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German Pages 127 Year 1979
HEINZ
WELLER
Die Bedeutung der Präjudizien i m Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft
Schriften
zur
Rechtsthe
Heft 77
Die Bedeutung der Präjudizien im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft E i n rechtshistorischer Beitrag zur Entstehung u n d F u n k t i o n der P r ä j u d i z i e n t h e o r i e
Von Dr. Heinz Weller
D U N C K E R
& H U M B L O T / B
E R L I
N
Alle Rechte vorbehalten © 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1979 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 04308 1
Vorwort Die vorliegende Abhandlung entspricht, von wenigen marginalen Ergänzungen oder Abänderungen abgesehen, der Dissertation, die der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu K ö l n zur Begutachtung vorgelegen hat. Trotz ihres zweifellos rechtshistorischen Schwerpunktes erschien dem Verfasser die Veröffentlichung der A b handlung i n einer rechtstheoretischen Schriftenreihe zweckmäßig. Denn der Arbeit liegt eine spezifisch rechtstheoretische Fragestellung als Ausgangspunkt zugrunde, und sie verfolgt damit das Ziel, zur K l ä rung der Problematik richterlicher Rechtsfortbildung durch Präjudizien beizutragen. Die dazu unternommene rechtshistorische Betrachtung der tatsächlichen Bedeutung der Präjudizien sowie ihrer rechtsdogmatischen Interpretation w i r d deshalb auf diesem Wege eher den i n erster Linie i n Betracht kommenden Interessentenkreis ansprechen können. A n dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, meinen Dank an die zu richten, die mit einer Vielzahl von Ratschlägen, Anregungen und Hinweisen m i t zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Z u danken habe ich insbesondere Herrn Prof. Dr. M. Kriele für seine freundliche Empfehlung, die es m i r ermöglichte, die Dissertation i n der Reihe „Schriften zur Rechtstheorie" zu veröffentlichen, sowie meiner Frau für Geduld und Unterstützung. Frechen, den 30. Oktober 1978 Heinz
Weller
Inhaltsübersicht Einleitung
11
Erstes
Kapitel
Die Grundlagen und Einflüsse A. Der Gebrauch und die tatsächliche Bedeutung der Präjudizien der Rechtspraxis des Ancien Régime im 16. bis 18. Jahrhundert
in
I. Die Behandlung der „rationes decidendi"
17 18
1. Das Reichskammergericht u n d der Reichshof rat
18
2. Die Gerichte der Partikularstaaten
19
I I . Die Entscheidungsliteratur
21
1. Die Rechtsprechungssammlungen
22
2. Die Konsilienliteratur
25
3. Würdigung der kasuistisch-forensischen ratur B. Rechtsbildung und präjudizielle Erscheinungen telalterlichen und römischen Rechtskreis
Entscheidungslite-
im g er manisch-mit-
I . Der germanisch-mittelalterliche Rechtskreis
27
30 30
1. Die Theorie des germanisch-mittelalterlichen Rechts als Gewohnheitsrecht
30
2. Präjudizielle Erscheinungsformen bei der Urteilsfindung
31
3. Die Grenzen der präjudiziellen Bindungen
34
I I . Der römische Rechtskreis
37
1. Die Rechtsbildung u n d die präjudiziellen Einflüsse i n der Republik u n d Kaiserzeit bis zur Kodifikation durch Justinian
37
2. Die Bedeutung der richterlichen Rechtsfortbildung i n der Kodifikation Justinians
40
8
Inhaltsübersicht Zweites
Kapitel
Die theoretische Einordnung der präjudiziellen Wirkungen durch die Rechtswissenschaft des Ancien Régime A. Ausgangslage
und allgemeine
Orientierung
43
I. Die Praxis aus der Sicht der Rechtswissenschaft
43
I I . Bedeutung der „glossa ordinaria" u n d „communis opinio" als Elemente der Rechtsfortbildung u n d Rechtsergänzung
44
I I I . Präjudizien des Reichskammergerichts als Träger der Rechtsfortbildung u n d Rechtsergänzung u n d als Ersatz der „communis opinio"
46
I V . Rechtsquellen u n d Interpretationsgrundsätze des Ancien Régime — Sonderformen präjudizieller Wirkungen
48
1. Die Rechtsquellentheorie
49
2. Der Standort der Präjudizien i n der Auslegungsmethode nach dem Verständnis der Rechtswissenschaft des Ancien Régime
50
B. Die Präjudizientheorie
des Ancien Régime
54
I. Dogmatische Grundlegung
54
1. Der Einfluß der römischen Rechtsvorschriften
55
2. Sonstige rechtsdogmatische Einflüsse
57
I I . Der I n h a l t der Präjudizientheorie
C. Die Hintergründe Régime
der präjudizienfeindlichen
60
Theorie
I. Das Problem der Rechtsungewißheit I I . Das Gesetzesverständnis des Ancien Régime I I I . Der vernunfts- u n d naturrechtliche Einfluß D. Auswirkungen
der Präjudizientheorie
des
Ancien
67 67 70 72 74
Inhaltsübersicht Drittes
Kapitel
Die Entwicklung des Präjudizienverständnisses nach der Auflösung des Ancien Régime A. Die für eine Präjudizientheorie hundert
77
bedeutsamen Ereignisse im 19. Jahr-
78
I. Das A u f k o m m e n v o n Entscheidungssammlungen aus der J u d i k a t u r der obersten Gerichtshöfe i n den Territorialstaaten
78
I I . Gesetzgeberische Bemühungen u m den Ausbau der Rechtssicherheit u n d der Rechtseinheit i n den Territorialstaaten
82
I I I . Die Kodifikationen i m Zuge der nationalen Einigung
B. Die theoretischen Ansichten der deutschen Rechtswissenschaft 19. Jahrhunderts zur Bedeutung der Präjudizien
90
des
I . Dogmatische Einflüsse der gemein- u n d partikularrechtlichen Vorschriften I I . Der Historismus I I I . Der rechtswissenschaftliche Formalismus u n d der Gesetzespositivismus
90
90 93
98
C. Ausblick
106
Zusammenfassung
111
Literaturverzeichnis
115
Einleitung „Präjudizien sind nicht Rechtsquellen, sondern I n d i zien f ü r richtiges Erkennen u n d Entscheiden angesichts zweifelhafter Weisung durch gesetzliche Ordnungsmuster Unsere Richterrechtsbildungen unterliegen der gleichen Erkenntniskontrolle w i e jede Interpretation: sie können nicht nur, sondern sie müssen m i t der besseren Einsicht preisgegeben werden, Jede andere Vorstellung wäre m i t unserer rechtsstaatlichen Auffassung unvereinbar, wonach der Richter nicht an eine feststehende Rechtsprechung gebunden ist, sondern n u r an materielles Recht 1 ."
Diese Sätze von Esser sind symptomatisch für das Präjudizienverständnis weiter Teile der modernen Rechtswissenschaft. Danach soll der i n einer oder mehreren gleichförmigen Gerichtsentscheidungen ausgesprochenen Gesetzesinterpretation grundsätzlich die gleiche Verbindlichkeit für die Lösung eines künftigen gleichgelagerten Rechtsfalls zukommen wie einer i n der Rechtswissenschaft vertretenen Lehrmeinung 2 . Schon eine überschlägige Uberprüfung dieser Einschätzung der Präjudizien an der Wirklichkeit zeigt, daß diese Theorie die tatsächliche Bedeutung präjudizieller Wirkungen nicht erfaßt. Wenige Beispiele verdeutlichen dies bereits: I n einer i n Rechtswissenschaft und Rechtsprechung streitigen Fristenfrage, i n der bereits zwei Entscheidungen des Reichsgerichts vorlagen, verweigerte der Bundesgerichtshof 3 einer durch einen Rechtsanwalt vertretenen Partei die Wiedereinsetzung i n den vorigen Stand m i t der Begründung, ein Rechtsanwalt habe es grundsätzlich zu vertreten, wenn dieser eine i n der amtlichen Sammlung abgedruckte Entscheidung nicht beachte. Einer ähnlichen Bindung an die Präjudizien der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterliegen die Strafverfolgungsbehörden. Denn nach der Judikatur des Bundesgerichtshofes 4 ist ein Staatsanwalt auch entgegen seiner eigenen Rechtsauffassung zur Erhebung der Anklage verpflichtet, falls nach der „festen" Rechtsprechung der hinreichende Ver1
Esser, Vorverständnis, S. 195. Vgl. beispielsweise: Larenz, Methodenlehre, S. 422 ff.; ders., Bindungsw i r k u n g von Präjudizien, S. 247 ff. (255/256); Esser, Grundsatz u n d Norm, S. 134 ff. und 288; Wieacker, Gesetz u n d Richterkunst, S. 15 ff. 3 B G H Z 5, 275 (277 f.). 4 Seit B G H S t 15, 155. 2
12
Einleitung
dacht einer strafbaren Handlung gegeben ist. Demgegenüber sind auch nur annähernd weitreichende Auswirkungen einer Lehrmeinung, auch einer herrschenden, nicht bekannt. Schließlich hat, u m noch ein letztes Beispiel anzuführen, die Bedeutung der Präjudizien gesetzlichen Niederschlag gefunden i m Rahmen der sog. Vorlagegesetzgebung, die die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Spruchkörper innerhalb der obersten Bundesgerichte einerseits und darüber hinaus der obersten Bundesgerichte untereinander andererseits herstellen bzw. bewahren soll 5 . Diese wenigen Beispiele genügen schon zur Illustration der außerordentlich großen praktischen Bedeutung der Präjudizien 6 . Einer weiteren Vertiefung bedarf es nicht, da auch bei den eingangs zitierten Vertretern der Literaturmeinung letztlich der erhebliche Einfluß der Präjudizien auf die praktische Rechtsfortbildung außer Streit steht 7 . Trotz der eingeräumten tatsächlichen Gegebenheiten halten jedoch diese A u toren strikt an ihrem Präjudizienverständnis fest. Der bewußt aufrechterhaltene Widerspruch ihrer Präjudizientheorie zur Wirklichkeit läßt sich m i t h i n nur so erklären, daß ihre Theorie nicht Beschreibung bzw. erläuterndes Modell der Wirklichkeit sein, sondern als Postulat an die Wirklichkeit Regeln für die Behandlung judiziellen Spruchmaterials festlegen w i l l . Die Präjudizientheorie beansprucht also normative Geltung, obwohl sie zunächst auf den ersten Blick eine Definition der W i r k lichkeit zu sein scheint. Gegen normative Postulate i m Zusammenhang m i t der Handhabung von Präjudizien bestehen keineswegs grundsätzliche Bedenken, wenn nur gewährleistet ist, daß der normative Eingriff sich strikt am zutreffend und erschöpfend erfaßten Sachverhalt orientiert und sachlich begründet ist. Schwerwiegend und folgenreich kann demgegenüber ein vorschnelles Abstellen auf angebliche normative Notwendigkeiten sein. Denn solche Postulate unterliegen entweder der Gefahr, von der Praxis nicht bezw. nur unvollkommen akzeptiert zu werden, w e i l sie sich zur Bewältigung der anstehenden praktischen Probleme als nicht hilfreich erweisen, oder aber vermögen sogar — was noch unangenehmer sein 5 Vgl. §§ 136, 137 G V G ; § 2 Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes v o m 19. J u n i 1968 (BGBl. I, S. 661). 6 Vgl. noch zur faktischen Präjudizienbindung i n der Rechtsprechung Fikentscher, Methoden I I I , S. 711 ff. 7 Vgl. Latenz, Methodenlehre, S.42ff.; Esser , Vorverständnis, S. 189/190; besonders i n s t r u k t i v das Standardlehrbuch von Lehmann / Hübner, A l l g e meiner T e i l des B G B , S. 25, die nach grundsätzlicher Ablehnung der bindenden W i r k u n g v o n Präjudizien ausführen: „Tatsächlich w a r die Bedeutung der gleichförmigen Praxis, namentlich des Reichsgerichts, f ü r die Urteilsbildung außerordentlich groß."
Einleitung kann — i n der praktischen Umsetzung Folgen auszulösen, die man überhaupt nicht ins K a l k ü l miteinbezogen hatte. I n diese Richtung zielt i n ihrem K e r n die vornehmlich von Kriele 9 und Germann 9 vorgetragene K r i t i k gegen das herrschende herkömmliche Präjudizienverständnis. Der dadurch entstandene Meinungsstreit beruht keineswegs darauf, daß Kriele und Germann normative Postulate gegenüber den Gerichten i m Umgang m i t Präjudizien schlechthin ablehnen. Der entscheidende Unterschied der Auffassungen liegt vielmehr i n der prinzipiellen Haltung zur Wirklichkeit: die Vertreter des herrschenden herkömmlichen Präjudizienverständnisses stellen den normativen Geltungsanspruch i n das Zentrum ihrer Theorie und versperren so bereits i m Ansatz den Zugang zu einer wertungsfreien Analyse der präjudiziellen Wirkungsweise; demgegenüber stellen die genannten K r i t i k e r der traditionellen Präjudizientheorie die Beobachtung der judiziellen Rechtsbildung i n den Vordergrund, indem sie die Beziehung eines Gerichtsurteils zu Vorentscheidungen näher untersuchen. Nach dem Verständnis der K r i t i k e r kann nämlich überhaupt erst eine exakte Analyse der forensischen Handhabung der Präjudizien einen normativen Eingriff der Doktrin legitimieren, wenn es gilt, Fehlentwicklungen vorzubeugen oder entgegenzusteuern, also wenn stichhaltige Gründe gegen den forensischen Umgang m i t Präjudizien vorzubringen sind 10 . Aus der Beobachtung der forensischen Praxis ist schließlich die Theorie von der Auferlegung der Argumentationslast entwickelt worden, die i n gesetzlich verbindlicher Form für die Gerichte keineswegs existiert, jedoch allgemein praktiziert wird. Danach erweist sich i n den Augen der K r i t i k e r des herkömmlichen Präjudizienverständnisses die normative Interpretation präjudizieller Erscheinungsformen als „unverbindlich" oder „verbindlich" als ein unbefriedigender theoretischer Ansatz. Die von dem Grundsatz rigider Alternativität geprägte Vorstellung von strikter Verbindlichkeit einerseits und ebenso strikter Unverbindlichkeit andererseits müsse bei der Interpretation präjudizieller Phänomene aufgegeben werden zugunsten einer lediglich eingeschränkten präjudiziellen Bindung i n Gestalt einer bloßen widerlegbaren Präjudizienvermutung. Die Präjudizienvermutung streite für die Plausibilität und Rationalität des Präjudizes und bürde dem Gericht die Argumentationslast, d. h. die Verpflichtung auf, den Nachweis der „besseren" Gründe 8 Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 243 ff. u n d insbesondere S. 326 ff. des Nachwortes zur zweiten Auflage, i n dem sich der Verfasser m i t seinen K r i t i k e r n aus den Reihen der Anhänger des traditionellen Präjudizienverständnisses eingehend auseinandergesetzt hat. • Germann, Präjudizielle Tragweite, ZSR S. 423 ff.; ders., Präjudizien als Rechtsquelle; ders., Probleme u n d Methoden der Rechtsfindung, S. 268 ff. 10 Vgl. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 257/258.
14
Einleitung
zu führen, wenn es von der Vorentscheidung abweichen w i l l . Diese Bindung sei allerdings nicht mehr normativ fundiert, sondern ergebe sich aus dem durch die Verknüpfung m i t der Präjudizienvermutung bewirkten Zwang, den Beweis höherer Rationalität, Plausibilität und Sachgerechtigkeit der dem Präjudiz vorgezogenen Lösung zu erbringen. Die widerlegbare Präjudizienvermutung führe m i t h i n bei Aufgabe eines Präjudizes zu einer Umkehr der Begründungspflicht und erschwere dadurch ein Abgehen von der Vorentscheidung. A u f der anderen Seite erleichtere die Präjudizienvermutung den Gerichten ihre juristische A r beit, als jene die Übereinstimmung m i t „bewährter" Rechtsprechung i n der Verantwortung für die getroffene Entscheidung ganz erheblich entlaste. Bislang hat die rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung zu dem Meinungsstreit eine Einigung oder wenigstens eine Annäherung i n den kontroversen Standpunkten nicht erzielt 1 1 ; immerhin ist die Diskussion inzwischen zu einem gewissen Abschluß gelangt, ohne daß die herkömmliche, normativ orientierte Präjudizientheorie ihre beherrschende Stellung i n der Rechtswissenschaft gegenüber der von Germann und Kriele vorgetragenen K r i t i k eingebüßt zu haben scheint 12 . Obschon die vorliegende Dissertation den erwähnten Meinungsstreit über die rechtstheoretische Bedeutung der Präjudizien aufgreift und einer Klärung näher bringen möchte, steht der rechtstheoretische Aspekt des Meinungsdisputs selbst nicht unmittelbar i m Mittelpunkt der Untersuchung. Eine zu konstatierende Inkongruenz zwischen der Wirklichkeit und der sie deutenden Theorie muß entweder auf einer unzutreffenden Beobachtung der Wirklichkeit beruhen oder aber auf einer fehlerhaften Interpretation durch das theoretische Modell. Da sich jedoch, wie bereits festgestellt, alle am Meinungsstreit über die Präjudizienbedeutung Beteiligten über die faktische Gewichtigkeit der Präjudizien einig sind, und da bisher die vorwiegend auf rechtstheoretischer Ebene geführten Argumentationen die Kontroverse nicht aufzulösen vermochten, soll i n der vorliegenden Dissertation der Versuch unternommen werden, die Diskrepanz, die gegenwärtig zwischen wirklicher und rechtstheoretischer Bedeutung der Präjudizien zu beobachten ist, auf ihre rechtshistorischen Gegebenheiten h i n zu beleuchten. Der Schwerpunkt der Dissertation liegt daher i n dem Beitrag, rechtshistorisch den Ursprung und die theoretische Begründung der Normen offenzulegen, die der herkömmlichen Präjudizientheorie heute zugrundeliegen, ohne i m einzelnen noch 11 Vgl. Larenz , Methodenlehre, S. 423/424, vor allem F N 144; Esser , Vorverständnis, S. 187 ff., der lediglich den Begriff der „präsumtiven Verbindlichk e i t " ohne weitere Konsequenzen f ü r seine Theorie übernimmt. 12 Vgl. zuletzt Fikentscher , Methoden I , Vorwort, S. 13; ein Uberblick über den derzeitigen Meinungsstand zur Präjudizienbindung findet sich bei Fikentscher , Methoden I I I , S. 732 ff.
Einleitung bekannt zu sein. Die Unkenntnis der Normen ist auf den Umstand zurückzuführen, daß sämtliche Darstellungen zur Präjudizientheorie eines eingehenderen rechtshistorischen Rückblickes ermangeln, der darüber Aufklärung hätte verschaffen können. Diese Lücke ist durch die vorliegende Untersuchung zu schließen. Die Klärung jener Zusammenhänge u m die Entstehung und die ursprüngliche Funktion der präjudiziellen Rechtsnormen könnte sodann geeignet sein, eine kritische Uberprüfung hervorzurufen, ob die i m Rahmen dieser Dissertation aufzudeckenden rechtshistorischen Gründe auch unter den heutigen Gegebenheiten noch dieselben Rechtsnormen i m Hinblick auf die judizielle Rechtsbildung rechtfertigen. Damit wäre der Zweck dieser Dissertation vollends erreicht. Die wichtigsten Aufgaben der folgenden Untersuchung werden demnach darin liegen, rechtshistorisch die Genese jener herkömmlichen Präjudizientheorie zu erhellen, ihre Grundlagen, ihre Funktion und i h r Verhältnis zur damaligen Praxis zu erforschen und schließlich die weitere Entwicklung der Theorie und der Rechtspraxis i m Auge zu behalten. Aus den dargelegten Zielen dieser Dissertation läßt sich zugleich das stoffliche und zeitliche Areal der Untersuchungen abstecken, die die Zielsetzung der Arbeit erfordert. Obwohl eine bodenständige Rechtswissenschaft i n Deutschland i m Zuge der Rezeption des gelehrten römischen Rechts und der Universitätsgründungen bereits i m 13./14. Jahrhundert entstanden war, traten erste wissenschaftliche Erörterungen über die Bedeutung der Präjudizien erst i m Ancien Régime 13 einige Zeit nach der Konstituierung des Reichskammergerichts i m Jahre 1495 auf. Eine eigentlich Theorie der Präjudizien bildete sich sogar erst i n der Mitte des 17. Jahrhunderts, also etwa i n der Zeit des „usus modernus pandectarum" und des Vernunftsrechts, heraus. Der historische Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist daher auf das frühe 16. Jahrhundert zu legen, nachdem also die Rezeption des römischen Rechts abgeschlossen war. Das erste Kapitel w i r d sich nicht zuletzt auch zum besseren Verständnis der Funktion der entstehenden Präjudizientheorie zunächst m i t der praktischen Bedeutung der Präjudizien i m Ancien Régime beschäftigen und i m Anschluß daran i n einem Exkurs i n Grundzügen Bedeutung und Funktion der Präjudizien i m germanisch-mittelalterlichen 14 und römi13 Das Ancien Régime umfaßt den gesamten Zeitraum v o m frühen 16. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. I n Deutschland bildet die A u f lösung des heiligen römischen Reiches deutscher Nation u n d damit auch des Reichskammergerichts den Abschluß der Epoche. Z u m Epochenbegriff vgl. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, S. 188, FN1. 14 Die vor allem neuerdings aufgetretenen Zweifel, ob es i m Mittelalter
16
Einleitung
sehen Recht beschreiben. Denn die Entstehung der Präjudizientheorie und die Bewegung des „usus modernus pandectarum", die den rezipierten römischen Rechtsstoff an die Anforderungen der damaligen Zeit anglich und i h n zu diesem Zweck zielbewußt m i t deutschrechtlichem Gedankengut durchdrang 15 , stehen i n engem zeitlichen Zusammenhang und legen die Vermutung nahe, daß diese Rechtsordnungen auf die i n jener Assimilationsphase entstehende Präjudizientheorie einen wichtigen Einfluß ausgeübt haben. Das zweite Kapitel w i r d die Entstehung der Präjudizientheorie und ihren Inhalt schildern. Hierüber liegen bislang keine Forschungsergebnisse vor. Bei der Ermittlung der einschlägigen rechtsliterarischen Ausführungen aus jener Zeit dienten die juristischen Bibliographien 1 6 m i t ihren Zusammenstellungen und Stichwortverzeichnissen als wichtige Hilfe. Die dort angegebene Literatur ist m i t dem Bestreben u m vollständige Erfassung berücksichtigt worden. Ferner sind die Vorworte der kasuistischen Entscheidungsliteratur des „usus modernus pandectarum" gesichtet worden, da hierin aufschlußreiche Hinweise der Herausgeber und Verfasser zum Wert und Nutzen ihrer Fallsammlungen zu erwarten waren 1 7 . Das dritte und letzte Kapitel w i r d die weitere Entwicklung der Praxis und der Theorie nach dem Untergang des Ancien Régime bis zum ersten Quartal des 20. Jahrhunderts verfolgen, als die unmittelbare Bindung der Gerichte an Präjudizien anläßlich einer Abhandlung von Zeiler 18 i n der Rechtswissenschaft lebhaft diskutiert worden ist.
überhaupt ein einheitliches gemeindeutsches Recht gegeben hat (vgL hierzu Gudian, Gemeindeutsches Recht i m Mittelalter? i n JuS Commune, Heft 2 (1969), S. 33 ff., bleiben unberücksichtigt hier, da die Darstellung lediglich einen Einblick i n die Rechtsbildung nach gemeindeutschem Verständnis v e r m i t t e l n soll. A u f dieser Ebene kommen die lokalen Unterschiede des germanisch-mittelalterlichen Rechts nicht zum Tragen. 15 Vgl. Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 296. w Egid Joseph K a r l von Fahnenberg auf Bergheim, L i t t e r a t u r (1792); B u r k hard Gotthelf Struve, Christian Gottlieb Buder, Bibliotheca iuris selecta (1743); M a r t i n Lipenius, Bibliotheca realis iuridica (1757—1830). 17 Vgl. Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 299. 18 Zeiler, E i n Gerichtshof f ü r bindende Gesetzesauslegung, 1911.
Erstes Kapitel
Die Grundlagen und Einflüsse A. Der Gebrauch und die tatsächliche Bedeutung der Präjudizien in der Rechtspraxis des Ancien Régime im 16. bis 18. Jahrhundert Unter der Herrschaft des Rechtsstaatsprinzips ist es heute eine Selbstverständlichkeit, daß die „rationes decidendi" den Parteien i n der Begründung der Gerichtsentscheidung offenzulegen sind, ohne daß es dazu auch nur eines besonderen Antrages der Parteien bedarf. Gleichermaßen ist die Publizierung ausgewählter Entscheidungen 1 i n amtlichen oder privaten Entscheidungssammlungen eine sich alltäglich wiederholende und von niemanden ernsthaft kritisierte Maßnahme, u m interessierte Kreise m i t der Judikatur der meist oberen Gerichte vertraut zu machen. Die Mitteilung der Entscheidungsgründe an die Parteien und deren allgemeine Bekanntgabe durch Aufnahme i n gedruckte und zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidungssammlungen sind jedoch verhältnismäßig moderne Errungenschaften, deren Durchsetzung sich i n einigen Territorien Deutschlands bis ins 19. Jahrhundert verzögert hat 2 . Abfassung und Bekanntgabe der Entscheidungsgründe ermöglichen die sachliche Uberprüfung und K r i t i k des gefällten Spruchs; die Kenntnis der Gründe ist die entscheidende Voraussetzung für die Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der Entscheidungsfindung, wenn die gleiche oder eine ähnliche Rechtsfrage zur Beurteilung durch das Gericht ansteht. Präjudizielle Rechtsbildung und die Aufdeckung der Entscheidungsgründe stehen m i t h i n i n untrennbarem Zusammenhang 3 . Der folgende erste Unterabschnitt w i r d daher der Problematik „rationes decidendi" i m Ancien Régime nachgehen, bevor der zweite Unterabschnitt über A r t , Umfang und Bedeutung der Entscheidungsliteratur orientiert.
1 Individuelle Bezüge versucht m a n dabei regelmäßig zu beseitigen, etwa durch Benutzung von Abkürzungen oder der I n i t i a l e n der betroffenen Personen. Kürzungen u n d sonstige textliche Überarbeitungen erfolgen ausschließlich aus redaktionellen Gründen u n d bedeuten keine Beschränkung der Möglichkeit, die Entscheidung unverändert zu publizieren. 2 Vgl. Dawson, Oracles of the law, S. 503; Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 30 m. N.; siehe unten 3. Kap., A., I. 3 Dawson , Preface S. x v .
2 Weller
18
1. Kap.: Grundlagen und Einflüsse I . Die Behandlung der „rationes decidendi"
Die geschichtliche Entwicklung ist i m Reich und i n den Territorialstaaten nicht einheitlich verlaufen. 1. Das Reichskammergericht
und der Reichshofrat
Die Reichsgesetzgebung stand sowohl der Mitteilung der Entscheidungsbegründung an die Parteien als auch der Veröffentlichung ausgesprochen feindlich gegenüber. Zwar sah bereits die erneuerte Reichskammergerichtsordnung von 1555 vor, i n ein Ratsprotokoll alle vom Reichskammergericht ausgehenden Urteile und Bescheide einzutragen und i m Fall dissentierender Rechtsauffassungen unter den Beisitzern 4 auch die tragenden Gründe des Urteils niederzulegen 5 . Ferner ordnete der Reichsabschied von 1566 die schriftliche Aufzeichnung der Motive an, damit sich die Beisitzer i n später gleichartigen Fällen „der vorigen Motiven erinnern, und nach denselben Gleichheit zu halten, und sich zu richten haben" 6 . Ähnliche Bestimmungen enthielten der Jüngste Reichsabschied von 1654 und der Visitationsabschied von 1713, der dem bei der Urteilsberatung unterlegenen Beisitzer sogar das Recht einräumte, seine „dissenting opinion" dem Beratungsprotokoll schriftlich beizufügen 7 . Aber alle diese Vorschriften dienten lediglich der internen Kontrolle, sei es der Selbstkontrolle der Richter, sei es der Kontrolle durch die Visitatoren des Gerichts, die i n periodischen Abständen Prüfungen vorzunehmen hatten, u m u. a. einer korrupten oder parteiischen Rechtsprechung der Beisitzer entgegenzutreten 8 . Den Parteien blieben dagegen die Entscheidungsgründe verborgen; sie waren auf Mutmaßungen angewiesen. Von diesem Grundsatz gab es nur ganz seltene Ausnahmefälle, i n denen i n beschränktem Umfang der abschlägig beschiedenen Partei die Gründe kundgegeben wurden 9 . I n diesen Fällen stand jedoch mehr der informative rechtsbelehrende Zweck i m Vordergrund als die Rechenschaft des Gerichts über die sachliche Richtigkeit seiner Ent4 Die Gerichtsverfassung des Reichskammergerichts beruhte auf der Z w e i teilung i n die an der Urteilsfindung regelmäßig unbeteiligten Kammerrichter als Vorsitzer u n d den Beisitzern (Assessoren), denen die Entscheidungsfindung oblag; vgl. Smend, Reichskammergericht, S. 243—263; Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 35/36. 5 Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 24. 6 Augsburger Reichsabschied von 1566 i n § 94, zitiert nach Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 230/231. 7 Vgl. Gehrke, ebd., S. 25. 8 Vgl. Gehrke, ebd., S.25; Dawson, Oracles of the law, S. 225/26; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 358 ff. 9 Bei abschlägigen Extrajudizialdekreten, die eine angestrengte Klage nicht zuließen, oder bei Abweisung von Citations- u n d Mandatsanträgen aus formellen Gründen; vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 25.
A. Tatsächliche Bedeutung der Präjudizien im Ancien Régime
19
Scheidung. Eine echte Ausnahme stellten nur die Entscheidungen i n Kompetenzkonflikten m i t dem Reichshofrat dar, die das Reichskammergericht m i t Gründen zu versehen pflegte 10 . Ähnlich restriktiv verhielt sich die Reichsgesetzgebung gegenüber der Offenlegung der Entscheidungsgründe des Reichshofrats. Eine Verordnung Karls V I . aus dem Jahre 1714 gestattete lediglich, auf Antrag einer Partei den Tatbestand auszuhändigen 11 . Angesichts dieser Begründungsabneigung überraschen Geheimhaltungsbestimmungen nicht, die die Publizität der Entscheidungsgründe verhindern sollten. So mußten sich Richter und Beisitzer eidlich verpflichten, alle der Urteilsfällung dienenden, gerichtsinternen Vorgänge, Voten und Entscheidungsgründe geheim zu halten 1 2 . Das Geheimhaltungsbestreben nahm mitunter kuriose Formen an, wenn die Relationen, vom Berichterstatter sofort nach Beschlußfassung versiegelt, „ i n eine(r) Kiste i m Gewölb, darzu zween Schlüssel zu machen", aufzubewahren waren und nur an die Revisoren nach Personenüberprüfung ausgehändigt werden durften 1 3 . Anspruch und Wirklichkeit lagen i n dieser Zeit jedoch weit auseinander. Dies verdeutlichen nicht nur die Masse der gedruckten Gerichtsentscheidungen 14 , und zwar vor allem solcher des Reichskammergerichts, sondern auch gelegentliche zeitgenössische Berichte. Eine kammergerichtliche Memoriale aus dem Jahr 1595 beklagt beispielsweise, daß nicht nur die vollständigen Voten Wort für Wort unter den Praktikanten 1 5 herumgetragen werden, sondern daß man überdies den Inhalt der Voten bereits zu einem Zeitpunkt i n Erfahrung bringen könne, zu dem die Beisitzer darüber noch zu beraten hätten 1 6 . 2. Die Gerichte in den Partikularstaaten I m Gegensatz zu der Begründungs- und Publizitätsfeindlichkeit der Reichsgesetzgebung bis zur Auflösung des Reichskammergerichts m i t dem Untergang des Reiches i m Jahre 1806 ist die Haltung der Partikularmächte zur Frage der Bekanntgabe der Entscheidungsgründe an Parteien und Öffentlichkeit i m Verlauf der Jahrhunderte differenzierter gewesen 17 . 10
Vgl. Gehrke, ebd.; Cramer, Weitere Gedanken, S. 102 f. Vgl. Gehrke, ebd., S. 26; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 362 ff. (367). 12 Cramer, Weitere Gedanken, S. 108 ff. m i t den Nachweisen i n der R K G O . 13 Vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 34/35. 14 Vgl. unten den folgenden Unterabschnitt „Die Entscheidungsliteratur". 15 Dies sind Juristen i n der Ausbildung am Reichskammergericht, vergleichbar m i t dem heutigen staatlichen Vorbereitungsdienst; vgl. Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 21. 16 Vgl. Cramer, Weitere Gedanken, S. 110 f., §62; Gehrke, ebd., S.35. 11
2*
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1. Kap.: Grundlagen und Einflüsse
Die Gerichts- und Prozeßordnungen des 16. Jahrhunderts enthalten teils überhaupt keine Vorschriften zu diesem Problem, teils eine der Reichsgesetzgebung ähnliche Regelung, wonach die tragenden Entscheidungsgründe i n ein Urteilsbuch ausschließlich zum internen Gerichtsgebrauch aufzunehmen und vor den Parteien geheimzuhalten waren 1 8 . I m 17. Jahrhundert jedoch gestatteten bereits einige Länder den Parteien die Einsichtnahme i n die Entscheidungsgründe, wenn auswärtige Spruchkörper i m Aktenversendungsverfahren sie angefertigt haben 19 . Erst i m Laufe des 18. Jahrhunderts führte eine Reihe von deutschen Territorien die Begründungspflicht für alle gerichtlichen Entscheidungen ein und räumte den Parteien das Recht auf Aushändigung der Entscheidungsgründe ein 20 . Dies führte verschiedentlich zu einer Erhöhung der Urteilskosten und damit zu einer Aufspaltung der Urteile i n zwei Klassen, nämlich i n Urteile m i t — und ohne Entscheidungsgründe, wobei man zeitweise sogar noch zwischen Urteilen m i t „rationes decidendi" und solchen mit „rationes dubitandi et decidendi" unterschied 21 . Andere Prozeßordnungen untersagten demgegenüber noch zur gleichen Zeit ausdrücklich die Mitteilung der Entscheidungsgründe 22 . I n Baden und Schleswig-Holstein war bis ins 19. Jahrhundert hinein die Mitteilung der Entscheidungsgründe oder deren öffentliche Bekanntmachung nicht üblich 23 . Wo gesetzliche Bestimmungen zur Frage der Bekanntgabe der „rationes decidendi" an Parteien und Öffentlichkeit fehlten, war für die Praxis die Stellungnahme der Rechtswissenschaft zu diesem Problem ausschlaggebend, die bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts eine einhellig begründungs- und publizitätsfeindliche Haltung einnahm. Erst die ausführliche wissenschaftliche Diskussion 24 i m 18. Jahrhundert führte den 17
Z u r folgenden Darstellung vgl. vor allem Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 26 ff.; Dawson, Oracles of the law, S. 434 ff. 18 Hierzu gehören z. B. die Braunschweig-Lüneburgische Hofgerichtsordnung von 1559, die Hofgerichtsordnungen von Mainz (1516), Celle (1654), Stett i n - P o m m e r n (1566) u n d der Kurpfalz (1582); vgl. Gehrke, ebd., S. 27, F N 109. 19 Hierzu zählen z. B. das Württembergische Landrecht von 1610, die B e r liner Kammergerichtsorrttiung von 1709, die Hofgerichtsordnung von Brandenburg-Hinterpommeri- *on 1683 etc., vgl. Gehrke, ebd., S. 29, F N 115. 20 Z u diesen Ländern gehören vorzugsweise Territorien aus dem sächsischen Rechtskreis: Vorpommern u n d Rügen (1707), Kursachen (1715), Magdeburg (1735), Sachsen-Altenburg (1744), Mecklenburg (1775), Braunschweig (1775), Sachsen-Gotha (1776) u n d schließlich 1781 Preußen, vgl. Gehrke, ebd., S. 29/30. 21 Vgl. Stoelzel, Gelehrte Rechtsprechung, Bd. 1, S, 517 ff. f ü r Brandenburg. 22 Hierzu zählen Bremen (1751), Bay—n (1753), Hanau (1764) u n d HessenKassel (1785 u n d 1797). 23 Vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 30. 24
Eine Literaturzusammenstellung gibt Gehrke, ebd., S. 31, F N 130.
A. Tatsächliche Bedeutung der Präjudizien im Ancien R é g i m e 2 1 Wandel der Auffassung herbei 25 . Ein gewichtiges Argument i n der Diskussion war dabei die Erzielung einer Konformität der Rechtssprechung 26 . I I . Die Entscheidungsliteratur
Aus den vorstehenden Ausführungen zur Frage der Bekanntgabe der „rationes decidendi" kann als ein wesentliches Ergebnis festgehalten werden, daß i m Ancien Régime Rechtsprechungssammlungen m i t amtlichem Charkter kaum vorhanden gewesen sein dürften. I n der Tat sind gerichtliche Spruchsammlungen m i t originalen Entscheidungsgründen, also offizielle Judikaturpublikationen, nicht vertreten 2 7 , wenn man von ganz unbedeutenden Ausnahmen 28 , die zudem erst i n der Schlußphase des Ancien Régime auftraten, absieht. Dennoch beherrschte i m Ancien Régime die Praxis und Rechtswissenschaft eine vom „mos italicus" geprägte, fast ausschließlich kasuistische Literatur 2 9 , deren Blütezeit i n die Assimilationsphase des „usus modernus pandectarum" des 17. Jahrhunderts fiel. I n dieser Zeit leistete das gerichtliche, kasuistische Entscheidungsmaterial den wichtigsten Beitrag, den Rechtsstoff des rezipierten römischen Rechts an die deutschrechtlichen Gewohnheiten und Bedürfnisse der Gegenwart anzupassen30, ehe die systematischen Bestrebungen des Vernunftrechtes i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts i n der Kodifikationsidee ihren sinnfälligsten Ausdruck fanden 81 . Die wesentlichen Bestandteile der kasuistischen Literatur stellten die offiziösen Rechtsprechungssammlungen und die Konsilienliteratur der privaten Rechtsgelehrten und Juristenfakultäten dar, die durch das Institut der Aktenversendung 32 i n die Gerichtsbarkeit integriert waren.
25 Einen guten Uberblick über die Argumente i n F o r m einer A u f t e i l u n g nach „pro" u n d „contra" findet sich bei Cramer , Weitere Gedanken, S. 81 ff. 2 « Cramer , S. 127 u n d 144. 27 Vgl. Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 22/23; Buchda, H R G I, Stichwort: Fallrecht, Sp. 1058. 28 Vgl. Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1350. 29 Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 280; Holthöfer, Literaturtypen, S.158 ff. 39 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 206 ff.; Döhring, S. 296 ff. 31 Wieacker, ebd., S. 301 ff., 322 ff. 32 Die Wurzeln dieses Verfahrens, das die Gerichte vor allem i m F a l l der Rechtsunkenntnis zur Versendung der Gerichtsakten u n d zur Einholung eines Rechtsgutachtens bei einem privaten Rechtsgelehrten oder einer Juristenfakultät berechtigte, liegen i n dem mittelalterlichen Rechtszug der unwissenden Schöffen an die Oberhöfe u n d i n der Gutachtertätigkeit der privaten römischen Rechtsgelehrten sowie der Konsiliatoren der italienischen U n i v e r sitäten i m 13. Jahrhundert; vgl. Geipel, Konsiliarpraxis, S. 12; Klugkist, Göttinger Juristenfakultät, S. 9 ff.
22
.Kap.: Grundlagen und Einflüsse 1. Die Rechtsprechungssammlungen
Es waren indirekte Kanäle, die dem i n den gerichtlichen Entscheidungsbegründungen enthaltenen Rechtsstoff den Zugang an die interessierte Öffentlichkeit eröffneten, da das Ancien Régime das Aufkommen offizieller Judikatursammlungen m i t den originalen Entscheidungsgründen zu verhindern wußte. Die entscheidende Vermittlungsrolle spielten dabei Persönlichkeiten, die kraft ihrer Amtsstellung die Kenntnis des Rechtsstoffes des gerichtlichen Entscheidungsmaterials besaßen bzw. kraft ihrer beruflichen Tätigkeit m i t dem gerichtlichen Entscheidungsmaterial i n Berührung kamen und i h r Wissen i n mehr oder minder überarbeiteten literarischen Formen an die Öffentlichkeit weitertrugen 83 . Ihre literarischen Produkte bezeichneten sie als „decisiones", „vota", „relationes", „quaestiones forenses", „observationes forenses", „animadversiones" etc., je nach A r t , Form oder Herkunft des verwerteten Entscheidungsmaterials 84 . Der Charakter aller dieser literarischen Darstellungsweisen war eindeutig kasuistisch. Als typisches Beispiel kann die Rechtsprechungssammlung von Caspar Klock 35 aus dem Jahre 1653 aus der Menge der Entscheidungssammlungen des Ancien Régime 36 herausgegriffen werden: Vor dem Reichskammergericht ausgetragene und durch genaue Parteibezeichnung nachgewiesene Rechtsfälle 37 dienen dem Verfasser zur Darstellung der anfallenden Rechtsfragen. Dabei stützt sich die Argumentation m i t überaus zahlreichen Zitaten auf andere Einzelfallentscheidungen desselben Sammelwerkes bzw. Entscheidungssammlungen anderer Verfasser. Darüber hinaus runden ausführliche Erörterungen von Parallelfällen 3 8 i m Anschluß an den eigentlich bereits abschließend besprochenen Fall das B i l d des fallbezogenen Arbeits- und Denkstils der damaligen Zeit ab. Solche Parallelfälle sollen die für richtig befundene Entscheidung durch den Nachweis absichern, daß sie i n Ubereinstimmung zur bisherigen Judikatur steht, gelegentlich aber auch vom Verfasser erwarteten Einwänden zuvorkommen durch den vorsorglichen 33 Vgl. Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1349-ff. m i t Nachweis über die berufliche Zusammensetzung des Verfasserkreises (über 2/5 der Werke v o n Personen m i t richterlichen Funktionen, 2/5 von höfischen Juristen, A n w ä l t e n u n d Professoren ohne richterliche Funktionen u n d ein restliches 1/5 v o n Personen aus dem m i t t l e r e n Justizdienst u n d sonstigen). 84 Eine umfassende typologische Beschreibung des gerichtlichen Entscheidungsmaterials findet sich bei Gehrke, ebd., S. 1351—1362 u n d Holthöfer, Literaturypen, S. 158 ff. 85 Klock, L i b e r singularis relationum, F r a n k f u r t 1653. 36 Vgl. dazu die Zusammenstellung der Quellen bei Gehrke, ebd., S. 1362— 1370. 37 Z. B. Klock, S. 714 ff., relatio C H I . 88 Vgl. z. B. Klock, S. 471, Rdz. 45, relatio X L V I I I .
