129 45 1MB
German Pages 316 Year 2007
Schriften zum Europäischen Recht Band 132
Bildnisschutz in Europa Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte
Von Katrin Neukamm
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Katrin Neukamm · Bildnisschutz in Europa
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann
Band 132
Bildnisschutz in Europa Zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte
Von Katrin Neukamm
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D6 Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-12587-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2006/2007 von der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Oktober 2006 berücksichtigt. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, der die Arbeit mit Engagement und großem Interesse konstruktiv begleitet und gefördert hat. Danken möchte ich ihm auch dafür, dass ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches Recht und Politik die Möglichkeit hatte, wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Herrn Prof. Dr. Heinrich Dörner danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera, Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten, Herrn Prof. Dr. Matthias Niedobitek und Herrn Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Schriften zum Europäischen Recht. Der Deutsche Journalisten-Verband hat die Veröffentlichung der Arbeit mit einem großzügigen Stipendium gefördert. Ihm sei dafür herzlichst gedankt. Danken möchte ich auch Herrn Dr. Christoph Görisch für die interessanten Diskussionen und Anregungen sowie Frau Simone Friesenhahn für das Korrekturlesen. Ganz besonderer Dank gebührt Herrn Steffen Muhle, der die Anfertigung der Arbeit durch alle Höhen und Tiefen begleitet und mich bis zur Veröffentlichung umfassend unterstützt hat. Äußerst dankbar bin ich schließlich meinen Eltern, die stets an mich geglaubt und mich nicht nur in meiner Ausbildung in jeder erdenklichen Weise unterstützt und gefördert haben. Diese Arbeit ist ihnen als Dank gewidmet. Düsseldorf, im August 2007
Katrin Neukamm
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einführung A. Interesse und Gang der Untersuchung .............................................................. B. Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU ............................................. I.
21 21 24
Rechtsprechung des EuGH........................................................................
25
II. Grundrechtserklärungen der Gemeinschaftsorgane ...................................
27
III. Allgemeine Bestimmungen im Vertragsrecht............................................
28
IV. Charta der Grundrechte der Europäischen Union......................................
29
V. Vertrag über eine Verfassung für Europa ..................................................
30
Teil 2 Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte .............................. I.
32 32
Begriff der Auslegung ...............................................................................
32
II. Auslegung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ......................................................................................
35
1.
Rechtsquelle und Rechtserkenntnisquelle ..........................................
2.
Rechtserkenntnisquellen für die Auslegung der Unionsgrundrechte .
37
a)
Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten .................
37
b)
Internationale Menschenrechtsverträge, vor allem die EMRK...
38
Bedeutung der Charta der Grundrechte für die Auslegung der Unionsgrundrechte .............................................................................
40
III. Zusammenfassung .....................................................................................
43
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten für die Auslegung der Unionsgrundrechte....................................................................
44
3.
I.
Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung des EuGH .............................
35
44
8
Inhaltsverzeichnis II. Methode der Rechtsvergleichung nach geltendem Recht ..........................
46
1.
Notwendigkeit einer Methodenanalyse ..............................................
46
2.
Methoden der Rechtsvergleichung im Lichte der Grundrechtsjudikatur ...................................................................................................
47
a)
Minimaler Grundrechtsstandard .................................................
48
b)
Maximaler Grundrechtsstandard.................................................
49
c)
Wertende Rechtsvergleichung ....................................................
51
III. Auswirkungen der Charta der Grundrechte auf die Methode der Rechtsvergleichung? ............................................................................................
54
1.
Auswirkungen gemäß Art. II-112 Abs. 4 VVE ..................................
54
2.
Auswirkungen gemäß Art. II-113 VVE .............................................
55
a)
Verständnis als Kollisionsregel ..................................................
55
b)
Verständnis als Auslegungsregel ................................................
57
aa) Verständnis als Mindestgarantieklausel ..............................
58
bb) Verständnis als Meistbegünstigungsklausel ........................
59
Verständnis als deklaratorische Erklärung..................................
61
Zusammenfassung..............................................................................
63
IV. Inhaltliche Konkretisierung der Methode der wertenden Rechtsvergleichung .........................................................................................................
63
C. Bedeutung der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte....................
65
c) 3.
I.
Bedeutung der EMRK für die Unionsgrundrechte nach geltendem Recht
66
1.
Begriff der Achtung gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV .................................
66
2.
Verhältnis der EMRK zur Rechtserkenntnisquelle der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen...............................................................
69
II. Auswirkungen der Charta der Grundrechte auf die Bedeutung der EMRK für die Unionsgrundrechte .........................................................................
71
1.
Auswirkungen gemäß Art. II-112 Abs. 3 VVE ..................................
71
a)
Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE .......................................................
72
aa) Einander entsprechende Rechte ..........................................
72
bb) Gleiche Bedeutung und Tragweite ......................................
74
(1) Verweis auf Schutzbereich und Schranken..................
74
(2) Mindestgarantie- oder Inkorporationsklausel?.............
75
cc) Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR für die Unionsgrundrechte ....................................................................
77
b) 2.
Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE .......................................................
79
Auswirkungen gemäß Art. II-113 VVE .............................................
81
Inhaltsverzeichnis 3.
9
Verhältnis der EMRK zur Rechtserkenntnisquelle der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen...............................................................
83
D. Zusammenfassung.............................................................................................
84
Teil 3 Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England
85
A. Vorbemerkung zur Auswahl der Mitgliedstaaten..............................................
85
B. Bildnisschutz in Deutschland............................................................................
87
I.
Bildnisschutz im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten ........................................................................
89
1.
Verfassungsrechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild ..............
89
2.
Kollision des Rechts am eigenen Bild mit den Kommunikationsfreiheiten..................................................................................................
91
a)
Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten............................
91
aa) Meinungsfreiheit .................................................................
92
bb) Pressefreiheit.......................................................................
94
Schranken der Kommunikationsfreiheiten .................................
97
Auflösung der Kollision durch Herstellung praktischer Konkordanz
98
II. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes ......................................
99
b) 3. 1.
Eingriff in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild................
99
a)
Begriff des Bildnisses.................................................................
99
b)
Beeinträchtigende Handlungen...................................................
101
2.
Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit ....................................
103
3.
Schranken des Rechts am eigenen Bild..............................................
106
a)
b)
Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG.......................................................................
107
aa) Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen
107
(1) Absolute Personen der Zeitgeschichte .........................
108
(2) Relative Personen der Zeitgeschichte ..........................
110
bb) Einschränkung der Abbildungsfreiheit durch das öffentliche Informationsinteresse .................................................
112
Schranken der Abbildungsfreiheit gemäß § 23 Abs. 2 KUG......
114
aa) Schutz der Intim- und Privatsphäre .....................................
114
(1) Intimsphäre ..................................................................
116
10
Inhaltsverzeichnis (2) Privatsphäre .................................................................
118
(a) Thematischer Schutzbereich ................................
118
(b) Räumlicher Schutzbereich....................................
120
bb) Schutz der wahrheitsgetreuen Darstellung ..........................
123
Zusammenfassung..............................................................................
126
C. Bildnisschutz in Frankreich ..............................................................................
127
4. I.
Bildnisschutz im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten ........................................................................
128
1.
Verfassungsrechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild ..............
129
2.
Kollision des Rechts am eigenen Bild mit den Kommunikationsfreiheiten..................................................................................................
132
a)
Verfassungsrechtlicher Schutz der Kommunikationsfreiheiten ..
132
b)
Auflösung der Kollision durch Interessenabwägung ..................
134
II. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes ......................................
135
1.
Eingriff in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild................
136
a)
Begriff des Bildnisses.................................................................
136
b)
Fallgruppen von Schutzgewährleistungen ..................................
137
aa) Schutz des Privatlebens.......................................................
138
(1) Begriff des Privatlebens: Kasuistische Begriffsbestimmung ............................................................................ 138
2.
3.
(a) Thematischer Schutzbereich ................................
139
(b) Räumlicher Schutzbereich....................................
140
(2) Abhängigkeit der Begriffsbestimmung von Status und Bekanntheitsgrad der betroffenen Person? ..................
142
bb) Schutz vor Verfälschung der Persönlichkeit .......................
143
cc) Schutz vor Ausbeutung der Persönlichkeit..........................
145
Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit ....................................
147
a)
Erklärung der Einwilligung ........................................................
147
b)
Reichweite der Einwilligung ......................................................
149
Schranken des Rechts am eigenen Bild..............................................
151
a)
b)
Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte: Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen .................................
152
aa) Personen des öffentlichen Lebens .......................................
152
bb) Sonstige zeitgeschichtlich bedeutsame Personen ................
154
Einschränkung der Abbildungsfreiheit durch das öffentliche Informationsinteresse.....................................................................
155
Inhaltsverzeichnis 4.
11
Zusammenfassung..............................................................................
158
D. Bildnisschutz in England ..................................................................................
159
I.
Verfassungsrechtliche Grundlagen ............................................................
159
II. Fragmentarischer Bildnisschutz vor Inkrafttreten des HRA......................
161
1.
Bildnisschutz durch Gesetzesrecht.....................................................
161
2.
Bildnisschutz durch Tatbestände des Richterrechts ...........................
163
a)
Tort of defamation......................................................................
163
b)
Tort of malicious falsehood ........................................................
167
c)
Tort of passing off ......................................................................
168
d)
Breach of confidence ..................................................................
169
e)
Tort of trespass to land ...............................................................
172
f)
Tort of nuisance..........................................................................
174
Zusammenfassung..............................................................................
175
III. Auswirkungen des HRA auf Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes .....................................................................................................
176
3.
1.
Anwendungsbereich und Inhalt des HRA ..........................................
176
2.
Instrumentalisierung des Rechtsinstituts breach of confidence für den Schutz des Privatlebens ...............................................................
178
a)
Rechtssache Douglas and others v. Hello! Ltd. ..........................
178
b)
Rechtsprechung nach Douglas and others v. Hello! Ltd.............
180
aa) Rechtssache A v. B (a company) and another.....................
180
bb) Rechtssachen der Naomi Campbell.....................................
181
Zusammenfassung ......................................................................
182
Bildnisschutz durch das Rechtsinstitut breach of confidence.............
182
c) 3.
a)
b)
Gegenstand des Bildnisschutzes: Bildnisse mit privaten Informationen .....................................................................................
183
aa) Begriff der privaten Informationen .....................................
183
(1) „High offensiveness to a reasonable person“-Test.......
184
(2) „Reasonable expectation as to privacy“-Test ..............
186
bb) Bildnisse von Personen des öffentlichen Lebens ................
188
Reichweite des Bildnisschutzes..................................................
189
aa) Kollision des Bildnisschutzes mit den Kommunikationsfreiheiten .............................................................................
189
(1) Schutz der Kommunikationsfreiheiten ........................
189
(2) Auflösung der Kollision durch Interessenabwägung ...
191
12
Inhaltsverzeichnis
4.
bb) Einwendung des öffentlichen Interesses .............................
193
Zusammenfassung..............................................................................
196
Teil 4 Bildnisschutz in der EMRK A. Besonderheiten bei der Auslegung der Konventionsgrundrechte ..................... I.
198 200
Auslegungsgrundsätze der EMRK.............................................................
200
1.
Autonome Auslegung.........................................................................
201
2.
Systematische Auslegung...................................................................
202
3.
Evolutiv-dynamische Auslegung .......................................................
204
II. Auslegung der Konventionsgrundrechte im Vergleich zur Auslegung der Unionsgrundrechte ....................................................................................
205
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes gemäß Art. 8 EMRK............
206
I.
Schutzbereich und Eingriff gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK ..........................
207
1.
Begriff des Privatlebens .....................................................................
208
a)
Kasuistische Begriffsbestimmung ..............................................
208
b)
Abhängigkeit der Begriffsbestimmung von Status und Bekanntheitsgrad der betroffenen Person? .............................................. 212
2.
Schutz des Privatlebens in der Öffentlichkeit ....................................
212
II. Rechtfertigung des Eingriffs gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ........................
215
1.
Kommunikationsfreiheiten als „Rechte und Freiheiten anderer“ .......
217
a)
Schutzbereich gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK ..............................
217
aa) Meinungsfreiheit .................................................................
217
(1) Schutz von Informationen und Ideen...........................
217
(2) Geschützte Handlungsformen......................................
219
bb) Pressefreiheit.......................................................................
220
Schranken gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK....................................
222
Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft ........................
223
III. Leitlinien für die Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten ................................................................................
227
b) 2.
1.
Bildnisse von Personen des öffentlichen Lebens ............................... a)
Abstufung des Schutzes nach der Staatsnähe der betroffenen Person .........................................................................................
228
Personen des öffentlichen Lebens jenseits von Amtsträgern? ....
230
Informationsinteresse der Öffentlichkeit............................................
231
b) 2.
227
Inhaltsverzeichnis a)
b)
3.
13
Berichterstattung über politische Angelegenheiten ....................
231
aa) Textberichte ........................................................................
231
bb) Bildberichte.........................................................................
232
Berichterstattung über Angelegenheiten des Privatlebens..........
233
aa) Textberichte ........................................................................
233
bb) Bildberichte.........................................................................
235
Mediales Vorverhalten der betroffenen Person..................................
236
a)
236
b)
Berichterstattung über politische Angelegenheiten .................... Berichterstattung über Angelegenheiten des Privatlebens..........
237
aa) Textberichte ........................................................................
237
bb) Bildberichte.........................................................................
238
4.
Methode der Informationsgewinnung ................................................
240
5.
Qualität und Wirkungskreis des verwendeten Mediums ....................
241
a) b)
Qualität des verwendeten Mediums in Abgrenzung zur Qualität des Kommunikationsinhalts...................................................
241
Wirkungskreis des verwendeten Mediums .................................
243
IV. Zusammenfassung .....................................................................................
244
Teil 5 Synthese der Ergebnisse und Konsequenzen für Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes in Europa A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung ............................................... I.
246 246
Grundlagen zum Bildnisschutz..................................................................
246
1.
Begriff des Bildnisses ........................................................................
246
2.
Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen ............................
248
a)
Vergleichende Gegenüberstellung..............................................
248
b)
Stellungnahme ............................................................................
250
Einwilligung der betroffenen Person..................................................
251
a)
Erklärung der Einwilligung ........................................................
251
aa) Vergleichende Gegenüberstellung ......................................
251
bb) Stellungnahme.....................................................................
252
Reichweite der Einwilligung ......................................................
254
II. Rechtsfigur der Person des öffentlichen Lebens........................................
255
3.
b) 1.
Vergleichende Gegenüberstellung .....................................................
255
14
Inhaltsverzeichnis Stellungnahme....................................................................................
257
III. Bildnisschutz im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit.
2.
261
1.
Abgrenzung des geschützten vom ungeschützten Bereich.................
261
a)
Vergleichende Gegenüberstellung..............................................
261
b)
Stellungnahme ............................................................................
263
Informationsinteresse der Öffentlichkeit............................................
265
a)
Vergleichende Gegenüberstellung..............................................
266
b)
Stellungnahme ............................................................................
268
Mediales Vorverhalten der betroffenen Person..................................
274
a)
Vergleichende Gegenüberstellung..............................................
274
b)
Stellungnahme ............................................................................
276
IV. Bildnisschutz in Fällen stofflicher und intellektueller Manipulation.........
281
2.
3.
1.
Vergleichende Gegenüberstellung .....................................................
281
2.
Stellungnahme....................................................................................
283
B. Zusammenfassung und Ausblick zum Bildnisschutz in Europa........................
287
I.
Ergebnisse zum Bildnisschutz nach geltendem Recht...............................
287
II. Ausblick zum Bildnisschutz unter dem Vertrag über eine Verfassung für Europa .......................................................................................................
288
Literaturverzeichnis ...............................................................................................
291
Sachverzeichnis.......................................................................................................
311
Abkürzungsverzeichnis ABl. EG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Abs.
Absatz (Absätze)
AC
Law Reports, Appeal Cases
AfP
Archiv für Presserecht
AG
Attorney General
AJCL
American Journal of Comparative Law
AJDA
L’actualité juridique droit administratif
All ER
All England Law Reports
AllgErklMR
Allgemeine Erklärung für Menschenrechte
Anm.
Anmerkung(en)
Ann. Prop. Ind.
Annales de la propriété industrielle, artistique et littéraire
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
ARPC
Annual Report of the Press Council
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AWD
Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters
Bd.
Band
Ber.
Bericht
Beschl.
Beschluss
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BNr.
Beschwerde-Nummer
Bull. civ.
Bulletin des arrêts des chambres civiles de la Cour de cassation
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BYIL
British Yearbook of International Law
bzw.
beziehungsweise
16
Abkürzungsverzeichnis
CA
Court of Appeal; Cour d’appel
Cass. civ.
Cour de cassation, chambre civile
Cass. crim.
Cour de cassation, chambre criminelle
Cass. req.
Cour de cassation, chambre des requêtes
CD
Collection of Decisions (Entscheidungen der EKMR bis 1975)
Ch.
Law Reports, Chancery Division
ch.
chapter
chron.
chronique
CJ
Chief Justice (Vorsitzender der Queen’s Bench Division)
CLJ
Cambridge Law Journal
CLP
Current Legal Problems
CMLRev.
Common Market Law Review
col.
column
Cons. const.
Conseil constitutionnel
D.
Recueil Dalloz-Sirey
ders.
derselbe
DJZ
Deutsche Juristenzeitung
doct.
doctrine
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
D.P.
Recueil Dalloz Périodique
DR
Decisions and Reports (Entscheidungen der EKMR seit 1975)
Drs.
Drucksache
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
DVR
Datenverarbeitung im Recht
EAG
Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft
ECHR
European Court of Human Rights
EGKS
Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EHRLR
European Human Rights Law Review
Einf.
Einführung
Einl.
Einleitung
Abkürzungsverzeichnis
17
EKMR
Europäische Kommission für Menschenrechte
EMLR
Entertainment & Media Law Reports
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Entsch.
Entscheidung
ER
English Reports
EU
Europäische Union, Vertrag über die Europäische Union
EuG
Europäisches Gericht erster Instanz
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EuR
Europarecht
EUV
Vertrag über die Europäische Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EWHC
England and Wales High Court
ExD
Law Reports, Exchequer Division
f. (ff.)
folgende Seite(n)
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
FSR
Fleet Street Reports
Gaz. Pal.
Gazette du Palais
GDCC
Recueil des grandes décisions du conseil constitutionnel
GG
Grundgesetz
GRUR
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
GRUR Int.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil
GS
Gedächtnisschrift; Gedenkschrift
GYIL
German Yearbook of International Law
Hb.
Handbuch
HC
High Court
HL
House of Lords
HLRev.
Havard Law Review
HRA
Human Rights Act
HRA
Human Rights Act 1998
HRLJ
Human Rights Law Journal
18
Abkürzungsverzeichnis
HRRev.
Human Rights Review
Hs.
Halbsatz
i. d. R.
in der Regel
i.E.
im Ergebnis
IGH
Statut des Internationalen Gerichtshofs
ILO
International Labour Organisation
ILT
Irish Law Times
IR
Informations Rapides
i. S. v.
im Sinne von
J
Judge
JBl.
Juristische Blätter
JCP
La semaine juridique édition générale (Juris-classeur périodique)
JIR
Jahrbuch für internationales Recht
JOAN
Journal officiel de l’assemblée nationale
JoP
Justice of the Peace
jur.
jurisprudence
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
K&R
Kommunikation und Recht
Kap.
Kapitel
KB
Law Reports, King’s Bench Division
KUG
Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (Kunsturhebergesetz)
LC
Légicom. Revue trimestrielle du droit de la communication, communica-tion des entreprises et communication publique.
lég.
législation
LG
Landgericht
LJ
Lord Justice
LP
Légipresse, Revue mensuelle du droit de la communication
LQR
Law Quarterly Review
LRCh
Law Reports Chancery
LT
Law Times
Ltd.
limited
Abkürzungsverzeichnis
19
MJ
Maastricht Journal of European and Comparative Law
MLR
Modern Law Review
MR
Master of the Rolls (Vorsitzender des Court of Appeal)
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
n°
Nummer(n); Randnummer(n)
NA
Narcotic Anonymous
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NJW-RR
Neue Juristische Wochenschrift, Rechtsprechungs-Report Zivilrecht
NLJ
New Law Journal
Nr.
Nummer
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
ÖJZ
Österreichische Juristenzeitung
OLG
Oberlandesgericht
P
President (Vorsitzender der Family Division)
Pet. Aff.
Les petites affiches
PL
Public Law
QB
Law Reports, Queen’s Bench Division
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
réf.
référé(s)
RFD adm.
Revue française de droit administratif
RIDC
Revue international de droit comparé
Rn.
Randnummer(n)
RPC
Reports of Patent, Design & Trademark Cases
Rs.
Rechtssache
RTDC
Revue trimestrielle de droit civil
RUDH
Revue universelle des droits de l’homme
S.
Satz; Seite(n)
SC
sommaire commenté
sec.
section
Slg.
Sammlung
TGI
Tribunal de grande instance
ThürVBl.
Thüringer Verwaltungsblätter
20
Abkürzungsverzeichnis
TLR
Times Law Report
TLRev
Tulane Law Review
Trib. civ.
Tribunal civil
Trib. com.
Tribunal de commerce
Trib. corr.
Tribunal correctionnel
u.
und
UrhG
Urheberrechtsgesetz
Urt.
Urteil
v.
vom; versus
VC
Vice Chancellor
verb.
verbundene
VersR
Zeitschrift für Versicherungsrecht
vgl.
vergleiche
Vorb.
Vorbemerkung(en)
VVDStRL
Veröffentlichung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer
WLR
Weekly Law Reports
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
z. B.
zum Beispiel
ZEuP
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht
ZEuS
Zeitschrift für europarechtliche Studien
Ziff.
Ziffer(n)
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZUM
Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
Teil 1
Einführung A. Interesse und Gang der Untersuchung Das Recht am eigenen Bild wird im Spannungsfeld von Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten bestimmt. Der Konflikt zwischen diesen beiden Grundrechten hat sich zunehmend verschärft: Was früher im sozialen Nahbereich an Lebenserfahrungen, Urteilen, Klatsch und Tratsch geboten wurde, wird heute vermehrt durch das Internet, das Fernsehen und die Presse vermittelt.1 Menschen wollen von den Medien unterhalten werden, sie wollen mitfühlen, mitleiden, andere beneiden. Sie wollen Aufstieg und Fall anderer Personen miterleben, in Wort und in Bild. Die „Unterhaltungsöffentlichkeit“2 hat nicht mehr die öffentliche Meinungsbildung zum Gegenstand. Von Interesse sind höchstpersönliche Erfahrungsberichte, die Personen vorführen und private oder intime Details preisgeben. Der FAZ-Journalist Harald Staun bringt es überspitzt formuliert auf den Punkt, wenn er schreibt: „Wir sind die Medien. Wir haben nicht eine gewisse Neugier. Wir sind die Neugier. Und diese Neugier ist grenzenlos.“3
Unter dem sich verschärfenden Wettbewerb zwischen Presseunternehmen und dem daraus resultierenden wirtschaftlichen Druck ist die Aussicht groß, dass die Presse die Bedürfnisse der Unterhaltungsöffentlichkeit befriedigt. Aktualitätsdruck und der Versuch der Presse, den Leser durch spektakuläre Beiträge an sich zu binden, lassen dabei die Interessen der durch die Bildberichterstattung Betroffenen häufig in den Hintergrund treten. Die Vermittlung von bebilderten und illustrierten Neuigkeiten bewirkt eine zunehmende Enttabuisierung ehemals privater Lebensbereiche. Im Kampf der Presse um Marktanteile werden Berichte den Erwartungen der Leser anpasst, werden Aussagen und Bilder manipuliert. Der Konflikt zwischen dem Persönlichkeitsschutz und den Kommunikationsfreiheiten macht auch vor Staatsgrenzen nicht halt. Das Leben vieler Personen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, öffentlicher ___________ 1
Vgl. Di Fabio, AfP 1999, 126 (126). Zum Begriff der Unterhaltungsöffentlichkeit siehe Ladeur, NJW 2004, 393 ff. 3 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 35 v. 03.09.2006 („Unsere Neugier ist grenzenlos“). 2
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Teil 1: Einführung
Aufgaben, Taten oder Untaten Bekanntheit erlangt haben, trifft grenzüberschreitend auf Interesse. Europa wächst in medialer Hinsicht immer stärker zusammen. Besonders deutlich wird das an der derzeit in vielen europäischen Staaten lebhaft diskutierten Flucht der Wienerin Natascha Kampusch, die von ihrem Entführer über einen Zeitraum von acht Jahren nahe ihrem Elternhaus festgehalten worden war. Nicht nur die Menschen in Österreich zeigten ein überwältigendes Interesse daran, Einzelheiten über die Entführte zu erfahren; das Interesse ist in das europäische Ausland „übergeschwappt“.4 Die Medien konkurrierten europaweit um die neuesten Informationen; der Bedarf an (Paparazzi-)Photos der Betroffenen war groß.5 Der Schutz des Einzelnen vor Pressephotos und Bildberichten ist innerhalb von Europa jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt: Während z. B. eine Person in Frankreich berechtigterweise darauf vertrauen kann, beim Einkaufen auf dem Markt nicht photographiert zu werden, muss sie es in Deutschland hinnehmen, dass ihr Bildnis angefertigt und veröffentlicht wird.6 Für die abgebildete Person hat das einen massiven Verlust an Rechtssicherheit zur Folge: Sie muss sich im Vorfeld mit den Kriterien für die Auflösung der kollidierenden Interessen jedes Staates vertraut machen, in den sie sich begibt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Kriterien zumeist nicht kodifiziert sind, sondern richterrechtlich entwickelt werden, kann dies jedoch nicht ernsthaft erwartet werden. Durch das in den europäischen Staaten unterschiedlich ausgeprägte Schutzniveau wird der Presse die Möglichkeit geboten, den Schutz des jeweiligen Heimatlandes zu umgehen: Darf sie das Photo einer Person in ihrem Heimatland nicht veröffentlichen, besteht die Möglichkeit, es im europäischen Ausland zu verwerten, wenn die Person dort weniger geschützt ist.7 In Anbetracht dessen, dass die Presse insbesondere durch Internetauftritte länderübergreifend präsent ist, wird der Persönlichkeitsschutz des Heimatlandes zu einer stumpfen Klinge. Das Bedürfnis nach einer europaweit einheitlichen Regelung zum ___________ 4 Dietmar Ecker im Gespräch mit Florian Klenk, DIE ZEIT Nr. 38 v. 14.09.2006 („Wurde sie erpresst?“); vgl. z. B. Le Monde v. 28.08.2006 („L’Autriche découvre les premiers détails sur les conditions de séquestration de Natascha Kampusch“); El País v. 29.08.2006 („Natascha Kampusch: Él no era mi amo. Yo era igual de fuerte“). 5 So wurde behauptet, dass Natascha Kampusch von ihrem Entführer schwanger sei, vgl. James Clench, The Sun, abrufbar im Internet unter: http://www.thesun.co.uk/ article/0,,2-2006400259,00.html. Ebenso wurde aus Ermangelung eines aktuellen Photos von Frau Kampusch ein computergeneriertes Bild veröffentlicht, vgl. James Clench, The Sun, abrufbar im Internet unter http://www.thesun.co.uk/article/0,,22006400386,00.html. 6 Vgl. BVerfGE 101, 361 (395). 7 Vgl. KG Berlin NJW 2005, 605 ff. (Aufnahme von Herbert Grönemeyer in Italien, Veröffentlichung in Deutschland); BVerfGE 101, 361 ff. (Aufnahme von Caroline von Monaco in Frankreich, Veröffentlichung in Deutschland).
A. Interesse und Gang der Untersuchung
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Schutz des Rechts am eigenen Bild vor Pressebildberichten ist daher groß. Durch die globale Vernetzung der Medien macht eine nationale Lösung keinen Sinn mehr.8 Erforderlich sind Regelungen, die auf europäischer Ebene abgestimmt werden. Anknüpfungspunkte hierfür liefern die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.19509 und – nach seinem Inkrafttreten – der Vertrag über eine Verfassung für Europa10. Ziel dieser Arbeit ist es, europaweit einheitliche Leitlinien zur Auflösung der Kollision zwischen Bildnisschutz und Kommunikationsfreiheiten zu erarbeiten und dadurch ein Recht am eigenen Bild in Europa zu konturieren. Die Arbeit fokussiert auf die Frage, wann eine Person in der Europäischen Union (EU) davor geschützt ist, dass ihr Bildnis angefertigt und in der Presse veröffentlicht wird. Die Rechtslage vor und nach Inkrafttreten des Europäischen Verfassungsvertrages wird untersucht. Es wird herausgestellt, ob und welche Verschiebungen in den Leitlinien zur Auflösung der Interessenkollision erwartet werden können. Nach einem Überblick über die Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der Union wird im zweiten Teil der Arbeit das „Handwerkszeug“ für die Ermittlung der Unionsgrundrechte erörtert. Ziel ist es, die theoretisch-dogmatischen Grundlagen zu schaffen, die für die Erarbeitung eines unionsspezifischen Rechts am eigenen Bild notwendig sind. Dabei wird deutlich, dass sich der Grundrechtsschutz in der Union an den Verfassungsüberlieferungen der EUMitgliedstaaten und an den Grundrechten der EMRK orientiert. Die Bedeutung dieser beiden Rechtserkenntnisquellen für die Auslegung der Unionsgrundrechte wird sowohl für das geltende Recht als auch für die Rechtslage unter dem Europäischen Verfassungsvertrag analysiert. Um den Bildnisschutz im Recht der Verfassungsüberlieferungen der EUMitgliedstaaten zu ermitteln, wird im dritten Teil der Arbeit die Rechtslage in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England untersucht. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage, inwieweit sog. Personen des öffentlichen Lebens davor geschützt werden, dass ein Photo von ihnen angefertigt und in der Presse veröffentlicht wird. Die Analyse konzentriert sich darauf festzustellen, inwieweit sich diese Personen bei privaten Tätigkeiten in der Öffentlichkeit auf den Schutz ihrer Privatsphäre berufen können. Daneben wird der Schutz vor verfälschenden Pressebildberichten thematisiert. ___________ 8
Dietmar Ecker im Gespräch mit Florian Klenk, DIE ZEIT Nr. 38 v. 14.09.2006. Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 04.11.1950, BGBl. II 1952 S. 685 ff. 10 Im Folgenden bezeichnet als Europäischer Verfassungsvertrag bzw. – bei Zitierung einzelner Vorschriften – als VVE. 9
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Teil 1: Einführung
Wie weit der Schutz von Personen des öffentlichen Lebens vor der Pressebildberichterstattung im Recht der EMRK reicht, zeigt der vierte Teil der Arbeit. Für den Bildnisschutz in der EMRK ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 24.06.2004 in der Rechtssache Caroline von Hannover11 von grundlegender Bedeutung. Ausgehend von Art. 8 EMRK hat er darin erstmals Leitlinien formuliert, anhand derer ein Ausgleich zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten geschaffen werden kann. Der letzte Teil der Arbeit beinhaltet eine Synthese aller im Verlauf der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse. Gegenstand und Reichweite des Rechts am eigenen Bild in den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England sowie in der EMRK werden einander gegenübergestellt und einer wertenden Rechtsvergleichung zugeführt. Aus diesem Vergleich werden Leitlinien für die Auflösung der Kollision zwischen dem Recht am eigenen Bild und den Kommunikationsfreiheiten für das Unionsrecht abgeleitet. Sie konkretisieren den Bildnisschutz für Personen des öffentlichen Lebens in Europa nach geltendem Recht und in Zukunft unter dem Europäischen Verfassungsvertrag. Eine Gegenüberstellung dieser beiden Rechtslagen rundet das Ergebnis der Arbeit ab.
B. Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU Die Gründungsverträge der drei Europäischen Gemeinschaften12 enthalten keinen Grundrechtekatalog. Sie verfügen nur über einzelne Bestimmungen, die eine grundrechtsintensive Wirkung entfalten.13 Zu den wichtigsten Regelungen zählen das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 EGV)14 sowie das Gebot der Lohngleichheit von Mann und Frau (Art. 141 EGV)15. Auch die in Art. 14 Abs. 2 EGV verankerten Grundfreihei___________ 11 Caroline Louise Marguerite Prinzessin von Hannover Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, Prinzessin von Monaco, ist Tochter des verstorbenen Fürst Rainier III. von Monaco und der verstorbenen Fürstin Gracia Patricia (Grace Kelly). 12 Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl v. 18.04.1951, Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25.03.1957, Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft v. 25.03.1957. Die EGKS ist am 23.07.2002 ausgelaufen (vgl. Art. 97 EGKS), siehe hierzu Obwexer, EuZW 2002, 517 ff. 13 Für eine detaillierte Übersicht über die in Form von Einzelbestimmungen garantierten Grundrechte siehe Schweizer/Hummer, Europarecht, Rn. 788. 14 Siehe hierzu z. B.: v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 m. w. N. 15 Siehe hierzu z. B.: Langenfeld, in: Grabitz/Hilf, Bd. II, Art. 141 m. w. N.
B. Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU
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ten16 sind grundrechtsähnlich.17 Die Bedeutung der Grundrechte erschließt sich maßgeblich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die durch zahlreiche Erklärungen der Gemeinschaftsorgane und durch einzelne allgemeine Bestimmungen im Vertragsrecht gestützt wird. Ein qualitativer Sprung ist schließlich die Proklamation der Charta der Grundrechte, die als Teil II Eingang in den Europäischen Verfassungsvertrag gefunden hat.
I. Rechtsprechung des EuGH In den Anfangsjahren seiner Tätigkeit zeigte sich der EuGH nicht bereit, Grundrechte auf Gemeinschaftsebene zu verbürgen.18 Zugleich postulierte er den Grundsatz, dass das Gemeinschaftsrecht vor dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten Vorrang habe. Durch die Gründung der Gemeinschaft hätten die Mitgliedstaaten – wenn auch auf einem begrenzten Gebiet – ihre Souveränitätsrechte beschränkt und damit ein Rechtsgebilde geschaffen, das auch für sie selbst verbindlich sei. Das Gemeinschaftsrecht entwickele sich kraft eigener Hoheit eigenständig. Diese Eigenständigkeit wäre beeinträchtigt, wenn bei der Entscheidung über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten Normen oder Grundsätze des nationalen Rechts herangezogen würden.19 Die nationalen Instanzen – einschließlich der Verfassungsgerichte – seien daher nicht befugt, Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane auf ihre Vereinbarkeit mit dem nationa___________ 16
Zu den Grundfreiheiten siehe Streinz, Europarecht, Rn. 781 ff. Schweizer/Hummer, Europarecht, Rn. 788; Schwarze, EuGRZ 1986, 293 (293); vgl. EuGH, Urt. v. 31.01.1984, verb. Rs. 286/82 u. 26/83, Slg. 1984, S. 377 (Ziff. 9 ff.) – Luisi und Carbone, in dem der EuGH die Grundfreiheit des freien Dienstleistungsverkehrs über ihr eigentliches wirtschaftliches Anwendungsgebiet hinaus zu einem subjektiven Recht mit grundrechtsähnlichem Charakter ausgedehnt hat. Zum Verhältnis der Grundrechte und Grundfreiheiten siehe Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 137 ff.; Kingreen, in: v. Bogdandy, S. 631 ff. 18 EuGH, Urt. v. 04.02.1959, Rs. 1/58, Slg. 1958/59, S. 43 ff. – Stork; EuGH, Urt. v. 15.07.1960, verb. Rs. 36-38 u. 40/59, Slg. 1960, S. 885 ff. – Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft. 19 Grundlegend zum Anwendungsvorrang: EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253 (1269 ff.) – Costa/ENEL; EuGH, Urt. v. 09.03.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, S. 629 (Ziff. 14/16 ff.) – Simmenthal II; vgl. Hengstschläger, JBl. 2000, 409 (410). Anwendungsvorrang bedeutet, dass eine dem Gemeinschaftsrecht widersprechende nationale Vorschrift im konkreten Fall nicht angewendet werden darf, ohne dass sie dadurch in ihrem Rechtsbestand beseitigt würde. Sie ist in Fällen ohne Gemeinschaftsrechtsbezug oder nach Aufhebung der sie verdrängenden gemeinschaftsrechtlichen Norm weiter anzuwenden, vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 216 ff.; siehe auch Isensee, in: FS Stern, S. 1239 ff. Zur einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts, vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 169; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 10 Rn. 24. 17
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Teil 1: Einführung
len Recht zu überprüfen.20 Diese Haltung beschwor das Dilemma herauf, dass Grundrechtsverletzungen durch Gemeinschaftsorgane unangreifbar wurden. Das wurde vor allem in Deutschland und Italien kritisiert, die zur damaligen Zeit bereits einen ausgeprägten Grundrechtsschutz kannten und ihm einen hohen Stellenwert beimaßen.21 Den Wendepunkt in der Rechtsprechung markiert das Urteil Stauder vom 12.11.1969, in dem sich der EuGH erstmals zum Grundrechtsschutz bekannte. Der EuGH führte aus, dass die in Rede stehende Entscheidung der Kommission nichts enthalte, „was die in den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern [habe], enthaltenen Grundrechte der Person in Frage stellen könnte“.22
Eine Präzisierung des Grundrechtsschutzes erfolgte ein Jahr später in der Rechtssache Internationale Handelsgesellschaft, in der der EuGH erklärte, dass die Grundrechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein müssen.23 In der Rechtssache Nold wies der EuGH dann darauf hin, dass neben den mitgliedstaatlichen Verfassungen auch die internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind, bei der Grundrechtsfindung zu berücksichtigen seien.24 Besondere Bedeutung unter den internationalen Verträgen komme vor allem der EMRK zu.25 Mit diesen Entscheidungen legte der EuGH den Grundstock für seine weitere Grundrechtsjudikatur. Er reagierte damit auf die vom deutschen Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Solange I-Beschluss formulierte Forderung nach einem angemessenen Grundrechtsschutz gegenüber Hoheitsakten der Gemeinschaft,26 ohne die Einheit der Rechtsordnung zu vernachlässigen. ___________ 20 EuGH, Urt. v. 04.02.1959, Rs. 1/58, Slg. 1958/59, S. 43 ff. – Stork; EuGH, Urt. v. 15.07.1960, verb. Rs. 36-38 u. 40/59, Slg. 1960, S. 885 ff. – Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft.. 21 BVerfGE 37, 271 (285) – Solange I; Corte Constituzionale, Urt. v. 18.12.1973, EuR 1974, 255 ff. – Frontini und Pozzani; siehe hierzu Kingreen, JuS 2000, 857 (857 f.); Mancini, CMLRev. 1989, 595 (611); vgl. Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (457). 22 EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419 (Ziff. 7) – Stauder. 23 EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Ziff. 4) – Internationale Handelsgesellschaft. 24 EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (Ziff. 13) – Nold. 25 EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 15) – Hauer. 26 BVerfGE 37, 271 (284) – Solange I. Das BVerfG hat dann auch im Solange IIBeschluss anerkannt, dass der Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene dem in Deutschland im Wesentlichen entspreche, BVerfGE 73, 339 (378).
B. Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU
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Inzwischen hat der EuGH einen umfangreichen Katalog an geschützten Grundrechten entwickelt.27 Sie reichen von der Handels- und Wettbewerbsfreiheit28, der Berufsfreiheit29 und der Vereinigungsfreiheit30 bis zur Religionsfreiheit31 und zum allgemeinen Gleichheitssatz32. Der EuGH hat sich zum Schutz des Eigentums33, der Wohnung, der Privatsphäre und des Briefverkehrs34 verpflichtet sowie die Freiheit der Meinungsäußerung anerkannt35.
II. Grundrechtserklärungen der Gemeinschaftsorgane Die Grundrechtsjudikatur des EuGH wurde von Anfang an durch zahlreiche Deklarationen der Gemeinschaftsorgane zu den Grundrechten unterstützt.36 Bereits in der Gemeinsamen Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission über die Grundrechte vom 05.04.1977 bestätigen diese den Grundrechtsschutz durch den EuGH und erkennen ihn als verbindliche Vorgabe für das politische Handeln in der Gemeinschaft an.37 Die Erklärung unterstreicht für die Gemeinschaftsorgane „die vorrangige Bedeutung, die sie der Achtung der Grundrechte beimessen, wie sie insbesondere aus den Verfassungen der Mitgliedstaaten sowie aus der [EMRK] hervorgehen“.38
Hervorzuheben sind auch die Grundrechtserklärungen des Europäischen Rates, die mittlerweile alle Aspekte der Grundrechtsentwicklung abdecken. Beispielhaft sei auf die Erklärung zur Demokratie vom 08.04.1978 verwiesen, die ___________ 27 Vgl. die Übersichten bei Schweizer/Hummer, Europarecht, Rn. 805; Stumpf, in: Schwarze, Art. 6 Rn. 20 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 93 ff. 28 EuGH, Urt. v. 07.02.1985, Rs. 240/83, Slg. 1985, S. 531 (Ziff. 9) – ADBHU. 29 EuGH, Urt. v. 08.10.1986, Rs. 234/85, Slg. 1986, S. 2897 (Ziff. 8) – Keller. 30 EuGH, Urt. v. 08.10.1974, Rs. 175/73, Slg. 1974, S. 917 (Ziff. 14/16) – Gewerkschaftsbund. 31 EuGH, Urt. v. 27.10.1976, Rs. 130/75, Slg. 1976, S. 1589 (Ziff. 12/19) – Prais. 32 EuGH, Urt. v. 27.10.1976, Rs. 130/75, Slg. 1976, S. 1589 (Ziff. 12/19) – Prais; EuGH, Urt. v. 06.12.1984, Rs. 59/83, Slg. 1984, S. 4057 (Ziff. 19) – Biovilac. 33 EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 17 ff.) – Hauer. 34 EuGH, Urt. v. 26.06.1980, Rs. 136/79, Slg. 1980, S. 2033 (Ziff. 17 ff.) – National Panasonic. 35 EuGH, Urt. v. 17.01.1984, Rs. 43 u. 63/82, Slg. 1984, S. 19 (Ziff. 33 f.) – VBVB. 36 Eine Übersicht über die Erklärung der Gemeinschaftsorgane findet sich bei Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 197. 37 Bleckmann, Europarecht, Rn. 100; Pescatore, EuR 1979, 1 (8). 38 Gemeinsame Erklärung v. 05.04.1977, ABl. EG 1977 Nr. C 103, S. 1.
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Teil 1: Einführung
die Grundrechte als Elemente der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verbindet und damit als Grundlagen der Mitgliedschaft bekräftigt.39 Das bis zur Charta der Grundrechte umfassendste Dokument zum Grundrechtsschutz ist die vom Europäischen Parlament am 12.04.1989 verabschiedete Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten40. Diese enthält einen ausformulierten Grundrechtekatalog, der neben den klassischen Freiheitsrechten auch soziale Grundrechte und Staatszielbestimmungen enthält. Mit der Erklärung unterstreicht das Parlament die Bedeutung der Grundrechte in der Gemeinschaft und bestätigt zugleich die bisherige Grundrechtsjudikatur des EuGH.41
III. Allgemeine Bestimmungen im Vertragsrecht In den Europäischen Verträgen findet sich die Forderung nach einem umfassenden Grundrechtsschutz erstmals in der Präambel zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28.02.198642. Sie leitet den Grundrechtsschutz aus dem Demokratiegebot ab und konkretisiert ihn, indem sie auf die Verfassungen und Gesetze der Mitgliedstaaten, der EMRK sowie der Europäischen Sozialcharta Bezug nimmt.43 Die Präambel des Vertrages über eine Europäische Union vom 07.02.1992, die auf die „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ verweist,44 unterstreicht ebenfalls das Bekenntnis der Union zum Grundrechtsschutz. Beide Präambeln haben für den Grundrechtsschutz zwar keine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit. Sie werden aber bei der Auslegung berücksichtigt.45 Im Text des Unionsvertrages greift Art. 6 Abs. 2 EUV – als wortgleiche Nachfolgevorschrift zu Art. F Abs. 2 EUV – den Schutz der Grundrechte auf.46 Danach achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet ___________ 39
Erklärung zur Demokratie v. 08.04.1978, BullEG E/1978, S. 5. Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten v. 12.04.1989, ABl. EG 1989 Nr. C 120, S. 51 ff. 41 Siehe hierzu Beutler, EuGRZ 1989, 185 (187). 42 Einheitliche Europäische Akte, ABl. EG 1987, Nr. L 169, S. 1. 43 Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte, 3. Erwägungsgrund. 44 Präambel des Vertrages über die Europäische Union, 3. Erwägungsgrund. 45 Vgl. Busse, EuGRZ 2001, 559 (563 f.). Auch das BVerfG hat Präambeln bereits mehrfach zur Auslegung von Rechtstexten herangezogen, siehe nur BVerfGE 94, 297 (311 ff.). 46 Siehe auch Art. 11 Abs. 2 Spiegelstrich 5 EUV, der die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für den Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als normative Zielsetzung formuliert. 40
B. Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU
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sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Die Vorschrift orientiert sich an der in ständiger Rechtsprechung verwendeten Bezugsformel des EuGH. Sie bestätigt die Grundrechtsjudikatur des EuGH und sichert sie erstmals primärrechtlich ab.47 Die Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz wird als Teil der vertraglich vereinbarten Grundlagen in den Verfassungsrang überführt.48 Auch wenn Art. 6 Abs. 2 EUV die Entwicklung des Grundrechtsschutzes lediglich vorläufig beendet hat, bildet sie einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Implementierung eines Grundrechtekatalogs in das Vertragsrecht.49
IV. Charta der Grundrechte der Europäischen Union Der Europäische Rat beschloss auf dem Gipfel in Köln am 03./04.06.1999, eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu erarbeiten, um der überragenden Bedeutung der Grundrechte und ihrer Tragweite für die Unionsbürger Rechnung zu tragen.50 Hierzu berief er auf dem Gipfel im finnischen Tampere am 15./16.10.1999 eine Arbeitsgruppe – den sog. Konvent51 – ein. Der Konvent setzte sich aus fünfzehn Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, einem Beauftragten der Europäischen Kommission, sechzehn Mitgliedern des Europäischen Parlaments und dreißig Mitgliedern der nationalen Parlamente zusammen.52 Auch Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Ausschusses der Regionen, Sachverständige und Vertreter der Gesellschaft sollten angehört werden. Der Konvent konstituierte sich im Dezember 1999 unter Vorsitz des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog. Innerhalb eines Zeitraums von nur neun Monaten erarbeitete der Konvent einen Entwurf, der von allen Beteiligten gebilligt wurde. Dieser wurde auf der Tagung des Europäischen Rates vom 07.12.2000 in Nizza unterzeichnet und feierlich als „Charta der Grund___________ 47 Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 44; Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 17; Ehlers, in: ders., § 14 Rn. 10; Streinz, Europarecht, Rn. 754. 48 Lenaerts/de Smijter, CMLRev. 2001, 273 (276); vgl. Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 82 ff. 49 Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 41. 50 Beschluss des Europäischen Rates zur Erarbeitung einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 04.06.1999, EuGRZ 1999, 364 f. 51 Zu Rahmen, Struktur und Arbeitsweise des Konvents, vgl. Bernsdorff/Borowsky, Charta, S. 46 ff. 52 Vgl. Bernsdorff/Borowsky, Charta, S. 46 ff., 61 ff.
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Teil 1: Einführung
rechte der Europäischen Union“ proklamiert.53 Als ausdrückliches Bekenntnis der Mitgliedstaaten zu den Grundrechten formuliert die Charta einen Katalog von Grundrechten, der geltendes Recht sichtbar macht, bestätigt und bekräftigt54 und dabei zugleich den Menschen in den Mittelpunkt der Europäischen Politik rückt.55 Die 54 Artikel umfassende Charta der Grundrechte gliedert sich in sieben Kapitel. Eine einleitende Präambel benennt die unteilbaren und universellen Grundsätze, auf denen die Union gründet. Zu Beginn von Kapitel I konstituiert die Charta die absolute Garantie der Menschenwürde. Es folgen das Recht auf Leben und das Recht auf körperliche und auf geistige Unversehrtheit, die wiederum durch das Verbot der Todesstrafe und der Folter konkretisiert werden. Kapitel II greift im Wesentlichen alle aus der EMRK bekannten Freiheitsrechte auf. Darunter befindet sich auch das Recht auf „Achtung des Privat- und Familienlebens“ (Art. 7 Charta = Art. II-67 VVE), das dem „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ in Art. 8 Abs. 1 EMRK nachgebildet ist.56 Den Freiheitsrechten folgt der allgemeine Gleichheitssatz, der in Kapitel III durch spezielle Diskriminierungsverbote konkretisiert wird. In den Kapiteln IV und VI sind die sozialen und justiziellen Grundrechte aufgeführt. Kapitel V ist den Unionsbürgerrechten gewidmet. Abgerundet wird die Charta in Kapitel VII durch allgemeine Bestimmungen über ihre Anwendung und Auslegung.
V. Vertrag über eine Verfassung für Europa Der Vertrag über eine Verfassung für Europa wurde am 29.10.2004 von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten in Rom unterzeichnet. Als Teil II hat er die Charta der Grundrechte in den Vertragstext aufgenommen.57 Der Verfassungskonvent ist damit Überlegungen gefolgt, die bereits sein Vorgänger – der (Grundrechte-)Konvent – in Betracht gezogen hat.58 Die in der Charta enthaltenen Rechte werden gemäß Art. I-9 Abs. 1 VVE im Unionsrecht anerkannt. Mit Inkrafttreten des Verfassungsvertrages werden daher auch die
___________ 53 Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 07.12.2000, ABl. EG 2000, Nr. C 364, S. 1 ff. Im Folgenden bezeichnet als Charta bzw. Charta der Grundrechte. 54 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 35; Calliess, EuZW 2001, 261 (267). 55 Alber/Widmaier, EuGRZ 2000, 497 (500). 56 Tettinger, in: ders./Stern, Charta, Art. 7 Rn. 1. 57 Vertrag über eine Verfassung für Europa v. 29.10.2004, ABl. EG 2004, Nr. C 310, S. 1. 58 Vgl. Stern, in: ders./Tettinger, S. 13 (30).
B. Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EU
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Grundrechte der Charta Rechtsverbindlichkeit erlangen.59 Der Europäische Verfassungsvertrag wird jedoch erst in Kraft treten, wenn er von allen Mitgliedstaaten der EU nach ihrem jeweiligen nationalen Verfahren ratifiziert wurde. In Deutschland stimmte der Bundestag dem Verfassungsvertrag am 12.05.2005 fast geschlossen zu.60 Der Bundesrat billigte den Verfassungsvertrag noch im selben Monat. Demgegenüber lehnten die Bürger in Frankreich und in den Niederlanden in den dort abgehaltenen Volksabstimmungen vom 29.05.2005 und 01.06.2005 den Verfassungsvertrag mehrheitlich ab. Auf dem Gipfel in Brüssel vom 16.06.2005 beschlossen die Staats- und Regierungschefs der EU daraufhin, den Ratifizierungsprozess bis Mitte 2007 zu verlängern und dann Bilanz über den Stand der Ratifizierungen zu ziehen. Entgegen der ursprünglichen Intention ist die Verfassung somit nicht am 01.11.2006 in Kraft getreten. Bis zur Ratifikation des Europäischen Verfassungsvertrages in allen EU-Mitgliedstaaten bleibt der Vertrag über die Europäische Union die Rechtsgrundlage des Unionsrechts.
___________ 59 Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (63); vgl. Grabenwarter, EuGRZ 2004, 564 (564 f.). 60 569 Abgeordnete stimmten für den Verfassungsvertrag, 23 dagegen und zwei Abgeordnete enthielten sich der Stimme.
Teil 2
Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte Der Überblick über die Entwicklung des Grundrechtsschutzes hat bereits einige Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte angedeutet. Sie beruhen vor allem darauf, dass ein geschriebener Grundrechtekatalog nicht existiert, sondern die Unionsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts entwickelt werden. Auch die Formulierung, wonach die Union die Grundrechte achtet, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und der EMRK ergeben, hat wesentliche Bedeutung für die Auslegung der Grundrechte. Im Unionsrecht hat bereits der Begriff der Auslegung eine andere Bedeutung als z. B. in der deutschen Methodenlehre. Im Übrigen muss bei der Auslegung streng zwischen dem Begriff der Rechtsquelle und dem der Rechtserkenntnisquelle differenziert werden.
I. Begriff der Auslegung Im Gegensatz zu den historisch gewachsenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten fehlt dem Unionsrecht der dogmatische Unterbau. Eine sichere Grundrechtsdogmatik existiert bislang nicht.1 Der EuGH hat sich kaum an einer Definition des Begriffs der Auslegung versucht.2 Eine Ausnahme bildet die Rechtssache Denkavit Italiana, in der er ausführte, dass durch die Auslegung einer Vorschrift erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht werde, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite sie seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden sei.3 Dieses Begriffsverständnis spiegelt sich auch in der deut___________ 1
Bleckmann, Europarecht, Rn. 114. Zuleeg, EuR 1969, 97 (98). 3 EuGH, Urt. v. 27.03.1980, Rs. 61/79, Slg. 1980, S. 1205 (Ziff. 16) – Denkavit Italiana. 2
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte
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schen Methodenlehre4 wider: Danach bezeichnet die Auslegung den Vorgang, durch den der Auslegende den normativen Gehalt eines Textes entschlüsseln möchte. Der in einem Gesetzestext beschlossene, aber gleichsam noch verhüllte Sinn, soll klarer und verständlicher zum Ausdruck gebracht werden.5 Davon abgegrenzt wird in der deutschen Methodenlehre der Vorgang der Rechtsfortbildung, der eine gesetzesfreie, den Gerichten übertragene Tätigkeit bezeichnet.6 Die Rechtsfortbildung schließt Regelungslücken, die jeder Rechtsordnung zwangsläufig immanent sind. Auch neue Rechtsgedanken, die im Gesetz allenfalls angedeutet werden, können durch Rechtsfortbildung entwickelt und konkretisiert werden7. In der deutschen Methodenlehre wird überwiegend streng zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung unterschieden. Das Unterscheidungskriterium ist die sog. „Wortlautgrenze“. Solange das gefundene Ergebnis im Rahmen der möglichen Wortbedeutung bleibt, handelt es sich um Auslegung; geht die Lösung über den eigentlichen Wortsinn hinaus, liegt Rechtsfortbildung vor.8 Eine scharfe Grenzziehung zwischen beiden Vorgängen ist jedoch häufig nicht möglich9. Reden und Schweigen des Gesetzgebers sind oft miteinander verquickt10. Der Wortsinn eines Textes ist kein unveränderbares, eindeutiges Abgrenzungskriterium. In vielen Fällen ist es zweifelhaft, ob eine sehr weite Auslegung oder bereits eine gesetzesfreie Rechtsfortbildung vorliegt. Gesetzesauslegung und richterliche Rechtsfortbildung werden daher teilweise auch als verschiedene Stufen desselben gedanklichen Verfahrens bezeichnet. Die schöpferische Leistung der Rechtsfortbildung wird in geringerer Intensität bereits bei der Auslegung eines Gesetzestextes erbracht. Die Rechtsfortbildung vermag sich somit gleichsam bruchlos in der Auslegung fortzusetzen.11 Angesichts dieser Erkenntnisse erstaunt es nicht, dass die Unterscheidung zwischen ___________ 4 Die deutsche Methodenlehre geht zurück auf Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I, Berlin 1840; zur bleibenden Bedeutung Savignys, vgl. Huber, JZ 2003, 1 ff. 5 Ossenbühl, in: Merten/Papier, § 15 Rn. 5; vgl. Savigny, Methodenlehre, S. 18 f. 6 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187 f. 7 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 187, bezeichnen das als „gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung“, während sie die Lückenausfüllung als „gesetzesimmanente Rechtsfortbildung“ verstehen. Stern, Staatsrecht, Bd. II, § 37 II 2 e), S. 583 ff. differenziert zwischen gesetzeskorrigierender, gesetzeskonkurrierender und gesetzesvertretender Rechtsfortbildung. 8 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 134, 187. 9 Müller/Christensen, Methodik, Rn. 97; Röhl, Rechtslehre, § 77 II, S. 621; Engisch, Juristisches Denken, S. 150. 10 Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (402). 11 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 188; vgl. Engisch, Juristisches Denken, S. 150.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Auslegung und Rechtsfortbildung im deutschen Schrifttum teilweise aufgegeben wird.12 Dabei wird auf die französische Methodenlehre verwiesen, die beide Vorgänge einheitlich als interprétation bezeichnet.13 Ungeachtet dessen, wie für das deutsche Recht zu entscheiden ist, macht es die Eigenart des Gemeinschaftsrechts notwendig, sich von der strengen Differenzierung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung zu lösen.14 Die Gemeinschaftsverträge enthalten als „Rahmenverträge“ größtenteils nur rudimentäre Regelungen. Besonders deutlich wird das im Bereich der Grundrechte, die nur vereinzelt normiert sind. Die Rechtsfortbildung hat im Gemeinschaftsrecht damit einen erheblich weiteren Anwendungsbereich als im deutschen Recht. Darüber hinaus bedarf die Gemeinschaftsrechtsordnung bestimmter Mechanismen, die ihre Wirksamkeit gewährleisten.15 Die Gemeinschaftsrechtsordnung ist dynamisch auf Entwicklungen angelegt, die vom EuGH als Integrationsmotor erbracht werden müssen. Der EuGH ist eigentlicher Garant für die Funktionsfähigkeit des europäischen Rechts.16 Um die Gleichwertigkeit des Rechts durch Gesetzgeber und EuGH zu unterstreichen, muss der gemeinschaftsrechtliche Auslegungsbegriff auch die Entwicklung ungeschriebenen Rechts erfassen.17 Dieses Verständnis findet ___________ 12 Z. B. Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (401), der die „Auslegung im engeren Sinne“ und die „Lückenschließung“ unter der „Auslegung im weiteren Sinne“ zusammenfasst. 13 Grundlegend Gény, Méthode d’interprétation, S. 1 ff.; vgl. Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 451; Constantinesco, EG-Recht, S. 807 Rn. 718. 14 Vgl. v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 2 Rn. 15, wonach die Auslegungskompetenz des EuGH die Befugnis zur Rechtsfortbildung erfasst, mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 u. C-9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich; ebenso Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 451; Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 38 ff.; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 5 Rn. 70 ff. und § 3 Rn. 70; Daig, in: FS Kutscher, S. 79 (85); siehe auch Streinz, Europarecht, Rn. 567, der die strikte Trennung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung im Gemeinschaftsrecht jedenfalls für fragwürdig hält. Constantinesco, EG-Recht, S. 808 Rn. 718 erachtet es zwar als zweckmäßig, für eine bessere Erfassung der Auslegungsaufgabe des EuGH zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung zu unterscheiden. Seiner Ansicht nach ist die Rechtsfortbildung aber auch als ein Element der Auslegung zu verstehen. 15 Everling, RabelsZ 1986, 193 (207); Streinz, Europarecht, Rn. 568. Zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts, vgl. EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253 (1269 ff.) – Costa/ENEL; EuGH, Urt. v. 09.03.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, S. 629 (Ziff. 14/16 ff.) – Simmenthal II; zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, vgl. EuGH, Urt. v. 04.12.1974, Rs. 41/74, Slg. 1974, S. 1337 (Ziff. 12) – Van Duyn/Home Office; zu Staatshaftungsansprüchen bei Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht siehe EuGH, Urt. v. 19.11.1991, Rs. C-6/90 u. C-9/90, Slg. 1991, I-5357 (Ziff. 31 ff.) – Francovich. 16 Everling, RabelsZ 1986, 193 (207); vgl. auch Bleckmann, in: GS Constantinesco, S. 61 (63, 66). 17 Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 38 ff.; Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (402).
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte
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auch in der Rechtsprechung des EuGH Anklang, wenn er die Fälle eindeutiger Rechtsfortbildung als „Interpretation“ bezeichnet.18 Auslegung ist danach Inhaltsermittlung mit Blick auf die Rechtsanwendung: Neben der Eruierung des juristischen Gehalts geschriebenen Rechts beinhaltet sie auch den Vorgang richterlicher Rechtsfortbildung, um Lücken im Vertragsrecht zu schließen.
II. Auslegung der Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts 1. Rechtsquelle und Rechtserkenntnisquelle Der Begriff der Rechtsquelle ist von dem der Rechtserkenntnisquelle zu unterscheiden. Rechtsquelle der Unionsgrundrechte sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts.19 Neben den Gemeinschaftsverträgen und dem Gemeinschaftsgewohnheitsrecht sind sie eine selbständige Rechtsquelle des Gemeinschaftsrechts.20 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze werden durch einen Rückgriff auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewonnen, um Lücken im Gemeinschaftsrecht zu schließen. Ihre Geltung beruht auf dem Gedanken, dass die Mitgliedstaaten auch in ihren gegenseitigen Beziehungen das als Recht anerkennen, was sie in ihrem innerstaatlichen Bereich übereinstimmend als Recht erachten.21 Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind dem Richterspruch präexistent. Ein Urteil zeichnet das bereits vorhandene Recht lediglich nach.22 Anders als im Statut des Haager Internationalen Gerichtshofs23, der in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze verweist, fehlt
___________ 18
Vgl. Hoffmann-Becking, Methode, S. 151; Constantinesco, EG-Recht, S. 807 Rn. 718. 19 EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419 (Ziff. 7) – Stauder; EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Ziff. 4) – Internationale Handelsgesellschaft. 20 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 162; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 20 ff.; Bleckmann, Europarecht, Rn. 572; Streinz, Europarecht, Rn. 412 ff. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sind von den bloßen Grundsätzen (vgl. Art. II-111 Abs. 1 S. 2, Art. II-112 Abs. 5 VVE) abzugrenzen, vgl. Lecheler, ZEuS 2003, 337 (339). 21 Bleckmann, Europarecht, Rn. 572; Meessen, JIR 1974, 283 (290); Feger, DÖV 1987, 322 (327). 22 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 11. 23 Statut des Internationalen Gerichtshofs v. 16.06.1945, BGBl. 1973 II S. 505 ff.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
in den europäischen Verträgen eine entsprechende Regelung.24 Der EuGH geht jedoch erkennbar von seiner Pflicht zur Entwicklung und Wahrung der Unionsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze aus, da er sich nach eigener Aussage andernfalls dem Vorwurf der Rechtsverweigerung aussetzen würde.25 Im Schrifttum wird die Kompetenz des EuGH überwiegend auf Art. 220 EGV gestützt, wonach er – zusammen mit dem Gericht erster Instanz (EuG) – die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern hat.26 Während der Begriff der Rechtsquelle die für den EuGH verbindlichen Rechtsvorschriften umfasst,27 bezeichnet der Begriff der Rechtserkenntnisquelle die für die Hermeneutik des Gemeinschaftsrechts maßgeblichen normativen Vorgaben.28 Rechtserkenntnisquellen sind für den EuGH als „Quellen der Inspiration“ nicht unmittelbar bindend.29 Sie formulieren jedoch materielle Maßstäbe, auf die er sich bei der Entwicklung, Konkretisierung und Präzisierung der Grundrechte stützen kann. Den Rechtserkenntnisquellen kommt eine Orientierungsfunktion zu; sie bilden bloße Grundlagen, die bei der Auslegung zur Verfügung stehen.30 Die Rechtserkenntnisquellen können in den Kanon der klassischen Auslegungsmethoden integriert werden. Die Auslegung der Unionsgrundrechte wird durch die Rechtserkenntnisquellen normativ und autoritativ, nicht aber exklusiv ___________ 24 Art. 288 Abs. 2 EGV enthält allein für den Bereich der außervertraglichen Haftung einen Verweis auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. 25 EuGH, Urt. v. 12.07.1957, verb. Rs. 7/56 u. 3-7/57, Slg. 1957, S. 83 (118) – Algera. 26 Pernice/Meyer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 5; Bd. III, Art. 220 Rn. 26; Streinz, Europarecht, Rn. 414; Bleckmann, Europarecht, Rn. 101; Lecheler, ZEuS 2003, 337 (339); Szczekalla, Schutzpflichten, S. 484; Pescatore, EuR 1979, 1 (3); HoffmannBecking, Methode, S. 344 ff.; Gaitanides, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 220 Rn. 18 ff.; Schilling, EuGRZ 2000, 3 (7); Heintzen, EuR 1997, 1 (9). 27 Röhl, Rechtslehre, § 64 I, S. 514. 28 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 3. Aufl., Art. 52 GRCh Rn. 20; Hoffmann-Becking, Methode, S. 354 f.; GA Mischo, EuGH, Urt. v. 10.07.2003, verb. Rs. C-20/00 u. C64/00, Slg. 2003, I-7411 (Ziff. 103) – Booker Aquaculture, der von „Rechtsquelle“ spricht, in der Sache aber die Rechtserkenntnisquelle meint. 29 Stern, in: ders./Tettinger, S. 13 (18). 30 Gaitanides, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 220 Rn. 25; Jarass, Grundrechte, § 2 Rn. 1; Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 184; Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (589); Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 44 f.; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 33; Schilling, EuGRZ 2000, 3 (11); vgl. Jacoby, Rechtsgrundsätze, S. 266 f.; ähnlich Pescatore, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 64 (67 ff.): „starting point for legal reasoning“; Bothe, ZaöRV 1976, 280 (290).
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte
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gesteuert.31 Die unter Rückgriff auf die Rechtserkenntnisquellen gewonnenen Erkenntnisse können entweder in die Erörterung nach den klassischen Auslegungsmethoden einbezogen oder im Rahmen eines problembezogenen topischen Vorgehens zur Geltung gebracht werden.32 Bei der Auslegung der Grundrechte steht die gemeinschaftsautonome Entwicklung im Vordergrund.33 Unter Berücksichtigung der spezifischen Gemeinschaftsinteressen werden aus den Rechtserkenntnisquellen eigenständige Grundrechte und rechtsstaatliche Garantien hergeleitet.34
2. Rechtserkenntnisquellen für die Auslegung der Unionsgrundrechte Der Überblick über die Entwicklung des Grundrechtsschutzes der EU hat gezeigt, dass die Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und die Konventionsgrundrechte für die Auslegung der Unionsgrundrechte von großer Bedeutung sind. Sie sind Rechtserkenntnisquellen im oben dargestellten Sinn, Grundlage und Orientierungshilfe für die Auslegung der EU-Grundrechte.
a) Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten Bereits in der Rechtssache Internationale Handelsgesellschaft vom 17.12.1970 verwies der EuGH darauf, dass die Unionsgrundrechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein müssen.35 In der am 14.05.1974 entschiedenen Rechtssache Nold taucht dieser Gedanke erneut auf. Darin führte der EuGH aus, dass er keine Maßnahmen als
___________ 31 Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 121; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 33; vgl. 3. Aufl., Art. 52 GRCh Rn. 20; Ossenbühl, in: Merten/Papier, § 15 Rn. 31 f.; vgl. Bleckmann, in: GS Constantinesco, S. 62 (70), wonach die Legitimation des EuGH zur Entwicklung allgemeiner Rechtsgrundsätze die Befugnis enthält, das Recht unter Rückgriff auf neue Auslegungsmethoden fortzubilden; vgl. Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (402); Wolf, Auslegungsgrundsätze, S. 193 (194). 32 Sommermann, in: Merten/Papier, § 16 Rn. 39. 33 EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Ziff. 3) – Internationale Handelsgesellschaft; vgl. EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1253 (1269 ff.) – Costa/ENEL. 34 Gaitanides, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 220 Rn. 25; Bleckmann, Europarecht, Rn. 125; Nicolaysen, Europarecht I, S. 120; Streinz, Europarecht, Rn. 761; Anweiler, Auslegungsmethoden, S. 44 f.; Hoffmann-Becking, Methode, S. 354 f. 35 EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Ziff. 4) – Internationale Handelsgesellschaft.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
rechtens anerkennen könne, die mit den von den Verfassungen der Mitgliedstaaten geschützten Grundrechten unvereinbar sind.36 In weiteren Urteilen konkretisierte er diese beiden Leitentscheidungen und stellte zugleich klar, dass er sich – auch wenn die Formulierung „unvereinbar“ anderes vermuten lasse – nicht unmittelbar an die mitgliedstaatlichen Grundrechte gebunden sieht: In der Rechtssache Hauer führte der EuGH unter Verweis auf das Nold-Urteil aus, dass er beim Schutz der Grundrechte von den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten „auszugehen“ habe.37 In einem anderen Urteil machte er geltend, dass er den Grundsätzen und Vorstellungen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, „Rechnung tragen“ müsse.38 Er lasse sich bei der Auslegung lediglich von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten „leiten“.39 Aus diesen Urteilen geht hervor, dass der EuGH die Verfassungsüberlieferungen der EUMitgliedstaaten als „Quelle der Inspiration“ erachtet. Sie sind Rechtserkenntnisquelle und nicht Rechtsquelle, an die er unmittelbar gebunden wäre.
b) Internationale Menschenrechtsverträge, vor allem die EMRK In der Rechtssache Nold stellte der EuGH fest, dass neben den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen auch die von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte Hinweise für den Grundrechtsschutz geben können, die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind. Dabei seien in erster Linie die internationalen Verträge von Relevanz, denen alle Mitgliedstaaten beigetreten sind.40 Zentrale Bedeutung hat insofern die EMRK, auf die der EuGH erstmals in der Rechtssache Rutili vom 28.10.1975 verwiesen hat.41 Während der EuGH ___________ 36
EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (Ziff. 13) – Nold. EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 15) – Hauer; ebenso in EuGH, Urt. v. 19.06.1980, Rs. 41, 121 u. 796/79, Slg. 1980, S. 1979 (Ziff. 18) – Testa. 38 EuGH, Urt. v. 18.05.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, S. 1575 (Ziff. 18) – AM & S. 39 EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 (Ziff. 25) – Krombach; EuGH, Urt. v. 06.03.2001, Rs. C-274/99 P, Slg. 2001, I-1611 (Ziff. 37) – Connolly; EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (Ziff. 23) – Roquette Frères; EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (Ziff. 71) – Schmidberger. 40 EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (Ziff. 13) – Nold. 41 EuGH, Urt. v. 28.10.1975, Rs. 36/75, Slg. 1975, S. 1219 (Ziff. 32) – Rutili. Andere internationale Verträge tauchen in der Rechtsprechung nur vereinzelt auf, vgl. EuGH, Urt. v. 18.10.1989, Rs. 374/87, Slg. 1989, S. 3283 (Ziff. 31) – Orkem: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (UN Treaty Series, Bd. 999, S. 171); EuGH, Urt. v. 12.12.1972, Rs. 21-24/72, Slg. 1972, S. 1219 37
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte
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der Konvention in seinen Anfangsjahren lediglich „Hinweise“ für das Gemeinschaftsrecht entnommen hat,42 hat er die Grundrechte bereits in den 80er Jahren ausgehend von den gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten und „unter Berücksichtigung“ der leitenden Grundsätze der EMRK ermittelt.43 In der Rechtssache Hoechst vom 21.09.1989 führte der EuGH aus, dass die Grundrechte „im Einklang“ mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und mit den völkerrechtlichen Verträgen auszulegen seien.44 Spätestens diese Aussage verdeutlicht, dass der EuGH die EMRK nicht lediglich als Hilfsmittel zur Auslegung der Rechtserkenntnisquelle der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, sondern als gleichrangigen Bestandteil bei der Auslegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze erachtet.45 Anders als bei den nationalen Grundrechten integriert der EuGH mitunter einzelne Normen der EMRK in seinen Grundrechtsaufbau.46 Im Urteil Johnston verwies er bei der Frage, ob effektiver Rechtsschutz zu gewähren sei, auf Art. 6 und Art. 13 EMRK. Diese würden den in der betreffenden Richtlinie vorgeschriebenen gerichtlichen Rechtsschutz als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes gewährleisten.47 Daneben finden sich in der Rechtsprechung des EuGH auch unmittelbare Verweise auf die Zusatzprotokolle zur EMRK. In der Rechtssache Rutili verwies er z. B. auf die EMRK und ihr 4. Zusatzprotokoll: Er bezeichnete den im Rahmen der Freizügigkeit formulierten Vorbehalt der öffentlichen Ordnung als besondere Ausprägung eines allgemeinen Grundsatzes, der nicht nur in der EMRK zum Ausdruck komme, ___________ (Ziff. 10/13) – International Fruit Company: General Agreement on Tarifs and Trade; EuGH, Urt. v. 15.06.1978, Rs. 149/77, Slg. 1978, S. 1365 (Ziff. 26/29) – Defrenne III: Europäische Sozialcharta v. 18.11.1961 (BGBl. 1964 II S. 1262) und Konvention Nr. 111 der Internationalen Arbeitsorganisation v. 25.06.1958 (BGBl. 1961 II S. 98). 42 EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (Ziff. 13) – Nold; EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 15) – Hauer. 43 EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651 (Ziff. 18) – Johnston; vgl. EuGH, Urt. v. 19.06.1980, Rs. 41, 121 u. 796/79, Slg. 1980, S. 1979 (Ziff. 18) – Testa. 44 EuGH, Urt. v. 21.09.1989, verb. Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, S. 2859 (Ziff. 13) – Hoechst; vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.1989, verb. Rs. 97-99/87, Slg. 1989, S. 3181 (Ziff. 10) – Dow Chemical Ibérica; EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (Ziff. 41) – ERT. 45 Streinz, Grundrechtsschutz, S. 401; Hengstschläger, JBl. 2000, 409 (415); Ress/Ukrow, EuZW 1990, 499 (501). 46 EuGH, Urt. v. 28.10.1992, Rs. C-219/91, Slg. 1992, I-5485 (Ziff. 38) – Ter Voort; EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C- 368/95, Slg. 1997, I- 3689 (Ziff. 25 ff.) – Familiapress; EuGH, Urt. v. 18.10.1989, Rs. 374/87, Slg. 1989, S. 3283 (Ziff. 31) – Orkem; EuGH, Urt. v. 25.07.1991, Rs. C-353/89, Slg. 1991, I-4069 (Ziff. 30) – Kommission. 47 EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651 (Ziff. 18) – Johnston.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
sondern auch „in Art. 2 des am 16.09.1963 in Strassburg unterzeichneten Protokolls Nr. 4 zu dieser Konvention verankert [sei]“. Daraus leitete er ab, dass Einschränkungen der Freizügigkeit nicht den Rahmen dessen überschreiten dürfen, der für den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einer Demokratie notwendig sei.48 Der EuGH stützt seine Entscheidungen schließlich auch auf die Rechtsprechung des EGMR.49 In der Rechtssache Hoechst war der EuGH mit der Frage konfrontiert, ob die von der Europäischen Kommission veranlasste Durchsuchung von Geschäftsräumen mit den Grundrechten des klägerischen Unternehmens vereinbar ist. Hierfür hatte er zu klären, ob Geschäftsräume vom Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung erfasst werden50. Mit Verweis auf Art. 8 EMRK stellte der EuGH fest, dass der Schutzbereich die freie Entfaltung der Persönlichkeit betreffe und sich daher nicht auf Geschäftsräume ausdehnen lasse. Im Übrigen verwies er darauf, dass zu dieser Problematik auch noch kein Urteil des EGMR vorliege.51
3. Bedeutung der Charta der Grundrechte für die Auslegung der Unionsgrundrechte Die Charta der Grundrechte wurde auf der Tagung des Europäischen Rates von Nizza proklamiert. Es handelt sich um eine politische Erklärung, die sozial aber nicht rechtlich verbindliche Regelungen enthält. Im Vorfeld ihrer Rechtsverbindlichkeit als Teil II des Europäischen Verfassungsvertrages schafft die Charta kein Recht im eigentlichen Sinne, sondern begründet vielmehr Verhaltenserwartungen, die lediglich weiche normative Wirkung entfalten.52
___________ 48 EuGH, Urt. v. 28.10.1975, Rs. 36/75, Slg. 1975, S. 1219 (Ziff. 32) – Rutili; vgl. Schwarze, EuGRZ 1986, 293 (298). 49 EuGH, Urt. v. 12.12.1996, verb. Rs. C-74/95 u. C-129/95, Slg. 1996, I-6609 (Ziff. 25) – X; EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C- 368/95, Slg. 1997, I- 3689 (Ziff. 26) – Familiapress; EuGH, Urt. v. 18.10.1989, Rs. 374/87, Slg. 1989, S. 3283 (Ziff. 32 ff.) – Orkem. 50 Im Schrifttum war diese Frage zu diesem Zeitpunkt umstritten, vgl. Ress/Ukrow, EuZW 1990, 499 (502 ff.) m. w. N. 51 EuGH, Urt. v. 21.09.1989, verb. Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, S. 2859 (Ziff. 18) – Hoechst; vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.1989, verb. Rs. 97-99/87, Slg. 1989, S. 3181 (Ziff. 15) – Dow Chemical Ibérica. 52 Zum sog. soft law des Gemeinschaftsrechts siehe Bothe, in: FS Schlochauer, S. 761 (768 f.); Everling, in: GS Constantinesco, S. 133 (S. 150 ff.); Jacoby, Rechtsgrundsätze, S. 262 f.
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte
41
Im Schrifttum wird vertreten, dass auch dieses sog. soft law als Rechtserkenntnisquelle zu beachten sei.53 Der Charta der Grundrechte komme bereits nach geltendem Recht eine erhebliche Bedeutung für die Auslegung der Unionsgrundrechte zu.54 Nach dem Mandat von Köln und ausweislich der Präambel soll die Charta Bestehendes sichtbar machen und bekräftigen.55 Sie bekunde in förmlicher Weise einen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohnehin bereits vorhandenen Grundrechtskonsens in Europa.56 Auch hätten die Gemeinschaftsorgane für eine Art Selbstbindung an die Grundrechte der Charta plädiert.57 Davon abgesehen seien die Rechte der Charta auch bereits von nationalen Verfassungsgerichten als Rechtserkenntnisquelle herangezogen worden.58 Ähnliches gelte für die Generalanwälte, die in ihren Schlussanträgen schon mehrfach auf die Charta verwiesen hätten.59 Auch das EuG habe die Rechte der Charta in seinen Entscheidungsgründen bereits wiederholt aufgegriffen.60 ___________ 53
Beutler, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, 5. Aufl., Art. F Rn. 35 ff.; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 196 ff.; Bernsdorff, in: Meyer, Vor Kapitel II Rn. 2; Huber, Europäische Integration, § 8 Rn. 40; Schwarze, EuGRZ 1986, 293 (294); Beutler, EuGRZ 1989, 185 (187); ähnlich Pernice, NJW 1990, 2409 (2414 f.). 54 Borowsky, in: Meyer, Vor Kapitel VII Rn. 3; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 222; Weber, DVBl. 2003, 220 (221); Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (71); vgl. Triebel, Jura 2003, 525 (527); ähnlich Beutler, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 6 Rn. 104. Nach der Auffassung von Jarass, Grundrechte, § 2 Rn. 29 f. sind auch die Erläuterungen des Präsidiums des Grundrechtekonvents als Rechtserkenntnisquelle heranzuziehen; ausdrücklich gegen die Qualifizierung der Charta als Rechtserkenntnisquelle, z. B. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 46; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 40a; vgl. 3. Aufl., Art. 6 Rn. 41. 55 Siehe oben, Einführung A. IV. 56 Vgl. Schwarze, EuZW 2001, 517 (518); Calliess, EuZW 2001, 261 (267). 57 Vgl. Mitteilung der Kommission zum Status der Grundrechtscharta der Europäischen Union v. 11.10.2000, KOM (2000), 644 final, S. 6; Beschlüsse des Rates 2001/903/EC und 2002/187/JI; Entschließung des Rates 2002/C 50/01; vgl. Bernsdorff, in: Meyer, Vor Kapitel II Rn. 3; Hilf, in: Duschanek/Griller, S. 15 (20); Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 24. Zur Selbstbindung durch soft law siehe Beutler, EuGRZ 1989, 185 (187). 58 Weber, DVBl. 2003, 220 (221) mit Verweis auf das spanische Verfassungsgericht, Urt. 292/2000 v. 30.11.2000 und den österreichischen Verfassungsgerichtshof, Vorlagebeschluss v. 12.12.2000 an den EuGH ÖZW 2001, 20. 59 Allein im Jahr 2001 hat die Charta siebzehn mal Eingang in die Schlussanträge der Generalanwälte gefunden, z. B. GA Tizzano, Anträge v. 08.02.2001, Rs. C-173/99, Slg. 2001, I-4881 (Ziff. 26 ff.) – BECTU; GA Jacobs, Anträge v. 14.06.2001, Rs. C377/98, Slg. 2001, I-7079 (Ziff. 197) – Schutz biotechnologischer Erfindungen; GA Léger, Anträge v. 10.07.2001, Rs. C-353/99 P, Slg. 2001, I-9565 (Ziff. 51 ff.) – Hautala; siehe auch GA Jacobs, Anträge v. 21.03.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 (Ziff. 39) – Unión de Pequenos Agricultores. 60 Zuletzt EuG, Urt. v. 13.07.2005, Rs. T-242/02 (Ziff. 51) – Sunrider; siehe auch EuG, Urt. v. 30.01.2002, Rs. T-54/99 (Ziff. 48, 57) – max.mobil; EuG, Urt. v. 03.05.2002, Rs. T-177/01 (Ziff. 42, 47) – Jégo-Quéré et Cie; EuG, Urt. v. 10.11.2004,
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Nicht erwähnt wird im Schrifttum, dass der EuGH – trotz der Verweise der Generalanwälte und des EuG – es bislang unterlassen hat, in seinen Entscheidungsgründen auf die Charta zu verweisen.61 Ohne eine Änderung des für die Auslegung der Unionsgrundrechte maßgeblichen Art. 6 Abs. 2 EUV ist auch nicht zu erwarten, dass er die Charta als eigenständige Rechtserkenntnisquelle anerkennen wird. Art. 6 Abs. 2 EUV hat nicht nur die Rechtsprechung des EuGH primärrechtlich abgesichert und der bisherigen Ausgestaltung der Grundrechte eine gewisse Bindungswirkung verliehen.62 Mit der Vorschrift hat auch der methodische Weg der Grundrechtsinterpretation eine normative Grundlage erhalten.63 Sollte die Charta der Grundrechte tatsächlich als eigenständige Rechtserkenntnisquelle gedacht sein, die neben die Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und die EMRK tritt, hätte dies durch einen Verweis in der Vorschrift klargestellt werden müssen.64 Für den Gesetzgeber wäre es auf dem Gipfel in Nizza ein Leichtes gewesen, Art. 6 Abs. 2 EUV entsprechend zu ändern. Er hat dies aber unterlassen und damit deutlich gemacht, dass die Charta dem EuGH neben den Verfassungsüberlieferungen und der EMRK nicht als gleichrangige Rechtserkenntnisquelle zur Verfügung stehen soll.65 Falsch wäre es jedoch, der Charta der Grundrechte in ihrer gegenwärtigen Gestalt jegliche Bedeutung für den Grundrechtsschutz abzusprechen. Die Charta bringt den in den letzten Jahrzehnten in den Mitgliedstaaten gewachsenen grundrechtlichen Acquis in komprimierter und aktualisierter Form in einem Grundrechtskatalog zum Ausdruck. Dabei lehnt sie sich vielfach eng an die EMRK an und führt unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Unionsrechts zugleich die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten zusammen.66 Die Charta kann daher herangezogen werden, um ein gemäß Art. 6 ___________ Rs. T-165/03 (Ziff. 56); anders noch EuG, Urt. v. 20.02.2001, Rs. T-112/98 (Ziff. 16) – Mannesmannröhren. 61 Etwa EuGH, Urt. v. 26.06.2001, Rs. C-173/99, Slg. 2001, I-4881 – BECTU; EuGH, Urt. v. 09.10.2001, Rs. C-377/98, Slg. 2001, I-7079 – Schutz biotechnologischer Erfindungen; EuGH, Urt. v. 06.12.2001, Rs. C-353/99 P, Slg. 2001, I-9565 – Hautala; EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Rs. C-50/00 P, Slg. 2002, I-6677 – Unión de Pequenos Agricultores. 62 Siehe oben, Einführung A. III. 63 Hengstschläger, JBl. 2000, 409 (414); vgl. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 46. 64 Schmitz, JZ 2001, 833 (835); Alber/Widmaier, EuGRZ 2000, 497 (500). 65 Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (343); Schwarze, EuZW 2001, 517 (517); Schmitz, JZ 2001, 833 (835); ähnlich Calliess, in: Ehlers, § 20 Rn. 34; anders aber Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 222. 66 Vgl. Zuleeg, in: Soziale Grundrechte, S. 57 (63); Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (133); Lenaerts/de Smijter, CMLRev. 2001, 273 (299).
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Unionsgrundrechte
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Abs. 2 EUV gewonnenes Ergebnis anhand des nunmehr sichtbaren Inhalts, den das Grundrecht in der Charta gefunden hat, zu bestätigen. Sie kann die Maßgeblichkeit der Konventionsgrundrechte bekräftigen67 oder den Bestand gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten aufzeigen68. In dieser Funktion hat auch der EGMR die Charta bereits in zwei Entscheidungen aufgegriffen.69 Es steht daher zu erwarten, dass auch der EuGH die Charta als nachrangige Auslegungshilfe einsetzen wird, um ein gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV gewonnenes Ergebnis zu bestätigen.70
III. Zusammenfassung Die Unionsgrundrechte werden vom EuGH als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts entwickelt. Rechtserkenntnisquellen für die Auslegung der Grundrechte sind gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und die internationalen Menschenrechtsverträge, von denen der EMRK eine besondere Bedeutung zukommt. Die Charta der Grundrechte ist keine eigenständige Rechtserkenntnisquelle. Sie kann aber als nachrangige Auslegungshilfe herangezogen werden, um ein unter Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 EUV gewonnenen Ergebnisses zu bestätigen. Für die vorliegende Arbeit folgt daraus, dass Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes in Europa im Wesentlichen unter Rückgriff auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten – also die nationalen Grundrechte – und die Grundrechte der EMRK ermittelt werden müssen. ___________ 67 Grabenwarter, DVBl. 2001, 1 (11); Calliess, EuZW 2001, 261 (267); vgl. Gersdorf, AöR 1994, 400 (401); kritisch Everling, EuR 1990, 195 (219). 68 Hilf, in: Duschanek/Griller, S. 15 (21); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 35a, 40b; Zuleeg, in: Soziale Grundrechte, S. 57 (63); vgl. Schwarze, EuZW 517 (518); ähnlich Hoffmann-Riem, EuGRZ 2002, 473 (479 f.). 69 EGMR, Urt. v. 30.06.2005, Nr. 45036/98 (Ziff. 80) – Bosphorus; EGMR, Urt. v. 11.07.2002, Nr. 28957/95 (Ziff. 58, 100) – Goodwin. 70 Pernice/Meyer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 27; Hilf/ Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 46; Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (343); Zuleeg, in: Soziale Grundrechte, S. 57 (63); Calliess, EuZW 2001, 261 (267); Schwarze, EuZW 2001, 517 (517); Schmitz, JZ 2001, 833 (835). Diese Vermutung lässt sich auch auf die Urteile des EuGH in den Rechtssachen Hauer und Johnston stützen, in der er die Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 05.04.1977 zur Bestätigung seiner Grundrechtsjudikatur herangezogen hat, vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 15) – Hauer; EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651 (Ziff. 18) – Johnston.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten für die Auslegung der Unionsgrundrechte In der Gemeinschaftsrechtsordnung kann nur Recht bestehen, das den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten entspricht, von diesen angenommen und letztlich auch durchgeführt wird. Die Union darf keine Rechtsordnung herausbilden, die den Verfassungen der Mitgliedstaaten als Fundament der Union wesensfremd wäre. Die Abstimmung erfolgt in einem fortlaufenden Prozess der Rechtsvergleichung, der nahezu jeder Rechtsentwicklung in der Union vorausgeht.71 Für den Bereich der Grundrechte hat die rechtsvergleichende Analyse eine besondere Bedeutung erlangt: Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss er Grundrechte schützen, wie sie sich aus den „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten“ ergeben.72
I. Rechtsvergleichung in der Rechtsprechung des EuGH Der Begriff der Rechtsvergleichung beschreibt den Vorgang, wonach verschiedene nationale Rechtsordnungen einander gegenübergestellt und miteinander verglichen werden73. Im Völkerrecht ist die Rechtsvergleichung in Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH zur Ermittlung und Konkretisierung der allgemeinen Rechtsgrundsätze vorgegeben.74 Für den Bereich der außervertraglichen Haftung enthält das Gemeinschaftsrecht in Art. 288 Abs. 2 EGV eine entsprechende Vorschrift. Danach ist die Europäische Gemeinschaft nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, zur außervertraglichen Haftung verpflichtet.75 Im Schrifttum wird Art. 288 Abs. 2 EGV als allgemein-gültige Methodenanweisung zur Ausfüllung von Regelungslücken verstanden, die auch bei der Auslegung der Unionsgrundrechte zur Anwendung kommt.76 ___________ 71 Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 50; Ress/Ukrow, EuZW 1990, 499 (500). 72 Vgl. oben Teil 2 A. II. 2. a). 73 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 1 I, S. 2.; vgl. Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (397 ff.). 74 Stein/v. Buttlar, Völkerrecht, Rn. 161; Bleckmann, Europarecht, Rn. 572; Bothe, ZaöRV 1976, 280 (282); vgl. Mosler, in: FS Verdross, S. 381 (409 ff.). 75 Vgl. auch Art. 188 Abs. 2 EAGV. 76 Sommermann, in: Merten/Papier, § 16 Rn. 42; Nicolaysen, Europarecht I, S. 120, 421; Bleckmann, Europarecht, Rn. 580 ff.; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 5 Rn. 21; Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (399); Bothe, ZaöRV 1976, 280 (282 f.); siehe bereits Zweigert, RabelsZ 1964, 601 (609 f.). Für eine analoge Anwendung von Art. 288 Abs. 2 EGV sie-
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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Wer in der Rechtsprechung des EuGH jedoch eingehende rechtsvergleichende Erörterungen erwartet, sieht sich in der Regel enttäuscht. Der EuGH begnügt sich überwiegend damit, das fertige Ergebnis mitzuteilen, ohne seinen Entstehungsprozess zu erläutern. Rechtsvergleichende Analysen in den Entscheidungsgründen sind selten. Das Urteil in der Rechtssache Algera vom 12.07.1957 zählt zu den wenigen Entscheidungen, in denen der EuGH die Methode seiner Entscheidungsfindung – wenn auch im Bereich des Verwaltungsrechts – umschreibt. Der EuGH stellte fest, dass es sich bei der Zulässigkeit des Widerrufs um „eine der Rechtsprechung und der Lehre in allen Ländern der Gemeinschaft wohl vertraute verwaltungsrechtliche Frage“ handele, für deren Lösung das Gemeinschaftsrecht keine Vorschriften enthalte. Er sei daher verpflichtet, diese Problematik von sich aus unter Berücksichtigung der in den Mitgliedstaaten der EU anerkannten Regeln zu entscheiden.77 Einen methodischen Einblick gewährte der EuGH auch in der Rechtssache Hauer vom 13.12.1979, in der er das Eigentumsrecht sowohl auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als auch auf Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK stützte. Er führte aus, dass für die Beurteilung der Reichweite des eigentumsrechtlichen Schutzes die Hinweise beachtet werden müssen, die den „Verfassungsnormen und der Verfassungspraxis der neun Mitgliedstaaten zu entnehmen [seien]“. Unter namentlicher Erwähnung von Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 42 Abs. 2 der italienischen und Art. 43 Abs. 2 S. 2 der irischen Verfassung machte er geltend, dass es dem Gesetzgeber nach diesen Vorschriften gestattet sei, die Nutzung von Privateigentum im Allgemeininteresse zu regeln. In sämtlichen Mitgliedstaaten gebe es zahlreiche Gesetzgebungsakte, die der sozialen Funktion des Eigentumsrechts Ausdruck verleihen würden. Daraus folge, dass das Eigentumsrecht Einschränkungen unterworfen werden dürfe.78 Trotz der Zurückhaltung des EuGH, seine methodische Vorgehensweise offen zu legen, kann ihm nicht unterstellt werden, dass er tatsächlich auf eine rechtsvergleichende Auslegung verzichtet. In vielen Entscheidungen indizieren bereits die Schlussanträge der Generalanwälte, dass die Urteilsfindung des EuGH auf eine umfangreiche rechtsvergleichende Analyse zurückgeführt werden kann.79 Der EuGH verkörpert die Rechtsvergleichung geradezu institutio___________ he Feige, Gleichheitssatz, S. 130 ff. Einschränkend Börner, in: FS Ipsen, S. 557 (559 f.), der der Rechtsvergleichung für die praktische Anwendung und Fortbildung des Gemeinschaftsrechts nur eine geringe Bedeutung zuspricht. 77 EuGH, Urt. v. 12.07.1957, verb. Rs. 7/56 u. 3-7/57, Slg. 1957, S. 83 (117 ff.) – Algera. Zum Widerruf von Verwaltungsakten siehe Lübbing, EuZW 2003, 233 ff. 78 EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 17 ff.) – Hauer. 79 Vgl. Schlussanträge v. GA Warner u. GA Sir Gordon Slynn zu EuGH, Urt. v. 18.05.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, S. 1575 (1619 ff., 1642 ff.) – AM & S; Schlussanträ-
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
nell: Seine Mitglieder lassen aufgrund ihrer geographischen und beruflichen Herkunft das Recht der EU-Mitgliedstaaten nahezu selbstverständlich in die täglichen Beratungen und Diskussionen einfließen80. Davon abgesehen lassen auch die Urteile anderer internationaler Gerichte erkennen, dass eine detaillierte Rechtsvergleichung bei der Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze grundsätzlich eine Rarität ist, obwohl sie von den Gerichten unstreitig betrieben wird.81 Die Enthaltsamkeit, die der EuGH übt, darf daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass der rechtsvergleichenden Auslegung für die Urteilsfindung eine entscheidende Bedeutung zukommt.82
II. Methode der Rechtsvergleichung nach geltendem Recht 1. Notwendigkeit einer Methodenanalyse Die Methode, auf die sich der EuGH bei der Erkenntnis allgemeiner Rechtsgrundsätze stützt, wird von ihm nicht näher bezeichnet.83 Auch die dargelegten Urteile erlauben lediglich den Schluss, dass der EuGH bei der Auslegung der Grundrechte auf eine rechtsvergleichende Analyse der mitgliedstaatlichen Verfassungen zurückgreift. Eine klare Aussage darüber, inwiefern das Übereinstimmen oder Divergieren nationaler Anschauungen den Bestand oder die Reichweite eines Grundrechts tangieren, lässt sich nicht entnehmen. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet die Enthaltsamkeit des EuGH, seine methodische Vorgehensweise darzulegen, dass der Rechtsprechung von außen eine methodische Struktur unterlegt werden muss. Die Methodenanalyse von außen ist kein ungewöhnliches Unterfangen: Bei einem Vergleich der obersten Gerichte der Mitgliedstaaten zeigen sich zwar wesentliche Unterschiede in der Begründungsdichte. Auf der einen Seite finden sich die prägnanten, begründungsarmen französischen Urteile,84 auf der anderen Seite stehen die ___________ ge v. GA Mischo zu EuGH, Urt. v. 21.09.1989, verb. Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, S. 2875 (Ziff. 49 ff.) – Hoechst; ebenso Bleckmann, Europarecht, Rn. 595; Streinz, Grundrechtsschutz, S. 370. 80 Sommermann, in: Merten/Papier, § 16 Rn. 77; Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (413); Ress, ZaöRV 1976, 227 (271); vgl. Lecheler, Rechtsgrundsätze, S. 188. 81 Streinz, Grundrechtsschutz, S. 368; Mosler, in: FS Verdross, S. 381 (409 f.); Hailbronner, ZaöRV 1976, 190 (190); im Hinblick auf den IGH, Bothe, ZaöRV 1976, 280 (282 f.). 82 Vgl. Meyer, in: ders., Präambel Rn. 13, der die Rechtsvergleichung als „fünfte“ Auslegungsmethode bezeichnet; ähnlich Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 121. 83 Vgl. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 491; Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 49. 84 Sommermann, in: Merten/Papier, § 16 Rn. 34; Fikentscher, Methode, Bd. I, S. 552 f.; Tribes, in: Sprung/König, S. 337 ff.
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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sehr ausführlichen Urteile der deutschen und italienischen Verfassungsgerichte.85 Die englischen Gerichte zeichnen sich wiederum durch die besonderen Anforderungen aus, die das common law an sie stellt.86 Trotz der Unterschiede ist den Urteilen schon wegen ihrer Aufgabenstellung – der Entscheidung von Streitigkeiten im Einzelfall – gemeinsam, dass keines der Gerichte seine Methode selbst darlegt. Die Analyse der Methode erfolgt fast immer von außen durch die Wissenschaft.87 Fraglich ist, ob eine Analyse der Rechtsfindungsmethode von außen dem jeweiligen Gericht gerecht werden kann. Es besteht die Gefahr, eigene methodische Vorstellungen in der Rechtsprechung wiederzuerkennen und den eigenen (nationalen) Ansatz als den des Gerichts zu verstehen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Rechtsprechungsmaterial in der Regel mehrere Deutungen zulässt und damit verschiedenen Methodisierungen zugänglich ist.88 Trotz dieser Schwierigkeiten darf eine Methodenanalyse nicht unterbleiben. Um zukünftige Entscheidungen vorhersehbar zu machen, ist die Ausarbeitung übergreifender, vom Einzelfall gelöster Leitlinien von elementarer Bedeutung. Eine Analyse ist erforderlich, weil ohne sie die Klarheit und Vorhersehbarkeit des Rechts in seiner praktischen Anwendung gefährdet wäre. Rechtssicherheit und Akzeptanz der Grundrechtsjudikatur des EuGH können nur durch Transparenz erreicht werden.89 Davon abgesehen ist für die vorliegende Untersuchung eine methodische Analyse bereits deshalb notwendig, weil sie die Grundlagen dafür schafft, dass der Bildnisschutz in Europa ermittelt werden kann.
2. Methoden der Rechtsvergleichung im Lichte der Grundrechtsjudikatur Über die Methode der Rechtsvergleichung, der sich der EuGH bei der Auslegung der Unionsgrundrechte bedient, herrscht im Schrifttum keine Einigkeit. Die Auffassungen, die auf eine „überwiegende Anerkennung“ eines Rechtsgrundsatzes in allen Mitgliedstaaten,90 auf das Bestehen von Rechtsgrundsätzen ___________ 85
Colesanti, in: Sprung/König, S. 355 ff.; Streinz, Grundrechtsschutz, S. 371. Fikentscher, Methode, Bd. II, S. 86 ff.; vgl. Lawton, in: Sprung/König, S. 423 ff. 87 Streinz, Grundrechtsschutz, S. 372; ahnlich Lecheler, Rechtsgrundsätze, S. 188 f. Zur Analyse der Rechtsprechung des BVerfG von außen siehe Grabitz, AöR 1973, 568 ff. 88 Streinz, Grundrechtsschutz, S. 372; vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Rn. 159. 89 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 19; ähnlich im Hinblick auf das BVerfG Müller/Christensen, Methodik, Rn. 27; vgl. Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (58 f.). 90 v. Meibom, DVBl. 1969, 437 (440). 86
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
in allen Mitgliedstaaten in ihrer „allgemeinsten Form“91 oder auf das „goldene Mittelmaß“92 der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten abstellen, können sofort abgelehnt werden. Die Formulierungen sind zu unpräzise, um brauchbare Ergebnisse liefern zu können. Darüber hinaus finden sie auch keinen Anklang in der Rechtsprechung des EuGH.93 Es verbleiben die Methode des minimalen Grundrechtsstandards, die Methode des maximalen Grundrechtsstandards und die Methode der wertenden Rechtsvergleichung.
a) Minimaler Grundrechtsstandard Nach der Methode des minimalen Grundrechtsstandards ergibt sich der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsstandard aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner der nationalen Grundrechte. Nur diejenigen Grundrechte, die in allen Mitgliedstaaten übereinstimmend gelten, werden auf die europäische Ebene übertragen. Im Ergebnis setzt sich die nationale Rechtsordnung durch, die dem Bürger im konkreten Fall den geringsten Grundrechtsschutz gewährt.94 Befürworter der Methode des minimalen Grundrechtsschutzes stützen ihre Auffassung auf Art. 288 Abs. 2 EGV, der auf die den Mitgliedstaaten „gemeinsamen“ Rechtsgrundsätze verweist. Der Wortlaut des Vertrages mache eine Übereinstimmung aller Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erforderlich.95 Dem wird entgegen gehalten, dass dieses Verständnis zu einer Minimalisierung des Grundrechtsschutzes in der Union führe.96 Die Unionsgrundrechte würden zu einem Asyl der verschiedenen Mängel der einzelnen Rechtsordnungen verkommen.97 Untragbare Ergebnisse entstünden, wenn ein Mitgliedstaat ein Grundrecht nicht schütze.98 Davon abgesehen stärke die Projektion des kleinsten gemeinsamen Nenners auf das Gemeinschaftsrecht die Eingriffsbe___________ 91 Lecheler, Rechtsgrundsätze, S. 189; vgl. Feige, Gleichheitssatz, S. 140 ff., der zwar eine Übereinstimmung in der „allgemeinsten Ausprägung“ fordert, aber im Ergebnis der Methode der wertenden Rechtsvergleichung folgt. 92 Gramlich, DÖV 1996, 801 (809). 93 Im Ergebnis ebenso Szczekalla, Schutzpflichten, S. 492; Streinz, Grundrechtsschutz, S. 430; Wetter, Charta, S. 43; Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 50. 94 Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (459); Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 5 Rn. 19; Stadler, Berufsfreiheit, S. 178; Feige, Gleichheitssatz, S. 139 f. 95 Heldrich, JZ 1960, 681 (685); vgl. Zweigert, RabelsZ 1964, 601 (610); Hailbronner, ZaöRV 1976, 190 (218 f.). 96 Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (460); Feger, DÖV 1987, 322 (329). 97 Zweigert, RabelsZ 1964, 601 (610); Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 5 Rn. 19; vgl. Heldrich, JZ 1960, 681 (685), der sich dieser Gefahr des Minimalstandards bewusst war. 98 Stadler, Berufsfreiheit, S. 183.
