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German Pages 155 Year 2016
Schriften zum Völkerrecht Band 215
Die Auswirkung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf die staatliche Souveränität
Von
Katja Weigelt
Duncker & Humblot · Berlin
KATJA WEIGELT
Die Auswirkung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf die staatliche Souveränität
Schriften zum Völkerrecht Band 215
Die Auswirkung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf die staatliche Souveränität
Von
Katja Weigelt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde am 6. August 2014 an der Juristischen Fakultät der TU Dresden verteidigt. Für die Veröffentlichung nahm ich geringfügige Änderungen vor, um Literatur bis April 2015 zu berücksichtigen und die Staatenpraxis um die Intervention der USA und ihrer Verbündeten gegen ISIL/Daesh zu erweitern. Viele Menschen trugen zum Gelingen meines Promotionsvorhabens bei. Einige möchte ich hier nennen. Herzlicher Dank gebührt zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Fastenrath, der meinen akademischen Werdegang von Beginn an begleitet und mich ermutigt hat in Völkerrecht zu promovieren. Prof. Fastenrath stand stets für inspirierende Diskussionen sowohl zum Thema der Dissertation als auch zu anderen aktuellen völkerrechtlichen und politischen Fragestellungen zur Verfügung. Für die Bereitschaft zur Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie wertvolle Hinweise danke ich Prof. Dr. Thilo Rensmann. Prof. Dr. Michael Byers und Prof. Dr. Dr. von Schorlemer verdanke ich hilfreiche Denkanstöße und Impulse zu Beginn meiner Arbeit. Für den konstruktiven Austausch und die kritischen Anmerkungen zu Entwürfen der vorliegenden Arbeit bin ich Dr. Constantin Köster, Dr. Tina Röder, Kristin Haußner und Dr. Franz Schneckenburg sehr dankbar. Großer Dank gebührt aber auch Dr. Annika Weigelt, Stefan Rouenhoff, Dr. Thomas Groh und Dr. Normund Jabs, die immer an mich glaubten und mich fortwährend motivierten. Ohne Beispiel steht aber vor allem die Unterstützung, die ich von meinen Eltern und Großeltern erfahren habe. Ihr Vertrauen in mich und meine Arbeit sowie die Offenheit, mit der sie stets meinen Werdegang begleitet haben, sind von unschätzbarem Wert. Ihnen möchte ich hiermit besonders danken. Brüssel, im Oktober 2015
Katja Weigelt
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung zu anderen nichtstaatlichen Gewaltanwendungen . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung zum legitimen Freiheitskämpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zu Kriminellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Friendly Relations Declaration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aggressionsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Artikel zur Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis der Untersuchung der Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . .
17 20 20 24 25 25 25 27 29 30
C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet . . . . . . . . . . I. Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Israel – Libanon 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Israel – Libanon 1981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Israel – Libanon 1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Israel – Tunesien 1985 und 1988 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Türkei – Irak 1995–1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Iran – Irak 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Iran – Irak 1997 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. USA – Sudan /Afghanistan 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Iran – Irak 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. USA – Afghanistan 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sicherheitsratsresolutionen nach dem 11. September 2001 . . . . . . . b) Generalversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Intervention der USA in Afghanistan 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Internationale Reaktion auf die US-amerikanische Militäraktion in Afghanistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Aussagen weiterer Staaten zur internationalen Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Israel – Syrien 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Israel – Libanon 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Türkei – Nordirak 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Militärischer Einsatz der USA und Afghanistans in Pakistan 2008 . . .
32 32 32 34 35 36 37 40 40 41 44 45 45 46 46 48 51 51 54 58 60
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Inhaltsverzeichnis 16. Militärischer Einsatz der USA in Pakistan 2011 (Tötung von Osama bin Laden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Militärischer Einsatz der USA und anderer Staaten gegen ISIL im Irak und Syrien 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Selbstverteidigung gegen Angriffe durch Private nach Art. 51 UN-Charta . . 1. Geltung des Selbstverteidigungsrechts aus Art. 51 UN-Charta . . . . . . . 2. Textauslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ hinsichtlich eines Staatlichkeitserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Historische Auslegung und Genese bezüglich der Staatlichkeit . . . . aa) Ausgewählte Fälle aus der frühen Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . (1) Konflikt zwischen den USA und Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . (2) Konflikt zwischen Großbritannien und den USA – der sog. Caroline-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Vorarbeiten zur UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung hinsichtlich des Staatlichkeitserfordernisses . . . 3. Auslegung des Merkmals „bewaffnet“ im Zusammenhang mit terroristischen Angriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfung hinsichtlich des Intensitätserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung zur Intensität des bewaffneten Angriffs . . . . . . . III. Das Ziel der Verteidigungsmaßnahmen (Rechtsfolge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verteidigung gegen private Akteure unter gleichzeitiger Beeinträchtigung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates . . . . . . . . . . . . . . a) Diskussion eines allgemeinen Abwägungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwägung unter Zuhilfenahme des Neutralitätsrechts . . . . . . . . . . . . c) Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . aa) Abgrenzung von Verhältnismäßigkeit im ius ad bellum von Verhältnismäßigkeit im ius in bello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche bewaffnete Angriffe . . . . . . . . . . . (1) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 65 70 72 72 73 74 75 79 81 81 81 82 83 83 85 88 88 88 90 90 91 91 95 96 96 97 98 99 102 104 105 105
Inhaltsverzeichnis (2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Selbstverteidigungsmaßnahmen als ultima ratio . . . . . (aa) Wirksamkeit der Terrorismusbekämpfung durch den Aufenthaltsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Ausschöpfen friedlicher Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Erfordernis des zeitlichen Zusammenhangs . . . . . . . . . (3) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Intensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Geographische Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Materielle Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Menschliche Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tätigwerden des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begründungsmodelle neben dem Selbstverteidigungsrecht zum Eingriff in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notstandsrecht neben dem Selbstverteidigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Duldungspflichten analog zur Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . 3. Duldungspflichten bei einer Konstruktion einer Ersatzvornahme . . . . . 4. Duldungspflichten bei der Konstruktion einer Verwirkung des Schutzes durch das Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung und kritische Würdigung der oben diskutierten Begründungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bedeutung für die staatliche Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschränkung der territorialen Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung des domaine réservé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Souveränität als Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 106 106 107 110 110 112 113 114 115 115 116 117 117 118 119 119 122 124 125 126 127 128 129 132
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Abkürzungsverzeichnis Abs. ADF AJIL AQAH Art. AVR Bd. BDGV BGBl. BGH CTC DRC DVBl. EA EJIL EPIL EU EuGRZ FAZ f./ff. Fn. Fordham Int’l L. J. FRJ FS GA GK GYIL Harv. Int’l L. J. HLKO h. M. Hrsg. HuV-I i. S. v. ICCPR ICISS ICLQ
Absatz Allied Democratic Forces (Rebellengruppe in Uganda) American Journal of International Law Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel Artikel Archiv des Völkerrechts Band Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Counter-Terrorism Committee Democratic Republic of Congo Deutsches Verwaltungsblatt Europa-Archiv European Journal of International Law Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäische Grundrechtezeitschrift Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende Seite bzw. folgende Seiten Fußnote Fordham International Law Journal Föderative Republik Jugoslawien Festschrift General Assembly Genfer Konventionen German Yearbook of International Law Harvard International Law Journal Haager Landkriegsordnung herrschende Meinung Herausgeber Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften im Sinne von International Convenant on Civic and Political Rights International Commission on Intervention and State Sovereignty International and Comparative Law Quarterly
Abkürzungsverzeichnis ICTY IDF IGH ILC ILM ISIL IStGH IYHR JA JZ Leiden J. Int’l L lit. m.w. N. NATO NZWehrr OAS OAU OIC Para PKK PLO RdC RGDIP Rn. SC UdSSR UN UNTS USA VN Vol. VRS WRV WVK Yale J Int’l L ZaöRV Ziff. ZP ZRP
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International Criminal Tribunal for Yugoslavia Israel Defense Forces Internationaler Gerichtshof International Law Commission International Legal Materials Islamischer Staat im Irak und al-Sham/Großsyrien Internationaler Strafgerichtshof Israel Yearbook on Human Rights Juristische Arbeitsblätter Juristenzeitung Leiden Journal of International Law litera mit weiteren Nennungen North Atlantic Treaty Organisation Neue Zeitschrift für Wehrrecht Organization of American States Organization of African Unity Organization of Islamic Cooperation/Conference Paragraph Partiya Karkerên Kurdistan (Kurdische Arbeiterpartei) Palestinian Liberation Organization Recueil des Cours Revue Générale de Droit International Public Randnummer Security Council Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations United Nations Treaty Series United States of America Vereinte Nationen Volume Republik Srpska Weltraumvertrag Wiener Vertragsrechtskonvention Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Ziffer Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen Zeitschrift für Rechtspolitik
A. Einführung Auch über zehn Jahre nach dem folgenschweren Anschlag von Al Qaida auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington D.C. am 11. September 2001 hält die grenzüberschreitende Bedrohung durch den internationalen Terrorismus an.1 Laut UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist die Welt Zeuge einer dramatisch zunehmenden terroristischen Bedrohung, die sich durch die rasche Ausbreitung der Gruppe „Islamischer Staat im Irak und al-Sham/ Großsyrien“ (ISIL) wie auch der andauernden terroristischen Aktivitäten von Afghanistan bis nach Jemen, Libyen und Nigeria ergibt.2 Terroristen scheinen sich nach wie vor mühelos von Staat zu Staat zu bewegen. Staaten haben hingegen im Rahmen ihrer traditionellen, an ihre Souveränitätsrechte gebundenen Handlungsmöglichkeiten keinen Zugriff auf diese Netzwerke und Individuen, sobald sich diese auf dem Territorium eines anderen Staates befinden. Insofern müssen sie sich darauf verlassen, dass der jeweils andere Staat von seinem Territorium ausgehende Gefahren verhindert. Nicht immer scheint jedoch der Aufenthaltsstaat der Bedrohungslage in dem Maße Einhalt gebieten zu können oder zu wollen, wie dies der angegriffene Staat für erforderlich hält oder für die Aufrechterhaltung der internationalen Sicherheit nötig wäre. Terroristen gelingt es durch grenzüberschreitende Anschläge immer wieder, Staaten in Bedrohungssituationen zu bringen, die bis zu bewaffneten Auseinandersetzung eskalieren können. So wurden zwei der beiden großen internationalen Kriege zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Reaktion auf private Aggressionen geführt. Die USA intervenierten in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 gegen Al Qaida und die Taliban in Afghanistan. Israel führte im Sommer 2006 einen Krieg gegen die Hisbollah im Südlibanon, nachdem es mehrmals über die Grenze hinweg angegriffen worden war. Zudem griffen die Türkei im Nordirak und die USA in Pakistan und Jemen verschiedene terroristische Zellen an und eine internationale Koalition unter der Führung der USA versucht seit 2014 den Vormarsch von ISIL im Irak und in Syrien zu stoppen. Der jeweilige Aufenthalts1 Scheen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. August 2012, Nr. 194, S. 1; Frankenberger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. April 2013, Nr. 97, S. 1. 2 Secretary-General Ban Ki-moon, Remarks to Security Council High-Level Summit on Foreign Terrorist Fighters, Security Council, 24. September 2014 http://www.un.org/ apps/news/infocus/sgspeeches/statments_full.asp?statID=2364#.VGiWOijWZ50; ähnlich auch bei Sitzung des Advisory Board des UN Counter-Terrorism Center (CTC) am 7. November 2014, http://www.un.org/sg/statements/index.asp?nid=8175 (letzter Download am 17. März 2015).
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A. Einführung
staat musste dabei die militärischen Maßnahmen und damit die Verletzung seiner territorialen Integrität dulden. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus stellt insofern eine Herausforderung für das ursprünglich als zwischenstaatliches Recht konzipierte Völkerrecht und den Kern des Staatensystems, das Prinzip der Souveränität, dar. Daher widmet sich die vorliegende Arbeit der Frage, ob und wie die Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine Veränderung des Souveränitätsprinzips bewirkt. Im Vordergrund stehen dabei die rechtlichen Befugnisse der Staaten, sich militärisch grenzüberschreitend gegen die Angriffe nichtstaatlicher Akteure zur Wehr zu setzen und damit verbunden die Pflichten der Staaten, Terrorismus innerstaatlich zu bekämpfen oder andernfalls dessen Bekämpfung durch andere Staaten dulden zu müssen. Dadurch soll eruiert werden, ob eine „responsibility to counter terrorism“ am Entstehen ist. Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil beschäftigt sich mit der völkerrechtlichen Einordnung der Problematik. Hierbei wird das Phänomen des internationalen Terrorismus für die vorliegende Arbeit von anderen Formen der Gewalt abgegrenzt und anschließend die Zurechnungskonstellationen dieser nichtstaatlichen Gewalt zum Staat analysiert. Da nicht jede grenzüberschreitende private Gewalt staatlich zurechenbar ist, wird im zweiten Teil analysiert, inwiefern sich der angegriffene Staat trotzdem militärisch zur Wehr setzen darf, da dies eine Begrenzung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates zur Folge hätte. Ausgangspunkt dieser Analyse ist die Frage, ob das Selbstverteidigungsrecht auf der Tatbestandsseite einem Staatlichkeitserfordernis unterliegt. Daran anschließend wird diskutiert, in welchem Maße der Anspruch auf Selbstverteidigungsmaßnahmen des angegriffenen Staates gegenüber dem Anspruch des Aufenthaltsstaates auf Wahrung seiner territorialen Integrität erfüllt werden kann. Aus dieser Diskussion wird gefolgert, inwieweit sich Umfang und Inhalt der Souveränität durch die Bekämpfung des Terrorismus verändert haben und inwieweit in diesem Zusammenhang von einer Verantwortung zur Terrorismusbekämpfung gesprochen werden kann.
B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht Bis heute existiert weder im Völkerrecht noch in der Politikwissenschaft eine allgemein gültige Definition des Begriffes „internationaler Terrorismus“,3 obwohl das Phänomen des internationalen Terrorismus bereits seit langem existiert und spätestens seit dem 11. September 2001 in aller Munde ist. Allerdings wurde eine Vielzahl von Abkommen ausgearbeitet,4 die sich gegen spezifische Auswirkungen terroristischer Akte richten. Diese Konventionen und Resolutionen5 knüpfen ihre Rechtsfolgen jedoch an den Tatbestand bestimmter Delikte (z. B. Flugzeugentführung; Geiselnahme) oder an die Schädigung bestimmter Personenkreise (z. B. Diplomaten).6 In der Wissenschaft wie auch in der Politik wird des Öfteren die Frage nach dem Sinn einer solchen allgemeinen Definition aufgeworfen7 und ihr sogar teil-
3 Laqueur hatte bereits Mitte der 1990er Jahre die Existenz von mehr als 109 unterschiedlichen Definitionen des Begriffs „Terrorismus“ aufgezeigt. Laqueur, Foreign Affairs 75 (1996), S. 24 f. 4 Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (Den Haag, 16. Dezember 1970) (Haager Übereinkommen); Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (Montreal, 23. September 1971) (Montrealer Übereinkommen); Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1973; Internationales Übereinkommen gegen Geiselnahme, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 17. Dezember 1979; Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial (Wien, 3. März 1980); Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, in Ergänzung des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (Montreal, 24. Februar 1988); Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt (Rom, 10. März 1988); Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen feste Plattformen, die sich auf dem Festlandssockel befinden (Rom, 10. März 1988); Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 15. Dezember 1997; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1999. 5 Siehe z. B. UN Doc. S/RES/1566 vom 08. Oktober 2004; UN Doc. A/RES/59/46 vom 16.12.2004. 6 Schmalenbach, NZWehrr (2000), S. 16. 7 1986 fragte Levitt in seinem Aufsatz „Is Terrorism Worth Defining It?“ und kam zu dem Schluss, dass eine deduktive juristische Definition nicht wirklich notwendig sei.
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
weise jede rechtliche Relevanz abgesprochen.8 Als nach dem 11. September 2001 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Bedrohung des internationalen Terrorismus diskutiert wurde, bemerkte Sir Jeremy Greenstock, ehemaliger Repräsentant des Vereinigten Königreichs bei den Vereinten Nationen am 1. Oktober 2001: „What looks, smells and kills like terrorism is terrorism.“ 9 Aber genau dies bringt das Problem auf den Punkt: Liegt die Definition im Auge des jeweiligen Betrachters oder in der individuellen Auslegung der Staaten, birgt dies die Gefahr einer Politisierung und Instrumentalisierung der negativen Konnotation zur Schädigung und Diffamierung unliebsamer politischer Gegner.10 Um die Effizienz und Legitimität der Aktionen der Vereinten Nationen zur Terrorismusbekämpfung zu erhöhen, haben sich die Mitgliedstaaten auf dem Weltgipfel 2005 einmal mehr vorgenommen, „Terrorismus“ allgemeingültig zu definieren.11 Gerade asiatische und afrikanische Staaten weisen immer wieder in den Debatten in den Vereinten Nationen darauf hin, dass alle Formen des Terrorismus, also auch der Staatsterrorismus, bekämpft werden müssen. Diesem Umstand wird in den verschiedenen Dokumenten der Vereinten Nationen Rechnung getragen, indem jegliche Form von Terrorismus verurteilt wird.12 Der klassische Staatsterro-
„Indeed, it is not clear that such a definition would even be beneficial in the international context, given the intractable conceptual and political differences among states on this issue, it would be at best a watered-down, papered-over, exception-ridden orphan whose main practical result would provide a further basis for dispute and invective at the United Nations.“ Levitt, Ohio Northern University Law Review, 13 (1986), S. 97 ff. und 115. 8 Baxter, Arkon Law Review 7 (1973/74), S. 380; Higgins, in: Higgins/Flory (Hrsg.), Terrorism and International Law, 1997, S. 28. 9 UN Doc. A/56/PV.12, Measures to Eliminate International Terrorism, S. 18. Damit lehnte sich Greenstock an die berühmte Pornographiedefinition des Richters Potter Stewart am U.S. Supreme Court an: „I could never succeed in intelligibly doing so [i. e. defining hard-core pornography, C.W.]. But I know it when I see it [. . .].“ Jacobellis v. State of Ohio, 378 U.S. 184, 197 (1964). 10 Sorel, EJIL 14 (2003), S. 370. 11 2005 World Summit Outcome, UN Doc. A/RES/60/1 vom 24.10.2005, para. 83. 12 Vgl. statt vieler die Präambel des Finanzierungsabkommens, Abs. 4 und 5. Jedoch wird der Staatsterrorismus nicht vom operativen Teil der Konvention erfasst, da gemäß Art. 3 das Kriterium der Internationalität erfüllt sein muss, damit die Konvention Anwendung findet. Daudet, in: Higgins/Flory (Hrsg.), Terrorism and International Law, 1997, S. 201. Bei Staatsterrorismus handelt es sich um eine Gruppe von Staatsbürgern, die als herrschende Partei im ihrem Land die eigene Bevölkerung einschüchtern und terrorisieren. Daher ist es meiner Ansicht nach nicht einsichtig, wenn Klein, Finke/ Wandscher und Wüstenhagen Staatsterrorismus ohne weitere Erklärung in den Anwendungsbereich der Konvention subsumieren. Klein, in: Isensee, Der Terror, der Staat und das Recht, 2004, S. 11; Finke/Wandscher, VN (2001), S. 168; Wüstenhagen, in: von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, S. 115.
B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
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rismus in Form eines Regimeterrors dient dem Machterhalt einer bestimmten Gruppe, die unter Berufung auf das innerstaatliche Recht, aber unter Missachtung der Menschenrechte und im Widerspruch zu rechtstaatlichen Grundsätzen, entweder gegen die eigene Bevölkerung in toto oder gegen Teile der Bevölkerung gewaltsam Zwang ausübt.13 Es handelt sich daher in erster Linie um eine innerstaatliche Problematik. Massive Verletzungen grundlegender Menschenrechte werden jedoch spätestens seit den 1990er Jahren nicht mehr als eine rein innere Angelegenheit eines Staates betrachtet.14 Der Sicherheitsrat hat wiederholt schwerwiegende und systematische Menschenrechtsverletzungen als Bedrohung für den Weltfrieden eingestuft.15 Unter dem sich hierbei entwickelnden Prinzip der „responsibility to protect“ versteht man die Pflicht eines Staates, seine eigene Bevölkerung vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu schützen sowie die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft bei Versagen eines Staates einzugreifen.16 Insofern können sich Staaten bei der Terrorisierung der eigenen Bevölkerung nicht mehr hinter dem Schutzschild der Souveränität verbergen.17 Aus völkerrechtlicher Sicht ist die Problematik des Staatsterrorismus jedoch anders gelagert als bei Terrorismus durch international operierende nichtstaat-
13 Siehe als einen unter vielen von Weber, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, 2. Aufl. (1962), S. 439; ebenso Report des Sonderberichterstatters Koufa, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/31, para. 43 vom 27. Juni 2001. 14 Statt vieler siehe Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates: Das Ende staatlicher Souveränität, 1996. 15 Interner humanitärer Notstand als Friedensbedrohung im Sinne des Art. 39 UNCharta in Somalia: UN Doc. S/RES/794 am 3. Dezember 1992 und UN Doc. S/RES/ 814 vom 26. März 1993; Bosnien und Herzegowina UN Doc. S/RES/770 vom 13. August 1992; das Ausmaß der humanitäre Krise und des Völkermords in Ruanda als Friedensbedrohung: UN Doc. S/RES/929 (1994) vom 22. Juni 1994. Im Fall des Kosovos hat sich der Sicherheitsrat nur auf eine Feststellung der Menschenrechtsverletzungen und humanitären Situation als eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in der Region einigen können, siehe UN Doc. S/RES/1199 (1998) vom 23. September 1998. Verurteilung der Situation im Sudan als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in UN Doc. S/RES/1591 (2005) vom 29. März 2005. 16 Report of the International Commission on Intervention and State Responsibility: Responsibility to Protect, Ottawa 2001; dieser Ansatz findet sich auch wieder im Report of the High Level Panel on Threats, Challenges and Change: A more secure world: Our shared responsibility. United Nations, New York 2004. Freilich ist das Instrumentarium an Durchsetzungsmöglichkeiten nach wie vor schwach wegen seiner Abhängigkeit von politischen und strategischen Erwägungen der Staatengemeinschaft. Bei Versagen des Sicherheitsrats haben – wenn auch nicht unumstritten – einzelne Staaten im Fall des Kosovo eine bewaffnete humanitäre Intervention ohne Legitimierung des Sicherheitsrats vorgenommen. 17 Annan, The Economist, 18.09.1999, 49. Siehe bezüglich der Einschränkung der staatlichen Souveränität zugunsten von humanitären Interventionen Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität (1996).
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
liche Akteure. Bei letzterem besteht die Schwierigkeit, wie diese Gewalt völkerrechtlich zu fassen ist, d.h. ob sie staatlich zurechenbar ist und wie ihr bei Unzurechenbarkeit völkerrechtlich begegnet werden kann.
I. Abgrenzung zu anderen nichtstaatlichen Gewaltanwendungen 1. Abgrenzung zum legitimen Freiheitskämpfer Die Schwierigkeit, sich auf eine gemeinsame Definition des internationalen Terrorismus zu einigen, hängt – wie bereits angedeutet – mit der damit verbundenen Abgrenzung zum Freiheitskampf und dem Recht auf Selbstbestimmung zusammen.18 Die Aussage „des einen Terroristen ist des anderen Freiheitskämpfer“ illustriert treffend die Schwierigkeit einer Einigung.19 Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker war bis in die 1990er Jahre hinein ein zentrales Anliegen der Vereinten Nationen, die sich in zahlreichen Resolutionen für die Dekolonialisierung einsetzten und die nationalen Befreiungsbewegungen legitimierten.20 Nach wie vor von aktueller Brisanz und völkerrechtlicher Relevanz ist der Kampf um Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und der es auf internationaler Ebene vertretenden PLO.21
18 Siehe hierzu bereits Chadwick, Self-determination, Terrorism and the International Humanitarian Law of Armed Conflict, 1996, S. 16 ff.; Oeter, Terrorism and „Wars of Liberation“ from a Law of War Perspective: Traditional Patterns and Recent Trends, ZaöRV 49 (1989), S. 455 ff.; Eisenhut, HuV-I 2007, S. 211–218. 19 Die Herkunft des Slogans „One man’s terrorist is another man’s freedom fighter“ ist unklar; teilweise wird er Ronald Reagan zugeschrieben. Daase, Friedens-Warte 76 (2001), S. 55. 20 Allgemein zum Selbstbestimmungsrecht der Völker Tomuschat (Hrsg.), Modern Law of Self-Determination, 1993; Krönert, Die Stellung nationaler Befreiungsbewegungen im Völkerrecht, 1984; Cassese, Self-Determination of Peoples, 1995, S. 165 ff.; von Schorlemer, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1995, S. 854 f. 21 Mit den Resolutionen UN Doc. A/RES/2535 B (XXIV) vom 10.12.1969 sowie UN Doc. A/RES/3237 (XXIX) vom 22.10.1974 wurde der PLO ein Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen eingeräumt. Der Sicherheitsrat räumte am 12. Januar 1976 der PLO das Recht ein, ohne Stimmrecht an Debatten des Sicherheitsrats teilzunehmen – ein Privileg, das normalerweise nur vollwertigen UN-Mitgliedern vorbehalten ist (Repertoire des Sicherheitsrats, 1975–1980, Chapter, IV Voting, 60). Aktualität erlangte die Frage nach Mitwirkung und Status der PLO stellvertretend für „Palästina“ als diese am 23.09.2011 einen Antrag beim Sicherheitsrat auf vollwertige Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen einreichte (S/2011/592). Die USA erklärten umgehend, im Falle einer Abstimmung darüber ihr Veto einzulegen. Am 31.10.2011 nahm jedoch die Versammlung der UNESCO Palästina mit 2/3 Mehrheit – u. a. gegen die Stimmen der USA, der Niederlande und Deutschlands – als Vollmitglied auf (siehe Presseerklärung DG/2011/147 auf www.unesco.org).
I. Abgrenzung zu anderen nichtstaatlichen Gewaltanwendungen
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Die Abgrenzung des legitimen Freiheitskämpfers vom Terroristen unterlag in den Gremien der Vereinten Nationen im Laufe der Jahre einer Wandlung.22 Die grundsätzlich erlaubte Gewalt im nationalen Befreiungskampf genoss in den Vereinten Nationen früher viele Sympathien. Um den Kampf von Befreiungsbewegungen nicht als Terrorismus zu brandmarken,23 einigten sich die Staaten innerhalb der Generalversammlung am 18. Dezember 1972 auf die Resolution 3034 (XXVII) unter dem sperrigen Titel „Measures to prevent international terrorism which endangers or takes innocent human lives or jeopardises fundamental freedoms, and study of the underlying causes of those forms of terrorism and acts of violence which lie in misery, frustration, grievance and despair and which cause some people to sacrifice human lives, including their own, in an attempt to effect radical changes.“ 24 Dieser umständliche Titel ist bezeichnend für die zu dieser Zeit existierenden Differenzen in der Generalversammlung bezüglich der Abgrenzung zwischen internationalem Terrorismus und legitimem Freiheitskampf. Der dafür 1972 eingesetzte Ad hoc Ausschuss25 stellte seine Arbeit 1979 ergebnislos ein. Zu groß war die Furcht in den Staaten der Dritten Welt, dass durch die Bekämpfung des internationalen Terrorismus durch die westlichen Staaten der gemeinhin als legitim empfundene nationale Befreiungskampf gegen koloniale Unterdrückung mit dem Stigma der Kriminalität belegt werden sollte. Erst ab Mitte der 1980er Jahre setzte sich langsam die Einsicht durch, dass die Wahl der Mittel auch im nationalen Befreiungskampf beschränkt sein muss. Die Resolution der Generalversammlung vom 9. Dezember 1985 verurteilte jede Form des Terrorismus, behielt aber den sperrigen Titel bei und verwies in der Präambel weiterhin auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker.26 Ein klarer Wendepunkt in der Haltung der internationalen Gemeinschaft zeichnete sich erst 1994 in der Generalversammlung mit dem zur Resolution 49/60 verabschiedeten Annex „Measures to eliminate international terrorism“ ab.27 Hierin wird in Paragraph 3 der Terrorismus ohne den bisher üblichen Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Legitimität nationaler Befreiungsbewegungen verurteilt.28 Mit diesem „ohne wenn und aber“ zielt die Resolution darauf ab, Schlupflöcher für eine ideologische Rechtfertigung des Terrorismus zu schließen.29 22
Einen guten Überblick gibt Halberstam, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2003), S. 573–584. 23 König, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl. (1991), S. 848. 24 Erst ab der Resolution 46/51 vom 9. Dezember vom 1991 wurden Resolutionen unter dem kurzen Titel „Measures to eliminate international terrorism“ verabschiedet, jedoch wurde der Bezug zu Kolonialisierung und Befreiungsbewegungen im 14. Paragraph der Präambel dieser Resolution beibehalten. 25 UN Doc. A/RES/3034 (XXVII) vom 18.12.1972. 26 UN Doc. A/RES/40/61 vom 9. Dezember 1985. 27 UN Doc. A/RES/49/60 vom 17. Februar 1995. 28 Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen „solemnly reaffirm their unequivocal condemnation of all acts, methods and practices of terrorism, as criminal and unjusti-
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der internationalen Gemeinschaft nach wie vor zwei unterschiedliche Positionen in Bezug auf die Abgrenzung vom nationalen Befreiungskampf gegenüber dem Terrorismus bestehen. Die Konventionen der Staaten der Organisation der islamischen Kooperation (OIC)30, der Arabischen Liga31 und der Organisation der Afrikanischen Union (OAU)32 schließen generell für ihr legitimes Recht auf Selbstbestimmung kämpfende Völker aus dem Anwendungsbereich ihrer jeweiligen Terrorismuskonvention aus. Damit soll der mitunter sehr gewaltsame Freiheitskampf des palästinensischen Volkes nicht unter den Anwendungsbereich der jeweiligen AntiTerrorismuskonventionen fallen. Die Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge33, der Erwägungsgrund Nr. 11 des europäischen Rahmenbeschlusses34 sowie der Vorschlag des Koordinators35 zur Formulierung des Entwurfs für die umfassende fiable, wherever and by whomever committed, including those which jeopardize the friendly relations among States and peoples and threaten the territorial integrity and security of States.“ Im operativen § 1 Nr. 3 führt die Deklaration aus, dass „Criminal acts intended or calculated to provoke a state of terror in the general public, a group of persons or particular persons for political purposes are in any circumstances unjustifiable, whatever the considerations of a political, philosophical, ideological, racial, ethnic, religious or any other nature that may be invoked to justify them.“ 29 Tomuschat, EuGRZ 28 (2001), S. 538. 30 Convention of Organisation of Islamic Conference on Combating International Terrorism, am 1. Juli 1999 in Ouagadoudou angenommen und mittlerweile in Kraft getreten. Abrufbar unter: http://www.oic-oci.org/english/convenion/terrorism_convention. htm, Art. 2a) „Peoples’ struggle including armed struggle against foreign occupation, aggression, colonialism, and hegemony, aimed at liberation and self-determination in accordance with the principles of international law shall not be considered a terrorist crime.“ 31 Arab Convention for the Suppression of Terrorism vom 22. April 1998 in Kairo, abrufbar unter: http://www.al-bab.com/arab/docs/league/terrorism98.htm, Art. 2 a) All cases of struggle by whatever means, including armed struggle, against foreign occupation and aggression for liberation and self-determination, in accordance with the principles of international law, shall not be regarded as an offence. This provision shall not apply to any act prejudicing the territorial integrity of any Arab State. 32 OAU Convention on the Prevention and Combating of Terrorism, 14. Juli 1999 in Algier ist am 6. Dezember 2002 in Kraft getreten, abrufbar unter: http://untreaty. un.org/English/Terrorism/oau_e.pdf, Art. 3 Nr. 1: Notwithstanding the provisions of Article 1, the struggle waged by peoples in accordance with the principles of international law for their liberation or self-determination, including armed struggle against colonialism, occupation, aggression and domination by foreign forces shall not be considered as terrorist acts. 33 Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 15. Dezember 1997, UN Doc. A/RES/52/164, BGBl. 2003 II S. 1923. 34 Rahmenbeschluss des Rats vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, ABl. EG L 164 vom 22. Juni 2002, S. 3 ff. 35 Im Vorschlag des damaligen Koordinators, dem Australier Richard Rowe, heißt es in Art. 18:
I. Abgrenzung zu anderen nichtstaatlichen Gewaltanwendungen
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Anti-Terrorismuskonvention der Vereinten Nationen hingegen schließen nur „armed forces“ während eines bewaffneten Konflikts aus dem Anwendungsbereich aus. Die internationale Gemeinschaft konnte sich wegen der bestehenden politischen Differenzen über die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Konvention in Art. 18 bisher nicht auf eine umfassende Anti-Terrorismuskonvention verständigen. Terroristische Netzwerke und Befreiungsbewegungen genießen gänzlich unterschiedliche rechtliche Stellungen. Als Teil einer Befreiungsbewegung können deren legitime Repräsentanten einen Beobachterstatus bei internationalen Organisationen verliehen bekommen.36 Auch das humanitäre Völkerrecht kennt zahlreiche Regelungen, die Befreiungsbewegungen in begrenztem Umfang mit völkerrechtlichen Rechten und Pflichten belegen,37 um der Tatsache Ausdruck zu verleihen, dass Befreiungsbewegungen einer staatlichen Konfliktpartei wegen ihrer faktischen Strukturen gleichgeordnet sind. Die Verfolgung eines legitimen Ziels rechtfertigt allerdings nicht den Einsatz terroristischer Mittel. Die umfassende Konvention gegen den internationalen Terrorismus liefe ins Leere, würde man all die Situationen ausgrenzen, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt zu Zwecken einer „nationalen Befreiung“ stehen. Der Aussage einiger Staaten im Ad-Hoc-Committee ist daher zuzustimmen: „It would be impossible to eliminate terrorism if some terrorist acts where condemned while other were tolerated.“ 38 Dies bedeutet, dass nicht nach dem Motiv der Gewaltanwendungen durch nichtstaatliche Akteure unter-
1. Nothing in this Convention shall affect other rights, obligations and responsibilities of States, peoples and individuals under international law, in particular the purposes and principles of the Charter of the United Nations, and international humanitarian law. 2. The activities of armed forces during an armed conflict, as those terms are understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by this Convention. Im Vorschlag der OIC heißt es stattdessen in Art. 18 Abs. 2: The activities of the parties during an armed conflict, including in situations of foreign occupation, as those terms are understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by this Convention. Report of the Working Group, Sixth Committee, Sixtieth Session, Measures to eliminate international terrorism, 14 October 2005, UN Doc. A/C.6/60/L.6. 36 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 409; von Schorlemer, Liberation Movement, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. 2, 1995, S. 854. 37 Art. 1 Abs. 4 i.V. m. Art. 96 Abs. 3 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen verleiht Befreiungsbewegungen einen privilegierten Status. Siehe hierzu auch Fischer, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 1233 (Rn. 8). 38 Report of the Ad Hoc Committe established by General Assembly Resolution 51/ 210 of 17 December 1996, Seventh session (31 March–2 April 2003), UN Doc. A/58/ 37, Annex I, para. 3.
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
schieden werden darf, indem unterschiedliche Maßstäbe in der Beurteilung nichtstaatlicher Gewalt angelegt werden. 2. Abgrenzung zu Kriminellen Auch wenn organisiertes Verbrechen oder Drogenhandel dazu genutzt wird, um internationalen Terrorismus zu finanzieren, muss dennoch zwischen diesen beiden Formen unterschieden werden.39 Die Generalversammlung der Vereinten Nationen wies sowohl in der Resolution zur Annahme der „Konvention gegen transnationales organisiertes Verbrechen“ 40 wie auch in ihrer „Declaration on Measures to Eliminate International Terrorism“ 41 mit Besorgnis auf die wachsende Verbindung zwischen organisiertem Verbrechen und internationalem Terrorismus hin. Gerade in Bezug auf den Drogenhandel in Afghanistan werden diese Verbrechen seit dem 11. September 2001 häufig aus Sicht der Terrorismusbekämpfung bzw. unter dem eher reißerischen Begriff des „Narco-Terrorism“ diskutiert, da vermutet wird, dass ein Großteil der Einnahmen aus dem afghanischen Drogenanbau der Al Qaida zufließt.42 Die Linie zwischen Terrorismus und organisiertem Verbrechen verwischt zusehends.43 So ist es oft unklar, ob bei den zahlreichen Entführungen im Irak und in Afghanistan die Entführer aus politischterroristischen Motiven handeln oder als Trittbrettfahrer aus rein finanziellen Gründen. Durch das Finanzierungsabkommen und die Resolution 1373 des Sicherheitsrats wird die Finanzierung des Terrorismus diesem in der Schwere des Verbrechens gleich gestellt und die Staaten zu dessen Unterbindung verpflichtet,44 aber 39
Orlova/Moore, Houston Journal of International Law 27 (2005), S. 299. UN Doc. A/RES/55/25 vom 8. Januar 2001, Resolution zur Annahme der United Nations Convention against Transnational Organized Crime als Annex, Abs. 8 der Präambel der Resolution: „Noting with deep concern the growing links between transnational organized crime and terrorist crimes (. . .).“ 41 UN Doc. A/RES/49/60, Annex: Declaration on Measures to Eliminate International Terrorism, vom 9. Dezember 1994, Abs. 5 der Präambel: „Concerned at the growing and dangerous links between terrorist groups and drug traffickers and their paramilitary gangs, which have resorted to all types of violence, thus endangering the constitutional order of States and violating basic human rights.“ 42 Bachus, Arizona Journal of International and Comparative Law 21 (2004), S. 835–872; Kaplan, (2006): Tracking down Terrorist Financing, Council on Foreign Relations, http://www.cfr.org/publication/10356 (letzter Download am 14. Februar 2015); Alliot-Marie, (2004): Afghanistan’s Drug Boom, Washington Post, 6. Oktober 2004, A27, http://www.washingtonpost.com/ac2/wp-dyn/A10000-2004Oct5?language= printer (letzter Download am 14. Februar 2007). 43 „The dividing line between terrorism and criminality gradually became less and less distinct and the targets of terrorism less and less concrete.“, Report des Sonderberichterstatters Koufa, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/31, 27. Juni 2001. 44 Zur Bekämpfung der Finanzierung des internationalen Terrorismus siehe Bantekas, AJIL 97 (2003), S. 315–333. 40
II. Zurechnung
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die Beschaffung, d.h. die organisierte Kriminalität im Vorfeld, stellt ein eigenständiges und vom Terrorismus klar zu trennendes Verbrechen dar.
II. Zurechnung Von dem „state sponsored terrorism“,45 bei dem ein Staat offen oder verdeckt eine terroristische Gruppe unterstützt, um einen anderen Staat zu destabilisieren oder ein anderes außenpolitisches Ziel zu verfolgen, muss die Form der grenzüberschreitenden Gewalt unterschieden werden, die keinem Staat zurechenbar ist und deren Bekämpfung völkerrechtlich schwerer einzuordnen ist. Eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit für einen terroristischen Angriff liegt nur vor, falls das Verhalten einem Staat zurechenbar ist und eben dieses Verhalten (Handeln oder Unterlassen) zugleich einen Bruch der dem Staate obliegenden völkerrechtlichen Verpflichtungen darstellt.46 1. Friendly Relations Declaration Die Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung vom 24. Oktober 1970 mit der Erklärung über völkerrechtliche Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Sinne der Charta der Vereinten Nationen, der so genannten Friendly Relations Declaration,47 präzisiert das Gewaltverbot dahingehend, dass Staaten die Pflicht haben, die Organisation, Anstiftung oder Unterstützung von Bürgerkriegs- oder Terrorakten in einem anderen Staat, die Teilnahme daran oder die Duldung organisierter Aktivitäten, die auf die Begehung solcher Akte gerichtet sind, in seinem Hoheitsgebiet zu unterlassen, wenn die in diesem Absatz erwähnten Akte die Androhung oder Anwendung von Gewalt einschließen.48 Die hier aufgeführten Tatbestände werden allerdings dem inhaltlich weiteren Begriff der Gewalt zugeordnet und werden eben nicht als Handlungen gezählt, die zu einem bewaffneten Angriff führen.49 2. Aggressionsdefinition Die Resolution 3314 der Generalversammlung vom 14. Dezember 1974, im Folgenden kurz Aggressionsdefinition genannt, normiert in ihrem Art. 3 lit. g 45 Report des Sonderberichterstatters Koufa, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2001/31 vom 27. Juni 2001, para 51. 46 Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 9. Aufl. (2008), S. 249; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 619 Rn. 5 ff. 47 UN Doc. A/RES/2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970. 48 Ibid, 1. Grundsatz Abs. 9. 49 Fastenrath, Ein Verteidigungskrieg läßt sich nicht vorab begrenzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.11.2001, Nr. 263, S. 8.
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
des Anhangs die Zurechnung für gewaltsame, private Aggression. Die Staatenvertreter machten in den Diskussionen klar, dass die beiden Begriffe – „bewaffneter Angriff“ und „Aggression“ – nicht identisch oder austauschbar wären.50 Während einige Stimmen den Tatbestand des bewaffneten Angriffs enger fassen als den der Aggression,51 gibt es auch die gegenteilige Sichtweise, die den bewaffneten Angriff weiter auslegt.52 Insofern können beide Begriffe als sich einander überlappend verstanden werden, so dass sich der Resolution nur soweit Anhaltspunkte für die Bestimmung des bewaffneten Angriffs entnehmen lassen, wo dieser deckungsgleich mit dem Anwendungsbereich der Aggression ist. Die in der Aggressionsdefinition aufgelisteten Konstellationen staatlichen Verhaltens sind als nicht-abschließende Varianten zu werten, die bei fehlender Rechtfertigung einen bewaffneten Angriff darstellen können. Angesichts des Wortlauts der Aggressionsdefinition kann einem Staat privates Handeln zugerechnet werden, wenn er diese Privaten entsandt hat (1. Alternative des Art. 3g) oder wesentlich daran beteiligt war (2. Alternative des Art. 3g). Diese Entsendung bzw. wesentliche Beteiligung stellt den relevanten Unterschied zur Friendly Relations Declaration dar. Diese Resolution fordert, dass die Staaten bereits die Duldung organisierter Aktivitäten in ihrem Hoheitsgebiet unterlassen, wenn die erwähnten Akte die Androhung oder Anwendung von Gewalt einschließen.53 Gerade die Blockfreien Staaten sprachen sich hingegen bei der Formulierung der Aggressionsdefinition gegen die Inkorporierung von Duldungskonstellationen in den Aggressionsbegriff aus, so dass für sie die Frage nach der Zulässigkeit von Selbstverteidigungsmaßnahmen hinfällig war.54 Die westlichen Staaten hätten dagegen keiner Aggressionsdefinition zugestimmt, deren Tatbestand subversive Gewalt ausgeschlossen hätte.55 Dieser „Formelkompromiss“ 56 zeigt, dass nur insoweit Einigkeit herrschte, dass indirekte Formen der Gewaltanwendung eine gewisse Intensität und staatliche Verstrickung aufweisen müssen, um als Aggression eingestuft werden zu können. Zwar wird eine Subsumtion der Duldungs50 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1407 Rn. 17. 51 Alexandrov, Self-Defence against the Use of Force in International Law, 1996, S. 105 ff.; Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1407 Rn. 17. 52 Kersting, NZWehrr 1981, S. 142. 53 Fastenrath, Ein Verteidigungskrieg läßt sich nicht vorab begrenzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.11.2001, Nr. 263, S. 8. 54 Bruha, Definition der Aggression, 1980, S. 170 f. 55 Der Entwurf der Sowjetunion enthielt auch Regelungen zur Inkorporierung indirekter, subversiver Gewalt, löste diesen Bereich aber von einem einheitlichen bewaffneten Aggressionsbegriff. Bei Bruha findet sich eine gute Übersicht, wie bei der Abfassung der Aggressionsdefinition die Rechtsauffassungen der westlichen Staaten, der Sowjetunion und der Blockfreien auseinander gingen, Bruha, Definition der Aggression, 1980, S. 169 ff. und 228 f. 56 Bruha, Definition der Aggression, 1980, S. 238.
II. Zurechnung
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konstellation unter Art. 3 g diskutiert.57 Da aber schon um die Zurechnungsfrage hinsichtlich der Entsendung und Unterstützung ein heftiger politischer und ideologischer Streit entbrannte, der trotz der nun gefundenen Formulierung nicht aufgelöst werden konnte, erscheinen solche Versuche fragwürdig.58 3. Rechtsprechung Internationale Gerichtshöfe haben sich in den unterschiedlichsten Fällen mit der Zurechnung privaten Verhaltens zum Staat auseinandersetzen müssen. Im Teheraner Geiselfall59 stand zwar nicht die Verantwortlichkeit des Irans im Zusammenhang mit der Auslegung des Art. 51 UN-Charta in Frage, sondern seine Verpflichtungen aus den Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen.60 Dennoch liefert dieses Urteil Anhaltspunkte für die Zurechnung bei nachträglicher, staatlicher Billigung der privaten Gewalt. Der Gerichtshof differenzierte dabei zwischen der nachträglichen Billigung von bereits abgeschlossenen privaten Handlungen und der Billigung noch andauernden privaten Verhaltens. Während bei der ersten Variante grundsätzlich keine Zurechenbarkeit gegeben ist,61 erlangen die privaten Akteure bei der zweiten Variante durch die staatliche Billigung ihres rechtswidrigen Verhaltens faktische OrganEigenschaft.62 Allerdings wird eine solche Fallkonstellation bei terroristischen Angriffen eher selten vorkommen, da diese oftmals punktuell und zeitlich begrenzt erfolgen, so dass diese Aktionen in der Praxis womöglich schon abgeschlossen sein dürften, bevor sich der Aufenthaltsstaat dazu billigend äußern konnte.63 Ein Staat wird zudem wohl eher Sympathiebekundungen zu den vermeintlichen politischen Zielen der terroristischen Angreifer abgeben. Von besonderer Bedeutung für Zurechnungsfragen ist das Nicaragua-Urteil (Nicaragua vs. USA) des IGH,64 da sich der Gerichtshof hier mit der staatlichen 57
Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 115 f. Siehe hierzu ausführlich Bruha, Definition der Aggression, 1980, S. 228 ff. 59 Case Concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (USA v. Iran), 24. Mai 1980, ICJ Reports 1980, S. 3 ff. Ausführlich zu den rechtlichen Problemen dieses Falls siehe Green, AVR 19 (1980/81), S. 1 ff. 60 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, UNTS, Vol. 500, S. 95; BGBl. 1964 II, S. 958; Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, UNTS, Vol. 596, S. 261; BGBl. 1969 II, S. 1585. 61 Case Concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (USA v. Iran), 24. Mai 1980, ICJ Reports 1980, S. 29 para. 59. 62 Case Concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (USA v. Iran), 24. Mai 1980, ICJ Reports 1980, S. 35 para. 74. 63 Condorelli, IYHR 19 (1989), S. 240; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 220; Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 162. 64 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986. 58
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
Zurechnung und Verwicklung in Gewaltakte Privater auseinandersetzen musste. Anfang der 1980er Jahre unterstützten die USA einen von den Nachbarstaaten Honduras und El Salvador aus geführten Guerillakrieg rechtsgerichteter Rebellen („Contras“) gegen die in Nicaragua regierenden, linksgerichteten Sandinisten, die 1979 das Vorgängerregime Somoza gestürzt hatten. Der IGH entwickelte das Kriterium der effektiven Kontrolle („effective control“) und präzisierte es dahingehend, dass diese sich auf die paramilitärischen Aktionen im Einzelnen beziehen müsste.65 Eine generelle Kontrolle, wie sie die USA nach Meinung des IGHs über die Contras innehatte, reichte demgegenüber nicht aus, um eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit für das Handeln Privater zu begründen. Interessanterweise begründet der Gerichtshof nicht, wie er zu dem „effective control“-Test gelangt; er zitiert weder Staatenpraxis noch stützt er sich dabei auf eine opinio juris der Staatenwelt. Es scheint sich hier also um ein Kriterium zu handeln, dass der IGH selbst aufgestellt hat. Zu einem anderen Maßstab bei der Beurteilung der staatlichen Zurechenbarkeit kam die Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), die in der Sache „Prosecutor v. Tadic“ eine Änderung der Zurechenbarkeitskriterien im Vergleich zum Nicaragua-Urteil vornahm.66 Gegenstand des Verfahrens bildete der Vorwurf an Dusko Tadic, als Mitglied der Armee der serbischen Republik in Bosnien-Herzegowina während des Bosnien-Krieges Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht verübt zu haben. In diesem Zusammenhang stellte sich die Frage, ob die Streitkräfte der bosnischen Serben de iure oder de facto Organe der Bundesrepublik Jugoslawien waren und deren Handlungen demnach der Bundesrepublik zurechenbar waren. Die Berufungskammer des ICTY hielt den „effective control“-Test des IGH aus zwei Gründen für nicht plausibel.67 Zum einen kritisierte der ICTY, dass der „effective control“-Test aus dem Nicaragua-Urteil wenig überzeugend sei, da er nicht mit der Logik des gesamten Systems der Staatenverantwortlichkeit übereinstimme. Den zweiten Grund für den Dissens zum Nicaragua-Urteil sah die Berufungskammer des ICTY in der Staatenpraxis begründet, die auch eine Staatenverantwortlichkeit in gewissen Fällen angenommen hat, in denen ein geringeres Maß an Kontrolle von Seiten des Staates ausgeübt worden war, als dies der „effective control“-Test erforderte.68 Der ICTY wiederholte seine Auffassung im Aleksovski-Fall69 und im „Celebici Camp“-Fall.70 65
Ibid, S. 64 para. 115. ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Tadic, Judgment, Case No. IT-94-1-A, 15. Juli 1999, 15. Juli 1999, abrufbar unter http://www.icty.org/x/cases/tadic/acjug/en/ tad-aj990715e.pdf (bzw. ILM 38 (1999), 1518 ff.). 67 Ibid, para. 115. 68 Ibid, para. 124. 69 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Aleksovski, Judgment, Case No. IT-95-14/ 1-A, 24. März 2000, para. 122 ff. 66
II. Zurechnung
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Auch der Internationale Gerichtshof bekräftigte das von ihm im Nicaragua-Urteil aufgestellte Kriterium der effektiven Kontrolle in seinem Urteil zu Kongo v. Uganda (Armed Activities Case), der sich mit dem überaus komplexen Konflikt in der Region der Großen Seen in Ostafrika Ende der 1990er beschäftigte und dabei u. a. der Frage nachgehen musste, inwieweit Uganda und Kongo Kontrolle über die diversen Rebellengruppen in dem Gebiet hatten.71 Den separaten Stellungnahmen der Richter Kateka, Simma und Kooijmans ist zuzustimmen: Dieser Fall hätte eine gute Möglichkeit für eine neue Interpretation der Zurechnungsregeln geboten, falls der IGH eine Änderung hätte vornehmen wollen. Doch die Mehrheit der Richter am IGH scheint – vielleicht auch gerade mit Hinblick auf die Diskussion über nichtstaatliche Gewalt nach dem 11. September 2001 – nicht bereit zu sein, die strengen Zurechnungsregeln zu lockern und dem Staat privates Verhalten zuzurechnen, über das er keine direkte Kontrolle ausübt. Insofern offenbaren diese Stellungnahmen den Streit um die Zurechnungsregeln und die mittlerweile umstrittenen Nicaragua-Kriterien und zeigen, dass ein Teil der Richterschaft wie auch einige Wissenschaftler die Kriterien heutzutage modifizieren würden.72 Die Rechtsprechung hinsichtlich der staatlichen Zurechnung privaten Verhaltens ist insofern nicht einheitlich. Während der IGH durchgängig das Prinzip der effektiven Kontrolle über die nichtstaatliche Gruppierung postuliert, genügt dem ICTY die allgemeine Kontrolle des Staates. Auch wenn beide Gerichtshöfe für unterschiedliche Rechtsgebiete zuständig sind, ist doch der Gegensatz zwischen dem Festhalten am „effective control“-Test aus dem Nicaragua-Urteil und dem „overall control“-Test aus dem Tadic-Fall ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich Regeln des Völkerrechts – in diesem Fall der Staatenverantwortlichkeit – von juristischen Instanzen interpretiert werden können. Es bleibt abzuwarten, welcher der beiden Gerichtshöfe sich der Rechtsauffassung des jeweils anderen annähert. 4. Artikel zur Staatenverantwortlichkeit Die Völkerrechtskommission (ILC) hat sich seit 1955 ausführlich mit den verschiedenen Zurechnungskonstellationen befasst und einen Kodifikationsentwurf mit Artikeln zur Staatenverantwortlichkeit mitsamt einer umfangreichen Kom70 ICTY Appeals Chamber, Prosecutor v. Delalic, Judgment, Case No. IT-96-21-A, 20. Februar 2001, para. 14 ff. 71 Ursprünglich klagte die DRC gegen Uganda, Burundi und Ruanda. Allerdings stellte die DRC den Prozess gegen Burundi und Ruanda 2001 ein und reichte 2002 eine neue Klage gegen Ruanda ein, bei der der IGH allerdings seine Zuständigkeit verneinte. Case concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002), 3. Februar 2006, ICJ Reports 2006, S. 6 ff. 72 U. a. Frowein, Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.09.2001, Nr. 215, S. 10; Bruha, AVR 40 (2002), S. 403 ff.