A. Tatsächliche Bedeutung der Präjudizien im Ancien R é g i m e 2 3 Hinweis, daß sich der herangezogene Parallelfall i n tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von dem erörterten Fall unterscheidet 39 . Die Übersicht über die Fülle der besprochenen Rechtsfälle und die praktische Verwendungsfähigkeit erleichtern Übersichtspläne 40 , Sachregister, leitsatzartige Zusammenfassungen des Inhalts der wiedergegebenen Entscheidung 41 sowie Randziffern neben dem Text, die sich auf die i n den Summarien enthaltenen, durchnumerierten Leitsätze beziehen und das Auffinden der gesuchten Rechtsausführung erheblich vereinfachen. A m Ende der Berichterstattung erfolgt jeweils die genaue Wiedergabe des Spruchtenors unter Mitteilung des Verkündungsdatums. Während das soeben skizzierte Beispiel der Klocfc'schen Spruchsammlung die möglichst wortgetreue Wiedergabe des Spruchmaterials i n den Vordergrund stellt, hat i n anderen Werken die wissenschaftliche Bearbeitung des Entscheidungsmaterials bereits die Form einer eigenen Darstellung des Verfassers angenommen, so daß die wahren „rationes decidendi" namentlich durch Zusatz eigener rechtlicher Argumente m i t unter nur schwer zu ermitteln sind 42 . Der fallbezogene Ansatz bei der Lösung der jeweiligen Problematik ist jedoch fast nie 4 3 durchbrochen worden, auch wenn die tatsächlichen Umstände gegenüber der Lösung rechtlich kontroverser Auffassungen kaum Berücksichtigung fanden. I n diesem Zusammenhang ist die Rechtsprechungssammlung von Joachim Mynsinger von Frundeck 44 zu nennen, der i n der Regel ohne Angabe des Sachverhalts zunächst den kontroversen Meinungsstand zu aktuellen Problemen des römischen Rechts und i m Anschluß daran die Entscheidung des Reichskammergerichts zu der betreffenden Kontroverse m i t Begründung wiedergibt 4 5 . Hier steht sicherlich das Bestreben i m Vordergrund, die Praxis m i t den Rechtsregeln bekanntzumachen, die das Reichskammergericht auswählte aus der Fülle des rezipierten gelehrten, römischen Rechtsstoffs einschließlich der damit gleichzeitig übernommenen Kontroversenvielfalt unter den Juristen und zur Grundlage seiner Rechtsprechung auserkor 48 . Ein ähnliches Anliegen lag schließlich den Herausgebern solcher Werke am Herzen, die sich u m die vollstän89 Klock, L i b e r singularis relationum, S. 125, Rdz. 431—435 (vor allem 434/ 435), relatio V. 40 Bei dem besprochenen W e r k befinden sie sich vor dem Sachregister. 41 Sog. „summaria". 42 VgL Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1349. 43 Kurze nicht-kasuistische Abhandlungen neben Falldarstellungen enthalten einige Werke aus dem 18. Jahrhundert; vgl. Gehrke , Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1358 m. N. i n F N 1. 44 I n : Singularium observationum i u d i c i i imperialis camerae (1563). 45 Z u Mynsingers Darstellungsmethode vgl. auch Dawson, Oracles of the law, S. 219—221. 4 « Vgl. Dawson , S. 221 u n d 231/232.
24
1. Kap.: Grundlagen und Einflüsse
dige Zusammenstellung aller reichskammergerichtlichen Entscheidungen bemühten und sich m i t der bloßen Wiedergabe des Spruchtenors begnügten 47 . M i t den heutigen Fundstellenverzeichnissen vergleichbare, auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnittene Rechtsprechungsnachweise erleichterten schließlich das rasche Auffinden der einschlägigen Gerichtsentscheidungen i n der Fülle der Kasuistik 4 8 . Der Umfang der Rechtsprechungskasuistik ist neuerlich statistisch erfaßt und aufgeschlüsselt worden 4 9 . Danach entfallen i n dem Zeitraum von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von den rund 180 Neuveröffentlichungen 80 m i t gerichtlichem Entscheidungsmaterial mehr als ein Viertel auf die Spruchtätigkeit des Reichskammergerichts, das damit die führende Stellung i m Vergleich zu den Territorialgerichten einnimmt, die jeweils für sich gesehen nicht einmal ein Zehntel aller Judikatursammlungen erreichen. Faßt man jedoch die Sammlungen nach Territorien zusammen, dann liegt ein eindeutiger Schwerpunkt bei den Gerichten i m sächsischen Gebiet, denen mehr als ein Drittel aller Spruchsammlungen zuzuordnen ist, und deren A n t e i l die Judikatursammlungen aller übrigen Territorialgerichte zusammen übersteigt. Obwohl die i m Ancien Régime vorherrschende Begründungs- und Publizitätsfeindlichkeit den formalen Nachweis nicht zuließ, daß der Inhalt der Rechtsprechungssammlungen sich m i t den originalen Entscheidungsgründen deckte, stellte die Frage nach der Authentizität der veröffentlichten Kasuistik aus dem judiziellen Bereich kein schwerwiegendes Problem dar. Persönliches Ansehen sowie der amtliche oder berufliche Zugang der Herausgeber der judiziellen Entscheidungsliteratur verbürgten offensichtlich i n für die damalige Zeit ausreichendem Maß die Zuverlässigkeit und Authentizität 5 1 , wie dem zahlenmäßigen Umfang und der Beliebtheit der judiziellen Präjudiziensammlungen entnommen werden muß. Sie waren i n allen Gerichtsbibliotheken der damaligen Zeit i n größerer Anzahl vorhanden 52 und wurden ständig be47 Hierzu gehört Raphael Seiler, Cammergerichtes Bei u n n d end U r t h a i l , m i t Sentenznachweis von 1495 bis 1570; vgl. weiter noch Gehrke, ebd., S. 1353 m i t weiteren Herausgebern. Ebenso Dawson, S. 225. 48 Nachweis bei Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2, S. 1361. 49 Vgl. Gehrke, ebd., S. 1346 f. 50 Hier ist zur Vervollständigung des Umfangs der gerichtlichen Entscheidungsliteratur noch zu berücksichtigen, daß eine Vielzahl dieser Werke m e h r fach neue Auflagen erfahren haben (bis zu 28 Auflagen); vgl. Gehrke, ebd., S. 1345, F N 6 m. w . N.; Dawson, Oracles of the law, S. 219. 51 Vgl. Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1350/51; ders., Entscheidungsliteratur, S. 33/34. 62 Vgl. Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 298.
A. Tatsächliche Bedeutung der Präjudizien im Ancien R é g i m e 2 5 nutzt 5 3 . Das höchste Ansehen genossen die Fallsammlungen über die Judikatur des Reichskammergerichts, dessen Ansichten nicht bloß bei den Unter- und Appellationsgerichten maßgebend waren, sondern m i t unter sogar bei den Partikulargesetzgebungen Berücksichtigung fanden, die man an jene Rechtsprechung anpaßte 54 . 2. Die Konsilienliteratur Die Konsiliensammlungen des Ancien Régime setzen sich nach ihrer Herkunft und ihrer Zweckbestimmung aus drei Gruppen zusammen, ohne daß die Unterschiede allerdings i n den Sammlungen durch eine klare Trennung der Gruppen Berücksichtigung gefunden hätten 5 5 : — Rechtsgutachten und Rechtsauskünfte der Spruchkollegien der Juristenfakultäten an Gerichte, Verwaltungsbehörden und Privatpersonen; — i m gerichtlichen Aktenversendungsverfahren angefertige Urteile (seltener bloße Relationen und Voten i n Vorbereitung der Urteile); — Rechtsgutachten und Urteilsvorschläge einzelner, nicht i n einem K o l legium organisierter Rechtsgelehrter. Die Struktur der Gutachten entspricht i n der Regel dem Muster der Scholastik 56 , wenn auch die äußere Form der Darstellung, Stil und Sprache häufig erheblich voneinander abweichen 57 . A n der Spitze stehen häufig als Argumente oder Themen bezeichnete Leitsätze, die die zu begutachtende Frage ankündigen 58 . Einer knapp gehaltenen Mitteilung des Sachverhalts folgt die Darlegung der Zweifelsgründe (rationes dubitandi) und nach deren Abhandlung die Angabe der Entscheidungsgründe, bevor das i n einer Sentenz ausgedrückte Ergebnis das Gutachten abschließt 59 . Die Übersicht über die teilweise recht umfangreichen Rechtsausführungen erleichterte ähnlich wie i n den Rechtspre53 Vgl. Cramer, Weitere Gedanken, S. 145 f ü r die Zeit bis 1766; Buchda, H R G I , Stichwort: Fallrecht, Sp. 1059. Besonderer Popularität erfreute sich das vorwiegend an den „einfachen" P r a k t i k e r gerichtete, 1579 erstmals von Nikolaus Vigelius herausgegebene „Gerichts-Büchlein", das wegen seiner fallbezogenen D i d a k t i k bis 1734 i m m e r neue Auflagen erlebte, worauf die Ausgabe von 1702 m i t dem T i t e l „auff Begehren m i t noch mehrern Casibus vermehret" hinweist. 54 Vgl. Stobbe, Rechtsquellen I 2, S. 90; Dawson , Oracles of the law, S. 226. 55 Vgl. Gehrke, Konsiliensammlungen (Handbuch II/2), S. 1372/73. 58 Vgl. Mayer , Rechtsgutachten, S. 151. 57 Vgl. Hegler , Praktische Thätigkeit, S. 8 ff.; Klugkist , Göttinger Juristenfakultät, S. 76 ff.; Geipel, Konsiliarpraxis, S. 71 ff. 59 Bei den i m Aktenversendungsverfahren angefertigten Gutachten steht jedoch gewöhnlich der vorgeschlagene Tenor an der Spitze; vgl. Gehrke , ebd., 58 Vgl. Geipel , S. 73; Gehrke , ebd., S. 1383. S. 1382.
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.Kap.: Grundlagen und Einflüsse
chungssammlungen die Beifügung von Summarien und Index- bzw. Inhaltsverzeichnissen 80 . Der Umfang 6 1 der Neuerscheinungen von Konsilienwerken i m Ancien Régime liegt m i t insgesamt mehr als 190 Sammlungen nur geringfügig über der Zahl der Rechtsprechungssammlungen, wobei Fakultäts- und Privatgutachten i n etwa gleichgewichtigen Anteilen vertreten sind. Gegenüber dem 16./17. Jahrhundert verschieben sich jedoch i m 18. Jahrhundert die Anteile eindeutig zugunsten der kollegial gefaßten Fakultätsgutachten. Die für die vorliegende Untersuchung interessantesten Gruppen stellen die Konsilien dar, die i m gerichtlichen Aktenversendungsverfahren erstattet und regelmäßig i n unveränderter Fassung i n die Sammelwerke aufgenommen wurden, da diese Gutachten die originalen Entscheidungsgründe enthielten 62 . Dies hängt m i t der Entwicklung und Bedeutung des Instituts der Aktenversendung i m Ancien Régime zusammen. Danach bedurften zwar die vom angegangenen Spruchkörper angefertigten Urteile zu ihrer rechtlichen Existenz immer der formalen Ausgabe durch das anfragende Gericht 63 . Seitdem aber die Spruchkollegien seit etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts die Entscheidungsgründe ihrem Spruchvorschlag beifügten, waren es zunächst Gründe der A r beitserleichterung, die die Gerichte zur unveränderten Übernahme des vorgeschlagenen Urteils veranlaßten, bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts überdies die herrschende, zum Teil auch gesetzlich sanktionierte Rechtsauffassung, nach der die von den Spruchfakultäten entworfenen Erkenntnisse für Gericht und Parteien bindend waren 6 4 . Diese direkte Beziehung zu den originalen Entscheidungsgründen konnten demgegenüber die informatorischen oder konsultativen Gutachten nicht für sich i n Anspruch nehmen, jedoch verführten Rechtsunkenntnis und mangelndes Selbstvertrauen die Richter allzu oft dazu, diese Gutachten zum Inhalt ihrer Entscheidung selbst dann zu erklären, wenn dies nur von einer Partei i n Auftrag gegeben worden ist, und der Verdacht der Einseitigkeit und Parteilichkeit nahelag 85 . Daher kann 80 Vgl. Geipel, Konsiliarpraxis, S. 72/73; Buchda, Spruchtätigkeit SZ Germ 64 (1944), 274. 61 Z u r Statistik der Konsilienliteratur vgl. Gehrke, Konsiliensammlungen (Handbuch II/2), S. 1375/76. 02 Vgl. Gehrke, ebd., S. 1383. 88 Vgl. Hegler, Praktische Thätigkeit, S. 6. 84 Vgl. Gehrke, Konsiliensammlungen (Handbuch II/2), S, 1378/1379; Mayer, Rechtsgutachten, S. 152/153. 85 Stobbe, Rechtsquellen I 2, S. 82; ein Beleg i n F N 64 gibt eine sozialkritische Stellungnahme aus dem Jahre 1593 wieder, die auf die unangemessenen Folgen f ü r die arme, zur Bezahlung eines Gutachtens unfähige Partei hinwies, w e n n die Richter die privaten Konsilien faktisch als Präjudiz behandeln.
A. Tatsächliche Bedeutung der Präjudizien im Ancien R é g i m e 2 7 man m i t diesem Vorbehalt auch diese Konsilien zu dem kasuistischforensischen Bestand zählen, dessen besondere Bedeutung angesichts fehlender amtlicher Rechtsprechungssammlungen i n der Wiedergabe der originalen Entscheidungsgründe liegt, und der i n entscheidendem Umfang auf die Einführung und Fortbildung des römischen Rechts i n Deutschland eingewirkt hat 6 8 . 3. Würdigung
der kasuistisch-forensischen
Entscheidungsliteratur
Eine Bewertung der gesamten kasuistischen Entscheidungsliteratur i m Zusammenhang m i t der Frage, welchen tatsächlichen Einfluß die Präjudizien auf die Rechtsbildung durch die zuständigen Spruchkörper — Gerichte bzw. Universitätsgremien — ausübten, hat ihren Ausgangspunkt i m Umfang der publizierten kasuistischen Werke. Hierzu ist i n Ergänzung der oben bereits mitgeteilten Angaben nachzutragen 67 , daß das Ancien Régime von der M i t t e des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts m i t insgesamt über 340 Sammelwerken durchschnittlich jedes Jahr mehr als eine Erstveröffentlichung einer Kasuistiksammlung erlebte, wobei jede Sammlung i m Durchschnitt aus drei Einzelbänden bestand. Hinzu kommen noch über 330 Neuauflagen, wobei jede dritte Sammlung mehr als eine Auflage erfuhr, vereinzelt sogar über 25 A u f lagen. Bei einer zeitlichen Aufschlüsselung liegt die Blütezeit der kasuistischen Literatur m i t einem Anteil von mehr als der Hälfte aller Publikationen eindeutig i m 18. Jahrhundert, obgleich diese Literaturform bereits i m 17. Jahrhundert m i t einem Drittel aller erwähnten Publikationen eine große Bedeutung besaß. Diese Angaben unterstreichen deutlich die große Beliebtheit und Bedeutung der Entscheidungsliteratur i m Ancien Régime 68 , wobei Deutschland i m Vergleich zu den anderen europäischen Staaten die führende Position einnahm 69 . Der kasuistisch-forensische Grundzug dieser Literaturgattung und die durch Zahlen belegte Bedeutung sprechen dafür, daß die i n den Sammelwerken enthaltenen Präjudizien bei den interessierten und betroffenen Personen nicht bloße theoretische Rechtsansichten geblieben sind, über die man ohne weiteres hätte hinwegsehen können, sondern daß sie vielmehr bei der Entscheidungsfindung richtungsweisende Funktionen ausübten. Dies läßt sich darüber hinaus m i t der Tatsache belegen, daß es bei fast allen Gerichten und m i t gerichtlichen Funktionen versehenen 66
Vgl. Gehrke, ebd., S. 1383; Mayer, S. 152. Vgl. dazu Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1345 f. 68 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 208 ff. u n d 216 ff.; Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S. 295 ff. 69 Vgl. Gehrke, ebd., S. 1345. 67
28
1. Kap.: Grundlagen und Einflüsse
Spruchkörpern aus dem universitären Bereich üblich und häufig auch gesetzlich vorgeschrieben war, Urteilsbücher, Protokolle etc. anzulegen und die gefundene Entscheidung m i t der Begründung einzutragen 70 . Abgesehen von dem an anderer Stelle 71 angesprochenen Zweck dieser Bücher, die Korrektheit und Unbestechlichkeit der richterlichen Amtstätigkeit zu gewährleisten, dienten diese Sprucharchive und Präjudiziensammlungen sicherlich i n ganz erheblichem Umfang dem Ziel einer möglichst konstanten Spruchpraxis. Dieses für die judizielle Rechtsbildung so bedeutungsvolle Motiv läßt sich für die Konsiliarpraxis i m Rahmen des gerichtlichen Aktenversendungsverfahrens quellenmäßig bei verschiedenen Universitäten nachweisen. Die Statuten der Juristenfakultät der Universität Halle sprechen diesen Zweck i m Zusammenhang m i t den dem A k t u a r auferlegten archivarischen Aufgaben ganz offen aus. Dort 7 2 heißt es nämlich: „ . . . libro autem reponsis completo indicem addat materiarum, super quibus hucusque pronunciatum, quo occurente casu simili recursus ad praejudicata eo facilior sit, novique professores inde se eo melius informare possint; .. u n d ähnlich: „Porro (actuarius) speciale protocollum sumtibus facultatis conficiat, i n quo quicquid sub nomine responsi v e l sententiae a collegio nostro conceptum, ordine secundtim Seriem mensium inscribat nomenque concipientis addat, quo futuris etiam Successoribus in facultate, quid huc usque pronunciatum, constare valeat..
Ein i m Jahre 1744 i n Angriff genommenes Spruchverzeichnis der hallischen Juristenfakultät trug dementsprechend den bezeichnenden Titel 7 5 : „Protocollum opinionum i n Facultate Juridica adprobatarum per Decisiones et Consultationes."
Die gleichen Motive haben zur Anlegung der Konsiliensammlungen der Tübinger Juristenfakultät geführt 74 . Abgesehen von dem leichteren Rückgriff auf die Präjudizien und der Informationserleichterung über die bisherige Rechtsprechung sprach man hier den Fakultätspräjudizien auf Grund legislatorischer und gewohnheitsrechtlicher Aspekte sogar ausdrücklich bindende K r a f t zu, die ein Abweichen von einer Vorentscheidung der eigenen Fakultät praktisch ausschloß 75 : 70
1353. 71
Vgl. Gehrke,
Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1350 und
Vgl. oben 1. Kap., A., I., 1. Aus St 1694 Cap. X I I § 3 ; Z i t a t nach Buchda, Spruchtätigkeit SZ Germ 64 (1944), 273/274. Hervorhebungen v o m Verfasser. 73 Vgl. Buchda, Spruchtätigkeit SZ Germ 64 (1944), 274. 74 Vgl. Geipel, Konsiliarpraxis, S. 61 ff. 75 Vgl. Inclytae facultatis iuridicae Tubingensis, Einleitung. 72
A. Tatsächliche Bedeutung der Präjudizien im Ancien Régime
29
„ . . . cum et decisiones f a c u l t a t u m . . . haud vana forment praejudicia ipso quoque legislatorum nomine et pro recepta consuetudine attendenda."
Quellenmäßig belegbar ist die Funktion der Urteilsbücher i m der staatlichen Gerichtsbarkeit vor allem durch Vorschriften, auf die Rechtsprechung des Reichskammergerichts beziehen. So der Augsburger Reichsabschied von 156676 i n wichtigen oder haften Fällen die Aufzeichnung der Motive vor,
Bereich die sich schreibt zweifel-
„auf daß, . . . , Cammerrichter u n d Beysizer sich der vorigen M o t i v e n erinnern, u n d nach denselben Gleichheit zu halten, u n d sich zu richten haben."
Die Kontinuität der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung hatte auch der Speyrer Reichsabschied von 1570 i m Auge, wenn er aus Sorge vor künftiger Veränderung oder Ungleichheit das Gericht aufforderte, die täglich vorkommenden zweifelhaften Fälle zusammenzutragen, „darnach i n pleno Senatu referieren, darauf sich das Collegium eines einhelligen Brauchs und alten S t y l i i n Fundirung unsers Cammergerichts Jurisdiktion, . . . vergleichen" 77 . Von dieser Befugnis machte das Gericht weitgehenden, praktischen Gebrauch, der mitunter sogar einen experimentellen Zug annahm. I n einem an den Kaiser erstatteten Kollegialbericht vom 12. Mai 1786 erklärte das Reichskammergericht, daß es i n der Zeit nach dem Jüngsten Reichsabschied (1654) m i t den Plenarentscheidungen meistens nur Versuche unternommen habe und bei anschließend gemachten besseren Erfahrungen oft wieder davon abgegangen sei 78 . I m übrigen hielt das Reichskammergericht i n seiner Praxis sehr viel auf seine Präjudizien, ohne daß ihnen eine Plenarentscheidung notwendigerweise zugrundelag. Dies zeigt eine Senatsentscheidung aus dem Jahre 1786, i n der das Reichskammergericht einen Rechtssatz durch Präjudizien aus elf Jahrgängen zu begründen suchte 79 . Wenn die Gerichte und Spruchkollegien der Juristenfakultäten erwiesenermaßen nach ihrem Selbstverständnis sehr darauf bedacht und verschiedentlich ausdrücklich dazu angehalten waren, i n künftigen gleichgelagerten Fällen den i n Urteilsbüchern, Protokollsammlungen etc. archivierten Vorentscheidungen zu folgen, dann kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, daß i m Ancien Régime von den Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen starke präjudizielle Wirkungen auf die Rechtspraxis ausgingen. Denn die Sprucharchive der Gerichte 76
I n § 94, zitiert nach Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 230/231. I n § 77, zitiert nach Gerstlacher, Corp. Iur. I V , S. 182 f.; ähnlich auch K o n zept der K G O Th. I , Tit. 16 § 5, vgl. Gerstlacher, ebd. 78 Reuß, Beiträge I I I , S. 217. 79 Vgl. Sartorius, Gewohnheitsrecht, AcP 27, 81 (92), Fn. 39 m i t Fundstellennachweis. 77
.Kap.: Grundlagen und Einflüsse
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und Spruchfakultäten waren die hauptsächlichsten Quellen, denen die Herausgeber der Entscheidungsliteratur die von ihnen publizierten Entscheidungen entnahmen 80 . Der dadurch bewirkte hohe Bekanntheitsgrad machte die Kasuistik zum bedeutendsten Faktor der praktischen Rechtsfortbildung i n der Zeit des „usus modernus pandectarum" 81 . B. Rechtsbildung und präjudizielle Erscheinungen im germanisch-mittelalterlichen und römischen Rechtskreis Die i m vorigen Abschnitt geschilderte tatsächliche Bedeutung der Kasuistik auf die Rechtsbildung i m Ancien Régime läßt eigentlich vermuten, daß die i m 17. Jahrhundert aufkommende wissenschaftliche Theorie die vielfachen und vielgestaltigen präjudiziellen Wirkungen akzeptiert und auf dieser Grundlage zu einer zumindest i m Grundsatz präjudizienfreundlichen Erklärung ihres Wesens und ihrer Bedeutung gelangt. Vor der Überprüfung, ob diese Vermutung zutrifft, ist noch i n diesem zweiten Abschnitt auf die wichtigsten Einflußfaktoren des „usus modernus pandectarum" einzugehen, die auch für die i n diese Epoche fallende Entstehung der Theorie der Präjudizien nicht außer acht gelassen werden dürfen: das germanisch-mittelalterliche und das rezipierte römische Recht. U m die nach Lage der Dinge nicht auszuschließenden Einflüsse und Wirkungen dieser Rechtskreise auf die i m zweiten Kapitel darzustellende Entstehung der Präjudizientheorie feststellen zu können, soll i m Folgenden daher zunächst noch die Bedeutung und Funktion der Präjudizien i n diesen Rechtsordnungen näher untersucht werden. I . Der germanisch-mittelalterliche Rechtskreis
1. Die Theorie des germanisch-mittelalterlichen Rechts als Gewohnheitsrecht Die germanische Rechtsvorstellung erkannte i n dem „Recht" nicht einen Inbegriff gesetzter, gemachter Normen, sondern das Recht erschien bei den jahrhundertelang gleichbleibenden Lebensverhältnissen der Frühzeit als eine ewig gültige, sozusagen natürliche Ordnung der Dinge. Die Grundsätze des Rechts bildeten sich i m Denken und Fühlen der Rechtsgenossen ohne bewußte Rechtssetzung und ohne eigentliche Zweckerwägung. Da sich die natürlichen und unvermeidlichen Veränderungen des so empfundenen Rechts mangels jeglicher Aufzeichnung un80
Vgl. Gehrke, Rechtsprechungssammlungen (Handbuch II/2), S. 1353. Vgl. Döhring, Gesch. d. dt. Rechtspflege, S.2961; Hegler, Praktische Thätigkeit, S.14ff. f ü r die Konsilien; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 214 f. 81
B. Präjudizien im germanisch-mittelalterlichen und römischen Rechtskreis 31 merklich und unbewußt vollzogen, galt das Recht als eine seit unvordenklicher Zeit vorhandene, unwandelbare Ordnung 1 . Der Inhalt dieser scheinbar gleichbleibenden Ordnung trat namentlich bei der Rechtsfindung durch die Urteiler i m gerichtlichen Verfahren i n das Bewußtsein der Rechtsgenossen und war einer Wandlung insoweit unterworfen, als sich das allgemeine Rechtsbewußtsein veränderte. Die Aufgabe der Urteilsfinder w a r es, aus dem Bestand des vorhandenen, noch i m Verborgenen lebenden Rechts das i m betreffenden Einzelfall anwendbare Recht zu schöpfen bzw. zu finden, wobei Rechtssatz und Rechtsanwendung ohne deutliche Trennung bei der Entscheidung des Streitfalles ineinander übergingen 2 . Der logische Gedankengang bei der Rechtsfindung ließ sich nicht aufspalten i n eine vorrangige Schöpfung eines abstrakten, auf den Fall passenden Rechtssatzes und eine erst daran anknüpfende Subsumtion unter den gefundenen Rechtssatz. Das Recht offenbarte sich den Urteilsfindern als Zeugnis der bestehenden, zunächst nicht manifestierten Rechtsordnung unmittelbar i n jedem Spruch ohne Rücksicht darauf, ob es sich u m einen originär gefundenen Rechtssatz oder eine davon abgeleitete Einzelfallentscheidung handelte 8 . Den Inhalt des i n der jeweiligen Rechtsweisung zu bezeugenden Rechts schöpften die Urteilsfinder aus ihrem Gedächtnis, so wie das Recht ihnen von Alters her von den Vorfahren überliefert worden ist 4 . Ihre Wurzel hatten die Grundsätze des geltenden Rechts i n der gemeinsamen Überzeugung und i m gemeinsamen Rechtsbewußtsein aller Rechtsgenossen5, deren Feststellung ihren sinnfälligen Ausdruck darin fand, daß die i n der Gerichtsversammlung anwesenden Rechtsgenossen auf die Frage des Gerichtsherrn h i n ihre Zustimmung zu dem von den Urteilsfindern bezeugten Rechtssatz ausdrückten (sog. Vollbort) 6 . 2. Präjudizielle
Erscheinungsformen
bei der Urteilsfindung
Seit dem 13. Jahrhundert zeichnete man, wenn auch nur gelegentlich und lückenhaft, die gefundenen Gerichtsentscheidungen auf und gab 1 Vgl. Ebel, Gesch. d. Gesetzgebimg, S. 13/14 u n d 18/19; Stobbe, Rechtsquellen I 1, S. 274 ff. 2 Ehrlich, Logik, S. 15; zum Begriff der „Rechtsfindung" u n d seiner Problem a t i k vgl. neuerdings kritisch Kroeschell, Rechtsfindung, S. 498 ff.; ders., DR I I , S. 122 ff. 3 Conrad, D R I, S. 345; Gudian, Ingelheim, S. 31. 4 Vgl. Planck, Dt. Gerichtsverfahren I 1, S. 315; v. Gierke, Genossenschaftsrecht I I , S. 462/463. 5 Allerdings dürfte die Vorstellung von einem einheitlichen, allgemeinen Rechtsbewußtsein jedenfalls f ü r das Spätmittelalter nicht mehr zutreffen, da die Parteien häufig auch i m Rechtlichen entgegengesetzter Meinung waren, w i e Gudian, Ingelheim, S. 22, F N 9 ausweislich der Ingelheimer Protokolle bemerkt. 6 Vgl. Planck, Dt. Gerichtsverfahren I 2, S. 263.
.Kap.: Grundlagen und Einflüsse
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diese i n der Form von Urteilsbriefen aus, die eine kurze Wiedergabe des Verlaufs der Rechtsstreitigkeit, die vorgebrachten Hauptgründe sowie die begründete Entscheidung enthielten 7 . Diese Briefe wurden, vor allem wenn sie von einem angesehenen Oberhof stammten, von den Untergerichten sorgfältig gesammelt und aufbewahrt 8 sowie von den das Urteil ausgebenden Oberhöfen i n besondere Urteilsbücher (Gerichtsbücher, Oberhofprotokolle etc.) eingetragen 9 . Da dem germanisch-mittelalterlichen Rechtsverständnis eine scharfe Unterscheidung zwischen abstraktem Rechtssatz und konkreter Rechtsanwendung i m Sinne einer Subsumtion unter eine Rechtsnorm weitgehend unbekannt war, konnten demgemäß die Gerichte sowohl m i t einer abstrakten Frage zur Rechtlage ohne jeden Bezug zu einem Streitfall als auch m i t dem Begehren u m die Schlichtung einer ganz konkreten streitigen Auseinandersetzung angerufen werden 10 . Je nachdem, wie das Gericht angerufen wurde, hatten die Entscheidungen einen unterschiedlichen Charakter: wurde dem Gericht die Schlichtung eines konkreten Streitfalles unterbreitet, so w a r die Entscheidung ein „Erkenntnis", das nach einem förmlichen Verfahren Recht zwischen den streitenden Parteien schuf. Andererseits handelte es sich bei der Entscheidung u m ein „Weistum", d. h. u m eine amtliche Aussage über das geltende Recht, wenn die Frage nach dem anwendbaren Rechtssatz gestellt w o r den war 1 1 . Die abstrakte Rechtfindung hatte für die damaligen Regenten als — wenn auch unvollkommener—Ersatz einer einseitig-hoheitlichen Gesetzgebung große Bedeutung, wenn eine „willkürliche" Vereinbarung m i t den Untertanen nicht herbeizuführen war. M i t der germanisch-mittelalterlichen RechtsVorstellung, nach der das Recht gefunden, nicht jedoch geschaffen werden sollte, war nämlich ein von einem Herrscher w i l l kürlich gesetztes „Recht" nicht zu vereinbaren. Der Herrscher stand m i t seinen staatlichen Machtmitteln i m Mittelalter unter dem Recht und hatte es zu bewahren 12 . U m den V o r w u r f des Rechtsbruches zu vermeiden, war der Herrscher auf die Rechtsfindung durch die Urteiler angewiesen, wenn er gegen den Widerstand der Stände, also ohne sat7
Vgl. Eichhorn, D t St.- u. R.-Gesch. I I I , S. 463, insbesondere F N c; Michaelis, Wandlungen, S. 18 f. 8 Stobbe, Rechtsquellen 11, S. 278 m. v. N.; Planck, ebd., S. 321. 9 Vgl. z. B. Gudian, Ingelheim, S. 6; Buchda, H R G I, Stichwort: Fallrecht Sp. 1058/1059. 10 Vgl. Franklin, Sententiae, S. V I I I ff.; Gudian, Ingelheim, S. 31; Merk, Wachstum u n d Schöpfung, S. 138—139. 11 Vgl. zu der Unterscheidung Franklin, ebd., S. V I I I / I X ; ders., R H G I I 3, S. 278 f. m i t Belegen über Mischformen u n d Kombinationen i n bezug auf die Fragestellung an das Gericht. 12 Vgl. Conrad, D R I, S. 345/346.
B. Präjudizien im germanisch-mittelalterlichen und römischen Rechtskreis 33 zungsmäßige Übereinkunft m i t seinen Untertanen, seine Rechte festlegen bzw. erweitern wollte. Z u diesem Zweck bot sich dem Herrscher die Einholung eines Weistums geradezu an, das rechtssatzmäßig, also abstrakt wie ein Gesetz i m modernen Sinn, die vom Herrscher begehrte Feststellung seiner Rechte ermöglichte 13 . Aus dem Wesen des Weistums als einer amtlichen Aussage über das Bestehen und die Gültigkeit eines abstrakten Rechtssatzes ergaben sich zwangsläufig Auswirkungen hinsichtlich der präjudiziellen Verbindlichkeit der gefundenen Gerichtsentscheidung. Die gefundene Norm strebte schon auf Grund ihrer Abstraktheit danach, über den Einzelfall hinaus i n allen gleichgelagerten oder vergleichbaren künftigen Fällen zur A n wendung zu kommen. Diese m i t dem Rechtssatzcharakter zusammenhängende Tendenz zur präjudiziellen Verbindlichkeit verstärkte sich durch das Wesen der germanisch-mittelalterlichen Rechtsvorstellung, wonach das objektive, unwandelbare und althergebrachte Recht i n der Rechtsweisung manifest wurde und das so bezeugte Recht angesichts seiner Einheitlichkeit und Unwandelbarkeit bei verschiedenen Bezeugungsakten nicht zu divergierenden Ergebnissen führen durfte. Widersprüchliches Recht w a r für die germanisch-mittelalterliche Rechtsvorstellung schlechthin unvorstellbar 1 4 . Die i n den Weistümern festgestellten Rechtssätze waren deswegen verbindlich und kamen bei künftigen gleichgelagerten Fällen durchweg zur Anwendung 1 5 . Ähnliches gilt für das i m Einzelfall gefundene Urteil, das für die konkret vorgetragene Sachlage das zu beachtende Recht feststellte. Das deutschrechtliche Urteil war nämlich immer eine an einen hypothetischen Sachverhalt geknüpfte Rechtsfindung und somit eine reine Rechtsweisung. Die Ermittlung der wahren Vorgänge bei streitiger Sachdarstellung der Parteien war von untergeordneter Bedeutung und erfolgte i n der Regel dadurch, daß das Gericht einer Partei aufgab, ihre Sach13 Vgl. Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 15/16 u n d 43 ff. A l s bekanntestes Beispiel ist i n diesem Zusammenhang der Reichstag zu Roncaglia i m Jahre 1158 zu erwähnen, auf dem sich Friedrich I. Barbarossa die Rechte der Krone durch ein Weistum feststellen ließ, das dem Kaiser die Möglichkeit eröffnen sollte, ohne den U m w e g über die schwerfällige u n d von i h m nicht vollständig kontrollierbare abstrakte Rechtsweisung unmittelbar verbindliche Rechtssätze festzulegen: Scias itaque omne j u s p o p u l i i n condendis legibus t i b i concessum. Tua voluntas jus est, sicuti dicitur: Quod p r i n c i p i placuit, legis habet vigorem, cum populus ei et i n eum omne suum i m p e r i u m et potestatem concesserit. Quodcumque enim imperator constituerit, vel cognoscens decreverit, v e l edicto praeceperit, legem esse constat (MGH, L L . I I . p. 111). Der m i t diesem Weistum angestrebte Zweck, eine starke zentrale Gesetzgebung zu schaffen, w u r d e allerdings auch i n der Folgezeit nicht erreicht; vgl. Stobbe, Rechtsquellen I 1, S. 465/466. 14 Vgl. Gudian, Ingelheim, S. 32, F N 24. 15 Merk, Wachstum u n d Schöpfung, S. 141; Franklin, Sententiae, S. X I ; Stobbe, Rechtsquellen I 1, S. 274—276; Conrad, D R I , S. 345.
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.Kap.: Grundlagen und Einflüsse
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darstellung durch Eid zu beweisen 16 . Daher war man auch hier bestrebt, widersprüchliche Rechtsweisungen zu vermeiden und auf Gleichförmigkeit zu achten, wie verschiedene Beispiele der mittelalterlichen Rechtspraxis belegen. So beriefen sich i m Mittelalter die Parteien nicht selten zur Begründung ihrer Begehren auf das Gerichtsrecht 17 , was i m sächsischen Rechtskreis sogar zu der Vorstellung führte, die i n dem Gerichtsbuch enthaltenen Urteile als eine höhere Instanz aufzufassen, an welche ein anzufechtendes Urteil gezogen oder gescholten werden konnte 1 8 . Ebenso wie die Parteien pflegten i n der Regel auch die Urteilsfinder das i n den Einzelfallentscheidungen enthaltene Juristenrecht zu berücksichtigen und sich einzuverleiben. I m Ingelheimer Rechtskreis mußte jeder neu i n das Schöffenkollegium eintretende Schöffe sich zunächst m i t dem vom Kollegium gehandhabten Recht vertraut machen und wuchs erst allmählich zu einem vollwertigen Mitglied heran 19 . Gelegentlich geben auch die Formen, i n denen die Schöffensprüche aufgezeichnet wurden, A u f schluß über ihre Verbindlichkeit i n anderen gleichgelagerten Fällen. Soweit nämlich die Sprüche nicht vollständig herausgegeben wurden, erschienen sie häufig i n einer überarbeiteten Fassung, i n der das Datum, die Namen der Parteien und alles Individuelle entfernt und so der entscheidende Rechtssatz aus dem Schöffenurteil herausgeschält worden ist 2 0 . Offensichtlich verfolgte man m i t der Überarbeitung den Zweck, durch das Schöffenurteil ein Präjudiz für andere ähnliche Fälle zu haben. 3. Die Grenzen der präjudiziellen
Bindungen
I m Mittelalter prägte jede, wenn auch noch so kleine, politische Gemeinschaft i h r eigenes Recht, das sich von dem der anderen Gemeinschaften oft erheblich unterschied. Diese für das deutsche Mittelalter typische Entwicklung zur Rechtszersplitterung beruhte auf der Vorstellung des bereits vorhandenen und bloß durch Urteil zu findenden Rechts. Da nämlich jede Gerichtsversammlung das Recht autonom aus ihrer Rechtsüberzeugung i n erklärter Übereinstimmung m i t dem allge16
Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 15 m i t vielen Literaturnachweisen. Vgl. Gudian, Ingelheim, S. 35/36 m i t Fundstellen aus dem Ingelheimer Rechtskreis: „nach Gewohnheit u n d Recht dieses Gerichts", „nach ländlicher Gewohnheit u n d dieses Gerichts Recht", „nach allem Landrecht u n d des ehgenannten ehrbaren Gerichts Recht" u. a. 18 Vgl. Planck, Dt. Gerichtsverfahren I 1, S. 319, v o r allem F N 15; Stoelzel, Gelehrte Rechtsprechung, Bd. 2, S. 318—320. 19 Gudian, Ingelheim, S. 22, F N 9 weist i n diesem Zusammenhang darauf h i n ,daß dieses Verfahren über Ingelheim hinaus auch i n anderen Rechtskreisen praktiziert wurde. 20 Vgl. Stobbe, Rechtsquellen I 1, S. 280 f ü r die Magdeburger Schöffensprüche. 17
B. Präjudizien im germanisch-mittelalterlichen und römischen Rechtskreis 35 meinen regional gefärbten Rechtsbewußtsein wies, blieb es nicht aus, daß das i n freier Rechtsüberzeugung gefundene Recht wegen der mannigfaltigen örtlichen und landschaftlichen Besonderheiten i n der Vielzahl der nach Zerfall der germanischen Volksstämme entstehenden territorialen Gebilde ein recht unterschiedliches Gepräge aufwies 21 . Die Rechtszersplitterung ließ präjudizielle Bindungen vorwiegend nur innerhalb des jeweiligen Rechtskreises aufkommen, da sich außerhalb der Rechtskreise i n Anbetracht der unterschiedlichen Rechtsordnungen i n den jeweiligen Gemeinschaften das Problem eines widersprüchlichen Rechts nicht stellte. Hier w i r k t e n auf die Rechtsüberzeugung der U r teilsfinder allenfalls das Ansehen und die Autorität der fremden Gerichtsversammlung ein, die die betreffende Entscheidung gefällt hatte 2 2 . Solche Vorgänge gewannen i n der Zeit an Bedeutung, i n der das einfache Rechtsbewußtsein der Urteilsfinder gegenüber den differenzierter werdenden Wirtschafts- und Sozialverhältnissen des Spätmittelalters versagte und sich zu keiner eigenständigen Rechtsfindung mehr durchzuringen vermochte, so daß man bereitwillig auf das von einer angesehenen Gerichtsversammlung gewiesene Recht zurückgriff 23 . Innerhalb der einzelnen Rechtskreise waren es die unzulängliche A u f zeichnung, Sammlung und Veröffentlichung der Gerichtsentscheidungen, die den Umfang der präjudiziellen Bindungskraft erheblich begrenzten. Bis zum 13. Jahrhundert zeichnete man nur ganz selten einmal den gefundenen Rechtssatz auf 2 4 . Erst m i t der i n der Mitte des 13. Jahrhunderts einsetzenden regelmäßigeren Aufzeichnung der gefundenen Urteile entstanden die ersten amtlichen Urteilssammlungen 25 . Einer breiteren Öffentlichkeit machte man allerdings keineswegs den Urteilsinhalt zugänglich. Unter mangelnder Publizität litten namentlich die Präjudizien der Zentralgewalt, des Reichshofgerichts, obwohl die deutschen Könige mehrfach den Versuch unternommen hatten, den allgemeingültigeren Rechtssprüchen i n künftigen gleichgelagerten Fällen Geltung zu verschaffen. So befinden sich vielfach i n den Entscheidungen des Reichshofgerichts ausdrückliche Anordnungen, daß der gefundene Rechtssatz über das streitige Rechtsverhältnis hinaus als allgemeiner Grundsatz 21 Vgl. Conrad, D R I, S. 346; Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 20; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 105—109. 22 Vgl. Stobbe, Rechtsquellen I 1, S. 276/277; Ebel, Forschungen, S. 16, Gu~ dian, Begründung, S. 20 u. 56. 23 Vgl. Wieacker, ebd., S. 112 f. u n d 179 ff. 24 N u r auf ausdrücklichen Wunsch u n d i m Interesse der Partei, u n d auch dann n u r i n ganz rudimentärer F o r m ohne Wiedergabe des Sachverhalts u n d der Begründung; vgl. Franklin, R H G I I 3, S. 198 u n d S. 275/276. 25 Vgl. Stobbe, Rechtsquellen 11, S. 278/279.
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.Kap.: Grundlagen und Einflüsse
gelten solle 26 . Darüber hinaus bestimmte Friedrich II. i m Mainzer Landfrieden von 1235 anläßlich der Neuordnung des Reichshofgerichts, alle vor dem König gefundenen Entscheidungen i n wichtigeren Prozessen aufzuzeichnen 27 . Bedeutung hat diese Präjudiziensammlung wegen der völlig unzureichenden Publikation allerdings nicht erlangt 28 . Bezeichnenderweise ließ Rudolf I., der den Mainzer Landfrieden i m Jahre 1281 wiederholte, gerade diese Bestimmung aus 29 . Die Präjudizien des Reichshofgerichts vermochten der zunehmenden Rechtszersplitterung i m Reich nicht Einhalt zu gebieten und zu einer Vereinheitlichung des Rechts i n Deutschland beizutragen 80 . Gegen Ende des Mittelalters, als die germanische Vorstellung vom Recht als einer unwandelbaren Ordnimg allmählich immer mehr i n Vergessenheit geriet, traten nicht selten bewußte Änderungen der Rechtsprechung auf, da man jetzt wohl widersprüchliche Urteile eher hinzunehmen bereit war. So hat beispielsweise der Ingelheimer Oberhof i m 15. Jahrhundert seine Rechtsprechung, welche Partei beim Ausheischen 81 vor dem Urteil nach Ingelheim den Kostenvorschuß zu erbringen hat, m i t Rücksicht auf die gewandelten sozialen Verhältnisse mehrfach geändert 32 . I n diesem Zusammenhang ist noch ein Iglauer Schöffenspruch aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts anzuführen, m i t dem das Gericht seine bislang geübte Rechtsprechung zur Form der Urteilsschelte zugunsten eines gesunden Verfahrensrechtes ausdrücklich aufgab 83 . Änderungen der Rechtsprechung pflegten i m übrigen meist sorgfältig und ausführlich begründet zu werden, u m dem Anschein 2
« Vgl. Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S.42; Stobbe, Rechtsquellen I 1, S.276 u n d vor allem S. 466 m i t Quellenbelegen aus der Zeit von 1165—1293. Eine typische Anordnung aus einer Entscheidung aus dem Jahre 1209 (MGH. L L . I I . p. 215 ff.): „Ea quae facta sunt coram nobis i n judicio i n praesentia m u l t o r u m principum, quae ad u t i l i t a t e m communem praesentium et f u t u r o r u m spectare videntur, publico scripto et authentico sunt committenda, ne a memoria h o m i n u m elabantur, et u t i n consimilibus casibus facilius homines ea possint expediri." 27 M G H . L L . I I . p. 317 f. c. 15: „ I d e m scribet omnes sententias coram nobis i n maioribus causis inventas maxime contradictorio iuditio obtentas, quae vulgo dicuntur gesamint urteil, u t i n posterum i n casibus similibus ambiguitas rescindatur, expressa terra secundum consuetudinem cuius sentenciat u m est". 28 Vgl. dazu Franklin, Sententiae S. V I / V I I ; ders., R H G I I 3, S. 201. 29 M G H . L L . I I . p. 439; Stobbe, Rechtsquellen 11, S. 464 F N 4. 30 Vgl. Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 42. 31 Das „Ausheischen" vor dem U r t e i l hinderte das örtliche Gericht, ein der ausheischenden Partei ungünstiges U r t e i l auszusprechen u n d brachte den Rechtsstreit ohne Vorentscheidung des örtlichen Gerichts an den Ingelheimer Oberhof. Vgl. wegen der Einzelheiten Gudian, Ingelheim, S. 23; Conrad, D R I , S. 388, F N 2. 82 Vgl. Gudian, Ingelheim, S. 52, F N 6, 7 u n d 8. 83 Vgl. Gudian, Begründung, S. 66/67 m i t Quellennachweis u n d Zitat.