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
49
fugnisse der Gemeinschaftsorgane.99 Die Methode des minimalen Grundrechtsschutzes komme daher mit den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der Mitgliedstaaten in Konflikt und gefährde hierdurch die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts.100 Schließlich würde die Methode des minimalen Grundrechtsstandards auch das durchschnittlich in den Mitgliedstaaten vorhandene Grundrechtsniveau verfälschen. In allen Staaten fänden sich neben Grundrechten mit geringerer Schutzintensität auch Grundrechte mit umfangreicheren Freiheitsgarantien. Bei Achtung des kleinsten gemeinsamen Nenners würde das Durchschnittsniveau auf Gemeinschaftsebene zulasten der Unionsbürger erheblich herabgesenkt.101 Zwar verweist auch der EuGH in ständiger Rechtsprechung auf die „gemeinsamen“ Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquelle der Unionsgrundrechte. Seine Entscheidungen zeigen jedoch, dass er sich hierdurch nicht an den kleinsten gemeinsamen Nenner der mitgliedstaatlichen Grundrechte gebunden sieht.102 In der Rechtssache Hauer stellte der EuGH fest, dass „die Verfassungsordnung verschiedener Mitgliedstaaten“ das Recht auf freie Berufsausübung gewährleistete. Damit machte er zugleich deutlich, dass er das Grundrecht nicht in allen Mitgliedstaaten nachweisen kann. Das hinderte ihn im Ergebnis jedoch nicht daran, die Existenz eines gemeinschaftsrechtlichen Grundrechts auf freie Berufsausübung anzuerkennen.103 Auch in der Rechtssache AM & S orientierte sich der EuGH mit einem umfassenden Schutz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandant nicht am geringsten nationalen Schutzniveau.104
b) Maximaler Grundrechtsstandard Nach der Methode des maximalen Grundrechtsstandards wird der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsbestand aus der Summe aller mitgliedstaatlichen
___________ 99
Vgl. Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (460); Zweigert, RabelsZ 1964, 601 (610). Stadler, Berufsfreiheit, S. 183 f.; ebenso Streinz, Grundrechtsschutz, S. 430. 101 Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (460); Stadler, Berufsfreiheit, S. 182; ähnlich Feige, Gleichheitssatz, S. 141 f. 102 Siehe oben, Teil 2 A. II 2. a) und B. I. 103 EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 32) – Hauer; vgl. Schlussanträge zu EuGH, Urt. v. 15.06.1976, Rs. 110/75, Slg. 1976, S. 955 (971 ff.) – Mills. 104 EuGH, Urt. v. 18.05.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, S. 1575 (Ziff. 23) – AM & S; siehe dazu Schwarze, EuGRZ 1983, 117 (120 ff.). 100
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Grundrechte gebildet.105 Der Grundrechtsstandard in der Union orientiert sich an der maximalen Garantie der mitgliedstaatlichen Grundrechte.106 Befürworter dieser Methode verweisen darauf, dass die Beachtung des Maximalstandards den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht sichere.107 Sie könne eine reibungslose Verzahnung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht garantieren.108 Grundrechtsrelevantes Handeln der Gemeinschaftsorgane könne wirksam beschränkt werden. Dem wird entgegen gehalten, dass die Möglichkeit der Gemeinschaftsorgane, Rechtsakte zu setzen, bei Anwendung des maximalen Grundrechtsstandards erheblich erschwert – wenn nicht gar unmöglich gemacht – werde.109 Selbst Rechtsakte, die im öffentlichen Interesse der Gemeinschaft erforderlich und geboten seien, könnten unter Umständen nicht erlassen werden. Damit wäre die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft gefährdet.110 In vielen Urteilen findet sich die Aussage des EuGH, dass er, ausgehend von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, „keine Maßnahmen als rechtens anerkennen [könne], die unvereinbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechten“.111 Diese Aussage könne als Bekenntnis des EuGH zu einem Maximalstandard gewertet werden.112 Das Urteil des EuGH in der Rechtssache AM & S scheint diese Vermutung zu stützen. Mit der Orientierung am englischen Grundsatz des legal privilege zeigte sich der EuGH bemüht, den zwingenden Verfassungserfordernissen eines Mitgliedstaates gerecht zu werden, obwohl die ___________ 105 Schwaiger, AWD 1972, 265 (271): „Additionsprinzip der Gemeinschaftsgrundrechte“. 106 Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (458); Stadler, Berufsfreiheit, S. 188. 107 Pescatore, EuGRZ 1978, 441 (445); Hilf, ZaöRV 1975, 50 (56 ff.); Schwaiger, AWD 1972, 265 (270 f.): „beschränkte Maximaltheorie“; ähnlich auch Karpenstein, Diskussionsbeitrag, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 102 f.; ähnlich Schwarz, EuGRZ 1983, 117 (123); ablehnend z. B. Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (178), wonach „die ‚Maximallösung‘ der bisherigen Judikatur des EuGH zuwiderläuft“. 108 Besselink, CMLRev. 1998, 629 (670 ff.); Pescatore, EuGRZ 1978, 441 (445); Karpenstein, Diskussionsbeitrag, in: Mosler/Bernhard/Hilf, S. 103. 109 Mosler/Bernhardt, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 205 (217). 110 Streinz, Grundrechtsschutz, S. 434; Stadler, Berufsfreiheit, S. 194; vgl. Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 50. 111 EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (Ziff. 13) – Nold; EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 15) – Hauer; EuGH, Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 (Ziff. 41) – ERT; EuGH, Urt. v. 28.10.1992, Rs. C-219/91, Slg. 1992, I-5485 (Ziff. 34) – Ter Voort; EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, I-2629 (Ziff. 14) – Kremzow; EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, I-7493 (Ziff. 12) – Annibaldi. 112 Vgl. Streinz, Grundrechtsschutz, S. 402, 431; Hilf, ZaöRV 1975, 51 (57).
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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anderen Mitgliedstaaten ein weniger hohes Schutzniveau aufwiesen.113 Aus dem Urteil Hoechst geht jedoch hervor, dass der EuGH eine Orientierung am Maximalstandard nicht als Maßstab seiner Rechtsvergleichung erachtet. Unter Hinweis darauf, dass in den EU-Mitgliedstaaten ein unterschiedliches Schutzniveau vorherrsche, entschied er, dass Geschäftsräume – anders als Privatwohnungen – im Gemeinschaftsrecht nicht geschützt werden.114 Der vom EuGH etablierte Standard widersprach damit zumindest dem durch die Rechtsprechung des BVerfG konkretisierten Standard des Grundgesetzes, wonach Geschäftsräume vom Schutz des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG erfasst sind.115 Das zeigt, dass sich der EuGH in dieser Rechtssache nicht am maximalen Grundrechtsniveau orientierte.116 Auch aus den Reihen der Generalanwälte wird die Methode des maximalen Grundrechtsstandards vor allem in jüngerer Zeit ausdrücklich abgelehnt. So brachte Generalanwalt Colomer in der Rechtssache K.B. vom 07.01.2004 zum Ausdruck, dass die Existenz allgemeiner Rechtsgrundsätze „völlig nutzlos“ sei, wenn man eine vollkommene Übereinstimmung bei der Gesamtheit der Mitgliedstaaten für erforderlich halten würde.117
c) Wertende Rechtsvergleichung Im Schrifttum wird die Methode des EuGH überwiegend als wertende Rechtsvergleichung bezeichnet. Allgemeiner Rechtsgrundsatz ist danach weder, was die Mehrheit der Rechtsordnungen übereinstimmend anordnet, noch, was als maximale Grundrechtsgarantie in den Mitgliedstaaten geschützt wird. Nach der Methode der wertenden Rechtsvergleichung wird als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt, was sich bei einer kritischen Analyse als die „beste Lösung“ darstellt.118 ___________ 113
EuGH, Urt. v. 18.05.1982, Rs. 155/79, Slg. 1982, S. 1575 (Ziff. 23) – AM & S. EuGH, Urt. v. 21.09.1989, verb. Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, S. 2859 (Ziff. 17 ff.) – Hoechst; vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.1989, Rs. 85/87, Slg. 1989, S. 3137 (Ziff. 28) – Dow Benelux; EuGH, Urt. v. 17.10.1989, verb. Rs. 97-99/87, Slg. 1989, S. 3181 (Ziff. 14) – Dow Chemical Ibérica. 115 BVerfGE 44, 353 (371); BVerfGE 96, 44 (51); vgl. Gornig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 13 Rn. 21 f.; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 13 Rn. 2. 116 Ähnlich Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (178), wonach die „Maximallösung“ der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zuwiderläuft. 117 Schlussanträge von GA Colomer v. 10.06.2003 zu EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-117/01 (Ziff. 67) – K.B. 118 Grundlegend Zweigert, RabelsZ 1964, 601 (611 f.); siehe auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 39; Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 51; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 13 ff.; Beutler, in: 114
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Gegen die Methode der wertenden Rechtsvergleichung wird vereinzelt eingewandt, dass sie dem EuGH eine schrankenlose Rechtsfortbildungsbefugnis gewähre. Mangels nachprüfbarer Kriterien bleibe es ihm allein überlassen, eine aus mehreren nationalen Regelungen herauszusuchen und sie als die „beste“ Lösung zu deklarieren. Rechtssicherheit könne auf diese Weise nicht gewährleistet werden.119 Diese Einwände sind indes nicht überzeugend: Der EuGH ist dazu verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht im Interesse der fortschreitenden Integration auszulegen und weiterzuentwickeln.120 Die richterliche Gestaltungsfreiheit hat jedoch ihre Grenzen. Der EuGH ist verpflichtet, die von ihm entwickelten Rechte an der Gemeinschaftsrechtsordnung auszurichten. Über die Ziele und Aufgaben der Gemeinschaft bekommt seine Rechtsprechung einen festen Orientierungspunkt.121 Kollidierende Interessen sind nach den Kriterien von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit gegeneinander abzuwägen. Dabei hat der EuGH auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.122 Eine Gefahr richterlicher Willkür bei der Ermittlung der „besten Lösung“ besteht daher nicht. Bei dem Versuch, die Grundrechte anhand der quantitativen Kriterien des Minimal- oder Maximalstandards auszulegen, zeigen sich demgegenüber unlösbare methodische Probleme.123 Im Einzelfall ist es nicht möglich, auch nur annähernd überzeugend zu bestimmen, welche von mehreren Rechtsordnungen
___________ Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 6 Rn. 63; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 163 ff.; Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (177); Schilling, EuGRZ 2000, 3 (7 f.); siehe bereits Fuß, NJW 1964, 945 (946); Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (409); Meessen, JIR 1974, 283 (301 ff.); Pescatore, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 64 (69); Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 5 Rn. 20, § 41 Rn. 22. Teilweise werden auch die Konventionsgrundrechte in die wertende Rechtsvergleichung einbezogen, vgl. Mahlmann, ZEuS 2000, 419 (423) und Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (83). 119 Hailbronner, ZaöRV 1976, 190 (219); Stein, in: FS Steinberger, S. 1425 (1430); Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (62); vgl. Pernice/Meyer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 14; einschränkend Lecheler, ZEuS 2003, 337 (344): „Rest von Beliebigkeit“; anders Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 163. 120 Siehe oben, Teil 2 A. I. 121 Meessen, JIR 1974, 283 (302 f.); Zieger, Grundrechtsproblem, S. 36; ähnlich v. Meibom, DVBl. 1969, 337 (340). 122 EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Ziff. 16) – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 23) – Hauer; EuGH, Urt. v. 11.07.1989, Rs. 265/87, Slg. 1989, S. 2237 (Ziff. 21) – Schräder; EuGH, verb. Rs. C-248/95 u. C-249/95, Slg. 1997, I-4475 (Ziff. 66) – SAM Schifffahrt und Stapf; EuGH, Urt. v. 13.04.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, I-2737 (Ziff. 45) – Karlsson. 123 Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (58); Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (459); Streinz, Grundrechtsschutz, S. 434.
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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das geringste oder das höchste Schutzniveau aufweist.124 Die Übernahme der nationalen Grundrechte en-bloc wird durch Konkurrenz- und Kollisionsregeln vereitelt.125 Auch ein getrennter Vergleich von Schutzbereich und Schranken bereitet methodische Schwierigkeiten.126 Davon abgesehen würde die Rechtsvergleichung in Anbetracht der bereits erfolgten und zukünftig erwarteten Erweiterungen der Union einen unvorstellbaren Arbeits- und Zeitaufwand beanspruchen. Gegen die Übernahme des minimalen oder maximalen Grundrechtsstandards ist schließlich einzuwenden, dass sie es jedem Mitgliedstaat ermöglichen würde, das gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsniveau eigenmächtig zu verändern.127 Die einseitige Abschaffung einzelner nationaler Garantien würde – bei Beachtung des Minimalstandards – den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsstandard senken; bereits eine geringfügige Verstärkung des nationalen Grundrechtsschutzes würde – bei Beachtung des Maximalstandards – die Unionsgrundrechte erweitern. Eine eigenständige Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts wäre faktisch unmöglich. Das Gemeinschaftsrecht hätte im Bereich der Grundrechte seine Autonomie und Eigenständigkeit eingebüßt.128 Die Methode der wertenden Rechtsvergleichung spiegelt sich letztlich auch am Ehesten in der Vorgehensweise des EuGH wider: In ständiger Rechtsprechung hat er geltend gemacht, dass die Grundrechte zwar von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten getragen sein müssen, sich aber auch in die dem allgemeinen Wohl dienenden Ziele der Gemeinschaft einzufügen hätten.129 Dem EuGH genügt es nicht, bestimmte Grundrechte in den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten vorzufinden. Im Wege einer wertenden Analyse bemüht er sich vielmehr, die Lösung zu ___________ 124 Szczekalla, Schutzpflichten, S. 492; Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (58); Wetter, Charta, S. 44. 125 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 164; Giller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (177); Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (58); Stadler, Berufsfreiheit, S. 179 f., 192; ähnlich Mosler/Bernhardt, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 205 (217). 126 Zu den verschiedenen Methoden, den jeweiligen Minimal- bzw. Maximalstandard zu ermitteln siehe Bleckmann, DVBl. 1978, 457 (458 ff.). 127 Streinz, Grundrechtsschutz, S. 434; Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (177). 128 Bleckmann, Europarecht, Rn. 125; Nicolaysen, Europarecht I, S. 120; vgl. Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (58). 129 Etwa EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491 (Ziff. 14) – Nold; EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 23) – Hauer; EuGH, Urt. v. 28.04.1998, Rs. C-200/96, Slg. 1998, I-1953 (Ziff. 21) – Metronome; EuGH, Urt. v. 10.07.2003, verb. Rs. C-20/00 u. C-64/00, Slg. 2003, I-7411 (Ziff. 68) – Booker Aquaculture.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
ermitteln, die sich unter Berücksichtigung der strukturellen Eigenheiten und Zielsetzungen der Union als die Beste darstellt. Im Kreise der Richter wird ausdrücklich auf die Bedeutung einer „wägenden und wertenden Rechtsvergleichung“ verwiesen, die dem EuGH gebiete, diejenige Lösung zu wählen, die ihm im Hinblick auf die Vertragsziele als die Beste erscheine.130 Damit wird expressis verbis eine Ermittlung der Unionsgrundrechte anhand quantitativer Kriterien ausgeschlossen. Die Rechtsprechung des EuGH folgt der Methode der wertenden Rechtsvergleichung.
III. Auswirkungen der Charta der Grundrechte auf die Methode der Rechtsvergleichung? Für das geltende Recht wurde festgestellt, dass sich der EuGH der Methode der wertenden Rechtsvergleichung bedient, wenn er zur Auslegung der Unionsgrundrechte auf die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten zurückgreift. Im Folgenden wird untersucht, ob das auch in Zukunft unter dem Europäischen Verfassungsvertrag der Fall sein wird. Das Verhältnis der in der Charta der Grundrechte gewährleisteten Rechte zu den Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten ist in Art. II-112 Abs. 4 und Art. II-113 VVE geregelt. Diese Vorschriften sind Bestandteil von Titel VII des Europäischen Verfassungsvertrages, der mit „Allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta“ überschrieben ist.
1. Auswirkungen gemäß Art. II-112 Abs. 4 VVE Art. II-112 Abs. 4 VVE greift die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung verwendete Bezugsformel auf, wonach die Grundrechte im Einklang mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszulegen sind.131 Es liegt daher nahe, das normative Anliegen der Vorschrift darin zu sehen, die bisherige Grundrechtsjudikatur des EuGH – einschließlich seiner methodischen Vorgehensweise bei der Auslegung der Grundrechte – zu bestätigen und abzusichern. Dieses Verständnis entspricht den Vorstellungen des Konvents, der mit Art. II-112 Abs. 4 VVE den restriktiven Ansatz des „kleinsten
___________ 130
Kutscher, in: Gerichtshof, S. 30 f. Z. B. EuGH, Urt. v. 21.09.1989, verb. Rs. 46/87 u. 227/88, Slg. 1989, S. 2859 (Ziff. 13) – Hoechst; EuGH, Urt. v. 17.10.1989, verb. Rs. 97-99/87, Slg. 1989, S. 3181 (Ziff. 10) – Dow Chemical Ibérica. 131
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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gemeinsamen Nenners“ vermeiden und stattdessen ein „hohes Schutzniveau“ – nicht aber eine Maximallösung – festschreiben wollte.132 Es kann gemäß Art. II-112 Abs. 4 VVE kein Zweifel daran bestehen, dass die nationalen Grundrechte auch in Zukunft als Rechtserkenntnisquellen – und nicht als Rechtsquellen – bei der Auslegung der Unionsgrundrechte berücksichtigt werden müssen.133 Die in Art. II-112 Abs. 4 VVE angeordnete Orientierung an den „gemeinsamen“ Verfassungsüberlieferungen schreibt die bisherige Praxis des EuGH fest und sichert der Methode der wertenden Rechtsvergleichung auch für die Zukunft ihre Berechtigung.134 Wie bereits heute muss der EuGH von einer Grundrechtsauslegung nicht Abstand nehmen, weil sie vom Verfassungsrecht einzelner Mitgliedstaaten abweicht. Auch ist er nicht dem höchsten nationalen Schutzniveau verpflichtet. Zur bisherigen Rechtslage ergeben sich insofern daher keine Unterschiede.
2. Auswirkungen gemäß Art. II-113 VVE Gemäß Art. II-113 VVE ist keine Bestimmung der Charta so auszulegen, dass sie eine Einschränkung oder Verletzung der Grundrechte begründet, die „in dem jeweiligen Anwendungsbereich […] durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden“.
Die Bedeutung der Vorschrift wird im Schrifttum kontrovers diskutiert. Im Folgenden wird die Diskussion insoweit aufgegriffen, als sie für die Fragestellung relevant ist, ob und inwieweit Art. II-113 VVE die Methode der Rechtsvergleichung bei der Auslegung der Unionsgrundrechte beeinflusst.
a) Verständnis als Kollisionsregel Teilweise wird vertreten, dass Art. II-113 VVE den Mitgliedstaaten das Recht gebe, ihre nationalen Grundrechte heranzuziehen, sofern diese über den Schutzstandard der Charta hinausgehen. Eine Maßnahme der Gemeinschaftsorgane könne im konkreten Fall auf Grundlage des nationalen Verfassungsrechts ___________ 132 Schlussbericht der Arbeitsgruppe II des Konvents v. 22.10.2002, CONV 354/02 WG II 16, S. 7. 133 Ähnlich Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 3. Aufl., Art. 52 GRCh Rn. 40. 134 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 44a; Bühler, Einschränkung, S. 395; Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (567); ebenso Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Art. 52 Rn. 65 ff., der die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen aber unzutreffend als „Rechtsquelle“ bezeichnet.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
für nichtig erklärt werden.135 Art. II-113 VVE sei als Bestätigung des Widerstands der nationalen Verfassungsgerichte gegen den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts zu verstehen.136 Das zeige sich bereits daran, dass der Verweis auf die „Verfassungen“ im Gegensatz zu dem „Recht“ der Mitgliedstaaten den besonderen Respekt der Gemeinschaft vor den mitgliedstaatlichen Verfassungen verdeutliche.137 Dieses Verständnis ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren: Zunächst ist festzustellen, dass sich der Widerstand der Mitgliedstaaten gegen den Vorrang des Gemeinschaftsrechts mittlerweile größtenteils gelegt hat.138 Das BVerfG, das in den Anfangsjahren der Grundrechtsjudikatur nachdrücklich Kritik am Selbstverständnis des EuGH vom Anwendungsvorrang geäußert hatte,139 hat bereits im Solange II-Beschluss aus dem Jahr 1989 anerkannt, dass der Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene dem in Deutschland im Wesentlichen entspreche.140 Gleichzeitig versicherte das BVerfG, dass es die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nicht an den deutschen Grundrechten messen werde, solange die Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt gewährleiste. Diese Voraussetzung hat das Gericht bislang als erfüllt erachtet.141 Das Verständnis widerspricht außerdem den Erkenntnissen, die aus der Entstehungsgeschichte der Charta gewonnen werden können. Der Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten wurde bereits im Konvent als missverständlich und gefährlich kritisiert142: Der EuGH habe das Gemeinschaftsrecht als eigenständi___________ 135
Seidel, EuZW 2003, 97; Calliess, in: Ehlers, § 20 Rn. 17 „Schutzverstärkungsklausel“; vgl. Stein, in: FS Steinberger, S. 1425 (1434 f.); Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (171 ff.; 178 ff.); ablehnend Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 8; Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (566 f.); Everling, EuZW 2003, 225. 136 Vgl. Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (169 f.). 137 Vgl. Liisberg, CMLRev. 2001, 1170 (1192). 138 Vorbehalte bestehen zwar noch in den Mitgliedstaaten Dänemark und Schweden. Diese nehmen ihre nationalen Kontrollkompetenzen jedoch selbst dann nicht zurück, wenn das Gemeinschaftsrecht einen dem nationalen Recht entsprechenden Grundrechtsstandard gewährt, vgl. Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (169 f.) mit Verweis auf das Urteil des obersten Gerichtshofs in Dänemark v. 06.04.1998, I 361/1997, UfR 1998, 800 – Carlsen/Rasmussen. 139 Siehe oben, Einführung B. I. 140 BVerfGE 73, 339 (378) – Solange II: Nach Auffassung des BVerfG ist der Grundrechtsschutz im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes nach „Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise im wesentlichen gleich zu achten“. 141 Vgl. BVerfGE 89, 155 (174 f.) – Maastricht; BVerfG 102, 147 (161 ff.) – Bananenbeschluss. 142 Vgl. Protokoll der Neunten Sitzung des Konvents (informelle Tagung) am 03./04.05.2000, abgedruckt in: Bernsdorff/Borowsky, Charta, S. 229 (236, 238).
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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ge Rechtsordnung anerkannt, so dass die Gültigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten nicht anhand des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten überprüft werden dürfe. Eine Überprüfung anhand mitgliedstaatlichen Rechts würde die materielle Einheit und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen und damit unausweichlich auch den Zusammenhalt der Gemeinschaft gefährden.143 Als Reaktion auf diese Kritik wurde der Entwurf von Art. 53 Charta (= Art. II113 VVE) um die Formel „in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich“ ergänzt.144 Diese Änderung war das Ergebnis ausgiebiger Konsultationen zwischen dem Juristischen Dienst der Kommission und dem Sekretariat des Konvents und hatte das Ziel, jegliche Zweifel über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht zu beseitigen.145 Der Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts sollte mit Art. II-113 VVE nicht angetastet werden. Dieses Verständnis ergibt sich schließlich auch aus der Mitteilung der Kommission v. 11.10.2000, wonach Art. II-113 VVE am Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht nichts ändern sollte.146 Aus den genannten Gründen kann Art. II-113 VVE nicht als Kollisionsregel zugunsten der nationalen Grundrechte der EU-Mitgliedstaaten verstanden werden.
b) Verständnis als Auslegungsregel Andere im Schrifttum verstehen Art. II-113 VVE nicht als Kollisionsregel sondern als Auslegungsregel. Uneinigkeit besteht (lediglich) darüber, ob der maximale Grundrechtsstandard aller Mitgliedstaaten – im Sinne einer Mindestgarantie – auf das Unionsrecht übertragen werden muss oder es nur auf das Schutzniveau des im konkreten Einzelfall betroffenen Mitgliedstaates ankommt. Wird Art. II-113 VVE als Meistbegünstigungsklausel verstanden, muss der EuGH nur das Schutzniveau des jeweils betroffenen nationalen Rechts bei der Auslegung berücksichtigen. ___________ 143 EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 14) – Hauer; vgl. auch Bühler, Einschränkung, S. 409 ff. 144 CHARTE 4316/00 CONVENT 34 v. 16.05.2000, vierter Entwurf, Art. 49: „Diese Charta ist nicht als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten, das Völkerrecht und die internationalen Übereinkommen anerkannt werden, zu deren Vertragsparteien die Union, die Gemeinschaft oder alle Mitgliedstaaten gehören, darunter insbesondere die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.“ 145 Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 5; Liisberg, CMLRev. 2001, 1170 (1176); Bühler, Einschränkung, S. 400. 146 Mitteilung der Kommission, CHARTE 4956/00 CONTRIB 355 v. 18.10.2000; vgl. Bühler, Einschränkung, S. 403.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
aa) Verständnis als Mindestgarantieklausel Teilweise wird vertreten, dass der EuGH seinen Entscheidungen gemäß Art. II-113 VVE den jeweils höchsten in den Mitgliedstaaten geltenden Grundrechtsstandard zugrunde zu legen habe. Art. II-113 VVE erfasse alle „Bestimmungen dieser Charta“, was die Vorschrift des Art. II-112 Abs. 4 VVE einschließe. Art. II-112 Abs. 4 VVE sei i. V. m. Art. II-113 VVE daher derart zu verstehen, dass das maximale nationale Schutzniveau eine Mindestgarantie unionsrechtlichen Schutzes begründe.147 Dieses Verständnis ist nicht neu: Die Methode des maximalen Grundrechtsstandards148 – die dem Verständnis von Art. II-113 VVE als Mindestgarantieklausel entspricht – hat bereits seit den Anfangsjahren der Grundrechtsjudikatur ihre Anhänger. Im Gegensatz zur ständigen Rechtsprechung des EuGH, der auf die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ der Mitgliedstaaten verweist, nimmt Art. II-113 VVE die „Verfassungen“ der Mitgliedstaaten in Bezug. Insofern könnte tatsächlich jede einzelne nationale Rechtsordnung bei der Auslegung der Unionsgrundrechte zu beachten sein. Das hätte jedoch zur Folge, dass das Gemeinschaftsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten ausgeliefert wäre, die durch ihre Grundrechtsgewährleistungen einseitig über den Grundrechtsschutz in der EU bestimmen könnten. Weiterhin bereitet dieses Verständnis auch unlösbare methodische Schwierigkeiten, die sich besonders auffallend bei Grundrechtskollisionen zeigen: Wenn in einem Mitgliedstaat das Grundrecht A stärker geschützt ist als das Grundrecht B, ein anderer Mitgliedstaat hingegen das Grundrecht B stärker schützt als das kollidierende Grundrecht A, kann es keinen gemeinsamen Standard geben, der nicht wenigstens einer der beiden nationalen Rechtsordnungen widerspricht. In einer solchen Konstellation kann Art. II-113 VVE seine Mindestgarantiefunktion nicht erfüllen.149 Aus den genannten Gründen muss das Verständnis von Art. II113 VVE als Mindestgarantieklausel daher abgelehnt werden.150
___________ 147 Besselink, CMLRev. 1998, 629 (670 ff.); vgl. Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (175 ff.); ausdrücklich dagegen Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (567); Borowky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 9, wonach Art. II-113 VVE nicht als „Mindestschutzklausel“ zu verstehen sei. 148 Siehe dazu oben, Teil 2 B. II. 2. b). 149 Barriga, Entstehung der Charta, S. 171; vgl. v. Bogdandy, CMLRev. 2000, 1307 (1324). 150 Ebenso Bühler, Einschränkung, S. 413 f., die von der „Maximalstandardthese“ spricht; Liisberg, CMLRev. 2001, 1171 (1197).
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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bb) Verständnis als Meistbegünstigungsklausel Im Schrifttum wird teilweise anerkannt, dass die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts es verbietet, die Rechtmäßigkeit gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen anhand des nationalen Rechts zu überprüfen. Das schließe es aber nicht aus, das nationale Grundrechtsniveau auf die Ebene der EU zu projizieren, sofern dieses dem Betroffenen im Einzelfall einen besseren Schutz als das Unionsrecht gewähre. Das nationale Recht werde nicht angewendet – so aber die Vertreter der Kollisionsregel151 –, sondern stehe nur als Auslegungsmaßstab zur Verfügung. Der Betroffene habe Anspruch auf das höchste Schutzniveau, auch wenn dieses in seinem nationalen Recht verankert sei.152 Zur Begründung wird auf Art. 53 EMRK – die Meistbegünstigungsklausel der EMRK – verwiesen. Danach könne sich der Einzelne auf den Schutz des ihm günstigeren nationalen Grundrechts berufen, ohne dass dieses dadurch in das Recht der EMRK inkorporiert werde.153 Dieses Verständnis ist insofern nahe liegend, als sich der Entstehungsgeschichte der Charta entnehmen lässt, dass Art. 53 EMRK als Vorbild bei der Formulierung von Art. 53 Charta (= Art. II-113 VVE) gedient hat.154 Art. 53 EMRK ist auch – wie behauptet – eine Mindestgarantieklausel in dem Sinne, dass die EMRK lediglich einen völkerrechtlichen Mindeststandard bildet. Den
___________ 151
Siehe dazu oben, Teil 2 B. III. 2. a). Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 14; Bühler, Einschränkung, S. 420; Liisberg, CMLRev. 2001, 1171 (1193 ff.); Stern, in: ders./Tettinger, S. 13 (23); v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (57); Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (92); García, Jean Monnet Working Paper 04/2002, S. 24 f.; ähnlich Beutler, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 6 Rn. 110; ablehnend Barriga, Entstehung der Charta, S. 170 ff. 153 Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (92); Bühler, Einschränkung, S. 420; Liisberg, CMLRev. 2001, 1171 (1193). 154 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 1a, 3; Liisberg, CMLRev. 2001, 1170 (1174, 1183 ff.) unter Verweis auf den dritten Entwurf der Vorschrift, Art. H.4, CHARTE 4235/00 CONVENT 27 v. 18.04.2000: „Diese Charta darf nicht als Einschränkung der Tragweite der durch das Recht der Union, das Recht der Mitgliedstaaten, das Völkerrecht und die von den Mitgliedstaaten ratifizierten internationalen Übereinkommen, darunter die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewährleisteten Rechte ausgelegt werden.“ Vgl. Vorschlag von Lord Goldsmith, Änderungsantrag Nr. 429, CHARTE 4383/00 CONVENT 41 v. 03.07.2000. 152
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Mitgliedstaaten ist es ausdrücklich vorbehalten, ein höheres Schutzniveau als das der EMRK in ihrem nationalen Recht zu garantieren.155 Dennoch kann dem Verständnis nicht gefolgt werden: Zunächst erweist sich der Spielraum, den die Mitgliedstaaten gemäß Art. 53 EMRK haben, in der Praxis als gering. Immer dann, wenn Grundrechtspositionen kollidieren, lässt sich die „Günstigkeit“ des einen Grundrechts nur durchhalten, wenn das kollidierende Grundrecht das Schutzniveau der EMRK nicht unterschreitet.156 Das führt dazu, dass sich der Grundrechtsstandard bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen in der Regel am Schutzniveau der Konvention – und nicht am gegebenenfalls „höheren“ Schutzniveau der nationalen Vertragsstaaten – orientiert.157 Im mehrpoligen Grundrechtsverhältnis, das eine große Anzahl von Grundrechtskonstellationen betrifft, kann das Günstigkeitsprinzip somit nur eingeschränkt verwirklicht werden.158 Gleiches würde für das Unionsrecht gelten, wenn Art. II-113 VVE als Meistbegünstigungsklausel verstanden würde. Davon abgesehen lassen es die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts nicht zu, den Aussagegehalt von Art. 53 EMRK auf Art. II-113 VVE zu übertragen: Anders als die EMRK soll die Charta keinen Mindeststandard in den Mitgliedstaaten durchsetzen, sondern die Gemeinschaftsorgane bei Ausübung ihrer Hoheitsgewalt gemeinschaftsspezifischen Grundrechten unterwerfen.159 Die Gemeinschaftsrechtsordnung verfolgt das Ziel, für eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten zu sorgen und dadurch die Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen.160 Die EMRK ist des Weiteren Teil eines internationalen Schutzsystems, das dem Einzelnen zusätzliche Rechte gewährt. Dieser ergänzende Grundrechtsschutz rechtfertigt es, dem jeweils höchsten Schutzniveau Geltung zu verschaffen. Im Gegensatz dazu ist der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz Teil einer autonomen Rechtsordnung ___________ 155
Grabenwarter, EMRK, § 2 Rn. 14; Frowein/Peukert, Art. 60. Der EGMR hat bislang nur selten auf Art. 53 EMRK (= Art. 60 EMRK a.F.) verwiesen, vgl. EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 54) – Handyside; EGMR, Urt. v. 22.02.1994, Nr. 16213/90 (Ziff. 23) – Burghartz. 156 Ehlers, in: ders., § 2 Rn. 5; Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (298 f.). 157 Vgl. EGMR, Urt. v. 29.10.1992, Nr. 14234/88 (Ziff. 78 f.) – Open Door; EGMR, Urt. v. 23.09.1994, Nr. 15890/89 (Ziff. 21, 27, 30) – Jersild; EGMR, Urt. v. 25.04.1996, Nr. 15573/89, (Ziff. 53) – Gustafsson. 158 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 493; Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (93); vgl. v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (57); Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37. 159 Bleckmann, in: FS Börner, S. 29 (29); Sasse, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 51 (53 f.); Hailbronner, ZaöRV 1976, 190 (218); Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (173). 160 Deutlich z. B. in EuGH, Urt. v. 13.12.1979, Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727 (Ziff. 14) – Hauer.
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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mit Vorrangwirkung gegenüber dem nationalen Recht.161 Es besteht somit ein qualitativer Unterschied zwischen den Rechten der EMRK und den Rechten der Charta,162 der eine einfache Übertragung des Verständnisses von Art. 53 EMRK auf Art. II-113 VVE ausschließt. Das Verständnis von Art. II-113 VVE als Meistbegünstigungsklausel würde – wie bei dem Verständnis als Kollisionsregel163 – überdies eine Renationalisierung des europäischen Grundrechtsschutzes bedeuten. Die Harmonisierungskompetenz der EU wäre durch die Anwendung des meist begünstigenden Grundrechts erheblich geschwächt164. Gegen ein Verständnis als Meistbegünstigungsklausel sprechen schließlich auch praktische Erwägung: Ist die Gemeinschaftsmaßnahme bei Unvereinbarkeit mit einem nationalen Grundrecht insgesamt nichtig? – Das hätte zur Folge, dass die Wirksamkeit einseitig beeinflusst werden könnte. Oder ist die Gemeinschaftsmaßnahme nur in dem Mitgliedstaat nicht anwendbar, in dem sie gegen nationale Grundrechte verstößt? – Dann aber wäre das vom EuGH entwickelte Prinzip von der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in seinen Grundfesten erschüttert165. Aus den dargestellten Gründen kann Art. II-113 VVE nicht als Meistbegünstigungsklausel verstanden werden.
c) Verständnis als deklaratorische Erklärung Die Charta ist das Desiderat verschiedener Grundrechtsschichten des Völkerrechts, des Europarechts und des nationalen Verfassungsrechts. Nach dem Willen des Konvents sollte sie sich schonend in dieses Geflecht einfügen, ohne das Schutzniveau dieser Grundrechtsschichten zu beeinträchtigen.166 Wie sich aus den Erläuterungen des Präsidiums ergibt, sollte diesem Grundgedanken durch Art. II-113 VVE Rechnung getragen werden: „Der Zweck dieser Bestimmung [Art. 53 Charta] ist die Aufrechterhaltung des durch das Recht der Union, das Recht der Mitgliedstaaten und das Völkerrecht in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich gegenwärtig gewährleisteten Schutzniveaus.“167
___________ 161
Vgl. oben, Einführung B. I. Pernice/Meyer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 51; Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (173); García, Jean Monnet Working Paper, 04/2002, S. 22 ff. 163 Siehe dazu oben, Teil 2 B. III. 2. a). 164 Vgl. Barriga, Entstehung der Charta, S. 170 ff.; Stern, in: ders./Tetttinger, S. 13 (23); Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (177). 165 Vgl. v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (57). 166 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 7. 167 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 53 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569). 162
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Art. II-113 VVE enthält somit eine weitaus bescheidenere Aussage als allgemein angenommen. Es handelt sich um eine „im Grundrechtsförderalismus typsische Vorschrift“, die die Eigenständigkeit der nationalen Grundrechtsordnung gegenüber den Unionsgrundrechten sicherstellen will.168 Art. II-112 VVE dokumentiert, dass die Charta keine Rechtswirkungen auf die Grundrechte im Anwendungsbereich der jeweils dort aufgeführten Instrumente haben wird.169 Mit anderen Worten: Das nationale Grundrechtsniveau wird im ausschließlichen Anwendungsbereich der Mitgliedstaaten von der Charta nicht berührt.170 Die Charta wird die nationalen Verfassungen in ihrem Anwendungsbereich weder ersetzen noch modifizieren. Sie wird die Mitgliedstaaten aber auch nicht zu Änderungen ihrer nationalen Verfassungen zwingen oder ihre Berücksichtigung bei der Auslegung der nationalen Grundrechte erforderlich machen. Auch die Kommission geht in ihrer Mitteilung v. 11.10.2000 von einem derartigen Verständnis der Vorschrift aus: „Die Besorgnis, die Charta werde die Mitgliedstaaten zu einer Änderung ihrer Verfassungen zwingen, erweist sich als unbegründet: Änderungen werden nicht erforderlich sein […]. Es steht außer Zweifel, dass die Charta in ihrem Geltungsbereich nicht an die Stelle der nationalen Verfassungen tritt, wenn es gilt, die Achtung der Grundrechte auf innerstaatlicher Ebene durchzusetzen.“171
Die Bedeutung von Art. II-113 VVE reduziert sich auf eine weitgehend folgenlose politische Erklärung von deklaratorischem Charakter.172 Die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts wird nicht in Frage stellt; der Vorrang des Gemeinschaftsrechts bleibt unangetastet.173 Für die methodische Vorgehensweise des EuGH bei der Auslegung der Unionsgrundrechte unter Rückgriff auf die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben sich aus Art. II-113 VVE keine Änderungen.174 Auch unter dem Europäischen Verfassungsvertrag bleibt es bei der Methode der wertenden Rechtsvergleichung. ___________ 168 Siehe Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 3. Aufl., Art. 53 GRCh Rn. 6 mit einigen Beispielen. 169 Barriga, Entstehung der Charta, S. 169; Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (92); Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 498; Philippi, Charta, S. 39; vgl. Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 495; anders Liisberg, CMLRev. 2001, 1171 (1191). 170 Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 11 ff.; Everling, EuZW 2003, 225; Philippi, Charta, S. 39; vgl. Bühler, Einschränkung, S. 416. 171 Mitteilung der Kommission zum Status der Grundrechtscharta der Europäischen Union v. 11.10.2000, KOM (2000) 644 final. 172 Ebenso Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 498; Everling, EuZW 2003, 225. 173 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 53 Rn. 10; Philippi, Charta, S. 39. 174 Im Ergebnis ebenso Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (567), wonach die Auslegung der Charta-Rechte der bekannten Methode des „wertenden Rechtsvergleichs“ folgt.
B. Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen
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3. Zusammenfassung Art. II-112 Abs. 4 VVE greift die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung verwendete Bezugsformel auf, wonach die Grundrechte im Einklang mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten auszulegen sind. Mit dieser Formulierung wird weder der minimale noch der maximale Grundrechtsstandard im Recht der EU-Mitgliedstaaten auf das Unionsrecht übertragen. Vielmehr wird damit die Methode der wertenden Rechtsvergleichung beschrieben, die sich zum Ziel setzt, auf Grundlage einer rechtsvergleichenden Gesamtschau die für das Unionsrecht „beste“ Lösung zu ermitteln. Art. II-113 VVE ist als deklaratorische Klausel zu verstehen, die klarstellt, dass sich das Unionsrecht nicht auf das Schutzniveau der dort genannten Grundrechtsinstrumentarien auswirken wird. Ein Sachverhalt, der im Anwendungsbereich des nationalen Verfassungsrechts liegt und den Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht tangiert, ist auch in Zukunft ausschließlich am Maßstab der nationalen Grundrechte zu beurteilen. Art. II-113 VVE hat auf das Schutzniveau der nationalen Grundrechte keine Auswirkungen. Vorgaben zur Methode der Rechtsvergleichung bei der Auslegung der Grundrechte enthält Art. II-113 VVE nicht. Sowohl nach geltendem Recht als auch im Falle der Rechtsverbindlichkeit der Charta werden die Unionsgrundrechte anhand der Methode der wertenden Rechtsvergleichung ausgelegt. Für die vorliegende Untersuchung stellt sich damit die Frage, ob es möglich ist, die Methode der wertenden Rechtsvergleichung – heute und in Zukunft das „Handwerkszeug“ des EuGH bei der Auslegung der Unionsgrundrechte – inhaltlich zu konkretisieren.
IV. Inhaltliche Konkretisierung der Methode der wertenden Rechtsvergleichung Nach der Methode der wertenden Rechtsvergleichung ist aus den nationalen Lösungsmodellen durch Abwägung ihrer Vor- und Nachteile die für das Gemeinschaftsrecht „beste“ Lösung zu gewinnen. Während über dieses Ziel der wertenden Rechtsvergleichung im Schrifttum weitgehend Einigkeit herrscht, besteht keine Klarheit darüber, wann eine Lösung als die „beste“ anzusehen ist. Teilweise wird die beste Lösung als die „objektiv gerechteste und zweckmäßigste, also die adäquateste“ Lösung bezeichnet175. Andere wollen durch wertende Rechtsvergleichung die „überlegenste“176 oder die „modernste“177 bzw. ___________ 175 Zieger, Grundrechtsproblem, S. 36; ebenso Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 225; Zweigert, in: Strupp/Schlochauer, Bd. 3, S. 79 (81). 176 Schlussanträge GA Roemer zu EuGH, Urt. v. 13.11.1973, verb. Rs. 63-69/72, Slg. 1973, S. 1229 (1258) – Werhahn.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
„fortschrittlichste“ Lösung ermitteln.178 Diese Auffassungen müssen allesamt abgelehnt werden: Die Kriterien sind nicht nur schwer voneinander abgrenzbar und zum Teil inhaltlich fragwürdig. Sie bieten für die praktische Rechtsanwendung auch keine eindeutigen, leicht handhabbaren Maßstäbe. Der Begriff der „besten“ Lösung wird lediglich durch andere unbestimmte Begriffe ersetzt, ohne die Zielsetzung zu konkretisieren.179 Nach der Rechtsprechung des EuGH orientiert sich die Methode der wertenden Rechtsvergleichung daran, dass sich die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze in die „Struktur und Ziele der Gemeinschaft“ einzufügen hätten.180 Auch im Schrifttum wird den Strukturprinzipien und Zielsetzungen der Gemeinschaft eine große Bedeutung beigemessen. Als „beste“ Lösung könne sich nur diejenige durchsetzen, die mit der Struktur und den Zielen der Gemeinschaftsverträge vereinbar sei und zu einer sachgerechten Ausbalancierung der widerstreitenden Interessen führe.181 Das Strukturprinzip der Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts kann Anhaltspunkte für die inhaltliche Konkretisierung der Methode wertender Rechtsvergleichung liefern. Es besagt, dass die Union eine Rechtsordnung sui generis mit Doppelcharakter bildet, die zugleich vertrags- und verfassungsrechtliche Züge aufweist.182 Für die wertende Rechtsvergleichung hat das Strukturprinzip der Eigenständig zur Folge, dass der EuGH befugt ist, eigene innovative Regelungen zu formulieren, die lediglich an den von den EU-Mitgliedstaaten festgelegten Zielen des Unionsrechts orientiert sind.183 Es besteht selbst dann keine Verpflichtung, nationale Lösungen in das Unionsrecht zu übernehmen, wenn die Mitgliedstaaten ein Grundrecht in ___________ 177
Bleckmann, Europarecht, Rn. 605; Daig, in: FS Zweigert, S. 395 (409). Kutscher, in: Gerichtshof, S. 30 f.; Lorenz, in: FS Nipperdey, S. 797 (802, 814); ablehnend Akehurst, BYIL 1981, 29 (33). 179 Ebenso Streinz, Grundrechtsschutz, S. 437; Stadler, Berufsfreiheit, S. 205 f. 180 EuGH, Urt. v. 17.12.1970, Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 (Ziff. 4) – Internationale Handelsgesellschaft; ähnlich EuGH, Urt. v. 28.04.1998, Rs. C-200/96, Slg. 1998, I-1953 (Ziff. 21) – Metronome; EuGH, Urt. v. 10.07.2003, verb. Rs. C-20/00 u. C-64/00, Slg. 2003, I-7411 (Ziff. 68) – Booker Aquaculture. 181 Vgl. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 5 Rn. 20; Hoffmann-Becking, Methode, S. 369; Scheuner, Diskussionsbeitrag, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, S. 89 ff. (91); Ress, ZaöRV 1976, 227 (232); Kutscher, in: Gerichtshof, S. 30; ebenso Gaitanides, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 220 Rn. 25; Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 51; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 493; Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 225; Bleckmann, in: FS Börner, S. 29 (30); Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 50; Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (591). Dieses Verständnis folgt dem internationalen Recht, wonach die Rechtsvergleichung an den Zielen des völkerrechtlichen Zweckverbandes ausgerichtet ist, vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 26; vgl. Pernice/Meyer, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, nach Art. 6 Rn. 8. 182 Vgl. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, § 2 Rn. 30 ff., § 5 Rn. 2. 183 Sommermann, in: Merten/Papier, § 16 Rn. 77; Ress, ZaöRV 1976, 227 (235 f.). 178
C. Bedeutung der EMRK
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gleicher Weise schützen. Der EuGH ist nicht auf den Vorrat der Lösungsmodelle beschränkt, die die Mitgliedstaaten in ihrem Recht bereithalten. Die für das Gemeinschaftsrecht „beste“ Lösung muss sich nicht – nicht einmal in Teilen – in einer der nationalen Rechtsordnungen wieder finden. Die „beste“ Lösung muss sich in die Ziele der Union einfügen. Die Zielvorgaben sind damit keine bloßen Programmsätze, sondern besitzen rechtsverbindlich steuernde Wirkung.184 Für das Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten sind die Zielsetzungen des EGVertrages jedoch nicht ergiebig. Allerdings geht aus ihnen hervor, dass die Union auf eine Maximierung bestimmter wirtschaftlicher Globalgrößen ausgerichtet ist: In Art. 2 EGV hat sie sich ein „hohes Beschäftigungsniveau“ und einen „hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit“ zum Ziel gesetzt. Für den nichtwirtschaftlichen Bereich wird „ein hohes Maß an sozialem Schutz“ und „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ angestrebt. Die Maximierung ist nicht auf die genannten Zielsetzungen beschränkt, sondern erstreckt sich als allgemeiner Gedanke auch auf alle sonstigen Rechte und Freiheiten. Im Sinne der liberalen Tradition der EU-Mitgliedstaaten wird der EuGH verpflichtet, die Unionsgrundrechte so weit zu maximieren, wie ihnen zwingende öffentliche Interessen oder kollidierende private Freiheiten nicht entgegenstehen.185 Für die weitere Untersuchung besteht somit die Vorgabe, dass Eingriffe in den Bildnisschutz nur aufgrund gleichrangiger kollidierender Interessen erfolgen dürfen. Die Auflösung der Kollision hat die Maximierung der kollidierenden Interessen zum Ziel.
C. Bedeutung der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte Neben den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ist die EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte von erheblicher Bedeutung. Sie ist die zweite Rechtserkenntnisquelle, auf die sich der EuGH bei der Ermittlung, Entwicklung und Konkretisierung der Unionsgrundrechte stützt. Im Folgenden wird die Bedeutung der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte konkretisiert. Für das geltende Recht ist das Verhältnis der Unionsgrundrechte zur EMRK in Art. 6 Abs. 2 EUV normiert, der ein Gebot der „Achtung“ aufstellt. Die Rechtslage unter dem Europäischen Verfassungsvertrag richtet sich nach den Allgemeinen Bestimmungen in Titel VII der Charta der Grundrechte. ___________ 184 v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 2 Rn. 8; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 3. Aufl., Art. 2 EGV Rn. 7 ff.; Hoffmann-Becking, Methode, S. 65. 185 Ähnlich Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 50; Bleckmann, in: FS Börner, S. 29 (35 f.).
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
I. Bedeutung der EMRK für die Unionsgrundrechte nach geltendem Recht 1. Begriff der Achtung gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV Mit Inkrafttreten des EU-Vertrages hat der Grundrechtsschutz in Art. 6 Abs. 2 EUV erstmals eine primärrechtliche Verankerung erhalten.186 Danach achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben. Welche Bedeutung die EMRK nach der Vorschrift für die Auslegung der Unionsgrundrechte hat, ist umstritten: Teilweise wird vertreten, dass Art. 6 Abs. 2 EUV mit dem Begriff „achtet“ eine gebieterische Formel enthalte, die im Hinblick auf die Verpflichtungen der EMRK über die bisherige Rechtsprechung des EuGH hinausgehe.187 Mit der Vorschrift werde eine materielle Bindung der Union an die EMRK angeordnet, ohne auszuschließen, dass auch weiterhin Struktur und Ziele der Union berücksichtigt werden könnten.188 Andere verstehen die Formulierung „achtet die Grundrechte“ als Übernahme der ständigen Rechtsprechung des EuGH. Die normative Bedeutung der Vorschrift beschränke sich darauf, den status quo des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes – einschließlich der für die Auslegung maßgebenden Rechtserkenntnisquellen – festzuschreiben.189 Die EMRK könne auch gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV nur über die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts bei der Auslegung der Unionsgrundrechte aufgegriffen werden.190 Der EuGH hat zu einer etwaigen Bindungswirkung der EMRK bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen. In einigen Entscheidungen hat er den materiellen Gehalt der EMRK jedoch ohne einen Verweis auf Art. 6 Abs. 2 EUV zum unmittelbaren Prüfungsmaßstab des Unionsrechts erhoben: In der Rechtssache K.B. vom 07.01.2004 schloss er aus einem Verstoß gegen das Recht auf Eheschließung gemäß Art. 12 EMRK, dass damit auch eine Verletzung der ___________ 186
Siehe oben, Einführung B. III. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 61. 188 Bleckmann, Bindung, S. 51 ff., 79 ff. „unmittelbare Bindung“; Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 48; Kühling, EuGRZ 1997, 296 (297) „faktische Bindung“ mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C-368/95, Slg. 1997, I-3689 (Ziff. 25 f.); Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (591); Schermers, CMLRev. 1990, 249 (251); Winkler, EuGRZ 2001, 18 (23 ff., 27). 189 Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (325 f.). 190 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 2. Aufl., Art. 6 EUV Rn. 17, 33 ff.; Beutler, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 6 Rn. 57, 62; Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (82); Ehlers, in: ders., § 14 Rn. 9, 11, 14; Streinz, Europarecht, Rn. 754; Weiß, Verteidigungsrechte, S. 109 ff. 187
C. Bedeutung der EMRK
67
Unionsgrundrechte vorliege.191 Auch in der Rechtssache Österreichischer Rundfunk vom 20.05.2003 legte der EuGH seiner Prüfung direkt Art. 8 EMRK und die Rechtsprechung des EGMR zugrunde.192 Daraus könnte geschlossen werden, dass sich der EuGH an die EMRK materiell gebunden sieht. Andere Entscheidungen widerlegen diese Vermutung jedoch: Der EGMR hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass er der EMRK – auch vor der Hintergrund von Art. 6 Abs. 2 EUV – lediglich „Hinweise“ zum Grundrechtsschutz in der Union entnehmen könne.193 Aus der Rechtssache Schmidberger vom 12.06.2003 geht hervor, dass die Entscheidungspraxis des EGMR, die Rechte der EMRK zum unmittelbaren Prüfungsmaßstab seiner Entscheidungen zu erheben, an seinem Verständnis der EMRK als (bloße) Rechtserkenntnisquelle nichts ändert. In seinem Urteil machte er sich zunächst Art. 10 und Art. 11 EMRK zueigen, um im Weiteren daran zu erinnern, dass er sich lediglich von den „Hinweisen“ der internationalen Verträge zum Schutz der Menschenrechte leiten lasse.194 Auch andere Entscheidungen zeigen, dass Art. 6 Abs. 2 EUV lediglich als Bekräftigung der bisherigen Judikatur des EuGH zum Grundrechtsschutz in der Union zu verstehen ist.195 In der Rechtssache Akrich vom 23.09.2003 führte er z. B. aus, dass er die Grundrechte nach seiner „gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV bestätigten ständigen Rechtsprechung“ zu schützen ha___________ 191
EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-117/01 (Ziff. 33 f.) – K.B. EuGH, Urt. v. 20.05.2003, verb. Rs. C-465/00, C-138/01 u. C-139/01 (Ziff. 73 ff.) – Rechnungshof. Zu Art. 10 EMRK siehe EuGH, Urt. v. 23.10.2003, Rs. C-245/01 (Ziff. 68 ff.) – RTL Television; EuGH, Rs. C- 368/95, Urt. v. 26.06.1997, Slg. 1997, I3689 (Ziff. 25) – Familiapress. 193 EuGH, Urt. v. 28.10.1992, Rs. C-219/91, Slg. 1992, I-5485 (Ziff. 34) – Ter Voort; EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, I-2629 (Ziff. 14) – Kremzow; EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, I-7493 (Ziff. 12) – Annibaldi; EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 (Ziff. 25) – Krombach; EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (Ziff. 23) – Roquette Frères; EuGH, Urt. v. 06.03.2001, Rs. C-274/99 P, Slg. 2001, I-1611 (Ziff. 37) – Connolly; EuGH, Urt. v. 10.04.2003, Rs. C-276/01 (Ziff. 72 ff.) – Steffensen; EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (Ziff. 71) – Schmidberger; ebenso EuGH, Gutachten 2/94 v. 28.03.1996 zum Beitritt der Gemeinschaft zur EMRK, Slg. 1996, I-1759 (Ziff. 33). 194 EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (Ziff. 71, 77 ff.) – Schmidberger. 195 EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (Ziff. 24) – Roquette Frères; EuGH, Urt. v. 20.05.2003, verb. Rs. C-465/00, C-138/01 u. C-139/01 (Ziff. 69) – Rechnungshof; EuGH, Urt. v. 06.03.2001, Rs. C-273/99 P, Slg. 2001, I-1611 (Ziff. 38) – Connolly; EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 (Ziff. 27) – Krombach; EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (Ziff. 72) – Schmidberger; ebenso bereits EuGH, Urt. v. 15.12.1995, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921 (Ziff. 79) – Bosman. 192
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
be.196 Der EuGH geht somit nicht von einer einseitigen Bindung an die EMRK aus. Vielmehr möchte er sich eine möglichst weitgehende Flexibilität bei der Auslegung der Grundrechte bewahren. Für den EuGH steht die autonome Entwicklung der Grundrechte im Vordergrund.197 Das schließt es nicht aus, dass der EuGH in seinen Entscheidungsgründen häufig explizit auf die Rechtsprechung des EGMR verweist.198 Dabei ist er in vorbildlicher Weise um Konkordanz mit der Rechtsprechung des EGMR bemüht.199 In der Rechtssache Roquette Frères kommt die Bereitschaft des EuGH, der Rechtsprechung des EGMR Folge zu leisten, besonders deutlich zum Ausdruck: Während der EuGH Geschäftsräume in der Rechtssache Hoechst noch vom Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK ausgenommen hatte,200 verwies er nun auf die zwischenzeitliche Entwicklung in der Rechtsprechung des EGMR. Dieser hatte den Schutzbereich des Art. 8 EMRK in der Rechtssache Niemietz auf beruflich und geschäftlich genutzte Räumlichkeiten ausgedehnt.201 Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung stellte der EuGH fest, dass der Schutzbereich von Art. 8 EMRK in bestimmten Fällen auch auf Geschäftsräume ausgedehnt werden könne.202 Die Kooperation des EuGH mit dem EGMR und das Bemühen, Divergenzen zu vermeiden, dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Gerichte formell unabhängig nebeneinander stehen. Art. 6 Abs. 2 EUV normiert gerade keine „Bindung“ des EuGH an die EMRK – und die diese konkretisierende Rechtsprechung des EGMR – sondern verpflichtet lediglich zur Berücksichti___________ 196
EuGH, Urt. v. 23.09.2003, C-109/01(Ziff. 58) – Akrich. Vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.1995, Rs. C-44/94, Slg. 1995, I-3115 (Ziff. 55) – National Federation; EuGH, Urt. v. 08.04.1992, Rs. C-62/90, Slg. 1992, I-2575 (Ziff. 23) – Kommission; Streinz, Europarecht, Rn. 761; Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (590). 198 EuGH, Urt. v. 23.10.2003, Rs. C-245/01 (Ziff. 73) – RTL Television; EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 (Ziff. 39) – Krombach; EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Rs. C-117/01, (Ziff. 33) – K.B.; EuGH, Urt. v. 20.05.2003, verb. Rs. C465/00, C-138/01 u. C-139/01 (Ziff. 73, 76, 83) – Rechnungshof; EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (Ziff. 79) – Schmidberger; EuGH, Urt. v. 23.09.2003, Rs. C-109/01 (Ziff. 58) – Akrich. 199 Etwa Rechtssache Familiapress, EuGH, Urt. v. 26.06.1997, Rs. C- 368/95, Slg. 1997, I- 3689 (Ziff. 26), in der sich der EuGH an das Urteil des EGMR in der Rechtssache Informationsverein Lentia angelehnt hat, EGMR, Urt. v. 24.11.1993, Nr. 13914/88, 15041/89 u.a.; ebenso Alber/Widmaier, EuGRZ 2000, 497 (504). 200 Siehe oben, Teil 2 A. II. 2. b). 201 EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Nr. 15041/89 (Ziff. 29) – Niemietz; vgl. EGMR, Urt. v. 16.04.2002, Nr. 37971/97 (Ziff. 40 f.) – Colas. 202 EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (Ziff. 29) – Roquette Frères. 197
C. Bedeutung der EMRK
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gung der EMRK als Rechtserkenntnisquelle bei der Auslegung der Unionsgrundrechte.
2. Verhältnis der EMRK zur Rechtserkenntnisquelle der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen Im Schrifttum herrscht über das Verhältnis der beiden Rechtserkenntnisquellen – gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und EMRK – keine Einigkeit: Eine Auffassung misst den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten eine größere Bedeutung bei als der EMRK, da die Mitgliedstaaten über die innerstaatlichen Grundrechtsverbürgungen Einfluss auf die Fortentwicklung der Grundrechte nehmen würden.203 Von einer anderen Auffassung wird die EMRK in den Vordergrund gerückt: Die nationalen Grundrechte in Gestalt der Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten kämen lediglich zum Tragen, wenn die EMRK ein Grundrecht nicht kenne. Im Übrigen genüge der Rückgriff auf die EMRK.204 Die dritte Meinungsgruppe geht schließlich von einer Gleichrangigkeit der beiden Rechtserkenntnisquellen aus.205 Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 EUV gibt keine Auskunft darüber, ob und gegebenenfalls welche der beiden Rechtserkenntnisquellen vorrangig zu berücksichtigen ist. Die EMRK und die Verfassungsüberlieferungen werden über die Konjunktion „und“ gleichwertig miteinander verbunden. Jedoch könnte die EMRK aus praktischen Gesichtspunkten vorrangig zu berücksichtigen sein: Mit der EMRK steht den verschiedenen nationalen Verfassungstexten der Mitgliedstaaten – mit ihrer jeweils spezifischen Gerichtsbarkeit – ein Vertragstext gegenüber, in dem alle Mitgliedstaaten verbindlich erklärt haben, was für sie gemeinsam als Grundrechtsstandard gilt.206 Insoweit könnte ein Rückgriff auf die nationalen Grundrechte der EU-Mitgliedstaaten überflüssig sein. Dieses Verständnis ließe jedoch einen wesentlichen Gesichtspunkt unberücksichtigt: Die Verfassungsüberlieferungen werden von den Mitgliedstaaten autonom gestaltet und fortentwickelt. Die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag, dem nicht nur die Mitgliedstaaten der EU, sondern auch Nicht-EU-Staaten an___________ 203
Gerstner/Goebel, Jura 1993, 626 (629). Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (326 f.); ähnlich Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 167 ff., 173; Hengstschläger, JBl. 2000, 409 (417); Klein, in: Mosler/Bernhardt/Hilf, Grundrechtsschutz, S. 133 (142). 205 Beutler, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 6 Rn. 57; Skouris, in: Soziale Grundrechte, S. 47 (51); Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (590); Ress/Ukrow, EuZW 1990, 499 (501); Weiss, Verteidigungsrechte, S. 39 f.; Wetter, Charta, S. 72. 206 Vgl. Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (327). 204
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
gehören, entwickelt sich im Zuge einvernehmlich praktizierter Auslegung fort. Diese Entwicklung vollzieht sich aus Sicht der EU-Mitgliedstaaten nicht mehr autonom sondern heteronom. Selbst wenn alle Mitgliedstaaten bei der Auslegung und Fortentwicklung des Vertrages beteiligt sind, wirken auch die Erkenntnisakte der Nicht-EU-Staaten so maßgeblich mit, dass die Staaten der EU diesen Vorgang weder aufhalten noch steuern können.207 Der Einfluss der EUMitgliedstaaten auf die Entwicklung der EMRK ist damit begrenzt. Hinzu kommt, dass sie sich mit dem EGMR einer Gerichtsbarkeit unterworfen haben, der die Rechte der EMRK für alle Vertragsstaaten verbindlich konkretisieren kann. Würde die Union die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ausschließlich aus einem derart heteronom bestimmten Inhalt entwickeln, wäre die Gefahr einer Fremdbeeinflussung groß. Die autonom gestalteten Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten müssen daher neben der EMRK gleichermaßen berücksichtigt werden. Dieses Verständnis geht auch aus der Grundrechtsjudikatur des EuGH hervor: Während er in den Anfangsjahren der Grundrechtsjudikatur noch verstärkt auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitliedstaaten Bezug genommen hat,208 stützt er sich heute gleichermaßen auf beide Rechtserkenntnisquellen. Er entnimmt sowohl den gemeinsamen als auch der EMRK „Hinweise“ für die Auslegung der Grundrechte, ohne dabei im Rang zwischen ihnen zu differenzieren.209 Rechtsvergleichende Verweise auf die nationalen Grundrechte finden sich zwar selten, was aber nicht als Indiz für eine mindere Bedeutung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten gewertet werden kann.210 Auch weist der EuGH der EMRK lediglich im Hinblick auf sonstige internationale Verträge zum Schutz der Menschenrechte – nicht aber im Verhältnis zu den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten – eine besondere Bedeutung zu.211 Als Rechtserkenntnisquellen sind die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten und ___________ 207
Vgl. Ress/Ukrow, EuZW 1990, 499 (501). Z. B. EuGH, Urt. v. 15.05.1986, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651 (Ziff. 18) – Johnston; EuGH, Urt. v. 19.06.1980, Rs. 41, 121 u. 796/79, Slg. 1980, S. 1979 (Ziff. 18) – Testa. 209 EuGH, Urt. v. 28.10.1992, Rs. C-219/91, Slg. 1992, I-5485 (Ziff. 34) – Ter Voort; EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, I-2629 (Ziff. 14) – Kremzow; EuGH, Urt. v. 18.12.1997, Rs. C-309/96, Slg. 1997, I-7493 (Ziff. 12) – Annibaldi; EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 (Ziff. 25) – Krombach; EuGH, Urt. v. 22.10.2002, Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011 (Ziff. 23) – Roquette Frères; EuGH, Urt. v. 06.03.2001, Rs. C-274/99 P, Slg. 2001, I-1611 (Ziff. 37) – Connolly; EuGH, Urt. v. 10.04.2003, Rs. C-276/01 (Ziff. 72 ff.) – Steffensen; EuGH, Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 (Ziff. 71) – Schmidberger. 210 Siehe oben, Teil 2 B. I. 211 Siehe oben, Teil 2 A. II. 2. b). 208
C. Bedeutung der EMRK
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die EMRK nach geltendem Recht für die Unionsgrundrechte von gleicher Bedeutung.
II. Auswirkungen der Charta der Grundrechte auf die Bedeutung der EMRK für die Unionsgrundrechte Die Gewährleistung von Rechtssicherheit im europäischen Grundrechtsraum war von Anfang an eine der großen Zielsetzungen des Konvents.212 Dieser stand dabei vor einem Dilemma: Zum einen sollte er die in der EU bereits anerkannten Grundrechte zusammentragen und dadurch erhalten.213 Zum anderen sollte er die Konventionsgrundrechte vereinfachen, modernisieren und fortentwickeln, um den bereits erfolgten und zukünftig erwarteten Entwicklungen der europäischen Gesellschaft Rechnung zu tragen.214 Diesen beiden Anliegen begegnete der Konvent zunächst durch die vereinfachte und verkürzte Übernahme eines Großteils der Konventionsgrundrechte.215 Im Übrigen sollte die notwendige Kohärenz zwischen den Gewährleistungen der Charta und den Rechten der EMRK über Art. II-112 Abs. 3 VVE und Art. II-113 VVE sichergestellt werden.
1. Auswirkungen gemäß Art. II-112 Abs. 3 VVE Im Gegensatz zum deutschen Grundrechtekatalog und den Rechten der EMRK hat die Charta bei vielen Rechten auf die Normierung eigener Schranken verzichtet216. Stattdessen formuliert sie in Art. II-112 VVE unter der Überschrift „Tragweite und Auslegung der garantierten Rechte“ eine allgemeine Schrankenklausel, die für alle Rechte der Charta gilt.217 Der erste Absatz der ___________ 212 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 52 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569); vgl. Fischbach, RUDH 2000, 7 (8); Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37 (45 ff.). Auch der Nachfolger des Grundrechtekonvents, der Verfassungskonvent, bekannte sich ausdrücklich zum „Anliegen der Rechtssicherheit im Bereich der Grundrechte, zu der die Charta einen Beitrag leisten soll“, Schlussbericht der Arbeitsgruppe II des Verfassungskonvents, CONV 354/02, WG II 18, S. 4. 213 Vgl. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Köln v. 03.-04.06.1999, EuGRZ 1999, 364 (364 f.). 214 Vgl. Callewaert, EuGRZ 2003, 198 (198); Alber/Widmaier, EuGRZ 2000, 497 (499 f.). 215 Eine Auflistung der Rechte findet sich bei Callewaert, EuGRZ 2003, 198 (198). 216 Nur wenige Grundrechte besitzen eigene Schranken (z. B. Art. II-68 VVE) oder sind unter den Vorbehalt einzelstaatlicher Gesetze (z. B. Art. II-69 VVE) oder Gepflogenheiten (z. B. Art. II-76 VVE) gestellt. 217 v. Danwitz, in: Tettinger/Stern, Art. 52 Rn. 28.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Vorschrift enthält einen allgemeinen Schrankenvorbehalt.218 Die verwendete Formulierung lehnt sich an die Rechtsprechung des EuGH an, wonach die Ausübung der Grundrechte Beschränkungen unterworfen sein kann, sofern diese den Zielsetzungen der Union entsprechen und einen verhältnismäßigen Eingriff darstellen, der die Rechte im Wesensgehalt nicht antastet.219 Für die Rechte der Charta, die den Rechten der EMRK entsprechen, formuliert Art. II-112 Abs. 3 VVE eine spezielle Schrankenregelung.220 Nach dessen Satz 1 haben die Rechte der Charta, die denen der EMRK entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden. Gemäß Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE steht dieser Bestimmung nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.
a) Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE aa) Einander entsprechende Rechte Die Anwendbarkeit von Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE setzt voraus, dass sich die Rechte der Charta und die Konventionsgrundrechte entsprechen.221 Der Normtext schweigt zu der Frage, wann diese Voraussetzung erfüllt ist. Auch aus den Erläuterungen des Präsidiums ergibt sich lediglich, dass ein Entsprechen eine gewisse Identität zwischen den Rechten der Charta und der EMRK voraussetzt. Eine wörtliche Identität ist dagegen nicht erforderlich.222
___________ 218
Kritik zum allgemeinen Schrankenvorbehalt z. B. bei Kenntner, ZRP 2000, 423 ff. EuGH, Urt. v. 28.04.1998, Rs. C-200/96, Slg. 1998, I-1953 (Ziff. 21) – Metronome; EuGH, Urt. v. 13.04.2000, Rs. C-292/97, Slg. 2000, I-2737 (Ziff. 45) – Karlsson; EuGH, Urt. v. 10.07.2003, verb. Rs. C-20/00 u. C-64/00, Slg. 2003, I-7411 (Ziff. 68) – Booker Aquaculture; vgl. Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 52 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569); zu den einzelnen Voraussetzungen siehe Kingreen, in: Calliess/Ruffert, 3. Aufl., Art. 52 GRCh Rn. 64 ff. 220 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 13; Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1129 (1138 f.); v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (49); anders Lenaerts/de Smijter, CMLRev. 2001, 273 (293), die Art. 52 Abs. 1 und Abs. 3 Charta kumulativ anwenden wollen. 221 Zur Frage, ob Art. II-112 Abs. 3 VVE auch auf die Zusatzprotokolle zur EMRK verweist, siehe Bühler, Einschränkung, S. 326 ff. Zur Bedeutung des Begriffs „Recht“ in Abgrenzung zum Begriff „Grundsatz“ siehe Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (565 f.). 222 Erläuterungen des Präsidiums, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569). 219
C. Bedeutung der EMRK
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Im Schrifttum wird es als ausreichend erachtet, dass der Wortlaut der Rechte auf einen übereinstimmenden Lebenssachverhalt hindeutet.223 Rechte entsprechen sich somit nicht nur im Falle einer wortgleichen Formulierung sondern auch bei geringfügigen Abweichungen im Wortlaut.224 Ob ein „Entsprechen“ auch vorliegt, wenn die Rechte der EMRK in ihrem Wortlaut hinter denen der Charta zurückbleiben, wird unterschiedlich beurteilt: Teilweise wird ein Entsprechen bejaht. Auch in diesen Fällen werde schließlich der gleiche Lebenssachverhalt von den beiden Rechten erfasst.225 Andere sind der Auffassung, dass Art. II-112 Abs. 3 VVE nur im Überschneidungsbereich der Rechte anzuwenden sei, während außerhalb dieses Bereichs der allgemeine Schrankenvorbehalt des Art. II-112 Abs. 1 VVE gelte.226 In den Auflistungen des Präsidiums zu Art. 52 Abs. 3 Charta (= Art. II-112 Abs. 3 VVE) wird zwischen Charta-Rechten, die „dieselbe Bedeutung und Tragweite“ wie die entsprechenden Konventionsgrundrechte haben und Charta-Rechten mit derselben Bedeutung, „deren Tragweite aber umfassender ist“, unterschieden.227 Die zuletzt genannte Gruppe umfasst auch Rechte, deren Schutzbereich über den der ihnen entsprechenden Konventionsgrundrechte hinausgeht. Deutlich wird das z. B. bei Art. II-69 VVE (= Art. 9 Charta), der den Schutzbereich des Rechts auf Eheschließung gemäß Art. 12 EMRK auf die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner ausdehnt. Einander entsprechende Rechte können nach Auffassung des Konvents somit auch vorliegen, wenn das ChartaRecht in seinem Wortlaut weiter gefasst ist als das denselben Lebenssachverhalt regelnde Recht der EMRK. Der Begriff „entsprechen“ ist somit weit zu verstehen. Ein Entsprechen ist jedoch zu verneinen, wenn das einem Charta___________ 223 v. Danwitz, in: Tettinger/Stern, Art. 52 Rn. 54; Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1129 (1135); Calliess, in: Ehlers, § 20 Rn. 17; Holoubeck, in: Duschanek/Griller, S. 25 (29). In der deutschen Grundrechtsdogmatik ist insofern auch vom „Regelungsbereich“ in Abgrenzung zum „Schutzbereich“ die Rede, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 197. Ähnlich Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (73), der den Begriff der „Schutzrichtung“ verwendet. 224 Etwa die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit gemäß Art. II71 Abs. 1 VVE – Art. 10 EMRK, in dem der Begriff „Person“ durch den Begriff „Mensch“ ersetzt wurde; Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. II-67 VVE – Art. 8 EMRK, in dem der Begriff „Kommunikation“ an die Stelle des Begriffs „Korrespondenz“ getreten ist. 225 v. Danwitz, in: Tettinger/Stern, Art. 52 Rn. 54; Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1129 (1135 f.); Eisner, Schrankenregelung, S. 123; Schmitz, JZ 2001, 833 (839); Barriga, Entstehung der Charta, S. 166; ähnlich Holoubek, in: Duschanek/Griller, S. 25 (29 ff.). 226 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 33. 227 Auflistung des Präsidiums zu Art. 52 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569).
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Recht vergleichbare Konventionsgrundrecht in der Rechtsprechung des EGMR geschützt wird, im Text der EMRK aber keinen Anklang findet.228
bb) Gleiche Bedeutung und Tragweite (1) Verweis auf Schutzbereich und Schranken Für einander entsprechende Rechte bestimmt Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE, dass sie die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK gewährleistet werden. Teilweise wird vertreten, dass der Begriff „Bedeutung“ auf den Schutzbereich der Konventionsgrundrechte verweise, während der Begriff „Tragweite“ ihre Schranken bezeichne.229 Andere sind der Auffassung, dass die „Bedeutung“ den durch das Recht geschützten Lebensbereich erfasse, während sich der Begriff „Tragweite“ auf die Feintarierung des Rechts, mithin auf Erweiterungen oder Einschränkungen auf Schutzbereichsoder Einschränkungsebene, beziehe.230 Eine dritte Auffassung sieht Schutzbereich und Schranken erfasst, verzichtet aber darauf zwischen den beiden Begriffen „Bedeutung“ und „Tragweite“ zu unterscheiden.231 Allen Auffassungen ist somit gemein, dass Art. II-112 Abs. 3 VVE mit seiner Formulierung „Bedeutung und Tragweite“ das ganze Konventionsgrundrecht in Bezug genommen wird. Ob der Schutzbereich unter den Begriff „Bedeutung“ fällt oder vom Begriff „Tragweite“ bezeichnet wird, ist praktisch ohne Relevanz. Auf eine Zuordnung kann hier daher verzichtet werden.
___________ 228 Kunstfreiheit gemäß Art. II-73 VVE entspricht nicht Art. 10 EMRK (vgl. EGMR, Urt. v. 08.07.1999, Nr. 23168/94 (Ziff. 49) – Karatas); Recht auf Datenschutz gemäß Art. II-68 VVE entspricht nicht Art. 8 EMRK (EGMR, Urt. v. 16.02.2000, Nr. 27798/95 – Amann); ebenso Barriga, Entstehung der Charta, S. 166; Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1129 (1136 f.); Eisner, Schrankenregelung, S. 123 f.; Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37 (51); Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (153); anders Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 474. 229 Eisner, Schrankenregelung, S. 124; vgl. García, Jean Monnet Working Paper 04/2002, S. 8. 230 Bühler, Einschränkung, S. 309; ähnlich Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1131 (1137), wonach kein „technisches Verständnis auf der Basis allgemeiner Grundrechtslehren“ zugrunde zu legen sei. 231 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 30a; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 468; Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (91); v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (49); Callewaert, EuGRZ 2003, 198 (199); Schmitz, JZ 2001, 833 (838); Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (74); Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (595); Barriga, Entstehung der Charta, S. 163 f.
C. Bedeutung der EMRK
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(2) Mindestgarantie- oder Inkorporationsklausel? Die Reichweite der materiellen Rezeption der EMRK im Unionsrecht hängt davon ab, wie der Begriff gleich zu verstehen ist. Teilweise wird der Begriff „gleich“ im Sinne von mindestens gleichwertig verstanden. Art. II-112 Abs. 3 VVE formuliere eine Mindestgarantieklausel zugunsten der Rechte der EMRK.232 Eine andere Auffassung versteht den Begriff „gleich“ im Sinne von deckungsgleich. Als Inkorporationsklausel würde Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE die Rechte der EMRK im Wesentlichen inhaltsgleich in das Unionsrecht projizieren.233 Dieses Verständnis lasse sich aus der englischen und französischen Sprachfassung ableiten, die mit den Begriffen „the same“ und „les mêmes“ eine Identität der Rechte zum Ausdruck bringen würden.234 Aus der Entstehungsgeschichte der Charta geht hervor, dass zu Beginn der Verhandlungen im Konvent keine spezifische Schrankenregelung für die der EMRK entsprechenden Rechte vorgesehen war.235 Das Verhältnis der Charta zur EMRK wurde zunächst bei den Vorgängernormen zu Art. 53 Charta diskutiert. Hierbei wurde betont, dass es nicht zu Abweichungen zwischen der Charta und der EMRK kommen solle, um Widersprüche in der Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe zu vermeiden.236 Der dritte Entwurf zu Art. 53 Charta formulierte dann erstmals eine spezifische Schrankenregelung für die den Konventionsgrundrechten entsprechenden Charta-Rechte. Danach finden die Einschränkungen der EMRK „Anwendung auf diejenigen in dieser Charta enthaltenen Rechte und Freiheiten, die auch im Rahmen der [EMRK] gewährleistet werden“.237
___________ 232 Lenaerts/de Smijter, CMLRev. 2001, 273 (293); Mahlmann, ZEuS 2000, 419 (440, 442), wonach die Einschränkungen der Charta-Rechte nicht über die im Rahmen der EMRK zulässigen Einschränkungen hinausgehen dürfen. 233 Schmitz, JZ 2001, 833 (839); Eisner, Schrankenregelung, S. 125; Callewaert, EuGRZ 2003, 198 (199 f.); Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 30; Barriga, Entstehung der Charta, S. 163; ähnlich Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (91); Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37 (50 f.). Teilweise wird Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE auch als Transferklausel bezeichnet, vgl. Eisner, Schrankenregelung, S. 152. 234 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 31; Schmitz, JZ 2001, 833 (839). 235 Vgl. Vorgängernormen zu Art. 52 Abs. 3 Charta: CHARTE 4123/1/00 REV 1 CONVENT 5 v. 15.02.2000, erster Entwurf, Art. Y; CHARTE 4149/00 CONVENT 13 v. 08.03.2000, zweiter Entwurf Art. X. 236 Protokoll der Dritten Sitzung des Konvents (informelle Tagung) am 24./25.02.2000, abgedruckt in: Bernsdorff/Borowsky, Charta, S. 134 (135); vgl. auch Protokoll der Fünften Sitzung des Konvents (förmliche Tagung) am. 20./21.03.2000, abgedruckt in: Bernsdorff/Borowsky, Charta, S. 163 (165 ff.). 237 CHARTE 4235/00 CONVENT 27 v. 18.04.2000, dritter Entwurf, Art. H.2 Abs. 2 S. 3.
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Diese Formulierung zeigt, dass der Konvent die Schranken der Konventionsgrundrechte inhaltsgleich in das Recht der Union übertragen wissen wollte.238 Allerdings hat er sich in den darauf folgenden Entwürfen von dieser Formulierung wieder entfernt. Nach dem vierten Entwurf dürfen Einschränkungen „nicht über die im Rahmen der [EMRK] zulässigen Einschränkungen hinausgehen“.239
Auch im Konvent wurde somit zeitweise in Erwägung gezogen, auf die EMRK (lediglich) als Mindestgarantie des unionsrechtlichen Schutzes zu verweisen. Allerdings kehrte der Konvent im sechsten Entwurf zu der bereits im dritten Entwurf vorgeschlagenen Formulierung zurück und näherte sich zugleich dem Text des heutigen Art. 52 Abs. 3 Charta (= Art. II-112 Abs. 3 VVE) an.240 Aus der Entstehungsgeschichte geht somit hervor, dass der Begriff „gleich“ im Sinne von deckungsgleich verstanden werden muss. Dieses Verständnis wird auch durch systematische Erwägungen gestützt: Gemäß Art. II-112 Abs. 3 VVE ist zwischen der Anwendung der Rechte der EMRK im Unionsrecht gemäß Satz 1 und der Zulässigkeit eines weitergehenden Schutzniveaus der Charta gemäß Satz 2 zu differenzieren. Die Frage eines über die EMRK hinausreichenden Schutzes der Charta ist dem zweiten Satz vorbehalten.241 Den Begriff „gleich“ im Sinne von mindestens gleichwertig zu verstehen, widerspräche weiterhin der erklärten Zielsetzung von Art. II-112 Abs. 3 VVE, wonach die Kohärenz zwischen der Charta und der EMRK gesichert werden soll. Schließlich liefe das Verständnis auch im Falle kollidierender Rechte ins Leere. Bei Grundrechtskollisionen gibt es keine Mindestgarantie; der stärkere Schutz des einen Rechts hat zwingend den geringeren Schutz des anderen Rechts zur Folge.242 Für ein über die EMRK hinausgehendes Schutzniveau der Charta bliebe in diesen Fällen kein Raum.243 Die Inkorporation der Konventionsgrundrechte in das Recht der Union ist letztlich auch als ein notwendiger ___________ 238
Ähnlich Bühler, Einschränkung, S. 306. CHARTE 4316/00 CONVENT 34 v. 16.05.2000, vierter Entwurf, Art. 47 S. 4. 240 CHARTE 4422/00 CONVENT 45 v. 28.06.2000, sechster Entwurf, Art. 50 Abs. 3: „Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie eine den in der genannten Konvention eingeräumten Rechte entsprechende Bedeutung und Tragweite [...].“ 241 Vgl. Bühler, Einschränkung, S. 314. 242 Vgl. oben, Teil 2 B. III. 2. b) aa). Siehe auch Hoffmann-Riem, EuGRZ 2002, 473 (482); Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37 (51); v. Bogdandy, in: Duschanek/Griller, S. 69 (93). 243 Vgl. Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (93). 239
C. Bedeutung der EMRK
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Schritt auf dem Weg zu einem Beitritt der EU zur EMRK zu verstehen, der nunmehr in Art. I-9 Abs. 2 VVE normativen Ausdruck gefunden hat.244 Der Begriff „gleich“ ist somit im Sinne von „deckungsgleich“ zu verstehen. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet das, dass Art. 8 EMRK in das Recht der Union inkorporiert werden muss. Bei der Inkorporation der EMRK ist zu berücksichtigen, dass die Interessenlage im supranationalen Gemeinschaftsrecht eine andere ist als im internationalen Menschenrechtssystem der EMRK.245 In praktischer Hinsicht sind die inkorporierten Konventionsgrundrechte im Wege einer gemeinschaftskonformen Auslegung den Besonderheiten der Union anzupassen.246 Selbst wenn die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag für das Unionsrecht nicht abänderbares „zwingendes“ Recht enthält, muss z. B. bei der Inkorporation von Art. 8 EMRK berücksichtigt werden, dass die Vertragsstaaten bei der Formulierung der Schranken nur die der Grundrechtsdurchsetzung entgegenstehenden nationalen Interessen aufgezählt haben. An eine Ausdehnung der EMRK auf das Recht der Union haben sie nicht gedacht. Sind die Rechte der EMRK gemäß Art. II-112 Abs. 3 VVE in Zukunft jedoch auch für das Unionsrecht maßgebend, muss Art. 8 Abs. 2 EMRK im Lichte der ebenfalls verbindlich geregelten Interessen des Verfassungsvertrages ausgelegt werden.247 Das „Hoheitsgebiet eines Staates“ wird zum „Hoheitsgebiet der Union“. Der Begriff der „nationalen Sicherheit“ ist auf die „öffentliche Sicherheit innerhalb der Union“ zu beziehen. Schließlich ist das „wirtschaftliche Wohl des Landes“ im Sinne des „wirtschaftlichen Wohls der Union“ auszulegen.248
cc) Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR für die Unionsgrundrechte Die Inkorporationsklausel des Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE enthält keinen Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR. Die Bedeutung des EGMR für die Auslegung der Charta-Rechte ergibt sich jedoch aus der Präambel, die gemäß Art. 31 Nr. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23.05.1969249 als Aus-
___________ 244
Vgl. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf, Bd. I, Art. 6 Rn. 69. Vgl. oben, Teil 2 B. III. 2. b) bb). 246 Bühler, Einschränkung, S. 314 ff.; Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 38 spricht von einer „unionsbezogenen Auslegung“ der Grundrechtsschranken der EMRK. 247 Bleckmann, Bindung, S. 54. 248 Vgl. Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 38; Bühler, Einschränkung, S. 315 f. 249 Wiener Vertragsrechtskonvention v. 23.05.1969, BGBl. 1985 II S. 927. 245
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
legungshilfe für den nachfolgenden Text herangezogen werden kann.250 Danach bekräftigt die Charta die Rechte, die sich neben den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und der EMRK auch aus der Rechtsprechung des EGMR ergeben.251 Die Rechtsprechung des EGMR wird somit als mitkonstituierendes Element des Grundrechtsinhalts erachtet.252 Dieses Verständnis kommt auch in den Erläuterungen des Präsidiums zum Ausdruck, wonach Bedeutung und Tragweite der Charta-Rechte nicht nur durch den Wortlaut der EMRK, sondern auch durch die Rechtsprechung des EGMR bestimmt werden.253 Im Konvent wurde teilweise geltend gemacht, dass sich die Bedeutung des EGMR für die Auslegung der Charta-Rechte auf seine bisherigen Entscheidungen beschränken müsse (sog. statischer Verweis). Ein Verweis auf die zukünftige Rechtsprechung komme einem „Blankoscheck“ gleich, der das Schutzniveau der Charta gefährde. Die Union sei dadurch Entwicklungen ausgesetzt, die nicht notwendigerweise von allen Mitgliedstaaten mitgetragen würden.254 Dem wurde entgegen gehalten, dass ohne einen dynamischen Verweis mit der Entwicklung der Grundrechte nicht Schritt gehalten werden könne. Ein statischer Verweis würde außerdem zu Rechtsunsicherheiten führen, wenn der EuGH Entwicklungen in der Rechtsprechung des EGMR nicht beachten würde. Im Übrigen bilde die Rechtsprechung des EGMR mit der EMRK eine Einheit, die sich nicht auf dem gegenwärtigen Stand einfrieren lasse.255 Die Rechtsprechung des EGMR ist durch eine evolutiv-dynamische Auslegung gekennzeichnet.256 Der EGMR erkennt die Notwendigkeit an, die EMRK im Lichte der in den demokratischen Gesellschaften der Vertragsstaaten vorherrschenden Bedingungen auszulegen und nicht nur die mutmaßlichen An___________ 250 Meyer, in: ders., Präambel Rn. 6; vgl. Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (74); Frowein, in: ders./Peukert, Präambel Rn. 5. 251 Erwägungsgrund Nr. 5 der Präambel zur Charta, CHARTE 4487/00 CONVENT 50 v. 28.09.2000, EuGRZ 2000, 554 (555). 252 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 37; Busse, EuGRZ 2001, 559 (571); Grabenwarter, VVDStRL 2001, 290 (340). 253 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 52 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569); ebenso z. B. Barriga, Entstehung der Charta, S. 163; Bühler, Einschränkung, S. 321; Griller, in: Duschanek/Griller, S. 131 (158); Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (83); Lenaerts/ de Smijter, CMLRev. 2001, 273 (296). 254 Protokoll der Neunten Sitzung des Konvents (informelle Tagung) am 03./04.05.2000, abgedruckt in: Bernsdorff/Borowsky, Charta, S. 229 (237 ff.). 255 Protokoll der Dreizehnten Sitzung des Konvents (informelle Tagung) am 28./29./30.06.2000, abgedruckt in: Bernsdorff/Borowsky, S. 280 (300 f.). 256 Zu den Auslegungsgrundsätzen der EMRK siehe Teil 4 A. I.
C. Bedeutung der EMRK
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sichten der Verfasser der Konvention zu berücksichtigen.257 Durch die evolutive Auslegung wird die EMRK ständig aktualisiert und den sich laufend verändernden sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen sowie den Moralvorstellungen in den Vertragsstaaten angepasst.258 Diese Entwicklungen müssen auch von der Charta aufgegriffen werden. Andernfalls wird die notwendige Kohärenz zwischen den Rechten der Charta und der EMRK nicht sichergestellt.259 Davon abgesehen sind auch die Befürchtungen, die dem dynamischen Verweis im Konvent entgegen gehalten wurden, unbegründet: Der Grundrechtsstandard in der Union ist gemäß Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE vor einer etwaigen restriktiveren Handhabung in der Rechtsprechung des EGMR geschützt.260 Ein dynamischer Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR kann daher den status quo des unionalen Grundrechtsschutzes nicht gefährden. Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE ist somit als dynamische Verweisungsklausel zu verstehen, die auch zukünftige Entscheidungen des EGMR erfasst. Über Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE wird jede Entwicklung in der Rechtsprechung des EGMR eo ipso zum Bestandteil des Unionsrechts.261 Damit gelangt eine große Dynamik in die Fortschreibung der Unionsgrundrechte.
b) Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE Über Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE werden die Charta-Rechte, deren Schutzbereich über den der entsprechenden Konventionsgrundrechte hinausgeht, ausdrücklich anerkannt.262 Teilweise wird vertreten, dass das Unionsrecht gemäß ___________ 257 Etwa EGMR, Urt. v. 27.09.1990, Nr. 10843/84 (Ziff. 35, 42) – Cossey; vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 17; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 468. 258 Vgl. Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37 (39 f.); Callewaert, EuGRZ 2003, 198 (199); Philippi, Charta, S. 45: Konvention als „living instrument“. 259 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 37. Zugunsten eines einheitlichen Standards im Grundrechtsschutz in Europa werden auch künftige Änderungen am Text der EMRK selbst und das Inkrafttreten neuer Zusatzprotokolle zur EMRK erfasst, vgl. Philippi, Charta, S. 44. 260 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 39. 261 Ebenso Bühler, Einschränkung, S. 323; Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 37; Eisner, Schrankenregelung, S. 125 Rn. 746; v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (51); Stern, in: ders./Tettinger, S. 13 (23); Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (75); Philippi, Charta, S. 45. 262 Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 469; Bühler, Einschränkung, S. 324; Holoubek, in: Duschanek/Griller, S. 25 (35); anders Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 3; v. Danwitz/Röder, in: Stern/Tettinger, S. 31 (53), nach denen Art. II-112 Abs. 3 VVE bereits nicht anwendbar ist, siehe oben, Teil 2 C. II. 1. a) aa).
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE auch weniger strenge Schrankenregelungen als die EMRK vorsehen und dadurch „einen weiter gehenden Schutz“ gewähren dürfe. Bei der Inkorporation der Schranken der EMRK handele es sich um die Regel; als Ausnahme könnten aber engere Schranken gewählt werden.263 Andere sind der Auffassung, dass ein weiter gehender Schutz durch eine im Vergleich zur EMRK restriktivere Auslegung ihrer Schranken erreicht wird.264 Beide Ansätze können nicht befürwortet werden: Sie stehen im Widerspruch zu Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE, der als Inkorporationsklausel gerade auch die Schranken der Konventionsgrundrechte inhaltsgleich in das Unionsrecht projizieren will.265 Die Bedeutung von Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE beschränkt sich jedoch auch nicht auf die Anerkennung der bereits normierten weiter reichenden Schutzbereichsbestimmungen der Charta-Rechte. Der Konvent hat die Vorschrift in der politischen Absicht aufgenommen, die fortbestehende Autonomie des Unionsrechts zum Recht der EMRK zu unterstreichen. Nach den Erläuterungen des Präsidiums kommt Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE eine zukunftsorientierte Bedeutung zu. Als Öffnungsklausel unterstreicht sie, dass in Zukunft grundrechtsrelevante Entwicklungen durch das Recht der Gesetzgebung und der Verträge weiterhin möglich sind.266 Das gilt allerdings nicht für eine Weiterentwicklung in der Rechtsprechung des EuGH,267 die mit der Integrationsfunktion von Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE nicht vereinbart werden kann.268 Ähnlich wie bei Art. 53 EMRK269 dürfte es auch im Rahmen von Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE schwer sein festzustellen, wann ein weiter gehender Schutz besteht. Das gilt vor allem dann, wenn es um die Auflösung von Grundrechtskollisionen im mehrpoligen Grundrechtsverhältnis geht.270 Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE fungiert schließlich als Schutzklausel zur Sicherung des status quo des Grundrechtsschutzes. Der unionale Standard wird mit Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE vor Verschlechterungen im Schutzsystem der ___________ 263
Molthagen, Verhältnis zur EMRK, S. 168. Nach Philippi, Charta, S. 44 verweist Art. II-112 Abs. 3 VVE nur auf den Schutzbereich der Konventionsgrundrechte, mit der Folge, dass der EuGH auch weniger strenge Schranken anwenden könne. 264 Bühler, Einschränkung, S. 325 f. 265 Zur Inkorporationsfunktion von Art. II-112 Abs. 3 S. 1 EVV siehe Teil 2 C. II 1. a) bb) (2). 266 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 52 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569); ebenso Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 39; Barriga, Entstehung der Charta, S. 165. 267 So aber Bühler, Einschränkung, S. 325. 268 Ahnlich Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 39. 269 Siehe dazu oben, Teil 2 B. III. 2. b) aa). 270 Vgl. Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 469.
C. Bedeutung der EMRK
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EMRK geschützt.271 Das gilt sowohl für den Fall, dass das Grundrechtsniveau des EGMR absinken und sich hierdurch das Schutzniveau der entsprechenden Charta-Rechte verschlechtern, als auch für den Fall, dass es im Wege der Vertragsänderung zu einer Verkürzung der Konventionsgrundrechte kommen sollte.272
2. Auswirkungen gemäß Art. II-113 VVE Art. II-113 VVE bekräftigt, dass die Charta das Schutzniveau anderer Grundrechte in deren jeweiligen Anwendungsbereich nicht berühren wird. Für die Verfassungen der Mitgliedstaaten wurde festgestellt, dass sich die Klausel auf eine weitgehend folgenlose Erklärung deklaratorischen Charakters reduziert.273 Anders als bei den Verfassungen der Mitgliedstaaten kann sich der Anwendungsbereich der EMRK mit dem der Charta überschneiden: Die EMRK ist ein neben dem Unionsrecht bestehender völkerrechtlicher Verpflichtungsstandard, über den die Vertragsstaaten nicht einfach durch die Übertragung von Hoheitsgewalt auf die EU disponieren können. Sie sind und bleiben Verpflichtete der EMRK, wie sie es vor ihrem Beitritt und der Fortentwicklung der Grundrechte auf Unionsebene waren.274 Eine nationale Bestimmung ist nicht deshalb dem Anwendungsbereich der EMRK entzogen, weil sie Unionsrecht umsetzt. Die Mitgliedstaaten der EU sind auch in diesem Fall weiterhin der EMRK verpflichtet.275 Das gilt – wie der EGMR in der Rechtssache Cantoni verdeutlich hat – selbst dann, wenn eine nationale Bestimmung eine Gemeinschaftsrichtlinie fast wortwörtlich übernimmt.276 Gemäß Art. II-113 VVE darf das Schutzniveau der EMRK in dem gemeinsamen Anwendungsbereich der beiden Rechtsinstrumente weder eingeschränkt noch verletzt werden. Die EMRK ist bei der Durchführung des Rechts der Union (vgl. Art. II-111 Abs. 1 VVE) als Mindestgarantie zu beachten.277 Dieses ___________ 271 Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 39; Bühler, Einschränkung, S. 325; Eisner, Schrankenregelung, S. 152. 272 Grabenwarter/Pabel, in: Stern/Tettinger, S. 81 (92). 273 Siehe dazu oben, Teil 2 B. III. 2. c). 274 Ehlers, in: ders., § 14 Rn. 14; Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (566). 275 EGMR, Urt. v. 18.02.1999, Nr. 24833/94 (Ziff. 32) – Matthews; EGMR, Urt. v. 18.02.1999, Nr. 26083/94 (Ziff. 67) – Waite; anders noch EKMR, Entsch. v. 09.02.1990, Nr. 13258/87 – Melchers,; siehe hierzu Philippi, ZEuS 2000, 97 (102 f.). 276 EGMR, Urt. v. 15.11.1996, Nr. 17862/91 (Ziff. 30) – Cantoni. Nach Ress, in: Duschanek/Griller, S. 183 (188) etabliert die Konvention „eine Beachtungs- und Ergebnisverpflichtung“ der Mitgliedstaaten. 277 Stern, in: ders./Tettinger, S. 13 (23); Holoubek, in: Duschanek/Griller, S. 25 (33).
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
Verständnis kommt auch in den Erläuterungen des Präsidiums zum Ausdruck, wonach der durch die Charta gewährleistete Schutz gemäß Art. II-113 VVE unter keinen Umständen geringer als der durch die EMRK gewährte Schutz sein dürfe.278 Das Schutzniveau der EMRK wird bereits über die Inkorporationsklausel des Art. II-112 Abs. 3 VVE garantiert. Die Bedeutung von Art. II-113 VVE könnte sich daher – auch im Hinblick auf die EMRK – auf eine politische Erklärung deklaratorischen Charakters beschränken.279 Das wird im Schrifttum zum Teil bestritten: Art. II-113 VVE entfalte Wirkung, wenn in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen Rechte der Charta, die denen der EMRK entsprechen, mit Rechten der Charta kollidieren, die über die EMRK hinausgehen.280 In dieser Konstellation würden die beiden Klauseln – Inkorporationsklausel gemäß Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE und Öffnungsklausel gemäß Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE – aufeinander treffen. Der EuGH wäre daher einerseits verpflichtet, Grundrechtsschutz auf dem Niveau der EMRK zu gewährleisten. Andererseits wäre er aber auch daran gehalten, den weiter reichenden Schutz, den die Charta bereithält, zu garantieren. Dieser Widerspruch, der auf den ersten Blick unauflöslich scheint, müsse gemäß Art. II-113 VVE zugunsten der EMRK aufgelöst werden.281 Nach der Vorschrift dürfe „keine Bestimmung der Charta“, also auch nicht Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE, die Konventionsgrundrechte einschränken oder verletzen.282 Gegen diese Auffassung ist einzuwenden, dass Art. II-113 VVE neben der EMRK auch auf das Recht der Union verweist, dessen Schutzniveau durch keine Bestimmung der Charta eingeschränkt oder verletzt werden darf. In Fällen der dargestellten Kollision enthält Art. II-113 VVE damit zwei Günstigkeitsklauseln: eine zugunsten der EMRK und eine zugunsten des Unionsrechts. Ein pauschaler Vorrang des einen oder des anderen Schutzniveaus würde daher dem eindeutigen Wortlaut von Art. II-113 VVE widersprechen.283 Die Vorschrift ist zur Auflösung der dargestellten Grundrechtskollision daher überhaupt nicht geeignet. Die Bedeutung von Art. II-113 VVE reduziert sich darauf ___________ 278 Erläuterungen des Präsidiums zu Art. 53 Charta, CHARTE 4473/00 CONVENT 49 v. 11.10.2000, EuGRZ 2000, 559 (569). 279 Siehe dazu oben, Teil 2 B. III. 2. c). 280 Beispiel für eine derartige Konstellation bei Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1131(1140 ff.). 281 Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (566); Grabenwarter, in: FS Steinberger, S. 1131 (1143); Polakiewicz, in: Marauhn, S. 37 (52); Krüger/Polakiewicz, EuGRZ 2001, 92 (99); Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 469; Philippi, Charta, S. 45 f.; Fischbach, RUDH 2000, 7 (8). 282 Grabenwarter, EuGRZ 2004, 563 (566). 283 Ähnlich, Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 494.
C. Bedeutung der EMRK
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zu bekräftigen, dass das Schutzniveau der EMRK auch bei der Durchführung des Unionsrechts zu wahren ist. Eine eigenständige Bedeutung kommt der Vorschrift im Verhältnis zur Inkorporationsklausel des Art. II-112 Abs. 3 VVE nicht zu.