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B. Einordnung der Problematik in das Völkerrecht
mentierung erarbeitet.73 Die Generalversammlung empfahl in ihrer Resolution 56/83 am 12. Dezember 2001 die Beachtung der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit durch die Mitgliedsstaaten.74 Terroristische Anschläge sind entsprechend der Regeln der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit nur bei einer effektiven Kontrolle im Sinne des Nicaragua-Urteils oder bei einer Anerkennung und Annahme der relevanten Aktionen als eigenes Handeln zurechenbar. Interessant ist, dass die Artikel zur Staatenverantwortlichkeit von der ILC im November 2001 angenommen wurden, also kurz nach den Attentaten vom 11. September 2001. Trotz der zeitlichen Nähe sah sich die ILC nicht veranlasst, ihre strengen Zurechnungsregeln einer Überprüfung im Lichte der aktuellen Ereignisse zu unterziehen. Dies zeigt, wie gefestigt diese Kriterien im Völkergewohnheitsrecht sind. Trotzdem ist ein erheblicher Teil privater Gewalt nicht von den Zurechnungsregeln der Artikel zur Staatenverantwortlichkeit erfasst. 5. Ergebnis der Untersuchung der Zurechnungskriterien Sowohl aus den relevanten Dokumenten (Friendly Relations Declaration, Aggressionsdefinition, Artikel zur Staatenverantwortlichkeit der ILC) als auch aus den Urteilen des Internationalen Gerichtshofs geht hervor, dass eine Form der Kontrolle des Staates über die privaten Angriffe bestehen muss, um ihm das Verhalten zurechnen zu können.75 Hinsichtlich der Intensität der Kontrolle gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen zwischen dem ICTY und dem IGH hinsichtlich der Frage, ob eine umfassende oder eine effektive Kontrolle notwendig ist. Insofern ist eine staatliche Zurechnung ausgeschlossen, wenn der Staat die privaten Angreifer lediglich „beherbergt“ bzw. auf seinem Territorium duldet. Auch eine nachträgliche Billigung führt nach einhelliger Auffassung nicht zu einer staatlichen Zurechnung. In Situationen eines zerfallenen Staates ist eine Zurechnung ebenso ausgeschlossen, da dem Staat kein eigenes völkerrechtswidriges Verhalten angelastet werden kann. Natürlich besteht die Möglichkeit die Schwelle für die Zurechenbarkeit herabzusetzen und damit schon bei einer Unterstützung in Form eines Unterlassens eine staatliche Zurechnung der durch dieses Verhalten kausal verursachten Terroranschläge als „act of state“ herzuleiten, die bei hinreichender Intensität der 73 Im Internet veröffentlicht unter http://untreaty.un.org/ilc/texts/instruments/eng lish/commentaries/9_6_2001.pdf sowie in Crawford, The International Law Commission’s Article on State Responsibility, 2002; siehe hierzu auch Crawford, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public Internationale Law, Bd. IX (2012), S. 517 ff. 74 UN Doc. ARES/56/83 vom 12. Dezember 2001, Ziff. 3. 75 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), Art. 51, S. 1414 f.; Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigung, 2006, S. 253; Bruha, AVR 40 (2002), S. 405.
II. Zurechnung
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Gewaltausübung durch die Privaten als ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta bewertet werden können. Dies wird von einigen Völkerrechtlern gefordert.76 Im Fall der US-amerikanischen Intervention in Afghanistan wurden die Anschläge von Al Qaida den Taliban zugerechnet. Im Sommerkrieg 2006 hingegen wurden die Anschläge der Hisbollah nicht dem Libanon zugerechnet, obwohl hier noch eher eine Verbindung hätte hergestellt werden können. Eine absolute Staatenverantwortlichkeit im Zuge einer Zurechnung jeglichen privaten Verhaltens zu einem Staat hat sich bisher in der Staatenpraxis noch nicht durchgesetzt und würde den Aufenthaltsstaat pauschal zum Ziel der Verteidigungsmaßnahmen machen. Als Ergebnis lässt sich insofern festhalten, dass Formen privater, grenzüberschreitender Gewalt „übrig“ bleiben, die keinem Staat als eigenes Handeln zurechenbar sind.
76 O’Connell, University of Pittsburgh Law Review 63 (2002), S. 901; Kohen, in: Byers/Nolte (Hrsg.), United States Hegemony and the Foundations of International Law, 2003, S. 206.
C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet Gerade nichtstaatliche, grenzüberschreitende terroristische Gewalt stellt Staaten vor die Herausforderung, wie sie sich gegen diese Angriffe verteidigen können und welche Normen dabei anwendbar sind. So setzt das Selbstverteidigungsrecht einen bewaffneten Angriff voraus und jede militärische Reaktion auf einem anderen Staatsgebiet verletzt schließlich die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates.
I. Staatenpraxis In der Vergangenheit haben immer wieder Staaten militärisch auf dem Staatsgebiet anderer Staaten operiert und interveniert, um auf Angriffe und fortwährende Bedrohungen durch terroristische Gruppen zu reagieren. Nicht immer wurden diese militärischen Maßnahmen mit juristischen Argumenten durch die Staatengemeinschaft in internationalen Gremien erörtert. 1. Israel – Libanon 1968 Am 26. Dezember 1968 wurde eine israelische zivile El Al Maschine auf dem Weg nach New York mit Bomben und Maschinengewehren auf dem Athener Flughafen angegriffen. Israel zerstörte in Reaktion auf den Vorfall am 28. Dezember 1968 dreizehn leere Zivilflugzeuge in ihren Hangars am Beiruter Flughafen.77 Der israelische Vertreter führte vor dem Sicherheitsrat aus, dass paramilitärische palästinensische Gruppen für den Vorfall in Athen verantwortlich wären, die offen und mit dem Wohlwollen der libanesischen Regierung in Beirut operierten. Israel warf der libanesischen Regierung vor, von den Taten, Zielen und Methoden der Terrororganisationen gewusst zu haben.78 Statt die arabischen Terrorgruppen auszuweisen oder ihre Mitglieder vor Gericht zu stellen, böte Beirut ihnen einen sicheren Rückzugsraum und konsularischen Schutz. Dabei wäre es die Pflicht des Libanons, von seinem Territorium ausgehende Gefahren für andere Staaten, also 77 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Vorfall siehe Falk, AJIL 63 (1969), S. 415 ff.; Blum, AJIL 64 (1970), S. 73 ff. Siehe auch die Diskussion im Sicherheitsrat UN Doc. S/PV.1460 (29. Dezember 1968). 78 UN Doc. S/PV.1460 (29. Dezember 1968), S. 3.
I. Staatenpraxis
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Israel, zu unterbinden. Dementsprechend wäre Libanon direkt und nicht stellvertretend verantwortlich.79 Die militärischen Maßnahmen richteten sich gegen den angeblichen Ausgangspunkt, von dem die Terroristen starteten, und sollten Israels Recht auf freie Navigation im internationalen Luftverkehr durchsetzen. Die Ausführungen des israelischen Vertreters belegen, dass die Zerstörung der arabischen Flugzeuge auf dem Beiruter Flughafen Ausdruck von Vergeltungsmaßnahmen und Prävention zukünftiger Anschläge denn unmittelbare Selbstverteidigung gegen die tatsächliche Ursache des Terroranschlags war.80 Schließlich sollte der Libanon als Aufenthaltsstaat und nicht die PLO selbst getroffen werden. Der Sicherheitsrat folgte Israels Argumentation nicht und verurteilte die Aktion einstimmig am 31. Dezember 1968 mit Resolution 262 (1968).81 Selbst der Vertreter der USA wies das israelische Vorgehen als unverhältnismäßig zurück, da der Vorfall in Athen keine Rechtfertigung für die israelische Vergeltung darstelle.82 Libanon hätte vielmehr Anstrengungen unternommen, um die Fedayeen zu kontrollieren. Auch die anderen Staaten – Vereinigtes Königreich, Frankreich, Sowjetunion, Indien, Ungarn, Algerien, Senegal, Brasilien – haben ein Prinzip der absoluten Staatenverantwortlichkeit zurückgewiesen.83 Den argumentativen Schwerpunkt in den Ausführungen der Staatenvertreter bildete die Verurteilung der israelischen Militäraktion als Repressalie. Die grundsätzliche Anwendbarkeit von Art. 51 UN-Charta gegen nichtstaatliche terroristische Angriffe wurde nicht diskutiert. Der Vertreter der UdSSR verneinte die Autorität des Sicherheitsrats und auch die Zweckmäßigkeit, den ursprünglichen Vorfall in Athen zu beraten. Schließlich hätte Griechenland als souveränes Land nicht den Sicherheitsrat angerufen, sondern ginge dem Vorfall durch seine eigenen Institutionen selbst nach.84 Diese Aussage zielt zu Recht auf das Prinzip, dass es dem jeweiligen Aufenthaltsstaat obliegt, für die Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung eines Terroranschlags zu sorgen. Nachdem Griechenland dieser Verantwortung gerecht geworden ist, wäre damit der israelische Anspruch auf zwischenstaatliche Konfliktlösung saturiert gewesen. Da Israel dennoch in Form einer Repressalie im Libanon militärische Vergeltung suchte, erhielt der Konflikt eine neue Qualität, die das Tätigwerden des Sicherheitsrats erforderte. 79 Ibid, S. 5: „The Government’s responsibilities are clearly established. They are direct responsibilities, not vicarious ones.“ 80 UN Doc. S/PV.1460 (29. Dezember 1968), S. 5. 81 UN Doc. S/RES/262 (1968) vom 31.12.1968. 82 „Nothing that we have heard has convinced us that the government of Lebanon is responsible for the occurence in Athens.“, UN Doc. S/PV.1460 (1968), S. 6. 83 UN Doc. S/PV.1460 (29. Dezember 1968). 84 UN Doc. S/PV.1460 (29. Dezember 1968), S. 1 und 3: Prinzip, dass der „Aufenthaltsstaat“ die Terroristen strafrechtlich verfolgen müsste.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
2. Israel – Libanon 1981 Am 10. Juli 1981 flog die israelische Luftwaffe einen Angriff gegen das Hauptquartier der so genannten Demokratischen Front im libanesischen Damour, die Arabische Befreiungsfront in Ain Al-Hilwe und die Fatah-Organisation. Dabei wurden auch zahlreiche zivile Ziele, Brücken und Straßen zerstört.85 Israel begründete die militärischen Maßnahmen mit der Unfähigkeit und Unwilligkeit des Libanon, Angriffe palästinensischer Terrorgruppen von seinem Territorium zu verhindern. Insofern sei Israel als Opferstaat berechtigt, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sich selbst zu verteidigen. Diese Position führte der israelische Vertreter im UN-Sicherheitsrat auch deutlich aus: „Members of the Council need scarcely be reminded that under international law, if a State is unwilling or unable to prevent the use of its territory to attack another State, that latter State is entitled to take all necessary measures in its own defence. The Government of Israel is in fact exercising the inherent right of selfdefence enjoyed by every sovereign State, a right also preserved under Article 51 of the Charter of the United Nations.“ 86 Da Israel die Souveränität und territoriale Integrität Libanons respektierte – so die israelische Logik – richteten sich die Angriffe nur gegen Stellungen der PLO, die sich jedoch „bedauerlicherweise“ hinter der Zivilbevölkerung verstecke.87 Jordanien, selbst kein Mitglied im Sicherheitsrat, begründete in der Ratssitzung vom 17. Juli 198188 seine Ablehnung des israelischen Anspruchs auf Selbstverteidigung gegen die PLO mit der Rechtmäßigkeit des palästinensischen Befreiungskampfes.89 Mittlerweile kann dieser Standpunkt allerdings als überholt angesehen werden. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat die Ansicht durchgesetzt, dass auch ein in seinen Motiven noch so berechtigter Freiheitskampf nicht auf terroristische Methoden zurückgreifen darf. Der Terrorismus wurde in der Generalversammlung seit 1995 ungeachtet der dahinter stehenden Motive als unentschuldbare Handlung verurteilt.90 Statt einer profunden juristischen Auseinandersetzung zum vorliegenden 85 Siehe die Ausführungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 17. Juli 1981, UN Doc. S/PV.2292, S. 2. 86 UN Doc. S/PV.2292 (17. Juli 1981), S. 5. 87 Ibid. 88 Bei der Sitzung des Sicherheitsrats am 12. Juni 1981 erfolgte zum ersten Mal die Bitte der tunesischen Vertretung, die PLO bei den Beratungen teilnehmen zu lassen. Auch wenn die Bitte ohne eine Referenz zu Regel 37 oder 39 der Geschäftsordnung des Rates erfolgte, wurde vom damaligen Präsidenten des Sicherheitsrats (Mexiko) die Teilnahme der PLO unter Regel 37 wie bei Mitgliedstaaten zur Abstimmung gestellt. Die USA votierte dagegen, Japan, Frankreich und Großbritannien enthielten sich. Somit durfte die PLO an der Debatte teilnehmen. 89 UN Doc. S/PV.2292 (17. Juli 1981), S. 6 (Jordanien). 90 UN Doc. A/RES/49/60 vom 17. Februar 1995.
I. Staatenpraxis
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Sachverhalt veranschaulicht diese Debatte wegen der gegenseitigen Anschuldigungen zwischen dem israelischen und sowjetischen Vertreter hinsichtlich der militärischen Unterstützungsleistungen exzellent die Ost-West-Konfrontation im Nahen Osten.91 3. Israel – Libanon 1982 Der unmittelbare Auslöser dieser israelischen militärischen Operation gegen den Libanon war das Attentat auf den israelischen Botschafter Argov in London am 3. Juni 1982.92 Das Vereinigte Königreich hatte eine umfassende Untersuchung der Hintergründe und Beteiligten eingeleitet. Eine Verwicklung in das Attentat wurde von Seiten der PLO bestritten, da stichhaltige Hinweise existierten, dass ihr eigener Vertreter in London ermordet werden sollte. Diese Aussage bestätigte der Vertreter des Vereinigten Königreichs am 5. Juni 1982.93 Nichtsdestotrotz reagierte Israel am 6. Juni 1982 mit militärischen Mitteln gegen den Libanon, was eine Spirale der Gewalt in Gang setzte. Nachdem die PLO und andere bewaffnete Gruppierungen Israel vom Libanon aus angriffen, marschierte Israel im Libanon ein und brach damit das in der Sicherheitsratsresolution 508 (1982) geforderte Ultimatum zum Waffenstillstand.94 Der Sicherheitsrat forderte mit Resolution 509 (1982) am 6. Juni 1982 einstimmig von Israel den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aus dem Libanon.95 Israel begründete seine Militäraktion mit seinem Recht auf Selbstverteidigung.96 Die libanesische Souveränität sei durch die Bildung eines „Staates im Staat“ durch die Fatah im Südlibanon bereits erodiert. Israel vermied aber Verweise auf eine direkte libanesische Verantwortlichkeit für die Operationen der PLO und das Attentat auf den israelischen Botschafter Argov, sondern erinnerte interessanterweise an dessen völkerrechtliche Pflichten, nichtstaatliche Angriffe von seinem Territorium aus gegen einen anderen Staat (Israel oder Juden im Allgemeinen) zu verhindern.97 „If Lebanon is either unwilling or unable to prevent the harbouring, training and financing of PLO terrorists openly operating from Lebanese territory with a view to harassing Israel, Israelis and Jews world-wide, then Lebanon surely must be prepared to face the risk of Israel’s taking the neces-
91 Russland und Jordanien beschuldigen die USA; Israel attackiert die Sowjetunion für ihre Waffenlieferungen an die PLO. Für die Diskussion siehe UN Doc. S/PV.2292 (1981). 92 Siehe Diskussion im Sicherheitsrat am 05.06.1982, UN Doc. S/PV.2374 (1982). 93 UN Doc. S/PV.2374, 5. Juni 1982, S. 5. 94 Für die verschiedenen Argumente für und gegen die israelische Operation siehe Feinstein, Israel Law Review 20 (1985), S. 362 ff. 95 UN Doc. S/RES/509 (1982) vom 6. Juni 1982. 96 UN Doc. S/PV.2375 vom 6. Juni 1982, S. 4. 97 UN Doc. S/PV.2375 vom 6. Juni 1982, S. 5.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
sary countermeasures to stop such terrorist operations.“ 98 Dabei wäre der Libanon möglicherweise für die Aktionen der PLO mitverantwortlich, da zahlreiche Vereinbarungen die Aktivitäten der PLO im Libanon regelten, einschließlich einer Abtretung der Kontrolle über die palästinensischen Flüchtlingslager an die PLO, sowie auch die Autorisierung, Operationen gegen Israel durchzuführen.99 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die PLO als de facto Organ des Libanon im Sinne von Art. 4 der Artikel über die Staatenverantwortlichkeit handelte.100 Insofern hätte man die Handlungen der PLO dem Libanon direkt zurechnen können. Die Debatten zu dieser militärischen Auseinandersetzung im Nahen Osten offenbaren den Widerwillen vieler Staaten, den Anspruch auf das Recht auf Selbstverteidigung gegen terroristische Gruppen zu akzeptieren, insbesondere wenn die Maßnahmen als unverhältnismäßig und politisch kontraproduktiv erachtet werden. Das Vereinigte Königreich, Frankreich und Irland zeigten sich zwar schockiert über den Anschlag auf den israelischen Botschafter Argov in London, aber dieser Anschlag rechtfertigte ihrer Ansicht nach in keiner Weise das Vorgehen der israelischen Armee.101 Die grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit der israelischen Selbstverteidigungsmaßnahmen wurde hintan gestellt. Die meisten Staaten begrenzten ihre Stellungnahmen auf eine Analyse der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der israelischen Aktion, ohne näher auf die Frage nach dem Recht auf Selbstverteidigung einzugehen.102 4. Israel – Tunesien 1985 und 1988 Wie schon zuvor im Libanon griff Israel in den 1980er Jahren Stützpunkte der PLO in Tunesien an und rechtfertigte diese Operationen auf tunesischem Territorium mit dessen Aufnahme von palästinensischen Terrororganisationen.103 Israel beschuldigte Tunesien, der PLO extraterritoriale Gebiete als Basis zur Verfügung zu stellen. Insofern könnte sich Tunesien nicht mehr auf seine Souveränität und territoriale Integrität berufen.104 Israel ging auch hier von einem materiell auf-
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UN Doc. S/PV.2374 vom 5. Juni 1982, S. 7. Feinstein, Israel Law Review 20 (1985), S. 371. 100 Becker, Terrorism and the State. Rethinking the Rules of State Responsibility, 2006, S. 193. 101 UN Doc. S/PV.2374 vom 5. Juni 1982, S. 3 und 8. 102 Für Sowjetunion und Arabische Liga siehe UN Doc. S/PV.2374; für Ägypten, Polen und China siehe UN Doc. S/PV.2375. 103 Für eine Schilderung der israelischen Militäraktion in Tunesien aus Sicht Tunesiens siehe die Briefe des tunesischen Vertreters bei den Vereinten Nationen an den Präsidenten des Sicherheitsrats vom 1. Oktober 1985, UN Doc. S/17509, und vom 19. April 1988, UN Doc. S/19798. Für die israelische Sicht siehe UN Doc. S/PV.2615 vom 4. Oktober 1985, S. 17 f. 104 UN Doc. S/PV.2615 (1985), S. 17. 99
I. Staatenpraxis
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geladenen Souveränitätsverständnis aus, bei dem der Respekt der Souveränität eines Staates an die Erfüllung seiner völkerrechtlichen Pflichten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus geknüpft ist. Die USA zeigten generelles Verständnis für die Selbstverteidigungsmaßnahmen seines engen Verbündeten, da es das souveräne Recht eines Staates wäre, sich gegen Bedrohungen zu verteidigen.105 „We recognize and strongly support the principle that a State subjected to continuing terrorist attacks may respond with appropriate use of force to defend itself against further attacks. This is an aspect of the inherent right of self-defence recognized in the Charter of the United Nations.“ 106 Im Übrigen wäre der Terrorismus die Ursache des Problems, nicht die Reaktion auf den Terrorismus. Wie Israel gingen auch die USA davon aus, dass die Staaten verpflichtet wären, Terrorismus auf ihrem Territorium zu bekämpfen und grenzüberschreitende Bedrohungen von nichtstaatlichen Akteuren gegen andere Staaten zu verhindern.107 Die anderen Staaten, die sich im Sicherheitsrat zu Wort meldeten, verurteilten Israels Verletzung der tunesischen Souveränität und territorialen Integrität. Gerade die Vertreter Afrikas, des Nahen Ostens, der Blockfreien Bewegung und sozialistischer Staaten zeigten Verständnis für die palästinensische Sache und betonten die Legitimität des palästinensischen Freiheitskampfs.108 Die Sowjetunion und das Vereinigte Königreich enthielten sich jedoch einer Stellungnahme im Sicherheitsrat. Das Gremium verurteilte – bei Enthaltung der USA – Israels militärische Maßnahmen als Aggression und als Verletzung der UN-Charta.109 5. Türkei – Irak 1995–1997 Das Regime von Saddam Hussein war nach dem Zweiten Golfkrieg zur Wiederherstellung der kuwaitischen Souveränität vom Sicherheitsrat mit zahlreichen Sanktionen, u. a. einem Flugverbot über Zonen im Norden und Süden Iraks belegt und dadurch nur eingeschränkt in der Lage, seine Staatsgewalt effektiv im Norden des Territoriums auszuüben.110 Dementsprechend konnte der Irak Übergriffe der kurdischen PKK in die Türkei und Iran nicht unterbinden. Dies führte
105
UN Doc. S/PV.2615 (1985), S. 22. Ibid. 107 Ibid, S. 22: „It is the collective responsibility of sovereign States to see that terrorism enjoys no sanctuary, no safe haven, and that those who practise it have no immunity from the responses their acts warrant.“ 108 UN Doc. S/PV.2615 (1985). 109 UN Doc. S/RES/573 (1985) vom 4. Oktober 1985. 110 UN Doc. S/RES/661 vom 6.08.1990; UN Doc. S/RES/678 vom 29. November 1990; UN Doc. S/RES/686 vom 2. März 1991; UN Doc. S/RES/687 vom 3. April 1991; UN Doc. S/RES/688 vom 5. April 1991. 106
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
zu regelmäßigen Grenzüberschreitungen der türkischen Streitkräfte in den Nordirak, um gegen Stützpunkte der PKK vorzugehen.111 Die Türkei stützte sich in Briefen an den Präsidenten des Sicherheitsrats nicht auf das Recht auf Selbstverteidigung, sondern auf eine Notstandssituation.112 Der türkische Außenminister leitete in einer ausführlichen juristischen Analyse aus der Friendly Relations Declaration die Pflicht ab, dass Staaten in Präzisierung des in Art. 2 (4) UN-Charta festgeschriebenen Gewaltverbots die ausdrückliche Pflicht hätten, jegliche Unterstützung oder Organisation terroristischer Akte in anderen Staaten zu unterlassen. Hierunter fällt auch die bloße Duldung solcher organisierter Aktivitäten auf dem eigenen Territorium, soweit diese Aktivitäten die Ausübung oder Androhung von Gewalt einschließen. Die Verpflichtung der Türkei und der anderen Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, die territoriale Integrität des Iraks zu respektieren sei gleichwertig mit der Pflicht des Iraks, zu verhindern, dass sein Territorium von Terroristen für die Planung und Ausführung von Terrorakten missbraucht werde. Da der Irak – auch angesichts der Sanktionen – unfähig sei, sein Territorium zu kontrollieren, müsse eine Abwägung der konträren Interessen zugunsten der Schutzpflicht der Türkei gegenüber den eigenen Staatsbürgern und zu Lasten des Schutzes der territorialen Integrität des Nachbarstaates ausfallen.113 Das türkische Vorgehen stieß international auf Ablehnung. Der Irak verurteilte das türkische Vorgehen jedes Mal aufs Schärfste in Briefen an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat.114 Ebenso missbilligten die arabischen Staaten in mehreren Stellungnahmen die Verletzung der irakischen Souveränität und territorialen Integrität durch die türkischen Truppen.115 Einerseits betrachteten
111 Für einen genaueren Sachverhalt siehe die Darstellungen des Iraks in Briefen an den Generalsekretär der Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat: 31.5.1996, UN Doc. S/1996/401, S. 2; 2.06.1998, UN Doc. S/1998/455, S. 2; 2.06.1998, UN Doc. S/ 1998/456, S. 2; 9.11.1998, UN Doc. S/1998/1049, S. 2; 23.02.1999, UN Doc. S/1999/ 196, S. 2; 14.5.1999, UN Doc. S/1999/560, S. 2; 26.5.1999, UN Doc. S/1999/610, S. 2; 12.07.1999, UN Doc. S/1999/778, S. 2; 5.10.1999, UN Doc. S/1999/1028, S. 2; 28.4.2000, UN Doc. S/2000/353, S. 2; 7.6.2000, UN Doc. S/2000/546, S. 2; 31.7.2000, UN Doc. S/2000/750, S. 2. 112 Brief des türkischen Außenministers an den Generalsekretär und an den Präsidenten des Sicherheitsrats vom 2.07.1996, UN Doc. S/1996/479, 2: „(. . .) Turkey’s resort to measures imperative to its own security originating from the principle of self-preservation and necessities, cannot be regarded as a violation of Iraq’s sovereignty.“ Siehe auch die Briefe vom 23.01.1996, UN Doc. S/1996/872, S. 2; 17.07.1996, S/1996/561; 8.10.1986, S/1996/836; 23.10.1996, UN Doc. S/1996/872; 24.10.1996, UN Doc. S/ 1996/871, S. 2; 18.7.1997, UN Doc. S/1997/552, S. 2. 113 Ibid. 114 Brief des Irak an den UN-Generalsekretär und den UN-Sicherheitsrat vom 30.05.1996; Brief des Irak an den UN-Sicherheitsrat vom 15.06.1996, UN Doc. S/1996/ 561; Briefe des Irak an den UN-Generalsekretär vom 5.03.1996, UN Doc. S/1996/167 und vom 29.08.1996, UN Doc. S/1996/707.
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sie die Bekämpfung der kurdischen PKK durch türkische Truppen auf irakischem Territorium als Einmischung in innere Angelegenheiten des Iraks.116 Andererseits forderte die Gruppe der arabischen Staaten bei den Vereinten Nationen, dass kein Staat die außergewöhnliche Situation, der der Irak unterworfen sei, ausnutzen dürfe.117 Dieser Argumentation nach bildet eine erzwungene Unfähigkeit(skonstellation) keine Grundlage für grenzüberschreitende militärische Terrorismusbekämpfung. Das Europäische Parlament verurteilte 1995 in einer Entschließung die militärische Intervention der Türkei in den Nordirak und die sich daraus ergebenden Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte. In den Erwägungen in der Präambel monierte das Europäische Parlament vor allem die Unverhältnismäßigkeit der Aktion, die über die bloße Wahrnehmung des Rechts auf Nacheile hinausgehe und keinerlei zeitliche Befristung aufweise.118 Da zugleich auch die terroristischen Aktivitäten der PKK kritisiert wurden, lässt sich schlussfolgern, dass eine grenzüberschreitende militärische Reaktion auf terroristische Aktivitäten legitim sei, solange sie verhältnismäßig ausgeübt werde. Der Europarat verurteilte ebenso die türkische Militäraktion als Verletzung des Völkerrechts, betonte aber auch das Recht der Türkei, den Terrorismus im Rahmen des Völkerrechts und der Europäischen Konvention für Menschenrechte zu bekämpfen.119 Die diplomatischen Proteste des Iraks, der arabischen und europäischen Staaten führten jedoch nicht einmal zu einer Sitzung des Sicherheitsrats, geschweige denn zu einer Stellungnahme oder Resolution.120 Es wäre verfrüht, in der aus115 Stellungnahme der Arabischen Liga an den UN-Generalsekretär vom 14.09.1996, UN Doc. S/1996/796; Brief der Arabischen Liga an den UN-Sicherheitsrat vom 30.05.1997, UN Doc. S/1997/416 und vom 2.06.1997, UN Doc. S/1997/429. 116 Press Communiqué issued on 31 May 1997 by the Ministers for Foreign Affairs of the Arab Gulf States, enthalten als Annex in: Letter dated 2 June 1997 from the Permanent Representative of Qatar to the United Nations addressed to the SecretaryGeneral, UN Doc. S/1997/429 vom 3. Juni 1997, S. 3; Statement adopted by the Council of the League of Arab States on 14 September 1996 concerning the situation in northern Iraq, enthalten als Annex in: Letter dated 24 September 1996 from the Permanent Observer for the League of Arab States to the United Nations addressed to the Secretary-General, UN Doc. S/1997/796 vom 26. September 1996, S. 2. 117 Communiqué issued by the Arab Group, enthalten als Annex in: Identical Letters dated 30 May 1997 from the Permanent Representative of Lebanon to the United Nations addressed to the Secretary-General and to the President of the Security Council, UN Doc. S/1997/416, 4. Juni 1997, S. 2. („no one should exploit the exceptional situation imposed in northern Iraq“.) 118 Europäisches Parlament, Entschließung zum Besuch der Troika in Ankara und zur militärischen Intervention der Türkei im Nordirak, 6. April 1995. 119 Council of Europe, Parliamentary Assembly, Recommendation 1266 (1995) on Turkey’s military intervention in northern Iraq and on Turkey’s respect of commitments concerning constitutional and legislative reforms, angenommen am 26. April 1995 (13. Sitzung). 120 Franck, Recourse to Force, 2002, S. 63.
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bleibenden Reaktion durch den Sicherheitsrat erste Anzeichnen erkennen zu wollen, dass verhältnismäßige militärische Gegenmaßnahmen gegen nichtstaatliche Akteure zulässig sind, wenn der Aufenthaltsstaat nicht fähig oder willens ist, gegen diese Akteure selbst vorzugehen, sondern ihnen vielmehr einen sicheren Rückzugsraum bietet.121 Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Sicherheitsrat ein politisches Gremium ist und dass das Regime von Saddam Hussein nach der Okkupation Kuwaits und den Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung international keine Sympathien genoss.122 Insofern mag es durchaus so gewesen sein, dass wichtige Staaten im Sicherheitsrat kein Interesse an einer Diskussion des Sachverhalts oder einer Beurteilung des türkischen Vorgehens hatten und das Thema deswegen nicht auf die Agenda gesetzt wurde. 6. Iran – Irak 1996 Am 26. und 28. Juli 1996 drang das iranische Militär auf irakisches Territorium vor, um gegen Trainingscamps iranischer Terroristen auf irakischem Territorium vorzugehen. Als Begründung nannte der iranische ständige Vertreter bei den Vereinten Nationen das Recht auf Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 UN-Charta.123 Iran sah in den vorangegangenen Angriffen durch die Terrorgruppen eine Verletzung seiner Souveränität und territorialen Integrität. Iran hob zwar hervor, dass der Irak nicht in der Lage wäre, effektive Herrschaftsgewalt über den Norden seines Territoriums auszuüben, warf jedoch dem Nachbarland keine Verwicklung in die terroristischen Aktionen vor. Trotz der Ausübung von Selbstverteidigungsmaßnahmen bekundete Iran seinen Respekt für die territoriale Integrität des Iraks. Die Selbstverteidigung sollte sich „nur“ gegen die mutmaßlichen Terroristen richten. Irak verurteilte die iranischen Grenzüberschreitungen als ungerechtfertigte Aggression und Verletzung der Waffenstillstandsforderung aus der Sicherheitsratsresolution 598 (1987).124 7. Iran – Irak 1997 Am 29. September 1997 bombardierte die iranische Luftwaffe terroristische Camps und Stellungen auf irakischem Territorium in Reaktion auf Angriffe terroristischer Gruppierungen, die die irakisch-iranische Grenze überschritten und 121 So aber Franck, Recourse to Force, 2002, S. 63; Becker, Terrorism and the State. Rethinking the Rules of State Responsibility, 2006, S. 202. 122 Schmitt, The Marshall Center Paper No. 5, S. 35. 123 Brief des Iran an den UN-Generalsekretär vom 29. Juli 1996, UN Doc. S/1996/ 602. 124 Briefe des Irak an den Generalsekretär der Vereinten Nationen siehe UN Doc. S/ 1996/617 vom 1. August 1996; UN Doc. S/1996/707 vom 29. August 1996, S. 2; UN Doc. S/1996/761 vom 16. September 1996.
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iranische Ortschaften angegriffen hatten.125 Teheran betonte, dass es in Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta unmittelbar und verhältnismäßig reagiert hätte. Iran ging bei dieser Intervention jedoch zum ersten Mal von einer irakischen Verwicklung in die terroristischen Aktivitäten aus, indem er den Irak beschuldigte, die Terrorgruppen zu unterstützen und ihnen sein Gebiet als Operationsbasis zur Verfügung zu stellen. Dennoch richteten sich die Selbstverteidigungsmaßnahmen wie auch schon 1996 ausschließlich gegen die Stellungen der Terroristen. Das iranische Vorgehen lässt sich dahingehend interpretieren, dass Iran die Stellungen der mutmaßlichen Terroristen aus dem irakischen Souveränitätsschild „aussondern“ wollte, um somit nicht die irakische Souveränität und territoriale Integrität in Frage zu stellen. Der Sicherheitsrat befasste sich nicht mit dieser gewaltsamen Grenzüberschreitung des iranischen Militärs. 8. USA – Sudan /Afghanistan 1998 Am 7. August 1998 explodierten fast zeitgleich vor den amerikanischen Botschaften im kenianischen Nairobi und im tansanischen Daressalam Sprengsätze. Dadurch wurden rund 250 Menschen getötet, darunter 12 Amerikaner, und ca. 5000 Menschen verletzt.126 Der Sicherheitsrat verurteilte die Anschläge in Kenia und Tansania am 13. August 1998 einstimmig.127 Am 20. August 1998 befahl Präsident Clinton die Bombardierung von paramilitärischen Trainingscamps islamistischer Terrorgruppen in Afghanistan und einer pharmazeutischen Fabrik im Sudan, die angeblich chemische Waffen produzierte.128 Die USA argumentierten, dass sie durch ihre Ermittlungen in Kooperation mit den Behörden in Kenia und Tansania stichhaltige Informationen gewonnen hätten, die Osama bin Laden und sein Netzwerk als Drahtzieher hinter den Anschlägen zeigten.129 Zudem behaupteten die USA, überzeugende Hinweise zu besitzen, dass weitere Anschläge geplant seien. Da die USA aber nicht die beiden Anschläge vom 7. August 1998 als „bewaffneten Angriff“ bezeichneten, liegt die Vermutung nahe, dass die USA indirekt von einer „Accumulation of Event“-Doktrin ausgingen. Aufgrund einer Serie von bewaffneten Angriffen dieses Netzwerks gegen amerikanische Botschaften und Staatsbürger folgerten die
125 Brief des Iran an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vom 2. Oktober 1997, UN Doc. S/1997/768. 126 Laut dem Bericht der 9/11 Commission war dies der erste Anschlag, der Al Qaida direkt zugerechnet werden kann. The 9/11 Commission Report: Final Report of the National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States, 2004, S. 59–70. 127 UN Doc. S/RES/1189 (1998) vom 13. August 1998. 128 Allgemein siehe Murphy, AJIL 93 (1999), S. 161–167. 129 Letter dated 20 August 1998 from the Permanent Representative of the United States of America to the United Nations Addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/780 (1998).
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USA, dass der Tatbestand des Art. 51 UN-Charta erfüllt sei.130 Die USA warfen sowohl dem Taliban-Regime als auch dem Sudan vor, Aktivitäten der Terroristen auf ihrem Territorium zu dulden. Trotz wiederholter Aufforderung wären die beiden Staaten nicht gegen die Terroristen und deren Stellungen auf ihrem Territorium vorgegangen und hätten auch nicht ihre Kooperation mit dem Netzwerk von Osama bin Laden beendet.131 Insofern vertraten die USA die rechtliche Auffassung, dass diese beiden Staaten aufgrund ihrer Unwilligkeit zur Terrorismusbekämpfung die Selbstverteidigungsmaßnahmen der USA und damit die Beeinträchtigung ihrer Souveränität und territorialen Integrität hinnehmen müssten. In dieser Argumentationsführung unterscheiden sich die USA von Israel, Iran und der Türkei, die in ihren Stellungnahmen oft bemüht waren, ihren generellen Respekt für die Souveränität und territoriale Integrität ihrer Nachbarstaaten auszudrücken. Um internationaler Kritik vorzubeugen, betonten die USA von sich aus explizit die Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei ihrer Aktion. Schließlich hatte in der Vergangenheit die internationale Gemeinschaft meist militärische Maßnahmen wegen der mangelnden Verhältnismäßigkeit verurteilt. Der Sudan beklagte umgehend die Verletzung seiner Souveränität und territorialen Integrität sowie allgemein die Verletzung des Völkerrechts und bat um die Einberufung einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats, um die amerikanische Aggression zu verurteilen.132 Die sudanesische Regierung wies die Behauptungen der USA zurück, dass die Fabrik in irgendeiner Form mit dem Netzwerk von Osama bin Laden in Verbindung stünde und zur Produktion von Chemiewaffen genutzt würde. Die Anlagen hätten allein der Herstellung von Medikamenten gedient. Zudem hätte der Sudan sich fortwährend kooperativ bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus gezeigt.133 Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft fiel sehr unterschiedlich aus; die Rechtsauffassung spiegelte dabei auch immer die Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Lager wider. Die Blockfreien,134 die arabischen,135 130 US Präsident Bill Clinton, Address to the Nation on Military Action Against Terrorist Sites in Afghanistan and Sudan, Weekly Compilation of Presidential Documents Vol. 34, Issue 34 (24. August 1998). 131 Letter dated 20 August 1998 from the Permanent Representative of the United States of America to the United Nations Addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/780 (1998). 132 UN Doc. S/1998/786, S. 2 (Brief des sudanesischen Außenministers an den Präsidenten des Sicherheitsrats). 133 Ibid: „(The Sudan) has not committed any action that could be regarded as an attack or a threat against the United Staes of America“. 134 Letter dated 25 August 1998 from the Permanent Representative of Colombia to the United Nations addressed to the President of the Security Council, (in his capacity as Chairman of the Coordinating Bureau of the Movement of the Non-Aligned Countries), UN Doc. S/1998/804 vom 25. August 1998. Die Blockfreien verurteilten auf ihrem 12. Gipfel das unilaterale militärische Vorgehen der USA als Verletzung des Völkerrechts und der Souveränität des Sudans. Final Document of the XIIth Summit of
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afrikanischen136 und islamisch geprägten137 Staaten schlossen sich der Forderung des Sudan nach Einberufung einer Dringlichkeitssitzung und Entsendung einer Fact Finding Mission an. Gerade die Arabische Liga monierte mehrfach vehement die Zerstörung der Pharmafabrik als Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität des Sudans.138 Interessanterweise bezog sich keine der abgegebenen Stellungnahmen auf die Bombardierung der Ausbildungslager islamistischer Terroristen in Afghanistan. Lediglich Pakistan wollte durch seinen diplomatischen Protest die Schaffung eines Präzedenzfalles für zukünftige grundlose Aggressionen verhindern und verurteilte die Verletzung seines Luftraums durch amerikanische Raketen.139 Pakistan erinnerte zudem an die Aussagen der Taliban, dass sie in keiner Weise ihr Territorium Terroristen zur Verfügung stellten.140 Entgegen zahlreicher Proteste in der islamisch geprägten Welt zeigten die westlichen Verbündeten der USA – Großbritannien, Israel, Deutschland, Österreich, Frankreich, Australien und Spanien – einhellige Zustimmung. Auch Japan bekundete zurückhaltendes Verständnis.141 Russland verurteilte hingegen das The Non-Aligned Movement, 2.–3. September 1998 (1998), para 179, downloaded am 10. Juni 2007, http://www.nam.gov.za/xiisummit/finaldocument.pdf. 135 Letter dated 21 August 1998 from the Chargé d’Affaires A.I. of the Permanent Mission of Kuwait to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/791 vom 21. August 1998. 136 Letter dated 25 August 1998 from the Permanent Representative of Namibia to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/ 1998/802 vom 25. August 1998. 137 Letter dated 21 August 1998 from the Chargé d’Affaires A.I. of the Permanent Mission of Qatar to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/790 vom 21. August 1998. 138 Ebenso Statement by the Secretariat of the League of Arab States dated 21 August 1998 condemning the American bombing of the pharmaceutical factory in Khartoum, Annex des Letter dated 21 August 1998 from the Chargé d’Affaires A.I. of the Permanent Mission of Kuwait to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/789 vom 21. August 1998, S. 2; Resolution der Arabischen Liga, Annex zum „Letter dated 28 September 1998 from the Permanent Representative of Libanon to the United Nations addressed to the President of the Security Council“, UN Doc. S/1998/894 vom 28. September 1998, S. 2; Letter dated 25 November 1998 from the Permanent Representative of Yemen to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/1120 vom 25. November 1998, S. 2. 139 Letter dated 24 August 1998 from the permanent representative of Pakistan to the United Nations addressed to the President of the Security Council, UN Doc. S/1998/ 794, S. 1. Pakistan argumentierte außerdem, dass die von den USA verfolgte Strategie der falsche Weg sei, da er anstelle von effektiver Terrorismusbekämpfung nur weiteren Extremismus hervorrufe. 140 Ibid, S. 2. 141 Frankfurter Allgemeine Zeitung, Internationale Unterstützung für die amerikanischen Angriffe/Jelzin zeigt sich empört über das Vorgehen Washingtons, 22.08.1998, Nr. 194, S. 2, Edmund L. Andrews, After the Attacks: The Reaction – U.S. Raids Pro-
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amerikanische Vorgehen und kritisierte, dass davor keine Abstimmung erfolgt war.142 Trotz der zahlreichen offiziellen Beschwerden durch die arabischen Staaten reagierten weder der Sicherheitsrat noch die Generalversammlung auf die amerikanischen Luftangriffe in Afghanistan und Sudan. Allerdings ist es nicht verwunderlich, dass der Sicherheitsrat sich mit dieser Angelegenheit nicht befasste, handelte es sich doch um die Militäraktionen einer Vetomacht. Die unterschiedliche Bewertung des Vorfalls offenbarte die gegensätzlichen Rechtsauffassungen in der Staatengemeinschaft hinsichtlich der Zulässigkeit von Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche Angriffe und die damit verbundene Verletzung der territorialen Integrität des jeweiligen Aufenthaltsstaates. Insofern kann nicht von einer auch nur annähernd einheitlichen opinio juris gesprochen werden. 9. Iran – Irak 1999 Am 10. Juni 1999 feuerte Iran drei Raketen auf das Khaless Camp im Irak, das von der Moujahidi Khalq Organisation genutzt wurde, die für Anschläge in Iran verantwortlich gemacht wurde.143 In einem Brief an den UN-Generalsekretär machte der iranische Vertreter bei den Vereinten Nationen den Irak für die von seinem Territorium ausgehenden Angriffe verantwortlich, weil er dem Nachbarstaat substantielle Unterstützung dieser Organisation unterstellte.144 Iran stützte sich bei der Begründung für seine Selbstverteidigungsmaßnahmen auf die „accumulation of event“-Doktrin sowie auf die Notwendigkeit, zukünftigen Terroranschlägen vorzubeugen. Interessant ist, dass Iran seinen Respekt für die irakische Souveränität und territoriale Integrität betonte, aber gleichzeitig auf dessen Verantwortlichkeit für die Unterstützung des Terrorismus und der Verletzung der völkerrechtlichen Pflichten aus der Terrorismusresolution der Generalversammlung vom 9. Dezember 1994145 verwies.146 Hieraus lässt sich die Rechtsauffassung ableiten, dass Iran dem Irak die Angriffe zwar nicht direkt zurechnete, aber durchaus die mangelnde innerstaatliche irakische Terrorismusbekämpfung als voke Fury in Muslim World; backing in Europe. In: New York Times, 22. August 1998, http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9907E7DE1E3DF931A1575BC0A96E 958260&sec=&spon=&pagewanted=print; vgl. auch Murphy, AJIL 93 (1999) S. 164 f. m.w. N. in den Fußnoten; Lobel, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 538. 142 Ibid. 143 Brief des irakischen Außenministers vom 12.06.1999, UN Doc. S/1999/673, S. 2; Brief des iranischen permanenten Vertreters bei den Vereinten Nationen an den Generalsekretär der Vereinten Nationen vom 12.07.1999, UN Doc. S/1999/781. 144 „Iran holds the Iraqi regime fully responsible for the consequences of any terrorist acts and operations which are planned and nurtured in Iraq and directed against Iranian citizens and territory.“ (UN Doc. S/1999/781, S. 2). 145 UN Doc. A/RES/49/60 vom 9.12.1994. 146 UN Doc. S/1999/781 vom 12.07.1999.
