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German Pages 535 Year 2011
Schriften zum Völkerrecht Band 193
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 Auswirkungen auf das Völkerrecht und die Organisation der Vereinten Nationen
Von
Jörg Föh
Duncker & Humblot · Berlin
JÖRG FÖH
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001
Schriften zum Völkerrecht Band 193
Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 Auswirkungen auf das Völkerrecht und die Organisation der Vereinten Nationen
Von
Jörg Föh
Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.
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In Erinnerung an Alexandra Duguay United Nations Stabilization Mission in Haiti 4. 6. 1978 – 12. 1. 2010
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde Anfang 2010 von der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie im Hinblick auf die Entwicklungen innerhalb der Vereinten Nationen nochmals auf den Stand von Dezember 2010 gebracht. Aus der Fülle der wissenschaftlichen Beiträge zu den in der Arbeit behandelten Themen konnte letztlich nur eine Auswahl getroffen werden. Termin der mündlichen Prüfung war am 1. Juni 2010. Die Betreuung der Arbeit lag in den Händen von Herrn Prof. Dr. Jörn Axel Kämmerer, bei dem ich mich herzlich für seine jahrelange Unterstützung und vielen Anregungen und Gespräche bedanke. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Frau Prof. Dr. Doris König. Beiden gebührt auch mein Dank für das gute, Lehrstuhl übergreifende Miteinander und die Förderung während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bucerius Law School in den Jahren 2001–2005. Dies gilt gleichermaßen für die übrigen Kolleginnen und Kollegen an den Lehrstühlen, in der Bibliothek und der Hochschulverwaltung sowie nicht zuletzt die Studierenden, die die Gründungsjahre an der Bucerius Law School für mich zu einer faszinierenden und erfüllenden Zeit gemacht haben. Das Thema der Arbeit ist aus meiner Referendariatsstation im Frühjahr 2004 bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York sowie einem Praktikum im VN-Sekretariat zum Weltgipfel im Herbst 2005 hervorgegangen. Meinen Ausbildern, den Botschaftsräten Erster Klasse Heinrich Haupt und Christian Much sowie Henry E. Breed, Political Advisor in der Sekretariats-Hauptabteilung Generalversammlung und Konferenzmanagement, bin ich sehr dankbar dafür, wie sie mich in ihre Arbeit und das Umfeld der Vereinten Nationen einbezogen und das Völkerrecht praktisch erlebbar gemacht haben. Den ehemaligen Direktoren des Walther-Schücking-Instituts für internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Herrn Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Jost Delbrück und Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann, sowie den dortigen Mitarbeitern, insbesondere Frau Prof. Dr. Anne Peters, fühle ich mich sehr verbunden, da sie es waren, die bereits in meinen Jahren als studentische Hilfskraft am Institut die Freude am Völkerrecht in mir geweckt haben.
8
Vorwort
Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst sowie dem Svenska Institutet danke ich für ihr Stipendium für mein Masterstudium in „Comparative and International Law“ an der Universität Stockholm. Ebenso danke ich der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. für ihre ideelle und finanzielle Förderung, die ich während des Studiums und der Dissertation erfahren habe und die mir vieles ermöglicht hat. Für sein Verständnis, das er für meine „nebenberufliche“ Beschäftigung mit dieser Arbeit aufgebracht hat, danke ich Herrn Regierungsdirektor Peer Schaefer in der Behörde für Wissenschaft und Forschung. Für ihren Ansporn, ihr engagiertes Korrekturlesen und ihre immerwährende Freundschaft danke ich namentlich Christian Jaedicke, Ph. D., PD Dr. Sebastian Lalla und Dr. Tim Schommer. Meiner Familie danke ich für ihre bedingungslose Unterstützung und Liebe. Hamburg, im Dezember 2010
Jörg Föh
Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
A. Die weltpolitische Zäsur des 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
B. Die Bekämpfung des „neuen internationalen Terrorismus“ im Rahmen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
C. Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
D. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Teil 1 Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
41
Kapitel 1 Das Phänomen des Terrorismus
41
A. Begriffliche und konzeptionelle Erfassung terroristischer Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
B. Der „Anti-Terror-Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
Kapitel 2 Das System der Vereinten Nationen
61
A. Aufgaben und Befugnisse (functions and powers) der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
B. Das System der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
C. Finanzierung und Haushaltsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
10
Inhaltsübersicht Kapitel 3 Wahrnehmung des Mandats zur Terrorismusbekämpfung durch die Vereinten Nationen
82
A. Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf terroristische Akte vor Gründung der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
B. Institutionalisierung der internationalen (Staaten-)Gemeinschaft in den Vereinten Nationen: Praxis der VN-Akteure in Ausübung ihres Mandats . . .
85
C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Ergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Teil 2 Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats im „Anti-Terror-Krieg“ nach dem 11. September 2001
111
Kapitel 4 Hintergrund und Parameter der Untersuchung
111
A. Politisch-geschichtlicher Hintergrund der Aktivitäten des Sicherheitsrats . . . 112 B. Parameter der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Kapitel 5 Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten und nicht-staatlichen Akteuren (Privaten)
144
A. Exekutive Maßnahmen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 B. (Quasi-)Legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C. (Quasi-)Judikative Maßnahmen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Kapitel 6 Maßnahmen des Sicherheitsrats, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen und gegen die Verfassungsund Strukturprinzipien der Charta verstoßen
296
A. Eingriff in Kompetenzen der GV und des ECOSOC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Eingriff in Kompetenzen des IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Errichtung eines „Parallel-Sekretariats“ durch S/RES/1535 (2004) . . . . . . . . . 298 Ergebnis zu Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Inhaltsübersicht
11
Teil 3 Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
329
Kapitel 7 Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung
331
A. Reform des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 B. Reform von Sekretariat und GV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 C. Verrechtlichung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Kapitel 8 Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus und Terrorismusdefinition 392 A. Das Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus . . . 392 B. Die Definition des Terrorismus als auch politisches Phänomen . . . . . . . . . . . 412 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Kapitel 9 Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus
435
A. Vorarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 B. Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vom September 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 C. Vergleich und Bewertung der Strategien von Sicherheitsrat, Generalversammlung und Generalsekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 D. Schaffung einer zentralen Institution für die Terrorismusbekämpfung . . . . . . 467 E. Terrorismusbekämpfung als Teil einer umfassenden globalen Sicherheitsagenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Ergebnis zu Teil 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Schluss
492
A. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
12
Inhaltsübersicht Anhang
506
A. Inoffizielles Arbeitsdokument („Comments on CTC reform“) des USG Kieran Prendergast (DPA) vom 9.2.2004 (Abschrift) . . . . . . . . . . . . . . . 506 B. Schreiben („Revitalisation of CTC“) des ASG Danilo Türk (DPA) vom 3.3.2004 (Abschrift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 C. Themen des Weltgipfels (HLPM) und der Generaldebatte (GD) 2005 . . . . . . . 510 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
A. Die weltpolitische Zäsur des 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
B. Die Bekämpfung des „neuen internationalen Terrorismus“ im Rahmen der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
D. Gegenstand und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
Teil 1 Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
41
Kapitel 1 Das Phänomen des Terrorismus
41
A. Begriffliche und konzeptionelle Erfassung terroristischer Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Terrorismus versus Terror . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Private bzw. staatliche Gewaltausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Politische und religiöse Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Internationalisierung des Terrorismus nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der israelisch-palästinensische Konflikt und das Aufkommen der PLO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dekolonisierung, Anti-Imperialismus, Regionalkonflikte, Islamismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Rolle von Staaten im internationalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsterrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatlich geförderter Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Failed States . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Al-Qaida und der „globale Terrorismus“ der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . 1. Der 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Wesen des „neuen Terrorismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Strukturen von Al-Qaida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Strategie des neuen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. „Globaler (Mega-)Terrorismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 47 47 48 48 50 50 51 52 54 55
B. Der „Anti-Terror-Krieg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
41 42 42 43 44 45
14
Inhaltsverzeichnis I. II. III. IV.
Zeitlich-räumliche Offenheit des „Kriegszustandes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsterror und Propaganda im Gewande des „(Anti-)Terror-Kriegs“ . . Vom „ewigen Frieden“ zum „ewigen Kriege“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Globaler Kampf gegen gewalttätigen Extremismus“: Erfordernis einer multi-dimensionalen und multi-lateralen Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57 57 58
C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
59
Kapitel 2 Das System der Vereinten Nationen A. Aufgaben und Befugnisse (functions and powers) der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . .
61
62
B. Das System der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff „VN-System“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Organisation der VN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hauptorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generalversammlung (GV), Art. 9 ff. SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sicherheitsrat (SR), Art. 23 ff. SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), Art. 61 ff. SVN . . . . . . . . . d) Treuhandrat, Art. 86 ff. SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Internationaler Gerichtshof (IGH), Art. 92 ff. SVN . . . . . . . . . . . . . f) Sekretariat und Generalsekretär, Art. 97 ff. SVN . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nebenorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nebenorgane der GV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nebenorgane des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nebenorgane des ECOSOC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Programme und Fonds (programmes and funds) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Andere VN-Einrichtungen (other UN entities) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kommission für Friedenskonsolidierung (Peacebuilding Commission) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonderorganisationen (specialized agencies) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Angeschlossene Organisationen (related organizations) . . . . . . . . . . . . 8. Institutionelles „Dach“ über dem VN-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 76 76 77
C. Finanzierung und Haushaltsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Drei Säulen der Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordentlicher Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Friedensoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Freiwillige Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Haushaltsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 78 78 79 80 80
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
63 63 63 63 63 65 66 66 67 68 71 71 73 74 74 75
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 3 Wahrnehmung des Mandats zur Terrorismusbekämpfung durch die Vereinten Nationen A. Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf terroristische Akte vor Gründung der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Traditionelles nationalstaatliches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerbund als multilateraler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Institutionalisierung der internationalen (Staaten-)Gemeinschaft in den Vereinten Nationen: Praxis der VN-Akteure in Ausübung ihres Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung durch die GV . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachkriegszeit: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggressionsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1960er und 1970er Jahre: „Measures to prevent terrorism“ als erste Serie an Anti-Terrorismus-Resolutionen – Terrorismus versus Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der pragmatische Ansatz der GV: Spezifische Behandlung des Terrorismus durch sektorale Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Neuere Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) 1980er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Measures to eliminate terrorism“ als zweite Serie an Resolutionen – „Unjustifiability“-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) „Human rights and terrorism“ als dritte Serie an Resolutionen – Terrorismus versus Menschenrechte . . . . . . . cc) 51/210-Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Institutionelle Reformen und Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung durch den SR . . . . . . . . . . . . . . 1. Einzelfallbezogene politisch-moralische Verurteilung terroristischer Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit: der Lockerbie-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Taliban und Al-Qaida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Kampf gegen den „neuen internationalen Terrorismus“ . . . . . . . III. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung durch die anderen VN-Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ECOSOC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treuhandrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 4. 5. 6. 7.
Sekretariat/Generalsekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VN-Einrichtungen sowie Programme und Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . VN-Sonderorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angeschlossene Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Ein konsistentes Ganzes oder viele heterogene Ansätze? . . . . . . . . . . . . . . 105 II. „Allgemeines Anti-Terrorismus-Völkerrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Ergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Teil 2 Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats im „Anti-Terror-Krieg“ nach dem 11. September 2001
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Kapitel 4 Hintergrund und Parameter der Untersuchung A. Politisch-geschichtlicher Hintergrund der Aktivitäten des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die VN und der Ost-West-Konflikt: „Vom SR zur GV zurück zum SR“ . . 1. Uniting for Peace der GV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkungen der Zeitenwende von 1989/91 auf die Praxis des SR . . 3. Das institutionelle Gleichgewicht der VN in Schieflage . . . . . . . . . . . . II. Neue Friktionen in der internationalen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Renationalisierung und „Kulturalisierung“ in Zeiten der Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konzeptionelle Herausforderungen an das Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . B. Parameter der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand: SR-Resolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Maßstab: Rechtliche Bindungen, denen der SR unterliegt . . . . . . . . . . . . . 1. These von der „rechtlichen Bindungslosigkeit“ des SR als politischem Organ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenthese: Prinzipien und Normen, denen der SR unterliegt . . . . . . a) Rechtliche Gebundenheit jeglicher öffentlicher Gewalt . . . . . . . . . b) Kernbereich staatlicher Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kompetenzen des SR als von den Mitgliedstaaten übertragene Befugnisse, Art. 24 Abs. 1 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Art. 24 Abs. 2 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 1 Ziff. 1 SVN: Grundsätze der Gerechtigkeit und des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis bb) Art. 1 Ziff. 3 SVN: Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Art. 2 Ziff. 2 SVN: Prinzip von Treu und Glauben . . . . . . . . dd) Art. 2 Ziff. 7 SVN: Gebot der Nichtintervention . . . . . . . . . . e) Art. 25, 103 SVN: „Im Einklang mit dieser Charta“/ „Verpflichtungen aus dieser Charta“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Kapitel VII SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Voraussetzungen der Art. 39, 41, 42 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normativer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Qualifizierte“ Friedensbedrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verhältnismäßigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grenze: Einschätzungsprärogative und Prognosespielraum . . g) Ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Satzungsrechtlicher Kompetenzrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompetenz- bzw. Funktionsverteilung und Gebot der Organtreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Terminologie von (quasi-)exekutivem, legislativem und judikativem Handeln und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kompetenzüberschreitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kontrolle sowie Folgen kompetenz- und rechtswidrigen Handelns . . . . 1. Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 5 Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten und nicht-staatlichen Akteuren (Privaten) A. Exekutive Maßnahmen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erweiterung des Adressatenkreises völkerrechtlicher Rechte und Pflichten: Private, nicht-staatliche Akteure neben den Staaten als Subjekte des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht und kriegsrechtliche Befugnisse des Staates jenseits kollektiver Zwangsmaßnahmen durch die VN und gegenüber nicht-staatlich organisierten Terroristen („Anti-Terror-Krieg“ der USA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Selbstverteidigung und kollektive Zwangsmaßnahmen im Verhältnis zum völkerrechtlichen Gewaltverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung des Rechts auf Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff Privater bei gleichzeitiger Feststellung einer Gefährdung von Frieden und internationaler Sicherheit durch den SR (Analyse der S/RES/1368 und S/RES/1373 [2001]) (Afghanistan) . . .
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Inhaltsverzeichnis a) Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslegung des Passus „Recognizing the inherent right of individual or collective self-defence“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstverteidigung versus Kollektivmaßnahmen . . . . . . . . . . . . bb) Selbstverteidigung nur gegen (quasi-)staatliche (Taliban) oder auch gegen nicht-staatliche Akteure (Al-Qaida)? . . . . . . (1) Taliban als de facto-Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ungenauigkeit der Resolutionen 1368 und 1373 . . . . . . . (3) Staatenpraxis: Sowohl Taliban als auch Al-Qaida von den Resolutionen 1368 und 1373 erfasst . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen des Rechts auf Selbstverteidigung im Falle terroristischer Anschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bewaffneter Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Direkte und indirekte staatliche Urheberschaft . . . . . . . . . (2) Zurechnung eines Angriffs durch Private zu einem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Angriff einem militärischen Angriff vergleichbar . . . (b) Angriff einem Staat zurechenbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Recht der Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . (bb) Maßstab der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Anwendung auf die Taliban . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begrenzung des Selbstverteidigungsrechts auf „Notfallmaßnahmen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zeitliche Nähe (Gegenwärtigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorrang des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Voraussetzung: SR ergreift effektive Maßnahmen . . (b) Errichtung der ISAF-Operation und Verhängung von Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Präemptive Selbstverteidigung“ (Irak) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 bzw. nach Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Selbstverteidigung gegen Staaten bzw. de facto-Regime . . . . bb) Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Terroristen . . . . . . . 4. Der „Anti-Terror-Krieg“ und seine Auswirkungen auf die internationale Ordnung und das Völkerrecht (insb. ius in bello/Guantánamo) . . a) Der Begriff des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) S/RES/1377 (2001): „Die Geißel des internationalen Terrorismus“ c) Konsequenzen der Terrorismusbekämpfung in Form eines „Anti-Terror-Kriegs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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aa) Verwerfungen in der internationalen Ordnung . . . . . . . . . . . . . bb) Konfusion von Krieg und Kriminalität in der Behandlung von Individuen: „Ungesetzliche Kombattanten“ und das „System“ Guantánamo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Private Militärunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhängung völkerrechtlicher, auf Staaten bzw. Staatsorgane zugeschnittener Sanktionen durch den SR gegen Individuen in ihrer privaten Kapazität (1267-Sanktionsregime gegen Al-Qaida/Taliban) . . . . . . . . . . . 1. Sanktionen im System der VN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Funktion von Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen zur Erhebung von Sanktionen und Praxis des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Praktische Bedeutung von Sanktionen seit Ende des Kalten Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) 661-Sanktionsregime gegen den Irak als Wendepunkt . . . . . c) „Ius ad sanctiones“ bzw. „ius in sanctionibus“ . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgangslage: Das 1267-Sanktionsregime von 1999–2002 . . . . . . . . . a) Adressatenkreis: offen und global . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unterschiede zu Vorläufer-Sanktionsregimen . . . . . . . . . . . . . . bb) Von den quasi-staatlichen Taliban zur privaten Al-Qaida: die „Konsolidierte Liste“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die (Sanktions-)Maßnahmen und ihre Umsetzung . . . . . . . . . . . . . c) Status der gelisteten Individuen und Einrichtungen . . . . . . . . . . . . d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reformen: Das 1267-Sanktionsregime seit Ende 2002 . . . . . . . . . . . . . a) Humanitäre Ausnahmen (humanitarian exceptions) . . . . . . . . . . . . b) Listungsverfahren (listing procedure) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Identifizierungsangaben (identifying information) . . . . . . . . . . bb) Hintergrundinformationen und Falldarstellung (statement of case) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Format und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nachweis der Verbindung zu Al-Qaida/Taliban . . . . . . . . . . . ee) Regelmäßige Überprüfungen (periodic reviews) . . . . . . . . . . . ff) Definitionen technischer Begriffe (explanation of technical terms) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahrensrechte (due process) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Listenstreichungsverfahren (de-listing procedure) . . . . . . . . . . . . . . e) Recht auf wirksamen Rechtsbehelf (effective remedy)? . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Status quo der Sanktionsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herausbildung eines „allgemeinen (Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7.
8. 9. 10.
aa) Evaluierung der humanitären Folgen von Sanktionen und humanitäre Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitliche Befristung der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erläuterung von Begriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Listungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Listenstreichungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Regelmäßige Überprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Überwachungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Arbeitsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutzlücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung des Maßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Völkerrechtliche Menschenrechtsverbürgungen . . . . . . . . . . . . bb) Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Regionaler Menschenrechtsschutz (insb. EMRK) . . . . . . . . . . . b) Prozedurale Rechte („faire und klare Verfahren“) . . . . . . . . . . . . . . aa) Standards in internationalen Menschenrechtserklärungen und -übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Derogierung im Notstandsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelne materielle Rechte und Verfahrensrechte . . . . . . . . . . . . . . . Urteile des Europäischen Gerichts Erster Instanz sowie des Europäischen Gerichtshofs in der verbundenen Rechtssache Yusuf und Kadi von 2005 bzw. 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urteil des EuG von 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verletzung von Verteidigungsrechten (Verfahrensgarantien) . . bb) Verletzung des Eigentumsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (effective remedy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Urteil des EuGH von 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutioneller Überprüfungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Justizielles versus nicht-justizielles Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staaten- versus VN-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kombiniertes Staaten-/VN-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Instrumentalisierung: Von Al-Qaida zu Terroristen generell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchsetzung der Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. (Quasi-)Legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anti-Terrorismus-Resolutionen seit 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. S/RES/1373 (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. S/RES/1540 (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. S/RES/1566 (2004) und S/RES/1624 (2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 235 236 237 238 238 238 240 241 242 242 243 244 245 245 247 248
249 249 250 252 254 255 256 259 259 260 263 264 265 267 268 268 268 270 271
Inhaltsverzeichnis
21
II. Rechtsgrundlage in Kapitel VII SVN? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung von Art. 39 und Art. 41 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortlaut (grammatische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungszusammenhang (systematische Auslegung) . . . . . . . . . . c) Ziel und Zweck (teleologische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Travaux préparatoires (historische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staaten- und Organisationspraxis (dynamisch-evolutionäre Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung des SR-Präsidenten vom 31. Januar 1992 . . . . . . . . . . . b) SR-Resolutionen seit den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) S/RES/827 (1993) und S/RES/955 (1994) . . . . . . . . . . . . . . . . bb) S/RES/1422 (2002) und S/RES/1487 (2003) . . . . . . . . . . . . . . c) Anti-Terrorismus-Resolutionen seit 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004) . . . . . . . . . . . . . . bb) S/RES/1566 (2004) und S/RES/1624 (2005) . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273 274 274 274 276 280 281 281 282 283 283 285 286 286 288 289 289
C. (Quasi-)Judikative Maßnahmen des Sicherheitsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I. S/RES/731 und S/RES/748 (1992): Lockerbie-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 II. S/RES/687 (1991): Entschädigungskommission (UN Compensation Commission [UNCC]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Kapitel 6 Maßnahmen des Sicherheitsrats, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen und gegen die Verfassungsund Strukturprinzipien der Charta verstoßen
296
A. Eingriff in Kompetenzen der GV und des ECOSOC . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Eingriff in Kompetenzen des IGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Errichtung eines „Parallel-Sekretariats“ durch S/RES/1535 (2004) . . . I. Errichtung von Nebenorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC) gemäß S/RES/1373 (2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gestalt des CTC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktion und Mandat des CTC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus (CTED) gemäß S/RES/1535 (2004) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund: Neubelebung (revitalisation) des CTC . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schaffung des CTED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgestaltung und Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Menschenrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
298 299 299 299 300 304 304 306 306 308
22
Inhaltsverzeichnis 3. Satzungsrechtliche Probleme des CTED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Institutionell-rechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Organisation des VN-Sekretariats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verortung des CTED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Systemwidrige Einordnung zwischen Sekretariat und SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unklare Verantwortungsstränge (Parallelen zum Oil for food-Programm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Übergeordnete Organisationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haushaltsrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Personalrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Alternative Organisationsformen: Expertengruppe oder Verortung im DPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausblick: CTED als permanente Einrichtung und Präzedenzfall für Verlagerung von Kompetenzen an den SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309 309 310 310 310 311 313 314 318 320 321 323 324
Ergebnis zu Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Teil 3 Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
329
Kapitel 7 Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung A. Reform des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammensetzung des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtlicher Rahmen und status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme: Verhältnis der Anzahl der SR-Sitze zur Zahl der VN-Mitglieder und Sitzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) 2003–2006 Initiative von GS Kofi Annan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Gruppe der Vier“, „Vereint für den Konsens“, „Gruppe der afrikanischen Staaten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) 2006–2008 Neuer Anlauf der GV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stand der Verhandlungen (63./64. Sitzungsperiode – 2008–10) . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Arbeitsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtlicher Rahmen und status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme: Information und Beteiligung, Verantwortlichkeit und Rechenschaft, Vetorecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331 332 332 333 334 334 335 336 338 339 341 344 346 346 348
Inhaltsverzeichnis
23
3. Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Initiative der „Gruppe der fünf Kleinen (S 5)“ . . . . . . . . . . . . . . . . b) Offene Arbeitsgruppe (OEWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Gruppe der Vier“, „Vereint für den Konsens“, „Gruppe der afrikanischen Staaten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Vetorecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Reaktionen des SR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349 350 351 353 354 354 355 358
B. Reform von Sekretariat und GV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sekretariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. GV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
361 361 363 366
C. Verrechtlichung und Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Internationale Rechtsstaatlichkeit (international rule of law) . . . . . . . . . . 1. Begriff und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anerkennung in der Praxis der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtliche Kontrolle (judicial review) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. IGH als adäquates Rechtsprechungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Argumente gegen eine rechtliche Kontrolle durch den IGH . . . . . b) Argumente für eine rechtliche Kontrolle durch den IGH . . . . . . . aa) Art. 36 IGH-Statut, Art. 96 SVN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Implied powers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Alternative des „staatlichen Ungehorsams“? . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Antragsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
369 370 370 372 374 377 378 378 379 379 380 381 384 386
D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Kapitel 8 Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus und Terrorismusdefinition A. Das Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stand der Verhandlungen im 51/210-Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt des Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgehandelter Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offene Fragen: Bestimmung des Anwendungsbereichs, Art. 18 . . . . a) Mehrheits- und Gegenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompromissvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erläuterungen des Vorsitzes des 51/210-Ausschusses . . . . . . . . . . .
392
392 392 393 393 396 396 397 397
24
Inhaltsverzeichnis III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis des Übereinkommens zum humanitären Völkerrecht . . . . . a) „Nationale Befreiungsbewegungen“ und Terrorismus . . . . . . . . . . . b) Reguläre Streitkräfte und (Staats-)Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis: parallele Anwendbarkeit von Anti-Terrorismus-Recht und humanitärem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis des Übereinkommens zum Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis des Übereinkommens zu den anderen „Anti-TerrorismusKonventionen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Die Definition des Terrorismus als auch politisches Phänomen . . . . . . . . . I. Definitionsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Völkerbund: Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Terrorismus von 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Generalversammlung der Vereinten Nationen: Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus von 1994 . . 3. Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sicherheitsrat: S/RES/1566 von 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. „Eine sicherere Welt: unsere gemeinsame Verantwortung“ – Bericht der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel von 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnisdokument (Outcome Document) des Weltgipfels von 2005 . . II. Elemente einer Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziel bzw. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Motiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Private und Offizielle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Politischer Opportunismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Freiheitskämpfer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Materielle versus formale Betrachtung von „Freiheitskämpfern“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung des legitimen gegenüber dem terroristischen „Freiheitskämpfer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Internationale Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Definitionsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
398 399 401 403 406 408 410 411 412 413 413 414 415 417
418 420 422 423 423 424 425 425 426 427 427 428 430 431 431
C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 9 Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus A. Vorarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bericht der Arbeitsgruppe des Generalsekretärs vom August 2002 . . . . . II. Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe vom Dezember 2004 . . . . . . . III. „5-D-Vorschlag“ des Generalsekretärs vom März 2005 . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bericht des Generalsekretärs „In größerer Freiheit“ vom März 2005 . . . V. Ergebnisdokument des Weltgipfels vom September 2005 . . . . . . . . . . . . . VI. Strategie des Generalsekretärs „Vereint gegen den Terrorismus“ vom April 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Menschen von der Anwendung oder Unterstützung von Terrorismus abhalten (dissuade) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Terroristen die Mittel zur Durchführung eines Anschlags entziehen (deny) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staaten von der Unterstützung terroristischer Gruppen abhalten (deter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatliche Kapazitäten zur Verhütung von Terrorismus aufbauen (develop) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Im Kontext des Terrorismus und der Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte verteidigen (defend) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vom September 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßnahmen zur Beseitigung der die Ausbreitung des Terrorismus begünstigenden Bedingungen (Säule I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus (Säule II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßnahmen zum Aufbau der Kapazitäten der Staaten (Säule III) . . 4. Maßnahmen zur Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit (Säule IV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitgliedstaaten, System der Vereinten Nationen, Zivilgesellschaft . . 2. Koordinierung bzw. Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenevaluationen der Strategie in den Jahren 2008 und 2010 . . . . . 1. Erste Evaluation der Strategie im Jahr 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs vom 7. Juli 2008 . . . . . . . . b) Abschlussdokument des International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation vom 24. Juli 2008 . . . . . . . . . . . . c) Debatte in der Generalversammlung vom 4.–5. September 2008 . . d) A/RES/62/272 vom 15. September 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
435 436 436 437 437 438 439 439 440 440 441 441 442 443 443 443 444 445 447 448 448 448 450 450 450 451 452 453
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Inhaltsverzeichnis 2. Evaluation der Strategie von 2010: Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
C. Vergleich und Bewertung der Strategien von Sicherheitsrat, Generalversammlung und Generalsekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Handlungskompetenz von SR, GV und GS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grad der Verbindlichkeit der beschlossenen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . III. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inhaltliche Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherheitsrat: primär militärischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Generalversammlung und Generalsekretär: ganzheitlicher Ansatz . . . a) Bedingungen, die die Ausbreitung des Terrorismus begünstigen („tiefere Ursachen des Terrorismus“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Förderung von Dialog, Toleranz und Verständnis – „Allianz der Zivilisationen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Durchführungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schaffung einer zentralen Institution für die Terrorismusbekämpfung . . I. Reform des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konsolidierung der Anti-Terrorismus-Ausschüsse des SR . . . . . . . . . . 2. Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung (CTITF) im VN-Sekretariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gründung einer neuen „Ankerinstitution“ zur Terrorismusbekämpfung . . 1. Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. VN-Amt oder -Programm für Terrorismusbekämpfung . . . . . . . . . . . . . 3. Angeschlossene oder Sonderorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
456 457 458 459 460 460 461 462 463 465 467 468 468 471 473 475 475 475 477 478 481
E. Terrorismusbekämpfung als Teil einer umfassenden globalen Sicherheitsagenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 Ergebnis zu Teil 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Schluss 492 A. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einordnung des 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abwägung von Sicherheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gestaltung der internationalen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
492 492 493 494
B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498
Inhaltsverzeichnis
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Anhang
506
A. Inoffizielles Arbeitsdokument („Comments on CTC reform“) des USG Kieran Prendergast (DPA) vom 9.2.2004 (Abschrift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 B. Schreiben („Revitalisation of CTC“) des ASG Danilo Türk (DPA) vom 3.3.2004 (Abschrift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 C. Themen des Weltgipfels (HLPM) und der Generaldebatte (GD) 2005. . . 510 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
Abkürzungsverzeichnis 1267-Ausschuss
Nebenorgan des SR zur Überwachung der Sanktionen gegen Al-Qaida/Taliban aufgrund der S/RES/1267 (1999) 1373-Ausschuss s. CTC 1540-Ausschuss Nebenorgan des SR zur Überwachung der Implementierung der S/RES/1540 (2004) für die Nichtverbreitung von MVW 1566-WG Arbeitsgruppe auf der Grundlage von S/RES/1566 (2004) ACABQ Advisory Committee on Administrative and Budgetary Questions/Beratender Ausschuss für Verwaltungs- und Haushaltsfragen (VN) AJIL American Yearbook of International Law A/RES/[Nr.] ([Jahr]) Resolution der Generalversammlung ASG Assistant Secretary-General/Beigeordneter Generalsekretär AU African Union/Afrikanische Union BVerfG Bundesverfassungsgericht BYIL British Yearbook of International Law CANZ Staatengruppe bestehend aus CAN, AUS und NZ CIA Central Intelligence Agency (Auslandsnachrichtendienst der USA) CMLR Common Market Law Review Columbia J.T.L. Columbia Journal of Transnational Law CRIA Cambridge Review of International Affairs CTC Counter-Terrorism Committee/Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (auf der Grundlage von S/RES/1373 [2001]) CTED Counter-Terrorism Executive Directorate/Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC) CTITF Counter-Terrorism Implementation Task Force/Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung Denver J.I.L.P. Denver Journal of International Law and Policy DGACM Department of General Assembly Affairs and Conference Management/Hauptabteilung Generalversammlung und Konferenzmanagement DPA Department of Political Affairs/Hauptabteilung für Politische Angelegenheiten DPI Department of Public Information/Hauptabteilung Presse und Information E 10 „Elected 10“ (die jeweiligen zehn nicht-ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder)
Abkürzungsverzeichnis ECOSOC ed. Ed./Eds. EGMR EJIL EJIR EMRK EPIL et al. etc. EuG EuGH EuR EUV EuZW F.A.S. FATF F.A.Z. FR FS FTD G 77 GA GAOR GK GS GV GYIL Harv. I.L.J. Harv. J.L. & Publ. Pol. HRC HS HuV-I IAEA/IAEO ICAO ICC ICLQ
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Economic and Social Council/Wirtschafts- und Sozialrat edition (dt.: Aufl.) Editor/Editors (dt.: Hrsg.) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of International Law European Journal of International Relations Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law et alii (und andere) et cetera (usw.) Gericht erster Instanz (der Europäischen Gemeinschaften) Europäischer Gerichtshof (der Europäischen Gemeinschaften) Europarecht Vertrag über die Gründung der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Financial Action Task Force/Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen“ Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurter Rundschau Festschrift Financial Times Deutschland Gruppe der 77 (loser Zusammenschluss von z. Z. 134 „Dritte Welt“-Staaten) General Assembly/Generalversammlung Official Records of the General Assembly Genfer Konvention(en) von 1949 Generalsekretär (engl.: SG) Generalversammlung (engl.: GA) German Yearbook of International Law Harvard International Law Journal Harvard Journal of Law & Public Policy Human Rights Council/Menschenrechtsrat Halbsatz Humanitäres Völkerrecht-Informationsschriften International Atomic Energy Agency/Internationale Atomenergie-Organisation International Civil Aviation Organization/Internationale Zivilluftfahrt-Organisation International Criminal Court/Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) International and Comparative Law Quarterly
30 ICTR ICTY IGH i. H. d. IHT i. H. v. ILC ILM IMO Indiana J.G.L.S. IPBPR i. R. v. ISAF i. S. d. IStGH i. S. v. i. w. S. JCSL KJ LJIL LNTS MDGs Michigan J.I.L. MPUNYB MVW m. w. N. NAM NGO NJIL NJW NVwZ N.Y. Times NYU Ann. Survey NYU J.I.L.P. OEF
Abkürzungsverzeichnis International Criminal Tribunal for Rwanda/Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia/Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Internationaler Gerichtshof (engl.: ICJ) in Höhe der/des International Herald Tribune in Höhe von International Law Commission/Völkerrechtskommission International Legal Materials International Maritime Organization/Internationalen SeeSchifffahrts-Organisation Indiana Journal of Global Legal Studies Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Rahmen von International Security Assistance Force (der VN in Afghanistan) im Sinne der/des Internationaler Strafgerichtshof (engl.: ICC) im Sinne von im weiteren/weitesten Sinne Journal of Conflict & Security Law Kritische Justiz Leiden Journal of International Law League of Nations Treaty Series Millennium Development Goals/Millenniums-Entwicklungsziele Michigan Journal of International Law Max Planck Yearbook of United Nations Law Massenvernichtungswaffen mit weiteren Nachweisen Non-Aligned Movement/Bewegung der blockfreien Staaten Non-governmental organization/Nichtregierungsorganisation Nordic Journal of International Law Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht New York Times New York University Annual Survey of American Law New York University Journal of International Law and Politics Operation Enduring Freedom (von den USA geführtes kollektives Selbstverteigungsbündnis zur Terrorismusbekämpfung in Afghanistan)
Abkürzungsverzeichnis OEWG
31
Open-Ended Working Group/Offene Arbeitsgruppe (zur Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhöhung der Zahl der Mitglieder im SR und zu anderen mit dem SR zusammenhängenden Fragen) OIC Organization of the Islamic Conference Organisation der Islamischen Konferenz op. operative paragraph/operativer Absatz OPCW Organization for the Prohibition of Chemical Weapons/Organisation für das Verbot chemischer Waffen OSG Office of the Secretary-General/Büro des Generalsekretärs P5 „Permanent Five“ (die fünf ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder, d. h. USA, RUS, GB, F und CHN) p. page/Seite Para. (Pl.: Paras.) Paragraph(s)/Absatz (Absätze) PBC Peacebuilding Commission/Kommission für Friedenskonsolidierung PKO Peacekeeping Operation/friedenssichernde bzw. -erhaltende Mission PLO Palestine Liberation Organization/Palästinensische Befreiungsorganisation pp. preambular paragraph/präambularer Absatz (Begründungserwägung) RdC Recueil des Cours Res. Resolution S/RES/[Nr.] ([Jahr]) Resolution des Sicherheitsrats SC Security Council (dt.: SR) SG Secretary-General (dt.: GS) SIPRI Stockholm International Peace Research Institute SR Sicherheitsrat (engl.: SC) SVN Satzung der Vereinten Nationen/(VN-)Charta SWP Stiftung Wissenschaft und Politik TPB Terrorism Prevention Branch/Unterabteilung Terrorismusverhütung (des UNODC) Tulsa J.C.I.L. Tulsa Journal of Comparative and International Law UNTS United Nations Treaty Series UN United Nations (dt.: VN) UNCC UN Compensations Commission/Entschädigungskommission der VN (für den Irak) UNESCO United Nations Educational, Scientific and Culutural Organization/Organisation der VN für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNMOVIC United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission/Überwachungs-, Verifikations- und Inspektionskommission der VN (im Irak)
32 UNODC USG Verf. VN WCO ZaöRV ZJS ZP ZRP
Abkürzungsverzeichnis United Nations Office on Drugs and Crime Prevention/Büro für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung Under-Secretary-General/Untergeneralsekretär Verfasser Organisation der Vereinten Nationen; Zeitschrift Vereinte Nationen World Customs Organization/Weltzollorganisation Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für das Juristische Studium Zusatzprotokoll (zu den Genfer Konventionen von 1949) Zeitschrift für Rechtspolitik
Einleitung A. Die weltpolitische Zäsur des 11. September 2001 In den Tagen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York war es der spontane, nahezu einhellige Tenor von Politikern und Medien, dass hiermit eine neue Zeitrechnung begonnen habe.1 Nicht nur waren die Anschläge für sich genommen beispiellos in dem Ausmaß ihrer Zerstörung, in der Art ihrer Inszenierung und in dem Inhalt ihrer Botschaft, sondern es war der erste Fall „privater Gewalt“ dieser Dimension, der sich jemals von außen gegen ein Ziel in den USA gerichtet hat.2 Mittlerweile hat sich „9/11“ zum neunten Mal gejährt, und der Ablauf dieser Zeit erlaubt eine Bestandsaufnahme darüber, was sich seitdem tatsächlich im Gefüge der internationalen Ordnung verändert hat. Die Welt ist Zeuge eines „Anti-Terror-Kriegs“ geworden, der seinerseits einen kaum für möglich gehaltenen Ausnahmezustand geschaffen hat. Die Überwindung des „Kalten Krieges“ und mit ihr das vermeintliche „Ende der Geschichte“3 müssen angesichts dessen, obgleich gerade einmal zwei Jahrzehnte zurückliegend, wie unwirkliche Lichter in einer fernen Vergangenheit erscheinen. Die militärischen „Anti-Terror-Maßnahmen“, die seit Oktober 2001 unter US-amerikanischer Führung vor allem in Afghanistan als Basisstaat der Terroristen sowie im benachbarten Pakistan unternommen worden sind, haben bislang stets das gleiche Maß an Gegengewalt hervorgerufen. Noch immer erreichen die Welt fast täglich Hiobsbotschaften über neue Verluste und Rückschläge.4 Die Lage im Irak, wo nach dem von den USA im März 1 Siehe etwa Carl Bildt, Wochenbrief vom 12. September 2001: „Världen kommer inte att bli densamma.“ (dt.: „Die Welt wird nicht dieselbe sein.“), erhältlich unter http://www.bildt.net [eingesehen am 16.4.2004]. 2 Die Bombardierung Pearl Harbours zum Auftakt des Zweiten Weltkrieges passte noch ins klassische Konzept vom Krieg zwischen Staaten, wenngleich keine formale Kriegserklärung ergangen war; die Anschläge von 1998 auf die Botschaften der USA in Tansania und Kenia ereigneten sich außerhalb der USA; und der Bombenanschlag von Oklahoma im Jahr 1995 fand zwar auf dem Territorium der USA statt, war aber kein von außen gegen die USA gerichteter Akt. 3 F. Fukuyama, The End of History and the Last Man, 1992. 4 Siehe etwa die Nachrichten „Afghanistan und Pakistan – Übergang zum Partisanenkrieg“ vom 26.4.2009 sowie „Sicherheit gibt es nicht mehr“ zu den Anschlägen
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Einleitung
2003 erzwungenen Regimewechsel ein Bürgerkrieg ausbrach, entwickelte sich ähnlich desaströs und hat die ohnehin zerrissene Region des Nahen und Mittleren Ostens weiter destabilisiert.5 Während die Zahlen auch der zivilen Opfer diejenigen des 11. September 2001 längst um ein Vielfaches übersteigen, rüsten die internationalen Truppen und vor allem die Taliban in Afghanistan weiter auf. Zwar ist mit dem Übergang des US-Präsidentenamtes von George W. Bush auf Barack Obama am 20. Januar 2009 eine gewisse Neuausrichtung der Politik und vor allem ein Prozess der persönlichen Vertrauensbildung eingeleitet. Ungeschehen machen oder kurzfristig wenden lassen sich die Fehlentwicklungen aber nicht. Stattdessen deutet sich an, dass der Westen sich letztlich wird zurückziehen müssen, ohne die ursprünglichen Ziele des Einsatzes erreicht zu haben. Der „Anti-Terror-Krieg“ hat ebenso auf die Heimat in der „westlichen Zivilisation“ zurückgewirkt. Die Geschehnisse in Abu-Graib und Guantánamo haben nicht nur die „Mission“ diskreditiert und die Kluft zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“ weiter vertieft, sondern auch das eigene Selbstverständnis erschüttert. Gleichzeitig verlaufen Maßnahmen zur Überwachung von „Terrorismusverdächtigen“ quer durch die eigenen pluralen Gesellschaften und sind grundlegende Freiheitsrechte zugunsten vermeintlicher Sicherheitsinteressen geopfert worden.
B. Die Bekämpfung des „neuen internationalen Terrorismus“ im Rahmen der Vereinten Nationen Mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus sind auch die Vereinten Nationen (VN) als die Weltorganisation, in deren Händen die Fäden der internationalen Beziehungen zusammenlaufen – praktisch als Spiegelbild der Aktivitäten ihrer Mitgliedstaaten – in eine neue Phase eingetreten. In ihrem Verlauf haben nicht nur die Funktionen, die sie nach außen wahrnimmt, sondern auch ihre inneren, institutionellen Strukturen zum Teil drastische Veränderungen erfahren. u. a. auf die Unterkunft der VN in Kabul vom 29.10.2009; danach war der Oktober 2009 mit 53 getöteten Soldaten allein auf Seiten der USA deren verlustreichster Monat in Afghanistan seit Beginn ihres Einsatzes im Jahr 2001; jeweils FAZ.NET [http://www.faz.net]. 5 Siehe nur „Schwerste Anschläge seit Jahren“ zu zwei Bombenexplosionen in Bagdad vom 26.10.2009, die mehr als 130 Todesopfer forderten, oder „Dutzende Tote bei Selbstmordanschlag auf Rekrutierungsbüro“, ebenfalls in Bagdad, vom 17.8.2010, jeweils FAZ.NET [http://www.faz.net] – dies genau in dem Zeitpunkt, in dem die USA ihre Kampftruppen im August 2010 nach vermeintlich erfüllter Mission aus dem Irak abziehen.
Einleitung
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Bereits einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat (SR) seine Resolution 1368, in der er im operativen Absatz 1 erstmalig feststellte, dass jede Handlung des internationalen Terrorismus eine Friedensbedrohung gem. Art. 39 SVN darstelle.6 Treibende Kraft hinter diesem Prozess waren die USA, die ihr militärisches und wirtschaftliches Übergewicht politisch entsprechend einsetzten, auch noch in der Zeit, als für viele Staaten der Schock im unmittelbaren Anschluss an die Anschläge bereits einer sachlicheren Betrachtung gewichen war.7 Dies hat den wesentlich von ihnen dominierten SR als dem entscheidenden VN-Organ zu einer Reihe „innovativer“ Maßnahmen bewegt: Zum einen sind in einem bis dahin ungekannten Maße den souveränen (Mitglied-)Staaten rechtliche Verpflichtungen auferlegt sowie Private einem unmittelbaren Zugriff ausgesetzt worden. Zum anderen ist es zu weit reichenden faktischen Verschiebungen in den Verfahren und im Kompetenzgefüge der Organe der VN selbst gekommen. Diese Veränderungen sind nur vor dem Hintergrund der einmaligen weltpolitischen Lage nach dem 11. September 2001 möglich gewesen, die auch die VN in eine Extremlage gebracht hat. Einerseits haben die Ereignisse die internationale Gemeinschaft zusammenrücken lassen („Angriff gegen die Zivilisation“8), andererseits gegeneinander polarisiert („Kampf der Kulturen“9). Die VN als Weltorganisation sind dabei zwischen Nabel („Forum der Staatengemeinschaft“10) und Peripherie („irrelevant“11) hin- und hergependelt. 6 In S/RES/1269 (1999), op. 1 hatte der SR noch differenziert: „. . . condemns all acts [. . .] of terrorism [. . .], in particular those which could threaten international peace and security“; i. d. S. hatte der SR zuvor jeweils nur einzelne konkrete Terrorakte als Friedensbedrohung bezeichnet, erstmalig in S/RES/748 (1992), pp. 7: „Determining [. . .] that the failure by the Lybian Government [. . .] constitute[s] a threat to international peace and security.“ In der Folgezeit hat der SR im Annex zu S/RES/1456 (2003), Präambel, 1. Spiegelstrich hingegen noch schärfer formuliert: „[T]errorism in all its forms and manifestations constitutes one of the most serious threats to peace and security“. 7 L. Fasulo, An Insider’s Guide to the UN, 2004, 11: „. . . the US can generally have as much influence as it wants in the UN“ sowie – insoweit den früheren kanadischen Vertreter bei den VN D. M. Malone zitierend – „. . . a strong coherent US lead at the UN is nearly always followed by UN member states“. 8 Vgl. nur die Aussage des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau am 9.10.2001, erhältlich unter http://www.bundespraesident.de/dokumente/-,2.59260/ Rede/dokument.htm [eingesehen am 17.8.2007]. 9 Siehe bereits S. P. Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, 1996. 10 So das Selbstverständnis der VN, aber auch etwa der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer in der Generaldebatte der GV am 23.9.2004, erhältlich
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Mit dem gegebenen zeitlichen Abstand ist es nun möglich und geboten, die Ereignisse einer Überprüfung am Maßstab des (Völker-)Rechts, vor allem der Charta der Vereinten Nationen, zu unterziehen. Dies gilt umso mehr, als die Erwartungen an die VN heute größer sind als je zuvor. Dies ist Bürde und Chance zugleich, da es von einer sich entwickelnden globalen Öffentlichkeit zeugt, die Standards und Verantwortung einfordert.
C. Ziele der Arbeit Die vorliegende Arbeit verfolgt ein doppeltes Ziel. Erstens sollen am Beispiel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 durch die VN und insbesondere den SR Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Völkerrechtspraxis und in den internationalen Beziehungen, die die VN verkörpern, aufgezeigt werden. Diese sind nicht gänzlich neu, in der zurückliegenden „Stresssituation“ aber deutlicher und geballter als zuvor zutage getreten. Zweitens sollen die aktuellen Maßnahmen und Reformvorschläge, die auf der Agenda der VN stehen, dargestellt, bewertet und fortgedacht werden. Trotz der gesehenen Verwerfungen wird sich das geltende Völkerrecht dabei den Herausforderungen durch den „neuen internationalen Terrorismus“ – entgegen anderslautenden Behauptungen unmittelbar nach „9/11“ – als durchaus gewachsen erweisen. In Bezug auf neue Sachverhalte muss das Recht zwar weiterentwickelt werden. Dies ist aber geradezu das Wesensmerkmal aller Rechtsanwendung, und diesen Raum bietet insbesondere auch das Völkerrecht. Entscheidend hierbei ist, dass dies auf der Grundlage der tradierten Regeln, Prinzipien und Werte geschieht. In der Vergangenheit und vor allem nach 2001 hat es jedoch an dem entsprechenden Willen der bzw. einzelner Staaten gemangelt, sowohl ihr einzelstaatliches Handeln als auch ihr Wirken in den intergouvernementalen Organen der VN hieran auszurichten. Um zu verhindern, dass die VN und mit ihnen die Völkerrechtsordnung zum Spielball einzelner Staaten werden, bedarf es Institutionen und Organe, die die Durchsetzung des Rechts sowie die Einhaltung fairer Verfahren, auch und gerade in außergewöhnlichen Umständen, gewährleisten. In der vom damaligen Generalsekretär Kofi Annan eigentlich zum Reformjahr gekürten 60. Sitzung der Generalversammlung im Jahr 2004/2005 („A time for renewal“) ließ sich die VN-Mitgliedschaft der VN allerdings nicht zu den gebotenen Veränderungen bewegen. unter http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/UNO/gv-04-fischer.html [eingesehen am 17.8.2007]. 11 Diese Einschätzung warf US-Präsident George W. Bush, allerdings in Frageform, in seiner Rede vor der GV am 12.9.2002 auf, erhältlich unter http:// www.un.org/webcast/ga/57/statements/020912usaE.htm [eingesehen am 17.8.2007].
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Daher soll in der vorliegenden Arbeit eine Reihe von Reformansätzen dargestellt bzw. entwickelt werden, die unterhalb der Schwelle einer formalen Charta-Änderung liegen, es den VN aber gleichwohl ermöglichten, ihren Aufgaben besser gerecht zu werden. Im Hinblick auf den SR liegt der Fokus dabei auf stärker kooperativ angelegten Beziehungen zu den anderen Hauptorganen, transparenten und partizipativen Arbeitsmethoden sowie einer Verrechtlichung seines Handelns. Der hierdurch gewonnene Zuwachs an Legitimität wird sich in entsprechenden Vertrauens- und Effektivitätsgewinnen äußern. Das gleiche gilt für seine Unterorgane, hier den (1267-)Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschuss sowie den (1373-)Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus, die anderenfalls zu kollabieren drohen. Nachdem die repressive und selbstherrliche Art und Weise der Terrorismusbekämpfung unter Führung des SR die internationale Gemeinschaft gespalten hat, ist es der Generalversammlung (GV) im Jahr 2006 gelungen, mit ihrer „Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“ (A/RES/60/288) einen übergreifenden Konsens herzustellen sowie Handlungsalternativen aufzuzeigen und für sich zu reklamieren. Der entscheidende, noch ausstehende Schritt ist jedoch deren praktische Umsetzung. Diesbezüglich sollen Möglichkeiten einer wirksameren Koordinierung oder auch weitergehenden Institutionalisierung der Terrorismusbekämpfung unter dem Dach der VN untersucht werden. Außerdem soll mit einem Vorschlag für eine Terrorismusdefinition der noch fehlende Baustein zur Verabschiedung des „Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus“ behandelt werden. Bisher haben sich die VN nur auf die Formel geeinigt, dass terroristische Handlungen nicht zu rechtfertigen seien. Die Frage, was eine terroristische Handlung ist, bedarf jedoch weiterhin der Klärung, die hier versucht werden soll.
D. Gegenstand und Gang der Untersuchung Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Analyse der S/RES/1267 (1999), S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004) sowie ihrer Nachfolge-Resolutionen. Sie sind Belege für die expansive Praxis des SR im Rahmen der Terrorismusbekämpfung und sollen am Maßstab der VN-Charta als Organisationsstatut der Weltorganisation und zugleich materiellem Werte- und Ordnungsrahmen der internationalen Gemeinschaft geprüft werden. Einen zweiten Schwerpunkt bilden mit der „Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“ sowie dem Entwurf eines „Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus“ die beiden maßgeblichen Beiträge der GV in der Folge des 11. September 2001. Ihre Strategie ist inklusiv und präventiv angelegt und unterscheidet sich damit grundlegend vom exklusiven, repressiv geprägten Ansatz des SR.
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In Teil 1 wird zunächst der thematische Hintergrund der Arbeit beleuchtet. Dabei geht es darum, überblicksartig das Phänomen des Terrorismus und damit die Sachverhalte, die den Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zugrunde liegen, zu klären. Obgleich der Terrorismus eine lange und vielfältige Geschichte hat, ist mit dem Al-Qaida-Netzwerk und seiner globalen Ausdehnung, offensiven Vorgehensweise und aggressiven Ideologie eine neue Dimension hinzugekommen, die ebenso neuer Antworten bedarf (Kap. 1). Als weitere Grundlage soll das System der VN beschrieben werden, um dieses in seiner Komplexität zu strukturieren und die im Kontext der Terrorismusbekämpfung relevanten Teile bzw. Akteure herauszustellen. Nicht zuletzt hängen die Erfolgsaussichten im Kampf gegen den Terrorismus – und ggf. die Bedarfe an organisatorischen Reformen – davon ab, wie die VN nach dem status quo positioniert sind (Kap. 2). Im Anschluss daran sollen die konkreten Maßnahmen, die die internationale Staatengemeinschaft bislang im Rahmen der VN gegen den Terrorismus ergriffen hat, dargestellt werden. Dies wird Aufschluss darüber geben, auf welche Strukturen, Programme und Rechtsregime, aber auch Denk- und Verhaltensmuster unter den VN-Mitgliedern der SR zurückgreifen konnte bzw. stieß, als er im Anschluss an „9/11“ die Führung in der Terrorismusbekämpfung übernahm (Kap. 3). In Teil 2 werden diejenigen Maßnahmen einer eingehenden Bewertung und Prüfung unterzogen, die der SR als zentraler Akteur innerhalb der VN in Ausübung bzw. Überschreitung seines Mandats wahrgenommen hat. Um den hierfür anzuwendenen Maßstab zu bestimmen, wird einleitend ermittelt, welchen völker- und charter-rechtlichen Bindungen der SR in seinem Handeln unterliegt (Kap. 4). In der Sache geht es danach zunächst um die Maßnahmen „nach außen“, die sich also an die Staaten richten, die teilweise aber auch unmittelbar auf die Individuen zielen. Mit seinen Resolutionen 1368 und 1373 noch vom September 2001 hat der SR den internationalen Terrorismus einerseits zum Gegenstand der kollektiven Sicherheit erklärt, andererseits scheinbar einen Blankoscheck für Selbstverteidigungsmaßnahmen ausgestellt. Vor diesem Hintergrund soll untersucht werden, welche Auswirkungen der globale Terrorismus des Al-Qaida-Netzwerks und der anschließende „Anti-Terror-Krieg“ auf das Völkerrecht genommen haben. Betroffen sind in erster Linie die Konturen des Selbstverteidigungsrechts sowie der Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts. Konzepte wie die „präemptive Selbstverteidigung“ und die voraussetzungslose „Sicherungsverwahrung“, versinnbildlicht durch „Guantánamo“, werden sich dabei nicht als Weiterentwicklung des Rechts, sondern als dessen Verletzung erweisen (Kap. 5, A. II.). Weiterhin hat der SR mit dem „1267-Regime“ Individualsanktionen erlassen, die von einer beispiellosen Reichweite sind und zunächst keinerlei Verteidigungs- oder auch nur Informationsrechte für die
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Betroffenen vorsahen. Zwar hat der SR in der Zwischenzeit eine Reihe durchaus bemerkenswerter Verfahrensanforderungen festgeschrieben, die Züge eines „(Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrechts“ tragen. Gleichwohl sind die Rechtsschutzmöglichkeiten bis heute unzureichend, was zuletzt sogar der EuGH feststellen musste. Daher sollen Modelle skizziert werden, wie Sanktionsentscheidungen des SR bzw. seiner Ausschüsse in einer Weise überprüft werden können, die sowohl den Notwendigkeiten der internationalen Sicherheit als auch den Menschen- und Bürgerrechten genügen (Kap. 5, A. III.). Durch seine Resolutionen S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004) hat der SR darüber hinaus (quasi-)legislative Resolutionen erlassen, die den Mitgliedstaaten abstrakt-allgemeine Verpflichtungen auferlegen. Zwar kommt dem SR i. R. v. Kapitel VII SVN eine weite Einschätzungsprärogative hinsichtlich seiner friedenssichernden Maßnahmen zu. Er bewegt sich dabei aber in einem rechtlich definierten Rahmen sowie übergreifenden „Verfassungsgefüge“ mit den anderen VN-Organen. Daher ist kritisch zu prüfen, inwieweit die genannten Resolutionen über eine Rechtsgrundlage in der Charta verfügen oder jedenfalls Ausdruck einer dynamisch-evolutionären Auslegung der Charta sind (Kap. 5, B.). Ein anderer Fall, durch den Verschiebungen im konstitutionellen Rahmen der VN eingetreten sind, der allerdings kaum in die öffentliche oder auch nur wissenschaftliche Wahrnehmung vorgedrungen ist, bildet der (1373-)Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC) bzw. dessen „Neubelebung“ durch das Exekutivdirektorium (CTED) auf der Grundlage von S/RES/1535 (2004). Hiermit hat der SR im VN-Sekretariat eine parallele Einheit für seine eigenen Zwecke geschaffen, die der Generalsekretär mittragen und mitverantworten muss, ohne jedoch entsprechende Leitungs- oder Kontrollbefugnisse zu haben (Kap. 6). Während in Teil 2 spezifische Lösungsansätze für die dort aufgezeigten Probleme entwickelt werden, sollen im abschließenden Teil 3 auch solche Reformfragen behandelt werden, die nicht unmittelbar mit der Terrorismusbekämpfung zusammenhängen, in diesem Kontext aber ebenfalls an Dringlichkeit zugenommen haben. Hierbei steht der SR im Blickpunkt, da er eine Schlüsselstellung innerhalb der VN einnimmt und das Völkerrecht sowie die internationalen Beziehungen maßgeblich mitgestaltet. Am wichtigsten sind zum einen seine Zusammensetzung und seine Arbeitsmethoden, um ihn repräsentativer bzw. transparenter zu machen. Zum anderen muss auch der SR die Verrechtlichung in den internationalen Beziehungen nachvollziehen, also die „international rule of law“ anerkennen und sich einer umfangreicheren Kontroll- oder jedenfalls Gutachtertätigkeit durch den IGH öffnen. Angesichts der jüngsten Erfahrungen muss sich diese sowohl auf die
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Außen- als auch die Innenverhältnisse („Verfassungsgerichtsbarkeit“) erstrecken. Der hierdurch erreichbare Zuwachs an Legitimität käme dem gesamten VN-System und – im Hinblick auf den Gewinn an praktischer Handlungsfähigkeit – nicht zuletzt dem SR selber zugute (Kap. 7). Um eine ganz- und einheitliche Perspektive sowie verbindliche Standards für die Terrorismusbekämpfung zu schaffen, ist endlich auch das noch immer ausstehende „Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus“ zu verabschieden. In dessen Rahmen ist insbesondere die allgemeine Terrorismusdefinition zu formulieren, die wiederum eine grundsätzliche Klärung des Verhältnisses zwischen Terrorismus und „Freiheitskampf“ und damit zwischen „Anti-Terrorismus-Recht“ und humanitärem Völkerrecht erfordert. Dies ist nur bedingt eine rechtliche, sondern im Einzelfall vor allem auch eine politische Frage, zu deren Beantwortung ein geeignetes Verfahren gefunden werden muss (Kap. 8). Außerdem soll die „Weltweite Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“ dargestellt und dahingehend untersucht werden, ob sie geeignet ist, die bestehenden strukturellen und programmatischen Defizite zu beheben und „die Welt zusammenzuhalten“ (bzw. wieder zusammenzubringen). Entscheidend ist dabei ihre Umsetzung unter Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren einschließlich der Zivilgesellschaft. Insofern besteht eine der Herausforderungen für die VN in der Koordinierung und unter Umständen weiterführenden Institutionalisierung der Terrorismusbekämpfung. Hierfür kommen unterschiedliche Formen bis hin zur Gründung einer neuen Sonderorganisation in Betracht (Kap. 9). Die Arbeit endet mit einer Schlussbetrachtung und einer Zusammenfassung.
Teil 1
Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen Zunächst soll das Augenmerk auf den Terrorismus als tatsächliche Erscheinung und „Aufhänger“ dieser Arbeit gerichtet werden, um auszuloten, welche Herausforderungen für die internationale Ordnung und das Völkerrecht von ihm ausgehen und welcher Handlungsbedarf im Hinblick auf seine Bekämpfung besteht (Kap. 1). Sodann werden das institutionelle System der VN (Kap. 2) und die konkreten Aktivitäten der VN-Akteure zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Kap. 3) beschrieben. Diese reichen bis in die (Vor-)Gründungszeit der Organisation zurück, sind aber erst angesichts des „neuen Terrorismus“ hoch auf die Agenda auch des SR gerückt.
Kapitel 1
Das Phänomen des Terrorismus A. Begriffliche und konzeptionelle Erfassung terroristischer Erscheinungsformen Der Begriff des Terrorismus ist spätestens seit dem 11. September 2001 in aller Munde. Während er in diesem Kontext noch von einem allgemeinen Konsens getragen ist, gehen die Meinungen im Hinblick auf andere Sachverhalte schnell und weit auseinander. Bis heute ist die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus von dem erfolglosen Bemühen gekennzeichnet, sich auf eine Terrorismusdefinition zu einigen. Trotzdem haben die VN eine Vielzahl an Beschlüssen zur Bekämpfung „des Terrorismus“ gefasst, um politische Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Der Preis dieser begrifflichen Offenheit ist allerdings, dass die Staaten den Maßnahmen – jenseits der in den internationalen Übereinkommen umschriebenen Tatbestände oder der in den Resolutionen ausdrücklich benannten Adressaten – ihr jeweils eigenes Verständnis von Terrorismus zu-
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
grunde legen. Dadurch verliert nicht nur die Terrorismusbekämpfung durch die VN an Kontur, sondern haben sich die Staaten letztlich eine weite „Ermächtigungsklausel“ (nicht nur gegen Terroristen) ausgestellt. Da diese Unbestimmtheit die Effizienz und die Legitimität der Terrorismusbekämpfung bedroht, hat sich die Staatengemeinschaft in der Zwischenzeit auf dem Weltgipfel 2005 aus- und nachdrücklich die Aufgabe gestellt, den Terrorismus allgemein-verbindlich zu definieren.1 Dies mag die Verhandlungen des Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus nun endlich zum Ziel führen. In den Teilen 1 und 2 dieser Arbeit knüpft die Verwendung des Terrorismusbegriffs demnach an seine tatsächliche Verwendung an. Während in Teil 2 bereits die praktischen (Negativ-)Konsequenzen der darin enthaltenen sprachlichen und inhaltlichen Unbestimmtheiten offengelegt werden, sollen die Elemente einer genauer eingegrenzten, subsumtionsfähigen Definition erst in Teil 3 (Kap. 8) im Zusammenhang mit dem genannten Umfassenden Übereinkommen erarbeitet werden.
I. Terrorismus versus Terror 1. Private bzw. staatliche Gewaltausübung
Mit dem Begriff des „Terrors“ (frz.: terreur, von lat. terrere – [er-]schrecken) wurde erstmals das System der Schreckensherrschaft (frz.: régime de la terreur) Robespierres und seines Direktorats im Anschluss an die Französische Revolution in den Jahren 1793/94 beschrieben, die ihre politischen Ideen in ihrem revolutionär errichteten Staat gegen innere Feinde mit Gewalt durchzusetzen versuchten. Aus diesem historischen Kontext folgt, dass Terror zunächst als etwas grundsätzlich Positives angesehen wurde, da es der Durchsetzung der neuen Ordnung dienen sollte und dazu an die „Bürgerpflicht zur Tugend“ appellierte: „Terror ist nichts anderes als Gerechtigkeit, sofortige, unnachsichtige und unbeugsame Gerechtigkeit; er stellt daher eine Ausdrucksform der Tugend dar.“2 Erst als im Laufe der Zeit der Terror immer offensichtlicher für eine gewaltsame „ideologische Erziehung“ in politischen Systemen instrumentalisiert wurde und entsprechend mit dem Missbrauch von Amt und Macht verknüpft war, bekam dieser Begriff seine heutige negative Bedeutung.3 1
2005 World Summit Outcome, A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Para. 83. Sog. „Tugendterror“ unter M. Robespierre, zitiert nach R. R. Palmer, The Age of the Democratic Revolution, Vol. 2: The Struggle, 1970, 126. 3 P. J. van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, 2002, 12. 2
Kap. 1: Das Phänomen des Terrorismus
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Während das Wort Terror demnach die Gewalt beschreibt, die staatlich „von oben“ angeordnet ist, also von den Machthabern selbst ausgeht und nach innen gegen die einheimische Bevölkerung gerichtet ist, drückt der Begriff des Terrorismus jene Gewalt aus, die (regelmäßig) von nicht-staatlichen, d. h. privaten Gruppen oder Einzelnen „von unten“ verübt wird und auf „den Staat“ abzielt4 (zum „Staatsterrorismus“ s. u., III. 1.). Dabei richten sich die Gewaltakte entweder unmittelbar oder – im Wege von Anschlägen auf Zivilisten – mittelbar gegen die Organe des Staates, entweder des eigenen oder (in Fällen von „Fremdherrschaft“) eines fremden Staates. Diese grundsätzliche Unterscheidung der Begriffe Terror und Terrorismus wird im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings vielfach durchbrochen (bzw. nicht in der Art getroffen wie hier). So werden Terror und Terrorismus entweder synonym verwendet, oder es wird von Terrorismus bzw. Terroristen gesprochen, wenn es um die Täter geht, während mit Terror das subjektive Empfinden von Angst auf Seiten der Opfer beschrieben wird.5 Der „Anti-Terror-Krieg“ drückt danach aus, dass die Verbreitung von Angst und Schrecken bekämpft wird. Auch mit Blick auf die terroristische Vereinigung Al-Qaida haben sich die Bezeichnungen „Terrororganisation“ oder „Terrornetzwerk“ eingebürgert. Gegenstand dieser Arbeit ist in erster Linie der Terrorismus, der von nicht-staatlichen Gruppen ausgeht und – wenigstens mittelbar – gegen fremde Staatsorgane gerichtet ist, also eine internationale Dimension und völkerrechtliche Relevanz aufweist.
2. Politische und religiöse Motive
Wenngleich das „Konzept“ des Terrors von den Jakobinern zur Zeit der Französischen Revolution herrührt, ist das Phänomen des Terrors bzw. Terrorismus an sich jedoch so alt wie die Geschichte organisierter menschlicher Gesellschaften selbst.6 Die erste Überlieferung eines politischen Mordes, d. h. eines Mordes, der im Zusammenhang mit dem staatlichen bzw. staatsähnlichen Gemeinwesen und seinen politischen Repräsentanten steht, findet sich bereits im Alten Testament der Bibel.7 Er ereignete sich um 4 R. Higgins, The general international law of terrorism, in: R. Higgins/M. Floy (Eds.), Terrorism and International Law, 2002, 13 (26); S. D. Fabick, Us & Them: Reducing the Risk of Terrorism, in: C. E. Stout (Ed.), Psychology of Terrorism, 2004, 95 (112). Siehe aber auch unten III. 1. zum sog. „Staatsterrorismus“. 5 So der Sechste Ausschuss der GV, A/49/743 vom 2.12.1994. 6 Zu alledem siehe D. König, Terrorismus, in: R. Wolfrum/C. Philipp (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, 1991, Nr. 115; vgl. auch F. L. Ford, Political Murder. From Tyrannicide to Terrorism, 1985.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
1200 v. Chr., als der jüdische Richter Othniël entsandt wurde, um dem König Kuschan-Rischathajim von Mesopotamien, der Israel unterworfen hatte, den fälligen Tribut zu entrichten, stattdessen aber sein Schwert zog und ihn erschlug.8 Ebenso haben in der Entwicklung politischer Organisationsformen in der antiken Welt, insbesondere Griechenlands und Roms, politisch und religiös motivierte Morde und Attentate – also Formen des Terrorismus – stets ihre Rolle gespielt.9 Der Begriff Attentat entstammt dem Arabischen und geht zurück auf die muslimisch-schiitische Sekte der Assassinen, die im 12./13. Jht. viele „Attentate“ verübte. Die Gewalt stellte sich für sie als sakramentale Handlung dar, durch die das Heraufkommen eines neuen Zeitalters beschleunigt werden sollte. Dabei waren sie geleitet vom Glauben an ein göttliches Versprechen, als Helden ins Paradies aufzusteigen. Noch immer ist dieses Ethos der Selbstaufopferung bzw. des selbstmörderischen Martyriums bei vielen religiösen Gruppen zu finden – nicht zuletzt bei der islamistischen Al-Qaida.10 Vor allem aber wieder mit Blick auf die Französische Revolution und die Gründung der französischen Republik von 1789, die vielen anderen Nationen als Modell gedient hat, wird deutlich, welch maßgeblichen Einfluss terroristische Akte letztlich auf die politische Entwicklung und moderne Staatsbildung genommen haben. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers durch Anhänger der Serbischen Union in Sarajevo im Jahr 1914 führte gar – wenn auch nicht als eigentliche Ursache, so doch als in dem Moment entscheidender Anlass – in den Ersten Weltkrieg. II. Die Internationalisierung des Terrorismus nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 Während die Jahre zwischen den Weltkriegen vom Missbrauch der Regierungsmacht, also vom Terror „von oben“ durch die totalitären Regime unter Hitler, Stalin, Mussolini und Franco gekennzeichnet waren, traten nach 1945 wieder terroristische Bewegungen „von unten“ in den Vorder7 Vgl. F. L. Ford, Political Murder. From Tyrannicide to Terrorism, 1985 (in der dt. Ausgabe: Der politische Mord, 1992, 19). 8 Altes Testament der Bibel, Buch der Richter, Kap. 3. 9 Abzugrenzen ist der Terrorismus insofern allerdings vom Tyrannenmord, siehe M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (47). 10 B. Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2002, 115; F. L. Ford, Political Murder. From Tyrannicide to Terrorism, 1985 (in der dt. Ausgabe: Der politische Mord, 1992, 20).
Kap. 1: Das Phänomen des Terrorismus
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grund, die revolutionär geprägt waren und sich zunehmend internationalisierten. Hintergrund hierfür waren vor allem der israelisch-palästinensische Konflikt mit seinen immensen Flüchtlingsströmen in die arabischen Nachbarländer, die Unabhängigkeitsbewegungen in den vormals europäischen Kolonialreichen, vor allem in Asien und Afrika, aber auch links-revolutionäre und separatistische Bestrebungen in Europa selbst sowie seit den 1990er Jahren zunehmend Formen religiösen Fundamentalismus weltweit. 1. Der israelisch-palästinensische Konflikt und das Aufkommen der PLO
Ausdrücklich als „moderner internationaler Terrorismus“ wurden erstmals die in den 1960er Jahren aufkommenden Flugzeugentführungen bezeichnet und wahrgenommen.11 Diese neue Entwicklung ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die Aktionen als große Medienereignisse inszeniert wurden und statt staatlicher Repräsentanten nun an sich unbeteiligte Zivilisten zu Zielscheiben gemacht wurden. Gleichwohl waren diese Aktivitäten insofern höchst politisch und letztlich gegen den Staat gerichtet, als symbolträchtige Objekte ausgewählt und konkrete Forderungen an die jeweilige Regierung gerichtet wurden. Dies verdeutlicht bereits die erste Tat, die in dieser Reihe zu nennen ist, und zwar die Entführung des israelischen El Al-Verkehrsflugzeugs auf dem Weg von Rom nach Tel Aviv durch Angehörige der 1964 gegründeten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) am 22. Juli 1968. Die El Al ist Israels staatliche Fluglinie, also gewissermaßen ein Staatssymbol, und die Forderung der Entführer lautete, ihre Geiseln gegen in Israel inhaftierte palästinensische Terroristen auszutauschen. Ein noch größeres Maß an Aufmerksamkeit erreichten die wiederum palästinensischen Terroristen, die am 5. September 1972 bei den Olympischen Spielen in München israelische Athleten als Geisel nahmen und schließlich elf von ihnen töteten. Zwar erschütterten diese Vorfälle die Achtbarkeit des – in der Sache durchaus nachvollziehbaren – palästinensischen Anliegens in den Augen der Welt erheblich; gleichzeitig wurden sie aber von der internationalen Öffentlichkeit und Politik erstmalig wirklich wahrgenommen. Insofern ging ihre Strategie also durchaus auf. Weitere terroristische Akte, die besondere Beachtung fanden, waren die Entführung des Mittelmeer-Kreuzfahrtschiffes Achille Lauro durch palästinensische „Passagiere“ im Jahr 1985 sowie der Bombenanschlag durch libysche Terroristen auf den Flug 103 der Pan American über dem schottischen Lockerbie im Jahr 1988, der eine neue Qualität in der politischen und juristi11
B. Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2002, 85.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
schen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus auslöste (dazu unten Kap. 3, B. II. 1. u. 2.). 2. Dekolonisierung, Anti-Imperialismus, Regionalkonflikte, Islamismus
Begleitet von einer Vielzahl an gewaltsamen Auseinandersetzungen hat sich auch der Prozess der Dekolonialisierung in den vormals von europäischen Staaten beherrschten Territorien insbesondere in Asien und Afrika vollzogen. Ist die Abgrenzung im Einzelnen auch schwierig, besteht im Prinzip Einigkeit darüber, dass die nationalen Befreiungskämpfe kolonisierter Völker an sich keine Form des Terrorismus darstellen, sondern völkerrechtlich als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Völker rechtmäßig sind. Die Frage, wo genau die Grenzen zwischen „Freiheitskampf“ und Terrorismus zu ziehen sind, betrachten die Staaten allerdings aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln (zur Terrorismusdefinition s. u. ausführlich Kap. 8). Vor allem zwischen den späten 1960er und 1980er Jahren wurden auch außerhalb der (neo-)kolonialen Strukturen terroristische Gruppen aktiv, die (links-)revolutionär motiviert waren. Hervorzuheben sind hier für Deutschland die Rote Armee Fraktion (RAF) sowie für Frankreich die Action Directe (AD), die sich den Kampf gegen „die gesellschaftlichen und ökonomischen Ungerechtigkeiten des [US-amerikanischen] Imperialismus und Kapitalismus“ auf die Fahnen geschrieben hatten. Ähnlich marxistisch/leninistisch/maoistisch geprägte Bewegungen waren in vielen Ländern der Welt, insbesondere im übrigen Westeuropa und in Lateinamerika aktiv12 – was wiederum eine Spirale der Interventionen durch die USA auf der einen und die UdSSR auf der anderen Seite nach sich zog. Die Irish Republican Army (IRA) in Großbritannien sowie die Euskadi Ta Askatasuna (ETA) in Spanien waren – bzw. sind13 – hingegen separatistisch motiviert und dadurch regional begrenzt aktiv. Gleichwohl haben sie das öffentliche Bewusstsein über Terrorismus in Europa maßgeblich mitgeprägt. Im Jahr 2008 ist neben den Dauerbrennpunkten Irak, Afghanistan und Pakistan auch wieder Indien ins Blickfeld geraten, das am 26. November mit den Anschlägen in Mumbai „seinen ‚11. September‘“14 erlebt hat. Auch 12
B. Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2002, 27 ff. (31). Während der Nordirlandkonflikt mit dem Abzug der britischen Truppen aus Nordirland Ende Juli 2007 nach 38 Jahren beendet zu sein scheint, hat die ETA im Juni 2007 den Waffenstillstand aus dem Jahr 2005 für beendet erklärt und die Fortsetzung des Kampfes auf allen Fronten angekündigt, siehe FAZ.NET vom 5.6.2007 [http://www.faz.net]. 13
Kap. 1: Das Phänomen des Terrorismus
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wenn die Konfliktlinien diffus sind, wird der seit 1947 schwelende Streit mit Pakistan um Kashmir, das zum Symbol für Ausgrenzung und Unterdrückung der Muslime in der Region geworden ist, auch hier von zentraler Bedeutung sein. Daher liegt es nahe, dass islamistische Extremisten – aus Pakistan, aber auch aus Indien selbst und anderen Nachbarländern – es zum Anlass für ihre (quasi-)religiös motivierten Taten nehmen.15 III. Die Rolle von Staaten im internationalen Terrorismus Von besonderer internationaler Bedeutung ist die staatliche Förderung oder Begehung von Terrorismus, die vom privaten Terrorismus abzugrenzen ist und hier nur in zweiter Linie behandelt werden soll. Praktisch eine Mittelstellung nehmen Staaten ein, die schwach oder „zerfallen“ sind und deren Strukturen und Ressourcen sich Terroristen für ihre Zwecke zu eigen machen. 1. Staatsterrorismus
Unter Staatsterrorismus sind Gewaltakte gegen andere Staaten zu verstehen, durch die Staaten ihre Macht nach außen sichern wollen und bei denen die Staatsorgane prinzipiell die gleichen Mittel einsetzen wie private Terroristen.16 Dabei handelt es sich um Verstöße gegen das Gewaltverbot und somit „klassisches“ Staatenunrecht, dessen Rechtsfolgen völkerrechtlich geregelt sind.17 14 So der Titel in der FAZ.NET vom 27.11.2008 [http://www.faz.net] (Hervorhebung durch Verf.). 15 Siehe „Indiens Islamisten [Deccan Mujahedin] – Angriff auf das Herz des Staates“, FAZ.NET vom 27.11.2008. Im Mai 2010 wurde der einzige überlebende Attentäter, der 22jährige Pakistaner Ajmal Amir Kasab, Mitglied der islamistischen Terrororganisation Lashkar-e-Taiba, u. a. wegen „Kriegsführung gegen Indien“ zum Tode verurteilt, FAZ.NET vom 6.5.2010. Für einen Überblick insgesamt siehe auch das South Asian Terrorism Portal unter http://www.satp.org/. 16 Diese Unterscheidung trifft etwa auch M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (47). Der Begriff des Staatsterrorismus ist bislang nicht völkerrechtlich definiert. In der Bundesrepublik Deutschland wird mit diesem Begriff der von Staaten ausgeübte oder gesteuerte Terrorismus zwecks Verfolgung außen- oder innenpolitischer Ziele bezeichnet, vgl. nordrhein-westfälisches Innenministerium unter http://www.im.nrw.de/psch/627.htm [eingesehen am 3.2.2005]; siehe auch D. Claridge, State Terrorism? Applying a Definitional Modal, in: B. J. Lutz/J. M. Lutz (Eds.), Global Terrorism, Vol. III, 2008, 263 (264 ff.). 17 R. Higgins, The general international law of terrorism, in: R. Higgins/M. Floy (Eds.), Terrorism and International Law, 2002, 26; K. Ipsen, Die Staatenverantwortlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 40; Resolution der GV zur Staaten-
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
Teilweise wird auch der Terror gegenüber eigenen Staatsbürgern als „nationaler Staatsterrorismus“ bezeichnet (im Gegensatz zum „extra-nationalen Staatsterrorismus“, der hier mit dem Begriff des Staatsterrorismus gemeint sein soll, s. o., I. 1.).18 2. Staatlich geförderter Terrorismus
Staatlich geförderter (state-sponsored) Terrorismus ist dadurch gekennzeichnet, dass Regierungsvertreter und Militärs (scheinbar) unabhängige terroristische Bewegungen mit geheimen Waffenlieferungen versorgen, Ausbildungslager einrichten etc., um deren Aktivitäten gezielt zu unterstützen. Derlei Handlungen unterfallen genauso dem Staatenunrecht, sind also (völker-)rechtlich verboten und ziehen die entsprechenden Rechtsfolgen nach sich. Der staatlich-geförderte Terrorismus stellt eine Art Ersatzkriegsführung dar, die es schwächeren Staaten ermöglichen kann, mächtigere Rivalen herauszufordern und ihnen Schaden zuzufügen, ohne sich dem direkten Risiko von Vergeltungsschlägen auszusetzen.19 Zu Zeiten des Ost-West-Konflikts führten insbesondere die beiden Supermächte UdSSR und USA angesichts des atomaren Patts auf diese Weise einen regelrechten Stellvertreterkrieg. Wie zwiespältig diese Taktik ist, zeigen aber schon die aktuellen Fälle Afghanistan und Irak, die noch in den 1980er Jahren massive Unterstützung der USA gegen die UdSSR bzw. den Iran erhielten, um nur wenige Jahre später zu ihren größten Feinden zu werden. Außerdem ist mit der materiellen Aufrüstung und Instrumentalisierung zu außenpolitischen Zwecken vielfach ein Mentalitätswechsel auf Seiten der „Kämpfer“ einhergegangen, indem an die Stelle „hehrer (altruistischer) Motive“ bloße söldnerische Erwerbstätigkeit oder pure Kriminalität getreten sind. 3. Failed States
Häufig ist die Staatsgewalt in den Territorien, von denen aus terroristische Akte verübt oder jedenfalls vorbereitet werden, in dem Maße zusammengebrochen, dass die „Terrorgruppen“ nicht nur staatlich gefördert werden, sondern sie faktisch die staatliche Kontrolle zumindest über Teile des Staatsgebiets übernommen haben. Insofern wird von „schwachen“, „zerfalverantwortlichkeit vom 12.12.2001, A/RES/56/83 – Responsibility of States for internationally wrongful acts, insb. Art. 8. 18 R. Mani, The Root Causes of Terrorism and Conflict Prevention, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 219 (222 f.). 19 B. Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2002, 27 ff. (32).
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lenden“ oder bereits „gescheiterten“ Staaten (weak/failing/failed states) gesprochen20, in denen Warlords oder de facto-Regime anstelle der staatlichen eine eigene Herrschaftsordnung etablieren und häufig in Symbiose mit Terroristen und anderen Kriminellen leben.21 Beispielhaft zu nennen ist das Taliban-Regime in Afghanistan bis zur Übernahme der Staatsgewalt durch die neue (zunächst provisorische) afghanische Regierung Ende 2001.22 Entsprechend steht ihnen die gesamte staatliche Infrastruktur, also der Militärund nachrichtendienstliche Apparat, Gelder und Waffen, Diplomatenprivilegien zum Transport von Sprengstoff, gefälschte Ausweispapiere in Form „echter“ Pässe etc., zur Unterhaltung ihrer Terrorbasen zur Verfügung. Das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial ist groß, zumal traditionelle, auf (prinzipiell funktionierende) Staaten ausgerichtete Sicherheitsstrategien hier versagen. Dieser Befund stammt zwar bereits aus den 1990er Jahren.23 Erst nach dem 11. September 2001 wurden das Ausmaß und die Dringlichkeit dieses Paradigmenwechsels jedoch wirklich wahrgenommen. So hieß es erstmals in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA aus dem Jahr 2002: „America is now threatened less by conquering states than we are by failing ones.“24 Diese Sicherheitsrisiken betreffen aber die internationale Gemeinschaft insgesamt25, die insofern den Aufbau staatlicher Kapazi20 Zum Begriff des „zerfallenden Staates“ siehe V. Epping, Der Staat als die „Normalperson“ der Völkerrechts, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht 2004, § 5, Rn. 11. 21 Vgl. R. Tetzlaff, Staatszerfall in der Dritten Welt – neue Kompetenzen für die UNO?, in: S. v. Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO, 2003, 83 (94 f.); D. Thürer, Der „zerfallene Staat“ und das Völkerrecht, Die Friedens-Warte 74 (1999), 275 (276) bevorzugt – wie der Titel des Aufsatzes nahe legt – den Begriff des „zerfallenen Staates“; auf frz. heißt es inhaltlich klarer: „états sans gouvernement“; Siehe auch R. Geiß, Failed States – Legal Aspects and Security Implications, GYIL 47 (2004), 457 (457 ff.). 22 S/RES/1386 (2001), op. 1; R. Wolfrum/C. Philipp, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, in: S. v. Schorlemer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO, 2003, 144 (145); siehe dazu im Einzelnen Teil 2, Kap. 5, A. II. unten. 23 R. H. Dorff, Failed States after 9/11: What Did We Know and What Have We Learned?, in: B. J. Lutz/J. M. Lutz (Eds.), Global Terrorism, Vol. I, 2008, 104 (105 ff.). 24 National Security Strategy (NSS) der USA, erhältlich unter http://merln.ndu. edu/whitepapers/USnss2002.pdf [eingesehen am 8.6.2009]. Ähnlich die Einschätzung von Carl Bild, International Security Cooperation in an Age of Terrorism, Vortrag gehalten vor The Netherlands Society of International Affairs in Den Haag am 8.12.2004: „While in the past we were threatened by the strong states [. . .], we are now far more endangered by the weak states [. . .]. It is also here that the threats of a global terrorism find its most dangerous and most potent homes“, erhältlich unter http://www.bild.net [eingesehen am 30.8.2005]. 25 A. D. Rotfeld, The Organizing Principles of Global Society, in: SIPRI Yearbook 2001, 3: „The main threat to the security of the international community is the
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täten zu fördern sucht. Denn, so lautet die Faustformel: „State building trumps terror.“26 (Siehe auch unten, Kap. 9, E.). IV. Al-Qaida und der „globale Terrorismus“ der Gegenwart Im Verlauf der 1990er Jahre sind erneut religiöse Motive in den Vordergrund terroristischer Aktivitäten getreten, so dass die Terroristen wieder verstärkt „in eigener – bzw. ‚Gottes‘ – Sache“ tätig sind. Neben einer Reihe von Sekten sind hierbei insbesondere fundamentale Islamisten in Erscheinung getreten.27 Vor dem Hintergrund ihrer Überzeugung, einen „heiligen Krieg“ gegen „Ungläubige“, also ihrer Anschauung nach letztlich „NichtMenschen“, zu führen, hat sich ihre Gewalt dabei weiter enthemmt.28 1. Der 11. September 2001
Die Anschläge vom 11. September 2001 in ihrer bis dahin unvorstellbaren Dimension an terroristischer Gewalt – der Untersuchungsbericht der US-Regierung zu „9/11“ spricht ganz wörtlich von einem „failure of imagination“29 – fixieren diese Entwicklung gewissermaßen in einem singulären Ereignis und haben eine Zäsur in der internationalen Ordnung bewirkt. Von nun an wurde unterschieden zwischen der „Welt vor 9/11“ und der „Welt nach 9/11“. Zwar hatten die Drahtzieher in den Reihen von Al-Qaida sich über Jahre positioniert und bereits 1998 und 2000 Anschläge größeren Ausmaßes gegen Ziele der USA in Kenia und Tansania verübt. Als Paradigmen-Wechsel wurden aber erst die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon empfunden, da diese erstmalig von Außenstehenden auf dem Territorium der USA verübt worden waren.30 Hierzu steuerten sie – ausgebildet an US-amerikanischen Flugschulen – Flugzeuge US-amerikaniweakness of states owing to a lack of democratic structures and an inability to manage and combat such phenomena as organized crimes [. . . and] terrorism [. . .].“ 26 R. I. Rotberg, Failed States in a World of Terror, Foreign Affairs 81 (2002), 127 (140). 27 B. Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2002, 112 ff. 28 J. Bittner, Das weltweite Al-Qaida-Netz, Die ZEIT vom 14.7.2005, S. 5. 29 Untersuchungsbericht der US-Regierung zum 11. September 2001, S. 339 ff., erhältlich unter http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf [eingesehen am 29.1.2007]. 30 Zwar standen auch hinter dem Anschlag auf das World Trade Center von 1993 bereits Islamisten, die das gleiche Ziel verfolgten; da der Anschlag jedoch weitgehend misslang, blieb er vergleichsweise folgenlos. Hinter dem Anschlag von Oklahoma City aus dem Jahr 1995 hingegen stand mit der American Christian Patriot-Bewegung kein äußerer, sondern ein innerer Gegner.
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scher Fluglinien in ihre Ziele. Durch die Live-Übertragung auf CNN erreichten sie dabei ein Höchstmaß an medialer Wirkung. Somit schlugen sie die USA gleich doppelt mit ihren eigenen Mitteln und wurden zu einem herrschenden Faktor in der politischen Kommunikation.31 Ihre besondere Symbolik zogen die Anschläge zudem daraus, dass sie mit dem WTC und dem Pentagon gegen die bis dahin als unerreichbar geltenden Aushängeschilder US-amerikanischer Stärke in Wirtschaft, Finanzen und Militär gerichtet waren. 2. Das Wesen des „neuen Terrorismus“
Trotz ihrer Symbolträchtigkeit entsprechen diese Anschläge jedoch nicht mehr dem früheren Vorgehen von Terroristen, die in ihren Taten ein probates Mittel zu dem Zweck gesehen hatten, konkrete politische Ziele zu erzwingen. Die „neuen Terroristen“32 scheinen vielmehr dadurch gekennzeichnet zu sein, dass sie gänzlich undifferenziert und destruktiv „Rache am Westen“ nehmen wollen.33 Dadurch sind sie, anders als etwa die erwähnten PLO und RAF (oder auch die ETA und IRA), politisch kaum berechenbar. Während in der Auseinandersetzung mit diesen „traditionellen“ terroristischen Organisationen politische Konzessionen oder Amnestien zu einzelnen Verhandlungserfolgen führen konnten, bedurfte es im Hinblick auf die neuen Terroristen daher zunächst einer gewissen „Grundlagenforschung“, bevor gezieltere Gegenmaßnahmen ergriffen werden konnten.34 Die Fülle an Einflussfaktoren, die dabei sichtbar geworden sind, spiegelt sich in der thematischen Breite der „Weltweiten Strategie gegen den internationalen Terrorismus“ wider, die die VN im Jahr 2006 formuliert haben (s. u., Kap. 9, B.).
31 B. L. Nacos, The Terrorist Calculus behind 9/11: A Model for Future Terrorism?, in: B. J. Lutz/J. M. Lutz (Eds.), Global Terrorism, Vol. I, 2008, 188 (190 ff): „[. . .] winning entrance – through the media – to The Triangle of Political Communication.“ 32 F. Schorkopf, Behavioural and Social Science Perspectives on Political Violence, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 3 (17 ff). 33 C. Gasteyger, Neue Konflikte und internationale Ordnung, in: S. v. Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 1 (3). 34 R. Mani, The Root Causes of Terrorism and Conflict Prevention, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 219 (224) nennt Al-Qaida „amphibolous“. Viele Regierungen und Geheimdienste haben nach 2001 in größerem Umfang Islamwissenschaftler rekrutiert, um die Motive und Methoden islamistischer Terroristen zu erforschen.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen 3. Die Strukturen von Al-Qaida
Begrifflich sind die neuen Terroristen untrennbar mit dem Namen AlQaida verbunden. Während sie im Einzelnen noch immer wenig „greifbar“ sind, besteht im Hinblick auf ihre Entstehung und ihre Strukturen weitgehende Einigkeit. Der Name Al-Qaida (arabisch: die Basis) und damit ihr Ursprung geht auf ein Verzeichnis muslimischer Kämpfer, eine Art internationaler Brigade des Islam mit rund 20.000 Angehörigen aus ca. 20 Staaten, zurück, die Osama bin Laden 1988 nach dem Krieg der Mudschahedin gegen die Sowjetunion in Afghanistan anlegte (sog. „erste Generation“ von Al-Qaida).35 Die nachfolgende „zweite Generation“, die für die Anschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht wird, setzte sich überwiegend aus international agierenden Islamisten zusammen, die etwa aufgrund eines Studiums in Europa oder den USA bereits über einen westlichen Hintergrund verfügten, aber noch eine Glaubens- und Militärausbildung im Nahen Osten durchlaufen hatten.36 An die Stelle der alten, vertikal organisierten Al-Qaida ist jedoch mittlerweile ein loses, horizontales Netzwerk aus vielen kleinen, „lokalen Zellen“ getreten, die von geschätzten 55 – auch westlichen – Staaten aus operieren.37 Diese „dritte Generation“ hat mehr Ähnlichkeit mit einer Bewegung als mit einer Organisation, was ihre Steuerung ebenso wie ihre Bekämpfung umso schwerer macht.38 Das gemeinsame „heilige“ Ziel dieser zumeist jungen, männlichen Muslime besteht offenbar darin, die Welt von den „Ungläubigen“ zu befreien.39 Vielfach sind sie auch in westlichen Ländern beheimatet, wo sie der zweiten oder dritten Einwanderergeneration angehören, 35 Gemeinsam mit u. a. Abdulah Azzam, dem Lehrer Osama bin Ladens, der Mitbegründer auch der Hamas war und als erster Theoretiker eines weltweiten Dschihad gegen den Westen gilt und die Ideologie des verherrlichenden Märtyrertodes entwickelt hat, siehe T. Frankenfeld, Bin Ladens blutige Saat, Hamburger Abendblatt vom 27.8.2008. 36 M. Bondesson, Al-Qaida har åter bytt skepnad, DagensNyheter.se vom 29.7.2005 [http://www.dn.se]. 37 J. Bittner, Das weltweite Al-Qaida-Netz, Die ZEIT vom 14.7.2005, S. 5, der sich für die Zahlenangabe auf eine Zählung des US-Außenministeriums aus dem Jahre 2001 beruft. 38 Siehe den Achten Bericht des Überwachungsteams des (1267-)Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschusses vom 14.5.2008, S/2008/324, II. A. 39 Siehe den Fünften Bericht des sog. 1267-Überwachungsteams vom 20.9.2006, S/2006/750, Para. 17; R. Hank, Umarmt die Terroristen, FAZ.NET vom 29.8.2004 [http://www.faz.net]. Nach Einschätzung des VN-Sonderberichterstatters Martin Scheinin beläuft sich der Anteil an Frauen, denen terroristische Aktivitäten vorgeworfen werden, auf lediglich ca. 5 %, vgl. die Pressemitteilung vom 26.10.2009, http://www.un.org/News/briefings/docs/2009/091026_Scheinin.doc.htm [eingesehen am 25.09.2010].
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in der Mehrheitsgesellschaft aber keine Wurzeln geschlagen haben (sog. „homegrown terrorism“). Wenngleich sie sich durch die Beispiele ihrer Vorgänger bestärkt fühlen dürften, verfügen sie selbst über keinen direkten Kontakt zu Osama bin Laden mehr, sondern gelangen weitgehend aus sich heraus zu ihrer radikalen Weltsicht (Phänomen der „Selbstradikalisierung“).40 Insofern lässt sich Al-Qaida heute vielleicht am treffendsten als eine Art „Ideen-Franchise-System“ charakterisieren: Im Namen des Dschihad, des „heiligen Krieges“, kann jeder kämpfen, der die Ziele dieser Bekennergemeinschaft teilt.41 Die Expertengruppe des 1267-Sanktionsausschusses beschreibt dies wie folgt: „The inclusiveness of the Al-Qaida message, as disseminated through the internet, allows a wide range of potential supporters to see in it a reflection of their own personal grievances.“42
Die einstigen Mudschahedin können den Nachwuchs-Dschihadisten dabei als erfahrene Veteranen mit Know-how in Form von Kontakten, Waffen, Geld etc. weiterhelfen. Die „Mission gegen die Ungläubigen“ an sich ist aber längst zum Selbstläufer geworden, wie die anhaltenden Anschläge in aller Welt bezeugen. Während es nach dem Einmarsch der US-amerikanischen Truppen im Irak im Jahr 2003 zunächst ruhiger um das Al-Qaida-„Zentrum“ geworden war, ist Al-Qaida bzw. sind die mit ihr verbundenen Gruppen in der Zwischenzeit wieder erstarkt, vor allem in Pakistan, Afghanistan, im Irak selbst und in einigen afrikanischen und asiatischen Staaten. 2006 und 2007 meldete sich auch Osama bin Laden selbst wieder mit mehreren Video-Botschaften öffentlich zu Wort. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass die Unterstützung für Al-Qaida angesichts ihres „destruktiven und gefährlichen Weges“43 dort zu bröckeln begonnen hat, wo sie an sich ihre historischen und sozialen Wurzeln hat, nämlich im „arabischen Hinterland“. Einige Stimmen werfen Al-Qaida sogar explizit eine Verletzung islamischen Rechts vor und sprechen sich dafür aus, Osama bin Laden (auch in Abwesenheit) vor ein islamisches Gericht zu bringen. Nach einer pakistanischen Umfrage sind 40 N. Busse, Ohne Draht zu Usama Bin Laden, FAZ.NET vom 4.7.2007 [http://www.faz.net]. 41 J. Bittner, Das weltweite Al-Qaida-Netz, Die ZEIT vom 14.7.2005, S. 5. Die Begriffe „franchise“ und „start-up“ verwendet auch das 1267-Überwachungsteam bereits in seinem Ersten Bericht vom 25.8.2005, S/2004/679, Para. 17. 42 Achter Bericht des 1267-Überwachungsteams (auch als Expertengruppe bezeichnet) vom 14.5.2008, S/2008/324, II. A. 43 F. A. Gerges, His mentor turns on bin Laden, IHT vom 22./23.9.2007, p. 8, dabei einen offenen Brief des saudischen Predigers und Gelehrten Salman Al-Oadah zitierend; für dessen Website siehe http://www.islamtoday.com.
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die Zustimmungswerte zu Al-Qaida und Osama bin Laden zwischen 2007 und 2008 von 33 % auf 18 % bzw. von 46 % auf 24 % gefallen.44 Noch im ersten Halbahr 2009 wurden Al-Qaida monatlich rund zehn Anschläge mit durchschnittlich jeweils etwa einem Dutzend Todesopfern zugeschrieben.45 Für Europa sind vor allem die bereits länger zurückliegenden Anschläge von Madrid aus dem Jahr 2004 sowie von London aus dem Jahr 2005 durch lokale Al-Qaida-Zellen als (Negativ-)Höhepunkte ihrer Aktivitäten zu nennen. Anschläge in Deutschland konnten z. T. in letzter Minute verhindert werden oder schlugen fehl.46 Das gleiche gilt für die USA mit dem versuchten Bombenanschlag auf den Flug 253 der Northwest Airlines von Amsterdam nach Detroit am 23. Dezember 2009. Mit Al-Qaida in Verbindung gebracht wird schließlich das bislang nicht aufgeklärte Attentat auf die pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto am 27. Dezember 2007.47 4. Die Strategie des neuen Terrorismus
Im „neuen Terrorismus“ haben sich vormals untergeordnete taktische Elemente der Kriegsführung zu einer Strategie medial inszenierter Konfrontation kultureller Symbole verselbständigt.48 Der technische Fortschritt er44
Für Nachweise siehe den Achten Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 14.5.2008, S/2008/324, II. A. 45 Zehnter Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 2.10.2009, S/2009/502, Annex II. 46 Dies betrifft insbesondere die „Sauerland-Gruppe“; siehe dazu wie auch zum neuen § 89b StGB: P. Carstens, Die Wege deutscher Dschihadisten, FAZ.NET vom 6.8.2008 [http://www.faz.net]. 47 Siehe dazu die Erklärung des SR-Präsidenten, S/PRST/2007/50 vom 27.12.2007. Die am 15.7.2009 von den VN auf Ersuchen der pakistantischen Regierung eingesetzte unabhängige Kommission zur Klärung der Tatumstände (unter Leitung des chilenischen VN-Botschafters und ehemaligen Vorsitzenden des 1267-Ausschusses Heraldo Muñoz) bestätigt in ihrem Abschlussbericht vom 15.4.2010 Indizien, die auf eine Täterschaft oder Beteiligung von Al-Qaida hindeuten, gelangte aber auch im Hinblick auf die pakistanische Regierung zu der Einschätzung, dass „the failure of the police to investigate effectively Ms Bhutto’s assassination was deliberate.“ (http://www.un.org/News/dh/infocus/Pakistan/UN_Bhutto_Report_15 April2010.pdf [eingesehen am 1.5.2010]). 48 R. Wedgwood, Countering Catastrophic Terrorism: An American View, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, 2004, 103 (103). Dazu aus soziologischer Sicht U. Beck, What is Globalization?, 2000 (deutsche Erstausgabe von 1997), 70: „[Individuals’] protest is mediated through the mass media. Man is a child lost in ‚forests of symbols‘ . . ., has to rely upon the symbolic politics of the media. This is true especially in the abstractness and ubiquity of destruction, which is what keeps world risk society going. Here a key political significance attaches to simplifying symbols which can be easily experienced.“
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möglicht dabei wahrlich apokalyptische Gefährdungsszenarien, angefangen vom Bio- über den Nuklear- bis hin zum „Cyber“-Terrorismus.49 Vor diesem Hintergrund hat sich der Terror(ismus) zu einem „Terror-Krieg“ fortentwickelt, der kaum noch eine Selbstbeschränkung bei der Auswahl der Opfer kennt.50 Aber auch ihren eigenen Einsatz haben die „neuen Terroristen“ ins Extreme gesteigert, indem sie dazu übergegangen sind, sich in jenseitiger Heilserwartung selbst in wandelnde Bomben zu verwandeln (sog. „Selbstmordattentäter“), die keine militärische Abschirmeinrichtung der Welt in der Lage wäre, abzuwehren.51 5. „Globaler (Mega-)Terrorismus“
Um diese Eskalation wiederzugeben, sind in den USA Begriffe wie „megaterrorism“52 oder „catastrophic terrorism“53 geprägt worden. Mit dieser Kategorisierung soll ausgedrückt werden, dass der neue Terrorismus sich gegenüber früheren Formen dadurch in Größe, Reichweite und Ideologie unterscheide, dass mit ihm die Umwälzung der internationalen Ordnung in Gestalt der „westlichen Zivilisation“ insgesamt und nicht mehr nur der Machtstruktur einzelner Staaten angestrebt werde.54 Steckt in dieser Sprache auch viel politische Rhetorik, hat der internationale Terrorismus doch eine neue Qualität erreicht. Trotz seiner starken Bezüge zum Nah-Ost-Konflikt ist dieser für ihn nicht mehr unbedingt konstitutiv55, wenngleich die „Botschaft“ Al-Qaidas nur noch schwer vermittelbar sein dürfte, sollten Araber und Israelis sich einigen und künftig friedlich 49 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (57). 50 H. Münkler, Die neuen Kriege, 2004, 189 ff. 51 B. Hoffmann, Terrorismus – der unerklärte Krieg, 2002, 248 ff.; R. A. Pape, The Strategic Logic of Suicide Terrorism, in: B. J. Lutz/J. M. Lutz (Eds.), Global Terrorism, Vol. I, 2008, 311 (311). Das erste Selbstmordattentat in der Geschichte wird allerdings bereits der Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando zugeschrieben, die einen solchen Anschlag im April 1974 in Israel verübte, vgl. J. Croitoru, Im Zangengriff der Islamisten, F.A.Z. vom 5.1.2009, S. 23. 52 R. Falk, The Great Terror War, 2003, 42: „paradigm-shattering“. 53 R. Wedgwood, Countering Catastrophic Terrorism: An American View, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms Against Terrorism, 2004, 103 (103). 54 R. Falk, The Great Terror War, 2003, 42. Allerdings wurde diese Einschätzung bereits in den 1980er Jahren vertreten, wo der Terrorismus als „Krieg gegen die westliche Zivilisation“ bezeichnet wurde, siehe C. E. Ritterband, Terrorismus, Menschenrechte und Intervention, in: Y. Hangartner (Hrsg.), Völkerrecht im Dienste des Menschen, FS für H. Haug, 1986, 225 (234).
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zusammenleben.56 Mit Blick darauf, dass es letztlich die modernen Kommunikationstechnologien, die durchlässigen Grenzen, die weltweiten Märkte und Finanzströme etc. sind, die ihn ermöglicht haben, ist der neue Terrorismus letztlich – als deren destruktive Kehrseite – auch ein Produkt der Globalisierung.57
B. Der „Anti-Terror-Krieg“ Die US-Regierung unter Präsident George W. Bush hat eine effektive Bekämpfung dieser Form des Terrorismus offenbar nur durch einen weltumspannenden „Anti-Terror-Krieg“ („war on terror“) gewährleistet gesehen, womit im Ergebnis – das zeigen am deutlichsten die noch immer nahezu täglichen Schreckensbilder insbesondere aus Afghanistan und Irak – ein massiver gegenseitiger Terror(ismus) vom Ausnahme- zum Dauerzustand geworden ist.58 Als „Gegenmaßnahmen“ gegen die Anschläge seien insoweit „nur“ die Verschleppungen (euphemistisch: „extraordinary renditions“) von als Terroristen verdächtigten Muslimen erwähnt, ihre potenziell unbegrenzte Internierung im Ausland, Folterung oder gar gezielte Tötung.59
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T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (55). 56 So auch die Einschätzung des libanesischen Vertreters in der offenen Debatte des SR zur Terrorismusbekämpfung am 27.9.2010, SC/10038: „[S]ince Al-Qaida tries to exploit the suffering of the Palestinian people as a means to recruit terrorists, it is important to accelerate the quest for a comprehensive peace in the Middle East.“ 57 J. Delbrück, The Fight Against Global Terrorism, GYIL 44 (2001), 9 (20). Der damalige britische Premierminister Tony Blair sagte in einer Rede im März 2004: „The threat [. . .] is to the world’s security, what globalisation is to the world’s economy.“ Siehe http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk_politics/3536131.stm [eingesehen am 6.4.2007]. 58 So auch ausdrücklich Vertreter des US-Justizministeriums in den GuantánamoFällen vor dem US-Supreme Court: „[. . . T]errorism challenges the nation with something approximating a state of p e r p e t u a l w a r . . . (Hervorhebung durch Verf.)“, zitiert nach Th. M. Franck, Editorial Comments – Criminals, Combatants, or what? An Examination of the Role of Law in responding to the Threat of Terror, AJIL 98 (2004), 686 (687). 59 A. Pohr, Entführung erwünscht, Die ZEIT.de (http://zeus.zeit.de/test/2005/ 10/folter_usa [eingesehen am 08.03.2005]; R. Müller, Keine Sonderrechte, F.A.Z. vom 29.11.2005, S. 3; J. Risen/D. Johnston, Bush has widened authority of C.I.A. to kill terrorists, N.Y. Times vom 15.12.2002; W. Bausback, Terrorismusabwehr durch gezielte Tötungen?, NVwZ 24 (2005), 418 (420). Dazu ausführlicher unten Teil 2, Kap. 5, A. II. 4. c) (bb).
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I. Zeitlich-räumliche Offenheit des „Kriegszustandes“ Zwar war es im Falle Afghanistans zunächst scheinbar noch gelungen, einen „Feind“ in Staatsform zu konstruieren, indem die Identitäten von AlQaida und Taliban, die bis zum Oktober 2001 in Afghanistan herrschten60, nur genügend verschmolzen wurden. Dass dieser Gegner aber tatsächlich nicht mehr zutreffend mit einem Staat, auch nicht Afghanistan, identifiziert werden kann, hat sich in der Folgezeit offenbart, in der nun auch nicht mehr zwischen Al-Qaida und „allgemeinem Terrorismus“ unterschieden wird. Dieser „Krieg“ jedoch, das zeigt die Menschheitsgeschichte als einer Abfolge von Gewalt und Gegengewalt, ist nicht zu gewinnen. Dass er trotzdem geführt wird, obgleich in seinem Verlauf selbst US-Präsident George W. Bush seinerzeit dessen zeitliche und räumliche Offenheit eingeräumt hat61, deutet ebenso wie der Irak-Krieg und die unverhohlenen Drohungen gegenüber einer ganzen Reihe anderer „Schurkenstaaten“ (rogue states) darauf hin, dass der „Anti-Terror-Krieg“ auch als willkommener Anlass und Vorwand dient, um in dessen Fahrwasser länger gehegte geostrategische Interessen durchzusetzen.62 II. Staatsterror und Propaganda im Gewande des „(Anti-)Terror-Kriegs“ Daher dürfte die praktizierte sprachliche Dramatisierung zugleich auch dem einfachen politischen Kalkül dienen, die eigene Bevölkerung zu mobilisieren.63 Denn es wird die Vorstellung – und damit die Bereitschaft zu entsprechenden Opfern – geweckt, in einer kriegsähnlichen Weise bedroht zu sein und folglich das Militär „zur Verteidigung“ einsetzen zu müssen.64 Hier60 Zum Regimewechsel in Afghanistan und zum Status der Taliban, s. u., Teil 2, Kap. 5, II. 2. b) bb) (1). 61 H. Wetzel, „Präsident dämpft Erwartungen an Anti-Terror-Kampf“, FTD vom 31.8.2004, S. 15: „Der Kampf gegen den Terror werde eine langwierige Schlacht werden, und ‚ich glaube nicht, dass man sie gewinnen kann‘, sagte Bush.“ 62 Noam Chomsky, Hegemony or Survival – America’s Quest for Global Dominance, 2004, 11 ff. Die kontinental-europäischen Mittelmächte – zumal Deutschland – gelten den USA dagegen offenbar als „geostrategische Analphabeten“, vgl. M. Rüb, Exotische Europäer, F.A.Z. vom 12.4.2007, S. 10. 63 In Deutschland sind die Vorzeichen dagegen – wieder einmal historisch bedingt – genau andersherum: Es dauerte bis zum Jahr 2010 und bedurfte einiger sprachlicher Verrenkungen, die vom „robusten Stabilisierungseinsatz“ bis zu „kriegsähnlichen Zuständen“ reichten, bevor die Situation in Afghanistan „umgangssprachlich“ als „Krieg“ bezeichnet wurde; siehe etwa C. Haas, Krieg ist plötzlich ein tröstendes Wort, Die ZEIT vom 22.4.2010, S. 47. 64 Siehe beispielhaft R. Falk, The Great Terror War, 2003, 39 u. 7 f.: „Megaterrorism is violence against civilian targets that achieves significant levels of substan-
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von zeugen auch „Orwell’sche“ Bezeichnungen wie „Homeland Security Act“ oder „Patriot Act“ für Gesetze, die nach dem 11. September 2001 erlassen wurden und durch die kaschiert werden soll, in welchem Maße klassische Bürgerrechte beschnitten oder außer Kraft gesetzt worden sind.65 Guantánamo ist zum Inbegriff der Entrechtung (von „Ausländern“) geworden. Aber auch auf amerikanischem Boden und gegen eigene Staatsangehörige selbst ließ Präsident Bush etwa Personen, die vage des Terrorismus verdächtig waren, vom Geheimdienst NSA abhören, ohne jemals einen richterlichen Beschluss einzuholen.66 Zwangsläufig ist der „(Anti-)Terror-Krieg“ auch zum Propaganda-Feldzug und zur Zerreißprobe für das Recht geworden. III. Vom „ewigen Frieden“ zum „ewigen Kriege“ Damit existiert aber kein klar definiertes Kriegsziel mehr. Die große idealistische Verheißung Immanuel Kants „Vom ewigen Frieden“67 hat sich in unseren Tagen demnach eher in das bedrohliche Szenario eines „ewigen Krieges“ gewandelt. Zumindest ein „Langer Krieg“ (long war) dürfte es werden, wie es der programmatische (Kurz-)Titel des Strategiepapiers des US-Verteidigungsministeriums vom 6. Februar 2006 nahe legt.68 Dieser „Lange Krieg“ könnte die neue Chiffre der Weltpolitik werden und damit ein Begriff, der die kommenden Jahrzehnte ähnlich charakterisiert wie der „Kalte Krieg“ die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.69 Andererseits scheint mit dem Amtsantritt Barack Obamas zum neuen US-Präsidenten wiederum eine neue, gegenläufige Zeitrechung eingeläutet zu sein. In jedem Fall ist die Gefahr, die insbesondere von Massenvernichtungswaffen in den Händen von nicht-staatlichen Akteuren ausgeht, unbestritten und immens.70 Die Herausforderungen, denen sich die internationale Gemeinschaft gegenübersieht, sind insofern groß. tive as well as symbolic harm, causing damage on a scale once associated with large-scale military attacks under state auspices, and thus threatening the target society in a warlike manner that gives rise to a defensive urgency to strike back as effectively as possible.“ 65 M. Kirby, Terrorism: The International Response of the Courts, Indiana J.G.L.S. 12 (2005), 313 (323). 66 F.A.Z. vom 19.12.2005, S. 5. Im Juli 2008 verabschiedete der Kongress außerdem ein Gesetz, das Telefongesellschaften, die den Behörden ohne richterliche Anordnung Daten übermittelt hatten, Immunität verleiht, siehe FAZ.NET vom 10.7.2008 [http://www.faz.net]. 67 I. Kant, Vom ewigen Frieden, 1795. 68 Siehe den Quadrennial Defense Review Report des US-Verteidigungsministers vom 6.2.2006, erhältlich unter http://www.defenselink.mil/qdr/report/Report20060 203.pdf [eingesehen am2.7.2007]. 69 J. Bittner, Der Lange Krieg, Die ZEIT vom 23.2.2006, S. 7.
Kap. 1: Das Phänomen des Terrorismus
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IV. „Globaler Kampf gegen gewalttätigen Extremismus“: Erfordernis einer multi-dimensionalen und multi-lateralen Strategie Angesichts der begrifflichen Inkonsistenzen und rechtlichen Implikationen – aber wohl auch im Hinblick auf die Sackgasse, in die das US-Militär nach seinem vermeintlichen schnellen Sieg im Irak geraten ist – versuchte das Pentagon zwischenzeitlich, den „globalen Krieg gegen den Terrorismus“ in „globalen Kampf gegen gewalttätigen Extremismus“ umzubenennen. Hierdurch sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Aufgabe „mehr diplomatisch, wirtschaftlich und politisch als militärisch“ zu verstehen sei.71 Während Präsident George W. Bush ungeachtet dessen bis zum Ende seiner Amtszeit am Begriff „Anti-Terror-Krieg“ festhielt72, ist damit aber gleichwohl die Erkenntnis angedeutet, dass es eines multi-lateralen und multi-dimensionalen Ansatzes bedarf, um den internationalen Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen. Dies umzusetzen, ist nun die Aufgabe des neuen US-Präsidenten Barack Obama, gemeinsam mit der Staatengemeinschaft innerhalb der VN.
C. Fazit Dieser kurze Abriss zum Phänomen und zur Entwicklung des Terrorismus hat folgendes deutlich gemacht: Der Terrorismus ist keine neue Erscheinung, sondern er hat die gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit immer begleitet und ist daher in seinen Erscheinungsformen vielfältig und komplex. Hinsichtlich seiner Motive und Ziele ist er politisch oder (pseudo-)religiös bzw. weltanschaulich inspiriert. In der Art und Weise seiner Begehung ist er durch die Ausübung oder Androhung von Gewalt gekennzeichnet. Ziel ist es, ein Gemeinwesen zu verändern, so dass er darauf gerichtet ist, über die unmittelbaren Opfer hinaus Schrecken zu verbreiten, um dadurch letztlich die staatlichen Organe zu bestimmten Reaktionen zu drängen. Von ihrer Organisationsform her sind die Terroristen in nicht-staatlichen und äußerlich nicht erkennbaren Gruppen miteinander verbunden, die entweder eine hierarchische 70 Vgl. etwa jüngst die entsprechende Resolution der GV, A/RES/63/60 vom 2.12.2008 mit dem Titel Measures to prevent terrorists from acquiring weapons of mass destruction. Dazu auch unten Kap. 9, E. II. 71 Vgl. die entsprechenden Äußerungen vom damaligen US-Verteidigungsminister D. Rumsfeld und dem Vorsitzenden des Vereinigten Stabschefs R. Myers („Global struggle against violent extremism“), zitiert nach M. Rüb, „Globaler Kampf“, F.A.Z. vom 27.7.2005, S. 2. 72 R. W. Stevenson, „President Makes It Clear: Phrase is ‚War on Terror‘“, N.Y. Times vom 4.8.2005, S. 12.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
Kommandostruktur aufweisen oder auch lediglich über eine gemeinsame Idee verfügen können. Dies gilt insbesondere für die Al-Qaida-Kämpfer der 3. Generation, bei der es schwer fällt, überhaupt noch von einer Organisation im herkömmlichen Sinne zu sprechen.73 Nicht zuletzt bedarf der Terrorismus einer gewissen öffentlichen Unterstützung, um dauerhaft „genährt“ zu werden. Der Terrorismus äußert sich aber nicht nur auf vielfältige Weise, sondern er wird auch sehr unterschiedlich wahrgenommen und ruft verschiedenste Reaktionen hervor. Im Hinblick auf den 11. September 2001 fällt auf, dass die USA bis dahin nicht wirklich ernsthaft mit terroristischen Taten im eigenen Lande konfrontiert gewesen waren.74 Im Gegensatz dazu verfügen Europa und viele andere Länder über eine lange Erfahrung in der Auseinandersetzung mit terroristischen Gegnern. Nicht nur sind die terroristischen Aktivitäten aus dem Nahen Osten seit je her auf Ziele in Europa gerichtet, sondern etliche Staaten sind auch dauerhaft durch eigene Terroristen von innen herausgefordert (gewesen). Während die europäischen Staaten aber grundsätzlich den Weg der individuellen Strafverfolgung durch die Justiz gegangen sind, haben die USA nunmehr auf groß angelegte militärische Interventionen gesetzt. Dem liegen nicht nur ein anderes Selbstverständnis und ein eigener Weltblick zugrunde, sondern letztlich auch spezifische geopolitische Interessen. Es sind diese politischen Motive, die die Entwicklung und Durchsetzung des Völkerrechts so schwierig, aber gleichzeitig unabdingbar machen.75 Die Aufgabe für die internationale Gemeinschaft besteht nun darin, die unterschiedlichen Mentalitäten und Interessen zusammenzuführen. Es gilt, eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung der terroristischen Herausforderung zu entwerfen, der letztlich auch eine gemeinsame Auffassung über die Funktion und Autorität des Völkerrechts zugrunde liegen muss. Schon 1986 schrieb Charles E. Ritterband: „Durch das Phänomen Terrorismus [ist] die ganze Staatengemeinschaft [bedroht; sie hat] ein wohlbegründetes Interesse, als Kollektiv zu handeln – und nicht einzelnen Staaten, die vielleicht am direktesten betroffen sind, die Rolle des ‚Weltpolizisten‘ zuzuschieben“76 – aber auch nicht zu gewähren, wäre aus heutiger Sicht hin73 V. Lowe, Security Concerns and National Sovereignty in the Age of WorldWide Terrorism, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 655 (657). 74 Mit Ausnahme der weitgehend misslungenen Anschläge auf das World Trade Center in New York durch Islamisten im Jahr 1993 und auf das Regierungsgebäude in Oklahoma City im Jahr 1995, hinter dem mit der Bewegung amerikanisch christlicher Patrioten indes ein „innerer Feind“ stand. 75 Vgl. M. Koskenniemi, International Law in Europe: Between Tradition and Renewal, EJIL 16 (2005), 113 (117).
Kap. 2: Das System der Vereinten Nationen
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zuzufügen. Dieser Einsicht sind angesichts der Schwierigkeiten in Afghanistan und im Irak auch die USA in den vergangenen Jahren bedeutend näher gekommen. Welcher organisatorisch-institutionelle Rahmen hierfür innerhalb der VN zur Verfügung steht und welche Schritte in diesem Rahmen bislang unternommen worden sind, ist Gegenstand der folgenden Kapitel 2 und 3 dieses ersten Teils.
Kapitel 2
Das System der Vereinten Nationen Im Folgenden soll zunächst generell dargestellt werden, mit welchen Aufgaben die VN im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung betraut (A.) und mit welchen Befugnissen die einzelnen Organisationseinheiten ausgestattet sind (B.), um diese Aufgabe wahrnehmen zu können, d. h. wie die in den VN organisierte Staatengemeinschaft „aufgestellt“ ist, um das ihr übertragene Mandat auszufüllen. Vor dem Hintergrund der sich beschleunigt wandelnden tatsächlichen Umstände in der Welt hat sich der organisatorische status quo des VN-Systems, das noch heute im Wesentlichen nach dem klassisch-völkerrechtlichen Diktum nationaler Souveränität in den Beziehungen der Staaten untereinander geschneidert ist, bereits insofern überlebt, als es den aktuellen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. In diesem Zusammenhang sei nur hingewiesen auf die zunehmende Durchlässigkeit der nationalstaatlichen Grenzen, das Aufkommen nicht-staatlicher Akteure auf der internationalen Ebene, die wirtschaftliche Globalisierung und die technologische Revolution durch die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie. Gleichwohl sind die derzeitigen Reformanstrengungen der VN („A time for renewal“), mit der die Effektivität und Legitimität der Weltorganisation gestärkt bzw. wiederhergestellt werden sollen, nur im Vergleich mit den bestehenden, im Folgenden darzustellenden Strukturen zu verstehen. Zugleich sind die ursprünglich angestrebten „größten Veränderungen seit Bestehen der VN“77 bislang eher bescheiden ausgefallen. Entweder haben die Staatsund Regierungschefs es bereits auf dem Weltgipfel 2005 unterlassen, die entsprechenden Vorschläge überhaupt aufzugreifen, oder die Reformaufträge 76 C. E. Ritterband, Terrorismus, Menschenrechte und Intervention, in: Y. Hangartner (Hrsg.), Völkerrecht im Dienste des Menschen, FS für H. Haug, 1986, 225 (227). 77 So GS Kofi Annan bei der Vorstellung seiner Reformvorschläge am 21.3.2005, Pressemitteilung SG/SM/9772.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
wurden – von wenigen Ausnahmen abgesehen – beschnitten und aufgeschoben; siehe insoweit die große Diskrepanz zwischen dem Bericht des Generalsekretärs „In größerer Freiheit“ (In larger freedom) vom 21. März 200578 und dem „Ergebnisdokument“ (Outcome Document) des Weltgipfels vom 14.–16. September 2005.79 So ist das VN-System in seinen Grundkoordinaten vorerst unangetastet geblieben. Den Abschluss dieses Kapitels bildet ein Überblick über die Finanzierung sowie das Haushaltsverfahren der VN (C.), da nicht zuletzt diese haushaltsrechtlichen und -politischen Fragen maßgeblich den Rahmen für die Handlungsmöglichkeiten der VN-Akteure vorgeben; insofern ist ein grobes Verständnis dieser Zusammenhänge und (vermeintlichen) „Notwendigkeiten“ unverzichtbar.
A. Aufgaben und Befugnisse (functions and powers) der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung Die Aufgaben bzw. Ziele der VN sind in der Präambel und katalogartig in Art. 1 SVN aufgeführt. Oberstes Ziel – und damit Mandat der VN – ist es, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen [. . .] und internationale Streitigkeiten [. . .] durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts [. . .] beizulegen“ (Art. 1 Ziff. 1 SVN). Die Bekämpfung des Terrorismus ist dabei nicht ausdrücklich genannt. Bis über die Gründung der VN hinaus wurde der Terrorismus auch im Wesentlichen als nationales Problem angesehen. Erst im Zuge seiner Internationalisierung rückte dessen Bekämpfung mehr und mehr auf die Agenda der VN. Inzwischen wird sogar auf die Qualifikation „international“ verzichtet [vgl. etwa S/RES/1566 (2004), s. u. Kap. 8, B. II. 6.], was sich daraus erklären mag, dass der moderne Terrorismus angesichts seiner Netzwerkstrukturen und seines Gewaltpotentials per se internationale Dimensionen angenommen hat. In jedem Fall wird der Terrorismus heute generell als Bedrohung von Frieden und Sicherheit i. S. d. Satzung der Vereinten Nationen begriffen [durchgängig seit S/RES/1368 (2001) im Anschluss an die Anschläge vom 11. September]. Weiteres Ziel der VN ist es, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen“ und die „gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt [zu verwirklichen]“ (Art. 1 Ziff. 3 und 4 SVN). 78 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General, A/59/2005 vom 21.3.2005. 79 2005 World Summit Outcome, A/RES/60/1 vom 24.10.2005.
Kap. 2: Das System der Vereinten Nationen
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B. Das System der Vereinten Nationen Das Gesamtsystem der VN setzt sich aus einer nahezu undurchschaubaren Vielzahl an Organisationen und Organisationseinheiten zusammen. I. Der Begriff „VN-System“ Der Begriff „VN-System“ beschreibt zweierlei: zum einen das weit verzweigte Netz an Organisationen bzw. organisatorischen Einheiten und deren Organen mit ihren breit gefächerten Aufgabenfeldern i. S. v. Art. 1 SVN, zum anderen die Institutionalisierung und Verrechtlichung ihrer gegenseitigen Beziehungen. Das VN-System umfasst demnach die Hauptorganisation der VN mitsamt ihren Organen und Untergliederungen – im Rahmen dieser Arbeit als „(Organisation der) VN“ bezeichnet – sowie die VN-Sonderorganisationen und sog. angeschlossenen Organisationen, die einander in einem funktional dezentralisierten Gefüge ergänzen. II. Organisation der VN Die Organisation der VN als Hauptorganisation besteht aus ihren (Hauptund Neben-)Organen sowie weiteren Untergliederungen (insb. Fonds und Programme). 1. Hauptorgane
Gemäß Art. 7 Abs. 1 SVN haben die VN sechs Hauptorgane: die Generalversammlung (GV), den Sicherheitsrat (SR), den Wirtschafts- und Sozialrat (WSR oder – gebräuchlicher ist auch im Deutschen die englische Abkürzung – ECOSOC), den Treuhandrat, den Internationalen Gerichtshof (IGH) und das Sekretariat. Sie sind jeweils mit eigener Geschäftsordnungsautonomie ausgestattet und haben ihren Hauptverwaltungssitz in New York; lediglich der IGH ist als Nachfolgeeinrichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs des Völkerbunds (StIGH) in Den Haag verblieben. a) Generalversammlung (GV), Art. 9 ff. SVN Die GV besteht aus allen (derzeit 192) Mitgliedern der VN, die jeweils über eine Stimme verfügen (Art. 18 SVN). Sie bildet das Plenum und hat entsprechend ein umfassendes Erörterungsrecht im Hinblick auf sämtliche Aufgaben der VN („Allzuständigkeit“: es stehen nahezu 200 verschiedene
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
Themen auf der – freilich überfrachteten – Agenda80), einschließlich der Wahrung von Weltfrieden und internationaler Sicherheit, letzteres allerdings im Verhältnis zum SR nur subsidiär (Art. 10–12 SVN).81 Gemäß Art. 13 SVN hat die GV insbesondere die Aufgabe, internationale Zusammenarbeit und die Entwicklung des Völkerrechts zu fördern. Hierzu hat sie in erster Linie die Völkerrechtskommission (ILC) eingesetzt, die seither zahlreiche Kodifikationsentwürfe auf den verschiedensten Gebieten vorgelegt hat; als wichtiges Beispiel aus jüngerer Zeit, auch und gerade im Hinblick auf den Terrorismus, ist die Kodifikation des Rechts der Staatenverantwortlichkeit anzuführen.82 Daneben obliegt der GV die Prüfung der Berichte der anderen VN-Organe, auch derjenigen des SR (Art. 15 bzw. Art. 24 Abs. 3 SVN). Praktisch am bedeutendsten ist allerdings ihr Haushaltsrecht gem. Art. 17–19 SVN (s. u., C.). Beschlüsse der GV ergehen in Form von Resolutionen, die jedoch nur bindend sind, soweit sie interne Verfahrensangelegenheiten oder Haushaltsfragen zum Gegenstand haben. Resolutionen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind, haben hingegen lediglich empfehlenden Charakter. Die GV hat somit weder Rechtsetzungs- noch Exekutivbefugnisse, mit denen sie ihre Beschlüsse umzusetzen oder die Nichteinhaltung eingegangener Selbstverpflichtungen zu sanktionieren vermag. Allerdings können Resolutionen, soweit sich eine entsprechende Staatenpraxis entwickelt, wesentlich zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beitragen.83 Unabhängig davon kann der Inhalt von Resolutionen einen gewissen Geltungsanspruch als „soft law“ entfalten, da die GV – zumal bei Beschlüssen, die im Konsens angenommen wurden – insoweit der Rechtsüberzeugung (opinio iuris) der gesamten Staatengemeinschaft Ausdruck verleiht. Angesichts dessen, dass der rechtlichen Behandlung des Terrorismus als solchem eine politische Auseinandersetzung darüber vorauszugehen hat, was unter Terrorismus verstanden werden und wie ihm begegnet werden soll, kommt der GV insofern eine maßgebliche Rolle zu. Denn nur hier ist die gesamte Staatenwelt vertreten, so dass allein sie den Anspruch einlösen kann, eine globale AntiTerrorismus-Strategie zu verabschieden. Die Bedeutung der GV ist demnach – in den Worten von Ines L. Claude – darin zu sehen, dass „the GA 80
Im Anschluss an die A/RES/58/126 vom 13.1.2004 wurde die Tagesordnung zuletzt von mehr als 300 auf immerhin 153 Themen „bereinigt“ [Stand: 63. Sitzung 2008/09, A/63/50 vom 19.9.2008]. 81 Zum Beispiel bei – tatsächlich oder vermeintlich vorliegender – „Funktionsunfähigkeit“ des SR, siehe A/377 (V) – Uniting for Peace vom 3.11.1950. 82 Angenommen von der GV am 12. Dezember 2001, A/RES/56/83. Dazu C. Tams, All’s well that ends well, ZaöRV 62 (2002), 759. 83 V. Epping, Internationale Organisationen, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 32, Rn. 47.