3. Verhältnis der EMRK zur Rechtserkenntnisquelle der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen Über Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE wird nahezu der gesamte Grundrechtekatalog in das Unionsrecht übertragen. Die bisherige Rechtslage wird damit erheblich verändert: Die EMRK wird von einer Rechtserkenntnisquelle zur indirekten Rechtsquelle des Unionsrechts aufsteigen.284 Rechtsquelle der Unionsgrundrechte sind weiterhin die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die unter dem Europäischen Verfassungsvertrag aber maßgeblich von der EMRK geprägt sind. Die Inkorporation der Konventionsgrundrechte in das Unionsrecht lässt für die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten in Zukunft wenig Raum. Sie werden als Rechtserkenntnisquelle nur noch zum Tragen kommen, wenn der Anwendungsbereich von Art. II-112 Abs. 3 VVE nicht eröffnet ist.285 Mit Rechtsverbindlichkeit des Europäischen Verfassungsvertrages werden die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen als subsidiäre Auslegungshilfe hinter der EMRK zurücktreten. Dieses Verständnis wird von der Entstehungsgeschichte der Charta gestützt: Art. II-112 Abs. 4 VVE ist zusammen mit zwei weiteren Absätzen erst nachträglich in den Text der Charta eingefügt worden. Die Ergänzungen sollten den im Konvent erreichten Konsens verdeutlichen, nicht aber zu inhaltlichen Änderungen des Charta-Textes führen.286 Begründet wurde die Einfügung von Art. II-112 Abs. 4 VVE damit, dass die Charta die Rechte nicht hinreichend präzisiere, deren Bedeutung und Tragweite sich nicht über die EMRK sondern lediglich über den allgemeinen Schrankenvorbehalt erschließe. Mit der Vorschrift sollte der Handlungsspielraum des EuGH bei der Auslegung der ChartaRechte, die in der EMRK keine Entsprechung haben, auf ein politisch tragbares Maß begrenzt werden.287 Zugleich sollten die Mitgliedstaaten in diesen Fällen ___________ 284
Callewaert, EuGRZ 2003, 198 (200); Tretter, in: Grewe/Gusy, S. 55 (75). Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 44; Bühler, Einschränkung, S. 394. 286 Schlussbericht der Arbeitsgruppe II des Konvents v. 22.10.2002, CONV 354/02 WG II 16, S. 17; ebenso Bühler, Einschränkung, S. 394; Borowsky, in: Meyer, Art. 52 Rn. 44; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 478. 287 Vgl. Pietsch, ZRP 2003, 1 (3). 285
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Teil 2: Auslegung der Unionsgrundrechte
den Zugriff des EuGH auf ihren grundrechtlichen Besitzstand nicht fürchten müssen.288 Nach dem Willen des Konvents sollte sich die Bedeutung der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten damit auf die Fälle beschränken, in denen es keine entsprechenden Rechte in der EMRK gibt.
D. Zusammenfassung Der EuGH stützt sich bei der Ermittlung der Unionsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten einerseits und die Rechte der EMRK andererseits. Beide Rechtserkenntnisquellen sind für die Auslegung der Grundrechte nach geltendem Recht gleichbedeutend. Beim Rückgriff auf die Verfassungsüberlieferungen bedient sich der EuGH der Methode der wertenden Rechtsvergleichung. Entscheidend ist weder das höchste nationale Schutzniveau noch der kleinste gemeinsame Nenner der mitgliedstaatlichen Grundrechte. Der EuGH kann innovative Lösungen entwickeln; er ist dabei lediglich der Struktur und den Zielsetzungen der Union verpflichtet. Gemäß Art. II-112 Abs. 4 VVE folgt der Rückgriff auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten auch unter dem Europäischen Verfassungsvertrag der Methode der wertenden Rechtsvergleichung. Art. II-113 VVE trifft für die Methode der Rechtsvergleichung keine Aussage. Es handelt sich um eine Klausel deklaratorischen Charakters, mit der bekräftigt wird, dass sich der Wirkungsbereich der Charta-Rechte nicht auf den jeweiligen Anwendungsbereich der dort genannten Grundrechtsinstrumente auswirken wird. Die Bedeutung der Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten wird im Vergleich zur EMRK abnehmen. Über Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE werden die den Charta-Rechten entsprechenden Konventionsgrundrechte in toto in das Unionsrecht inkorporiert. Auch jede Entwicklung in der Rechtsprechung des EGMR wird erfasst. Die EMRK wird von einer Rechtserkenntnisquelle zur indirekten Rechtsquelle des Unionsrechts aufsteigen. Art. II-112 Abs. 3 S. 2 VVE wirkt sich in seiner Funktion als zukunftsorientierte Öffnungs- und Schutzklausel auf die Bedeutung der EMRK für die Auslegung der Unionsgrundrechte nicht aus. ___________ 288
Vgl. Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, Rn. 479.
Teil 3
Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England A. Vorbemerkung zur Auswahl der Mitgliedstaaten Eine Untersuchung wie die vorliegende kann zugunsten einer gewissen Detailliertheit nicht alle EU-Mitgliedstaaten in die rechtsvergleichende Analyse einschließen, sondern muss sich auf einzelne Rechtsordnungen beschränken. Eine dieser Rechtsordnungen wird die deutsche sein, die zahlreiche Entscheidungen und eine umfangreiche Literatur zum Recht am eigenen Bild aufweist. Dieser Auswahl kommt der Umstand zugute, dass die Rechtsprechung des EuGH zur Existenz der Unionsgrundrechte wie auch zu ihrer Ausgestaltung und der Konfliktlösung im Kollisionsfall erkennbar vom deutschen Recht geprägt ist.1 Davon abgesehen ist eine Analyse von Gegenstand und Reichweite des Rechts am eigenen Bild in der deutschen als der eigenen Rechtsordnung nahe liegend. Die Rechtssysteme der westlichen Kulturen können in den kontinentaleuropäischen und den anglo-amerikanischen Rechtskreis unterteilt werden.2 Das kontinental-europäische Recht erfasst die Gruppe von Rechtssystemen, die in Westeuropa auf der Grundlage römischer, germanischer und kanonischer Traditionen entstanden sind.3 Dieses sog. civil law beruht auf einer Vielzahl geschriebener Rechtssätze, die als ein in sich widerspruchsloses System verstanden werden. Ihm gegenüber steht der anglo-amerikanische Rechtskreis – das sog. common law – als die Gesamtheit der Rechtsordnungen Großbritanniens und Wales sowie der vom englischen Recht beeinflussten überseeischen Länder.4 Im common law wird das Recht insbesondere durch Präzedenzfälle und ___________ 1 Hirsch, in: Kreuzer/Scheuing/Sieber, S. 9 (18, 24); vgl. Szczekalla, Schutzpflichten, S. 498. 2 Zu den Rechtskreisen der Welt siehe Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, §§ 5 ff., S. 62 ff. 3 David/Grasmann, Rechtssysteme, S. 55 f.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, §§ 6 ff., S. 73 ff. 4 Blumenwitz, Anglo-amerikanisches Recht, S. 3.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
deren Weiterentwicklung in Einzelfällen entwickelt und gefunden.5 Der Grundgedanke der Rechtsfindung ist in beiden Rechtskreisen unterschiedlich: Während das civil law abstrakt und systematisch argumentiert, ist das common law auf einzelfallspezifische Problemdiskussionen bedacht.6 Bei der Rechtsvergleichung kommt dem Zusammentreffen der beiden Rechtskreise daher eine besondere Bedeutung zu. Eine rechtsvergleichende Untersuchung hat im Idealfall Rechtsordnungen beider Rechtskreise einzuschließen.7 Die vorliegende Untersuchung, die den Bildnisschutz in Deutschland, Frankreich und England analysiert, wird diesem Anspruch gerecht: Während Deutschland und Frankreich dem kontinental-europäischen Rechtskreis entspringen, ist die englische Rechtsordnung dem anglo-amerikanischen Rechtskreis zuzuordnen. Auch materiell-rechtlich erklärt sich die Auswahl der drei Rechtsordnungen: Im Gesamtvergleich der Rechtslage in allen EU-Mitgliedstaaten wird deutlich, dass viele Staaten ein dem deutschen Recht ähnliches Maß an Bildnisschutz gewähren. Das gilt z. B. für Italien, Spanien und Österreich, die im Schutzniveau keine wesentlichen Unterschiede zum deutschen Recht aufweisen. Das italienische Recht erkennt einen der deutschen Rechtsprechung entsprechenden räumlichen Bereich der Privatsphäre („intimità domestica“) an, in dem jede Anfertigung von Photos sowie ihre Veröffentlichung verboten ist. Das Recht am eigenen Bild erfasst aber – wie im deutschen Recht – auch Situationen und Ereignisse, die sich außerhalb dieser absolut geschützten Sphäre abspielen und an denen die Öffentlichkeit kein schützenswertes Interesse hat.8 Gleiches gilt nach spanischem Recht, wonach das Recht am eigenen Bild auch dann verletzt sein kann, wenn jemand außerhalb seiner häuslichen Privatsphäre photographiert wird. Für Personen des öffentlichen Lebens gibt es in Spanien mit Art. 8 Abs. 1 des Organgesetzes 1/1982 eine dem § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG entsprechende Ausnahmeregelung. Danach sind Personen, die im politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder sozialen Umfeld bekannt sind, vom strengen Einwilligungserfordernis ausklammert.9 Gemäß § 78 Abs. 1 des österreichischen Urhebergesetzes dürfen Bildnisse von Personen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art in der Öffentlichkeit verbreitet ___________ 5 David/Grasmann, Rechtssysteme, S. 55 ff., 59 ff.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 14 I, S. 177. 6 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 14 I, S. 177. 7 Vgl. Ukrow, Rechtsfortbildung, S. 113; Zweigert, in: Strupp/Schlochauer, Bd. 3, S. 79 (81). 8 Grabenwarter, in: FS Ress, S. 979 (985 f.); v. Gerlach, JZ 1998, 741 (745). 9 Trebes, Zivilrechtlicher Schutz, S. 185; siehe auch Grabenwarter, in: FS Ress, S. 979 (986 f.).
B. Bildnisschutz in Deutschland
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werden – vgl. Verbreiten oder öffentlich zur Schau stellen gemäß § 22 S. 1 KUG –, wenn dadurch berechtigte Interessen der abgebildeten Person – vgl. berechtigtes Interesse des Abgebildeten gemäß § 23 Abs. 2 KUG – verletzt werden. Wie im deutschen Recht kann auch in Österreich die unbefugte Bildnisveröffentlichung bei Personen des öffentlichen Lebens zulässig sein. Erforderlich ist eine Abwägung zwischen den berechtigten Interessen der abgebildeten Person und den Publikationsinteressen der Presse, die das öffentliche Informationsinteresse einschließen.10 Das französische und das englische Recht bilden demgegenüber die beiden Extrempositionen im Recht des Einzelnen vor der unbefugten Anfertigung und Veröffentlichung seines Abbildes: Frankreich bietet der abgebildeten Person einen weitergehenden Schutz als im deutschen Recht, auch wenn das Recht am eigenen Bild als solches nicht gesetzlich normiert ist. Die Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen einer Person sind ohne deren Einwilligung grundsätzlich unzulässig. Das gilt auch für Personen des öffentlichen Lebens, es sei denn, sie werden bei Wahrnehmung einer öffentlichen Funktion dargestellt. An die Erklärung und den Umfang einer Einwilligung werden im französischen Recht strenge Anforderungen gestellt.11 Dagegen wird der Schutz des Einzelnen vor der Anfertigung und Veröffentlichung seines Bildnisses im englischen Recht erst seit wenigen Jahren überhaupt als schutzfähiges Interesse anerkannt. Ein eigenständiges Recht am eigenen Bild existiert nach wie vor nicht – es wird bislang in der Rechtsprechung noch nicht einmal diskutiert.12
B. Bildnisschutz in Deutschland Das Recht am eigenen Bild ist verfassungsrechtlich im allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankert. Schon vor seiner Anerkennung als Element des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das Recht am eigenen Bild einfach-gesetzlichen Ausdruck gefunden. Das „Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie“ vom 09.01.1907 (KUG)13 enthält in den §§ 22-24 Vorschriften, die das Recht des Einzelnen an seinem eigenen Abbild unter Berücksichtigung der Informationsinteressen der Öffentlichkeit schützen. Sind die Tatbestandsvor___________ 10
Berka/Höhne/Noll/Polley, Mediengesetz, vor §§ 6-8a Rn. 11. Bartnik, Bildnisschutz, S. 94 ff. 12 Vgl. Gounalakis, AfP 2001, 271 (271 ff.); Grabenwarter, in: FS Ress, S. 979 (983 ff.). 13 BGBl. III S. 440-3. 11
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
aussetzungen erfüllt, wird zugleich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts indiziert.14 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird ergänzend angewendet, wenn die streitgegenständliche Handlung nicht vom Tatbestand der §§ 22 ff. KUG erfasst wird.15 Die Grundrechte in ihrer Bedeutung als objektive Wertentscheidungen des Verfassungsgebers müssen auch bei der Anwendung und Auslegung zivilrechtlicher Normen hinreichend berücksichtigt werden. Der Zivilrichter ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG verpflichtet, Bedeutung und Tragweite der von seinen Urteilen tangierten Grundrechte zu beachten, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt.16 Das verlangt eine Abwägung zwischen der Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts für seinen Träger im konkreten Fall sowie dem Ausmaß der ihm zugemuteten Beeinträchtigung einerseits und der Bedeutung des von dem angewandten Gesetz geschützten Rechtsguts und der Schwere seiner Beeinträchtigung durch die Grundrechtsausübung andererseits. Einbruchstellen für eine grundrechtsbezogene Auslegung bilden dabei vor allem die unbestimmten Rechtsbegriffe des Zivilrechts.17 Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte erfasst die Anwendung und Auslegung jeder Privatrechtsnorm.18 Auch der Bildnisschutz nach dem KUG muss sich am Maßstab der Grundrechte messen lassen. Bei der Auslegung und Anwendung der §§ 22 ff. KUG sind neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die in Art. 5 Abs. 1 GG normierte Meinungs- und Pressefreiheit zu berücksichtigen.19 Das KUG wird durch diese beiden kollidierenden Grundrechte und damit letztlich durch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen überlagert.20 Der zivilrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Bild erhält dadurch eine verfassungsrechtliche Dimension. Zivilrechtli-
___________ 14
Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 41. Vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.22; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 25. 16 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 198 (205 ff.); ebenso BVerfGE 84, 192 (194 f.); 96, 171 (183 ff.); 97, 391 (401 ff.); 99, 185 (196); 101, 361 (388); siehe hierzu Grimm, NJW 1995, 1697 (1701 ff.). Zur mittelbaren Drittwirkung, Dreier, in: ders., Vorb. Rn. 96 ff. 17 BVerfGE 101, 361 (388); 99, 185 (196); vgl. v. Münch, in: ders./Kunig, Vorb. Art. 1-19 Rn. 31. 18 Jarass, in: ders./Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 59. 19 BVerfGE 101, 361 (389); 35, 202 (219 ff., 224 f.); Hager, in: Staudinger, § 823 Rn. C 186; Bartnik, Bildnisschutz, S. 120; vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 6.2 ff., 8.2. 20 Hager, in: Staudinger, § 823 Rn. C 186. 15
B. Bildnisschutz in Deutschland
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cher und verfassungsrechtlicher Persönlichkeitsschutz ergänzen sich und können nicht strikt voneinander abgegrenzt werden.21 Vor diesem Hintergrund erklärt sich nachfolgender Aufbau: In einem ersten Teil werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Bildnisschutz im deutschen Recht im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsrecht und Kommunikationsfreiheiten gelegt. Im einem zweiten Teil wird analysiert, wie dieses Spannungsfeld in den §§ 22 ff. KUG aufgelöst wird und welche Konsequenzen sich daraus für den Gegenstand und die Reichweite des Bildnisschutzes ergeben. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der Frage, inwieweit Personen des öffentlichen Lebens im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit davor geschützt werden, dass unbefugt Photos von ihnen angefertigt und veröffentlicht werden. Die Zulässigkeit von Abbildungen, die primär auf Herabsetzung und Verunglimpfung abzielen, ohne zugleich Angelegenheiten aus der Privatsphäre zu offenbaren, wird – ebenso wie karikative Abbildungen – weitgehend ausgeklammert.
I. Bildnisschutz im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten 1. Verfassungsrechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild Das Grundgesetz enthält spezielle Freiheitsrechte, die den Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeit in bestimmten Lebensbereichen gewährleisten.22 Auf Grundlage maßgebender Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH)23 haben Schrifttum und verfassungsgerichtliche Judikatur einen ergänzenden Persönlichkeitsschutz entwickelt, der zur Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geführt hat.24 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet.25 Als subjektive Gewähr___________ 21 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 138; vgl. Jarass, NJW 1989, 857 (858, 861 f.). 22 Z. B. Art. 4 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit), Art. 5 GG (Meinungs-, Kunstund Wissenschaftsfreiheit), Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis), Art. 13 GG (Freizügigkeit). 23 Die Zivilgerichte haben das allgemeine Persönlichkeitsrecht bereits früh unter Hinweis auf die Wertentscheidungen des Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG als „sonstiges Recht“ i. S. v. § 823 Abs. 1 BGB qualifiziert, vgl. BGHZ 39, 124 ff.; 35, 363 ff.; 27, 284 ff.; 24, 72 ff. 24 Zur Entwicklung des Persönlichkeitsschutzes siehe Seifert, NJW 1999, 1889 ff. 25 Z. B. BVerfGE 54, 148 (152 f.); 35, 202 (219 f.); vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 30; Dreier, in: ders., Art. 2 I Rn. 68; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 128; Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2 Rn. 29.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
leistung hat es seinen dogmatischen Standort in Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG dient als Auslegungsmaßstab für die Ermittlung von Inhalt und Reichweite des Schutzumfangs.26 Zur allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG verhält sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht wie ein Spezialgrundrecht.27 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezeichnet das Recht auf Schutz der Privatsphäre und des sozialen Geltungsanspruchs des Einzelnen. Seine Aufgabe ist es, die „engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten“.28 Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen „einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann“.29 Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich „für sich zu sein“ und „ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen“.30 In ständiger Rechtsprechung hat das BVerfG die Entwicklungsoffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betont.31 Eine abschließende Umschreibung oder Definition existiert nicht. Damit korrespondiert, dass der Schutzbereich im Schrifttum anhand von Fallgruppen konkretisiert wird.32 In der Ausprägung des Rechts am eigenen Bild gewährt das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Einzelnen eine Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeit, soweit es um die Anfertigung und Veröffentlichung von Photos und ähnlichen bildhaften Aufzeichnungen seiner Person geht. Der Einzelne soll selbst darüber entscheiden, ob und inwieweit er sein Lebensbild im ganzen oder lediglich einzelne Vorgänge aus seinem Leben öffentlich machen will. Ob er im privaten oder öffentlichen Zusammenhang abgebildet wird, spielt grundsätzlich keine Rolle. Das Schutzbedürfnis ergibt sich vielmehr aus der Möglichkeit, das Erscheinungsbild einer Person aus einer bestimmten Situation herauszulösen, es datenmäßig zu fixieren und jederzeit einem unüberschaubaren Personenkreis (erneut) zugänglich zu machen.33 Ein Schutzbedürfnis wird nicht nur bei verfälschenden oder entstellenden bildhaften Darstellungen anerkannt.34 Auch Abbil___________ 26 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 128; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 62 f. 27 Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 64. 28 BVerfGE 54, 148 (153). 29 BVerfGE 79, 256 (268). 30 BVerfGE 35, 202 (220). 31 BVerfGE 101, 362 (380); 79, 256 (268); 54, 148 (153 f.). 32 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 148 ff.; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 68 ff.; siehe auch Schwetzler, Persönlichkeitsschutz, S. 73 ff. 33 BVerfGE 101, 361 (381); vgl. die ähnliche Argumentation zum Schutz des Rechts am eigenen Wort, BVerfGE 34, 238 (246 f.). 34 BVerfGE 99, 185 (194); 97, 391 (403); 97, 125 (148 f.); BVerfG NJW 2000, 1859 (1860); NJW 1999, 2358; NJW 1998, 2889.
B. Bildnisschutz in Deutschland
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dungen, die Informationen aus dem privaten Lebensbereich preisgeben, werden vor der Öffentlichkeit oder vor staatlichem Zugriff geschützt.35 Das Recht am eigenen Bild gibt dem Einzelnen aber kein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung seiner Person. Wie das BVerfG bereits mehrfach betont hat, hat eine Person keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie sie sich selbst sieht oder von anderen gerne gesehen werden möchte.36
2. Kollision des Rechts am eigenen Bild mit den Kommunikationsfreiheiten Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht absolut geschützt. Als gemeinschaftsbezogenes und gemeinschaftsgebundenes Wesen muss jede Person Einschränkungen hinnehmen, sofern diese nicht ihren unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen.37 Das gilt auch für das Recht am eigenen Bild als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Reichweite des Rechts am eigenen Bild ist im Spannungsfeld zwischen dem Persönlichkeitsschutz und den in Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Kommunikationsfreiheiten zu bestimmen. Das spiegelt sich auch in den §§ 22 ff. KUG wider: Ausgangspunkt der Vorschriften zum Bildnisschutz ist § 22 KUG, der bestimmt, dass die Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen grundsätzlich einwilligungsbedürftig ist. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG enthält eine Ausnahmeregelung, die auf der Meinungs- und Pressefreiheit und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit beruht.38 § 23 Abs. 2 KUG, der bei Vorliegen seiner Voraussetzungen eine Interessenabwägung im Einzelfall anordnet, trägt wiederum dem Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Person Rechnung.
a) Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten Die in Art. 5 Abs. 1 GG verankerten Kommunikationsfreiheiten reichen von der Äußerung bestimmter Kommunikationsinhalte bis zu deren Empfang, bei ___________ 35 BVerfGE 101, 361 (382); BVerfG NJW 2001, 1921 (1924); vgl. zu sonstigen privaten Informationen siehe BVerfGE 27, 344 (350 f.); 23, 373 (374 f.). 36 BVerfGE 101, 361 (380); 99, 185 (194); 97, 391 (403); 97, 125 (149); 82, 236 (269). 37 BVerfGE 97, 228 (269); 93, 266 (293); 80, 367 (373); 75, 369 (380); 27, 344 (351); siehe hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 179. 38 Vgl. Engels/Schulz, AfP 1998, 574 (576).
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
dem die Medien als Vermittler und Faktor der Meinungsbildung fungieren.39 Sie konstituieren einen sozialen, umfassend geschützten Kommunikationsprozess. Für die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes sind die Kommunikationsfreiheiten „schlechthin konstituierend“.40 Das Zusammenwirken dieser Freiheiten „ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen“ im Sinne eines pluralistischen Widerstreits verschiedener Auffassungen als dem Lebenselement der freiheitlichen Demokratie des deutschen Verfassungsstaates41. Die Kommunikationsfreiheiten werden nicht nur als subjektive Abwehrrechte, sondern auch als objektive Prinzipien des Rechts verstanden.42
aa) Meinungsfreiheit Das BVerfG hat die Meinungsfreiheit schon früh, als eines der „vornehmsten Menschenrechte überhaupt“ bezeichnet, das „in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“ sei.43 Als unerlässliche Voraussetzung der Meinungsäußerungsfreiheit schützt Art. 5 Abs. 1 GG auch die Meinungsbildungsfreiheit.44 Meinungen sind nach Auffassung des BVerfG durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung geprägt.45 Für Meinungsäußerungen ist „die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend“.46 Auf ihren Wert, ihre Richtigkeit oder Vernünftigkeit kommt es nicht an.47 Demgegenüber steht bei Tatsachenbehauptungen „die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit“ im Vordergrund.48 Anders als Meinungsäußerungen sind ___________ 39
Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 17 f. Für die Meinungsfreiheit, BVerfGE 76, 196 (208 f.); 62, 230 (247); 7, 198 (208); für die Informationsfreiheit, BVerfGE 27, 71 (81 f.); für die Pressefreiheit, BVerfG AfP 2003, 138 (146); BVerfGE 10, 118 (121); für die Rundfunkfreiheit, BVerfG AfP 2003, 138 (146); BVerfGE 35, 202 (221); vgl. Schwetzler, Persönlichkeitsschutz, S. 89 ff. 41 BVerfGE 12, 113 (125); 7, 198 (208). 42 BVerfGE 80, 124 (133); 66, 116 (135); 57, 295 (320); 20, 162 (175); 7, 198 (204 ff.); vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 5 ff. 43 BVerfGE 7, 198 (208); zur Bedeutung der Meinungsfreiheit siehe Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 39 ff. 44 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 37; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 67. 45 Statt vieler siehe BVerfGE 61, 1 (8). 46 BVerfGE 94, 1 (8); 93, 266 (289); 90, 241 (247). 47 BVerfGE 102, 347 (359); 61, 1 (8). 48 BVerfGE 94, 1 (8); 93, 266 (289); 90, 241 (247). 40
B. Bildnisschutz in Deutschland
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Tatsachenbehauptungen daher der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich.49 Für die Abgrenzung ist auf den objektiven Sinn der Meinungsäußerung abzustellen.50 In Zweifelsfällen ist davon auszugehen, dass es sich um eine Meinung handelt.51 Angesichts des Wortlauts von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist es fraglich, ob Tatsachenbehauptungen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst werden. Im Gegensatz zu Art. 10 Abs. 1 EMRK wird der Schutz von Informationen nicht gesondert aufgeführt. Im Schrifttum wird der Schutz von Tatsachenbehauptungen mitunter bereits deshalb bejaht, weil eine Trennung zwischen Tatsachen und Meinungen nicht möglich sei.52 Die bloße Mitteilung von Tatsachen enthalte in ihrer Auswahl und der Entscheidung über Ort, Zeit sowie Art und Weise der Äußerung wertende Elemente.53 Nach Auffassung des BVerfG schließt die Meinungsfreiheit auch die Behauptung von Mitteilungen ein, „weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind“.54 Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen55 und solche, deren Unwahrheit im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht56, liegen daher außerhalb des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit. Der Grundrechtsschutz bezieht sich nicht nur auf den Inhalt einer Aussage, sondern auch auf die Art und Weise ihrer Darstellung.57 Der sich Äußernde hat das Recht, diejenigen Bedingungen für seine Meinungskundgabe zu wählen, die seiner Ansicht nach den größten Effekt versprechen.58 Polemische und verletzende Formulierungen werden ebenso geschützt wie abgewogene Äußerungen.59 Wertlose Meinungen fallen ebenso in den Schutzbereich wie Äußerungen, die rational oder emotional begründet sind.60 Geschützt sind die Wahl des ___________ 49
BVerfGE 90, 241 (247); BGHZ 139, 95 (102). BVerfGE 94, 1 (9); Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 80a ff. 51 BVerfGE 90, 241 (248 f.); 85, 1 (15 f.); vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 3. 52 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 51 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 65. 53 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 26; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 63; vgl. BVerfGE 12, 205 (260). 54 BVerfGE 94, 1 (7); 85, 1 (15); 65, 1 (41); 61, 1 (8); 54, 208 (219); vgl. SchulzeFielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 63. 55 BVerfGE 90, 241 (247 f.); 90, 1 (15); 85, 1 (15); 61, 1 (8); BVerwGE 55, 232 (241); BGHZ 139, 95 (101). 56 BVerfGE 99, 185 (197); 90, 241 (254); 90, 1 (15); 85, 1 (15); BVerfG NJW 2003, 1855 (1855); BGHZ 139, 95 (101). 57 BVerfGE 76, 171 (192); 60, 234 (241); 54, 129 (138 f.). 58 BVerfGE 93, 266 (289); Schwetzler, Persönlichkeitsschutz, S. 93. 59 BVerfGE 60, 234 (241); 54, 129 (138 f.). 60 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 4. 50
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Ortes und die Zeit der Äußerung.61 In den Schutzbereich fallen überdies auch begleitende Tätigkeiten, die den Zweck haben, die Wirkung der Äußerung zu verstärken.62 Unerheblich ist, ob mit der Meinung ein öffentlicher oder privater Zweck verfolgt wird63 oder ob die Meinungsäußerung kostenlos oder gegen Entgelt erfolgt.64 Die Wirtschaftswerbung wird geschützt, soweit sie einen meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen.65 Auch die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter Informationen fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.66 Das Recht auf Äußerung in Wort, Schrift und Bild ist nur beispielhaft zu verstehen.67 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt jede Art der Artikulation und Übermittlung von Meinungen.68 In der Ausdrucksform „Bild“ kommt das Spannungsverhältnis zum Bildnisschutz zum Ausdruck. Als Bild ist jedes aus sich heraus verständliche Zeichen im Sinne einer bildhaften Meinungsäußerung anzusehen, ob es gemalt, gezeichnet, photographiert oder auf andere Art graphisch gestaltet ist.69 Eine Meinungsäußerung kann als Satire verfremdet sein oder in ironischen Formen der Aussage erfolgen.70 Der Umstand, dass Bilder Meinungen häufig nur verkürzt darstellen, ändert nichts an ihrem verfassungsrechtlichen Schutz.71 Schließlich kann auch die Kombination von Bild und Text eine geschützte Meinungsäußerung darstellen.72
bb) Pressefreiheit Wie die Meinungsfreiheit ist auch die Institution einer freien Presse unabdingbare Grundlage für eine funktionierende Demokratie und Garant individu___________ 61
BVerfGE 93, 266 (289). BVerfGE 97, 391 (398); Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 6; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 71. 63 Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 8. 64 BVerfGE 30, 336 (352 f.). 65 BVerfGE 102, 347 (359); 95, 173 (182); 71, 162 (175); BGHZ 130, 196 (203); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 25; Scholz/Konrad, AöR 1998, 60 (84). 66 BVerfGE 66, 116 (137). 67 Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 73; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 67. 68 BVerfGE 76, 171 (192); 68, 226 (130 f.); 60, 234 (241); 54, 129 (138 f.). 69 Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 15; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 75. 70 BVerfGE 86, 1 (9); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 68. 71 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 31. 72 BVerfGE 68, 226 (230); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 31. 62
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eller Freiheit.73 Die Presse erfasst alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckwerke und Informationsträger.74 Geschützt werden nicht nur Zeitungen und Zeitschriften jeder Art, sondern z. B. auch Bücher, Plakate, Flugblätter oder Handzettel.75 Der Pressebegriff ist im Hinblick auf die „Neuen Medien“ entwicklungsoffen auszulegen; neben den „klassischen“ Presseerzeugnissen werden auch andere Vervielfältigungstechniken erfasst.76 Auf Form, Anzahl und Erscheinungsmodalitäten kommt es nicht an.77 Entscheidend ist neben der Impression des gedruckten Wortes lediglich, dass die Äußerung gegenüber der Öffentlichkeit, d. h. einer unbestimmten Anzahl von Personen, erfolgt. Ein Einzeldruck für einen genau festgelegten Adressatenkreis wird von der Pressefreiheit daher nicht geschützt.78 Der tatbestandliche Schutz hängt weder von der Eigenart und dem Niveau des Presseerzeugnisses noch von der Qualität der Berichterstattung im Einzelfall ab.79 Eine solche Einschränkung liefe auf eine Bewertung und Lenkung durch staatliche Stellen hinaus, die dem Wesen des Grundrechts widersprechen würden.80 Die Pressefreiheit besteht nicht nur für „wertvolle“ Informationen, sondern kommt auch solchen Presseprodukten zugute, die ausschließlich oder überwiegend Unterhaltungsinteressen befriedigen.81 Die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung kann nur gelingen, wenn bestimmte Themen weder vorgegeben noch entzogen sind. Meinungsbildung und Unterhaltung sind keine Gegensätze. Es wäre einseitig anzunehmen, dass Unterhaltung lediglich Wünsche nach Entspannung, nach Wirklichkeitsflucht und Ablenkung befriedige. Unterhaltung kann Gesprächsgegenstände zur Verfügung stellen, an die sich Diskussionsprozesse anschließen können, die sich auf Lebenseinstellungen und Werthaltungen beziehen. Die Meinungsbildung erstreckt sich auf alle Le-
___________ 73 BVerfGE 85, 1 (14 f.); 76, 196 (208 f.); 62, 230 (247); 52, 283 (296); 35, 202 (221 f.); 33, 1 (14 f.); 30, 336 (347); 20, 162 (174); Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 43; Streinz, AfP 1997, 857 (861 ff.). 74 BVerfGE 95, 28 (35). 75 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 25. 76 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 90; Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 68, 88. 77 BVerfGE 95, 28 (35), Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 132. 78 Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 92; ebenso Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 25. 79 BVerfGE 101, 361 (389); 50, 234 (240); 34, 269 (283); BGH NJW 1999, 2839. 80 BVerfGE 101, 361 (389). 81 BVerfGE 101, 361 (389 f.); 66, 116 (134); 50, 234 (240); 34, 269 (283); BVerfG NJW 2000, 2839; ebenso Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 26; Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 69; vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 126 ff.
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bensbereiche, die nach Maßgabe publizistischer Kriterien von öffentlichem Interesse sind.82 Die Pressefreiheit garantiert einen lückenlosen Schutz aller wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten.83 Der Schutz reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen.84 Im Zentrum der Pressefreiheit steht das Recht, Art und Ausrichtung sowie inhaltliche und formale Gestaltung eines Presseerzeugnisses frei zu bestimmen.85 Das Recht umfasst die Entscheidung über den Inhalt des Presseerzeugnisses, die Gewichtung von Nachrichten und Kommentaren ebenso wie über das Ausmaß an Unterhaltung86 und der Personalisierung von redaktionellem und Anzeigenteil87. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Aufnahme von bildhaften Darstellungen und über die Gewichtung, die Schrift und Bild einnehmen.88 Erst bei der Abwägung kommt es darauf an, ob die Öffentlichkeit ernsthaft und sachbezogen informiert oder lediglich private Angelegenheiten ausgebreitet werden.89 Das Verhältnis der Pressefreiheit zur Meinungsfreiheit ist umstritten: Teilweise wird im Schrifttum vertreten, dass Meinungen, die in Presseerzeugnissen geäußert werden, von der Pressefreiheit konsumiert würden.90 Andere vertreten, dass die Meinungsfreiheit und nicht die Pressefreiheit einschlägig ist, wenn es um die Zulässigkeit einer bestimmten Äußerung geht.91 Nach Auffassung des BVerfG ist die Pressefreiheit nur betroffen, wenn Sachverhalte die Presse in ihrer Institution tangieren. Die Pressefreiheit schütze die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozess erfüllen kann. Demgegenüber sei die Beurteilung der Zulässigkeit einer bestimmten Meinungsäußerung, ungeachtet ihres Verbreitungsmediums, allein ___________ 82
BVerfGE 101, 361 (389 f.); 97, 228 (257); 73, 118 (157 f.); 57, 295 (319); 35, 202 (222 f.); siehe auch BVerfG AfP 2001, 212 (230). 83 Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 33; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 135. 84 BVerfGE 107, 299 (329); 91, 125 (134); 77, 346 (354); 66, 116 (133); 20, 126 (176). 85 BVerfGE 101, 361 (389); 97, 125 (144); 95, 28 (36); 80, 124 (133 f.); 66, 116 (133); 52, 283 (296); 20, 162 (174 ff.). 86 BVerfGE 101, 361 (390). 87 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Rn. 64. 88 BVerfGE 101, 361 (389); ebenso Wenzel, Bildberichterstattung, Rn. 8.2. 89 BVerfGE 101, 361 (391); vgl. BVerfGE 35, 269 (283). 90 Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 89; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 154; Streinz, AfP 1997, 857 (859). 91 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 24; Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 97.
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nach Maßgabe der Meinungsfreiheit zu beurteilen.92 Für die Reichweite des Bildnisschutzes ist die Zuordnung zu der einen oder anderen Garantie angesichts der einheitlichen Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG ohne Bedeutung, so dass auf eine Stellungnahme verzichtet werden kann.93
b) Schranken der Kommunikationsfreiheiten Wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht werden auch die Kommunikationsfreiheiten nicht schrankenlos garantiert. Die praktisch wichtigste und theoretisch meistdiskutierte Schranke des Art. 5 Abs. 2 GG sind die allgemeinen Gesetze.94 Nach Auffassung des BVerfG handelt es sich dabei um Gesetze, die sich „nicht gegen die Beschaffung einer Information oder die Äußerung einer Meinung als solche richten“,95 sondern vielmehr „dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts“96 dienen, das dem Grundrechtsschutz der Medien nicht nachsteht.97 Bei meinungsbeschränkenden Gesetzen hat das BVerfG diese Voraussetzungen fast ausnahmslos als erfüllt angesehen.98 Das gilt auch für die den Bildnisschutz konkretisierenden Vorschriften des KUG, die als allgemeine Gesetze i. S. v. Art. 5 Abs. 2 GG anerkannt sind.99 Auch allgemeine Gesetze dürfen die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG jedoch nicht beliebig einschränken. Sie sind ihrerseits im Hinblick auf die Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten im freiheitlich-demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken.100 Nach der „Wechselwirkungstheorie“ bedarf es einer Abwägung zwischen den beein___________ 92
BVerfGE 97, 391 (400); 95, 28 (34); 86, 122 (128); 85, 1 (11 ff.). Vgl. BVerfG NJW 2002, 3767 (3767); siehe auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 97, wonach die tatbestandliche Abgrenzung wegen derselben Eingriffsvoraussetzungen im Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutzumfang praktisch bedeutungslos ist. 94 Siehe hierzu Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 136 ff. 95 BVerfGE 50, 234 (240 f.). 96 BVerfGE 98, 220 (235); 97, 125 (146); 62, 230 (243 f.); vgl. BVerwGE 93, 323 (325). 97 BVerfGE 91, 125 (135). 98 Ausführliche Nachweise bei Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 74; Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 276. 99 BVerfGE 66, 116 (138); 35, 202 (224); BVerfG NJW 2000, 1023; BGHZ 131, 332; vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 145; Wendt, in: v. Münch/Kunig, Art. 5 Rn. 74. 100 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 198 (209); 66, 116 (150); 71, 206 (214); 94, 1 (8); Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 57. 93
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trächtigten Kommunikationsfreiheiten und den Interessen, die mit den allgemeinen Gesetzen verfolgt werden.101 Bei der Abwägung ist die überragende Bedeutung der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG zu berücksichtigen.102 Mit der Wechselwirkungstheorie behält sich das BVerfG eine Korrektur des Gesetzgebers sowie der Fachgerichte vor.103 Da das KUG vor Inkrafttreten des Grundgesetzes verabschiedet wurde, wird diesbezüglich vor allem die verfassungskonforme Auslegung seiner Vorschriften sichergestellt.104 Weitere Schranken der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Kommunikationsfreiheiten ergeben sich aus kollidierendem Verfassungsrecht, also aus den Grundrechten Dritter und sonstigen mit Verfassungsrang ausgestatteten Werten.105 Entgegen mancher Bedenken im Schrifttum106 sind immanente Schranken auch dann anzuerkennen, wenn sie bereits teilweise gesetzlich konkretisiert wurden.107 Im Falle des über den Anwendungsbereich der §§ 22 ff. KUG hinausgehenden Bildnisschutzes können die Kommunikationsfreiheiten daher auch durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht begrenzt werden.108
3. Auflösung der Kollision durch Herstellung praktischer Konkordanz In der deutschen Grundrechtsjudikatur wird die Kollision zweier Grundrechtspositionen anhand einer Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls aufgelöst.109 Dabei müssen die kollidierenden Grundrechte „nach Möglichkeit zum Ausgleich gebracht werden“. Lässt sich dies nicht erreichen, so ist „unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat“.110
___________ 101 BVerfGE 86, 122 (129 f.); 85, 1 (16); 35, 202 (224 f.); zur Wechselwirkungstheorie siehe Schulze-Fielitz, in: Dreier, Art. 5 I, II Rn. 159. 102 BVerfGE 71, 206 (219 f.); 35, 202 (221 f.); 7, 198 (208). 103 Vgl. BVerfGE 101, 361 (388); 35, 202 (224). 104 Sedelmeier, AfP 1999, 450 (453); Bartnik, Bildnisschutz, S. 110. 105 BVerfGE 84, 212 (228); 83, 130 (139 f.); 67, 213 (228); 66, 116 (136);28, 243 (261). 106 Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 176 f. 107 Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 65, Vorb. vor Art. 1 Rn. 47. 108 Vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 108 ff.; vgl. Rixecker, in: Säcker, MüKo, § 12 Anh. Rn. 30. 109 BVerfGE 84, 192 (195); 67, 213 (228); 30, 173 (195); vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, Vorb. vor Art. 1 Rn. 49; v. Münch, in: ders./Kunig, Vorb. Art. 1-19 Rn. 47. 110 BVerfGE 59, 231 (261 ff.); 35, 202 (225).
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Notwendig ist ein möglichst schonender Ausgleich der gegenläufigen Interessen mit dem Ziel, ihre Wirkungskraft zu optimieren. Der Ausgleich folgt dem Grundsatz praktischer Konkordanz.111 Sind die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG betroffen, begründet das BVerfG die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung auch mit der Wechselwirkungstheorie, wonach die Beschränkung der Kommunikationsfreiheiten nicht außer Verhältnis zum Schutz der kollidierenden Grundrechte stehen darf.112 Soweit sich der Bildnisschutz allein auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht stützt, wird die Abwägung abstrakt vorgenommen.113 Innerhalb des KUG erfolgt sie anhand der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale, insbesondere anhand der Begriffe „Zeitgeschichte“ in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG und „berechtigtes Interesse“ in § 23 Abs. 2 KUG.114 Bei der Abwägung gilt, dass weder das Recht am eigenen Bild noch die Kommunikationsfreiheiten einen grundsätzlichen Vorrang beanspruchen können. Beide Grundrechte sind für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierend.115 Für bestimmte Konstellationen hat der Gesetzgeber in den §§ 22, 23 KUG aber Wertentscheidungen getroffen, die im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden müssen.116 Allerdings dürfen auch diese nicht formelhaft und generalisierend angewendet werden. Es handelt sich vielmehr um Leitlinien, die der inhärent flexiblen menschlichen Persönlichkeit gerecht werden sollen.117
II. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes 1. Eingriff in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild a) Begriff des Bildnisses Nach der amtlichen Begründung zum KUG ist unter einem Bildnis „die Darstellung der Person in ihrer wirklichen, dem Leben entsprechenden Erschei___________ 111 Vgl. BVerfGE 93, 1 (21); 77, 308 (332 ff.); BVerwG AfP 2002, 257 (262 f.); zum Begriff „praktischer Konkordanz“ siehe Streinz, AfP 1997, 857 (866); vgl. v. Münch, in: ders./Kunig, Vorb. Art. 1-19 Rn. 47. 112 BVerfGE 86, 122 (129 f.); 85, 1 (16); 35, 202 (224 f.). 113 Vgl. BGHZ 24, 200 (208 f.); Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 71 ff. 114 BVerfG NJW 2001, 1921 (1923); BVerfGE 101, 361 (391 ff.); vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.1 ff. 115 Vgl. BVerfGE 35, 202 (225); Rixecker, in: Säcker, MüKo, § 12 Anh. Rn. 124. 116 Vgl. Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 120; Scholz/Konrad, AöR 1998, 60 (100 f.); Rehm, AfP 1999, 416 (418). 117 BVerfG NJW 2001, (1921) 1923 f.; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 120.
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nung“ zu verstehen.118 Geschützt wird eine Person, die als solche erkennbar wiedergegeben wird. Eine Person kann sich auf den Bildnisschutz berufen, unabhängig davon, ob sie im Zeitpunkt der Abbildung private oder öffentliche Aufgaben ausgeübt hat. Beamte oder sonstige Amtsträger sind geschützt, wenn sie bei Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen wiedergegeben sind.119 Gleiches gilt für Schauspieler, auch wenn sie bei der Ausübung einer bestimmten Rolle abgebildet werden.120 Der Bildnisbegriff setzt die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus.121 In der Regel folgt die Erkennbarkeit aus der Wiedergabe der Gesichtszüge; das ist jedoch keine notwendige Voraussetzung. Die abgebildete Person kann auch durch andere Merkmale, die gerade ihr eigen sind, erkennbar sein. Das Recht am eigenen Bild ist betroffen, wenn z. B. ein in Aktion befindlicher Torwart von hinten unschwer zu erkennen ist.122 Ein Augenbalken oder ein digitaler Filter verhindert die Erkennbarkeit nicht notwendigerweise.123 Auch begleitende Umstände, wie z. B. die begleitende Umgebung124 oder die Namensnennung im Begleittext oder in der Bildunterschrift125 können die Erkennbarkeit einer Person zur Folge haben.126 Die Größe der Abbildung ist grundsätzlich unerheblich; auch bei einem kleinen Bild kann die Voraussetzung der Erkennbarkeit erfüllt sein.127 Die Erkennbarkeit für einen flüchtigen Betrachter ist nicht erforderlich; ausreichend ist, dass der begründete Anlass besteht, im Bekanntenkreis erkannt zu werden.128 Die Erkennbarkeit für Dritte entscheidet darüber, als wessen Bildnis eine Personendarstellung anzusehen ist.129 Die Abbildung eines Schauspielers in einer Rolle ist als das Bildnis des Schauspielers anzusehen, sofern er als Person ___________ 118
Amtliche Begründung zum KUG, S. 31; vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.8. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.8. 120 BGH NJW 2000, 2201. 121 BGHZ 26, 349; zur „Erkennbarkeit“ siehe Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.13 ff. 122 BGH NJW 1979, 2205; vgl. LG Berlin AfP 1997, 732; OLG Hamburg AfP 1987, 703. 123 OLG Hamburg AfP 1993, 590; OLG München AfP 1983, 276; OLG Karlsruhe NJW 1980, 1701. 124 OLG Nürnberg GRUR 1973, 40 (41); OLG Düsseldorf GRUR 1970, 618 (Erkennbarkeit des Reiters durch sein Pferd). 125 BGH MDR 1962, 194; NJW 1965, 2148 (2148 f.). 126 Vgl. OLG Hamburg NJW-RR 1993, 923; LG Bremen GRUR 1994, 897; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.14. 127 BGH NJW 1971, 698 (699 f.); OLG Nürnberg GRUR 1973, 40; LG Bremen GRUR 1994, 897. 128 BGH NJW 1971, 698 (700); NJW 1979, 2205 (2205). 129 Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.17. 119
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erkennbar ist. Das Bildnis von Marlene Dietrich war z. B. betroffen, als auf einem Werbephoto ihr äußeres Erscheinungsbild in der von ihr gespielten Rolle im Film „Der blaue Engel“ nachgeahmt wurde. Unerheblich war, dass sich die Gesichtszüge des Imitators deutlich von denen der Schauspielerin unterschieden.130 Ausreichend ist, dass ein nicht unbeachtlicher Teil des Adressatenkreises glauben konnte, es handele sich tatsächlich um die prominente Person.131 Der Bildnisschutz erfasst sämtliche Abbildungsformen. Neben Photos und Filmaufnahmen unterliegt dem Bildnisschutz die Darstellung von Personen durch Zeichentrick-Figuren,132 Zeichnungen133 oder Schattenrisse134. Nach überwiegender Auffassung kann auch eine Karikatur als Bildnis des Betroffenen gelten.135 Entscheidend ist allein, dass die äußere Erscheinung einer Person in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergegeben wird.
b) Beeinträchtigende Handlungen Die für den Bildnisschutz relevanten Vorschriften des KUG erfassen als beeinträchtigende Handlungen das Verbreiten und öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen. Die Anfertigung von Bildnissen lässt das KUG ungeregelt. Positiv-rechtliche Bestimmungen zur Anfertigung von Bildnissen finden sich aber in anderen Gesetzen, wie z. B. in §§ 81b, 100c Abs. 1 Nr. 1 StPO, § 169 GVG und § 12a VersG. Bei Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs wird die Anfertigung von Bildnissen auch gemäß § 201a StGB unter Strafe gestellt. Teilweise wird vertreten, dass die eigenmächtige Anfertigung von Bildnissen von § 22 KUG erfasst werde, wenn dadurch die Veröffentlichung des Bildnisses vorbereitet wird.136 Nach überwiegender Auffassung ist die Anfertigung von Bildnissen hingegen nicht gemäß § 22 KUG tatbestandlich, sondern richtet
___________ 130
BGH NJW 2000, 2201. Vgl. LG Düsseldorf AfP 2002, 64; OLG Karlsruhe AfP 1996, 282. 132 LG München ZUM-RD 1998, 18. 133 BGH NJW 2000, 2195. 134 LG Berlin NJW-RR 2000, 555. 135 LG Baden-Baden ArchPR 1971, 138; OLG Oldenburg NJW 1963, 920 (922); ebenso Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 2; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.20; Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 121; Engels/Schulz, AfP 1998, 574 (575); anders: Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 92 f.; Rixecker, in: Säcker, MüKo, § 12 Anh. Rn. 30, 33. Zum Persönlichkeitsschutz gegen herabsetzende Karikaturen siehe Simon, Persönlichkeitsschutz, S. 26 ff. 136 OLG Oldenburg NJW 1963, 920; vgl. Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 69 ff. 131
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sich nach den Grundsätzen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.137 Die Anfertigung von Photos oder die Videoüberwachung kann danach bei fehlender Einwilligung des Betroffenen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen.138 Ob und in welchem Umfang das bloße Herstellen von Bildnissen unzulässig ist, muss nach ständiger Rechtsprechung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und Vornahme einer umfassenden Interessenabwägung ermittelt werden, die vor allem die verfassungsrechtlichen Positionen der Beteiligten berücksichtigt.139 Die Rechtsprechung hat sich im Wesentlichen dahingehend entwickelt, dass die Anfertigung von Abbildungen einer Person nur in dem Umfang zulässig ist, in dem auch die Veröffentlichung der hergestellten Abbildungen zulässig wäre.140 Die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung ist gemäß § 22 KUG ohne Einwilligung unzulässig. Beide Eingriffshandlungen haben die Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes einer Person zum Gegenstand. Der Begriff der Verbreitung wird nach überwiegender Auffassung unter Rückgriff auf § 17 Abs. 1 des Urhebergesetzes (UrhG)141 bestimmt.142 Bildnisse werden danach verbreitet, wenn das Original oder Vervielfältigungsstücke der Öffentlichkeit angeboten oder in den Verkehr gebracht werden. Unter der Verbreitung wird somit nur die körperliche, nicht aber die unkörperliche Wiedergabe eines Bildnisses verstanden. Überwiegend wird vertreten, dass eine Weggabe des Bildnisses im privaten Bereich ausreicht, da sich nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22 KUG der Begriff „öffentlich“ lediglich auf die Zurschaustellung bezieht.143 Der Zweck der Verbreitung sowie deren Entgeltlich- oder Unentgeltlichkeit sind unerheblich.144 ___________ 137 BGH ZUM 1995, 720; NJW 1977, 2076; NJW 1966, 2354; OLG Hamburg NJW 1972, 1290; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.22; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 782, 809; Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 3; Schertz, in: Loewenheim, Hdb. Urheberrecht, § 18 Rn. 7; Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 119. 138 BGH NJW 1966, 2353; NJW 1957, 1315; VGH Mannheim AfP 1996, 193; OLG Frankfurt, NJW 1995, 878; zur Videoüberwachung: BGH NJW 1995, 1955; OLG Karlsruhe OLGR 1999, 83; OLG Schleswig OLGR 1999, 200; LG Berlin NJW 1988, 346. 139 BGH AfP 1995, 597 (598); OLG Karlsruhe NJW 2002, 2799; BayOblG NJW 2002 2983; OLG Hamm JZ 1988, 308. 140 Vgl. Soehring, Presserecht, Rn. 9.3 ff.; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.22 ff. 141 Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 09.09.1965, BGBl. I S. 1273. 142 Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.43; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 123 f. 143 Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 36; Schertz, in: Loewenheim, Hdb. Urheberrecht, § 18 Rn. 7; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 125; anders: Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.43. 144 Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 36.
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Unter der Zurschaustellung ist in Anlehnung an § 18 UrhG jede unkörperliche Darbietung des Bildnisses zu verstehen. Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, das Bildnis wahrzunehmen, was z. B. durch einen Aushang im Schaukasten, durch die Übertragung im Fernsehen oder durch das Einstellen ins Internet erfolgen kann.145 Ein gewerbliches Zurschaustellen ist nicht erforderlich.146 Nach dem Wortlaut von § 22 KUG muss die Zurschaustellung öffentlich erfolgen. Für den Begriff der Öffentlichkeit ist § 15 Abs. 3 UrhG maßgebend.147 Danach ist die Zurschaustellung öffentlich, wenn das Bildnis einem ausgedehnten, weder individuell noch der Anzahl nach beschränkten Personenkreis zugänglich gemacht wird.148 Bei einer persönlichen Verbundenheit der Teilnehmer einer Veranstaltung zum Veranstalter kann es an der Öffentlichkeit fehlen.149 Unerheblich ist, ob die Zurschaustellung in einem öffentlichen oder privaten Raum stattfindet.150
2. Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit Nach den Vorschriften des KUG gilt das Prinzip der Einwilligungsbedürftigkeit: Die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen ist außer in den Fällen des § 23 Abs. 1 KUG nur zulässig, sofern von der betroffenen Person in die Bildaufnahme eingewilligt wurde. Dasselbe gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für die Anfertigung von Bildnissen auf Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.151 Über die Wirkung der Einwilligung besteht keine Einigkeit. Während die Einwilligung vereinzelt als einseitiger Gestattungsvertrag interpretiert wird,152 betrachten andere sie als Rechtfertigungsgrund153. Im Schrifttum wird die Einwilligung teilweise auch als negatives Tatbestandsmerkmal des § 22 KUG verstanden.154
___________ 145
VG Köln AfP 1988, 182 (184); vgl. Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 37. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.44. 147 LG Oldenburg GRUR 1988, 694; vgl. VG Köln NJW 1988, 367; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 123 f. 148 LG Oldenburg AfP 1991, 652; Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 3. 149 LG Oldenburg GRUR 1988, 694 (695); Kroitsch, in: Möhring/Nicolini, § 15 Rn. 27; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 123 f. 150 Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 123 mit Verweis auf RGSt 45, 240 (242). 151 BGH AfP 1995, 597 (598 f.); OLG Frankfurt NJW 1995, 878 (879 f.); OLG Hamburg AfP 1991, 437 (437 f.); LG Oldenburg AfP 1991, 652 652 f.); Soehring, Presserecht, Rn. 9.4; Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 5. 152 Ähnlich wohl Ehmann, in: Erman, Anh. § 12 Rn. 252 f. 146
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Auch die Rechtsnatur der Einwilligung ist umstritten: Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei der Einwilligung um einen Realakt, auf den die für die Willenserklärung geltenden allgemeinen Grundsätze vorsichtig angewendet werden können.155 Andere sehen in der Einwilligung eine geschäftsähnliche Handlung156 oder eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung157. Allen Auffassungen ist gemeinsam, dass die Regeln über Rechtsgeschäfte gemäß §§ 116 ff. und §§ 130 ff. BGB dem Grundsatz nach angewendet werden können. Die Einwilligung kann grundsätzlich ausdrücklich oder konkludent erklärt werden.158 Eine ausdrückliche Einwilligung wird lediglich für die Verwendung eines Bildnisses zu Werbezwecken verlangt.159 Die Frage, ob eine konkludente Einwilligung in die Anfertigung von Bildnissen vorliegt, ist aus Sicht des Erklärungsempfängers zu beurteilen (vgl. §§ 133, 157 BGB).160 Allein aus dem Umstand, dass eine Taufe in einem öffentlichen Gottesdienst stattfindet, an dem Kirchenbesucher teilnehmen können, lässt nicht darauf schließen, dass die Einwilligung der abgebildeten Person in die Anfertigung von Photoaufnahmen konkludent erteilt worden ist.161 Wer dagegen an einer Veranstaltung teilnimmt, bei der mit der Berichterstattung durch die Medien gerechnet werden muss, willigt konkludent in die Anfertigung und Veröffentlichung der Abbildung ein, wenn er für die Photoaufnahme posiert oder auch nur bewusst in die Kamera lächelt.162 Die Tatsache, dass die abgebildete Person erkennt, dass sie photogra-
___________ 153 OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742 (744); OLG Frankfurt AfP 1976, 181; OLG Köln AfP 1970, 133; wohl auch Dasch, Einwilligung, S. 35 f. 154 Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.60; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 832; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 102 ff.; Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 39; Götting, Persönlichkeitsrechte, S. 146. 155 BGHZ 38, 49 (54); BGH NJW 1974, 1947 (1948 ff.); NJW 1980, 1903 (1904) (Einwilligung zur ärztlichen Behandlung); siehe hierzu Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 124; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.59. 156 Heinrichs, in: Palandt, Überbl. v. § 104 Rn. 8. 157 OLG München AfP 2001, 136; AfP 1983, 276; NJW-RR 1990, 999; OLG Stuttgart AfP 1983, 397; OLG Hamburg AfP 1981, 357; ebenso Helle, Persönlichkeitsrecht, S. 101 f.; Soehring, Presserecht, Rn. 19.44; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (958); Dasch, Einwilligung, S. 57. 158 BGH NJW 1996, 593; GRUR 1987, 128; GRUR 1968, 654; BGHZ 20, 346 (348); OLG München AfP 2001, 136; ZUM 1995, 618; Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 6; Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 43; Hager, in: Staudinger, § 823 Rn. C 179. 159 BGH AfP 1995, 495 (495); vgl. BGH NJW 1992, 2084 (2084); ebenso Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 834. 160 Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.63; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (958). 161 OLG München NJW-RR 1996, 93.
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phiert wird, dagegen aber nicht einschreitet, reicht für eine konkludente Einwilligung in die Veröffentlichung der Photos hingegen nicht aus.163 Gemäß § 22 S. 2 KUG gilt eine Einwilligung im Zweifel als erteilt, wenn die betroffene Person für die Abbildung eine Entlohnung erhielt. Minderjährige bedürfen zur Einwilligung gemäß § 107 BGB der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters.164 Angesichts des persönlichkeitsbezogenen Charakters ist dem einsichtsfähigen, beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen aber ein Mitspracherecht einzuräumen. Im Ergebnis läuft das auf eine „Doppelzuständigkeit“ hinaus: Der Minderjährige kann die Einwilligung nicht gegen den Willen seines gesetzlichen Vertreters, dieser wiederum nicht gegen den Willen des einsichtsfähigen Minderjährigen erklären.165 Nach dem Tod der abgebildeten Person, die zu Lebzeiten keine Einwilligung erteilt hat, sind gemäß § 22 S. 3 KUG seine Angehörigen dazu berufen. Bei einer Konkurrenz zwischen Stellvertreter und Angehörigem ist der erkennbare Wille des Verstorbenen durchzusetzen.166 Die Reichweite der Einwilligung hängt gemäß § 133 BGB vom wirklichen Willen des Abgebildeten ab, der anhand der Erklärung und Umstände des Einzelfalls zu ermitteln ist.167 Eine räumliche, zeitliche und inhaltliche Beschränkung der Einwilligung ist die Regel. Eine solche Beschränkung kann auch ohne eine ausdrückliche Erklärung angenommen werden.168 Wird eine Abbildung später erneut verwendet, kommt es darauf an, welcher Art die Veröffentlichung war, die den unmittelbaren Anstoß für die Einwilligung gegeben hat.169 Die Einwilligung zur redaktionellen Veröffentlichung ermächtigt in der Regel nicht zur Verwendung des Bildnisses zu Werbezwecken.170 Auch wenn in der Dul___________ 162
BVerfG NJW 2002, 3767. OLG Hamburg AfP 1991, 626. 164 BGH NJW 1974, 1947; OLG München AfP 1983, 276; LG Berlin GRUR 1974, 415; vgl. Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 42. 165 Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 835; Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 42; Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 6; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.69. 166 OLG München NJW 2002, 205. 167 BGH NJW 1979, 2203; OLG Hamburg, AfP 1995, 508; AfP 1981, 356; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.77; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (958 f.). 168 Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.80. 169 BGH NJW 1979, 2203; vgl. BGH NJW 1996, 593; siehe auch Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 6. 170 BVerfG NJW 2000, 1026; BGH NJW 1956, 1554; OLG Koblenz NJW-RR 1995, 1112; OLG Frankfurt NJW-RR 1986, 1118; OLG Hamburg AfP 1981, 357; LG Hamburg AfP 1995, 527; siehe Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.77 ff. für zahlreiche Beispiele; ebenso Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 7. 163
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dung von Photoaufnahmen bei einem Staatsempfang eine konkludente Einwilligung in die Veröffentlichung der Aufnahmen liegen kann, deckt diese nicht die verunglimpfende Veröffentlichung, in welcher der Abgebildete als „doofer Bayer“ hingestellt wird.171 Die Reichweite der Einwilligung ist eng auszulegen.172 Zur Feststellung des Umfangs der Einwilligung kann auf die urheberrechtliche Zweckübertragungsregel zurückgegriffen werden,173 wonach nur die Rechte konkludent eingeräumt sind, die es ermöglichen, den Vertragszweck zu verwirklichen (vgl. § 31 Abs. 5 UrhG).174 Die Einräumung darüber hinausgehender Rechte kann nur angenommen werden, wenn ein entsprechender Parteiwille unzweifelhaft zum Ausdruck kommt.175
3. Schranken des Rechts am eigenen Bild Das Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit wird unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG durchbrochen. Die Ausnahmeregelung ist normativer Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen dem Recht am eigenen Bild und der in Art. 5 Abs. 1 GG garantierten Meinungs- und Pressefreiheit. Wenn die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KUG vorliegen, überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung eines Bildnisses das Selbstbestimmungsrecht des Abgebildeten. Kann die abgebildete Person berechtigte Interessen i. S. v. § 23 Abs. 2 KUG geltend machen, wird die Kollision durch eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen gelöst. Nach Auffassung des BVerfG trägt dieses abgestufte Schutzkonzept „sowohl dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person als auch den Informationswünschen der Öffentlichkeit und den Interessen der Medien, die diese Wünsche befriedigen, ausreichend Rechnung“.176
___________ 171
OLG München NJW-RR 1998, 1036. OLG Hamburg NJW 1996, 1151; Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 127. 173 OLG Köln ZUM-RD 1999, 444 (445); vgl. OLG München AfP 2001, 136; AfP 1995, 508 (510); Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.81; Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 44; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 837; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (959). 174 Zu den Einzelheiten, Schricker, in: ders., § 31 Rn. 31 ff. 175 Vgl. BGH NJW 1998, 3716. 176 BVerfGE 101, 361 (387); vgl. BVerfGE 35, 202 (224 f.). 172
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a) Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG wird bei Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte auf das Einwilligungserfordernis verzichtet. Nach den Gesetzesmaterialien ist der Bereich der Zeitgeschichte im weitesten Sinne zu verstehen: Er umfasst nicht nur das politische Leben, sondern schließt auch das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Allgemeinheit ein.177 Zur Zeitgeschichte gehören alle Erscheinungen im Leben der Gegenwart, „die von der Öffentlichkeit beachtet werden, bei ihr Aufmerksamkeit finden und Gegenstand der Teilnahme oder Wissbegier weiter Kreise sind“.
Der Begriff der Zeitgeschichte wird funktional nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Öffentlichkeit bestimmt.178 Dabei müssen Vorgänge der Zeitgeschichte nicht notwendig von überregionaler Bedeutung sein, eine lokale Relevanz reicht aus.179 Neben Ereignissen der internationalen, nationalen oder kommunalen Politik werden auch solche des gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens erfasst.
aa) Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen Ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte liegt nach überwiegender Auffassung vor, wenn eine Person der Zeitgeschichte Objekt der Abbildung ist.180Nach vereinzelt vertretener Auffassung sind Personen der Zeitgeschichte nur solche, die bewusst in das öffentliche Leben treten und durch ein eigenverantwortliches Handeln die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen.181 Demgegenüber rechnet die herrschende Meinung auch Personen, die ___________ 177 Stenographische Berichte der Reichstagsverhandlungen, 11. Legislaturperiode, II. Session, 2. Anlageband, S. 1540. 178 BVerfGE 101, 361 (391); LG Hamburg AfP 1999, 523 (523 f.); LG Köln AfP 1994, 166 (167); BGH NJW 1965, 2148; BGHZ 20, 345, 350; ebenso Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.5 ff.; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 132; Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 25 f. 179 RGZ 125, 80 (81 f.); Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 10; Engels/ Schulz, AfP 1998, 574 (576). 180 Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 13; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.8. Zu den vereinzelt vertretenen Auffassungen, die nicht an die Person sondern an das Ereignis anknüpfen bzw. auf den Inhalt oder den Charakter der Illustration selbst als zeitgeschichtliche Dokumentation abstellen, siehe Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 28 ff. 181 Sog. Veranlassertheorie, vgl. Schöffengericht Ahrensböck JZ 1920, 196; Allfeld, DJZ 1926, 1467 (1467 ff.); Kohl, in: FS Löffler, S. 127 (133). In jüngerer Zeit Prinz, NJW 1995, 817 (820 f.).
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ungewollt in das Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten sind, zu den Personen der Zeitgeschichte.182 Der besonderen Schutzbedürftigkeit dieser Personen gegenüber Bildberichten wird erst bei der Abwägung gemäß § 23 Abs. 2 KUG Rechnung getragen. Heute wird überwiegend der von Neumann-Duesberg entwickelten Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte gefolgt.183 Das Informationsinteresse an einer Person kann von Dauer sein oder nur im Hinblick auf ein einzelnes Ereignis bestehen. Es gibt somit Personen, die dem Bereich der Zeitgeschichte absolut und solche, die ihm lediglich relativ in Bezug auf ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis angehören. Dieses Verständnis hat das BVerfG bestätigt: Es hat zwar darauf hingewiesen, dass sich die Kategorisierung in absolute und relative Personen der Zeitgeschichte weder zwingend aus § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG noch aus der Verfassung ergebe. Zugleich hat es deren Verwendung als abkürzende Ausdrucksweise aber als „verfassungsrechtlich im Grundsatz unbedenklich“ gebilligt, sofern die Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen der abgebildeten Person bei der Rechtsanwendung nicht unterbleibt.184
(1) Absolute Personen der Zeitgeschichte Absolute Personen der Zeitgeschichte sind nach Neumann-Duesberg solche, „bei denen an allem, was nicht zu ihrem Privat- und Familienleben gehört, sondern ihre Teilnahme am öffentlichen Leben ausmacht, ein Informationsinteresse besteht“.185
Das öffentliche Interesse wird nicht punktuell durch ein zeitgeschichtliches Ereignis geweckt. Absolute Personen der Zeitgeschichte stehen vielmehr aufgrund ihrer besonderen Stellung, ihrer Herkunft, ihrer Taten und Leistungen ___________ 182
BVerfGE 101, 361 (383); ständige Rechtsprechung seit BGH NJW 1965, 2149. BVerfGE 101, 316 (392); BVerfG AfP 2001, 212 (214); BGH NJW 2002, 2317; ZUM 2000, 589 (591); BGHZ 131, 332 (336); OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 1; OLG Hamburg AfP 1991, 437 (438); LG Hamburg ZUM 1998, 579 (581); ebenso Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 43, Rn. 13 ff.; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.8 ff.; Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 19 ff.; Rixecker, in: Säcker, MüKo, § 12 Anh. Rn. 46 f.; Hager, in: Staudinger, § 823 Rn. C 199 ff.; v. Hartlieb/Schwarz, Hdb. Film-, Fernseh- und Videorecht, Teil 24 Rn. 8 f.; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 145 ff.; Götting, Persönlichkeitsrechte, S. 32 ff.; grundlegend Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 ff. 184 BVerfGE 101, 361 (392); BVerfG NJW 2001, 1921 (1922); vgl. Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 20. 185 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 (115). 183
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oder der Bekleidung von außergewöhnlichen Ämtern im Blickfeld der Öffentlichkeit.186 Nach ständiger Rechtsprechung haben absolute Personen der Zeitgeschichte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in einer Art erregt und auf sich gezogen, dass ihr Bildnis um der dargestellten Person willen beachtet wird.187 Dabei kann die Kategorisierung einer Person als solche der Zeitgeschichte auch durch negative Verhaltensweisen begründet werden.188 Eine absolute Person der Zeitgeschichte verliert ihren Status, wenn „ihre Zeit“ vorbei ist und ihr kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit mehr zukommt.189 Absolute Personen der Zeitgeschichte sind neben Persönlichkeiten des politischen Lebens190 auch z. B. berühmte Wissenschaftler191, Topmanager192 ebenso wie herausragende Sportler193, Schauspieler194 und prominente Künstler195. Auch Mitglieder regierender Fürstenhäuser können als absolute Personen der Zeitgeschichte zu qualifizieren sein.196 Die Zugehörigkeit zu einem Adelsgeschlecht macht den Träger eines entsprechenden Namens für sich betrachtet jedoch nicht zur Person der Zeitgeschichte. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich der Angehörige des Adelsgeschlechts gegenüber der Öffentlichkeit derart profiliert hat, dass ein umfassendes öffentliches Interesse ihre absolute Zeitgeschichtlichkeit begründen kann.197 Prinz Ernst August von Hannover wurde ___________ 186 BVerfGE 101, 316 (392); BVerfG AfP 2001, 212 (214); BGH NJW 1996, 985 (986); GRUR 1979, 425 (426); ebenso Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.4; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 145 ff.; Riede, Person der Zeitgeschichte, S. 73 ff. 187 BGHZ 131, 332; BGH NJW 1996, 985 (986); NJW 1956, 1554. 188 OLG Braunschweig ZUM-RD 2001, 382; vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.9. 189 Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.12; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 848; Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 131. 190 BVerfG NJW 1992, 3288 (Mitglieder der DDR-Politbüros, z. B. Honecker, Mielke); BGH NJW 1996, 593 (Bundeskanzler Willi Brandt); OVG Berlin NJW 1998, 257 (Ministerpräsident Manfred Stolpe); LG Berlin NJW 1996, 1142 (SchalckGolodkowski). 191 RGZ 74, 308 (312) (Graf Zeppelin). 192 BGH NJW 1994, 124 (Vorstandsvorsitzender der Hoechst AG). 193 BGH NJW 1979, 2203 (Franz Beckenbauer); OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 1 (Jan Ulrich); OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (Katharina Witt); OLG Hamburg AfP 1991, 626 (Boris Becker). 194 BGH NJW 2000, 2195 (Marlene Dietrich); NJW 1992, 2084 (Joachim Fuchsberger); OLG Düsseldorf ZUM 2001, 706 (707) (Harald Juhnke); OLG Hamburg AfP 1992, 159 (Beatrice Richter); OLG Hamburg UFITA 1978, 278 (Romy Schneider). 195 BGH NJW 1997, 1152 (Bob Dylan); NJW-RR 1987, 231 (Nena); OLG München NJW-RR 1996, 93 (Anne-Sophie Mutter); OLG Hamburg AfP 1991, 437 (438) (Roy Black). 196 BVerfGE 101, 361 (392 ff.) (Caroline von Monaco); OLG Hamburg UFITA 1977, 252 (Grace Kelly); vgl. LG Hamburg ZUM 1998, 579 (581); OLG Bremen MDR 1992, 1033. 197 Vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.11; Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 42 f.
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beispielsweise trotz seiner Position als Repräsentant des Hauses von Hannover und Urenkel des letzten deutschen Kaisers vom BVerfG nicht als absolute Person der Zeitgeschichte qualifiziert.198 Bildnisse von absoluten Personen der Zeitgeschichte können unter der Voraussetzung, dass keine Interessen gemäß § 23 Abs. 2 KUG entgegenstehen, grundsätzlich ohne Einwilligung angefertigt und veröffentlicht werden. Das gilt auch dann, wenn die betreffende Person nicht in Ausübung der Funktion gezeigt wird, aus der sie ihre Zeitgeschichtlichkeit ableitet.199 Nach Auffassung des BVerfG habe die Öffentlichkeit „ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, ob solche Personen, die oft als Idol oder Vorbild gelten, funktionales und persönliches Verhalten überzeugend in Übereinstimmung bringen“.200
Durch eine Begrenzung der Abbildungsbefugnis auf die Funktionswahrnehmung werde dem öffentlichen Informationsinteresse nicht hinreichend Rechnung getragen. Ein schrankenloser Zugriff auf Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte wird der Presse dadurch nicht eröffnet. Vielmehr gibt § 23 Abs. 2 KUG hinreichend Gelegenheit, die Schutzanforderungen von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zur Geltung zu bringen.201
(2) Relative Personen der Zeitgeschichte Relative Personen der Zeitgeschichte sind nach Neumann-Duesberg solche, „die lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Geschehen – also nicht bezüglich sämtlicher sie (außerhalb des Privatlebens) angehender Angelegenheiten – ein sachentsprechendes Informationsinteresse erregen“.202
Der entscheidende Unterschied zur absoluten Person der Zeitgeschichte besteht somit darin, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht in der Person, sondern vorrangig in dem zeitgeschichtlichen Geschehen begründet ist.203 Bei relativen Personen der Zeitgeschichte beschränkt sich die Abbildungsfreiheit nach überwiegender Auffassung daher auf die Abbildung der ___________ 198 BVerfGE AfP 2001, 212 (214 ff.); AfP 2000, 350 (351); AfP 2000, 352; OLG Hamburg AfP 1992, 376 (377). 199 BVerfGE 101, 361 (391, 393); BGH GRUR 1979, 425 (427). 200 BVerfGE 101, 361 (393). 201 BVerfGE 101, 361 (391 ff.); vgl. BVerfGE 35, 202 (225). 202 Neumann-Duesberg, JZ 1960, 114 (115). 203 BVerfG AfP 2001, 212 (214); BGH NJW 2006, 599 (560 f.); NJW 1966, 2353 (2355); OLG Frankfurt NJW 1995, 878; OLG Köln AfP 1972, 277; AfP 1973, 479; vgl. Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 45.
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Person im Zusammenhang mit dem zeitgeschichtlichen Geschehen („Ereignisbezug“).204 Dabei ist es ausreichend, wenn die Verbindung zwischen einem kontextneutralen Bildnis und dem zeitgeschichtlichen Geschehen durch den Begleittext hergestellt wird.205 Die Abbildungsfreiheit ist weiterhin auf die Zeit befristet, in der das Geschehen einen „Aktualitätsbezug“ aufzeigt. Ist das Geschehen durch Zeitablauf nicht mehr aktuell, hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit Vorrang.206 Behördliche und gerichtliche Verfahren können wegen ihres Streitgegenstandes oder den Verfahrensbeteiligten eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse sein und damit die maßgeblichen Beteiligten zu relativen Personen der Zeitgeschichte machen. Tatverdächtige oder Straftäter sind relative Personen der Zeitgeschichte, wenn ihre Tat in erheblichem Maße aus dem Rahmen des Alltäglichen herausfällt und daher als zeitgeschichtlich zu qualifizieren ist.207 Auch Zeugen208, Rechtsanwälte209 oder Richter210 können im thematischen und zeitlichen Zusammenhang zu einem Aufsehen erregenden Prozess das Interesse der Öffentlichkeit wecken. Lebenspartner oder Begleiter einer absoluten Person der Zeitgeschichte können durch ihre enge persönliche Bindung derivativ zu einer relativen Person der Zeitgeschichte werden.211 Nach ständiger Rechtsprechung setzt das voraus, dass sie mit ihr zusammen in der Öffentlichkeit auftreten oder an ihrer statt öffentliche Repräsentationsaufgaben wahrneh___________ 204 BGH NJW 1965, 2148 (2149); AfP 1975, 756; OLG Hamburg NJW 1996, 1151; LG Berlin ZUM-RD 1999, 457; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 146; Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 132; Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 32; Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (961); ähnlich Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 849 ff.; anders Rehbock/Schmidt, in: FS Schweizer, S. 123 (132), wonach sämtliche Beschränkungen erst im Rahmen des § 23 Abs. 2 KUG zu berücksichtigen sind. 205 BVerfG NJW 2000, 1921 (1923); LG Hamburg ZUM-RD 2000, 37; OLG Hamburg NJW 1996, 1151 (1153); siehe auch Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 146 f.; Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 46; kritisch Sedelmeier, AfP 1999, 450 (451). Zum Streitstand siehe Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.15 ff. 206 BGH NJW 1965, 2148 (2149); Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 147 f.; Soehring, Presserecht, Rn. 21.8; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.18; Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 45 ff. 207 BVerfGE 35, 202 (235); OLG Brandenburg NJW 1995, 886; OLG Hamburg ZUM 1995, 336 (337); AfP 1987, 518; AfP 1983, 466; OLG Frankfurt AfP 1990, 229; LG Oldenburg AfP 1987, 720. Kein thematischer Zusammenhang besteht mehr nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens, BGH NJW 1966, 2353 (2354). 208 BGH NJW 1966, 2353; NJW 1965, 2148; OLG Celle AfP 1989, 575 (575 f.). 209 OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.03.2006, Az.: 14 U 134/05 (unveröffentlicht); OLG Hamburg AfP 1982, 177; abgelehnt in LG Berlin NJW-RR 2000, 555. 210 Vgl. BVerfG NJW 2001, 1633 (1637). 211 Siehe hierzu Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.24 ff.
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men.212 Da der Begriff der Zeitgeschichte nach dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestimmt wird, kann über die genannten Beispielsfälle hinaus grundsätzlich jedermann zur relativen Person der Zeitgeschichte werden, so dass sein Bildnis – vorbehaltlich entgegen stehender Interessen gemäß § 23 Abs. 2 KUG – ohne Einwilligung verbreitet werden darf.
bb) Einschränkung der Abbildungsfreiheit durch das öffentliche Informationsinteresse Nach ständiger Rechtsprechung kann sich nur derjenige auf den Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG berufen, der mit der Bildnisveröffentlichung ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit wahrnimmt, die Veröffentlichung des Bildnisses also einem Informationszweck dient.213 Dabei kommt es nicht entscheidend auf quantitative, sondern auf qualitative Kriterien an: Der Bekanntheitsgrad einer Person ist nur ein Anhaltspunkt eines zeitgeschichtlichen Interesses unter mehreren, der für sich allein schon deshalb nicht aussagekräftig ist, weil die Bekanntheit auch mit punktuellen Ereignissen verknüpft sein kann.214 Aus dem Kriterium der öffentlichen Bekanntheit kann kein normativ schutzwürdiges Interesse an einer umfassenden Information über den Betroffenen folgen. Eine repräsentative Meinungsumfrage kann daher keine hinreichenden Ergebnisse für ein öffentliches Informationsinteresse liefern.215 Im Übrigen würde es der verfassungsrechtlichen Garantie des Rechts am eigenen Bild widersprechen, die Einschränkung zur Disposition einer Mehrheitsentscheidung zu stellen, die naturgemäß nur eine subjektive und begrenzte Einschätzung der befragten Personen wiedergibt.216 Mit Beschluss vom 26.04.2001 hat das BVerfG die empirische Herangehensweise ausdrücklich abgelehnt. Nach seiner Auffassung ist eine Bewertung anhand normativer Maßstäbe vorzunehmen. Als Anknüpfungspunkte seien z. B. „die Bedeutung, die Stellung oder die Leistung der Person“ heranzuzie___________ 212 BVerfG AfP 2001, 212 (214); NJW 2001, 1921; OLG München NJW-RR 1996, 93; OLG Hamburg ZUM 1995, 494; OLG Hamburg AfP 1991, 437 (438); LG Köln AfP 1994, 165 (166). 213 BGH NJW 2002, 2317 (2318); NJW 2000, 594 (594); NJW 1997, 1152 (1152); BGHZ 20, 345 (350); OLG Hamburg AfP 1992, 159 (159); OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (594). 214 BVerfG NJW 2001, 1921 (1922); vgl. Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 22. 215 So aber Rehbock/Schmidt, in: FS Schweizer, S. 123 (131); Damm/Rehbock, Presse und Rundfunk, Rn. 174. 216 Ähnlich Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 136; Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 30 f.
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hen.217 Die gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG erlaubte Abbildung von absoluten Personen der Zeitgeschichte sei nicht auf den politischen Bereich beschränkt, auch wenn ihr dort im Interesse einer funktionierenden Demokratie besondere Bedeutung zukommt. Die Presse dürfe nach publizistischen Kriterien entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für wert hält und was nicht. Auch in unterhaltenden Beiträgen finde Meinungsbildung statt. Unterhaltung befriedige nicht nur Wünsche nach Zerstreuung und Entspannung, nach Wirklichkeitsflucht und Ablenkung, sondern vermittle auch Realitätsbilder und stelle Gesprächsgegenstände zur Verfügung. An diese können sich Diskussionsprozesse und Integrationsvorgänge anschließen, die sich auf Lebenseinstellungen und Werthaltungen beziehen.218 Da Unterhaltung gewichtige gesellschaftliche Funktionen erfülle, sei sie – gemessen an dem verfassungsrechtlichen Schutz der Kommunikationsfreiheiten – weder unbeachtlich noch wertlos.219 Das gelte auch für die Berichterstattung über Personen, da die Personalisierung ein wichtiges publizistisches Mittel bilde, um Aufmerksamkeit zu erregen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kommt es erst bei der Interessenabwägung gemäß § 23 Abs. 2 KUG darauf an, „ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, ernsthaft und sachbezogen erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die Neugier befriedigen, ausgebreitet werden“.220
Für die Privilegierung gemäß § 23 Abs. 1 KUG genüge es, dass mit der Veröffentlichung des Bildnisses überhaupt ein und sei es nur ein marginales, hinter anderen Beweggründen zurückstehendes Informationsinteresse verfolgt werde.221 Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist daher nur zu verneinen, wenn Text- und Bildberichte zu den verfassungsrechtlich vorgegebenen Funktionen gar nichts beisteuern können. Das ist z. B. der Fall, wenn die Verwendung eines Bildnisses ausschließlich kommerziellen Zwecken dient.222 Eine Veröffentlichung zur Befriedigung von Neugier und Sensationslust eines bestimmten Adressatenkreises ist demgegenüber durchaus von einem öffentlichen Informationsinteresse getragen. Eine weitere Differenzierung erfolgt erst im ___________ 217
BVerfG AfP 2001, 212 (214). Vgl. BVerfGE 97, 228 (257). 219 BVerfGE 101, 361 (390); vgl. BVerfGE 35, 202 (222). 220 BVerfGE 101, 361 (391); vgl. BVerfGE 34, 269 (283). 221 Vgl. OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (594); OLG Hamburg AfP 1992, 159; OLG Hamburg NJW 1996, 1151; ebenso Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.41; Engels/Schulz, AfP 1998, 574 (581); Dasch, Einwilligung, S. 16. 222 Ständige Rechtsprechung seit BGHZ 20, 345 (350); vgl. BGH NJW 2002, 2317 (2318); NJW 2000, 2195 (2200); NJW 2000, 2201 (2202); vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.89. 218
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Rahmen der Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten gemäß § 23 Abs. 2 KUG.
b) Schranken der Abbildungsfreiheit gemäß § 23 Abs. 2 KUG In den Fällen des § 23 Abs. 1 KUG wird die Abbildungsfreiheit versagt, wenn berechtigte Interessen der abgebildeten Person verletzt werden.223 Die Zulässigkeit einer Abbildung bestimmt sich auf Grundlage einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung, für die §§ 22 f. KUG zwar generelle Leitlinien setzen, die aber durch die Umstände des konkreten Falles außer Kraft gesetzt werden können.224 Bei der Abwägung ist die Bildnisveröffentlichung in ihrer Gesamtheit und nicht etwa unabhängig vom Begleittext zu würdigen.225 Für die vorliegende Untersuchung sind der Schutz der Intim- und Privatsphäre und der Schutz der Wahrheit als berechtigte Interessen i. S. v. § 23 Abs. 2 KUG von großer Bedeutung.226
aa) Schutz der Intim- und Privatsphäre Nach den Motiven des Gesetzgebers ist der Einzelne nicht nur vor entstellenden oder den Ruf auf andere Weise gefährdenden Bildnisveröffentlichungen zu schützen. Mit § 23 Abs. 2 KUG soll auch verhindert werden, dass „Vorgänge des persönlichen, häuslichen und Familienlebens an die Öffentlichkeit gezogen werden“.227 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht sichert jeder Person einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in der sie ihre Individualität entwickeln und wahren kann.228 Das gilt nach ständiger Rechtsprechung auch ___________ 223 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der berechtigten Interessen trifft den Abgebildeten, vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.55. Sofern die abgebildete Person verstorben ist, sind gemäß § 23 Abs. 2 KUG a.E. die Interessen der Angehörigen maßgeblich. 224 BGH NJW 1994, 124 (125); NJW 1966, 2353. Für den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG siehe BVerfGE 101, 361 (387); 35, 202, (221); 34, 269 (282); BGHZ 131, 331 (337); 128, 1 (10); siehe auch Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 135. 225 Vgl. BGHZ 24, 200 (209); 20, 234 (250 f.); BGH NJW 1965, 1374. 226 Zum Schutz vor Verletzung der persönlichen Ehre und des guten Rufes siehe Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.40. Zum Schutz vor Personen- und Gesundheitsgefährdungen oder vor Verletzungen des Anonymitätsinteresses siehe Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.83 ff. 227 Stenographische Berichte der Reichstagsverhandlungen, 11. Legislaturperiode, II. Session, 2. Anlageband, S. 1526, 1541. 228 BVerfGE 79, 256 (268); 32, 373 (379); 27, 1 (6); 6, 32 (41).
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für Personen der Zeitgeschichte, die in der Regel ebenfalls davor geschützt werden, dass Bildnisse aus dem privaten Lebensbereich ohne ihre Einwilligung offenbart werden.229 Im deutschen Recht ist anerkannt, dass der schützenswerte, private Lebensbereich wegen der Sozialgebundenheit des Menschen dynamisch in Bezug auf Dritte bestimmt werden muss.230 Das Schutzbedürfnis variiert je nach Lebenssachverhalt, in den eingegriffen wird. Um dem Rechnung zu tragen, wird – aufbauend auf der von Hubmann entwickelten Sphärentheorie231 – versucht, einzelne Lebenssachverhalte bestimmten Sphären unterschiedlicher Schutzintensität zuzuordnen.232 Überwiegend wird zwischen der Intimsphäre, der Privatsphäre und der Öffentlichkeitssphäre unterschieden.233 In jüngerer Zeit ist zu beobachten, dass sich die Rechtsprechung von der strikten Anwendung der Sphärentheorie distanziert hat und vermehrt auf die „je-desto“-Formel zurückgreift.234 Der Schutz sei nach Auffassung des BVerfG „umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber der staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht“.235 Im Folgenden wird erörtert, welches Verhalten von der Intimsphäre und welches von der Privatsphäre gemäß § 23 Abs. 2 KUG erfasst wird und daher die in § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG verankerte Abbildungsfreiheit einschränken kann.
___________ 229
BVerfGE 101, 361 (393); BGHZ 131, 332 (338); siehe auch BVerfG GRUR 1957,
494. 230
Vgl. BVerfGE 80, 367 (373). Hubmann, JZ 1957, 521 (524); Hubmann, Persönlichkeitsrecht, S. 268 ff. 232 BVerfGE 89, 69 (82 f.); 80, 367 (373 ff.); 54, 148 (154); 34, 238 (245 f.); 27, 344 (351); BVerfG NJW 2002, 3767 (3768); NJW 2003, 1109 (1110); siehe auch BGHZ 131, 332 (337 ff.); BGH NJW 1994, 1970; NJW 1988, 1016 (1017 f.); vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 158 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 41; Murswiek, in: Sachs, Art. 2 Rn. 104. 233 Bartnik, Bildnisschutz, S. 143 ff.; Rehm, AfP 1999, 416 (418); Scholz/Konrad, AöR 1998, 60 (64); ähnlich Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 157 ff. Terminologie und strukturelle Einteilung werden nicht einheitlich gehandhabt, vgl. z. B. Hubmann, JZ 1957, 521 (524): „Individual-, Privat- und Geheimsphäre“; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 5.35 ff.: Geheim-, Intim-, Privat-, Öffentlichkeits- und Sozialsphäre; vgl. Degenhart, JuS 1992, 361 (363 f.). 234 Vgl. Schwetzler, Persönlichkeitsschutz, S. 87. 235 BVerfGE 89, 69 (82 f.). 231
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(1) Intimsphäre Die Intimsphäre betrifft den Kernbereich privater Lebensgestaltung. Sie erfasst die Gedanken- und Gefühlswelt des Menschen mit all ihren äußeren Erscheinungsformen.236 Der nackte Körper zählt zum intimsten Bereich eines Menschen. Die Intimsphäre ist daher vor allem bei der Veröffentlichung von Nacktaufnahmen betroffen.237 Der Schutz vor ungewollten Nacktaufnahmen gilt auch für Personen der Zeitgeschichte238. Ausnahmsweise ist die Erkennbarkeit der abgebildeten Person nicht erforderlich, zumal die Anonymität gelüftet werden kann.239 Es ist unerheblich, ob auf einem Photo die ganze Nacktheit abgebildet ist. Ausreichend ist bereits die Abbildung des nackten Rückens240, einer Frau mit entblößten Brüsten241 oder eines Sportlers mit entblößtem Geschlecht242. Selbst die Abbildung einer Person in Unterwäsche kann im Einzelfall eine Verletzung der Intimsphäre begründen.243 Die Intimsphäre ist auch dann betroffen, wenn einer Person durch eine Photomontage ein unbekleideter Körper „untergeschoben“ wird.244 Auch Vorgänge aus dem Sexualbereich werden häufig der Intimsphäre zugerechnet.245 Unter bestimmten Umständen kann das sexuelle Verhalten einer Person wegen seines sozialen Bezuges aber aus der Intimsphäre heraustreten und unter den Bereich der Privatsphäre fallen.246 Zu diesen Umständen zählt z. B., dass der Abgebildete während einer sexuellen Beziehung ein Kind gezeugt hat, für dessen Unterhalt er aufkommen muss.247 Für den Schutz kommt ___________ 236 BVerfGE 89, 69 (82 f.); 34, 238 (245); BGHZ 73, 120 (124); BGH NJW 1988, 1016 (1017); vgl. Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 42, Rn. 17. 237 BGH NJW 1985, 1617 (1618); NJW 1974, 1947 (1949); OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (595); OLG Hamburg NJW 1996, 1151; AfP 1992, 159; OLG Hamburg AfP 1982, 41; LG Saarbrücken NJW-RR 1571. 238 Vgl. OLG Hamburg NJW 1996, 1151; LG Hamburg ZUM 2002, 68 (69). 239 BGH NJW 1974, 1947 (1948 f.); OLG Stuttgart AfP 1987, 693; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.56. 240 OLG Düsseldorf AfP 1984, 229 (230). 241 OLG Oldenburg AfP 1989, 556; OLG Frankfurt AfP 1987, 526; LG Hamburg ZUM 2002, 68 (69). 242 OLG Hamburg NJW 1996, 1151; AfP 1992, 159; OLG Hamburg AfP 1972, 150. 243 Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 54. 244 LG Berlin AfP 2002, 250; LG Köln AfP 1978, 149; vgl. Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 115. 245 BGH NJW 1964, 1471 (1472); vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 5.48; Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 42, Rn. 17; Rehm, AfP 1999, 416 (418). 246 BVerfGE 80, 367 (374); BayOblG BayVBl. 1973, 323; OLG Hamburg AfP 1991, 533 (533); vgl. Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 42, Rn. 17. 247 OLG Hamburg AfP 1991, 533 (533 f.).
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es auch darauf an, in welchem Umfang Einzelheiten der Beziehung ausgebreitet werden.248 Im Rechtsstreit des Prinzen Ernst August von Hannover verneinte der BGH eine Beeinträchtigung der Intimsphäre des Klägers. Die bloße Bekanntgabe, dass der Kläger mit mehreren Frauen eine außereheliche Beziehung eingegangen sei, könne seine Intimsphäre nicht tangieren. Nach Auffassung der Richter sei eine Beeinträchtigung erst zu bejahen, wenn Einzelheiten über den Ehebruch veröffentlicht worden wären.249 Die Intimsphäre genießt absoluten Schutz.250 Die Veröffentlichung von Bildnissen aus der Intimsphäre ist unabhängig vom Ort ihrer Aufnahme ohne Einwilligung des Betroffenen grundsätzlich unzulässig.251 Das beruht auf dem unmittelbaren Bezug, den Eingriffe in die Intimsphäre zum Menschenwürdegehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG haben.252 Wer sich jedoch selbst exponiert, indem er „seine ganze Persönlichkeit, seine Intimsphäre sowie private Gewohnheiten aus Publizitätsgründen der Öffentlichkeit kund tut“, muss Einschränkungen seines Schutzes hinnehmen.253 Dieser Gedanke kommt auch bei der Veröffentlichung von Nacktbildern zum Tragen: Lässt sich eine absolute Person der Zeitgeschichte in einem Männermagazin nackt abbilden, darf eine Tageszeitung unter Wiedergabe der veröffentlichten Photos unter Umständen auch ohne ihre Einwilligung darüber berichten.254 Die abgebildete Person kann sich hinsichtlich der erneuten Veröffentlichung nicht auf den absoluten Schutz ihrer Intimsphäre berufen. Die Zulässigkeit der Veröffentlichung wird durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen bestimmt. Dabei ist zu berücksichtigen, ob es der Zweitveröffentlichung nur darum geht, den Betroffenen im unbekleideten Zustand zu zeigen, vor allem die Abbildung als „Aufmacher“ in reißerischer Form zu präsentieren. Berichte, die nur der Befriedigung der Neugier oder der Sensationslust ___________ 248 OLG Karlsruhe AfP 2006, 170; LG Berlin AfP 2003, 174; vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 5.49. 249 BGH NJW 1999, 2893 (2894). 250 BVerfG NJW 2000, 2189; NJW 1999, 2893 (3894); NJW 1979, 647; OLG Karlsruhe AfP 2006, 170. 251 BVerfGE 98, 69 (82 f.); 34, 239 (245); 6, 32 (41); BGH NJW 1974, 1947 (1949); BGHZ 73, 120 (123 f.); OLG Hamburg AfP 1982, 41; Soehring, Presserecht, Rn. 21.18; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 875; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.56. 252 Vgl. BVerfGE 80, 367 (373 f.); Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 158, 130. 253 OLG Köln AfP 1982, 181 (183); OLG Stuttgart AfP 1981, 362. 254 OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (595 f.); OLG Hamburg AfP 1992, 159 (159 f.); verneint in: OLG Hamburg NJW 1996, 1151; LG Hamburg AfP 1995, 526 (527); vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 151 f.
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dienen, indem sie sich in der Veröffentlichung der Nacktaufnahme und belanglosen Bemerkungen erschöpfen, haben regelmäßig keinen Vorrang vor den Persönlichkeitsinteressen des Betroffenen. Etwas anderes gilt für Bildberichte, die über die Abbildung oder die Umstände der Erstveröffentlichung sachlich informieren oder eine persönliche Stellungnahme enthalten.255
(2) Privatsphäre Im Gegensatz zur Intimsphäre ist die Privatsphäre nicht absolut geschützt. Eingriffe in den Bereich der Privatsphäre erfordern stets eine Gegenüberstellung und Abwägung mit dem aus den Kommunikationsfreiheiten fließenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Als Ergebnis der Abwägung kann eine Bildnisveröffentlichung aus dem Bereich der Privatsphäre zulässig sein.256 Die Privatsphäre wird im deutschen Recht thematisch und räumlich bestimmt:
(a) Thematischer Schutzbereich Der thematische Schutz besteht unabhängig vom Ort, an dem sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Abbildung aufgehalten hat.257 Das Recht auf Privatsphäre umfasst alle Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als privat eingestuft werden. Dabei handelt es sich um Angelegenheiten, deren öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, deren Bekanntwerden für den Betroffenen als peinlich empfunden wird oder die nachteilige Reaktionen der Umwelt auslösen.258 Der Mensch wird in seinem häuslichen und familiären259 sowie sonstigen, dem öffentlichen Blick entzogenen Bereich erfasst.260 Für den Schutz kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob sich die Darstellung negativ oder positiv auf das Erscheinungsbild der abgebildeten Person auswirkt.261 ___________ 255 OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (595); OLG Köln VersR 1997, 1500; OLG Hamburg NJW 1996, 1151 (1153); vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.60. 256 BVerfGE 35, 202 (221); OLG Köln AfP 1993, 759; Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 116 ff.; vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 80. 257 Vgl. OLG Hamburg AfP 1992, 376. 258 BVerfGE 101, 361 (382); 80, 367 ff.; 47, 46; 44, 353; 32, 373; 27, 344. 259 Zum familiären Bereich siehe bereits BGH JZ 1965, 411 ff.; vgl. BVerfGE 27, 344; OLG Hamburg AfP 1998, 643; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 68 ff. 260 Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 42, Rn. 8; Kap. 43, Rn. 13a; siehe Rohlf, Privatsphäre, S. 89 ff. mit zahlreichen Fallgruppen. 261 BVerfG NJW 2000, 2193; vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.65.
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Zur Privatsphäre zählen die Zugehörigkeit zu einer Religion ebenso wie ethische oder weltanschauliche Überzeugungen und Bekenntnisse.262 Momente religiösen Bekennens, wie in der Kirche beim Gebet oder beim Empfang des Abendmahls, dürfen ohne Einwilligung nicht zum Gegenstand öffentlicher Bildberichterstattung gemacht werden.263 Krankheiten, die unmittelbar den Sexualbereich eines Menschen betreffen, werden (zwar) seiner Intimsphäre zugerechnet.264 Nach überwiegender Auffassung zählen aber alle sonstigen Krankheiten und deren Begleitumstände zu seiner Privatsphäre.265 Auch die Trauer um einen Verstorbenen fällt in die Privatsphäre. Angehörige haben ein Recht darauf, dass ihre Trauer respektiert und nicht zum Objekt der Medienöffentlichkeit gemacht wird.266 Die Veröffentlichung des Photos eines tödlich Verunglückten in der Situation seines Todes stellt eine Verletzung der Privatsphäre seiner Ehefrau dar.267 Bei der Interessenabwägung müssen die Gesamtumstände des Einzelfalls berücksichtigt werden.268 Dabei ist – wie bei der Veröffentlichung von Angelegenheiten der Intimsphäre269 – von Bedeutung, ob eine Veröffentlichung sachlich informiert oder lediglich der Befriedigung von Unterhaltungsinteressen, bloßer Neugier oder der Sensationslust der Leserschaft dient.270 Weiterhin ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit private Informationen bereits rechtmäßig verbreitet wurden und deshalb möglicherweise der Öffentlichkeit bekannt sind.271 Der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme kann entfallen, wenn sich der Betroffene selbst damit einverstanden erklärt, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden. Private Angelegenheiten können z. B. durch Exklusivverträge mit der Presse272 oder durch die Stellungnahme eines Anwalts273 preisgegeben werden. ___________ 262 BVerfG NJW 1997, 2669 (2669 ff.); NJW 1990, 1980; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 5.50, 5.58. 263 OLG Hamburg OLGZ 2001, 139. 264 Vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 59; Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 116. 265 BVerfGE 32, 373 (379 f.); BGH NJW 1996, 984 (985); vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 59; Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 121; Schwetzler, Persönlichkeitsschutz, S. 87. 266 OLG Köln AfP 1991, 757 (758); LG Köln NJW 1992, 443. 267 OLG Düsseldorf AfP 2000, 574. 268 BGHZ 24, 200 (209); 20, 346 (350 f.); vgl. Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 135. 269 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (1). 270 BVerfGE 101, 361 (391); BGHZ 131, 332 (342 f.); 24, 200 (208); OLG Hamburg NJW 1996, 1151 (1153); OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (594); vgl. Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 42, Rn. 11. 271 BGH NJW 1999, 2893 (2894 f.); vgl. BVerfG NJW 2000, 2190. 272 BVerfGE 101, 361 (385).
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
(b) Räumlicher Schutzbereich Neben dem thematischen Schutz erfasst das Recht auf Privatsphäre einen räumlichen Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch nur gehen lassen kann.274 Jeder soll einen Raum haben, in dem er frei von öffentlicher Beobachtung und Bewertung nach seinen Vorstellungen leben kann, auch ohne dass er sich dort notwendig anders verhält als in der Öffentlichkeit.275 Ein derartiges Schutzbedürfnis besteht auch bei Personen, die aufgrund ihres Ansehens, ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Fähigkeiten oder Taten besonders öffentlich beachtet werden.276 Vom räumlichen Schutzbereich wird in erster Linie der Wohnraum innerhalb des eigenen Hauses erfasst.277 Der häusliche Bereich erstreckt sich aber auch auf den Teil des Grundstücks, der für die Öffentlichkeit weder zugänglich noch von außen ohne weiteres einsehbar ist.278 Die Privatsphäre ist daher nicht erst verletzt, wenn Dritte in die Wohnräume des Betroffenen eindringen, sondern bereits dann, wenn sie Photos von ihm im Garten, auf der Terrasse oder vor seinem Haus anfertigen.279 Auch die systematische Beobachtung des Hauszugangs kann die Privatsphäre verletzen.280 Darüber hinaus fallen auch Büround Geschäftsräume281, der räumliche Bereich einer Klinik282 sowie Campingwagen und Privatboote283 in den Schutz der Privatsphäre. Es werden alle Räume ___________ 273
LG Berlin NJW-RR 2003, 552. BVerfGE 101, 361 (382 ff.); 34, 269 (281); 27, 1 (6); vgl. Di Fabio in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 149. 275 BVerfGE 101, 361 (383); BGH NJW 1981, 1366 (1367). 276 BVerfGE 101, 361 (383); 35, 302 (320); BGHZ 131, 332 (339); 24, 200 (208); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 80, 862; Soehring, Presserecht, Rn. 19.4. 277 BVerfGE 101, 361 (383); BGHZ 131, 332 (338); BGH NJW 1966, 235; NJW 1957, 1315 (1316). 278 Kammergericht ZUM 2001, 236 (237): „Er umfasst vielmehr alle Grundstücksteile, die den räumlich-gegenständlichen Lebensmittelpunkt einer Person ausmachen, sofern und soweit diese Bereiche üblicherweise oder durch bauliche oder landschaftliche Gegebenheiten von der Einsichtnahme durch Dritte ausgeschlossen sind.“ Vgl. OLG Köln NJW 1989, 720 (720 f.). 279 Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 63; vgl. Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 117. 280 BGH AfP 1995, 586; LG Braunschweig NJW 1998, 2457; LG Berlin NJW 1988, 346. 281 BGH NJW 1957, 1315 (1316); OLG München AfP 1992, 78 (80). 282 OLG Hamburg AfP 1987, 518; AfP 1992, 78; OLG München AfP 1992, 78. 283 OLG Hamburg, Urt. v. 10.10.2000, Az.: 7 U 138/99 (unveröffentlicht); vgl. v. Gerlach, JZ 1998, 741 (747). 274
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erfasst, an denen eine Person andere vom Zutritt ausschließen und eine öffentliche Beobachtung verhindern kann.284 Auch außerhalb des häuslichen Bereichs kann eine geschützte Privatsphäre bestehen. Zum Recht auf Achtung der Privatsphäre gehört „das Recht, für sich zu sein, sich selber zu gehören“.285 Nach Auffassung des BGH werde die Privatsphäre außerhalb des häuslichen Bereichs geschützt, „wenn sich jemand in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der er objektiv erkennbar für sich allein sein will und in der er sich in der konkreten Situation im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit so verhält, wie er es in der breiten Öffentlichkeit nicht tun würde“.
