Begriffen § 10 A IIS. 269 ff. m. w. N. 317 Vgl. auch Meisel, BB 1963, 1058 ff. (1060), der sich auch nur auf die Situation der Fortbildung bezieht, ohne freilich den heute geläufigen Begriff zu verwenden. Selbst Hirsemann, SAE 1969,58 f. (58 f.), der in seiner Anmerkung zu der BAG Entscheidung sich sehr restriktiv äußert, erkennt eine solche Fortbildungsverpflichtung wohl an. 318 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. A. Hueck. 315
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suche 19 , ohne eine entsprechende Verpflichtung erkennen zu können. Ein Einfluß auf die Zumutbarkeit des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG ist folglich abzulehnen. Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sind bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung von der Gestaltung des Arbeitsvertrages unabhängig. Da Fortbildung und Umschulung sowohl nach § lAbs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG ohne Vertragsänderung als aufgrund § lAbs. 2 S. 3 2. HS KSchG auch nach Vertragsänderung erfolgen können, kommt es für die Frage der Zumutbarkeit insbesondere nicht auf eine eng oder weit umschriebene Arbeitsaufgabe an. (3) Kündigungsgrund Großen Einfluß auf die Zumutbarkeit einer Qualifizierungsmaßnahme des Arbeitnehmers hat der Kündigungsgrund. Kommt das die Kündigung verursachende Verhalten aus der Sphäre des Arbeitnehmers, scheint es naheliegend, dem Arbeitgeber weniger zusätzliche Handlungen zur Ermöglichung des Erhalts der Beschäftigung aufzuerlegen als bei Kündigungsgründen, die aus der Sphäre des Arbeitgebers herrühren, wie etwa bei betriebsbedingten Kündigungserwägungen aufgrund von Umstrukturierungen. 32o (a) Personenbedingte Kündigung Zur besseren Differenzierung ist die personenbedingte Kündigung wiederum in die Anwendungsfalle der krankheitsbedingten Kündigung (unter (aa» und die der anstehenden Kündigung aufgrund fachlicher Eignungsmängel (unter (bb» zu unterteilen, da Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen in diesen beiden Fällen der personenbedingten Kündigung typischerweise zur Vermeidung einer Kündigung geeignet sind. (aa) Zumutbarkeitserwägungen bei krankheitsbedingter Kündigung Gerade bei partiellen krankheitsbedingten Einschränkungen eines Arbeitnehmers bietet sich häufig eine Versetzung in einen anderen Arbeitsbereich statt einer Kündigung an. Beispiel 12 Die seit fünf Jahren dem Orchester angehörige Cellistin kann nach einem komplizierten Bruch ihren Arm zwar noch bewegen, erlangt aber nicht mehr das für ihre Berufsausübung notwendige Feingefühl. Trotz Berufsunfähigkeit könnte sie in dem Orchester den Arbeitsplatz der bald das Orchester verlassenden Orchesterobfrau übernehmen, die für die Organisation und Koordination der Konzertveranstaltungen zuständig ist. Das Anforderungsprofil für diesen Arbeitsplatz verlangt einen kaufmännischen Abschluß, den die Cellistin in neunmonatigem theoretischen Unterricht erlangen kann. 319 320
Vgl. insbesondere § 5/ S. 94 ff. und § 7/ S. 217 ff. ErfK/ Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568, APS / Kiel, § 1 KSchG Rn. 622.
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In Fällen möglicher Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen wollen Ascheid321 und Kiez3 22 zur Bestimmung der Zumutbarkeit auf die Ursache der Untauglichkeit für die weitere Tätigkeit abstellen. Arbeitnehmer, die sich die leistungsmindernden Einschränkungen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit zugezogen haben, sollen anders beurteilt werden als solche, bei denen sie auf außerbetrieblichem bzw. explizit risikoerhöhendem Verhalten beruhen. 323 Klar sollte sein, daß eine durch die berufliche Tätigkeit hervorgerufene Krankheit, die eine Untauglichkeit der weiteren Arbeitsausführung zur Folge hat, zu einer Erhöhung des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers führen muß. Das bedeutet, eine Verlängerung der nötigen Qualifizierungsmaßnahme wird über die typische Dauer (Kündigungsfrist plus 3 Monate) möglich. Die Schutzerweiterung liegt schon darin begründet, daß der Arbeitnehmer dem vom Arbeitgeber geschaffenen Arbeitsumfeld ausgesetzt ist. 324 Die Folgen der von ihm geschaffenen und in der betrieblich bedingten Arbeitsunfähigkeit dann auch realisierten Gefahren, muß der Arbeitgeber mittragen. Eine Rolle spielten solche Überlegungen sicher im vom BAG entschiedenen "Laborantinnenfall".325 Dort war die Arbeitnehmerin über 17 Jahre im Betrieb beschäftigt und berufsbedingt an einer Allergie erkrankt. Eine mögliche zweijährige Qualifizierung wurde wohl auch deshalb vom LAG Frankfurt a.M. als zumutbar bezeichnet. 326 Auch das BAG ließ die Kündigung nur an der Wahrscheinlichkeit der Weiterbeschäftigung und nicht der Länge der Weiterbildungsmaßnahme scheitern. 327 Allerdings darf hier nicht übersehen werden, daß wohl gerade auch die lange Betriebszugehörigkeit Grund dafür war, daß die Maßnahme von der Berufsgenossenschaft zumindest teilweise mit gefördert328 worden wäre?29 Übertragen auf Beispiel 12 bedeuten die obigen Überlegungen, daß der Cellistin der neunmonatige Kurs mit kaufmännischem Abschluß zu gewähren sein müßte, wenn Grund der Verletzung die betriebliche Tätigkeit war. Die zusätzlich zu gewährenden vier Monate zu der anvisierten Maßnahmelänge von drei Monaten plus der individuellen Kündigungsfrist (hier: zwei Monate), wäre dem Arbeitgeber zuzumuten. Fraglich ist, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen die Ursache für die nur noch eingeschränkte Einsetzbarkeit nicht im arbeitsbezogenen Verhalten begründet ErfKl Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568. APSI Kiel, § 1 KSchG Rn. 621. 323 Vgl. ErfKl Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568. 324 Vgl. auch § 7 B 1IS. 218 f. 325 Zu dem Sachverhalt bereits § 10 A III 1 a) 1S. 283. 326 LAG Frankfurt - 7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989 unter C. 3. b) ee) der Gründe, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 7. 327 BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 328 Zum Einfluß der finanziellen Beteiligung Dritter auf die Zumutbarkeit vgl. § 10 A V 3 b) ee) (2)(b)/S. 358 ff. 329 Vgl. BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2. 1991 Sachverhalt BI. 1 R, AP Nr. 1 zu § I KSchG Umschulung. 321
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Fracke
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
ist. Sowohl Ascheid330 als auch KieP31 sprechen eine Abgrenzung der betrieblich verursachten von den außerbetrieblichen bzw. selbstverursachten Einschränkungen an. Jedoch ist unklar, ob sie nicht betrieblich verursachte Krankheiten lediglich als unbeachtlich werten wollen oder ob die Zumutbarkeit zu Lasten des Arbeitnehmers beeinflußt werden soll. Nach der hier verlolgten Vorgehensweise wären von der üblichen, dem Arbeitgeber als zumutbar anzusehenden Länge der Qualifizierungsmaßnahme Beschränkungen vorzunehmen, die - in besonders krassen Fällen oder im Zusammenspiel mit anderen Faktoren - auch zu einer vollkommenen Ablehnung der Qualifizierung führen könnte. Die Frage lautet also, ob sich der Zeitraum für eine der Cellistin zu gewährende Umschulungsmaßnahme von den grundsätzlich als zumutbar anzusehenden fünf Monaten verkürzt, weil sie in ihrer Freizeit einen Fahrradunfall hatte. Das ist abzulehnen, da von einem Arbeitnehmer nicht verlangt werden kann, daß es negative Auswirkungen auf seinen Bestandsund somit auch Kündigungsschutz hat, wenn er in seiner Freizeit einen Unfall hat. Zwar können sich daraus keine Kriterien für die Begründung höherer Zumutbarkeit ergeben, Beschränkungen sind aber auch nicht vorzunehmen. Zu klären ist, ob sich etwas anderes ergäbe, wenn sich der Arbeitnehmer über das übliche Lebensrisiko hinausgehenden Gefahren aussetzen würde, die Cellistin sich beispielsweise beim Drachenfliegen, also einer Risikosportart, verletzt hätte. 332 Ein solches, eventuell den erhöhten Begründungsaufwand für eine Verkürzung der Maßnahmelänge darstellendes Kriterium, kann nur anerkannt werden, wenn die rechtliche Beachtung nicht schon von vornherein gegen bestehende gesetzliche Regelungen verstößt. Gegen die Begrenzung der Zumutbarkeit bei durch Risikosportarten hervorgerufenen Eignungsmängeln könnte aber sprechen, daß der Arbeitnehmer wegen außerdienstlichem Verhalten Bestandsschutz verlieren soll, ohne daß ihn eine Pflicht zu anderem Verhalten getroffen hätte. Eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers, wonach jedes die Erlüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten negativ beeinflussende Verhalten zu unterlassen ist, besteht nicht. 333 Fehlt es an einer Pflicht des Arbeitnehmers, sein außerdienstliches Verhalten dem Arbeitsverhältnis unterzuordnen, kann dadurch auch keine Einschränkung des Bestandsschutzes gerechtfertigt werden. Die Zumutbarkeit für dem Arbeitgeber aufzuerlegenden Belastungen bei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen kann dadurch erhöht werden, daß eine in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit hervorgerufene, krankheitsbedingte Einschränkung des Arbeitnehmers vorliegt. Konkret bedeutet das, daß die Länge einer notwendigen Qualifizierungsmaßnahme mit dieser Begründung gegenüber der normativen Grenze deutlich erhöht werden kann. Eine Grenze nach oben wird dabei aber nicht von vornherein festgelegt. Außerbetriebliches Verhalten ist demgegen330 331 332 333
In diesem Sinne wohl ErfK/ Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568. APS/ Kiel, § 1 KSchG Rn. 621. Den Verweis auf die Risikosportarten anbringend, ErfK/ Ascheid, § 1 KSchG Rn. 568. MünchArbR/ Blomeyer § 53 Rn. 120; ErfK/ Preis, § 611 BGB Rn. 1017.
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über für den in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG konkretisierten Bestandsschutz unbeachtlich und kann daher auch dann nicht zu einer Begrenzung des zulässigen Qualifizierungsbedarfs des Arbeitnehmers führen, wenn der Arbeitnehmer sich über das übliche Maß hinausgehenden Gefahren aussetzt. (bb) Zumutbarkeitserwägungen bei Kündigung aufgrund fachlicher Eignungsmänge1 Häufig soll eine Kündigung erfolgen, weil der Arbeitnehmer fachliche Eignungsmängel aufweist, das Leistungsprofil des Arbeitnehmers also nicht mehr dem arbeitsplatzbezogenen Anforderungsprofil entspricht. 334 In diesen Fällen ist der Arbeitnehmer entweder für eine andere Tatigkeit umzuschulen oder für die Erfüllung des "eigenen" Arbeitsplatzes durch eine Fortbildung wieder den Erfordernissen anzupassen 335 . Liegen fachliche Eignungsmängel vor, die der Arbeitnehmer als Nebenpflicht zu beseitigen hätte 336, handelt es sich um den Fall einer verhaltensbedingten Kündigung. Ausnahmsweise ist in dieser Konstellation von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen völlig abzusehen, weil sonst die Nebenpflicht des Arbeitnehmers durch § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG zur Arbeitgeberpflicht würde. Handelt es sich aber um einen, durch fachliche Eignungsmängel hervorgerufenen, personenbedingten Kündigungsgrund, sind keine allgemein geltenden Gesichtspunkte erkennbar, die einen erhöhten oder zu mindernden Bestandsschutz zur Folge haben können. (b) Verhaltensbedingte Kündigung Bei auf verhaltensbezogenen Sachverhalten beruhenden Kündigungssituationen werden Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen seltener als bei personen- und betriebsbedingten Kündigungsgründen in Betracht kommen, ohne daß sie aber ganz auszuschließen sind. 337 Es ist zwischen arbeitsplatzbezogenen und arbeitnehmerbezogenen verhaltensbedingten Störungen zu unterscheiden. 338 Bei arbeitnehmerbezogenen Störungen werden Qualifizierungsmaßnahmen die die Besetzung eines anderen Arbeitsplatzes ermöglichen, regelmäßig schon nicht geeignet sein, das arbeitgeberseitige Interesse an der Kündigung zu befriedigen. 339 Bei arbeitsplatzbezogenen Störungen, also Verhaltensweisen des Arbeitnehmers, die an einem 334
§ 10 A III 1 b) 1S. 284 ff.
Letzteres übersieht Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2422), wenn er davon ausgeht, daß immer ein anderer Arbeitsplatz bestehen muß. 336 § 10 A III 1 b) aa) (2) 1S. 286 ff. 337 § 10 A III 21 S. 292 f. 338 Preis, NZA 1997,1073 ff. (1077). 335
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Vgl. Preis, Prinzipien, S. 461. Siehe auch § 10 A IV 1 b)/S. 298 ff.
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anderen Arbeitsplatz nicht mehr ins Gewicht fallen oder nicht mehr erfolgen können, kann eine anderweitige Beschäftigung nach einer Umschulung jedoch durchaus ein milderes geeignetes Mittel sein. Gleichwohl wirken sich das jeweilige Maß des Verschuldens des Arbeitnehmers an dem vertragsverletzenden Verhalten und die Schwere der Tat im Rahmen der Interessenabwägung aus 340 und können so die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber beeinflussen. Bei hohem Verschulden des Arbeitnehmers könnte eine Weiterbildung daher gänzlich als unzumutbar anzusehen sein, jedenfalls ist aber die grundsätzlich als zumutbar angesehene Maßnahmelänge zu verkürzen. So kann zwar die Kündigung eines einmalig und wegen einer geringen Summe untreu gewordenen Buchhalters durch eine Versetzung in die Fahrbereitschaft des Unternehmens abgewandt werden 341 , doch kann vom Arbeitgeber bei einer notwendigen Qualifizierung keinesfalls der gleiche Aufwand erwartet werden, wie bei einem aufgrund eines Betriebsunfalls umschulungsbedürftigen Arbeitnehmer. Im konkreten Fall bedeutet das beispielsweise, daß dem untreuen Buchhalter wohl nicht der Erwerb eines Führerscheins ermöglicht werden müsste, dem Arbeitgeber aber eine weniger aufwendige und kostengünstigere ein wöchige Zusatzausbildung für besondere Anforderungen in der Fahrbereitschaft, wie Straßen- und Landeskunde, zugemutet werden könnte. (c) Betriebsbedingte Kündigung Die betriebsbedingte Kündigung realisiert das Interesse des Arbeitgebers, den Personalbestand dem veränderten qualitativen oder quantitativen Personalbedarf anzupassen?42 Sie ist Folge der freien Entscheidung des Unternehmers, den Betrieb umzustrukturieren, stillzulegen, neue Maschinen anzuschaffen, wegen Auftragsmangels Personal abzubauen, etc. 343 Gerade wegen der Unmöglichkeit einer Beeinflussung seitens des Arbeitnehmers könnte seinem Bestandsschutz bei der Interessenabwägung mehr Gewicht verliehen werden?44 Problematisch ist, daß gerade eine schlechte wirtschaftliche Lage häufig Grund für anstehende betriebsbedingte Kündigungen ist und daher nur wenig wirtschaftliche Mittel für Qualifizierungen zur Verfügung stehen. Die wirtschaftliche Situation läßt sich aber nicht pauschal anhand des Kündigungsgrundes bzw. der Ursache für die dringenden betrieblichen Erfordernisse erkennen, wie am Beispiel der betrieblichen Organisation verdeutlicht werden soll. Betriebliche Organisationsänderungen verpflichten den Arbeitgeber in erster Linie 340 341
342 343 344
Vgl. StahlhackelPreislVossen, Rn. 680. Vgl. auch das von Preis, Prinzipien, S. 462, aufgeworfene Beispiel. Löwisch, § 1 KSchG Rn. 229. Löwisch, § 1 KSchG Rn. 229; Stahlhackel PreislVossen, Rn. 624 f. K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 402.
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zu Unterrichtungsmaßnahmen gern. § 81 Abs. 1 2 BetrVG. Kommen solche mangels fehlender persönlicher Voraussetzungen der Arbeitnehmer nicht in Betrache45 , liegt ein fachlicher Mangel und damit eventuell die Situation einer personenbedingten Kündigung vor. Allein, wenn die Umorganisation so gravierend ist, daß der alte Arbeitsplatz wegfällt, kann die Situation einer betriebsbedingten Kündigung gegeben sein. Ob die betriebliche Organisation aber aufgrund von Verlusten oder zur weiteren Gewinnsteigerung bei ohnehin guter wirtschaftlicher Lage346 geändert wurde, läßt sich daran nicht erkennen. Dafür muß die Situation des Betriebes im einzelnen näher betrachtet werden. Eine allgemeine Regel für die Interessenabwägung bei betriebsbedingten Kündigungen läßt sich somit nicht aufstellen. Jedoch ist davon auszugehen, daß bei betrieblichen Erfordernissen, die nicht auf verlustbedingten Rationalisierungen beruhen, die Zumutbarkeit des Arbeitgebers eine höhere Schwelle haben muß. Das bedeutet, auch mit einem geringeren Begründungsaufwand wird eine über die grundsätzliche Länge hinausgehende Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme als zumutbar anzusehen sein. Grenzen festzulegen oder pauschal eine Verlängerung der Maßnahmedauer zu definieren, ist aber nicht möglich. (4) Persönliche Merkmale der Arbeitnehmer
Abschließend sind die persönlichen Merkmale der Arbeitnehmer näher zu betrachten. Hier läßt sich noch weniger als bei den bereits dargestellten Gesichtspunkten ein klares Schema zeichnen, es kann daher nur versucht werden, die einzelnen Kriterien auf ihre Tragfähigkeit und Wertigkeit zu untersuchen. (a) Alter des Arbeitnehmers Als wichtiges Kriterium wird häufig das Alter des Arbeitnehmers genannt. 347 Jedoch kann nicht das Alter an sich die Zumutbarkeit beeinflussen, sondern nur in Verbindung mit den Eigenschaften und Erwartungen, die Personen in einem bestimmten Alter zugeschrieben werden. Am Alter eines Arbeitnehmers ist bzw. soll unter anderem erkennbar sein, wie lange er noch im Berufsleben stehen wird, wieviel Berufserfahrung er hat, wie bildungsbereit und sozial schutzbedürftig er ist sowie welche Erfolgsaussichten die Maßnahme ungefähr haben kann?48
2. Teil § 5 IV 1 a) 1 S. 112 ff. APSI Kiel. § 1 KSchG Rn. 620, will darauf abstellen, worin die Ursache der dringenden betrieblichen Erfordernisse liegt. 347 Birk. FS für Kissel, S. 51 ff. (60); A. Hueck. Anm. zu BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7.5. 1968, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, unter 4 .. Kassen. S. 171 f.; APS 1Kiel. § 1 KSchG Rn. 620; Löwisch. § 1 KSchG Rn. 269. 348 Vgl. Birk. FS für Kissel, S. 51 ff. (60). 345
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Vor allem die noch zu erwartende Beschäftigungszeit wird häufig als wichtiges Kriterium angeführt. 349 Doch ist dem nur eine begrenzte Aussagefähigkeit beizumessen, denn auch junge Arbeitnehmer binden sich nicht bis zum Ende der Berufstätigkeit an den Betrieb. Sie können den Arbeitgeber wechseln, bevor schwerer vermittelbare ältere Arbeitnehmer überhaupt den Ruhestand in Betracht ziehen. Daher wurde im 2. Teil bezüglich der Frage der Gleichbehandlung das Alter als sachgerechtes Differenzierungskriterium auf den Zeitraum beschränkt, in welchem die Arbeitnehmer durch Rückzahlungsklauseln gebunden sind. 35o Dieser Bezug paßt vorliegend nicht, weil eine Bindung des Arbeitnehmers nach einer Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG im Regelfall nicht besteht. 351 Sind auch jüngere Arbeitnehmer nach erfolgreicher Qualifizierung und Einsatz an dem neuen Arbeitsplatz nicht gebunden, ist das Abstellen auf die noch zu erwartende Beschäftigungszeit schwierig. Andererseits besteht bei jüngeren Arbeitnehmern grundsätzlich die Annahme - wenn auch eher nach dem Prinzip Hoffnung - sie würden länger im Betrieb bleiben. Gerade mit steigender Qualifikation und Spezialisierung kann diese Hoffnung schnell enttäuscht werden. Um ältere Arbeitnehmer gegenüber jüngeren nicht zu sehr zu benachteiligen, darf die noch zu erwartende Beschäftigungszeit nur dann eine Rolle spielen, wenn sie unter 5 Jahren liegt. 352 In diesem Zeitraum haben sich Qualifizierung und Weiterbeschäftigung ungeachtet der Länge und Ausgaben im Einzelfall, in jedem Fall amortisiert, und über einen längeren Zeitraum kann die Weiterbeschäftigung eines jüngeren Arbeitnehmers auch nicht vermutet werden. 353 Die noch zu erwartende 349 MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 24; Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (60); Kassen, S. 170; K/D/Z-Kittner, § 1 KSchG Rn. 402; APSI Kiel, § 1 KSchG Rn. 620; Stahlhackel PreislVossen, Rn. 640. 350 2. Teil § 7 C I 2 a) 1S. 254 f. 351 Vgl. BAG - 5 AZR 443 190 - v. 24. 7. 1991, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, worin eine Rückzahlungspflicht abgelehnt wurde, weil die Qualifizierung im überwiegenden Arbeitgeberinteresse erfolgte. Ein solches Interesse ist bei der Suche nach einer anderweitigen Beschäftigung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1.HS KSchG ebenfalls gegeben (und liegt meines Erachtens auch schon im vom BAG entschiedenen Fall vor). Etwas anderes kann nur gelten, beruht die Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG nicht nur auf dem Bestandsschutz, sondern auch auf der Erwartung, der weiteren Beschäftigung. Das Bestehen dieser Erwartung zeigt sich darin, daß es sich um eine (Neu)Einstellung des Arbeitnehmers handelt, und der Arbeitgeber, wenn er nicht eine positive Zukunftsprognose bzgl. der Weiterbeschäftigung aufstellen würde, den Arbeitnehmer auch nicht anderweitig weiterbeschäftigen müßte. Die fehlende Bindung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber nach einer aufgrund § 1 Abs. 2 S. 3 1.HS KSchG durchgeführten Umschulung oder Fortbildung sollte daher kritisch überdacht werden. Das Problem der Bindung an das Unternehmen in Fällen des § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG sieht auch MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 25. Er will die Zumutbarkeitsschwelle des Arbeitgebers mit Einführung einer Rückzahlungsklausel automatisch erhöhen. Hanaul Stoffels, S. 25 legen sich bezüglich der Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln nicht fest. Vgl. zu dieser Problematik auch sogleich unter§ 10 V 3 b) ee) (1) 1S. 349 ff. 352 Das betrifft natürlich auch befristet Beschäftigte, vgl. Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2426). 353 Fünf Jahre beträgt auch die Zeitspanne, die das BAG bisher als längste Bindungsdauer anerkannt hat, vgl. - 5 AZR 1056/77 - v. 12. 12. 1979 unter 11. 2. b) der Gründe, AP Nr. 4
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Beschäftigungszeit wirkt sich also nur dann negativ aus, wenn dieser Zeitraum unter 5 Jahren liegt. Ansonsten ist sie unbeachtlich. In Verbindung mit dem Alter werden häufig auch Überlegungen zur Erfolgsaussicht der Maßnahme angestellt und als negative Verzögerung aufgeführt. 354 Allerdings lassen sich diesbezüglich keine allgemeinen Regeln aufstellen. Es ist stets vom Bildungsgrad und der jeweiligen Konstitution des Arbeitnehmers abhängig, wie groß die Chancen auf eine erfolgreiche Qualifizierung sind. Schablonenhafte Zuordnungen verbieten sich schon deshalb, weil der unkalkulierbare Faktor der Berufserfahrung genauso wie der der Bildungsbereitschaft hinzukommen. Beide lassen sich nicht generell beurteilen, sondern sind nur individuell anhand bisheriger Erfahrungen mit dem Arbeitnehmer feststellbar. Die ebenfalls im Alter Ausdruck findende soziale Schutzbedürftigkeit ist für die Qualifizierungsmaßnahmen nicht zu beachten. Welchen Qualifizierungsbedarf der Arbeitnehmer hat, läßt sich damit nicht umschreiben. Als Bestandsschutzargument findet das Alter ausreichend Beachtung in der Betriebszugehörigkeit; ist die Qualifizierung einmal festgelegt, wirkt sich ein hohes Alter in ausreichender Weise im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG aus. (b) Betriebszugehörigkeit Einen wichtigen, personengebundenen Aspekt für die Bestimmung des Bestandsschutzes, stellt die bisherige Betriebszugehörigkeit dar. 355 Sie zu beachten steht außer Zweifel, die Frage ist lediglich, in welchem Maße ihr Bedeutung zukommt. Sie fand bereits Beachtung bei der Berechnung der als normativer Anhaltspunkt gedachten Maßnahmelänge 356 , sollte aber außerdem ein Argument auf Arbeitnehmerseite für die Bestimmung der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber sein. Die doppelte Beeinflussung der Zumutbarkeit kann damit begründet werden, daß die gesetzlichen Kündigungsfristen nicht proportional zu den Beschäftigungsjahren steigen und somit einem seit 20 Jahren im Betrieb Beschäftigten lediglich eine sechs Monate längere Bildungsmaßnahme gegenüber einem seit einem Jahr Beschäftigten zugestanden werden kann. Das kann zwar gerechtfertigt sein, könnte aber auch den langjährigen Mitarbeiter unzulässig benachteiligen. zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; bestätigt durch BAG - 5 AZR 241/94 - v. 6. 9. 1995 unter 4 a der Gründe, AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. von HoyningenHuene. Natürlich ergibt sich die im einzelnen zulässige Länge immer aus der konkreten Gestaltung der Rückzahlungsverpflichtung, darauf kommt es aber in der vorliegenden Betrachtung nicht an. 354 Birk. FS für Kissel, S. 51 ff. (60); KR-Etzel. § 1 KSchG Rn. 767; Gaul. BB 1995, 2422 ff. (2426); Löwisch. § 1 KSchG Rn. 269. Vgl. auch schon die Ausführungen zur Zumutbarkeit der Weiterbildung für den Arbeitgeber unter V 21 S. 311 ff. 355 ErfKlAscheid. § 1 KSchG Rn. 568; Gaul. BB 1995,2422 ff. (2426); APS 1Kiel. § 1 KSchG Rn. 620; K/D/Z-Kittner, § 1 KSchG Rn. 402; Löwisch, § 1 KSchG Rn. 269; Stahlhackel PreislVossen. Rn. 640. 356 Vgl. § 10 A V 3 b) bb) (1) (b)/S. 330 f.