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functions as an organ for collective legitimization or collective delegitimation of normative prescriptions that guide the activity of member governments“.84 b) Sicherheitsrat (SR), Art. 23 ff. SVN Der SR trägt gem. Art. 24 SVN die primäre Verantwortung für die Wahrung von Weltfrieden und internationaler Sicherheit. Er setzt sich gem. Art. 23 SVN aus 15 Mitgliedern zusammen, von denen fünf ständige (USA, RUS, GB, F, CHN85 = „permanent five“/„P 5“) sowie zehn – jeweils für zwei Jahre von der GV gewählte – nicht-ständige (= „elected ten“/„E 10“) Mitglieder sind, die je einen Vertreter entsenden. Bei der Wahl der nichtständigen Mitglieder sind in erster Linie der Beitrag von Mitgliedern der VN zur Wahrung des Weltfriedens bzw. zur Verwirklichung der sonstigen Ziele der VN sowie ferner eine angemessene geographische Verteilung zu berücksichtigen. Praktisch besteht allerdings ein festgelegter Aufteilungsschlüssel nach Regionalgruppen, wonach zwei Sitze für Staaten aus Westeuropa, ein Sitz für einen osteuropäischen Staat, zwei Sitze für Staaten aus Afrika, drei Sitze für Staaten aus Asien/Pazifik und zwei Sitze für Staaten aus Mittel- und Südamerika reserviert sind.86 Die SR-Präsidentschaft rotiert monatlich nach dem (engl.) Alphabet unter den SR-Mitgliedern (Regel 18 der Vorläufigen Geschäftsordnung). Im Gegensatz zur GV, deren Sitzungsperiode sich von September bis Dezember eines Jahres erstreckt, tagt der SR gem. Art. 28 SVN regelmäßig je nach Bedarf, insbesondere auch auf Arbeitsebene. Gemäß Art. 27 Abs. 1 SVN verfügt jedes Mitglied über eine Stimme, wobei jedoch den ständigen Mitgliedern ein Vetorecht zusteht. Denn Beschlüsse des SR, die nicht lediglich Verfahrensfragen betreffen, bedürfen der Zustimmung von mindestens neun Mitgliedern, darunter allen P 5-Staaten (Art. 27 Abs. 2 u. 3 SVN). Insoweit hat sich allerdings die Praxis entwickelt, dass Enthaltungen der P 5 einem positiven Beschluss nicht entgegenstehen.87 Angesichts des hohen Symbolwerts einstimmiger Entscheidungen wird jedoch seit dem 11. September 2001 im Bereich der 84
I. L. Claude, Collective Legitimization as a Political Function of the United Nations, International Organization 20 (1966), 367 (367 ff.). 85 Bis 1971 nahm Taiwan die chinesische Mitgliedschaft in den VN inkl. SR-Sitz wahr; seit die Volksrepublik China diesen Platz eingenommen hat, ist Taiwan auf Betreiben Chinas, das die Alleinvertretung für sich beansprucht, gar nicht mehr in den VN vertreten. 86 A/RES/1991A (XVIII) vom 17.12.1963. 87 Y. Z. Blum, Proposals for UN Security Council Reform, AJIL 99 (2005), 632 (637).
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Terrorismusbekämpfung ausnahmslos im „consensus“-Verfahren entschieden. Beschlüsse des SR sind, sofern sie als Resolutionen und nicht lediglich als Empfehlungen ergehen, für die gesamte Mitgliedschaft bindend (Art. 24, 25 SVN). c) Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), Art. 61 ff. SVN Der ECOSOC setzt sich aus 54 Mitgliedern zusammen, die von der GV mit einer 2/3-Mehrheit für jeweils drei Jahre gewählt werden; hierbei herrscht ein rotierendes System, wonach jedes Jahr 18 Mitglieder gewählt werden (Art. 61 SVN). Aufgabe des ECOSOC ist es, über internationale Angelegenheiten auf den Gebieten der Wirtschaft, des Sozialwesens, der Kultur, der Erziehung, der Gesundheit und auf verwandten Gebieten Untersuchungen durchzuführen oder zu veranlassen sowie Berichte hierüber abzufassen. Auf dieser Grundlage kann er Empfehlungen an die GV, die Mitgliedstaaten und die Sonderorganisationen richten (Art. 62 Abs. 1 SVN), Empfehlungen abgeben, um die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern (Art. 62 Abs. 2 SVN) oder Übereinkommen entwerfen und der GV vorlegen (Art. 62 Abs. 3 SVN). Jedem Mitglied im ECOSOC steht hierbei eine Stimme zu; Beschlüsse bedürfen der einfachen Mehrheit (Art. 67 SVN). Daneben steht dem ECOSOC die Vertragsschlusskompetenz für die Abkommen zu, die die VN mit den Sonderorganisationen schließen, und ist er für die Koordinierung von deren Tätigkeiten zuständig (Art. 63 SVN). Darüber hinaus kann der ECOSOC Abmachungen zwecks Konsultationen mit NGOs treffen, die sich mit Angelegenheiten seiner Zuständigkeit befassen (Art. 71 SVN). Dem kommt eine große praktische Bedeutung zu, da sich hier – im VN-Ausschuss für Nichtregierungsorganisationen („NGO-Committee“) – entscheidet, welche NGOs auf ihren Antrag hin einen Konsultativstatus bei den VN eingeräumt bekommen. Aktuell sind dies 3.287 NGOs, die damit Zugang zum VN-Sitz haben und dem ECOSOC Berichte unterbreiten können.88 d) Treuhandrat, Art. 86 ff. SVN Der Treuhandrat wurde eingerichtet, um diejenigen Staaten zu überwachen, die mit der Verwaltung von Treuhandgebieten betraut sind bzw. waren. Denn nachdem mit der Republik Palau im Jahre 1994 das letzte 88 Angaben der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten im VN-Sekretariat, siehe unter http://esango.un.org/civilsociety/ [eingesehen am 8.5.2010].
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Treuhandgebiet seine Unabhängigkeit erlangt hatte, waren Sinn und Zweck des Treuhandsystems erfüllt.89 Gleichwohl wurde der Treuhandrat vorerst nicht formal aufgelöst, sondern lediglich seine Aktivität ausgesetzt.
e) Internationaler Gerichtshof (IGH), Art. 92 ff. SVN Der IGH ist das Hauptrechtsprechungsorgan der VN (Art. 92 SVN). Das Gericht setzt sich aus 15 Richtern unterschiedlicher Staatsangehörigkeit zusammen, die von der GV und dem SR gewählt werden (Art. 3 u. Art. 4 IGH-Statut). Alle Mitglieder der VN sind automatisch Vertragsparteien auch des IGH-Statuts, das integrativer Bestandteil der SVN ist (Art. 92, 93 SVN). Auch parteifähig in Verfahren vor dem IGH sind ausschließlich Staaten (Art. 34 IGH-Statut). Der SR und die GV – sowie eingeschränkt auch die anderen VN-Organe und Sonderorganisationen – haben jedoch die Möglichkeit, Rechtsgutachten einzuholen (Art. 96 SVN). Entscheidungen des IGH sind nur für die jeweiligen Streitparteien, also inter partes, bindend. Bei ihrer Nichtbefolgung kann der SR zu ihrer Durchsetzung angerufen werden (Art. 94 SVN). Die Zuständigkeit des IGH erstreckt sich auf alle ihm von den Parteien unterbreiteten Rechtssachen (Art. 36 IGH-Statut). Die Staaten können sich der Gerichtsbarkeit auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Umfang unterwerfen: entweder sie begründen die Zuständigkeit des IGH für einen bestimmten Rechtsstreit oder generell und vorab für in völkerrechtlichen Verträgen geregelte Angelegenheiten (letzterer Fall ist der praktisch häufigere). Außerdem kann ein Staat sich der Zuständigkeit des IGH allgemein für Streitigkeiten mit jedem anderen Staat unterwerfen, der die gleiche Unterwerfungserklärung abgegeben hat (Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut, sog. Fakultativklausel). Von den Großmächten bzw. ständigen SR-Mitgliedern macht hiervon nur noch Großbritannien Gebrauch; die USA und Frankreich hingegen haben ihre allgemeinen Unterwerfungserklärungen nach den Auseinandersetzungen über Nicaragua bzw. die Atomtests im Pazifik zurückgezogen; Russland und China haben sie gar nicht erst abgegeben. Deutschland hat sich erst am 30. April 2008 der allgemeinen Zuständigkeit des IGH unterworfen. Damit beläuft sich die Zahl derjenigen Staaten, die die Gerichtsbarkeit des IGH als obligatorisch anerkennen, noch immer auf gerade einmal 66 [Stand: 30. Oktober 2010]. Die Rechtsquellen, 89 Allerdings gibt es noch 16 Gebiete ohne Selbstregierung, die von anderen Staaten verwaltet werden, siehe http://www.un.org/Depts/dpi/decolonization/trust3. htm [eingesehen am 8.5.2010]. Ein Sonderausschuss der VN (errichtet auf der Grundlage von Res. 1654 (XVI) vom 27.11.1961) hat das Mandat, ihre Selbständigkeit zu fördern.
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die der IGH seiner Rechtsfindung zugrunde legt, sind in Art. 38 IGH-Statut aufgezählt. Es sind dies insbesondere das Völkervertrags- und Gewohnheitsrecht sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze; weiterhin werden – vorbehaltlich der inter partes-Wirkung – frühere Entscheidungen und die Lehrmeinungen der „fähigsten Völkerrechtler“ herangezogen. f) Sekretariat und Generalsekretär, Art. 97 ff. SVN Das Sekretariat als Hauptverwaltungsorgan der VN wird gem. Art. 97 SVN von dem Generalsekretär (GS) als oberstem Verwaltungsbeamten der Organisation geleitet. Amtsinhaber seit dem 1. Januar 2007 ist Ban KiMoon (Süd-Korea); sein Vorgänger von 1997–2006 war Kofi A. Annan (Ghana). Seit 1998 gibt es auch das Amt des Stellvertretenden GS, das zunächst Louise Fréchette (Kanada) innehatte und aktuell von Asha-Rose Migiro (Tansania) bekleidet wird. Der GS wird auf Empfehlung des SR von der GV für eine fünfjährige Amtszeit (so die Praxis) ernannt (Art. 97 SVN). Zur Ausführung seiner Aufgaben stehen ihm als weitere Sekretariatsangehörige die „sonstigen von der Organisation benötigten Bediensteten“ zur Verfügung (im Jahre 2003 etwa 15.600; zusätzlich etwa 21.400 in den angegliederten VN-Organisationen90). Im Jahr 1997 gründete der damalige GS Kofi Annan darüber hinaus die Senior Management Group (SMG), eine Art „Kabinett“, in dem die 16 Leiter der VN-Hauptabteilungen, -Programme und -Fonds regelmäßig zusammenkommen, um ihre Arbeit zu koordinieren (s. u., 8.). Zu den Aufgaben und Befugnissen des GS gehört gem. Art. 98 SVN, dass er an den Sitzungen des SR, der GV, des ECOSOC und des Treuhandrates teilnimmt91 und die ihm von diesen Organen zugewiesenen Aufgaben wahrnimmt. Entsprechend hat der GV jährlich Bericht über die Tätigkeit der Organisation zu erstatten. Im Rahmen seiner mehr auf die Verwaltung ausgerichteten Tätigkeit bereitet er den Haushaltsplan der Organisation vor, registriert die von den VN-Mitgliedern geschlossenen völkerrechtlichen Verträge und vertritt die Organisation nach außen. Der GS kann aber gem. Art. 99 SVN auch selbst die Aufmerksamkeit des SR auf jede Angelegenheit lenken, die er als potenzielle Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ansieht [siehe dazu auch S/RES/1366 (2001), op. 5]. Insoweit stellt sein Amt eine Wächterfunktion mit durchaus politischer Dimension dar, von der die bisherigen GS, je nach ihrer individuellen Persönlichkeit, in unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht haben. Insbeson90
G. Unser, Die UNO, 2004, 161. Persönlich oder durch einen Vertreter, d. h. den Stellvertretenden GS oder einen der Untergeneralsekretäre. 91
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dere Dag Hammarskjöld, der das Amt des GS in den Jahren 1953–61 innehatte, gelang es, die Organisation als solche mit einem „eigenen Willen“ im Verhältnis zum SR und der GV, die über die Summe bzw. den kleinsten gemeinsamen Nenner der Mitgliedstaaten zumeist nicht hinauskommen, zu profilieren – und damit den Interessen der Weltgemeinschaft gegenüber den Partikularinteressen der Mitgliedstaaten Geltung zu verschaffen.92 Hervorzuheben ist die Initiative Dag Hammarskjölds, mit der er 1956, nachdem die SR-Mitlgieder sich gegenseitig blockiert hatten, mit Unterstützung der GV das bis heute praktizierte Konzept der „Blauhelme“ einführte; einem Regierungschef gleich verband er diese Sachfrage mit der persönlichen Vertrauensfrage und erlangte so die erforderliche Zustimmung.93 Festzuhalten bleibt, dass der GS in der Weltöffentlichkeit als moralische Autorität und Vertreter der öffentlichen Interessen wahrgenommen94 und er – auch im institutionellen Gefüge und Miteinander der Organe – als „Hauptorgan“ begriffen wird (bzw. als derjenige, durch den das Hauptorgan Sekretariat ein „Gesicht“ bekommt und handlungsfähig wird).95 Art. 100 SVN schreibt vor, dass der GS und die sonstigen Bediensteten Weisungen von außerhalb der Organisation weder erbitten noch entgegennehmen dürfen, sie also einzig den VN verpflichtet sind, wenngleich die Praxis sich mitunter anders gestaltet.96 Die Bediensteten werden gem. Art. 101 SVN vom GS aufgrund des von ihm erlassenen Dienstrechts ernannt, das die von der GV erlassenen Richtlinien konkretisiert. Bei der Einstellung und der Regelung der Dienstverhältnisse ist ein „Höchstmaß an Leistungsfähigkeit, fachlicher Eignung und Ehrenhaftigkeit zu gewährleisten“; als weiteres Kriterium ist die Auswahl auf möglichst breiter geographischer Grundlage vorzunehmen. Die Arbeitsbereiche des Sekretariats sind in die fünf Sektoren Frieden und Sicherheit, Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten, Entwicklungszusammenarbeit, Humanitäre Angelegenheiten und Menschenrechte gegliedert, wobei der Menschenrechtsschutz als Querschnittsaufgabe angelegt ist und in allen Bereichen berücksichtigt werden soll97; entsprechend schuf die 92 Vgl. die Rede Dag Hammarskjölds zum Thema „Der Internationale Beamte laut Gesetz und als Tatsache“ vom 30.5.1961 in Oxford, SG/1035; siehe auch N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 136. 93 P. Wallensten, Dag Hammarskjöld, 2005, 18. 94 So auch A. L. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001, 306. 95 M. Goulding, The UN Secretary-General, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 267 (267). 96 K. Th. Paschke, UNO von innen – die Besonderheiten einer multinationalen Behörde, in: S. von Schorlemmer (Hrsg.), Praxis-Handbuch UNO, 2003, 553 (553 ff.).
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GV im Jahr 1993 das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte. Jeder Sektor hat einen Exekutivausschuss, dem die Leiter der jeweiligen (Haupt-)Abteilung des Sekretariats (department bzw. office, jeweils geleitet von einem Untergeneralsekretär [USG]) sowie der einschlägigen VN-Programme, -Fonds und -Sonderorganisationen angehören. Verwaltungsorganisatorisch steht das (Exekutiv-)Büro des GS ([E]OSG) auf der obersten Hierarchiestufe; die übrigen Abteilungen und Ämter bilden darunter horizontal die zweite Hierarchieebene im Sekretariat. Die im Kontext dieser Arbeit wichtigsten der insgesamt zehn (Haupt-) Abteilungen sind diejenige für Politische Angelegenheiten (DPA) sowie das Amt für Rechtsangelegenheiten (OLA). Die Abteilung für Abrüstungsfragen (DDA) ist jüngst in ein Büro mit eigenem Hohen Beauftragten, der direkt dem GS unterstellt ist, reorganisiert worden. Unter den Ämtern ist vorliegend das 2002 neu formierte Büro für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC), das seinen Sitz in Wien hat, als das bedeutendste zu nennen.98 Es ist hervorgegangen aus dem 1997 gegründeten Büro für Drogenund Verbrechensbekämpfung (UNODCCP). Diesem wiederum sind das VNProgramm für Internationale Drogenkontrolle (UNDCP)99 und das Zentrum für internationale Verbrechensverhütung (CICP) zugeordnet, innerhalb dessen 1998 außerdem eine Unterabteilung Terrorismusverhütung (Terrorism Prevention Branch [TPB]) errichtet wurde, deren Funktion zuvor der Rechtsausschuss der GV ausgefüllt hatte. Seit 2001 unterstützt die TPB vor allem den vom SR errichteten Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC) bzw. dessen Exekutivdirektorium (CTED) bei der Vermittlung und Leistung technischer Hilfe sowie der Umsetzung völkerrechtlicher Vorgaben ins nationale Recht (z. B. durch die Ausarbeitung von Mustergesetzen100). Die Verortung der TPB im UNODC erklärt sich dabei aus dem Zusammenhang von Organisierter Kriminalität und Terrorismus.101 Nicht zuletzt kann hier bei der Bekämpfung des Terrorismus auf langjährige Erfahrung im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität zurückgegriffen werden. Neben 97
G. Unser, Die UNO, 2004, 166. Für einen Überblick siehe http://www.unodc.org/unodc/en/terrorism.html. 99 UNDCP wurde 1991 durch die Zusammenlegung dreier Vorgängereinheiten geschaffen, siehe F. Mayrhofer-Grünbühel/C. Ebner, Measures to Counter Drugs and Crimes, in: F. Cede/l. Sucharipa-Behrmann (Eds.), The United Nations – Law and Practice, 2001, 258 (260 ff.). 100 Siehe etwa den Legislative Guide to the Universal Anti-Terrorism Conventions and Protocols des UNODC von 2003 und das Global Programme against Terrorism der TPB von 2004. 101 Dazu S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29 (42). 98
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der TPB unterhält das UNODC auch das im vorliegenden Kontext wichtige Globale Programm gegen Geldwäsche (GPML). 2. Nebenorgane
Art. 7 Abs. 2 SVN sieht vor, dass die Hauptorgane der VN in Übereinstimmung mit der Charta und gemäß ihrer jeweiligen Geschäftsordnung – praktisch also insbesondere die GV und der SR – „je nach Bedarf“ Nebenorgane bilden können. Entsprechend dieser Maßgabe hat sich auf ad hocBasis über die Jahre ein thematisch breit gefächerter und mangels Systematik zunehmend unübersichtlicher Unterbau herausgebildet. a) Nebenorgane der GV Art. 22 SVN greift die Generalermächtigung des Art. 7 Abs. 2 SVN auf und bestimmt speziell für die GV, dass diese Nebenorgane einsetzen kann, soweit sie dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben für erforderlich hält. Die GV hat sechs Hauptausschüsse (main committees) mit folgenden Aufgaben gebildet: den Ersten Ausschuss – Abrüstung und Internationale Sicherheit; den Zweiten Ausschuss – Wirtschaft und Finanzen; den Dritten Ausschuss – soziale, humanitäre und kulturelle Fragen; den Vierten Ausschuss – besondere politische Fragen und Entkolonialisierung; in jüngerer Zeit vor allem: friedenssichernde Operationen; den Fünften Ausschuss – Verwaltung und Haushalt, der maßgeblich vom Beratenden Ausschuss für Verwaltungsund Haushaltsfragen (ACABQ) unterstützt wird (s. u., C. II.); den Sechsten Ausschuss – Recht. Die Hauptausschüsse tagen über das gesamte Jahr verteilt, also auch außerhalb der jährlichen Sitzungsperiode der GV. In ihnen werden die Resolutionen der GV inhaltlich erarbeitet und dieser lediglich noch zur Abstimmung vorgelegt (die Funktionsweise ist insoweit derjenigen der nationalen Parlamente ähnlich). Mit Fragen des Terrorismus sind insbesondere der Sechste und der Dritte Ausschuss (Rechts- bzw. Menschenrechtsfragen) beschäftigt; der Erste Ausschuss ist von Bedeutung, soweit es um die Verbreitung von Waffen geht (für den Terrorismus sind sowohl die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen als auch die sog. Kleinwaffen relevant).102 Weitere Nebenorgane sind die beiden Verfahrensausschüsse103 sowie die sog. Ständigen Ausschüsse, darunter insb. der im Zusammenhang mit dem 102
Siehe zu einzelnen Aktivitäten des Ersten, Dritten und Sechsten Ausschusses unten Kap. 4, B. I. 103 Zum einen der Präsidial- oder Lenkungsausschuss (General Committee), zum anderen der Mandatsprüfungsausschuss (Credentials Committee).
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Fünften Ausschuss erwähnte ACABQ.104 Darüber hinaus hat die GV rund 60 weitere (ad hoc-)Ausschüsse sowie nachrangige Organe (subsidiary bodies/organs) geschaffen105, die sich sowohl aus Staatenvertretern als auch aus unabhängigen Sachverständigen zusammensetzen und von denen einige direkt der GV, andere vermittelt durch den ECOSOC berichten. Angesichts der zunehmenden Unübersichtlichkeit hat die GV ihre Praxis, für neue Aufgaben laufend neue Organe einzusetzen, inzwischen eingeschränkt.106 Eine andere Kategorie von Nebenorganen bilden die Vertragsorgane, die durch einen gesonderten völkerrechtlichen Vertrag eingesetzt werden, funktional und organisatorisch aber so eng mit den GV verbunden sind, dass sie als „treaty organs of the UN“ bezeichnet und der GV zugeordnet werden. Hierzu zählen vor allem die Sachverständigenausschüsse, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung etwa der internationalen Menschenrechtskonventionen oder des Seerechtsübereinkommens zu überwachen.107 Anders als im Falle von Sonderorganisationen werden die Kosten der Vertragsorgane aus dem regulären VN-Haushalt gezahlt und ihre Verwaltungsaufgaben vom VN-Sekretariat erledigt.108 Besondere Erwähnung verdient der ad hoc-Ausschuss auf der Grundlage von A/RES/51/210 aus dem Jahr 1996, der speziell Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus ausarbeiten soll und allen Mitgliedern der VN oder der IAEO offen steht (siehe im Einzelnen unten, Kap. 8). Im Bereich des Menschenrechtsschutzes hat die GV außerdem den Menschenrechtsrat gegründet, um die umstrittene Menschenrechtskommission des ECOSOC abzulösen. Dies erfolgte im April 2006 in Umsetzung einer der wenigen substanziellen Entscheidungen, die auf dem Weltgipfel 2005 getroffen worden waren.109 104 Als weiterer Ständiger Ausschuss ist der Beitragsausschuss (Committee on Contributions) zu nennen. 105 Vgl. die jeweils aktuelle Auflistung im Yearbook of the United Nations. 106 Zu den wichtigsten Ausschüssen und Organen, die sich mit sicherheitspolitischen, rechtlichen oder institutionellen Fragen beschäftigen, gehören der Sonderausschuss für friedenssichernde Operationen, der Sonderausschuss für die Charta der VN und die Stärkung der Rolle der Organisation, die Reform-Arbeitsgruppen sowie die ILC. Zu nennen ist weiterhin die Abrüstungskommission (UNDC), wobei die substantiellen Verhandlungen über Rüstungskontrollen und Abrüstung in der formal autonomen Genfer Abrüstungskonferenz (CD) stattfinden, die organisatorisch und thematisch jedoch wiederum eng mit der GV zusammenarbeitet. Siehe im Einzelnen G. Unser, Die UNO, 2004, 64 ff. 107 Siehe P. C. Szasz, The Complexification of the United Nations System, MPUNYB 3 (1999), 1 (17 ff.). 108 Zu den Vertragsorganen vgl. G. Jaenicke, Kommentierung zu Art. 7, Rn. 37 und M. Hilf, Kommentierung zu Art. 22, Rn. 22 jeweils in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991; G. Unser, Die UNO, 2004, 74 ff.
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b) Nebenorgane des SR Die Befugnis des SR, Nebenorgane einzusetzen, folgt aus Art. 29 SVN. Neben dem zwar einzig ausdrücklich in der Charta genannten (Art. 47 SVN), praktisch aber bedeutungslosen Generalstabsausschuss, gibt es drei weitere ständige Ausschüsse, die vorwiegend mit Verfahrensfragen beschäftigt sind.110 Seinen Handlungsspielraum erweitert der SR vor allem durch die Einsetzung von ad hoc-Ausschüssen (subsidiary organs/bodies), die mit der Wahrnehmung bestimmter, in der Regel zeitlich begrenzter Aufgaben betraut werden. Am wichtigsten sind hierbei die Sanktionsausschüsse, die jeweils zur Durchführung und Überwachung eines vom SR errichteten Sanktionsregimes gebildet werden. Von ihrer Besetzung her spiegeln sie die Mitgliedschaft des SR wider; Entscheidungen können nur einstimmig getroffen werden. Während es bis zum Jahr 1990 überhaupt nur zwei Sanktionsausschüsse gegeben hatte, ist die Sanktionspraxis des SR seitdem stark angewachsen, so dass sich deren Zahl bis Mitte 2010 auf rund 20 erhöht hat (von denen allerdings in der Zwischenzeit rund die Hälfte ihre Arbeit abgeschlossen hat).111 Sonderrollen nehmen daneben der „1267“-(Al-Qaida/Taliban-)Ausschuss, der Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung (Counter-Terrorism Committee [CTC]) sowie der „1540“-(Non-proliferation-)Ausschuss ein, die kurz vor bzw. in unmittelbarer Folge des 11. September 2001 errichtet wurden. Diese Ausschüsse bilden den Hauptgegenstand der Untersuchungen dieser Arbeit (Teil 2, Kap. 5 u. 6). Neben diesen Ausschüssen hat der SR verschiedene Kommissionen112 und Arbeitsgruppen113 gebildet. Statt Gremien zu errichten, kann der SR 109 2005 World Summit Outcome, A/Res/60/1, Paras. 157–160; A/RES/560/251, op. 1 vom 3.4.2006. 110 Sachverständigenausschuss für die Geschäftsordnung; Ausschuss für die Aufnahme neuer Mitglieder; Ausschuss für Sitzungen des Rats außerhalb des Amtssitzes. 111 Vgl. die Auflistung der Sanktionsregime, von denen einige zwischenzeitlich allerdings bereits wieder eingestellt worden sind, unter http://www.un.org/sc/com mittees/ [eingesehen am 20.8.2010]; siehe auch D. Cortright/G. A. Lopez, Reforming Sanctions, in: D. M. Malone (Ed.), The UN Security Council, 2004, 167 (167 ff.). 112 Beispielhaft seien die Kommissionen genannt, die im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg von 1991 stehen: UN Compensation Commission (UNCC) zur Verwaltung des Entschädigungsfonds und UN Special Commission (UNSCOM), beide errichtet durch S/RES/687 (1991) sowie UN Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC), errichtet durch S/RES/1284 (1999) als Nachfolgerin von UNSCOM. 113 Etwa die Informelle Arbeitsgruppe des SR für allgemeine Sanktionsfragen, S/2000/319.
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aber auch Einzelpersonen benennen (Regel 28 der Vorläufigen Geschäftsordnung des SR).114 Auf der Rechtsgrundlage von Kap. VII SVN hat der SR mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien bzw. Ruanda (ICTY, ICTR) sogar zwei ad hoc-Strafgerichtshöfe als Nebenorgane geschaffen.115 c) Nebenorgane des ECOSOC Der ECOSOC hat gemäß Art. 68 SVN das Recht bzw. die Pflicht, die zur Wahrnehmung seines umfangreichen Aufgabenkatalogs erforderlichen Kommissionen einzusetzen. Entsprechend gibt es eine Reihe Ständiger Ausschüsse, unter ihnen den „NGO-Ausschuss“, der für die Verzahnung mit der Zivilgesellschaft von Bedeutung ist, den Programm- und Koordinierungsausschuss (CPC), der gemeinsames Nebenorgan von ECOSOC und GV ist, sowie die fünf Regionalen Wirtschaftskommissionen. Daneben gibt es neun Funktionale Kommissionen, von denen im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung die folgenden hervorzuheben sind: die Menschenrechtskommission, die 2005 Martin Scheinin zum Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus ernannte116, die 2006 allerdings durch den Menschenrechtsrat ersetzt wurde (s. o.)117; ferner die Commission on Narcotic Drugs (CND) sowie die Commission on Crime Prevention and Criminal Justice (CCPCJ).118 3. Programme und Fonds (programmes and funds)
Programme und Fonds werden von der GV zur Wahrnehmung bestimmter operationeller Aufgaben eingerichtet, die die breite Mitgliedschaft aufgrund ihrer Bedeutung nicht dem ECOSOC, sondern direkt der GV unter114 In der Praxis wird regelmäßig der GS ermächtigt, für den SR eine Kommission einzuberufen oder einen Sonderbeauftragten zu ernennen; berichten diese daraufhin auch dem GS statt dem SR, sind sie allerdings technisch keine Nebenorgane des SR mehr. 115 Grundlage hierfür waren die Resolutionen S/RES/827 (1993) resp. S/RES/955 (1994), deren Rechtmäßigkeit umstritten ist, s. u., Kap. 5, B. III. 2. b) aa). 116 E/CN/.4/2005/L.10/Add.17, Human Rights Resolution 2005/80, Para. 14 vom 21.4.2005. 117 A/RES/560/251, op. 1 vom 3.4.2006. 118 Schließlich unterhält der ECOSOC einige ad hoc-Ausschüsse und gibt es eine Reihe anderer, mit dem ECOSOC verbundene Organe, die allerdings nicht den Status von Nebenorganen haben; siehe dazu G. Unser, Die UNO, 2004, 148 f.
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stellt sehen will. Insofern besitzen die Programme und Fonds zwar formal den Rechtsstatus von Nebenorganen der GV. Dadurch aber, dass sie über eigene Organe verfügen, kommt ihnen praktisch eine weitgehende Selbständigkeit zu, die sie in der Sache zu einer Art „quasi-autonomer Sonderorgane“ macht.119 Ihre Funktionen und Aufgaben liegen insbesondere darin, Leitlinien und Programme zu erarbeiten oder die Durchführung von Hilfsprogrammen zu ermöglichen. Zu nennen sind insoweit etwa das Kinderhilfswerk (UNICEF), die Welthandelskonferenz (UNCTAD), das Entwicklungs- (UNDP) und das Umweltprogramm (UNEP) sowie das Internationale Drogenkontrollprogramm (UNDCP), das in das Wiener Büro des VN-Sekretariats für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) integriert worden ist [s. o., 2. a)]. 4. Andere VN-Einrichtungen (other UN entities)
Die einzige hier erwähnenswerte „andere VN-Einrichtung“ ist das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR), das seit 2008 Navanethem Pillay als Nachfolgerin von Louise Arbour innehat. Es wurde 1993 im Anschluss an die zweite Menschenrechtsweltkonferenz der GV eingerichtet, um die Arbeit der verschiedenen Menschenrechtsgremien der VN zu koordinieren.120 5. Kommission für Friedenskonsolidierung (Peacebuilding Commission)
Eine Sonderrolle nimmt die Kommission für Friedenskonsolidierung ein, die neben dem Menschenrechtsrat (s. o.) die zweite infolge des Weltgipfels 2005 neu gegründete Institution ist.121 Sie ist konzipiert als „intergovernmental advisory body“ und setzt sich zusammen aus je sieben Mitgliedern der GV, des SR und des ECOSOC sowie je fünf weiteren Staaten, die entweder finanziell oder durch die Bereitstellung von Militär bzw. Polizei maßgeblich zu den Operationen beitragen. Die PBC ist gemeinsames Nebenorgan des SR wie auch der GV und damit in ihrer Art einmalig. Aufgabe der PBC ist, Strategien für den Wiederaufbau in post conflict-Situationen aufzustellen. Bislang haben sich die hohen Erwartungen, die mit ihrer Schaffung verbunden waren, jedoch nicht erfüllt; vgl. die Ergebnisse der 119 M. Hilf, Kommentierung zu Art. 22, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 21. 120 Zum Mandat des Hohen Kommissars und zu seiner Stellung im Gesamtsystem siehe A/RES/41/141 vom 7.1.1994. 121 S/RES/1645 (2005) und A/RES/60/185 („The General Assembly [. . .] acting concurrently with the Security Council“).
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ersten Überprüfung im Jahr 2010, A/64/868 und A/RES/65/7. Potenziell allerdings kommt ihr eine sehr wichtige Rolle zu, da krisengeschüttelte Regionen und schwache staatliche Strukturen oftmals den Nährboden für Terrorismus liefern. 6. Sonderorganisationen (specialized agencies)
Die (VN-)Sonderorganisationen sind gem. Art. 57 SVN rechtlich selbständige Internationale Organisationen, die nach ihren Gründungsstatuten Aufgaben gem. Art. 1, 55 SVN erfüllen. Sie sind Ausdruck des Bestrebens, durch dezentralisierte Aufgabenerfüllung ein Höchstmaß an Funktionalismus zu erzielen. Derzeit existieren 16 Sonderorganisationen.122 Sie verfügen über einen eigenen Mitgliederbestand, der nicht mit dem Kreis der VN-Mitglieder übereinstimmen muss, sowie ein eigenes Budget. Das „one state, one vote“-Prinzip gilt hier nicht zwingend, sondern die Stimmen können, etwa orientiert am jeweiligen Beitrag zum Haushalt, gewichtet werden. Die Sonderorganisationen sind mit den VN durch Abkommen verbunden, die gem. Art. 57, 63 SVN geschlossen werden. Auf Seiten der VN ist der ECOSOC ermächtigt, diese Abkommen zu schließen und die Tätigkeit der Sonderorganisationen zu koordinieren (Art. 63 SVN). Dadurch beruhen die Sonderorganisationen auf einer doppelten Rechtsgrundlage, nämlich ihren Gründungsstatuten123 und den (Beziehungs-)Abkommen mit den VN.124 Letztere erlauben es den Sonderorganisationen, gem. Art. 96 Abs. 2 SVN Gutachten des IGH zu Rechtsfragen einzuholen, die ihren Tätigkeitsbereich betreffen. 7. Angeschlossene Organisationen (related organizations)
Neben der Kategorie der VN-Sonderorganisationen gibt es weiterhin diejenige der „angeschlossenen“ Internationalen Organisationen. Am bekanntesten dürfte hiervon die Welthandelsorganisation (WTO) sein. Im vorlie122 ILO, FAO, UNESCO, ICAO, IBRD, IMF, UPU, WHO, ITU, WMO, IFC, IMO, IDA, WIPO, IFAD, UNIDO (nach anderer Zählweise gibt es 14 Sonderorganisationen: IBRD, IFC, IDA [sowie MIGMA, ICSIC] werden hierbei zur „Weltbankgruppe“ zusammengefasst); die einzig bislang erloschene Sonderorganisation ist die IRO (Internationale Flüchtlingsorganisation), die allerdings bereits zeitlich limitiert bis 1952 gegründet worden war und deren Aufgaben seitdem der UNHCR, ein Nebenorgan der GV, fortführt; einige der Sonderorganisationen (ILO, FAO, IBRD, IMF) bestanden bereits vor Gründung der VN, andere (ITU, UPU, WIPO) sind aus Vorgängerorganisationen noch aus der Vor-Völkerbundzeit hervorgegangen. 123 Teilweise ist ihr Status als Sonderorganisation bereits im Gründungsstatut festgelegt, vgl. etwa Art. 69 WHO-Statut. 124 Bei diesen handelt es sich um Verträge zwischen zwei Internationalen Organisationen, die gem. Art. 102 SVN beim VN-Sekretariat registriert werden.
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genden Kontext der Terrorismusbekämpfung von größerer Bedeutung ist jedoch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) unter ihrem Exekutivdirektor Yukiya Amano (der zum 1. Dezember 2009 Mohamed Elbaradei ablöste), deren Aufgabe es ist, die friedliche Nutzung der Kernenergie zu überwachen. Seit einigen Jahren steht das iranische Atomprogramm im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit [siehe dazu S/RES/1929 (2010)]. Die IAEO berichtet zwar dem SR und der GV, das entsprechende Abkommen mit den VN wurde jedoch nicht nach Maßgabe der Art. 57, 63 SVN geschlossen, so dass sie nur de facto, nicht aber rechtlich den Status einer VN-Sonderorganisation hat. Weiterhin zu nennen sind die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO), die für die Implementierung des Atomtestsperrvertrags (CTBT)125 sorgen soll, sowie die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Sie alle berichten regelmäßig der GV und anlassbezogen dem SR und ECOSOC. Die IAEO und OPCW sind darüber hinaus Mitglieder des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung (CTITF) des GS.126 8. Institutionelles „Dach“ über dem VN-System
Das „Dach“ über dem VN-System bildet der Koordinierungsrat der Leiter der Organisationen des Systems der VN (UN System Chief Executives Board for Coordination [CEB])127, der 1997 aus dem Verwaltungsausschuss für Koordinierung (ACC) hervorgegangen ist. Während auf intergouvernementaler Ebene der ECOSOC die Tätigkeit der VN sowie der VN-Sonderorganisationen koordiniert, fungiert auf Intersekretariats-Ebene der CEB als Koordinierungsgremium. Im CEB kommen die Leiter von derzeit 28 Mitgliedsorganisationen, inkl. VN-Fonds und -Programme zusammen; Vorsitzender ist der jeweilige GS qua Amt. Seit 2000 stehen dem CEB die Hochrangigen Ausschüsse für Programm- bzw. Managementfragen (HLCP resp. HLCM) zur Seite. Der Beitrag des CEB „One United Nations – Catalyst for Progress and Change“128 von 2005 etwa diente dazu, den programmatischen Bericht „In größerer Freiheit“ (In larger freedom) des GS aus demselben Jahr zu ergänzen. Ebenfalls 1997, also kurz nach seinem Amtsantritt, schuf GS Kofi Annan außerdem die Hochrangige Managementgruppe (Senior Management Group 125
Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty (CTBT) von 1996. Zum Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung (CTITF) s. u., Kap. 3, B. III. 4. sowie Kap. 9, B. II. 2. 127 Siehe dazu http://ceb.unsystem.org. 128 One United Nations – Catalyst for Progress and Change, Report of the Chief Executives Board (CEB), 2005. 126
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[SMG]) als eine Art „Kabinett“, bestehend aus den Leitern der zehn VNAbteilungen bzw. -Ämter sowie der VN-Fonds und -Programme, also aller im VN-Sekretariat zusammengefassten Einheiten. Diese sind in die vier Programmbereiche Frieden und Sicherheit, Humanitäre Angelegenheiten, Entwicklung sowie Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten aufgeteilt. Darüber hinaus gibt es die von der GV als Expertengremium eingesetzte Kommission für den internationalen öffentlichen Dienst (ICSC), deren Aufgabe es ist, die Personalpolitik, Arbeitsbedingungen etc. in der VN-Familie (mit insg. ca. 52.000 Bediensteten) festzulegen und aufeinander abzustimmen (so dass insb. Mobilität erleichtert wird).
C. Finanzierung und Haushaltsverfahren Schließlich seien noch die Grundzüge der Finanzierung des VN-Systems (I.) sowie das Haushaltsverfahren (II.) überblickartig aufgeführt, weil insbesondere auch hier Grundentscheidungen im Hinblick auf sowohl den generellen Umfang als auch die spezifische Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen angelegt sind. I. Drei Säulen der Finanzierung 1. Ordentlicher Haushalt
Der ordentliche Haushalt (regular budget) der VN, der für jeweils zwei Jahre aufgestellt wird, wird aus Pflichtbeiträgen (assessed contributions) der Mitgliedstaaten bestritten. Da diese notorisch, z. T. auch politisch gewollt, mit ihren Zahlungen in Verzug sind, sehen sich die VN allerdings einem permanenten Haushaltsnotstand ausgesetzt. Ihrer Handlungsunfähigkeit können die VN dabei nur durch systematisches „kreatives“ Umschichten entgehen. Nicht zuletzt dieser Missstand hat wiederholt zu der Forderung geführt, die VN mit eigenen Einnahmen auszustatten, die sie unabhängiger von der Zahlungswilligkeit ihrer Mitglieder machen würden. Der Umfang des Doppel-Haushalts (biennium) stagnierte seit ca. Mitte der 1980er Jahre in einer Höhe von ca. 2,3 Mrd. US-Dollar. Während die Zahlen zunächst noch wenigstens i. H. d. Inflationsausgleichs anstiegen, sanken sie in der Folgezeit real. In den vergangenen Jahren ist der Haushalt jedoch wieder angewachsen, nämlich auf 3,798 Mrd. US-Dollar für das Biennium 2006–2007129, 4,17 Mrd. US-Dollar für 2008–2009130 und sogar 129 130
A/RES/60/247 A-C vom 1.2.2006. GA/10684 vom 21.12.2007.
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5,156 Mrd. US-Dollar für 2010–11131 – jeweils noch zu ergänzen um die mittlerweile beträchtlichen Ausgaben für Friedensoperationen (s. u.). Dieser Haushalt deckt die laufenden Kosten für die Tätigkeit der Organisation ab, wovon ca. 75–80 % allein für Personalkosten anfallen. Die Beitragssätze sind orientiert am Anteil der Mitgliedstaaten am Welt-Bruttosozialprodukt, wobei jüngst mit 22 % eine Obergrenze und mit 0,001 % eine Untergrenze gezogen wurde. Nach der Beitragsskala, die die GV für den Zeitraum 2010–2012 verabschiedet hat, sind die USA mit 22 %, Japan mit 12,53 % und Deutschland mit 8,02 % die größten Beitragszahler. Damit kommen allein diese drei Staaten für nahezu 43 % des Gesamthaushalts auf, während die 132 Staaten der G 77 zusammen nur ca. 10 % aufbringen.132 2. Friedensoperationen
Davon getrennt sind die Beitragsumlagen für Friedensoperationen (peacekeeping operations [PKOs]).133 Sie sind ebenfalls Pflichtbeiträge, dienen aber ausschließlich der Finanzierung der Friedensoperationen. Die Entwicklungsländer zahlen hierbei einen ermäßigten, die Industrieländer den normalen Beitragssatz und die ständigen Sicherheitsratsmitglieder als die maßgeblichen Initiatoren einen erhöhten Pflichtbeitrag, wobei mit über 27 % wiederum die USA den höchsten Betrag zahlen [2009–2011]. Der Gesamtbetrag entsprach im Durchschnitt der 1990er Jahre etwa demjenigen des ordentlichen Haushalts, auch wenn er naturgemäß stärker schwankt. Da seit einigen Jahren so viele PKOs mandatiert werden wie nie zuvor in der Geschichte der VN, übersteigt der PKO- den ordentlichen Haushalt der VN inzwischen jedoch deutlich. Allein für den Zeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 sind rund 7,8 Mrd. US-Dollar veranschlagt.134 Andere Missionen, vor allem sog. besondere politische Missionen (special political missions [SPM]), werden hingegen aus dem regulären Haus131
GA/10909 vom 23.12.2009. Vgl. K. Hüfner, Die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen – Teil 3: Finanzierung des Systems der Vereinten Nationen, 1997. Für die aktuellen Zahlen siehe die Angaben des Auswärtigen Amtes unter http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Aussenpolitik/InternatOrgane/VereinteNationen/StrukturVN/Finanzen/ Uebersicht.html [eingesehen am 25.9.2010]. 133 Mit Ausnahme von UNTSO in Palästina [S/RES/50 (1948)] und UNMOGIP in Indien/Pakistan [S/RES/39 und S/RES/47 (1948)], die noch aus dem ordentlichen Haushalt bestritten wurden. 134 Angaben des Auswärtigen Amtes, erhältlich unter http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Aussenpolitik/InternatOrgane/VereinteNationen/StrukturVN/Finanzen/ Uebersicht.html [eingesehen am 25.9.2010]. 132
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halt finanziert, was folglich zu Auseinandersetzungen darüber führen kann, ob es sich bei einem Einsatz nun um eine PKO oder um eine SPM handelt (in diesem Kontext siehe zum CTC/CTED unten, Kap. 6, C.). 3. Freiwillige Beiträge
Die VN-Nebenorgane sowie die VN-Sonderorganisationen (UNICEF, UNHCR, UNDP usw.) schließlich finanzieren sich durch freiwillige Beiträge. Die Mitgliedstaaten bestimmen ihre Beiträge hierbei selbst, indem sie diese auf sog. Beitragszusagekonferenzen (pledging conferences) festlegen. Auch diese freiwilligen Leistungen übersteigen die Pflichtbeiträge zum ordentlichen VN-Haushalt bei weitem.135 Durch den Umfang ihres (finanziellen) Engagements können die Staaten dabei erheblichen Einfluss auf die Tätigkeitsschwerpunkte der Sonderorganisationen nehmen, wodurch die Gefahr der Instrumentalisierung, in jedem Fall aber Abhängigkeit, entsteht. Aufgrund der ad hoc-Natur der Beitragszusagen treten zugleich Schwankungen in einem Ausmaß auf, die die Planungssicherheit der betroffenen Einheiten signifikant beeinträchtigen. II. Haushaltsverfahren In staatlich verfassten Gemeinwesen liegt das Haushaltsrecht traditionell in den Händen des Parlaments. Entsprechend entscheidet innerhalb der VN die GV als das „parlamentarische Organ“ über den – allerdings nur ordentlichen – Haushalt. Der GS legt der GV den Haushaltsentwurf auf der Basis eines von der GV bestimmten Haushaltsrahmens vor; hierzu geben der Ausschuss für Programm und Koordinierung (CPC) und der ACABQ jeweils eine Stellungnahme ab, woraufhin der Fünfte Ausschuss diesen „kommentierten Haushaltsentwurf“ berät und das Ergebnis seiner Beratungen als Empfehlung der GV vorlegt, die den Haushalt gem. Art. 17, 18 SVN förmlich mit 2/3-Mehrheit per Beschluss verabschiedet. 1986 verständigte sich die GV allerdings auf die Einführung eines Konsensverfahrens136, was einer de 135
Insb. die skandinavischen Länder und die Niederlande leisten traditionell vergleichsweise hohe Beiträge, wenngleich auch hier die nominell größten Zahler die USA und Japan sind, während Deutschland um einige Ränge abfällt. 136 A/RES/41/213 (1986), op. 6: „Agrees that, without prejudice to [Art. 18 of the Charter], the [CPC] should continue its practice of reaching decisions by consensus ...“ In einem Annex zur Resolution versichert zudem der Rechtsberater der VN, dass diese Vereinbarung nicht im Widerspruch zu Art. 18 SVN stehe. – Bereits seit den 1960er Jahren hatten die USA und die UdSSR in den meisten Foren durch-
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facto-Revision der SVN nahekommt.137 Dies hatten die großen Geldgeber sich ausbedungen, die sich bis dahin bei der Haushaltsabstimmung in der Hand der großen Mehrheit der nur minimal zum Haushalt beitragenden Staaten befunden hatten, wozu sie nicht länger bereit waren (die 128 ärmsten Länder tragen weniger als 1 % zum Haushalt bei, verfügen aber gleichwohl über 2/3 der Stimmen138). Wenngleich sich die Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Seiten der P 5 seit dieser Vereinbarung also erheblich erweitert haben und – vorausgesetzt das Konsensverfahren wird gewahrt – keine Entscheidung mehr gegen ihren Willen getroffen werden kann, steht es aber nicht in ihrer (Rechts-, unter Umständen jedoch in ihrer politischen) Macht, ihrerseits haushaltsrechtliche Vorgaben zu machen bzw. durchzusetzen. Hierin liegt die wohl wichtigste substanzielle Begrenzung ihrer ansonsten umfassenden Handlungsmacht im Sicherheitsrat. Insofern stellt das Haushaltsrecht das entscheidende „Pfand“ in den Händen der GV bzw. ihres Fünften Ausschusses dar, was regelmäßig Anlass für Spannungen ist.139 Bei der Annahme des Haushaltsplans für 2008/09 am 22. Dezember 2007 kam es erstmals nach 21 Jahren sogar wieder zu einer (Kampf-)Abstimmung. Sie war von den USA herbeigeführt worden, die den Haushaltsentwurf ablehnten und darauf setzten, entsprechend der Praxis vom „Konsens = Einstimmigkeit“ ein Einlenken der übrigen Staaten zu erzwingen.140 In diesem Fall jedoch entschied der Ausschuss, den Entwurf gleichwohl zur Abstimmung zu stellen, und er wurde auch mit 142:1 Stimmen (bei 49 abwesenden Delegationen) angenommen.
gesetzt, dass Beschlüsse im Konsensverfahren angenommen werden, um auf diese Weise das zahlenmäßige Übergewicht der G 77 einzudämmen, mit dem diese jede Abstimmung gewinnen. Dazu G. Abi-Saab, Membership and Voting in the United Nations, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 19 (30 f.). 137 K. Hüfner, Die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, Teil 3: Finanzierung des Systems der Vereinten Nationen, 1997, 26. 138 Vgl. UNA-USA Fact Sheet – United Nations Budget 2006, erhältlich unter http://www.unausa.org/site/pp.asp?c=fvKRI8MPJpF&b=1813833 [eingesehen am 20.1.2007]. 139 Zum Fall der umstrittenen Finanzierung des ICTY siehe E. Suy, The Role of the United Nations General Assembly, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 55 (60 f.). Siehe auch unten Kap. 6, C. III. 3. b). 140 Auslöser hierfür war ein von den G 77 geforderter – und schließlich auch verabschiedeter – Haushaltstitel i. H. v. 6,7 Mio. US-Dollar für eine Nachfolge-Konferenz der Weltkonferenz gegen Rassismus von Durban 2001 gewesen, die nach Ansicht der USA – wie auch Israels – antisemitischen Inhalts war und von beiden unter Protest verlassen worden war; hierzu „US objects to U.N. budget, GA approves“, USA Today vom 23.12.2007, http://www.usatoday.com/news/washing ton/2007-12-22-un-budget_N.htm [eingesehen am 20.1.2007].
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
D. Fazit Der vorangegangene Überblick über das VN-System hat deutlich gemacht, wie breit die VN sowohl thematisch als auch räumlich aufgestellt sind. Sie sind damit die universale internationale Organisation, was ihrem Handeln ein Höchstmaß an Legitimation verleiht. Von ihrem Mandat und ihrer Organstruktur her sind sie theoretisch durchaus in der Lage, auch eine solch umfassende und komplexe Aufgabe wie die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu erfüllen. In der Praxis sind die VN aufgrund ihrer politischen, zwischen-staatlichen Natur allerdings ein Produkt von Kompromissen. Dies hat zur Schaffung stets neuer Organisationseinheiten und entsprechender Hierarchien geführt, die das System immer undurchsichtiger und schwerfälliger gemacht haben.141 Dies erklärt viele der kritischen Befunde in den nachfolgenden Kapiteln, darf aber nicht die Defizite entschuldigen und den notwendigen organisatorischen Reformen im Wege stehen, die der ehemalige GS Kofi Annan bereits eingeleitet hat und die von seinem Nachfolger Ban Ki-Moon weiterverfolgt werden.142 Denn die Erwartungen der Menschen an die VN sind – zu recht – hoch. Angesichts dessen ist es die Aufgabe der Mitgliedstaaten, die einstmals formulierten Ziele („We the peoples . . .“) mit Ernsthaftigkeit zu verfolgen und die Weltorganisation in die Lage zu versetzen, die an sie gerichteten Anforderungen zu erfüllen.
Kapitel 3
Wahrnehmung des Mandats zur Terrorismusbekämpfung durch die Vereinten Nationen Nach einem kurzen Überblick über die Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft auf terroristische Akte vor Gründung der Vereinten Nationen (A.) folgt eine Beschreibung der Aktivitäten, die die im Jahre 141
T. G. Weiss, Toward a Third Generation of International Institutions: Obama’s UN Policy, The Washington Quarterly, 32 (2009), 141 (147, 151) spricht angesichts der offensichtlichen und tiefgehenden Mängel ausdrücklich nur von einem „so-called UN system“, und die Referenz an eine „VN-Familie“ will er in dem Sinne verstanden wissen, dass beide von ihrer Organisationsform her gleichermaßen „dysfunctional and divided“ seien. 142 Siehe UN News vom 14.12.2006 [http://www.un.org]: „Sworn in today as the eighth UN Secretary-Gerneral, Ban Ki-Moon pledged that his first goal would be to restore trust in the world body, saying he would lead by example to uphold the highest levels of efficiency, competence and integrity.“
Kap. 3: Wahrnehmung des Mandats durch die Vereinten Nationen
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1945 geschaffenen VN-Akteure in Wahrnehmung ihrer Aufgabe, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren – und damit auch den internationalen Terrorismus zu bekämpfen –, entfaltet haben (B.).
A. Die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft auf terroristische Akte vor Gründung der Vereinten Nationen I. Traditionelles nationalstaatliches Vorgehen Obgleich der Terrorismus, wie gesehen, zu allen Zeiten in bzw. zwischen organisierten Gemeinschaften vorgekommen und damit auch bereits früh die internationale Dimension terroristischer Akte zutage getreten ist, hat sich die internationale (Staaten-)Gemeinschaft dieses Problems lange nicht gemeinschaftlich angenommen. Stattdessen haben die Staaten die entsprechenden Anschläge und Attentate als Einzelfälle entweder (verdeckter, feind-)staatlicher Kriegsführung oder „schlichter Kriminalität“ privater Individuen bzw. Gruppen gegen die eigene Regierung und damit als Gegenstand ihrer traditionellen, innerstaatlichen Politik behandelt. Dies entsprach den Denkkategorien des klassischen Völkerrechts mit der Betonung nationalstaatlicher Souveränität nach innen und außen. Zwar war etwa Hugo Grotius bereits in den Anfängen der modernen Völkerrechtsentwicklung im 17. Jht. dafür eingetreten, in Fällen von (in heutiger Diktion:) terroristischen Akten dem Grundsatz aut dedere aut iudicare, wonach Strafverdächtige entweder im eigenen Land zu verfolgen oder an den ersuchenden Staat auszuliefern sind, als völkerrechtlichem Mindeststandard verbindliche Geltung zu verleihen.143 Hierfür sollte die Zeit aber erst im ausgehenden 20. Jh. reif sein, als mit der zunehmenden Interdependenz und Komplexität in der modernen Welt auch deren Verwundbarkeit neue Dimensionen erreicht hatte und die Effektivität und Solidarität auf dem Gebiet der internationalen Sicherheit diese Lockerung staatlicher Souveränität geboten. Bis dahin aber stieß die internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe mangels übereinstimmender Umschreibungen von Straftatbeständen regelmäßig auf den Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit oder wurde ihr die Ausnahmeklausel zugunsten – angeblich – politisch motivierter Taten (political offence exception) entgegengehalten. Diese Praxis ist erst jetzt im Wandel begriffen (s. u., B.).
143 H. Grotius, De iure belli ac pacis, 1625, Bk 2, c. 21, zitiert nach D. Freestone, International cooperation against terrorism and the development of international law principles of jurisdiction, in: R. Higgins/M. Flory (Eds.), Terrorism and International Law, 1997, 45; s. dazu auch unten Kap. 5, A. I. 3.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
II. Völkerbund als multilateraler Ansatz Gleichwohl hatte bereits der Völkerbund als Vorläufer der VN im Jahre 1937 die erste „Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Terrorismus“ verabschiedet.144 Danach sollten die Vertragsstaaten sich verpflichten, Maßnahmen gegen kriminelle Handlungen zu ergreifen, die darauf angelegt waren, durch Gewalt oder Terror die internationalen Beziehungen zu erschüttern. Unmittelbarer Anlass zu dieser Initiative war die Ermordung des jugoslawischen Königs Alexanders und des französischen Außenministers Louis Barthou in Marseille im Jahre 1934 gewesen, die die Idee eines Systems kollektiver Sicherheit verkörpert hatten. Der Anwendungsbereich der Konvention war allerdings auf solche terroristischen Akte beschränkt, die sich gegen einen Staat richteten. Während dies in einem weiteren Sinne sicherlich regelmäßig zu bejahen wäre, sind unter Zugrundelegung eines engeren Verständnisses aber wohl nur die allerwenigsten Anschläge direkt gegen den Staat, sondern vielmehr gegen Zivilisten gerichtet. Nach heutiger Auffassung stellt dies geradezu das Wesensmerkmal des Terrorismus dar. Auch die Konvention von 1937 also setzte, ähnlich den heute geltenden internationalen Übereinkommen, voraus, dass zunächst eine Vorfrage beantwortet wurde. War es damals die Frage, ob ein Anschlag gegen den Staat gerichtet war, ist es heute diejenige, ob die Täter einen rechtlich anerkannten Grund, insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung, verfolgen.145 Angesichts des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs und des Untergangs des Völkerbundes trat die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Terrorismus allerdings nicht mehr in Kraft. Das geplante Internationale Gericht, das über Verstöße gegen die Konvention urteilen sollte, in seiner Entstehung aber an das Inkrafttreten der Konventionen gekoppelt war, wurde somit ebenfalls nie verwirklicht. Viele Aspekte, die damals auf der Tagesordnung standen, prägen aber auch heute noch die Diskussion.146
144 Convention for the Prevention and Punishment of Terrorism, LNTS 19 (1938), 23 (Annex: Convention for the Creation of an International Criminal Court). 145 J. Klabbers, Rebel with a cause? Terrorists and Humanitarian Law, EJIL 14 (2003), 299 (305); R. Mani, The Root Causes of Terrorism and Conflict Prevention, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 219 (221 f.) unterscheidet „self-determination terrorism“ und „hate terrorism“. 146 Siehe dazu P. Romaniuk, Multilateral Counter-Terrorism, 2010, 28 f. und unten, Kap. 8, B. I. 1.
Kap. 3: Wahrnehmung des Mandats durch die Vereinten Nationen
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B. Institutionalisierung der internationalen (Staaten-)Gemeinschaft in den Vereinten Nationen: Praxis der VN-Akteure in Ausübung ihres Mandats Vor diesem Hintergrund stand die internationale (Staaten-)Gemeinschaft, als sie im Jahre 1945 die Organisation der Vereinten Nationen (VN) gründete, mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zwar nicht am Nullpunkt. Doch entwickelte sich erst allmählich mit der wachsenden Gewaltkonfrontation das Bewusstsein, dass es sich hierbei nicht nur um ein der klassischen Konstellation von Konflikten zwischen Staaten nachrangiges internationales Problem handelte, sondern vielmehr um ein Phänomen, das Frieden und Sicherheit in der Welt nachhaltig bedroht und dessen Bekämpfung eine gemeinschaftliche Anstrengung erfordert.147 Nach dem Scheitern des Völkerbundes und der Zäsur des Zweiten Weltkriegs musste mit den VN überhaupt erst ein institutionelles System geschaffen werden, das in der Lage war, einen effektiven Kooperations- und Regelungsrahmen auf internationaler Ebene zu entwerfen. Mit den VN entstand in dieser Hinsicht eine Organisation, die beispiellos in der Völkerrechtsgeschichte ist und unter deren Dach sich ein weit gespanntes institutionelles Geflecht (s. o., Kap. 2) und ein substanzielles Regelwerk (s. im Folgenden) entwickelt hat. Vor dem Hintergrund der weltpolitischen Umstände, die jeweils auch die VN maßgeblich beeinflusst haben und auch weiterhin prägen, lassen sich die entsprechenden Aktivitäten der VN bislang grob in drei Phasen einteilen: die erste reichte von den Anfängen im Jahr 1945 bis zum Ende des Kalten Krieges 1989/91; die zweite umfasst das anschließende Jahrzehnt des ausgehenden 20 Jhts.; in die dritte und aktuelle Phase sind die VN dann mit den Anschlägen vom 11. September 2001 getreten.148 Nachfolgend sollen die Aktivitäten der VN getrennt nach dem jeweils handelnden Organ aufgeführt werden, wobei der Fokus auf der GV und dem SR liegt.
147
So ausdrücklich der SR (erst) seit S/RES/1368 (2001), op. 1. Die Praxis der VN zum Thema Terrorismus ist äußerst unübersichtlich, da sich seit Jahrzehnten eine Vielzahl an Akteuren hiermit beschäftigt. Für eine Orientierung und einen Überblick mag die VN-eigene Zusammenstellung unter http://www.un.org/issues/docs/d-terror.asp dienen [eingesehen am 20.3.2007]. 148
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
I. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung durch die GV 1. Nachkriegszeit: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aggressionsdefinition
Bereits unmittelbar nach Gründung der VN beauftragte die GV im Jahre 1947 die Völkerrechtskommission (ILC) damit, die dem Statut für den Internationalen Militärgerichtshof (Nürnberg) vom 8. August 1945 zugrunde gelegten völkerrechtlichen Rechtsgrundsätze zu formulieren und einen Kodex auszuarbeiten.149 Die ILC legte ihren Entwurf 1954 vor, in dem sie 13 Tatbestände als „Verbrechen nach dem Völkerrecht, für die die verantwortlichen Täter bestraft werden sollen“, aufführte. Hierzu zählte – als Unterfall der Aggression – auch die „Vornahme, Anstiftung oder Duldung durch staatliche Behörden von organisierten Handlungen zur Begehung von Terrorakten in einem anderen Staat“.150 Bei dieser Erwähnung des Terrorbegriffs blieb es allerdings vorerst. Denn der Rechtsausschuss der GV vertagte die weitere Behandlung des Kodexentwurfs bis zur Vorlage des Berichts über die Definition von Aggression. Bis dahin aber sollten weitere 20 Jahre vergehen. Erst 1974 einigte die GV sich auf eine entsprechende Definition von Aggressionshandlungen, die terroristische Akte in der Sache miterfasst, ohne sich allerdings auf den Terrorismus als solchen zu beziehen. Dem klassisch-völkerrechtlichen Ansatz entsprechend werden der Definition nur Aggressionshandlungen von Staaten zugrunde gelegt, allerdings auch lediglich staatlich geförderte terroristische Akte, die von Einzelpersonen oder Gruppen als nicht-staatlichen Akteuren begangen werden.151 Soweit letztere aber in Wahrnehmung ihres 149
A/Res. 177 (II) vom 21.11.1947. Draft Code of Offenses Against the Peace and Security of Mankind; Bericht der Völkerrechtskommission über die Arbeit auf ihrer 6. Tagung vom 3.6.–28.7. 1954, UN Doc. A/2693. Art. 2 Abs. 6 Kodexentwurf: „[. . .] the undertaking or encouragement by the authorities of a state of terrorist activities in another state“); die zweite Fassung dieses Entwurfs wurde erst 1991 fertiggestellt, UN Doc. A/46/405 vom 11.9.1991. 151 A/Res. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974, Art. 3 f): „Die Handlung eines Staates, die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen.“ Weiterhin Art. 3 g): „Das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder für ihn, wenn sie mit Waffengewalt Handlungen gegen einen anderen Staat von so schwerer Art ausführen, dass sie den oben angeführten Handlungen gleichkommen, oder die wesentliche Beteiligung an einer solchen Entsendung.“ Entsprechend Art. 8 bis Statut des IStGH, der im Rahmen der Überprüfungskonferenz am 11. Juni 2010 beschlossen wurde, siehe Resolution RC/Res.6. 150
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Rechts auf nationale Selbstbestimmung autonom „Befreiungskämpfe“ führen, sind sie vom Aggressionstatbestand ausgenommen. 2. 1960er und 1970er Jahre: „Measures to prevent terrorism“ als erste Serie an Anti-Terrorismus-Resolutionen – Terrorismus versus Selbstbestimmungsrecht
In der Zwischenzeit war es im Laufe der 1960er Jahre zu einer Welle terroristischer Akte gekommen, die 1972 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. In jenem Jahr wurden 30 Anschläge auf Verkehrsflugzeuge aus 14 Ländern verübt, die 140 Todesopfer und 99 Schwerverletzte forderten. Vor allem aber die Geiselnahme der 11 israelischen Athleten durch palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen in München erregte das Aufsehen der Weltöffentlichkeit. Genau diese Publizität zu erzielen und den Kampf gegen Israel zu „internationalisieren“, war auch die ausdrückliche Absicht der PLO – überzeugt davon, dass Anschläge sich hierfür als effektiver erwiesen als jahrelange Plädoyers vor den VN. In deren Kreis „bombte“ sich die PLO nun buchstäblich – und paradoxerweise – hinein; zwar nur als Beobachter (observer), aber eben doch mit aufgewertetem, formalem Status. Insofern sollte sie, was die „Effektivität“ ihrer Taktik betrifft, durchaus Recht behalten.152 Die Weltgemeinschaft reagierte auf diese Anschlagswelle, indem der Präsidialausschuss der GV auf Initiative des damaligen GS Kurt Waldheim noch im Jahr 1972 die Aufnahme eines entsprechenden Tagesordnungspunkts auf die Agenda der GV beschloss, der dem Rechtsausschuss zur Behandlung zugewiesen wurde. Aus dieser Initiative entwickelte sich der erste Strang an Resolutionen, die das Thema Terrorismus zum Gegenstand hatten, aber noch stark von der Dekolonisierungsdebatte geprägt waren. Statt den Terrorismus einhellig zu verurteilen, wurde eine Debatte über Erklärungen und Entschuldigungen geführt, die in der folgenden (gänzlich überfrachteten und damit unpraktikablen) Kompromissformel mündete: „Maßnahmen zur Verhinderung des internationalen Terrorismus, der das Leben unschuldiger Menschen bedroht oder vernichtet oder die Grundfreiheiten beeinträchtigt, sowie Untersuchung der tieferen Ursachen dieser Formen von Terrorismus und Gewaltakten, die in Elend, Enttäuschung, Leid und Verzweiflung liegen und die manche Menschen dazu treiben, Menschenleben, auch ihr eigenes, zu opfern, um radikale Veränderungen herbeizuführen (kurz: „Measures to prevent terrorism“).“153 152
So Zehdi Labib Terzi, Leiter der PLO-Delegation mit Beobachterstatus bei den VN, in einem Interview 1976, zitiert nach A. P. Schmidt/J. de Graaf, Violence as Communication, 1982, 32. 153 UN Doc. A/8800/Rev. 1 vom 22.9.1972.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
In dieser Wortwahl spiegelt sich exakt der Konflikt wider, der über Jahrzehnte die Diskussion bestimmt und bis heute einer Einigung auf eine Terrorismusdefinition im Weg gestanden hat: die Abgrenzung terroristischer Akte von gerechtfertigter Gewaltanwendung zur Durchsetzung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung. Diese in vielen Fällen letztlich offene Wertungsfrage findet auch in der Resolution zur Aggressionsdefinition ihren Ausdruck, deren Art. 7 lautet: „Keine Bestimmung dieser Definition, insbesondere Artikel 3, kann in irgendeiner Weise das aus der Charta hergeleitete Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von Völkern beeinträchtigen, denen dieses Recht gewaltsam entzogen wurde und auf die in der Erklärung über die Grundsätze des Völkerrecht für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit in den Staaten gemäß der Charta der Vereinten Nationen Bezug genommen wird, insbesondere Völker unter Kolonial- und Rassenherrschaft oder anderen Formen der Fremdherrschaft; auch nicht das Recht dieser Völker, zu diesem Zweck zu kämpfen und zu versuchen, Unterstützung zu erhalten, im Einklang mit den Grundsätzen der Charta und in Übereinstimmung mit der oben erwähnten Erklärung“ (Friendly Relations-Deklaration aus dem Jahr 1970 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der VN154). Während eine Gruppe von Staaten für die Verhinderung und Bestrafung bestimmter Formen des internationalen Terrorismus eintrat155, verlangten andere, die Ergreifung konkreter Maßnahmen bis zur Klärung der Ursachen des Terrorismus zu vertagen, da sie befürchteten, diese würden als Vorwand für ein scharfes Eingreifen gegen jene missbraucht, die für radikale Veränderungen der „von einer rassistischen und kolonialistischen Minderheit errichteten Gesellschaftsordnung“ eintreten.156 Weiterhin wurde das klassische Argument vorgebracht, dass die Bekämpfung individueller terroristischer Akte in die souveräne Zuständigkeit der jeweiligen Staaten falle.157 Vor diesem Hintergrund wurde eine entsprechende Resolution der GV letztendlich nur mit diesen Einschränkungen und nach einer Kampfabstimmung, also ohne breiten Konsens, angenommen.158 Immerhin führte sie zur 154
A/Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970. Im Großen und Ganzen die westlichen Staaten; siehe den von den USA eingebrachten Konventionsentwurf: UN Doc. A/C.6/L.850. 156 Staaten der Dritten Welt bzw. Staaten, die sich im Prozess der Dekolonialisierung befanden, vgl. A. Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus – Versuch einer Chronologie, in: S. von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 106 f. 157 Insbesondere China, vgl. A. Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus – Versuch einer Chronologie, in: S. von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 106 f. 155
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Einsetzung eines ad hoc-Ausschusses („3034“-Ausschuss) über internationalen Terrorismus, der sich aber erst 1979 am Ende seines Bestehens auf den in Auftrag gegebenen Bericht einigen konnte. Darin empfahl der Ausschuss der GV folgende praktische Maßnahmen als Grundlage einer Zusammenarbeit: Verurteilung aller Akte des internationalen Terrorismus; Aufforderung an die Staaten, ihren Beitrag zur Beseitigung der tieferen Ursachen (root causes) des Terrorismus zu leisten, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und verstärkt Informationen bei der Verfolgung von Terroristen auszutauschen; und gemeinsam mit dem SR aufmerksam all diejenigen Situationen zu verfolgen, die Anlass zu Terroranschlägen geben könnten.159 Die GV würdigte diesen Bericht als „nützliche Ausgangsbasis“ für die weitere Behandlung des Problems und forderte die Mitgliedstaaten auf, die Empfehlungen einzuhalten und umzusetzen. Weiterhin ersuchte sie den GS, regelmäßig Berichte über Stellungnahmen der Mitgliedstaaten und der VN-Sonderorganisationen zur Frage des internationalen Terrorismus vorzulegen.160 Diesem Auftrag kommt der GS bis heute nach.161 3. Der pragmatische Ansatz der GV: Spezifische Behandlung des Terrorismus durch sektorale Konventionen
In der Frage der Terrorismusdefinition konnte auch dies zwar vorerst keinen Durchbruch herbeiführen. Gleichwohl wurde die Entwicklung des Rechts, das auf klare und eindeutige Begriffe angewiesen ist, insofern aus dem bestehenden Definitionsdilemma befreit, als die GV sich auf pragmatischem Wege nach und nach einzelnen Erscheinungsformen annahm, die im jeweiligen Zeitpunkt von der großen Mehrheit ihrer Mitglieder als Akte des Terrorismus angesehen wurden, auch ohne sie ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Die Staatengemeinschaft ist also trotz des fehlenden Konsenses über eine universale Terrorismusdefinition nicht untätig geblieben, sondern hat über die Jahre ein Rechtsregime aufgebaut, durch das bereits eine Reihe spezifischer Begehungsweisen terroristischer Akte erfasst ist und das als Grundlage weiterer sektoraler Kodifikationen wie auch des derzeit verhandelten Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus (Comprehensive Convention on International Terrorism; dazu unten Teil 3, Kap. 8, B.) dienen kann. Die GV betreibt hier allerdings 158 A/Res. 3034 (XXVII) vom 18.12.1972, angenommen in namentlicher Abstimmung mit 76 gegen 35 Stimmen bei 17 Enthaltungen. 159 Bericht des Ad hoc-Ausschusses, UN Doc. A/34/37 vom 17.4.1979. 160 A/Res. 34/145 vom 17.12.1979, dieses Mal angenommen mit 118 Stimmen bei 22 Enthaltungen und keiner Gegenstimme. 161 Siehe unten VI. Die entsprechenden Berichte finden sich unter http://www.un. org/terrorism/repsg.htm [eingesehen am 12.4.2009].
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
keine Rechtsetzung, sondern dient lediglich als Forum. Nur die Staaten, die die jeweilige Konvention unterzeichnen und ratifizieren, sind rechtlich durch sie gebunden. Die ersten Konventionen, die ab den 1960er Jahren verabschiedet wurden, berühren die zivile Luftfahrt, womit die GV auf konkrete Zwischenfälle, insbesondere die Flugzeugentführungen, reagierte.162 Entsprechend, d. h. auf den Schutz des internationalen (insb. Personen-)Verkehrs gerichtet, ist die Konvention zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Schifffahrt, die ihrerseits eine Reaktion auf die Entführung der Achille Lauro war.163 Andere Regelungsgegenstände betreffen die generelle Verhütung bzw. Verfolgung und Bestrafung von Geiselnahmen bzw. speziell von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen164, die sich zunehmend Anschlägen ausgesetzt sehen.165 Außerdem sind die Verbreitung waffenfähiger Materialien (Uran, Plastiksprengstoffe) bzw. unmittelbar die Verübung terroristischer Bombenanschläge aufgegriffen worden.166 Die Konvention mit der größten praktischen Bedeutung und Breitenwirkung ist das Finanzierungsübereinkommen von 1999, das darauf abzielt, allgemein die Finanzierung terroristischer Aktivitäten zu unterbinden.167 Die vorerst letzte der 13 Konventionen (genauer: 11 Konventionen und 2 Zusatzprotokolle) ist das Abkommen über nuklearen Terrorismus aus dem Jahr 2005.168 Während die ersten Abkommen noch sorglich eine ein162 Internationale Konvention über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14.9.1963; Internationale Konvention zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16.12.1970; Internationale Konvention zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt vom 23.9.1971 („Montreal Convention“). 163 Internationale Konvention zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Schifffahrt vom 10.3.1988. 164 Internationale Konvention gegen Geiselnahme vom 17.12.1979, in der jedenfalls in der Präambel erstmals der Begriff des Terrorismus verwendet wurde, sowie Konvention über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten vom 14.12.1973. 165 Zwischen 1968 und 1982 wurden bei Anschlägen insgesamt 381 Diplomaten getötet und 824 verletzt; außerdem wurden 38 Botschaften besetzt, vgl. E. Klein, Die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus – Hört hier das Völkerrecht auf?, in: J. Isensee (Hrsg.), Der Terror, der Staat, das Recht, 2004, 9 (16). 166 Internationale Konvention über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 3.3.1980; Internationale Konvention über die Kenntlichmachung von plastischen Sprengstoffen zum Zweck ihrer Entdeckung vom 1.3.1991; Internationale Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge vom 15.12.1997. 167 Internationale Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrors („Finanzierungsübereinkommen“) vom 9.12.1999. 168 Internationale Konvention zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen vom 13.4.2005, in Kraft getreten am 13.6.2007, nachdem 22 Staaten die Konvention ratifiziert hatten.
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deutige sprachliche Benennung mieden, enthalten die drei jüngsten Konventionen, die seit 1996 im 51/210-Ausschuss ausgehandelt wurden, den Begriff des Terrorismus bereits in ihrem Titel. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass ideologisch begründete sprachliche Verschleierungen des Themas inzwischen weitgehend überwunden sind. Ebenfalls in diesem Kontext zu nennen sind die beiden Zusatzprotokolle von 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949. Zusatzprotokoll I dehnt die Anwendbarkeit der Genfer Konventionen auf solche bewaffneten Konflikte aus, in denen Völker ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben, auch wenn ihre Angehörigen nicht durch Uniformen von Zivilisten zu unterscheiden sind, wie es traditionell verlangt wurde. Durch Zusatzprotokoll II wurden darüber hinaus solche „irregulären Streitkräfte“ in das Rechtsregime einbezogen, die de facto-Regimen angehören, also die Kontrolle über einzelne Landesteile innehaben. Hierdurch kann „Freiheitskämpfern“ nunmehr unter Umständen der rechtliche Status von Kombattanten bzw. Kriegsgefangenen zuerkannt werden, was die Möglichkeit eröffnet, eine Vielzahl an Konflikten zu verrechtlichen und damit in ihrer Gewalt zu begrenzen.169 4. Neuere Entwicklungen
a) 1980er Jahre Als der Kalte Krieg kurz vor seinem Ende noch einmal erstarkte, fand auch der „state (-sponsored) terrorism“ nochmals ausdrücklich Eingang in eine Resolution, die im Ersten Ausschuss der GV ausgearbeitet worden war und den folgenden Titel trug: „Inadmissability of the policy of state terrorism and any actions by States aimed at undermining the socio-political system in other sovereign States“.170 Diese Initiative war allerdings weniger spezifisch auf den Terrorismus zugeschnitten als vielmehr Ausdruck des Bemühens, vor allem von Staaten der Dritten Welt, die Anwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu begrenzen.171 Eine neue Qualität erreichten die Aktivitäten der GV ab Mitte der 1980er Jahre, als zum einen die terroristischen Anschläge einen neuen Höhepunkt erreichten und zum anderen sich das Verhältnis zwischen Ost und West im 169 M. Lippmann, The New Terrorism and International Law, Tulsa J.C.I.L. 10 (2003), 297 (333 f). 170 A/RES/39/159 vom 17.12.1984, die, angeführt von der UdSSR, mit 117 Stimmen – bei 30 Enthaltungen von westlichen und moderaten südamerikanischen Staaten – angenommen wurde; Anlass waren die US-amerikanischen Interventionen in Mittelamerika in den 1980er Jahren gewesen. 171 M. J. Peterson, Using the General Assembly, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 173 (181).
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
Zuge von Glasnost und Perestroika zu entspannen begann. Als 1985 mit der Achille Lauro erstmals auch ein Kreuzfahrtschiff entführt worden war, verabschiedete die GV einstimmig die Resolution 40/61, in der sie erstmalig „alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken, gleich wo und von wem sie begangen werden“, unmissverständlich als „kriminelle und nicht zu rechtfertigende Akte“ verurteilte.172 b) 1990er Jahre aa) „Measures to eliminate terrorism“ als zweite Serie an Resolutionen – „Unjustifiability“-Formel Nach einer Reihe vorwiegend regionaler Initiativen173 verabschiedete die GV 1994 als nächsten Meilenstein in ihrer Arbeit seit 1972, der den Ausgangspunkt eines zweiten Strangs an Resolutionen zur Terrorismusproblematik bildete, die „Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus“ (kurz: „Measures to eliminate terrorism“).174 Diese knüpft zunächst an die Resolution 40/61 von 1985 an, indem sie die generelle Verurteilung des Terrorismus erneuert. Darüber hinaus aber – und dies ist der entscheidende Fortschritt – findet sich in dieser Erklärung kein Verweis mehr auf die Legitimität von Befreiungsbewegungen oder auf die – vorgeblich verständlichen und damit bislang entschuldigend angeführten – „tieferen Ursachen“ des Terrorismus.175 Dies dürfte politisch u. a. dadurch möglich geworden sein, dass die meisten Staaten der Dritten Welt nicht mehr an ihrer einseitig negativen Bewertung staatlicher Machtansprüche festhalten konnten und mochten, nachdem sie selbst staatliche Unabhängigkeit erlangt hatten und sich nun ihrerseits dem Vorwurf ausgesetzt sahen, Machtmissbrauch zu betreiben.176 Durch diese Entwicklung nahm jedenfalls die offizielle Sprache erstmals die unbedingte Form an, die den drängenden Bedürfnissen der Realität endlich gerecht werden konnte und auf der Einsicht beruhte, dass auch „hehre 172
A/RES/40/61 vom 9.12.1985. Siehe dazu den Überblick bei A. Wüstenhagen, Die Vereinten Nationen und der internationale Terrorismus – Versuch einer Chronologie, in: S. von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 106 f. 174 Declaration on measures to eliminate international terrorism, Annex zu A/RES/49/60 vom 9.12.1994. 175 Vgl. M. Halberstam, The evolution of the United Nations position on terrorism: from exempting national liberation movements to criminalizing terrorism wherever and by whomever committed, Columbia J.T.L. 41 (2003), 573 (577). 176 So C. Tomuschat, Der 11. September und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 28 (2001), 535 (538). 173
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Ziele“ keineswegs jegliche Mittel heiligen. Konkret wurde erklärt, dass terroristische Akte kriminell und durch nichts zu rechtfertigen seien („criminal and unjustifiable, wherever and by whomever committed“ [op. 1] und „. . . whatever the considerations of a political, philosophical, ideological, racial, ethnic, religious or any other nature that may be invoked to justify them“ [op. 3], sog. „Unjustifiability“-Formel), sondern schwere Verstöße gegen die Ziele und Grundsätze der VN-Charta und damit eine Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellten. In der Konsequenz wurde damit eine Verknüpfung des Terrorismus zu Kap. I und Kap. VII der Charta hergestellt. bb) „Human rights and terrorism“ als dritte Serie an Resolutionen – Terrorismus versus Menschenrechte Ein neuer, dritter Strang an Resolutionen, der im Jahr 1993 vom Dritten Ausschuss der GV ausging und ab 1994 zum Bestandteil der „Measures to eliminate“-Serie177 wurde, stellte dann die Verbindung zum Schutz der Menschenrechte her („human rights and terrorism“).178 In der Folgezeit wurden die Formulierungen der Resolution 49/60 von 1994 bestätigt, etwa in der Deklaration zum 50-jährigen Bestehen der VN im Jahre 1995.179 Darüber hinaus wurde nun auch verstärkt der Zusammenhang zwischen dem Terrorismus und der Organisierten Kriminalität, insbesondere dem illegalen Waffen- und Drogenhandel, herausgestellt.180 Im darauf folgenden Jahr 1996 nahm die GV eine Ergänzung der Erklärung von 1994 an181, in der die Staaten aufgefordert wurden, ihr Flüchtlings- und Asylrecht im Hinblick auf Terroristen zu verschärfen sowie deren Finanzierungswege zu unterbinden.
177 Siehe zuletzt A/RES/61/40, A/RES/62/71, A/RES/63/129, A/RES/64/118, jeweils im Dezember des Jahres verabschiedet. 178 A/RES/48/122 vom 20.12.1993; eingehend hierzu M. J. Peterson, Using the General Assembly, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 173 (176 f.). Siehe auch die Vienna Declaration and Program of Action, A/CONF.157/23 vom 12.7.1993. 179 A/RES/50/6 vom 31.10.1995. 180 Als Ursache für diese Entwicklung sind wesentlich die Prozesse der Entstaatlichung und Privatisierung anzuführen (s. o., Kap. 1); die VN haben diesen Zusammenhängen u. a. mit der Ansiedlung der TPB beim UNODC institutionell und materiell Rechnung getragen [s. o. Kap. 2, B. II. 1. f)]. 181 Annex zu A/RES/51/210 vom 17.12.1996.
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cc) 51/210-Ausschuss Durch dieselbe Resolution wurde ein weiterer ad hoc-Ausschuss („51/210“-Ausschuss) eingesetzt, der sich der Weiterentwicklung und Harmonisierung der rechtlichen Grundlagen der Terrorismusbekämpfung widmen sollte. Er operiert im Rahmen einer Arbeitsgruppe des Sechsten Ausschusses und ist offen für alle Mitglieder der VN, der Sonderorganisationen oder der IAEO. Sein Mandat ist bislang jedes Jahr erneuert worden. Das wichtigste Ergebnis seiner bisherigen Tätigkeit ist die Ausarbeitung der drei jüngsten Anti-Terrorismus-Konventionen (s. o., 3.).182 Auf dem Millenniumsgipfel im September 2000 setzten sich die hochrangigen Vertreter der VN-Mitgliedstaaten zum Ziel, den Konventionen beizutreten und gemeinsam gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Unter Verweis auf diese Erklärung wiederholte die GV im Dezember 2000 im Wesentlichen ihre Terrorismus-Resolutionen aus den Vorjahren, die auf der richtungsweisenden Resolution 49/60 von 1994 basieren.183 c) Der 11. September 2001 In Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 verurteilte die GV – wie auch der SR – diese am folgenden Tag als „Akte des Terrorismus“ und rief die Staatengemeinschaft dringend zu internationaler Kooperation bei der Bekämpfung des Terrorismus auf.184 Zum Abschluss der Sondersitzung vom Oktober 2001 forderte der Präsident der GV die Mitgliedstaaten auf, den – bis dahin bestehenden – 12 Anti-Terrorismus-Konventionen beizutreten.185 Dieser Aufforderung verlieh die GV in seiner abschließenden Resolution vom Dezember 2001 weiteren Nachdruck („Urges all States [. . .], as a matter of priority, [. . . to become] parties to relevant conventions . . .“).186 Seither widmet sich die GV bzw. ihr 51/210-Ausschuss mit Nachdruck der Verabschiedung des seit seiner Errichtung im Jahr 1996 auf seiner Agenda stehenden Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus, das auch die Terrorismusdefinition zum Gegenstand hat (dazu 182 Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 1997; Finanzierungsübereinkommen von 1999; Konvention zur Bekämpfung nuklearer terroristischer Handlungen von 2005. 183 A/RES/55/158 vom 12.12.2000. 184 A/RES/56/1 vom 12.9.2001. 185 Zitiert nach P. J. van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, 2002, S. 118. 186 A/RES/56/88 vom 12.12.2001.
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unten, Teil 3, Kap. 8).187 Angesichts der Ausmaße des globalen Bedrohungspotenzials terroristischer Aktivitäten erscheint das Ziel, dem Terrorismus mit breiter Front entschlossen und weitgehend gelöst von den Fesseln früherer ideologischer Kämpfe entgegenzutreten, endlich realisierbar zu sein. Gleichwohl wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker auch weiterhin vehement gegen den pauschalen Vorwurf des Terrorismus verteidigt. In jüngster Zeit wird außerdem verstärkt die Wahrung der Menschenrechte im Anti-Terror-Kampf eingefordert.188 Die Spannungsfelder bleiben also virulent – zu Recht, denn die Freiheitsrechte dürfen der Sicherheit nicht leichtfertig geopfert werden. d) Institutionelle Reformen und Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus Auf dem Weltgipfel vom September 2005 verabschiedeten die Staatsund Regierungschefs ein umfangreiches Ergebnisdokument189, das angesichts der im Vorfeld vom GS erarbeiteten Empfehlungen190 gleichwohl weit hinter den Erwartungen und Möglichkeiten zurückblieb. Im „Terrorismuskapitel“ ist anstelle einer Definition lediglich eine erneute (moralische) Verurteilung des Terrorismus „in all its forms and manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purposes“ enthalten (Para. 81). Immerhin wurde vereinbart, dass die GV eine umfassende Strategie für die gesamte Organisation der VN zur Terrorismusbekämpfung entwickeln solle (Para. 82), die sie ein Jahr später auch vorlegte (dazu s. u., Teil 3, Kap. 9).191 Durchgreifende institutionelle Reformen innerhalb der VN, insbesondere des SR (s. u., Teil 3, Kap. 7), waren hingegen bislang nicht konsensfähig.
187 Erstmalig delegiert an das Ad Hoc Committee established by A/Res. 51/210 of 17.12.1996 gem. A/RES/56/88 vom 12.12.2001; der von diesem erarbeitete Konventionstext ist im Dokument A/57/37 enthalten, das dem Rechtsausschuss der GV wie auch dem 51/210-Ausschuss selbst als Grundlage für die weiteren Verhandlungen dient. 188 Vgl. etwa die Berichte des VN-Sonderberichterstatters zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin, E/CN.4/2006/98 vom 28.12.2005 und A/61/267 vom 16.8.2006. 189 2005 World Summit Outcome, A/RES/60/1 vom 24.10.2005. 190 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005, Annex. 191 A/RES/60/288 vom 20.9.2006.
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II. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung durch den SR 1. Einzelfallbezogene politisch-moralische Verurteilung terroristischer Akte
Auch der SR ist bereits seit den ersten Jahren seines Bestehens mit Akten des Terrorismus befasst, wenngleich zunächst nur vor dem Hintergrund von Einzelfällen und noch nicht im Rahmen einer umfassenden Beschäftigung. Erstmalig im Jahr 1948 machte der SR in seiner Verurteilung des Attentats auf Folke Bernadotte, dem damaligen VN-Vermittler in Palästina, eine entsprechende Referenz, indem er diesen Akt einer „kriminellen Gruppe von Terroristen“ zuschrieb.192 Angesichts des noch begrenzten terroristischen Bedrohungspotenzials sowie der starken Ideologisierung im Kontext der Dekolonialisierung und des Kalten Krieges, wurde das Phänomen des Terrorismus aber zunächst weiterhin als ein Problem von isoliert und lokal auftretender Kriminalität den Staaten selbst bzw. der GV überlassen.193 Lediglich 1970, nach einer Serie von Flugzeugentführungen durch Mitglieder der PLO, vermochte der SR mit der Res. 286 einen ersten Beschluss zum Terrorismus zu fassen, wenn auch ohne formale Abstimmung und ohne den Terrorismus beim Namen zu nennen.194 Ansonsten reagierte der SR bis zur Mitte der 1980er Jahre weiterhin lediglich insofern auf einzelne, besonders schwere Terroranschläge, als er diese politisch-moralisch verurteilte und seine Besorgnis über die Gewalt äußerte. Nicht einmal im Fall der Geiselnahme US-amerikanischer Botschaftsangehöriger in Teheran 1979 war der SR in der Lage, diesen Akt als Terrorismus zu benennen und sich auf eine Verhängung von Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII zu einigen.195 Erst 1985 kam es anlässlich der Entführung der Achille Lauro zur ersten ausdrücklichen und bedingungslosen Verurteilung des internationalen Terrorismus an sich in der Geschichte der VN, als der damalige SR-Vorsitzende, der amerikanische VN-Botschafter Vernon A. Walters, von der „durch nichts zu rechtfertigenden und kriminellen Entführung“ des Schiffes wie auch der „anderen Akte des Terrorismus“ sprach. Auch der SR als Organ verabschiedete in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, als sich das Ende des Kalten Krieges abzeichnete, eine Reihe von Resolutionen, die allerdings weiterhin nur spezifische terroristische Akte bzw. Begehungsweisen, insbesondere 192
S/RES/57 (1948) vom 18.9.1948 („criminal group of terrorists“). Vgl. E. C. Luck, Tackling Terrorism, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 85, (86 ff). 194 S/RES/286 (1970), in der der SR die Staaten aufforderte, „to take all steps to prevent further hijackings or any other interference with international civil air travel“. 195 E. C. Luck, Tackling Terrorism, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 85, (89 f). 193
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Entführungen und Geiselnahmen, zum Inhalt hatten, nicht aber den Terrorismus schlechthin.196 Ebenso wenig waren völkerrechtliche Gegenmaßnahmen, wie insbesondere Sanktionen, die in den 1990er Jahren in die Praxis des SR übergehen sollten197, zu jenem Zeitpunkt bereits mehrheitsfähig. 2. Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit: der Lockerbie-Fall
Den wahren Beginn der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus markierte der Anschlag auf das PanAm-Flugeug über Lockerbie von 1988. Bis zu seiner S/RES/731 vom 21. Januar 1992 gebrauchte der SR allerdings auch zur Beschreibung dieses Anschlags noch die Kategorien „kriminell“ und „terroristisch“ nebeneinander. Ebenso nahm der SR lediglich eine allgemein gehaltene politische Bewertung dahingehend vor, dass er die internationalen Beziehungen durch Akte des internationalen Terrorismus als beeinträchtigt und die Sicherheit der Staaten als gefährdet ansah.198 Die konkrete Aufforderung an die libysche Regierung, dem Verlangen der USA und Großbritanniens nachzukommen, seine beiden Staatsangehörigen auszuliefern, die im Verdacht standen, die Urheber der Bombenanschläge gewesen zu sein sowie allgemein zur Beseitigung des internationalen Terrorismus beizutragen199, wies von ihrem rechtlichen Gehalt her nur die allgemeine Bindungswirkung nach Art. 25 SVN auf, wonach alle VN-Mitgliedstaaten generell verpflichtet sind, Resolutionen des SR zu befolgen.200 Erst als Libyen sich in der Folgezeit unter Hinweis auf seine Rechte aus der Montrealer Konvention201 weigerte, dieser Aufforderung nachzukom196 Etwa S/RES/579 vom 18.12.1985 sowie S/RES/635 und 638 vom 14.6.1989 bzw. 31.7.1989. 197 Betroffen waren hier Libyen, der Sudan und Afghanistan; dazu im Einzelnen D. Cortright/G. A. Lopez, The Sanctions Decade: Assessing UN Strategies in the 1990s, 2000, 107 ff. 198 S/RES/731 (1992), pp. 1: „D e e p l y d i s t u r b e d by [. . .] international terrorism in all its forms, including those in which States are directly or indirectly involved, which [. . .] have a deleterious effect on international relations and jeopardize the security of States[.]“ 199 S/RES/748 (1992), S/RES/883 (1993). 200 Insofern von einer „non-binding“ Resolution des SR zu sprechen (wie E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2002, 3), verkennt die rechtliche Aussagekraft des Art. 25 SVN, vgl. ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic´, IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 31: „These powers are coercive vis-à-vis the culprit State or entity. But they are also mandatory vis-à-vis the other Member States, who are under an obligation to cooperate with the Organization (Article 2, paragraph 5, Articles 25, 48) and with one another (Article 49), in the implementation of the action or measure decided by the Security Council.“
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men, verschärfte der SR den Ton und überführte den Fall von der primär politischen auf die sanktionsbewehrte rechtliche Ebene, indem er Kapitel VII zur Anwendung brachte. Entsprechend stellte der SR in seiner Resolution S/RES/748 vom 31. März 1992 den internationalen Terrorismus nun erstmalig in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit202, die er durch die Weigerung Libyens, die Vorgaben aus der S/RES/731 zu erfüllen, d. h. die Tatverdächtigen auszuliefern, als bedroht ansah. Nach einer weiteren Verschärfung der Sanktionen durch S/RES/883 (1993) überstellte Libyen 1998 die Tatverdächtigen tatsächlich den VN für ein Strafverfahren, das von einem in den Niederlanden sitzenden schottischen Gericht durchgeführt wurde, was schließlich zur Aufhebung der Sanktionen führte.203 Vor dem Hintergrund des Lockerbie-Falls ist auch die besorgte Erwähnung des Terrorismus („deep concern“) in der Erklärung des SR-Präsidenten vom 31. Januar 1992 zu sehen, die das Abschlussdokument der ersten SR-Sitzung auf Ebene der Staats- und Regierungschefs darstellt.204 3. Taliban und Al-Qaida
Bereits die zweite Hälfte der 1990er Jahre war geprägt von Anschlägen des international operierenden Terrornetzwerks Al-Qaida auf US-amerikanische Einrichtungen insbesondere in Afrika und im Nahen Osten. Hervorzuheben sind insoweit die Bombenanschläge vom 7. August 1998 auf die US-Botschaften in Nairobi/Kenia und Daressalam/Tansania (dazu S/RES/1189 [1998]). Abgesehen von direkten militärischen unilateralen Vergeltungsschlägen der USA reagierte der SR mit S/RES/1214 (1998), in der er Afghanistan aufforderte, Osama bin Laden, den Führer von Al-Qaida, auszuliefern und „internationalen Terroristen und ihren Organisationen [keine weitere] Zuflucht und Ausbildung zu gewähren“. Da dieser Appell seine Wirkung verfehlte, beschloss der SR in der S/RES/1267 (1999), 201
Konvention zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt vom 23.9.1971, s. o. Danach war Libyen lediglich verpflichtet, die Verdächtigen entweder auszuliefern oder selbst eine Strafverfolgung einzuleiten, wobei Libyen sich für letzteres entschied. 202 S/RES/748 (1992), pp. 4: „Convinced that the oppression of acts of international terrorism [. . .] is essential for the maintenance of international peace and security.“ 203 Abgeschlossen ist der Fall indes noch immer nicht: erst im Juni 2007 entschied eine schottische Revisionskommission, dass die Verurteilung des libyschen Geheimdienstoffiziers Megrahi – der zweite Angeklagte war freigesprochen worden – fehlerhaft zustande gekommen und die Berufung zulässig sei, vgl. F.A.Z. vom 31.8.2007, S. 5. 204 S/23500 vom 31.1.1992, S. 3.
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Sanktionen gegen das Taliban-Regime in Afghanistan zu verhängen.205 Durch die S/RES/1269 (1999) rief der SR die Staatengemeinschaft wie auch die VN selbst zu einer gemeinsamen und gesteigerten Anstrengung im Kampf gegen den Terrorismus auf. 4. Der 11. September 2001
Als ein Phänomen, das den Weltfrieden und die internationale Sicherheit generell bedroht und damit primär dem eigenen Verantwortungsbereich unterfällt, hat der SR den Terrorismus aber erst seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 eingeordnet (S/RES/1368, op. 1, vom 12. September 2001: „The Security Council . . . regards s u c h a c t s , l i k e a n y a c t of international terrorism, as a threat to international peace and security“ [Hervorhebung durch Verf.]).206 Ausgehend von diesem Ereignis und vor dem Hintergrund einer „uneingeschränkten“ Solidaritätszusicherung durch die internationale Staatengemeinschaft gegenüber den USA, ist die Terrorismusbekämpfung in eine neue Dimension getreten. Insbesondere der SR hat, angetrieben von den USA, eine beispiellose Aktivität entfaltet, die ihren sichtbaren Ausdruck in der dichtesten Aufeinanderfolge von Resolutionen in seiner Geschichte gefunden hat.207 Meilenstein und wegweisend ist hierbei S/RES/1373 vom 28. September 2001208, inhaltlich eine Verallgemeinerung bestimmter Maßnahmen des „1267“-Sanktionsregimes und eine Bestätigung und Fortentwicklung der erwähnten S/RES/1269 (1999), nunmehr aber mit detaillierten Vorgaben und Kap. VII-Autorität versehen.209 Statt wie bisher auf spezifische terroristische Akte zu reagieren und seine Maßnahmen gegen einzelne Völkerrechtssubjekte, die für die Bedrohung von Frieden und Sicherheit verantwortlich 205 Dieses Sanktionsregime ist noch immer in Kraft und inzwischen durch eine Reihe von Resolutionen aktualisiert und ergänzt worden; dazu im Einzelnen unten, Teil 2, Kap. 5, A. III. 206 Vgl. dagegen noch den Wortlaut von S/RES/1269 (1999), op. 1: „The Security Council . . . condemns all acts, methods and practices of terrorism as criminal and unjustifiable, [. . .] in particular t h o s e w h i c h c o u l d t h r e a t e n international peace and security“ [Hervorhebung durch Verf.]. 207 E. C. Luck, Tackling Terrorism, in: D. M. Malone (Ed.), The UN Security Council, 2004, 85 (85 ff.). Für einen Überblick über die Aktivitäten des SR vor und nach dem 11. September 2001 siehe C. de Jonge Oudraat, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the United Nations: Before and After September 11, 2004, 151 (151 ff.). 208 „Ministeriell bestätigt“ („The Security Council, meeting at the Ministerial level, [r ]e c a l l i n g [. . .]“) durch S/RES/1377 vom 12.11.2001. 209 P. J. van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, 2002, 6.
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sind, zu richten, nahm der SR die Anschläge vom 11. September 2001 zum Anlass, nunmehr allen Staaten der Welt einen Katalog allgemeiner Rechtspflichten wie die finanzielle „Trockenlegung“ von Terroristen aufzuerlegen.210 Dieses Vorgehen ist in der Geschichte des SR präzedenzlos (und daher Gegenstand der weiteren Untersuchung, s. u., Teil 2, Kap. 5, B.). Gleichzeitig forderte er die Staaten auf, den multilateralen Anti-Terrorismus-Konventionen beizutreten, wodurch diese einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfuhren bzw. – wie etwa das Finanzierungsübereinkommen – überhaupt erst in Kraft traten. Außerdem schuf der SR einen Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung (Counter-Terrorism Committee [CTC]), dessen Aufgabe es ist, die Umsetzung der S/RES/1373 (2001) zu überwachen, etwa indem er den Mitgliedstaaten Berichtspflichten auferlegt und „Know-how“ und Ressourcen (technical assistance) zur Terrorismusbekämpfung vermittelt. Zwar entspricht es der Praxis des SR, Sanktionsausschüsse mit der Durchführung der jeweiligen Resolutionen zu betrauen. Hier setzt sich aber der konzeptionelle Unterschied der S/RES/1373 fort, dass es sich eben nicht um die Durchführung spezifischer Sanktionen gegen einen konkreten Adressaten handelt, sondern um abstrakte, umfassende Pflichten gegen den Terrorismus an sich. Inzwischen ist dem CTC aufgrund der S/RES/1535 (2004) noch ein zusätzliches „Exekutivdirektorium“ (Counter-Terrorism Executive Directorate [CTED]) unterstellt worden. Auch diese institutionellen Veränderungen stellen – neben der Formulierung abstrakter Pflichten – in vielerlei Hinsicht ein Novum dar und sollen deshalb im Einzelnen unten (Teil 2, Kap. 6, C.) untersucht werden. 5. Der Kampf gegen den „neuen internationalen Terrorismus“
Einen der S/RES/1373 vergleichbaren Weg ist der SR mit seiner S/RES/1540 (2004) gegangen. Wiederum verpflichtet er darin die Staaten unter Kap. VII, bestimmte Vorgaben innerstaatlich umzusetzen. Zweck der Resolution ist es, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen unter nicht-staatlichen Akteuren zu verhindern. Auch hierzu hat der SR einen Ausschuss eingerichtet, der die Umsetzung der Resolution überwachen soll. Die drei „Anti-Terrorismus-Ausschüsse“, d. h. der „1267“-Ausschuss, der Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung (CTC) sowie der „1540“-Ausschuss bilden den Kern der Anti-Terrorismus-Aktivitäten des SR. (Ihnen ist daher der Schwerpunkt von Teil 2 dieser Arbeit gewidmet.) Neben der Verurteilung der zahlreichen terroristischen Anschläge in den Jahren seit 2001 in der ganzen Welt ist vor allem die S/RES/1566 (2004) 210
Siehe im Einzelnen S/RES/1373, op. 1 (a)–(d) und op. 2 (a)–(g).
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hervorzuheben, die der SR im Anschluss an den terroristischen Anschlag von Beslan beschloss. Auf ihrer Grundlage wurde die „1566“-Arbeitsgruppe errichtet, die Maßnahmen gegen solche Terroristen empfehlen soll, die nicht bereits in den Anwendungsbereich von S/RES/1267 (1999) fallen, also jenseits von Al-Qaida und Taliban operieren. Im Vorfeld des Weltgipfels von 2005 kamen außerdem die Staats- und Regierungschefs der SR-Mitglieder zusammen, um mit der S/RES/1624 vom 14. September 2005 das Mandat des CTC um Fälle der Aufstachelung (incitement) zu terroristischen Taten zu erweitern.211 III. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung durch die anderen VN-Akteure 1. ECOSOC
Der ECOSOC ist durch den Terrorismus in erster Linie im Spannungsfeld zu den Menschenrechten betroffen.212 Bereits im Jahr 1996 beauftragte die Unter-Kommission (der Menschenrechtskommission) zur „Prevention of Discrimination and Protection of Minorities“ die Rechtsprofessorin Kalliopi K. Koufa damit, ein Arbeitspapier zum Thema „Terrorismus und Menschenrechte“ vorzulegen.213 Daran anknüpfend wurde sie 1997 zur Sonderberichterstatterin ernannt, um auf der Grundlage des Arbeitspapiers eine umfassende Studie zu erstellen.214 Diesem Auftrag kam sie 2004 mit der Vorlage ihres Abschlussberichts nach.215 Im Anschluss daran formulierte sie außerdem „A preliminary framework draft of principles and guidelines concerning human rights and terrorism“.216 Zwar finden sich in diesen Arbeiten letztlich kaum durchschlagende Aussagen und verfügt die Sonderberichterstatterin, die ihr Mandat im Wesentlichen den G 77 verdankt, über wenig Autorität, insbesondere bei den USA. Gleichwohl hat sie dazu beigetragen, einen Reflexionsprozess über die menschenrechtlichen Kosten der Terrorismusbekämpfung in Gang zu setzen, der mittlerweile auch im SR angekommen ist (etwa durch die Einsetzung eines Menschenrechts-Experten im CTED).217
211
Zu alledem unten, Teil 2, Kap. 5, A. III. 4. b) bb) und B. II. 3. Eine Übersicht über die vom ECOSOC angenommenen Resolutionen findet sich unter www.un.org/terrorism/ecosoc.htm. 213 Res. 1996/20 vom 29.8.1996. 214 Res. 1997/39 vom 28.8.1996. 215 E/CN.4/Sub.2/2004/40 vom 25.6.2004. 216 E/CN.4/Sub.2/2005/39 vom 22.6.2005. 217 Dazu unten Teil 2, Kap. 6, C. III. 2. 212
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen 2. Treuhandrat
Da der Prozess der Dekolonialisierung oft von Staatszerfall begleitet oder bedroht ist (war) sowie in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker vollzogen wird (wurde) und diese wiederum häufig im Grenzbereich zum internationalen Terrorismus stehen, gibt es Vorschläge, dem Treuhandrat neue Aufgaben wie die Verwaltung von failed states zu übertragen. Diese haben jedoch bislang keine Mehrheit gefunden, was auch damit zu tun hat, dass die Mitgliedstaaten die Dominanz der P 5 nicht noch weiter stärker wollen, da diese – trotz des Schlüssels gem. Art. 86 SVN – zuletzt faktisch alleine den Treuhandrat bildeten. 3. IGH
Da vor dem IGH ausschließlich Staaten parteifähig sind, gibt es keine Entscheidungen zum nicht-staatlichen privaten, sondern lediglich zum staatlich geförderten Terrorismus bzw. Staatsterrorismus. Wichtige Fälle sind insoweit der Teheraner Botschafts- sowie der Lockerbie-Fall.218 Aufschlussreich ist außerdem das Rechtsgutachten zur Errichtung der sog. Schutzmauer durch Israel gegen die Palästinenser unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht.219 4. Sekretariat/Generalsekretär
Das Sekretariat – unter der Führung des GS – ist mit dem Terrorismus beschäftigt, seit der damalige GS Kurt Waldheim angesichts der Anschlagsserie im Jahr 1972 die Initiative ergriff und den Terrorismus auf die Agenda der VN setzte. Dabei hat das Sekretariat, wenngleich es eines der Hauptorgane der Organisation ist, in erster Linie dienende Funktion im Verhältnis zu den anderen Hauptorganen. Das Amt des Generalsekretärs hat dabei allerdings – wie gesehen – eine Doppelfunktion. Neben seiner Position als höchstem Verwaltungsbeamten der Organisation verfügt der GS auch über eigenständige politische Befugnisse. So erledigt er einerseits die Aufträge der GV und des SR, die größtenteils darin bestehen, Berichte anzufertigen. Auf dem Gebiet des Terrorismus etwa legt er Berichte zu „Measures to eliminate international terrorism“ (seit 1981) sowie „Human rights and terrorism“ (seit 1995) vor, die Überblicke über die Aktivitäten der Staaten 218 ICJ Reports 1980, 3 – United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran. Zum Lockerbie-Fall siehe oben Kap. 3, B. II. 2. sowie unten Kap. 5, C. II. u. Kap. 6, B. 219 IGH. Rechtsgutachten vom 9.7.2004 – Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories.
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und internationalen Organisationen und damit die Entwicklungen auf diesen Gebieten geben.220 Andererseits tritt der Generalsekretär aber auch in eigener Zuständigkeit in Erscheinung, insbesondere indem er SR und GV auf friedensgefährdende Angelegenheiten aufmerksam macht. Da der SR lange – und die GV noch immer – nur bedingt handlungsfähig war, hat das Amt des GS an Gewicht gewonnen. Vor allem seine „guten Dienste“ (good offices) sind Kennzeichen seiner „evolving constitutional role within the UN system“.221 Unmittelbar im Anschluss an den 11. September 2001 richtete der GS eine Arbeitsgruppe für Grundsatzfragen betreffend die VN und den Terrorismus (Policy Working Group on the United Nations and Terrorism) ein, deren Aufgabe es war, „to identify the implications and broad policy dimensions of terrorism for the United Nations“. Die von dieser Arbeitsgruppe vorgelegten Empfehlungen222 hat der GS ebenso wie diejenigen der von ihm zwei Jahre später eingesetzten Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel (High-level Panel on Threats, Challenges and Change)223 zur Grundlage seiner eigenen Strategie-Vorschläge „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ (In larger freedom) vom März 2005224 sowie „Vereint gegen den Terrorismus: Empfehlungen für eine weltweite Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus“ (Uniting against terrorism) vom 27. April 2006225 gemacht. Außerdem hat der GS den Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung (Counter-Terrorism Implementation Task Force [CTITF]) gegründet, dem 25 [Stand: September 2010] Einheiten aus dem gesamten VN-System angehören.226
220 Alle Berichte sind erhältlich unter http://www.un.org/terrorism/sg-reports. shtml [eingesehen am 20.8.2010]. 221 Th. M. Franck/G. Nolte, The Good Offices Function of the UN SecretaryGeneral, in: A. Roberts/B. Kingsbury (Eds.), United Nations, Divided World: The UN’s Roles in International Relations, 1993, 143 (144). 222 Abschlussbericht mit den entsprechenden Empfehlungen an den GS vom 6.8.2002, der sowohl als Dokument der GV (A/57/273) als auch des SR (S/2002/875) veröffentlicht wurde. 223 A more secure world: our shared responsibility, Report of the Secretary-General’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565. 224 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005. 225 Uniting against terrorism: recommendations for a global counter-terrorism strategy, Report of the Secretary-General vom 27.4.2006, A/60/825. 226 Dazu ausführlich s. u., Kap. 9, B. III. 2. und D. I. 2.
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen 5. VN-Einrichtungen sowie Programme und Fonds
Von den anderen VN-Einrichtungen kommt in diesem Zusammenhang dem Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) die wichtigste Funktion zu. Erstmals im September 2003 stellte er ein seitdem laufend aktualisiertes Repertorium der Rechtsprechung der Vereinten Nationen und der Regionalorganisationen über den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus zusammen.227 Diese Sammlung soll den Staaten als praktische Anleitung dienen, um ihre Maßnahmen gegen den Terrorismus in Einklang mit dem Schutz der Menschenrechte zu bringen. Von der Vielzahl der VN-Programme ist insbesondere das Entwicklungsprogramm der VN (UNDP) von Bedeutung, das – wie das OHCHR – auch im erwähnten Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung vertreten ist und Ausdruck der engen Verflechtung zwischen Sicherheit und Entwicklung ist. 6. VN-Sonderorganisationen
Die Sonderorganisationen haben mit dem Terrorismus lediglich reflexartig zu tun, soweit sich in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen Überschneidungen ergeben. Im Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung des GS sind mit der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), dem Internationalen Währungsfonds (IMF), der Weltbank, der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), der Internationalen See-Schifffahrts-Organisation (IMO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltzollorganisation (WCO) immerhin sieben Sonderorganisationen beteiligt. Obwohl die 14 (zzgl. „Weltbankgruppe“) existierenden Sonderorganisationen eine große Bandbreite an Themen abdecken, fehlt aber bislang eine Organisation, die sich speziell mit Terrorismus befasst, obgleich dieser bereits seit einigen Jahrzehnten zu den wichtigsten internationalen Herausforderungen zählt.228 Insofern zeigt sich auch hieran, dass die politische Einigung auf ein Mandat – das die Benennung des Gegenstandes, also eine Definition des Terrorismus voraussetzt – noch nicht erreicht ist. Gleichzeitig drückt der 25 Mitglieder starke Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung, der in der Zwischenzeit mit einem eigenen Büro in der Abteilung für Politische 227
Digest of Jurisprudence of the United Nations and Regional Organizations on the Protection of Human Rights while Countering Terrorism, HR/PUB/03/1, United Nations, New York und Genf, 2003. 228 T. McNamara, Security Council resolutions, in particular resolution 1373 (2001), in: UNODC (Ed.), Combating International Terrorism: the contribution of the United Nations, 2003, 42 (43).
Kap. 3: Wahrnehmung des Mandats durch die Vereinten Nationen
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Angelegenheiten im VN-Sekretariat auch einen gewissen Organisationsgrad erreicht hat, aus, wie sehr der internationale Terrorismus zu einem Querschnittsthema für die VN geworden ist. 7. Angeschlossene Organisationen
Von den den VN angeschlossenen Organisationen sind die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) – die ebenfalls beide in den Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung eingehen – sowie die Organisation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO)229 für die Terrorismusbekämpfung relevant.
C. Fazit Nach alledem kann festgehalten werden, dass die VN sich auf breiter Front mit dem Terrorismus auseinandersetzen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Aktivitäten hinreichend aufeinander abgestimmt sind und die gebotene Wirkung entfalten. I. Ein konsistentes Ganzes oder viele heterogene Ansätze? Bislang gibt es, auch nach Verabschiedung der Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus von 2006 (dazu im Einzelnen unten Kap. 9), kein Anti-Terrorismus-Konzept „aus einer Hand“. Stattdessen unterscheiden sich die Ansätze, mit denen die verschiedenen VN-Akteure sich der Aufgabe der Terrorismusbekämpfung angenommen haben, teilweise beträchtlich.230 Die Ursache hierfür wird wesentlich bereits darin begründet sein, dass die GV und der ECOSOC darauf beschränkt sind, „soft law“ zu entwickeln, während der SR mit seinen verbindlichen Resolutionen „hard law“ schaffen kann, was zwangsläufig zu Unterschieden in der (auch: Selbst-)Wahrnehmung und Herangehensweise führt. Zudem wird der SR durch die P 5 sowie in überproportionalem Maß die westlichen Staaten geprägt. Rein verfahrenstechnisch haben alle Organe gleichermaßen jeweils eigene Untereinheiten errichtet, die die Hauptarbeit leisten: die GV den 229
Die für die Implementierung des Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty (CTBT) von 1996 sorgen soll, der allerdings noch immer nicht in Kraft getreten ist, da ihm bislang nicht alle Atommächte beigetreten sind; der Vertragstext ist erhältlich unter http://www.ctbto.org/the-treaty/ [eingesehen am 12.4.2009]. 230 M. J. Peterson, Using the General Assembly, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 173 (183).
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
51/210-Ausschuss; der SR den CTC; der ECOSOC den Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus; der GS den Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung (CTITF). Die GV ist gehalten, Konsense zu formulieren und Formen der Kooperation zu finden. Den Schwerpunkt ihrer Resolutionen hat sie entsprechend darauf gelegt, den Terrorismus als eine Form transnationaler Kriminalität zu behandeln und mit den Instrumentarien von Polizei und Justiz zu bekämpfen. Um dies international zu ermöglichen, handelt sie hierzu multilaterale Konventionen aus. Der SR hingegen fasst den Terrorismus nunmehr als ein Problem des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auf und gesteht den Opferstaaten entweder das Recht zur (militärischen) Selbstverteidigung zu oder verhängt selbst Sanktionen im Rahmen von Kapitel VII SVN. Der ECOSOC schließlich stellt den Zusammenhang von Terrorismus und Menschenrechten in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten und verfasst entsprechende Berichte und Empfehlungen. Diese unterschiedlichen inhaltlichen Fokussierungen der VN-Organe entsprechen ihren jeweiligen Mandaten, was der Sache aber nicht immer gerecht wird und insbesondere zu Aufspaltungen einer an sich einheitlichen, wenn auch vielschichtigen Problematik führt. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die S/RES/1269 (1999), mit der der SR einen neuen Ton bei der Terrorismusbekämpfung anschlug, wesentlich auf die A/RES/49/60 (1994) und A/RES/51/210 (1996) zurückgeht, mit denen die GV ihrerseits einen Richtungswechsel vollzogen und sich eindeutig gegen terroristische Handlungen positioniert hatte (insb. durch die „Unjustifiability“-Formel). Auch die Zusammenhänge von Terrorismus und Organisiertem Verbrechen sowie von Terrorismus und Menschenrechten, die die GV, der GS bzw. das Sekretariat sowie der ECOSOC frühzeitig herausgestellt hatten, sind vom SR aufgegriffen worden [vgl. S/RES/1373 (2001) und ihre Nachfolge-Resolutionen].231 II. „Allgemeines Anti-Terrorismus-Völkerrecht“ Die 13 Anti-Terror-Konventionen (s. o., B. I. 3.) wiederum bilden in ihrer Summe durchaus ein Rechtsregime, das als eine Art „allgemeines Anti-Terrorismus-Völkerrecht“232 angesehen werden kann, selbst wenn das Umfas231 Während die Menschenrechte in S/RES/1373 (2001) noch keinerlei Erwähnung fanden, gehört es seit S/RES/1456 (2003) zum Standard, die Staaten an ihre Verpflichtung zu erinnern, bei der Vornahme von Anti-Terrorismus-Maßnahmen die völkerrechtlichen Vorgaben, insbesondere die Menschenrechte, das Flüchtlingsrecht und das humanitäre Völkerrecht zu beachten.
Kap. 3: Wahrnehmung des Mandats durch die Vereinten Nationen
107
sende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus noch immer nicht verabschiedet werden konnte (dazu unten Kap. 8). Jeweils für sich genommen erfassen die sektoral konzipierten Konventionen zwar jeweils nur spezifische Anwendungsbereiche. Zusammen genommen decken sie jedoch eine Vielzahl der praktisch wichtigsten Tatbestände ab. Das Finanzierungsübereinkommen spannt nunmehr noch gewissermaßen einen Bogen über diese Regelungsbereiche, indem es von seinem Regelungsgegenstand her nicht mehr auf bestimmte Taten begrenzt ist, sondern an terroristische Taten allgemein anknüpft, da es ganz generell deren finanzielle Förderung unterbinden soll.233 Von ihrer formalen Regelungstechnik her weisen die Konventionen gemeinsame Strukturmerkmale auf, ebenso wie sie materiellrechtlich eine Mindest-Regelungsdichte vorgeben. Trotz ihrer völkerrechtlichen Natur führen die Konventionen jedoch im Regelfall lediglich dazu, dass die in ihnen erfassten terroristischen Akte nach nationalem Recht als Straftaten sanktioniert werden. Nur in schweren (Ausnahme-)Fällen erreichen terroristische Akte als Verbrechen gegen die Menschlichkeit die (Negativ-)Qualität von völkerrechtlichen Verbrechen. Die Konventionen haben den Charakter von Richtlinien, die an die Staaten gerichtet sind; es werden also keine Tatbestände mit Durchgriffswirkung direkt auf die Individuen geschaffen (sog. „directly applicable“ oder „selfexecuting norms)“.234 Stattdessen werden die Vertragsstaaten verpflichtet, die den Abkommen zugrunde liegenden Verhaltensweisen nach innerstaatlichem Recht als Straftaten zu umschreiben und unter eine angemessene Strafe zu stellen. Nicht nur vollendete (Allein-)Täterschaft, sondern auch die Mittäterschaft und der Versuch müssen strafbar sein. Weiterhin ist dem Grundsatz aut dedere aut iudicare übergreifend Geltung verliehen worden, wonach die Staaten die betreffenden Täter an verfolgungswillige Staaten ausliefern müssen, wenn sie selbst keine Strafverfolgung einleiten wollen oder können.235 Daneben sind sie allgemein verpflichtet, untereinander In232 Ob es nun ein eigenständiges Rechtsgebiet oder lediglich eine Ansammlung allgemeiner völkerrechtlicher Normen und Prinzipien – angewandt speziell auf die Erscheinung des internationalen Terrorismus – darstellt, mag dahingestellt bleiben, vgl. dazu R. Higgins, The general international law of terrorism, in: R. Higgins/M. Flory, Terrorism and International Law, 1997, 13 (13 ff.). 233 Vgl. J. Finke/C. Wandscher, Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt, VN 49 (2001), 168 (168). 234 V. Röben, The Role of International Conventions and General International Law in the Fight against International Terrorism, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 789 (791). 235 Als Reaktion auf die vermehrten terroristischen Anschläge hatten bereits viele Staaten untereinander bi- oder multilaterale Auslieferungsabkommen geschlossen und dadurch dem Grundsatz aut dedere aut iudicare über dessen jahrhunderte lange
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
formationen auszutauschen, sich gegenseitig Rechtshilfe zu gewähren und – etwa im Hinblick auf Beweisermittlungen – zusammenzuarbeiten. Zumindest nach den drei jüngsten Konventionen ist den Vertragsstaaten auch nicht mehr gestattet, Rechtfertigungstatbestände für politisch, religiös oder ähnlich motivierte Taten zu schaffen, mit denen Auslieferungen traditionell verhindert oder Informationen zurückgehalten worden sind.236 Auf diese Weise soll nunmehr eine einheitliche und effektive Anwendung der Konventionen in den einzelnen Staaten gewährleistet werden. Nur wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme („substantial grounds for believing“) bestehen, dass ein Auslieferungsersuchen allein deswegen gestellt wurde, um eine Person wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Meinung zu verfolgen oder zu bestrafen, entfällt die Pflicht zur Auslieferung oder Rechtshilfe. Wenngleich der Regelungskomplex insgesamt einen Fortschritt darstellt, könnte diese letzte Ausnahme doch noch immer als Einfallstor für eine Umgehung der eigentlichen Regel missbraucht werden. Nach den jüngsten terroristischen Akten hat aber auch der SR den Grundsatz von aut dedere aut iudicare explizit aufgegriffen und ihm für den Anwendungsbereich der entsprechenden Resolutionen – kraft seiner Autorität nach Art. 24, 25 sowie Kapitel VII SVN – Allgemeinverbindlichkeit verliehen.237 Das gleiche gilt für die GV, die diesen Grundsatz zum festen Bestandteil ihrer „Weltweiten Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus“ gemacht hat.238 Damit besteht praktisch eine universelle Jurisdiktion für terroristische Taten. Wenn auch mangels einer umfassenden Definition von Terrorismus nicht alle Taten erfasst sind, so gilt dies doch zumindest für all jene spezifischen Tathandlungen, die ausdrücklich in den Konventionen benannt sind. Zugleich haben die StaatsPräsenz in der Völkerrechtstheorie auch praktische – wenn auch noch keine völkergewohnheitsrechtliche, so doch eine breite völkervertragsrechtliche – Wirksamkeit verschafft. 236 Beginnend mit der Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 1997; daneben das Finanzierungsübereinkommen von 1999 sowie die Konvention zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen von 2005. Dazu A. Aust, Comment on the Presentation by Volker Röben (The Role of International Conventions and General International Law in the Fight against International Terrorism), in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 823 (824). 237 S/RES/1566 (2004), op. 2. in der der SR – „( a ) c t i n g under Chapter VII of the Charter“ – alle Staaten auffordert, „to find, deny safe haven and bring to justice, o n t h e b a s i s o f t h e p r i n c i p l e t o e x t r a d i t e o r p r o s e c u t e , any person who supports (. . .) terrorist acts“ [Hervorhebung durch Verf.]. 238 A/RES/60/288 vom 20.9.2006, II. 2. und IV. 4.; zur Weltweiten Strategie s. u., Kap. 9.
Kap. 3: Wahrnehmung des Mandats durch die Vereinten Nationen
109
und Regierungschefs auf dem Weltgipfel 2005 den Terrorismus nochmals übereinstimmend „in all its forms, manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purpose“ verurteilt.239 Damit dürfte der Raum für politische Ausweichmanöver sich immer weiter verengen. Ein Defizit der Anti-Terrorismus-Konventionen ist, dass sie – anders als im Bereich etwa der Menschenrechte oder des Umweltrechts – keine institutionalisierten Vertragsregime darstellen und somit über keinen Überwachungsmechanismus (mechanism of compliance) verfügen.240 Die Mitgliedstaaten berichten lediglich im Rahmen von Erhebungen des GS bzw. Sekretariats über den Stand ihrer Umsetzungen241 – sofern sie die entsprechende Konvention überhaupt ratifiziert haben. Obgleich dies der Preis des auf Freiwilligkeit beruhenden Völkervertragsrechts ist, bleibt das Ergebnis unbefriedigend. Nicht zuletzt aus diesem Grunde hat der SR den CTC als Überwachungsausschuss zur Umsetzung seiner S/RES/1373 (2001) geschaffen, der aber – vor allem mangels politischen Willens auf Seiten vieler Staaten – letztlich auch nicht die erhoffte Effektivität erreicht hat.242 Insofern bedarf es eines neuen, dritten Ansatzes, der die einzelnen Stränge zusammenführt.