In den Schutzbereich der Privatsphäre greift ein, wer Bilder veröffentlicht, die „in dieser Situation heimlich oder unter Ausnutzung einer Überrumpelung“ gemacht wurden.286 Das BVerfG hat das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit als verfassungsgemäß anerkannt.287 Dabei hat es darauf verwiesen, dass sich die Grenzen der Privatsphäre außerhalb des häuslichen Bereichs nicht generell und abstrakt festlegen ließen. Das Vorliegen einer örtlichen Abgeschiedenheit müsse situativ, abhängig von der Beschaffenheit des Ortes, den der Betroffene zum fraglichen Zeitpunkt aufgesucht habe, beurteilt werden.288 Eine örtliche Abgeschiedenheit setzt nach der Rechtsprechung von BVerfG und BGH kein Alleinsein voraus. Die Örtlichkeit muss fremden Blicken nicht völlig entzogen sein.289 Es macht einen Unterschied, ob jemand lediglich von den zufällig anwesenden Personen seiner Umgebung wahrgenommen werden kann oder ob sein Bildnis in der Medienöffentlichkeit verbreitet wird.290 Wer sich in der relativen Abgeschiedenheit eines Restaurants den Blicken der dort anwesenden Gäste und damit einer begrenzten Öffentlichkeit aussetzt, ist vor einer Bildnisveröffentlichung geschützt. Das ist auch beim Verweilen in Räumen eines Hotels, in Sportstätten oder in einer Telefonzelle der Fall, sofern der Betroffene dort nicht als Teil der Öffentlichkeit erscheint. Eine örtliche Abgeschiedenheit kann sogar in der freien Natur – wie z. B. einem einsamen
___________ 284
Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.67. BGHZ 131, 332 (337); vgl. BVerfGE 101, 361 (382 f.); 35, 202 (220); 34, 238 (245 ff.). 286 BGHZ 131, 332 (339). 287 BVerfGE 101, 361 (393 ff.). 288 BVerfGE 101, 361 (384 f.). 289 Ebenso Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.69. 290 BVerfGE 101, 361 (381 f.); BGHZ 131, 332 (341 f.). 285
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Strand291 – begründet sein, solange die Abgrenzung von der Öffentlichkeit objektiv deutlich wird.292 Demgegenüber liegt eine örtliche Abgeschiedenheit nicht vor, wenn sich eine Person unter vielen Menschen befindet, so dass sie berechtigterweise nicht erwarten kann, unbeobachtet zu sein.293 In dieser Situation kann das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht manifestierte Rückzugsbedürfnis nicht erfüllt werden. Nicht tangiert ist die Privatsphäre daher beim Einkaufen auf dem Markt oder sonst auf der Straße bei Tätigkeiten des alltäglichen Lebens.294 Gleiches gilt für ein Verhalten bei einem öffentlichen Reitturnier oder auf einem Tennisplatz.295 Auch Schwimmbäder und Badestrände sind in der Regel keine geschützten Örtlichkeiten, auch wenn man dort meist spärlicher bekleidet ist als im täglichen Leben.296 Im Gegensatz zum BGH spricht das BVerfG dem öffentlich zur Schau gestellten Verhalten des Betroffenen lediglich eine Indizwirkung zu.297 Während der BGH fordert, dass sich eine Person in der örtlichen Abgeschiedenheit so verhält, wie sie es typischerweise in der Öffentlichkeit nicht tun würde – sich z. B. emotionalen Regungen hingibt –, ist das BVerfG der Auffassung, dass Örtlichkeiten, die nicht die Voraussetzungen der Abgeschiedenheit erfüllen, auch nicht durch ein „privates“ Verhalten in einen geschützten Bereich verwandelt werden. Das BVerfG lehnt es ab, die Grenze zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich thematisch zu bestimmen. Nicht das abgebildete Verhalten konstituiere den Schutz der Privatsphäre, sondern die objektive Beschaffenheit der Örtlichkeit. Die örtliche Abgeschiedenheit könne ihre Schutzfunktion für die Persönlichkeitsentfaltung nur erfüllen, wenn sie dem Einzelnen ohne Rücksicht auf sein jeweiliges Verhalten einen Raum der Entspannung sichere, in dem er nicht mit der Anwesenheit von Photographen rechnen müsse.298 Auch der Methode der Informationsgewinnung misst das BVerfG eine andere Bedeutung zu als der BGH. Nach Auffassung des BGH sei die Bildniser___________ 291 LG Hamburg ZUM 1998, 852 (859); LG Hamburg, Urt. v. 24.04.1998, Az.: 324 0 681/97 (unveröffentlicht). 292 BGHZ 131, 332 (340). 293 BGHZ 131, 332 (343). 294 BVerfGE 101, 361 (395); BGHZ 131, 332 (343). 295 LG Hamburg ZUM 1998, 579 (581 ff.). 296 OLG Hamburg AfP 1999, 175 (176) (Beach Club von Monte Carlo). 297 BVerfGE 101, 361 (394); vgl. BGHZ 131, 332 (340), wonach das Verhalten für das Vorliegen einer örtlichen Abgeschiedenheit maßgeblich ist. 298 BVerfGE 101, 361 (394); ebenso Di Fabio, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Rn. 149; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.71 f.
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schleichung per se rechtswidrig. Auch wenn dieser Grundsatz bislang nur auf Bildaufnahmen im privaten Bereich innerhalb des eigenen Hauses angewendet worden sei, mache es die räumliche Ausdehnung der Privatsphäre erforderlich, dass er auch für Bildnisanfertigungen in örtlicher Abgeschiedenheit gelte. Auch in örtlicher Abgeschiedenheit dürfen aus den gleichen Erwägungen heraus Bildaufnahmen grundsätzlich nur mit Einwilligung der abgebildeten Person angefertigt werden.299 Im Gegensatz dazu sieht das BVerfG in der Art der Bildnisanfertigung nur einen von vielen Faktoren, die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind. Nach Auffassung des BVerfG könne verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden, dass der Methode der Informationsgewinnung bei der Interessenabwägung Bedeutung beigemessen werde. Allerdings sei zweifelhaft, ob „allein durch heimliche oder überrumpelnde Aufnahme die außerhäusliche Privatsphäre verletzt werden“ könne. Im Weiteren betonte das BVerfG, dass ein Eingriff jedenfalls nicht nur bei Vorliegen einer versteckten Bildaufnahme angenommen werden könne. Den veröffentlichten Photos könne im Nachhinein nicht angesehen werden, ob sie heimlich oder überrumpeln aufgenommen wurden.300
bb) Schutz der wahrheitsgetreuen Darstellung Der Schutz der Wahrheit ist neben dem Schutz der Intim- und Privatsphäre ein weiteres berechtigtes Interesse i. S. v. § 23 Abs. 2 KUG. Das Recht am eigenen Bild schützt den Einzelnen nicht davor, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er von anderen gesehen werden möchte.301 Es schützt ihn aber vor verfälschenden Darstellungen, die sein Persönlichkeitsbild nicht der Wahrheit entsprechend wiedergeben.302 Seit dem Leserbrief-Urteil des BGH ist anerkannt, dass den Betroffenen in ein falsches Licht rückende Veröffentlichungen eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen.303 Das gilt insbesondere für die Veröffentlichung von Photos, denen die Adressa___________ 299
BGHZ 131, 332 (340) mit Verweis auf BGHZ 20, 200 (208). BVerfGE 101, 361 (394); zur Bildniserschleichung siehe Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.77. 301 Siehe dazu oben, Teil 3 B. I. 1. 302 BVerfGE 99, 185 (194); 97, 391 (403); 97, 125 (148 f.); BVerfG NJW 2000, 1859 (1860); NJW 1999, 2358; NJW 1998, 2889. 303 BGHZ 13, 334 (339); vgl. Hager, in: Staudinger, § 823 Rn. C 223; Rixecker, in: Säcker, MüKo, § 12 Anh. Rn. 73; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 878; siehe hierzu Ehmann, JuS 1997, 193 (198 f.). 300
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ten im Vergleich zum geschriebenen Wort eine größere Authentizität zusprechen. Eine Verletzung des Bildnisschutzes liegt vor, wenn das veröffentlichte Bildnis selbst manipuliert wurde (sog. stoffliche Manipulation). Eine Abwägung mit dem Recht auf Pressefreiheit erfolgt nicht, da bewusste Unwahrheiten am Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht teilhaben.304 Die stoffliche Manipulation ist zu bejahen, wenn statt des Originalphotos eine Photomontage verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt wird305 und diese als solche nicht kenntlich ist.306 Gleiches gilt für die Veröffentlichung von Bildern, die retouchiert wurden.307 Darüber hinaus können auch wahrheitsgetreue Abbildungen durch die Art und Weise ihrer Darstellung eine Persönlichkeitsverfälschung hervorrufen (sog. intellektuelle Manipulation). Der Wahrheitsgehalt einer Darstellung ergibt sich aus den Gesamtumständen der Bildnisveröffentlichung und muss daher abhängig von Bildunterschrift, Begleittext oder redaktionellem Umfeld ermittelt werden.308 Erweckt der begleitende Text den Anschein, dass der Abgebildete an einem Mord beteiligt gewesen sei, liegt daher eine wahrheitsverfälschende Abbildung vor.309 Erscheint eine zufällig am Unfallort anwesende Person auf einem Unfallphoto in Großaufnahme, ist ihr Recht am eigenen Bild verletzt, wenn dadurch der Eindruck entsteht, dass sie in den Unfall verwickelt war.310 Gleiches gilt für die Veröffentlichung eines Photos, durch die ein unschuldiger Mann als Kinderschänder dargestellt wird.311 Eine den Wahrheitsschutz verletzende intellektuelle Manipulation liegt vor, wenn ein Bildnis ohne Einwilligung der abgebildeten Person zu Werbezwecken verwendet wird.312 Der Einsatz eines Bildnisses für werbende Maßnahmen erweckt den Eindruck, als habe die abgebildete Person in die Veröffentlichung eingewilligt, um aus der Kommerzialisierung ihrer Person Gewinn zu schla___________ 304
Siehe dazu oben, Teil 3 B. I. 2. a) aa). LG Berlin AfP 2002, 250; LG Köln AfP 1978, 149. 306 Vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.79. Wenn durch die Photomontage aber die Intimsphäre betroffen ist, ist das Recht am eigenen Bild auch bei Kenntlichmachung verletzt, vgl. LG Köln AfP 1978, 149. 307 BGH NJW 1957, 1315. 308 BGH NJW 1965, 2148; OLG München NJW-RR 1998, 1036. 309 BGH NJW 1962, 1004; vgl. OLG Koblenz NJW 1997, 1375 (1376). 310 OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 1328; siehe auch BGH NJW 1980, 994; LG Stuttgart AfP 1989, 765; LG Oldenburg GRUR 1986, 464. 311 OLG Koblenz NJW 1997, 1375. 312 BGH NJW 1971, 698. 305
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gen.313 Seit langem besteht Einigkeit darüber, dass die Nutzung eines Bildnisses, die ausschließlich Geschäftsinteressen dient, ohne Einwilligung der abgebildeten Person verboten ist314. Das gilt für die Abbildung einer Person in Anzeigen315 ebenso wie in Werbeprospekten316 oder auf Plakaten317. Anders zu werten sind dagegen die Fälle, in denen mit einem Bildnis nicht allein kommerzielle, sondern auch öffentliche Informationsinteressen verfolgt werden. Bildnisveröffentlichungen in Medien aller Art dienen regelmäßig (auch) kommerziellen Interessen, da die Medienunternehmen durch ihre bebilderten Beiträge eine Absatzförderung ihrer Produkte anstreben. Ebenso wie ein Presseerzeugnis fällt aber auch die Werbung für ein Presseerzeugnis unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG.318 Die Werbung dient als Kommunikationsmittel der Presse, das Art und Gegenstand der Berichterstattung so ankündigt, dass die Öffentlichkeit Kenntnis von der Berichterstattung erlangen und dadurch die Informationsgelegenheit wahrnehmen kann. Die Werbung fördert den Absatz des betreffenden Presseerzeugnisses und trägt dadurch zur Verbreitung der Informationen bei. Die umfassende Garantie der Pressefreiheit319 schließt es aus, Bildnisveröffentlichungen zur Werbung für Presseerzeugnisse von vornherein dem Schutz des Art. 5 GG zu entziehen. Das gilt auch für Bildnisse auf dem Titelblatt einer Zeitschrift, selbst wenn diese nur zu einer marginalen redaktionellen Berichterstattung über den Abgebildeten im Inneren der Zeitschrift in Bezug stehen.320 Erforderlich ist eine Interessenabwägung im Einzelfall: Ein Verbot ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts nur auf diese Weise auf das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß begrenzt werden kann, ohne zugleich das berechtigte Anliegen der Pressefreiheit zu verkürzen.321 Die Grenze der zulässigen Verwertung von Bildnissen ist überschritten, wenn dem unbefangenen Leser der Eindruck entsteht, dass sich die abgebildete Person mit dem beworbenen Produkt identifi___________ 313
Vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 203; ähnlich Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.90. Ständige Rechtsprechung seit BGHZ 20, 345 (350); 151, 26 (30); BGH NJW 2002, 2317 (2318); vgl. BVerfG NJW 2000, 1026 (1027); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 866; Rixecker, in: Säcker, MüKo, § 12 Anh. Rn. 50; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.42; Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 136a; Helle, Persönlichkeitsrechte, S. 185 f. 315 BGH NJW 1992, 2084 (2086). 316 AG Frankfurt NJW 1996, 531; vgl. BGH NJW 1961, 558. 317 LG Berlin NJW 1996, 1142. 318 BGHZ 151, 26 (30 ff.); vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 135 ff. 319 Siehe dazu oben, Teil 3 B. I. 2. a) bb). 320 BGH AfP 1995, 495 (496); OLG Köln ZUM 1994, 723 (724); vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.95. 321 BGHZ 151, 26 (32); vgl. BVerG NJW 2001, 1921 (1924 f.). 314
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
ziere und ihr Bild als Anreiz für den Kauf dieses Produkts zur Verfügung stelle.322 Die abgebildete Person hat gemäß § 23 Abs. 2 KUG ein berechtigtes Interesse daran, dass sie nicht in unangemessener Weise zum bloßen Objekt wirtschaftlicher Interessen herabgewürdigt wird.323 Davon abgesehen kann der Persönlichkeitsschutz einer Veröffentlichung auch in den Fällen entgegenstehen, in denen das werbende Bildnis aus dem Kontext gerissen und der Sinngehalt der Bildaussage dadurch erheblich verändert wird.324
4. Zusammenfassung Der Schutz des Rechts am eigenen Bild ist im deutschen Recht in §§ 22 ff. KUG normiert. Das KUG basiert auf einer Differenzierung zwischen Bildnissen (normaler) Privatpersonen und solchen von Personen des öffentlichen Lebens, für die sich der Begriff der Person der Zeitgeschichte eingeprägt hat. Abhängig vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte unterschieden. Während die Zulässigkeit von Abbildungen relativer Personen der Zeitgeschichte einen Ereignisund Aktualitätsbezug voraussetzt, dürfen Abbildungen absoluter Personen der Zeitgeschichte grundsätzlich ohne Einwilligung veröffentlicht werden. Etwas anderes gilt nur in den Fällen, in denen berechtigte Interessen entgegen stehen. Ob das der Fall ist, ist auf Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall zu ermitteln. Als berechtigte Interessen i. S. v. § 23 Abs. 2 KUG sind z. B. der Schutz der Intim- und der Privatsphäre anerkannt. Während Abbildungen aus der Intimsphäre grundsätzlich unabhängig vom Ort ihrer Aufnahme ohne Einwilligung der abgebildeten Person unzulässig sind – die Intimsphäre ist absolut geschützt –, ist bei Bildnissen aus der Privatsphäre eine Abwägung der kollidierenden Interessen erforderlich. Die Privatsphäre erstreckt sich nicht nur auf den häuslichen Bereich im weiteren Sinne. Eine Person wird auch in der Öffentlichkeit geschützt, sofern sie sich in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der sie erkennbar allein sein will. Die örtliche Abgeschiedenheit wird anhand räumlicher Kriterien bestimmt. Selbst bei einer wahrheitsgetreuen Darstellung ist die unbefugte Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen, die von Personen der Zeitgeschichte in der Öffentlichkeit aufgenommen werden, somit nicht per se zulässig. ___________ 322 BGHZ 151, 26 (33); BGH NJW-RR 1995, 789 (789 f.); NJW 1997, 1152 (1153 f.); siehe bereits BGHZ 20, 345 (352). 323 BGH NJW 1997, 1152 (1153 f.); NJW 1996, 593; NJW-RR 1995, 789. 324 BGHZ 151, 26 (32 f.).
C. Bildnisschutz in Frankreich
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Die Veröffentlichung einer wahrheitsverfälschenden Abbildung kann ebenfalls berechtigte Interessen verletzen. Bewusste Unwahrheiten werden vom Schutz der Kommunikationsfreiheiten gemäß Art. 5 Abs. 1 GG nicht erfasst. Die Veröffentlichung manipulierter Bildnisse ist daher verboten. Auch Bildnisse, die ausschließlich zu Werbezwecken veröffentlicht werden, sind – mangels eines Informationsinteresses der Öffentlichkeit an der kommerziellen Bildnisverwertung – ohne Einwilligung der abgebildeten Person unzulässig.
C. Bildnisschutz in Frankreich Im Gegensatz zum deutschen Recht konnte sich im französischen Recht bislang kein allgemeines Persönlichkeitsrecht etablieren. Persönlichkeitsschutz wird in Frankreich durch einzelne selbständige Persönlichkeitsrechte gewährt.325 Das Recht am eigenen Bild hat sich als gewohnheitsrechtlich anerkanntes, genuin richterrechtliches Rechtsinstitut entwickelt.326 Es gibt keine Vorschrift, die das Recht am eigenen Bild ausdrücklich schützt. Auch das Gesetz n°70-643 vom 17.07.1970327 sanktioniert lediglich die Abbildungen, die unter Verletzung des Rechts auf Privatleben hergestellt werden (vgl. Art. 9 Abs. 1 Code civil). Während im französischen Recht lange Zeit vertreten wurde, dass das Recht am eigenen Bild ein Eigentumsrecht sei,328 wird es heute überwiegend als Persönlichkeitsrecht qualifiziert.329 Die rechtliche Ausgangslage im Spannungsfeld zwischen dem Persönlichkeitsschutz und den Kommunikationsfreiheiten weist im französischen Recht – wie nachfolgend gezeigt werden wird – einige grundlegende Unterschiede zum deutschen Recht auf. In einem ersten Teil werden die verfassungsrechtlichen Grundlagen zum Bildnisschutz skizziert. Dabei wird dargestellt, wie die Kollision mit den Kommunikationsfreiheiten abstrakt aufgelöst wird. In einem zweiten Teil werden dann Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes herausgearbeitet. Besondere Aufmerksamkeit wird der Frage gewidmet, inwieweit ___________ 325 Ferid/Sonnenberger, Französisches Zivilrecht, Rn. 1 C 25; Beignier, Honneur et droit, S. 54; v. Gerlach, AfP 2001, 1 (4); Kerpen, Internationales Privatrecht, S. 44, 46. 326 Grundlegend Trib. civ. Seine, Urt. v. 16.06.1858, D. 1858, III, S. 62 – Rachel; vgl. Cass. civ., Urt. v. 14.03.1900, D. 1900, I, S. 497 (500) – Eden/Whistler. Zur Entwicklung des Rechts am eigenen Bild in Frankreich siehe Bartnik, Bildnisschutz, S. 28 ff. 327 Gesetz n°70-643 v. 17.07.1970, JCP 1970, III, n°36850. 328 Vgl. Trib. com. Seine, Urt. v. 26.02.1963, JCP 1963, II, nq13364 – Pise; CA Paris, Urt. v. 21.06.1985, D. 1986, SC, S. 49, Anm. Lindon; vgl. TGI Paris, Urt. v. 31.10.1996, LP 1997, n°141, III, S. 68. 329 Grundlegend TGI Seine, Urt. v. 18.03.1966, Gaz. Pal. 1966, S. 331 – Bistro; vgl. TGI Seine, Urt. v. 25.06.1966, JCP 1966, II, nq14875 – Blier; Badinter, JCP 1968, I, nq2136; Gounalakis, Privacy and the Media, S. 65.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
Personen des öffentlichen Lebens im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit vor der unbefugten Veröffentlichung ihres Bildnisses geschützt sind. Der Schutz vor verunglimpfenden Abbildungen wird – wie im deutschen Recht – weitgehend ausgeklammert.
I. Bildnisschutz im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten In französischen Urteilen zum Persönlichkeitsschutz ist nur selten ein Verweis auf verfassungsrechtliche Bestimmungen zu finden.330 Im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz enthält die französische Verfassung vom 04.10.1958331 fast ausschließlich staatsorganisationsrechtliche Vorschriften. Einen den Art. 1-20 GG vergleichbaren Grundrechtekatalog kennt sie dagegen nicht. Grundrechtsverbürgungen und fundamentale Grundsätze sind zwar in der Erklärung der Menschenrechte vom 26.08.1789332 und der Präambel der Verfassung der vierten Republik vom 27.10.1946 verankert, auf die sich die Präambel der aktuellen Verfassung beruft.333 Der Einfluss des Verfassungsrechts auf das Zivilrecht ist mangels einer dem BVerfG vergleichbaren Zuständigkeit des französischen Verfassungsgerichts – des Conseil constitutionnel – aber nicht mit dem deutschen Recht vergleichbar: Zum einen ist es für Privatpersonen ausgeschlossen, das Verfassungsgericht anzurufen und dort die Verletzung von Grundrechten geltend zu machen.334 Zum anderen ist eine Kontrolle des Gesetzgebers gemäß Art. 61 der Verfassung von 1958 nur vor der Verkündung eines Gesetzes möglich. Nach der Verkündung besteht für das Verfassungsgericht keine Möglichkeit mehr, ein Gesetz für verfassungswidrig zu erklären.335 Diese Unterschiede führen in der Praxis dazu, dass das französische Verfassungsrecht nicht annähernd so viele Urteile zum Persönlichkeitsschutz kennt ___________ 330
Vgl. Simon, Persönlichkeitsschutz, S. 248; Kerpen, Internationales Privatrecht,
S. 76. 331
Französische Textfassung in Jan, Textes fondamentaux, S. 19 ff. Französische Textfassung in Rials, Textes constitutionnels, S. 3 ff. Die „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ wird im Folgenden bezeichnet als „Menschenrechtserklärung von 1789“. 333 Präambel der Verfassung der fünften Republik v. 04.10.1958: „Le peuple français proclame solennellement son attachement aux Droits de l’Homme et aux principes de la souveraineté nationale tels qu’ils sont définis par la Déclaration de 1789, confirmée et complétée par le préambule de la Constitution de 1946 […].“ 334 Siehe hierzu Geesmann, Soziale Grundrechte, S. 87. 335 Prakke/Kortmann, Constitutional Law, S. 282. 332
C. Bildnisschutz in Frankreich
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wie das deutsche Recht. Auch ist eine detaillierte Abwägung der kollidierenden Interessen in der französischen Judikatur nur selten zu finden.336 Das darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass auch in Frankreich Gegenstand und Reichweite des Rechts am eigenen Bild im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten bestimmt werden.
1. Verfassungsrechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild Weder das Recht auf Privatleben noch das Recht am eigenen Bild sind in der Menschenrechtserklärung von 1789 als solche normiert. Teilweise wird im Schrifttum vertreten, dass das Recht auf Privatleben in den Schutzbereich der „liberté individuelle“ falle – diese entspricht dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit337 – und damit verfassungsrechtlich verankert sei.338 Andere sehen die verfassungsrechtliche Grundlage des Rechts auf Privatleben in Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte339, auf den Art. 9 Code civil zurückzuführen ist.340 Heute wird ein verfassungsrechtlicher Schutz des Rechts auf Privatleben schon deshalb befürwortet, weil das Recht auf Achtung des Privatlebens durch Art. 8 Abs. 1 EMRK auf übergesetzlicher Ebene Eingang in das französische Recht gefunden hat.341 Ob sich daraus Erkenntnisse für die verfassungsrechtliche Stellung des Rechts am eigenen Bild ableiten lassen, hängt davon ab, in welchem Verhältnis das Recht am eigenen Bild zum Recht auf Privatleben steht: Es herrscht Einig___________ 336 Cass. civ., Urt. v. 25.01.2000, LP 2000, n°170, III, S. 46; vgl. Bartnik, AfP 2004, 489 (491). 337 Art. IV der Menschenrechtserklärung von 1789: „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui ainsi l’exercice des droits naturels de chaque homme n’a de bornes que celles qui assurent aux autres Membres de la Société, la jouissance de ces mêmes droits. Ces bornes ne peuvent être déterminées que par la Loi.“ 338 Favoreu/Philip, Conseil Constitutionnel, S. 359; Agostinelli, Information et vie privée, n°264 ff.; Kayser, Vie privée, n°71; vgl. Heisig, Persönlichkeitsschutz, S. 159. 339 Art. 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte v. 10.12.1948: „No one shall be subjected to arbitrary interference with his privacy, family, home or correspondence, nor to attacks upon his honour and reputation. Everyone has the right to the protection of the law against such interference or attacks.“ 340 Kerpen, Internationales Privatrecht, S. 76; ähnlich wohl Ravanas, D. 2000, chron., S. 459 (460). 341 Art. 55 der Verfassung von 1958: „Les traités ou accords régulièrement ratifiés ou approuvés ont, dès leur publication, une autorité supérieure à celle des lois, sous réserve, pour chaque accord ou traité, de son application par l’autre partie.“
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
keit darüber, dass das Recht auf Achtung des Privatlebens auch durch die Anfertigung unbefugter Bildaufnahmen verletzt werden kann. Das zeigt bereits Art. 226-1 Nouveau code pénal, der die unberechtigte Abbildung einer Person an einem privaten Ort unter Strafe stellt.342 Im Übrigen ist das Verhältnis zwischen dem Recht am eigenen Bild und dem Recht auf Privatleben umstritten: Teilweise wird das Recht am eigenen Bild als Element des Rechts auf Achtung des Privatlebens qualifiziert.343 Das hat zur Folge, dass die verfassungsrechtliche Qualität des Rechts am eigenen Bild aus der des Rechts auf Privatleben abgeleitet werden kann. Insbesondere in jüngerer Zeit haben die Instanzgerichte die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung auf Art. 9 Code civil gestützt, ohne das Recht am eigenen Bild gesondert zu erwähnen.344 Auch die Cour de Cassation hat das Recht am eigenen Bild in mehreren Urteilen ausdrücklich aus dem Recht auf Privatleben gemäß Art. 9 Code civil abgeleitet.345 Die Gegenauffassung will das Recht am eigenen Bild als autonomes Recht in die Reihe der Persönlichkeitsrechte einordnen.346 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass sich der in der Rechtsprechung gewährte Bildnisschutz nicht auf das Privatleben beschränke. Dem Bildnisschutz komme eine eigenständige Bedeutung zu, wenn eine Person bei der Ausübung öffentlicher Aufgaben unbefugt abgebildet werde – z. B. zur Verwendung eines Bildnisses zu Werbezwecken347, in Fällen der Identitätstäuschung348 oder bei manipulierten ___________ 342
Art. 226-1 Nouveau Code Pénal („De l’atteinte à la vie privée“): „C’est puni d’un an d’emprisonnement et de 300 000 F d’amende le fait, au moyen d’un procédé quelconque, volontairement de porter atteinte à l’intimité de la vie privée d’autrui: […] En fixant, enregistrant ou transmettant, sans le consentement de celle-ci, l’image d’une personne se trouvant dans un lieu privé […].“ 343 Beignier, Droit de la personnalité, S. 61 f.: „[…] ce n’est pas l’image qui est protégée, ce n’est pas non plus l’image qui est négociée. Le ‚droit extrapatrimonial‘ à l’image se confond toujours avec le droit à la protection soit de la tranquillité de la vie privée soit de la dignité humaine.“ Ebenso Lindon, Dictionnaire juridique, S. 120 ff.; Ravanas, D. 2000, chron., S. 459 (460); Bigot, D. 1998, chron., S. 235 (236). 344 TGI Paris, Urt. v. 03.03.1999, LP 1999, nq161, I, S. 59; CA Versailles, Urt. v. 17.06.1999, LP 2000, nq168, I, S. 14. 345 Cass. civ., Urt. v. 13.01.1998, D. 1999, JP, S. 120, Anm. Ravanas; Cass. civ., Urt. v. 25.01.2000, D. 2000, SC, S. 270, Anm. Caron; Cass. civ., Urt. v. 12.12.2000, D. 2001, IR, S. 282. 346 Ancel, Gaz. Pal. 1994, S. 988 (992); Loiseau, in: Image menacée, S. 11 ff.; Bigot, in: Image menacée, S. 17 (20); Serna, Image des personnes, S. 15; Pierrat, Reproduction interdite, S. 31; Bartnik, Bildnisschutz, S. 39 f.; ebenso bereits Badinter, JCP 1968, I, nq2136. 347 Z. B. TGI Paris, Urt. v. 04.07.1970, JCP 1970, II, n°16328 – Pompidou. 348 Z. B. Cass. civ., Urt. v. 11.02.1999, D. 1999, IR, S. 62.
C. Bildnisschutz in Frankreich
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Bildnisveröffentlichungen349. Dem entspricht, dass einige Instanzgerichte ausdrücklich zwischen dem Recht auf Privatleben und dem Recht am eigenen Bild unterscheiden.350 Interessanterweise hat auch die Cour de Cassation mit Urteil vom 12.12.2001 zwischen dem Recht am eigenen Bild und dem Recht auf Achtung des Privatlebens differenziert.351 Dieser Auffassung folgend, kann ein verfassungsrechtlicher Schutz des Rechts am eigenen Bild nicht aus dem Recht auf Privatleben abgeleitet werden. Teilweise wird daher im Hinblick auf einen möglichen kommerziellen Charakter des Rechts am eigenen Bild darauf verwiesen, dass eine verfassungsrechtliche Anknüpfung an das Eigentumsrecht352 erfolgen könne.353 Andere machen geltend, dass der Bildnisschutz mit den verfassungsrechtlich geschützten Kommunikationsfreiheiten – wie dem Recht auf Informationen – auf derselben normativen Stufe zu verorten sei.354 In der jüngeren Rechtsprechung ist zu beobachten, dass häufig auf die Menschenwürde abgestellt wird, um die Unzulässigkeit von Bildnisveröffentlichungen zu begründen.355 Unabhängig von der vertretenen Auffassung und dem jeweiligen Begründungsansatz wird das Recht am eigenen Bild somit auch im französischen Recht verfassungsrechtlich geschützt.
___________ 349
Z. B. TGI Paris, Urt. v. 28.06.1974, D. 1974, JP, S. 751, Anm. Lindon. Z. B. TGI Paris, Urt. v. 19.05.1999, LP 1999, nq166, I, S. 131: „Si l’utilisation publique de la photographie d’une personne prise dans le cadre de l’exercice de son activité professionnelle n’est pas susceptible de constituer une atteinte à sa vie privée, elle est, faute d’autorisation, constitutive d’une atteinte à son droit à l’image.“ Siehe auch CA Paris, Urt. v. 31.10.2001, LP 2001, n°187, III, S. 227 f.; CA Versailles, Urt. v. 02.05.2002, LP 2002, n°192, I, S. 69, die von einem exklusiven Recht am eigenen Bild sprechen. 351 Cass. civ., Urt. v. 12.12.2001, D. 2001, IR, S. 284. 352 Vgl. Art. 17 der Menschenrechtserklärung von 1789: „La propriété étant un droit inviolable et sacré, nul ne peut en être privé, si ce n’est lorsque la nécessité publique, légalement constatée, l’exige évidemment, et sous la condition d’une juste et préalable indemnité.“ 353 Vgl. Kerpen, Internationales Privatrecht, S. 77. 354 Massis, Gaz. Pal. 1996, S. 139 (141). 355 Cass. civ., Urt. v. 20.12.2000, D. 2001, IR, S. 285 – Erignac; Cass. civ., Urt. v. 20.02.2001, LP 2001, nq180, III, S. 53, Anm. Derieux – RER; Cass. civ., Urt. v. 12.07.2001, LP 2001, nq187, III, S. 213, Anm. Ader; TGI Nanterre, Urt. v. 05.11.2001, LP 2002, nq188, I, S. 3; TGI Paris, Urt. v. 03.04.2002, LP 2002, nq197, I, S. 150. Zum verfassungsrechtlichen Schutz der Menschenwürde siehe Cons. const., Urt. v. 27.07.1994, D. 1995, JP, S. 237, Anm. Mathieu; vgl. Beignier, Droit de la personnalité, S. 51 f.; Ancel, Gaz. Pal. 1994, S. 988 (993). 350
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2. Kollision des Rechts am eigenen Bild mit den Kommunikationsfreiheiten In Frankreich stehen dem Recht am eigenen Bild die Kommunikationsfreiheiten und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit entgegen: „Le droit au respect de la vie privée, comme le droit à l’image, se situe au conflit entre l’exercice de deux libertés, également fondamentales, la liberté de communiquer et la liberté individuelle.“356
Der Bildnisschutz ist somit im Spannungsverhältnis dieser Freiheiten und Interessen zu beurteilen.
a) Verfassungsrechtlicher Schutz der Kommunikationsfreiheiten Die Kommunikationsfreiheiten sind in Art. 11 der Menschenrechtserklärung von 1789 geregelt, worin es heißt: „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l’homme: tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté dans les cas déterminés par la loi.“
Grundlegende Gewährleistung des Art. 11 ist die Freiheit der Meinungsäußerung, die als notwendige Ergänzung zur Freiheit der Meinungsbildung verstanden wird. Der Conseil constitutionnel hat die Freiheit der Meinungsbildung und die der Meinungsäußerung in mehreren Urteilen konkretisiert und ihnen ausdrücklich Verfassungsrang zugesprochen.357 Eine weitere Schutzgewährleistung ist die im Gesetz vom 29.07.1881 konkretisierte Pressefreiheit.358 Sie stützt sich auf die Aussage des Art. 11, dass jede Person das Recht habe, ihre Meinung frei zu äußern und abzudrucken („imprimer librement“). Der Conseil constitutionnel hat auch die Pressefreiheit in den Verfassungsrang gehoben und ihre grundlegende Bedeutung für ein demokratisches Gemeinwesen unterstrichen.359 ___________ 356
Vgl. Ancel, Gaz. Pal. 1994, S. 13 (18). Cons. const., Urt. v. 30./31.10.1981, GDCC S. 35; Cons. const., Urt. v. 20.01.1984, GDCC S. 581 ff.; Cons. const., Urt. v. 17.01.1989, GDCC S. 724 ff.; siehe hierzu Agostinelli, Information et vie privée, n°57 ff.; vgl. Ravanas, D. 2000, chron., S. 459 (460). 358 Loi sur la liberté de la presse, Journal officiel „Lois et Décrets“ v. 30.07.1881, S. 4201. 359 Cons. const., Urt. v. 10./11.10.1984, GDCC S. 73; Auvret, LP 2000, nq170, II, S. 33 (33); Ravanas, D. 2000, chron., S. 459 (460); Massis, Gaz. Pal. 1996, S. 139 (140). 357
C. Bildnisschutz in Frankreich
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Bei der Frage nach der Zulässigkeit von Bildnisveröffentlichungen wird im französischen Recht weniger auf die Meinungs- und Pressefreiheit als auf das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen („droit du public à l’information“) verwiesen.360 Das Recht auf Informationen wird aus den beiden vorgenannten Freiheiten und damit ebenfalls aus Art. 11 der Menschenrechtserklärung von 1789 hergeleitet.361 Im Schrifttum wird geltend gemacht, dass der Begriff der Kommunikation einen gegenseitigen Austausch impliziere, der dem Einzelnen nicht nur das Recht zuspreche, seine Meinung zu äußern und in Druckwerken zu verbreiten, sondern ihm auch einen ungehinderten Zugriff auf Informationen garantiere.362 Der Conseil constitutionnel hat diese Auffassung bestätigt, indem er bei der Prüfung der Pressefreiheit den Schutz des Art. 11 auf die Adressaten von Presseerzeugnissen ausgedehnt hat. In seinem Urteil hat er außerdem betont, dass dem Recht auf Informationen ebenso Verfassungsrang zukomme wie der Meinungs- und Pressefreiheit, deren notwendige Ergänzung sie darstelle.363 Im französischen Recht ist umstritten, ob sich die Boulevardpresse („la presse de distraction“) auf die Pressefreiheit berufen kann. Teilweise wird vertreten, dass die lediglich auf Unterhaltung und nicht auf politische Information abzielende Presse („la presse d’information“)364 keine Informationen im journalistischen Sinne verbreite. Ein nur durch merkantile Absichten beherrschtes Verhalten sei durch die Pressefreiheit nicht geschützt.365 Vereinzelt wird vertreten, dass die Veröffentlichung von Bildern zur Information im engeren Sinne überhaupt nicht erforderlich sei, sondern stets nur der Befriedigung von Neugier diene.366 Die Gegenauffassung hält eine Unterscheidung zwischen ernsthafter und unterhaltender Presse für realitätsfremd.367 Auch die Boulevardpresse ___________ 360 Das „droit à l’information“ ist von der „liberté de l’information“ abzugrenzen (vgl. Massis, Gaz. Pal. 1996, 139 ff.). Insoweit kann auf die deutsche Rechtsfigur des „öffentlichen Informationsinteresses“ in Abgrenzung zur Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 verwiesen werden. 361 Ravanas, D. 2000, chron., S. 459 (460). 362 Agostinelli, Information et vie privée, nq80 ff.; Bertrand, Droit à l’image, n°101. 363 Cons. const., Urt. v. 30./31.12.1981, GDCC S. 35; Cons. const., Urt. v. 29.07.1986, GDCC S. 110; Cons. const., Urt. v. 17.01.1989, GDCC S. 724; ebenso Bartnik, Bildnisschutz, S. 114; Agostinelli, Information et vie privée, nq107 ff.; Bertrand, Droit à l’image, n°103. 364 Vgl. Massis, Gaz. Pal. 1996, 139 (139). 365 TGI Paris, Urt. v. 29.01.1986, D. 1987, SC, S. 136, Anm. Amson/Lindon; TGI Paris, Urt. v. 28.04.1998, LP 1998, nq156, I, S. 138; Auvret, LP 2000, nq170, II, S. 33 (37 ff.); ähnlich Badinter, JCP 1968, I, n°2136. 366 Amson, LP 2000, nq175, II, S. 106 (107 f.): „[…] en réalité, les exigences de l’information – au sens strict – ne supposent nullement qu’il soit porté atteinte à l’image de la personne.“ 367 Bertrand, Droit à l’image, nq110 ff.; Rigaux, RIDC 1991, 539 (552).
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
berichte über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse mit nicht zu unterschätzendem Informationswert.368 Es käme einer Zensur gefährlich nahe, wenn die Boulevardpresse vom Schutzbereich der Pressefreiheit ausgegrenzt wäre.369 Auch würde dies dem erklärten Ziel des Conseil constitutionnel widersprechen, der eine möglichst pluralistische Presselandschaft in Frankreich erhalten will.370
b) Auflösung der Kollision durch Interessenabwägung Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 9 Code civil ist das Recht auf Privatleben ohne Einschränkungen gewährleistet. Das Recht am eigenen Bild und das Recht auf Privatleben weisen zahlreiche Überschneidungen auf, so dass der „absolute Schutz“ auch für das Recht am eigenen Bild gelten könnte. Aus den parlamentarischen Debatten bei der Verabschiedung des Gesetzes geht jedoch hervor, dass ein gerechter Ausgleich zwischen dem Recht auf Privatleben und dem Recht der Öffentlichkeit auf Informationen geschaffen werden sollte. Trotz des irreführenden Wortlauts von Art. 9 Code civil ist eine Einschränkung des Rechts auf Privatleben daher nicht ausgeschlossen.371 Die Kollision zwischen dem Recht auf Privatleben und dem Recht der Öffentlichkeit auf Informationen wurde im älteren Schrifttum dennoch nur ansatzweise erkannt.372 Erst in jüngerer Zeit wird im Schrifttum häufiger auf den Grundsatz der Interessenabwägung („principe de proportionnalité“) hingewiesen373 und ausdrücklich auch auf das Recht am eigenen Bild ausgedehnt.374 Auch die Rechtsprechung lässt vor allem in den Entscheidungen der letzten Jahre das Bewusstsein eines Konflikts zwischen den Persönlichkeitsrechten
___________ 368
Rigaux, RIDC 1991, 539 (552). Bartnik, Bildnisschutz, S. 116. 370 Cons. const., Urt. v. 10./11.10.1984, GDCC S. 73; Cons. const., Urt. v. 29.07.1986, GDCC S. 110; vgl. Bertrand, Droit à l’image, nq109. 371 Rapport des Justizministers René Pleven in der Debatte des Gesetzentwurfs vor der Assemblé Nationale, 1ºséance, 27.05.1970, JOAN, S. 1987 f.; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 121 ff. 372 Vgl. Acquarone, D. 1985, chron., S. 129 ff.; Badinter, JCP 1968, I, n°2136. 373 Agostinelli, Information et vie privée, n°53; Ader, LP 2002, nq192, II, S. 65 (67); Bartnik, AfP 2004, 489 (491 ff.); Rigaux, RIDC 1991, 539 (560 f.). 374 TGI Nanterre, Urt. v. 15.07.1999, D. 2000, SC, S. 272, Anm. Caron; Ravanas, D. 2000, chron., S. 459 (461); Auvret, LP 2000, nq170, II, S. 33 (33 ff.); Bigot, LP 2001, nq182, II, S. 68 (68 ff.); Derieux, LP 1999, nq162, II, S. 65 (66 ff.); anders aber Amson, LP 2000, nq175, II, S. 106 (107 f.), wonach das Recht am eigenen Bild absolut geschützt sei. 369
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und dem Recht der Öffentlichkeit auf Informationen erkennen.375 Wie im deutschen Recht können hierbei weder die Persönlichkeitsrechte noch die Kommunikationsfreiheiten absoluten Vorrang beanspruchen. Die Gerichte verweisen stets darauf, dass das Recht am eigenen Bild nicht absolut geschützt sei, sondern im Einzelfall den Bedürfnissen der Öffentlichkeit weichen müsse.376 Das gelte vor allem dann, wenn eine Person in der Öffentlichkeit bekannt sei, etwa weil ihre Erscheinung oder private Details bereits in der Presse ausgebreitet wurden.377 Auffällig ist, dass die französischen Entscheidungen keinen den deutschen Urteilsbegründungen vergleichbaren Umfang erreichen.378 Die Cour de cassation begnügt sich in der Regel damit, die betroffenen Grundrechtspositionen und das Ergebnis der Interessenabwägung zu nennen, ohne die kollidierenden Interessen erkennbar einer umfassenden Bewertung zugeführt zu haben.379 Den umfangreicheren Entscheidungen der Instanzgerichte380 lässt sich jedoch entnehmen, dass auch im französischen Recht eine Grundrechtskollision dadurch aufgelöst wird, dass die kollidierenden Rechte unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.381
II. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes Im Folgenden werden Gegenstand und Reichweite des Rechts am eigenen Bild im französischen Recht erörtert. Die Untersuchung folgt im Wesentlichen dem aus der deutschen Grundrechtsdogmatik bekannten Aufbau von Schutzbereich, Eingriff in den Schutzbereich und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Zunächst wird dargelegt, welche Abbildungen überhaupt vom Bildnisbegriff ___________ 375 Vgl. TGI Nanterre, Urt. v. 18.01.1995, Gaz. Pal. 1996, JP, S. 279; TGI Nanterre, Urt. v. 06.04.1995, Gaz. Pal. 1995, JP, S. 285 – Cantona; TGI Nanterre, Urt. v. 13.01.1997, LP 1997, nq144, I, S. 107; TGI Paris, Urt. v. 15.10.1997, LP 1998, nq150, I, S. 35. 376 TGI Nanterre, Urt. v. 14.03.2001, LP 2001, nq182, I, S. 68; TGI Paris, Urt. v. 03.12.2001, LP 2002, nq189, I, S. 30. 377 Vgl. CA Paris, Urt. v. 13.03.1986, D. 1986, IR, S. 445, Anm. Lindon – Noah. 378 Bartnik, Bildnisschutz, S. 123. 379 Z. B. Cass. civ., Urt. v. 25.01.2000, LP 2001, n°170, III, S. 46. 380 Vgl. CA Versailles, Urt. v. 07.12.2000, LP 2001, nq179, III, S. 36; CA Paris, Urt. v. 02.11.2000, LP 2001, nq178, III, S. 20. 381 Vgl. Potvin, Image, S. 353: „Le juge doit procéder à un examen minutieux des circonstances de chaque espèce et déterminer, après avoir balancé les intérêts en présence, si l’intérêt du public à être informé doit triompher sur le droit de l’individu au secret de sa vie privée.“ Ähnlich Ravanas, Image, nq167 ff.; Massis, Gaz. Pal. 1996, S. 139 (141).
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
erfasst werden. Im Weiteren werden die möglichen Eingriffshandlungen in das Recht auf Privatleben aufgezeigt und erörtert, unter welchen Voraussetzungen eine Einwilligung einen Eingriff in das Recht am eigenen Bild ausschließt. Schließlich wird analysiert, unter welchen Voraussetzungen ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die Untersuchung wird zeigen, dass das französische Recht eine dem § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vergleichbare Schranke für Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte kennt.
1. Eingriff in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild a) Begriff des Bildnisses Der Begriff „image“ kann sowohl das Bild von Personen als auch das von Gegenständen bezeichnen. Er ist insofern weiter als der deutsche Begriff des Bildnisses. Darüber hinaus gleicht das Begriffsverständnis im Wesentlichen dem des deutschen Rechts. Vom Bildnisschutz wird nicht nur die Photographie, sondern auch jede andere künstlerische oder technische Abbildung der Wesensmerkmale einer Person („traits d’une personne“) erfasst.382 Geschützt wird die Abbildung einer Person nur in den Fällen, in denen die abgebildete Person erkennbar ist. In der Marianne-Entscheidung wies das Gericht die Klage von Catherine Deneuve mit der Begründung ab, dass die Skulptur der Marianne mit dem Bildnis der Klägerin nicht ausreichend übereinstimme. Das Gericht betonte, dass nur derjenige sein Recht am eigenen Bild geltend machen könne, der auf der Photographie, dem Film oder ähnlichem erkennbar dargestellt sei. Vorliegend habe der Künstler sich zwar von der Schauspielerin inspirieren lassen, bei der Anfertigung der Skulptur aber die typischen Merkmale der alten Marianne-Büste beibehalten.383 Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass die Erkennbarkeit nicht anhand der Gesichtszüge der abgebildeten Person zu erfolgen hat.384 Es ist ausreichend, wenn eine typische Geste oder Haltung die abgebildete Person für Dritte erkennbar macht.385 Die Erkennbarkeit der abgebildeten Person kann sich auch ___________ 382
Kayser, Vie privée, nq87; Ravanas, Image, nq68. TGI Paris, Urt. v. 18.11.1987, D. 1989, SC, S. 93 – Marianne. 384 Siehe bereits CA Paris, Urt. v. 02.12.1987, D. 1988, II, S. 465 – Eden/Whistler: „[…] les détails autre que la tête, que l’artiste avait donnés primitivement à sa composition, à laide des éléments à lui formis par l’intimité [...].“ 385 TGI Paris, Urt. v. 17.10.1984, D. 1985, SC, S. 324 – Gérard Depardieu. 383
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erst aus dem Begleittext ergeben.386 Bildnisschutz wird nicht gewährt, wenn eine Person so klein abgebildet ist, dass sie nur mit Hilfe einer Lupe identifiziert werden kann387. Die Erkennbarkeit kann ausscheiden, wenn das Bildnis mehrere Jahre alt ist und sich die abgebildete Person inzwischen äußerlich verändert hat.388 Die Erkennbarkeit für Dritte entscheidet darüber, wessen Bildnis vom Persönlichkeitsschutz erfasst wird.389 In der Rechtssache Depardieu wurde dieser von einem ihm ähnlich sehenden Schauspieler in einem Werbefilm für Schokolade nachgeahmt. Die Ähnlichkeit ergab sich vor allem aus der Kopfform, den Gesichtszügen und dem Haarwuchs. Das Gericht bejahte eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild von Gérard Depardieu, da aufgrund der Ähnlichkeit des Doubles auf die in Wirklichkeit gemeinte Person geschlossen werden konnte.390
b) Fallgruppen von Schutzgewährleistungen In den ersten Entscheidungen zum Recht am eigenen Bild wurde ausdrücklich nur die Veröffentlichung von Bildnissen („publication d’image“) als beeinträchtigende Maßnahme erachtet.391 Heute ist anerkannt, dass auch bereits die Anfertigung von Bildnissen („réalisation d’image“) einen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild begründen kann.392 Anders als im deutschen Recht wird gewöhnlich jedoch nicht zwischen der Anfertigung, Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung unterschieden. Eingriffshandlungen werden im französischen Recht überwiegend durch Zuordnung zu einer von drei Schutzgewährleistungen kategorisiert. Es wird danach differenziert, ob mit der Anfertigung oder Veröffentlichung eines Bildnis___________ 386 CA Versailles, Urt. v. 30.06.1994, D. 1995, JP, S. 645 –Caroline von Monaco. In der Entscheidung wurde die Erkennbarkeit der Klägerin auf die Bezeichnung als „La Dame de Saint Rémy“ zurückgeführt. Zur Erkennbarkeit durch den Begleittext siehe TGI Paris, Urt. v. 27.10.1988, D. 1989, SC, S. 358 – Ballerine nautique. 387 TGI Paris, Urt. v. 20.01.1982, D. 1982, IR, S. 163; TGI Lyon, Urt. v. 18.02.1976, JCP 1978, II, n°18900. 388 CA Paris, Urt. v. 12.11.1937, D. 1938, II, S. 93. 389 Vgl. TGI Paris, Urt. v. 27.10.1988, D. 1989, SC, S. 358 – Ballerine nautique; Kayser, Vie privée, nq87; anders noch TGI Paris, Urt. v. 06.06.1984, D. 1985, SC, S. 18 – Avocat/sosie. 390 TGI Paris, Urt. v. 17.10.1984, D. 1985, SC, S. 324 – Gérard Depardieu. 391 Vgl. Trib. civ. Seine, Urt. v. 16.06.1858, D. 1858, III, S. 62 – Rachel; Cass. civ., Urt. v. 14.03.1900, D. 1900, I, S. 497 (500) – Eden/Whistler. 392 Kayser, Vie privée, nq87 ff.; Ravanas, Image, n°105 ff.
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ses in den Schutz des Privatlebens, den Schutz vor Verfälschung der Persönlichkeit oder den Schutz vor Ausbeutung der Persönlichkeit eingegriffen wird.
aa) Schutz des Privatlebens Das Recht am eigenen Bild schützt davor, dass das Privatleben der abgebildeten Person durch die Anfertigung oder Verbreitung ihres Bildnisses verletzt wird. Das Recht auf Achtung des Privatlebens ist in Art. 9 Abs. 1 Code civil verankert. Der Wortlaut der Vorschrift ist beinahe identisch mit Art. 8 Abs. 1 EMRK und gewährleistet dem Einzelnen einen umfassenden Schutz seiner Privatsphäre.393
(1) Begriff des Privatlebens: Kasuistische Begriffsbestimmung Die Bestimmung des Begriffs des Privatlebens stößt im französischen Recht auf Schwierigkeiten. Im Kern besteht das Problem darin, das Privatleben vom öffentlichen Leben abzugrenzen.394 Da Art. 9 Code civil selbst keine Legaldefinition des Begriffs „Privatleben“ enthält, wird versucht, diesem Mangel mit eigenen Begriffsbestimmungen Abhilfe zu leisten. Das Recht auf Privatleben bestehe etwa darin, seine eigene Existenz mit einem Minimum äußerer Einflussnahme zu führen395 oder im Recht auf ein zurückgezogenes und anonymes Leben396. Das Privatleben sei Dritten gegenüber verschlossen; im Schrifttum wird daher auch von einem „droit au secret de la vie privée“ gesprochen.397 Vielfach wird das Privatleben als Sphäre beschrieben, in der der Einzelne das Recht habe, in Ruhe gelassen zu werden.398 Auch im französischen Recht lässt sich zwischen dem thematischen und dem räumlichen Schutzbereich des Privatlebens differenzieren.
___________ 393
Gounalakis, Privacy and the Media, S. 66. Kerpen, Internationales Privatrecht, S. 53; siehe auch Beignier, Honneur et droit, S. 57 ff. 395 Lindon, Création prétorienne, n°35. 396 Vgl. CA Paris, Urt. v. 15.05.1970, D. 1970, JP, S. 466 397 Kayser, Vie privée, nq181. 398 Ravanas, Image, nq189 („d’être laissé tranquille“); vgl. Beignier, Honneur et droit, S. 60. 394
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(a) Thematischer Schutzbereich In thematischer Hinsicht besteht über den Begriff des Privatlebens keine Einigkeit.399 Teilweise wird vertreten, dass jeder Einzelne selbst über den Inhalt seines Privatlebens entscheiden dürfe.400 Wieder andere stellen das Privatleben dem öffentlichen Leben gegenüber und versuchen, eine negative Begriffsbestimmung vorzunehmen. Begründet wird diese Methode damit, dass die Elemente des öffentlichen Lebens verhältnismäßig einfach zu bestimmen seien.401 Eine der deutschen Sphärentheorie vergleichbare Unterscheidung wurde in der Rechtsprechung zeitweilig mit den Begriffen „vie privée“ und „intimité de la vie privée“ versucht. Diese Abgrenzung war Folge der Neuformulierung von Art. 9 Abs. 2 Code civil, der den Erlass von Schutzmaßnahmen im einstweiligen Rechtsschutz auf Verletzungen der Intimsphäre beschränkt.402 Ähnlich wie in Deutschland wurde die Intimsphäre als Kernbereich der Persönlichkeit angesehen.403 Kritisiert wurde jedoch, dass diese Differenzierung keine Klarheit schaffe, wenn bereits der Begriff des Privatlebens nicht definiert werden könne.404 Es erstaunt daher nicht, dass in der französischen Rechtsprechung heute nur noch selten zwischen der Privat- und der Intimsphäre unterschieden wird.405 Die weitaus überwiegende Auffassung ist sich einig, dass es unmöglich ist, eine allgemeingültige Begriffsbestimmung vorzunehmen.406 In einer empirischen Annäherung wird versucht, Lebenssachverhalte zu bestimmen, die dem Bereich des Privatlebens zugeordnet werden können. Dabei zeigen sich von Autor zu Autor Unterschiede. Als Elemente des Privatlebens werden aber regelmäßig das persönliche und familiäre Leben genannt, während gesellschaftli___________ 399
Siehe hierzu Roussineau, Droit à l’image, S. 49 ff. TGI Paris, Urt. v. 24.01.1997, Pet. Aff. 37/1997, S. 22, Anm. Serna; CA Paris, Urt. v. 27.02.1981, D. 1981, JP, S. 457, Anm. Lindon – Isabelle Adjani; weitere Nachweise bei Beignier, Honneur et droit, S. 60. 401 Badinter, JCP 1968, I, n°2136; kritisch Agostinelli, Information et vie privée, n°122 ff.; Potvin, Image, S. 159; Rigaux, Biens de la personnalité, S. 717. 402 Art. 9 Abs. 2 Code civil: „Les juges peuvent, sans préjudice de la réparation du dommage subi, prescrire toutes mesures, telles que séquestre, saisie et autres, propres à empêcher ou faire cesser une atteinte à l’intimité de la vie privée: ces mesures peuvent, s’il y a urgence, être ordonnées en référé.“ 403 Lindon, Création prétorienne, nq129; Bertrand, Droit à l’image, n°37 ff. 404 Acquarone, D. 1985, chron., S. 129 (130 Fn. 8). 405 In letzter Zeit wohl nur TGI Paris, Urt. v. 18.10.1996, LP 1997, n°139, I, S. 26; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 156. 406 Agostinelli, Information et vie privée, n°133 ff.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 156; Heisig, Persönlichkeitsschutz, S. 87; Kayser, Vie privée, nq143 ff. 400
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che und berufliche Ereignisse dem öffentlichen Leben zugeordnet werden.407 Das persönliche Leben zeigt sich in dem Liebes- und Gefühlsleben einer Person408, ihrer Gesundheit409, Schwangerschaft410, in ihrer Identität411, religiösen oder politischen Anschauungen412 oder in ihrer Freizeit413. Das familiäre Leben umfasst neben dem Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern414 sowohl das Eheleben und das Verlöbnis als auch das außereheliche Zusammenleben.415
(b) Räumlicher Schutzbereich Im französischen Recht ist anerkannt, dass die Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen im häuslichen Bereich verboten ist416. Neben der Wohnung417 zählen auch die Garage und der Garten („le domicile ou la résidence secondaire“) zum häuslichen Bereich.418 Der Schutz wird darüber hinaus auf ähnlich private Räumlichkeiten erweitert, wie z. B. ein Krankenhauszimmer419 oder den Innenhof einer Justizvollzugsanstalt420.
___________ 407 Zur Problematik der Einordnung des Berufslebens siehe Kayser, Vie privée, nq147. 408 CA Versailles, Urt. v. 08.04.1999, LP 1999, I, S. 91 – Juliette Binoche; TGI Nanterre, Urt. v. 03.03.1999, LP 1999, nq165, I, S. 123 – Caroline von Monaco; TGI Paris, Urt. v. 13.03.2002, LP 2002, nq193, I, S. 86 – Barthez. 409 CA Paris, Urt. v. 27.10.1986, D. 1987, SC, S. 140 – Brigitte Bardot; CA Paris, Urt. v. 09.07.1980, D. 1981, JP, S. 72, Anm. Lindon – Jacques Brel; TGI Paris, Urt. v. 13.05.1998, LP 1999, nq159, I, S. 27 – Naomi Campbell. 410 CA Paris, Urt. v. 07.11.2001, LP 2001, nq187, III, S. 226 – Laetitia Casta; vgl. CA Paris, Urt. v. 27.02.1981, D. 1981, JP, S. 457, Anm. Lindon – Isabelle Adjani. 411 CA Versailles, Urt. v. 13.06.1988, D. 1988, IR, S. 213 (Telefonnummer und Adresse); TGI Paris, Urt. v. 02.06.1979, D. 1977, JP, S. 364 – Caroline von Monaco (Adresse). 412 Vgl. CA Paris, Urt. v. 11.02.1987, D. 1987, SC, S. 385, Anm. Amson/Lindon. 413 CA Paris, Urt. v. 12.05.1986, D. 1986, SC, S. 445 – Farah Diba; TGI Nanterre, Urt. v. 10.09.1997, LP 1998, nq148, I, S. 10 – Stephanie von Monaco; TGI Nanterre, Urt. v. 02.08.1996, D. 1998, SC, S. 79, Anm. Dupeux. 414 CA Paris, Urt. v. 27.02.1981, D. 1981, JP, S. 457 – Isabelle Adjani. 415 Cass. civ., Urt. v. 12.12.2000, LP 2001, nq179, III, S. 31 – Johnny Halliday; Cass. civ., Urt. v. 26.11.1975, JCP 1978, II, n°18811 – Romain Gary; CA Paris, Urt. v. 25.10.1982, D. 1983, JP, S. 363, Anm. Lindon – Jean-Michel Jarre. 416 Lindon, Création prétorienne, nq48; Ravanas, Image, nq181. 417 Vgl. TGI Paris, Urt. v. 08.01.1986, D. 1987, SC, S. 137, Anm. Amson/Lindon. 418 Ravanas, Image, n°181. 419 TGI Paris, Urt. v. 23.03.2000, LP 2001, nq172, I, S. 78. 420 CA Paris, Urt. v. 02.11.2000, LP 2001, nq187, III, S. 19.
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Die Rechtsprechung orientiert sich dabei am strafrechtlichen Begriff des „lieu privée“, der in Art. 226-1 Nouveau code pénal normiert ist.421 Anders als der räumliche Bereich des Privatlebens im deutschen Recht kann sich dieser auch auf den Innenraum eines Autos erstrecken.422 Das wird damit begründet, dass der Abgebildete auch dort darauf vertrauen dürfe, vor den Blicken Dritter geschützt zu sein.423 Eine „private Örtlichkeit“ gemäß Art. 226-1 Nouveau code pénal liegt dagegen nicht vor, wenn ein Ort der Öffentlichkeit frei zugänglich ist424. Das gilt selbst dann, wenn der Zugang an bestimmte Bedingungen – wie z. B. an die Bezahlung eines Eintrittsgeldes – geknüpft ist.425 Unter Verweis auf Art. 226-1 Nouveau code pénal wurde früher im Schrifttum teilweise vertreten, dass die Veröffentlichung von Personenaufnahmen, die an öffentlichen Orten angefertigt wurden, prinzipiell als rechtmäßig zu erachten sei.426 Diese Auffassung hat jedoch verkannt, dass der strafrechtliche Begriff des „lieu privée“ aus Gründen der Vorhersehbarkeit eine starre Grenze aufweisen muss, die im französischen Recht über die Örtlichkeit der Abbildung geschaffen wird. Allein deshalb eine allgemeingültige Aussage über den räumlichen Schutzbereich des Rechts auf Privatleben im Zivilrecht treffen zu wollen, lässt die besondere Bedeutung der Privatsphäre für die Persönlichkeitsentwicklung außer Acht.427 In Rechtsprechung428 und Schrifttum429 wird heute überwiegend vertreten, dass sich das Privatleben auch an öffentlichen Orten abspielen kann und gemäß Art. 9 Code civil geschützt ist. Maßgebendes Kriterium bei
___________ 421
Bertrand, Droit à l’image, nq292 ff. Siehe hierzu z. B. TGI Paris, Urt. v. 23.03.2000, LP 2001, nq172, I, S. 78; Trib. corr. Nice, Urt. v. 27.04.2000, LP 2001, nq181, I, S. 62; CA Paris, Urt. v. 02.11.2000, LP 2001, nq178, III, S. 19. 422 CA Paris, Urt. v. 23.03.2000, LP 2001, nq172, I, S. 78; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 158. 423 TGI Nanterre, Urt. v. 06.03.2001, LP 2001, nq184, I, S. 103; vgl. CA Paris, Urt. v. 05.06.1979, JCP 1980, II, n°19343, Anm. Lindon – Romy Schneider. 424 Trib. corr. Paris, Urt. v. 18.03.1971, D. 1971, JP, S. 447, Anm. Foulon-Piganiol; Trib. corr. Aix-en-Provence, Urt. v. 16.10.1973, JCP 1974, II, n°17623, Anm. Lindon. 425 Trib. corr. Paris, Urt. v. 23.10.1986, Gaz. Pal. 1987, JP, S. 21. 426 Z. B. Bécourt, Droit sur image, nq88; Stoufflet, JCP 1957, I, n°1374. 427 Ähnlich Bartnik, Bildnisschutz, S. 158 f. 428 TGI Nanterre, Urt. v. 06.03.2001, LP 2001, n°184, I, S. 103; TGI Paris, Urt. v. 04.12.2002, LP 2003, nq204, I, S. 115; CA Paris, Urt. v. 10.01.1985, D. 1985, SC, S. 321, Anm. Lindon – Isabelle Huppert; CA Paris, Urt. v. 12.05.1986, D. 1986, SC, S. 445 – Farah Diba. 429 Ravanas, Image, nq187; Kayser, Vie privée, nq150; Bertrand, Droit à l’image, nq49; Acquarone, D. 1985, chron., S. 129 (130); Bigot, LP 1995, nq126, II, S. 83 (90 f.); Pierrat, LC 1996, nq12, S. 87 (91); Amson, LP 2000, nq175, II, S. 106 (107); Anm. Serna zu TGI Paris, Urt. v. 13.01.1997, JCP 1997, II, n°22845.
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der Abgrenzung des Privatlebens vom öffentlichen Leben ist nicht der Ort des Aufenthalts, sondern die Art der streitgegenständlichen Betätigung.430 Eine Tätigkeit privater Natur ist unabhängig vom Ort des Geschehens geschützt431 und unterliegt einem Abbildungsverbot.432 Die Veröffentlichung eines Photos von Farah Diba am Strand433 oder von Stephanie von Monaco während ihrer Ferien an einem öffentlich zugänglichen Ort wurde daher mit Verweis auf das Recht auf Privatleben als unzulässig erachtet.434 Die Reichweite des Rechts auf Privatleben wird im französischen Recht somit thematisch-funktional und nicht räumlich bestimmt. Entscheidungserheblich ist allein die private Natur des abgebildeten Verhaltens. Auf das Vorliegen einer örtlichen Abgeschiedenheit kommt es – anders als im deutschen Recht435 – nicht an.
(2) Abhängigkeit der Begriffsbestimmung von Status und Bekanntheitsgrad der betroffenen Person? In Frankreich ist seit langem anerkannt, dass auch Personen des öffentlichen Lebens („personnes publiques“) ein Recht auf Achtung ihres Privatlebens haben.436 Grundlegend für den Schutz des Privatlebens prominenter Personen ist die Rechtssache Brigitte Bardot aus dem Jahr 1966. In dem Urteil stellte das Tribunal de grande instance fest, dass die Klägerin trotz ihrer Bekanntheit das ___________ 430 Vgl. Cass. civ., Urt. v. 08.07.1981, JCP 1982, II, n°19830, Anm. Langlade; CA Paris, Urt. v. 10.01.1985, D. 1985, SC, S. 321, Anm. Lindon; CA Paris, Urt. v. 22.02.1989, D. 1989, IR, S. 88; ebenso Ravanas, Image, nq191; Kayser, Vie privée, nq88, 150; Bartnik, Bildnisschutz, S. 154 ff. („thematisch-funktionale Bestimmung des Privatlebens“). 431 TGI Paris, Urt. v. 16.06.1986, D. 1987, SC, S. 126, Anm. Lindon: „La circonstance qu’une personne intéressant l’actualité se trouve dans un lieu public ne peut être interprétée comme une renonciation de ladite personne à se prévaloir du droit que, comme chacun, elle a sur son image et sur sa vie privée, ni entraîner une présomption d’autorisation.“ 432 CA Paris, Urt. v. 28.06.1983, Gaz. Pal. 1983, II, S. 287; CA Versailles, Urt. v. 08.04.1999, LP 1999, nq163, I, S. 91 – Juliette Binoche; Ancel, Gaz. Pal. 1994, S. 13 (18); Kayser, Vie privée, nq150; Potvin, Image, S. 392. 433 CA Paris, Urt. v. 12.05.1986, D. 1986, SC, S. 445; bestätigt durch Cass. civ., Urt. v. 13.04.1988, JCP 1989, II, n°21320, Anm. Putman – Farah Dibah. 434 TGI Nanterre, Urt. v. 10.09.1997, LP 1998, n°148, I, S. 10 – Stephanie von Monaco. 435 Zum Kriterium örtlicher Abgeschiedenheit im deutschen Recht siehe oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (2) (b). 436 CA Paris, Urt. v. 26.07.1986, D. 1987, SC, S. 136, Anm. Lindon; TGI Paris, Urt. v. 29.01.1986, Gaz. Pal. 1987, somm., S. 18: „Toute personne, quelle que soit sa notoriété, a droit au respect de sa vie privée.“
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Recht habe, sich gegen die Veröffentlichung von Photos, die ihr Privatleben betreffen, zu wehren.437 Im Schrifttum wird teilweise vertreten, dass die Bekanntheit der abgebildeten Person Auswirkungen auf den von ihrem Recht auf Privatleben geschützten Inhalt habe. Das Privatleben prominenter Personen sei in Kollision mit dem Recht der Öffentlichkeit auf Informationen einzuschränken. Geschützte Elemente des Rechts auf Privatleben seien nur diejenigen, an denen die Öffentlichkeit kein legitimes Informationsinteresse („intérêt légitime“) habe.438 Andere machen demgegenüber geltend, dass hinsichtlich des Schutzbereichs des Rechts auf Privatleben – im Gegensatz zur Reichweite des Schutzes – bei unbekannten und prominenten Personen nicht zu differenzieren sei.439 Dieser Auffassung wird auch in der Rechtsprechung gefolgt.440 Das Privatleben von Personen des öffentlichen Lebens erfasst deren private und familiäre Angelegenheiten, unabhängig davon, ob an ihnen ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Allerdings ist bei Personen des öffentlichen Lebens besonders zu berücksichtigen, dass das Privatleben nicht absolut geschützt ist. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist an Personen des öffentlichen Lebens regelmäßig größer als an unbekannten Personen.441 Die Reichweite des Bildnisschutzes dieser Personen ist daher in der Regel im Vergleich zur Reichweite des Schutzes (normaler) Privatpersonen geringer. Nicht tangiert wird hingegen der Begriff des Privatlebens. Für den Begriff des Privatlebens gelten bei Personen des öffentlichen Lebens die gleichen Grundsätze wie bei (normalen) Privatpersonen.
bb) Schutz vor Verfälschung der Persönlichkeit Das Recht am eigenen Bild schützt vor Bildnisveröffentlichungen, die die Persönlichkeit der abgebildeten Person verfälscht wiedergeben.442 Mit der Fallgruppe der Verfälschung der Persönlichkeit („dénaturation de la personnalité“) ___________ 437
TGI Seine, Urt. v. 24.11.1965, JCP 1966, II, n°14521 – Brigitte Bardot. Ravanas, Image, nq114; Kayser, Vie privée, nq142; Bartnik, Bildnisschutz, S. 157; Bertrand, Droit à l’image, n°51 ff.; vgl. Lindon, Dictionnaire juridique, S. 256 f. 439 Vgl. Roussineau, Droit à l’image, S. 64 f. 440 TGI Nanterre, Urt. v. 15.07.1999, D. 2000, IR, S. 272, Anm. Caron: „[Les] limites de la vie privée s’apprécient moins strictement à l’égard d’un personnage public.“ 441 Vgl. TGI Nanterre, Urt. v. 03.06.2002, LP 2002, nq194, I, S. 101. 442 Vgl. TGI Paris, Urt. v. 28.06.1974, D. 1974, JP, S. 751 – Lalo; TGI Paris, Urt. v. 04.04.1970, JCP 1970, II, nq16328 – Georges Pompidou. 438
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soll die Wahrheit bildhafter Darstellungen gewährleistet werden. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass gerade Personenabbildungen regelmäßig den Eindruck von Authentizität vermitteln.443 Der Schutz erstreckt sich neben Bildnissen aus dem Bereich des Privatlebens auch auf solche des öffentlichen Lebens. Er geht damit weit über die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 1 Code civil hinaus.444 Eine Verfälschung der Persönlichkeit bezeichnet jede Veränderung der körperlichen, intellektuellen oder moralischen Züge einer Person, die nicht der Wahrheit entspricht.445 Wie im deutschen Recht kann eine Verfälschung zunächst auf einer stofflichen Manipulation eines Bildnisses („falsification matérielle“) beruhen.446 Bereits im Jahr 1899 wurde die Veröffentlichung eines Photos verurteilt, das eine Herzogin in Begleitung eines Journalisten zeigte, dessen rechte Hand scheinbar vertraulich auf der Schulter der Herzogin ruhte und dadurch eine nicht vorhandene Intimität zwischen ihnen vortäuschte.447 Eine stoffliche Manipulation wurde auch in dem Photo einer Person mit ungewöhnlich akzentuierten Brüsten gesehen.448 Eine Verfälschung eines Bildnisses kann darüber hinaus auch in einer intellektuellen Manipulation („falsification intellectuelle“) bestehen.449 Das ist z. B. der Fall, wenn die Persönlichkeit der abgebildeten Person durch das Nebeneinanderstellen einzelner wahrer Abbildungen nicht der Wahrheit entsprechend wiedergegeben wird.450 Eine intellektuelle Manipulation kann auch darin bestehen, dass wahre Abbildungen durch einen hinzugefügten Begleittext einen anderen Bedeutungsgehalt erhalten.451 Wird die abgebildete Person fälschlicher-
___________ 443
Potvin, Image, S. 193; vgl. Ravanas, Image, nq14. TGI Paris, Urt. v. 22.12.1975, JCP 1976, II, n°18410; CA Aix-en-Provence, Urt. v. 14.12.1982, Gaz. Pal. 1983, I, S. 130; Kayser, Vie privée, nq89; Heisig, Persönlichkeitsschutz, S. 137; Bartnik, Bildnisschutz, S. 199. 445 Ravanas, Image, nq12. 446 Zur falsification matérielle siehe Ravanas, Image, n°17 ff. 447 Trib. civ. Seine, Urt. v. 03.08.1899, Ann. Prop. Ind. 1902, S. 175. 448 Trib. civ. Seine, Urt. v. 04.11.1959 – Dlle Alexeff, zitiert in Ravanas, Image, n°21. 449 Zur falsification intellectuelle siehe Ravanas, Image, n°23 ff.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 199 f. 450 Trib. civ. Paris, Urt. v. 22.12.1950 – Lieutnant, zitiert in Ravanas, Image, nq23. 451 TGI Paris, Urt. v. 04.10.1989, D. 1990, SC, S. 240, Anm. Amson; TGI Paris, Urt. v. 09.07.1985, D. 1986, SC, S. 191, Anm. Lindon; CA Paris, Urt. v. 28.01.1982, Gaz. Pal. 1982, II, S. 387. 444
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weise als Kriminelle bezeichnet, muss ebenfalls eine Verletzung ihres Rechts am eigenen Bild bejaht werden.452
cc) Schutz vor Ausbeutung der Persönlichkeit Mit der Fallgruppe der Ausbeutung der Persönlichkeit („exploitation de la personnalité“) soll gewährleistet werden, dass jede Person selbst die Früchte ihrer Bekanntheit ernten oder sich in freier Selbstbestimmung gegen eine Vermarktung ihres Bildnisses entscheiden kann.453 Es ist anerkannt, dass eine kommerzielle Bildnisverwertung grundsätzlich nur mit Einwilligung der abgebildeten Person zulässig ist. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob es sich bei der abgebildeten Person um eine solche des öffentlichen Lebens handelt oder nicht.454 Die abgebildete Person hat ein dem urheberrechtlichen Nutzungsrecht entsprechendes „monopole d’exploitation“.455 Neben dem persönlichkeitsrechtlichen Aspekt kommt dem Recht am eigenen Bild auch ein vermögensrechtlicher Aspekt zu.456 Im Schrifttum wird daher von einer „double nature“ des Rechts am eigenen Bild gesprochen.457 Gleichwohl werden die persönlichkeitsrechtlichen Wurzeln des Rechts am eigenen Bild nicht verkannt: Der Schutz vor kommerzieller Ausbeutung der Persönlichkeit wird überwiegend als eine Modalität der „dénaturation de la personnalité“ verstanden.458 Die Bildnisveröffentlichung suggeriere, dass die abgebildete Person in die Vermarktung ihres Bildnisses eingewilligt habe.459 Die unbefugte Veröffentlichung von Bildnissen auf klassischen Werbeträgern – wie auf Plakaten460 oder in Zeitungsannoncen461 – ist ebenso unzulässig ___________ 452
Cass. civ., Urt. v. 11.02.1999, D. 1999, IR, S. 62; vgl. TGI Paris, Urt. v. 13.03.1995, D. 1997, SC, S. 71, Anm. Dupeux. 453 Ravanas, Image, n°43; Potvin, Image, S. 214; Acquarone, D. 1985, chron., S. 129 (133). 454 TGI Nanterre, Urt. v. 14.06.1984, D. 1985, IR, S. 163 – Brigitte Bardot. 455 Bertrand, Droit à l’image, n°302 ff.; Acquarone, D. 1985, chron., S. 129 (134). 456 CA Paris, Urt. v. 03.04.1987, D. 1987, IR, S. 116; CA Paris, Urt. v. 09.05.1985, D. 1986, SC, S. 49. 457 Kayser, Vie privée, nq95; Neumann-Klang, Recht am eigenen Bild, S. 117 ff.; vgl. Acquarone, D. 1985, chron., S. 129 (132 ff.); Beignier, Droit de la personnalité, S. 61. 458 Ravanas, Image, nq43; Potvin, Image, S. 213 ff.; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 208; Heisig, Persönlichkeitsschutz, S. 115 f. 459 Vgl. TGI Paris, Urt. v. 17.10.1984, D. 1985, SC, S. 324 – Gérard Depardieu; TGI Paris, Urt. v. 20.01.1982, D. 1982, SC, S. 163 (164) – Catherine Deneuve; TGI Paris, Urt. v. 21.11.1984, D. 1985, SC, S. 164, Anm. Lindon – Brigitte Bardot und Annie Giradot. 460 Z. B. TGI Paris, Urt. v. 16.10.2002, LP 2002, n°197, I, S. 151.
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wie die Nutzung auf Merchandising-Artikeln462. Auch die Vermarktung des Bildnisses an sich – wie auf Postkarten oder auf Postern463 – ist ohne Einwilligung der abgebildeten Person untersagt.464 Der Schutz vor Ausbeutung der Persönlichkeit erstreckt sich sowohl auf Bildnisse aus dem Bereich des Privatlebens als auch auf solche, die bei der Ausübung öffentlicher Aufgaben entstanden sind.465 Eine Verletzung des Bildnisschutzes liegt vor, wenn ein Bildnis, in dessen Anfertigung und Veröffentlichung ursprünglich eingewilligt wurde, zu einem anderen kommerziellen Zweck unbefugt verwendet wird. Das ist z. B. der Fall, wenn die Abbildung von zwei Tänzerinnen auf der Titelseite einer lesbischen Zeitschrift veröffentlicht wird, obwohl das Photo lediglich die Aufführung eines Tanzes dokumentieren sollte.466 Auch die Abbildung von Nacktphotos in einer Pornozeitschrift ist unzulässig, wenn sie ursprünglich zu Werbezwecken angefertigt wurden.467 Wie im deutschen Recht existieren Fälle, in denen mit einer Abbildung neben kommerziellen Interessen auch öffentliche Informationsinteressen verfolgt werden. Zwar wird mitunter darauf verwiesen, dass die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen unschädlich sei, sofern sonstige Interessen nicht gänzlich in den Hintergrund treten.468 Aus der Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass im Zweifel zugunsten der Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person entschieden wird. Die Veröffentlichung von Photos des berühmten Tennisspielers Yannick Noah in einem Bildband wurde als unzulässig erachtet, da sie hauptsächlich von wirtschaftlichen Interessen getragen sei. Die Wahrnehmung etwaiger Informationsinteressen könne die Persönlichkeitsbeeinträchtigung des Sportlers nicht rechtfertigen.469
___________ 461
Z. B. TGI Paris, Urt. v. 21.11.1984, D.1985, SC, S. 164, Anm. Lindon – Girardot/Bardot. 462 Z. B. TGI Paris, Urt. v. 02.10.1996, LP 1996, n°138, I, S. 4 – Jean-Pierre Coffe. 463 Z. B. CA Paris, Urt. v. 26.02.1991, D. 1991, IR, S. 136. 464 Vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 210. 465 Kayser, Vie privée, nq90. 466 TGI Paris, Urt. v. 25.04.1975, Gaz. Pal. 1975, II, S. 680 – Schubert-Wagner et Albrecht. 467 TGI Paris, Urt. v. 11.12.1996, LP 1997, nq142, I, S. 68. 468 Vgl. Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 37; vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 211. 469 TGI Paris, Urt. v. 21.12.1983, D. 1984, SC, S. 331, Anm. Lindon; ähnlich TGI Paris, Urt. v. 25.02.1998, LP 1998, n°152, I, S. 68.
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2. Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit In Rechtsprechung470 und Schrifttum471 ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild ausscheidet, wenn die abgebildete Person in die Anfertigung oder Veröffentlichung des Bildnisses eingewilligt hat. Im Gegensatz zum deutschen Recht besteht das Erfordernis einer Einwilligung im französischen Recht ungeachtet dessen, ob das Bildnis einer (normalen) Privatperson oder einer Person des öffentlichen Lebens betroffen ist.472
a) Erklärung der Einwilligung Das französische Recht stellt an das Vorliegen einer Einwilligung strenge Anforderungen. Teilweise wird vertreten, dass eine Einwilligung in die Anfertigung bzw. Veröffentlichung von Bildaufnahmen ausdrücklich erklärt werden müsse.473 Nach anderer Auffassung ist eine ausdrückliche Einwilligung nur bei tief greifenden Eingriffen in das Recht am eigenen Bild – wie z. B. bei Eingriffen in die Intimsphäre der abgebildeten Person – erforderlich.474 Auch für die Veröffentlichung eines Bildnisses zu Werbezwecken wird teilweise das Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung verlangt.475 Die überwiegende Auffassung geht demgegenüber davon aus, dass die Einwilligung sowohl ausdrück-
___________ 470
Siehe bereits CA Paris, Urt. v. 09.07.1976, Juris-Data nq0474 – Dlle Guipier v. Bertrand; CA Paris, Urt. v. 30.03.1981, Gaz. Pal. 1982, I, S. 35 – Dame Antonelli v. Éditions France Libre; CA Paris, Urt. v. 28.06.1983, Gaz. Pal. 1983, II, S. 287 – Presse Alliance v. S.A.R.L. Angeli; CA Paris, Urt. v. 12.05.1986, D. 1986, IR, S. 445 – Jours de France v. Agence Angeli; CA Paris, D. 1988, IR, S. 120 – Jours de France v. Farah Diba. 471 Ferid/Sonnenberger, Französisches Zivilrecht, Rn. 1 D 245; Ravanas, Image, n°243 ff.; Agostinelli, Information et vie privée, n°343 ff.; Bécourt, Image et vie privée, S. 107 ff.; Kayser, Vie privée, n°136; Potvin, Image, S. 403 ff.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 83 ff. 472 Vgl. TGI Seine, Urt. v. 23.06.1966, JCP 1966, II, nq14875, Anm. Lindon – Époux Blier. 473 TGI Paris, Urt. v. 13.11.1997, JCP 1997, II, n°22845, Anm. Serna; ebenso Pierrat, Reproduction interdite, S. 37 f.; v. Gerlach, AfP 2001, 1 (2); Hauser, GRUR Int. 1988, 839 (840). 474 CA Paris, Urt. v. 28.06.1983, Gaz. Pal. 1983, II, S. 287 – Presse Alliance v. S.A.R.L. Angeli; TGI Paris, Urt. v. 23.06.1982, JCP 1983, IV, S. 325; vgl. bereits CA Paris, Urt. v. 17.03.1966, D. 1966, JP, S. 749 – Trintignant; ähnlich Potvin, Image, S. 408; vgl. Neumann-Klang, Recht am eigenen Bild, S. 121. 475 CA Paris, Urt. v. 16.02.2001, LP 2001, n°185, I, S. 119; ebenso Bartnik, Bildnisschutz, S. 94.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
lich als auch konkludent erklärt werden kann.476 Ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalls, dass der Abgebildete mit der Anfertigung oder Veröffentlichung seines Bildnisses einverstanden ist, scheidet eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild aus. Bloßem Schweigen kommt allerdings keine rechtserhebliche Bedeutung zu.477 Ähnlich wie in § 22 S. 2 KUG wird in der Entgegennahme von Entgelt eine konkludente Einwilligung in die Anfertigung und Veröffentlichung des Bildnisses gesehen.478 In Rechtsprechung479 und Schrifttum480 wird teilweise vertreten, dass eine konkludente Einwilligung bereits dann vorliege, wenn sich eine Person willentlich in die Öffentlichkeit begeben habe und dort Gegenstand einer Bildaufnahme geworden sei.481 Die Gegenauffassung hält diese Annahme für eine bloße Fiktion: Eine Person, die sich in der Öffentlichkeit bewege, will dadurch Dritte in der Regel nicht zur Anfertigung ihres Bildnisses ermächtigen.482 Ob die Anfertigung bzw. Veröffentlichung von Bildnissen in der Öffentlichkeit zulässig ist, könne nur durch eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person bestimmt werden.483 Aus den Umständen des Einzelfalls kann sich ergeben, dass eine Bildnisanfertigung und Veröffentlichung gerade nicht erwünscht sind. Das Tragen einer Sonnenbrille wurde z. B. vom Cour d’Appeal Paris als Indiz dafür gewertet, dass sich die abgebildete Person auf einer Beerdigung vor der Neugier der Öffentlichkeit abschirmen wollte. Damit habe sie konkludent ihre Einwilligung zur Anfertigung ihres Bildnisses ebenso wie zur Bildnisveröffentlichung ver___________ 476 CA Paris, Urt. v. 18.03.1991, D. 1991, IR, S. 109; vgl. TGI Paris, Urt. v. 28.06.1975, JCP 1976, IV, S. 326 – Came Carltegen v. Hamilton: „[autorisation] peut se déduire des circonstances de l’espèce“; ebenso Ravanas, Image, n°247 ff.; Kayser, Vie privée, n°134; Potvin, Image, S. 406 f., 410; Bartnik, Bildnisschutz, S. 94 ff. 477 Ravanas, Image, n°250. 478 CA Paris, Urt. v. 18.03.1991, D. 1991, IR, S. 109. 479 Cass. civ., Urt. v. 06.01.1971, D. 1971, JP, S. 263, Anm. Edelman – Günther Sachs; Cass. civ., Urt. v. 08.07.1981, D. 1982, S. 65, Anm. Lindon – Jacques Brel; CA Paris, Urt. v. 25.05.1987, D. 1987, SC, S. 384; CA Versailles, Urt. v. 31.01.1991, D. 1991, IR, S. 182 – Belmondo; TGI Nanterre, Urt. v. 06.04.1995, Gaz. Pal. 1995, I, S. 285. Siehe hierzu Hauser, GRUR Int. 1988, 839 (840). 480 Stoufflet, JCP 1957, I, n°1374; Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (38); Amson, LP 2000, n°175, II, S. 106 (107 f.); vgl. v. Gerlach, AfP 2001, 1 (1 f.), der an das Auftreten in der Öffentlichkeit aber gewisse Voraussetzungen knüpft. 481 Ausführliche Darstellung der Meinungsgruppe bei Ravanas, Image, n°151 ff. 482 Kayser, Vie privée, n°134; Ravanas, Image, n°148 ff.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 96; Rigaux, Biens de la personnalité, n°311; Potvin, Image, S. 399. 483 Ravanas, Image, n°162 a.E.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 96 f.; Bigot, D. 1998, chron., S. 235 (236).
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weigert.484 Es ist anerkannt, dass eine Person nicht photographiert werden darf, wenn sie ihr Einverständnis ausdrücklich verweigert.485 Eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild wurde daher bejaht, als der Musiker Jacques Brel im kranken Zustand gegen seinen erklärten Willen beim Verlassen eines Flugzeugs abgelichtet wurde.486 Im Falle der Veröffentlichung oder Anfertigung von Bildnissen Minderjähriger ist auch im französischen Recht die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Das folgt aus Art. 389-3 Abs. 1 Code civil, der die gesetzliche Vertretung Minderjähriger im Rechtsverkehr zwingend vorschreibt. Es ist darüber hinaus anerkannt, dass neben der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auch die Einwilligung des Minderjährigen eingeholt werden muss, wenn dieser bereits die notwendige Einsichtsfähigkeit aufweist.487 Das Recht am eigenen Bild sei ein derart gewichtiges Persönlichkeitsrecht, dass ein einsichtsfähiger Minderjähriger nicht ohne seine Einwilligung abgebildet werden dürfe.488
b) Reichweite der Einwilligung Die Reichweite der Einwilligung wird restriktiv zugunsten der abgebildeten Person beurteilt.489 Für jede Anfertigung oder Veröffentlichung eines Bildnisses ist grundsätzlich eine spezielle, gerade hierauf gerichtete Einwilligung erforderlich.490 Eine Person, die mit der Anfertigung ihres Bildnisses einverstanden ist, hat in der Regel nicht auch konkludent in die Veröffentlichung eingewilligt.491 Die Einwilligung, die für die Veröffentlichung eines Bildnisses in einer ___________ 484
CA Paris, Urt. v. 25.10.1977, Juris-Data, nq002811 – Salvador v. la société ici Pa-
ris. 485
CA Paris, Urt. v. 17.03.1966, D. 1966, JP, S. 749 – Trintignant; Potvin, Image, S. 416 f.; v. Gerlach, JZ 1998, 741 (746). 486 CA Paris, Urt. v. 09.07.1980, D. 1981, JP, S. 72 – Jacques Brel. 487 Zur Einwilligung beschränkt Geschäftsfähiger siehe Bartnik, Bildnisschutz, S. 90 ff. 488 Ravanas, Image, n°379. 489 Cass. civ., Urt. v. 20.06.1966, JCP 1966, II, nq14890 – Brialy; CA Paris, Urt. v. 19.10.1981, D. 1982, IR, S. 180; CA Paris, Urt. v. 27.11.1974, JCP 1975, IV, S. 280 – Danseuse de cabaret; TGI Paris, Urt. v. 18.11.1987, D. 1988, SC, S. 200; ebenso Ravanas, Image, n°73, 92 ff.; siehe auch Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (38). 490 Ravanas, Image, n°92; Kayser, Vie privée, n°138; vgl. Bertrand, Droit à l’image, n°387 ff. 491 TGI Paris, Urt. v. 26.02.1976, JCP 1977, IV, S. 257 – Dlle Le Poulain v. Publications hebdomadaires parisiennes; CA Paris, Urt. v. 22.03.1983, Juris-Data, nq022334 – Ferrero v. Dame Tovex; Trib. civ. Seine, Urt. v. 24.03.1937, Gaz. Pal. 1937, II, S. 54 – Casciani v. Journal Adam (Modell). Aufgrund der Umstände des Einzelfalls anders ent-
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bestimmten Zeitschrift gegeben wurde, erstreckt sich nicht auf die Veröffentlichung des Bildnisses in einer anderen Zeitschrift.492 Photos, die im Laufe eines öffentlichen Ereignisses mit Zustimmung der betroffenen Person angefertigt wurden, dürfen nicht losgelöst von diesem Ereignis verwendet werden.493 Die Zustimmung zur Verwendung eines Bildnisses zu kommerziellen Zwecken – sie z. B. in der Werbung – muss einer Einwilligung unmissverständlich entnommen werden können.494 Teilweise wird im Schrifttum vertreten, dass sich bei Personen der Zeitgeschichte die konkludente Einwilligung in frühere Bildnisveröffentlichungen automatisch auch auf die Veröffentlichung späterer Abbildungen erstrecke.495 Andere wollen in dieser Situation auf das Erfordernis der Einwilligung vollständig verzichten.496 Unter dem Gesichtspunkt der einzelfallbezogenen Einwilligung verlangen demgegenüber Rechtsprechung497 und herrschendes Schrifttum498 auch hier das Vorliegen einer Einwilligung, die sich speziell auf die streitgegenständliche Abbildung bezieht. In der Rechtssache Depardieu, der bei einem Tête-à-tête auf der Terrasse einer Hotelsuite heimlich mit einem Teleobjektiv photographiert wurde, stellte das Gericht in aller Deutlichkeit fest, dass es jedem selbst überlassen sei, zu bestimmen, welche Informationen aus seinem Privatleben der Öffentlichkeit offenbart werden. Die Tatsache, dass der Schauspieler häufig bereitwillig über Privates berichtet habe, befreie nicht vom Erfordernis einer Einwilligung.499 Schließlich ist anerkannt, dass die Einwilligung zur Veröffentlichung von Photos zusammen mit einem Begleittext nicht auch ihre Verbreitung ohne diesen Begleittext erfasst.500 Gleichsam enthält die Zustimmung zur Veröffentli___________ schieden in TGI Paris, Urt. v. 13.02.1974, D. 1974, JP, S. 550 (konkludente Einwilligung durch Teilnahme am Kongress); siehe auch Potvin, Image, S. 415. 492 Cass. civ., Urt. v. 02.01.1971, D. 1971, JP, S. 263 – Günther Sachs. 493 TGI Paris, Urt. v. 16.20.1973, D. 1973, IR, S. 212; Cass. civ., Urt. v. 20.06.1966, JCP 1966, II, nq14890 – Brialy. 494 Vgl. CA Versailles, Urt. v. 04.11.1999, D. 2000, JP, S. 347, Anm. Ravanas. 495 Edelmann, Anm. zu TGI Paris, Urt. v. 30.06.1971, D. 1971, JP, S. 680; Toulemon, Anm. zu CA Paris, Urt. v. 27.04.19761, Gaz. Pal. 1971, S. 555; Mimin, Anm. zu Cass, civ., Urt. v. 12.07.1966, D. 1967, JP, S. 185. Zum Streitstand siehe Ravanas, Image, nq251 ff. 496 Lindon, Création prétorienne, nq105, 51. 497 CA Paris, Urt. v. 12.09.1995, LP 1996, n°198, III, S. 21; siehe bereits CA Paris, Urt. v. 15.03.1969, JCP 1969, II, n°15894 – Günther Sachs; CA Paris, Urt. v. 15.05.1970, D. 1970, JP, S. 471 – Jean Ferrat. 498 Ravanas, Image, n°256 ff.; Kayser, Vie privée, n°139; Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (38); Badinter, JCP 1968, n°2136. 499 TGI Paris, Urt. v. 24.01.1997, Pet. Aff. 37/1997, S. 22 – Gérard Depardieu. 500 CA Paris, Urt. v. 27.11.1974, JCP 1975, IV, S. 280 – Danseuse de cabaret.
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chung eines Bildnisses nur dann konkludent die Einwilligung zur Wiedergabe des Bildnisses mit einem Begleittext, wenn dieser vorhersehbar war. Eine Einwilligung in die Veröffentlichung eines Bildnisses erfasst nicht seine Veröffentlichung in einem diffamierenden Kontext.501
3. Schranken des Rechts am eigenen Bild Im französischen Recht gelten ähnliche Schranken des Rechts am eigenen Bild wie sie in Deutschland in § 23 Abs. 1 KUG normiert sind502. Eine Bildnisveröffentlichung ist ohne Einwilligung der abgebildeten Person möglich, wenn sie als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit abgebildet ist (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 2 KUG).503 Auch bei Großveranstaltungen kann vom Einwilligungserfordernis abgesehen werden (vgl. § 23 Abs. 1 Nr. 3 KUG).504 Vorliegend interessiert aber vor allem, dass auch Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte unter bestimmten Umständen ohne Einwilligung veröffentlicht werden dürfen. Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte sind Abbildungen von Personen, die in ein zeitgeschichtliches Ereignis verwickelt sind („impliquée dans un événement d’actualité“).505 Der Begriff der Zeitgeschichte wird funktional nach dem Maßstab des Informationsinteresses der Öffentlichkeit bestimmt. Neben politischen und geschichtlichen Ereignissen erfasst der Begriff daher auch alltägliche Geschehnisse, sofern diese vom öffentlichen Informationsinteresse getragen sind.506 Das Recht auf Informationen kann jedoch nicht in jedem Fall Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten der abgebildeten Person beanspruchen. Erforderlich ist stets eine Abwägung im Einzelfall, in der die Persönlichkeitsrechte – mithin das Recht am eigenen Bild und das Recht auf Privatleben – ___________ 501
CA Paris, Urt. v. 15.01.1972, Gaz. Pal. 1972, I, S. 302 – Spécial Dernière v. Her-
riau: „Le consentement tacite ne se conçoit que dans le cadre d’une publication normalement prévisible et admissible; à l’évidence, le [demandeur] ne pouvait imaginer que serait fait un usage de son image dans les conditions présentées, c’est-à-dire que sa photographie serait accompagnée de commentaires malveillants ce qui constitue un usage abusif alors que la reproduction de la seule photographie sans texte aurait été parfaitement admissible.“ 502 Vgl. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 43 III, S. 701. 503 Z. B. TGI Nanterre, Urt. v. 27.03.2002, LP 2002, n°192, I, S. 69. 504 Z. B. CA Paris, Urt. v. 21.12.1982, Gaz. Pal. 1983, I, S. 203. 505 Cass. civ., Urt. v. 20.02.2001, LP 2001, nq180, III, S. 53, Anm. Derieux – RER. 506 Kayser, Vie privée, nq153: „Le mur de la vie privée s’abaisse pour certaines personnes parce que le public a un intérêt légitime à les mieux connaître que les autres.“
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
dem öffentlichen Informationsinteresse gegenübergestellt werden. Erste Anhaltspunkte für eine gerechte Auflösung der Interessenkollision gibt – ähnlich wie im deutschen Recht – eine Differenzierung zwischen verschiedenen Personen der Zeitgeschichte.
a) Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte: Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen Im französischen Recht wird zwischen Personen des öffentlichen Lebens und solchen Personen unterschieden, die nur durch ein bestimmtes Ereignis in das Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten sind. Die in der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien sind weniger das Ergebnis einer theoretisch fundierten Auseinandersetzung mit normativen Grundlagen als das Resultat einer einzelfallorientierten Kasuistik. Nachfolgende Untersuchung wird aber zeigen, dass im Ergebnis eine ähnliche Differenzierung erfolgt wie sie das deutsche Recht mit der Kategorisierung von Personen als absolute und relative Personen der Zeitgeschichte kennt.
aa) Personen des öffentlichen Lebens Personen des öffentlichen Lebens („personnes publiques“) sind neben Personen mit einer öffentlichen oder politischen Aufgabe auch diejenigen Personen, die anderweitig einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt haben. Kennzeichnend ist, dass sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihres Berufes oder herausragender Leistungen für die Öffentlichkeit von besonderem Interesse sind.507 Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird normativ auf Grundlage einer wertenden Betrachtung bestimmt.508 Zu den Personen des öffentlichen Lebens zählen Mitglieder regierender Fürstenhäuser509, Staatsoberhäupter510 und Politiker511 ebenso wie z. B. Schauspieler, Sportler512, Künstler513 ___________ 507 Ravanas, Image, nq140 f.; Bertrand, Droit à l’image, n°320; Potvin, Image, S. 354 ff.; vgl. Bartnik, AfP 2004, 489 (492). 508 Bartnik, Bildnisschutz, S. 138. Eher für eine empirische Betrachtung wohl Ravanas, Image, n°147; siehe auch CA Paris, Urt. v. 13.03.1986, D. 1986, SC, S. 445 – Noah. 509 TGI Nanterre, Urt. v. 08.01.1997, LP 1997, nq143, I, S. 90 – Stéphanie von Monaco. 510 CA Paris, Urt. v. 12.05.1986, D. 1986, SC, S. 445, Anm. Lindon – Farah Diba. 511 CA Versailles, Urt. v. 08.03.1996, Gaz. Pal. 1996, I, S. 213 – Le Pen; TGI Paris, Urt. v. 03.03.1997, LP 1997, I, S. 100 – de Gaulle.