B. Präjudizien im germanisch-mittelalterlichen und römischen Rechtskreis 37 falscher Rechtsweisung vorzubeugen und das Aufkommen von Zweifeln an der Autorität des Gerichts zu verhindern 3 4 . Da eine Begründung des Schöffenspruches nicht üblich war und die Ausnahme darstellte, bestätigt gerade diese Tatsache, daß man i m germanisch-mittelalterlichen Rechtskreis eine gerichtliche Vorentscheidung, sofern man von i h r Kenntnis besaß, i n künftigen gleichgelagerten Fällen regelmäßig als verbindliches Präjudiz befolgte. I I . Der römische Rechtskreis
1. Die Rechtsbildung und die präjudiziellen Einflüsse in der Republik und Kaiserzeit bis zur Kodifikation durch Justinian Ebenso wie das germanisch-mittelalterliche Recht w a r auch das römische Recht während der gesamten Dauer seiner freien inneren Entfaltung i m wesentlichen ungeschriebener Natur. Die gesetzgeberischen A k t e i n den Epochen nach den Zwölf-Tafel-Gesetzen haben nämlich zu keiner Zeit auch nur annähernd ein Ausmaß erreicht, als daß man von einem lückenlosen geschlossenen Normsystem i m Sinne einer Gesamtgesetzgebung sprechen könnte 3 6 . Die weit überwiegende Mehrzahl der täglich anstehenden Fälle war nach einem an Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit problemorientierten Juristenrecht zu entscheiden. A n der römischen Jurisdiktion waren der Prätor, der „iudex" sowie private Rechtsgelehrte beteiligt. Bis ungefähr zum Niedergang der Republik enthielt das römische Prozeßverfahren — sowohl der Legisaktionen- als auch der prätorische Formularprozeß — die Aufteilung i n ein Verfahren „ i n iure" vor dem Prätor und i n ein davon getrenntes „apud iudicem" vor einem zur Entscheidung berufenen, behördlich autorisierten Laienrichter 36 . Der „iudex" hatte nach dem vom Prätor verbindlich festgelegten Prozeßprogramm, das die rechtlichen Voraussetzungen des Klagezusprechens bzw. -abweisens detailliert bezeichnete, vorwiegend den tatsächlichen Sachverhalt zu ermitteln und nach Subsumtion unter das Programm zu entscheiden 37 . Von den Entscheidungen der Laienrichter gingen keine präjudiziellen Wirkungen aus, da unter den zeitweise bis zu 5000 ehrenamtlichen Richtern keine Kommunikation oder Austausch der Erfahrungen stattfand und eine systematische Verteilung der anfallenden 34
Vgl. Gudian, ebd., S. 68/69 u n d 127. Vgl. Käser, Rom. Rechtsgeschichte, S. 130/131; ders., Rom. Privatrecht 1, S. 211. 36 Sog. „ord'o iudiciorum". Vgl. dazu Schwind, Rom. Recht I, S. 93/94. 37 Vgl.Schwind, S. 121 ff. Allerdings waren v o m „ i u d e x " durchaus auch Rechtsfragen zu entscheiden, w i e etwa die Beurteilung von „bona fides", „aequitas" etc., da das v o m Prätor festgelegte Programm meist generalisierende Rechtsbegriffe enthielt. 35
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1. Kap.: Grundlagen und Einflüsse
Prozesse auf die Vielzahl der zur Verfügung stehenden Laienrichter — beispielsweise durch einen festen Geschäftsverteilungsplan — fehlte 88 . I m übrigen mußte die i m Verhältnis zu den Juristen geringe Autorität den Einfluß der Laienrichter auf die Fortbildung des römischen Rechts niedrig halten 8 9 . Das herausragende Instrument der Rechtsbildung und Rechtsfortbildung war die prätorische Ediktsjurisdiktion. Der auf den Zwölf-TafelGesetzen beruhende Legisaktionenprozeß war bekanntlich von dem Grundsatz beherrscht, daß materielle Rechte i n einem gerichtlichen Verfahren nur geltend gemacht werden können, wenn die Gesetze einen entsprechenden prozessualen Behelf zur Verfügung stellen 40 . Diese starre Begrenzung auf die gesetzlich vorgesehenen „actiones" fand später aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus eine flexible Ergänzung i n der Amtsgewalt des Prätors, über die Legisaktionen hinaus zunächst i m Einzelfall durch Dekret, später allgemein — zu Beginn seiner einjährigen Amtszeit — durch Edikt Klagen zuzulassen. M i t Ablauf der Amtszeit des jeweiligen Prätors verlor sein Edikt automatisch die Gültigkeit. A n die vom Vorgänger aufgestellten Grundsätze w a r der Prätor nicht gebunden. Er konnte nach seinem Ermessen Änderungen oder neue Rechtsschöpfungen vornehmen. Zumindest bis zur „lex Cornelia" war der Prätor nicht einmal an sein eigenes Edikt gebunden, wenn auch sein willkürliches Abweichen gelegentlich als anstößig empfunden wurde und seinen Kollegen zur Intervention berechtigte 4 1 . I m Laufe der Zeit schälte sich ein fester, faktisch nicht mehr abgeänderter K e r n heraus, den jeder Prätor automatisch als „edictum tralaticium" i n sein Edikt aufnahm, bis schließlich Hadrian das seit Beginn der Prinzipatszeit kaum mehr geänderte Edikt i n der Julianischen Ediktsredaktion endgültig festschrieb 42 . Obwohl das prätorische Edikt wegen der theoretisch bestehenden beliebigen Abänderbarkeit nicht als verbindliche Rechtsquelle angesehen wurde, so hatte doch diese feste Praxis spätestens zur Zeit Ciceros i m Bewußtsein und Rechtsverständnis der Römer gesetzlichen Charakter angenommen, wenn man das prätorische Edikt als „lex annua" bezeichnete 48 . Den Inhalt seines Ediktes oder Dekretes bestimmte der Prätor als oberster Gerichtsherr formal selbständig. Da die Prätoren ihr A m t als 38
Dawson, Oracles of the law, S. 102—104. VgL Schulz, Geschichte, S. 27. 40 Vgl. z. B. Schwind, Rom. Recht I, S. 93; Schulz, S. 29 f. 41 Sohm / Mitteis / Wenger, Institutionen, S. 76, F N 6. 42 Vgl. Schwind, Rom. Recht I , S. 46 ff., 91 ff.; Sohm / Mitteis / Wenger, I n s t i tutionen, S. 73; Schulz, Geschichte, S, 149/150; Käser, Rom. Rechtsgeschichte, S. 130 f., 170 ff. 43 Sohm / Mitteis / Wenger, S. 80, F N 10. 39
B. Präjudizien im germanisch-mittelalterlichen und römischen
echtkreis 39
eine Stufe ihrer politischen Laufbahn ansahen und sehr oft keine Juristen waren, zogen sie gebildete und erfahrene Juristen zu Rate. Infolgedessen waren die Entscheidungen der Prätoren tatsächlich vom „consil i u m " der hinzugezogenen Juristen maßgeblich beeinflußt 44 . I m römischen Rechtsleben knüpfte somit die juristische Autorität vordringlich an die Aussagen der Juristen an, führte aber nie zu einer förmlichen Bindung, sondern beruhte auf der inneren Richtigkeit der von den Juristen entworfenen Entscheidung, so daß diese später wieder i n Zweifel gezogen werden konnte 4 5 . Für die innere Richtigkeit waren weniger dogmatische oder methodische Gesichtspunkte ausschlaggebend, sondern vielmehr die Übereinstimmung m i t Präzedenzentscheidungen und den Rechtsauffassungen der Juristenkollegen 46 . Inwieweit sich die „iuris consulti" zur Entscheidungsfindung Präjudiziensammlungen bedient haben, läßt sich nicht nachweisen, da solche Sammlungen — sollten sie überhaupt angelegt worden sein — nicht veröffentlicht worden sind 47 . Auch i n der Zeit des Prinzipats machten die Juristen ihren Einfluß auf die Rechtsbildung nur i n mittelbarer Form geltend. A l l e i n verantwortlich für die getroffene Entscheidung war letzten Endes der Amtsträger. Seitdem verstärkte allerdings die Privilegierung einiger ausgewählter Juristen m i t der Befugnis, „ex auctoritate principis" Rechtsgutachten i n gerichtlichen Streitigkeiten zu erstatten, ganz erheblich die Bedeutung des mittelbaren Einflusses. Denn das „ius publice respondendi" gab den Gutachten der privilegierten Juristen eine höhere, kaiserliche Autorität, um Prätor oder „iudex" zur Befolgung des Gutachtens zu veranlassen, ohne zunächst eine juristische, formelle Bindung herzustellen. A n das i n einem konkreten Streitfall erstellte Gutachten entwickelte sich aber alsbald eine formelle Bindung des Richters 48 . Diese Entwicklung steht i m Zusammenhang zu der sich seit Beginn des Prinzipats allmählich vollziehenden Ablösung des zweigeteilten Prozeßverfahrens der „ordo iudiciorum" durch ein einheitlichen Kognitionsverfahren vor einem kaiserlichen Beamten als Richter 49 , der i n A n 44
Vgl. Schwind, S. 4 2 / 4 3 ; Sohm / Mitteis / Wenger, S. 73. Vgl. Käser, Rom. Rechtsgeschichte, S. 171/172; ders., Rom. Privatrecht 1, S. 210; ders., Methode, S. 73/74; Schulz, Geschichte, S. 28; Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 94—96. 46 Vgl. Wieacker, V o m röm. Recht, S. 139/140 u n d 143; Käser, Rom. Rechtsgeschichte, S. 173; ders., Methode, S. 74. 47 Schulz, S. 109 folgert aus der Anweisung an die Schüler i m rhetorischen Unterricht, i n der Gerichtsrede sich auch auf Präjudizien zu berufen, daß die Gerichtsredner Sammlungen bemerkenswerter Präjudizien angelegt haben. 48 Käser, Röm. Rechtsgeschichte, S. 178/179; ders., Rom. Privatrecht 1, S. 210; Schulz, S. 133; Schwind, Röm. Recht I, S. 63. 49 „extraordinaria cognitio", vgl. Schwind, Röm. Recht I , S. 91, 131 ff. 45
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.Kap.: Grundlagen und Einflüsse
betracht der Fülle der juristischen Kontroversen zur selbständigen Entscheidungsfindung oft überfordert gewesen ist. Diese Tatsache hatte schließlich ein Reskript Hadrians i m Auge, das die Richter an übereinstimmende Auffassungen der Juristen band 50 . Die kaiserlichen Gerichtsurteile übten allerdings angesichts der vielfach kontroversen Juristenmeinungen als Ergebnisse richterlicher Prüfung eine faktische Autorität 6 1 aus und haben allmählich allgemeinere Bedeutung erlangt 52 . Insgesamt betrachtet w a r das römische Recht vor seiner Kodifikation durch Justinian kein Präjudizienrechtssystem i m Sinne des modernen englisch-amerikanischen „case law", da eine förmliche Verbindlichkeit der „preeedents" nie bestand. Die fallbezogene, kasuistische Struktur ist jedoch für das römische Rechtssystem ebenso charakteristisch, solange es sich frei entwickeln konnte, und steht infolge seiner autoritätsbedingten faktischen Verbindlichkeit der Gutachten und Entscheidungen dem modernen „case l a w " immerhin nahe 58 . 2. Die Bedeutung der richterlichen Rechtsfortbildung in der Kodifikation Justinians N u r i n verhältnismäßig geringem Umfang legten Gesetze, Senatsbeschlüsse54 oder sonstige kaiserliche Legislationsakte verbindliche Norminhalte fest, so daß weite Gebiete des römischen Rechtslebens von staatlicher Normierung unberührt blieben. Dementsprechend umfangreich war daher das „ius controversum" 55 . Die damit verbundene Rechtsungewißheit mußte i m Zuge der Entwicklung zum absoluten Prinzipat auf immer stärkeren Unmut und Widerstand der u m die strikte Befolgung der staatlichen Anweisungen besorgten Kaiser stoßen. Den ersten Eingrenzungsversuch der Kontroversen unternahm das Zitiergesetz von 426, das i n seiner ursprünglichen Fassung nur noch den Schriften von fünf Juristen die „auctoritas" beimaß 56 . Den entscheiden50 Vgl. Käser, Rom. Rechtsgeschichte, S. 179; ders. t Rom. Privatrecht 1, S. 210/211. 61 Vgl. Käser, Rom. Zivilprozeßrecht, S. 294/295 u n d S. 396: „auctoritas i u d i cis", „auctoritas rei iudicatae"; Allen. L a w i n the making, S. 160. 62 Käser, Methode, S. 76. 58 Vgl. Koschaker, Europa u n d das römische Recht, S. 94—96; Dawson, Oracles of the law, S. 145/146; Allen, S. 154; Vacca, Metodo casistico, S. 133 ff.; vor allem S. 136. 54 Hierzu gehört auch der I n h a l t der oben bereits erwähnten Julianischen Ediktsredaktion; vgl. Schulz, Geschichte, S. 149/150. 55 Vgl. Käser, Methode, S. 74/75; ders., Rom. Rechtsgeschichte, S. 173. 66 Vgl. Schulz, S. 357 ff. Dieser Versuch ist allerdings schon bald darauf durch eine Gesetzesänderung verwässert worden, indem die „auctoritas" auch die Juristen miteinbezog, die lediglich von den fünf Juristen zitiert worden sind; so Schulz, S. 358.
B. Präjudizien im germanisch-mittelalterlichen und römischen Rechtskreis 41 den Schritt zur Vereinheitlichung der maßgebenden Normen und Eindämmung der Kontroversen unternahm Justinian, indem er aus der Fülle der vorhandenen juristischen Literatur die Rechtsinhalte kompilieren ließ, welche aus der Sicht des absoluten Prinzipats und unter Berücksichtigung des Staatsinteresses weiterhin Geltung haben sollten, und durch Aufnahme i n die Kodifikation m i t dem absoluten, kaiserlichen Geltungsanspruch versah 57 . Da die Kodifikation darauf angelegt war, alle i m täglichen Rechtsleben auftretenden Fälle juristisch zu erfassen, war dem Richter die rechtsschöpferische „interpretatio" durch ein kaiserliches Auslegungsmonopol, das sich wiederum vom Gesetzgebungsmonopol des Kaisers ableitete, ausdrücklich verwehrt 5 8 . Wenn sich die Kodifikation an einer Stelle einmal als lückenhaft erweisen sollte, w a r der Richter verpflichtet, an den Kaiser zu berichten und dessen Entscheidung einzuholen 59 . Das Auslegungsmonopol ergänzte schließlich noch das Verbot, die Kodifikationen zu kommentieren 60 . Trotz der während der gesamten, vorhergehenden römischen Geschichte herausragenden Bedeutung außergesetzlicher Rechtsbildung überrascht es i n Anbetracht dieses absoluten, schrankenlosen Geltungsanspruchs der kodifizierten Normen nicht, daß die Kodifikation keinen T i t e l enthält, der sich m i t den präjudiziellen Wirkungen von Entscheidungen der zur Jurisdiktion berufenen Organe befaßt, also m i t dem Problem außergesetzlicher Rechtsfortbildung. Dennoch ist diese Themat i k i n Justinians Kodifikationswerk nicht vollkommen unangesprochen geblieben. Stellungnahmen befinden sich i m Codex und i n den Digesten. Die zentrale Aussage über präjudizielle Wirkungen richterlicher Entscheidungen enthält der T i t e l „de sententiis et interlocutionibus omniu m iudicum" 6 1 , wonach sich kein Richter an Rechtsauffassungen oder Urteile selbst höchster Gerichte gebunden fühlen dürfe, wenn er sie für falsch halte: „Nemo iudex v e l arbiter existimet neque consultationes, quas non rite iudicatas esse putaverit, sequendum, et m u l t o magis sententias ementissim o r u m praefectorum vel aliorum procerum (non enim, si q u i d non bene d i r i matur, hoc et i n aliorum i u d i c u m Vitium extendi oportet, c u m non exemplis, sed legibus iudicandum est), nec si cognitionales sint amplissimae praefecturae v e l alicuius m a x i m i magistratus prolatae sentenitiae: sed omnes iudices nostros veritatem et legum et iustitiae sequi vestigia sancimus". 57
Vgl. Const. Tanta c. 19. Vgl. Const. Tanta c. 21; Cod. Iust. 1, 14, 1 u n d 1, 14, 12. Sinngemäß schon früher Codex Theodosianus 1, 2, 3. 59 Vgl. Const. Tanta c. 21. 80 Const. Tanta c. 21; vgl. Becker, H R G I I , Stichwort: Kommentier- u n d Auslegungsverbot, Sp. 963 ff.; Käser, Röm. Privatrecht 2, S. 59, F N 57 m. w . N. 61 Cod. Iust. 7, 45, 13. 58
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1. Kap.: Grundlagen und Einflüsse
Weitere demgegenüber teils widersprechende Aussagen zur Bedeutung gerichtlicher Präzedenzentscheidungen geben noch die folgenden Digestenfragmente, die unter dem Titel „de legibus senatusque consultis et longa consuetudine" 62 zusammengestellt sind. Sie befassen sich m i t der „interpretatio", und zwar bezogen auf die „leges" sowie auf die „consuetudo", die als Rechtsquellen ebenbürtig nebeneinanderstehen® 3. Die „leges" betreffen 84 : „D. 1,3,23 (...): M i n i m e sunt mutanda, quae interpretationem certam Semper habuerunt." „D. 1,3,37 (...): Si de interpretatione legis quaeratur, i n primis inspiciend u m est, quo iure civitas retro i n eiusmodi casibus usa fuisset: optima enim est legum interpres consuetudo." „D. 1,3, 38 ( ..): N a m imperator noster Severus rescripsit i n ambiguitatibus quae ex legibus proficiscuntur consuetudinem aut rerum perpetuo similiter iudicatarum auctoritatem v i m legis optinere debere." „D. 1,3, 39 (...): Quod non ratione introductum, sed errore primum, deinde consuetudine optentum est, i n aliis similibus non optinet."
Die „consuetudo" betrifft: „D. 1,3,34 (...): Cum de consuetudine civitatis v e l provinciae confidere quis videtur, p r i m u m quidem i l l u d explorandum arbitror, an etiam contradicto aliquando iudicio consuetudo firmata sit."
Auslegungsmonopol und Kommentierverbot des omnipotenten Herrschers lassen keinen Zweifel zu, daß der Gesetzesbefehl i n Cod. Just. 7,45,13 jegliche außergesetzliche, richterliche Rechtsfortbildung ausschließen wollte. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß an der zitierten Stelle ein bedeutender Teil der Theorie der Präjudizien i n Paranthese steht. Das gleiche gilt für die zum Teil diesem Gesetzesbefehl widersprechenden Digestenfragmente 65 , da sie ihrem Inhalt nach eher als Lehrsätze i m rechtswissenschaftlichen Unterricht zu verstehen sind und Fremdkörper i m Kodifikationswerk darstellen 66 . Wieweit die Praxis dem Gesetzesbefehl tatsächlich Folge geleistet hat, und das theoretisch konzipierte Präjudizienverständnis i m täglichen römischen Rechtsleben Wirklichkeit geworden ist, ist heute nicht mehr aufklärbar 6 7 . • 2 D. 1, 3, 1—41. 63 Vgl. Käser, Rom. Privatrecht 2, S. 57/58. 64 Die Unterscheidung der Fragmente folgt van Warmelo, Studi Volterra I, S. 409 ff. 65 V o r allem: D. 1, 3, 34 sowie 37 u n d 38. 66 Vgl. v a n Warmelo, Studi Volterra I , S. 409/410 u n d 424. Auch Allen, L a w i n the making, S. 161/162 bezeichnet D. 1, 3, 38 als keineswegs repräsentativ für die römische Präjudizientheorie, da dieses Fragment i n gänzlichem Widerspruch zu dem absoluten Herrschafts- u n d Gesetzesverständnis Justinians steht, w i e es i n der Const. Tanta formuliert ist; es sei sogar zu vermuten, daß D. 1, 3, 38 widerrufen worden ist. 67 Vgl. Käser, Rom. Privatrecht 2, S. 39.
Zweites Kapitel
Die theoretische Einordnung der präjudiziellen Wirkungen durch die Rechtswissenschaft des Ancien Régime A. Ausgangslage und allgemeine Orientierung I . Die Praxis aus der Sicht der Rechtswissenschaft
A n der Tatsache, daß die i n der kasuistisch-forensischen Entscheidungsliteratur des Ancien Régime enthaltenen Präjudizien von Richtern, Advokaten und sonstigen Rechtspraktikern ständig benutzt w u r den und sich größter Beliebtheit erfreuten 1 , konnte die Rechtswissenschaft des „Usus modernus pandectarum" schon deshalb nicht stillschweigend vorbeisehen, w e i l die Rechtswissenschaftler häufig gleichzeitig auch Autoren und Herausgeber von Entscheidungsliteratur waren 2 . Daher leugnete eigentlich kein Rechtsgelehrter der damaligen Zeit die außerordentlich große, praktische Bedeutung der Präjudizien 3 . Diese Erkenntnis war das Ergebnis der Beobachtungen und Erfahrungen der Rechtspraxis; als Beispiele wurden u. a. die faktischen Auswirkungen von Entscheidungen höherer und oberster Gerichte beschrieben, die jene Präjudizien innerhalb und gelegentlich auch außerhalb der Grenzen der jeweiligen Gerichtsbezirke auf untergeordnete Gerichte ausübten 4 . Gelegentlich hob man sogar hervor, daß die i n der Entscheidungsliteratur wiedergegebenen Präjudizien eine „conformitas i n judicando" 5 bewirkten. 1
Vgl. oben 1. Kap., A., II., 3. Z. B. Georg Melchior von Ludolf, der i m V o r w o r t zu seinem Sammelwerk: Symphorema consultationum et decisionum forensium Vol. I als Rechtswissenschaftler zur rechtlichen Bedeutung seiner gesammelten Präjudizien für die Praxis ausführlich Stellung nahm. 8 Vgl. Gribner, Selectorum opusculörum I V , Sectio I I : de observantiis S. 51/52; Schmid, De rationum decidendi utilitate et effectibus S. 28; Pütter , Beyträge, S. 221. 4 Mathiowitz, De fundamento, S. 13; Martini , De praejudiciis, S. 21 u n d S. 79—82: Der Unterrichter sei aus „necessitas" gehalten, die Entscheidungen der Obergerichte als „norma seu regula" zu beachten, solange das Obergerichtpräjudiz nicht „contra jus" streitet. Martini , S. 79 ff. leitete die „necessitas" aus der besseren juristischen Qualifikation u n d der höheren gesellschaftlichen Provenienz der i m Obergericht tätigen Richter ab. 5 Vgl. Cramer, Weitere Gedanken, S. 127 u n d 144. Ä h n l i c h schon Wolf , De eo quod j u s t u m est, S. 24, der eine wesentliche A u s w i r k u n g der Präjudizien i n einer sicheren u n d konstanten Rechtsprechung sah. 2
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ng der Präjudizien im Ancien Régime
Nach Ansicht der Rechtswissenschaft hatte die Neigung der Rechtspraxis, Präjudizien vorzulegen oder anzuführen, den Hintergrund, die Gerichte über das anzuwendende Recht zu informieren 8 , die eigene rechtliche Argumentation abzusichern 7 und/oder einfach sich die Tatsache zunutze zu machen, daß die Gerichte sich durch den Nachweis, derselbe Fall sei bereits früher einmal so entschieden worden, i n der anstehenden Entscheidungsfindung beeinflussen ließen 8 . Der zuletzt genannte Gesichtspunkt soll überhaupt der Grund für die Anlegung der so mannigfachen Präjudiziensammlungen gewesen sein 9 und hatte nach Auffassung der zeitgenössischen Jurisprudenz erhebliche Mißstände i m Umgang m i t Präjudizien verursacht 10 , zu denen man namentlich die Kritiklosigkeit, die vorschnelle Bereitschaft zur Befolgung des Präjudizes und die damit verbundene Präjudiziengläubigkeit zählte. Ungeachtet der bestehenden Mißbräuche stimmte die Rechtswissenschaft des Ancien Régime dennoch einmütig i n der Auffassung überein, daß Unbeständigkeit und Wechselhaftigkeit bei der Urteilsfindung ebenso schädlich und daher zu vermeiden wären wie die kritisierte Präjudiziengläubigkeit, und folgerte daraus, daß von Rechtsauffassungen insbesondere höchster Gerichte des Reiches oder der Partikularstaaten nicht leichtfertig abgewichen werden dürfe 11 . Infolgedessen erkannte man durchaus eine „vis praejudiciorum" an, hob jedoch gleichzeitig hervor, daß deren K r a f t ungewiß und unbeständig sei 12 , und verwies zur Erläuterung auf schwankende und widersprüchliche Präjudizien 1 8 . I I . Bedeutung der „glossa ordinaria" und „communis opinio" als Elemente der Rechtsfortbildung und Rechtsergänzung
M i t dieser allgemeinen Beschreibung der Eigenart der Präjudizien war jedoch noch nichts gesagt über die rechtlichen Wirkungen. Damit stellte sich erst die Frage nach der Verbindlichkeit des Präjudizes i n bezug auf den künftigen gleichgelagerten Fall, auf die die Rechtswissenschaft des Ancien Régime eine A n t w o r t finden mußte, nachdem über• Wolf, ebd., S. 7. Pütter, Beyträge, S. 221. 8 Wolf, ebd. S. 7; Martini, De praejudiciis, S. 18; Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 236. 9 Martini, S. 18. 10 Mathiowitz, S, 8; Deckherr, Vindiciae Tit. I I : de Jure Camerali, S. 28; Martini, S. 82/83. 11 Vgl. Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 8 3 1 ; Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 21; Martini, De praejudiciis, S. 7/8 u n d 21. 12 Mathiowitz, De fundamento, S. 9; Pütter / Stock, De iure et officio, S. 203. 13 M i t u n t e r sind zu diesem Zweck bewußt konträre Präjudizien gegenübergestellt worden. 7
A. Ausgangslage und allgemeine Orientierung
45
lieferte Lösungen, die sich auf die Autorität der „glossa ordinaria" und der „communis opinio doctorum" (herrschende Lehre) der Konsiliatoren und ihrer deutschen Epigonen stützten, i n der Rechtspraxis keine befriedigenden Ergebnisse mehr erzielt hatten und daher als Instrumente der Rechtsergänzung und Rechtsfortbildung i m Zeitalter des „Usus modernus pandectarum" ausgeschieden waren. Die herrschende Lehre konnte nur solange für die Praxis hinreichende Rechtserkenntnisquelle sein, wie die Lehraussagen eine uneingeschränkte Autorität ausstrahlten. Dieses Ausmaß an autoritativer Verbindlichkeit errang ursprünglich die „glossa ordinaria" des Accursius als das maßgebliche Erläuterungswerk zum Corpus Iuris, das die Wissenschaft und die Praxis zwang, sich m i t der Glosse als ein m i t besonderer Autorität ausgestattetes Argument auseinanderzusetzen, ohne jedoch eine absolute Verbindlichkeit zu erlangen 14 . Daneben trat später als weitere Erkenntnisquelle des gemeinen Rechts die „communis opinio doctorum" 1 5 , von der abzuweichen nur ausnahmsweise unter Berufung auf zweifelsfrei bessere Gründe ratsam war 1 8 . Weil der Richter für die Richtigkeit seiner Entscheidung persönlich einzustehen hatte und i n einem Syndikatsprozeß zur Verantwortung gezogen werden konnte, war er faktisch zur strengen Beachtung der „communis opinio" angehalten 17 . Denn i n jenem Prozeß entschied über die Richtigkeit der von i h m getroffenen Entscheidung wiederum die „communis opinio"! I n Wirklichkeit übte daher die herrschende Lehre eine „kryptolegislatorische Tätigkeit" aus und hatte die Bedeutung einer Rechtsquelle 18 . I n Deutschland hatten die „glossa ordinaria" und die „communis opinio doctorum" i m Zuge der Rezeption des römischen Rechtes zunächst den erheblichen Einfluß fortsetzen können 19 . Eine ins Uferlose angewachsene Menge an herrschenden Lehren, die Vielzahl der sich widersprechenden „communes opiniones doctorum" sowie praktische Schwierigkeiten, die einschlägige „communis opinio" aus der Unzahl der 14 Vgl. Engelmann, Wiedergeburt, S. 189ff., insbesondere S. 192 ff.; Horn, Die legistische L i t e r a t u r (Handbuch I), S. 261 f. Z u den genauen K r i t e r i e n der „communis opinio doctorum" vgl. Dolezalek, H R G I I , Stichwort: Herrschende Lehre (communis opinio), Sp. 113/114. 15 Vgl. Engelmann, S. 215 ff. Eine Variante der „communis opinio" bedeuteten die Entscheidungen der Rota; dieses Gericht w a r m i t den qualifiziertesten u n d angesehensten Rechtsgelehrten besetzt, was zur Folge hatte, daß Mindermeinungen zur herrschende Lehre erstarkten, w e n n die Rota ihnen beitrat; vgl. Dolezalek / Nörr, Rechtsprechungssammlungen / Rota (Handbuch I), S. 851/852 sowie Nörr, Rota Romana, S. 197 ff. 16 Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 36/37; Engelmann, S. 220 f ü r das 15./16. Jahrhundert. 17 Ausführlich Engelmann, S. 228 ff. 18 Vgl. Wesenberg, S. 36 f.; Dolezalek, Sp. 114. 19 Vgl. Engelmann, Wiedergeburt, S. 1 ff.
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ng der Präjudizien im Ancien Régime
Meinungen herauszufinden, beeinflußten jedoch i n der Folgezeit maßgeblich eine Entwicklung 2 0 , die bereits zu Beginn des Ancien Régime einen Zustand erreicht hatte, daß die herrschende Lehre — insbesondere für die Gerichtspraxis des Reichskammergerichts — keine irgendwie geartete Verbindlichkeit mehr ausstrahlte 21 . Da die Gesetzgebung des Reiches die durch den Niedergang der „communis opinio doctorum" entstandene Lücke i m Rechtssatzbestand vor allem i m 16. Jahrhundert nicht durch eigene Rechtssetzungsakte zu schließen vermochte 22 , stellte sich nunmehr die Frage nach einem geeigneten Surrogat i m Hinblick auf die notwendige Rechtsfortbildung und Rechtsergänzung. I I I . Präjudizien des Reichskammergerichts als Träger der Rechtsfortbildung und Rechtsergänzung und als Ersatz der „communis opinio"
Ohne die Unterstützung der Gesetzgebung w a r die Praxis sich selbst überlassen gewesen, ordnend einzugreifen und aus dem immensen Bestand der vertretenen, vielfach widersprüchlichen Lehrmeinungen diejenigen Rechtsansichten auszuwählen, die den zeitgemäßen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden versprachen. Die Lösung des Auswahl- und Ordnungsproblems i n Anbetracht der unüberschaubaren Meinungsvielfalt übernahmen die Präjudizien des Reichskammergerichts. Dieser Vorgang hatte zunächst lediglich eine gerichtsinterne Dimension, indem einige Richter am Reichskammergericht insgeheim dazu übergingen, Entscheidungen ihres Spruchkörpers i n schwierigen, zweifelhaften oder strittigen Fällen zum persönlichen, privaten Gebrauch aufzuzeichnen, u m i n künftigen gleichgelagerten Fällen darauf zurückgreifen zu können und danach Recht zu sprechen 23 . Diese Absichten 20 Bemerkenswerterweise vermochten ähnlich w i e i n der römischen Rechtsgeschichte die amtliche Autorisierung ausgewählter Juristen (ius publice respondendi) oder die zahlenmäßige Begrenzung der zitierfähigen Juristen dieser Entwicklung nicht Einhalt zu gebieten; vgl. Engelbrecht, I n t e r theor i a m et hodiernum praxin, S. 8 ff. u n d 22 ff. Z u r allgemeinen E n t w i c k l u n g der herrschenden Lehre vgl. noch Stryk, Usus modernus pandectarum I , S. 66; Rheden, De praejudicio, S. 56; Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 26/27. Nach Wolf führte der Nachweis der Übereinstimmung m i t der herrschenden Lehre n u r noch dazu, daß das damit begründete Klageziel als billigenswert anzusehen w a r u n d i m Unterliegensfalle i n aller Regel die Auferlegung der Kostenlast verhinderte. 21 Vgl. Mynsinger, Singularium observationum I, praefatio. 22 Vgl. die vielfachen Klagen über die Rechtsungewißheit angesichts des geringen Bestandes „sicherer" Gesetze, z.B. Mynsinger, ebd.; Christianaeus, Decisiones I, epistola dedicatoria. Z u r Bedeutung der fehlenden Aufzeichnung des Gewohnheitsrechts durch die Reichsgesetzgebung vgl. Wesenberg, P r i v a t rechtsgeschichte, S. 80. 23 Vgl. z. B. Mynsinger, Singularium observationum I, praefatio; Meichsner,
A. Ausgangslage und allgemeine Orientierung
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spricht bereits Mynsinger, der i m Jahre 1563 als erster eine Zusammenstellung der reichskammergerichtlichen Präjudizien veröffentlichte, ganz offen aus 24 : „Ego quoque, . i n Ordinem Assessorum cooptatus, I u r i dicundo per sept e n n i u m continuum interfuissem, sententias quasdam i n eo amplissimo Collegio, eo tempore prolatas, quae m i h i ad resecandas commentatorum opiniones conducere, magis que memoratu dignae videbantur, annotare solebam: eo certe consilio, u t si quando i n aliis causis eaedem quaestiones i n hac miser a b i l i controversi Iuris perturbatione inciderent, explosis I n t e r p r e t u m opinationibus scirem, quid pro iure servandum esset, ac pronunciandum".
Derartige private Aufzeichnungen der vom Spruchkörper des Reichskammergerichts gebilligten und beachteten Rechtsansichten und Lehrmeinungen fanden bei den Richterkollegen sofort ein außerordentlich positives Echo. Nach Angaben von Mynsinger, Meichsner, Gail und Christinaeus 25 hatten die Richterkollegen wiederholt und m i t Nachdruck darauf gedrängt, die privaten Aufzeichnungen der Rechtsprechung zu veröffentlichen, und zwar m i t dem ausdrücklichen Hinweis auf den öffentlichen Nutzen 26 , insbesondere für die Untergerichte und Advokaten. Soweit die Verfasser selbst zunächst noch wegen der befürchteten gesetzesähnlichen Auswirkung einer solchen Veröffentlichung oder wegen der Geheimhaltungsbestimmungen 27 Bedenken hatten, hinterging man diese rigoros, indem man Fragmente der privaten Rechtsprechungsaufzeichnungen unter der Hand verbreitete und so die wahren Verfasser i m Hinblick auf die Veröffentlichung i n Zugzwang setzte 28 . Diese Umstände führten vorwiegend i n der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts i n kurzen zeitlichen Abständen zu einer Reihe von Präjudizienpublikationen des Reichskammergerichts 29 , die sofort i n ganz Decisiones, epistola dedicatoria; Gail, Decisiones epistola dedicatoria; Christinaeus, Decisiones I, epistola dedicatoria. 24 Mynsinger, ebd. 25 Jeweils i n ihren Vorworten. 26 Vgl. oben 1. Kap., A., II., 1. 27 Vgl. oben 1. Kap., A., I., 1. 28 Hierüber beschwerten sich insbesondere Gail, Decisiones, epistola dedicatoria u n d Christianaeus, Decisiones I, epistola dedicatoria, wobei die Sorge vor unvollständiger oder entstellender Veröffentlichung der Aufzeichnungen durch nichtautorisierte D r i t t e die maßgebliche Rolle spielte. Andererseits sah m a n sich aber auch u m die Früchte der M ü h e n u n d u m die Urheberschaft geprellt. Den Bedenken gegen eine Veröffentlichung der Präjudizien wegen der gesetzesähnlichen W i r k u n g trägt Gylmann, Symphorema, epistola dedicatoria, Rechnung durch die ausdrückliche Feststellung, die v o n i h m v e r öffentlichten Entscheidungen seien kein Recht, u n d durch die Rechtfertigung, sein Sammelwerk habe für den Kaiser als Gesetzgeber den großen Nutzen, die Praxis m i t ihren kontroversen Auffassungen kennenzulernen, u m von der Gesetzgebungsprärogative möglichst w i r k s a m u n d gerecht Gebrauch machen zu können. 29 Mynsinger (1563); Seiler (1572); Gail (1578); Gylmann (1601); Meichsner (1603).
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ng der Präjudizien im Ancien Régime
Deutschland eine sehr große Bedeutung gewannen 80 . Insofern trugen die zunächst privaten, später veröffentlichten Aufzeichnungen der Rechtsprechung des Reichskammergerichts entsprechend den Absichten der Autoren und Herausgeber i n hohem Maße zur Beseitigung offenbarer Unstimmigkeiten der Rechtsauffassungen und zur Rechtsbereinigung durch Ordnung der divergierenden Lehrmeinungen bei und machten die Präjudizien als Erkenntnisquelle bei der Rechtsfortbildung und Rechtsergänzung zu einem befriedigenden Surrogat für die sich i n desolatem Zustand befindliche „communis opinio doctorum". Besonders deutlich trat diese Funktion der Präjudizien des Reichskammergerichts zutage i n den reinen Sentenzsammlungen, die sich auf die rechtssatzartige Wiedergabe des Präjudizes beschränkten und dadurch i n gewissem Umfang durchaus einen echten Ersatz der fehlenden Rechtsnormen darzustellen vermochten 81 . Die Frage nach dem Grad der Verbindlichkeit dieser Präjudizien stand zunächst nicht i m Raum. Jedenfalls beschränkten sich die Autoren und Herausgeber von Präjudizien des Reichskammergerichts darauf, den Nutzen und Wert ihrer Sammlungen als Rat und Belehrung für die Rechtspraxis „ i n schwebenden oder künftigen rechtlichen Sachen" 32 hervorzuheben. Die Verbindlichkeit der Präjudizien i n bezug auf den künftigen gleichgelagerten Fall war offenbar kein rechtliches, sondern ein autoritätsbezogenes Problem, bei dem neben der Plausibilität der Begründung Herkunft und persönliches Ansehen des Verfassers und Herausgebers sowie des erkennenden Gerichts die wichtigsten Faktoren darstellten. I V . Rechtsquellen und Interpretationsgrundsätze des Ancien Régime — Sonderformen präjudizieller Wirkungen
A r t und Umfang der Bindungswirkung von Präjudizien konnten vielmehr erst ein rechtsdogmatisches Problem darstellen, als es darum ging, den Stellenwert der Präjudizien i m Verhältnis zu anderen Rechtsbildungsfaktoren und den Standort der Präjudizien i n der Methodenlehre zu bestimmen. Solange man die Klärung dieser Fragen nicht i n Angriff nahm, mußte angesichts der täglichen Erfahrungen der präjudiziellen Wirkungen ein praxisnaher Standpunkt vorherrschend bleiben. 30 S. o. 1. Kap., A., I I . 2. Z u m Einfluß des Reichskammergerichts auf die Rezeption vgl. Diestelkamp, Reichskammergericht, S. 468 ff. u n d S. 473/474 m i t ausgewogener Bewertung. 31 Vgl. Seiler, Cammergerichts Bei unnd end u r t h a i l m i t Sentenzbeleg von 1495—1570. 32 Vgl. Seiler, Ausserlesener Ausszug u n n d E x t r a c t ; ähnlich Meichsner, Decisiones, epistola dedicatoria.