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Hier richtig abzuwägen, ist wiederum nur im Einzelfall möglich. Doch sollte eine Beachtung der bisherigen Beschäftigungszeit meiner Ansicht nach nicht als Verkürzung der jeweils anzuerkennenden Maßnahmelänge möglich sein, sondern nur als Verlängerung. Anderenfalls wären Weiterbildungsmaßnahmen mit weniger als vier Monaten für erst kurz im Betrieb Beschäftigte zu knapp bemessen. (c) Unterhaltsverpflichtung Der soziale Gesichtspunkt der Unterhaltsverpflichtung ist nicht in die Frage der Zumutbarkeit einer Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahme einzubeziehen. 357 Anders als das Alter und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers fehlt es bei der Unterhaltsverpflichtung des Arbeitnehmers an einem direkten Bezug zu einer vorzunehmenden Bildungsmaßnahme. Die Unterhaltsverpflichtung bleibt somit unbeachtlich. 358 (5) Abschließende Betrachtung der arbeitnehmerbezogenen Kriterien Wie bereits dargestellt, ergibt sich die Zumutbarkeit einer Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG für den Arbeitgeber aus einer Abwägung seiner wirtschaftlichen und organisatorischen Belastung mit dem den Arbeitnehmer im einzelnen zu gewährleistenden Bestandsschutz. Der Bestandsschutz ist dabei das in der Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG konkretisierte Interesse, welches der Arbeitnehmer an einer Qualifizierung zu gewähren ist. Daher bestimmt es sich auch aus Kriterien, die den Erfolg der Maßnahme und die Weiterbeschäftigung stützen. Der Bestandsschutz muß als feste Größe insofern betrachtet werden, als zumindest jeder Arbeitnehmer, für den das Kündigungsschutzgesetz maßgeblich ist, diesen für sich in Anspruch nehmen kann. Entgegen anders lautenden Meinungen in Rechtsprechung und Literatur können die Art der Maßnahme und die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses keine Auswirkungen auf den Bestandsschutz und damit auf die Zumutbarkeit einer Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahme haben. Jedoch kann eine berufsbedingte partielle Arbeitsunfähigkeit die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber in zulässiger Weise erhöhen, ebenso wie ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers den Bestandsschutz beschränken kann. Als speziell auf die anzuerkennende Qualifizierungsbedürftigkeit Einfluß nehmende persönliche Faktoren des Arbeitnehmers sind persönlichen Fähigkeiten, insbesondere die Lernfähigkeit und -willigkeit der Arbeitnehmer, mitbestimmend. Das Alter kann hierfür nur einen Anhaltspunkt bieten, ohne daß eine Einzelfallbetrachtung dadurch ersetzt werden darf. Einfluß auf die 357 358
A. A. Kassen, S. 171 f.; Meisel, BB 1963, 1058 ff. (1060). Gaul, BB 1995, 2422 ff. (2426).
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Zumutbarkeit ist ebenfalls der Betriebszugehörigkeit zuzugestehen, da bereits über Jahre erwirtschaftete Vorteile eine nicht vemachlässigbare Größe für Investitionen in die zukünftig mögliche Weiterbeschäftigung darstellen. Keinen Bezug können aber rein soziale Kriterien wie die bestehenden Unterhaltsverpflichtungen entfalten. dd) Einfluß der bisherigen Weiterbildungspraxis des Arbeitgebers auf den Bestandsschutz des Arbeitnehmers Der in § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG konkretisierte Bestandsschutz des Arbeitnehmers könnte nicht nur durch arbeitnehmerbezogene Kriterien beeinflußt werden. Geht man davon aus, daß es sich bei Bestandsschutz um den Bereich handelt, in welchem dem Arbeitgeber geboten wird, eine uneingeschränkte Kündigung zu unterlassen 359, können darauf auch Verhaltensweisen des Arbeitgebers Auswirkungen haben. Da das Arbeitsverhältnis von Beginn bis zur Beendigung eine Einheit darstellt, muß untersucht werden, ob eine Verbindung zwischen Weiterbildungspraxis während des Verlaufes des Arbeitsverhältnisses und den gesetzlich gebotenen nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG besteht. Dies ist in zwei Richtungen denkbar. (1) Einfluß bisher durchgeführter Weiterbildungsmaßnahmen
Kittner meint, daß einem Arbeitgeber, der bereits im laufenden intakten Arbeitsverhältnis häufig freiwillig Qualifizierungen durchführt, auch im Falle einer anstehenden Kündigung mehr zuzumuten sei als einem vergleichbaren Arbeitgeber, der auch sonst keine Bildungsausgaben hat. 36o Diese Schlußfolgerung ist bedenklich, weil sie den Arbeitgeber begünstigt, der sich nicht für die ideellen Interessen der Arbeitnehmer einsetzt. Ist der betreffende Arbeitnehmer vor anstehender Kündigung nicht unter den im Betrieb üblichen Umständen qualifiziert worden und steht gerade auch deshalb jetzt eine Kündigung an, kann der Argumentation Kittners im Ergebnis, aber nicht der Begründung gefolgt werden. Dem Arbeitnehmer sind dann genaugenommen zwei verschiedene Weiterbildungsmaßnahmen zuzugestehen. Zunächst hat er einen Anspruch auf die Weiterbildung, von der er beispielsweise unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, eine Betriebsvereinbarung oder eine betriebliche Übung 361 ausgeschlossen wurde. Zusätzlich könnte er bei anstehender Kündigung auf § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG verweisen. Wurde der Arbeitnehmer dagegen stets im Rahmen der betrieblichen Umstände qualifiziert, ist kein Grund ersichtlich, die betrieblichen Gepflogenheiten in die Belastungsgrenze des Arbeitgebers bei der Zumutbarkeit gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG 359 360 361
Vgl. dazu schon § 9 A / S. 266. K/D/Z, § 1 KSchG Rn. 404. V gl. dazu auch 2. Teil § 6 B 11 S. 203 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
mit einzubeziehen. Es wäre unbillig, Arbeitgeber, die freiwillig Weiterbildung vornehmen, mit einem anderen Maßstab zu bemessen. (2) Einfluß unterlassener Weiterbildungsmaßnahmen
Im Gegensatz zu den von Kittner angestellten Überlegungen ist zu prüfen, ob nicht im Verlauf des Arbeitsverhältnisses unterlassene Weiterbildung gerade erweiternd für die Zumutbarkeit des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG wirken müssen. Wären die Arbeitnehmer ständig auf dem neuesten technischen Stand - auch unabhängig von der jeweiligen betrieblichen Notwendigkeit - würde vor allem betriebsbedingten Kündigungen nach Umstrukturierungen vorgebeugt. Das Gebot des § 75 Abs. 2 BetrVG, nach welchem Arbeitgeber und Betriebsrat die Weiterbildung im Betrieb fördern und schützen sollen, wurde bereits näher untersuche 62 Dieses beinhaltet auch eine (Amts)Pf1icht zur Förderung der betrieblichen Weiterbildung. Jedoch wurde festgestellt, daß es sich dabei nur um einen Verhaltensmaßstab handelt, der keine über die bereits bestehenden Normen hinausgehenden Rechte zur Folge hat. 363 Die Nichteinhaltung des Gebotes kann daher auch nicht dazu führen, ein dem Förderungsgedanken widersprechendes Verhalten mit höheren Maßstäben im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zu sanktionieren. Auswirkungen auf den Bestandsschutz und somit die Zumutbarkeit einer Weiterbildungsmaßnahme insgesamt könnte die Unterlassung einer nach § 81 Abs. 4 BetrVG gebotenen Erörterung der Qualifizierungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers bei Einführung neuer technischer Anlagen, Arbeitsverfahren und Arbeitsplätze haben. Bei § 81 Abs. 4 BetrVG handelt es sich um eine lex impeifecta, die mangels eigener Sanktionswirkung im Zusammenspiel mit anderen Normen wirkt. Wegen der möglichen Kündigungsfolge bei unterlassener Erörterung beeinflußt die Erörterung den unbestimmten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit, bei einer vor einer Kündigung durchzuführenden Fortbildung oder Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S.3 1. HS KSchG. 364 Fraglich ist, ob sich die unterlassene Erörterung generell auf die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber zur Qualifizierung des betreffenden Arbeitnehmers gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG auswirkt oder ob lediglich ein längerer Anpassungszeitraum die Folge ist. 365 Zweck des § 81 Abs. 4 BetrVG ist, sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer rechtzeitig vor Augen zu führen, welche Änderungen notwendig sind, um den geänderten Arbeitsplatz auch weiterhin erfüllen zu können?66 Wird die Erörterung unterlassen, ist beiden die Möglichkeit genommen, rechtzeitig eine Qualifizierung anzustreben. Andererseits bestimmt 2. Teil § 5 A VII S. 150 ff. GK-KraJt, § 75 BetrVG Rn. 86. 364 F/K/H/E/S, § 81 BetrVG Rn. 25; ErfK./HanauIKania, § 81 BetrVG Rn. 16 und Löwisch, BB 1988, 1953 ff. (1954). 365 So ErfK./ Hanaul Kania, § 81 BetrVG Rn. 16 und Löwisch, BB 1988, 1953 ff. (1954). 366 BT-Drucks. 11 /3604, S. 12; BT-Drucks. 11 /3618, S. 9 f. 362 363
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§ 81 Abs. 4 BetrVG gerade nicht, wer die Qualifizierung vorzunehmen hat. 367 Würde jetzt im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG die gesamte Zumutbarkeit beeinflußt, führte das dazu, daß der Arbeitgeber infolgedessen auch zu besonders kostenintensiven Maßnahmen angehalten werden könnte. Das wäre aber vom Zweck des § 81 Abs. 4 BetrVG nicht mehr getragen.
Eine unterlassene Erörterung darf daher nur den Zeitraum einer Weiterbildung beeinflussen. Daß sich daraus meist auch höhere Kosten ergeben, ist ein Risiko, welches der Arbeitgeber schon wegen der vorher versäumten Erörterung tragen muß. Auf den Bestandsschutz eines Arbeitnehmers muß es erweiternd wirken, wenn der Arbeitgeber während des Arbeitsverhältnisses die Freistellung für einen - in den maximalen Grenzen des Arbeitsschutzgesetzes vollzeitbeschäftigten - Arbeitnehmer während des bestehenden Arbeitsverhältnisses abgelehnt hatte 368 und wenn gerade wegen der so unterlassenen Qualifizierung jetzt eine Bildungsmaßnahme gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG nötig wird. Verdeutlichen läßt sich das anhand von Beispiel 1369 mit den Ausführungen zu einer eventuellen Freistellungspfliche7o . Dort wurde festgestellt, daß der Arbeitgeber nur dann zu einer Freistellung verpflichtet werden kann, wenn überwiegendes betriebliches Interesse an der Weiterbildung besteht, die arbeitsgesetzlich zulässige Arbeitszeit aber bereits durch die arbeitsvertraglich vereinbarten Beschäftigungszeiten in den Grenzen der Zulässigkeit ausgeschöpft ist. Für Herrn T war ein Englischkurs notwendig, um sich mit seinen neuen belgischen Kollegen verständigen zu können. Auf Nachfrage widersprach der Arbeitgeber aber einem bestehenden betrieblichen Interesse an einem Englischkurs des T. Sollte dem T jetzt gekündigt werden, weil seine Arbeit darunter leidet, daß er sich mit seinen belgischen Kollegen nicht verständigen kann, muß zur Vermeidung der Sozial widrigkeit der Kündigung vorher die Möglichkeit eines Sprachkurses geprüft werden. In die Zumutbarkeit muß seitens des Arbeitgebers dabei einfließen, daß er die vorherige Durchführung einer Weiterbildung verhindert hat. (3) Erhöhung des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III Die Norm des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III könnte für den Bestandsschutz des Arbeitnehmers erweiternd wirken. Wie bereits im Rahmen der Untersuchung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III festgestelle7l , handelt es sich bei § 2 SGB III um eine Grundsatznorm, die die besondere 367 368 369 370 371
Vgl. 2. Teil § 5 A V 1/S. 147 ff. Zu diesen Erwägungen vgl. 2. Teil § 7 BIll a) bb) / S. 230 ff. Zum Ausgangssachverhalt vgl. 1. Teil § 1 A / S. 26. Vgl. dazu 2. Teil § 7 BIll /S. 213 ff. 2. Teil § 5 A VIII 2/ S. 158 ff. sowie § 10 C / S. 380.
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Verantwortung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Beschäftigung herausstellt und zur Erreichung des verfolgten Zieles sowohl im Sozialrecht als auch im Arbeitsrecht Wirkung entfalten muß. Ebenso wie § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III, der die Anpassung an die berufliche Leistungsfähigkeit zum Inhalt hat, kann auch durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III keine anspruchsbegründende Wirkung erzielt werden. Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur sieht in § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III einen zusätzlichen Hinweis auf das ultima-ratio-Prinzip des Kündigungsschutzrechtes. 372 Das allgemeine ultima-ratio-Prinzip wird dadurch konkretisiert, weswegen im Einzelfall auch Änderungen der bestehenden Handhabung dieses Prinzips im Kündigungsschutzgesetz möglich sind??3 Eine Erweiterung oder Ausfüllung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG durch das im SGB III umschriebene Gebot der vorrangigen Inanspruchnahme betrieblicher Maßnahmen kann jedoch nicht erfolgen, weil es inhaltlich nicht über § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG hinausgeht. Die Qualifizierungsklausel des Kündigungsschutzgesetzes ist spezieller, da sie nicht nur angibt, daß eine betriebliche Inanspruchnahme vorrangig ist, sondern auch, in welcher Form die betriebliche Inanspruchnahme erfolgen soll. Die allgemeinere Norm des § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB III kann die Aussage des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG und somit den unbestimmten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit in seiner Bedeutung nur unterstützen, ohne ihn aber auszufüllen oder zu erweitern. (4) Ergebnis zum Einfluß von Handlungen des Arbeitgebers auf den Bestandsschutz Der Bestandsschutz des Arbeitnehmers kann grundsätzlich nicht durch während des Arbeitsverhältnisses unterlassene Weiterbildungsmaßnahmen beeinflußt werden. Daran ändert auch das Fördergebot des § 75 Abs. 2 BetrVG nichts, da die Norm einen bloßen Verhaltensmaßstab ohne rechtliche Verbindlichkeit darstellt. Auch die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB III führt zu keinem anderen Ergebnis. Jedoch kann eine unterlassene Erörterung gern. § 81 Abs. 4 BetrVG eine Verlängerung des dem Arbeitnehmer zustehenden Anpassungszeitraumes zur Folge haben. Die Zumutbarkeit insgesamt erweiternd wirkt es, wenn der Arbeitgeber die Freistellung für eine vom Arbeitnehmer angestrebte Weiterbildungsmaßnahme abgelehnt hatte und gerade diese die nun fehlenden Kenntnisse vermittelt hätte. Allerdings muß es sich hierbei um den Sonderfall handeln, daß die arbeitszeitgesetzlich zulässige Arbeitszeit bereits durch die arbeitsvertraglieh geschuldete Beschäftigung ausgefüllt ist.
372 Bepler; in: Gage!, § 2 SGB III Rn. 28 f.; Bieback, AuR 1999,209 ff. (211); Preis, NZA 1998,449 ff. (455 f.); vgl. dazu auch schon § 5 A VIII 2 c)/ S. 161 ff. m. w. N. 373 Preis, NZA 1998,449 ff. (456).
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ee) Die Zumutbarkeit beeinflußende Faktoren durch Sicherung und Begrenzung der Kostenlast
Nach Betrachtung der für die Interessenabwägung auf beiden Seiten einzubeziehenden und somit die Zumutbarkeit bestimmenden Gesichtspunkte ist zu überlegen, ob die so gefundene Zumutbarkeitsschwelle des Arbeitgebers durch äußere Umstände, die nicht die Durchführung oder den Erfolg der Maßnahme selbst betreffen, erhöht werden kann. Denkbar wäre, daß der Arbeitnehmer teilweise Kosten für die Weiterbildung übernimmt, er sich für längere Zeit auch nach Abschluß der Bildungsmaßnahmen an das Unternehmen bindet oder die Finanzierung zumindest teilweise durch Dritte getragen wird. Vor allem in Zeiten geringer Beschäftigung und angespannter wirtschaftlicher Lage könnte die Qualifizierungsklausel des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG ein größeres Gewicht als bisher erhalten. Die Arbeitnehmer sehen die Chance, trotz kündigungsrelevanter Lage im Betrieb bleiben zu können, und der Arbeitgeber versucht so, die ihn im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG treffenden Belastungen möglichst gering zu halten oder zumindest den Arbeitnehmer an sich zu binden. Im folgenden sollen zwei Möglichkeiten der Entlastung des Arbeitgebers näher auf ihre Zulässigkeit untersucht werden. Zunächst ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber Rückzahlungsklauseln abschließen kann, um so ein Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis vor Amortisation der Ausgaben zu verhindern (unter (1». Daran anschließend ist der Frage nachzugehen, ob bzw. in welcher Art eine Beteiligung an der Finanzierung der Weiterbildung möglich ist (unter (2». (1) Abschluß von Rückzahlungsklauseln im Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 3 I.HS KSchG Auch ohne die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers unmittelbar zu beeinflussen, könnte es für die Bewertung der Zumutbarkeit einer Weiterbildungsmaßnahme einen entscheidenden Unterschied machen, ob gesichert ist, daß sich die Investition zumindest teilweise auch amortisiert oder ob die Gefahr besteht, daß der Arbeitnehmer - der ja schon einmal kurz vor der betriebsbedingten Kündigung stand - eine sich ihm bietende Chance nutzt und mit der gerade erhaltenen Qualifizierung einen neuen Arbeitsplatz sucht. Vor allem bei ohnehin schon hoch qualifizierten und spezialisierten Arbeitnehmern, wie beispielsweise Flugzeugpiloten, stellt der Weggang nach einer Qualifikation eine große Gefahr für den Arbeitgeber dar. 374 Ungeklärt ist, ob die Zumutbarkeit einer Qualifizierung nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG durch Rückzahlungsklauseln, die zwischen Arbeitgeber und Arbeit374 BAG - 5 AZR 443/90 - v. 24. 7. 1991, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe = EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 8 mit Anm. Ahrens.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
nehmer vereinbart worden sind, abgesichert werden kann?75 In solchen Klauseln verpflichtet sich der Arbeitnehmer, sich im Falle seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer in der Vereinbarung festgelegten Frist an den Kosten für die ihm gewährte Qualifizierung zu beteiligen?76 Derartige Klauseln sind grundsätzlich zulässig, wenn sie sich auf solche Beendigungsgründe beziehen, die auf die Initiative oder das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sind. 377 Ist das gegeben, muß jeweils überprüft werden, ob sie auch in der betreffenden Konstellation, wie beispielsweise bei Gratifikationen oder aber Weiterbildungsvereinbarungen zuzulassen sind und ob sie in inhaltlich zulässiger Weise ausgestaltet sind?78 Nachfolgend soll sich mit der Frage auseinandergesetzt werden, ob Rückzahlungsklauseln im Fall der Qualifizierung nach § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG überhaupt wirksam vereinbart werden können (unter (a) und (b)) und ob bzw. wie dadurch die Zumutbarkeit einer Qualifizierungsmaßnahme für den Arbeitgeber beeinflußt werden kann (unter (c)). Das Problem der Zulässigkeitsprüfung ergibt sich im hier zu untersuchenden Fall speziell daraus, daß es sich einerseits nicht um eine, dem Arbeitgeber von vornherein ausdrücklich vollständig aufzuerlegende Kostentragungspflicht handelt 379 . Andererseits erfolgen die zumutbaren Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen gern. § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG aber auch nicht aufgrund eines freien Entschlusses des Arbeitgebers, wie bei mit Rückzahlungsklauseln gesicherten Gratifikationen oder freiwillig durchgeführten Weiterbildungsmaßnahmen, sondern sind durch ein gesetzliches Gebot veranlaßt.
m Eher ablehnend noch: BAG - 5 AZR 443/90 - v. 24. 7. 1991 unter III. 4. c) der Gründe, EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Nr. 8 mit insbesondere bezüglich dieses Problems krit. Anm. Ahrens. Ausdrücklich offengelassen BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16.3. 1994 unter A. 11. 1. a) ee) der Gründe, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Wiedemann; MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 25; HanaulStoffels, S. 24; ErfKl Preis, § 611 BGB Rn. 650. Unproblematisch bejaht Birk, FS für Kissel, S. 51 ff. (71) die Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln für Abbruch der Qualifizierung, äußert sich aber nicht zur Vertragsbindung über die Bildungszeit hinaus. Dagegen, Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425); KI D/Z-Kittner; Einleitung Rn. 811. 376 Mummenhoff, AR-Blattei SO, 1340, Rn. 75; Küttner 1Reinecke, Rückzahlungsklauseln, Rn. 1. 377 Vgl. BAG - 5 AZR 535/97 - v. 6. 5. 1998 unter 11. 4. der Gründe, AP Nr. 28 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe m. w. N. 378 Hanaul Stoffels, S. 18 f.; Küttner 1Reinecke, Rückzahlungsklauseln, Rn. 11. 379 Beispiele dafür bieten das Ausbildungsverhältnis gern. §§ 5 Abs. 2 Nr. 1, 19 BBiG (dazu HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. 1, Rn. 227 m. w. N.), Betriebsratsschulungen gern. §§ 37 Abs. 6, 40 BetrVG oder die Unterrichtung über neue Arbeitsmethoden bzw. -organisation gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG (dazu § 5 A IV 1S. 108 ff.) Zur Unzulässigkeit einer solchen Rückzahlungsklausel, Hoffmann, AuA 1996, 194 ff. 194 f.). Vgl. zur Kostentragungspflicht gern. § 1 Abs. 2 S. 3 I.HS KSchG schon § 10 A V 11 S. 309 f.
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(a) Freiwilligkeit einer Rückzahlungsklausel Ungeachtet materieller Bedenken gegen die Zulässigkeit von Rückzahlungsklausein im Fall des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG (dazu sogleich unter (b» könnte sich die Unzulässigkeit der Rückzahlungsklause1 schon aus der Abschlußsituation ergeben. Schließlich kann eine Entscheidung des Arbeitnehmers nicht in der für den Arbeitnehmer geforderten Freiwilligkeit erfolgen380, sondern steht unter einem gewissen Entscheidungsdruck. Der Arbeitnehmer wird letztlich immer allein vor die Alternative gestellt werden können, der Rückzahlungsklausel zuzustimmen oder ansonsten wegen wahrscheinlich unzumutbarer Fortbildungs- oder Umschulungsaufwendungen gekündigt zu werden. Obwohl es in dieser Situation an der für den Abschluß von Rückzahlungsklauseln geforderten Wahlfreiheit fehle 81 , kann dies allein nicht zur Unzulässigkeit von Rückzahlungsklauseln führen. Denn der Arbeitnehmer steht nicht unter einer von dem Arbeitgeber willkürlich lenkbaren Drucksituation. Es handelt sich um ein zusätzliches, gesetzlich gebotenes Angebot zur Vermeidung einer sonst sozial gerechtfertigten Kündigung. Die Möglichkeit der Erhöhung der Zumutbarkeitsschwelle für Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für den Arbeitgeber, kann nicht durch ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal wie die Freiwilligkeit, das für eine andere Situation entwickelt wurde, zunichte gemacht werden. Hinzu kommt, daß der Arbeitnehmer sich auch bei sonstigen Angeboten des Arbeitgebers zur Teilnahme an einer Weiterbildung nie gänzlich von der Erwartung des Arbeitgebers frei machen kann, an der angebotenen Qualifizierung teilzunehmen. Die Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln kann jedenfalls nicht wegen der fehlenden Alternative der Beibehaltung des bisherigen Status scheitern. (b) Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln Die Zulässigkeit, also das Ob solcher Rückzahlungsklauseln, ist an den allgemeinen Kriterien für Rückzahlungsklauseln zu überprüfen. Danach müssen Rückzahlungsvereinbarungen erstens dem Arbeitnehmer zuzumuten sein und zweitens einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers entsprechen?82 Die Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer bestimmt sich danach, ob und inwieweit der Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil i. S. d. Verbesserung seiner beruflichen Möglichkeiten 380 Vgl. zur Notwendigkeit der freiwilligen Vereinbarung: BAG - 5 AZR 240174 - v. 20.2. 1975 unter 11.4. b) der Gründe, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; - 5 AZR 443/90 - v. 24. 7. 1991 unter IIl. 4. c) der Gründe, AP Nr. 16 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; Hanau/Stoffels, S. 23; Huber/ Blömeke, BB 1998,2157 Cf. (2157). 381 Hanau/Stoffels, S. 23; Huber/Blömeke, BB 1998,2157 Cf. (2157). 382 Ständ. Rspr. BAG, vgl. - 5 AZR 531/80 - v. 23. 2. 1983 unter I. der Gründe, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Pleyer; - 5 AZR 241/94 - v. 6. 9. 1995 unter 2. der Gründe, AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. von HoyningenHuene; Griebeling, FS für Schaub, S. 219 Cf. (224); Krause, Anm. zu BAG - 5 AZR 430/90 - v. 24. 7. 1991, EzA § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, Nr. 7, S. 9 Cf. (16 Cf.).
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
erlangt. 383 Daher wird der Arbeitnehmer immer dann ein Interesse an der Weiterbildung haben, wenn sie ihm berufliche und nicht nur betriebs- bzw. unternehmensbezogene Vorteile bringt. 384 Solche Vorteile werden in der objektiven Möglichkeit gesehen, sich die erhöhte Qualifikation zunutze zu machen?85 Darunter wird gemeinhin ein beruflicher Aufstieg bei dem bisherigen oder einem anderen Arbeitgeber verstanden. 386 Die Zumutbarkeit wird abgelehnt, wenn es sich um vordergründig betriebsbezogene Qualifikationen, die vor allem vorhandene Kenntnisse auffrischen und erweitern oder um kurze Maßnahmen ohne allgemein anerkannten Abschluß handelt. 387 Es ist also stets zu prüfen, ob der Arbeitnehmer ein eigenes berufliches Interesse an der Weiterbildung hat, das über das bisher erreichte hinausgeht. Die Kostenbeteiligung ist dem Arbeitnehmer um so eher zuzumuten, je größer der mit der Qualifizierung verbundene Vorteil für ihn ist. 388 Das Interesse des Arbeitgebers an Rückzahlungsklauseln wird durch den üblicherweise verfolgten Zweck näher umschrieben. Der Zeitraum der Bindung durch die Vereinbarung soll die Amortisation der Aufwendungen durch die Arbeitsleistung gewährleisten. 389 Verfolgt der Arbeitgeber nicht den Zweck, sich die erworbenen Kenntnisse zumindest über einen gewissen Zeitraum hin nutzbar zu machen, ist ein berechtigtes Interesse an einer Rückzahlungsklausel abzulehnen?90 Sowohl die Zumutbarkeit einer Rückzahlungsklausel für den Arbeitnehmer als auch das berechtigte Interesse des Arbeitgebers werfen bezüglich der nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG durchzuführenden Qualifizierungen Probleme auf. Das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes ist stets als hoch einzuschätzen und stellt gegenüber dem Verlust des Arbeitsplatzes einen geldwerten Vorteil dar, doch ist dies nicht mit dem geforderten eigenen beruflichen Interesse gleichzusetzen. 391 Schließlich zielt die Rückzahlungsklausel nicht auf Dank für die Weiterbeschäftigung ab, sondern soll vermeiden, daß Dritte - also ein neuer 383 Ständ. Rspr. BAG - 5 AZR 399/75 - v. 18.8. 1976 unter 11.4. der Gründe, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; - 5241/94 - v. 6. 9.1995 unter 3. der Gründe, AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. von Hoyningen-Huene; HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. 1, Rn. 237 m. w. N. 384 Hanau/ Stoffels, S. 26 ff.; Schaub, § 176 V 3 IRn. 23. 385 Hanau/Stoffels. S. 28. 386 BAG - 5 AZR 399/75 - v. 18. 8. 1976 unter 11. 2. b) der Gründe, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; Schaub. § 176 V 31 Rn. 23. 387 BAG-5 AZR 573/84-v. 3. 7.1985 unter 3. der Gründe, (unv.); LAG Bremen-4 Sa 122/83 - v. 25. 1. 1984 unter A. 2. b) ee) und ff) der Gründe, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. 1, Rn. 239 f. m. w. N.; Huber/Blömeke, BB 1998,2157 ff. (2157). 388 BAG - 5 AZR 715193 - v. 30. 11. 1994 unter 2. b) der Gründe, AP Nr. 20 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe. 389 HzA-Bengelsdorf, Gr. 9 Tb. 1, Rn. 224; Hanau/Stoffels, S. 8; Mummenhoff, AR-Blattei SD, 1340, Rn. 75. 390 Huber/ Blömeke. BB 1998,2157 ff. (2158). 391 A. A. MünchArbRI Berkowsky § 140 Rn. 25.
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Arbeitgeber - Vorteile aus der Qualifizierung durch den vorherigen Arbeitgeber ziehen. Abgesehen von diesem Ausschluß könnten aber die gleichen Grundsätze wie bei Rückzahlungsklauseln bei freiwillig durchgeführter Qualifizierung gelten. Eine Rückzahlungsklausel kann danach unproblematisch vereinbart werden, sobald der Arbeitnehmer neben der Befähigung für eine anderweitige Beschäftigung im Unternehmen oder aber die Beseitigung der Leistungsmängel am "eigenen" Arbeitsplatz, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt insgesamt verbessert und nicht nur innerhalb des Unternehmens - bei der Erfüllung seiner bisherigen Arbeitspflichten - davon profitiert. Unternehmensbezogene geldwerte Vorteile (die wegen des Bewegens auf der gleichen oder einer niedrigeren Hierarchieebene nur in Ausnahmefällen auftreten können 392) müssen wegen der ohnehin bestehenden Verpflichtung zu einer anderweitigen Beschäftigung gern. § lAbs. 2 S. 2, 3 KSchG unbeachtet bleiben. Darüber hinausgehende, gerade wegen der Qualifizierung die Verdienst- und Berufschancen des Arbeitnehmers nennenswert erweiternde Vorteile 393 , können mit einer Rückzahlungsklausel abgesichert werden. Solche arbeitsmarktrelevanten Vorteile werden bei Umschulungen quasi immer gegeben sein, weil der Arbeitnehmer zu seiner bereits vorhandenen beruflichen Qualifikation eine weitere erhält. Eine Absicherung mit einer Rückzahlungsklausel erscheint dabei auch gerechtfertigt, schließlich handelt es sich bei § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG um eine Kündigungsschutzvorschrift, die eine Kündigung aus Erwägungen des Bestandsschutzes verhindern, dem Arbeitgeber aber nicht die Vermittlung von Kenntnissen für eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufgeben soll. Dem gesetzlichen Gebot wird ausreichend dadurch Rechnung getragen, daß der Arbeitgeber die Kosten trägt und der Arbeitnehmer nur im Falle seines Ausscheidens die Qualifizierungskosten anteilig übernehmen soll. Außerdem wird ein, die Grenze zwischen zulässigen und unzulässigen Rückzahlungsklauseln ziehender, berufsbezogener Vorteil des Arbeitnehmers um so eher zuzusprechen sein, je anerkannter ein durch die Qualifizierung erreichter Abschluß ist. 394 Das Interesse des Arbeitgebers an der Amortisation seiner Ausgaben auch in der Situation des § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG ist zwar verständlich, doch ist dies nicht mit der berechtigten Geltendmachung im Rechtssinne gleichzusetzen. Während der Arbeitgeber bei einer freiwillig durchgeführten Qualifizierung die Früchte seiner Investition ernten will, handelt es sich bei den vorliegenden Fällen um ein gesetzliches Gebot. Dieses Gebot folgt aus Überlegungen zum Bestandsschutz des Arbeitnehmers, also der bereits vergangenen Beschäftigungszeit. Daß aber auch die Weiterbeschäftigung nach § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG letztlich 392 Vgl. aber beispielsweise BAG - 2 AZR 269/95 - v. 5. 10. 1995, AP Nr. 71 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 393 BAG - 5 AZR 399/75 - v. 18. 8. 1976 unter 11. 2. a) der Gründe, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; - 5 AZR 308/89 - v. 11. 4. 1990 unter III. 3. der Gründe, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe. 394 BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16. 3. 1994 unter A. III. 1. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Wiedemann; HanaulStoffels, S. 23.