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und Fernsehmoderatoren514. Die französischen Gerichte betonen in ständiger Rechtsprechung, dass auch Personen der Zeitgeschichte Anspruch auf Schutz ihres Privatlebens haben und diesen auch nicht durch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit verlieren.515 Demgegenüber dürfen Bildnisse aus dem öffentlichen Leben, die mit Wissen dieser Personen aufgenommen werden, auch ohne Einwilligung veröffentlicht werden.516 Das französische Recht lässt innerhalb der Personengruppe „Personen des öffentlichen Lebens“ eine Abstufung der Schutzintensität erkennen.517 Das größte Informationsinteresse kommt der Öffentlichkeit bei Politikern zu. Unter den Politikern muss sich wiederum der Präsident der Republik mit dem geringsten Schutz seines Rechts auf Privatleben begnügen. In der Rechtssache Francois Mitterand sprach das Gericht der öffentlichen Wählerschaft sogar den Anspruch zu, den Gesundheitszustand des Präsidenten zu erfahren.518 Das Privatleben eines Politikers steht so lange im öffentlichen Interesse, wie es sich nachteilig auf das Gemeinwohl auswirken kann. Ein öffentliches Interesse am Ehe- und Liebesleben eines Politikers wird in der Regel verneint. Stehen öffentliche Funktion und Liebesbeziehung allerdings in einem unmittelbaren Zusammenhang kann auch das Liebesleben zulässiger Gegenstand eines Bildberichts sein.519 Für Schauspieler und sonstige prominente Personen ist die Schutzintensität in der Regel größer als bei Personen des politischen Lebens. So hat die französische Rechtsprechung ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der bildhaften Veröffentlichung des Gesundheitszustands eines Schauspielers520 ebenso verneint wie an seinem Tod521. Auch die Schwangerschaft einer Schau___________ 512 CA Paris, Urt. v. 13.03.1986, D. 1986, SC, S. 445, Anm. Lindon – Noah; TGI Nanterre, Urt. v. 06.04.1995, Gaz. Pal. 1995, I, S. 285 – Cantona. 513 CA Paris, Urt. v. 06.03.1998, Gaz. Pal. 1998, somm., S. 468 – Johnny Halliday; CA Paris, Urt. v. 06.07.1965, Gaz. Pal. 1966, JP, S. 39 – Picasso. 514 TGI Nanterre, Urt. v. 15.07.1999, D. 2000, SC, S. 372, Anm. Caron – Poivre d’Arvor. 515 Z. B. Cass civ., Urt. v. 08.07.1981, D. 1982, JP, S. 65, Anm. Lindon – Jacques Brel; Cass. civ., Urt. v. 13.04.1988, JCP 1989, II, n°21320, Anm. Putman – Farah Diba. 516 Ravanas, Image, nq191 ff. 517 Potvin, Image, S. 356 ff. („les personnalités politique“, „les personnes qui ont acquis la notoriété grâce à leurs activités professionnelles“); Kayser, Vie privée, n°153 ff. 518 Vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 163. 519 Zum öffentlichen Informationsinteresse an Politikern siehe Kayser, Vie privée, nq154. 520 CA Paris, Urt. v. 09.07.1980, D. 1981, JP, S. 72 – Jacques Brel; CA Paris, Urt. v. 17.03.1986, Gaz. Pal. 1986, JP, S. 429 – Chantal Nobel. 521 Vgl. Bartnik, Bildnisschutz, S. 160 f.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
spielerin ist grundsätzlich ihre Privatangelegenheit und unterliegt nicht der Abbildungsfreiheit.522 An den Umständen einer Scheidung, dem Eheleben523 oder dem außerehelichen Liebesleben eines Schauspielers besteht ebenfalls kein schützenswertes öffentliches Informationsinteresse. Die Gefühle einer Person werden im französischen Recht dem Kernbereich der Persönlichkeit zugeordnet,524 mit der Folge, dass derartige Veröffentlichungen nahezu ausschließlich als unzulässig erachtet werden.525
bb) Sonstige zeitgeschichtlich bedeutsame Personen Wie im deutschen Recht wird auch in Frankreich ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Abbildung von solchen Personen bejaht, die durch ein besonderes Ereignis in das Zeitgeschehen eingetreten sind und hierdurch öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben.526 Bei dem Ereignis kann es sich sowohl um ein internationales Drama – wie z. B. einen spektakulären Bombenanschlag – als auch um sonstige Begebenheiten handeln, solange sie aus dem Alltäglichen herausragen.527 Zu den zeitgeschichtlich bedeutsamen Personen zählen Straftäter528, deren Opfer529 ebenso wie Zeugen oder Anwälte530. Auch die
___________ 522 Cass. civ., Urt. v. 11.07.1985, D. 1986, SC, S. 50, Anm. Lindon – Sheila; CA Paris, Urt. v. 07.11.2001, LP 2001, n°187, III, S. 226 – Laetitia Casta. 523 Z. B. Cass. civ., Urt. v. 12.12.2000, LP 2001, n°179, III, S. 31 – Johnny Halliday. 524 CA Paris, Urt. v. 19.06.1998, D. 1998, IR, S. 204. 525 Z. B. TGI Paris, Urt. v. 24.01.1997, Pet. Aff. 37/1997, S. 22 – Gérard Depardieu; TGI Nanterre, Urt. v. 03.03.1999, LP 1999, n°165, I, S. 123 – Caroline von Monaco; CA Versailles, Urt. v. 08.04.1999, LP 1999, I, S. 91 – Juliette Binoche; TGI Nanterre, Urt. v. 19.12.2000, LP 2001, n°180, I, S. 45; TGI Paris, Urt. v. 13.03.2002, LP 2002, n°193, I, S. 86 – Barthez. 526 Ravanas, Image, nq127 („personnes entrant à un titre quelconque dans le champ de l’actualité“); Bertrand, Droit à l’image, nq84 („personnes mises temporairement sous les feux de l’actualité“); Potvin, Image, S. 361 („personnes protégées dans les feux de l’actualité“). 527 TGI Paris, Urt. v. 21.03.1984, D. 1984, SC, S. 333, Anm. Lindon. Zu den sonstigen Begebenheiten siehe Ravanas, Image, n°128 („les faits divers, la chronique quotidienne“). 528 TGI Paris, Urt. v. 31.10.1996, LP 1997, n°141, III, S. 68, Anm. Hassler/Lapp – Carlos. 529 CA Paris Urt. v. 05.03.1986, D. 1986, SC, S. 189, Anm. Lindon; TGI Metz, Urt. v. 18.11.1998, D. 1999, JP, S. 694, Anm. Hocquet-Berg. 530 Vgl. Ravanas, Image, n°127 ff.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 137.
C. Bildnisschutz in Frankreich
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Bildberichterstattung über einen gewalttätigen Polizisten531 oder einen aus dem Amt entlassenen Richter532 kann von öffentlichem Interesse sein. Die Einwilligung dieser Personen der Zeitgeschichte ist – wie im deutschen Recht bei den relativen Personen der Zeitgeschichte533 – grundsätzlich dann entbehrlich, wenn sie im thematischen und zeitlichen Zusammenhang mit dem zeitgeschichtlichen Ereignis abgebildet werden.534 Dabei wird in thematischer Hinsicht in Rechtsprechung535 und Schrifttum536 teilweise gefordert, dass das zeitgeschichtliche Ereignis ebenfalls auf dem Bild erscheint. Insoweit werden der Abbildungsfreiheit engere Schranken gesetzt als im deutschen Recht.537 Bei der Berichterstattung über Straftäter erkennt das französische Recht dem Betroffenen ein Recht auf Vergessen zu, das die Verwendung des Bildnisses, abhängig von den Besonderheiten der Tat, nach Ablauf einer bestimmten Zeit unzulässig macht.538
b) Einschränkung der Abbildungsfreiheit durch das öffentliche Informationsinteresse Das französische Recht erachtet grundsätzlich nur die Veröffentlichung solcher Bilder von Personen der Zeitgeschichte als zulässig, die einen Zusammenhang zur öffentlichen Funktion oder gesellschaftlichen Stellung der abgebildeten Person aufweisen.539 Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit müsse „legitim“ sein, die vermittelten Informationen müssen einen „objektiven Wert“ besitzen oder ganz einfach „nützlich“ sein.540 Ein öffentliches Informationsinteresse besteht an Abbildungen, die eine Person der Zeitgeschichte bei der ___________ 531
CA Paris, Urt. v. 16.03.1999, D. 2000, SC, S. 409, Anm. Bigot. CA Dijon, Urt. v. 07.02.1986, zitiert bei Kayser, Vie privée, n°153 Fn. 312. 533 Zu relativen Person der Zeitgeschichte im deutschen Recht siehe oben, Teil 3 B. II. 3. a) aa) (2). 534 Bezug zur Aktualität verneint in TGI Nanterre, Urt. v. 18.01.1995, Gaz. Pal. 1995, I, S. 279 (Bericht ber Hausbrand vier Monate später). 535 TGI Paris, Urt. v. 03.07.1974, JCP 1974, II, n°17873, Anm. Lindon; CA Paris, Urt. v. 19.10.1995, D. 1995, IR, S. 328; TGI Paris, Urt. v. 19.05.1999, LP 1999, n°165, I, S. 116. 536 Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (39). 537 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. a) aa) (2). 538 Grundlegend TGI Seine, Urt. v. 04.10.1965, JCP 1966, II, n°14482. 539 Ravanas, Image, n°191 ff.; Agostinelli, Information et vie privée, n°141 ff.; Bartnik, Bildnisschutz, S. 162 ff. 540 Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (39); Agostinelli, Information et vie privée, n. 334 f.; Rigaux, RIDC 1990, 549 ff. 532
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben541 oder der Ausübung ihres Berufes542 zeigen. Die Veröffentlichung von Aufnahmen eines Sportlers543 oder einer Schauspielerin544 bei Ausübung ihres Berufes ist zulässig. Angelegenheiten des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens unterliegen dagegen in der Regel einem Abbildungsverbot. Sie dürfen ausnahmsweise ohne Einwilligung der abgebildeten Person veröffentlicht werden, wenn sich aus ihnen Rückschlüsse auf die öffentliche Funktion der Person ziehen lassen. Das gilt – wie bereits erwähnt – z. B. für die Offenbarung des Gesundheitszustands eines Politikers, wenn seine Amtsführung dadurch beeinträchtigt werden könnte.545 Aspekte des Privatlebens dürfen auch veröffentlicht werden, wenn durch die Offenbarung ein krasser Gegensatz zwischen den offiziellen Äußerungen eines Politikers und seiner persönlichen Lebensführung sichtbar gemacht wird.546 Im Schrifttum wird kontrovers diskutiert, in welchem Umfang Details aus dem Privatleben von Personen der Unterhaltungsbranche ohne deren Einwilligung veröffentlicht werden dürfen. Vereinzelt wird geltend gemacht, dass sich die Öffentlichkeit für bestimmte Angelegenheiten nicht interessieren dürfe. Das legitime öffentliche Informationsinteresse wird der ungesunden Neugier eines bestimmten Adressatenkreises („curiosité malsaine d’un certain public“)547 gegenübergestellt. Teilweise wird der Presse auch ein quasi-pädagogischer Auftrag („effort pédagogique“) zugewiesen.548 Der Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Abbildungen aus dem Privatleben von Personen der Unterhaltungsbranche restriktiv zu beurteilen ist.549 ___________ 541 Z. B. CA Versailles, Urt. v. 22.11.2001, LP 2002, n°189, III, S. 37 – Gérard Depardieu. 542 TGI Lyon, Urt. v. 17.12.1980, D. 1981, JP, S. 202; Anm. Amson/Lindon; TGI Nanterre, Urt. v. 06.04.1995, Gaz. Pal. 1995, I, S. 285; CA Versailles, Urt. v. 11.10.2001, LP 2002, n°189, I, S. 22; TGI Paris, Urt. v. 10.04.2002, LP 2002, n°193, I, S. 86 f. – Laetitia Casta. 543 TGI Nanterre, Urt. v. 06.04.1995, Gaz. Pal. 1995, I, S. 285 – Cantona. 544 TGI Paris, Urt. v. 10.04.2002, LP 2002, n°193, I, S. 86 f. – Laetitia Casta. 545 Vgl. Cass. civ., Urt. v. 14.12.1999, D. 2000, JP, S. 373, Anm. Beignier; ebenso Lindon, Dictionnaire juridique, S. 290; Betrand, Droit à l’image, n°165; Ravanas, Image, n°196. 546 Lindon, Anm. zu TGI Paris, Urt. v. 02.05.1974, D. 1974, JP, S. 698; ebenso Ravanas, Image n°195; Bartnik, Bildnisschutz, S. 163. 547 Potvin, Image, S. 400; Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (39). 548 Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (39). 549 CA Paris, Urt. v. 13.03.1986, D. 1986, SC, S. 445 – Noah; ähnlich TGI Paris, Urt. v. 19.05.1999, LP 1999, I, S. 116; TGI Paris, Urt. v. 20.06.1973, D. 1974, JP, S. 766, Anm. Lindon. Siehe aber in jüngerer Zeit TGI Nanterre, Urt. v. 15.07.1999, D. 2000,
C. Bildnisschutz in Frankreich
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Diese restriktive Haltung gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird im Schrifttum mitunter kritisiert; teilweise ist gar von Zensur die Rede.550 Die Kritik richtet sich vor allem darauf, dass Personen des öffentlichen Lebens auch dann vor der Veröffentlichung privater Angelegenheiten geschützt würden, wenn sie die Medienöffentlichkeit zuvor selbst zur Steigerung ihres Bekanntheitsgrades genutzt hätten. Diese Art selektiver Exhibitionismus werde durch den übermäßigen Schutz der Persönlichkeitsrechte gefördert.551 Die restriktive Haltung vernachlässige, dass manche Personen des öffentlichen Lebens weitere Veröffentlichungen durch ihr mediales Vorverhalten provoziert und daher selbst ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an ihrer Person geweckt hätten.552 Diese Kritik hat in jüngerer Zeit dazu geführt, dass einige Instanzgerichte ihre restriktive Haltung gemildert haben: In einigen Entscheidungen wurde die Bildberichterstattung über Aspekte des Privatlebens auch ohne einen Funktionszusammenhang für zulässig erklärt. Nach Auffassung der betroffenen Gerichte setze ein öffentliches Informationsinteresse an der Veröffentlichung eines Bildnisses aus dem privaten Lebensbereich zumindest voraus, dass die Darstellung „adäquat“, „legitim“ oder „zutreffend“ sei.553 Vereinzelt wurde die Veröffentlichung von Einzelheiten aus dem Bereich des Privatlebens für zulässig gehalten, wenn die betroffene Person sie im Vorfeld selbst öffentlich gemacht hat.554 Eine Stellungnahme des Cour de Cassation zu dieser Entwicklung der letzten Jahre steht bislang noch aus.
___________ SC, S. 272, Anm. Caron – Poivre d’Arvor; vgl. TGI Paris, Urt. v. 14.05.2001, LP 2001, n°184, I, S. 104; TGI Nanterre, Urt. v. 03.06.2002, LP 2002, n°194, I, S. 101 – JeanPaul Belmondo. 550 Bigot, LP 2001, n°183, II, S. 81 (85). 551 Brossollet, LP 1999, n°165, II, S. 126 (126). 552 Anschaulich bei Lindon, Création prétorienne, n°105, 51: „[Les] vedettes, stars, idole […] sont tout prêts à tout raconter de leur passé, de leurs goûts, de leurs aventures et à se faire photographier dans toutes les situations et sous tous les angles. Et puis, un beau jour, soit parce qu’ils se sont faits ermites, soit parce que les indiscrétions à leur gré, ne sont pas flatteuses, ils crient au sacrilège. À cet égard, il n’y a pas grand-chose à dire: la règle est dans le vieux dicton populaire relatif à ceux qui montent au mât de cocagne.“ 553 Vgl. TGI Paris, Urt. v. 27.02.2001, LP 2001, n°186, I, S. 133; CA Paris, Urt. v. 27.06.2002, LP 2002, n°195, I, S. 118. Siehe auch Bartnik, Bildnisschutz, S. 164. 554 TGI Nanterre, Urt. v. 03.03.1999, LP 1999, n°162, S. 75 – Ernst August von Hannover.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
4. Zusammenfassung Das Recht am eigenen Bild ist im französischen Recht ein genuin richterrechtlich entwickeltes Rechtsinstitut. Es ist in Art. 9 Code civil nur insoweit normativ verankert, als durch die Anfertigung oder Veröffentlichung eines Bildnisses zugleich das Recht auf Privatleben der abgebildeten Person verletzt wird. Der Bildnisschutz basiert im französischen Recht auf dem Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit, das sowohl Bildnisse (normaler) Privatpersonen als auch solche von Personen des öffentlichen Lebens einschließt. Das französische Recht kennt eine dem deutschen Recht vergleichbare Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte. Während Bildnisse von relativen Personen der Zeitgeschichte nur im thematisch-zeitlichen Zusammenhang ohne Einwilligung angefertigt bzw. veröffentlicht werden dürfen, bestimmt sich die Abbildungsfreiheit bei absoluten Personen der Zeitgeschichte („personnes publiques“) danach, ob ein dem Bildnisschutz überwiegendes öffentliches Informationsinteresse bejaht werden kann. Das ist grundsätzlich nur für diejenigen Abbildungen zu bejahen, die in einem Zusammenhang zu der Funktion und Stellung stehen, die die Zeitgeschichtlichkeit der abgebildeten Person in der Öffentlichkeit ausmachen. Angelegenheiten des Privatlebens unterliegen dagegen in der Regel einem Abbildungsverbot. Bildnisse aus dem Bereich des Privatlebens dürfen jedoch veröffentlicht werden, wenn sich aus ihnen Rückschlüsse auf die öffentliche Funktion der abgebildeten Person ergeben. Das Privatleben wird im französischen Recht kasuistisch bestimmt. Für den Privatheitsschutz in der Öffentlichkeit kommt es entscheidend darauf an, ob das abgebildete Verhalten privater Natur ist. Die situativen Begebenheiten sind – im Gegensatz zum deutschen Recht555 – nicht entscheidend. Neben dem Recht auf Privatleben schützt das französische Recht den Einzelnen auch vor der Verfälschung und Ausbeutung seiner Persönlichkeit durch Bildnisveröffentlichungen. Die Veröffentlichung manipulierter Photos ist unzulässig. Durch die Schutzgewährleistungen der „Verfälschung der Persönlichkeit“ wird der Authentizität von Bildaufnahmen Rechnung getragen. Eine Ausbeutung der Persönlichkeit liegt vor, wenn ein Bildnis ohne Einwilligung der abgebildeten Person zu kommerziellen Zwecken verbreitet wird. Im französischen Recht ist anerkannt, dass die Verwendung eines Bildnisses zu Werbezwecken ohne Einwilligung der betroffenen Person verboten ist.
___________ 555
Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (2) (b).
D. Bildnisschutz in England
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D. Bildnisschutz in England I. Verfassungsrechtliche Grundlagen Im deutschen und französischen Recht werden Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten bestimmt, die jeweils im nationalen Verfassungsrecht – dem Grundgesetz bzw. der Menschenrechtserklärung von 1789 – gewährleistet werden.556 Das Vereinigte Königreich gehört demgegenüber heute zu den wenigen Staaten der Welt ohne eine geschriebene Verfassung. Das bedeutet nicht, dass das englische Recht über keine Grund- und Werteordnung verfügt. Während das deutsche Grundgesetz als einheitliches Regelungswerk in einer Initiative geschrieben wurde und am 23.05.1949 in Kraft getreten ist, ist die englische Verfassung über die Jahrhunderte gewachsen. England hat eine ungeschriebene Verfassung im materiellen Sinne entwickelt. Als Werteordnung umfasst sie neben den Aufgaben der obersten Staatsorgane auch die politischen Rechte und Freiheiten des Bürgers im Staat.557 Das englische Verfassungsrecht basiert auf denselben Rechtsquellen wie das sonstige englische Recht: Von Bedeutung sind das Richterrecht („case law“) und das Gesetzesrecht („statute law“). Hinzu kommen sog. „constitutional conventions“, die als ungeschriebene Gebräuche politischer Verhaltensweisen zwar verbindlich aber nicht durchsetzbar sind.558 Eine eigene Verfassungsrechtsprechung existiert im englischen Rechtssystem nicht. Präzedenzfälle aus dem Bereich des Verfassungsrechts sind den Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen zu entnehmen.559 Normenhierarchie und Normenkontrolle sind dem englischen Rechtssystem fremd. Anders als die Legislative in Deutschland, die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist, gibt es im englischen Recht keine Bestimmung, die das Parlament verpflichten würde, Gesetze im Einklang mit dem Verfassungsrecht zu erlassen. Das Prinzip der „sovereignty of parliament“ weist dem amtierenden Parlament eine absolute Unabhängigkeit ___________ 556
Zum deutschen Recht siehe Teil 3 B. I. Zum französischen Recht siehe Teil 3 C. I. Bradley/Ewing, Constitutional Law, S. 5; vgl. Baum, EuGRZ 2000, 281 (283 f.). 558 Blumenwitz, Anglo-amerikanisches Recht, S. 22. 559 Für vorliegende Untersuchung sind vor allem die drei oberen Zivilgerichte („superior courts“) – das House of Lords, der Court of Appeal und der High Court of Justice – von Bedeutung. Der CA ist Appellationsgericht für Berufungen gegen Urteile des HC und der sog. Untergerichte („inferior courts“). Für diese Gerichte sind die Urteile des CA s bindend. In Zivilsachen ist der CA auch selbst an seine Entscheidungen gebunden. Das HL ist Appellationsgericht für Berufungen gegen Urteile des CA. Im Gegensatz zum CA ist das HL an seine eigenen Entscheidungen nicht gebunden (vgl. Blumenwitz, Anglo-amerikanisches Recht, S. 40 ff.). 557
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
zu. Es unterliegt in seiner Gesetzgebung keinen rechtlichen Beschränkungen; seine Gesetze können von keiner Instanz überprüft oder verworfen werden.560 Nach der verfassungsrechtlichen Tradition gelten Parlament und Rechtsprechung als Garanten persönlicher Freiheit. Geschriebene Grundrechte werden als unnötig und prinzipienfern angesehen. Weder Persönlichkeitsrechte noch Kommunikationsfreiheiten sind positivrechtlich gewährleistet. Während die Kommunikationsfreiheiten aber auch ohne eine schriftliche Garantie als fundamentale Rechte des Bürgers anerkannt werden,561 sind der englischen Rechtsordnung Persönlichkeitsrechte fremd. Die Rechtsprechung lehnte es bislang ab, ein umfassendes Persönlichkeitsrecht zu entwickeln.562 Dennoch ist eine Person im englischen Recht bei Persönlichkeitsverletzungen nicht schutzlos gestellt.563 Ihre Rechte werden durch einzelne deliktsrechtliche Tatbestände des Richterrechts („torts“) geschützt, die nicht auf den Schutz der Persönlichkeit gerichtet sind, sondern andere Verhaltenspflichten und Rechtsgüter betreffen.564 Der Schutz von Persönlichkeitsinteressen stellt sich lediglich als Reflex der eigentlichen tatbestandlichen Zielsetzungen dar. Das gilt auch für das Interesse des Einzelnen, nicht oder nur unverfälscht abgebildet zu werden, das nur unter den Voraussetzungen der richterrechtlichen Tatbestände gewährt wird.565 Das Inkrafttreten des Human Rights Act 1998 (HRA) am 02.10.2000 hat eine bedeutende Entwicklung im Persönlichkeitsschutz angestoßen. Der HRA inkorporiert die Grundrechte und Grundfreiheiten der EMRK in das englische Recht. Mit der Ratifizierung der EMRK im Jahre 1951 ist das Vereinigte Königreich zwar die völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, die Konventionsgrundrechte bei staatlichem Handeln zu beachten und das nationale Recht im Falle einer konventionswidrigen Rechtslage entsprechend zu ergänzen und ___________ 560 Grundlegend zum Verfassungsprinzip der Sovereignty of Parliament, Dicey, Law of the Constitution, S. 36 ff.; Bradley/Ewing, Constitutional Law, S. 52 ff.; vgl. Baum, EuGRZ 2000, 281 (282 f.). 561 Reynolds v. Times Newspapers Ltd. [1999] 4 All ER 609 (629), per Lord Steyn: „[…] the right of freedom of expression, a right based on a constitutional or higher legal order foundation.“ Siehe auch R v. Secretary of State for the Home Department [1999] 3 All ER 400 (408). In jüngerer Zeit vgl. Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1026 Rn. 115), per Lord Hope. 562 Zweigert/Kötz, Rechtvergleichung, § 43 IV, S. 704 ff.; Witzleb, Geldansprüche, S. 212. 563 Vgl. Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 12.74. 564 Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 6 ff.; Witzleb, Geldansprüche, S. 212. 565 Tolley v. Fry & Sons Ltd. [1931] AC 333; Sim v. H. J. Heinz Co. Ltd. [1959] 1 WLR 313.
D. Bildnisschutz in England
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anzupassen.566 Die EMRK ist indes nicht Bestandteil des englischen Rechts geworden, so dass die in ihr garantierten Rechte vor den englischen Gerichten nicht durchsetzbar waren.567 Mit Inkrafttreten des HRA hat sich die Rechtslage geändert: Die englischen Gerichte sind nunmehr verpflichtet, die Konventionsgrundrechte – einschließlich des in Art. 8 EMRK verankerten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens – zu beachten. Diese Verpflichtung hat dazu beigetragen, dass der Schutz der Persönlichkeitsinteressen im englischen Recht zugenommen hat. Das Kapitel zum Bildnisschutz in England gliedert sich vor diesem Hintergrund wie folgt: Im ersten Teil wird der Bildnisschutz vor Inkrafttretens des HRA analysiert. Eine Person wird vornehmlich durch einzelne der deliktsrechtlichen Tatbestände des Richterrechts geschützt, die im Folgenden dargestellt und hinsichtlich ihrer Bedeutung für Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes untersucht werden. Die Tatbestände sind auch für das heutige Recht von Bedeutung: Der HRA verpflichtet die Gerichte, die Konventionsgrundrechte zu berücksichtigen.568 Soweit sich diese Verpflichtung bisher ausgewirkt hat, hat sie zur Änderung und Ausdehnung von bereits bestehenden Tatbeständen des Richterrechts geführt, was die Kenntnis ihrer ursprünglichen Ausgestaltung unerlässlich macht. Der zweite Teil befasst sich mit der für den Bildnisschutz relevanten Entwicklung, die in der Rechtsprechung durch den HRA angestoßen wurde. Es wird analysiert, welche Konsequenzen sich hieraus für Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes ergeben.
II. Fragmentarischer Bildnisschutz vor Inkrafttreten des HRA 1. Bildnisschutz durch Gesetzesrecht Bildnisschutz im englischen Recht kann durch zwei Gesetze gewährt werden: Das Gesetz zum Schutz vor Belästigungen („Protection of Harassment Act 1997“) und das englische Datenschutzgesetz („Data Protection Act 1998“). Auf den ersten Blick erscheint der Protection of Harassment Act durchaus geeignet, den Einzelnen vor der Verfolgung durch Paparazzi zu schützen und ihm dadurch indirekt Bildnisschutz zu gewähren.569 Das Gesetz enthält mit ___________ 566
Vgl. Lord Bingham CJ, Hansard, HL, 03.07.1996, col. 1466 f. Zu den Konventionsgrundrechten als „persuasive sources“ siehe Witzleb, Geldansprüche, S. 209. 567 Grosz/Beatson/Duffy, Human Rights, Rn. 1-02. 568 Vgl. sec. 2(1) HRA. Zum Inhalt des HRA siehe Teil 3 D. III. 1. 569 Ähnlich Amelung/Vogenauer, ZEuP 2002, 341 (350).
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
sec. 1(1) ein generalklauselartiges Verbot der Belästigung anderer Personen.570 Was unter einer „Belästigung“ zu verstehen ist, wird nicht definiert; gemäß sec. 7(2) umfasst der Begriff aber das Hervorrufen nervlicher Anspannungen im weitesten Sinne – also auch solche Anspannungen, die z. B. durch die Verfolgung von Paparazzi hervorgerufen werden können. Der Anwendungsbereich des Gesetzes unterliegt jedoch gewichtigen Einschränkungen, die vor allem den Schutz der Presse und ihrer Mitarbeiter betreffen: Zum einen ist ein Verhalten gemäß sec. 1(3)(c) nicht belästigend, sofern es nach Lage der Umstände „vernünftig“ war. Mit dieser Formulierung soll nach den Gesetzesmaterialien der Berichterstattung in den Medien gebührend Rechnung getragen werden.571 Zum anderen reicht gemäß sec. 7(3) eine einzelne Verletzungshandlung nicht aus, um eine Haftung zu begründen. Die einmalige Anfertigung oder Veröffentlichung eines Bildnisses ist nicht tatbestandlich, erforderlich ist vielmehr ein sog. „course of conduct“, mit der fragwürdigen Konsequenz, dass auch tief greifende Persönlichkeitsverletzungen, sofern sie auf einer einmaligen Bildaufnahme resultieren, nicht erfasst werden. Davon abgesehen ist es auch zweifelhaft, ob die heimliche und unbemerkte Anfertigung von Bildnissen überhaupt nervliche Anspannungen hervorrufen kann.572 Auch der Data Protection Act, mit dem die Europäische Datenschutzrichtlinie in das englische Recht umgesetzt wurde,573 kann den Einzelnen allenfalls partiell vor der Anfertigung und Veröffentlichung seines Bildnisses schützen.574 Sein Anwendungsbereich erfasst zwar alle Formen der systematischen Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe persönlicher Daten einer Person – sei es durch den Staat oder durch Private. Insofern kann er auch Abbildungen einer Person erfassen.575 Allerdings erfährt das Gesetz – ähnlich wie der Protection of Harassment Act – gerade im Hinblick auf Verletzungen der Privatheit durch Presseveröffentlichungen gewichtige Einschränkungen. In Umsetzung von Art. 9 der EG-Richtlinie hat der Gesetzgeber in sec. 32 eine Ausnahmeregelung geschaffen, wonach die Erhebung und Verarbeitung persönlicher Informationen von den Bestimmungen des Gesetzes freigestellt werden, sofern ___________ 570
[1997] 2 Law Reports (Statutes) ch. 40, 1665 ff.; siehe dazu Neill, in: Protecting Privacy, S. 1 (7 f.). 571 Vgl. Neill, in: Protecting Privacy, S. 1 (8). 572 Zweifelnd Amelung, Schutz der Privatheit, S. 110. 573 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr v. 24.10.1995 (95/46/EG), ABl. EG 1995 L 281, 31 ff. 574 [1998] 1 Law Reports (Statutes) ch. 29, 647 ff.; siehe dazu Ohly, RabelsZ 2001, 39 (53 f.). 575 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2003] 1 All ER 224 (244 f. Rn. 87 f.), per Lord Phillips MR.
D. Bildnisschutz in England
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„(a) the processing is undertaken with a view to the publication by any person of any journalistic, literary or artistic material, (b) […].“576
Es ist anerkannt, dass das Gesetz aufgrund dieser Einschränkung im journalistischen Bereich kaum Wirkung entfalten kann.577 Für den Bildnisschutz ist das Gesetzesrecht somit weitgehend ohne Bedeutung.
2. Bildnisschutz durch Tatbestände des Richterrechts a) Tort of defamation Der sog. „tort of defamation“ begründet eine Haftung für die Verbreitung unwahrer Äußerungen oder eines sonstigen Verhaltens, das geeignet ist, das Ansehen einer Person in den Augen Dritter herabzuwürdigen.578 Im Gegensatz zu den §§ 185 ff. StGB differenziert der Tatbestand nicht zwischen Beleidigung, Verleumdung und übler Nachrede. Er unterscheidet vielmehr danach, ob eine Meinung oder Tatsache in verkörperter und permanenter Form (libel) oder in mündlicher und vergänglicher Form (slander) geäußert wurde.579 Für den hier interessierenden Bereich des Bildnisschutzes ist lediglich die Haftung aus libel relevant. Dafür sind drei Voraussetzungen erforderlich: Zunächst muss eine diffamierende Äußerung vorliegen („defamatory statement“). Das ist dann der Fall, wenn die Äußerung das Ansehen einer Person dem Hass, der Missachtung oder der Lächerlichkeit aussetzt oder bewirkt, dass ihr guter Ruf in der Gesellschaft Schaden nimmt.580 Dabei kommt es auf das Verständnis eines gewöhnlichen Dritten an („ordinary man“).581 Bei der Frage, ob das beanstandete Verhalten geeignet ist, das Ansehen des Betroffenen zu schädigen, ist auf den Gesamtkontext der Äußerung abzustellen.582 Die Ehrverletzung kann ___________ 576 Sec. 13(1) Data Protection Act; siehe hierzu Ausführungen von Lord Philips MR in Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2003] 1 All ER 224 (245 ff. Rn. 89 ff.). 577 Ähnlich Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 138. 578 Vgl. Sim v. Stretch [1936] 2 All ER 1237 (1240), per Lord Atkin; Silkin v. Beaverbrook Newspapers Ltd. [1958] 1 WLR 743 (746), per Diplock J; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 600; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 43 IV, S. 705. 579 Zu der Unterscheidung zwischen libel und slander und ihren historischen Wurzeln siehe Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 604 f. 580 Siehe bereits Sim v. Stretch [1936] 23 All ER 1237 (1240), per Lord Atkin; Youssoupoff v. Metro-Goldsyn-Mayer Pictures Ltd. [1934] 50 TLR 581; Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-38; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 600. 581 Vgl. Charleston v. News Group Newspapers Ltd. [1995] 2 All ER 313 (317); Slim v. Daily Telegraph Ltd. [1968] 1 All ER 497 (504 ff.); Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 600 f. m. w. N. 582 Für Beispiele siehe Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 12.11.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
sich auch erst durch Zusatzinformationen oder spezielle Kenntnisse Dritter erschließen (libel by innuendo).583 Die diffamierende Äußerung muss sich auf den Kläger der Ehrenschutzklage beziehen.584 Das ist unproblematisch, wenn er mit Namen genannt wird. Die Erkennbarkeit kann aber auch aus sonstigen Merkmalen resultieren.585 Ist das der Fall, kommt es darauf an, ob ein vernünftiger Betrachter den Kläger als Objekt der Abbildung identifizieren würde.586 Dabei ist es unerheblich, ob der Beklagte die diffamierende Äußerung tatsächlich auf die betroffene Person bezogen hat.587 Er muss von ihrer Existenz nicht einmal gewusst haben: „It is sufficient if a sensible person in the light of any special facts or knowledge proved, could reasonably have understood that the statement referred to the claimant.“588
Die Äußerung muss mindestens einem Dritten gegenüber mitgeteilt worden sein.589 Eine diffamierende Äußerung, die von anderen Personen nicht vernommen wird, ist zwar strafbar. Sie löst aber keinen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch auf Grundlage der Ehrenschutzklage aus.590 Mit dem tort of defamation steht in Fällen der unbefugten Veröffentlichung eines Bildnisses ein wichtiges Rechtsinstitut zur Verfügung. Die Abbildung einer Person kann für sich genommen zwar nicht Gegenstand einer Klage aus defamation sein. Ist ihr aber im Gesamtkontext eine herabwürdigende oder rufschädigende Bedeutung beizumessen, greift die Ehrenschutzklage.591 Die Klage ist allerdings erfolglos, wenn die diffamierende Darstellung der Wahrheit entspricht.592 Die Wahrheit der Äußerung ist im Gesamtkontext der Abbildung zu ermitteln. Der Wahrheitsgehalt eines Bildberichts kann daher nur unter Be___________ 583 Zu libel by innuendo siehe Tolley v. Fry & Sons Ltd. [1931] AC 333; vgl. Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 12.14 f.; Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-50. 584 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 612 ff. 585 Vgl. Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-25 f. 586 Morgan v. Odhams Press [1971] 2 All ER 1156; vgl. Kerry O’Shera v. MGN Ltd. [2001] EMLR 40; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 612; Nolte, Schutz der Privatsphäre, S. 30. 587 Newstead v. London Express Newspaper Ltd. [1940] 1 KB 377. 588 Hulton v. Jones [1910] AC 20. 589 Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 35; Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 16. 590 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 616 f.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 43 IV, S. 705. 591 Vgl. Tolley v. Fry & Sons Ltd. [1931] AC 333; Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 101. 592 Corelli v. Wall [1906] 22 TLR 532; Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-78; Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 12.10, 12.24 ff.
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rücksichtigung von Begleittext und Bildunterschrift erschlossen werden.593 Für eine Haftung ist es ausreichend, dass der wesentliche Kern der Äußerung wahr ist.594 Ist das der Fall, scheidet eine Haftung selbst dann aus, wenn die (wahre) Darstellung in der Absicht angefertigt wurde, den Kläger zu verletzen oder in seine legitimen wirtschaftlichen Interessen einzugreifen.595 Schließlich entfällt eine Haftung auch dann, wenn der Betroffene in die diffamierende Darstellung seiner Person eingewilligt hat.596 Hat der Beklagte seine ehrliche Überzeugung über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse zum Ausdruck gebracht, kann er sich auf die Einwendung fairer Sachkritik („defence of fair comment“) stützen.597 Das setzt voraus, dass sich die Meinungsäußerung auf eine Tatsachengrundlage stützen lässt, die aus dem Kontext der Äußerung hervorgeht.598 Die Meinungsäußerung muss sich zudem als Ausdruck einer ehrlichen Überzeugung darstellen.599 Ist das der Fall, entfällt eine Haftung, ungeachtet dessen, wie unbillig, ungerechtfertigt oder übertrieben die Meinungsäußerung gewesen sein mag.600 Die Einwendung kann erst durch den Nachweis von Böswilligkeit widerlegt werden. Böswilligkeit liegt vor, wenn die Absicht, den anderen zu verletzen, das beherrschende Motiv des Handelns war.601 Neben den Einwendungen gewährt das englische Recht auch bestimmte Vorrechte, die die Veröffentlichung unwahrer Äußerungen unter Verweis auf die Meinungsäußerungsfreiheit und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen. Dabei wird zwischen absoluten Vorrechten („absolute privileges“) und bedingten Vorrechten („qualified privileges“) unterschieden: Wäh___________ 593
Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 19. Vgl. Sec. 5 Defamation Act 1952: „[...] a defence of justification shall not fail by reason only that the truth of every allegation of fact is not proved if the words not proved to be true do not materially injure the plaintiff’s reputation having regard to the truth of the remaining charges.“ Ähnlich Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-84. 595 Vgl. Neumann-Klang, Recht am eigenen Bild, S. 159. 596 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 623; Funkel, Schutz der Persönlichkeit, S. 57. 597 Silkin v. Beaverbrook Newspapers Ltd. [1958] 1 WLR 743 (747); Winfield/ Jolowicz, Tort, Rn. 12.30 ff.; Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-167 ff. 598 Telnikoff v. Matusevitch [1991] 3 WLR 952; Kemsley v. Foot [1952] AC 345; vgl. Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-170. 599 Vgl. Telnikoff v. Matusevitch [1991] 3 WLR 952 (959), per Lord Keith; London Artists Ltd. v. Littler [1969] 2 All ER 193, per Lord Denning MR. 600 Vgl. Slim v. Daily Telegraph [1968] 2 QB 157 (170), per Lord Denning MR; vgl. Bradley/Ewing, Constitutional Law, S. 544. 601 Horrocks v. Lowe [1975] AC 135 (149), per Lord Diplock. 594
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rend absolute Vorrechte einen umfassenden Schutz bieten und eine Haftung selbst bei unlauteren Absichten entfällt,602 können die bedingten Vorrechte durch den Nachweis von Böswilligkeit entkräftet werden.603 Absolute Vorrechte bestehen für diffamierende Äußerungen in gerichtlichen und parlamentarischen Verfahren. Die Presse ist lediglich absolut privilegiert, soweit sie über Gerichtsverfahren in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang sachlich und zutreffend berichtet.604 Für die Presse von ungleich größerer Bedeutung sind die bedingten Vorrechte. Die Presse ist bedingt privilegiert, wenn ihre Tätigkeit in Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses erfolgt.605 Der Begriff des öffentlichen Interesses wird eng ausgelegt. Gefordert wird, dass die Presse in Erfüllung einer rechtlichen, sozialen oder moralischen Pflicht handelt.606 Ein öffentliches Interesse wird z. B. bei Presseberichten über parlamentarische oder sonstige politische Vorgänge bejaht.607 Eine Haftung aus defamation ist ausgeschlossen, wenn sachlich und zutreffend über den Vorgang berichtet wird.608 Demgegenüber ist ein öffentliches Interesse zu verneinen, wenn diffamierende Äußerungen lediglich das Privatleben einer Person betreffen und die Weitergabe nur der Befriedigung von Neugier und Sensationslust dient.609 Für die Boulevardpresse, die bei der Veröffentlichung von Personenbildern in der Regel nicht in Erfüllung ___________ 602
Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-92. Vgl. sec. 15(1) Defamation Act 1996: „The publication of any report or other statement […] is privileged unless the publication is shown to be made with malice.“ Ebenso Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-111. 604 Vgl. sec. 14(1) Defamation Act 1996: „A fair and accurate report of proceedings in public before a court to which this section applies, if published contemporaneously with the proceedings, is absolutely privileged.“ 605 Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-121. 606 Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-121; vgl. Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 106. 607 Vgl. Reynolds v. Times Newspapers Ltd. [1999] 4 All ER 609 (626), per Lord Nicholls: „The courts should be slow to conclude that a publication was not in the public interest […], especially when the information is in the field of political discussion.“ 608 Cook v. Alexander [1974] 1 QB 279; Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-155. 609 Watt v. Longsdon [1930] 1 KB 130; Rumsay v. Webb [1842] 174 ER 429 (430), per Coltman J: „No privilege will attach where the common interest is one which springs from idle gossip or curiosity only.“ 603
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einer rechtlichen, sozialen oder moralischen Pflicht handelt, ist die Bedeutung der Vorrechte daher gering.610
b) Tort of malicious falsehood Der sog. „tort of malicious falsehood“ richtete sich ursprünglich gegen die Verletzung des geschäftlichen Ansehens durch Falschbehauptungen gegenüber Dritten.611 Sein Anwendungsbereich wurde dann auf alle Arten böswilliger, unwahrer Äußerungen ausgedehnt, durch die der Betroffene in seinem Vermögen geschädigt wird.612 Ist die Äußerung ehrverletzend oder rufschädigend, überschneidet sich der Anwendungsbereich des tort of malicious falsehood mit dem der Ehrenschutzklage. Dem Kläger stehen in diesem Fall beide Ansprüche kumulativ zur Verfügung.613 Die Rechtssache Kaye v. Robertson aus dem Jahr 1991 ist bis heute die einzige Entscheidung, in der die Veröffentlichung eines Bildnisses auf Grundlage des tort of malicious falsehood verurteilt wurde. In der Sache klagte der bekannte Schauspieler Gordon Kaye gegen die Veröffentlichung von Photos, die von ihm kurz nach einem schweren Unfall angefertigt worden waren. Unter Missachtung mehrerer Verbotsschilder hatten sich zwei Reporter Zutritt zu seinem Krankenhauszimmer verschafft und die Photos ohne seine Einwilligung angefertigt. Der Court of Appeal sah die böswillige Falschaussage darin, dass der Bildbericht dem Leser wahrheitswidrig suggeriere, der Schauspieler habe in die Veröffentlichung der Photos eingewilligt, um daraus einen finanziellen Nutzen zu ziehen. Auch ein Schaden wurde bejaht: Der Kläger sei durch die unbefugte Veröffentlichung der Photos um das Entgelt gebracht worden, das gewöhnlich für derartige Bildberichte gezahlt werde.614 Dieser Entscheidung folgend, könnte der tort of malicious falsehood ein nicht zu vernachlässigendes Potential für den Bildnisschutz im englischen Recht haben.615 Das würde jedoch ___________ 610
Ähnlich Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-121: „[…] the traditional concepts of duty and interest do not translate easily to media publications to the general public.“ 611 Vgl. Riding v. Smith [1876] 1 ExD 91; Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 27 f. m. w. N. 612 Vgl. Kaye v. Robertson [1991] FSR 62; Joyce v. Sengupta [1993] 1 WLR 337. Zu den Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen siehe Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 12.68 ff. 613 Joyce v. Sengupta [1993] 1 WLR 337; vgl. Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 24-03. 614 Kaye v. Robertson [1991] FSR 62 (67 f.), per Glidewell LJ. 615 Ähnlich Amelung, Schutz der Privatheit, S. 114 f.
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nicht berücksichtigen, dass die weite Auslegung des Tatbestands den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet war. In ihrem Urteil waren sich die Richter des Court of Appeal darüber einig, dass das Verhalten der Journalisten moralisch verwerflich war. In rechtlicher Hinsicht sahen sie keine Möglichkeit, die Veröffentlichung der Photos zu unterbinden. Übereinstimmend bedauerten die Richter die bestehenden Lücken im Rechtschutzsystem, sprachen sich zugleich aber die Kompetenz für notwendige Änderungen ab.616 Das Urteil zeigt, dass der tort of malicious falsehood nur über seine natürlichen Grenzen hinweg ausgelegt wurde, um die Rechtschutzlücken, die in dem Fall als besonders gravierend empfunden wurden, zu schließen. Das erklärt, weshalb der Tatbestand in keinem weiteren Fall zum Bildnisschutz herangezogen worden ist. In Anbetracht der Entwicklung, die sich seit der Inkorporation der Konventionsgrundrechte – einschließlich des Art. 8 EMRK – in das englische Recht vollzogen hat,617 ist das auch in Zukunft nicht zu erwarten.
c) Tort of passing off Der sog. „tort of passing off“ soll Gewerbetreibende davon abhalten, Waren oder Dienstleistungen im Namen eines Wettbewerbers anzubieten, um von dessen guten Ruf zu profitieren und zugleich dessen Firmenwert zu schädigen.618 Der Tatbestand kann durchaus als Schutzinstrument vor der wirtschaftlichen Ausbeutung der Persönlichkeit durch Dritte relevant sein. Das gilt allerdings nur für Personen, die einen guten Ruf am Markt („goodwill“) etabliert haben.619 Personen, die nicht unternehmerisch nicht tätig sind, können sich nicht auf den Tatbestand berufen. Der Anwendungsbereich wird weiterhin dadurch eingeschränkt, dass zwischen Kläger und Beklagten ein gemeinsames wirtschaftliches Betätigungsfeld für erforderlich gehalten wird.620 In der grundlegenden Rechtssache McCulloch v. May, in der sich der als Uncle Mac in der englischen ___________ 616 Kaye v. Robertson [1991] FSR 62 (66; 70; 71), per Glidewell LJ, Bingham LJ, Leggatt LJ; vgl. Malone v. Metropolitan Police Commissioner (No. 2) [1979] 2 All ER 620; McLouglin v. O’Brian [1982] 2 WLR 982 (997 f.), per Lord Scarmann. 617 Zur Entwicklung des Bildnisschutzes unter dem HRA siehe Teil 3 D. III. 2. und 3. 618 Zu den Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen siehe Reckitt & Colman Products Ltd. v. Borden Inc. [1990] 1 WLR 491; Erven Wanink v. J. Townend & Sons [1979] AC 731 (740 ff.), per Lord Diplock; vgl. Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 27-01 ff. 619 Consorzio del Prosciutto di Parma v. Marks & Spencer plc [1991] RPC 351, per Nourse LJ; vgl. Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 27-05. 620 McCulloch v. Lewis A. May [1947] 2 All ER 845 (849); Sim v. H. J. Heinz Co. Ltd. [1959] 1 WLR 313 (319); vgl. Clark v. Associated Newspapers [1998] 1 All ER 959; siehe hierzu auch Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 652.
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Kinderunterhaltung bekannte Kläger gegen die Vermarktung des Produkts „Uncle Mac’s Puffed Wheat“ gewendet hatte, wurde ein gemeinsames Betätigungsfeld verneint. Anders als der Beklagte engagiere sich der Kläger nicht in der Produktion oder dem Vertrieb von Lebensmitteln. Ohne ein gemeinsames Betätigungsfeld scheide eine Täuschung („misrepresentation“) Dritter aber aus, so dass der Tatbestand nicht anwendbar sei.621 Der Nutzen des Tatbestands für den Schutz vor Ausbeutungen der Persönlichkeit wird damit erheblich gemindert. Es dürfte nur selten der Fall sein, dass eine zu kommerzieller Werbung missbrauchte prominente Person zugleich auch im Bereich des umworbenen Produkts tätig ist.622 Ein Anspruch wegen der unbefugten Veröffentlichung von Bildnissen zu Werbezwecken wird sich daher in der Regel nicht auf den tort of passing off stützen lassen. Abgesehen von besonders gelagerten Einzelfällen bietet der tort of passing off dem Einzelnen keinen Schutz vor der Veröffentlichung seines Bildnisses in der Presse.
d) Breach of confidence Das Rechtsinstitut „breach of confidence“ schützt den Einzelnen vor der unbefugten Veröffentlichung vertraulicher Informationen. Eine Haftung setzt voraus: „First the information itself […] must have the necessary quality of confidence about it. Secondly, that information must have been imparted in circumstances importing an obligation of confidence. Thirdly, there must be an unauthorised use of that information to the detriment of the party communicating it.“623
Der Begriff der Informationen wird weit verstanden. Er erfasst neben gewerblichen624 und technischen Aspekten625, auch künstlerische und literarische Informationen626 ebenso wie Aspekte aus dem privaten Lebensbereich627. Letztere erfassen z. B. Geheimnisse über das private Verhalten eines früheren Ehe___________ 621
McCulloch v. Lewis A. May [1947] 2 All ER 845 (849 ff.), per Wynn-Parry J. Ähnlich Witzleb, Geldansprüche, S. 249 f. 623 Grundlegend Coco v. AN Clark (Engineers) Ltd. [1969] RPC 41 (47), per Megarry J; vgl. Malone v. Metropolitan Police Commissioner (No. 2) [1979] 2 All ER 620 (645). 624 Z. B. Thomas Marshall (Exports) Ltd. v. Guinle [1978] 3 All ER 193. 625 Z. B. Ackroyds (London) Ltd. v. Islington Plastics Ltd. [1962] RPC 97. 626 Shelley Films Ltd. v. Rex Features Ltd. [1994] EMLR 134. 627 Vgl. Stephens v. Avery [1988] 2 All ER 477 (480), per Sir Browne-Wilkinson VC; Argyll v. Argyll [1965] 1 All ER 611; Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-04 ff.; Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 108. 622
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partners628, Einzelheiten über eine homosexuelle Beziehung629 oder Details über die Krankengeschichte eines praktizierenden Arztes630. Die Informationen werden sowohl in mündlicher und schriftlicher Form als auch in der Gestalt von Photos geschützt.631 Von Bedeutung ist lediglich, dass sie geheim und streng vertraulich sind. Ein Schutz ist daher ausgeschlossen, wenn die Informationen allgemein zugänglich oder in der Öffentlichkeit bereits allgemein bekannt sind.632 Der Informationsempfänger muss zur Vertraulichkeit verpflichtet sein („obligation of confidence“). Diese Verpflichtung wird in der Regel im Rahmen sozialer oder familiärer Beziehungen bejaht.633 Eine Pflicht zur Vertraulichkeit kann sich aber auch ausdrücklich oder konkludent aus einer vertraglichen Vereinbarung ergeben.634 Für die Presse ist von Bedeutung, dass eine Klage aus breach of confidence nicht voraussetzt, dass sie selbst mit dem Kläger in einer Vertrauensbeziehung gestanden haben muss. Sind Informationen ursprünglich vertraulich weitergegeben worden, sind auch Dritte zur Geheimhaltung verpflichtet, wenn sie wussten oder hätten wissen müssen, dass die Weitergabe an sie einen Vertrauensbruch darstellt.635 Der Beklagte muss die Geheimhaltungspflicht schließlich durch eine ungenehmigte Weitergabe der Informationen zum Nachteil des Betroffenen verletzt haben.636 Handelt es sich um persönliche Informationen, besteht ein Nachteil bereits darin, dass Dritte davon gegen den Willen der betroffenen Person Kenntnis erlangt haben. Der Nachweis eines konkreten Schadens ist nicht erforderlich.637 ___________ 628
Argyll v. Argyll [1965] 1 All ER 611. Michael Barrymore v. News Group Newspapers Ltd. [1997] FSR 600; vgl. Stephens v. Avery [1988] 2 All ER 477 (480), per Sir Browne-Wilkinson VC. 630 X v. Y and others [1988] 2 All ER 648. 631 Hellewell v. Chief Constable of Derbyshire [1995] 4 All ER 473 (476), Laws J mit Hinweis auf Pollard v. Photographic Co. [1889] 40 Ch. 345; vgl. Shelley Films Ltd. v. Rex Features Ltd. [1994] EMLR 134 (144); ebenso Fenwick/Phillipson, [1996] 55 CLJ 447 (449 f.). 632 AG v. Guardian Newspapers (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (574), per Scott J; Saltman Engineering Co. v. Campbell Engineering Co. [1948] 65 RPC 203 (215), per Lord Greene MR; vgl. Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-05. 633 Z. B. Argyll v. Argyll [1965] 1 All ER 611; vgl. Michael Barrymore v. News Group Newspapers Ltd. [1997] FSR 600 (602), per Jacob J. 634 AG v. Guardian Newspapers (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (657), per Lord Goff; vgl. Hunter v. Mann [1974] 1 QB 767 (Arzt und Patient); Parry-Jones v. Law Soeciety [1969] 1 Ch. 1 (Anwalt und Mandant). Für weitere Beispiele siehe Carty in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-16. 635 AG v. Guardian Newspapers (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (657 f.), per Lord Goff. 636 Vgl. Coco v. AN Clark (Engineers) Ltd. [1969] RPC 41. 637 AG v. Guardian Newspapers (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (638), per Lord Keith. 629
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Der vorrangige Schutzzweck des Rechtsinstituts breach of confidence liegt in der Wahrung von Vertraulichkeitsverhältnissen und nicht in der Geheimhaltung von Informationen. Allerdings zeigt sich in der Rechtsprechung die Tendenz, dass ein Bruch der Vertraulichkeit bereits angenommen wird, wenn Informationen oder Bildnisse erkennbar privaten Charakters anhand von Teleobjektiven oder anderen Hilfsmitteln heimlich aufgezeichnet und veröffentlicht werden.638 Die Pflicht, vertrauliche Informationen geheim zu halten, könne ungeachtet vom Bestehen sozialer oder vertraglicher Beziehungen begründet werden. Eine Geheimhaltungspflicht treffe jeden, der in den Besitz erkennbar vertraulicher Informationen gelange.639 Eine Person könne daher selbst dann zur Geheimhaltung verpflichtet sein, wenn sie von den Informationen zufällig Kenntnis erlangt. In diesen Fällen wusste sie oder hätte jedenfalls wissen müssen, dass die Veröffentlichung dieser Informationen oder Bildnisse von der betroffenen Person nicht erwünscht ist. Eine Haftung aus breach of confidence scheidet aus, wenn der Beklagte ein öffentliches Interesse an der Offenbarung der Informationen hat und dieses Interesse dem Interesse des Betroffenen am Schutz der Vertraulichkeit der Informationen überwiegt.640 Das englische Recht geht von einer Kollision zweier öffentlicher Interessen aus. Das Interesse am Schutz der Vertraulichkeit der Informationen wird als Teil des öffentlichen Interesses verstanden, wonach Vertrauensverhältnisse zu wahren sind. Die Einwendung des öffentlichen Interesses („defence of public interest“) hat ihren Ausgangspunkt in dem anerkannten Grundsatz, dass die Gerichte nicht mit Hilfe des Billigkeitsrechts die Enthüllung von Ungerechtigkeiten und Missetaten verhindern sollen.641 Inzwischen wird das Verteidigungsvorbringen in einem weiten Sinn verstanden. Eine Veröffentlichung ist immer dann gerechtfertigt, wenn es für sie einen legitimen Grund oder eine Entschuldigung („just cause or excuse“) gibt.642 Bei der Inte-
___________ 638 Hellewell v. Chief Constable of Derbyshire [1995] 4 All ER 473 (476), per Laws J: „If someone with a telephoto lens were to take from a distance and with no authority a picture of another engaged in some private act, his subsequent disclosure of the photograph would […] amount to a breach of confidence [...].“ 639 Hellewell v. Chief Constable of Derbyshire [1995] 4 All ER 473, per Laws J; AG v. Guardian Newspapers (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (658), per Lord Goff; Stephens v. Avery [1988] 2 All ER 477; Francome v. MGN Ltd. [1984] 1 WLR 892; vgl. Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-12; Fenwick/Phillipson, [1996] 55 CLJ 447 (452). 640 Malone v. Metropolitan Police Commissioner (No. 2) [1979] 2 All ER 620 (634 f.), per Megarry VC; Riddick v. Thames Board Mills Ltd. [1977] 3 All ER 677 (687); siehe auch Fenwick/Phillipson, [1996] 55 CLJ 447 (448). 641 Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-32.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
ressenabwägung wird mitunter danach unterschieden, ob die Veröffentlichung im öffentlichen Interesse liegt oder die Öffentlichkeit sich lediglich dafür interessiert.643 Aus der Rechtssache Woodward v. Hutchins geht jedoch hervor, dass auch das „bloße“ Informationsinteresse der Öffentlichkeit eine unbefugte Veröffentlichung rechtfertigen kann. Nach Auffassung von Lord Denning MR sei die Veröffentlichung privater Einzelheiten aus dem Leben des Popstars Tom Jones gerechtfertigt, da dieser die Öffentlichkeit selbst zu seinem eigenen Vorteil gesucht habe.644 Er sei Teil einer Personengruppe, an der ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe. Gegen die Veröffentlichung privater Informationen könne er sich daher nicht wehren.645 Mit dieser Argumentation folgte der Court of Appeal der ständigen Rechtsprechung, wonach Personen, die die Medienöffentlichkeit gezielt zur Selbstdarstellung einsetzen, sich vor Gericht nicht darauf berufen können, dass ihr Privatleben öffentlich gemacht wird.646 Wegen der Einwendung des öffentlichen Interesses ist vielen Personen des öffentlichen Lebens die Möglichkeit genommen, die unbefugte Veröffentlichung ihres Bildnisses erfolgreich auf Grundlage des Rechtsinstituts breach of confidence einzuklagen.
e) Tort of trespass to land Der sog. „tort of trespass to land“ ist bei Verletzungen des räumlichen Privatbereichs von Bedeutung. Er schützt jede unbefugte, direkte Einwirkung auf ___________ 642
AG v. Guardian Newspapers (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (596), per Sir John Donaldson MR; Lion Laboratories v. Evans [1984] 2 All ER 417 (422 f.), per Griffith LJ; Fraser v. Evans [1969] 1 QB 349 (361), per Lord Denning MR. 643 Lion Laboratories Ltd. v. Evans [1984] 2 All ER 417 (422 f.), per Griffiths LJ; British Steel v. Granada [1982] AC 1096. 644 Woodward and others v. Hutchins [1977] 2 All ER 751 (755), per Bridge LJ: „It seems to me that those who seek and welcome publicity of every kind bearing on their private lives so long as it shows them in a favourable light are in no position to complain of an invasion of their privacy by publicity which shows them in an unfavourable light.“ 645 Woodward and others v. Hutchins [1977] 2 All ER 751 (754), per Lord Denning MR; vgl. Lennon v. News Group Newspapers [1978] FSR 573. 646 Siehe nur London Artists Ltd. v. Littlerand Associated Actions [1968] 1 All ER 1075 (1088), per Cantley J: „[…] the victims must have put themselves in a position which they expressly or impliedly invited public attention […] It is at least their own acts or omission or conduct which have excited, if not provoked, the comment.“
D. Bildnisschutz in England
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das unbewegliche Eigentum oder den Besitz eines Dritten.647 Trespass to land begeht, wer in fremdes Besitztum eindringt oder dort gegen den Willen des Berechtigten verweilt.648 Erfasst wird auch der Missbrauch eines Betretungs- oder Aufenthaltsrechts, z. B. durch das unbefugte Anbringen von Beobachtungsoder Abhörgeräten an einem Gebäude oder auf einem Grundstück.649 Im Gegensatz dazu begründet allein der heimliche Gebrauch solcher Geräte keine Haftung, da eine direkte Einwirkung auf das Grundstück verneint wird.650 Anspruchsberechtigt ist neben dem Eigentümer auch der Besitzer, sofern ihm ein exklusives Recht an der ungestörten Besitzausübung zusteht.651 Das gilt weder für einen Untermieter noch einen Hotelgast oder Krankenhauspatienten.652 Ein Anspruch aus trespass to land wegen der unbefugten Anfertigung eines Personenbildes kann damit nur von einem sehr eingeschränkten Personenkreis geltend gemacht werden. Auch aus einem weiteren Grund ist der tort of trespass to land für den Bildnisschutz nur von geringer Bedeutung: Der Tatbestand schützt lediglich Bildaufnahmen, die vom Kläger auf seinem Grundstück angefertigt wurden. Die meisten Bildberichte der Presse zeigen Personen in der Öffentlichkeit – eventuell auch in örtlicher Abgeschiedenheit –, so dass sie vom Schutz des tort of trespass to land nicht erfasst werden. Eine Haftung aus trespass to land setzt außerdem voraus, dass sich neben dem Kläger auch der Beklagte auf dem Grundstück des Klägers aufgehalten hat. Journalisten müssen sich einen unbefugten Zutritt zu dem Grundstück verschafft oder ihr Betretungsrecht zur Anfertigung von Photos missbraucht haben.653 Befinden sie sich zum Zeitpunkt der Bildaufnahme nicht auf dem Grundstück, können sie nicht aus trespass to land haftbar gemacht werden. In dem klassischen Fall, in dem eine Person mit einem Teleobjektiv oder anderen
___________ 647 Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 13.1 ff.; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 413 ff. 648 Morris v. Beardmore [1981] AC 446 (464 f.); vgl. Entick v. Carrington [1765] 95 ER 807. 649 Murphy, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 19-02. Siehe auch Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 57 f. mit Hinweis auf Savoy Hotel plc v. BBC [1983] 133 NLJ 105 und Sheen v. Clegg, The Daily Telegraph v. 22.06.1961. 650 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 655; vgl. Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 103. 651 Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 13.2; Amelung, Schutz der Privatheit, S. 107. 652 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 416 ff.; zum Krankenhauspatienten siehe Kaye v. Robertson [1991] FSR 62. 653 Vgl. Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 13.4; Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 56 ff.
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
Hilfsmitteln über die Grundstücksgrenzen hinweg aufgenommen wird, ist der tort of trespass to land daher ohne Nutzen.654
f) Tort of nuisance Wie der tort of trespass to land erfasst auch der sog. „tort of nuisance“ Verletzungen des räumlichen Bereichs der Privatsphäre. Der Tatbestand schützt den Kläger vor rechtswidrigen Störungen, die geeignet sind, ihn im Gebrauch oder Genuss seines Grundeigentums zu beeinträchtigen.655 Wie beim tort of trespass to land kann sich lediglich der Eigentümer oder der ihm gleichgestellte Besitzer auf den Schutz berufen.656 Der Versuch des Court of Appeal, den Kreis der Anspruchsberechtigten auf Angehörige des unmittelbar Berechtigten auszudehnen,657 wurde vom House of Lords in der Rechtssache Hunter v. Canary Wharf verworfen.658 Auch eine Haftung aus nuisance kann somit lediglich von einem sehr begrenzten Personenkreis beansprucht werden. Im Vergleich zum tort of trespass to land bietet der tort of nuisance einen erweiterten Schutz, insoweit er keine physische Anwesenheit des Beklagten auf dem Grundstück des Klägers erfordert. Eine Haftung aus nuisance kommt daher auch in Betracht, wenn der Berechtigte durch fortwährende Observationen von Personen, die sich außerhalb des Grundstücks befinden, in der Nutzung seines Eigentums gestört wird.659 Mangels einer Gebrauchsbeeinträchtigung werden allerdings weder das kurzzeitige heimliche Beobachten mit Hilfe technischer Einrichtungen noch einzelne Bildaufnahmen vom tort of nuisance erfasst.660 Für den klassischen Fall der Veröffentlichung von Bildnissen von Personen des öffentlichen Lebens durch die Presse ist der Tatbestand somit ungeeignet.
___________ 654 Vgl. Lord Bernstein of Leigh v. Skyviews & General Ltd. [1977] 2 All ER 902 (907 f.). 655 Read v. Lyons Co Ltd. [1945] KB 216 (236); Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 14.1 ff.; Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 87; Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 105. 656 Rogers/Winfield/Jolowicz, Tort, Rn. 14.15; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 435. 657 Khorasandjian v. Bush [1993] 3 All ER 669 (675), per Dillon LJ. 658 Hunter v. Canary Wharf Ltd. [1997] AC 655 (691 ff.), per Lord Goff; vgl. hierzu Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 655. 659 Buckley, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 20.09; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 429 f. 660 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 655; vgl. Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 105.
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3. Zusammenfassung Eine einheitliche Darstellung von Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes ist im englischen Recht wegen der Besonderheiten der hierfür zur Verfügung stehenden Tatbestände kaum möglich. Spezielle Vorschriften zum Bildnisschutz existieren nicht; Abbildungen von Personen werden allenfalls reflexiv und nur unter engen Voraussetzungen geschützt. Im Hinblick auf den Schutz des Einzelnen vor der unbefugten Anfertigung und Veröffentlichung seines Bildnisses durch die Presse oder ihre Mitarbeiter ist das Gesetzesrecht weitgehend ohne Bedeutung. Die deliktsrechtlichen Tatbestände des Richterrechts schützen jeweils bestimmte Interessen der abgebildeten Person, ohne dass sich im englischen Recht ein Gesamtbild abzeichnet. Räumlicher Schutz wird durch die Tatbestände trespass to land und nuisance gewährt, deren praktische Bedeutung für den Bildnisschutz jedoch gering ist. Kaum Nutzen haben auch der tort of malicious falsehood und der tort of passing off, die allenfalls in besonders gelagerten Einzelfällen Schutz gewähren können. Der tort of defamation ist ein wichtiges Schutzinstrument, wenn es um die Veröffentlichung ehrverletzender Bildnisse geht. Der Tatbestand bietet großen Schutz vor unwahren Bildberichten. Problematisch ist allerdings, dass verletzende Wahrheiten höchstpersönlicher Natur nicht geschützt werden. Als absoluter Rechtfertigungsgrund schließt die Wahrheit der Abbildung, die im Kontext mit dem Begleittext ermittelt werden muss, eine Haftung – z. B. der Presse oder ihrer Mitarbeiter – aus der Ehrenschutzklage aus. Bildhafte Darstellungen aus dem privaten Lebensbereich werden vor allem durch das Rechtsinstitut breach of confidence geschützt. Traditionell setzt eine Haftung eine Vertrauensbeziehung zwischen Kläger und Beklagten voraus, die der Beklagte durch die unbefugte Weitergabe der vertraulichen Informationen gebrochen haben muss. Nach der jüngeren Rechtsprechung besteht eine Geheimhaltungspflicht auch gegenüber erkennbar privaten Informationen, ohne dass es einer besonderen Vertrauensbeziehung zwischen den Beteiligten bedarf. Damit werden auch Journalisten erfasst, die in den Besitz erkennbar privater Informationen oder Photos einer Person gelangen. Bildnisveröffentlichungen von Personen des öffentlichen Lebens sind dennoch häufig schutzlos gestellt, da sie durch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein können. Vor allem die Selbstdarstellung in der Medienöffentlichkeit kann einen Schutz vor einer späteren Veröffentlichung von Photos aus dem Privatleben ausschließen.
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III. Auswirkungen des HRA auf Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes Das Inkrafttreten des HRA am 02.10.2000 ist ein bedeutender Schritt in der Entwicklung des Grundrechtsschutzes im englischen Recht. Im Schrifttum wurden dem HRA vor allem nachhaltige Auswirkungen auf den bis dato schwach ausgeprägten Schutz des Privatlebens prognostiziert.661 Im Folgenden wird analysiert, ob sich diese Prognose realisiert hat und welche Konsequenzen sich hieraus für den Bildnisschutz im englischen Recht ergeben. Zuvor wird der für diese Fragestellung maßgebende Anwendungsbereich und Inhalt des HRA skizziert.
1. Anwendungsbereich und Inhalt des HRA Gemäß sec. 1(1) inkorporiert der HRA Art. 2-12 und Art. 14 EMRK sowie einzelne Artikel aus dem Ersten und Sechsten Protokoll zur EMRK in das englische Recht. Der HRA führt damit erstmals einen geschriebenen Grundrechtekatalog in das englische Rechtssystem ein. Die Konventionsgrundrechte bleiben Völkerrecht, das aber vor den englischen Gerichten indirekt justiziabel wird, d. h. die Bürger können die in der EMRK garantierten Rechte vor den englischen Gerichten einklagen.662 Geltungskraft und Reichweite der Konventionsgrundrechte im englischen Recht werden in den Vorschriften des HRA geregelt. Gemäß sec. 2(1) HRA663 muss ein Gericht bei der Auslegung eines Sachverhalts, der ein Konventionsgrundrecht berührt, die Entscheidungen und Stellungnahmen der Konventionsorgane berücksichtigen, sofern diese für relevant erachtet werden. Mit dieser Vorgabe wird keine rechtliche Bindung an die dargelegten Maßnahmen der Konventionsorgane postuliert.664 Sie bilden lediglich ___________ 661 Amelung, Schutz der Privatheit, S. 98, 140 f.; Neill, in: Protecting Privacy, S. 1 (19 ff.); Ohly, RabelsZ 2001, 39 (70 ff.). 662 Vgl. sec. 1(2), 7(1)(b) HRA. Siehe auch Lord Irvine CJ, Hansard, HL, 29.01.1998, vol. 585, col. 422. Zur Wirkung des HRA im englischen Recht siehe Baum, EuGRZ 2000, 281 (294 ff.). 663 Sec. 2(1) HRA lautet: „A court or tribunal determining a question which has arisen in connection with a Convention right must take into account any – (a) judgment, decision, declaration or advisory opinion of the European Court of Human Rights, (b) […], whenever made or given, so far as, in the opinion of the court or tribunal, it is relevant to the proceedings in which that question has arisen.“ 664 Phillipson/Fenwick, [2000] 63 MLR 660 (669).
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einen völkerrechtlichen Mindeststandard, den die englischen Gerichte zwar weiterentwickeln und ausbauen, nicht aber unterschreiten dürfen.665 Sec. 3(1) HRA666 stellt klar, dass Parlamentsgesetze und untergeordnetes Gesetzesrecht im Einklang mit den Konventionsgrundrechten auszulegen und anzuwenden sind.667 Damit werden die in England anerkannten Auslegungsmethoden durch eine Art grundrechtskonformer Auslegung ergänzt.668 Lässt sich auch dadurch ein Widerspruch zur EMRK nicht beseitigen, kann das Gericht gemäß sec. 4(2) und (4) HRA die Unvereinbarkeit der Vorschrift mit dem HRA erklären („declaration of incompatibility“). Mit dieser Erklärung wird Parlament und Regierung signalisiert, die betreffende Vorschrift zu ändern. Eine Verpflichtung zur Änderung besteht nicht. Auch die Gültigkeit und Anwendbarkeit der Vorschrift werden nicht beeinträchtigt. Die Parlamentssouveränität wird daher nicht eingeschränkt.669 Eine Pflicht zur konventionskonformen Auslegung des Richterrechts wird im Gesetz nicht ausdrücklich statuiert. Sie lässt sich aber aus sec. 6(1) i. V. m. sec. (3)(1) HRA ableiten, der die Gerichte verpflichtet, ihre Entscheidungen im Einklang mit den Konventionsgrundrechten zu treffen.670 Im Gegensatz zu sec. 3(2)(b) HRA und sec. 6(2) HRA, nach denen ein Gesetz bei einer offensichtlichen Diskrepanz mit den Vorgaben der EMRK gültig und anwendbar bleibt, gibt es für das Richterrecht keinen derartigen Schutz.671 Die Gerichte sind auch dann verpflichtet, ihre Entscheidungen im Einklang mit der EMRK zu entwickeln, wenn das dazu führt, dass sie konventionswidrige Präzedenzfälle ignorieren müssen.672 Im Bereich der richterrechtlichen Tatbestände ist eine ___________ 665 Singh, in: Protecting Privacy, S. 169 (182 f.); Amelung, Schutz der Privatheit, S. 142. 666 Sec. 3(1) HRA lautet: „So far as it is possible to do so, primary legislation and subordinate legislation must be read and given effect in a way which is compatible with the Convention rights.“ 667 Vgl. aber sec. 3(2)(b) HRA, wonach ein nationales Gesetz, das offensichtlich mit der EMRK unvereinbar ist, weiterhin anwendbar bleibt. 668 Ähnlich Amelung, Schutz der Privatheit, S. 142 f.; vgl. Schweßinger, Einfluss der EMRK, S. 282. 669 Vgl. sec. 6(3) HRA, wonach das englische Parlament keine „public authority“ darstellt, mit der Folge, dass sein konventionswidriges Handeln nicht von sec. 6(1) HRA erfasst wird. 670 Sec. 6(1) HRA lautet: „It is unlawful for a public authority to act in a way which is incompatible with a Convention right.“ 671 So auch Schweßinger, Einfluss der EMRK, S. 283. 672 Schweßinger, Einfluss der EMRK, S. 283; Baum, EuGRZ 2000, 281 (295); vgl. Phillipson/Fenwick, [2000] 63 MLR 660 (668).
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Entwicklung und Anpassung an die Vorgaben der EMRK damit wesentlich einfacher möglich als im Bereich des Gesetzesrechts, das auch nach Inkorporation der EMRK noch vom Grundsatz der Parlamentssouveränität geprägt wird.
2. Instrumentalisierung des Rechtsinstituts breach of confidence für den Schutz des Privatlebens a) Rechtssache Douglas and others v. Hello! Ltd. Die im Schrifttum prognostizierten Auswirkungen des HRA auf den Schutz des Privatlebens673 haben sich kaum zwei Wochen nach seinem Inkrafttreten in der Rechtssache Douglas and others v. Hello! Ltd. realisiert, in der ein englisches Gericht erstmals ein einklagbares Recht auf Privatleben anerkannt hat.674 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die prominenten Schauspieler Catherine Zeta-Jones und Michael Douglas hatten die Exklusivrechte für ihre Hochzeit für eine Million Pfund an die Boulevardzeitung OK! verkauft. Das konkurrierende Blatt Hello! hatte auf ungeklärte Weise Photos von der Hochzeit erhalten und plante, diese ebenfalls zu veröffentlichen. Die Schauspieler und die Zeitschrift OK! erwirkten vor dem High Court of Justice eine einstweilige Verfügung gegen die Veröffentlichung, die aber vom Court of Appeal mit Urteil vom 21.12.2000 einstimmig aufgehoben wurde. Das Gericht sah die Rechte der Kläger durch eine Entscheidung in der Hauptsache für hinreichend geschützt.675 Vor dem Hintergrund des kurz zuvor in Kraft getretenen HRA machte der Court of Appeal auch Ausführungen zu der Bedeutung des Gesetzes für den Schutz der Privatheit im englischen Recht. Er stellte fest, dass die Kläger ein Recht auf Privatleben hätten, das die Gerichte neuerdings zu beachten und zu schützen hätten.676 Dieses Recht biete den Klägern auch Schutz vor der unbefugten Veröffentlichung von Photos ihrer Hochzeit.677 In einem richtungsweisenden Votum führte Sedley LJ aus: „The courts have done what they can, using such legal tools as were to hand, to stop the more outrageous invasions of individual’s privacy […]. Nevertheless, we have
___________ 673
Siehe dazu oben, Teil 3 D. III. (einführende Bemerkungen). Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 ff. 675 Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 (314 f. Rn. 97 ff.), per Brooke LJ. 676 Vgl. Moreham, [2001] 64 MLR 767 (769). 677 Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 (304 f. Rn. 61; 316 Rn. 105), per Brooke LJ/Sedley LJ. 674
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reached a point at which it can be said with confidence that the law recognises and will appropriately protect a right of personal privacy. The reasons are twofold. First, equity and the common law are today in a position to respond to an increasingly invasive social environment by affirming that everybody has a right to some private space. Secondly, and in any event, the Human Rights Act 1998 requires the courts of this country to give appropriate effect to the right to respect for private and family life set out in art. 8 of the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms […].“678
Neben der Entwicklung im Richterrecht sah sich das Gericht vor allem wegen der Inkorporation der EMRK durch den HRA zur Anerkennung eines Rechts auf Privatleben veranlasst.679 Dogmatischer Anknüpfungspunkt der rechtlichen Beurteilung war das Rechtsinstitut breach of confidence in der Ausprägung, die es bis dato durch die Rechtsprechung erfahren hatte.680 Nach Auffassung des Court of Appeal halte das Rechtsinstitut die notwendigen Schutzmechanismen für den Schutz der Privatheit bereit. Es sei nur noch ein kleiner Schritt, es auch im Sinne von Art. 8 EMRK auszulegen und über seinen traditionellen Schutzbereich hinweg auszudehnen.681 Die genaue Ausgestaltung hat das Gericht aber der zukünftigen Rechtsprechung überlassen. Der Court of Appeal führte aus, dass es nicht seine Aufgabe sei, jetzt darüber zu entscheiden. Mit dem Urteil wird zweierlei deutlich: Zum einen wurde – obwohl es um die unbefugte Veröffentlichung von Photos ging – ein spezielles Recht am eigenen Bild vom Court of Appeal nicht in Betracht gezogen. Zum anderen hat er die bereits in Ansätzen vor Inkrafttreten des HRA erkennbaren Entwicklungen im Bereich des Vertraulichkeitsschutzes fortgeführt. Auch der Court of Appeal hat das Rechtsinstitut breach of confidence als dogmatische Grundlage für den Schutz des Rechts auf Privatleben im englischen Recht erachtet.
___________ 678 Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 (316 Rn. 110 f.), per Sedley LJ. 679 Vgl. Amelung/Vogenauer, ZEuP 2002, 341 (357 ff.). 680 Besonders deutlich in Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 (304 ff. Rn. 61, 71, 96/316 Rn. 110 f.), per Brooke LJ/Sedley LJ; vgl. Phillipson, [2003] 66 MLR 726 ff. 681 Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 (304 f. Rn. 61), per Brooke LJ: „It is well known that this court […] said in uncompromising terms that there was no tort of privacy known to English law. In contrast, both academic commentary and extra-judicial commentary by judges over the last ten years have suggested from time to time that a development of the present frontiers of a breach of confidence action could fill the gap in English law which is filled by privacy law in other developed countries.“
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b) Rechtsprechung nach Douglas and others v. Hello! Ltd. Seit der Anerkennung eines Rechts auf Privatleben in der Rechtssache Douglas v. Hello! Ltd. sind weitere Klagen bei Gericht eingegangen, mit denen bekannte Personen die Veröffentlichung privater Informationen oder Photos durch die Presse unterbinden wollten. Im Folgenden wird untersucht, ob die Gerichte die in Douglas etablierten Grundsätze aufgegriffen und dadurch im englischen Recht manifestiert haben.
aa) Rechtssache A v. B (a company) and another In der Rechtssache A v. B (a company) and another hatte der Kläger – ein bekannter Fußballspieler – außereheliche Beziehungen zu zwei Frauen unterhalten. Beide Frauen hatten Informationen über die Beziehung an die englische Boulevardpresse verkauft, die darüber eine Exklusivstory veröffentlichen wollte. Mit Urteil vom 10.09.2001 gab der High Court dem Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt und untersagte die Veröffentlichung. Das Gericht ging davon aus, dass dem Kläger in der Hauptsacheverhandlung aller Wahrscheinlichkeit nach ein Anspruch aus breach of confidence zugesprochen würde. Nach Auffassung des Gerichts sei es allgemein anerkannt, dass mit dem Rechtsinstitut breach of confidence auch Aspekte des unter dem HRA zu achtenden „Rechts auf Privatleben“ geschützt würden.682 Die Entscheidung des High Court wurde vom Court of Appeal mit Urteil vom 11.03.2002 aufgehoben. Entscheidend für die Frage, ob sich die Grundsätze aus der Rechtssache Douglas v. Hello! Ltd. im englischen Recht manifestiert haben, ist zunächst, dass der Court of Appeal ein generelles Recht auf Privatleben nicht in Frage gestellt hat. Er bestätigte vielmehr, dass sich aus dem Auftrag des HRA ergebe, das Privatleben gemäß Art. 8 EMRK zu achten und es umfassend zu schützen. Darüber hinaus erkannte er auch die Einkleidung des Schutzes in das Rechtsinstitut breach of confidence ausdrücklich an.683 Lediglich bei der Interessenabwägung folgte der Court of Appeal der Vorinstanz nicht: Während der High Court ein öffentliches Informationsinteresse an der Veröffentlichung abgelehnt hatte, bejahte der Court of Appeal ein derartiges
___________ 682 A v. B (a company) and another (HC) [2002] 1 All ER 449 (459 ff. Rn. 40 ff.), per Jack J. 683 A v. B (a company) and another (CA) [2002] 2 All ER 545 (553 f. Rn. 11), per Lord Woolf CJ.
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Interesse mit Verweis darauf, dass der Kläger sich zuvor selbst in der Öffentlichkeit präsentiert habe.684
bb) Rechtssachen der Naomi Campbell Mit der Veröffentlichung von Bild- und Textberichten in der Presse hatte sich der High Court auch in zwei Klagen des Topmodells Naomi Campbell zu befassen. Auch in diesen Fällen machte der High Court deutlich, dass nunmehr ein Recht auf Privatleben existiere, das er zu schützen habe. In der Rechtssache Campbell v. Vanessa Frisbee verwies der High Court auf die besondere Bedeutung des Rechts auf Privatleben, das er mit dem öffentlichen Informationsinteresse und dem Interesse der Presse an der Veröffentlichung der Informationen abzuwägen habe. Er betonte im Weiteren, dass mit Inkrafttreten des HRA ein neues Verständnis im Hinblick auf die Schutzfähigkeit privater Informationen in das englische Recht Einzug gehalten habe.685 Aus dem Urteil vom 27.03.2002 in der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. geht hervor, wie dieses „neue“ Recht auf Privatleben ausgestaltet werden muss. Gegenstand der Klage war die Veröffentlichung mehrerer Photos, auf denen die Klägerin in ihrer Freizeitbekleidung vor einer Einrichtung der anonymen Drogenabhängigen („Narcotic Anonymous“) abgebildet war. Der Begleittext berichtete ausführlich über den Kampf des Topmodells gegen ihre Alkoholund Drogenabhängigkeit und offenbarte Details über ihre Behandlung und Teilnahme bei den NA.686 Wie bereits die Gerichte vor ihm, fühlte sich auch der High Court dazu veranlasst, das bereits existierende Rechtsinstitut breach of confidence im Sinne von Art. 8 EMRK zu erweitern.687 Der High Court sah davon ab, einen eigenständigen Tatbestand zum Schutz des Privatlebens – wie z. B. einen „tort of infringement of privacy“ – zu schaffen. In der Sache gelangte er zu dem Ergebnis, dass die Veröffentlichung der Details über die Drogenabhängigkeit der Klägerin und der Photos nicht rechtmäßig gewesen sei.688 ___________ 684
A v. B (a company) and another (CA) [2002] 2 All ER 545 (560 ff. Rn. 41 ff.), per Lord Woolf CJ. 685 Naomi Campbell v. Vanessa Frisbee (HC) [2002] EWHC 328 (Ch). 686 Vgl. Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (995): „The articles revealed the following matters: (1) that the claimant was a drug addict; (2) that she was receiving treatment for her addiction; (3) that she was attending Narcotics Anonymous (NA); (4) details of that treatment; and (5) a visual portrayal by means of photographs, covertly taken, of the claimant when leaving the meetings.“ 687 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HC) [2002] EWHC 499 ff., per Morland J. 688 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HC) [2002] EWHC 499 ff., per Morland J.
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Mit Urteil vom 06.05.2004 bestätigte das House of Lords die erstinstanzliche Entscheidung des High Court. Das Gericht war mehrheitlich der Auffassung, dass die erforderliche Abwägung zwischen dem Recht der Klägerin auf Schutz ihres Privatlebens und der Meinungs- und Pressefreiheit der beklagten Boulevardzeitung zugunsten der Klägerin ausfallen müsse.689 Damit hat erstmals das höchste Gericht in England die Existenz eines Rechts auf Privatleben im englischen Recht anerkannt. Darüber hinaus hat das House of Lords auch die dogmatische Grundlage des Privatheitsschutzes im Rechtsinstitut breach of confidence ausdrücklich bestätigt.690 Mit dem Urteil des House of Lords ist die in den letzten Jahren angestoßene Entwicklung hin zu einem stärkeren Schutz der Privatsphäre im englischen Recht manifestiert worden.
c) Zusammenfassung Die dargestellten Entscheidungen zeigen, dass auch unter dem HRA und damit unter der Einwirkung von Art. 8 EMRK ein eigenständiges Recht am eigenen Bild im englischen Recht nicht existiert. Ein derartiges Recht ist dem englischen Recht unbekannt. Schutz vor der Veröffentlichung von Bildnissen privaten Inhalts wird lediglich durch das „neue“ Recht auf Privatleben gewährleistet, das nunmehr ausdrücklich anerkannt wird. Dogmatischer Anknüpfungspunkt des Schutzes ist das bereits existierende Rechtsinstitut breach of confidence, dessen Voraussetzungen zum Zwecke des Privatheitsschutzes von den englischen Gerichten ausgedehnt und instrumentalisiert werden. Ein eigenständiger Tatbestand zum Schutz des Privatlebens wird in der Rechtsprechung dagegen nicht als notwendig erachtet.
3. Bildnisschutz durch das Rechtsinstitut breach of confidence Aus der Rechtsprechung zum Schutz des Einzelnen vor der Veröffentlichung von Details aus seinem Privatleben geht hervor, dass die Voraussetzungen des Rechtsinstituts breach of confidence unter dem Einfluss des Rechts auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK und der Freiheit der Meinungs___________ 689 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1016 ff. Rn. 79 ff.; 1029 ff. Rn. 126 ff.; 1039 ff. Rn. 161 ff.), per Lord Hope, Baroness Hale, Lord Carswell. Ablehnend [2004] 2 All ER 995 (1000 ff. Rn. 1 ff.; 1007 ff. Rn. 36 ff.), per Lord Nicholls, Lord Hoffmann. Anders aber das CA, das die Veröffentlichung der Informationen und Photos aufgrund des öffentlichen Informationsinteresses als rechtmäßig erachtete, [2003] 1 All ER 224 ff., per Lord Phillips MR. 690 Z. B. Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1002 ff. Rn. 11 ff.), per Lord Nicholls; vgl. Balthasar, GRUR Int. 2004, 869 (870 ff.).
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äußerung gemäß Art. 10 EMRK modifiziert werden. Die Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des HRA ergangen sind, zeigen, dass es für die Haftung nicht darauf ankommt, ob vertrauliche Informationen vorliegen, die unter Bruch einer Vertrauensbeziehung weitergegeben wurden691. Es ist nunmehr allein maßgebend, ob es sich bei den Informationen um private Informationen handelt und ihre Weitergabe als solche einen Nachteil des Betroffenen zur Folge hat.692
a) Gegenstand des Bildnisschutzes: Bildnisse mit privaten Informationen aa) Begriff der privaten Informationen Das Rechtsinstitut breach of confidence sollte traditionell vor der Weitergabe vertraulicher Informationen schützen. Die meisten Entscheidungen vor Inkrafttreten des HRA betrafen kommerzielle Informationen, so dass allgemeine Maßstäbe, anhand derer eine Qualifizierung von Informationen als „privat“ möglich war, nicht entwickelt wurden.693 Zahlreiche Entscheidungen nach Inkrafttreten des HRA694 haben aber Hinweise darüber gegeben, welche Informationen dem Begriff des Privatlebens zugeordnet werden können. In der Rechtssache A v. B (a company) and another stellte das Gericht fest, dass das englische Recht Informationen über sexuelle Beziehungen – einschließlich solcher außerhalb der Ehe – zu schützen habe.695 Auch Abbildungen vom Inneren eines Hauses696 oder Photos einer Person697 – vor allem Abbildungen ihres nackten698 ___________ 691
Zu den traditionellen Voraussetzungen des Rechtsinstituts breach of confidence siehe Teil 3 D. II. 2. d). 692 Zuletzt sehr deutlich in Douglas and others v. Hello! Ltd. (No. 3) (CA) [2005] 4 All ER 128 (150 Rn. 83), per Lord Phillips MR. 693 Ähnlich Phillipson, [2003] 66 MLR 726 (732 f.). 694 Zu den wichtigsten Entscheidungen zum Schutz privater Informationen zählen: Douglas and others v. Hello! Ltd. and others (CA) [2001] 2 All ER 289 ff./(No. 3) (CA) [2005] 4 All ER 128 ff.; Naomi Campbell v. MGN Ltd. (CA) [2003] 1 All ER 224; (HL) [2004] 2 All ER 995 ff.; A v. B (a company) and another (HC) [2002] 1 All ER 449 ff.; (CA) [2002] 2 All ER 545 ff.; Venables and another v. News Group Newspapers Ltd. (HC) [2001] 1 All ER 908 ff.; Mills v. News Group Newspapers Ltd. (HC) [2001] EMLR 41 ff.; Theakston v. MGN Ltd. [2002] EMLR 22 ff. 695 A v. B (a company) and another (CA) [2002] 2 All ER 545 (549 Rn. 5), per Lord Woolf CJ mit Verweis auf Stephens v. Avery [1988] 2 All ER 477. 696 David Beckham v. MGN Ltd., per Eady J (unveröffentlicht); Blair v. Associated Newspapers, Case Nr. HQ0001236 (unveröffentlicht); siehe hierzu Phillipson, [2003] 66 MLR 726 (733). 697 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2003] 1 All ER 224; Jacqueline v. The London Borough of Newham [2001] WL 1612596; siehe hierzu Phillipson, [2003] 66 MLR 726 (727).
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
oder halbnackten Körpers699 – wurden bereits ausdrücklich den privaten Informationen zugerechnet.
(1) „High offensiveness to a reasonable person“-Test In der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. verwendete ein englisches Gericht erstmals einen allgemeinen Test, um zu beurteilen, ob die streitgegenständlichen Informationen – Drogenabhängigkeit der Klägerin und ihre Behandlung bei den Narcotic Anonymous – als private Informationen vom Rechtsinstitut breach of confidence geschützt werden.700 Unter Hinweis auf die australische Entscheidung Australian Broadcasting Corporation v. Lenah Game Meats701 stellte der Court of Appeal fest: „There is no bright line which can be drawn between what is private and what is not. Use of the term ‚public‘ is often a convenient method of contrast, but there is a large area in between what is necessarily public and what is necessarily private. An activity is not private simply because it is not done in public. […] The requirement that disclosure or observation of information or conduct would be highly offensive to a reasonable person of ordinary sensibilities is in many circumstances a useful practical test of what is private.“702
In der Sache verneinte das Gericht den Schutz der in Rede stehenden Informationen: Der Umstand, dass die Klägerin drogenabhängig sei und zur Behandlung an den Treffen der NA teilnehme, werde von einem verständigen Dritten nicht als sehr anstößig oder beleidigend („highly offensive“) empfunden. Die Enthüllung dieser Informationen sei nicht von hinreichender Bedeutung, um ein Einschreiten des Gerichts durch Schadensersatzzusagen zu rechtfertigen.703 Grundsätzlich ist es aus Gründen der Rechtssicherheit zu befürworten, dass die vom Rechtsinstitut breach of confidence geschützten privaten Informatio___________ 698
Theakston v. MGN Ltd. [2002] EMLR 22. Holden v. Express Newspapers Ltd., per Eady J (unveröffentlicht); siehe hierzu Phillipson, [2003] 66 MLR 726 (727). 700 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (CA) [2003] 1 All ER 224 (236 f. Rn. 48). Stillschweigende Zustimmung hat dieser Test auch in A v. B (a company) and another (CA) [2002] 2 All ER 545 (552 Rn. 11), per Lord Woolf CJ erhalten. 701 Australian Broadcasting Corporation v. Lenah Game Meats [2001] 185 ALR 1 (13 Rn. 42), per Gleeson CJ. 702 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (CA) [2003] 1 All ER 224 (236 f. Rn. 48). 703 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (CA) [2003] 1 All ER 224 (237 f. Rn. 54 ff.), per Lord Phillips MR: „The disclosure was not of sufficient significance to shock the conscience and justify the intervention of the court.“ 699
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nen anhand eines allgemeingültigen Tests ermittelt werden. Zweifelhaft ist allerdings, ob der in der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. eingeführte Test hierfür geeignet ist. Problematisch ist vor allem, dass nach Auffassung des Gerichts die Frage nach dem privaten Charakter der Informationen ohne Rückgriff auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK zu beantworten sei.704 Mit diesem Ansatz kann der Test der Verpflichtung der Gerichte aus sec. 6(1) und (3)(1) HRA nicht gerecht werden, wonach sie das Recht auf Privatleben im Einklang mit den Vorgaben von Art. 8 EMRK zu entwickeln haben.705 Auch ist fraglich, ob Kriterien anderer Rechtsordnungen, die – wie das common law – nicht mit dem Rechtssystem der EMRK verwandt sind, dem englischen Recht nach Inkrafttreten des HRA überhaupt noch ohne Weiteres einverleibt werden dürfen.706 Das House of Lords hat den „High offensiveness to a reasonable person“Test mit Urteil vom 06.05.2004 mehrheitlich verworfen.707 Nur wenige Tage später hat sich auch der Court of Appeal in der Rechtssache Douglas v. Hello! Ltd. zu dem Test geäußert und diesen zur Beurteilung von Informationen als „privat“ abgelehnt.708 Nach Auffassung beider Gerichte sei erst im Rahmen der Interessenabwägung von Bedeutung, wie beleidigend oder ehrverletzend die Veröffentlichung der Informationen gewesen sei. ___________ 704
Das Kriterium der „high offensiveness“ ist dem amerikanischen Recht entnommen, vgl. Restatement (Second) of the Law of Torts, Rn. 625D: „One who gives publicity to a matter concerning the private life of another is subject to liability to the other […] if the matter publicised is of a kind that (a) would be highly offensive to a reasonable person […].“ 705 Diese Verpflichtung wird in in ständiger Rechtsprechung betont, vgl. z. B. A v. B (a company) and another [2002] 2 All ER 545 (548 Rn. 4), per Lord Woolf CJ: „[…] under section 6 of the 1998 Act, the court, as a public authority, is required not to act ‚in a way which is incompatible with a Convention right‘. The court is able to achieve this by absorbing the rights which articles 8 and 10 protect into the long-established action for breach of confidence.“ Vgl. Venables and another v. News Group Newspapers Ltd. (HC) [2001] 1 All ER 908 (917 Rn. 22), per Butler-Sloss; Douglas and others v. Hello! Ltd. [2001] 2 All ER 289 (316 f. Rn. 111), per Sedley LJ. 706 Vgl. Douglas and others v. Hello! Ltd. [2001] 2 All ER 289 (309 Rn. 76), per Brooke LJ: „[T]he courts in this country should be very cautious, now that the Human Rights Act 1998 is in force, when seeking to derive assistance from judgements in other jurisdictions founded on some different right-based character.“ 707 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1004 Rn. 22; 1011 Rn. 53; 1032 Rn. 135; 1040 Rn. 165 f.), per Lord Nicholls, Lord Hoffmann, Baroness Hale, Lord Carswell. Nach Auffassung von Lord Hope kann der Test in Zweifelsfällen hilfreich sein, vgl. [2004] 2 All ER 995 (1020 Rn. 94). 708 Douglas and others v. Hello! Ltd. (No. 3) (CA) [2005] 4 All ER 128 (149 Rn. 78), per Lord Phillips MR.
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(2) „Reasonable expectation as to privacy“-Test Für den Schutz der Informationen kommt es nach Auffassung des House of Lords maßgeblich darauf an, ob die betroffene Person vernünftigerweise erwarten durfte, dass die veröffentlichten Informationen geschützt seien („reasonable expectation of privacy in respect of the disclosed facts“).709 Eine vernünftige Erwartung auf Schutz bestehe z. B. vor der Veröffentlichung erniedrigender oder peinlicher Photos.710 Abzustellen sei auf den gewöhnlichen Dritten, der in die Situation des Klägers versetzt werden müsse. Individuelle Befindlichkeiten könnten hingegen nicht berücksichtigt werden.711 Der „Reasonable expectation as to privacy“-Test ist der Rechtsprechung des EGMR entlehnt, der diesen in der Rechtssache Peck vom 28.01.2003 zugrunde gelegt und einen Schutz des Klägers vor Bildaufnahmen in der Öffentlichkeit gemäß Art. 8 EMRK bejaht hat.712 Die Rezeption des Tests im englischen Recht ermöglicht somit eine Rechtsentwicklung, die mit den Vorgaben des HRA vereinbar ist. Für die Reichweite des Schutzes privater Informationen im englischen Recht kommt es darauf an, ob die Informationen vom Recht auf Privatleben i. S. v. Art. 8 EMRK erfasst werden. In der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. hätte der Court of Appeal – anstatt zu prüfen, ob eine vernünftige Person die Bildaufnahmen des Topmodells Naomi Campbell als anstößig erachtet untersuchen müssen, ob Art. 8 EMRK auch Informationen aus dem gesundheitlichen Bereich schützt.713 Unter Hinweis auf das Urteil des EGMR in der Rechtssache Z v. Finland714 hätte er sowohl den Schutz der Informationen über die Drogenabhängigkeit der Klägerin als auch derjenigen über ihre Behandlung bejahen müssen. Diesem Weg folgten dann auch die Richter des House of Lords, als sie über die Rechtssache Naomi Campbell zu entscheiden hatten. Das Gericht war überdies einvernehmlich der Auffassung, dass die Informationen auch außerhalb ___________ 709
Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1004 Rn. 21), per Lord Nicholls: „Essentially the touchstone of private life is whether in respect of the disclosed facts the person in question had a reasonable expectation of privacy.“ Ähnlich Baroness Hale, [2004] 2 All ER 995 (1032 ff. Rn. 134 ff., 137). 710 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1015 Rn. 75), per Lord Hoffmann. 711 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1020 Rn. 94), per Lord Hope. 712 EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 – Peck. Zur Entscheidung des EGMR in der Rechtssache Peck siehe Teil 3 B. I. 2. a). 713 Ähnlich Phillipson, [2003] 66 MLR 726 (735). 714 Siehe hierzu EGMR, Urt. v. 25.02.1997, Nr. 22009/93 (Rn. 95) – Z v. Finland.
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des räumlichen Bereichs der Privatsphäre ihren privaten Charakter nicht verlieren. Eine Person könne auch in der Öffentlichkeit berechtigterweise darauf vertrauen, vor der Medienöffentlichkeit geschützt zu werden.715 Eine vernünftige Erwartung auf Schutz entfalle jedoch, wenn der Betroffene falsche Informationen selbst öffentlich gemacht habe und diese durch eine Veröffentlichung der Presse richtig gestellt würden.716 Nach Auffassung des House of Lords gelte das jedenfalls für solche Berichte, die lediglich die öffentlich gemachten Aussagen negierten. Ob dagegen auch Informationen veröffentlicht werden dürfen, die über die reine Negation hinausgehen – wie z. B. Details über die Behandlung der Drogenabhängigkeit oder Photos der Klägerin – wurde von den Richtern unterschiedlich bewertet: Nach Auffassung von Lord Nicholls sei die Veröffentlichung von Photos nur zulässig, wenn diese keine weitergehenden Informationen als der Begleittext enthalten.717 Lord Hoffmann und Lord Hope stellten demgegenüber den grundsätzlichen Schutz des Einzelnen vor der Veröffentlichung seines Bildnisses durch Presseaufnahmen nicht in Frage.718 Besonders schutzwürdig sei der Einzelne, wenn die Photos heimlich angefertigt worden seien und Paparazzi hierfür längere Zeit auf Lauer gelegen hätten.719 Nach Auffassung von Baroness Hale sei die Abbildung einer Person an sich nicht schützenswert, da das englische Recht ein Recht am eigenen Bild („right to one’s own image“) nicht anerkenne. Eine vernünftige Erwartung auf Schutz vor der Veröffentlichung ihres Bildnisses bestehe allerdings dann, wenn die betroffene Person bei der Ausübung privater Tätigkeiten abgebildet sei, das Photo also über die Abbildung einer Person hinaus weitere private Informationen enthalte.720 ___________ 715 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1014 ff. Rn. 72 ff.; 1028 Rn. 122), per Lord Hoffmann, Lord Hope. 716 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1004 f. Rn. 24), per Lord Nicholls. 717 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1004 f. Rn. 31), per Lord Nicholls: „[…] the pictorial information in the photographs illustrating the offending article [...] added nothing of an essentially private nature. […] There was nothing undignified or distrait about [Miss Campbell’s] appearance.“ 718 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1014 ff. Rn. 72 ff.; 1025 Rn. 111), per Lord Hoffmann, Lord Hope. 719 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1025 ff. Rn. 123), per Lord Hope. 720 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1037 Rn. 154 f.), per Baroness Hale. Ähnlich Douglas and others v. Hello! Ltd. (No. 3) [2005] 4 All ER 128 (150 ff. Rn. 84, 105 f.), per Lord Phillips MR.
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Nach übereinstimmender Auffassung des House of Lords wird der Einzelne vor der unbefugten Veröffentlichung seines Bildnisses geschützt, wenn die abgebildete Person bei einer privaten Tätigkeit abgebildet ist und die im Photo vermittelten Informationen über die im Begleittext enthaltenen Informationen hinausgehen.721 Das Rechtsinstitut breach of confidence bietet in diesen Fällen auch dann Schutz, wenn mit dem Begleittext in der Öffentlichkeit kursierende falsche Aussagen richtig gestellt werden. Inwieweit eine Person in anderen Konstellationen vor der Veröffentlichung ihres Bildnisses geschützt wird, ist unter den Richtern des House of Lords umstritten. Es bleibt abzuwarten, wie sich die weitere Rechtsprechung entwickeln wird. Derzeit kann lediglich festgestellt werden, dass es nach übereinstimmender Auffassung der Richter des House of Lords nicht auf den Ort der Aufnahme ankommt, das Verhalten von Paparazzi bei der Bildnisanfertigung aber durchaus eine Rolle spielen kann.
bb) Bildnisse von Personen des öffentlichen Lebens Seit Inkrafttreten des HRA wird in ständiger Rechtsprechung darauf verwiesen, dass auch Personen des öffentlichen Lebens („public figures“) ein Recht auf Privatleben haben, das durch die Gerichte geschützt werden müsse.722 Spätestens mit dieser Aussage hat die Rechtsprechung der vor allem früher vertretenen Auffassung, dass sich Personen des öffentlichen Lebens aufgrund ihres Bekanntheitsgrades grundsätzlich nicht auf den Schutz ihres Privatlebens berufen könnten, sondern Freiwild („fair game“) der Presse seien,723 eindeutig den Rücken gekehrt. Personen des öffentlichen Lebens müssen es grundsätzlich nicht hinnehmen, dass ihr Privatleben ohne ihre Einwilligung durch die Presse der Öffentlichkeit preisgegeben wird. Sie sind auch davor geschützt, dass ihre Person in Text- oder Bildberichten anders dargestellt wird, als es ihrem Bild in der Öffentlichkeit entspricht.724 Etwas anderes gilt nur für diejenigen Personen des öffentlichen Lebens, die Informationen über ihr Privat- oder Intimleben in die Öffentlichkeit getragen und sich insoweit selbst ihres Privatheitsschutzes
___________ 721
Ähnlich Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-10. Z. B. A v. B (a company) and another [2002] 2 All ER 545 (553 Rn. 11), per Lord Woolf: „Where an individual is a public figure he is entitled to have his privacy respected.“ 723 Siehe hierzu Markesinis/O’Cinneide/Fedtke/Hunter-Henin, [2004] 52 AJCL 133 (144 f.). 724 Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 141; siehe bereits Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 108; Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 41. 722
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beraubt haben.725 Personen des öffentlichen Lebens, die ihre Privatheit wahren, können sich demgegenüber genauso auf den Schutz ihrer Privatsphäre berufen wie (normale) Privatpersonen.726 Erst im Rahmen der tatbestandlichen Grenzen wird berücksichtigt, dass bekannte Personen oft ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit hervorrufen, so dass Eingriffe in ihr Recht auf Privatleben viel häufiger gerechtfertigt sind als bei Personen, an denen kein öffentliches Informationsinteresse besteht.727
b) Reichweite des Bildnisschutzes Das Rechtsinstitut breach of confidence schützt Abbildungen einer Person bei Ausübung privater Tätigkeiten nicht schrankenlos.728 In ständiger Rechtsprechung wird darauf verwiesen, dass die Reichweite des Schutzes persönlicher Informationen nur unter Abwägung mit den Kommunikationsfreiheiten bestimmt werden kann.729 Im Folgenden wird daher zunächst der Schutzbereich der Kommunikationsfreiheiten skizziert. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, nach welchen Grundsätzen die Kollision im englischen Recht aufgelöst wird.
aa) Kollision des Bildnisschutzes mit den Kommunikationsfreiheiten (1) Schutz der Kommunikationsfreiheiten Im englischen Recht gilt der Grundsatz: Erlaubt und geschützt ist alles, was gesetzlich nicht verboten ist. Jeder darf sagen, schreiben und veröffentlichen, was er will, solange er damit nicht gegen die Rechte Dritter verstößt.730 Es gibt ___________ 725 Siehe bereits Lennon v. News Group Newspapers and Twist [1978] FSR 572; Woodward v. Hutchins [1977] 2 All ER 751. 726 Vgl. Douglas and others v. Hello! Ltd. (No. 3) [2005] 4 All ER 128 ff.; Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2003] 1 All ER 224 ff.; A v. B (a company) and another [2002] 2 All ER 545 ff.; vgl. Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-06. 727 Siehe dazu Teil 3 D. III. 3. b) aa) und bb). 728 Vgl. z. B. Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1011 Rn. 55), per Lord Hoffmann: „[...] relationship between freedom of the press and the common law right of the individual to protect person information. […] neither can be given effect in full measure without restricting the other.“ 729 Zur Notwendigkeit einer Interessenabwägung, siehe A v. B (a company) and another (CA) [2002] 2 All ER 545 (549 Rn. 6), per Lord Woolf CJ. 730 Reynolds v. Times Newspapers Ltd. [1999] 4 All ER 609; vgl. British Steel Corporation v. Granada Television [1981] AC 1096 (1168); Dicey, Law of the Constitution, S. 147 f.; Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 17.