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Entschuldigung für die Minderung dessen Souveränität heranzog. Es ist bemerkenswert, dass der Irak in seiner Stellungnahme selbst die Organisation mit Namen benannte und ihren Aufenthalt auf seinem Territorium nicht in Frage stellte. Damit scheidet Unwissenheit als Entschuldigung für den Irak aus, vielmehr schien der Irak unwillig zu sein, von seinem Territorium ausgehende Gefahren für die Nachbarstaaten zu verhindern. Irak verurteilte die iranische Offensive gegen das Khaless Camp als Verletzung seiner Souveränität und territorialen Integrität und rief den Sicherheitsrat auf, entsprechende Maßnahmen gegen Iran zu beschließen. Im Sicherheitsrat fand dazu keine Diskussion statt. Dies kann aber auch rein politische Motive gehabt haben, schließlich sagt die Untätigkeit des Sicherheitsrats noch nichts über die juristische Bewertung einer Situation. 10. USA – Afghanistan 2001 Am 11. September 2001 brachten zwei entführte amerikanische Passagierflugzeuge die beiden Türme des World Trade Centers zum Einstürzen. Der Absturz eines dritten Flugzeugs richtete im Verteidigungsministerium in Washington D.C. erheblichen Schaden an. Ein viertes Flugzeug stürzte in der Nähe von Pittsburg in Pennsylvania ab. Dieser terroristische Angriff forderte die bisher höchste Opferzahl bei einem terroristischen Angriff und erregte weltweit großes Aufsehen angesichts der vollständigen Zerstörung der beiden Twin Towers sowie der Beschädigung des Pentagons, Sinnbilder für die Wirtschaftskraft und die militärische Macht der USA. a) Sicherheitsratsresolutionen nach dem 11. September 2001 Es lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit feststellen, ob der Sicherheitsrat die Anschläge vom 11. September 2001 als bewaffnete Angriffe im Sinne des Art. 51 UN-Charta wertete. Zwar qualifizierte der Sicherheitsrat nicht explizit die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder terroristische Anschläge im Allgemeinen als bewaffneten Angriff. Jedoch kann man im Umkehrschluss aus den Verweisen in der Präambel der beiden Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) auf eine verklausulierte Anerkennung der Selbstverteidigungssituation und damit auf die Bewertung der Anschläge als bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta schließen.147 Insofern scheint der Sicherheitsrat die Auffassung zu vertreten, dass ein Recht auf Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe von Privaten besteht. Das Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation muss jedoch grundsätzlich nicht durch den Sicherheitsrat anerkannt werden.148 147 Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 63; Shaw, International Law, 6. Aufl. (2008), S. 1136; Tomuschat, EuGRZ 28 (2001), S. 544; Murphy, AJIL 99 (2005), S. 67; kritisch jedoch Blumenwitz, ZRP 2002, S. 105. 148 Bruha, AVR 40 (2002), S. 394.
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Der operative Teil der Resolution enthält zwar eine Reihe von materiellen Verpflichtungen zur innerstaatlichen Terrorismusbekämpfung sowie zur internationalen Zusammenarbeit. Aber diese können noch nicht als „erforderliche Maßnahme“ im Sinne des Art. 51 UN-Charta gewertet werden, die die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts hinfällig machen würden. Die in Resolution 1373 (2001) beschlossenen Maßnahmen zielen auf eine verbesserte, gemeinsame Terrorismusbekämpfung in der Zukunft ab.149 So sollen die Staaten sicherstellen, dass ihre nationalen Rechtsordnungen terroristische Aktivitäten als schwerwiegende Straftaten kriminalisieren, um – auch in gegenseitiger Kooperation – eine effektive strafrechtliche Verfolgung von Terroristen auszuüben. Einen der Hauptbereiche der Resolution bilden dabei Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus. Der Sicherheitsrat formulierte in Paragraph 1 b) einen „nahezu vollständigen Tatbestand“,150 verzichtete allerdings darauf, die im Übereinkommen enthaltene abstrakte Definition der zu kriminalisierenden terroristischen Taten zu übernehmen. Diese Definition, die in Art. 2 b) des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9.12.1999 enthalten ist, ist eine der Errungenschaften dieses Übereinkommens.151 Die weiteren Bestimmungen in Resolution 1373 (2001) zielen darauf ab, den Terroristen jegliche über die Finanzierung hinausgehende Form der Unterstützung zu entziehen. Durch die Nennung des Selbstverteidigungsrechts in der Präambel ließ der Sicherheitsrat bewusst die Option zur unilateralen Gegenwehr offen. Es ist davon auszugehen, dass sich die USA, die an der Resolution sicherlich maßgeblich mitwirkten, ihr Recht auf Selbstverteidigung nicht nehmen lassen wollten.152 b) Generalversammlung Die Resolution 56/1 der Generalversammlung vom 12. September 2001 verurteilte die Anschläge auf das Schärfste, enthielt jedoch keinen Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht.153 Es lässt sich daher nicht bestimmen, ob die Generalversammlung den Tatbestand des Art. 51 UN-Charta als erfüllt ansah. c) Intervention der USA in Afghanistan 2001 Die USA beurteilten die Anschläge des 11. Septembers 2001 als bewaffneten Angriff und begründeten ihr militärisches Vorgehen im Sicherheitsrat mit dem 149 Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 201. 150 Peterke, HuV-I 2001, S. 218. 151 Ibid. 152 Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 886; Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 199; Bruha/Bortfeld, VN 2001, S. 163. 153 UN Doc. A/RES/56/1 vom 12. September 2001.
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individuellen und kollektiven Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta. Bei der Lokalisierung ihrer Ziele zur Selbstverteidigung wollten sich die USA und ihre Verbündeten nicht auf Trainingseinrichtungen von Al Qaida in Afghanistan beschränken, sondern dehnten ihre Militäroperation auf Stellungen der Taliban aus. Auch wenn den Taliban keine Planungs- und Kontrollhoheit im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nachgewiesen werden konnte,154 wurden sie trotzdem für die Tat mitverantwortlich gemacht. Der Zweck der Selbstverteidigungsmaßnahmen diente nicht der unmittelbaren Beendigung eines bestehenden Angriffs, sondern der Vorbeugung einer in den Augen der USA anhaltenden akuten Bedrohung durch den internationalen Terrorismus – personifiziert durch Osama bin Laden und sein Al Qaida-Netzwerk. Der Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen ging in seinem Brief an den Präsidenten des Sicherheitsrats insofern explizit von der Annahme einer Wiederholungsgefahr der bewaffneten, terroristischen Angriffe aus: „In response to these attacks, and in accordance with the inherent right of individual and collective self-defence, United States armed forces have initiated actions designed to prevent and deter further attacks on the United States.“ 155 Die USA behielten sich zudem ausdrücklich das Recht vor, im Zuge ihres Kampfes gegen den internationalen Terrorismus Selbstverteidigungsmaßnahmen bei Bedarf auch gegen andere Staaten und Organisationen auszuüben.156 Der damalige US-Präsident George W. Bush formulierte in seiner Ansprache an die Nation den umfassenden Ansatz zur Terrorismusbekämpfung, der keine Unterscheidung zwischen den eigentlichen Attentätern und denjenigen macht, die sie beherbergten.157 Schon damals wurde in sicherheitspolitischen Kreisen über einen Präventivschlag gegen den Irak diskutiert, jedoch wegen unzureichender Beweise eine Verbindung von Saddam Hussein zu den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder verworfen.158 154 Siehe hierzu ausführlich National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States, The 9/11 Commission Report (2004). 155 Letter dated 7 October 2001 of the Permanent Representative of the United States of America to the United Nations addressed to the President of the Security Council. UN Doc. S/2001/946 vom 7. Oktober 2001, S. 1. 156 „We may find that our self-defence requires further actions with respect to other organizations and other States.“, ibid. 157 „We will make no distinction between the terrorists who committed the attacks and those who harbor them.“ Statement by the President in His Address to the Nation, 11. September 2001, abrufbar unter http://2001–2009.state.gov/coalition/cr/rm/2001/ 5044.htm; siehe auch „The 9/11 Commission Report“, 330, abrufbar unter http://www. 9-11commission.gov/report/911Report.pdf; dies wiederholten die USA auch mehrfach im Sicherheitsrat, siehe u. a. Mr. Cunningham, UN Doc. S/PV.4370 (12. September 2001). 158 Perle, Richard, Next Stop Iraq, Remarks at the Dinner of the Foreign Policy Research Institute, 14. November 2001, http://www.fpri.org/transcripts/annualdinner. 20011114.perle.nextstopiraq.html; Pollack, Kenneth, Next Stop Baghdad, Council on Foreign Affairs, März 2002, http://www.cfr.org/iraq/next-stop-baghdad/p4484.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
d) Internationale Reaktion auf die US-amerikanische Militäraktion in Afghanistan In der internationalen Gemeinschaft herrschte ungewohnte Einigkeit, dass die vom Al Qaida-Netzwerk verübten Terroranschläge am 11. September 2001 unter dem Begriff des bewaffneten Angriffs aus Art. 51 UN-Charta subsumiert werden können und das Taliban-Regime wegen der Beherbergung des Al Qaida Netzwerks und der mangelnden Kooperation ein legitimes Ziel der alliierten Selbstverteidigungsmaßnahmen darstellen würde. Der UN-Generalsekretär und der Präsident der Generalversammlung stützten sich in Presseerklärungen auf die jüngsten Sicherheitsratsresolutionen und vertraten die Rechtsauffassung, dass die militärischen Maßnahmen der USA in Afghanistan dementsprechend vom Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta gedeckt seien.159 So erklärte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan „The Council (. . .) reaffirmed the inherent right of individual or collective self-defence in accordance with the Charter of the United Nations. The States concerned (USA and its allies) have set their current military action in Afghanistan in that context.“ 160 Auch der Präsident des UN-Sicherheitsrats erklärte öffentlich, dass Mitglieder des Sicherheitsrats Verständnis für das Vorgehen der USA und des Vereinigten Königreichs aufbrächten.161 In der Resolution 1378 (2001) vom 14. November 2001 bekräftigte der Sicherheitsrat seine Unterstützung für die internationalen Anstrengungen gegen den Terrorismus. Schon am Tag nach den Anschlägen erklärte der NATO-Rat, dass er – unter Vorbehalt eines Beweises für den grenzüberschreitenden Charakter der Anschläge – diese als Auslöser für eine Situation der kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 5 des Washingtoner Vertrags einstufen werde.162 Als am 2. Oktober 2001 die USA den NATO-Rat über ihre Erkenntnisse zu den Hintergründen und Drahtziehern des 11. Septembers 2001 informierte, rief die Organisation zum ersten 159 Statement of the President of the UN General Assembly on the Situation in Afghanistan, 8. Oktober 2001, http://www.un.org/ga/president/56/speech/011008.htm. 160 Press Release, „To defeat Terrorism we need a sustained effort and a broad strategy that unite all nations“ says Secretary-General, SG/SM7985-AFG149 vom 8. Oktober 2001. 161 Press Statement on Terrorist Threats by Security Council President, UN Doc. SC/ 7167-AFG152 vom 8. Oktober 2001 bezugnehmend auf die Stellungnahmen der USA und des Vereinigten Königreichs vom 7. Oktober 2001, UN Doc. S/2001/946 und UN Doc. S/2001/947. 162 „The Council agreed that if it is determined that this attack was directed from abroad against the United States, it shall be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington Treaty, which states that an armed attack against one or more of the Allies in Europe or North America shall be considered an attack against them all.“ Stellungnahme des NATO-Rats. NATO Press Release 124 vom 12. September 2001, abgedruckt in 40 ILM 1267 (2001); ebenso Stellungnahme des Generalsekretärs Lord Robertson am 12. September 2001, abrufbar unter http://www.nato.int/docu/update/ 2001/0910/e0912a.htm.
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Mal in seiner Geschichte den Bündnisfall (Art. 5 Abs. 1 NATO-Vertrag) aus und stützte diese Rechtsauffassung unabhängig von einer staatlichen Zurechenbarkeit allein auf den grenzüberschreitenden Charakter der Anschläge.163 In diesem Sinne argumentierte der NATO-Generalsekretär in seiner Stellungnahme am 2. Oktober 2001 folgendermaßen: „The facts are clear and compelling. The information presented (by Ambassador Frank Taylor, the United States Department of State Coordinator for Counter-Terrorism) points conclusively to an Al-Qaida role in the 11 September attacks. We know that the individuals who carried out these attacks were part of the world-wide terrorist network of Al-Qaida, headed by Osama bin Laden and his key lieutenants and protected by the Taleban. On the basis of this briefing, it has now been determined that the attack against the United States on 11 September was directed from abroad and shall therefore be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington Treaty, which states that an armed attack on one or more of the Allies in Europe or North America shall be considered an attack against them all.“ 164 Ähnlich wie die NATO berief sich auch die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) am 21. September 2001 auf das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gemäß Art. 3 des Inter-American Treaty of Reciprocal Assistance (Rio Treaty).165 In Bezug auf die Staatenverantwortlichkeit verwendete die OAS eine ähnliche Konnotation wie die USA, dass diejenigen Staaten, die sich irgendeiner Form der Unterstützung der Attentäter mitschuldig gemacht hätten, gleichermaßen für die Anschläge verantwortlich wären.166 Nach Beginn der amerikanischen Militäroperation in Afghanistan gegen Al Qaida und die Taliban bestätigte das OAS Committee of Senior Officials, dass die US-amerikanischen Maßnahmen den vollen Beistand durch die Mitgliedstaaten des Rio-Vertrags genössen.167 Die EU zeigte in einer Stellungnahme durch den Rat volle Solidarität mit den Selbstverteidigungsmaßnahmen der USA.168 Der Europäische Rat stellte am 163 Stellungnahme des damaligen NATO-Generalsekretärs Lord Robertson am 2. Oktober 2001, abgedruckt in 40 ILM 1268 (2001). 164 Ibid. 165 Organization of American States (OAS): Resolution on Terrorist Threat to the Americas, Twenty-Fourth Meeting of Consultation of Ministers of Foreign Affairs, 21. September 2001, OEA/Ser.F/II.24, RC.24/RES.1/01, abgedruckt in 40 ILM 1273. 166 40 ILM 1270; Ministers of Foreign Affairs: „those that aid, abet or harbor terrorist organizations are responsible for the acts of those terrorists“ OAS; Convocation of the Twenty-Third Meeting of Consultations of Ministers of Foreign Affairs, OEA/Ser.G CP/RES 796 (1293/01) (2001), 19 September 2001. 167 Support for the Measures of Individual and Collective Self-Defence Established in Resolution RC/24/RES.1/01, para 1, OAS Res. CS/TIAR/RES.1/01 vom 16. Oktober 2001, abrufbar unter http://www.oas.org/oaspage/crisis/follow_e.htm. 168 Council Conclusions of 17 October 2001, Action by the European Union following the attacks in the United States of America, Annex to the letter dated 17 October
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8. Oktober 2001 fest, dass das Al Qaida-Netzwerk und das Taliban-Regime legitime Ziele amerikanischer Vergeltungsmaßnahmen wären, da Al Qaida als Verantwortliche für die Anschläge ermittelt worden war und die Taliban wegen ihrer Unterstützung und Beherbergung des Terrornetzwerks sowie der Weigerung, die Drahtzieher auszuliefern, die Konsequenzen tragen müssten.169 Etliche Staaten wie Albanien, Armenien, Azerbaijan, Äthiopien, Georgien, Japan, Jordanien, Pakistan, Katar, Saudi-Arabien, Südkorea und Usbekistan, die keinem Verteidigungsbündnis wie der NATO oder der OAS angehörten, boten militärische, technische und logistische Unterstützung sowie Lande- und Überflugrechte an.170 Dies belegt, dass diese Staaten nicht nur von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung des bewaffneten Angriffs durch nichtstaatliche Akteure ausgingen, sondern auch zu den Rechtsfolgen ihr Einverständnis gaben. Iran, Kuba, Nord-Korea und Sudan sprachen sich jedoch gegen die amerikanischen Selbstverteidigungsmaßnahmen in Afghanistan aus.171 Auch der Irak verurteilte die amerikanische Militäraktion als Verletzung des Völkerrechts und ungerechtfertigte Aggression.172 Im Gegensatz zu den Militäraktionen 1998 gegen Sudan und das Taliban-Regime erfuhr die Intervention der USA in Afghanistan folglich insgesamt große Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass die Anschläge vom 11. September 2001 in ihrem Ausmaß einem zwischenstaatlichen militärischen Angriff gleichkamen und daher als bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta angesehen wurden. In diesem Fall bewertete die Mehrheit der Staatengemeinschaft auch das de facto-Regime der Taliban in Afghanistan als legitimes Ziel der Selbstverteidigungsmaßnahmen, da es dem Netzwerk Al Qaida einen sicheren Rückzugsraum geboten hatte. Das Taliban-Regime hatte bereits vor dem 11. September 2001 nur wenig internationale Unterstützung erfahren, da es lediglich von Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten als rechtmäßige Regierung Afghanistans anerkannt worden war.173
2001 from the Permanent Representative of Belgium to the United Nations addressed to the Secretary-General, UN Doc. S/2001/980 vom 18. Oktober 2001, S. 2. 169 Statement of the General Affairs Council of the European Union, 8. Oktober 2001, siehe auch UN Doc. S/2001/968 (15. Oktober 2001). 170 http://state.gov/coalition/cr/fs/12753.htm (letzter Download 28. Juli 2009), siehe also Murphy, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 49 f. 171 Siehe hierfür Ratner, AJIL 96 (2002), S. 910. 172 UN Doc. S/2001/1034 vom 30. Oktober 2001, Annex, S. 2. 173 http://www.welt.de/print-welt/article476151/Nur-drei-Staaten-erkennen-Taliban-Re gierung-an.html (letzter Download 1.06.2015).
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11. Aussagen weiterer Staaten zur internationalen Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001 Neben den USA erklärten auch andere Vetomächte des Sicherheitsrats wie Frankreich und Russland, dass sie sich im Falle eines terroristischen Angriffs mit allen Mitteln selbst verteidigen würden. So verdächtigte Russland die Führung Georgiens, Terroristen zu beherbergen.174 Frankreichs ehemaliger Präsident Chirac kündigte 2006 an, dass sich sein Land auch mit Atomwaffen auf einen terroristischen Angriff hin verteidigen würde, sollte ein anderer Staat bei der Unterstützung des Angriffs beteiligt sein.175 Russland und China nutzten aber auch den von den USA global ausgerufenen „Krieg gegen den Terrorismus“, um in ihren eigenen Unruheregionen gegen unliebsame Aktivisten vorzugehen, die nun von ihnen als „Terroristen“ gebrandmarkt wurden. Präsident Putin zeigte sich nicht nur solidarisch an der Seite der USA nach den Angriffen vom 11. September 2001, sondern brachte auch erfolgreich Teile der tschetschenischen Rebellen mit internationalen Terrornetzwerken wie Al Qaida in Verbindung.176 Als Folge davon ebbte die internationale Kritik am russischen Vorgehen in Tschetschenien ab. Auch China bezeichnete die Uiguren, die in der Provinz Xinjiang für ihre Unabhängigkeit kämpfen, als Terroristen, die „finanziell vom Nahen Osten unterstützt, ihr Training in Pakistan und Kampferfahrung in Tschetschenien und Afghanistan erhielten.“ 177 Der Hauptunterschied zwischen russischem und chinesischem „Kampf gegen den Terrorismus“ und dem der USA ist jedoch, dass diese Insurgenz auf ihren eigenen Territorien bekämpfen, wohingegen die USA in anderen Staaten intervenieren. Tschetschenien ist noch Teil Russlands und auch die Provinz Xinjiang wird wohl auf absehbare Zeit zur Volksrepublik China gehören. Diese kurzen Beispiele zeigen, dass sich führende Staaten über die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus einig waren und dass im Notfall dieser auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden sollte. 12. Israel – Syrien 2003 Nach einem Selbstmordanschlag des Islamischen Dschihad in Haifa am 4. Oktober 2003 griff die israelische Luftwaffe einen Tag später das syrische Dorf Ain Sahib 20 Kilometer nordwestlich von Damaskus an, wo sich angeblich ein Aus-
174 Mettke, Letzte Warnung, Spiegel Online, 21. September 2002, http://www.spie gel.de/spiegel/print/d-25211842.html (letzter Download 1.06.2015). 175 Neue Zürcher Zeitung, Nukleare Vergeltung auf Terrorangriff, 20. Januar 2006, http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/newzzEIN1BXEP-12-1.4601 (letzter Download 1.07.2013). 176 Schünemann, Blätter für deutsche und internationale Politik 2003, S. 830. 177 Chung, Foreign Affairs 81 (2002), S. 8.
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bildungslager dieser Terrorgruppe befand.178 Der Luftschlag verursachte erheblichen Sachschaden.179 Israel qualifizierte allerdings nicht den Selbstmordanschlag selbst als bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta, sondern sah in der Häufung terroristischer Anschläge durch extremistische Palästinenser die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung und so die Rechtfertigung für ihr Vorgehen.180 „Israel’s measured defensive response to the horrific suicide bombings against a terrorist training facility in Syria is a clear act of self-defence in accordance with Article 51 of the Charter. Those actions come after Israel has exercised tremendous restraint despite countless acts of terrorism that have claimed hundreds of innocent lives, for which Syria bears direct and criminal responsibility.“ 181 Israel berief sich damit implizit auf die „accumulation of event“-Theorie. Diese oft von Israel zitierte Theorie besagt, dass eine Vielzahl von kleineren Angriffen, die wie Nadelstiche wirken und jeweils für sich genommen unterhalb der Intensitätsschwelle eines bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UN-Charta sind, zu einem solchen aufsummiert werden können.182 Besonderes Augenmerk verdient die Zielauswahl der israelischen Selbstverteidigungsmaßnahmen. Israel räumte im Sicherheitsrat ein, dass sämtliche Terroranschläge, auf die sie mit ihrer Militäroperation antworteten, vom Territorium der autonomen palästinensischen Gebiete verübt wurden. So stammte auch bei dem jüngsten Anschlag die Selbstmordattentäterin aus Dschenin im Gaza-Streifen. Syrien war also nicht der unmittelbare Ausgangspunkt der Anschläge. Insofern besteht in diesem Fall eine deutliche Divergenz zwischen dem Herkunftsort der vorangegangenen Anschläge des Jihad und dem Ziel der israelischen Reaktion. Die Luftangriffe gegen Syrien rechtfertigte Israel mit Syriens Zuspruch und Bereitstellung von sicheren Rückzugsräumen („safe harbour“) und Trainingsmöglichkeiten sowie der allgemeinen finanziellen und logistischen Unterstützung für verschiedene terroristische Gruppen – darunter der Islamische Dschihad, die Hamas, die Hisbollah, und der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine).183 Der Islamische Dschihad, der die Verantwortung für den Selbstmord178
UN Doc. SC/7887, Presseerklärung des UN-Sicherheitsrats vom 5. Oktober 2003. UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Syriens, S. 3. 180 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Israels, S. 5 und 7. 181 Ibid, S. 7. 182 Siehe hierzu ausführlich Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 170 f.; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 78 ff.; Löw, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach dem 11. September 2001, 2009, S. 64 ff. 183 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Israels, S. 5. Israel erhob ebenso massive Vorwürfe gegen den Iran, den es auch der Unterstützung terroristischer Gruppierungen beschuldigte. 179
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anschlag in Haifa übernommen hatte, unterhielt angeblich sein Hauptbüro in Damaskus. Israel folgerte daraus, dass Syrien die direkte strafrechtliche Verantwortung („direct and criminal responsibility“) für die in Israel zahlreich erfolgten Terroranschläge durch islamistische Extremisten tragen müsse.184 Auch wenn Israel hier nicht auf eine Staatenverantwortlichkeit, sondern eine strafrechtliche Verantwortung abhob, wurden militärische statt juristische Maßnahmen gewählt. In der Argumentation stützte sich der israelische Vertreter bei den Vereinten Nationen auf die bindenden Verpflichtungen zur Terrorismusbekämpfung und -prävention aus der Sicherheitsratsresolution 1373 (2001).185 Israel folgerte aus der Pflichtverletzung Syriens und seiner staatlichen Förderung des internationalen Terrorismus implizit die Verantwortung für die Terroranschläge.186 Syrien ging in seiner Stellungnahme vor dem Sicherheitsrat nicht auf die Vorwürfe, den internationalen Terrorismus unterstützt zu haben ein, sondern beschuldigte Israel der ungerechtfertigten Aggression, des Staatsterrorismus und des Kolonialismus.187 Außer den USA verurteilten die im Sicherheitsrat vertretenen Staaten die israelische Reaktion als illegitime Vergeltung und politisch äußerst kontraproduktiv für den Friedensprozess im Nahen Osten, da dies lediglich die Spirale der Gewalt weiter anheizen würde. Eine Verurteilung wäre aber wohl am Veto der USA gescheitert, da aus der Stellungnahme der USA ersichtlich wird, dass sie die Linie Israels mittrugen: „The United States and the Government of Israel agreed that it is important to avoid actions that could lead to a further heightening of tension in the Middle East. The United States believes that Syria is on the wrong side of the war on terrorism. We have been clear of the need for Syria to cease harbouring terrorist groups.“ 188 Das Vereinigte Königreich hingegen verurteilte Israel wegen der begangenen Völkerrechtsverletzung, aber erinnerte diplomatisch an die Staatenpflichten aus Resolution 1373 (2001) zur Terrorismusbekämpfung.189 Außer den USA stuften die anderen Staaten weder den Anschlag in Haifa noch die möglicherweise dahinterstehende Serie von terroristischen Anschlägen als bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UNCharta ein, der von der Intensität her Selbstverteidigungsmaßnahmen rechtferti-
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UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Israels, S. 7. UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Israels, S. 6. „Security Council Resolution 1373 (2001), adopted under Chapter VII pf the Charter – which in act of the highest hypocrisy Syria itself voted for – makes absolutely clear that States must prevent acts of terrorism and refrain from any form of financing, support, safe harbour for or toleration of terrorist groups. Syrian complicity in and responsibility for suicide bombings are as blatant as they are repugnant.“ 186 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Israels, S. 6. 187 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme Syriens, S. 3. 188 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme der USA, S. 14. 189 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Stellungnahme des Vereinigten Königreichs, S. 9. 185
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gen würde.190 Insofern verurteilten Russland, China, Ägypten, Guinea, die europäischen (Spanien, Frankreich, Deutschland, Bulgarien) wie südamerikanischen Staaten (Mexiko, Chile, Kuba) den Anschlag in Haifa ebenso wie Israels Reaktion darauf als Völkerrechtsverletzung und warnten vor einer erneuten Eskalation der Gewalt im Nahen Osten.191 „Any act of terrorism is unjustifiable and should be condemned. Having said that, the fight against terrorism to which France is firmly committed must be undertaken in the context of respect for international law. That is essential.“ 192 Der deutsche Vertreter im Rat stützte sich auf die Worte der Bundeskanzlerin. „As the German Chancellor said after a meeting with President Mubarak, the action against Syria is not acceptable. The German Government feels that a violation of the sovereignty of a neighbouring State does not facilitate peace and stability in the region and that such action makes the Middle East conflict even more complicated.“ 193 Angola und Kamerun lehnten auch beide Aktionen – den Anschlag in Haifa wie auch Israels militärisches Vorgehen in Syrien – ab, ohne jedoch eine juristische Bewertung des Sachverhalts abzugeben.194 In der offenen Aussprache, in der auch Nicht-Sicherheitsratsmitglieder zu Wort kamen, verurteilten Pakistan, die Arabische Liga, Libanon, Marokko, Palästina, Tunesien, Kuwait, Saudi-Arabien, Iran, Bahrein, Jemen, Libyen, Katar, Jordanien, Sudan und Syrien das israelische Vorgehen.195 Aus den Stellungnahmen der Staaten, die sich im Sicherheitsrat zu Wort meldeten, kann geschlossen werden, dass die Mehrheit der Staaten in dem Anschlag von Haifa keinen bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta sahen und dass ein Zusammenhang zwischen Aufenthaltsort der Terroristen und dem Ziel der Selbstverteidigungsmaßnahmen des Opferstaates bestehen muss, da alle Staatenvertreter auf den Schutz der territorialen Integrität und Souveränität Syriens abstellten. 13. Israel – Libanon 2006 Am 12. Juli 2006 beschoss die militante Schiitenorganisation Hisbollah von libanesischem Territorium aus Stellungen der israelischen Armee (IDF) in Nordisrael mit Raketen. Kurz darauf überquerten Hisbollah-Einheiten die vom UN190
Siehe UN Doc. S/PV.4836. UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, China (9), Spanien (9), Deutschland (10), Frankreich (10), Russland (10), Bulgarien (11), Chile (11), Mexiko (11), Guinea (13), Ägypten (18), Kuba (21). 192 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, A. 10. 193 Ibid. 194 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Angola (12), Kamerun (13). 195 UN Doc. S/PV.4836 vom 5. Oktober 2003, Pakistan (8), Arabische Liga (14), Libanon (14–15), Marokko (17), Jordanien (18), Tunesien (19), Palästinensische Gebiete (19), Kuweit (20), Saudi-Arabien (20), Iran (21), Bahrain (22), Jemen (23), Libyen (23), Katar (24), Sudan (24) Syrien (25). 191
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Sicherheitsrat festgelegte Demarkationslinie („blue line“) zwischen dem Libanon und Israel und attackierten eine israelische Grenzpatrouille. Bei diesem Vorfall wurden drei israelische Soldaten getötet und zwei Soldaten in den Libanon verschleppt.196 Die israelische Armee griff aufgrund der anhaltenden Raketenangriffe der Hisbollah ab dem 13. Juni 2006 massiv Ziele im Libanon an, um seine beiden Soldaten zu befreien und die Schlagkraft der Hisbollah entscheidend zu dezimieren. Bei dieser Reaktion berief sich Israel auf das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UN-Charta.197 Die Mehrheit der internationalen Gemeinschaft folgte allerdings nicht der israelischen Auffassung, die Angriffe der Hisbollah und die Entführung der beiden Soldaten dem Staat Libanon zuzurechnen.198 Vergleicht man die amerikanische Intervention in Afghanistan 2001 mit dem sogenannten „Sommerkrieg“ zwischen Israel und der Hisbollah 2006, offenbart sich die Unterschiedlichkeit der Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Als die USA im Fall der Afghanistan-Intervention die bisher herrschenden Theorien über die staatliche Zurechnung terroristischer Anschläge um die „Harbour and Support“-Doktrin modifizierte, um die Legitimität ihrer militärischen Aktionen gegen die Taliban zu begründen, fiel die internationale Reaktion positiv aus. Israel wurde hingegen 2006 erheblich kritisiert, als es den ganzen Staat Libanon als Ziel der Selbstverteidigungsmaßnahmen angesehen hatte, dabei wäre hier die Zurechnung noch eher gegeben gewesen. Die Hisbollah stellte schließlich zwei Minister in der Regierung Siniora.199 Kanada, Australien, USA, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie weitere europäische und etliche südamerikanische Staaten bekannten sich klar zum Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen die Angriffe der Hisbollah.200 196 Bei dem unmittelbaren Versuch, die verschleppten Soldaten zu retten, wurden vier weitere israelische Militärs getötet. Vgl. die detaillierte Schilderung des Konfliktbeginns durch den UN-Untergeneralsekretär für Friedenssicherungseinsätze Jean-Marie Guéhenno in der 5489. Sitzung des Sicherheitsrats vom 14.7.2006, UN Doc. S/PV. 5489, S. 2. 197 Identical Letters dated 12 July 2006 from the Permanent Representative of Israel to the United Nations addressed to the Secretary-General and the President of the Security Council, UN Doc. A/60/936-S/2006/515 vom 12. Juli 2006, S. 1. 198 Siehe 61. Session des Sicherheitsrats, provisorisches Protokoll der 5498. Sitzung vom 14.7.2006, UN Doc. S/PV.5489. Israel: „Israel’s actions were in direct response to an act of war from Lebanon. (. . .) Israel holds the Government of Lebanon responsible.“, S. 6. 199 http://www.tagesspiegel.de/politik/hisbollah-regiert-in-libanon-mit/626192.html Andreas Nüsse, Die Hisbollah regiert mit, in „Der Tagesspiegel“, 21.07.2005 (letzter Download 1.07.2013). 200 Im UN-Sicherheitsrat bejahten folgende Staaten – auch mehrfach – Israels Recht auf Selbstverteidigung, UN Doc. S/PV.5489 vom 14.7.2006, Argentinien (9); Japan (12); Vereinigtes Königreich (12); Peru (14); Dänemark (15); Slowakei (16); Griechenland (17); Frankreich (17). Sitzung vom 21.7.2006 (S/PV.5493 11am ), USA (17); Slowakei (19); (S/PV.5493/Resumption 1, 3pm), Russland (2); Griechenland (3), Peru (4); Vereinigtes Königreich (6); Dänemark (7); Ghana (8); Argentinien (9); Finnland für die
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Sie bewerteten die Anschläge der Hisbollah aufgrund der Intensität als bewaffneten Angriff. Auch Katar bestätigte in der ersten Aussprache im Sicherheitsrat implizit das Recht auf Selbstverteidigung gegen die Aggression der Hisbollah bis der Sicherheitsrat entsprechende Maßnahmen eingeleitet habe.201 Eine ähnliche Haltung nahm Russland ein, das als Mitglied der G8 auf dem Gipfeltreffen in St. Petersburg an einer Stellungnahme beteiligt war, die indirekt das Recht Israels auf Selbstverteidigung billigte, aber auch die Forderung nach Vermeidung von Verlusten bei der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur des Libanons beinhaltete.202 Aber selbst die Staaten, die das israelische Recht auf Selbstverteidigung anerkannten, forderten Israel auf, nur die Hisbollah zu bekämpfen und dabei insbesondere dem völkerrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen.203 Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, gab ein sehr deutliches Bekenntnis zum Recht Israels auf Selbstverteidigung gegen die nichtstaatliche Aggression der Hisbollah ab und drückte seine Befürchtung aus, dass der komplette Libanon bei einer Fortsetzung der israelischen Militäraktion zerstört werden würde.204 Etliche andere Staaten wie Syrien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran, Venezuela und Kuba verneinten dagegen vehement einen israelischen Anspruch auf Selbstverteidigung, wobei sie auf Israels Rolle als Besatzer und Aggressor im Nahen Osten verwiesen und damit diesem Staat die alleinige Schuld an der aktuellen Krise gaben.205 Die anderen Staaten, die sich im Sicherheitsrat zu Wort meldeten, verurteilten jede Form der
Europäische Union, Bulgarian, Rumänien, Türkei, Kroatien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Island, Ukraine und Moldawien (16); Schweiz (implizit, 18); Brasilien (19); Norwegen (23); Australien (27); Türkei (28); Kanada (39); Mexiko (45); Sitzung vom 11.8.2006 (UN Doc. S/ PV.5111). 201 UN Doc. S/PV.5489 vom 14. Juli 2006, S. 10. 202 Annex to the Letter dated 20 July 2006 from the Permanent Representative of the Russian Federation to the United Nations addressed to the Secretary-General. Statement on the Middle East during the Group of Eight Summit in St. Petersburg. UN Doc. S/ 2006/556 vom 12. Juli 2006, S. 2. Auch in der zweiten großen Aussprache im Sicherheitsrat, der Sitzung am 21.7.2006, bestätigte Russland das Recht auf Selbstverteidigung durch den Staat Israel. UN Doc. S/PV.5493 Resumption 1, S. 2. 203 Siehe z. B. UN Doc. S/PV.5489 vom 14. Juli 2006. Argentinien (9), Japan (11), Vereinigtes Königreich (12), Tanzania (13), Peru (14), Dänemark (15), Frankreich (17). 204 UN Doc. S/PV.5492 vom 20. Juli 2006, S. 3. 205 UN Doc. S/PV.5493 Resumption 1, Syrien („distortion of facts“), 13; Saudi-Arabien („No one would doubt Israel’s ability and skills at slapping together a pretext to justify pursuing its aggression and to cover its tracks, create chaos and expose the region to greater disruption and tension.“), 20; aber siehe auch Indonesien (25); Arabische Liga (26); Marokko (29); Djibouti (32); Iran stellt implizit auf die Vorgeschichte ab (30); Venezuela verneint indirekt ein Recht auf Selbstverteidigung im aktuellen Fall (36); Kuba (37); Sudan (38), Vereinigte Arabische Emirate (42), Pakistan (44).
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Gewalt, ohne explizit zum Recht auf Selbstverteidigung und zur Verantwortlichkeit des Libanon, den Terrorismus zu bekämpfen, Stellung zu beziehen.206 Einige Staaten betonten in unterschiedlicher Schärfe, dass die libanesische Regierung die Verantwortung im Süden übernehmen müsste. Nur so könnte sie endlich im ganzen Land ihr Gewaltmonopol ausüben und dafür Sorge tragen, dass von seinem Territorium keine weiteren Verletzungen der Blauen Linie erfolgten.207 Die USA erinnerten daran, dass sie im Vorfeld keinen Zweifel hatten aufkommen lassen, dass Terrorgruppen zu entwaffnen sind und forderten den Sicherheitsrat dazu auf, dass die eigentlichen „Hintermänner“, Iran und Syrien, für ihre Unterstützung der Hisbollah und den Schutz für deren Mitglieder zur Rechenschaft gezogen werden müssen.208 Wie aus den Aussagen der USA könnte man auch aus der ersten Stellungnahme Frankreichs im Sicherheitsrat herauslesen, dass Libanon seinen internationalen Verpflichtungen entsprechen müsse.209 In diesem Fall bestanden für den Libanon nicht nur die allgemeinen Staatenpflichten, jede von seinem Territorium ausgehende Gefahr für andere Staaten zu unterbinden, sondern konkrete Verpflichtungen aus den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats.210 Insofern folgerten die den Selbstverteidigungsanspruch Israels unterstützenden Staaten eine Duldungspflicht der militärischen Terrorismusbekämpfung.211 Die Reaktion der internationalen Staatengemeinschaft offenbart, dass zu diesem Zeitpunkt keine einheitliche Rechtsauffassung vorherrschte, sondern die Zustimmung bzw. gänzliche Ablehnung der israelischen Selbstverteidigungsmaßnahmen abhängig von der (welt)politischen Zugehörigkeit des jeweiligen Staates waren. Mit zunehmender Dauer und Intensität des „Sommerkrieges“ äußerten der 206 UN Doc. S/PV.5493 China (20); UN Doc S/PV.5493 Resumption 1, Ägypten (23), Neuseeland (33), Indien (34), Chile (35). Die Blockfreien waren in ihren Aussagen eher Israel-kritisch, verurteilten deren Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht direkt, sondern beklagten vornehmlich die Verletzung des humanitären Völkerrechts und die Tötung von Zivilisten. UN Doc. S/PV.5493 Resumption 1, Malaysia (17); Bolivien (36), Guatemala (40), Südafrika (43), Vietnam (44). 207 UN Doc. S/PV.5489 vom 14. Juli 2006. Argentinien (9), Japan (11), Vereinigtes Königreich (12), Tanzania (13), Peru (14), Dänemark (15), Frankreich (17). 208 UN Doc. S/PV.5489, S. 10. 209 UN Doc. S/PV.5489, S. 17. „The Lebanese government has dissociated itself from this irresponsible and deliberate provocation, but it must shoulder its responsibilities and abide by the commitments it has taken before this Council.“ 210 UN Doc. S/RES/1559 (2004) vom 2. September 2004. Der Sicherheitsrat forderte die Entwaffnung aller bewaffneter Gruppen im Libanon und unterstützte die Ausweitung der staatlichen Kontrolle über das gesamte Territorium (op. cl. 2 und 3). Siehe auch UN Doc. S/RES/1583 (2005) vom 28.01.2005, op. cl. 4 („calls upon the Lebanes government to extend and exercise ist sole and effective authority throughout the south . . .“); UN Doc. S/RES/1655 (2006) vom 31.01.2006, op. cl. 6; UN Doc. S/RES/1680 (2006) vom 17.05.2006, op. cl. 5. 211 UN Doc. S/PV.5489. Argentinien (9), USA (10), Japan (11), Vereinigtes Königreich (12), Tanzania (13), Peru (14), Dänemark (15), Frankreich (17).
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Generalsekretär der Vereinten Nationen und auch die Staatenvertreter, die anfangs das israelische Recht auf Selbstverteidigung unterstützt hatten, immer deutlicher ihre Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion. 14. Türkei – Nordirak 2008 Am 22. Februar 2008 erfolgte eine der größten türkischen Invasionen in den Nordirak, um gegen Stellungen der PKK vorzugehen. Damit reagierte die türkische Armee auf mehrere Anschläge der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Oktober 2007. Am 7. Oktober 2007 griff die PKK einen türkischen Stützpunkt in der südöstlichen Provinz Sirnak an. Bei diesem Anschlag starben 13 Soldaten und mehrere wurden verletzt.212 Bereits vier Tage später ereignete sich der nächste Grenzzwischenfall, bei dem 12 türkische Soldaten getötet und acht Soldaten entführt wurden. Daraufhin reagierte die Türkei mit Bombardements und Artilleriefeuer sowie kleineren Operationen gegen PKK-Stellungen im Nordirak. Das türkische Parlament mandatierte mit großer Mehrheit die türkische Regierung zu Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Stellungen der PKK im Nordirak.213 Bei einer internationalen Irak-Nachbarschaftskonferenz Anfang November 2007 warb die Türkei für ihre Intention, Selbstverteidigung gegen die PKK im Irak auszuüben – es ging in den verschiedenen Gesprächen nicht mehr um das „ob“, sondern nur noch um das „wie“.214 Aus Sorge, dass eine größer angelegte militärische Reaktion seitens der Türkei die Stabilität des bis dahin friedlichen Nordiraks gefährden würde, forderten die irakische wie auch die US-amerikanische Regierung von Ankara eine diplomatische Lösung des Konflikts. Die EU und ihre Mitgliedstaaten äußerten ihre Besorgnis und drängten die Türkei, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen.215 212 Süddeutsche Zeitung, Kämpfe und Explosionen in der Türkei, 07.10.2007, http:// www.sueddeutsche.de/politik/kaempfe-und-explosionen-in-der-tuerkei-bombenexplosionin-istanbul-1.336364 (letzter Download am 01.07.2013). 213 Ataturk Today, Turkish Parliament backs attacks against PKK terrorists in Iraq, 17.10.2007, http://www.ataturktoday.com/RefBib/PKKTerrorNorthernIraq.htm (letzter Download am 01.07.2013). 214 Gottschlich, Jürgen, Türkei gewinnt Rückendeckung für Operation im Irak, in SPON, 03.11.2007, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,515235,00.html, Süddeutsche Zeitung, Schulterschluss gegen kurdische Rebellen, 03.11.2007, http://www. sueddeutsche.de/politik/moeglicher-krieg-im-nordirak-schulterschluss-gegen-kurdischerebellen-1.342196 (letzter Download am 01.07.2013). 215 Auswärtiges Amt, Pressemitteilung, Bundesminister Steinmeier zum Tod von türkischen Soldaten im Grenzgebiet zum Irak, 21.10.2007, http://www.auswaertigesamt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2007/071021-BMTodTürkSoldaten.html; DW, Europe Again Warns Against Turkish Intervention in Iraq, 22.10.2007, http:// www.dw.de/dw/article/0,2144,2834888,00.html; Regierungspressekonferenz am 22.02. 2008, http://archiv.bundesregierung.de/Content/DE/Archiv16/Pressekonferenzen/2008/ 02/2008-02-22-regpk.html; Bernard Kouchner, Pressekonferenz, 21.10.2007, https:// pastel.diplomatie.gouv.fr/editorial/actual/ael2/bulletin.asp?liste=20071022.html#chapi
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Nichtsdestotrotz erfolgte am 21. Februar 2008 die Bodenoffensive gegen das Nachbarland, die laut Premier Recep Tayyip Erdogan lediglich gegen die PKK, nicht aber gegen den Nordirak gerichtet sei.216 UN-Generalsekretär Ban Kimoon bezeichnete es als unakzeptabel, dass irakisches Territorium für grenzüberschreitende Angriffe genutzt würde.217 Der damalige Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Solana, nannte das türkische Vorgehen diplomatisch „nicht die beste Antwort“ und unterstrich die Bedeutung der irakischen Souveränität für die EU.218 Auch die USA erklärten im Gegensatz zu früheren Aussagen ihre Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts und einer damit einhergehenden zunehmenden Instabilität der Region. Der damalige Präsident der USA, George W. Bush, und sein Verteidigungsminister Gates drängten die Türkei, ihre Operation so schnell wie möglich durchzuführen und sich dann wieder aus dem Irak zurückzuziehen.219 Auch die EU-Präsidentschaft forderte die Türkei auf, ihre militärischen Aktionen auf das absolut Notwendige zu beschränken, verhältnismäßig vorzugehen und die irakische Souveränität zu beachten.220 Der Irak und die semi-autonome kurdische Regionalregierung im Nordirak verurteilten dieses unilaterale militärische Vorgehen als inakzeptable Verletzung der irakischen Souveränität.221 Diesmal erfolgte jedoch keine Beschwerde
tre5; U.S.-U.K. Joint Statement on PKK Terrorist Attack Against Turkey, 22.10.2007, http://www.america.gov/st/texttrans-english/2007/October/20071023140621eaifas0.72 5033.html; SPON, Steinmeier warnt Türkei vor Einmarsch im Irak, 03.11.2007, http:// www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,515078,00.html weitere Quellen siehe Ruys, Melbourne Journal of International Law, 9 (2008), Fn. 39 ff. (letzter Download am 01.07.2013). 216 Die Arbeiterpartei Kurdistan PKK (Partiya Karkerên Kurdistan) ist eine Rebellenorganisation, die sich für einen eigenen Staat Kurdistan gewaltsam einsetzt. Die PKK wird von den USA und der Türkei als terroristische Vereinigung eingestuft (siehe US Department of State, Foreign Terrorist Organizations, 22.10.2015, http://www.state.gov/ s/ct/rls/other/des/123085.htm). 217 Ban Ki-moon, Remarks at the expanded meeting of Iraq’s neighbours, 03.11. 2007, http://www.un.org/apps/news/infocus/sgspeeches/search_full.asp?statID= 145. 218 Reuters, EU’s Solana: Turkey incursion „not best response“, 22.02.2008, http:// www.reuters.com/article/2008/02/22/us-turkey-iraq-eu-solana-idUSL2247927720080222 (letzter Download am 01.07.2013). 219 Oppel, Richard A./Mazzetti, Mark, Gates urges Limits on Turkish Raids, in New York Times, 28.02.2008, http://www.nytimes.com/2008/02/28/world/middleeast/28 iraq.html?_r=1, Sevastopulo, Demetri/Boland, Vincent/Dombey, Daniel, The Turks need to move quickly, achieve their objective and get out, in Financial Times, 28.02. 2008, http://www.ft.com/intl/cms/s/0/d25bac26-e5ea-11dc-8398-0000779fd2ac.html# axzz1rIysM0CX (letzter Download am 01.07.2013). 220 EU Presidency Statement on the military action undertaken by Turkey in Iraqi territory, 25.02.2008, http://www.eu2008.si/en/News_and_Documents/CFSP_State ments/February/0225MZZturkey.html (letzter Download am 01.07.2013). 221 Kauber, Michael, Iraq Cabinet Demands Turk Leave Kurdish Area in North, in: New York Times, 27.02.2008, http://www.nytimes.com/2008/02/27/world/middleeast/ 27iraq.html Zakhu, Shamal Aqrawi, Baghdad urges talks as Turkey, PKK Clash in
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des Iraks bei dem Sicherheitsrat oder dem Generalsekretär der Vereinten Nationen. Am 28. Februar 2008 beendete die Türkei ihre Operation, da sie eigenen Angaben zufolge ihre Ziele erreicht hatte und damit die militärische Notwendigkeit für eine Fortführung der militärischen Aktionen entfallen sei. Sie widersprach damit Spekulationen, sich dem Druck aus dem Ausland gebeugt zu haben und erklärte, die Situation im Irak weiter beobachten zu wollen.222 Die Stellungnahmen der USA und der europäischen Staaten lassen den Schluss zu, dass sie Maßnahmen der Türkei als notwendig und rechtmäßig anerkannten, solange diese in einem verhältnismäßigen Rahmen stattfanden. Durch die geographische und zeitliche Begrenzung der Maßnahmen sowie die Beschränkung auf terroristische Ziele scheint die Türkei den Forderungen ihrer NATO-Verbündeten nach Verhältnismäßigkeit nachgekommen zu sein. Bereits am 4. Mai 2008 flog die Türkei allerdings wieder Angriffe gegen Stellungen der PKK im Nordirak nahe der iranischen Grenze. 15. Militärischer Einsatz der USA und Afghanistans in Pakistan 2008 Am 10. Juni 2008 wurden durch einen amerikanischen Luftangriff auf einen Militärposten an der Grenze zu Afghanistan elf Soldaten einer pakistanischen Paramilitäreinheit getötet.223 Ausgangspunkt für diese Militäraktion waren Angriffe der Taliban, die sich nach Pakistan zurückgezogen hatten. Das amerikanische Verteidigungsministerium beurteilte die Operation als legitime Selbstverteidigung gegen feindliche Angriffe ausgehend von pakistanischem Territorium und bedauerte den unbeabsichtigten Tod der pakistanischen Paramilitärs.224 Pakistan verurteilte die amerikanischen Luftangriffe als völlig inakzeptablen Akt der Aggression.225 Wenige Tage nach dem amerikanischen Luftangriff an der afghanisch-pakistanischen Grenze drohte der afghanische Präsident Karzai, dass afghanische Trup-
N.Iraq, in: Reuters, 24.02.2008, http://www.reuters.com/article/idUSANK000374200 80224. 222 Hermann, Rainer, Türkei beendet Offensive gegen kurdische Rebellen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.02.2008, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/nord irak-tuerkei-beendet-offensive-gegen-kurdische-rebellen-1513552.html (letzter Download am 01.07.2013). 223 Gall/Schmitt, „Pakistan Angry as Strike by U.S. Kills 11 Soldiers“, in: New York Times, 12. Juni 2008, http://www.nytimes.com/2008/06/12/world/asia/12pstan.html? th=emc=th&pagewanted=print. 224 Kruzel, „Air Strike in Pakisten ,Legitimate, Self-Defense,‘ Pentagon Official Says.“ American Forces Press Service, 11. Juni 2008, abrufbar unter http://www.de fenselink.mil/news/newsarticle.aspx?id=50178. 225 Gall/Schmitt, „Pakistan Angry as Strike by U.S. Kills 11 Soldiers“, in: New York Times, 12. Juni 2008 (letzter Download am 01.07.2013), http://www.nytimes.com/ 2008/06/12/world/asia/12pstan.html?th=emc=th&pagewanted=print.