239
A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Para. 81. V. Röben, The Role of International Conventions and General International Law in the Fight against International Terrorism, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 789 (816). 241 Ausgehend von der GV-Resolution A/RES/50/53 vom 11.12.1995; als jüngsten Bericht des GS siehe A/63/173 vom 25.7.2008. 242 Dazu s. u., Kap. 5, B. III. 1. c). 240
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Teil 1: Der internationale Terrorismus und die Vereinten Nationen
Ergebnis zu Teil 1 Der Terrorismus stellt ein vielschichtiges Phänomen dar, das eine lange Historie aufweist. Erst infolge des 11. September 2001 wird er in Gestalt des islamistischen Terrorismus aufgrund dessen globaler Reichweite als einheitliche Gefahr wahrgenommen und als Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit i. S. v. Kap. VII SVN aufgefasst. Der Grad der Betroffenheit variiert gleichwohl, und noch immer gehen die Auffassungen darüber auseinander, wo „Freiheitskampf“ aufhört und wo Terrorismus beginnt. Diese Grenzlinie zu definieren und dem Terrorismus zu begegnen, repressiv, aber vor allem auch präventiv, sind vor allem die VN als geographisch und thematisch global verankerter Akteur, dem eine Vielzahl an Instrumenten zur Verfügung steht, berufen. Die Maßnahmen allein – oder jedenfalls primär – des SR, obgleich diese im Unterschied zu denen der anderen VN-Organe rechtsverbindlich und sanktionsbewehrt sind, konnten bislang nicht verhindern, dass die Zahl und das Ausmaß terroristischer Anschläge sich auf hohem Niveau gehalten bzw. sogar weiter zugenommen haben. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wird insofern zwar bis auf weiteres hoch auf der Agenda des SR angesiedelt bleiben. Die Aktivitäten müssen jedoch weit darüber hinausgehen. Die „Weltweite Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“ steckt den Radius bereits weitgehend ab, indem sie auch Aspekte wie Bildung und Entwicklung einbezieht. Sie muss aber auch entschlossen umgesetzt werden und dazu neben allen relevanten Akteuren innerhalb des VN-Systems ebenso die Mitgliedstaaten und die Zivilgesellschaft adäquat einbinden, was einen erheblichen Grad an Öffnung, Koordinierung und inneren Reformen voraussetzt. Zugleich sind die – trotz der Herausbildung eines „allgemeinen Anti-Terrorismus-Völkerrechts“ – bestehenden Lücken im Völkerrechtsregime zu schließen, in erster Linie durch Verabschiedung des Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus. Außerdem erscheint es erforderlich, ein vertragliches Überwachungsregime einzurichten, das aus dem CTC/CTED hervorgehen und auch die Arbeitsgruppe Terrorismusbekämpfung (CTITF) umfassen könnte. Damit wäre das Anti-Terrorismus(„Not“-)Regime des SR zwar weiter verstetigt, die Überwachung der Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen aber ein Stück weit „vergemeinschaftet“ und in die Verantwortung der breiten Mitgliedschaft zurückgeführt (zu alledem s. u., Teil 3, insb. Kap. 9, D.).
Teil 2
Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats im „Anti-Terror-Krieg“ nach dem 11. September 2001 Der zweite Teil der Arbeit hat eine Untersuchung der Rechtmäßigkeit ausgewählter Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung durch die VN – genauer: den SR, hinter dem wiederum die USA als treibende Kraft standen – zum Gegenstand. Es sollen die Auswirkungen der Resolutionen auf die Staaten und nicht-staatlichen Akteure (Kap. 5) sowie die Organisation der VN selbst (Kap. 6) aufgezeigt werden. Viele Aspekte, etwa der Umfang des Selbstverteidigungsrechts angesichts global und massiv auftretender Terrornetzwerke wie Al-Qaida, die Individualsanktionen nach Kapitel VII der Charta mit ihren mangelnden Rechtsschutzmöglichkeiten und der Erlass (quasi-)legislativer Resolutionen durch den SR, sind bereits ausgiebig diskutiert und kritisiert worden. Andere Auswirkungen, insbesondere auf das institutionelle Gleichgewicht innerhalb der VN, sind dagegen noch wenig erfasst. Nach Ablauf von mittlerweile neun Jahren seit Beginn des „AntiTerror-Kriegs“ im Jahr 2001 und einem Wechsel im Amt des US-Präsidenten ist es nun insgesamt möglich, die Entwicklung mit einem gewissen Abstand und in ihrem größeren Zusammenhang zu betrachten.
Kapitel 4
Hintergrund und Parameter der Untersuchung Bevor die Resolutionen im Einzelnen untersucht werden, soll zunächst skizzenhaft der politisch-geschichtliche Hintergrund beschrieben werden, um die Aktivitäten des SR besser in ihren Kontext einordnen zu können (Kap. 4, A.). Außerdem sollen die Parameter der Untersuchung (Gegenstand und rechtlicher Maßstab) festgelegt werden (Kap. 4, B.).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
A. Politisch-geschichtlicher Hintergrund der Aktivitäten des Sicherheitsrats I. Die VN und der Ost-West-Konflikt: „Vom SR zur GV zurück zum SR“ Anders als in der Phase unmittelbar nach Gründung der VN im Jahre 1945, als die GV ihre Handlungsspielräume im Gefüge der Charta zulasten des SR auszudehnen suchte1, ist das Pendel spätestens seit dem weltpolitischen Umbruch der Jahre 1989/90 zur anderen Seite ausgeschlagen. 1. Uniting for Peace der GV
Während sich der SR in den 1940er und 1950er Jahren im Schatten der Polarisierung der Welt zwischen Ost und West bzw. UdSSR und USA zunehmend selbst blockierte, ergriff die GV, vielfach angetrieben durch den damaligen GS Dag Hammarskjöld, die Initiative, um Handlungsfähigkeit und -willen der VN zu demonstrieren.2 Am deutlichsten brachte die GV dies durch ihre Uniting for Peace-Resolution von 19503 zum Ausdruck, mit der sie in Fällen von Friedensbrüchen die Befugnis für sich in Anspruch nahm, anstelle des SR Maßnahmen zu empfehlen, die bis hin zur Anwendung militärischer Gewalt reichen sollten. Dies liegt an sich nicht nur in der Hauptverantwortung des SR, sondern ist zugleich, wie Art. 12 SVN explizit festlegt, seine Prärogative. Andere Beispiele für die Verlagerung des Gravitationspunktes vom SR zur GV sind etwa die sog. „Argentinische These“ zur Aufnahme neuer Mitglieder und die Verlängerung der Amtszeit von GS Trygve Lie allein durch Beschluss der GV.4 2. Auswirkungen der Zeitenwende von 1989/91 auf die Praxis des SR
Mit der Beilegung des „Kalten Krieges“ hat sich der SR allerdings aus seiner damit verbundenen zeitweiligen Lähmung befreit, um in eine neue Phase der Kooperation und Aktion zu treten und der ihm von Beginn an zugedachten Rolle innerhalb der VN gerecht zu werden5 bzw. noch darüber 1 Dazu die Untersuchung von J. Delbrück, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, 1964. 2 Zur Rolle des damaligen GS Dag Hammarskjöld, s. o. Teil 1, Kap. 2, B. II. 1. f). 3 A/Res. 377/V vom 3.11.1950. 4 Dazu G. Abi-Saab, Membership and Voting in the United Nations, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 19 (29).
Kap. 4: Hintergrund und Parameter der Untersuchung
113
hinauszugehen. Besonders deutlich machte der SR dies in seiner historischen Sitzung vom 31. Januar 1992, die erstmals auf der Ebene der Staatsund Regierungschefs stattfand. In der abschließenden Erklärung S/23500 stellte der SR-Präsident mit Nachdruck fest: „The members of the Security Council consider that their meeting is a timely recognition of the fact that there are new favourable international circumstances under which the Security Council has begun to fulfil more effectively its primary responsibility for the maintenance of international peace and security.“6
Der SR hat dieser Einschätzung und Ankündigung auch die entsprechenden Taten folgen lassen. Schon alleine ein Blick auf die steigende Numerierung seiner Resolutionen lässt erahnen, welch einen Grad an Aktivität der SR in der Folgezeit entfaltet hat, nämlich von nur 1–646 in der langen Zeit zwischen 1946 und 1989 auf beachtliche 647–1966 in den wenigen Jahren zwischen 1990 und Ende 2010. Damit hat sich die Zahl der durchschnittlich pro Jahr verabschiedeten Resolutionen von 15 auf über 60 erhöht. In den ersten 44 Jahren, also wiederum zwischen 1946 und 1989, wurden außerdem nur 24 Resolutionen unter Kapitel VII SVN erlassen. Seit 1993 wird diese Zahl Jahr für Jahr erreicht.7 3. Das institutionelle Gleichgewicht der VN in Schieflage
Die zitierte Präsidentielle Erklärung vom 31. Januar 1992 sowie die entsprechende nachfolgende Praxis offenbaren, darauf macht Martti Koskenniemi aufmerksam, dass sich der SR hiermit eine Art carte blanche ausstellte, die die zweite konstitutionelle Krise der Organisation herbeiführen sollte8, diesmal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Es ist nicht, wie im Falle des Uniting for Peace, die GV, die die primäre Ordnungsfunktion des SR an sich zu ziehen versucht, sondern der SR, der sich mit der Herstellung internationaler Gerechtigkeit die ureigene Funktion der GV auf die Agenda geschrieben hat. Ist dies an sich – wenn dem denn immer so wäre – ein ehrenwertes Unterfangen, trägt es praktisch doch die System sprengende Konsequenz in sich, dass eine kleine Minderheit an Staaten universelle Werte und Regeln festlegt und sich zu ihrer Durchsetzung der „harten“ (Zwangs-)Mittel bedient, die für diese „weichen“ und allgemeinen Zwecke 5 Zur ersten Phase eines „reibungslosen Funktionierens“ des SR siehe J. Delbrück, Die Entwicklung des Verhältnisses von Sicherheitsrat und Vollversammlung der Vereinten Nationen, 1964, 44 ff. 6 S/23500 vom 31.01.1992, S. 2. 7 Vgl. den Bericht The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008, S. 1. 8 M. Koskenniemi, The Police in the Temple. Order, Justice and the UN: A Dialectical View, EJIL 6 (1995), 325 (326, 341).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
nicht bestimmt sind. So droht vermeintliche Gerechtigkeit schnell zur „Tyrannei“9 zu werden und gerät das fragile institutionelle Gleichgewicht10 der Organisation in Schieflage (dazu unten Kap. 5 u. 6). Die Sonderbefugnisse, die den (insb. ständigen) Mitgliedern des SR gegenüber den anderen, prinzipiell gleichberechtigten Staaten eingeräumt worden sind, rechtfertigen sich nur im vereinbarten, eng definierten Rahmen und dürfen die Regel der gleichen Teilhabe, die durch die Zuweisung bestimmter Befugnisse an die grundsätzlich repräsentativ besetzten Organe gewahrt wird, nicht zur Ausnahme verkehren, so dass in deren Befugnisse eingegriffen würde. II. Neue Friktionen in der internationalen Ordnung Gleichwohl besteht heute an einem größeren Engagement einer durchsetzungsfähigen Organisation der VN, was sie nach dem status quo nahezu ausschließlich durch den SR ist, mehr Bedarf denn je, sollte mit dem Ende des Ost-West-Konflikts doch keineswegs das vielfach prophezeite „Ende der Geschichte“11 eintreten. Stattdessen setzten mit der Globalisierung auf der einen sowie einer vielfachen Abschottung auf der anderen Seite zwei scheinbar gegenläufige Entwicklungen ein – offenbar ein Tribut an die Ungleichzeitigkeit, die sich im Schatten des „Kampfes der Systeme“ herausgebildet hatte, deren Wurzeln aber zumeist noch weiter zurückreichen und die auch künftige Konfliktlinien bestimmen dürfte. Diese Tendenzen tragen eher das Potenzial in sich, die zweite Prophezeiung der 1990er Jahre zu erfüllen, nämlich den „Kampf der Kulturen“.12 1. Renationalisierung und „Kulturalisierung“ in Zeiten der Globalisierung
So wurden nach dem Zerfall der UdSSR alte, zu Zeiten des Ostblocks nur oberflächlich und kraft repressiver Staatsgewalt zugeschüttete Gräben wieder aufgerissen und neue, nationalistisch oder ethnisch motivierte Grenzen gezogen, wie etwa im Fall des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien. Gleichzeitig – und das lässt diese Entwicklungen hin zu nationaler Kleinstaaterei und „ethnischer Homogenisierung“ umso anachronistischer 9
Von der vielfach so bezeichneten „Tyrannei der Mehrheit“ im Hinblick auf die G 77 zur „Tyrannei der Minderheit“ nach Erstarken des SR, vgl. G. Abi-Saab, Membership and Voting in the United Nations, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 19 (30). 10 Zum Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts in der EU – bzw. zu jener Zeit in der EG – siehe EuGH, Urteil vom 13.6.1958, Rs. 10/56 (Meroni). 11 F. Fukuyama, The End of History and the Last Man, 1992. 12 S. P. Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, 1996.
Kap. 4: Hintergrund und Parameter der Untersuchung
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erscheinen – hat der klassische, territorial gebundene Nationalstaat seine Abgrenzungs- und Steuerungsfunktion im Zuge der Globalisierung in weiten Teilen eingebüßt.13 An diesem Trend wird auch der jüngste Einmarsch Russlands im August 2008 in Georgien14 nichts ändern, selbst wenn es hierdurch nochmals nationale Großmachtpolitik „im alten Stil“ demonstriert hat. Der russische Präsident Dimitri Medwedew versuchte zwar, auch dieses Ereignis als „AntiTerror-Maßnahme“ zu rechtfertigen („Für Russland ist der 8. August so wie der 11. September für die USA.“15), was ein weiterer Beleg dafür ist, welch gefährlichen Bumerang US-Präsident George W. Bush mit diesem „Konzept“ seinerzeit in die Welt geworfen hat. Das „Ende der Geschichte“ scheint angesichts dieser Umstände jedenfalls weit. Näher an der Wahrheit dürfte der damalige britische Außenminister David Milliband gelegen haben, wenn er lediglich das „Ende der Nachkriegszeit des Kalten Krieges“ als erreicht ansah.16 Fest steht, dass die zwischenzeitliche unipolare Weltordnung unter der Führung der USA, die im Jahr 2003 mit dem Irak-Krieg ihren Höhepunkt erreicht hatte, im Begriff ist, durch ein multipolares Beziehungsgeflecht unter Beteiligung auch nichtwestlicher Staaten abgelöst zu werden.17 Darin spielt auch der (oben in Teil 1 beschriebene) Konflikt zwischen „dem Islam“ – zutreffender wohl: Teilen des arabischen Nahen und Mittleren Ostens – und „dem Westen“, eine wichtige Rolle, der den internationalen Terrorismus nährt. Auch dieser „Kulturkampf“, der anknüpfend an alte Muster als „Religionskrieg“ geführt wird, ist letztlich Ausdruck der Globalisierung, die eben nicht nur das Potenzial an Freiheit und Miteinander, sondern auch an innerem Rückzug und äußerer Konfrontation vergrößert hat.18 13 Siehe dazu sehr aufschlussreich M. Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaates, 1998. 14 Zum genauen Hergang siehe den Untersuchungsbericht der Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia (IIFFMCG) im Auftrag der EU vom 30.9.2009, erhältlich unter http://www.ceiig.ch/Report.html [eingesehen am 1.10.2009]. Hiernach griff Georgien in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 in Südossetien stationierte russische Truppen an. Vorausgegangen seien allerdings von Russland unterstützte Provokationen in den georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien. Außerdem habe Russland mit seinem Einmarsch in Georgien unverhältnismäßig reagiert (vgl. Vol. II, Cpt. 6). 15 „Der 7. August im Kaukasus – Wann rückten die Russen in Südossetien ein?“ F.A.Z.NET vom 17.9.08. 16 Zitiert nach FAZ.NET vom 26.8.2008 – „Kaukasus-Konflikt, Berlin zwischen Härte und Beruhigung“ [http://www.faz.net]. 17 So der Ausblick u. a. von P. Khanna, Die nächste Welt, Die ZEIT vom 3.7.2008, S. 3.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats 2. Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt
Probleme für die internationale Sicherheit bereiten die Globalisierung und die Entstaatlichung dort, wo dieser Prozess nicht gewollt und geplant verläuft, d. h. staatliche Regierungen ihre Aufgaben und Befugnisse nicht an transnationale Institutionen delegieren, sondern Staaten faktisch und ungesteuert die Kontrolle verlieren und ein Machtvakuum entsteht, das kriminelle Private ausfüllen. Da die vormals durch den Staat monopolisierte militärische Gewalt miterfasst wird, ergeben sich hieraus zwei bedeutende Veränderungen für das Wesen des „Krieges“. Zum einen werden sie nicht mehr unbedingt zur Erzwingung einer machtpolitischen Entscheidung geführt.19 Sie schwelen vielmehr als sog. „kleine Kriege“ (engl.: „low intensity wars“)20 vor sich hin, wodurch sie gleichzeitig zu „langen Kriegen“ werden (s. o., Kap. 1, B. III.). Über die Kanäle der „Schattenglobalisierung“ sind sie auf vielfältige Weise mit der Weltwirtschaft verbunden und beziehen daraus die für ihre Weiterführung nötigen Ressourcen.21 Mehr noch: Einen Krieg kommerziell auszubeuten, ist hierbei ertragreicher, als ihn zu gewinnen. Warlords häufen hierbei erhebliche Gewinne auf Kosten der Zivilbevölkerung an, mit denen sie ihre Regime erhalten. Terroristen erwirtschaften Gelder, mit denen sie sich modernste Ausrüstungen bis hin zu Massenvernichtungswaffen beschaffen können. Diamanten etwa, die die Ursache für Bürgerkriege in vielen Teilen Afrikas sind, dienen Kriminellen und Terroristen nicht nur als direkte Einnahmequelle, sondern auch als optimale Geldanlage.22 Zum anderen werden die Auseinandersetzungen vermehrt von nichtstaatlichen, vielfach in internationalen Netzwerken verbundenen Gruppen ausgetragen, die angesichts der militärischen Überlegenheit ihrer staatlichen Gegner (das gilt insbesondere für die USA) bewusst aus der traditionell 18 Vgl. die Grundsatzrede von Barack Obama am 4.6.2009 in Kairo: „Der rasche Wandel und die Globlisierung haben bewirkt, dass manche Moslem den Westen als feindselig gegen die Tradtitionen des Islam angesehen haben“, zitiert nach FAZ.NET vom 4.6.2009 [http://www.faz.net]. 19 So noch das Konzept des zwischenstaatlichen Krieges, pointiert formuliert von C. von Clausewitz, Vom Kriege, 19. Aufl., 1980 (Originalausgabe von 1832). 20 Vgl. C. Daase, Kleine Kriege – Große Wirkung. Wie unkonventionelle Kriegsführung die internationale Politik verändert, 1999, 213 ff. 21 H. Münkler, Die neuen Kriege, 2004, 21. Siehe zu allem etwa auch den von W. Ruf herausgegebenen Sammelband Politische Ökonomie der Gewalt – Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg, Opladen 2003. 22 Vgl. H. A. Jeemo, Stein-Zeit für Al-Kaida, Rheinischer Merkur, Nr. 34, 2005, S. 13. Zunehmend erpresst Al-Qaida seine Mittel auch durch Geiselnahmen, während die Taliban vor allem im Drogenhandel aktiv sind. Siehe zu allem den Zehnten Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 2.10.2009, S/2009/502, I. B. bzw. IV.
Kap. 4: Hintergrund und Parameter der Untersuchung
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symmetrisch ausgerichteten zwischenstaatlichen Konstellation ausbrechen und mit einer „kleinteiligen“ Taktik zum Erfolg zu kommen suchen. Dabei machen sie sich zum einen die überlegene Infrastruktur ihrer staatlich organisierten Gegner sowie zum anderen den Umstand zu Nutze, dass Waffensysteme mobiler geworden und sie selbst kaum lokalisierbar sind, so dass sie keine groß angelegten Vergeltungs- und Vernichtungsattacken zu fürchten brauchen. Auf diese Weise weichen sie der staatlichen militärischen Schlagkraft, der sie hoffnungslos unterlegen wären, aus und installieren eine neue, auf Asymmetrien gegründete Front: den globalisierten Terrorismus.23 Durch diese Entwicklungen stößt in der Praxis gleichzeitig die prinzipielle Unterscheidbarkeit von (Organisierter) Kriminalität, Terrorismus und Krieg an ihre Grenzen24, jedenfalls sofern man, wie die US-Regierung unter George W. Bush, terroristische Akte als „Kriegshandlungen“ ansieht und auf entsprechende Weise bekämpft. Damit verlieren nicht nur die Staaten ihr Monopol zur Kriegsführung, sondern es entfaltet auch der Gedanke der Reziprozität, auf dem das (einstmals) „moderne“ Kriegsrecht genauso beruht wie die politischen Strategien der Abschreckung und Abrüstung, keine Wirksamkeit mehr. Dies alles trägt zu einer bedrohlichen Entgrenzung der Gewalt bei.25 III. Konzeptionelle Herausforderungen an das Völkerrecht Vor diesem Hintergrund stellt sich die neue Wirklichkeit nach Ende des Ost-West-Konflikts für die VN und insbesondere den SR keineswegs so „bilderbuchartig“ dar, wie es die erste (Friedens-)Euphorie, aber auch das noch „mustergültige“ Eingreifen des SR und der internationalen Gemeinschaft im (ersten) Irak-Krieg von 1990/91 glauben machen konnten.26 23
J. Delbrück, The Fight Against Global Terrorism, GYIL 2001, 9 (20); R. Falk, The Great War on Terror, 2003, 53; dazu schon oben Teil 1, Kapitel 1. 24 F. Schorkopf, Behavioural and Social Science Perspectives on Political Violence, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 3 (21). Diesen Zusammenhang benannte auch die GV bereits in A/Res. 50/6 vom 31.10.1995, s. u. Kap. 5, A. II. 4.). 25 R. Wedgwood, Countering Catastrophic Terrorism, An American View, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, 2004, 103 (110); H. Münkler, Die neuen Kriege, 2004, 42. 26 Die Invasion des Irak in Kuwait war der erste Fall von Aggression, in dem keines der SR-Mitglieder von seinem Vetorecht Gebrauch machte. Stattdessen nahm der SR binnen 24 Stunden S/RES/660 (1990) an, in der er einstimmig einen Friedensbruch feststellte, den er mit militärischen Maßnahmen beseitigte (bzw. durch Autorisierung von Mitgliedstaaten beseitigen ließ). Insofern gilt der Irak-Krieg für den SR als „Modellfall“.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Vielmehr sind die klassischen völkerrechtlichen Konzepte angesichts dieser wachsenden Diskongruenz zwischen den sicherheitspolitischen Entwicklungen und den normativen Strukturen des Völkerrechts an ihre Grenzen geraten. Insbesondere die unbedingte Anknüpfung an staatliches Handeln lässt sich angesichts des Aufkommens der nicht-staatlichen Akteure nicht mehr in ihrer Reinform aufrechterhalten.27 Entsprechend hat der SR mittlerweile eine Reihe nicht-staatlicher Akteure bzw. (selbsterkorene) „nationale Befreiungsbewegungen“ in die Pflicht genommen, indem auch sie beispielsweise zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts aufgefordert werden.28 Dieses Vorgehen wurde dadurch endlich politisch möglich, dass diese Gruppen nun nicht mehr wie in den Jahrzehnten zuvor entweder von der UdSSR oder den USA protegiert werden, als sie diese noch als Stellvertreter in ihrem „Kampf der Supermächte“ für ihre Zwecke instrumentalisiert hatten.29 Völkerrechtliche Probleme ergeben sich in der Terrorismusbekämpfung aber daraus, dass im Zuge der Entstaatlichung ein für Staaten konzipiertes Rechtsregime auf Private Anwendung findet, ohne dass gebotene Anpassungen vorgenommen worden wären, oder – schlimmer noch – dass in einem rechtlichen Vakuum gehandelt wird, in dem die Beteiligten sich unter Hinweis auf die Nichtanwendbarkeit des angeblich veralteten oder lückenhaften Völkerrechts diejenigen Regeln zurechtlegen, die ihren politischen Zwecken entgegenkommen, aber grundlegende Prinzipien unterlaufen und kein konsistentes Ganzes mehr ergeben. Dabei steht das Völkerrecht vor der Aufgabe, einen Ausgleich zwischen den Polen zu finden, d. h. einerseits Rechtsgarantien zu wahren und die Ausübung purer Macht standhaft einzugrenzen, aber andererseits nicht den Bezug des Rechts zur Realität und damit seine soziale Wirksamkeit zu verlieren. Um nicht in ein „Effektivitätsdefizit“ zu geraten, muss das Völkerrecht insbesondere einen Ausgleich zwischen dem Schutz der Menschenrechte und der Wahrung der internationalen Sicherheit finden.30 Mag dies auf den ersten Blick einer „Quadratur des Kreises“ gleichen31, führt letztlich doch kein Weg an der Einsicht vorbei, dass beide – 27 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (58). 28 Durch S/RES/864 (1993), op. 13 wurde etwa die UNITA in Angola zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts verpflichtet; siehe dazu insgesamt A. Franco, Armed Nonstate Actors, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 117 (119). 29 A. Franco, Armed Nonstate Actors, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 117 (117); s. auch oben Teil 1, Kap. 1, A. III. 1.). 30 C. Tietje/C. Nowrot, Völkerrechtliche Aspekte militärischer Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, NZWehrR 44 (2002), 1 (9). 31 E. Denninger, Freiheit durch Sicherheit?, KJ 35 (2002), 467 (468).
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Menschenrechtsschutz und Terrorismusbekämpfung – einander bedingen.32 Dies gilt sowohl für eine nachhaltige Prävention als auch für eine effektive Strafverfolgung, ziehen doch Menschenrechtsverletzungen, wie insbesondere Folter, Beweisverwertungsverbote nach sich und können damit gerichtliche Verurteilungen von Terroristen verhindern.
B. Parameter der Untersuchung Vor der nachfolgenden Untersuchung des status quo im Handeln der VN bzw. des SR sollen der Gegenstand und der rechtliche Maßstab der Prüfung dargelegt werden. I. Gegenstand: SR-Resolutionen Gegenstand der Untersuchung sind aus zwei Gründen die Beschlüsse des SR. Erstens sind in den vergangenen Jahren anders als in früheren Phasen der VN die entscheidenden Aktivitäten, auch und gerade in der Terrorismusbekämpfung, vom SR ausgegangen. Zweitens entfalten von allen Handlungsformen der VN-Akteure allein die Resolutionen des SR rechtsverbindliche Außenwirkung (vgl. Art. 24 f., 39 ff., 103 SVN).33 Adressaten der Resolutionen sind zunächst die Staaten, wobei aufgrund der mittlerweile praktisch universellen Mitgliedschaft alle Staaten erfasst sind und die Unterscheidung zwischen Mitglied- und Nichtmitgliedstaaten obsolet geworden ist. In unserer „post-Westfälischen“ Völkerrechtsepoche können Resolutionen aber prinzipiell auch gegen die übrigen – partiellen – Völkerrechtssubjekte gerichtet sein, insbesondere nicht-staatliche Konfliktparteien bis hin zu Individuen (s. u., Kap. 5). Ebenso können Resolutionen binnenorganisatorische Regelungen zum Inhalt haben und damit die anderen VN-Organe betreffen (s. u., Kap. 6).
32
So bereits früh die GV: „[S]ecurity and human rights are interlinked and mutually reinforcing“, A/RES/60/251, pp. 6; ähnlich der GS in seinem Bericht In larger freedom: towards development, security and human rights for all, A/59/2005, Para. 16. Inzwischen hat sich diese Einsicht auch beim SR durchgesetzt, vgl. zuletzt PRST/2010/19, op. 8 und 12: „The Council [. . .] underscores that effective counterterrorism measures and respect for human rights, fundamental freedoms and the rule of law are complementary and mutually reinforcing and are an essential part of a successful counter-terrorism effort“. 33 Abgesehen von der inter partes-Wirkung der Entscheidungen des IGH, Art. 94 SVN.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
II. Maßstab: Rechtliche Bindungen, denen der SR unterliegt Eine Prüfung der Rechtmäßigkeit von Beschlüssen des SR setzt voraus, dass der SR überhaupt rechtlichen Bindungen unterliegt. Während eine Vielzahl an Abhandlungen allein dieser einzigen Frage gewidmet ist34, soll sie an dieser Stelle nicht nochmals in all ihren Einzelheiten behandelt werden, sondern lediglich in dem Maße, wie es dem Verfasser zur Begründung des hier angelegten rechtlichen Maßstabs erforderlich erscheint. 1. These von der „rechtlichen Bindungslosigkeit“ des SR als politischem Organ
Gegen jegliches Bestehen rechtlicher Bindungen des SR wird eingewandt, dass der SR ein politisches Organ sei, dem die VN-Mitglieder gem. Art. 24 Abs. 1 SVN kollektiv die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit, ausweislich Art. 1 Ziff. 1 SVN das vorrangige Ziel der VN, übertragen hätten. Um dieser Verantwortung effektiv gerecht werden zu können, seien dem SR die entsprechenden Befugnisse einzuräumen. Vor diesem Hintergrund unterfalle die Feststellung einer Friedensbedrohung (bzw. eines Friedensbruchs) gemäß Art. 39 SVN der exklusiven und letztlich unbeschränkten Einschätzungsprärogative des SR. Entsprechend stehe ihm das volle Instrumentarium des hierdurch eröffneten Anwendungsbereichs von Kapitel VII SVN zur Verfügung, das dem SR die Befugnis zur Verhängung der von ihm als erforderlich erachteten Zwangsmaßnahmen und damit das Gewaltmonopol verleihe. Für eine entsprechende Verortung der Maßnahmen zur kollektiven Sicherheit nicht im juristischen, sondern im politischen Bereich spricht, dass deren Effektivität absolute Priorität eingeräumt wurde35 und mit dem Vetorecht der fünf ständigen SR-Mitglieder in Art. 27 SVN ein verfahrensrechtlicher, politischer Mechanismus geschaffen wurde, um den Machtmissbrauch einzelner Staaten zu verhindern.36 Die Praxis des SR seit Ende des Kalten Krieges zeigt allerdings, dass das Vetorecht diese Funktion von checks and balances jedenfalls heute nicht mehr zu erfüllen vermag, wenn es dies jemals vermochte.37 Nach dem 11. September 2001 kam zu dem bereits bestehen34 Siehe die Aufzählung und Auseinandersetzung hiermit bei B. Fassbender, Review Essay – Quis judicabit? The Security Council, Its Powers and Its Legal Control, EJIL 11 (2000), 219 (219, 228). 35 A. Pellet, Conclusions générales, in: B. Stern (Ed.), Les aspects juridiques de la crise et de la guerre du Golfe, 1991, 487 (490): „[C]e qu’il dit est le droit.“ 36 Gegen rechtliche Bindungen und damit für ein unbegrenztes politisches Ermessen des SR spricht sich etwa aus: M. N. Schmitt, Pre-emptive Strategies in International Law, Michigan J.I.L. 24 (2003), 513 (527).
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den wirtschaftlichen und politischen noch der moralische Druck hinzu, den US-Präsident Bush mit der Schwarz-Weiß-Formel „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ – soll heißen: auf Seiten der Terroristen – aufbaute.38 2. Gegenthese: Prinzipien und Normen, denen der SR unterliegt
Soll die Machtausübung durch den SR bzw. seine stärksten Mitglieder nicht unbegrenzt sein und ist der verfahrensrechtliche bzw. politische Kontrollmechanismus also nicht (mehr) geeignet, dies zu verhindern, ist stattdessen ein materiell-rechtlicher Handlungsrahmen für den SR abzustecken. a) Rechtliche Gebundenheit jeglicher öffentlicher Gewalt Ergibt sich die Existenz substanzieller Rechtmäßigkeitsanforderungen auch nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Charta, ist hierfür doch die allgemeine Erwägung anzuführen, dass nicht einmal die Souveränität der Staaten als originäre Völkerrechtssubjekte einen Rechtsstatus außer- oder oberhalb des Rechts vermittelt.39 Da der SR wiederum nur das Organ einer Internationalen Organisation und damit eines „gekorenen“ Völkerrechtssubjekts ist, das erst von seinen souveränen Mitgliedstaaten geschaffen wurde, muss dies erst recht für ihn gelten. Der Umstand, dass dies nicht ausdrücklich in die Charta aufgenommen wurde, spricht somit nicht etwa dafür, dass der SR ausnahmsweise keinen rechtlichen Bindungen unterliegen sollte, sondern im Gegenteil dafür, das zeigen auch die travaux préparatoires, dass diese schlicht für selbstverständlich gehalten wurden.40 Ganz richtig bemerkt Richter Skubiszewski: „No competence of any international organ is legally unlimited“.41 Und genauso wenig vermag ein Staat mehr Rechtsmacht zu delegieren, als ihm selbst zusteht. 37
D. M. Malone, The UN Security Council: From the Cold War to the 21st Century, Edited Transcript of Remarks, Carnegie Council Panel Discussion am 3.4.2004 in New York, www.carnegiecouncil.org [eingesehen am 24.04.2004]: „Not all vetoes are equal.“ Hier wird insbesondere auf den umstrittenen Fall militärischer Gewaltanwednung im Kosovo durch die NATO angespielt, als der SR – und damit das drohende Veto Russlands – schlicht umgangen wurde. 38 Ansprache von US-Präsident Bush am 21.9.2001 vor dem US-Kongress, erhältlich unter http://www.lpb.bwue.de/aktuell/terrorusa/bush2109.htm [eingesehen am 11.8.2007]. 39 H. Steinberger, Sovereignty, in: R. Bernhardt (Ed.), EPIL, Vol. IV, 2000, 500 (512): „Sovereignty is a legal status within but not above public international law.“ 40 Siehe die Äußerungen der Vertreter der UdSSR und der USA, U.N.C.I.O. XII, 49; Anlass hierfür war der Vorschlag Belgiens gewesen, den Mitgliedstaaten das Recht zu geben, Rechtsgutachten des IGH einzuholen, wenn diese sich durch SRResolutionen in ihren Rechten verletzt sähen.
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b) Kernbereich staatlicher Souveränität Gleichzeitig hat der SR gegenüber den Mitgliedstaaten die Grundsätze zu achten, die den VN in Art. 1 Ziff 2, Art. 2 Ziff. 1, Art. 2 Ziff. 7 SVN zugrunde gelegt worden sind. Es sind dies die Wahrung der souveränen Gleichheit der Staaten und der domaine résérvé, die den Kernbereich der inneren Souveränität der Staaten kennzeichnen und Ausdruck dessen sind, dass die VN eine zwischenstaatliche und keine supranationale Organisation sind. Die Sonderbefugnisse des SR nach Kapitel VII SVN rechtfertigen sich einzig aus der vereinbarten Errichtung eines Systems kollektiver Sicherheit, das den Bereich zwischenstaatlicher Gewaltanwendung aus der Souveränität der Mitgliedstaaten herausnimmt. Nur in diesen Grenzen und zu diesem Zweck haben sich die Mitgliedstaaten den Beschlüssen des Sicherheitsrats unterworfen. Hierdurch ist die Verbandskompetenz der VN ebenso wie die Organkompetenz des SR beschrieben. Es ist allerdings einzuräumen, dass der Grad staatlicher Souveränität inzwischen immer weiter zurückgenommen worden ist. Besonders augenfällig ist dies im Bereich der Menschenrechte, zu deren Durchsetzung auf dem Weltgipfel 2005 sogar eine Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft anerkannt wurde.42 c) Kompetenzen des SR als von den Mitgliedstaaten übertragene Befugnisse, Art. 24 Abs. 1 SVN Der SR ist damit zum einen an das (im Folgenden noch näher zu bestimmende) Recht und zum anderen an die Reichweite der Befugnisse gebunden, die ihm von den VN-Mitgliedstaaten zu einer Art „treuhänderischen“ Wahrnehmung übertragen worden sind, ähnlich wie die Bürger in einem Gemeinwesen ihre „natürlichen“ Freiheiten den staatlichen Organen anvertraut haben.43 Der Wortlaut der Charta macht dies deutlich, indem Art. 24 Abs. 1 SVN bestimmt, dass „der SR bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenen Pflichten in ihrem Namen [d. h. im Namen der Mitgliedstaaten] handelt“. Zwar ist diese Formulierung in dem Sinne „untechnisch“ zu verstehen, als der SR als Organ der VN seine Kompetenzen aus der Charta ableitet statt unmittelbar von den Mitgliedstaaten und 41 K. Skubiszewski, The International Court of Justice and the Security Council, in: V. Lowe/M. Fitzmaurice (Eds.), Fifty years of the International Court of Justice, 1996, 606 (628). 42 Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Para. 139. 43 Th. M. Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, 244 spricht von der Charta „as a ‚constitution‘ of delegated powers“.
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insoweit auch rechtlich nicht in deren Namen, sondern in dem der Organisation handelt.44 Das ändert jedoch nichts an der Grundaussage der Charta, die von Pflichten, nicht von Rechten, sowie der (Haupt-)Verantwortung spricht, die der SR gegenüber den Mitgliedstaaten hat. Diese Betonung zeigt die Richtung auf: Die delegierten Befugnisse haben einen „dienenden“ Charakter, d. h. sie sind sachlich und qualitativ auf solche Maßnahmen beschränkt, die zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Friedens erforderlich sind, denn genau und nur in diesem Umfang haben die Mitgliedstaaten ihre Souveränität zugunsten des kollektiven Sicherheitssystems der VN eingeschränkt. Dies ist der systemimmanente „conditional link“, den Richter Bustamente in seinem Minderheitsvotum im Certain Expenses-Gutachten beschreibt: „Only because of their acceptance of the purpose of the Charter and the guarantees therein laid down have the Member States partially limited the scope of their sovereign powers [. . . T]he real reason for the obedience of States Members of the authorities of the Organization is the conformity of the mandates of its competent organs with the text of the Charter.“45
d) Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen, Art. 24 Abs. 2 SVN Der materiell-rechtliche Maßstab, an dem der SR seine Maßnahmen zu messen hat, ergibt sich zunächst generell aus Art. 24 Abs. 2 SVN, der bestimmt, dass „[der SR] bei der Erfüllung dieser Pflichten [. . .] im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen [handelt]“. Der – autoritative – englische Text, in dem es „shall act“ heißt, ist insoweit noch deutlicher. Die genannten Ziele und Grundsätze (purposes and principles) finden ihre Konkretisierung in Kap. I SVN, wenngleich sie auch danach noch „many, ambigious [. . .] conflicting [. . . and] indeterminate“ sind.46 Dies erscheint aber unvermeidlich, wenn man davon ausgeht, dass die Charta die „Verfassung“47 der Organisation aufstellt [wofür viel spricht, 44
Die Übertragung von Souveränitätsrechten der Mitgliedstaaten hat also, wenn überhaupt, nur im Zuge der Annahme der VN-Charta stattgefunden; dazu J. Delbrück, Kommenteierung zu Art. 24, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 12. 45 Judge Bustamente, Dissenting Opinion, ICJ Reports 1962, 304 – Certain Expenses of the United Nations. 46 M. Koskenniemi, The Police in the Temple. Order, Justice and the UN: A Dialectical View, EJIL 6 (1995), 325 (327). 47 Zum Verständnis der Charta als „Verfassung“ siehe B. Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, Columbia J.T.L. 36 (1998), 529 (568 ff.); A. L. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 285 ff.; P.-M. Dupuy, The Constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisited, MPUNYB 1997, 1 ff.
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s. u. 2. g), 3.], denn als solche muss sie bzw. müssen ihre Ziele entwicklungsoffen gestaltet sein, wofür eine gewisse Unbestimmtheit letztlich der Preis ist. Soweit einzelne Grundsätze miteinander im Konflikt stehen, so drückt sich auch darin geradezu ihr Wesenszug als „Verfassung“ aus und steht dies ihrer Anwendbar- und Verbindlichkeit keineswegs im Wege.48 Maßstäbe liefern sie allemal. Nicht zuletzt beurteilten auch die internationalen (ad hoc-)Strafgerichtshöfe ICTY und ICTR die Rechtmäßigkeit ihrer Errichtung durch den SR anhand des „purposes and principles“-Standards.49 aa) Art. 1 Ziff. 1 SVN: Grundsätze der Gerechtigkeit und des Völkerrechts Für den SR ist hier insbesondere Art. 1 Ziff. 1 SVN von Bedeutung, der den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zum Gegenstand hat, die in der Hauptverantwortung des SR liegen. Im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Standard bestimmt dieser Artikel konkret, dass „internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen“ sind. Da der SR ein politisches Organ ist, bedeutet dies nicht, dass die Lösung des Konflikts sich im Wege einer „Rechtsfindung“ ergeben muss. Der SR braucht seine Maßnahmen also nicht unter das Völkerrecht – genauer: das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) – zu „subsumieren“; es gibt aber deren Grenzen vor.50 Denn es widerspräche nicht nur aller Rechtsüberzeugung, sondern auch der Logik des (Völker-)Rechts, wenn die Staaten die Bindungen des (allgemeinen Völker-)Rechts ausschließen könnten, indem sie sich in internationalen Organisationen zusammenschließen.51 Vielfach wird unter Anführung des Wortlauts eingewandt, dass diese Bindung lediglich in Fällen der friedlichen Streitbeilegung gelte (vgl. Art. 1 Ziff. 1 SVN).52 Dies ist zwar richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Denn 48 R. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, 1995, 216: Prinzipien enthalten Optimierungsgebote, die in einem Abwägungsprozess zur jeweils größtmöglichen Entfaltung zu bringen sind, ohne dass sie gleichzeitig vollständig durchzusetzen wären. 49 ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic ´ , IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 29. 50 G. Dahm, Völkerrecht, Bd. 2, 1961, 368. 51 E. de Wet/A. Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, GYIL 45 (2002), 166 (182). 52 So R. Degni-Segui, Commentaire Art. 24, in: J.-P. Cot/A. Pellet, La Charte des Nations Unies, 1985, 462 ff.
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die Verfasser der Charta gingen ersichtlich von der Prämisse aus, dass der SR seine (Sonder-)Befugnisse zur Gewaltanwendung darauf beschränken würde, Fälle von akuter Gewaltanwendung oder Drohung mit Gewalt in den internationalen Beziehungen „prompt“ zu beenden, allein um so die Voraussetzungen für die eigentliche Streitbeilegung auf der Grundlage von Kapitel VI SVN – und damit nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts – zu schaffen.53 Entsprechend kann auch Beschlüssen des SR i. R. v. Kapitel VII SVN nur insoweit Verbindlichkeit zukommen, als sie den behandelten Konflikt einer friedlichen Streitbeilegung offen halten oder wieder zugänglich machen wollen.54 Fasst der SR hingegen Beschlüsse, die die Substanz des Konflikts betreffen („streitinhalts- oder substanzbezogene Beschlüsse“), können diese lediglich die Rechtsnatur von unverbindlichen Empfehlungen haben. Denn auch im Anwendungsbereich von Kapitel VII SVN hat nicht jede Maßnahme automatisch Zwangscharakter. Art. 39 SVN stellt explizit das Instrument der Empfehlung bereit, und auch i. R. v. Art. 40 SVN kann auf sie zurückgegriffen werden.55 Für ein solches restriktives Verständnis spricht umso mehr, je weniger der SR in seiner Zusammensetzung die Staatengemeinschaft repräsentiert. Faktisch indes können auch unverbindliche Beschlüsse genauso wirksam – oder sogar wirksamer sein – als rechtlich zwingende Resolutionen. Insoweit liegt es am SR selbst, sich durch partizipative Verfahren und überzeugende Argumentation Autorität zu verschaffen (s. u. Kap. 7, A.).
53 Siehe die Erklärung des Berichterstatters des I/1-Ausschusses zu den Verhandlungen der Charta: „[. . . T]he Organization should . . . promptly stop any breach of the peace . . . After it, it can preceed to find a just adjustment or settlement of the dispute or situation. When the Organization has used the power given to it and the force at its disposal to stop war, then it can find the latitude to apply the principles of justice and international law . . .“ [zitiert nach N. Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: V. Gowlland-Debbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 71 (78). 54 M. Krökel, Die Bindungswirkung von Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen gegenüber Mitgliedstaaten, 1977, 79 ff. (97). 55 E. Klein, Paralleles Tätigwerden von Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof bei friedensbedrohenden Streitigkeiten, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, FS für H. Mosler, 1983, 467 (477); bei Empfehlungen nach Art. 40 SVN dürfte es hinsichtlich ihrer Rechtsverbindlichkeit auf die Formulierung im Einzelfall ankommen, vgl. J. A. Frowein, Kommentierung zu Art. 40, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 17 ff. (21).
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bb) Art. 1 Ziff. 3 SVN: Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten Auch das in Art. 1 Ziff. 3 SVN zum Ausdruck gebrachte Ziel der VN, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern, ist keineswegs nur als an die Mitgliedstaaten, sondern auch an die Organe der Organisation selbst adressiertes Handlungsgebot zu verstehen. Wenn die VN als internationale Organisation auch nicht unmittelbar aus Menschenrechtsverträgen verpflichtet sind – sie diesen mangels Staatsqualität nicht einmal beitreten können –, sind sie doch insoweit gebunden, als die einzelnen Menschenrechte als Konkretisierung oder „autoritative Interpretation“ der Charta einzustufen und sie Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts geworden sind.56 Außerdem liefe es auf einen Verstoß gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz venire contra factum proprium hinaus, muss es doch als selbstverständlich gelten, dass eine Organisation ihre selbst gesetzten Ziele auch tatsächlich verfolgt und für sich selbst als verbindlich ansieht.57 cc) Art. 2 Ziff. 2 SVN: Prinzip von Treu und Glauben Weiterhin bestimmt Art. 2 Ziff. 2 SVN, dass die Mitglieder die Verpflichtungen, die sie mit der Charta übernehmen, nach Treu und Glauben (bona fides) zu erfüllen haben. Die Charta spricht also wiederum weniger von Rechten bestimmter Mitglieder als vielmehr von Pflichten bzw. Verpflichtungen und betont dadurch den Ursprung jeglicher Befugnisse als von den übrigen Mitgliedstaaten zur Ausübung übertragene Souveränitätsrechte. Aus der in der Charta verankerten „Zweckbestimmung“ ergibt sich somit die Grenze für deren Gebrauch durch die im SR sitzenden „Treuhänder“. dd) Art. 2 Ziff. 7 SVN: Gebot der Nichtintervention Auch aus dem systematischen und teleologischen Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass die Befugnisse des SR zu Zwangsmaßnahmen als Ausnahme vom universellen Gewaltverbot nach Art. 2 Ziff. 4 SVN eng und nur als Mittel zum Zweck der eigentlich friedlichen, nachhaltigen „Streitbeilegung als solcher“ vorgesehen wurden.58 Art. 2 Ziff. 7 SVN beschränkt 56
I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006, 21, siehe http://www.coe.int/t/e/legal_affairs/legal_co-operation/public_international_law/Texts _&_Documents/2006/I. %20Cameron %20Report %2006.pdf [eingesehen am 22.2. 2007]. 57 B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 23.
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die Ausnahme vom Interventionsverbot ebenfalls nur auf Fälle, in denen der SR seine Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII SVN zur Anwendung bringen muss, um ein an Kapitel VI SVN orientiertes Vorgehen überhaupt erst zu ermöglichen. Insofern ist es konsequent, dass die Maßnahmen nach Kapitel VI SVN selbst sehr wohl unter das Interventionsverbot fallen. Das entsprechende Verbot der zwangsweisen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten ist auch in Art. 36 Abs. 3 SVN festgeschrieben. Die Verweisung der Streitparteien auf den IGH ist also nicht ipso iure zuständigkeitsbegründend; selbst unter Kapitel VII SVN kann der SR dies nicht bindend herbeiführen.59 Das heißt allerdings nicht, dass es nicht begrüßenswert wäre, wenn der SR im Streit befindlichen Staaten häufiger empfähle, diesen vor dem IGH beizulegen.60 e) Art. 25, 103 SVN: „Im Einklang mit dieser Charta“/ „Verpflichtungen aus dieser Charta“ Nur vor diesem Hintergrund, dass die (Sonder-)Befugnisse des SR sich darin erschöpfen, der Gewalt effektiv Einhalt zu gebieten, um sodann dem – bestehenden – Völkerrecht zur Durchsetzung zu verhelfen, ist auch die Regelung des Art. 103 SVN zu verstehen (nämlich als Kollisionsregel61). Nicht neuen, (quasi-)judikativ oder legislativ vom SR erzeugten Verpflichtungen soll hier Vorrang gegenüber völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen der VN-Mitgliedstaaten eingeräumt werden, sondern nur denjenigen aus der Charta selbst („their obligations under the present Charter“). Die Betonung liegt auf „present Charter“, und der SR verschafft diesen „preexisting obligations“ insoweit lediglich praktische Wirksamkeit.62 Wie Richter Skubiszewski zutreffend feststellt, ist der IGH im Lockerbie-Fall 58 E. Klein, Paralleles Tätigwerden von Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof bei friedensbedrohenden Streitigkeiten, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, FS für H. Mosler, 1983, 467 (476). 59 A. F. Bauer, Effektivität und Legitimität: die Entwicklung der Friedenssicherung durch Zwang nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung der neueren Praxis des Sicherheitsrats, 1996, 227 ff. 60 So auch die Vorsitzende IGH-Richterin Rosalyn Higgins in der SR-Debatte zum Thema „Strengthening international law: rule of law and maintenance of international peace and security“ am 22.6.2006, SC/8762: „Litigation is not a hostile act“. 61 Ebenso A. L. Paulus, Jus Cogens in a Time of Hegemony and Fragmentation, NJIL 74 (2005), 297 (317 f.); siehe dazu auch unten Kap. 5, III. 4. b) aa) (1) (c). 62 D. W. Bowett, Jucdicial and Political Functions of the Security Council and the International Court of Justice, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 73 (80 ff); a. A. M. Herdegen, Die Befugnisse des UNSicherheitsrates, 1998, 25 ff.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
dem eigentlichen Problem aus dem Weg gegangen, denn „under [Art. 103] nothing can be said on the lawfulness of the Council decision in the light of the Charter, not to speak of general international law“.63 Alles andere liefe darauf hinaus, dem SR einen Blankoscheck auszustellen, indem ihm die Möglichkeit verliehen wäre, den VN-Mitgliedstaaten gänzlich neue Verpflichtungen aufzuerlegen. Die Pflichten aus der Charta sind indes, wie alle (völker-)vertraglichen Pflichten (soweit sie also nicht Völkergewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen entsprechen), Ergebnis eines Verhandlungsprozesses und nur deshalb gegenüber den Staaten wirksam, weil sie sich ihnen freiwillig unterworfen haben, indem sie den entsprechenden Vertrag, hier die Charta, unterzeichnet und ratifiziert haben. Sollen demgegenüber neue Pflichten begründet werden, so ist die Charta einer Revision zu unterziehen, und zwar in dem hierfür vorgesehenen formellen Verfahren nach Kapitel XVIII SVN. Dies entspricht auch Art. 25 SVN, wonach die VN-Mitgliedstaaten nur dazu verpflichtet sind, Beschlüsse des Sicherheitsrats „im Einklang mit dieser Charter“ durchzuführen. Wiederum ist die englische Fassung dieses Textes klarer, indem sie übereinstimmend mit Art. 103 SVN von „decisions of the Security Council in accordance with the p r e s e n t Charter“ (Hervorhebung durch Verf.) spricht. Hieraus ergeben sich auch die Grenzen für Art. 103 SVN, der zwar nicht nur den Bestimmungen der Charta, sondern auch den bindenden Resolutionen des SR Vorrang vor Völkergewohnheitsund -vertragsrecht einräumt.64 Dies kann aber nur für solche Resolutionen gelten, die der SR intra vires erlassen hat. Und im Hinblick darauf ist zu beachten, dass der SR als Exekutivorgan konzipiert ist, er also „Polizist“, nicht aber Richter oder Gesetzgeber ist.65 f) Kapitel VII SVN Das Kapitel VII der Charta enthält die Sonderbefugnisse, von denen der SR zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens Gebrauch machen kann. Ihnen kommt daher besondere Bedeutung zu. Der Anwendungsbereich der Art. 41, 42 SVN („Kapitel VII-Maßnahmen“) ist immer, aber auch nur dann eröffnet, wenn der SR die Feststellung nach Art. 39 SVN 63 K. Skubiszewski, The International Court of Justice and the Security Council, in: V. Lowe/M. Fitzmaurice (Eds.), Fifty years of the International Court of Justice, 1996, 606 (626). 64 Vgl. nur zuletzt den Report of the Study Group of the ILC, Fragmentation of International Law, A/CN.4/L.682/Add.1, Para. 40 vom 2.5.2006. 65 Vgl. K. Harper, Does the United Nations Security Council Have the Competence to Act as a Court and Legislature?, in: NYU J.I.L.P. 27 (1994), 103 (110).
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trifft, dass eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. aa) Voraussetzungen der Art. 39, 41, 42 SVN Nach dem Verständnis der Verfasser der Charta sollte eine Friedensbedrohung oder ein Friedensbruch i. S. d. Art. 39 SVN dann vorliegen, wenn in den internationalen Beziehungen unmittelbar Gewalt angedroht oder angewendet wird. Von der Vielzahl möglicher Gefahren für den Weltfrieden sollte also nur das letzte Stadium, d. h. die akute Gefahr, dass physische Gewalt i. S. d. Art. 2 Ziff. 4 SVN ausbricht, erfasst sein.66 Ein Fall von Gewaltanwendung stellte demnach zugleich ein Fall von Aggression dar, wobei der SR bisher aber noch nie auf dieses Merkmal abgestellt hat.67 Stattdessen rekurriert der SR auf den Begriff des Friedens, der ihm als unbestimmter Rechtsbegriff einen weiten Spielraum eröffnet. In seiner Auslegungspraxis ist der SR immer mehr von einem „negativen“ Friedensverständnis, das durch die Abwesenheit eines gewaltsamen, zwischenstaatlichen Konflikts gekennzeichnet ist, abgerückt, und hat Elemente des „positiven“ Friedensbegriffs zugrunde gelegt, wodurch der Tatbestand seine festen Konturen zunehmend verloren hat. So hat der SR insbesondere seit Ende des Kalten Krieges auch – bzw. mehrheitlich – solche Fälle als Friedensbedrohung i. S. d. Art. 39 SVN angesehen, die lediglich eine innerstaatliche Dimension hatten, indem er auf das diesen Situationen innewohnende Gefährdungspotenzial für die darüber hinausgehende Region abstellte. Später hat er selbst dieses Erfordernis potenzieller internationaler Auswirkungen des innerstaatlichen Konflikts aufgegeben.68 Damit hat der SR sein Eingreifen auf der einen Seite in den präventiven Bereich vorverlagert. Gleichzeitig hat der SR auf der anderen Seite auch die nachgelagerte Regelung von „post-Konflikt“-Situationen an sich gezogen, etwa durch die Errichtung der UN Compensation Commission 66 Siehe die eingehende Darstellung und Auslegung bei J. Arntz, Der Begriff der Friedensbedrohung in Satzung und Praxis der Vereinten Nationen, 1975, 24 ff. (64). 67 Selbst im eindeutigen Fall der Annektion Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990 wurde kein Gebrauch vom Begriff der Aggression gemacht. Dies dürfte durch die unterschiedlichen Auffassungen zur generellen Definition dieses Begriffs begründet sein, denen (macht-)politische Motive zugrunde liegen und bereits i. R. d. Resolution zur Aggressionsdefinition der GV und dann erneut anlässlich der Arbeiten am Statut des IStGH offen zu Tage getreten sind, auch wenn die Definition der GV hier inzwischen in Art. 8 bis Eingang gefunden hat; siehe dazu auch H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 60, Rn. 9 f. 68 Siehe die Entwicklung im Falle Somalias von S/RES/733 (1992) zu S/RES/794 (1992).
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(UNCC), die über Schadensersatzansprüche gegen den Irak nach dessen Einmarsch in Kuwait entscheidet69, oder die Schaffung der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) bzw. Ruanda (ICTR)70, deren Aufgabe es ist, die Beteiligten in den dortigen Konflikten strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Durch dieses Vorgehen sind die Grenzen zwischen Kapitel VI und Kapitel VII der Charta sowie teilweise auch zwischen den Kompetenzbereichen der verschiedenen VN-Organe mehr und mehr verwischt worden.71 Die vorgenannten Beispiele lassen zugleich die Weite der Eingriffsbefugnisse erahnen, die dem SR in den Fällen des Art. 39 SVN (vermeintlich) zur Verfügung stehen. Praktisch am wichtigsten sind zwar die Verhängung von (Wirtschafts-)Sanktionen nach Art. 41 und die Ausübung oder Autorisierung militärischer Gewalt nach Art. 42 SVN. Die dortige Auflistung der Handlungsoptionen ist allerdings nicht abschließend. Davon zeugt die Errichtung der genannten UNCC bzw. ICTY/ICTR, wobei umstritten ist, ob diese tatsächlich noch Ausfluss der Kompetenzen des SR und damit rechtmäßig sind.72 bb) Normativer Rahmen Trotz der geringen normativen Dichte der Eingriffsvoraussetzungen auf der „Tatbestandsseite“ und des gleichzeitig weit gespannten Handlungsermessens auf der „Rechtsfolgenseite“ bewegt sich der SR aber nicht im rechtsfreien Raum.73 IGH-Richter Jennings hat diesen Umstand folgendermaßen ausgedrückt: „[A]ll discretionary powers of decision-making are necessarily derived from the law, and are therefore governed and qualified by the law [. . .]. It is not logically possible to claim to represent the power and authority of the law, and at the same time, claim to be above the law.“74
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S/RES/687 (1991). S/RES/827 (1993); S/RES/955 (1994). 71 H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 60, Rn. 8; dazu unten Kap. 5 und 6. 72 Siehe dazu unten Kap. 5, B. II. 2. a) bb) und C. II. 73 R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (11); M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 9. Anders M. N. Schmitt, Pre-emptive Strategies in International Law, Michigan J.I.L. 24 (2003), 513 (527): „[A] threat to peace is what the Security Council declares as such“. 74 Judge Jennings, Dissenting Opinion, ICJ Reports 1998, 99 (110) – Lockerbie. 70
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(1) „Qualifizierte“ Friedensbedrohung Obgleich dem SR bei der Feststellung einer Friedensbedrohung eine dynamische Auslegung zuzugestehen ist, darf die Anbindung an den ursprünglichen negativen, d. h. engen, Friedensbegriff nicht gänzlich verloren gehen, um wenigstens einen gewissen Handlungsrahmen abzustecken. Daher ist mit Matthias Herdegen zumindest zu fordern, dass dem bedrohten Rechtsgut erstens in den Augen der gesamten Staatengemeinschaft ein hoher Stellenwert zukommt, dass zweitens dessen Gefährdung eine gewisse Intensität aufweist und drittens grenzüberschreitende Auswirkungen von der Situation ausgehen. Viertens schließlich wird eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen den staatlichen Souveränitätsinteressen – d. h.: Souveränitätsgarantien – und den Grundwerten der internationalen Gemeinschaft vorzunehmen sein.75 (2) Allgemeine Rechtsgrundsätze Weiterhin bleibt der SR jedenfalls an die zentralen allgemeinen Rechtsgrundsätze gebunden, d. h. soweit – und zugleich weil – diese sich spezifisch aus der Struktur der internationalen Gemeinschaft ergeben oder für das reibungslose Funktionieren jeder Rechtsordnung schlichtweg unerlässlich sind.76 Namentlich sind dies das Verbot von Willkür sowie das Gebot von Verhältnismäßigkeit. (a) Willkürverbot Der Grundsatz von Treu und Glauben, der – an alle VN-Mitgliedstaaten gerichtet – ausdrücklich in Art. 2 Ziff. 2 SVN verankert ist, verbietet missbräuchliches Verhalten.77 Im konkreten Fall über Kriterien zur Aufnahme neuer Mitglieder in die VN stellte der IGH bereits in einem frühen Gutachten fest, dass der Grundsatz von Treu und Glauben es einem Mitgliedstaat verbiete, seine Stimmenabgabe – selbst in einem politischen Organ, was in der GV zwangsläufig der Fall wäre – von Bedingungen abhängig zu machen, die in keinem inneren Zusammenhang mit Sinn und Zweck der anzu75
M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 16, 23. Vgl. A. F. Bauer, Effektivität und Legitimität: die Entwicklung der Friedenssicherung durch Zwang nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung der neueren Praxis des Sicherheitsrats, 1996, 216; Ausführlich H. Mosler, General Principles of Law, in: R. Bernhardt (Ed.), EPIL, Vol. II, 1995, 511 (511 ff.). 77 W. Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 11, Rn. 20. 76
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wendenden Bestimmung der Charta stünden.78 Es gibt keinen Grund, das darin zum Ausdruck gebrachte Willkürverbot nicht ebenso i. R. v. Kapitel VII SVN als Mindest-Verhaltensstandard für die im SR vertretenen Staaten – und damit praktisch für den SR selbst – anzuwenden.79 Insbesondere seinen Feststellungen nach Art. 39 SVN dürfte der SR danach nur sachgemäße Erwägungen zugrunde legen. (b) Verhältnismäßigkeitsgebot Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet sogar unmittelbar in Kap. VII, Art. 42 SVN eine positiv-rechtliche Ausgestaltung. Dort heißt es: „Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, dass die in Art. 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er [. . . die] erforderlichen Maßnahmen durchführen“ (Hervorhebung durch Verf.). Daraus folgt, dass die Maßnahmen, die dem SR bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 39 SVN als Rechtsfolgen zur Verfügung stehen, streng nach ihrer Verhältnismäßigkeit gestaffelt sind. Zunächst sind möglichst nicht-militärische Maßnahmen zu ergreifen, und erst in einem zumindest gedanklich nachfolgenden Schritt darf es zum Einsatz militärischer Gewalt kommen. Dabei ist auch unter den hiernach in Betracht kommenden Maßnahmen wiederum nach dem jeweiligen Grad ihrer Erforderlichkeit abzustufen.80 cc) Grenze: Einschätzungsprärogative und Prognosespielraum Gleichwohl ist die Feststellung einer Friedensbedrohung und damit die normative Konkretisierung der Eingriffsvoraussetzungen des Art. 39 SVN zuallererst Sache des SR selbst. Bei der Würdigung der Sachverhalte kommen ihm eine Einschätzungsprärogative und ein Prognosespielraum zugute, die erst bei evident fehlerhaften Beurteilungen überschritten sind.81 Die Dogmatik des deutschen Verwaltungsrechts mit ihren Lehren vom unbestimmten Rechtsbegriff, vom Beurteilungsspielraum oder von den Ermes78 ICJ Reports 1949, 57 (63 ff.) – Conditions of Admission of a State to Membership in the United Nations. 79 A. F. Bauer, Effektivität und Legitimität: die Entwicklung der Friedenssicherung durch Zwang nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung der neueren Praxis des Sicherheitsrats, 1996, 229; J. Delbrück, Kommentierung zu Art. 24, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 11. 80 Vgl. J. Delbrück, Staatliche Souveränität und die neue Rolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Verfassung und Recht in Übersee 26 (1993), 6 (20). 81 M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 14 f.
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sensschranken ist auf den SR mangels eines vergleichbaren gerichtlichen „Gegenspielers“ und angesichts der Dimensionen seines Mandats nur schwer übertragbar. Nicht zuletzt würde sich der SR auch kaum in ein solches „Korsett“ zwingen lassen.82 Faktisch von der Anwendung rechtlicher Standards ausgenommen sind zudem die Fälle, in denen die SR-Mitglieder selbst betroffen sind, da sie auf ihr Vetorecht zurückgreifen können (angesichts dieser Ungleichbehandlung wäre es angebracht, wenn die P 5 sich freiwillig gewissen Verhaltensregeln für den Gebrauch ihres Vetorechts unterwürfen, dazu unten, Teil 3, Kap. 8, A.). Praktische Grenzen ergeben sich auch dort, wo der SR – mangels eigener VN-Truppen oder einer Befugnis, Einheiten der Mitgliedstaaten zwangsweise anzufordern – auf die Bereitschaft zur Mitwirkung einzelner Staaten angewiesen ist. Allerdings betrifft dies erst die Umsetzung von Maßnahmen; seiner Pflicht, sich mit einer friedensbedrohenden Angelegenheit zu befassen und bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Mandat zur Friedenswahrung zu erteilen, ist er dadurch nicht entbunden.83 Die internationalen Beziehungen haben sich stetig verrechtlicht, und die öffentliche Meinung verlangt mit immer mehr Nachdruck die Einhaltung bestimmter, einheitlicher Standards. Dies kann für den SR nicht ohne Konsequenzen bleiben, zumal er seinen Aktionsradius, wie gesehen, stark ausgedehnt hat. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Forderung vieler Staaten zumindest nach einer Selbstbindung des SR in den Fällen, in denen er im Rahmen von Kapitel VII die Anwendung von Gewalt autorisiert. Sogar der ehemalige GS Kofi Annan, der an sich bereits aufgrund seines Amtes große Zurückhaltung gegenüber dem SR übte, regte dies in seinem Reformbericht „In larger freedom“ an, indem er dem SR empfahl, eine Resolution zu erlassen, in der er diesbezügliche Prinzipien aufstellen und seine Absicht bekunden möge, diese in seiner Praxis zu befolgen.84 Ein solches Vorgehen brächte ein Mehr an Transparenz und würde die Anwendung doppelter Standards, die die Legitimität von SR-Beschlüssen untergraben, deutlich einschränken. Die Festschreibung von Kriterien hätte dabei je nach Fall82 M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 9, 30 f. Gleichwohl schlägt M. Herdegen die Entwicklung einer „völkerrechtlichen Abwägungslehre“ vor (ebd., S. 24). 83 Anderer Ansicht M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 31, der diese Unterscheidung nicht vornimmt und insoweit eine „Pflicht zu einem konsistenten Verhalten“ verneint. 84 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General, A/59/2005, Para. 122 ff. (126): „[. . .] that the Security Council adopt a resolution setting out [. . .] principles and expressing its intention to be guided by them when deciding whether to authorize or mandate the use of force“.
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gestaltung die Funktion, entweder die militärische Gewaltausübung einzugrenzen oder aber auch, im Gegenteil, die Ergreifung von Maßnahmen herbeizuführen. Letztere Schutzverantwortung (responsibility to protect) war von einer Reihe von Staaten (insb. Kanada) lange angemahnt worden, und es kann als ein Erfolg des Weltgipfels 2005 verbucht werden, dass die Staats- und Regierungschefs sich nunmehr ausdrücklich zu ihrer Geltung bekannt haben.85 Was bleibt, ist diese Verpflichtung nun auch mit Leben zu füllen. g) Ius cogens Einige konzeptionelle Unklarheiten bestehen hinsichtlich der Frage, ob der SR auch an das ius cogens, also an die – jedenfalls für die Staaten – zwingenden völkerrechtlichen Normen86 gebunden ist. Mit Blick darauf, dass die VN-Charta über ihren Ursprung als Organisationsstatut hinaus die Grundlagen der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts schlechthin aufstellt, also materiell durchaus Verfassungsqualität hat87, wird insoweit vertreten, dass kein allgemeines Völkerrecht – und sei es das ius cogens – neben ihr bestehen könne. Diese Aussage kann indes auf zwei gänzlich entgegengesetzte Weisen verstanden werden. Nach dem „exklusiven“ Verständnis sind die Charta und das allgemeine Völkerrecht grundsätzlich zu unterscheiden und kommt ersterer unbedingter Vorrang zu: „[T]he provisions of the UN Charter [. . .] subsume and supervene related principles of customary and general international law. [. . . T]he existence of principles in the UN Charter precludes the possibility that similar rules might exist independently in customary international law.“88
Dies läuft allerdings auf eine das Völkerrecht letztlich reduzierende Wirkung der Charta hinaus. Dagegen ist mit dem hier vertretenen „inklusiven“ Verständnis ein Konflikt zwischen den Rechtsquellen der Charta einerseits und des allgemeinen Völkerrechts andererseits praktisch ausgeschlossen. Denn danach stellt die Charta materiell die „Verfassung“89 der internationa85
Outcome Document, A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Paras. 138, 139. Vgl. die Legaldefinition in Art. 53 Wiener Vertragsrechtskonvention, UN Doc. A/CONF.39/11/Add.2, Official Records 1971, 287 (BGBl. 1985 II, 296); siehe auch P. Reuter, Introduction to the Law of Treaties, 1995, 142–146. 87 So nachdrücklich etwa B. Fassbender, Review Essay – Quis judicabit? The Security Council, Its Powers and Its Legal Control, EJIL 11 (2000), 219 (226); siehe auch bereits oben unter d). Gegen die „Konstitutionalisierungs-These“ u. a. G. Arangio-Ruiz, The „Federal Analogy“ and UN Charter Interpretation: A Crucial Issue, EJIL 8 (1997), 1 (1 ff.). 88 Vertreter der US-Regierung im Nicaragua-Fall, ICJ Reports 1986, 14 (93). 86
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len Gemeinschaft dar und sie umfasst insoweit das allgemeine Völkerrecht und das ius cogens in ihrem jeweiligen Bestand. Diese bilden das substanzielle Fundament der Charta, wäre doch ansonsten die Charta nicht die Charta – im Sinne einer die grundlegenden Prinzipien aufstellenden Verfassung – und das ius cogens nicht das ius cogens – im Sinne des ordre public der internationalen Ordnung.90 Zwar findet sich nicht jeder Rechtssatz ausdrücklich in der Charta wieder. Das aber ist gerade ihrem Status und ihrer Funktion als Verfassung geschuldet, der ein Mindestmaß an Dynamik und Entwicklungsoffenheit verbleiben muss. Mag die VN-Charta auch dem Begriff des ius cogens zeitlich vorausgehen; das gedankliche und rechtswirksame Konzept nicht-dispositiven Rechts („Naturrechts“) reicht bis zu den Anfängen des Rechts überhaupt zurück.91 Es gilt unabhängig von seiner ausdrücklichen Benennung. Und selbst wenn das ius cogens „specifically“ an Staaten gerichtet ist92, so leitet sich dies in erster Linie aus seiner Positivierung in der Wiener Vertragsrechtskonvention ab. Es sagt mehr über die ursprüngliche Funktion des Völkerrechts als reinem Koordinationsrecht zwischen souveränen Staaten aus als über die Geltung des ius cogens in der heutigen internationalen Ordnung, in der sowohl der Kreis der Völkerrechtssubjekte erweitert worden ist als auch deren Beziehungen untereinander eine zunehmende Verrechtlichung erfahren haben. Damit ist das ius cogens keineswegs mehr „specifically“ im Sinne von „exclusively“ an die Staaten gerichtet, sondern an alle Völkerrechtssubjekte, also auch die internationalen Organisationen sowie deren Organe. Nicht zuletzt gilt auch hier der Grundsatz nemo plus juris transferre potest quam ipse habet.93 Damit findet das ius cogens als Rechtmäßigkeitsmaßstab Anwendung auch auf die Resolutionen des SR94; es begrenzt insofern deren Bindungswirkung.95 89
Insbesondere B. Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, 36 Columia J.T.L. (1998), 529 (529 ff.). Gegen die „Konstitutionalisierungs-These“: G. Arangio-Ruiz, The „Federal Analogy“ and UN Charter Interpretation: A Crucial Issue, EJIL 8 (1997), 1 (1 ff.). 90 Vgl. J. A. Frowein, Jus Cogens, in: R. Bernhardt (Ed.), EPIL, Vol. III, 1997, 65 (66). 91 J. Puente Egido, Natural Law, in: R. Bernhardt (Ed.), EPIL, Vol. III, 1997, 515 (518): „The appearance of the concept of ius cogens in international law may signify the unavoidable introduction of a category of ‚natural law‘“. 92 Diesen Einwand macht geltend B. Fassbender, Review Essay – Quis judicabit? The Security Council, Its Powers and Its Legal Control, EJIL 11 (2000), 219 (226). 93 N. Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: V. GowllandDebbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 71 (75). 94 So die h. M. in der Völkerrechtswissenschaft und -praxis, siehe nur K. Doehring, Unlawful Resolutions of the Security Council and their Legal Consequences, MPUNYB 1 (1997), 91 (99). M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates,
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Eine Ausnahme gilt einzig hinsichtlich des Gewaltverbots, das nicht nur in Art. 2 Ziff. 4 SVN positiviert ist, sondern auch dem ius cogens zuzurechnen ist.96 Alles andere wäre mit dem Konzept der kollektiven Sicherheit unvereinbar, das der Charta zugrunde liegt. Denn Kapitel VII-Maßnahmen zur Wahrung bzw. Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit, zu denen der SR ausdrücklich ermächtigt ist, setzen die potenzielle Anwendung von Gewalt gerade voraus. Hans Kelsen brachte dies folgendermaßen auf den Punkt: „The purpose of the enforcement action under Art. 39 is not to maintain or restore the law but to maintain or restore the peace [. . .].“97
Gleichwohl handelt der SR – wie gesehen – auch hier nicht im rechtsfreien Raum, sondern es gelten weiterhin das Willkürverbot sowie das Gebot der Verhältnismäßigkeit als allgemeine Rechtsgrundsätze. 3. Satzungsrechtlicher Kompetenzrahmen
Schließlich ist der SR – wie alle anderen VN-Organe – an den Aufgabenund Kompetenzrahmen der Charta gebunden.98 Unabhängig davon, ob man die Charta nun lediglich als multilateralen Vertrag „mit konstitutioneller Natur“99 oder als „echte“ Verfassung100 ansieht, was letztlich mehr eine Frage der Definition ist, sind in ihr verfassungstypisch zum einen die Ziele und Grundsätze der Organisation verankert und zum anderen die Organe benannt, durch die die Organisation handelt, die also mit der Verwirklichung jener Ziele und Grundsätze betraut sind. Nach dem ICTY stellt die Charta einen Vertrag dar, der einen „konstitutionellen Rahmen“ vorgibt, in den der SR sich einfügt und dessen „konstitutionellen Begrenzungen“ er 1998, 27 begründet die Bindung des SR an das ius cogens damit, dass die Regelungskompetenzen des SR ebenso wie die von ihm begründeten Verpflichtungen der Staaten vertraglicher Natur sind. 95 Siehe A. L. Paulus, Jus Cogens in a Time of Hegemony and Fragmentation, NJIL 74 (2005), 297 (317), m. w. N. in Fn. 73 hinsichtlich der „leading commentaries“, die in die gleiche Richtung deuten. Verträge, die gegen ius cogens verstoßen, sind gem. Art. 53 WVK nichtig. 96 B. Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, EJIL 10 (1999), 517 (546). 97 H. Kelsen, The Law of the United Nations, 1951, 294. 98 J. Delbrück, Kommentierung zu Art. 24, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 11. 99 K. Skubiszewski, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charter, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, FS für H. Mosler, 1983, 891 (893): „the constitutional nature of the treaty“. 100 B. Fassbender, The United Nations Charter as Constitution of the International Community, 36 Columbia J.T.L. (1998), 529 (529 ff.).
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unterworfen ist.101 Zwar ist es in erster Linie der SR selbst, der die hierdurch gezogenen Grenzen in der Praxis im konkreten Einzelfall zu bestimmen hat.102 Gleichwohl darf er trotz seines Wesens als politisches Organ und bei aller „Priorität des Politischen“103 seine Entscheidungen nicht auf der Grundlage rein politischer Erwägungen und ohne Rücksicht auf die anderen Organe treffen. a) Kompetenz- bzw. Funktionsverteilung und Gebot der Organtreue Kompetenzen beinhalten öffentlich-rechtliche Rechtsmacht und bilden die Voraussetzung für die Ausübung von Hoheitsgewalt.104 Die Kompetenzen, die den VN-Organen jeweils verliehen sind, sollen ihnen ermöglichen, ihre Funktion, die Aufgaben der Organisation der VN wahrzunehmen, zu erfüllen.105 Die Charta hat allerdings keine trennscharfe Kompetenz- oder Funktionsverteilung in dem Sinne vorgenommen, dass sich jeweils nur ein einziges Organ mit einer bestimmten Angelegenheit befassen dürfte und zu diesbezüglichem Handeln befugt wäre. Eine solche Regelung gibt es genau genommen nur in Art. 12 SVN, der dem SR für seinen Aufgabenbereich der Wahrung von Frieden und Sicherheit Vorrang gegenüber der GV einräumt. In allen anderen Fällen ist das Verhältnis zwischen den Organen dadurch gekennzeichnet, dass keines von ihnen ausschließlich zuständig ist, sondern alle parallel zueinander tätig werden können.106 Zur Erreichung der Organisationsziele ist eine solche Bündelung der Kapazitäten unerlässlich.107
101 ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic ´ , IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 28: „constitutional limitations“. 102 Nach dem IGH gilt, dass „each organ must, in the first place at least, determine its own jurisdiction“, siehe ICJ Reports 1962, 151 (168) – Certain Expenses of the United Nations. 103 J. Delbrück, Kommentierung zu Art. 24, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 4. 104 M. Nettesheim, Kompetenzen, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 415 (416). 105 Der IGH spricht von davon, dass die VN-Organe ihre Handlungen vornehmen müssen „in conformity with the divisions of functions among the several organs which the Charta prescribes“, siehe ICJ Reports 1962, 151 (168) – Certain Expenses of the United Nations. 106 B. Fassbender, Review Essay – Quis judicabit? The Security Council, Its Powers and Its Legal Control, EJIL 11 (2000), 219 (223). 107 E. Klein, Paralleles Tätigwerden von Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof bei friedensbedrohenden Streitigkeiten, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, FS für H. Mosler, 1983, 467 (468, 482).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
In Verbindung mit der prinzipiellen Gleichrangigkeit aller sechs Hauptorgane der VN nach Art. 7 SVN folgt daraus zugleich ihre gegenseitige Verpflichtung, zu kooperieren und die Grenzen ihrer jeweiligen Kompetenzbereiche zu respektieren. Also hat auch der SR, ungeachtet seiner Hauptverantwortung für Frieden und Sicherheit, mit den anderen Organen zusammenzuwirken. Das Gebot der Organtreue ist demnach nicht lediglich eine unverbindliche Maxime oder eine Frage des politischen Stils, sondern stellt ein substanzielles Rechtsgebot dar.108 b) Terminologie von (quasi-)exekutivem, legislativem und judikativem Handeln und Gewaltenteilung Das klassische staatsrechtliche Verständnis von der Gewaltenteilung ist auf die Organe einer internationalen Organisation wie die VN nicht „1:1“ übertragbar.109 Die Unterscheidung von Exekutive, Legislative und Judikative basiert auf der Idee der Teilung der öffentlichen Gewalt im (National-)Staat, die von Montesquieu begründet wurde und grundlegendes Organisationsprinzip moderner demokratischer Verfassungen sowie konstitutives Merkmal des Rechtsstaats geworden ist.110 Die ratio, die dem Prinzip der Gewaltenteilung zugrunde liegt, erscheint mit Andrea Bianchi indes recht einfach und universell und kommt auch hier zum Tragen: „[I]f one takes the doctrine of separation of powers and its ancillary concept of checks and balances not as constitutional law doctrines grounded in any particular domestic system, but rather as concepts related to an area of political thought with much wider connotations, their inspiring motif and underlying policy rationales are fairly simple: power must not be concentrated in one entity and must be subject to some control. This intuitive representation of the concept makes its transposition into the international legal system a plausible interpretive paradigm.“111 108
E. Klein, Paralleles Tätigwerden von Sicherheitsrat und Internationalem Gerichtshof bei friedensbedrohenden Streitigkeiten, in: R. Bernhardt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung, FS für H. Mosler, 1983, 467 (468, 482). 109 ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic ´ , IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 43: „[. . . T]he constitutional structure of the United Nations does not follow the division of powers often found in national constitutions.“ Siehe auch oben, 2. g). Weniger einschränkend: E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 109 ff. 110 C. de Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748. 111 A. Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Antiterrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006), 881 (911). Ähnlich M. Happold, Security Council Resolution 1373 and the Constitution of the United Nations, LJIL 16 (2003), 593 (595).
Kap. 4: Hintergrund und Parameter der Untersuchung
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Die öffentliche Gewalt darf also nicht in einem einzelnen Organ konzentriert und frei von jeglicher Kontrolle sein. In den VN ist die von den Mitgliedstaaten übertragene öffentliche Gewalt funktionell auf die verschiedenen VN-Organe verteilt, so dass sich insoweit „quasi“-vergleichbare Kategorien ergeben. Die Verwendung der Begriffe Exekutive, Legislative und Judikative auch im Kontext der VN entspricht weit verbreiteter Übung.112 Der SR nimmt danach die Exekutiv-, die GV die Legislativ- und der IGH die Judikativfunktion wahr.113 Allerdings bedingt der Unterschied zwischen einem Staatswesen und einer internationalen Organisation wesentliche Einschränkungen: Weder die GV noch der SR oder irgendein anderes Organ ist ermächtigt, auf völkerrechtlicher Ebene für alle Staaten legislativ tätig zu werden. Zwar kann der SR allgemein-verbindliche Beschlüsse fassen; dazu ist er aber nur ausnahmsweise im Anwendungsbereich von Art. 39 SVN, d. h. in Situationen befugt, in denen der Frieden oder die internationale Sicherheit bedroht ist. Die GV ist zwar im Gegensatz zum SR ausdrücklich mit der Weiterentwicklung des Völkerrechts beauftragt und auch repräsentativ besetzt. Sie bildet aber letztlich nur das Forum, in dem die Staaten selbständig Abkommen aushandeln und souverän entscheiden, ob und ggf. unter welchen Vorbehalten sie sich ihnen unterwerfen. Ebenso wenig gibt es innerhalb der VN – und generell im Völkerrecht – eine zentrale Exekutive. Wiederum ist es allein der SR, der einzelnen Staaten gem. Art. 24 f. bzw. im Rahmen von Kap. VII SVN verbindliche Vorgaben machen kann.114 Allerdings verfügt er über keine eigenen Vollstreckungsorgane, sondern ist darauf angewiesen, dass einzelne Staaten sich bereit erklären, diese Vorgaben – mit seiner Autorisierung – durchzusetzen. Schließlich kennen die VN und das Völkerrecht insgesamt auch keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Stattdessen ist der IGH nur dann zuständig, wenn die Staaten sich seiner Jurisdiktion ausdrücklich unterworfen haben. Und selbst dann gibt es – zumindest gegen mächtige Staaten – kein Mittel, sie zur Befolgung der Urteile zu zwingen, wie etwa das Verfahren Nicaragua vs. USA aus den 1980er Jahren gezeigt hat.115 Der IGH ist auch kein „Verfassungsgericht“, das organisationsrecht112 Siehe nur J. Delbrück, Kommentierung zu Art. 24, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991; P.-M. Dupuy, The Constitutional Dimension of the Charter of the United Nations Revisited, MPUNYB 1 (1997), 1 (21 f.); Bericht der österreichischen Rechtsstaatlichkeits-Initiative, The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008, S. 1. 113 Dazu ausführlich N. D. White, The United Nations System: toward international justice, 2002 und oben, Kap. 2, B. 114 Zum Verhältnis von Art. 24 f. zu Kapitel VII SVN siehe den Special Research Report Security Council Action under Chapter VII: Myths and Realities der Security Council Report-Initiative vom 23.6.2008 [erhältlich unter http://www.securitycoun cilreport.org [eingesehen am 28.6.2008].
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
liche Streitigkeiten entscheidet und somit eine Kontrolle über die Teilung und Wahrnehmung der öffentlichen Gewalt ausübt, sondern kann hierzu lediglich auf Verlangen der GV oder des SR unverbindliche Rechtsgutachten erstatten. c) Implied powers Zur effektiven Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben sind die VNOrgane über den „sichtbaren“ Wortlaut der Charta hinaus mit „verdeckt mitgeschriebenen“, implizierten Kompetenzen (implied powers) ausgestattet.116 Für die VN als Organisation stellte der IGH die Geltung der implied powersLehre erstmals in seinem Rechtgutachten zu „Reparations for injuries“ aus dem Jahr 1949 fest.117 Im Hinblick auf die Errichtung des Verwaltungsgerichts der Vereinten Nationen sprach er im Jahr 1955 eine solche implizierte Kompetenz ausdrücklich auch der GV zu.118 Diese implied powers müssen aber – dies verlangt das Gebot gegenseitiger Loyalität und Rücksichtnahme, das Grundlage jedes verfassungsmäßigen Systems ist – ebenso wie die explizit zugewiesenen Kompetenzen dort ihre Grenze finden, wo die Kompetenz- bzw. Funktionsbereiche der anderen Organe beginnen.
d) Kompetenzüberschreitungen Kompetenzen können auf verschiedene Weisen überschritten werden: Vertikale Kompetenzüberschreitungen liegen vor, wenn eine internationale Organisation ihre Verbandskompetenz gegenüber den Mitgliedstaaten überschreitet; horizontale Kompetenzüberschreitungen sind Verstöße gegen die Zuordnung der Kompetenzen innerhalb einer Organisation, wenn also ein Organ seine (Organ-)Kompetenz im Verhältnis zu einem anderen Organ überschreitet. Nach anglo-amerikanischem Kompetenzverständnis handelt ein Organ sowohl dann kompetenzwidrig, wenn es unzuständig ist (ultra vires im engeren Sinne), als auch dann, wenn ein Akt andererweitig formell oder materiell rechtswidrig ist (ultra vires im weiteren Sinne); danach besteht also 115
Zu alledem s. o., Teil 1, Kap. 2, B. sowie J. Dugard, International Law, 2000,
2 ff. 116 N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 362 ff. (Fn. 1370) m. w. N. aus der Völkerrechtslehre. 117 ICJ Reports 1949, 174 (182), Advisory Opinion – Reparations for Injuries suffered in the Service of the United Nations. 118 ICJ Reports 1954, 46 (57), Advisory Opinion – Effects of Awards of Compensation made by the United Nations Administrative Tribunal.
Kap. 4: Hintergrund und Parameter der Untersuchung
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von vornherein keine Kompetenz zur Setzung rechtswidriger Akte.119 Im kontinental-europäischen Rechtsdenken wird dagegen zwischen Kompetenz, d. h. dem Tätigwerden als solchem, und Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des konkreten Handelns unterschieden. Die rechtswidrige Ausübung zugewiesener Kompetenzen gilt danach nicht als ultra vires-Handeln.120 Es geht hierbei zunächst um die Rechte der Staaten. Als originäre Völkerrechtssubjekte haben die Staaten die Organisation der VN überhaupt erst hervorgebracht und stellen sie deren souveräne Mitgliedschaft. Die Staatenrechte sind unmittelbar verletzt, wenn die VN jenseits der ihnen zugewiesenen (Verbands-)Kompetenzen handeln. Überschreitet ein Organ seine Organ-, nicht aber die Verbandskompetenzen, sind die Staaten insoweit mittelbar betroffen, als die Organkompetenzen Ausdruck der staatlichen Mitwirkungsrechte sind. Neben den Staaten sind auch die Rechte nicht-staatlicher Akteure berührt, insbesondere der einzelnen Menschen, die letztlich die Adressaten jeglicher öffentlicher Gewalt sind und gleichzeitig als „natürliche Rechtsträger“ den Gebrauch öffentlicher Gewalt einzig zu legitimieren vermögen. III. Kontrolle sowie Folgen kompetenz- und rechtswidrigen Handelns Abschließend ist zu klären, auf welche Weise kontrolliert wird, ob der SR im Rahmen der dargestellten rechtlichen Bindungen handelt und welche Rechtsfolgen etwaige Verstöße auslösen. 1. Kontrolle
Eine gerichtliche Kontrolle von Resolutionen des SR erfolgt nach dem status quo lediglich in Ausnahmefällen und nur inzident. Während der IGH in seiner Lockerbie-Entscheidung noch bei einer dementsprechenden Ankündigung blieb, nahm der ICTY in seiner Berufungsentscheidung im Fall Tadic´ tatsächlich erstmals die Überprüfung einer SR-Resolution auf ihre Rechtmäßigkeit hin vor.121 Im Regelfall hingegen ist und bleibt es der 119 F. C. Mayer, Die drei Dimensionen der Europäischen Kompetenzdebatte, ZaöRV 61 (2001), 577 (593). 120 H. Kube, Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, 2004, 572 ff. 121 ICJ Reports 1998, 99 (110) – Lockerbie; ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic´, IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 21: „. . . examination of the legality of the decisions of other organs as a matter of ‚incidental‘ jurisdiction . . .“; dazu J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), 257 (273).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Einschätzung des SR selbst überlassen, über die Grenzen seiner Zuständigkeit und Handlungsbefugnisse zu befinden. Den betroffenen Mitgliedstaaten und VN-Organen bleibt mangels eines besonderen Kontrollorgans insofern lediglich, Überschreitungen zurückzuweisen und unter Umständen nicht zu befolgen. Für eine autoritative Entscheidung wäre neben dem IGH unter dem Gesichtspunkt politischer Legitimität insbesondere die repräsentativ besetzte GV geeignet. Dies gilt umso mehr, als die anderen Organe ihr gegenüber ohnehin Berichtspflichten unterliegen. Im Zweifelsfall könnte sie außerdem die Rechtsmeinung des IGH im Wege des Art. 96 SVN einholen.122 Insgesamt überwiegen in der Praxis allerdings bloße politische Opportunitätserwägungen gegenüber rechtlichen Bewertungen. Dies ist mit dem heutigen Status der VN wie auch des Völkerrechts kaum mehr vereinbar (dazu unten Teil 3, Kap. 7, C.). Dennoch ist aus dem Fehlen einer institutionalisierten und obligatorischen Rechtskontrolle nicht zu schließen, dass damit auch die rechtliche Bindung selbst entfiele.123 Schon 1945 erklärte Judge Robert H. Jackson, der spätere US-Chefankläger beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal: „The fact that a principle of international law does not readily translate into a court mandate, with an executive power committed faithfully to execute it, does not mean that it may with impunity be violated.“
An die hier aufgestellten Maßstäbe sind und bleiben die Träger öffentlicher Gewalt und damit auch die Organe internationaler Organisationen, inbesondere der SR, demnach in jedem Fall gebunden, auch wenn die Befolgung derzeit nur in einer Art (häufig vergeblicher) „Selbstdisziplinierung“ erfolgt.124 Denn keine Ausübung öffentlicher Gewalt darf außerhalb und über dem Recht stehen. 2. Rechtsfolgen
Überschreitet ein Organ seine Kompetenzen, weil entweder schon keine Verbandskompetenz gegeben ist oder die tatsächlichen Voraussetzungen – die „Wahrnehmungsbedingungen“125 – der Organkompetenz nicht vorliegen 122
N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 391 ff. Rede erhältlich unter http://www.roberthjackson.org/Man/theman2-7-7-1/ [eingesehen am 24.7.2008]. 124 Th. M. Franck, Fairness and international law and institutions, Oxford 1995, 218 ff. spricht in diesem Zusammenhang von „bona fides“, K. Doehring, Unlawful Resolutions of the Security Council and their Legal Consequences, MPUNYB 1 (1997), 91 (109) von „mutual loyalty“. 125 M. Nettesheim, Kompetenzen, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 415 (417). 123
Kap. 4: Hintergrund und Parameter der Untersuchung
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bzw. das konkrete Handeln nicht vom Umfang der Rechtsmacht gedeckt ist, so handelt es rechtswidrig. Unwirksam – mit der Folge, dass für die Staaten die Befolgungspflicht entfällt – ist der Akt aber auch bei Überschreitung der Verbandskompetenz aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann, wenn er mit einem besonders schweren und offenkundigen Fehler behaftet ist. Dies ist lediglich in absoluten Ausnahmefällen anzunehmen, da die Bestimmung der Kompetenzverteilung zumeist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und daher regelmäßig nicht offenkundig ist.126 Auch wenn innerhalb der Verbandskompetenzen ein unzuständiges Organ handelt, ist der Akt nicht per se unwirksam.127 Ist ein Organ temporär handlungsunfähig, kann etwa auch daran gedacht werden, dass ein anderes Organ dessen Kompetenzen im Sinne eines Notstands ersatzweise ausübt, um eine Funktionsstörung der Organisation zu verhindern.128 Ein Anwendungsfall hierfür ist der Uniting for Peace-Beschluss der GV, wobei zu berücksichtigen ist, dass die GV aufgrund ihrer prinzipiellen Allzuständigkeit durchaus auch über eigene Kompetenzen im Bereich der Friedenssicherung verfügt. Gleichzeitig ist die GV darauf beschränkt, Kollektivmaßnahmen lediglich zu empfehlen. Eine Anordnung von Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII SVN wäre hingegen unzulässig und unwirksam. Die Organe können also nur unter bestimmten Umständen und Bedingungen von der Verteilung der Kompetenzen innerhalb der Organisation abweichen. Danach bleibt festzuhalten, dass auch ein kompetenz- oder rechtswidrig vorgenommener Rechtsakt – sofern er nicht offenkundig und schwer fehlerhaft ist – trotz seiner Anfechtbarkeit wirksam bleibt, bis entweder das Organ selbst ihn durch einen actus contrarius beseitigt oder seine Unwirksamkeit festgestellt wird. Allerdings ist offen, wer eine solche Feststellung verbindlich treffen kann. Selbst wenn der IGH in einem Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass ein Akt manifest rechtwidrig ist, kann er ihn nicht rechtsgestaltend aufheben oder für nichtig erklären, sondern muss die Entscheidung über die Rechtsfolgen wiederum den politischen Organen überlassen.129 126
C. Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, 1998, 81 ff. (90). 127 In seinem Gutachten zu Certain Expenses of the United Nations bejahte der IGH die Möglichkeit einer Bindung trotz ultra vires-Handelns ausdrücklich, siehe ICJ Reports 1962, 151 (168) – „Both national and international law contemplate cases in which the body corporate or politic may be bound, as to third parties, by an ultra vires act of an agent“. 128 N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 391 ff. (420 ff.). 129 N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 391 ff. (420 ff.).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Immerhin können in diesem Fall die Staaten oder Organe, an die der Akt addressiert ist und die ihn nicht befolgen wollen, die Autorität des IGH für sich in Anspruch nehmen, so dass sie vor Sanktionen sicher sein dürften. In der Praxis stellt es allerdings die Ausnahme dar, dass die GV – und erst recht der SR – Gutachten vom IGH einholen. Folglich müssen die Staaten oder Organe, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Aktes haben, auf eigene Verantwortung handeln, wenn sie diesen nicht befolgen („staatlicher Ungehorsam“). Da sie das hiermit verbundene Risiko, ihrerseits als Rechtsbrecher behandelt zu werden, zumindest im Hinblick auf Kap. VII-Resolutionen des SR scheuen, bleiben diese Resolutionen, auch wenn sie kompetenz- oder rechtswidrig ergangen sind, bislang nicht nur wirksam, sondern werden auch – mehr oder weniger – befolgt (dazu im Folgenden Kap. 5 und 6). Dies ist für eine Organisation wie die VN, die die Herrschaft des Rechts propagiert, ein nicht hinnehmbarer Zustand (siehe Kap. 7 für entsprechende Reformvorschläge).
Kapitel 5
Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten und nicht-staatlichen Akteuren (Privaten) Während die Staaten als originäre Völkerrechtssubjekte mit einer unbeschränkten rechtlichen Kapazität in den internationalen Beziehungen agieren, ist Privaten nur allmählich ein partieller völkerrechtlicher Status, insbesondere im Bereich der Menschenrechte, zuerkannt worden. Im „Anti-Terror-Krieg“ zielen nunmehr allerdings völkerrechtliche Zwangsmaßnahmen, die weiterhin auf Staaten zugeschnitten sind, unmittelbar auf Private ab. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, dass der SR seine Handlungen in alle drei Funktionsbereiche der öffentlichen Gewalt, also von der Exekutive (A.) über die Legislative (B.) bis hin zur Judikative (C.), ausgedehnt hat (zu diesen Begrifflichkeiten im vorliegenden Kontext s. o., Kap. 4, B. II. 3.). Damit haben zum einen das Ausmaß und der Grad, in denen der SR in Bereiche staatlicher Souveränität eindringt, eine neue Dimension erreicht. Zum anderen hat der SR nun praktisch unmittelbar in die Freiheitssphäre des Einzelnen eingegriffen. Zwar sind formal noch immer die Staaten „zwischengeschaltet“. Mangels Umsetzungsspielräumen entfalten die Maßnahmen des SR aber Auswirkungen, die einem „Durchgriff“ gleichkommen und somit einen supra-nationalen Charakter aufweisen, der in der Charta nicht angelegt ist. Dies wirft erhebliche rechtliche und legitimatorische Probleme auf.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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A. Exekutive Maßnahmen des Sicherheitsrats Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 machen die USA nicht nur ihr völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht gegen private Terroristen geltend, sondern sie sind mit dem „Anti-Terror-Krieg“ auch in einen Quasi„Krieg“ gegen sie eingetreten. Damit ist nicht-staatlichen Akteuren praktisch die Rolle einer Kriegspartei zugewiesen worden und haben diese einen Status eingenommen, den nach traditioneller völkerrechtlicher Konzeption in der Regel nur Staaten innehaben können bzw. konnten.130 Wenngleich die beschriebene Asymmetrie und Privatisierung des Krieges einige konzeptionelle Neuordnungen verlangen mag, haben diese tatsächlichen Reaktionen insbesondere auf das Terrornetzwerk von Al-Qaida eine Reihe schwerwiegender Probleme aufgeworfen. Implizit ist hierdurch der Kreis der Völkerrechtssubjekte um terroristische Organisationen erweitert und die traditionelle völkerrechtliche Abgrenzung zwischen Krieg (bewaffnetem Konflikt) und Kriminalität bzw. zwischen Anwendung des humanitären Völkerrechts und den Bürgerrechten verwischt worden. Folge der Zuerkennung eines völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts gegen nicht-staatlich organisierte Terroristen durch den SR wäre, dass damit kriminellen Privaten eine staatliche Armee entgegengestellt würde, die innerhalb eines kriegsrechtlichen Sonderregimes agierte. Dem im Kriegsfalle anwendbaren humanitären Völkerrecht liegt aber die Prämisse zugrunde, dass sich Staaten (oder gleichgestellte Einheiten) – und nicht Staat und private Individuen bzw. Gruppen – gegenüber stehen. Hieraus wiederum folgt, dass den gegnerischen Kämpfern als „Kombattanten“ grundlegende Bürger- und Menschenrechte versagt würden – und tatsächlich werden. Aber auch die Schutzstandards des humanitären Völkerrechts, die dann an sich einschlägig wären, kommen nicht zur Anwendung, weil den Terroristen als „feindlichen“ bzw. „ungesetzlichen“ Kombattanten nicht die aus dem Kombattantenstatus fließenden Privilegien zugestanden werden. Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, inwieweit im „Anti-Terror-Krieg“ die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 SVN sowie des kriegsrechtlichen Ausnahmeregimes zulässig ist (II.). Während der SR sich in diesen Fragen in großer Zurückhaltung geübt und den Staaten (insb. den USA) weitgehend freie Hand gelassen hat, statt 130 In jüngerer Zeit auch Völker in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts, vgl. Art. 1 Abs. 4 i. V. m. Art. 96 Abs. 3 Zusatzprotokoll I von 1977 zu den Genfer Konventionen von 1949. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine Reihe von Staaten – darunter die USA – dem ZP I bislang nicht beigetreten ist und diese Erstreckung des „Genfer Rechts“ auf Völker auch nicht Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist, siehe K. Ipsen, Bewaffneter Konflikt und Neutralität, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 16. Kapitel, § 66, Rn. 15 ff.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
selbst exekutiv tätig zu werden, indem er militärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 SVN ergriffen bzw. autorisiert hätte, ist er im Bereich der nicht-militärischen Zwangsmaßnahmen nach Art. 41 SVN mit eigenen Aktivitäten in neue Dimensionen vorgedrungen. Indem er nämlich Sanktionen unmittelbar gegen Individuen, die (angeblich) mit Al-Qaida oder den Taliban in Verbindung stehen, verhängt hat, sind die Betroffenen einem auf Staaten ausgelegten völkerrechtlichen Sanktionsregime ausgesetzt, das in grundlegende Menschen- und Bürgerrechte eingreift, ohne dass es entsprechende Rechtsschutzmöglichkeiten vorsieht (dazu III.). Vorweg seien zunächst einige Anmerkungen zum gegenwärtigen Status nicht-staatlicher Akteure im Völkerrecht gemacht (I.), um die aktuellen Veränderungen besser einordnen zu können. I. Erweiterung des Adressatenkreises völkerrechtlicher Rechte und Pflichten: Private, nicht-staatliche Akteure neben den Staaten als Subjekte des Völkerrechts Seit dem Westfälischen Frieden von 1648, als die Ordnungsgrundsätze des neuzeitlichen Systems der Nationalstaaten festgelegt wurden, ist das „moderne Völkerrecht“ (das zu jener Zeit freilich über den Stand eines ius publicum Europaeum nicht hinauskam) darauf zugeschnitten, die Beziehungen zwischen eben diesen Staaten zu regeln.131 Obgleich bis heute auch nur diese als originäre und unbeschränkte Völkerrechtssubjekte gelten, hat das Völkerrecht doch stets Anpassungen an die tatsächlichen Verhältnisse vollzogen. Nicht nur ist das traditionell koordinationsrechtlich geprägte Völkerrecht in weiten Zügen einer „kooperativen“ Völkerrechtsordnung gewichen132 – wenngleich sie in den vergangenen Jahren hegemonialen Vereinnahmungen ausgesetzt gewesen ist.133 Auch die einzelnen Menschen, die immerhin den eigentlichen Anknüpfungspunkt für jegliches (auch zwischen-)staatliche Handeln darstellen, sind nach und nach immer stärker in die Entwicklung der internationalen Beziehungen eingebunden worden. Ihr zunächst bloß faktischer Status hat sich dabei zunehmend verrechtlicht.134 Ausgehend vom Fremdenrecht, das den Einzelnen noch gänzlich als durch den Staat mediatisiert ansah, hat sich der Menschenrechtsschutz seither in131 J. Dugard, International Law, 2000, 12: „International law of this time was in reality an international law of Christian Europe.“ 132 A. von Bogdandy, Demokratie, Globalisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 63 (2003), 853 (853 ff.). 133 G. Nolte, Die USA und das Völkerrecht, Die Friedens-Warte 78 (2003), 119 (137, 139). 134 Siehe zur Entwicklung des Völkerrechts im Hinblick auf das Individuum K. Doehring, Völkerrecht, 2004, Rn. 243 ff.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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ternationalisiert und subjektiviert.135 Diese Entwicklung hat sich zunächst – noch mehr mittelbar – durch das humanitäre Völkerrecht vollzogen, dann aber auch unmittelbar durch die individualrechtlichen Verbürgungen der internationalen und insbesondere regionalen Menschenrechtspakte.136 Hierdurch ist teilweise lediglich bereits bestehendes Völkergewohnheitsrecht kodifiziert worden. Darüber hinaus sind einzelne Menschenrechte aber auch ihrerseits zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt.137 Gewissermaßen die Kehrseite dieser Rechtsstellung ist die strafrechtliche Verantwortung, die erstmals in den Nürnberger Prozessen durchgesetzt wurde138 und mit dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) inzwischen auf eine permanente, „ordentliche“ Rechtsgrundlage gestellt worden ist.139 Selbst der SR hat in seinen Resolutionen die individuelle Verantwortung für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht bestätigt.140 Insoweit ist also auch der (Einzel-)Mensch zum partiellen Völkerrechtssubjekt erwachsen. Aber auch andere private Akteure spielen eine immer größere Rolle, vor allem die nicht-staatlichen Organisationen (NGO), die seit 1990 einen rasanten Aufschwung genommen haben und deren Zahl sich mittlerweile auf mehr als 7000 beläuft.141 Jeweils für sich betrachtet widmen sie sich zwar nur einzelnen Tätigkeitsfeldern, worin gerade ihre Stärke liegt. In ihrer Gesamtheit aber spiegeln sie praktisch die ganze Vielfalt traditioneller Regierungsaufgaben wider. In zunehmendem Maße „kooptieren“ die Staaten diese privaten Vereinigungen oder übertragen ihnen die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben wie das Monitoring im Menschenrechtsschutz.142 Vielen 135
Vgl. etwa auch die Entscheidung des IGH im LaGrand-Fall, ICJ Reports 2001, 466, in der er feststellte, dass Art. 36 Wiener Konsularrechtskonvention nicht nur den Mitgliedstaat berechtige, sondern auch den Betroffenen individuell geltend zu machende Rechte gegenüber den Behörden des Empfangsstaats einräume. 136 Vor allem der IPBPR der VN von 1966 bzw. die EMRK des Europarates von 1950. 137 Dazu K. Ipsen, Individualschutz im Völkerrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 50. 138 Auf der Grundlage des Nürnberger Statuts von 1945 wurden Verurteilungen insbesondere wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgesprochen. Forderungen nach individuellen Strafverfahren waren aber auch bereits im Anschluss an den Ersten Weltkrieg ergangen, dazu G. Hankel, Leipziger Prozesse, 2003. 139 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, ILM 1998, 999 (BGBl. 2000 II, 1394). 140 Vgl. S/RES/941 (1994), op. 2; siehe auch S/RES/1593 (2005), op. 1: „[Der SR] beschließt, die Situation in Darfur seit dem 1. Juli 2002 dem Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs zu unterbreiten.“ 141 Berechnungen der Union of International Associations im Jahr 2004, siehe http://www.uia.org/statistics/organizations/types-2004.pdf [eingesehen am 8.8.2007]. 142 So verfassen NGOs etwa alternative Staatenberichte i. R. d. Überwachung der Menschenrechtspakte, siehe insb. das sog. „1503“-Verfahren aufgrund der ECO-
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
von ihnen ist durch den ECOSOC ein ständiger Beobachterstatus bei den VN eingeräumt worden.143 Soweit NGOs mit Rechten und Pflichten ausgestattet sind, kommt ihnen dabei partielle Völkerrechtssubjektivität zu. Eine besondere Rolle nehmen die humanitären Organisationen ein, die im vorliegenden Kontext von besonderem Interesse sind, allen voran das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Zum einen sind sie die Vorreiter und am stärksten ins Völkerrecht eingebundenen privaten Akteure, wovon nicht zuletzt ihre Funktionen im Haager und Genfer Rechtsregime zeugt. Zum anderen sind sie, ebenso wie die in dieser Arbeit zu behandelnden Terroristenorganisationen, „auf dem Feld der Gewalt“ tätig – allerdings „positiv“ definiert; insofern stellen beide gewissermaßen ein Gegensatzpaar auf. Die Frage ist nun, an welchem Standort in der Völkerrechtsordnung – wenn überhaupt – international agierende Terroristen einzuordnen sind. Sprachlich durchaus griffig, aber leicht populistisch und vor allem in der Sache vage sind sie teilweise als „Gewalt-NGOs“144 bezeichnet worden. Damit wären sie dem erweiterten Kreise der Völkerrechtssubjekte nach „modernem“ Völkerrechtsverständnis prinzipiell zugänglich. Unterschieden werden sollte jedoch grundsätzlich zwischen einerseits solchen nicht-staatlichen Gruppen, die de facto die Regierungsgewalt innehaben oder als Volk ihr Recht auf Selbstbestimmung geltend machen und denen damit nach heutigem Verständnis in jedem Fall ein völkerrechtlicher Status zukommt, und andererseits solchen Akteuren, die weiterhin als „gemeine Kriminelle“ zu gelten haben und denen auf der Grundlage des nationalen (Polizei- und Straf-)Rechts zu begegnen ist, wenn auch im Rahmen einer verstärkten internationalen Kooperation.
SOC-Resolution 1503 (XLVIII) vom 27.5.1970. Ausführlich G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht I/2, 2002, § 107. 143 Derzeit verfügen rund 3200 NGOs über einen Beobachter- bzw. Konsultationsstatus bei den VN, vgl. oben Kap. 2, B. II. 1. c). 144 So U. Beck, zitiert nach T. Steiner, Die neuen Barbaren, Freitag – Die OstWest-Wochenzeitung vom 25.10.2002, http://www.freitag.de/2002/44/02441101.php [eingesehen am 7.1.2008].
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II. Völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht und kriegsrechtliche Befugnisse des Staates jenseits kollektiver Zwangsmaßnahmen durch die VN und gegenüber nicht-staatlich organisierten Terroristen („Anti-Terror-Krieg“ der USA) Das völkerrechtliche Kriegsrecht (bzw. das Recht bewaffneter Konflikte), dem angesichts des „neuen Terrorismus“ verstärkte Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, hat vielfältige Einhegungen erfahren, die sich in zwei Regelungsbereiche gliedern: zum einen das ius ad bellum, das – im vorliegenden Kontext – Antwort auf die Frage gibt, ob die Staaten mit militärischen Mitteln gegen Terroristen auf fremdem Territorium vorgehen dürfen (s. u., 1. u. 2.), und zum anderen das ius in bello, also das humanitäre Völkerrecht145, das die Art und Weise eines solchen Vorgehens regelt (s. u., 4.). Die hierzu entwickelten Regeln haben zu einer weitgehenden Zivilisierung militärischer Auseinandersetzungen geführt. Sie sind als große Errungenschaft des Völkerrechts anzusehen, die nicht leichtfertig wegen einer – vorgeblich – neuen Weltlage zur Disposition gestellt werden darf. Vor diesem Hintergrund gilt es, den US-amerikanischen „Anti-Terror-Krieg“, der „konzeptionelle Schöpfungen“ wie die „präemptive Selbstverteidigung“ (s. u., 3.) und „ungesetzliche Kombattanten“ (s. u., 4.) hervorgebracht bzw. aufgegriffen hat, kritisch zu untersuchen. 1. Selbstverteidigung und kollektive Zwangsmaßnahmen im Verhältnis zum völkerrechtlichen Gewaltverbot
Im Mittelpunkt des ius ad bellum – das es damit im ursprünglichen Sinne gar nicht mehr gibt146 – steht die Festlegung des allgemeinen Gewaltverbots, welches in Art. 2 Ziff. 4 SVN seinen positiv-rechtlichen Ausdruck gefunden hat. Spätestens hiermit sind die Androhung und Anwendung von Waffengewalt in den internationalen Beziehungen völkerrechtlich unzulässig geworden.147 Es bestehen lediglich zwei Ausnahmen von diesem Verbot: zum einen kollektive Zwangsmaßnahmen i. R. v. Kapitel VII SVN, zum anderen Selbstverteidigung i. S. v. Art. 51 SVN.148 Das ius ad bellum ein145 H.-P. Gasser, International Humanitarian Law and Human Rights Law in Non-international Armed Conflict: Joint Venture or Mutual Exclusion?, GYIL 45 (2002), 149 (149 f.). 146 Yearbook of the ILC, 1949, UN Doc.A/CN.4/SER.S/1949, 281: „War having been outruled [by the UN Charter]. . .“. 147 Zumindest „gewohnheitsrechtliche Züge“ hat die Ächtung der Gewalt bereits seit längerem, insbesondere durch den Briand-Kellogg-Pakt vom 27.8.1928, RGBl. 1929 II, 97, vgl. hierzu K. Wolny, Ist das Aggressionsverbrechen nach heutigem Völkerrecht strafbar?, KJ 36 (2003), 48 (52).
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zelner Staaten, das traditionell Kennzeichen staatlicher Souveränität gewesen ist, beschränkt sich damit auf den Fall der Selbstverteidigung. Hierauf berufen sich seit dem 11. September 2001 die USA. Unilaterales militärisches Eingreifen der Vereinigten Staaten gegen terroristische Akte auf US-amerikanische Einrichtungen bzw. gegen US-amerikanische Staatsangehörige gab es schon vor dem Jahr 2001.149 Auch diese Vorfälle wurden mit dem Selbstverteidigungsrecht gem. Art. 51 SVN begründet, ohne die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht weiter zu problematisieren. Dies schien deswegen entbehrlich, weil sich insoweit kein substanzieller Widerspruch im Kreise der SR-Mitglieder regte.150 Angesichts dessen, dass sich zum einen der SR offenbar auf kein multilaterales Vorgehen einigen konnte151 und zum anderen staatliche Akteure hinter den Anschlägen gestanden hatten152, von denen weiterhin eine Bedrohung ausging, bewegte sich dieses Vorgehen aber prinzipiell noch im Rahmen der völkerrechtlichen Konzeption. Es ist insoweit auf den Zweck abzustellen, künftige Anschläge zu verhindern.153 Generell sind Maßnahmen aber schwierig daraufhin abzugrenzen, ob nun ihr Verteidigungs- oder ihr Strafcharakter überwiegt.154 Im letzteren Fall wären sie unzulässig, da bewaffnete Repressalien völkerrechtswidrig sind.155 148 Als drittes, „spezielles“ ius ad bellum besteht noch das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, vgl. Art. 7 der Aggressionsdefinition der GV, Annex zur A/Res. Nr. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974; siehe hierzu auch K. Wolny, Ist das Aggressionsverbrechen nach heutigem Völkerrecht strafbar?, KJ 36 (2003), 48 (57). 149 Beispielhaft genannt seien die Luftangriffe gegen Libyen 1986 (als Reaktion auf den Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek La Belle), gegen den Irak 1993 (nach dem versuchten Attentat auf den damaligen Präsidenten George H. W. Bush) und gegen Afghanistan bzw. den Sudan 1998 (nach den Anschlägen auf die USBotschaften in Kenia und Tansania). 150 E. C. Luck, Tackling Terrorism, in: D. M. Malone (Ed.), The UN Security Council, 2004, 85 (92), der sich hierfür auf eine in der N.Y. Times vom 28.6.1993 wiedergegebene Äußerung der damaligen UN-Botschafterin der USA Madeleine Albright bezieht. Die Blockfreien Staaten (NAM) verurteilten die amerikanischen Luftanschläge auf den Sudan allerdings in der Abschlusserklärung ihres Gipfeltreffens in Durban am 3.11.1998 als Verletzung der territorialen Integrität, S/1998/879 vom 22.9.1998. 151 E. C. Luck, Tackling Terrorism, in: D. M. Malone (Ed.), The UN Security Council, 2004, 85 (93). 152 Siehe etwa das Urteil des LG Berlin vom 13.11.2001 – bestätigt durch den BGH, Urteil vom 24.6.2004 – Az.: 5 StR 306/03 –, das den libyschen Geheimdienst für die Anschläge auf die Diskothek La Belle verantwortlich machte. 153 Vgl. J. Dugard, International Law, 2000, 419. 154 G. Nolte, Die USA und das Völkerrecht, Die Friedens-Warte 78 (2003), 119 (131). 155 H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 59, Rn. 48 f.
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Im Folgenden soll aufgezeigt werden, inwieweit die Maßnahmen der USA im Anschluss an den 11. September 2001 sich noch in diesem Rahmen bewegen oder ihn überschritten haben.
2. Anerkennung des Rechts auf Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff Privater bei gleichzeitiger Feststellung einer Gefährdung von Frieden und internationaler Sicherheit durch den SR (Analyse der S/RES/1368 und S/RES/1373 [2001]) (Afghanistan)
Die S/RES/1368 und S/RES/1373, die beide noch im September 2001 direkt nach „9/11“ beschlossen wurden, sind von ihrer Aussage her gleich doppelt missverständlich, was aber beabsichtigt gewesen sein mag, um sich in der damaligen verworrenen Lage möglichst wenig festzulegen und entsprechenden Handlungsspielraum zu gewinnen. Zum einen bezeichnet der SR die Anschläge vom 11. September 2001 in beiden Resolutionen mit identischem Wortlaut nicht nur als terroristische Akte, sondern auch als Friedensbedrohung (i. S. v. Art. 39 SVN). Er geht aber noch darüber hinaus und betritt insofern gänzlich Neuland, als er nicht nur diese konkreten Akte als Friedensbedrohung qualifiziert, sondern „jede Handlung des internationalen Terrorismus“ (Hervorhebung durch Verf.). Während S/RES/1373 diese Feststellung in der Präambel trifft (pp. 3), verortet S/RES/1368 sie erstmalig sogar im operativen Teil (op. 1). Der SR sagt also im Hinblick auf die genannten Anschläge nicht lediglich aus, dass diese, sondern vielmehr dass „s u c h acts, like any act of international terrorism“ Friedensbedrohungen darstellen. Die nicht authentische (und nicht autoritative) deutsche Übersetzung bringt dies nicht klar zum Ausdruck, wenn sie stattdessen davon spricht, dass „diese Handlungen“ – und damit verweisend auf die vorgenannten Anschläge vom 11. September – Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit seien (Hervorhebung durch Verf.). Der SR legt damit in seinen Resolutionen 1368 und 1373 erstmals ein abstraktes Gefahrenverständnis bei der Anwendung von Art. 39 SVN zugrunde, das im Prinzip frei ist von jedem Bezug zu einer konkreten Situation oder einem konkreten Verhalten, das die internationale Sicherheit tatsächlich bedroht. Stattdessen soll im Fall terroristischer Anschläge von nun an per se der Anwendungsbereich von Kapitel VII SVN eröffnet sein. Im Gegensatz dazu hatte der SR sich zuvor stets darauf beschränkt, einzelne konkrete Fälle als Friedensbedrohung einzustufen, und dies auch erst dann, wenn die Verwicklung eines Staates oder wenigstens de facto-Regimes hinreichend nachweisbar war. Entsprechend hatte es etwa mit Blick auf die Anschläge vom 7. August 1998 auf die US-Botschaften in Kenia
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
und Tansania noch in S/RES/1189 (1998), pp. 2 geheißen: „[S ]u c h acts (of international terrorism) . . . have a damaging effect on international relations and jeopardize the s e c u r i t y o f s t a t e s “ (Hervorhebung durch Verf.). Der SR verblieb also unter der Schwelle der Feststellung einer Bedrohung von Frieden und internationaler Sicherheit und nahm keinen Bezug auf Kapitel VII SVN. Angesichts dessen, dass die Urheber im Falle von „9/11“ am Tage nach den Anschlägen noch keineswegs feststanden, hat der SR das Junktim zwischen Friedensbedrohung und staatlicher Urheberschaft aber scheinbar aufgehoben.156 Demnach gingen die Resolutionen 1368 und 1373 – sind sie auch durch die Anschläge vom 11. September 2001 motiviert worden – in ihrer Reichweite weit darüber hinaus, lediglich eine Reaktion auf diese spezifische Bedrohung der internationalen Sicherheit durch – wie sich erst später herausstellen sollte – Al-Qaida zu sein. Zum anderen „bekräftigt“ der SR neben der Friedensbedrohung zugleich ausdrücklich auch das Recht des Opferstaates, hier der USA, auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung. Dies erscheint nicht systemkonform, da mit der Feststellung einer Friedensbedrohung der Anwendungsbereich der kollektiven Friedenssicherung im multilateralen VN-System eröffnet ist, die die Selbstverteidigung an sich ablöst. Gleichzeitig ist unklar, ob die terroristischen Angriffe, selbst wenn sie eine Friedensbedrohung ausmachen, zugleich einen bewaffneten Angriff i. S. v. Art. 51 SVN darstellen, was Voraussetzung für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts wäre. Sollte dies der Fall sein, wäre weiterhin zu klären, ob dieser Angriff nicht jedenfalls einem Staat müsste zugerechnet werden können, da die entsprechenden Selbstverteidigungsmaßnahmen sich zwangsläufig gegen einen Staat bzw. dessen Territorium richten würden. Eine konstitutive Autorisierung militärischer Gewaltausübung – jenseits der grundsätzlichen Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts – enthält die S/RES/1373 (2001) jedenfalls nicht. Zwar wird dies teilweise unter Verweis auf ihren operativen Absatz 2 vertreten, der bestimmt, dass „all States shall . . . [t]ake the necessary steps to prevent the commission of terrorist acts“. Diese Aussage ist jedoch zu offen und allgemein gehalten, als dass sie als ein konkretes Mandat nach Kapitel VII angesehen werden könnte.157
156 T. Bruha/M. Bortfeld, Terrorismus und Selbstverteidigung. Voraussetzungen und Umfang erlaubter Selbstverteidigungsmaßnahmen nach den Anschlägen vom 11. September 2001, VN 49 (2001), 161 (163). 157 Dazu C. Stahn, The Ambiguities of Security Council Resolution 1422 (2002), EJIL 14 (2003), 85 (104).
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a) Fragen Vor diesem Hintergrund fragt sich dreierlei: erstens, wie das Verhältnis zwischen Selbstverteidigung und kollektiver Friedenssicherung sich hier tatsächlich gestaltet; zweitens, ob nunmehr auch von nicht-staatlichen Akteuren bewaffnete Angriffe i. S. v. Art. 51 SVN ausgehen können und – sollte dies zu bejahen sein – drittens, ob auch eine Zurechnung dieses Angriffs zu einem Staat entbehrlich geworden ist [dazu siehe im Folgenden b) und c)]. Die Schaffung solch neuen Völkerrechts wäre nicht ausgeschlossen, schließlich unterliegen das Völkerrecht und die Charta einem ständigen dynamischen Anpassungsprozess an die sich ändernden Verhältnisse.158 Maßgeblich ist hierfür, ob die internationale Staatengemeinschaft zustimmend auf eine neue Auslegungs- und Verhaltensweise reagiert und diese damit als einen Präzedenzfall zulässt, der eine neue („spätere“) Übung einleitet, oder ob sie diese als einen unzulässigen Verstoß gegen das Völkerrecht zurückweist. Dies lässt sich abschließend nur im Rückblick feststellen, wofür es zum jetzigen Zeitpunkt bereits ausreichend Materialien auszuwerten gibt. Im Folgenden sollen also die Resolutionen 1368 und 1373 in ihren entscheidenden Aussagen daraufhin untersucht werden, ob sie tatsächlich die (behauptete) Grundlage für das nachfolgende Staatshandeln geschaffen oder ob die „Protagonisten“ losgelöst vom SR und Völkerrecht agiert haben. b) Auslegung des Passus „Recognizing the inherent right of individual or collective self-defence“ Dem Wortlaut nach bleibt offen, ob der Passus „Recognizing the inherent right of individual or collective self-defence“ nicht lediglich als eine „without prejudice“-Klausel zu verstehen ist, für den Fall, dass nachgewiesen würde, dass die Anschläge vom 11. September 2001 von einem Urheber herrührten, gegen den überhaupt Selbstverteidigung ausgeübt werden kann. Nach traditionellem Verständnis kommt hierfür ausschließlich ein Staat in Betracht.159 Am Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center 158
Aufgrund der jüngeren Staatenpraxis eine spontane Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht in diesen Fragen bejahend etwa M. Kotzur, „Krieg gegen den Terrorismus“ – Politische Rethorik oder neue Konturen des „Kriegsbegriffs“ im Völkerrecht?, AVR 40 (2002), 454 (472). 159 „‚Generally accepted interpretation [of Art. 51] for more than 50 years‘ of excluding private actors from causing armed attacks“, siehe J. Kammerhofer, The Armed Activities Case and Non-state Actors in Self-Defence Law, LJIL 20 (2007), 89 (99), hierbei Judge Kooijman zitierend [Separate Opinion, ICJ Reports 2004, 136 (230) – Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory (Advisory Opinion of 9 June 2004)].
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war aber noch keineswegs gesichert, wer für die Anschläge verantwortlich war.160 Dies spricht gegen eine Ausweitung des Kreises „zulässiger Adressaten“ von Selbstverteidigungsmaßnahmen. Weiterhin kann dafür, dass das („althergebrachte“) Selbstverteidigungsrecht lediglich „unberührt“ bleiben sollte, angeführt werden, dass die Erwähnung des Selbstverteidigungsrechts abstrakt und generell gehalten und statt im operativen Teil lediglich in der Präambel der jeweiligen Resolution verortet, also nicht direkt an die Anschläge geknüpft ist. Andererseits ist allein diese kombinierte Erwähnung in S/RES/1368 eines konkreten terroristischen Aktes mit dem Recht auf Selbstverteidigung beispiellos. Und auch wenn Präambelabsätze „tend to be used as a dumping ground for proposals that are not acceptable in the operative paragraphs“ und sie nicht für sich genommen („as such“) verbindlich sind, treffen sie doch wichtige – und keineswegs rein unverbindliche – Aussagen zum Ziel und Zweck (object and purpose) der jeweiligen Resolution.161 Weiterhin lässt der Umstand, dass sich diese Formulierung nicht nur in der Resolution 1368 vom 12. September 2001 findet, sondern auch noch die Resolution 1373 vom 28. September 2001 dieselbe Sprache verwendet („reaffirming“), an einer Auslegung im „without prejudice“-Sinne zweifeln. Denn mittlerweile war hinter den Anschlägen längst das nicht-staatliche Netzwerk von Al-Qaida ausgemacht worden, selbst wenn zugleich Afghanistan unter dem Taliban-Regime als „Basisstaat“ für deren Aktivitäten galt.162 Die nachfolgende Praxis belegt, dass die „Bekräftigung“ des Selbstverteidigungsrechts als eine – gewissermaßen sowohl deklaratorische (bzgl. Taliban) als auch konstitutive (bzgl. Al-Qaida) – Autorisierung der USA zur Gewaltanwendung gegen das von den Taliban kontrollierte Afghanistan wie auch gegen das private Terrornetzwerk von Al-Qaida aufgefasst worden ist. Dies impliziert in gleich zweifacher Hinsicht ein Novum. aa) Selbstverteidigung versus Kollektivmaßnahmen Erstens ist es gerade Sinn und Zweck eines kollektiven Sicherheitssystems, dass – wenn das Kollektivorgan schon mit der Sache befasst ist163 – 160 G. Abi-Saab, Introduction: The Proper Role of International Law in Combating Terrorism, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms against Terrorism, 2004, S. XVIII. 161 M. C. Wood, The Interpretations of Security Council Resolutions, MPUNYB 2 (1998), 73 (86 f.). 162 Vgl. etwa den Artikel von J. Klare, Der „Gottessucher“ überdrüssig, Die ZEIT vom 20.9.2001, S. 8, wo bereits über „Afghanistan in Erwartung des nächsten Krieges“ berichtet wird.