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weder ein Presserecht noch ein sonstiges Sonderrecht für die Veröffentlichung von Presseerzeugnissen oder das Verhalten von Journalisten. Die Presse unterliegt im Vergleich zu anderen Institutionen keinen besonderen Beschränkungen, genießt grundsätzlich aber auch keine bevorrechtigte Stellung.731 In der Rechtsprechung zur Pressefreiheit finden sich gleichermaßen Verweise auf die Meinungsfreiheit („freedom of expression“)732, die Redefreiheit („freedom of speech“)733 und die Pressefreiheit („freedom of the press“)734. Eine Abgrenzung zwischen den einzelnen Freiheiten findet nicht statt. Das englische Recht zeigt sich der Meinung des Einzelnen gegenüber sehr tolerant. Wertlose Meinungen werden geschützt ebenso wie sachlich anspruchsvolle Äußerungen. Die Meinungsfreiheit ist nicht auf politische oder sonstige Angelegenheiten von öffentlichem Interesse beschränkt. Geschützt wird jede Äußerung, unabhängig davon, ob sie nur die Neugier befriedigt oder kommerziellen Interessen dient.735 Die Kommunikationsfreiheiten bieten auch dann Schutz, wenn eine Äußerung als vulgär oder offensiv bewertet werden muss.736 Erfasst wird jede Art der Übermittlung bzw. Kommunikation von Tatsachenbehauptungen und Werturteilen.737 Davon abgesehen schützen die Kommunikationsfreiheiten alle mit der Pressearbeit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, die von der Informationsbeschaffung bis zur gedruckten Verbreitung der Nachrichten und Meinungen reichen. Dabei gewährleisten die Kommunikationsfreiheiten auch das Recht, Art und Ausrichtung sowie Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen.738 In den Entscheidungen zur Veröffentlichung von Bildberichten wird stets darauf verwiesen, dass sie auch das Recht geben zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wie ein Presseerzeugnis bebildert wird.739 ___________ 731 Reynolds v. Times Newspapers Ltd. [1999] 4 All ER 609 (628 ff.), per Lord Steyn; vgl. Dicey, Law of the Constitution, S. 147 f.; Witzleb, Geldansprüche, S. 208. 732 Douglas and others v. Hello! Ltd. (CA) [2005] 4 All ER 128 (149 Rn. 78), per Lord Phillips MR. 733 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1022 ff. Rn. 103 ff.), per Lord Hope. 734 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1011 Rn. 55 ff.), per Lord Hoffmann. 735 R v. Radio Authority [1995] 4 All ER 481; X Ltd. v. Morgan Grampian [1991] 1 AC 1; siehe auch Bosma, Freedom of Expression, S. 157 f. 736 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1011 Rn. 56). 737 Vgl. Bosma, Freedom of Expression, S. 158. 738 Vgl. Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1015 f. Rn. 77 f.). 739 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1015 f. Rn. 77); vgl. Foster, [2004] 168 JoP 531 (531).
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Im Übrigen zeigt sich eine enge Anlehnung der englischen Rechtsprechung an das Recht der EMRK. Das Recht der Meinungsäußerung war bereits vor Inkrafttreten des HRA der Bereich des englischen Rechts, der am stärksten von der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR geprägt war.740 In vielen Entscheidungen haben die englischen Gerichte eine große Bereitschaft gezeigt sicherzustellen, dass zwischen den Kommunikationsfreiheiten des Art. 10 EMRK und dem common law keine Unterschiede bestehen.741 Die Gerichte haben auf die Rechtsprechung des EGMR vor allem dann verwiesen, wenn das common law unklar war742 oder Raum für Ermessensentscheidungen gelassen hat.743 Seit Inkorporation der Konventionsgrundrechte in das englische Recht hat Art. 10 EMRK weiter an Bedeutung gewonnen. Zahlreiche Entscheidungen zeigen, dass die Vereinbarkeit des common law mit der Rechtsprechung des EGMR streng überprüft wird. Neben englischen Entscheidungen findet sich immer häufiger auch ein Verweis auf Entscheidungen des EGMR.744
(2) Auflösung der Kollision durch Interessenabwägung Die Kommunikationsfreiheiten sind im englischen Recht traditionell von großer Bedeutung. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass sie im Falle einer Kollision mit dem Schutz privater Informationen grundsätzlich Vorrang beanspruchen. Diese Vermutung wird durch sec. 12(4) HRA verstärkt, der bestimmt: „The court must have particular regard to the importance of the Convention right to freedom of expression and, where the proceedings relate to material which the respondent claims, or which appears to the court, to be journalistic, literary or artistic material [], to – (a) the extent to which – (i) the material has, or is about to, become available to the public; or (ii) it is, or would be, in the public interest for the material to be published; (b) any relevant privacy code.“
Auch das Urteil des High Court in der Rechtssache Venables v. News Group Newspapers vom 08.01.2001 erweckt den Anschein, als müsse das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz privater Informationen und den Kommunikationsfreiheiten in der Regel zugunsten der Kommunikationsfreiheiten aufgelöst ___________ 740
Ähnlich Witzleb, Geldansprüche, S. 210. Z. B. AG v. Guardian Newspaper (No. 2) [1988] 3 All ER 545 (626/659); Derbyshire City Council v. Times Newspapers Ltd. [1993] AC 534 (550 f.). 742 AG v. British Broadcasting Corporation [1981] AC 303 (354), per Lord Fraser. 743 Derbyshire City Council v. Times Newspapers Ltd. [1993] AC 534 (550), per Lord Fraser. 744 Z. B. Galloway v. Telegraph Group Ltd. [2005] EMLR 7. Für weitere Beispiele siehe Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 22-15 ff. 741
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
werden.745 Nach Auffassung von Butler-Sloss P werden an die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit sehr hohe Anforderungen gestellt.746 Einschränkungen seien nur zulässig, wenn sie auf ein starkes und dringendes soziales Bedürfnis („strong and pressing social need“) zurückgeführt werden könnten.747 In eine ähnliche Richtung geht auch die Aussage von Ouseley J, wonach es besonderer Umstände bedürfe („it requires a strong case“), um der Presse die Veröffentlichung von Informationen zu untersagen.748 Demgegenüber geht aus dem Urteil des Court of Appeal in der Rechtssache Douglas v. Hello! Ltd. deutlich hervor, dass keinem der beiden kollidierenden Interessen Vorrang eingeräumt wird. Nach Auffassung des Gerichts könne dem durch den HRA in das englische Recht inkorporierten Art. 10 EMRK kein genereller Vorrang vor kollidierenden Rechten zugesprochen werden. Der EGMR habe zwar stets die herausragende Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten für eine demokratische Gesellschaft betont; seine Rechtsprechung zeige jedoch auch, dass Art. 10 EMRK kein genereller Vorrang vor Art. 8 EMRK zukomme. Sec. 12(4) HRA stärke sowohl die Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK als auch das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK. Ein Verständnis der Vorschrift, wonach die Meinungsfreiheit vor anderen Konventionsgrundrechten bevorzugt werden müsse, könne auch vom englischen Parlament nicht gewollt gewesen sein.749 Diese Auffassung wurde von Lindsay J mit Urteil vom 11.04.2003 bestätigt, der ebenfalls betonte, dass ein genereller Vorrang der Meinungsfreiheit vor anderen Konventionsgrundrechten nicht bestehe.750 Spätestens seit dem Urteil des House of Lords in der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. vom 06.05.2004, das sich der Aussage des High Court in Douglas angeschlossen hat,751 dürfte diese Auffassung im englischen Recht etabliert ___________ 745
Markesinis/O’Cinneide/Fedtke/Hunter-Henin, [2004] 52 AJCL 133 (154). Venables and another v. News Group Newspapers Ltd. (HC) [2001] 1 All ER 908 (932 Rn. 77), per Butler-Sloss P: „The starting point is, however, the well-recognised position of the press, and their right and duty to be free to publish [...]. […It] is a powerful card to which I must pay appropriate respect. […] In considering the limits to the law of confidence, and whether a remedy is available to the claimants within those limits, I must interpret narrowly those exceptions.“ 747 Venables and another v. News Group Newspapers Ltd. (HC)[2001] 1 All ER 908 (922 Rn. 44). 748 Theakston v. MGN Ltd. (HC) [2002] EMLR 22 (Rn. 34), per Ouseley J. 749 Douglas v. Hello! Ltd. (CA) [2001] 2 All ER 289 (323 Rn. 135 f.); vgl. Moreham, [2001] 64 MLR 767 (770 f.); Kirchhoff, Persönlichkeitsschutz, S. 153 f. 750 Douglas v. Hello! Ltd. (HC) [2003] 3 All ER 996 (996), per Lindsay J. 751 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1011 Rn. 55; 1025 Rn. 111, per Lod Hoffmann, Lord Hope: 746
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sein.752 Bei der Abwägung stehen sich im englischen Recht der Schutz privater Informationen und die Kommunikationsfreiheiten somit gleichrangig gegenüber. Zwischen den kollidierenden Interessen muss ein vernünftiger und angemessener Ausgleich geschaffen werden: „The restrictions which the court imposes [...] must be rational, fair and not arbitrary, and they must impair the right no more than is necessary.“753
bb) Einwendung des öffentlichen Interesses Die Interessenabwägung fällt zugunsten der Kommunikationsfreiheiten aus, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht, dass die privaten Informationen bekannt gemacht werden und das öffentliche Interesse dem Interesse am Schutz der privaten Informationen überwiegt.754 Die Entscheidungen unter dem HRA zeigen, dass es sich bei der defence of public interest um die bedeutendste Einwendung bei der Frage nach der Zulässigkeit von Presseveröffentlichungen handelt.755 Der Begriff des öffentlichen Interesses wird weit verstanden. Nach der Grundsatzentscheidung London Artists v. Littler werden alle Angelegenheiten erfasst, die eine große Anzahl von Menschen angehen und an denen sie ein berechtigtes Interesse oder Anliegen haben.756 Ein öffentliches Interesse wird vor allem an der politischen Berichterstattung bejaht. Verneint wird es demgegenüber an Aspekten aus dem Privatleben einer Person; das Privatleben soll der ___________ „But, as Sedley LJ said in Douglas v Hello! Ltd. […] you cannot have particular regard to art 10 without having equally particular regard at the very least to art 8 […]. […] s 12(4) does not give either article pre-eminence over the other. These observations seem to me to be entirely consistent with the jurisprudence of the [EGMR] […].“ 752 So auch Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-19 a.E.; Carty, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-33. 753 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1026 Rn. 115; 1040 Rn. 167), per Lord Hope, Lord Carswell. 754 Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. d). 755 Z. B. Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1011 Rn. 56; 1026 Rn. 116), per Lord Hoffmann, Lord Hope. Ähnlich Balthasar, GRUR Int. 2004, 869 (871). 756 London Artists Ltd. v. Littler [1969] 2 All ER 193 (198), per Lord Denning MR: „There is no definition in the books as to what is a matter of public interest. All we are given is a list of examples […]. I would not myself confine it within narrow limits. Whenever a matter is such as to affect people at large, so that they may be legitimately interested in, or concerned at, what is going on; or what may happen to them or to others; then it is a matter of public interest on which everyone is entitled to make fair comment.“
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Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
Medienöffentlichkeit grundsätzlich verschlossen bleiben.757 Das gilt auch für Personen des öffentlichen Lebens. Ein öffentliches Interesse besteht allenfalls dann, wenn die Informationen einen Bezug zu der Rolle aufweisen, durch welche die Person ihre Bekanntheit in der Öffentlichkeit erlangt hat.758 Politiker müssen eine Veröffentlichung privater Informationen daher hinnehmen, wenn sich aus ihnen Rückschlüsse für die Eignung oder Befähigung für ein öffentliches Amt ziehen lassen.759 Bereits vor Inkrafttreten des HRA war anerkannt, dass sich eine Person des öffentlichen Lebens, die sich selbst in der Öffentlichkeit präsentiert hat, nicht erfolgreich auf den Schutz ihrer Privatsphäre berufen kann.760 Diese Rechtsprechung hat Lord Woolf nach Inkrafttreten der EMRK in der Rechtssache A v. B (a company) aufgegriffen. Er führte aus, dass die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran habe, private Informationen über denjenigen zu erfahren, der als Person des öffentlichen Lebens selbst Aufmerksamkeit generiert und die Medienöffentlichkeit für sich genutzt habe.761 Diese Rechtsprechung hat das House of Lords in der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. konkretisiert. Danach rechtfertige allein der Status einer Person als solche des öffentlichen Lebens und ihre Medienverbundenheit nicht automatisch die Veröffentlichung privater Informationen: „First, there is the fact that she is a public figure who has had a long and symbiotic relationship with the media. In my opinion, that would not in itself justify publication. A person may attract or even seek publicity about some aspects of his or her life
___________ 757 Vgl. Tolley v. Fry & Sons [1931] AC 333; vgl. Brömmekamp, Pressefreiheit, S. 43; Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 22. 758 Joynt v. Cycle Trade Publishing Co. [1904] 2 KB 292 (297); vgl. Herth, Persönlichkeitsschutz, S. 22. 759 Vgl. Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1036 Rn. 148; 1038 Rn. 157), per Baroness Hale: „political speech […] includes revealing information about public figures, especially those in elective office, which would otherwise be private but is relevant to their participation in public life.“ Ähnlich [2004] 2 All ER 995 (1027 Rn. 117), per Lord Hope. 760 Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. d). 761 A v. B (a company) and another [2002] 2 All ER 545 (550 f. Rn. 11), per Lord Woolf: „If you have courted public attention then you have less ground to object to the intrusion which follows. In many of these situations it would be overstating the position to say that there is a public interest in the information being published. It would be more accurate to say that the public have an understandable and so a legitimate interest in being told the information.“
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without creating any public interest in the publication of personal information about other matters.“762
Damit wird deutlich, dass das mediale Vorverhalten einer Person die Zulässigkeit einer späteren Berichterstattung nur beeinflusst, sofern diese in einem irgendwie gearteten Zusammenhang zu den bereits öffentlich preisgegebenen Informationen steht. Das sei nach Auffassung des House of Lords jedenfalls dann der Fall, wenn mit der Veröffentlichung ein „falsches“ Bild, das die betroffene Person von sich in der Öffentlichkeit gezeichnet habe, richtig gestellt werde („public interest in the correction“).763 Ob das öffentliche Interesse auch die Veröffentlichung von Photos des Betroffenen erfasst, wird von den Richtern unterschiedlich beurteilt. Einigkeit besteht darin, dass der Presse bei der Gestaltung eines Presseerzeugnisses ein Ermessensspielraum zu gewähren sei, der auch die Entscheidung darüber erfasse, ob ein Artikel mit Photos angereichert werde.764 Nach Auffassung von Lord Hoffmann werde dieses Ermessen aber erst überschritten, wenn die Presse demütigende oder sehr beschämende Photos veröffentliche. Sonstige Photos seien vom Interesse der Öffentlichkeit gedeckt. Die Realitäten des Journalismus und die Institution der Presse als kommerzielles Unternehmen machen dieses Verständnis erforderlich.765 Die anderen Richter des House of Lords sind der Auffassung, dass ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse auch aus anderen Gründen verneint werden könne: Nach Auffassung von Lord Nicholls sei das der Fall, wenn die Presse gezielt Paparazzi einsetze, damit diese mit Hilfe von Teleobjektiven heimlich Photos anfertige.766 Baroness Hope vertritt die Auffassung, dass auch die körperlichen oder psychischen Auswirkungen, die die Veröffent___________ 762 Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1011 f. Rn. 57), per Lord Hoffmann; ähnlich [2004] 2 All ER 995 (1028 Rn. 120), per Lord Hope. 763 Nach Auffassung von Lord Nicholls handelt es sich bei den Informationen bereits nicht um schützenswerte „private Informationen“, siehe oben Teil 3 D. III. 3. a) aa) (2). 764 Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1012 ff. Rn. 59 ff.; 1027 f. Rn. 120; 1034 ff. Rn. 143, 156), per Lord Hoffmann, Lord Hope, Baroness Hale. 765 Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1015 f. Rn. 75 ff.), per Lord Hoffmann: „From a journalistic point of view, photographs are an essential part of the story. The picture carried the message, more strongly than anything in the text alone, that the Mirror’s story was true. So the decision to publish the pictures was in my opinion within the margin of editorial judgment and something for which appropriate latitude should be allowed.“ 766 Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1028 f. Rn. 122 f.), per Lord Hope; ähnlich auch A v. B (a company) and another [2002] 2 All ER 545 (553 Rn. 11), per Lord Woolf, der die Art der Informationsbeschaffung als „compelling factor“ bezeichnet.
196
Teil 3: Bildnisschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
lichung von Photos zur Folge habe, dazu führen können, dass der Schutz der Geheimhaltung der privaten Informationen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.767 In der Rechtsprechung findet sich auch die Aussage, dass Bildnisse einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre einer Person begründen können, so dass das öffentliche Informationsinteresse nicht zu weit verstanden werden dürfe.768 Damit bleibt festzuhalten: Bei der Frage, ob ein Pressebericht gerechtfertigt ist, ist zwischen der bildhaften und der textlichen Veröffentlichung von Informationen zu unterscheiden. Ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung eines Textes rechtfertigt nicht automatisch auch die Veröffentlichung von Bildaufnahmen der betroffenen Person. Der Presse kommt ein Ermessensspielraum zu; sie kann grundsätzlich selbst entscheiden, ob Bilder dem Bericht hinzugefügt werden. Der Ermessensspielraum der Presse ist erst bei der Veröffentlichung von demütigenden Photos aber überschritten. Davon abgesehen können sich auch andere Faktoren – z. B. die Art der Informationsbeschaffung durch Paparazzi, körperliche und psychische Auswirkungen – auf die Zulässigkeit der Bildberichterstattung auswirken. Welche Bedeutung diese Faktoren bei der Interessenabwägung im Einzelnen haben, kann allerdings erst die weitere Rechtsprechung zeigen.
4. Zusammenfassung Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes werden unter dem HRA vornehmlich nach Maßgabe der deliktsrechtlichen Tatbestände des Richterrechts bestimmt. Ein Recht am eigenen Bild wird als solches nicht anerkannt. Der tort of defamation bietet Schutz vor diffamierenden, wahrheitsverfälschenden Abbildungen einer Person, während das Rechtsinstitut breach of confidence vor der Veröffentlichung von Bildnissen schützt, die die abgebildete Person bei Ausübung privater Tätigkeiten zeigen. Beide Tatbestände setzen die Mitteilung der ehrverletzenden Äußerung bzw. die Weitergabe der privaten Informationen an einen Dritten voraus. Die (bloße) Anfertigung von Bildnissen ist nicht tatbestandlich. Auch die Tatbestände trespass to land und nuisance schützen die Anfertigung von Bildnissen lediglich in den Fällen, in denen mit der Bildaufnahme selbst in den räumlichen Bereich der Privatsphäre der betrof___________ 767 Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1037 ff. Rn. 154 ff.), per Baroness Hale. 768 Z. B. Douglas v. Hello! Ltd. (No. 3) (CA) [2005] 4 All ER 128 (150 f. Rn. 84 f.), per Lord Phillips; vgl. Theakston v. MGN Ltd. [2002] EMLR 22.
D. Bildnisschutz in England
197
fenen Person eingegriffen wird. Das ist bei Bildaufnahmen in der Öffentlichkeit stets zu verneinen. Seit Inkrafttreten des HRA hat das Rechtsinstitut breach of confidence an Bedeutung gewonnen. Für den Schutz einer Person vor der Veröffentlichung ihres Bildnisses kommt es entscheidend darauf an, ob die abgebildete Person vernünftigerweise darauf vertrauen durfte, dass die privaten Informationen geschützt werden. Eine vernünftige Erwartung auf Schutz besteht grundsätzlich auch in der Öffentlichkeit. Das Rechtsinstitut breach of confidence bietet auch dann Schutz, wenn mit dem Begleittext ein „falsches Bild“, das die betroffene Person von sich in der Öffentlichkeit gezeichnet hat, korrigiert wird. Die Reichweite des Bildnisschutzes wird im Spannungsfeld zwischen dem Schutz privater Informationen und den Kommunikationsfreiheiten bestimmt. Beide Interessen stehen sich gleichrangig gegenüber. Liegt ein öffentliches Informationsinteresse vor, fällt die Interessenabwägung zugunsten der Kommunikationsfreiheiten aus, sofern diese dem Interesse am Schutz privater Informationen überwiegen. Ein Interesse der Öffentlichkeit wird bei Personen des öffentlichen Lebens nicht automatisch bejaht. Das gilt auch dann, wenn sie die Medienöffentlichkeit bereits für ihre Zwecke genutzt haben. Ein öffentliches Interesse am Inhalt eines Textberichts rechtfertigt nicht automatisch auch die Veröffentlichung von Abbildungen der betroffenen Person. Die Grenze der zulässigen Veröffentlichung ist z. B. überschritten, wenn die Person diffamierend dargestellt wird. Davon abgesehen können auch sonstige Umstände der Bildnisanfertigung bzw. Bildnisveröffentlichung – wie z. B. die Art der Informationsbeschaffung durch die Presse oder die körperlichen und psychischen Auswirkungen der Veröffentlichung auf die abgebildete Person – den Ausgang der Interessenabwägung beeinflussen. Im Hinblick auf den Schutz des Einzelnen vor der unbefugten Anfertigung und Veröffentlichung seines Bildnisses ist das Gesetzesrecht weitgehend ohne Bedeutung. Sowohl der Protection of Harassment Act 1997 als auch der Data Protection Act 1998 enthalten für die Presse Ausnahmetatbestände. Sie bieten kaum Schutz vor der Bildnisanfertigung und Bildnisveröffentlichung.
Teil 4
Bildnisschutz in der EMRK Die Rechtsprechung zum Schutz des Einzelnen vor der Anfertigung und Veröffentlichung seines Bildnisses in Presseberichten wird in der EMRK vom Urteil des EGMR in der Rechtssache Caroline von Hannover dominiert. Es ist das erste Urteil, in dem der EGMR ausgehend von Art. 8 EMRK zu klären hatte, ob sich Personen des öffentlichen Lebens außerhalb des privaten Lebensbereichs von der Presse ohne ihre Einwilligung photographieren lassen müssen.1 Bis dahin hatte er sich (lediglich) dazu geäußert, unter welchen Voraussetzungen das Recht am eigenen Bild als Abwehranspruch gegenüber staatlichen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung – wie z. B. der Videoüberwachung im öffentlichen Raum – geschützt wird.2 Auch die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR)3 hatte zur Zulässigkeit der journalistischen Veröffentlichung privater Angelegenheiten in Wort- und Bildberichten bis dato keine Stellung bezogen.4 Dem Urteil liegt die Beschwerde von Caroline von Hannover zugrunde, die sich gegen die erneute Veröffentlichung ihres Bildnisses in der Boulevardpresse zur Wehr setzte. Als Begründung machte sie geltend, dass sie auf den Photos bei Betätigungen des alltäglichen Lebens abgebildet sei, die mit ihrer öffentlichen Funktion als Repräsentantin des regierenden Fürstenhauses nichts zu tun ___________ 1 In der Rechtssache Schüssel hat der EGMR die Beschwerde des österreichischen Ministerpräsidenten, der sich während des Wahlkampfs gegen die Verbreitung seines Bildnisses wehrte, bereits als unzulässig zurückgewiesen, vgl. EGMR, Entsch. v. 21.02.2002, Nr. 42409/98. 2 Z. B. EGMR, Urt. v. 17.07.2003, Nr. 63737/00 (Ziff. 37) – Perry; EGMR, Urt. v. 04.05.2000, Nr. 28341/95 (Ziff. 43 f.) – Rotaru; EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 53) – Peck. 3 Die bisherige EKMR (Art. 20 ff. EMRK a.F.) ist ebenso wie der bisherige EGMR mit dem Inkrafttreten des 11. Protokolls zur EMRK am 01.01.1998 durch einen „neuen“ EGMR ersetzt worden. 4 In der Rechtssache Earl Spencer hat die EKMR die den Privatsphärenschutz betreffende Beschwerde bereits wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs für unzulässig erklärt. Sie hat aber angedeutet, dass die Vertragsstaaten verpflichtet seien, die Privatsphäre vor Eingriffen Dritter durch Veröffentlichungen zu schützen, EKMR, Entsch. v. 16.01.1998, Nr. 28851/95, 28852/95 – Earl Spencer u. Countess Spencer.
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
199
hätten.5 Das BVerfG untersagte in letzter Instanz6 lediglich die Veröffentlichung einzelner der Photos: Dabei handelte es sich um Photos, auf denen die Beschwerdeführerin mit einem Begleiter auf der Terrasse eines abgeschiedenen Gartenlokals bzw. mit ihren Kindern abgebildet war. Die Veröffentlichung der restlichen Photos, die Caroline von Monaco beim Reiten, beim Einkaufen auf dem Markt, im Skiurlaub, beim Besuch einer Pferdeschau etc. zeigen, erklärte das BVerfG demgegenüber für zulässig.7 Die dritte Kammer des EGMR kam mit Urteil vom 24.06.2004 einstimmig zu dem Ergebnis, dass die erneute Veröffentlichung aller Photos untersagt werden müsse.8 Der EGMR qualifizierte das Recht am eigenen Bild als Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK, das er mit der Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK in Einklang zu bringen habe.9 Nach Auffassung des EGMR könne ein berechtigtes öffentliches Interesse an Personen, die nicht bei Ausübung eines öffentlichen Amtes sondern bei Ausübung privater Tätigkeiten gezeigt werden, nur unter sehr strengen Voraussetzungen anerkannt werden.10 Bei der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen dem Recht am eigenen Bild und der Pressefreiheit orientierte sich der EGMR an früheren Entscheidungen, in denen er die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Text- und Bildberichten ausgehend von der Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK zu beurteilen hatte.11 Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Grundsätze geben, die der Auslegung der EMRK zugrunde liegen. Dabei geht es darum, die Besonderheiten bei der Auslegung der EMRK aufzuzeigen und dadurch die Grundbedingungen für die Konkretisierung des Rechts am eigenen Bild gemäß Art. 8 EMRK zu schaffen. Es folgt eine Analyse von Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes in der EMRK. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf ___________ 5
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 44) – Caroline. Erste Verfahrensserie: LG Hamburg, Urt. v. 04.02.1993 (unveröffentlicht); OLG Hamburg NJW-RR 1995, 790 ff.; BGHZ 131, 332 ff.; BVerfGE 101, 361 ff. Zweite Verfahrensserie: LG Hamburg, Urt. v. 26.09.1997 (unveröffentlicht); OLG Hamburg, Urt. v. 10.03.1998 (unveröffentlicht); BVerfG, Beschl. v. 04.04.2000, Az.: 1 BvR 768/98 (unveröffentlicht). Dritte Verfahrensserie: LG Hamburg, Urt. v. 24.04.1998 (unveröffentlicht); OLG Hamburg, Urt. v. 13.10.1998 (unveröffentlicht); BVerfG NJW 2000, 2192 f. 7 BVerfGE 101, 361 (395 f.). 8 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 76 ff.) – Caroline. 9 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 50, 53, 58) – Caroline. 10 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 72) – Caroline. 11 Vgl. EGMR, Entsch. v. 13.05.2003, Nr. 14929/02 – Julio Bou Gibert (unveröffentlicht); EGMR, Entsch. v. 01.07.2003, Nr. 66910/01, 71612/01 – Prisma Presse (unveröffentlicht); EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 36 ff.) – News Verlags GmbH; EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 19 ff.) – Krone Verlag I. 6
200
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
der Frage, welche Kriterien bei der Abwägung der kollidierenden Interessen – Persönlichkeitsschutz gemäß Art. 8 EMRK und Kommunikationsfreiheiten gemäß Art. 10 EMRK – maßgebend sind.
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Konventionsgrundrechte Die EMRK wird in hohem Maße von den Verfassungsordnungen der Vertragsstaaten beeinflusst.12 Zugleich bildet sie einen völkerrechtlich verbindlichen Mindeststandard, ohne dass sie eine umfassende Revision oder Reform der innerstaatlichen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten verlangt (vgl. Art. 53 EMRK13). Hieraus resultiert ein Spannungsverhältnis – nationale Autonomie bei der Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnungen einerseits und effektiver völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz andererseits14 –, das auch auf die Auslegung der EMRK Auswirkungen hat. Im Vergleich zur Auslegung der Unionsgrundrechte zeigen sich hinsichtlich der Bedeutung der Mitglieds- bzw. Vertragsstaaten für die Auslegung der EMRK-Rechte jedoch Unterschiede.
I. Auslegungsgrundsätze der EMRK Die EMRK selbst enthält keine Auslegungsregeln. Bei der Auslegung der Grundrechte sind die Bestimmungen der Art. 31 ff. der Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23.10.1969 (WVK)15 zugrunde zu legen.16 Die Auslegung der EMRK wird gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK vom Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang und von Sinn und Zweck des Vertrages bestimmt.17 Der EGMR lehnt eine Hierarchie dieser Grundsätze ab. Seiner Auf-
___________ 12
Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, 481 (483). Zur Mindestgarantieklausel des Art. 53 EMRK, siehe oben Teil 2 B. 2. b) bb). 14 Bernhardt, in: FS Mosler, S. 75 (78); ähnlich Dröge, Positive Verpflichtungen, S. 246. 15 BGBl. 1985 II S. 926 ff. 16 Siehe bereits EGMR, Urt. v. 21.02.1975, Nr. 4451/70 (Ziff. 30) – Golder; vgl. Villiger, EMRK, Rn. 162. 17 Art. 31 Abs. 1 WVK: „A treaty shall be interpreted in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in the light of its object and purpose.“ 13
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Konventionsgrundrechte
201
fassung nach ist der Prozess der Auslegung ein einheitliches, komplexes Verfahren.18
1. Autonome Auslegung Gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK bildet die „übliche Bedeutung“ der in der EMRK verwendeten Begriffe für die Auslegung den Rahmen, innerhalb dessen die Konventionsorgane sich bewegen dürfen.19 Die übliche Bedeutung wird nicht nach dem innerstaatlichen Recht des belangten Vertragsstaates bestimmt.20 Die Konventionsorgane legen die in der EMRK verwendeten Rechtsbegriffe vielmehr autonom aus.21 In ständiger Rechtsprechung wurde z. B. dem „Privat- und Familienleben“22 und dem „Privatleben, der Wohnung und der Korrespondenz“23 in Art. 8 Abs. 1 EMRK eine konventionseigene Bedeutung zugesprochen, die vom innerstaatlichen Recht des belangten Vertragsstaates unabhängig ist.24 Eine Ausnahme vom Grundsatz autonomer Auslegung besteht jedoch dann, wenn die EMRK bei der Verwendung von Rechtsbegriffen selbst auf das Recht des belangten Staates verweist. Das ist z. B. in Art. 8 Abs. 2 EMRK der Fall, wonach ein Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf Privatleben im nationalen Recht „gesetzlich vorgesehen“ sein muss.25 Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass zur Ermittlung der üblichen Bedeutung eines Begriffs auch auf die Methode der Rechtsvergleichung zurückgegriffen werden kann.26 In der Rechtssache König machte der EGMR z. B. ___________ 18 EGMR, Urt. v. 21.02.1975, Nr. 4451/70 (Ziff. 29 f.) – Golder; zustimmend Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (565). 19 Villiger, EMRK, Rn. 163; vgl. Dröge, Positive Verpflichtungen, S. 243 f. 20 EGMR, Urt. v. 28.06.1978, Nr. 6232/73 (Ziff. 88) – König: „[…] the concept of ‚civil rights and obligations‘ cannot be interpreted solely by reference to the domestic law of the respondent State.“ 21 EGMR, Urt. v. 28.06.1978, Nr. 6232/73 (Ziff. 88) – König; EGMR, Urt. v. 08.06.1976, Nr. 5100/71, 5101/71, 5102/71 (Ziff. 81) – Engel; vgl. Villiger, EMRK, Rn. 162; Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 6; Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 21; Matscher, in: Schwind, S. 102 (109 ff.). 22 EGMR, Urt. v. 13.06.1979, Nr. 6833/74 (Ziff. 31) – Marckx; EGMR, Urt. v. 22.10.1981, Nr. 7525/76 (Ziff. 41) – Dudgeon. 23 EGMR, Urt. v. 06.09.1978, Nr. 5029/71 (Ziff. 41) – Klass. 24 Matscher, in: Schwind, S. 102 (109 ff.); vgl. Ehlers, in: ders., § 2 Rn. 21; Frowein, in: ders./Peukert, Einf. Rn. 8. 25 Allerdings macht der EGMR auch hierbei Vorgaben, die erfüllt sein müssen, siehe EGMR, Urt. v. 25.03.1983, Nr. 5947/72, 6205/73 (Ziff. 86 ff.) – Silver. 26 Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 11; ähnlich Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 23.
202
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
geltend, dass er neben den Zielsetzungen der Konvention sowohl das Recht des belangten Staates als auch das innerstaatliche Recht der übrigen Vertragsstaaten zu beachten habe.27 Dieser Aussage folgte der EGMR auch in der Rechtssache Engel, in der er mehrfach auf das „Recht der Vertragsstaaten“ sowie auf den „allgemein durch die Mitgliedstaaten des Europarates in diesem Bereich erreichten Standard“ verwies.28 Auch in anderen Urteilen verwies er jedenfalls auf das Recht einiger Vertragsstaaten der EMRK.29 Der Rückgriff auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten kann aus Sicht des EGMR somit dazu beitragen, die übliche Bedeutung eines Begriffs zu eruieren. Dem wird im Schrifttum überwiegend zugestimmt:30 Das in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorherrschende Verständnis könne als die übliche Bedeutung eines Begriffs verstanden werden.31 Selbst eine autonome Auslegung sei nicht völlig von der Begriffsbildung in den Rechtsordnungen losgelöst. Ein Rückgriff auf das nationale Recht sei hilfreich, wenn diesem ein gemeinsamer europäischer Standard32 entnommen werden könne33 und der Vertrag noch keinen eigenständigen, übernationalen Begriffsapparat kreiert habe.34
2. Systematische Auslegung Bei der autonomen Auslegung ist der systematische Kontext der auszulegenden Vertragsbestimmung zu berücksichtigen.35 Dabei ist zu beachten, dass die Konventionsgrundrechte als Teil eines völkerrechtlichen Vertrages in einem anderen systematischen Kontext stehen als z. B. die nationalen Grundrechte in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten der EMRK. ___________ 27 28
EGMR, Urt. v. 28.06.1978, Nr. 6232/73 (Ziff. 89) – König. EGMR, Urt. v. 08.06.1976, Nr. 5100/71, 5101/71, 5102/71 (Ziff. 57, 59, 72) – En-
gel. 29
Vgl. Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, 481 (484). Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 11; Villiger, EMRK, Rn. 162; Wildhaber/ Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 23; Meyer-Ladewig, EMRK, Einl. Rn. 32. 31 Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 23; Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (549, 566); Bernhardt, in: FS Mosler, S. 75 (79 f.); Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, 481 (482). 32 Zur Rechtsfigur des „gemeinsamen europäischen Standards“ siehe Dröge, Positive Verpflichtungen, S. 246 ff. 33 Bernhardt, in: FS Mosler, S. 75 (80); Matscher, in: Schwind, S. 102 (112 f.); Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, 481 (485). 34 Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (551). 35 EGMR, Urt. v. 28.06.1978, Nr. 6232/73 (Ziff. 88) – König; EGMR, Urt. v. 08.06.1976, Nr. 5100/71, 5101/71, 5102/71 (Ziff. 81) – Engel; vgl. Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 9. 30
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Konventionsgrundrechte
203
Bei der systematischen Auslegung ist zunächst das übrige Konventionsrecht36 zu berücksichtigen. Das schließt die Garantien in den Zusatzprotokollen zur EMRK ein, selbst wenn diese nur von einem Teil der Vertragsstaaten ratifiziert wurden.37 Zum systematischen Regelungsumfeld der EMRK zählen darüber hinaus auch sonstige internationale Übereinkommen zu den Grund- und Menschenrechten.38 Die Vertragsrechtsvergleichung greift in erster Linie Rechte auf diejenigen Übereinkommen zurück, die zwischen allen Vertragsstaaten abgeschlossen wurden oder denen diese neben anderen Staaten beigetreten sind.39 Gelegentlich zieht der EGMR auch aus dem Unionsrecht Argumente systematischer Auslegung heran, obwohl nicht alle Vertragsstaaten der EMRK auch Mitgliedstaaten der EU sind.40 Die Konventionsorgane nehmen weiterhin auch weltweite Übereinkommen in Bezug.41 In der Rechtssache Marckx stützte sich der EGMR z. B. auf das Brüsseler Übereinkommen vom 12.09.1962 über die Feststellung der mütterlichen Abstammung unehelicher Kinder42 sowie auf das Europäische Übereinkommen vom 15.10.1975 über die Rechtstellung der außerhalb der Ehe geborenen Kinder43. Nach seiner Auffassung indiziere die Existenz der beiden völkerrechtlichen Verträge, dass es sich bei ihren Regelungen um einen gemeinsamen europäischen Standard handele.44 Der Vertragsrechtsvergleichung liegt der Gedanke zugrunde, dass den in einem Vertrag verwendeten Begriffen im Zweifel45 die Bedeutung zukommt, mit welcher sie auch in anderen Verträgen verwendet werden. Dieser Gedanke ist tragbar, wenn die verschiedenen Verträge den gleichen Gegenstand haben und einem einheitlichen Konzept folgen.46 Neben dem rechtsvergleichenden Rückgriff auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten kann somit auch der
___________ 36 EGMR, Urt. v. 26.03.1987, Nr. 8248/81 (Ziff. 78) – Leander; EGMR, Urt. v. 07.07.1989, Nr. 14038/88 (Ziff. 103) – Soering. 37 Vgl. EGMR, Urt. v. 05.10.2000, Nr. 39652/98 (Ziff. 36) – Maaouia (zum 7. ZP zur EMRK). 38 Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 24; Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 8; Ehlers, in: ders., § 2 Rn. 21. 39 Vgl. Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 8. 40 EGMR, Urt. v. 08.12.1999, Nr. 28541/95 (Ziff. 66) – Pellegrin. 41 Siehe hierzu Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (554 ff.). 42 BGBl. 1965 II S. 23. 43 European Treaty Series, Nr. 85. 44 EGMR, Urt. v. 13.06.1979, Nr. 6833/74 (Ziff. 41) – Marckx. Für weitere Beispiele siehe Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (554 ff.). 45 Geht aus dem Vertrag hervor, dass die Vertragsparteien einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beimessen wollen, ist dieser maßgebend, vgl. Art. 31 Abs. 4 WVK. 46 Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (560 f.).
204
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
Vergleich mit anderen internationalen Übereinkommen ein brauchbares Argument dafür liefern, wie ein Rechtsbegriff der EMRK verstanden werden muss.47
3. Evolutiv-dynamische Auslegung Die Ermittlung der Konventionsgrundrechte folgt der evolutiv-dynamischen Auslegung. Danach sind die Konventionsorgane verpflichtet, die in der EMRK verwendeten Begriffe an die sich wandelnden gesellschaftlichen Vorstellungen und Bedürfnisse der Vertragsstaaten anzupassen.48 Nach Aussage des EGMR ist die EMRK ein „living instrument, which must be interpreted in the light of present day conditions.“49
Die evolutiv-dynamische Auslegung ist Element der teleologischen Auslegung: Aus der Präambel der EMRK geht hervor, dass die Vertragsstaaten nicht nur das Ziel verfolgen, die Einhaltung der in der EMRK garantierten Grundrechte zu gewährleisten, sondern diese auch weiterzuentwickeln.50 Indizien für wandelnde Wertvorstellungen können sich aus späteren Verträgen zwischen den Vertragsstaaten ergeben (vgl. Art. 31 Abs. 3 WVK). Auch eine sich ändernde Auslegungs- und Rechtsprechungspraxis in den innerstaatlichen Rechtsordnungen kann Anhaltspunkte liefern.51 Deutlich lässt sich der Rückgriff auf das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten in der Rechtssache Dudgeon erkennen. Der EGMR verwies darin darauf, dass die Mehrzahl der Vertragsstaaten Homosexualität nicht mehr unter Strafe stelle. Diese Veränderungen im nationalen Recht könne daher auch bei der Auslegung von Art. 8 EMRK nicht unberücksichtigt bleiben.52 In der Rechtssache Marckx stellte der EGMR fest, dass es zur Entstehungszeit der EMRK in vielen europäischen Staaten für zulässig und normal angesehen wurde, zwischen der „ehelichen“ und der „nicht-ehelichen“ Familie zu unterscheiden. Er erinnerte daran, dass ___________ 47
Vgl. Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (561). Z. B. EGMR, Urt. v. 27.09.1990, Nr. 10843/84 (Ziff. 42) – Cossey; EGMR, Urt. v. 17.10.1986, Nr. 9532/81 (Ziff. 47) – Rees; EGMR, Urt. v. 22.10.1981, Nr. 7525/76 (Ziff. 60) – Dudgeon; EGMR, Urt. v. 13.06.1979, Nr. 6833/74 (Ziff. 41) – Marckx; vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 17 f.; Grabenwarter, EMRK, § 5 Rn. 12; Ehlers, in: ders., § 2 Rn. 21; Matscher, in: Schwind, S. 102 (107 ff.). 49 EGMR, Urt. v. 23.03.1995, Nr. 15318/89 (Ziff. 71) – Loizidou. 50 Präambel zur EMRK, Erwägungsgrund 3: „Wahrung und Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“. 51 Vgl. Frowein, in: ders./Peukert, Einf. Rn. 11; Bernhardt, in: FS Mosler, S. 75 (82); Dröge, Positive Verpflichtungen, S. 248. 52 EGMR, Urt. v. 22.10.1981, Nr. 7525/76 (Ziff. 60) – Dudgeon. 48
A. Besonderheiten bei der Auslegung der Konventionsgrundrechte
205
die EMRK aber im Lichte der heutigen Verhältnisse auszulegen sei. Tatsächlich hätten sich die meisten europäischen Rechtsordnungen fortentwickelt, so dass das Recht auf Familienleben heute auch für die „nicht-eheliche“ Familie gelten müsse.53
II. Auslegung der Konventionsgrundrechte im Vergleich zur Auslegung der Unionsgrundrechte Im Vertragstext der EMRK ist eine rechtsvergleichende Auslegung der Konventionsgrundrechte nicht geregelt. Auch in der für die Auslegung der EMRK maßgebenden WVK findet sich keine Vorschrift, die ausdrücklich einen Rückgriff auf das Recht der Vertragsstaaten anordnet. Ungeachtet dessen spielt die Rechtsvergleichung bei der Auslegung der EMRK eine bedeutende Rolle: Sie kann Auskunft darüber geben, ob zu einer umstrittenen Frage eine tendenzielle, grundsätzliche Übereinstimmung im Sinne eines gemeinsamen europäischen Standards besteht, der wiederum die „übliche Bedeutung“ eines Begriffs indizieren kann.54 Die Rechtsvergleichung ermöglicht es einzuschätzen, ob eine von den Konventionsorganen anvisierte Auslegung von den Vertragsstaaten akzeptiert werden wird. Schließlich zeigt die Vertragsrechtsvergleichung, ob sich eine Anschauung bereits in einem internationalen Vertrag niedergeschlagen hat und insoweit ein gemeinsamer europäischer Standard besteht. Im Gegensatz zum Recht der EU55 ist die rechtsvergleichende Auslegung für die Konventionsorgane jedoch nicht bindend. Die Konventionsorgane können, müssen bei der Auslegung der Konventionsgrundrechte aber nicht auf die nationalen Grundrechte der Vertragsstaaten zurückgreifen. Die autonome Auslegung wird maßgeblich von der Systematik und den Zielsetzungen der EMRK bestimmt. Insoweit zeigt sich eine Parallele zur Methode der wertenden Rechtsvergleichung, die sich ebenfalls an den Zielen des Unionsrechts orientiert.56 Während die Rechtsvergleichung bei der Auslegung der Unionsgrundrechte den Rahmen dafür bildet, dass die Strukturprinzipien und Zielsetzungen des Unionsrechts berücksichtigt werden, haben diese bei der Auslegung der EMRK eine eigenständige, prägende Bedeutung. ___________ 53
EGMR, Urt. v. 13.06.1979, Nr. 6833/74 (Ziff. 30 ff., 41) – Marckx. EGMR, Urt. v. 28.06.1978, Nr. 6232/73 (Ziff. 89) – König; vgl. Hailbronner, in: FS Mosler, S. 359 (376). 55 Zur Methode der wertenden Rechtsvergleichung bei der Auslegung der Unionsgrundrechte siehe oben, Teil 2 B. II. und III. 56 Siehe dazu oben, Teil 2 B. IV. 54
206
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
Im Recht der EMRK ist die Rechtsvergleichung Hilfsmittel, nicht Maßstab der Auslegung.57 Sie kann die Auslegung erleichtern, aber nicht determinieren. Die rechtsvergleichende Auslegung dient im Konventionsrecht nur als ergänzende und absichernde Argumentation.58 Die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ der Vertragsstaaten der EMRK sind im Gegensatz zum Recht der Union nicht Rechtserkenntnisquelle im hier verstandenen Sinne. Sie können die normative Auslegung der Konventionsnormen nicht ersetzen. Im Recht der EMRK ist bei der rechtsvergleichenden Auslegung ein umsichtiger Gebrauch geboten.59 Die Ausführungen zeigen, dass ein mittels der Methode der wertenden Rechtsvergleichung gewonnenes Ergebnis nicht notwendigerweise mit dem Ergebnis übereinstimmt, dass durch Auslegung am Maßstab der Art. 31 ff. WVK ermittelt wird. Das Recht am eigenen Bild kann nach den „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten“ einen anderen Gegenstand und eine andere Reichweite haben, als das nach dem Recht der EMRK der Fall ist. Das Recht am eigenen Bild – wie es von den Konventionsorganen gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt wird – ist nicht notwendigerweise das Kondensat der „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ der Vertragsstaaten der EMRK. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass ein den durch wertende Rechtsvergleichung ermitteltes Ergebnis dem Verständnis der EMRK ähnelt. Hierfür sprechen zwei Gründe: Zum einen sind alle Mitgliedstaaten der EU auch Vertragsstaaten der EMRK und jedenfalls temporär Mitglieder des die Konventionsgrundrechte konkretisierenden EGMR. Zum anderen gibt es zum Bildnisschutz oder dem Recht auf Privatleben keine internationalen Übereinkommen, die ein unter Rückgriff auf die nationalen Grundrechte der Vertragsstaaten gewonnenes Ergebnis beeinflussen könnten. Ungeachtet dessen lässt ein durch Wertung gewonnenes rechtsvergleichendes Ergebnis Auslegungsdivergenzen zwischen den Richtern des EuGH und denjenigen des EGMR zu.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes gemäß Art. 8 EMRK Die Konventionsorgane folgen bei der Prüfung von Art. 8 EMRK in der Regel dem aus der deutschen Grundrechtsmethodik bekannten dreigliedrigen ___________ 57
Vgl. Villiger, EMRK, Rn. 166; Dröge, Positive Verpflichtungen, S. 249. Vgl. Ganshof van der Meersch, EuGRZ 1981, 481 (481, 483): „zusätzliches Argument/Kriterium“. 59 Vgl. Matscher, in: FS Mosler, S. 545 (562); Matscher, in: Schwind, S. 102 (112 f.). 58
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
207
Aufbau von Schutzbereich, Eingriff in den Schutzbereich und Rechtfertigung des Eingriffs.60 In einigen Entscheidungen verschmelzen jedoch die Ausführungen zu Schutzbereich und Eingriff:61 Ob eine Verletzung von Art. 8 EMRK ausscheidet, weil ein Einriff nicht vorliegt oder ob er ausscheidet, weil bereits der Schutzbereich nicht eröffnet ist, kann häufig nicht festgestellt werden.62 Entsprechend dieser Praxis werden auch im Folgenden Schutzbereich und Eingriff zusammen in einem Kapitel geprüft. Ein Eingriff in den Schutzbereich ist unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, der als Kernbestimmung einen gerechten Ausgleich der kollidierenden Interessen vorsieht.
I. Schutzbereich und Eingriff gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK Mit dem Recht auf Privatleben, auf Familienleben, auf Wohnung und auf Korrespondenz enthält Art. 8 Abs. 1 EMRK vier Gewährleistungen. Dabei wird weder ein Verbot noch eine Freiheitsgarantie ausgesprochen, sondern ein Anspruch auf Achtung dieser Rechte etabliert. Die vier Rechte weisen zahlreiche Überschneidungen auf. Sie gewährleisten einen umfassenden Freiheitsraum, der für die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen unabdingbar ist.63 Leitmotiv aller vier Rechte ist der Schutz des privaten Lebensbereichs.64 Der EGMR neigt dazu, einen kombinierten Schutzbereich des Privat- und Familienlebens anzuerkennen65. Auch ansonsten verzichtet er überwiegend darauf, eine strikte Abgrenzung zwischen den vier Gewährleistungen vorzunehmen.66 Im Ergebnis bleibt diese Entscheidungspraxis ohne Folgen, da für die vier Rechte des Absatz 1 gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ohnehin die gleichen Schranken gelten.67 ___________ 60 Vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 2; Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 1; siehe bereits Evrigenis, HRLJ 1982, 121 (124). 61 Z. B. EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 57 ff.) – Peck; EKMR, Ber. v. 19.05.1994, Nr. 15225/89 (Ziff. 44 ff.) – Friedl. 62 Ähnlich Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 4. 63 Villiger, EMRK, Rn. 555. 64 Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 1; Grabenwarter, EMRK, § 33 Rn. 1; Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, § 3 Rn. 2 ff.; Reid, ECHR, IIB-324. 65 Z. B. EGMR, Urt. v. 07.07.1989, Nr. 10454/83 (Ziff. 37, 41, 49) – Gaskin: „private and family life“; vgl. Wildhaber, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 162 ff. (das „kombinierte Privat- und Familienleben“); Breitenmoser, in: Entwicklungen, S. 121 (122). 66 Z. B. EGMR, Urt. v. 25.06.1997, Nr. 20605/92 (Ziff. 44) – Halford: „private life and correspondence“. 67 Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 4; Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, § 3 Rn. 6.
208
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
1. Begriff des Privatlebens Der Wortlaut von Art. 8 EMRK gibt keinen Aufschluss darüber, was unter dem Begriff des Privatlebens zu verstehen ist. Auch der Entstehungsgeschichte lassen sich keine Hinweise zur Begriffsbestimmung entnehmen.68 Aus der Rechtsprechung der Konventionsorgane geht hervor, dass der Begriff des Privatlebens weit verstanden werden muss.69 Zugleich wird deutlich, dass er nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich ist.70 In ihren Entscheidungen gehen sie bei der Umschreibung des Schutzbereichs in der Regel programmatisch und kasuistisch vor. Auch das Schrifttum verzichtet auf begriffliche Definitionen und schließt sich der einzelfallorientierten Betrachtungsweise der Rechtsprechung an.71
a) Kasuistische Begriffsbestimmung Nach der Rechtsprechung des EGMR gewährleistet das Recht auf Privatleben einen Bereich, in dem der Einzelne seine Persönlichkeit unter Ausschluss äußerer Eingriffe frei entwickeln und erfüllen kann.72 Geschützt wird das Recht, das Leben nach den eigenen Vorstellungen ohne staatliche Einwirkung auf den individuellen Entscheidungsprozess einzurichten und zu führen.73 Wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung ist die Unterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen.74 Auch geschäftliche und berufliche Beziehungen werden geschützt. Nach Auffassung des EGMR biete das berufliche Umfeld die beste Möglichkeit, Kontakte zu anderen aufzubauen. Davon abgesehen sei eine strikte Trennung zwischen privaten und beruflichen Beziehungen ohnehin nicht immer möglich.75 Eine Person hat das Recht, selbst über ih___________ 68
Zur Entstehungsgeschichte siehe Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 33 ff. 69 Ebenso Grabenwarter, EMRK, § 22 Rn. 6; Breitenmoser, in: Entwicklungen, S. 121 (122); Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, § 3 Rn. 5; Reid, ECHR, IIB-324. 70 Z. B. EGMR, Urt. v. 23.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 56) – PG u. JH; EGMR, Urt. v. 29.04.2002, Nr. 2346/02 (Ziff. 61) – Pretty; EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 57) – Peck; EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Nr. 13710/88 (Ziff. 29) – Niemietz. 71 Statt vieler, Wildhaber, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 141 ff.; Villiger, EMRK, Rn. 556 ff. 72 Z. B. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 50) – Caroline; siehe auch EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 56) – PG u. JH. 73 Siehe nur Villiger, EMRK, Rn. 562. 74 Grundlegend EKMR, Entsch. v. 18.05.1976, Nr. 6825/74 – X v. ISL; EKMR, Ber. v. 12.07.1977, Nr. 6959/75 (Ziff. 57) – Brüggemann und Scheuten. 75 Grundlegend EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Nr. 13710/88 (Ziff. 29) – Niemietz; siehe auch EGMR, Urt. v. 16.02.2000, Nr. 27798/95 (Ziff. 65) – Amann.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
209
ren Körper zu bestimmen. Schutzgut ist die körperliche76 und geistige Integrität des Einzelnen77, was auch das Recht auf Achtung der sexuellen Selbstbestimmung78 – einschließlich der Änderung des Geschlechts79 – umfasst. Das Recht auf Privatleben enthält eine Reihe von Aspekten, die sich auf die persönliche Identität des Einzelnen beziehen.80 In der Rechtssache McVeigh, O’Neill und Evans hat die EKMR Identitätskontrollen und erkennungsdienstliche Maßnahmen als Eingriffe in das Recht auf Privatleben bewertet.81 In ständiger Rechtsprechung fällt auch die geheime Überwachung des häuslichen Bereichs in den Schutzbereich des Rechts auf Privatleben.82 Besonders häufig waren die Konventionsorgane mit Fragen der heimlichen Telefonüberwachung konfrontiert. Der EGMR hat sich in den einschlägigen Entscheidungen sowohl auf das Recht auf Privatleben als auch auf das Recht auf Korrespondenz berufen.83 Die Konventionsorgane erkennen ausdrücklich an, dass das Sammeln, Speichern und Bearbeiten von Daten, sowie deren Verwendung und Weitergabe in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens fallen.84 Zu den geschützten Daten zählen nicht nur Informationen über das Privatleben, sondern auch solche des öffentlichen Lebens einer Person, wenn sie systematisch gesammelt, in Dateien gespeichert und dabei von einer staatlichen Stelle überwacht werden.85 Darüber hinaus wird auch die Beschlagnahme persönlicher Dokumente vom Recht auf Privatleben erfasst86. Schließlich kann auch die ___________ 76 Z. B. EKMR, Entsch. v. 06.04.1994, Nr. 21132/93 – Peters (Urinprobe); EGMR, Urt. v. 25.03.1993, Nr. 13134/87 (Ziff. 24) – Costello-Roberts (körperliche Züchtigung); EGMR, Urt. v. 26.03.1985, Nr. 88978/80 (Ziff. 22) – X u. Y (Vergewaltigung). 77 Z. B. EGMR, Urt. v. 06.02.2001, Nr. 44599/98 (Ziff. 47) – Bensaid. 78 Grundlegend zur Homosexualität, EGMR, Urt. v. 22.10.1981, Nr. 7525/76 (Ziff. 41) – Dudgeon; EGMR, Urt. v. 26.10.1988, Nr. 10581/83 (Ziff. 32 ff.) – Norris. 79 Vgl. EGMR, Urt. v. 11.07.2002, Nr. 28957/95 (Ziff. 71 ff.) – Goodwin (Transsexualität). 80 Vgl. in jüngerer Zeit, EGMR, Urt. v. 07.02.2002, Nr. 53176/99 (Ziff. 54) – Mikulic; EGMR, Urt. v. 13.02.2003, Nr. 42326/98 (Ziff. 29) – Odièvre. 81 EKMR, Ber. v. 18.03.1981, Nr. 8022/77, 8025/77, 8027/77 (Ziff. 224) – McVeigh, O’Neill u. Evans; ebenso EKMR, Ber. v. 19.05.1994, Nr. 15225/89 (Ziff. 52) – Friedl. 82 EKMR, Ber. v. 14.01.1998, Nr. 27237/95 (Ziff. 60) – Govell (optische und akustische Überwachung); EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 37) – PG u. JH. 83 Grundlegend EGMR, Urt. v. 06.09.1978, Nr. 5029/71 (Ziff. 41) – Klass; EGMR, Urt. v. 02.08.1984, Nr. 8691/79 (Ziff. 64) – Malone; siehe EGMR, Urt. v. 16.02.2000, Nr. 27798/95 (Ziff. 44) –Amann. 84 EGMR, Urt. v. 26.03.1987, Nr. 9248/81 (Ziff. 48) – Leander; EGMR, Urt. v. 04.05.2000, Nr. 28341/95 (Ziff. 43) – Rotaru. 85 EGMR, Urt. v. 04.05.2000, Nr. 28341/95 (Ziff. 43) – Rotaru; vgl. EGMR, Urt. v. 25.03.1998, Nr. 23224/94 (Ziff. 53) – Kopp. 86 EGMR, Urt. v. 25.02.1993, Nr. 10828/84 (Ziff. 48) – Funke (Scheckheft, Rechnung); EGMR, Urt. v. 24.07.2003, Nr. 46133/99 (Ziff. 97) – Smirnova (Ausweis).
210
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
Verpflichtung, private Informationen zu offenbaren, einen Eingriff in das Recht auf Privatleben bedeuten.87 Aus den Gesetzesmaterialien geht hervor, dass Art. 8 EMRK weitgehend von Art. 12 der am 10.12.1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte88 beeinflusst wurde. Anders als bei Art. 12 AllgErklMR wurde bei Art. 8 EMRK aber bewusst auf einen Anspruch auf Achtung der persönlichen Ehre verzichtet.89 Das könnte bedeuten, dass Art. 8 EMRK Aspekte des Ehrenschutzes nicht umfasst. Im europäischen Schrifttum wird geltend gemacht, dass der Schutz der persönlichen Ehre – ähnlich wie der Schutz der körperlichen Integrität und der persönlichen Identität – nur deshalb nicht ausdrücklich in den Text von Art. 8 Abs. 1 EMRK aufgenommen worden sei, um den sachlichen Schutzbereich nicht in die eine oder andere Richtung einzugrenzen.90 Daraus könne aber nicht geschlossen werden, dass sie nicht als Elemente des Rechts auf Privatleben geschützt würden.91 Dem hat der EGMR mit Urteil vom 30.03.2004 in der Rechtssache Radio France zugestimmt.92 Im Übrigen kann der konventionsrechtliche Schutz der persönlichen Ehre auch aus Art. 10 Abs. 2 EMRK hergeleitet werden. Die persönliche Ehre wird danach indirekt geschützt, wenn der EGMR eine gegen das Verbot der Meinungsäußerung gerichtete Beschwerde wegen der Beeinträchtigung des „guten Rufes anderer“ als unbegründet beurteilt.93 In der Rechtssache Burghartz hat der EGMR erstmals anerkannt, dass das Recht auf Privatleben dem Einzelnen auch ein Recht am eigenen Namen gewährt.94 Mit seinem Urteil in der Rechtssache Schüssel vom 21.02.2000 hat er diese Rechtsprechung erweitert, indem er auch das Recht am eigenen Bild dem Privatleben zugeordnet hat. Nach Aussage des EGMR müsse der Begriff des Privatlebens neben dem Namen auch das Bild einer Person als Element ihrer ___________ 87 EKMR, Entsch. v. 07.12.1982, Nr. 9804/82 – B v. BEL (Steuerbehörde); EGMR, Urt. v. 25.02.1997, Nr. 22009/93 (Ziff. 95 ff.) – Z v. FIN (Gesundheitszustand). 88 Resolution 217 [III] A, GAOR 3rd session, Resolutions, S. 71. 89 Vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 36; Breitenmoser, Privatsphäre, S. 36. 90 Breitenmoser, Privatsphäre, S. 36 f. 91 Im Ergebnis ebenso Grabenwarter, EMRK, § 22 Rn. 11; Villiger, EMRK, Rn. 559; Doswald-Beck, HRLJ 1983, 283 (286); van Dijk/van Hoof, ECHR, S. 490; vgl. Wildhaber, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 127 ff. 92 EGMR, Urt. v. 30.03.2004, Nr. 53984/00 (Ziff. 31) – Radio France; vgl. EGMR, Entsch. v. 17.02.2004, Nr. 62796/00 – Ermannova. 93 Zum indirekten Schutz gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK siehe Zihler, Schutz des Ansehens, S. 14 ff. 94 EGMR, Urt. v. 22.02.1994, Nr. 16213/90 (Ziff. 24) – Burghartz; siehe auch EGMR, Urt. v. 25.11.1994, Nr. 18131/91 (Ziff. 37) – Stjerna.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
211
persönlichen Identität erfassen. Die Veröffentlichung von Bildberichten durch die Presse könne daher einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellen.95 Die Konventionsorgane haben in den Fällen, in denen sie über die Zulässigkeit der Anfertigung oder Veröffentlichung von Photos zu entscheiden hatten, keine besonderen Anforderungen an den Inhalt der Abbildung gestellt. Sie haben zwar in mehreren Entscheidungen darauf verwiesen, dass auch zu berücksichtigen sei, ob persönliche Angelegenheiten oder öffentliche Vorgänge abgebildet seien.96 Im Ergebnis haben sie dem jedoch keine erkennbare Bedeutung beigemessen: Die Aufzeichnung eines polizeilichen Verhörs wurde ebenso als Eingriff in das Recht auf Privatleben gewertet97 wie die Überwachung und Aufnahme eines Verdächtigen beim Aufenthalt in der Wartehalle eines Polizeireviers.98 In beiden Fällen standen erkennbar keine privaten Informationen in Rede. In seiner Rechtsprechung zur ehrenrührigen Berichterstattung hat der EGMR ferner mehrfach darauf verwiesen, dass eine Person auch gemäß Art. 8 EMRK geschützt werde, wenn die veröffentlichten Text- und Bildberichte nur öffentliche Angelegenheiten betreffen.99 Der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK ist somit auch dann eröffnet, wenn mit einem Bildnis über die Abbildung einer Person hinaus keine weiteren Informationen aus dem Privatleben offenbart werden. Die Frage, ob die abgebildete Betätigung dem Privatleben entspringt, ist für die Betroffenheit des Schutzbereichs des Rechts am eigenen Bild nicht relevant. Nach Auffassung der Konventionsorgane ist es für die Beurteilung der Reichweite des Schutzes jedoch von entscheidender Bedeutung, ob eine Person bei einer privaten oder öffentlichen Betätigung abgebildet ist.100 Der Begriff des Privatlebens – einschließlich seiner durch Kasuistik gewonnenen Elemente – muss daher bei der Prüfung der Grundrechtsschranken erneut fruchtbar gemacht werden.
___________ 95
EGMR, Entsch. v. 21.02.2002, Nr. 42409/98 – Schüssel; vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 50) – Caroline. 96 EKMR, Ber. v. 19.05.1994, Nr. 15225/89 (Ziff. 48) – Friedl; EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 58) – PG u. JH; EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 61) – Peck. 97 EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 59 f.) – PG u. JH. 98 EGMR, Urt. v. 17.07.2003, Nr. 63737/00 (Ziff. 41 ff.) – Perry. 99 EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 42) – Lingens; EGMR, Urt. v. 23.05.1991, Nr. 11662/85 (Ziff. 59) – Oberschlick I; EGMR, Urt. v. 25.11.1999, Nr. 23118/93 (Ziff. 47) – Nilsen u. Johnsen; EGMR, Urt. v. 28.09.2000, Nr. 37698/97 (Ziff. 30) – Lopes Gomes; EGMR, Urt. v. 17.07.2003, Nr. 63737/00 (Ziff. 40) – Perry; EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 59) – Peck. 100 Siehe dazu im Einzelnen, Teil 4 B. III. 2. und 3.
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
b) Abhängigkeit der Begriffsbestimmung von Status und Bekanntheitsgrad der betroffenen Person? Das einzelfallorientierte Vorgehen bei der Frage, ob ein Verhalten vom Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK erfasst wird, legt den Gedanken nahe, dass der Schutzbereich abhängig vom gesellschaftlichen und politischen Status und Bekanntheitsgrad der betroffenen Person variiert.101 Diese Vermutung wird in der Rechtsprechung des EGMR indes nicht bestätigt: Ausgehend von Art. 8 EMRK war der EGMR bis dato zwar erst selten mit dem Schutz des Privatlebens von sog. Personen des öffentlichen Lebens („public figures“) konfrontiert. Weder in der Rechtssache Schüssel vom 21.02.2002 noch im bereits erwähnten Caroline-Urteil aus dem Jahr 2004 hat er jedoch die Verschiedenartigkeit der Schutzbedürfnisse bei der Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 8 EMRK berücksichtigt.102 Im Gegenteil: Das Urteil in der Rechtssache Caroline von Hannover bringt deutlich zum Ausdruck, dass der Bekanntheitsgrad der betroffenen Person erst bei der Prüfung der Grundrechtsschranken gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK von Relevanz ist.103 Der Begriff des Privatlebens hat unabhängig von Status und Bekanntheitsgrad für alle Personen denselben Bedeutungsgehalt.
2. Schutz des Privatlebens in der Öffentlichkeit Die Konventionsorgane betonen in ständiger Rechtsprechung, dass es zu restriktiv sei, das Recht auf Privatleben auf einen „inneren Kernbereich der Privatsphäre“ zu beschränken, in dem der Einzelne seine Persönlichkeit nach seinen Vorstellungen und ohne die Beeinträchtigung Dritter entfalten könne. Die Aufnahme und Pflege sozialer Kontakte ist jedoch nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt, sondern findet auch in der Öffentlichkeit statt. Das Recht auf Privatleben muss in einem bestimmten Umfang daher auch das Recht umfassen, mit der Außenwelt in Interaktion zu treten und Beziehungen zu anderen Personen aufzunehmen und zu entwickeln.104
___________ 101
Ähnlich Wildhaber, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 99. EGMR, Entsch. v. 21.02.2002, Nr. 42409/98 – Schüssel; EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 50-53) – Caroline. 103 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 54 ff., 61 ff.) – Caroline. 104 EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Nr. 13710/88 (Ziff. 29) – Niemietz; EKMR, Ber. v. 19.05.1994, Nr. 15225/89 (Ziff. 44) – Friedl; in jüngerer Zeit, EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 56) – PG u. JH. 102
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
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Diesem Verständnis folgt der EGMR, wenn er den Schutzbereich des Rechts auf Privatleben über den häuslichen Bereich hinaus auch auf den öffentlichen Bereich erstreckt: In der Rechtssache PG und JH vom 25.09.2001 verwies der EGMR zunächst darauf, dass Art. 8 EMRK auch das Recht umfasse, mit der Außenwelt zu interagieren. Ein Bezug zur Öffentlichkeit („public context“) verhindere daher nicht per se einen Schutz durch das Recht auf Privatleben.105 Bei der Frage, wann das Privatleben außerhalb des häuslichen Bereichs geschützt werde, seien diverse Kriterien zu berücksichtigen. Ein wichtiges Kriterium sei, ob eine Person in der konkreten Situation vernünftigerweise erwarten durfte, vom Recht auf Privatleben geschützt zu sein („a person’s reasonable expectations as to privacy“).106 Eine Person, die die Straße entlang gehe, sei für die Mitglieder der dort anwesenden Öffentlichkeit unweigerlich sichtbar. Die bloße Überwachung dieser öffentlichen Szene mit technischen Mitteln („monitoring of the public scene“) stelle keine weiter gehende Beeinträchtigung des Rechts auf Privatleben dar. Eine vernünftige Erwartung auf Schutz besteht insoweit nicht.107 Etwas anderes gelte für die systematische oder permanente Aufzeichnung („systematic or permanent record“) von Vorgängen aus dem Bereich des öffentlichen Lebens („public domain“), mit denen eine Person in der Regel nicht rechnen müsse.108 Dass sich der Schutzbereich des Art. 8 EMRK auf öffentliche Straßen und allgemein zugängliche Plätze – mithin die gesamte Öffentlichkeit – erstreckt, geht auch aus der Rechtssache Peck vom 28.01.2003 hervor. Der Beschwerdeführer wurde von Überwachungskameras aufgezeichnet, als er unmittelbar nach einem Selbstmordversuch – das Messer noch in der Hand haltend – durch die Straßen von Brentwood lief. Anschließend wurden Ausschnitte des Filmmaterials im Fernsehen ausgestrahlt und in Zeitungen abgedruckt. Die englische Regierung verneinte eine Verletzung des Rechts auf Privatleben, da sich ___________ 105 EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 56) – PG u. JH; EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 57) – Peck; EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 50) – Caroline: „There is therefore a zone of interaction of a person with others, even in a public context, which may fall within the scope of private life.“ 106 EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 57) – PG u. JH; vgl. EGMR, Urt. v. 17.07.2003, Nr. 63737/00 (Ziff. 37) – Perry; so bereits EGMR, Urt. v. 25.06.1997, Nr. 20605/92 – Halford, wo der EGMR deutlich zwischen Schutzbereich (Ziff. 42 ff.) und Eingriff (Ziff. 47 ff.) differenziert. 107 Ebenso EKMR, Entsch. v. 14.01.1998, Nr. 32200/96, 32201/96 – Herbecq (Überwachung einer juristischen Person in der Öffentlichkeit). 108 Ebenso EGMR, Urt. v. 04.05.2000, Nr. 28341/95 (Ziff. 43 f.) – Rotaru; EGMR, Urt. v. 16.02.2000, Nr. 27798/95 (Ziff. 65 ff.) – Amann; siehe auch EKMR, Entsch. v. 03.05.1993, Nr. 15220/89 – S v. AUS.
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
der Beschwerdeführer in der Öffentlichkeit aufgehalten habe.109 Der EGMR folgte dem Vortrag der Regierung nicht. Als Begründung führte er aus, dass die Veröffentlichungen das Ausmaß dessen überschritten hätten, was der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt, als er mit dem Messer in der Hand durch die Straßen von Brentwood lief, vernünftigerweise hätte vorhersehen können.110 Schließlich belegt auch das Caroline-Urteil vom 24.06.2004, dass der Schutz des Rechts auf Achtung des Privatlebens nicht auf den inneren Bereich der Privatsphäre beschränkt ist. Zum einen betonte der EGMR erneut, dass der Schutzbereich gemäß Art. 8 EMRK über den „familiären Lebenskreis“ hinausreiche und auch einen sozialen Bezug („social dimension“) aufweise.111 Zum anderen machte der EGMR zu dem Umstand, dass die Photos in der Öffentlichkeit angefertigt worden waren, keine gesonderten Ausführungen. Seiner Auffassung nach stand es außer Frage, dass die in der Öffentlichkeit angefertigten Photos das Recht auf Achtung des Privatlebens der Beschwerdeführerin tangierten.112 Eine Person dürfe unter bestimmten Umständen vernünftigerweise darauf vertrauen, dass ihr Privatleben auch in der Öffentlichkeit geachtet und geschützt werde.113 Für den Bildnisschutz lassen sich somit folgende Aussagen treffen: In räumlicher Hinsicht schützt das Recht am eigenen Bild zunächst alle Abbildungen, die unter Beeinträchtigung des inneren Bereichs der Privatsphäre angefertigt werden. Aufgrund der Überschneidungen und Interdependenzen der Gewährleistungen des Art. 8 Abs. 1 EMRK114 ist es nahe liegend, dass die Grenzen des inneren Bereichs der Privatsphäre mit der Reichweite des Rechts auf Achtung der Wohnung übereinstimmen.115 Das Recht auf Wohnung sichert gewissermaßen die räumliche Basis für die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Über diesen Bereich hinaus kann sich der Schutz aber auch auf die Öffentlichkeit erstrecken. Abbildungen einer Person an semi-öffentlichen Plätzen – ___________ 109
EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 53) – Peck. EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 62) – Peck: „which the applicant could possibly have foreseen when he walked in Brentwood“. 111 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 69) – Caroline. 112 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 53) – Caroline. 113 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 51, 53, 69) – Caroline. 114 Siehe dazu oben, Teil 4 B. (einleitende Bemerkungen). 115 Zum Begriff der Wohnung: Frowein, in: ders./Peukert, Art. 8 Rn. 28 (Wohnung, Garten als befriedetes Besitztum, Garage, evtl. Betriebsräume); Grabenwarter, EMRK, § 22 Rn. 21: wohnungsnahe Gebäude und Gebäudeteile, z. B. Garage, Keller, Terrasse, Dachboden und Flächen im Freien, z. B. Innenhöfe und Gärten. Siehe auch EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Nr. 13710/88 (Ziff. 29) – Niemietz (Büro); EGMR, Urt. v. 16.04.2002, Nr. 37971/97 (Ziff. 41) – STÉS Colas Est (gewerbliche Räume); EGMR, Urt. v. 18.01.2001, Nr. 24876/94 (Ziff. 87) – Coster (Wohnwagen). 110
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
215
wie z. B. im Restaurant, im Beach Club116 oder auf einem Polizeirevier117 – können ebenso vom Schutz erfasst sein, wie solche, die an öffentlichen Plätzen – wie z. B. auf der Straße, im Skiurlaub, auf dem Markt118 oder in einem Einkaufszentrum – angefertigt werden.119 Nach der Rechtsprechung des EGMR ist für die Betroffenheit des Schutzbereichs von entscheidender Bedeutung, ob die abgebildete Person vernünftigerweise erwarten durfte, in der konkreten Situation vom Recht auf Privatleben geschützt zu sein.120 Eine vernünftige Erwartung besteht, wenn das Verhalten einer Person systematisch und permanent durch Überwachungskameras in der öffentlichen Sphäre aufgezeichnet wird. Dabei ist es unerheblich, ob die Informationen durch eine invasive oder verdeckte Methode gesammelt wurden.121 In der Rechtssache Caroline von Hannover hat der EGMR eine vernünftige Erwartung auf Schutz auch für die Veröffentlichung von Photos bejaht.122 Damit hat er sich gegen die frühere Rechtsprechung der EKMR gestellt, wonach weder die Abbildung auf einer Demonstration noch das Aufbewahren der Photos einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK darstellt.123 Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des EGMR lediglich für die bloße Überwachung einer Person, die keinen Eingriff in ihr Recht auf Privatleben begründet. Die Situation, in der eine Person mittels technischer Hilfsmittel von Dritten beobachtet wird, ohne dass damit zugleich eine dauerhafte Aufzeichnung des Verhaltens verbunden ist, dürfte dieser Konstellation entsprechen.
II. Rechtfertigung des Eingriffs gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK Art. 8 Abs. 2 EMRK bestimmt die Schranken, denen eine Person bei Ausübung ihres Rechts auf Privatleben unterliegt. Danach ist ein Eingriff in den Schutzbereich gerechtfertigt, wenn er auf einer gesetzlichen Grundlage be-
___________ 116
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 53) – Caroline. EGMR, Urt. v. 25.09.2001, Nr. 44787/98 (Ziff. 57, 60) – PG u. JH; EGMR, Urt. v. 17.07.2003, Nr. 63737/00 (Ziff. 38, 40) – Perry: „public area of a police station“. 118 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 53) – Caroline. 119 EGMR, Urt. v. 17.07.2003, Nr. 63737/00 (Ziff. 40) – Perry. 120 Vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 3a; Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (247 f.). 121 EGMR, Urt. v. 04.05.2000, Nr. 28341/95 (Ziff. 43 f.) – Rotaru; EGMR, Urt. v. 16.02.2000, Nr. 27798/95 (Ziff. 65 ff.) – Amann. 122 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 53) – Caroline. 123 EKMR, Entsch. v. 12.10.1973, Nr. 5877/72 – X v. UK; vgl. EKMR, Ber. v. 19.05.1994, Nr. 15225/89 (Ziff. 49 ff.) – Friedl. 117
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
ruht124 und zur Verfolgung einer der in Absatz 2 genannten materiellen Zielsetzungen notwendig ist. Die Schranken des Art. 8 Abs. 2 EMRK sind abschließend.125 Weitere stillschweigende oder immanente Schranken sind nach Aussage des EGMR nicht zulässig.126 Die Schranken werden ihrerseits durch Art. 14 EMRK beschränkt, wonach jede Diskriminierung beim Genuss der in der vorliegenden Konvention gewährten Rechte und Freiheiten verboten ist. Bei der Prüfung positiver Schutzpflichten weichen die Konventionsorgane von der Systematik des Art. 8 Abs. 2 EMRK in einigen Punkten ab – auch wenn sie von ihr beeinflusst werden.127 Mangels eines staatlichen Eingriffs sei die Schrankenregelung nicht direkt anwendbar. Nach ständiger Auffassung des EGMR sei lediglich erforderlich, dass die Vertragsstaaten einen ausgewogenen Ausgleich zwischen dem Schutzinteresse des Betroffenen einerseits und den legitimen kollidierenden Interessen andererseits hergestellt hätten.128 Zur Determinierung der legitimen Interessen wird auf die in Art. 8 Abs. 2 EMRK normierten materiellen Zielsetzungen zurückgegriffen.129 Für die vorliegende Untersuchung sind von den Zielsetzungen nur die „Rechte und Freiheiten anderer“ von Bedeutung, die neben den sonstigen Konventionsgrundrechten130 auch die in Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Kommunikationsfreiheiten erfassen. Ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild ist – auch wenn er den Schutz der Kommunikationsfreiheiten verfolgt – jedoch nur zulässig, sofern er „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist“.
___________ 124 Zum Gesetzesbegriff von Art. 8 Abs. 1 EMRK, siehe Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 528 ff. 125 Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 580; Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 12. 126 EGMR, Urt. v. 21.02.1975, Nr. 4451/70 (Ziff. 44) – Golder. 127 Vgl. Grabenwarter, EMRK, § 19 Rn. 11. 128 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 57) – Caroline; EGMR, Urt. v. 13.02.2003, Nr. 42326/98 (Ziff. 40) – Odièvre; EGMR, Urt. v. 27.09.1990, Nr. 10843/84 (Ziff. 37) – Cossey; EGMR, Urt. v. 17.10.1986, Nr. 9532/81 (Ziff. 37) – Rees. 129 EGMR, Urt. v. 09.12.1994, Nr. 16798/90 (Ziff. 51) – López Ostra; vgl. EGMR, Urt. v. 17.10.1986, Nr. 9532/81 (Ziff. 37) – Rees: „may be of a certain relevance“; ebenso Uerpmann-Wittzack, in: Ehlers, § 3 Rn. 27; vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 57. 130 Vgl. Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 647.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
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1. Kommunikationsfreiheiten als „Rechte und Freiheiten anderer“ a) Schutzbereich gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK Art. 10 EMRK enthält in Absatz 1 das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses umfasst gemäß Satz 2 sowohl die Meinungsbildung als auch den Empfang und die Weitergabe von Informationen oder Ideen. Die Pressefreiheit wird in der Vorschrift nicht gesonderte erwähnt. In der Rechtssache Sunday Times hat der EGMR sie aber erstmals ausdrücklich als Gewährleistung des Art. 10 Abs. 1 EMRK anerkannt.131
aa) Meinungsfreiheit Art. 10 EMRK schützt neben der Freiheit der Meinungsäußerung auch die Freiheit der Meinungsbildung, wie vor allem aus der englischen Textfassung deutlich hervorgeht („freedom to hold opinion“). Die Meinungsbildungsfreiheit umfasst den Vorgang, der jeder Äußerung vorausgeht, und garantiert das Recht, eigene Ansichten zu bilden. Es ist dem Staat untersagt, dem Einzelnen eine Meinung durch Indoktrinierung oder andere Mittel aufzudrängen.132 Zugleich ist der Staat verpflichtet, einer gezielt einseitigen Berichterstattung im staatlichen Rundfunk und Fernsehen entgegen zu wirken.133
(1) Schutz von Informationen und Ideen Die Meinungsäußerungsfreiheit umfasst das Recht, Informationen und Ideen Dritten ohne staatliche Behinderung mitzuteilen. Die Freiheit der Meinungsäußerung besteht gemäß Art. 10 EMRK über die Staatsgrenzen hinweg. Anders als im deutschen Recht134 stellt sich die Frage einer Unterscheidung zwischen Meinungen und (bloßen) Tatsachen bei der Prüfung des Schutzbereichs gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK nicht.135 Die Weitergabe von Informationen und Ideen
___________ 131
EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 65) – Sunday Times I. EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5095/71, 5920/72, 5926/72 (Ziff. 53) – Kjeldsen; vgl. Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 3; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 10 Rn. 10. 133 EGMR, Urt. v. 24.11.1993, Nr. 13914/88 (Ziff. 38) – Informationsverein Lentia; vgl. Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 4. 134 Zum deutschen Recht siehe Teil 3 B. I. 2. a) aa). 135 EGMR, Urt. v. 25.03.1985, Nr. 8734/79 (Ziff. 42) – Barthold. 132
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
beinhaltet auch die Weitergabe von Tatsachen.136 Tatsachenbehauptungen werden ohne Einschränkungen geschützt. Das gilt auch dann, wenn es sich um unrichtige Behauptungen handelt.137 Die EMRK geht von einem „offenen“ Kommunikationsbegriff aus, der weder nach Modalitäten der Äußerung noch nach deren Inhalt differenziert.138 Das hat zur Folge, dass selbst diffamierende Tatsachenbehauptungen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst werden.139 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Meinungsäußerungsfreiheit für den freiheitlich-demokratischen Staat und für die Entwicklung des Einzelnen von grundlegender Bedeutung.140 Entsprechend seiner zentralen Position legen die Konventionsorgane die Freiheit der Meinungsäußerung weit aus.141 Geschützt werden nicht nur Informationen und Ideen, die Zustimmung finden oder als harmlos aufgenommen werden. Geschützt werden auch solche, die den Staat oder die Öffentlichkeit verletzen, schockieren oder beunruhigen.142 Das gebiete der Pluralismus, die Toleranz und die Aufgeschlossenheit, ohne die es eine demokratische Gesellschaft nicht geben könne.143 Nach Auffassung der EKMR bietet Art. 10 EMRK auch der Verbreitung von Informationen zu kommerziellen Zwecken („commercial speech“) Schutz. Die kommerzielle Informationsverbreitung könne aber stärkeren Einschränkungen unterworfen werden als die Mitteilung politischer Informationen und Ideen.144 Der EGMR hat die Rechtsprechung der EKMR zur kommerziellen Meinungsäußerung bestätigt: In der Rechtssache Barthold bejahte er die Anwendbarkeit von Art. 10 EMRK für die Fälle, in denen werbende Äußerungen ___________ 136
EGMR, Urt. v. 24.02.1994, Nr. 15450/89 (Ziff. 36 ff.) – Casado Coca (Anzeige eines Anwalts mit der Angabe von Namen, Beruf, Adresse und Telefonnummer); Berka, in: Machacek/Pahr/Stadler, S. 393 (414 f.). 137 Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 4. 138 Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 4; Berka, in: Machacek/Pahr/Stadler, S. 393 (415 f.); Kugelmann, EuGRZ 2003, 16 (20). 139 Z. B. EGMR, Urt. v. 23.04.1992, Nr. 11798/85 (Ziff. 23 ff.) – Castells. 140 EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 49) – Handyside; EGMR, Urt. v. 25.03.1985, Nr. 8734/79 (Ziff. 58) – Barthold; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 41) – Lingens; EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 63) – Thorgeirson; EGMR, Urt. v. 23.09.1994, Nr. 15890/89 (Ziff. 31) – Jersild; in jüngerer Zeit siehe EGMR, Urt. v. 06.05.2003, Nr. 48898/99 (Ziff. 39) – Perna; EGMR, Urt. v. 06.02.2001, Nr. 41205/98 (Ziff. 59) – Tammer. 141 Vgl. Villiger, EMRK, Rn. 603. 142 Vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.1999, Nr. 25716/94 (Ziff. 30) – Janowski; siehe bereits EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 65) – Sunday Times I; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 41) – Lingens. 143 EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 49) – Handyside. 144 EKMR, Entsch. v. 05.05.1979, Nr. 7805/77 – Church of Scientology; vgl. EKMR, Entsch. v. 07.03.1991, Nr. 14622/89 – Hempfing (Werbeschreiben eines Anwalts).
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
219
auch Informationen enthalten.145 In den Rechtssachen Markt intern und Cosado Coca betonte er, dass bei der Frage nach dem Schutz von Informationen nicht nach dem Zweck ihrer Verbreitung – kommerziell oder nicht – unterschieden werden müsse. Erst bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen dürfe berücksichtigt werden, welchen Zweck die Verbreitung verfolge.146 Die Meinungsäußerungsfreiheit deckt sich im Wesentlichen mit der aktiven Informationsfreiheit, die das selbständige Recht gewährt, andere zu informieren. Sie umfasst das Recht, „Informationen“ und „Ideen“ mitzuteilen, unabhängig davon, ob dies in mündlicher, schriftlicher, in gedruckter oder in elektronischer Form erfolgt.147 Notwendiges Korrelat der aktiven Informationsfreiheit ist die allgemeine Freiheit auf Zugang und Empfang von Informationen und Ideen.148 Diese sog. passive Informationsfreiheit ist für vorliegende Untersuchung jedoch ohne Bedeutung, so dass auf eine Darstellung ihres Inhalts verzichtet wird.
(2) Geschützte Handlungsformen Der EGMR hat wiederholt betont, dass nicht nur der Inhalt sondern auch die Art und die gewählte Form der Meinungsäußerung von Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützt werden.149 Das wird damit begründet, dass die Wirkung einer Meinungsäußerung in der reiz- und informationsüberfluteten Gesellschaft zu einem großen Teil von ihrer Form abhängig ist.150 Im Unterschied zum deutschen Recht werden in Art. 10 Abs. 1 EMRK keine Modalitäten der Meinungsäußerung aufgeführt. Nach dem Recht der EMRK kann die Meinungsäußerung in allen denkbaren Kommunikationsformen erfolgen.151 Die mündliche Propagierung eigener Überzeugungen ist ebenso ge___________ 145
EGMR, Urt. v. 25.03.1985, Nr. 8734/79 (Ziff. 42) – Barthold. EGMR, Urt. v. 20.11.1989, Nr. 10572/83 (Ziff. 26) – Markt intern; EGMR, Urt. v. 24.02.1994, Nr. 15450/89 (Ziff. 35) – Casado Coca. 147 Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 5. Nach Villiger, EMRK, Rn. 610 erfasst die aktive Informationsfreiheit nur die Mitteilung fremder Meinungen. 148 Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 6; Villiger, EMRK, Rn. 611 f.; vgl. Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 11 ff. 149 Z. B. EGMR, Urt. v. 23.09.1994, Nr. 15890/89 (Ziff. 31) – Jersild; EGMR, Urt. v. 06.05.2003, Nr. 48898/99 (Ziff. 39) – Perna; EGMR, Urt. v. 21.03.2002, Nr. 31611/96 (Ziff 46) – Nikula; EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 39) – News Verlags GmbH. 150 Giegerich, RabelsZ 1999, 471 (492); Zihler, Schutz des Ansehens, S. 98. 151 Siehe Harris/O’Boyle/Warbrick, ECHR, S. 378 f., die einen guten Überblick über die Rechtsprechung des EGMR bieten; ebenso Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 3, 5. 146
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
schützt wie die Verbreitung schriftlicher Mitteilungen.152 Die Freiheit der Meinungsäußerung schließt auch die Verbreitung von Informationen und Ideen durch die Veröffentlichung photographischer Abbildungen ein.153 Künstlerische Ausdrucksformen werden ebenfalls vom Schutz des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst:154 Geschützt ist z. B. die Karikatur, die dem Leser den Eindruck vermittelt, dass eine Richterin ein intimes Verhältnis zu einem verheirateten Mann habe und beide sich gemeinsam ungerechtfertigt bereichert hätten.155 Schließlich kann auch in faktischem Handeln eine Grundrechtsausübung liegen. Schutz wird erst dann verwehrt, wenn es bei dem Handeln nicht mehr primär um Kommunikation sondern um bloße soziale Interaktion geht.156
bb) Pressefreiheit Auch wenn die Pressefreiheit in Art. 10 Abs. 1 EMRK – anders als im deutschen Recht in Art. 5 Abs. 1 GG – nicht ausdrücklich erwähnt ist, wird sie vom Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung geschützt.157 Der EGMR hat in ständiger Rechtsprechung die grundlegende Bedeutung der Pressefreiheit für eine demokratische Gesellschaft betont. Die Presse muss – unter Achtung ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten – die Öffentlichkeit über Informationen und Ideen zu allen Fragen von politischem und sonstigem öffentlichen Interesse informieren.158 Als „public watchdog“ sei sie in der Pflicht, Ideen und politische Ansichten aufzubereiten und die Öffentlichkeit auf Mängel und Fehler hinzuweisen.159 Zugleich habe auch die Öffentlichkeit gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK ein Recht darauf, über alle Themen von öffentlichem Interesse informiert zu werden.160 Die Presse nehme eine Aufgabe wahr, auf deren Erfüllung ___________ 152 EGMR, Urt. v. 25.08.1993, Nr. 13308/87 (Ziff. 23 ff.) – Chorherr (Transparente, Flugblätter). 153 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline. 154 Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 5. 155 EGMR, Urt. v. 17.12.2004, Nr. 33348/96 (Ziff. 85) – Cumpana u. Mazare. 156 EGMR, Urt. v. 23.09.1998, Nr. 24838/94 (Ziff. 92) – Steel (Schutzbereich bejaht für physische Behinderung einer Gänsejagd); vgl. Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 4. 157 Ähnlich Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 7. 158 Z. B. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 58 f.) – Caroline; EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 63) – Thorgeirson; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 41) – Lingens; EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 65) – Sunday Times I. 159 Z. B. EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 63) – Thorgeirson. 160 Z. B. EGMR, Urt. v. 26.11.1991, Nr. 13585/88 (Ziff. 59) – Observer u. Guardian; EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 65 f.) – Sunday Times I; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 41) – Lingens; EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 63) – Thorgeirson.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
221
die Öffentlichkeit einen echten in der Konvention gewährleisteten Anspruch habe.161 Der Kreis der geschützten Tätigkeit umfasst sowohl die organisatorischen Rahmenbedingungen162 als auch die Arbeit des Journalisten oder Verlegers selbst163. Auch das Verhältnis zwischen Verleger und den bei ihm beschäftigten Journalisten wird von Art. 10 Abs. 1 EMRK bestimmt.164 Die Beschaffung von Informationen, die Recherchetätigkeit, das Schreiben, aber auch Hilfstätigkeiten fallen unter den Schutz der Pressefreiheit. Selbst die Publikation von Informationen, die in rechtswidriger Weise oder unter Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht erlangt wurden, werden von Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst.165 Wie bei der Meinungsfreiheit ist jeder Inhalt geschützt, die aktuelle Nachricht ebenso wie der wertende Kommentar oder die kommerzielle Äußerung.166 Auch Text- und Bildberichte, die bloß der Sensationsgier und Unterhaltung dienen, sind ein geschützter Grundrechtsgebrauch.167 Die Pressefreiheit beinhaltet auch einen etwaigen Rückgriff auf einen gewissen Grad an Übertreibung und Provokation.168 Geschützt wird die journalistische Gestaltungsfreiheit: Nach eindeutiger Aussage des EGMR fällt darunter auch die Entscheidung, ob ein Bericht bebildert wird oder nicht. Wird einer Zeitung verwehrt, ein Photo in einem Artikel zu veröffentlichen, liegt daher ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 EMRK vor.169 Der EGMR hat jedoch darauf verwiesen, dass es sich hierbei um einen Sachverhalt handele, in dem der Schutz der Rechte anderer – einschließlich des guten Rufes – eine besondere Bedeutung einnehme.170
___________ 161 Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 15; ähnlich Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 10 Rn. 21. 162 Vgl. EKMR, Entsch. v. 12.12.1985, Nr. 10293/83 – B v. GB; zurückhaltend Villiger, EMRK, Rn. 621. 163 Zum Journalisten siehe EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 8) – Lingens; EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 7) – Thorgeirson; EGMR, Urt. v. 07.05.2002, Nr. 463111/99 (Ziff. 9) – McVicar. Zum Verleger oder Herausgeber siehe EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 12, 40) – News Verlags GmbH; EGMR, Urt. v. 28.09.1999, Nr. 22479/93 (Ziff. 49) – Öztürk; EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 9) – Krone Verlag I. 164 Vgl. Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 8. 165 Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 8. 166 Siehe dazu oben, Teil 4 B. II. 1. a) aa) (1). 167 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 58, 76 f.) – Caroline. 168 Z. B. EGMR, Urt. v. 06.05.2003, Nr. 48898/99 (Ziff. 39) – Perna. 169 EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 40) – News Verlags GmbH. 170 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline.
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auf alle Informationen und Ideen, die der Öffentlichkeit in periodisch erscheinenden Druckschriften vermittelt werden. Druckwerke, die nur einmal, wenn auch in mehrfacher Auflage, gedruckt werden, fallen nicht unter die Pressefreiheit sondern werden von der Freiheit der Meinungsäußerung erfasst.171 Das gilt für Flugblätter172 und Bücher173 ebenso wie für Zeitschriften, die von vornherein nur für einen bestimmten Personenkreis bestimmt sind.174 Auch die Veröffentlichung „offener Briefe“ fällt trotz seines weiten Adressatenkreises unter die Meinungsfreiheit und nicht unter die Pressefreiheit.175 Wird ein Buchvordruck auch in der Zeitung veröffentlicht, wird der Inhalt von der Pressefreiheit geschützt.176 Die Pressefreiheit ist somit durch die spezifische Verbreitungsform des Massenmediums gedruckter Zeitungen und Zeitschriften gekennzeichnet, während die Meinungsfreiheit maßgeblich nach ihrem Inhalt definiert wird.
b) Schranken gemäß Art. 10 Abs. 2 EMRK Ein Eingriff in die Freiheiten des Art. 10 EMRK ist zulässig, wenn er sich innerhalb der formellen und materiellen Schranken von Absatz 2 bewegt. Für Rundfunk, Film und Fernsehen sieht Art. 10 Abs. 1 S. 3 eine Sonderregel vor. Im Übrigen folgt die Schrankenregelung dem Muster des Art. 8 EMRK:177 Der Eingriff muss gesetzlich vorgesehen und zur Verfolgung einer der in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Ziele in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Im Gegensatz zu Art. 8 Abs. 2 EMRK leitet Art. 10 Abs. 2 EMRK mit dem Hinweis darauf ein, dass die Ausübung der Freiheiten „mit Pflichten und Verantwortung“ verbunden ist. Aus dieser Phrase entnehmen die Konventionsorgane aber keine weitergehende Ermächtigung zur Grundrechts-
___________ 171 EGMR, Urt. v. 17.07.2001, Nr. 39288/98 (Ziff. 57) – Ekin: „other than the periodical press“; ebenso Villiger, EMRK, Rn. 621; Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 7; ablehnend Berka, in: Machacek/Pahr/Stadler, S. 393 (426). 172 EGMR, Urt. v. 25.08.1993, Nr. 13308/87 (Ziff. 7, 23) – Chorherr; EGMR, Urt. v. 13.07.1995, Nr. 18139/91 (Ziff. 8, 35) – Tolstoy Miloslavsky. 173 EGMR, Urt. v. 17.07.2001, Nr. 39288/98 (Ziff. 56 f.) – Ekin. 174 EGMR, Urt. v. 19.12.1994, Nr. 15153/89 (Ziff. 27) – Vereinigung demokratischer Soldaten. 175 EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 56) – Thorgeirson; EGMR, Urt. v. 19.04.2001, Nr. 32686/96 (Ziff. 47) – Maronek; vgl. Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 4. 176 EGMR, Urt. v. 26.11.1991, Nr. 13585/88 (Ziff. 59) – Observer u. Guardian. 177 Vgl. Frowein, in: ders./Peukert, Vorb. zu Art. 8-11, Rn. 1 ff.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
223
beschränkung als dies ohnehin nach dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zulässig wäre.178 Der Katalog der materiellen Schrankenvorbehalte ähnelt dem des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Nach beiden Vorschriften können Eingriffe einer öffentlichen Behörde z. B. im Interesse der nationalen Sicherheit, zur Verhinderung strafbarer Handlungen oder zum Schutze von Gesundheit und Moral in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Von besonderer Bedeutung für die Opfer der Bildberichterstattung ist der Umstand, dass Einschränkungen auch „zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“ möglich sind. Diese Schrankenregelung ermöglicht es, dass sowohl ehrverletzende Meinungsäußerungen179 als auch Äußerungen, die private Informationen offenbaren180, untersagt werden können. Mit dem Vorbehalt der „Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung“ soll das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Gerichtswesen geschützt werden.181 Diese Vorschrift kann bei der Bildberichterstattung über Richter bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen sein.
2. Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft Der Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. In der Rechtsprechung zu Art. 8 und Art. 10 EMRK findet sich bei der Prüfung der Notwendigkeit häufig die Aussage, dass ein dringendes soziales Bedürfnis („pressing social need“) bestehen müsse, um den Eingriff verhältnismäßig erscheinen zu lassen.182 Das Erfordernis der „Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft“ entspricht somit weitgehend dem im Recht
___________ 178 EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 64) – Thorgeirson; ebenso Grabenwarter, EMRK, § 23 Rn. 19; Frowein, in: ders./Peukert, Art. 10 Rn. 22. 179 Z. B. EGMR, Urt. v. 02.05.2000, Nr. 26132/95 (Ziff. 53 f.) – Bergens Tidende. 180 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline. 181 EGMR, Urt. v. 26.04.1995, Nr. 15974/90 (Ziff. 34) – Prager u. Oberschlick; EGMR, Urt. v. 24.02.1997, Nr. 19983/92 (Ziff. 37) – De Haes u. Gijsels. 182 EGMR, Urt. v. 21.10.1997, Nr. 25404/94 (Ziff. 42) – Boujlifa; EGMR, Urt. v. 25.03.1983, Nr. 5947/72, 6205/73 (Ziff. 97) – Silver; EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 59, 62) – Sunday Times I; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 39) – Lingens; EGMR, Urt. v. 21.01.1999, Nr. 25716/94 (Ziff. 30) – Janowski; EGMR, Urt. v. 28.09.2000, Nr. 37698/97 (Ziff. 30) – Lopes Gomes; EGMR, Urt. v. 12.07.2001, Nr. 29032/95 (Ziff. 73) – Feldek; EGMR, Urt. v. 11.03.2003, Nr. 35640/97 (Ziff. 51) – Lesnik.: „[...] the adjective necessary, within the meaning of [Art. 10 Abs. 2 EMRK] implies the existence of a pressing social need“.