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pen das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen könnten, um Stellungen von aufständischen Taliban und Terroristen auf pakistanischem Territorium zu bekämpfen.226 Karzai warf der pakistanischen Regierung vor, dass die pakistanischen Stammesgebiete den Taliban und Al Qaida einen sicheren Rückzugsraum böten, von dem sie immer wieder nach Afghanistan einsickern könnten.227 Die halbautonomen Stammesgebiete, aus denen sich das pakistanische Militär damals zurückgezogen hatte, galt in Kombination mit der gebirgigen und schwer kontrollierbaren Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan schon seit geraumer Zeit als eine der Schlüsselbedrohungen für den stabilen und friedlichen Wiederaufbau Afghanistans.228 Die unter Bundesverwaltung stehenden Stammesgebiete (Federally Administered Tribal Areas, oder kurz „FATA“) gehören zu den ärmsten Regionen Pakistans. Die Region ist faktisch eine traditionelle Pufferzone an der Grenze zu Afghanistan, da pakistanisches Recht dort nur gilt, soweit der Präsident Pakistans die Gesetze im Einzelfall ausdrücklich dekretiert. Auch wenn Karzais Stellungnahme wahrscheinlich vornehmlich auf die Stärkung seines innenpolitischen Ansehens abzielte, war es jedoch neu und bemerkenswert, dass der afghanische Präsident öffentlich die Rechtsauffassung artikulierte, dass sein Land im Kampf gegen den Terrorismus ein Recht zur Selbstverteidigung auf pakistanischem Territorium hätte. Er schien der Auffassung zu sein, dass Pakistan wegen der Beherbergung von terroristischen Gruppierungen die Selbstverteidigungsmaßnahmen Afghanistans dulden müsste. Obwohl die USA selbst des Öfteren Stellungen der Taliban und einzelne Terroristen auf pakistanischem Territorium mit unbemannten Drohnen angriffen, vermied der damalige Präsident der USA, George W. Bush, die Aussagen von Hamid Karzai zur grenzüberschreitenden Terrorismusbekämpfung zu kommentieren. Dieses Beispiel offenbart den politisch-juristischen Drahtseilakt der USA, da sie selbst immer wieder ihrer Rechtsauffassung Ausdruck verliehen, dass Selbstverteidigung gegen Terroristen auf fremdem Staatsgebiet zulässig wäre, falls sich der Aufenthaltsstaat unfähig oder unwillig zeigt, gegen diese vorzugehen. Es wurden jedoch keine offiziellen Stellungnahmen von Seiten der USA oder Pakistans zu den unbemannten amerikanischen Drohnen veröffentlicht, um die Beziehungen nicht zu belasten und den Extremisten in Pakistan keine Gelegenheit zur weiteren Radikalisierung zu geben.
226 Gall, Karzai Threatens to Send Soldiers into Pakistan, New York Times, 16. Juni 2008, http://www.nytimes.com/2008/06/16/world/asia/16afghan.html?_r=1&oref=slog in&ref=world&pagewanted=print; siehe auch Frankfurter Allgemeine Zeitung: Hunderte Taliban entkommen – Karzai droht Pakistan, 16. Juni 2008, Nr. 138, S. 1. 227 Ibid. 228 Hippler, Das gefährlichste Land der Welt?, 2008, S. 218–227; Rashid, Descent into Chaos, 2009, S. 265–292.
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16. Militärischer Einsatz der USA in Pakistan 2011 (Tötung von Osama bin Laden) Die USA hatten in der Vergangenheit des Öfteren gezielt mutmaßliche Terroristen im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan sowie in Jemen und Somalia getötet,229 wodurch auch oft Zivilisten starben.230 Während diese Aktionen bisher mit unbemannten Drohnen erfolgten, wurde die Tötung des prominentesten Terroristen und Anführer von Al Qaida – Osama bin Laden – in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 durch eine Spezialeinheit der US Navy Seals im pakistanischen Abbottabat durchgeführt. Die USA informierten die pakistanische Regierung erst, als die amerikanischen Helikopter das Land wieder verlassen hatten. Bei der Analyse der gezielten Tötungen sind allgemein zwei Ebenen zu unterscheiden: Führt ein Staat in einem anderen Staat gezielte Tötungen durch, geht dies mit einer Verletzung des zwischenstaatlichen Gewaltverbots einher, sofern die Maßnahme mit militärischen Mitteln erfolgte und der Eingriff in die Souveränität nicht vorher durch den Aufenthaltsstaat zugebilligt wurde. Die Rechtmäßigkeit der spezifischen Tötung des betroffenen Individuums muss hingegen mit den Normen des humanitären Völkerrechts bzw. der Menschenrechte bestimmt werden.231 Die USA beriefen sich bei dieser Aktion wie auch bei ähnlichen Aktionen (Tötung von Anwar Al-Awlaki am 30.09.2011 in Jemen232) auf ihr Selbstverteidigungsrecht und die Tatsache, dass sie sich in einem bewaffneten Konflikt mit Al Qaida und den Taliban befänden.233 Präsident Obama würdigte in seiner Ansprache die erfolgreiche Mission der Navy Seals, da mit der Tötung von Osama bin Laden der bis dato wichtigste Schlag gegen das Terrornetzwerk gelungen sei
229 Zur Definition des Begriffs „targeted killing“ siehe Alston, UN General Assembly, Human Rights Council, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6 (2010), S. 4 para. 7. 230 International Human Rights and Conflict Resolution Clinic, Stanford University/ Global Justice Clinic, NYU School of Law, Living under Drones, 2012. 231 Alston, UN General Assembly, Human Rights Council, UN Doc. A/HRC/14/24/ Add.6 (2010), S. 11 para. 34; Cannizzaro, International Review of the Red Cross, Vol. 8 (2006), S. 781; Okimoto, The Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, S. 76. 232 Obama, Remarks by the President at the „Change of Office“ Chairman of the Joint Chiefs of Staff Ceremony, Fort Myer, Virginia, 30.09.2011, http://www.white house.gov/the-press-office/2011/09/30/remarks-president-change-office-chairman-jointchiefs-staff-ceremony (letzter Download am 03.10.2011). 233 Zur juristischen Argumentation für die US-amerikanische Politik des targeted killings von mutmaßlichen Terroristen siehe die Keynote Address des Rechtsberaters des State Department Harold Hongju Koh, The Obama Administration and International Law, Annual Meeting of the American Society of International Law, Washington D.C. 25.03.2010, abrufbar unter http://www.state.gov/s/l/releases/remarks/139119.htm (letzter Download am 02.10.2011).
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und den Opfern vom 11. September 2001 Gerechtigkeit widerfahren wäre. Die USA würden sich aber auch in Zukunft umfänglich gegen Al Qaida verteidigen.234 Präsident Obama machte Pakistan in seinen Ausführungen nicht im juristischen Sinne für die Beherbergung von Osama bin Laden verantwortlich. In den USA waren die politischen und militärischen Eliten dennoch verstimmt über Pakistan und hegten Zweifel an dessen Loyalität im Anti-Terrorkampf, da man sich nicht erklären konnte, wie sich Osama bin Laden in unmittelbarer Nähe von pakistanischen Militäreinrichtungen über so lange Zeit verstecken konnte.235 Der andere Argumentationsstrang der US-Regierung als Rechtfertigung für diese Aktion wie auch anderer gezielter Tötungen betrifft die Involvierung in einen bewaffneten Konflikt. Zwar verwendet die Obama-Administration nicht den von George W. Bush geprägten Begriff des „global war on terrorism“, sieht sich aber immer noch in einem bewaffneten Konflikt mit den Attentätern vom 11. September 2001.236 Durch die Kategorisierung der Anti-Terrormaßnahmen als bewaffneten Konflikt gegen Al Qaida,237 der an kein bestimmtes Territorium gebunden ist, versucht sich die US-Regierung den wesentlich restriktiveren Menschenrechtsnormen zu entziehen und die Tötungshandlungen durch einen Rückgriff auf das humanitäre Völkerrecht mit seinen geringeren Schranken zu begründen. Grundsätzlich ist die Tötung von gegnerischen Kombattanten238 im bewaffneten – internationalen wie auch nicht-internationalen – Konflikt legitim. Sie muss jedoch militärisch notwendig239 und verhältnismäßig sein und darf sich nicht gegen Zivilisten richten.240 Mit der Einordnung der Anti-Terrormaßnahmen als bewaffneten Konflikt begeben sich die USA in eine bedenkliche Grauzone, da Al Qaida wegen seines losen Netzwerkes und seiner globalen Streuung eigentlich nicht als eine geschlossene, gut unterscheidbare Konfliktpartei identifiziert werden kann.241 Ge234 Obama, Remarks by the President on Osama bin Laden, The White House, 02.05.2011, http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2011/05/02/remarks-presidentosama-bin-laden (letzter Download 03.10.2011). 235 New York Times, U.S. Demands More From Pakistan as Details of Bin Laden’s Movements Emerge, 07.05.2011, A10 bzw. http://www.nytimes.com/2011/05/07/ world/asia/07policy.html (letzter Download am 02.10.2011). 236 Kreye, Bushs Kriegsrhetorik hat ausgedient, Süddeutsche Zeitung, 01.04.2009, http://www.sueddeutsche.de/politik/usa-bushs-kriegsrhetorik-hat-ausgedient-1.392897 (letzter Download am 02.10.2011); Schaller, HuV-I 24 (2011), S. 92. 237 Obama, Remarks by the President on Osama bin Laden, The White House, 02.05.2011, http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2011/05/02/remarks-presidentosama-bin-laden (letzter Download am 03.10.2011). 238 Art. 43 Abs. 2 ZP I zu den Genfer Konventionen, BGBl. 1990 II, S. 1551. 239 Art. 51 und 57 ZP I zu den Genfer Konventionen, BGBl. 1990 II, S. 1551. 240 Alston, UN General Assembly, Human Rights Council, UN Doc. A/HRC/14/24/ Add.6 (2010), S. 10 para. 30. 241 Boor, HuV-I 24 (2011), S. 101. Zu einer generellen Analyse zur Beteiligung an bewaffneten Auseinandersetzungen siehe die Studie vom Internationalen Roten Kreuz:
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zielte Tötungen mit Hilfe von Drohnen erschweren ohnehin die notwendige Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten242 und hinterlassen bei der betroffenen Zivilbevölkerung ein Gefühl der Ohnmacht.243 Während die pakistanische Bevölkerung nach der Tötung von Osama bin Laden auf den Straßen gegen die Verletzung der Souveränität durch die USA demonstrierte, verurteilte die pakistanische Regierung das amerikanische Verhalten nur halbherzig. In einzelnen Äußerungen der pakistanischen Regierung lässt sich sogar eine nachfolgende Billigung der Tötung Osama bin Ladens erkennen.244 Daraus ließe sich schlussfolgern, dass Pakistan die Verletzung seiner Souveränität trotz vordergründiger Proteste tolerierte. Damit könnten Berichte einiger Journalisten zutreffen, wonach der damalige US-Präsident George W. Bush mit dem ehemaligen pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf eine Abmachung geschlossen haben soll, die den USA die Ergreifung Osama bin Ladens gestatten würde.245 Die amerikanischen Militäroperationen ließen sich also auch als Intervention auf Einladung werten.246 Aber auch hier gilt, dass weder die intervenierende Partei noch der Aufenthaltsstaat von den Normen des humanitären Völkerrechts bzw. der Menschenrechte entbunden ist.247 Der „einladende“ Staat, also Pakistan, müsste kontrollieren, dass sich der tötende Staat an das humanitäre Völkerrecht bzw. die Menschenrechte hält, schließlich hat ein Staat die Verpflichtung, die sich auf seinem Staatsgebiet aufhaltenden Personen zu schützen.248 Der schwache, aber immerhin unterschwellig vorhandene Protest der paICRC, Interpretative Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, Vol. 90 (2008). 242 O’Connell, Notre Dame Law School Legal Studies Research Paper No. 09-43 (2010), S. 24; Alston, UN General Assembly, Human Rights Council, UN Doc. A/ HRC/14/24/Add.6 (2010), S. 19 para. 60. 243 Siehe hierzu ausführlich International Human Rights and Conflict Resolution Clinic, Stanford University/Global Justice Clinic, NYU School of Law, Living under Drones, 2012. 244 Zardari, Pakistan Did its Part, Washington Post, 03.05.2011, http://www. washingtonpost.com/opinions/pakistan-did-its-part/2011/05/02/AFHxmybF_story.html ?hpid=z4 (letzter Download am 22.08.2011). 245 Walsh, Declan, Osama bin Laden mission agreed in secret 10 years ago by US and Pakistan, The Guardian, 9.05.2011, http://www.guardian.co.uk/world/2011/may/ 09/osama-bin-laden-us-pakistan-deal (letzter Download am 22.08.2011); Kazim, Hasnain, Pakistan schloss Geheimpakt mit USA, Der Spiegel, 10.05.2011, http://www. spiegel.de/politik/ausland/0,1518,761714,00.html (letzter Download am 22.08.2011). 246 Boor, HuV-I 24 (2011), S. 102; Nolte meldet aber Zweifel an, was die Zulässigkeit der Intervention auf Einladung bei demokratisch schwach legitimierten Regierungen betrifft. Nolte, Eingreifen auf Einladung: Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes fremder Truppen im internen Konflikt auf Einladung der Regierung, 1999, S. 239 ff. 247 Schaller, HuV-I 24 (2011), S. 96; Alston, UN General Assembly, Human Rights Council, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6 (2010), S. 12 para. 37 f. 248 International Covenant on Civil and Political Rights, UN Doc. A/Res/2200A (XXI), 999 UNTS 171, in Kraft getreten am 23.03.1976, Art. 6 (ICCPR); UN General
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kistanischen Regierung mag demnach innenpolitisch begründet sein, um ihren Bürgern zu zeigen, dass diese gezielten Tötungen eben nicht mit ausdrücklicher Zustimmung Islamabads erfolgten. In Betracht sollte aber auch gezogen werden, dass sich Pakistan möglicherweise nicht traute, stärker gegenüber dem weit mächtigeren Partner USA zu protestieren, da es ohnehin in einer schwachen außenpolitischen Position und finanziell abhängig von den USA war.249 Generell ist es jedoch bei dieser Art der Militäroperation schwierig von außen zu beurteilen, welche Abmachungen zwischen zwei Staaten bzw. ihren Geheimdiensten getroffen wurden.250 Die internationale Reaktion auf die Tötung Osama bin Ladens war größtenteils positiv. Viele westliche Regierungschefs251 sowie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen252 zeigten sich ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 erleichtert über die Nachricht, dass Osama bin Laden getötet wurde. Insofern genoss die Aktion der USA Legitimität und wurde von großen Teilen der internationalen Gemeinschaft als verhältnismäßig angesehen. 17. Militärischer Einsatz der USA und anderer Staaten gegen ISIL im Irak und Syrien 2014 Im Sommer 2014 ist die Terrororganisation „Islamischer Staat im Irak und an der Levante“ (ISIL) zu einer wachsenden Bedrohung für die gesamte Region geworden.253 Am 30. Juni 2014, pünktlich zum Fastenmonat Ramadan, rief ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi in der Hauptmoschee von Mossul ein islamistisches Kalifat im Irak und in Syrien aus.254 Die syrische Industriestadt Raqqa wurde von ISIL zu seiner Hauptstadt ernannt. Die terroristische Gruppierung geht mit bespielloser Gewalt vor, um einen islamistischen Gottesstaat im Nahen Osten zu errichten, der die Gebiete der Staaten Syrien, Irak, Libanon, Israel, die Palästinensischen Gebiete und Jordanien umfassen soll. Im Gegensatz zu Al-Qaida handelt es nicht um eine punktuell agierende Terrorzelle; vielmehr strebt ISIL klar Assembly, Resolution on the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms While Countering Terrorism, UN Doc. A/Res/51/191, 10.03. 2005, para. 1. 249 O’Connell, Notre Dame Law School Legal Studies Research Paper No. 09-43 (2010), S. 25. 250 Schaller, HuV-I 24 (2011), S. 94; O’Connell, Notre Dame Law School Legal Studies Research Paper No. 09-43 (2010). 251 Al Jazeera, Reactions: bin Ladens Death, http://english.aljazeera.net/news/asia/ 2011/05/20115241936984209.html (2.05.2011; letzter Download am 28.08.2011); BBC, Osama bin Ladens death: political reactions in quotes, http://www.bbc.co.uk/ news/world-us-canada-13256956 (3.05.2011; letzter Download am 28.08.2011). 252 Stellungnahme des Präsidenten des Sicherheitsrats am 2. Mai 2011, UN Doc. S/ PRST/2011/. 253 Steinberg, Kalifat des Schreckens, 2015. 254 http://www.sueddeutsche.de/politik/kaempfe-im-irak-isis-ruft-offenbar-kalifat-aus1.2021205.
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die Bildung eines eigenen Staates unter Scharia-Recht und einer primitiven wie auch sehr brutalen Auslegung des Korans an. In Syrien hatte sich ISIL dank des seit März 2011 tobenden Bürgerkriegs etablieren können. Zwar existiert der Staat noch als Völkerrechtssubjekt und auch Machthaber Bashar al-Assad hält sich noch an der Spitze des Landes, aber auf dem Gebiet herrscht eine unübersichtliche Gemengelage. So kämpfen neben den Regierungstruppen die Freie Syrische Armee der Rebellen, Dschabhat al-Nusra (syrische Ableger von al-Qaida) und eben auch ISIL gegeneinander.255 Die Sicherheitslage wurde im Irak infolge einer Großoffensive von ISIL-Anhängern im Sommer 2014 immer prekärer.256 ISIL kontrollierte mittlerweile weite Teile Nordiraks, darunter Mossul, die zweitgrößte Stadt sowie Falludscha, Ramada und Tikrit. Geschwächt durch eine monatelange Regierungskrise um die Besetzung des Postens des Regierungschefs und damit um die Machtverteilung im Land konnte der Irak in den andauernden Kämpfen den terroristischen Gruppierungen immer weniger entgegensetzen. Die starke Eskalation der Angriffe hatte zu einer hohen Zahl von Opfern, der Vertreibung von mehr als einer Million irakischer Zivilpersonen und Drohungen gegen alle religiösen und ethnischen Gruppen geführt. Der Sicherheitsrat hatte das Vordringen von ISIL wegen seiner destabilisierenden Wirkung in Resolution 2169 (2014)257 erst als Gefahr für die Region und schließlich in Resolution 2170 (2014) als Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit betrachtet.258 Als Reaktion auf ein Hilfsgesuch der irakischen Regierung259 griffen die USA ab dem 8. August 2014 aus der Luft Stellungen von ISIL im Irak an. Da ISIL auch in Syrien operierte, konnte das irakisch-syrische Grenzgebiet nicht hinreichend gesichert werden. Insofern erweiterte der Irak sein Ersuchen um militärische Unterstützung als kollektive Selbstverteidigung gegen die Rückzugsorte, sog. „safe haven“ von ISIL, in Syrien.260 Eine vergleichbare Bitte Syriens um militärische Hilfe an die USA gab es allerdings nicht, vielmehr warnten syrische Politiker die USA vor einem Eingreifen.261 Nach einigem Zögern entschlossen 255
Siehe u. a. Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zur humanitären Situation in Syrien, UN Doc. S/2014/840 vom 21. November 2014. 256 UN Doc. S/RES/2169 (2014) vom 30. Juli 2014. 257 UN Doc. S/RES/2169 (2014) vom 30. Juli 2014. 258 UN Doc. S/RES/2170 (2014) vom 24. September 2014. 259 UN Doc. S/2014/440 Letter dated 25 June 2014 from the Minister for Foreign Affairs of Iraq addressed to the Secretary-General. 260 UN Doc. S/2014/691 Letter dated 20 September 2014 from the Permanent Representative of Iraq to the United Nations addressed to the President of the Security Council. 261 http://www.spiegel.de/politik/ausland/is-luftangriffe-syrien-warnt-usa-vor-luft schlaegen-a-991136.html (letzter Download am 11. Juli 2015).
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sich die USA am 23. September 2014 gemeinsam mit arabischen Verbündeten – Bahrain, Jordanien, Saudi Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – ihre Luftschläge auch auf Stellungen von ISIL auf syrischem Gebiet auszuweiten.262 Die USA haben Medienberichten zufolge Syrien kurz vor den ersten Luftschlägen informiert, aber in der Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass es sich nicht um eine abgestimmte Operation handelte.263 Auch Monate nach Beginn der Luftschläge schlossen die USA eine Zusammenarbeit mit dem Regime von Bashar al-Assad aus, das seit Jahren wegen massiver Menschenrechtsverletzungen am internationalen Pranger steht.264 So dementierte der Pressesprecher des U.S. State Department Berichte, denen zufolge das Assad-Regime über Dritte wie beispielsweise den Irak vorab Kenntnis über die von den USA ausgeführten Luftschläge erhalte: „Before conducting strikes in Syria, we informed the Syrian regime directly of our intent to take action, through our ambassador to the United Nations, (. . .) in her conversation, to the Syrian permanent representative to the United Nations. That has been previously reported. We warned Syria not to engage U.S. aircraft. We did not request the regime’s permission. We did not coordinate our actions with the Syrian Government. We did not provide advanced notifications to the Syrians at a military level, nor give any indication of our timing on specific targets. We would not work with the Assad regime which has fostered the environment that ISIL has taken exploited. That has not changed.“ 265 Insofern stellt sich die Rechtsgrundlage für die Intervention in Syrien anders als im Irak dar, wo es ein konkretes Ersuchen um internationale militärische Unterstützung gab. Die USA argumentierten in ihrem Schreiben an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, dass ISIL und andere in Syrien operierende terroristische Gruppierungen nicht nur eine grenzüberschreitende Bedrohung für den Irak, sondern für viele andere Staaten – einschließlich der USA selbst – darstellten. Da das syrische Regime weder in der Lage noch willens sei, die Rückzugsräume von ISIL effektiv zu bekämpfen, würden insofern die USA in
262 U.S. Department of Defense, http://www.defense.gov/news/newsarticle.aspx?id= 128217 263 http://www.reuters.com/article/2014/09/23/us-syria-crisis-un-idUSKCN0HI1I620 140923 (letzter Download am 11. Juli 2015). 264 A/RES/67/262 (2013) vom 4. Juni 2013 zur Situation in der Syrischen Republik; A/HRC/RES/20/22 (2012) vom 6. Juli 2012: Resolution des UN-Menschenrechtsrats zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und wahllosen Angriffen auf die syrische Zivilbevölkerung durch staatliche Stellen. 265 Psaki, Spokesperson U.S. Department of State, Daily Press Briefing, Washington, DC, 10. Februar 2015, http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2015/02/237365.htm#SYRIA (letzter Download am 17. März 2015).
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Ausübung ihres Rechts auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta handeln.266 Am 25. November erklärte auch das Vereinigte Königreich, dass es in Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts die USA militärisch bei den Luftschlägen im Irak und in Syrien unterstützen werde.267 Die militärische Intervention ist für die USA jedoch ein politischer Drahtseilakt, da die Luftschläge gegen ISIL dem syrischen Machthaber Bashar al-Assad wiederum mehr Spielraum verschaffen und indirekt helfen könnten, die Kontrolle im eigenen Land zurückzugewinnen. Die internationale Reaktion auf die von den USA angeführten Luftschläge gegen ISIL fiel je nach politischer Zugehörigkeit erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Syrien bestätigte, dass es vorab durch die USA über den Beginn der Militäraktion informiert worden sei.268 In einer hochrangigen Debatte im Sicherheitsrat zu ausländischen terroristischen Kämpfern, die just einen Tag nach Beginn der alliierten Luftschläge gegen ISIL-Stellungen in Syrien stattfand, betonte der Vertreter der Syrischen Republik die Unterstützung seines Landes für die vorliegende Resolution 2178 (2014) und die Beteiligung an der internationalen Bekämpfung des Terrorismus, sowohl in regionalen wie auch in internationalen Koalitionen. Diese Aktionen müssten jedoch im Einklang mit dem Völkerrecht stehen und die nationale Souveränität respektieren.269 Insofern verurteilte Syrien nicht offiziell die USA und ihre Verbündeten, drückte jedoch seine abweichende Haltung zum Vorgehen aus. Der russische Präsident Putin hatte die USA in einem Leitartikel in der New York Times bereits ein Jahr vorher, also im September 2013, vor einem militärischen Vorgehen in der Region gewarnt, das nicht durch eine entsprechende Resolution der UN-Sicherheitsrats mandatiert sei. Andernfalls würde dies eine völkerrechtswidrige Verletzung der territorialen Integrität Syriens darstellen.270 In die-
266 UN Doc. S/2014/695 (2014), Letter dated 23 September 2014 from the Permanent Representative of the United States of America to the United Nations addressed to the Secretary-General. 267 UN Doc. S/2014/851 (2014) Identical letters dated 25 November 2014 from the Permanent Representative of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland to the United Nations addressed to the Secretary-General and the President of the Security Council. 268 Washington Times, Syria says Washington informed it before strikes, Albert Aji und Bassem Mroue – Associated Press – September 23, 2014, http://www.washington times.com/news/2014/sep/23/syria-says-washington-informed-it-before-strikes/?page= all (letzter Download am 17. März 2015). 269 UN Doc. S/PV.7272 vom 24. September 2014, S. 40. 270 Putin, A Plea for Caution From Russia, New York Times, 11. September 2013, http://www.nytimes.com/2013/09/12/opinion/putin-plea-for-caution-from-russia-on-sy ria.html?_r=0 (letzter Download am 17. März 2015).
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sem Sinne verurteilte er die Luftschläge im September 2014.271 Auch China hatte bereits vor Beginn der Luftschläge auf eine entsprechende Ankündigung von US-Präsident Obama reagiert. So äußerte sich die Sprecherin des Volkskongresses, dass „in the international struggle against terrorism, the international law should be respected, as well as the sovereignty, independence and territorial integrity of the countries concerned.“ 272 Die Sprecher der Bundesregierung gingen von Beginn der Luftschläge in Syrien dagegen klar davon aus, dass diese vom Völkerrecht gedeckt seien. „Das Selbstverteidigungsrecht kann auch kollektiv ausgeübt werden, das heißt, andere Staaten dürfen dem angegriffenen Staat auf dessen Ersuchen zu Hilfe kommen. Das ist bei Syrien der Fall. Das ist die Argumentationslinie, wenn sich die Amerikaner auf Artikel 51 berufen. Das ist stichfest und das halten wir für geeignet, um letztendlich auch Luftschläge in Syrien zu vollziehen.“ 273 Zudem sei die syrische Regierung vorab informiert gewesen und hätte einen Protest nicht geäußert.274 Die Bundesregierung respektiere des Weiteren diejenigen, die sich an diesen Luftschlägen beteiligen.275 Der Rat der europäischen Außenminister drückte ebenso seine Unterstützung in den Ratsschlussfolgerungen am 20. Oktober 2014 aus: „(Die EU) unterstützt die Bemühungen von über sechzig Staaten, der von ISIL/Da’ish ausgehenden Bedrohung Herr zu werden, einschließlich durch ein militärisches Eingreifen im Einklang mit dem Völkerrecht. Sie stellt fest, dass ein militärisches Eingreifen in diesem Kontext eine notwendige Maßnahme ist, aber nicht ausreicht, um ISIL/ Da’ish zu bezwingen (. . .).“ 276 Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon billigte bei einer Pressekonferenz die Luftschläge: „I am aware that today’s strikes were not carried out at the direct request of the Syrian Government, but I note that the Government was informed 271 http://www.washingtonpost.com/world/russia-condemns-us-airstrikes-against-is lamic-state-in-syria/2014/09/23/de639dc6-42f4-11e4-b437-1a7368204804_story.html (letzter Download am 17. März 2015). 272 The State Council, VR China, China calls for respect of sovereignty as US widens airstrikes in Iraq, Syria; 12. September 2014, http://english.gov.cn/news/news_ release/2014/09/30/content_281474990809435.htm (letzter Download am 17. März 2015). 273 Regierungspressekonferenz vom 26. September 2014; Sprecherin des Auswärtigen Amtes Chebli, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonfe renzen/2014/09/2014-09-26-regpk.html (letzter Download am 17. März 2015). 274 Regierungspressekonferenz vom 26. September 2014; Regierungssprecher Seibert, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/ 09/2014-09-26-regpk.html (letzter Download am 17. März 2015). 275 Regierungspressekonferenz vom 29. September 2014, Sprecher des Auswärtigen Amtes Schäfer, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferen zen/2014/09/2014-09-29-regpk.html (letzter Download am 17. März 2015). 276 Rat der Europäischen Union, Rat für Auswärtige Angelegenheiten, Doc.14451/14 Irak/Syrien/ISIL, para. 3.
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beforehand. I also note that the strikes took place in areas no longer under the effective control of that Government.“ 277 Insofern vertritt ein Teil der internationalen Gemeinschaft die Rechtsauffassung, dass die militärischen Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeter auf syrischem Territorium notwendig und verhältnismäßig sind, da das syrische Regime selbst nicht in der Lage ist, auf seinem Gebiet effektiv gegen ISIL vorzugehen. Die syrische Regierung, auch wenn sie nicht vorab eingewilligt habe, sei zumindest zu Beginn der Luftschläge von den USA in Kenntnis gesetzt worden und hätte nicht formell protestiert. 18. Schlussfolgerung Es ist sehr schwierig, aus der Staatenpraxis eine konsistente und belastbare Rechtsauffassung zu destillieren,278 da die internationale Reaktion auf einen gegebenen terroristischen Vorfall immer in Zusammenhang mit dem speziellen Kontext und der jeweiligen Zugehörigkeit des beurteilenden Staates zu einem bestimmten politischen Lager steht. Terroristische Angriffe wie auch die jeweilige militärische Reaktion darauf werden daher nicht selten mit politischen statt klar juristischen Gesichtspunkten beurteilt. Berücksichtigt man all diese Punkte lassen sich aus dieser Staatenpraxis zur grenzüberschreitenden militärischen Terrorismusbekämpfung folgende Schlüsse ziehen: Erstens, es gibt einige wenige Staaten wie Israel, USA, Iran und Türkei, die eindeutig ein Recht auf Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Akteure befürworten und dies auch regelmäßig in Anspruch genommen haben. Zweitens konnte ein Wandel in der Akzeptanz von Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche Akteure festgestellt werden, auch wenn das staatliche Stillschweigen zur grenzüberschreitenden Terrorismusbekämpfung nicht immer zwingend mit vollumfänglicher Unterstützung gleichzusetzen ist, sondern manchmal mehr politischen denn juristischen Überlegungen geschuldet ist.279 Bis Mitte der 1990er Jahre unterstützten zahlreiche Staaten die palästinensischen 277 UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Remarks at the Climate Summit press conference (including comments on Syria), UN Headquarters, 23. September 2014, http:// www.un.org/apps/news/infocus/sgspeeches/statments_full.asp?statID=2356#.VNkqyjW Z50 (letzter Download am 17. März 2015). 278 Becker, Terrorism and the State. Rethinking the Rules of State Responsibility, 2006, S. 185; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 832; erschwert wird dies, wenn der Sicherheitsrat selbst nur einen Fallzu-Fall-Ansatz wählt ohne eine größere juristische Linie zu verfolgen. Dies diskutierte bereits Bowett, AJIL 66 (1972), 8 f.; Arend/Beck, International Law and the Use of Force, 1993, S. 156–7; siehe hierzu auch den Report of the High-Level Panel on Threats, Challenges and Change, A More Secure World: Our Shared Responsibility, UN Doc A/59/565 (2004), S. 56. 279 Nolte, EJIL 24 (2013), S. 287.
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Aktionen mit dem Verweis auf das legitime Recht auf Selbstbestimmung und bezeichneten die israelischen Militärreaktionen kategorisch als völkerrechtswidrig, da der Tatbestand des Selbstverteidigungsrechts nicht gegeben sei. Während die militärische Reaktion der USA auf den Anschlag der USS Cole von der nichtwestlichen Welt als Verletzung der sudanesischen Souveränität betrachtet wurde, fand die Intervention in Afghanistan 2001 bis auf wenige Ausnahmen große Akzeptanz und Unterstützung in der internationalen Gemeinschaft. Im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah im Sommer 2006 zeigte sich, dass die internationale Gemeinschaft Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche Aggression im Fall von Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Aufenthaltsstaats als zulässig erachtete. Insofern war die Rechtsauffassung nach dem 11. September 2001 nicht allein dem Schock über die einstürzenden Zwillingstürme geschuldet. Sogar die arabischen Staaten drückten im Sicherheitsrat anfangs ihre – wenn auch nicht überschwängliche – Akzeptanz zu Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen die Angriffe durch die Hisbollah aus. Drittens, den juristischen Ausgangspunkt für die Abwägungsentscheidung des angegriffenen Staates zur militärischen Gegenwehr bildete meistens das Recht auf Selbstverteidigung aus Art. 51 UN-Charta, wesentlich weniger häufig der Notstand. Wie die Untersuchung der Staatenpraxis zeigte, stützte sich nur die Türkei bei ihrem Vorgehen gegen nichtstaatliche Angriffe vom Territorium des Irak ausgehend auf die Notstandskonzeption. Die in der Literatur diskutierten Modelle oder Hilfskonstrukte zur Rechtfertigung der militärischen Maßnahmen wie der Rechtsgedanke der Neutralität,280 die Ersatzvornahme281 und die Geschäftsführung ohne Auftrag282 fanden keine Entsprechung in der Staatenpraxis. Viertens, die Selbstverteidigung übenden Staaten begründeten die Verletzung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates mit der mangelnden innerstaat-
280 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 198 u. S. 203; Bruha, AVR 40 (2002), S. 408; Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 114 f.; bereits vor dem 11. September 2001 Schindler BDGV 26 (1986), S. 38; ebenso in diese Richtung weisend, Bowett, Self-Defence in International Law, 1958, S. 56. Klar ablehnend allerdings Wandscher, da dies den Rechtscharakter des Selbstverteidigungsrechts als Notwehrrecht nicht berücksichtigen würde. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 244. 281 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 160, der sich in seiner Argumentation wiederum auf Ziccardi Capaldo bezieht, Terrorismo internazionale, 1990, S. 96 ff.; Dinstein, Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 268 f. Dinstein sieht in dieser normativen Konstruktion das Paradebeispiel für die Reaktion auf terroristische, also nichtstaatliche Angriffe von einem anderen Staatsgebiet aus. 282 Panzera, Attivita Terroristiche e Diritto Internazionale, 1978, S. 107; eine ganz vorsichtige Zustimmung zu diesem Ansatzes findet sich bereits bei Wengler, wobei er sich allein auf Unfähigkeitskonstellationen bezieht. Wengler, Völkerrecht Bd. II, 1964, S. 1053. Bruha scheint der Option der Geschäftsführung ohne Auftrag für Fälle wie failed states zuzuneigen, ohne dies aber weiter auszuführen. Bruha, AVR 40 (2002), S. 409.
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lichen Terrorismusbekämpfung, sei es durch dessen Unfähigkeit oder durch seine Unwilligkeit. Die Schwächung der Rechtsposition des Aufenthaltsstaates, der die auf seinem Territorium stattfindenden Selbstverteidigungsmaßnahmen dulden muss, resultiert demnach aus der Verletzung der völkerrechtlichen Pflicht, Terrorismus innerstaatlich effektiv zu bekämpfen. Die Staaten waren sich dabei schon vor der Sicherheitsresolution 1373 (2001) einig, dass eine innerstaatliche Pflicht zur Terrorismusbekämpfung besteht.
II. Selbstverteidigung gegen Angriffe durch Private nach Art. 51 UN-Charta 1. Geltung des Selbstverteidigungsrechts aus Art. 51 UN-Charta Die Charta der Vereinten Nationen lässt zum Gewaltverbot im Wesentlichen nur zwei Ausnahmen zu:283 Gewaltanwendung eines Staates oder einer Staatengruppe mit Ermächtigung des Sicherheitsrats gemäß Art. 42 i.V. m. Art. 39 UNCharta oder unilaterale bzw. kollektive Maßnahmen gemäß Art. 51 UN-Charta zur Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff, bis der Sicherheitsrat tätig wird. Durch den Verweis in Art. 51 UN-Charta auf das naturgegebene Recht zur Selbstverteidigung ergibt sich die Verbindung zu einem völkergewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrecht von selbst. Einerseits wird argumentiert, dass Art. 51 in Verbindung mit Art. 2 (4) UN-Charta bedeutet, dass Gewaltausübung in Selbstverteidigung nur bei Vorliegen eines bewaffneten Angriffs legitim sei. Ein Staat müsse abwarten, bis der bewaffnete Angriff erfolgt sei, bevor er zu gewaltsamen Gegenmaßnahmen greifen darf. Art. 51 UN-Charta hat demnach das völkergewohnheitsrechtliche Recht auf Selbstverteidigung verdrängt und ersetzt.284 Andererseits gehen einige Völkerrechtler davon aus, dass ein über Art. 51 UNCharta hinausgehendes völkergewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht existiert.285 Betont man das Wort „naturgegeben“, könnte dieser Ansicht nach 283 Durch die Aufnahme der ehemaligen Feindstaaten in die Vereinten Nationen ist die in den Art. 53 Abs. 1 Satz 2 und Art. 107 UN-Charta vorgesehene Gewaltanwendung gegen ehemalige Feindstaaten obsolet geworden. 284 Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 229; Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/ Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1427 f. Rn. 63; Brownlie, International Law and the Use of Force, (1963), S. 275–278; Alexandrov, Self-Defence against the Use of Force in International Law, 1996, S. 162–165. 285 Bowett, Self-Defence in International Law, 1958, S. 46 ff. i.V. m. 182 ff.; Malanczuk, ZaöRV 43 (1983), S. 758; Dissenting Opinion of Judge Schwebel in the Nicaragua case, ICJ Reports, 1986, S. 347.
II. Selbstverteidigung gegen Angriffe durch Private nach Art. 51 UN-Charta
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Art. 51 UN-Charta dahingehend interpretiert werden, dass noch ein völkergewohnheitsrechtliches Recht auf Selbstverteidigung existiert, das über den Anwendungsbereich der Charta-Norm hinausgeht. Gemäß dieser Argumentation hätten die Gründungsväter lediglich einen möglichen Fall auflisten wollen, in dem ein Staat Selbstverteidigungsmaßnahmen ausüben darf.286 Allerdings stellt sich die Frage, worin der Sinn bestünde, das Offensichtliche aufzuführen und gleichzeitig eine Regelung des wesentlich problematischeren Rechts auf präventive Selbstverteidigung zu unterlassen. Falls präventive Selbstverteidigung zulässig sein sollte, erfordert dies klare Bedingungen, um einem Missbrauch vorzubeugen, und sollte zudem der Aufsicht des Sicherheitsrats unterstellt sein. Um diese Streitfrage zu lösen, lohnt sich ein Blick in das Nicaragua-Urteil des IGH287, in dem sich der Gerichtshof ausführlich mit dem Verhältnis von völkergewohnheitsrechtlichem zu satzungsrechtlichem Recht auf Selbstverteidigung auseinandergesetzt hat.288 Der Gerichtshof führte aus, dass Völkergewohnheitsrecht neben dem Völkervertragsrecht existiere, dieses aber dahingehend deckungsgleich mit dem kodifizierten Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 UNCharta sei, dass ein bewaffneter Angriff die Voraussetzung für die gewaltsame Gegenwehr bilden müsste.289 Die Vorarbeiten zur Charta belegen, dass das gewohnheitsrechtlich anerkannte Selbstverteidigungsrecht in den in Art. 51 UNCharta normierten Voraussetzungen die einzige Ausnahme zur unilateralen Gewaltanwendung darstellen sollte.290 2. Textauslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ hinsichtlich eines Staatlichkeitserfordernisses Nur eine präzise Definition des Begriffs „bewaffneter Angriff “ steckt den Staaten die erforderlich engen Grenzen, um ihre Gewaltanwendungen in den internationalen Beziehungen auf eine rechtliche Basis zu stellen.291 In der UN286
Arend/Beck, International Law and the Use of Force, 1993, S. 73. Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 14. 288 Grund dieser Feststellung war die Tatsache, dass die USA durch den VandenbergVorbehalt zum IGH-Statut eine Auslegung des Sachverhalts im Rahmen der UN-Charta verhinderten. 289 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 103 para. 195; Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1427 Rn. 63. 290 Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 677 ff.; Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 59; Alexandrov, Self-Defense Against the Use of Force in International Law, 1996, S. 77 ff. 291 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1406 Rn. 16. 287
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Charta findet sich keine Legaldefinition der Begriffe „Gewaltanwendung“, „Aggression“ und „Angriff“ aus den Art. 1(1), 2(4), 39, 51 und 53. Obwohl das Phänomen des internationalen Terrorismus zum Zeitpunkt der Gründung der Vereinten Nationen und den Verhandlungen über die Formulierung der Charta bereits existierte,292 fand es keinen Niederschlag in der Ausgestaltung des Selbstverteidigungsrechts in Art. 51 UN-Charta. Dies führt zu der Diskussion, ob militärische Reaktionen auf terroristische Anschläge vom Selbstverteidigungsrecht gedeckt sind. Hierfür müssen die Voraussetzungen auf der Tatbestandseite untersucht werden, d.h., ob terroristische Akte überhaupt einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta darstellen können. Die Auslegungsmethode richtet sich hierbei nach den Vorschriften aus der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK).293 Gründungsverträge einer internationalen Organisation sind im Allgemeinen im Lichte des Organisationszwecks auszulegen.294 Zudem werden nachfolgend gemäß Art. 32 WVK die travaux préparatoires ergänzend herangezogen, sofern die vorausgegangene Auslegung der satzungsrechtlichen Bestimmungen zu keinem eindeutigen Ergebnis führt. a) Grammatikalische Auslegung Dem Wortlaut „bewaffneter Angriff“ aus Art. 51 UN-Charta ist im Gegensatz zu Art. 2 (4) UN-Charta kein Hinweis auf das Erfordernis der Staatlichkeit zu entnehmen.295 Zu diesem Ergebnis gelangt man sowohl nach der Lektüre der
292 Das Phänomen der politisch motivierten Gewalt von Individuen ist spätestens seit dem Römischen Reich bekannt. Als Gruppenerscheinung trat der Terrorismus allerdings in den internationalen Beziehungen erstmals im 12. und 13. Jahrhundert auf. Die fanatische islamische Sekte „Assassins“ suchte ihre Opfer sowohl unter Christen als auch unter in ihren Augen „ungläubigen“ Moslems. Aber erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden terroristische Akte systematisch als Waffe im Kampf um politische Ideen eingesetzt und richteten sich hauptsächlich gegen Staatsoberhäupter und Regierungsvertreter. So war das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich durch einen serbischen Terroristen am 28. Juni 1914 einer der Gründe für den Ausbruch des 1. Weltkrieges. Auch zwischen den beiden Weltkriegen kam es zu zahlreichen Anschlägen auf führende Staatsmänner. Siehe hierzu König, in: Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 2. Aufl. (1991), S. 847; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 3. 293 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II, S. 920. Die Anwendung der WVK kann erfolgen, obwohl diese erst Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Charta in Kraft trat. Zwar besagt Art. 4 WVK, dass die in der WVK niedergelegten Regelungen keine rückwirkende Geltung entfalten, aber es ist davon auszugehen, dass die WVK die allgemein im Völkergewohnheitsrecht anerkannten Auslegungsregeln kodifizierte. Vgl. Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage (2010), S. 51 Rn. 114 und S. 56 Rn. 123. 294 Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. (2010), S. 57 Rn. 124. Für die Auslegung der Satzung in diesem Zusammenhang siehe Ress, in: Simma (Hrsg.), Charter of the United Nations, 2. Aufl. (2002), S. 20 Rn. 14.
II. Selbstverteidigung gegen Angriffe durch Private nach Art. 51 UN-Charta
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englischen („armed attack“) wie auch der spanischen Sprachfassung („ataque armado“).296 Lediglich die französische Fassung „agression armée“ ist insofern restriktiver formuliert, als hiermit unprovozierte bewaffnete Angriffe bezeichnet werden.297 Im Gegensatz zur englischen und spanischen Version entschied man sich im Französischen nicht für „attaque armée“, die analoge Übersetzung, sondern für den enger gefassten Begriff „agression armée“. Wie im Englischen und Spanischen wäre „attaque“ wertfreier gewesen. In dem Begriff „agression armée“ könnte eine gewisse Missbilligung hinsichtlich des unberechtigten, kriminellen Angriffs mitschwingen.298 Allerdings wird „agression“ auch als Synonym für „attaque“ verwendet,299 so dass auch in dieser Sprachversion eine Subsumtion privater bewaffneter Angriffe nicht ausgeschlossen werden kann.300 Rein sprachlich betrachtet erfasst der Begriff „bewaffneter Angriff“ ebenso staatliche wie private Gewaltanwendung. b) Systematische Auslegung Auch die Art. 1 (1), Art. 39 und Art. 53 UN-Charta enthalten den Begriff „Angriff“, definieren diesen aber nicht weiter, so dass aus diesen Artikeln kein direkter Rückschluss auf die Beschaffenheit des bewaffneten Angriffs in Art. 51 UN-Charta gezogen werden kann. Insofern muss sich die systematische Auslegung vielmehr an dem Zusammenspiel von Art. 2 (4) und Art. 51 UN-Charta orientieren.301 Das Recht auf Selbstverteidigung zur Abwehr eines bewaffneten Angriffs stellt die Ausnahme zum Gewaltverbot aus Art. 2 (4) UN-Charta dar, so dass beide Bestimmungen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis stehen. Daher ließe sich argumentieren, dass der Begriff des bewaffneten Angriffs dem der Ge295 Bruha, in: Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, S. 65; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 207 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 887; Murphy, Harvard International Law Journal 43 (2002), S. 50; Bruha/Bortfeld, VN 2001, S. 165, Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540. 296 Gemäß Art. 111 UN-Charta sind die chinesische, englische, französische, russische und spanische Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich. 297 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 208; zu den unterschiedlichen sprachlichen Bedeutungen siehe Klein, in: FS Jahrreiss, 1964, S. 181 ff. 298 Klein, in: FS Jahrreis, 1964, S. 182. 299 Tardif/Fontaine/Saint-Germain, Le Grand druide des synomymes et des antonymes, 2. Aufl. (2006), S. 40; Bertaud du Chazaud, Dictionnaire des synonymes, mots de sens voisin et contraires, 2007, S. 74; Larousse, Grand Dictionnare Synonymes & Contraires, 2004, S. 92. 300 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteididungsrecht, 1995, S. 208. 301 Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 235; Abi-Saab, in: Bianchi (Hrsg.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, S. xviii; Zimmer, Terrorismus und Völkerrecht (1998), S. 56 ff.; Derpa, Das Gewaltverbot der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, 1970, S. 94.