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eben dieses auch handelt, statt die Situation in den Händen des Opferstaates zu belassen. Zwar verfügt der SR über keine eigenen militärischen Einheiten. Dies hat einem kollektiven Handeln jedoch noch nie im Wege gestanden, da der SR sich insoweit den Ausweg geschaffen hat, dass er stattdessen (einige freiwillige) Mitgliedstaaten zur Gewaltanwendung autorisiert hat.164 Obgleich dies eine recht „kreative“ Lösung ist165, die aus einer Zusammenschau von Art. 39, 42 und 48 SVN entwickelt worden ist, kann sie inzwischen als anerkannt gelten.166 Nur hat der SR sie in diesem Fall gerade nicht zur Anwendung gebracht. Nicht einmal die begrenzte Funktion, wenigstens die kollektive Selbstverteidigung zu organisieren oder auch nur zu koordinieren167, hat der SR selbst eingenommen. Schließlich muss auch die theoretische Möglichkeit einer „ex ante“-Autorisierung ausscheiden. Zwar hat der SR in S/RES/1373 (2001), pp. 6 beschlossen, „to combat by all means [. . .] threats to international peace and security caused by terrorist acts“ und damit eine Umschreibung verwendet, die im VN-Jargon die Anwendung militärischer Gewalt impliziert. Letztlich ist aber davon auszugehen, dass der SR hiermit lediglich eine generelle Richtschnur hat vorgeben und nicht das Verfahren nach Art. 39, 42 SVN hat abkürzen wollen.168 Es bedurfte damit also auch weiterhin der expliziten Feststellung einer Friedensbedrohung sowie der Autorisierung von Gewalt im konkreten Einzelfall. Es ist einzuräumen, dass die USA als Opferstaat wegen ihrer Kapazitäten als Supermacht faktisch nicht auf die Ergreifung kollektiver Maßnahmen durch die VN zur Wiederherstellung des Friedens angewiesen waren. Ganz im Gegenteil wäre ihnen jegliche kollektive Einbindung ausgesprochen läs163 Art. 51 SVN gesteht dem Opferstaat das Recht auf Selbstverteidigung ausdrücklich nur so lange zu, bis der SR notwendige Maßnahmen ergriffen hat. 164 Erstmalig wurde dieses Modell nach der Annexion Kuwaits durch den Irak im Jahr 1990/91 mit der S/RES/678 (1990) angewandt. Danach entwickelte es sich zum Regelfall, genannt seien nur Somalia, Bosnien, Ruanda und Haiti. Hierzu F. Berman, The Authorization Model: Resolution 678 and Its Effects, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 153 (153 ff.). 165 Siehe dazu eingehend H. Freudenschuß, Between Unilateralism and Collective Security: Authorizations of the Use of Force by the UN Security Council, EJIL 5 (1994), 492 (526): [. . .] the Security Coucil had created a new instrument and model [. . .]“. 166 M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 3. 167 Zu dieser Möglichkeit siehe J. A. Frowein, Kommentierung zu Art. 39, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 30. 168 A. Pellet/V. Tzankov, Can a State Victim of a Terror Act Have Recourse to Armed Force?, Vereinte Nationen 2004, 68 (69); R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (17).
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tig gewesen, so dass der SR den USA mit ihrer Operation Infinite Justice (die am 25. September 2001 in Enduring Freedom umbenannt wurde) freie Hand gelassen hat. Hatte der SR in seiner Resolution 1368 noch ausdrücklich „its readiness to take all necessary steps to r e s p o n d t o t h e t e r r o r i s t a t t a c k s “ (op. 5) erklärt (Hervorhebung durch Verf.), beschränkte er seine Entschlossenheit in der Resolution 1373 (op. 8) darauf, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um „diese Resolution“ zu implementieren. Hätte der SR sich nicht derartig zurückgehalten, wäre wohl mit einem Veto der USA zu rechnen gewesen, die von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen hatten, die Gegenschläge unilateral in eigener Verantwortung ausführen zu wollen.169 So teilte der damalige Botschafter der USA bei den VN John D. Negroponte dem Präsidenten des SR am 7. Oktober 2001 mit, dass „[w]e may find that our self-defence requires further actions with respect to other organizations and other States.“170 US-Präsident George W. Bush erwähnte in seiner State of the Union-Ansprache an das amerikanische Volk vom 29. Januar 2002 die Vereinten Nationen mit keinem einzigen Wort, sondern sprach nur von „o u r n a t i o n is at war“, „o u r c a u s e is just“ und „A m e r i c a will do what is necessary“ (alle Hervorhebungen durch Verf).171 In diesem Vorgehen liegt eine substanzielle Abweichung vom Gedanken der kollektiven Friedenssicherung und eine Gefahr für das System der internationalen Beziehungen insgesamt. Denn im Gegensatz zu einem klar definierten Mandat des SR ist die Selbstverteidigung einseitig so dehnbar, dass im Ergebnis das Recht manipuliert wird.172 Anderen militärisch starken Staaten dient dieses Beispiel als (Negativ-)Vorbild: So erklärte im September 2002 der damalige russische Präsident Vladimir Putin unter Berufung auf die Resolutionen 1368 und 1373, dass Russland in Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts militärisch in Georgien intervenieren werde, um (angeblich) von dort aus operierende tschetschenische Rebellen zu bekämpfen.173 Die historisch-systematische Erklärung, zur Zeit der 169 B. Fassbender, The UN Security Council and International Terrorism, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms Against Terrorism, 2004, 83 (90). 170 UN Doc. S/2001/946. 171 The President’s State of the Union Address, The United States Capitol, Washington, D.C., 29.01.2002, erhältlich unter http://www.tep-online.info/laku/usa/ whitehou/address/20020129-11.html [eingesehen am 20.5.2009]. 172 Ähnlich J. Delbrück, The Fight Against Global Terrorism, GYIL 44 (2001), 9 (21). 173 Siehe „Russia writes U.N., OSCE Invoking Right to Self-Defense, UNWire, 12.9.2002, http://www.unwire.org/UNWire/20020912/28865_story.asp [eingesehen am 21.5.2007]. Dazu C. de Jonge Oudraat, The Role of the Security Council, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 151 (163).
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Schaffung der VN sei davon ausgegangen worden, dass Kriege der „Großmächte“ außerhalb der Kontrolle der VN verbleiben sollten174, was nicht zuletzt Ausdruck des – ebenso unzeitgemäßen – Vetorechts ist, vermag heute nicht mehr zu überzeugen. Es fehlt allein an (der Möglichkeit) einer entsprechenden Sanktionierung des betreffenden Verhaltens. bb) Selbstverteidigung nur gegen (quasi-)staatliche (Taliban) oder auch gegen nicht-staatliche Akteure (Al-Qaida)? Ein zweites großes Novum der Resolutionen 1368 und 1373 läge darin, wenn in ihnen tatsächlich und ohne weiteres ein Recht auf Selbstverteidigung gegen Anschläge von nicht-staatlichen Akteuren anerkannt worden wäre.175 Dies soll nachfolgend untersucht werden. Bislang waren entsprechende terroristische Akte entweder als sog. verdeckter Staatsterrorismus oder als kriminelle Akte Privater eingeordnet worden. (1) Taliban als de facto-Regime Der Wortlaut dieser Resolutionen allein würde auch die Lesart zulassen, dass lediglich die Taliban gemeint sein sollten. In Übereinstimmung mit anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen ließe sich nämlich vertreten, dass als Anknüpfungspunkt für die Auslösung des Selbstverteidigungsrechts einzig auf das de facto-Regime der Taliban abgestellt werden sollte. Bei de facto-Regimen handelt es sich um Einheiten, die die effektive Kontrolle über ein Gebiet ausüben, ohne als Regierung anerkannt worden zu sein. Allein aufgrund dieser faktischen Herrschaft kommen ihnen völkerrechtliche Rechten und Pflichten zu und erkennt das Völkerrecht sie als partielle Völkerrechtssubjekte an.176 Die Taliban sind zwar nie als rechtmäßige Regierung anerkannt worden.177 Darauf kam es aber im Hinblick auf ihren völkerrechtlichen Status 174
B. Fassbender, The UN Security Council and International Terrorism, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms Against Terrorism, 2004, 83 (90). 175 A. Franco, Armed Nonstate Actors, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 117 (119); Th. M. Franck, The Power of Legitimacy and the Legitimacy of Power: International Law in an Age of Power Disequilibrium, AJIL 100 (2006), 88 (104). 176 V. Epping, Völkerrechtssubjekte, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 8, Rn. 15. 177 Lediglich Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erkannten die Taliban als legitime Regierung Afghanistans nach deren Eroberung Ka-
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auch nicht an, da sie zum Zeitpunkt der Anschläge sowie in den Jahren zuvor über ca. 90 % des afghanischen Territoriums die effektive Kontrolle ausübten und damit die faktische Handlungsherrschaft in Afghanistan inne hatten. Allein deswegen kam ihnen der Status eines (partiellen) Völkerrechtssubjekts zu und waren sie zugleich völkerrechtlich verantwortlich.178 Insofern ist es mit dem Völkerrecht nicht vereinbar, dass die Taliban in den Resolutionen des SR nach dem 11. September 2001 nicht mehr als eigentlicher Adressat, sondern als bloßes Objekt politischer und militärischer Maßnahmen behandelt worden sind. Das gilt ungeachtet dessen, dass der SR – und insbesondere wiederum die USA179 – generell sehr zurückhaltend bei der Anerkennung von de facto-Regimen agieren, indem sie zumeist verlangen, dass diese Einheiten eine effektive Staatsgewalt sowohl nach innen als auch nach außen ausüben.180 Denn der Status eines de facto-Regime als Rechtssubjekt ist eben gerade nicht von einer völkerrechtlichen Anerkennung als Staatsgewalt oder einer insofern konstitutiven Zuerkennung des Status als de facto-Regime durch andere Völkerrechtssubjekte abhängig, sondern ergibt sich rein aus den tatsächlichen Umständen. Gleichzeitig folgt hieraus, dass seit den Angriffen der „Koalition“ am 7. Oktober 2001 gegen die Taliban auf afghanischem Territorium ein internationaler bewaffneter Konflikt vorliegt. Vor dem 11. September 2001 hatte der SR diesen Status der Taliban auch – freilich nur implizit – anerkannt, indem er feststellte, dass die Taliban eine entsprechende territoriale Kontrolle ausübten und folglich die Verpflichtung direkt an sie richtete, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen.181 Anders als in den Fällen, in denen zuvor nicht-staatliche Akteure direkt durch SR-Resolutionen verpflichtet worden waren, betrafen diese Maßnahmen sogar auch Bereiche, die nicht nur unmittelbar auf die Beilegung des Bürgerkriegs zielten, sondern von allgemeiner „ordnungsrechtlicher“ Art waren, wie insbesondere die Auslieferung Osama bin Ladens.182 Dementsprechend sprach der SR in seiner Resolution 1267 von den „Behörden der Taliban“ (pp. 9). Damit wurde zugleich und folgerichtig zum Ausdruck gebuls 1996 an. Es gelang den Taliban auch nicht, den Sitz Afghanistans in den Vereinten Nationen einzunehmen. 178 R. Wolfrum/C. Philipp, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, in: S. von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 145 (153 ff.). 179 V. Epping, Der Staat im Völkerrecht, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 22, Rn. 16. 180 N. Fenton, Understanding the UN Security Council: coercion or consent?, 2004, 216. 181 S/RES/1267 (1999), pp. 7: „Taliban-controlled territory“; S/RES/1333 (2000), pp. 8: „areas of Afghanistan under the control of the Afghan faction known as Taliban“. 182 S/RES/1267 (1999), op. 1–2; S/RES/1333 (2000), op. 1–3.
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bracht, dass nur die Taliban zur Bekämpfung des Terrorismus, der von Afghanistan ausging, in der Lage waren.183 Auch die USA hatten die Taliban 1999 noch ausdrücklich als „s t a t e sponsor of terrorism“ deklariert (Hervorhebung durch Verf.).184 (2) Ungenauigkeit der Resolutionen 1368 und 1373 Demnach wäre es also im September 2001 noch denkbar gewesen, dass die Resolutionen einzig auf die Taliban als Völkerrechtssubjekt und nicht auf Al-Qaida als Private zielten, zumal mittlerweile als verantwortlicher Staat hinter den islamistischen Terroristen längst (das von den Taliban kontrollierte) Afghanistan ausgemacht worden war.185 Die Resolutionen wären dann einfach nur sprachlich ungenau formuliert, sei es aus Nachlässigkeit oder bewusst, um die Aussage vage zu belassen.186 Für diese Annahme würden die Umstände sprechen, unter denen die Resolutionen angenommen wurden, nämlich praktisch ohne zuvor sorgfältig verhandelt worden zu sein, wie es an sich üblich ist. Im Falle der Resolution 1368, die am unmittelbaren Folgetag der Anschläge vom 11. September 2001 und damit in einem Moment beschlossen wurde, in dem der Schock noch allgegenwärtig und übermächtig war, erscheint dies als durchaus plausibel. Denn trotz der offenkundigen Mängel wollte und konnte aus politischen und moralischen Gründen keines der SR-Mitglieder Zweifel an seiner „Solidarität“ mit dem Opferstaat USA aufkommen lassen, so dass sich kritische Gegenfragen oder gar Ablehnungen bei der Abstimmung von vornherein verbaten. Zwar bestätigt die Resolution 1373, die am 28. September 2001 und somit nach gut zweiwöchiger „Bedenkzeit“ angenommen wurde, das Selbstverteidigungsrecht wiederum ausdrücklich und sogar mit identischem Wortlaut. Aber auch im Hinblick auf diese spätere Resolution 183
R. Wolfrum/C. Philipp, Die Taliban – ein Subjekt des Völkerrechts?, in: S. von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 145 (156 ff.). 184 Executive Order 13129 vom 4.7.1999 (zitiert nach dem The 9/11 Commission Report; Chapter 4, Fn. 87, erhältlich unter http://www.9-11commission.gov/report/ 911Report.pdf [eingesehen am 12.5.2009]). 185 Vgl. etwa den Artikel von J. Klare, Der „Gottessucher“ überdrüssig, Die ZEIT vom 20.9.2005, S. 8, wo bereits über „Afghanistan in Erwartung des nächsten Krieges“ berichtet wird. 186 M. C. Wood, The Interpretations of Security Council Resolutions, MPUNYB 2 (1998), 73 (80; 82): „[T]here is no institutional mechanism to ensure that resolutions are well drafted. [. . . SC Resolutions] are frequently nor clear, simple, concise or unambiguous. They are often drafted by non-lawyers, in haste, under considerable political pressure, and with a view to securing unanimity within the Council. This [. . .] often leads to deliberate ambiguity and the addition of superfluous material [. . .].“
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
ist nicht davon auszugehen, dass sie das Ergebnis eines wohlüberlegten und ausgewogenen Meinungsfindungsprozesses darstellt. Denn die federführenden USA legten den Resolutionsentwurf den anderen – jedenfalls nichtständigen – SR-Mitgliedern erst am Vorabend der Abstimmung vor, die dann im übrigen exakt drei Minuten dauerte. Der Umstand allerdings, dass diese Abstimmung noch am späten Abend, nämlich genau von 22.50 bis 22.53 Uhr187, stattfand, lässt darauf schließen, dass diese Umstände bewusst herbeigeführt worden waren, um die Resolution sofort mit Ablauf der 24-stündigen „Anstandsfrist“ „durchzudrücken“, ohne dass für die heimischen Fachministerien der übrigen SR-Mitglieder noch die Chance bestand, substanzielle inhaltliche Überlegungen anzustellen.188 Dafür dass dieser „Schnellbeschluss“ zustande kam, weil er auf einhellige Zustimmung gestoßen wäre, spricht angesichts des geradezu revolutionären Inhalts der Resolution jedenfalls nicht viel.189 Das Gegenteil ist der Fall, hebt doch sogar der SR selbst deren „besonderen Charakter“ hervor.190 Die S/RES/1373 gilt bereits heute als die meistzitierte SR-Resolution überhaupt, und nicht selten wird sie dabei als warnendes Beispiel für ein zu weitgehendes Vorgehen des SR herangezogen.191 (3) Staatenpraxis: Sowohl Taliban als auch Al-Qaida von den Resolutionen 1368 und 1373 erfasst Die anschließende Staatenpraxis indes lässt keinen Zweifel daran, dass zumindest die USA und ihre Verbündeten die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts nicht als lediglich auf die Taliban bezogen verstehen, sondern auch auf das private Netzwerk von Al-Qaida.192 Denn in ihren Hand187
P. J. van Krieken, Terrorism and the International Legal Order, 2002, 144. Allerdings wollte es auch niemand darauf anlegen, den USA Steine in den Weg zu legen, siehe I. Johnstone, Legislation and Adjudication in the UN Security Council: Bringing Down the Deliberative Deficit, AJIL 102 (2008), 275 (284): „All ambassadors on the Council, including representatives of the P-5, had received instructions from their capitals to cooperate with the United States in the post 9/11 climate.“ 189 L. M. H. Martínez, The Legislative Role of the Security Council in its Fight against Terrorism: Legal, Political and Practical Limits, ICLQ 57 (2008), 333 (349): „There is no doubt that Resolution 1373 of the SC was approved in an emotionally charged atmosphere. [. . . Only] a pause for reflection . . . would have permitted an express and generalized consensus of the international community on the reinterpretation of Chapter VII of the Charter.“ 190 S/RES/1535 (2004), pp. 16: „Bearing in mind the special nature of resolution 1373 (2001) [. . .].“ 191 Problematik des „SR als Weltgesetzgeber“, s. u. B. 192 So auch das Fazit von C. Walter, Zwischen Selbstverteidigung und Völkerstrafrecht: Bausteine für ein internationales Recht der „präventiven Terrorismus-Be188
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lungen haben sie jegliche Unterscheidung zwischen (de facto-)staatlichen Taliban und privaten Al-Qaida außer Acht gelassen. Vielmehr ist recht unvermittelt vor allem das Terrornetzwerk von Al-Qaida ins Visier genommen, und zwar auch über das Territorium von Afghanistan hinaus, also „die Schlacht zum Feind getragen“193 und somit die Selbstverteidigung zum „globalen Anti-Terror-Krieg“ ausgeweitet worden.194 Auch wenn sich im Laufe der Zeit ein gewisses Unbehagen breit gemacht hat, ist die Staatengemeinschaft diesen Weg im Großen und Ganzen mitgegangen. Die Allianz gegen den internationalen Terrorismus, die sich unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 bildete, sucht in jedem Fall ihresgleichen.195 Der Schock saß tief, vor allem in der westlichen Welt, galten die Anschläge doch ihrer gemeinsamen „Zivilisation“.196 Vor allem die Europäer sahen sich den USA gegenüber gewissermaßen in der Bringschuld. Aber auch Russland und China – und damit alle ständigen SR-Mitglieder – reihten sich nahtlos ein und ergriffen hierdurch nicht zuletzt die für sie günstige Gelegenheit, fortan die in ihren eigenen Staaten nach Unabhängigkeit strebenden muslimischen Minderheiten der Tschetschenen bzw. Uiguren zu Terroristen deklarieren und ohne größere Rücksicht auf die Menschenrechte verfolgen zu können.197 Eine Grenze in der (fast bedingungslosen) Gefolgschaft wurde erst in dem Moment gezogen, als „die Alliierten“ unter Führung der USA im März 2003 in den Irak einmarschierten. Damit wurde der Rahmen der Resolutionen 1368 und 1373 verlassen und ist der Anti-Terror-Krieg in eine kämpfung“, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 23 (26). 193 Vgl. President of the United States of America, National Security Strategy of the United States of America (NSS), Washington D.C., 17.9.2002, www.white house.gov./nsc/nss.pdf [eingesehen am 2.2.2006]; T. Assheuer, Wann ist ein Krieg gerecht?, Die ZEIT vom 29.12.2005, S. 46. 194 A. Roberts, Righting Wrongs or Wronging Rights? The United States and Human Rights Post-September 11, EJIL 15 (2004), 721 (740). 195 In Anlehnung an den berühmten Ausspruch „Ich bin ein Berliner“ des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy nach dem Bau der Berliner Mauer 40 Jahre zuvor formulierte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag Peter Struck am Tag nach den Anschlägen die Worte „Heute sind wir alle Amerikaner“, und der seinerzeitige Bundeskanzler Gerhard Schröder versprach „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA, siehe www.bundeskanzler.de/Regie rungserklärung-,8561.46353/Regierungserklärung-von-Bundeskanzler-Schroeder.htm [eingesehen am 8.2.2005]. 196 In Anlehnung an S. Huntington, The Clash of Civilisation and the Remaking of World Order, 1996. 197 K. Roth, The Law of War in the War on Terror, Foreign Affairs 83 (2004), 6 (6 ff.).
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neue, zweite Phase getreten, in der er den bis dahin aufrecht erhaltenen allgemeinen Konsens spürbar aufgebrochen hat (s. u., 3.).198 cc) Zwischenergebnis Auch wenn die Resolutionen 1368 und 1373 in ihrem Wortlaut nicht eindeutig formuliert sind, haben die Staaten sie als Grundlage für ihre Praxis herangezogen. Zwar ist das Verhältnis zwischen kollektiver Friedenssicherung und Selbstverteidigung letztlich offen geblieben bzw. hat die an sich systemwidrige Praxis keine Konsequenzen hervorgerufen. Die Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts durch die USA gegen das Terrornetzwerk von Al-Qaida hat aber breite Anerkennung gefunden. Demnach ist festzuhalten, dass das Selbstverteidigungsrecht [unter bestimmten Voraussetzungen, dazu nachfolgend c)] nicht nur durch Staaten oder de facto-Regime, sondern auch durch Anschläge nicht-staatlicher Akteure ausgelöst werden kann.199 c) Voraussetzungen des Rechts auf Selbstverteidigung im Falle terroristischer Anschläge aa) Bewaffneter Angriff Zunächst setzt die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gegen terroristische Anschläge voraus, dass diese einen bewaffneten Angriff i. S. v. Art. 51 SVN darstellen. (1) Direkte und indirekte staatliche Urheberschaft Nach traditionellem Verständnis konnte ein bewaffneter Angriff nur von einem Staat ausgehen. Dies erklärt sich zum einen daraus, dass das Völkerrecht als „exklusives Staatenrecht“ konzipiert ist, also die Beziehungen zwischen Staaten regelt. Zum anderen wurden lange Zeit überhaupt nur Staaten als faktisch in der Lage angesehen, Angriffe von einem Ausmaß durchzuführen, die eine Selbstverteidigungslage herbeizuführen vermochten.200 198 B. Fassbender, The UN Security Council and International Terrorism, in: A. Bianchi (Ed.), Enforcing International Law Norms Against Terrorism, 2004, 83 (85). 199 Diese Einschätzung vertrat bereits in den 1980er Jahren, also losgelöst vom vorliegenden Fall: C. E. Ritterband, Terrorismus, Menschenrechte und Intervention, in: Y. Hangartner (Hrsg.), Völkerrecht im Dienste des Menschen, FS für H. Haug, 1986, 225 (238).
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Von der maßgeblichen Rolle eines staatlichen Akteurs gehen insbesondere auch noch die Aggressionsdefinition der GV und das Statut des IStGH201 aus, wo es in Art. 1 bzw. Art. 8 bis gleichlautend heißt: „Aggression bedeutet Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen [. . . einen anderen Staat]“. Zwar hat diese – im Übrigen unverbindliche – Definition nicht den Begriff des „bewaffneten Angriffs“ des Art. 51 SVN, sondern denjenigen der „Angriffshandlung“ (act of aggression) des Art. 39 SVN zum Gegenstand, wobei der Begriff des bewaffneten Angriffs als der im Verhältnis zur Angriffshandlung oder Aggression engere Begriff gilt, da er eine Gewaltanwendung größeren Ausmaßes erfordert.202 Gleichwohl strahlt die Aggressionsdefinition auf die Auslegung des Begriffs des bewaffneten Angriffs aus. So hat der IGH in seinem Nicaragua-Urteil „[d]as Entsenden bewaffneter Banden“ etc. gem. Art. 3 (g) der Aggressionsdefinition als Fall eines bewaffneten Angriffs sowohl nach Völkergewohnheitsrecht als auch nach Art. 51 SVN eingestuft, sofern dies zu vergleichbar schweren Einwirkungen führt.203 Es wird also auch die Unterstützung privater Gewalt und damit die nur indirekte staatliche Gewaltanwendung in den Anwendungsbereich des Art. 51 SVN einbezogen. Wird auch letztlich weiterhin verlangt, dass ein Staat hinter einem derartigen Angriff steht, stellt dies nichtsdestoweniger eine entscheidende Öffnung gegenüber neu gelagerten Sachverhalten dar. Die Berücksichtigung zumindest privater Elemente bei der Bestimmung eines bewaffneten Angriffs ist auch mit dem Wortlaut des Art. 51 SVN konform, der für die Ausübung der Selbstverteidigung genau genommen lediglich einen „bewaffneten Angriff“ – ohne zwingend staatliche Urheberschaft – voraussetzt. Insoweit wird also in erster Linie auf eine bestimmte Qualität des Angriffs und nicht darauf abgestellt, wer dessen unmittelbarer Urheber ist, auch wenn eine systematische Auslegung eher für eine staatliche Eigenschaft spricht. Allerdings wird die Verknüpfung des bewaffneten Angriffs mit einem staatlichen Akteur angesichts der Privatisierung der Gewalt künftig vermutlich immer seltener gegeben sein. Zwar hat der SR das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs nicht explizit festgestellt. Angesichts 200
Zur Entwicklung des Selbstverteidigungsrechts siehe A. Randelzhofer, Kommentierung zu Art. 51, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 1 ff. 201 Aggressionsdefinition, Annex zur A/Res. Nr. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974; Statut des IStGH nach dessen Änderung durch Resolution RC/Res.6 im Rahmen der Überprüfungskonferenz vom Juni 2010 – die Verfolgung von Fällen möglicher Aggression durch den IStGH setzt allerdings die Zustimmung des SR voraus. 202 A. Randelzhofer, Kommentierung zu Art. 51, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 19. 203 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. USA), ICJ Reports 1986, 14 (103).
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des Hinweises auf das Selbstverteidigungsrecht ging er aber ersichtlich davon aus, dass die Terroranschläge grundsätzlich als solche würden angesehen werden können.204 (2) Zurechnung eines Angriffs durch Private zu einem Staat Zu verlangen ist aber in jedem Fall zweierlei: Erstens, dass der betreffende Angriff von seinem Ausmaß (scale and effects) dem eines staatlich verübten entspricht (equivalent) bzw. vergleichbar ist. Und zweitens, dass der Angriff einem dahinter stehenden Staat zurechenbar (attributable, imputable) ist. Insbesondere letzterer Punkt wird unter Verweis auf die Resolutionen 1368 und 1373 in der Völkerrechtswissenschaft nunmehr von einigen Stimmen als entbehrlich angesehen.205 Aus dem Wortlaut der Resolutionen ergibt sich ein solches Verständnis jedoch nicht zwingend.206 Vor allem erscheint es nicht ohne weiteres mit dem völkerrechtlichen Grundsatz der territorialen Souveränität der Staaten vereinbar, da in diesem Fall zwangsläufig ein unbeteiligter Staat von Selbstverteidigungsmaßnahmen gegen sich betroffen wäre. Allerdings ist hinsichtlich der Zurechenbarkeit an einen gelockerten Maßstab zu denken.207
204 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (64); H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 59, Rn. 28: „Der [SR] hat in seinen Resolutionen 1368 und 1373 [. . .] implizit die Terrorangriffe des 11.9.2001 als Angriffe nach Art. 51 [SVN] angesehen.“ 205 Y. Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 2001, 213 ff. (216 f.): „extraterritorial law enforcement“; ausführlich dazu C. Stahn, „Nicaragua is Dead, Long Live Nicaragua“ – The Right to Self-Defence under Art, 51 UN Charter and International Terrorism, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 827 (834 ff.). 206 J. Kammerhofer, The Armed Activities Case and Non-state Actors in Self-Defence Law, LJIL 20 (2007), 89 (99); C. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, 243 ff. 207 Dazu im Folgenden unter (b) (cc); zu den Möglichkeiten des Opferstaates, sich gegen Angriffe Privater zu verteidigen, s. u. 3. b) [jeweils in diesem Kap.]. Weiterführend zu neuen Trends: T. Bruha/C. Tams, Self-Defence Against Terrorist Attacks. Considerations in the Light of the ICJ’s „Israeli Wall“ Opinion, in: K. Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, FS für J. Delbrück, 2005, 85 (92 ff.); C. Tams, Light Treatment of a Complex Problem, The Law of Self-Defence in the Wall Case, EJIL 16 (2005), 963 (973).
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(a) Angriff einem militärischen Angriff vergleichbar Das Erfordernis der Vergleichbarkeit (Äquivalenz) der Angriffsstärke folgt aus dem Ausnahmecharakter des Selbstverteidigungsrechts gegenüber dem grundsätzlichen Gewaltverbot. Nur wenn ein Staat mit dieser Intensität angegriffen wird, soll er zur Anwendung von Gewalt berechtigt sein.208 Wenn es auch im Einzelfall umstritten sein kann, wann diese Schwelle überschritten ist, bestehen insoweit hinsichtlich des 11. September 2001 keine Bedenken. Vollgetankte Flugzeuge raketengleich in Gebäude zu steuern, um diese und alles Leben darin zu vernichten, ist zweifellos einem militärischen Angriff gleichzusetzen. (b) Angriff einem Staat zurechenbar Im vorliegenden Fall der Taliban und Al-Qaida ist insoweit entscheidend, ob die Anschläge vom 11. September 2001, die von Al-Qaida-Terroristen verübt wurden, den Taliban – und deren Handlungen wiederum dem afghanischen Staat – zugerechnet werden konnten, so dass die militärischen Maßnahmen der USA als Akte der Selbstverteidigung gerechtfertigt waren. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Taliban und dem afghanischen Staat ist dies nach den obigen Feststellungen [II. 2. b) bb) (1)] vergleichsweise unproblematisch zu bejahen, da im Zeitpunkt der Tat die Taliban als de facto-Regime den afghanischen Staat repräsentierten und damit grundsätzlich verantwortliches Zurechnungssubjekt waren. Weniger eindeutig, wenngleich im Ergebnis ganz überwiegend bejaht209, ist die Antwort auf die Frage, ob auch die Anschläge der Al-Qaida den Taliban hinreichend zurechenbar sind. (aa) Recht der Staatenverantwortlichkeit Das Kriterium der Zurechenbarkeit ist unmittelbar dem Recht der Staatenverantwortlichkeit entnommen, stellt als solches aber einen allgemeinen Rechtsgedanken dar: Wer die Handlungsherrschaft innehat, sich maßgeblich an einer Handlung beteiligt oder sie sich zu eigen macht, der ist auch für das Resultat verantwortlich bzw. mitverantwortlich.210 Dieses Prinzip muss 208
S. Hobe/O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 2004, 313. Vgl. M. E. O’Connell, Enhancing the Status of Non-State Actors through a Global War on Terror?, Columbia J.T.L. 43 (2005), 435 (439 f.); siehe außerdem die Nachweise unten bei (b) (cc). 210 R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (36 f.). 209
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auch im Kontext der Selbstverteidigung anwendbar sein und wird entsprechend vom IGH herangezogen.211 Ansonsten nämlich wären im Ergebnis nicht nur die auf eigene Initiative handelnden Privaten privilegiert, denen hinter dem Souveränitätspanzer eines Staates, der sich als unwillig oder unvermögend erweist, auf sie zuzugreifen, nicht beizukommen wäre, sondern auch diejenigen Staaten, die Private gezielt für ihre Zwecke einsetzen.212 Um andererseits aber nicht das Interventionsverbot zu unterlaufen, sind bei der Zurechnung grundsätzlich strenge Anforderungen aufzustellen. (bb) Maßstab der Zurechnung Gemäß Art. 8 der Regeln zur Staatenverantwortlichkeit ist das Verhalten einer Person oder Personengruppe dann als Handlung eines Staates zu werten, wenn sie dabei tatsächlich auf Anweisung oder unter Anleitung oder Kontrolle dieses Staates handelt.213 Diese Regelung ist eng an die Entscheidung des IGH im Nicaragua-Urteil von 1986 angelehnt („effective control“).214 Zu recht wird dieser Zurechnungsmaßstab allerdings mit der obigen Argumentation als zu restriktiv angesehen, denn er impliziert, dass ein Staat seiner Verantwortlichkeit ausweichen könnte, indem er, statt eigene Truppen zu schicken, nicht-staatliche Gruppen lediglich ausrüstet und indirekt für seine Zwecke einsetzt.215 Folglich lockerte der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) diese Anforderungen im Tadic´-Urteil von 1999216 auf die Weise, dass er eine „generelle Kontrolle“ („overall control“) des Staates über die handelnden Privaten genügen ließ. 211 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. USA), ICJ Reports 1986, 14 (Paras. 126–160); Democratic Republic of the Congo vs. Uganda (Armed Activities on the Territory of Congo), Urteil vom 19.12.2005, Paras. 213–214 [erhältlich unter http://www.icj-cij.org/]; H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 59, Rn. 28. 212 R. Grote, Between Crime Prevention and the Laws of War: Are the Traditional Categories of International Law Adequate for Assessing the Use of Force against International Terrorism?, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 951 (972); R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (36 f.); kritisch: C. Stahn, International Law at Crossroads? The Impact of September 11, ZaöRV 62 (2002), 183 (183 ff.). 213 Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, Anlage der Resolution der GV A/56/83 vom 12.12.2001. 214 ICJ Reports 1986, 14 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. USA). 215 S. D. Murphy, Self-Defense and the Israeli Wall Advisory Opinion: An Ipse Dixit from the ICJ?, AJIL 99 (2005), 62 (65 f.).
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Danach ist es ausreichend, dass ein Staat allgemein Anteil an der Organisierung und Koordinierung dieser Gruppen hat, auch ohne diesen spezifische Anweisungen zur Begehung bestimmter Taten zu geben. Entsprechend bestimmen Art. 16 und 17 der Regeln zur Staatenverantwortlichkeit, dass ein Staat sowohl dann völkerrechtlich verantwortlich ist, wenn er einem anderen Staat – und insofern soll hier hinsichtlich Al-Qaida das gleiche gelten – bei dessen völkerrechtswidriger Handlung Beihilfe leistet als auch (und erst recht) dann, wenn er diesen dabei anleitet oder kontrolliert. Im Hinblick auf den 11. September 2001 und das in diesem Ereignis zum Ausdruck kommende Gewaltpotenzial gerade auch nicht-staatlicher Akteure ist daran zu denken, diese Schwelle weiter abzusenken. Zwar ist der IGH auch jüngst in seiner Entscheidung Armed Activities on the territory of the Congo (Congo vs. Uganda) vom 19. Dezember 2005 nicht von seinem Nicaragua-Maßstab abgewichen.217 Ein Minderheitsvotum will aber bereits die Tolerierung terroristischer Aktivitäten für die Zurechnung eines tatsächlich verübten bewaffneten Angriffs genügen lassen und damit auch die Tadic´-Kriterien noch deutlich abschwächen.218 Ein derart weitgehendes Verständnis würde allerdings die Grenzen zwischen einer bloßen völkerrechtlichen Pflichtverletzung, die sekundärrechtliche Folgen nach sich zöge, und einem Verhalten, das mit militärischer Gewalt abgewehrt werden dürfte, praktisch aufheben.219 Daher ist mit Blick auf Art. 11 der Regeln zur Staatenverantwortlichkeit grundsätzlich zu fordern, dass der Staat – auch ohne Beihilfe zu leisten – die betreffende Tat jedenfalls als seine eigene anerkennt und annimmt („acknowledges and adopts the conduct in question as its own“), sei es durch eine ausdrückliche oder auch nur eine konkludente Erklärung.220 Eine rein passive Duldung oder Tolerierung vermag danach jedoch keine Zurechnung herbeizuführen.221 216
ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic´, IT-94-1-A vom 15.7.1999, Para. 120. 217 Urteil des IGH vom 19.12.2005, Paras. 143–146, erhältlich unter http://www. icj-cij.org. Letztlich kam es hier aber gar nicht auf die Frage der Zurechnung an, weil mit Palästina gegenüber Israel schon gar kein anderer Staat beteiligt war. 218 Richter Kateka, Separate Opinion, Paras. 33–38. Richter Simma scheint noch weiter zu gehen und einen bewaffneten Angriff Privater allein als ausreichend anzusehen, Separate Opinion, Para. 11. 219 J. Kammerhofer, The Armed Activities Case and Non-state Actors in Self-Defence Law, LJIL 20 (2007), 89 (101 ff.): „[T]he connection of an armed attack to a state is not quite the same as the attribution of an ‚internationally wrongful act‘ to a state.“ 220 J. Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, 2002, Art. 11, Para 6. 221 Die Unterlassung gebotener Pflichten löst gleichwohl völkerrechtliche Verantwortlichkeit aus, siehe ICJ Reports 1980, 3 – United States Diplomatic and Consu-
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(cc) Anwendung auf die Taliban Der Beitrag der Taliban zu den Anschlägen vom 11. September 2001 dürfte über die Bereitstellung einer sicheren Basis (safe haven) zugunsten der Angehörigen von Al-Qaida nicht hinausgegangen sein.222 Die konkreten Tatumstände werden ihnen demnach kaum bekannt oder auch nur vorhersehbar gewesen sein. Dies allein kann bei Anlegung des vorgenannten Maßstabs daher weder zur Bejahung einer Beihilfe oder gar Kontrolle noch einer „Aneignung“ der Tat („acknowledges and adopts“) durch die Taliban genügen. Allerdings muss ihnen spätestens mit den Anschlägen auf die USamerikanischen Botschaften im Jahr 1998 klar geworden sein, dass die AlQaida-Terroristen unter Osama bin Laden die Sicherheit der USA massiv bedrohten und verletzten. Gleichwohl ließen sie Al-Qaida weiterhin gewähren und ermöglichten ihnen damit, ihre terroristischen Aktivitäten vorzubereiten und auszuführen. Auch durch jahrelange Appelle bzw. Anordnungen des SR, die das Gefährdungspotenzial von Al-Qaida deutlich zum Ausdruck brachten, haben sie sich hiervon nicht abbringen lassen. Bereits in seinen Resolutionen 1189, 1193 und 1214 aus dem Jahr 1998 sowie den im Rahmen von Kapitel VII erlassenen Resolutionen 1267, 1333 und 1363 aus den Jahren 1999–2001 hatte der SR die Taliban aufgefordert, die Unterstützung international operierender Terroristen, namentlich von Al-Qaida, einzustellen. Aber auch nach dem 11. September 2001 noch verweigerten die Taliban die geforderte Auslieferung Osama bin Ladens, obgleich dieser offenbar die Verantwortung für die Anschläge übernommen hatte und diese die Ausmaße eines bewaffneten Angriffs hatten.223 Vor diesem Hintergrund spricht hier vieles dafür, die Frage der Zurechenbarkeit entlang der Wertung des Art. 3 (f) der Aggressionsdefinition zu beantworten.224 Danach wird bereits die Überlassung des eigenen Staatsgebietes für Angriffshandlungen gegenüber einem Drittstaat einer Aggression gleichgesetzt. Der bisherigen Rechtsprechung des IGH zur Zurechnung, insbesondere dem Nicaragua-Urteil, lagen hingegen andere Konstellationen lar Staff in Tehran. Vgl. dazu A. Felder, Die Beihilfe im Recht der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, 2007, 65 ff. u. 117 ff. 222 Im 9/11 Commission Report heißt es u. a.: „The Taliban seemed to open the doors to all who wanted to come to Afghanistan to train in the camps. The alliance with the Taliban provided al Qaeda a sanctuary in which to train and indoctrinate fighters and terrorists, import weapons, forge ties with other jihad groups and leaders, and plot and staff terrorist schemes.“ Der Bericht ist erhältlich unter http://www.9-11commission.gov/report/911Report.pdf [eingesehen am 12.5.2009].). 223 „Bin-Laden-Video: Klares Eingeständnis der Verantwortung“, siehe SPIEGEL Online vom 26.12.2001, erhältlich unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,174359,00.html [eingesehen am 12.5.2009]. 224 Annex zur A/Res. Nr. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974.
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zugrunde. In erster Linie ging es darum, eine Grenze zu ziehen zwischen para-militärischen Aktivitäten, die ein Staat hinzunehmen hat, und solchen, die ihn zur Selbstverteidigung berechtigen. Im vorliegenden Fall ist jedoch unbestritten, dass ein bewaffneter Angriff vorlag und Art. 51 SVN insoweit anwendbar war. Es steht also die Beteiligung der Taliban an schwer wiegenden Angriffshandlungen in Rede. Daher ist hier schon die Bereitstellung einer Basis als derart erheblich anzusehen, dass dies auch die Zurechnung der hiervon ausgehenden Taten nach sich ziehen sollte. Dies gilt umso mehr, als die Taliban vom SR ausdrücklich dazu aufgefordert worden waren, diese Unterstützung zu unterlassen. Demach waren sie richtiger Adressat der Selbstverteidigungsmaßnahmen.225 bb) Begrenzung des Selbstverteidigungsrechts auf „Notfallmaßnahmen“ Des Weiteren (d. h. neben dem Vorliegen eines bewaffneten, einem Staat oder de facto-Regime zurechenbaren Angriffs) sind die zeitlichen Grenzen der Selbstverteidigung sowie der grundsätzliche Vorrang kollektiver Maßnahmen durch den SR zu beachten. Der Opferstaat darf also nur so lange selbst Gewalt anwenden, wie er akut bedroht ist und der SR noch keine eigenen Maßnahmen ergriffen hat. (1) Zeitliche Nähe (Gegenwärtigkeit) Zunächst setzt die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts eine zeitliche Nähe zu dem bewaffneten Angriff in dem Sinne voraus, dass dieser sich aktuell ereignen bzw. gegenwärtig sein muss („if an armed attack occurs“ bzw. „im Falle eines bewaffneten Angriffs“). Dieser Aspekt kann in zwei entgegen gesetzte zeitliche Richtungen, nämlich im Vor- und im Nachhinein eines Angriffs, problematisch werden: zum einen also im Hinblick darauf, wann der Angriff schon nah genug ist, um als ein solcher qualifiziert zu 225 So die ganz überwiegende Ansicht, siehe nur T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (67 ff.); C. Meiser/C. von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 95; R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (38). T. Bruha/C. Tams, Self-Defence Against Terrorist Attacks. Considerations in the Light of the ICJ’s „Israeli Wall“ Opinion, in: K. Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, FS für J. Delbrück, 2005, 85 (98): „[. . .] a special standard of imputability in relation between terrorist groups and host States“.
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werden, zum anderen wann dieser noch hinreichend nah ist, so dass Selbstverteidigungsmaßnahmen gerechtfertigt sind. Mit Blick auf „9/11“ kann die erstere Dimension noch als weitgehend unproblematisch angesehen werden. Auch wenn die Militärschläge gegen Afghanistan erst am 7. Oktober, also einige Wochen nach dem 11. September vorgenommen wurden, bestand noch immer die Gefahr, dass weitere Angriffe unmittelbar bevorstanden. Im Sinne einer möglichst weitgehenden Eingrenzung der Gewalt in den internationalen Beziehungen war es den USA auch zuzugestehen, nicht sofort „loszuschlagen“, etwa um das Selbstverteidigungsrecht nicht zu „verwirken“.226 Angesichts der „hit and run“-Taktik von Terroristen kann ein Staat gar nicht anders, als jeweils nur verzögert zu reagieren. Wird die Zeitspanne zu groß, gerät die Verteidigung allerdings in die Nähe einer bewaffneten Repressalie und damit einer unrechtmäßigen Vergeltung.227 Die Selbstverteidigungslage soll gerade kein Dauerzustand sein, weil sonst in einem sich selbst erfüllenden Teufelskreis endlos argumentiert werden könnte, dass künftige Anschläge durch die „Sanktionierung“ früherer verhindert würden.228 Um einen Angriff noch als gegenwärtig ansehen zu können, wird im Sinne der accumulation of eventsDoktrin wenigstens zu fordern sein, dass die weiterhin zu erwartenden Angriffe noch in einem Gesamtzusammenhang mit den bereits erfolgten Angriffen stehen.229 Dieser Kontext lag hier vor. Die Gefahranalyse hinsichtlich des Irak im Frühjahr 2003 muss hingegen als weitgehend konstruiert gewertet werden (zur „präemptiven Selbstverteidigung“ s. u., 3.). Ganz allgemein bereitet die zeitlich nachgelagerte Erstreckung des – vorgeblich in Selbstverteidigung geführten – „Anti-TerrorKriegs“ völkerrechtliche Schwierigkeiten. Hier kommt es potenziell zum Konflikt mit dem Gewaltverbot bzw. dem Gewaltmonopol des SR im Rahmen von Maßnahmen nach Kapitel VII.
226
T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (67). 227 J. Delbrück, The Fight Against Global Terrorism, GYIL 2001, 9 (22); F. Mégret, „War“? Legal Semantics and the Move to Violence, EJIL 13 (2002), 361 (376). 228 F. Mégret, „Krieg“? – Völkerrechtssemantik und der Kampf gegen den Terrorismus, KJ 35 (2002), 157 (167). 229 Dazu C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 1995, 201.
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(2) Vorrang des SR Nach der Konzeption der Charta, der das System der kollektiven Friedenssicherung zugrunde liegt, kommt grundsätzlich dem SR Vorrang gegenüber dem angegriffenen Staat zu, wenn es um die Ergreifung der „erforderlichen Maßnahmen“ geht. Dies ist nicht nur Sinn und Zweck eines kollektiven Sicherheitssystems, sondern ausdrücklich in Art. 51 SVN normiert. (a) Voraussetzung: SR ergreift effektive Maßnahmen Allerdings setzt die vorrangige Zuständigkeit des SR voraus, dass der SR diese auch wahrnimmt, indem er angemessene und effektive Maßnahmen zum Schutz des betroffenen Staates trifft.230 Darüber, wann diese Bedingung erfüllt ist, kann trefflich gestritten werden, und sicherlich beurteilt sich dies aus der Sicht des Opferstaates anders als aus der Sicht unbeteiligter Dritter.231 Im Hinblick auf „9/11“ jedenfalls ist zu konstatieren, dass dieses Ereignis die USA in einem Maße erschüttert hat, das der Rest der Welt bei aller Teilnahme kaum zu begreifen vermag. In seiner psychologischen Wirkung dürfte es selbst den Angriff auf Pearl Harbor übertroffen haben, der für die USA immerhin den Auftakt des Zweiten Weltkriegs markierte. Auch dies mag ein Erklärungsgrund für die Kriegsrhetorik und die darauffolgenden Maßnahmen sein. Gleichwohl darf aus einem fehlenden oder möglicherweise unzureichenden Eingreifen des SR nicht automatisch geschlossen werden, dass in dem Fall das – notfalls unilateral ausgeübte – Selbstverteidigungsrecht des angegriffenen Staates wieder „auflebt“. Vielmehr kann dies Ausdruck sein bzw. – das Funktionieren dieses Mechanismus unterstellt – ist dies gerade Ausdruck der Überzeugung des SR, dass eben kein bewaffneter Angriff (mehr) vorliegt. Vorliegend allerdings „würdigte“, d. h. billigte, der Präsident des SR die entsprechende Unterrichtung der USA und Großbritanniens vom 7. Oktober 2001 über den Beginn ihrer (Selbstverteidigungs-)Operation Enduring Freedom (OEF).232 Dieses Vorgehen bestätigt die Praxis, in der die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts vom Ausnahme- zum Regelfall geworden ist.233
230
M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 28. Dazu N. Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 2001, 175 ff. 232 Presseerklärung des Präsidenten des SR vom 8.10.2001, SC 7167, siehe http:// www.un.org/News/Press/docs/2001/afg152.doc.htm [eingesehen am 27.1.2007]. 233 A. Randelzhofer, Kommentierung zu Art. 51, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 36. 231
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(b) Errichtung der ISAF-Operation und Verhängung von Sanktionen Für die Folgezeit stellt sich allerdings die Frage, ob nicht der SR spätestens mit der Mandatierung der NATO-geführten International Security Assistance Force (ISAF) durch S/RES/1386 vom 20. Dezember 2001 sowie der Verhängung der Sanktionen gegen Al-Qaida und Taliban durch S/RES/1390 vom 16. Januar 2001 entsprechende Maßnahmen getroffen und damit das Recht der USA auf Selbstverteidigung abgelöst hat. Immerhin sind beide Resolutionen im Rahmen von Kapitel VII erlassen worden und knüpfen sie in ihrer 2. bzw. 3. Begründungserwägung ausdrücklich an die Feststellung der Friedensbedrohung nach Art. 39 SVN in den Resolutionen 1368 und 1373 an, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass der SR entsprechende Maßnahmen treffen wollte. Eine pragmatische und diese Frage im Ergebnis verneinende Antwort hierauf läge sicherlich in der Einschätzung, dass die USA diesen Resolutionen ihr Veto entgegengehalten hätten, wenn sie die Aufhebung des Selbstverteidigungsrechts bedeutet hätten. Jedenfalls im Hinblick auf S/RES/1386 sprechen aber auch die besseren Sachargumente dafür, die Einsetzung der ISAF als Maßnahme zur Unterstützung der afghanischen (Übergangs-)Regierung und nicht als eine solche zur Wiederherstellung oder Wahrung von Frieden und internationaler Sicherheit anzusehen. Denn ihre Aufgabe ist darauf beschränkt, zur Umsetzung des Bonner Abkommens für Stabilität in Afghanistan zu sorgen [S/RES/1510 (2003), op. 1]; ursprünglich war sie sogar nur auf Kabul und Umgebung bezogen [S/RES/1386 (2001), op. 1].234 Der SR fordert die ISAF außerdem ausdrücklich zu engen Abstimmungen mit der OEFKoalition auf [vgl. bereits S/RES/1623 (2005), op. 4 sowie weiterhin S/RES/1890 (2009), op. 5]. Folglich geht der SR davon aus, dass beide Operationen unterschiedliche Mandate haben. Zweifel ergeben sich aber mit Blick auf S/RES/1390, durch die im operativen Absatz 2 eine Reihe expliziter und weitreichender Sanktionen gegen Osama bin Laden, Mitglieder von Al-Qaida, die Taliban und andere mit ihnen verbundenen Personen, Gruppen, Unternehmen und Einrichtungen verhängt wurden.235 Allerdings ist auch diese Resolution keine spezifische 234
Bonner Abkommen vom 5.12.2001, S/2001/1223; zu dessen Umsetzung (wie auch des nachfolgenden Afghanistan Compact von 2005/2006) wurde außerdem die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) errichtet (S/RES/1401 [2002], deren Mandat zuletzt durch S/RES/1917 [2010] um ein Jahr bis zum 23.3.2011 verlängert wurde, ebenso wie dasjenige der ISAF durch S/RES/1943 [2010]) bis – vorerst – zum 13.10.2011. 235 So auch A. Pellet/V. Tzankov, Can a State Victim of a Terror Act Have Recourse to Armed Force?, VN 52 (2004), 68 (69).
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Reaktion auf den 11. September 2001, sondern sie reiht sich in die „1267er“-Serie ein (dazu unten III.), die bereits durch die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften im Jahr 1998 veranlasst wurde. Zwar sind die neuen dramatischen Umstände nach „9/11“ in die Erwägungen zur Resolution 1390 eingeflossen. Beschlossen wurde sie aber erst vier Monate später zu dem Zeitpunkt, als die reguläre Geltungsfrist der Maßnahmen, die durch ihre Vorgänger-Resolution 1333 verhängt worden waren, abgelaufen war und somit verlängert werden musste (vgl. op. 23). Schließlich spricht auch ein Vergleich mit S/RES/661 (1991) dagegen, dass der SR das Selbstverteidigungsrecht durch die Errichtung der ISAF sowie die Verhängung der Sanktionen hat ablösen wollen. Auch in jenem Fall nämlich erkannte der SR das – kollektive – Selbstverteidigungsrecht (Kuwaits und der Koalitionstruppen gegen den Irak) an, obgleich er hier bereits selbst in derselben Resolution Sanktionen verhängte.236 Es ist mithin nicht davon auszugehen, dass der SR diese Resolutionen an die Stelle der OEF setzen wollte, auch wenn beide Operationen faktisch immer mehr vermengt werden – sowohl von den USA, die die Koalitionstruppen zur Terrorismusbekämpfung führen, als auch von den Taliban, die ihre Angriffe zunehmend unterschiedslos gegen Angehörige der OEF und ISAF richten.237 cc) Verhältnismäßigkeit Schließlich müssen die Maßnahmen zur Selbstverteidigung verhältnismäßig (necessary and proportionate) sein. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Art. 51 SVN. Es ist aber davon auszugehen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder Proportionalität, der schon für das völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht anerkannt war, auch im 236 C. Stahn, International Law at Crossroads? The Impact of September 11, ZaöRV 62 (2002), 183 (237). 237 J. Buchsteiner, Blutige Eskalationsstrategie, FAZ.NET vom 21.5.2007 [http://www.faz.net]. Ein Beispiel für die zunehmende faktische Vermischung von ISAF und OEF ist etwa der Einsatz der deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge i. R.v. ISAF, aber zugunsten (auch) von OEF. Das BVerfG hat diese Praxis allerdings gebilligt und die rechtliche Trennung beider Mandate anerkannt (Entscheidung vom 3.7.2007, 2 BvR 2/07). Im Übrigen trägt Deutschland mit seinem Kommando Spezialkräfte (KSK) auch unmittelbar zur OEF bei. Nach mehr als acht Jahren wurde das OEF-Mandat am 3.12.2009 allerdings letztmalig für ein weiteres Jahr und nur noch unterstützt von der Regierungskoalition verlängert; tatsächlich hat die Bundeswehr angekündigt, ihre Beteiligung an der OEF-Mission bereits im Juni 2010 zu beenden, http://www.n-tv.de/politik/bundeswer-zieht-sich-zurueck-arti cle936719.html [eingesehen am 23.6.2010].
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Anwendungsbereich von Art. 51 SVN gelten soll. Der IGH bestätigte dessen fortwährende Geltung explizit in seiner Nicaragua-Entscheidung aus dem Jahr 1986.238 Danach dürfen Ausmaß und Mittel der Verteidigung nicht außer Verhältnis zur Schwere der Angriffshandlung stehen. Insbesondere müssen sie zur Abwehr des Angriffs notwendig sein. Vergeltungsoder Strafaktionen sind demnach nicht gerechtfertigt.239 Im Hinblick auf die Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeten gegen Afghanistan ist insoweit zu fragen, ob der Sturz des Taliban-Regimes (regime change) als eine in diesem Sinne verhältnismäßige Maßnahme angesehen werden kann. Immerhin hatte das Taliban-Regime der Terrororganisation Al-Qaida anhaltend substanzielle Unterstützung gewährt, aufgrund derer die Zurechnungsfrage zu bejahen war. Ob aber allein dadurch hinreichend belegt ist, dass die Gefahr, die von Al-Qaida ausging, nicht ohne die Beseitigung des Taliban-Regimes effektiv gebannt werden konnte, erscheint zweifelhaft.240 Angesichts des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten, das sich auch auf de facto-Regime erstreckt, bedarf die Beseitigung von Regimen der Billigung der Staatengemeinschaft, die gewissermaßen durch den SR vertreten wird.241 Im vorliegenden Fall hat der SR den Aktionen der OEF-Koalition zumindest nicht widersprochen, sondern das Selbstverteidigungsrecht wiederholt bestätigt und den Transformationsprozess in Afghanistan schließlich durch seine S/RES/1378 (2001) unterstützt. Insofern hat der SR den Regimewechsel praktisch stillschweigend „unter dem Dach“ der Selbstverteidigung legitimiert. Besser hätte er diesen allerdings durch ein ausdrückliches Mandat unter Kapitel VII SVN angeordnet oder autorisiert. Durch die Vermengung von Selbstverteidigung und kollektiver Sicherheit geht nämlich in der Sache das Bewusstsein darüber verloren, dass die Billigung des SR konstitutiv ist.242 Letztlich steht auch in diesem Punkt wiederum die Einhaltung rechtlicher Standards auf dem Spiel. 238 ICJ Reports 1986, 14 (94), dazu Th. M. Franck, On Proportionality of Countermeasures in International Law, AJIL 102 (2008), 715 (720 ff.). 239 A. Randelzhofer, Kommentierung zu Art. 51, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 37. 240 Dazu C. Meiser/C. von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 57 ff. 241 C. Tomuschat, Der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 28 (2001), 535 (543). 242 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (72 f.). Auch den Kosovo-Einsatz der NATO 1998 billigte der SR erst nachträglich, während die USA ihren Irak-Feldzug 2003 sogar gegen die ausdrückliche Position des SR durchführten; durch derlei Sonderwege wird das System der kollektiven Sicherheit und damit die praktische Wirksamkeit des geltenden Rechts nachhaltig geschwächt.
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Verletzungen des humanitären Völkerrechts bzw. von Menschenrechten sind durch die Ausübung der Selbstverteidigung nicht gerechtfertigt (dazu unten 4.); andersherum führen diese aber auch nicht unmittelbar zur Unverhältnismäßigkeit der Selbstverteidigung an sich. d) Ergebnis Zusammenfassend lässt sich zu den Resolutionen 1368 und 1373 folgendes Ergebnis festhalten: Zwar ergeben sich die hier herausgearbeiteten Aussagen teilweise nur implizit aus dem Wortlaut der Resolutionen, da die widerstreitenden Interessen der SR-Mitglieder statt eindeutiger Benennungen nur vage Formulierungen erlaubt haben. Denn die SR-Mehrheit musste darum bemüht sein, zumindest in der Außenwahrnehmung die Situation nicht gänzlich von den USA aus den Händen genommen zu bekommen. Wenngleich sie sich aber nicht zu expliziten Feststellungen haben hinreißen lassen, um dadurch Aussagen zu vermeiden, die weit über den aktuellen Fall hinaus gegangen wären und ungewollte Präzedenzwirkung entfaltet hätten, ist letztlich doch genau dies – und gerade wegen des allzu zaghaften eigenen Gestaltungswillens – praktisch eingetreten. Weder hat der SR ausdrücklich festgestellt, dass es sich bei den terroristischen Anschlägen tatsächlich um einen „bewaffneten Angriff“ i. S. d. Art. 51 SVN handelte und damit die Voraussetzung für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts vorlagen, noch dass ein solcher Angriff überhaupt von nicht-staatlichen Akteuren verübt werden kann. Gleichzeitig wurde dies aber auch nicht ausgeschlossen – schon deshalb, weil für die USA derartige gegenteilige Äußerungen inakzeptabel gewesen und damit schlicht ignoriert worden wären. Das wiederum hätte die Autorität des SR gänzlich untergraben, so dass auf entsprechend offene Formulierungen ausgewichen wurde. In der Folge ist die Auslegung der Resolutionen 1368 und 1373 durch die USA im Sinne einer Anerkennung ihres Selbstverteidigungsrechts gegen die Taliban und Al-Qaida auf breite Akzeptanz gestoßen. Das Erfordernis eines bewaffneten Angriffs durch einen Staat oder ein de facto-Regime bzw. in dem Fall, dass dieser von nicht-staatlichen Akteuren verübt wird, die Zurechnung dieses Angriffs zu einem Staat oder de facto-Regime, ist dabei aber aufrechterhalten worden. In diesem Verständnis hat sich die Welt nicht nur unmittelbar nach dem 11. September 2001 nahezu geschlossen hinter die USA gestellt und ihr „uneingeschränkte Solidarität“243 zugesagt. Auch in den Folgejahren bil243 So auch der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 19.9.2001, siehe http://www.documentarchiv.de/brd/ 2001/rede_schroeder_terror-usa.html [eingesehen am 30.3.2007].
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dete sich kein grundsätzlicher Widerspruch der Staatengemeinschaft insgesamt gegen die genannten Resolutionen als völkerrechtliche Grundlage der Selbstverteidigung heraus. Vielmehr legt bereits der Name der entsprechenden Operation, „Enduring Freedom“ („Dauerhafte Freiheit“) nahe, dass ihr Ende prinzipiell offen ist. Erst nach Ablauf nahezu eines Jahrzehnts beginnen die (NATO-Mitglied-)Staaten – auch die USA selbst –, ihren auf Art. 51 SVN, Art. 5 NATO-Statut gegründeten Einsatz in Frage zu stellen und konkretere Abzugsperspektiven möglichst ab 2011 zu entwickeln.244 Die an sich grundsätzlich unterschiedlichen Mandate von OEF und ISAF sind im Laufe der Jahre praktisch immer stärker zusammengelaufen. Dies gilt spätestens, seit in einigen Landesteilen Ende 2006 ein gemeinsames Kommando eingerichtet wurde und etwa auch die Bundeswehr Tornado-Jets bereitstellte, die zwar formal den ISAF-Verbänden angehörten, aber im Rahmen von OEF eingesetzt wurden.245 Dass es bei dieser Operation zu Menschenrechtsverstößen insbesondere durch Angehörige der US-Armee und verschiedener Geheimdienste gekommen ist, änderte an der grundsätzlichen Zustimmung zu dem Einsatz nichts. Selbst der „Exzess“ des Irak-Kriegs [dazu sogleich 3)] hat nicht zum Abbruch von OEF geführt.246 Neben Bedenken systematischer Art, die sich daraus ableiten, dass 244 Siehe die Ergebnisse, inbesondere zur Übertragung größerer Verantwortung auf die afghanische Regierung, der Afghanistan-Konferenzen in London am 28.1.2010 unter http://afghanistan.hmg.gov.uk/en/conference und von Kabul am 20.7.2010 unter http://www.mfa.gov.af/kabul-conference.asp [eingesehen am 20.8.2010]; außerdem P. Rudolf, Barack Obamas Afghanistan/Pakistan-Strategie, SWP-Studie, Mai 2010. Im August 2010 begannen als erstes die Niederlande damit, ihre Truppen abzuziehen, nachdem die Afghanistanpolitik dort zu einem Bruch der Regierungskoalition und zu Neuwahlen geführt hatte; auch Kanada hat erklärt, seinen Einsatz bis Ende 2011 zu beenden. 245 „Jung: Aufklärung – Struck: Kampfeinsatz“, F.A.Z. vom 8.2.2007. Nach dem Kabinettsbeschluss vom 6.2.2007 stimmte der Deutsche Bundestag der Entsendung am 9.3.2007 zu. Vgl. auch F. Böge, Trennung zwischen OEF und ISAF nur für Europäer“, F.A.Z. vom 15.11.2007 darüber, dass die USA praktisch nicht zwischen beiden Missionen unterscheiden und sie die ISAF der NATO zunehmend aus der Hand genommen haben. Siehe auch S/RES/1890 (2009), op. 5: „Calls upon ISAF to continue to work in close consultation with [. . .] the OEF coalition in the implementation of the force mandate.“ 246 Die Verlängerung des Mandats für den ISAF-Einsatz von bis zu 4500 Bundeswehr-Soldaten um weitere 12 Monate hat der Deutsche Bundestag zuletzt am 26.2.2010 im Anschluss an die Afghanistan-Konferenz vom 28.1.2010 in London ganz mehrheitlich beschlossen, wenn auch erstmals mit explizitem Verweis auf eine Abzugsperspektive, siehe „Große Mehrheit für neues Afghanistan-Mandat“, FAZ.NET vom 26.2.2010; als völkerrechtliche Grundlage hierfür siehe das SR-Mandat gemäß S/RES/1890 vom 8.10.2009. Für die Verlängerung des Bundeswehrmandats i. R. v. OEF gab es zuletzt am 3.12.2009 allerdings nur noch die Zustimmung der Regierungsmehrheit des Deutschen Bundestags, siehe FAZ.NET vom 3.12.2009. Die „Verfahrenstaktik“, getrennt über ISAF und OEF abstimmen zu lassen, hat da-
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die VN anstelle eines unilateralen grundsätzlich ein kollektives Handeln vorsehen, geben aber nicht zuletzt diese Auswüchse des „Anti-TerrorKriegs“ Anlass zur Sorge. Ein (VN-)organschaftliches Vorgehen mit seiner größeren Transparenz und seinen besseren Kontrollmöglichkeiten wäre eher geeignet gewesen, diese Rechtsverletzungen zu verhindern, als die bloße Selbstkontrolle des angegriffenen Staates im Rahmen seiner Selbstverteidigung.247 3. „Präemptive Selbstverteidigung“ (Irak)
Zur Rechtfertigung der für den Fall des Irak festgestellten zeitlichen und substanziellen (Über-)Dehnung des Selbstverteidigungsrechts248 entwickelte die Bush-Regierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) aus dem Jahr 2002 die Figur der „präemptiven Selbstverteidigung“ (sog. Bush-Doktrin)249, an der sie auch in ihrer jüngsten NSS von 2006 noch festhielt.250 Danach müssten Sicherheitsgefahren in Zeiten, in denen Terroristen potenziell in den Besitz von Massenvernichtungswaffen gelangen könnten und Abschreckungsstrategien nicht mehr griffen, bekämpft werden, bevor sie amerikanischen Boden erreichten. Wenngleich die Gefahrenanalyse zutreffend ist, d. h. angesichts eines „unsichtbaren Gegners“ praktische Zwänge bestehen, die Gefahrenabwehr zeitlich nach vorn auszudehnen, sind die Schlussfolgerungen mit dem geltenden Recht nicht vereinbar. a) Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 bzw. nach Völkergewohnheitsrecht Das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 SVN setzt – wie gesehen – einen bewaffneten Angriff voraus. Danach besteht kein Raum für ein irgendwie geartetes präventives oder präemptives Selbstverteidigungsrecht. Allerdings ist es angesichts des Wortlauts des Art. 51 SVN, der auf „das naturgegebene (inherent) Recht zur [. . .] Selbstverteidigung“ verweist, unklar und umstritten, ob nicht das allgemeine, völkergewohnheitsrechtliche mit zwar nicht zum Abbruch eines Mandats geführt, wohl aber eine gewisse Spaltung in der politischen Unterstützung zutage treten lassen. 247 Ebenso J. Delbrück, The Fight Against Global Terrorism, GYIL 2001, 9 (20 ff.). 248 Siehe oben (b) bb) (1). 249 President of the United States of America, National Security Strategy of the United States of America (NSS), insb. Teil II und V, Washington D.C., 17.9.2002, www.whitehouse.gov./nsc/nss.pdf [eingesehen am 2.2.2006]. 250 President of the United States of America, National Security Strategy of the United States of America (NSS), insb. Teil III, vom 28.3.2006, erhältlich unter http://www.whitehouse.gov/nsc/nss/2006/nss2006.pdf [eingesehen am 28.3.2006].
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Selbstverteidigungsrecht neben diesem kodifizierten Recht auf Selbstverteidigung weiterbesteht und ggf. weitergefasst ist.251 Dagegen spricht, dass es wesentlicher Sinn und Zweck der VN-Charta ist, die Gewalt möglichst einzuschränken, das Naturrecht auf Selbstverteidigung gewissermaßen kulturell zu transformieren252, während die in ihrer Anwendung nur schwer objektivierbaren Kriterien des traditionellen Selbstverteidigungsrechts dem entscheidend zuwiderliefen.253 Andererseits setzt die Charta das bereits vorher existierende Recht ausdrücklich voraus und macht es sich zu eigen, indem sie davon absieht, ihrerseits in Art. 51 SNV dessen Inhalt zu regeln. Dies legt – wovon auch der IGH und die Staatenpraxis ausgehen254 – ein Rückgriff auf das traditionelle, weitere Verständnis nahe, nach dem insbesondere ein präventives Selbstverteidigungsrecht nach den im Jahre 1837 vom damaligen US-Außenminister Daniel Webster im Caroline-Fall formulierten Voraussetzungen anzuerkennen ist. Danach ist ein Staat dann zu Maßnahmen der Selbstverteidigung berechtigt, wenn „the necessity of that self-defence is instant, overwhelming and leaving no choice of means, and no moment for deliberation“.255 Das von US-Präsident George W. Bush reklamierte Recht auf präemptive Selbstverteidigung wäre aber selbst hiernach unzulässig. Denn es knüpft bereits an bloß potenziell, also nur abstrakt gefährliche Entwicklungen an und stellt damit eine Vorverlagerung dar, die kaum mehr mit objektiven Maßstäben handhabbar ist und somit Willkür und Missbrauch Tür und Tor öffnet. Dies ist angesichts der überragenden Interessen und Rechtspositionen, die ihm gegenüberstehen, nämlich Gewalt- und Interventionsverbot, nicht mehr zu rechtfertigen.256 Was mit der Figur einer präemptiven als vermeintlich 251
Siehe J. Dugard, International Law, 2001, 417. T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (66). 253 A. Randelzhofer, Kommentierung zu Art. 51, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, 1991, Rn. 9 ff. 254 IGH im Nicraragua-Urteil, ICJ Reports 1986, 14 (94): „[. . .] the Charter, having itself recognized the existence of this right, does not go on to regulate directly all aspects of its content. [. . .] It cannot therefore be held that Article 51 is a provision which ‚subsumes and supervenes‘ customary international law.“ 255 Zitiert nach W. Meng, The Caroline, in: R. Bernhardt (Ed.), EPIL, Vol. I, 1992, 532 (532 f.). 256 So die ganz überwiegende Völkerrechtswissenschaft, vgl. nur R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (33 ff.); H. Fischer, Friedenssicherung und friedliche Streitbeilegung, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 59, Rn. 30; D. Murswiek, Die amerikanische Präventivkriegsstrategie und das Völkerrecht, NJW 56 (2003), 1014 (1014 ff.); implizit auch der Bericht der VN-Reformkommission 252
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präventiver Selbstverteidigung versucht wird zu erklären, ist im Grunde eine carte blanche, die sowohl ein Vorgriff als auch ein Nachsetzen über die zeitlichen Grenzen der Selbstverteidigung hinaus ermöglichen würde. Das Selbstverteidigungsrecht ist jedoch an strenge Voraussetzungen geknüpft und muss dies auch sein, wenn die Ächtung der Gewalt eine praktische Bedeutung haben soll. Bezeichnenderweise berief sich die Bush-Administration im Fall des IrakKriegs auch in erster Linie dem amerikanischen Volk gegenüber auf das (präemptive) Selbstverteidigungsrecht, während sie (ebenso wie Großbritannien) gegenüber der Staatengemeinschaft eine angebliche Autorisierung durch die S/RES/1441 (2002) geltend machte, was die Mehrheit des SR und – in ungewöhnlicher Deutlichkeit, indem er die Angriffe gegen den Irak als völkerrechtswidrig bezeichnete – auch GS Kofi Annan257 explizit ablehnten. Angesichts dieses deutlichen Widerspruchs ist das geltende Recht bestätigt und eine Fortbildung im Sinne eines präemptiven Selbstverteidigungsrechts ausgeschlossen worden. b) Auswege Nichtsdestotrotz ist ein gesteigertes Bedürfnis der Staaten nach Schutz anzuerkennen. Insoweit muss das Völkerrecht in Zeiten veränderter tatsächlicher Gefahrenlagen legale Auswege bieten, um nicht seine „soziale Wirksamkeit“ zu riskieren. Ein genauer Blick führt allerdings zu dem Ergebnis, dass das geltende Völkerrecht – insbesondere wenn man das etwas weiter gehende völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht anerkannt – auch für die aktuellen „neuen Herausforderungen“ durchaus angemessene Regeln bereithält, es also keinen Anlass gibt, hiervon abzuweichen. aa) Selbstverteidigung gegen Staaten bzw. de facto-Regime Um den möglichen Opferstaat nicht zum Abwarten eines bewaffneten Angriffs zu zwingen, muss der Ansatzpunkt dabei eine weite Auslegung des zeitlichen Kriteriums „immanent“ sein (das für die Merkmale „instant, overwhelming and leaving [. . .] no moment for deliberation“ steht, s. o. vom 2.12.2004, Part 3, Para. 190, 191: „[I]n a world full of perceived threats, the risk to the global order and the norm of non-intervention on which it continues to be based is simply too great for the legality of unilateral preventive action as distinct from collectively endorsed action, to be accepted. Allowing one to so act is to allow all.“ 257 GS K. Annan auf einer Pressekonferenz im September 2004, zitiert nach AJIL 99 (2005), 269: „[F]rom our point of view and the U.N. Charter point of view, it was illegal.“
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Webster-Formel).258 Damit die Funktion des Selbstverteidigungsrechts als Ausnahmetatbestand gewahrt bleibt, ist allerdings zweierlei zu beachten. Zum einen ist der Nachweis darüber zu erbringen, dass die behauptete Gefahr sich im Falle des Untätigbleibens mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit realisieren wird („definite plans [. . . and . . .] irrevocably committed to an attack“).259 Dass auch ein entsprechender „clear and compelling“-Standard hinsichtlich der Beweislast allerdings unsicher ist, zeigt bereits der Umstand, dass er sich – obgleich es die USA selbst waren, die ihn infolge des 11. September 2001 entwickelt haben260 – bereits in der Frage der Bedrohung durch angebliche irakische Massenvernichtungswaffen praktisch als wirkungslos erwiesen hat. Daher ist gleichzeitig ein strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab anzulegen (in der Sprache der Webster-Formel: „overwhelming and leaving no choice of means“, s. o.), der nur die Beseitigung einer unmittelbaren Bedrohung erlauben und etwa einen Regimewechsel – getarnt als „Selbstverteidigungsmaßnahme“ – in aller Regel ausschließen würde.261 Zugleich – denn dies scheint immer noch die beste Gewähr gegen Missbrauch zu sein – wird mit der VN-Reformkommission, deren Auffassung sich auch der seinerzeitige GS Kofi Annan anschloss, zu fordern sein, dass insbesondere in Fällen (vermeintlicher) präventiver Selbstverteidigung die letztendliche Entscheidung über die Anwendung von Gewalt beim SR als „globaler Jury“ liegen muss.262 Wenn die Gefahr für einen Staat derart hinreichend konkret ist, dass sie eine – präventive – Selbstverteidigung rechtfertigen und erfordern würde, dann wird auch der SR sich dem nicht verschließen dürfen und können, denn insoweit hat dieser Gebrauch von seinen treu258 T. D. Gill, The Temporal Dimension of Self-Defence: Anticipation, Pre-emption, Prevention and Immediacy, JCSL 11 (2006), 361 (369). 259 H. Hofmeister, Preemtive Strikes – A new Normative Framework, AVR 44 (2006), 187 (193). 260 Siehe die Erklärung des damaligen NATO-Generalsekretärs Lord Robertson vom 2.10.2001, erhältlich unter http://www.nato.int/docu/speech/2001/s011002a. htm [eingesehen am 7.2.2007]. 261 Insofern wäre als zusätzliche „Disziplinierung“ denkbar, dass im Nachhinein ggf. ein Schiedsgericht darüber entscheidet, ob die Voraussetzungen tatsächlich vorlagen (bzw. schuldhaft der Schein geweckt oder aufrechterhalten wurde, sie würden vorliegen) und – sollte das nicht der Fall gewesen sein – dem Opfer Schadensersatzansprüche zuspricht, dazu H. Hofmeister, Preemptive Strikes – A new Normative Framework, AVR 44 (2006), 187 (192 ff.). 262 A more secure world: Our shared responsibility, Report of the High-Level-Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Para. 190, 191: „[I]f there are good arguments for preventive military action, with good evidence to support them, they should be put to the SC, which can authorize such action if it chooses to. If it does not so choose, there will be, by definition, time to pursue other strategies [. . .]“.
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händerischen Rechten bzw. Pflichten zu machen. Dieser Funktion wird der SR praktisch umso besser gerecht werden können, je repräsentativer seine Mitgliedschaft und je transparenter seine Arbeitsweise ist. Gelingt es hingegen nicht, den SR von der Notwendigkeit der Gewaltanwendung zu überzeugen, spricht vieles dafür, dass die Gefahr nicht in dem Maße „immanent“ ist wie behauptet. Dann aber kommt auch keine Ausnahme vom Gewaltverbot durch Selbstverteidigung in Betracht. Schon gar nicht darf die fehlende Zustimmung des SR in einem solchen Fall als „Systemfehler“ abgetan und durch einen unilateralen Beschluss konterkariert werden.263 Ansonsten wird sich eine nie enden wollende Gewaltspirale in Gang setzen. GS Kofi Annan traf daher in seinem Reformbericht die wohl einzig richtige Schlussfolgerung: „The task is not to find alternatives to the Security Council as a source of authority but to make it work better.“264 (Siehe dazu unten Kap. 7.) Hinzu kommt, dass allein die – idealerweise öffentliche – Diskussion und Aufmerksamkeit im SR bereits entscheidend dazu beitragen dürften, einen potenziellen Angreifer- oder auch Sympathisantenstaat von seinen Anschlägen bzw. seiner Unterstützung abzuhalten. bb) Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Terroristen Künftig dürfte es aber eher der Regel entsprechen, dass die Handlungen von in Netzwerken organisierten internationalen Terroristen wie Al-Qaida nicht mehr unbedingt einem bestimmten Staat zugerechnet werden können, da es an einer direkten Unterstützung oder jedenfalls einer „aktiven Duldung“ durch einen Staat fehlt. Damit entfällt aber im Prinzip auch ein zulässiges Angriffsziel für militärische Gegenschläge. Denn grundsätzlich ist der Einsatz militärischer Kräfte auf fremdem Territorium wegen des Grundsatzes der Staatensouveränität sowie des Interventions- und Gewaltverbots unzulässig. In dieser Hinsicht ist es in den vergangenen Jahren bereits zu Spannungen zwischen Pakistan und den USA gekommen, da letztere bei der Verfolgung von Taliban und Al-Qaida von Afghanistan aus vermehrt auf pakistanisches Staatsgebiet übergegriffen haben und dies auch weiterhin für sich in Anspruch nehmen.265 263 So wie 2003 im Fall des Irak, als die USA und GB erklärten, dass es eines positiven Beschlusses des SR nicht bedürfe. Vgl. dazu Th. M. Franck, The Power of Legitimacy and the Legitimacy of Power: International Law in an Age of Power Disequilibrium, AJIL 100 (2006), 88 (102). 264 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005, Para. 122–126. 265 Vgl. U. Ladurner, „Der Bush in Obama – auch der neue US-Präsident ist ein Krieger: In Pakistan tritt er das Erbe seines Vorgängers an – mit aller Gewalt“, Die ZEIT vom 2.4.2009, S. 7.
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Gleichzeitig jedoch hat ein Staat völkerrechtlich – und zwar „verschuldensunabhängig“ – dafür einzustehen, dass von seinem Territorium keine Gefahren für Dritte ausgehen.266 In Fällen, in denen ein Staat entweder nicht fähig oder nicht willens ist, derartige Gefahren zu bannen, wandelt sich seine Handlungs- in eine Duldungspflicht um, d. h. er muss einen Drittstaat, der zur Selbsthilfe greift, gewähren lassen. Eine solche Intervention wiegt schon deshalb geringer, weil sich der Eingriff hier letztlich nicht gegen den betreffenden Staat und dessen politische Unabhängigkeit selbst richtet, sondern ausschließlich gegen Private, die lediglich von seinem Territorium aus operieren.267 Selbst wenn man zugunsten des Aufenthaltstaates (von Terroristen) das Neutralitätsrecht zur Anwendung brächte, käme man zur Zulässigkeit von derlei Maßnahmen. Denn auch ein neutraler Staat hat mit allen ihm verfügbaren Mitteln dafür Sorge zu tragen, dass sein Territorium nicht für Kampfhandlungen oder deren Vorbereitung genutzt wird. Anderenfalls darf die andere Partei ihre Kriegshandlungen auf dessen Territorium ausdehnen, d. h. der neutrale Staat muss deren Abwehrmaßnahmen auf seinem Territorium dulden. Insoweit ist die Pflichtenstellung eines Aufenthaltsstaates derjenigen eines neutralen Staates (in einem internationalen bewaffneten Konflikt) also durchaus vergleichbar.268 In der Beseitigung der Gefahrenlage allerdings liegt zugleich auch die Grenze der Eingriffsbefugnis. Es gelten nach wie vor die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, wonach (militärische) Selbstverteidigungsmaßnahmen nur in dem Umfang und so lange erforderlich und damit zulässig sind, wie der Aufenthaltsstaat selbst keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen hat oder die Terroristen ihre Aktivitäten nicht eingestellt haben. Der eingreifende Drittstaat ist verpflichtet, seinerseits alle Möglichkeiten zur Kooperation mit dem Aufenthaltsstaat zu nutzen. Insbesondere ist von ihm auch 266 C. Tomuschat, der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 28 (2001), 535 (541); C. E. Ritterband, Terrorismus, Menschenrechte und Intervention, in: Y. Hangartner (Hrsg.), Völkerrecht im Dienste des Menschen, FS für H. Haug, 1986, 225 (227). Siehe auch C. Stahn, „Nicaragua is Dead, Long Live Nicaragua“ – The Right to Self-Defence under Art, 51 UN Charter and International Terrorism, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 827 (865) zum Konzept von Souveränität als Verantwortlichkeit. 267 Siehe R. Grote, Between Crime Prevention and the Laws of War: Are the Traditional Categories of International Law Adequate for Assessing the Use of Force against International Terrorism?, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 951 (975 ff.). 268 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (75 f.); C. Meiser/C. von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 62 f.
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ein Nachweis darüber zu verlangen, dass von den ins Visier genommenen Terroristen auch tatsächlich die geltend gemachte Gefahr ausgeht.269 Um auf einer möglichst breiten Legitimationsgrundlage zu handeln, sollte auch hier der SR wenigstens konsultiert werden.270 Zugleich muss unter Wertungsgesichtspunkten die Erweiterung des (militärischen) Selbstverteidigungsrechts von Staaten gegen Private mit einer entsprechenden Ausdehnung des Anwendungsbereichs des humanitären Vökerrechts einhergehen (wenn auch ohne den Terroristen den Kombattantenstatus zu verleihen). Anderenfalls stünden diese Gruppen oder Individuen staatlichen militärischen Einheiten (rechts-)schutzlos gegenüber. Eine solche Situation führt, wie gesehen, zu Entgrenzungen und Eskalation auf beiden Seiten, was den Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts fundamental zuwiderläuft. Das vielfach gegen dessen Anwendung vorgebrachte (Reziprozitäts-)Argument, dass auch die Terroristen sich nicht an dessen Regeln hielten, vermag nicht zu überzeugen, da jedenfalls die grundlegenden Prinzipien des humanitären Völkerrechts repressalienfest sind.271 Auch dem internationalen Moment des „Anti-Terror-Kriegs“ würde mit der Anwendung des humanitären Völkerrechts Rechnung getragen.272 In Afghanistan liegt eine Mischform zwischen Intervention auf Einladung273 und Ausübung des Selbstverteidigungsrechts vor. Zweck der ISAF ist es, Afghanistan selbst im Hinblick auf die Bedrohungen insbesondere durch die Taliban von innen zu stabiliseren. Vor diesem Hintergrund sind die internationalen Schutztruppen ausdrücklich auf Einladung der afghanischen Regierung im Land aktiv.274 Die internationalen Streitkräfte im Rahmen der OEF hingegen operieren auf Grundlage des Selbstverteidigungsrechts, bezwecken also den Schutz von Drittstaaten gegen Anschläge der Taliban/Al-Qaida nach außen. Angesichts dessen, dass die OEF mittlerweile in ihr neuntes Jahr geht und die Staatsgewalt von den Taliban jeden269 C. Meiser/C. von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 63. 270 B. G. Ramcharan, Terrorism and Non-state Organizations, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 681 (697). 271 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (76); C. Meiser/C. von Buttlar, Militärische Terrorismusbekämpfung unter dem Regime der UN-Charta, 2005, 93. 272 J. Wieczorek, Unrechtmäßige Kombattanten und Humanitäres Völkerrecht, 2006, 354. 273 Ausführlich hierzu G. Nolte, Eingreifen auf Einladung, 1999. 274 Dazu die Informationen des Auswärtigen Amtes zur „German Participation in the International Security Assistance Force (ISAF) in Afghanistan“, siehe http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/en/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/Af ghanistan/ISAF.html [eingesehen am 5.2.2008].
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falls größtenteils wieder auf die afghanische Regierung übergegangen ist275, mehren sich indes die Forderungen in entsendenden Staaten – namentlich in Deutschland –, ihre Aktivitäten künftig von der Zustimmung der afghanischen Regierung im Einzelfall abhängig zu machen.276 Auch die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat angekündigt, ihre neue Strategie zur Terrorismusbekämpfung in Afghanistan nunmehr enger mit der afghanischen Regierung abstimmen zu wollen.277 Die Abwehr von Gefahren schließlich, die unterhalb der Schwelle von bewaffneten Angriffen verbleiben, ist nicht als Selbstverteidigung, sondern als Kriminalitätsbekämpfung einzuordnen. Insofern dürfte ein bevorstehender oder bereits durchgeführter terroristischer Anschlag keineswegs automatisch das Selbstverteidigungsrecht auslösen, auch wenn der SR mit und seit Erlass seiner S/RES/1368 (2001) jeden terroristischen Akt als Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit ansieht. Insoweit wird bei der Definition des Terrorismus nachgearbeitet werden müssen (dazu unten Kap. 8), um die erforderlichen Konturen für die Anwendbarkeit von Maßnahmen nach Kap. VII SVN festzulegen. Die Grenzen zwischen Polizei- und Militäreinsatz mögen praktisch häufig verwischen, indem entweder die Polizei militarisierte Spezialeinheiten aufstellt oder sich das Militär zu einer hoch spezialisierten und hochgerüsteten „Polizei“ entwickelt.278 In jedem Fall aber muss, wenn weder ein bewaffneter Angriff vorliegt bzw. bevorsteht noch der SR die Anwendung militärischer Gewalt autorisiert hat, nationales Polizei- und Strafrecht mit seinen engen Voraussetzungen und Rechtsfolgen (sowie die universalen Menschenrechte) zur Anwendung kommen und nicht das völkerrechtliche Kriegsrechtsregime, gar ohne den Mindestschutz nach Art. 3 der Genfer Konventionen oder die Gewährung fundamentaler Menschenrechtsgarantien. Alles andere führt zu Verwerfungen, die nach 2001 im Überfluss zu bezeugen gewesen sind.
275 Nach dem jüngsten Achten Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 14.5.2008, S/2008/324, II. D. sind lediglich – aber immerhin noch – 36 der 376 Distrikte „largely inaccessible to Afghan officials“. 276 Dahin gehend wurden in der Debatte des Deutschen Bundestages zur Verlängerung der Bundeswehr-Mandate im Rahmen von ISAF und OEF im Herbst 2007 vermehrt Stimmen geäußert, siehe http://www.dradio.de/nachrichten [eingesehen am 5.9.2007]. 277 „Washington und Kabul vereint gegen die Taliban“, FAZ.NET vom 15.2.2009 [http://www.faz.net]; in dem Artikel heißt es: „Die Vereinigten Staaten und Afghanistan haben sich im Kampf gegen die Taliban auf eine grundlegende Neubewertung ihrer Strategie verständigt . . . ‚Wir sind hier, um zuzuhören“, sagte Richard Holbrooke [der am 13.12.2010 verstorbene amerik. Sondergesandte für die Region].“ 278 H. Hess, Terrorismus und globale Staatsbildung, KJ 35 (2002), 450 (464).
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4. Der „Anti-Terror-Krieg“ und seine Auswirkungen auf die internationale Ordnung und das Völkerrecht (insb. ius in bello/Guantánamo)
Entgegen den oben skizzierten Differenzierungen haben die USA ihre militärischen Aktivitäten, die sie seit dem 11. September 2001 entfaltet haben und hinsichtlich derer sie pauschal ihr Recht zur Selbstverteidigung reklamieren, als „globalen Anti-Terror-Krieg“ zusammengefasst. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, welche Implikationen dies nach sich gezogen hat. a) Der Begriff des Krieges Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist im Völkerrecht der Begriff des Krieges zunehmend durch denjenigen des internationalen bewaffneten Konflikts abgelöst worden. Nach den gleich lautenden Art. 2 der vier Genfer Konventionen von 1949 etwa sind die Konventionen „in allen Fällen eines erklärten Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts, der zwischen [. . .] Vertragsparteien entsteht“, anwendbar; die Zusatzprotokolle von 1977 verwenden ausschließlich noch den Begriff des bewaffneten Konflikts. Damit wurde auf die Veränderung der tatsächlichen Kriegsumstände im 20. Jahrhundert reagiert. Zum einen kam es praktisch nie mehr zu einer formalen Kriegserklärung, wie es das ursprüngliche Konzept des Kriegs erforderte, zum anderen wurde die Definition des Krieges als exklusiv zwischenstaatlicher Konflikt nicht mehr der Vielfalt der Konfliktformen in der jüngeren Vergangenheit gerecht. In zunehmendem Maße stellen andere, nicht-staatlich organisierte Entitäten die Parteien in Konflikten. Das Erfordernis ihrer Anerkennung als Kriegführende entspricht daher nicht mehr den tatsächlichen Bedürfnissen, so dass sie nunmehr automatisch unter das (Völker-)Recht internationaler bewaffneter Konflikte bzw. das humanitäre Völkerrecht zu fassen sind. Der Begriff des Krieges ist zwar ein rechtlich besetzter Begriff geblieben, allerdings weitgehend in dem des internationalen bewaffneten Konflikts aufgegangen.279 Haben die Anschläge durch die Terroristen von Al-Qaida als nicht-staatliche Akteure demnach zwar keinen Krieg i. S. e. internationalen bewaffneten Konflikts ausgelöst, ändert dies doch nichts daran, dass die durch sie verursachte Bedrohung als kriegsähnlich empfunden wird.280 Bewahrt hat 279 Zum Kriegsbegriff im Einzelnen siehe K, Ipsen, Die Entwicklung vom Kriegsrecht zum Recht des bewaffneten Konflikts, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 65, Rn. 5 ff. (7); J. Nafziger, The Grave New World of Terrorism, Denver J.I.L.P. 31 (2002), 1 (11), S. Peterke, Rio de Janeiros „Drogenkrieg“ im Lichte der Konfliktforschung und des Völkerrechts, 2009, 26 ff.
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der Kriegsbegriff insofern seine traditionelle politische und psychologische Bedeutung. Diese hat die Bush-Regierung auch unmittelbar bezweckt, da hierdurch in geradezu idealtypischer Weise ein Ausnahmezustand herbeigeführt wird, der die Anwendung von Gewalt und die Aussetzung von Rechten scheinbar legitimiert. Tatsächlich aber werden Rechtskategorien substanziell verzerrt und damit rechtswidrige Zustände geschaffen [dazu unten c)].281 Selbst die jüngste Nationale Sicherheitsstrategie der USA vom 16. März 2006, die derjenigen aus dem Jahr 2002 nachfolgt, wird noch mit den Worten eingeleitet: „America is at war. This is a wartime national security strategy required by [. . .] the rise of terrorism [. . .] revealed to the American people on September 11, 2001.“ b) S/RES/1377 (2001): „Die Geißel des internationalen Terrorismus“ Auch im SR hat die programmatische „post-‚9/11‘“-Sprache Eingang gefunden. So ist der „Feldzug gegen den Terrorismus“ in S/RES/1377 (2001) verbal mit der Formel „(to combat/to fight) the s c o u r g e of international terrorism“ eingekleidet worden (Hervorhebung durch Verf.). Diese Formulierung ist das Resultat einer der seltenen SR-Sitzungen auf Ebene der Außenminister und damit Ausdruck eines wohlüberlegten politischen Kalküls.282 Denn mit dieser Wortwahl wird eine Parallele zum Wortlaut der Präambel der VN-Charter geschaffen, in der an oberster Stelle in Absatz 1 beschworen wird, die nachfolgenden Generationen „vor der Geißel (scourge) des Krieges zu bewahren“. Indem der SR den Terrorismus als die heutige „Geißel“ der Menschheit qualifiziert, stellt er die Terrorismusbekämpfung von ihrem Stellenwert her praktisch Seite an Seite mit der Bekämpfung von Kriegen. Damit wird die internationale Gemeinschaft auf die Terrorismusbekämpfung als (angeblich) vordringlichste aller Aufgaben eingeschworen.283 Dieser Sprache wohnt eine Eskalation inne, die das Bewusstsein dafür erzeugen soll, dass eine Ausnahmesituation vorliege, die „besondere“ – bis hin zu illegalen – Maßnahmen erfordere (und rechtfertige).284 280 T. Bruha, Neuer Internationaler Terrorismus: Völkerrecht im Wandel?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 51 (60). 281 F. Mégret, „Krieg“? – Völkerrechtssemantik und der Kampf gegen den Terrorismus, KJ 35 (2002), 157 (167, 177). 282 Para. 8 bzw. 12 der Ministeriellen Erklärung vom 12.11.2001, Annex zu S/RES/1377 (2001). 283 Siehe zur unterschiedlichen Gefahrenwahrnehmung und Bedrohungsanalyse unten Kap. 9, E. 284 F. Mégret, „War“? Legal Semantics and the Move to Violence, EJIL 13 (2002), 361 (361).
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Darüber hinaus gibt dieser Sprachgebrauch aber auch Aufschluss über das zugrunde liegende rechtliche Verständnis: Wenngleich die Bezeichnung „Anti-Terror-Krieg“ ganz überwiegend – und im Hinblick auf das derzeit geltende Völkerrecht sicher zu recht – als semantisch falsch und irreführend abgetan und lediglich als politischer, nicht aber als rechtlicher Ausdruck angesehen wird285, drängt die Zusammenschau der Passus „the scourge of war“ und „the scourge of international terrorism“ möglicherweise zu einer Neubewertung auch dieser Bezeichnung. Schließlich ist nicht nur hinter der Umschreibung als „Geißel des internationalen Terrorismus“, sondern ebenso hinter den nachfolgenden Maßnahmen das Bestreben auszumachen, die (noch) bestehenden Begriffe des Krieges bzw. des bewaffneten Konflikts (oder Angriffs) aufzuweichen. Diese Tendenz kommt zum einen darin zum Ausdruck, dass von den kriegsrechtlichen (Sonder-)Befugnissen des Staates auch gegen private Terrornetzwerke Gebrauch gemacht wird. Zum anderen wird nicht nur die organschaftlich wahrgenommene kollektive Selbstverteidigung durch unilaterale Maßnahmen unterlaufen, sondern es werden auch die Grenzen der Selbstverteidigung überdehnt, indem ein Recht auf „präemptive Selbstverteidigung“ behauptet und ausgeübt wird. c) Konsequenzen der Terrorismusbekämpfung in Form eines „Anti-Terror-Kriegs“ Handlungen, die zur Selbstverteidigung oder im Krieg (i. S. e. internationalen bewaffneten Konflikts) vorgenommen werden, bedürfen gleichermaßen eines Adressaten bzw. Gegners. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das zwanghafte Bemühen, dem Gegenüber ein Gesicht zu geben und einen „Körper“, d. h. ein Territorium zuzuweisen. Gelang es anfänglich noch, AlQaida weitgehend mit den Taliban und diese mit dem Staat Afghanistan zu verschmelzen, ist die Zielrichtung der „Selbstverteidigung“ im „globalen Anti-Terror-Krieg“ seitdem räumlich und zeitlich immer mehr verwischt und damit zwangsläufig die territoriale Souveränität anderer Staaten bedroht. Um die Eingriffe „formal-juristisch“ abzusichern, wird geradezu händeringend versucht, „die Terroristen“ mit staatlich-souveränen Auftraggebern in Deckung zu bringen. Die Beschreibung der terroristischen Herausforderung als „neuer Krieg“ geht insofern mit der unmerklichen Umdeutung der völkerrechtlichen Konzeption des Krieges einher: von der 285 R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (7); F. Mégret, „War“? Legal Semantics and the Move to Violence, EJIL 13 (2002), 361 (363).
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„Selbstverteidigung“ gegen „Schurken-Staaten“ (rogue states), d. h. den Staaten, die Sympathien für „Terroristen“ (als den vermeintlichen hostes humani generis unserer Zeit) verdächtig sind, hin zu einer Art „Selbstverteidigung“ gegen die Terroristen als „Feinde“ oder „rogue individuals“ selbst.286 Zugrunde gelegt wird diesem Vorgehen eine höchst eigenmächtige „Auslegung“ des humanitären Völkerrechts sowie der Menschen- und Bürgerrechte [dazu sogleich unter bb)]. Die internationale Terrorismusbekämpfung als „Krieg“ zu bezeichnen – und auch tatsächlich losgelöst von der lange gewachsenen völkerrechtlichen Einhegung zu betreiben – stellt somit eine gefährliche Falschetikettierung dar, deren völkerrechtlicher Preis gewaltig ist und nachwirken wird. aa) Verwerfungen in der internationalen Ordnung So vermag es angesichts dieser Kriegssemantik und Instrumentalisierung des Völkerrechts kaum zu verwundern, wenn die betroffenen Staaten – zugespitzt zur „Achse des Bösen“287 zusammengefasst – sich in ihren elementaren Sicherheitsbedürfnissen bedroht fühlen und sich folglich in die nukleare Aufrüstung flüchten, scheinen doch einzig noch Atomwaffen ihre staatliche Souveränität garantieren zu können.288 Das Ziel einer internationalen Friedensordnung, die auf Abrüstung und Kooperation statt auf Aufrüstung und Abschreckung basiert, gerät dadurch in weite Ferne.289 Vertragliche Regime wie der Nichtverbreitungsvertrag (NPT)290 verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn die anerkannten Atommächte ihre Abrüstungspflichten ignorieren und die USA einzelne, nicht anerkannte Atommächte wie Indien unilateral adeln291, anderen wie Pakistan als „enge Verbündete im Anti-Terror-Krieg“ nationale Alleingänge jedenfalls durchgehen lassen292 und gegen Dritte wie den Iran bei gleichem Bestreben einen Paria286 Der Begriff der „rogue individuals“ stammt von F. Mégret, „Krieg“? – Völkerrechtssemantik und der Kampf gegen den Terrorismus, KJ 35 (2002), 157 (169). 287 Der Terminus „Axis of Evil“, den George W. Bush nach 2001 auf den Irak, Iran und Nordkorea bezog, ist eine Wortschöpfung aus „Axis Powers“, worunter die Alliierten im Zweiten Weltkrieg die „Feindstaaten“ Deutschland, Italien und Japan zusammenfassten, und „Evil Empire“, als das Ronald Reagan zu Zeiten des Kalten Krieges die UdSSR bezeichnete. 288 N. Fenton, Understanding the UN Security Council: coercion or consent?, 2004, 221. 289 Siehe die Bestandsaufnahme von J. Bittner, Zurück zur Bombe, Die ZEIT vom 1.2.2007, S. 8. 290 Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen, auch als Atomwaffensperrvertrag bezeichnet, vom 5.3.1970, UNTS Bd. 729, S. 161. 291 J. Buchsteiner, „Wichtiger als der Atomtest“ – Indien feiert das Atomabkommen mit den Vereinigten Staaten, F.A.Z. vom 3.3.2006, S. 3.
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Status verhängen. Auch wenn Indien, anders als Pakistan, eine gefestigte Demokratie ist und beide, im Unterschied zum Iran, nicht das Existenzrecht eines souveränen Staates, nämlich Israels, verneinen, werden doch erneut ungleiche Maßstäbe angelegt und erhebt sich nationale Macht- und Interessenpolitik über eine multilaterale Politik des Ausgleichs. Es liegt nun am neuen US-Präsidenten Barack Obama, hier eine Umkehr einzuleiten. Mit seinem Willen zum Dialog und seiner Vision von einer atomwaffenfreien Welt („Global Zero“)293 hat er gleich zu Beginn seiner Amtszeit wichtige Impulse in diese Richtung gegeben. bb) Konfusion von Krieg und Kriminalität in der Behandlung von Individuen: „Ungesetzliche Kombattanten“ und das „System“ Guantánamo Neben den zwischenstaatlichen Beziehungen hat der „Anti-Terror-Krieg“ auch grundlegende Garantien des humanitären Völkerrechts sowie fundamentale Bürger- und Menschenrechte schwer beschädigt. Es wäre zwingende Folge eines Kriegszustandes oder bewaffneten Konflikts gewesen, zwischen den Kriegs- bzw. Konfliktparteien das humanitäre Völkerrecht zur Anzuwendung zu bringen. Indem die USA die Angehörigen des Terrornetzwerks Al-Qaida als Feinde im kriegerischen Sinne behandeln, haben sie diese (mutmaßlichen) Terroristen an sich von Kriminellen zu Kombattanten und Al-Qaida selbst faktisch zu einem Völkerrechtssubjekt aufgewertet.294 Diese Konsequenz tatsächlich zu tragen, sind sie freilich nicht bereit. Trotz ihrer weitgehenden Verschmelzung mit den Taliban295, insbesondere soweit 292 Bereits am 22.9.2001 hob Präsident Bush die Sanktionen gegen Indien und Pakistan, die wegen ihrer atomaren Aufrüstung gegolten hatten, auf, weil die Sanktionen nicht mehr im nationalen Interesse der USA gewesen seien, vgl. 66 Fed. Reg. 50095. 293 J. Bittner/J. F. Jungclaussen, Die globale Null, Die ZEIT vom 8.4.2009, S. 4. Mit seiner Rede in der Generaldebatte der GV am 23.9.2009 sowie der Leitung der SR-Sitzung am 24.9.2009, in der die S/RES/1887 zur nuklearen Abrüstung einstimmig angenommen wurde, hat Barack Obama inzwischen weitere Schritte unternommen. Als ersten Erfolg unterzeichneten die USA und Russland am 8.4.2010 das START-Nachfolgeabkommen. Die Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) im Mai 2010 brachte hingegen kaum substanzielle Fortschritte, und auch das Inkrafttreten des Atomteststopvertrags (CTBT) steht weiterhin aus. 294 M. E. O’Connell, Enhancing the Status of Non-State Actors through a Global War on Terror?, Columbia J.T.L. 43 (2005), 435 (452 ff.); anders S. Vöneky, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf terroristische Akte und ihre Bekämpfung, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 147 (148 ff.), die aber gleichwohl zur Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts gelangt.
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es um das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht geht [s. o., c)], wird den Mitgliedern von Al-Qaida der Kombattantenstatus versagt.296 Aber nicht einmal die Kämpfer der Taliban als Angehörige des zu jener Zeit in Afghanistan regierenden de facto-Regimes werden als Kombattanten bzw. Kriegsgefangene behandelt, obgleich insofern alle Voraussetzungen eines internationalen bewaffneten Konflikts vorlagen.297 Somit entkriminalisieren die USA ihre eigenen Handlungen unter dem Banner des Selbstverteidigungs- und Kriegsrechts großzügig, ohne den gegnerischen Kämpfern die entsprechenden, aus dem kriegsrechtlichen Kombattantenstatus folgenden Privilegierungen zuzugestehen. Anstatt sie aber wie zivile Kriminelle zu behandeln, was die Alternative zur Rechtsstellung als Kombattant wäre, und ihnen damit die einschlägigen Bürger- und/oder Menschenrechte, insbesondere in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu gewähren, griff US-Präsident Bush in seinem Militärbefehl vom 13. November 2001298 die pseudo-rechtliche Kategorie der „ungesetzlichen“ (oder „feindlichen“) Kombattanten (unlawful/illegal/enemy combatants) auf. Hierbei berief er sich auf eine Schöpfung des Supreme Court von 1942299, die bereits damals zweifelhaft war300, seit der Verabschiedung der Genfer Konventionen von 1949 aber in dieser, allen Rechtsschutz versagenden Form kaum mehr haltbar ist.301 Im Fall Padilla wurde die Figur des ungesetzlichen Kombattanten sogar erstmals auf einen amerikanischen Staatsangehörigen, der auf amerikanischem Boden verhaftet wurde, angewendet.302 Den ungesetzlichen Kombattanten werden aber nicht nur ihre in 295 C. Stahn, International Law at Crossroads? The Impact of September 11, ZaöRV 62 (2002), 183 (225): „Al-Qaeda was integrated into a symbiotic relationship with the Taliban, with Al-Qaeda being the militarily and financially superiour force“. 296 Für die einseitige Begründung einer Pflichtenstellung wird die Figur der „asymmetrischen Völkerrechtssubjektivität“ bemüht, zitiert nach C. Gusy, Vom neuen Sicherheitsbegriff zur neuen Sicherheitsarchitektur, VerwA 101 (2010), 309 (314). 297 A. Roberts, Righting Wrongs or Wronging Rights? The United States and Human Rights Post-September 11, EJIL 15 (2004), 721 (740); C. Stahn, International Law at Crossroads? The Impact of September 11, ZaöRV 62 (2002), 183 (204). Siehe dazu auch oben 2. b) bb) (1). 298 Military Order „Detention, Treatment, and Trial of Certain Non-Citizens in the War against Terrorism“, 66 Fed. Reg. 57, 833 (Nov. 16, 2001). 299 Supreme Court, Ex parte Quirin, 317 U.S. 1 (1942). 300 G. P. Fletcher, Romantics at War – Glory and Guilt in the Age of Terrorism, 2002, 104 ff. 301 C. Stahn, International Law at Crossroads? The Impact of September 11, ZaöRV 62 (2002), 183 (198); zu unlawful combatants siehe auch Y. Dinstein, The Distinction between Unlawful Combatants and War Criminals, in: Y. Dinstein (Ed.), International Law at a Time of Perplexity, 1989, 103 (105).
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den Genfer Konventionen und deren Zusatzprotokollen festgeschriebenen (Mindest-)Rechte des humanitären Völkerrechts (gemeinsamer Art. 3 der GK; Art. 75 ZP I), sondern darüber hinaus sogar ihre menschenrechtlichen Freiheitsgarantien aberkannt, die bereits allein aus der Menschenwürde fließen.303 So sind sie weder immun gegen die Verfolgung von Handlungen, die im Krieg an sich erlaubt sind304, noch werden ihnen die Rechte gewährt, die in ordentlichen strafrechtlichen Verfahren gelten. Seit dem 11. Januar 2002 wurden mutmaßliche Terroristen auf den USMilitärstützpunkt Guantánamo auf Kuba verbracht und dort zeitlich unbefristet interniert (zu Höchstzeiten „gut 520 Personen“)305, ohne ihnen auch nur die Gründe ihrer Festnahme mitzuteilen oder sie einem Richter vorzuführen. Die Militärkommissionen, die die USA schufen, um schließlich über die Inhaftierten zur urteilen, entsprachen weder den Vorgaben der Genfer Konventionen noch des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.306 Die Verfahren waren nicht-öffentlich, es galten erleichterte Beweisregeln – sogar unter Zwang bis hin zur Folter gewonnene „Beweise“ konnten verwertet werden –, und die freie Wahl eines Rechtsbeistands war beschränkt. Zu „Richtern“ wurden Offiziere des US-Militärs er302
Dazu S. Peterke, Die Umgehung rechtsstaatlicher Garantien durch Bestimmung Terrorverdächtiger zu „feindlichen Kombattanten“ – Zur Entscheidung des New Yorker Bundesberufungsgerichts in der Sache „Padilla v. Rumsfeld“, HuV-I 2004, 39 (41 ff.); J. G. Hornberger, Padilla, Hamdi, and Rasul: Charge them or Release Them, 2004, erhältlich unter http://www.fff.org/comment/com0407d.asp [eingesehen am 30.3.2007]. 303 S. Schmahl, Derogation von Menschenrechtsverpflichtungen in Notstandslagen, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 125 (145); V. Lowe, Security Concerns and National Sovereignty in the Age of World-Wide Terrorism, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 655 (669). 304 So sind im bewaffneten Konflikt Schädigungshandlungen gegen gegnerische Kombattanten und militärische Ziele ausdrücklich zulässig, vgl. Art. 48 ZP I. 305 M. Rüb, Grauzone Guantánamo, FAZ.NET vom 27.1.2009 [http://www.faz. net]. 306 Th. M. Franck, Editorial Comments – Criminals, Combatants, or what? An Examination of the Role of Law in responding to the Threat of Terror, AJIL 98 (2004), 686 ff. Ein amerikanisches Berufungsgericht (US Court of Appeals for the District of Columbia Circuit) hingegen entschied am 16.7.2005, dass die Verfahren der Militärkommissionen auf Guantánamo rechtmäßig seien, da der US-Präsident befugt sei zu bestimmen, dass die Gefangenen als „feindliche Kombattanten“ zu behandeln seien, womit die Anwendung der Genfer Konventionen auf sie ausgeschlossen sei; im Übrigen könnten sich ausländische Staatsangehörige vor amerikanischen Gerichten auch nicht auf die Genfer Konventionen berufen, vgl. R. J. Smith, Detainee Trials are Upheld, www.ambrosiasw.com/forums/lofiversion/index.php/ t96910.html [eingesehen am 28.7.2005]; vgl. in diesem Kontext auch die Entscheidung des US Supreme Court, Hamdi v. Rumsfeld, 124 S.Ct. 2633 (2004).
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nannt, die sowohl Freiheitsstrafen als auch die Todesstrafe verhängen konnten. Gegen die von ihnen erlassenen Urteile waren keine Rechtsmittel vorgesehen. Stattdessen wurden sie lediglich von einem weiteren, mit Militärs besetzten Ausschuss überprüft und dann dem Präsidenten oder – praktisch der Regelfall – dem Verteidigungsminister zur Entscheidung vorgelegt. In einem Klima, in dem Präsident Bush die Internierten aufstachelnd als „killers“ bezeichnete307, war insoweit nichts zu erwarten; anstelle rechtsstaatlicher Grundsätze und des Gebotes der Nichtdiskriminierung dominierten Politik und Populismus. Der Schutz hing wesentlich von der Nationalität des jeweiligen Betroffenen und dem Gewicht seines Herkunftsstaates ab308, wodurch die Idee universeller und individueller Menschenrechte, eine elementare Errungenschaft unserer Zivilisation, einen herben Rückschlag erlitt. Zwar hatte Präsident Bush durch die Joint Resolution, die unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September vom Kongress verabschiedet worden war309, die Ermächtigung erteilt, alle erforderlichen Mittel gegen die Staaten, Organisationen oder Personen zu ergreifen, die an der Planung und Durchführung dieser Anschläge beteiligt waren. Eine solche verfassungsrechtliche Ermächtigung kann aber nichts daran ändern, dass eine Pauschalverneinung des Kombattantenstatus gegen Art. 5 der Dritten Genfer Konvention und damit gegen Völkerrecht verstößt, wonach nur ein „zuständiges Gericht“, nicht aber der Präsident der Vereinigten Staaten über diese Frage entscheiden kann.310 Verbunden mit dieser Statusfrage sind schließlich substanzielle Rechte, die den betreffenden Personen durch das Vorgehen Präsident Bushs entzogen wurden. Zwar wurde zugesichert, dass jedenfalls die Taliban „humanely and, to the extent appropriate and consistent with military necessity, in a manner consistent with the principles of the Third Geneva Convention of 1949“ behandelt würden.311 Die Anwendung der Genfer 307 Sogar zum Ende seiner Amtszeit, als bereits die Schließung Guantánamos diskutiert wurde, verwendete George W. Bush noch diesen Begriff: „[. . .] people don’t want killers in their midst . . .“, vgl. Developments Related to the Military Commissions Act and Detentions at Guantánamo Bay, AJIL 101 (2007), 886 (887). 308 Allerdings konnte auch das keinen Schutz garantieren, wie etwa der Fall von Murat Kurnaz zeigt, auch wenn dieser lediglich in Deutschland geboren wurde, nicht aber die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. 309 Authorization of the Use of Military Force, Senate Joint Resolution 23 vom 14.9.2001. 310 D. A. Mundis, The Use of Military Commissions to Prosecute Individuals accused of Terrorist Acts, AJIL 96 (2002), 320 (325); J. Fitzpatrick, Jurisdiction of Military Commissions and the ambiguous War on Terrorism, AJIL 96 (2002), 345 (353). 311 Presseerklärung vom 7.5.2002, zitiert nach A. Roberts, Righting Wrongs or Wronging Rights? The United States and Human Rights Post-September 11, EJIL 15 (2004), 721 (740 f.).
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Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle bzw. des entsprechenden völkergewohnheitsrechtlichen Standards312 ist indes keine Frage des Ermessens oder „guten Willens“, sondern eine Rechtspflicht. Und wie wenig eine solche Absichtserklärung praktisch wert ist, haben die Zustände in Guantánamo und anderen Internierungslagern gezeigt. Im April 2004 nahm erstmals der Supreme Court zu diesen Verhältnissen Stellung. In Rasul v. Bush gestand das Gericht den Häftlingen das Recht zu, ihre Inhaftierung gerichtlich prüfen zu lassen.313 Hierauf erließ die Regierung jedoch den Detainee Treatment Act of 2005, der den Inhaftierten dieses Recht sogleich wieder nahm.314 Ein Bundesgericht bestätigte das Gesetz zunächst315, bevor wiederum der Supreme Court im Juni 2008 ihnen das in der Verfassung garantierte Habeas Corpus-Recht zusprach, ihre Haftgründe von einem zivilen amerikanischen Bundesgericht überprüfen zu lassen (Boumediene/Al Odah v. Bush).316 Im Fall Hamdan v. Rumsfeld hatte das Gericht bereits im Juni 2006 entschieden, dass weder Präsident Bush hinreichend zur Errichtung der Militärkommissionen (in der damaligen Form) ermächtigt gewesen sei, noch dass diese mit dem amerikanischen Militärrecht oder den Genfer Konventionen vereinbar seien.317 Das Gericht mahnte die Einhaltung grundlegender Verfahrensrechte an und stellte insbesondere die Geltung des gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen fest, ohne allerdings die Militärkommissionen an sich zu beseitigen. Der hierauf ergangene Military Commissions Act of 2006318 sah weiterhin einen erschwerten Zugang der Verteidigung zu bestimmten Beweismaterialien oder die Verwertbarkeit von Beweisen vor, die unter Zwang bis hin zur Folter gewonnen wurden. Auch wurden zwar Combatant Status Review Tribunals errichtet, die als Voraussetzung dafür, dass die Häftlinge auf unbestimmte Zeit festgehalten werden dürfen, über ihre Klassifizierung als 312 D. h. wohl auch des gewohnheitsrechtlich anerkannten Art. 75 ZP I, vgl. J. Wieczorek, Unrechtmäßige Kombattanten und Humanitäres Völkerrecht, 2006, 352. 313 Rasul v. Bush, Entscheidung des Supreme Court, 542 U.S. 466 (2004) vom 20.4.2004. 314 Detainee Treatment Act, Section 1005; erhältlich unter http://jurist.law.pitt. edu/gazette/2005/12/detainee-treatment-act-of-2005-white.php [eingesehen am 18.4. 2008]. 315 K. Gelinsky, Urteil gegen Guantánamo-Häftlinge, F.A.Z. vom 14.12.2006, S. 5. C. Mölders, Das weggesperrte Recht – Guantánamo vor Gericht: Was bleibt in Amerika vom Habeus-corpus-Schutz?, F.A.Z. vom 7.3.2007, S. 37. 316 K. Gelinsky, Die Rechte der Feinde, F.A.Z. vom 7.12.2007, S. 8; M. Rüb, Das Ende von „Guantánamo“, F.A.Z. vom 13.6.2008, S. 7. 317 Hamdan v. Rumsfeld, Entscheidung des Supreme Court, 126 S.Ct. 2749 (2006) vom 29.6.2006. 318 Siehe http://www.law.georgetown.edu/faculty/nkk/documents/MilitaryCom missions.pdf [eingesehen am 8.2.07].
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feindliche Kombattanten zu entscheiden hatten. Diese „Tribunale“ waren jedoch nicht mit unabhängigen Richtern, sondern wiederum mit Offizieren besetzt, so dass auch dieses Gesetz von 2006 durch das erwähnte Supreme Court-Urteil vom Juni 2008 für verfassungswidrig erklärt wurde. Endlich wurde auch höchstrichterlich festgestellt, dass Guantánamo zwar „technisch nicht Teil der Vereinigten Staaten ist, sich jedoch unter vollständiger und umfassender Kontrolle unserer Regierung befindet“. Damit seien die Gesetze und die Verfassung der USA anwendbar, wobei sie so ausgelegt werden müssten, „dass sie auch in außergewöhnlichen Zeiten überleben und in Kraft bleiben“.319 Bereits am 30. März 2007 war das erste Guantánamo-Verfahren abgeschlossen worden, allerdings ohne Urteilsspruch: Der Australier David Hicks hatte sich hier für schuldig erklärt, eine Terroristenorganisation „substanziell unterstützt“ zu haben. Seiner letztlich verhältnismäßig milden Strafe liegt eine umfangreiche Absprache zugrunde, die u. a. vorsieht, dass Hicks seine Behauptung zurücknimmt, er sei unrechtmäßig behandelt, insbesondere gefoltert worden. Zugleich verpflichtete er sich, nach seiner Überstellung nach Australien und seiner Freilassung weder mit den Medien über Guantánamo zu sprechen noch die USA wegen „illegaler Behandlungsmethoden“ zu verklagen.320 Diese Vereinbarung spricht für sich selbst. Das erste Urteil wurde am 6. August 2008 gegen Salim Hamdan, den Fahrer Osama bin Ladens, gefällt, gegen den eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verhängt wurde. Obgleich er diese bereits fast vollständig verbüßt hat, weil insoweit seine bisherige Haftzeit angerechnet wird, darf er jedoch nicht mit einer baldigen Freilassung rechnen. Denn das Pentagon betrachtet ihn noch immer als „feindlichen Kombattanten“, der wegen der von ihm ausgehenden Gefahr auf unbestimmte Zeit festgehalten werden müsse. Auch im Hinblick auf diese Bestrebungen werden letztlich die Gerichte zu entscheiden haben.321 Die Agenda des VN-Sonderberichterstatters zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin für seinen Besuch in den USA im Mai 2007 war in jedem Fall lang.322 Noch im März 2008 legte Präsident Bush sein Veto gegen ein vom US-Kongress verabschiedetes Anti319
Zitiert nach M. Rüb, Das Ende von „Guantánamo“, F.A.Z. vom 13.6.2008,
S. 7. 320 Zwar beträgt das Strafmaß sieben Jahre Haft, wobei die fünf Jahre in Guantánamo nicht angerechnet werden; allerdings muss D. Hicks davon nur neun Monate verbüßen, den größten Teil zudem in Australien, F.A.Z. vom 2.4.2007, S. 1. 321 Katja Gelinsky, Fünfeinhalb Jahre für Bin Ladins Fahrer, FAZ.NET vom 8.8.2008 [http://www.faz.net]. 322 Siehe http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=21240&Cr=terror& Cr1=rights [eingesehen am 25.1.2007].
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Folter-Gesetz ein, das u. a. ein Verbot des simulierten Ertränkens (sog. „waterboarding“) vorsah.323 Vor dem Hintergrund all dieser Rechtsverstöße bekommen „Fahndungserfolge“ und (vermeintliche) Geständnisse einen sehr schalen Beigeschmack und verlieren viel von ihrer Glaubhaftigkeit, selbst wenn es am Ende „den Richtigen“ treffen sollte.324 Sind Verletzungen individueller Freiheitsrechte schon an sich schlimm genug, wiegen die Konsequenzen in ihrem breiteren Kontext hier aber noch viel schwerer, da sie die Herrschaft des Rechts und den Auftrag der internationalen Gemeinschaft zur Terrorismusbekämpfung unterminieren. Es ist wenig überzeugend, Terroristen Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen, wenn man diese selbst begeht. Und dadurch, dass die USA Protagonist im SR sind, hat mit ihnen auch dieser – die VN insgesamt – viel von seiner Legitimität eingebüßt. Wenn bei den USA (moralischer) Anspruch und Wirklichkeit hier auch besonders augenfällig auseinandergeklafft sind, haben ihnen aber – das sei abschließend angemerkt – etliche andere Staaten, selbst das angeblich „gefeite“ Deutschland, in vielerlei Hinsicht kaum nachgestanden.325 Erst – und endlich – mit der Wahl und dem Amtsantritt des neuen USPräsidenten Barack Obamas ist nunmehr die rechtliche Überzeugung und der politische Wille für eine Neuausrichtung der Art und Weise des AntiTerror-Kampfes gegeben.326 In einer seiner ersten Amthandlungen entschied Obama – seinerseits per Executive Order –, alle 21 eingeleiteten Anklageverfahren vor den Militärtribunalen für 120 Tage (d. h. bis zum 20. Mai 2009; nach Ablauf wurde die Frist verlängert) zur Überprüfung des Prozess-Systems auszusetzen und Guantánamo als Gefangenenlager binnen eines Jahres (also bis zum 22. Januar 2010) zu schließen.327 Für Gefäng323 Siehe „Bush stoppt Anti-Folter-Gesetz“, Handelsblatt vom 8.3.2008, S. 3. Die Bush-Administration stufte das waterboarding stattdessen lediglich als „harte Verhörmethode“ ein. 324 Siehe etwa M. Rüb, Wie ein Wasserfall. Chalid Scheich Mohammed brüstet sich etlicher Anschläge – seine Anhörung gibt Rätsel auf, F.A.Z. vom 16.3.2007, S. 3. 325 Hingewiesen sei insoweit nur auf die Duldung der (euphemistisch:) „Sonderüberstellungen“ von Terrorismus-Verdächtigen und die (mindestens) Passivität im Zusammenhang mit der hinausgezögerten Freilassung von Murat Kurnaz aus Guantánamo. Aber auch die Verabschiedung des verfassungswidrigen Luftsicherheitsgesetzes durch den Bundestag und die Diskussion um das „Feindstrafrecht“ in Politik und Rechtswissenschaft haben etliche Niederungen im Wertebewusstsein offenbart. Dazu D. Sauer, Das Strafrecht und die Feinde der offenen Gesellschaft, NJW 58 (2005), 1703 (1703 ff.). 326 In der amerikanischen Öffentlichkeit hatte bereits spätestens 2006/07 ein Umschwung eingesetzt, wonach Anwälte nicht mehr zu Vaterlandsverrätern erklärt wurden, wenn sie Guantánamo-Häftlinge verteidigten, sondern es vielmehr selbst für große Wirtschafts-Kanzleien „zum guten Ton“ gehörte, entsprechende Mandate pro bono zu betreuen, siehe C. Budras, Eine Frage der Ehre, F.A.Z. vom 2.2.2007, S. 5.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
nisse, die der Auslandsgeheimdienst CIA in „befreundeten (Folter-)Staaten“ errichtet hat, sowie die dorthin verschleppten Terrorismus-Verdächtigen gilt dies aber offenbar (noch) nicht.328 Immerhin hat Obama die sog. „harten Verhörmethoden“ öffentlich gemacht und ausdrücklich und ausnahmslos verboten; stattdessen hat er die Geltung des Feldhandbuchs des Heeres zum Verhör feindlicher Kriegsgefangener, das an den Genfer Konventionen ausgerichtet ist, auch auf den CIA erstreckt.329 Einfach die Uhr zurückzudrehen, wird jedoch auch ihm nicht möglich sein. Diejenigen der insgesamt noch rund 250 Guantánamo-Insassen, die offenbar unschuldig sind, können kaum in ihre Heimatländer abgeschoben werden, wenn ihnen dort, wie etwa den Uiguren in China, Verfolgung droht oder ihnen schon die Einreise verweigert wird. Die Gewährung von Asyl in den USA wiederum ist politisch schwer vermittelbar, zumal das Pentagon eine „Rückfallquote“ von bis zu 10 % vorrechnet, so dass sich Drittstaaten zu ihrer Aufnahme finden müssen. Rechtsstaatliche Verfahren vor zivilen Gerichten in den USA gegen beschuldigte (und teilweise sogar bekennende) Terroristen, deren Zahl auf ca. 100 beziffert wird, dürften hingegen angesichts der dargestellten Rechtsbrüche im Verlauf ihrer Inhaftierung und Vernehmungen nur schwer durchzuhalten sein. So wird sich die Mehrzahl von ihnen, die als „untriable“ und „unreleasable“ gilt, wohl auf eine fortgesetzte „Sicherungsverwahrung“ einstellen müssen – und zwar bis auf weiteres in „Guantánamo“ selbst, dessen Schließung auch Ende 2010 noch nicht bewerkstelligt ist. Am 28. April 2010 wurde dort sogar das erste Verfahren vor einer Militärkommission wiederaufgenommen.330 Aus dem „Guantánamo-Dilemma“331, das sein 327 Mit dieser Überprüfung wurde zudem das Justiz- und nicht das Verteidigungsministerium betraut, siehe „Obama zieht einen Schlussstrich unter Bushs Methoden“, FAZ.NET vom 22.1.2009 [http://www.faz.net]. 328 So im Fall der afghanischen Lager Bagram und Kandahar, dazu siehe M. Klingst, Obamas Häftlinge, Die ZEIT vom 26.2.2009, S. 7. Zur Praxis der CIA„Gefangenentransporte“ siehe die Pressemeldung des Europäischen Parlaments unter http://www.europarl.europa.eu/news/expert/infopress_page/019-3030-043-02-07902-20070209IPR02947-12-02-2007-2007-true/default_de.htm [eingesehen am 14.2. 2007]. 329 Im August 2002 und Mai 2005 hatte das Justizministerium „Memos“ an den CIA herausgegeben, in denen vermeintlich zulässige Verhörmethoden beschrieben wurden. Vor diesem Hintergrund soll gegen CIA-Mitarbeiter, die sich hierauf berufen, keine Strafverfahren wegen Folter eingeleitet werden, da sie ihre Aufgaben erfüllt und auf die Stellungnahme des Justizministeriums hätten vertrauen dürfen; siehe Welt.Online vom 18.4.2009 unter http://www.welt.de/politik/article3574791/ An-Folter-beteiligte-CIA-Mitarbeiter-bleiben-straffrei.html [eingesehen am 19.4. 2009]. 330 M. Rüb, Grauzone Guantánamo, FAZ.NET vom 27.1.2009 [http://www.faz. net]; U. Schmitt, Sicherheit vor Idealismus, Die Welt vom 16.5.2009, S. 3; „Guantánamo – Fast wie früher“, FAZ.NET vom 27.4.2010 [http://www.faz.net].