23 Fracke
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zukunfts gerichtet betrachtet wird, ergibt sich aus der für eine Weiterbeschäftigung notwendigerweise anzustellenden Zukunftsprognose. Fällt die Zukunftsprognose für eine Weiterbeschäftigung negativ aus, ist die Suche nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit hinfällig. Die Rechtfertigung einer Kündigung ergibt sich aber in letzter Konsequenz allein aus der negativen Prognose für die weitere Beschäftigung?95 Der Arbeitgeber wendet aufgrund einer positiven Zukunftsprognose Mittel auf, um die Weiterbeschäftigung überhaupt zu ermöglichen. Dabei handelt es sich nicht immer allein um die Vermittlung betriebsbezogener Kenntnisse, sondern zum Teil auch um Kenntnisse, die der Arbeitnehmer außerhalb des derzeitigen Betriebes verwerten kann. Gerade in solchen Situationen ist nachvollziehbar, daß der Arbeitgeber sich vor sofortiger Kündigung seitens des Arbeitnehmers schützen will. Die Rückzahlungsklausel soll die aufgrund der Zukunftsprognose aufgewendeten Mittel lediglich sichern. Ein berechtigtes Interesse ist dem Arbeitgeber damit in den Fällen zuzugestehen, in denen die Kenntnisvermittlung nicht allein in seinem Interesse, sondern auch dem beruflichen Interesse der Arbeitnehmer steht. Dabei spielt es für das berechtigte Interesse des Arbeitgebers keine Rolle, ob mit der Rückzahlungsklausel eine dem Arbeitgeber ohnehin schon zumutbare Weiterbildungsmaßnahme abgesichert werden soll, oder ob es sich um eine solche handelt, die durch die Vereinbarung der Rückzahlungsklausel erst zulässig wird. Bei der inhaltlichen Bewertung solcher Klauseln ist grundsätzlich auf die von der Rechtsprechung entwickelten Richtlinien zu verweisen?96 Vor allem wegen der Komplexität der die Rückzahlungsklauseln beeinflussenden Faktoren397 haben sich keine festen Maßstäbe für inhaltlich zulässige Rückzahlungsklauseln herausbilden können. Es bleibt im Streitfall immer dem Arbeitsrichter überlassen, die Ausgestaltung auf deren Zulässigkeit zu überprüfen. Darauf muß auch bezüglich der inhaltlich zulässigen Ausgestaltung von Rückzahlungsklauseln bei Qualifizierungen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG verwiesen werden, wobei hier als zusätzliches und die Bindung des Arbeitnehmers im Zweifel beschränkendes Merkmal der Anlaß der Weiterbildung beachtet werden muß. (c) Auswirkung von Rückzahlungsklauseln auf die Zumutbarkeit Nachdem die Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln bejaht wurde, stellt sich die Frage, wie sich diese Vereinbarungen auf die Zumutbarkeit i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG auswirken können. Kiel geht von der Relevanz solcher Klauseln Preis, Prinzipien, S. 322, 325 ff. m. umf. N. Griebeling, FS für Schaub, S. 219 ff. (233); krit. dazu von Hoyningen-Huene, Anm. zu BAG - 5 AZR 241/94 - v. 6. 9. 1995, AP Nr. 23 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, unter 11. 1.; Wiedemann, Anm. zu BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16.3. 1994, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, 2. 397 Vgl. BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16. 3. 1994 unter A. I. der Gründe, AP Nr. 18 Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Wiedemann. 395
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für die Gesamtbeurteilung der Zumutbarkeit der Maßnahme aus. 398 Dem ist zuzustimmen, denn während der Arbeitgeber gerade bezüglich der noch zu erwartenden Beschäftigungszeit ansonsten auf reine Prognosen angewiesen ist, kann er durch die Rückzahlungsklausel sicherer planen. Daß durch den Arbeitgeber einzugehende Risiko einer nicht erreichbaren Amortisation verringert sich beträchtlich. Die Zumutbarkeitsschwelle von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für den Arbeitgeber kann durch Rückzahlungsklauseln erheblich erhöht werden. An diese Feststellung schließt sich natürlich automatisch die Frage an, ob eine so zu erreichende Erhöhung der Zumutbarkeitsschwelle dann nicht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer verpflichtend sein müßte, um stets die maximal mögliche Qualifizierung zu erreichen. Im Hinblick auf die allgemeine Vertragsfreiheit und fehlende Anhaltspunkte im Kündigungsschutzgesetz ist das aber abzulehnen. (2) Wirkung der finanziellen Beteiligung der Arbeitnehmer und Dritter auf die Zumutbarkeit Weniger die Sicherheit einer Bindung an den Arbeitsplatz als vielmehr eine Unterstützung in wirtschaftlicher Hinsicht bietet die Mitfinanzierung der Qualifizierung nach § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG durch den Arbeitnehmer oder Dritte. Sobald die Finanzierung einer Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahme unterstützt wird, verringert sich die wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers. Da diese aber ein maßgebliches Kriterium bei der Interessenabwägung ist, könnten dem Arbeitgeber dann Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen zumutbar sein, die sonst abzulehnen wären. Der Arbeitgeber müßte zunächst prüfen, ob ihm eine Fortbildung oder Umschulung gern. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG zumutbar sein könnte. Wäre eine Qualifizierung auf dieser gesetzlichen Grundlage wegen unzumutbarer Belastung der betrieblichen und wirtschaftlichen Erfordernisse des Arbeitgebers abzulehnen, kann die Belastung für den Arbeitgeber durch Mitfinanzierungen derart gemindert werden, daß sie sich wieder in einem zumutbaren Rahmen bewegt. Zu denken wäre in organisatorischer Hinsicht beispielsweise an das Bereitstellen eines Ersatzarbeitnehmers während der Qualifizierungszeit. 399 Wirtschaftliche Belastungen könnten durch Mitfinanzierungen aufgefangen werden. Vorstellbar sind dafür Zuschüsse von dritter - meist öffentlicher - Stelle.4OO MögAPS, § I KSchG Rn. 620. Eine solche sogenannte Jobrotation wird in anderen Ländern (Bsp. Dänemark) schon durchgeführt. In diesen Fällen werden für die Zeit einer betrieblichen Bildungsmaßnahme Arbeitslose auf dem Arbeitsplatz eingesetzt, vgl. Jensen, Süddeutsche Zeitung v. 24.1 25.03.2001, S. V 1/25. Vgl. zu solchen Vorschlägen auch die Beiträge zum 63. DIT. Unter anderem Hanau, Gutachten 63. DIT, C 84 f. Sowie hier 2. Teil § 5 XI S. 170 f. 400 Beispielsweise steht die aktive Arbeitsförderung gern. §§ 77 ff. SGB III nicht nur Arbeitslosen, sondern gern. § 77 Abs. I Nr. I 2.Alt. SGB III auch von Arbeitslosigkeit Bedrohten zu. Zu den einzelnen Förderungsvoraussetzungen vgl. Niewald, in: GageI, § 77 SGB III m. w. N. 398 399
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lich wäre eine Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeit in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht ist (§ 77 Abs. 1 Nr. 1 2.Alt. SGB III)401. Im ,,Laborantinnenfall" wäre eine Förderung der Berufsgenossenschaft möglich gewesen402 , jedoch griffen weder das BAG, noch das die Umschulung als zumutbar ansehende LAG Frankfurt a.M. 403 zur Bestimmung der Zumutbarkeit einer Weiterbildungsmaßnahme darauf zurück. Das könnte einmal damit zusammenhängen, daß ein solcher Rückgriff mangels Entscheidungserheblichkeit nicht notwendig wurde oder aber, weil die Beteiligung Dritter nicht in die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes eingreifen soll. Gegen eine Einflußnahme der Förderung durch Dritte auf die Zumutbarkeit wendet sich Preis. Es sei zu unbestimmt, ob beispielsweise die Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuß zu der Maßnahme gewährt. Die im Zweifelsfall die letzte Entscheidung treffenden Richter müßten entweder ihre Meinung an die Stelle der Behördenentscheidung setzen oder warten, bis das Verfahren beendet ist. Geradezu unmöglich sei eine solche Zumutbarkeitsüberlegung für den Betriebsrat, müsse er gern. § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG in der Frist von einer Woche (§ 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG) widersprechen. 404 Obwohl in der vorliegenden Untersuchung grundsätzlich von einer umfassenden Finanzierungspflicht des Arbeitgebers auszugehen ist405 läßt sich aus § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG keine Beschränkung auf eine solche alleinige Arbeitgeberleistung erkennen. Daher ist zu erörtern, ob andere Gründe gegen die Beteiligung Dritter und des Arbeitnehmers sprechen. Wegen der unterschiedlichen Interessenlage zwischen Finanzierungen Dritter (unter (b)) und solcher seitens des Arbeitnehmers (unter (a)), sind beide Fälle im folgenden getrennt zu betrachten. (a) Finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer an Umschulungsoder Fortbildungsmaßnahmen Arbeitgeber und Arbeitnehmer können wegen des Prinzips der Privatautonomie grundsätzlich jede Art von Vereinbarung treffen. Jedoch sind gerade im Arbeitsverhältnis wegen der ungleichgewichtigen Verhandlungslage immer wieder Einschränkungen vorzunehmen, die die Bewahrung der Arbeitnehmerinteressen gewährleisten. 406 401 Zu beachten ist jedoch dabei, daß eine Förderung durch die Bundesanstalt für Arbeit wegen § 95 Abs. 2 SGB III, der eine Förderung bei überwiegendem betrieblichen Interesse versagt, nur in Ausnahmefallen vorliegen wird. 402 Zu dem Sachverhalt bereits § 10 III 1 a)/S. 283. BAG - 2 AZR 205/90 - v. 7. 2.1991 Sachverhalt Bl. 1 R, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Umschulung. 403 BAG -7 Sa 521/89 - v. 12. 12. 1989, LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr.7. 404 Preis, Prinzipien, S. 168. Sich dem anschließend: APS 1Dörner; § I KSchG Rn. 108. A. A. KR-Etzel, § 102 BetrVG Rn. 169 b; Gaul, BB 1995,2422 ff. (2425); Kassen, S. 169. 405 § 10 B V 3/S. 309 f.
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Im Gegensatz zu dem Abschluß von Rückzahlungsklauseln werden die Arbeitnehmer durch eine Mitfinanzierung nicht in ihrer Berufsausübung beschränkt407 , es handelt sich vielmehr um einen Verzicht auf Vermögenswerte. Die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber läßt sich nicht an einer konkreten Gestaltung der Qualifizierung oder einer absoluten Summe bei der Finanzierung festmachen. Würde die grundsätzliche Möglichkeit der Mitfinanzierung aber zugestanden, käme es generell zu einer Abhängigkeit und damit erhöhten Drucksituation für die Arbeitnehmer. Bei Abschluß einer Rückzahlungsklausel vereinbaren die Arbeitnehmer dagegen nur, was sie durch ihr Einverständnis mit der Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme ohnehin konkludent zum Ausdruck bringen, nämlich das Arbeitsverhältnis fortsetzen zu wollen. Bei finanzieller Beteiligung, die einerseits im Verzicht auf die Entgeltfortzahlung während der Bildungsmaßnahme aber auch der (teilweisen) Maßnahmekostenübernahme liegen kann, zahlen sie dafür, im Betrieb bleiben zu können. Keinesfalls zulässig wären solche Vereinbarungen, werden lediglich betriebsbezogene Kenntnisse, die allein dem Unternehmen zugute kommen, vermittelt. Aber auch bei Vermittlung zusätzlicher Kenntnisse, die dem Arbeitnehmer einen Vorteil auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verschaffen, kann eine solche Vereinbarung im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG nicht zulässig sein. Eine Abgrenzung danach, wann eine Beteiligung notwendig ist, weil dem Arbeitgeber die Kostenübernahme nicht mehr nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zumutbar wäre und nur so trotzdem eine Qualifizierung und Weiterbeschäftigung erfolgen kann, ist nicht möglich. Soll der Arbeitnehmer aber an den "normal" aufzuwendenden Kosten für Maßnahmen nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG beteiligt werden, widerspräche das der bereits getroffenen Feststellung408 . Eine unmittelbare Beteiligung des Arbeitnehmers an den Kosten für eine Qualifizierung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG ist daher abzulehnen. Sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer tatsächlich Interesse an einer über die Erfordernisse des Kündigungsschutzgesetzes hinausgehenden Weiterbildung haben, also beispielsweise bei Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes das zwingende Erfordernis der Versetzung mit einer sonst nicht verpflichtend vorzunehmenden Aufstiegsfortbildung verbinden, können Vereinbarungen über die gemeinsame Übernahme der Kostenlast zulässig getroffen werden. Das gesetzliche Gebot des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG darf aber dadurch nicht beeinflußt werden.
406 Vgl. zur Vertragskontrolle BVerfG - 1 BvR 26/84 - v. 7. 2. 1990 unter C. I. 3. der Gründe, AP Nr. 65 zu Art. 12 GG mit Anm. Canaris; BAG - 5 AZR 339/92 - v. 16.3.1994 unter 11. 1. a) dd) der Gründe, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe mit Anm. Wiedemann. 407 Vgl. zu dieser Problematik bei Rückzahlungsklauseln, Krause, Anm. zu BAG - 5 AZR 430/90 - v. 24. 7.1991, S. 9 ff. (12 ff. m. w. N.). 408 § 10 A V 3/S. 309 f.
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(b) Finanzielle Beteiligung Dritter an Umschulungsund Fortbildungsmaßnahmen Andere Probleme bereitet die Frage, ob die Beteiligung Dritter an den Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG Auswirkungen auf die Zumutbarkeit hat. 409 Zwar besteht hierbei nicht die Gefahr einer unzulässigen Druckausübung, aber die Feststellung der Zumutbarkeit für den Arbeitgeber würde deutlich erschwert. Schließlich erfolgen finanzielle Förderungen Dritter meist von staatlicher Seite, weswegen die Bewilligung von vielen Faktoren abhängig ist und längere Zeit in Anspruch nehmen kann. 410 Dem Arbeitgeber wäre es gerade in Grenzfallen seiner Zumutbarkeit nicht möglich, eine schnelle Entscheidung zu fallen. Rechnet er mit einer Drittfinanzierung und bekommt sie nicht, würde er über das gesetzliche Gebot hinaus beansprucht. Nimmt er sie dagegen aus seiner Kalkulation heraus und erhebt der Arbeitnehmer später Kündigungsschutzklage, könnte die Kündigung aufgrund der Gewährung öffentlicher Mittel und der dann doch bestehenden Umschulungs- oder Fortbildungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG sozial ungerechtfertigt sein. Wegen zu großer Unsicherheiten kann die Zumutbarkeitsschwelle des § 1 Abs. 2 S.3 1. HS KSchG durch Fördermöglichkeiten Dritter daher nur dann heraufgesetzt werden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Maßnahme mit Sicherheit von einer Kostentragung durch Dritte auszugehen ist. Schnelle Entscheidungen der Behörden führen dann zu einem erhöhten Schutz für die Arbeitnehmer. Arbeitgeber und Arbeitnehmer obliegt ab Kenntnis der anstehenden Kündigungsentscheidung und möglicher Qualifikation alles zu tun, um Drittmittel zu erlangen. Kann jedoch innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis der möglichen Qualifizierung keine Sicherheit über eine Beteiligung Dritter erlangt werden, können die Überlegungen zur Zumutbarkeit diese Mittel außer acht lassen, ohne daß dies später die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung beeinflussen kann. Förderungen durch die Bundesanstalt für Arbeit (§§ 77 ff. SGB 11), die Berufsgenossenschaften, bei Schwerbehinderten gegebenenfalls durch das Integrationsamt411 (§§ 79 Abs. 1 Nr. 2, 102 Abs. 3, 4 SGB IX)412 oder durch andere Förderungsträger sind bei Maßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG mit in die Zumutbarkeitserwägungen einzubeziehen. Allerdings ist es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, seine Entscheidung länger als zwei Wochen zu verschieben. Innerhalb dieses Zeitraumes muß eine gesicherte Entscheidung vorliegen. Bemüht der Arbeitgeber sich nicht um zu erlangende Drittrnittel, muß von einer fehlenden Not409 Ein Beispiel für eine Beteiligung Dritter ist die vom Arbeitsamt (mit)finanzierte Beschäftigung eines Arbeitslosen gern. §§ 229 ff. SGB III während der Weiterbildung eines wegen § 1 Abs. 2 S. 3 l.HS KSchG weiterzubildenden Arbeitnehmers. 410 Vgl. auch diese Kritik von Preis, Prinzipien, S. 168. 411 So die neue Bezeichnung fur die frühere HauptfürsorgesteIle. 412 Vgl. auch MünchArbRI eramer Ergänzungsbd. § 236 Rn. 49.
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wendigkeit ausgegangen werden und die Interessenabwägung verschiebt sich zugunsten des Arbeitnehmers. Macht der Arbeitnehmer ihm mögliche und eine reale Chance auf Förderung bietende Ansprüche nicht geltend, ist dies als für ihn nachteilig in die Betrachtung einzubeziehen. (3) Ergebnis Die Zumutbarkeit einer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme gern. § I Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG kann auch durch nicht unmittelbar mit der Durchführung der Maßnahme zusammenhängende Faktoren beeinflußt werden. Es ist einerseits möglich, eine vereinbarte Qualifizierung durch eine Rückzahlungsklausel abzusichern, die den Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit nach der Maßnahme an den Betrieb bindet. Außerdem können Mitfinanzierungen Dritter in Zumutbarkeitserwägungen einbezogen werden. Jedoch muß eine Gewährung solcher zusätzlichen Gelder innerhalb von zwei Wochen nachdem die nötigen Anträge gestellt wurden, gewährt werden. Wird die Maßnahme dennoch durchgeführt, können die aus späteren Bewilligungen erfolgenden Geldzahlungen zwar noch entgegengenommen werden, sie können wegen der großen Rechtsunsicherheit aber für die Interessenabwägung keine Rolle mehr spielen. Diese finanzielle Beteiligung Dritter kann die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers deutlich verringern und dadurch die Zumutbarkeit von Weiterbildungsmaßnahmen gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG erhöhen. Vor allem wenn es darum geht, eine längere Maßnahme durchzuführen, können Mitfinanzierungen ausschlaggebend sein. Auch hier kann wieder von der dem Arbeitgeber grundsätzlich zumutbaren Länge einer Maßnahme ausgegangen werden. Decken die Drittmittel die zusätzlichen Kosten ab, sind dem Arbeitgeber auch längere Qualifizierungsmaßnahmen zumutbar. Schwieriger lassen sich die Auswirkungen von Rückzahlungsklausein bestimmen. Jedenfalls müssen aber die durch die Bindung des Arbeitnehmers an den Betrieb erwirtschafteten Vorteile weitgehend berücksichtigt werden und können die Länge der Maßnahme zumindest mit einem großen Teil der entsprechenden Summe erweitern. c) Ergebnis zur Zumutbarkeit der Fortbildung und Umschulung auf den Arbeitgeber Die Bewertung der von Literatur und Rechtsprechung angeführten Kriterien hat gezeigt, wie problematisch es ist, die einzelnen Kriterien in ein Abwägungssystem zu bringen. Absolute Größen lassen sich nicht aufstellen, sondern nur Indizien finden, die die Interessenabwägung besonders in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Einige der von Literatur und Rechtsprechung angeführten Gesichtspunkte können als unbeachtlich für die Interessenabwägung angesehen werden. Nicht zu
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berücksichtigen ist danach, daß der Arbeitgeber bereits im laufenden Arbeitsverhältnis Kosten für Weiterbildungen einplant413 , ferner die Art bzw. die mögliche Art der Zertifizierung der Maßnahme414 sowie eine enge oder weite vertragliche Arbeitsplatzumschreibung 415. Demgegenüber kommt der Länge der Qualifizierungsmaßnahme ein besonders großes Gewicht zu. An ihr kann einerseits die bereits bestehende Vorbildung des Arbeitnehmers für einen bestimmten Arbeitsplatz erkannt werden, und zum anderen lassen sich die aufzubringenden Kosten für eine Qualifizierung vor allem daraus ableiten. 416 Als normativer Anhaltspunkt für eine dem Arbeitgeber im Regelfall zuzumutende Maßnahme, ist die jeweilige individuelle Kündigungsfrist des Arbeitnehmers zuzüglich 3 Monaten anzusehen. Mangels sonstiger handhabbarer Anhaltspunkte, sollten in Betracht zu ziehende Weiterbildungsmaßnahmen zunächst daran gemessen werden. So wird für die schwierige Prüfung der Zumutbarkeit ein Anhaltspunkt geschaffen. Der Arbeitnehmer weiß, was er grundsätzlich erwarten kann, und der Arbeitgeber kann von vornherein abwägen, ob er eine Kündigung in Betracht zieht oder eine Weiterbildung vornimmt. Das kann jedoch nur ein Richtwert sein, weil weder die besonderen Voraussetzungen der Kündigungssituation, noch die betriebliche Situation des Arbeitgebers oder die persönlichen Merkmale des Arbeitnehmers beachtet wurden. Die den individuellen Bestandsschutz der Arbeitnehmer ausmachenden Merkmale können immer noch zur Unzulässigkeit der Qualifizierung führen, müssen aber gut begründet werden. Empfindet der Arbeitgeber eine bestimmte Qualifizierung mit dieser (Grund)Länge als unzumutbar, muß er darlegen, worauf er diese Überlegungen stützt. Als mögliche Gründe können die mangelnde Erfolgsaussicht, eine unter fünf Jahren zu erwartende Restbeschäftigungszeit oder ein besonders großes Verschulden bzw. ein sehr schwerwiegendes Verhalten im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung Beachtung finden. Dagegen wird es nur schwer möglich sein, fehlende betriebliche Weiterbildungsstrukturen für eine Verkürzung geltend zu machen. Beginnt eine Bildungsmaßnahme erst, wenn der Arbeitnehmer seinen alten Arbeitsplatz schon nicht mehr besetzen kann und ist deshalb während einer Übergangszeit keine Beschäftigung im Betrieb möglich, kann sich diese Zeit der Nichtbeschäftigung negativ auf die Gesamtlänge auswirken. Außerdem können sehr hohe Maßnahmekosten aus Arbeitgebersicht eine kürzere Dauer erforderlich machen. Eine Verlängerung der Weiterbildungsmaßnahme kann durch bereits bestehende und somit die Durchführung der Qualifizierung erleichternde WeiterbildungsstrukVgl. § 10 A V 3 b) dd)/S. 345 f. Vgl. § 10 A V 3 b) cc) (1) IS. 333 f. 415 Vgl. § 10 A V 2 b) cc) (2)1 S. 334 f. 416 Selbst wenn die Vergütungspflicht während der Qualifizierung als nicht dazugehörig angesehen wird (vgl. MünchArbR I Natzel § 178 Rn. 395; HIS I G-Schlochauer, § 102 BetrVG Rn. 130), blieben die Maßnahmekosten immer noch ein Hauptfaktor der Finanzierung und diese nehmen mit der Länge der Maßnahme zu. 413
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turen, eine betrieblich hervorgerufene, krankheitsbedingte Einschränkung, eine durch betriebliche Umstrukturierungen veranlaßte Kündigungssituation und eine lange Betriebszugehörigkeit gerechtfertigt werden. Außerdem kann sich die Beteiligung Dritter an den durch die Qualifizierung auftretenden Belastungen positiv auf die Bewertung der Zumutbarkeit einer Maßnahme auswirken. Realistischer Weise werden solche Förderungen für noch beschäftigte Arbeitnehmer aber eher selten sein. Leichter ist es statt dessen, mit den Arbeitnehmern Rückzahlungsklauseln zu vereinbaren und die Amortisation der getätigten Bildungsausgaben so zumindest teilweise abzusichern.
VI. Auswahl der fortzubildenden und umzuschulenden Arbeitnehmer bei konkurrierenden Beschäftigungsansprüchen
Die bisherigen Ausführungen betrafen stets den Fall, daß einem Arbeitnehmer gekündigt werden sollte und ein freier Arbeitsplatz (oder mehrere freie Arbeitsplätze417 im Unternehmen vorhanden waren. Erst in den letzten zehn Jahren sind Fallgestaltungen in das Blickfeld von Rechtsprechung und Literatur gerückt418 , in denen mehr Arbeitnehmern gekündigt werden sollte, als freie Arbeitsplätze für anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Denkbar sind als Ausgangspunkt betriebsbedingte Massenkündigungen, aber auch zufällig im gleichen Zeitraum geplante Kündigungen aus unterschiedlichen Gründen. Die Problematik der Auswahl um anderweitige Beschäftigungen konkurrierender Arbeitnehmer ist erst an dieser Stelle zu prüfen, weil für die Besetzung eines freien Arbeitsplatzes zunächst das Vorliegen eines solchen bzw. dessen Freiwerden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden muß, für welchen der bzw. die einzelnen Arbeitnehmer geeignet sein müssen. 419 Dann ist zu prüfen, ob die Arbeitnehmer, die noch keine ausreichende Qualifikation haben, diese durch eine zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme erlangen können. 42o Erst wenn feststeht, daß der zu qualifizierende Arbeitnehmer für den freien Arbeitsplatz geeignet ist, kann er mit anderen darum konkurrieren. Kommen verschiedene Arbeitnehmer grundsätzlich für eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz in Betracht, muß eine Auswahl unter ihnen vorgenommen werden. Es ist zu überlegen, ob es beachtlich ist, nach welchem Weiterbeschäftigungsanspruch (§ 1 Abs. I S. 2, S. 3 2. HS, S. 3 1. HS i.Y.m. S. 2 oder S. 3 1. HS i.Y.m. S. 2) die konkurrierenden Arbeitnehmer den freien Arbeitsplatz besetzen können. Mit Blick auf die vorliegende Arbeit ist konkret zu fragen,
417 418 419 420
Dazu ansatzweise unter § 10 A IV 1 b)/S. 298 f. und VI IS. 311 ff. sowie Fn. 208. Vgl. Schmitt, S. 12. Dazu § 10 A IV I S. 295 ff. Dazu unter § 10 A V I S. 309 ff.