A. Ausgangslage und allgemeine Orientierung
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1. Die Rechtsquellentheorie I m Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist weniger die üblicherweise m i t der Rechtsquellentheorie des Ancien Régime verbundene Problematik 3 3 von Interesse, auf welche Weise der römische Rechtsquellenbestand i n Deutschland zu geltendem Recht erstarkt ist, und i n welchem Verhältnis deutsche Rechtsquellen zum gemeinen Recht standen, sondern die allgemeinere, theoretische Frage, wie Recht überhaupt entsteht. Denn nur die Vorstellung über das Wesen der Rechtsentstehung berührt zugleich die Frage, ob Präjudizien i m Verhältnis zu den anerkannten Rechtsquellen legitime Rechtsbildungsfaktoren darstellen, und welcher Grad an Verbindlichkeit ihnen zukommt. Die Rechtsquellenlehre des Ancien Régime i m so verstandenen Sinn stützte sich unmittelbar auf die vorzugsweise i n D. 1, 3 unter dem Titel „de legibus senatusque consultis et longa consuetudine" niedergelegte Theorie, wonach „ l e x " und „consuetudo" die ausschließlichen, prinzipiell gleichwertigen Quellen des Rechts bildeten 3 4 . Dabei verstand man unter dem Begriff „ l e x " sowohl die jeweilige Vorschrift des justinianischen Corpus Iuris als auch jede sonstige geschriebene Norm eines deutschen Gesetzgebers, beispielsweise eine schriftlich niedergelegte Reichsoder territoriale Rechtsvorschrift. Die „ l e x " w a r gewissermaßen der I n begriff staatlicher Rechtssetzungsakte 35 , gleichgültig, ob auf gemeinrechtlichen oder deutschrechtlichen Ursprung zurückführbar. Formal betrachtet hatten „ l e x " und „consuetudo" ihre i m Corpus Iuris niedergelegte Geltungskraft i m Ancien Régime nicht eingebüßt, wonach das Gesetz die Gewohnheit und umgekehrt die Gewohnheit auch das Gesetz aufheben konnte 3 6 . Die theoretische Gleichstellung von „ l e x " und „consuetudo" unterlief man jedoch uner dem Einfluß des Absolutismus i m Ancien Régime m i t einem Kunstgriff. Danach konnte eine Übung i m Volk oder sonstwo die K r a f t der „consuetudo" nur unter der Voraussetzung erlangen, daß zumindest der „tacitus consensus legislatoris" vorlag 3 7 . Die Ursachen für diese gewohnheitsrechtsfeindliche 33
Vgl. dazu Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 81 ff. u n d S. 107 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 205 ff. 34 VgL Stryk, Usus modernus pandectarum I, S. 53 ff. u n d 64 ff. 36 Vgl. Krause, H R G I , Stichwort: Gesetzgebung, Sp. 1617. 36 So Stryk, S. 64/65. 37 Vgl. Stryk, Usus modernus pandectarum I , S. 64 ff. I m römischen Recht w a r der „tacitus consensus populi" der Geltungsgrund der „consuetudo". Da die Geltung der „ l e x " ebenfalls letzten Endes durch das V o l k legitimiert gewesen sein soll, sah m a n i m V o l k den „legislator", der entweder ausdrücklich durch die „ l e x " oder stillschweigend durch die „consuetudo" seinen W i l len verbindlich äußerte. Unter Berufung auf D. 1,3,32 leitete Stryk, S. 65 f ü r den „usus modernus pandectarum" den allgemeinen Rechtssatz ab: „Cujus expresso suffragio feruntur leges, illius tacito consensu i n d u c i t u r consuetudo." 4 Weller
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Haltung 3 8 hängen m i t dem Gesetzesverständnis der damaligen Zeit zusammen, auf das weiter unten noch einzugehen sein wird, wenn es gilt, den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Präjudizientheorie des A n cien Régime zu erhellen 89 . I m Rahmen der hier interessierenden Fragestellung nach der rechtlichen Verbindlichkeit der Präjudizien genügt die Feststellung, daß die Rechtswissenschaft des Ancien Régime grundsätzlich der römischen Rechtsquellenlehre folgte und ausschließlich „ l e x " und „consuetudo" als legitime Rechtsbildungsfaktoren anerkannte, wobei die Abhängigkeit von der stillschweigenden Übereinstimmung des Herrschers letzten Endes zwar die „consuetudo" als der Gesetzgebung gleichwertigen Rechtsbildungsfaktor ausschaltete, immerhin aber der „consuetudo" eine wenigstens theoretische Existenz als selbständige Rechtsquelle nicht versagte. Die weitere Untersuchung w i r d zeigen, inwiefern „ l e x " und „consuetudo" als legitime Rechtsquellen die Beantwortung der Frage nach der Verbindlichkeit von Präjudizien beeinflußt haben. 2. Der Standort der Präjudizien in der Auslegungsmethode nach dem Verständnis der Rechtswissenschaft des Ancien Régime Die Klärung der Rechtsquellenfrage zog sofort ein weiteres Problem nach sich, nämlich wie die i n „ l e x " oder „consuetudo" enthaltenen Rechtssätze ihre Umsetzung i n die Rechtspraxis erfahren sollten. Die strikte, funktionale Unterscheidung zwischen Rechtsschöpfung, die allein dem „legislator" vorbehalten war, und Rechtsanwendung durch den Richter hatte sich i n der Rechtswissenschaft einhellig durchgesetzt 40 und beeinflußte maßgeblich A r t und Umfang der praktischen Interpretation 4 1 insofern, als die Auslegung i m Bereich der Rechtsfortbildung nicht die Ergebnisse der Rechtsquellentheorie i n Frage stellen durfte. Der Sitz der „potestas legislatoria" beim absoluten Regenten stand außer Frage u n d bedingte m i t jener Begründung den „tacitus consensus" des H e r r schers. Gelegentlich sprach m a n sogar v o n einer „ l e x tacita", vgl. Mathiowitz, De fundamento, S. 10. 38 Vgl. Krause, H R G I, Stichwort: Gesetzgebimg, Sp. 1617. 39 Vgl. unten 2. Kap., C. 40 Vgl. E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 593 f.; Gribner, Selectorum opuscul o r u m I V , Sectio I I : de observantiis, S. 83 f.; Engelbrecht, I n t e r theoriam et hodiernum praxin, S. 30 f., dessen Ausführungen jedoch erkennen lassen, daß die Praxis die scharfe Trennung nicht i m m e r i n dem v o n i h m f ü r richtig gehaltenen Maß nachvollzog. 41 M a n unterschied zwischen der „interpretatio practica" u n d der „ i n t e r pretatio theoretica" bzw. „doctrinalis". Letztere w a r anerkanntermaßen überhaupt nicht bindend u n d sollte eine gewisse Bedeutung n u r i n mittelbarer F o r m durch ihre etwaige Überzeugungskraft erlangen können, vgL Pütter / Stock, De iure et officio, S. 190 ff.
A. Ausgangslage und allgemeine Orientierung
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Die praktische Interpretation vollzog sich i n den Formen der authentischen, usualen oder forensischen Auslegung 42 . Eine umfassende theoretische Durchbildung erlangte die authentische Interpretation, die der Richter i n bestimmten Fällen durch Anfrage beim Gesetzgeber einzuholen hatte. Ihre theoretische Grundlage hatte die authentische Interpretation sowohl i n der Willenstheorie, die die Anfrage m i t dem Argument rechtfertigte, bei zweifelhafter Ausdrucksweise des Gesetzes müsse der Gesetzgeber selbst doch am besten wissen, was er m i t dem Gesetz habe zum Ausdruck bringen wollen, als auch i n der Gewaltentrennungstheorie, die die Lösung von Zweifeln über den Inhalt eines Gesetzes nicht mehr der Rechtsanwendung, sondern der Rechtsschöpfung zurechnete und aus diesem Grunde dem richterlichen Wirkungskreis entzog 43 . Als A k t e staatlicher Gesetzgebung waren die Ergebnisse der authentischen Interpretation i n künftigen gleichgelagerten Fällen selbstverständlich verbindlich und standen dem Gesetz vollkommen gleich 44 . Seine Kompetenz zur authentischen Interpretation konnte der Gesetzgeber nach allgemeiner Meinung auf andere Institutionen übertragen, die an seiner Stelle autoritativ Zweifel über den Inhalt von Gesetzen zu klären hatten. Neben den Fällen der Gesetzeskommissionen 45 ist vor allem die Übertragung der Befugnis zur authentischen Interpretation auf das Reichskammergericht hervorzuheben, dessen Plenarentscheidungen „provisorisch", d. h., solange der Reichsgesetzgeber oder i n seiner Vertretung die Visitationskommissionen nicht abweichend eingriffen, die Wirkung einer bindenden Rechtsnorm besaßen46. Diese rechtlich bindende Wirkung der Präjudizien des Reichskammergerichtsplenums beruhte auf dem Gedanken der obrigkeitlichen Delegation der Rechtssetzungsgewalt, wobei das Gericht insoweit als organisatorisches Organ der Jurisdiktion funktionelle Aufgaben der Legislative wahrnahm. Die enge Verknüpfung der präjudiziellen Rechtsfortbildung und -ergänzung m i t der „ l e x " war hier der tiefere Grund für die Verbindlichkeit der Plenarpräjudizien und kam i n der Bezeichnung der provisorischen 42
Vgl. hierzu Pütter / Stock, S. 188 ff. Vgl. Lukas, V o m W i l l e n des Gesetzgebers, S. 405ff.; Spiegel, Référé législatif, S. 100. 44 Vgl. z.B. Struben, Nebenstunden I I I , S.77; Pütter/Stock, De iure et officio, S. 193/194 u. S. 203. 45 VgL z. B. § 47, Einleitung A L R : „Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteien zu benennen, seine Zweifel der Gesetzeskommission anzeigen, u n d auf deren Beurtheilung antragen." § 48 Einleitung A L R : „Der anfragende Richter ist zwar schuldig, den Beschluß der Gesetzeskommission bei seinem folgenden Erkenntnisse i n dieser Sache zum Grunde zu legen; den Parteien bleiben aber die gewöhnlichen Rechtsmittel dagegen unbenommen" (Zitate nach Koch, A L R 1,1, S. 67 ff., F N 63 a). 49 Vgl. Pütter / Stock, S. 209; Haus, Rechtlicher Werth, S. 75/76 u n d S. 102. 43
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(interimistischen) Gesetzgebungskompetenz 47 , die durch besondere reichsrechtliche Gesetze ausdrücklich übertragen worden sei, plastisch zum Ausdruck. Ihre Eigenart als authentische Interpretation begrenzte gleichzeitig den sachlichen Umfang der provisorischen Gesetzgebungskompetenz auf die Ergänzung unvollständiger prozeßrechtlicher oder materiellrechtlicher Vorschriften, was die eigenmächtige Schaffung völlig neuer Gesetze außerhalb eines Zusammenhangs zu bestehenden gesetzlichen Normen ebenso ausschloß wie Rechtssetzungen „contra leges" 48 . Allerdings hatte sich das Reichskammergericht vor allem i m 17. Jahrhundert nicht allzu streng an die sachlichen Grenzen seiner Gesetzgebungsbefugnis gebunden gefühlt. Zahlreiche Beschwerden von Vertretern der Reichsgesetzgebungsorgane, das Plenum des Reichskammergerichts habe sich eine „facultatem nomotheticam seu legislatoriam" angemaßt, machen deutlich 49 , daß der Begriff „provisorische Gesetzgebungskompetenz" eher i m untechnischen Sinn zu verstehen war und eigentlich nicht mehr als die Befugnis zur authentischen Interpretation der zweifelhaften Gesetze durch das Gericht selbst umschreiben sollte. M i t h i n war die Verknüpfung der Plenarpräjudizien m i t der Rechtsquelle „ l e x " mehr konstruktiver als normativer Natur, immerhin nach Auffassung der Rechtswissenschaft des Ancien Régime ausreichend stark, u m ihnen eine rechtlich verbindliche W i r k u n g i n künftigen gleichgelagerten Fällen beizumessen. Eine vergleichbare Aufwertung wie die Plenarentscheidungen des Reichskammergerichts durch die juristisch-konstruktive Verbindung zur „ l e x " erfuhr die Usualinterpretation durch die andere legitime Rechtsquelle „consuetudo". Hierunter verstand man eine sich i n wiederholt gleichförmigen Gerichtsentscheidungen niedergeschlagene Gesetzesauslegung, die durch den ausdrücklichen oder stillschweigenden Konsens des Gesetzgebers 50 die K r a f t einer „consuetudo" erlangt hatte und deshalb i n künftigen gleichgelagerten Fällen eine rechtlich verbindliche Wirkung erzeugte. Die formale Begründung für diese W i r k u n g war die 47 Deckherr, Vindiciae T i t . I I : de I u r e Camerali S. 30 ff.; Martini, De praejudiciis, S. 21 f.; Haus, Rechtlicher Werth, S. 101 ff.; Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 186 ff.; Pütter, Beyträge, S. 223. Als gesetzliche Grundlagen der provisorischen Gesetzgebungskompetenz zitierte man: K G O von 1500 T i t . 23, K G O von 1555 Th. I I T i t . 36, Reichsabschied von 1570 § 77 ( = Konzept K G O von 1613), Jüngster Reichsabschied von 1654 § 136 u n d Visitationsabschied von 1713 § 84. 48 Vgl. Haus, Rechtlicher Werth, S. 101 u n d S. 108ff.; Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 195/196. 49 Vgl. Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 196/197 u n d S. 201. Die Schwierigkeiten bei der systematischen Einordnung der betreffenden Vorschriften weisen j e doch auch darauf hin, daß die Bezeichnungen „provisorische Gesetzgebungskompetenz" etc. eher eine spätere theoretische Interpretation wiedergeben, die m i t dem ursprünglichen Zweck der betreffenden Vorschriften nicht unbedingt zu vereinbaren sind; vgl. unten 2. Kap., D., F N 3. 50 Vgl. oben.
A. Ausgangslage und allgemeine Orientierung
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konstruktive Beziehung zur Rechtsquelle „consuetudo". Da diese jedoch der Zustimmung des „legislator" bedurfte, war der eigentliche Grund für die verbindliche Wirkung die obrigkeitliche Bestätigung 51 des i n den Präjudizien aufgestellten Rechtssatzes. A u f diese Weise rückte die Usualinterpretation i n die Nähe der authentischen Auslegung und stellte lediglich einen Unterfall dar 5 2 , weil die betreffende Auslegung nicht originär durch die Obrigkeit erfolgte, sondern lediglich von i h r autorisiert war. Sowohl die Beauftragung bestimmter Gerichte m i t der authentischen Interpretation als auch die Usualinterpretation durch die Gerichte stellten Sonderfälle dar, die den Präjudizien der betreffenden Gerichte auf Grund ihrer engeren Beziehung zu den von der Rechtswissenschaft des Ancien Régime ausschließlich anerkannten Rechtsquellen „ l e x " und „consuetudo" eine besondere Qualität gaben und ihnen rechtliche Bindungskraft (vis legis) verliehen. Hierdurch unterscheiden sie sich von den normalen, i n Präjudizien festgehaltenen Ergebnissen richterlicher Auslegung. Welche Folgerungen die Rechtswissenschaft des Ancien Régime aus diesem Unterschied gezogen hat i m Hinblick auf die rechtliche Wirkung jener Präjudizien, w i r d i m zweiten Abschnitt auszuführen sein. Bei aller Bedeutung der authentischen Interpretation unter Einschluß ihrer Variante der usualen Auslegung wäre jedoch die Unterschätzung des verbleibenden Spielraums richterlicher Auslegung verfehlt. Dem soll m i t den folgenden kurzen Anmerkungen vorgebeugt werden, die den Bereich selbständiger, richterlicher Auslegungstätigkeit umreißen und gleichzeitig das Wirkungsfeld gewöhnlicher forensischer Präjudizien abstecken. Abgesehen von dem hier nicht interessierenden Bereich der Auslegung von Verträgen, Willenserklärungen etc. blieb auch die Gesetzesinterpretation i n nicht unbedeutendem Umfang Gegenstand richterlicher Tätigkeit. Die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung ergaben sich aus Sinn und Zweck der authentischen Gesetzesinterpretation, wonach der Gesetzgeber nämlich noch am besten wisse, was er m i t dem Inhalt eines zweifelhaften Gesetzes habe ausdrücken wollen 5 3 . Da der Inhalt eines Gesetzes erst als zweifelhaft betrachtet wurde, wenn die Auslegung auch bei Personen umstritten war, die der „potestas" des 51 Vgl. Martini, De praejudiciis, S. 18—20; Haus, Rechtlicher Werth, S. 54 u n d 84 ff.; Pütter, Beyträge, S. 225/226; Stryk, Usus modernus pandectarum I , S. 71/72. I m Gegensatz zur ausdrücklichen Bestätigung durch die amtliche Veröffentlichung u n d Verbreitung der betreffenden Gerichtsentscheidung behalf m a n sich bei der stillschweigenden, obrigkeitlichen Bestätigung m i t der Hypothese, die Obrigkeit w ü r d e sich schon zu W o r t melden, wenn i h r das betreffende Präjudiz nicht paßte; vgl. Haus, S. 84 ff. 52 Mathiowitz, De fundamento, S. 12; Pütter / Stock, De iure et officio, S. 190. 53 Vgl. oben 2. Kap., A., IV., 2.
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Richters nicht unterworfen waren (z. B. andere Gerichte, Gesetzgebungsorgane), erforderten bloße Streitigkeiten der Parteien untereinander über den Inhalt eines Gesetzes keine authentische Interpretation 6 4 . Außerdem war sie immer dann nicht am Platz, wenn von vornherein feststand, daß die Anfrage beim Gesetzgeber keine qualitativ bessere Auslegung vermitteln konnte, w e i l er etwa nicht mehr existent war, oder w e i l auch i h m keine besseren Erkenntnisquellen zur Verfügung standen als dem Gericht 55 . Dies betraf den gesamten Komplex des gemeinen Rechts 56 ; damit war der bis zum Aufkommen der Kodifikationen bedeutendste Teil gesetzlicher Normen der Interpretation durch den Richter vorbehalten. Ferner umfaßte bis zur Kodifikationswelle die „potestas judicatoria" die Ergänzung von Lücken i m Gesetz oder Recht, sofern diese angesichts i n Wortlaut und Sinn eindeutiger Gesetze offenbar waren 5 7 . Hier hatte die Gesetzesergänzung durch den Richter mittels extensiver oder restriktiver Gesetzesinterpretation unter Beachtung der Billigkeit zu erfolgen, die Rechtsergänzung (quando ius plane deficit) war allein nach der Billigkeit vorzunehmen 58 . I n Anbetracht der aufgezählten Ausnahmen vom Erfordernis des référé beim Gesetzgeber zwecks authentischer Interpretation blieb ein nicht unbedeutendes Terrain der selbständigen Gesetzesauslegung durch den Richter vorbehalten, i n dem Präjudizien auf die Entscheidung des gleichen oder ähnlich gelagerten Falls Einfluß auszuüben vermochten. B. Die Präjudizientheorie des Ancien Régime I . Dogmatische Grundlegung
Die Sonderformen, i n denen die Rechtswissenschaft des Ancien Régime die bindenden Wirkungen gerichtlicher Präjudizien als legitim anerkannte, deuten bereits die inhaltliche und dogmatische Struktur der Präjudizientheorie i n bezug auf die praktisch-forensische Interpretation an. Die rezipierte römische Rechtsquellentheorie kannte eine selbständige Rechtsquelle des sog. Gerichtsgebrauchs (usus fori) neben den Quellen „ l e x " und „consuetudo" nicht. Infolgedessen hing die Beantwortung der Frage nach einer etwaigen bindenden W i r k u n g des Gerichtsgebrauchs ausschließlich davon ab, i n welchem Verhältnis der „usus fori" zu den anerkannten Rechtsquellen „ l e x " und „consuetudo" stand. Da eine engere Beziehung gerichtlicher Präjudizien zur Rechts54 65 59 57 58
Vgl. Pütter / Stock, De iure et officio, S. 198 ff. Vgl. Struben, Nebenstunden I I I , S. 75 f. Martini, De praejudiciis, S. 75/76. Vgl. ausführlich Martini, S. 39 ff. Vgl. Martini, De praejudiciis, S. 70/71.
B. Präjudizientheorie des Ancien Régime
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quelle „ l e x " aus der Natur der Sache fernlag, konzentrierte sich das Problem auf die Fragestellung, ob der „usus fori" eine Unterart der „consuetudo" darstellte. Ein Schwerpunkt der sich daran anschließenden wissenschaftlichen Erörterungen i m Ancien Régime lag zwar eindeutig i n der Auslegung der einschlägigen, römisch-rechtlichen Vorschriften 1 , jedoch haben dabei auch sonstige Vorschriften oder Traditionen Berücksichtigung gefunden. Dies w i r d i m folgenden detailliert darzulegen sein. 1. Der Einfluß der römischen Rechtsvorschriften I m Zusammenhang m i t der Frage nach der Stellung des Gerichtsgebrauchs zu den Rechtsquellen führte die genauere Durchsicht der römisch-rechtlichen Bestimmungen nahezu zwangsläufig zu der Feststellung, daß die i n Betracht zu ziehenden Vorschriften des Corpus Iuris 2 keine einheitliche Aussage enthielten. I m Vordergrund stand der Widerspruch 3 zwischen der Anordnung Justinians i n Cod. Iust. 7, 45,13, jeder Richter habe allein nach den Gesetzen, der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu entscheiden und dürfe sich an Urteile selbst höchster Gerichte nicht gebunden fühlen, wenn er sie für falsch halte, einerseits und der Anerkennung einer gesetzesgleichen „auctoritas rerumperpetuo similiter iudicatarum" i n D. 1, 3, 38 andererseits 4 . I n den Mittelpunkt der Untersuchungen zum Problem, den Gerichtsgebrauch i n das System der gemeinrechtlichen Quellen einzuordnen, rückte daher die Lösung der Divergenz zwischen Cod. Iust. 7, 45,13 und D. 1, 3, 38. Ein systemimmanenter Ansatz zur K r i t i k der Vorschrift des Fragments D. 1, 3, 38 ist damals 5 nicht unternommen worden. Demnach gingen die wissenschaftlichen Untersuchungen i m Ancien Régime von der prinzipiell äquivalenten Geltung aller römisch-rechtlicher Vorschriften untereinander aus, wobei sich die Gleichwertigkeit allerdings lediglich auf den rezipierten Teil der römischen Rechtsvorschriften bezog, nämlich auf das gemeine Recht (ius commune). Da nur die glossierten Vorschriften des Corpus Iuris rezipiert waren 6 , wäre der Widerspruch ohne weiteres aus der 1
Vgl. oben 1. Kap., B., II., 2. Vgl. oben 1. Kap., B., II., 2. 8 Vgl. oben 1. Kap., B., II., 2, F N 66. 4 Vgl. z. B. E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 597—599, der den Widerspruch sehr deutlich herausgearbeitet hat. 5 Eine so grundsätzliche K r i t i k erfolgte vielmehr erst i n diesem J a h r h u n dert; vgl. z. B. Allen, L a w i n the making, S. 161/162. Noch die umfassende Untersuchung zur dogmengeschichtlichen Grundlegung des Gewohnheitsrechtes von Siegfried Brie, Die Lehre v o m Gewohnheitsrecht, 1. Theil, 1899, S. 52 fï. geht als selbstverständlich von der uneingeschränkten Geltung des Fragments D. 1, 3,38 aus u n d sieht i m Gerichtsgebrauch nach den römischen Rechtsvorschriften eine Unterart des Gewohnheitsrechts (S. 58). 6 „ Q u i d q u i d non adgnoscit glossa, non adgnoscit curia", vgl. dazu Wesen2
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Welt geschafft gewesen, wenn eine der betreffenden Vorschriften nicht von der Glosse kommentiert worden wäre. Dies w a r jedoch nicht der Fall 7 , so daß die Auffassungen der Glossatoren und Konsiliatoren allenfalls einen Anhaltspunkt für die Lösung der Divergenz hätten abgeben können. Obwohl die Glosse und die Konsiliatoren dem Richter i n enger Anlehnung an Cod. Iust. 7, 45,13 strikt untersagten, nach Präjudizien selbst oberster Gerichte zu urteilen 8 , spielte diese Einstellung bemerkenswerterweise i n den betreffenden wissenschaftlichen Untersuchungen des Ancien Régime weder i n der einen noch i n der anderen Richtung eine Rolle 9 . Vermutlich scheuten sich die hierfür allein i n Betracht zu ziehenden Vertreter der Ansicht, Präjudizien seien völlig unverbindlich, auf Glosse und „communis opinio" zur Grundlegung ihrer Theorie der Präjudizien zurückzugreifen, w e i l man jene doch gerade erst für völlig überholt und unverbindlich erklärt hatte 10 . Da die Anwendung des Lehrsatzes „Quidquid non adgnoscit glossa, non adgnoscit curia" die Lösung des Widerspruchs zwischen Cod. Iust. 7, 45,13 und D. 1, 3, 38 i n keinerlei Weise zu fördern geeignet war, mußte man andere Wege finden. Diese eröffneten sich leichter, als die zunächst maßgebliche Vorstellung von der Übertragung des römischen Rechts „lege latum i n complexu" widerlegt war zugunsten einer Rezeptionsvorstellung, wonach die Geltung jedes einzelnen römischen Rechtssatzes i n Deutschland durch eine entsprechende gewohnheitsrechtliche Übung nachgewiesen werden mußte (usu sensim receptum) 11 . Die Theorie von der Geltung des römischen Rechts i n Deutschland „ i n complexu" beruhte auf einer angeblich von Lothar angeordneten „translatio imberg, Privatrechtsgeschichte, S. 81 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 133/ 134. 7 Vgl. Brie, Gewohnheitsrecht I , S. 109/110; Engelmann, Wiedergeburt, S. 82. 8 Z u Cod. Iust. 7,45,13 bemerkt die Glosse (Zitate nach Engelmann, Wiedergeburt, S. 74): „ A n judex secundum, quod alius judicavit, i n consimili casu sententiam proferre debeat sequendo talem sententiam? Resp. quod non, etiam si esset lata a praefecto praetorio v e l ab alio magistratu, sed secundum, quod sibi videtur, sequendo leges et j u s t i t i a m judicare debet." Ebenso k o m mentiert Baldus de Ubaldis: „Nota, quod judex non debet sequi sententias, nisi i n se habent rationem, et tune non sequitur eas, quia sit hoc v e l i l l o modo judicatum, sed quia jus ita v u l t . " und ähnlich Salicetus: „Secus si juris f u n damentum habeant, quia tunc sequendae sunt et non u t sententiae, sed quia jus sie disponit." 9 D a m i t soll jedoch nicht zum Ausdruck gebracht werden, daß die A u f fassungen der Glossatoren u n d Konsiliatoren gänzlich unberücksichtigt geblieben sind. Z u r Bekräftigung einer einzelnen Aussage hinsichtlich der Bedeutung der Präjudizien rekurrierte m a n durchaus auch auf solche F u n d stellen (z. B. bei Martini, De praejudieiis, S. 20 ff. passim) ; die Übernahme der Theorie der Glosse u n d der Konsiliatoren i n einem größeren Zusammenhang w i r d jedoch vermieden. 10 Siehe oben 2. Kap., A., I I . 11 Z u den Rezeptionstheorien vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 140 f. und S. 205 ff.; Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 81 f. u n d S. 107 f.
B. Präjudizientheorie des Ancien Régime
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perii" des römischen auf das mittelalterliche deutsche Kaiserreich und ist erstmals von Hermann Coming 12 als Legende entlarvt worden. Wenn auch eine später hinzutretende, vermittelnde Meinung der glossierten römischen Rechtsvorschrift eine „fundata intentio" 1 8 zusprach, so führte dennoch das gewandelte Rezeptionsverständnis zu einem flexibeleren Umgang m i t den römischen Quellen 14 , da der umfangreiche Rechtsstoff eine zwanglosere Berücksichtigung zeitgemäßer und partikulärer Gepflogenheiten gestattete, indem etwaige entgegenstehende römische Rechtsbestimmungen entweder als nicht rezipiert oder als derogiert galten. Diese Entwicklung spiegelte sich bei der i n diese Epoche fallenden Entstehung der Präjudizientheorie i n der Weise wieder, daß sich die dogmatische Ableitung der Präjudizientheorie aus den römischen Quellen auf ein bloßes Auswahlproblem zwischen den alternativen Vorschriften Cod. Iust. 7,45,13 und D. 1, 3, 38 reduzierte. Zwangsläufig waren für die Lösung dieses Problems andere, nicht unmittelbar auf den römischen Rechtsbestimmungen beruhende Kriterien ausschlaggebend. Die Erkenntnis jenes Zusammenhanges klingt i n den wissenschaftlichen Untersuchungen des Ancien Régime zur Bedeutung gerichtlicher Präjudizien durch, wenn die Autoren gelegentlich auf die mangelnde Einschlägigkeit der römischen Quellen hinwiesen 16 . A m deutlichsten hob dies E. Pufendorf hervor, der einerseits die sich widersprechenden Bestimmungen Cod. Iust. 7,45,13 und D. 1, 3, 38 einander gegenüberstellte und andererseits begründete, weshalb sonstige i n Betracht zu ziehende römische Quellen über die Bedeutung des Gerichtsgebrauchs als Rechtsquelle nichts besagten 16 . Das gemeine Recht war m i t h i n keine dogmatische Grundlage für die Präjudizientheorie des Ancien Régime. 2. Sonstige rechtsdogmatische Einflüsse Ein wichtiger Einfluß auf die rechtsquellenmäßige Einordnung des Gerichtsgebrauchs mußte demgegenüber von den Inhalten der Gesetzgebung des Ancien Régime auf die entstehende Präjudizientheorie ausgehen. Dafür spricht schon die besondere Stellung des Gesetzgebers i m Rahmen der authentischen und usualen Interpretation 1 7 . 12
De origine j u r i s Germanici (1643). Vgl. Wieacker, ebd., S. 208. 14 Vgl. Wieacker, ebd., S. 207. 15 Vgl. Leyser, Meditationes X I I , caput I I § 7, S. 19/20; Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 80ff.; E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 596 ff. 18 E. Pufendorf, S. 59$—599 passim unter Berücksichtigung von D. 1,3, 34; 37 u n d 39. 17 Vgl. oben 2. Kap., A., IV., 2. 13
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n g der Präjudizien i m Ancien Régime
A u f d e m G e b i e t d e r Reichsgesetzgebung z i t i e r t e n d i e wissenschaftl i c h e n E r ö r t e r u n g e n 1 8 des A n c i e n R é g i m e dieselben V o r s c h r i f t e n , die g l e i c h z e i t i g d i e Ü b e r t r a g u n g d e r p r o v i s o r i s c h e n Gesetzgebungskompetenz, d. h. d i e B e f u g n i s z u r a u t h e n t i s c h e n G e s e t z e s i n t e r p r e t a t i o n d u r c h das R e i c h s k a m m e r g e r i c h t s p l e n u m l e g i t i m i e r t h a b e n sollen. Insbesondere h a n d e l t e es sich u m d i e f o l g e n d e n B e s t i m m u n g e n , d e n e n m a n offenbar eine gewisse A u s s t r a h l u n g auch a u f d i e W i r k u n g e n g e w ö h n l i c h e r , gerichtlicher Präjudizien beimaß: — Speyrer Reichsabschied von 1570 §77 19: „ D a m i t aber aller Veränderung u n d Ungleichheit künftiglich vorkommen werden möge, ordnen u n d befehlen w i r . . z u vorab i n Sachen fractae p a c i s . . . , u n d dergleichen, so täglich fürkommen, zusammentragen sollen, darnach i n pleno Senatu referieren, darauf sich das Collegium eines einhelligen Brauchs u n d alten S t y l i i n F u n d i r u n g unsers Cammergerichts Jurisdiktion, . . . vergleichen: . . . " — Regensburger Reichsabschied von 1654 § 13620: So v i e l aber d i e . . . Contrarietäten u n d praejudicia cameralia anbelanget, welche sich theils auf die Advocaten u n d Sachenwalter nicht u n b i l l i g ziehen lassen, sollen die Assessores solche gegen einander laufende praejudicia i n alle Weg v e r hüten helfen, u n d da sich dergleichen F ä l l begeben würden, fürderlichst i n Pleno sich eines gewissen vereinbaren." — Visitationsabschied von 1713 § 8421: „Es ist gleichfalls darüber geklagt w o r den, daß nicht allein viele gegeneinander streitende praejudicia sich bey dem Gericht hervor gethan, sondern auch so gar einige, welche der Ordnung u n d Reichsgesezen zu wieder, eingefolget werden. Solchem Mißbrauch n u n abzuhelfen, w i r d . . . anbefohlen, dergleichen i n alle Wege zu verhüten, u n d da sich solche Fälle begeben würden, förderlich i n pleno sich eines gewissen Schlusses zu vereinbaren, bevorab dahin zu sehen, d&ß keine den Reichsazungen offenbar zuwieder eingeschlichene praejudicia bey V e r fassung der Bescheid u n d Urtheile weiters gebraucht, oder k ü n f t i g h i n angenommen, nicht weniger i n gleichen Fällen gleiches Recht u n d P r o c e ß . . . erkennet werden." A u s d e m B e r e i c h d e r p a r t i k u l ä r e n Gesetzgebung s i n d d i e f o l g e n d e n B e s t i m m u n g e n anzuführen, die i n den wissenschaftlichen Erörterungen des A n c i e n R é g i m e z u r r e c h t s q u e l l e n m ä ß i g e n G r u n d l e g u n g des G e richtsgebrauchs w i e d e r h o l t a u f t a u c h t e n 2 2 : — Sächsische Konstitution von 1661 23: „So ordnen u n d setzen w i r hiermit, befehlende, daß k e i n Collegium J u r i d i c u m Macht haben solle i n den P u n k 18 Z. B. Martini, De praejudiciis, S. 21; Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 21 f.; Mathiowitz, De fundamento, S. 14. 19 Z i t a t nach Gerstlacher, Corp. Iur. I V , S. 182f.; ähnlich auch Konzept der K G O Th. I. T i t . 16 § 5, vgl. Gerstlacher, ebd. 20 Z i t a t nach Gerstlacher, S. 231. 21 Z i t a t nach Gerstlacher, S. 231/232. 22 Vgl. Leyser, Meditationes X I I , caput I I §7 S. 20/21; Gribner, Selectorum opusculorum I, Sectio V : de praejudicio S. 174/175 Fn. e; ders., Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantüs, S. 81/82; E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 594 f. u n d 599; Struben, Nebenstunden I V , S. 503—505.
B. Präjudizientheorie des Ancien Régime
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ten, welche nicht m i t deutlichen Worten i n Constitutionibus, Landes- Gerichts- u n d Policey-Ordnungen exprimiret, sondern per consequentias u n d Folgereyen daraus gezogen werden wollen, v o r sich ohn unser Vorwissen, wieder das andre Collegium ex interpretatione einige Observanz zu machen, sondern es sollen uns dergleichen Casus d u b i i jedesmahl aus denen hinc inde angezogenen rationibus I u r i s eingesendet u n d m i t Z u ziehung der getreuen Landschaft dieselben decidiret werden." — Königlich-Sächsisches Reskript von 1712 24: „ W i e w i r aber dergleichen eigenmächtige Interpretation der Landes-Gesetze zu verstatten keineswegs gemeinet / u n d daß es bißhero geschehen / u m so v i e l mißfälliger empfinden / d a . . . vermöge des § 49. der neuen Erledigung tit. v o n Justitien-Sachen die observantien aus dieser oder jener angemaßten E r k l ä h r u n g der Constitutionen / Landes-Gerichts- u n d Policey-Ordnungen deutlich untersaget worden." — Churfürstl. Braunschweig-Lüneburgische Ober- Appellations- Gerichts-Ordnung 25: „ W a n n auch wahrgenommen, daß h i n u n d wieder i n denen Gerichten der schädliche Mißbrauch eingerissen, daß m a n i n judicando zu v i e l auf Opiniones doctorum siehet, u n d dabey fast w e n i g u m Textus juris, Leges oder deren Rationes u n d Argumenta sich bekümmert, durch solche auf dergleichen Opiniones sich gründende Dijudicaturen viele irrige Principia i n die Gerichte einschleichen, u n d als Praejudicia, j a gleichsam als ordentliche Rechts-Reguln eingeführet w e r d e n , . . . , so finden w i r nöthig, solchen Mißbrauch bey unserm Ober-Appellations-Gericht zuvor zu kommen. Wollen also, daß gedachtes Unser Ober-AppellationsGericht i n judicando an die Opiniones Doctorum überall sich nicht kehren solle, es haben denn solche Doctores entweder klare Leges u n d Constitutiones, oder auch solche triftige Rationes, die sie m i t klaren aus denen Rechten u n d Gesetzen genommenen Argumentis behaupten können, v o r sich allegiret." M i t welchem Ergebnis die wiedergegebenen Gesetzesbestimmungen a u f d i e L ö s u n g d e r D i v e r g e n z z w i s c h e n Cod. I u s t . 7 , 4 5 , 1 3 u n d D . 1, 3, 38 e i n g e w i r k t u n d E i n g a n g i n d i e P r ä j u d i z i e n t h e o r i e des A n c i e n R é g i m e g e f u n d e n haben, w i r d d i e D a r s t e l l u n g d e r T h e o r i e i m f o l g e n d e n U n t e r a b s c h n i t t erweisen. Weitere bei einer E n t w i c k l u n g einer Präjudizientheorie zu erwägende E i n w i r k u n g s f a k t o r e n t a u c h t e n z w a r h i n u n d w i e d e r i n d e n wissenschaftl i c h e n E r ö r t e r u n g e n des A n c i e n R é g i m e auf, b l i e b e n j e d o c h l e t z t e n Endes ohne E i n f l u ß . Dies g i l t besonders f ü r d i e gemeindeutsche T r a d i t i o n , d e r e n unzulässiges, i r r a t i o n a l e s F o r t w i r k e n g e l e g e n t l i c h als U r sache d e r e r h e b l i c h e n p r a k t i s c h e n P r ä j u d i z i e n b e d e u t u n g i m A n c i e n R é g i m e e m p f u n d e n w u r d e 2 6 . D i e germanische V o r s t e l l u n g v o m Recht als 28
i n Resol. Gravam. § 49, zitiert nach Leyser, S. 20/21. Z i t i e r t nach Gribner, Selectorum opusculorum I , Sectio V : de praejudicio S. 174/175 Fn. e. 26 I n Pars I I , T i t . 12, zitiert nach Struben, Nebenstunden I V , S. 503—505. Übereinstimmend auch Churfürstl. Braunschweig-Lüneburgisches JustizReglement v o n 1718 § 16; vgl. Struben, ebd., S. 505. 26 Vgl. Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 50 f.; Haus, Rechtlicher Werth, S. 16 ff. 24
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unwandelbarer Ordnung, das i n den gerichtlichen Urteilen erst zum Ausdruck kommt, war offenbar schon völlig ausgemerzt und konnte daher auf die Präjudizientheorie des Ancien Régime i n keiner Weise einwirken. Z u ähnlicher Bedeutungslosigkeit war die prätorische Rechtsfortbildung verurteilt, die wegen der Staats- und verfassungsrechtlichen Unterschiede i m Ancien Régime keine Anwendung finden sollte 27 . Schließlich führte man die Bindungswirkung der Präjudizien der Rota 28 auf die unbedingten päpstlichen Gesetze und die „auctoritas Cleri" 2 9 zurück und bezeichnete eine Parallele zur weltlichen Rechtsprechung als unzulässig 80 . I I . Der Inhalt der Präjudizientheorie
Die Aussagen der Rechtswissenschaft zu rechtlicher Bedeutung, Stellenwert und Verbindlichkeit von Präjudizien waren während der Dauer des Ancien Régime nicht ganz einheitlich, wenn auch über den wesentlichen K e r n der Präjudizientheorie Konsens bestand. Generell betrachtet läßt sich bei den Verfassern und Herausgebern von Entscheidungssammlungen, namentlich i n den Vorworten, eine Tendenz zu einer etwas positiveren Einstellung gegenüber einem legitimen Wirkungsfeld gerichtlicher Präjudizien feststellen als bei den Autoren wissenschaftlicher Abhandlungen über Präjudizien. Eine Reihe von Verfassern und Herausgebern kasuistischer Sammelwerke trug lediglich reklamehafte Anpreisungen vor, die vorwiegend an das Ansehen des Spruchkörpers anknüpften, dessen Spruchpraxis die veröffentlichten Entscheidungen entnommen waren. Anmerkungen über Rechtscharakter und Verbindlichkeit von Präjudizien fehlten demgegenüber völlig. Solche wissenschaftlich weitgehend unreflektierte Stellungnahmen lassen sich i n nach 1700 veröffentlichten Kasuistiksammlungen kaum mehr finden. Die Beispiele fallen also alle i n den Zeitraum, i n 27 Vgl. vor allem Stryk, Usus modernus pandectarum I, S. 46ff.; Haus, Rechtlicher Werth, S. 16 ff. Meist wies m a n darauf hin, daß die auf eine aristokratisch-demokratische Staatsform zugeschnittene prätorische Ediktsj u r i s d i k t i o n auf eine absolutistische Staatsverfassung der Territorialstaaten nicht übertragbar wäre. F ü r das Reich w a r das prätorische E d i k t i m übrigen ohnehin obsolet, w e i l das Corpus I u r i s unterschiedslos Ergebnisse prätorischer Rechtsbüdungen u n d „Ius civüe" gleichermaßen aufnahm u n d dadurch die lebendige Fortbildung durch das Edikt, das ohnehin schon seit Hadrian festgeschrieben war, auch formal als I n s t i t u t der Rechtsbildung ausschaltete; vgl. Stryk, a.a.O. Z u m prätorischen E d i k t allgemein vgl. oben 1. Kap., B., II., 1. 28 Vgl. Dolezalek, H R G I I , Stichwort: Herrschende Lehre (Communis opinio), Sp. 115 m. N. 20 Vgl. Rheden, De praejudicio, S. 57. 30 So Rheden, ebd.; Gribner, Selectorum Opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 80; Haus, S. 16 ff.
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dem die Präjudizien gewisse Funktionen zur Ordnung und Bereinigung des Rechts als Ersatz für Glosse und „communis opinio" ausübten 81 . Z u nennen sind die Werke von Raphael Seiler 82 (1572), Johann Meichsner 13 (1603) oder Johann Fichard 34 (1677). Der größere Teil der Verfasser und Herausgeber von Entscheidungsliteratur streifte über die allgemeine Anpreisung des Werkes hinaus zumindest kurz die Frage der Rechtsnatur und Wirkung des Gerichtsgebrauchs. Die Auffassung, Präjudizien wären strikt i n künftigen gleichgelagerten Fällen verbindlich, vertrat jedenfalls i n den Vorworten oder Widmungen niemand. Vereinzelt fand sich diese Rechtsansicht jedoch i n publizierten Entscheidungen, ohne daß aus diesem Umstand allerdings m i t Sicherheit auf eine dementsprechende persönliche Rechtsauffassung des Herausgebers zu schließen wäre. Denn die i n den Sammelwerken wiedergegebenen Entscheidungen standen mitunter i n Widerspruch zueinander, was darauf hindeutet, daß sich der Herausgeber nicht unbedingt persönlich den Inhalt der von i h m aufgegriffenen Entscheidung zu eigen gemacht hatte. So hob beispielsweise ein von Schilter gesammeltes Responsum die Verbindlichkeit von Präjudizien hervor 8 5 : „Judicata enim i n supremis j u d i c i i s . . . praejudicium adferunt i n causis similibus, et i n judicando spectanda et observanda sunt, . . . maxime, si de dispensandi jure et potestate quaeritur,"
während ein anderes i m selben Band veröffentlichtes Responsum unter wörtlicher Wiedergabe von Cod. Iust. 7,45,13 eine völlig entgegengesetzte Theorie enthielt 8 6 : „Belangend ( . . . ) angezogenes praejudicium i n Sachen... ist bekandt, daß i n Krafft so w o h l gemeiner Recht / als dieser Stadt alten A r t i c u l s die praejudicia u n d Bescheid keine Gesetz i n anderen Fällen machen / noch i m Urthelsprechen einige reflexion darauff zu nehmen seye: Quemadmodum enim praejudicia non m u t a n t jus scriptum: i t a nec reverendi et summi audit o r i j Spirensis decisiones v i m legum h a b e n t . . . Sed sana ratio exemplis anteponenda: ... praesertim, si legibus repugnent, v e l cum iis non conveniant."
Einige Herausgeber 87 von judiziellem Spruchmaterial maßen Präjudizien vor allem dann eine rechtliche bindende K r a f t bei, wenn die U r 31
Vgl. oben 2. Kap., A., I I I . Cammergericht Bei u n n d end urthail, Ausserlesener Extract 33 Decisiones, epistola dedicatoria. 34 Consilia, praefatio (Johann Strauch). 35 Schilter, Consilia I I I , Responsum 38, Sp. 183. 39 Schilter, Responsum 226, Sp. 1868. 37 Christinaeus, Decisiones I, epistola dedicatoria; Inclytae dicae Tubingensis, Einleitung. 32
Ausszug
unnd
facultatis
juri-
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teilssprüche i n irgendeiner Form obrigkeitliche Bestätigung gefunden hatten, ohne allerdings eindeutig zu klären, welche rechtliche Bedeutung gewöhnlichen, gerichtlichen Präjudizien i m Hinblick auf den künftigen gleichgelagerten Fall zukommen sollte 38 . Dennoch besteht an der i m Grunde positiven Einschätzung der Präjudizien kaum Zweifel. Soweit die Verfasser und Herausgeber von Kasuistiksammlungen sich konkreter auf den Rechtscharakter des Gerichtsgebrauchs einließen, lehnten sie eine starre Verbindlichkeit der Präjudizien i n künftigen gleichgelagerten Fällen ab: wenn ein i n der Entscheidungssammlung enthaltenes passendes Präjudiz vorläge, dann müßten seine Gründe überzeugen, u m i h m zu folgen. Die neuere und bessere Erkenntnis gestatte und rechtfertige jederzeit die Änderung oder Aufgabe des i m Präjudiz enthaltenen Rechtssatzes39: „Quantacumque etiam sit r e r u m judicatarum auctoritas, n u m q u a m tarnen est tanta exemplorum singularium, quae praejudicia vocantur, u t rationes vincant meliores, faciuntque i n alüs, specie externa similibus, tempore statuque r e r u m publica diversis, judicandi regulam 4 0 ."