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waltanwendung aus Art. 2 (4) UN-Charta strukturell entsprechen müsse und somit das Staatlichkeitserfordernis des Art. 2 (4) UN-Charta auch für Art. 51 UNCharta gelte.302 In diesem Sinne verneinte der Internationale Gerichtshof, dass ein bewaffneter Angriff von privaten Gruppierungen ohne staatliche Zurechenbarkeit ausgeübt werden könnte. In seinem Nicaragua-Urteil stellte er daher den „effective control“-Test auf.303 Auch in seinem Rechtsgutachten zum Bau der israelischen Mauer (Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories) vom 9. Juli 2004 verwarf er in einer knappen Analyse den israelischen Anspruch auf Selbstverteidigung mit dem Hinweis, dass ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta staatlich sein müsste und Israel in seinen Ausführungen selbst bestätigt hätte, dass es nicht durch eine ausländische Macht, sondern aus dem Inneren heraus angegriffen werden würde.304 Insofern sei der Bau der Mauer als Maßnahme zur Selbstverteidigung nicht rechtmäßig.305 Auch wenn dem IGH im Ergebnis zuzustimmen ist, dass Art. 51 UNCharta nicht den Bau einer Mauer rechtfertige, so wäre doch eine vertieftere Auseinandersetzung der Komplexität des Themas und den Entwicklungen nach dem 11. September 2001 geschuldet gewesen.306 Diese Ansicht artikulierten 302 Löw, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach dem 11. September 2001, 2009, S. 94; Derpa, Das Gewaltverbot der Satzung der Vereinten Nationen und die Anwendung nichtmilitärischer Gewalt, 1970, S. 94; Blumenwitz, ZRP 2002, S. 104. 303 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 64 para. 115. 304 Israel hatte 2003 damit begonnen, das israelische Kernland vom Westjordanland durch die Errichtung einer Sperranlage abzutrennen, die nur zu 20 Prozent auf der Grünen Linie verläuft. Die so genannte Grüne Linie markiert die Waffenstillstandslinie zwischen Israel und dem Westjordanland von 1949. Israel wollte mit diesem Mauerbau seine Bürger vor potentiellen palästinensischen Selbstmordattentätern schützen. Kritiker warfen Israel eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der ökonomischen und landwirtschaftlichen Entwicklung der Palästinenser vor. UN Doc. S/2003/947, Report of the Secretary-General, Peaceful Settlement of the Question of Palestine, 10. Oktober 2003, S. 11, para. 20 f.; siehe ausführlich zu dem Gutachten auch Hoffmann/Pierlings, in: Menzel (Hrsg.), Völkerrechtsprechung: ausgewählte Entscheidungen zum Völkerrecht in der Retrospektive, 2005, S. 763–767. 305 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, S. 136 (para. 139): „Article 51 of the Charter thus recognizes the existence of an inherent right of self-defense in the case of armed attack by one State against another State. However, Israel does not claim that the attacks against it are imputable to a foreign State. The Court also notes that Israel exercises control in the Occupied Palestinian Territory and that, as Israel itself states, the threat which it regards as justifying the construction of the wall originates within, and not outside, that territory. The situation is thus different from that contemplated by Security Council resolutions 1368 (2001) and 1373 (2001), and therefore Israel could not in any event invoke those resolutions in support of its claim to be exercising a right of self-defense.“ 306 Insofern ist die Aussage von Bruha und Tams sehr treffend: „It is tempting to describe the Court’s restrictive approach as the „construction of a wall“ around Art. 51.“, Bruha/Tams, in: FS Delbrück, 2005, S. 87 und 100; Oellers-Frahm, in: FS
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auch die Richter Higgins, Kojimans und Buergenthal in ihren Stellungnahmen. Zudem muss dem IGH in dem Punkt des Staatlichkeitserfordernisses für bewaffnete Angriffe widersprochen werden, da Art. 51 UN-Charta eben kein Anzeichen für eine solche Eingrenzung enthält.307 Vielmehr ist das Gutachten Ergebnis und Folge seines Nicaragua-Urteils, wie Richterin Higgins treffend bemerkt.308 Auch als der IGH im überaus komplexen Fall Kongo v. Uganda (Case concerning armed activities on the Territory of the Congo) u. a. beurteilen musste, ob Ugandas Selbstverteidigungsaktionen gegenüber der Demokratischen Republik Kongo (DRC) rechtmäßig waren,309 verneinte er wegen fehlender Staatlichkeit das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UN-Charta. Der IGH stellte fest, dass die Angriffe gegen Uganda allein von der Rebellengruppe ADF (Allied Democratic Forces) ausgingen. Eine Verwicklung der kongolesischen Regierung in deren Angriffe im Sinne von Art. 3 lit. g der Aggressionsdefinition wurde nicht als erwiesen angesehen. Da der DRC somit keine substantielle Involvierung in die bewaffneten Übergriffe durch die Rebellen gegen Uganda nachgewiesen werden konnte, lagen keine faktischen und rechtlichen Voraussetzungen vor, die Selbstverteidigungsmaßnahmen nach Art. 51 UNCharta gerechtfertigt hätten (para. 139–147). Indem der IGH strikt an seiner bisherigen Position festhielt, erübrigte sich aus dieser Argumentation heraus eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Recht auf Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Akteure. Angesichts der Tatsache, dass der Sicherheitsrat diesbezüglich eine offenere Position vertritt, wäre es in der Tat angezeigt gewesen, explizit Gründe dafür anzuführen, warum er auf einer restriktiven Auslegung von Art. 51 UN-Charta besteht.310 Der IGH übersieht in seinen Ausführungen, dass die fehlende Erwähnung der Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs in Art. 51 UN-Charta im Gegensatz zu Art. 2 (4) UN-Charta gerade ein Indiz für die Einbeziehung nichtstaatlicher Gewaltakte in Art. 51 UN-Charta darstellen könnte. Da Art. 51 erlaubt, ausnahmsDelbrück, 2005, S. 511 f.; Murphy, AJIL 99 (2005), S. 62 ff.; Khan empfindet das Gutachten als „wenig hilfreich“, Khan, Die Friedens-Warte 79 (2004), S. 363 f.; selbst Scobbie, der die Stellungnahme des IGH verteidigte, kritisierte dessen telegraphischen Stil in dieser Textpassage. Scobbie, AJIL 99 (2005), S. 87; Stahn, in: Walter/Vöneky/ Röben/Schorkopf, Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 860; Taft, The Yale Journal of International Law 29 (2004), S. 300 f. 307 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, Dissenting Opinion Judge Buergenthal, para. 6; Separate Opinion Judge Higgins, para. 33; Separate Opinion Judge Kooijmans, para. 45. 308 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, ICJ Reports 2004, Separate Opinion Judge Higgins, para. 33. 309 Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Judgment, ICJ Reports 2005, S. 168. 310 So auch Oellers-Frahm, VN 2006, S. 121; Okowa, ICLQ 55 (2006), S. 749.
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weise Gewalt im Sinne von Art. 2 (4) in Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff anzuwenden, wirft dies die Frage auf, ob der bewaffnete Angriff zuvor gegen das Gewaltverbot verstoßen haben muss. Art. 2 (4) UN-Charta gilt – wie oben dargestellt – nur für Staaten. Dies lässt jedoch keinen Rückschluss zu, ob nicht auch Private einen bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UNCharta ausüben können. Eine „strukturelle Entsprechung“ in der Staatlichkeitsfrage von Art. 2 (4) UN-Charta und Art. 51 UN-Charta greift nur insoweit, als es sich bei den Adressaten von Verbots- und Erlaubnissatz um Staaten handeln muss.311 Wenn das Tatbestandsmerkmal „bewaffneter Angriff“ auf Gewaltanwendung durch Private erstreckt wird, unterliegen Staaten weiterhin dem Gewaltverbot und dürfen als Adressaten des Art. 51 UN-Charta nur unter der Voraussetzung eines bewaffneten Angriffs – unbeachtlich von welcher Entität auch immer – zu militärischen Gegenmaßnahmen im Sinne des Selbstverteidigungsrechts greifen. Die Auslegung der Binnensystematik bezieht Art. 39 UN-Charta in die Untersuchung mit ein. Die Befugnis zu Selbstverteidigungsmaßnahmen findet entsprechend des Wortlauts nur subsidiär Anwendung, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Die Tatsache, dass das Recht auf Selbstverteidigung integraler Bestandteil des Systems der kollektiven Sicherheit ist, lässt jedoch noch keinen Rückschluss auf eine restriktive Auslegung des Begriffs „bewaffneter Angriff“ zu. Ein Zustand zwischen zwei Staaten muss als unfriedlich eingestuft werden, wenn grenzüberschreitend Gewalt angewandt wird. In diesem Sinne könnte auch Gewaltanwendung durch Private zu Unfrieden zwischen dem Opferund dem Aufenthaltsstaat führen. Während das politikwissenschaftliche Friedensverständnis312 den negativen Frieden mit der Abwesenheit von Gewalt unabhängig von einem Staatlichkeitserfordernis definiert, schließt mittlerweile auch das moderne völkerrechtliche Friedensverständnis313 das Ausbleiben von privater Ge311
Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 212. Siehe bereits Czempiel, in: Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 77 ff.; Galtung, Strukturelle Gewalt, 1971, S. 56. 313 Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 76; Bruha, AVR 40 (2002), S. 390; Bruha/Bortfeld, VN (2001), S. 163, 165; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 198; Klein, in: Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat und das Recht, S. 27; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 9; Mammen, Völkerrechtliche Stellung von internationalen Terrororganisationen, 2008, S. 94. Siehe zum Friedensbegriff allgemein: Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung in Satzung und Praxis der Vereinten Nationen, 1975, S. 28 ff.; Randelzhofer, in: Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 13; Stein, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Rule of Law, 1999, S. 118; Lailach, Die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit als Aufgabe der Vereinten Nationen, 1998, S. 21 ff.; Neuhold, in: Bernhardt (Hrsg.), EPIL, Vol. III, 1997, S. 935 ff.; Österdahl, Threats to the Peace, 1998; aus politologischer Sicht siehe Czempiel, in: Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung, 1979, S. 77 ff.; Galtung, Strukturelle Gewalt, 1971, S. 56. 312
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walt mit ein. Die Resolutionen des Sicherheitsrats beweisen, dass auch private Gewalt den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedrohen kann.314 Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 konstatierte der Sicherheitsrat, dass „such acts, like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security“.315 Dies führt zu der Überlegung, dass bei einem weiten Friedensverständnis, bei dem das Zwischenstaatlichkeitserfordernis nicht mehr im Vordergrund steht, und einer engen Auslegung des Art. 51 UN-Charta, die weiterhin am Erfordernis der Staatlichkeit festhält, ein Wertungswiderspruch entstehen könnte.316 Jedoch muss bei dieser Auslegung berücksichtigt werden, dass die Befugnisse des Sicherheitsrats naturgemäß weiter sind als die Ermächtigung zu rein unilateraler Gewaltanwendung im Sinne des Selbstverteidigungsrechts, da sie das kollektive Sicherheitssystem aktivieren. Der Binnensystematik des Art. 51 innerhalb von Kapitel VII UN-Charta kann demnach keine Begrenzung des Rechts auf Selbstverteidigung auf staatliche Angriffe entnommen werden.317 c) Teleologische Auslegung Das Recht auf Selbstverteidigung dient in erster Linie der staatlichen Selbsterhaltung, so dass der Schutzfunktion des Art. 51 UN-Charta eine wichtige Funktion zukommt.318 In seinem Gutachten über die Zulässigkeit der Drohung und des Einsatzes von Kernwaffen bestätigte der IGH das grundlegende Recht eines Staates auf Existenzwahrung und damit auf Selbstverteidigung i. S. v. Art. 51 UN-Charta.319 Es fragt sich aber, ob sich Art. 51 UN-Charta auf das Schutzprinzip reduzieren lässt oder ob eine Völkerrechtswidrigkeit vorliegen muss. Dies ist gerade in Fällen von Belang, in denen ein Staat Selbstverteidigungsmaßnahmen eines anderen Staates gegen nichtstaatliche Akteure ausgesetzt ist, ohne vorher selbst ein völ314
UN Doc. S/RES/748 (1992) vom 31.03.1992, 4. Präambelerwägung. UN Doc. S/RES/1368 (2001) vom 12.09.2001, 1. Präambelerwägung; UN Doc. S/RES/1373 (2001) vom 28.09.2001, 3. Präambelerwägung. 316 Bruha, AVR 40 (2002), S. 398; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197 f. 317 Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 77. 318 Bei der teleologischen Auslegung nach der „effet utile“-Regel ist diejenige von mehreren Interpretationen zu wählen, die dem Sinn und Zweck der Vertragsnorm am ehesten gerecht wird. Ress, in: Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Aufl. (2002), Interpretation, S. 31 Rn. 35. Richter de Visscher spricht davon, dass die Vertragsnormen der Charta so auszulegen sind, dass sie einander ergänzen und nicht in Widerspruch zu einanderstehen. International Status of South-West Africa (Advisory Opinion), ICJ Reports 1950, Separate Opinion, S. 187. 319 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, S. 226 para. 96. 315
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kerrechtliches Unrecht wie einen bewaffneten Angriff verübt zu haben. Kritiker der umfassenden Interpretation des Art. 51 UN-Charta verlangen daher, dass die Schwächung der Rechtsposition des zur Duldung der auf seinem Territorium durchgeführten Selbstverteidigungsmaßnahmen verpflichteten Staates nur aus dem Unrechtscharakter des eigenen staatlichen Verhaltens resultieren darf.320 Es würde aber andererseits dem Schutzprinzip des Selbstverteidigungsrechts zuwiderlaufen, wenn sich ein Staat nur gegen staatliche Angriffe militärisch zur Wehr setzen dürfte, aber nichtstaatlichen Angriffen vergleichbarer Intensität schutzlos ausgeliefert wäre.321 Diese Argumentation, die auf ein Staatlichkeitserfordernis verzichtet, leuchtet vor allem bei Angriffen ein, die aus Staaten mit zerfallender Staatlichkeit oder aus hoheitsfreien Räumen wie der Hohen See verübt werden. Aber auch unabhängig von der territorialen, staatlichen Beschaffenheit des Ausgangspunktes der bewaffneten Angriffe sollten private Gewaltakte, wenn sie das Ausmaß eines bewaffneten Angriffs erreichen, mit in den Anwendungsbereich des Art. 51 UN-Charta einbezogen werden, da auch gegenüber diesen Angriffen ein berechtigtes Interesse zur Sicherung des Territoriums besteht. In diesem Sinn betonen Befürworter dieser Interpretation, dass das Recht auf Selbstverteidigung nicht von formalen Kriterien wie der Organisationsstruktur des Angreifers abhängen, sondern sich vielmehr an materiellen Kriterien wie der Intensität orientieren sollte.322 Sinn und Zweck entsprechend sollte die UNCharta vor allem als ein lebendiges Dokument dynamisch ausgelegt werden. Bewaffnete Gewalt des 21. Jahrhunderts geht nicht mehr allein von Staaten aus, sondern in immer stärkerem Maße und immer häufiger von nichtstaatlichen Gruppen, die wegen der „Unsichtbarkeit“ des Gegners und der verwendeten Mittel als besonders gefährlich einzustufen sind.323 Dies bedeutet für den Begriff des „bewaffneten Angriffs“, dass weniger eine formell an die Staatlichkeit des Angreifenden als materiell an die Intensität der Angriffshandlung anknüpfende Deutung der friedenssichernden Funktion des Kapitel VII der Charta gerecht wird.324
320 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 213; Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 236. 321 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540; Wedgwood, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 560; Greenwood, Intl. Affairs 78 (2002), S. 307; Murphy, AJIL 99 (2005), S. 66; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 60. 322 Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 224 f.; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 848; Reisman, Houston Journal of International Law 22 (1999), S. 39; Tomuschat bezieht sich auf die Aggressionsdefinition und den Telos des Art. 51, dass ein Staat nicht schutzlos sein soll, wenn er von einer privaten Macht attackiert wird (Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540). 323 Bruha/Bortfeld, VN 2001, S. 165; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 60. 324 Kotzur, AVR 40 (2002), S. 471; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 887; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 540; Wedgwood, AJIL 99 (2005), S. 58.
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d) Historische Auslegung und Genese bezüglich der Staatlichkeit Die UN-Charta wurde zu einer Zeit entworfen, die von zwischenstaatlichen Angriffen und Kriegen geprägt war. Dies wird von einigen Kommentatoren als Indiz für eine restriktive Sichtweise der Staatenvertreter bei den vorbereitenden Konferenzen gewertet.325 Dem kann man entgegenhalten, dass die Formulierung weit genug gefasst ist, um auch Angriffe von nichtstaatlichen Akteuren darunter zu subsumieren. Aufschluss über die Genese des Art. 51 UN-Charta bietet einerseits ein Blick auf die historische Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts und andererseits auf die Verhandlungen zum Entwurf der UN-Charta. aa) Ausgewählte Fälle aus der frühen Staatenpraxis (1) Konflikt zwischen den USA und Mexiko Die erste dokumentierte Auseinandersetzung im Zusammenhang mit grenzüberschreitender, privater Gewalt geht auf das Jahr 1836 zurück. Die USA setzten auf mexikanischem Territorium Gewalt gegen bewaffnete Indianergruppen ein, nachdem diese davor wiederholt Plünderungen, Brandstiftungen und Morde auf US-amerikanischem Territorium verübt hatten. Interessant ist, dass die mexikanische Regierung die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts der USA nicht zurückwies, sondern in ihren Stellungnahmen die engen Grenzen dieser Befugnis aufzeigte.326 Die hier implizit aufgestellten Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit erlangen im folgenden Fall, dem so genannten Caroline-Fall, ihre prominente und pointierte Ausgestaltung. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch, dass die USA auch in den folgenden Jahren Verteidigungsmaßnahmen gegen grenzüberschreitende Angriffe Privater auf mexikanischem Territorium durchführten, wobei sie sich nicht mehr auf das Recht auf Selbstverteidigung beriefen, sondern ihre Aktionen als Nacheile bezeichneten.327 Diese unterschiedliche Bezeichnung der Maßnahmen kann aber
325 Bruha/Tams, in: FS Delbrück (2005), S. 94; anderer Auffassung jedoch Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 693 f.; Murphy, AJIL 99 (2005), S. 70. 326 Der mexikanische Botschafter in den USA erklärte in seiner Stellungnahme: „While it (the right of self-defence) fikes upon us the obligation of preserving and defending ourselves it equally prohibits us from doing so to the evident injury of a third party, unless in a case of absolute necessity when the danger is imminent, when it cannot be avoided by any other means, and when the injury apprehended is infinitely greater than that we are about to occasion.“ Text zitiert bei Zanardi, La Legittima Difesa nel Diritto Internazionale, 1972, S. 52 f.; siehe hierzu auch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, 1995, S. 220. 327 Siehe hierzu Kreß, Gewalvertbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 221.
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als relativ unerheblich eingestuft werden, da zu der damaligen Zeit noch nicht explizit zwischen Selbstverteidigung und Nacheile differenziert wurde.328 Sowohl für die rechtlich-argumentativen Aspekte auf Tatbestands- wie auf der Rechtsfolgenseite ist der amerikanische Villa-Einsatz auf mexikanischem Territorium aus dem Jahr 1916 interessant. In einer Stellungnahme des amerikanischen Präsidenten Wilson heißt es: „We ventured to enter Mexican territory only because there were no military forces in Mexico that could protect our borders from hostile attack. (. . .) The authorities of Mexico were powerless to prevent it.“ 329 Die USA rechtfertigten ihren eigenen Rechtsanspruch auf Selbstverteidigung durch die Betonung, dass Mexiko nicht in der Lage war, den Angriff Privater auf die USA zu verhindern. Dies klingt nach einer implizierten Forderung, dass Mexiko wegen seiner Unfähigkeit grenzüberschreitende, nichtstaatliche Gewalt zu verhindern nun die militärischen Gegenmaßnahmen dulden müsse.330 (2) Konflikt zwischen Großbritannien und den USA – der sog. Caroline-Fall Im Zuge der Rebellion in Kanada gerieten 1837 auch die USA und die britische Krone in einen Konflikt, da private amerikanische Organisationen die kanadischen Aufständischen vom Territorium der USA aus unterstützten.331 Obwohl die amerikanischen Behörden Kenntnis hatten, dass das Schiff Caroline Material und Personal auf die kanadische Seite transportieren sollte, griffen sie nicht ein. Daraufhin besetzte eine britische Einheit die auf amerikanischem Territorium befindliche Caroline, zündete sie an und ließ sie die Niagarafälle hinunter treiben. Die britische Regierung rechtfertigte ihren militärischen Einsatz gegen die Caroline als Selbsterhaltungs- und Selbstverteidigungsmaßnahme.332 Die amerikanische Regierung akzeptierte ein Selbstverteidigungsrecht gegen grenzüberschreitende private Angriffe, knüpfte aber eine vorbeugende Selbstverteidigung an die berühmt gewordene Webster-Formel.333 Der damalige Staatssekretär der 328
Ibid. Hyde, International law chiefly as interpreted and applied by the United States, Bd. I, 2. Aufl. (1947), S. 244 Fn. 21. 330 Dieser Anspruch wurde aber von Mexiko scharf zurückgewiesen. Siehe zu diesem Fall Hackworth, Digest of International Law, Bd. II, Kap. VI–VIII, 1941, S. 293. 331 Für eine ausführliche Darstellung des Falls siehe Jennings, AJIL 32 (1938), S. 82 ff.; außerdem Harris, Cases and Materials on International Law, 7. Aufl. (2010), S. 746–747. 332 Der britische Botschafter führte in einem Brief an die amerikanische Regierung am 6. Februar 1838 aus: „The piratical character of the steamboat Caroline and the necessity of self-defence and self-preservation, under which Her Majesty’s subject acted in destroying that vessel, would seem to be sufficiently established.“ zitiert bei Jennings, AJIL 32 (1938), S. 85. 333 Shaw, International Law, 6. Aufl. (2008), S. 1131; allgemein zur Webster-Formel siehe auch Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 274 ff. 329
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USA, Daniel Webster, hatte in seiner Korrespondenz mit der britischen Seite postuliert, dass bei vorbeugender Selbstverteidigung „a necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation“ gegeben sein müsste.334 Dies wurde nicht nur von der damaligen britischen Regierung anerkannt, sondern mittlerweile als der klassische Fall („fons et origo“) 335 für Selbstverteidigungsmaßnahmen vom IGH gewertet.336 (3) Schlussfolgerung Diese Fälle der frühen Staatenpraxis zeigen, dass die jeweiligen Konfliktparteien die Befugnis zu Selbstverteidigungsmaßnahmen gegenüber grenzüberschreitenden privaten Angriffen ohne staatliche Zurechenbarkeit als gegeben erachteten. Nichtstaatliche grenzüberschreitende Gewalt wurde damals durchaus unter dem Anwendungsbereich des Selbstverteidigungsrechts subsumiert. Da es sich bei diesen Maßnahmen um den Schutz der Zivilbevölkerung des jeweiligen Opferstaates handelte, lässt dies Rückschlüsse auf das Schutzprinzip des Selbstverteidigungsrechts zu. Bemerkenswert ist aber auch, dass damals die bis heute gültigen engen Grenzen des Selbstverteidigungsrechts – das Verhältnismäßigkeitsprinzip und die Notwendigkeit der Maßnahmen – konturiert wurden. bb) Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 Da die Satzung des Völkerbundes den Krieg zwar ächtete, aber tatsächlich nur prozedurale Beschränkungen enthielt, ist vor Inkrafttreten der UN-Charta die wichtigste Etappe auf dem Weg hin zu einem universellen Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen der Briand-Kellogg-Pakt337 vom 17. August 1928.338 Insofern muss die historische Ausformung des Selbstverteidigungsrechts auch in dessem Lichte analysiert werden. 334 Das Gesamtzitat ist abgedruckt bei Jennings, AJIL 32 (1938), S. 89 und bei Harris, Cases and Materials on International Law, 7. Aufl. (2010), S. 747. 335 Greenwood, Current Legal Problems 56 (2003), S. 517; Bruha/Tams, in: FS Delbrück (2005), S. 94. 336 Der IGH bekräftigte die Gültigkeit der Prinzipien Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit im Nicaragua-Fall (ICJ Reports (1986), S. 94, para. 176) und in seinem Gutachten zu Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (ICJ Reports (1996), S. 245 para. 41. Siehe auch Arend/Beck, International Law and the Use of Force, 1993, S. 72. 337 General Treaty for Renunciation of War as an Instrument of National Policy (Kellog-Briand Pact of Paris), League of Nations Treaty Series 94 (1928), S. 57; Allgemein zum Briand-Kellogg-Pakt siehe Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 85–7; Roscher, Der Briand-Kellogg-Pakt von 1928, S. 2004; Alexandrov, Self-Defense against the Use of Force in International Law, 1996, S. 51 ff. 338 Siehe zu seiner quasi-universellen Geltung des Vertrages und der Entwicklung des darin formulierten Gewaltverbots zu Völkergewohnheitsrecht Brownlie, International Law and the Use of Force, 1963, S. 75 und 115.
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Die Art. I und II des Briand-Kellogg-Pakts erklärten den aus nationalen Interessen geführten Angriffskrieg für völkerrechtswidrig. Davon ausgenommen blieb das Recht auf Selbstverteidigung und die Teilnahme an Sanktionen des Völkerbundes. Der amerikanische Entwurf, der in dieser Fassung von den Vertragsparteien ratifiziert wurde, enthielt im Gegensatz zu einem französischen Entwurf kein Recht auf Selbstverteidigung innerhalb der bestehenden Verträge.339 Grenzüberschreitende Maßnahmen gegen Angriffe Privater könnten rechtmäßig sein, wenn man davon ausgeht, dass der Pakt nur den Krieg als solchen ächtete. Maßnahmen short of war, unter die man grenzüberschreitende Verteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche Akteure subsumieren könnte, wären damit weiterhin zulässig.340 Da aber Art. II regelt, dass „alle Streitigkeiten oder Konflikte, die zwischen ihnen entstehen könnten, welcher Art oder welchen Ursprungs sie auch sein mögen“, ohne Gewalteinsatz geklärt werden sollen, ist davon auszugehen, dass die Verfasser des Paktes tatsächlich ein umfassendes Gewaltverbot im Sinn hatten.341 Die US-amerikanische Regierung legte einen Vorbehalt zum Briand-KelloggPakt ein, um sich ein generelles Recht auf Selbstverteidigungsmaßnahmen offenzuhalten.342 In der amerikanischen Note vom 23. Juni 1928 an die Vertragspartner heißt es: „Every nation is free at all times and regardless of treaty provisions to defend its territory from attack and invasion and it alone is competent to decide whether circumstances require recourse to war in self-defence.“ 343 Die ehemalige Tschechoslowakei folgte inhaltlich dem amerikanischen Vorbehalt. In 339
Brownlie, International Law and the Use of Force, 1963, S. 81. Für eine ausführliche Abwägung in dieser Hinsicht siehe Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 224 f. 341 Brownlie kommt nach einer umfassenden Analyse zu dem Schluss, dass jegliche Anwendung bewaffneter Gewalt durch Art. II des Paktes verboten wurde. Brownlie, International Law and the Use of Fore, 1963, S. 86; derselben Meinung auch Wright, The Meaning of the Pact of Paris, 27 AJIL (1933), S. 51 ff.; anderer Auffassung allerdings Dinstein, der schon in Bezug auf Art. I daraufhin weist, dass nur Kriege als Mittel nationaler Politik, nicht aber als Form internationaler Politik unter der Ägide des Völkerbundes oder aus ideologischen und religiösen Gründen durch den Pakt untersagt wurden. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 86. Genoni argumentiert, dass nur Krieg im rechtlich-technischen Sinne verboten war. Genoni, Notwehr im Völkerrecht, 1987, S. 71. 342 Genoni weist daraufhin, dass diesbezügliche Stellungnahmen verschiedener Vertragsparteien gerade den Schluss nahe legen, dass durch den Pakt das Selbstverteidigungsrecht nicht beiseite geschafft werden sollte, ist es doch eine logische Konsequenz aus dem Kriegsverbot. Genoni, Notwehr im Völkerrecht, 1987, S. 72. 343 Text der amerikanischen Note abgedruckt in RGDIP 35 (1928), S. 667; die darauf Bezug nehmende französische Note ebd. 683; bzw. AJIL 22 (1928), Supplement, S. 109–13, Antworten in AJIL 23 (1928), Supplement, S. 1–13; siehe auch Brownlie, International Law and the Use of Force, 1963, S. 236; Genoni, Notwehr im Völkerrecht, 1987, S. 73. 340
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einer Note vom 20. Juli 1928 bekräftigte die Tschechoslowakei, dass jedem Staat frei gestellt sei, sich gegen Angriffe und fremde Invasionen zu schützen.“ 344 Das Recht auf Selbstverteidigung wird damit als Wesensmerkmal des souveränen Staates gesehen.345 Da die USA in der Vergangenheit Angriffe Privater durchaus unter den Begriff „attack“ subsumierten und die anderen Vertragsparteien keine Einsprüche zu diesem Vorbehalt geltend machten, sondern wie die tschechoslowakische Note zeigt, vielmehr Zuspruch signalisierten, ist davon auszugehen, dass der Pakt ein Recht auf grenzüberschreitende Verteidigungsmaßnahmen gegen Gewaltakte Privater nicht begrenzen sollte.346 Mit dem Briand-Kellogg-Pakt formte sich zwar im Völkervertragsrecht der Begriff des Angriffs als Tatbestandserfordernis aus. Aber auch hier ist den Noten zum Pakt keine Begrenzung auf staatliche Angriffe zu entnehmen. Infolgedessen sprechen nicht wenige Gründe dafür, dass die rechtliche Konturierung des Selbstverteidigungsrechts bis hin zur Gründung der Vereinten Nationen entlang einer extensiven Auslegung verlief, welche ein Recht zu grenzüberschreitenden Gewalthandlungen gegen private Handlungen umfasste. cc) Die Vorarbeiten zur UN-Charta Im Washingtoner Vorort Dumbarton Oaks berieten im Herbst 1944 die Siegermächte einen Satzungsentwurf für die Vereinten Nationen. Im Verlauf mehrerer Treffen einigten sich die Teilnehmer auf die wichtigsten Ziele, Struktur und Funktionsweise der künftigen Weltfriedensorganisation. Diese Vorschläge wurden schließlich auf der Konferenz von San Francisco am 25. April 1944 in die Charta aufgenommen. Das Recht auf Selbstverteidigung war ursprünglich nicht in den Dumbarton Oaks-Entwürfen enthalten.347 Als die chinesische Delegation während der Debatte über die zukünftigen Kompetenzen des Sicherheitsrats die Sprache auf das 344
Siehe hierfür Brownlie, International Law and the Use of Force, 1963, S. 237. Zur Bedeutung des Selbstverteidigungsrechts für die völkerrechtliche Ordnung durch seine Nähe zur staatlichen Souveränität siehe Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 330; Rostow, AJIL 85 (1991), S. 510; Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrats (1996), S. 56; kritisch dagegen Dinstein, der daran erinnert, dass Souveränität immer im Lichte der aktuellen internationalen Entwicklungen und Interpretationen gesehen werden muss. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 192. 346 Zu demselben Ergebnis gelangen Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 227 f., und Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 90. 347 United States Department of State/Foreign Relations of the United States Diplomatic Papers, 1944 (Proposals for the Establishment of a General International Organization), Vol. I, S. 890–900; Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 48 f.; Zanardi, La Legittima Difesa nel Diritto Internazional, 1972, S. 193 f.; Alexandrov, Self-Defense against the Use of Force in International Law, 1996, S. 77 ff. 345
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Selbstverteidigungsrecht brachte, wurde ihr in den chinesisch-amerikanischen Verhandlungen versichert, dass das Selbstverteidigungsrecht weiterhin die einzige Ausnahme der unilateralen Gewaltanwendung zum Gewaltverbot bleiben würde.348 Ein Recht auf Selbstverteidigung war der Ansicht der beiden Delegationen nach bereits im Souveränitätsprinzip immanent enthalten.349 Ursprünglich standen große Teile der US-Delegation einer expliziten Nennung des Selbstverteidigungsrechts in der Charta skeptisch gegenüber, da sie einerseits Schwierigkeiten bei der Einigung auf eine allgemein akzeptierte Definition und andererseits eine Einengung des Selbstverteidigungsrechts befürchteten.350 Das Verhältnis des Rechts auf Selbstverteidigung zum geplanten System der kollektiven Sicherheit wurde in Zusammenhang zu den Regelungen zu den Regionalorganisationen wieder aufgegriffen. Die lateinamerikanischen Staaten sahen ihr regionales Sicherheitsbündnis (Akt von Chapultepec)351 durch den Entwurf zur UN-Charta gefährdet.352 Die US-Delegation wollte im Sinne der Monroe-Doktrin dem Wunsch der lateinamerikanischen Staaten entsprechen, dass ihr Sicherheitsbündnis im Verteidigungsfall nicht vom Veto der anderen ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats abhängig wäre.353 Insofern fand das Recht auf Selbstverteidigung aus Gründen, die in den Debatten nur als „the regional problem“ firmierten, seinen Weg in die Charta. Auch andere Staatengruppen wie Ozeanien und die arabischen Staaten waren daran interessiert, dass die Vereinten Nationen eine substantielle regionale Autonomie anerkannten.354 Die Sowjetunion und das Vereinigte Königreich forderten für ihre verschiedenen europäischen Allianzen ausdrückliche Autonomie vom Sicherheitsrat, um unmittel348 „Dr. Koo asked whether it would be possible under the document for either member or not-member states to use force unilaterally under the claim that such action was not inconsistent with the purposes of the Organisation. He seemed satisfied with the explanation that, except in cases in self-defence, no unilateral use of force could be taken without approval to the Council. In this connection Mr. Victor Koo, Vice-Minister of Foreign Affairs, desired explicit assurance that use of force in cases of self-defence would not be regarded as inconsistent with the purposes of the Organization.“ United States Department of State/Foreign Relations of the United States Diplomatic Papers (1944), Vol. I, S. 862. Siehe hierzu auch Alexandrov, Self-Defense Against the Use of Force in International Law, 1993, S. 79; Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 49; Russell, A History of the United Nations Charter: The Role of the United States 1940–1945, 1958, S. 696. 349 Alexandrov, Self-Defense Against the Use of Force in International Law, 1993, S. 79. 350 Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 676. 351 Act of Chapultepec vom 03.03.1945, Text abgedruckt in AJIL 39 (1945), Supplement, S. 108 ff. 352 Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 49. 353 Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 50; vgl. auch United States Department of State/Foreign Relations of the United States Diplomatic Papers, 1945. General: the United Nations (1945), Bd. 1, S. 591. 354 Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 680.
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bar auf befüchtete neuerliche deutsche Bedrohungen reagieren zu können.355 Die unterschiedlichen regionalen Interessen überwogen die Einwände gegen ein kodifiziertes Selbstverteidigungsrecht. Da der französische Vorschlag356 vor allem von den Briten favorisiert wurde, arbeitete die US-Delegation aus politisch-diplomatischen Gründen daran, den französischen Vorschlag gemeinsam mit der britischen Delegation umzuformulieren, anstelle weiterhin zu versuchen, ihn durch einen restriktiveren Vorschlag zu ersetzen.357 Auch wenn die ersten französischen Versionen der US-Delegation zu vage erschienen und den Staaten übermäßige Handlungsfreiheit ermöglicht hätten, fiel letzten Endes das Staatlichkeitserfordernis weg, das einst im US-amerikanischen Vorschlag enthalten war.358 Man sollte aber zurückhaltend gegenüber der Vermutung sein, dass die französischen und britischen Delegationen damals schon bewusst nichtstaatliche Angriffe unter das Selbstverteidigungsrecht subsumieren wollten.359 Für diese These finden sich in den Protokollen keine Anhaltspunkte. Andererseits lässt die Tatsache, dass das Staatlichkeitserfordernis den Entwurfsprozess nicht überlebt hat bzw. sich die USA nicht stärker für diesen Passus aus ihrem Entwurf eingesetzt haben, mehrere Folgerungen zu. Entweder war den Delegationen – beispielsweise mangels Vorstellungskraft oder Weitsicht – nicht bewusst, dass sie damit die Möglichkeit einer Subsumtion nichtstaatlicher Angriffe unter diesen Paragraphen riskierten oder sie wollten die Charta wegen ihres Verfassungscharakters soweit wie möglich für Interpretationen der Mitgliedsstaaten und vor allem des Sicherheitsrates im konkreten Einzelfall öffnen. Betrachtet man den Verhandlungsverlauf und analysiert die verschiedenen Entwürfe für Art. 51 UN-Charta, zeigt sich, dass es den Delegationen um einen schlanken, möglichst umkomplizierten Text ging, der das Element kollektiver Selbstverteidigung aufgriff und gleichzeitig dem Sicherheitsrat als Hüter des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gegenüber den Mitgliedsstaaten eine starke Stellung zubilligte. Das Selbstverteidigungsrecht sollte damit provisorischen Charakter haben, bis der Sicherheitsrat selbst die notwendigen Maßnah-
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Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 686. Der ursprüngliche französische Vorschlag lautete: „Should the Council not succeed in reaching a decision, the members of the Organization reserve to themselves the right to act as they may consider necessary in the interest of peace, right, and justice“. Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 693. 357 Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 52; Schmidl, The Changing Nature of Self-Defence in International Law, 2009, S. 35; Alexandrov, SelfDefense against the Use of Force in International Law, 1993, S. 87. 358 Murphy, AJIL 99 (2005), S. 70; Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 700. 359 Dagegen Stahn: „This choice of words clearly suggests that the drafters of the Charter intended to cover all modes of attack as long as it was armed“. Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 830; ebenso Higgins, The development of international law through the political organs of the United Nations, 1963, S. 200–204. 356
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men einleitet. Insofern spielte die Staatlichkeit des bewaffneten Angriffs keine entscheidende Rolle. dd) Schlussfolgerung Mithilfe der historischen Auslegung ergibt sich ebenfalls, dass das Staatlichkeitserfordernis für die Bewertung eines „bewaffneten Angriffs“ im Sinne des Art. 51 UN-Charta nicht zwingend ist. Die Analyse der Vorarbeiten zur UNCharta zeigt, dass die Gründungsväter eine extensive Auslegung des Art. 51 nicht ausschlossen. e) Zusammenfassung hinsichtlich des Staatlichkeitserfordernisses Die Textauslegung ergab, dass die Staatlichkeit eines Angriffs keine Voraussetzung ist, um diesen als bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta zu qualifizieren. Insofern ist eine Subsumtion nichtstaatlicher Angriffe unter das Tatbestandsmerkmal des bewaffneten Angriffs möglich. Trotz dieser relativen Offenheit des Art. 51 UN-Charta bezieht der IGH bisher eine sehr restriktive Position und fordert eine staatliche Zurechnung über die „effective control“-Regel. Mit dieser Rechtsauffassung steht der IGH im Widerspruch zur Staatenpraxis, die durchaus terroristische, nichtstaatliche Gewaltanwendungen als bewaffneten Angriff bewertete, der Selbstverteidigungsmaßnahmen legitimierte. Die Frage, wie auf einen bewaffneten Angriff reagiert werden darf und in welchem Umfang der Aufenthaltsstaat Selbstverteidigungsmaßnahmen auf seinem Territorium zu dulden hat, muss dagegen im Rahmen der Rechtsfolgenseite geklärt werden. 3. Auslegung des Merkmals „bewaffnet“ im Zusammenhang mit terroristischen Angriffen Gemäß Art. 51 UN-Charta muss ein Angriff „bewaffnet“ sein, um die Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Bei der Bestimmung, ob terroristische Angriffe als ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta einzustufen sind, könnte sich das Merkmal „bewaffnet“ als problematisch herausstellen. Terroristen sind oftmals nicht in dem Sinne militärisch bewaffnet wie eine klassische Armee. Sie pervertieren zivile Flugzeuge zu Waffen, verüben Sprengstoffanschläge oder Selbstmordattentate auf belebten Plätzen oder an gut besuchten Orten wie Moscheen, Discos, Cafés und bedienen sich in ihrer „Kriegsführung“ unkonventioneller Methoden. Wie der IGH in seinem Gutachten über „Nuclear Weapons“ feststellte, ist die Wahl der Waffen durch den angreifenden Staat für die Einstufung als „bewaff-
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neter Angriff“ unerheblich.360 Art. 51 UN-Charta erfordert nicht den Gebrauch bestimmter Waffen, sondern nur einen „bewaffneten Angriff“. Dies bedeutet, dass ein bewaffneter Angriff mit konventionellen wie unkonventionellen, primitiven und intelligenten Waffen ausgeführt werden kann.361 Terroristische Bewaffnung kann einer militärischen Bewaffnung gleichgesetzt werden, wenn sie in entsprechendem Maße als Gefahr für Menschen und Sachgüter verwendet wird. Ein voll betanktes Zivilflugzeug, das durch seine Entführung zweckentfremdet und absichtlich zum Absturz gebracht wird, kann einen vergleichbaren Schaden wie ein herkömmlicher Angriff mit konventionellen Waffen hervorrufen. Nach dem 11. September 2001 gaben die Art und das Ausmaß der Anschläge sowohl in den Äußerungen etlicher Staatenvertreter als auch in der Literatur den Ausschlag, um diese als „bewaffneten Angriff“ einzustufen.362 Ein Angriff von der Dimension des 11. September 2001 entspricht insofern nach allgemeiner Überzeugung einem Angriff im Sinne des Art. 51 der UNCharta.363 Auch ein gezielter Hacker-Angriff auf das Computernetz einer Regierung kann unter Umständen deren gesamte Verwaltung und zudem die Verteidigungsfähigkeit des Staates blockieren.364 Insofern wurde die Debatte hinsichtlich der Einstufung von Cyberangriffen als „bewaffnete Angriffe“ durch den Stuxnet-Wurm, der auf iranische Urananreicherungszentrifugen angesetzt war, oder durch den Hackerangriff auf den Server der estonischen Regierung angeheizt.365 Fehler bzw. Manipulation in der Betriebssteuerung von Wasserwerken oder Dämmen lassen bewohnte Gebiete überfluten und vermögen größeres Leid als punktuell 360 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, S. 244 para. 39. 361 „In other words, an armed attack can be carried out with conventional or unconventional, primitive or sophisticated, ordnance.“ Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 212. 362 Cassese, EJIL 12 (2001), S. 997; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 200; Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1416 Rn. 35. 363 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 200 f.; Tomuschat, EuGRZ 28 (2001), S. 540; Seidel, AVR 41 (2003), S. 459; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for national and international Law, 2004, S. 857; Ruffert, ZRP 2002, S. 247; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 72; Cassese, EJIL 12 (2001), S. 997; Schmalenbach, NZWehrr 2000, S. 181. 364 Koskenniemi, Iraq and the „Bush Doctrine“ of Pre-emptive Self-Defence, abrufbar unter http://www.crimesofwar.org/expert/bush-koskenniemi.html; Stahn, in: Walter/ Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), S. 857; Roscini, Max Planck UNYB 14 (2010), S. 85–130; Dittmar, Angriff auf Computernetzwerke, ius ad bellum und ius in bello, 2005; Ruys, Armed Attack and Art. 51 of the UN Charter, 2010, S. 176; Dinstein, Computer Network Attacks and Self-Defense, ILS 76 (2002), S. 99 ff. 365 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1419 Rn. 42; Waxman, YJIL 36 (2011), S. 423.
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eingesetzte militärische Angriffe zu verursachen.366 Bei der Bewertung eines Angriffs als „bewaffneter Angriff“ ist insofern entscheidend, ob nachhaltig in großem Ausmaß lebenswichtige Infrastruktur eines Staates zerstört wird, die nicht sofort wieder aufgebaut werden kann.367 Die Schwierigkeit wird hingegen in der raschen Identifizierung des Angreifers liegen, damit eine Reaktion des angegriffenen Staates noch notwendig und verhältnismäßig ist.368 4. Prüfung hinsichtlich des Intensitätserfordernisses Terroristische Angriffe nehmen oft sehr verschiedene Ausmaße an, so dass es fraglich ist, ob ein Bombenanschlag eines Einzeltäters schon als „bewaffneter Angriff“ zu bezeichnen ist. a) Grammatikalische Auslegung Dem Begriff „bewaffneter Angriff“ ist semantisch keine Begrenzung auf eine Intensität des Angriffs zu entnehmen.369 Vorstellbar zur Eingrenzung wären Formulierungen in der Charta wie „schwerer bewaffneter Angriff“ oder „bewaffneter Angriff mit hinreichender Intensität“ gewesen. Demnach könnte durchaus ein Einzeltäter einen bewaffneten Angriff im Sinne der UN-Charta verüben. Nach dem herkömmlichen Verständnis bezeichnet ein Angriff ein militärisches Vorgehen einer Truppe gegen einen Gegner, der aber auch ein demilitarisierter Staat sein kann.370 Dies erfordert eine gewisse Anzahl an Personen wie auch ein Mindestmaß an militärischer Interaktion und geht damit nach ursprünglichem Sprachgebrauch über die bloße „Gewaltanwendung“ hinaus. Dies lässt wiederum auf ein Intensitätserfordernis schließen.371 Ein terroristischer Anschlag durch einen Attentäter, bei dem eine kleine Zahl an Personen verletzt oder lediglich geringer Sachschaden entsteht, würde nicht einen bewaffneten Angriff darstellen. Insofern ist die Wortauslegung nicht eindeutig, wie intensiv der Angriff geartet sein muss, um unter das Tatbestandsmerkmal des Art. 51 UN-Charta zu fallen. 366 Dinstein, Computer Network Attacks and Self-Defense, ILS 76 (2002), S. 99 ff.; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 212. 367 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1419 Rn. 43. 368 Ibid., S. 1420 Rn. 44. 369 Hargrove, The Nicaragua Judgment and the Future of the Law of Force and SelfDefense, AJIL 81 (1987), S. 139: „(Art. 51) in no way limits itself to especially large, direct or important armed attacks“; siehe auch Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 188. 370 Vogel (Hrsg.), Der Brockhaus, Bd. 1 (2008), S. 181. 371 Ein gewisses Maß an Intensität setzen voraus: Bruha, AVR 40 (2002), S. 407; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 199; Schmitt, IYHR 32 (2002), S. 109; Stahn, in: Walter/ Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge to national and international law, 2004, S. 859 ff.; Tietje/Nowrot, NZWehrr 2001, S. 8.