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ob Arbeitnehmer, die erst nach einer zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme den betreffenden Arbeitsplatz besetzen können, die gleichen Chancen auf die Besetzung des freien Arbeitsplatzes haben wie solche, bei denen die Versetzung durch Direktionsrecht oder Änderung des Arbeitsvertrages erfolgen kann. Dafür erfolgt die weitere Untersuchung in zwei Teilen. Zunächst wird näher beleuchtet, wie sich der Kreis derer, die um einen freien Arbeitsplatz konkurrieren, zusammensetzt (unter 1.). Danach wird dargestellt, nach welchen Kriterien die Auswahl innerhalb dieser Gruppe erfolgt. Dabei muß auch erörtert werden, ob die Auswahl der für einen Arbeitsplatz nach Fortbildung oder Umschulung in Betracht kommenden Arbeitnehmer nach allgemeinen Kriterien vorgenommen werden kann, oder ob wegen der einer Weiterbeschäftigung vorangestellten Qualifizierung Besonderheiten zu beachten sind (unter 2.). Von diesen Erwägungen zu trennen sind hier nicht zu betrachtende allgemeine Fragen der Sozialauswahl gern. § 1 Abs. 3 KSchG. Zu einer Sozialauswahl kommt es gerade nicht mehr, wird vorher eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen bejaht. 421 Nur für die verbleibenden Arbeitnehmer ist mittels einer Sozialauswahl gern. § 1 Abs. 3 KSchG zu untersuchen, ob es andere - vergleichbare - Arbeitnehmer im Betrieb gibt, denen statt ihnen zu kündigen ist. 422 Nur ob und unter welchen Voraussetzungen die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den einzelnen Arbeitnehmer bejaht wird, ist hier zu klären. Zum besseren Verständnis der weiteren Ausführungen wird ein Beispiel vorangestellt. Beispiel 13 Nach Ausgliederung verschiedener Betriebsteile soll den bisher in der Hauptverwaltung beschäftigten A (35 Jahre, verheiratet, ein unterhaltsberechtigtes Kind, zwei Jahre im Betrieb) und B (41, ledig, 12 Jahre im Betrieb) aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden. Weil C (55, verheiratet, zwei unterhaltsberechtigte Kinder, 20 Jahre im Betrieb) an einer Allergie leidet und für seine bisherige Tätigkeit als chemisch-technischer Laborassistent deshalb berufsunfähig ist, wird ebenfalls eine Kündigung erwogen. B könnte einen vorhandenen freien Arbeitsplatz sofort besetzen, da er die dafür nötige Zusatzausbildung vor einem Jahr in einem freiwillig und betriebsunabhängig durchgeführten Kurs erworben hat. Allerdings wäre eine Vertragsänderung nötig. Bei dem später mit einem inhaltlich weiter gefaßten Arbeitsvertrag eingestellten A wäre die Beschäftigung zwar arbeitsvertraglich erfaßt, er müßte aber einen sechswöchigen Aufbaukurs besuchen, da sich die Anforderungen seit der Einstellung sehr verändert haben. Für die Weiterbeschäftigung von C wäre eine Qualifizierung von 3 Monaten nötig. Beide Qualifizierungen sind dem Arbeitgeber grundsätzlich gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zumutbar.
421 Vgl. KR-Etzel, § 1 KSchG Rn. 624; von Hoyningen-Huene/Linck, DB 1993, 1185 ff. (1189). 422 K/D/Z-Kittner; § 1 KSchG Rn. 515.
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1. Bedeutung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG im Hinblick auf konkurrierende Weiterbeschäjtigungsansprüche
In § 1 Abs. 2 S. 2, 3 KSchG sind verschiedene Möglichkeiten anderweitiger Beschäftigung benannt, um eine Kündigung zu vermeiden: Es ist eine Umsetzung im Rahmen des Direktionsrechts des Arbeitgebers möglich (§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG), eine Versetzung nach Arbeitsvertragsänderung (§ 1 Abs. 2 S. 3 2. HS KSchG) oder eine Qualifizierung der Arbeitnehmer für den neuen Arbeitsplatz mit oder ohne Vertragsänderung - (§ 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG). Es sind also verschiedene Abstufungen vorstellbar, soll der für den freien Arbeitsplatz relevante Personenkreis gefunden werden. Zunächst könnten die Arbeitnehmer, die nur innerhalb des Arbeitsvertrages umgesetzt werden müssen, denen mit notwendiger Vertragsänderung vorgezogen werden. Dann könnten innerhalb dieser Gruppen jeweils solche Arbeitnehmer wegen der größeren Belastung für den Arbeitgeber nachrangig berücksichtigt werden, die eine Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme zur Erfüllung des Arbeitsplatzes benötigen. Zu klären bliebe weiterhin, ob Arbeitnehmer, die innerhalb des Arbeitsvertrages aber nur nach Qualifizierung umzusetzen sind, hinter solchen, bei denen zwar eine Vertragsänderung, aber keine Bildungsmaßnahme nötig wird, zurücktreten müssen. Die ganz herrschende Meinung stellt derartige Überlegungen nicht an und bezieht in den unternehmensweit festzustellenden auswahlrelevanten Personenkreis für die Besetzung eines freien Arbeitsplatzes alle Arbeitnehmer ein, die - vor oder nach einer Qualifizierung - dem Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes entsprechen. 423 Mit der Frage, unter welchen Gesichtspunkten eine solche Auswahl im einzelnen vorzunehmen ist, wird sich unter 2. näher auseinandergesetzt. Zuvor werden jedoch die Ansichten in der Literatur dargestellt, die sich mit diesem Problem näher auseinandersetzen. a) Differenzierung nach der Reichweite des Direktionsrechts Ein Teil der Literatur stellt für die Frage, welche Arbeitnehmer für den freien Arbeitsplatz in Betracht kommen, auf die Reichweite des Direktionsrechts ab. Berkowsky und ihm folgend Bütefisch prüfen zunächst, welche Arbeitnehmer den Arbeitsplatz ohne Arbeitsvertragsänderung besetzen können und für den Arbeitsplatz geeignet sind. 424 Daß die Arbeitnehmer, die kraft Direktionsrecht auf den freien Arbeitsplatz versetzt werden können, den anderen vorzuziehen sind, soll sich aus der Pflicht des Arbeitgebers zu vertragsgemäßer Beschäftigung ergeben. 423 KR-Etzel, § 1 KSchG Rn. 624; von Hoyningen-Huene/Linck, DB 1993, 1185 ff. (1190); Kiel, S. 90 f.; Kiel/Koch, Rn. 267; K/D/Z-Kittner, § 1 KSchG Rn. 515, der jedoch Arbeitnehmer mit notwendiger Qualifizierung und / oder Arbeitsvertragsänderung nur auf deren Wunsch beachtet wissen will. 424 Berkowsky, NJW 1996,291 ff. (292 f.); Bütefisch, S. 339.
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Fällt ein Arbeitsplatz weg, ist aber ein anderer, ebenfalls von dem Arbeitsvertrag des betroffenen Arbeitnehmers umfaßter Arbeitsplatz frei, soll der Arbeitgeber nach Berkowsky verpflichtet sein, den Arbeitsvertrag insofern zu vollziehen, daß er den Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsvertrages umsetzt. 425 Angewendet auf Beispiel 13 müßte Herr A sofort an den freien Arbeitsplatz versetzt werden. Bund C wären nicht in die Auswahl einzubeziehen, da es für sie nach Berkowsky schon keinen Arbeitsplatz freien Arbeitsplatz mehr gäbe. Bütefisch verweist dagegen nur auf den Vorrang des Direktionsrechts vor einer vertraglichen Änderung. 426 Das würde allerdings zum seI ben Ergebnis führen. Diese enge Orientierung am Arbeitsvertrag läßt sich meines Erachtens nicht halten. Sie grenzt die Suche nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit zu weit ein. Wäre die vertragsgemäße Weiterbeschäftigung von der vertragsändernden zu trennen, müßte eine derartige Abstufung auch in § lAbs. 2 S. 2, 3 KSchG erkennbar sein. 427 Richtig ist, daß die Arbeitsvertragsgestaltung im Rahmen der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG für die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer beachtet werden muß 428 , jedoch kommt es für eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit darauf nicht an. Auch das von Berkowsky angeführte Beispiel eines als Bürovorsteher arbeitenden Volljuristen, dem bei Wegfall seines Arbeitsplatzes nicht die freie Stelle eines Volljuristen angeboten werden müßte, läßt keinen anderen Schluß ZU. 429 Grund für die Nichtbeachtung des bürovorstehenden Juristen ist nämlich nicht die das Direktionsrecht insofern ausschließende enge Arbeitsvertragsgestaltung, sondern, daß nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit nur auf einer gleichen oder einer niedrigeren Hierarchieebene gesucht werden darf. 43o Zwar bestimmt sich die als Anhaltspunkt zu nehmende bisherige Hierarchieebene nach dem Arbeitsvertrag, sie ist aber vom Direktionsrecht unabhängig. Eine Abgrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises für eine anderweitige Beschäftigung danach, ob die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit noch im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrages liegt, ist folglich abzulehnen. b) Differenzierung nach Grad der Qualifizierungsbedürftigkeit Zur Relevanz der Notwendigkeit einer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme für die Arbeit an dem freien Arbeitsplatz äußern sich Berkowsky431 und Berkowsky, NJW 1996,291 ff. (293). Bütefisch, S. 339 f. 427 Krit. auch Schmitt, S. 51 f. mit weiteren Argumenten. 428 Vgl. BAG - 2 AZR 725/97 - v. 17. 9. 1998 unter 11. 2. a) und c) der Gründe sowie LS, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl; APS / Kiel, § 1 KSchG Rn. 677 m. w. N.; Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 665; a. A. Löwisch, § 1 KSchG Rn. 316. 429 Berkowsky, NJW 1996,292 ff. (293). 430 § 10 A IV 1 a) / S. 296 ff. 431 NJW 1996,292 ff. (296 f.). 425
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Schmitt432 . Sie wollen die kündigungsbedrohten Arbeitnehmer in zwei Gruppen einteilen: eine der direkt qualifizierten, die lediglich noch eingearbeitet werden müssen, und eine solche der umschulungs- und fortbildungsbedürftigen Arbeitnehmer. 433 Nur wenn es mehr freie Arbeitsplätze als Arbeitnehmer in der Gruppe der bereits ausreichend qualifizierten gibt, soll die zweite Gruppe Beachtung finden. In Beispiel 13 ergäbe sich für Berkowskys Ansicht keine Änderung zu a), da die Einteilung in Gruppen nur relevant wird, wenn es einen freien Arbeitsplatz gibt. An einem solchen fehlt es nach ihm aber schon. Schmitt würde B der ersten Gruppe zuordnen. A und C wären in der zweiten, wobei bei zwei zu besetzenden Arbeitsplätzen A den Arbeitsplatz vor C bekäme, weil er die kürzere Qualifizierungszeit bräuchte und daher eine günstigere Kosten-Nutzen-Relation bestände. 434 Sowohl bei Schmitt als auch bei Berkowsky bliebe unbeachtet, daß C der sozial schwächste Arbeitnehmer ist.
Grund für diese Einteilung in Gruppen ist nach Berkowsky die fehlende Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer, die noch zu qualifizieren sind, mit denen, die bereits ausreichende Kenntnisse haben. 435 Dem muß wiederum entgegnet werden, daß eine derartige Abstufung in § 1 Abs. 2 S. 2, 3 KSchG nicht erkennbar ist. Vielmehr ist wegen § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG gerade davon auszugehen, daß auch Arbeitnehmer, die dem geforderten Anforderungsprofil erst nach einer Qualifizierung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG entsprechen, dann vergleichbar und daher einzubeziehen sind. Schmitt stellt darauf ab, daß es sich bei allen in die Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmern um solche handelt, die von einer Kündigung bedroht sind. Deshalb soll die sonst vom Arbeitgeber zur Feststellung der Zumutbarkeit einer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme vorzunehmende Abwägung436 zwischen dem wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand des Arbeitgebers mit dem Bestandsschutz des Arbeitnehmers entfallen. Der Bestandsschutz spiele in dem Moment keine Rolle mehr, in dem keine externen Arbeitnehmer um den Arbeitsplatz konkurrieren. Es sei lediglich die Qualifizierung des einen Arbeitnehmers in Abwägung zur Einarbeitung des anderen Arbeitnehmers zu stellen. Da die Abwägung dabei immer zugunsten des qualifizierteren Arbeitnehmers ausfallen wird, sei die Qualifizierung in dieser Konstellation unzumutbar. 437
Auch dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Ob eine Qualifizierung dem Arbeitgeber zumutbar ist oder nicht, richtet sich nicht danach, ob es sich bei den konkurrierenden Arbeitnehmern um externe Mitbewerber um den Arbeitsplatz oder um eine ausschließlich unternehmensinterne Versetzung han432 433
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436 437
Sozialauswahl bei Konkurrenz um anderweitige Beschäftigung, S. 49 f. Berkowsky, NJW 1996,292 ff. (296), Schmitt, S. 50. Schmitt, S. 50. Berkowsky, NJW 1996,291 ff. (296). § lOAV2b)cc)/S.328ff. Schmitt, S. 50.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
delt. Es wird geprüft, ob dieser spezielle Arbeitnehmer unter zumutbarem Aufwand die den Anforderungen des Arbeitsplatzes entsprechenden Fähigkeiten erlangen kann. Ein Verzicht auf die Feststellung der Zumutbarkeit danach, ob das Bestandsschutzinteresse die wirtschaftlichen und organisatorischen Belange des Arbeitgebers unzumutbar beeinträchtigt, vernachlässigt, daß der Bestandsschutz keine feste Größe ist, sondern durch die individuellen Voraussetzungen des einzelnen Arbeitnehmers näher bestimmt wird. Eine Nichtbeachtung des Bestandsschutzes könnte außerdem - und damit ganz gegen den Willen des Arbeitgebers - dazu führen, daß es sich um drei eigentlich unzumutbare Qualifizierungen handelt, weil der Bestandsschutz aller Arbeitnehmer nicht ausreichend ist. Der Arbeitgeber müßte aber mangels Beachtung des Bestandsschutzes immer noch die ihn am wenigsten belastendste Qualifizierung durchführen. Auch diese Folge widerspräche der gesetzlichen Regelung. Außerdem kann eine einmal festgestellte Zumutbarkeit i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG nicht im Nachhinein wieder unzumutbar werden. Die Maßnahme kann höchstens nachrangig zu berücksichtigen sein. Die Möglichkeit der anderweitigen Beschäftigung nach Qualifizierung ist im Kündigungsschutzgesetz gleichrangig neben der Weiterbeschäftigung ohne Qualifizierungserfordernis (§ 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib, S. 3 2. HS KSchG) zur Vermeidung von Kündigungen vorgesehen. Dem wäre durch eine Sonderbehandlung nicht mehr Rechnung getragen.
c) Verzicht auf zusätzliche Differenzierungsmerkmale Die von Teilen der Literatur vorgeschlagenen Differenzierungsmerkmale sind abzulehnen. Da sich auch andere zulässige Differenzierungskriterien nicht finden lassen, ist auf eine Beschränkung zu verzichten. Konkurrieren also mehrere Arbeitnehmer um einen freien Arbeitsplatz oder bestehen weniger freie Arbeitsplätze als Arbeitnehmer vorhanden sind, ist zunächst die Eignung der Arbeitnehmer für das Anforderungsprofil des freien Arbeitsplatzes zu untersuchen. Alle geeigneten Arbeitnehmer bilden den auswahlrelevanten Personenkreis. Einzubeziehen sind dabei auch solche Arbeitnehmer, die den Arbeitsplatz erst nach einer zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme besetzen könnten, wenn die Zumutbarkeit der Qualifizierung bereits festgestellt ist. Die drei Arbeitnehmer aus Beispiel 13 gehören damit zum auswahlrelevanten Personenkreis.
2. Auswahlkriterien der Arbeitnehmer bei konkurrierenden Weiterbeschäjtigungsansprüchen
Ist der auswahlrelevante Personenkreis bestimmt, muß die Auswahl und Festlegung der Reihenfolge der Besetzung des freien Arbeitsplatzes oder der freien Arbeitsplätze erfolgen. Die Literatur438 und das LAG Düsseldort39 wenden hier-
§ 10 Vorgaben der Weiterbildung im bestands gefährdeten Arbeitsverhältnis
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bei - ungeachtet der Unterschiede bezüglich des vorher festgelegten auswahlrelevanten Personenkreises - § lAbs. 3 KSchG analog an. Der sozial schwächste Arbeitnehmer aus der unternehmensweit zu bestimmenden Gruppe kann danach die freie Stelle besetzen. In Beispiel 13 wäre das C. Nach ihm wäre B zu beachten und zuletzt A. Das BAG will die Auswahl in analoger Anwendung des § 315 BGB vomehmen. 440 Auf diese Weise könnten die sozialen Belange der Arbeitnehmer einbezogen werden, und die Grundsätze der Billigkeit würden durch Abwägen der beiderseitigen Interessen gewahrt werden. 44 ! Letztlich läßt sich das BAG durch dieses Ausweichen auf § 315 BGB gegenüber der Anwendung des § 1 Abs. 3 KSchG analog die Möglichkeit offen, auch andere Gesichtspunkte in die Abwägung mit einzubeziehen. 442 Soweit ersichtlich, hat es dies aber bisher in keiner der Entscheidungen getan, so daß auch das BAG in Beispiel 13 zu keinem anderen Ergebnis käme. Methodisch ist die Vorgehensweise des BAG jedoch abzulehnen. Die auch vom BAG anerkannte plan widrige Regelungslücke im Kündigungsschutzgesetz443 kann durch die Analogie des spezielleren § 1 Abs. 3 KSchG sachgerechter geschlossen werden als durch Analogie zu § 315 BGB. 444 Hinzu kommt, daß in diesem Fall keine geschuldete Leistung näher bestimmt werden soll (so aber § 315 Abs. 1 S. 1 1. HS BGB), weswegen auch § 315 BGB nur analog heranzuziehen wäre. 445 Außerdem spricht für die Anwendung der Grundsätze der Sozialauswahl bezüglich der Auswahl der Arbeitnehmer für eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, daß sonst die Arbeitnehmer, denen der freie Arbeitsplatz zugewiesen wurde, im nächsten Schritt der Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung der Kontrolle der Sozialauswahl - wegen Nichtbeachtung sozialer Kriterien gekündigt werden könnten. 446 Schließlich gibt es weder im Gesetz noch in den Äußerun438 Berkowsky, NJW 1996,291 ff. (296); KR-Etzel, § I KSchG Rn. 624; von HoyningenHuenel Linck, DB 1993, 1185 ff. (1190); Kiel, S. 90 f.; Kiel! Koch, Rn. 267; K/D/Z-Kittner, § 1 KSchG Rn. 515, der jedoch Arbeitnehmer mit notwendiger Qualifizierung und 1oder Arbeitsvertragsänderung nur auf deren Wunsch beachtet wissen will. A. A. Lück, S. 14 ff. jedoch ohne Lösungsvorschlag. 439 LAG Düsseldorf - 9 (2) Sa 169/93 - v. 9. 7. 1993, LAGE § 1 KSchG Nr. 12 Soziale Auswahl, S. 3. 440 BAG - 2 AZR 320/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. III. 4. der Gründe, AP Nr. 66 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 441 BAG - 2 AZR 320/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. III. 4. a) der Gründe, AP Nr. 66 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 442 Berkowsky, NJW 1996,291 ff. (295). 443 BAG - 2 AZR 320/94 - v. 15. 12. 1994 unter B. III. 3. d) (2) der Gründe, AP Nr. 66 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 444 Huecklvon Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rn. 400 h; Kiel! Koch, Rn. 269; Preis, NZA 1997, 1073 ff. (1081). 445 Otto, FS für Wiese, S. 353 ff. (369). 446 Vgi. LAG Düsseldorf - 9 (2) Sa 169/93 - v. 9. 7. 1993, LAGE § 1 KSchG Nr. 12 Soziale Auswahl, S. 3; Kassen, S. 195 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
gen der Literatur oder des BAG einen Anhaltspunkt dafür, daß die ausgewählten Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl der übrig bleibenden Arbeitnehmer nicht einzubeziehen wären. Die analoge Anwendung des § 1 Abs. 3 KSchG hat zur Folge, daß auch bei der Auswahl zu qualifizierender Arbeitnehmer nur die sozialen Kriterien maßgeblich sind. Das hier gefundene Ergebnis ist am Beispiel 13 kurz zu begründen. Natürlich erscheint es auf dem ersten Blick unbillig, wenn der Arbeitgeber einen 55-jährigen Arbeitnehmer qualifizieren und weiterbeschäftigen muß. Dem 35-jährigen dagegen, der kraft Weisungsrecht die Beschäftigung übernehmen könnte und in der Hälfte der Zeit qualifiziert wäre, muß er ebenso kündigen, wie dem 41-jährigen, der nur eingearbeitet werden bräuchte. Doch ist dieses Ergebnis als Entscheidung des Kündigungsschutzgesetzes und Folge des Bestandsschutzprinzips hinzunehmen. Indem § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG neben die anderen Formen der Weiterbeschäftigung gestellt wurde, ohne eine Rangfolge anzugeben, müssen sie gleich behandelt werden. Für jeden der Arbeitnehmer stellt die anderweitige Beschäftigung die ultima ratio gegenüber der Kündigung dar. Als allgemeines Rechtsprinzip des Kündigungsschutzgesetzes ist aber bei gleicher Sachlage der Schwächste zu schützen. Kriterien wie eine geringere Bildungsfähigkeit oder -bereitschaft sind unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit einer Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahme zu beachten. 44? Ist die Zumutbarkeit aber einmal festgestellt, kann die Maßnahme nicht mehr durch weniger einschneidende Möglichkeiten bei Auswahl anderer Arbeitnehmer unzumutbar werden. Es muß daher auch unbeachtlich sein, wie die jeweilige Kosten-Nutzen-Analyse der Qualifizierung ausfallt. Als Korrelat kann der Arbeitgeber allerdings immer noch § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG analog anwenden und somit bestimmte Arbeitnehmer wegen betrieblicher Bedürfnisse von vornherein aus der Sozialauswahl herausnehmen. 448 Ein anderes Ergebnis könnte sich in Beispiel 13 ergeben, wäre § 1 Abs. 3 KSchG nicht analog anwendbar, wenn die Arbeitnehmer aufgrund unterschiedlicher Kündigungssachverhalte nach einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit suchen. Grundsätzlich ist eine Auswahl nach sozialen Kriterien nur bei betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen. Jedoch kommen als anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten ohnehin nur solche Arbeitsplätze in Betracht, die geeignet sind, die kündigungsrelevante Lage zu beseitigen. 449 Ist diese Voraussetzung erfüllt, besteht kein Grund, § 1 Abs. 3 KSchG nicht auch auf Arbeitnehmer anzuwenden, die beispielsweise berufsunfähig erkrankt sind. Dann· muß § 1 Abs. 3 KSchG allerdings in doppelter Analogie verwendet werden. 450 Unter den diese Voraussetzung erfüllen-
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448 449
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Vgl. dazu § 10 V 3 b) ce) (4)/ S. 341 ff. Bütefisch, S. 345. § 10 A IV 1 b)/S. 298. Vgl. Kassen, S. 197.
§ 10 Vorgaben der Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
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den Arbeitnehmern ist daher mittels einer analogen Anwendung des § lAbs. 3 KSchG eine Sozialauswahl vorzunehmen, wobei der sozial Schwächste die anderweitige Beschäftigung erhält, auch wenn er der einzige der betroffenen Arbeitnehmer sein sollte, bei dem eine Qualifizierung nötig wird.
3. Ergebnis zur Auswahl der Arbeitnehmer bei konkurrierenden Beschäjtigungsansprüchen Konkurrieren mehrere Arbeitnehmer um einen freien Arbeitsplatz, sind diejenigen, die erst nach einer Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme zur Besetzung des Arbeitsplatzes geeignet sind, nicht anders zu behandeln als die übrigen in Betracht kommenden Arbeitnehmer. Ist eine Qualifizierung einmal als zumutbar anerkannt, wird die Auswahl aller betroffenen Arbeitnehmer ausschließlich nach sozialen Gesichtspunkten gern. § lAbs. 3 KSchG analog vorgenommen.
VII. Kollektivrechtliche Einflüsse auf Fortbildung und Umschulung im Falle einer anstehenden Kündigung Bei einer anstehenden Kündigung und möglichen Qualifizierung zum Erhalt des Arbeitsplatzes sind die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sehr vielfältig. Zunächst ist eine Kündigung nur wirksam, wenn der Betriebsrat gern. § 102 Abs. I S. 3 BetrVG ordnungsgemäß beteiligt wurde (unter I). Geht die erwogene Fortbildung oder Umschulung mit einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit einher, besteht sowohl bei der Einstellung als auch bei der Versetzung zusätzlich ein Zustimmungserfordernis gern. § 99 Abs. I BetrVG. Probleme können dann auftreten, wenn es sich um eine anderweitige Beschäftigung in einem anderen Betrieb des Unternehmens handelt und der dort bestehende Betriebsrat gern. § 99 Abs. 2 Nr. 3 1. HS BetrVG der Einstellung widerspricht, weil auch ein betriebsangehöriger Arbeitnehmer den freien Arbeitsplatz besetzen könnte (unter 2). Konflikte können sich außerdem durch Überschneidungen des § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG mit den Rechten der Berufsbildung aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben (unter 3.). So beispielsweise wenn der Betriebsrat die Einführung einer Weiterbildungsmaßnahme gern. § 97 Abs. 2 BetrVG fordert, der Arbeitgeber aber zeitgleich die von dieser geplanten Weiterbildung erfaßten Arbeitnehmer kündigt (unter a)). Ungeklärt ist außerdem, ob der Betriebsrat an der Auswahl der Teilnehmer zu einer betrieblichen Bildungsmaßnahme gern. § 98 Abs. 3, 4 BetrVG beteiligt werden muß, wenn sich die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme bereits aus dem Individualanspruch des § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG ergibt (unter b)).
24 Fracke
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgeflihrdeten Arbeitsverhältnis
1. Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG Obwohl § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 KSchG dem Wortlaut nach zur Geltendmachung von Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen den Widerspruch des Betriebsrats voraussetzt, ist dies nach allgemeiner Ansicht unbeachtlich, da durch die Einfügung des § 102 Abs. 3 KSchG in das Betriebsverfassungsgesetz der Arbeitnehmerschutz erweitert und nicht verringert werden sollte. 451 Folge des Widerspruchs des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG ist einmal die Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitnehmers gern. § 102 Abs. 5 BetrVG. Außerdem wird allgemein davon ausgegangen, daß der Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG erweitert wird, weil bei einem frist- und formgerechten, objektiv begründeten Widerspruch des Betriebsrats die Kündigung gern. § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG unwirksam sein soll, auch ohne daß durch ein Gericht noch eine Interessenabwägung vorzunehmen ist (absoluter Sozialwidrigkeitsgrund).452 Jedoch ist fraglich, ob außer einer verbesserten Beweislage für den Arbeitnehmer tatsächlich ein Unterschied zwischen der gerichtlichen Überprüfung der objektiven Begründetheit des Betriebsratswiderspruchs und einer umfassenden Interessenabwägung zur Feststellung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung besteht. 453 Das kann jedoch dahingestellt bleiben. Festzuhalten ist: auch ein Unterlassen des Widerspruchs des Betriebsrats hindert den Arbeitnehmer nicht an der Geltendmachung der Sozial widrigkeit. Umstritten ist, ob es eine notwendige Voraussetzung für einen wirksamen Widerspruch des Betriebsrats ist, daß der Arbeitnehmer sich mit einer Qualifizierung einverstanden erklärt hat, bevor der Betriebsrat einen Widerspruch einlegt. Das ist mit der ganz herrschenden Meinung anzunehmen, weil die Einlegung des Widerspruchs gegen die Kündigung nur sachgerecht sein kann, wenn der Betriebsrat auch davon ausgeht, daß der Arbeitnehmer an einer Weiterbeschäftigung nach einer Qualifizierung interessiert ist. 454 Das Einverständnis impliziert, daß die Fortbildung oder Umschulung dem Arbeitnehmer auch zumutbar ist. 455 Liegt jedoch eine dem Arbeitnehmer von vornherein unzumutbare Qualifizierung vor, zu der er sein Einverständnis nicht erklärt oder will er aus rein subjektiven Gründen nicht teilnehmen, besteht kein Grund, ihm die Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 BetrVG zu ermöglichen. 451 BAG - 2 AZR 601 172 - v. 13.9. 1973 unter 11.4. der Gründe, AP Nr. 2 zu § I KSchG mit Anm. G. Hueck; Birk. FS für Kissel, S. 51 ff. (55); Bittnerl Kiel. RdA 1994, 333 ff. (340 f.); F IK/H/EI S, § 102 BetrVG Rn. 40; Galperinl Löwisch. § 102 BetrVG Rn. 93. 452 BAG - 2 AZR 601172 - v. 13.9. 1973 unter 11.7. a) der Gründe, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG mit Anm. G. Hueck; Stahlhacke I Preis I Vossen. Rn. 755. 453 Gamillscheg. Arbeitsrecht I, S. 639; Preis. Prinzipien, S. 92 f. 454 F/K/H/E/S, § 102 BetrVG Rn. 48; Gi/berg. S. 99 f.; GK-Kraft. § 102 BetrVG Rn. 120; Richardi. § 102 BetrVG Rn. 162. A. A. Gussone. AuR 1994, 245 ff. (250) der vom Arbeitgeber verlangt, sich das Einverständnis einzuholen; Heinze. Personal planung, S. 558, der eine Zustimmung im Kündigungsschutzprozeß noch als ausreichend ansieht. 455 Zum Unterschied zwischen Einverständnis und Zumutbarkeit vgl. § 10 A V 2 a) I S.312f.