Diese Auffassung sah Ludolf 1 bestätigt i n der Praxis des Reichskammergerichts, da gerade die von i h m ausgewählten, veröffentlichten Rechtsfälle bewiesen, daß die Beisitzer von den i n Präjudizien ihrer Vorgänger aufgestellten Rechtssätzen immer erst nach reiflicher Überlegung i m Einzelfall abgewichen wären. Daher würde auch das Reichskammergericht seine Präjudizien als bindend betrachten, solange keine besseren Gründe vorlägen. Die Autoren wissenschaftlich-theoretischer Schriften gelangten zu weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen. I m Mittelpunkt der Erörterungen über die Rechtsnatur des Gerichtsgebrauchs stand die Frage, ob Präjudizien der „vis legis" teilhaftig wären. I m Ergebnis war man sich allgemein einig, daß gerichtliche Präjudizien keine „vis legis" 42 , „vis j u r i s " 4 3 oder „auctoritas legis" 4 4 ausübten. Soweit m i t Präjudizien überhaupt eine K r a f t verbunden wäre, so wäre 88 Offenbar handelte es sich u m die oben bereits besprochene Sonderform präjudizieller W i r k u n g (vgl. oben 2. Kap., A., IV., 2.). 39 Vgl. Ludolf, Symphorema, praefatio; Böhmer, Proloquium §21; Mynsinger, Singularium observationum I , praefatio; Mevius, Decisiones, Pars V, decisio 282 (aus 1657). 40 Ludolf, Symphorema, praefatio. 41 Ludolf, „Sic etiam constaret publice, ab Antecessorum industria non recessisse Assessores modernos, defungi eos labore non l e v i et transitorio, sed cum meditatione matura et m á x i m e a r d u a . . . " 42 Leyser, Meditationes X I I , caput I I §7 S. 10—21; Rheden, De praejudicio S. 56; Haus, Rechtlicher Werth, S. 84. 43 Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I ; de observantiis S. 53. 44 Stryk, Usus modernus pandectarum I , S. 71.
. Präjudizientheorie des Ancien Régime eine legitime Wirkung allein der inneren Überzeugungskraft beizumessen 45 . Infolgedessen verlöre ein Präjudiz ohne weiteres gegenüber den besseren Gründen jegliche verbindliche Wirkung, auch wenn der i n i h m enthaltene Rechtssatz über noch solange Zeitdauer hinweg wiederholte Bestätigung gefunden hätte. Entscheidend w a r letzten Endes allein der Gesichtspunkt, daß das Präjudiz „ i n jure et aequitate fundata" war, d.h. m i t der „aequitas naturale" und den „rationes legis" konform ging 4 6 . Die Ubereinstimmung m i t Gesetz und Vernunft bedingte die dem Präjudiz gebührende „auctoritas" 4 7 . Rationabilität und Kongruenz der Entscheidung m i t dem Gesetz mußte also das Präjudiz vorweisen können, wenn i h m i m künftigen gleichgelagerten Fall zu folgen war. Die Vorstellung von der Befolgung des Präjudizes w a r unter diesen Umständen jedoch unpräzise und verwirrend. Da die Urteilspraxis durch die Gerichte nämlich als Anwendung des Rechts nach Maßgabe der Gesetze auf die Wirklichkeit aufgefaßt wurde, stand eigentlich nicht mehr die Verbindlichkeit des Präjudizes zur Debatte, sondern es ging u m die anläßlich der gleichen Rechtsfrage zu wiederholende Verifizierung eines m i t Hilfe der Gesetze und der Logik gewonnenen Interpretationsergebnisses, wobei die Bestätigung des früher gewonnenen Interpretationsergebnisses nur den A n schein einer bindenden Wirkung verursachte. Aus dieser Erkenntnis zogen die Autoren theoretisch-wissenschaftlicher Schriften rigorosere Konsequenzen als die Herausgeber und Verfasser der offiziösen Entscheidungsliteratur. Man setzte ohne weiteres die Auslegung durch die staatlichen Gerichte den Interpretationen privater Rechtsgelehrter i n bezug auf die rechtliche Bedeutung ausdrücklich gleich 48 . Wenn das Präjudiz als solches keine Verbindlichkeit ausübte, wie die einmütige A b lehnung der „vis legis" etc. zum Ausdruck brachte, hatte die Rechtswissenschaft zugleich die Rechtsquellenfrage entschieden. Präjudizien waren eben kein ungeschriebenes Recht 49 und hatten infolgedessen auch keine gesetzesderogierende Kraft 5 0 . Damit stand die Lösung des Widerspruchs zwischen Cod. Iust. 7,45,13 und D. 1, 3, 38 fest. Den für die dogmatische Grundlegung der Präjudi45 Vgl. Gribner, I , Sectio V : de praejudicio S. 174 F N e; ders., I V , Sectio I I : de observantiis, S. 54. 49 Martini, De praejudiciis, S. 25; Deckherr, Vindiciae T i t . I I : de Jure Camerali, S. 32; Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 11 ff. 47 Vgl. Engelbrecht, Inter theoriam et hodiernum praxin, S. 30. 48 Vgl. Engelbrecht, S. 28 ff. 49 Vgl. Struben, Rechtliche Bedenken I V , 78. Bedenken S. 190/200; Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 234. 60 Leyser, Meditationes X I I , caput I I § 21, S. 34/35; Mathiowitz, De fundamento, S. 13; Engelbrecht, I n t e r theoriam et h o d i e m u m praxin, S. 28/29.
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zientheorie bestimmenden Ausschlag 51 gaben die D. 1, 3,38 entgegenstehenden partikulären — namentlich sächsischen — Gesetze, während man die reichsrechtlichen Vorschriften als Ausnahme von der Regel begriff und i n den damaligen wissenschaftlichen Erörterungen von der Beurteilung allgemeiner Präjudizien deutlich absetzte 52 . Die gegenüber den römischen Verhältnissen gewandelte Staatsform der absoluten Monarchie war ein weiterer häufig angeführter Grund 5 3 , der eine Rechtsbildung durch die Gerichte ohne unmittelbare Beteiligung des Gesetzgebers, d. h. des absoluten Potentaten, ausschließen sollte. Demgegenüber hatten andere Begründungen, wie z. B. eine unzulässige Rechtskrafterstreckung auf Dritte 5 4 oder eine unstatthafte vertragliche Bindung des künftig entscheidenden Richters durch das präjudizierende Gericht 55 , allenfalls eine nebensächliche Rolle gespielt. I n diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, daß niemand gegen die „auctoritas rerum perpetuo similiter iudicatarum" m i t dem Hinweis argumentiert hatte, i n Anbetracht der Geheimhaltungsbestimmungen i n Reich und Partikularstaaten wäre die für ein Präjudiziensystem unerläßliche Wiedergabe der Originalentscheidungsgründe nicht sichergestellt. Diese Tatsache belegt u m so mehr, daß die Authentizität der offiziösen Judikatursammlungen außer Zweifel stand 56 . Methodisch erfolgte die Beseitigung des Widerspruchs durch Eliminierung von D. 1, 3, 38 aus dem Kreis der rezipierten römischen Rechtsquellen, indem man D. 1, 3, 38 entweder für schlechthin unanwendbar erklärte oder aber eine weniger am Wortlaut verhaftende teleologische Interpretation der Vorschrift befürwortete 57 . War D. 1, 3, 38 nicht „usu sensim receptum" 58 , kam Cod. Iust. 7,45,13 widerspruchsfrei zur A n wendung und konnte die formale, dogmatische Grundlage für die Präjudizientheorie i m gemeinen Recht gewähren. 51
Z u den „entscheidenden" Hintergründen vgl. unten 2. Kap., C. Z. B. bei Deckherr, Vindiciae T i t . I I : de Jure Camerali, S. 30 f.; Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 21 ff.; Mathiowitz, S. 1 3 1 ; Pütter / Stock, De iure et officio, S. 209. 53 Vgl. oben S. 58, insbesondere die i n F N 22 angeführten Verfasser sowie Haus, Rechtlicher Werth, S. 68 ff. Sehr überzeugend w a r der Hinweis auf den Wandel der Staatsform jedoch n i c h t Denn sicherlich vertrat Justini an, der i m m e r h i n auch f ü r D. 1,3,38 verantwortlich war, keinen geringeren H e r r schaftsanspruch als die absoluten Monarchen i n Deutschlands P a r t i k u l a r staaten zur Zeit des Ancien Régime. Z u m Herrschaftsanspruch Justinians siehe oben 1. Kap., B., II., 2. 54 Vgl. E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 595; Gerstlacher, S. 234. 55 Vgl. E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 596. 56 Vgl. oben 1. Kap., A „ II., 1 aE. 57 Vgl. oben S. 58, F N 22. Z. B. Leyser, Meditationes X I I , caput I I § 7, S. 20: „ . . . sed verba legis (scü. D. 1, 3,38) non captanda, ex veris principiis politicis potius e x p l i c a n d a . . . " . » Vgl. oben 2. Kap., B., I., 1. 52
. Präjudizientheorie des Ancien Régime Wenn auch i n der grundsätzlichen Frage, daß der Gerichtsgebrauch keine Rechtsquelle und nicht verbindlich war, allgemeine Übereinstimmung herrschte, so gingen die Meinungen darüber, welche Bedeutung Präjudizien i m Einzelfall haben können, i n der Rechtswissenschaft des Ancien Régime auseinander. Verschiedene Autoren erkannten eine wesentliche Aufgabe der Präjudizien darin, ein bestehendes Gewohnheitsrecht zu bezeugen und nachzuweisen 59 , wobei das Schwergewicht dieser Funktion bei dem Nachweis der Rezeption einer römischen Quelle bzw. der Durchsetzung einer konträren, einheimischen Gewohnheit lag 60 . Einige Autoren sahen i n dem Präjudiz eine Präsumtion für die Richtigkeit des i n i h m aufgestellten Rechtssatzes und darin auch die U r sache für die starke Neigung der Gerichte, i n ähnlichen Fällen i n gleicher Weise Recht zu sprechen 61 : „ . . . sed verba legis (seil. D. 1,3, 38) non captanda, ex veris prineipiis p o l i ticis potius explicanda h. e. de praesumtione veritatis et auetoritate aliqua, non tarnen tali, cui n u l l a fortior veritas et aequitas opponi possit, . . . " .
Daraus leitete man mitunter die Verpflichtung der Gerichte ab, ihren Präjudizien zu folgen, solange ein Widerspruch zu Gerechtigkeit und Gesetz nicht offenbar geworden wäre 6 2 . Eine ähnliche Ansicht vertrat Gribner 63, der wiederholt durch gleichlautende Aussprüche bestätigte Präjudizien als Orientierungshilfen oder Leitlinien bei der Entscheidungsfindung betrachtete. Die daraus resultierende Wirkungsweise der Präjudizien i m Rechtsalltag wurde mitunter anschaulich auch als „effectus consuetudinis" beschrieben 64 . Anderer Ansicht nach sollte diese Präsumtion erst eintreten, wenn i n der betreffenden Rechtsfrage Rechtsprechung und herrschende Lehre übereinstimmten 65 . Gegenüber der herrschenden Lehre gebührte allerdings dem Präjudiz der Vorrang 6 6 . Z u m Teil lehnte man demgegenüber jegliche Präsumtion für die Richtigkeit der entschiedenen Rechtsfrage radikal ab 67 . 59 Vgl. Leyser, Meditationes X I I , caput I I §21, S. 34/35; Mathiowitz, De fundamento, S. 10; Pütter, Beyträge, S. 221. 60 Landsberg, Geschichte I I I , 1 (Text), S. 54; Schneiders, De praejudieiis, S. 7/8. 81 Vgl. Leyser, §7, S. 20; ähnlich Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 236; a . A . Engelbrecht, I n t e r theoriam et hodiernum praxin, S. 28 ff. 62 Gerstlacher, S.234. 63 Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 85. 64 Martini, De praejudieiis, S. 7/8. 65 Vgl. Stryk, Usus modernus pandectarum I, S. 66/67, der i n diesem F a l l unter Berufung auf D. 1,3,34 der Rechtsprechung die K r a f t einer „consuetudo" zuspricht. 66 Vgl. Martini, S. 22/23. 87 Z. B. Engelbrecht, Inter theoriam et hodiernum praxin, S. 30.
5 Weller
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2. Kap.: Einordnung der Präjudizien im Ancien Régime
I n dem erklärten Bestreben, solchen Gefahren für eine geordnete Rechtspflege vorzubeugen, die m i t einem vorschnellen, leichtfertigen Wechsel der bei Gericht vertretenen Rechtsansichten verbunden wären 6 8 , entwickelte man verschiedene methodische Grundsätze für die praktische Handhabung und Selektion der Präjudizien aus der voluminösen Entscheidungsliteratur. M i t peinlicher Genauigkeit sollte man die Übereinstimmung m i t dem Präjudiz i n allen tatsächlichen Einzelheiten prüfen, bevor der i m Präjudiz aufgestellte Rechtssatz auf den zur Entscheidung anstehenden Rechtsfall übertragen werden durfte 6 9 . Dazu hatte man die Präjudizien i n der vollständigen Fassung heranzuziehen und durfte sich nicht auf die fragmentarische oder aus dem Zusammenhang gerissene Wiedergabe verlassen 70 . Die Übereinstimmung war schließlich i n allen wesentlichen Punkten zu begründen; das bloße Zitat eines Präjudizes reichte keineswegs aus 71 . Was die Auswahl der Präjudizien anbelangte, gab man dem Präjudiz aus geordneten und gemäßigten Zeiten den Vorzug vor dem aus bewegten Verhältnissen, dem jüngeren i n der Regel den Vorzug vor dem älteren Präjudiz. Generell waren die i n einer Kasuistiksammlung veröffentlichten Präjudizien den unveröffentlichten, archivierten Entscheidungen vorzuziehen, da jene der öffentlichen K r i t i k ausgesetzt waren und infolgedessen eine größere Gewähr für die Richtigkeit boten 72 . Die voranstehende Darstellung, welche Bedeutung Präjudizien i m Einzelfall zukommen konnte, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der eindeutige Schwerpunkt und die zentrale Aussage der Präjudizientheorie des Ancien Régime ihre Unverbindlichkeit und die daraus resultierende Verneinung des Rechtsquellencharakters betrafen. Diese Gewichtung spiegelt sich auch eindeutig i n der quantitativen Verteilung der betreffenden Erörterungen wieder. Demgegenüber erscheinen Stellungnahmen zur konkreten Bedeutung von Präjudizien als bloße „obiter dicta", die als systemfremde Zugeständnisse an die hohe praktische Bedeutung der Präjudizien gegenüber dem K e r n der Theorie nicht überbewertet werden dürfen. Der grundsätzliche Ausschluß der 68 Vgl. Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 84 f. 89 Damit w o l l t e m a n dem aus dem „ j u s naturale" abgeleiteten Gedanken Rechnung tragen, daß identische Lebenssachverhalte gleiche Rechtsfolgen auslösen, sah aber — offenbar w e i l die Praxis allzu „forsch" vorging — häufigen Anlaß für den mahnenden Hinweis, bereits die geringsten Abweichungen i m Tatsächlichen könnten erhebliche Änderungen i m Rechtlichen nach sich ziehen; vgl. z.B. Martini, S. 18; Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 8/9, Gerstlacher, Corp. Jur. I V , S. 232. 70 Vgl. Deckherr, Vindiciae Tit. I I : de Jure Camerali, S. 29. 71 Vgl. Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 8/9. 72 Vgl. Deckherr, S. 29/30 u n d 35 unter Berufung auf angelsächsische J u r i sten (Bacon).
C. Die Hintergründe
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Rechtsprechung von der Rechtsbildung war das übereinstimmende Ergebnis der Theorie des Ancien Régime und bewirkte zwangsläufig eine starke Tendenz zur Präjudizienfeindlichkeit, auch wenn dem Präjudiz i m Einzelfall einmal diese oder jene Bedeutung zuteil werden sollte. C. Die Hintergründe der präjudizienfeindlichen Theorie des Ancien Régime Ohne den Beitrag der partikulären Gesetzesbestimmungen schmälern zu wollen, die die Wissenschaft des Ancien Régime ihrer Theorie der Präjudizien und der Lösung des Widerspruchs zwischen Cod. Iust. 7, 45, 13 und D. 1, 3, 38 zugrunde gelegt hatte, erscheint das bisherige Ergebnis der Untersuchung über Inhalt und theoretische Grundlegung der Präjudizienlehre insofern unvollständig, als die geistesgeschichtlichen Hintergründe für jenen Gesetzesinhalt bisher unberücksichtigt geblieben sind. Die Aufdeckung der Hintergründe befreit die Präjudizientheorie von dem Anschein der Zufälligkeit der gesetzlichen Situation und verdeutlicht erst ihre Folgerichtigkeit und organische Entwicklung i m globalen, geistesgeschichtlichen Kontext. Drei wesentliche Einflußfaktoren waren dafür bestimmend: die Bemühung u m ein „Ius certum", das Gesetzesverständnis des Absolutismus und die systematischen Bestrebungen des Naturrechts. I . Das Problem der Rechtsungewißheit
Solange das römische Recht i n Deutschland „lege latum i n complexu" als alleiniges Gesetzesrecht galt und einheimisches Gewohnheitsrecht i m Rechtsleben weitgehendst zurückdrängte, bedeutete es i n Deutschland die Verkörperung eines „Ius certum" 1 . M i t dem Wandel der Rezeptionstheorie, die sodann zur Geltung jeder einzelnen römischen Rechtsvorschrift den gewohnheitsrechtlichen Rezeptionsnachweis erforderte, blieben als Konsequenz territorial unterschiedliche, gewohnheitsrechtliche Entwicklungen nicht aus und führten gemeinsam m i t der zu den jeweiligen römischen Rechtsvorschriften bestehenden Kontroversenvielfalt das gesamte römische Recht allmählich i n einen vielfach beklagten Zustand des „Ius incertum" 2 . Überlegungen und Versuche hat es verschiedentlich gegeben, das dadurch erneut entstandene Problem der Rechtsungewißheit zu lösen. Hierzu gehören sowohl überwiegend i m 16. Jahrhundert entwickelte, aus Mangel an geeigneten Kräften jedoch letztlich nicht verwirklichte Überlegungen, das gesamte Recht für Deutschland 1
Vgl. Stoelzel, Gelehrte Rechtsprechimg, Bd. 2, S. 805/806. Vgl. Stobbe, Rechtsquellen I 2. S. 138 ff.; Stoelzel, ebd., S. 806; Thieme, Naturrecht SZ Germ 56 (1936), 242. 2
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2. Kap.: Einordnung der Präjudizien im Ancien Régime
zu kodifizieren 3 , als auch die bereits weiter oben 4 geschilderten Bestrebungen, über die Präjudizien des Reichskammergerichts auf eine geordnetere und einheitlichere Entwicklung hinzuwirken und auf diese Weise zur Wiederherstellung eines „Ius certum" beizutragen. Diese Bestrebungen waren jedoch i m Ergebnis nicht erfolggekrönt, was vor allem auf schwerwiegende Mängel bei der Handhabung m i t Präjudizien zurückzuführen war. Inwieweit allein schon die ungeheure Menge an offiziös veröffentlichten Gerichtsentscheidungen zum Scheitern führen mußte, wie manche Rechtswissenschaftler des Ancien Régime unter Hinweis auf die Unüberschaubarkeit und Stoffülle der Entscheidungsliteratur hervorhoben 5 , mag dahinstehen. Einen entscheidenden Beitrag zum Scheitern der gehegten Absichten mußte jedoch der Umstand leisten, daß die gerichtlichen Präjudizien verschiedener lokaler Provenienz wahllos nicht nur ohne besondere Anordnung i n den Sammelwerken zusammengefaßt, sondern überdies vielfach m i t privaten zu Lehrzwecken gebildeten Rechtsfällen ohne deutlich erkennbare Unterscheidung i n demselben Sammelwerk vermischt worden waren, so daß man sogar präjudizielle Ausstrahlungen dieser privaten „Präjudizien" auf die Rechtsprechung des Reichskammergerichts glaubte beobachten zu können 6 . I n dieser Beziehung w i r k t e sich das Fehlen amtlicher Entscheidungssammlungen trotz der Authentizität der offiziösen Veröffentlichungen besonders negativ aus. Daneben erwies sich die Leichtfertigkeit der Praxis i n der Berufung auf Präjudizien als ein weiterer Mangel. Gerade diesen Gesichtspunkt griff die Rechtswissenschaft des Ancien Régime wiederholt m i t der Ermahnung an die Praktiker auf, die Unterschiede i m Tatsächlichen doch genauestens zu beachten, da bereits die geringfügigsten Abweichungen i m Tatsächlichen unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen könnten 7 . M i t diesem Hinweis verteidigte sich umgekehrt das Reichskammergericht gegen die wiederholt vorgetragenen Vorwürfe der Praxis, zu häufig seine Rechtsprechung zu wechseln und zu wenig die eigenen Präjudizien zu beachten, und wies deswegen die erhobenen Beschuldigungen als haltlos und unbegründet zurück 8 . Gelegentlich versuchte das Reichskammergricht sogar durch die Verhängung von Strafen, dem als unzulässig empfundenen, vorschnellen Anführen von Präjudizien entgegenzuwirken 9 . 3
Vgl. Stobbe, ebd., S. 141 m. w. N. i n F N 94. Siehe oben 1. Kap., A., II., 1 u n d 2. Kap., A., I I I . Z . B . Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 47 ff. • Vgl. Deckherr, Vindiciae Tit. I I : de Jure Camerali, S. 28. 7 Siehe oben S. 2. Kap., B., II., F N 69. 8 Vgl. Deckherr, S. 35 unter Wiedergabe der Stellungnahme des Reichskammergerichts zu § 11 A k t e n des Frankfurter Deputatenkonvents v o n 1643. 4
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C. Die Hintergründe
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I n Anbetracht der gescheiterten Bemühungen u m die Herstellung der Rechtssicherheit war der Gesetzgeber aufgefordert, für die Schaffung eines „Ius certum" seinerseits Sorge zu tragen. Die angetragene A u f gabe griffen die Gesetzgeber der Partikularstaaten u m so bereitwilliger auf, da sie sich günstig m i t dem Machtstreben der auf Lösung vom Einfluß des Kaisers bedachten Herrscher i n den Territorialstaaten vereinbaren ließ 10 . Erste Zeugnisse dieser Bemühungen u m die Beseitigung der Rechtsungewißheit waren die zahlreichen Landrechts- und Polizeiordnungen des 16. Jahrhunderts, die jedoch keineswegs eine Vollständigkeit i m Sinne einer Kodifikation anstrebten 11 . Aus diesem Grunde stellten die Herstellung und Erhaltung eines „Ius certum" für die Rechtswissenschaft des Ancien Régime trotz der partiellen Verbesserung weiterhin ein zentrales Problem dar. Dies belegen die häufig angebrachten Hinweise auf schwerste Gefahren für die geordnete Existenz des Staates, weil die Geltung eines Präjudizienrechts letzten Endes die Paralysierung der gesetzlichen Ordnung und damit die Rechtsungewißheit herbeiführen würde 1 2 . N u r ganz selten erkannte man i n den präjudiziellen Auswirkungen die Grundlage für eine sichere Rechtsprechung 13 und somit einen Beitrag zur Rechtssicherheit. Daher meinte man m i t dem Aufkommen der naturrechtlichen Gesamtkodifikationen i n zunehmendem Maße, das passende Heilmittel zur Bekämpfung der Rechtsungewißheit gefunden zu haben i n der uneingeschränkten Geltung der Gesetze und ihrer ausschließlich wörtlichen und am „ W i l l e n des Gesetzgebers" orientierten Interpretation, und lehnte deswegen jegliche präjudizielle Rechtsfortbildung als unzulässige Anmaßung der „potestas legislatoria" strikt ab 14 . Hier berühren sich die Bestrebung um Rechtsgewißheit und absolutistisches Gesetzesverständnis.
9 Vgl. U r t e i l v o m 10.11.1647, teilweise zitiert bei Deckherr, Vindiciae Tit. I I : de Jure Camerali, S. 34. 10 Vgl. Krause, H R G I, Stichwort: Gesetzgebung, Sp. 1616; Wesenberg, P r i vatrechtsgeschichte, S. 144. 11 Vgl. Krause, ebd.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 189 ff. passim. 12 Vgl. Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 47 ff.; Leyser, Meditationes X I I caput I I §7, S. 19/20; Engelbrecht, Inter theoriam et hodiernum praxin, S. 7/8. 13 Kreittmayr: Cod. Max. Bav. Civ., Th. I, Cap. I I § 14, S. 47 wies den Präjudizien der Obergerichte eine regelmäßig zu beachtende „vis interpretationis usualis" zu. Vgl. noch Wolf, De eo quod j u s t u m est, S. 24; Struben, Nebenstunden I V , S. 506—509, der Skepsis gegenüber den Bestrebungen äußerte, das Problem der Rechtsungewißheit durch den Entzug jeglicher F u n k t i o n der Präjudizien zu lösen. Ob Struben jedoch Präjudizien noch einen Raum einräumte innerhalb einer Gesamtkodifikation i m Sinne des Corpus I u r i s Fridericiani, bleibt allerdings zweifelhaft. 14 Vgl. Engelbrecht, Inter theoriam et hodiernum praxin, S. 7/8 und 29 ff.; Pütter / Stock, De iure et officio, S. 188; Mathiowitz, De fundamento, S. 10.
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2. Kap.: Einordnung der Präjudizien im Ancien Régime I I . Das Gesetzesverständnis des Ancien Régime
I m Verlauf der Epoche des Ancien Régime blieb die Gesetzgebungstheorie nicht völlig unverändert, sondern wandelte sich durchaus i n gewissem Umfang. Während noch i m 16. Jahrhundert die vernünftige Einsicht des Gesetzgebers die eigentliche rechtsschöpferische K r a f t darstellte, setzte die absolutistische Staatstheorie beginnend m i t dem 17. Jahrhundert den Willen des Herrschers als alleinige Quelle des Rechts durch 15 . Erst i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß des Naturrechts rückte die Zweckgebundenheit der auf den Herrscher übertragenen Macht i n den Vordergrund. Die Hoheitsrechte ( = Majestätsrechte = vis Superioritatis territorialis) 1 8 erhielt der Herrscher lediglich als M i t t e l zur Erreichung der Staatszwecke, nämlich der Sicherheit und Wohlfahrt der Gesamtheit und des Einzelnen 17 . Ganz überwiegend beherrschte also die Epoche des Ancien Régime eine Gesetzgebungstheorie, die i n der „voluntas" und Willensmacht des Herrschers den alleinigen Geltungsgrund für Recht und Gesetz erkannte 1 8 . Den K e r n dieser Theorie erläuterte Stryk 19 m i t den folgenden Worten: „Est enim voluntas principis anima legis positivae, ut hinc non ulterius, nisi qua princeps v u l t , obligandi v i m habere possit."
Dieses Rechtsquellenverständnis deckte sich inhaltlich weitgehend m i t dem römischen Staatsrecht des justianischen Absolutismus. Obwohl die betreffenden einschlägigen Vorschriften keinen unmittelbaren Einfluß auf die Entstehung des terrritorialen Absolutismus ausgeübt hatten 2 0 , w a r das justinianische römische Staatsrecht eine willkommene zusätzliche, dogmatische Stütze des beanspruchten Rechtsetzungsmonopols 21 . Besonders häufig zitierte man die Digestenstelle (D. 1,4, pr. und 1), wonach das römische Volk m i t der „lex regia" das Gesetzgebungsrecht auf den Kaiser übertragen haben soll: „Quod p r i n c i p i placuit, legis habet vigorem: utpote cum lege regia, quae de imperio lata est, populo ei et i n eum omne suum i m p e r i u m et potestatem conférât." 15
Vgl. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, S. 199 ff. Vgl. Krause, H R G I, Stichwort: Gesetzgebung, Sp. 1617 unter Hinweis auf das Preußische A L R ( I I 13, 6) ; Stryk, Usus modernus pandectarum I, S. 56. 17 Vgl. Conrad, D R I I , S. 234/235. Die Zweckgebundenheit der Gesetzgebung forderte wiederum zur Überprüfung auf die Einhaltung der Zwecke heraus u n d machte so das Naturrecht zum Maßstab einer Gesetzeskritik; vgl. Thieme, Naturrecht SZ Germ 56 (1936), 236 ff.; Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 66. 18 Nach Mohnhaupt, S. 200 ist die Theorie auf H. Donellus zurückzuführen: „ N o n enim lex est, quod scriptum est, sed quod legislator voluit, quod iudicio suo probavit et recepit, et hac solum de causa leges nos tenent." 19 Stryk, S. 62. 20 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 135; Dahm, DR S. 104. 21 Vgl. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, S. 203 f. 16
C. Die Hintergründe
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Seltener griff man auf die Lehre vom „rex (superiorem non recognoscens) imperator i n terra sua" zurück, die dem Herrscher das Recht einräumte, i n seinem Lande zu tun, was i h m gefiele 22 . Wichtige Stationen bei der historischen Entfaltung und Durchsetzung der „potestas legislatoria" markierten Änderungs-, Interpretationsvorbehalt und Interpretationsverbot, m i t deren Hilfe der absolute Gesetzgeber die Sicherung des Gesetzestextes vor entstellender Interpretation oder abweichender Gewohnheit bewerkstelligen 23 und jeglicher Verwässerung des absoluten Machtanspruchs namentlich durch die gesetzesanwendenden Gerichte vorbeugen wollte. Während sich der Gesetzgeber beim Änderungsvorbehalt die Verbesserung, Vermehrung, Veränderung und Aufhebung des Gesetzes allgemein vorbehielt, waren Interpretationsvorbehalt und -verbot i n engerer Form Ausfluß einer Vorstellung, wonach die Interpretation des Gesetzes bei Zweifeln über dessen Inhalt nicht als Rechtsanwendung, sondern als Rechtsschöpfung galt und der beim Herrscher konzentrierten, allein zur Rechtsschöpfung berechtigenden „potestas legislatoria" unterlag 24 . Infolgedessen hatte der Richter bei zweifelhaften Stellen oder Lücken i m Gesetz beim Gesetzgeber die „interpretatio authentica" einzuholen, die als ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers selbstverständlich für i h n bindend war 2 5 . Theoretische Grundlage des référé législatif war sowohl die Lehre vom Willen des Gesetzgebers als auch die Gewaltentrennungstheorie, die m i t Nachlassen der Verabsolutierung des gesetzgeberischen Willens sich i m aufgeklärten Absolutismus eine größere Bedeutung verschaffen konnte und den Richter zum rechtsanwendenden Diener des Gesetzes erklärte 2 6 . M i t h i n waren die Richter keine Repräsentanten 27 der Legislative und nicht teilhaftig der „potestas legislatoria", so daß richterliche Rechtsfortbildung durch Präjudizien m i t dem Interpretationsmonopol des absoluten Herrschers unvereinbar und die Berücksichtigung von „Prae22 Wieacker, ebd., S. 135. Z u r Geschichte der „ l e x regia" u n d der Lehre v o m „ r e x imperator i n terra sua" vgl. Wolf, Gesetzgebung (Handbuch I), S. 528 ff. 23 Vgl. Immel, Typologie (Handbuch II/2), S. 86 ff., 90 ff., jeweils m i t Quellenbelegen. 24 Vgl. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, S. 220 f. u n d 226. 25 Vgl. oben 2. Kap., A., IV., 2. 26 Vgl. Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 83/84; E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 595; Mathiowitz, De fundamento, S. 9; Struben, Nebenstunden I I I , S. 52 ff. maß der Gewaltentrennung jedoch nicht eine Bedeutung i m Sinne einer Garantie der persönlichen Freiheiten bei, sondern hielt die Funktionsaufteilung f ü r die deutschen Verhältnisse eigentlich für unangebracht u n d sah darin lediglich die Folge der faktischen Unzulänglichkeiten, Legislative und Judikative personell einheitlich wahrzunehmen. Die Kontrolle der Funktionstrennung sollte durch die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Entscheidungsgründe gewährleistet werden; vgl. Struben, Rechtliche Bedenken I I , 46. Bedenken, S. 161 f. 27 Vgl. Gribner, S. 80/81; E. Pufendorf, S. 595.
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2. Kap.: Einordnung der Präjudizien im Ancien Régime
judicata" ausdrücklich verboten war. Das Bemühen, jegliche Entfaltung rechtsbildender Kräfte neben dem Willen des Gesetzgebers zu unterdrücken, kulminierte schließlich i n dem Erlaß eines allgemeinen Kommentierverbotes, das sogar die wissenschaftliche Bearbeitung des Gesetzes unter Strafandrohung untersagte 28 . I I I . Der vernunfts- und naturrechtliche Einfluß
Die Vorstellung eines ausschließlich rechtsanwendenden Dieners des gesetzgeberischen Willens, die den Richter zum bloßen Entscheidungsautomaten erniedrigte, wäre ohne eine entsprechende Fortentwicklung des normierten Rechtsbestands undenkbar oder zumindest i n der Praxis nicht zu verwirklichen gewesen. Den entscheidenden Beitrag leisteten die Bestrebungen des Vernunfts- und Naturrechts zur Systematisierung des gesamten Rechtsstoffes, die das Recht i n ein geschlossenes System von Vorschriften einordnen wollten, das durch die begriffliche Zuordnung der Vorschriften untereinander gekennzeichnet w a r und juristische Entscheidungen aus Obersätzen ableitbar machte 29 . Grundlage w a r die Überzeugung, die gesamte Gesellschaftsordnung umfassend planen und zu diesem Zweck namentlich die justinianischen Gesetze auf ihre Grundsätze zurückführen zu können 30 , und fand ihren Ausdruck i n den Kodifikationsbewegungen des Naturrechtszeitalters. Geleitet von dem Gedanken, theoretisch alles Recht unter einen allgemeinen Begriff einordnen zu können, verstanden sich die Gesetzbücher als Gesamtkodifikationen i n einem solchen ausschließlichen Sinne, daß sich alle nichtgeregelten Fälle aus der i m Gesetz gegebenen Regelung beantworten ließen 31 . Die logisch-begriffliche Ableitbarkeit gesellschaftlich-juristischer Fragen aus einem allgemeinen festumrissenen, vom Gesetzgeber vorgegebenen Normbestand, der i m soeben dargelegten Sinn Anspruch auf Vollständigkeit erhob, prägte die Tätigkeit des Richters als reine Rechtsanwendung, wozu Methoden zur Verfügung standen, die m i t den mathematisch-naturwissenschaftlichen vergleichbar waren. Insofern versteht es sich von selbst, daß Präjudizien — i m wörtlichen Sinne des Wortes übersetzt — als Vorurteile verstanden wurden und 28 Vgl. Becker, H R G I I , Stichwort: K o m m e n t i e r - u n d Auslegungsverbot, Sp. 963 ff. zu den historischen Vorläufern u n d zu den Gesetzesbestimmungen i m einzelnen. Bekanntestes Beispiel ist w o h l das Verbot Friedrichs I I . von Preußen, der den „Privati, insonderheit aber (den) Professores" untersagte, das Landrecht zu kommentieren; vgl. Project des Corporis Iuris Fridericiani von 1749, Vorrede § 28 I X . 29 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 256/257 u n d 320; Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 75. 30 Vgl. Stobbe, Rechtsquellen I, 2, S. 427, F N 36 m. w . N. 31 Vgl. Ebel, ebd. S. 75.
C. Die Hintergründe
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dementsprechend als unwissenschaftlich verpönt waren 3 2 . Typisch für diese Haltung sind solche Vorwürfe, die Berücksichtigung von Präjudizien sei unwissenschaftlich und „Tyrannei" i n der Jurisprudenz 88 , da die Entscheidungsfindung nicht auf einer eigenständigen, freien, rationalen, nachvollziehbaren Denkleistung des Richters beruhe, sondern stattdessen auf einer autoritätsgläubigen, unvernünftigen Übernahme einer fremden Denkleistung, die eines freien Menschen nicht würdig sei 84 . Demgemäß klagte man über die „Myriaden von Decisionen" der Entscheidungsliteratur, die infolge ihrer Prinzipien- und Systemlosigkeit einen großen Schaden für den Zustand der Rechtswissenschaft darstellen würden, da hier die Entscheidungen nicht logisch-begrifflich aus allgemeinen Rechtsregeln, sondern umgekehrt aus Entscheidungen allgemeine Rechtsregeln abgeleitet würden und deshalb zwangsläufig widersprüchliche Rechtsregeln und Rechtsunsicherheit erzeugten 85 . M i t der Idee des Rechts als i n sich geschlossenen Systems trat gleichzeitig auch die Vorstellung von dem unwandelbaren, zeitlos gültigen, „richtigen" Recht ins Leben. Die Vernunftsgemäßheit und Zweckmäßigkeit einer Regelung wurden zum alleinigen Maßstab für die Gesetzgebung 86 . Somit wandte sich das Vernunftsrecht gegen Zustände, die nicht m i t der allgemeinen Rechtsvernunft i m Einklang standen, und verwahrte sich daher gegen inhaltlich entgegenstehendes Präjudizienrecht 37 . Diese Vorstellung vom ungeschichtlichen und für alle Zukunft inhaltlich richtigen Recht brachte die Präjudizientheorie des Ancien Régime auf die Formel, das gerichtliche Urteil müsse dem „ius naturale" 3 8 oder „Recht und Vernunft" 3 9 entsprechen oder der Entscheidung müsse Rationabilität, d. h. „ratio et necessitas" 40 innewohnen. 82 Bemerkenswert sind wissenschaftliche Untersuchungen aus dieser Zeit, die sich m i t dem schädlichen Einfluß v o n Vorurteilen i n allen Wissenschaften befassen u n d sich i m Bereich der Jurisprudenz m i t dem „Unwesen" der Präjudizien befassen. Vgl. z. B. Rheden, De praejudicio auctoritatis quatenus i l l u d per omnes scientias omnesque h o m i n u m status d o m i n i u m suum exercet (1722), zur allgemeinen Grundlage der Vorurteile, S. 15 ff. 38 Vgl. Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 51/52; Engelbrecht, Inter theoriam et hodiernum praxin, S. 29. 34 Gribner, S. 53 ff. 85 Vgl. Gribner, S. 55 ff. 36 Vgl. Ebel, Gesch. d. Gesetzgebung, S. 76. 87 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 275, 324 und 348/349. 38 Deckherr, Vindiciae T i t l l : de Jure Camerali, S. 30 unter Berufung auf Th. Hobbes. 89 Mathiowitz, De fundamento, S. 12/13. 40 Mathiowitz, S. 11; Gribner, Selectorum opusculorum I V , Sectio I I : de observantiis, S. 53 f.; E. Pufendorf, Introductio I I I , S. 598, meist m i t Hinweis auf D. 1,3, 39. Rationabilität verlangte m a n allerdings n u r f ü r Rechtsentscheidungen, nicht jedoch f ü r Gnadenentscheidungen. Hier w a r nicht die „ r a t i o " ausschlaggebend, sondern allein die Indulgenz des Herrschers, vgl. Wolf, De eo quod jus t u m est, S. 10.
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2. Kap.: Einordnung der Präjudizien im Ancien Régime
Die Einbindung des gesamten Rechtsstoffes i n ein seinem Anspruch nach lückenloses System gemeinsam m i t der Annahme eines objektiven, zeitlosen, nur am Maßstab der Vernunft orientierten, richtigen Rechts war also der entscheidende theoretische Hintergrund, der nicht nur die strikte Unterordnung der Jurisdiktion unter die Gesetzgebung verursachte, sondern auch zur Übersteigerung des Gesetzesverständnisses beitrug. Insofern w a r die partikuläre Gesetzgebung, die eine Rechtsbildung durch Präjudizien generell auszuschließen trachtete 41 , ein K i n d des Vernunfts- und Naturrechts. Dieses A t t r i b u t kennzeichnete letztlich auch die Präjudizientheorie des Ancien Régime, für die doch neben den unmittelbaren vernunfts- und naturrechtlichen Einwirkungen gerade die einschlägigen partikulären Gesetzesbestimmungen prägend waren. D . A u s w i r k u n g e n der Präjudizientheorie
Z u den Rückwirkungen der Präjudizientheorie auf die Praxis, namentlich unter dem Aspekt, i n welchem Maße das privilegierte Gesetzesrecht den bislang herrschenden Gerichtsgebrauch zu verdrängen vermochte, eine fundierte Aussage zu machen, erforderte eine genauere Durchsicht der Kasuistikliteratur, und zwar unter der speziellen Fragestellung, inwieweit sich der Gerichtsgebrauch i n dem damaligen Zeitraum noch i m täglichen juristischen Schriftwechsel als Argumentationsgesichtspunkt hatte behaupten können. I n dem erforderlichen breiten Umfang kann die vorliegende Dissertation diese Untersuchung nicht anbieten. Immerhin deuten verschiedene Indizien darauf hin, daß die praktischen Konsequenzen der theoretischen Erkenntnisse über die Rechtsnatur der Präjudizien keinesfalls überschätzt werden dürfen. Offenbar hatte der Gerichtsgebrauch, also die judizielle Rechtsbildung, i m Ancien Régime eine so große Eigendynamik entwickelt, daß der theoretisch begründete und staatlich geförderte Anspruch auf den absoluten Vorrang des Gesetzes die „bewährte" Praxis nicht ernsthaft außer T r i t t zu bringen vermochte. Dies zeigt sehr anschaulich der nachstehende Sachvortrag 1 einer Berufungsklägerin, dem entgegenzutreten das Gericht i n seiner Urteilsbegründung nicht für nötig befunden hatte, und der keiner weiteren Kommentierung bedarf: „Propter authoritatem rerum similiter judicatarum et praejudicia Parlamentorum, aliorumque judiciorum, . . . u n d ob w o h l w a h r / quod legibus, non exemplis sit judicandum, so werde doch heutigs Tags mehr auff dergleichen praejudicia et decisiones, der höheren Gericht / als auff die leges selbsten / sonderlich i n zweiffelhafften Fällen / et m u l t o magis i n casibus non decisis, gesehen.... Gestalt dann auch auff solche Weis i n anderen wohlbestellten Parlamenten u n d Gerichten jederzeit gesprochen worden / . . . Daß also die Zeit 41 1
Vgl. oben 2. Kap., B., II., 2. I n Schilter, Consilia I I I , responsum 91, Sp. 394.
D. Auswirkungen der Präjudizientheorie
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verlohren wäre / w a n n m a n v i e l W o r t hievon wolte machen: C u m hoc nostro saeculo plus fere credatur decisionibus, quam legibus et rationibus, . . . et servanda sint, quae d i u similiter judicata sunt, etsi j u r i scripto, non plane c o n v e n i a n t , . . . quia talis usus pro j u r e est."