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Vorgänger Bush geschaffen hat, konnte sich auch Obama bislang also nicht befreien. Gleichwohl ist ein Richtungswechsel eingeleitet und hat inzwischen eine Reihe von Staaten entlassene Häftlinge aufgenommen.332 cc) Private Militärunternehmen Eine weitere Entwicklung, die nur am Rande wahrgenommen wird, hat sich im „Anti-Terror-Krieg“ zugespitzt. Praktisch als Spiegelbild zu den nicht-staatlichen Terroristen hat sich die Gewalt durch den systematischen Einsatz privater Sicherheitsunternehmen (private military firms) auch auf Seiten der Staaten in großem Ausmaß privatisiert. Ihre Zahl wird allein im Irak mit 170 beziffert [Stand: 2008], die rund 180.000 Bedienstete vor Ort haben, von denen knapp 50.000 militärische Funktionen ausüben.333 Peter Singer spricht vor diesem Hintergrund – statt von einer „coalition of the willing“ – von einer „coalition of the billing“.334 Offiziell heißen die Bediensteten im Sicherheitsbereich zumeist „security guards“; in der Sache handelt es sich aber bei vielen von ihnen um „military armed private soldiers“ als einer neuen Art, Söldner zu umschreiben.335 Wie etwa im Bereich der Daseinsfürsorge werden in den „neuen Kriegen“ nunmehr also auch militärische Aufgaben an private Dienstleister vergeben, deren völkerrechtlicher Status zunächst ähnliche konzeptionelle Probleme aufwirft wie auf der anderen Seite derjenige von Terroristen. Ein weiterer Aspekt ist die mangelnde politische Kontrolle. 331 So beschreibt Die ZEIT die Situation in ihrer Ausgabe vom 13.11.2008, S. 6 („Im Guantánamo-Dilemma“). 332 Albanien und Palau nahmen bereits frühzeitig einige Uiguren auf. In Deutschland dauerte es bis zum Juli 2010, als der Bundesinnenminister die Aufnahme zweier Häftlinge zusagte und sich mit Rheinland-Pfalz und Hamburg zwei Länder bereit erklärten, jeweils einer Person Aufenthalt zu gewähren. Frankreich hatte zuvor einen Vorschlag für einen europäischen Aufnahmeplan gemacht, was allerdings durch das Schengener Abkommen erschwert wird. Siehe die Artikel „Obama setzt Guantánamo-Verfahren aus“, FAZ.NET vom 21.1.2009 [http://www.faz.net] sowie „Einigung mit den USA – Deutschland nimmt Guantánamo-Häftlinge auf“, SPIEGEL Online vom 7.7.2010 [http://www.spiegel.de]. 333 T. Speckmann, Vom privaten Kriege, Merkur 62 (2008), 658 (658); diesen stehen 67.250 reguläre US-, 27.400 NATO- und rund 90.000 afghanische Soldaten gegenüber (Angaben zum Stand Oktober 2008 aus: Die ZEIT vom 15.10.2009, S. 11). 334 P. Singer, Outsourcing War in Iraq, Foreign Affairs 84 (2005), 119 (122); siehe auch J. M. Broder, Low profile and high price for Iraq contractors, IHT vom 17.7.2007, S. 1 u. 8. 335 So die UN Working Group on the use of mercenaries, siehe http://www. un.org/apps/news/story.asp?NewsID=25924&Cr=human&Cr1=rights [eingesehen am 31.3.2008].
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Im Ergebnis allerdings können sich die Staaten von ihrer „Gewährsträgerhaftung“ im Völkerrecht genauso wenig freizeichnen wie im nationalen Recht und bleiben somit für alle Handlungen verantwortlich, die sie ausgegliedert haben.336 Wird das Völkerrecht also hierdurch nicht außer Kraft gesetzt, bleibt dessen tatsächliche Durchsetzung aber doch immer weiter hinter den Anforderungen zurück. Wenn die privaten Sicherheitsdienstleister faktisch nicht der Kontrolle der militärischen Führung unterliegen und die „Soldaten“ zunächst nur diesen als ihren privaten Arbeitgebern gegenüber verantwortlich sind, müssen die Staaten aber andere Mechanismen aufstellen, um ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Mit dieser Zielsetzung unterzeichneten am 17. September 2008 immerhin 17 Staaten, unter ihnen die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, das Dokument von Montreux.337 Dieses ist zwar nicht unmittelbar rechtsverbindlich, listet aber die Verpflichtungen auf, die sich insbesondere aus dem humanitären Völkerrecht, den Menschenrechten und dem Recht der Staatsverantwortlichkeit ergeben. Das humanitäre Völkerrecht ist auch unmittelbar auf die privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen anwendbar; ebenso ist jedenfalls in schweren Fällen die individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit gegeben. Darüber hinaus kann die Einhaltung des Rechts durch nationale Gesetze gewährleistet werden, wie es das südafrikanische Gesetz zum Verbot von Sölderaktivitäten aus dem Jahr 2006 vorsieht, das etwa die Tätigkeit afrikanischer Staatsbürger für private Militär- und Sicherheitsunternehmen generell unter Genehmigungsvorbehalt stellt.338 Es ist also wiederum weniger das Völkerrecht, das hinter den Entwicklungen zurückbliebe, als vielmehr der Wille der Staaten, dem Recht Geltung zu verschaffen, woran es mangelt.339 Wenn das US-Außenministerium der privaten amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater, die sich mittlerweile in Xe umbenannt hat, sogar Immunität gewährt und damit die Ermittlungen irakischer Behörden (denen man gerade Rechtsstaatlichkeit „beibringen“ will) unterminiert340, läuft dies sowohl der eigenen Glaubwürdigkeit 336
N. Boldt, Outsourcing War – Private Military Companies and International Humanitarian Law, GYIL 47 (2004), 502. Das gleiche gilt im Hinblick auf den Einsatz computergesteuerter Flugdrohnen und Landroboter, durch die seit 2001 ebenfalls reguläre, menschliche Soldaten in wachsendem Umfang ersetzt werden; siehe dazu P. Singer, Wired for war, 2009. 337 The Montreux Document on pertinent international legal obligations and good practices for States related to operations of private military and security companies during armed conflict, erhältlich unter http://www.icrc.org/web/eng/siteeng0.nsf/ htmlall/montreux-document-170908 [eingesehen am 5.6.2010]. 338 Prohibition of Mercenary Activities and Regulation of Certain Activities in Country of Armed Conflict Act No. 27 of 2006. 339 H. Krieger, Der privatisierte Krieg: Private Militärunternehmen im bewaffneten Konflikt, AVR 44 (2006), 159 (185).
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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als auch dem Recht zuwider. Dies gilt umso mehr in einer Zeit, in der der britische Außenminister Kim Howells sehr richtig (freilich an den Sudan und nicht die USA oder auch sein eigenes Land gerichtet) erklärt, dass das Zeitalter der Immunität vorbei sei.341 Die UN Working Group on the Use of Mercenaries, die im Juli 2005 von der Menschenrechtskommission ins Leben gerufen wurde342, hat auf diese Missstände hingewiesen und ruft die Staaten entsprechend zur Ratifizierung – und wirksamen Umsetzung – der Internationalen Konvention gegen die Rekrutierung, Nutzung, Finanzierung und Ausbildung von Söldnern auf, die bereits im Jahr 1989 verabschiedet wurde.343 Im Juli 2010 legte sie den Entwurf einer weiteren Konvention vor, die Mindeststandards formuliert, die Staaten bei der Regulierung von Tätigkeiten privater Sicherheitsunterehmen anzulegen haben.344 Als weitere Folge kann der Einsatz privater Sicherheitsunternehmen auch elementare Aufgaben- und Souveränitätsbereiche des Staates, der sich ihrer bedient, sowie unter Umständen die politische Selbstbestimmung der Staaten, aus denen die Söldner stammen, berühren. Obgleich nämlich beispielsweise Chile als damaliges SR-Mitglied 2003 gegen den Irak-Krieg votiert hatte, waren rund 1.000 chilenische Söldner im Dienste von Blackwater unmittelbar am Krieg beteiligt.345 Das gleiche gilt, wenn auch in geringerem Umfang, für Deutschland.346 340 „US-Außenministerium sichert Blackwater Immunität zu“, SPIEGEL Online vom 30.10.2007, http://www.spiegel.de/poitik/ausland/0,1518,514263,00.html [eingesehen am 2.11.2007]. Angehörigen von Blackwater wird von den irakischen Behörden vorgeworfen, am 16.9.2007 in Bagdad willkürlich 17 irakische Zivilisten erschossen zu haben. Auch das FBI „has concluded that the shooting of 14 of the 17 victims were an unjustified use of deadly force“, siehe die N.Y. Times vom 14.11.2007, http://www.nytimes.com/aponline/us/AP-Blackwater-Prosecutions.html [eingesehen am 15.11.2007]. 341 „The age of impunity is dead“, zitiert nach dem Bericht „Top-level Security Council meeting backs enhanced UN ties with African Union“, UN News Service vom 25.9.2007, http://www.un.org/apps/news/printnews.asp?nid=23973 [eingesehen am 2.11.2007]. 342 Resolution 2005/2 der Menschenrechtskommission vom 7.4.2005; die Working Group folgt dem Special Rapporteur on the use of mercenaries nach, den es seit 1987 gegeben hatte. 343 Die Konvention ist erhältlich unter http://www2.ohchr.org/english/issues/mer cenaries/docs/1989UNConvention_English.pdf [eingesehen am 31.3.2008]. Siehe auch einen entsprechenden Resolutionsentwurf, den der Dritte Ausschuss der GV am 5.12.2008 zur Annahme empfohlen hat, A/63/429. 344 Draft of a possible Convention on Private Military and Security Companies (PMSCs), Annex zu A/HRC/15/25 vom 2.7.2010. 345 T. Speckmann, Vom privaten Kriege, Merkur 62 (2008), 658 (665). 346 Dazu ausführlich F. Hutsch, Exportschlager Tod – Deutsche Söldner als Handlanger des Krieges, 2009.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats 5. Fazit
Die generelle Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts in den SR-Resolutionen 1368 und 1373 aus dem Jahr 2001 auch gegen eine nur abstrakte Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit durch den letztlich undefinierten privaten Terrorismus entzieht diesem Ausnahmetatbestand zum Gewaltverbot seine Konturen. Denn mit der Entkoppelung von der traditionell vorausgesetzten staatlichen Urheberschaft werden auch die territorialen und zeitlichen Begrenzungen der Selbstverteidigung aufgehoben. Insofern stellt die Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht völkerrechtlich, aber auch praktisch eine zur Terrorismusbekämpfung untaugliche und für die internationale Ordnung gefährliche Strategie dar.347 Der Rückgriff auf moralische Postulate, dass etwa „die freie, zivilisierte Welt“ sich gegen „das Böse“ verteidigen müsse, oder – mit Verweis auf „Gottes abschließendes Urteil“ – gar auf religiöse Rechtfertigungsmuster348, beschreibt die offenbaren Schwierigkeiten, das in Anspruch genommene Selbstverteidigungsrecht zu begründen, nur zu deutlich. Während die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts auf den ersten Blick also als „Freifahrtschein“ für die mächtigen Staaten erscheinen mag, hat sich mittlerweile doch gezeigt, dass dieser lediglich eine „formale Legalität“ von geringem Nutzen verbrieft, wenn nicht gleichzeitig gegenüber der Staatengemeinschaft der Nachweis gelingt, dass seine Inanspruchnahme auch legitim ist. Angesichts dessen spricht einiges dafür, dass dieser „instant custom“ letztlich keine Wurzeln schlagen wird und somit abzuwarten bleibt, ob tatsächlich eine „new general rule“ in der Entstehung ist.349 Anders als die Anwendung des Selbstverteidigungsrechts auf Fälle des nicht-staatlichen Terrorismus hat die Figur der präemptiven Selbstverteidigung in der Staatengemeinschaft von Anfang an keine Akzeptanz gefunden.350 Insoweit steht das Völkerrecht nach dem 11. September 2001 nicht viel anders da als vorher. Gleichwohl haben die USA – und an ihrer Seite insbesondere Großbritannien – eine Marginalisierung und Instrumentalisierung des kollektiven Sicherheitssystems und damit auch eine Subordination 347
V. Lowe, Security Concerns and National Sovereignty in the Age of WorldWide Terrorism, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 655 (679). 348 So nach G. W. Bush auch offen und ausdrücklich Tony Blair, siehe F.A.Z. vom 6.3.2006, S. 7. 349 Dies bejahend J. E. Alvarez, Hegemonic Internatioanal Law Revisited, AJIL 97 (2003), 873 (879). Zur Frage der Derogation von Vertrags- bzw. Satzungsrecht durch Völkerrechtspraxis s. u., B. II. 2. 350 R. Wolfrum, The Attack of September 11, 2001, the Wars Against the Taliban and Iraq: Is There a Need to Reconsider International Law on the Recourse to Force and the Rules in Armed Conflict?, MPUNYB 7 (2003), 1 (75 f.).
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des SR betrieben.351 Damit einhergegangen ist ein praktischer Geltungsverlust des Völkerrechts, der letztlich dem SR selber anzulasten ist, da er diese Entwicklung sehenden Auges mitgegangen ist und die Verhältnisse im Irak praktisch legalisiert hat.352 Belegt dies auch in erster Linie die strukturelle Unfähigkeit des SR, sich gegen entsprechende machtpolitische Ausschläge seiner stärksten Mitglieder zu behaupten, ändert dies doch nichts daran, dass mit Rechtskraft nach außen eben das Organ SR gehandelt – bzw. in vielerlei Hinsicht, obschon geboten, nicht gehandelt – und somit den Rückzug des Systems der kollektiven Sicherheit und des Völkerrechts gebilligt hat. Der sprachliche Kunstgriff von „Anti-Terror-Krieg“ und die willkürliche Verwendung der Figur des „ungesetzlichen Kombattanten“ haben sowohl auf politische als auch auf rechtliche Irrwege geführt. Auch wenn die Staaten herausgefordert sind und das traditionelle Vorgehen im Hinblick auf die „neuen Terroristen“ unzureichend erscheint, dürfen die Fundamente des bestehenden Rechts doch nicht vorschnell geopfert und einer Politik des „der Zweck (der Terrorismusbekämpfung) heiligt die Mittel“ Vorschub geleistet werden. Weder die willkürliche Berufung auf ein naturgegebenes Selbstverteidigungsrecht noch die bloße Wahl des Kriegsbegriffs, ohne den Sachverhalt unter geltendes Völkerrecht zu subsumieren, kann jedenfalls zu der Rechtsfolge führen, dass der „Feind“ aus der Sphäre des kriminellen Unrechts auf die Ebene eines internationalen, militärisch geführten Konflikts gehoben und ihm gleichzeitig der daraus fließende Status des Kombattanten versagt wird.353 Zwischen Kombattant und Zivilist gibt es keine dritte 351
N. Krisch, The Rise and Fall of Collective Security: Terrorism, US Hegemony, and the Plight of the Security Council, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 879 (894 ff.); B. Delcourt, De quelques paradoxes liés à l’ínvocation de l’État et du droit, in: K. Bannelier u. a. (Eds.), Le droit international face au terrorisme, 2002, 214 f. spricht von der „degeneration of international law and devitalisation of the system of collective security“. 352 S/RES/1483 (2003) sowie S/RES/1500 (2003), S/RES/1770 (2007), S/RES/1830 (2008), S/RES/1883 (2009) und S/RES/1936 (2010) zur Errichtung bzw. Fortführung der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) und S/RES/1511 (2003), S/RES/1546 (2004), S/RES/1723 (2006), S/RES/1790 (2007) als Rechtsgrundlagen für die Stationierung der Besatzungstruppen nunmehr als „Multinationale Streitkräfte“ (MNF – I) mit Mandat der VN. Ab dem 1.1.2009 (und bis voraussichtlich Ende 2011) beruht der Einsatz der internationalen, im Wesentlichen USamerikanischen Soldaten hingegen auf einem bilateralen (Sicherheits-)Abkommen zwischen dem Irak und den USA; das Mandat der MFN – I wurde in der S/RES/1859 (2008) ausdrücklich nicht verlängert. 353 F. Mégret, „Krieg“? – Völkerrechtssemantik und der Kampf gegen den Terrorismus, KJ 35 (2002), 157 (174); J. Wieczorek, Unrechtmäßige Kombattanten und Humanitäres Völkerrecht, 2006, 353.
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rechtliche – genauer: rechtlose – Kategorie (i. S. e. rechtlichen Vakuums).354 Auch die Anwendung der Figur der hostes humani generis auf die Terroristen vermag nicht zu überzeugen355, weckt sie doch eher ungute Assoziationen an die eskalierende Freund-(öffentlicher) Feind-Unterscheidung Carl Schmitts.356 Zur Wahrung individueller Rechtsgarantien muss daher an der prinzipiellen Trennung von einerseits polizeilicher Prävention und justizieller Strafverfolgung sowie militärisch-kriegerischer Auseinandersetzung andererseits festgehalten werden. Dies gilt umso mehr, als mit jeglicher Art von „Sonderrecht“ nicht zuletzt auch der Kampf gegen den Terrorismus selbst seine Legitimität und damit auch Effektivität verliert, genannt seien hier lediglich die Stichworte Guantánamo und Abu Al Ghraib. Es bleibt bei der Feststellung Thomas M. Francks: „Inconvenience in law enforcement is the price of the rule of law“.357 Diese „Unbequemlichkeit“ der Strafverfolgung macht gerade das Wesen der Rechtsstaatlichkeit aus und kann nicht zum Anlass genommen werden, sich von den Einhegungen des Rechts loszusagen. Gleichzeitig stellen die Rechtsordnungen den Sicherheitsbehörden eine Reihe verfassungs- und völkerrechtlich zulässiger Eingriffsermächtigungen zur Verfügung und wäre es wegen zwingender Erkenntnis-, Prognose- und Handlungsgrenzen selbst mit unverhältnismäßigem Aufwand faktisch unmöglich, Risiken gänzlich auszuschalten.358 Zu dieser Einsicht gelangen – aus eigener Überzeugung oder gedrängt durch die Gerichte und die Öffentlichkeit – nach und nach aber auch die Protagonisten des „military“-(im Gegensatz zum „law enforcement“-)approach. Auch insoweit also kann trotz zwischenzeitlich entgegenstehender Behauptungen und Praktiken keine Entwicklung neuen Völker(gewohnheits)rechts konstatiert werden.
354 A. Roberts, Righting Wrongs or Wronging Rights? The United States and Human Rights Post-September 11, EJIL 15 (2004), 721 (742). Siehe aber bereits die Überlegungen von Carl Schmitt in seiner Theorie des Partisanen aus dem Jahr 1963. 355 V. Lowe, Security Concerns and National Sovereignty in the Age of WorldWide Terrorism, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 655–679 (656). 356 Vgl. J. Friedrichs, Defining the International Public Enemy: The Political Struggle behind the Legal Debate on International Terrorism, LJIL 19 (2006), 69 (69 ff.). 357 Th. M. Franck, Editorial Comments – Criminals, Combatants, or what? An Examination of the Role of Law in responding to the Threat of Terror, AJIL 98 (2004), 686 (688), der die Anforderungen der „rule of law“ im vorliegenden Fall allerdings auf „the irreducible core“ beschränken will, nämlich „that those who execute the law must never be the sole and final arbiters of that law“. 358 Gusy, Vom neuen Sicherheitsbegriff zur neuen Sicherheitsarchitektur, VerwA 101 (2010), 309 (318 f.).
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III. Verhängung völkerrechtlicher, auf Staaten bzw. Staatsorgane zugeschnittener Sanktionen durch den SR gegen Individuen in ihrer privaten Kapazität (1267-Sanktionsregime gegen Al-Qaida/Taliban) Im Zuge der Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001 ist nicht nur ein militärischer („Anti-Terror“-)Krieg auf Private erstreckt worden, sondern es sind auch erstmalig und in großem Umfang Individuen in ihrer privaten Kapazität völkerrechtlichen (nicht-militärischen) Sanktionen unterworfen worden.359 Zwar müssen die Sanktionen noch von den Staaten umgesetzt werden; hierbei verfügen diese jedoch nur über einen Spielraum, der rein modaler Art ist.360 Dass die Listungen etwa in der EU, aufgrund derer die Mitgliedstaaten tätig werden, formal auf Gemeinsamen Standpunkten des Rates sowie EG-Verordnungen beruhen, ändert nichts daran, dass materiell der SR ihr Urheber ist.361 Somit hat der SR durch diese in ihrer Konzeption grundsätzlich auf Staaten bzw. ihre Organe (agents) zugeschnittenen Zwangsmaßnahmen unmittelbar in die individuellen Freiheitsrechte der Betroffenen eingegriffen, ohne ihnen entsprechende Verfahrensrechte und Rechtsbehelfe zu gewähren. Dies aber kann in einer freiheitlichen, auf der Herrschaft des Rechts beruhenden Ordnung nicht hingenommen werden – auch nicht in der Völkerrechtsordnung, in der dem Einzelnen heute eigene Rechte zustehen, er also nicht mehr nur durch seinen Heimatstaat mediatisiert ist (s. o., A. I.).362 359 EuGH in der Entscheidung Yusuf und Kadi vom 3.9.2008, verbundene Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, Rn. 167: „[Es handelt sich um] Maßnahmen, die durch das Fehlen jeglicher Verbindung mit dem Regime eines Drittlands gekennzeichnet sind. Denn nach dem Zusammenbruch des Taliban-Regimes richten sich diese Maßnahmen unmittelbar gegen Osama bin Laden, das Al-Qaida-Netzwerk und die mit ihnen verbündeten Personen [. . .]“. 360 Zwar heißt es in der Entscheidung Yusuf und Kadi des EuGH vom 3.9.2008, verbundene Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, Rn. 298: „Allerdings schreibt die UNCharta kein bestimmtes Model für die Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der Charta vor, vielmehr hat die Umsetzung nach den Modalitäten zu erfolgen, die insoweit in der nationalen Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaats der UNO gelten.“ Tatsächlich gewährt die Umsetzung aber keinen inhaltlichen Spielraum, dazu J. Almqvist, A Human Rights Critique of European Judicial Review: Counter-Terrorism Sanctions, CMLR 57 (2008), 303 (318): „The SC actions [. . .] do not seem to leave any room for State discretion in their application [. . . but necessitate] immediate ‚transposition‘ – word by word – into Community law.“ Siehe auch J. A. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009), 114 (122). 361 J. A. Kämmerer, Die Urteile „Yusuf“ und „Kadi“ des EuG und ihre Folgen, EuR 43 (2008), Beiheft 1, 65 (86). 362 Dazu auch K. Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2007, 3. Abschnitt, Rn. 218.
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Das für die nachfolgende Untersuchung maßgebliche Sanktionsregime wurde bereits durch S/RES/1267 (1999), also vor dem 11. September 2001, errichtet. In ihrer Nachfolge ist aber mittlerweile ein Dutzend weiterer Resolutionen ergangen, durch die das ursprünglich nur auf die Taliban in Afghanistan gerichtete Regime auf das terroristische Al-Qaida-Netzwerk ausgeweitet und gleichzeitig immer mehr formalisiert und verrechtlicht worden ist.363 Angesichts dieser Nachbesserungen ist das zunächst bestehende rechtliche Vakuum, in das die sanktionierten Personen gerieten, mittlerweile in Teilen ausgefüllt. Einige grundlegende Defizite sind jedoch bis heute nicht beseitigt worden. Im Folgenden sollen beide Aspekte des VN-Sanktionssystems – die Verrechtlichung hin zu einer Art „(Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrecht“ ebenso wie die gleichwohl weiter bestehenden Rechtsschutzlücken – dargestellt werden. 1. Sanktionen im System der VN
Einleitend sei ein kurzer Blick auf die Funktion und auf die Voraussetzungen von Sanktionen im System der VN geworfen. a) Begriff und Funktion von Sanktionen Sanktionen stellen ganz allgemein ein Instrument zur Durchsetzung des Rechts dar, und zwar sowohl im nationalen wie auch im internationalen Recht.364 Nach neuerer Entwicklung im Völkerrecht ist der Begriff der Sanktionen allerdings für Fälle vertikaler Rechtsdurchsetzung durch Organe internationaler Organisationen reserviert.365 Die Charta selbst kennt den Begriff der Sanktion nicht.366 Stattdessen spricht sie entweder von „Zwangsmaßnahmen“ (Art. 2 Ziff. 7 SVN) oder einfach nur von „Maßnahmen“ (in Kap. VII SVN selbst, auf den Art. 2 Ziff. 7 SVN verweist). In Fällen, in denen der SR auf der Grundlage von Art. 41 SVN handelt, also nicht-mili363
S/RES/1333 (2000); S/RES/1363 (2001); S/RES/1390 (2002); S/RES/1452 (2002); S/RES/1455 (2003); S/RES/1456 (2003); S/RES/1526 (2004); S/RES/1617 (2005); S/RES/1699 (2006); S/RES/1730 (2006); S/RES/1735 (2006); S/RES/1822 (2008); S/RES/1904 (2009). 364 C. Creifelds, Rechtswörterbuch, 2002, 1174. 365 K. Osteneck, Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft, 2004, 9. Zur Abgrenzung von Sanktionen von Gegenmaßnahmen siehe J. Crawford, The Relationship between Sanctions and Countermeasures, in: V. Gowlland-Debbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 57 (57 ff.). 366 Die im Sartorius II verwendeten Titel „Gewaltlose Sanktionen“ vor Art. 41 und „Militärische Sanktionen“ vor Art. 42 dienen lediglich der Orientierung und sind keine offiziellen Überschriften.
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tärisch vorgeht, bezeichnet er seine Maßnahmen jedoch regelmäßig als „Sanktionen“.367 In einem Ergänzungspapier von 1995 zur Agenda for Peace erklärte der damalige GS Boutros Boutros-Ghali entsprechend: „[. . .] Under Art. 41 of the Charter, the Security Council may call upon Member States to apply measures not involving the use of force in order to maintain or restore international peace and security. Such measures are commonly referred to as sanctions.“368
Häufig wird der Begriff der Sanktion aber auch als Synonym für alle in Kapitel VII SVN bezeichneten Maßnahmen verwendet.369 b) Voraussetzungen zur Erhebung von Sanktionen und Praxis des SR Sobald der Anwendungsbereich von Kapitel VII SVN eröffnet ist, d. h. nachdem der SR die Feststellung nach Art. 39 SVN getroffen hat, ist er gem. Art. 41 SVN befugt, Sanktionen als nicht-militärische Zwangsmaßnahmen zu erlassen, um Frieden und internationale Sicherheit zu wahren bzw. wiederherzustellen. aa) Praktische Bedeutung von Sanktionen seit Ende des Kalten Krieges Während der SR in den 45 Jahren von der Gründung der VN 1945 bis zum Ende des Kalten Krieges 1989/90 lediglich zweimal von dieser Befugnis Gebrach machte370, hat er seitdem in den zurückliegenden nur zwei Jahrzehnten in insgesamt nahezu 20 Fällen Sanktionen verhängt, was den 1990er Jahren den Namen „Sanktionsdekade“ einbrachte.371 Seinen Anfang nahm diese Entwicklung mit S/RES/661 (1990), durch die das bislang umfangreichste Sanktionsregime in der Geschichte der VN gegen den Irak erlassen wurde. Es folgten 1992 die Sanktionen gegen Libyen aufgrund S/RES/748 (1992), mit denen die Auslieferung der Verantwortlichen für 367
Z. B. S/RES/713 (1991), pp. 6. Report of the Secretary-General on the Work of the Organization, Supplement to an Agenda for Peace: Position Paper of the Secretary-General on the Occasion of the Fiftieth Anniversary of the United Nations, A/50/60 and S/1995/1, Para. 66 vom 25.1.1995. 369 U. Beyerlin, Sanctions, in: R. Wolfrum/C. Philipp (Eds.), United Nations: Law, Policies and Practice, Vol. II, 1995, Nr. 116. 370 S/RES/232 (1966) gegen Rhodesien und S/RES/418 (1977) gegen Südafrika. 371 L. Oette, A Decade of Sanctions against Iraq: Never Again! The End of Unlimited Sanctions in the Recent Practice of the UN Security Council, EJIL 13 (2002), 93 (96). 368
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den Anschlag auf das Flugzeug der PanAm über dem schottischen Lockerbie erzwungen werden sollte (s. o., Teil 1). In der Zeit vor 1990 wurde vor allem diskutiert, ob überhaupt die Voraussetzungen des Art. 39 SVN vorlagen und der SR somit zum Erlass der entsprechenden Sanktionen befugt war. Nach 1990 konzentrierte sich die Debatte angesichts der humanitären Auswirkungen der Sanktionen vor allem auf ihre Effektivität und ihre unbeabsichtigten Nebenfolgen.372 bb) 661-Sanktionsregime gegen den Irak als Wendepunkt Auslöser hierfür waren die Sanktionen, die am 6. August 1990 gegen den Irak verhängt wurden, nachdem dieser am 2. August 1990 in Kuwait einmarschiert und der Aufforderung, sich wieder zurückzuziehen, nicht nachgekommen war.373 Die Sanktionen, die das irakische Militär zum Rückzug zwingen sollten, sahen ein umfassendes Embargo gegen den Irak vor, das allerdings auch nach der Befreiung Kuwaits durch die Alliierten Anfang 1991 nicht aufgehoben, sondern im Hinblick auf die nunmehr geforderte Demilitarisierung Iraks aufrechterhalten wurde.374 Als sich im Laufe der Zeit herausstellte, dass die Zivilbevölkerung, obgleich nicht Adressat der Sanktionen, praktisch aber am stärksten von ihnen betroffen war, wurden zwei Veränderungen eingeführt: Zum einen wurde das Konzept der gezielten oder „intelligenten“ (targeted/smart) anstelle der umfassenden (comprehensive) Sanktionen entwickelt, um den größtmöglichen verhaltenssteuernden Effekt auf Seiten der Sanktionsadressaten bei möglichst geringen unerwünschten Nebenfolgen auf Seiten der Zivilbevölkerung zu erreichen.375 Zum anderen wurden bereichsspezifische Ausnahmen von den Sanktionen vereinbart, um die Bevölkerung mit medizinischen und anderen lebensnotwendigen Gütern versorgen zu können.376 Im Fall des Irak wurde hierzu ergänzend das Oil for Food-Programm aufgelegt, das den Verkauf bestimmter Mengen irakischen Öls zuließ, um aus den Einnahmen die humanitäre Versorgung der Bevölkerung bestreiten zu können.377
372
M. E. O’Connell, Debating the Law of Sanctions, EJIL13 (2002), 63 (64 ff.). S/RES/660 vom 2.8.1990 und S/RES/661 vom 6.8.1990. 374 S/RES/687 vom 3.4.1991. 375 Erstmalig gegen die UNITA durch S/RES/1127 (1997) zur Anwendung gebracht; siehe im Vergleich dazu S/RES/864 (1993), die die Sanktionen noch auf das Territorium Angolas bezog. 376 Brief der VN-Botschafter der P 5 an den Präsidenten des SR vom 12.4.1995, S/1995/2000, Annex 1. 377 S/RES/986 (1995). 373
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c) „Ius ad sanctiones“ bzw. „ius in sanctionibus“ Trotz der skandalösen Misswirtschaft bei der Verwaltung des Oil for Food-Programms (siehe dazu den sog. Volcker-Bericht von 2005378) hat das Irak-Sanktionsregime – und vor allem dessen Aufarbeitung – die Sanktionspraxis des SR tiefgreifend und nachhaltig positiv beeinflusst.379 Nachdem die Sanktionen gegen den Irak infolge des Regimewechsels 2003 eingestellt worden sind, unterhält der SR aktuell elf Sanktionsregime [Stand: Ende 2010].380 Von diesen ist das auf der Grundlage von S/RES/1267 errichtete Regime gegen die Taliban (und später Al-Qaida) das umfangreichste und politisch bedeutendste. Aufgrund seiner praktischen Auswirkungen hat es eine ähnlich starke öffentliche Aufmerksamkeit hervorgerufen und sind entsprechende Forderungen nach rechtlichen Standards laut geworden wie im Fall des Irak-Sanktionsregimes. So unterschiedlich sie auch in ihrer Zielrichtung und Wirkungsweise sind, haben somit doch beide entscheidend zur Verrechtlichung von Sanktionsregimen allgemein beigetragen. Auf diese Weise ist – entsprechend dem ius ad bellum bzw. ius in bello – eine Art ius ad sanctiones bzw. ius in sanctionibus entstanden381, das mit jedem weiteren Sanktionsregime an Konturen gewinnt. Diese Entwicklung ist folgerichtig, auch und gerade weil die VN-Charta hierzu nichts aussagt. Denn der SR kann sich bei den nicht-militärischen genauso wenig wie bei den militärischen Zwangsmaßnahmen im rechtsfreien Raum bewegen, sondern ist an sein Mandat und an das Recht gebunden (Art. 24 Abs. 2 SVN; s. o., Kap. 4, B.). Graf Sponeck bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „The right to impose sanctions says nothing about their legality.“382 Dies gilt umso mehr, als die Sanktionen nun nicht mehr nur gegen Staaten gerichtet sind, sondern auch unmittelbar auf private Netzwerke wie Al-Qaida bzw. Individuen zielen. Damit entwickeln die Einzelmenschen sich zunehmend zu den Staaten gleichbedeutenden Akteuren im Völkerrecht, so dass die 378 The Independent Inquiry Committee Report on the overall management and oversight of the Oil for Food Programme (Volcker-Report) vom 7.9.2005, erhältlich unter http://www.iic-offp.org/Mgmt_Report.htm [eingesehen am 14.2.2007]; dazu auch unten Kap. 6, C. III. 3. a) bb) (2). Das Oil for food-Programm wurde aufgrund S/RES/1483 (2003), op. 12, 16 zugunsten des Development Fund for Iraq eingestellt. 379 M. E. O’Connell, Debating the Law of Sanctions, EJIL13 (2002), 63 (79). 380 Die Sanktionen gegen den Iran aufgrund der S/RES/1737 (2006), 1747 (2007) and 1803 (2008) sind die jüngsten. Für eine ständig aktualisierte Auflistung der Sanktionsausschüsse siehe http://www.un.org/sc/committees/. 381 Vgl. D. D. Caron/B. Morris, The UN Compensation Commission: Practical Justice, not Retribution; EJIL 13 (2002), 183 (184). 382 H. C. Graf v. Sponeck, Sanctions and Humanitarian Exemptions: A Practitioner’s Commentary, EJIL 13 (2002), 81 (85).
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lange gehegte Dichotomie des Rechts in Völkerrecht und staatliches Recht weiter an Trennschärfe verliert und die Anwendung gleicher Standards verlangt.383 Das 1267-Sanktionsregime veranschaulicht diese Veränderung besonders eindringlich. 2. Ausgangslage: Das 1267-Sanktionsregime von 1999–2002
Die Entwicklung, die in den Erlass der entscheidenden S/RES/1267 am 15. Oktober 1999 mündete, begann mit den Anschlägen auf die US-amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998 sowie dem anhaltenden Afghanistan-Konflikt.384 Das Bindeglied zwischen diesen beiden Strängen war Osama bin Laden, der bis heute meistgesuchte Terrorist und das Gesicht von Al-Qaida. Er gilt als Verantwortlicher hinter den Anschlägen von 1998 (wie später auch denjenigen vom 11. September 2001) und operierte dabei von Afghanistan aus, wo die Taliban zu jener Zeit der afghanischen Regierung den Großteil der Staatsgewalt im Lande abgetrotzt hatten [s. o., II. 2. b) bb) (1)]. Folglich verlangte der SR in seiner S/RES/1214 vom 8. Dezember 1998, „dass die Taliban aufhören, internationalen Terroristen und ihren Organisationen Zuflucht und Ausbildung zu gewähren“ (op. 13). Erst in der Folge-Resolution 1267 stellte der SR fest, dass die Nichtbefolgung dieser Forderungen durch die Taliban eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellten (pp. 9). Nunmehr tätig werdend nach Kapitel VII der Charta bestand der SR auf seinen Forderungen (op. 1) und verlangte von den Taliban zusätzlich, Osama bin Laden auszuliefern (op. 2). Gleichzeitig erließ er zur Durchsetzung dieser Forderungen eine Reihe von Sanktionen gegen die Taliban (op. 3 u. 4). a) Adressatenkreis: offen und global Seine maßgebliche Prägung erhielt das 1267-Sanktionsregime aber erst durch die Nachfolge-Resolutionen. Zunächst wurden die Sanktionen durch S/RES/1333 vom 19. Dezember 2000 – auch diese also noch aus der Zeit vor „9/11“ – über Osama bin Laden und die Taliban hinaus auf alle „individuals and entities designated as being associated with Usama Bin Laden, including those in the Al-Qaida organization“ [op. 8 (c)] ausgedehnt. Mit 383 Siehe zur Rechtsstellung von Individuen im Völkerrecht S. Hobe, Individuals and Groups as Global Actors: The Denationalization of International Transactions, in: R. Hofmann (Ed.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 1999, 115 (119 ff.); zur Überwindung unterschiedlicher Maßstäbe im Völkerrecht und im nationalen Recht siehe P. Allott, The Health of Nations, 2002; siehe auch oben, A. I. 384 S/RES/1189, S/RES/1193, S/RES/1214 (1998).
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S/RES/1390 vom 16. Januar 2002, der ersten Resolution nach der gewaltsamen Beendigung der Taliban-Herrschaft in Afghanistan durch die USA und ihre Alliierten, wurde dann jeglicher Bezug zu einem Territorium, Staat oder Regime aufgegeben. Seitdem erstrecken sich die Sanktionen ohne sachliche oder zeitliche Begrenzung auf „other individuals, groups, undertakings and entities associated with [Usama Bin Laden, members of the AlQaida organization and the Taliban]“ (op. 2).385 Mit dieser seitdem durchgängig gebrauchten Formel ist ein Netz gespannt worden, das sich um den gesamten Globus legt und in dem sich mangels substanzieller Überprüfung im Prinzip jedermann verfangen kann, der sich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ aufhält. Vor allem durch diese Reichweite unterscheidet sich das 1267- somit von allen anderen Sanktionsregimen. aa) Unterschiede zu Vorläufer-Sanktionsregimen Sanktionen als Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus hatte der SR bereits in den 1990er Jahren im Lockerbie-Fall durch S/RES/748 (1992) erlassen. Kennzeichnend für dieses wie für alle anderen Sanktionsregime war jedoch, dass die Sanktionen gegen den Staat bzw. dessen Repräsentanten oder gegen territorial gebundene Gruppen gerichtet waren. Im Zuge der wachsenden Bemühungen, die Sanktionen aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zielgenauer zu gestalten [s. o., 1. b)], wurden die Adressaten jedoch zunehmend individualisiert, d. h. möglichst namentlich genannt oder zumindest durch ergänzende Kriterien und Umschreibungen bestimmbar gemacht.386 Im Falle der Sanktionen gegen das gestürzte IrakRegime etwa hieß es in S/RES/1483 (2003), op. 23 entsprechend: „Saddam Hussein or other senior officials of the former Iraqi regime and their immediate family members“.387 Da auch diese Gruppenbezeichnungen („officials“, „family“) noch zu ungenau waren, wurden sie in der Folgezeit mittels einer ergänzenden Mitteilung weiter präzisiert. So wurde im Dokument SC/7831 der Passus „other senior officials of the former Iraqi regime“ ausführlich, wenn auch nicht abschließend, definiert: 385 Dazu G. Biehler, Individuelle Sanktionen der Vereinten Nationen und Grundrechte, AVR 41 (2003), 169 (171). 386 Erstmalig im Falle der S/RES/917 (1994), wo es in op. 3 heißt: „[. . .] all officers of the Haitian military, including the police, and their immediate families; [. . .] the mayor participants in the coup d’état of 1991, and in the illegal governments since the coup d’état, and their immediate families; [. . .] those employed by or acting on behalf of the Haitian military, and their immediate families.“ 387 Pressemitteilung SC/7831: SC Committee issues non-paper on the implementation of paragraph 23 of Resolution 1483 (2003), http://www.un.org/News//Press/ docs/2003/sc7831.doc.htm [eingesehen am 10.2.2007].
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
„Cabinet officials including Deputy ministers; Members of Parliament; the heads and senior members of the military and security forces, intelligence services, military police and paramilitary policy; the heads and senior members of stateowned/state-controlled enterprises (banks, transport, services, industries, utilities, media, insurance agencies etc.); senior members of the Baath Party; officials of a lower rank but performing crucial functions such as certain accountants, buyers, technical experts etc.“
Zwar wurde dieses Definitionspapier explizit als bloße „reference“ bzw. als „non-paper“ deklariert und damit seine rechtliche Verbindlichkeit ausgeschlossen. In der praktischen Anwendung indes macht dies kaum einen Unterschied. In seiner nachfolgenden Irak-Resolution S/RES/1518 (2003) hat der SR die Geltung der Definitionen ebenso wie die ergänzenden Leitlinien des zuständigen 661-(Sanktions-)Ausschusses388 sogar ausdrücklich und verbindlich per Beschluss angenommen (op. 2). Auch gegen bewaffnete private Gruppen (armed non-state actors) hatte der SR bereits zuvor durch S/RES/864 (1993) sowie insbesondere S/RES/1127 (1997) Sanktionen verhängt, nämlich im Fall der União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA) in Angola.389 Allerdings handelte es sich bei der UNITA um eine organisierte Bürgerkriegspartei, die über einen Teil des Staatsgebiets effektive Hoheitsgewalt ausübte. Somit ist sie zwar den Taliban vergleichbar, nicht aber Al-Qaida, die als globales Terrornetzwerk örtlich ungebunden ist und stark individuell operiert (insbesondere Al-Qaida der „dritten Generation“, s. o. Kap. 1). Insofern ist der SR mit dem 1267-Sanktionsregime in eine neue Dimension des Handelns eingetreten.390 bb) Von den quasi-staatlichen Taliban zur privaten Al-Qaida: die „Konsolidierte Liste“ Während also im Regelfall die Adressaten von Sanktionen bestimmt oder jedenfalls bestimmbar sind, war der entsprechende Kreis im Fall des AlQaida/Taliban-Sanktionsregimes anfänglich nur äußerst vage gezogen. Anders nämlich als im vorgenannten Beispiel des „späten“ Irak-Sanktionsregimes, bei dem detaillierte Definitionen vorgegeben wurden, beruht die Liste des 1267-Sanktionsregimes ausschließlich darauf, dass irgendein Staat (ganz überwiegend die USA) behauptet, eine bestimmte Person oder Entität 388 Der kurz darauf auf der Grundlage von S/RES/1518 (2003) durch den entsprechenden 1518-Ausschuss abgelöst wurde. 389 Dazu siehe D. J. R. Angell, The Angola Sanctions Committee, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 195 (195). 390 Vgl. I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, NJIL 72 (2003), 159 (163).
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gehöre Al-Qaida oder den Taliban an oder weise eine „Verbindung“ (associated with) zu ihnen auf. Weitere Angaben wurden zunächst nicht verlangt. Um den Umfang der Liste stetig auszubauen, sind die Staaten gemäß S/RES/1333 (2000), op. 8 (c) – d. h. im Anwendungsbereich einer nach Kap. VII SVN erlassenen Resolution – ausdrücklich aufgerufen, Nennungen vorzunehmen. Daran hat sich auch neun Jahre später noch nichts geändert, wie ein Blick auf die jüngste „Nachfolge-Resolution“ S/RES/1904 (2009), op. 8 zeigt, wo es heißt: „[Der SR] ermutigt die Staaten, dem Ausschuss Namen [. . .] zur Aufnahme in die Konsolidierte Liste vorzuschlagen[.]“ Das Konzept der „Konsolidierten Liste“ beruht also auf dem Gedanken, dass sie „auf Zuruf“ ständig erweitert wird.391 Widerspricht binnen einer bestimmten Frist, die ursprünglich nur 48 Stunden betrug, mittlerweile aber immerhin auf zehn Tage verlängert worden ist392, keines der Mitglieder des 1267-Ausschusses393 diesem Vorschlag, setzt der Ausschuss die betreffende Person auf die von ihm geführte Sanktionsliste. Damit drückt er ihr faktisch den Stempel „Terrorist“ auf, ohne selbst über die Mittel zu verfügen oder auch nur den Auftrag zu haben, die ihm gelieferten Daten auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Erst seit S/RES/1526 (2004) sind überhaupt Hintergrundinformationen und Nachweise zu liefern [s. u. 3. b) bb)]. Da das Merkmal einer „Verbindung“ zu Al-Qaida/Taliban zudem äußerst unbestimmt ist – eine lediglich grobe Umschreibung gibt es wiederum seit S/RES/1617 (2005) [s. u. 3. b) dd)] –, steht der Kreis der zu listenden Personen im Prinzip offen. Die entsprechende „Terroristen-Liste“, die vor Abschluss ihrer ersten umfassenden Überprüfung zum 30. Juni 2010 aufgrund von S/RES/1822 (2008), op. 25 insgesamt 488 Einträge umfasste, ist dafür sichtbarer Ausdruck.394
391 S. Albin, Rechtsschutzlücken bei der Terrorismusbekämpfung im Völkerrecht, ZRP 37 (2004), 71 (72). 392 S/RES/1904 (2009), op. 17 i. V. m. Ziffer 6 (h) der Leitlinien des 1267-Ausschusses in der Fassung vom 22.7.2010 [Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work (Adopted on 7 November 2002, as amended on 10 April 2003, 21 December 2005, 29 November 2006, 12 February 2007, and 9 December 2008 and 22 July 2010]) http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf [eingesehen am 25.9.2010]. 393 Die Mitglieder von Ausschüssen des SR sind identisch mit den Mitgliedern des SR selbst. 394 Allerdings könnte – und vermutlich müsste – die Liste noch länger sein; zur Zurückhaltung der Staaten, Personen zu designieren, s. u., 4. Die ständig aktualisierte Liste ist erhältlich unter http://www.un.org/sc/committees/1267/consolist. shtml [eingesehen am 25.9.2010].
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b) Die (Sanktions-)Maßnahmen und ihre Umsetzung Als Folge der Listung sind alle Staaten gemäß Art. 25, 48 Abs. 2 SVN i. V. m. der einschlägigen Resolution verpflichtet, die vom SR festgesetzten Sanktionen umzusetzen, das heißt im vorliegenden Fall gegen die aufgeführten Personen ein Reiseverbot zu verhängen, ihre Vermögensgegenstände einzufrieren und ein Verfügungsverbot gegen sie zu erlassen sowie Waffenlieferungen zu unterbinden (travel ban, assets freeze, arms embargo). An diesem Maßnahmenkatalog hat sich trotz regelmäßiger Überprüfungen (reviews) in den Jahren seit Einführung der Sanktionen nichts geändert, sondern er wird seit S/RES/1390 (2002), op. 2 (a)–(c) in allen Nachfolge-Resolutionen bis zur jüngsten S/RES/1904 (2009), dort op. 1 (a)–(c), wortwörtlich wiederholt. In der Europäischen Union wurden die Sanktionen in zwei Stufen umgesetzt: Im ersten Schritt beschlossen die Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einen Gemeinsamen Standpunkt; im zweiten Schritt erließ der Rat eine unmittelbar anwendbare Verordnung nach Art. 301 bzw. Art. 60 EG [i. d. F. des Vertrags von Nizza]: im Falle der S/RES/1390 waren dies 2002/402/GASP sowie VO (EG) Nr. 881/2002. Da die Resolutionen des SR hinreichend vollständig und bestimmt sind, besteht insoweit praktisch kein Umsetzungsspielraum395, sondern geben die Verordnungen als Umsetzungsakte den Inhalt der Resolutionen grundsätzlich unverändert wieder. Dies schließt auch die Liste mit den sanktionierten Personen und Gruppierungen ein, die übernommen und entsprechend den Vorgaben des 1267-Sanktionsausschusses laufend von der Kommission aktualisiert wird.396 Um die Effektivität der Sanktionen überwachen zu können, hat der SR die Staaten ersucht, den 1267-Ausschuss in Form von Berichten über den Stand ihrer Umsetzung zu unterrichten. Da die 192 Staaten diesem Ersuchen allerdings in sehr unterschiedlichem Maße nachkommen, hat der SR das Mandat seines Ausschusses wiederholt ausgeweitet und die Struktur seines Überwachungsmechanismus397 entsprechend angepasst. So ist der Aus395
Der Umsetzungsspielraum, von dem der EuGH in seiner Entscheidung zu Yusuf und Kadi vom 3.9.2008, verbundene Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, Rn. 298 ausgeht, besteht nur theoretisch bzw ist rein „modaler Art“. Dazu J. A. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009), 114 (122). 396 Siehe etwa die Verordnung (EG) Nr. 954/2009 der Kommission vom 13. Oktober 2009 zur 114. Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, ABl. L 269, S. 20. S. Bartelt/H. E. Zeitler, „Intelligente Sanktionen“ zur Terrorismusbekämpfung in der EU, EuZW 14 (2003), 712 (713).
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schuss nunmehr angehalten, die säumigen Staaten in einer „naming and shaming“-Liste beim Namen zu nennen, wenngleich es in der Praxis aus Gründen politischer Rücksichtnahme selten dazu kommt.398 Gleichzeitig aber reicht er ihnen die Hand, indem er die Gründe für ihr „non-reporting“ abfragt und sie beim Aufbau von Kapazitäten unterstützt [S/RES/1526 (2004), op. 22]. Gerade zu Anfang fehlte es den Staaten tatsächlich weniger am politischen Willen als vielmehr an den Fähigkeiten und Vorrichtungen, die geforderten Maßnahmen innerstaatlich umzusetzen. Demnach dienen die Abfragen dazu, den Bedarf an technischer Hilfe zu ermitteln, damit der Ausschuss gezielt Angebote von Geberstaaten sowie internationalen Organisationen vermitteln kann, die die Staaten in die Lage versetzen, ihren Verpflichtungen besser nachzukommen. Ebenso unternimmt der Ausschuss-Vorsitzende bzw. die Expertengruppe Staatenbesuche, um sich einerseits ein Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort machen zu können, andererseits aber auch den Vorgaben des SR Nachdruck zu verleihen. Für den Fall der (vorwerfbaren) Nichtbefolgung ihrer Umsetzungspflicht sind den Staaten implizit Maßnahmen nach Kap. VII SVN angedroht. Der SR lässt sich insoweit von seinem Ausschuss berichten und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen vorlegen. Allerdings hat die „VN-Konsenskultur“ eine wirkliche Konfrontation bislang verhindert, so dass der SR noch keinen Gebrauch von seinen (Zwangs-)Befugnissen gegen einzelne unkooperative Staaten gemacht hat. Letztlich ist der SR mangels globaler Durchgriffsmöglichkeiten auch auf die freiwillige Durchführung seiner Beschlüsse durch die Staaten angewiesen.399 c) Status der gelisteten Individuen und Einrichtungen Angesichts der umfassenden Beschlagnahme ihrer Vermögensgegenstände sowie des absoluten Reiseverbots sind die betreffenden Individuen und Einrichtungen mit Verhängung der Sanktionen praktisch handlungsunfähig. Hiervon gab es anfänglich auch keinerlei (humanitäre) Ausnahmen, so dass die Betroffenen – abgesehen von der immateriellen Stigmatisierung – auch materiell nicht einmal über das Existenzminimum verfügten. 397
Dazu unten 4. a) gg). Als ein seltenes Beispiel hierfür siehe den Bericht S/2004/349 des 1267-Ausschusses auf der Grundlage von S/RES/1526 (2004), op. 23. Im Übrigen vgl. die laufend aktualisierte Liste, in der positiv die Staaten aufgeführt sind, die ihren Bericht eingereicht haben und aus der sich lediglich im Umkehrschluss ergibt, welche Staaten säumig sind, siehe http://www.un.org/sc/committees/1267/memstates reports.shtml [eingesehen am 1.3.2007]. 399 Zu dem Erfordernis von Sanktionen gegen „non-complier“ und einem ersten dahin gehenden Anlauf durch S/RES/1822 (2008) siehe aber unten unter 9. 398
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Gleichzeitig hatten sie auch keinerlei Möglichkeit, ihre Listung zu überprüfen oder überprüfen zu lassen. Dies scheiterte zum einen daran, dass sie nicht über deren Gründe – ja noch nicht einmal über die Vornahme der Listung selbst – informiert wurden. Zum anderen waren und sind noch immer auf Ebene der VN keine wirklichen Rechtsbehelfe vorgesehen, mit denen sie gegen ihre Listung und die Sanktionen vorgehen könnten. Weder hat der SR ein eigenes gerichtsähnliches Gremium geschaffen [zur Errichtung jedenfalls eines Büros der Ombudsperson im Jahr 2009/10 s. u., 7. b)], noch haben Individuen Zugang zum IGH. Verfahren vor nationalen oder europäischen Gerichten gegen die nationalen bzw. supra-nationalen Umsetzungsakte wiederum wurden regelmäßig Art. 25 SVN, wonach die Staaten verpflichtet sind, die Beschlüsse des SR auszuführen, sowie die (angebliche) Vorrangregel des Art. 103 SVN entgegen gehalten.400 Lediglich in dem Fall, dass der SR ultra vires (i. e. S.) oder schwer und offenkundig fehlerhaft handelt, ist anerkannt, dass die Befolgungspflicht und der Geltungsvorrang entfallen, weil dies zur Nichtigkeit der Resolutionen führt.401 Diese Schwelle ist allerdings hoch, und praktisch stößt die Rechtsprechung hier auf die Grenzen des politisch Machbaren. Erst in den Jahren 2005 und 2008 sind der EuG bzw. der EuGH in ihren Entscheidungen in den Fällen Yusuf und Kadi hierüber hinweggegangen (dazu s. u., 6.). Der Schlüssel liegt gleichwohl weiterhin beim SR selbst, da die Resolutionen auch hiernach ihre Geltung behalten und Betroffenen außerhalb der EU nicht geholfen ist. Bis zum Erlass der S/RES/1730 zum Ende des Jahres 2006 blieb gelisteten Personen einzig die Möglichkeit, ein Gesuch an ihren Staatsangehörigkeits- oder Wohnsitzstaat zu richten, damit sich dieser bilateral beim designierenden Staat für ihre Streichung von der Liste einsetze. Die Leitlinien zum Streichungsverfahren – die es überhaupt erst rudimentär seit November 2002 gibt – sahen insoweit vor, dass der ersuchte und der designierende Staat be- und entlastende Informationen austauschen und sich, sofern sich daraus Zweifel an der Listung ergeben sollten, auf dieser Grundlage allein oder gemeinsam mit der Bitte an den Ausschuss wenden, eine Streichung vorzunehmen. Hierüber hatte – und hat, denn insoweit hat sich bis heute 400 Siehe die Entscheidung des EuG in Ahmed Ali Yusuf und Al Barakaat International Foundation sowie Yassin Abdullah Kadi gegen Rat der Europäischen Union und Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 21.9.2005, verbundene Rechtssachen T-306/01 und T-315/01, Rn. 345: „[. . .] mangels eines für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte des Sicherheitsrats zuständigen internationalen Gerichts [. . .]“. 401 s. o., Kap. 4. B. II. 3. d) und III. Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten im Einzelnen: S. Bartelt/H. E. Zeitler, „Intelligente Sanktionen“ zur Terrorismusbekämfpung in der EU, EuZW 14 (2003), 712 (714 ff.).
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[Stand: S/RES/1904 (2009) sowie Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 22.7.2010] nichts Grundlegendes geändert – der Ausschuss im „no objection“-(„Kein Einwand“-)Verfahren402 zu entscheiden, also wie schon bei der ursprünglichen Listung. Als ultima ratio kann die Sache dem SR vorgelegt werden, wobei jedoch im Regelfall keine andere Entscheidung zu erwarten ist, da auch hier – informell – ein konsensualer Entscheidungsmodus vereinbart ist und zwischen Ausschuss und SR letztlich eine „Personalunion“ besteht.403 Im Übrigen stünde wenigstens den P 5 auch hier ihr Vetorecht zur Verfügung. d) Bewertung Das Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregime hat im Anschluss an den 11. September 2001 einen beispiellosen Zugriff auf (vermeintliche) Terroristen genommen. Indem es als einziges Kriterium verlangt, dass jemand mit Osama bin Laden, Al-Qaida oder den Taliban „verbunden“ ist – wobei letztlich die bloße (unterstellte) gemeinsame „Idee“ als Bindeglied ausreichen mag –, hat es die Sanktionen auf einen potenziell globalen Adressatenkreis erstreckt. Damit entfalten völkerrechtliche, d. h. im Hinblick auf Staaten konzipierte Zwangsmaßnahmen des SR erstmals Wirkungen nicht nur gegen eben jene Staaten oder dessen Repräsentanten, sondern gegen Individuen und Gruppierungen in ihrer privaten Kapazität. Da das Listungsverfahren zunächst weder inhaltliche Standards noch „redaktionell-technische“ Kontrollen vorsah, gelangten auch solche Personen auf die Liste, die rein gar nichts mit Osama bin Laden, den Taliban oder Al-Qaida zu tun hatten, sondern (insb. aufgrund der arabischen Schreibweise ihrer Namen) einfach Opfer ganz banaler Verwechslungen waren. Das schriftliche Verfahren, das den Listungen vorgeschaltet war, hatte praktisch nur eine Alibi-Funktion, war es doch in einer „Einspruchsfrist“ von nur 48 Stunden kaum möglich, hinreichende Informationen über den Fall einzuholen. Die Betroffenen selber wurden weder über die beabsichtigte noch die vollzogene Listung in Kenntnis gesetzt, so dass sie keinerlei Möglichkeit besaßen, zur Aufklärung beizutragen. 402
Dazu siehe W. Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 10, Rn. 13. Ziffer 6 der Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 22.7.2010. 403 Ziffer 1 (b) der Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 22.7.2010. Der erste Fall, der in den Anfangsjahren des Sanktionsregimes eine große Ausnahme blieb, in dem eine Person auf das Bemühen des Staatsangehörigkeitsstaats hin von der Liste gestrichen wurde, war der von A. Aden, schwedischer Staatsangehöriger somalischer Herkunft, den die USA designiert hatten und der sich auch als einer der ersten Betroffenen (erfolglos) an das EuG gewandt hatte, siehe Beschluss des EuG vom 7.5.2002 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, Rechtssache T-306/01 R.
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Eine nachträgliche Streichung von der Liste war praktisch aussichtslos. Zum einen erfordert dies Einstimmigkeit unter den 15 Ausschuss-Mitgliedern, wobei ablehnende Voten – noch heute – nicht einmal zwingend begründet zu werden brauchen.404 Zum anderen wurden die Betroffenen bis zum Erlass der S/RES/1730 am 19. Dezember 2006 selbst am Verfahren gar nicht beteiligt, sondern auf diplomatischen Schutz durch ihren Heimatstaat verwiesen, auf den überdies kein Anspruch besteht.405 Als hätte es die Entwicklung universeller Menschenrechte und die „Aufwertung“ der Menschen zu (partiellen) Völkerrechtssubjekten nie gegeben, war der Einzelne damit wieder vollständig mediatisiert. Wie unterschiedlich gewillt und in der Lage die Staaten sind, diesen Schutz auszuüben, zeigt die sehr kurze Liste derjenigen Staaten, die entsprechende Verfahren überhaupt angestrengt haben. Angesichts dessen, dass eine große Zahl der Gelisteten aus Ländern wie Afghanistan oder Irak stammt, die noch nicht einmal über einen funktionierenden Staatsapparat verfügen, offenbarte sich das Streichungsverfahren damit endgültig als Farce. Dies muss auch dem SR klar gewesen sein, hatte er doch in den Liberia- und Côte d’Ivoire-Sanktions-Ausschüssen aus genau diesem Grunde gelisteten Personen die Möglichkeit eröffnet, sich auch an das VN-Sekretariat zu wenden, das die Petitionen dann an den jeweiligen Ausschuss weiterleitete.406 In diesem Ausmaß war die Versagung individueller Rechte nur möglich – und wurde in der Praxis noch verstärkt – durch die „weltpolitische Lage“ in der Zeit unmittelbar nach dem 11. September 2001, die keine Kritik an dem „gemeinsamen Ziel der Terroristenbekämpfung“ erlaubte. Stattdessen galten die Parole „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ sowie die Maßgabe „Sicherheit vor Freiheit“. Damit hat das Recht – oder genauer: der Rechtsanwender – wieder einmal in einer Stunde, in der er viel Populismus und Propaganda ausgesetzt war, seine Reifeprüfung nicht bestanden.
404 In S/RES/1904 (2009), op. 25 heißt es inzwischen immerhin; „[The Security Council] calls on Committee members to make every effort to provide their reasons for objecting to such delisting requests“. 405 Das EuG mag in seiner verbundenen Entscheidung vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), zwar einen Anspruch auf diplomatischen Schutz aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleitet haben [dazu sogleich unter e) aa) (1)]; dies bleibt aber jedenfalls ohne Einfluss auf die Mehrzahl der Staaten dieser Welt. 406 Siehe den Bericht des Watson Institute for International Studies/Brown University, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, A/60/887 – S/2006/331 vom 14.6.2006, S. 24. Seit S/RES/1730 (2006) ist diese Möglichkeit mit der neu geschaffenen Koordinierungsstelle – deren Funktion mit S/RES/1904 (2009) wiederum auf das Büro der Ombudsperson übergegangen ist – nun auch im 1267-Sanktionsregime eröffnet; dazu unten 3. d) und 7. d).
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3. Reformen: Das 1267-Sanktionsregime seit Ende 2002
Vor diesem Hintergrund ist das 1267-Sanktionsregime bereits seit Ende 2002 Gegenstand substanzieller Reformen. Hierbei handelt es sich um einen andauernden Prozess, wie die jüngste S/RES/1904 (2009) und die mittlerweile sechste Modifizierung der Leitlinien des 1267-Ausschusses zeigen. In maßgeblichen Punkten genügt das Sanktionsregime den rechtlichen Anforderungen jedoch noch immer nicht. Die verbleibenden Defizite und mögliche Lösungsansätze sollen unten (unter 5. bis 7.) beschrieben werden. Während der Reformprozess zunächst von einem „zähen Ringen“ in kleinsten Schritten gekennzeichnet war, gab der SR dem Druck der breiten VN-Mitgliedschaft sowie der Öffentlichkeit ab 2005 stärker nach, als die Staats- und Regierungschefs ihre Forderungen im Ergebnisdokument des Weltgipfels in folgendem Aufruf an den SR zusammenfassten: „We [. . .] call upon the Security Council, with the support of the Secretary-General, to ensure that fair and clear procedures exist for placing individuals and entities on sanctions lists and for removing them, as well as for granting humanitarian exemptions.“407
a) Humanitäre Ausnahmen (humanitarian exceptions) Den letztgenannten Aspekt der humanitären Ausnahmen hatte der SR auf frühzeitige Kritik hin bereits selber in einer ersten Kehrtwende zu mehr Individualschutz aufgegriffen. So führte er mit S/RES/1452 vom 20. Dezember 2002 zwei Ausnahmetatbestände von den Sanktionen ein: Zum einen können die Staaten Gelder, die zur Deckung der Grundbedürfnisse, also insbesondere für Nahrungsmittel und Medikamente, aber auch für Steuern und öffentliche Gebühren erforderlich sind, freigeben, sofern der 1267-Ausschuss nicht binnen 48 Stunden (mittlerweile: drei Arbeitstagen) widerspricht [op. 1 (a) i. V. m. Ziffer 11 (a) der Ausschuss-Leitlinien i. d. F. vom 22.7.2010]. Zum anderen können mit Billigung des Ausschusses Gelder für „außerordentliche Ausgaben“ von den Sanktionen ausgenommen werden [op. 1 (b)]. Auch von dem umfassenden Reiseverbot können nach S/RES/1390 (2002), op. 2 (b), S/RES/1822 (2008), op. 1 (b) im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden. Mit dieser Möglichkeit, wenigstens das Existenzminimum und Einzelfallgerechtigkeit zu gewähren, sind die gravierendsten menschenrechtlichen Defizite behoben. Da der Erfolg der Sanktionen nicht dadurch vereitelt zu werden droht, dass (vermeintliche) Terroristen Zugang zu Verbrauchs- und Gebrauchsgütern des täglichen Lebens erhalten, wäre es an sich jedoch an407
2005 World Summit Outcome, A/Res/60/1, Para. 109.
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gemessen gewesen, eine de minimis-Schwelle einzubauen. Die Regelung in S/RES/1452 (2002) führt nämlich nicht dazu, dass das Existenzminimum von vornherein ausgenommen bleibt, sondern ermöglicht nur, dass eine nachträgliche Entsperrung in dieser Höhe erfolgen kann. Für eine generelle Befreiung spricht, dass die Staaten nur sehr unterschiedlich und spärlich von der Ausnahmeregelung Gebrauch machen. Drei Jahre nach Erlass der S/RES/1452 (2002) waren bei damals 345 gelisteten Individuen lediglich 29 Ersuche um humanitäre Ausnahmen von gerade einmal acht Staaten eingereicht worden (wobei Deutschland und Großbritannien an der Spitze standen). Das Überwachungsteam (Monitoring Team) empfahl daraufhin, alle Staaten nochmals gezielt über die Ausnahmen sowie darüber zu informieren, dass bis dahin sämtliche Ersuche positiv beschieden worden waren. Gleichzeitig sprach es sich dafür aus, die Staaten zu verpflichten, entsprechende Gesuche ihrer Staatsangehörigen zwingend an den 1267-Ausschuss zur Freigabe weiterzuleiten.408 Der ersten Empfehlung kam der Ausschuss mittels einer Verbalnote nach, was dazu führte, dass im Laufe von 2006 binnen sechs Monaten 23 weitere Fälle notifiziert wurden.409 Für eine obligatorische Weiterleitung von Gesuchen fand sich im Ausschuss aber offenbar keine Mehrheit, was bestätigt, dass die (ständigen) SR-Mitglieder lange alles dafür unternahmen und ihnen noch immer daran gelegen ist, möglichst freie Hand zu behalten. Aber auch die übrigen Staaten nehmen sich ihre Freiheiten heraus, und zwar nicht nur gegenüber ihren eigenen Staatsangehörigen, sondern auch im Verhältnis zum 1267-Ausschuss. Tatsächlich haben sie nämlich in deutlich mehr als den notifizierten Fällen Ausnahmen erteilt, allerdings ohne den Ausschuss zu beteiligen. Denn offenbar befürchten die Staaten, dass die Einhaltung des vorgegebenen Verfahrens zu unnötigen Verzögerungen geführt hätte. Wenn dieses aus individual-rechtlicher Sicht im Ergebnis auch zu begrüßen ist, untergräbt es doch die Autorität des Ausschusses und des Sanktionsregimes insgesamt.410
408 Vierter Bericht des Überwachungsteams vom 10.3.2006, S/2006/154, Paras. 51 ff. 409 Fünfter Bericht des Überwachungsteams vom 20.9.2006, S/2006/750, Paras. 53 ff. 410 Siehe die entsprechende Beobachtung und Empfehlung des 1267-Überwachungsteams noch in seinem Zehnten Bericht vom 2.10.2009, S/2009/502, III. B.: „The Committee and the Council have a choice between allowing these breaches of a mandatory resolution to continue, confronting the States concerned or adopting a successor resolution to 1452 (2002) that allows States to decide what constitutes a basic expense by national standards, as long as they keep the Committee informed. The Team continues to recommend that the Council take the latter course, to prevent the erosion of its authority with respect to the sanctions regime as a whole.“
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b) Listungsverfahren (listing procedure) Das Listungsverfahren hat sich als Dauerthema auf der Reform-Agenda festgesetzt. Dabei liegt das Grundproblem zum einen in der sehr weit gefassten Beschreibung des Adressatenkreises der Sanktionen, nämlich „[. . .] individuals, groups, undertakings and entities associated with [Usama Bin Laden, members of the Al-Qaida organization and the Taliban]“ [S/ RES/1390 (2002), op. 2; s. o., 2. a)]. Zum anderen sind lange Zeit nur äußerst geringe Anforderungen an den Nachweis einer solchen „Verbindung“ zu Al-Qaida etc. gestellt worden. Beides hat dazu geführt, dass die Konsolidierte Liste – wenigstens bis zu ihrer erstmalig zum 30. Juni 2010 durchgeführten vollständigen Überprüfung – eine hohe Fehlerquote aufwies, auch wenn der 1267-Ausschuss bereits in den zurückliegenden Jahren, teils aus eigener Initiative, teils ausdrücklichen Vorgaben des SR folgend, eine Reihe inhaltlicher wie auch technischer Verbesserungen vorgenommen hat, um diese zu reduzieren. aa) Identifizierungsangaben (identifying information) Während bei früheren Sanktionsregimen noch Eintragungen wie „Big Freddy“ genügt haben mögen411, erfordern die Sanktionen gegen Al-Qaida/ Taliban angesichts ihrer globalen Erstreckung deutlich spezifischere Beschreibungen der gelisteten Personen.412 Als ersten Schritt wies der SR die designierenden Staaten mit S/RES/1455 vom 17. Januar 2003 auf die Wichtigkeit hin, die von ihnen zur Listung vorgeschlagenen Namen um weitere Angaben zu ergänzen, damit die Identifikation der Person erleichtert werde: „[The SC . . .] stresses to all Member States the importance of submitting to the Committee the names and identifying information, to the extent possible [. . .] (op. 4).“ Allerdings sind die Staaten in diesem Punkt äußerst zurückhaltend, weil es sich fast ausschließlich um Geheimdienstinformationen handelt, deren Quelle die Regierungen nicht offen legen wollen. Vor diesem Hintergrund wehren sie sich mit allen Kräften, allgemein geltenden Standards unterworfen zu werden, so dass der entsprechende Passus überhaupt nur mit der Ergänzung „soweit wie möglich“ konsensfähig war. Da dieser bloße Hinweis in der Praxis wenig Wirkung entfaltet hat, ist das Problem auf der Agenda geblie411 So im Fall des Sanktions-Ausschusses für die UNITA/Angola, siehe oben 2. a) aa). 412 Zu der vielfach geäußerten Kritik an der „Definition“ siehe nur die Unterrichtung des SR durch den damaligen Vorsitzenden des 1267-Ausschusses C. Mayoral (Argentinien), Pressemitteilung SC/8454 vom 20.7.2005.
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ben. In der Nachfolge-Resolution S/RES/1526 vom 30. Januar 2004 reichte die Kompromissfähigkeit auch nur so weit, die Staaten nun immerhin aufzurufen („calls upon . . .“), die entsprechenden Angaben zu machen sowie den Passus „to the extent possible“ geringfügig um ein „to the greatest extent possible“ zu steigern (op. 17). Bis der SR die Staaten endlich hierzu verpflichtete („decides that [. . .] States shall . . .“), vergingen nochmals nahezu drei weitere Jahre (S/RES/1735, op. 5 vom 22. Dezember 2006). Während S/RES/1617 vom 29. Juli 2005 nicht darüber hinausging, auf diesbezügliche Anforderungen hinzuweisen (op. 4 und 11), übersandte der Ausschuss-Vorsitzende den Staaten Mitte 2006 mittels Verbalnote ein standardisiertes Deckblatt (cover sheet), das Listungsvorschlägen seitdem zugrunde zu legen ist.413 Auf diese Weise wird Übersichtlichkeit gewahrt, aber vor allem sichergestellt, dass die Listungen konkret und substantiiert sind, d. h. einige „basic idenfiers“ wie Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit enthalten. Tatsächlich gingen aufgrund dieses Referenzrahmens mehrere hundert Ergänzungen an der Liste beim Ausschuss ein, was deren Qualität signifikant erhöht hat.414 Das Überwachungsteam betreibt inzwischen aber auch selbst aktiv Nachforschungen, um Daten zu erlangen und auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen.415 Auf dieser Grundlage korrigierte der Ausschuss etwa im Jahr 2007 in Hinblick auf die Taliban jede zweite der 142 Eintragungen.416 Dies verdeutlicht den hohen Grad der Verbesserungen, aber eben auch der vorangegangenen Unzulänglichkeiten. bb) Hintergrundinformationen und Falldarstellung (statement of case) In S/RES/1526 (2004), op. 17 rief der SR die Staaten erstmalig dazu auf, ihren Listungsvorschlägen „im größtmöglichen Maße“ auch Informationen über den Hintergrund des Falles (background information) beizufügen. Während der SR hier noch die Wendung „calls upon“ gebrauchte, verlieh er dieser Vorgabe in S/RES/1617 (2005) mit der Formulierung „decides“ entscheidenden Nachdruck. Gleichzeitig erhöhte er die qualitativen Anforderungen, indem er statt „loser“ Hintergrundinformationen seither eine geschlossene Darstellung des Falles verlangt. Mit der erwähnten Verbalnote 413 Note verbale SCA/2/06 (11) vom 17.7.2006; ausdrücklich sanktioniert wiederum durch S/RES/1735 (2006), op. 7. 414 Fünfter Bericht des Überwachungsteams vom 20.9.2006, S/2006/750, Para. 22. 415 Zweiter Bericht des Überwachungsteams vom 15.2.2005, S/2005/83, Para. 36. 416 Tätigkeitsbericht 2007 des 1267-Sanktionsausschusses vom 17.1.2008, S/2008/25, III. Von den 507 Eintragungen per 31.12.2008 waren im Verlauf des Jahres 2008 sogar 289 korrigiert worden, siehe Tätigkeitsbericht 2008, S/2008/848 vom 31.12.2008, III.6.
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vom 17. Juli 2006 hat der Ausschuss-Vorsitzende die inhaltlichen Anforderungen wie folgt formularmäßig konkretisiert: „Please attach a Statement of Case which should provide as much detail as possible on the basis(es) for listing [. . .], including: (1) specific findings demonstrating the association or activities alleged; (2) the nature of the supporting evidence [. . .]; (3) [. . . according] documents [. . .].“417
Der SR hat sich das entsprechende Formular unterdessen in seiner S/RES/1735 vom 22. Dezember 2006 zu eigen gemacht, indem er es der Resolution beigefügt und die Staaten aufgerufen hat, es zugunsten erhöhter „Klarheit und Einheitlichkeit“ zu verwenden (op. 7; Annex 1). Unabhängig davon hat der SR die zitierten inhaltlichen Anforderungen an die Sachverhaltsdarstellung (nur leicht modifiziert) zum zwingenden Mindeststandard erhoben (op. 5: „Decides that, when proposing names [. . .], States shall [. . .]“). Das gleiche gilt gem. S/RES/1822 (2008), op. 12 inzwischen für das Erfordernis, wenigstens Teile der Darstellung (narrative summary of reasons for listing) zu kennzeichnen, die auf der Webseite des Ausschusses veröffentlicht werden können, damit die Betroffenen – und nunmehr auch die Allgemeinheit – die Gründe der Listung erfahren.418 cc) Format und Sprache Um künftig simple Verwechslungen gelisteter Personen oder Gruppierungen auszuschließen, setzte der 1267-Ausschuss am 25. Juli 2005 außerdem die folgenden drei Maßnahmen zur qualitativen Verbesserung der Liste in Kraft: Erstens wurde die vormals durchlaufende Nummerierung durch feste Referenznummern ersetzt. Zweitens wurde die – historisch bedingte – unterschiedliche Listung von Taliban und Al-Qaida in chronologischer und alphabetischer Anordnung zugunsten der letzteren vereinheitlicht. Drittens werden die Namen nunmehr nicht lediglich in ihrer lateinischen Transliteration aufgeführt, sondern auch in der Originalsprache. Wie viele redaktionelle Fehler in den Listen waren – und vermutlich, wenn auch in geringerem Umfang, nach wie vor sind – zeigt der Umstand, dass allein in der Pressemitteilung anlässlich dieser Verfahrensneuerungen bereits weitere 36 Korrekturen in der Liste bekannt gegeben wurden.419
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Note verbale SCA/2/06 (11) vom 17.7.2006. Siehe entsprechend Ziffer 6 (d) der Leitlinien des 1267-Ausschusses seit der Fassung vom 9.12.2009. 419 Pressemitteilung des 1267-Ausschusses, SC/8785/Rev.1. Die entsprechenden Empfehlungen stammen vom Überwachungsteam, siehe dessen Fünften Bericht vom 20.9.2006, S/2006/750. 418
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dd) Nachweis der Verbindung zu Al-Qaida/Taliban Darüber hinaus hat sich der SR aber mittlerweile auch der Wurzel des Problems, nämlich der unbestimmten Beschreibung des Adressatenkreises der Sanktionen („associated with [Al-Qaida etc.]“), angenommen. War AlQaida zur Zeit der Errichtung des 1267-Sanktionsregimes noch eine hierarchisch von Osama bin Laden in der Region in und um Afghanistan geführte Organisation, deren Mitgliedschaft relativ leicht abgrenzbar war, hat sich ihre Struktur und Wirkungsweise in der Zwischenzeit stark, nämlich hin zu einem dezentralen Netzwerk, gewandelt.420 Aus diesem Grund wurde eine Definition des Merkmals „associated with“ zur Herstellung eines Mindestmaßes an Rechtssicherheit immer dringlicher. Die Schwierigkeit lag und liegt darin, einerseits der erwähnten Öffnung Al-Qaidas gerecht zu werden, d. h. einen umfassenden Zugriff zu gewährleisten, andererseits aber nicht praktisch jeden, der einem Staat (bzw. einer Regierung), aus welchen Gründen auch immer, „lästig“ ist, einer Listung preiszugeben.421 Vor diesem Hintergrund gelang es dem SR erst mit S/RES/1617 (2005), sich wenigstens auf eine „Erläuterung“ (explanation)422 zu einigen. Allerdings sind auch hiermit die Probleme nicht gelöst, da sie über die Nennung einiger Regelbeispiele, kombiniert mit einer „catch all“-Klausel, nicht hinausgeht. Der Wortlaut von op. 2 ist wie folgt: „[Der SR] beschließt außerdem, dass u. a. die folgenden Handlungen oder Aktivitäten darauf hindeuten, dass eine Person, eine Gruppe, ein Unternehmen oder eine Einrichtung mit der Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban verbunden ist [‚associated with‘]: – die Beteiligung an der Finanzierung, Planung, Erleichterung, Vorbereitung oder Begehung von Handlungen oder Aktivitäten durch, zusammen mit, unter dem oder im Namen von oder zur Unterstützung der Al-Qaida, Osama bin Ladens oder der Taliban oder einer ihrer Zellen, Unterorganisationen, Splittergruppen oder Ableger; – die Lieferung, der Verkauf oder die Weitergabe von Rüstungsgütern und sonstigem Wehrmaterial an diese; – die Rekrutierung für diese oder – die sonstige Unterstützung ihrer Handlungen oder Aktivitäten [.]“ 420
Vgl. oben Teil 1, Kap. 1, A. IV. 3. Auf diese Gefahr weist der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in seinem Bericht vom 16.8.2006, A/61/267, Ziff. 33 hin. 422 Sechster Bericht des 1267-Ausschusses vom 17.1.2006, S/2006/22, Para. 3. 421
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In op. 3 weitet der SR die Adressatengruppe sogar noch aus: „[Der SR] beschließt ferner, dass jedes Unternehmen oder jede Einrichtung, die im Eigentum solcher mit der Al-Qaida, Osama bin Laden oder den Taliban verbundenen Personen, Gruppen, Unternehmen oder Einrichtungen steht oder direkt oder indirekt von diesen kontrolliert wird oder sie auf andere Weise unterstützt, in die Liste aufgenommen werden kann[.]“423
Aufgrund des dynamischen Wesens insbesondere des Al-Qaida-Netzwerks ist eine feste Umgrenzung des Personenkreises, der mit Sanktionen belegt werden soll, praktisch nur schwer zu leisten, so dass die genannten Kriterien und Anhaltspunkte schon einen Fortschritt darstellen. Eine bessere inhaltliche Kontrolle wird aber vor allem durch das standardisierte Deckblatt erreicht, das zwar nicht komplett ausgefüllt zu werden braucht, aber eine Richtschnur bildet und zur Selbstkontrolle und -beschränkung zwingt. ee) Regelmäßige Überprüfungen (periodic reviews) Mit der Überarbeitung seiner Leitlinien im Jahr 2005 hat der 1267-Ausschuss außerdem festgelegt, dass schwebende Verfahren, d. h. die Fälle, in denen ein Mitglied „Einspruch“ gegen die (De-)Listung oder Gewährung einer humanitären Ausnahme erhoben hat („a hold placed on the matter“), mindestens ein Mal monatlich überprüft werden müssen.424 Damit wird verhindert, dass Angelegenheiten unendlich verzögert werden und das Einfrieren von Konten faktisch deren Verfall gleichkommt, ohne dass dies gegenüber dem Ausschuss begründet zu werden bräuchte oder die Sache auch nur auf der Agenda bliebe.425 Seit der Neufassung der Leitlinien im November 2006 ist darüber hinaus vorgesehen, dass diejenigen Listungen, die im Verlauf von vier Jahren nicht aktualisiert worden sind, auf Ersuchen eines Ausschuss-Mitglieds zum Gegenstand einer Nachprüfung gemacht werden können.426 Die S/RES/1822 (2008) sieht in op. 26 mittlerweile noch weitergehend vor, dass der Ausschuss von sich aus im Abstand von drei Jahren alle Listungen überprüfen muss. Auch diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass diejenigen Personen oder Einrichtungen, die entweder fehlerhaft auf die Liste gelangt sind oder 423 Für diese Fassung des deutschen VN-Übersetzungsdienstes siehe S/INF/60 von 2005, erhältlich unter http://www.un.org/Depts/german/sr/fs_sr_zwischenseite. html [eingesehen am 27.2.2007]. 424 Ziffer 4 (d) der Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 21.12.2005. 425 The Watson Institute for International Studies/Brown University, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, A/60/887 – S/2006/331 vom 14.6.2006, S. 33. 426 Ziffer 6 (i) der Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 29.11.2006.
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die Kriterien für eine Listung in der Zwischenzeit nicht mehr erfüllen, auch tatsächlich von der Liste entfernt werden. Kritisch anzumerken ist, dass die Intervalle zwischen den Überprüfungen sehr lang sind. Werden sie nicht in Abständen von maximal 6–12 Monaten vorgenommen, drohen die eigentlich temporären Sanktionen faktisch in permanente Eingriffe umzuschlagen, wodurch sie einen repressiven Charakter erhielten, der wiederum höhere Anforderungen an ihre Rechtmäßigkeit nach sich zöge.427 Den Missstand, dass Verlängerungen von Listungen nicht den seit der ursprünglichen Listung ergangenen strengeren Anforderungen an den Nachweis einer Verbindung zu Al-Qaida/Taliban unterlagen, hat der SR mittlerweile durch den Erlass der S/RES/1822 vom 30. Juni 2008 behoben, wonach eine Überprüfung aller in jenem Zeitpunkt vorliegenden 488 Einträge bis zum 30. Juni 2010 durchzuführen war (op. 25).428 Hiervon wurden 45 gelöscht, darunter 24 Individuen (acht allerdings bereits von Todes wegen); in rund 370 Fällen wurden Korrekturen bzw. Aktualisierungen vorgenommen, so dass die Qualität der Liste nochmals signifikant verbessert wurde.429 ff) Definitionen technischer Begriffe (explanation of technical terms) Abgesehen von der Erläuterung des Merkmals „associated with“, gab und gibt es kaum Definitionen technischer Begriffe, was die Anwendung der Al-Qaida/Taliban-Sanktionen sichtlich erschwert. Im Fall des IrakSanktionsregimes wurden bestimmte Termini noch durch die gesonderte Mitteilung SC/7831 des Ausschuss-Vorsitzenden zur S/RES/1483 (2003) definiert [s. o., 2. a) aa)]. Dort heißt es etwa zum Begriff der wirtschaftlichen Ressourcen (economic resources): „Assets of every kind, whether tangible or intangible, movable or immovable, which are not funds.“ Die Bedeutung dieser „funds“ wird sodann in einem weiteren Punkt erklärt, so dass der Anwendungsbereich für die Sanktionen insgesamt abgesteckt wird. Im 1267-Sanktionsregime hingegen ist die Formulierung entsprechender Definitionen trotz frühzeitiger dahin gehender Forderungen lange gänzlich unterblieben und noch immer unzureichend. Bereits in den Verhandlungen 427 So auch der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in seinem Bericht vom 16.8.2006, A/61/267, Ziffer 30. Die Feststellung – oder Behauptung – des SR, „the measures [. . .] are preventative in nature and are not reliant upon criminal standards (S/RES/1822 (2008), pp. 13)“ vermag daran nichts zu ändern. 428 Für dieses Überprüfungsverfahren nahm der 1267-Ausschuss in Abschnitt 9 seiner Leitlinien i. d. F. vom 9.12.2008 neue Bestimmungen auf (seit deren Überarbeitung vom 22.7.2010 nunmehr Abschnitt 10). 429 Siehe die Pressemitteilung vom 2.8.2010, SC/9999.
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zur S/RES/1526 Anfang 2004 war an sich vereinbart worden, als Kompromiss dem „1483-Beispiel“ zu folgen und juristische Begrifflichkeiten in den Leitlinien des Ausschusses (oder einer Verbalnote) zu definieren, um eine einheitliche Anwendung der Sanktionen zu erleichtern. Allerdings setzten sich hier letztlich die politischen Interessen (insb. der USA) durch, die die umgekehrte Befürchtung hegen, dass Definitionen die Umsetzung behindern, weil einengen. Erst am 1. November 2006 übermittelte der (1267-)Ausschuss-Vorsitzende den Staaten eine Verbalnote zur „Bedeutung des Waffenembargos im Kontext des Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregimes“, in der technische Begriffe erklärt werden.430 In seiner Resolution S/RES/1735 vom 22. Dezember 2006 schließlich gelang es auch dem SR, Formulierungen für zwei Begriffserläuterungen zu finden, auf die sich alle (SR-)Mitglieder einigen konnten. Ein praktischer Gewinn wurde hierdurch allerdings nicht erzielt. Denn in op. 3 heißt es lediglich: „[The Security Council c]onfirms that the requirements in paragraph 1 (a) of this resolution [i. e.: ‚Freeze . . . the funds and other financial assets or economic resources . . .‘] apply to economic resources o f e v e r y k i n d .“ Entsprechend weit gefasst ist op. 20: „[. . .] the measures [. . .] apply to a l l f o r m s o f financial resources [. . .] (Hervorhebungen durch Verf.)“ Pro forma also gibt es nun Definitionen; in der Sache bleibt indes alles unverändert – abgesehen davon, dass (angebrachte) Zweifel, ob tatsächlich sämtliche Wirtschaftsgüter oder Geldmittel erfasst sein sollen, vorerst beseitigt sind. In S/RES/1822 (2008) benennt der SR nunmehr einige – allerdings weiterhin offen formulierte – Regelbeispiele für Arten wirtschaftlicher Ressourcen („including but not limited to those used for the provision of Internet hosting or related services [op. 4]“) und Fälle der Unterstützung und Finanzierung von Handlungen oder Aktivitäten von Al-Qaida („such means of financing or support include but are not limited to the use of proceeds derived from illicit cultivation, production and trafficking of narcotic drugs originating in Afghanistan, and their precursors [op. 10])“. Dies alles zeigt, dass eine schrittweise Entwicklung im Gange ist, aber auch auf welch kleinem Nenner der Fortschritt hin zu einer Festlegung und damit Verrechtlichung im politischen Prozess des SR (und der VN insgesamt) erfolgt. 430 Siehe http://www.un.org/Docs/sc/committees/1267/ArmsEmbargo.Explanati onTermsEng.pdf [eingesehen am 20.2.2007]. Ergänzend wurde am 23.10.2008 die folgende Kommentierung des Waffenembargos veröffentlicht: http://www.un.org/ sc/committees/1267/pdf/EOT %20Arms %20embargo_ENGLISH.pdf [eingesehen am 8.3.2009].
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c) Verfahrensrechte (due process) Außerdem sind den Individuen inzwischen auch eigene Verfahrensrechte eingeräumt worden. Eine erste, noch schwache Andeutung findet sich in S/RES/1526 (2004), op. 18, wo es heißt: „[The SC s]trongly encourages all States to inform, to the extent possible, individuals and entities included in the Committee’s list of the measures imposed on them, and of the Committee’s guidelines and resolution 1452 (2002).“
Zu mehr als dazu, die Staaten zu „ermutigen“, die Betroffenen vom Umstand ihrer Listung sowie den Rechtsfolgen zu informieren, reichte der politische Konsens hier noch nicht. Auch die Verwendung der „schwammigen“ Formel „to the extent possible“ zeugt von der anfänglich geringen Bereitschaft, die Betroffenen wirklich ins Verfahren einzubeziehen. Mit der Nachfolge-Resolution S/RES/1617 (2005) ging der SR dann einen Schritt weiter, indem er die Staaten nunmehr „ersuchte“, die Betroffenen zu informieren, wenn auch dies freilich noch keine Rechtspflicht begründete. Außerdem verdeutlichte er, worauf es ihm beim pauschalen Verweis auf die „Committee’s guidelines“ ankam, indem er ausdrücklich und „insbesondere“ auf das Listungs- und Listenstreichungsverfahren hinwies (op. 5). Vorerst ungelöst blieb hingegen der Streit, ob nun der designierende oder der Staatsangehörigkeits- oder Wohnsitzstaat zuständig sein sollte, die Betroffenen zu informieren: „[The SC r]equests r e l e v a n t States to inform [. . .]“ (Hervorhebung durch Verf.). Seit S/RES/1735 (2006) werden nunmehr explizit die designierenden Staaten ersucht, bei Vorlage ihres Antrags anzugeben, welche Teile der Falldarstellung für die Zwecke der Benachrichtigung der in die Liste aufzunehmenden Person oder Einrichtung veröffentlicht werden können (op. 6).431 Das Sekretariat soll dann die Ständige Vertretung (bei den VN) des Landes, in dem die Person oder Einrichtung sich (mutmaßlich) befindet, sowie im Falle von Personen das Land, dessen Staatsangehöriger die Person ist, benachrichtigen. Die Frist hierfür wurde von einer Woche nochmals auf drei Arbeitstage verkürzt [S/RES/1904 (2009), op. 18]. Beizufügen sind der zur Veröffentlichung freigegebene Teil der Sachverhaltsdarstellung inkl. Gründe für die Listung, eine Beschreibung der Auswirkungen der Listung (also die Sanktionen) und der Voraussetzungen einer Listenstreichung sowie der humanitären Ausnahmeregelungen gemäß S/RES/1452 (2002). Die Staaten schließlich sind aufgerufen, nachdem sie benachrichtigt worden sind, ihrerseits die gelisteten Personen und Einrichtungen entsprechend in 431 Dies hatte auch bereits der Ausschuss-Vorsitzende mit seiner Verbalnote SCA/2/06 (11) vom 27.7.2006 angeregt; entsprechend S/RES/1904 (2009), op. 11.
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Kenntnis zu setzen.432 In S/RES/1822 (2008), op. 17 werden die Anforderungen insoweit noch erhöht: „[The SC d]emands that Member States [. . .] take [. . .] all possible measures to notify or inform in a timely manner the listed individual or entity of the designation and to include with this notification a copy of the publicly releasable portion of the statement of case, any information on reasons for listing available on the Committee’s website, a description of the effects of designation, as provided in the relevant resolutions, the Committee’s procedures for considering delisting requests, and the provisions of resolution 1452 (2002) regarding available exemptions[.]“
Diese Beteiligung der Betroffenen ist praktisch die Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt von ihrem neuen Antragsrecht auf Streichung aus der Liste [dazu sogleich unter d)] Gebrauch machen können und damit ein zwingend zu gewährendes Verfahrensrecht.433 Die Einbeziehung des Sekretariats schafft hierbei eine bessere Erreichbarkeit und eine gewisse Transparenz. d) Listenstreichungsverfahren (de-listing procedure) Neben dem Listungsverfahren ist in der Zwischenzeit auch das Listenstreichungsverfahren weitgehend formalisiert und transparenter gemacht worden. Nachdem zunächst nur der 1267-Ausschuss entsprechende Regeln in seine Leitlinien aufgenommen hatte [s. o., 2. c)], hat zuletzt auch der SR selbst per Resolution umfassende Vorgaben hierzu erlassen. In S/RES/1735 vom 22. Dezember 2006 [der „ordentlichen“ NachfolgeResolution zu S/RES/1617 (2005)] entschied der SR zunächst, dass der Ausschuss seine Leitlinien weiterentwickeln und konsequent anwenden solle (op. 13). Dem ersten Teil dieser Vorgabe ist der Ausschuss mit inzwischen drei weiteren Überarbeitungen seiner Leitlinien am 12. Februar 2007, 9. Dezember 2008 und 22. Juli 2010 nachgekommen.434 Außerdem beschloss der SR nunmehr ausdrücklich, dass der Ausschuss bei der Entscheidung, Streichungen von der Konsolidierten Liste vorzuehmen, berücksichtigen könne, ob die gelistete Person oder Entität einer Identitätsverwechslung unterlag bzw. die Listungskriterien nicht mehr erfüllt (op. 14). 432 Siehe hierzu im Einzelnen die Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 12.2.2007 bzw. in der Überarbeitung vom 22.7.2010, jeweils Abschnitt 6. 433 Siehe auch den Bericht des VN-Sonderberichterstatters zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin vom 16.8.2006, A/61/267, Ziff. 38. 434 Leitlinien des 1267-Ausschusses in der jeweils aktuellen Fassung erhältlich unter http://www.un.org/sc/committees/1267/pdf/1267_guidelines.pdf.
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Darüber hinaus führte der SR mit seiner „außerordentlichen“ S/RES/1730 vom 20. Dezember 2006 ein grundlegend neues Listenstreichungsverfahren unter Einbeziehung des VN-Sekretariats ein. Danach wurde innerhalb der Unterabteilung Nebenorgane des SR (SC Subsidiary Organs Branch) eine Koordinierungsstelle (Focal Point) eingerichtet, die dafür zuständig ist, Listenstreichungsanträge zentral anzunehmen. Neben der institutionellen ist damit zugleich eine inhaltliche Neuerung verbunden. Denn die Betroffenen können nunmehr selbst diese Anträge stellen, und zwar unmittelbar an die Koordinationsstelle als Alternative zum Ersuchen an ihren Staatsangehörigkeits- oder Wohnsitzstaat um (mittelbaren) diplomatischen Schutz. Vom Verfahren her ist vorgesehen, dass die Koordinierungsstelle dem Antragsteller den Eingang seines Antrags bestätigt und ihn über die Art und Weise der Antragsbearbeitung unterrichtet. Außerdem leitet sie den Antrag an den designierenden sowie den Staatsangehörigkeitsoder Wohnsitzstaat weiter, die daraufhin – wie gehabt – in Konsultationen treten. Empfiehlt (mindestens) eine der beiden Regierungen eine Streichung von der Liste, leitet sie ihre Empfehlung mitsamt Erläuterung an den Vorsitzenden des Sanktions-Ausschusses weiter, der den Antrag auf die Tagesordnung setzt. Lehnt die andere Regierung den Antrag ab, setzt die Koordinierungsstelle den Ausschuss hiervon in Kenntnis. Hat innerhalb eines angemessenen Zeitraums (von drei Monaten) keine der beiden Regierungen eine Stellungnahme zu dem Antrag abgegeben, übermittelt die Koordinierungsstelle den Antrag sämtlichen Ausschuss-Mitgliedern, die ihrerseits eine Streichung empfehlen können. Geschieht dies nicht binnen eines Monats, gilt der Antrag als abgelehnt. Ansonsten bleibt es bei dem („Kein-Einwand“-)Verfahren, wonach die Streichung erfolgt, sofern keines der Mitglieder Vorbehalte geltend macht.435 Diese Verfahrensneuerung bedeutete in mehrerer Hinsicht einen Durchbruch. Erstens ist der Betroffene nunmehr selbst antragsberechtigt und nicht mehr einzig auf diplomatischen Schutz verwiesen. Zweitens kann jedes Ausschuss-Mitglied die Streichung empfehlen. Durch diese beiden Maßnahmen ist das Problem, dass der designierende sowie der Staatsangehörigkeits- oder Wohnsitzstaat unwillig oder unfähig sind, sich zugunsten der gelisteten Personen einzusetzen436, weitgehend behoben. Drittens schafft die Beteiligung des Sekretariats eine gewisse Einbeziehung der breiten VN-Mitgliedschaft sowie Öffentlichkeit. In S/RES/1822 (2008), op. 19 ff. hat der SR nochmals strengere Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Informationspflichten 435 Siehe Anlage zur S/RES/1730 (2006) sowie die Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 9.12.2008. 436 Vgl. den Dritten Bericht des Überwachungsteams vom 9.9.2005, S/2005/572, Para. 55: „[..T]hat Government – depending on its policies or sympathies – may or may not submit the petition to the Committee“.
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und Fristen, gemacht. Bis Ende 2007 hatten sich 16 Betroffene an die Koordinierungsstelle gewandt; in 13 Fällen konnte damit eine Streichung von der Liste eingeleitet werden.437 Im Jahr 2008 sank die Zahl der Anträge auf zehn und die der positiven Entscheidungen auf drei.438 Mit S/RES/1904 vom 17. Dezember 2009 unternahm der SR den nächsten Reformschritt, indem er das Büro der Ombudsperson einrichtete (op. 20).439 Am 3. Juni 2010 ernannte der GS die Kanadiern Kimberley Prost, die seit 2006 als Richterin am ICTY tätig gewesen war, zur ersten Ombudsperson.440 Aufgabe des Büros ist es, Anträge von Personen und Einrichtungen auf Streichung von der Konsolidierten Liste entgegenzunehmen und das weitere Verfahren aktiv mitzubetreiben. Es ersetzt damit im Anwendungsbereich des 1267-Sanktionsregimes die o. g. Koordinierungsstelle; Staaten richten ihre Anträge weiterhin direkt an den Ausschuss (op. 21, 22). Die Ombudsperson agiert unabhängig und unparteilich. Auf der einen Seite ist sie unmittelbare Ansprechperson für die Antragsteller, auf der anderen Seite fördert sie den Entscheidungsprozess auf Seiten des Ausschusses und der Staaten, indem sie Informationen einholt, Fristen setzt und die Argumente in einem Umfassenden Bericht (comprehensive report) zu einer Entscheidungsgrundlage aufbereitet [siehe im Einzelnen S/RES/1904 (2009), Annex II]. Wenn dies auch weiter zur Verbesserung des Verfahrens beiträgt, wird die Entscheidung über die Listenstreichung hierbei jedoch weder von der Ombudsperson noch einem anderen unabhängigen Gremium getroffen. Stattdessen bleiben die Fälle Gegenstand politischer Verhandlungen zwischen den beteiligten Regierungen im 1267-Ausschuss, ohne dass diese an objektivrechtliche Standards gebunden wären oder auch nur Begründungen anzugeben bräuchten; lediglich „erläuternde Anmerkungen“ sind „gegenbenfalls“ („as appropriate“) zu übermitteln (Annex II, Para. 12). Damit werden das Wesen und die Wirkung von Individualsanktionen grundlegend verkannt und bleiben die entscheidenden Defizite des Regimes erhalten. Denn Gegenstand politischer Erwägungen kann nur das „Ob“ von Sanktionen i. R. d. Ermächtigung des Art. 41 SVN sein, nicht aber das „Wie“ ihrer rechtlichen Ausgestaltung und Umsetzung. Im Zusammenhang mit dem auf der Londoner Afghanistan-Konferenz am 28. Januar 2010 beschlossenen „Aussteiger-“ bzw. Versöhnungspro437 Tätigkeitsbericht 2007 des 1267-Ausschusses vom 17.1.2008, S/2008/25, Para. 9. 438 Tätigkeitsbericht 2008 des 1267-Ausschusses vom 31.12.2008, S/2008/848, Para. 6. 439 Siehe dazu unter http://www.un.org/en/sc/ombudsperson. 440 S/2010/282 vom 4.6.2010.
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gramm für Taliban wurde eine Reihe vormaliger Führungspersonen kurzerhand von der Liste gestrichen.441 Mag dies der Befriedung und Entwicklung Afghanistans zugute kommen, verstärkt es doch zugleich die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit des Sanktionsregimes im Übrigen. e) Recht auf wirksamen Rechtsbehelf (effective remedy)? Auch wenn es mittlerweile ein formalisiertes Listungs- und insbesondere Listenstreichungsverfahren gibt, trifft die maßgeblichen Entscheidungen also nach wie vor einzig der 1267-Ausschuss als politisches (Neben-)Organ (des SR). Die Listung nimmt er auf der Grundlage des „associated with“-Standards vor442, was angesichts der offenen Definition [s. o., 3. b) dd)] keine substanzielle Schranke bedeutet. Für die Streichung von der Liste wiederum ist notwendig, dass kein einziges Mitglied sich dagegen ausspricht, da sämtliche Sanktions-Ausschüsse im „Kein-Einwand“-Verfahren abstimmen [hier: S/RES/1904 (2009), Annex II, Para. 10 i. V. m. Abschnitt 4 der Leitlinien des 1267-Ausschusses]. Insoweit wäre es angebracht, wenigstens eine qualifizierte Mehrheit ausreichen zu lassen.443 Zudem gibt es gegen ein willkürliches Veto keinerlei Schutzmechanismus. Nicht einmal politischer oder öffentlicher Druck kann wirkungsvoll aufgebaut werden, da der Ausschuss nicht-öffentlich tagt und ein negatives Votum nicht begründet zu werden braucht. Das gesamte Verfahren ist politisch und nicht „juristisch abgesichert“. Das bescheidene Zugeständnis in S/RES/1735 (2006), op. 14, dass der 1267-Ausschuss bei der Prüfung von Streichungsanträgen den Nachweis „berücksichtigen kann“, dass eine Person jede Verbindung zu Al-Qaida etc. abgebrochen hat, sollte eigentlich selbstverständlich und ein Muss sein, ist dies doch die einzige Grundlage überhaupt für eine Listung. In S/RES1822 (2008), op. 21 bewegt sich der SR hier ein wenig weiter, ohne allerdings einen wirklichen Unterschied zu erreichen: „[The SC d]irects the Committee [. . .] to consider petitions for the removal from the Consolidated List of members and/or associates of the Al-Qaida, Usama bin Laden, the Taliban who no longer meet the criteria [. . .]“ (Hervorhebung durch Verf.).
Den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes kann dies alles nicht genügen. Vor allem gibt es nach wie vor kein unabhängiges Gremium, welches angerufen werden könnte und das kompetent wäre, Entscheidungen 441 Pressemitteilung vom 26.1.2010, SC/9852 zur Streichung von fünf Personen „who held senior positions during the Taliban regime“. 442 S/RES/1904 (2009), op. 2, 3 sowie Abschnitt 6 der Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 22.7.2010. 443 So auch die Forderung von C. Tomuschat, Die europäische Union und ihre völkerrechtliche Bindung, EuGRZ 34 (2007), 1 (12).
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des 1267-Ausschusses zu kassieren (dazu s. u., 7.). Das Mandat der Koordinierungsstelle im Sekretariat blieb hinter einer solchen Funktion ebenso zurück wie das aktuelle Mandat der Ombudsperson. 4. Zusammenfassung
a) Status quo der Sanktionsregime Sanktionen sind „an imperfect tool [. . .] between war and words“.444 In entsprechender Weise sind die VN-Sanktionsregime „evolving regimes“445, und dies gilt insbesondere für das (1267-)Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregime. Die treibenden Kräfte hinter ihrer Standardisierung sind vor allem die öffentliche Meinung und die breite VN-Mitgliedschaft, wohingegen die SR-Mitglieder selber – oder genauer: die P 5 – als „Herren der Regime“ diese am liebsten rein informell handhaben würden, ohne sich an irgendwelchen Standards messen lassen zu müssen. Während frühere Sanktionsregime aber lokalisierbar und begrenzt waren und damit global nicht stark ins Gewicht fielen, betrifft das 1267-Sanktionsregime erstmals die gesamte internationale Gemeinschaft und legt es die rechtlichen wie politischen Friktionen offen. Da der SR nicht in der Lage ist, die Anwendung der Sanktionen flächendeckend mit Zwang durchzusetzen, ist er aber darauf angewiesen, dass die Staaten sie mittragen und freiwillig umsetzen. Dies ist jedoch bislang nicht unbedingt der Fall gewesen, da viele Staaten angesichts von Zweifeln an der Legalität des Regimes zögern, überhaupt noch Personen für die Liste vorzuschlagen.446 Obgleich bereits 2002/03 in mehr als 100 Staaten ca. 4000 Personen wegen vermuteter Al-Qaida-Verbindung inhaftiert waren, haben sich nie mehr als rund 500 Personen auf der Liste befunden, die zum großen Teil von den USA benannt worden sind.447 Ende 2006 waren lediglich 217 Al-Qaida-Angehörige gelistet, von denen wiederum nicht einmal 25 % noch lebendig und nicht bereits in Gefangenschaft oder verhaftet, angeklagt bzw. verurteilt worden waren. Die Bilanz hinsichtlich der Taliban ist ähnlich mager: von den 142 Gelisteten waren 19 inzwi444
A more secure world: Our shared responsibility, Report of the High-Level-Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Para. 178. 445 So der Vorsitzende des 1267-Ausschusses C. Mayoral in seinem Briefing vom 20.12.2006, S/PV.5601, S. 5. 446 Siehe den Dritten Bericht des Überwachungsteams vom 9.9.2005, S/2005/572, Para. 54. 447 Siehe den Zweiten Bericht der Monitoring Group vom 2.12.2003, S/2003/1070, Anlage, S. 69 sowie den Achten Bericht des 1267-Ausschusses vom 31.12.2008, S/RES/848, Para. 6; dazu E. Rosand, The Security Council’s Efforts to Monitor the Implementation of Al-Qaeda/Taliban Sanctions, AJIL 98 (2004), 745 (751).
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schen von der neuen afghanischen Regierung rehabilitiert und galt eine unbestimmte Anzahl als in Afghanistan gefallen oder in Guantánamo inhaftiert. Wie sehr die internationale Unterstützung der Sanktionen nachgelassen hat, beweist, dass seit 2001 nur ein einziger Taliban neu gelistet worden war.448 Entsprechendes gilt für die gefrorenen Gelder, die sich bis Juli 2006 auf (offiziell) 91 Mio. US-Dollar summiert hatten, von denen aber der wesentliche Teil bereits aus der Anfangszeit der Sanktionen stammt.449 Nicht zuletzt haben sich in den vergangenen Jahren Spannungen mit nationalen oder regionalen Gerichten ergeben, die nicht mehr bereit sind, unverhältnismäßige und infinite „Präventivmaßnahmen“ mitzutragen (dazu unten 6.). Um die Akzeptanz des Sanktionsregimes zu verbessern, ist es daher letztlich auch im Interesse des SR, klare Sanktions-Kriterien vorzugeben und die grundlegenden rechtlichen Standards zu garantieren. Auf die Gewährleistung „fairer und klarer Verfahren“ einigte sich denn auch die internationale Staatengemeinschaft auf dem Weltgipfel 2005 als „gemeinsamen Nenner“ (s. o., 3.).450 Nur Stunden vor seiner Verabschiedung hatte der Entwurf des Ergebnisdokuments noch den Passus „due process“ enthalten451, der konkreter ist, dem aber die USA ihre Zustimmung versagten, da der SR – so die zweifelhafte Argumentation – „kein Gericht“ und daher nicht an jene Standards gebunden sei. Die Diskussion hat sich damit nunmehr auf die Frage verlagert, was faire und klare Verfahren im Rahmen von Sanktionsregimen im Einzelnen erfordern. Während „fair procedures“ vielfach als bloßes Synonym für „due process“ verwendet wird452, so dass diese Formulierung in der Sache keinen Unterschied machen würde, hat der SR sein Verständnis hiervon unlängst in seinen Resolutionen 1730 und 1735 (2006) sowie 1822 (2008) und 1904 (2009) zum Ausdruck gebracht (s. o.). Dass dies das letzte Wort sein wird, ist aber unter der obigen Prämisse der „evolving regimes“ nicht zu erwarten, zumal bereits im Rahmen der offiziellen Sitzung des SR, in der die S/RES/1730 (2006) angenommen wurde, sogar aus dem Kreis der (nicht-ständigen) SR-Mitglieder geäußert wurde, „that the resolution fails to respect many legal norms and standards“.453 448 Siehe zu diesen Angaben den Sechsten Bericht des Überwachungsteams vom 8.3.2007, S/2007/132, IV., C. sowie den Tätigkeitsbericht 2007 des 1267-Ausschusses vom 17.1.2008, S/2008/25. 449 Sechster Bericht des Überwachungsteams vom 8.3.2007, S/2007/132, Para. 50 ff. 450 2005 World Summit Outcome, A/Res/60/1, Para. 109. Zu dieser Formel bekennt sich seitdem auch der SR durchgängig, vgl. etwa S/PRST/2006/28 vom 22.6.2006. 451 Para. 99 bis. Entwurf erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/ articles/1395 [eingesehen am 27.7.2007]. 452 Etwa B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 1.
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Inwieweit diese Einschätzung – noch immer – zutrifft und welche rechtlichen Normen und Standards betroffen sind, soll nachfolgend ermittelt werden (5.). Zuvor soll aber der aktuell erreichte (positive Be-)Stand des „allgemeinen (Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrechts“454 zusammengefasst werden [b)]. b) Herausbildung eines „allgemeinen (Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrechts“ Trotz aller Kritik am 1267-Sanktionsregime spiegelt sich bereits im Übergang von umfassenden Sanktionen gegen Staaten hin zu gezielten, gegen individuelle Adressaten gerichtete Sanktionen ein entscheidender Schritt in der Evolution der VN-Sanktionsregime wider. Damit wird zum einen die wachsende Bedeutung des Individuums als Rechtssubjekt im Völkerrecht, zum anderen aber auch die Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips anerkannt. Vielfach werden im 1267-Sanktionsregime Lehren aus vorangegangenen, insbesondere dem Irak-Sanktionsregime sichtbar. Es hat aber angesichts seines neuartigen Formats auch eine Reihe eigener Innovationen hervorgebracht. Die meisten der Weiterentwicklungen haben sich ad hoc aus praktischen Bedürfnissen ergeben. Aber auch die Wissenschaft hat die Reformen mit etlichen Beiträgen begleitet, die teilweise aufgegriffen worden sind. Seit 1998 haben sich die Regierungen der Schweiz, Schwedens und Deutschlands hier als Sponsoren hervorgetan und den Interlaken-, Bonn-Berlinbzw. Stockholm-Prozess initiiert, um Sachverständige aus Theorie und Praxis zusammenzubringen und Vorschläge ausarbeiten zu lassen.455 Auch der SR selbst hat bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entsprechenden Reformbedarf erkannt456 und im Jahr 2000 eine „Informelle Arbeitsgruppe des SR für allgemeine Sanktionsfragen“ eingerichtet.457 Ihr Mandat, das zunächst nur für einige Monate ausgelegt war, musste wiederholt verlängert werden. Erst Ende 2006 nahm der SR den Bericht der Arbeitsgruppe458 453 So der damalige Präsident des SR N. A. Al-Nasser in seiner Eigenschaft als Vertreter Katars nach Annahme der S/RES/1730 am 19. Dezember 2006 in öffentlicher Sitzung des SR, siehe S/PV.5599, S. 3 f. 454 N. Krisch, The Rise and Fall of Collective Security: Terrorism, US Hegemony, and the Plight of the Security Council, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 879 (887). 455 D. Cortright/G. A. Lopez, Reforming Sanctions, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 167 (173 f.). 456 Siehe etwa die Note by the President of the Security Council: Work of the Sanctions Committees, S/1999/92 vom 29.1.1999. 457 S/2000/319 vom 17.4.2000.
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„mit Interesse zur Kenntnis“ und beschloss in S/RES/1732 (2006), dass sie ihr Mandat erfüllt habe. Dies zeigt zweierlei: erstens, dass es viele und lang andauernde Meinungsverschiedenheiten zwischen den SR-Mitgliedern gab, aber zweitens auch, dass der SR sich die letztlich verabschiedeten Empfehlungen nunmehr zu eigen gemacht und seinen Resolutionen 1730, 1732 und 1735 (2006) sowie 1822 (2008) und 1904 (2009) zugrunde gelegt hat. Diese Entwicklung erlaubt eine Bestandsaufnahme des acquis bzw. die Erfassung des aktuellen „ius ad sanctiones/ius in sanctionibus“ [vgl. oben III. 1. c)]. aa) Evaluierung der humanitären Folgen von Sanktionen und humanitäre Ausnahmen Die erste und wichtigste Erkenntnis aus der Sanktionspraxis des SR ist der Schutz der Zivilbevölkerung. Mit den katastrophalen allgemeinen Lebensbedingungen, die die Sanktionen im Irak herbeigeführt hatten, verlor das Sanktionsregime seine politische Unterstützung und damit letztlich Wirksamkeit, so dass der SR seitdem viel Wert darauf legt, Schutzmechanismen einzurichten. So enthält im Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregime bereits die „Ursprungs“-Resolution S/RES/1267 (1999) die Regelung, dass der Ausschuss im Einzelfall Ausnahmen von den Sanktionen aufgrund humanitärer Bedürfnisse gewähren kann [op. 4 (b)]. In der Nachfolge-Resolution S/RES/1333 (2000) wird dann der GS ersucht, regelmäßig über die humanitären Auswirkungen der Sanktionen zu berichten [op. 15 (d)].459 Gleichzeitig erklärt der SR, dass er das Sanktionsregime zur Vermeidung negativer humanitärer Auswirkungen entsprechend den Empfehlungen des GS anpassen werde (op. 25). In dem Maße, in dem das Al-Qaida/TalibanSanktionsregime sich stärker auf erstere Gruppe, d. h. Al-Qaida, konzentriert hat, haben sich auch die Sanktionen von gebiets- und gruppenbezogenen zu primär individualisierten Maßnahmen entwickelt. Entsprechend sind die humanitären Auswirkungen in erster Linie individuell zu beurteilen und zu „heilen“, so dass mit S/RES/1455 (2002) personenbezogene humanitäre Ausnahmen eingeführt wurden [s. o., 3. a)]. Entsprechende Vorkehrungen werden inzwischen allgemein als zwingend angesehen.460 Seit 2004 bringt etwa das Inter-Agency Standing Committee (IASC) der VN zudem ein Sanctions Assessment Handbook heraus.461 458
S/2006/997 vom 22.12.2006. Siehe für den ersten entsprechenden Bericht: Report of the Secretary-General on the Humanitarian Implications of the Measures Imposed by Security Council Resolution 1267 (1999) and 1333 (2000) on Afghanistan, S/2001/241 vom 20.3.2001. 460 Vgl. die Übersicht des Watson Institute for International Studies/Brown University, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, A/60/887 – S/2006/331 vom 14.6.2006, S. 31 ff. 459
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bb) Zeitliche Befristung der Sanktionen Eine zweite wichtige Lehre ist die Befristung von Sanktionen. Im Falle des Irak währten die Sanktionen über ein Jahrzehnt, weil die SR-Mitglieder sich nicht darauf verständigen konnten, ob und wann die Sanktionsziele erreicht waren. Auch dieses Versäumnis, Kriterien für seine Beendigung festzulegen, führte das Irak-Sanktionsregime an den Rand der Wirkungslosigkeit, weil es von der Mehrheit der Staaten nicht mehr als legitim angesehen wurde und sie schlicht die Befolgung der Sanktionsmaßnahmen verweigerten.462 Um dies beim Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregime zu verhindern, wurde bereits in S/RES/1267 (1999) festgelegt, dass die Sanktionen beendet würden, sobald der GS dem SR mitteile, dass die Taliban ihre Verpflichtungen erfüllt hätten (op. 14). In S/RES/1333, durch die die Sanktionen ausgeweitet wurden, entschied der SR, dass ihre Laufzeit zwölf Monate betrage und er nach Ablauf dieser Zeit neu darüber zu befinden habe, ob sie verlängert würden (op. 23). Indem eine neuerliche positive Entscheidung erforderlich gemacht wird, soll verhindert werden, dass ein SR-Mitglied sein Veto gegen die Aufhebung der Sanktionen einlegt, obgleich deren Voraussetzungen an sich nicht mehr vorliegen, also letztlich sachfremde Erwägungen anstellt.463 Für den Fall, dass die Taliban ihren Verpflichtungen schon früher nachkommen sollten, entschied der SR in S/RES/1333 weiterhin ausdrücklich, die Sanktionen entsprechend früher zu beenden (op. 24). Dies zeigt, dass die Frage der zeitlichen Befristung der Sanktionen mit viel Sorgfalt und Bestimmtheit behandelt wurde. Dann allerdings kam der 11. September 2001, und die USA (sowie GB) – die prinzipielle Gegner zeitlicher Befristungen von Sanktionen sind464 – nutzten diesen Zeitpunkt „uneingeschränkter Solidarität“, um die Befristung aus dem Sanktionsregime herauszunehmen. So heißt es in S/1390/2002, dass die Maßnahmen zwar überprüft würden, aber nur „either [. . .] to continue or to decide to improve them“ (op. 3). S/RES/1455 (2003) und S/RES/1526 (2004) zeigen die Richtung noch deutlicher. Hier entschied der SR „that the measures [. . .] will be further improved in 12 [S/RES/1526: 18] months, or sooner if necessary“ (op. 2 resp. op. 3). Seit S/RES/1617 (2005), op. 21 ist die Aussage noch eindeutiger: [The SC d]ecides to review the measures [. . .] with a view to their possible further strengthening in 17 461 Erhältlich unter http://www.humanitarianinfo.org/sanctions/handbook/ [eingesehen am 6.1.2009]. 462 P. van Walsum, The Iraq Sanctions Committee, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 181 (191 f.). 463 D. Cortright/G. A. Lopez, Reforming Sanctions, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 167 (175). 464 Ebd.
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[S/RES/1735 (2006), op. 33 und S/RES/1822 (2008), op. 40: 18] months, or sooner if necessary[.]“465 Damit ist es gegen den Willen der USA (oder, solange der SR hier das Konsensprinzip anwendet, jedes anderen SR-Mitglieds) ausgeschlossen, dieses Sanktionsregime zu beenden. Da der „AntiTerror-Krieg“ tendenziell unendlich ist, wird der 1267-Ausschuss somit – in der einen oder anderen Form – zu einer permanenten Einrichtung des SR werden. Das gleiche gilt für den Anti-Terrorismus-Ausschuss (CTC), der unmittelbar nach „9/11“ durch S/RES/1373 (2001) eingerichtet wurde (zu den institutionell-rechtlichen Implikationen s. u., Kap. 6). Erst als mit dem 1540-Ausschuss, der die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen kontrollieren soll, der dritte Ausschuss des SR zur Terrorismusbekämpfung eingerichtet wurde, war es für die übrigen SR-Mitglieder politisch wieder opportun, auf einer zeitlichen Befristung zu bestehen (siehe S/RES/1540 (2004), op. 4; durch S/RES/1673 (2006), op. 4 und S/RES/1810 (2008), op. 6 ist der Ausschuss freilich bereits zwei Mal bis nunmehr zum 25. April 2011 verlängert worden). Für den Regelfall ist aber davon auszugehen, dass auch die Befristung von Sanktionen Standard geworden ist. cc) Erläuterung von Begriffen Die dritte Praxis, die sich infolge des Irak-Sanktionsregimes etabliert hat, ist die Verwendung präziser und möglichst einheitlicher Begriffe (standard language). Im Fall des Irak beschränkte sich der SR – bzw. der 661-Ausschuss – noch auf die Herausgabe einer Pressemitteilung (SC/7831), um die Sanktionsmaßnahmen zu erläutern [Definition der Termini „economic resources“, „senior officials“, „immediate family members“ etc. in S/RES/1483 (2003), op. 23; s. o., 2. a) aa)]. Aus diesem Format einer – unverbindlichen – Pressemitteilung spricht noch die anfänglich große Zurückhaltung, die Sanktionsregime zu formalisieren und letztlich zu verrechtlichen. Die Umsetzungs-Praxis zeugt aber von den Vorteilen klarer Vorgaben und einheitlicher Standards. Entsprechend hat im Falle des Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregimes nicht nur der 1267-Ausschuss an diese Übung angeknüpft, indem er erläuternde Verbalnoten erlassen hat (etwa zum Waffenembargo), sondern auch der SR selber ist dazu übergegangen, einzelne Begriffe unmittelbar in seinen Resolutionen zu definieren [vgl. etwa S/RES/1617 (2005), op. 2; S/RES/1735 (2006), op. 3, 20; s. o., 3. b) ff)]. Soweit möglich werden dabei frühere Definitionen aufgegriffen, so dass sich ein durchgängiger Sprachgebrauch herausbildet.
465
Zur Befristung der Sanktionen siehe auch oben 2. e) bb).
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dd) Listungsverfahren Da sich das Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregime von einem „klassisch“ gebiets- und gruppenbezogenen Regime (S/RES/1267 (1999), op. 1: „[. . .] the A f g h a n f a c t i o n known as the Taliban [. . .] ensure that the t e r r i t o r y under its control [. . .]“) hin zu einem individualisierten Regime (S/RES/1333 (2000), op. 8 c): „[. . .] i n d i v i d u a l s . . . associated with [Usama bin Laden . . .], including those in the Al-Qaida organization [. . .]“ [Hervorhebung durch Verf.]) entwickelt hat, ist es von äußerster Wichtigkeit, den Adressatenkreis durch präzise Kriterien zu bestimmen. Gleichzeitig sind hohe Anforderungen an die Staaten zu stellen, wenn diese den (vermeintlichen) Nachweis erbringen, dass eine Person diese Kriterien tatsächlich erfüllt. Dieses Verfahren war anfänglich eine reine „Vertrauenssache“ zwischen den Regierungen, die keine Einblicke in ihre Geheimdienstinformationen zulassen mögen und sich gegenseitig bereitwillig den bloßen Verweis auf „glaubwürdige Quellen“ abnehmen.466 Zwar scheiterte an diesem Punkt auch 2005 noch die Forderung vieler Staaten, den SR auf dem Weltgipfel aufzurufen, Transparenz in das Listungsverfahren zu bringen467, so dass die Anforderungen an den Nachweis einer Verbindung mit Al-Qaida ebenso wie der „associated with“-Standard selbst noch immer unzureichend sind. Gleichwohl haben der SR und der 1267-Ausschuss Standards entwickelt [s. o., 3. b)], die einen bemerkenswerten Fortschritt gegenüber den Jahren bis 2002 markieren und die sich nicht mehr werden zurückdrehen lassen, sondern als „gesichert“ gelten können und noch weiter verfeinert werden dürften. Auch werden die Listungsvorschläge mittlerweile eingehender in ihrer Substanz überprüft. Dauerte ihre (allzu flüchtige) „Absegnung“ in den ersten Jahren durchschnittlich nur wenige Tage, nehmen sich die Staaten hierfür inzwischen hinreichend Zeit. Auch dies hat zu einer Reduzierung von fehlerhaften Listungen geführt.468
466
I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, NJIL 72 (2003), 159
(165). 467 Para. 99 bis. Entwurf erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/ articles/1395 [eingesehen am 27.2.2007]. 468 Sechster Bericht des Überwachungsteams vom 8.3.2007, S/2007/132, Para. 44. Damit wurde die in den Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 9.12.2008 im Abschnitt 3 vorgesehene 5-Tages-Frist im „Kein-Einwand“-Verfahren kaum noch praktiziert und inzwischen auf 10 Arbeitstage verlängert (Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 22.7.2010).