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b) Systematische Auslegung Aus der gewählten Formulierung, dass auf einen bewaffneten Angriff, nicht jedoch auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt (analog zu dem Gewaltverbot aus Art. 2 (4) UN-Charta) mit Selbstverteidigung reagiert werden darf, könnte man schließen, dass ein gewisser Grad an Intensität erreicht werden muss. In der Literatur wird die These vertreten, dass durch die unterschiedlichen Begriffe in den Art. 2 (4), Art. 39 und Art. 51 UN-Charta differenzierte Stufen der Gewaltanwendung gemeint sein könnten.372 Dieser Interpretation zufolge dürfte auf Gewaltanwendungen, die für einen bewaffneten Angriff nicht hinreichend intensiv sind, nicht mit Selbstverteidigungsmaßnahmen reagiert werden. Dies hätte eine Lücke zwischen Art. 2 (4) und Art. 51 UN-Charta zur Folge.373 Vereinzelt wird zur Lösung dieses Dilemmas deswegen die Befugnis für „leichte“ Gegengewalt bejaht. Diese „leichte“ Gegengewalt würde dieser Argumentation entsprechend nicht unter das Gewaltverbot aus Art. 2 (4) UN-Charta fallen.374 Da das Gewaltverbot von den Gründungsvätern der Vereinten Nationen als absolute und umfassende Norm konzipiert wurde,375 widerspricht es jedoch dem Gedanken der Charta, hier Ausnahmen für wie auch immer geartete „leichte“ Gewalt zu formulieren. Vielmehr sollte das Gewaltverbot weit ausgelegt werden und gleichzeitig die Ausnahmen wie das Selbstverteidigungsrecht eng gefasst werden. Auch wenn die systematische Auslegung die Vermutung nahe legen könnte, dass eine gewisse Intensität erforderlich ist, erscheint es nicht angezeigt, verschiedene Schwellen von Gewalt zwischen Art. 2(4) und Art. 51 UN-Charta einzuziehen. Selbstverteidigungsmaßnahmen dürfen nur verhältnismäßig zur Schwere des Angriffs ausgeführt werden. Eine über diese gewohnheitsrechtliche Beschränkung hinausgehende Regelung hinsichtlich der Aussetzung der Reziprozität in Fällen „leichter“ Gewalt ist explizit in der Charta nicht zu finden.376 c) Teleologische Auslegung Wie in der systematischen Auslegung herausgearbeitet, könnte eine Spanne zwischen Art. 2 (4) und Art. 51 UN-Charta bestehen. Die Lücke könnte im
372 Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 266 f. 373 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1402 Rn. 7. 374 Dahm, Jahrbuch für Internationales Recht 11 (1962), S. 56; Wengler, Gewaltverbot, 1967, S. 13; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984), S. 290 (§ 472). 375 Randelzhofer/Dörr, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 1. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 208 Rn. 14; Murphy, Harv. Int’l L. J. 43 (2002), S. 42. 376 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 190.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
Sinne der Verfasser der Charta sein, deren Maxime war, den Frieden zu wahren. Insofern wird von Verfechtern des Intensitätserfordernisses vorgebracht, dass bei der Berechtigung von Selbstverteidigung gegen jede geringfügige Gewaltanwendung die Gefahr kontinuierlicher militärischer Auseinandersetzungen bestünde, was die zwischenstaatlichen Beziehungen belasten würde und den Weltfrieden bedrohen könnte.377 Diese Spanne zwischen Gewaltverbot und bewaffnetem Angriff dürfte, sofern es eine gibt, jedoch nicht signifikant ausfallen.378 Ansonsten wäre der effektive Schutz gegenüber Staaten relativ gering, die das Gewaltverbot zwar verletzen, deren Aktionen aber noch nicht hinreichend intensiv sind, um als bewaffneter Angriff zu gelten.379 Um einer Militarisierung der Verbrechensbekämpfung vorzubeugen, sollte sich das Intensitätserfordernis an Kriterien wie der Dauer des Angriffs und dem Ausmaß des angerichteten Schadens infolge des Terroranschlags bemessen.380 Allerdings fehlen objektive Bewertungskriterien, wann die Schwelle des Intensitätserfordernisses erreicht ist.381 Charakteristisch für terroristisches Vorgehen sind meist punktuelle, in sich abgeschlossene Gewaltanwendungen wie Sprengstoffanschläge vor Cafés, auf belebten Plätzen, Märkten oder an anderen Orten des öffentlichen Lebens. Der IGH begrenzte im Nicaragua-Fall382 den Begriff des „bewaffneten Angriffs“ auf schwere Gewaltanwendung,383 wodurch so genannte low intensity conflicts dem Anwendungsbereich des Art. 51 UN-Charta entzogen werden sollten.384 Es müsste also nicht nur ein kleiner Grenzzwischenfall vorliegen, sondern ein Gewaltakt von einem gewissen Ausmaß. Der IGH stützte sich bei der Einordnung von Gewaltanwendung als bewaffneten Angriff auf die Friendly Relations Decla377 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 860; Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 267. 378 Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 208. 379 Randelzhofer, in: Randelzhofer/Nolte, in Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1402 Rn. 8. 380 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 860; Arend/Beck, International Law and the Use of Force, 1993, S. 217. 381 Dies könnte zu einer Rechtsunsicherheit der Staaten führen, siehe Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 1087. Befürworter des Intensitätskriteriums halten entgegen, dass dieser Rechtsunsicherheit durch hinreichend konkrete Kriterien und einer zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung begegnet werden könnte. In diese Richtung argumentierend Wandscher, die jedoch nicht näher ausführt, wie konkret sie diese Kriterien aufstellen würde. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 268. 382 Siehe oben unter B. II. 3. 383 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 103, para. 195. 384 Ibid, S. 101 para 191. „(The ICJ) found it necessary to distinguish the most grave forms of the use of force (those constituting an armed attack) from other less grave forms.“
II. Selbstverteidigung gegen Angriffe durch Private nach Art. 51 UN-Charta
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ration385 und die Aggressionsdefinition.386 IGH-Richter Schwebel kritisierte in seiner sehr umfangreichen Dissenting Opinion u. a. die Differenzierung zwischen unterschiedlich schweren Gewaltanwendungen.387 Außerdem erinnerte er richtigerweise daran, dass beide Parteien sich immerhin in diesem Punkt einig waren – dem Vorliegen eines bewaffneten Angriffs.388 Sieht man in einem singulären terroristischen Akt wie dem Selbstmordattentat eines Einzeltäters wegen mangelnder Intensität noch keinen „bewaffneten Angriff“, stellt sich im Hinblick auf ein Intensitätserfordernis die Frage, ob die Summe mehrerer kleinerer Anschläge Selbstverteidigungsmaßnahmen im Sinne des Art. 51 UN-Charta rechtfertigen.389 Die von dieser Nadelstich- bzw. „hit and run“-Taktik390 betroffenen Staaten haben sich bei ihren militärischen Gegenschlägen auf die umstrittene „accumulation of events“-Doktrin391 berufen. Eine anhaltende Terrorisierung eines Staates durch die Aufsplitterung des Angriffs in mehrere Einzelakte, die koordiniert und zielorientiert einem übergeordneten Zusammenhang folgen, kann von der Gesamtwirkung auf die Bevölkerung und öffentliche Ordnung genauso verheerend wirken wie ein schwerer, aber „kurzer“ Angriff. Im Rahmen der juristischen Auseinandersetzung im sog. Oil Platform Case392 prüfte der IGH unter anderem, ob eine Reihe kleinerer Angriffe kumulativ zu einem bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta addiert werden können.393 Obwohl der Tatbestand eines terroristischen Angriffs im Oil Platforms 385
Ibid. Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 103, para 195. 387 Ibid, S. 340 para. 161 ff. 388 Ibid, S. 340 para. 160. 389 Für diejenigen in der Völkerrechtslehre, die in jedem einzelnen Gewaltakt für sich genommen bereits einen bewaffneten Angriff sehen, stellt die „accumulation of events“-Doktrin keine rechtsdogmatische Herausforderung dar. Erfolgen die Gewaltakte in einem hinreichend engen zeitlichen Intervall, kommt der fortgesetzte Angriff ihrer Ansicht nach einem „Quasi-Kriegszustand“ gleich. Hailbronner, BDGV 26 (1986), S. 84. 390 Schmalenbach, NZWehrr 2000, S. 181. 391 Schindler, BDGV 26 (1986), S. 36; Bowett, AJIL 66 (1972), S. 5 f. 392 Allgemein zu diesem Fall siehe Small, The Law and Practice of International Courts and Tribunals 3 (2004), S. 113–124. Crook, AJIL 98 (2004), S. 309–317; Laursen, Nordic Journal of International Law 73 (2004), S. 135–160. 393 Im vorliegenden Fall: „(apart from the launching ot the missile that hit the U.S.flagged vessel, Sea Isle City) the mining of the United States-flagged Bridgeton on 24 July 1987; the mining of the United States-owned Texaco Caribbean on 10 August 1987; and firing on United States navy helicopters by Iranian gunboats, and from the Reshadat oil platform, on 8 October 1987.“ Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 191 para. 63. 386
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
Case nicht vorlag, erörterte der IGH das Selbstverteidigungsrecht und deren aktuelle Anwendung durch die USA mittels eines obiter dictum.394 Die Motivation des Gerichtshofs zur „Rechtspolitik“ wurde durch Richter Simma in seiner Separate Opinion auch betont.395 In seinem Urteil vom 6. November 2003396 wiederholte der IGH seine Rechtsauffassung aus dem Nicaragua-Urteil, als er feststellte, dass im vorliegenden Fall die Angriffe gegen US-Handelsschiffe und Kriegsschiffe nicht die notwendige Intensität aufwiesen, um den Voraussetzungen des Art. 51 UN-Charta zu genügen.397 Der Gerichtshof schloss jedoch nicht die Möglichkeit aus, dass generell ein Minenangriff auf ein einzelnes Schiff das Recht auf Selbstverteidigung begründen könnte.398 Richter Simma ging in seiner Separate Opinion zum Oil Platforms Case dagegen unter Verweis auf das Nicaragua-Urteil des IGH explizit auf diese Möglichkeit der gewaltsamen Gegenwehr gegen Angriffe, die den Tatbestand des bewaffneten Angriffs aus Art. 51 UNCharta nicht erfüllen, ein.399 Im Unterschied zu regulären Selbstverteidigungsmaßnahmen dürfte der von leichter Gewalt betroffene Staat sich nur individuell und nicht kollektiv verteidigen.400 Staaten, die von minder schweren Angriffen betroffen sind, könnte somit die Möglichkeit zur leichten, gewaltsamen Gegenwehr offen stehen. Andernfalls würde bei zu hohen Anforderungen an die Intensität des „bewaffneten Angriffs“ eine Lücke zwischen Art. 2(4) und Art. 51 UN-
394 Da hier nicht ausführlicher auf die Vorgehensweise des IGH eingegangen werden kann, wird stellvertretend auf die Separate Opinions der Richter Buergenthal (S. 113 para. 3) und Higgins (S. 70 para. 9 ff.) verwiesen, die das Urteil wegen Verletzung der non ultra petita Regel kritisierten. 395 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, Separate Opinion, Judge Simma, S. 168. Richter Simma hieß es gut „(. . .) that the Court has taken the opportunity, offered by United States reliance on Article XX of the 1955 Treaty, to state its view on the legal limits on the use of force at a moment when these limits find themselves under the greatest stress.“ 396 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 161 ff. 397 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 161 para. 64. 398 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 161 para. 72. 399 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 161, Separate Opinion von Richter Simma, S. 331 para. 12 f. 400 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 161, Separate Opinion von Richter Simma, S. 333 para. 13. Der IGH hatte bereits in seinen Ausführungen zum Nicaragua-Urteil daraufhin gewiesen, dass es bei Gegenmaßnahmen unterhalb der Schwelle von regulären Selbstverteidigungsmaßnahmen keine Analogie zur kollektiven Selbstverteidigung gäbe. (Siehe Nicaragua-Urteil, S. 110 para. 211 und S. 127 para. 249.) Dies wurde von Franck, AJIL 81 (1987), S. 120, kritisiert.
II. Selbstverteidigung gegen Angriffe durch Private nach Art. 51 UN-Charta
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Charta verbleiben.401 Die Wahl der Gegenmaßnahmen müsste jedoch nach dem Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfolgen. Bereits Richter Jennings wies in seiner Dissenting Opinion zum Nicaragua-Urteil auf die Gefahr hin, wenn zwischen dem umfassenden Gewaltverbot und dem Selbstverteidigungsrecht eine Lücke entstehen könnte: „(I)t seems dangerous to define unnecessarily strictly the conditions for lawful self-defence, so as to leave a large area where both a forcible response to force is forbidden, and yet the United States employement of force, which was intended to fill the gap, is absent.“ 402 Bei der Beurteilung einer solchen Serie als „bewaffneter Angriff“ sollte dementsprechend entscheidend sein, ob die Angriffe in einem engen zeitlichen Zusammenhang zueinander stehen, ein Muster erkennbar ist und daher die Annahme zulassen, dass sie zielgerichtet aus derselben Quelle stammen und nicht nur sporadisch auftreten.403 Liegen diese Merkmale vor, sollte es zulässig sein, diese seriellen Anschläge kumulativ als bewaffneten Angriff zu werten. Würde man dem betroffenen Staat den Rückgriff auf Selbstverteidigungsmaßnahmen verwehren, wäre er mangels effektiver Alternativen diesen zeitlich befristeten, aber wiederholt auftretenden Angriffen schutzlos ausgeliefert404, was dem Telos des Selbstverteidigungsrechts zuwider laufen würde. d) Historische Auslegung Zum Zeitpunkt der Entstehung der UN-Charta nahmen bewaffnete Angriffe zumeist kriegerische Ausmaße an, so dass diesen ein gewisses Maß an Intensität inhärent war. In der US-Delegation, die maßgeblich an der Formulierung des Art. 51 UN-Charta beteiligt war, gab es durchaus Überlegungen, ob bereits ein „Angriff“ oder erst ein „bewaffneter Angriff“ das Selbstverteidigungsrecht auslösen sollte. Einigen Teilnehmern erschienen beide Begriffe als zu vage, da bis dato keine feststehende Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes existierte.405 Zeitweilig sollte erst ein „bewaffneter Angriff “ zu Kollektivmaßnahmen 401 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, Separate Opinion von Richter Simma, S. 331 para. 12 f. 402 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 544. In Hinblick auf Terroranschläge in dieselbe Richtung argumentierend Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1415 Rn. 34; Taft, Yale Journal of International Law 29 (2004), S. 300. 403 Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 79. 404 Cassese, ICLQ 38 (1989), S. 596; Schindler, BDGV 26 (1986), S. 36; Blum, GYIL 19 (1976), S. 233 f.; Blumenwitz, BayVBl 1986, S. 739 f.; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 199 und S. 203. 405 Alexandrov, Self-Defence against the Use of Force in International Law, 1996, S. 97.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
berechtigen, wohingegen für individuelle Selbstverteidigung bereits ein „Angriff“ ausreichen sollte.406 Dennoch fand der Begriff „bewaffneter Angriff“ im Gegenzug zur Aggression Eingang in Art. 51 UN-Charta. Die Gründungsväter verzichteten auf eine Konkretisierung oder Eingrenzung wie „schwerer bewaffneter Angriff“ oder „schwere Gewaltanwendung“ und stellten absichtlich keine Mindestanforderungen an den Intensitätsgrad des bewaffneten Angriffs. Das Fehlen einer eigenen Definition des Begriffs „bewaffneter Angriff“ sollte den Staaten bis zum Eingreifen des Sicherheitsrats den Beurteilungsspielraum ermöglichen, selbst zu entscheiden, ob eine Situation, die Maßnahmen zur Selbstverteidigung rechtfertigt, vorliegt.407 Auf der Konferenz in San Francisco unterblieb also eine Festlegung des konkreten Inhalts des Begriffs „bewaffneter Angriff“.408 Das spricht für einen bewaffneten Angriff unabhängig von einem Intensitätserfordernis. e) Zusammenfassung zur Intensität des bewaffneten Angriffs Während die Textauslegung keine hinreichend konkrete Aussage zur Schwere der Intensität bietet, stellte der IGH ein „significant scale“-Erfordernis auf, welches er bis dato nicht abschwächte. Damit würde aber Staaten, die Opfer minderschwerer Gewalt geworden sind, die Möglichkeit zur militärischen Gegenwehr verwehrt werden. Wie Richter Simma im Oil Platform Case treffend ausführt, stellt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit jedoch das entsprechende Korrektiv dar, um auf unterschiedlich schwere Angriffe zu reagieren.409 Damit gebietet es sich in vielen Fällen sicherlich, von militärischer Gegenwehr Abstand zu nehmen. Letzten Endes muss jeder konkrete Angriff individuell betrachtet werden, in welchem Umfang Selbstverteidigungsmaßnahmen zulässig sind.
III. Das Ziel der Verteidigungsmaßnahmen (Rechtsfolge) Folgert man also aus Art. 51 UN-Charta, dass nicht unbedingt ein Staatlichkeitserfordernis als Tatbestand notwendig ist, um einen terroristischen Anschlag als bewaffneten Angriff zu klassifizieren, ergibt sich auf der Rechtsfolgenseite 406 Alexandrov, Self-Defence against the Use of Force in International Law, 1996, S. 97; Kearley, Wyoming Law Review 3 (2003), S. 693 f. 407 Kelsen, AJIL 42 (1948) S. 792; Alexandrov, Self-Defense against the Use of Force in International Law, 1996, S. 98; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 827. 408 Alexandrov, Self-Defense against the Use of Force in International Law, 1996, S. 96. 409 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, Separate Opinion von Richter Simma, S. 333 para. 13; siehe hierzu auch Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 75.
III. Das Ziel der Verteidigungsmaßnahmen (Rechtsfolge)
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die Frage, gegen wen die Selbstverteidigungsmaßnahmen nun gerichtet werden dürfen. Liegt ein bewaffneter Angriff seitens nichtstaatlicher Akteure vor, müsste dies den Opferstaat zunächst einmal zu bewaffneten Selbstverteidigungsmaßnahmen gegenüber dieser privaten Organisation ermächtigen.410 Allerdings würde der Anspruch auf Selbstverteidigungsmaßnahmen mit dem Anspruch des Aufenthaltsstaates der privaten Akteure auf Unverletzlichkeit seines Territoriums kollidieren. Ausgenommen davon bleiben lediglich Terrorangriffe Privater, die von hoheitsfreien Räumen aus erfolgen.411 1. Verteidigung gegen private Akteure unter gleichzeitiger Beeinträchtigung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates Wenn Verteidigungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaates der privaten Angreifer durchgeführt werden, stellt dies immer einen Eingriff in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates dar. Der Anspruch auf Selbstverteidigung des Opferstaates kollidiert mit der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates. Würde die Interessenskollision durch eine einseitige Vorrangentscheidung zugunsten des Rechts auf Selbstverteidigung des Opferstaates aufgelöst werden, müsste der Aufenthaltsstaat als möglicherweise unbeteiligter Dritter die Verletzung seiner territorialen Integrität dulden, da ihm selbst der bewaffnete Angriff nicht zugerechnet werden konnte. Die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates fiele als Kollateralschaden den Selbstverteidigungsmaßnahmen des angegriffenen Staates zum Opfer. Würde man hingegen eine einseitige Vorrangentscheidung zugunsten der territorialen Souveränität des Aufenthaltsstaats begründen, bliebe dem angegriffenen Staat sein Recht auf Abwehr und damit auf Ausübung seiner äußeren Souveränität verwehrt. Es wäre aber mit dem Telos des Art. 51 UN-Charta unvereinbar, stünde dem angegriffenen Staat keine Möglichkeit der Gegenwehr offen.412 Das in Art. 51 UN-Charta kodifizierte Selbstverteidigungsrecht wahrt die Schutzinteressen des angegriffenen Staates, bis der Sicherheitsrat der Bedrohung effizient begegnet. Daraus lässt sich ableiten, dass die widerstreitenden Interessen um die Wahrung der territorialen Integrität nicht einseitig zu Lasten des angegriffenen Staates aufgelöst werden dürfen, sondern eine Abwägung gefunden werden muss.
410
Bruha/Bortfeld, VN 2001, S. 166. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 241; in diese Richtung weisend auch Seidel, AVR 41 (2003), S. 469; Mégret, Kritische Justiz 35 (2002), S. 169; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 215. 412 Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 113. 411
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
a) Diskussion eines allgemeinen Abwägungsgebots Es ist umstritten, ob ein über die Abwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinausgehendes allgemeines völkerrechtliches Abwägungsgebot existiert413 und wie dies bei der Güterabwägung zwischen Schutz der territorialen Integrität und Selbsterhalt im Fall eines bewaffneten Angriffs durch nichtstaatliche Akteure angewandt werden kann. Hector, der ein ebensolches allgemeines Abwägungsgebot herleitet, überträgt die individualrechtliche Handlungsfreiheit und den Ausgleich praktischer Konkordanz aus dem Grundgesetz auf die völkerrechtliche Handlungsfreiheit der Staaten.414 Begrenzen wegen der zunehmenden globalen Interdependenz die Rechte eines Staates die völkerrechtliche Handlungsfreiheit des anderen Staates, bedarf es demnach eines allgemeinen Abwägungsgebots, um mit Hilfe dieser Schranken-Schranke festzustellen, welchem Recht der Vorrang zu geben ist.415 Würde ein Staat nicht oder nicht ausreichend von seinem Territorium ausgehende terroristische Gefahren eindämmen, würde die Abwägung zulasten der territorialen Integrität des unfähigen oder unwilligen Aufenthaltsstaates erfolgen.416 In Völkerrechtsgebieten wie beispielsweise im Umwelt- oder Exportkontrollrecht mag der Gedanke der praktischen Konkordanz der Souveränitäten greifen. Im hier zu behandelnden Fall der Verteidigung gegen nichtstaatliche Terrorangriffe scheint dies zwar nachvollziehbar, aber rechtlich doch zweifelhaft. Der unverletzliche Kern der Staatlichkeit, der einer Kompression der Souveränität immer standhalten muss, wird durch ausgebildete völkerrechtliche Instrumentarien wie Gewalt- und Interventionsverbot geschützt.417 So wird das Interventionsverbot als „logisches Korrelat zur Souveränität“ aufgefasst.418 Während ein allgemeines Abwägungsgebot bei sich widerstreitenden Souveränitätsansprüchen eine Einschränkung erlauben würde, schützen Gewalt- und Interventionsverbot die Souveränität vor bewussten oder schweren Eingriffen.419 Wie oben darge413 Bejahend Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, 1992, S. 133 ff., der sich dabei auf ein gewandeltes Souveränitätsverständnis stützt; verneinend aus unterschiedlichen Gründen hingegen Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, S. 80 f.; Löw, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht nach dem 11. September 2001, 2009, S. 168. 414 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, 1992, S. 133 ff., insbesondere S. 168. 415 Ibid. 416 So Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 864; Wedgwood, Yale J Int’l L 24 (1999), S. 565; Bruha/Bortfeld, VN 49 (2001), S. 166; lediglich Scholz nimmt kurz Bezug auf das Konzept von Hector. Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 104. 417 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, 1992, S. 163 Fn. 156. 418 Bryde, in: FS Schlochauer, 1981, S. 228. 419 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, 1992, S. 160 und 163.
III. Das Ziel der Verteidigungsmaßnahmen (Rechtsfolge)
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stellt, wird Art. 2 (4) UN-Charta teilweise so ausgelegt, dass Handlungen auf fremden Boden zulässig sind, so dass das Prinzip des „schonenden Souveränitätsausgleichs“ 420 auch bei einer Güterabwägung im Fall eines gewaltsamen Eingriffs in die territoriale Integrität eines anderen Staates herangezogen werden kann. b) Abwägung unter Zuhilfenahme des Neutralitätsrechts Bei der Abwägungsentscheidung im Rahmen des Art. 51 UN-Charta stellen einige Stimmen auf eine Analogie zu neutralitätsrechtlichen Grundsätzen ab.421 Das Neutralitätsprinzip hat den Zweck, Übergriffe von bewaffneten Konflikten auf Territorien unbeteiligter Dritter zu verhindern. Das V. Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten neutraler Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges422 und das XIII. Haager Abkommen von 1907 über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Seekrieg423 legen den Neutralen die Pflicht auf, sich in bewaffneten Auseinandersetzungen unparteiisch zu verhalten. Dies beinhaltet nach Art. 10 des V. Haager Abkommens auch die aktive Pflicht des Neutralen, seine Neutralität vor Verletzungen durch eine Konfliktpartei zu verteidigen. Duldet der Neutrale eine Kriegspartei auf seinem Territorium oder sogar dessen Nutzung als Ausgangspunkt für Angriffe, leistet der Neutrale Hilfestellung, was mit seiner Rechtsposition als Neutraler unvereinbar wäre. Nach Auffassungen in der Literatur würde bei einer Übertragung des Neutralitätsrechts auf terroristische Bedrohungen der Aufenthaltsstaat als „neutraler Dritter“ gegenüber der terroristischen Organisation und dem sich verteidigenden Staat angesehen werden. Ist ein Staat oder de facto Regime demzufolge nicht willens oder nicht in der Lage, terroristische Aktivitäten auf seinem Territorium zu unterbinden, kann er sich bei Selbstverteidigungsmaßnahmen des Opferstaates nicht auf seine territoriale Integrität und Neutralität berufen, sondern muss Angriffe gegen Stellungen der terroristischen Organisation auf seinem Territorium dulden.424 Allerdings darf der neutrale Staat selbst nicht zum Objekt dieser Selbstverteidigungsmaßnahmen werden.425 420
Kloepfer, DVBl. 99 (1984), S. 254. Krajewski, AVR 40 (2002), S. 198 und 203; Bruha, AVR 40 (2002), S. 408; Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 114 f.; bereits vor dem 11. September 2001 Schindler BDGV 26 (1986), S. 38; ebenso in diese Richtung weisend Bowett, Self-Defence in International Law, S. 56. Klar ablehnend allerdings Wandscher, da dies den Rechtscharakter des Selbstverteidigungsrechts als Notwehrrecht nicht berücksichtigen würde. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 244. 422 Abkommen vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 151. 423 Abkommen vom 18.10.1907, RGBl. 1910, S. 343. 424 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 203. 425 Bruha, AVR 40 (2002), S. 408. 421
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Analog zum klassischen Neutralitätsrecht würden sich anfangs unbeteiligte Dritte somit durch eigenes Zutun in die bewaffneten Auseinandersetzungen einbringen.426 Die zeitlich vorangegangene Verletzung der Neutralität, nicht die Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen des Opferstaates, beendet das Privileg der Neutralität.427 Dieser Argumentationsstrang verhilft somit dem Grundsatz der alleinigen Schwächung der Rechtsposition des Aufenthaltsstaates aufgrund eigenen Unrechtsverhaltens zur Geltung.428 Das UN-Friedenssicherungssystem lässt die Einnahme eines neutralen Status rechtlich zu, wenn zwischen dem neutralen und dem sanktionierten Staat keine Beziehung besteht, die durch die betreffende Sicherheitsratsresolution im Rahmen von Kapitel VII – z. B. durch Wirtschaftssanktionen – zu boykottieren wäre.429 Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Teilnahme an Sanktionen der Vereinten Nationen nicht im Widerspruch zu den Neutralitätspflichten steht, da es vielmehr die Pflicht ist, sich hinter die internationale Ordnungsmacht zu stellen.430 Gerade im Fall des internationalen Terrorismus hat der Sicherheitsrat mehrere bindende Resolutionen unter Kapitel VII der UN-Charta beschlossen, die darauf abzielen, Terrorismus zu kriminalisieren und sichere Rückzugsräume zu verhindern. So richtet sich Resolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 wegen ihres quasi-legislativen Charakters an alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen.431 Befinden sich terroristische Gruppierungen, die bewaffnete Anschläge auf andere Staaten ausgeführt haben oder noch ausüben, auf dem Territorium eines „neutralen“ Staates, ist die Neutralität des Aufenthaltsstaates nicht mehr mit der Mitwirkungspflicht aus Art. 43 und 48 UN426 Eine andere, allerdings nicht einleuchtende Argumentation verfolgt Köpfer, der die These aufwirft, dass der Neutrale erst durch die Duldung der Selbstverteidigungsmaßnahmen des Opferstaates diesem Hilfestellung leiste und dadurch seinen Status als neutrale Macht verlieren würde, weil infolgedessen sicherlich auch andere Kriegsparteien die Neutralität seines Territoriums missachten. Köpfer, Die Neutralität im Wandel der Erscheinungsformen militärischer Auseinandersetzungen, 1975, S. 137 ff.; ähnlich argumentiert auch Pieper, Neutralität von Staaten, 1997, S. 403 ff. 427 Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht und terroristische Gewalt, 2006, S. 116. 428 Dies missachtet Wandscher in ihrer Kritik an einer analogen Anwendung der Neutralitätsgedankens. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 244 f. 429 Schweisfurth, Völkerrecht, 2006, S. 427. 430 Reinisch/Novak, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 3. Aufl. (2012), Bd. 2, S. 1379; Kälin/Epiney, Völkerrecht. Eine Einführung, 2003, S. 206 f.; Schweisfurth, Völkerrecht, 2006, S. 427; Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. (2004), S. 274. 431 Ein Legislativakt zeichnet sich durch seine einseitig-verbindliche Form und den generell-allgemeinen Inhalt aus, der neue Normen schafft oder der bereits existierende Normen modifiziert. Da die Resolution 1373 (2001) diese Charakteristika aufweist, ist sie legislativ sowohl in Bezug auf Inhalt als auch auf ihre Wirkung hin. Alvarez, in: de Wet/Nollkaemper, Review of the Security Council by Member States, 2003, S. 121; Rosand, Fordham Int’l L. J. 28 (2005), S. 582; Dicke, VN 49 (2001), S. 163.
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Charta zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit vereinbar. Die Anti-Terrorismus-Resolutionen des Sicherheitsrats lassen folglich wenig Raum für neutralitätsgemäße Unparteilichkeit. Eine analoge Anwendung würde zudem die Anerkennung der terroristischen Organisation als Konfliktpartei erfordern. Auch wenn sie faktisch im sogenannten asymmetrischen Konflikt432 eine „Konfliktpartei“ ist, ist dies nicht gleichbedeutend mit deren Anerkennung als kriegsführende Partei im rechtlichen Sinn.433 Selbst wenn einige Terroranschläge als bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta gelten können,434 kann mit den Anschlägen noch nicht vom Vorhandensein eines bewaffneten Konflikts zwischen zwei oder mehreren Konfliktparteien im völkerrechtlichen Sinne gesprochen werden.435 Dafür müsste die Waffengewalt einer Konfliktpartei als Völkerrechtssubjekt zurechenbar sein.436 Als Völkerrechtssubjekte gelten im Sinne des humanitären Völkerrechts bisher Staaten oder Völker, die einen Befreiungskrieg führen (Art. 1 Abs. 4 ZP I). Da jedoch Terrorgruppen weder ein Staat noch eine Befreiungsbewegung im Sinne von Art. 1 Abs. 4 i.V. m. Art. 96 Abs. 3 ZP I sind, ergibt sich hier eine andere völkerrechtliche Situation. Möchte man wegen der zunehmenden Anzahl oder Intensität von asymmetrischen Konflikten mit nichtstaatlichen Akteuren im Zuge einer Rechtsfortbildung das humanitäre Völkerrecht auch auf diese Konfliktkategorie anwenden, könnte man als kleinsten gemeinsamen Nenner die Merkmale aus Art. 4A Abs. 2 GK III437 heranziehen, die nichtstaatliche Gruppen wie Milizen, Freiwilligenkorps oder andere organisierte Widerstandsbewegungen erfüllen müssen, um den Status eines Kombattanten innezuhaben (und damit auch in den Genuss der Rechte eines Kriegsgefangenen zu kommen). Demnach müssen sie unter einem gemeinsamen Oberbefehl stehen, durch ein bleibendes Zeichen von Weitem erkennbar sein, ihre Waffen offen tragen und sich an die Gebräuche und das Recht des Krieges halten. Bis auf die erste Bedingung der verantwortlichen Person an der Spitze sind dies Merkmale, deren Einhaltung sich nur im Einzelfall und aus der spezifischen Situation heraus bestimmen lassen. Als verantwort432 Zum Begriff siehe Geiß, IRRC 88 (2006), S. 759; Thornton, Asymmetric Warfare, 2007, S. 1 ff., zur asymmetrischen Bedrohung siehe insbesondere S. 25–52. 433 So auch schon Kreß: „staatliche (Gegen-)Gewaltanwendung auf dem Territorium des Basenstaates (kann) mit dem neutralitätswidrigen Charakter des Verhaltens des letzteren Staates begründet werden, sobald die Privaten als Kriegsführende anerkannt worden sind.“ Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 160 f. 434 Im Fall der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA erwähnt der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1373 (2001) das Recht auf Selbstverteidigung und dies setzt das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs voraus. 435 Betrachtet werden hier die Bedingungen eines internationalen bewaffneten Konflikts, nicht die eines nicht-internationalen. 436 Ipsen, in: ders., Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 1224. 437 Freilich ist die Voraussetzung hierfür zunächst, dass sie als eine solche Gruppe zu einer am Konflikt beteiligten Partei gehören, womit eine staatliche Partei gemeint ist.
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licher Führer, der für die Aktionen von Al Qaida verantwortlich ist, hätte – zumindest während der Anschläge des 11. September 2001 – Osama bin Laden als Chef der Organisation gelten können. Dennoch bleibt es äußerst zweifelhaft, wie geographisch weit verstreut und lose zu einem Netzwerk miteinander verknüpfte Gruppierungen und Individuen, die meistens Einzelakte ausüben, sich als „Partei“ qualifizieren. Dennoch finden die rechtlichen Schutzbestimmungen der Genfer Konventionen, insbesondere der gemeinsame Art. 3, auf sie Anwendung. So bestätigte der Oberste Gerichtshof der USA im Urteil Hamdan v. Rumsfeld, dass auch gefangen genommene Terroristen vor ein ordentliches Gericht gestellt werden müssen.438 Diese Ausführungen zeigen, dass die Übertragung der neutralitätsrechtlichen Grundsätze auf die Auseinandersetzung mit internationalen Terroristen und die dafür nötige Verletzung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates durchaus seine Berechtigung hat, aber dennoch rechtlich schwierig zu untermauern ist. Diese in der Wissenschaft diskutierte Option, auf das Neutralitätsrecht abzustellen, findet bisher in der Staatenpraxis in Bezug auf terroristische Angriffe auch keinen Rückhalt. c) Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Im Selbstverteidigungsrecht ist das Gebot zur Abwägung immanent angelegt. Schließlich sind Selbstverteidigungsmaßnahmen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzt.439 Eine Mindermeinung lehnt allerdings diese Einschränkung mit dem Verweis ab, dass das Recht auf Selbstverteidigung nicht in einem RegelAusnahme-Verhältnis zum Gewaltverbot steht und es zudem dem Prinzip der souveränen Staatengleichheit zuwiderlaufe, da eine Verhältnismäßigkeitsprüfung Merkmal von Subordinationsverhältnissen sei.440 Wie oben bereits gezeigt, ist 438 Hamdan v. Rumsfeld, 548 U.S. 557, 126 S.Ct. 2749 (2006); Maierhöfer, EuGRZ 2008, S. 449–452. 439 Crawford, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Publick International Law, Bd. VIII, 2012, S. 533; Zimmermann, HuV-I 2007, S. 204; Graham, AJIL 87 (1993), S. 391, 403; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 9. Aufl. (2009), S. 334; Okimoto, The Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, S. 59; Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 94, para 176; 103 para 194; Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, 8. Juli 1996, ICJ Reports 1996, S. 245 para. 41 f.; Islamic Republic of Iran v. United States of America, Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 196 para 74, S. 198 para 76); Case concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), 3. Februar 2006, ICJ Reports 2006, S. 223 para 147; O’Connell, AJIL 107 (2013), S. 382. 440 Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, S. 124. Mit seinen Ausführungen versucht Krugmann die schon viele Jahre zurückliegende Feststellung von Delbrück zu widerlegen, dass es sich bei dem Grundsatz der Verhält-
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das Selbstverteidigungsrecht eine Ausnahme zum Gewaltverbot und damit diesem untergeordnet. Die souveräne Gleichheit der Staaten wird insofern erst durch das Gewaltverbot ermöglicht. Um Eingriffe in die staatliche Souveränität auf ein Minimum zu reduzieren, muss sich die – ausnahmsweise – erlaubte Gewalt an den Maßstäben der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit orientieren. Dieser Grundsatz geht bis auf den berühmten Caroline-Vorfall im Jahr 1837 zurück. Gemäß Webster, ehemaliger britischer Staatssekretär, müssten die Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht nur erforderlich sein, sondern dürften keinesfalls unvernünftig noch exzessiv ausgeübt werden.441 Der IGH stellte in seinem Nicaragua-Urteil nicht nur die gewohnheitsrechtliche Geltung dieser Norm fest,442 sondern machte auch die Rechtmäßigkeit einer Selbstverteidigungsmaßnahme davon abhängig, ob die beiden Kriterien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden.443 Andernfalls würden die exzessiven Selbstverteidigungsmaßnahmen selbst zur verbotenen Gewalt.444 Dieses Erfordernis hat der IGH in der Folgezeit wiederholt.445 Art. 51 UN-Charta enthält insofern ein satzungsimmanentes Gebot zur Abwägung.446 Mithilfe der Anwendung der Prinzipien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit gelangt man zu einer Abwägung, ob und in welchem Umfang der angegriffene Staat sich gewaltsam gegen den bewaffneten Angriff auf dem Hoheitsgebiet des Aufenthaltsstaats zur Wehr setzen darf. Wie bei Abwägungen in anderen Rechtsgebieten handelt es sich auch hier nicht um eine Abwägung auf
nismäßigkeit nicht nur um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz i. S. v. Art. 38 c IGH-Statut, sondern um eine allgemeine Regel des Völkerrechts handele. Siehe Delbrück, in: Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. III (1997), S. 1140 f. 441 Parliamentary Papers, British and Foreign State Papers 30 (1842), 195 (202), zitiert bei Crawford, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Publick International Law, Bd. VIII, 2012, S. 535 und bei Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. (2008), S. 149. Allgemein zu diesem Vorfall siehe Jennings, AJIL 32 (1938), S. 86. Siehe auch oben unter C. II. 2. d) aa) (2). 442 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 94 para 176. 443 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 103 para 194 sowie S. 94 para 176). 444 Siehe hierzu auch Bothe, in: Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl. (2010), S. 659. 445 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, ICJ Reports 1996, S. 245, para 41 f.; Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 196 para 74, S. 198 para 76; Case concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Judgment, ICJ Reports 2005, S. 223 para 147. 446 Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 105. Genoni und Voigtländer gehen von einem im Begriff der Notwehr immanenten Abwägungsgebot aus. Genoni, Die Notwehr im Völkerrecht, 1987, S. 132; Voigtländer, Notwehrrecht und kollektive Verantwortung, 2001, S. 36.
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der abstrakten Begriffsebene, sondern um eine Einzelfallabwägung, bei der die jeweiligen Umstände in Anschlag gebracht werden müssen. aa) Abgrenzung von Verhältnismäßigkeit im ius ad bellum von Verhältnismäßigkeit im ius in bello Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt nicht nur die Macht zur staatlichen Selbstverteidigung (ius ad bellum), sondern die Mittel und Methoden der Kriegsführung im bewaffneten Konflikt (ius in bello).447 Oft wird in der Staatenpraxis keine klare Unterscheidung zwischen beiden Konzepten vorgenommen, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Rechtsgebiete handelt.448 Im ius ad bellum bestimmt die Verhältnismäßigkeit Situationen, in denen unilaterale Gewalt erlaubt ist (Notwendigkeit) und hilft anschließend, die zulässige Intensität und das Ausmaß der Gewaltausübung zu identifizieren (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn).449 Die Bemessung der Verhältnismäßigkeit im ius in bello orientiert sich dagegen an der Frage, ob der antizipierte sachliche und menschliche Schaden noch in Relation zum konkreten militärischen Vorteil steht.450 Schließlich soll durch die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im humanitären Völkerrecht die Zivilbevölkerung geschützt werden, wohingegen dies nur ein Aspekt der Verhältnismäßigkeit im ius ad bellum ist.451 Während bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Selbstverteidigungsrecht das langfristige Ziel, einem bewaffneten Angriff Einhalt zu gebieten und zurückzudrängen, ausschlaggebend ist, geht es bei der Verhältnismäßigkeit im humanitären Völkerrecht um den militärischen Vorteil und die zivilen Schäden.452 Ein weiterer Unterschied zwischen beiden Rechtsgebieten besteht darin, wer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten muss. Im ius ad bellum liegt diese Pflicht bei dem angegriffenen Staat, wenn er von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch macht. Kommt es zu Selbstverteidigungsmaßnahmen und im Zuge dessen auch zu einem internationalen bewaffneten Konflikt, müssen alle
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Cannizzaro, International Review of the Red Cross, Vol. 8 (2006), S. 781. Hamdan v. Rumsfeld, 548 U.S. 512, Brief for Respondents, 24; zu den Unterschieden siehe Okimoto, The Disctinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, 45; Sloane, Yale J Int’l L 34 (2009), S. 108 f.; Cannizzaro, International Review of the Red Cross 88 (2006), 779 (781); Rona/Wala, AJIL 107 (2013), S. 387. 449 Cannizzaro, International Review of the Red Cross, Vol. 8 (2006), S. 781. 450 Rona/Wala, AJIL 107 (2013), S. 387; Sloane, Yale J Int’l L 34 (2009), S. 111; Art. 57 (2) (a) (iii) 1. ZP zu den Genfer Konventionen. 451 Okimoto, The Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, S. 76. 452 Cannizzaro, International Review of the Red Cross, Vol. 8 (2006), S. 785. 448
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daran beteiligten Parteien gleichermaßen – unabhängig davon, wer den Konflikt begonnen hat – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.453 bb) Prüfung der Verhältnismäßigkeit bei Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche bewaffnete Angriffe Im Schrifttum und in der Staatenpraxis besteht große Einigkeit hinsichtlich der Existenz des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei Selbstverteidigungsmaßnahmen. Die Meinungen über die genaue Ausgestaltung differieren hingegen.454 Hinzu kommen Schwierigkeiten, Notwendigkeit und Angemessenheit voneinander zu trennen, da beide Grundsätze eng miteinander verknüpft sind. Ist eine Maßnahme nicht notwendig, kann sie demzufolge auch nicht verhältnismäßig sein; ist sie unverhältnismäßig, führt dies zu Diskussionen ob ihrer Notwendigkeit.455 Die folgende Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes soll sich sinnvollerweise in die drei Schritte Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit gliedern.456 (1) Geeignetheit Bevor ein Staat militärische Selbstverteidigungsmaßnahmen ausübt, muss er prüfen, ob die Gewaltanwendung überhaupt eine geeignete und effektive Maßnahme ist, um den bewaffneten Angriff zu beenden.457 Hier stellt sich die Frage, ob internationaler Terrorismus durch militärische Maßnahmen wirksam bekämpft und zukünftige Angriffe abgewendet werden können. Verneint man dies, ist folglich jegliche Selbstverteidigungsmaßnahme hinfällig. Schließlich kann die militärische Bekämpfung des internationalen Terrorismus auch zu kontraproduktiven Effekten führen. So generierten so genannte Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung Sympathien in der pakistanischen und jemenitischen Bevölkerung mit den Terrorgruppierungen und Feindseligkeiten gegenüber den USA.458 Beim Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Sommer 2006 litt das Ansehen der israelischen Armee unter der hohen Zahl Opfern in der 453 Okimoto, The Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, S. 76. 454 Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force, 2004, S. 155. Zu den verschiedenen Vorschlägen siehe Fn. 67 bei Okimoto, The Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, S. 59. 455 Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. (2008), S. 150. 456 Crawford, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. VIII, 2012, S. 534; Stein, in: FS Delbrück, 2005, S. 729, 736. 457 Zimmermann, HuV-I 2007, S. 204. 458 Chesney, YIHL 13 (2010), S. 28; International Human Rights and Conflict Resolution Clinic, Stanford University/Global Justice Clinic, NYU School of Law, Living under Drones, 2012; Transfeld, Inamo 16 (2010), S. 38–41.
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libanesischen Zivilbevölkerung, was dazu führte, dass das anfänglich gezeigte Verständnis der internationalen Staatengemeinschaft rapide schwand. Der Hisbollah war es gelungen, durch die Positionierung von mobilen Raketenwerfern auf den Dächern von Wohnhäusern und der Errichtung von Kommandozentralen inmitten von belebten Stadtteilen und Dörfern die libanesische Bevölkerung in den Krieg hineinzuziehen und als Schutzschild zu benutzen. Während es für die Hisbollah darum ging, Israel erheblichen Schaden zuzufügen und den Gegenmaßnahmen weitestgehend standzuhalten, musste die israelische Armee mit möglichst geringen Opfern – sowohl unter den eigenen Soldaten als auch der libanesischen Zivilbevölkerung – die Hisbollah aus dem Südlibanon zurückdrängen und seine entführten Soldaten befreien. Zumindest letzteres Ziel wurde nicht erreicht, was neben dem Imageschaden durch die hohe Opferzahl sicherlich auch mit dazu beigetragen hat, dass große Teile der israelischen Bevölkerung diese militärische Auseinandersetzung als Niederlage empfunden haben. Die Hisbollah und Teile der Schiiten im Libanon hingegen feierten inmitten der Ruinen den Ausgang als Sieg.459 (2) Erforderlichkeit Die Selbstverteidigungsmaßnahmen müssen erforderlich sein. Dies bedeutet einerseits, dass kein anderes, milderes Mittel mehr zur Verfügung stehen darf, um sich gegen den bewaffneten Angriff von nichtstaatlichen Akteuren zu verteidigen. Andererseits muss ein deutlicher zeitlicher Zusammenhang zwischen Angriff und Verteidigungsmaßnahme bestehen. (a) Selbstverteidigungsmaßnahmen als ultima ratio Wie Webster es im Caroline-Fall ausdrückte, wird die Gegenwehr durch den Rahmen der Erforderlichkeit begrenzt.460 Die gewählte Maßnahme muss dabei der Verteidigung dienen und nicht der Vergeltung oder der Bestrafung des Täters.461 Das Prinzip der Erforderlichkeit ist insbesondere in der hier diskutierten Konstellation der Selbstverteidigung eines Staates gegen einen bewaffneten nichtstaatlichen Angriff auf dem Territorium eines anderen Staates relevant, da diese Maßnahme die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates verletzt. Inso459
Münkler, Die Friedens-Warte 81 (2006), S. 64. Jennings, AJIL 32 (1938), S. 89; Sloane, YJIL 34 (2009), S. 109. 461 Kugelmann, Jura 2003, S. 381; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 1094; Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1425 Rn. 57; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 9. Aufl. (2008), S. 335; Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force, 2004, S. 157; Brownlie, International Law and the Use of Force, 1963, S. 368; Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. (2008), S. 150; Nolte, EJIL 24 (2013), S. 286 f. 460
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fern darf es für den Opferstaat keine andere Option mehr geben, um den eigenen Staat und seine Bürger zu schützen.462 (aa) Wirksamkeit der Terrorismusbekämpfung durch den Aufenthaltsstaat In die Beurteilung der Erforderlichkeit muss in besonderem Maße die Bereitschaft und Kapazität des Aufenthaltsstaates, selbst die von seinem Territorium ausgehende Gefahr effektiv einzudämmen, mit einbezogen werden.463 Die (Un)Fähigkeit bzw. die (Un)Willigkeit des Aufenthaltsstaates ist bei der Abwägung der beiden Rechtsgüter – Souveränität des Opferstaates mit der Souveränität des Aufenthaltsstaates – das entscheidende Kriterium. Die bewusste Duldung wie auch das Unvermögen eines Staates können es aber erforderlich machen, dass der angegriffene Staat grenzüberschreitende Selbstverteidigungsmaßnahmen ausüben muss. Aus verschiedenen Dokumenten – angefangen bei der Friendly Relations Declaration bis zu einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats464 – ergibt sich die Staatenpflicht, alle erforderlichen Maßnahmen zu unternehmen, um von seinem Territorium ausgehende bewaffnete Angriffe nichtstaatlicher Akteure zu verhindern. Das Taliban-Regime hatte vor dem 11. September 2001 entsprechende Sicherheitsratsresolutionen, die eine innerstaatliche Bekämpfung Al Qaidas forderten, missachtet465 und auch nach den Anschlägen abgelehnt, Osama bin Laden an die US-amerikanische Justiz zu überstellen.466 In Deutschland wurde dagegen einer der Helfer des Selbstmordpiloten Mohammed Atta wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zum Mord zu 15 Jahren Haft verurteilt.467 Ein anderer Angeklagter, der ebenfalls zu dem Hamburger Umfeld Attas gehört hatte, wurde von den Vorwürfen der Mittäterschaft hingegen rechtskräftig freigesprochen. 462 Cassese, ICLQ 38 (1989), S. 597; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 232; Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force, 2004, S. 153; Ruys, Melbourne Journal of International Law, Vol. 9 (2008), S. 334 ff. 463 Chesney, YIHL 13 (2010), S. 26. 464 UN Doc. S/RES/1373 (2001) vom 28. September 2001; UN Doc. S/RES/1566 (2004) vom 8. Oktober 2004; UN Doc. S/RES/1624 (2005) vom 14. September 2005. 465 UN Doc. S/RES/1267 (1999) vom 15. Oktober 1999; UN Doc. S/RES/1214 (1998) vom 8. Dezember 1998. 466 Spiegel Online, Geistliches Oberhaupt lehnt Auslieferung bin Ladens ab, 19.09. 2001, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,157937,00.html (letzter Download am 11. Juli 2015). 467 Zu dem Fall Mounir El Motassadeq, der als Handlanger der Hamburger Selbstmordpiloten des 11. September 2001 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zum Mord in 246 Fällen zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde, siehe BGH, Urteil vom 02.05.2007, Az. 3 StR 145/07; OLG Hamburg, Urteil vom 08.01.2007, Az. 7-1/06; Urteil vom 16.11.2005, Az. 3 StR 139/06.