Auch anderorts schreckte man nicht davor zurück, gelegentlich den Gerichtsgebrauch (usus fori) eindeutigen, aber entgegenstehenden partikulären Gesetzen vorzuziehen, wenn man die aus dem judiziellen Rechtssatz folgende Entscheidung für billigenswerter hielt 2 . M i t der theoretischen Entfernung der gerichtlichen Rechtsfortbildung aus dem öffentlichen Dasein trat als wichtige Auswirkung dieser Präjudizientheorie eine besondere Form der Gesetzgebung i n den Partikularstaaten i n Erscheinung, die zwar die reichsrechtlichen Regelungen über die Rechtsfortbildung durch das Reichskammergericht zum Vorbild hatte, die aber vor einem ganz anderen theoretischen Hintergrund entstand. Es handelt sich u m die Präjudizialgesetzgebung. Während die reichsrechtlichen Vorschriften von notwendig lückenhaften und unvollständigen, gesetzlichen Regelungsinhalten ausgingen und selbstverständlich deren Ergänzung richterlichem Ermessen überließen 3 , versuchte die partikuläre Präjudizialgesetzgebung die Theorie m i t der Wirklichkeit i n Einklang zu bringen, indem sie gewisse Ergebnisse nichtgesetzlicher Rechtsfortbildung ausdrücklich gesetzlich sanktionierte. Als ein typisches Beispiel eines Präjudizialgesetzes bestimmte die Ordnung für das Oberappellationsgericht Kassel vom 15. 2.1746, daß dessen Entscheidungen über Kontroversen „solange und soviel, bis W i r selbst ein anderes verordnen, zu Grunde genommen werden" sollten 4 . Eine vergleichbare Aufwertung erfuhren i n Bayern die Präjudizien; der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 sah folgende Regelung vor 5 : „Die bei der obersten Justiz Instanz ergangenen res judicatae und praejudicia haben zwar die K r a f t eines geschriebenen Generalgesetzes nicht, dienen aber i n zweifelhaften gleichen Fällen zur Usual-Interpretation und ist m i t h i n alle Contrarietät hierin zu vermeiden". Schließlich sei noch die Oberappellationsgerichtsordnung Hessen-Darmstadt vom 12. 4.1777 erwähnt, die folgende Regelung enthielt 6 : „Damit auch 2 Vgl. hierzu die bei Hegler, Praktische Thätigkeit, S. 14/15, F N 3 angeführten Beispiele aus dem Strafrecht gemäß der Spruchpraxis der sächsischen Fakultäten. 3 Vgl. Gerstlacher, Corp. Iur. I V , S. 195. Dem widersprechen nicht die obigen (S. 52) Ausführungen zur provisorischen Gesetzgebungskompetenz (authentische Interpretation). Jene Kompetenz ist vielmehr ein erst durch nachträgliche Interpretation gewonnenes Ergebnis der vernunfts- u n d n a t u r rechtlich fundierten Präjudizientheorie. 4 Vgl. Stobbe, DPR I, S. 166; Roth/Meibom, Kurhess. Privatrecht, Bd. 1, S, 99, F N 2; Strippelmann, Neue Sammlung, 1. Theil, S. 9 f. 5 I n Th. I , caput I I § 14 Nr. 3, zitiert nach Gemeiner, De fontibus, S. 24. 6 I n T i t e l V § 13, zitiert nach Gemeiner, S. 23.
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2. Kap.: Einordnung der Präjudizien im Ancien Régime
aller Ungleichheit i n Entscheidung der Rechtssachen vorgebogen und, so viel nur immer möglich, ein jus certum eingeführt werden möge: So sollen diejenigen Meinungen, welche bei denen Rechtsgelehrten ganz streitig, und ob, und wie weit solche i n unseren Landen approbiert und angenommen seyn, m i t Fleiss colligiert und angemerkt, auch, so lange und viel W i r selbst ein anderes verordnen zum Grunde genommen werden." Teilweise machte man i n den Partikularstaaten die Gesetzeskraft der höchstrichterlichen Präjudizien von der Promulgation durch den Herrscher abhängig 7 , der dadurch den i m Gerichtsurteil ausgedrückten Rechtssatz nach außen erkennbar i n seinen gesetzgeberischen 8 Willen aufnahm und i h n auf diese Weise zu Bestandteil und Ausfluß seiner „potestas legislatoria" erklärte. Es ist also festzustellen, daß präjudizielle Rechtsbildungen i m Ancien Régime trotz der i m Grunde präjudizienfeindlichen Einstellung der vom Absolutismus bestimmten Gesetzgebung durch die Annäherung bzw. formale Gleichstellung gewisser Präjudizien m i t den Gesetzgebungsakten die offizielle Sanktion der höchsten Staatsgewalt erfuhren. Die besonderen formellen Erfordernisse mögen zwar die Tatsache der präjudiziellen Rechtsfortbildung theoretisch m i t dem damals geltenden Verständnis von der einheitlichen, die gesamte Rechtsschöpfung umfassenden „potestas legislatoria" i n Einklang gebracht haben, sie können aber nicht über das faktische Eingeständnis hinwegtäuschen, daß der Rechtsquellenbestand vielgestaltig, die Gesetzgebung trotz Gesamtkodifikationen unvollkommen war 9 und i m praktischen Rechtsleben der Ergänzung bedurfte.
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Vgl. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, S. 230. Siehe oben 2. Kap., C., I I . Vgl. Mohnhaupt, Potestas legislatoria, S. 229.
Drittes
Kapitel
Die Entwicklung des Präjudizien Verständnisses nach der Auflösung des Ancien Régime Unter dem Einfluß des Vernunfts- und Naturrechts kennzeichneten also die Vernunftsgemäßheit und die durch diese bedingte Systemgerechtigkeit der Normen das Recht. Dieses hatte vor allem m i t den Naturrechtskodifikationen des aufgeklärten Absolutismus außerordentlich bevormundende Züge angenommen, da die detailreiche, traditionslose, ausschließlich an Vernunfts- und Zweckmäßigkeit ausgerichtete gesetzgeberische Kasuistik der Verfasser der Kodifikationen zu einem gewissen Grade auch eine lediglich m i t dem Mantel der Vernunft umhüllte W i l l k ü r bedeutete 1 . Dementsprechend prägte die vernunfts- und naturrechtliche Überzeugung vom zeitlosen, ungeschichtlichen, absolut richtigen und deswegen ebenso verbindlichen Gesetzesrecht auch die durchweg negative Einstellung, welche die Rechtswissenschaft des Ancien Régime Präjudizien gegenüber trotz ihrer erheblichen, praktischen Bedeutung einnahm, weil sie nämlich die legislatorischen Resultate der Vernunft nicht der Verwässerung durch eine präjudizielle Rechtsfortbildung ausgesetzt sehen wollte. Beim Zusammenbruch des Ancien Régime war die rechtsphilosophische Autorität des Vernunfts- und Naturrechts bereits untergraben. Hierzu hatte vor allem die Erkenntnis beitragen, daß alle materialen, ethischen Entscheidungen durch die historische Situation bedingt sind. M i t der Anerkennung der Situationsbedingtheit des Rechts waren die geistigen Grundlagen für die Ablösung der naturrechtlichen Rechtstheorie durch die historische Schule gelegt 2 , welche den Stoff des Rechts als durch die gesamte Vergangenheit der Nation vorgegeben und aus dem innersten Wesen der Nation selbst sowie ihrer Geschichte hervorgegangen ansah3. M i t der Ablehnung des Zufälligen und Willkürlichen und dem Postulat der Geschichtlichkeit allen Rechts stellte sich die für die Rechtswissenschaft des gesamten 19. Jahrhunderts richtungsweisende historische 1
Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 333 f. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 351 f. u n d 375 f. 3 Vgl. Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 158/159; Landsberg, I I I , 2 (Text), S. 201. 2
Geschichte
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
Schule i n einen unversöhnlichen Gegensatz zur vernunfts- und naturrechtlichen Theorie. M i t h i n beseitigte der Wandel der Rechtstheorie zwangsläufig die bisherige vernunfts- und naturrechtliche Grundlage der Präjudizientheorie des Ancien Régime und gab damit den Weg zu einem neuen theoretischen Präjudizienverständnis frei. Die folgenden Ausführungen werden sich demnach der Frage widmen, inwieweit und auf welche Weise die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts von den i h r neu eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, zu einem der Wirklichkeit adäquaten Präjudizienverständnis zu gelangen. Voranzustellen ist zunächst ein Uberblick über wesentliche rechtspolitische Ereignisse des 19. Jahrhunderts, die die große praktische Bedeutung der Präjudizien auch i n diesem Zeitraum wiedergeben und für eine Grundlegung des Präjudizienverständnisses von Bedeutung werden konnten. A. Die für eine Präjudizientheorie bedeutsamen Ereignisse im 19. Jahrhundert I . Das Aufkommen von Entscheidungssammlungen aus der Judikatur der obersten Gerichtshöfe in den Territorialstaaten
Die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation i m Jahre 1806 beendete gleichzeitig die bis zu diesem Zeitpunkt bewahrte Rechtseinheit i n Deutschland, die das Reichskammergericht trotz zahlreicher „privilégia de non appellando" zumindest formal aufrecht erhalten hatte. Zwangsläufig rückten die obersten Gerichtshöfe der Territorialstaaten an die Stelle des Reichskammergerichts und gewannen als höchste Rechtsmittelinstanz i n den jeweiligen Territorialstaaten an Bedeutung, da das Reichskammergericht als — meist nur formal — übergeordnetes Zentralgericht ersatzlos entfallen war. Dieser Bedeutungszuwachs der Judikatur der obersten partikulären Gerichtshöfe spiegelte sich i n den zahlreichen Entscheidungssammlungen der partikulären obersten Gerichtshöfe wieder 4 , welche vornehmlich i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts i n engem, zeitlichem Zusammenhang m i t der A u f hebung der partikulären Geheimhaltungsbestimmungen 5 , die der Begründung und Publikation gerichtlicher Entscheidungen entgegenstanden, aufkamen 6 . I n der Regel waren es zunächst private Sammlungen, 4
Vgl. Dawson, Oracles of the law, S. 437. Vgl. oben 1. Kap., A., I., 2. 6 Eine vollständige bibliographische Erfassung der Entscheidungssammlungen liegt bislang noch nicht vor, ist jedoch i n Vorbereitung; vgl. Walter Wilhelm, Quellen u n d L i t e r a t u r der europäischen Privatrechtsgeschichte i m 19. Jahrhundert — ein Arbeitsplan, i n : lus Commune, Heft 4 (1972), S. 240 ff., 279 f. Die bislang — soweit ersichtlich — vollständigste Zusammenstellung findet sich bei W. T. Kraut, Grundriß, S. 88 ff. 5
A. Bedeutsame Einflüsse im 19. Jahrhundert
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die Praktiker und Gelehrte aus der ihnen amtlich zugänglich gemachten Judikatur des betreffenden Gerichts zusammenstellten und publizierten 7 . Oft geschah dies sogar i n ausdrücklichem, staatlichem Auftrag 8 und gab so der Sammlung einen offiziellen Charakter. Wo dies nicht zutraf, trugen die zuständigen staatlichen Stellen zumindest für eine gewisse M i t w i r k u n g insofern Sorge, als die von den privaten Herausgebern getroffene Auswahl aus der Judikatur des betreffenden Gerichtshofes vor ihrer Veröffentlichung der behördlichen Genehmigung bedurfte®. U m etwa die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich schließlich der noch heute übliche Typ der offiziellen, amtlichen Entscheidungssammlung durch, welcher, der Bedeutung höchstrichterlicher Präjudizien entsprechend, die Auswahl und Veröffentlichung geeigneter Entscheidungen Mitgliedern des betreffenden Gerichts, meist einer besonderen Redaktionskommission, anvertraute 10 . I m Gegensatz zu den kameralistischen Sammelwerken des Ancien Régime, die häufig i n nicht zu unterscheidender Weise Entscheidungen verschiedener Gerichte wiedergaben und darüber hinaus nicht selten zu Lehrzwecken konstruierte fiktive Sachverhalte und Entscheidungen m i t echten Gerichtsentscheidungen vermengten 11 , zeichneten sich die Entscheidungssammlungen des 19. Jahrhunderts durch strenge Ordnung aus. I n den meisten Fällen enthielten die Sammlungen ausschließlich Urteile eines einzigen, i m T i t e l genannten Gerichts. Sofern ausnahmsweise Entscheidungen verschiedener Gerichte zusammengefaßt waren, achteten die Herausgeber auf eine deutliche Trennung 1 2 . Ferner verfeinerten sie die Darbietung der Entscheidungsgründe durch eine be7 Neue Sammlung bemerkenswerther Entscheidungen Z. B. B. W. Pfeiffer, des O A G zu Cassel, 5 Bde., 1818—1821; W. v. d. Nahmer, Sammlung der merkwürdigeren Entscheidungen des O A G zu Wiesbaden, 2 Bde., 1824/1825. 8 Vgl. z. B. Entscheidungen des Königlichen Geheimen Ober-Tribunals, herausgegeben i m amtlichen Auftrage v o n A . H. Simon u n d H. L . v. Strampff, 83 Bde., 1837—1879. 9 Vgl. z. B. Rechtsprüche der preußischen Gerichtshöfe m i t Genehmigung Seiner Excellenz des H e r r n Justiz-Ministers, herausgegeben von A . H. Simon u n d H. L . v. Strampff, 1. Bd., 1828: Strippelmann, Neue Sammlung, 1. Theil, S. I V (Vorwort) f ü r das O A G zu Cassel. 10 Vgl. z.B. Sammlung der Erkenntnisse u n d Entscheidungsgründe des O A G zu Lübeck, i n hamburgischen Rechtssachen, nebst den Erkenntnissen der früheren Instanzen, 1. Bd., H a m b u r g 1849; Entscheidungen des BundesOberhandelsgerichts, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichtshofs, 1. Bd., Erlangen 1871; Entscheidungen des Reichsgerichts, herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichtshofs, Entscheidungen i n Civilsachen, 1. Bd., Leipzig 1880. 11 Vgl. oben 1. Kap., A., II., 1 u n d 2. Kap., C., I. 12 Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 1, S. X X I I , w o i n jedem Band i n der ersten A b t e i l u n g die Entscheidungen des Geheimen Ober-Tribunals, i n der zweiten A b t e i l u n g die rechtskräftigen Urteile der übrigen preußischen Gerichtshöfe unter genauer Bezeichnung zusammengestellt waren.
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime .
sondere redaktionelle Aufbereitung — i n dem Bestreben, die Verwendungsfähigkeit der Sammelwerke für die Praxis zu optimieren. Die Beifügung von Uberschriften oder Leitsätzen, die Angabe der i n der Entscheidung behandelten Gesetzesstellen, die Kürzung und Straffung der Entscheidungsgründe auf das für das Verständnis ihres essentiellen Teils notwendige Maß sowie die Ausarbeitung verschiedenartiger Register waren gerne benutzte Hilfsmittel 1 3 . Soweit die Herausgeber der Entscheidungssammlungen i n den Vorworten oder Einleitungen auf die von ihnen m i t der Publizierung verfolgten Motive eingingen, bestand weitgehende Übereinstimmung, auch wenn diese mitunter i n recht unterschiedlichem Ausmaß zum Ausdruck kam. Eine außergewöhnlich umfangreiche Begründung für die Publizierung der Entscheidungsgründe hielten namentlich die Herausgeber der Rechtsprüche preußischer Gerichtshöfe offenbar i m Hinblick darauf für erforderlich, daß dies die erste veröffentlichte Sammlung ausschließlich preußischer Gerichtsentscheidungen seit Einführung des Allgemeinen Landrechts darstellte, das nämlich noch die Beachtung gerichtlicher Präjudizien und damit die richterliche Rechtsfortbildung ausdrücklich verboten hatte 1 4 . Das Ergebnis jener Auseinandersetzung war die faktische Aufgabe der geistigen Grundpositionen 15 des Allgemeinen Landrechtes als einer umfassenden, lückenlosen Gesamtkodifikation, wenn die staatlich autorisierten Herausgeber die Vollständigkeit und Lückenlosigkeit des Gesetzes beschwichtigend nur noch als ein unerreichbares Ideal bezeichneten und i n Anerkennung der dynamischen, gesellschaftlich-sozialen Entwicklung die Anpassung der Rechtsordnung als die legitime Funktion der Rechtsprechung ausgaben 16 . Unter diesem völlig gewandelten Vorverständnis untersagten demnach die Bestimmungen des preußischen Allgemeinen Landrechts nicht mehr die Berücksichtigung gerichtlicher Präjudizien schlechthin, sondern lediglich i m Sinne eines Gesetzes17 und gestatteten i m übrigen durchaus eine Publizierung preußischer Gerichtsentscheidungen. Denn die veröffentlichten Entscheidungen sollten einerseits dem Richter die Erkenntnis des richtigen Rechts erleichtern 18 und andererseits den Parteien und ihren Anwälten die richterliche Rechtserkenntnis voraussehbarer und berechenbarer machen 19 . Schon wenige Jahre später veranlaßten rechtspolitische 13 Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 1, S. X X I I ff.; Sammlung OAG Lübeck (Kierulff), Bd. I, S. I V ; Entscheidungen, Obertribunal, Bd. 1, S. V I I I . 14 Vgl. § 6 Einleitung A L R : „ A u f Meinungen der Rechtslehrer oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bei künftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden" (zitiert nach Koch, A L R I, 1, S. 31). 15 Vgl. hierzu Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 327 ff., insbesondere 331 ff. 16 Vgl. Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 1, S. V I ff. 17 Vgl. Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 1, S. X I ff. 18 Ebenda, S. V I .
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Gründe den preußischen Gesetzgeber zu einer generellen Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des Geheimen Obertribunals, u m die Untergerichte zur stärkeren Orientierung an die höchstrichterliche Gesetzesauslegung zu motivieren und u m so zahlreichen Rechtsstreitigkeiten wegen des zu erwartenden zweifelsfreien Ergebnisses vorzubeugen. Folgerichtig verlagerte sich bereits m i t der Herausgabe des vierten Bandes der Entscheidungssammlung „Rechtsprüche der preußischen Gerichtshöfe" das Schwergewicht publizierter Entscheidungen auf die Wiedergabe höchstrichterlichen Urteile 2 0 . Wo dagegen die Herausgeber den allgemeinen Nutzen und Wert publizierter Entscheidungen oberster Gerichtshöfe als selbstverständlicher betrachteten und sich daher i n der Begründung ihrer Absichten kürzer fassen konnten, waren ebenfalls die Sorge u m die konstante Rechtsprechung und Bedeutung der richterlichen Rechtsfortbildung i n der Regel die ausschlaggebenden Gesichtspunkte 21 . Einer besonderen Erwähnung wert sind endlich noch die Absichten, die Seuffert m i t der Herausgabe seines „Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte i n den deutschen Staaten" verfolgte. Zunächst lag ihnen das nationalistische Anliegen zugrunde, unter Berücksichtigung der modernen Entwicklungen auf den Gebieten des Handels, des Kredits und der industriellen Erzeugung die Übereinstimmungen i n der Rechtsprechung der partikulären obersten Gerichtshöfe zu verdeutlichen und dadurch den legislatorischen Partikularismus zugunsten einer deutschen Rechtseinheit zu überwinden. Außerdem wollte Seuffert 22 einen Beitrag zu einer besseren Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis leisten, u m so einem „allgemeinen Bedürfnis" entsprechend der zunehmenden Entfremdung der Rechtswissenschaft von der Wirklichkeit des Rechtslebens unter der Herrschaft des rechtswissenschaftlichen Formalismus 23 entgegenzuarbeiten. Insofern verstand sich Seufferts Entscheidungssammlung auch als eine frühe K r i t i k der Praxis an Begriffsjurisprudenz und Konstruktivismus der Rechtswissenschaft. 19
Ebenda, S. I X . VgL Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 3, S. V I I I / I X . I m Jahre 1837 erschien dann eine offizielle, ausschließlich Entscheidungen des Geheimen Obertribunals enthaltende Sammlung. Diese E n t w i c k l u n g beeinflußten allerdings auch die preußischen, gesetzgeberischen Bemühungen u m die V e r w i r k l i c h u n g der Rechtseinheit, namentlich die Cabinets-Ordre v o m 1. August 1836, die eine mittelbare präjudizielle B i n d u n g der Plenarentscheidungen des Obertribunals festlegten; vgl. unten S. 88 f. u n d Entscheidungen, Ober-Tribunal, Bd. 1, S. V I I / V I I I . 21 Vgl. z. B. Strippelmann, Neue Sammlung, 1. Theil, S. I I I u n d V ; Sammlung interessanter Erkenntnisse, Bd. 1, S. I I I / I V . 22 Vgl. Seuffert's Archiv, Bd. 1 (1847), S. I I I / I V ; ähnlich Sammlung OberAppellationsgericht Lübeck (Kierulff), Bd. 1, S. I I I / I V . 28 Vgl. unten 3. Kap., B., I I I sowie 3. Kap., B., I I I . , F N 53. 20
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime I I . Gesetzgeberische Bemühungen um den Ausbau der Rechtssicherheit und der Rechtseinheit in den Territorialstaaten
Solange der vernunfts- und naturrechtliche Glaube, eine umfassende, immer gültige, gewissermaßen „natürliche" Rechtsordnung i m Sinne einer Gesamtkodifikation verwirklichen zu können, noch ungebrochen war, stellte die Wahrung der Rechtssicherheit und die Erhaltung der territorialen Rechtseinheit i n der Rechtsprechung der Gerichte ausschließlich ein von der Gesetzgebung zu lösendes Problem dar, einen hinreichenden Grad inhaltlicher Vollkommenheit zu erreichen. Die angestrebte vollständige und eindeutige Gesetzesordnung sollte jeden gerichtlichen Spruchkörper, gleichgültig welcher Instanz, dazu befähigen, die „richtige" Entscheidung ohne weiteres aus der kodifizierten Rechtsordnung abzulesen. Wenn sich der legislatorische Perfektionismus ausnahmsweise einmal als unzureichend erwies und jenes Verfahren an einer nicht beabsichtigten unklaren Ausdrucksweise oder übersehenen Lücke i n der Gesamtkodifikation scheiterte, half die authentische Gesetzesinterpretation, die der Gesetzgeber bzw. eine besondere von i h m autorisierte Behörde auf den i n derartigen Fällen zwingend vorgeschriebenen référé législatif den anfragenden Gerichten erteilte 24 . Schon bald entpuppte sich aber das Unterfangen, eine perfekte kodifizierte Rechtsordnung zu schaffen, als Utopie 26 , da die zu berücksichtigenden Sachverhalte zu komplex waren, und zudem die sich entfaltenden gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Verhältnisse den i n der Kodifikation festgeschriebenen Zustand überholten und eine Anpassung oder Ergänzung der fixierten Normen verlangten. Zwar gestanden sich die Gesetzgeber diese Zusammenhänge zunächst i m 18. Jahrhundert noch nicht offen ein und versuchten stattdessen den absoluten Geltungsanspruch des Gesetzes als alleiniger Rechtsquelle dadurch zu retten, daß sie gewisse Ergebnisse nichtgesetzlicher, präjudizieller Rechtsfortbildung i n der einen oder anderen Form gesetzlich sanktionierten 26 . Z u Beginn des 19. Jahrhunderts aber war jener vernunftsrechtlich geprägte gesetzgeberische Optimismus so erschüttert, daß Lückenhaftigkeit, Unvollständigkeit und gelegentliche Unklarheiten auch bei der umfassendsten Kodifikation als selbstverständliche Gegebenheiten hingenommen wurden 2 7 und die Gesetzgeber der Partikularstaaten gerade erst zu 24 Vgl. oben 2. Kap., A., IV., 2. A l s repräsentativ k a n n die richterliche B i n dung i n der dargestellten Weise an das Gesetz i n Preußen i m 18. Jahrhundert bezeichnet werden. Vgl. hierzu Schott, Rechtsgrundsätze, S. 36 ff. u n d Müller, Geschichte, Prozeßrechtl. Abh. 14 (1939), S. 16 ff. 25 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 348 f. 26 Siehe oben 2. Kap., D. 27 Vgl. Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 1, S. V I ff.; besonders i n s t r u k t i v der bayrische Gesetzgeber: „ A l l e i n keiner Gesetzgebung i n der
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Bemühungen u m die Herstellung einer konstanten, homogenen Rechtsprechung veranlaßten. Denn die Aufhebung der absoluten, ausschließlichen Bindung der Gerichte an das Gesetz und die Anerkennimg der Kompetenz der Gerichte, das Recht m i t Hilfe wissenschaftlich erarbeiteter Methoden eigenständig auszulegen, zu ergänzen und fortzubilden, hatten gleichzeitig einen Spielraum geschaffen, der es jedem Gericht bei einer bestimmten, strittigen Rechtsfrage jederzeit gestattete, von einer bestehenden eigenen oder fremden Rechtsprechung abzuweichen und sich stattdessen auf eine andere Lösungsalternative festzulegen 28 . Der ohne Einschränkungen mögliche Wechsel der bei den Gerichten vertretenen Rechtsansichten und die so hervorgerufene Rechtsunsicherheit mußten Unmut hervorrufen. So hieß es beispielsweise i n der Präambel zum hannoveranischen Präjudizialgesetz vom 7. September 183829: „Da der i n neuerer Zeit bei mehreren Unserer Gerichte wahrgenommene Wechsel der Meinungen über streitige Rechtsfragen zu einer Unseren getreuen Unterthanen nachteiligen Rechtsunsicherheit Anlaß gibt, so finden W i r , behuf Beseitigung dieses Mißstandes u n d u m den Präjudizien Unseres OberAppellationsgerichts den angemessenen Einfluß auf eine gleichmäßige A n w e n dung der bestehenden Gesetze zu gewähren, . . . folgendes zu bestimmen Uns bewogen:..."
Mitunter gaben den letzten Anstoß zu gesetzgeberischen Bemühungen, eine einheitliche und konstante Rechtsprechung aufzubauen, auch erst Divergenzen i n der Rechtsprechung der verschiedenen Senate der obersten partikulären Gerichtshöfe, nachdem die ursprünglich aus lediglich einem Spruchkörper bestehenden höchsten Territorialgerichte m i t Rücksicht auf die gestiegene Arbeitsbelastung i n mehrere gleichrangige Spruchkörper unterteilt worden waren, die häufig untereinander zu derselben Rechtsfrage konträre Lösungen vertraten. So führten beispielsweise die Motive zum bayrischen Präjudicien-Gesetz vom 17. November 1837 die nachstehende Begründung an 8 0 : W e l t ist es bis jetzt gelungen, Gesetze zu geben, welche f ü r alle, denkbarer Weise aus den Verhältnissen des gesellschaftlichen Lebens i m bürgerlichen Vereine sich entwickelnde, den Beziehungen v o l l k o m m e n klare u n d erschöpfende Bestimmungen enthalten"; so unter ausführlichem Hinweis auf die preußische Kodifikation die Motive (§6) z u m bayrischen Präjudicien-Gesetz v o m 17. November 1837 (zitiert nach Moritz, Real-Commentar (Anhang), S. 861/862. 28 Überholte, v o m Geist des Vernunftsrechts geprägte gesetzliche Vorschriften, die, w i e § 6 Einleitung A L R , geradezu zur Mißachtung auch höchstrichterlicher Präjudizien aufforderten, mußten diese E n t w i c k l u n g zur K o n t r o versenvielfalt u n d Divergenz der Gerichte untereinander u n d zueinander noch fördern; vgl. auch oben 3. Kap., A., I., F N 14. 29 Z i t i e r t nach Rudorf, Hann. Privatrecht, S. 6/7; ähnlich die Präambel zur KönigL Preußischen Cabinetsordre v o m 1. August 1836 (GS S. 218), wobei allerdings auch Divergenzen u n d Wechsel i n der Rechtsprechung der verschiedenen Senate des Geheimen Ober-Tribunals ausschlaggebend waren (vgl. noch Koch, A L R 1,1 S. 81, F N 10).
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„ W e n n n u n . . . i n den oberstrichterlichen Urtheilen häufig eine auffallende Contrarietät zum größten Nachtheile der Rechtssicherheit wahrzunehmen ist, so liegt der G r u n d hievon darin, daß das Oberappellationsgericht i n mehrere Senate getheilt ist, — daß jeder dieser Senate f ü r die darin zur A b u r t h e i l u n g kommenden Streitsachen das oberste Gericht bildet, u n d daß manche Räthe dieses Tribunals ihre Überzeugung durch die zum Beschlüsse erhobenen M e i nungen ihrer Collegen nicht binden zu lassen, vielmehr, i m Hinblicke auf 1.13 c. de sententiis ( = Cod. Iust. 7,45,13) — nicht achtend die Bestimmung i n fragm. 38 D. de legibus ( = D. 1,3,38) —, n u r nach den Gesetzen zu richten, u n d diese n u r i n Übereinstimmung m i t i h r e r subjectiven Ansicht anwenden zu müssen glauben."
Aus den gleichen Beweggründen begrüßte der preußische Gesetzgeber i n der Präambel zur Cabinetsordre vom 1. August 1836 (GS S. 218), „daß . . . bey dem geheimen Obertribunale eine Einrichtung getroffen werde, u m die Einheit der Rechtsgrundsätze i n den richterlichen Entscheidungen nicht bloß bey dem geheimen Obertribunale selbst, sondern auch v e r möge des Einflusses der A u t o r i t ä t des höchsten Gerichtshofes bey den übrigen Gerichten möglichst zu erhalten, damit nicht durch den Wechsel der Rechtsansichten eine Rechtsungewißheit entstehe."
Es bestand also eine allgemeine Übereinstimmung i n dem Bestreben, aus Gründen der Rechtssicherheit eine einheitliche und konstante, höchstrichterliche Rechtsprechung sowie eine homogene Rechtsprechung der Gerichte i n den jeweiligen Territorialstaaten überhaupt zu fördern und deswegen die Autorität und Bedeutung der höchstrichterlichen Präjudizien zu stärken. Die zu diesem Zweck von den partikulären Gesetzgebern eingeschlagenen Wege waren jedoch durchaus verschieden, wobei sich zwei Grundtypen einer stärkeren präjudiziellen Bindung aus den zahlreichen, i n den deutschen Territorialstaaten zur Anwendung gekommenen Modellen herausschälen lassen: das Prinzip der unmittelbaren sowie das der mittelbaren Bindung höchstrichterlicher Präjudizien. Das Prinzip der unmittelbaren Bindung verstärkte den Einfluß höchstrichterlicher Präjudizien, ähnlich wie früher i m Absolutismus die Bestätigung gerichtlicher Präjudizien durch den Souverän 31 , dadurch, daß gewisse i n höchstrichterlichen Urteilen angenommene Lösungen strittiger Rechtsfragen kraft genereller, gesetzlicher Anordnung künftig i n gleichgelagerten Fällen als verbindliche Entscheidungsnormen zu beachten waren, solange der Gesetzgeber untätig blieb. Die Reichweite und die Modalitäten dieser Bindung waren i n den jeweiligen Territorialstaaten allerdings nicht immer einheitlich. 30 Zitiert nach Moritz, Real-Commentar (Anhang), S. 861 (§ 5). Vgl. auch die noch eingehendere Darlegung der gesetzgeberischen M o t i v e i n der Rede v. Stürzers, gehalten i n der 18. öffentlichen Sitzimg der K a m m e r der Abgeordneten v o m 14. A p r i l 1837, wiedergegeben bei Moritz, S. 817—821. 31 Vgl. oben 2. Kap., A., IV., 2 u n d D.
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Überwiegend sahen die einschlägigen Präjudizialgesetze eine Bindung sowohl des obersten Gerichtshofes, der das betreffende Präjudiz entwickelt hatte, als auch der untergeordneten Instanzgerichte vor. So räumte beispielsweise i n Thüringen die Jenaische Oberappellationsgerichtsordnung vom 8. Oktober 181632 dem Gericht die Kompetenz ein, seine Ansichten durch öffentlich bekannt zu machende Präjudizien auszusprechen, von denen nach der Bekanntmachung bis zu einer etwaigen Abänderung durch die Landesgesetzgebung weder das Oberappellationsgericht selbst noch die Instanzgerichte abgehen durften. I n ähnlicher Weise erlaubte das hannoveranische Präjudiziengesetz vom 7. September 1838, ausgewählte Präjudizien zu streitigen oder zweifelhaften Rechtsfragen i n der Gesetzessammlung bekanntzumachen, wobei sich allerdings der Gesetzgeber, anders als i n Thüringen, die Genehmigung zu Auswahl und Bekanntmachung vorbehielt 3 3 . A n die i n der Gesetzessammlung verkündete Entscheidung waren sodann sämtliche Gerichte des Landes gebunden 34 . Eine vergleichbar weitgehende Bindungsw i r k u n g höchstrichterlicher Präjudizien erzielte der Gesetzgeber i n Braunschweig 35 durch eine Legaldefinition des Gerichtsgebrauchs, dem er überdies i n künftigen gleichgelagerten Fällen eine von allen Gerichten zu beachtende normative K r a f t zukommen ließ. Oftmals banden die Präjudizialgesetze dagegen nur den obersten partikulären Gerichtshof an dessen eigene Präjudizien i n der Erwartung und Überzeugung, die so erzielte Kontinuität der höchstrichterlichen Rechtsprechung würde auf Grund des Subordinationsverhältnisses i m Rechtsmittelzug ohnehin die jeweilige partikularstaatliche Homogenität der Rechtsprechung i n ausreichendem Maße fördern 36 . So bestimmte das 32
I n § 24, Nr. 98; vgl. Heimbach, Lehrbuch, S. 109. Vgl. A r t . 1 u n d 2, zitiert bei Rudorf, Hannov. Privatrecht, S. 7. 34 Vgl. A r t . 3 (zitiert nach Rudorf, ebd.): „Sämtliche Gerichte Unseres Königreichs haben gedachte Entscheidungen i n denjenigen Fällen, auf deren Entscheidung die betreffenden Rechtsfragen Einfluß haben, bis dahin zu befolgen u n d den v o n ihnen abzugebenden Erkenntnissen zum Grunde zu legen, daß ein anderes von Uns gesetzlich bestimmt, oder das bisher befolgte P r ä judiz, i n folge der anerkannten Unrichtigkeit desselben, ausdrücklich beseitigt worden ist." 35 Durch Gesetz v o m 5. J u l i 1853, abgedruckt bei Stobbe, DPR I, S. 167, F N 14 a. E.: § 1 „ W e n n der Cassationshof... dieselbe Rechtsfrage i n verschiedenen Sachen u n d zu verschiedenen Zeiten mindestens zwei Male gleichmäßig, ohne daß eine abweichende Entscheidung dazwischen liegt, entschieden hat, so ist hinsichtlich jener Rechtsfrage ein feststehender Gerichtsgebrauch anzunehmen." § 3 „ . . . die sämtlichen Gerichte des Herzogthums sind gehalten, den so (seil, durch Plenarbeschluß des Obergerichts nach vorgängigem Gutachten der Oberstaatsanwaltschaft) constatirten Gerichtsgebrauch ihren Erkenntnissen so lange zum Grunde zu legen, bis die gesetzgebende Gewalt andere Rechtsnormen festgestellt hat." 36 So der bayrische Gesetzgeber i n den M o t i v e n zum Präjudizialgesetz v o m 33
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bayrische „Gesetz ü b e r d i e V e r h ü t u n g u n g l e i c h f ö r m i g e r E r k e n n t n i s s e b e y d e m o b e r s t e n Gerichtshofe i n b ü r g e r l i c h e n R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n " v o m 17. N o v e m b e r 1837 i n A r t . 3 u n t e r B e z u g n a h m e a u f d e n C o d e x M a x i m i l i a n e u s Bavaricus Civilis37, u m die Bedeutung einer Usualinterpretation anzuheben38: „ E i n solcher Plenar-Beschluß dient nicht n u r f ü r den veranlassenden Fall, welcher sofort von dem betreffenden Senate abzuurtheilen ist, — zur E n t scheidungsnorm, sondern er n i m m t auch f ü r künftige v ö l l i g gleichartige Fälle die Natur eines Präjudizes i m Sinne des Bayerischen Landrechtes T h e i l I , Cap. I I , § 14 Nro. 3 an, insolange nicht eine authentische Auslegung unter M i t w i r k u n g der Stände-Versammlung zu Stande gebracht werden w i r d . " A n d e r s als i n B a y e r n w a r i n K u r h e s s e n i m 19. J a h r h u n d e r t k e i n e r n e u t e r gesetzgeberischer E i n g r i f f e r f o r d e r l i c h , u m d e n E i n f l u ß höchstr i c h t e r l i c h e r P r ä j u d i z i e n z u v e r s t ä r k e n . D e n n d i e betreffende gesetzl i c h e R e g e l u n g i n d e r G e r i c h t s o r d n u n g f ü r das O b e r a p p e l l a t i o n s g e r i c h t z u Cassel v o m 15. F e b r u a r 1746, w o n a c h sich das G e r i c h t i n s t r i t t i g e n Rechtsfragen a u f eine L ö s u n g e i n i g e n u n d diese k ü n f t i g seinen E n t scheidungen z u d e r s e l b e n Rechtsfrage z u g r u n d e l e g e n s o l l t e 3 9 , h a t t e sich i n d e r P r a x i s b e w ä h r t . Dies g e h t aus entsprechend p o s i t i v e n B e u r t e i l u n g e n d e r kurhessischen P a r t i k u l a r r e c h t s l i t e r a t u r h e r v o r , d i e gegen M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s gerade d i e K o n s t a n z d e r h ö c h s t r i c h t e r l i c h e n R e c h t sprechung u n d d i e H o m o g e n i t ä t d e r Rechtsprechung u n t e r E i n s c h l u ß der Instanzgerichte pries 40. T r o t z des gesetzlich a n g e o r d n e t e n n o r m a t i v - v e r b i n d l i c h e n C h a r a k t e r s sollten die höchstrichterlichen Präjudizien bei allen vorgenannten V a r i 17. November 1837 i m Hinblick auf die m i t Bindungskraft ausgestatteten Plenarbeschlüsse des Oberappellationsgerichts: „ M i t Zuversicht läßt sich erwarten, daß auch die Appellationsgerichte u n d die Untergerichte i n Entscheidung vorkommender zweifelhafter Rechtsfragen an die r e r u m similiter j u d i catarum auctoritas fr. 38 D. de legibus ( = D. 1,3,38) sich halten u n d dadurch zur Herstellung einer gleichförmigen u n d constanten Jurisprudenz das Ihrige beyzutragen sich angelegen seyn lassen werden." (zitiert nach Moritz, RealCommentar (Anhang), S. 865/866 § 10). Ähnlich, aber weniger weitgehend die Zerbster OAGO i n § 66, die das Gericht anwies, von seinen einmal angenommenen u n d ausgesprochenen Präjudizien ohne wichtige doktrinelle Gründe nicht wieder abzugehen; vgl. Heimbach, Lehrbuch, S. 109 F N 2. 37 Vgl. oben 2. Kap. D. 38 Z i t i e r t nach Moritz, Real-Commentar (Anhang), S. 852/853. 39 Vgl. oben 2. Kap. D. Die einschlägige Vorschrift des A r t . V § 13 ist bei Strippelmann, Neue Sammlung, 1. Theil, S. 9/10 vollständig abgedruckt. 40 Vgl. Roth ¡Meibom, Kurhess. Privatrecht, Bd. 1, S. X f . : Durch dieses Präjudizialgesetz hatte sich nach Ansicht der Verfasser ein abgerundetes, den Bedürfnissen entsprechendes Privatrecht entwickeln können, ohne daß die Gefahr der Erstarrung u n d Uberalterung drohte, da dann die Gesetzgebung korrigierend eingegriffen hätte. Die lebensnahe Rechtsfortbildung durch die Praxis hielten Roth / Meibom i m Hinblick auf die kurhessische Regelung f ü r so gelungen, daß sie eine Kodifikation des Rechts nicht n u r als entbehrlich, sondern demgegenüber sogar als nachteilig erachteten; vgl. auch noch Strippelmann, Neue Sammlung, 1. Theil, S. I I I .
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anten der unmittelbaren präjudiziellen Bindung keinesfalls die Natur eines materiellen Gesetzes erlangen. I n den Motiven 4 1 zum bayrischen Präjudizialgesetz vom 17. November 1837 und i n der literarischen Kommentierung zum kurhessischen Präjudiziengesetz 42 kam dies ganz klar zum Ausdruck. Da diese Gesetze lediglich den Mitgliedern des obersten Gerichtshofes vorschrieben, eine einmal von ihnen i n einem Präjudiz ausgesprochene Rechtsauffassung i n künftigen gleichgelagerten Fällen beizubehalten, verstanden sich diese Präjudizialgesetze als „Hausstatute" 4 3 , ohne unmittelbar den Urteilssprüchen eine andere rechtliche Qualität verleihen zu wollen. Aber auch wo die Grenzen der bloß gerichtsinternen, präjudiziellen Bindung überschritten und zugleich auch die Untergerichte miteinbezogen waren, w a r der entscheidende qualitative Schritt zur Gleichstellung gewisser höchstrichterlicher Präjudizien m i t dem Gesetz unterblieben, da die i n den betreffenden Präjudizien festgelegten Entscheidungsnormen die Bürger nicht unmittelbar materiell verpflichteten, sondern lediglich eine mittelbare, reflexartige Bindung bewirkten. Eine gegenteilige Schlußfolgerung würde nicht nur dem Umstand widersprechen, daß alle Präjudizialgesetze sehr sorgfältig i n der Diktion zwischen dem bloß präjudiziellen, vom Gericht ausgesprochenen Rechtssatz und dem höherrangigen Aufhebungs- bzw. Änderungsvorbehalt des Gesetzgebers unterschieden 44 , sondern wäre i m übrigen auch m i t dem konstitutionellen Verfassungsverständnis unvereinbar gewesen 45 . 41
Vgl. Moritz, Real-Commentar (Anhang), S. 864 u n d ausführlicher noch i n der mündlichen Erläuterung v. Stürzers vor dem Abgeordnetenhaus, abgedruckt bei Moritz, ebenda, S. 822—825 u n d 829/830. 42 Vgl. Roth I Meibom, S. 101; Strippelmann, S. 11 ff. 43 Vgl. Moritz, S. 822 und 830. Sowohl die bayrische als auch die hessische Regelung der präjudiziellen B i n d u n g hatten zum V o r b i l d die Vorschriften des Reichskammergerichts (vgl. Moritz, S. 859/860 laut den gesetzgeberischen M o t i v e n ; Roth/Meibom, S. I X ) , dessen Plenarbescheide trotz der Übertragung der Kompetenz zur authentischen Gesetzesinterpretation jedenfalls auch keine Gesetze darstellten; s. o. 2. Kap., A., IV., 2. Z u weitgehend daher Stobbe, DPR I , S. 167 unid Lauterjung, Einheit der Rechtsprechung, Strafr. Abh. 300 (1932), S. 12, die vorbehaltlos von Gesetzeskraft sprechen. 44 Vgl. beispielsweise die Gerichtsordnung des Oberappellationsgerichts Jena v o m 8. Oktober 1816 (Heimbach, Lehrbuch, S. 109) oder das hannoveranische Präjudiziengesetz v o m 7. September 1838, A r t . 3 (Rudorff, Hannov. P r i v a t recht, S. 7). 45 Dieser Gesichtspunkt veranlaßte 1821 den württembergischen Gesetzgeber, von der E i n f ü h r u n g eines Präjudizialgesetzes abzusehen. Maßgebend w a r die Befürchtung, die K o n t u r e n von Gesetzgebung u n d Rechtsanwendung könnten verwischen u n d insgeheim den obersten Gerichtshof zum Gesetzgeber aufwerten, vgl. Wächter, Handbuch I I , S. 45, F N 11; eingehender Müller, Geschichte, Prozeßrecht!. Abh. 14 (1939), S. 61 f. A u f demselben G r u n d beruhte 1839 die Zurückhaltung des sächsischen Gesetzgebers, vgl. Wächter, ebd.; Stobbe, DPR I, S. 167, F N 14. Z u den Auswirkungen der Präjudizialgesetze auf die rechtsquellenmäßige Einordnung hödistrichterlicher Präjudizien vgl. unten 3. Kap., B., I. aE.
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
Anders als die Präjudizialgesetze, die eine unmittelbare Bindung an höchstrichterliche Präjudizien herstellten und die Aufhebung ausschließlich dem Ermessen und der Initiative des Gesetzgebers vorbehielten, beließ das Prinzip der mittelbaren Bindung grundsätzlich die Kompetenz, die bisherige Rechtsprechung aufzugeben oder zu modifizieren, bei den Gerichten, erschwerte aber das Wechseln einer einmal angenommenen Rechtsansicht und bewirkte gerade durch diese Erschwernis die mittelbare Bindung m i t der vom Gesetzgeber anvisierten Konsequenz einer konstanteren höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Erschwerung besorgte ein i n der Gerichtsverfassung gesetzlich institutionalisierter Mechanismus, der die Änderung einer Rechtsauffassung des obersten Gerichtshofes von der Vorlage der betreffenden Rechtsfrage an einen besonderen Spruchkörper und von einem entsprechenden positiven Beschluß dieses Spruchkörpers abhängig machte. Diesen m i t groben Strichen skizzierten Weg der mittelbaren präjudiziellen Bindung schlug Preußen ein, nachdem der Versuch, eine gleichförmigere Rechtsprechung durch die generelle Publizierung der Entscheidungsgründe des Geheimen Obertribunals herbeizuführen, ohne den erwünschten Erfolg geblieben war 4 6 . Ausgangspunkt der mittelbaren präjudiziellen Bindung 4 7 w a r die Königl. Preußische Cabinetsordre vom 1. August 1836 (GS S. 218), die zur Wiederherstellung der durch die Aufteilung der Geschäfte des Geheimen Obertribunals auf drei selbständige Senate verlorengegangenen Rechtsanwendungseinheit unter Nr. 3 bestimmte: „Falls ein Senat durch Stimmenmehrheit beschließt, von einem bisher behaupteten Rechtsgrundsatze, oder von der, durch i h n selbst, oder durch einen andern Senat bis dahin befolgten Auslegung u n d A n w e n d u n g einer gesetzlichen Vorschrift abzugehen, so ist die dadurch zweifelhaft gewordene Rechtsfrage an das Plenum des geheimen Obertribunals zu bringen."