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
der Vertragsstaaten verwurzelten Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit oder des Übermaßverbots.183 Im Gegensatz zum deutschen Recht184 differenziert der EGMR in seinen Urteilen jedoch nicht zwischen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Eingriffs im Verhältnis zum damit verfolgten Zweck. Ob der Eingriff geeignet ist, wird allenfalls implizit geprüft.185 Eine separate Erforderlichkeitsprüfung findet nicht statt, wenngleich bisweilen bei der Prüfung der Angemessenheit nach der Möglichkeit milderer Mittel gefragt wird.186 Kern der Verhältnismäßigkeitsprüfung bildet eine umfassende Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter und Interessen. Der EGMR setzt sich zur Aufgabe, einen ausgewogenen Ausgleich („fair balance“) zwischen dem Recht auf Privatleben und der Freiheit der Meinungsäußerung herzustellen. Beide Rechte sollen möglichst optimal zur Geltung kommen.187 Auch bei Eingriffen in die Intimsphäre wird eine Interessenabwägung vorgenommen. Ein absolut geschützter Kerngehalt des Rechts auf Privatleben wird – anders als im deutschen Recht188 – nicht anerkannt.189 Nach Auffassung des EGMR stellt die Presse eine wesentliche Funktionsbedingung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung dar.190 Da sich mögliche Einschränkungen nicht nur auf die Presse, sondern auf die gesamte Öffentlichkeit auswirken können, wird der Pressefreiheit in der Interessenabwägung ein besonderes Gewicht verliehen.191 Diese Aussage wird im Caroline___________ 183 Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 660 f.; Frowein, in: ders./Peukert, Vorb. zu Art. 8-11, Rn. 16 f.; Villiger, EMRK, Rn. 552; Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 14; Berka, in: Machacek/Pahr/Stadler, S. 393 (438 ff.). 184 Zum deutschen Recht statt vieler, Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 20 Rn. 83 ff. 185 Anders aber in EGMR, Urt. v. 27.09.1999, Nr. 31417/96 (Ziff. 67) – Lustig-Prean u. Beckett; vgl. Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 15. 186 Z. B. EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 58) – Handyside; vgl. Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 15. 187 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 58) – Caroline; siehe auch EGMR, Urt. v. 21.10.1997, Nr. 25404/94 (Ziff. 43) – Boujlifa; EGMR, Urt. v. 11.03.2003, Nr. 35640/97 (Ziff. 56) – Lesnik.. 188 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (1). 189 Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 4; Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 15. 190 EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 29271/95 (Ziff. 40) – Dichand; EGMR, Urt. v. 28.09.2000, Nr. 37698/97 (Ziff. 30) – Lopes Gomes; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 41) – Lingens. 191 EGMR, Urt. v. 12.07.2001, Nr. 29032/95 (Ziff. 78) – Feldek: „[…] the interest of democratic society in ensuring and maintaining a free press will weigh heavily in the balance in determining, as must be done under [Art. 10 Abs. 2 EMRK], whether the restriction was proportionate to the legitimate aim pursued.“
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
225
Urteil für die Bildberichterstattung allerdings relativiert: Danach begründe die Veröffentlichung von Photos eine besondere Eingriffsintensität mit der Folge, dass auch den Persönlichkeitsinteressen eine besondere Bedeutung zukommen müsse.192 Als Ausgangspunkt der Interessenabwägung ist somit von einer Gleichrangigkeit der kollidierenden Interessen auszugehen.193 Das entspricht der mehrfach betonten Aussage des EGMR, wonach auch die Presse bestimmte Grenzen nicht überschreiten dürfe und die Rechte und Freiheiten Dritter zu beachten habe.194 Die Konventionsorgane erkennen den nationalen Behörden und Gerichten einen je nach den Umständen des Einzelfalls variablen Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu.195 Im Schrifttum wird dieser Hinweis mitunter als inhaltliche Modifikation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstanden.196 Tatsächlich handelt es sich um ein Instrument der Konventionsorgane zur Beurteilung ihrer Prüfungsdichte.197 Die Konventionsorgane leiten den Beurteilungs- und Ermessensspielraums aus dem subsidiären Charakter der EMRK ab. In erster Linie sei es Aufgabe der Vertragsstaaten zu beurteilen, ob ein „dringendes soziales Bedürfnis“ vorliege, das den Eingriff in ein Konventionsgrundrecht rechtfertige. Aufgabe der Konventionsorgane sei lediglich, die vom nationalen Gesetzgeber, den Behörden und Gerichten in Ausübung ihres Beurteilungsund Ermessensspielraums getroffenen Entscheidungen anhand der Maßstäbe der EMRK letztverbindlich zu überprüfen.198 Diese Kontrolle ist nicht darauf beschränkt, zu überprüfen, ob der beklagte Staat sein Ermessen „sachgerecht“, ___________ 192 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline. Die Auffassung von Grabenwarter, AfP 2004, 309 (312), wonach diese Aussage auch derart verstanden werden könne, dass die Pressefreiheit in der Interessenabwägung nachstehen müsse, ist abzulehnen. 193 Ebenso Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (259); Berka, in: Machacek/Pahr/Stadler, S. 393 (448); anders Grabenwarter, AfP 2004, 309 (312), wonach die Aussage des EGMR im Caroline-Urteil auch derart verstanden werden könne, dass die Pressefreiheit in der Interessenabwägung nachstehen müsse. 194 Z. B. EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 41) – Lingens: „Whilst the press must not overstep the bounds set, inter alia, for the ‚protection of the reputation of others‘, it is nevertheless incumbent on it to impart information and ideas on political issues just as on those in other areas of public interest.“ 195 Die Konventionsorgane nehmen keine begriffliche Trennung zwischen „Ermessen“ und „Beurteilungsspielraum“ etwa nach dem Vorbild des deutschen Rechts vor. 196 Kühling, in: v. Bogdandy, S. 583 (622 f.). 197 Grabenwarter, EMRK, § 18 Rn. 20; Hailbronner, in: FS Mosler, S. 359 (381 ff.). 198 EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 48 f.) – Handyside: „final ruling“; EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 59) – Sunday Times I; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 39) – Lingens. In jüngerer Zeit siehe EGMR, Urt. v. 27.05.2004, Nr. 66746/01 (Ziff. 81 f.) – Connors: „final evaluation“.
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
„sorgfältig“ und „in gutem Glauben“ ausgeübt habe.199 Sie hätten die nationale Maßnahme vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu würdigen und festzustellen, ob die zur Rechtfertigung angeführten Gründe „zutreffend“ und „ausreichend“ seien.200 Nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane wird der Umfang des Ermessens- und Beurteilungsspielraums von unterschiedlichen Faktoren bestimmt: Er ist in den Bereichen größer, in denen ein starker gesellschaftlicher Wandel erfolgt oder in denen nationale oder soziale Interessen dominieren.201 Besonders groß ist der Ermessens- und Beurteilungsspielraum auch, wenn Schutzpflichten betroffen sind.202 Er ist dagegen in der Regel geringer, wenn höchstpersönliche und intime Interessen des Einzelnen tangiert sind oder ein Eingriff als sehr schwerwiegend erachtet wird.203 Hat sich zu einer grundrechtlichen Streitfrage ein gemeineuropäischer Standard noch nicht herausgebildet, hält sich der EGMR in der Regel ebenfalls zurück und toleriert die Maßnahmen des Vertragsstaates.204 Im Kollisionsbereich von Kommunikationsfreiheiten und Persönlichkeitsschutz hat der EGMR den Ermessens- und Beurteilungsspielraum der Vertragsstaaten kontinuierlich verengt. Es verbleibt kaum ein Bereich, in dem der EGMR Eingriffe in die Meinungs- und Pressefreiheit nicht einer strengen Kontrolle unterwirft.205 Im Bereich der gerichtlichen Vorzensur,206 beim Schutz journalistischer Quellen207 und bei Sanktionen, die zur Einschüchterung der ___________ 199
EGMR, Urt. v. 26.04.1979, Nr. 6538/74 (Ziff. 59) – Sunday Times I. EGMR, Urt. v. 24.03.1988, Nr. 10465/83 (Ziff. 68) – Olsson; EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 40) – Lingens; EGMR, Urt. v. 25.03.1985, Nr. 8734/79 (Ziff. 55) – Barthold; EGMR, Urt. v. 22.10.1981, Nr. 7525/76 (Ziff. 54) – Dudgeon. 201 Vgl. EGMR, Urt. v. 25.11.1996, Nr. 17419/90 (Ziff. 58) – Wingrove; EGMR, Urt. v. 22.10.1981, Nr. 7525/76 (Ziff. 52) – Dudgeon; ebenso Villiger, EMRK, Rn. 553. 202 EGMR, Urt. v. 28.05.1985, Nr. 9214/80 (Ziff. 67) – Abdulaziz; EGMR, Urt. v. 21.06.1988, Nr. 10126/82 (Ziff. 34) – Ärzte für das Leben; kritisch Dröge, Positive Verpflichtungen, S. 359 ff. 203 Siehe Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 680, 694 mit Verweis auf zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechung. 204 EGMR, Urt. v. 11.07.2002, Nr. 28957/95 (Ziff. 84 ff.) – Goodwin; siehe auch EGMR, Urt. v. 28.11.1984, Nr. 8777/79 (Ziff. 40) – Rasmussen: „common ground“; EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 48) – Handyside; EGMR, Urt. v. 25.11.1996, Nr. 17419/90 (Ziff. 58) – Wingrove: „uniform European conception“. 205 Vgl. Hoffmeister, EuGRZ 2000, 358 (367), Peters, JUSTIZ 2005, 160 (164); siehe auch Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 8 Rn. 45. 206 EGMR, Urt. v. 26.11.1991, Nr. 13585/88 (Ziff. 60) – Observer u. Guardian; EGMR, Urt. v. 26.11.1991, Nr. 13166/87 (Ziff. 51) – Sunday Times II. 207 Vgl. EGMR, Urt. v. 27.03.1996, Nr. 17488/90 (Ziff. 39 ff.) – Goodwin. 200
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
227
Presse führen können,208 nimmt der EGMR sogar eine besonders strenge Kontrolle vor („most careful scrutiny“).
III. Leitlinien für die Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten Die Abwägung zwischen Grundrechten, die nicht in einer abstrakten Rangordnung stehen, ist nur relativ schwach rationalisierbar.209 Dennoch lassen sich auf Grundlage der Rechtsprechung der Konventionsorgane allgemeingültige Leitlinien entwickeln, die über den Einzelfall hinaus nutzbar sind. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die Aussage des EGMR, dass er eine Meinungsäußerung nicht isoliert betrachten dürfe, sondern ihre Bedeutung und Auswirkungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu würdigen habe.210 Nach dem Recht der EMRK ist für die Reichweite des Schutzes von entscheidender Bedeutung, ob über eine (normale) Privatperson oder eine Person des öffentlichen Lebens berichtet wird. Diese persönliche Komponente wird in der Rechtsprechung des EGMR häufig mit der sog. sachlichen Komponente verbunden, die danach fragt, ob die Veröffentlichung auch einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistet.211 Weitere Kriterien können das mediale Vorverhalten der abgebildeten Person, Qualität und Wirkungskreis des verwendeten Mediums oder die Art der Informationsgewinnung sein.
1. Bildnisse von Personen des öffentlichen Lebens Der EGMR war bis zum Caroline-Urteil überwiegend mit Fällen konfrontiert, in denen der Presse die kritische Berichterstattung über politische Akteure oder sonstige Amtsträger untersagt worden war.212 Über Personen des öffentlichen Lebens jenseits von Amtsträgern hatte er dagegen nicht zu entscheiden. ___________ 208 EGMR, Urt. v. 20.05.1999, Nr. 21980/93 (Ziff. 64) – Bladet Tromso; vgl. hierzu Hoffmeister, EuGRZ 2000, 358 (367). 209 Vgl. Müller/Christensen, Methodik, Bd. I, Rn. 72 (84 f.). 210 EGMR, Urt. v. 11.03.2003, Nr. 35640/97 (Ziff. 52) – Lesnik; EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 34) – Krone Verlag I; EGMR, Urt. v. 12.07.2001, Nr. 29032/95 (Ziff. 73) – Feldek; EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 52) – News Verlags GmbH; siehe bereits EGMR, Urt. v. 07.12.1976, Nr. 5493/72 (Ziff. 50) – Handyside. 211 Vgl. Grabenwarter, AfP 2004, 309 (311 f.). 212 Siehe dazu oben, Teil 4 (Einführung).
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
a) Abstufung des Schutzes nach der Staatsnähe der betroffenen Person Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass der EGMR innerhalb der Personengruppe der Amtsträger den Schutz, den die Vertragsstaaten betroffenen Personen gegen persönlichkeitsverletzende Text- und Bildberichte gewähren dürfen, nach der Staatsnähe der jeweils betroffenen Person abstuft: Nach der Rechtsprechung des EGMR können Regierungsmitglieder am wenigsten Persönlichkeitsschutz beanspruchen. Die Regierung spielt in einem demokratischen Rechtsstaat eine herausragende Rolle. Ein Interesse der Öffentlichkeit ist schon unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle anerkannt. Die Grenzen der Kritik an Regierungsmitgliedern sind daher notwendig weiter als bei Privatpersonen.213 Grundlegend für diese Erkenntnis ist die Rechtssache Lingens, in der der klagende Journalist das politische Verhalten des amtierenden österreichischen Bundeskanzlers als übelsten Opportunismus, unmoralisch und würdelos bezeichnet hatte. Der EGMR gab zwar zu erkennen, dass diese Worte dem Ansehen des Bundeskanzlers schaden könnten. Allerdings maß er der Freiheit der politischen Debatte für die demokratische Gesellschaft eine besondere Bedeutung zu, so dass er in der Verurteilung des Journalisten eine Verletzung seiner Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 10 Abs. 1 EMRK sah.214 Auch sonstige Politiker genießen bei der Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben nur einen eingeschränkten Schutz.215 Der EGMR begründet das damit, dass sich ein Politiker unvermeidbar und wissentlich der genauen Prüfung seiner Worte und Handlungen sowohl durch Journalisten als auch durch die allgemeine Öffentlichkeit aussetze. Er müsse sich dem prüfenden Blick der Öffentlichkeit stellen und dabei eine größere Toleranz zeigen als (normale) Privatpersonen. Sein Recht auf Schutz des guten Rufes müsse abgewogen werden mit dem Interesse an einer öffentlichen Diskussion politischer Fragen.216 Die Grenze zulässiger Meinungsäußerung sei daher erst bei persönlichen Attacken, ___________ 213
EGMR, Urt. v. 23.04.1992, Nr. 11798/85 (Ziff. 46) – Castells; EGMR, Urt. v. 25.06.2002, Nr. 51279/99 (Ziff. 56) – Colombani (König von Marocco). 214 EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 42 ff.) – Lingens. 215 EGMR, Urt. v. 23.05.1991, Nr. 11662/85 (Ziff. 59) – Oberschlick I; EGMR, Urt. v. 01.07.1997, Nr. 20834/92 (Ziff. 29) – Oberschlick II; EGMR, Urt. v. 28.09.2000, Nr. 37698/97 (Ziff. 30) – Lopes Gomes. 216 EGMR, Urt. v. 08.07.1986, Nr. 9815/82 (Ziff. 42) – Lingens; EGMR, Urt. v. 23.05.1991, Nr. 11662/85 (Ziff. 59) – Oberschlick I; EGMR, Urt. v. 01.07.1997, Nr. 20834/92 (Ziff. 29) – Oberschlick II; EGMR, Urt. v. 25.06.2002, Nr. 51279/99 (Ziff. 56) – Colombani.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
229
die einen Politiker ohne jede sachliche Grundlage diffamieren und bloßstellen sollen, überschritten.217 Im Vergleich zu Politikern billigt der EGMR Richtern ein größeres Maß an Persönlichkeitsschutz zu.218 Nach Auffassung des EGMR sei das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fairness der Justiz von großer Bedeutung. Auch könnten sich Richter aufgrund der ihnen auferlegten Zurückhaltung medial nicht adäquat zur Wehr setzen.219 Andererseits ist Kritik an der Judikative nicht nur unvermeidbar sondern mitunter auch wünschenswert, insbesondere wenn sie grundlegende gesellschaftspolitische und soziale Wertungen betrifft. Die verschiedenen öffentlichen Interessen müssen daher stets gegeneinander abgewogen werden. Dabei gilt: Je auffälliger ein Richter sich in seinem Amt verhält und je extremer er auftritt, desto eher ist Kritik zulässig. Das gilt umso mehr, wenn ein Richter auch politisch tätig ist.220 Unzulässig sind Äußerungen, die ausschließlich die Herabsetzung des Gerichts oder einzelner Richter bezwecken.221 Ein kritischer Bericht ist hingegen zulässig, wenn er mit nachvollziehbaren Argumenten begründet wird und einen Beitrag zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse leistet.222 Für den Schutz von Staatsanwälten gilt im Grundsatz dasselbe wie bei der Berichterstattung über Richter. Auch hier geht es darum, das öffentliche Vertrauen in die Staatsanwaltschaft zu wahren.223 Der Ehrenschutz von Staatsanwälten steht jedoch dem von Richtern in einem Punkt nach: Bei Staatsanwälten ist auch eine aggressive Kritik an der Amtsausübung zulässig, sofern sie nicht diffamierend ist und innerhalb des gerichtlichen Forums geäußert wird.224 Der EGMR begründet das damit, dass der Staatsanwalt als offizieller Ankläger keine neutrale Stellung einnehme, sondern als eigentlicher „Gegner“ des Ange___________ 217
Vgl. EGMR, Urt. v. 28.09.2000, Nr. 37698/97 (Ziff. 34) – Lopes Gomes. Neben dem Schutz der persönlichen Ehre berücksichtigt der EGMR dabei auch das in Art. 10 Abs. 2 EMRK verankerte staatliche Interesse, das Ansehen der Rechtsprechung zu wahren. 219 EGMR, Urt. v. 26.04.1995, Nr. 15974/90 (Ziff. 34) – Prager u. Oberschlick; EGMR, Urt. v. 24.02.1997, Nr. 19983/92 (Ziff. 37) – De Haes u. Gijsels; vgl. EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 56) – News Verlags GmbH. 220 EGMR, Urt. v. 20.07.2004, Nr. 49418/99 (Ziff. 45 f.) – Hrico; vgl. EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 56) – News Verlags GmbH. 221 EGMR, Urt. v. 21.03.2002, Nr. 31611/96 (Ziff. 52) – Nikula; EGMR, Urt. v. 27.05.2003, Nr. 43425/98 (Ziff. 34) – Skalka; EGMR, Urt. v. 22.02.1989, Nr. 11508/85 (Ziff. 33 ff.) – Barfod. 222 EGMR, Urt. v. 24.02.1997, Nr: 19983/92 (Ziff. 39, 48) – De Haes u. Gijsels; vgl. EGMR, Urt. v. 22.02.1989, Nr. 11508/85 (Ziff. 33) – Barfod. 223 EGMR, Urt. v. 21.03.2002, Nr. 31611/96 (Ziff. 48) – Nikula; EGMR, Urt. v. 11.03.2003, Nr. 35640/97 (Ziff. 54) – Lesnik. 224 EGMR, Urt. v. 21.03.2002, Nr. 31611/96 (Ziff. 51 f.) – Nikula. 218
230
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
klagten auftrete, der sich effizient gegen die Anschuldigungen und die staatsanwaltliche Arbeitsmethode zur Wehr setzen können muss.225 Unzulässig ist die sachlich unbegründete Kritik an der Amtsführung eines Staatsanwaltes.226
b) Personen des öffentlichen Lebens jenseits von Amtsträgern? In der Rechtssache Caroline von Hannover hat der EGMR sich erstmals dazu geäußert, ob neben Amtsträgern auch prominente Personen der Sport-, Kultur- und Unterhaltungsbranche der Rechtsfigur der public figure zugerechnet werden können: Nach Auffassung des EGMR bestehe ein grundsätzlicher Unterschied darin, ob eine Person eine öffentliche Funktion ausübt oder ob sie aus anderen Gründen in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt. Dieser Unterschied habe Auswirkungen darauf, ob die Berichterstattung über sie geeignet sei, in einer demokratischen Gesellschaft zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Nur bei der Berichterstattung über Amtsträger in Ausübung ihrer öffentlichen Aufgaben („official functions“) erfülle die Presse ihre vitale Rolle als „öffentlicher Wachhund“ der demokratischen Gesellschaft. Demgegenüber leiste die Presse bei anderweitigen Text- und Bildberichten durch die Weitergabe von Informationen und Ideen keinen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse.227 Eine prominente Person, die kein öffentliches Amt bekleidet, genieße trotz ihres Bekanntheitsgrades denselben Schutz wie jede andere in der Öffentlichkeit unbekannte Privatperson.228 Nach Auffassung des EGMR sei die Beschwerdeführerin keine Person des öffentlichen Lebens: Als Mitglied des monegassischen Fürstenhauses nehme sie zwar Repräsentationsaufgaben bei bestimmten kulturellen Ereignissen oder Wohltätigkeitsveranstaltungen wahr. Das entspreche jedoch nicht der Ausübung einer Funktion innerhalb oder im Auftrag des monegassischen Staates oder seiner Einrichtungen.229 Der EGMR reserviert die Rechtsfigur der public figure somit für Politiker und vergleichbare Amtsträger. Sonstige prominente Personen – wie z. B. Per___________ 225 EGMR, Urt. v. 21.03.2002, Nr. 31611/96 (Ziff. 49 f.) – Nikula; vgl. Zihler, Schutz des Ansehens, S. 94. 226 EGMR, Urt. v. 11.03.2003, Nr. 35640/97 (Ziff. 58) – Lesnik. 227 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 63) – Caroline; vgl. Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (244 f.). Zur Metapher Wachhund siehe EGMR, Urt. v. 26.11.1991, Nr. 13585/88 (Ziff. 59) – Observer u. Guardian. 228 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 65) – Caroline. 229 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 62) – Caroline; anders Grabenwarter, AfP 2004, 309 (310) mit Verweis auf das kulturelle und karitative Engagement der Beschwerdeführerin und ihre Ernennung zur UNESCO-Botschafterin des guten Willens.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
231
sonen der Sport-, Kultur- und Unterhaltungsbranche – können sich daher grundsätzlich auf denselben Schutz berufen wie (normale) Privatpersonen.
2. Informationsinteresse der Öffentlichkeit Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist eng mit der Qualifizierung einer Person als solche des öffentlichen Lebens verbunden. Berichte über Personen des öffentlichen Lebens sind in der Regel für die Öffentlichkeit von größerem Interesse als solche über (normale) Privatpersonen. Allerdings haben auch Personen des öffentlichen Lebens ein Recht auf Privatleben und nichtmediale Alltäglichkeit, während gelegentlich auch Privatpersonen die Verbreitung persönlicher Informationen wegen eines besonderen Informationsinteresses hinnehmen müssen. Die Zuordnung zu einer dieser Personengruppen beantwortet somit nicht automatisch die Frage nach der Zulässigkeit der Berichterstattung. Erforderlich ist stets eine Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten, in der auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit berücksichtigt wird.
a) Berichterstattung über politische Angelegenheiten aa) Textberichte Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des EGMR vor, wenn mit der Berichterstattung eine gegenwärtige politische Diskussion aufgegriffen und hierzu Stellung bezogen wird. Der EGMR hat ein öffentliches Interesse an dem Vorschlag des FPÖ-Generalsekretärs bejaht, die finanzielle Unterstützung für österreichische Familien um 50 % zu erhöhen und für Immigrantenfamilien um den gleichen Betrag zu kürzen.230 Auch die Kritik an der isländischen Polizei wegen angeblicher Gewaltexzesse wertete der EGMR als Angelegenheit von öffentlichem Interesse.231 Gleiches gilt für eine Reportage über den marokkanischen Haschischhandel, in den angeblich auch Regierungsmitglieder und Angehörige des Königshauses verwickelt sein sollen.232 Einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leisten auch Berichte, in denen die politische Haltung eines Politikers diskutiert wird. Der ___________ 230
EGMR, Urt. v. 23.05.1991, Nr. 11662/85 (Ziff 61) – Oberschlick I. EGMR, Urt. v. 25.06.1992, Nr. 13778/88 (Ziff. 68) – Thorgeirson. 232 EGMR, Urt. v. 25.06.2002, Nr. 51279/99 (Ziff. 64) – Colombani. 231
232
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
EGMR hat ein Informationsinteresse an der Offenlegung der faschistischen Vergangenheit eines hohen slowakischen Politikers bejaht und den Bericht für zulässig erklärt.233 Gleiches gilt für den Vorwurf gegenüber einem ehemaligen französischen Funktionär, der während des Zweiten Weltkriegs Kriegsverbrechen begangen haben soll234. Die gegenüber Politikern einer rechtspopulistischen Partei erhobenen Vorwürfe, sich nicht oder nicht genügend von den Neonazis zu distanzieren, liegen im Interesse der Öffentlichkeit.235 Auch justizielle Zustände und Geschehnisse werden vom EGMR als Angelegenheiten von öffentlichem Interesse eingestuft.236 Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht weiterhin, wenn Verhaltensweisen die öffentliche Sicherheit und Gesundheit,237 Leib und Leben Dritter238 oder den Grundsatz von Treu und Glauben im Geschäftverkehr239 gefährden. Die Veröffentlichung des Einkommens eines Vorstandsvorsitzenden und geschäftsführenden Direktors während der Debatte über die Lohnerhöhung gewerkschaftlicher Forderungen, ist ebenfalls von einem öffentlichen Interesse getragen.240 Auch die Kritik an einem norwegischen Fischereiunternehmen und dessen Fischern wegen angeblicher illegaler Fangmethoden bei der Robbenjagd leistet einen Beitrag zu einer Diskussion von öffentlichem Interesse.241
bb) Bildberichte Ein öffentliches Interesse an einem Textbericht rechtfertigt nicht automatisch auch die Veröffentlichung von Abbildungen der betroffenen Person. Besteht ein öffentliches Interesse an den im Text enthaltenen Informationen, ist nach der Rechtsprechung des EGMR jedoch in der Regel auch ein Informationsinteresse an der Veröffentlichung textbezogener oder kontextneutraler Ab___________ 233 EGMR, Urt. v. 12.07.2001, Nr. 29032/95 (Ziff. 81, 87) – Feldek; EGMR, Urt. v. 20.07.2004, Nr. 49418/99 (Ziff. 45, 48) – Hrico. 234 EGMR, Urt. v. 30.03.2004, Nr. 53984/00 (Ziff. 34) – Radio France. 235 EGMR, Urt. v. 13.11.2003, Nr. 39394/98 (Ziff. 34) – Scharsach. 236 EGMR, Urt. v. 26.04.1995, Nr. 15974/90 (Ziff. 34) – Prager u. Oberschlick; EGMR, Urt. v. 24.02.1997, Nr. 19983/92 (Ziff. 39, 49) – De Haes u. Gijsels. 237 EGMR, Urt. v. 21.01.1999, Nr. 25716/94 (Ziff. 34) – Janowski. 238 EGMR, Urt. v. 02.05.2000, Nr. 26132/95 (Ziff. 51) – Bergens Tidende. 239 EGMR, Urt. v. 20.11.1989, Nr. 10572/83 (Ziff. 32 ff.) – Markt intern; vgl. EGMR, Urt. v. 21.09.1994, Nr. 17101/90 (Ziff. 69) – Fayed; zur Veröffentlichung von Korruptionsvorwürfen siehe EGMR, Urt. v. 29.03.2001, Nr. 38432/97 (Ziff. 58) – Thoma. 240 EGMR, Urt. v. 21.01.1999, Nr. 29183/95 (Ziff. 50) – Fressoz u. Roire. 241 EGMR, Urt. v. 20.05.1999, Nr. 21980/93 (Ziff. 62 f.) – Bladet Tromso.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
233
bildungen – wie z. B. Passphotos – zu bejahen. Abbildungen, die Verhaltensweisen aus der Privatsphäre zeigen, sind – wie das Urteil des EGMR in der Rechtssache News Verlags GmbH vom 11.01.2000 zeigt242 – dagegen nicht aus Gründen des Informationsinteresses der Öffentlichkeit gerechtfertigt. In der Rechtssache News Verlags GmbH wendete sich die Beschwerdeführerin gegen das nationale Verbot, einen Bildbericht über einen vorbestraften Rechtsradikalen zu veröffentlichen. Dieser stand im Verdacht, diverse Bombenattentate gegenüber linken Politikern verübt zu haben, die zum Teil schwerwiegende Verletzungen davongetragen hatten. In seinem Urteil bejahte der EGMR ein öffentliches Informationsinteresse an der Veröffentlichung des Textes samt Abbildungen. Er begründete seine Auffassung damit, dass sich der Bericht mit politischen Straftaten befasse und Details aus dem Privatleben des Verdächtigen weder im Text noch in den Photos enthalten seien.243 Diesen Ansatz bestätigte der EGMR jüngst in der Rechtssache WirtschaftsTrend vom 13.12.2005. Für die Zulässigkeit der Veröffentlichung eines Bildberichts sei – bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses an den im Text enthaltenen Informationen – entscheidend, dass das Photo keine Details aus dem Privatleben der abgebildeten Person enthalte.244 Die Zulässigkeit eines Bildberichts hat somit zwei Voraussetzungen: An den im Begleittext oder in der Bildunterschrift enthaltenen Informationen muss ein öffentliches Informationsinteresse bestehen. Es muss sich also um politische oder sonstige öffentliche Informationen handeln. Darüber hinaus darf das Photo auch keine Details aus dem Privatleben der abgebildeten Person enthalten.
b) Berichterstattung über Angelegenheiten des Privatlebens aa) Textberichte Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit beschränkt sich bei Personen des öffentlichen Lebens nicht auf die Ausübung öffentlicher Tätigkeiten und die Wahrnehmung öffentlicher Funktionen. Dem entspricht die Auffassung des EGMR, wonach Berichte über Amtsträger, insbesondere über Politiker, auch dann zulässig sein können, wenn sie Details aus deren Privatleben enthalten.245 Aufgrund ihrer Stellung in der Gesellschaft sind Personen des politischen Le___________ 242
EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 – News Verlags GmbH. EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 54) – News Verlags GmbH. 244 EGMR, Urt. v. 13.12.2005, Nr. 66298/01, 15653/02 (Ziff. 47) – Wirtschafts-Trend Zeitschriften-Verlagsgesellschaft. 245 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 64) – Caroline. 243
234
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
bens auch in privaten Angelegenheiten dem öffentlichen Interesse in verstärktem Maß ausgesetzt.246 Informationen aus der Privatsphäre dürfen jedoch nicht uneingeschränkt verbreitet werden. Textberichte sind nach der Rechtsprechung des EGMR ohne Einwilligung des Betroffenen nur zulässig, sofern sie einen hinreichenden Zusammenhang zu seiner öffentlichen Funktion aufweisen. Das ist z. B. der Fall, wenn private Informationen für die Beurteilung, ob ein Politiker die Integrität und Fähigkeit für ein politisches Amt besitzt, notwendig sind.247 Hierzu zählt der Vorwurf, dass bestehende Vorstrafen verheimlicht worden seien.248 Ein öffentliches Informationsinteresse besteht auch an der Krankheitsgeschichte eines Politikers, die Zweifel an seiner Amtsfähigkeit erweckt.249 Gleiches gilt für alle sonstigen Aspekte der Persönlichkeit, die zwar nicht unmittelbar die Funktionsausübung betreffen, aber darauf Rückschlüsse zulassen. Besteht kein Zusammenhang zwischen der Verbreitung privater Informationen und der öffentlichen Funktion des Amtsträgers, fällt die Interessenabwägung zulasten der Kommunikationsfreiheiten aus. In der Rechtssache Tammer verneinte der EGMR ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den Vorwürfen, die Beschwerdeführerin habe durch ihre Beziehung zum Innenminister dessen Familie zerstört und sei zudem eine schlechte Mutter gewesen. Er begründete dies damit, dass sich die Beschwerdeführerin – eine ehemals hohe Beamtin im estnischen Innenministerium – zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits aus der Politik zurückgezogen habe.250 Auch in der Rechtssache Caroline von Hannover lehnte der EGMR ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den streitgegenständlichen Photos und dem Begleittext („accompanying commentaries“) ab. Der Bildbericht enthalte lediglich Informationen aus dem Alltagsleben der Beschwerdeführerin, die in keinem Zusammenhang zu ihrer öffentlichen Funktion stünden.251 Einziger Zweck der Veröffentlichung der Photos sei die Befriedigung der Neugier eines bestimmten Adressatenkreises. Auch wenn die Beschwerdeführerin allgemein bekannt sei, habe die Öffentlichkeit kein berechtigtes Interesse daran ___________ 246
Vgl. Resolution 1165 (1998), Ziff. 6. Giegerich, RabelsZ 1999, 471 (498 f.); v. Gerlach, JZ 1998, 741 (751). 248 EGMR, Urt. v. 28.08.1992, Nr. 13704/88 (Ziff. 32) – Schwabe: „A politician’s previous criminal convictions […], together with his public conduct in other respects, may be relevant factors in assessing his fitness to exercise political functions.“ 249 EGMR, Urt. v. 18.05.2004, Nr. 58148/00 (Ziff. 44) – Éditions Plon. 250 EGMR, Urt. v. 06.02.2001, Nr. 41205/98 (Ziff. 68) – Tammer. 251 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 64) – Caroline. 247
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
235
zu erfahren, wie sie sich in ihrem Privatleben verhalte oder wie sie in ihrer Freizeit gekleidet sei.252
bb) Bildberichte Im Caroline-Urteil musste der EGMR aus Mangel eines öffentlichen Interesses am Begleittext nicht entscheiden, ob die Veröffentlichung der Photos zulässig gewesen wäre, wenn ein schützenswertes Interesse am Text bestanden hätte. Der EGMR stellte aber fest, dass die Veröffentlichung eines Photos, das private oder gar intime Details enthalte, besonders schwer in die Privatsphäre der abgebildeten Person eingreife.253 Dieser Aussage lässt sich entnehmen, dass – wie bei der Veröffentlichung politischer oder sonstiger öffentlicher Angelegenheiten254 – auch bei der Berichterstattung über private Angelegenheiten zwischen dem öffentlichen Informationsinteresse am Text und dem am Photo differenziert werden muss.255 Dieses Verständnis lässt sich auch aus der Rechtssache Krone Verlag I ableiten. Nach Auffassung des EGMR bestehe an dem Vorwurf, dass der Politiker nicht das gesamte Einkommen auf eine rechtmäßige Art und Weise verdient habe – also an Informationen aus seinem Privatleben –, ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit. An der Veröffentlichung der Photos sei daher prinzipiell nichts auszusetzen. Sie sei vor allem auch deshalb zulässig, weil die Photos keine Details aus seinem Privatleben enthalten.256 An welche weiteren Voraussetzung eine zulässige Veröffentlichung von Photos geknüpft ist, hat der EGMR bislang offen gelassen. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Veröffentlichung von Bildberichten – wie diejenige von Textberichten – verboten sein dürfte, wenn die abgebildeten Informationen nicht mit den in der Bildunterschrift oder dem Begleittext enthaltenen privaten Informationen thematisch übereinstimmen. Ein Bericht über die Drogenabhängigkeit eines Sportlers darf danach nicht mit einem Photo versehen werden, auf dem er bei einem Tête-à-tête mit einer Kollegin abgebildet ist. Im Gegensatz dazu ist die Veröffentlichung kontextneutraler Abbildungen bei einem zulässigen Bericht über Details aus dem Privatleben zulässig. In diesen Fällen ist die Eingriffsintensität gering, da außer dem allgemein bekannten äußeren Erscheinungsbild keine weiteren Informationen offenbart werden. ___________ 252
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 65, 76 f.) – Caroline. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline. 254 Vgl. oben, Teil 4 B. III. 2. a). 255 Ähnlich Stürner, AfP 2005, 213 (215); Gersdorf, AfP 2005, 221 (222). 256 EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 37) – Krone Verlag I. 253
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
In allen anderen Konstellationen dürfte nach der Rechtsprechung des EGMR ausschlaggebend sein, ob die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Photos von einem öffentlichen Informationsinteresse gedeckt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu den Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person steht. Es ist anzunehmen, dass die Interessenabwägung in der Regel zugunsten der Interessen der abgebildeten Person ausfallen wird.
3. Mediales Vorverhalten der betroffenen Person a) Berichterstattung über politische Angelegenheiten Die Zulässigkeit der kritischen Berichterstattung über politische oder sonstige öffentliche Angelegenheiten hängt nach der Rechtsprechung des EGMR in großem Maße davon ab, ob sich die betroffene Person zuvor selbst der Medienöffentlichkeit ausgesetzt hat. Je weiter sich eine Person bewusst in der Öffentlichkeit exponiert und die Medienöffentlichkeit für ihre Belange nutzt, desto eher muss sie sich verbale und bildhafte Kritik gefallen lassen.257 Der EGMR hat diesen Grundsatz anhand der kritischen Berichterstattung über Politiker entwickelt, die sich z. B. als Mitglieder eines Parlaments oder einer Regierung bewusst und aus eigenem Antrieb der Medienöffentlichkeit aussetzen. Als Kehrseite ihres Verhaltens hätten sie in Kauf zu nehmen, dass ihre Worte und Taten von der Presse und der Öffentlichkeit genau überprüft werden: „A politician inevitably and knowingly lays himself open to close scrutiny of his every word and deed.“
Deutliche Kritik müssen sich Politiker gefallen lassen, wenn sie Diskussionen zu sensiblen Themen – wie z. B. zur Ausländerpolitik,258 zum Zweiten Weltkrieg259 oder zum Judentum260 – in provokativer Weise selbst initiiert haben. Je sensibler ein Thema und je polemischer die öffentlich gemachte Aussage, desto eher fällt die Interessenabwägung zulasten der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person aus.261 Hierbei kann auch berücksichtigt werden, dass Politiker aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung über einen erleichterten ___________ 257 Vgl. Zihler, Schutz des Ansehens, S. 78 f. („Prinzip der bewussten Exponiertheit“); Giegerich, RabelsZ 1999, 471 (495); Nolte, Beleidigungsschutz, S. 202 („Grad der Exponierung“). 258 EGMR, Urt. v. 23.05.1991, Nr. 11662/85 (Ziff. 61) – Oberschlick I. 259 EGMR, Urt. v. 01.07.1997, Nr. 20834/92 (Ziff. 31) – Oberschlick II. 260 EGMR, Urt. v. 28.09.2000, Nr. 37698/97 (Ziff. 35) – Lopes Gomes. 261 Vgl. EGMR, Urt. v. 23.05.1991, Nr. 11662/85 (Ziff. 59) – Oberschlick I; siehe auch Zihler, Schutz des Ansehens, S. 79.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
237
Zugang zu Kommunikationsmitteln verfügen, so dass sie Kritik an ihren Aussagen und ihrer Person in der Presse effektiv entgegen treten können.262 Das mediale Vorverhalten beeinflusst aber nicht nur bei Politikern das Ergebnis der Interessenabwägung. In der Rechtssache Fayed erklärte der EGMR die Veröffentlichung eines Berichts über unlautere Geschäftspraktiken der Beschwerdeführer für zulässig, da diese bei der Geschäftsübernahme des Londoner Warenhauses Harrod’s Informationen über ihren familiären Hintergrund, persönlichen Reichtum und ihre Geschäftspraktiken aus Publizitätsgründen selbst öffentlich bekannt gegeben hatten.263 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte der EGMR in der Rechtssache Jerusalem, in der sich der kritisierte Verein an öffentlichen Diskussionen zu aktuellen Problemen beteiligt und sich damit bewusst in der Öffentlichkeit exponiert hatte.264 Aus der Rechtssache Krone Verlag I geht schließlich hervor, dass bei jeder Person – sei sie bekannt oder unbekannt – im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden muss, ob und inwieweit sie medial bereits in Erscheinung getreten ist. In seinem Urteil führte der EGMR aus:265 „[...] it is of little importance whether a certain person (or his or her picture) is actually known to the public. What counts is whether this person has entered the public arena.“
Diese Aussage lässt darauf schließen, dass auch bei Personen des öffentlichen Lebens jenseits von Amtsträgern die Zulässigkeit der Berichterstattung von ihrem medialen Vorverhalten abhängig ist.
b) Berichterstattung über Angelegenheiten des Privatlebens aa) Textberichte Der EGMR hat in mehreren Fällen zur kritischen Berichterstattung betont, dass die Veröffentlichung auch deshalb zulässig sei, weil keine Details aus dem Privatleben der betroffenen Person öffentlich gemacht worden seien.266 Die Nutzbarmachung der Medien zur Diskussion politischer oder sonstiger gesell___________ 262
Giegerich, RabelsZ 1999, 471 (495); Gersdorf, AfP 2005, 221 (226). EGMR, Urt. v. 21.09.1994, Nr. 17101/90 (Ziff. 9, 76) – Fayed; vgl. EGMR, Urt. v. 20.11.1989, Nr. 10572/83 (Ziff. 35) – Markt intern. 264 EGMR, Urt. v. 27.02.2001, Nr. 29658/95 (Ziff. 39) – Jerusalem. 265 Vgl. EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 37) – Krone Verlag I; vgl. EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 54) – News Verlags GmbH. 266 EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 37) – Krone Verlag I; EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 54) – News Verlags GmbH; vgl. EGMR, Urt. v. 06.02.2001, Nr. 41205/98 (Ziff. 68) – Tammer. 263
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Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
schaftsrelevanter Themen hat demnach nur zur Folge, dass der Betroffene im Hinblick auf hierauf bezogene Kritik weniger schützenswert ist. Trotz seiner medialen Präsenz hat er aber weiterhin Anspruch darauf, dass Informationen aus seinem Privatleben nicht offenbart werden. Der Inhalt einer Veröffentlichung muss mit den Informationen, die der Öffentlichkeit bewusst preisgegeben wurden, in Beziehung stehen, damit sich das mediale Vorverhalten auf die Zulässigkeit der Veröffentlichung auswirken kann.267 Ein Bericht über Aspekte des Privatlebens ist verboten, wenn der Betroffene bislang lediglich politisch in Erscheinung getreten ist, er Details aus seinem Privatleben aber nicht öffentlich gemacht hat.268 Umgekehrt ist die Veröffentlichung von Details aus dem Privatleben einer Person zulässig, wenn sie diese selbst öffentlich zur Disposition gestellt hat. Die Kommunikationsfreiheiten haben in diesem Fall Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz der betroffenen Person. Dieser Grundsatz lässt sich auch aus der Rechtssache Fayed ableiten269: Darin hat der EGMR dem Umstand, dass es sich bei dem Gegenstand der Berichterstattung um Informationen aus dem Privatleben handelte, nicht weiter beachtet. Der kritische Bericht sei nach Auffassung der Richter bereits deshalb zulässig, weil die Beschwerdeführer die darin enthaltenen Informationen bewusst ausgebreitet hätten, um ihr geschäftliches Ansehen zu stärken und dadurch ihre Chancen für die Übernahme des Warenhauses Harrod’s zu erhöhen.270 Bei Textberichten aus dem Privatleben kann sich das mediale Vorverhalten somit nur dann auf die Interessenabwägung auswirken, wenn zwischen dem medialen Vorverhalten und der streitgegenständlichen Veröffentlichung ein thematischer Zusammenhang besteht.
bb) Bildberichte Bildnisse, die in der Öffentlichkeit bereits kursieren, werden nach der Rechtsprechung des EGMR nur noch eingeschränkt geschützt. In der Rechtssache Krone Verlag I verwies der EGMR darauf, dass das Photo des Politikers auf der Internetseite des österreichischen Parlaments im Internet frei zugänglich sei. Die erneute Veröffentlichung könne daher nicht verboten werden.271 Ähnlich argumentierte der EGMR auch in der Rechtssache News Verlags ___________ 267 Vgl. EGMR, Urt. v. 20.11.1989, Nr. 10572/83 (Ziff. 35) – Markt intern; EGMR, Urt. v. 21.09.1994, Nr. 17101/90 (Ziff. 76) – Fayed. 268 Etwas anderes gilt dann, wenn ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung von Informationen des privaten Lebensbereichs besteht, siehe Teil 4 B. III. 2. b). 269 Zur Rechtssache Fayed siehe Teil 4 B. III. 3. a). 270 EGMR, Urt. v. 21.09.1994, Nr. 17101/90 (Ziff. 76) – Fayed. 271 EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 37) – Krone Verlag I.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
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GmbH. Darin machte er geltend, dass die Veröffentlichung auch deshalb zulässig sei, da andere Presseunternehmen das Photo weiterhin verbreiten und der Öffentlichkeit bekannt geben könnten.272 Die Veröffentlichung allgemein bekannter Photos einer Person kann ihr Persönlichkeitsrecht grundsätzlich nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Abbildung aus dem Gesamtzusammenhang gerissen oder lediglich unvollständig wiedergegeben wird.273 Inwieweit auch andere als die in der Öffentlichkeit bereits kursierenden Photos der abgebildeten Person veröffentlicht werden dürfen, hat der EGMR bislang nicht ausdrücklich entschieden. Im Schrifttum wird vertreten, dass der EGMR der Relevanz medialen Vorverhaltens für die Veröffentlichung von Photos aus dem Privatleben einer Person in der Rechtssache Caroline von Hannover konkludent eine Absage erteilt habe. Das wird damit begründet, dass der EGMR die Aussage des BVerfG, wonach niemand daran gehindert sei, private Angelegenheiten öffentlich zu machen, sich dann aber nicht auf Schutz seiner Privatsphäre berufen könne,274 in seinem Urteil nicht aufgegriffen habe. Im Schrifttum wurde vereinzelt die Befürchtung laut, dass sich die Presse in Zukunft auf eine „Hofberichterstattung“ beschränken müsse. Was Personen des öffentlichen Lebens genehm sei, dürfe erscheinen, alles andere könne der Öffentlichkeit vorenthalten werden.275 Tatsächlich ist der EGMR auf die Aussage des BVerfG zu Recht nicht eingegangen. Selbst wenn die Photos der neu geborenen Caroline für 7 Mio. Francs an die Presse versteigert worden sind – wie die beklagten Zeitungen geltend machten276 – kann dies der Beschwerdeführerin nach einem knappen halben Jahrhundert kaum vorgehalten werden. Wenn das Argument des medialen Vorverhaltens eine Berechtigung haben soll, muss es sich auf ein entsprechendes Verhalten der Beschwerdeführerin beziehen.277 Diese hat ihr Privatleben den Medien jedoch nicht freiwillig offenbart. Sie ist im vergangenen Jahrzehnt vielmehr durch eine beispiellose Anzahl von Gerichtsprozessen aufgefallen, mit denen sie versucht hat, eben dies zu verhindern. In der Rechtssache Caroline von Hannover gab es kein mediales Vorverhalten der Beschwerdeführerin, das einen Einfluss auf den Schutz ihres Privatlebens vor Pressebildbe___________ 272
EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 59) – News Verlags GmbH. Vgl. Zihler, Schutz des Ansehens, S. 144 f. 274 BVerfGE 101, 361 (385). 275 Z. B. Goblirsch, Journalist 8/2004, 28 (29); Blasius, Kölner Rundschau v. 24.06.2004; Ohly, Welt am Sonntag v. 29.08.2004 („Beeinträchtigung der Pressefreiheit“). 276 Vgl. BVerfGE 101, 361 (377). 277 Ähnlich Starck, JZ 2006, 76 (78). 273
240
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
richten gehabt haben könnte. Indirekt geht das auch aus dem Urteil des BVerfG hervor, das seine abstrakten Ausführungen zum Aspekt des medialen Vorverhaltens bei der Anwendung des Rechts auf den Sachverhalt nicht aufgegriffen hat. Aus dem Caroline-Urteil des EGMR lässt sich daher weder ableiten, dass dem medialen Vorverhalten einer Person für die Zulässigkeit nachfolgender Pressebildberichterstattung Bedeutung zukommt noch das dem nicht so ist. In Anbetracht der Bedeutung des medialen Vorverhaltens für nachfolgende Textberichte ist jedoch davon auszugehen, dass es auch bei der Veröffentlichung von Bildberichten berücksichtigt werden muss: Das mediale Vorverhalten kann die Zulässigkeit nachfolgender Bildberichte somit nur beeinflussen, sofern diese in einem thematischen Zusammenhang zu den bereits offenbarten Informationen stehen. Das allein dürfte nach der Rechtsprechung des EGMR jedoch nicht genügen: Aus dem Caroline-Urteil geht hervor, dass der EGMR streng zwischen der Eingriffsintensität von Bildberichten und der von Textberichten differenziert. Die Veröffentlichung von Photos aus dem Privatleben beeinträchtige die Privatsphäre der abgebildeten Person nach Auffassung des Gerichts ungleich intensiver als ein Beitrag, der lediglich darüber berichte: „Although freedom of expression also extends to the publication of photos, this is an area in which the protection of the rights […] of others takes on particular importance. The present case does not concern the dissemination of ‚ideas‘, but of images containing very personal or even intimate ‚information‘ […].“278
Daraus lässt sich schließen, dass das mediale Vorverhalten, das zu einem späteren Bildbericht in thematischem Zusammenhang steht, die Interessenabwägung nicht unbedingt zugunsten der Pressefreiheit beeinflussen wird. Es ist anzunehmen, dass das mediale Vorverhalten die bildhafte Darstellung nicht deckt, wenn ein bloßer Textbeitrag die Informationen genauso effektiv hätte vermitteln können.
4. Methode der Informationsgewinnung Die Boulevardpresse lebt von der Ausspähung durch Paparazzi, die prominenten Personen nachstellen und diese selbst in äußerst privaten Situationen photographieren oder filmen. Auf diesen Aspekt hat der EGMR im CarolineUrteil verwiesen und damit erstmals die Methode der Informationsgewinnung – die photographische Jagd nach Bildobjekten – als Kriterium der Interessenabwägung berücksichtigt. Nach Auffassung des EGMR würden Photos der Boulevardpresse häufig in einem Klima kontinuierlicher Belästigung angefertigt, die von der betroffenen Person als besonders intensiver Eingriff in ihr Privatle___________ 278
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
241
ben, wenn nicht gar als permanente Verfolgung empfunden würde.279 Der Kontext, in dem die Photos angefertigt worden seien und die damit einhergehende Belästigung der betroffenen Person, könne daher bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung nicht außer Acht gelassen werden.280
5. Qualität und Wirkungskreis des verwendeten Mediums a) Qualität des verwendeten Mediums in Abgrenzung zur Qualität des Kommunikationsinhalts Nach Auffassung des EGMR seien Photos und Artikel, die nur die Neugier eines bestimmten Publikums befriedigen, nicht von einem öffentlichen Interesse getragen.281 Das kommerzielle Interesse der Boulevardpresse an der Veröffentlichung von Text- und Bildberichten müsse hinter dem Recht der Beschwerdeführerin auf Schutz ihres Privatlebens zurücktreten282. Im Schrifttum wurde mehrfach die Befürchtung geäußert, dass diese Aussage den Untergang der Boulevardpresse zur Folge habe.283 Der EGMR versage dem großen Bereich der Unterhaltung die Anerkennung als einen durch die Pressefreiheit geschützten Wert, der gegenüber dem Recht auf Privatleben Vorrang haben könne.284 Der EGMR hat mit dem Kriterium der Neugierbefriedigung im CarolineUrteil das Wesenskriterium der Boulevardpresse aufgegriffen und zum Ausschlussgrund erhoben. Dennoch ist es unzutreffend, dass der EGMR die Boulevardpresse durch seine Aussage schutzlos stellt. Der EGMR macht die Reichweite des Schutzes (lediglich) von einer gewissen Qualität des Kommunikationsinhalts abhängig. Besteht an einer Angelegenheit aus dem Privatleben ___________ 279
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline: „[…] in a climate of continual harassment, which induces in the person concerned a very strong sense of intrusion into their private live or even of persecution.“ 280 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 68) – Caroline: „cannot be fully disregarded“. 281 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 65) – Caroline. Der EGMR hat sich dabei an eine frühere Entscheidung angelehnt, in der er ein nationales Urteil, das Wort- und Bildberichte in einer Boulevardzeitung zum Liebesleben zweier Personen als unzulässig erachtete, nicht beanstandet hat, EGMR, Entsch. v. 12.12.2000, Nr. 54224/00 – Campmany y Diez de Revenga; vgl. Entsch. v. 13.05.2003, Nr. 14929/02 – Julio Bou Gibert; EMGR, Entsch. v. 01.07.2003, Nr. 66910/01, 71612/00 – Prisma Presse. 282 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 77) – Caroline. 283 Siehe z. B. Peifer, Diskussionsbeitrag, in: Caroline-Urteil des EGMR, S. 47. 284 Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (247); vgl. Bölke, FAZ Nr. 221 v. 22.09.2004 („Der Druck beginnt schon“).
242
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
ein öffentliches Interesse, kann darüber in der Boulevardpresse oder in der seriösen Presse berichtet werden. Die Qualität des öffentlichen Informationsinteresses ist strikt von der Qualität des verwendeten Mediums zu unterscheiden. Die Qualität des öffentlichen Informationsinteresses bezieht sich auf den Inhalt der Kommunikation, während die Qualität des verwendeten Mediums die Art der Darstellung des Inhalts betrifft. Die Darstellungsweise eines Berichts unterliegen zu Recht auch weiterhin der freien Wahl der Presse, so dass der Vorwurf der elitären Bevormundung einzelner Medien von vornherein nicht zutrifft.285 Ungeachtet dessen liegt es in der Natur der Boulevardpresse, dass sie in der Regel Kommunikationsinhalte von geringerem öffentlichem Interesse verbreitet als die seriöse Presse. Boulevardzeitungen wollen unterhalten, ihr Ziel ist nicht das Vermitteln von hintergründigen, tief gehenden Informationen. Inhaltlich werden viele Themen nur angerissen. In der Regel fehlen wirkliche Hintergrundberichte – wie sie in der seriösen Presse zu finden sind. Dennoch wäre es falsch anzunehmen, die Rechtsprechung des EGMR intendiere die Privilegierung einer eher elitären Darstellungsweise. Maßgebend ist nach eindeutiger Aussage des EGMR ausschließlich, ob mit der Berichterstattung ein Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse geleistet wird.286 Nach Auffassung des EGMR kann in Anbetracht der gewichtigen kollidierenden Persönlichkeitsrechte allein die Neugier eines bestimmten Adressatenkreises nicht ausreichen, eine Berichterstattung als zulässig zu erklären.287 Schranken für die bloße Neugierbefriedigung berühren die Pressefreiheit nicht in ihrem Kern. Kommen zur Befriedigung der Neugier weitere Umstände hinzu, kann durchaus ein legitimes öffentliches Interesse zu bejahen sein. Die Boulevardpresse darf auch in Zukunft über das Privatleben einer prominenten Person berichten, sofern ein Zusammenhang zur öffentlichen Funktion hergestellt werden kann288 oder das mediale Vorverhalten die Berichterstattung rechtfertigt.289 Die Darstellung kann dann auch in der für die Boulevardpresse charakteristischen reißerischen Form und Aufmerksamkeit generierenden Darstellungsweise erfolgen. Besteht kein öffentliches Interesse ist ein Bericht – egal in welcher Form – ausgeschlossen. Dieser Grundsatz gilt für die Boulevardpresse und für die seriöse Presse. Die Abgrenzung der zulässigen von der unzulässigen Berichterstattung erfolgt nach der Qualität des Kommunikationsinhalts, nicht nach der Qualität des verwendeten Mediums. ___________ 285
Ebenso Stürner, AfP 2005, 213 (214). Zum Informationsinteresse der Öffentlichkeit siehe oben, Teil 4 B. III. 2. 287 Ähnlich Tettinger, JZ 2004, 144 (1445 f.). 288 Siehe dazu oben, Teil 4 B. III. 2. a). 289 Zum medialen Vorveralten siehe oben, Teil 4 B. III. 3. 286
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
243
b) Wirkungskreis des verwendeten Mediums In der Rechtsprechung finden sich Ansätze, wonach die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen abhängig vom Wirkungskreis des verwendeten Mediums zu beurteilten ist. Dabei lässt sich zwischen Medien mit einem eher kleinen und solchen mit einem relativ großen Wirkungskreis unterscheiden. Ist der Wirkungskreis der streitgegenständlichen Meinungsäußerung begrenzt, kann sich das zugunsten der Meinungsfreiheit auswirken. In der Rechtssache Nikula hat der EGMR dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen, dass die in Rede stehende Kritik in mündlicher Form während eines Gerichtsverfahrens und nicht in den Medien geäußert worden war.290 Auch Meinungsäußerungen in einem Brief291 oder auf einem Flugblatt292 haben lediglich eine begrenzte geographische Reichweite und damit eine geringere Wirkung als in den Massenmedien. Anders sind die Fälle zu werten, in denen ein Brief in der Zeitung veröffentlicht293 oder an einem Informationsbrett aufgehängt294 und dadurch einer größeren Anzahl von Personen zugänglich gemacht wird. Die Interessenabwägung fällt eher zugunsten der Persönlichkeitsinteressen der betroffenen Person aus, wenn Text- oder Bildberichte in Medien mit einem großen Wirkungskreis verbreitet werden. Diese Medien zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch eine hohe Auflage und weit reichende Verbreitung zahlreiche Leser und Zuschauer erreichen und damit potentiell eine große Gefahr für den Persönlichkeitsschutz bilden. Die Konventionsorgane weisen in ihrer Rechtsprechung vor allem auf die Gefahren hin, die vom Medium des Fernsehens ausgehen. Als audiovisuelles Medium habe es eine deutlich größere Wirkung auf den Zuschauer als die Printmedien auf den Leser.295 Nach Auffassung des EGMR begründe die Verbindung von Ton und Bild eine besondere Gefahr für den Persönlichkeitsschutz296. Nichts anderes dürfte heutzutage für Veröffentlichungen und Aus___________ 290 EGMR, Urt. v. 21.03.2002, Nr. 31611/96 (Ziff. 52) – Nikula; vgl. zur mündlichen Meinungsäußerung auf der Straße, EGMR, Urt. v. 21.01.1999, Nr. 25716/94 (Ziff. 8) – Janowski. 291 EGMR, Urt. v. 25.11.1997, Nr. 24348/94 (Ziff. 14) – Grigoriades; EGMR, Urt. v. 27.05.2003, Nr. 43425/98 (Ziff. 36) – Skalka. 292 EGMR, Urt. v. 13.07.1995, Nr. 18139/91 (Ziff. 8) – Tolstoy Miloslavsky; EGMR, Urt. v. 29.02.2000, Nr. 39293/98 (Ziff. 20) – Fuentes Bobo. 293 EGMR, Urt. v. 11.03.2003, Nr. 35640/97 (Ziff. 61) – Lesnik. 294 EGMR, Urt. v. 14.03.2002, Nr. 46833/99 (Ziff. 19) – Diego Nafria. 295 EGMR, Urt. v. 23.09.1994, Nr. 15890/89 (Ziff. 31) – Jersild; EGMR, Urt. v. 19.06.2003, Nr. 49017/99 (Ziff. 81) – Pedersen u. Baadsgaard; EKMR, Entsch. v. 16.04.1991, Nr. 15404/89 – Purcell. 296 EGMR, Urt. v. 23.09.1994, Nr. 15890/89 (Ziff. 31) – Jersild; EGMR, Urt. v. 19.06.2003, Nr. 49017/99 (Ziff. 81) – Pedersen u. Baadsgaard.
244
Teil 4: Bildnisschutz in der EMRK
strahlungen im Internet gelten, über die der EGMR bislang jedoch noch nicht zu entscheiden hatte. Daneben stellen auch Äußerungen in Tageszeitungen297 und in Zeitschriften298 ebenso wie in öffentlich zugänglichen Pressekonferenzen299 eine besondere Gefahr für den Persönlichkeitsschutz des Betroffenen dar.
IV. Zusammenfassung Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes in der EMRK basieren auf Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK. Das Recht am eigenen Bild wird als Element des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstanden. Wie das Recht auf Privatleben ist auch das Recht am eigenen Bild nicht auf die häusliche Sphäre beschränkt. Der Schutz erstreckt sich auch auf die Öffentlichkeit, sofern die betroffene Person vernünftigerweise erwarten durfte, vor Bildaufnahme geschützt zu sein. Eine vernünftige Erwartung auf Schutz wird im Hinblick auf die Abbildung einer Person und die Veröffentlichung ihres Bildnisses bejaht, während die bloße Überwachung den Bildnisschutz nicht tangiert. Die Reichweite des Rechts am eigenen Bild wird in Kollision mit den in Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Kommunikationsfreiheiten bestimmt. Erforderlich ist ein sachgerechter Ausgleich der miteinander kollidierenden Interessen, die gleichrangig nebeneinander stehen. Die Pressefreiheit erfasst auch das Recht zu bestimmen, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Geschützt werden auch Informationen, die schockieren, beunruhigen und verletzen. Textund Bildberichte, die lediglich der Unterhaltung und der Neugierbefriedigung dienen, werden ebenfalls vom Schutz des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst. Zu den Personen des öffentlichen Lebens zählen nach Auffassung des EGMR nur Politiker und sonstige Amtsträger. Personen der Sport-, Kultur- und Unterhaltungsbranche werden vom Begriff ausgenommen. Die Stellung einer Person als solche des öffentlichen Lebens rechtfertigt nicht jegliche Bildberichterstattung. Die Zulässigkeit wird nach dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestimmt, das bei Textberichten über politische und sonstige öf___________ 297 Etwa EGMR, Urt. v. 28.08.1992, Nr. 13704/88 (Ziff. 9) – Schwabe; EGMR, Urt. v. 20.05.1999, Nr. 21980/93 (Ziff. 8) – Bladet Tromso; EGMR, Urt. v. 02.05.2000, Nr. 26132/95 (Ziff. 12) – Bergens Tidende; EGMR, Urt. v. 06.02.2001, Nr. 41205/98 (Ziff. 9) – Tammer. 298 Etwa EGMR, Urt. v. 26.04.1995, Nr. 15974/90 (Ziff. 8) – Prager u. Oberschlick; EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 15) – News Verlags GmbH; EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 28525/95 (Ziff. 9) – Unabhängige Initiative. Zur Boulevardpresse siehe EGMR, Urt. v. 06.11.2003, Nr. 40284/98 (Ziff. 9 f.) – Krone Verlag II; EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 29271/95 (Ziff. 13) – Dichand. 299 EGMR, Urt. v. 21.03.2000, Nr. 24773/94 (Ziff. 14 f.) – Andreas Wabl.
B. Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes
245
fentliche Angelegenheiten in der Regel bejaht werden kann. Ein öffentliches Informationsinteresse an Details aus dem Privatleben ist dagegen nur anzunehmen, wenn ein thematisch-funktionaler Zusammenhang zur öffentlichen Aufgabenwahrnehmung besteht. In diesem Fall ist auch die Veröffentlichung kontextneutraler Abbildungen zulässig. Neben dem öffentlichen Informationsinteresse kann auch das vorherige Verhalten der betroffenen Person in der Medienöffentlichkeit Einfluss auf den Ausgang der Interessenabwägung haben. Der EGMR hat dies ausdrücklich für kritische Textberichte über Angelegenheiten aus dem politischen oder sonstigen öffentlichen Leben entschieden. Entgegen anderweitiger Ansichten im Schrifttum hat er der Bedeutung des medialen Vorverhaltens für die Bildberichterstattung über Angelegenheiten des Privatlebens im Caroline-Urteil nicht den Rücken gekehrt. Die Zulässigkeit einer Veröffentlichung hängt jedoch nur dann vom medialen Vorverhalten ab, wenn zwischen dem Inhalt des Berichts und den bewusst öffentlich gemachten Informationen eine thematische Beziehung besteht. Darüber hinaus ist auch die besondere Eingriffsintensität der Veröffentlichung von Photos zu berücksichtigen. Auch die Methode der Informationsgewinnung durch Paparazzi kann nach Auffassung des EGMR Auswirkungen auf die Frage nach der Zulässigkeit eines Bildberichts haben. Die Qualität des Mediums – Boulevardpresse oder seriöse Presse – ist für die Interessenabwägung dagegen ohne Relevanz. Abzustellen ist lediglich auf den Kommunikationsinhalt. Demgegenüber kann es sich auf die Interessenabwägung auswirken, ob ein Bildnis in einem Medium mit einem eher kleinen oder eher großen Wirkungskreis veröffentlicht wird.
Teil 5
Synthese der Ergebnisse und Konsequenzen für Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes in Europa A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes im Unionsrecht werden unter Rückgriff auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EUMitgliedstaaten und die Rechte der EMRK ermittelt. Dabei bedient sich der EuGH der Methode der wertenden Rechtsvergleichung, die danach fragt, welcher Inhalt sich am besten in die Struktur und Ziele der Union einfügt. Wie festgestellt wurde1, ist der EuGH nach der Methode der wertenden Rechtsvergleichung befugt, innovative eigene Lösungen zu formulieren, die aber auf die Maximierung der widerstreitenden Interessen gerichtet sein müssen. Wie sich diese Lösung für das Recht am eigenen Bild in der EU gestaltet – was also Gegenstand und Reichweite des Bildnisschutzes in Europa sind –, wird im Folgenden auf Grundlage der methodischen Vorgaben des EuGH ermittelt.
I. Grundlagen zum Bildnisschutz 1. Begriff des Bildnisses Im deutschen und französischen Recht ist der Begriff des Bildnisses in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert worden. Ein Bildnis ist danach jede Abbildung einer Person, die durch ihre Gesichtszüge oder sonstigen persönlichen Merkmale zumindest im Bekanntenkreis erkannt werden kann. Eine Beschränkung auf bestimmte Abbildungsformen findet nicht statt. Geschützt wird jede Darstellung einer Person, die erkennbar ist.2 Der EGMR und die englischen Gerichte haben bislang nicht ausdrücklich dazu Stellung bezogen haben, was unter einem Bildnis zu verstehen ist. Aus der Rechtssache Peck geht jedoch hervor, dass die Erkennbarkeit der abgebil___________ 1 2
Zur Methode der wertenden Rechtsvergleichung siehe oben, Teil 2 B. IV. Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 1. a) und Teil 3 C. II. 1. a).
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
247
deten Person auch im Recht der EMRK einen wesentlichen Bestandteil der Definition des Bildnisbegriffes bildet: In seinem Urteil kritisierte der EGMR, dass der Beschwerdeführer auf den Photos gar nicht bzw. nicht angemessen unkenntlich gemacht und deshalb von einigen Mitgliedern seiner Familie, seinen Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen erkannt worden sei.3 Im Recht der EMRK reicht somit – wie im deutschen und französischen Recht4 – die Erkennbarkeit im persönlichen Umfeld aus. Dabei ist anerkannt, dass sich die Erkennbarkeit auch erst aus den Gesamtumständen der Abbildung – d. h. im Kontext mit Begleittext oder Bildunterschrift – ergeben kann.5 Dem englischen Recht ist das Kriterium der Erkennbarkeit ebenfalls bekannt. Eine Haftung aus defamation setzt voraus, dass sich die diffamierende Äußerung auf den Kläger der Ehrenschutzklage bezieht, dieser also für Dritte erkennbar sein muss. Die Erkennbarkeit muss sich nicht aus den Gesichtszügen ergeben; eine Person kann auch durch sonstige, ihr eigene Merkmale erkennbar sein.6 Es kommt darauf an, ob ein vernünftiger Betrachter den Kläger als Objekt der Abbildung identifizieren würde.7 Aus der Rechtssache Kerry O’Shean v. MGN Ltd. geht hervor, dass es – wie im deutschen und französischen Recht sowie dem Recht der EMRK – ausreicht, wenn die abgebildete Person für Familienangehörige oder Freunde erkennbar ist.8 Auch das Unionsrecht setzt für den Begriff des Bildnisses die Erkennbarkeit der abgebildeten Person voraus. Erst die Erkennbarkeit einer Person rechtfertigt es, die Pressefreiheit einer Abwägung mit dem Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Person zugänglich zu machen.9 Die Maximierung der grundrechtlichen Freiheiten, die sich das Unionsrecht zum Ziel gesetzt hat, kann nur erreicht werden, wenn die Pressefreiheit ausschließlich aufgrund gleichrangiger kollidierender Interessen eingeschränkt wird. Ist die abgebildete Person für Dritte nicht erkennbar, liegt kein dem öffentlichen Informationsinteresse gleichrangiges Persönlichkeitsinteresse vor. Individuell betroffen ist nur diejenige Person, die jedenfalls im persönlichen Umfeld auch erkennbar ist. Ob die Erkennbarkeit aus den Gesichtszügen oder anderen typischen Merkmalen einer Person erfolgt oder sich sogar erst aus dem Gesamtkontext der Abbildung er___________ 3
EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 62) – Peck. Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 1. a) und Teil 3 C. II. 1. a). 5 Vgl. OLG München AfP 1995, 658 (659); EGMR, Urt. v. 20.05.1999, Nr. 21980/93 (Ziff. 67) – Bladet Tromso. 6 Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. a); vgl. Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 23-25 f. Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. a). 7 Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 612 f. 8 Kerry O’Shea v. MGN Ltd. [2001] EMLR 40. 9 Ähnlich Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 142 ff. 4
248
Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
gibt, ist unerheblich. Für das Unionsrecht bleibt daher festzuhalten: Ein Bildnis ist jede Abbildung einer Person, die im Gesamtkontext der Abbildung, d. h. in Verbindung mit Begleittext und Bildunterschrift, zumindest im persönlichen Umfeld erkennbar ist.
2. Anfertigung und Veröffentlichung von Bildnissen a) Vergleichende Gegenüberstellung Der Einzelne wird im deutschen Recht vor der Anfertigung, Verbreitung und der öffentlichen Zurschaustellung seines Bildnisses geschützt. Der Schutz vor der Anfertigung von Bildnissen wird nach allgemein anerkannter Auffassung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleitet.10 Im Falle der Verbreitung und Zurschaustellung setzt ein Schutz gemäß § 22 KUG voraus, dass das äußere Erscheinungsbild einer Person wiedergegeben wird. Unerheblich ist, ob die Wiedergabe in körperlicher oder in unkörperlicher Form oder ob sie entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt.11 Das französische Recht stellt im Gegensatz zum deutschen Recht weniger auf die Art als auf die Auswirkungen einer Eingriffshandlung ab. Maßgebend ist, ob mit der Anfertigung eines Bildnisses oder seiner Wiedergabe der Schutz des Privatlebens beeinträchtigt wird oder eine Verfälschung bzw. kommerzielle Ausbeutung der Persönlichkeit resultiert.12 Ungeachtet dieser Differenzierung ist auch im französischen Recht anerkannt, dass sowohl die Anfertigung als auch die Veröffentlichung eines Bildnisses in das Recht am eigenen Bild eingreifen.13 Aus Mangel einer gesetzlichen Grundlage wird nicht zwischen der Verbreitung und Zurschaustellung unterschieden. In der Regel findet sich lediglich der Hinweis, dass eine Weitergabe des Bildnisses, unabhängig von der äußeren Form der Veröffentlichung, unzulässig sei.14 Im Recht der EMRK sind Eingriffshandlungen alle Maßnahmen, die die Ausübung oder den Genuss eines Grundrechts erschweren oder unmöglich machen. Die Schwere des Eingriffs und die Natur des betroffenen Grundrechts werden erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant.15 Nach Auf___________ 10
BGH ZUM 1995, 719 (720 f.); Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.22. Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 1. b). 12 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 1. b) aa) - cc). 13 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 1. b) (einführende Bemerkungen). 14 Vgl. Kayser, Vie privée, n°88; siehe auch Bartnik, Bildnisschutz, S. 72. 15 Zum Eingriffsbegriff der EMRK siehe Wildhaber/Breitenmoser, in: Golsong/Karl, Art. 8 Rn. 42 ff. 11
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
249
fassung der Konventionsorgane können daher sowohl die Anfertigung eines Bildnisses als auch dessen Wiedergabe bzw. Veröffentlichung in das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreifen.16 Besondere Anforderungen an die beiden Eingriffshandlungen werden im Recht der EMRK nicht gestellt.17 Im englischen Recht ist die bloße Anfertigung eines Bildnisses – im Gegensatz zum Rechtsverständnis in Deutschland, Frankreich und der EMRK – nur unter sehr strengen Voraussetzungen geschützt. Der für den Schutz diffamierender Bildnisse maßgebende tort of defamation setzt voraus, dass die diffamierende Äußerung mindestens einem Dritten gegenüber mitgeteilt wurde,18 während eine Haftung aus breach of confidence nur eingreift, wenn der Beklagte die Geheimhaltungspflicht durch eine ungenehmigte Weitergabe der privaten Informationen verletzt hat.19 Beide Rechtsinstitute verlangen somit eine Weitergabe der diffamierenden Äußerung bzw. geheimen Informationen, was erst mit der Veröffentlichung des Bildnisses erreicht wird. Die bloße Anfertigung ist nicht tatbestandlich. Schutz vor der Anfertigung von Bildnissen bieten hingegen die Tatbestände trespass to land und nuisance. Diese sind aber nur betroffen, wenn durch die Bildaufnahme selbst in den räumlichen Bereich der Privatsphäre eingegriffen wird.20 Eine Haftung aus trespass to land setzt voraus, dass sich sowohl die abgebildete Person als auch der Photograph auf dem Grundstück der abgebildeten Person befinden. Der Photograph müsste sich unbefugten Zugang zum Grundstück verschafft oder sein Betretungsrecht zur Bildnisanfertigung missbraucht haben.21 Ist das nicht der Fall, kommt allenfalls eine Haftung aus nuisance in Betracht, was voraussetzt, dass die betroffene Person durch die Bildaufnahme in der Nutzung ihres Eigentums bzw. Besitztums gestört wurde. Diese Voraussetzung kann durch eine fortwährende Observation durch Paparazzi, nicht aber durch einen einmaligen Schnappschuss erfüllt werden.22 Für die klassischen Fälle der Bildnisanfertigung durch Paparazzi bietet das englische Recht damit keinen Schutz. ___________ 16
Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 54 ff.) – Caroline; EGMR, Urt. v. 28.01.2003, Nr. 44647/98 (Ziff. 57 ff.) – Peck. 17 Siehe dazu oben, Teil 4 B. I. 1. und 2. 18 Zum tort of defamation siehe oben, Teil 3 D. II. 2. a). 19 Zum Rechtsinstitut breach of confidence siehe oben, Teil 3 D. II. 2. d). 20 Zu den Tatbeständen trespass to land und nuisance siehe oben, Teil 3 D. II. 2. e) und f). 21 Murphy, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 19-02. 22 Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. f).
250
Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
b) Stellungnahme Die Presse lebt davon, Personen des öffentlichen Lebens im nichthäuslichen Lebensbereich abzubilden. Auch in diesem Bereich kann die Anfertigung eines Bildnisses die Persönlichkeitsinteressen des Einzelnen erheblich beeinträchtigen. Einer Person kann die Unbefangenheit in der zwischenmenschlichen Kommunikation allein dadurch genommen werden, das sie mit einer Fixierung ihres Verhaltens rechnen muss. Es ist anzunehmen, dass sich eine Person dazu gezwungen fühlt, sich so darzustellen, wie es in der Öffentlichkeit von ihr erwartet wird, was nicht ohne weiteres ihrem „natürlichen“ Verhalten entsprechen mag.23 Durch diese Verstellung wird die Persönlichkeitsentfaltung außerhalb des häuslichen Bereichs erheblich erschwert. Davon abgesehen läuft die abgebildete Person Gefahr, dass die Kontrolle über ihre bildhafte Selbstdarstellung durch eine Veröffentlichung gestört wird. Mit der Anfertigung eines Photos bewirkt der Photograph die Dispositionsmöglichkeit über Persönlichkeitsdetails der abgebildeten Person. Er erlangt eine gewisse Herrschaftsmacht über den Betroffenen, er hat „etwas in der Hand“.24 Es unterliegt der Willkür des Photographen, die Abbildung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder nicht. Besonders groß ist die Gefahr einer späteren Veröffentlichung der Abbildungen, wenn die Photos von einem Pressephotographen angefertigt werden.25 Mit der Veröffentlichung wird der Abgebildete nicht nur gegen seinen Willen aus seiner Anonymität herausgerissen und in das Licht der Öffentlichkeit gestellt. Der Besitzer der Abbildung hat zudem eine Manipulationsmacht. Er kann die abgebildete Person nach seinem Belieben in die unterschiedlichsten Sinnzusammenhänge stellen oder die Abbildung z. B. durch Retuschen inhaltlich verändern.26 Die Anfertigung von Bildnissen vom Bildnisschutz auszunehmen, ließe sich mit den gewichtigen Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person daher nicht vereinbaren. Dem englischen Verständnis, wonach die Anfertigung von Bildnissen regelmäßig schutzlos gestellt ist, kann nicht gefolgt werden. Für das Unionsrecht wird dem deutschen und französischen Recht sowie dem Recht der EMRK gefolgt, wonach bereits die bloße Anfertigung eines Bildnisses einen Eingriff in den Bildnisschutz begründen kann. Die Frage, ob in diesen Fällen auch die Interessenabwägung zugunsten der abgebildeten Person ausfällt, ist unabhängig davon zu beantworten. Ob und in welchem Umfang die Anfer___________ 23
Dasch, Einwilligung, S. 25. Götting, in: Schricker, § 60/§ 22 Rn. 1; vgl. Hubmann, JZ 1957, 521 (525). 25 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1995, 878 (880); OLG Hamburg NJW-RR 1990, 1000 (1001). 26 BVerfGE 101, 361 (381 f.); ähnlich Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.22. 24
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
251
tigung eines Bildnisses unzulässig oder aber vom Betroffenen hinzunehmen ist, muss unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere unter Berücksichtigung der Garantie der Pressefreiheit – ermittelt werden.27 Durch ein weitgehendes Verbot von Bildaufnahmen könnte sich eine unverhältnismäßige Einschränkung der Pressefreiheit ergeben, die ein journalistisches Arbeiten unmöglich machen würde.28 Neben der Anfertigung begründet auch jede Veröffentlichung eines Bildnisses einen Eingriff in das Recht am eigenen Bild der abgebildeten Person. Insoweit wird der übereinstimmenden Rechtslage in den EU-Mitgliedstaaten und der EMRK gefolgt. Schutz besteht unabhängig davon, ob die Wiedergabe in einem körperlichen Bildträger oder in unkörperlicher Form erfolgt.
3. Einwilligung der betroffenen Person Während es im deutschen und französischen Recht zahlreiche Entscheidungen gibt, aus denen sich Grundsätze zu den möglichen Formen und der Reichweite einer Einwilligung in die Anfertigung oder Veröffentlichung eines Bildnisses gewinnen lassen,29 fehlt es im englischen Recht an einer fundierten Auseinandersetzung. Gleiches gilt für das Recht der EMRK, aus dem sich keine näheren Erkenntnisse zur Einwilligung ableiten lassen.30 Aus den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England31 sowie der Rechtsprechung des EGMR geht jedoch hervor, dass ihnen allen übereinstimmend das Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit zugrunde liegt.
a) Erklärung der Einwilligung aa) Vergleichende Gegenüberstellung Die Einwilligung kann nach deutschem Recht grundsätzlich ausdrücklich oder konkludent erklärt werden.32 Für die Frage, ob eine konkludente Einwilli-
___________ 27
Vgl. BGH AfP 1995, 597 (598). Vgl. OLG Frankfurt NJW 1995, 878 (880); OLG Hamburg AfP 1992, 279 (280). 29 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 2. und Teil 3 C. II. 2. 30 Vgl. EGMR, Urt. v. 09.03.2004, Nr. 61827 (Ziff. 82) – Glass. 31 Zur defence of consent im englischen Recht siehe Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 692 ff. 32 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 2. 28
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
gung vorliegt, sind die Gesamtumstände aus der Sicht des Photographen als Erklärungsempfänger maßgebend.33 Dagegen wird im französischen Recht teilweise vertreten, dass bei schwerwiegenden Eingriffen in das Recht am eigenen Bild stets eine ausdrückliche Einwilligung erforderlich ist. Bei Eingriffen in die Intimsphäre oder der Veröffentlichung eines Bildnisses zu Werbezwecken könne eine konkludente Einwilligung den Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person nicht gerecht werden34. Andere lassen eine konkludente Einwilligung ausreichen, die nach teilweiser Auffassung bereits vorliegen soll, wenn sich die abgebildete Person willentlich in die Öffentlichkeit begeben habe.35 Das englische Recht folgt der Auffassung des deutschen Rechts, wonach eine Einwilligung unabhängig von der Intensität des Eingriffs auch konkludent erteilt werden kann.36 Eine konkludente Einwilligung liegt vor, wenn sich aus den Gesamtumständen ergibt, dass die betroffene Person mit der Abbildung einverstanden ist.37 Der EGMR hat zu den möglichen Erklärungsformen der Einwilligung bislang keine Stellung bezogen. In seiner Rechtsprechung sind aber keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er die konkludente Erteilung der Einwilligung nicht als ausreichend erachtet.
bb) Stellungnahme Die Pressefreiheit wird unverhältnismäßig eingeschränkt, wenn auf dem Erfordernis einer ausdrücklichen Einwilligung beharrt wird. Demgegenüber hat die betroffene Person auch im Falle einer konkludenten Einwilligung weiterhin die Möglichkeit darüber zu entscheiden, ob ihr Bildnis angefertigt oder veröffentlicht wird oder nicht. Zugunsten der Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person muss jedoch gelten, dass die Frage, ob eine konkludente Einwilligung vorliegt, restriktiv beurteilt wird. Eine Person, die schweigt, bringt weder Zustimmung noch Ablehnung zum Ausdruck; bloßem Schweigen kommt kein Erklärungsgehalt zu.38 Eine Person, die erkennt, dass sie photographiert wird, ___________ 33
Vgl. OLG München NJW-RR 1996, 93 (94). Vgl. CA Paris, Urt. v. 16.02.2001, LP 2001, n°185, I, S. 119. 35 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 2. a). 36 Jones, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 3-73 ff.; Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 692 ff. 37 Vgl. Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 700. 38 Für das deutsche Recht siehe Heinrichs, in: Palandt, Einf. v. § 116 Rn. 7; für das französische Recht siehe Ravanas, Image, n°250. 34
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
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sich dagegen aber nicht wehrt, willigt ebenfalls nicht konkludent in die Anfertigung oder Veröffentlichung ihres Bildnisses ein.39 Schließlich kann – entgegen der im französischen Recht vertretenen Auffassung – auch aus dem Umstand, dass sich eine Person willentlich in die Öffentlichkeit begeben hat, nicht auf eine konkludente Einwilligung in die Bildaufnahme geschlossen werden: Ein derartiges Verständnis liefe auf eine Fiktion hinaus, die den Persönlichkeitsschutz zu sehr beschneiden würde. Erforderlich sind stets unmissverständliche Anhaltspunkte, aus denen sich für den Erklärungsempfänger ergibt, dass der Abgebildete mit der Anfertigung oder Veröffentlichung seines Bildnisses einverstanden ist. Kein Zweifel an einer erteilten Einwilligung in die Anfertigung eines Bildnisses besteht, wenn die abgebildete Person für den Photographen posiert oder ihm freundlich zulächelt. Eine Einwilligung ist auch anzunehmen, wenn sie für die Bildaufnahme eine Entlohnung erhält.40 Andererseits kann an der konkludenten Verweigerung einer Einwilligung nicht gezweifelt werden, wenn die betroffene Person die Flucht ergreift, um die Anfertigung von Photos durch die Presse oder Paparazzi zu verhindern. Darüber hinaus kann eine konkludente Einwilligung in die Verbreitung oder Zurschaustellung eines Bildnisses nur in Betracht kommen, wenn die Anfertigung des Bildnisses unter Umständen erfolgt, die eine spätere Veröffentlichung nahe legen.41 Art und Umfang der geplanten Veröffentlichung müssen der abgebildeten Person bekannt sein. Wird eine Person z. B. nicht darüber in Kenntnis gesetzt, in welchem Druckerzeugnis ihr Bildnis erscheinen soll, kommt eine konkludente Einwilligung nicht in Betracht. Der Photograph kann nicht erwarten, dass die betroffene Person „mit allen denkbaren Fällen“ der Veröffentlichung ihres Bildnisses einverstanden ist, da dies einer völligen Aufgabe der autonomen Selbstbestimmung gleich käme.42 Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann auch im Unionsrecht die konkludente Einwilligung als mögliche Erklärungsform anerkannt werden. Die Einwilligung in die Bildnisanfertigung oder Bildnisveröffentlichung kann im Unionsrecht somit ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. ___________ 39
Für das deutsche Recht siehe OLG Hamburg AfP 1991, 626 (627). Für das französische Recht siehe CA Paris, Urt. v. 18.03.1991, D. 1991, IR, S. 109. Für das deutsche Recht regelt § 22 S. 2 KUG, dass eine Einwilligung bei Entgegennahme eines Entgelts im Zweifel als erteilt gilt. 41 Das ist z. B. zu verneinen, wenn Privatpersonen Photos anfertigen, um sie gegen Bezahlung an die BILD-Zeitung verkaufen. Zu dieser Art von „Leser-Journalismus“ fordert die BILD-Zeitung derzeit im Fernsehen auf. Siehe hierzu Sundermeyer, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 170 v. 25.07.2006, S. 36. 42 Vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 834. 40
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
b) Reichweite der Einwilligung Die Reichweite der Einwilligung wird im deutschen und französischen Recht restriktiv beurteilt. Für jede Anfertigung oder Veröffentlichung eines Bildnisses ist eine gerade hierauf gerichtet Einwilligung erforderlich.43 Auch das Recht der EMRK folgt diesem Verständnis.44 Dabei ist anerkannt, dass die abgebildete Person ihre Einwilligung in jeder Hinsicht beschränken kann. Auch im englischen Recht werden Beschränkungen als zulässig und verkehrsüblich erachtet.45 Beschränkungen, die inhaltlicher, zeitlicher oder räumlicher Natur sein können, müssen nicht ausdrücklich vereinbart sein, sondern können sich im Zweifel auch aus den Gesamtumständen der Bildaufnahme ergeben.46 Das restriktive Verständnis – wie es in den hier untersuchten Rechtsordnungen vertreten wird – ermöglicht eine weit reichende Kontrolle des Einzelnen über die Anfertigung und Verbreitung seines Bildnisses, ohne die Pressefreiheit an der Ausübung ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe zu hindern. Ihm wird daher auch für das Unionsrecht gefolgt. Die Reichweite der Einwilligung ist durch Auslegung nach den Umständen des Einzelfalles zu ermitteln. Mit der Einwilligung werden nur die Rechte eingeräumt, die es ermöglichen, den „Vertragszweck“ zu verwirklichen.47 Dieser kann ausdrücklich vereinbart werden oder sich konkludent aus den Gesamtumständen der Abbildung ergeben. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, können folgende Grundsätze eine Orientierung bieten: –
Die Einwilligung in die Anfertigung eines Bildnisses erstreckt sich nicht automatisch auch auf seine Veröffentlichung.48
–
Eine Person, die sich auf einer Veranstaltung von der Presse photographieren lässt, erklärt sich damit lediglich mit einer Veröffentlichung ihres Bildnisses im Rahmen einer Berichterstattung über diese Veranstaltung einverstanden. Die Veröffentlichung in einem anderen Zusammenhang ist unzulässig.49
___________ 43
Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 2. und Teil 3 C. II. 2. b). Vgl. EGMR, Urt. v. 09.03.2004, Nr. 61827 (Ziff. 82) – Glass. 45 Vgl. Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 420. 46 Vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 7.80. 47 Zu der diesem Verständnis entsprechenden Zweckübertragungsregel des deutschen Urheberrechts siehe Schricker, in: ders., § 31 Rn. 31 ff. 48 Für das französische Recht siehe TGI Paris, Urt. v. 26.02.1976, JCP 1977, IV, S. 257. 49 Für das deutsche Recht siehe OLG Hamburg, Urt. v. 11.03.1997, Az.: 7 U 254/96 (unveröffentlicht). 44
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
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–
Wer sich mit der Veröffentlichung seiner Abbildung im redaktionellen Teil einer Zeitschrift einverstanden erklärt, willigt damit nicht auch in die kommerzielle Verwertung seines Bildnisses ein.50
–
Die Einwilligung zur Veröffentlichung eines Photos zusammen mit einem Begleittext erstreckt sich nicht auf seine Veröffentlichung ohne diesen Text.51
–
Kommt es nicht zu der Veröffentlichung, auf die sich die Einwilligung der abgebildeten Person bezieht, ist davon auszugehen, dass die Einwilligung eine spätere Veröffentlichung – selbst in demselben Medium – nicht einschließt.52
–
Eine Einwilligung in die Veröffentlichung von Bildaufnahmen erstreckt sich nicht auf eine verunglimpfende Berichterstattung.53
II. Rechtsfigur der Person des öffentlichen Lebens 1. Vergleichende Gegenüberstellung Im deutschen KUG wird zwischen (normalen) Privatpersonen und Personen der Zeitgeschichte unterschieden. Bildnisse unbekannter Personen dürfen grundsätzlich nur mit ihrer Einwilligung abgebildet werden. Für Bildnisse von Personen der Zeitgeschichte greift der Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ein. In Rechtsprechung und Schrifttum wird zwischen relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte differenziert. Relative Personen der Zeitgeschichte erwecken nur hinsichtlich eines bestimmten Geschehens ein öffentliches Informationsinteresse, so dass ihre Bildnisse nur bei einem entsprechenden Ereignis- und Aktualitätsbezug ohne Einwilligung veröffentlicht werden dürfen. Absolute Personen der Zeitgeschichte sind dagegen solche, an denen ein umfassendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. Bildnisse dieser Personen sind daher grundsätzlich abbildungsfrei. Neben Personen der
___________ 50 Für das deutsche Recht siehe OLG Hamburg ZUM-RD 1999, 211 (215); OLG Koblenz NJW-RR 1995, 1112 (1112 f.). 51 Für das französische Recht siehe CA Paris, Urt. v. 27.11.1974, JCP 1975, IV, S. 280. 52 Für das deutsche Recht siehe OLG Oldenburg NJW 1983, 1202 (1202); Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 837. 53 Für das deutsche Recht siehe OLG München NJW-RR 1998, 1036 (1036); für das französische Recht siehe CA Paris, Urt. v. 15.01.1972, Gaz. Pal. 1972, I, S. 302.
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
Politik und Wirtschaft werden auch Personen der Kultur-, Sport- und Unterhaltungsbranche etc. erfasst.54 Auch das französische Recht differenziert zwischen (normalen) Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens („personne publique“). Die Qualifizierung einer Person als solche des öffentlichen Lebens orientiert sich an normativen Aspekten – herausragende gesellschaftliche Stellung und Funktion – sowie am öffentlichen Interesse, das ihr entgegen gebracht wird.55 Die Personengruppe ist nicht auf Funktionsträger beschränkt, sondern umfasst auch Prominente der Wissenschaft, Wirtschaft, Sport-, Kultur- und Unterhaltungsbranche. Im Gegensatz zum EGMR haben französische Gerichte Mitglieder der monegassischen Herrscherfamilie bereits mehrfach den personnes publiques zugeordnet.56 Innerhalb der Personengruppe lässt das französische Recht eine abgestufte Schutzintensität erkennen, mit der Folge, dass sich Personen der Unterhaltungsbranche im Vergleich zu Politikern auf einen größeren Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte berufen können.57 Das französische Recht kennt auch eine den relativen Personen der Zeitgeschichte vergleichbare Personengruppe. Bildnisse dieser Personen dürfen – wie im deutschen Recht – nur im thematischen und zeitlichen Zusammenhang mit dem zeitgeschichtlichen Geschehen abgebildet werden.58 Im englischen Recht ist es ständige Rechtsprechung, dass bei der Reichweite des Schutzes zwischen (normalen) Personen und solchen, die in der Öffentlichkeit einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, differenziert werden muss.59 Bis zum Inkrafttreten des HRA fehlte jedoch eine fundierte Auseinandersetzung mit der Frage, wie das unterschiedliche Schutzniveau dieser Personengruppen begründet werden kann. Die Rechtsprechung unter dem HRA macht nun deutlich, dass die Reichweite des Schutzes durch das öffentliche Informationsinteresse bestimmt wird, das an Personen des öffentlichen Lebens („public figures“) größer ist als an (normalen) Privatpersonen.60 Die Entscheidungen zeigen, dass zu den public figures – wie im deutschen und französischen Recht – nicht nur solche des politischen Lebens zählen, sondern auch ___________ 54
Zur absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte siehe oben, Teil 3 B. II. 3. a)
aa). 55
Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 3. a) aa) und bb). TGI Paris, Urt. v. 02.06.1976, D. 1977, JP, S. 364; TGI Nanterre, Urt. v. 08.01.1997, LP 1997, n°143, I, S. 90; vgl. Bartnik, AfP 2004, 489 (492). 57 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 3. a) aa). 58 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 3. a) bb). 59 Vgl. Woodward v. Hutchins [1977] 1 WLR 760. 60 Vgl. Doudu/Price, in: Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 28-23 ff. Zur Einwendung des öffentlichen Interesses siehe oben, Teil 3 D. III. 3. b) bb). 56
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
257
sonstige prominente Persönlichkeiten erfasst werden. Neben dem Schauspieler Michael Douglas61 wurde z. B. auch das Topmodell Naomi Campbell62 als Person des öffentlichen Lebens qualifiziert. Auch im Recht der EMRK wird zwischen (normalen) Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens unterschieden. Ähnlich wie im französischen Recht lässt die Rechtsprechung des EGMR eine Abstufung in der Schutzintensität der Personen des öffentlichen Lebens erkennen. Er differenziert nach der Staatsnähe der betroffenen Person und bietet Regierungsmitgliedern und sonstigen Politikern einen geringeren Schutz als z. B. Richtern oder Staatsanwälten.63 Ein grundlegender Unterschied zum Verständnis im Recht der EUMitgliedstaaten besteht darin, dass der EGMR Personen des öffentlichen Lebens auf Politiker oder sonstige Amtsträger reduziert.64 Er versteht den Begriff restriktiv. Prominente Personen, die kein öffentliches Amt bekleiden – wie z. B. Personen der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur-, Sport- und Unterhaltungsbranche – werden nach Auffassung des EGMR nicht der Personengruppe der „public figure“ zugerechnet. Die Presse erfülle ihre bedeutsame Rolle als Wachhund („public watchdog“) der demokratischen Gesellschaft nur, wenn sie über Personen des politischen Lebens berichte.65
2. Stellungnahme Das Begriffsverständnis des EGMR weicht von dem juristischen Sprachgebrauch des deutschen, französischen und englischen Rechts erheblich ab. Alle drei Staaten sind jedoch nicht nur Mitgliedstaaten der EU, sondern auch Vertragsstaaten der EMRK. Darüber hinaus steht es auch im Widerspruch zum Verständnis der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, die zur Rechtsfigur der Person des öffentlichen Lebens in der Resolution 1165 (1998) Stellung bezogen hat.66 Danach gibt es drei Arten von Personen des öffentlichen Lebens (vgl. Ziff. 7 der Resolution):
___________ 61 Douglas and others v. Hello! Ltd. (HC) [2003] 3 All ER 996 (1053 Rn. 201), per Lindsay J. 62 Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 (1007 Rn. 36), per Lord Hoffmann. 63 Siehe dazu oben, Teil 4 B. III. 1. a). 64 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 64, 72) – Caroline. 65 Siehe dazu oben, Teil 4 B. III. 1. b). 66 Resolution 1165 (1998) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zum Recht auf Privatleben v. 26.06.1998.
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
(1) Personen, die ein öffentliches Amt innehaben, (2) Personen, die öffentliche Ressourcen nutzen und (3) Personen, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielen, sei es in der Politik, Wirtschaft, Kunst, im sozialen Bereich, im Sport oder auf anderen Gebieten. Die Parlamentarische Versammlung weist darauf hin, dass Ziff. 7 der Resolution diejenigen Personen erfassen soll, deren Privatleben aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung stärkeren Belastungen ausgesetzt ist als das (normaler) Privatpersonen.67 Vor diesem Hintergrund ist das restriktive Begriffsverständnis des EGMR erstaunlich. Das gilt umso mehr, als er die Resolution 1165 (1998) im Caroline-Urteil als „einschlägiges europäisches Recht“ wörtlich zitiert hat.68 Er hat überdies darauf verwiesen, dass er die Resolution als Textdokument des Europarates bei der Auslegung der EMRK zu beachten habe.69 Aus den Sondervoten zum Caroline-Urteil geht hervor, dass jedenfalls zwei Richter erhebliche Zweifel daran hatten, der herrschenden Meinung innerhalb der siebenköpfigen kleinen Kammer zu folgen: Nach Auffassung des Richters Zupanþiþ habe eine Person, die sich freiwillig exponiere, ihr Anrecht auf Anonymität verspielt. Die Mitglieder von Königsfamilien, Schauspieler oder Wissenschaftler, die in der Öffentlichkeit tätig seien, könnten diese zwar scheuen. Ihr Bild genieße aber nur einen eingeschränkten Schutz.70 Auch nach dem Verständnis des Richters Cabral Barreto ist die Qualifizierung einer Person als solche des öffentlichen Lebens nicht davon abhängig, ob sie eine Funktion innerhalb oder im Auftrag des Staates oder seiner Einrichtungen ausübt. Maßgebend sei vielmehr, ob eine Person eine aktive Rolle im öffentlichen Leben einnehme.71 Über die Rechtsfigur der Person des öffentlichen Lebens herrscht somit auch unter der Richterschaft des EGMR keine Einigkeit. Ob die strikte Differenzierung zwischen Amtsträgern und sonstigen prominenten Personen in zukünftigen Entscheidungen bestätigt werden wird, ist vor diesem Hintergrund mehr als fraglich. Davon abgesehen ist es auch aus soziologischer Sicht wenig sachgerecht, ausschließlich Politiker und vergleichbare Amtsträger als Personen des öffentlichen Lebens einzustufen. Dieses Verständnis würde zur Ausblendung einer ___________ 67
Vgl. Resolution 1165 (1998), Ziff. 6. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 42) – Caroline. 69 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 67) – Caroline. 70 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 – Caroline, Sondervotum Richter Zupanþiþ. 71 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 – Caroline, Sondervotum Richter Cabral Barreto. 68
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gesellschaftlichen Tatsache durch die juristische Wirklichkeit führen.72 Personen des öffentlichen Lebens werden nicht nur über ihre Funktion im Staat wahrgenommen. Auch jenseits des staatsorganisatorischen Funktionierens besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an Personen, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihres Verhaltens aus der Masse der Allgemeinheit hervortreten.73 Die Funktion der Presse als öffentlicher Wachhund ist nicht auf die staatsbezogene Berichterstattung reduziert. Die Presse ist für den Prozess demokratischer Willensbildung und damit für Auseinandersetzungen im politischen Bereich zwar von besonders großer Bedeutung. Sie wacht aber über das gesamte öffentliche Leben und kann nicht auf politische Angelegenheiten beschränkt werden.74 Angesichts der Tatsache, dass auch Nachrichten z. B. der Wissenschaft, der Kultur oder des Sports die Gesellschaft beeinflussen, bewirkt die Herauslösung der politischen aus dem weiten Bereich möglicher Informationen eine zu starke Beschneidung des durch die Pressefreiheit geschützten Bereichs.75 Aus den genannten Gründen kann der Auffassung des EGMR im Caroline-Urteil daher für das Unionsrecht nicht gefolgt werden. Die Zielsetzung des Unionsrechts, die kollidierenden Interessen so weit als möglich zu maximieren,76 macht es erforderlich auch prominente Personen der Sport-, Kulturund Unterhaltungsbranche etc. als Personen des öffentlichen Lebens zu verstehen. Fraglich ist, ob auch einer Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte – oder einer diesen Personengruppen entsprechenden Kategorisierung77 – gefolgt werden sollte. Nach Auffassung des EGMR, der sich im Caroline-Urteil zur deutschen Rechtslage geäußert hat, sei die Qualifizierung einer Person als absolute oder relative Person der Zeitgeschichte nicht vorhersehbar. Überdies gingen die Einschränkungen, die absolute Personen der Zeitgeschichte in ihre Persönlichkeitsinteressen hinnehmen müssten, oftmals zu weit.78 Ähnliche Kritik ist auch im deutschen Schrifttum schon mehrfach geäußert worden: Geltend gemacht wurde vor allem, dass die Zuordnung einer Person zu einer der beiden Personengruppen ohne Rücksicht auf
___________ 72
Ravanas, Image, nº147; Bartnik, AfP 2004, 489 (492). Ähnlich Vetter/Warneke, DVBl. 2004, 1226 (1227); Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (253). 74 So auch Grabenwarter, AfP 2004, 309 (310). 75 Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 23; Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (247); ähnlich Ohly, GRUR Int. 2004, 902 (910). 76 Siehe dazu oben, Teil 2 B. IV. 77 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 3. a) aa) und bb). 78 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 73) – Caroline. 73
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den Einzelfall erfolge und eine nachvollziehbare Begründung in vielen Fällen nicht geliefert werde.79 Trotz dieser Kritik sollte nach der hier vertretenen Auffassung die Kategorisierung in absolute und relative Personen der Zeitgeschichte nicht verworfen werden. Diese Herangehensweise wird am ehesten den persönlichkeitsrechtlichen Interessen derjenigen Personen gerecht, die nur vorübergehend oder gegen ihren Willen mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis in Verbindung kommen. Als „praktische Faustformel für eine Grobbewertung“80 kann die Differenzierung zwischen den beiden Personengruppen die Frage nach der Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung durchaus vereinfachen. Sie kann Anhaltspunkte liefern und damit zu einer größeren Berechenbarkeit des Rechts führen und Rechtssicherheit schaffen.81 Wie das BVerfG zutreffend festgestellt hat, kommt es auf das richtige Verständnis und die Handhabung der Begriffe an. Die Rechtsfiguren sind „verfassungsrechtlich unbedenklich, solange die einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten“
bei der Rechtsanwendung nicht unterbleibt.82 Die Zuordnung zu einer der beiden Personengruppen darf nicht in einen Automatismus münden, bei dem ein öffentliches Informationsinteresse bejaht und die Abbildung ohne eine weitere Prüfung als zulässig erachtet wird. Die durch eine öffentliche Darstellung bewirkte Einbuße an Privatheit darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der privaten Informationen für die Kommunikationsfreiheiten stehen. Darüber hinaus muss in jedem Fall deutlich werden, auf welchen Kriterien die Zuordnung einer Person zu einer der beiden Personengruppen erfolgt. Die Zuordnung darf sich aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in einer bloßen Feststellung erschöpfen. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen wird eine Differenzierung zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte auch für das Unionsrecht befürwortet.