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ee) Listenstreichungsverfahren Ähnliche Verbesserungen sind für das Listenstreichungsverfahren festzustellen. Obgleich dieses mangels eines unabhängigen Gremiums noch mit einem entscheidenden Defizit behaftet ist (dazu unter 7.), stellt bereits seine Festschreibung an sich eine große Innovation dar. Hervorzuheben sind vor allem drei Aspekte: Erstens ist der von der Listung betroffene Mensch nunmehr selbst am Verfahren beteiligt, also von einer Objekt- in die Subjektstellung erhoben worden. Zweitens ist dieses Verfahren nicht lediglich informelle Praxis des 1267-Ausschusses, sondern es ist vom SR per Resolution [S/RES/1730 (2006)] verbindlich festgeschrieben worden. Verfahrensregeln – und sogar Definitionen – seiner Ausschüsse hatte der SR zuvor überhaupt erst ein einziges Mal, und zwar wiederum im Kontext des IrakSanktionsregimes, zum Gegenstand einer Resolution gemacht [S/RES/1518 (2003), s. o., 2. a) aa)]. Hier nun hat der SR, drittens, sogar sämtliche Sanktionsausschüsse angewiesen, das beschriebene Listenstreichungsverfahren in ihre Leitlinien aufzunehmen, wodurch eine beachtliche Breitenwirkung hergestellt ist. Im Sekretariat wurde eine Koordinierungsstelle als Verfahrenshilfe für Betroffene eingerichtet, im Fall der Al-Qaida/Taliban-Sanktionen sogar eine – zwar vom GS ernannte, im Übrigen aber – unabhängige Ombudsperson. ff) Regelmäßige Überprüfungen Sowohl das 1267-Listungs- als auch das Listenstreichungsverfahren sind durch regelmäßige Überprüfungen (reviews) anhängiger Verfahren bzw. lange Zeit nicht aktualisierter Listungen substanziell in ihrer Qualität gestärkt worden [s. o., 3. b) ee)]. Allerdings haben sich insoweit noch keine übergreifenden Standards entwickelt, sondern variieren die Vorgaben innerhalb der unterschiedlichen Sanktionsregime.
gg) Überwachungsmechanismus Eine institutionelle Neuerung innerhalb der Sanktionsregime ist die Einrichtung von Überwachungsmechanismen (monitoring mechanisms), die mit unabhängigen Sachverständigen besetzt werden. Erstmalig wurde eine solche Einheit im UNITA/Angola-Sanktionsregime durch S/RES/1295 (2000), op. 3 eingeführt. Je komplexer, umfassender und langfristiger die Sanktionsregime angelegt sind, desto stärker sind die Sanktionsausschüsse, die ausschließlich mit Generalisten der diplomatischen Vertretungen ihrer Mitglieder besetzt werden, auf diese Unterstützung durch Spezialisten angewie-
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sen. Für den 1267-Ausschuss gilt dies angesichts seines präzedenzlosen Mandats umso mehr. Der Überwachungsmechanismus im Al-Qaida/Taliban-Sanktionsregime ist seit seiner Errichtung im Jahr 2000 wiederholt umstrukturiert worden. Auch sein Mandat ist regelmäßig angepasst, d. h. ausgeweitet worden. Zunächst bestand der Mechanismus aus einem losen Sachverständigenausschuss (Committee of experts), das die einzelnen von den Sanktionen erfassten Sachgebiete wie Finanztransaktionen oder Außenhandelskontrollen abdeckte [S/RES/1333 (2000), op. 15 (a)]. Dieser wurde dann zu einer Überwachungsgruppe (Monitoring Group), bestehend aus fünf Experten inklusive Vorsitzendem, umgeformt [S/RES/1363 (2001), op. 4 (a)], deren Aufgabe darin bestand, Verstöße bei der Umsetzung der Sanktionen aufzudecken und Empfehlungen zu deren Unterbindung zu erarbeiten. Da die Überwachungsgruppe, insbesondere deren Vorsitzender, dem SR zu selbständig und kontrovers agierte469, entschied er im Jahr 2004, sie durch ein „Team für analytische Unterstützung und Sanktionsüberwachung“ (Analytical Support and Sanctions Monitoring Team) – kurz: Überwachungs- oder Monitoring Team – zu ersetzen und enger an sich zu binden. Während für den Sachverständigenausschuss und die Überwachungsgruppe der GS verantwortlich war, ist das Überwachungsteam eine „Schöpfung“ des SR und unmittelbar der Leitung des 1267-Ausschusses unterstellt. Es besteht aus acht Mitgliedern, darunter – anstelle des Vorsitzenden – ein (bloßer) „Koordinator“, der nunmehr ausdrücklich dem Vorsitzenden des 1267-Ausschusses untergeordnet ist (S/RES/1526 (2004), op. 6 u. 7). Gleichzeitig hat der SR die Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Überwachungsteams im Einzelnen in einem Annex zur Resolution aufgeführt, darunter die Erstellung eines Arbeitsprogramms (programme of work), das dem Ausschuss zur Durchsicht und Genehmigung vorzulegen ist. Diese Handhabung des Überwachungsmechanismus, dessen Mandat bereits mehrfach verlängert wurde, ist seitdem durchgängige Praxis [vgl. zuletzt S/RES/1904 (2009), op. 47 und Annex I, der in einer Liste von (a) bis (z) sehr detaillierte Vorgaben zu Arbeitsweise und -schwerpunkten enthält]. Der Überwachungsmechanismus hat das Sanktionsregime insgesamt sehr gestärkt und professionalisiert sowie dem Umsetzungsverfahren Konturen und Dynamik vermittelt. Seine konkrete Ausgestaltung verrät allerdings viel über die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen im Verhältnis zwischen dem SR und der allgemeinen Mitgliedschaft bzw. dem GS/Sekreta469 Der Vorsitzende Michael Chandler galt zunehmend als „loose cannon“ und damit politisches Risiko, so dass es vor allem um seine Ablösung ging. Siehe auch die Analyse bei E. Rosand, The Security Council’s Efforts to Monitor the Implementation of Al-Qaeda/Taliban Sanctions, AJIL 98 (2004), 745–763 (752 f.).
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riat.470 Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die Schwierigkeiten, eine übergreifende Einheit innerhalb der VN zur Terrorismusbekämpfung insgesamt zu schaffen, wofür an sich vieles spricht (dazu unten Teil 3, Kap. 9). hh) Arbeitsmethoden Auch die Ausschüsse selbst haben ihre Arbeitsmethoden durch die Annahme von Leitlinien formalisiert und gleichzeitig belebt. Mit Unterstützung ihrer Experten unternehmen sie Vor-Ort-Besuche, werten sie die Staatenberichte aus, leisten sie Kontakt- oder Öffentlichkeitsarbeit (outreach activities) und vermitteln sie technische Hilfe, damit die Staaten die erforderlichen Kapazitäten zur Umsetzung der Sanktionen aufbauen können (capacity building). Für die laufende Kommunikation veranstalten sie regelmäßige Briefings und betreiben sie eigene Websites, auf denen sie alle relevanten Informationen vorhalten.471 S/RES/1735 (2006), op. 29 hat den Staaten die Möglichkeit eröffnet, auch individuell mit dem 1267-Sanktionsausschuss zusammenzukommen, um sanktionsbezogene Fragen zu erörtern. Außerdem haben die Ausschüsse ihre Zusammenarbeit mit anderen Akteuren aus dem VN-System und darüber hinaus verstärkt (wenngleich eine wirkliche Konsolidierung noch aussteht, dazu unten, Teil 3, Kap. 9). Hinsichtlich des 1267-Ausschusses hat der SR vor allem auf eine intensivere Kooperation mit der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) hingewirkt, indem er den GS ersucht hat, das Abkommen zwischen den VN und Interpol entsprechend zu ergänzen (S/RES/1617 (2005), op. 8; S/RES/1699 (2006), op. 1). Auf dieser Grundlage werden etwa die gelisteten Individuen und neuerdings auch Einrichtungen (entities) in das weltweite polizeiliche Kommunikationssystem eingespeist und mittels sog. Besonderer Mitteilungen (special notices) unter den 186 Mitgliedstaaten von Interpol verbreitet.472 Die ersten dieser Mitteilungen wurden am 6. Dezember 2006 herausgegeben. Bis zum 30. Oktober 2009 wuchs ihre Zahl auf über 350 an, und die Erfahrungen zeigen, dass die Listungen nunmehr nicht lediglich „auf dem Papier stehen“, sondern auch verstärkt zur tatsächlichen Verhängung von Sanktionen führen.473 470
E. Rosand, The Security Council’s Efforts to Monitor the Implementation of Al-Qaeda/Taliban Sanctions, AJIL 98 (2004), 745 (757). 471 Siehe das gemeinsame Portal unter http://www.un.org/sc/committees/; außerdem zum Umfang der Coordination and Outreach-Maßnahmen S/RES/1822 (2008), op. 35–38. 472 Einzelheiten und eine Übersicht über die Mitteilungen finden sich unter http://www.interpol.int/Public/NoticesUN/Default.asp. 473 Siehe den Bericht des 1267-Ausschuss-Vorsitzenden vom 12.11.2008, SC/9498 sowie die Mitteilung SC/9342 vom 30.5.2008. Die Erfahrungen decken
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5. Rechtsschutzlücken
Neben all diesen positiven Errungenschaften, die eine weit reichende Institutionalisierung und Verrechtlichung der Sanktionsregime bewirkt haben, fehlt es gleichwohl auch weiterhin an der Gewährung einiger grundlegender Rechtsschutzstandards. Im Anschluss an den Weltgipfel 2005, von dem der Appell ausging, den Sanktionsregimes faire und klare Verfahren zu verordnen, gab der GS über das Amt für Rechtsangelegenheiten (OLA) ein Gutachten zur Frage „Targeted Sanctions and Due Process“ in Auftrag, das von Bardo Fassbender (damals HU Berlin) erstellt wurde.474 Im Rahmen ihrer Initiative zur Verbesserung der Sanktionspraxis haben auch die Regierungen der Schweiz, Schwedens und Deutschlands475 ein Gutachten vom Watson Institute an der Brown University zum Thema „Fair and Clear Procedures“ eingeholt, das als offizielles Dokument der GV und des SR veröffentlicht wurde.476 Schließlich hat Ian Cameron (Universität Uppsala) einen Bericht für den Europarat zur Bedeutung der EMRK für die Umsetzung der VN-Sanktionen verfasst.477 Dieser baut auf dem Gutachten auf, das er bereits im Jahr 2002 für die schwedische Regierung insbesondere im Hinblick auf die Fälle Yusuf und Kadi erstellt hatte.478 Auf diese drei Arbeiten stützt das Überwachungsteam in seinem Fünften Bericht an den 1267-Ausschuss seine Empfehlungen479 und auf ihnen basiert auch die folgende Untersuchung. Nach der Bestimmung des zugrunde zu legenden Maßstabs soll zunächst ermittelt werden, welche prozessualen und materiellen Rechte – ob nun zwingend im Range von ius cogens oder auch darüber hinaus – den gelisteten Personen unbedingt zustehen und auch vom SR beachtet werden müssen. Sodann soll aufgezeigt werden, durch welche institutionellen Vorkehrungen ihr Schutz in angemessener Weise gewährleistet werden kann. sich insoweit mit der Einschätzung des Überwachungsteams in seinem Bericht vom 17.1.2006, S/2006/22, Para. 20. Vor diesem Hintergrund wurde die Kooperation mit Interpol in S/RES/1822 (2008), Annex, (s) und (t) fortgeschrieben. 474 B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006. 475 Siehe http://www.smartsanctions.ch/; http://www.smartsanctions.se/; http:// www.smartsanctions.de/. 476 The Watson Institute for International Studies/Brown University, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, A/60/887 – S/2006/331 vom 14.6.2006. 477 I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006. 478 Leicht revidiert veröffentlicht als I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, NJIL 72 (2003), 159–214. 479 Fünfter Bericht des (1267-)Überwachungsteams vom 20.9.2006, S/2006/750, Paras. 37 ff.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
a) Bestimmung des Maßstabs Die VN als Völkerrechtssubjekt – und auch der SR als ihr Organ – sind an das allgemeine Völkerrecht, also das Völkergewohnheitsrecht (inkl. ius cogens) und die allgemeinen Rechtsgrundsätze (general principles of international law, vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut), etwa den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gebunden (s. o., Kap. 4, B. II. 2.). aa) Völkerrechtliche Menschenrechtsverbürgungen In der Charta wird insbesondere die Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten hervorgehoben (Art. 1 Ziff. 3 SVN). Wenn weder die Organisation selbst ausdrücklich verpflichtet wird noch überhaupt konkrete Menschenrechte benannt werden, so ist dies historisch erklärbar. Denn 1945 erschöpften sich die Menschenrechte noch in moralischen Postulaten und politischen Prinzipien und erzeugten die Handlungen der VN noch keinerlei unmittelbare Wirkung gegenüber Individuen.480 Seitdem ist die Entwicklung allerdings weitergegangen. In einer Reihe von Erklärungen und Konventionen sind die Menschenrechte, gerade auch auf Initiative und im Rahmen der VN, konkretisiert und verrechtlicht worden, vor allem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 sowie den Menschenrechtspakten von 1966.481 Zugleich üben die VN mittlerweile selbst unmittelbar öffentliche Gewalt gegenüber den Menschen aus, wofür das 1267-Sanktionsregime das beste Beispiel ist. Wenn die Resolutionen des SR auch nicht „self-executing“ sind, müssen die Mitgliedstaaten sie gemäß ihren Verpflichtungen aus Art. 25, 103 SVN doch weitgehend „1:1“ umsetzen (und menschenrechtskonforme Auslegungen stehen immer unter dem Vorbehalt des politisch gerade Möglichen). Aus diesen beiden Entwicklungen folgert Bardo Fassbender in seinem Gutachten zu Recht, dass auch die VN selbst an die Menschenrechte gebunden sind. Mit den implied powers wachsen auch die „implied duties“.482 Eignet sich der SR also Funktionen an, die zuvor ausschließlich durch die Staaten ausgefüllt und (staats- und völker-)rechtlich „eingehegt“ waren, lösen sich diese rechtlichen Standards nicht einfach in Luft auf. Stattdessen wachsen mit der Rechtsmacht auch die Rechtsbindungen.483 480
B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 25 f. I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006, 21. 482 B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 21 ff. Vgl. IGH im Reparations for Injuries-Fall, ICJ Reports 1949, 180: „[T]he rights and duties of [. . .] the Organization must depend on its purposes and functions [. . .].“ 481
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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bb) Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten Zur Konkretisierung der Menschenrechtsverpflichtungen sind insofern also auch die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der VN-Mitgliedstaaten heranzuziehen.484 Diese Anlehnung an die EU (Art. 6 EUV) mag auf den ersten Blick sehr weitreichend oder gar vorausgreifend erscheinen. Bei genauerem Hinsehen ist diese Integration aber geradezu zwingend, da die VN hinsichtlich ihrer einsetzenden supranationalen Rechtsetzungstätigkeit ansonsten unauflösbare Konflikte mit dem Verfassungsrecht ihrer Mitgliedstaaten herbeiführen würden bzw. – wie im vorliegenden Falle der Individualsanktionen – bereits herbeigeführt haben. Wie die EU müssen daher auch die VN die Verfassungsüberlieferungen, die ihren Mitgliedstaaten gemein sind, als „allgemeine Grundsätze des VN-Rechts“ achten. Daniel Halberstam und Eric Stein beschreiben dies als einen „Absorptionsprozess“: „Constitutional absorption of fundamental rights is the incorporation of fundamental rights principles from Member systems as well as international law into the constitutional law of the UN.“485 Dies fordert praktisch auch der EuGH in seiner Entscheidung Yusuf und Kadi ein, wenn er ausführt, dass „die Verpflichtungen aufgrund einer internationalen Übereinkunft nicht die Verfassungsgrundsätze des EG-Vertrags beeinträchtigen können“ (dazu sogleich unter 6.).486 Aber auch „mental“ kann in Zeiten der Globalisierung der traditionelle Rückzug auf die formal-rechtliche Position, dass national- (oder gemeinschafts-)rechtliche Kategorien für das Völkerrecht irrelevant seien, in dieser Absolutheit nicht mehr in Betracht kommen.487 Eine zweihundertjährige Entwicklung zum Rechtsstaat kann nicht einfach durch ein „Wedeln mit einem völkerrechtlichen Zauberstab“ aus dem gewachsenen Bewusstsein gelöscht werden.488 483 D. Halberstam/E. Stein, The United Nations, the European Union, and the King of Sweden: Economic Sanctions and Individual Rights in a Plural World Order, CMLR 46 (2009), 13 (63 ff.): „[T]o the extent that the Security Council’s discretionary powers and scope of operations expand, the Council might create its own fundamental rights principles by constitutional absorption.“ 484 B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 17 ff. 485 D. Halberstam/E. Stein, The United Nations, the European Union, and the King of Sweden: Economic Sanctions and Individual Rights in a Plural World Order, CMLR 46 (2009), 13 (24). 486 EuGH, Urteil vom 3.9.2008, verbundene Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yusuf und Kadi), Rn. 285. 487 Vgl. den (impliziten) Hinweis von P. Allott, The Health of Nations, 2002, 58 ff. auf die Schizophrenie („two separate mind-worlds“) in der rechtlichen Konzeption des nationalen Rechts einer- und des „modernen“ Völkerrechts andererseits; dazu siehe auch unten die Schlussbetrachtung am Ende von Teil 3.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
cc) Regionaler Menschenrechtsschutz (insb. EMRK) Jedenfalls für die 46 Mitglieder des Europarates – die damit immerhin auch fast ein Viertel der VN-Mitgliedschaft stellen – gilt darüber hinaus, dass sie auch völkerrechtlich zur Einhaltung der durch die EMRK verliehenen Garantien verpflichtet sind. Wie der EGMR in seiner Bosphorus-Entscheidung deutlich gemacht hat, muss ein der EMRK vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet sein, wenn einer internationalen Organisation Souveränitätsrechte übertragen werden.489 Da zu jeder Zeit fünf EuroparatsMitglieder im SR sitzen (sie hier also ein Drittel der Mitglieder ausmachen), drei von ihnen sogar als ständige Mitglieder mit Veto-Recht (F, GB, RUS), liegt es allein in ihrer Hand, diese Garantien auch im Rahmen von SR-Beschlüssen zu wahren [s. o., Kap. 2, B. II. 1. b)]. Tun sie dies nicht, verletzen sie ihre Verpflichtungen aus der EMRK. Der Verweis auf Art. 103 SVN, wonach Verpflichtungen aus der Charta solchen aus anderen internationalen Übereinkünften Vorrang zukommt, vermag ihnen insoweit keinen Ausweg zu bieten. Es besteht nämlich – darauf weist zutreffend Ian Cameron hin – gar kein logischer oder zwingender Konflikt zwischen den Menschenrechtsgarantien der EMRK und den Vorgaben der Charta. Das Gegenteil ist der Fall. Denn zum einen unterliegen auch die VN menschenrechtlichen Verpflichtungen. Und zum anderen ist es hier sehr wohl denk- und machbar – und damit erforderlich –, ein Sanktionsregime zu entwerfen, das die grundlegenden Menschenrechte wahrt. Demnach braucht es zur Anwendung von Art. 103 SVN – nach hier vertretener Auffassung eine reine Kollisionsnorm490 – an sich gar nicht zu kommen und ist ihre Inanspruchnahme zur vermeintlichen Rechtfertigung von Verletzungen völkervertragsrechtlicher Pflichten rechtsmissbräuchlich und insofern ein Verstoß gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben.491 Dies gilt auch für die übrigen Europarats-Mitglieder, die nicht dem SR angehören. Zwar können sie die Annahme von Resolutionen, die gegen die EMRK verstoßen, nicht verhindern. Gleichwohl werden sie dadurch nicht von ihren grund- und menschenrechtlichen Verpflichtungen frei, 488
I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, NJIL 72 (2003), 159
(182). 489 EGMR, Urteil vom 30.6.2005, Rs. 45036/98 (Bosphorus Airways vs. Irland), Rn. 155. 490 Ebenso A. L. Paulus, Jus Cogens in a Time of Hegemony and Fragmentation, NJIL 74 (2005), 297 (317); siehe dazu bereits oben, Kap. 4, B. II. 2. e). 491 I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006, 28. Ein Verfahren in den Fällen Yusuf und Kadi (s. o.) vor dem EGMR trüge somit großes Potenzial für die Fortentwicklung des Völker- und insb. der Menschenrechte in sich.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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sondern müssen die Resolutionen ggf. menschenrechtskonform auslegen und unter Umständen teilweise unangewendet lassen.492 Da dies allerdings schwerwiegende politische Konsequenzen nach sich ziehen könnte, sollten die Mitgliedstaaten des SR stattdessen von vornherein sicherstellen, dass sie keinen Anlass hierzu geben. Insofern ist der Hinweis auf den Unterschied zwischen universalem und regionalem Menschenrechtsschutz hier nicht stichhaltig. Gleiches gilt im Prinzip hinsichtlich der Gemeinschaftsgrundrechte (vgl. wiederum die EuGH-Entscheidung in der verbundenen Rechtssache Yusuf und Kadi, unten 6.). b) Prozedurale Rechte („faire und klare Verfahren“) Nach diesen Maßstäben ergeben sich die Anforderungen an faire und klare (Sanktions-)Verfahren also zunächst aus den Menschenrechtserklärungen und -übereinkommen, die die VN selbst initiiert haben und die als Konkretisierung der Charta einzuordnen sind. Aber auch den regionalen Menschenrechtskonventionen, allen voran die EMRK, die große Vorbildfunktion auch für andere regionale Menschenrechtsmechanismen entfaltet hat, kommt autoritative Bedeutung zu. Da die VN-Sanktionen trotz ihres teilweise faktisch repressiven Charakters letztlich präventive, administrative Akte darstellen, sind die strengeren Voraussetzungen für strafrechtliche Verfahren zwar nicht zwingend einschlägig.493 Aber auch darüber hinaus hat sich ein bestimmter Standard herausgebildet, der generell auf Eingriffe in den Freiheitsbereich von Individuen durch die öffentliche Gewalt anzuwenden ist und damit eine Messlatte für den 1267-Ausschuss darstellt. aa) Standards in internationalen Menschenrechtserklärungen und -übereinkommen Die erste universelle Verbürgung von Verfahrensrechten enthält Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Danach „[hat] je492
E. de Wet/A. Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, GYIL 45 (2002), 166 (191): „Anything less would imply that [. . . state organs] are participating in an internationally wrongful act committed by the Security Council.“ 493 Diese Annahme erfolgt im Anschluss an die Einschätzung des Watson Institute Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, 22, 13 zugunsten des SR, wobei jedoch auch gute Gründe für eine strafverfahrensrechtliche Beurteilung sprächen, vgl. etwa J. E. Alvarez, Hegemonic Internatioanal Law Revisited, AJIL 97 (2003), 873 (878): „de facto criminal sanctions“; siehe auch oben 3. b) ee).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
der Mensch in voller Gleichberechtigung Anspruch auf ein der Billigkeit entsprechendes und öffentliches Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über seine Rechte und Verpflichtungen [. . .] zu entscheiden hat.“ Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (IPBPR) bestimmt in Art. 14 noch detaillierter, dass „jedermann Anspruch darauf [hat], dass [. . .] durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise verhandelt wird.“ Diese Regelung ist stark an Art. 6 EMRK orientiert, der bestimmt, dass „jede Person ein Recht darauf [hat], dass [. . .] von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“ Zwar ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob diese Vorschriften auf administrative Sanktionsmaßnahmen anwendbar sind. Zu bedenken ist aber, dass Art. 14 IPBPR und Art. 6 EMRK nicht einzig auf strafrechtliche Verfahren abstellen, sondern auch einschlägig sind, wenn es um „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ geht. Die Sanktionen greifen aber in eigentums-, also zivilrechtliche Positionen ein, d. h. selbst wenn das Eigentumsrecht im Ergebnis nicht verletzt würde, könnte diese Feststellung immer erst das Ergebnis eines rechtlichen Verfahrens sein und dürfte ein solches nicht von vornherein versagen. Selbst bei unterstellter Nichtanwendbarkeit von Art. 14 IPBPR und Art. 6 EMRK bleibt es aber beim Auffangtatbestand des Art. 13 EMRK, der jedenfalls verlangt, dass „[j]ede Person das Recht [hat, . . .] eine wirksame Beschwerde (effective remedy) zu erheben“. Danach ist erforderlich, dass die „Beschwerdestelle“ ein Mindestmaß an Unparteilichkeit und Unabhängigkeit aufweist und die Rechtsmacht besitzt, Entscheidungen des Sanktionsausschusses zu revidieren. Außerdem muss sie für die Betroffenen zugänglich sein, d. h. ihnen Gelegenheit zur Anhörung geben.494 Diesen Anforderungen genügt das derzeitige Listenstreichungsverfahren des 1267-Sanktionsausschusses trotz schrittweiser Verbesserungen in entscheidenden Punkten noch nicht.495 494 Watson Institute, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, 22, 44: „an independent and impartial authority; procedural guarantees such as accessability (standing); the power to grant appropriate relief“. Siehe auch I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006, 19 f. sowie B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 28 f. 495 Vgl. das Fazit des Rechtsausschusses des Europarates [zum Stand 2007, der insoweit aber auch im Jahr 2010 noch aktuell ist]: „Despite any recent procedural improvement, it remains nearly impossible de facto for an individual or an entity to get removed from a blacklist.“ Zitiert nach M. Moore, Panel Decries Terrorism Blacklist Process, Washington Post, 13.11.2007, A 15.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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bb) Derogierung im Notstandsfall Zwar sind die vorgenannten Verfahrensrechte in Zeiten eines öffentlichen Notstands unter bestimmten Voraussetzungen derogierbar (Art. 4 IPBPR, Art. 15 EMRK)496 und kann eine Bedrohung von Frieden und internationaler Sicherheit im Prinzip als ein solcher Notstand angesehen werden. Im Hinblick auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus muss dies aber anders bewertet werden, da diese (latent-)dauerhaft und nicht (akut-)temporär ist.497 Außerdem ist der Umstand, dass der SR als die „derogierende Macht“, die also den Notstand und damit die Aussetzung der Rechte feststellt, keinerlei Überwachung unterliegt, mit der Idee der Menschenrechte und den bestehenden menschenrechtlichen Übereinkommen unvereinbar.498 Die Behauptung eines Notstands bzw. einer Bedrohung von Frieden und internationaler Sicherheit kann und muss in die Abwägung der widerstreitenden Interessen einfließen, darf aber nicht von vornherein jegliche Überprüfung ausschließen. Zudem ist der Kernbestand des Rechts auf ein faires Verfahren gem. Art. 14 IPBPR dem ius cogens zuzurechnen und damit notstandsfest.499 Schließlich ist hier schon nicht die Voraussetzung erfüllt, dass die Derogierung „unbedingt erfordert“ ist, da die Bekämpfung des internationalen Terrorismus als der Zweck, der die Derogation recht496 Dazu siehe B. G. Ramcharan, Terrorism and Non-state Organizations, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 681 (694). 497 A. Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Antiterrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006), 881 (891 f.). 498 Vgl. die Vorkehrungen unter dem IPBPR: Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 29, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.11 (2001) vom 24.7.2001, Para. 17: „[. . .] Such notification is essential not only for the discharge of the Committee’s functions, in particular in assessing whether the measures taken by the State party were strictly required by the exigencies of the situation, but also to permit other States parties to monitor compliance with the provisions of the Covenant.“ Auch der EGMR überprüft Derogierungen gem. Art. 15 EMRK auf ihre Verhältnismäßigkeit, vgl. die Entscheidung McBride v. Großbritannien vom 26.5.1993, Para. 43. Die Inanspruchnahme des SR diente damit nicht zuletzt auch der Umgehung (völker-)rechtlicher Beschränkungen durch den IPBPR, der die Erklärung eines Notstands erfordert, durch die ein entsprechendes Monitoring ausgelöst wird, vgl. dazu J. E. Alvarez, Hegemonic Internatioanal Law Revisited, AJIL 97 (2003), 873 (878). 499 So der Menschenrechtsausschuss des IPBPR, General Comment No. 29, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.11 (2001), Para. 11: „[T]he category of peremptory norms extends beyond the list of non-derogable provisions as given in article 4, paragraph 2. States parties may in no circumstances invoke article 4 of the Covenant as justification for acting in violation of humanitarian law or peremptory norms of international law, for instance by [. . .] deviating from fundamental principles of fair trial [. . .].“ Siehe auch E. de Wet/A. Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, GYIL 45 (2002), 166 (179).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
fertigen soll, trotz – bzw. auf längere Sicht gerade erst durch die – Gewährung von Verfahrensrechten und Rechtsbehelfen möglich und Erfolg versprechend ist. c) Einzelne materielle Rechte und Verfahrensrechte Die oben genannten prozeduralen Rechte stellen zwar insofern zugleich einen materiellen Rechtsschutz dar, als die Betroffenen (erst) durch sie die Überprüfung veranlassen können, ob überhaupt die Voraussetzungen ihrer Listung vorlagen und weiterhin vorliegen.500 Denn zum einen birgt der „associated with (Al-Qaida/Taliban)“-Standard viele Unsicherheiten, und zum anderen kommt es immer wieder zu ganz banalen Verwechslungen. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass die Gelisteten jederzeit den Nachweis erbringen können, nicht länger Verbindungen zu Al-Qaida etc. zu unterhalten. Denn eine solche Verhaltensänderung ist es gerade, worauf die Sanktionierung abzielt und woraus sie sich einzig legitimiert. In dem Moment, in dem hier keine Streichung erreichbar ist, wandelt sich die präventive Sanktion in eine repressive Bestrafung, für die weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Grundlage besteht. Kommt den Verfahrensrechten hier auch eine maßgebliche Funktion zu, griffe die Formel „Menschenrechtsschutz (allein) durch Verfahrensrechte“ aber zu kurz. Stattdessen gilt, dass „[t]he protection of procedural due process is not, in itself, sufficient to protect against human rights abuses but it is the foundation stone for ‚substantive protection‘ against state power.“501 Auf der Grundlage der „Justizgrundrechte“ können letztlich nur Fehler im Verfahren angegriffen oder bereits vermieden und dadurch Fairness erreicht werden. Erst durch die substanziellen Rechte aber können Eingriffe in spezifische Freiheitsrechte abgewehrt werden. Welche Rechte betroffen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. In Betracht kommen insbesondere das Eigentumsrecht bzw. die Menschenwürde (dazu sogleich die Fälle Yusuf und Kadi), aber auch Eingriffe in die Bewegungsfreiheit (Art. 12 IBPBR, Art. 2 Protokoll Nr. 4 zur EMRK), in das Privat- und Familienleben (Art. 17 IPBPR, Art. 8 EMRK) sowie Beeinträchtigungen der Ehre und des guten Rufes (Art. 17 IPBPR, Art. 6 EMRK i. V. m. nationalem Recht502). Eine weitere Frage ist letztlich, ob Betroffenen, deren Rechte verletzt worden sind, auch ein Anspruch auf Entschädigung zugesprochen werden 500 Ebenso P. Gutherie, Security Council Sanctions and the Protection of Individual Rights, NYU Ann. Survey 60 (2005), 491 (502). 501 R. Clayton/H. Tomlinson, The Law of Human Rights, 2000, 550. 502 I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006, 11 Fn. 27.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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muss.503 Jedenfalls in Fällen, in denen dem Sanktionsausschuss fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen wäre, würden wiederum die allgemeinen Rechtsgrundsätze für eine solche Entschädigungspflicht sprechen, ungeachtet dessen, dass die VN Immunität genießen. 6. Urteile des Europäischen Gerichts Erster Instanz sowie des Europäischen Gerichtshofs in der verbundenen Rechtssache Yusuf und Kadi von 2005 bzw. 2008
Die ersten Klagen gegen die beschriebenen Individualsanktionen bzw. gegen die EG-Verordnung zu ihrer Umsetzung in der Europäischen Union wurden bereits am 10. Dezember 2001 auf der Grundlage von Art. 230 EG [i. d. F. des Vertrags von Nizza] durch die zu jener Zeit in Schweden wohnhaften Ahmed Ali Yusuf und Yassin Abdullah Kadi erhoben.504 Die Entscheidung des Europäischen Gerichts Erster Instanz (EuG) in der verbundenen Rechtssache Yusuf und Kadi erging am 21. September 2005. Drei Jahre später, am 3. September 2008, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Sache als Rechtsmittelinstanz. Beide Urteile sollen hier im Hinblick auf die Anforderungen an den Schutz der Individualrechte kurz behandelt werden.505 a) Urteil des EuG von 2005 Das EuG506 hat das Sanktionsregime aufgrund der S/RES/1267 (1999) bzw. ihrer Nachfolge-Resolutionen inzident am Maßstab des ius cogens 503 Dafür spricht sich der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in seinem Bericht vom 16.8.2006 aus, A/61/267, Ziff. 40, dabei verweisend auf die Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power der GV, A/40/34 vom 29.11.1985. Ebenso die Berlin Declaration vom 28.8.2004 der International Commission of Jurists, erhältlich unter http://www.libertysecurity.org/article322.html? var_recherche=berlin %20declaration [eingesehen am 11.4.2009]. 504 Insbesondere in Europa und den USA sind eine Reihe weiterer Klagen bei nationalen Gerichten anhängig geworden, siehe dazu im Einzelnen die Berichte des 1267-Überwachungsteams, etwa den Sechsten Bericht vom 8.3.2007, S/2007/132 und den Achten Bericht vom 14.5.2008, S/2008/324, jeweils Annex 1 sowie die Ausführungen bei E. Benvenisti, Reclaiming Democracy: The Strategic Use of Foreign and International Law by National Courts, AJIL 102 (2008), 241 (253 ff.). 505 Dies soll hingegen keine umfassende Urteilsanalyse sein. Insbesondere bereits die Frage, ob die EG überhaupt die Kompetenz zum Erlass der streitigen Verordnung hatte und hat, soll hier ausgeklammert bleiben. Dazu – und dies verneinend – etwa M. Rossi, Entscheidungsanmerkung, ZJS 2008, 551 (551). In der Folgezeit ist noch eine Reihe weiterer Verfahren anhängig geworden. 506 EuG, Urteile vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
überprüft. Insoweit soll hier davon ausgegangen werden, dass das EuG materiell-rechtlich den richtigen Maßstab angelegt hat, da das ius cogens als Mindestanforderung in jedem Fall vom SR und seinen Nebenorganen zu beachten ist (s. o. Kap. 4, B.). Auf dieser Basis hat das EuG eine mögliche Verletzung von Verteidigungsrechten (Verfahrensgarantien), des Eigentumsrechts sowie des Rechts auf gerichtliche Kontrolle (effektiven Rechtsschutz) geprüft – im Ergebnis jedoch verneint. Indem das EuG die universellen Menschenrechte wie selbstverständlich nahezu pauschal zu ius cogens erhebt, hat es die Grenzen des ius cogens (kaum vertretbar) weit gezogen und in der Sache eine recht umfangreiche Grundrechtsprüfung vorgenommen.507 Zwar stellt dies – von den dogmatischen Problemen im Hinblick auf die ius cogens-Qualifizierung der betreffenden Rechtspositionen (wie auch auf die Begründung seiner eigenen gerichtlichen Zuständigkeit) abgesehen – einerseits einen sehr menschen- und grundrechtsfreundlichen Ansatz dar. Andererseits hat sich die EU als „Raum der Sicherheit und des Rechts“ längst über den bloßen ius cogens-Maßstab erhoben.508 Letztlich löst das EuG sein Versprechen auch nicht ein, so dass der Entscheidung auch im Ergebnis nicht gefolgt werden kann [und folgerichtig vom EuGH aufgehoben wurde, s. u. b)]. Dies gilt umso mehr, als das EuG für das Sanktionsregime im Zeitpunkt 2001/02 implizit selbst dazu gekommen ist, dass dieses (völker-)rechtswidrig war. Diesen Befund ignoriert es am Ende schlicht und einfach [dazu unter a) bb)]. aa) Verletzung von Verteidigungsrechten (Verfahrensgarantien) Das Recht auf ein faires Verfahren (due process) sieht grundsätzlich vor, dass den Adressaten individuell-konkreter Maßnahmen, die in ihre Freiheitsrechte eingreifen, Gelegenheit zur vorherigen Stellungnahme sowie zur nachträglichen Überprüfung der Maßnahme zu geben ist.509 Es ist anerkannt, dass dieses Recht in seinem Kernbestand dem ius cogens angehört.510 Danach hätte den Betroffenen hier vor der Entscheidung, sie auf 507 Die inhaltlichen Unklarheiten um das Konzept von ius cogens erwähnt das EuG nicht mit einem einzeigen Wort. 508 J. A. Kämmerer, Die Urteile „Yusuf“ und „Kadi“ des EuG und ihre Folgen, EuR 43 (2008), Beiheft 1, 65 (77). Ebenso der EuGH in seiner Rechtmittelentscheidung, dazu unter b). 509 Zum Recht auf ein faires Verfahren (due process) siehe J. M. Farrall, United Nations Sanctions and the Rule of Law, 2007, 236 ff. sowie die Erläuterungen unter http://www.lectlaw.com/def/d080.htm [eingesehen am 22.2.2007]; mit Blick auf den IPBPR a. A. ist C. Tomuschat, Die Europäische Union und ihre völkerrechtliche Bindung, EuGRZ 34 (2007), 1 (8), der allerdings allein auf den erforderlichen „Überraschungseffekt“ abstellt, der aber durch eine mögliche nachträgliche Inkenntnissetzung und Belehrung der Betroffenen nicht vereitelt würde (dazu sogleich).
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die Sanktionsliste zu setzen und damit die Sanktionen gegen sie auszulösen, rechtliches Gehör gewährt werden müssen. Da Sanktionen allerdings im Grundsatz einen präventiven Charakter haben511, liegt es hier mit dem EuG nahe, von einer vorherigen Anhörung abzusehen, um nicht den Erfolg der Maßnahme zu vereiteln.512 Es gibt jedoch keinen Rechtfertigungsgrund, den Betroffenen nicht wenigstens nachträglich über die Entscheidung und ihre Gründe in Kenntnis zu setzen sowie über die Rechtsfolgen und Rechtsbehelfe zu belehren. Die gegenteilige Einschätzung des EuG, die „Sicherheit der Völkergemeinschaft“ erfordere, die ihnen zur Last gelegten Tatsachen und Beweiselemente nicht mitzuteilen513, macht es den Betroffenen unmöglich, einen Belastungsbeweis zu führen, womit sie sich in der Tat in einer kafkaesken Situation wiederfinden.514 Entsprechende Nachbesserungen im Verfahren, auf die das EuG verweist, sind aber erst ab 2004 vorgenommen worden (und im Ergebnis noch immer unzureichend, s. u.). Der status quo zur Zeit der S/RES/1390 (2002) war hingegen offenkundig ungenügend. Auch die Leitlinien zur Überprüfung der Listung genügten – und genügen noch immer – nicht den Anforderungen an ein faires Verfahren. Erstens besteht lediglich die Möglichkeit, einen Antrag im Sinne einer „Petition“ einzureichen, so dass kein wirklicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht.515 Zweitens ist das Überprüfungsverfahren weder transparent noch unparteiisch, da der designierende Staat (oder jedes andere Ausschuss-Mitglied) ohne Angabe von Gründen sein „Veto“ gegen die Streichung von der Liste einlegen kann. Und drittens war der Einzelne zunächst gänzlich durch seinen Heimatstaat mediatisiert. Die einzige minimale Verbesserung gegenüber dem klassischen diplomatischen Schutz bestand darin, dass auch der Wohnsitzstaat berechtigt war (und nach wie vor ist), ein Streichungsverfahren einzuleiten. Dies ändert aber wenig daran, dass generell kein Anspruch auf 510 Vgl. den Menschenrechtsausschuss des IPBPR, General Comment No. 29, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.11 (2001), Para. 11: „[. . .] peremptory norms of international law, for instance [. . .] fundamental principles of fair trial [. . .].“ 511 Dafür siehe zuletzt S/RES/1735, pp. 10: R e i t e r a t i n g that the measures [. . .] are preventative in nature and are not reliant upon criminal standards set out under national law [.]“ sowie entsprechend S/RES/1822 (2008), pp. 13. 512 EuG, Urteile vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), Rn. 308. 513 Ebd., Rn. 320. 514 So A. von Arnauld, UN-Sanktionen und gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz, AVR 44 (2006), 201 (212). 515 Siehe die Leitlinien des 1267-Ausschusses i. d. F. vom 9.12.2008), Abschnitt 7 (a): „[A] petitioner may [. . .] submit a petiton for review of the case“. In ihrer Überarbeitung vom 22.7.2010 heißt es an selber Stelle: „A petitioner [. . .] seeking to submit a request for delisting . . .“.
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Ausübung dieses diplomatischen Schutzes besteht. Die Entscheidung, ob ein Staat tätig wird oder nicht, unterliegt allein seinem politischen Ermessen. Wenn das EuG hiergegen einwendet, dass die Betroffenen die Möglichkeit hätten, „gegen eine etwaige missbräuchliche Weigerung der zuständigen nationalen Behörde [Klage zu erheben]“, so spricht hieraus eine erfreulich progressive, aber praktisch kaum geteilte Auffassung vom diplomatischen Schutz.516 Der Nachweis einer solchen „missbräuchlichen Weigerung“ dürfte zudem schwierig gegen die nationalen Regierungen zu führen sein, da hier regelmäßig der nicht justiziable Kernbereich nationaler Sicherheitsinteressen geltend gemacht werden dürfte. Außerdem wird die große Mehrheit der Staaten der Welt (in jedem Fall außerhalb der EU), die auch allesamt durch das 1267-Sanktionsregime verpflichtet sind, keinen Anspruch auf diplomatischen Schutz anerkennen. Das individuelle Recht, selbst den Antrag wenigstens im VN-Sekretariat einzureichen, ist den Betroffenen wiederum erst mit der S/RES/1730 (2006) – also nach der Entscheidung des EuG – eingeräumt worden; s. o., 3. d). bb) Verletzung des Eigentumsrechts Durch das 1267-Sanktionsregime sind aber nicht nur prozedurale, sondern auch substanzielle Rechte verletzt worden. Das EuG prüft insoweit zwar das Eigentumsrecht, stellt dabei aber letztlich auf die Menschenwürde ab. Denn nachdem es das Einfrieren der Konten als Maßnahme der Terrorismusbekämpfung zurecht nicht als willkürlich und damit auch nicht als unzulässig eingestuft hat517, äußert es darüber hinaus die Ansicht, dass die gelisteten Personen durch die Sanktionsmaßnahmen auch keiner „inhumanen oder erniedrigenden Behandlung“ ausgesetzt gewesen seien.518 Die Prüfung der Menschenwürde liegt hier in der Tat zum einen vom Sachverhalt her nahe.519 Zum anderen ist das Eigentumsrecht – zumal auf Völkerrechts516 EuG, Urteile vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), Rn. 317. Die internationale Staatenpraxis indes zeugt vom Gegenteil, vgl. etwa auch den IGH im Barcelona Traction-Fall, ICJ Reports 1970, 45. Nicht einmal geneigte Vertreter der Völkerrechtswissenschaft gehen generell von einem derart weit reichenden Anspruch auf diplomatischen Schutz aus, siehe etwa K. Doehring, Völkerrecht 2004, Rn. 870. Selbst wenn das Urteil einen gemeinschaftsrechtlichen Anspruch auf Ausübung diplomatischen Schutzes aufstellt – so ausdrücklich C. Tomuschat, Die Europäische Union und ihre völkerrechtliche Bindung, EuGRZ 34 (2007), 1 (12) –, betrifft dies doch nur die 27 EU-Mitgliedstaaten, also eine Minderheit innerhalb der Staatenwelt. 517 Ebenso P. Gutherie, Security Council Sanctions and the Protection of Individual Rights, NYU Ann. Survey 60 (2005), 491 (500 f.). 518 EuG, Urteile vom 21.09.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), Rn. 291.
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ebene – schwierig zu bestimmen bzw. außerhalb des Fremdenrechts kaum ausgeprägt; es gar dem ius cogens zuzurechnen, erscheint kaum vertretbar.520 Wäre das Gericht aber seiner eigenen Erkenntnis gefolgt, hätte es hier jedenfalls für den Zeitpunkt der Klageerhebung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Betroffenen durch die Beschlagnahme des Existenzminimums wenn auch nicht in ihrem Eigentumsrecht, so doch in ihrer Menschenwürde verletzt wurden. Denn es stellt in seinem Urteil maßgeblich auf die humanitären Ausnahmen des 1267-Sanktionsregimes ab521, die aber erst seit Dezember 2002 gewährt werden. Zuvor hatte es keinerlei Ausnahmen von den Sanktionen gegeben, so dass den Betroffenen das Existenzminimum verwehrt und sie dadurch einer inhumanen und menschenunwürdigen Behandlung ausgesetzt waren. Mit Blick auf das Eigentumsrecht wäre vor allem daran anzuknüpfen gewesen, dass sich das Einfrieren der Konten hier faktisch nicht als bloße Sicherungsmaßnahme darstellte, durch die die Nutzung des Eigentums beschränkt wurde, sondern es auf einen Eingriff in die Substanz des Eigentums hinauslief. Bei dieser Unterscheidung kommt es nämlich wesentlich auf die Intensität und damit die Dauer der Beeinträchtigung an. Das EuG sieht diesen Aspekt zwar, geht aber – fälschlicherweise – davon aus, dass die Sanktionen befristet und somit von relativ geringer Intensität sind. Tatsächlich und praktisch sind die Sanktionen nämlich von einer unbestimmten Geltungsdauer. Keineswegs hat der SR „immer einen Mechanismus zur Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen nach 12 oder 18 Monaten eingeführt.“522 Vielmehr heißt es in S/RES/1390 (2002), op. 3: „[Der SR] beschließt ferner, dass die [. . .] Maßnahmen in 12 Monaten überprüft werden und dass der Rat am Ende dieses Zeitraums entweder die Fortsetzung dieser Maßnahmen genehmigen oder ihre Verbesserung beschließen wird [. . .]“ (Hervorhebung durch Verf.). Die Alternative lautet also nicht Fortsetzung oder Aufhebung, sondern Fortsetzung oder 519 Ebenso C. Tomuschat, Primacy of United Nations Law – Innovative features in the Community Legal Order, CMLR 43 (2006), 537 (548): „[The Court should have asked] whether governmental interference with funds cannot at the same time amount to a violation of human dignity.“ 520 So auch das Watson Institute for International Studies/Brown University, Strengthening Targeted Sanctions Through Fair and Clear Procedures, 2006, A/60/887 – S/2006/331 vom 14.6.2006, S. 20; vgl. auch das BVerfG in seiner Enteignungs-Entscheidung vom 26.10.2004, 2 BvR 955/00, Rn. 119, das bereits die Zugehörigkeit des Eigentumsrechts zu den (einfachen) Menschenrechten überhaupt bezweifelt. 521 EuG, Urteile vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), Rn. 290 f. 522 EuG, Urteile vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), Rn. 344.
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Verbesserung der Sanktionen. Dass an eine Aufhebung in keinem Fall gedacht ist und – dies ist das Problematische am Vorgehen des SR – angesichts des unendlichen „war on terrorism“ auch gar nicht gedacht sein kann, ergibt sich vor allem aus den Nachfolge-Resolutionen S/RES/1617 (2005) und S/RES/1735 (2006), wo es in op. 21 bzw. op. 33 unmissverständlich und mit identischem Wortlaut heißt: „[Der SR] beschließt, die [. . .] Maßnahmen [in 18 Monaten oder bei Bedarf auch früher] im Hinblick auf ihre mögliche weitere Stärkung zu überprüfen.“ Es gibt also nur eine Richtung, nämlich diejenige der Stärkung, so dass in der Sache weniger von einer bloßen Sicherung als vielmehr von einem faktischen Entzug des Eigentums auszugehen ist. cc) Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (effective remedy) Auch eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz verneint das EuG im Ergebnis. Es verweist insoweit auf das Klageverfahren gem. Art. 230 EG und damit auf sich selbst: Zwar sei das Recht auf Zugang zu den Gerichten nicht absolut und daher auch nicht dem ius cogens zugehörig; die Möglichkeit jedoch, dies prüfen zu lassen, sei durchaus Bestandteil des ius cogens!523 Wem diese Argumentation nicht eingängig ist, für den trägt das EuG noch zwei ergänzende Erwägungen vor: Zum einen sei die Entscheidung durch den 1267-Ausschuss überprüfbar, der insoweit ein Gericht ersetze und „sachgerechten [. . .] und angemessenen Schutz“ biete. Zum anderen weist es auf die (vermeintlich) befristete Geltungsdauer der Sanktionen hin, die dazu führe, dass im Rahmen einer Abwägung der Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle gegenüber der „Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ das geringere Gewicht zukomme. Diese beiden Punkte vermögen aber nicht zu tragen. Weder ist die Überprüfung durch den 1267-Ausschuss selbst ausreichend, noch sind die Sanktionen wirklich befristet. Auch kann allein der Hinweis auf Frieden und Sicherheit nicht genügen, um pauschal jegliche gerichtliche Kontrolle auszuschließen. Dies ist vielmehr ein Argument, das im Rahmen der Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Interessen von Bedeutung ist – von vornherein den Zugang zum Gericht auszuschließen vermag es aber nicht.
523 Dazu A. von Arnauld, UN-Sanktionen und gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz, AVR 44 (2006), 201 (212).
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dd) Stellungnahme Unter dem Gesichtspunkt der „richterlichen Zurückhaltung“ (judicial restraint) im Sinne einer geteilten Verantwortung ist das Urteil im Ergebnis nachvollziehbar.524 Letztlich kann hier nur die internationale Politik, insbesondere der SR selber, eine Lösung herbeiführen. Wie diese aussehen könnte, ist einer Äußerung des EuG selbst zu entnehmen, in der es heißt: „[D]er Sicherheitsrat [hat] es nicht für angebracht gehalten, ein unabhängiges internationales Gericht zu schaffen, das in rechtlicher wie in tatsächlicher Hinsicht über Klagen gegen die Einzelfallentscheidungen des Sanktionsausschusses zu befinden hat.“525 Das EuG hingegen scheint die Schaffung eines solchen Gerichts für durchaus angebracht zu halten. Bemerkenswert ist, dass das EuG in eine Einzelfallprüfung eintritt, indem es eine („verdeckte“) Verhältnismäßigkeitsprüfung526 vornimmt, anstatt sich auf eine reine Evidenzprüfung zu beschränken. Anders als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) kann das EuG (wie auch der EuGH) mangels eines gerichtlichen „Kooperationspartners“ auf Ebene der VN hierauf nicht pauschal im Sinne einer „Solange“-Praxis verzichten. Dies hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Bosphorus-Entscheidung deutlich gemacht, da die Annahme eines „äquivalenten“ bzw. „vergleichbaren“ (Grundrechts-)Schutzniveaus nur als eine im Einzelfall widerlegliche Vermutung begriffen werden könne.527 Im Vergleich mit dem Menschenrechtsschutz auf europäischer Ebene ist zudem offensichtlich, dass der Menschenrechtsschutz auf VN-Ebene insbesondere prozedural nicht gleichwertig ist.528 Wenn das EuG die Grenzen seiner Rechtmäßigkeitskontrolle mit dem ius cogens formal auch äußerst eng absteckt – wobei es dieses dann mate524 Dies nachdrücklich bejahend H. Krieger, Zur gerichtlichen Kontrolldichte bei sicherheitspolitischen Entscheidungen im Mehrebenensystem, DVBl. 23 (2009), 1469 (1474). 525 EuG, Urteile vom 21.9.2005, T-306/01 und T-315/01 (Yusuf und Kadi), Rn. 340. 526 So A. von Arnauld, UN-Sanktionen und gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz, AVR 44 (2006), 201 (212 f.). C. Tomuschat, Primacy of United Nations Law – Innovative features in the Community Legal Order, CMLR 43 (2006), 537 (551): „[T]he Court did not confine its assessment to jus cogens proper, but resorted to applying to their full extent the standards evolved in the practice of the Community’s judicial bodies.“ 527 EGMR, Urteil vom 30.6.2005, Rs. 45036/98 (Bosphorus Airways vs. Irland), Rn. 155 ff. Siehe auch F. Hoffmeister, Bosphorus Hava Yollari Turizm ve Ticaret Anonim Sirket v. Ireland. App. No. 45036/98, AJIL 100 (2006), 442 (447). 528 J. A. Kämmerer, Die Urteile „Yusuf“ und „Kadi“ des EuG und ihre Folgen, EuR 43 (2008), Beiheft 1, 65 (72, 75). S. Schmahl, Effektiver Rechtsschutz gegen „targeted sanctions“ des UN-Sicherheitsrats?, EuR 41 (2006), 566 (568).
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riell in einer kaum mehr vertretbaren Weite auslegt –, beharrt es immerhin auf einem internationalen ordre public und öffnet dem SR also nicht Tür und Tor.529 Gleichwohl hätte das EuG selbst im Hinblick auf den von ihm zugrunde gelegten (Minimal-)Maßstab des ius cogens dazu kommen müssen, dass das 1267-Sanktionsregime rechtswidrig und S/RES/1390 (2002) somit teilnichtig war. Demnach hätten die Sanktionen von den Staaten nicht in ihrem vollen Umfang umgesetzt werden dürfen. Angesichts dessen, dass die EU 27 und der Europarat sogar 46 Mitglieder hat – Staaten, die zugleich als wichtige Stützen der VN gelten und sogar zwei bzw. drei der ständigen SR-Mitglieder stellen – wäre damit eine „kritische Masse“ erreicht gewesen, die in der Lage gewesen wäre, schon frühzeitig auf Ebene der VN für eine Verrechtlichung der Sanktionsverfahren einzutreten. Dies wäre nicht nur eine politische Option gewesen, sondern hierzu wären sie sogar völkerrechtlich verpflichtet gewesen [siehe bereits oben, 5. a) cc)]. b) Urteil des EuGH von 2008 Seit dem 3. September 2008 liegt auch die Rechtsmittelentscheidung in dieser Sache vor.530 Mit ihr ist ein Durchbruch gelungen, wenn sie auch noch nicht den endgültigen Schlussstrich unter diesen Fall gezogen hat.531 Im Ergebnis folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts Poiares Maduro, der bereits Anfang 2008 dafür plädiert hatte, die Entscheidungen des EuG aufzuheben sowie die zugrunde liegende EG-Verordnung für nichtig zu erklären – jedenfalls soweit sie den Rechtsmittelführer betrifft.532 Zwar kassiert der EuGH zunächst sogar den Befund des EuG, dass der Gemeinschaftsrichter befugt (und verpflichtet) sei, die Rechtmäßigkeit von SR-Resolutionen jedenfalls im Hinblick auf ius cogens zu überprüfen. Die SR-Resolutionen lässt er stattdessen unberührt (Rn. 287 f. des Urteils). Der EuGH bejaht indes die vollumfängliche Überprüfung der streitbefangenen EG-Verordnung, und zwar am Maßstab der „Verfassungsgrundsätze“, ins529
Anders als eine Reihe von Vertretern in der Politik (insb. der USA – siehe die dahin gehende Äußerung der Vertreterin der US-Regierung in den Verhandlungen zum Weltgipfel 2005: „The SC by definition always acts legally.“) und der Wissenschaft [etwa G. Lysen, Targeted UN Sanctions: Application of Legal Sources and Procedural Matters, NJIL 72 (2003), 291 (302)]. 530 EuGH, Urteil vom 3.9.2008, verbundene Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yusuf und Kadi). 531 M. Rossi, Entscheidungsanmerkung, ZJS 2008, 551 (553) unter Hinweis auf die vom EuGH eröffnete Heilungsmöglichkeit zugunsten des Rates, wogegen der Betroffene inzwischen erneut Klage erhoben hat, s. u. 532 Siehe die Schlussanträge des Generalanwalts zu Rs. C-402/05 P (Kadi) und (gleichlautend) Rs. C-415/05 P (Al Barakaat International Foundation) vom 16.1. 2008, Rn. 51 ff.
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besondere der Gemeinschaftsgrundrechte (Rn. 283). Zur Begründung führt er aus, dass die VN-Charta kein bestimmtes Modell für die Umsetzung von Resolutionen vorgebe (Rn. 298), also ein gewisser Spielraum bestehe, und dass die Kontrolle einer jeden Handlung der Gemeinschaft im Hinblick auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie – als deren integraler Bestandteil – die Grundrechte Ausdruck der Verfassungsgarantie der EG/EU als Rechtsgemeinschaft sei (Rn. 316). Damit umgeht er zugleich das Problem, einzelne Grund- und Menschenrechte als dem ius cogens zugehörig qualifizieren zu müssen. Insbesondere den Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle sieht er – selbst nach den weit reichenden Reformen des Sanktionsregimes durch die SR-Resolutionen 1730 und 1735 vom Dezember 2006 – als „offenkundig nicht gewahrt“ an. Deshalb sei eine ausnahmsweise Nichtjustizibialität der Verordnung von vornherein nicht gerechtfertigt (Rn. 322). Daneben stellt der EuGH aber auch eine Verletzung des Eigentumsrechts fest. Zwar seien die Maßnahmen „nicht für sich genommen [. . .] unangemessen oder unverhältnismäßig“. Anders sei dies aber im konkreten Fall der Rechtsmittelführer zu beurteilen, da die Verordnung ihnen gegenüber angesichts der umfassenden Geltung und Dauer der verhängten Sanktionen besonders erheblich sei und keine Garantie gebe, ihre Anliegen den zuständigen Stellen vortragen zu können (Rn. 334). Diese nur relative, teilweise Nichtigkeit der Verordnung greift in der Sache zu kurz, da der vorliegende Sachverhalt kein Ausnahme-, sondern vielmehr der Regelfall ist, wovon die etlichen seitdem gestellten Anträge auf Streichung von der Sanktionsliste aufgrund mangelnder Begründung und Anhörung zeugen. Was die Verletzung des materiellen Eigentumsrechts betrifft, fällt diese hier letztlich mit derjenigen des zuvor genannten prozeduralen Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz zusammen. Diese Entscheidung des EuGH zugunsten der Rechtsmittelführer Yusuf und Kadi hat einen Wendepunkt eingeleitet, von dem aus die Gerichte nun im zweiten Anlauf die Gelegenheit nutzen mögen, die Einhaltung individualrechtlicher Garantien im Sanktionsverfahren wirksam zu überwachen.533 Möglich gemacht hat diese Entwicklung und ihre „freundliche Aufnahme“ sogar im Kreise vormals kompromissloser Sicherheitspolitiker nicht zuletzt ein gesellschafts-politisches Umfeld, das sich seit 2001 spürbar gewandelt hat („Das Ende von 9/11: Die Zeit der Hysterie ist endlich vorbei“534). Dies erlaubt eine neue Gewichtung in der Abwägung von individu533
Auf diese potenzielle Korrektur-Möglichkeit hatte das Überwachungsteam bereits in seinem Zweiten Bericht an den 1267-Ausschuss vom 15.2.2005 hingewiesen, S/2005/83, Para. 50. Siehe auch die Darstellung der Entscheidung des EuGH im Neunten Bericht des Überwachungsteams vom 13.5.2009, S/2009/245, Paras. 19–23. 534 So die (leicht verkürzte) Titel-Schlagzeile der ZEIT vom 20.11.2008.
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ellen Bürger- und Menschenrechten einerseits und öffentlicher Sicherheit sowie „politischen Zwängen“ andererseits und damit eine Rückbesinnung auf grundlegende Werte. Der SR wäre gut beraten gewesen, schon früher entschiedener auf die Kritik am 1267-Sanktionsregime einzugehen, um Diskrepanzen zu (supra-)nationalen Gerichten und möglicherweise den letztlichen Kollaps des Sanktionsregimes zu verhindern.535 Immerhin hat der 1267-Ausschuss als Reaktion auf das Urteil erstmalig – wenn auch beschränkt auf den konkret vorliegenden Fall – Gründe für eine Listung offengelegt.536 Nachdem die Kommission sie den Beschwerdeführern mitgeteilt und deren Stellungnahmen dazu überprüft hatte, fügte sie die Namen allerdings schlicht wieder in die Sanktionsliste ein, da sie eine Verbindung zu Al-Qaida als gegeben ansah.537 Entsprechend verfuhren Kommission und 1267-Ausschuss in den anderen anhängigen Fällen, und am 13. Oktober 2009 erließ die Kommission insgesamt eine neue, „geheilte“ Verordnung.538 Damit bleibt festzustellen, dass der Entscheidung des EuGH zwar Folge geleistet wird, sie in ihrer Wirkung aber erheblich relativiert worden ist.539 Der Bruch mit dem SR ist dadurch vorerst wieder „eingefangen“ oder wenigstens für den Moment aufgehalten. Kadi hat nämlich bereits wieder Klage gegen die neuerliche Maßnahme der Kommission erhoben540, ebenso 535 Ebenso Peter Maurer, VN-Botschafter der Schweiz in einem Interview mit dem DLF am 4.9.2008, erhältlich unter http://www.dradio.de/dlf/sendungen/ interview_dlf/841865/ [eingesehen am 10.1.2009] sowie die Einschätzung des 1267-Überwachungsteams in seinem Achten Bericht vom 14.5.2008, S/2008/324, IX.A.: „The sanctions are at a legal crossroads [. . .]. Similar challenges could quickly erode enforcement.“ 536 Siehe die Erklärung des Ausschuss-Vorsitzenden Jan Grauls in der Unterrichtung der Mitgliedschaft am 12.11.2008, SC/9498 („narrative summaries for reasons for listing“). 537 Verordnung (EG) Nr. 1190/2008 der Kommission vom 28.11.2008 zur 101. Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates über die Anwendung bestimmter spezfischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, ABl. EG Nr. L 322 vom 2.12.2008, S. 25 f., Erwägungsgrund Nr. 3. 538 Verordnung (EG) Nr. 954/2009 der Kommission vom 13. Oktober 2009 zur 114. Änderung der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, ABl. L 269, S. 20. 539 J. A. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009), 114 (129). 540 Rechtssache T-85/09, eingereicht am 26.2.2009, als Nichtigkeitsklage gegen die o. g. Verordnung (EG) Nr. 954/2009 der Kommission vom 13. Oktober 2009, u. a. weil sie kein Verfahren vorsehe, wonach zwingende Gründe und Beweise, auf denen die Sanktionsentscheidung beruht, mitgeteilt werden.
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wie eine Reihe anderer Betroffener ihrerseits Rechtsmittel gegen abschlägige Entscheidungen des EuG eingelegt hat, weil sie die für ihre Listung angeführten Gründe als unzureichend erachten.541 7. Institutioneller Überprüfungsmechanismus
Vor diesem Hintergrund sollte der SR seine Sanktionsregime endlich mit dem entscheidenden Rechtsschutz versehen – oder sie an die Mitgliedstaaten delegieren, wo entsprechende Systeme auf nationaler Ebene zur Verfügung stehen. Die Rechtsbehelfe und der entsprechende institutionelle Überprüfungsmechanismus, die erforderlich sind, um die individuellen Rechte zu schützen und ggf. durchzusetzen, lassen sich auf verschiedene Weise gestalten; dem SR steht insoweit ein weiter Ermessensspielraum zu.542 In Betracht kommt nicht nur ein justizielles Gremium, sondern jeder „effective, accessible and independent mechanism of review“543 [s. o. 5. b) und nachfolgend 7. a)–c)]. Der SR hat dem Handlungsdruck, unter dem er nicht erst seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Yusuf und Kadi stand, inzwischen mit seiner jüngsten S/RES/1904 vom 17. Dezember 2009 zur Verlängerung des 1267-Sanktionsregimes ein weiteres Stück nachgegeben. Er beschränkte sich dabei allerdings auf den (Minimal-)Vorschlag verschiedener Mitgliedstaaten, das Büro einer Ombudsperson einzurichten [s. o. 3. d) und unten 7. b)]. a) Justizielles versus nicht-justizielles Gremium Auch wenn es nicht die Gestalt eines Gerichts haben muss, würde ein gerichtsähnliches Gremium den genannten Anforderungen in jedem Fall genügen und wäre auch nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es vermeintlich die Autorität des SR untergrübe. Denn zumindest formal wäre nicht der SR dieser Instanz unterworfen und würden nicht seine Resolutionen kassiert werden, sondern die Listungsentscheidungen des Sanktionsausschusses.544 Soweit der SR allgemeine Sanktionen beschließt, ist dies zu541 Siehe den Neunten Bericht des 1267-Überwachungsteams, S/2009/245 vom 13.5.2009, III. B. 542 B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 30; E. de Wet/A. Nollkaemper, Review of Security Council Decisions by National Courts, GYIL 45 (2002), 166 (181). 543 So die VN-Menschenrechtskommissarin N. Pillay am 29.10.2009 in einer Ansprache gegenüber dem CTC, http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/rights/2009_10_09_ hchr_brief.pdf [eingesehen am 25.9.2010]. 544 I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, NJIL 72 (2003), 159 (184). Eine solche Unterscheidung setzt allerdings voraus, dass ausschließlich der
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dem eine nicht-justiziable politische Entscheidung; erst wenn die Sanktionsbeschlüsse konkret-individuell sind, ist eine rechtliche Überprüfung angemessen (und erforderlich).545 Dass der SR die Kompetenz für sich in Anspruch nimmt, einen justiziellen Überwachungsmechanismus zu errichten, hat er insbesondere durch die Schaffung der internationalen ad hoc-Strafgerichtshöfe (ICTY und ICTR) bereits bewiesen [wenngleich dies strittige Fälle geblieben sind – s. u., B. II. 2. b) aa) und C. II.]. Implizit hat er dabei sogar anerkannt, dass auch seine eigenen Beschlüsse zur Wahrung von Frieden und internationaler Sicherheit due process-Standards genügen müssen, wenn sie Individuen betreffen. Der ICTY hat hierzu in der Tadic´-Entscheidung ausdrücklich befunden, dass der SR in Situationen, in denen die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit eine Strafverfolgung erfordere, auf unabhängige Unterorgane angewiesen sei, da er selbst keine judikativen Kompetenzen habe und nicht zur Einhaltung der rechtsstaatlich garantierten – in den Gerichts-Statuten festgeschriebenen – Verfahrensrechte in der Lage sei.546 Zwar handeln die Sanktionsausschüsse nicht als Strafverfolgungs-, sondern als Verwaltungsorgane. Die fundamentalen Verfahrensrechte sind aber im Hinblick auf alle Akte der öffentlichen Gewalt zu gewähren.547 b) Staaten- versus VN-Ebene Die Überprüfungsmechanismen können – abgesehen von regionalen Modellen als Zwischenstufe – grundsätzlich auf zwei Ebenen, nämlich entweder auf der Ebene der Staaten oder auf derjenigen der VN angesiedelt sein. Bei der „Staatenlösung“ könnte der SR sich darauf beschränken, die Kriterien für eine Listung vorzugeben, die dann auf nationaler Ebene durch eigene Entscheidung der staatlichen Behörden erfolgen würde. Um einen ausreichenden Rechtsschutz sicherzustellen, wird hierbei ergänzend gefordert, dass der SR eine Sanktionierung mit der Bedingung verknüpfen müsste, dass der betreffende Staat effektive Rechtsbehelfe bereitstellt.548 Dem ist Ausschuss Listungen vornimmt und nicht der SR selbst die Betroffenen unmittelbar in seinen Resolutionen nennt, wie im (Ausnahme-)Fall von Osama bin Laden. 545 I. Cameron, The European Convention on Human Rights, Due Process and United Nations Security Council Counter-Terrorism Sanctions, 2006, 17. 546 ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic ´ , IT-94-1-A vom 2.10.1995, Paras. 37 ff (45 f.): „Plainly, the Security Council is not a judicial organ and is not provided with judicial powers. [. . . A tribunal] must provide all the guarantees of fairness, justice and even-handedness, in full conformity with internationally recognized human rights instruments. [. . .] The fair trial guarantees of Art 14 of the International Covenant on Civil and Political Rights have been adopted almost verbatim in Article 21 of the Statute [of the tribunal]. Other fair trial guarantees appear in the Statute and the Rules of Procedure and Evidence.“ 547 B. Fassbender, Targeted Sanctions and Due Process, 2006, 9.
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zuzugestehen, dass es tatsächlich ausgeschlossen erscheint, dass ansonsten die gebotenen Mindeststandards in allen 192 VN-Mitgliedstaaten eingehalten würden. Dies zeigt bereits der Blick auf die USA, die Terrorismus-Verdächtige nach Guantánamo verbracht und Verfahren vor besonderen Militärtribunalen abgehalten haben, die den o. g. due process-Anforderungen in keiner Weise genügen [s. o., II. 4. c)]. Andererseits ist zweifelhaft, ob der SR befugt wäre, den Staaten entsprechende Vorgaben für ihre nationalen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu machen. Zudem wäre angesichts eines offensichtlich mangelnden Willens vieler Staaten, überhaupt Listungen vorzunehmen, bereits eine wirksame Durchsetzung der Sanktionen nicht gewährleistet. Bei einer Beibehaltung der Listung durch den SR bzw. seinen Ausschuss müsste indes der sanktionierende Staat die Anti-Terrorismus-Resolutionen des SR wenigstens im Sinne einer „presumption of consistency“ menschenrechtskonform auslegen.549 Es erscheint unwahrscheinlich, dass ein Staat seinerseits (Sekundär-)Sanktionen ausgesetzt worden wäre, hätte er etwa – bereits vor Erlass der S/RES/1455 – in Einzelfällen humanitäre Ausnahmen von den an sich umfassenden Kontosperren zugelassen. Da aber die Entscheidungsmacht über Listenstreichungen und damit die Aufhebung der Sanktionen allein beim 1267-Ausschuss oder SR bzw. dessen Mitgliedern liegt, hat der sanktionierende Staat es letztlich nicht in der Hand, wirklich Abhilfe zu leisten. Hier stößt die Auslegung also spätestens an ihre Grenzen. Außerdem gälte auch hier, dass einzelstaatliche Lösungen zu unterschiedlichen Standards führten, was für ein universal geltendes Sanktionsregime mit Glaubwürdigkeits- und Wirksamkeitsverlusten verbunden wäre. Für auf regionaler Ebene praktizierte Überprüfungen gilt im Grundsatz das gleiche – wenn auch unter Umständen abgemildert.550 Sie können immer nur „Insellösungen“ darstellen und dürften überhaupt nur durchzuhalten sein, wenn die betreffende Region auch über ein gewisses politisches Gewicht verfügt. Resolutionen des SR als Akte der VN könnten aber auch 548 I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, Gutachten für die schwedische Regierung 2002, 46 [unveröffentlicht]. Ähnlich der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in einer Pressekonferenz am 26.10.2009, erhältlich unter http://www.un.org/ News/briefings/docs/2009/091026_Scheinin.doc.htm [eingesehen am 25.09.2010]. 549 So A. Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Anti-terrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006), 881 (916). 550 Dafür spricht sich aber aus E. von Bubnoff, Terrorismusbekämpfung – eine weltweite Herausforderung, NJW 55 (2002), 2672 (2675). Zu den Grenzen einer „großen europäischen Lösung“ siehe J. A. Kämmerer, Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall „Kadi“: Ein Triumph der Rechtsstaatlichkeit?, EuR 44 (2009), 114 (128).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
dann mangels Kompetenz nicht – und zwar nicht einmal am Maßstab des ius cogens, wie der EuGH klargestellt hat551 – gerichtlich überprüft werden, sondern nur die (im Falle der EU: supra-)nationalen Umsetzungsakte. In der Sache läuft es also auch hier bis auf weiteres auf einen Konflikt mit dem SR hinaus. Eine tragfähige Lösung erscheint demnach nur auf Ebene der VN erreichbar.552 Hierbei wären wiederum verschiedene Formen denkbar, die sich durch ihre jeweilige Nähe bzw. – wegen ihrer gebotenen Unabhängigkeit – Ferne zum SR unterschieden. Zwar sähen sie sich alle mit dem Grundproblem konfrontiert, dass die Staaten generell wenig geneigt sind, ihre Geheimdienstinformationen mit internationalen Institutionen und anderen Staaten zu teilen. Aus diesem Grunde – wie schon aus menschenrechtlicher Perspektive – spräche viel für ein möglichst gerichtsähnliches Gremium, da Richter am unabhängigsten von ihren nationalen Regierungen sind. So ist auch im Fall des IStGH ein Verfahren gefunden worden, das die Interessen der Justiz einerseits und die nationalen Sicherheitsinteressen der Staaten andererseits zum Ausgleich bringt.553 Im Kontext des Terrorismus ist der SR allerdings nicht bereit, Entscheidungsbefugnisse aus der Hand zu geben, sondern besteht auf seine Prärogative.554 Insofern scheidet die Gründung etwa eines „Weltgerichts für Menschenrechte“ vorerst aus555 und läuft es weiterhin auf Modelle hinaus, in denen der SR über seinen 1267-Ausschuss die maßgebliche Rolle einnimmt. Dies hat sich inzwischen nicht nur bei der Errichtung der Koordinationsstelle im Sekretariat, sondern auch bei der des Büros der Ombudsperson gezeigt, die beide nicht befugt sind, Entscheidungen zu treffen oder auch nur Empfehlungen auszusprechen [s. o. 3. d)]. Das gleiche gälte für einen Sachverständigenausschuss (advisory panel of experts), wie ihn etwa der IPBPR als Vertragsorgan vorsieht und eine Staatengruppe im Anschluss an die Schweiz zwischenzeitlich auch für das 1267-Sanktionsregime vorgeschlagen hatte.556
551 EuGH, Urteil vom 3.9.2008, verbundene Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Yusuf und Kadi), Rn. 287. 552 Für C. Tomuschat, Die europäische Union und ihre völkerrechtliche Bindung, EuGRZ 34 (2007), 1 (10) läge die „Ideallösung“ in der „Schaffung eines Verwaltungsgerichts“ auf Ebene der VN. 553 Vgl. Art. 72 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, ILM 1998, 999 (BGBl. 2000 II, 1394), der einen praktikablen Interessensausgleich vornimmt. 554 Vgl. den Achten Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 14.5.2008, S/2008/324, IX. A. 555 Auch wenn ein solches Gericht seit langem und vielfach gefordert wird, siehe nur M. Nowak, The Need for a World Court of Human Rights, Human Rights Law Review 7 (2007), 251 ff.
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c) Kombiniertes Staaten-/VN-Modell Angesichts dieser Schwierigkeiten könnte ein kombiniertes („Hybrid-“) Modell wenigstens eine Zwischenlösung darstellen.557 Danach bliebe der SR für die politisch-strategische Leitung des Sanktionsregimes und sein Ausschuss für die Listungen sowie die Überwachung der Sanktionen durch die Staaten zuständig. Angesichs des dargestellten „(Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrechts“ wäre hierbei mittlerweile auch sichergestellt, dass viele grundlegende Standards eingehalten werden. Zugleich würde der SR den Staaten per Resolution die Gewährleistung individuellen (gerichtlichen) Rechtsschutzes gegen die nationalen Umsetzungsakte, wenn nicht vorgeben, so jedenfalls empfehlen. Damit stellte er nicht nur den Bestand und die Geltung der Menschenrechte (deklaratorisch) fest, sondern auch, dass deren Gewährleistung durch die Staaten insbesondere nicht gegen ihre Verpflichtung aus der Charta verstoßen würde, Beschlüsse des SR zu befolgen. Die Staaten könnten die Sanktionen damit nicht mehr als Vorwand missbrauchen, rechtswidrige repressive Maßnahmen zu ergreifen. Den Betroffenen wiederum stünde ein dezentrales Überprüfungsverfahren in ihrem Heimatbzw. Aufenthaltsstaat, das heißt in einem ihnen vertrauten Rechtssystem, offen. Auch wenn nationale Instanzen nicht über die Rechtsmacht verfügen, Entscheidungen des 1267-Ausschusses zu kassieren oder ihm verbindlich aufzugeben, sie zurückzunehmen, könnte der SR den Ausschuss anweisen, entsprechende Befunde umzusetzen, d. h. Listenstreichungen vorzunehmen. Zwar dürfte sich wiederum der SR mit Verweis auf seine Letztentscheidungsbefugnis vorbehalten, Einzelfälle auch zurückzuweisen und die Listung aufrechtzuerhalten. Gleichwohl stünde hiernach für den Großteil der potenziellen Konfliktfälle ein kurzfristig einsetzbarer Mechanismus bereit. Obschon der SR es bislang in seinen Resolutionen vermieden hat, Aussagen über individuellen Rechtsschutz zu treffen, muss dies letztlich keine ablehnende Haltung ausdrücken, sondern mag es auch schlicht bedeuten, dass er dies nicht als seine Zuständigkeit begreift. Es ist daher „by no means settled if [the SC] believes that the individual right of access to court and to 556 Siehe die Erklärung des Schweizer Vertreters Peter Maurer anlässlich des Briefings der drei Anti-Terrorismus-Ausschüsse am 12.11.2008, SC/9498. Zu den verschiedenen Varianten siehe auch den Bericht der österreichischen Rechtsstaatlichkeits-Initiative, The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008, S. 16 ff. 557 P. Gutherie, Security Council Sanctions and the Protection of Individual Rights, NYU Ann. Survey 60 (2005), 491 (535 ff.); ähnlich der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in einer Pressekonferenz der Anti-Terrorismus-Ausschüsse am 27.10.2009, siehe http://www.un.org/News/briefings/docs/2009/091027_1267.doc.htm [eingesehen am 25.9.2010].
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remedies would run counter to its principal objective of restoring or maintaining international security.“558 Hiervon scheint auch das 1267-Überwachungsteam auszugehen, wenn es die laufenden nationalen und regionalen Gerichtsverfahren bereits mehr oder weniger als planmäßige Lösung zur Gewährleistung individuellen Rechtsschutzes darstellt.559 Der Konflikt, der entsteht, wenn nationale Instanzen und SR bzw. Ausschuss unterschiedlicher Auffassung über die Begründetheit einer Listung sind, bleibt hierbei aber bestehen. In diesen Fällen läuft der gebotene Rechtsschutz ins Leere. Daher ist eine umfassende und abschließende Lösung letztlich nur auf VN-Ebene möglich. 8. Politische Instrumentalisierung: Von Al-Qaida zu Terroristen generell
Ein weiteres Problem, das sowohl eindeutige Listungs-Kriterien als auch faire Verfahrensregeln und unabhängige Kontrollmechanismen umso wichtiger macht, ergibt sich daraus, dass die Sanktionsregime der permanenten Gefahr ausgesetzt sind, für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert zu werden, sobald nur ein „Ausnahmefall“ vorliegt oder konstruiert wird. Bereits bei den Verhandlungen zur S/RES/1526 (2004) versuchte etwa China, die Umschreibung des Adressatenkreises der Sanktionen durch ein schlichtes „and other associated groups“ aufzuweichen sowie die „disruption of social order“ zu einem terroristischen Akt zu deklarieren, um so offensichtlich die Uiguren darunter fassen zu können.560 Wenngleich beide Vorschläge keine Mehrheit fanden (insbesondere die streikgeneigten Franzosen wenig Verständnis dafür aufbrachten, sozialen Aufruhr mit Terrorismus gleichzusetzen), offenbaren sie doch, dass einzelne Staaten das Sanktionsregime zu missbrauchen suchen, um auf diesem einfachen Wege eigene „Staats- (oder treffender: Regierungs-)Feinde“ auszuschalten. Ebenso ist die Initiative Russlands zu deuten, eine umfassende Liste von Terroristen jenseits von Al-Qaida und Taliban aufzustellen561, als es – ver558
J. Almqvist, A Human Rights Critique of European Judicial Review: CounterTerrorism Sanctions, CMLR 57 (2008), 303 (323). 559 Siehe den Neunten Bericht des 1267-Überwachungsteams, S/2009/245 vom 13.5.2009, III. D. (Para. 27): „Action by the courts has largely pre-empted any initiative that the Security Council might have taken, however unlikely, to create its own independent review mechanism. The fact that European courts have joined American courts in asserting their jurisdiction over national implementation procedures means that in this context they will in effect offer an independent review of listing decisions by the Committee when these are challenged before them.“ 560 Entwurf der S/RES/1526 (2004) vom 28.1.2004 [unveröffentlicht]. 561 Vgl. die Stellungnahme des rumänischen VN-Botschafters M. I. Motoc nach der Annahme der S/RES/1566 (2004) am 8.10.2004 im Sicherheitsrat, http:// www.un.org/News/Press/docs/2004/sc8214.doc.htm [eingesehen am 9.10.2004].
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gleichbar den USA nach dem 11. September 2001 und dieses Ereignis mitsamt seinen Folgemaßnahmen gleichsam als Benchmark nehmend562 – versuchte, den Moment nach dem Anschlag von Beslan zu nutzen, um seinerseits die Tschetschenen auf eine globale Sanktionsliste zu setzen. Allerdings gab es auch für diesen Resolutionsentwurf keine Mehrheit, was Russland zu dem Vorwurf veranlasste, dass mit „zweierlei Maß“ gemessen werde.563 Immerhin wurde in der finalen S/RES/1566 (2004) beschlossen, eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema zu bilden, die sich jedoch bislang noch auf keine Kriterien für eine neue „Terroristen-Liste“ hat einigen können (und wohl letztlich auch ergebnislos auseinander gehen wird).564
9. Durchsetzung der Sanktionen
Damit die Sanktionsregime effektiv und glaubwürdig sind, ist es erforderlich, sie mit einem funktionierenden Durchsetzungsmechanismus auszustatten. Bislang hat der SR sich primär den ersten beiden Implementierungsstufen gewidmet, d. h. der Auswertung der Staatenberichte und dem Aufbau von Kapazitäten. Diese „Vorarbeiten“ sind unbedingt erforderlich, da „paper truths“ nicht unbedingt den „ground truths“ entsprechen565 und viele Staaten überhaupt erst durch technische Hilfe in die Lage versetzt werden, die festgelegten Sanktionen umzusetzen. Nachdem aber selbst bis zum 28. Dezember 2006 erst 147 der 192 Staaten den Bericht eingereicht hatten, der bereits zum 17. April 2003 fällig gewesen war566, stellt sich die Frage, inwieweit noch von einem „lack of capacity“ gesprochen werden kann oder es nicht vielmehr von einem „lack of interest“ oder „lack of will“ zeugt567 und folglich, wie der SR sich von der Stelle bewegen und in die dritte Implementierungs-Stufe eintreten kann. 562
A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2006, 21. M. Sattar, Keine uneingeschränkte Solidarität, F.A.Z. vom 15.10.2004, S. 2: Die USA und GB hatten zwei „Ministern“ des früheren tschetschenischen Präsidenten Maschadow, den Russland für die Tat von Beslan verantwortlich macht, Asyl gewährt. 564 Homepage der 1566-WG, siehe http://www.un.org/Docs/sc/committees/1566/ 1566Template.htm [eingesehen am 14.4.2007]. Für den Ersten Bericht der 1566-WG siehe S/2005/789 vom 16.12.2005. 565 A. Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Antiterrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006), 881 (903). 566 Written assessment of the [1267-Committee] pursuant to paragraph 17 of [S/ RES/1617 (2005)], S/2006/1046 vom 28.12.2006, Annex, I. 567 Diese Frage wirft ausdrücklich das 1267-Überwachungsteam in seinem Sechsten Bericht vom 8.3.2007, auf, S/2007/132, Para. 24. 563
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Die an sich folgerichtige Option wäre, die fehlende Umsetzung der Sanktionen durch die Staaten ihrerseits zu sanktionieren, also „secondary sanctions“ zu verhängen.568 Dies würde allerdings eine Reihe von Folgeproblemen aufwerfen. Vor allem sieht der SR sich dem Dilemma ausgesetzt, die Umsetzung mangels eigener „Verwaltungsvollzugsorgane“ weder selbst vornehmen noch flächendeckend Zwang ausüben zu können, sondern in der Breite auf eine freiwillige Befolgung seiner Vorgaben durch die Staaten angewiesen zu sein [s. o., 2. b)]. Vor diesem Hintergrund ist der SR gut beraten, die Staaten möglichst weitgehend in seine Vorhaben einzubeziehen und als Partner zu gewinnen, also letztlich multilateral und möglichst konsensual vorzugehen, um auf dieser Grundlage gestärkt und gezielt gegen einzelne offensichtliche Verweigerer vorgehen zu können. Mit seiner S/RES/1822 (2008) hat der SR diese Richtung nun auch entschieden eingeschlagen, indem er zum einen in pp. 9 „the need for robust implementation of the measures“ betont und in op. 32 dem 1267-Ausschuss aufgibt, „to identify possible cases of non-compliance [. . .] and to determine the appropriate course of action on each case“ [bestätigt in S/RES/1904 (2009), pp. 7, op. 38]. Zum Instrumentarium sollten insoweit auch positive Anreize zur Verhaltensänderung gehören. Wenigstens muss der SR Reziprozität herstellen, indem er Sanktionen unverzüglich aufhebt, wenn die Voraussetzungen für ihren Erlass entfallen, was in der Vergangenheit nicht immer gewährleistet war.569 Anderenfalls liefe der SR nicht nur Gefahr, die Akzeptanz seiner Sanktionsregime einzubüßen, sondern auch seine eigene Autorität zu untergraben. In diesem Sinne richtete GS Ban Ki-Moon auf dem VN-Symposium „Enhancing the Implementation of Security Council Sanctions“ am 30. April 2007 folgenden Appell an die Staaten: „To strengthen compliance and increase effectiveness, sanctions must be understood as a manifestation of the strong and unified will of the international community. Their goals must be clear and unambiguous. And the goal posts must not be changed arbitrarily or without explanation in order to meet unstated political objectives [. . .]. Our challenge is to ensure their credibility and legitimacy.“570
568 Auch die VN-Reformkommission hatte die entschlossene Durchsetzung angemahnt, siehe A more secure world: Our shared responsibility, Report of the HighLevel-Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Paras. 156 [sowie 180 (e)]: „[The SC] should devise a schedule of predetermined sanctions for State non-compliance.“ 569 Vgl. den Bericht der Ständigen Vertretung Griechenlands bei den VN, Enhancing the Implementation of the United Nations Security Council Sanctions, Annex zum Brief an den SR-Präsidenten vom 12.12.2007, S/2007/734. 570 SG/SM/10968 und SC/9010 vom 30.4.2007.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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10. Fazit
Abschließend lässt sich damit festhalten, dass der SR im Hinblick auf das 1267-Sanktionsregime zunächst – wie auch im Falle der Duldung militärischer Gewalt (oben II.) – rechtliche Vorgaben der Charta und des Völkerrechts grob missachtet hat. Mit wachsendem zeitlichem Abstand zum 11. September 2001 und unter zunehmendem Druck der Mehrheit der Staatengemeinschaft sowie der internationalen Öffentlichkeit571 hat der SR aber in der Zwischenzeit die größten Verwerfungen korrigiert. Ebenso wenig wie er im Anwendungsbereich von Art. 51 SVN der Doktrin von der „präemptiven Selbstverteidigung“ oder der Loslösung des Selbstverteidigungsrechts von jeglicher staatlicher Zurechnung des bewaffneten Angriffs durch nichtstaatliche Akteure gefolgt ist, hat er im Rahmen von Kapitel VII SVN das 1267-Sanktionsregime in seinem rechtlichen Vakuum belassen, sondern es Schritt für Schritt an den rechtlichen Standards ausgerichtet. Der anfänglich in vielen Zügen willkürliche „Rundumschlag“ gegen (vermeintliche) Terroristen, der sich gegenüber der konkreten Bedrohungssituation stark verselbständigt hatte, ist mittlerweile zunehmend objektiven Voraussetzungen unterworfen worden. Auch die vereinzelten Bestrebungen, eine über die Taliban/AlQaida noch hinausgehende allgemeine Terroristenliste für „Staatsfeinde“ aller Art aufzustellen, sind über ihren Ansatz in S/RES/1566 (2004) nicht hinausgekommen. Zwar ist der erreichte Stand an rechtlichen Gewährleistungen noch immer nicht ausreichend, da insbesondere weder konkret definiert ist, was Terrorismus ist, noch Personen, die als Terroristen gelistet sind, die Möglichkeit haben, diese „Abstempelung“ und die damit verbundenen Sanktionen von einem unabhängigen Gremium abschließend überprüfen zu lassen. Gleichwohl hat sich über die Jahre ein „allgemeines (Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrecht“ herausgebildet, welches das Handeln des SR und seiner Nebenorgane in weiten Bereichen formalisiert und verrechtlicht hat. Derzeit steht eine Initiative Russlands zum Thema „Basic Conditions and Standard Criteria for introducing and implementing Sanctions“ auf der Tagesordnung des Sonderausschusses für die Charta und die Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen.572 Der Ausgleich von Politik und (internationalem) Recht ist also ein laufender Prozess, was beweist, dass diese sich trotz aller behaupteten „Dichotomie“ nicht unabhängig voneinander entwickeln (können). 571 Im Achten Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 14.5.2008, S/2008/324 heißt es unter I. zu den Herausforderungen des 1267-Regimes ausdrücklich: „[. . .] reassure international opinion that the sanctions are appropriate [. . .].“ 572 Siehe A/C.6/62/L.6 vom 11.10.2007 sowie den Sitzungsbericht vom 27.2.2008, L/3124.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
B. (Quasi-)Legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats Während der SR im Hinblick auf seine exekutiven Maßnahmen (oben A.) zumindest von der Funktion her in dem Bereich tätig geworden ist, der ihm im „VN-Verfassungssystem“ zugewiesen ist, hat er darüber hinaus aber auch (quasi-)legislative (sowie -judikative, dazu C.) Funktionen ausgeübt, von denen zweifelhaft ist, ob die Charta sie dem SR eingeräumt hat.573 Nachfolgend sollen die Resolutionen 1373 (2001), 1540 (2004), 1566 (2004) und 1624 (2005) auf ihre Vereinbarkeit mit der Charta überprüft werden. Sie alle stellen unmittelbare Reaktionen des SR auf den „neuen internationalen Terrorismus“ seit 2001 dar und weisen einen legislativen Charakter auf. I. Anti-Terrorismus-Resolutionen seit 2001 1. S/RES/1373 (2001)
Mit seiner S/RES/1373 vom 28. September 2001 hat der SR – über die Bekräftigung der erstmals in S/RES/1368 getroffenen Feststellung hinaus, dass „jede Handlung des internationalen Terrorismus“ eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstelle (s. o., A. II.) – den Staaten eine Reihe verbindlicher Strafverfolgungs- und Kriminalisierungspflichten aufgegeben, um insbesondere die Finanzierung von terroristischen Handlungen zu unterdrücken („Decides that all States shall . . .“, op. 1–2). Der SR hat damit anknüpfend an eine rein abstrakte Gefahr, d. h. unabhängig von einer konkreten Situation oder Erscheinungsform des Terrorismus, generelle völkerrechtliche Pflichten beschlossen. Damit stellt die Resolution 1373 den „ersten lupenreinen Fall einer internationalen Gesetzgebung“ dar.574 In ihrem Inhalt sind die „Tatbestände“ im operativen Absatz 1b)–d) größtenteils an das (zu jener Zeit noch nicht in Kraft getretene) Finanzierungsübereinkommen (s. o., Kap. 3, B. I. 3.) angelehnt, während der operative Absatz 1a) erheblich darüber hinausgeht, indem er eine Generalklausel ent573 Verneinend etwa: A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (76); G. Arangio-Ruiz, On the Security Council’s ‚Law Making‘, Rivista di Diritto Internazionale 83 (2000), 609 (609 ff.); bejahend: K. Dicke, Standpunkt: Weltgesetzgeber Sicherheitsrat, VN 49 (2001), 163 (163); C. Tomuschat, Obligations Arising for States without or against Their Will, RdC 1993 IV, 195 (344 ff.). Dazu im Einzelnen unten II. 574 K. Dicke, Regionalkammern – ein alternatives Modell zur Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen?, in: S. von Schorlemer (Hrsg.), Praxishandbuch UNO, 2003, 695 (700).
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hält, nach der die Staaten ganz allgemein „die Finanzierung terroristischer Handlungen verhüten und bekämpfen werden“. Auch der operative Absatz 2 knüpft nicht an spezifische Erscheinungsformen des Terrorismus an, sondern erlegt den Staaten Verpflichtungen auf, die gegen den Terrorismus ganz allgemein gerichtet sind und mithin eher Gegenstand des (noch nicht verabschiedeten) umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus sein sollten, etwa jegliche Unterstützung von Terroristen zu unterlassen, ihnen insbesondere keine Rückzugsgebiete zu überlassen und grenzüberschreitende Bewegungen zu verhindern sowie die Begehung terroristischer Akte „als schwere Straftaten“ zu fassen, gerichtlich zu verfolgen und effektive internationale Rechtshilfe zu leisten. Der operative Absatz 3 schließlich enthält in rechtlich abgeschwächter Form („Calls upon all States to . . .“) u. a. die Aufforderungen, den Informationsaustausch zu verbessern, auf Verwaltungs- und Justizebene zusammenzuarbeiten, den internationalen (sektoralen) Übereinkommen zur Terrorismusbekämpfung beizutreten575 und ihre nationale Gesetzgebung an bestimmte Standards anzupassen.576 Wenngleich all diese Pflichten unmittelbar an die Staaten gerichtet sind, zielt der SR – ähnlich wie im Falle der 1267-Sanktionen (s. o., A. III.) – auch hier letztlich nicht auf die Staaten ab, sondern auf private, nicht-staatliche Akteure, auf deren Verhalten eingewirkt werden soll.577 Die genannten materiell-rechtlichen Bestimmungen werden prozedural durch den Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (Counter-Terrorism Committee [CTC]) ergänzt (op. 6), den der SR als Nebenorgan geschaffen hat und dessen Aufgabe es ist, die Umsetzung der in Res. 1373 beschlossenen Maßnahmen durch die Staaten zu überwachen. Der CTC hat ein äußerst umfangreiches und in seiner Art beispielloses Mandat, das durch die S/RES/1535 (2004) zu seiner „Revitalisierung“ noch ausgeweitet worden ist (dazu unten, Kap. 6, C. II. u. III.).
575 Eine aktuelle Auflistung siehe unter http://untreaty.un.org/English/Terrorism. asp; siehe auch oben Teil 1, Kap. 3, B. I. 3. 576 Das UN Office on Drugs and Crime (UNOCD) in Wien, das sich allgemein mit internationaler Kriminalität befasst und – speziell durch seine 1998 gegründete Terrorism Prevention Branch (TPB) – den Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC) operativ unterstützt, hat hierzu eine Reihe von Mustergesetzen entworfen. 577 M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 im völkerrechtlichen Kontext – Von Wirtschaftssanktionen zur Wirtschaftsgesetzgebung?, ZaöRV 63 (2003), 879 (904).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats 2. S/RES/1540 (2004)
Während die Völkerrechtler noch darüber stritten, ob der SR überhaupt über derartige Legislativbefugnisse verfüge, zog der SR die Res. 1373 bereits als Präzedenzfall für seine S/RES/1540 vom 28. April 2004 heran, die den gleichen legislativen Charakter aufweist. Auch hier wird an eine abstrakte Gefahr angeknüpft, indem der SR in Begründungserwägung 1 erklärt, „dass die Verbreitung nuklearer, chemischer und biologischer Waffen und ihrer Trägersysteme [per se] eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt“. In Begründungserwägung 9 weitet der SR diese Feststellung i. S. v. Art. 39 SVN noch auf „verwandtes Material“ aus. Es folgt – wie im Fall der Resolution 1373 – eine Reihe unmittelbarer Verpflichtungen der Staaten, insbesondere jede Form von Unterstützung nicht-staatlicher Akteure bei der Herstellung, Erlangung, Weitergabe oder Verwendung von Massenvernichtungswaffen (MVW) zu unterlassen, derartige Handlungen vielmehr durch nationale Gesetze zu verbieten sowie zur effektiven Durchsetzung dieser Gesetze Kontrollregime für den Umgang mit MVW und verwandtes Material einzurichten (op. 1–3). Vorentwürfe hatten noch eine Referenz zur US-amerikanischen Proliferation Security Initiative (PSI) enthalten, die aber letztlich aus Sorge insbesondere Chinas und Russlands, dazu verpflichtet zu werden, bei der Aufbringung von Schiffen in eigenen Territorialgewässern mitzuwirken, gestrichen wurde.578 In der „Gesetzestechnik“ geht die Resolution 1540 sogar noch über ihr Vorbild hinaus, indem sie nicht nur Vertragssprache verwendet („drafted in treaty language“579), sondern sogar – dies ist ein Novum – in einer Fußnote einen Definitionskatalog enthält, und zwar der Begriffe „Trägersysteme“, „nicht-staatlicher Akteur“ und „verwandtes Material“. Bislang hatte der SR in seiner Praxis begriffliche Festlegungen möglichst vermieden, um die Auslegungsmöglichkeiten und damit den politischen Handlungsspielraum nicht einzuengen. Allenfalls waren unverbindliche Definitionen im Rahmen eines „non-paper“ formuliert worden, die eine gewisse Außenwirkung lediglich dadurch erlangten, dass sie als Pressemitteilung veröffentlicht wurden.580 Im vorliegenden Fall sollte der Freiraum offenbar eingegrenzt wer578 Vgl. den Resolutions-Entwurf vom 23.3.2004, wo es in op. 7 noch hieß: „[. . .] calls upon all States [. . .] to cooperate to prevent, and if necessary i n t e r d i c t , illicit trafficking in nuclear, chemical and biological weapons [. . .] (Hervorhebung durch Verf.).“ Die Endfassung spricht in op. 10 hingegen nur noch davon, [. . .] to take cooperative action to prevent illicit trafficking [. . .].“ 579 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (476). 580 Zum Beispiel: Pressemitteilung SC/7831 vom 29.7.2003: „Security Council Committee issues Non-paper on the Implementation of Paragraph 23 of Resolution 1483 (2003)“; (s. o. A. III. 3.).
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den, wobei die Definitionen sich in der Praxis als weitgehend untauglich herausstellen581, was aber nichts daran ändert, dass der SR immer stärker dazu übergeht, Gesetzestechniken anzuwenden. Weitgehend angelehnt an S/RES/1373, op. 6 hat der SR auch hier einen Ausschuss zur Überwachung des Nichtverbreitungsregimes errichtet (S/RES/1540, op. 4), allerdings (zunächst) begrenzt auf zwei Jahre. Mittlerweile ist sein Mandat zwei Male um insgesamt fünf Jahre bis vorerst zum 25. April 2011 verlängert worden.582 Gleichwohl macht diese „sunsetclause“ im Falle des „1540“-Ausschusses einen grundsätzlichen Unterschied zum CTC aus, der gänzlich unbefristet eingerichtet wurde, also nur durch einen neuen positiven Beschluss des SR abgewickelt werden kann, was ein weiterer Beleg des „besonderen Charakters der Resolution 1373“ (so der SR ausdrücklich in S/RES/1535, pp. 16) ist. 3. S/RES/1566 (2004) und S/RES/1624 (2005)
Auch die nachfolgenden „Anti-Terrorismus-Resolutionen“ 1566 (2004) und 1624 (2005) sind von einem legislativen Ansatz getragen. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für beide Resolutionen sind wiederum „die Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ durch „Terrorismus“ (S/RES/1566, pp. 1) bzw. durch „terroristische Handlungen“ (S/RES/1624, pp. 1). Der SR verzichtet hier also sogar auf die Qualifikation des Terrorismus bzw. der terroristischen Handlungen als „international“. In S/RES/1566, op. 3 – insoweit „tätig werdend nach Kapitel VII der Charta“ – „erinnert [der SR] daran, dass Straftaten [. . .], die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere Körperverletzungen zu verursachen, oder Geiselnahmen, die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, welche Straftaten im Sinne und entsprechend den Begriffsübereinstimmungen der internationalen Übereinkommen und Protokolle betreffend den Terrorismus darstellen, unter keinen Umständen gerechtfertigt sein können, indem politische, philosophische, weltanschauliche, rassische, ethnische, religiöse oder sonstige Erwägungen ähnlicher Art angeführt werden“. Eine solche „erinnernde“ Feststellung unter dem Titel von Kapitel VII erscheint angesichts des seit Jahrzehnten währenden Streits der 581
S. Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 99 (2005), 175
(190). 582 Zunächst um zwei (S/RES/1673, op. 4 vom 27.4.2006), dann um weitere drei Jahre (S/RES/1810, op. 6 vom 25.4.2008).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Staaten um eine Terrorismusdefinition sehr kühn. Es folgt eine allgemeine Aufforderung an alle Staaten, „solche Straftaten zu verhindern [. . . bzw.] sicherzustellen, dass für solche Straftaten Strafen verhängt werden, die der Schwere der Tat entsprechen“. In S/RES/1624, op. 1 fordert der SR die Staaten auf, „die notwendigen und geeigneten Maßnahmen [. . .] zu ergreifen, um a) die Aufstachelung (incitement) zur Begehung [. . .] terroristischer Handlungen zu verbieten; b) ein solches Verhalten zu verhindern; c) allen Personen, zu denen glaubwürdige und sachdienliche Informationen vorliegen, die ernsthaften Grund zu der Annahme geben, dass sie sich eines solchen Verhaltens schuldig gemacht haben, einen sicheren Zufluchtsort zu verweigern“. In den operativen Absätzen 2 und 3 fordert der SR die Staaten weiterhin auf, u. a. bei der Grenzsicherung zusammenzuarbeiten sowie alle Maßnahmen zu ergreifen, um „die Subversion von Bildungs-, Kultur- und religiösen Einrichtungen durch Terroristen und ihre Anhänger zu verhindern“. Mit dem CTC wird wiederum ein (d. h.: der) Ausschuss des SR „ersucht“, die Umsetzung der Resolutionen zu überwachen, zum einen um „beste Praktiken“ auszuarbeiten (S/RES/1566, op. 7), zum anderen um Staatenberichte zur Durchführung der Resolution zu überprüfen (S/RES/1624, op. 5 und 6). Der SR verbindet also auch hier die lediglich abstrakte Gefahr, die vom Terrorismus ausgeht, mit allgemeinen Handlungspflichten, adressiert an die nationalen Gesetzgebungsorgane. Zwar hat der SR seine Vorgaben von ihrer rechtlichen Verbindlichkeit her offenbar zu Aufforderungen herabgestuft („c a l l s u p o n States to“ statt „d e c i d e s that States shall“).583 In S/RES/1624 verzichtet der SR sogar erstmals seit dem 11. September 2001 in einer „Anti-Terrorismus“-Resolution auf den ansonsten die operativen Teile einleitenden Passus „tätig werdend nach Kapitel VII der Charta“. Dies war ein Kompromiss zwischen denjenigen Staaten, die bei der „Kap. VII-Formel“ bleiben wollten, und jenen, die Eingriffe in die Meinungsfreiheit befürchteten.584 Gleichwohl sind die Staaten gem. Art. 24, 25 SVN verpflichtet, auch diesen Aufforderungen Folge zu leisten.585 Ins583 Zum rechtlichen Gehalt der unterschiedlichen Termini siehe den Special Research Report „Security Council Action under Chapter VII: Myths and Realities“ der Security Council Report-Initiative vom 23.6.2008, S. 13, erhältlich unter http://www.securitycouncilreport.org [eingesehen am 28.6.2008]. 584 J. Rupérez, The UN’s fight against terrorism: five years after 9/11, 2006, erhältlich unter: http://www.un.org/terrorism/ruperez-article.html [eingesehen am 25.6.2007]; zu dieser Spannungslage siehe auch den Bericht des CTC zur Umsetzung von S/RES/1624 (2005), S/2006/737 vom 15.9.2006, Para. 51. 585 Siehe IGH im Namibia-Gutachten, ICJ Reports 1971, 16 (53) sowie die Erklärung des SR-Präsidenten zu S/RES/743 (1992), wonach der ausdrückliche Verweis in der Präambel auf Art. 25 SVN die Verbindlichkeit der in der Resolution getroffe-
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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besondere bezieht sich die Regelung des Art. 25 SVN nicht lediglich auf Beschlüsse (decisions), die der SR auf der Grundlage von Kap. VII SVN getroffen hat.586 Zwar entspricht es der (neueren) Praxis des SR in Fällen, in denen er eine verbindliche Vorgabe machen will, ausdrücklich sowohl eine Feststellung nach Art. 39 SVN zu treffen und die Einleitung „tätig werdend nach Kapitel VII der Charta“ zu verwenden als auch dem betreffenden operativen Absatz das Wort „entscheidet“ („decides“) voranzustellen.587 Der Verzicht hierauf jedoch schmälert die Rechtsverbindlichkeit dieser Vorgabe in keiner Weise, sondern schließt lediglich einstweilen aus, dass eine Nichtbefolgung unmittelbar mit militärischen Mitteln sanktioniert werden kann.588 II. Rechtsgrundlage in Kapitel VII SVN? Nicht nur auf der Tatbestandsseite hat der SR mit seinem abstrakten Gefahrenverständnis einen qualitativen Sprung vollzogen, sondern angesichts der generellen Handlungspflichten, die er den Staaten allgemein auferlegt hat, auch auf der Rechtsfolgenseite. Es ist folglich zu klären, ob Akte des Terrorismus bzw. die Proliferation von MVW als solche Friedensbedrohungen gem. Art. 39 SVN ausmachen und die auf der Grundlage von Art. 41 SVN beschlossenen Maßnahmen abstrakt-generelle Regelungen umfassen können. Immerhin hat der SR dadurch den Schritt vom „Weltpolizisten“ hin zum „Weltgesetzgeber“ vollzogen, der Ansätze eines internationalen Sonderordnungsrechts statuiert. Da eine Befugnis, abstrakte Gefahren als Friedensbedrohung zu qualifizieren, logischerweise abstrakt-generelle Regelungen nach sich zöge, sind beide Fragen eng miteinander verknüpft.589 Es fragt sich, ob diese neue Praxis sich auf entsprechende Befugnisse in der Charta stützen kann. Die Antwort ist im Wege einer Auslegung der Art. 39 und Art. 41 SVN zu ermitteln.
nen Entscheidungen (lediglich) unterstreichen sollte [zitiert nach M. C. Wood, The Interpretations of Security Council Resolutions, MPUNYB 2 (1998), 73 (90)]. 586 R. Higgins, The Advisory Opinion on Namibia: Which Resolutions are Binding under Article 25 of the Charter?, ICLQ 21 (1972), 270 (275 ff.). 587 M. C. Wood, The Interpretations of Security Council Resolutions, MPUNYB 2 (1998), 73 (82). 588 Str., vgl. A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (76); J. Delbrück, Commentary on Art. 25, in: B. Simma (Ed.), The Charter of the United Nations: A Commentary, Vol. I, 2002, Paras. 8–14, 24. 589 A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (71).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats 1. Auslegung von Art. 39 und Art. 41 SVN
Die Auslegungsmethoden sind den Art. 31 ff. der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969 (WVK) zu entnehmen. Zwar findet die WVK als der jüngere Rechtstext gegenüber der Charta (die von ihrer Natur her ein völkerrechtlicher Vertrag ist, s. o. Kap. 4, B. II.) keine rückwirkende Anwendung (vgl. Art. 4 WVK). Die in der WVK normierten Grundsätze sind jedoch auch gewohnheitsrechtlich anerkannt. a) Wortlaut (grammatische Auslegung) Nach dem Wortlaut der Art. 39 und Art. 41 SVN bleibt die aufgeworfene Frage offen. Eine „Bedrohung des Friedens“ i. S. v. Art. 39 SVN legt zwar eine konkrete Situation nahe, schließt aber nicht aus, dass hiervon – im Gegensatz zum „Bruch des Friedens“ – auch allgemeine Gefährdungen oder Gefahren erfasst sein können. Mit Blick auf die zulässigen nicht-militärischen Maßnahmen enthält Art. 41 SVN eine Aufzählung, die jedoch nicht abschließend ist. Allerdings deutet auch hier die ausschließliche Erwähnung von Maßnahmen, die die Unterbrechung von Wirtschaftsbeziehungen und Verkehrsmöglichkeiten sowie der diplomatischen Beziehungen zum Gegenstand haben, darauf hin, dass sie auf einen konkreten „Störer“ abzielen, dessen völkerrechtsgemäßes Verhalten erzwungen werden soll. Die abstrakt-generelle Regelung rein potenzieller Gefahren geht über derlei Fälle wesentlich hinaus. b) Regelungszusammenhang (systematische Auslegung) Eine ähnliche Tendenz ergibt die systematische Auslegung der Art. 39 und Art. 41 SVN. So setzen bereits die Art. 33, 34 SVN, die dem Kap. VII vorausgehen, eine „Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit zu gefährden“ bzw. eine „Situation, die [. . .] eine Streitigkeit hervorrufen kann“, voraus. Wird hier also an konkrete Konflikte angeknüpft, muss dies erst recht für Kapitel VII gelten, dessen Anwendbarkeit – von der Rechtsfolgenseite aus betrachtet – erhöhten Anforderungen unterliegt. Auch der Vergleich mit den tatbestandlichen Alternativen in Art. 39 SVN selbst, d. h. mit einer „Angriffshandlung“ oder einem „Bruch des Friedens“, spricht für das Erfordernis einer konkreten Gefahr. Art. 40 SVN schließlich ermächtigt den SR zu vorläufigen Maßnahmen gegen „die beteiligten Parteien“, was zwingend einen bestehenden Konflikt voraussetzt, dessen Parteien die Adressaten sind. Dieses Verständnis wird bestätigt durch die Ziele und Grundsätze der VN in Art. 1 und Art. 2 SVN. Auch wenn dem Begriff der „Bedrohung“ des
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Friedens ein gewisses prognostisches Element immanent ist, der SR also durchaus präventiv agieren darf, sollte letztlich folgender „Merksatz“ von Matthew Happold gelten: „The Council can only react to particular threats. It cannot legislate to prevent them from arising.“590 Auch die Funktionsteilung zwischen den (Haupt-)Organen der VN nach dem System der Charta (s. o., I.) geht offenbar davon aus, dass der SR die Rolle des „Polizisten“ bzw. der Exekutive innehat (vgl. Art. 24 SVN sowie die travaux préparatoires591), während die „Entwicklung des Völkerrechts“ – wie die Statuierung eines besonderen Ordnungsrechts – Sache der GV ist (Art. 13). Dies gilt umso mehr für die Rüstungskontrolle, da dieser Politikbereich in Art. 11 SVN ausdrücklich der GV zugewiesen ist, wohingegen dem SR gem. Art. 26 SVN nur die untergeordnete Aufgabe zukommt, „Pläne auszuarbeiten, die den Mitgliedern der [VN] zwecks Errichtung eines Systems der Rüstungsregelung vorzulegen sind“. Damit ist zur Bekämpfung der Gefahren, die von der Produktion sowie Weitergabe von MVW ausgehen, ein satzungsmäßiger Mechanismus vorgegeben.592 Nur die GV als Repräsentativorgan ist befugt, Kodifizierungen im Rahmen völkerrechtlicher Abkommen zu erarbeiten, die im Bereich der Rüstungskontrolle von ihrem Umfang her im Übrigen zu einem dichten Regelungsregime ausgewachsen sind. Und selbst hier, also trotz Partizipation am Zustandekommen der Kodifizierungen, bleibt der Beitritt zu den Abkommen letztlich der souveränen Entscheidung jedes einzelnen Staates überlassen. Angesichts dessen muss der Erlass allgemein-verbindlicher Resolutionen durch den SR im Zusammenhang mit der Systematik der Charta als Systembruch gewertet werden.
590 M. Happold, Security Council Resolution 1373 and the Constitution of the United Nations, LJIL 16 (2003), 593–610 (600); a. A. offenbar C. Tomuschat, Obligations Arising for States without or against Their Will, RdC 1993 IV, 195 (345): „[T]he Security Council [. . .] has the power to issue ‚secondary legislation‘ with a view to preventing concrete, actual threats from arising.“ 591 US-Präsident F. D. Roosevelt nannte die „Big Four“ (USA, RUS, CHN, GB, zu denen später F hinzukam) auch „the four policemen“, die – so die ursprünglichen Pläne z. Z. der Teheraner Konferenz vom November 1943 (Plan for the Establishment of an International Organization for the Maintenance of International Peace and Security) – das „Executive Committee“ der Organisation bilden sollten, zitiert nach Y. Z. Blum, Proposals for UN Security Council Reform, AJIL 99 (2005), 632 (635, Fn. 29). 592 A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (72).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
c) Ziel und Zweck (teleologische Auslegung) Schließlich ist die Charta „im Lichte [ihres] Zieles und Zweckes auszulegen“ (vgl. Art. 31 WVK). Auch dabei ist entsprechend dem objektiven Ansatz, der grundsätzlich für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge gilt, stets vom Vertragstext selbst auszugehen. Auch wenn die Auslegung i. S. d. effet utile darauf auszurichten ist, das Gestaltungsziel und den Regelungszweck bestmöglich zu erreichen, darf die teleologische Auslegung demnach nicht über die Grenzen von Wortlaut und Systematik hinausgehen.593 Angesichts der Funktionsaufteilung zwischen den Organen im VN-System und des Grundsatzes der gegenseitigen Rücksichtnahme sind diese Grenzen insoweit vorgezeichnet. Hier eine (systemwidrige) „Lücke“594 zu erkennen, die der SR ausfüllen müsse, um zur Wahrung von Frieden und internationaler Sicherheit über seine explizit in der Charta festgelegten (Exekutiv-)Kompetenzen hinauszugehen, fällt mit Blick auf die Natur der VN als internationaler Organisation sowie die übrigen VN-Organe, insbesondere die GV, schwer. Das gleiche gilt für mögliche implied powers. Als Mindestvoraussetzung wäre zu fordern, legislative Akte des SR als eine Art „Notgesetzgebung“ in Fällen dringender Gefahren595 zu befristen sowie mit einem Ersuchen an die GV zu verbinden, ihrerseits eine Konvention auszuhandeln, die mittelfristig an die Stelle der SR-Resolution treten könnte.596 593 Vgl. W. Heintschel von Heinegg, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, § 11, Rn. 10. Der IGH wendete diese Auslegungsmethode erstmals in seinem Gutachten zur Genozid-Konvention an, ICJ Reports 1951, 15 (24). 594 Als Zweck der S/RES/1540 (2004) wurde angegeben, die Lücke im internationalen Recht zu schließen, die mit Blick auf die Gefahr bestehe, dass Terroristen und (andere) nicht-staatliche Akteure in den Besitz von MVW kommen könnten, vgl. die Erklärungen anlässlich der Annahme der Resolution am 28.4.2004, Pressemitteilung SC 80/76. 595 M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 im völkerrechtlichen Kontext – Von Wirtschaftssanktionen zur Wirtschaftsgesetzgebung?, ZaöRV 63 (2003), 879 (913); J. D. Aston, Die Bekämpfung abstrakter Gefahren für den Weltfrieden durch legislative Maßnahmen des Sicherheitsrats – Resolution 1373 (2001) im Kontext, ZaöRV 62 (2002), 257 (283). Siehe auch den Beitrag der Schweiz in der offenen Debatte des finalen Entwurfs der S/RES/1540 (2004) am 22.4.2004, Pressemitteilung SC 80/70: „A legislative role by the Council was only acceptable in exceptional circumstances and in response to a particular urgent need.“ 596 So vorgeschlagen u. a. von Pakistan in einem „non-paper“ vom März 2004 [unveröffentlicht]; vgl. auch die offene Debatte des finalen Entwurfs der S/RES/1540 (2004) am 22.4.2004, Pressemitteilung SC 80/70, insbesondere die Erklärung wiederum der Schweiz: „Given the nature and the scope of the resolution, the planned measures should be understood as a provisional regime.“ A. A. S. Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 99 (2005), 175 (184).
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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Mit Blick auf S/RES/1373 war die größte „Not“ an sich in dem Moment abgewendet, als das Finanzierungsübereinkommen im Jahr 2002 dank der nunmehr ausreichenden Beitritte in Kraft getreten war. Die Resolution 1373 ist aber ungeachtet dessen in Kraft geblieben. Wie die folgende Erklärung des Gründungsvorsitzenden des CTC Sir Jeremy Greenstock belegt, ist das „1373-Regime“ geradezu darauf angelegt, eine ständige Einrichtung zu bleiben, deren Zweck weniger ist, einer spezifischen Gefahrensituation zu begegnen als vielmehr künftigen Entwicklungen vorauszugreifen: „Do not expect us to declare any Member State compliant, because resolution 1373 (2001) is open-ended, and the threats posed by various forms of terrorism will evolve.“597 Im Grunde vermag das Argument, dass eine Notgesetzgebung durch den SR erforderlich sei, weil die Verhandlung internationaler Konventionen sowie die anschließenden nationalen Ratifizierungsverfahren zu langwierig seien, aber auch für sich genommen nicht zu überzeugen. Denn erstens ist es Aufgabe des SR, konkrete Konflikte einer friedlichen Beilegung zuzuführen. Und zweitens ist dieser Umstand der Dauer und Komplexität genau der Preis multilateralen Handelns, dem aber der Gewinn gegenübersteht, dass die auf diese Weise vereinbarten Konventionen effektiver umgesetzt werden, was letztlich maßgeblich ist. Gerade im Hinblick auf ihre praktische Wirksamkeit, also den effet utile, dürften die legislativen Resolutionen 1373, 1540 sowie 1566 und 1624 – ebenso wie Resolution 1267 („legislating by list“598, s. o. A. III.) – demnach gegenüber entsprechenden völkervertragsrechtlichen Regimes, die von den Staaten selbst ausgearbeitet worden wären, deutlich zurückfallen. Denn im Vergleich zu multilateralen Konventionen leiden legislative Resolutionen des SR zwangsläufig an „unclear language, vague definitions, and lack of specific standards“.599 Hierbei zeigt sich, dass die „Abkürzung“ mühsamer Verhandlungen durch den Erlass einer Resolution lediglich dazu führt, dass die Klärungsprozesse von der Vor- in die Nachbereitung verschoben werden, wodurch für die Praxis nicht viel gewonnen ist. Im Fall der Resolution 1373 hat sich der SR zwar mit dem Finanzierungsübereinkommen noch stark an einen ausgehandelten Text gehalten, was sich auch in der vergleichsweise großen Durchschlagskraft dieser Resolution bemerkbar macht. Im Hinblick auf die Resolutionen 1540, 1566 und 1624 ist dies aber bereits anders gewesen – mit entspre597 Sir J. Greenstock, Work of the Counter-Terrorism Committee of the Security Council, in: UNODC (Ed.), Combating International Terrorism: the contribution of the United Nations, 2003, 36 (38). 598 I. Cameron, Targeted Sanctions and Legal Safeguards, NJIL 72 (2003), 159 (192). 599 S. Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 99 (2005), 175 (190 f.).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
chenden Konsequenzen für die Umsetzung (dazu sogleich). Die Resolutionen stellen sich letztlich als eine Art Rahmengesetzgebung dar, für deren Wirksamkeit der SR darauf angewiesen ist, dass die Staaten das Verständnis des SR teilen und über ausreichende Kapazitäten verfügen, um sie effektiv umzusetzen. Auch wenn allein der Umstand, dass ein Staat seinen Berichtspflichten zur Umsetzung der jeweiligen Resolution nicht nachkommt, genauso wenig ein Beweis für dessen mangelhafte Umsetzung ist, wie umgekehrt nicht zwingend davon auszugehen ist, dass ein Staat, der regelmäßig Berichte vorlegt, die inhaltlichen Vorgaben auch tatsächlich erfüllt, kann die Anzahl der eingereichten Berichte doch als ein Indiz für die (Nicht-)Befolgung der Resolutionen durch die Staaten herangezogen werden. Die Bilanz ist insoweit ernüchternd, und sie wird schlechter, je weiter der 11. September 2001 in die Vergangenheit rückt. In den ersten drei Jahren, also bis Ende September 2004, wurden dem CTC insgesamt 526 Berichte zur Umsetzung der Resolution 1373 übersandt. Während bis dahin also immerhin von jedem Staat zumindest ein Bericht vorlag, hatten indes nur 49 Staaten den zu diesem Zeitpunkt bereits fälligen vierten Bericht erstellt.600 Zwei Jahre später waren es lediglich 75 Berichte mehr, nämlich insgesamt 601 statt der an sich fälligen 960 Berichte (fünf Berichte pro Land).601 Hinsichtlich S/RES/1624 hatten binnen Jahresfrist [op. 6 c)] gerade einmal 69 der 192 Staaten ihre Berichte zur Durchführung der Resolution erstattet.602 Ein Jahr später, im Juli 2007 waren es mit 88 auch nur geringfügig mehr und nicht einmal die Hälfte aller „Pflichtigen“, und selbst bis zum Mai 2010 lagen lediglich 108 Berichte vor.603 Die Berichtsmoral hat also stark abgenommen und bleibt selbst gegenüber dem CTC als dem Ausschuss, der noch über die größte Autorität verfügt, weit hinter den Anforderungen zurück. Noch unzureichender sind die Ergebnisse mit Blick auf S/RES/1540. Bei Ablauf der halbjährigen Frist (op. 4), d. h. am 28. Oktober 2004, hatten nur 51 Staaten einen Bericht eingesandt.604 Selbst nach zwei Jahren, also am 20. April 2006, betrug die Zahl nur 129, so dass mit 63 Staaten nahezu ein Drittel von ihnen weiterhin untätig geblieben war. Wiederum zwei Jahre später, also volle vier Jahre nach Erlass der Resolution, lagen noch immer erst 150 600
Siehe Arbeitsprogramm des CTC, S/2004/820 vom 15.10.2004, S. 4. Siehe Briefings by Chairmen of subsidiary bodies of the Security Council vom 28.9.2006, S/PV.5538. 602 Erster Bericht des CTC an den SR zur Umsetzung der S/RES/1624 (2005), S/2006/737 vom 15.9.2006, S. 2. 603 Zweiter Bericht des CTC an den SR zur Umsetzung der S/RES/1624 (2005), S/2008/29 vom 21.1.2008, S. 2 sowie Briefing des CTC vom 11.5.2010, SC/9923. 604 Tätigkeitsbericht für die Periode 1.8. 2004 bis 31.7.2005 des SR an die GV, A/60/2 von 2005, S. 219. 601
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Berichte vor. Folglich sah sich der SR genötigt, in seiner jüngsten Folgeresolution S/RES/1810 vom 25. April 2008 die Staaten zu allererst (op. 1 und 2) daran zu erinnern, ihren Verpflichtungen aufgrund der Ausgangsresolution S/RES/1540 (2004) „unverzüglich“ nachzukommen.605 Gleichwohl blieb die Anzahl der Berichte auch zwei Jahre später im Mai 2010 noch bei unter 160; mehr als 30 Staaten hatten also auch zu diesem Zeitpunkt noch keinen einzigen Bericht abgegeben.606 Aber nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der eingegangenen Berichte entspricht vielfach nicht den Anforderungen, da sie wenig Aufschluss über die tatsächlichen Fortschritte liefern.607 Und selbst wenn die Berichte substantiiert sind, heißt dies noch nicht, dass die vorgesehenen Maßnahmen auch umgesetzt wurden.608 Schließlich leidet auch das ambitiöse 1267-Sanktionsregime an einer geringen Resonanz. Bis Oktober 2009 waren noch immer 36 Staaten ihrer bereits seit 2003 (aufgrund von S/RES/1455) bestehenden Berichtspflicht nicht nachgekommen. Von den Aktualisierungen (mittels checklists) ihrer Berichte, die den Staaten 2005 (gemäß S/RES/1716) aufgegeben worden war, fehlten sogar 131, also mehr als zwei Drittel.609 Bei einer Zwischenbilanz im September 2006 lagen 31 Staaten gegenüber allen drei Ausschüssen zugleich, d. h. dem CTC, dem 1267- und dem 1540-Ausschuss, die die internationale Gemeinschaft gemeinsam auf den Kurs der Terrorismusbekämpfung „trimmen“ sollen, mit ihren Berichtspflichten zurück.610 Diese Zahlen belegen, dass legislative Resolutionen des SR das Ziel und den Zweck der Charta praktisch nur sehr begrenzt zu fördern vermögen611, wenngleich für ihre Befürworter „das Glas halb voll“ ist und nicht halb leer. Aber selbst der CTC anerkannte in seinem (Zwischen-)Fazit Ende 605 Aufgrund von S/RES/1810 (2008), op. 8 und S/2009/170 vom 1.4.2009 wurde beschlossen, bis zum 31.1.2010 den nächsten Überprüfungsbericht zur Umsetzung der S/RES/1540 (2004) durch den 1540-Ausschuss vorzulegen. 606 Briefing des 1540-Ausschusses vom 11.5.2010, SC/9923 sowie dessen Bericht an den SR zur Umsetzung der S/RES/1540 (2004), S/2008/493 vom 30.7.2008, Annex IV., wo es auf S. 2 heißt: „[T]he Committee concludes that Member States need to do far more than they have already done to implement resolution 1540 (2004).“ 607 Bericht des 1540-Ausschusses an den SR zur Umsetzung der S/RES/1540 (2004), S/2006/257 vom 25.4.2006, S. 2, 28. 608 Briefing des 1540-Ausschusses vom 11.5.2010, SC/9923: „Many [of the nearly 160 States] reported legal measures to counter non-State traffic of weapons of mass destruction; many others, however, reported gaps in their legal regimes“. 609 Zehnter Bericht des 1267-Überwachungsteams, S/2009/502 vom 2.10.2009, VIII. Siehe auch oben, A. III. 610 Siehe Briefings by Chairmen of subsidiary bodies of the Security Council vom 28.9.2006, S/PV.5538, S. 3. 611 So auch – jedenfalls hinsichtlich S/RES/1540 (2004) – das Fazit von C. Ahlström, UN SC Resolution 1540: Non-proliferation by means of international legislation, SIPRI Yearbook 2007, Chapter 11 Appendix A.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
2005 „the need for a fresh look at the reporting regime [. . . and . . .] that the effectiveness of Council resolution 1373 (2001) depends on the continuing vigilance of all States“612 – eine „Wachsamkeit“, die der SR offensichtlich nicht in der Lage war und ist herbeizuführen. Eine ähnliche Bilanz ist für die Terrorismusdefinition des SR zu ziehen, der zu keinem Zeitpunkt eine auch nur annähernd allgemeine Anerkennung zuteil geworden ist. Statt den Terrorismus effektiv einzudämmen, war die Zahl terroristischer Anschläge im Jahr 2006 weltweit so hoch wie nie zuvor613, und bis heute [2010] sind sie nahezu an der Tagesordnung geblieben. Diese Umstände zeigen, dass der SR in seiner Struktur schlicht und einfach nicht dafür konzipiert und somit auch nicht geeignet ist, über die Köpfe der Staaten hinweg allgemein-verbindliches Sonderordnungsrecht zu schaffen, das dann auch sozial wirksam ist. Folglich ist auch die Charta nicht unter dem Gesichtspunkt des effet utile dahingehend auszulegen, dass der SR über entsprechende Befugnisse verfüge. Der Erlass legislativer Resolutionen durch den SR stellt sich vielmehr als Überschreitung der Ermächtigungsgrundlage des Art. 39 i. V. m. Art. 41 SVN sowie als systemwidrige Durchbrechung der Funktionsteilung zwischen den VN-Organen dar. d) Travaux préparatoires (historische Auslegung) Dieses restriktive Verständnis von den Befugnissen des SR bestätigen auch die vorbereitenden Arbeiten zur Charta als „ergänzende Auslegungsmittel“ (Art. 32 WVK). Bei Gründung der VN gingen die Staaten ersichtlich davon aus, dass der SR mit Sonderbefugnissen ausgestattet wurde, um in konkret friedensgefährdenden Situationen intervenieren zu können. Hierbei sollte er sogar nur zur vorläufigen Regelung befugt sein, um die Situation einer nachfolgenden friedlichen Streitbeilegung zugänglich zu machen [s. o., Kap. 4, B. II. 2. d) aa)].614 Dies schließt die Anknüpfung an nur abstrakte Gefahren i. R. v. Kapitel VII SVN von vornherein aus.