§ 10 Vorgaben der Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
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2. Anderweitige Beschäftigung nach Fortbildung oder Umschulung und die Beteiligung des Betriebsrats
Stellt die Qualifizierung des Arbeitnehmers die Voraussetzung für eine anderweitige Beschäftigung dieses Arbeitnehmers dar, wird zusätzlich zu § 102 BetrVG das Mitbestimmungsrecht aus § 99 BetrVG relevant. Durch § 99 BetrVG sollen neben den Interessen des betroffenen Arbeitnehmers (vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG) auch die der Belegschaft (vgl. § 99 Abs. 2 Nr. 3, 5, 6 BetrVG) gewahrt werden. Handelt es sich um eine Versetzung des Arbeitnehmers innerhalb des gleichen Betriebes, ist eine Mitbestimmung nach § 99 BetrVG entbehrlich, wenn der Betriebsrat einer Kündigung gerade vorher widersprochen und statt dessen auf eine mögliche anderweitige Beschäftigung nach einer Qualifizierung verwiesen hat. Anderenfalls würde er sich unzulässig mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen. 456 Probleme können sich aber bei einer Versetzung in einen anderen Betrieb des Unternehmens ergeben, weil für diesen Betrieb eine mitbestimmungspflichtige NeueinsteIlung vorliegt. 457 Lehnt der Betriebsrat des einstellenden Betriebes die Einstellung mit Verweis auf § 99 Abs. 2 Nr. 3 1. HS BetrVG ab, weil einem mit dem Arbeitnehmer des anderen Betriebes konkurrierender Arbeitnehmer des eigenen Betriebes sonst gekündigt werden müßte, ist die rechtliche Behandlung fraglich. Der Arbeitgeber dürfte den Arbeitnehmer wegen des Betriebsratswiderspruchs lediglich einstellen, ohne ihn aber beschäftigen zu dürfen. 458 Wegen des Zusammenwirkens der Normen des Betriebsverfassungsgesetzes könnte nach einer, auf Vorschlag des Betriebsrats vorgenommenen Versetzung, jedoch etwas anderes gelten. Anderenfalls würde der Arbeitgeber zum Spielball der Interessen der beiden Betriebsräte, ohne eine Einwirkungsmöglichkeit zu haben. Der überwiegende Teil der Literatur geht davon aus, daß der Arbeitsplatz in dem Betrieb dann nicht als frei anzusehen ist, wenn der Betriebsrat die Einstellung verweigert. 459 So kann es nicht zu der geschilderten Beschäftigungsunmöglichkeit kommen. Zwar müsse sich der Arbeitgeber trotzdem um die Zustimmung des Betriebsrats des einstellenden Betriebes bemühen, bei einem Widerspruch sei dem Arbeitgeber wegen des ungewissen Ausganges ein Zustimmungsersetzungsverfahren gern. § 102 Abs. 5 BetrVG jedoch nicht zuzumuten. 460 Im Ergebnis entscheidet 456 F/K/H/E/S, § 102 BetrVG Rn. 45; Heinze, Personalplanung, Rn. 555 GK-KraJt, § 102 BetrVG Rn. 113; Stahlhackel PreislVossen, Rn. 761. A. A. Gussone, S. 245 ff. (249 f.); D/K/K-Kittner; § 102 BetrVG Rn. 205. 457 Kiel, S. 55; Konzen, RdA 1984,65 ff. (86 m. w. N.). 458 So nach ganz herrschender Ansicht die Rechtsfolge bei fehlender Zustimmung zur Einstellung, vgl. nur BAG - 5 AZR 1241/79 - v. 2. 7. 1980 unter A. III. 2., 3 der Gründe und 2. LS, AP Nr. 9 zu Art. 33 Abs. 2 GG mit Anm. Misera; ErfKI Hanaul Kania, § 99 BetrVG Rn. 45 m. w. N.; Raab, ZfA 1995,479 ff. (489). 459 Im Ergebnis alle gleich: KR-Etzel, § 102 BetrVG Rn. 166; D/K/K-Kittner; § 102 BetrVG Rn. 206; APSI Koch, § 102 BetrVG Rn. 201; Konzen, RdA 1984,65 ff. (86 f.); Richardi, § 102 BetrVG Rn. 158. 460 GK-KraJt, § 102 BetrVG Rn. 114. 24*
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
sich die herrschende Meinung damit für das Überwiegen der kollektiven Entscheidung gegenüber der individualrechtlichen. Auch eine Entscheidung des zweiten Senats des BAG v. 29. 1. 1997 weist in diese Richtung. 461 Es wurde entschieden, daß zur Vermeidung einer krankheits bedingten Kündigung ein leidensgerechter Arbeitsplatz dann bereitgestellt werden müsse, wenn dem Arbeitgeber die Versetzung eines dritten Arbeitnehmers im Rahmen des Direktionsrechtes auf einen anderen Arbeitsplatz möglich sei. Dabei hätte der Arbeitgeber sich zwar um die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Versetzung des Dritten zu bemühen, sei aber nicht zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens verpflichtet. 462 Hier stellt K. Gamillscheg zutreffend fest, daß bei objektiv begründeter Zustimmungsverweigerung immer noch zu klären wäre, welcher Norm der Vorrang einzuräumen sei. 463 Jedoch ist mit dem Verzicht auf das Zustimmungsersetzungsverfahren meines Erachtens die Entscheidung bereits zugunsten der Betriebsratsentscheidung gefallen. Etwas mehr mutet Kiel dem Arbeitgeber zu, indem er in diesem Fall zunächst eine vorläufige Maßnahme des Arbeitgebers gern. §§ 100, 101 BetrVG in Betracht zieht (wenn wohl auch ohne Verpflichtung dazu) und auf das Zustimmungsersetzungsverfahren verweist. 464 Nur bei abschlägigem Bescheid sei dem Arbeitnehmer dann doch zu kündigen. Ausgeschlossen werden kann damit zwar eine vorschnell falsche Einschätzung des Betriebsrats, jedoch geht das zu Lasten einer schnellen Kündigungsentscheidung. Rechtssicherheit tritt dadurch wegen der noch offenen Entscheidung vor Gericht - jedenfalls nicht ein. Otto warf im Zusammenhang mit der Entscheidung des BAG v. 15. 12. 1994 zu konkurrierenden Arbeitnehmern die Frage auf, ob der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes nicht zur Zustimmung verpflichtet sei, weil auch er sich an die gesetzliche Lage und damit die sozialen Auswahlkriterien zu halten habe. 465 Mit Bejahen dieser Frage räumt er der analogen Anwendung des § 1 Abs. 3 KSchG den Vorrang vor der Entscheidung des Betriebsrats über das Wohl "seiner" Belegschaft ein. 466 Otto verweist für seine Überlegungen auf eine Entscheidung des BAG v. 15. 9. 1987, in welcher der Betriebsrat einer betriebsinternen Versetzung zu Unrecht widersprochen hatte, die aufgrund der durchzuführenden Sozialauswahl zwischen drei Arbeitnehmern notwendig wurde und zur Kündigung eines Arbeitnehmers führte. 467 Doch lag dieser Fall insofern anders, als der Betriebsrat sich zwischen den Arbeitnehmern eines Betriebes entscheiden mußte. Hätte man hier den Zustimmungsverweigerungsgrund der Begründung von Nachteilen für im BAG - 2 AZR 9/96 - unter 11. I. d) und LS, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG Krankheit. BAG - 2 AZR 9/96 - v. 29. 1. 1997 unter II. 1. d) und LS, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG Krankheit. 463 SAE 1998, 17 ff. (21). 464 Kiel, S. 55. 465 EWiR § 1 KSchG 4/ 1995, S. 695 f. (696). 466 EWiR § 1 KSchG 4/ 1995, S. 695 f. (696 am Ende). 467 BAG - 1 ABR 29/86 - unter B. H. 3. a) der Gründe, AP Nr. 45 zu § 99 BetrVG mit Anm. Strecke/. 461
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Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gern. § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zugelassen, könnte der Betriebsrat der Kündigung des sozial Schwächsten anschließend wegen Nichtbeachtung der Sozialauswahl gern. § 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG widersprechen. Selbst wenn ihm dies versagt wäre, könnte der Arbeitgeber die Entscheidung, einen Arbeitnehmer zu kündigen, nicht durchsetzen, weil der sozial Schwächere die fehlerhafte Sozialauswahl geltend machen könnte und der andere Arbeitnehmer durch die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats geschützt wäre. Der Beachtung der Sozialauswahl mußte daher hier der Vorrang gegeben werden. 468 Dieser Konflikt stellt sich bei der überbetrieblichen Besetzung eines Arbeitsplatzes aber nicht. Der Betriebsrat verstößt eben gerade nicht gegen eine kündigungsschutzgesetzliche Vorgabe, da § 1 Abs. 3 KSchG nur analog angewandt werden kann. Er ist vielmehr verpflichtet, seine Arbeit auf das Wohl der von ihm repräsentierten Belegschaft auszurichten. Dazu gehört auch, Einstellungen zu widersprechen, die dieses Wohl gefährden. Der überwiegenden Ansicht der Literatur ist daher zuzustimmen. Im Falle einer anstehenden Kündigung, die durch eine Qualifizierung und nachfolgende anderweitige Beschäftigung vermieden werden soll, sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der personellen Maßnahme der Versetzung und Einstellung beachtlich. Dabei ist zwischen betriebsinterner und betriebsübergreifender Beschäftigungsmöglichkeit zu unterscheiden. Bei betriebsinterner Weiterbeschäftigung löst ein Widerspruch des Betriebsrats mit Verweis auf die anderweitige Beschäftigung eine Selbstbindung aus, die eine darauffolgende Zustimmungsverweigerung gegen die notwendige Versetzung unwirksam werden läßt. Erfolgt kein Widerspruch des Betriebsrats, sondern macht der Arbeitnehmer die anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit geltend, liegt keine Selbstbindung des Betriebsrats vor. Da eine Versetzung, selbst wenn der Arbeitnehmer ihr zustimmt, nur in Ausnahmefällen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats wirksam ist469 , wird in diesen Fällen auf den Vorrang der gesetzlichen Kündigungsvorschriften verwiesen werden müssen. 470 Bei betriebsübergreifender Weiterbeschäftigung muß der Betriebsrat des anderen Betriebes der Einstellung zustimmen. Er ist durch den Weiterbeschäftigungsvorschlag des Betriebsrats des abgebenden Betriebes nicht gebunden. Widerspricht er der Einstellung, kann der Arbeitsplatz nicht als frei angesehen werden. Der Arbeitgeber muß sich zwar um die Zustimmung bemühen, ist aber nicht verpflichtet, das Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten.
468 BAG - I ABR 29/86 - unter B. II. 3. a) aa) der Gründe, AP Nr. 45 zu § 99 BetrVG mit Anm. Strecke/. 469 Vgl. F/K/H/E/ S, § 99 BetrVG Rn 137; Richardi, § 99 BetrVG Rn. 290 f. 470 BAG - I ABR 29/86 - unter B. II. 3. a) der Gründe, AP Nr. 45 zu § 99 BetrVG mit Anm. Strecke/.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
3. Mitbestimmung des Betriebsrats bei Bildungsmaßnahmen gemäß §§ 97,98 BetrVG
Die kündigungsschutzrechtlich gebotene Fortbildung und Umschulung könnte mit den Beteiligungsrechten des Betriebsrates nach §§ 97, 98 BetrVG kollidieren. Wie die unterschiedlichen Normen in solchen Fällen in Einklang zu bringen sind, ist im folgenden näher zu untersuchen. a) Die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 97 BetrVG Nach Einführung des § 97 Abs. 2 BetrVG471 in das Betriebsverfassungsgesetz stellt sich die Frage, wie sich die individualrechtliche Kündigungsschutzvorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zueinander verhalten. 472 Dabei ist ungeklärt, welche Folgen es für das Beteiligungsrecht des Betriebsrates hat, wenn der Arbeitgeber die gerade von der durchzuführen Bildungsmaßnahme gern. § 97 Abs. 2 BetrVG betroffenen Arbeitnehmer kündigt sowie welche Auswirkungen das Vorliegen der Voraussetzungen für das Beteiligungsrecht auf eine zumutbare Fortbildung und Umschulung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG hat. Grundsätzlich kann festgestellt werden, daß die zulässige Ausübung des individualrechtlichen Kündigungsrechtes des Arbeitgebers nicht von einem vorherigen ausgeübten Mitbestimmungsversuch des Betriebsrates nach § 97 Abs. 2 BetrVG abhängig ist. Es handelt sich im Gegensatz zu den Mitbestimmungsrechten bei sozialen Angelegenheiten gern. § 87 BetrVG gerade nicht um eine notwendige Voraussetzung der Rechtsausübung. 473 Ob bzw. inwiefern es trotzdem gegenseitige Einflüsse zu verzeichnen gibt, ist zu erörtern. Dafür soll zunächst danach unterschieden werden, welche Voraussetzungen im einzelnen gegeben sind und welche Rechte bereits ausgeübt wurden. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des gern. § 97 Abs. 2 BetrVG vor und ist eine Qualifizierungsmaßnahme daher bereits beschlossen, dann können die Arbeitnehmer, die an dieser Weiterbildung teilnehmen sollen und somit notwendig für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechtes sind, nicht vor Abschluß der Maßnahme wegen fehlender Qualifikation gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG gekündigt werden. Schließlich ergibt sich die Zumutbarkeit der Weiterbildung für den Arbeitgeber ja gerade aus der getroffenen Vereinbarung nach § 97 Abs. 2 BetrVG.474 Ist es ihm zumutbar, für alle von dieser Situation betroffenen Arbeitnehmer eine betriebliche Bildungsmaßnahme durchzuGenauerdazu unter § 5 A III 3 b)/S. 101 ff. Vgl. Franzen, NZA 2001, S. 865 ff. (871). 473 Franzen, NZA 2001, S. 865 ff. (871) m. w. N. Zur hier angesprochenen Theorie der notwendigen Mitbestimmung vgl. BAG - GS 2/90 - v. 3. 12. 1991 unter D. II der Gründe, AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung; MünchArbR 1Matthes, § 330 Rn. 5 ff. 474 So auch Franzen, NZA 2001, S. 865 ff. (871). 471
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führen, muß dies erst recht für nur einen gelten. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Gesetzesbegründung, nach der durch die gern. § 97 Abs. 2 BetrVG vereinbarten Weiterbildungsmaßnahmen gerade präventiv Kündigungen vermieden werden sollen. 475 Eine Kündigung wegen fachlicher Mängel ohne die Ergebnisse der präventiven, bereits beschlossenen Maßnahme abzuwarten, würde dem Gesetzeszweck zuwider laufen. Etwas anderes könnte sich ergeben, sind die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG eigentlich gegeben und streben Arbeitgeber und Betriebsrat - aus welchen Gründen auch immer - keine Einigung über eine Weiterbildung nach § 97 Abs. 2 BetrVG an. Schon weil die Einführung einer Qualifizierungsmaßnahme selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG immer eine dem Ermessen der Betriebsparteien oder der Beurteilung der Einigungsstelle unterliegende Einzelfallentscheidung bleibt, kann ohne Einigung der Betriebsparteien nicht von vornherein von einer ungerechtfertigten, weil sozialwidrigen Kündigung ausgegangen werden. Andererseits kann der unterlassene Versuch einer Weiterbildungsvereinbarung nach § 97 Abs. 2 BetrVG auch nicht so verstanden werden, daß Betriebsrat und Arbeitgeber von der Unzumutbarkeit einer solchen Maßnahme ausgehen und dies auch auf die kündigungsschutzrechtlichen Überlegungen durchschlägt. Es kann nur als Indiz angesehen werden. Je wahrscheinlicher also eine Einigung nach § 97 Abs. 2 BetrVG ist, desto eher wird eine Kündigung sozialwidrig sein. Diese Auffassung stützt die bereits unter § 10 A V 3 b) cc) (3) (C)476 getroffene Feststellung, nach der eine zumutbare Fortbildung und Umschulung i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG häufig in Situationen gegeben ist, in denen der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer für die veränderten Arbeitsbedingungen verantwortlich ist. Die rechtlich größten Probleme stellen die Situationen dar, in denen der Betriebsrat eine Qualifizierung über § 97 Abs. 2 BetrVG anregt, der Arbeitgeber einer Entscheidung aber vor Abschluß einer Vereinbarung durch Aussprechen von Kündigungen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern zuvorkommt. Für die Beurteilung der Kündigung ändert sich nichts gegenüber der Situation einer nicht versuchten Einigung nach § 97 Abs. 2 BetrVG, da auch in dieser Konstellation noch kein Ergebnis vorliegt. Die Wirksamkeit der Kündigung kann nicht beeinträchtigt werden, da das Mitbestimmungsrecht des § 97 Abs. 2 BetrVG keine Wirksarnkeitsvoraussetzung ist, individuelle und kollektivrechtliche Ebene voneinander getrennt sind. Fraglich ist aber, ob die ausgesprochene Kündigung nicht trotzdem Einfluß auf § 97 Abs. 2 BetrVG hat, da der Arbeitgeber hier die Vereinbarung durch sein Handeln zumindest bis zum Ausgang eines eventuell anstehen475 BT-Drucks. 14/5741, S. 50. Fraglich ist hier allerdings, ob es sich tatsächlich noch um präventive Maßnahmen handelt, wenn die geplante oder durchgeführte Änderung unmittelbar bevorsteht und die Qualifizierung zeitlich mit einer Kündigungsüberlegung quasi zusammenfällt. 476 S. 340 f.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
den Kündigungsschutzprozesses quasi unmöglich macht. Um diese Umgehung des bildungsrechtlichen Mitbestimmungsrechtes zu vermeiden, will Franzen dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zusprechen, der dem für die sozialen Mitbestimmungsrechte entwickelten entspricht. 477 Dieser mittlerweile anerkannte allgemeine Unterlassungsanspruch wurde gerade für solche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates entwickelt, bei denen der Arbeitgeber eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme ohne Beteiligung des Betriebsrates durchführt und der Arbeitnehmervertretung eine Handhabe dagegen ermöglicht werden sollte. 478 Nach ganz herrschender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung soll der Betriebsrat in diesen Fällen bis zur Entscheidung der Einigungsstelle Unterlassung des der Mitbestimmung widersprechenden Verhaltens verlangen können. 479 Im Unterschied zu den Maßnahmen des Arbeitgebers unter Mißachtung der sozialen Mitbestimmungsrechte480 besteht aber zwischen dem Mitbestimmungsrecht zur Einführung einer Qualifizierung nach Änderung der Arbeitsbedingungen und dem Kündigungsrecht keine Verbindung. Die Kündigung als solche ist gerade nicht nach § 97 Abs. 2 BetrVG beteiligungspflichtig. Hier ebenfalls einen allgemeinen Unterlassungsanspruch anzunehmen, der entweder auf das Recht des Betriebsrates gern. § 97 Abs. 2 BetrVG oder aber auf § 1004 BGB analog gestützt werden müßte481 , ist daher meines Erachtens dogmatisch nicht begründbar. Würde für die dargestellte Situation ein Mitbestimmungsrecht bejaht, führt das zu einer enormen Ausweitung der bisher anerkannten Grundsätze für den allgemeinen Unterlassungsanspruch, für welche es einer gesetzlichen Grundlage bedürfte. Einziges Druckmittel für den Betriebsrat bleibt der Betriebsratswiderspruch gegen die Kündigung gern. § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG mit Verweis auf die vereitelte betriebliche Bildungsmaßnahme, obwohl die Voraussetzungen des § 97 Abs. 2 BetrVG vorgelegen hätten. b) Die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 98 BetrVG Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Bildungsrnaßnahmen betrifft gern. § 98 BetrVG in erster Linie das "Wie" einer Maßnahme. Da es sich bei der Bestimmung NZA 2001, 865 ff. (871). MünchArbR/ Matthes, § 329 Rn. 26. 479 BAG - 1 ABR 24/93 - v. 3. 5. 1994 1. LS sowie unter B. III. der Gründe, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG mit Anm. Richardi; v. 23. 7. 1996 unter B. III. 1. der Gründe, AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG Arbeitszeit; Schaub, § 219 VII6/Rn. 41 ff.; GK-Wiese/Oetker, § 23 BetrVG Rn. 145 jeweils m. w. N. 480 Als Beispiel läßt sich der Fall anführen, daß der Arbeitgeber die Arbeitszeiten verändern will und dabei das bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei gerade dieser Maßnahme mißachtet. 481 Zu Überlegungen zur Rechtsgrundlage des allgemeinen Unterlassungsanspruches des Betriebsrates vgl. MünchArbR/ Matthes, § 329 Rn. 17; Schaub, § 219 VII 6/Rn. 44; D/K/ K-Trittin, § 23 BetrVG Rn. 130 jeweils m. w. N. 477 478
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der Arbeitnehmer zur Teilnahme an einer Maßnahme gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG um das "Ob" der Durchführung einer Fortbildung oder Umschulung handelt, unabhängig davon, ob die Qualifizierung im Betrieb vorgenommen wird oder nicht und ohne Durchführungsbestimmungen, kann es kaum zu Konkurrenzen zwischen der kollektivrechtlichen Verpflichtung und der kündigungsschutzgesetzlichen Bestimmung kommen. Eine Kollision zwischen der individualrechtlich vorgeschriebenen Qualifizierung vor Ausspruch einer Kündigung und den kollektiven Regeln könnte allerdings im Fall der Mitbestimmung bei der Teilnehmerauswahl gern. § 98 Abs. 3, 4 BetrVG auftreten. Durch dieses Recht soll die Chancengleichheit der Arbeitnehmer bei den Bemühungen um den Erhalt des Arbeitsplatzes und bei dem beruflichen Fortkommen gesichert werden. 482 Diesem Zweck kann aber im Fall einer nach § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG durchzuführenden Qualifizierung nicht Rechnung getragen werden. Die für die Bildungsmaßnahme in Betracht gezogenen Arbeitnehmer sollen keinen Vorteil gegenüber den anderen erlangen, vielmehr soll eine unmittelbar bevorstehende Kündigung vermieden werden. Nicht ein Bildungsvorsprung, sondern die Beseitigung eines Bildungsrückstandes für den zu besetzenden Arbeitsplatz ist Zweck der Regelung. Die Teilnahme an einer Qualifizierung zur Vermeidung einer Kündigung löst kein Mitbestimmungsrecht nach § 98 Abs. 3, 4 BetrVG aus. Wie auch schon in bezug auf die Vorschriften zum gesetzlichen Bildungsurlaub483 , zur Teilnahme an Betriebsratsschulungen484 und zur Teilnahme an der nach § 81 Abs. 1, 2 BetrVG notwendigen Unterrichtung485 , kann das Mitbestimmungsrecht auch hier nicht angewandt werden. Die von Gaul für eine Anwendung von § 98 Abs. 3 BetrVG benannte Konstellation, daß mehr Arbeitnehmer um eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit konkurrieren, als freie Arbeitsplätze vorhanden sind486 , ist nicht durch Anwendung des § 98 Abs. 3 BetrVG zu entscheiden. Vielmehr handelt es sich um eine individualrechtlich vorzunehmende Auswahl der Arbeitnehmer, die von den personellen Mitbestimmungsrechten des § 99 BetrVG überlagert wird, § 98 Abs. 3 BetrVG aber ausschließt. 4. Ergebnis zu den kollektivrechtlichen Einflüssen auf Fortbildung und Umschulung Der Betriebsrat kann nach § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG einer Kündigung mit der Forderung nach zumutbarer Fortbildung und Umschulung des Arbeitnehmers 482 F IK/H/EI S, § 98 BetrVG Rn. 28; Galperinl Löwisch, § 98 BetrVG Rn. 22; Richardi, § 98 BetrVG Rn. 55. 483 F/K/H/E/S, § 98 BetrVG Rn. 37; StegelWeinspach, §§ 96-98 BetrVG Rn. 43. 484 Insoweit eine Mitbestimmungspflicht ebenfalls ablehnend MünchArbRI Matthes § 351 Rn. 33. 485 Vgl. 2. Teil § 5 A IV I b)ee)(I)(c)1 S. 126 f. 486 BB 1995,2422 ff. (2428).
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
widersprechen. Der Widerspruch des Betriebsrats hat für den Arbeitnehmer bei dennoch erfolgender Kündigung einen Weiterbeschäftigungsanspruch gern. § 102 Abs. 5 BetrVG zur Folge. Für den Betriebsrat führt er zu einer Selbstbindung bezüglich der Ausübung seiner Mitbestimmungsrechte gern. § 99 BetrVG in dem von ihm repräsentierten Bereich. Bei betriebsübergreifender Weiterbeschäftigung kann das Fehlen der Zustimmung des aufnehmenden Betriebes nach § 99 Abs. 2 BetrVG dazu führen, daß der Arbeitsplatz nicht als frei anzusehen ist. Kollisionen mit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gern. § 98 BetrVG treten insofern nicht auf, als eine Mitbestimmung über die Teilnahme gern. § 98 Abs. 3, 4 BetrVG von vornherein abzulehnen ist. Ebenfalls kann es zu keinen Kollisionen mit dem von dem Kündigungsrecht unabhängigen § 97 Abs. 2 BetrVG kommen. Allerdings kann die Vereinbarung einer Weiterbildungsmaßnahme aufgrund der Mitbestimmung nach § 97 Abs. 2 BetrVG dazu führen, daß die Kündigung von Arbeitnehmern, die an dieser Maßnahme teilnehmen sollten, nicht aufgrund fachlicher Mängel erfolgen kann. Hier kann der unbestimmte Rechtsbegriff der Zumutbarkeit als von der mitbestimmten Vereinbarung konkretisiert angesehen werden.
VIII. Rechtscharakter des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG Abschließend ist festzustellen, welchen Rechtscharakter § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG besitzt, ob es sich also um eine echte Rechtspflicht oder eine Obliegenheit handelt. 487 Das BAG geht von § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG als Obliegenheit und von keiner echten Rechtspflicht aus, so daß auch kein Anspruch des Arbeitnehmers auf die anderweitige Beschäftigung besteht. Der Arbeitgeber wird nämlich nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine bestimmte Qualifizierung für einen bestimmten Arbeitsplatz anzubieten. Selbst wenn im Moment nur ein Arbeitsplatz im Unternehmen in Betracht kommt, kann der Arbeitgeber eine vertragsgemäße Beschäftigung des Arbeitnehmers anderweitig, z. B. durch Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes, sicherstellen.488 Das Angebot einer zumutbaren Umschulung stellt nur eine Obliegenheit des Arbeitgebers dar, bei deren Unterlassen dem Arbeitgeber eine Rechtsposition - das Recht zur Kündigung - genommen wird. Das ergibt sich aus der Rechtsfolge des § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG, die zum einen die Sozialwidrigkeit der Kündigung und zum anderen einen Weiterbeschäftigungsanspruch bei Betriebsratswiderspruch begründet. 489 Zu der Unterscheidung vgl. schon § 5 A IV 4 c)/ S. 143 ff. BAG - 8 AZR 688/94 - v. 20. 6. 1995 unter II. 2. b) der Gründe, juris; BAG - I AZR 286/95 - v. 5.3 1996 unter II. 3. der Gründe, juris. 489 Vgl. KR-Etzel, § I KSchG Rn. 749; Hanau, BB 1971,485 ff.; APS/ Kiel, § 1 KSchG Rn. 614. 487
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IX. Ergebnis zu zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen gemäß § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG Die Untersuchung der zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen gern. § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG hat gezeigt, daß es noch viele offene Fragen bei der Handhabung dieser Norm gibt. Es wurde versucht, den unbestimmten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit leichter zugänglich zu machen. Als Anhaltspunkt kann davon ausgegangen werden, daß eine Qualifizierung grundsätzlich zumutbar ist, wenn ihre Dauer den Zeitraum der Kündigungsfrist nicht um mehr als drei Monate übersteigt. An dieser Länge sind jeweils die für eine Verlängerung oder Verkürzung sprechenden Kriterien seitens des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers zu messen. Dabei kann die Zumutbarkeit auch vollständig entfallen. Da es sich bei § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG um eine Obliegenheit und keine Pflicht handelt, kann sie vom Arbeitnehmer nicht selbständig eingeklagt werden. Dies hat aber insofern keine negativen Auswirkungen, als § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG ohnehin nur in Fällen der Arbeitsplatzgefährdung Geltung entfaltet und der Arbeitgeber zur Ausübung des Kündigungsrechtes die Weiterbildungsmöglichkeiten untersuchen muß. Abschließend kann festgestellt werden, daß der Arbeitgeber durch die Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG in seiner Entscheidung darüber, ob er Weiterbildungsmaßnahmen im bestandsgeflihrdeten Arbeitsverhältnis durchführt, nicht frei ist.
B. Widerspruch des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG als anspruchsbegründende Pflicht zur Weiterbildung Wie bereits dargestellt490 , kann der Betriebsrat einer vom Arbeitgeber angestrebten Kündigung mit der Begründung widersprechen, der Arbeitnehmer könne nach einer zumutbaren Fortbildung und Umschulung weiterbeschäftigt werden. Dieser Widerspruch des Betriebsrats hat aber keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf die so in Betracht gezogene Qualifizierung zur Folge. Der Betriebsrat macht den Arbeitgeber lediglich auf die Möglichkeit der sozial ungerechtfertigten Kündigung aufmerksam und verschafft dem Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsanspruch während eines eventuellen Kündigungsschutzprozesses. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung einer geltend gemachten Qualifizierungsmaßnahme ergibt sich aus § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG weder gegenüber dem Arbeitnehmer noch gegenüber dem Betriebsrat.