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Nicht immer ist der Staat in der Lage, gegen die grenzüberschreitende terroristische Bedrohung auf seinem Staatsgebiet vorzugehen.468 In Anbetracht der Verbindungen zwischen dem libanesischen Staat und der Hisbollah war anscheinend ein effektives Vorgehen der libanesischen Sicherheitskräfte gegen die Hisbollah nicht möglich.469 Libanon hatte die einschlägige Resolution 1559 (2004) des Sicherheitsrats470 mit der klaren Verpflichtung, die Milizen in seinem Lande aufzulösen und zu entwaffnen, missachtet. Dies hatte den Angriff der Hisbollah auf Israel erst ermöglicht.471 Daher erkannte ein Großteil der internationalen Gemeinschaft 2006 die Notwendigkeit zu militärischen Selbstverteidigungsmaßnahmen durch Israel gegen die Hisbollah auf libanesischem Territorium an.472 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Libanon wegen seiner nicht erfüllten Verpflichtungen israelische Maßnahmen zur Selbstverteidigung gegen die Stellungen der Hisbollah auf seinem Territorium dulden musste. Ein ähnlich gelagertes Problem ergibt sich bei zerfallenden oder zerfallenen Staaten, bei denen die Ausübung der inneren Souveränität nicht mehr möglich ist, da es an der für die Durchsetzung des Gewaltmonopols notwendigen funktionierenden Staatsgewalt mangelt. Dies hebt jedoch weder die schützenswerte Rechtsposition der territorialen Integrität auf noch bestimmt die Qualität der Staatsgewalt die Geltung des Gewaltverbots. Bisher herrscht in der Staatengemeinschaft und in der Völkerrechtslehre die Meinung vor, dass die Staatlichkeit zumindest den vorübergehenden Zerfall der Staatsgewalt überdauern kann.473 Dies bedeutet, dass Jellineks Drei-Elemente-Lehre auf den Staatenuntergang nicht ohne weiteres übertragen werden kann.474 Es gilt mitnichten, dass die Staat468 Schneckener, Transnationale Terroristen als Profiteure Fragiler Staatlichkeit, SWP-Studie, 2004, S. 5 und 10. Staatszerfall wird häufig als eine der wesentlichen Bedingungen für die Funktions- und Handlungsfähigkeit transnationaler Terrornetzwerke gesehen. Nichtsdestotrotz muss man konstatieren, dass international operierende Terrorzellen auch westliche Staaten als Rückzugs- und Trainingsräume verwenden. So wurden die Anschläge vom 11. September 2001 von einer Al Qaida Zelle in Hamburg und später dann direkt in den USA vorbereitet. 469 Ronen, YIHL 9 (2006), S. 388. 470 UN Doc. S/RES/1559 (2004) vom 2.09.2004. 471 Weber, AVR 44 (2006), S. 467. 472 Siehe oben unter C. I. 13. 473 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 282; Geiß, Failed States, 2005, S. 120 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht 9. Aufl. (2008), S. 103; Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. (2010), S. 180. Der Sicherheitsrat bestätigte z. B. in seinen Resolutionen zur Situation im Südlibanon die libanesische Souveränität trotz der Anwesenheit der PLO und syrischer Truppen: UN Doc. S/RES/425 (1978) vom 19. März 1978; UN Doc. S/RES/434 (1978) vom 18. September 1978; UN Doc. S/RES/444 (1979) vom 19. Januar 1979; UN Doc. S/RES/450 (1979) vom 14. Juni 1979; UN Doc. S/RES/459 (1979) vom 19. Dezember 1979; UN Doc. S/RES/ 467 (1980) vom 24. April 1980; UN Doc. S/RES/483 (1980) vom 17. Dezember 1980. 474 Treffend differenziert zur Anwendung der Drei-Elementen-Lehre Schiedermair, JA 16 (1984), S. 641.
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lichkeit und damit die Souveränität durch den Wegfall funktionstüchtiger staatlicher Organe beendet werden würde.475 Die fortdauernde Souveränität schützt vielmehr das Selbstbestimmungsrecht und Gewaltverbot, um dem jeweiligen Volk die freie Wahl zur Konstituierung seines politischen Gemeinwesens zu garantieren.476 Auch die Konstellation des zerfallenen Staates erfordert auf der Rechtsfolgenseite eine Abwägung zwischen dem Schutz der Souveränität und territorialer Integrität des von Terroristen angegriffenen Staates auf der einen Seite und ebendieser beiden Rechtsgüter des Aufenthaltsstaates der Terroristen (in diesem Fall der „failed state“) auf der anderen Seite. Etliche Stimmen in der Völkerrechtstheorie bejahen für den Fall des „failed state“ die Befugnis des Opferstaates zu Selbstverteidigungsmaßnahmen auf dem Territorium des Aufenthaltsstaates. Sie begründen dies mit der Gefahr, dass andernfalls Gebiete fragiler Staatlichkeit zum sicheren Rückzugsraum für Terroristen werden würden, was sicher nicht im Interesse des Friedenssicherungsrechts der Charta der Vereinten Nationen wäre.477 In Situationen, in denen das Existenzrecht anderer Staaten durch terroristische Gruppierungen bedroht wird, die von einem „failed state“ aus operieren, muss eine Befugnis zur individuellen grenzüberschreitenden (Gegen-)Gewaltanwendung nach Art. 51 UN-Charta in engen Grenzen möglich sein. Der angegriffene Staat darf daher im Sinne der ultima ratio die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates verletzen, um sich selbst gegen den bewaffneten Angriff zu verteidigen. Wäre es ihm rechtlich nicht erlaubt, gegen die Gewaltakte und die Bedrohung vorzugehen, befände er sich in einer ausweglosen Situation. Der Notwehrcharakter des Selbstverteidigungsrechts wird in der Konstellation eines bewaffneten Angriffs durch Private durch eine Notstandskomponente ergänzt.478 Es ist daher durchaus in der Staatenpraxis und in der Völkerrechtslehre eine Tendenz festzustellen, dass der Opferstaat die Möglichkeit haben muss, gegen die grenzüberschreitende Bedrohung auch mit militärischen Mitteln vorzugehen, falls der Aufenthaltsstaat selbst keine effektiven Maßnahmen ergreift, um von 475
Ruys/Verhoeven, Journal of Conflict & Security Law 10 (2005), S. 318. Oeter, in: FS Steinberger 2002, S. 282. 477 Randelzhofer/Nolte, in: Simma/Khan/Nolte/Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations. A Commentary, 2. Bd., 3. Aufl. (2012), S. 1418 Rn. 41; Bothe, EJIL (2003), Vol. 14, S. 233; Brownlie führt zur Begründung dieses Ansatzes Beispiele noch aus der Zeit des Völkerbundes an. Brownlie, ICLQ 7 (1958), S. 732; Schmalenbach, German Law Journal 3 (2002), http://www.germanlawjournal.com/article.php?id=189, para. 7; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 110 f.; Wedgwood, 24 Yale J Int’l L (1999), S. 565; Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigung, 1995, S. 135. In diesem Zusammenhang ist zu überlegen, ob der Selbstverteidigung ausübende Staat nicht Gewalt einsetzt bzw. Aufgaben übernimmt, die der Aufenthaltsstaat von Rechts wegen selbst einzusetzen hätte. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 270; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 110. 478 Siehe hierzu umfänglich Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 106 ff. 476
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seinem Territorium ausgehende Gefahren zu verhindern.479 Der Aufenthaltsstaat ist somit selbst für die Verletzung seiner territorialen Integrität mitverantwortlich. (bb) Ausschöpfen friedlicher Mittel Bei milderen Mitteln als der militärischen Selbstverteidigung ist neben dem Druck auf den Aufenthaltsstaat nach effektiver Verfolgung auch an direkte Verhandlungen mit der terroristischen Gruppierung zu denken.480 Dies bedeutet indes nicht, dass der angegriffene Staat erst mit dem Gegner verhandelt haben muss, bevor er sein Selbstverteidigungsrecht ausüben darf.481 Die Mehrzahl der Staaten lehnt überdies Verhandlungen mit Terrorgruppen klar ab, da sie keinen Anknüpfungspunkt mit Gruppen sehen, die sich der Gewalt verschrieben haben.482 (b) Erfordernis des zeitlichen Zusammenhangs Zwischen dem bewaffneten Angriff und der Ausübung der Gegenwehr muss ein zeitlicher Zusammenhang bestehen, damit die Gewaltanwendung erforderlich und damit zulässig ist. Wie bereits von Webster im Caroline-Fall formuliert,483 müssen die Selbstverteidigungsmaßnahmen unmittelbar auf den bewaffneten Angriff folgen, so dass Ursache (bewaffneter Angriff) und Wirkung (Selbstverteidigung) für alle deutlich sichtbar sind.484 Andernfalls sind die Selbstverteidigungsmaßnahmen nicht mehr als notwendige Reaktion zu bewerten. Diskussionswür479 Greenwood, International Affairs 78 (2002), 301 (131), Tietje/Nowrot, NZWehrr 2002, S. 10; Wedgwood, Yale Journal of International Law 24 (1999), S. 564 f.; Dinstein, War, Aggression and and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 269; Stahn, in: Walter/ Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge, 2004, S. 864; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 227; Bruha, AVR 40 (2002), S. 383 ff.; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 183 ff.; Dederer, JZ 2004, S. 421 ff. 480 Zu der Thematik Verhandeln mit Terroristen siehe Görzig, Talking to Terrorists, 2010. 481 Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 156; Akande/Liefländer, AJIL 107 (2013), S. 564. 482 Süddeutsche Zeitung, „Keine Verhandlungen mit Terroristen und Schwerverbrechern“, 15.04.2004, http://www.sueddeutsche.de/politik/bundesregierung-keine-ver handlungen-mit-terroristen-und-schwerverbrechern-1.439366; Frankfurter Allgemeine Zeitung, Weißes Haus: „Wir verhandeln nicht mit Terroristen“; 20.01.2006, http:// www.faz.net/aktuell/politik/ausland/bin-ladin-botschaft-weisses-haus-wir-verhandelnnicht-mit-terroristen-1305351.html; ZEIT, Putin lehnt Verhandlungen mit Terroristen ab, 26.01.2011, http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-01/putin-verhandlungen-terro risten (letzter Download am 11. Juli 2015). 483 „Show a necessity of self-defence, instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation.“ Siehe Jennings, AJIL 32 (1938), S. 85. 484 Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 949; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 275 f.; Akande/Liefländer, AJIL 107 (2013), S. 564.
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dig bleibt jedoch, ob dieser enge zeitliche Rahmen auch bei der Reaktion auf terroristische Angriffe angewandt werden muss. Bei der „Hit and Run-Taktik“ von Terroristen ist der Anschlag bereits oft abgeschlossen, bevor der Staat mit den Selbstverteidigungsmaßnahmen beginnen kann. Dadurch hätten die Selbstverteidigungsmaßnahmen als Repressalie485 nur punitiven Charakter und müssten daher als unzulässig eingestuft werden. Die überwiegende Meinung im Schrifttum lehnt jedoch bewaffnete Repressalien ab,486 ebenso die Friendly Relations Declaration und die Artikel zur Staatenverantwortlichkeit.487 Ein abgeschlossener Angriff bedeutet indes noch nicht zwangsläufig das Ende der Bedrohung.488 Steht der nächste terroristische Angriff unmittelbar bevor, befindet sich der betroffene Staat in einer andauernden Gefahr. Diese Situation könnte mit einem Raketenangriff verglichen werden, bei dem nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine weitere Rakete gezündet wird.489 Die Angriffssituation und Bedrohung muss nicht mit dem erfolgreichen bewaffneten Angriff beendet sein, wenn zu befürchten ist, dass durch die terroristischen Strukturen jederzeit der nächste Angriff erfolgen könnte. Insofern hat Selbstverteidigung gegen grenzüberschreitenden Terrorismus in sehr begrenztem Umfang auch einen präventiven Charakter.490 Dieses präventive Element darf aber nicht mit präventiver Selbstverteidigung verwechselt werden, da es sich um die Verhinderung weiterer Angriffe aus derselben Quelle handelt. Betrachtet man das zeitliche Spektrum zwischen den verbotenen Vergeltungsmaßnahmen bis hin zu den nicht minder unzulässigen Präventivschlägen, muss sich die Selbstverteidigungsmaßnahme deutlich von beiden Extremfällen abgrenzen, um als rechtmäßig betrachtet zu werden. Da die Quelle des bewaffneten Angriffs oft nicht auf den ersten Blick offenkundig ist, kann es erforderlich sein unter Beteiligung der Geheimdienste die Urheberschaft zu ermitteln. Dieser Prozess, die nötigen Daten zu sammeln und zu 485 Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. (2008), S. 150 f.; Alexandrov, Self-Defence against the Use of Force in International Law, 1996, S. 184. 486 Nolte, EJIL 24 (2013), S. 287; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 1099; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 276; Alexandrov, Self-Defence against the Use of Force in International Law, 1996, S. 166; Doehring, Völkerrecht 2. Aufl. (2004), S. 249 Rn. 576; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984), S. 294 § 480; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 2. Aufl. 2002), Band I/3, S. 988. 487 UN Doc. A/RES/2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970; Art. 50 Ziff. 1 a) Artikel zur Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, Anlage zu UN Doc. A/RES/56/83 vom 12. Dezember 2001. 488 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, 196 ff.; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, 131; Akande/Liefländer, AJIL 107 (2013), 563 (565). 489 Kugelmann, Jura 2003, S. 381. 490 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 543; Kugelmann, Jura 2003, S. 381; Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force, 2004, S. 165; Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. (2008), S. 203.
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prüfen, wie am effektivsten unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch unter Abstimmung mit den Verbündeten – darauf reagiert werden kann, und v. a. welche friedlichen Lösungsmöglichkeiten noch ausgeschöpft werden können,491 verlängert das zulässige Intervall zwischen Angriff und Verteidigung.492 Der angegriffene Staat hat damit einen kleinen Ermessensspiel- und Zeitraum, in der seine militärische Antwort noch als „gegenwärtig“ und damit zulässig beurteilt werden würde.493 So wurde die Zeitspanne zwischen dem 11. September 2001 und dem 7. Oktober 2001, dem Tag, an dem die Militäroffensive „Enduring Freedom“ der USA und ihrer Verbündeter gegen Al Qaida und die Taliban begann, überwiegend als zulässig angesehen.494 Umso mehr Zeit jedoch nach dem Angriff vergeht, um so größer wird der Druck auf den Opferstaat, die Angelegenheit mit friedlichen Mitteln zu lösen.495 Falls der Zeitraum zwischen Angriff und Verteidigung sich zu umfänglich ausdehnt, kann dies ein Zeichen sein, dass die Bedrohung durch weitere terroristische Angriffe nicht besonders akut ist und damit militärische Maßnahmen nicht notwendig sind. Insofern können die Drohnenangriffe gegen mutmaßliche terroristische Ziele z. B. in Pakistan und Jemen nicht mehr als erforderliche Reaktion auf den 11. September 2001 gewertet werden. (3) Angemessenheit Der damalige ständige Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen, John Bolton, verteidigte die israelischen Maßnahmen im Libanon gegenüber Journalisten im Sommer 2006, indem er hypothetisch nach der zulässigen Größenordnung der zu entführenden Hisbollah-Kämpfer fragte: „What Hezbollah has done is kidnap Israeli soldiers and rain rockets and mortar shells on innocent Israeli civilians. What Israel has done in response is an act of self-defense. And I don’t quite understand what the argument about proportionate force means here. Is Israel entitled only to kidnap two Hezbollah operatives and fire a couple of rockets aimlessly at Lebanon?“ 496 Der Ansicht von John Bolton nach scheint 491 Müllerson, IYHR 32 (2002), S. 40; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 201; Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 279. 492 Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 276; Müllerson, Journal of Conflict & Security Law 7 (2002), S. 179; Kugelmann, Jura 2003, S. 381. 493 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 201; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 542; Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), 1093 f.; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 276; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 129. 494 Delbrück, GYIL 44 (2002), S. 16; Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 542 f.; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 202; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 130. 495 Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force, 2004, S. 151. 496 CNN.com, Bolton Defends Israel’s Action in Lebanon, 24.07.2006, http:// www.cnn.com/2006/WORLD/meast/07/23/mideast.bolton/index.html (zitiert bei Sloane, YJIL 34 (2009), S. 99).
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Angemessenheit ein zumeist subjektiv gefärbtes Kriterium zu sein497 und damit anfällig für Missbrauch.498 Auch wenn die Anwendung der Verhältnismäßigkeit nicht immer einfach ist,499 sollten jedoch nicht die traditionellen Grenzen des Selbstverteidigungsrechts ins Wanken gebracht werden, indem ein anderer Zweck als die Beendigung des Angriffs verfolgt wird.500 Bei der Bestimmung der Verhältnismäßigkeit spielen neben dem angemessenen Einsatz von Gewalt, die geographische Reichweite, die Dauer der Maßnahme und die Auswahl der Ziele eine entscheidende Rolle.501 (a) Intensität Sind Selbstverteidigungsmaßnahmen notwendig, dienen sie dem Zweck, den Angriff und die Bedrohungssituation zu beenden. Die Verteidigungsmaßnahmen müssen dementsprechend von der Intensität her nicht identisch mit dem bewaffneten Angriff sein, aber angemessen zu dem verfolgten Ziel, d.h. potentiell geeignet sein, den Angriff abzuwehren und die Bedrohung zu beenden.502 In diesem Sinne hatte der israelische Oberste Gerichtshof die Verhältnismäßigkeit im Fall Beit Sourik Village v. Government of Israel verneint. Die Errichtung des israelischen Sperrzauns zum Westjordanland ist seiner Ansicht nach zulässig, da der Zaun geeignet und erforderlich ist, um dem israelischen Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen. Die Verletzung der Rechte der Anwohner stufte der Gerichtshof jedoch als unverhältnismäßig ein. Eine alternative Route hätte zwar eine kleine Minderung an Sicherheit zur Folge, würde aber die Rechte der palästinensischen Bevölkerung nicht so stark einschränken.503 Als die USA und ihre Verbündeten in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 die Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen Al Qaida dahin497 Stein, in: FS Delbrück, 2005, S. 737, Krugmann, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Völkerrecht, 2004, S. 125. 498 Reinold, Sovereignty and the Responsibility to Protect, 2012, S. 106; Nolte, EJIL 24 (2013), S. 289. 499 Siehe hierzu beispielsweise Kretzmer, EJIL 24 (2013), S. 279; Akande/Liefländer, AJIL 107 (2013), S. 569. 500 Nolte, EJIL 24 (2013), S. 289; O’Connell, AJIL 107 (2013), S. 382. 501 Ruys, Melbourne Journal of International Law 9 (2008), S. 361. 502 Chesney, YIHL 13 (2010), S. 27; Gardam, Necessity, Proportionality and the Use of Force, 2004, S. 161. Gemäß Doehring stehen die Verteidigungsmaßnahmen gegen rechtswidrige Angriffe unter dem Vorzeichen der Effektivität. Doehring, Völkerrecht 2. Aufl. (2004), S. 329; Higgins, Problems and Process, 1994, S. 232; Akande/Liefländer, AJIL 107 (2013), S. 566. 503 Siehe Verhältnismäßigkeitsprüfung des israelischen High Court of Justice im Falle Beit Sourik Village, H.C.J. 2056/04, Beit Sourik Village v. Government of Israel, Urteil vom 20.06.2004, http://elyon1.court.gov.il/eng/home/index.html; hierzu siehe auch Stein, in: FS Delbrück, 2005, S. 737; Pertile, ZaöRV 65 (2005), S. 677 ff.
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gehend ausweiteten, dass sie auf die Beseitigung des gesamten Taliban-Regimes abzielten, warf dies die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf.504 Allerdings kann man in den Resolutionen des Sicherheitsrats eine stillschweigende Duldung erkennen, auch wenn es sich hierbei um ein politisches und kein unabhängiges Gremium handelt.505 So erklärte Resolution 1378 (2001) euphemistisch Unterstützung für die Anstrengungen des afghanischen Volkes, das Taliban-Regime zu ersetzen.506 Über ein Jahrzehnt später zeigt sich, dass ein Regimewandel von außen doch wesentlich schwieriger ist, als die internationalen Koalitionskräfte 2001 glaubten. (b) Geographische Reichweite Im Zuge der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt sich die Frage, in welchem geographischen Ausmaß die Verteidigungsmaßnahmen ausgeübt werden dürfen. Dies ist insbesondere bei terroristischen Netzwerken relevant, die ihre Basen in mehreren Ländern verteilt haben und das Land, aus dem die Angreifer stammten oder von dem sie aus den Angriff durchführten nicht unbedingt identisch ist mit dem Land, wo beispielsweise der Anführer bzw. der Kern des Netzwerks lokalisiert ist. Als Reaktion auf die Anschläge gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 intervenierten die USA im Sudan und in Afghanistan militärisch und rechtfertigten dies mit ihrem Recht auf Selbstverteidigung. Während die westlichen und asiatischen Verbündeten der USA Zustimmung zu dem Vorgehen signalisierten, kritisierten die afrikanischen und arabischen Staaten die Verletzung der Souveränität des Sudans.507 Als Israel 2003 nach einem Selbstmordanschlag einer Palästinenserin aus dem Gaza-Streifen ein Dorf in Syrien angriff, billigten die Mitglieder des Sicherheitsrats Israel zwar ein Recht auf Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Angriffe zu. Bis auf die USA kritisierten aber alle anderen Staaten in diesem Gremium die Verletzung der territorialen Integrität Syriens, womit deutlich wurde, dass ein geographischer Zusammenhang zwischen dem casus belli und der Selbstverteidigungsmaßnahme erforderlich ist.508 Es würde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aushöhlen und im Zuge dessen auch das Selbstverteidigungsrecht, dürfte der angegriffene Staat (willkürlich) gegen jede Stellung oder Einheit einer terroristischen Gruppierung militärisch vorgehen, ungeachtet deren direkter Involvierung in den fraglichen bewaffneten 504 Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 158; Tietje/Nowrot, NZWehrr 44 (2002), S. 15; Cassese, EJIL 12 (2001), S. 999; Meiser/von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, S. 57 ff. 505 Bruha, AVR 40 (2002), S. 410; Föh, Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001, 2011, S. 174. 506 UN Doc. S/RES/1378 (2001) vom 14.11.2001. 507 Siehe oben unter C. I. 9. 508 Siehe oben unter C. I. 12.
III. Das Ziel der Verteidigungsmaßnahmen (Rechtsfolge)
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Angriff.509 Es sollte daher ein konkreter inhaltlicher wie auch geographischer Zusammenhang zwischen dem bewaffneten Angriff und dem gewählten Ziel bestehen. (c) Dauer Die Tatsache, dass Selbstverteidigung nur nach einem bewaffneten Angriff oder auf einen unmittelbar bevorstehenden Angriff erfolgen darf, wirft Fragen hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs auf, wenn es darum geht, terroristische Angriffe abzuschrecken.510 Die USA und das Vereinigte Königreich haben beide nach dem 11. September 2001 für sich in Anspruch genommen, auch vorbeugend auf terroristische Bedrohungen militärisch zu reagieren.511 Die Ausdehnung der Operation „Enduring Freedom“ wird auch zehn Jahre nach dem 11. September 2001 zur Fortführung der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt.512 Dies mag nach einem Zustand der „quasi-permanenten Selbstverteidigung“ 513 klingen. Bei der Rechtsgüterabwägung muss aber in Betracht gezogen werden, dass der Gegner noch nicht besiegt ist und die Bedrohung daher anhält. Auch die deutsche Bundesregierung stützte 2007 ihre Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan auf das individuelle und kollektive Recht auf Selbstverteidigung.514 Im November 2010 hieß es in der völkerrechtlichen Grundlage für das Mandat an der Beteiligung der NATO-Operation „Active Endeavour“, dass die Bedrohungssituation seit dem 11. September 2001 anhalte und der bewaffnete Angriff i. S. d. Art. 51 UN-Charta mit den Anschlägen in den USA nicht abgeschlossen sei.515 (d) Ziele Bei der Selbstverteidigung spielt die legitime Zielauswahl eine wichtige Rolle.516 So bewertete der IGH im Oil Platform Case die iranischen Ölplattfor509 Ebenso Okimoto, Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, S. 64; Cassese, EJIL 12 (2001), S. 997; Byers, ICLQ 51 (2002), S. 408. 510 Gray, International Law and the Use of Force, 3. Aufl. (2008), S. 203. 511 UK Attorney-General’s Speech in the House of Lords, HL Debates 21.04.2004, Vol. 660 c369-372 abgedruckt in UK Materials in International Law, BYIL, Vol. 75 (2004), S. 822 f.; Taft, Yale J Int’l L 29 (2004), S. 295 ff. 512 Koh, Annual Meeting of the American Society of International Law, 2010. 513 Tams, EJIL 20 (2009), S. 390. 514 Deutscher Bundestag, Drucksache 16/6939, 7.11.2007. 515 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/7743, 16.11.2011. 516 Okimoto, The Distinction and Relationship between Jus ad Bellum and Jus in Bello, 2011, 63; Reinold, Sovereignty and the Responsibility to Protect, 2012, S. 105; Akande/Liefländer, AJIL 107 (2013), S. 567 f.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
men nicht als angemessenes militärisches Ziel für US-amerikanische Selbstverteidigungsmaßnahmen, da sie in keinem originären Zusammenhang zu dem ursprünglichen Angriff standen.517 Diesen inneren Zusammenhang zum casus belli kennt hingegen das humanitäre Völkerrecht nicht, da es sich gemäß Art. 52 (2) ZP I lediglich um militärische Ziele handeln muss.518 (aa) Materielle Ziele Reagieren die Selbstverteidigungsmaßnahmen auf einen bewaffneten Angriff von nichtstaatlichen Akteuren, die keinem Staat zurechenbar sind, ist eine angemessene und restriktive Zielauswahl besonders relevant, insbesondere in Hinblick darauf, dass Selbstverteidigungsmaßnahmen in der Regel nicht im souveränitätsfreien Raum stattfinden, sondern in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaats eingreifen. So dürfen sich die Verteidigungsmaßnahmen nur gegen Einrichtungen der terroristischen Gruppierungen, wie beispielsweise Trainings- und Ausbildungslager, Waffenlager oder Abschussvorrichtungen für Raketen richten.519 Es wäre unverhältnismäßig und rechtswidrig, würden die Selbstverteidigungsmaßnahmen über die terroristischen Einrichtungen hinaus auch auf die Infrastruktur und Zivilbevölkerung des Aufenthaltsstaates abzielen.520 Dennoch wird hier eine der Hauptschwierigkeiten bei der praktischen Durchführung der Selbstverteidigungsmaßnahmen liegen, da die Einrichtungen terroristischer Organisationen nicht immer fernab der zivilen Infrastruktur des Territorialstaates liegen. Zwar wird zu Recht vereinzelt darauf hingewiesen, dass es auch in der Verantwortung der Bürger liegt, sich nicht in der Nähe von militärischen Einrichtungen aufzuhalten.521 Aber gerade bei asymmetrischen Konflikten sind die terroristischen Quartiere für die Bevölkerungen nicht mehr klar erkennbar, so dass sie schnell zwischen die Fronten geraten können.522 Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah im Sommer 2006 offenbarten diese Problematik in besonderer Weise, da die Hisbollah ihre Stellungen oft inmitten von belebten Gebieten eingerichtet hatte und die israelische Armee auch diese im Zuge ihrer Selbstverteidigungsmaßnahmen angriff. Die Schäden in Bei517 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, S. 198 para 77. 518 Siehe hierzu instruktiv Schmidt, Das humanitäre Völkerrecht in modernen asymmetrischen Konflikten, 2012, S. 202 ff. 519 Häußler, ZRP 2001, S. 541; Kugelmann, Jura 2003, S. 381. 520 Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 160; Krajewski, AVR 40 (2002), S. 202; Bruha, AVR 40 (2002), S. 408 f.; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 276. 521 Tomuschat, Friedens-Warte 81 (2006), S. 183; Münkler, Die Friedens-Warte 81 (2006), S. 64. 522 Tomuschat, Friedens-Warte 81 (2006), S. 183; Schmidt, Das humanitäre Völkerrecht in modernen asymmetrischen Konflikten, 2012, S. 41.
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rut und anderer hauptsächlich von Schiiten bewohnter Gegenden gingen bei weitem über das hinaus, was noch als verhältnismäßig hätte eingestuft werden können. Für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit hätte sich Israel bei seinen Selbstverteidigungsmaßnahmen auf Kriegshandlungen gegen die Stellungen der Hisbollah beschränken müssen.523 Ein Großteil der internationalen Staatengemeinschaft anerkannte zwar das israelische Recht auf Selbstverteidigung, stellte aber angesichts des Leidens der Zivilbevölkerung und der angerichteten massiven Zerstörung im Libanon durch die israelische Armee die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage bzw. verurteilte das israelische Vorgehen.524 (bb) Menschliche Ziele Selbst wenn man in dem einen oder anderen Fall zu dem Schluss gelangt, dass die Selbstverteidigungsmaßnahmen die Kriterien der Verhältnismäßigkeit und Unmittelbarkeit erfüllen, müssen die Maßnahmen zudem den Kriterien der Verhältnismäßigkeit des humanitären Völkerrechts entsprechen. Inwiefern Terroristen also selbst zum Ziel von Selbstverteidigungsmaßnahmen, beispielsweise bei so genannten gezielten Tötungen, gemacht werden dürfen, ist allerdings eine Frage des „ius in bello“.525 Art. 51 UN-Charta dient lediglich als Legitimation, sich gegen einen bewaffneten Angriff mit militärischen Mitteln zur Wehr zu setzen und damit Eingriff in die Souveränität des Aufenthaltsstaates zu nehmen. Die Konfliktparteien müssen allerdings – unabhängig davon – ob die Gewaltanwendung zur Selbstverteidigung rechtmäßig ist, die Normen des humanitären Völkerrechts beachten. Die Beantwortung der Rechtmäßigkeit gezielter Tötungen würde eine separate Analyse erfordern und kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden.526 2. Tätigwerden des Sicherheitsrats Dem Selbstverteidigungsrecht kommt in der UN-Charta nur subsidiäre Bedeutung gegenüber den Befugnissen des Sicherheitsrats zu. Das Selbstverteidigungsrecht endet gemäß Art. 51 UN-Charta genau in dem Moment, in dem der Sicherheitsrat „die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen“ getroffen hat. Durch diese Bedingung in Art. 51 UN523
Siehe oben unter C. I. 13. Ibid. 525 Siehe hier zu ausführlich Schmidt, Das humanitäre Völkerrecht in modernen asymmetrischen Konflikten, 2012. 526 Siehe zu dieser Problematik Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008; Kretzmer, EJIL 16 (2005), S. 171–212; Zimmermann, HuV-I 2007, S. 200–210; Downes, Journal of Conflict and Security Law 9 (2004), S. 277–294; Guiora, Case Western Reserve Journal of International Law 36 (2004), S. 319–334; Tomuschat, Vereinte Nationen 2004, S. 136–140; Otto, Targeted Killings and International Law, 2012. 524
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
Charta soll ein Missbrauch der Ausnahme vom Gewaltverbot verhindert werden, da dies andernfalls das kollektive Sicherheitssystem der Vereinten Nationen gefährden könnte.527 Bei der Wahl der erforderlichen Maßnahmen kommt dem Sicherheitsrat ein Ermessensspielraum zu. Die vom Sicherheitsrat getroffenen Maßnahmen müssen sich aber als hinreichend effektiv herausstellen, um das Recht auf Selbstverteidigung zu verdrängen.528 Da die Maßnahmen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta für die Mitgliedsstaaten bindend sind, ist das kollektive Sicherheitssystem insofern dem individuellen bzw. kollektiven Schutz des Staates gegenüber höherrangig.529 Der angegriffene Staat muss nicht etwa auf die Autorisierung zu Selbstverteidigungsmaßnahmen durch den Sicherheitsrat warten, sondern kann von seinem naturgegebenen Recht Gebrauch machen, bis der Sicherheitsrat selbst tätig wird. Insofern ist der angegriffene Staat berechtigt, den bewaffneten Angriff eigenmächtig zu beenden.530 In der Charta sind bei dieser Norm keine Ausnahmen für terroristische Angriffe ersichtlich. Daher ist diese Regelung vollumfänglich auf Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen terroristische Angriffe anwendbar. 3. Ergebnis Sowohl in der Praxis531 wie auch in der Völkerrechtslehre532 wird dem angegriffenen Staat von denjenigen, die ein Staatlichkeitserfordernis auf Tatbestandsseite nicht für notwendig erachten, durchaus ein Recht zur Gegenwehr zugestanden und dem Aufenthaltsstaat eine Duldungspflicht der Abwehrmaßnahmen 527
Cannizzaro, International Review of the Red Cross, Vol. 8 (2006), S. 782. Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 394. 529 Schmitz-Elvenich geht davon aus, dass nur Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der Charta das Selbstverteidigungsrecht beenden können. Die Pflichten aus der Resolution 1373 (2001) erachtet er als politische, legislative und wirtschaftliche Maßnahmen, die das Recht auf Selbstverteidigung nicht einschränken. Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 123. 530 Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 228. 531 Siehe oben u. a. als prominente Beispiele USA – Al Qaida in Afghanistan 2001 unter C. I. 10; Israel – Libanon 2006 unter C. I. 13. 532 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 887; Bruha, AVR 40 (2002), S. 393; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 216 f.; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 227 f.; Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 102 ff.; Wedgwood, Yale J Int’l L 24 (1999), S. 565; Bruha/Bortfeld, VN 49 (2001), S. 166; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 864; Löw, Gewaltverbot und Selbstverteidigung nach dem 11. September 2001, 2009, S. 161 ff.; Bethlehem, AJIL 106 (2012), S. 776; Kretzmer, EJIL 24 (2013), S. 244 f.; Wilmshurst/Wood, AJIL 107 (2013), S. 393; Hmoud, AJIL 107 (2013), S. 576; Akande/ Liefländer, AJIL 107 (2013), S. 563. 528
IV. Begründungsmodelle zum Eingriff in die Integrität des Aufenthaltsstaates 119
gegen die in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Privaten auferlegt. Dies ist auch der Grund, warum dieser Begründungsweg vielfach, u. a. vom IGH, abgelehnt wird.
IV. Begründungsmodelle neben dem Selbstverteidigungsrecht zum Eingriff in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates Sowohl in der Staatenpraxis wie auch in der völkerrechtlichen Literatur werden neben dem Selbstverteidigungsrecht weitere Rechtsfiguren genannt, um militärische Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet zu rechtfertigen. Dies ist erstaunlich, ist es doch strittig, ob die Voraussetzungen für eine Analogiebildung überhaupt vorliegen. Da das Selbstverteidigungsrecht auf die Konstellation eines bewaffneten nichtstaatlichen Angriffs im Rahmen der Verhältnismäßigkeit anwendbar ist, besteht keine planwidrige Regelungslücke, auf die ein ähnlich gelagerter Tatbestand übertragen werden müsste. Im wissenschaftlichen Diskurs wurden dennoch weitere Begründungsmodelle behandelt, um die Verletzung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates zu legitimieren. Diesen Modellen ist gemeinsam, dass sie eine Verpflichtung konstruieren, derer der Aufenthaltsstaat nicht gerecht wird und somit den Schutz durch seine Souveränität einbüßt. 1. Notstandsrecht neben dem Selbstverteidigungsrecht Das Konzept des Notstands entstammt noch aus der Zeit, in der das Selbsthilferecht ein bedeutendes Charakteristikum der äußeren, unbegrenzten Souveränität war. Bei einer unmittelbaren Gefährdung sollte der Staat berechtigt sein, auch gewaltsam Maßnahmen zu seinem Schutz generell oder inländischer Personen zu ergreifen.533 Die Völkerrechtskommission (ILC) geht in ihren Artikeln zur Staatenverantwortlichkeit auf die Notstandskonzeption ein, auf die sich Staaten berufen dür533 Die modernen Beispielsfälle in der Literatur beziehen sich auf die unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung durch einen maroden Kernreaktor im Nachbarstaat (Herdegen) oder durch unmittelbar bevorstehende Naturkatastrophen (Brownlie), die es abzuwenden gilt. Brownlie, International Law and the Use of Force, 1963, 376; Herdegen argumentiert, dass andernfalls die Steuerungskraft des Völkerrechts überspannt werden würde, mutete man dem jeweiligen Staat zu, unübersehbare Verluste an Menschenleben, für deren Schutz er die Verantwortung trägt, mutwillig in Kauf zu nehmen (Herdegen, in: FS Doehring, 1989, S. 303 ff.; ähnlich auch Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. (2003), S. 335). Wie Tomuschat richtig bemerkt, „könnten (ebendiese beiden Beispiele) wegen ihrer sachspezifischen Besonderheiten zu einer abweichenden Betrachtung einladen“. Schließlich würde in einer Notstandssituation „die Verhinderung einer Naturkatastrophe oder die zwangsweise Abschaltung eines solchen Reaktors letzten Endes auch im Eigeninteresse des betroffenen Territorialstaates liegen.“ Tomuschat, EuGRZ 28 (2001), S. 539.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
fen, sollte ein „wesentliches“ Interesse auf dem Spiel stehen (Art. 25 Abs. 1 a).534 Gleichzeitig darf die Notstandshandlung jedoch kein „wesentliches Interesse“ des Staates beeinträchtigen, gegen den sich die Maßnahme richtet (Art. 25 Abs. 1 b). Während Selbstverteidigungsmaßnahmen nur nach einem erfolgten bewaffneten Angriff durchgeführt werden dürfen, bietet das Konzept des Notstands somit eine wesentlich offenere Ermächtigungsgrundlage, was zu einem weiten Ermessen des handelnden Staates und zu einer Abwägung zwischen den verschiedenen Ansprüchen und Interessen führt.535 Dennoch darf laut ILC der Notstand keinen Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht (ius cogens) rechtfertigen.536 Von großen Teilen der Literatur wird das Gewaltverbot als Paradebeispiel für eine zwingende Norm des Völkerrechts angeführt.537 Auch die Völkerrechtskommission stellt in einer Kommentierung zu einem älteren Entwurf der Artikel über die Staatenverantwortlichkeit fest, dass das Gewaltverbot zu den nicht derogierbaren Normen des Völkerrechts zählt.538 In derselben Kommentierung, allerdings zu dem Notstandsartikel (damals noch Art. 33), setzte sich die ILC jedoch mit der Problematik von Duldungs- und Unfähigkeitskonstellationen und Angriffen seitens privater Gruppierungen auseinander. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass das Gewaltverbot nicht in seiner Gesamtheit zum notstandsfesten ius cogens gehöre. So müsse eine räumlich und zeitlich eng limitierte Gewaltanwendung, wie sie in unseren Konstellationen seitens des betroffenen Staates in Betracht komme, nicht als Verstoß gegen ius cogens bewertet werden, da es sich nicht um einen „act of aggression“ handele. Damit folgte die ILC ihrem Sonderberichterstatter Ago.539 Ago schloss aus der damaligen Staatenpraxis und Rechtsauffas534
UN Doc. A/RES/56/83 vom 12. Dezember 2001. Zum Inhalt des „wesentlichen Interesses“ siehe Partsch, in: Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. IV 2000, S. 1320 ff. 536 Siehe Art. 26 sowie die Kommentierung zu Art. 25, 83, para. 14. Im Internet veröffentlicht unter http://untreaty.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_ 6_2001.pdf sowie in Crawford, The International Law Commission’s Article on State Responsibility, 2002. Siehe zur zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht 5. Aufl. (2004), S. 188 Rn. 36 ff.; Frowein, in: Bernhardt (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Bd. III (1997), S. 65 ff. 537 Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 1086 Rn. 27; Herdegen, Völkerrecht, 12. Aufl. (2011), S. 243; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht Bd. I/3, 1. Aufl. (2002), S. 822. 538 Yearbook of the International Law Commission 1980, Bd. II, Teil 2, S. 58 para. 18: „The principle (duty to refrain from using armed force) whereby its use was condemned once and for all as utterly wrongful has become part of the legal thinking of States in the form of a peremtory rule of international law.“ 539 Kreß konstatiert, dass keine Prüfung der Frage erfolgt, ob Art. 2 (4) und Art. 51 UN-Charta einem Recht zu bewaffneten Notstandshandlungen entgegenstehen (sowohl bei der ILC als auch in den literarischen Beiträgen), sondern lediglich eine Sympathie für die Notstandsbefugnis in der Unfähigkeitskonstellation geäußert wird. Aber auch bei Kreß unterbleibt eine eingehende Prüfung. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 159. 535
IV. Begründungsmodelle zum Eingriff in die Integrität des Aufenthaltsstaates 121
sung, dass das ius cogens lediglich für ein enges Verständnis des Gewaltverbots gelte.540 Auch heute wird von Teilen der Literatur die Meinung vertreten, dass das aus der UN-Charta und aus dem Gewohnheitsrecht ermittelte Gewaltverbot nicht in jeder seiner Facetten zwingendes Recht sei. Allein das Verbot des bewaffneten Angriffs sei als Norm des zwingenden Rechts positiv nachweisbar, auch wenn andere Formen der Gewaltanwendung von Art. 2 (4) UN-Charta durchaus mit umfasst sein mögen.541 Allerdings deutete die Völkerrechtskommission auch für Beeinträchtigungen der territorialen Integrität, die noch keine Verletzung der zwingenden Norm darstellen, an, dass eine Rechtfertigung wegen der umfassenden Geltung von Art. 2 (4) UN-Charta ausgeschlossen ist.542 Gegen ein Notstandsrecht spricht, dass das umfassende System des Gewaltverbots der UN-Charta in Gefahr geraten würde, bestünde neben dem Selbstverteidigungsrecht noch ein Recht zu militärischen Maßnahmen auf der Grundlage des Notstands.543 Daher lehnen viele eine Anwendung einer Notstandskonzeption auf die internationale Terrorismusbekämpfung ab.544 Die Staatenpraxis zeigte große Einigkeit hinsichtlich der umfassenden Geltung des Gewaltverbots. Die Staaten stützten mehrheitlich ihre grenzüberschreitende Terrorismusbekämpfung auf das Selbstverteidigungsrecht. Lediglich die Türkei berief sich bei der Gegenwehr gegen nichtstaatliche Angreifer auf irakischem Gebiet auf die Notstandskonzeption.545 Allerdings ist Simma und Fastenrath zuzustimmen, dass auch Staaten, die unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs i. S. d. Art. 51 UN-Charta angegriffen werden, die Möglichkeit einer begrenzten und verhältnismäßigen Gegenwehr offenstehen sollte, sofern die Schutzinteressen des angegriffenen Staates nicht mit friedlichen Mitteln gewahrt werden können.546 In seiner abweichenden Meinung zum Oil Platforms Case ging Richter Simma mit Verweis auf das Nicaragua-Urteil des IGH auf die Möglichkeit der gewaltsamen Gegenwehr gegen Angriffe, die den Tatbestand des bewaffneten Angriffs aus Art. 51 UN-Charta
540 Ago, Yearbook of the International Law Commission 1980, Vol. II 1, S. 41 para. 58 f. 541 Voigtländer, Notwehr und kollektive Verantwortung, 2001, S. 20; Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, S. 234–236. 542 Yearbook of the International Law Commission 1980 II/2, S. 44 f.; vgl. auch Bericht der International Law Commission,1999, UN Doc. A/54/10, § 389. 543 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 539; Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, S. 329. 544 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 539; Bruha, AVR 40 (2002), S. 408; Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 163. 545 Siehe oben unter Staatenpraxis C. I. 546 Simma, in: Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984), S. 240 § 472; Fastenrath, Ein Verteidigungskrieg läßt sich nicht vorab begrenzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.11.2001, Nr. 263, S. 8.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
nicht erfüllen, ein.547 „(. . .) We may encounter also a lower level of hostile military action, not reaching the threshold of an „armed attack“ within the meaning of Article 51 of the United Nations Charter. Against such hostile acts, a State may of course defend itself, but only within a more limited range and quality of responses (. . .) and bound to necessity, proportionality and immediacy in time in a particularly strict way.“ 548 Im Unterschied zu regulären Selbstverteidigungsmaßnahmen dürfte sich der von leichter Gewalt betroffene Staat nur individuell und nicht kollektiv verteidigen.549 In diesem Sinne argumentierte auch die Völkerrechtskommission. Gemäß der von ihr formulierten Artikel zur Staatenverantwortlichkeit darf sich nur der Staat zur Wehr setzen, der in seinen eigenen Rechten verletzt wurde.550 In den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips könnte einem Staat in einer für ihn andernfalls aussichtslosen Notstandssituation als ultima ratio die Möglichkeit zur gewaltsamen Gegenwehr offenstehen. 2. Duldungspflichten analog zur Geschäftsführung ohne Auftrag Einige Kommentatoren schlagen vor, das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag551 auf Duldungs- und Unfähigkeitskonstellationen anzuwenden.552 Unter der Geschäftsführung ohne Auftrag ist „eine Konstellation zu verstehen, in der ein Staat für einen oder mehrere andere Staaten nach deren mutmaßlichem Willen oder zumindest in deren objektivem Interesse tätig wird und dabei in de547 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, Separate Opinion von Richter Simma, S. 331 para. 12 f. 548 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, Separate Opinion von Richter Simma, S. 333 para. 13. 549 Case concerning Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Judgment, ICJ Reports 2003, Separate Opinion von Richter Simma, S. 333 para. 13; Fastenrath, Ein Verteidigungskrieg läßt sich nicht vorab begrenzen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.11.2001, Nr. 263, S. 8. Der IGH hatte bereits in seinen Ausführungen zum Nicaragua-Urteil daraufhin gewiesen, dass es bei Gegenmaßnahmen unterhalb der Schwelle von regulären Selbstverteidigungsmaßnahmen keine Analogie zur kollektiven Selbstverteidigung gäbe. (Siehe Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 110 para. 211 und S. 127 para. 249.) Dies wurde von Franck, AJIL 81 (1987), S. 120 kritisiert. 550 UN Doc. A/RES/56/83 vom 12. Dezember 2001. 551 Allgemein zur Geschäftsführung ohne Auftrag siehe Herdegen, in: FS Doehring, 1989, S. 303 ff. 552 Panzera, Attivita Terroristiche e Diritto Internazionale, 1978, S. 107. Eine ganz vorsichtige Zustimmung zu diesem Ansatz findet sich bereits bei Wengler, wobei er sich allein auf Unfähigkeitskonstellationen bezieht. Wengler, Völkerrecht II, 1964, S. 1053. Der Option der Geschäftsführung ohne Auftrag scheint Bruha für Fälle wie failed states zuzuneigen, ohne dies aber weiter auszuführen. Bruha, AVR 40 (2002), S. 409.
IV. Begründungsmodelle zum Eingriff in die Integrität des Aufenthaltsstaates 123
ren völkerrechtlichen Verantwortungsbereich fallende Handlungen ohne besonderes Mandat vornimmt“.553 Auf den hier relevanten Fall übertragen bedeutet dies, dass der Aufenthaltsstaat eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Verhinderung der von seinem Territorium ausgehenden Gewaltakte habe und dieser Verpflichtung notfalls auch mit Gewalt nachkommen müsse. Ist der Aufenthaltsstaat aber selbst nicht willens oder nicht dazu in der Lage, Terroristen auf seinem Staatsgebiet zu bekämpfen, könnte der von den Gewaltakten betroffene Staat an dessen Stelle dieses Geschäft ausführen.554 Es ist allerdings zweifelhaft, ob die Anerkennung der Geschäftsführung ohne Auftrag als Gegenstand allgemeiner Rechtsgrundsätze im Sinne von Art. 38 Abs. 1 lit. c des IGH-Statuts und damit als Institut des Völkerrechts gelten kann.555 Darüber hinaus ist es fraglich, ob die hier vorgeschlagene Lösung mit der Charta vereinbar wäre. Der IGH bezeichnete im Nicaragua-Fall den Primat des Willens als Kern der staatlichen Souveränität, welche Ausdruck des grundlegenden Strukturprinzips des Völkerrechts und zugleich Schutzgut des Interventionsverbotes sei.556 Die Skepsis gegenüber dem Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag im Völkerrecht nährt sich aus der Rechtfertigungsproblematik, besteht doch die Gefahr, dass diese Rechtsfigur zu einer Art „trojanisches Pferd“ für Übergriffe in fremde Hoheitsrechte gerät.557 Wohlmeinende Staaten würden sich zum Vollstrecker des Völkerrechts und zum Sachwalter der Staatengemeinschaft aufschwingen und in die Souveränität anderer Staaten eingreifen. Es kann also bei der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht darum gehen, neben dem Selbstverteidigungsrecht eine weitere Durchbrechung des Gewaltverbots zu etablieren und die gewohnheitsrechtlichen Strukturprinzipien des Völkerrechts wie das Interventions- und Gewaltverbot zu relativieren.558 So findet der argumentative Rückgriff auf die Konzeption der Geschäftsführung ohne Auftrag in der Staatenpraxis kaum Beachtung, rechtfertigen die Staaten doch ihre militärischen und polizeilichen extraterritorialen Aktionen immer mit dem Selbstverteidigungsrecht. 553
Herdegen, in: FS Doehring, 1989, S. 304. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 159; Panzera, Attivita Terroristiche e Diritto Internazionale, 1978, S. 107. 555 Herdegen, in: FS Doehring, 1989, S. 303. 556 Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), 27. Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 108 para. 205. 557 Herdegen, in: FS Doehring, 1989, S. 305. 558 Ibid, 306. So schlägt Herdegen vor, in Fällen, in denen selbst ein extensives Verständnis der zulässigen Selbstverteidigung oder des Notstandes als Rechtfertigungsbasis für ein Einschreiten versagen, das von Karl Doehring herausgearbeitete Institut der Verwirkung heranzuziehen. Herdegen, in: FS Doehring, 1989, S. 321. Er bezieht sich auf Doehring, in: FS Seidl-Hohenveldern (1988), S. 51 ff. 554
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
3. Duldungspflichten bei einer Konstruktion einer Ersatzvornahme Eine andere Option, die von der Geschäftsführung ohne Auftrag in der Literatur abgegrenzt wird, ist das Rechtsinstitut der Ersatzvornahme, wobei es sich bei der staatlichen Gewaltanwendung gegen international operierende, nichtstaatliche, terroristische Akteure um Polizeigewalt handelt. Einige Kommentatoren nehmen eine extraterritoriale Zuständigkeit der Polizeigewalt an, die subsidiär im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft ausgeübt wird. Insofern wird von ihnen ein Rekurs auf Art. 51 UN-Charta verneint, da die Polizeigewalt von Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta auch dann nicht erfasst wird, wenn sie extraterritorial zur Anwendung gelangt.559 Die Polizeigewalt würde nur ersatzweise ausgeübt werden, d.h. unter der Voraussetzung, dass der wegen des territorialen Bezugs primär zuständige (Aufenthalts-)Staat nicht handeln will oder kann. Wie oben diskutiert, lässt das umfassende Gewaltverbot neben dem Selbstverteidigungsrecht keine weiteren Rechtfertigungsgründe zu. Insofern ist der Rechtsgedanke der Ersatzvornahme wenig überzeugend. Interessant ist aber, dass trotzdem Kritiker dieses Rechtsinstituts und gleichsam Verfechter der Erfordernis einer staatlichen Zurechnung eines bewaffneten Angriffs überlegen, ob nicht unter bestimmten Voraussetzungen eine Verpflichtung des Territorialstaates zur Gestattung dieser Ersatzvornahme besteht, wenn damit keinerlei ernsthafte Gefahren für die Angehörigen oder Interessen des Territorialstaates verbunden sind.560 Damit unterstützen sie (möglicherweise auch unabsichtlich) implizit den Gedanken der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen, wenn der Aufenthaltsstaat versäumte, selbst innerstaatlich dem grenzüberschreitenden Terrorismus entgegenzuwirken. Von anderer Seite werden diese extraterritorialen – auch gewaltsamen – Polizeimaßnahmen allerdings auf Art. 51 UN-Charta gestützt, als Rechtsfolge auf einen bewaffneten Angriff seitens Privater ohne staatliche Zurechenbarkeit.561 In dieser Ausgestaltung klingt die Bezeichnung „extra-territorial law enforcement“ irreführend, da es sich nicht mehr um polizeiliche Aufgaben im originären Sinne, sondern um Selbstverteidigung handelt.562 Richtigerweise wird 559 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 160, der sich in seiner Argumentation wiederum auf Ziccardi Capaldo bezieht, Terrorismo internazionale, 1990, S. 96 ff. 560 Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 260; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 884. 561 Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 272. Dinstein sieht in dieser normativen Konstruktion das Paradebeispiel für die Reaktion auf terroristische, also nichtstaatliche Angriffe von einem anderen Staatsgebiet aus. Die Richter Kooijmans und Richter zitierten in ihren Separate Opinions Dinsteins Aussagen. Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Judgment, ICJ Reports 2005, S. 314 und 337 (bezugnehmend auf Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 3. Aufl. (2001), S. 216). 562 Zur Kritik an Dinstein über diese begriffliche Unschärfe siehe Schmitz-Elvenich, Targeted Killing, 2008, S. 105.