612 613
S/2005/800, Para. 31 vom 16.12.2005. Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums, F.A.Z. vom 2.5.2007,
S. 2. 614 Siehe auch J. A. Frowein/N. Krisch, Introduction to Chapter VII, in: B. Simma (Ed.), The Charter of the United Nations: A Commentary, Vol. I, 2002, Paras. 13.
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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e) Zwischenergebnis Eine am klassischen Kanon orientierte Auslegung ergibt, dass der SR nicht ermächtigt ist, im Wege abstrakt-genereller Regelungen Sonderordnungsrecht zu schaffen. 2. Staaten- und Organisationspraxis (dynamisch-evolutionäre Auslegung)
Das Handeln des SR wäre aber dennoch intra vires, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Charta sich seit ihrer Verabschiedung, d. h. Gründung der VN, entsprechend weiterentwickelt hat. Denn gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b i. V. m. Art. 5 WVK ist „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, [in gleicher Weise zu berücksichtigen]“. Dies gilt für die Charta, die die Funktion einer Verfassung für die internationale Gemeinschaft innehat [s. o., Kap. 4, B. II. 2. g)], in besonderem Maße. Für eine Evolution der Charta im Wege der Auslegung gibt es etliche Beispiele. Bei der Anwendung von Art. 27 Abs. 3 SVN werden etwa Enthaltungen der ständigen SR-Mitglieder als Zustimmung gewertet.615 Obgleich dieser Praxis sogar der Wortlaut der Vorschrift entgegensteht („Beschlüsse [. . .] bedürfen der Zustimmung [. . .] sämtlicher ständigen Mitglieder“), billigte der IGH sie mit der schlichten Feststellung, dass „[t]he procedure [. . .] has been generally accepted by the Members of the United Nations and evidences a general practice by the Organization.“616 Vorauszusetzen ist danach erstens der Nachweis einer entsprechenden Praxis des SR i. R. v. Kapitel VII SVN und zweitens – da der SR als bloßes Organ nicht die Kompetenz hat, die Charta zu ändern617 – die Zustimmung der Mitgliedstaaten.618 Dies gilt – auch wenn das Handeln eines Organs nicht unmittelbar den darin vertretenen Mitgliedstaaten zugerechnet werden kann – umso mehr, je weniger repräsentativ das handelnde Organ ist.619 615 Für weitere Beispiele siehe den Überblick bei M. Akram/H. S. Syed, The Legislative Powers of the United Nations Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 431 (448 ff.). 616 ICJ Reports 1971, 16 (22) – Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa). 617 J. Kammerhofer, The Armed Activities Case and Non-state Actors in Self-Defence Law, LJIL 20 (2007), 89 (100). 618 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (464); A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (74); E. Engel, Procedures for the De Facto Revision of the Charter, ASIL Proc. 59 (1965), 108 (115).
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Bei Übereinstimmung aller Mitgliedstaaten ist also eine formlose, de factoVertragsänderung („pactum tacitum“) auch außerhalb des formellen Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 108 SVN möglich. Allerdings ist eine Grenze erreicht, wo die Übung „den Rahmen des bestehenden Vertragswerks“, d. h. die Systematik und den Zweck, überschreitet620 oder – mit anderen Worten – „die Spannung zu den anderen Auslegungsfaktoren zu groß wird“.621 a) Erklärung des SR-Präsidenten vom 31. Januar 1992 Mit Blick auf die Feststellung einer Friedensbedrohung nach Art. 39 SVN, durch die der Anwendungsbereich von Kapitel VII SVN eröffnet wird, hat der SR bereits seit der weltpolitischen Wende von 1989/91 ein sehr weites (positives Friedens-)Verständnis offenbart und praktiziert [s. o., B. II. 2. f)]. Eine ausdrückliche Formulierung enthält die Erklärung des SRPräsidenten vom 31. Januar 1992, die das Ergebnis einer Sitzung vom selben Tag dokumentiert, die erstmals und bislang einmalig auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs abgehalten wurde, wodurch diese Aussage ihr besonderes Gewicht erhalten hat. Es heißt darin: „Die Abwesenheit von Krieg und militärischen Konflikten zwischen den Staaten garantiert für sich allein noch nicht den Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Die nicht-militärischen Ursachen von Instabilität im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich sind zu Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit geworden.“622 Wörtlich genommen stellt diese Erklärung nicht weniger dar als einen „coup d’état“623, da jegliche Anknüpfung an die Ausübung oder Androhung physischer (militärischer) Gewalt als Mindestvoraussetzung für Art. 39 SVN aufgehoben scheint. Bislang ist der SR jedoch weit davon entfernt, sämtliche der genannten Bedrohungen auch tatsächlich in seiner Resolutions-Praxis aufzugreifen. Insofern ist die Erklärung letztlich mehr als politischer Appell an die VN619 C. Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, 1998, 215. Strenger insoweit N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 389: „[. . .] Unterscheidung zwischen der organschaftlichen und der mitgliedstaatlichen Praxis und dem in dieser zum Ausdruck kommenden Willen der jeweiligen Akteure auch dann, wenn alle Mitgliedstaaten in dem handelnden Organ vertreten sind und Entscheidungen einstimmig fallen.“ 620 I. Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 1984, 138. 621 W. Karl, Die spätere Praxis im Rahmen eines dynamischen Vertragsbegriffs, in: R. Bieber/G. Ress (Hrsg.), Die Dynamik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1987, 81 (89 f.). 622 S/23500 vom 31.1.1992 [deutsche Übersetzung in: VN 40 (1992), 66]. 623 M. Koskenniemi, International Law and Hegemony: A Reconfiguration, CRIA 17 (2004), 197 (209).
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Mitgliedstaaten zu verstehen. Dafür spricht auch, dass der SR-Präsident in seiner Erklärung die nachfolgende Aussage trifft: „Die Mitglieder der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit müssen der Lösung dieser Angelegenheit höchste Priorität beimessen und dabei unter Einschaltung der zuständigen Gremien vorgehen.“ Hieraus geht vielmehr ein Verweis auf die GV und ECOSOC sowie andere zwischenstaatliche Institutionen als die „zuständigen Gremien“ hervor, zu deren Aufgaben die Bewältigung der skizzierten Probleme in erster Linie gehört. b) SR-Resolutionen seit den 1990er Jahren Resolutionen nach Kap. VII SVN mit (quasi-)legislativer Natur hatte der SR bereits vor 2001 erlassen. aa) S/RES/827 (1993) und S/RES/955 (1994) Häufig werden in diesem Zusammenhang die S/RES/827 (1993) und S/RES/955 (1994) zur Errichtung der Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien bzw. Ruanda (ICTY, ICTR) genannt. Da diese Gerichte aber mit den dortigen Bürgerkriegen auf spezifische Konfliktsituationen gerichtet waren bzw. sind, übte der SR hier letztlich doch in erster Linie seine Exekutivfunktion aus.624 Ein allgemeines völkerstrafrechtliches Regime wurde erst durch das Römische Statut und damit auf völkervertragsrechtlicher Grundlage geschaffen. Es ist auch zweifelhaft, ob dieser Fall überhaupt als Beispiel für den weiten Ermessensspielraum des SR i. R. v. Art. 41 SVN taugt. Wenn nämlich der SR schon nicht befugt ist, (nur) einzelne judikative Entscheidungen selbst zu treffen (s. u., C. I.), dann liegt der Einwand nahe, dass er erst recht ultra vires handelt, wenn er Gerichtshöfe errichtet, die dann die entsprechende Rechtsprechungstätigkeit ausüben.625 Der ICTY hingegen befand in der Tadic´-Entscheidung, dass der SR in Situationen, in denen die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit nach dessen Überzeugung Strafverfolgung erfordere, auf unabhängige Justizorgane angewiesen sei. Danach folge aus der Aufgabennorm zwar nicht die Befugnis zur Strafverfolgung und -rechtsprechung selbst, aber die Aufgabennorm stelle die materiell624
N. Krisch, The Rise and Fall of Collective Security: Terrorism, US Hegemony, and the Plight of the Security Council, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 879 (883). 625 So die Verteidigung im Tadic ´ -Fall, ICTY, Berufungskammer, IT-94-1-A vom 2.10.1995, Paras. 2 ff.
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rechtliche (Ermächtigungs-)Grundlage zur Errichtung der Nebenorgane dar, an die jene Befugnisse delegiert werden könnten.626 Diese Folgerung widerspricht allerdings dem Grundsatz nemo plus juris transferre potest quam ipse habet [s. o., Kap. 4, B. II. 3. b)]. Gleichwohl ist hier letztlich zu konstatieren, dass dieser Verstoß aufgrund der ganz überwiegenden und dauerhaften Akzeptanz durch die Staaten wie auch die GV als geheilt angesehen werden kann, zumal die Zuständigkeit der Gerichtshöfe eng definiert und sowohl zeitlich als auch räumlich streng eingegrenzt ist.627 Seit Inkrafttreten des Römischen Statuts im Jahre 1998 steht nunmehr der IStGH als Rechtsprechungsorgan zur Verfügung. Mit Erlass seiner S/RES/1593 am 31. März 2005 hat der SR auch erstmalig tatsächlich die Verfolgung von Verbrechen (hier: Darfur) dem IStGH übertragen, statt etwa ein neues ad hoc-Tribunal als ihm unterstehendes Nebenorgan zu errichten. In den Fällen Sierra Leones und Kambodschas schließlich hat sich die jeweilige dortige Regierung vertraglich mit den VN auf die Errichtung eigener Strafgerichtshöfe geeinigt. Hierdurch wird dem Vorwurf vorgebeugt, „Siegerjustiz“ zu betreiben, und zugleich dürfte es die Zeit und Kosten sparendere Lösung sein. Dies zeigt nicht nur, dass die VN über Alternativen zu SR-Resolutionen verfügen, also auch hier keine „Lücke“ zu verzeichnen ist, sondern dass die SR-Mitglieder sich offenbar selbst nicht ganz sicher sind, ob die Errichtung der Gerichtshöfe per Resolution rechtmäßig war.628 Insofern ist zu resümieren, dass die Schaffung des ICTY sowie des ICTR nicht unbedingt als Ausdruck einer entsprechenden Übung der Mitgliedstaaten anzusehen ist, auch wenn die große Mehrheit der Staaten dem SR in beiden Fällen (die freilich in einem Kontext stehen) gefolgt ist.629 Zwar hat der SR jüngst nochmals die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs zur Ahndung des tödlichen (terroristischen) Bombenanschlags auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri beschlossen (S/RES/1757 vom 30. Mai 2007).630 Allerdings wurde 626
ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic´, IT-94-1-A vom 2.10.1995, Paras. 32 ff. Dazu E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 338 ff. Siehe auch oben, A. III. 4. b) aa) (4) bei der Frage der Rechtsschutzdefizite im 1267-Sanktionsregime. 627 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (470). 628 S/RES/1593 (2005), op. 1 für den Fall Darfurs; zu den Gerichten für Sierra Leone und Kambodscha siehe http://www.weltalmanach.de/archiv/archiv_detail. php?id=810 [eingesehen am 18.5.2007]; dazu A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (470). 629 Explizit widersprochen hat nur eine kleine Minderheit, etwa Mexiko, siehe A/55/PV.95 vom 14.3.2001.
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dem Libanon darin noch eine Frist bis zum 10. Juni 2007 gesetzt, der Schaffung des Gerichts zuzustimmen, bevor der SR-Beschluss in Kraft treten würde. Nach deren Ablauf ersetzte die Resolution damit praktisch nur die Ratifikation des auch in diesem Fall bereits bilateral zwischen dem Libanon und den VN geschlossenen Abkommens über die Errichtung des Gerichts. Dieser Prozess war aus innenpolitischen Gründen zum Erliegen gekommen, als der libanesische Parlamentspräsident entgegen dem Mehrheitsvotum des Parlaments seine Zustimmung zu dem Abkommen verweigerte. In dieser Situation ersuchte der im Amt befindliche Ministerpräsident Fouad Siniora seinerseits den SR, den Gerichtshof „als eine Dringlichkeitsangelegenheit“ (also unter Kapitel VII der Charta) zu errichten.631 Vor diesem Hintergrund hatte sich auch GS Ban Ki-Moon beim SR für dieses Anliegen eingesetzt, das dann von der US-amerikanischen Ratspräsidentschaft aufgegriffen wurde. Gleichwohl fand die Resolution auch in diesem Fall nur die Zustimmung von 10 der 15 SR-Mitglieder, da die übrigen fünf Staaten – unter ihnen die ständigen Mitglieder RUS und CHN – den Anwendungsbereich von Kapitel VII SVN für Fälle dieser Art ausdrücklich als nicht eröffnet erachteten (gleichwohl aber kein Veto einlegten).632 bb) S/RES/1422 (2002) und S/RES/1487 (2003) Zeitlich zwischen den Resolutionen 1373 und 1540 gelegene Fälle legislativen Handelns sind die gleich lautenden S/RES/1422 (2002) und S/RES/1487 (2003). Der SR ersucht darin den IStGH, „beim Eintreten eines Falles, an dem derzeitige oder ehemalige Amtsträger oder Bedienstete eines zu einem Einsatz beitragenden Staates, der nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist, auf Grund von Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit einem von den VN eingerichteten oder genehmigten Einsatz beteiligt sind, [. . .] keine Ermittlungen oder Strafverfolgungen bezüglich eines solchen Falles einzuleiten oder durchzuführen [. . .]“ (op. 1). 630 Zuvor hatte der SR mit seiner S/RES/1595 vom 7.4.2005 die Errichtung einer International Independent Investigation Commission (UNIIIC) beschlossen, deren Aufgabe es war, die libanesischen Behörden bei der Aufklärung der Tat zu unterstützen. 631 S/2007/281 vom 16.5.2007. 632 „UN-Sicherheitsrat beschließt Hariri-Tribunal“, FAZ.NET vom 31.5.2007 [http://www.faz.net]. Praktisch nahm das Gericht allerdings erst am 1.3.2009 seine Tätigkeit auf und löste damit die UNIIIC ab. Anklage hat der Leiter der Ermittlungsbehörde Daniel Bellemare bis Ende 2010 nicht erhoben, zu komplex und heikel scheinen die politischen Verwicklungen; im Gegenteil wurden die der Tat verdächtigen libanesischen, von Syrien unterstützten Generäle im April 2009 aus der Untersuchungshaft entlassen; inzwischen richten sich die Ermittlungen vor allem gegen Mitglieder der Hisbollah.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Im operativen Absatz 3 beschließt der SR zudem, „dass die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen werden, die [damit (d. h. mit den Bestimmungen des op. 1)] unvereinbar sind.“ Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob es im Einklang mit Art. 16 des Römischen Statuts steht, die Jurisdiktion des IStGH für VN-geführte oder -autorisierte Operationen auszuschließen633, hat der SR hiermit eine abstrakt-generelle Regelung getroffen.634 Auf Kritik stieß allerdings weniger diese Legislativtätigkeit des SR als vielmehr der Umstand, dass er hierbei auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta handelte, ohne zuvor überhaupt eine Friedensbedrohung nach Art. 39 SVN festgestellt zu haben.635 Der bloße Hinweis im Präambelabsatz 2 darauf, „wie wichtig die Einsätze der VN für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit sind“, kann diese konstitutive Feststellung, die den Anwendungsbereich von Kapitel VII erst eröffnet, jedenfalls nicht ersetzen. Während die Annahme der Resolution 1422 noch einstimmig erfolgte, lautete das Stimmenergebnis im Fall der Folgeresolution 1487 nur noch 12:3; auf eine weitere Verlängerung dieser Regelungen schließlich wurde angesichts der wachsenden Opposition gänzlich verzichtet. Damit sind auch diese Resolutionen für sich genommen noch nicht Nachweis einer gefestigten – durch die Staaten akzeptierten – legislativen Praxis des SR. c) Anti-Terrorismus-Resolutionen seit 2001 Möglicherweise ist aber mit den Resolutionen im Kontext der Bekämpfung des internationalen Terrorismus seit dem 11. September 2001 eine neue Übung entstanden. aa) S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004) Die Resolutionen 1373 sowie 1540 sind – wie gesehen (oben II.) – Paradebeispiele für Legislativakte des SR. Sie knüpfen an abstrakte Gefahren an und enthalten einen Katalog allgemeiner Handlungspflichten. Die Reaktionen der Mitgliedstaaten auf diese Resolutionen sind zwar in der Summe 633 Vgl. außerdem die Vielzahl der bilateralen Abkommen, die die USA mit etlichen Staaten geschlossen haben, um den eigenen Staatsangehörigen Immunität zu verschaffen und die die Jurisdiktion des IStGH weiter untergraben, siehe dazu N. Eitelhuber, Der 17. Juli – Welttag der internationalen Gerichtsbarkeit, Diskussionspapier der SWP, 2003, 3. 634 S. Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 99 (2005), 175 (177 f.). 635 Bzgl. S/RES/1422 siehe S/PV.4568 vom 10.7.2002; bzgl. S/RES/1487 siehe S/PV.4772 vom 23.4.2003.
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positiv, aber zunehmend gemischt. Sollte die Praxis des SR den Rahmen des bestehenden Vertragswerks überschritten haben (s. o., 6.), könnte aber auch selbst eine nachfolgende Zustimmung der Staaten dies nicht heilen. Mit Blick auf die abstrakte Feststellung einer Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ließen sich hier noch folgende Argumente anführen. Resolution 1373 wurde im unmittelbaren Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 erlassen, so dass der SR diese konkrete Situation vor Augen hatte. Allerdings hat er auch in seinen Nachfolge-Resolutionen an der Formulierung, dass „jede Handlung des internationalen Terrorismus“ eine Friedensbedrohung darstelle, festgehalten, so dass diese Feststellung sich letztlich doch auf eine nur abstrakte Gefahr bezieht. Da die Staaten sich bis dato auf keine allgemein-verbindliche Terrorismusdefinition geeinigt haben, ist sie zudem noch äußerst unbestimmt. Resolution 1540 greift sowohl die bereits zitierte Präsidentielle Erklärung S/23500 vom 31. Januar 1992 als auch die von der GV verabschiedete Resolution A/RES/58/48 vom 8. Januar 2004 auf. Die GV zeigte sich „[d]eeply concerned by the growing risk of linkages between terrorism and weapons of mass destruction, and in particular the fact that terrorists may seek to acquire weapons of mass destruction“ (pp. 3). Der SR hatte in seiner vorgenannten Erklärung sogar ausdrücklich festgestellt, dass [t]he proliferation of all weapons of mass destruction constitutes a threat to international peace and security.“ Auch wenn der SR sein Handeln damit auf eine breite Grundlage gestützt hat, kann dies alles aber letztlich nicht genügen, um ohne konkrete Gefahr allen 192 Staaten unter Berufung auf Kap. VII einen Katalog verbindlicher Handlungspflichten aufzugeben. Ebenso ist zu unterscheiden zwischen einerseits der übereinstimmenden allgemein-politischen Einschätzung der Staaten, dass der Terrorismus und die Proliferation von MVW eine Gefahr für die internationale Sicherheit darstellen, sowie andererseits der Frage, ob der SR hieraus ein Mandat für sich ableiten kann. Zwar wurden beide Resolutionen einstimmig mit 15:0 Stimmen angenommen. Diese Ergebnisse beweisen aber vor allem, dass es infolge des 11. September 2001 politisch ausgeschlossen war, gegen eine „Anti-TerrorismusResolution“ des SR zu stimmen oder sich auch nur zu enthalten. Die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA, die zunächst einer blinden Gefolgschaft gleichkam (vgl. den Blankoscheck zur Selbstverteidigung sowie das 1267-Sanktionsregime, oben A. II. und III.), wich aber allmählich einer nüchterneren Betrachtung. Während im Falle der Resolution 1373 noch selbst die E 10 praktisch übergangen worden waren [s. o., II. 2. a) bb)], ertrotzten sich im Vorfeld der Verabschiedung von Resolution 1540 selbst die Nicht-SR-Mitglieder eine offene, sehr kritisch geführte Debatte (aus-
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gehend von einer weltumspannenden Initiative Südafrikas, Kanadas, Mexikos, Neuseelands, Schwedens und der Schweiz).636 Mit Blick auf die behandelten sensiblen Themen der Nichtverbreitung von MVW sowie der Abrüstung übersandte Indien dem SR noch am Tag vor der Abstimmung folgende schriftliche Stellungnahme: „Indien wird keine von außen auferlegten Normen oder Standards, welchen Ursprungs auch immer, akzeptieren, die sich auf Angelegenheiten im Zuständigkeitsbereich seines Parlaments beziehen, einschließlich von Gesetzgebung, Bestimmungen und Maßnahmen, welche nicht mit den verfassungsmäßigen Vorschriften und Verfahrensweisen Indiens übereinstimmen oder die den nationalen Interessen Indiens zuwiderlaufen oder die seine Souveränität verletzen.“637 Pakistan, Schweden und Brasilien hatten ebenfalls „non-paper“ kursieren lassen, um ähnliche Bedenken vorzutragen. Diese breit angelegte Opposition gegen das „1540-Regime“ hat sich in einer entsprechend halbherzigen Umsetzung der Resolution fortgesetzt, indem selbst nach Ablauf von mehr als vier Jahren erst 155 Staaten – zudem inhaltlich lückenhaft – an den 1540-Ausschuss über ihre Aktivitäten berichtet hatten. Die Bilanz hinsichtlich Res. 1373 ist besser, hat sich aber ebenfalls zunehmend verschlechtert [s. o., 1. c)]. bb) S/RES/1566 (2004) und S/RES/1624 (2005) Auch die Resolutionen 1566 und 1624 schließlich reihen sich in diesen Abschwung ein. Der Terrorismusdefinition des SR aus Res. 1566 wird offen widersprochen, während die Arbeiten an dem Umfassenden Übereinkommen über den internationalen Terrorismus noch immer zu keinem Abschluss gekommen sind und die neu geschaffene (1566-)Arbeitsgruppe sich bislang nur mit sich selbst beschäftigt hat.638 Mit der marginalen Resonanz auf Res. 1624 schließlich ist ein vorläufiger Tiefpunkt in der Befolgung von SR-Resolutionen durch die Mitgliedstaaten erreicht.639
636
Siehe S/8070 vom 22.4.2004. Dazu auch I. Johnstone, Legislation and Adjudication in the UN Security Council: Bringing Down the Deliberative Deficit, AJIL 102 (2008), 275 (290 f.): „[. . .] the political climate had changed in the years between 9/11 and early 2004“. 637 Siehe S/2004/329 vom 27.4.2004. 638 Siehe oben, A. III. 8. sowie unten Teil 3. 639 Dazu bereits oben unter 3. Auch der jüngste zweite Bericht zur Umsetzung der S/RES/1624 (2005) vermag keine Trendwende festzustellen, vgl. den Bericht S/2008/29 vom 21.1.2008 sowie das Briefing des CTC-Vorsitzenden Ricardo Alberto Arias vom 14.11.2007, http://www.un.org/sc/ctc17nov07.shtml [eingesehen am 28.12.2007].
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d) Zusammenfassung Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass sich in der Summe – auch seit 2001 – keine hinreichende Übung herausgebildet hat, nach der legislative Kompetenzen des SR begründet worden wären. Die genannten Resolutionen sind ultra vires, also rechtswidrig, ergangen und nur durch die (mehr oder weniger einwilligende) Befolgung durch die Staaten im Einzelfall geheilt worden. Denn es gilt, dass „[a]cquiescence to an ultra vires act of an organ does not automatically imply that the States accept the formation of a rule empowering the organ to act in that way in the future“.640 Letztlich ist den Mitgliedstaaten mangels einer Überprüfungsinstanz, die sie hätten anrufen können, und angesichts des Vorgehens nach Kapitel VII, das wie ein Damokles-Schwert über ihnen hing, gar nichts anderes übrig geblieben, als die Resolutionen wohl oder übel zu akzeptieren. Das aber reicht für eine Übung, die de facto die Charta ändert, nicht aus. 3. Fazit
Die legislative Praxis des SR ist nicht durch die Charta gedeckt. Sie übersteigt nicht nur die Kompetenzen des SR als Organ, sondern bereits die Kompetenzen der VN als Verband gegenüber den Mitgliedstaaten. Abgesehen davon, dass sich keine Übereinstimmung (Übung) der Vertragsparteien über eine entsprechende Auslegung der Charta hat nachweisen lassen, wäre diese auch über eine dynamisch-evolutionäre Weiterentwicklung der Charta im Rahmen des bestehenden Vertragswerks – und damit über die zulässige Grenze jeder Fortentwicklung – hinausgegangen.641 Es ist ein Grundsatz des Völkerrechts – auch innerhalb der intergouvernementalen Organisation der VN –, dass Staaten keinen rechtlichen Bindungen unterworfen werden können, wenn sie dem nicht zugestimmt haben. Erlässt der SR nunmehr über seine Exekutivbefugnisse hinaus allgemein-verbindliche Normen auch gegen den Willen der Staaten – und zwar nicht nur einer Minder-, sondern sogar der großen Mehrheit der VN-Mitgliedschaft – modifiziert er die Koordinaten des VN-Systems grundlegend.642 Dafür ist jedoch 640 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (464). 641 Ebenso A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (75). Weniger streng J. A. Frowein/N. Krisch, Introduction to Chapter VII, in: B. Simma (Ed.), The Charter of the United Nations: A Commentary, Vol. I, 2002, Para. 23: „If, however, the States continue to endorse the exercise of true legislative functions by the Council, the original Charter conception might undergo significant change, as it has already done in other areas.“ 642 So auch L. M. H. Martínez, The Legislative Role of the Security Council in its Fight against Terrorism: Legal, Political and Practical Limits, ICLQ 57 (2008),
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eine formale Änderung der Charta nach dem Verfahren des Art. 108 SVN erforderlich. Zwar hat Stefan Talmon nicht Unrecht, wenn er die Auferlegung allgemeiner Handlungspflichten durch den SR lediglich als „generalisation of individual obligations“ und damit rechtmäßig ansieht.643 Dies gibt aber nur den Ausschnitt derjenigen Fällen wieder, in denen eine Friedensbedrohung tatsächlich vorliegt und der SR Sanktionen verhängt hat. In diesem Sinne wird auch vom 1267-Regime als einem „legislating by list“ gesprochen (s. o., 3.), was für sich genommen unproblematisch ist, sofern unter „legislating“ zumindest konkret- und nicht abstrakt-generelle Akte gemeint sind. Denn hier handelt der SR „anlass-“ bzw. „fallbezogen“644, wozu er ausdrücklich ermächtigt ist. Ein ähnlicher Einwand ist Christian Tomuschat entgegen zu halten, wenn er meint, „[t]he Security Council could venture to develop a subject-matter-specific understanding of Art. 39 [. . .].“645 Das Beispiel, das er vorträgt, um zu zeigen, dass „a regulatory power of the Security Council cannot be considered a novelty that would require specific authorization by the Charter“646, betrifft nämlich wiederum Sanktionen bzw. Embargos. Von derlei Maßnahmen geht die Charta in Art. 41 SVN indes ausdrücklich aus. Allerdings sind sie eben konkret-generell (i. S. e. Allgemeinverfügung) und nicht abstrakt-generell wie die Resolutionen 1373 und 1540 „[which] deal with generic issues and amorphous threats, not specific threats to international peace and security. The provisions of these resolutions are prescriptive, rather pre-emptive, and not limited to addressing imminent threats.“647
Es geht hier also darum, dass der Anwendungsbereich von Kapitel VII schon gar nicht eröffnet ist. Dies führt zu einem Problem, auf das Christian Tomuschat auch selbst hinweist: Das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten im Völkerrecht wird weiter ausgehöhlt, wenn eine kleine Minderheit der großen Mehrheit der Staaten allgemeine Verpflichtungen auferlegt und sich selbst faktisch von deren Geltung ausnehmen kann.648 „Auf dem Papier“ sind die Resolu333 (339 f.), A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (75). 643 S. Talmon, The Security Council as World Legislature, AJIL 99 (2005), 175 (182). 644 A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (74). 645 C. Tomuschat, Obligations Arising for States without or against Their Will, RdC 1993 IV, 195 (344). 646 Ebd., S. 346. 647 M. Akram/H. S. Syed, The Legislative Powers of the United Nations Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 431 (452).
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tionen des SR zwar unterschiedslos an alle Staaten gerichtet. Es beginnt aber bereits damit, dass überhaupt nur solche Regelungen Eingang in den Resolutionstext finden, die den partikularen Interessen der ständigen SRMitglieder nicht entgegenstehen. Diese Selektivität setzt sich bei der Durchsetzung der Regelungen fort. Während Vertragsregime über unabhängige Organe verfügen, die Verstöße gleichmäßig verfolgen, sind es mit Blick auf die vom SR errichteten Überwachungs-Ausschüsse letztlich die P 5, die entscheiden, gegen welche Staaten (sekundäre) Sanktionen verhängt werden, während sie sich selbst per Veto unangreifbar machen.649 Es ist vor allem diese Ungleichheit durch die Privilegierung der (ständigen) SR-Mitglieder, die es gebietet, die Sonderbefugnisse des SR streng an die Vorgaben der Charta zu binden (dazu oben, Kap. 4, B. II.). Nicht zuletzt geht es hierbei auch um die Gesetzgebungsautonomie der nationalen Parlamente bzw. das Demokratieprinzip. Angesichts seiner nicht-repräsentativen Zusammensetzung, seiner intransparenten Verfahren sowie des Veto-Rechts seiner fünf ständigen Mitglieder ist der SR gänzlich ungeeignet, als Legislativorgan für die VN zu fungieren.650 Dieses Legitimitätsdefizit des SR führt zwangsläufig auch zu praktischen Problemen bei der Implementierung der Resolutionen durch die Mitgliedstaaten, die sich mit ihren Belangen nicht repräsentiert sehen. Damit ist diese jüngste SR-Praxis nicht nur chartawidrig, sondern sie birgt auch die Gefahr, die Autorität des SR – und der VN insgesamt – zu untergraben. Jedenfalls erzielen die Resolutionen nicht den möglichen und erforderlichen Grad an praktischer Wirksamkeit, wenn die Staaten nicht hinter ihnen stehen. Denn keine Form der Zwangsausübung – zu der der SR sich auch erst einmal entschließen müsste – kann eine Umsetzung der Maßnahmen aus eigener Überzeugung ersetzen.651 Im Fall der S/RES/1373 (2001) tritt diese 648 Vgl. C. Tomuschat, Obligations Arising for States without or against Their Will, RdC 1993 IV, 195 (346). 649 Siehe hierzu P. C. Szasz, The Security Council Starts Legislating, AJIL 96 (2002), 901 (903). 650 A. Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Antiterrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006), 881 (889). Allerdings kommt Andrea Bianchi gleichwohl zu dem Ergebnis, dass der SR aus Gründen der Effektivität über legislative Kompetenzen verfüge, da „the SC’s exercise of powers under Chapter VII is the only available means of promptly producing general law. [. . .] However, . . . the heterogeneous character of its law [. . . has] yet to be consolidated in a true legislative process of general acceptance and uncontested legitimacy“. 651 L. M. H. Martínez, The Legislative Role of the Security Council in its Fight against Terrorism: Legal, Political and Practical Limits, ICLQ 57 (2008), 333 (356): „[. . .] impossibility of acting with a minimum of efficiency in fields where no broad international consensus is found.“
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Problematik bislang deswegen noch relativ schwach zutage, weil der materielle Gehalt der Bestimmungen im Wesentlichen mit dem Stand der 13 Anti-Terror-Konventionen, insbesondere dem Finanzierungsübereinkommen, übereinstimmt, die von der großen Mehrzahl der Staaten unterzeichnet und ratifiziert worden sind. Gravierender stellt sich die Sachlage aber im Hinblick auf die S/RES/1540 (2004) dar, die in ihrem Anwendungsbereich über die bloße Nichtverbreitung von MVW an nicht-staatliche Akteure hinausgeht. Der Erlass von Resolutionen führt hier dazu, dass die mulilateralen, gleich geordneten Waffenkontroll- und Abrüstungs-Regime unterwandert werden und die Neigung etwa der USA, sich diesen zu unterwerfen, zumindest in der Ära-Bush signifikant abnahm. Dies schwächt multilaterale Initiativen und treibt die internationale Ordnung immer weiter ins Ungleichgewicht einer Zwei-Klassen-Gesellschaft. Es muss also eingefordert werden – wozu Präsident Obama offenbar bereit ist –, dass abstrakt-generelle völkerrechtliche Normen multilateral vereinbart und nicht vom SR per Resolution oktroyiert werden. Je höher der Grad ist, zu dem ein Regelwerk in multilateralen Verträgen verankert ist, also von allen (Selbst-)Unterworfenen mitverhandelt wurde und für alle gleichermaßen gilt, desto größer ist sein „Rechtsgehalt“ und ist es nicht lediglich Ausdruck der jeweiligen Interessen der P 5.652
C. (Quasi-)Judikative Maßnahmen des Sicherheitsrats Zur Vervollständigung des Bildes soll kurz auf zwei (quasi-)judikative Maßnahmen hingewiesen werden, um zu zeigen, dass der SR über den Bereich der Exekutive hinaus nicht nur (quasi-)legislative Befugnisse in Anspruch nimmt, sondern eben auch (quasi-)judikative Beschlüsse fasst. Die Maßnahmen sind bereits aus den 1990er Jahren, betreffen aber mit Libyen den Fall, der den Auftakt für den SR markierte, sich mit dem internationalen Terrorismus i. R. v. Kap. VII SVN auseinanderzusetzen, sowie mit dem Irak das Land, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Mittelpunkt der Aktivitäten des SR gestanden hat. I. S/RES/731 und S/RES/748 (1992): Lockerbie-Fall Im Lockerbie-Fall (s. o., Kap. 3, B. II. 2.) forderte der SR Libyen durch S/RES/731 (1992), op. 3 sowie S/RES/748 (1992), op. 1 auf, die beiden Staatsangehörigen, die im Verdacht standen, die Anschläge auf das PanAm652 U. Hahn, Das Völkerrecht und die Überwindung der terroristischen Bedrohung, in: D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003, 74 (79).
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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Flugzeug verübt zu haben, den USA oder GB zu überstellen. Dieses Verlangen stellt eine Auslieferungsanordnung und damit eine (quasi-)judikative Maßnahme dar. Damit hat der SR „findings of fact a n d l a w “ vorgenommen653, ohne dass er die hieran geknüpften verfahrensrechtlichen Garantien von seiner Konstitution wie auch von seinem Selbstverständnis (als politischem Organ) her überhaupt einhalten kann. Das Recht eines Staates, seine Staatsangehörigen im Bereich der eigenen Hoheitsgewalt zu halten, um sie dort – bei Vorliegen der Voraussetzungen – selbst strafrechtlich zu verfolgen anstatt sie an andere Staaten auszuliefern, gehört zum Wesensgehalt der inneren Souveränität.654 Nicht einmal innerhalb der weitgehend homogenen und harmonisierten Europäischen Union sind hiervon Abstriche zuzulassen, wie das Verfahren um den Europäischen Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht erst in jüngster Zeit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat.655 Im vorliegenden Fall war Libyen nicht nur völkergewohnheitsrechtlich (Grundsatz des aut dedere aut iudicare), sondern nach Maßgabe der Montrealer Konvention auch völkervertragsrechtlich ausdrücklich berechtigt, die Angeschuldigten selbst strafrechtlich zu verfolgen.656 Zwar ist richtig, die völkervertragsrechtliche Ebene einerseits und die Dimension der völkerrechtlichen, kollektiven Friedenswahrung andererseits auseinander zu halten. Insofern greift der Einwand der eigenen Strafverfolgung gegenüber dem Auslieferungsersuchen nur bedingt, nämlich auf ersterer vertraglicher Ebene; dagegen würde insoweit Art. 103 SVN „stechen“. Es ist aber äußerst zweifelhaft, ob der Beschluss des SR fast vier Jahre nach dem Anschlag tatsächlich noch unmittelbar auf die Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens zielen konnte.657 653 E. Lauterpacht, Aspects of the Administration of International Justice, 1991, 44; D. W. Bowett, Judicial and Political Functions of the Security Council and the International Court of Justice, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 73 (84 f). Hervorhebung durch Verfasser. 654 K. Ipsen, Auf dem Weg zur Relativierung der inneren Souveränität bei Friedensbedrohung, VN 40 (1992), 41 (44 f.); A. F. Bauer, Effektivität und Legitimität: die Entwicklung der Friedenssicherung durch Zwang nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung der neueren Praxis des Sicherheitsrats, 1996, 216. 655 BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2005 – 2 BvR 2236/04. 656 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (468); I. Brownlie, International Law at the fiftieth anniversary of the United Nations, RdC 1995, 9 (222); Th. M. Franck, Fairness in the international legal and institutional system, RdC 1993-III, 218: „[T]he proposition that the Council may find the exercise of rights specifically protected by a universal treaty to be a threat to the peace is so radical as to call out for principled fairness-discourse, either in the Council or, if that body deems itself too „political“, then in a more dispassionate forum capable of holding the Council accountable to its own rules.“
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Diese Umstände sprechen dafür, dass der SR auf eine Empfehlung auf der Grundlage von Kap. VI SVN beschränkt gewesen wäre. Mit S/RES/731 (1992) hatte der SR auch zunächst eine solche unverbindliche Empfehlung erlassen. Als Libyen sich allerdings weigerte, dem Auslieferungsersuchen Folge zu leisten, legte der SR nach und erließ mit S/RES/748 (1992) eine Kap.VII-Resolution. Eine verbindliche Entscheidung wäre hier aber wohl nur von Seiten des nach der Montrealer Konvention zuständigen IGH system- und völkerrechtskonform gewesen.658 Wenn auch die primäre Verantwortung für Frieden und Sicherheit beim SR liegt, folgt hieraus jedoch keine Alleinzuständigkeit.659 Die zeitliche Abfolge der Vorgänge zeugt indes davon, dass der SR nicht einmal das Gebot eines rücksichtsvollen Miteinanders der VN-Hauptorgane beachtet. Denn offenbar aus Sorge, der IGH könne Libyen recht geben, erließ der SR seine Resolution 748 nur drei Tage, nachdem der IGH die mündlichen Verhandlungen zu den von Libyen beantragten vorläufigen Maßnahmen abgeschlossen hatte und ganze zwei Wochen vor dem vom IGH bereits angesetzten Verkündungstermin.660 Anzumerken bleibt, dass diese Resolution auch im SR selbst höchst umstritten war, erhielt sie doch lediglich 10 der 15 – d. h. eine einzige mehr als die mindestens erforderliche Anzahl von 9 – Stimmen. II. S/RES/687 (1991): Entschädigungskommission (UN Compensation Commission [UNCC]) Auch die Entschädigungskommission der VN für den Irak – um ein zweites Beispiel zu nennen661 –, die der SR auf der Grundlage von S/RES/687 (1991), op. 18 und im Rahmen von Kapitel VII errichtet hat, führt jedenfalls mittelbar zu (quasi-)judikativen Aktivitäten des SR.662 Denn die Kom657 B. Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, EJIL 10 (1999), 517 (522), hierbei auch auf die abweichende Meinung von Richter Bedjaoui verweisend. 658 B. Graefrath, Leave to the Court What Belongs to the Court – The Libyan Case, EJIL 4 (1993), 184 (188 ff.). 659 B. Martenczuk, The Security Council, the International Court and Judicial Review: What Lessons from Lockerbie?, EJIL 10 (1999), 517 (531). 660 Dazu B. Graefrath, Leave to the Court What Belongs to the Court – The Libyan Case, EJIL 4 (1993), 184 (185, 199). 661 Als drittes Beispiel kann die Festlegung des Grenzverlaufs zwischen dem Irak und Kuwait durch den SR bzw. dessen Iraq-Kuwait Boundary Commission aufgeführt werden [S/RES/687 (1991)]. Insoweit berief sich der SR zwar auf eine Grenzvereinbarung aus dem Jahr 1963, ohne selbst eine eigene Grenze zu setzen. Da aber der Irak diese Grenzvereinbarung nicht anerkannt hatte, handelte es sich gleichwohl um eine Entscheidung durch den SR, zu der er kaum berechtigt gewesen sein dürfte; dazu D. Akande, The International Court of Justice and the Security Council, ICLQ 46 (1997), 309 (321).
Kap. 5: Maßnahmen des Sicherheitsrats gegenüber den Staaten
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mission, dessen Aufgabe es ist, über Schadensersatzforderungen infolge der Besetzung Kuwaits durch den Irak zu entscheiden, ist ein Hilfsorgan des SR gem. Art. 29 SVN. Demnach stellt die UNCC gewissermaßen den Präzedenzfall für die erwähnten Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda dar, für die folglich ein ähnlicher Befund gilt wie für die UNCC. Wie auch in jenen Fällen fällt es hier schwer nachzuvollziehen, inwiefern diese (sekundär-)rechtlichen Fragen auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta vom SR behandelt werden müssten (und dürften). Darum, die Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit zu erzwingen, geht es hier jedenfalls nur noch sehr entfernt. So bilanzieren denn auch David D. Caron und Brian Morris, die beide für die UNCC tätig waren: „[T]he UNCC is not a [. . .] sanction [but] provides a m e a s u r e o f p r a c t i c a l j u s t i c e [. . .]“ (Hervorhebung durch Verf.).663 Nach der Charta ist der SR lediglich ermächtigt, eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens festzustellen. Dies kann, muss aber noch nicht einmal zwingend mit einer Völkerrechtsverletzung einhergehen. Hier nun zieht der SR – mittelbar – nicht nur die Befugnis an sich, darüber zu urteilen, ob eine Rechtsverletzung vorliegt, sondern auch, wie die hierdurch ausgelöste Schadensersatzpflicht zu beziffern ist.664 Zwar wurden dem Irak gewisse Partizipationsrechte in der Kommission zugestanden. Allerdings können diese den Anforderungen eines rule of law- bzw. due process-Standards, wie er für judikative, auf die Durchsetzung von Recht bzw. die Herstellung von Gerechtigkeit zielende Verfahren zu fordern wäre, nicht genügen.665 Denn sie erlauben es dem Irak lediglich, ergänzende Informationen und Stellungnahmen einzubringen, ohne aber Einfluss darauf nehmen zu können bzw. einen Anspruch darauf zu haben, ob sie auch in der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.666 Auch hier wäre also anstelle des SR bzw. 662 A. Zimmermann/B. Elberling, Grenzen der Legislativbefugnisse des Sicherheitsrats, VN 52 (2004), 71 (73). Die Resolutionen zur Errichtung der UNCC wie auch der ad hoc-Strafgerichtshöfe könnten auch als (Legislativ-)Akte der „Organisationsgesetzgebung“ aufgefasst werden. Hierzu wäre der SR aber ebenso wenig befugt gewesen. Im Übrigen beschränkt sich ihre Jurisdiktion – und ihre Existenz – auf jeweils einen konkreten Konfliktfall. 663 D. D. Caron/B. Morris, The UN Compensation Commission: Practical Justice, not Retribution; EJIL 13 (2002), 183 (185). 664 Nach ihrer Pressemitteilung PR/2009/5 vom 29.10.2009 hatte die UNCC bis zu diesem Datum mehr als 28 Mrd. US-Dollar an Entschädigung ausgezahlt. 665 M. Eichhorst, Rechtsprobleme der United Nations Compensation Commission, 2002, 233 f.; I. Brownlie, International Law at the fiftieth anniversary of the United Nations, RdC 1995, 9 (211 ff.). 666 N. Krisch, The Rise and Fall of Collective Security: Terrorism, US Hegemony, and the Plight of the Security Council, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 879 (889, Fn. 39).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
der UNCC als seinem Hilfsorgan vielmehr der IGH oder ein Schiedsgericht berufen gewesen, über die Schadensersatzansprüche bzw. -pflichten zu entscheiden.667 Gleichwohl gilt für die UNCC wie auch den ICTY und ICTR (die jedenfalls für sich in Anspruch nehmen können, den verfahrensrechtlichen Standards zu genügen), dass das Fehlen einer expliziten Rechtsgrundlage in der Charta für ihre Errichtung letztlich als durch die Praxis und die ganz überwiegende Zustimmung von Seiten der Staatengemeinschaft als geheilt angesehen werden kann [s. o., B. II. 2. b) aa)].668
Kapitel 6
Maßnahmen des Sicherheitsrats, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen und gegen die Verfassungsund Strukturprinzipien der Charta verstoßen Neben Maßnahmen des SR, die unmittelbar gegen Rechte der Staaten verstoßen (s. o., Kap. 5), gibt es auch solche, die die Staaten nur mittelbar in ihren Rechten als Mitglieder eines anderen, an sich zuständigen VN-Organs betreffen. Unmittelbar verletzt ist hier das jeweilige VN-Organ, gegen dessen (Organ-)Kompetenzen verstoßen wird. Ein Beispiel für eine solche binnenorganisatorische Kompetenzüberschreitung des SR im Kontext der Terrorismusbekämpfung nach dem 11. September 2001 ist der Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC; errichtet durch S/RES/1373) und insbesondere dessen „Neubelebung“ (revitalisation) durch die Schaffung eines Exekutivdirektoriums (Counter-Terrorism Executive Directorate [CTED]) auf der Grundlage von S/RES/1535 (2004). Zwar handelte der SR hier auf dem Gebiet der Friedenssicherung und kann er zur Wahrnehmung dieser Aufgabe entsprechende Ausschüsse als Nebenorgange einsetzen. In diesem Fall hat er aber, wovon außerhalb der VN vergleichsweise wenig Notiz genommen worden ist, seine Kompetenzen im Verhältnis zum Sekretariat bzw. GS sowie zur GV überschritten (dazu unter C.). Häufig greifen Maßnahmen aber auch unmittelbar in die Rechte der Staaten und Kompetenzen oder jedenfalls Funktionen anderer VN-Organe zu667 Für den IGH spricht sich aus J. Dugard, Judicial Review of Sanctions, in: V. Gowlland-Debbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 83 (89). 668 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (467).
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 297
gleich ein. Hierunter fallen die (quasi-)legislativen Maßnahmen des SR, die zwar bereits die Verbandskompetenzen der VN insgesamt überschreiten, aber auch die GV und z. T. den ECOSOC aus ihren Funktionen zur Entwicklung des Völkerrechts verdrängen, indem sie dem Prozess der Aushandlung von Konventionen vorgreifen. Ein wirklicher Eingriff liegt vor, wenn der SR Streitigkeiten an sich zieht, für die die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit des IGH begründet haben (zu beidem im Folgenden kurz unter A. und B.). Der SR beansprucht damit die Rolle des primus inter pares und schafft eine Hierarchie unter den Primärorganen, obgleich die Charta eine Funktionsteilung und Gleichrangigkeit der sechs Hauptorgane festschreibt. Dadurch gerät das austarierte institutionelle System der VN, das ein größtmögliches Maß an Legitimität gewährleisten soll, aus dem Gleichgewicht. Gleichzeitig „wirtschaftet“ der SR ineffizient, wenn er parallele Strukturen schafft, und führt er eine Zersplitterung (fragmentation) des Völkerrechts herbei.669
A. Eingriff in Kompetenzen der GV und des ECOSOC Indem der SR völkervertragsrechtliche Regime durch Resolutionen substanziell unterwandert und faktisch ersetzt, eignet er sich auf Kosten der GV treaty making- bzw. – indem er sie rechtlich verbindlich unter Kapitel VII der Charta erlässt – sogar legislative Funktionen an, die die Verbandskompetenzen der VN insgesamt überschreiten (s. o., Kap. 5). Mit seinem Zugriff – wiederum unter Kapitel VII – auf Fälle, in denen „wirtschaftliche, soziale, humanitäre und ökologische Verhältnisse zu Instabilität führen“670, hat der SR sich außerdem Themen zugewandt, die nach der Charta in die Zuständigkeit der GV und des ECOSOC fallen.671 Nach dem System der Charta sind die GV und der ECOSOC diejenigen Organe, in denen Gesetzesharmonisierungen mittels Übereinkommen herbeigeführt bzw. Empfehlungen formuliert werden. Dagegen ist die spezifische Aufgabe des SR, in konkret friedensbedrohenden Situationen den Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen, d. h. letztlich die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Konflikte vertraglichen Lösungen zugänglich werden.
669 Vgl. den Bericht der österreichischen Rechtsstaatlichkeits-Initiative, The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008, S. 14. 670 S/23500 vom 31.1.1992, s. o. Kap. 4, B. III. 6. a). 671 Hierzu L. Fasulo, An Insider’s Guide to the UN, 2004, 46.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
B. Eingriff in Kompetenzen des IGH Neben der Verdrängung der GV bzw. der von ihr geschaffenen völkervertragsrechtlichen Regime unterläuft der SR aber auch die Rechtsprechung des IGH, wofür der Lockerbie-Fall von 1998 das prominenteste Beispiel ist. Dort hat sich der SR durch den Erlass der S/RES/748 (1992) über die in Art. 14 Abs. 1 der Montrealer Konvention (die durch die GV ausgehandelt wurde) völkervertragsrechtlich vereinbarte Jurisdiktion des IGH hinweggesetzt und damit in dessen Kompetenzen eingegriffen (im Einzelnen s. o., Kap. 5, C. I.).672 Aber auch durch die Schaffung etwa der Entschädigungskommission (UNCC) durch S/RES/687 (1991) hat der SR dem Gedanken der „Organtreue“ – ebenso wie dem System der ihn ermächtigenden Regelungen in Kap. VI und VII der Charta – zuwider gehandelt. Gemäß Art. 36 Abs. 1 SVN hätte sich der SR besser darauf beschränkt, den Parteien Empfehlungen zur Bereinigung ihrer Streitigkeit zu erteilen. Für den hier vorliegenden Fall, dass über Rechtsfragen gestritten wird, ist der SR außerdem gehalten, durch Empfehlung darauf hinzuwirken, dass die Staaten die Sache dem IGH als dem Rechtsprechungsorgan der Organisation unterbreiten (Art. 36 Abs. 3 SVN), statt selbst bzw. durch ein Hilfsorgan Rechtsfindung etc. zu betreiben (s. o., Kap. 5, C. II.). Seit dem Corfu Channel-Fall im Jahr 1947 hat der SR von dieser Regelung allerdings nicht ein einziges Mal mehr Gebrauch gemacht.673
C. Errichtung eines „Parallel-Sekretariats“ durch S/RES/1535 (2004) Ist die S/RES/1373 (2001) auch in erster Linie deswegen in den Blickpunkt geraten, weil der SR hiermit als (Quasi-)Legislativorgan in Erscheinung trat (s. o., Kap. 5, C.), ist sie noch in einem weiteren Punkt nicht minder „innovativ“. Denn der SR hat durch sie mit dem Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (Counter-Terrorism Committee [CTC]) einen Ausschuss geschaffen, der sich in Gestalt und Funktion deutlich von bisherigen Ausschüssen unterscheidet (s. u., II.). In der Zwischenzeit hat der CTC auf der Grundlage von S/RES/1535 (2004) noch eine „Revitalisierung“ erfahren, indem ihm mit dem Exekutivdirektorium (CTED) eine Einheit sui generis unterstellt worden ist, durch den sich das „konstitutionelle System“ bzw. institutionelle Gefüge der VN weiter verschoben hat (III.). 672 E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 76 f. 673 S/RES/22 (1947) vom 9.4.1947 bzw. ICJ Reports 1947/48, 15.
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 299
I. Errichtung von Nebenorganen Auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 SVN (speziell: Art. 22 für die GV bzw. Art. 29 SVN für den SR i. V. m. ihrer jeweiligen Geschäftsordnung) können die Hauptorgane auch Nebenorgane schaffen und ihre Befugnisse an diese delegieren, um ihre Aufgaben zu erfüllen. In dieser Ermächtigungsnorm steckt aber zugleich auch ihre Begrenzung: Die Hauptorgane dürfen die Nebenorgane nämlich nicht mit Befugnissen ausstatten, die sie selbst nicht haben.674 Voraussetzung für die Errichtung von Nebenorgane ist außerdem, dass sie erforderlich sind. Der englische Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 SVN ist hier wieder einmal genauer, indem er ein „as [. . .] found necessary“ postuliert, während die deutsche Übersetzung davon spricht, dass „[j]e nach Bedarf“ Nebenorgane eingesetzt werden können. Der Bedarf – und erst recht die Erforderlichkeit – ist aber zu verneinen, wenn ein Hauptorgan mit der Schaffung eines Nebenorgans in den Kompetenzbereich eines anderen (Primär-)Organs der VN eingreift.675 Schließlich müssen bei ihrer Ausstattung die haushalts- und personalrechtlichen Regeln und bei ihrer Leitung die politischen Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten der Organisation beachtet werden. II. Der Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus (CTC) gemäß S/RES/1373 (2001) Nicht erst das CTED, sondern bereits der CTC ist eine bemerkenswerte und beispiellose Einrichtung innerhalb der VN. Davon zeugen schon zwei seiner Gründungsumstände. 1. Gestalt des CTC
Wie bei der Errichtung von Nebenorganen üblich wurde der CTC vom SR gem. S/RES/1373 (2001), op. 6 auf der Grundlage von Art. 29 SVN und im Einklang mit Regel 28 der vorläufigen Geschäftsordnung geschaffen. Er setzt sich aus den 15 SR-Mitgliedern zusammen, teilt sich aber für bestimmte Aufgaben (insb. die Überprüfung von Staatenberichten) in drei Unter-Ausschüsse (Sub-Committees A–C) auf, um effektiver zu arbeiten. Die drei Vorsitzenden dieser Unterausschüsse sind zugleich stellvertretende Vorsitzende des CTC als Plenum und bilden zusammen mit dem CTC-Vor674 A. Marschik, Legislative Powers of the Security Council, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 457 (469 f.). 675 Siehe auch D. Sarooshi, The United Nations and the development of Collective Security, 1999, 133: „The establishment of a subsidiary organ must not violate the delimitation of powers between principal organs specified by the Charter“.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
sitzenden dessen „Bureau“.676 In Ermangelung einer passenden „ordentlichen“ Kategorie im VN-System wurde der CTC allerdings – jedenfalls vorläufig – als besondere politische Mission (special political mission [SPM]) eingeordnet, was ein Novum bedeutet, da SPMs regelmäßig größere Einheiten bilden, die außerhalb des VN-Verwaltungssitzes in New York angesiedelt sind. Dabei sind sie von ihrem Wesen her die zivile Variante von Friedenssicherungsmissionen (peacekeeping operation [PKO]). Der Vorteil von SPMs ist deren haushaltstechnisch flexible Handhabung unter Abschnitt (section) 3, Politische Angelegenheiten (Political Affairs) des regulären VN-Budgets. In systematischer Hinsicht stellt sich dieser Titel für den CTC jedoch als inkonsistent dar.677 Darauf ist inzwischen reagiert und der CTC im Haushalt der Hauptabteilung für Politische Angelegenheiten (DPA) aufgenommen und verstetigt worden. Außerdem wurde mit der Ernennung des britischen Botschafters Sir Jeremy Greenstock zum Vorsitzenden mit der Regel gebrochen, dass Vorsitzende der SR-Ausschüsse stets Vertreter der nicht-ständigen SR-Mitglieder sind.678 Insbesondere die USA werden darauf gedrängt haben, in diesem Fall einen starken Vorsitz zu errichten und diesen mit einem engen Vertrauten (GB) zu besetzen, ist der CTC nach ihren Vorstellungen doch „aimed at globally exporting U.S. counter-terrorism legislation, particularly the U.S. Patriot Act“.679 2. Funktion und Mandat des CTC
Damit ist auch bereits die inhaltliche Ausrichtung des CTC genannt. Sir Jeremy Greenstock verzichtete in seiner Beschreibung der Ziele des CTC freilich auf die Referenz an die USA und drückte sich wie folgt aus: „Our job is to help raise the capability of every Member State to deal with terrorism on its territory. All Governments must take effective steps to ensure that there is no support, active or passive, for terrorism anywhere.“680 676
C. S. R. Murthy, The U.N. Counter-Terrorism Committee: An Insititutional Analysis, 2007, 5. 677 Vgl. Report of the Secretary-General, Estimates in respect of matters of which the Security Council is seized, A/C.5/57/23 vom 15.11.2002; Pressemitteilung GA/ AB/3601 vom 16.12.2003 des Fünften Ausschusses (der GV): „Finding that the treatment of financing of the CTC activities is inconsistent, the ACABQ [. . .] requests that it may be regularized.“ 678 Vgl. J. Finke/C. Wandscher, Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt, VN 49 (2001), 168 (172 f.); H.-P. Kaul, Die Sanktionsausschüsse des Sicherheitsrats. Ein Einblick in Arbeitsweise und Verfahren, VN 44 (1996), 96 (97). 679 J. E. Alvarez, Hegemonic International Law Revisited, AJIL 97 (2003), 873 (875). S. Schmemann, United Nations to get a U.S. Antiterror Guide, N.Y. Times vom 19.12.2001, B4.
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 301
Im Zeitpunkt der Verabschiedung der S/RES/1373 am 28. September 2001 war noch weitgehend offen, wie der CTC überhaupt arbeiten würde. Denn der SR hatte die Erarbeitung eines Mandats an den CTC selber delegiert (op. 7: „[Der SR] weist den Ausschuss an, seine Aufgaben festzulegen, binnen dreißig Tagen nach Verabschiedung dieser Resolution ein Arbeitsprogramm vorzulegen und im Benehmen mit dem Generalsekretär zu erwägen, welche Unterstützung er benötigt[.]“) Bereits in seinem ersten Arbeitsprogramm vom 19. Oktober 2001681, das seitdem vierteljährlich (ab 2007: halbjährlich682) fortgeschrieben und dem SR vorgelegt wird, hat der CTC es sich zur nach wie vor aktuellen Aufgabe gemacht, in einer ersten Stufe auf der Grundlage von nationalen Berichten eine Bestandsaufnahme über die nationalen Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus vorzunehmen. Daran anschließend ist die zweite Stufe einem Dialog mit den Staaten über die Fähigkeit ihrer Behörden, diese Gesetze anzuwenden, gewidmet. In diesem Rahmen fungiert der CTC als Kompetenzstelle und Bindeglied zwischen Staaten und internationalen Organisationen, um technische Hilfe (technical assistance) und beste Verfahrensweisen (best practices) etc. zu vermitteln [vgl. auch die Ministeriellen Erklärungen in den Nachfolge-Resolutionen S/RES/1377 (2001) sowie S/RES/1456 (2003)].683 Ausweislich seiner Leitlinien (guidelines) ist der CTC dabei von den Prinzipien der Kooperation, Transparenz und Unparteilichkeit (even-handedness) geleitet.684 Der CTC hat aber weder eine Definition von Terrorismus aufgestellt, noch unterhält er eine Liste von als solchen identifizierten terroristischen Organisationen. Stattdessen entscheidet der CTC lediglich im Einzelfall und im Einvernehmen aller seiner Mitglieder, ob eine Handlung als terroristischer Akt einzuordnen ist. Durch die S/RES/1624 (2005) ist das Mandat des CTC inzwischen inhaltlich um das Problem der Aufstachelung zur Begehung terroristischer Handlungen erwei680 Informationsblatt zum CTC aus dem Jahr 2003, hrsg. von der Ständigen Vertretung Großbritanniens bei den Vereinten Nationen und dem UNDPI. 681 S/2001/986. 682 S/2007/254 vom 4.5.2007 für den Zeitraum vom 1.1.–30.6.2007. 683 Siehe für einen Überblick über Mandat und Verfahren des CTC: E. Rosand, Security Council Resolution 1373, The Counter-Terrorism Committee, and the Fight against Terrorism, AJIL 97 (2003), 333 (334). 684 Ziffer 1 (c) der Leitlinien des CTC (Guidelines of the Committee for the Conduct of its Work) vom 16.10.2001, erhältlich unter http://www.un.org/Docs/sc/com mittees/1373/guidelines.htm [eingesehen am 1.7.2004]. Diese Leitprinzipien haben auch weiterhin ihre Gültigkeit bewahrt, vgl. etwa den Bericht des CTC zum Comprehensive Review des CTED vom 16.12.2005, S/2005/800, Para. 12 sowie die Präambel der Counter-Terrorism Committee’s Updated Working Methods vom 17.10. 2006, http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/workingmethods-2006-10-17.pdf [eingesehen am 24.8.2010].
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
tert worden. Außerdem ist mit der S/RES/1631 (2005) ein neuer Fokus auf institutionelle Kooperationen zwischen den VN und (anderen) internationalen sowie (sub-)regionalen Organisationen gelegt worden. Dem CTC die Rolle eines „international-verwaltungsrechtlichen Verordnungsgebers“ zuzusprechen685, erscheint vor diesem Hintergrund (zumindest im Nachhinein) etwas überinterpretiert, da weder die „best practices“ noch die gemeinsam mit dem UNODC von ihm entwickelten Mustergesetze für die Staaten verbindlich sind. Der SR „bekräftigt“ insoweit in S/RES/1335 (2004), pp. 6 lediglich seine „Aufforderung an die Staaten, [. . .] die Quellen für Hilfe und Beratung, die nunmehr verfügbar sind, voll in Anspruch zu nehmen“. Damit ähnelt der CTC in seiner Funktion – im Gegensatz zu den spezifischen, Einzelfall bezogenen und „mit Zähnen“ ausgestatteten Sanktionsausschüssen – eher einer Art „Clearingstelle“ (dies gilt entsprechend auch für den 1540-Ausschuss, s. o., Kap. 5, B. II. 2.). Nach seinem bisherigen Selbstverständnis verfolgt und verurteilt der CTC keine Staaten, die hinter ihren Verpflichtungen zurückbleiben (sog. non-performer). Zwar könnte der CTC dem SR entsprechende Empfehlungen durchaus erteilen, wie er es sich in seinen Leitlinien ausdrücklich vorbehalten hat und es auch von vielen Stimmen gefordert wird.686 In der Praxis hat sich der CTC hingegen dafür entschieden, möglichst als Partner der Staaten aufzutreten. Diese Strategie wird letztlich einer doppelten Einsicht geschuldet sein: Erstens verfügt der CTC nicht über die Durchsetzungsmechanismen, die in dieser Breite für ein robustes Vorgehen erforderlich wären. Und zweitens wäre ein derartiges Eingreifen in den meisten Fällen gar nicht geeignet, den Aufbau der notwendigen Strukturen in den betreffenden Staaten zu fördern, da es hier nicht nur am Umsetzungswillen, sondern mindestens ebenso sehr an den erforderlichen Umsetzungskapazitäten mangelt. Seit dem Jahr 2004 führt der CTC als bislang direkteste Form der „Konfrontation“ informatorische Staatenbesuche (state visits) durch.687 Dies geschieht allerdings nur mit vorheriger Zustimmung der betroffenen Staaten und auf der Grundlage von Richtlinien, die die eigenen Befugnisse detail685 M. Wagner, Die wirtschaftlichen Maßnahmen des Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 im völkerrechtlichen Kontext – Von Wirtschaftssanktionen zur Wirtschaftsgesetzgebung?, ZaöRV 63 (2003), 879 (903). 686 A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2004, 48. Ziffer 9 der Leitlinien des CTC vom 16.10.2001: „The Committee will submit regular reports, including recommendations as necessary, to the Security Council on the implementation of SCR 1373 (2001) [. . .]“. Ähnlich auch noch nach Punkt 1.2 der [im September 2010 aktuellen] CTC’s Updated Working Methods vom 17.10.2006. 687 Ausgehend von den Ergebnissen des „CTC-Reformberichts“ S/2004/70 vom 26.1.2004 sowie S/RES/1535, pp. 11 vom 26.3.2004: „Recognizing also the need [. . .] to visit States [. . .] to engage in a detailed discussion [. . .].“
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 303
liert festlegen.688 Im Laufe des Jahres 2006 hat der CTC mit dem Preliminary Implementation Assessment (PIA) außerdem ein neues Instrument eingeführt, mit dem auch praktisch endlich der Schritt von der ersten zur zweiten (Durchführungs-)Stufe vollzogen, d. h. „greater focus on States’ implementation and less on reporting as an end in and of itself“ gelegt werden soll.689 Die PIAs sollen zum einen auf eine breitere Grundlage an Fakten als bloß die Berichte der Staaten selbst gestellt werden. Zum anderen sollen Umsetzungs-Defizite benannt, konkrete Empfehlungen zu deren Beseitigung ausgesprochen und schließlich Fortschritte überprüft werden. Im Juni und Dezember 2009 erstattete der CTC dem SR auf der Grundlage der PIAs umfassend Bericht.690 Sanktionen sind aber trotz unbestrittener Defizite nach wie vor nicht anvisiert, obgleich es im Arbeitsprogramm des CTC weiterhin heißt: „The Committee will also continue to consider additional ways of addressing the cases of States that do not meet the requirements of resolution 1373 (2001).“691
Der Aspekt der Durchsetzung der Verpflichtungen ist mithin auf der Agenda verblieben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der CTC mit Blick auf seine Funktion und sein Mandat eine deutliche Ausnahmestellung im System der VN einnimmt. Diese wird auch dadurch unterstrichen, dass der CTC – als einziges Nebenorgan des SR überhaupt – zeitlich unbefristet errichtet wurde. Es entspricht insoweit lediglich der Übung, dass der jeweilige Vorstand des CTC halbjährlich durch eine Präsidentielle Erklärung des SR (-Präsidenten) im Amt bestätigt wird. Den besonderen institutionellen Charakter des 1373-Regimes, der im CTC zum Ausdruck kommt, hebt auch der damalige Anti-Terrorismus-Koordinator im US-Außenministerium Thomas 688
Siehe das Framework Document for CTC visits to States in order to enhance the monitoring of the implementation of Resolution 1373 (2001) in seiner Fassung vom 9.3.2005, http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/framework_for_statevisits.pdf, sowie die nachfolgenden Decisions by the CTC related to the framework document, http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/decisions-related-to-framework.pdf [jeweils eingesehen am 24.82010]. 689 Siehe die Procedures of the sub-committees of the CTC regarding the Preliminary Implementation Assessment vom 25.10.2007, http://www.un.org/en/sc/ctc/ docs/2007_10_25_pia_procedures.pdf, sowie die Revised Procedures of the CTC and its sub-committees for the „PIA stocktaking“ exercise vom 28.1.2010, http:// www.un.org/en/sc/ctc/docs/2010_01_28_pia_procedures.pdf [jeweils eingesehen am 24.8.2010]. 690 Survey on implementation of Security Council resolution 1373 (2001) by Member States, S/2009/620 vom 3.12.2009. Siehe auch C. S. R. Murthy, The U.N. Counter-Terrorism Committee: An Insititutional Analysis, 2007, 8. 691 Aktuell für die Periode 1.7.–31.12.2010 siehe S/2010/366, Annex Para. 11 vom 14.7.2010, aber auch bereits etwa S/2007/254, Annex Para. 6 vom 4.5.2007.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
McNamara hervor, nach dessen Einschätzung „resolution 1373 (2001) [. . .] is in fact a foundation for the international community to build a structure of an enduring nature that will address the problem of terrorism for many [. . .] years to come.“692 Damit aber wird der CTC praktisch zur „Organisation in der Organisation“, die freilich der GV als Forum der allgemeinen VN-Mitgliedschaft entzogen ist. Über die Ressourcen, die die 15 (SR-/ CTC-)Mitglieder aus ihren nationalen Kapazitäten beisteuern, hinaus, verfügte der CTC auch über eine – zuletzt elfköpfige – Expertengruppe (finanziert aus dem allgemeinen, regulären VN-Budget), die inzwischen im CTED aufgegangen ist. Durch diese strukturelle Neuerung hat der SR die Dimension des CTC nochmals erweitert und ein zweites Mal institutionellrechtliches Neuland betreten. III. Das Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus (CTED) gemäß S/RES/1535 (2004) Mit dem CTED (Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus/CTC) hat der SR sich – bzw. dem CTC – 2 ½ Jahre nach dessen Errichtung zusätzlich einen eigenen Unterbau als operative und administrative Funktionseinheit geschaffen. Wie die nachfolgende Untersuchung zeigen wird, hat der SR damit allerdings zulasten der Hauptabteilung für Politische Angelegenheiten (Department of Political Affairs [DPA]) sowie im Widerspruch zu allgemein-organisatorischen Strukturprinzipien der VN eine Parallelverwaltung zum VN-Sekretariat errichtet. Zugleich greift der SR dadurch in die Budget- und Personalhoheit der GV bzw. des GS ein. 1. Hintergrund: Neubelebung (revitalisation) des CTC
Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2003 hatten die USA und der damalige CTC-Vorsitz Spanien intensive Konzeptgespräche zur „Neubelebung“ des CTC aufgenommen, der trotz seiner Ausnahmestellung in seiner Durchschlagskraft hinter den Erwartungen seiner Protagonisten zurückblieb. Ziel der Reform war, den CTC in seinen Kapazitäten auszubauen, seine Effektivität zu erhöhen und gleichzeitig vom VN-Sekretariat – konkret: der Unterabteilung Nebenorgane des SR (SC Subsidiary Organs Branch) innerhalb des DPA – unabhängig zu machen. Das Mandat selbst sollte hingegen unverändert bleiben. 692 T. McNamara, Security Council resolutions, in particular resolution 1373 (2001), in: UNODC (Ed.), Combating International Terrorism: the contribution of the United Nations, 2003, 42 (42).
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 305
Auf der Grundlage eines Berichts des CTC-Vorsitzenden zu den Problemen bei der Umsetzung von S/RES/1373 vom 14. November 2003693 wurden innerhalb des CTC intensive Verhandlungen geführt, die schließlich in der Verabschiedung eines CTC-Reformberichts am 19. Februar 2004 mündeten. Waren die Reformmaßnahmen zunächst noch im Rahmen der anvisierten Resolution (bzw. ihres Entwurfs) behandelt worden, wurde die Diskussion dann zunehmend auf den Bericht verlagert und so scheinbar „heruntergestuft“. Abgesehen davon, dass die breite VN-Mitgliedschaft ohnehin gänzlich von den Beratungen ausgeschlossen war, hatte dies zur Folge, dass auch die übrigen CTC- (also: SR-)Mitglieder letztlich marginalisiert wurden. Während sie nämlich in dem Glauben belassen wurden, es werde lediglich ein Bericht ausgearbeitet, der den Rahmen möglicher Reformen aufzeige, verdichtete sich dessen Inhalt zusehends und gewann der Prozess eine Dynamik, die schließlich fast zwangsläufig darin mündete, dass der Bericht durch einen bloßen Verweis in der am 26. März 2004 finalisierten S/RES/1535 (wo es in op. 1 heißt: „[Der SR] macht sich den Bericht des [CTC] über seine Neubelebung zu eigen [. . .].“) praktisch in den Rang der Resolution (zurück-)gehoben wurde. Dementsprechend war es auch letztlich weniger die Res. 1535, um die heftig gestritten wurde, als vielmehr bereits der CTC-Reformbericht in seinen späteren Entwürfen, da faktisch hier die grundlegenden Koordinaten und sogar etliche Details festgelegt wurden. Da aber Frankreich und Großbritannien aufgrund ihrer „P 5-Sonderstellung“ innerhalb der VN nicht unbedingt immer mit der multilateral geprägten EU-Mehrheitslinie übereinstimmen und in jener Situation auch Spanien sich offenbar den USA näher fühlte als den „Bedenkenträgern“ des „alten Europa“694, vermochten die verbleibenden „E 9“ – Russland und China sind wegen ihres Veto-Rechts insoweit weniger auf Allianzen angewiesen – letztlich wenig auszurichten. Nominell hätten zwar neun Gegenstimmen gereicht, um die Resolution zu „kippen“. Aber abgesehen davon, dass auch diese verbleibenden E 9 eine sehr heterogene Gruppe darstellten, war es zu jenem Zeitpunkt politisch noch immer gänzlich undenkbar, gegen eine Anti-Terrorismus-Resolution zu stimmen. Lediglich Pakistan stellte seine Zustimmung zum Reformbericht ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass sich dieser als „consistent with 693
Als offizielles VN-Dokument veröffentlicht unter S/2004/70 vom 26.1.2004. Agence France Press in dem Artikel „UN Security Council debates revitalizing counter-terrorism committee“ vom 5.3.2004: „Others, notably European nations’ representatives, expressed reservations about reforming the committee which for the first time would have an executive body not under the authority of the UN secretary-general.“ Wie die Ernennung von Javier Rupérez zeigt, wurde Spanien dann auch erwartungs- (bzw. absprache-)gemäß mit dem Posten des Exekutivdirektors bedacht. 694
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the UN Charter and UN rules and procedures“ erweisen würde.695 Mangels einer kompetenten Stelle, dies verbindlich festzustellen, blieb diese Note jedoch zwangsläufig offen und am Ende folgenlos. 2. Schaffung des CTED
Im Folgenden seien der organisatorische Aufbau und die inhaltliche Ausrichtung des CTED beschrieben. a) Ausgestaltung und Mandat In seiner S/RES/1535 (2004), op. 2 beschloss der SR auf der Grundlage des CTC-Reformberichts696, dass sich „der neubelebte Ausschuss“ (d. h.: CTC) aus dem Plenum (plenary) seiner 15 Mitglieder sowie dem Präsidium (bureau), bestehend aus dem Vorsitzenden und seinen Stellvertretern, „unterstützt durch das Exekutivdirektorium“ (CTED), zusammensetzt. Gemäß operativem Absatz 3 wird das CTED von einem Exekutivdirektor geleitet, der „nach Absprache mit dem Rat und vorbehaltlich seiner Zustimmung“ vom GS ernannt wird. Seine Aufgaben sind detailliert im CTC-Reformbericht aufgeführt: Im Kern geht es darum, das Plenum und den Vorsitz zu beraten und die Umsetzung ihrer Entscheidungen zu gewährleisten. Dabei soll das CTED gemäß den „durch das Plenum vorgegebenen Richtlinien“ vorgehen (operativer Absatz 2). Hinsichtlich der näheren Ausgestaltung des CTED machte der SR im operativen Absatz 4 die folgenden Vorgaben: „[Der SR] ersucht den Exekutivdirektor [. . .], dem Plenum einen Organisationsplan für das Exekutivdirektorium [. . .] vorzulegen, der mit dem Bericht des Ausschusses [d. h.: CTC-Reformbericht] [. . .] vereinbar ist und der seine Struktur, seinen Personalbedarf, seinen Bedarf an Haushaltsmitteln, seine Managementleitlinien und seine Rekrutierungsverfahren enthält, unter besonderer Berücksichtigung der Notwendigkeit einer wirksamen, kooperativen Leitungsstruktur für das neue Organ [. . .], dessen Angehörige internationale Beamte nach Art. 100 der Charta der Vereinten Nationen sein werden [. . .].“ Zum ersten Exekutivdirektor wurde im Rang eines ASG am 14. Mai 2004 der Spanier Javier Rupérez berufen.697 Dieser legte dem SR – über den GS und den CTC – im Juli 2004 den Organisationsplan für das CTED 695 Schreiben des pakistanischen VN-Botschafters an den Vorsitzenden des CTC vom 19.2.2004 [unveröffentlicht]. 696 Proposal for the Revitalization of the CTC vom 19. Februar 2004, S/2004/124. 697 S/2004/390.
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vor, der am 12. August 2004 gebilligt wurde.698 Da der Plan eng am CTCReformbericht orientiert – und letzterer durch die Res. 1535 indossiert – ist, stimmen beide Texte in ihrem Inhalt weitgehend überein und ist das CTED auf dieser Grundlage errichtet worden. Das CTED verfügt danach über zwei Untereinheiten, nämlich das Büro für Bewertung und technische Hilfe (Assessment and Technical Assistance Office [ATAO]) sowie das Büro für Information und Verwaltung (Information and Administration Office [IAO]). Zum Stab des Exekutivdirektors gehören neben einem Sekretariat zwei persönliche Assistenten sowie ein Beamter (officer) für Fragen der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und des Asylrechts. Die Rekrutierung der ca. 40 Mitarbeiter/innen699, die aufgrund ihrer Kenntnisse auf den von Res. 1373 abgedeckten Fachgebieten ausgewählt wurden, zog sich allerdings bis zum 6. September 2005 hin700, so dass das CTED erst 1 ½ Jahre nach seiner förmlichen Errichtung auch praktisch funktionsfähig (operational) wurde. Aufgrund dessen wurde seine erste für den 31. Dezember 2005 vorgesehene Überprüfung durch den SR (S/RES/1535, op. 2) um ein Jahr zurückgestellt bzw. um einen zweiten Bericht ergänzt.701 Am 27. November 2007 ging das Amt des Exekutivdirektors an den australischen Botschafter Mike Smith über, dessen erste Aufgabe darin bestand, den Organisationsplan zu überarbeiten (siehe S/2008/80 vom 8. Fabruar 2008, angenommen vom SR durch S/RES/1805, op. 3 vom 20. März 2008). Die Aufgabenfelder blieben im Wesentlichen unverändert, doch konzentriert sich das CTED seitdem noch stärker auf die Vermittlung technischer Hilfe zum Aufbau nationaler Kapazitäten sowie den Aspekt der Menschenrechte. Hierzu wurden fünf nach Themen gegliederte Fachgruppen (technical groups) geschaffen, die in einer Matrixstruktur zugleich in den themenübergreifend zusammengesetzten regionalen Clustern arbeiten. Als Schwerpunkte werden weiterhin die Bereiche Kommunikation und Kooperation, insbesondere mit den Expertengruppen der anderen Anti-Terrorismus-Ausschüsse sowie dem Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung des GS, genannt. Das aktuelle Mandat läuft gemäß S/RES/1805, op. 2 am 31. Dezember 2010 aus, wurde nach einer weiteren Überprüfung702 aber gemäß S/RES/1963 (2010), op. 2 bis Ende 2013 verlängert (siehe auch unten 5. Ausblick).
698
S/2004/642. Eigene Angabe des CTED zum Stand 2007 unter http://www.un.org/terror ism/pdfs/fact_sheet_2.pdf [eingesehen am 20.6.2007]; weiterhin unverändert auch beim Stand 2010, siehe http://www.un.org/en/sc/ctc/aboutus.html [eingesehen am 25.9.2010]. 700 S/PRST/2005/64 vom 21.12.2005. 701 S/2005/800 vom 16.12.2005 sowie S/2006/989 vom 18.12.2006. 702 S/2010/616 vom 7.12.2010. 699
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b) Menschenrechtsschutz Die Einrichtung der o. g. Stelle eines Menschenrechts-Experten hatten viele Staaten und NGOs wegen der menschenrechtswidrigen Umsetzung von S/RES/1373 (2001) seit langem gefordert.703 Der CTC hatte dies allerdings stets mit Verweis auf sein Mandat zurückgewiesen704, was Ausdruck einer recht formalen Sichtweise ist. Zwar war bereits in S/RES/1456 vom 20. Januar 2003 der Absatz (op. 6) aufgenommen worden, dass „die Staaten sicherstellen [müssen], dass jede Maßnahme, die sie zur Bekämpfung des Terrorismus ergreifen, mit allen ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht im Einklang steht, insbesondere im Bereich der internationalen Menschenrechte, des Flüchtlingsvölkerrechts und des humanitären Völkerrechts.“ Mit der Überwachung beauftragte hingegen nicht der SR den CTC, sondern (nur) die GV den Hohen Kommissar der VN für Menschenrechte.705 Erst im CTC-Reformbericht wurde dem CTED aufgegeben, Verbindung mit dem Amt des Hohen Kommissars sowie anderen Menschenrechtsorganisationen aufzunehmen („liaise“). In der neuen Einsicht, dass der Menschenrechtsschutz dem Zweck der Terrorismusbekämpfung keineswegs zuwiderläuft, sondern im Gegenteil dessen Legitimität und Effektivität erhöht, ging der Exekutivdirektor über diese Vorgabe hinaus und richtete die Stabsstelle ein. Am 25. Mai 2006 adressierte der CTC darüber hinaus eine Policy Guidance regarding Human Rights an das CTED, in der er diesem aufgibt, den CTC im Verhältnis zu den Staaten explizit in Fragen der Menschenrechte zu beraten.706 Inzwischen ist das CTED auch Mitglied der Working Group on Protecting Human Rights while Countering Terrorism des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung. In all dem liegt ein bedeutender Wandel und Fortschritt, der nicht zuletzt auf die Erfahrungen mit dem 1267-Regime (s. o., Kap. 5, A. III.) zurückzuführen sein dürfte.
703
Siehe nur die VN-Menschenrechtskommissarin N. Pillay: „[Security Council] resolution 1373 [. . .] has had a very serious negative impact on human rights“, http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/rights/2009_10_09_hchr_brief.pdf [eingesehen am 25.9.2010]. 704 Siehe Sir Jeremy Greenstock am 18.1.2002, S/PV.4453, S. 5: „[The CTC] is mandated to monitor the implementation of resolution 1373 (2001). Monitoring performance against other international conventions, including human rights law, is outside the scope of the [CTC’s] mandate.“ 705 A/RES/58/187 vom 22.3.2004. Siehe auch den den Digest of Jurisprudence of the UN and Regional Organizations on the Protection of Human Rights while Countering Terrorism des Hohen Kommissars, auf den die Internet-Seite des CTC verweist: http://www.un.org/sc/ctc/humanrights.shtml [eingesehen am 25.6.2007]. 706 Policy Guidance PG.2, S/AC.40/2006/PG.2.
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 309 3. Satzungsrechtliche Probleme des CTED
Allerdings wirft die Struktur und Verortung des CTED im Gefüge der VN schwer wiegende institutionell-rechtliche, haushaltsrechtliche und personalrechtliche Probleme auf. In einem inoffiziellen Arbeitsdokument (non-paper) des damaligen USG Kieran Prendergast vom 9. Februar 2004 teilte das Sekretariat (DPA) dem CTC-Vorsitzenden seine entsprechenden „Comments on CTC reform“ mit.707 Die hier noch als „Ideen“ bezeichneten Pläne des CTC erwiesen sich allerdings als bereits weitgehend fix, als das Sekretariat derart spät und erst auf Druck einzelner „E 9“-Staaten widerwillig einbezogen wurde. Auch ein zweites Schreiben des damaligen ASG (und späteren slowenischen Staatspräsidenten) Danilo Türk vom 3. März 2004 an den CTC-Vorsitzenden vermochte kaum noch Änderungen herbeizuführen. Obgleich das Amt für Rechtsangelegenheiten (OLA) ihm darin attestierte, dass die Pläne für das CTED „not compatable with the Charter, neither in letter or spirit“ seien708, war die Bereitschaft seiner Protagonisten, von ihren Vorstellungen abzurücken, wenig ausgeprägt. So wurden selbst die beiden erwähnten Schreiben gegenüber den anderen CTC-Mitgliedern unterdrückt. Als der Vertreter des Sekretariats dem CTC seine Bedenken eine Woche später mündlich vortrug, „knickte“ aber auch dieser mangels politischer Rückendeckung ein. Damit nahmen der nur noch unwesentlich geänderte CTC-Reformbericht und dessen Indossierung durch die S/RES/1535 (2004) ihren Lauf. a) Institutionell-rechtlich Um die Besonderheiten des CTED („unique political accountability“709) zu verdeutlichen, soll zunächst kurz die Organisation des VN-Sekretariats allgemein und sodann die „Aufhängung“ des CTED dargestellt werden.
707 Unveröffentlicht; s. u. als Anhang A. Diese Stellungnahme bezog sich auf den 6. Entwurf des CTC-Reformberichts. 708 Unveröffentlicht; s. u. als Anhang B. Zur Zeit dieses Schreibens lag bereits der 10. Entwurf des CTC-Reformberichts vor, der sich als finale Fassung heraustellen und durch die S/RES/1535 (2004) indossiert werden sollte. 709 Vgl. die Einschätzung der Initiative Security Council Report vom Februar 2007, erhältlich unter http://www.securitycouncilreport.org/site/c.glKWLeMTIsG/ b.2461281/k.1E4/February_2007brReview_of_the_CounterTerrorism_Executive_Di rectorate.htm [eingesehen am 20.6.2007].
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aa) Organisation des VN-Sekretariats Nach Art. 97 SVN ist die Organisierung und Leitung des VN-Sekretariats Aufgabe des GS als höchstem Verwaltungsbeamten der Organisation (s. o., Kap. 2). In dieser Kapazität hat er eine Bekanntmachung zur „Organisierung der Abteilung für Politische Angelegenheiten (DPA)“ erlassen, die zum 1. Juni 2000 in Kraft getreten ist und die Organisationsstruktur des DPA vorgibt.710 Sie ist ergangen in Ergänzung seiner Bekanntmachung zur „Organisierung des Sekretariats der Vereinten Nationen“711, mit der GS Kofi Annan zu Beginn seiner Amtszeit Verwaltungsreformen eingeleitet hatte. Danach zählt es zu den Aufgaben (functions) des DPA, den SR in seiner Arbeit substanziell zu unterstützen, insbesondere Sekretariatsdienste zu leisten [Absatz 2.1 (d)]. Hierzu wurde die Abteilung für Angelegenheiten des SR (SC Affairs Division) eingerichtet, die wiederum in vier organisatorische Unter-Einheiten gegliedert ist, von denen vorliegend die Unterabteilung Nebenorgane des SR (SC Subsidiary Organs Branch) einschlägig ist. Will der SR also Sekretariatskapazitäten nutzen, stehen ihm diese innerhalb des DPA zur Verfügung.712 Daraus folgt allerdings zwingend, dass sie dem GS unterstehen und in die Sekretariatsstrukturen und -hierarchie eingebunden sind. bb) Verortung des CTED (1) Systemwidrige Einordnung zwischen Sekretariat und SR Von dieser Bindung hat sich der SR systemwidrig befreit, indem er das CTED zwar in das Sekretariat integriert hat, dessen politische Leitung aber nicht dem GS, sondern dem CTC – und damit dem SR, also einem anderen VN-Hauptorgan – übertragen hat (op. 2: „mit durch das Plenum vorgegebenen Richtlinien“ [in der authentischen englischen Version heißt es deutlicher: „under the policy guidance of the Plenary“]). Diese Unvereinbarkeit hat der SR zu verschleiern versucht, indem er das CTED (wie bereits ursprünglich und bis zum 1.1.2004 den CTC) in das Gewand einer besonderen politischen Mission (SPM) gehüllt hat (op. 2: „[Der SR] beschließt, dass der neubelebte Ausschuss [d. h.: der CTC] aus dem Plenum [d. h.: sei710 Siehe das SG’s bulletin, ST/SGB/2000/10, zur „Organization of the Department of Political Affairs“. 711 Siehe das SG’s bulletin, ST/SGB/1997/5 zur „Organization of the Secretariat of the United Nations“. 712 Vgl. auch noch Ziffer 2 (d) der Leitlinien des CTC vom 16.10.2001: „The Secretariat of the Committee will be provided by the Secretariat of the United Nations“.
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nen 15 Mitgliedern] bestehen wird – [. . .] sowie aus dem Präsidium [d. h.: dem Vorsitzenden und seinen drei Stellvertretern], unterstützt durch das Exekutivdirektorium [d. h.: dem CTED] [. . .], das als besondere politische Mission [. . .] eingesetzt wird [. . .].“ Im Vorentwurf der S/RES/1535 vom 2. März 2004 hatte es in op. 2 noch „frei heraus“ geheißen: „[. . . The CTED] to be established by the SecretaryGeneral a s a n i n t e g r a l p a r t o f t h e S e c r e t a r i a t “ (Hervorhebung durch Verf.). Wenn aber das CTED formal in das Sekretariat eingeordnet ist, „materiell“ hingegen nicht dem SG, sondern dem SR untersteht, entsteht ein institutionell-rechtlicher Widerspruch, den auch die Konstruktion einer SPM nicht aufzulösen vermag. Der bloße Hinweis auf die „Doppelnatur von SPMs“ und die „Klarstellung“, dass eigentlich nicht „as an integral part of the Secretariat“, sondern „o f t h e U N s y s t e m “ gemeint sei713, wirkt dabei recht hilflos. Auch die Referenz in der Präambel der Resolution (pp. 16) an den „speziellen Charakter“ (bzw. die „special nature“) von S/RES/1373 (2001), deren Umsetzung die S/RES/1535 dienen soll, vermag darüber nicht hinwegzuhelfen. Die Einkleidung in eine SPM ist darüber hinaus auch nicht sachgerecht, da SPMs als zivile Variante von PKOs an sich für Feldmissionen reserviert sind, während das CTED am Verwaltungssitz der Organisation in New York angesiedelt ist.714 (2) Unklare Verantwortungsstränge (Parallelen zum Oil for food-Programm) Die Rolle des GS als „Verwaltungschef“ der VN mit den entsprechenden Prärogativen ist keineswegs Selbstzweck, sondern soll klare Verantwortungsstränge (reporting lines) gewährleisten sowie eine Kontrolle und Steuerung der Verwaltungsabläufe ermöglichen. Zwar sind sowohl die Befugnisse, die die Charta dem Amt des GS verleiht, als auch die persönlichen Qualifikationen der bisherigen GS, die mehr Diplomaten oder Politiker denn Manager gewesen sind, hierfür letztlich unzureichend.715 Die 713 So der damalige stellvertretende Rechtsberater der Ständigen Vertretung der USA bei den VN Eric Rosand im Laufe der Verhandlungen der Resolution Anfang März 2003 [unveröffentlicht]. 714 Im Einzelnen ist die Unterscheidung der beiden Einheiten sehr vage, vgl. die Aussage des US-amerikanischen VN-Vertreters Christopher E. Wittmann bei den Verhandlungen des MINUCI-Mandats: „[T]here [will] be a time for the Committee to examine the difference between a [PKO] and a [SPM]. The Secretariat [has] not provided guidance on it. The Committee, however, should not let the need to discuss the matter interfere with the ability to get MINUCI sorted out quickly.“ (Pressemitteilung der GV, 5. Ausschuss, GA/AB/3595 vom 26.11.2003). 715 Vgl. die Einschätzung des Independent Inquiry Committee into the United Nations Oil-for-Food Programme (die sog. „Volcker-Kommission“), Management of
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grundlegenden Verfahrenssicherungen sind jedoch unabhängig von diesem zusätzlichen Reformbedarf und unbedingt zu wahren. Als warnendes Beispiel für einen Fall, der den VN außer Kontrolle geraten ist, ist das Oil for food-Programm zu nennen, durch dessen schlechte Verwaltung die Weltorganisation in den Jahren 2003–2004 in eine schwere Krise geraten ist (auch wenn die entsprechende Kampagne wohl nicht zufällig von den USA lanciert und forciert wurde, als es ihnen im Zuge des nicht von den VN mandatierten Irak-Kriegs vor allem darum ging, deren Legitimität zu untergraben). Das Oil for food-Programm war ähnlich konstruiert wie nunmehr das CTED, indem ihm ein Exekutivdirektor vorstand, der „zwei Hüte auf dem Kopf trägt“, also sowohl als auch – und im praktischen Ergebnis dann weder noch – dem SR (bzw. dessen 661-Ausschuss) und dem GS untergeordnet war. Wenn die S/RES/1535 (2004) in ihrem operativen Absatz 2 vorsieht, dass die politische Leitung (policy guidance) beim CTC liegt, während die betriebliche und administrative Aufsicht (managerial and administrative oversight) beim GS verbleibt716, so kann diese Aufteilung letztlich nur auf dem Papier, nicht aber praktisch funktionieren. Dem GS obliegt hier nämlich nur noch die rein formale Aufsicht, während er angesichts der inhaltlichen Leitung durch den CTC die Sachentscheidungen des SR (der über dem CTC steht bzw. mit diesem praktisch identisch ist717) nur „abnicken“ kann. Der GS wird damit zur Marionette gemacht, die keinen entscheidenden Einfluss auf das CTED hat, für dessen Fehler aber genauso und zu unrecht verantwortlich gemacht werden könnte und vermutlich gemacht würde wie im Fall des Oil for food-Programms, wo tatsächlich aber ebenso der 661-Ausschuss (bzw. die P 5) versagt hat. Um sich aus dieser Zwickmühle zu befreien, hat GS Kofi Annan denn auch als eine seiner letzten Amtshandlungen diplomatisch-höflich in der Form („The Security Council might wish to consider . . .“), aber in der Sache bestimmt, darauf „verzichtet“, dass das CTED dem CTC seine Berichte und Arbeitsprogramme durch ihn (den GS) übermittelt, wie es im CTC-Reformbericht – allerdings mehr pro forma – vorgesehen ist.718 Da „the past the Oil-for-Food Programme, Vol. I, Preface to Report of Committee, S. 3: „Whatever the founders had in mind, the SG – a n y SG – has not been chosen for his managerial or administrative skills, nor has he been provided with a structure and instruments conducive to strong executive oversight and control.“ 716 Zu den Hintergründen dieses „Kompromisses“ siehe I. Johnstone, Legislation and Adjudication in the UN Security Council: Bringing Down the Deliberative Deficit, AJIL 102 (2008), 275 (285). 717 Siehe ausdrücklich etwa S/2010/507, Para. 72 (f) vom 26. Juli 2010: „[T]he work of the Security Council subsidiary bodies is an inseparable part of the Council’s work“. 718 S/2004/124 vom 19.2.2004, IV. 15 (e) und (f).
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and projected activities of the [CTED] must necessarily reflect the policy guidance provided by the [CTC] itself“, schlug der GS vor, dass entsprechend das CTED dem CTC unmittelbar berichten möge.719 Der SR begrüßte diese Initiative postwendend am 20. Dezember 2006720, nachdem der CTC bereits in seinem ersten (Überprüfungs-)Bericht vom 16. Dezember 2005 auf die Notwendigkeit hingewiesen hatte, „to clarify the Executive Directorate’s reporting lines“.721 Auch wenn aus dieser Maßnahme des SG ein Stück Resignation spricht, ist es doch konsequent, wenn der GS – so dürfte sein Verhalten zu deuten sein – die Möglichkeit ausschlägt, Kenntnis über Sachverhalte zu erlangen, die er ohnehin nicht beeinflussen kann, für die er aber im Zweifelsfall Verantwortung tragen soll. (3) Übergeordnete Organisationsprinzipien Die Organisationsstruktur des DPA ist aber nicht nur Ausdruck der Prärogative des GS in Verwaltungsangelegenheiten, sondern auch übergeordneter Organisationsprinzipien, die allgemein für die VN gelten. Denn angesichts der früh ausufernden Praxis der VN-Organe, neue Untereinheiten zu schaffen, entschied die GV bereits 1974 im Anschluss an einen Bericht der Gemeinsamen Inspektionsgruppe der VN (Joint Inspection Unit) sowie entsprechende Empfehlungen des GS und des ACABQ, dass Neben-/Unterorgane zwecks sparsamer Mittelverwendung „unter normalen Umständen“ keine permanenten oder ad hoc-Einheiten mehr schaffen sollten, es sei denn, die GV stimme dem Vorhaben ausdrücklich zu. An die übrigen Hauptorgane richtete die GV die Bitte, eine gleich lautende Entscheidung hinsichtlich ihrer Untereinheiten zu treffen.722 Zwar ist hierin formal-rechtlich lediglich eine unverbindliche Vorgabe zu sehen. Politisch trägt diese Resolution allerdings an Gewicht, da sie unmittelbar die Finanzierbarkeit und Funktionsfähigkeit der VN und somit materiell ihre „Verfassung“ zum Gegenstand hat. Ob hier ungewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Ausnahme zugunsten des CTC/CTED rechtfertigen, ist zweifelhaft. Obgleich 719
Schreiben des GS an den SR vom 19.12.2006, S/2006/1002. S/PRST/2006/56 vom 20.12.2006: „The Security Council welcomes the letter from the Secretary-General dated 15 December 2006 [. . .] with regard to CTED’s reporting lines.“ 721 Comprehensive Review of the Counter-Terrorism Committee Executive Directorate, Bericht des CTC an den SR vom 16.12.2005, S/2005/800, Para. 10. 722 A/Res. 3351 (XXIX), op. 5: „D e c i d e s that subsidiary bodies of the General Assembly should not under ordinary circumstances create new standing bodies or ad hoc sessional or intersessional bodies which require additional resources without the approval of the Assembly and requests the other principal organs of the United Nations to take a similar decision with regard to their respective subsidiary bodies; . . .“. 720
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
die Terrorismusbekämpfung auch Jahre nach dem 11. September 2001 noch immer eine drängende Aufgabe der VN war und ist, so zeigt gerade dieser Umstand, dass an sich eine längerfristig angelegte und in das Gesamtsystem der VN integrierte Organisation angemessen und geboten gewesen wäre, anstatt eine separate Einheit zu gründen und sie dem SR – gleichsam zu dessen freier Verfügung – an die Hand zu geben, wo sie nur mangelhaft vernetzt ist und zu weiteren Doppelungen in den VN-Mandaten mit sich bringt (dazu unten Teil 3, Kap. 9, D.). b) Haushaltsrechtlich Diese institutionell-rechtlichen Ungereimtheiten finden zwangsläufig auch ihren haushaltsrechtlichen Niederschlag. Zugleich war das Haushaltsrecht aber auch Grund dafür, überhaupt auf das „SPM-Modell“ auszuweichen. Denn mit seinem Beschluss in S/RES/1535 (2004), op. 2, dass das CTED als besondere politische Mission (SPM) errichtet werden solle, gibt der SR unmittelbar die Finanzierung dieser Einheit vor. Während nämlich für Friedenssicherungsmissionen (PKOs) ein gesonderter Finanzierungsschlüssel zulasten der P 5 besteht (s. o. Kap. 2, C.), werden die Mittel für SPMs dem ordentlichen Haushalt entnommen. So stand hinter der Entscheidung für eine SPM neben der „Verschleierung“ seiner institutionell-rechtlichen Problematik vor allem auch das Ziel der P 5 (insbesondere der USA), die finanziellen Lasten für diese Einheit möglichst auf die Schultern aller VN-Mitglieder zu verteilen, anstatt sie primär selbst zu tragen. Dadurch wird jedoch der Widerspruch von Staaten wie vor allem Japan (aber auch Deutschland) hervorgerufen, das einem ähnlich hohen Beitragssatz wie die USA unterliegt, mangels SR-Sitz aber nicht in die maßgeblichen Entscheidungen über die Verwendung der Mittel einbezogen ist und sich als „Melkkuh“ fühlt (so dass der Vorwurf „sending only a bill without explanation“ geäußert wurde723). Die jährlich für den CTED zur Verfügung gestellten Gelder belaufen sich auf rund 8 Millionen US-Dollar.724 Ein früherer Vergleichsfall, das Verfahren um die Errichtung der United Nations Mission in Côte d’Ivoire (MINUCI), beleuchtet die haushaltsrecht723 So der japanische Vertreter bei den Verhandlungen des MINUCI-Mandats am 26.11.2003, Pressemitteilung der GV (Fünfter Ausschuss), GA/AB/3595. Zum Ausgleich der Befugnisse von SR und GV findet sich in der Mitteilung lediglich ein knapper Hinweis des VN-Vertreters von Sierra Leone, dass „in 1973 guidelines had been approved by the SC on the method of financing, which represented a compromise on the authority of the Council and the Assembly. The guidelines were subsequently endorsed by the Assembly.“ 724 C. S. R. Murthy, The U.N. Counter-Terrorism Committee: An Insititutional Analysis, 2007, 5.
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 315
liche Problematik sehr anschaulich. Hier hatte der SR sich in S/RES/1479 (2003) zunächst noch darauf beschränkt, die bloße Errichtung einer „Mission“ der VN zu beschließen (op. 1: „Decides to establish [. . .] a United Nations Mission“). Die Entscheidung über die Art der Mission – und damit die Finanzierungsquelle – hatte der SR hingegen der GV als dem dafür zuständigen Organ überlassen. Die GV hatte daraufhin entsprechend von ihren Kompetenzen Gebrauch gemacht und MINUCI als friedenserhaltende Maßnahme (d. h. PKO) qualifiziert. Dies wurde der Natur der Mission auch durchaus gerecht, hatte der SR doch selbst festgestellt, dass „the situation in Côte d’Ivoire constitutes a threat to international peace and security in the region“ (pp. 9). Allerdings entsprach die Einstufung der Mission als PKO nicht dem politischen Wunschdenken des SR, weshalb er beschloss zu intervenieren. So verfasste der damalige Präsident des SR und VN-Botschafter der USA John Negroponte ein Schreiben an den GS, in dem er diesem lapidar zur Kenntnis gab, dass das Mandat für MINUCI nicht das einer friedenserhaltenden Operation gewesen sei.725 Er schließt an, dass „[t]herefore, the Council recalls that the Department of Peacekeeping Operations i s to administer MINUCI as a Special Political Mission“ (Hervorhebung durch Verf.).726 Der Briefwechsel mit dem GS deutet an, wie sehr dieser – wie auch die GV – dem SR letztlich ausgeliefert ist, indem er auf höfliche Anmerkungen beschränkt ist, sich in der Sache aber fügen muss, obgleich er der „ChiefAdministrator“ der Organisation ist. So dankt er dem Präsidenten des SR für dessen Schreiben, „in which you convey the Security Council’s view that the Department of Peacekeeping Operations s h o u l d administer [MINUCI] as a „Special Political Mission“ for budgetary and other reasons“ (Hervorhebung durch Verf.).727 Er führt fort: „I have taken careful note of the view of the Security Council on this matter. Since the matter also relates to the administrative and budgetary aspects of a United Nations field operation, I have transmitted it to the attention of the President of the General Assembly. As the Security Council is aware, the Charter under Article 17 (2) assigns to the General Assembly the responsibility to apportion the expenses of the Organization.“
Deutlicher kann der GS sich gegenüber dem SR kaum ausdrücken. Nichtsdestotrotz formulierte der SR in seiner Nachfolge-Resolution 725 „The [SC] established the mandate for [MINUCI], which was not a peacekeeping operation.“ Siehe Schreiben des Präsidenten des SR, wiedergegeben im Dokument des GS A/58/535, Annex II vom 27.10.2003. 726 Schreiben des Präsidenten des SR wiedergegeben im Dokument des GS A/58/535, Annex II vom 27.10.2003. 727 Siehe Schreiben des GS, wiedergegeben im Dokument des GS A/58/535, Annex I vom 27.10.2003.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
S/RES/1514 (2003) in pp. 1 gänzlich unbeeindruckt und den Sachverhalt offensichtlich verdrehend: „The Security Council, [r]eaffirming its [. . .] resolution 1479 [. . .] which authorized the establishment of a special political mission in Côte d’Ivoire as confirmed in the letter of the [SC] President to the [SG . . .].“
Hieran hielt der SR sogar fest, obwohl er in seiner begleitenden Pressemitteilung ausdrücklich seinen „concern over a slowdown in the Ivorian peace process“ und die schweren Menschenrechtsverstöße ausdrückte728 – eine Einschätzung der Lage, die umso mehr für eine PKO denn für eine SPM als deren zivile – und substanziell schwächere – Variante sprach. Aus diesem Grunde hatte die GV die MINUCI-Mission auch als PKO klassifiziert, einer Beurteilung, der sich der GS vergleichsweise unverblümt angeschlossen hatte, indem er in seinem Schreiben abschließend formulierte: „I welcome the Security Council’s willingness to consider the possible reinforcement of MINUCI [. . .]“729 – nämlich im Wege einer Verstärkung hin zu einer PKO. Diese „Bereitschaft“ auf Seiten des SR war allerdings nicht mehr als eine bloße Floskel, da der SR nicht wirklich seinen Entschluss infrage stellte, MINUCI fortan als SPM – und damit nicht länger aus dem Haushalt für PKO, sondern aus dem ordentlichen VN-Haushalt – finanzieren zu lassen. Wie sehr dies dem vorgegebenen Haushaltsverfahren zuwiderläuft, verdeutlicht noch eine weitere Passage aus der Pressemitteilung, wo es heißt: „[T]he Assembly [. . .] would decide as a provisional and exceptional measure, to finance the Mission from the regular budget [. . .]“ (Hervorhebung durch Verf.).730
Der SR hatte sich damit über die haushaltsrechtlichen Prärogativen der GV hinweggesetzt und ihr den politischen Gestaltungsraum genommen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Vorgehen des SR bei der Errichtung des CTED. Um sich eine erneute Konfrontation wie im Fall der MINUCI und damit einen „Umweg“ zu ersparen, entschied der SR dieses Mal also unmittelbar in der betreffenden S/RES/1535, den Status des CTED als einer SPM vorzugeben und damit die GV festzulegen. Wenn der SR schon auf eine Sonderkonstruktion à la SPM auszuweichen suchte, hätte es dem Wesen des CTED allerdings besser entsprochen, dieses etwa als ein „Special Political Office“ zu gründen.731 Dies hätte zwar ebenso eine institutio728
Pressemitteilung GA/AB/3602 vom 18.12.2003. Siehe Schreiben des GS, wiedergegeben im Dokument des GS A/58/535, Annex I vom 27.10.2003. 730 GS A/58/535, Annex I vom 27.10.2003. – Durch S/RES/1528 vom 27.2.2004 entschied der SR dann letztlich doch, eine PKO zu errichten, nämlich die United Nations Operation in Côte d’Ivoire (UNOCI). 731 So der Vorschlag des damaligen Haushaltsreferenten der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den VN Miguel Berger [unveröffentlicht]. 729
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nelle Neuerung im Sekretariat dargestellt, durch seine ausdrückliche Benennung und Versehung mit einem eigenen Haushaltstitel aber wenigstens zu mehr Transparenz geführt. Insoweit bestand allerdings die Befürchtung, dass die GV bzw. dessen Fünfter Ausschuss ihre Ausstattung im Detail hinterfragen (sprich: behindern) würde. Denn hier bilden die Staaten der G 77 die größte Gruppe, für die sich die Terrorismusbekämpfung im Vergleich zu anderen Sachthemen wie die Entwicklungsförderung als weit weniger dringlich darstellt und die sich prinzipiell als Gegenmacht zur „unilateralen Politik der USA und ihrer Verbündeten“ begreift.732 Über die diversen SPMs hingegen wird nicht einzeln verhandelt, sondern sie werden in ihrer Gesamtheit im Abschnitt (section) 3, Politische Angelegenheiten (Political Affairs) des VN-Haushalts budgetiert, so dass insofern einkalkuliert werden konnte, dass das CTED gewissermaßen mit „durchgewinkt“ werden würde. Angesichts von aktuell ca. 30 verschiedenen SPM-Mandaten ist hier die Kontrolle also schon deshalb sehr weitmaschig geworden, weil man nicht auch „eigene Projekte“ gefährden will.733 Im ersten Resolutions-Entwurf vom 25. Februar 2004 hatte der SR die Lösung der Finanzierungsfrage noch vollständig auf den GS abzuwälzen und die GV zu übergehen versucht, indem er den GS ersuchte, von seinen Sonderbefugnissen Gebrauch zu machen: „[R]equests the Secretary-General to provide for appropriate funding under the authority given him in General Assembly Resolution 58/271“, die den GS autorisiert „to enter into commitments to meet unforeseen and extraordinary expenses“734. Diese Instrumentalisierung des GS zu eigenen Zwecken fand im SR allerdings zu keiner Zeit eine Mehrheit. Auch mit Blick auf den Haushalt für den „laufenden Betrieb“ des CTED werden der GS und die GV bevormundet. So bestimmt die S/RES/1535 in op. 4, dass der Exekutivdirektor seinen Organisationsplan, der unter anderem den Bedarf an Haushaltsmitteln enthält, dem (CTC-)Plenum vorlegt. Zwar hat er dies „im Benehmen mit dem GS“ zu tun. Die Finanzordnung (financial regulation) indes sieht in Vorschrift 2.1 vor, dass „the proposed programme budget for each financial period shall be prepared by the 732 So der damalige stellvertretende Rechtsberater der Ständigen Vertretung der USA bei den VN Eric Rosand in einem Interview mit dem Verfasser am 9.7.2007 [unveröffentlicht]; siehe auch T. Skrobek, Die Antiimperialisten, ZEIT Online vom 15.9.2006: „Gipfel der Blockfreien Staaten [. . .] Ihr erklärtes Ziel ist die Neugründung einer antiamerikanischen Allianz“. 733 Siehe die daraus folgende Empfehlung des Fünften Ausschusses/ACABQ: „The Assembly could consider requesting a management review of [DPA] on its ability to carry out the management and direction of [SPMs] with a view to ensuring efficient use of [. . .] resources.“, GA/AB/3724 vom 21.3.2006. 734 Siehe Pressemitteilung GA/10225 vom 23.12.2003.
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
Secretary-General“. Danach wäre der Exekutivdirektor darauf beschränkt, Entwürfe – aber nicht mehr – vorzubereiten. Op. 5 legt darüber hinaus fest, dass der CTC-Vorsitzende den Organisationsplan dem SR vorlegt. Die Rolle, die dem GS zugedacht ist, erschöpft sich darin, letztlich als reiner Befehlsempfänger „die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, damit der Plan beschleunigt in Kraft treten kann.“ Zwar ließe sich entgegnen, dass die GV letztlich die Finanzierung des CTED hätte verweigern können, da sie gem. Art. 17 SVN die Budgethoheit innehat. Da es sich hier um ein eigenes Organrecht handelt und die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 25 SVN unter dem Vorbehalt steht, dass die durchzuführenden Beschlüsse des SR „im Einklang mit dieser Charta“ ergangen sind, wären die Staaten bei ihrer Stimmenabgabe in der GV insoweit auf jeden Fall frei.735 Angesichts der tatsächlichen politischen Machtverhältnisse und seit der Einführung des Konsenserfordernisses im Haushaltsverfahren ist dies allerdings nur eine theoretische und praktisch kaum realistische Möglichkeit. Wenn also Stellungnahmen („conclusions“) des SR zu haushaltsrechtlichen Fragen wie in S/RES/1535 (2004) die GV auch rein rechtlich gesehen nicht zu binden vermögen, wird sich der SR faktisch doch durchsetzen. Das Verfassungssystem der VN setzt hier eine Bereitschaft zur Selbstbeschränkung voraus, an der es den Organen bzw. den Organwaltern noch immer mangelt. c) Personalrechtlich Entsprechend geregelt ist die Rekrutierung von Personal. Auch hier ist in S/RES/1535, op. 4 vorgesehen, dass der Exekutivdirektor im Organisationsplan den Bedarf des CTED feststellt, der CTC und der SR dies absegnen und der GS lediglich noch für die Realisierung sorgt (d. h. die Zustimmung des ACABQ, Stellen zu schaffen, einholt, auf deren Grundlage sodann die GV bzw. deren Fünfter Ausschuss die Finanzierung beschließt). Art. 101 SVN sieht hingegen vor, dass die Bediensteten vom GS ernannt werden, und auch die Finanzordnung (staff regulation) bestimmt in ihrer Vorschrift 4.1, dass „the power of appointment of staff members rests with the Secretary-General“. Um dieser Grundregel der Charta nicht all ihre Substanz zu nehmen, muss der GS auch maßgeblich beteiligt bleiben, wenn es darum geht, die Anzahl der Bediensteten festzulegen und ihre Auswahl zu treffen. Die bloß noch förmliche Ernennung der Bediensteten kann dem nicht genügen. 735 D. Sarooshi, The United Nations and the development of Collective Security, 1999, 139 ff.
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Die umstrittenste (Einzel-)Regelung der S/RES1535 aber, die sich dort von der ersten Fassung des CTC-Reformberichts an gehalten hat, betrifft die Ernennung des Exekutivdirektors selbst. Da es die (nicht öffentlich erklärte) Absicht der Protagonisten des CTED war, diesen mit möglichst vielen Kompetenzen auszustatten, den CTC-Vorsitz hingegen entsprechend schwach zu besetzen („somebody from a third world country“), kommt dieser Frage eine hohe politische Bedeutung zu. S/RES/1535 (2004), op. 3 sieht hierzu vor, dass der Generalsekretär den Exekutivdirektor des CTED „nach Absprache mit dem Rat und vorbehaltlich seiner Zustimmung“ ernennt (Hervorhebung durch Verf.). Die Prärogative des GS, sämtliches Sekretariatspersonal zu ernennen, ist hier in der Substanz durch den Vorbehalt der Zustimmung durch den SR gänzlich ausgehöhlt, auch wenn der GS bei wichtigen (Personal-)Entscheidungen faktisch in jedem Fall auf „grünes Licht“ vom SR angewiesen ist. Es ist auch nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass der GS den Exekutivdirektor einer bestimmten Einheit erst nach einer Wahl, nach Beratungen oder auch erst nach Zustimmung durch die GV (wie im Fall der Hochkommissare für Menschenrechte und Flüchtlinge) bzw. den SR (bzgl. der Oberbefehlshaber von PKOs) ernennen darf.736 Damit ist aber der vorliegende Fall des CTED nicht vergleichbar. Gleichwohl hat sich der SR auf den (vermeintlichen) „Präzedenzfall“ der UNMOVIC berufen (vgl. S/RES/1284 (1999), op. 5: [Der SR] ersucht den Generalsekretär, [. . .] nach Konsultationen mit dem Rat und vorbehaltlich seiner Zustimmung einen Exekutivvorsitzenden [der UNMOVIC] zu ernennen [. . .].“ – diese Wahl fiel dann im zweiten Anlauf auf Hans Blix). Bei der Überwachungs-, Verifikations- und Inspektionskommission der VN im Irak (UNMOVIC) handelt es sich bei genauerem Hinsehen jedoch um eine Einheit, die mit viel Willen „zurechtgebogen“ werden muss, um als Vergleichsmaßstab für das CTED dienen zu können. Denn erstens war UNMOVIC um ein Vielfaches größer als das CTED; zweitens war es eine Feldmission, die also nicht am VN-Verwaltungssitz operierte; und drittens wurde UNMOVIC nicht aus dem VN-Budget finanziert, sondern unmittelbar aus den Einnahmen aus den irakischen Erdölverkäufen. Im Falle des CTED wiegt der Eingriff in die Prärogative des GS in Personalangelegenheiten umso schwerer, weil der Exekutivdirektor hier unmittelbar aus dem Sekretariat heraus operiert. Auch der vergleichsweise hohe Rang des Exekutivdirektors als ASG sowie – praktisch noch wichtiger – dessen große politische Rückendeckung durch die P 5 spielt insoweit eine beachtliche Rolle. Der GS muss mit dem vom Exekutivdirektor geführten 736 Vgl. die Darstellung des damaligen USG Kieran Prendergast in seinem „nonpaper“ vom 9.2.2004 (siehe Anhang A.).
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CTED faktisch eine Art „Enklave“ in seinem eigenen Verantwortungsbereich hinnehmen, auf die er keinen maßgeblichen Einfluss hat („for the first time [. . .] an executive body not under the authority of the UN secretary-general“737). Da es sich beim Exekutivdirektor aber letztlich um den Leiter eines Hilfsgremiums (CTED) eines Unterorgans (CTC) des SR handelt, darf es nicht wirklich überraschen, dass wenigstens die P 5 nicht bereit sind, die Kontrolle über ihn aus der Hand zu geben. Interessant sind insoweit die Reaktionen auf den pakistanischen Vorschlag, den Passus „subject to the approval of the SC“ um die Qualifikation „consensual [approval]“ zu erweitern. Dem wurde nämlich von Seiten der P 5 vehement widersprochen, weil dies den Verfahrensregeln des SR (Provisional Rules of Procedure) zuwiderliefe und die (geschützten) „power relations“ innerhalb des SR verschöbe, indem es allen SR-Mitgliedern ein Veto-Recht einräumte. In diesem Punkt war das „Verfassungs-Bewusstsein“ also auf einmal sehr ausgeprägt. d) Zwischenergebnis Der SR hat das CTED in der Sache als Unterorgan seines Unterorgans CTC nach Art. 7 Abs. 2, Art. 29 SVN errichtet, es aber zugleich innerhalb des Sekretariats verortet und in die Form einer SPM gekleidet. Damit hat er institutionelle Abgrenzungen überschritten, sich personal- und haushaltsrechtliche Kompetenzen des GS bzw. der GV angemasst und Ressourcen, über die die Organisation als ganzes zu verfügen hat, für sich abgezweigt. Da es kein („Verfassungs“-)Gericht für Streitigkeiten zwischen VN-Organen gibt, das die Rechtswidrigkeit und ggf. Unwirksamkeit eines Aktes feststellen kann, der Akt aber auch nicht mit einem derart schweren und offenkundigen Fehler behaftet ist, dass er als schlicht inexistent zu bewerten wäre, ist und bleibt er gleichwohl wirksam. Das VN-System setzt insoweit auf eine gegenseitige Kontrolle und letztlich Selbstbeschränkung der handelnden Organe, was hier auch teilweise stattgefunden hat (siehe den Dialog zwischen Sekretariat und CTC, Anlage A. und B. sowie die zahlreichen Änderungen am Revitalisierungsbericht und an der Resolution). Hält das Organ am Ende aber an rechtlich umstrittenen Teilen seines Handelns fest, bleibt den Adressaten nichts anderes übrig, als selbst zu entscheiden, ob sie diese befolgen. Einem Risiko sind sie in beiden Fällen ausgesetzt: entweder sie widersetzen sich zu Unrecht einem kompetenz- und rechtmäßig ergangenen Akt oder sie werden ihrerseits auf einer fehlerhaften Rechtsgrundlage tätig. Dieses Dilemma sollte ihnen und der Organisation erspart bleiben, in737 Agence France Press in dem Artikel „UN Security Council debates revitalizing counter-terrorism committee“ vom 5.3.2004.
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dem der IGH zur Klärung eingesetzt wird (siehe dazu bereits oben Kap. 4, B. III. sowie unten Kap. 7, C. II.). Aus Sicht der Mitgliedstaaten ist die rechtliche Problematik des CTED von geringerer Bedeutung, da im Außenverhältnis die Verbandskompetenz der VN gewahrt ist und ihnen gegenüber mit Rechtskraft nur der SR selbst als „Mutterorgan“ handelt. Die Staaten sind folglich nur mittelbar als Mitglieder der VN im Hinblick auf diejenigen Organe, in deren Rechte eingegriffen wird (hier Sekretariat und GV), betroffen. Da sie aber den Beschluss des SR haushaltsrechtlich in der GV mitgetragen und darauf verzichtet haben, ein Rechtsgutachten des IGH zu den institutionell- und personalrechtlichen Implikationen des CTED einzuholen, haben die Staaten dessen Errichtung letztlich gebilligt. 4. Alternative Organisationsformen: Expertengruppe oder Verortung im DPA
An sich wäre es nahe liegend gewesen, anstelle des CTED auch für den CTC eine Expertengruppe wie das Überwachungsteam im Falle des 1267sowie des 1540-Ausschusses einzurichten, um die Verantwortungsstränge innerhalb der Hauptorgane SR einerseits und Sekretariat andererseits auseinander zu halten.738 (VN-)Externe Experten jedenfalls können ohne weiteres den Weisungen des SR (bzw. der „policy guidance“ des CTC) unterstellt werden. Hiergegen hatte sich der SR allerdings deshalb, und zwar übereinstimmend, ausgesprochen, weil es als nicht aussichtsreich angesehen wurde, auf diese Weise qualifiziertes Personal rekrutieren zu können. Denn ungeachtet seiner Befristung gilt das CTED angesichts seiner komplexen Aufgabe der Terrorismusbekämpfung als eine Einheit, die sich längerfristig institutionalisieren soll. Die hierfür erforderlichen Spezialisten unterscheiden sich jedoch von als Berater eingestellten Experten, deren Verträge (special staff agreements) nur kurzfristig sind und keinerlei „benefits“ vorsehen (kein Urlaub, keine Versicherung, keine Familienkomponente etc.) und die nur ad hoc jeweils aus Sondermitteln abgeschlossen werden. Insofern wurde es als erforderlich angesehen, zusätzliche Stellen für die Spezialisten als ordentliche Bedienstete der VN einzurichten und mit den entsprechenden Verträgen (series 100/200/300) auszustatten. Problematisch an diesem Vorgehen ist, dass hiermit unbefristete Stellen im Rahmen eines befristeten Mandats geschaffen worden sind. Ebenso wäre denkbar gewesen, innerhalb der bestehenden Sekretariatsstrukturen das DPA bzw. dessen Unterabteilung Nebenorgane des SR zu 738 So der Vorschlag des damaligen ASG Danilo Türk in seinem Schreiben vom 3.3.2004 (siehe Anhang B.).
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stärken, um indirekt die Kapazitäten für die Terrorismusbekämpfung zu erhöhen. Es hätte auch eine neue Unterabteilung für Terrorismusbekämpfung gegründet werden können, die die administrativen Tätigkeiten für den CTC, aber auch etwa für den 1267- sowie den 1540-Ausschuss hätte leisten können. Die eigentlichen Experten hätten entweder auch dort – dann als VNBedienstete – zusammengeführt werden oder weiterhin getrennt außerhalb des Sekretariats angesiedelt bleiben können. Insoweit waren sich die SRMitglieder jedoch wiederum einig, dass innerhalb des DPA keine praktikable Lösung erreichbar gewesen wäre. Angesichts der weit verästelten Hierarchie und als ausufernd wahrgenommenen Bürokratie im Sekretariat traut der SR (insb. die USA) ihm offenbar nicht mehr zu, den gegenwärtigen Anforderungen gerecht werden zu können. Jedenfalls zeigte sich der SR nicht bereit, sich auf eine „Ochsentour“ durch das Sekretariat schicken zu lassen, um mit der für ihn zuständigen Einheit zu kommunizieren und zu interagieren. Dies wäre aber mit Blick auf deren Verortung auf der fünften Hierarchieebene unvermeidbar gewesen (SG [Secretariat] ! USG [Department] ! ASG [Office] ! Director [Division] ! Chief [Branch]). SPM – und damit auch das CTED – sind stattdessen unmittelbar dem Büro des GS (OSG) zugeordnet. Es ist damit nicht zuletzt das Sekretariat selbst – bzw. die VN-Mitgliedschaft, die nicht in der Lage ist, seit langem angemahnte substanzielle Management-Reformen zu verabschieden –, das den Anlass für diese „Ausweichmanöver“ des SR geliefert hat. Weder die gegenwärtige Ausgestaltung der Expertenverträge noch die Struktur des Sekretariats/DPA ist geeignet, den Ansprüchen, die die internationale Gemeinschaft hinsichtlich Effektivität und Effizienz an die VN hat, zu genügen. Auch der (vermeintliche) „Ausweg“ aber, den der SR über die Errichtung einer SPM genommen hat, vermochte nicht an den teilweise rigiden personalrechtlichen Bestimmungen der VN sowie den langwierigen Ausschreibungen vorbeizuführen, deren Anwendung mit der Entscheidung vorgegeben war, dem neuen Personal den Status von internationalen Beamten i. S. v. Art. 100 SVN zu verleihen. Die personelle Besetzung des CTED zog sich infolgedessen über 18 Monate hin, so dass das CTED sein Mandat bis zu dessen (vorläufigen) Auslaufen zum Ende des Jahres 2007 nur während eines Drittels der Zeit substanziell auszufüllen in der Lage war.739
739 Dazu A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2004, 29 f. Siehe auch die Erklärung des SR-Präsidenten S/PRST/2005/64 vom 21.12.2005.