___________ 79 Z. B. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 859; Rehbock/Schmidt, in: FS Schweizer, S. 123 (128 ff.). Zur Kritik im französischen Schrifttum siehe Rigaux, RIDC 1991, 539 (548). 80 Steffen, in: Löffler, § 6 Rn. 130. 81 Gronau, Persönlichkeitsrecht, S. 56; Sedelmeier, AfP 1999, 450 (452). 82 BVerfGE 101, 361 (392); vgl. BVerfG AfP 2001, 212 (214); BGHZ 24, 200 (208); vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.9.
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III. Bildnisschutz im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit Das Privatleben einer Person ist nach dem Recht der EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England sowie dem Recht der EMRK nicht auf den häuslichen Bereich der Privatsphäre beschränkt. Auch im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit – z. B. auf dem Markt, im öffentlichen zugänglichen Restaurant oder in einem Club – kann eine Person vor der Anfertigung und Veröffentlichung ihres Bildnisses geschützt sein. Die EUMitgliedstaaten und die EMRK gehen übereinstimmend davon aus, dass sich dieser Schutz auch auf Personen des öffentlichen Lebens erstreckt.
1. Abgrenzung des geschützten vom ungeschützten Bereich a) Vergleichende Gegenüberstellung Bildnisse, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, werden im deutschen Recht unabhängig vom Ort ihrer Aufnahme geschützt. Die Veröffentlichung von Abbildungen aus dem Bereich der Intimsphäre ist ohne Einwilligung grundsätzlich verboten.83 Eine nackte Person, die sich z. B. im Englischen Garten in München befindet, darf daher nicht ohne Einwilligung abgebildet werden.84 Seit dem Caroline-Urteil des BGH ist anerkannt, dass eine Person auch ungeachtet der Natur des abgebildeten Verhaltens in der Öffentlichkeit geschützt sein kann. Das setzt voraus, dass sie sich in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der sie erkennbar allein sein will.85 Nach Auffassung des BGH muss sich der Einzelne im Vertrauen auf die Abgeschiedenheit so verhalten, „wie er es in der breiten Öffentlichkeit nicht tun würde“.86 Demgegenüber lehnt das BVerfG es ab, in örtlicher Abgeschiedenheit eine thematische Abgrenzung des geschützten vom ungeschützten Bereich vorzunehmen. „Privatem“ Verhalten komme allenfalls Indizwirkung zu.87 Aus deutscher Sicht überrascht, mit welcher Leichtigkeit der EGMR die streitgegenständlichen Photos in der Rechtssache Caroline von Hannover dem Schutz des Rechts auf Privatleben zugeordnet hat. Nach Auffassung des EGMR sei entscheidend, dass die Beschwerdeführerin im Alltagsleben – also ___________ 83
Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (1). OLG München AfP 1986, 69 (70); vgl. OLG Oldenburg AfP 1989, 556 (557). 85 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (2) (b). 86 BGHZ 131, 332 (340); zustimmend v. Gerlach, JZ 1998, 741 (748 f.). 87 BVerfGE 101, 361 (384 f.). 84
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bei rein privaten Tätigkeiten – abgebildet worden sei. In dieser Situation dürfe sie auch in der Öffentlichkeit vernünftigerweise darauf vertrauen („reasonable expectation“), vor einer Bildnisanfertigung durch Paparazzi geschützt zu werden.88 Ein Blick in das französische Recht zeigt, dass die Auffassung des EGMR dort der ständigen Rechtsprechung entspricht: Der Bildnisschutz im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit orientiert sich nicht an den situativen Begebenheiten der Bildaufnahme sondern allein an der Natur des abgebildeten Verhaltens. Darstellungen privaten Inhalts werden unabhängig vom Ort des Geschehens geschützt.89 Auf das Vorliegen einer örtlichen Abgeschiedenheit kommt es nicht an. Dem räumlich-orientierten Ansatz des deutschen Rechts steht somit die thematisch-funktionale Herangehensweise des französischen Rechts gegenüber. Wie im Caroline-Urteil des EGMR wird diese Herangehensweise auch in der französischen Rechtsprechung keiner weiteren Erklärung für notwendig befunden.90 Im englischen Recht hat sich bislang noch keine ständige Rechtsprechung zum Bildnisschutz im Grenzbereich zwischen Privatleben und Öffentlichkeit etabliert. Den Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des HRA ergangen sind, lässt sich jedoch entnehmen, dass es für den Schutz außerhalb des häuslichen Bereichs darauf ankommt, ob die abgebildete Person vernünftigerweise erwarten durfte, vor der Medienöffentlichkeit geschützt zu sein („reasonable expectation as to privacy“). Der Ort der Bildaufnahme bzw. die situativen Begebenheiten sind für den Schutz nicht maßgebend.91 Nach Auffassung des House of Lords in der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. bestehe eine vernünftige Erwartung auf Schutz davor, in der Öffentlichkeit bei Ausübung einer privaten Tätigkeit abgebildet zu werden.92 Damit zeigt sich einerseits eine Parallele zum Recht der EMRK, das die „vernünftige Erwartung“ ebenfalls zum Abgrenzungskriterium des geschützten vom ungeschützten Bereich erhoben hat.93 Andererseits wird deutlich, dass das englische Recht – wie das französische Recht und das Recht der EMRK – einem thematisch-funktionalen Ansatz folgt. ___________ 88
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 51 f.) – Caroline. Zum Recht der EMRK siehe oben, Teil 4 B. I. 2. 89 Zum französischen Recht siehe oben, Teil 3 C. II. 1. b) aa) (1) (a) und (b). 90 Vgl. CA Paris, Urt. v. 16.06.1986, D. 1987, SC, S. 136, wonach es sich nach Auffassung des Gerichts bei der Abbildung von Caroline von Monaco beim Spazierengehen offenkundig um einen Vorgang handele, der ihr Privatleben berühre. 91 Zum englischen Recht siehe oben, Teil 3 D. III. 3. a) aa) (2). 92 Naomi Campbell v. MGN Ltd. [2004] 2 All ER 995 (1004 f. Rn. 31; 1014 ff. Rn. 72 ff.; 1025 Rn. 111; 1037 Rn. 154 f.), per Lord Nicholls, Lord Hoffmann, Lord Hope/Baroness Hale. 93 Siehe dazu oben, Teil 4 B. I. 2.
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b) Stellungnahme Bei der Abgrenzung des geschützten vom ungeschützten Bereich stehen sich der räumlich-orientierte Ansatz und die thematisch-funktionale Herangehensweise gegenüber. Dabei handelt es sich nicht nur um einen dogmatischen Widerspruch; auch in der praktischen Anwendung führen die Herangehensweisen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während die Abbildung alltäglicher Betätigungen im deutschen Recht in der Regel zulässig ist, weil keine örtliche Abgeschiedenheit vorliegt,94 besteht im französischen Recht ein Abbildungsverbot. Alltägliche Tätigkeiten werden dort als „private“ Tätigkeiten dem Begriff des Privatlebens zugeordnet.95 Jede Systematisierung des Rechts verfolgt das Ziel, Vorhersehbarkeit und Sicherheit im Rechtsverkehr zu schaffen und dem Einzelnen eindeutig und offenkundig vor Augen zu führen, wo sein Schutz beginnt und wo er endet. Versuche der Systematisierung sind damit stets Versuche, Verbotszonen für den Eingreifenden sichtbar werden zu lassen.96 Ursprünglich war die Grenzziehung im deutschen Recht mit der Abgrenzung des häuslichen Bereichs vom nichthäuslichen Bereich deutlich erkennbar. In „jedermann zugänglichen Räumlichkeiten wie [...] in einem Gartenlokal oder sonstigen öffentlichen Orten“ mussten Personen des öffentlichen Lebens grundsätzlich jederzeit mit Bildaufnahmen rechnen.97 Die Ausdehnung der Privatsphäre auf die Öffentlichkeit hat Abgrenzungsprobleme geschaffen und die Rechtssicherheit gemindert: Die Grenzen der Privatsphäre lassen sich nicht mehr generell und abstrakt festlegen. Sie können nur auf Grund der jeweiligen Beschaffenheit des Ortes bestimmt werden, den die betroffene Person aufsucht. Entscheidend ist, ob der Einzelne eine Situation vorfindet oder schafft, in der er berechtigterweise darauf vertrauen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein. Ob die Voraussetzungen der Abgeschiedenheit erfüllt sind, lässt sich nur situativ beurteilen. Eine Person kann sich an ein und demselben Ort zu bestimmten Zeiten mit gutem Grund unbeobachtet fühlen, zu anderen Zeiten nicht.98 Dem EGMR ist daher zuzustimmen, wenn er das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit als zu vage ___________ 94
BVerfGE 101, 361 (395); BGHZ 131, 332 (343). Vgl. TGI Nanterre, Urt. v. 06.03.2001, LP 2001, n°184, I, S. 103; TGI Nanterre, Urt. v. 17.03.1998, LP 1998, n°154, I, S. 107; siehe auch Gersdorf, AfP 2005, 221 (225). 96 Vgl. Peifer, in: Caroline-Urteil, S. 5 (8). 97 OLG Hamburg AfP 1996, 71. 98 Für das deutsche Recht siehe BVerfGE 101, 361 (384). 95
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bezeichnet, um einer Person eine zuverlässige Beurteilung darüber zu gestatten, ob sie in einer konkreten Situation Schutz ihrer Privatsphäre erwarten darf.99 Allerdings kann auch die Abgrenzung einer privaten von einer öffentlichen Tätigkeit Probleme bereiten. Vor allem bei Personen der Unterhaltungsbranche ist die Grenze zwischen dem im hohen Maße mediatisierten Beruf und privaten Verhaltensweisen häufig nicht erkennbar. Als Beispiel sei nur auf die Erbin des Hilton-Vermögens Paris Hilton verwiesen, die maßgeblich durch eine selbst initiierte Mediatisierung ihres Privatlebens in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Beide Herangehensweisen können der Zielsetzung der Systematisierung – Vorhersehbarkeit, Rechtssicherheit – daher nicht vollständig gerecht werden. Das thematisch-funktionale Verständnis schafft jedoch Beweiserleichterungen: Es ist im Nachhinein regelmäßig einfacher zu beurteilen, ob eine Tätigkeit privater Natur war, als – losgelöst von der oftmals Wochen oder Monate zurückliegenden Situation – zu erkennen, ob sich eine Person zu dem fraglichen Zeitpunkt in einer örtliche Abgeschiedenheit befunden hat, in der sie erkennbar allein sein wollte. Davon abgesehen gibt es auch inhaltliche Kriterien, aufgrund derer das thematisch-funktionale Verständnis dem räumlich-orientierten Ansatz gegenüber bevorzugt werden muss. In der Übernahme eines öffentlichen Amtes, der Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Funktion oder der Ausübung einer sonstigen Tätigkeit, die eine Person als solche des öffentlichen Lebens auszeichnet, liegt kein Verzicht auf jegliche Privatheit. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Prominenz dieser Personen vielfach die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz bildet. Jede Person – ob bekannt oder unbekannt – muss das Recht auf einen Bereich haben, in dem sie sich entfalten und frei von öffentlicher Beobachtung und Bewertung nach ihren eigenen Vorstellungen leben kann.100 Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist erheblich eingeschränkt, wenn sich eine Person erst räumlich von der (Rest-)Öffentlichkeit abgrenzen muss, um ihre Privatsphäre in Ruhe öffentlich leben zu dürfen. Auch wenn keine Person beanspruchen kann, öffentlich zugängliche Orte für private Zwecke unter Ausschluss ihrer Mitmenschen zu okkupieren, bedeutet das noch lange nicht, dass sie sich dort auch in allen Lebenslagen medial vereinnahmen lassen muss. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob eine Person von einer örtlich begrenzten, überschaubaren Menschenmenge wahrgenommen wird oder ob Ort, Umstände sowie Art und Weise des persönlichen Verhaltens me___________ 99
EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 75) – Caroline. Für das englische Recht siehe Naomi Campbell v. MGN Ltd. (CA) [2003] 1 All ER 224 (235 Rn. 41), per Lord Phillips MR; für das deutsche Recht siehe BVerfGE 101, 361 (383); BVerfG NJW 2000, 2191 (2192). 100
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dial weithin verbreitet werden. Auch Personen des öffentlichen Lebens verlassen zur Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung ihre häusliche Privatsphäre und begeben sich in das öffentliche Leben.101 Dort schließt die Anwesenheit zahlreicher Menschen jedoch häufig eine örtliche Abgeschiedenheit aus. Mit der räumlichen Abgrenzung findet das Interesse des Einzelnen an der Selbstbestimmung in eigenen Angelegenheiten in der öffentlich-wahrnehmbaren Privatsphäre daher nur unzureichend Berücksichtigung. Das Recht auf Privatleben wird an Voraussetzungen gebunden, die dem Stellenwert dieses Rechts für die Persönlichkeitsentfaltung nicht entsprechen.102 Aus den dargelegten Gründen ist das thematisch-funktionale Verständnis daher dem räumlich-orientierten Ansatz vorzuziehen. Das thematisch-funktionale Verständnis bringt schließlich auch keine unverhältnismäßige Einschränkung der Pressefreiheit mit sich: Mit der Zuordnung einer Situation zur Privatsphäre ist über die Zulässigkeit der Bildberichterstattung noch nicht entschieden. Auch Personen, deren Verhalten der Privatsphäre zugeordnet wird, dürfen unter der Voraussetzung, dass ein öffentliches Informationsinteresse besteht, ohne Einwilligung abgebildet werden. Die Bildnisveröffentlichung ist z. B. zulässig, wenn ein der Privatsphäre zurechenbares Verhalten Rückschlüsse auf die Ausübung eines Amtes zulässt.103 Dagegen bietet sich keine weitere Möglichkeit, dem Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Person Geltung zu verleihen, wenn ihr Verhalten bereits dem Schutz der Privatsphäre entzogen wird. Die Maximierung der Grundrechte, die sich das Unionsrecht zum Ziel gesetzt hat, macht es somit notwendig, bei der Abgrenzung des geschützten vom ungeschützten Bereich der Privatsphäre der thematisch-funktionalen Herangehensweise zu folgen. Darstellungen privaten Inhalts werden unabhängig vom Ort der Bildaufnahme und seinen situativen Begebenheiten geschützt.
2. Informationsinteresse der Öffentlichkeit Mit der Zuordnung eines Verhaltens zur Privatsphäre ist über die Zulässigkeit einer Bildberichterstattung noch nicht entschieden. Eine Entscheidung über die Reichweite des Schutzes kann nach dem Recht der EU-Mitgliedstaaten und dem Recht der EMRK nur unter Berücksichtigung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an der Bildnisanfertigung bzw. Bildnisveröffentlichung ge___________ 101
Vgl. EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 69) – Caroline. Ähnlich Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 67. 103 Cass. civ., Urt. v. 14.12.1999, D. 2000, JP, S. 373; ähnlich v. Gerlach, JZ 1998, 741 (751). 102
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
troffen werden. Das Informationsinteresse fließt in die Abwägung der kollidierenden Interessen – Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheiten – ein. Je größer das öffentliche Informationsinteresse, desto eher muss das Schutzinteresse der abgebildeten Person hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten.
a) Vergleichende Gegenüberstellung Im deutschen Recht wird ein besonderer Informationswert einer Abbildung nicht für erforderlich gehalten. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit erstreckt sich auch darauf, wie sich eine Person des öffentlichen Lebens als einfacher Mensch außerhalb seiner öffentlichen Funktionen in der Öffentlichkeit bewegt.104 Die Öffentlichkeit habe „ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob Personen, die oft als Idol oder Vorbild gelten, funktionales und persönliches Verhalten überzeugend in Übereinstimmung bringen“.105
Auch durch Unterhaltung könne die Presse ihren Beitrag zum Meinungsbildungsprozess erfüllen.106 Ein öffentliches Informationsinteresse fehlt nur, wenn die Veröffentlichung eines Beitrags überhaupt nichts zur öffentlichen Diskussion beisteuern kann. Wird ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit bejaht, kommt es erst bei der Abwägung mit kollidierenden Interessen darauf an, ob ernsthaft und sachbezogen berichtet oder lediglich private Angelegenheiten, die nur Neugier befriedigen, ausgebreitet werden.107 Im Gegensatz zum deutschen Recht ist der EGMR der Auffassung, dass Bildnisse von Personen des öffentlichen Lebens, die Aspekte des Privatlebens wiedergeben, nur im Zusammenhang mit der von ihnen ausgeübten Funktion zulässig sind. Der EGMR behandelt das öffentliche Informationsinteresse als normativen Begriff, den er für die Presse verbindlich auslegt. Er unterteilt die Kommunikationsinhalte in wertvolle und weniger wertvolle Themen. Nach seiner Auffassung komme es nicht darauf an, ob ein Thema die Öffentlichkeit nach Maßgabe der gesellschaftlichen Realität tatsächlich interessiert. Ausschlaggebend sei, ob eine Angelegenheit die Öffentlichkeit interessieren dürfe. Das wird bei Informationen über einen Politiker oder sonstigen Amtsträger bejaht, wenn sie Rückschlüsse darauf zulassen, ob er die Integrität und Fähigkeit für ein politisches Amt besitzt. Ein öffentliches Informationsinteresse liegt ___________ 104
BGHZ 131, 332 (344); KG Berlin NJW 2005, 605 (605). BVerfGE 101, 361 (393). 106 Siehe dazu oben, Teil 3 B. I. 2. a) bb). 107 Vgl. BVerfGE 101, 361 (391). 105
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
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nicht vor, wenn mit der Verbreitung lediglich Neugier und Sensationslust eines bestimmten Publikums befriedigt werden.108 Mit seiner Auffassung folgt der EGMR der Tradition des französischen Rechts, wonach die Veröffentlichung eines Bildnisses nur zulässig ist, wenn sie einen Bezug zur gesellschaftlichen oder beruflichen Funktion der betreffenden Person aufweist. Abbildungen können ohne Einwilligung veröffentlicht werden, wenn sie eine Person bei der Ausübung ihrer zeitgeschichtlichen Funktion darstellen – z. B. einen Politiker bei der Rede, einen Sportler beim Wettkampf oder eine Schauspielerin während eines Auftritts.109 Aspekte des Privatlebens unterliegen dagegen grundsätzlich einem Abbildungsverbot. Ein öffentliches Informationsinteresse wird nur bejaht, wenn sich aus dem privaten Verhalten Rückschlüsse auf die öffentliche Funktion ziehen lassen. Das ist lediglich in Ausnahmefällen anzunehmen, z. B. wenn das Freizeitverhalten eines Politikers in einem auffälligen Gegensatz zu seinen offiziellen Verlautbarungen steht.110 Im französischen Schrifttum wird von einer „ungesunden Neugier“ gesprochen und der Presse ein quasi-pädagogischer Auftrag zugewiesen.111 Das französische Recht beurteilt das öffentliche Informationsinteresse somit vergleichsweise restriktiv. Auch das englische Recht folgt in seiner jüngeren Rechtsprechung einem restriktiven Verständnis. Ein öffentliches Informationsinteresse wird verneint, sofern Angelegenheiten des Privatlebens keinen Bezug zu der Rolle aufweisen, durch welche die betroffene Person in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist.112 Im englischen Recht wird betont, dass es im Ermessen der Presse liege, ob zur Verstärkung der Wirkungskraft eines (zulässigen) Textberichts auch Photos der betroffenen Person veröffentlicht werden dürfen. Der Ermessensspielraum ist erst mit der Veröffentlichung demütigender Abbildungen überschritten.113
___________ 108
Siehe dazu oben, Teil 4 B. III. 2. b). Vgl. TGI Paris, Urt. v. 10.04.2002, LP 2002, n°193, I, S. 86 f.; TGI Nanterre, Urt. v. 06.04.1995, Gaz. Pal. 1995, I, S. 285. 110 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 3. b). 111 Potvin, Image, S. 400; Auvret, LP 2000, n°170, II, S. 33 (39). 112 Z. B. Naomi Campbell v. MGN Ltd. (HL) [2004] 2 All ER 995 ff. 113 Vgl. Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1012 ff. Rn. 59 ff.; 1027 f. Rn. 120; 1034 ff. Rn. 143, 156), per Lord Hoffmann, Lord Hope, Baroness Hale. 109
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
b) Stellungnahme Die drei EU-Mitgliedstaaten und die EMRK stimmen darin überein, dass die Bebilderung von Personen des öffentlichen Lebens bei Wahrnehmung ihrer öffentlichen oder sonstigen gesellschaftlichen Funktion zulässig ist. Auch steht außer Frage, dass die Anfertigung und Veröffentlichung von Bildaufnahmen von Personen des öffentlichen Lebens, die sich in ihrer häuslichen Sphäre befinden, unzulässig ist. Kameras der Presse haben dort nichts zu suchen.114 Die Kontroverse betrifft einen anderen Bereich: Umstritten ist die rechtliche Bewertung der Presseberichterstattung über Situationen und Vorgänge privaten und alltäglichen Charakters, die sich in der Öffentlichkeit oder in einer quasi öffentlichen Umgebung abspielen. Gemeint sind private und alltägliche Betätigungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in der freien Natur, am Badestrand etc. Übereinstimmung besteht zunächst darüber, dass bei der Frage nach dem Schutz von Presseerzeugnissen nicht zwischen der unterhaltenden und der seriösen Presse differenziert werden darf. Nach Auffassung des BVerfG findet auch in unterhaltenden Beiträgen Meinungsbildung statt. Unterhaltung ist, gemessen an dem Grundrecht der Kommunikationsfreiheiten, weder unbeachtlich noch wertlos und daher in den Grundrechtsschutz einbezogen.115 Dem wird im französischen Recht zugestimmt, das eine Unterscheidung zwischen ernsthafter und unterhaltender Presse für realitätsfremd hält.116 Gleiches gilt für das englische Recht, das grundsätzlich jede Meinungsäußerung schützt, ungeachtet dessen, ob sie sachlich informiert oder nur der Befriedigung von Neugier und Sensationslust dient.117 Entgegen anderweitiger Ansichten im deutschen Schrifttum118 unterstellt auch das Recht der EMRK Beiträge in unterhaltender Form dem Schutz der Pressefreiheit gemäß Art. 10 Abs. 1 EMRK.119 Der EGMR geht von einem umfassenden Schutz der Presse aus, der sämtliche Kommunikationsinhalte – unabhängig von ihrer Eigenart und ihrem Niveau – einschließt. Der Prozess der Meinungsbildung beziehe sich weder nur auf den politischen Bereich noch lasse er sich in wichtige und unwichtige Themen aufteilen. In ständiger Recht___________ 114 Zum deutschen Recht siehe oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (2) (b); zum französischen Recht siehe oben, Teil 3 C. II. 1. b) aa) (1) (b); zum englischen Recht siehe oben, Teil 3 D. III. 3. a) und b); zum Recht der EMRK siehe oben, Teil 3 B. I. 1. a). 115 Z. B. BVerfGE 101, 361 (390); vgl. BVerfG NJW 2001, 1921 (1923 ff.). 116 Siehe dazu oben, Teil 3 C. I. 2. a). 117 Siehe dazu oben, Teil 3 D. III. 3. b) aa) (1). 118 Z. B. Gersdorf, AfP 2005, 221 (222 f.); Bölke, in: Caroline-Urteil, S. 67 (67 f.). 119 Richtig erkannt von Fahrenhorst, ZEuP 1998, 84 (88).
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sprechung hat der EGMR der Presse die Pflicht auferlegt, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren.120 Aus dem Caroline-Urteil geht hervor, dass die reine Neugierbefriedigung keine Einschränkung des Schutzbereichs bedeutet, sondern sich erst bei der Interessenabwägung zugunsten der Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person auswirkt.121 Die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK unterscheiden sich somit (lediglich) dahingehend, welche Bedeutung sie unterhaltender Berichterstattung bei der Abwägung der kollidierenden Interessen beimessen. Das französische und das englische Recht sowie das Recht der EMRK beurteilen die Zulässigkeit unterhaltender Beiträge restriktiv. Auch nach Aussage der deutschen Gerichte fällt die Interessenabwägung eher zugunsten der abgebildeten Person aus, wenn mit dem Bildbericht lediglich Neugier und Sensationslust befriedigt werden.122 Gleichwohl zeigt die Praxis, dass eine Bildnisveröffentlichung allenfalls dann verboten ist, wenn die abgebildete Situation an sich bereits persönlichkeitsverletzend ist. Das wurde bislang nur bei der Veröffentlichung von Nacktphotos, Falschdarstellungen oder ehrverletzenden Abbildungen bejaht.123 Im deutschen Recht wird das damit begründet, dass Personen des öffentlichen Lebens häufig eine Leitbildfunktion in der Gesellschaft einnehmen. Eine selektive Darstellung, die sich auf die öffentliche Funktionswahrnehmung beschränke, könne dieser Funktion nicht gerecht werden. Die Öffentlichkeit habe daher auch ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, wie sich diese Personen privat verhalten.124 Dieser Auffassung kann nur bedingt zugestimmt werden: Nimmt eine Person des öffentlichen Lebens eine Leitbildfunktion ein, die sie in der Öffentlichkeit bewusst generiert hat, ist es vertretbar – wenn nicht gar geboten –, dass auch an ihrem Privatleben ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit anerkannt wird.125 Abzulehnen ist hingegen das Verständnis, dass eine Person, die private Verhaltungsmuster prägt und Dritte zur Nachahmung ihres Lebensstils anregt, grundsätzlich als mediales Eigentum vereinnahmt werden dürfe:126 Eine ___________ 120 Z. B. EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 37) – Krone Verlag I; EGMR, Urt. v. 06.02.2001, Nr. 41205/98 (Ziff. 62) – Tammer. 121 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59, 76) – Caroline; ähnlich Tettinger, Diskussionsbeitrag, in: Caroline-Urteil, S. 41; Starck, JZ 2006, 76 (77). 122 BVerfGE 101, 361 (389 ff.); 34, 269 (283); BGHZ 131, 332 (342); vgl. Löffler/Ricker, Hdb. Presserecht, Kap. 41, Rn. 10; Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.41. 123 Z. B. OLG Hamburg NJW 1996, 1151 (1152); OLG Hamburg AfP 1987, 703 (704); kritisch Stürner, JZ 2004, 1018 (1018). 124 BVerfGE 101, 361 (390 ff.). 125 Vgl. Tettinger, Diskussionsbeitrag, in: Caroline-Urteil, S. 41 (42). 126 Ähnlich EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 65) – Caroline; ebenso Heldrich, NJW 2004, 2634 (2635).
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Person kann zum Idol werden, ohne bereit zu sein, rund um die Uhr sichtbar als Objekt öffentlicher Bewunderung zu leben. Fast jede Person und jedes Thema lassen sich medial so zubereiten, dass es die Öffentlichkeit interessiert. Die Öffentlichkeit ist grenzenlos neugierig und sehnt sich nach Informationen über Neigungen und Lebensgewohnheiten prominenter Personen. Die Presse ist bereits aus kommerziellen Gründen daran interessiert, die Informationsnachfrage an eine Person zu generieren und Neugier und Sensationslust zu befriedigen.127 Eine Person des öffentlichen Lebens kann Idol sein, ohne es gewollt oder darauf angelegt zu haben. Die Idoleigenschaft einer Person kann nicht mit ihrer Idolfunktion gleichgesetzt werden.128 Eine Rechtsauffassung, die das nicht berücksichtigt, kann mit den Persönlichkeitsinteressen der betroffenen Person nicht in Einklang gebracht werden. Es wäre jedoch auch falsch, das Informationsinteresse so restriktiv wie im französischen Recht oder im Recht der EMRK zu verstehen und es bei Abbildungen in unterhaltenden Beiträgen stets auszuschließen. Zahlreiche medienwissenschaftliche Untersuchung haben bestätigt, dass die Grenzziehung zwischen sachlicher Berichterstattung und Unterhaltung in den letzten Jahrzehnten immer schwieriger geworden ist.129 Informationsvermittlung kommt in der heutigen Zeit ohne den Einsatz unterhaltender Elemente kaum noch aus. Es kann eine wachsende Tendenz beobachtet werden, Informationen in unterhaltender Form zu verbreiten oder mit Unterhaltung zu vermischen („infotainment“). Unterhaltung kann die Meinungsbildung unter Umständen nachhaltiger anregen oder beeinflussen als ausschließlich sachbezogene Informationen. Große Teile der Bevölkerung beziehen Informationen gerade aus unterhaltenden Beiträgen. Bildnisveröffentlichungen, die auch der Neugierbefriedigung dienen, dürfen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit daher nicht grundsätzlich entzogen sein. Angesichts der Eingriffsintensität von Bildberichten in die Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person darf die Veröffentlichung allerdings nicht zum Selbstzweck werden. Es ist erforderlich, dass der Abbildung wenigstens ein „gewisser“ Informationswert zukommt.130 Allerdings geht es zu weit, eine Bildnisveröffentlichung nur als zulässig zu erachten, wenn zwischen Abbildung und öffentlicher Funktionswahrnehmung ein Zusammenhang besteht. Dieses Verständnis würde eine Einschränkung der Pressefreiheit bedeuten, die ___________ 127 Vgl. Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 28, wonach es zirkulär erscheint, wenn es den Medien im Sinne einer „empirischen Selbstdefinition“ erlaubt wird, „Neugier und Sensationslust anzustacheln, um sie dann unter Berufung auf die Pressefreiheit immer wieder aufs Neue zu befriedigen“. 128 Ähnlich Beuthien, K&R 2004, 457 (459); Herrmann, ZUM 2004, 665 (665). 129 Vgl. BVerfGE 101, 361 (389 ff.). 130 Für einen Informationswert, z. B. Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 28; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 59; Stürner, AfP 2005, 213 ff.
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vor dem Hintergrund ihrer herausragenden Stellung in der demokratischen Gesellschaft und ihrer Bedeutung für die Meinungsbildung nicht gerechtfertigt werden könnte. Damit stellt sich die Frage, nach welchen Leitlinien im Unionsrecht ein gerechter Ausgleich der kollidierenden Interessen geschaffen werden kann. Mit anderen Worten: Unter welchen Voraussetzungen liegt ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit vor, das eine Presseberichterstattung rechtfertigt? Wesentliche Voraussetzung der freien Entfaltung der Persönlichkeit ist, dass jeder Person ein Bereich zugestanden wird, in der sie sich unbemerkt vor den Blicken der Öffentlichkeit so bewegen und geben kann, wie sie ist. Wer diesen Rückzugsbereich nicht hat, büßt Entfaltungsfreiheit ein und wird in der persönlichen Entwicklung erheblich beeinträchtigt.131 Hinter diesem Verständnis steckt die Überzeugung, dass der Mensch in der Öffentlichkeit eine Rolle annimmt und sich nur im privaten Bereich authentisch bewegt.132 Ohne einen Rückzugsbereich wäre der Einzelne überfordert, weil er unaufhörlich darauf achten müsste, wie er auf andere wirkt und ob er sich „richtig“ verhält. Ihm würden die Phasen des Alleinseins und des Ausgleichs fehlen, „die für die Persönlichkeitsentfaltung notwendig sind und ohne die sie nachhaltig beeinträchtigt würde“.133
Die Achtung der „humanen Normalität“ ist aus diesem Grund ein sich von selbst verstehendes Gebot.134 Auch Personen des öffentlichen Lebens haben einen Anspruch auf Normalität im Privaten. Genauso wenig wie (normale) Privatpersonen müssen sie ein Leben unter ständiger medialer Beobachtung hinnehmen. Sie müssen die Möglichkeit haben, ein gewöhnliches, nicht von den üblichen Gewohnheiten anderer Personen abweichendes Leben führen zu können. Gewöhnlich sind aber nicht nur Tätigkeiten im Haus; gewöhnlich sind auch bestimmte Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wäre erheblich gemindert, wenn der Einzelne nur im eigenen Haus der öffentlichen Neugier entgehen könnte. Gewöhnlich in der Öffentlichkeit ist vor allem alltägliches Verhalten, an dem kein Aufklärungsbedarf besteht – unabhängig davon, ob eine Person des öffentlichen Lebens oder eine
___________ 131
Für das deutsche Recht siehe BVerfGE 101, 361 (383 f.); 34, 238 (245 f.). Vgl. Peifer, in: Caroline-Urteil des EGMR, S. 5 (17). 133 Vgl. BVerfGE 101, 361 (382 f.); 27, 1 (6); Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 83: „erzwungene Selbstkontrolle“. 134 Diesen Ansatz verfolgt auch Beuthien, K&R 2004, 457 (458 ff.); ähnlich auch Langenfeld, in: FS Götz, S. 259 (265). 132
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(normale) Privatperson betroffen ist.135 Die betroffene Person ist bloßes Unterhaltungsobjekt – nicht ihre Persönlichkeit sondern ihre Körperlichkeit steht im Zentrum des Interesses. Der Sturz einer Person des öffentlichen Lebens auf einem Badesteg ist daher genauso wenig von einem öffentlichen Informationsinteresse der Öffentlichkeit getragen wie andere Missgeschicke, die jeder Person passieren können.136 Auch ohne diese Informationen können Personen des öffentlichen Lebens ihre Vorbildfunktion in der Öffentlichkeit wahrnehmen und Orientierung an eigenen Lebensentwürfen geben. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Berichterstattung über Tätigkeiten des alltäglichen Lebens ist daher abzulehnen. Etwas anderes gilt dann, wenn neben die Alltäglichkeit weitere „besondere“ Umstände hinzutreten. Die Presse darf persönliche Lebensumstände gesellschaftlich herausragender Personen verbreiten, sofern sie dazu beitragen, der Öffentlichkeit ein besonderes Sozialprofil und damit ein zeitgeschichtlich verdichtetes Persönlichkeitsbild zu vermitteln. Der Einkauf von Prinzessin Caroline von Hannover auf dem Markt ist alltäglich; ihr Einkauf bei einem Discounter wäre dagegen von einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit gedeckt. Die Berichterstattung ist zulässig, wenn Personen ein sozial oder moralisch verwerfliches Verhalten zeigen oder sich anderweitig in der Öffentlichkeit auffällig verhalten.137 Diese Personen verlassen den geschützten Bereich der humanen Normalität und stellen sich bewusst in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Es ist daher gerechtfertigt, sie neben ihrer öffentlichen Funktion z. B. auch nach ihrer Herkunft, dem sozialen Umfeld oder nach persönlichen Interessen und Neigungen vorzustellen. Diese Auffassung hat weder Einschränkungen des investigativen Journalismus zur Folge noch beschneidet sie die Pressefreiheit in unverhältnismäßiger Weise. Es ist in Zukunft weiterhin möglich, Missstände aufzudecken und über Affären zu berichten. An der Affäre des Bundesbankpräsidenten Welteke und den anrüchigen Aktiengeschäften des ehemaligen IG-Metall-Chefs Steinkühler besteht genauso ein öffentliches Informationsinteresse wie an der IKEA-Affäre von Ex-Ministerpräsident Biedenkopf. Auch über die Verbindungen des ExVerteidigungsministers Scharping mit dem PR-Berater Hunzinger darf zulässigerweise berichtet werden. Ein öffentliches Informationsinteresse ist in diesen Fällen bereits unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle anzuerkennen. Darüber hinaus vermitteln derartige Verhaltensweisen ___________ 135 Ebenso Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 859. Anders aber Behnsen, ZaöRV 2005, 239 (248 f.), wonach eine Person des öffentlichen Lebens bei alltäglichen Verhaltensweisen zulässigerweise abgebildet werden darf. 136 Ähnlich v. Gerlach, JZ 1998, 741 (749). 137 Vgl. Beuthien, K&R 2004, 457 (459 f.); ähnlich Bartnik, AfP 2004, 489 (495).
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aber auch ein besonderes Persönlichkeitsprofil, das der Öffentlichkeit vor allem in Anbetracht der Leitbildfunktion dieser Personen nicht vorenthalten werden darf. Mangels humaner Normalität darf auch über einen Klinikarzt, der wegen Kokainhandels zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, berichtet werden. Die Bebilderung eines Berichts über einen Profi-Radsportler, der kurz vor seinem Wettkampf in volltrunkenem Zustand aufgegriffen wird, ist ohne Einwilligung zulässig.138 Gleiches gilt für den gegen ein Jahrmarktszelt urinierenden Adeligen oder den Fußballspieler, der in der Disko Gäste anpöbelt.139 Eine Person des öffentlichen Lebens, die auf einer Gala einen Kameramann tätlich angreift, verhält sich ebenfalls sozial auffällig, so dass über sie berichtet werden darf.140 Das gilt ungeachtet dessen, dass die öffentliche Berichterstattung eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts darstellt, weil ihr Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und sie in den Augen der Öffentlichkeit negativ qualifiziert wird. Wer sich sozial auffällig verhält, hat es hinzunehmen, dass das von ihm selbst erregte Interesse in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird.141 Unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit ist schließlich auch eine Berichterstattung zulässig, durch die ein innerer Widerspruch zwischen dem Verhalten einer Person in ihrer öffentlichen Stellung und ihrem alltäglichen Leben aufgezeigt wird.142 Wer andere wegen ihres Lebenswandels anprangert oder sich selbst als vorteilhaft hinstellt, muss sich ebenfalls den Spiegel aus seinem eigenen Privatbereich vorhalten lassen.143 Die dargelegten Grundsätze rechtfertigen nicht nur die Wortberichterstattung, sondern grundsätzlich auch die Veröffentlichung von Bildberichten. Das gilt auch für Photos, die das betreffende Ereignis nicht abbilden, sondern bei anderer Gelegenheit aufgenommen wurden. Zugunsten der Persönlichkeitsinteressen der betroffenen Person muss jedoch gelten, dass die Abbildung keine zusätzliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bewirken darf. Eine Abbildung hat einen eigenständigen Verletzungseffekt, wenn sie z. B. aus der ___________ 138 Beispiel aus Bartnik, AfP 2004, 489 (493); zweifelnd Bölke, in: Caroline-Urteil, S. 67 (68). 139 Beispiel aus Grimm, FAZ v. 14.07.2004, Nr. 161/2004. 140 Für das deutsche Recht siehe BVerfG NJW 2001, 1921 (1922 ff.); siehe auch Stürner, AfP 2005, 213 (214). 141 Für das deutsche Recht siehe BGH NJW 2006, 599 (601). 142 Für das englische Recht siehe Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1012 Rn. 58; 1027 Rn. 117), per Lord Hoffmann, Lord Hope. 143 Vgl. v. Gerlach, JZ 1998, 741 (751).
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
Intimsphäre des Betroffenen stammt, ihn besonders unvorteilhaft darstellt oder aus ihrem Kontext gerissen wurde.144 Ein den Sinngehalt einer Aussage verfälschendes Photo genießt keinen Schutz als Mittel zu Visualisierung eines Geschehens. Eine zusätzliche Beeinträchtigung ist dagegen bei kontextneutralen Abbildungen – wie z. B. bei klassischen Portraitphotos – in der Regel zu verneinen.145 Hinzu kommt, dass durch den Gebrauch kontextneutraler Abbildungen der Druck der Presse verringert wird, ständig neue, zum jeweiligen Textbericht passende Photos herstellen zu müssen. Die von Personen des öffentlichen Lebens vielfach beklagten erheblichen Belästigungen durch Paparazzi146 werden dadurch zwar nicht gänzlich entfallen, können aber wesentlich gemindert werden.
3. Mediales Vorverhalten der betroffenen Person a) Vergleichende Gegenüberstellung Der Grundsatz, wonach persönliche Lebensumstände nur ohne Einwilligung verbreitet werden dürfen, sofern sie dazu beitragen, der Öffentlichkeit ein zeitgeschichtlich verdichtetes Persönlichkeitsbild zu vermitteln, gilt nicht uneingeschränkt. Nach deutschem Recht muss derjenige, der selbst seine ganze Persönlichkeit, seine Intimsphäre sowie private Gewohnheiten aus Publizitätsgründen der Öffentlichkeit kund tut, Einschränkungen seines Schutzes hinnehmen. Niemand ist daran gehindert, private Angelegenheiten der Öffentlichkeit preiszugeben; allerdings kann er sich gleichzeitig nicht auch auf den Schutz seiner Privatsphäre berufen.147 Gestattet eine Person einen Bildbericht über ihr Eheleben und die derzeitige räumliche Trennung vom Ehepartner, darf über die Scheidung kurze Zeit später in gleicher Weise berichtet werden.148 Lässt sich eine Person für eine Zeitschrift nackt ablichten, muss sie es sich grundsätzlich gefallen lassen, dass auch andere Medien darüber in Wort und Bild berichten.149 Eine Person, die Wert darauf legt, dass bestimmte „Angelegenheiten ___________ 144 Für das deutsche Recht siehe BGH NJW 2006, 599 (601); BVerfG NJW 2001, 1921 (1924); Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.27 f. 145 Für das deutsche Recht siehe OLG Frankfurt NJW 2005, 594 (596); LG Hamburg NJW-RR 2000, 1067 (1068); vgl. Frömming/Peters, NJW 1996, 958 (961). 146 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline. 147 BGH GRUR 2005, 76 (78); vgl. BVerfGE 101, 361 (385); OLG Frankfurt NJW 2005, 594 (595). 148 Vgl. LG Hamburg ZUM 2003, 577 (579 f.). 149 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) aa) (1) und (2) (a).
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oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion“ geschützt werden, muss dies nach Auffassung des BVerfG „situationsübergreifend und konsistent“ zum Ausdruck bringen.150 Ist das der Fall, sind Text- und Bildberichte über ihre Privatsphäre – vorausgesetzt, dass sie nicht durch ein öffentliches Informationsinteresse gerechtfertigt sind151 – grundsätzlich unzulässig.152 Im französischen Recht wird die Veröffentlichung von Angelegenheiten des Privatlebens in Wort und Bild restriktiv beurteilt wird: Personen des öffentlichen Lebens sind vor der Veröffentlichung privater Angelegenheiten auch dann geschützt, wenn sie die Medienöffentlichkeit selbst zur Steigerung ihres Bekanntheitsgrades genutzt haben. Es bleibt jedem selbst überlassen, welche privaten Informationen und Abbildungen öffentlich gemacht werden.153 Anders als im deutschen Recht ist es verboten, darüber zu berichten, dass sich eine prominente Person nackt für ein Modemagazin photographieren ließ.154 Erst in jüngerer Zeit zeigt sich die Tendenz einiger Instanzgerichte, das mediale Vorverhalten der betroffenen Person etwas stärker zu berücksichtigen.155 Im englischen Recht wird die Bedeutung des medialen Vorverhaltens im Zusammenhang mit der Einwendung des öffentlichen Interesses („defence of public interest“) diskutiert.156 Nach ständiger Rechtsprechung kann sich eine Person, die die Medien zuvor gezielt zur Selbstdarstellung eingesetzt hat, nur noch eingeschränkt auf ihren Privatheitsschutz berufen.157 Aus der Rechtssache Campbell v. MGN Ltd. geht jedoch hervor, dass dieser Grundsatz nicht absolut gilt: Eine Person, die bestimmte Angelegenheiten ihres Privatlebens in die Öffentlichkeit getragen hat, ist hinsichtlich anderer (geheimer) Aspekte ihres Privatlebens auch weiterhin geschützt.158 Das mediale Vorverhalten beeinflusst die Zulässigkeit einer späteren Berichterstattung nur, sofern diese in einem irgendwie gearteten Zusammenhang zu den bereits öffentlich gemachten Informationen steht. Nach Auffassung des House of Lords sei das zu bejahen, wenn ___________ 150
BVerfGE 101, 361 (385); vgl. OLG Frankfurt NJW 2005, 594 (595). Siehe dazu oben, Teil 5 A. III. 2. b). 152 OLG Frankfurt NJW-RR 2000, 474 (474). 153 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 3. b); vgl. auch oben, Teil 3 C. II. 2. b). 154 TGI Paris, Urt. v. 30.06.1997, LP 1998, n°152, I, S. 67 – Ophélie Winter; CA Paris, Urt. v. 12.09.1995, LP 1996, n°129, III, S. 21 – Catherine Deneuve. 155 Z. B. TGI Nanterre, Urt. v. 03.03.1999, LP 1999, n°162, S. 75 – Ernst August von Hannover. 156 Siehe dazu oben, Teil 3 D. III. 3. b) bb). 157 Z. B. A v. B (a company) and another [2002] 2 All ER 545 (550 f. Rn. 11), per Lord Woolf. 158 Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1011 f. Rn. 57), per Lord Hoffmann. 151
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mit der Veröffentlichung eine öffentliche unwahre Darstellung richtig gestellt wird („public interest in the correction“).159 Nach der Rechtsprechung des EGMR werden Bildnisse, die in der Öffentlichkeit bereits allgemein bekannt sind, nur noch eingeschränkt geschützt. Die erneute Veröffentlichung dieser Photos kann das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen. Etwas anderes ist nur anzunehmen, wenn die Abbildung aus dem Kontext gerissen oder nur unvollständig wiedergegeben wird.160 Ob auch die Veröffentlichung sonstiger Photos vom medialen Vorverhalten der betroffenen Person abhängt, hat der EGMR noch nicht ausdrücklich entschieden. In Anwendung seiner Grundsätze zur Textberichterstattung ist davon aber auszugehen.161
b) Stellungnahme Viele Personen des öffentlichen Lebens beteiligen sich aktiv an der Vermarktung ihres Privatlebens. Sie kommerzialisieren es, indem sie der Medienöffentlichkeit gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten gegen Bezahlung preisgeben. Das kann in Form einer sog. „Homestory“ geschehen, wie z. B. im Fall des bekannten Tagesthemenmoderators Ulrich Wickert, der einer deutschen Zeitschrift erlaubt hat, bestimmte Aspekte aus seinem Privatleben und einige Photos zu veröffentlichen.162 Auch die Europa-Abgeordnete Silvana Koch-Mehrin ließ sich für eine deutsche Zeitschrift im hochschwangeren Zustand ablichten und berichtete dazu ausführlich über ihre Partnerschaft und die Bewältigung von Berufs- und Familienpflichten.163 Die Preisgabe privater Informationen kann so weit gehen, dass Ultraschallbilder des ungeborenen Kindes gegen Bezahlung im Internet angeboten werden.164 Die Kommerzialisierung des Privatlebens sorgt für Aufmerksamkeit; Aufmerksamkeit schafft Prominenz.165 Im Gegensatz zum deutschen und englischen Recht spricht die derzeit vorherrschende Rechtsprechung in Frankreich dem medialen Vorverhalten jede Bedeutung für die Zulässigkeit einer späteren Veröffentlichung ab. Das franzö___________ 159
Siehe dazu oben, Teil 3 D. III. 3. b) bb). Vgl. Zihler, Schutz des Ansehens, S. 144 f. 161 Siehe dazu oben, Teil 4 B. III. 3. b) bb). 162 Beispiel aus Riede, Person der Zeitgeschichte, S. 159. 163 Vgl. Stern v. 03.03.2005, S. 234 ff. („Mein Bauch provoziert“). 164 Vgl. FAZ v. 05.04.2001 – Jenny Elvers. 165 Beater, AfP 2005, 133 (137); Ladeur, NJW 2004, 393 (394); siehe auch Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 111. 160
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sische Recht begründet seine restriktive Haltung damit, dass jede Person das Recht habe, über die geldwerte Nutzung ihres Bildnisses zu entscheiden und die Entlohnung hierfür in Anspruch zu nehmen.166 Diese Haltung erklärt das zum Teil widersprüchliche Verhalten einiger Personen des öffentlichen Lebens: Einerseits versorgen sie die Presse mit Details über ihr Privatleben und profitieren von einer Presseveröffentlichung. Andererseits wollen sie die Verbreitung privater Informationen untersagen, wenn diese für ihre Prominenz nicht förderlich sind. Der Schutz dieser Art von „selektivem Exhibitionismus“167 kann mit dem Stellenwert der Pressefreiheit und den gewichtigen Informationsinteressen der Öffentlichkeit nicht vereinbart werden. Die Presse unterliegt dem Gebot der wahrheitsgetreuen Darstellung, dem mit einer verfälschenden einseitigen Berichterstattung nicht Genüge geleistet wird. Darüber hinaus widerspricht das französische Rechtsverständnis auch der soziologischen Sicht, wonach ein von Kritik und Beobachtung befreites Dasein überheblich und realitätsfremd machen kann:168 Die Unterhaltungspresse ersetzt dem Menschen „ein gutes Stück gelebter Gesellschaft“169 und ermöglicht eine Selbstverortung in der dargestellten Welt und „die Arbeit an der eigenen Identität“170. Die frühere Bereitschaft einer Person, der Presse Einblick in ihr Privatleben zu gewähren, muss ihr daher als „Rechtsverzicht“ entgegen gehalten werden können. Es liefe auf ein „venire contra factum proprium“ hinaus, wenn der Betroffene zunächst seine Einwilligung in die Veröffentlichung von Details aus seinem Privatleben erteilt, sich dann aber bei anderer Gelegenheit auf den Schutz seiner Privatsphäre beruft.171 Derjenige, der aus eigenem Entschluss Details aus seinem Privatleben preisgibt und sich den Bedingungen des Meinungskampfes unterwirft, muss es sich gefallen lassen, dass seine an sich schützenswerte Privatsphäre nicht mehr umfassend geschützt wird. Dieser Gedanke ist jedoch nur tragfähig, soweit es um einzelne Vorgänge oder Aspekte des Privatlebens geht, die der Betroffene den Medien preisgegeben und auf deren Geheimhaltung er damit bewusst verzichtet hat. Nicht mit den Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person vereinbar ist dagegen das Verständnis, wonach die Offenbarung bestimmter privater Details einen si___________ 166
Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 1. b) cc); vgl. Ravanas, Image, n°43. Brossolet, LP 1999, n°165, II, S. 126; Bartnik, Bildnisschutz, S. 165. 168 Peifer, in: Caroline-Urteil des EGMR, S. 5 (18). 169 Ladeur, NJW 2004, 393 (394); Di Fabio, AfP 1999, 126 (126); Lenski, NVwZ 2005, 50 (52). 170 Luhmann, Realität der Massenmedien, S. 46 f. 171 Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 95. 167
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tuationsübergreifenden Totalverzicht auf Privatheit zur Folge haben kann.172 Eine derart undifferenzierte Betrachtungsweise kann dem Persönlichkeitsschutz nicht gerecht werden. Es besteht ein „erheblicher qualitativer Unterschied, ob jemand der Öffentlichkeit Zutritt zu seinem Garten, seinem Wohnzimmer oder zu seinem Schlafzimmer gewährt“.173
Das mediale Vorverhalten einer Person kann sich nur situativ und qualitativ auswirken und einen Verzicht auf Privatheit mit sich bringen. Damit stellt sich die Frage, in welchem Maß die betroffene Person Einschränkungen ihres Privatsphärenschutzes hinzunehmen hat. Ist die erneute Veröffentlichung eines bereits öffentlich gemachten Photos erlaubt? Kann auch ein anderes Photo veröffentlicht werden? Rechtfertigt ein Textbericht auch die spätere Veröffentlichung eines Bildberichts? Es ist zunächst erlaubt, ein Photo, das die abgebildete Person aus eigenem Entschluss der Medienöffentlichkeit zugeführt, erneut zu veröffentlichen (Zweitveröffentlichung).174 Hat eine Person in der Vergangenheit die Öffentlichkeit gesucht und ihr Bildnis zur Vermarktung eingesetzt, muss sie es sich als Kehrseite gefallen lassen, dass die betreffende Abbildung erneut veröffentlicht wird. Eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person ist gering: Das Photo ist bereits in der „public domain“. Es enthält keine geheimen Informationen mehr. Gleichwohl gilt der Grundsatz der Abbildungsfreiheit nur eingeschränkt. Die abgebildete Person wird nicht zum „Freiwild“ der Medien. Erforderlich ist eine Interessenabwägung, die nicht den Kommerzialisierungsinteressen der abgebildeten Person dient, sondern Zweck, Inhalt, Medium und sonstige Begleitumstände einschließt: Bei der Interessenabwägung ist zunächst zu berücksichtigen, ob es der Zweitveröffentlichung lediglich darum geht, die Abbildung als „Aufmacher“ oder in reißerischer Form zu präsentieren oder die Veröffentlichung über ein Ereignis sachlich informiert. Nahezu kommentarlose Abbildungen, die sich in der Wiedergabe eines Photos erschöpfen und nicht ansatzweise eine Auseinandersetzung mit der Person bezwecken, sind ohne eine erneute Einwilligung unzulässig.175 ___________ 172 In diese Richtung aber BVerfGE 101, 361 (385); kritisch Stürner, JZ 2004, 1018 (1020). 173 Aus Götting, in: Schricker, § 60/§ 23 Rn. 96. 174 Für das Recht der EMRK siehe EGMR, Urt. v. 26.02.2002, Nr. 34315/96 (Ziff. 37) – Krone Verlag I; EGMR, Urt. v. 11.01.2000, Nr. 31457/96 (Ziff. 59) – News Verlags GmbH; für das deutsche Recht siehe OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (595). 175 Für das deutsche Recht siehe OLG Frankfurt NJW 2000, 594 (595); OLG Hamburg NJW 1996, 1151 (1152 f.); OLG Köln VersR 1997, 1500 (1501).
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Die Befugnis zur erneuten Veröffentlichung eines Photos erstreckt sich auch auf ein anderes Medium als das der Erstveröffentlichung. Die Persönlichkeitsinteressen werden dadurch in der Regel nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Etwas anderes kann aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes aber gelten, wenn sich der Wirkungs- und Adressatenkreis von Erst- und Zweitmedium erheblich unterscheiden. Für die abgebildete Person macht es einen wesentlichen Unterschied, ob Einzelheiten ihrer Privatsphäre im Playboy preisgegeben oder in einem Biologiebuch illustriert werden.176 Es unterliegt dem Selbstbestimmungsrecht einer Person zu bestimmen, ob ihr Bildnis in einem Medium mit kleinem Wirkungskreis, in einem bundesweit in großer Auflage erscheinenden Medium oder gar im Internet veröffentlicht wird.177 Dasselbe gilt für den Adressatenkreis des Mediums: Hat sich eine Person für Nacktaufnahmen in einer Zeitung zur Verfügung gestellt, um ihre Popularität zu steigern, kann eine Zweitveröffentlichung in einer vergleichbaren Zeitung erlaubt sein, während sie in einem Herrenmagazin verboten ist.178 Das mediale Vorverhalten hat nur eine begrenzte zeitliche Wirkung.179 Jeder Person muss es im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung möglich sein, sich und ihre Einstellungen gegenüber ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit zu ändern. Eine Zweitveröffentlichung ist daher nur im zeitlichen Zusammenhang zur Erstveröffentlichung zulässig.180 Hat eine Frau in einer Talkshow Teile ihres Körpers entblößt, ist die photographische Veröffentlichung dieser Situation einige Tage und Wochen später erlaubt, mehrere Jahre später jedoch nicht mehr gerechtfertigt.181 Neben der Zweitveröffentlichung eines bereits verbreiteten Photos ist es auch möglich, ein anderes Photo der betroffenen Person zu veröffentlichen. Gibt es kontextbezogene Photos über die bereits preisgegebenen Informationen, ist deren Veröffentlichung in der Regel zulässig. Gleiches gilt für kontextneutrale Photos oder Photos aus einem anderen Kontext mit einem dem neuen Sachzusammenhang gerecht werdenden Aussagegehalt. Der Einzelne hat keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich sieht oder wie er von anderen gerne wahrgenommen werden möchte.182 ___________ 176 177
BGH NJW 1985, 1617 (1619); Wenzel, Berichterstattung, Rn. 5.51. Zum Wirkungskreis des Mediums im Recht der EMRK siehe oben, Teil 4 B. III.
5. b). 178
Für das deutsche Recht siehe OLG München ZUM 1985, 327. In diese Richtung auch Stürner, JZ 2004, 1018 (1020). 180 Für das deutsche Recht siehe LG Hamburg ZUM 2003, 577 (579). 181 LG Berlin AfP 2001, 246. 182 Für das deutsche Recht siehe BVerfG NJW 2001, 1921 (1925); BVerfGE 99, 185 (194). 179
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Entscheidend ist allein, ob die Veröffentlichung eines anderen Photos eine zusätzliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes der abgebildeten Person bewirkt. Das ist im Regelfall ausgeschlossen, wenn ein kontextneutrales Bildnis verwendet wird. Bei der Veröffentlichung eines Photos aus einem anderen Kontext gilt: Das Photo darf nicht „freizügiger oder in höherem Maße herausfordernd“ als das bereits öffentlich gemachte Photo sein.183 Es darf keine über die bereits bekannten Informationen hinausgehenden privaten Details enthalten. Außerdem sind verfälschende und besonders unvorteilhafte Darstellungen verboten. Damit stellt sich schließlich die Frage, welche Bedeutung das mediale Vorverhalten einer Person für die nachfolgende Bildberichterstattung hat, wenn die offenbarten Informationen bislang nur in einem Textbericht veröffentlicht wurden. Bei der Abwägung mit dem Persönlichkeitsschutz liegt es nahe, zwischen der Eingriffsintensität von Wort- und Bildberichten zu differenzieren. Der Eingriff in die Privatsphäre fällt bei der Veröffentlichung eines Photos ungleich stärker aus als bei der Veröffentlichung eines reinen Textberichts. Mit der Anfertigung eines Photos bewirkt der Hersteller eine gewisse Herrschaftsmacht über den Betroffenen. Die unfreiwillige Anfertigung macht die Person dauerhaft zum Objekt der Abbildung.184 Der EGMR misst diesem Unterschied eine elementare Bedeutung bei und verweist zugleich darauf, dass sich mit Bildaufnahmen häufig Belästigung, Zudringlichkeit und Verfolgung durch Paparazzi verbinden.185 Auch im Recht der EU-Mitgliedstaaten ist anerkannt, dass eine Bildberichterstattung einen weitaus stärkeren Eingriff in die Persönlichkeitsinteressen der betroffenen Person begründen kann als ein bloßer Textbericht.186 Dementsprechend hat auch „Outing im Bild“ für die Selbstbeschränkung des Privatsphärenschutzes eine andere Qualität als ein nur „verbales Outing“187. Eine Person, die ihr glückliches Eheleben in einem Exklusivinterview selbst öffentlich gemacht hat, muss es sich nicht gefallen lassen, dass später Photos veröffentlicht werden, auf denen sie mit ihrem Liebhaber abgebildet ist. Auch die Tatsache, dass sich eine Person regelmäßig und ausführlich über Belange ihres Intimlebens äußert, bedeutet nicht, dass auch Nacktphotos verbreitet werden dürfen.188 Eine andere rechtliche Wertung ist nur denkbar, wenn das Photo im Gesamtkontext der Darstellung keine über den Textbeitrag hinausgehende Be___________ 183
Für das deutsche Recht siehe OLG Hamburg AfP 1992, 159 (160). Siehe dazu oben, Teil 5 A. I. 2. b); vgl. auch Stürner, AfP 2005, 213 (215). 185 EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline. 186 Vgl. z. B. Naomi Campbell v. MGN (HL) [2004] 2 All ER 995 (1037 ff. Rn. 154 ff.), per Baroness Hale. 187 Vgl. Wenzel, Berichterstattung, Rn. 8.75. 188 Für das deutsche Recht siehe LG Hamburg ZUM 2002, 68 (70). 184
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einträchtigung der Persönlichkeitsinteressen des Abgebildeten bewirkt.189 Davon ist in der Regel bei der Veröffentlichung kontextneutraler Photos auszugehen.190 Die Presse ist daher berechtigt, eine Person in Form eines neutralen Portraitphotos abzubilden, wenn sich diese zuvor medial über ihr Privatleben geäußert hat.
IV. Bildnisschutz in Fällen stofflicher und intellektueller Manipulation 1. Vergleichende Gegenüberstellung Im deutschen Recht wird eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild bejaht, wenn die Abbildung einer Person veröffentlicht wird und diese nicht der Wahrheit entsprechen. Bewusste Unwahrheiten werden vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht erfasst,191 so dass der Eingriff in das Recht am eigenen Bild einer Interessenabwägung mit den Kommunikationsfreiheiten nicht zugänglich ist. Eine Verfälschung kann durch stoffliche Manipulation – z. B. eine Photomontage – oder durch intellektuelle Manipulation erfolgen. Eine intellektuelle Manipulation liegt vor, wenn das Bildnis an sich wahrheitsgemäß ist, die Abbildung im Kontext von Begleittext und Bildüberschrift aber einen falschen Eindruck erweckt.192 Ein besonders schwerer Fall der intellektuellen Manipulation ist die Verwendung eines Bildnisses zu Werbezwecken. Die Veröffentlichung suggeriert, dass die abgebildete Person in die Kommerzialisierung ihres Bildnisses eingewilligt habe. Die Verwendung eines Bildnisses ausschließlich zu Werbezwecken ist im deutschen Recht ohne Einwilligung der betroffenen Person daher unzulässig.193 Etwas anderes gilt für die Eigenwerbung der Presse, die vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG erfasst wird. Die Zulässigkeit von Eigenwerbung in Presseerzeugnissen, die neben gewerblichen Interessen regelmäßig auch Informationsinteressen verfolgt, ist durch eine Interessenabwägung zu ermitteln. Die Verwendung des Bildnisses ist unzulässig, wenn für den unvoreingenom___________ 189
Für das deutsche Recht siehe BGH NJW 2006, 599 (601). Siehe dazu oben, Teil 5 A. III. 2. b) bb). 191 BVerfGE 90, 241 (247 f.); vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 144 ff. 192 Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) bb). 193 Siehe jüngst OLG München, Beschl. v. 10.05.2005, Az.: 21 O 8286/04 (unveröffentlicht); OLG Hamburg ZUM 2005, 164. 190
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menen Leser der Eindruck entsteht, dass sich der Abgebildete mit dem umworbenen Produkt identifiziere.194 Auch im französischen Recht wird der Einzelne vor der verfälschten Wiedergabe seines Bildnisses geschützt. Die Verfälschung („dénaturation de la personnalité“) kann – wie im deutschen Recht – auf einer stofflichen oder intellektuellen Manipulation der Abbildung beruhen.195 Im französischen Recht ist anerkannt, dass die kommerzielle Bildnisverwertung nur mit Einwilligung der abgebildeten Person zulässig ist. Bereits im Jahr 1892 wurde einem Keksfabrikanten verboten, das Bildnis eines Mädchens ohne ihr Einverständnis auf den Verpackungen seiner Produkte zu verwenden.196 Jede Person kann selbst darüber entscheiden, ob sie ihr Bildnis gegen eine entsprechende Vergütung für Werbezwecke zur Verfügung stellt oder nicht.197 Die abgebildete Person hat ein dem urheberrechtlichen Nutzungsrecht entsprechendes Recht an der kommerziellen Verwertung ihres Bildnisses („monopole d’exploitation“). Die Gerichte entscheiden im Zweifel auch dann zugunsten des Persönlichkeitsschutzes der abgebildeten Person, wenn neben die kommerziellen Interessen öffentliche Informationsinteressen treten. Eine Ausnahme für die Eigenwerbung der Presse wird im französischen Recht nicht gemacht.198 Im englischen Recht wird der Einzelne vor einer verfälschten Abbildung nur unter den Voraussetzungen des tort of defamation geschützt. Die Veröffentlichung einer unwahren Darstellung ist verboten, wenn ihr zugleich auch eine herabwürdigende oder rufschädigende Bedeutung zukommt. Die Wahrheit der Bildaussage ist im Gesamtkontext der Abbildung zu ermitteln.199 Eine Verfälschung liegt z. B. vor, wenn eine Person als Ergebnis einer Photomontage mit einem Kind abgebildet ist, das im Begleittext als ihr eigenes Kind ausgegeben wird.200 Gleiches gilt für ein Photo, das einen Mann und eine Frau zeigt, die im Begleittext wahrheitswidrig als Verlobte ausgewiesen werden.201 Aus der Rechtssache Tolley v. Fry & Sons geht hervor, dass die Veröffentlichung eines Bildnisses zu Werbezwecken als intellektuelle Manipulation eine Haftung aus defamation bewirken kann. Die Veröffentlichung des Photos suggeriere wahr___________ 194
Siehe dazu oben, Teil 3 B. II. 3. b) bb) am Ende. Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 1. b) bb). 196 Trib. com. Seine, Urt. v. 13.06.1892, Gaz. Pal. 1892, II, S. 107. 197 Vgl. Ravanas, Image, n°43; Potvin, Image, S. 214 f. 198 Siehe dazu oben, Teil 3 C. II. 1. b) cc). 199 Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. a). 200 Debenham v. Anckorn, The Times v. 05.03.1921; vgl. Honeyset v. News Chronicle, The Times v. 14.05.1935. 201 Cassidy v. Daily Mirror Newspapers Ltd. [1929] 2 KB 331. 195
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heitswidrig, dass die abgebildete Person ihr Bildnis zur Kommerzialisierung eingesetzt und dafür eine Vergütung erhalten habe.202 Im Gegensatz zu Art. 5 Abs. 1 GG erfasst Art. 10 Abs. 1 EMRK auch den Schutz bewusster Unwahrheiten.203 Das ändert aber nichts daran, dass eine Person vor der stofflichen und intellektuellen Manipulation ihres Bildnisses geschützt wird. An derartigen Veröffentlichung besteht kein „dringendes soziales Bedürfnis“, das einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit rechtfertigen kann.204 Nach der Rechtsprechung des EGMR erstreckt sich die Meinungsfreiheit auch auf den Schutz der kommerziellen Verbreitung von Informationen.205 Die kommerzielle Bildnisverbreitung muss jedoch auch Informationsinteressen der Öffentlichkeit wahrnehmen.206 Dient sie ausschließlich Werbezwecken, ist die Veröffentlichung im Recht der EMRK daher nicht geschützt.
2. Stellungnahme Im Kampf der Presse um die Leserschaft ist die Versuchung groß, Bilder durch technische Eingriffe den Erwartungen der Leser anzupassen. Leidtragender ist die abgebildete Person, deren Persönlichkeitsinteressen durch die Veröffentlichung unwahrer, ihre Persönlichkeit verfälschende Bildberichte besonders stark beeinträchtigt werden. Bildberichten ist in der Regel eine höhere Glaubwürdigkeit immanent als bloßen Textberichten; Photos vermitteln Authentizität. Vor diesem Hintergrund erstaunt nicht, dass das deutsche, französische und englische Recht sowie das Recht der EMRK im Grundsatz übereinstimmend davon ausgehen, dass in Fällen stofflicher und intellektueller Manipulation die Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person das Publikationsinteresse der Presse überwiegen. Diesem Verständnis ist auch für das Recht der EU zu folgen: In Fällen stofflicher und intellektueller Manipulation veröffentlicht die Presse bewusst falsche Informationen. Im Gegensatz zur „falschen“ Meinung, die als subjektive Äußerung geschützt wird, besteht an bewusst falschen Informationen, die Objektivität vortäuschen, kein schützenswertes Informationsinteresse, das ihre ___________ 202 Tolley v. Fry & Sons Ltd. [1931] AC 333; siehe hierzu Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 608. 203 Siehe dazu oben, Teil 4 B. II. 1. a) aa) (1). 204 Zum dringenden sozialen Bedürfnis siehe oben, Teil 4 B. II. 2. 205 Vgl. EGMR, Urt. v. 24.02.1994, Nr. 15450/89 (Ziff. 35) – Casado Coca; EGMR, Urt. v. 20.11.1989, Nr. 10572/83 (Ziff. 26) – Markt intern. 206 Siehe dazu oben, Teil 4 B. II. 1. a) aa) (1).
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
Verbreitung rechtfertigen könnte. Die Pressefreiheit ist wie jede institutionelle Rechtsposition nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Freiheit des Menschen willen geschützt.207 Falsche Informationen sind jedoch kein Meinungsfundament, sie zersetzen den öffentlich Diskus und die individuelle Meinungsbildung. Die Folgen einer bewussten oder doch leichtfertig falschen Information der Öffentlichkeit durch das Massenkommunikationsmittel der Presse können verheerend sein.208 Entgegen dem Verständnis des englischen Rechts,209 darf es nicht darauf ankommen, ob die falschen Informationen auch einen ehrverletzenden Charakter haben. Der Schutz der Wahrheit ist neben dem Schutz der Ehre ein eigenständiges Schutzgut. Die Presse wird nach diesem Verständnis weder gegängelt noch inhaltlich gelenkt; ihrer überragenden Bedeutung wird hinreichend Rechnung getragen.210 Die Verwertung eines Bildnisses zu Werbezwecken ist eine besondere Art der intellektuellen Manipulation. Sie wird immer bedeutender: In der Werbung kann eine zunehmende Verknüpfung von Produkten mit prominenten Werbeträgern beobachtet werden. Personalisierung ist ein wichtiges publizistisches Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen. Viele prominente Personen stehen für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen; sie bilden Kristallisationspunkte für Zustimmung oder Ablehnung und können Leitbildfunktionen erfüllen. Durch die visuelle Verbindung eines Produkts mit einer prominenten Person wird erhofft, dass sich das Interesse an der Person und ihre Beliebtheit auf das Produkt übertragen. Problematisch ist die Werbung mit Bildaufnahmen einer Person, wenn diese in die Nutzung ihres Bildnisses zu Werbezwecken nicht eingewilligt hat. Aus dem Recht der EU-Mitgliedstaaten und der EMRK geht übereinstimmend hervor, dass keine Person die Verwertung ihres Bildnisses zu Werbezwecken dulden muss, wenn damit allein Geschäftsinteressen befriedigt werden. Die Bildnisnutzung für die „klassische Werbung“ – z. B. in Zeitungsanzeigen oder in Werbeprospekten – ist ohne Einwilligung unzulässig. Die Eigenwerbung der Presse wird im Recht der EU-Mitgliedstaaten dagegen unterschiedlich beurteilt: Während sie nach französischem Recht verboten ist, ist sie nach deutschem Recht grundsätzlich zulässig, da sie auch öffentliche Informationsinteressen verfolgt. Es ist anzunehmen, dass der EGMR, der – wie die englischen Gerichte – über die Eigenwerbung der Presse bislang nicht zu ___________ 207
Vgl. Di Fabio, AfP 1999, 126 (128). Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Abs. I, II Rn. 147; vgl. Di Fabio, AfP 1999, 126 (128). 209 Siehe dazu oben, Teil 3 D. II. 2. a). 210 Ähnlich Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 67. 208
A. Bildnisschutz in wertender Rechtsvergleichung
285
entscheiden hatte, sich mit dieser Begründung dem Verständnis der deutschen Gerichte anschließen wird: Er hat dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit bei der Frage, ob die Verbreitung von Informationen zu kommerziellen Zwecken zulässig ist, bereits mehrfach eine besondere Bedeutung beigemessen.211 Das restriktive Verständnis des französischen Rechts ist im Hinblick auf die Bedeutung der Pressefreiheit nicht haltbar: Die Freiheit der Presse wäre unverhältnismäßig eingeschränkt, wenn es der Presse nicht erlaubt wäre, zur Absatzförderung ihrer Produkte mit dem Bildnis einer Person zu werben. Ein Photo schafft Aufmerksamkeit und weckt Neugier, von der Berichterstattung im Innern der Zeitung oder Zeitschrift Kenntnis zu erlangen. Sie trägt dadurch zur Verbreitung der in dem Presseerzeugnis enthaltenen Informationen und Ideen bei. Dass die Presse mit der Veröffentlichung von Photos prominenter Personen auch wirtschaftliche Ziele verfolgt, darf nicht zu Lasten ihres schützwürdigen Publikationsinteresses ins Gewicht fallen. Schließlich können auch Zeitungs- und Zeitschriftenverlage auf Dauer nur bestehen, wenn sie mit Gewinn arbeiten. Die Abbildungsfreiheit in Fällen der pressespezifischen Eigenwerbung gilt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes jedoch nicht uneingeschränkt: Auf dem Titelblatt dürfen nur diejenigen Bildnisse veröffentlicht werden, die jedenfalls zu einer (marginalen) redaktionellen Berichterstattung im Inneren der Zeitschrift in Bezug stehen. Unerheblich ist, ob der redaktionelle Beitrag niveauvoll ist oder nur eine bescheidene journalistische Qualität bzw. einen geringen informatorischen Gehalt aufweist. Es kommt allein darauf an, dass das Presseerzeugnis die Erwartung des unbefangenen Lesers befriedigt, indem es ein Zusammenspiel des Photos auf dem Titelblatt mit einem redaktionellen Beitrag bietet. Es ist notwendig, dass das Titelblatt auf den Textbeitrag im Innern der Zeitschrift verweist.212 Andernfalls käme der Abbildung auf dem Titelblatt kein über die Werbung für die Zeitschrift hinaus gehender Informationswert zu. Der Hinweis muss deutlich machen, womit sich der redaktionelle Beitrag befasst. Ausreichend ist eine Schlagzeile – z. B. „Künstlerin am Kochtopf“213 –, die den redaktionellen Beitrag im Inneren in Bezug nimmt.
___________ 211
Siehe nur EGMR, Urt. v. 25.03.1985, Nr. 8734/97 (Ziff. 56 ff.) – Barthold. Anders BGH AfP 1995, 495 (496), worin der BGH zwar auf das Wechselspiel von Titelbild und redaktionellem Beitrag verweist. Einen ausdrücklichen Hinweis auf dem Titelblatt der Zeitschrift fordert er hingegen nicht. 213 Kundenzeitschrift „alverde“ des Drogeriemarkts dm vom September 2006, auf der das Bildnis der Köchin Sarah Wiener abgebildet ist. 212
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
Eine Beschränkung des Titelbildes auf die im Inneren der Zeitschrift verwendeten Photos ist dagegen nicht erforderlich. Die Presse darf für einen Bericht im Innern der Zeitschrift auch mit einem Photo werben, das die abgebildete Person bei einer Gelegenheit zeigt, die mit dem Beitrag nicht in Zusammenhang steht. Maßgebend ist, ob durch die Veröffentlichung des Photos das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person zusätzlich beeinträchtigt wird.214 Es ist daher verboten, ein Photo aus einer anderen Situation zu veröffentlichen, wenn dieses den Betreffenden in einer besonders unglücklichen Situation zeigt oder ihn unvorteilhaft darstellt. Dasselbe gilt für ein Photo, das aus seinem Kontext gerissen wird, wenn sich dadurch der Sinngehalt der Bildaussage erheblich ändert.215 Eine Beschränkung auf das Photo, das im redaktionellen Beitrag veröffentlicht wird, ist immer dann erforderlich, wenn die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts nur auf diese Weise auf das gebotene Mindestmaß begrenzt werden kann, ohne dass zugleich das berechtigte Anliegen der Pressefreiheit verkürzt wird.216 Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Fälle, in denen mit dem Titelbild für einen reinen Textbericht im Inneren der Zeitschrift geworben wird. Die Veröffentlichung eines kontextneutralen Photos – wie z. B. eines klassischen Portraitphotos – ist in der Regel erlaubt, da eine zusätzliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der abgebildeten Person ausgeschlossen ist.217 Das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person ist schließlich unverhältnismäßig beeinträchtigt, wenn sie auf dem Titelblatt unmittelbar als Werbeträger dargestellt wird. Jede Person – sei sie bekannt oder unbekannt – hat das Recht, nicht zum bloßen Objekt wirtschaftlicher Interessen herabgewürdigt zu werden.218 Das ist nicht bereits der Fall, wenn ein Bildnis als Blickfang für eine Zeitschrift eingesetzt wird. Der unbefangene Leser bringt das Titelbild zunächst mit dem Textbeitrag im Inneren der Zeitschrift in Verbindung. Es ist ihm geläufig, dass bestimmte Zeitschriften die Bilder beliebter oder bekannter Persönlichkeiten auf den Titelseiten abdrucken, um hierdurch die Aufmerksamkeit der Leser auf sich zu lenken. Es müssen also weitere Elemente hinzu-
___________ 214
Siehe bereits oben, Teil 5 A. III. 3. b). Für das deutsche Recht siehe BGH NJW 2006, 599 (601). 216 Für das deutsche Recht siehe BGHZ 151, 26 (32 f.). 217 Für das deutsche Recht siehe BVerfG NJW 2001, 1921 (1924 f.). 218 Für das französische Recht siehe TGI Paris, Urt. v. 16.10.2002, LP 2002, n°197, I, S. 151; TGI Paris, Urt. v. 02.10.1996, LP 1996, n°138, I, S. 4; für das deutsche Recht siehe BGH NJW 1997, 1152 (1153). 215
B. Zusammenfassung und Ausblick zum Bildnisschutz in Europa
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treten, durch die für den unbefangenen Betrachter der Eindruck entsteht, als identifiziere sich die abgebildete Person mit dem umworbenen Produkt.219
B. Zusammenfassung und Ausblick zum Bildnisschutz in Europa I. Ergebnisse zum Bildnisschutz nach geltendem Recht Die Gegenüberstellung der Rechtslage in den EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, England und des Rechts der EMRK hat auf Grundlage der wertenden Rechtsvergleichung zu folgenden Ergebnissen geführt: –
Ein Bildnis ist jede Abbildung einer Person, die – jedenfalls im persönlichen Umfeld von Familie und Freunden – erkennbar ist. Die Erkennbarkeit kann sich aus den Gesichtszügen oder anderweitig im Kontext von Begleittext und Bildunterschrift ergeben.
–
Neben der Anfertigung stellt auch jede Veröffentlichung eines Bildnisses einen Eingriff in das Recht am eigenen Bild dar. Die Wiedergabe des Bildnisses kann in einem körperlichen Bildträger oder in unkörperlicher Form erfolgen.
–
Eine Verletzung des Rechts am eigenen Bild scheidet aus, wenn die betroffene Person in die Anfertigung oder Veröffentlichung des Bildnisses eingewilligt hat. Die Einwilligung kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden. Eine konkludente Einwilligung kann nur angenommen werden, wenn hierfür unmissverständliche Anhaltspunkte bestehen. Die Reichweite der Einwilligung wird restriktiv beurteilt. Beschränkungen inhaltlicher, zeitlicher oder räumlicher Natur können sich auch aus den Gesamtumständen der Abbildung ergeben.
–
Personen des öffentlichen Lebens sind neben Politikern und Amtsträgern auch alle sonstigen Personen, die sich aus dem Kreis der Mitmenschen herausheben. Zu den Personen des öffentlichen Lebens zählen daher auch solche der Wirtschaft, Wissenschaft, Sport-, Kultur- und Unterhaltungsbranche. Eine Differenzierung zwischen absoluten und relativen Person der Zeitgeschichte kann Anhaltspunkte für eine größere Berechenbarkeit des Rechts liefern.
–
Die Abgrenzung des geschützten vom ungeschützten Bereich der Privatsphäre folgt der thematisch-funktionalen Herangehensweise. Betäti___________ 219 Für das deutsche Recht siehe BGH NJW 1997, 1152 (1153 f.); AfP 1995, 495 (496); siehe auch OLG Köln ZUM 1994, 723 (724 f.).
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
gungen aus dem Privatleben werden unabhängig von den situativen Begebenheiten und dem Ort der Bildaufnahme dem geschützten Bereich der Privatsphäre zugerechnet. –
Jede Person hat ein Recht auf humane Normalität. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht an einem privaten und alltäglichen Verhalten daher nur, wenn es dazu beiträgt, der Öffentlichkeit ein besonderes Sozialprofil und damit ein zeitgeschichtlich verdichtetes Persönlichkeitsbild zu vermitteln. Das ist z. B. bei sozial auffälligen Verhaltensweisen zu bejahen.
–
Die bewusste Weitergabe privater Details hat eine Einschränkung des Bildnisschutzes zur Folge. Das mediale Vorverhalten kann sich situativ und qualitativ auswirken. Neben der Zweitveröffentlichung eines Photos ist auch die Veröffentlichung eines anderen Photos zulässig, sofern dieses nicht eine zusätzliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bewirkt. Ein eigenständiger Verletzungseffekt ist bei kontextneutralen Photos in der Regel ausgeschlossen. Kontextneutrale Photos dürfen auch veröffentlicht werden, wenn die Presse über den in Rede stehenden Sachverhalt bisher nur in einem Textbeitrag informiert hat.
–
Bildnisse, die an sich manipuliert sind oder die Persönlichkeit des Abgebildeten im Kontext von Begleittext und Bildunterschrift verfälschen, dürfen nicht veröffentlicht werden. Das gilt auch für Bildnisse, die ausschließlich der Werbung dienen. Die Eigenwerbung der Presse ist grundsätzlich zulässig. Bildnisse dürfen auch auf dem Titelblatt einer Zeitschrift veröffentlicht werden, wenn dieses auf den redaktionellen Beitrag im Inneren der Zeitschrift hinweist. Für den unbefangenen Leser darf nicht der Eindruck entstehen, als identifiziere sich der Abgebildete mit dem Presseerzeugnis oder dem darin umworbenen Produkt.
II. Ausblick zum Bildnisschutz unter dem Vertrag über eine Verfassung für Europa Mit Rechtsverbindlichkeit des Europäischen Verfassungsvertrages wird die EMRK von der Rechtserkenntnisquelle bei der Auslegung der Unionsgrundrechte zur indirekten Rechtsquelle erhoben.220 Das in dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienleben gemäß Art. II-67 VVE (= Art. II-7 Charta) enthaltene Recht am eigenen Bild hat gemäß Art. II-112 Abs. 3 VVE die gleiche Bedeutung und Tragweite wie es ihm im Recht der EMRK gewährt wird. Ge___________ 220
Siehe dazu oben, Teil 2 C. II. 1. a) bb) (2) und Teil 2 C. II. 2.
B. Zusammenfassung und Ausblick zum Bildnisschutz in Europa
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genstand und Reichweite des Bildnisschutzes in Europa werden durch die Inkorporation des Schutzbereichs und der Schranken gemäß Art. 8 EMRK, einschließlich der bisherigen und zukünftigen Rechtsprechung des EGMR221 ermittelt. Derzeit lassen sich für die Zukunft folgende Prognosen treffen: –
Die Rechtsfigur der Person des öffentlichen Lebens ist nach Aussage des EGMR im Caroline-Urteil auf Politiker und sonstige Amtsträger beschränkt. Andere prominente Personen werden nicht erfasst. Im Vergleich zur geltenden Rechtslage können sich Personen der Sport-, Kultur- und Unterhaltungsbranche etc. unter dem Europäischen Verfassungsvertrag daher auf einen weiter gehenden Schutz ihrer Persönlichkeitsinteressen freuen. An die Zulässigkeit von Presseberichten über diese Personen werden nach dem derzeitigen Verständnis des EGMR in Zukunft strengere Anforderungen zu stellen sein. Ob es bei diesem Verständnis bleiben wird, ist allerdings fraglich. Selbst in der Richterschaft des EGMR bestehen erhebliche Zweifel daran, den Begriff der Person des öffentlichen Lebens derart restriktiv zu verstehen. Darüber hinaus widerspricht dieses Begriffsverständnis der Resolution 1165 des Europarates, an das sich der EGMR gebunden fühlt.222 Es ist daher wahrscheinlich, dass sich der EGMR der Auffassung der EUMitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und England anschließen und auch sonstige prominente Personen als solche des öffentlichen Lebens qualifizieren wird. Im Vergleich zur geltenden Rechtslage würden sich in Zukunft dann keine Änderungen ergeben.
–
Nach Auffassung des EGMR besteht zwischen der Berichterstattung über politische Informationen und derjenigen über Details aus dem Privatleben einer Person ein fundamentaler Unterschied. Presseberichte sind nach der Rechtsprechung des EGMR nur zulässig, wenn sie in einem hinreichenden Zusammenhang zu seiner öffentlichen Funktion stehen.223 In Übertragung der Rechtsprechung des EGMR auf das Unionsrecht wird unter dem Europäischen Verfassungsvertrag ein öffentliches Informationsinteresse an Aspekten des Privatlebens grundsätzlich abzulehnen sein. Etwas anderes wird nur dann gelten, wenn sich aus den privaten Informationen Rückschlüsse auf die Wahrnehmung politischer Aufgaben ziehen lassen, sie also einen Bezug zu der öffentlichen Funk-
___________ 221 Zum dynamischen Verweis des Art. II-112 Abs. 3 S. 1 VVE auf die Rechtsprechung des EGMR siehe oben, Teil 2 C. II. 1. a) cc). 222 Siehe dazu oben, Teil 5 A. II. 2. 223 Siehe dazu oben, Teil 4 B. III. 2. b).
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Teil 5: Konsequenzen für den Bildnisschutz in Europa
tion der betroffenen Person aufweisen. Die Rechtsprechung des EGMR ist somit restriktiver als das auf Grundlage der wertenden Rechtsvergleichung gewonnene Ergebnis des geltenden Rechts. –
In der Rechtsprechung zur Textberichterstattung berücksichtigt der EGMR, inwieweit die betroffene Person die Öffentlichkeit bereits bewusst für ihre Zwecke genutzt und private Informationen preisgegeben hat. Das mediale Vorverhalten kann die Interessenabwägung zugunsten der Pressefreiheit beeinflussen.224 Zur Bedeutung des medialen Vorverhaltens für die Veröffentlichung von Bildberichten aus dem Bereich des Privatlebens hat sich der EGMR bislang noch nicht geäußert. Ob er die Veröffentlichung von Photos abhängig von dem medialen Vorverhalten als zulässig erklären oder lediglich einen Text über die streitgegenständlichen Informationen erlauben wird, ist unklar. Es ist aber durchaus möglich, dass der EGMR die Veröffentlichung eines Photos – im Gegensatz zur Veröffentlichung eines Textes – trotz eines entsprechenden medialen Vorverhaltens für unzulässig erklären wird: Nach Auffassung des EGMR müsse streng zwischen der Eingriffsintensität von Text- und Bildberichten differenziert werden.225 Unter dem Europäischen Verfassungsvertrag würde dann ein restriktiverer Ansatz gelten als er nach geltendem Recht vertreten wird.
–
Zur Zulässigkeit der Eigenwerbung der Presse hat sich der EGMR bislang nicht geäußert. Er hat lediglich ausgeführt, dass die Bildnisveröffentlichung, die nicht ausschließlich Werbezwecken dient sondern auch öffentliche Informationsinteressen verfolgt, zulässig sein kann. Diese Aussage ist mit dem derzeitigen Verständnis des Unionsrechts vereinbar. Ob sich der EGMR dem Verständnis auch tatsächlich anschließen wird, kann erst die weitere Rechtsprechung zeigen.
Im direkten Vergleich zwischen dem geltenden Recht – also dem Recht unter dem EU-Vertrag – und der zukünftigen Rechtslage unter dem Vertrag über eine Verfassung für Europa werden viele grundlegende Gemeinsamkeiten deutlich. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die Persönlichkeitsinteressen der abgebildeten Person gegenüber der Meinungs- und der Pressefreiheit an Bedeutung gewinnen werden. Die Presse wird den Menschen in Zukunft nicht mehr in gewohnter Weise die Möglichkeit bieten können, mit Personen des öffentlichen Lebens mitzufühlen, mitzuleiden oder diese zu beneiden. Die betroffenen Personen werden stärker gegen die „grenzenlose“ Neugier der Medien und der Öffentlichkeit geschützt. ___________ 224 225
Siehe oben, Teil 4 B. III. 3. a) und b) aa). EGMR, Urt. v. 24.06.2004, Nr. 59320/00 (Ziff. 59) – Caroline.
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Sachverzeichnis Abbildung 100 f., 211 – Bildnis siehe Bildnisbegriff – kontextneutrale Abbildung 232 f., 274, 279 ff., 288 Abgrenzung – absolute und relative Person der Zeitgeschichte 107 ff., 152 ff., 259 f. – Auslegung und Rechtsfortbildung 32 ff. – Boulevardpresse und seriöse Presse 241 f. – Meinungsfreiheit und Pressefreiheit 96 f., 189 f. – Privatleben und öffentliches Leben 120 ff., 134, 261 ff. – räumlich-orientierter und thematischfunktionaler Ansatz 140 ff., 262 ff. – Rechtsquelle und Rechtserkenntnisquelle 35 ff. – Werturteil und Tatsachenbehauptung siehe Meinungsfreiheit Abwägung siehe Interessenabwägung allgemeine Handlungsfreiheit 90 allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts 26, 35 ff. allgemeines Gesetz 97 f. allgemeines Persönlichkeitsrecht 89 ff. – Konkurrenz zu anderen Grundrechten 91 ff. – Recht am eigenen Bild siehe dort – Schranken 91 ff. – Schutz des privaten Lebensbereichs 90 – Selbstdarstellungsschutz siehe dort – verfassungsrechtliche Grundlagen 90 – verfassungsrechtliches und einfachgesetzliches Persönlichkeitsrecht 88 f. Amtsträger 227 ff., 257 ff. Anfertigung von Bildnissen 101 f., 137, 213 ff., 248 ff. Anwendungsvorrang siehe Vorrang des Gemeinschaftsrechts Ausbeutung der Persönlichkeit 145 ff.
Auslegung 32 ff., 200 ff. – allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts siehe dort – Begriff 32 ff. – deutsche Methodenlehre 32 f. – EMRK 200 ff. – Grundsätze siehe Auslegungsgrundsätze – Rechtserkenntnisquelle siehe dort – Unionsgrundrechte 32 ff. – Verhältnis zur Rechtsfortbildung siehe Abgrenzung – Wiener Vertragsrechtskonvention 200 Auslegungsgrundsätze 200 ff. – autonom 201 f. – evolutiv-dynamisch 204 f. – rechtsvergleichend 35 ff., 205 f. – systematisch 202 f. – teleologisch 204 Auslegungsregel 57 ff. – Meistbegünstigungsklausel siehe Meistbegünstigung – Mindestgarantieklausel 58 Ausstrahlungswirkung siehe Drittwirkung der Grundrechte Autonomie des Gemeinschaftsrechts siehe Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts Berichterstattung 231 ff., 273 ff. – Bildberichte 232 f., 235 f., 238 ff. – politische Angelegenheiten 231 ff., 236 f. – private Angelegenheiten 233 ff., 237 ff. – Textberichte 231 f., 233 ff., 237 f. Bildnisbegriff 99 ff., 136 f., 183 ff., 210, 214 f., 246 ff., 287 – Erkennbarkeit 100 f., 136 f., 116, 164, 246 f. Boulevardpresse 95, 133 f., 190, 221, 241 f.
312
Sachverzeichnis
– Verhältnis zur seriösen Presse siehe Abgrenzung breach of confidence 169 ff., 175, 179 ff., 182 ff. Caroline von Hannover 24, 121 ff., 198 ff., 212 ff., 242 f., 230 f., 234 f., 239 ff., 241, 257 ff., 261 f. Caroline von Monaco siehe Caroline von Hannover case law siehe Richterrecht Charta der Grundrechte 29 f., 40 ff. – Entstehung 29 f. – Grundrechtekonvent siehe Konvent – Inhalt 30 – Rechtsnatur 40 ff. – soft law siehe dort civil law 85 f. Code civil 127 ff. common law 85 f. Conseil constitutionnel 128 Data Protection Act 162 f. defamation 163 ff., 175, 196, 249, 282 Drittwirkung der Grundrechte 88 f. EGMR 40, 77 ff., 208 ff., 224 f. Ehre 124 f., 144 f., 163 ff., 167, 209 Ehrenschutzklage siehe defamation Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts 56 f., 64, 80 Einwilligung 103 ff., 147 ff., 251 ff. – Doppelzuständigkeit 105 – Erklärung 104 f., 147 ff., 251 ff. – Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit 103 ff., 147 ff. – Minderjährige 105 – Rechtsnatur 104 – Reichweite 105 f., 149 ff., 254 f. – Zweckübertragungsregel siehe dort EMRK 38 ff., 66 ff., 198 ff. – Auslegung siehe dort – Beitritt der EU 76 f. – Rechtserkenntnisquelle siehe dort – Rechtsprechung des EGMR siehe EGMR Erkennbarkeit siehe Bildnisbegriff Erklärung zur Demokratie 27 f. Erläuterungen des Präsidiums 61, 72 f., 78, 80, 82
– Rechtserkenntnisquelle 41 EuGH 25 ff., 77 ff. – Bedeutung des EGMR 40, 77 ff. – Grundrechtsschutz 25 ff. Europäische Menschenrechtskonvention siehe EMRK Europäischer Verfassungsvertrag siehe Verfassungsvertrag fair comment 165 Gemeinschaftsgrundrechte siehe Unionsgrundrechte Gesetzesrecht 159 Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts 24 f. Grundprinzip der Einwilligungsbedürftigkeit siehe Einwilligung Grundrechtecharta siehe Charta der Grundrechte Grundrechtserklärungen der Gemeinschaftsorgane 27 f. Grundrechtskollision 58, 65, 76, 91 ff., 98 f., 132 ff., 171, 189 ff., 215 ff. – Auflösung 98 f., 134 f., 191 ff., 227 ff. – praktische Konkordanz siehe dort Grundrechtsschutz in der EU 24 ff. – allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts siehe dort – Charta der Grundrechte siehe dort – Entwicklung 24 ff. – EuGH siehe dort – Grundrechtserklärungen der Gemeinschaftsorgane siehe dort Grundrechtsstandard 48 ff., 55 ff. – maximal 49 ff., 58 – minimal 48 f. Günstigkeitsprinzip siehe Meistbegünstigung High offensiveness to a reasonable person-Test 184 ff. Human Rights Act 160 f., 176 ff. humane Normalität 271 ff. Idol siehe Vorbildfunktion Informationen 183 ff., 208 ff. – Informationsgewinnung siehe dort – private 183 ff.
Sachverzeichnis Informationsbeschaffung 122 f., 187, 196, 240 f., 249, 280 Informationsfreiheit 133 ff., 219 Informationsinteresse der Öffentlichkeit 155 ff., 193 ff., 231 ff., 265 ff. – öffentliche Funktionswahrnehmung 155 f., 231 ff. – öffentliches Leben 231 ff. – Personen des öffentlichen Lebens 194 f. – politische Berichterstattung 193 f., 231 ff. – Privatleben 156 f. Inkorporationsklausel 75 ff. Interessenabwägung 114, 191 ff., 223 ff., 227 ff. – dringendes soziales Bedürfnis 223 ff. – praktische Konkordanz siehe dort – Rang der kollidierenden Interessen 191 ff. Internationale Menschenrechtsverträge 38 ff. Interpretation siehe Auslegung Intimsphäre 116 ff., 139, 147, 224, 261 Karikatur 101, 220 Kollisionsregel 55 ff. Kommerzialisierung siehe kommerzielle Zwecke kommerzielle Zwecke 124 f., 145 ff., 150, 168 f., 190, 218 f., 278, 281 ff. Kommunikationsfreiheiten 91 ff., 132 ff., 189 ff., 217 ff. Konvent 29 f., 71 – Grundrechtekonvent 29 f., 71 – Verfassungskonvent 30, 71 KUG 87 f., 99 ff. malicious falsehood 167 ff. Manipulation 123 ff., 134 ff., 281 ff. mediales Vorverhalten 157, 194 f., 236 ff., 274 ff. Meinungsfreiheit 92 ff., 190 f., 217 ff. – Abgrenzung Werturteil und Tatsachenbehauptung 92 f., 217 f. – Freiheit der Meinungsäußerung 92 ff., 132 ff., 189 ff., 217 ff. – Freiheit der Meinungsbildung 92, 132, 217
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– Verhältnis zur Pressefreiheit siehe Abgrenzung Meistbegünstigung 57, 59 ff. Menschenwürde 90, 117, 131 Methode der Rechtsvergleichung 46 ff., 63 ff. – maximaler Grundrechtsstandard 49 ff., 58 – Methodenanalyse von außen siehe dort – minimaler Grundrechtsstandard 48 f. – wertende Rechtsvergleichung siehe dort Methodenanalyse von außen 46 f. Michael Douglas 178 ff., 185, 192 f. Mindestgarantieklausel 75 ff. Naomi Campbell 181 ff., 262, 275 Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft 223 ff. nuisance 174 öffentliches Informationsinteresse siehe Informationsinteresse der Öffentlichkeit örtliche Abgeschiedenheit 121 ff., 261 ff. Paparazzi 162, 195, 240 f. Parlamentssouveränität 159 f. passing off 168 f. Person der Zeitgeschichte – absolut 108 ff., 152 ff., 188 f. – relativ 110 ff., 154 f. Personen des öffentlichen Lebens 108 ff., 142 f., 152 ff., 172, 188 f., 194 ff., 212, 227 ff., 255 ff. – Abstufung in der Schutzintensität 228 ff., 257 praktische Konkordanz 98 f. Pressefreiheit 94 ff., 220 ff. – Kommunikationsfreiheiten siehe dort – öffentliche Aufgabe 95 f., 113, 218, 220 f., 224 f. – Presseerzeugnis 94 f., 221 f. – Verhältnis zur Meinungsfreiheit siehe Abgrenzung Prinzip praktischer Konkordanz siehe praktische Konkordanz private Informationen siehe Informationen
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Sachverzeichnis
Privatsphäre 118 ff. – je-desto-Formel 115 – örtliche Abgeschiedenheit siehe dort – räumlicher Schutzbereich 120 ff., 140 ff., 212 ff., 261 ff. – Schutz des Privatlebens siehe dort – Sphärentheorie siehe dort – thematischer Schutzbereich 118 f., 138 ff., 208 ff. privileges siehe Vorrechte Protection of Harassment Act 161 f. Qualität des Mediums 241 f., 285 – Boulevardpresse siehe dort Reasonable expectation as to privacyTest 186 ff. Recht am eigenen Bild 87 ff., 127 ff., 159 ff., 206 ff., 246 ff. – Anfertigung von Bildnissen siehe dort – Bildnis siehe Bildnisbegriff – Einwilligung siehe dort – kontextneutrale Abbildung siehe Abbildung – KUG siehe dort – Person der Zeitgeschichte siehe dort – verfassungsrechtlicher Schutz 89 ff., 129 ff. – Veröffentlichung siehe Veröffentlichung von Bildnissen Recht auf Privatleben siehe Schutz des Privatlebens – Begriff des Privatlebens 208 ff. Recht auf Privatsphäre siehe Privatsphäre Recht der persönlichen Ehre siehe Ehre Rechte und Freiheiten anderer 217 ff. Rechtserkenntnisquelle 35 ff. – Begriff 36 f. – Charta der Grundrechte 40 ff. – EMRK 38 ff. – Verfassungsüberlieferungen der EUMitgliedstaaten 37 f., 44 ff., 54 f. Rechtsfortbildung 33 ff. – Verhältnis zur Auslegung siehe Abgrenzung Rechtsquelle 35 ff. – indirekte Rechtsquelle 83 f., 288 – Verhältnis zur Rechtserkenntnisquelle siehe Abgrenzung Rechtsvergleichung 35 ff., 200 ff.
– Auslegung der EMRK 200 ff. – Auslegung der Unionsgrundrechte 35 ff., 205 f. – Methode der Rechtsvergleichung siehe dort – Völkerrecht 35 f. – wertende Rechtsvergleichung siehe dort Resolution 1165 (1998) 257 f. richterliche Rechtsfortbildung siehe Rechtsfortbildung Richterrecht 159 Schranke der allgemeinen Gesetze siehe allgemeines Gesetz Schranken der Kommunikationsfreiheiten 97 f., 189 ff., 222 f. Schutz der persönlichen Ehre siehe Ehre Schutz der Wahrheit siehe Wahrheit Schutz des Privatlebens 138 ff., 208 ff. – räumlicher Schutzbereich 120 ff., 140 ff., 212 ff., 267 ff. – Sphärentheorie siehe dort – thematischer Schutzbereich 118 f., 138 ff., 208 ff. Schutz vor Ausbeutung siehe Ausbeutung der Persönlichkeit Schutz vor Verfälschung siehe Verfälschung der Persönlichkeit Selbstdarstellungsschutz 90 f., 250 Sensationsberichterstattung siehe Unterhaltung seriöse Presse siehe Qualität des Mediums soft law 41 ff. Sphärentheorie 114 ff. – Intimsphäre siehe dort – Öffentlichkeitssphäre 115 – Privatsphäre siehe dort statute law siehe Gesetzesrecht Tatbestände des Richterrechts 160, 163 ff. Tatsachenbehauptung siehe Abgrenzung torts siehe Tatbestände des Richterrechts Tragweite 74 trespass to land 172 ff. Unionsgrundrechte 24 ff., 32 ff.
Sachverzeichnis – allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts siehe dort – Auslegung siehe dort – Charta der Grundrechte siehe dort – Entwicklung 24 ff. unterhaltende Presse siehe Boulevardpresse Unterhaltung 95 f., 113, 119, 133 f., 156, 221, 230 f., 241 f., 264, 268 ff. UrhG 102 f., 106 Verfälschung der Persönlichkeit 143 ff. Verfassungsüberlieferungen der EUMitgliedstaaten 37 f., 44 ff. – Rechtserkenntnisquelle siehe dort – wertende Rechtsvergleichung siehe dort Verfassungsvertrag 30 f., 54, 65 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 224 f. – Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft siehe dort Veröffentlichung von Bildnissen 102 f., 137, 215, 248 ff. Vertrag über eine Verfassung für Europa siehe Verfassungsvertrag
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Vertrauensbeziehung 170 f., 175, 183 – breach of confidence siehe dort Vorbildfunktion 110, 272 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 25, 34, 56 f. Vorrechte 165 ff. Wahrheit 123 ff., 143 ff., 163 ff., 167 f., 281 ff. – defamation siehe dort – malicious falsehood siehe dort – Manipulation siehe dort Wechselwirkungstheorie 97 ff. Werbung siehe kommerzielle Zwecke wertende Rechtsvergleichung 51 ff., 63 ff., 205 f. Werturteil siehe Meinungsfreiheit Wirkungskreis des Mediums 243 f., 279 Zeitgeschichte 107 – Person der Zeitgeschichte siehe dort Zensur 133 f., 157 Ziele der Gemeinschaft 64 f. Zweckübertragungsregel 106, 254