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§ 10 A VII 11 S. 370 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
C. Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB 111491 Mit Erneuerung des Arbeitsförderungsrechtes und Aufnahme in die Sozialgesetzbücher, wurde das Subsidiaritätsprinzip der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen in § 2 Abs. 2 SGB III festgeschrieben. Danach haben die Arbeitgeber bei ihren Entscheidungen verantwortungsvoll deren Auswirkungen auf die Beschäftigung der Arbeitnehmer und von Arbeitslosen und damit die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung mit einzubeziehen (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB III). Vor allem die rechtliche Wirkung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III, nach welchem die Arbeitgeber vorrangig durch betriebliche Maßnahmen die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung sowie Entlassungen von Arbeitnehmern vermeiden sollen, ist seitdem umstritten. Fraglich ist, wie sich diese sozialrechtliche Vorschrift in das System des Arbeitsrechtes, insbesondere des Kündigungsschutzrechtes, einpaßt. Das Meinungsspektrum reicht von Erweiterung der bestehenden arbeitsrechtlichen Mittel zur Vermeidung von Kündigungen492 über Bestätigung des ultima-ratio-Prinzips493 bis zum gänzlichen Ablehnen einer arbeitsrechtlichen Wirkung. 494 Ein Anspruch auf Tätigwerden des Arbeitgebers zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit läßt sich nach keiner der vertretenen Ansichten herleiten. Der Arbeitgeber kann jedenfalls dadurch nicht angehalten werden, Qualifizierungen durchzuführen. 495
D. Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitsamt gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 5 SGB 111 Durch das lob-AQTIV-Gesetz wurde neben einer Reihe anderer Regelungen, die die Beschäftigung fördern und die Arbeitslosigkeit abbauen sollen, auch § 2 SGB III neu gestaltet. 496 Für die vorliegende Untersuchung ist § 2 Abs. 3 Nr. 3 SGB III näher zu erörtern. In Satz 1 wird bestimmt, daß die Arbeitgeber die 491 Der frühere § 2 Abs. 1 SGB III ist seit 01. 01. 2002 § 2 Abs. 2 SGB III n. F.; BGB!. I, 2001, S. 3443 ff. (3444). 492 Gagei, FS für ArbG Rh. Pf., S. 521 ff. (526 ff.); Schaub, NJW 1997,810 f. (810 f.); so wohl auch ArbG Gelsenkirchen - 2 Ca 3762/96 - v. 28. 10. 1997, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 100 mit krit. Anm. Hamacher. 493 Bepler, in: Gagei, § 2 SGB III Rn. 28; Bieback, AuR 1999,209 ff. (211); Rolfs, 1998, 17 ff. (18 f.). 494 Bauer/ Haußmann, NZA 1997, 1100 ff. (1101 f.); Ettwig, NZA 1997, 1152 f. (1152 f.); Wolf, AuA 1998,7 ff. (8). 495 Vg!. aber auch § 10AV3b)dd)(3)/S.347. 496 BGB!. I, 2001, S. 3443 ff. (3444).
§ 10 Vorgaben der Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
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Arbeitsämter frühzeitig über betriebliche Veränderungen unterrichten sollen, die Auswirkungen auf die Beschäftigung haben könnten. Unter den anschließend in Satz 2 aufgezählten Beispielen wird in Nr. 5 eine Unterrichtung über Planungen des Arbeitgebers gefordert, wie Entlassungen von Arbeitnehmern vermieden oder Übergänge in andere Beschäftigungen erlangt werden können. Fraglich ist, ob sich aus dieser Unterrichtungsvorschrift, eine Pflicht herauslesen läßt, die diese Planungen erforderlich macht. Wäre dem so, könnte in § 2 Abs. 3 Nr. 5 SGB III eine Konkretisierung des Absatzes 2 gesehen werden. Diese so von Hummel vertretene Ansicht497 führt meines Erachtens zu weit. Dem Arbeitgeber wird gerade nicht aufgegeben, eine Planung zur Vermeidung von Kündigungen und Sicherung der Beschäftigung durchzuführen498 , sondern nur, eine solche wenn sie besteht - an das Arbeitsamt weiterzugeben. Unterstützt wird das hier vertretene Verständnis durch verschiedene Faktoren. Erstens handelt es sich in Absatz 3 nur um eine Sollvorschrift.499 Zweitens stellt Absatz 2 eine nähere Ausgestaltung des früheren § 2 Abs. I Nr. 3 SGB III dar, einem Regelbeispie1 also, daß neben § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III n.F. 5OO stand. Drittens erwähnt die Gesetzesbegründung Nr. 5 nicht einmal explizit. Das wäre sicher der Fall gewesen, würde dadurch eine so umstrittene Vorschrift wie § 2 Abs. 2 SGB III näher konkretisiert. Auswirkungen auf die Weiterbildungsaktivität des Arbeitgebers muß § 2 Abs. 3 Nr. 5 SGB III daher abgesprochen werden.
E. Ergebnis zu den gesetzlichen Vorgaben für die Weiterbildung im kündigungsgefährdeten Arbeitsverhältnis Im von einer Kündigung gefährdeten Arbeitsverhältnis gibt es nur wenige Vorschriften, die die Weiterbildung der Arbeitnehmer zum Inhalt haben. Jedoch muß der Arbeitgeber, bevor er kündigen darf, prüfen, ob sich eine Kündigung durch eine Qualifizierung gern. § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG abwenden läßt. Zwar handelt es sich dabei um keine für den Arbeitnehmer selbständig einklagbare Nebenpflicht des Arbeitsverhältnisses, aber eine Obliegenheit, die bei Nichtbeachtung die Kündigung sozialwidrig macht. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ergänzen die kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften, ohne aber weitergehende Rechte für den Arbeitnehmer zur Folge zu haben. Die Norm § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB III unterstützt und verstärkt die Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG, begründet aber keinen eigenständigen Anspruch des Arbeitnehmer. 497
AiB 2002, 69 ff. (70).
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So aber Hummel, AiB 2002, 69 ff. (70). Vgl. zur Wirkung solcher schon § 5 A VIII 2 b)/ S. 159, 161 f. Früher handelte es sich bei der unter 2. näher erörterten Norm um § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB III.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung zur Vermeidung von Kündigungen auf kollektiver Ebene Vereinbarungen der Sozialpartner untereinander, der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern oder Vereinbarungen der Betriebsräte mit den Arbeitgebern zur Vermeidung von Kündigungen haben immer häufiger auch Qualifizierungsmaßnahmen zum Inhalt. Schließlich kann eine Sicherung des Arbeitsplatzes um so leichter erreicht werden, je besser die Arbeitnehmer neuen Anforderungen entsprechen. Ob tarifvertragliche Regelungen die zwingende Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen vorsehen (unter A.) und welche Änderungen sich gegenüber Regelungen im intakten Arbeitsverhältnis auf betrieblicher Ebene ergeben (unter B), ist im folgenden zu untersuchen.
A. Tarifvertragliehe Weiterbildungsvereinbarungen zur Vermeidung von Kündigungen Gerade der einsetzende technisch-organisatorische Wandel in den Unternehmen, der zu einem Überschuß an nicht ausreichend qualifizierten Arbeitnehmern führte, war Mitte der sechziger Jahre Auslöser für erste Qualifizierungsregeln in Tarifverträgen. 50l Da für die Zulässigkeit von tarifvertraglichen Regelungen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit keine abweichenden Grenzen zu den bereits für Qualifizierungen in intakten Arbeitsverhältnissen festgestellten gelten, kann grundsätzlich auf die Ausführungen in § 6 A. 502 verwiesen werden. Jedoch ergeben sich wegen anderer Regelungsschwerpunkte zum Teil abweichende Probleme. War bei den präventiven Maßnahmen die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats problematisch, die zu einer indirekten Mitbestimmung bei dem ff. verwiesen werden. Jedoch ergeben sich wegen anderer Regelungsschwerpunkte zum Teil abweichende Probleme. War bei den präventiven Maßnahmen die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats problematisch, die zu einer indirekten Mitbestimmung bei dem Ob der Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen führen kann 503 , sind bei den beschäftigungssichernden Tarifvertragsnormen die materiellen Ausgestaltungen der Weiterbildungsklauseln in Form von Inhalts- und Beendigungsnormen (§ lAbs. 1 2. HS TVG) näher zu untersuchen. Tarifverträge zur Vermeidung von Kündigungen, die solche Klauseln zum Inhalt haben, treten vor allem in zwei Formen auf, den Rationalisierungsschutzabkommen (unter 1.) und seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre den Beschäftigungsschutzabkommen (unter 11.). 501 Bispinck. Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen. S. 11 f.; Däubler. Tarifvertragsrecht, Rn. 1117; P. Schlaffke. S. 109. 502 S. 174 ff. 503 2. Teil § 6 All d) aa) (3) I S. 182 ff.
§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollektiver Ebene
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I. Qualifizierung in Rationalisierungsschutzabkommen
Rationalisierungsschutzabkommen gelten etwa für die Hälfte aller tarifgebundenen Arbeitnehmer. 504 Qualifizierungsregelungen fügen sich bei Rationalisierungsschutzabkommen in ein Stufensystem der Schutzbestimmungen ein. Zunächst soll der Arbeitsplatz durch verlängerten Kündigungsschutz gesichert bzw. die Unkündbarkeit für ältere Arbeitnehmer erreicht werden. Außerdem werden die Arbeitgeber bei Wegfall von Arbeitsplätzen verpflichtet, gleichwertige neue unternehmensweit zu suchen und mit den von Rationalisierungen betroffenen Arbeitnehmern zu besetzen. Sollten dafür Qualifizierungen nötig sein, sind sie vorzunehmen. Dritter Bestandteil dieser Vereinbarungen sind Verdienstsicherungsklauseln. Im Laufe der Jahre haben sich die zunächst nur reaktiven Qualifizierungsmaßnahmen zur Sicherung des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses zum Teil auch zu aktiven Qualifizierungsförderungen entwickelt. In einigen Tarifverträgen stehen beide Regelungsarten heute nebeneinander und gehen ineinander über. 505 1. Qualijikationsbezogene Regelungsinhalte der Rationalisierungsschutzabkommen
In dem die Qualifizierung betreffenden Teil der Rationalisierungsschutzabkommen sind die Regelungen im Detail sehr unterschiedlich. Jedenfalls werden den Arbeitnehmern aber Einarbeitung, Fortbildung und Umschulung vor Kündigung angeboten und die Kostenübernahme wird meist durch den Arbeitgeber abgesichert. 506 Zur Rückversicherung des Arbeitgebers sind Drittfinanzierungs- und Rückzahlungsklauseln sehr verbreitet. Um die Reichweite solcher Weiterbildungsregelungen zu begrenzen, aber auch um die willkürliche Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus dem Schutzbereich der Vereinbarung zu verhindern, wird der Rationalisierungsbegriff sehr präzise definiert. 507 Meist werden nur betriebsbezogene Änderungen der Arbeitstechnik und -organisation erfaßt, die auf die technische Entwicklung und Rationalisierung zur Erhöhung der Produktivität zurückgehen. 50S Liegen diese Voraussetzungen Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 1117; P. Schlaffke, S. 110. Vgl. den Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrag I der Metallindustrie und den Tarifvertrag von debis, die auch an den sich aus technischen und organisatorischen Änderungen ergebenden Qualifizierungsbedarf anknüpfen. Zu bei den Tarifverträgen schon 2. Teil § 6 A 11 2 und 3 / S. 193 ff. und 195 ff. 506 Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 12; p. Schlaffke, S. 113 ff. 507 Kempen / Zachert, § 1 TVG Rn. 227; p. Schlaffke, S. 110 f. 508 Vgl. u. a.: 2. des TV der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie v. 16. 10. 1970; § 3 des Rationalisierungstarifvertrages der Druckindustrie v. 6. 7. 1984. Zur Auslegung des Begriffes der Rationalisierungsmaßnahme vgl. BAG - 4 AZR 270/93 - v. 9. 3. 1994, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Graphisches Gewerbe. 504
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
vor, erlangen die Arbeitnehmer häufig einen Anspruch auf Teilnahme an den erforderlichen Umschulungsmaßnahmen für Erlangung oder Beibehaltung eines vergleichbaren freien Arbeitsplatzes. 509 Dabei werden die Kosten subsidiär zu anderen Leistungsträgern510 meist vollständig vom Arbeitgeber übernommen. 5 \1 Sowohl die Erlangung eines individuellen Anspruchs, als auch die teilweise Zusicherung der Kostenübernahme sind weitgehend unabhängig von den persönlichen Voraussetzungen des Arbeitnehmers. Eine Begrenzung der Kostenübernahme wird auf verschiedene Weise vorgenommen. Teilweise wird wie bei § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG auf die Zumutbarkeit einer Qualifizierung verwiesen512 oder die Dauer der zulässigen Maßnahmen begrenzt5 I3. Einige Tarifverträge verzichten aber auch völlig auf eine über die Begriffsbestimmung der Rationalisierung hinausgehende Beschränkung514 . 2. Rechtliche Bewertung
Wegen der im einzelnen stark divergierenden Regelungen fällt eine allgemeine Bewertung schwer. Trotzdem ist die rechtliche Zulässigkeit zu überprüfen, da die Regelungen in den Rationalisierungsschutzabkommen zum Teil sehr weitgehend sind und den Arbeitnehmern individuelle, selbständig einklagbare Ansprüche verschaffen. Um die Reichweite der Bestimmungen einordnen zu können, müssen sie zunächst mit den bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen verglichen werden. Unter den weitgehend in einem einheitlichen Sinne verwendeten Begriff der Rationalisierung lassen sich zwei bereits gesetzlich erfaßte Situationen subsumieren. Einmal die Regelung, die die Einführung neuer Arbeitsmethoden oder Arbeitsorganisation gern. § 81 Abs. I, 2 BetrVG betrifft und zum anderen die Situation einer betriebsbedingten Kündigung wegen Änderung der Arbeitsorganisation. In beiden Fällen wird der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer notwendige Kenntnisse zu vermitteln. Jedoch sind beide Pflichten des Arbeitgebers in den gesetzli509 Schlaffke, S. 116. Sehr weitgehend: §§ 5 Abs. 1, 7 Nr. 1 Rationalisierungsschutzabkommen v. 14. 4. 1983 für das private Bankgewerbe; deutlich enger, da auf die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber begrenzt, § 6 Nr. 1 Rationalisierungsschutzabkommen v. 16. 4. 1983. 510 Hierbei wird besonders häufig auf die Mittel der Arbeitsförderung gern. §§ 77 ff., 254 ff. SGB III verwiesen. 511 §§ 5 Abs. 1,7 Nr. 2-4 Rationalisierungsschutzabkommen v. 14.4.1983 für das private Bankgewerbe; deutlich enger, da auf die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber begrenzt, § 6 Nr. 4 Rationalisierungsschutzabkornrnen des privaten Versicherungsgewerbes v. 16.4.1983; vgl. auch P. Schlaffke, S. 116 ff. m. w. N. 512 § 6 Rationalisierungsschutzabkornrnen des privaten Versicherungsgewerbes. 513 Die Länge der Bildungsrnaßnahmen wird im Öffentlichen Dienst gern. § 5 Abs. 2 S. 1 des TV über den Rationalisierungsschutz für Arbeiter v. 9. 1. 1987 auf zwölf Monate begrenzt. 514 Rationalisierungsschutzabkommen des privaten Bankgewerbes Ost und West.
§ II Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollekti ver Ebene
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chen Vorgaben auch begrenzt. In § 81 Abs. 1,2 BetrVG erfolgt die Beschränkung durch die persönlichen Voraussetzungen, die der Arbeitnehmer bereits besitzen muß und die eine Unterrichtung nie unverhältnismäßig werden läßt. 515 Bei der betriebs bedingten Kündigung und der daran anschließenden Suche nach einem anderweitigen, auch erst nach Qualifizierung zu besetzenden Arbeitsplatz, begrenzt die Zumutbarkeit der Qualifizierung die Arbeitgeberobliegenheit. 516 Zu klären ist daher, ob das zum Teil fehlende beschränkende Korrelat in den tarifvertraglichen Regelungen zur Unwirksamkeit der Vereinbarungen führen kann. 517 Grundsätzlich soll das Kräftegleichgewicht der Verhandlungspartner vor verfassungswidrigen Beschränkungen der einen oder anderen Seite schützen, weswegen die Grundrechte in Tarifverträgen nur eingeschränkt Wirkung entfalten. 518 Durch die Zusicherung von Qualifizierungen in den Rationalisierungsschutzabkommen greifen die Tarifvertragspartner in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers ein. Jedoch ist die Pflicht zur Qualifizierung von vornherein auf die Fälle begrenzt, in denen der Arbeitgeber den Arbeitsplatz aus Rationalisierungsgründen verändert und somit auf den Bestandsschutz des Arbeitnehmers einwirkt. Nicht die unternehmerische Entscheidung der Rationalisierung, sondern die Abmilderung der Folgen wird vorgegeben. Es handelt sich nur um eine weitere Konkretisierung des im Kündigungsschutz geltenden und auch im Kündigungsschutzgesetz bereits konkretisierten ultima-ratio-Prinzips.519 Ein milderes, zum Schutz der Arbeitnehmer vor Kündigung genauso geeignetes Mittel, gibt es nicht. 520 Solange die Rationalisierungsentscheidung nicht durch die tariflichen Vorgaben wirtschaftlich undurchführbar und somit jede Veränderung sinnlos wird, ist daher von der Zulässigkeit der Qualifizierungsklauseln auszugehen. Dies ist um so unproblematischer, je weiter sich die Regelungen der Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG annähern. Tarifvertragliehe Regelungen, die im Falle einer Rationalisierung vor Kündigung die Anpassung des Wissens oder eine Umschulung gebieten521 , sind rechtlich zulässig. Inhaltlich gehen sie aber meist nur insofern über die ohnehin schon bestehende Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG hinaus, als den Arbeimehmern ein selbständig einklagbarer Anspruch gewährt wird.
Vgl. 2. Teil § 5 IV I a) / S. 112 ff. Vgl. § lO A V / S. 309 ff. 517 Nicht alle Rationlisierungsschutzabkommen sind derart weit gefaßt. Können aber die umfassenden Rationalisierungsschutzabkommen als zulässig angesehen werden (vgl. etwa §§ 5, 7 RSA für das private Bankgewerbe in Ost und West), muß dies erst recht für die weniger weitgehenden gelten. 518 Gamillscheg, KoliArbR, § 16 I I c)/S. 667 ff. m.umf.N. Vgl. auch § 6 A I I b) / S.I77ff. 519 Zur Konkretisierung im Kündigungsschutzgesetz, Preis, Prinzipien, S. 294 ff. 520 P. Schlaffke, S. 125 f. 521 Beispielsweise §§ 5, 7 RSA für das private Bankgewerbe in Ost und West. 515
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Fracke
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
11. Qualifizierung in Beschäftigungsschutzabkommen
Seit etwa 20 Jahren gibt es eine weitere Form von Tarifverträgen bzw. besonderen Klauseln in Manteltarifverträgen zur Vermeidung von Kündigungen. Sogenannte Beschäftigungsschutzabkommen orientieren sich nicht mehr allein an den durch Einführung neuer Technik und Arbeitsmethoden entstehenden Beschäftigungsproblemen, sondern am allgemeinen Beschäftigungsmangel. Nachdem sich diese Form der zusätzlichen tariflichen Vereinbarung zunächst nicht durchzusetzen schien, wurde vor allem nach der Wiedervereinigung versucht, den plötzlich und akut auftretenden Beschäftigungsmangel in den Betrieben der neuen Bundesländer durch solche Vereinbarungen aufzufangen. 522 Mangelnde Beschäftigung sollte statt durch betriebsbedingte Kündigungen und Abfindungen, durch Kurzarbeit verbunden mit Qualifizierungsmaßnahmen ausgeglichen werden. Ziel sollte statt der materiellen, kurzfristigen Sicherheit durch Abfindungen die Qualifizierung sein, womit vorausschauend der zukünftigen Arbeitslosigkeit entgegengewirkt werden sollte. 523 Folge solcher Qualifizierungen war entweder die Arbeitslosigkeit, jedoch mit besseren Wiedereinstellungschancen oder aber die Erhöhung der innerbetrieblichen Mobilität und nachträglich Chance auf Weiterbeschäftigung. 524 Qualifizierungsvorschriften haben sich in Tarifverträgen zur Beschäftigungssicherung nicht ähnlich gut durchgesetzt, wie die Regelungen der Fortbildung und Umschulung in Rationalisierungsschutzabkommen. 525 Lediglich von Juli 1990 bis zum Juni 1991 galt beispielsweise ein zwischen IGM und der MetaIlindustrie Ost abgeschlossener Tarifvertrag, in welchem ein Verbot betriebsbedingter Kündigungen mit einer Pflicht zu Kurzarbeit und Qualifizierung einherging. 526 Eine Fortführung dieses Tarifvertrages wurde von Arbeitgeberseite abge1ehnt. 527 Die Konsum Tarifgemeinschaft e.v. Berlin schloß am 18.6. 1991 einen weniger weitgehenden Qualifizierungstarifvertrag ab. Darin war vor allem die Teilnahme solcher Arbeitnehmer an Qualifikationen vorgesehen, die sich bereits in Kurzarbeit befanden bzw. deren Arbeitsplatz durch Umstrukturierungen verändert wurde (§ 3 Nr. 1). Von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Maßnahmen sollten danach zusätzlich mit 17 % des Nettoeinkommens des Arbeitnehmers unterstützt werden, und die Maßnahmen fanden in der Regel während der Arbeitszeit statt (§ 3 Nr. 2, 4 Nr. 3). Allerdings waren weder ein Anspruch noch eine volle Kostenübernahme durch den Arbeitgeber bei fehlender staatlicher Unterstützung gewährleistet.
Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 16. Kempen/Zachert, § 1 TVG Rn. 230; Zabel, AiB 1998,615 ff. (616). 524 Klebe / Roth, DB 1989, 1518 ff. 525 Wagner, WSI-Miueilungen 1994,73 ff. (74 f.). 526 TV über Kündigungsschutz und Qualifizierung bei Umstrukturierungsmaßnahmen v. 13. 7. 1990; am Beispiel Thüringen nachzulesen in Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 100 f. 527 Bispinck, Qualifizierung und Weiterbildung in Tarifverträgen, S. 16 f. 522 523
§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollektiver Ebene
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Typischerweise enthalten Beschäftigungsschutzabkommen jedoch überhaupt keine Regelungen zu Qualifizierungen, sondern lediglich Vereinbarungen zu möglichen Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich. 528 Beispielsweise enthielt ein 1997 in Thüringen im Einzelhandel abgeschlossener Tarifvertrag soweit ersichtlich in § 9 a erstmals eine Beschäftigungssicherungsklausel, worin das Unterschreiten der materiellen Mindestnormen für die Dauer von maximal 12 Monaten um bis zu 12 % erlaubt wurde. Qualifizierungen neben der Arbeit oder statt dessen waren aber nicht geregelt. 529 Zwar wurde diese Klausel nach dem Ablauf ihrer Nachwirkung zum 30. 6. 1999 (§ 20 Nr. 4 Abs. 2 MTV) bisher nicht erneuert, Qualifizierungsklausein wurden aber ebenfalls nicht eingeführt. Positiv hebt sich von bloßer Beschäftigungssicherung durch Verringerung der tariflichen Mindestnormen in neuerer Zeit ein Tarifvertrag der AOK zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung v. 20. 1. 1998 ab. 53o Darin wird in § 7 Abs. 5 bestimmt, daß Beschäftigten, denen ein gleichwertiger oder anderer Arbeitsplatz angeboten wird, notwendige Qualifizierungsmaßnahmen so rechtzeitig anzubieten sind, daß diese der Arbeitsplatzsicherung effektiv dienen. Die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber ist ebenso festgelegt, wie die Teilnahmepflicht der Arbeitnehmer (§ 13 Abs. 3,4). Begrenzt wird die Verpflichtung VOn Arbeitgeberseite durch betriebliche Erfordernisse und die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber (§ 13 Abs. 1). Bei abschließender Betrachtung werden in dem Tarifvertrag hauptsächlich solche Verpflichtungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgelegt, die sich nach dem hier vertretenen Verständnis des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG auch aus der gesetzlichen Bestimmung ergeben. Jedoch führt die explizite Festlegung zu einem größeren Selbstverständnis im Umgang mit Qualifizierungen statt Kündigung. Regelungen über Qualifizierungen sind in Beschäftigungssicherungsabkommen sehr selten und nach der Anfangsphase der Wiedervereinigung wieder weiter zurückgegangen. Werden Qualifizierungen zugestanden, orientieren sich diese Vorschriften sehr stark an den Maßnahmen der Arbeitsförderung und stellen oft eine Lückenfinanzierung dar.53 1 Wegen der unbestimmten und den Arbeitnehmern kaum 528 Vgl. u. a. TV zur Beschäftigungssicherung v. 5. 4. 2000 zwischen DAG und Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg; § 4 des TV zwischen Volkswagen AG und der 1G Metall ab 1. 1. 1994; Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung zwischen 1G Metall und Gesamtmetall (Hannover) v. 5. 3. 1994. 529 Manteltarifvertrag zwischen DAG und HBV mit dem Verband Thüringer Kaufleute v. 12. 12. 1997. 530 Zusätzlich zu diesem Tarifvertrag wurde in einigen Bundesländern ein Tarifvertrag über eine kollektive Arbeitszeitverkürzung abgeschlossen. Dieser bezieht sich ausdrücklich auf den zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigungssicherung, sieht jedoch zusätzlich als "letzt(es) Mittel der Beschäftigungssicherung" (Präambel) eine kollektive Arbeitszeitverkürzung vor, vgl. u. a. Tarifvertrag über eine kollektive Arbeitszeitverkürzung v. 19.8. 1998 zwischen AOK Thüringen und ÖTV, v. 2. 10. 1998 zwischen AOK Brandenburg und ÖTV sowie DAG, v. 6. 4. 1998 zwischen AOK Sachsen und ÖTV. 531 Vgl. den Qualifizierungstarifvertrag der Konsum Tarifgemeinschaft e. V. vom 18. 6. 1991.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
Rechte zu Qualifizierungen verschaffenden Klauseln, ergeben sich keine rechtlichen Probleme. 532 Würden jedoch Beschäftigungspläne verwirklicht, in denen der Arbeitgeber zu einer Qualifizierung auf Vorrat verpflichtet wird, damit nicht in zwei oder drei Jahren neue Arbeitnehmer eingestellt werden müssen 533 , wäre das sicherlich ein zu weiter Eingriff in die Unternehmensautonomie. Auch bei Beschäftigungsschutzabkommen muß ein angemessenes Verhältnis von Weiterbildungsregelung und Beibehaltung der unternehmerischen Freiheit angestrebt werden.
III. Ergebnis zu den tariflichen Weiterbildungsvereinbarungen zur Vermeidung von Kündigungen
Im Falle einer anstehenden Kündigung kann der Arbeitgeber auch durch Tarifverträge in seiner Entscheidung, Qualifizierungen durchzuführen, eingeschränkt werden. Tarifverträge enthalten gerade zur Vermeidung von Kündigungen zum Teil auch Regelungen zu Qualifizierungen, doch sind solche Regelungen in ihrer Intensität und Häufigkeit sehr unterschiedlich. Am umfassendsten sind Rationalisierungsschutzklauseln, die Arbeitnehmern auch subjektiv einklagbare Ansprüche auf Qualifizierungen zugestehen. Eine Begrenzung erfahren solche Klauseln durch den Bezug auf Rationalisierungsmaßnahmen des Arbeitgebers, Situationen also, in denen der Arbeitgeber auch einem Unterrichtungsanspruch gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG nachkommen müßte oder im Falle einer anstehenden Kündigung nach einer anderweitigen Beschäftigung zu suchen hätte. Da nicht die unternehmerische Entscheidung über das "Ob" der Einführung neuer Techniken, sondern nur eine solche über das "Ob" der daraus folgenden Qualifizierung zur Milderung der Folgen für die Arbeitnehmer betroffen ist, handelt es sich um eine tarifvertraglich zulässige Einschränkung der freien Unternehmerentscheidung. Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung weisen deutlich weniger Bezüge zur Weiterbildung auf. Nur in Ausnahmefallen wird in beschäftigungsarmen Zeiten die Durchführung von Qualifizierungen angeordnet.