IV. Begründungsmodelle zum Eingriff in die Integrität des Aufenthaltsstaates 125
aber allein auf das Recht auf Selbstverteidigung abgestellt. Der Staat setzt in Ausübung seines Rechts auf Selbstverteidigung diejenigen Maßnahmen gegenüber den Terroristen durch, die der Aufenthaltsstaat selbst hätte erbringen müssen. In beiden Konstruktionen – Ersatzvornahme neben dem Selbstverteidigungsrecht und als Form des Selbstverteidigungsrechts – erkennen deren Befürworter in Duldungs- und Unfähigkeitskonstellationen eine Kompetenz des Zielstaates, im Wege der Ersatzvornahme extraterritorial Polizeigewalt auszuüben.563 4. Duldungspflichten bei der Konstruktion einer Verwirkung des Schutzes durch das Gewaltverbot Eine andere Option bei der Abwägungsentscheidung bietet die Reduktion des Schutzes durch das Gewaltverbot, dem der Aufenthaltsstaat untersteht, wenn die bewaffneten Angriffe ihm nicht zurechenbar sind. Als Rechtfertigungsgrund käme demnach das Institut der Verwirkung in Frage.564 So könnte man erwägen, ob ein seine Rechtspflichten gröblich missachtender Staat den Schutz des Gewaltverbots verwirkt hat.565 Der aus dem deutschen Recht bekannte Begriff der Verwirkung findet allerdings keine rechte Entsprechung in der englischsprachigen Völkerrechtstheorie.566 Während beim Rechtsmissbrauch567 nur die Rechtsregel betroffen ist, die missbraucht wurde, knüpft die Verwirkung hingegen den Rechtsverlust an ein durch andere Normen verbotenes Verhalten.568 Da die Verwirkung weder völkerrechtsvertraglich noch völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, kommt nur eine Geltung als allgemeiner Rechtsgrundsatz in Betracht.569 Dies hätte zur Folge, dass die Verwirkung als allgemeiner Rechtsgrundsatz jeweils nur subsidiär an-
563 Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, S. 160; Ziccardi Capaldo, Terrorismo internazionale, 1990, S. 96 ff.; Dinstein, War, Aggression and SelfDefence, 5. Aufl. (2012), S. 272. 564 Allgemein hierzu Doehring, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 51 ff.; Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 149) 565 Tomuschat, EA 36 (1981), S. 332. 566 Während beispielsweise in der Encyclopedia of Public International Law die mit dem Rechtsinstitut Verwirkung verwandten Stichworte wie „abuse of rights“ (Rechtsmissbrauch), „estoppel“ (Verwirkung im Sinne eines venire contra factum proprium/widersprüchlichen Verhaltens) und „good faith“ (Treu und Glauben) ausführlich erörtert werden, findet sich keine Eintrag zu dem Begriff „forfeiture“, womit man Verwirkung übersetzen würde. 567 Ipsen, Völkerrecht, 5. Aufl. (2004), S. 631 f. Ipsen verneint die Einordnung des Institut des Rechtsmissbrauchs als allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. d. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut. 568 Doehring, in: FS Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 53; Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 140. 569 Doehring, Völkerrecht, 2. Aufl. (2004), S. 183; Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 140.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
wendbar wäre, sofern ein Rekurs auf das Völkervertragsrecht und das Völkergewohnheitsrecht im betreffenden Fall zu keiner Lösung führt. Hinsichtlich der Verwirkung von Souveränitätsrechten liegt es näher, unmittelbar vom Völkerrecht auszugehen anstatt durch einen Rechtsvergleich der nationalen Rechtsordnung dieses Rechtsinstitut auf die völkerrechtliche Ebene zu übertragen.570 Analog zu Art. 18 GG571 müssten auch im Völkerrecht die Verwirkungsfolgen missbrauchsbezogen bleiben.572 Da die Rechtsfolgen der Verwirkung generell an ein Verhalten des Rechtsinhabers anknüpfen, sind grundsätzlich nur solche Rechtspositionen verwirkbar, über die der betreffende Staat verfügen kann. Das Gewaltverbot gehört jedoch zum ius cogens, das der staatlichen Disposition entzogen als solches nicht verwirkbar ist. Jedoch könnte man die Frage aufwerfen, ob nicht ein einzelner Staat seinen Status als Objekt des Gewaltverbots verwirken kann.573 Anders als beispielsweise im Zivilrecht geht es bei einer statusbegrenzenden Verwirkung im öffentlichen Recht nicht um den Verlust von Ansprüchen. Dem Staat wird lediglich die Berufung auf Souveränitätsrechte unter bestimmten, missbrauchsbezogenen Umständen versagt.574 Dem Gewaltverbot liegt die Annahme zugrunde, dass jeder Staat innerhalb seiner Grenzen für Recht und Ordnung sorgt. Zieht er sich bewusst von der Erfüllung dieser Aufgabe zurück und lässt innerhalb eines bestimmten Raumes eine kriminelle Organisation frei schalten und walten, verwirkt er damit den Schutz des Gewaltverbots. Dies müsste den „Opferstaat“ berechtigen, selbst alle zur Wahrung ihrer Interessen notwendigen Mittel einzusetzen und gegebenenfalls auch militärische Gewalt anzuwenden.575 5. Zusammenfassung und kritische Würdigung der oben diskutierten Begründungsmodelle Die Analyse der verschiedenen Rechtsinstitute auf ihre Übertragbarkeit auf die grenzüberschreitende Bekämpfung des internationalen Terrorismus zeigt, wie komplex die Rechtslage ist und wie schwierig ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Schutzgütern erreicht werden kann. Die Übertragung der neutralitätsrechtlichen Regelungen auf den Fall des internationalen Terrorismus verfing nicht. Auch beim Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag bestehen be-
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Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 141. Vgl. Krebs, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 6. Aufl. (2012), S. 1334 ff., Rz 14–16. Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 147. 572 Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 138 f. 573 Kokott, in: FS Bernhardt, 1995, S. 149. 574 Ibid. S. 138 f. 575 Tomuschat, EuGRZ 2001, S. 541; Brownlie, International Law and the Use of Force by States, 1963, S. 375. 571
V. Bedeutung für die staatliche Souveränität
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rechtigte Zweifel, dass der Auftrag tatsächlich völkerrechtskonform im Auftrag der internationalen Staatengemeinschaft oder des betroffenen Aufenthaltsstaates ausgeübt wird. Zu groß scheint hier die Missbrauchsgefahr, dass Politik und Macht gegenüber dem Recht die Oberhand gewinnen. Interessant ist, dass bei den anderen beiden Konzeptionen – egal ob von ihren Kritikern oder Befürwortern – die Ansicht durchschimmert, dass der Aufenthaltsstaat einer Verpflichtung nachkommen müsse, grenzüberschreitenden Terrorismus innerstaatlich zu bekämpfen, da er andernfalls die Schmälerung seiner Rechtsposition, in diesem Fall die territoriale Integrität als Schutzgut des Gewaltverbots, hinnehmen müsse.
V. Bedeutung für die staatliche Souveränität Es ist im Völkerrecht allgemein anerkannt, dass die staatliche Souveränitätsausübung Grenzen unterworfen ist. Die wichtigste Begrenzung der Souveränität erfolgte durch das Verbot des ius ad bellum gemäß Art. 2(4) der UN-Charta. Durch das Gewaltverbot können kleinere und schwächere Staaten bei Rechtsgeschäften mit politisch oder militärisch überlegenen Staaten – ungeachtet der faktischen Unterschiede – auf das Prinzip der souveränen Gleichheit verweisen.576 „Souveränität“ zeichnet sich also nicht durch beliebige Handlungsfreiheit „hors la loi“ aus, sondern durch Entscheidungsautonomie im Rahmen der völkerrechtlichen Vorgaben.577 Dies bedeutet, dass sich im zwischenstaatlichen Bereich Schranken in erster Linie nicht nur durch das objektive Völkerrecht bilden, sondern auch durch die jeweils subjektiven Rechte der anderen Staaten.578 Erinnert sei hier insbesondere an das Umwelt- und Nachbarschaftsrecht.579 Aber auch durch die fundamentalen Menschenrechte von Individuen kann im Zuge der humanitären Intervention die Handlungsfreiheit eines Staates beschränkt werden.580
576
Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 9. Aufl. (2008), S. 366. Oeter, in: FS Steinberger, 2002, S. 287. 578 Hector, Das völkerrechtliche Abwägungsgebot, 1992, S. 160 f.; Bleckmann, AVR, 23 (1985), S. 466. Der Gedanke der Pflichtenstellung als Korrelat einer völkerrechtlichen Rechtsposition ist auch in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit anerkannt wie z. B. im Island of Palmas Schiedsspruch (Max Huber): „Territorial Sovereignty, (. . .) involves the exlusive right to display the activities of a State. This right has as corollary a duty: the obligation to protect within the territority the rights of other States, in particular their right to integrity and inviolability in peace and war (. . .).“, abgedruckt in ZaöRV 1 II (1929), S. 17 bzw. RIAA 2 (1949), S. 839. 579 Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998; zur Bedeutung des Trail-Smelter-Fall für das internationale Wasserrecht und die Auswirkungen auf das Souveränitätsprinzip siehe Bleckmann, AVR 23 (1985), S. 467 f.; Hobe/Kimminich, Völkerrecht, 9. Aufl. (2008), S. 621. 580 Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates – das Ende staatlicher Souveränität, 1996. 577
128
C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
Wie oben gezeigt, geht auch die grenzüberschreitende Bekämpfung des Terrorismus mit Auswirkungen auf das Souveränitätsprinzip einher. 1. Einschränkung der territorialen Integrität Die in Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen gewählte Formulierung lässt Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen nichtstaatliche Gewalt zu, sofern diese einen bewaffneten Angriff darstellen. Sowohl in den wissenschaftlichen Diskussionen um das Selbstverteidigungsrecht als auch in den anderen dargestellten Konstellationen wird dem angegriffenen Staat ein Recht zur Gegenwehr eingeräumt und explizit oder implizit auf eine wie auch immer geartete Duldungspflicht des Aufenthaltsstaates verwiesen. Dies spiegelt sich ebenso in den Begründungen der Staaten, die militärische Gegenwehr gegen nichtstaatliche bewaffnete Angriffe für sich in Anspruch nahmen, wider. Ist ein Staat nicht in der Lage oder nicht willens, Terrorismus effektiv innerstaatlich zu bekämpfen, kann bei Vorliegen eines bewaffneten Angriffs als Rechtsfolge die Abwägungsentscheidung innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Lasten des Aufenthaltsstaates ausfallen. Der Aufenthaltsstaat muss insofern durch die auf seinem Territorium durchgeführten Selbstverteidigungsmaßnahmen die Schwächung seiner Rechtsposition dulden.581 Die territoriale Integrität stellt demnach bei Unwilligkeit oder Unfähigkeit des Aufenthaltsstaates ein relatives Gut dar, das im Sinne einer ultima ratio einer temporären und zielgenauen Verletzung zur Verteidigung gegen einen bewaffneten nichtstaatlichen Angriff ausgesetzt werden darf.582 Der angegriffene Staat muss sich aber gerade im Fall, dass der bewaffnete Angriff nicht dem Aufenthaltsstaat zugerechnet werden kann, umso strikter an die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit halten. In der Staatenpraxis wurden insofern Selbstverteidigungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaates nur toleriert, falls diese als notwendig und verhältnismäßig erachtet wurden.583
581 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 202 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 887; Bruha, AVR 40 (2002), S. 393; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 229 f.; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 227 f.; Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 102 ff.; Wedgwood, Yale J Int’l L 24 (1999), S. 565; Bruha/Bortfeld, VN 49 (2001), S. 166; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 864; Löw, Gewaltverbot und Selbstverteidigung nach dem 11. September 2001, 2009, S. 161 ff.; Bethlehem, AJIL 106 (2012), S. 776; Kretzmer, EJIL 24 (2013), S. 244 f.; Wilmshurst/Wood, AJIL 107 (2013), S. 393; Hmoud, AJIL 107 (2013), S. 576; Akande/ Liefländer, AJIL 017 (2013), S. 563; Reinold, Sovereignty and the Responsibility to Protect, 2012, S. 117. 582 Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 864. 583 Siehe oben C. I.
V. Bedeutung für die staatliche Souveränität
129
2. Einschränkung des domaine réservé In der Staatengemeinschaft besteht ein breiter Konsens über die völkerrechtliche Verpflichtung, Terrorismus zu bekämpfen. Die Vereinten Nationen, insbesondere der Sicherheitsrat und die Generalversammlung als maßgebliche Organe in der Formulierung von Staatenpflichten, verfolgen daher eine „zweispurige“ Herangehensweise.584 Es wird eine generelle Verurteilung dieses Phänomens versucht, was sich in zahlreichen Resolutionen der Generalversammlung585 und des Sicherheitsrats586 widerspiegelt. Zudem beschäftigt sich die Staatengemeinschaft mit speziellen Ausprägungen des Terrorismus, da bisher keine Einigung auf eine allgemeine Terrorismusdefinition erreicht werden konnte. Als Ergebnis wurden, zum Teil von den Vereinten Nationen initiierte, spezifische Konventionen formuliert.587 Ein breites Regelwerk konstituiert mittlerweile Pflichten für die Staaten,
584
Shaw, International Law, 6. Aufl. (2008), S. 1159. UN Doc. A/RES/34/145 vom 17. Dezember 1979; UN Doc. A/RES/36/109 vom 10. Dezember 1981; UN Doc. A/RES/38/130 vom 19. Dezember 1983; UN Doc. A/ RES/40/61 vom 9. Dezember 1985; UN Doc. A/RES/42/159 vom 7. Dezember 1987; UN Doc. A/RES/44/29 vom 4. Dezember 1989; UN Doc. A/RES/46/51 vom 9. Dezember 1991; UN Doc. A/RES/49/60 vom 9. Dezember 1994; UN Doc. A/RES/50/53 vom 11. Dezember 1995; UN Doc. A/RES/51/210 vom 17. Dezember 1996; UN Doc. A/RES/52/165 vom 15. Dezember 1997; UN Doc. A/RES/108 vom 26. Januar 1999; UN Doc. A/RES54/110 vom 2. Februar 2000; UN Doc. A/RES/55/158 vom 30. Januar 2001; UN Doc. A/RES/56/88 vom 24. Januar 2002; UN Doc. A/RES/57/27 vom 15. Januar 2003; UN Doc. A/RES/58/81 vom 8. Januar 2004; 2005 World Summit Outcome UN Doc. A/RES/60/1 vom 24. Oktober 2005; A/RES/60/288 vom 20. September 2006; UN Doc. A/RES/60/43 vom 6. Januar 2006; UN Doc. A/RES/61/40 vom 18. Dezember 2006; UN Doc. A/RES/62/71 vom 8. Januar 2008; UN Doc. A/RES/62/ 272 vom 15. September 2009; UN Doc. A/RES/63/129 vom 15. Januar 2009; UN Doc. A/RES/64/297 vom 8. September 2010; UN Doc. A/RES/66/282 vom 29. Juni 2012. 586 UN Doc. S/RES/579 vom 18. Dezember 1985; UN Doc. S/RES/731 vom 21. Januar 1992; UN Doc. S/RES/748 vom 31. März 1992; UN Doc. S/RES/1267 vom 19. Oktober 1999; UN Doc. S/RES/1373 (2001) vom 28. September 2001; UN Doc. S/ RES/1566 (2004) vom 8. Oktober 2004; UN Doc. S/RES/1624 (2005) vom 14. September 205; UN Doc. S/RES/2083 (2012) vom 17. Dezember 2013; UN Doc. S/RES/2178 (2014) vom 24.09.2014. 587 Hierbei handelt es sich um folgende dreizehn Übereinkommen: Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen, Tokio, 14. September 1963, BGBl. 1976 II S. 649, 658, 186 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen, den Haag, 16. Dezember 1970, BGBl. 1972 II S. 1505, 185 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt, Montreal, 23. September 1971, BGBl. 1977 II S. 1229, 188 Mitgliedstaaten; Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 14. Dezember 1973, BGBl. 1976 II S. 1745, 178 Mitgliedstaaten; Internationales Übereinkommen gegen Geiselnahme, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 17. Dezember 1979, UN Doc A/RES/34/146, BGBl. 1980 II S. 1361, 174 Mitgliedstaaten; Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial, Wien, 3. März 1980, BGBl. 585
130
C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
terroristische Handlungen zu kriminalisieren, Rückzugsmöglichkeiten zu unterbinden und Gefahren für andere Staaten zu verhindern. Zum anderen hat der Sicherheitsrat mit den Resolutionen 1373 (2001),588 1566 (2004)589, 1624 (2005)590 und 2178 (2014)591 eine Reihe von umfangreichen, quasi-legislativen Maßnahmen unter Kapitel VII der UN-Charta angenommen, da er die bestehenden Normen als nicht ausreichend erachtete, um damit wirksam der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden zu begegnen. Zwar stand noch die Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution 1373 in direktem Zusammenhang mit den Ereignissen vom 11. September 2001, jedoch dienen die in dieser wie auch in den nachfolgenden Resolutionen enthaltenen Regelungen nicht mehr der Beendigung des konkreten Einzelfalls. Die Maßnahmen zielen durch ihren abstrakt-generellen Charakter auf die Gefahrenabwehr des gesamten Phänomens „internationaler Terrorismus“ ab und sind daher nicht mehr allein zur Bekämpfung des Terrornetzwerks Al Qaida gedacht.592 Während die Resolutionen hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, verbleibt die Wahl der Form und Mittel zu deren Umsetzung den innerstaatlichen Stellen der Mitgliedsstaaten. Insofern erinnert die Art der Resolutionen an einen Rechtsakt der Europäischen Union, deren Organe verordnungsähnliche Richtlinien zum Zweck der Harmonisierung der na-
1990 II 326, 152; Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, in Ergänzung des Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt, Montreal, 24. Februar 1988, BGBl. 1993 II S. 866, 1994 II S. 620, 173 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt, Rom, 10. März 1988, BGBl. 1990 II S. 508, 108 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zweck des Aufspürens, Montreal, 1. März 1991, BGBl. 1998 II S. 2301, 152 Mitgliedstaaten; Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge, verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 15. Dezember 1997, UN Doc. A/RES/52/164, BGBl. 2003 II S. 1923, 168 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, verabschiedet von der Generalversammlung am 9. Dezember 1999, UN Doc. A/RES/54/109, BGBl. 2003 II 1923, 186 Mitgliedstaaten; Übereinkommen zur Bekämpfung von Nuklearterrorismus, verabschiedet von der Generalversammlung am 13. April 2005, angenommen, UN Doc A/RES/ 59/290, BGBl. 2007 II S. 1586, 1587, 99 Mitgliedstaaten (Stand: 12. März 2015). 588 UN Doc. S/RES/1373 (2001) vom 28. September 2001. 589 UN Doc. S/RES/1566 (2004) vom 8. Oktober 2004. 590 UN Doc. S/RES/1624 (2005) vom 14. September 2005. 591 UN Doc. S/RES/2178 (2014) vom 24. September 2014. 592 Ein Legislativakt zeichnet sich durch seine einseitig-verbindliche Form und den generell-allgemeinen Inhalt aus, der neue Normen schafft oder der bereits existierende Normen modifiziert. Da die Resolution 1373 (2001) diese Charakteristika aufweist, ist sie legislativ sowohl in Bezug auf Inhalt als auch auf ihre Wirkung hin. Alvarez, in: de Wet/Nollkaemper (Hrsg.), Review of the Security Council by Member States, 2003, S. 121; Rosand, Fordham Int’l L. J. 28 (2005), S. 582.
V. Bedeutung für die staatliche Souveränität
131
tionalen Rechtsvorschriften einsetzen.593 Insofern sind diese Resolutionen eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber den Sanktionen gegen Libyen, den Sudan, das Taliban-Regime in Afghanistan oder das Al Qaida-Netzwerk, da sie keinen regionalen Fokus enthalten.594 Die Mitgliedstaaten müssen nun generell Rückzugsräume denjenigen verweigern, die terroristische Handlungen finanzieren, planen, unterstützen oder begehen. Zudem müssen die Staaten verhindern, dass ihr Hoheitsgebiet für grenzüberschreitende terroristische Aktivitäten genutzt wird.595 Der Sicherheitsrat griff somit in die inneren Angelegenheiten und die Gesetzgebung aller Staaten weltweit ein, um terroristische Akte zu sanktionieren.596 Der domaine réservé ist jedoch ein relatives Konstrukt, dessen Ausgestaltung immer in Abhängigkeit von der aktuellen völkerrechtlichen Entwicklung erfolgt.597 Die Souveränität der Staaten reicht bis zu den völkerrechtlichen Grenzen, die sich die Staaten selbst gesetzt haben. Erfordern politische, wirtschaftliche oder soziale Bedrohungen neue völkerrechtliche Regeln, bedeutet dies noch keine Minderung der staatlichen Souveränität. Es wird nicht die Souveränität, sondern lediglich deren Ausübung eingeschränkt. Der Ständige Gerichtshof hat in seiner berühmten ersten Entscheidung im Wimbledon-Fall 1923 nüchtern die Souveränität als Freiheit der Staaten im Rahmen des Völkerrechts definiert.598 Dies bestätigte Jahre später das Bundesverfassungsgericht.599 Den Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation können keine Rechte und Pflichten auferlegt werden, die sie nicht mit ihrem Beitritt voraussehbar übernommen haben. 593
Peterke, HuV-I (2001), S. 221. Meerpohl, Individualsanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, 2008, S. 80. 595 Ibid. 596 Peterke, HuV-I 2001, S. 218. Nach Art. 2(6) tragen die Vereinten Nationen Sorge dafür, dass Staaten, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind, insoweit nach den in Art. 1 UN-Charta dargelegten Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist. Damit kommt die umfassende Allgemeinverbindlichkeit der Grundsätze der Vereinten Nationen zur Geltung. Beschlüsse des Sicherheitsrats entfalten so auch gegenüber Nichtmitgliedern rechtliche Wirkung. 597 Schilling, AVR 33 (1995), S. 69. 598 SS Wimbledon (United Kingdom, France, Italy, Japan v. Germany), Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs vom 17. August 1923, PCIJ (Ser. A), No. 1, 28: „No doubt, any convention creating an obligation of this kind places a restriction upon the exercise of the sovereign rights of the State, in the sense that it requires them to be exercised in a certain way. But the right of entering into international engagement is an attribute of State sovereignty.“ Siehe hierzu auch Pierlings, in: Menzel (Hrsg.), Völkerrechtssprechung, 2005, S. 124–130; von Münch, in: Bernhardt (Hrsg.), S. 1482 ff. Zur Bedeutung der Entscheidung für die aktuelle Situation siehe u. a. Nolte, Zum Wandel des Souveränitätsbegriffs, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6.4.2005, S. 8; Cosnard, in: Byers/Nolte (Hrsg.), 2003, S. 117–134. 599 Vgl. „Maastricht-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 89, 155 (187 ff.) vom 12. Oktober 1993; Schilling, AVR 33 (1995), S. 70. 594
132
C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
Gerade die freie Entscheidung, sich völkerrechtlich zu binden, ist Ausdruck der staatlichen Souveränität. Insofern gehört es dazu, dass sie angesichts neuer Bedrohungen wie die des internationalen Terrorismus eine Intensivierung der internationalen Kooperation und der Verrechtlichung zum gemeinsamen Wohl eingehen. 3. Souveränität als Verantwortung Bereits seit einigen Jahren wird in der Politik und Wissenschaft diskutiert, inwieweit Souveränität nicht nur als Recht, sondern auch als Verantwortung begriffen werden muss. Im Fokus dieser Diskussion um eine Neuinterpretation des Souveränitätsprinzips stand vor allem der Schutz der betroffenen Bevölkerung bei humanitären Katastrophen.600 Der ursprünglich von Francis Deng entwickelte Ansatz601 einer „sovereignty as responsibility“ wurde von einer von Kanada eingesetzten, unabhängigen Expertenkommission (International Commission on Intervention and State Sovereignty, ICISS) über Intervention und Staatensouveränität 2001 zu einem umfassenden Konzept ausgearbeitet.602 ICISS löste in ihrem Bericht die Spannung zwischen dem Schutz der bedrohten Bevölkerung und der territorialen Integrität des betroffenen Staates zugunsten des erstgenannten Schutzgutes auf. Sie stützte sich dabei auf das Konzept der „responsibility to protect“ anstelle des international unbeliebten Begriffs der „humanitären Intervention“. Auch wenn sich die „responsibility to protect“ mangels entsprechender Staatenpraxis und einheitlicher opinio juris noch nicht in dem Maße als völkerrechtliche Norm etabliert hat,603 wie ICISS es ursprünglich im Sinn hatte, so wurde sie durch Resolutionen der VN-Generalversammlung604 (z. B. „World Summit Outcome 2005“) und des Sicherheitsrats605 aufgegriffen. In seiner Resolution 1973 (2011)606 beschloss der Sicherheitsrat unter Hinweis auf das Konzept der Schutzverantwortung militärische Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung. Jedoch konnte sich das Gremium in der Folgezeit nicht auf vergleichbare Reaktionen beispielsweise in Syrien oder im Sudan einigen. Das mo600 Allgemein zur Responsibility to Protect: Arbour, Review of International Studies 34 (2008), S. 445–458; Bellamy, Responsibility to Protect, 2009; Stahn, AJIL 101 (2007), S. 99–120; Weiss, Security Dialogue 35 (2004), S. 135–153; Wheeler, in: Welsh (Hrsg.), Humanitarian Intervention and International Relations, 2004, S. 29–51; Reinold, Sovereignty and the Responsibility to Protect, 2012, S. 119–150. 601 Deng (Hrsg.), Sovereignty as Responsibility. Conflict Management in Africa, 1996. 602 International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS), The Responsibility to Protect, Ottawa 2001, http://responsibilitytoprotect.org/ICISS%20Re port.pdf. 603 Reinold, Sovereignty and the Responsibility to Protect, 2012, 85. 604 UN Doc. A/RES/60/1 vom 24.10.2005, para 138 und 139. 605 UN Doc. S/RES/1674 (2006) vom 28.04.2006 und UN Doc. S/RES/1973 (2011) vom 17.03.2011. 606 UN Doc. S/RES/1973 (2011) vom 17.03.2011.
V. Bedeutung für die staatliche Souveränität
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derne Völkerrecht versteht Souveränität somit als Verantwortung jedes einzelnen Staates seine Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ehtnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Ist eine Staatsführung dazu nicht in der Lage oder willens, kann diese Schutzverantwortung subsidiär der internationalen Gemeinschaft – den Vereinten Nationen – zufallen, so dass der betroffene Staat die Unversehrtheit der territorialen Integrität verwirken kann. Die oben durchgeführte Analyse zeigt, dass auch bei der Terrorismusbekämpfung zum Ausdruck kommt, dass Souveränität als Verantwortung und Rechtspflicht begriffen wird.607 Während die Rechtsfigur der humanitären Intervention zum Schutz fundamentaler Menschenrechte einen Souveränitätswandel von der „sovereignty as control“ hin zu einer „sovereignty as responsibility“ einleitete, 608 gewinnt nun der Aspekt der „sovereignty as responsibility to control“ an Bedeutung. Dieses Konzept der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit zeigt sich einerseits in den legislativen Maßnahmen des Sicherheitsrats zur Terrorismusbekämpfung, andererseits in der Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen auf dem eigenen Territorium im Falle der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der staatlichen Organisation, diese Bedrohung wirksam zu verhindern bzw. zu unterbinden. Im Gegensatz zur „responsibility to protect“, bei der Souveränität als Verantwortung eines Staates für das Wohl der Personen auf seinem Staatsgebiet verstanden wird, kann Souveränität auch Verantwortung gegenüber der internationalen Gemeinschaft und den Menschen außerhalb des eigenen Territoriums bedeuten. Gemeinsam ist beiden Konzepten ein Souveränitätsverständnis, das die Wahrung der territorialen Integrität von der Pflichterfüllung des Staates abhängig macht. Während das Konzept der „responsibility to protect“ ein nach innen gerichtetes Verständnis von Verantwortung impliziert – die Schutzverantwortung für die eigenen Bürger, symbolisiert die „responsibility to control“ bzw. die „responsibility to contain“ 609 eine nach außen gerichtete Verantwortung, d.h. die Pflicht, vom eigenen Staatsgebiet ausgehende Gefahren zu verhindern. Dies setzt die Fähigkeit eines Staates voraus, sein Staatsgebiet effektiv zu kontrollieren. Er muss insofern nicht nur in der Lage sein, die Sicherheit der eigenen Bevölkerung 607 Schinzel, in: FS Wildhaber, Human Rights, Democracy and the Rule of Law, 2007, S. 1541; Schmitt, Michigan Journal of International Law 24 (2003), S. 542; Wedgwood, Yale J Int’l L 24 (1999), S. 565; Bruha/Bortfeld, VN 49 (2001), S. 166; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 864; Reinold, Die Friedens-Warte 84 (2009), S. 109; Hmoud, AJIL 107 (2013), S. 576 f. 608 International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS), The Responsibility to Protect, Ottawa 2001, S. 13. http://responsibilitytoprotect.org/ICISS %20Report.pdf 609 Chertoff, Foreign Affairs 88 (2009), S. 130. Reinold spricht hier von einer „obligation to control“; Reinold, Die Friedens-Warte 84 (2009), S. 109; siehe auch Reinold, Sovereignty and the Responsibility to Protect, 2012, S. 90.
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C. Militärische Terrorismusbekämpfung auf fremdem Staatsgebiet
zu gewährleisten, sondern auch die Rechte anderer Staaten innerhalb seines Territoriums zu schützen.610 Diese Beziehung zwischen territorialer Souveränität und Schutzverantwortung gegenüber anderen Staaten, die Max Huber 1928 in einem anderen Zusammenhang im „Island of Palmas“-Schiedsspruch des Ständigen Internationalen Gerichtshofes betonte,611 gilt umso mehr im Zeitalter der Bedrohung durch grenzüberschreitend operierende Terroristen und andere nichtstaatliche Akteure. Unter dem Vorzeichen asymmetrischer Gefährdung haben Staaten nicht nur das Recht auf die oberste Autorität innerhalb des Territoriums, sondern gleichermaßen die Pflicht, diese Kontrolle auch auszuüben, um gemeinsam mit dem Sicherheitsrat den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren.
610
Reinold, Die Friedens-Warte 84 (2009), S. 109. Permanent Court of Arbitration 1928, 839: „territorial sovereignty . . . has as corollary a duty, (namely, the) obligation to protect within the territory the rights of other States, in particular their right to integrity and inviolability in peace and in war, together with the rights which each State may (. . .) for its nationals in foreign territory“. Siehe hierzu auch oben unter V. 1. 611
D. Zusammenfassung Grenzüberschreitende terroristische Aktionen von nichtstaatlichen Akteuren stellen eine signifikante Sicherheitsbedrohung dar und haben in der Vergangenheit militärische Interventionen des angegriffenen Staates auf dem Territorium des Aufenthaltsstaates ausgelöst. Insofern ist es von Relevanz, ob und in welchem Umfang Staaten das Recht haben, sich gegen diese nichtstaatlichen Angreifer grenzüberschreitend gewaltsam zur Wehr zu setzen und mit welcher Begründung in die territoriale Integrität und damit Souveränität des Aufenthaltsstaates eingegriffen werden darf. Dies führt zu der Frage, wie sich das Souveränitätsverständnis im Zuge der internationalen Terrorismusbekämpfung weiterentwickelt. Entscheidend ist dabei, wie sich Staaten selbst zur effektiven Terrorismusbekämpfung verpflichten und ob eine Nichtbefolgung dieser Pflichten eine Duldungspflicht des Aufenthaltsstaats impliziert, falls sich der angegriffene Staat militärisch verteidigt. Mangels einer allgemein anerkannten Definition wurde der Begriff „internationaler Terrorismus“ auf Gewalt durch nichtstaatliche Akteure, die sich grenzüberschreitend gegen einen anderen Staat richtet, eingeschränkt. Die Motivation ist dabei unerheblich, da auch die jüngste Staatenpraxis Ausnahmen für Freiheitskämpfer in Resolutionen der Generalversammlung und des Sicherheitsrats ablehnt. Die Analyse sowohl der relevanten Dokumente (Aggressionsdefinition, Artikel zur Staatenverantwortlichkeit der ILC) als auch der Urteile des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Straftgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien zeigt, dass ein Staat die privaten Angriffe kontrollieren muss, damit diesem das Verhalten zugerechnet werden kann. Der IGH und der ICTY haben jedoch unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Umfangs und der Intensität dieser staatlichen Kontrolle. Während der IGH seit dem Nicaragua-Urteil eine effektive Kontrolle verlangt, um den Angriff einem Staat zuzurechnen, reichte dem ICTY seit dem Tadic-Urteil eine allgemeine („overall“) Kontrolle. Einigkeit herrscht im juristischen Diskurs wie auch in der Staatenpraxis, dass eine staatliche Zurechnung ausgeschlossen ist, wenn der Staat die privaten Angreifer lediglich „beherbergt“ bzw. auf seinem Territorium duldet. Ist ein Staat wegen seines desolaten inneren Zustandes zu einer Kontrolle nicht mehr in der Lage (z. B. failed states),612 kann diesem kein eigenes völkerrechtswidriges Verhalten ange612 Rotberg (Hrsg.), State Failure and State Weakness in a Time of Terror, 2003, S. 1–15; Richter, Collapsed States: Perspektiven nach dem Wegfall von Staatlichkeit,
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D. Zusammenfassung
lastet werden. Nicht jede nichtstaatliche Gewalt kann infolgedessen einem Staate zugerechnet werden. Die Staatenpraxis ergab jedoch, dass Staaten auch in dieser Konstellation ein Recht auf Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Angriffe bzw. auf Notstand anerkennen und dieses Recht auch ausgeübt haben. Die in der Wissenschaft diskutierten Modelle oder Hilfskonstrukte zur Rechtfertigung der militärischen Maßnahmen wie der Rechtsgedanke der Neutralität,613 die Ersatzvornahme und die Geschäftsführung ohne Auftrag614 fanden keine Entsprechung in der Staatenpraxis. Bei ihrer Begründung für die Zulässigkeit der Verletzung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates verwiesen die Staaten meist auf die mangelnde innerstaatliche Terrorismusbekämpfung, bedingt durch die Unfähigkeit oder durch Unwilligkeit des Aufenthaltsstaates. Die Staatengemeinschaft war sich schon vor dem 11. September 2001 und damit vor der Sicherheitsresolution 1373 (2001) einig, dass eine innerstaatliche Pflicht zur Terrorismusbekämpfung besteht. Die Auslegung der Rechtsnormen ergab, dass ein Staatlichkeitserfordernis für die Bewertung eines „bewaffneten Angriffs“ im Sinne des Art. 51 UN-Charta nicht zwingend ist, so dass auch nichtstaatliche Angriffe unter das Tatbestandsmerkmal des bewaffneten Angriffs subsumiert werden können. Während die Textauslegung keine hinreichend konkrete Aussage zur Schwere der Intensität eines bewaffneten Angriffs ergab, stellte der IGH ein „significant scale“-Erfordernis auf, welches er bis dato nicht abschwächte. Dies würde jedoch Staaten, die Opfer minderschwerer Gewalt geworden sind, die Möglichkeit zur militärischen Gegenwehr entziehen. Sowohl in der Praxis615 wie auch in der Völkerrechtslehre616 wird dem angegriffenen Staat von denjenigen, die ein Staatlich2011; Thürer, Die Friedens-Warte 74 (1999), S. 275–306; Thürer, BDGV 34 (1996), S. 9–47. 613 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 198, 203); Bruha, AVR 40 (2002), S. 408; Scholz, Staatliches Selbstverteidigungsrecht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 114 f.; bereits vor Schindler, BDGV 26 (1986), S. 38; ebenso in diese Richtung weisend Bowett, SelfDefence in International Law, 1958, S. 56. Klar ablehnend allerdings Wandscher, da dies den Rechtscharakter des Selbstverteidigungsrechts als Notwehrrecht nicht berücksichtigen würde. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, S. 244. 614 Panzera, Attivita Terroristiche e Diritto Internazionale, 1978, S. 107; eine ganz vorsichtige Zustimmung zu diesem Ansatz findet sich bereits bei Wengler, wobei er sich allein auf Unfähigkeitskonstellationen bezieht. Wengler, Völkerrecht Bd. II, 1964, S. 1053; der Option der Geschäftsführung ohne Auftrag scheint Bruha für Fälle wie failed states zuzuneigen, ohne dies aber weiter auszuführen. Bruha, AVR 40 (2002), S. 409. 615 Siehe oben u. a. als prominente Beispiele USA – Al Qaida in AFG 2001 unter C. I. 10.; Israel – Libanon 2006 unter C. I. 13. 616 Krajewski, AVR 40 (2002), S. 197 ff.; Frowein, ZaöRV 62 (2002), S. 887; Bruha, AVR 40 (2002), S. 393; Stahn, ZaöRV 62 (2002), S. 216 f.; Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 5. Aufl. (2012), S. 227 f.; Scholz, Staatliches Selbstverteidigungs-
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keitserfordernis auf Tatbestandsseite für nicht notwendig erachten, durchaus ein Recht zur Gegenwehr zugestanden und dem Aufenthaltsstaat eine Duldungspflicht der Abwehrmaßnahmen gegen die in seinem Hoheitsgebiet befindlichen Privaten auferlegt. Der Anspruch auf Selbstverteidigung des Opferstaates kollidiert jedoch mit der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates. Um die widerstreitenden Interessen aufzulösen, muss eine Abwägungsentscheidung getroffen werden. Hierfür werden in der Völkerrechtsdiskussion mehrere Modelle herangezogen, um militärische Maßnahmen auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaates zu rechtfertigen. Eine Möglichkeit besteht in der Übertragung von neutralitätsrechtlichen Grundsätzen auf die Auseinandersetzung mit internationalen Terroristen. Dies ist jedoch, wie oben gezeigt, rechtlich schwierig zu untermauern. Allerdings setzt bereits die Verhältnismäßigkeitsprüfung den Konstellationen, in denen der Schutz der territorialen Integrität des Opferstaates mit der des Aufenthaltsstaates abgewogen werden muss – sei es als Selbstverteidigung oder als Notstandsmaßnahme – einen engen Rahmen. Nur wenn die militärische Gegenwehr tatsächlich erforderlich ist und verhältnismäßig durchgeführt wird, darf eine Einschränkung der Verletzung der territorialen Integrität des Aufenthaltsstaates erfolgen. Wie die Reaktionen in der Staatengemeinschaft zeigen, war dies bisher nur in Ausnahmen der Fall. Es mag dabei allerdings dahin gestellt sein, ob der internationale Terrorismus durch militärische Maßnahmen nachhaltig eingedämmt werden kann. Auch wenn die Modelle der Übertragung von neutralitätsrechtlichen Grundsätzen oder anderer in der Literatur diskutierter Optionen wie die Geschäftsführung ohne Auftrag, die Ersatzvornahme oder die Verwirkung bisher in der juristischen Begründung der Staatenvertreter keine Rolle spielten, stützen sie die Argumentation, dass dem angegriffenen Staat ein Recht zur militärischen Gegenwehr eingeräumt werden kann, sofern der Aufenthaltsstaat nicht selbst eine effektive Eindämmung der Bedrohung gewährleistet. Die Schwächung der Rechtsposition des Aufenthaltsstaates, der die auf seinem Territorium stattfindenden Selbstverteidigungsmaßnahmen dulden muss, resultiert demnach aus der Verletzung der völkerrechtlichen Pflicht, Terrorismus innerstaatlich wirksam zu bekämpfen. Genau diese Unwilligkeit bzw. Unfähigkeit ist also der Referenzpunkt in der Begründung, warum schlussendlich beim Vorliegen eines bewaffneten Angriffs durch nichtstaatliche Akteure in die territoriale Integrität des Aufenthaltsstaates temporär eingegriffen werden darf.
recht gegen terroristische Gewalt, 2006, S. 102 ff.; Wedgwood, Yale J Int’l L 24 (1999), S. 565; Bruha/Bortfeld, VN 49 (2001), S. 166; Stahn, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf (Hrsg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law, 2004, S. 864; Löw, Gewaltverbot und Selbstverteidigung nach dem 11. September 2001, 2009, S. 161 ff.
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Ausdrücklich wird daher in der Völkerrechtslehre wie auch in der Staatenpraxis Souveränität im Rahmen der Terrorismusbekämpfung als Verantwortung und Rechtspflicht begriffen. Dieses Konzept der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit ergibt sich einerseits aus den vom Sicherheitsrat auferlegten Pflichten zur Terrorismusbekämpfung. So hat der Sicherheitsrat zur Wahrung der internationalen Sicherheit und des Weltfriedens zu dem bereits existierenden breiten Regelwerk an Konventionen und Resolutionen der Generalversammlung eigene quasi-legislativ abstrakt-generelle Resolutionen formuliert, die darauf abzielen, terroristische Handlungen zu kriminalisieren, Rückzugsmöglichkeiten zu unterbinden und Gefahren für andere Staaten zu verhindern. Der Sicherheitsrat griff damit in die inneren Angelegenheiten und die Gesetzgebung der Staaten weltweit ein, um terroristische Akte zu sanktionieren.617 Da sich die Staaten jedoch Kraft ihrer Souveränität bei ihrem Beitritt zu den Vereinten Nationen freiwillig gebunden haben, bedeuten neue völkerrechtliche Regeln noch keine Minderung der staatlichen Souveränität. Es wird nicht die Souveränität, sondern lediglich deren Ausübung eingeschränkt. Andererseits besteht wie oben dargestellt eine Duldungspflicht von Selbstverteidigungsmaßnahmen auf dem eigenen Territorium, falls sich der Staat unfähig oder unwillig zeigt, diese Bedrohung wirksam zu verhindern bzw. zu unterbinden. Staaten haben also nicht nur das Recht auf die oberste Autorität innerhalb ihres eigenen Territoriums, sondern gleichermaßen die Pflicht, diese Kontrolle auch auszuüben, um ihren Beitrag zum Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu leisten.
617 Peterke, HuV-I 2001, S. 218. Nach Art. 2(6) tragen die Vereinten Nationen Sorge dafür, dass Staaten, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind, insoweit nach den in Art. 1 UN-Charta dargelegten Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist. Damit kommt die umfassende Allgemeinverbindlichkeit der Grundsätze der Vereinten Nationen zur Geltung. Damit entfalten die Beschlüsse des Sicherheitsrats auch gegenüber Nichtmitgliedern rechtliche Wirkung.
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Geeignetheit 105 Generalversammlung 21, 25, 46, 129, 132 Geschäftsführung ohne Auftrag 71, 122 f. Gewaltverbot 38, 62, 75, 83, 91, 108, 120 f., 123, 125 f. Grenzüberschreitende Kriminalität 24 Humanitäre Intervention 19 Internationaler Gerichtshof 27 f., 73, 103 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) 28 f., 135 Interventionsverbot 98 Irak 37 ff., 58 f., 66 Iran 27, 40 ff., 44 f., 89, 115 ISIL/Daesh 15, 65 ff. Israel 32 ff., 51 ff., 57, 71, 76, 112 f., 117 Ius ad bellum 104 f., 127 Ius cogens 120, 126 Ius in bello 104 f., 117 Kooperationspflichten zur Terrorismusbekämpfung 46, 132 Libanon 15, 32 ff., 54 f., 106, 108 Mauergutachten (Rechtsgutachten zum Bau der israelischen Mauer) 76 Menschenrechte 19, 39, 64, 127 Nationale Befreiungskämpfe 21, 101 Neutralitätsrecht 99 ff., 137
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Stichwortverzeichnis
Nicaragua-Urteil 27 ff., 73, 76 f., 92, 94 f., 121 f., 135 Notstand 71, 109, 119 ff., 136 f. Notwehr 109 Notwendigkeit 103 f. Nuklearwaffen-Gutachten 88
Souveränität – Domaine réservé 129 ff. – Verantwortung 53, 132 f. Staatenverantwortlichkeit 29 f., 33 f., 49, 120 Staatsterrorismus 18 Syrien 51 ff., 65 ff.
Oil Platforms Fall 93 f., 96, 115, 121 Pakistan 43, 60 ff., 105 Repressalie 33, 111 Resolution 1368 45 Resolution 1373 45 f., 53, 72, 100, 130 Responsibility to protect 132 f. Reziprozität 91 Russland 43, 51, 54, 56 Safe haven 66 Selbstbestimmungsrecht 20 f., 71, 109 Selbstverteidigungsrecht – Gewohnheitsrecht 70 f. – Kollektive Selbstverteidigung 47 f., 66, 87, 115 – Measures short of war 84 – Präventive Selbstverteidigung 33, 47, 73, 111 – Rechtsquelle 72 ff. – Schutzzweck 79 f., 91 ff. – Ultima ratio 106, 109, 122, 128 – Voraussetzung 73 ff.
Tadic-Fall 28 f. Taliban 42 f., 46 ff., 60 f., 107, 114, 131 Teheraner Geiselfall 27 Territoriale Integrität 36, 97, 109, 119 ff. Terroristische Vereinigung 67, 107 Türkei 15, 37 ff., 42, 58 ff., 70 f., 121 Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus 24 Unfähigkeitskonstellation 71 f., 120, 122, 136 Unterstützungskonstellation 25, 30, 44, 50, 52 Unwilligkeit 71, 98, 128, 137 f. USA 41 ff., 45 ff., 60, 62 ff., 65 ff. Vergeltungsmaßnahmen 33, 50, 53, 106, 111 Verhältnismäßigkeit 102 ff., 113 f., 117, 137 Verwirkung 125 f., 137 Webster-Formel 82 f., 103, 106, 110 Zurechnung 25 ff., 55, 88, 124, 135