Von einer zusätzlichen, besonderen Bindung der Untergerichte an die Präjudizien des Obertribunals nahm der preußische Gesetzgeber bewußt Abstand, da er sich von einer konstanten höchstrichterlichen Rechtsprechung gleichzeitig einen ausreichend stabilisierenden Einfluß auf die Instanzgerichtsrechtsprechung versprach 48 . Die Verpflichtung zur Vorlage an das Plenum, wenn ein Senat lediglich von seiner eigenen Rechtsauffassung abweichen wollte, hob der 46 Vgl. Rechtsprüche der preuß. Gerichtshöfe, Bd. 3, S. I X ; Hanack, Ausgleich, S. 20. Siehe noch oben 3. Kap., A., I. 47 Z u der Entstehung u n d Entwicklung der mittelbaren präjudiziellen B i n dung vgl. die ausführlichen Darstellungen bei Lauter jung, Einheit der Rechtsprechung, Strafr. Abh. 300 (1932), S. 13 ff.; Hanack, S. 18 ff., auf die wegen der Einzelheiten verwiesen w i r d . 48 Vgl. oben S. 84 f. (Präambel zur Cabinetsordre v o m 1. August 1836).
A . Bedeutsame Einflüsse i m 19. Jahrhundert
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preußische Gesetzgeber m i t Gesetz v o m 7. M a i 1856 49 auf, w e i l i h m d i e B e o b a c h t u n g d e r f o r t s c h r e i t e n d e n gesellschaftlichen u n d ö k o n o m i s c h e n E n t w i c k l u n g u n d d e r e n B e r ü c k s i c h t i g u n g i n d e r Rechtsprechung b e i d e n j e w e i l i g e n Fachsenaten besser a u f g e h o b e n erschienen, u n d er v o r e i n e r z u f r ü h z e i t i g e n F e s t s c h r e i b u n g j e n e r E n t w i c k l u n g d u r c h e i n e n schwer a b ä n d e r b a r e n P l e n a r e n t s c h e i d zurückschreckte 5 0 . N a c h d e m V o r b i l d d e r preußischen C a b i n e t s o r d r e v o m 1. A u g u s t 1836 ü b e r n a h m auch d e r N o r d d e u t s c h e B u n d f ü r das seiner G e r i c h t s h o h e i t u n t e r s t e h e n d e B u n d e s o b e r h a n d e l s g e r i c h t 1869 das P r i n z i p d e r m i t t e l b a r e n B i n d u n g , u n d z w a r t r o t z d e r preußischen R e f o r m u n t e r E i n b e z i e h u n g d e r e i g e n e n Rechtsprechung d e r Senate 5 1 . A u c h d e r Reichsgesetzgeber entschied sich e t w a z e h n J a h r e später f ü r das P r i n z i p d e r m i t t e l b a r e n B i n d u n g , u m d i e E i n h e i t d e r Rechtsprechung i n n e r h a l b des Reichsgerichtes sicherzustellen, ü b e r n a h m a l l e r d i n g s d i e B i n d u n g a n d i e eigene Senatsrechtsprechung n i c h t m e h r 5 2 » 5 8 .
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GS S. 293, § 5. Die A n r u f u n g des Plenums blieb jedoch jedem Senat unbenommen (vgl. § 5). Vgl. zu den gesetzgeberischen Motiven: Stenographische Berichte, V. Band, I I . Th. 1856, Aktenstück Nr. 128, S. 543/544. 51 Vgl. § 9 des Bundesgesetzes betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes f ü r Handelssachen v o m 12. J u n i 1869 (Bundesgesetzblatt, S. 201). 52 Vgl. Lauterjung, Einheit der Rechtsprechung, Strafr. Abh. 300 (1932), S. 15/16; Hanack, Ausgleich, S. 23/24. Dieses v o m Reichsgesetzgeber i n §137 G V G v o m 27. Januar 1877 (RGBl. S. 41 ff.) festgeschriebene Prinzip der m i t telbaren B i n d i m g ist i m Grundsatz bis i n die Gegenwart gültig und i m ü b r i gen zuletzt noch durch § 2 Gesetz zur W a h r u n g der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundfes v o m 19. J u n i 1968 (BGBl. I , S. 661) erheblich ausgedehnt worden. 58 Welche Argumente den Gesetzgeber des Norddeutschen Bundes u n d später den Reichsgesetzgeber veranlaßten, das i n verschiedenen P a r t i k u l a r staaten noch geltende Prinzip der unmittelbaren B i n d u n g zu verwerfen u n d stattdessen das preußische Modell zu kopieren, geht aus den Gesetzesmotiven nicht hervor u n d läßt sich nicht mehr m i t Sicherheit feststellen; vgl. Hanack, S. 20, F N 83. Abgesehen v o n den positiven Beurteilungen der kurhessischen Partikularrechtswissenschaft (vgl. oben 3. Kap., A., I I . passim) sind die ü b r i gen Stellungnahmen zu den Präjudizialgesetzen, die das Prinzip der u n m i t telbaren B i n d u n g eingeführt hatten, sehr reserviert; vgl. Mittermaier, Grundsätze I, S. 130. I n Bayern beklagte m a n insbesondere die zu große Zurückhaltung des obersten Gerichtshofs, die i h m durch das bayrische Präjudizialgesetz v o m 17. November 1837 zugewiesenen Befugnisse zur umfassenden Beilegung von Kontroversen zu nutzen; vgl. Seuffert / Glück, Blätter 5 (1840), S. 289—294. I n ganz polemischer Weise brachte Puchta, Jahrb. f. wissenschaftl. K r i t i k 1 (1844), Sp. 8 seine ablehnende H a l t u n g zum Ausdiruck, indem er dem m i t der unmittelbaren Präjudizienbindung verfolgten Z i e l der Stabilität der Rechtsprechung den V o r w u r f der „Stabilität der Geistesträgheit" entgegensetzte. Vermutlich haben diese schlechten Erfahrungen dazu beigetragen, daß das Prinzip der unmittelbaren präjudiziellen B i n d u n g als alternatives Modell i m Verlauf der nationalen Einigung Deutschlands nicht mehr i n Erwägung gezogen wurde. 60
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime I I I . Die Kodifikationen im Zuge der nationalen Einigung
Die Aufzählung der für die Herstellung der Rechtssicherheit und Rechtseinheit bedeutsamen Ereignisse i m 19. Jahrhundert wäre unvollständig, wenn die zahlreichen Kodifikationen i m Zuge der nationalen Einigung unerwähnt blieben. Jene Kodifikationen hatten zwar keinen unmittelbaren Bezug zur Bedeutung gerichtlicher Präjudizien, konnten jedoch insofern auf ein Präjudizienverständnis eingewirkt haben, als sie der Geist des positivistischen Ideals der Lückenlosigkeit und der strengen richterlichen Bindung an das Gesetz durchdrang 54 . Dies galt namentlich für das 1900 i n K r a f t getretene Bürgerliche Gesetzbuch, beschränkt auf die jeweils kodifizierten Teilgebiete aber auch für die bereits früher geschaffenen Reichsjustizgesetze 55 und für die schon vor der staatlichen Einigung i n allen deutschen Territorialstaaten gesondert beschlossenen und verkündeten handelsrechtlichen Gesetzbücher 56 . Die gesetzespositivistische Überzeugung, daß alles Recht vom staatlichen Gesetzgeber erzeugt würde und sich i n seinen Befehlen erschöpfte, w a r die gemeinsame Grundlage jener Kodifikationen und steckte indirekt den justizpolitisch sanktionierten Wirkungskreis richterlicher Tätigkeit ab 57 . B . D i e theoretischen Ansichten der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zur Bedeutung der P r ä j u d i z i e n I . Dogmatische Einflüsse der gemeinund partikularrechtlichen Vorschriften
Bereits i m Eingang zu diesem Kapitel 1 ist die Zäsur hervorgehoben worden, welche die Entwicklung der Rechtstheorie durch die historisch orientierte Betrachtungsweise erfahren hatte. M i t der Krise der geistigen Grundlagen des Vernunfts- und Naturrechts verblaßten offenbar auch Glanz und Bedeutung derjenigen partikulären absolutistisch fundierten Gesetze, die der deutschen Rechtswissenschaft des Ancien Régime die Handhabe gegeben hatten, den Konflikt der gemeinrechtlichen Vorschriften zur Bedeutung der Präjudizien einseitig zugunsten der Vorschrift Cod. Iust. 7,45,13 zu lösen 2 . Denn zu Beginn des 19. 54 VgL Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 475; Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 191. 55 Reichs-Civilprocessordnung, Gerichtsverfassungsgesetz u n d Reichs-Concursordnung; vgl. Wieacker, ebd., S. 466 ff. 66 Allgemeine Deutsche Wechselordnung (1848) u n d Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch (1861); vgl. Wesenberg, a.a.O., S. 187/188; Wieacker, ebd., S. 459/460 u n d S. 462f. 67 Vgl. Wieacker, ebd., S. 431/432 und 437 ff. 1 Siehe oben eingangs 3. Kap. 2 Die entgegenstehende Bestimmung von D. 1,3,38 hatte die Rechtswissenschaft des Ancien Régime bekanntlich i m Hinblick auf die einschlägigen
B. Theorien der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert
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Jahrhunderts, als die deutsche Rechtswissenschaft die Bedeutung und rechtsquellenmäßige Einordnung gerichtlicher Präjudizien noch auf der Grundlage der gemeinrechtlichen Vorschriften diskutierte, stand die Rezeption und Gültigkeit vom D. 1, 3, 38 nun überraschenderweise außer Frage 3 . War aber D. 1, 3, 38 ebenso wie Cod. Iust. 7,45,13 Bestandteil des geltenden römischen Rechts, dann stellte sich i n der gegenseitigen Zuordnung jener Vorschriften das zu bewältigende rechtsdogmatische Problem. Der K e r n des sich daran anschließenden Meinungsstreites betraf die Auslegung der genannten widersprüchlichen, römischen Rechtsvorschriften 4 . Die Vertreter, die sich für eine Bindung durch gerichtliche Präjudizien i n einem gewissen, nicht immer einheitlich beurteilten Umfang aussprachen 5, erkannten i n der Vorschrift von D. 1,3, 38 die allgemeine Regel und i n Cod. Iust. 7, 45,13 die Einschränkung, daß der Gerichtsgebrauch nicht den Gesetzen widerstreiten durfte. Demgegenüber sahen die Gegner 6 i n Cod. Iust. 7,45,13 die Regel und i n D. 1, 3, 38 die Ausnahme für den Fall, daß der Gerichtsgebrauch die Merkmale des Gewohnheitsrechtes vorweisen konnte. Infolgedessen unterschieden die Gegner danach, ob die Gleichförmigkeit lediglich die Folge einer gleichgebliebenen Rechtsauffassung der Gerichte darstellte, oder ob eine i m Volk vorhandene, vom Gericht bloß wiedergegebene Uberzeugung ihre Ursache war. I m letzteren Falle w a r der Gerichtsgebrauch i n Wirklichkeit Gewohnheitsrecht, i m ersteren Falle ohne Rücksicht auf Herkunft und Wiederholung eine unverbindliche Rechtsansicht ohne Rechtsquellencharakter 7 ' 8 . Vom Begriff der „auctoritas rerum perpetuo similiter iudicatarum" her mußten die Befürworter einer bindenden W i r k u n g des Gerichtsgebrauchs einräumen, daß ein einziges Präjudiz diese K r a f t nicht ausübte, sondern erst von mehreren gleichförmigen Entscheidunwidersprechenden Partikulargesetze f ü r nichtrezipiert e r k l ä r t ; vgl. oben 2. Kap., B „ I., 1. 3 Vgl. z. B. Gesterding, Ausbeute V. Th., 2. Abt., S. 179; Göschen, Vorlesungen, Bd. 1, S. 98; Thibaut, Pandektenrecht I, S. 14. 4 Vgl. Jordan, Bemerkungen, A c P 8, 238/239. 5 Hierzu zählen Thibaut, Pandektenrecht I , S. 14; Göschen, Vorlesungen, Bd. 1, S. 98; Klötzer, Revision, S. 290 f.; Müller, Civilistische Abhandl. I, S. 229; namentlich die Frage der Bindung der Untergerichte an den Gerichtsgebrauch der Obergerichte w a r strittig, vgl. Thibaut, S. 15, F N a) oder Göschen, S. 99; kritisch Wächter, Beitrag AcP 23, 439 ff. 6 Hierzu gehören Gesterding, Ausbeute, V. Th., 2. Abt., S. 179ff.; Mühlenbruch, Pandektenrecht I, S. 100; Wächter, ebd., S. 437 f. 7 I m Grunde genommen i n Übereinstimmung m i t der historischen Schule, die dieselbe theoretische Aussage unabhängig v o n den gemeinrechtlichen Bestimmungen formulierte; vgl. unten 3. Kap., B., I I . 8 Wie bereits die Kameralistik betonte m a n auch jetzt i m gleichen A t e m zug den Nutzen des Gerichtsgebrauchs für eine konstante Rechtsprechung u n d organische Rechtsfortbildung; vgl. Wächter, ebd., S. 445; Mühlenbruch, S. 108.
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
gen — etwa i m Sinne einer ständigen Rechtsprechung — ausgehen konnte, und faßten daher den Gerichtsgebrauch als eine Unterart des Gewohnheitsrechts auf 9 . I m Ergebnis war die rechtswissenschaftliche Diskussion über die Bedeutung des Gerichtsgebrauchs auf der Basis der gemeinrechtlichen Quellen wenig ergiebig und verebbte schon bald wieder. Dazu dürfte eine 1825 veröffentlichte eingehende Untersuchung von Jordan 10 beigetragen haben, der die römisch-rechtlichen Vorschriften als nicht einschlägig bezeichnete und dies m i t dem Argument 1 1 begründete, daß die justinianische Kompilation ungeachtet aller Vollständigkeitsbestrebungen gewisse, i n der damaligen römischen Gesellschaft lebendige Traditionen und bei Gericht immer beachtete Gebräuche fortgelten lassen wollte und dies m i t Hilfe der Begriffe wie „auctoritas rerum perpetuo similiter iudicatarum", „mos iudiciorum" etc. anordnete; deswegen konnten, so folgerte Jordan, dieselben Begriffe und Vorschriften nichts über die Voraussetzungen ausdrücken, wie ein Gerichtsgebrauch entstände. Gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen jedenfalls die römisch-rechtlichen Vorschriften nicht mehr zur Debatte, u m präjudizielle Wirkungen theoretisch zu erläutern. Demgegenüber gewannen i n den Territorialstaaten, die sich für eine unmittelbare präjudizielle Bindung entschieden hatten, die betreffenden gesetzlichen Vorschriften 12 eine gewisse Bedeutung für die theoretische Erläuterung höchstrichterlicher Präjudizien. Z u m Teil erkannte die Partikularrechtswissenschaft i n jener Rechtsprechung nicht nur eine selbständige, sondern sogar eine bedeutsamere Rechtsquelle als das Gewohnheitsrecht, und zwar deshalb, w e i l der Gerichtsgebrauch bei der Gesetzesauslegung und -ergänzung als verbindliche Norm zu beachten wäre 1 8 . Vereinzelt blieb dagegen eine noch weitergehende Ansicht 14 , die 9
Lediglich Klötzer, Revision, S. 288 u n d 293 ff. sprach sich f ü r eine eigenständige Rechtsquelle aus, da der Gerichtsgebrauch lediglich zwei gleichförmige, rechtskräftige Entscheidungen zur Voraussetzung hätte, das Gewohnheitsrecht jedoch die „diurnitas temporis" bezüglich der Übungshandlungen erforderte. 10 Jordan, Bemerkungen über den Gerichtsgebrauch, dabey auch über den Gang der Rechtsbildung u n d die Befugnisse der Gerichte, A c P 8, 191 ff. 11 Vgl. Jordan, S. 235 u n d 250 ff. 12 Siehe oben 3. Kap., A., I I . 13 Vgl. Heimbach, Lehrbuch, S. 108/109; Roth / Meibom, Kurhess. P r i v a t recht I, S. 104/105. Letzten Endes u n k l a r w a r i m Hinblick auf den Rechtsquellencharakter der höchstrichterlichen Rechtsprechung das U r t e i l aus Preußen, das eine lediglich mittelbare Präjudizienbindung eingeführt hatte: die betreffenden Plenarentscheidungen hätten insofern eine wichtige Bedeutung, als sie i n der Regel wegen einer besonders sorgfältigen Beratung als zutreffende Auslegungsergebnisse anzusehen wären, die überdies n u r nach einem umständlichen Verfahren umgestoßen werden könnten; vgl. Entscheidungen, Obertribunal, Bd. 1, S. V I I / V I I I . 14 Vgl. Waldeck, Controversen-Entscheidungen, Th. I, S. X I f.
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den obersten Gerichtshöfen außer der bloßen Streitschlichtung zwischen den Parteien noch eine Aufgabe von höherer Qualität zusprach, „mehr legislatorischer als richterlicher Natur", da die Befugnis, den Sinn der Gesetze auszusprechen und Lücken i n den Gesetzen durch Analogie zu ergänzen, i n Wahrheit Ausfluß der Gesetzgebungskompetenz wäre. I n aller Regel verwahrte sich die Partikularrechtswissenschaft m i t Nachdruck dagegen, höchstrichterliche, m i t provisorischer, normativer Gültigkeit ausgestattete Präjudizien formal m i t den Gesetzen gleichzusetzen, und stritt infolgedessen den höchsten Gerichtshöfen grundsätzlich jegliche legilatorische Kompetenz ab 15 . M i t der Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (1879) nach der nationalen, staatlichen Einigung traten sämtliche noch geltende Präjudizialgesetze endgültig außer K r a f t und entzogen der auf sie gestützten Partikularrechtswissenschaft die Grundlage. A u f die Präjudizientheorie der gemeinrechtlichen Pandektenwissenschaft hatten sich die Ansichten der Partikularrechtswissenschaft zur Bedeutung des Gerichtsgebrauchs ohnehin nie ausgewirkt. Die Pandektenwissenschaft hatte vielmehr i m mer den Ausnahmecharakter der partikulären Sondergesetzgebung betont und als nicht konstitutiv für ihr Präjudizienverständnis betrachtet 1 6 . I I . Der Historismus
Das Präjudizienverständnis der historischen Schule knüpfte demgegenüber weder an römisch-rechtliche noch an partikularrechtliche Vorschriften an, sondern ergab sich aus der Rechtsentstehungstheorie der historischen Schule, wie sie Savigny und Puchta begründet haben 17 . Ausgangspunkt dieser Theorie w a r die Maxime von der Geschichtlichkeit des gesamten geltenden Rechts 18 , welches das Resultat eines histo15
Nach Roth / Meibom, Kurhess. Privatrecht I, S. 101 sollte es sich u m eine bloße Verfahrensanweisung handeln, die dem Oberappellationsgericht auftrug, Beratung u n d Entscheidimg des präjudiziellen Rechtsfalles u n d des zur Entscheidimg anstehenden Falles i n bezug auf die zu beachtenden Rechts grundsätze als eine Einheit zu behandeln. Wie sich Verfahrensanweisung u n d Gerichtsgebrauch i n ihren Auswirkungen unterschieden, blieb allerdings u n klar. Roth / Meibom hielten demgemäß den Gerichtsgebrauch f ü r überflüssig, w o bereits ein Präjudizialgesetz eine B i n d u n g verursacht hatte (ebd., S. 104/ 105). 16 Vgl. Mittermaier, Grundsätze I, S. 129/130; Beseler, Volksrecht, S. 311. 17 Z u r Theorie der historischen Schule allgemein vgl. Landsberg, Geschichte I I I , 2 (Text), S. 199ff.; Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 155 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 348 ff. Z u den allgemeinen geistesgeschichtlichen Grundlagen des Historismus u n d den Einflüssen auf die historische Schule, namentlich auf Savigny, vgl. Wieacker, ebd., S. 355 f. 18 Vgl. Savigny, System I , S. 34/35; Landsberg, ebd., S. 443/444 zu Puchtas Vorstellung von der Periodizität der geschichtlichen Entwicklung; Wesenberg, ebd., S. 159 f.; Wieacker, ebd., S. 357/358 u n d 399.
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rischen, evolutionistisch-romantischen Entwicklungsprozesses darstellte 19 . Das Recht empfand man nicht mehr, wie noch unter der Herrschaft des Vernunfts- und Naturrechts, als rationales Produkt eines staatlichen Gesetzgebers, sondern als Erzeugnis irrationaler, i m kollektiven Unbewußtsein des Volkes organisch tätiger Kräfte, nämlich des Volksgeistes 20 . Der Volksgeist w a r als unsichtbare, schöpferische K r a f t die ausschließliche Grundlage der Rechtsbildung und trat als Volksrecht i n der Form der Gesetze, des Gewohnheitsrechtes und des wissenschaftlichen Rechts i n Erscheinung. Jegliche Rechtsbildung stand i n der völligen Abhängigkeit vom Volksgeist 21 . Bestandteil der geltenden Rechtsordnung konnten nur solche Vorschriften sein, die der unbewußt wirkende Volksgeist hervorgebracht hatte; alle übrigen Bestimmungen entbehrten dieser konstitutiven Legitimation. Demnach gab es i m eigentlichen Sinn nur eine einzige Rechtsquelle, die Volksüberzeugung, während die Gesetzgebung, die Gewohnheit und die Rechtswissenschaft lediglich verschiedene Ausdrucksformen der Volksüberzeugung kennzeichneten 22 . Der Inhalt einer gesetzlichen Bestimmung war unmittelbares Volksrecht, da der Gesetzgeber als Mittelpunkt der Nation ihren Geist, ihre Gesinnungen sowie ihre Bedürfnisse i n sich konzentrierte und infolgedessen als der „wahre Vertreter des Volksgeistes" anzusehen war 2 8 . Demgemäß waren die A k t e des Gesetzgebers geltendes Recht, und zwar ohne Rücksicht auf die A r t der Staatsverfassung 24 . Der Entstehungs- und Geltungsgrund einer gewohnheitsrechtlichen Bestimmung war entsprechend der Volksgeist-Prämisse nicht die Übung des betreifenden Rechtssatzes, sondern die unmittelbare Überzeugung des Volkes von der Geltung dieses Rechtssatzes, die erst seine gemeinsame Übung bewirkte 2 5 . Die gewohnheitsmäßige Übung war demgemäß nur das Kennzeichnen eines i h r zugrundeliegenden Gewohnheitsrechtssatzes, nicht aber dessen Ursache 26 . Allerdings erforderte eine bestimmte Volksüberzeugung durchaus nicht ein entsprechendes Bewußtsein bei 19
Vgl. Landsberg, ebd., S. 247. Vgl. Puchta, Gewohnheitsrecht I, S. 138 ff.; Wesenberg, ebd., S. 159; bei Savigny tauchte erst i n dem Spätwerk „System" unter dem Einfluß Puchtas der Begriff „Volksgeist" auf; vgL Landsberg f ebd., S. 233. 21 Vgl. oben F N 20. 22 Vgl. Landsberg, Geschichte I I I , 2 (Text), S. 444. 23 Vgl. Savigny, System I , S. 39; Puchta, Gewohnheitsrecht I , S. 145/146; ders., Jahrb. f. wissenschaftl. K r i t i k 1 (1844), Sp. 12. 24 Savigny, S. 39 ff. 25 Vgl. Savigny, S. 34 ff.; Puchta, Gewohnheitsrecht I , S. 144 f. u n d I I , S. 13. 28 Allerdings erkannte Savigny, S. 35—37 ausnahmsweise die Ü b u n g als m i t w i r k e n d e n Entstehungsgrund eines Rechtssatzes an, w e n n er beispielsweise die Regelung einer formalen Frage betraf, da diese relativ w i l l k ü r l i c h i n dieser oder jener Weise entschieden würde, ohne daß dafür eine bestimmte Rechtsüberzeugung vorhanden wäre. 20
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allen Volksgliedern; i m Einzelfall konnte die Bildung eines Gewohnheitsrechtes auch von den Juristen als den natürlichen Repräsentanten des nationalen Rechtsbewußtseins ausgehen 27 . Insofern war das Juristenrecht lediglich ein Unterfall des Gewohnheitsrechts 28 . Schwieriger gestaltete sich der Versuch, die Sätze des wissenschaftlichen Rechts als Erzeugnisse des Volksgeistes zu erklären und somit als gültiges Recht auszugeben. Auch hier behalf sich die Volksgeistlehre m i t dem Kunstgriff, die Juristen bei der Ausübung ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit als die legitimen Repräsentanten des Volkes zu bezeichnen, u m auf diese Weise die Kreativität und rechtserzeugende K r a f t der Wissenschaft durch den Volksgeist zu rechtfertigen 29 . A l l e r dings waren die Ergebnisse des wissenschaftlichen Rechts, wozu neben den eigentlich wissenschaftlich-theoretischen Arbeiten auch die praktischen Leistungen des judizierenden gelehrten Richters zählten 30 , nach der Auffassung der historischen Schule jedoch nur dann Erzeugnisse des Volksgeistes und somit Bestandteil des geltenden Volksrechtes, wenn der betreffende, m i t wissenschaftlichen Methoden aus gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen Normen deduzierte Rechtssatz der Wahrheit und Richtigkeit entsprach 81 . Dieser Uberblick über die Rechtsentstehungslehre der historischen Schule, der der Grundlegung der Theorie durch Savigny und Puchta i n enger Anlehnung folgte, und der sich auf die Darstellung dessen beschränkte, was das Verständnis der Präjudizientheorie der historischen Schule erfordert, läßt zwei Ansatzpunkte erkennen, u m die Wirkungen gerichtlicher Präjudizien i n das Gesamtkonzept der historischen Rechtstheorie einzuordnen 32 . Vom Standort des Gewohnheitsrechtes verstanden sich gerichtliche Urteile als Kennzeichen eines nach der Volksüberzeugung geltenden ungeschriebenen Rechtssatzes. Dann war das gericht27 Vgl. Puchta, Gewohnheitsrecht I I , S. 17; ders., Jahrb. f. wissenschaftl. K r i t i k 1 (1844), Sp. 12; Landsberg, Geschichte I I I , 2 (Text), S. 448/449. 28 Vgl. Puchta, Gewohnheitsrecht I I , S. 16 ff., insbesondere S. 20/21. 29 Vgl. Puchta, ebd., I , S. 146/147 u n d S. 165 ff., abschwächend i n I I , S. 14— 16; Savigny, System I , § 14; Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 1591; Landsberg, S. 448/449 u n d 459 f. Juristenrecht u n d wissenschaftliches Recht standen n u r i n mittelbarer Beziehimg zum Volksgeist u n d unterschieden sich darin, daß jenes einen partiellen Ausdruck der v o n den Juristen repräsentierten Volksüberzeugung darstellte u n d als Gewohnheitsrecht keiner weiteren Begründung bedurfte bzw. einer solchen nicht fähig war, während dieses gerade die innere Begründung als Voraussetzung einer legitimen Repräsentanteneigenschaft des Volkes erforderte; vgl. Thöl, Einleitung, S. 139. 80 Vgl. Savigny, S. 87 ff.; Puchta, ebd., I I , S. 15/16 bezeichnete auch das w i s senschaftliche Recht als Juristenrecht. 81 VgL Savigny, System I , S. 91 ff. u n d 94/95; Puchta, Gewohnheitsrecht I, S. 165/166 u n d I I , S. 16; ders., Pandekten, S. 25/26. 32 Vgl. dazu Savigny, S. 97, besonders S. 173/174; Wächter, Beitrag, A c P 23, 432; ders., Handbuch I I , S. 43/44; Puchta, ebd., I I , S. 14—21.
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liehe Urteil neben den Rechtshandlungen der Mitglieder der Volksgemeinschaft nichts anderes als ein besonderes Ausdrucksmittel der Volksüberzeugung 33 . Setzte man dagegen zum Verständnis gerichtlicher Präjudizien beim wissenschaftlichen Recht an, dann stellten Präjudizien wissenschaftliche Rechtsansichten dar, deren Gültigkeit ausschließlich durch die inhaltliche Richtigkeit bedingt war. Diesen doppelten Ansatzpunkt zum theoretischen Verständnis gerichtlicher Präjudizien hatte schon Savigny u hervorgehoben, indem er die praktische Arbeit des judizierenden gelehrten Richters als „Organ des Gewohnheitsrechts und zugleich (als) ein Stück des wissenschaftlichen Rechts" bezeichnete. Diese Ambivalenz des theoretischen Ansatzes blieb, wie i m Folgenden noch darzulegen sein wird, eigentlich für die Präjudizientheorie des gesamten 19. Jahrhunderts maßgeblich. Zieht man den Umstand i n Erwägung, daß ein reiner Gewohnheitsrechtssatz w o h l nur i n den selteneren Fällen die Ursache gleichförmiger Urteile war, und überdies das Urteil kein über den gewohnheitsrechtlichen Rechtssatz hinausgehendes Recht erzeugte, dann begriff die historische Schule die ständige Rechtsprechung i m K e r n als eine bei Gericht bestehende wissenschaftliche Überzeugung ohne eine äußere Gültigkeit. Für den Bestand des i m Urteil ausgesprochenen Rechtssatzes w a r wie für jedes andere Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnis allein die innere Richtigkeit entscheidend, nämlich die anerkannten wissenschaftlichen Methoden entsprechende Anwendung der i n den Rechtsquellen Gesetz und Gewohnheitsrecht enthaltenen Rechtssätze auf den zu entscheidenden Lebenssachverhalt 86 . Der mangelhafte und lückenhafte Bestand gesetzlicher und gewohnheitsrechtlicher Normen einerseits und die faktischen Verhältnisse des Rechtslebens andererseits zwangen jedoch vorerst 36 zu Zugeständnissen. So sprach Jordan 37 angesichts des unzulänglichen Normbestands den Gerichten eine vermittelnde Stellung zwischen den Gesetzen und dem wirklichen Leben zwecks Förderung der Gerechtigkeit zu. Denn das objektive Unterlassen des Gesetzgebers, von seiner Gesetzgebungsprärogative Gebrauch zu machen und die Normlücken zu schließen, autorisierte nach Jordans Auffassung die Gerichte, „die Gesetze, m i t Berücksichtigung der Grundprincipien, Rechtsgründe und Zwecke derselben, den herrschenden Ansicht und Verhältnissen des Volkes möglichst anzu33
VgL oben 3. Kap., B., I I . System I, S. 90. 35 So ausdrücklich Wächter, Handbuch I I , S. 43—45; ders., Beitrag, A c P 23, 433; Savigny, System I , S. 91 ff. u n d 94/95; Puchta, Gewohnheitsrecht I I , S. 16; ders., Jahrb. f. wissenschaftl. K r i t i k 1 (1844), Sp. 12. 36 Anders später unter zunehmendem Einfluß des rechtswissenschaftlichen Formalismus; vgL unten 3. Kap., B., I I I . 37 Bemerkungen A c P 8, 208/209. 34
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passen, und durch die eigene Jurisprudenz zu ergänzen" 38 . M i t Rücksicht auf das Gewaltentrennungsprinzip, das die Gerichte zur Rechtsanwendung, nicht jedoch zur Rechtsschöpfung berechtigte, lehnte Jordan zwar eine formelle Gesetzeskraft der ergänzenden Jurisprudenz ab 39 , befürwortete aber eine relative Bindung i n der Weise, daß ein anderes Gericht die i m Präjudiz ausgesprochene Entscheidungsnorm befolgen müßte, falls es „nach allseitiger Prüfung der geltenden Rechtsnormen, ihrer Gründe und Zwecke, so wie der factischen Verhältnisse des vorliegenden Falles keine bessere, d. i. gerechtere Entscheidungsnorm aufzufinden vermag" 4 0 . Insofern lieferte der Gerichtsgebrauch „die dem präsumtiven Willen des Gesetzgebers angemessenste Entscheidungsnorm" 4 1 . Ebenso ging Savigny auf die faktischen Besonderheiten des Rechtslebens ein und räumte mehreren gleichförmigen Entscheidungen eines Gerichts immerhin eine zu beachtende Autorität ein, von der abzugehen nur nach wiederholter, ernsthafter Prüfung auf Grund neuer, bisher nicht erwogener Gründe statthaft wäre. Eine unabänderliche Bindung lehnte Savigny ausdrücklich ab 42 . Auch die Berücksichtigung des Instanzenverhältnisses führte zu gewissen Einschränkungen der Präjudizientheorie. So wollte Jordan zwar i m Prinzip seine Lehren auch i m Verhältnis der Untergerichte zu den Obergerichten angewendet sehen, respektierte aber die vorhandenen faktischen Besonderheiten, die eine weitgehende Bindung an höchstrichterliche Präjudizien bewirkten 4 3 . Auch Savignys Ablehnung der Präjudizienbindung war i m Instanzenverhältnis wegen des mittelbaren Einflusses der Obergerichte auf die Rechtsprechung der Untergerichte durch die Abänderungsbefugnis weniger strikt 4 4 , so daß insoweit das Verständnis vom Präjudiz als bloße wissenschaftliche Rechtsansicht eine nicht unerhebliche Einschränkung hinnahm. Ein von Grund auf positiveres Verständnis gerichtlicher Präjudizien äußerte Maurenbrecher, der allerdings — anders als die herrschende Meinung der historischen Schule — für das fortgeschrittenere Stadium der Rechtsentwicklung anstelle der Gewohnheit das organische Wachst u m der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung als eigentliche Rechts38
Jordan, Bemerkungen, A c P 8, 209. Ebd., S. 239/240. Ebenso verneinte Jordan eine Unterart des Gewohnheitsrechtes (S. 233). 40 Ebd., S. 241; durch den A u f r u f zu allseitiger eigener Prüfung w a r gleichzeitig der damaligen Zeitströmung nach wissenschaftlicher Behandlung des Rechts Rechnung getragen, da die eigene Erkenntnisfähigkeit die natürliche Grenze der richtigen Erkenntnis bildete. 41 So Jordan, S. 246. 42 System I, S. 95/96. 43 Vgl. Jordan, Bemerkungen, A c P 8, 241 ff. 44 Savigny, System I, S. 96. 39
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
quellen bezeichnete und ihnen eine rechtserzeugende K r a f t zusprach 45 . Aber obschon Maurenbrecher die Gerichtsurteile als Rechtsquelle anerkannte und die i n ihnen ausgesprochenen Rechtssätze als materielles Recht ansah, lehnte auch er letzten Ende eine unbedingte Bindungskraft ab 4 6 : das Präjudiz binde niemals den Richter absolut, sondern nur insoweit, als er es m i t besseren Gründen nicht zu widerlegen vermag. Insofern kamen Jordan und Maurenbrecher zu übereinstimmenden Ergebnissen, wenn auch Jordan den Schritt zur Anerkennung des Gerichtsgebrauchs als Rechtsquelle nicht wagte. Andererseits stieß Maurenbrechers Rechtsquellentheorie auf schärfste K r i t i k 4 7 und fand eigentlich nirgendwo Anerkennung. I I I . Der rechtswissenschaftliche Formalismus 48 und der Gesetzespositivismus
Wenn i n diesem Unterabschnitt die Darstellung des Präjudizienverständnisses der Rechtswissenschaft einen neuen Ansatz erfährt, dann hat dies keineswegs seinen Grund etwa darin, daß sich der rechtswissenschaftliche Formalismus von den maßgeblichen Grundpositionen der von Savigny und Puchta begründeten historischen Schule entfernt hätte 49 . Die gesonderte Darbietung des rechtswissenschaftlich-formalistisch geprägten Präjudizienverständnisses rechtfertigt vielmehr das komplexe Programm der historischen Schule, wobei der rechtswissenschaftliche Formalismus auf einer weiteren Komponente dieser Schule aufbaute. Einerseits prägte die historische Schule nämlich die bereits erläuterte, gegen das Vernunfts- und Naturrecht gerichtete historischevolutionistische Vorstellung von der Rechtsentstehung, andererseits aber sah das Programm der historischen Schule als weitere gleichwertige Komponente die Neubegründung einer methodenbewußten, systematischen Rechtswissenschaft vor 5 0 . Dabei knüpfte die historische Schule, ohne dies jedoch offen einzugestehen, an die von der Rechtswissenschaft des Vernunfts- und Naturrechts propagierte Möglichkeit einer logisch widerspruchsfreien und rationalen, geistigen Organisation des Rechtsstoffes an und bediente sich der vernunfts- und naturrechtlichen System« und Begriffsbildungen. Das Ergebnis war der Aufbau einer posi48
Vgl. Landsberg, Geschichte I I I , 2 (Text), S. 399. So Maurenbrecher, Lehrbuch I, S. 69/70, mißverständlich jedoch S. 63. 47 Vgl. Landsberg, Geschichte I I I , 2 (Noten), S. 189/190. 48 Z u m Sprachgebrauch vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 431/432. 49 Die nachhaltigen Auswirkungen der historischen Schule lassen sich beispielsweise noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts i n dem anerkannten Standardwerk von Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I , 9. Aufl., 1906 deutlich feststellen i m Zusammenhang m i t der Darstellung des Gewohnheitsrechts (vgl. S. 76 ff. passim). 50 Vgl. Wieacker, ebd., S. 367 ff. 46
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tiven, systematischen Zivilrechtswissenschaft, die nach dem geistigen Vorbild der Kodifikationen des jüngeren Naturrechts „die absterbende Masse des ,jus commune' i n einen neuen Prinzipienzusammenhang" integrierte 51 . Ausgehend von dem vernunfts- und naturrechtlichen Vermächtnis verstand der rechtswissenschaftliche Formalismus die gesamte Rechtsordnung als ein theoretisch stets i n sich geschlossenes System ohne Lücken. Dies bedeutete nicht, daß die positiven Rechtssätze gleichfalls eine vollständige und lückenlose Ordnung bildeten, sondern vielmehr, daß die vorhandenen Rechtssätze i m Wege positiver Konstruktion beliebig zu gedachter Vollständigkeit ergänzbar waren 5 2 . Gesellschaftlichsoziale, metaphysische oder andere außer juristische Bezüge und Wertungen hatten auf die rechtsschöpferische Konstruktion durch die Rechtswissenschaft 53 keinen Einfluß mehr. Der rechtswissenschaftliche Formalismus legte den Begriffen eine unmittelbare Realität zugrunde und gewann die zu bildenden neuen Rechtssätze ausschließlich durch die logisch-juristische Ableitung aus Systemen, Begriffen und Lehrsätzen 54 . Puchtas „Genealogie der Begriffe" 55 und die „Pandektenharmonistik" 3 8 markierten den Höhepunkt und zugleich die Hypostasierung des rechtswissenschaftlichen Formalismus als Ausdruck der Uberzeugung, daß die logische Begriffs- und Systemgerechtigkeit eines wissenschaftlichen Satzes auch seine Richtigkeit i n der Realität begründete 57 . Diese Grundsätze des rechtswissenschaftlichen Formalismus konnten i m Hinblick auf die Präjudizientheorie nicht ohne Resonanz bleiben und gaben i h r i n der Tat unter grundsätzlicher Wahrung des Präjudizienverständnisses der historischen Schule einen besonderen Akzent. Solange die historische Schule auf der Geschichtlichkeit der Entstehung allen Rechts beharrte und dabei die Beteiligung der unmittelbaren 51 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 369 ff. u n d S. 430/431. Z u r E r haltung des naturrechtlichen Rationalismus i n der historischen Schule siehe v o r allem S. 372, F N 84 m. w. N.; allgemein zu den naturrechtlichen V e r mächtnissen der historischen Schule siehe S. 373—377. 68 Vgl. Wieacker, ebd., S. 433—439. 63 I n welchem Ausmaß sich die Rechtsschöpfungen der Rechtswissenschaft unter dem Einfluß des rechtswissenschaftlichen Formalismus von der W i r k lichkeit verselbständigt hatten, veranschaulicht die I n i t i a t i v e verschiedener P r a k t i k e r i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, m i t H i l f e der Veröffentlichung ausgewählter gerichtlicher Entscheidungen wieder ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie u n d Praxis herzustellen, vgl. SeufferVs Archiv, Bd. 1 (1847), S. I I I / I V u n d oben 3. Kap., A., I. aE. 54 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 40Q—402 u n d S. 431—433. 55 Vgl. Wieacker, ebd., S. 400/401 (Fundstellennachweis i n F N 78 a); Landsberg, Geschichte I I I , 2 (Text), S. 452 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 19ff.; Fikentscher, Methoden I I I , S. 91 f. 68 Vgl. Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 161. 57 Vgl. Wieacker, ebd., S. 434. i*
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
Volksüberzeugung besonders hervorhob, war die Wirklichkeitsbeziehung der neu zu bildenden Rechtssätze letzten Endes nicht i n Frage gestellt, da die entsprechende wissenschaftliche Arbeit trotz aller systematisierenden oder methodisierenden Bestrebungen bei Lücken i m Recht die faktischen Verhältnisse des Rechtslebens noch hinzunehmen bereit war 5 8 . Erst als der rechtswissenschaftliche Formalismus die Rechtsordnung als ein der Idee nach vollständiges, i n sich geschlossenes System ausgegeben und die Erzielung völliger Systemgerechtigkeit durch wissenschaftliche Arbeit i n den Bereich des Möglichen gestellt hatte, waren die Voraussetzungen gegeben, jegliche richterliche Rechtsfindung als einen logischen A k t richtiger Subsumtion zu deklarieren und das richterliche Urteil i n zweifei- oder lückenhaften Rechtsfällen als eine schöpferische, wissenschaftliche Leistung zu begreifen, die eine latent bereits i m System enthaltene Lösung aufdeckte 59 . Wenn demnach die Vertreter und Anhänger des rechtswissenschaftlichen Formalismus die Gültigkeit eines vor Gericht entwickelten Rechtssatzes von seiner inneren Richtigkeit abhängig machten, meinten sie damit die konstruktivrichtige Deduktion des wissenschaftlich aus den vorhandenen Rechtsquellen, Gesetz und Gewohnheitsrecht, erarbeiteten Rechtssatzes60. M i t dieser Betrachtungsweise, die i n dem richterlichen Urteil stets eine rein wissenschaftliche Leistung erblickte, verband der rechtswissenschaftliche Formalismus zugleich ein präjudizienfeindliches Verständnis. So konnte sich namentlich Puchta! 81 nichts Trostloseres vorstellen „als eine solche Autorität, welche lediglich einem äußeren, von keinem Gedanken beseelten Factum (Präjudiz) beigelegt w i r d " , und durch eine Festschreibung widerrechtlicher Ergebnisse eine Fortbildung des Rechts behin58 S. o. 3. Kap., B., I I . Namentlich Savignys Lehre von den „Rechtsinstituten" als Ausgangspunkt u n d Grundlage der Rechtsentwicklung garantierte die Realitätsnähe der neuen Rechtsschöpfungen. Denn der organisch wirkende Volksgeist produzierte nicht unmittelbar neue, abstrakte Rechtsregeln, sondern entwickelte u n d veränderte vielmehr i m Laufe der Zeit unmerklich die typischen, konkreten Lebensverhältnisse des Volkes, die i n den Rechtsinstituten, w i e z. B. der Ehe, dem Grundstückseigentum etc., ihre rechtliche Ausgestaltung erfuhren, ohne allerdings jemals erschöpfend i n abstrakten Rechtsregeln dargestellt werden zu können. Demzufolge schuf der Wandel der L e bensverhältnisse die Notwendigkeit zur Fortentwicklung der entsprechenden abstrakten Rechtsregeln, die aber trotz ihrer begrifflichen Ausformung u n d Durchbildung i n der von den Lebensverhältnissen geprägten Anschauung des Rechtsinstituts ihre tiefere Grundlage besaßen; vgl. Savigny, System I, S. 9 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 13 ff. Demgegenüber prägte Puchta die formalistische These v o m „organischen Zusammenhang der Rechtssätze" und stellte somit Savignys Rechtstheorie praktisch auf den Kopf, vgl. Larenz, ebd., S. 21/22. 59 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 436 ff. 60 Vgl. Puchta, Gewohnheitsrecht I, S. 166; ders., Pandekten, S. 25/26; ders., Jahrb. f. wissenschaftl. K r i t i k 1 (1844) Sp. 12; Wächter, Handbuch I I , S. 47; Windscheid, Lehrbuch I, S. 89/90, F N 8; Thöl, Einleitung, S. 138/139. 61 Gewohnheitsrecht I, S. 164/165.