B. Betriebliche Weiterbildungsvereinbarungen zur Vermeidung von Kündigungen Auf betrieblicher Ebene kann zur Vermeidung von Kündigungen zunächst auf die üblichen Instrumente zurückgegriffen werden. Es sind Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat möglich, in denen vorrangig vor Kündigungen die Qualifizierung der Arbeitnehmer angestrebt wird. 532 533
Vgl. auch Zabel, AiB 1998,615 ff. (616 f.). So aber KlebelRoth, DB 1989, 1518 ff. (1518).
§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollektiver Ebene
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Solche Vereinbarungen könnten gerade in der Situation anstehender Kündigungen häufiger erfolgen als im intakten Arbeitsverhältnis. Dies war das Ergebnis einer Untersuchung, wonach die Qualifizierungsinitiativen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber um so erfolgreicher sind, je mehr sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Rationalisierungsmaßnahmen stehen. 534 Grund sei häufig der bestehende personalpolitische Handlungsdruck sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Betriebsrat, der die sonst scheinbar nicht so dringenden Qualifizierungen hinter den "üblichen" Tätigkeiten zurückstellt. 535 Außerdem führen bei anstehenden Rationalisierungen die zu erwartenden Widerstände in der Belegschaft dazu, daß die Unternehmensleitung wegen der Hoffnung auf eine bessere Durchsetzbarkeit der geplanten Regelungen enger mit dem Betriebsrat zusammen arbeitet. 536 Die Ausgangsposition für Verhandlungen ist für den Betriebsrat daher günstiger. Die Regelungsbefugnisse und Grenzen für Weiterbildungsregelungen entsprechen aber den bereits im intakten Arbeitsverhältnis dargestellten, weshalb auf die Ausführungen dort insofern verwiesen werden kann. 53? Die - bewußten oder unbewußten - einseitigen Leistungsversprechen des Arbeitgebers in Form einer Gesamtzusage oder betrieblichen Übung 538 , die schon im Rahmen des intakten Arbeitsverhältnisses nur geringe Bedeutung für Weiterbildungsmaßnahmen haben, sind für die Fälle anstehender Kündigungen praktisch gar nicht vorstellbar. Bei Betriebsänderungen, welche wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer zur Folge haben, sind dem Betriebsrat in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern (§ 111 Abs. 1 S. 1 l. HS) jedoch zusätzliche Instrumente an die Hand gegeben. Er soll die vom Arbeitgeber getroffene Entscheidung aktiv mit ausgestalten, um so sowohl die Arbeitsplätze als auch die soziale Stellung der Arbeitnehmer nach Möglichkeit zu sichern. 539 Gemäß § 112 BetrVG hat der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Sozialplan abzuschließen (§ 112 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 BetrVG), und es kann ein Interessenausgleich vereinbart werden. Der Sozialplan ist gern. § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG als Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Ausgleich oder die Milderung der den Arbeitnehmern durch die geplante Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile legal definiert. Ein Interessenausgleich soll dagegen über die Art und Weise der Durchführung der vom Arbeitgeber in Betracht gezogenen Betriebsänderung erfolgen. 54o Er regelt Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 213. Bahnmüller/Bispinck/Schmidt, S. 213. Vgl. auch zur kritischen Betrachtung der Betriebsratstätigkeit § 6 BIS. 202 f. 536 Bahnmüller/ Bispinck/ Schmidt, S. 220 f. 537 § 6 B I 1 a), b) und cIS. 204 ff. 538 Zu diesen Instrumenten § 6 B I 2 a) 1 S. 211 und b) 1 S. 212. 539 F/K/H/E/S, § 111 BetrVG Rn. 1; GK-Fabricius, § 111 BetrVG Rn. 15. 540 BAG - 1 ABR 23/91 - v. 17. 9. 1991 unter B. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 59 zu § 112 BetrVG; MünchArbRI Matthes § 361 Rn. 13. 534 535
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
das Ob, Wann und Wie einer geplanten Betriebsänderung mit dem Ziel, dadurch von vornherein soweit wie möglich Nachteile für die Arbeitnehmer zu vermeiden. 54l Treten dennoch welche ein, sind sie durch den Sozialplan abzumildern. Schon die kurze Definition macht deutlich, daß Interessenausgleich und Sozialplan nicht gleiche Regelungen treffen, aber eng zusammenhängen. Deshalb, und weil sie unterschiedliche Voraussetzungen und Rechtsfolgen haben, ist für die weitere Untersuchung eine genaue Trennung vorzunehmen. Die früher noch eindeutige Einordnung jeglicher Qualifizierungsmaßnahmen in dieser Situation als Interessenausgleich542 ist heute nicht mehr unumstritten. Immer mehr Vertreter der Literatur sehen auch im Rahmen der Sozialplanvereinbarung die Möglichkeit, Qualifizierungen festzulegen. 543 Auf die exakte Unterscheidung Interessenausgleich und Sozialplan kommt es in zweierlei Hinsicht an. Erstens hat ein Sozialplan die Wirkung einer Betriebsvereinbarung, wirkt also unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer (§§ 112 Abs. 1 S. 3, 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG). Zweitens kann bei fehlender Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber nur ein Sozialplan gern. § 112 Abs. 4 BetrVG durch die Anrufung der Einigungsstelle erzwungen werden. Lassen sich Qualifizierungsmaßnahmen dem Sozialplan zuordnen, könnte der Betriebsrat so mit Hilfe der Einigungsstelle die Einrichtung von beschäftigungssichernden Qualifizierungsmaßnahmen gegebenenfalls auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen. Demgegenüber ist der Interessenausgleich nicht erzwingbar. Einziges Druckmittel des Betriebsrates ist der Verweis auf den bei Nichtabschluß oder Nichtbeachtung anstehenden Nachteilsausgleich gern. § 113 BetrVG. Außerdem hat der Interessenausgleich als betriebsverfassungsrechtliche Vereinbarung sui generis selbst keine unmittelbare und zwingende Wirkung auf die Arbeitsverhältnisse und kann somit keine einklagbaren Rechte begründen. 544 Wegen der bedeutenden Unterschiede zwischen Sozialplan und Interessenausgleich ist im folgenden näher auf die Einordnung einzugehen. I. Interessenausgleich oder Sozialplan zur Vereinbarung von Weiterbildungsmaßnahmen
Das BAG und ein Teil der Literatur sehen in der Vereinbarung von Qualifizierungsmaßnahmen bei Betriebsänderungen allein die Regelung der Art und Weise 54l BAG - I AZR 323/83 - v. 9. 7. 1985 unter 1. 3. der Gründe, AP Nr. 13 zu § 113 BetrVG; F IK/H/EI S, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 14; Richardi, § 112 BetrVG Rn. 22. 542 Löwisch, § 112 BetrVG Rn. 3; Matthes, RdA 1999, 178 ff. (181), Richardi, FS für Wiese, S. 441 ff. (443 f.); wohl auch F IK/H/EI S, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 17 ff. 543 Bepler; AuR 1999,219 ff. (225 f.); D/K/K-Däubler; §§ 112, 112a BetrVG Rn. 44; Gilberg, S. 254; ErfKl Hanaul Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 28; Oetker; Berufsbildungsmaßnahmen, S. 60. 544 GK-Fabricius, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 22; Richardi, FS für Wiese, S. 441 ff. (444).
§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollekti ver Ebene
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der Durchführung einer Betriebsänderung. 545 Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen können Formen der Beschäftigungssicherung sein, die dem Arbeitnehmer statt einer arbeitgeberseitig zunächst geplanten betriebsbedingten Kündigung die Weiterbeschäftigung im Betrieb trotz Einsatzes modernerer Maschinen ermöglichen. Der Zuordnung einer solchen Vereinbarung als Interessenausgleich ist vollkommen zuzustimmen. Immer mehr Vertreter der Literatur sehen aber auch den Regelungsgehalt des Sozialplanes als über bloße finanzielle Unterstützungen546 hinausgehend an. Sie gehen wegen der Möglichkeit, durch eine Qualifizierung die Folgen einer aufgrund der Betriebsänderung anstehenden Kündigung zu mildem, zumindest auch von der Möglichkeit der Festlegung in einem Sozial plan aus. 547 Jede absolute Zuordnung zu Interessenausgleich oder Sozialplan ist wegen der unterschiedlichen Funktionen der Qualifizierungsvereinbarungen im Rahmen der Betriebsänderung nach § 111 BetrVG abzulehnen, und es ist zu untersuchen, ob, wann und mit welchen Grenzen auch Sozialpläne Qualifizierungsvereinbarungen zum Inhalt haben können. Da die Regelungsinhalte von Interessenausgleich und Sozialplan nah beieinander liegen, muß sehr sorgfältig unterschieden werden. Werden Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt, um die Arbeitnehmer auch nach einer Betriebsänderung weiterbeschäftigen zu können, handelt es sich stets um einen Interessenausgleich, der schon die Entstehung von Nachteilen vermeidet. Wurde die Qualifizierung einmal - einvernehmlich - vereinbart, kann und muß die Ausgestaltung der vereinbarten Qualifizierungen Bestandteil eines Sozialplanes sein. 548 Zusätzlich kann aber auch schon die Bestimmung, ob Weiterbildungsmaßnahmen durchzuführen sind, Bestandteil eines erzwingbaren Sozialplanes sein. 549 Dann geht es nicht mehr um die Frage einer Qualifizierung oder Kündigung, denn die Durchführung des Ob, Wann und Wie der geplanten Betriebsänderung wurde bereits - mit oder ohne Interessenausgleich - festgelegt. Auf dieser, zweiten, Stufe geht es lediglich noch darum, die durch die geplante Kündigung entstandenen Nachteile auszugleichen. Zwar werden dafür üblicherweise Abfindungen oder andere finanzielle Unterstützungen 550 vereinbart, es kann aber statt dessen auch 545 Löwisch, § 112 BetrVG Rn. 3; Matthes, RdA 1999, 178 ff. (181), Richardi, FS für Wiese, S. 441 ff. (443 f.); wohl auch F/K/H/E/S, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 17 ff. 546 Beispielsweise Abfindungen, Härtefonds, Lohnbeihilfen bei deutlich niedrigerer neuer Beschäftigung oder ÜberbrückungsgeIder, vgl. GK-Fabricius, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 48 ff. m. umf.N. 547 Bepler, AuR 1999,219 ff. (225 f.); D/K/K-Däubler, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 44; Gi/berg, S. 254; ErfK/ Hanau/ Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 28; Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 60. 548 BAG - 4 AZR 225/93 - v. 24. 11. 1993 unter IV. und V. der Gründe, AP Nr. 116 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metailindustrie; Rumpff/ Boewer, F Rn. 11. Vgl. auch F /K/H/E/ S, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 104. 549 Bepler, AuR 1999, S. 219 ff. (225 f.); Gi/berg, S. 254; ErfK/ Hanau/ Kania, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 1,28; Oetker, Berufsbildungsmaßnahmen, S. 60. 550 Vgl. GK-Fabricius, §§ 112, 112a BetrVG Rn. 48 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgeflihrdeten Arbeitsverhältnis
durch eine Investition in Qualifizierungen der Arbeitnehmer erfolgen. In diesem Fall ist die Grenze zu dem Interessenausgleich nur scheinbar wieder überschritten. Eine solche Qualifizierungsvereinbarung kann nicht mehr die Entstehung von Nachteilen durch eine Kündigung verhindern, sondern nur noch versuchen, sie so gering wie möglich zu halten. Dies kann auch durch eine Verbesserung der beruflichen Bildung und damit Erhöhung der Chancen der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt geschehen. Während die allein im Interessenausgleich festlegbaren Qualifizierungsmaßnahmen solche sind, die eine Kündigung vermeiden und eine spätere Beschäftigung im Unternehmen oder auch Konzern sichern sollen, betreffen die im Sozialplan solche, die statt einer Abfindung eine Anschlußtätigkeit außerhalb des bisherigen Unternehmens erleichtern sollen. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im selben Unternehmen können sich daraus aber nur zufällig, ohne jegliche Zusicherung, ergeben. Im Sozialplan erzwingbar wäre daher beispielsweise eine Regelung, die statt einer Abfindung die Teilnahme an einem firmenintern durchgeführten Kurs zu geringeren Kosten vorsieht. 551 So entstandene Qualifizierungsvereinbarungen in Sozialplänen gleichen möglichen Qualifizierungsregelungen tariflicher Beschäftigungssicherungsabkommen. Der Gesichtspunkt der späteren Weiterbeschäftigung im Unternehmen kann in diesen Fällen als zusätzliches Unterscheidungskriterium für ein Auseinanderhalten von Interessenausgleich und Sozialplan herangezogen zu werden. Immer dann, wenn durch die Qualifizierung die Weiterbeschäftigung im bisherigen Unternehmen gesichert werden soll, handelt es sich um einen Interessenausgleich, weil die Art und Weise der Betriebsänderung unter Beibehaltung der Beschäftigung geregelt wird. Ist klar, daß es keine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung gibt, stellt die Qualifizierung lediglich noch eine Abmilderung der durch die - geplante oder bereits ausgesprochene - Kündigung entstandenen oder zu erwartenden Nachteile dar. Eine solche zweigeteilte Betrachtungsweise wird durch die Regelung der §§ 254 ff. SGB III gestützt und zeigt, daß es sich bei den §§ 254 ff. SGB III nicht um eine "rechtssystematisch verfehlte Neuregelung552" handelt. Gemäß §§ 254, 255 SGB III fördert die Bundesanstalt für Arbeit beschäftigungswirksame Sozialpläne, welche statt Abfindungen Maßnahmen vorsehen, die nach Art, Umfang und Inhalt geeignet sind, die Wiedereingliederung der Arbeitnehmer zu unterstützen (§ 255 Abs. I Nr. 4 SGB III). Dabei geht es gerade nicht um eine Wiedereingliederung in das alte Unternehmen sondern die Vermeidung oder Verkürzung der zu erwartenden Arbeitslosigkeit und damit die Abmilderung der durch die Kündigung entstehenden Nachteile. Bei nach der Qualifizierung geplanter Wiedereingliederung in das frühere Unternehmen wäre vielmehr genau zu prüfen, ob durch den Sozialplan und die Sozialplanförderung nicht in unzulässiger Weise die Obliegenheit des § lAbs. 2 S. 3 1. HS KSchG, die nach § 255 551
552
Für weitere Beispiele, vgl. Bepler; AuR 1999,219 ff. (225). Matthes, RdA 1999, 178 ff. (181).
§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollektiver Ebene
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Abs. 1 Nr. 6 i.Y.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III der Inanspruchnahme der Bundesanstalt für Arbeit vorgeht, umgangen werden sollte. 553 Festzuhalten bleibt, daß die Vereinbarung von Qualifizierungen einmal im Interessenausgleich erfolgen kann. Die Finanzierung ist dann in einem Sozialplan erzwingbar. Außerdem kann aber auch schon die Einführung einer Qualifizierung im Sozialplan geregelt werden, wenn sie die durch eine beschlossene Kündigung entstehenden Nachteile ausgleichen soll. 11. Interessenausgleich und Sozialplan zur Beschäftigungssicherung und ihr Verhältnis zu den konkurrierenden Ansprüchen aus §§ 96 tT. BetrVG
Bisher war nahezu unumstritten, daß sowohlInteressenausgleich als auch Sozialplan im Bereich der betrieblichen Bildung nicht durch die spezielleren Normen der §§ 96 ff. BetrVG verdrängt werden, sondern daneben treten. 554 Diese Ansicht war unproblematisch, da es ohnehin kein echtes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Einführung betrieblicher Bildungsrnaßnahmen gab und es so zu keiner Kollision der unterschiedlichen Mitbestimmungsrechte kommen konnte. Seit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Betriebsrat aber auch bei der Frage des Ob der Einführung betrieblicher Bildungsrnaßnahmen mitzubestimmen, und es könnte vor allem eine Kollision bezüglich der zwingenden Mitbestimmung nach § 97 Abs. 2 BetrVG und dem freiwilligen Interessenausgleich geben. Bleiben die Rechte der §§ 96 ff. BetrVG neben den Vorschriften bei Betriebsänderungen bestehen, könnte die freiwillige Regelung eines Interessenausgleichs durch die erzwingbare Mitbestimmung bei solchen Änderungen des Arbeitsprozesses, in denen die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitnehmers nicht mehr ausreichen, doch zu einer erzwingbaren Qualifizierung führen. Eine solche Kollision kann vor allem bei Betriebsänderungen auftreten, bei denen der Arbeitgeber eine grundlegende Änderung der Arbeitsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen (§ 111 S. 2 Nr. 4 BetrVG) plant oder bei solchen, bei denen der Arbeitgeber grundlegend neue Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren einführt (§ 111 S. 2 Nr. 5 BetrVG). Unter grundlegenden Änderungen gemäß Nr. 4 sind dabei insbesondere solche zu verstehen, die erhebliche Auswirkungen auf den Betriebsablauf haben bzw. die einen "Sprung" in der technisch wirtschaftlichen Entwicklung darstellen. 555 Die Abgrenzung zwischen Nr. 4 und Nr. 5 ist oft 553 Zur unglücklichen Regelung des § 255 Abs. 2 Nr. 1 SGB I1I, Bepler; in: Gagei, § 255 SGB III Rn. 32 ff. m. w. N. 554 GK-Fabricius. §§ 112, 112a BetrVG Rn. 20; Gilberg. S. 251. A. A. Rumpjfl Boewer, F Rn. 11. 555 F/K/H/E/S, § 111 BetrVG Rn. 84; vgl. auch die Beispiele in ErfKIHanau/Kania. § 111 BetrVG Rn. 15 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
schwierig. Jedoch kann mit der herrschenden Ansicht für Nr. 5 überwiegend auf die Veränderung der Art der Verwertung der Arbeitskraft abgestellt werden. 556 Unter die Einführung neuer Arbeitsmethoden i. S. d. § 111 S. 2 Nr. 5 BetrVG ist auch der Einsatz neuer Technologien, wie die Umstellung von Schreibmaschinen auf Computertechnik, zu subsumieren. 55? Gerade dieses Beispiel erfüllt aber ebenfalls den Tatbestand des § 97 Abs. 2 BetrVG, denn die Umstellung auf Computer ist eine Maßnahme, durch welche sich die Tatigkeit des Arbeitnehmers ändert und wodurch seine bisherigen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr ausreichen558 . Plant der Arbeitgeber also die Umstellung der Arbeitsweise der Büroangestellten von Schreibmaschinen auf Computer, sind sowohl § 97 Abs. 2 BetrVG als auch die §§ III ff. BetrVG anwendbar. Obwohl beide Bestimmungen den Schutz der Arbeitnehmer vor sozialen Nachteilen bei arbeitgeberseitig vorgenommenen Veränderungen zum Ziel haben, können sie wegen ihrer im Detail verschiedenen Stoßrichtung und daher auch unterschiedlich weitgehenden Rechtsfolgen nicht nebeneinander stehen. Eine Mitbestimmungsnorm muß der anderen vorgehen. Für eine verdrängende Spezialität der §§ 111 ff. BetrVG spräche, daß der Gesetzgeber dem Betriebsrat im Falle von Betriebsänderungen bewußt kein echtes Mitbestimmungsrecht bezüglich der Art und Weise der Durchführung von Betriebsänderungen zugestanden hat, um die wirtschaftliche Unternehmerfreiheit aufrechtzuerhalten. Gestützt wird dies dadurch, daß an diesen Regelungen trotz gewerkschaftlicher Versuche, den Interessenausgleich erzwingbar zu gestalten, auch nach der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes festgehalten wurde 559 Es sollte dem Arbeitgeber gerade nicht vorgeschrieben werden können, in welcher Art und Weise er seinen Betrieb zukünftig organisiert. Gegen die Verdrängung des § 97 Abs. 2 BetrVG durch die §§ 111 ff. BetrVG spricht, daß er in seinem Anwendungsbereich ausgehöhlt würde. Zwar fehlt es noch an der Erprobung des § 97 Abs. 2 BetrVG in der Praxis, aber es ist gut vorstellbar, daß es gerade die auch im Anwendungsbereich des § 111 S. 2 Nr. 4, 5 BetrVG liegenden Fälle sind, die einen Großteil der Situationen ausmachen, in denen ebenfalls das Mitbestimmungsrecht bei der Qualifizierung nach § 97 Abs. 2 BetrVG greifen würde. Zur Unterstützung dieser Auffassung ist die Begründung des Gesetzentwurfes heranzuziehen. Danach kann der Betriebsrat bei Anwendung des § 97 Abs. 2 BetrVG "einen wichtigen Beitrag für den Verbleib der Arbeitnehmer im Arbeitsleben leisten und damit die Beschäftigung sichern. 560.. Außerdem F 1K 1H 1 EIS, § 111 BetrVG Rn. 89; ErfK 1Hanaul Kania, § 111 BetrVG Rn. 18. F/K/H/E/S, § 111 BetrVG Rn. 92. 558 Vgl. dazu auch schon oben § 5 A III 3 b) bb) 1 S. 105 f. 559 Vgl. § lIla BetrVG-Entwurf des DGB, § 112 Abs. 1 BetrVG-Entwurf der DAG; vgl. die ablehnende Stellungnahmen dazu von Löwisch, DB 1999, S. 2209 ff. (2214); Richardi, NZA 2000, S. 161 ff. (166). 560 BT-Drucks. 14/5741, S. 50. 556
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§ 11 Vereinbarungen zur Weiterbildung auf kollektiver Ebene
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soll das Mitbestimmungsrecht der in § 2 SGB III erwähnten Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern dienen, die berufliche Leistungsfähigkeit zu fördern und beide dazu bringen, sich den ändernden Umständen anzupassen bzw. den Arbeitgeber dazu bringen, dies dem Arbeitnehmer zu ermöglichen. 561 Das so formulierte Ziel müsste der Gesetzgeber als verfehlt ansehen, würden die §§ 111 ff. BetrVG den § 97 Abs, 2 BetrVG als speziellere Normen verdrängenden. In Anbetracht der gerade mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung ergangenen Erweiterung des § 97 BetrVG ist von einer Spezialität der beruflichen Bildungsvorschrift auszugehen, selbst wenn der Betriebsrat dann auf eine wirtschaftliche Entscheidung des Arbeitgebers durch ein personelles Mitbestimmungsrecht Einfluß nehmenkann. Ist also eine Maßnahme des Arbeitgebers geplant, die dazu führt, daß sich die Tätigkeit der Arbeitnehmer derart ändert, daß ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen, kann der Betriebsrat zunächst seine Rechte aus § 97 Abs. 2 BetrVG geltend machen. Kommt eine Qualifizierung zur Abwendung der beruflichen Defizite nicht in Betracht, kann anschließend weiter über einen Interessenausgleich mit anderem Inhalt verhandelt werden. Jedoch befreit die Ablehnung der vorgeschlagenen Qualifizierungsmaßnahme den Arbeitgeber nach einer fehlgeschlagenen Betriebsvereinbarung zur Qualifizierung gern. § 97 Abs. 2 BetrVG von dem vorgeschriebenen Versuch eines Interessenausgleichs. Die gerade aufgezeigte Kollision ergibt sich nur im Anwendungsbereich des Interessenausgleichs. Soll über einen Sozialplan verhandelt werden, treten die Vorschriften über die berufliche Bildung wieder neben die §§ 111 BetrVG.
IH. Folgen der Zuordnung der Weiterbildungsvereinbarung Wird für Qualifizierungsregeln in Interessenausgleich und Sozialplan die vorgeschlagene Unterteilung vorgenommen, kann sich daraus auch eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben, selbst wenn er eine solche Bestimmung eigentlich nicht treffen wollte. Die so im Sozialplan erzwingbaren Qualifizierungsregeln treffen den Arbeitgeber lediglich als andere Form der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, also anstelle von Abfindungen. Will der Arbeitgeber keine Qualifizierungsregeln treffen, werden sie durch Einberufung der Einigungsstelle aber dennoch vereinbart, kann der Arbeitgeber auch ungewollt zum Finanzier oder Träger von Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer werden, denen gekündigt wurde. Außerdem können Kostentragung und Freistellungspflichten von einmal im Interessenausgleich vereinbarten Weiterbildungen Bestandteil eines erzwingbaren 561
BT-Drucks. 14/5741, S. 50.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
Sozialplanes sein. Die unternehmerische Entscheidung zur Qualifizierung statt Kündigung kann aber nur Inhalt eines freiwilligen Interessenausgleichs sein.
c. Ergebnis zur Einrichtung von Weiterbildungsmaßnahmen zur Vermeidung von Kündigungen auf kollektiver Ebene
Die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen auf kollektiver Ebene zur Vermeidung von Kündigungen ist auf verschiedenen Wegen zu erreichen. Ein Anspruch der Arbeitnehmer auf die Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen gegenüber dem Arbeitgeber ist aufgrund tarifvertraglicher Rationalisierungsschutzabkommen möglich. Dabei handelt es sich meist um eine Konkretisierung des ohnehin schon geltenden § lAbs. 2 S. 3 I. HS KSchG. Zum Teil sind auch Beschäftigungsschutzabkommen, die an mangelnde Beschäftigung und nicht wie Rationalisierungsschutzabkommen bloß an die Veränderung der Arbeitsorganisation oder -technik anknüpfen, mit Qualifizierungsbestimmungen ausgestattet. Die dort bestehenden Regelungen verpflichten den Arbeitgeber jedoch nur in Ausnahmeflillen zur Durchführung von Weiterbildungen. Meist stellen sie nur Ergänzungen zu Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit dar. Auf betrieblicher Ebene kann die Durchführung von Qualifizierungen in einem Sozialplan erzwungen werden. Dann muß allerdings die Entstehung wirtschaftlicher Nachteile als Folge der Betriebsänderung für die Arbeitnehmer bereits feststehen. Typischerweise handelt es sich dabei um Situationen, in denen bereits Kündigungen ausgesprochen wurden. Es kann versucht werden, die den Arbeitnehmern entstehenden wirtschaftlichen Nachteile in einem Sozialplan mit Qualifizierungsmaßnahmen auszugleichen. Kann der Betriebsrat den Arbeitgeber nicht von dem Abschluß eines solchen, in diesem Falle beschäftigungsfördernden Sozialplanes überzeugen, steht der Weg zur Einigungsstelle offen, vor welcher auch gegen den Willen des Arbeitgebers nach billigem Ermessen Qualifizierungen angeordnet werden können. Wird ein Sozialplan mit diesem Inhalt abgeschlossen, können daraus unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer auf eine Qualifizierung begründet werden. Qualifizierungsmaßnahmen der Arbeitnehmer können auch schon einen Schritt vorher in einem Interessenausgleich festgelegt werden. Dann sind sie meist zur Vermeidung von Kündigungen in Verbindung mit Versetzungen der Arbeitnehmer zur Erhaltung deren Beschäftigung zu sehen. In diesem Fall handelt es sich jedoch im Gegensatz zum erzwingbaren Sozialplan um eine freiwillige Abmachung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, die nur nach speziellen Inhalt der jeweiligen Vereinbarung Ansprüche der Arbeitnehmer zur Folge hat.
§ 12 Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
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§ 12 Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitsvertraglicher Beziehungen In den vorangegangenen Überlegungen des 3. Teils wurden bereits vielfältige Situationen erörtert, in denen der Arbeitgeber bei einer anstehenden Kündigung in seiner Entscheidung, den Arbeitnehmer statt dessen zu qualifizieren, nicht mehr als frei anzusehen ist. Vor allem § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG schränkt die im intakten Arbeitsverhältnis deutlich höhere Entscheidungsfreiheit weitgehend ein. 562 Wird ein Arbeitnehmer aber nicht vom Kündigungsschutzgesetz erfaßt und kann er sich auch nicht auf kollektive Vereinbarungen berufen, ist zu überlegen, ob dem Arbeitgeber auf arbeitsvertraglicher Ebene ein Tatigwerden geboten sein kann. In Betracht kommen dafür zunächst ausdrückliche Vereinbarungen (unter A), zusätzlich sind aber Überlegungen dazu anzustellen, ob der Arbeitgeber auch durch die allgemeine Fürsorgepflicht zu Weiterbildungsmaßnahmen zur Vermeidung von Kündigungen verpflichtet werden kann (unter B).
A. Vertragliche Qualifizierungsvereinbarungen zur Erhaltung der Beschäftigung Im Rahmen der Privatautonomie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer verschiedene Vereinbarungen treffen. Werden durch solche Abmachungen explizit Regelungen dazu getroffen, wie im Falle einer möglicherweise anstehenden Kündigung vorzugehen ist und welche Aufgaben dabei den Arbeitgeber treffen, sind diese vertraglichen Vereinbarungen zu erfüllen. Der Arbeitgeber ist dann nicht mehr frei in der Entscheidung, Bildungsrnaßnahmen durchzuführen, sondern folgt selbst auferlegten Pflichten. Vorstellbar wäre dies beispielsweise, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer Unkündbarkeit vereinbaren, aber im Gegenzug sichergehen wollen, daß der Arbeitgeber Qualifizierungen durchführt und der Arbeitnehmer vereinbarungsgemäß auch daran teilnimmt. Gerade wegen der bestehenden Regelung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG werden solche Abreden aber selten sein, da der Arbeitgeber sich weiter bindet, als ihm gesetzlich ohnehin vorgeschrieben ist.
B. Ungeschriebene vertragliche Pflichten zur Erhaltung der Beschäftigung Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Vereinbarungen über Qualifizierungsmaßnahmen getroffen und erfahrt der Arbeitnehmer auch sonst keinen Schutz 562
Dazu § 10 AIS. 268 ff. und zusammenfassend IX I S. 379.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgeflihrdeten Arbeitsverhältnis
vor einer Kündigung, ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers näher zu untersuchen. Bevor jedoch versucht wird, eventuell aus § 242 BGB i. V.m. dem Bestandsschutz des Arbeitnehmers aus Art. 12 GG eine Pflicht herzuleiten, muß überlegt werden, wann eine solche Situation überhaupt entstehen und ob sich daraus schon eine Handlungsnotwendigkeit entwickeln kann. Bei einer Arbeitgeberkündigung muß das Kündigungsschutzgesetz mit den darin enthaltenen Kündigungsbeschränkungen, zu denen gerade auch § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG zählt, beachtet werden. Nicht anwendbar sind dessen Regelungen, wenn es sich um einen Kleinbetrieb mit nicht mehr als fünf Arbeitnehmern handelt (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG) oder der betreffende Arbeitnehmer nicht länger als sechs Monate im Unternehmen beschäftigt ist (§ I Abs. I KSchG). Beide Grenzwerte wurden in das Kündigungsschutzgesetz eingeführt, um die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers in bestimmten Situationen zu erhalten. Daß allein die gesetzgeberische Intention kein Garant für eine verfassungsgemäße, der Schutzpflicht entsprechende Regelung ist, zeigt schon die durch Heraufsetzen des Schwellenwertes des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG entbrannte Diskussion. 563 Durch die jetzt wiederhergestellte alte Rechtslage steht die Verfassungsmäßigkeit nicht mehr in Frage, zumal auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung v. 27. 1. 1998 die Vereinbarkeit der heute bestehenden Kleinbetriebsklausel mit dem Bestandsschutz des Arbeitnehmers bestätigte. 564 Jedoch gesteht das Bundesverfassungsgericht in seinen Ausführungen zu, daß es einen Kündigungsschutz neben dem Kündigungsschutzgesetz geben muß, der über die Generalklausein der §§ 242, 138 BGB zu gewähren ist. 565 Der über die Generalklausein zu vermittelnde Grundrechtsschutz schütze die Arbeitnehmer auch außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes vor willkürlichen und sachfremden Kündigungsgründen, wenn eine Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer ohne jegliche soziale Rücksichtnahme erfolgt oder wenn eine langjährige Beschäftigungszeit bei Kündigungserwägungen vollkommen unberücksichtigt bleibt. 566 Damit bezog sich das Bundesverfasungsgericht auf vereinzelte Äußerungen der Literatur, die willkürliche und sachfremde Kündigungen sowie solche ohne jede soziale Rücksichtnahme ebenfalls an § 242 BGB messen wollten. 56? Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur sah vor 563 U.a. Lakies, DB 1997, 1078 ff.; Oetker; Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 34 ff.; Otto, FS für Wiese, S. 353 ff. (358); Preis, NZA 1997, 1256 ff. 564 BVerfG - 1 BvL 15/87 - v. 27. 1. 1998 unter B. I. 3. cc) der Gründe, BVerfG 97, 169 ff. =JZ 1998, 848 ff. mit zustimmender Anm. Otto. 565 BVerfG - 1 BvL 15/87 - v. 27. 1. 1998 unter B. I. 3. cc) der Gründe, BVerfG 97, 169 ff. Bestätigend jetzt das BAG - 2 AZR 15/00 - v. 21. 2. 2001 unter B. 11. 1. der Gründe, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung. 566 BVerfG - 1 BvL 15/87 - v. 27. 1. 1998 unter B. I. 3. cc) der Gründe, BVerfG 97, 169 ff.; so vorher schon Oetker; Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, S. 36 f.; zustimmend Otto, JZ 1998, 452 ff. (853). 567 Oetker; AuR 1997,41 ff. (48); Preis, NZA 1997, 1256 ff. (1266). So jetzt auch Otto, FS für Wiese, S. 353 ff. (566).
§ 12 Weiterbildung im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis
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dem Urteil des BVerfG in § I KSchG eine negative Konkretisierungsfunktion dergestalt, daß für den Arbeitgeber bei Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes das Prinzip der Kündigungsfreiheit gelte. 568 Das wird sich jetzt kaum noch halten lassen. 569 Das Gericht macht aber zugleich deutlich, daß die Maßstäbe der Sozialwidrigkeit nicht quasi zu übernehmen seien. Fraglich bleibt jedoch, wie weitgehend § 242 BGB i.Y.m. dem Bestandsschutz des Arbeitnehmers im Einzelfall ausgefüllt werden kann. Für die vorliegend zu stellende Frage, ob die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers bei Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen auch neben dem Kündigungsschutzgesetz beeinflußt werden kann, muß also untersucht werden, ob auch das aus dem Kündigungsschutzgesetz folgende Gebot zur zumutbaren Qualifizierung vor Ausspruch einer Kündigung zu übernehmen sein könnte. Dafür spricht zunächst, daß die Qualifizierungsklausel lediglich eine Konkretisierung des Erforderlichkeitsgrundsatzes bzw. des daraus resultierenden ultima-ratio-Prinzips ist, welches als allgemeines Rechtsprinzip auch unabhängig vom Kündigungsschutzgesetz gilt. 57o Außerdem hatte das BAG schon vor Aufnahme des § I Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG in das Kündigungsschutzgesetz entschieden, daß den Arbeitgeber eine allgemeine Fürsorgepflicht treffe, aufgrund welcher er die Arbeitnehmer vor einer betriebsbedingten Kündigung in ihm zumutbarer Weise fortbilden müsse. 571 • Gerade aber der im Kündigungsschutzgesetz enthaltene Erforderlichkeitsgrundsatz einschließlich des ultima-ratio-Prinzips, durch welche Bestandsinteresse des Arbeitnehmers und Beendigungsinteresse des Arbeitgebers abgewogen werden, dürfen nicht gleichermaßen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung finden, sondern lediglich evident unverhältnismäßige Kündigungen untersagen. 572 Anderenfalls wäre die negative Konkretisierung des Kündigungsschutzgesetzes, die neben § 1 KSchG keine Sozialwidrigkeitsgründe zuläßt, nicht nur durch die Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur aufgeweicht, sondern beseitigt. Es widerspräche auch der explizit vom BVerfG geäußerten Ansicht, daß dem Kleinunternehmer gerade nicht die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden sollen. 573 Das Urteil des BAG v. 7. 5. 1968 widerspricht diesen Ausführungen insofern nicht, als es sich gerade nicht um einen Kleinbetrieb handelte. Sicher wäre das Ergebnis der Überlegungen zu einer Fort568 KR-Friedrich, § 13 KSchG Rn. 232 f.; Huecklvon Hoyningen-Huene, § 13 KSchG Rn. 92 c, jeweils mit weiteren Nachweisen. 569 K/D/Z-Däubler; § 242 BGB Rn. 25. 570 Kritisch zu so pauschaler Einbeziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in das Privatrecht, Preis, Prinzipien, S. 174 ff. 571 BAG - 1 AZR 407/67 - v. 7. 5. 1968 unter 3. der Gründe, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung mit Anm. Hersehe/. Dazu auch schon § 10 A V 3 a) (aa) (1) 1 S.317. 572 Oetker; AuR 1997,41 ff. (52). 573 BVerfG - 1 BvL 15/87 - unter B. I. 3. a) cc) der Gründe, BVerfGE 97, 169 ff.
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
bildung anders ausgefallen, wäre der Pilot in einem Betrieb mit lediglich 4 Mitarbeitern beschäftigt gewesen. Aus den Ausführungen zum Bestandsschutz läßt sich schließen, daß die gesetzlich fixierte Aufgabe des Arbeitgebers zu Fortbildung und Umschulung vor Kündigung nicht dem verfassungsrechtlich gebotenem Minimalgehalt zuzurechnen ist, der geboten ist, um das Untermaß an Schutz der Arbeitnehmer nicht zu unterschreiten. Der Entscheidung des Gesetzgebers für die Kleinbetriebsklausel ist Rechnung zu tragen und eine Qualifizierung außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes als Ausfluß der Fürsorgepflicht abzulehnen. Im Fall des bestandsschutzgefährdeten Arbeitsverhältnisses ist eine Weiterbildung nicht grundrechtlich zur Erfüllung einer Schutzpflicht geboten.
§ 13 Zusammenfassung und Bewertung der Regelungen zur Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis A. Zusammenfassung Die freie Entscheidung des Arbeitgebers über die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen wird im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis vor allem durch die kündigungsschutzrechtliche Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 I. HS KSchG beeinflußt. Danach ist eine Kündigung lediglich dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer auch nach einer zumutbaren Fortbildung oder Umschulung nicht im Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. In einer umfassenden Analyse wurde versucht, die offenen Fragen bei der Anwendung dieser Norm zu klären und Gesichtspunkte für die Abwägung der Zumutbarkeit einschließlich ihrer Gewichtung aufzuzeigen. Dafür mußte zunächst klargestellt werden, daß die Kosten einer solchen Weiterbildung grundsätzlich vom Arbeitgeber zu tragen sind, und dieser Gesichtspunkt unbedingt in die Abwägung einfließen muß. Dann wurde festgestellt, daß sich die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber aus einer Abwägung der betrieblichen und wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers mit den wegen des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers aufzubringenden Entbehrungen ergibt. Die Belastbarkeit des Arbeitgebers läßt sich wegen der vorher festgestellten Pflicht zur Kostentragung vor allem aus wirtschaftlichen Aspekten bestimmen. Auf diese haben wiederum die Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme und die - bezahlte oder unbezahlte - Freistellung des Arbeitnehmers während der Lernphase einen besonders großen Einfluß. Deshalb kommt dem Kriterium der Länge einer Weiterbildungsmaßnahme ein besonderes Gewicht zu. Nicht zu unterschätzen sind jedoch auch die bei einer Abwägung entstehenden Spielräume durch Vereinbaren von Rückzahlungsklauseln zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder durch finanzielle Beteiligung Dritter an der Maßnahme. 574
§ 13 Zusammenfassung und Bewertung
401
Außerdem wurde festgestellt, daß die Sozialpartner für den Fall der Gefährdung des Arbeitsplatzes spezielle tarifliche Abmachungen treffen, in denen auch Qualifizierungen zur Vermeidung von Kündigungen angestrebt werden. Jedoch gehen vor allem die sehr häufig abgeschlossenen Rationalisierungsschutzabkommen inhaltlich kaum über die Gewährleistung des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG hinaus. Die in ihrer Zielsetzung deutlich weitergehenden Beschäftigungsschutzabkommen werden nur selten vereinbart. Auf betrieblicher Ebene kommen zu den bereits dargestellten Instrumenten der kollektiven Vereinbarungen als besondere Formen in kündigungsrelevanten Situationen der Sozialplan und der Interessenausgleich hinzu. Beide kommen in Betracht, wenn eine Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile erwarten läßt. Ein Interessenausgleich kann nur freiwillig abgeschlossen werden und somit die freie Entscheidung des Arbeitgebers nicht beeinträchtigen. Demgegenüber ist aber ein Sozialplan vor der Einigungsstelle erzwingbar. In ihm kann der Arbeitgeber daher auch gegen seinen Willen zur Durchführung von Qualifizierungen verpflichtet werden, die den Arbeitnehmern unter Umständen auch erst die spätere Suche nach einem neuen Arbeitsplatz erleichtern. Findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung und wurden weder kollektive noch einzel vertragliche Vereinbarungen für den Fall einer anstehenden Kündigung getroffen, kann wegen des insofern abschließenden Charakters des Kündigungsschutzgesetzes und insbesondere des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG über die allgemeine Fürsorgepflicht keine Qualifizierungspflicht begründet werden.
B. Bewertung Für die Bewertung der Weiterbildungsvorschriften im bestandsgefahrdetem Arbeitsverhältnis ist noch einmal auf die eingangs des dritten Teils gestellten Fragen zurückzukommen. 575 Die Frage, ob der Arbeitgeber im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis eher zur Weiterbildung verpflichtet werden kann als im intakten, muß nach Erörterung der rechtlichen Vorgaben bejaht werden. Nicht nur die kündigungsschutzrechtliche Norm des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG erlegt dem Arbeitgeber auf, die Qualifizierungsmöglichkeit vor einer Kündigung zu prüfen und gegebenenfalls eine Weiterbildung vorzunehmen. Vor allem auch kollektive Vereinbarungen sind darauf angelegt, den Arbeitgeber vor der Kündigung zu möglichen Weiterbildungsmaßnahmen zu verpflichten. Grund für diese Einschränkungen der freien Arbeitgeberentscheidung bei der Weiterbildung ist der dem Arbeitnehmer gern. Art. 12 GG zu gewährende Be574 575
Für eine umfassendere Zusammenfassung dazu vgl. § 10 A V 3 c) / S. 359. Vgl. zur Notwendigkeit einer solchen Freistellung 2. Teil § 7 BIll / S. 228.
26 Fracke
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3. Teil: Weiterbildung im bestandsgefährdeten Arbeitsverhältnis
standsschutz. Soll die Beschäftigung der Arbeitnehmer im Unternehmen gesichert werden, bleibt zur Erfüllung dieses Schutzauftrages oft nur die Qualifizierung. Außerdem sollte die Verbindung der Weiterbildung im intakten Arbeitsverhältnis mit der im bestandsgefährdeten notwendig werdenden näher untersucht werden. Hier konnten nur wenig rechtliche Berührungspunkte festgestellt werden. Insbesondere können die Vorschriften des § 75 Abs. 2 BetrVG und des § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB III keine Rückwirkung im Sinne einer Erhöhung des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers herbeiführen. Jedoch kann eine gern. § 81 Abs. 4 BetrVG unterlassene Erörterung der notwendigen Anpassung der Fähigkeiten und Kenntnisse des Arbeitnehmers an geänderte Umstände die Verlängerung einer zumutbaren Qualifizierungsmaßnahme zur Folge haben. Überdies wirkt sich widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers bei der Bestimmung der betrieblichen Notwendigkeit einer Bildungsmaßnahme zu Lasten des Arbeitgebers aus. Lehnt der Arbeitgeber also im noch intakten Arbeitsverhältnis eine ihm vom Arbeitnehmer vorgeschlagene Weiterbildung, für welche er den Arbeitnehmer freistellen müßte 576 , ab, muß er sich später an dieser Einschätzung festhalten lassen und kann die mangelnden Kenntnisse nicht ohne zusätzliche Qualifizierungsbemühungen zur Kündigungsursache erklären.
I
S. 261 ff. und S. 400 ff.
4. Teil
Schlußbetrachtung Nachdem die Einzelergebnisse jeweils am Ende des zweiten und dritten Teiles zusammengefaßt wurden I, soll nachfolgend zu den in der Einleitung aufgeworfenen Fragen Stellung genommen werden. 1. Der Arbeitgeber kann nicht stets frei darüber entscheiden, ob er Weiterbildungsmaßnahmen durchführt, sondern nur dort, wo ihm nicht bereits durch bestehende Vorschriften eine Verantwortung zur Einführung von Qualifizierungen oder über die Art und Weise deren Durchführung übertragen wird. Die von der privaten Wirtschaft für Weiterbildungsmaßnahmen aufgewandten Finanzmittel in Milliardenhöhe2 . werden also nicht gänzlich im rechtsfreien Raum verteilt. Dem Arbeitgeber obliegt eine Verantwortung für die Weiterbildung der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer, die nicht nur durch gesetzliche Vorschriften und Vereinbarungen auf kollektivrechtlicher Ebene, sondern auch die mittelbare Wirkung übergesetzlicher Grundsätze näher konkretisiert wird. 2. Es sind deutliche Unterschiede zwischen Weiterbildungsgeboten in dem intakten und in dem von Kündigungen bedrohten Arbeitsverhältnis zu erkennen. Im intakten Arbeitsverhältnis sind die Gebote an den Arbeitgeber, den Arbeitnehmern Bildungsmaßnahmen zumindest mitzufinanzieren in erster Linie in Situationen begründet, in denen eine Änderung der Arbeitsumstände die zu schließenden Wissenslücken auslöst (vgl. § 81 Abs. 1,2 BetrVG und § 97 Abs. 2 BetrVG). Demgegenüber müssen Weiterbildungsmaßnahmen im bestandsgefahrdeten Arbeitsverhältnis bereits in Betracht gezogen werden, wenn der betreffende Arbeitnehmer durch den - dem sich ständig entwickelnden Arbeitsmarkt immanenten Wissensverfall die vertraglich geschuldeten Leistungen nicht mehr erbringen kann. Handelt es sich dabei um die einzige zumutbare Möglichkeit, eine Kündigung zu vermeiden, muß eine Qualifizierung erfolgen. Außerdem sehen vereinzelte Vereinbarungen auf kollektiver Ebene Weiterbildungsmaßnahmen selbst dann vor, wenn die Kündigung sich nicht mehr vermeiden läßt, und der finanzierende Arbeitgeber so keinen konkreten Nutzen mehr hat. Solche Vereinbarungen sind der einzige Weg, den Arbeitgeber zu einer Weiterbildungsmaßnahme zu verpflichten, die nicht arbeitsplatzbezogen ist. Diese weitge-
2
26*
Vgl. S. 25.
404
4. Teil: Schlußbetrachtung
henden Eingriffe in die unternehmerische Freiheit lassen sich nur über den Bestandsschutz des Arbeitnehmers rechtfertigen.
3. Es gibt völker- und europarechtliche Vorschriften zur betrieblichen Weiterbildung, jedoch haben diese keinen direkten Einfluß auf die Ausgestaltung der Verantwortung des Arbeitgebers. Die Untersuchung der völker- und europarechtlichen Bestimmungen zeigte vor allem zweierlei. Zum einen ist unverkennbar, daß einige Normen Bezüge zur betrieblichen Weiterbildung aufweisen. Zum anderen kann jedoch - bei völkerrechtlichen Bestimmungen gegebenenfalls auch nach der notwendigen Ratifikation - keiner dieser Normen unmittelbar anspruchsbegründende Wirkung zugemessen werden. Ihre Funktion ist in erster Linie eine Anregung für ausführende Gesetze im nationalen Recht und Auslegungshilfe für schon bestehende Normen.
4. Die Regelungsdichte im Bereich der betrieblichen Weiterbildung ist relativ gering, aber die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten, die die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflussen, werden aus unterschiedlichen Gründen auch nicht konsequent genug genutzt. Das trifft vor allem für den Anspruch auf Unterrichtung gern. § 81 Abs. 1, 2 BetrVG zu, der von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur den Arbeitnehmern zu Unrecht gerade dann versagt wird, wenn es sich um eine Maßnahme mit Bildungscharakter handelt. Von dieser Kritik umfaßt sind jedoch auch die bestehenden, aber weithin ungenutzten Möglichkeiten der Tarifvertragsparteien und des Betriebsrats. Ihnen wäre es möglich, die Weiterbildung zu einer besser planbaren Größe mit höherer Verteilungsgerechtigkeit für die Arbeitnehmer zu gestalten. Erleichtert wird der Abschluß betrieblicher Regelungen zur Weiterbildung für den Betriebsrat zwar zukünftig durch § 97 Abs. 2 BetrVG, wonach der Betriebsrat bei Änderung der Arbeitsumstände ein echtes Mitbestimmungs- und damit auch Initiativrecht bei der Einführung von Weiterbildungsmaßnahmen hat. Den Beweis der Praxistauglichkeit muß diese Norm allerdings erst noch erbringen. Nicht zuletzt führt auch die Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG lediglich ein Schattendasein im Kündigungsschutzrecht. Grund dafür ist neben der nur schwer einschätzbaren Zumutbarkeit einer solchen Qualifizierung und der damit verbundenen Rechtsunsicherheit die vom Arbeitgeber zu tragende Kosten- und Organisationslast. Wenn aber zukünftig öffentliche Stellen bei der Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen besser mit den Arbeitgebern zusammenarbeiten und sie beispielsweise das neu in das Arbeitsförderungsrecht eingeführte Instrument der Jobrotation gern. §§ 229 ff. SGB III nutzen, könnte § 1 Abs. 2 S. 3 1. HS KSchG öfter zur Anwendung kommen. Hier sollte vom Gesetzgeber geprüft werden, ob nicht die Vorteile erfolgreicher Qualifizierungen mit anschließender Weiterbeschäftigung unerwünschte Mitnahmeeffekte wie die Mißbrauchsgefahr mehr als aufwiegen.
4. Teil: Schlußbetrachtung
405
Als Ergebnis der vorliegenden Arbeit kann abschließend festgestellt werden, daß die Arbeitnehmer aufgrund rechtlicher Grundlagen oft einen begründeten Anspruch auf die Unterstützung des Arbeitgebers bei Weiterbildungsmaßnahmen haben können, selbst wenn immer noch die meisten Weiterbildungsausgaben auf freier Entscheidung des Arbeitgebers beruhen. Es versteht sich VOn selbst, daß der Verantwortung des Arbeitgeber für eine erfolgreiche und zukunftsträchtige Qualifizierung immer auch entsprechende Pflichten der Arbeitnehmer gegenüberstehen müssen, jedoch waren diese nicht Bestandteil der durchgeführten Untersuchung.
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Stichwortverzeichnis Abwehrrechte 222 f. Allgemeine Handlungsfreiheit 89 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 82 ff., 238 f. AMRK50 Amtspflicht 153 f. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, siehe Beschäftigungsmöglichkeit Anpassungsfortbildung 45 f. Arbeitnehmerpersönlichkeit 151 f. Arbeitsvertragsgesetz 1992 167 f. Arbeitszeit 228 ff., 256 f. Aufstiegsfortbildung 46 Außertarifliche Vereinbarungen 191 f. Beförderungsanspruch 297 f. Befristetes Arbeitsverhältnis 156 f. Beratungsrecht des Betriebsrates 94 f., 96 f., 101 Berufsbezogene Kenntnisse 112 ff. Berufsbildung - Begriff98 - echtes Mitbestimmungsrecht 101 ff., 106 f., 140 f. - Einführung 10 1 ff. - Einrichtung von Maßnahmen der 101 ff. - Förderung gemäß § 98 BetrVG 99 f. Berufsfreiheit 77 ff., 227 ff., 238 Beschäftigungsmöglichkeit gern. § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. Ib KSchG 295 ff, 308 f. - einzubeziehender Arbeitsplatz 296 ff. - freier Arbeitsplatz 303 - räumliche Umgrenzung 303 f. - zeitlicher Anknüpfungspunkt 304 ff. - Zumutbarkeit 298 ff. Beschäftigungsschutzabkommen 386 ff. Bestandsschutz 266 ff. Betriebliche Übung 212 Betriebliche Vereinbarungen 202 ff.
Betriebsbedingte Kündigung 294, 340 f. Betriebsnormen 180 ff. Betriebsrat - Beratungsrecht 94 f., 96 f., 101 - echtes Mitbestimmungsrecht 101 ff., 106f. - Initiativrecht 101 ff. - Unterrichtungsrecht 94 f., 96 f. Betriebsvereinbarung - erzwingbare 204 ff. - freiwillige 206 ff. Betriebsverfassungsgesetzentwurf 169 f. Betriebsverfassungsrechtliche Normen 182 f. Chemische Industrie 193 f., 213 DaimlerChrysler AG 214 f. Debis 199 ff. Deutscher Juristentag (63.) 171 f. Differenzierungsverbote - absolute 253 - relative 254 ff. Drittwirkung 67 ff. Eignungsmängel 284 ff., 290 f. Einarbeitung 275 ff. Einigungsvertrag 168 Einverständnis in die Weiterbildung 312 f. EMRK52 f. Entweder-oder-These 118 ff., 123 ff., 127 ff. Erörterungspflicht 147 ff., 164 f. Europäische Sozialcharta 53 Europäische Weiterbildungsregeln 56 ff. Förderpflicht 151 ff., 165 f., 222 f., 225 f. Fortbildung, siehe auch Weiterbildung - Begriff 268 ff. - im Berufsbildungsgesetz 271 - im KSchG 274 f. - Zumutbarkeit 309 ff.
Stichwortverzeichnis Freier Arbeitsplatz 296 ff. Freistellungspflicht 233 ff. Funktionales Lernen 30, 40 Fürsorgepflicht 153,218 ff., 235, 244 f. Geeignete Beschäftigung 298 ff. Gemeinsame Einrichtungen 189 f. Gemeinschaftscharta 62 f. Gesamtzusage 211 Gleichbehandlungsgrundsatz 251 ff. Gleichheitssatz 89 f. Grundrechte - als Teilhaberechte 77 - als Verfassungsauftrag 77 ff. - Berufsfreiheit 71 ff. - Drittwirkung 67 ff. - europäische Grundrechtscharta 66 - Gemeinschaftscharta 62 ff. - soziale 62, 70 ILD /lAD 55 f. Inhaltsnonnen 179 f. Interessenausgleich 390 ff. - Verhältnis zu §§ 96 ff. BetrVG IPwskR 51 f.
J ob-Aqti v-Gesetz 171 f. Jobrotation 166 f.
Kollektivrechtliche Vereinbarungen 173 ff., 382 ff. Konkurrierende Beschäftigungsansprüche 361 ff., 369 - Auswahlkriterien der Arbeitnehmer 366 ff. - Differenzierungskriterien 362 ff. Krankheitsbedingte Kündigung 283 f., 336 ff. Kündigungsschutz neben KSchG 398 ff. Landesverfassungsrecht 91 ff. Leidensgerechter Arbeitsplatz 301 f. Lohn- und Gehaltstarifvertrag der Metallindustrie 193 ff. Menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung 83 f., 239 f. Metro AG 214 f.
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Mitbestimmungsrechte - bei der Kündigung 370 ff. - Betriebsvereinbarung 208 ff. - echte 101 ff., 106 f., 140 f. - Erweiterung durch freiwillige Betriebsvereinbarung 208 ff. - Erweiterung durch Tarifvertrag 183 ff. - und unternehmerische Freiheit 186 ff. Nebenpflichten - des Arbeitgebers 218 ff. - des Arbeitnehmer 287 f. Obliegenheit 143 f., 145 f. - sozialrechtliche 160 f. Personenbedingte Kündigung 282 ff., 291 f., 336 ff. Persönlichkeitsentfaltung 150 ff. Persönlichkeitsschutz 222 ff., 224 ff. Pflicht als Rechtsbegriff 142 f., 144 Primärrecht 56 ff. Qualifizierung, vgl. Weiterbildung, Fortbildung und Umschulung Rationalisierungsschutzabkommen 174, 383 ff. Regelungsabrede 210 f. Risikosportarten 338 Rückzahlungsklauseln 168, 218, 255, 311, 349 ff. Schutzpflichten 79 ff., 222 ff. - Klagbarkeit 234 ff. Schutzpflichtenlehre 69 f. Sekundärrecht 64 ff. Selbstentfaltungsrecht 86 f., 240 ff., 250 f. Sozialgesetzliche Regelungen 157 ff., 380 f. Sozialplan 390 ff. - Verhältnis zu §§ 96 ff. BetrVG 393 ff. Tarifvertrag 174, 176 ff. - nonnative Regelungen 179 ff. - Regelungsgrenzen 177 ff. - schuldrechtliche Regelungen 190 f. Teilhaberechte 77 Teilzeitarbeit 156 ff. Textil- und Bekleidungsindustrie 201 f.
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Stichwortverzeichnis
Umschulung, siehe auch Weiterbildung - Begriff 268 ff. - im Berufsbildungsgesetz 271 - im KSchG 270 ff. - Zumutbarkeit 309 ff. Ungleichbehandlung - Rechtsfolgen 258 ff. Unkündbare Arbeitnehmer 243 ff. Untermaßgebot 223 f. Unterrichtung gemäß § 87 BetrVG - als Weiterbildung? 136 ff. - Begriff und Umfang 109 ff., 276 ff. - Berufsbezogenheit der Maßnahme 120 f. - Durchsetzung 141 ff. - Entweder-oder-These 118 ff., 123 ff., 127 ff. - Form 119 f., 128 - Leistungsumfang 139 - und berufsbildender Charakter 118 ff. - Verhältnis zu Fortbildung und Umschulung im KSchG 276 ff. - Voraussetzungen an Arbeitnehmer 112 ff., 132 ff. Unterrichtungspflicht 108 ff. Unterrichtungsrecht des Betriebsrates 94 f., 96f. Verfassungsrechtlicher Bestandsschutz 266 ff. Verhaltensbedingte Kündigung 285 f., 289 f., 292 ff., 339 f. Weiterbildung - allgemeine 36 ff. - Arbeitnehmerpflicht 286 ff., 405 - Arten 40 ff. - Begriff 29 ff.
- berufliche 38 ff. - betriebliche 29, 30 ff. - im V