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derte. Die ständige Rechtsprechung war lediglich ein Indiz oder eine Vermutung für die wissenschaftliche Richtigkeit, d. h. für die Systemgerechtigkeit des logisch entwickelten Rechtssatzes, und i n diesem Sinne Erkenntnisquelle eines bereits entstandenen (zunächst latent gebliebenen) Rechtssatzes62. Noch schärfer äußerte sich Beseler™, der i n Präjudizien „nichts anderes als Zeugnisse von der juristischen Überzeugung der Majorität eines bestimmten Gerichts" erblickte. Konsequent übertrugen die Anhänger des rechtswissenschaftlichen Formalismus dieses Präjudizienverständnis auch auf das Instanzenverhältnis der Untergerichte zu den Obergerichten. Wo Savigny und Jordan unter Berücksichtigung der faktischen Einwirkungsmöglichkeiten der Obergerichte auf die Rechtsprechung der Untergerichte noch Abstriche an der Unbedingtheit wissenschaftlicher Überzeugungsbildung vornahmen 64 , lehnte der rechtswissenschaftliche Formalismus derartige Zugeständnisse schlechthin ab: jedes Gericht, auch i m Subordinationsverhältnis, hatte sich eine eigene wissenschaftliche Überzeugung über den wahren Inhalt des Rechts zu bilden und sich ausschließlich daran zu orientieren 65 . Allerdings übersah diese Forderung die justizpolitischen Bestrebungen der zunächst partikulären, später nationalen Gesetzgebung, durch eine unmittelbare oder mittelbare Bindung der Untergerichte an die Rechtsprechung der Obergerichte die Rechtseinheit zu gewährleisten 66 . U m so mehr machte jene Forderung daher deutlich, i n welchem Maße das Prinzip der richterlichen Bindung an die Wissenschaft i m Zeitalter des rechtswissenschaftlichen Formalismus als Garant für eine berechenbare und sichere Rechtsfindung empfunden wurde. Offenbar war damals i n großen Teilen der deutschen Rechtswissenschaft der wissenschafts-idealistische Glaube so übermächtig, daß sie die Rechtsanwendungseinheit m i t Rücksicht auf die Exaktheit und Eindeutigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisfähigkeit ausreichend gesichert hielten. Während somit die Präjudizientheorie, vom Verständnis der gerichtlichen Entscheidungen als wissenschaftliche Leistungen ausgehend, i n hohem Maße zu einer negativen Einstellung tendierte, versuchte bereits uinter der Herrschaft des rechtswissenschaftlichen Formalismus ein gewohnheitsrechtlicher Ansatz 67 , der i n der Praxis zu beobachtenden Be62
Vgl. Puchta, e b d I, S. 166/167 u n d I I , S. 16; ders., Pandekten, S. 26. Beseler, Volksrecht, S. 310; ähnlich Wächter, ebd., S. 45. 64 Vgl. oben 3. Kap., B., I I . 65 So Wächter, Handbuch I I , S. 42/43; Beseler, Volksrecht, S. 311/312; Puchta, Pandekten, S. 26, F N c. 66 Vgl. oben 3. Kap., A., I I . 87 Siehe oben 3. Kap., B., I I . 63
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
deutung einer ständigen Rechtsprechung besser Rechnung zu tragen, als es die wissenschaftlich fixierte Vorstellung erlaubte. Den neuen gewohnheitsrechtlichen Ansatz ermöglichte der Meinungswandel i n der Rechtswissenschaft, welche Bedeutung dem Übungsakt bei der Entstehung eines Gewohnheitsrechtssatzes zukam. Während die historische Schule ursprünglich den Übungsakt vernachlässigte und i n i h m lediglich ein Erkenntnismittel erblickte, das eine bereits kraft Volksüberzeugung geltende Gewohnheitsrechtsnorm zum Ausdruck brachte 68 , gewann i n der Folgezeit die Übung zunehmend an Bedeutung. Das Spektrum der dazu vertretenen Meinungen w a r breit 6 9 . Zunächst erachtete man die bloß theoretische Rechtsüberzeugung nicht mehr als ausreichend stark, Recht zu schaffen, sondern sah i n der hinzutretenden Übung erst die genügend starke Bestätigung der Rechtsüberzeugung, die nun den bestimmenden Einfluß auf die Gestaltung der Rechtsverhältnisse auszuüben vermochte. Z u noch größerer Bedeutung gelangte die Übung i n den Augen derer, die i n ihr zunächst die Grundlage für die Bildung der rechtlichen Überzeugung und schließlich sogar den alleinigen Geltungsgrund sahen. Schon bald nach dem Verblassen der ursprünglichen Vorstellung der historischen Schule über die Bedeutung der Übung setzte sich i n der Rechtswissenschaft der gewohnheitsrechtliche Ansatz zur Erläuterung einer ständigen Rechtsprechung durch und behielt i n der Zeitspanne des rechtswissenschaftlichen Formalismus und des sich daran anschließenden Gesetzespositivismus nahezu uneingeschränkte Gültigkeit. Ausgangspunkt des gewandelten Verständnisses blieb zwar nach wie vor der Grundsatz, daß richterliche Urteile, auch wenn sie sich m i t gleichbleibendem Inhalt mehrfach wiederholten, Ergebnisse wissenschaftlicher Tätigkeit des gelehrten Richters waren ohne bindende K r a f t für künftige gleichgelagerte Fälle. Infolge der stärker gewordenen Betonung der Übung als Entstehungsfaktor des Gewohnheitsrechts konnten jedoch i n gleichförmigen Gerichtsurteilen bestätigte wissenschaftliche Rechtssätze allmählich zu Gewohnheitsrecht erstarken und waren dann als Gewohnheitsrecht i n künftigen Fällen ohne weiteres verbindlich. Der qualitative Umschlag vom Gerichtsgebrauch als wissenschaftliches Recht ohne äußere, formelle Bindungskraft zum Gerichtsgebrauch als bindendes Gewohnheitsrecht trat i n dem Moment ein, i n dem die Gleichförmigkeit der gerichtlichen Entscheidungen nicht mehr Ausfluß der übereinstimmenden und gleichbleibenden wissenschaftlichen Überzeugung der betreffenden Gerichte war, oder positiv ausgedrückt, wenn 68
Vgl. oben 3. Kap., B., I I . Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Windscheid, Lehrbuch I, S. 79—81, F N 2 m i t den entsprechenden Literaturnachweisen, auf die die folgende Wiedergabe des damaligen Meinungsstandes Bezug n i m m t . 89
B. Theorien der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert
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die Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts gegeben waren. Entsprechend den geschilderten unterschiedlichen Meinungen über die Bedeutung der Übung als Geltungsgrund des Gewohnheitsrechts schwankten auch die Auffassungen über die gewohnheitsrechtliche Deutung der ständigen Rechtsprechung. So stellten Puchta 70, Wächter 71, Kohler 72 und Gierke 73 darauf ab, ob die i n der Gleichförmigkeit zum Ausdruck gekommene Übung eine entsprechende rechtliche Volksüberzeugung bew i r k t hatte, während Adickes 7*, Dernburg 75 und Windscheid 7* das Erfordernis der Übung u m ihrer selbst w i l l e n betonten. Da die Übung auf gerichtlichen Handlungen beruhte, nicht jedoch auf solchen des Volkes, ordnete man den Gerichtsgebrauch, wenn er gewohnheitsrechtlichen Charakter angenommen hatte, i n der Regel als Unterfall 7 7 des Gewohnheitsrechts ein. Wie sehr sich der gewohnheitsrechtliche Ansatzpunkt zum rechtstheoretischen Verständnis der ständigen Rechtsprechung gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hatte, lassen beispielhaft die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch erkennen, wo es dazu vorbehaltlos heißt 7 8 : „Rechtssätze, die sich i n der Judikatur unter dem Namen der Analogie, der . . . Auslegung, der feststehenden Praxis und dergl. herausbildeten, (sind) i n Wahrheit nichts als Gewohnheitsrecht, und dieses m i t Fug und Recht ein Produkt der fortbildenden Thätigkeit des Richters." Diese herrschende Theorie stieß i m 19. Jahrhundert kaum auf Widerspruch. Von den seltenen Ausnahmen ist bemerkenswert die von Bülow vorgetragene K r i t i k , der die abstrakte Rechtssatzbildung ausschließlich i n den Formen des Gesetzes oder Gewohnheitsrechtes für unzureichend hielt und die herrschende Theorie angriff, weil sie das Richterrecht schließlich ganz ignoriert hätte, als sich die Erfolglosigkeit des Versuchs herausgestellt hatte, das richterliche Recht i n das überlieferte Schema 70
Gewohnheitsrecht I I , S. 17 ff. Handbuch I I , S. 44; ders., Beitrag AcP 23, 445: „Quelle allmählig entstehender wahrer Gewohnheitsrechte". 72 Schöpferische K r a f t , S. 295: „ A u t o r i t ä t des i m Urteilsspruch manifestierten Zeitgeistes". 73 DPR I, S. 178/179. 74 Von den Rechtsquellen, S. 56/57 und 59. 75 Pr. Pr. R. I, S. 4 2 - 4 4 . 76 Lehrbuch I, S. 89/90, F N 8: „Es k a n n . . . der auf wissenschaftlichem Wege gefundene Rechtssatz i m Laufe der Zeit zum wirklichen Gewohnheitsrecht werden, w e n n er nämlich als solcher, ohne Bewußtsein von den wissenschaftlichen Gründen, aus welchen er zuerst aufgestellt worden ist, dauernd geübt w i r d . " Ähnlich die Auffassung des Reichsgerichts i n einer frühen Entscheidung; RGZ 3, 174 ff. (178). 77 Vgl. Gierke, DPR I, S. 179; Wächter, Handbuch I I , S.44f.; Adickes, Von den Rechtsquellen, S. 59. 78 Vgl. Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 1, S. 570. 71
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
der abstrakten Rechtsquellen hineinzupressen 79 . Demgegenüber begriff Bülow den vorhandenen Bestand abstrakter Normen, insbesondere die Gesetzesordnung, als notwendig unvollständig und bloß als einen Versuch zur Verwirklichung einer Ordnung des Rechts, die noch der Ergänzung bedürfte 80 . Gesetz und Richteramt sollten sich also den staatlichen Auftrag zur Rechtsgewinnung teilen: das Gesetz gab nach Bülow s Ansicht zwar die verbindliche, allgemeine Anweisung, dachte den zur Entscheidung des Streitfalles notwendigen Rechtsgedanken aber noch nicht zu Ende, sondern überließ die Vollendung i m konkreten Rechtssatz den zur Rechtsprechung staatlich autorisierten Gerichten 81 . Da sich die gesetzliche Anweisung und die richterliche Ergänzung als prinzipiell gleichwertige Komponenten bei der Schlichtung eines Rechtsstreites verstanden, fiel Bülows Einschätzung gerichtlicher Präjudizien günstiger aus, ohne daß er zu ihrer Wirkung i n künftigen gleichgelagerten Fällen präzise Stellung nahm. Die Beständigkeit der Rechtsprechung resultierte seiner Auffassung nach aus der menschlichen Neigung zur Akkommodation sowie aus dem Bemühen der Gerichte, durch Kontinuität die Anerkennung ihrer Rechtsprüche zu finden bzw. zu erhalten 8 2 . I n seiner Zeit stieß Bülows Ansicht kaum auf Resonanz 83 . Z u wenig paßte offenbar die Vorstellung von einer notwendig unvollständigen Gesetzgebung, die überdies auch noch zu ihrer inhaltlichen Vollendung der richterlichen Ergänzung bedurfte, i n die Landschaft des Gesetzespositivismus. Die herrschende Lehre beharrte unter dem Einfluß des Formalismus und Gesetzespositivismus auf dem bereits geschilderten Standpunkt 8 4 und betrachtete auch die ständige, höchstrichterliche Rechtsprechung wie jede andere wissenschaftliche Meinung als unverbindlich, solange die betreffende Rechtsprechung keine gewohnheitsrechtliche Geltung für sich i n Anspruch nehmen konnte. Unter Berücksichtigung dieser Maxime verstanden sich die sonstigen Zugeständnisse 79
Vgl. Bülow, Gesetz u n d Richteramt, S. 42-—44. Vgl. Bülow, S. 5 ff., 10 ff. u n d 45 ff. 81 Vgl. Bülow, S. 41 u n d 46/47. 82 Bülow, Gesetz u n d Richteramt, S. 43. Vergleichbar positiv bewertete auch Bahr, Wert der Präjudizien, S. 427 ff. das Bestehen gerichtlicher, namentlich höchstrichterlicher Entscheidungen. Er erklärte die A u t o r i t ä t dieser Entscheidungen aus der Einrichtung des zentralistisch organisierten Instanzenverhältnisses, das zur Betrachtung der Justiz als einheitlichen Organismus zwänge (S. 427/428) u n d es dem Richter grundsätzlich verbieten würde, v ö l l i g isoliert seine Rechtsansichten zu bilden. U m die Innovationsfähigkeit der Rechtsprechung durch die erneute Überprüfung derselben Rechtsfrage aufrechtzuerhalten, lehnte Bähr allerdings eine starre Bindung an höchstrichterliche Präjudizien ab (S. 430) u n d suchte einen Ausgleich zwischen Präjudizienk u l t u n d völliger Unverbindlichkeit. 83 Vgl. Dawson, Oracles of the law, S. 444, F N 44. 84 Siehe oben 3. Kap., B., I I I . 80
B. Theorien der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert
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der Doktrin, wie bereits i m Vernunfts- und Naturrecht die der Rechtswissenschaft des Ancien Régime 85 , als beiläufige, unverbindliche Lippenbekenntnisse, m i t denen man die (nicht gewohnheitsrechtlich fundierte) ständige Rechtsprechung scheinbar aufwertete. Dies gilt beispielsweise für die gebräuchlichen Attribute: „faktische Autorität", „Moment der Rechtsbildung" 86 , „freie A u t o r i t ä t " 8 7 etc. Der Versuch, die Wirkungen dieser Autorität der Rechtsprechung theoretisch zu erfassen, unterblieb jedoch ganz. Die bisherige Darstellung schilderte die Bewertung und rechtstheoretische Einordnung der judiziellen Rechtsbildung durch die Rechtswissenschaft i n den Epochen des rechtswissenschaftlichen Formalismus und des Gesetzespositivismus einheitlich ohne deutliche Zäsur. Das war deshalb gerechtfertigt, w e i l der Gesetzespositivismus lediglich die Methoden und Postulate des rechtswissenschaftlichen Formalismus auf die geschriebene Rechtsordnung übertrug 8 8 . Die nunmehr vorgesehene Bindung des Richters an die geschriebene Rechtsordnung führte zu keiner grundsätzlichen Modifikation des Präjudizienverständnisses 89 , w e i l die eigentlichen Hintergründe der richterlichen Bindung identisch geblieben waren. Sowohl für die ungeschriebene Rechtsordnung des rechtswissenschaftlichen Formalismus als auch für die geschriebene, kodifizierte Rechtsordnung des Gesetzespositivismus galt der Grundsatz der Vollständigkeit und Lückenlosigkeit 90 , der seinem Anspruch nach die Entscheidung eines jeden — noch so neuen und unerhörten — Streitfalles als i n der Rechtsordnung rechtlich vorgegeben ausgab und die Entscheidungsfindung ausschließlich auf logische Konstruktion und Subsumtion beschränkte. Hinter diesem Postulat stand das Bestreben der auf die Sicherung von Eigentum und Freiheit bedachten bürgerlichen Unternehmergesellschaft des 19. Jahrhunderts, jegliche richterliche W i l l k ü r auszuschließen und die Berechenbarkeit der richterlichen Entscheidung sowie die Sicherheit der Rechtsanwendung zu gewährleisten. I m Konstruktionsverfahren und Subsumtionsdogma erkannte die liberalistische bürgerliche Gesellschaft m i t h i n die unentbehrlichen Garanten für die 85
Siehe oben 2. Kap., A., I. u n d B., I I . Wächter, Handbuch I I , S. 41; ders., Beitrag, AcP 23, 445; ähnlich Dembürg, Pr. Pr. R. I, S. 42/43. 87 Gierke, DPR I, S. 178. 88 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 459/460. 89 Näher lag vielmehr eine Verschärfung der ohnehin schon negativen H a l tung des Formalismus zur Bedeutung der präjudiziellen Rechtsbildung, da sogar die B i l d u n g eines i m gesamten Deutschen Reich geltenden Gewohnheitsrechtssatzes ernsthaft i n Frage gestellt worden ist, w i e die Diskussion u m den heutigen A r t . 2 E G B G B zeigt; vgl. Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 1, S. 568 ff. 90 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 436 ff. 88
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
Neutralität des Richters 91 . Der Ersatz der ungeschriebenen durch eine kodifizierte Rechtsordnung bedeutete demgegenüber lediglich einen Wechsel der rechtstechnischen Hilfsmittel, ohne jedoch die tragenden justizpolitischen Ziele zu verändern. Das Bestreben der bürgerlichen Unternehmergesellschaft, Eigentum und Freiheit vor richterlicher W i l l k ü r zu schützen, implizierte allerdings keineswegs zwangsläufig eine ausschließliche, strenge Bindung des Richters an die Wissenschaft bzw. an eine totale Gesetzesordnung und bedingte ebensowenig zwangsläufig eine entsprechend ungünstige, theoretische Einstellung zu gerichtlichen Präjudizien. Es kamen durchaus alternative Systeme i n Betracht, die — wie ein Blick auf England oder auf die deutschen Partikularstaaten m i t unmittelbarer, richterlicher Bindung an Präjudizien zeigt — eine positivere Einschätzung gerichtlicher Präjudizien erlaubten. Daß das Urteil der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts über den Wert gerichtlicher Präjudizien überwiegend negativ ausfiel, ist infolgedessen darauf zurückzuführen, daß man aus einer perfektionistischen Überzeugung heraus zum Schutz vor Richterwillkür ausschließlich auf Wissenschaft bzw. Gesetzeskodifikation setzte, deren Möglichkeiten man überschätzt hatte. C. Ausblick
Die sich vorwiegend nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches i n breiteren Kreisen durchsetzende Erkenntnis, hinter dem m i t der Kodifikation angestrebten Ideal der Lückenlosigkeit zurückgeblieben zu sein, führte keineswegs zur Preisgabe des Prinzips der strengen, richterlichen Bindung an das Gesetz, sondern war Anlaß zu entsprechender Ergänzung. Die Frage nach dem Schutz vor Richterwillkür bei Gesetzeslücken versuchte ein Teil der deutschen Rechtswissenschaft auf eine technischformalistische Weise zu lösen, indem er die rechtliche, unmittelbare Bindung an Präjudizien nur kurze Zeit nach Übernahme des Prinzips der mittelbaren Bindung durch das Gerichtsverfassungsgesetz wieder zur Diskussion stellte. Den ersten Beitrag zu dieser Diskussion, die die Rechtswissenschaft bis zum Ende der Weimarer Republik beschäftigte, leistete Zitelmann 1, der einerseits als überzeugter Verfechter des Gesetzespositivismus „ f ü r die unverbrückliche Heiligkeit des geschriebenen Rechts und (für) die sichere Rechtsweisung durch den Richter" eintrat, andererseits aber, und zwar schon vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches, 91 1
Wieacker, ebd., S. 437/438, 458 ff. und 475. Rechtsgeschäfte I, S. 6 f.
C. Ausblick
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die Grenzen erkannte, die dem Gesetzespositivismus i n Anbetracht der i n seinen Augen notwendigerweise unvollständigen Gesetzgebung gesetzt waren. U m den so trotz umfassender Gesetzgebung verbleibenden Spielraum für richterliche „ W i l l k ü r " zu schließen und u m Kontroversen i n der Rechtsprechung zu beseitigen, befürwortete Zitelmann 2 unter gewissen, von i h m nicht näher erläuterten Kautelen eine rechtliche Bindung an höchstrichterliche Präjudizien. Nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches griff Zeiler diesen Gedanken wieder auf m i t seinem Vorschlag, einen Gerichtshof für bindende Gesetzesauslegung einzurichten, der sogar außerhalb eines Rechtsstreites entstandene kontroverse, literarische Zweifelsfragen m i t für die Zukunft bindender Wirkung entscheiden sollte 3 . I m Anschluß daran erschienen bis zum Ende der Weimarer Republik eine Vielzahl weiterer Veröffentlichungen 4 , die sich entweder i n den verschiedenartigsten Varianten (Spruchgerichte, Rechtshof, Rechtsamt) für eine unmittelbare, rechtliche Bindung aussprachen 5, oder die i n Ablehnung dieser Vorschläge stattdessen das bestehende System der mittelbaren Bindung an die höchstrichterlichen Präjudizien zu ergänzen bzw. zu verbessern versuchten 6 . Wenn auch letzten Endes das Prinzip der unmittelbaren Bindung der höchstrichterlichen Präjudizien nicht zur Ausführung gelangte, so ist 2
Rechtsgeschäfte I, S. 7. Vgl. Zeiler, Gerichtshof, S. 14; ders., Umfrage D R Z 1914, Sp. 103. Zeiler wollte m i t seinem sehr weitgehenden Vorschlag dem Nachteil f ü r die Parteien abhelfen, erst i n der letzten Instanz die gültige Gesetzesauslegung zu erfahren (Sp. 102/103). Diese abstrakte, v o m konkreten Rechtsfall verselbständigte Entscheidungsfindung stieß wegen der damit verbundenen Gefahren vielfach auf K r i t i k (vgl. z. B. die folgenden A n t w o r t e n auf Zeilers Umfrage: Radbruch, Nr. 15, Sp. 110; Düringer, Nr. 24, Sp. 112; Ehrlich, Nr. 29, Sp. 113/114). 4 Eine vollständige Zusammenstellung aller diesbezüglichen Vorschläge zur Herstellung der Rechtseinheit befindet sich bei Lauter jung, Einheit der Rechtsprechung, Strafr. Abh. 300 (1932), S. 81 ff.; vgl. auch Müller, Geschichte, Prozeßrechtl. Abh. 14 (1939), S. 66 ff. u n d vgl. noch Hanack, Ausgleich, S. 354 ff. 6 Vgl. z. B. Drews, Grundzüge, JZ 1920, Sp. 176 ff.; ders., Spruchgerichte, J Z 1920, Sp. 259 ff.; David, Das Präjudiz, S. 30; Schäfer, Deutsche Justiz, S. 257/ 258. Besonderer Beliebtheit erfreute sich das V o r b i l d des Hannoverschen Präjudiziengesetzes v o m 7. September 1838; vgl. oben 3. Kap., A., I I . F N 34. 6 Vgl. z.B. Katzenstein, Prozeßverhütung, JR 1929, S. 80/81; Grünhut, A l l gemeinverbindliche Richtersprüche, S. 146 ff.; Lauter jung, Einheit der Rechtsprechung, Strafr. Abh. 300 (1932), S. 89 ff. Namentlich der zuletzt genannte Verfasser versuchte das System der mittelbaren Präjudizienbindung dadurch zu verbessern, daß die Wahrung der Rechtseinheit den betroffenen Fachsenaten des Reichsgerichts zuzuteilen wäre, die die unter ihnen kontroverse Rechtsfrage i n einem „Großen Senat" zu entscheiden hätten, so daß die V o r lagepflicht gegenüber dem schwerfälligen Plenum entfiele. Denn gerade die Vorlagepflicht kontroverser Rechtsansichten an das Plenum hatte sich als eine verfehlte Lösung erwiesen, die angesichts des sog. „horror pleni" eine V i e l zahl unter den Senaten streitiger Auffassungen unentschieden ließ. Vgl. noch Hanack, Ausgleich, S. 26 ff. 3
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
doch der Umstand bemerkenswert, daß die Bindung an höchstrichterliche Präjudizien bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts ernsthaft wieder i n Erwägung gezogen worden ist, als der Gesetzespositivismus m i t der Parole von der ausschließlichen Bindung des Richters an die lückenlose geschriebene Rechtsordnung nahezu unangefochten herrschte. Das Auftauchen der gesetzesähnlichen, präjudiziellen Bindung kennzeichnet — wie bereits etwa ein Jahrhundert früher das Aufkommen der zahlreichen, partikulären Präjudizialgesetze nach dem Gesetzesabsolutismus des Vernunfts- und Naturrechts 7 — die Krise eines Rechtsverständnisses, das den mannigfaltigen Rechtsquellenbestand auf die A k t e staatlicher Gesetzgebung einzuengen versuchte. Die Zuflucht, die man i n Anbetracht der zugestandenermaßen notwendig unvollständigen und lückenhaften, gesetzlichen Rechtsordnung i m Prinzip der unmittelbaren Bindung an Präjudizien suchte, lag um so näher, da man die positivistische Grundlage zu verlassen nicht genötigt war 8 . Der überwiegendere Teil der deutschen Rechtswissenschaft entschied sich demgegenüber für eine innere Erneuerung des Prinzips der strengen, richterlichen Bindung an das Gesetz, als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Frage nach dem Schutz vor Richterwillkür bei Gesetzeslücken stellte. Die Voraussetzungen für die Erneuerung hatte m i t der These vom Zweck i m Recht der juristische Naturalismus 9 geschaffen, welcher die menschliche Zwecksetzung gleichzeitig als Maßstab richtiger Gesetzgebung oder Rechtsanwendung ausgab. Hieran knüpfte die Interessenjurisprudenz 10 an. Anders als die Begriffsjurisprudenz, die die gesetzliche Rechtsordnung als lückenlos begriffen und die richtige Fallentscheidung als das Ergebnis bloßer Subsumtion und logischer Operationen verstanden hatte, räumte die Interessenjurisprudenz die Lückenhaftigkeit jeder gesetzlichen Rechtsordnung freimütig ein, bewahrte jedoch das Prinzip der richterlichen Bindung an das Gesetz, indem sie den Richter an den vom Gesetzgeber m i t dem Gesetz verfolgten Zweck band. Jeder gesetzlichen Vorschrift lagen i m Konflikt stehende gesellschaftliche Interessen zugrunde, und jede Vorschrift enthielt dementsprechend die vom Gesetzgeber gewählte Konfliktslösung. I n gesetzlich nicht oder nur unvollständig geregelten Fällen verpflichtete nun die 7
Vgl. oben 2. Kap., C., I I . u n d insbesondere D. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 437, F N 21. I m Vergleich zu dem Konstruktionsverfahren u n d Subsumtionsdogma des Formalismus oder zu dem Gesamtkodifikationsdogma des Gesetzespositivismus stellte das Prinzip der unmittelbaren B i n d u n g der Präjudizien lediglich eine besondere positivistische Variante dar. 9 A l s realitätsbezogene Gegenströmung zum Positivismus, der die W i r k l i c h keit v ö l l i g aus dem Auge verloren hatte; vgl. Wieacker, ebd., S. 566 ff. 10 Vgl. hierzu zusammenfassend Larenz, Methodenlehre, S. 53 ff.; Wieacker, ebd., S. 574 ff. 8
C. Ausblick
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lnteressenjurisprudenz den Richter, gesetzgeberische Wertungen i n vergleichbaren Fällen aufzuspüren und m i t Hilfe dieser gesetzlichen I n teressenbewertungen auch den zur Entscheidung anstehenden Konfliktsfall zu lösen 11 . Da i n dieser Weise die richterliche Tätigkeit letzten Endes immer bloße Verwirklichung gesetzgeberischer Zwecke blieb, verstand sie sich ausschließlich als Rechtsanwendung, nicht jedoch als Rechtsschöpfung. Infolgedessen hatte sich die Interessenjurisprudenz geistig nicht vom Gesetzespositivismus gelöst, sondern bekannte sich zu i h m durch das Gebot strikter Gesetzestreue 12. Die feststehende höchstrichterliche Rechtsprechung galt demgemäß als unverbindlich, sofern sie nicht gewohnheitsrechtliche Geltung für sich i n Anspruch nehmen konnte 1 8 . I m Verlauf der weiteren Entwicklung bis i n die Gegenwart hinein hat das Präjudizienverständnis der herrschenden Lehre gegenüber den I n halten, wie sie namentlich unter dem Einfluß des Positivismus i m 19. Jahrhundert vorgetragen worden waren, keine grundsätzliche Veränderung mehr erfahren. Einen Wandel hätte die Freirechtsschule 14 herbeiführen können, die die kodifizierte Rechtsordnung wie jedes System festgelegter Rechtsregeln als notwendig lückenhaft betrachtete, aber anders als die Interessenjurisprudenz die richterliche Tätigkeit bei lückenhafter, gesetzlicher Regelung als „freie", schöpferische Rechtsfindung begriff. Dieser Ausgangspunkt begünstigte die grundsätzliche Anerkennung präjudizieller Bindungen insbesondere durch eine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung 15 , gewann für die deutsche Rechtswissenschaft jedoch keine maßgebliche Bedeutung, da die Freirechtsschule schon bald wegen der i h r zugrundeliegenden voluntaristischen Strömungen jeglichen Einfluß einbüßte 16 . I n Abkehr vom Positivismus und i m Gegensatz zum juristischen Naturalismus, der das Recht letztlich zu menschlichen Zwecksurrogaten 11 M i t h i n mußte die Interessen jurisprudenz bei Gesetzeslücken i n solchen Fällen scheitern, i n denen der Gesetzgeber überhaupt keine vergleichbaren Wertungen inhaltlicher A r t zur Verfügung gestellt hatte. Das Sollen einer bestimmten Konfliktslösung bot sie also nicht an; vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 577/578. 12 Vgl. Wieacker, ebd., S. 576; Larenz, Methodenlehre, S. 51, F N 23. 13 Vgl. z.B. Oertmann, Rechtsordnung, S. 19f.; Rümelin, Bindende K r a f t , S. 13 ff. u n d S. 64/65; Reichel, Gesetz u n d Richterspruch, S. 100 ff. u n d S. 134/ 135. 14 Z u den Bestrebungen der Freirechtsschule vgl. zusammenfassend Larenz, Methodenlehre, S. 64 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 579 ff. 15 Vgl. hierzu eingehend Ehrlich, Richterliche Rechtsfindung, S. 236 ff., w o bei jedoch auch die gewohnheitsrechtliche E r k l ä r u n g der ständigen Rechtsprechung anklang (S. 243). Eine feste präjudizielle Bindung, w i e namentlich Zeiler sie gesetzlich verankern wollte, stieß auf seine Ablehnung (S. 244). 19 Vgl. Wieacker, ebd., S. 581.
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3. Kap.: Präjudizientheorien nach Auflösung des Ancien Régime
erniedrigt hatte, war für die weitere rechtstheoretische Entwicklung 1 7 i n Deutschland die Suche nach objektiver, inhaltlicher Bestimmung der Gerechtigkeit maßgebend, nämlich „die Frage nach der Möglichkeit einer allgemeinen, normativen Formulierung absoluter, unabänderlicher und unverfügbarer außergesetzlicher Rechtsgebote" 18 . Wenn die verschiedenen zu dieser Frage vertretenen Lösungsvorschläge den m i t der Rechtsfindung staatlich beauftragten Richter jeder beliebigen Instanz i n jedem Streitfall erneut als berufen ansahen, eigenverantwortlich und ohne Rücksicht auf Vorentscheidungen die i m Sinne der jeweiligen Lösung „gerechte" Entscheidung zu finden und auszusprechen, dann ist die darin zum Ausdruck kommende Vernachlässigung gerichtlicher Präjudizien vermutlich auf die m i t jener Fragestellung verfolgte Stoßrichtung zurückzuführen, die materialen Grundlagen der richterlichen Entscheidung zu bestimmen. Z u wenig berücksichtigten die Lösungsversuche die Einbindung des einzelnen Richters i n die einheitliche Organisation der Rechtspflege und unterschätzten infolgedessen, wie die heutige herrschende Lehre zeigt 19 , i n ihrer Theorie das Bestehen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung.
17 18 19
Vgl. Larenz, ebd. S. 74 ff.; Wieacker, ebd., S. 586 ff. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 609. Siehe oben Einleitung.
Zusammenfassung Präjudizien haben, vor allem wenn sie von höheren Gerichten stammten und gleichförmig ausfielen, i n Deutschland schon immer i m praktischen Rechtsleben eine große Rolle gespielt. Vor der Rezeption des römischen Rechts beruhte dies auf der germanisch-mittelalterlichen Vorstellung vom Recht, das sich erst i n den Rechtsweisungen der Urteilsfinder als Zeugnis einer unwandelbaren, bislang noch nicht manifestierten Rechtsordnung offenbarte und danach strebte, kontroverse Rechtsweisungen grundsätzlich auszuschließen. Nach der Rezeption erlangten vor allem i m 16. Jahrhundert die verbotswidrig publizierten Präjudizien des Reichskammergerichts einen erheblichen Einfluß auf eine einheitliche Rechtsprechung und Rechtsfortbildung und vermochten entsprechend den m i t der Publizierung verfolgten Zielen der Kameralisten Glosse und „communis opinio" als autoritativ verbindliche Rechtserkenntnisquellen bei zweifelhaftem oder fehlendem Normbestand zu ersetzen. Diese führende Stellung, die entsprechende reichsrechtliche Vorschriften, kontroverse Entscheidungen zu vermeiden und sich stattdessen über strittige Rechtsfragen zu einigen, unterstrichen, büßte das Reichskammergericht i n der Folgezeit allmählich m i t dem zunehmenden Erstarken der auf eine eigenständige Jurisdiktion bedachten Partikularstaaten ein. Dort fanden teilweise bereits i m 18. Jahrhundert, vor allem jedoch i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Präjudizien der obersten, partikulären Gerichtshöfe eine nicht zu unterschätzende formelle Anerkennung durch eine Reihe von Präjudizialgesetzen, die die Rechtsprechung i n unmittelbarer oder mittelbarer Weise an die höchstrichterlichen Präjudizien banden. Das i n Preußen entwickelte Prinzip der mittelbaren Bindung an höchstrichterliche Präjudizien diente nach der nationalen Einigung als Vorbild für eine entsprechende Regelung i m Reich, die inzwischen zwar verschiedene Verbesserungen erfahren hat, i m Prinzip aber heute noch gilt. Ferner stand seit den kameralistischen Publikationen i m Ancien Régime eine umfangreiche Entscheidungsliteratur i n hohem Ansehen und erreichte insbesondere nach der Aufhebung der zahlreichen partikulären, begründungs- und publikationsfeindlichen Geheimhaltungsbestimmungen ein hohes Niveau durch eine besondere redaktionelle Auswahl und Aufbereitung der Präjudizien. Dementsprechend erfreuten
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Zusammenfassung
sich Präjudizien seit dem Ancien Régime über die Jahrhunderte hinweg bis heute allgemeiner Wertschätzung, die von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen auch von der deutschen Rechtswissenschaft geteilt wurde. Floskelhafte Bemerkungen über den Nutzen einer konstanten Rechtsprechung für die Rechtssicherheit und die organische Rechtsfortbildung belegen diese Tatsache. I m Widerspruch zu dieser allgemein und unverbindlich ausgesprochenen Wertschätzung wehrte sich die deutsche Rechtswissenschaft hartnäckig und beharrlich gegen die rechtstheoretische Einordnung der Präjudizien als selbständige Rechtsquelle, zu denen sie entsprechend der Theorie des rezipierten römischen Rechts nur das Gesetz und die Gewohnheit zählte. Auch die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung war i n künftigen gleichgelagerten Fällen nicht verbindlich, solange sie nicht die Natur des Gewohnheitsrechtes angenommen hatte. Dieser K e r n der Präjudizientheorie ist seit ihrer Entstehung i m Ancien Régime bis heute als die herrschende Meinung der deutschen Rechtswissenschaft unverändert geblieben. Formale, dogmatische Grundlage der Präjudizientheorie war die rezipierte gemeinrechtliche Vorschrift des Cod. Iust. 7, 45,13, die jedem Richter auftrug, ohne Rücksicht auf Urteilssprüche selbst höchster Gerichte ausschließlich nach den Gesetzen zu entscheiden. Die eigentliche dogmatische Grundlage war i m Ancien Régime allerdings weder das römische noch das germanisch-mittelalterliche Recht, sondern die absolutistische Partikulargesetzgebung, die durch den Erlaß präjudizienfeindlicher Vorschriften das vom Souverän beanspruchte Rechtssetzungsmonopol gegen judizielle Verwässerung absichern wollte. Gleichzeitig gab diese Gesetzgebung der deutschen Rechtswissenschaft die Handhabe, die Cod. Iust. 7,45,13 widersprechende Bestimmung der D. 1, 3, 38 i m Rahmen der Präjudizientheorie als nichtrezipiert unberücksichtigt zu lassen. Der letztlich entscheidende geistesgeschichtliche Hintergrund der Partikulargesetzgebung und der Präjudizientheorie des Ancien Régime war das Vernunfts- und Naturrecht, das unter Ausschluß der Geschichtlichkeit den alleinigen Maßstab einer gesetzlichen Regelung i n der Vernunfts- und Zweckmäßigkeit erkannte und i n den Gesamtkodifikationen ein i n sich geschlossenes System von „richtigen" Normen geschaffen zu haben glaubte, das die richterliche Entscheidungsfindung auf eine rein schematische Subsumtionstätigkeit festlegte. Der m i t dieser Beschränkung verfolgte Zweck, ein Höchstmaß an Rechtssicherheit durch den strikten Ausschluß richterlichen Ermessens zu erzielen, kennzeichnete insofern die justizpolitische Funktion der Präjudizientheorie des Ancien Régime, als sie die Bestrebungen der vernunfts- und naturrechtlichen Gesetzgeber willfährig unterstützte und zu dem Rechtssetzungsmonopol des absolutistischen Gesetzgebers die entsprechende rechtstheoretische Begründung lieferte.
Zusammenfassung Obschon der Verfall der geistigen Grundlagen des Vernunfts- und Naturrechts sowie der Ubergang vom absolutistischen Staat zum konstitutionellen Verfassungsstaat die Gelegenheit zu einem grundlegenden Wandel boten, sah die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts keinen Anlaß zu einer inhaltlichen Änderung der Präjudizientheorie. Das Urteil des gelehrten Richters war ein ausschließlich wissenschaftlicher Beitrag, dessen Gültigkeit i n künftigen gleichgelagerten Fällen von der Richtigkeit der Erkenntnis abhing, solange nicht das Gewohnheitsrecht für den Bestand der betreffenden Erkenntnis stritt. Seinen Höhepunkt erreichte dieses Präjudizienverständnis unter dem rechtswissenschaftlichen Formalismus und dem Gesetzespositivismus, als die Rechtswissenschaft die gesamte Rechtsordnung als ein theoretisch stets i n sich geschlossenes System ohne Lücken begriff und jegliche richterliche Rechtsfindung i n Vollendung der vernunfts- und naturrechtlichen Vorbilder ausschließlich auf logische Konstruktion und Subsumtion beschränkte. Geändert hatte sich allerdings seit dem Vernunfts- und Naturrecht die justizpolitische Funktion, die zunächst der rechtswissenschaftliche Formalismus m i t der Bindung des Richters an die Rechtswissenschaft und später der Gesetzespositivismus m i t der strengen, richterlichen Bindung an die kodifizierte Rechtsordnung i m Auge hatten. Konstruktionsverfahren und Subsumtionsdogma bedeuteten Schutz vor richterlicher W i l l k ü r und sollten nunmehr, anstatt das Rechtssetzungsmonopol eines omnipotenten Herrschers zu sichern, der liberalistischen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts die Neutralität des Richters garantieren und die Berechenbarkeit seiner Entscheidung sicherstellen. Diese justizpolitische Funktion gab die Präjudizientheorie nicht mehr preis, auch als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Lückenlosigkeit der geschriebenen Rechtsordnung als Fiktion herausstellte. Die von der Interessenjurisprudenz vertretene Bindung des Richters an den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck erschien der Rechtswissenschaft als ein adäquater Ersatz und erlaubte es ihr, von der A n ordnung unmittelbarer, präjudizieller Bindung an die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Schutz vor richterlicher W i l l k ü r abzusehen. Die i n der Einleitung aufgeworfene Frage nach der Berechtigung der normativen Anforderungen der Präjudizientheorie der herrschenden Lehre ist m i t h i n so zu stellen, ob die maßgeblichen Prämissen der m i t der Theorie verfolgten justizpolitischen Ziele auch i m heutigen modernen Rechtsstaat noch gegeben sind. Die A n t w o r t auf die so präzisierte Fragestellung w i r d zunächst berücksichtigen müssen, daß die für die Entstehung der Präjudizientheorie i m Vernunfts- und Naturrecht und die weitere Entfaltung unter der Herrschaft des Positivismus maßgebliche Vorstellung einer vollständigen, i n sich geschlossenen und daher lückenlosen Rechtsordnung heute als überholt bezeichnet werden kann. 8 Weller
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Zusammenfassung
Somit kann die richterliche Bindung an das Gesetz ohnehin nur noch von partieller A r t sein und bedarf an den entsprechenden Stellen m i t h i n einer anderweitigen Ergänzung. Darüberhinaus werden grundsätzlichere Überlegungen anzustellen sein, ob die formelle Bindung des Richters an das Gesetz i n Wirklichkeit heute überhaupt noch geeignet und ausreichend ist, den aus rechtsstaatlichen Gründen erwünschten Schutz vor richterlicher W i l l k ü r zu garantieren. Diese Erwägungen werden schließlich noch den Umstand miteinbeziehen müssen, daß die i m Grundgesetz institutionalisierte Verfassungsrechtsprechung eine weitgehende Kontrolle der Legislative vorsieht und dadurch eine andere Gewichtung der Gewalten impliziert. Eine abschließende A n t w o r t können diese Fragen i m Rahmen der vorliegenden Dissertation nicht finden und müssen daher offen bleiben. Sofern der Schein nicht trügt, hat allerdings die Praxis, i n diesem Punkt von der Rechtswissenschaft mehr oder weniger i m Stich gelassen, die A n t w o r t auf diese Fragen vorweggenommen und den Grundsatz der richterlichen Bindung an das Gesetz durch eine modifizierte Bindung an die eigene Rechtsprechung verfeinert, ohne besondere Rücksichten auf die Maximen der herrschenden Lehre zu nehmen, die immer noch i n gleicher Weise wie die absolutistische Rechtstheorie Justinians lediglich die „ l e x " und die „consuetudo" als legitime Rechtsquellen anerkennt. I m Ergebnis scheint m i t Hilfe der Präjudizien — gleichgültig, ob Rechtsquellen oder nicht — ein funktionierender, rechtsprechungsinterner Kontrollmechanismus geschaffen worden zu sein, der einerseits eine organische Rechtsfortbildung ermöglicht und andererseits Schutz vor richterlicher W i l l k ü r garantiert.
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