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 323 5. Ausblick: CTED als permanente Einrichtung und Präzedenzfall für Verlagerung von Kompetenzen an den SR
Trotz dieser zeitlichen Befristung (sunset clause) (S/RES/1535 (2004), op. 2: „für einen Anfangszeitraum [. . .], der am 31.12.2007 endet“) und Zwischenbilanzen, nach denen das CTED deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist740, werden die Idee eines SR-eigenen „Sekretariats“ wie auch konkret das CTED weiterleben. Zum einen hat der SR mit seinen S/RES/1805 (2008) und S/RES/1963 (2010) das CTED mittlerweile zweimal, nunmehr bis zum 31. Dezember 2013, verlängert (jeweils op. 2).741 Zum anderen spricht die Erfahrung dafür, dass diese Konstruktion einer SPM, die im Sekretariat angesiedelt ist, aber dem SR untersteht, eine gewisse Vorbildfunktion entfalten könnte. Dies gilt ungeachtet dessen, dass in der Präambel auf Drängen einer Reihe von Staaten explizit jegliche Präzedenzwirkung ausgeschlossen wurde (pp. 15: „ohne einen Präzedenzfall für andere Organe des Rates zu schaffen“)742, denn eine derartige Selbstbeschränkung wird in keiner Weise einklagbar sein. Für das CTED (bzw. die Ernennung des Exekutivdirektors) selbst jedenfalls wurde – wie gesehen – die kaum vergleichbare S/RES/1284 (1999) zur Errichtung von UNMOVIC als Präzedenzfall herangezogen. Insofern liegt es durchaus nahe, künftig das CTED für ähnliche Verlagerungen von Aufgaben und Kompetenzen aus dem Sekretariat (d. h. vom GS) zum SR als „Modell“ anzuführen. In letzter Konsequenz hieße dies, dass die VN faktisch über zwei Sekretariate verfügten: eines, das unter der Autorität des GS die „soft issues“ wie Entwicklungsförderung behandelte, und ein zweites, paralleles „Sekretariat“, das unter der Autorität des SR – sprich der P 5 – die „hard issues“ wie Terrorismusbekämpfung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen an sich zöge.743 740
Vgl. (den zweiten Überprüfungs-)Bericht des CTC vom 18.12.2006, S/2006/989; ähnlich die Einschätzung des Security Council Report von Februar 2007, erhältlich unter http://www.securitycouncilreport.org/site/c.glKWLeMTIsG/ b.2461281/k.1E4/February_2007brReview_of_the_CounterTerrorism_Executive_Di rectorate.htm [eingesehen am 20.6.2007]. 741 Zuvorgegangen war S/RES/1787 vom 10.12.2007, durch die der SR das CTED frühzeitig zunächst um drei Monate bis zum 31. März 2008 verlängert (op. 1) und dessen neuen Direktor Mike Smith aufgefordert hatte, binnen 60 Tagen einen revidierten Organisationsplan vorzulegen (op. 2). Dem kam Smith mit Schreiben vom 16.1.2008 an den CTC nach, der dem Plan zustimmte und am 7.2.2008 an den SR weiterleitete (veröffentlicht als S/2008/80 vom 8.2.2008), der ihn seinerseits durch S/RES/1805, op. 3 vom 20.3.2008 billigte. 742 Dazu A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2004, 34. 743 So die seinerzeitige Einschätzung des Völkerrechtsberaters in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den VN Christian Much.
324
Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
IV. Fazit Rückblickend hat das CTED in den ersten fünf Jahren seines Bestehens letztlich moderat agiert, ebenso wie der SR selbst sich inzwischen deutlich zurückgenommen hat. Für ein abschließendes Fazit hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen auf die Organisation der VN ist es aber noch zu früh. Mit der Schaffung des CTED ist in jedem Fall die Grundlage für eine Aushöhlung des VN-Sekretariats gelegt. Zum einen ist es nun möglich, auf ein „Modell“ zu verweisen, zum anderen sind rechtliche und politische Widerstände gebrochen, so dass die Hemmschwellen künftig niedriger sein dürften. Zwar hatte sich der SR (d. h. insbesondere die zögernden P 5) schließlich einverstanden erklärt, die „Revitalisierung“ des CTC vor Verabschiedung der Resolution wenigstens ein Mal auf einer offiziellen und offenen Sitzung am 3. März 2004 mit der breiten Mitgliedschaft zu erörtern.744 Wirkliche Bereitschaft, die Empfehlungen des CTC-Reformberichts ergebnisoffen zu diskutieren, bestand indes nicht mehr. Vielmehr galten diese seit langem als „fix“, was auch den noch zweifelnden nicht-ständigen SRMitgliedern (vor allem Deutschland, Brasilien und Pakistan) unmissverständlich zu verstehen gegeben worden war, indem die Protagonisten zur entscheidenden Sitzung auf Arbeitsebene ihre VN-Botschafter entsandt hatten (was sehr außergewöhnlich ist), um mit einer Mischung aus Machtdemonstration und Moralappell die Richtung vorzugeben: „The time has come for the Council to meet its responsibilities.“745 Mit der gleichen Vehemenz setzte der SR (d. h. dessen tonangebende Mitglieder) sich gegenüber dem Sekretariat und GS sowie der GV bzw. deren Fünften Ausschuss durch. Zwar wurde aus der letzten Fassung des Resolutionsentwurfs noch der abschließende Absatz „Acting under Chapter VII of the Charter“ aus der Präambel gestrichen. Diese Korrektur drängte sich förmlich auf, weil es sich bei der S/RES/1535 (2001) um eine technische, nach innen gerichtete Resolution handelt, die keine unmittelbare Außenwirkung gegenüber den Mitgliedstaaten erzeugt. Allerdings war diese Änderung nur erreichbar, weil im Gegenzug die Erwähnung von Kap. VII an zwei anderen Stellen in die Präambel aufgenommen wurde, nämlich in pp. 1 („in Bekräftigung seiner Resolution 1373 (2001) . . ., verabschiedet nach Kapitel VII der Charta“) und pp. 7 („in Würdigung der Fortschritte, die der [CTC], den der nach Kapitel VII der Charta tätig werdende [SR durch] Resolution 1373 (2001) einsetzte“). Diese Referenzen sind nicht nur ungewöhnlich, sondern sie üben auch unangemessenen Druck auf die anderen 744
Siehe die Pressemitteilung SC/8020 vom 4.3.2004. So der VN-Botschafter Großbritanniens Sir Emyr Jones Parry am 13.2.2004 [unveröffentlicht]. 745
Kap. 6: Maßnahmen, die in Kompetenzen anderer VN-Organe eingreifen 325
VN-Hauptorgane aus, statt in das gebotene Kooperationsverhältnis mit ihnen zu treten. Wie wenig Respekt hier herrscht, zeigt der (mündliche) Kommentar des damaligen Vertreters und Rechtsberaters der USA zu dem zitierten Schreiben des Sekretariats, in dem das Amt für Rechtsangelegenheiten (OLA) seine Bedenken gegen das CTED formuliert hatte: „A letter from the Legal Counsel is like a letter from my mother.“ Die Konsequenz aus diesen Erfahrungen kann nur sein, eine doppelte Sicherung zu verankern, die sowohl politische Mechanismen für faire Verfahren als auch eine autoritative rechtliche Instanz zur Überprüfung bestimmter Beschlüsse vorsieht. Die Selbststeuerung des Systems jedenfalls hat sich als unzureichend erwiesen, und der Gedanke der treuhänderischen Wahrnehmung gemeinsamer Interessen ist weit aus dem Blickfeld des SR geraten. Die S/RES/1535 (2004) ist lediglich eines von etlichen politischen Manövern, das nur äußerlich den Schein der Legalität wahrt, indem es formal auf die vermeintlich anerkannte Figur einer SPM zurückgreift. In der Substanz nämlich verletzt das CTED durch die undefinierte Gemengelage, die es zwischen dem intergouvernementalen SR und dem ausschließlich den VN verantwortlichen Sekretariat schafft, die Organisationsprinzipien der VN. Abgesehen von den institutionell-, haushalts- und personalrechtlichen Verwerfungen, die eine systemkonforme Verankerung des CTED im Gefüge der VN gebieten, ist es mit der Schaffung des CTED aber auch in der Sache nicht gelungen, der Terrorismusbekämpfung neues Momentum einzuflößen. Wie die erste Überprüfung des CTED durch den CTC im Dezember 2006746 offenbart und letztlich – bei einer inzwischen niedrigeren Erwartungshaltung – auch die Mandatsüberprüfung Ende 2010747 bestätigt hat, hat das CTED nicht die Wirkung entfalten können, die seine Architekten sich von ihm erhofft hatten. Der Plan insbesondere der USA, eine internationale Anti-Terrorismus-Kapazität aufzubauen, die sie über den SR würden steuern können und die gleichzeitig an der größeren Legitimität sowie an den Ressourcen der „breiteren“ VN – also dem Sekretariat und insbesondere des GS – teilhaben würde, ist damit nicht aufgegangen. Insofern rächt sich, dass das „Projekt CTED“ durchgezogen wurde, ohne die Beteiligten „mitzunehmen“. Letztlich zeigt dies – und das gibt den Multilateralisten recht –, dass auch den mächtigen Staaten nicht der (mühsame) Weg erspart bleibt, durch politische Überzeugungsarbeit und Fairness im Umgang die Unterstützung der anderen Staaten zu gewinnen, die notwendig ist, um eine 746
S/2006/989 vom 18.12.2006. S/2010/616 vom 7.12.2010. Zwar konstatiert der CTC „measurable achievements“ des CTED; diese bestehen aber insbesondere in dessen „deeping dialogue with States“ (op. 28), wozu es eigentlich keines Organs des SR – zumal im Bereich von Kapitel VII SVN – bedürfte. 747
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
so breit und langfristig angelegte Aufgabe wie die Terrorismusbekämpfung bewältigen zu können. Mittlerweile hat sich die breite VN-Mitgliedschaft mit der Verabschiedung ihrer „Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“748 im Rahmen der GV zurückgemeldet und Terrain vom SR zurückerobert. Die unmittelbare „post 9/11-Phase“ ist insofern ausgelaufen, womit Gelegenheit für die internationale Gemeinschaft besteht, ihre multilateral geprägten Ansätze aus den 1990er Jahren wieder aufzugreifen und weiterzuentwickeln.
748
A/RES/60/288 vom 20.9.2006.
Ergebnis zu Teil 2
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Ergebnis zu Teil 2 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Völkerrecht und die Charta der VN zwar nicht in der Lage gewesen sind, in der Folgezeit des 11. September 2001 (völker-)rechtswidrige Handlungen mächtiger Akteure, insbesondere der USA, wie auch der VN-Organe selbst (SR) zu verhindern. Trotz dieser Übertretungen haben das Völkerrecht und die Charta als „Verfassung“ der internationalen Gemeinschaft jedoch ein starkes Rückgrat bewiesen und den – bildlich gesprochen – über die Ufer tretenden (macht-)politischen Wellen den Weg zurück ins Flussbett der bestehenden opinio iuris gewiesen. Weder mit dem Präventivkrieg gegen den Irak noch mit der Inhaftierung „ungesetzlicher Kombattanten“ auf Guantánamo ist es den USA und ihren Koalitionären letztlich gelungen, die Grenzen des Rechts zu verschieben. Es gibt kein Recht auf „präemptive Selbstverteidigung“ gegen „rogue states“ oder gar „rogue individuals“749. Auch die kraft Kapitel VII SVN geschaffenen (1267-, 1373- und 1540-)Anti-Terrorismus-Regime können sich nicht im rechtsfreien Raum bewegen. Die willkürliche Entrechtung von Staaten und Individuen ist ein schlimmer Rückfall in Vor-VN-Zeiten und kein Fortschritt. Statt also „neues Völkerrecht“ zu schaffen, haben die USA und hat der SR (nach wie vor geltendes) Recht verletzt und Kompetenzen überschritten. Insofern haben sich viele Risse im Völkerrecht als einem (leider allzu) „gentle civilizer of nations“750 aufgetan, die dazu mahnen, endlich effektive völkerrechtliche Durchsetzungsmechanismen zu schaffen, die verhindern, dass sich politische Macht immer wieder über das Recht erhebt. Dies gilt vor allem in Zeiten wie den zurückliegenden Jahren, in denen die internationalen Beziehungen von einer einzigen Supermacht („P 1“751) geprägt waren, der selbst die übrigen ständigen Mitglieder des SR nur wenig entgegen zu setzen hatten bzw. die willig „ein Auge zugedrückt“ haben, um die Gelegenheit zu nutzen, eigene Interessen voranzubringen. Gleichzeitig aber hat sich erwiesen, dass die gemeinsamen (Rechts-)Überzeugungen der ganz überwiegenden Mehrheit der Staaten in der Welt nie zuvor in der Geschichte so weit entwickelt waren wie heute und diese nicht mehr einfach ignoriert werden können. Eine Organisation, die wie die VN die Herrschaft des Rechts (rule of law) fordert752, ihren eigenen Organen – solange sie nur von den politisch 749 N. Krisch, International Law in Times of Hegemony: Unequal Power and the Shaping of the International Legal Order, EJIL 16 (2005), 369 (387). 750 Vgl. das gleichnamige Werk von M. Koskenniemi aus dem Jahr 2002. 751 W. M. Reismann, The Constitutional Crisis in the United Nations, AJIL 87 (1993), 83 (97).
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Teil 2: Bewertung der Praxis des Sicherheitsrats
mächtigen Kräften getragen werden – jedoch ermöglicht, bewusst gegen das Recht zu handeln und Verstöße einfach auszusitzen, handelt widersprüchlich, macht sich unglaubwürdig und beraubt sich ihrer eigenen Autorität und letztlich Existenzberechtigung. Hier sind institutionelle Vorkehrungen im System der VN angezeigt, um künftig den eigenen Ansprüchen und Standards gerecht zu werden und weniger anfällig für Instrumentalisierungen zu sein. Das 60. Sitzungsjahr der VN, das vom damaligen GS Kofi Annan unter dem Motto „A time for renewal“ zum Reformjahr gekürt wurde, bot hierzu eine große Gelegenheit, die leider nur in sehr bescheidenem Umfang genutzt wurde. Trotzdem deutet die Entwicklung in die richtige Richtung und sind bereits einige Veränderungen umgesetzt worden, wie etwa die zunehmend verrechtlichten Verfahren des 1267-Ausschusses zeigen. Eine Reihe anderer Aufträge der Staats- und Regierungschefs vom Weltgipfel im September 2005 befindet sich noch auf der Tagesordnung der VN, ist also bereits benannt und in Arbeit. Ganz oben stehen hier neben den Millenniums-Entwicklungszielen (MDGs) weiterhin die Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowie die Reform des SR (dazu nunmehr Teil 3).753
752
Siehe etwa „Promoting the rule of law central to UN’s mission, says Migiro“ (Vorsitzende der im Anschluss an das Gipfeltreffen von 2005 im Sekretariat geschaffenen Rule of Law Coordination and Resource Group); auch der SR selbst vertritt diese Forderung, siehe etwa die Präsidentiellen Erklärungen vom 22.6.2006 (S/PRST/2006/28) oder 27.9.2010 (S/PRST/2010/19, op. 12). Ausführlich zur Herrschaft des Rechts s. u., Kap. 7, C. I. 753 Vgl. die Statistik des DGACM über den Weltgipfel und die Generaldebatte 2005, Anhang C.
Teil 3
Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen Während in Teil 2 bereits einzelne Lösungsansätze für die spezifischen, dort dargestellten Problemlagen dargestellt worden sind, sollen nun im abschließenden Teil 3 die Themen behandelt werden, die von allgemeiner Bedeutung sind bzw. Organ übergreifende Maßnahmen und institutionelle Veränderungen im VN-System erfordern. Als wesentlich erweisen sich insoweit drei Bereiche, die auch die Staats- und Regierungschef auf dem Weltgipfel 2005 hoch auf die Agenda gesetzt haben: die Reform der VN, insbesondere des SR, die allgemeine Terrorismus-Konvention und -Definition sowie die umfassende Anti-Terrorismus-Strategie der VN.1 Infolge des 11. September 2001 zog innerhalb der VN der SR die Terrorismusbekämpfung weitgehend an sich („SC-led approach“; s. o., Teil 2). Zum einen wartete der SR nicht länger die völkervertragsrechtliche Entwicklung ab, sondern erlegte den Staaten per Kap. VII-Resolutionen abstrakt-generelle Handlungspflichten auf. Zum anderen schuf der SR mit dem CTC einen Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung als Exekutivorgan unter seiner Führung, dem er mit dem CTED – vorbei am GS – noch eine eigene administrative Einheit („Sekretariat“) unterstellte. Daher müssen institutionelle Vorkehrungen getroffen werden, die künftig verhindern, dass der SR den Mitgliedstaaten wie auch den anderen VN-Hauptorganen gegenüber Befugnisse bzw. Kompetenzen in Anspruch nimmt, die ihm nicht zustehen. Hierzu bedarf es sowohl eines rechtlichen Überprüfungsmechanismus mitsamt erweiterten Antragsrechten als auch politischer Sicherungen, etwa durch eine repräsentative Zusammensetzung des SR und transparente sowie partizipative Arbeitsmethoden. Diese Anliegen stehen bereits seit längerem auf der Agenda des SR, ohne bisher allerdings substanzielle Veränderungen hervorgebracht zu haben. Je weiter nunmehr aber das Verständnis des SR vom Vorliegen einer Friedensbedrohung ist und je stärker die hierauf erlassenen Maßnahmen entweder einen abstrakt-generellen, gesetzesähnlichen Charakter haben oder auch unmittelbar gegen einzelne Personen gerichtet 1 Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1 vom 24.10.2005, insbesondere Absatz 81 (Terrorism) und Absatz 146 (Strengthening the UN).
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
sind, desto dringlicher ist eine entsprechende „Verfassungsreform“ bzw. Änderung der „Verfassungspraxis“ der VN (dazu Kap. 7). Der Terrorismus kann nur dann erfolgreich verhütet oder bekämpft werden, wenn klar definiert ist, was darunter zu verstehen ist. Bleibt es den Staaten hingegen selbst überlassen zu bestimmen, was ein terroristischer Akt ist und was nicht, führt dies zu einem doppelten Problem. Erstens ist es – abgesehen von eindeutigen Fällen – nicht möglich festzustellen, ob die Staaten ihre internationalen Verpflichtungen, insbesondere aufgrund der Resolutionen des SR, erfüllen (compliance). Zweitens besteht die Gefahr, dass die Regierungen unter dem Vorwand der (vermeintlichen) Terrorismusbekämpfung innerstaatlich die politische Opposition unterdrücken und Menschen- und Bürgerrechte verletzen2; unter Umständen ist dieses Vorgehen sogar – wie etwa im Fall des 1267-Regimes (s. o., Kap. 5, A. III.) – durch die VN „abgesegnet“. Dies alles schwächt die Legitimität und Effektivität der Terrorismusbekämpfung. Um der Selektivität zu begegnen und klare Standards zu schaffen, ist auf die Verabschiedung des Umfassenden Übereinkommens über den internationalen Terrorismus (Comprehensive Convention on International Terrorism) hinzuarbeiten, in dessen Rahmen auch die offene Frage der Definition des Terrorismus zu regeln ist (dazu Kap. 8).3 Schließlich muss der Kampf gegen den Terrorismus auf eine breitere Grundlage gestellt werden, sowohl mit Blick auf die maßgeblichen Akteure – weg von der „Monopolisierung“ durch den SR – als auch auf die Ausrichtung der Maßnahmen. Die Bilanz des primär militärisch geführten „Anti-Terror-Kriegs“ jedenfalls ist selbst im Jahr 2010 – also fast ein Jahrzehnt nach „9/11“ – ernüchternd: erst 2006 und 2007 wurden neue (Negativ-)Rekorde an terroristischen Anschlägen aufgestellt4, und der Irak, vor allem aber Afghanistan und auch Pakistan stehen heute am Rande des Scheiterns. Wenn der SR mit seinen Sonderbefugnissen auch unverzichtbar ist, kann er – oder die USA, selbst mit Unterstützung der OEF-Truppen – allein diese Aufgabe doch nicht erfüllen. Daher muss organisatorisch ein 2 Siehe dazu etwa die VN-Menschenrechtskommissarin N. Pillay am 29.10.2009 gegenüber dem CTC: „The legal vacuum created by the absence of an internationally accepted, universally applicable definition of terrorism [. . .] contravened the non-derogable principle of legality . . . As a result, people have been prosecuted for the legitimate exercise of their rights . . .“, http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/rights/ 2009_10_09_hchr_brief.pdf [eingesehen am 25.9.2010]. 3 So beschlossen auch von der GV selbst in ihrer Resolution A/RES/60/288, pp. 9 vom 20.9.2006. 4 Jahresberichte 2006 und 2007 zum internationalen Terrorismus des US-State Department, erhältlich unter http://www.state.gov/s/ct/rls/crt [eingesehen am 10.7.2008]. Die Mehrzahl der Anschläge ereignete sich freilich im Irak, aber auch in Afghanistan ist die Lage wieder instabiler geworden.
Kap. 7: Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung
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noch stärker multilateral geprägter Ansatz gewählt werden, der neben den Staaten auch internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen sowie alle relevanten Teile des VN-Systems einbezieht und koordiniert. Daneben muss eine auch inhaltlich umfassend und stärker präventiv (statt selektiv und repressiv) ausgerichtete Strategie verfolgt werden, die auch die dem Terrorismus zugrunde liegenden Ursachen (root causes) engagiert aufgreift – ohne diese als vermeintliche Rechtfertigung oder Entschuldigung gelten zu lassen, aber genauso wenig sie von vornherein als bloßen Vorwand abzutun. Ein solcher Ansatz ist in der Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus angelegt, die die GV im September 2006 verabschiedet hat und die es nunmehr umzusetzen gilt (dazu Kap. 9).
Kapitel 7
Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung Die VN befinden sich, wie jede lebendige Organisation, in einem laufenden Reformprozess. In den vergangenen Jahren hat sich jedoch entsprechend den gestiegenen Erwartungen an die VN ein Veränderungsdruck aufgebaut, der über eine „natürliche Evolution“ deutlich hinausgeht. Es sind vielmehr grundlegende Reformen erforderlich, die den schwierigen Spagat zwischen mehr Demokratie und gleichzeitig größerer Effizienz zustande bringen. Dabei müssen die VN sich von einer überwiegend politisch gesteuerten zu einer stärker rechtlich gebundenen Organisation entwickeln. Diese Forderung ergibt sich aus dem kumulativen Effekt der beiden folgenden Aspekte: Zum einen richtet der SR eine immer größere Anzahl Resolutionen mit immer wachsenden Anforderungen an die Staaten und erstreckt sich ihre Reichweite aufgrund seiner weiten Auslegung von Art. 39 SVN inzwischen auf Sachthemen, die immer häufiger über den Kern seines eigentlichen Mandates hinausgehen. Zum anderen haben sich seit Gründung der VN sowohl die Struktur ihrer Mitgliedschaft als auch die Bedeutung des Völkerrechts fundamental gewandelt. Dies alles verlangt nach mehr Transparenz und Partizipation sowie einer verfahrensrechtlichen Einhegung des SR mit der Möglichkeit, die Einhaltung jedenfalls der äußeren Grenzen auch seiner materiell-rechtlichen Kompetenzen überprüfen zu lassen. Auch wenn die Reform des SR nur ein Baustein im übergreifenden Reformprozess der VN insgesamt ist, stellt sie doch dessen Kernstück dar. Zu dieser Einschätzung ist auch die „Offene Arbeitsgruppe zur Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhöhung der Zahl der Mitglieder im Sicher-
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
heitsrat und zu anderen mit dem Sicherheitsrat zusammenhängenden Fragen“ (nachfolgend: OEWG) gelangt, die seit 1993 durchgehend von der GV mandatiert ist und feststellte, dass „eine Beibehaltung des Status quo für eine überwältigende Mehrheit der Mitgliedstaaten [. . .] nicht hinnehmbar ist“.5 Indien steigerte diesen sachlichen Befund in der Plenardebatte vom 11./12. Dezember 2006 noch mit folgendem, geradezu vernichtenden Urteil (das sich insoweit mit den Ergebnissen oben in Teil 2 dieser Arbeit deckt): „The Council’s handling of recent events [has] shaken the world’s faith in its authority, integrity and legitimacy.“6 Dass Reformbedarf besteht, wird also einhellig, selbst von den P 5, bejaht. Wie die schwelenden Fragen zu beantworten sind, darüber lässt sich freilich streiten.
A. Reform des SR Zwei Aspekte, die sich daher auch mit dem Mandat der OEWG decken, sind bei der Reform des SR von herausragender Bedeutung: zum einen seine Größe und Zusammensetzung, zum anderen seine Arbeitsmethoden. Um die Komplexität der Reform zu reduzieren, wird von einigen gefordert, beide Themen unabhängig voneinander zu verhandeln7, zumal lediglich die Änderung der Mitgliedschaft im SR auch eine förmliche Revision der Satzung der VN voraussetzen würde. Da beide Fragen aber sachlich unmittelbar in Wechselwirkung zueinander stehen und insbesondere kleinere Staaten eher bereit sind, auf die (auch nur Aussicht einer) Mitgliedschaft im SR zu verzichten, wenn sie aufgrund der Arbeitsmethoden des SR trotzdem sicher sein könnten, gehört zu werden und sich effektiv einbringen zu können, ist die Reform wohl praktisch nur „im Paket“ sinnvoll und erreichbar. I. Zusammensetzung des SR Die erste Frage betrifft die Zusammensetzung (composition) des SR.
5 Bericht der Offenen Arbeitsgruppe zur Frage der ausgewogenen Vertretung und der Erhöhung der Zahl der Mitglieder im Sicherheitsrat und zu anderen mit dem Sicherheitsrat zusammenhängenden Fragen (OEWG für „Open-Ended Working Group“), A/61/47 vom 14.9.2007, S. 10. Errichtet wurde die OEWG durch A/RES/48/26 vom 3.12.1993. 6 Erklärung Indiens in der Plenardebatte der GV vom 11.–12.12.2006, GA/10553. 7 Für einen Überblick über die Diskussion siehe die Zusammenfassung der jährlichen Debatte vom 12.–14.11.2007, GA/10656, GA/10657, GA/10658.
Kap. 7: Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung
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1. Rechtlicher Rahmen und status quo
Die Vorgaben der Satzung hierzu, die gem. Art. 108, 109 SVN nur mit 2/3-Mehrheit der VN-Mitglieder einschließlich aller ständigen SR-Mitglieder verändert werden können8, ergeben sich aus Art. 23 SVN. Danach sind zwei Kategorien vorgesehen: mit den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich aus historisch-machtpolitischen Gründen fünf ständige sowie (seit 1965, s. u. 2.) zehn nicht-ständige, jeweils für zwei Jahre von der GV gewählte Mitglieder. Gem. Art. 23 Abs. 1 S. 2 SVN sind „hierbei folgende Gesichtspunkte besonders zu berücksichtigen: in erster Linie der Beitrag von Mitgliedern der Vereinten Nationen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und zur Verwirklichung der sonstigen Ziele der Organisation sowie ferner eine angemessene geographische Verteilung der Sitze.“ Faktisch vollzieht sich die Wahl allerdings in der Weise, dass die zehn nicht-ständigen Sitze auf fünf Regionen verteilt werden und die entsprechenden Regionalgruppen ihre jeweiligen Kandidaten küren, die von der GV dann nur noch bestätigt werden. Das eigentlich vorrangige Auswahlkriterium des Beitrags, den ein Staat leistet, gerät dabei zur Nebensache. Verstärkt wird diese Tendenz dadurch, dass eine direkte Wiederwahl nicht-ständiger Mitglieder gem. Art. 23 Abs. 2 S. 2 SVN und im Unterschied zur entsprechenden Völkerbund-Regelung unzulässig ist, wenngleich „die Großen“ letztlich im Verhältnis zu „den Kleinen“ doch sehr viel häufiger im SR sitzen.9 Auf der anderen Seite taugen auch die ständigen SRMitglieder nicht unbedingt zum Vorbild, das ihren Sonderstatus rechtfertigen würde. Die USA etwa sind mit ihren Beitragszahlungen, die sie abweichend vom eigentlichen Bemessungsschlüssel ohnehin gedeckelt haben, notorisch im Rückstand. Und China zählt sich bevorzugt immer nur dann zu den Supermächten, wenn es darum geht, seine Einflussmöglichkeiten zu steigern, umgekehrt aber nach wie vor zu den Entwicklungsländern, wenn eigene Beiträge in Rede stehen.
8
Siehe auch A/RES/53/30 vom 23.11.1998, in der die GV beschloss, dass für jede Veränderung der Zusammensetzung des SR eine 2/3-Mehrheit erforderlich sein solle. 9 Japan und Brasilien hatten bisher jeweils 9 Amtszeiten, Argentinien 8, Indien, Pakistan und Kanada je 6, Deutschland (BRD und DDR), Italien, die Niederlande und Ägypten je 5 (Stand: 2010).
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 2. Probleme: Verhältnis der Anzahl der SR-Sitze zur Zahl der VN-Mitglieder und Sitzverteilung
Erstmals und bislang auch einmalig wurde die Anzahl der Mitglieder des SR bereits im Jahr 1963/6510 von ursprünglich 11 auf die nunmehr 15 Mitglieder aufgestockt. Hierbei wurde allerdings nur die Kategorie der nichtständigen Mitglieder (von 6 auf 10) vergrößert, während diejenige der ständigen Mitglieder unangetastet blieb. Von diesem qualitativen Aspekt abgesehen, reflektiert diese erste Erweiterung jedoch auch im Hinblick auf ihre quantitativ-geografische Komponente nicht annähernd mehr die weltpolitischen Veränderungen seit 1945 bzw. 1963. Denn die Anzahl der VNMitglieder hat sich von 51 im Jahr 1945 über 113 im Jahr 1963 auf heute 192 nahezu vervierfacht, insbesondere durch die Unabhängigkeit, die viele Staaten in Asien und Afrika seitdem erlangt haben. Belief sich das Verhältnis von Mitgliedsländern zu SR-Mitgliedern im Zeitpunkt der Gründung der VN 1945 damit auf rund 5,5:1, was noch grob dem Verhältnis von 4,5:1 entsprach, das im Völkerbund geherrscht hatte, liegt es aktuell bei nahezu 13:1. Damit ist die Schere im zahlenmäßigen Verhältnis beider Kategorien in einem Maße auseinander gegangen, dass kaum mehr als von den „Verfassungsgebern“ gewollt angesehen werden kann. Hierfür spricht auch, dass angesichts bevorstehender Veränderungen im internationalen Gefüge wie durch die Dekolonialisierung und später die Auflösung der UdSSR und Jugoslawiens, in Art. 109 Abs. 3 SVN gezielt ein vereinfachtes Verfahren für eine Revision der Satzung aufgenommen wurde.11 Allerdings scheiterten sämtliche bisherige Versuche, dieses auch tatsächlich zur Anwendung zu bringen (erstmalig bereits im Jahr 1979/80 von einer Koalition blockfreier Staaten aus Asien, Afrika und Südamerika).12 Spätere Initiativen gelangten nie bis zur Abstimmung. 3. Implikationen
Eine Folge dieses Missverhältnisses ist, dass die Themen, denen sich der SR widmet, entsprechend den nationalen Interessen seiner Mitglieder selektiert und behandelt werden und die allgemeine Mitgliedschaft sich nicht mehr angemessen vertreten fühlt, was mittelfristig zur Erosion des VN-Systems führt. Wenn als Gegenargument gegen die Forderung verstärkter Repräsentanz vorgebracht wird, dass jede Erweiterung des SR notwendiger10 A/RES/1991/A (XVIII) vom 17.12.1963, die ab dem 1.9.1965 Wirksamkeit erlangte. 11 Hierzu B. Fassbender, UN Security Council Reform and the Right of Veto, 1998, 197 ff. 12 A/35/L.34/Rev.2 (1980).
Kap. 7: Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung
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weise zu Effektivitäts- und Effizienzverlusten führe13, wird übersehen, dass eine Entscheidung nicht nur auf dem Papier getroffen, sondern auch praktisch umgesetzt werden muss. Insofern kann der SR im Gegenteil nur dann effektiv handeln, wenn seine Beschlüsse auf möglichst breiter Grundlage getroffen werden, also dem Anliegen der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten entsprechen. Ungeachtet der rechtlichen Möglichkeiten des SR nach Kapitel VII, seine Beschlüsse notfalls zwangsweise durchzusetzen, kann er seine Ziele (von Einzelfällen abgesehen) praktisch letztlich nur erreichen, wenn die Beschlüsse auf breiter Basis freiwillig befolgt – oder mehr noch: aktiv unterstützt – werden. Hierzu muss der SR die Mitgliedschaft aber in seine Entscheidungsfindung einbeziehen und Überzeugungsarbeit leisten, um auf diese Weise eine möglichst umfassende Akzeptanz herzustellen. Neben diesem Missverhältnis zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern des SR gibt es aber noch ein zweites großes Ungleichgewicht innerhalb des SR, nämlich zwischen den ständigen und den nicht-ständigen Mitgliedern. Im Vergleich zu ersteren „P 5“ genießen die „E 10“ derzeit nicht viel mehr als einen „Beobachterstatus“. Wie die Umstände vor Verabschiedung der S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004) gezeigt haben, werden die E 10 von den P 5 – nachdem diese sich auf ein Vorgehen geeinigt haben – hiervon lediglich noch in Kenntnis gesetzt und damit im Ergebnis auf eine bloße „Notarfunktion“ („rubber stamping“) reduziert. Diese Praxis dürfte nach einer Erweiterung des SR, die mit Blick auf erforderliche Quoren zwangsläufig zu Verschiebungen zulasten der P 5 führen wird, nicht mehr durchzuhalten sein. 4. Reformvorschläge
Seit die GV ihre Resolution A/RES/47/26 vom 11. Dezember 199214 verabschiedet hat, befindet sich der Punkt „Question of equitable representation on and increase in the membership of the Security Council“ durchgehend auf ihrer Tagesordnung. Im Folgejahr 1993 richtete sie hierzu auf der Grundlage ihrer Resolution A/RES/48/26 außerdem die erwähnte Offene Arbeitsgruppe (OEWG) ein. Abgesehen von ihren jährlichen Berichten, in denen sie die etwa ein bis zwei Dutzend miteinander weitgehend unvereinbaren Reformvorschläge einzelner oder auch von Gruppen von Mitgliedstaaten auflistet, hat die Arbeitsgruppe allerdings lange Zeit keine 13 So insbesondere die USA, vgl. etwa die Erklärung in der GV vom 12.7.2005, erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php?module=uploads&func= download&fileId=586 [eingesehen am 20.5.2009]. 14 Auf Initiative Indiens und weiterer 35 blockfreier Staaten sowie Japan als CoSponsor.
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Ergebnisse produziert, was ihr bereits den Namen „never-ending“ statt „open-ended“ eingebracht hat.15 Gleichwohl bekundeten die Staats- und Regierungschefs auf dem Millenniums-Gipfel am 8. September 2000 erneut ihren Willen zur Reform des SR: „[We resolve to] intensify our effort to achieve a comprehensive reform of the Security Council in all its aspects.“16 a) 2003–2006 Initiative von GS Kofi Annan Vor diesem Hintergrund ergriff 2003 der damalige GS Kofi Annan die Initiative, indem er die „Hochrangige Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel“ einsetzte, um u. a. „Empfehlungen zur Stärkung der VN“ einzuholen, damit diese den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts würden gerecht werden können. In ihrem Bericht „Eine sicherere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung“ vom 2. Dezember 200317 stellte die Hochrangige Gruppe folgende allgemeine Grundsätze auf (Abs. 249 ff.): Eine Reform solle diejenigen Staaten stärker an den Entscheidungen beteiligen, die i. S. v. Art. 23 SVN die größten Beiträge leisteten; außerdem seien Länder, die repräsentativer für die gesamte Mitgliedschaft seien, in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Zugleich sollten die Reformen den Rat demokratischer und rechenschaftspflichtiger machen, dabei aber seine Wirksamkeit nicht beeinträchtigen. Zur konkreten Zusammensetzung des SR schlug die Hochrangige Gruppe zwei Modelle vor (Abs. 251 ff.) Beiden gemein ist, dass sie die bestehenden fünf ständigen Sitze unberührt lassen, die Mitgliedschaft des SR aber darüber hinaus erweitern, und zwar auf der Grundlage einer Sitzverteilung nach den vier „Großregionen“ Afrika, Asien und Pazifik, Europa sowie Amerika (im Unterschied zu den existierenden fünf sog. Regionalgruppen). Modell A sieht die Schaffung von sechs neuen ständigen und drei neuen nicht-ständigen Sitzen mit – wie gehabt – zweijähriger Amtszeit vor. Auf die vier Regionen entfiele dabei insgesamt, d. h. inkl. bereits existierender Sitze, die folgende Anzahl ständiger/nicht-ständiger Sitze: Afrika 2/4; Asien und Pazifik 3/3; Europa 4/2; Amerika 2/4. Modell B würde keine neuen ständigen Sitze schaffen, sondern einen weiteren nicht-ständigen Sitz mit zweijähriger sowie acht Sitze mit erneuerbarer vierjähriger Amtszeit (als neue Kategorie „semi-permanenter Sitze“). 15 Kishore Mahbubani, Carnegie Council Panel Discussion zum Thema „The UN Security Council: From the Cold War to the 21st Century“ am 3.4.2004, erhältlich unter http://www.carnegiecouncel.org [eingesehen am 24.4.2004]. 16 United Nations Millennium Declaration, A/RES/55/2 vom 8.9.2000, Para. 30. 17 A more secure world: our shared responsibility, Report of the SecretaryGeneral’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565.
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Nach beiden Modellen kämen alle vier Gruppen auf jeweils 6 Sitze, auch wenn diese eben teilweise unterschiedlich ausgestaltet wären. Das Vetorecht würde hiernach lediglich den bisherigen Inhabern belassen (da man es diesen – eben wegen ihres Vetorechts – nicht nehmen könne), aber nicht ausgeweitet, da es als anachronistisch und undemokratisch angesehen wird. Schließlich wird eine erneute Überprüfung dieser Sitzverteilung für das Jahr 2020 vorgeschlagen, um die Mitgliedschaft im SR immer wieder den aktuellen Realitäten, vor allem den tatsächlichen Beiträgen der Staaten, anpassen zu können. GS Kofi Annan machte sich diese Empfehlungen in seinem eigenen Reformbericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ vom 21. März 2005 zu eigen18 und legte den Mitgliedstaaten eine Reform auf dieser Grundlage nahe. Wenngleich auf dem nachfolgenden Weltgipfel 2005 einer entsprechenden Entscheidung nach wie vor die unterschiedlichen einzelstaatlichen Interessen im Wege standen, hielten die Staats- und Regierungschefs doch am übergeordneten Ziel fest und trafen in Absatz 153 des Ergebnisdokuments folgende Vereinbarung: „We support early reform of the Security Council as an essential element of our overall effort to reform the United Nations, in order to make it more broadly representative, efficient and transparent, and thus to further enhance its effectiveness and the legitimacy and implementation of its decisions.“19
Es ist ein Verdienst Kofi Annans, dieses Thema vorangetrieben zu haben. Möglicherweise war es aber letztlich etwas vermessen und insofern ein Fehler zu meinen, den Mitgliedstaaten die Handlungsführung abnehmen zu können.20 Vor allem nachdem er offen in der Irak-Frage gegen die USA opponiert hatte und diese ihn im Gegenzug anlässlich des Oil for food-Skandals zu demontieren suchten21, verfügte Annan auch persönlich nicht mehr über den erforderlichen Rückhalt. Immerhin aber hat er der Debatte Dynamik und einen Fokus gegeben, was nun im Nachhinein zum Erfolg führen mag [s. u., c)].
18
In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005. 19 Bereits die Milenniums-Erklärung vom 8.9.2000 enthielt in Absatz 30 den Passus: „[We resolve to] intensify our effort to achieve a comprehensive reform of the Security Council in all its aspects.“ 20 So eine verbreitete Einschätzung unter Kommentatoren, vgl. J. von Freiesleben, Reform of the Security Council, in: Center for UN Reform Education (Ed.), Managing Change at the United Nations, 2008, 1 (7). 21 Dazu s. o., Kap. 6, C. III. 3. a) bb) (2).
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b) „Gruppe der Vier“, „Vereint für den Konsens“, „Gruppe der afrikanischen Staaten“ Parallel zu den Bemühungen Kofi Annans, also im Vorfeld des Weltgipfels 2005, hatten sich einige Koalitionen gebildet und ihre jeweiligen Vorstellungen zur Erweiterung des SR in Resolutionsentwürfe gegossen, die allerdings auf erbitterten Widerstand ihrer regionalen Rivalen stießen und somit letztlich nicht zur Abstimmung eingebracht wurden. Bereits am Rande der Generaldebatte vom September 2004 hatte als erstes die „Gruppe der Vier“ (G 4), bestehend aus Japan, Deutschland, Indien und Brasilien, die sich als „natürliche“ Anwärter auf einen ständigen SRSitz betrachten, die Initiative ergriffen und einen Resolutionsentwurf in die Diskussion eingebracht. Dieser sah neben ihren eigenen noch zwei weitere ständige Sitze für Afrika sowie vier nicht-ständige Sitze vor. Auch den neuen ständigen Mitgliedern sollte ein Vetorecht zustehen; allerdings wurde später insoweit eingelenkt, dass dessen Ausübung für 15 Jahre suspendiert sein sollte. Ausschlaggebend für das Scheitern dieses Entwurfs – der dem Modell A der Hochrangigen Gruppe ähnelt – war letztlich, dass es ihnen nicht gelang, die „Gruppe der afrikanischen Staaten“ (AU), die allein über 53 Stimmen in der GV verfügt, hinter sich zu einen. Stattdessen legte die AU, die ein größeres Gewicht für sich beansprucht als ihr bislang zugestanden wird, auf der Grundlage des Ezulwini-Kompromisses vom 8. März 2005 einen eigenen, konkurrierenden Resolutionsentwurf vor.22 Danach würden auf Afrika zwei ständige (mit Veto-Recht ausgestattete) und fünf nicht-ständige Sitze entfallen, was aber ebenso wenig mehrheitsfähig ist wie der G 4-Vorschlag.23 „Lachender Dritter“ ist vor diesem Hintergrund die recht heterogene Gruppe „Vereint für den Konsens“ (engl. „Uniting for Consensus [UfC]“, ursprünglich „Coffee Club“ genannt), die vor allem von Italien (und Spanien), Mexiko (und Argentinien) sowie Pakistan, aber auch Indonesien und Süd-Korea, also den großen regionalen Konkurrenten der G 4, angeführt wird24 und von jenen entsprechend als „Verhinderer“ gebrandmarkt wird. 22
A/60/L.41 vom 14.12.2005. Infolge der Aussichtslosigkeit des G 4-Vorschlags ist die Initiative faktisch inzwischen in der Auflösung begriffen, auch wenn offiziell weiter an ihr festgehalten wird. Am 9.1.2006 legten Deutschland, Brasilien und Indien als „G 3“ (also ohne Japan) einen neuen Entwurf vor, siehe A/60/L.46. Aber auch Indien hat zwischenzeitlich mit seinem „L 69“-Vorschlag eine eigene Initiative gestartet, siehe als A/61/L.69/Rev.1 in der revidierten Fassung vom 14.9.2007. 24 Ganz zu schweigen von Opposition aus dem Kreise der P 5, wie insbesondere die ablehnende Haltung Chinas gegenüber Japan, das allerdings von den USA wiederum ausdrücklich und nachhaltig unterstützt wird. 23
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Mangels eigener Aussichten auf einen ständigen SR-Sitz treten diese nämlich in ihrem Entwurf vom 21. Juli 2005 weitgehend für den Erhalt des status quo ein, indem sie lediglich die Zahl der nicht-ständigen Mitglieder mit, wie gehabt, zweijähriger Amtszeit verdoppeln wollen. Über deren (Wieder-)Wahl oder Rotation würden die bestehenden fünf Regionalgruppen entscheiden (auf die die Sitze wie folgt verteilt wären: Afrika 6, Asien 5, Lateinamerika und Karibik 4, Westeuropa 3, Osteuropa 2). c) 2006–2008 Neuer Anlauf der GV Sowohl Jan Eliasson (Schweden, 60. Sitzung 2005/06) als auch Scheicha Haya Rashed Al Khalifa (Bahrain, 61. Sitzung 2006/07) und Srgjan Kerim (Kroatien, 62. Sitzung 2007/08) nutzen ihre Präsidentschaft aktiv, um die Reformbemühungen aufzugreifen und mit Priorität voranzutreiben. Dazu führten sie die Aktivitäten wieder in die Mitte der GV bzw. der weiterhin von ihr mandatierten OEWG zurück, in der sie als Präsidenten der GV den jeweiligen Vorsitz innehatten. Hierbei ernannte Al Khalifa am 8. Februar 2007 fünf nationale VN-Botschafter25 zu Moderatoren (facilitator) und erteilte ihnen den Auftrag, mit den Mitgliedstaaten in Konsultationen zu treten, um eine „Bewertung des Sachstands in Bezug auf die Reform des Sicherheitsrats vorzunehmen, um den für die Generalversammlung geeigneten Weg zur Erfüllung der schwierigen Aufgabe der Reform des Rates zu ermitteln“26. In ihrem Bericht vom 19. April 200727 trugen die Moderatoren den Sachstand zu fünf Themenkomplexen zusammen, nämlich die Kategorien der Mitgliedschaft, die Zahl der Mitglieder in einem erweiterten SR, die Fragen des Vetos und der regionalen Vertretung sowie die Arbeitsmethoden des SR einschließlich der Beziehungen zwischen SR und GV. Allerdings variierte, je nach dem eigenen Standpunkt, die Wahrnehmung der Staaten darüber, welche Modelle eher den Mehrheitswillen wiedergaben als andere und daher weiterzuverfolgen seien.28 Am 22. Mai 2007 erteilte die GV-Präsidentin Al Khalifa daher auf Drängen der G 4 den VN-Botschaftern Chiles und Liechtensteins das Mandat, auf der Grundlage des Moderatoren25 H. Mun ˇ oz (Chile), M. Mladineo (Kroatien), F. Majoor (Niederlande), A. Hachani (Tunesien), A. D. Mavroyiannis (Zypern). 26 Zitiert nach dem Bericht der OEWG vom 14.9.2007, A/61/47, Anhang II, I. Einleitung. 27 Report of the Facilitators to the President of the General Assembly on the Consultations regarding „The Question of equitable representation on and increase in the membership of the Security Council and other matters related to the Security Council“ vom 19.4.2007. 28 J. von Freiesleben, Reform of the Security Council, in: Center for UN Reform Education (Ed.), Managing Change at the United Nations, 2008, 1 (10).
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Berichts Konsultationen mit den Mitgliedstaaten zum weiteren Vorgehen zu führen. In ihrem Folgebericht vom 26. Juni 200729 kamen die beiden Botschafter zu dem Schluss, dass die Staaten, die bereits vorher feste Positionen zur SR-Reform eingenommen hatten (insb. G 4, UfC, AU, s. o.), auch weiterhin auf diesen beharrten und damit kein Konsens erreichbar sei. Folglich schlugen auch sie im Anschluss an die Moderatoren einen „intermediären Ansatz“ als einzig gangbaren (Aus-)Weg vor. Danach wären für einen bestimmten, vorab festgelegten Zeitraum ein Übergangskonzept als Zwischenlösung zu entwerfen und die offenen Streitfragen im Rahmen einer Überprüfung zum Ende der Laufzeit zu klären. Die OEWG fasste in ihrem Jahresbericht vom 14. September 200730 ihrerseits die beiden genannten Berichte im Wesentlichen nur zusammen und empfahl, ihr eigenes Mandat zu verlängern, um der GV „einen Bericht mit etwaigen einvernehmlichen Lösungen [vorzulegen].“ Dabei hing ihr Schicksal einen Moment am seidenen Faden, nachdem eine Gruppe von Staaten um Indien, Brasilien und Südafrika („IBSA-Länder“) noch am 11. September 2007 einen neuen Resolutionsentwurf31 vorgelegt hatte, nach dem insbesondere festgeschrieben werden sollte, dass neben semi-permanenten auch weitere ständige Sitze zu schaffen seien. In der 62. Sitzungsperiode skizzierte GV-Präsident Srgjan Kerim im Rahmen der jährlichen Debatte der GV zum Thema „Reform des Sicherheitsrats“ vom 12.–14. November 2007 sowie vor der OEWG am 14. Dezember 2007 sieben Prinzipien, die aus seiner Sicht und im Anschluss an die Berichte dem weiteren Vorgehen zugrunde zu legen seien.32 Zusammengefasst müsse die SR-Reform danach mit der Transformation des gesamten VNSystems einhergehen, die als ein Gemeinschaftsprojekt von VN und Mitgliedstaaten zu begreifen sei. In einem transparenten Prozess seien konkrete Verhandlungsgegenstände zu ermitteln, um in Regierungsverhandlungen einzutreten, deren Rahmen und Modalitäten zuvor in der OEWG vereinbart werden sollten. Ziel sei es, eine allgemeine Einigung in sämtlichen Aspekten der Reform zu erreichen, so dass den Interessen und Anliegen aller Seiten Rechnung getragen würde.
29
Report to the President of the General Assembly on the Consultations regarding „The Question of equitable representation on and increase in the membership of the Security Council and other matters related to the Security Council“ vom 26.6.2007. 30 A/61/47 vom 14.9.2007. 31 A/61/L.69 vom 11.9.2007. 32 GA/10656 vom 12.11., GA/10657 vom 13.11. und GA/10658 vom 14.11.2007. Erklärung des Präsidenten der GV vom 14.12.2007, erhältlich unter http://www.un. org/ga/president/62/statements/OEWG141207.shtml [eingesehen am 15.12.2007].
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d) Stand der Verhandlungen (63./64. Sitzungsperiode – 2008–10) Angesichts des inhaltlichen Stillstands war die Diskussion 2008 noch vom Streit um das weitere Vorgehen und insoweit die betreffende Formulierung im 2007er-Bericht der OEWG geprägt, wo es heißt, dass die Fragen „unter anderem im Rahmen zwischenstaatlicher Verhandlungen und aufbauend auf den bislang [. . .] erzielten Fortschritten sowie auf den Positionen und Vorschlägen der Mitgliedstaaten“ behandelt werden sollen.33 Diese Positionen klafften jedoch nach wie vor auseinander, so dass eine Reihe von Staaten, insbesondere die Uniting for Consensus-, aber auch die afrikanische Gruppe, es weiterhin als erforderlich ansahen, offene Konsultationen i. R. d. OEWG zu führen, um einen allgemeinen Konsens herzustellen. Andere Staaten, vor allem Deutschland, Brasilien und Indien, die dabei vom GV-Präsidenten und Vorsitzenden der OEWG Srgjan Kerim unterstützt wurden, lehnten dies hingegen als bloße Verzögerungstaktik ab und drängten darauf, die Hauptverantwortung für den Prozess nunmehr unmittelbar auf die Mitgliedstaaten selbst zurückzuverlagern und diesen also ggf. auch durch eine (Kampf-)Abstimmung zum Abschluss zu bringen (gemäß Art. 18 Abs. 2 SVN kein Erfordernis von Einstimmigkeit, sondern nur einer 2/3-Mehrheit).34 Auf dieser Linie schlug Zypern am 18. März 2008 als Sprecher einer Kerngruppe um Deutschland einen sog. „Overarching Process“ vor.35 Die Grundlage und den Ausgangspunkt für zwischenstaatliche Verhandlungen sollte danach ein Text bilden, der zu den einzelnen Themenkomplexen jeweils mehrere unterschiedliche Optionen als „bracketed text“ nebeneinander stellte. Er ankerte um eine Zahl von 22 SR-Mitgliedern (Afrika und Asien je 2, Lateinamerika inkl. Karibik sowie West- und Osteuropa jeweils 1 zusätzlichen Sitz), die entweder für die gesamte Übergangszeit zu wählen gewesen wären oder sich nach einigen (ca. fünf) Jahren einer Wiederwahl hätten stellen müssen; neue Vetorechte sollten nicht vergeben werden. Da dieser Ansatz jedoch nicht alle vertretenen Positionen wiedergab und vor allem vorsah, über die OEWG hinauszugehen, rief er vielfachen Widerstand hervor und erwies sich somit nicht als konsensfähig. 33 A/61/47 vom 14.9.2007, Kapitel IV – Empfehlungen. Für einen Überblick siehe J. v. Freiesleben, Member States Discuss Security Council Reform Again: A Never-Ending Process?, 16.4.2008, S. 2, erhältlich unter http://www.centerforunre form.org [eingesehen am 10.5.2008]. 34 Vgl. die Erklärung des deutschen VN-Botschafters Thomas Matussek vom 10.4.2008 anlässlich der zweiten Sitzung der OEWG in der 62. Sitzungsperiode der VN. 35 Als Mitsponsoren traten Großbritannien, die Niederlande, Rumänien und Malaysia auf. Der Text zum „Overarching Process“ ist erhältlich unter http://www. reformtheun.org/index.php/eupdate/4290 [eingesehen am 4.7.2008].
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Am 11. Juni 2008 legte eine Arbeitsgruppe (Task Force) unter GV-Präsident Srgjan Kerim ihren Bericht vor.36 Darin wird ein mögliches Übergangsszenario skizziert, wonach für die Dauer von etwa 10–20 Jahren vorerst von der Schaffung ständiger SR-Sitze abgesehen würde, da kaum Aussicht darauf bestehe, dass die GV oder auch nur die Regionalgruppen sich auf Kandidaten einigten. Insofern käme – ähnlich wie im Overarching Process vorgeschlagen – die Bildung einer Zwischenkategorie in Betracht, in der neue Sitze für die gesamte Übergangszeit vergeben würden, die auf Antrag aber auch zwischendurch neu zur Wahl gestellt werden könnten. Alternativ wird angedacht, weitere Sitze mit zweijähriger Amtszeit, aber der Möglichkeit der Wiederwahl einzurichten. Die Mitgliederzahl dürfte danach auf 20–25 steigen – mehr würden wohl die P 5 nicht mitmachen, weniger hingegen wären für die Entwicklungs- und „kleinen“ Länder nicht akzeptabel. Bewerber könnten entweder aus der Mitte der GV oder aufgrund eines regionalen Konsenses vorgeschlagen und dann von der GV gewählt werden. Hinsichtlich der „timeline perspective“, d. h. der künftigen Überprüfung (review), ist noch offen gelassen worden, ob die Zwischenlösung mit Zeitablauf i. S. e. sunset clause enden und der status quo ante wieder aufleben würde oder ob sie so lange Bestand hätte, bis eine 2/3-Mehrheit für ein anderes Arrangement zustande gekommen wäre.37 Die Antwort auf diese Frage kann einen fundamentalen Unterschied machen, da es sich als unmöglich herausstellen könnte, ein solches Quorum noch einmal zu erreichen, so dass die vermeintliche Zwischenlösung versteinern würde. Auch dieser Vorschlag vermag die gegensätzlichen (Maximal-)Positionen der Staaten jedoch nicht zu überbrücken. Stattdessen hat nun auch die Arabische Liga ausdrücklich ihren Anspruch auf einen ständigen SR-Sitz für einen arabischen Staat angemeldet, was es nicht leichter machen dürfte, endlich zu einem Ergebnis zu gelangen.38 Erst als zum Ende der 62. Sitzungsperiode der jährliche Abschlussbericht der OEWG an die GV zu scheitern drohte, erreichte Srgjan Kerim – jedenfalls hinsichtlich der Verfahrensfrage – einen Durchbruch, indem er entgegen der Praxis eine Abstimmung in der Arbeitsgruppe erzwang.39 Danach 36 Erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/eupdate/4290 [eingesehen am 4.7.2008]. Die nicht-öffentliche Diskussion in der OEWG fand am 17.6.2008 statt. Mitglieder der Arbeitsgruppe waren neben dem GV-Präsidenten noch die Botschafter Chiles, Bangladeschs, Portugals und Dschibutis. 37 J. v. Freiesleben, A Look at the Transitional Approach to Security Council Reform, 24.6.2008, erhältlich unter http://www.centerforunreform.org [eingesehen am 9.7.2008]. 38 J. v. Freiesleben, Member States Meet to Discuss Report of the Task Force on Security Council Reform, 17.6.2008, erhältlich unter http://www.centerforunreform. org [eingesehen am 9.7.2008].
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wurde beschlossen, dass zunächst zwar weiterhin die OEWG beauftragt werden solle, den Rahmen, die Modalitäten und die Verhandlungsgegenstände (frame, modalities and negotiables) von zwischenstaatlichen Verhandlungen konsensual zu erarbeiten. Hierfür wurde aber eine zeitliche Frist bis zum 28. Februar 2009 festgeschrieben, nach dessen Ablauf automatisch unmittelbare Regierungsverhandlungen in informellen Plenarsitzungen der GV aufgenommen werden sollten.40 Wenngleich weiterhin ein „widest possible agreement between Member States“ angestrebt wird, ist demnach nicht mehr zwingend ein Konsens herzustellen. Damit dürfte die Endlosschleife offener Konsultationen in der Arbeitsgruppe endlich überwunden sein. Am 29. Januar 2009 sind die Staaten auch tatsächlich in Verhandlungen eingetreten.41 Von den Verhandlungsgegenständen ist es bei den fünf skizzierten Themenkomplexen geblieben [oben c)], die auch Inhalt der OEWG-Jahresberichte 2007 und 2008 waren.42 Während der 63. und 64. Sitzung (2008–2010) fanden insgesamt fünf Verhandlungsrunden unter der Leitung des afghanischen Botschafters Zahir Tanin, der zum Chair of the intergovernmental negotiations ernannt worden war, statt. Er hatte die verschiedenen Vorschläge der Staaten dafür erstmals in einem einzigen konsolidierten Text zusammengefasst.43 Die Anzahl der unterschiedlichen Varianten ist allerdings noch groß, so dass der Text – möglichst bereits in der 65. Sitzung (2010/11) – auf eine abstimmungsfähige Fassung reduziert werden muss, was weitere intensive Verhandlungen erfordern wird.
39 Dieser Schritt war freilich nicht unumstritten, vgl. etwa die Stellungnahme Costa Ricas, GA/10743 vom 15.9.2008: „[We are] concerned that a precedent might be created in the proceeding of working groups. There should be no voting in such working groups [. . .].“ 40 GA Decision 62/557 vom 15.9.2008, Paras. (d) und (e). 41 Siehe die Berichte Countries Welcome Work Plan as Security Council Reform Process Commences New Phase vom 24.2.2009 und In Fourth Reform Meeting, Countries Discuss Size and Working Methods of the Security Council vom 10.4.2009 des Center for UN Reform, erhältlich unter http://www.reformtheun.org/ [eingesehen am 18.5.2009]. 42 Siehe den Entwurf des Abschlussberichts der OEWG vom 15.9.2008, A/AC.247/2008/L.1/Rev.2 sowie die finale Resolution A/RES/62/557. Erst in letzter Minute waren noch einige mündliche Änderungen vereinbart worden, um den Bericht konsensfähig zu machen, siehe dazu GA/10743 vom 15.9.2008. 43 Negotiation text in der Überarbeitung vom 21.5.2010, erhältlich unter http:// www.reformtheun.org/ [eingesehen am 29.9.2010].
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 5. Stellungnahme
Mit dem Verzicht darauf, zwingend einen allgemeinen Konsens i. R. d. OEWG herzustellen und stattdessen direkte Regierungsverhandlungen zu führen, sind die Aussichten darauf, nunmehr zeitnah eine Entscheidung der GV zur künftigen Zusammensetzung des SR herbeizuführen, deutlich gestiegen. Noch ist allerdings offen, wer bereit sein wird, die absehbare Kampfabstimmung zu beantragen. Nicht zu vergessen ist auch, dass jede Änderung der Zustimmung des SR, also insbesondere jedes der P 5, bedarf. Möglicherweise gelingt den G 4 im zweiten Anlauf und ggf. mit einem abgewandelten Modell der Durchbruch, wenn im Jahr 2011 mit Brasilien, Indien und Deutschland drei von ihnen im SR vertreten sein werden. Inhaltlich muss die Faustregel für die Erweiterung des SR lauten, dass er groß genug ist, um repräsentativ zu sein, aber gleichzeitig klein genug, um effektiv arbeiten zu können.44 Den USA und tendenziell auch Russland schwebt danach an sich eine maximale Erweiterung des SR auf 20 Mitglieder vor, wonach insbesondere für einen weiteren (west-)europäischen Vertreter kein Platz wäre.45 Da sich in solch einem engen Rahmen aber auch für die kleineren sowie die Entwicklungsländer, vor allem Afrikas, aber ebenso Asiens – insbesondere auch aus der muslimischen Welt – kaum Sitze in nur annähernd repräsentativer Zahl ergäben, dürfte am Ende eher eine Mitgliederzahl von ca. 25 stehen. Die größte Zahl, die überhaupt vorgeschlagen worden ist, liegt bei 31.46 Nach dem bisherigen Scheitern der G 4-Initiative deutet außerdem viel darauf hin, dass statt neuer ständiger Sitze jedenfalls vorerst lediglich „semi-permanente“ geschaffen werden, die über eine längere Amtszeit verfügen und deren Inhaber wiederwählbar wären. Ob dies die erforderliche Kontinuität brächte und dazu führte, ein Gegengewicht zum „Machtkartell“ um die P 5 herum aufzubauen, hinge davon ab, wie weit letztlich nicht doch bei jeder Wahl „politisch korrekt“ rotiert würde. Dann nämlich schlüge der strukturelle Nachteil nicht-ständiger Mitgliedschaften auch weiterhin voll durch, der darin besteht, dass Mitglieder auf Zeit nicht in der Lage sind, jeweils ad hoc die erforderlichen Ressourcen aufzubringen und das „institutionelle Gedächtnis“ zu entwickeln, das (unabhängig vom Vetorecht) den großen Vorteil der ständigen Mitglieder ausmacht. 44 So insbesondere die USA und Russland, vgl. die Erklärungen ihrer jeweiligen Vertreter in der Plenardebatte der GV am 12.–13.11.2007, GA/10656. 45 US State Department, On-the-Record Briefing on UN Reform vom 16.6.2005, siehe http://www.state.gov/p/us/rm/2005/48186.htm [eingesehen am 20.6.2005]. 46 Vorschlag der Philippinen, siehe den überarbeiteten Verhandlungstext i. d. F. vom 21.5.2010, Ziffern 1.3 und 4.3.
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Auch die Hochrangige Gruppe hat – ohne einzelne Länder herauszugreifen – betont, dass der SR „nicht nur als repräsentatives, sondern als Verantwortung tragendes Organ geschaffen [wurde], das über die Kapazität verfügt, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen“.47 Statt aber insofern die Satzung beim Wort, also ernst zu nehmen, werden bislang vielfach nur in „Basar-Manier“ Namen von Staaten in die Diskussion geworfen. Damit wird nicht nur das Pferd von hinten aufgezäumt, sondern auch eine Entscheidung entweder unmöglich gemacht oder, wenn sie doch zustande kommen sollte, am Ende ein Stück weit willkürlich erscheinen.48 Wenn doch einmal auf die eigentlichen Kriterien abgestellt wird, dann wird – entsprechend der bisherigen Praxis bei der Wahl der nicht-ständigen Mitglieder – weitgehend „einäugig“ nur auf den Aspekt einer ausgewogenen geographischen Verteilung geschaut und weniger (selbst-)kritisch darauf, welcher Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der VN tatsächlich geleistet wird, obgleich die Satzung insoweit ausdrücklich ein umgekehrtes Rangverhältnis aufstellt [„besonders zu berücksichtigen: in erster Linie der Beitrag“ (Art. 23 Abs. 1 SVN)]. Angesichts dessen scheinen die Aussichten vor allem Japans und Deutschlands, den beiden größten Beitragszahlern nach den USA, auf einen ständigen Sitz mittlerweile wieder zu sinken. Auch wenn Japan geographisch dem bislang unterrepräsentierten Asien angehört, wird es doch allgemein – wie auch Deutschland, das darüber hinaus als EU-Mitglied bereits als durch Großbritannien und Frankreich ausreichend vertreten angesehen wird – „dem Westen“ zugerechnet; hinzu kommt die Rivalität mit China. Stattdessen ist nun die Gruppe der Entwicklungsländer der Südhalbkugel „am Drücker“, die sich am Ende allerdings selbst mattsetzen und damit die gesamte Reform in die Sackgasse führen könnten. Während Indien sich (gegenüber Pakistan) noch als gesetzt ansieht, sind Brasilien und Südafrika zunehmend Opposition aus ihren eigenen regionalen Gruppen ausgesetzt. Vor allem Südafrika steht vor der vielleicht unlösbaren Aufgabe, ein übergreifendes Modell mitzugestalten und gleichzeitig den afrikanischen Konsens mitzutragen, der wegen des Beharrens auf ein Vetorecht auch für Neumitglieder jedoch unrealistisch ist und dessen einzige Funktion somit darin besteht, die innerafrikanische Unfähigkeit zu überdecken, sich auf gemeinsame Kandidaten zu einigen. Lässt die AU einerseits keine Gelegenheit aus, auf die „historische Ungerechtigkeit“ hinzuweisen49, dass der Kon47
A more secure world: our shared responsibility, Report of the Secretary-General’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Para. 244. 48 Kishore Mahbubani, Carnegie Council Panel Discussion zum Thema „The UN Security Council: From the Cold War to the 21st Century“ am 3.4.2004, erhältlich unter http://www.carnegiecouncel.org/ [eingesehen am 24.4.2004].
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tinent bis heute über keinen ständigen SR-Sitz verfügt, vermag sie also selbst auch nur wenig dazu beizutragen, diesen Zustand zu überwinden.50 Es bleibt insofern zu hoffen, dass die Legitimität des SR – wie die Erweiterung seiner Mitgliedschaft (wenn sie denn kommt) letztlich auch aussehen mag – jedenfalls über eine stärkere Einbeziehung der Mitgliedstaaten in seine Aktivitäten vergrößert bzw. wiederhergestellt wird. II. Arbeitsmethoden Somit betrifft die zweite Frage der SR-Reform denn auch seine Arbeitsmethoden (working methods). Diese sind vor allem für Nicht-Mitglieder des SR – und unter ihnen wiederum die kleineren Staaten, die nur selten in den SR gewählt werden – von großer Bedeutung, da sie insoweit darauf angewiesen sind, als „Externe“ von den SR-Mitgliedern informiert und beteiligt zu werden.51 Aber auch die „unterprivilegierten“ nicht-ständigen Mitglieder bedürfen SR-interner Abläufe, die eine gleichberechtigte Mitarbeit ermöglichen. 1. Rechtlicher Rahmen und status quo
Gemäß Art. 30 SVN genießt der SR Geschäftsordnungsautonomie. Damit ist er im Grundsatz frei, seine Arbeitsmethoden selbst zu bestimmen. Gleichwohl hat sich der SR als (nur) eines von sechs Hauptorganen der VN in das „konstitutionelle Gefüge“ der Charta einzupassen, d. h. Loyalität zu üben und „das gemeinsame große Ganze“ im Blick zu behalten [s. o., Kap. 4, B. II. 2. g)]. Bis heute handelt der SR lediglich aufgrund einer „Vorläufigen Geschäftsordnung des Sicherheitsrats“, die er sich auf seiner ersten Sitzung 1946 gab und deren aktuelle Fassung aus dem Jahr 1982 stammt. Wenngleich sie in gedruckter Form als Dokument S/96/Rev.7 vorliegt und prinzipiell auch befolgt wird, ist sie gleichwohl nie förmlich als Geschäftsordnung angenommen worden und steht sie somit ständig latent zur Disposition. Mag dies dem SR, insbesondere den P 5, wenn sie sich einig sind, auch ein Höchstmaß an Flexibilität bescheren, stellt dieser Zustand 49 Siehe etwa die Zusammenfassung der jährlichen Debatte der GV zur SR-Reform vom 12.–14.11.2007, GA/10656. 50 J. von Freiesleben, Reform of the Security Council, in: Center for UN Reform Education (Ed.), Managing Change at the United Nations, 2008, 1 (18 f.). 51 Vgl. die Stellungnahme der Vertreterin Neuseelands Kirsty Graham in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „[T]he Council’s working methods [have] a considerable impact on the ability of many small States to contribute and understand issues before it.“ Ganz ähnlich äußerte sich u. a. Kanada.
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sich für die Mitgliedschaft und die Organisation der VN doch als ein gravierender Mangel an Klarheit und Verlässlichkeit dar. Und nicht zuletzt bleibt zu konstatieren, dass auch in der Rechtspraxis nicht einmal die wenigen Vorgaben der Charta adäquat umgesetzt werden. So normiert sie zum einen in Art. 24 Abs. 3 SVN die Pflicht des SR, der GV „Jahresberichte und erforderlichenfalls Sonderberichte zur Prüfung [vorzulegen]“. Zum anderen sehen die Art. 31 und 32 SVN im Hinblick auf die Beteiligung von Staaten (die Unterscheidung von Mitgliedern und Nichtmitgliedern der VN ist heute praktisch obsolet geworden) vor, dass jedes Mitglied, freilich ohne Stimmrecht, „an der Erörterung jeder vor den Sicherheitsrat gebrachten Frage teilnehmen [kann], wenn dieser der Auffassung ist, dass die Interessen dieses Mitglieds besonders betroffen sind“ (Art. 31 SVN). Hiernach ist also noch die – allerdings nicht unbegrenzt dehnbare – „Auffassung“ des SR darüber maßgebend, ob ein Staat im erforderlichen Maße betroffen ist (siehe auch Regel 37 der Vorläufigen Geschäftsordnung). Parteien von Streitigkeiten, mit denen der SR befasst ist, haben hingegen ein Recht (wenn auch wiederum ohne Stimmrecht), an den Erörterungen des SR teilzunehmen (Art. 32 SVN: „werden eingeladen“; Regel 38 der Vorläufigen Geschäftsordnung sieht sogar vor, dass „[a]ny Member [. . .] invited in accordance with Art. 32 of the Charter [. . .] may submit proposals and draft resolutions.“). Mit Blick auf das Vetorecht der ständigen SR-Mitglieder sieht Art. 27 SVN vor, dass es nicht für „Verfahrensfragen“ (Abs. 2), sondern nur für „alle sonstigen Fragen“ (Abs. 3) gilt. Kriterien oder ein Verfahren zur Unterscheidung dieser beiden Kategorien werden allerdings nicht geliefert. Gemäß der „San Francisco-Erklärung“ der „Sponsoring Governments“ (P 5 mit Ausnahme Frankreichs, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht beteiligt war), sind unter Verfahrensfragen nur solche zu verstehen, die die interne Organisation des SR betreffen und in den Art. 28–32 SVN umrissen sind. Für den Fall, dass die Zuordnung einer Frage einmal umstritten sein sollte, vereinbarten die „P 4“, dass die Entscheidung darüber nicht-verfahrensrechtlicher Art sei und damit ihrerseits in den Anwendungsbereich des Vetorechts falle (sog. „Doppel-Veto“). Diese Erklärung ist ein unilateraler Akt der USA, Großbritanniens, der UdSSR und Chinas, der auf der Gründungskonferenz der VN nicht zur Abstimmung stand und somit lediglich den travaux préparatoires zuzurechnen ist, ohne die Mitgliedschaft zu binden. Faktisch gilt sie jedoch. Diese Umstände sind im Übrigen Teil der Antwort darauf, warum der SR noch immer auf der Grundlage einer Vorläufigen Geschäftsordnung operiert.52 52 Zu alledem G. Abi-Saab, Membership and voting in the United Nations, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 19 (35).
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Seit den 1990er Jahren hat der SR auf praktischer Ebene allerdings eine Reihe von Initiativen in Gang gesetzt und Maßnahmen ergriffen, um die Mitgliedstaaten besser einzubeziehen. Die größten Fortschritte hat es insofern in den praktisch relevanten Bereichen Sanktionen und militärische Einsätze gegeben. Hier haben sich Konturen eines „allgemeinen (Sanktions-)Verwaltungsverfahrensrechts“ [s. o., Kap. 5, A. III. 4. a)] sowie verschiedene Formen der Beteiligung von Truppen stellenden Staaten herausgebildet. Als jüngsten Mechanismus gibt es hier seit Januar 2002 gemeinsame Sitzungen der Arbeitsgruppe des SR zu Friedenseinsätzen und des VN-Sekretariats mit den jeweiligen Truppenstellern, um im Vorfeld von Entscheidungen spezifische Belange der Missionen zu besprechen.53 2. Probleme: Information und Beteiligung, Verantwortlichkeit und Rechenschaft, Vetorecht
Was in den Bereichen Sanktionen und Friedenseinsätze also schon ein gutes Stück weit gelungen ist – wenn auch in den Augen der Betroffenen weiterhin unzureichend –, trifft in der Breite der SR-Aktivitäten hingegen noch (bzw. erst recht) nicht zu. Auffällig ist die Diskrepanz zwischen auf der einen Seite dem Maß an Aktivitäten, das der SR seit Anfang der 1990er Jahre entwickelt hat, und auf der anderen Seite seiner abnehmenden Sichtbarkeit. Diese gegenläufige Entwicklung hat sich daraus ergeben, dass der SR zwar immer häufiger (praktisch ständig) tagt, dabei aber das Regel-Ausnahme-Verhältnis von öffentlichen und nicht-öffentlichen Sitzungen umgedreht hat (vgl. Regel 48 der Vorläufigen Geschäftsordnung des SR: „Unless it decides otherwise, the Security Council shall meet in public.“).54 Genau genommen werden die Resolutionen überhaupt nicht mehr vom (förmlich tagenden) SR selbst erarbeitet, sondern von nationalen Diplomaten auf Arbeitsebene in den Ständigen Vertretungen. Erst die zumeist bis ins Detail abgestimmten Resolutionsentwürfe werden überhaupt Gegenstand nicht-öffentlicher SR-Sitzungen; für die öffentlichen Sitzungen verbleibt insofern nicht mehr als der bloße offizielle Akt der Abstimmung, ohne dass es noch zu inhaltlichen oder gar ergebnisoffenen Erörterungen käme. Ähnlich verhält es sich mit den in Art. 24 Abs. 3 SVN erwähnten Berichten. Diese werden nur noch pro 53 Andere Formen der Konsultation hatte es bereits seit Mitte der 1990er Jahre gegeben, dazu S. C. Holton, Council Working Methods and Procedures, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 237 (242). 54 Siehe den Special Research Report „Security Council Transparency, Legitimacy and Effectiveness: Efforts to Reform Council Working Methods 1993–2007“ der Security Council Report-Initiative vom 18.10.2007, S. 3, erhältlich unter http://www.securitycouncilreport.org [eingesehen am 10.5.2008].
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forma eingereicht, da sie lediglich Auflistungen bereits bekannter Daten enthalten, aber keinerlei Aufschluss über substanzielle Aspekte von Entscheidungen geben, etwa warum eine bestimmte Resolution in ihrer Form beschlossen wurde (oder nicht). Dies alles führt dazu, dass die Mitgliedschaft schlecht bis gar nicht in die Aktivitäten des SR eingebunden, ja noch nicht einmal über sie informiert ist. Zwar gibt es insoweit immer „undichte Stellen“, die Resolutionsentwürfe interessierten Staaten zuspielen. Im Fall der EU ist die Unterrichtung der übrigen Mitglieder durch die jeweils im SR vertretenen EU-Staaten in Art. 19 EUV (Art. 34 EUV/Lissabonner Vertrag) sogar ausdrücklich festgeschrieben, und sie wird in wöchentlichen Koordinierungstreffen auch praktiziert. Die Mehrzahl der Staaten bleibt aber ausgeschlossen. Dieser Mangel an Transparenz ist eng verknüpft mit Defiziten in der Verantwortlichkeit und der Rechenschaft, die der SR ablegt bzw. im Ergebnis eben nicht ablegt. Er selbst, verkörpert insbesondere wiederum durch die P 5, beruft sich insoweit auf seine Rolle – oder besser: auf sein Selbstverständnis – als politisches Organ. Dies entlässt ihn aber nicht aus seiner „dienenden“ Funktion, die mit etlichen berechtigten Erwartungen und auch klar umrissenen Bindungen versehen ist. Mangels eines Gegengewichts ist praktisch jedoch kaum Verlass darauf, dass der SR in einer vorgegebenen Situation auch tatsächlich handeln oder in einer anderen gerade nicht handeln wird. Diese Art von „Selbstherrlichkeit“ wird noch dadurch zugespitzt, dass mit den P 5 einzelne Staaten in der Lage sind, per Veto auch den SR selbst lahmzulegen, ohne dass sie hierfür – überhaupt – Gründe haben (oder auch nur vortragen) müssten oder – was eigentlich geboten wäre – solche, die sich aus der Sache selbst, d. h. der Erfüllung ihres Mandats rechtfertigen. 3. Implikationen
Dadurch dass der SR die Privilegien, die die Mitgliedschaft ihm zum Zweck der Wahrung von Frieden und Sicherheit in der internationalen Gemeinschaft anvertraut hat, derart selektiv gebraucht und seine Entscheidungen allgemein „im stillen Kämmerlein“ trifft, hat er viel Unverständnis und Frustration auf Seiten der Staaten hervorgerufen. Die gefühlte und tatsächliche unfaire Behandlung schlägt aber auch auf den SR selbst zurück. Erstens lässt er viel Sachkenntnis, über die die Mitgliedstaaten verfügen, ungenutzt. Auf dieses Potenzial wäre er aber umso mehr angewiesen, je stärker er seine Aktivitäten in jüngster Zeit ausgedehnt hat, sowohl was sein Verständnis von einer Friedensbedrohung i. S. v. Art. 39 SVN betrifft als auch die Verpflichtungen, die er den Staaten zur Friedenswahrung auferlegt. Statt aber ihren Rat einzuholen oder sie jedenfalls anzuhören, infor-
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miert er sie meist noch nicht einmal über seine Entscheidungsprozesse und die zugrunde liegenden Erwägungen. Dies wiederum führt, zweitens, zu einer mangelnden Überzeugung und Identifikation auf Seiten der Mitgliedstaaten, die sich als bloße Befehlsempfänger in eine rein passive Rolle geschoben fühlen, so dass sie die Resolutionen im Ergebnis bestenfalls noch halbherzig befolgen. Diese Umsetzungsdefizite kann sich der SR aber nicht leisten, weil er die Effektivität seiner Maßnahmen nicht aus eigener Kraft gewährleisten kann. In den Folgejahren des 11. September 2001 hat sich dies im Kampf gegen den internationalen Terrorismus jüngst deutlich gezeigt (s. o., Teil 2, Kap. 5). 4. Reformvorschläge
Angesichts dessen sind die Arbeitsmethoden des SR denn auch ein ständiger Punkt auf der Agenda nicht nur der allgemeinen VN-Mitgliedschaft, sondern auch des SR selbst. Die jüngste und anhaltende „Runde“ in den Reformbemühungen läuteten die Staats- und Regierungschefs noch einmal nachdrücklich auf dem Weltgipfel 2005 ein, wo sie in Absatz 154 des Ergebnisdokuments die folgende Aussage trafen: „We recommend that the Security Council continue to adapt its working methods so as to increase the involvement of States not members of the Council in its work, as appropriate, enhance its accountability to the membership and increase the transparency of its work.“
Das Sekretariat erstellte daraufhin auf Ersuchen des SR eine Liste (descriptive index) aller Anstrengungen, die der SR seit 1993 unternommen hatte, um seine Arbeitsmethoden besser auf die Bedürfnisse der Mitgliedstaaten einzustellen. Es kam dabei auf 57 Nennungen, die der SR-Präsident in der Mitteilung (note) S/2006/78 vom 7. Februar 2006 zusammenfasste. Inzwischen hat es einige Überarbeitungen gegeben, zuletzt veröffentlicht als S/2010/507 vom 26. Juli 2010, nunmehr 78 Einträge umfassend. Sie reichen von unterschiedlichen Aspekten der Berichterstattung durch den SR und der Veröffentlichung seiner Arbeitsprogramme über die Institutionalisierung informeller Konsultationen bis hin zu bestimmten Verfahren im Zusammenhang mit Sanktionen und Blauhelmeinsätzen.55 Ist die Quantität oder Bandbreite seiner Bemühungen also durchaus beeindruckend, lässt sich zu ihrer Qualität allerdings sagen, dass „the language is drafted in aspirational terms rather than as a firm commitment“.56 Diese Unverbind55 Im Einzelnen finden sich die folgenden 11 Themenbereiche, in denen Verfahrensverbesserungen festgeschrieben werden: Agenda; Annual Report; Briefings; Documentation; Informal Consultations; Meetings; Programme of Work; Resolutions and Presidential Statements; Sanctions Committees; Matters of which the Council is seized; Troop-contributing Countries.
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lichkeit ist denn auch der Anlass für die nach wie vor bestehende Unzufriedenheit auf Seiten der Staaten darüber, wie der SR seine Beziehungen zu ihnen gestaltet. a) Initiative der „Gruppe der fünf Kleinen (S 5)“ Die „Gruppe der fünf Kleinen („Small Five“ oder „S 5“, bestehend aus der Schweiz, Liechtenstein, Costa Rica, Singapur und Jordanien), die sich statt auf die Frage der Expansion des SR auf diejenige seiner Arbeitsmethoden konzentriert, legte am 17. März 2006 einen entsprechenden Resolutionsentwurf vor.57 Darin werden dem SR Verbesserungsvorschläge in sieben Bereichen unterbreitet (op. 1: „[The General Assembly . . . i]nvites the Security Council to consider the measures contained in the annex to the present resolution in order to further enhance the accountability, transparency and inclusiveness of its work, with a view to strengthening its legitimacy and effectiveness“).
Zum Verhältnis zwischen SR und den anderen Hauptorganen ist vorgesehen, dass die SR-Mitglieder in eine informelle und interaktive Diskussion mit den Mitgliedstaaten treten, wenn die GV den Jahresbericht des SR behandelt (nach Art. 24 Abs. 3 SVN: „prüft“). Neben den Jahresberichten wird auch die Vorlage von Sonderberichten zu aktuellen Themen eingefordert, mit denen der SR befasst ist (ebenfalls Art. 24 Abs. 3 SVN). Darüber hinaus werden ein regelmäßiger substantieller Meinungsaustausch zwischen SR, GV und ECOSOC sowie Konsultationen zwischen SR-Mitgliedern und -Nichtmitgliedern angemahnt. Hierzu sei auch ein vorläufiger Ausblick (tentative forecast) über das monatliche Arbeitsprogramm des SR zu kommunizieren und mündlich vom SR-Präsidenten vorzustellen. In Fällen, in denen Resolutionen allen Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlegen, sollten diese vorher angehört werden, um zu gewährleisten, dass sie überhaupt in der Lage seien, die betreffenden Resolutionen umzusetzen. Die S 5 sprechen hiermit indirekt die legislativen Resolutionen an, die der SR im Anschluss an den 11. September 2001 erlassen hat, insbesondere S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004), aber auch S/RES/1566 (2004) und S/RES/1624 (2005). Die Umsetzung dieser Resolutionen ist noch immer 56
Special Research Report „Security Council Transparency, Legitimacy and Effectiveness: Efforts to Reform Council Working Methods 1993–2007“ der Security Council Report-Initiative vom 18.10.2007, S. 3, erhältlich unter http://www.security councilreport.org [eingesehen am 10.5.2008]. Beispielhaft seien häufige Formulierungen wie „[The members of the Security Council] intend to“ oder „are encouraged to“ genannt. 57 A/60/L.49 vom 17.3.2006; ein geringfügig kürzeres „Vorläuferpapier“ war von denselben Staaten bereits am 3.11.2005 im Umlauf gebracht worden.
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unzureichend, weil sie in der Sache und in ihrer Form (als „Gesetzgebung“ durch den SR) von vielen Staaten nicht mitgetragen werden oder weil es ihnen schlicht an den hierfür erforderlichen Kapazitäten fehlt [s. o., Kap. 5, B. III. 1. c)]. Daran anknüpfend wird angeregt, der SR solle Mechanismen dafür entwickeln, den Grad der Umsetzung seiner Resolutionen zu erfassen, die Gründe für eine mangelnde Befolgung zu analysieren und Maßnahmen auf der Grundlage von „best practices“ voranzutreiben, um diesbezügliche Fortschritte zu erzielen. Ebenso wird gefordert, dass auch die Nebenorgane (subsidiary organs) des SR, vor allem die Sanktionsausschüsse, solche Nicht-Mitglieder des SR in ihre Tätigkeit einbeziehen, die in ihren Interessen berührt oder unmittelbar von den Maßnahmen betroffen sind oder die im jeweiligen Fall über besondere Erfahrung verfügen. Gleichzeitig solle allen Staaten die Gelegenheit eröffnet werden, informell ihren „input“ zu geben. Im Falle des 1267-Ausschusses etwa standen demgebenüber noch im Jahr 2007 einer einzigen förmlichen Sitzung dreißig informelle Sitzungen gegenüber.58 Wie für die Berichte des SR selbst gelte auch für diejenigen seiner Hilfsorgane, dass sie aussagekräftig sein, regelmäßig verfasst und von „briefings“ begleitet werden sollten. Sofern Sanktionslisten geführt würden, hätten diese „due process“-Standards zu genügen. Auch für diese inzwischen jahrelange Forderung vieler Staaten bilden die „Anti-Terror-Maßnahmen“ des SR i. R. d. „1267-Regimes“ den Anlass (s. o., Kap. 5, A. III. 2. u. 4.). Weiterhin wird hervorgehoben, dass der SR die Mitgliedstaaten über alle von ihm mandatierten Einsätze „fully and promptly“ informieren solle, auch hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen. Zugleich sollen die Konsultationen mit den Truppen stellenden Staaten weiter verbessert werden. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Notwendigkeit einer verbesserten Kooperation mit regionalen internationalen Organisationen hingewiesen. Beide Forderungen sind letztlich nicht mehr als eine Erinnerung an Art. 31, 52 SVN. Schließlich wird eine verbesserte Vorbereitung und Integration neu gewählter nicht-ständiger SR-Mitglieder angeregt, um sie in die Lage zu versetzen, die Aktivitäten des SR aktiv und effektiv mitzugestalten. Dazu solle das Sekretariat einen Leitfaden zu den Verfahren, Praktiken und Aufgaben des SR erstellen.59 58
Siehe Tätigkeitsbericht 2007 des 1267-Sanktionsausschusses vom 17.1.2008, S/2008/25, Annex III. 59 Dem kommt das Sekretariat mittlerweile bereits nach, indem es ein „detailed briefing packet“ vorhält. In Zusammenarbeit mit der Ständigen Vertretung Finnlands bei den VN und dem Columbia University Center on International Organization bereitet das Sekretariat neu gewählte SR-Mitglieder außerdem auf Seminaren auf die Arbeit im SR vor. Aber auch der SR selbst ist insoweit tätig geworden und lässt seit den 1990er Jahren die neu gewählten SR-Mitglieder jeweils bereits einen Monat
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b) Offene Arbeitsgruppe (OEWG) Auch die OEWG behandelt in ihrem Bericht (A/61/47 vom 14. September 2007) die Arbeitsmethoden des SR [seit 2008 fortgeführt im Rahmen direkter Regierungsverhandlungen; s. o., I. 4. d)]. Vorangestellt ist die Aussage, dass die Arbeitsmethoden für die breite Mehrheit der Staaten ein zentraler Bestandteil der SR-Reform sei. Daher sollten die Anstrengungen zu ihrer Verbesserung auch dann fortgeführt werden, falls es zu keiner Einigung über ein Reformpaket inklusive Erweiterung des SR komme. Wichtigstes Ziel sei es, im Wege von mehr Information, Konsultation und Kooperation den Zugang zum SR für Nichtmitglieder zu verbreitern. Zur Information gehöre, dass der SR die Mitgliedstaaten über alle – auch informellen – Sitzungen unterrichte und ihnen die Resolutionsentwürfe, die er verhandelt, zugänglich mache. Ebenso seien die Sitzungsberichte der Nebenorgane an sie zu verteilen. Daneben müsse die Durchführung der Mandate und Beschlüsse des SR regelmäßig und institutionalisiert überprüft werden. Die Konsultationen sollten sicherstellen, dass Staaten, deren Interessen berührt sind, zu den entsprechenden Sitzungen sowohl des SR als auch seiner Nebenorgane eingeladen würden. Außerdem sei im Hinblick auf Friedenseinsätze ein ständiger Austausch mit den (tatsächlich oder potenziell) Truppen stellenden Staaten herzustellen. Im Bereich Kooperation sei ein geregelter sachbezogener Dialog zwischen SR, GV, ECOSOC, dem Menschenrechtsrat und der Kommission für Friedenskonsolidierung einzuführen. Außerdem solle der SR der GV themenbezogene Sonderberichte vorlegen, etwa auch zu seinem generellen Verständnis von „Weltfrieden und internationaler Sicherheit“. Hieraus spricht die Sorge der Mitgliedschaft, der SR könnte seine Kapitel VII-Kompetenzen weiterhin so extensiv auslegen wie in den Vorjahren, und zwar sowohl was die „Tatbestandsseite“ (vgl. die Carte blanche in S/23500 von 1992) als auch was die „Rechtsfolgenseite“ (Stichwort: legislative Resolutionen) betrifft.
vor Beginn ihrer Mitgliedschaft zu informellen SR-Sitzungen zu, um ihren Einstieg und den Übergang zu erleichtern. Dazu siehe den Special Research Report „Security Council Transparency, Legitimacy and Effectiveness: Efforts to Reform Council Working Methods 1993–2007“ der Security Council Report-Initiative vom 18.10. 2007, S. 12, erhältlich unter http://www.securitycouncilreport.org [eingesehen am 10.5.2008].
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c) „Gruppe der Vier“, „Vereint für den Konsens“, „Gruppe der afrikanischen Staaten“ Schließlich sollen die G 4, die UfC-Koalition sowie die AU noch in diesem Zusammenhang erwähnt werden, auch wenn ihr Fokus eindeutig auf der Erweiterung des SR und weniger auf den Arbeitsmethoden liegt. Besonders deutlich ist dies im Fall der AU, die dieses Thema in ihrem Resolutionsentwurf (s. o.) gänzlich ausspart. Vor allem für einige der größeren Staaten, die sich Chancen auf einen ständigen Sitz in einem erweiterten SR ausrechnen, gilt, dass sie fürchten, der Druck auf den SR, sich für neue Mitglieder zu öffnen, könne weichen, sobald er nur Zugeständnisse hinsichtlich seiner Arbeitsmethoden gemacht habe. Für die meisten Staaten gehören eine repräsentativere Zusammensetzung des SR und verbesserte Arbeitsmethoden indes zusammen, wenn die SR-Reform ihren Namen wert sein soll. Die G 4 listen in ihrem Resolutionsentwurf neun spezifische Punkte auf, die sich in ihren wesentlichen Aussagen mit den Vorschlägen der S 5 decken. Auch die UfC-Koalition spricht sich für verbesserte Arbeitsmethoden aus, skizziert aber nur einige mögliche Themen und verweist im Übrigen auf die Arbeit der OEWG. Immerhin mahnt sie konkret die formale Verabschiedung der noch immer vorläufigen Geschäftsordnung des SR an. d) Das Vetorecht Breite Unterstützung in der Mitgliedschaft erhalten die beiden (Minimal-)Vorschläge der S 5, die vorsehen, die Ausübung des Vetorechts60 von einer Begründung abhängig zu machen und in Fällen, in denen es um völkerrechtliche Verbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts) geht, gänzlich auszuschließen.61 Letzteres folgt an sich bereits aus der Schutzverantwortung (responsibility to protect), die die Staaten auf dem Weltgipfel 2005 übereinstimmend anerkannt haben. Die Praxis zeigt allerdings (Sudan/Darfur), dass das Vorliegen bestimmter „Tatbestandsmerkmale“ im konkreten Fall mit zweifelhaften Behauptungen bestritten und somit ein 60
Das Vetorecht ist nicht ausdrücklich in der Charta nicht genannt. Stattdessen heißt es in Art. 27 Abs. 3 SVN: „Beschlüsse des Sicherheitsrats [. . .] bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständigen Mitglieder [. . .].“ Enthaltungen und Abwesenheit verhindern in der Praxis des SR, die der IGH im Namibia-Gutachten, ICJ Reports 1971, 16 (22) bestätigt hat, einen positiven Beschluss indes nicht. 61 A/60/L.49 vom 17.3.2006. Eine Begründungspflicht fordert auch die EnquêteKommission des Deutschen Bundestages „Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten“, Kap. 10, Empfehlung 10-8 vom 13.5.2002, Drucksache 14/9200.
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Handeln verhindert werden kann. Aus diesem Grund wird außerdem ein Ausschluss des Vetorechts bei der Erforschung und Feststellung von Sachverhalten (fact-finding) gefordert.62 Dies wäre konsequent und zusammen mit der Begründungspflicht ein geeignetes Mittel, um Willkür in der SRPraxis zu begrenzen. Um die Anwendungsfälle des Vetorechts generell zu reduzieren, wird vorgeschlagen, eine Liste von Verfahrensfragen i. S. d. Art. 27 Abs. 2 SVN und möglicherweise anderer Angelegenheiten zu erstellen, bei denen das Vetorecht nicht anwendbar ist. Weitere Ansatzpunkte, um sich jedenfalls rudimentär den Gedanken von Demokratie und Gleichheit anzunähern, wären, statt nur eines künftig zwei oder mehrere Nein-Stimmen ständiger Mitglieder für ein wirksames Veto zu verlangen und gleichzeitig eine Art Gruppenveto zu ermöglichen, indem das erforderliche Quorum für einen positiven Beschluss verändert wird. Vor allem im Hinblick auf einen in seiner Zusammensetzung erweiterten SR wäre hier eine Vielzahl an Konstellationen denkbar, bis hin zu einem faktischen Veto „des Südens“ gegenüber „dem Norden“.63 Dies könnte auch ein Weg sein, insbesondere die afrikanischen Staaten von ihrer Forderung abzubringen, ständige Sitze mit (individuellem) Vetorecht zu erhalten. Ein umgekehrtes „Gruppenveto Nord“ besteht im Übrigen längst und bliebe auch in jedem Fall erhalten. Weiterhin wird angeregt, einzelne Regelungen von der Zustimmung des SR unabhängig zu machen, z. B. die Entscheidung über die Aufnahme neuer Mitglieder, den Entzug von Mitgliedschaftsrechten oder den Ausschluss aus der Organisation (Art. 4 bis 6 SVN) oder die Empfehlung (Wahl) des Generalsekretärs (Art. 97 SVN).64 Eine Variante wäre, zwischen Ablehnung und Veto zu unterscheiden, so dass die Nein-Stimme eines ständigen SRMitglieds die Beschlussfassung nicht zwingend blockieren würde.65 e) Reaktionen des SR Die SR-Mitglieder bekennen sich in der jüngsten Mitteilung ihres Präsidenten vom 19. Dezember 2007 zum Thema der Arbeitsmethoden nochmals ausdrücklich dazu, die Effizienz und Transparenz ihrer Arbeit erhöhen und in Interaktion und Dialog mit den Mitgliedstaaten treten zu wollen. 62 G. Abi-Saab, Membership and Voting in the United Nations, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 19 (36), dabei einen Vorschlag der Niederlande zitierend. 63 I. Winkelmann, Bringing the Security Council into a New Era, MPUNYB 1 (1997), 35 (76, 80). 64 Vorschlag Mexikos, A/50/47/Add.1, Annex V vom 9.9.1996. 65 Vorschlag Brasiliens, A/51/PV.44 vom 29.10.1996.
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Während sie aber einerseits ihr „commitment“ bezeugen, die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen, bezeichnen sie diese andererseits bloß als „guide“, woraus deutlich wird, dass sie sich letztlich nicht festlegen (lassen) (S/2007/749, Para. 1). Dies gilt umso mehr, wenn Vorgaben von außen an sie herangetragen werden, wie die Reaktion des britischen Botschafters Emyr Jones Parry auf den Resolutions-Entwurf der S 5 zeigt: „I don’t like it. It presumes that the General Assembly should tell the Security Council what to do.“66
Dem wiederum hielt Indiens VN-Botschafter Nirupam Sen entgegen: „The fact that the Council act[s] on behalf of the larger United Nations membership, reinforce[s] the point that the General Assembly [has] a legitimate role in deliberating on the Council’s working methods.“67
Jenseits dieses Machtkampfes zwischen GV und SR und der Frage der Verbindlichkeit der Verfahrensregeln hat der SR praktisch aber viele der S 5-Vorschläge aufgegriffen. Die maßgebliche Mitteilung vom 19. Juli 2006 (S/2006/507), die seine reaktivierte „Informelle Arbeitsgruppe für Dokumentation und andere Verfahrensfragen“68 unter japanischem Vorsitz entworfen hat69, umfasst mit 12 Themen die allermeisten Handlungsbereiche des SR, zu denen detaillierte Anweisungen („the Council should . . .“) formuliert werden: „Agenda; Briefings; Documentation; Informal Consultations; Meetings; Programme of Work; Resolutions and Presidential Statements; Subsidiary Bodies (Sanctions Committees, Troop-contributing Countries); Matters of which the Council is seized; Communication with the Secretariat and outside; Annual Report; Newly Elected Members“. Die o. g. Mitteilung vom 26. Juli 2010 (S/2010/507) geht in ihrem Umfang sogar 66
Zitiert aus der der Los Angeles Times vom 10.11.2005, „5 Small Nations Propose Reforms for UN“. Ähnlich Konstantin Dolgov, Vertreter Russlands, in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „The question of enhancing [the Council’s] working methods [is] within its exclusive competency [. . . and] should be subordinate to the Council’s priority task of maintaining international peace and security [.]“ 67 Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436. 68 Working Group on Documentation and Other Procedural Questions, eingerichtet im Juni 1993 durch den SR. 69 Daher „Japanese note“ genannt; nicht nur aber zeigte Japan hier ein besonderes Engagement, sondern positiv wirkte sich auch die Entscheidung aus, die monatliche Rotation durch einen einjährigen Vorsitz zu ersetzen. Im Einzelnen siehe den Special Research Report „Security Council Transparency, Legitimacy and Effectiveness: Efforts to Reform Council Working Methods 1993–2007“ der Security Council Report-Initiative vom 18.10.2007, S. 15, erhältlich unter http://www.securitycoun cilreport.org [eingesehen am 10.5.2008].
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noch darüber hinaus. Somit lässt der SR kaum Wünsche offen, vorausgesetzt, er lässt seinen Vorsätzen nun auch Taten folgen. Dass insoweit Defizite bestehen, ist jedoch offenbar und auch Ergebnis der öffentlichen Debatten – vom 27. August 2008 als der ersten zum Thema Arbeitsmethoden seit 1994 bis zur jüngsten vom 22. April 2010 –, in denen der Stand der Umsetzung der Maßnahmen erörtert wurde.70 Anlässlich ihrer ersten Debatte hatte der damalige SR-Präsident Jan Grauls (Belgien) ein vorbereitendes Konzeptpapier an die VN-Mitglieder übermittelt.71 Zumindest sprachlich brachte der SR darin eine (ganz moderne) Dienstleistungsmentalität – und das heißt: ein neues Selbstverständnis – zum Ausdruck, bezeichnete der SR-Präsident die Debatte doch als „Kundenbefragung“ („consumer survey“)!72 Die Mitgliedstaaten haben diesen Ball aufgenommen und entsprechend regelmäßige Evaluationen, Kennzahlen zur Erfolgsmessung und follow-ups gefordert, wie es selbstverständlich für eine moderne, effiziente Organisation sei. Ansonsten stellten öffentliche Debatten reine Alibiveranstaltungen dar.73 Durchgehende Transparenz und die systematische Beteiligung der breiten Mitgliedschaft, vor allem jeweils der Staaten mit besonderen Fähigkeiten, Interessen und Verpflichtungen, ist eine nach wie vor übergreifende Forderung. Dies gelte umso mehr, je weiter sich das „Konzept von Frieden- und Sicherheit“ des SR entwickele.74 Als mögliches Format werden ausdrücklich auch informelle Zusammen70
SC/9436 vom 27.8.2008 bzw. SC/9910 vom 22.4.2010, wo etwa der Vertreter Australiens wie folgt zitiert wird: „[T]he basic mindset of the Council should be one of active accountability and deliberate transparency, keeping in mind the need to justify its decisions, to share information, to consult widely and to accept input, not as burdensome or optional extras, but as core elements of its work“. 71 Annex to the Letter dated 4 August 2008 from the Permanent Representative of Belgium to the United Nations addressed to the Secretary-General, S/2008/528 vom 6.8.2008. 72 Jan Grauls, Botschafter Belgiens bei den VN in seiner Funktion als SR-Präsident im Anschluss an seinen US-amerikanischen Botschafter-Kollegen Alejandro D. Wolff in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436. 73 Vgl. die Stellungnahmen der Vertreter Costa Ricas („[T]he periodic examination of the Council’s practice [is] required.“), der Schweiz („[A] more systematic approach to the implementation [is . . .] needed. [Public meetings] should not be used as an alibi exercise [.]“) und Australiens („[T]he Council [is] to regard the need to share information . . . and to accept input, not as burdensome or ‚optional extras‘, but as core elements of its working methods. [. . . A] good start would be for the Council to state that it aimed, like any modern, effective organization, to be accountable and transparent. Second, it should establish the metrics, in other words, measure its progress.“) in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436. 74 Siehe nur die Stellungnahmen etwa Japans, der CANZ- sowie der Nordischen Staaten in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436.
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künfte nach der Arria-Formel erwähnt.75 Während die übrigen ständigen SR-Mitglieder zwischen (unverbindlicher) Zustimmung und Beschwichtigung schwanken, machten aus Sicht der USA hingegen die Mitgliedstaaten zu wenig Gebrauch von den ihnen bereits vielfältig eingeräumten Möglichkeiten, sich zu informieren und einzubringen.76 5. Stellungnahme
Es bleibt zu resümieren, dass alle Zugeständnisse – selbst wenn sie denn eingehalten würden – letztlich nur „procedural questions“ betreffen. Zwar gewährleisten bestimmte Verfahrensabläufe und Transparenz durchaus eine gewisse Qualität auch der materiellen Ergebnisse. Fragen, die unmittelbar auf die Substanz seines Handelns zielen, rührt der SR hier aber nicht an. Dies sind vor allem drei Punkte: die Anwendungsvoraussetzungen von Kapitel VII; die Frage des Vetorechts; und das Verhältnis zum IGH. Auf letztere Kernfrage, das Verhältnis zwischen SR und IGH, wird zurückzukommen sein (unten B.) Ansonsten hat sich der SR in den vergangenen Jahren im Hinblick auf seine Arbeitsmethoden, die das Verhältnis zu den Mitgliedstaaten wie auch den anderen VN-Organen spiegeln, zu deutlich mehr Beweglichkeit und Miteinander bereit gezeigt. Insofern fügt er sich in erster Linie den Forderungen der ganz überwiegenden Mehrheit der Staaten. Dabei ist er angetrieben durch Initiativen wie derjenigen der S 5, aber auch durch seine nicht-ständigen Mitglieder, die ihr Ausscheiden stets vor Augen haben und somit ihren Einfluss zu nutzen suchen, solange sie hierzu in der Lage sind. Weitaus zurückhaltender sind natur- (oder vielmehr system-)bedingt die P 5, wobei auch hier zumindest Frankreich und Großbritannien ein größeres Entgegenkommen zeigen77, um dem Druck auszuweichen, ihre Sitze zugunsten eines einzigen EU-Sitzes aufzugeben. Ge75 Diego Arria entwarf als venezulanischer VN-Botschafter und SR-Präsident im März 1992 dieses Sitzungsformat. Nach einem „non-paper“ des Sekretariats vom Oktober 2002 handelt es sich dabei um „very informal, confidential gatherings which enable SC members to have a frank and private exchange of views, within a flexible procedural framework, with members whom the inviting member of the Council believe it would be beneficial to hear and/or to whom they may wish to convey a message.“ Dieses Format wurde vor allem für Zusammenkünfte mit NGOs genutzt, hat aber in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren, da die SR-Mitglieder kaum noch mit höherrangigen Diplomaten teilnehmen. Siehe dazu den Special Research Report „Security Council Transparency, Legitimacy and Effectiveness: Efforts to Reform Council Working Methods 1993–2007“ der Security Council Report-Initiative vom 18.10.2007, S. 11, erhältlich unter http://www.securitycoun cilreport.org [eingesehen am 10.5.2008]. 76 So die Stellungnahme des Vertreters der USA Alejandro D. Wolff in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436.
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nau genommen sind die meisten Forderungen nicht mehr als bloße Wiederholungen oder Konkretisierungen dessen, was bereits in der Charta skizziert ist. Insofern lassen sie sich in der Sache kaum bestreiten und wäre der SR gut beraten, sich auf sie einzulassen, zumal er durch eine bessere Einbindung der anderen Staaten auch seine eigene Arbeitsbelastung reduzieren und Handlungsfähigkeit zurückerlangen könnte.78 Vor allem aber würde der SR gerade in einer Situation wie der aktuellen, in der seine Entscheidungen angesichts seiner wenig repräsentativen Mitgliedschaft in zunehmendem Maße als illegitim empfunden werden, durch mehr (Rück-)Anbindung an die Mitgliedschaft auch wieder größere Autorität erlangen, die letztlich sein größtes Kapital ist und auf welche er entsprechend angewiesen ist. Das gleiche gilt im Hinblick auf das Vetorecht bzw. dessen Ausübung. Zwar sind die Fälle, in denen die P 5 ihr Vetorecht geltend machen, signifikant zurückgegangen, von ca. 270 zwischen 1946 und 1989 auf nur noch ein gutes Dutzend seit 1989. Dies liegt zunächst daran, dass die Zusammenarbeit im SR, in erster Linie unter den P 5, sich sehr verbessert hat und die meisten – im Bereich der Terrorismusbekämpfung sogar alle – Resolutionen im Konsens angenommen werden. Die niedrige Anzahl an Vetos erklärt sich aber auch daraus, dass umstrittene Resolutionen erst gar nicht mehr zur Abstimmung vorgelegt bzw. zurückgezogen werden, wie im Fall der Irak-Invasion im Jahr 2003, in dem die USA aber gleichwohl handelten, weil sie die entsprechende Resolution daraufhin einfach für überflüssig erklärten. Ausnahmen sind die in der Sache allerdings mehr rituellen, reflexhaften Vetos der USA bei Resolutionen, die Israel bzw. die besetzten palästinensischen Gebiete betreffen, sowie – und dies ist im Grunde der einzige wirkliche Fall – Chinas Veto gegen eine Verlängerung des Blauhelmeinsatzes in Mazedonien (United Nations Preventive Deployment Force/UNPREDEP) im Jahr 2003.79 Nichtsdestotrotz widerspricht das Vetorecht dem Gleichheitsprinzip von Art. 2 Ziff. 1 SVN, da keine Maßnahmen gegen ein ständiges SR-Mitglied beschlossen oder durchgesetzt werden können80, so77
Siehe etwa die Gemeinsame Erklärung Frankreichs und Großbritanniens vom 27.3.2008 zugunsten des G 4-Vorschlags, „hilfsweise“ einer Interimsvereinbarung, wiedergegeben in A/AC.247/2008/L.1/Rev.2. 78 Jan Grauls, Botschafter Belgiens bei den VN in seiner Funktion als SR-Präsident in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „[T]he evergrowing workload of the Council and its subsidiary organs is a challenge for the capacity of Council members [.]“ 79 S. C. Holton, Council Working Methods and Procedures, in: D. M. Malone (Ed.), The Security Council, 2004, 237 (238). 80 Es ist nicht einmal möglich, Entscheidungen des IGH, die gegen ein ständiges SR-Mitglied gerichtet sind und von diesem nicht befolgt werden, zwangsweise durchzusetzen, da hierfür eine Entscheidung des SR erforderlich wäre, die das betroffene Mitglied wiederum blockieren kann, vgl. Art. 94 Abs. 2 SVN. Das Nicara-
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wie tendenziell dem „Treuhändergedanken“ des Art. 24 Abs. 1 SVN, da nationale Interessen faktisch Vorrang gegenüber Gemeinschaftsinteressen erhalten.81 Daher sollten sich die SR-Mitglieder auch insoweit wenigstens einem prinzipien- und „vernunftgeleiteten“ Gebrauch ihres Vetorechts („rationalizing the veto“82) öffnen, auf den die o. g. Vorschläge abzielen.83 Dies ist letztlich übertragbar auf sämtliche Beschlüsse des SR: die Mitgliedstaaten erwarten zu recht, dass der SR sich ihnen gegenüber erklärt und auf der Basis der gemeinsamen „Geschäftsgrundlage“ handelt. Bemerkenswert ist, dass der SR in seiner Mitteilung vom 26. Juli 2010 (S/2010/507) nicht nur Zusagen gegenüber der breiten Mitgliedschaft, sondern auch im Verhältnis zu seinen eigenen (d. h. faktisch: den nicht-ständigen) Mitgliedern macht.84 Damit wird ausdrücklich eingeräumt, dass auch im SR selbst eine „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ herrscht. Das Thema Arbeitsmethoden bleibt auch weiterhin auf der Tagesordnung der VN; seit dem 29. Januar 2009 wird es – wie das Thema Zusammensetzung des SR – im Rahmen der Regierungsverhandlungen behandelt, die an die Stelle der OEWG getreten sind.85
gua-Urteil des IGH von 1985 haben die USA sogar gleich zum Anlass genommen, auch ihre Unterwerfungserklärung unter die Gerichtsbarkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut zurückzunehmen. 81 So explizit die Stellungnahme von Jorge Urbina, dem Vertreter Costa Ricas, in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „The perception [exists] that the Council [acts] on behalf of its own members, especially the permanent members.“ Diese Einschätzung teilten etliche Staaten. 82 I. Winkelmann, Bringing the Security Council into a New Era, MPUNYB 1 (1997), 35 (79). 83 In den Worten H.-P. Normandins, Vertreter Kanadas in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „The veto was not, nor was it ever meant to be, a tool for avoiding debate. Thus, the veto should be publicly explained and justified.“ 84 Siehe etwa S/2010/507, Para. 42: „The members of the Security Council reaffirm that all members of the Security Council should be allowed to participate fully in the preparation of, inter alia, the resolutions, presidential statements and press statements of the Council. The members of the Security Council also reaffirm that the drafting of all documents such as resolutions and presidential statements as well as press statements should be carried out in a manner that will allow adequate participation of all members of the Council.“ 85 Siehe die Berichte Countries Welcome Work Plan as Security Council Reform Process Commences New Phase vom 24.2.2009 und In Fourth Reform Meeting, Countries Discuss Size and Working Methods of the Security Council vom 10.4.2009 des Center for UN Reform, erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/ issues/1737?theme=alt4 [eingesehen am 18.5.2009].
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B. Reform von Sekretariat und GV Da die Reform des SR nur ein Baustein der umfassenden Reform der VN ist und untereinander Wechselbeziehungen bestehen, soll kurz auch auf die Reform des Sekretariats und der GV eingegangen werden.86 Diese Aufgabe ist umso mehr mitzudenken, als die USA (vor allem im Anschluss an den Volcker-Bericht87) Verbesserungen im allgemeinen Management und Ressourceneinsatz sowie in der Finanzkontrolle der VN zur Bedingung für ihre Zustimmung zu Strukturreformen gemacht haben.88 Dementsprechend umfasst im Ergebnisdokument des Weltgipfels von 2005 allein der Abschnitt zur Reform des Sekretariats sieben Absätze mit einer Reihe von Unterpunkten und derjenige zur Reform der GV immerhin drei (umfangreiche) Absätze.89 I. Sekretariat Nachdem bereits Boutros Boutros-Ghali als Generalsekretär in der ersten Hälfte der 1990er Jahre ein integriertes Management-Informationssystem und mit dem Amt für interne Aufsichtsdienste (OIOS) erstmals eine wirksame Innenrevision eingeführt hatte90, blieb es seinem Nachfolger Kofi Annan überlassen, das Sekretariat umfassend zu reformieren. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit 1997 legte er sein Konzept „Erneuerung der VN: ein Reformprogramm“91 vor, das er 2002 unter dem Titel „Stärkung der VN: eine Agenda für weitere Veränderung“92 fortführte. Zu den Maßnahmen gehörten die Einführung des Amtes eines stellvertretenden Generalsekretärs, eines 86 Der ECOSOC spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle und bleibt daher außer Betracht; zu dessen Stärkung („strengthening“) siehe A/RES/61/16 vom 9.1.2007. Der IGH bedarf derzeit keiner institutioneller Reformen, und der Treuhandrat ist ohnehin inaktiv. 87 Bericht zum Oil for food-Skandal, s. o. Kap. 6, C. III. 3. a) bb) (2). 88 Dieses Junktim scheinen die USA allerdings jüngst aufgegeben zu haben, siehe die Erklärung der neuen VN-Botschafterin der USA Susan Rice vom 19.2.2009 zum Auftakt der Verhandlungen zur Reform des SR, zitiert in dem Bericht Countries Welcome Work Plan as Security Council Reform Process Commences New Phase vom 24.2.2009, erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/issues/ 1737?theme=alt4 [eingesehen am 18.5.2009]. 89 Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Para. 161 ff. 90 A/48/218 B; Ende 2005 wurde desweiteren ein Unabhängiger Beratender Ausschuss für Rechnungsprüfung eingeführt (IAAC), A/60/248. 91 Renewing the United Nations: A Programme for Reform, A/51/950 vom 14.7.1997. 92 Strengthening of the United Nations: an agenda for further change, A/57/387 vom 9.9.2002.
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strategischen Planungsstabes sowie der Senior Management Group als eine Art Kabinett, das für größere Kohärenz innerhalb des VN-Systems sorgen soll. Es wurden klarere Verantwortlichkeiten geschaffen und Arbeitsabläufe gestrafft, außerdem Personalstellen eingespart bzw. zur Durchführung neuer Prioritäten umgewidmet. Allerdings stieß Kofi Annan immer dort an Grenzen, wo er über seine eigenen, bereits bestehenden Kompetenzen als Verwaltungschef hinaus auf die Zustimmung der Mitgliedstaaten angewiesen war. Besonders deutlich wurde dies im Falle seines umfassenden Reformentwurfs „In größerer Freiheit“93, der als Vorlage für den Weltgipfel im September 2005 diente, dessen Ergebnisse jedoch weit hinter dem Entwurf zurückblieben. Das gleiche gilt für sein follow-up „In die VN investieren – die Organisation weltweit stärken“ von 200694, obgleich die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten ihn auf dem Weltgipfel 2005 ausdrücklich ersucht hatten, dieses Papier zu erarbeiten (Para. 163 des Ergebnisdokuments). Annan formuliert darin 23 konkrete Empfehlungen, um die Architektur der VN der „radikalen Erweiterung der Tätigkeitsbereiche“ anzupassen und auf die „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ auszurichten. Schon lange sind die VN keine allein der Konferenzbetreuung dienende Organisation mehr, als die sie ursprünglich konzipiert wurden, sondern ein geographisch und thematisch universal operierender „Multi“. Wenngleich einige institutionelle Neuerungen wie das Ethikbüro und ein System der internen Rechtspflege geschaffen worden sind, das Beschaffungswesen neu geregelt und die Kommunikations- und Informationstechnologie modernisiert worden ist, ist „der große Wurf“ doch nicht gelungen. Vor allem der Versuch, Kompetenzen der GV in den Bereichen Haushalt und Verwaltung auf kleinere Gremien oder den GS selbst zu übertragen, scheiterte am Widerstand insbesondere der G 77.95 Das gleiche gilt für das Personalwesen. Lediglich einzelnen, vergleichsweise kleinen Änderungen wurde hier „versuchsweise“ zugestimmt.96 Mit seinem Bericht „Einheit in der Aktion“ („Delivering as one“)97 vom 20. November 2006 richtete Annan zum Ende seiner (zweiten 93 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, A/59/2005 vom 21.3.2005, beruhend auf den Empfehlungen der von ihm eingesetzten Hochrangigen Gruppe (A more secure world: Our shared responsibility, Report of the High-Level-Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565). 94 Investing in the United Nations – For a Stronger Organization Worldwide, A/60/692 vom 7.3.2006. Im Verlauf des Jahres 2006 folgten drei weitere Berichte, die diese Vision aufnahmen: Comprehensive Review of Governance and Oversight, UN Redesign Panel on the UN Internal Justice System, High-Level Panel on System Wide Coherence (siehe zusammen A/60/846/Add. 1–4). 95 Die GV reagierte auf den Bericht des GS mit ihrer Resolution A/RES/60/260 vom 16.5.2006.
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und letzten) Amtszeit nochmals einen Appell an das Sekretariat und die VN-Familie insgesamt, ihrer Verantwortung gegenüber der Welt gerecht zu werden und ihr Mandat effektiv auszufüllen.98 Dessen Umsetzung oder auch eine Neuausrichtung obliegt nunmehr dem zum 1. Januar 2007 ins Amt gewählten GS Ban Ki-Moon. Auch dieser hat die Managementreformen wiederholt zu einer seiner „Top-Prioritäten“ erklärt („just about everything we do hinges on sound management of the limited resources entrusted to us“). Er stellt dabei auf die drei Säulen „transparency, efficiency and accountability“ ab und nimmt auch die Staaten nicht aus, was unabdingbar ist, aber selten ausgesprochen wird („Member States should be accountable, as well, both to the organization and to one another.“).99 Ein positives Beispiel für ein Engagement von Staaten ist die „Four Nations Initiative (4NI)“, zu der sich Schweden, Südafrika, Chile und Thailand zusammengetan und in einem offenen Konsultationsprozess „Proposals for Improved Governance and Management of the United Nations Secretariat“ erarbeitet haben.100 Gleichwohl bleibt es dabei, dass Veränderungen innerhalb der VN eines langen Weges und vieler kleiner Schritte bedürfen. II. GV Die Bemühungen um eine „Revitalisierung“ der GV dauern ebenso wie die um die Reform des SR bereits seit nahezu zwei Jahrzehnten an (Ausgangspunkt war das Jahr 1991). In dieser Zeit hat die GV 117 Resolutionen für eine „gestärkte und neu belebte Generalversammlung“101 erlassen. Al96 Dazu siehe die Beschlüsse in A/RES/60/283 vom 17.8.2006, etwa Chp. III, op. 6: „Decides to authorize the Secretary-General, on an experimental basis, a limited discretion for budgetary implementation for the bienniums 2006–2007 and 2008–2009, to enter into commitments up to 20 million United States dollars in each biennium for positions and non-post requirements for the purpose of meeting the evolving needs of the Organization in attaining its mandated programmes and activities.“ 97 Delivering as one: Report of the High-level Panel on United Nations Systemwide Coherence in the areas of development, humanitarian assistance, and the environment, A/61/583 vom 20.11.2006. 98 Für einen Überblick siehe I. Martinetti, Secretariat and Management Reform, in: Center for UN Reform Education (Ed.), Managing Change at the United Nations, 2008, 55 (55 ff.). 99 Remarks to the General Assembly Thematic Debate „Towards a Common Understanding of Management Reform“ am 8.4.2008, erhältlich unter http://www.un. org/ga/president/62/statements/mgtreform80408.shtml [eingesehen am 20.11.2008]. 100 Siehe den Bericht Towards A Compact vom September 2007, erhältlich unter http://www.the4ni.org/ [eingesehen am 13.8.2008].
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lerdings hat sie eine solche Belebung bis heute nicht spürbar bewirken können. Die beiden jüngeren, vorgenannten Resolutionen A/RES/61/292 vom 14. August 2007 sowie A/RES/62/276 vom 26. September 2008 sind im Gegenteil Belege dafür, wie schwierig der Veränderungsprozess ist. Die GV vermochte sich lediglich auf zwei operative Paragraphen zu einigen, in denen sie – als Ausdruck ihrer Unentschlossenheit – jeweils die Errichtung einer ad hoc-Arbeitsgruppe beschloss, deren Mandat lautet, „to identify further ways to enhance the role, authority, effectiveness and efficiency of the Assembly“. Über die bloße Problembeschreibung ist die GV also bislang kaum hinausgekommen, womit sie nur erneut beweist, wie berechtigt der Vorwurf offenbar ist, die GV sei (zu) häufig außerstande, Willensbildungsprozesse zum Abschluss zu bringen.102 Ihre wiederholte Bekräftigung der „central position of the General Assembly as the chief deliberative, policymaking and representative organ of the United Nations“103 hat daneben mehr von einer Art bloßen Selbstvergewisserung, die nur noch im Einzelfall der Realität entspricht. Um eine größere Fokussierung zu erreichen, ist neben neuen Leitlinien zu den Verfahrensabläufen und stärker handlungsorientierten Resolutionen104 auch eine Stärkung des (Amtes des) Präsidenten der GV geboten.105 Nicht zuletzt im Bereich der Terrorismusbekämpfung hat sich gezeigt, dass die GV – und mit ihr das Sekretariat – kaum in der Lage ist, sich in der gebotenen Schnelle auf neue Herausforderungen einzustellen. Dies liegt wesentlich am wuchernden „Mandatswesen“, das in erster Linie auf die GV zurückzuführen ist und das Sekretariat dauerhaft weitgehend lahmlegt. Unter Mandaten (mandates) sind alle Handlungsaufträge zu verstehen, die die drei Organe SR, GV und ECOSOC dem Sekretariat und anderen VN-Einheiten per Resolution erteilen.106 Da sie in der Praxis selten formal abge101
So exemplarisch der Titel der A/RES/59/313 vom 12.9.2005; dazu insgesamt der Überblick unter http://www.reformtheun.org/index.php/eupdate/4619 [eingesehen am 20.12.2008]. 102 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Reform der Vereinten Nationen, 2006, 22. 103 Zum Beispiel in der Präambel ihrer Resolution A/RES/60/286, pp. 1 vom 9.10.2006. 104 Die GV hat in A/RES/58/126, op. 6 vom 13.1.2004 selbst beschlossen, dass ihre Resolutionen „more concise, focused and action-oriented“ sein sollten. 105 So auch GV-Präsident Srgjan Kerim zum Ende seiner Amtszeit 2007/2008, der hierfür u. a. fordert, dass das Büro des Präsidenten aus dem Haushalt der VN und nicht direkt von den Mitgliedstaaten finanziert werden möge, siehe http://www. un.org/News/briefings/docs/2008/080916_Kerim.doc.htm [eingesehen am 22.11. 2008]. 106 Vgl. die Definition im Bericht des GS Mandating and Delivering, A/60/733 vom 30.3.2006.
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schlossen werden, aber laufend neue Mandate hinzukommen, wächst ihre Zahl ständig an. Die Staats- und Regierungschefs kamen daher auf dem Weltgipfel 2005 überein, alle Mandate, die älter als fünf Jahre sind, vom jeweiligen Organ auf ihre fortwährende Relevanz hin überprüfen zu lassen.107 Zuletzt war eine solche Bestandsaufnahme unter GS Dag Hammarskjöld im Jahr 1953 durchgeführt worden. Die Überprüfung im Jahr 2006 hat eine Zahl von 9046 Mandaten ergeben, von denen 5594 auf die GV zurückgehen und älter als 5 Jahre sind.108 Sie entfalten noch immer vielfältige Berichtspflichten und binden erhebliche Ressourcen, entsprechen aber vielfach nicht mehr den aktuellen Bedarfen oder überschneiden sich. Um das Sekretariat, an das die Aufträge primär gerichtet sind – aber auch die Mitgliedstaaten, an die die Berichte adressiert sind und die inzwischen jeden Überblick verloren haben – zu entlasten109, hat die GV eine informelle ad hoc Arbeitsgruppe eingerichtet, die eine mögliche Streichliste erstellen soll. Viele Entwicklungsländer befürchten jedoch, dass Programme gestrichen werden könnten, die ihnen zugute kommen und blockieren daher substanzielle Bereinigungen.110 Auch hat es sich – was kein gutes Licht auf die Organisation der Arbeitsabläufe wirft – als unmöglich erwiesen, „[to establish] a direct relationship between mandates and resources“ sowie „[to identify] within the existing UN mandate and budget cycle resources that can be reallocated as a result of discontinuing [or consolidating] mandates“.111 Immerhin ist daraufhin erstmals ein (Online-)Mandatsregister geschaffen worden, in dem sämtliche Mandate aufgeführt sind und das laufend aktualisiert wird. Die hierdurch geschaffene Transparenz ist überfällig, bestimmen die Mandate doch die praktische Tätigkeit der VN. Insofern ist 107
Para. 163 b) des Ergebnisdokuments, A/RES/60/1 vom 24.10.2005. Siehe den Bericht des GS mit dem Titel Mandating and delivering, A/60/733 vom 30.3.2006 sowie den Bericht der Co-Vorsitzenden des „mandate review process“ während der 62. Sitzung der GV vom 8.8.2008, erhältlich unter http://www. un.org/ga/president/62/issues/MandateReview.shtml [eingesehen am 13.8.2008]. 109 Vgl. etwa A/RES/58/126, op. 7 vom 13.1.2004: „The heavy volume of documentation that is submitted to the General Assembly for its consideration should be reduced.“ Siehe auch den Bericht des GS Mandating and Delivering, A/60/733 vom 30.3.2006, in dem „the uncoordinated and burdensome mass of reports“ beklagt wird und deren „quantity obscures their quality and impact, overwhelming the Member States and overburdening the Secretariat“. 110 Siehe das Interview mit der früheren GV-Präsidentin Scheicha Haya Rashed Al Khalifa in der F.A.Z. vom 2.3.2007, S. 7 sowie I. Martinetti, Secretariat and Management Reform, in: Center for UN Reform Education (Ed.), Managing Change at the United Nations, 2008, 55 (57 ff.). 111 Bericht der Co-Vorsitzenden des „mandate review process“ während der 62. Sitzung der GV vom 8.8.2008, Para. 16 ff., erhältlich unter http://www.un.org/ga/ president/62/issues/MandateReview.shtml [eingesehen am 13.8.2008]. Entsprechend die GV-Resolution A/RES/62/278, op. 3 vom 26.9.2008. 108
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das jüngste Scheitern einer durchgreifenden Mandatsüberprüfung eine schwere Hypothek für das System. Es bedarf unbedingt eines neuen Anlaufs, denn bei dem Fazit, dass „both from a Member State perspective and from the Secretariat viewpoint [. . .] there is frequently a lack of clarity around mandate interpretation, accountability and follow up“112 kann es nicht bleiben, wenn die VN ihre Arbeit wirkungsvoller gestalten wollen. Das gleiche gilt – damit zusammenhängend – für die Tagesordnung (agenda) der GV, wo die Flut an Mandaten ihren Ausgang nimmt. Auch diese ist mit einer Themenliste im dreistelligen Bereich überfrachtet. Jahr für Jahr wird sie mehr oder weniger fortgeschrieben und häufig nur mühsam mit immer neuen Arbeitsgruppen am Leben erhalten, ohne Impulse zu setzen. Zwar hat es auch hier in den vergangenen Jahren Verbesserungen etwa durch inhaltliche Zusammenfassungen gegeben.113 Eine strategische Steuerung der Weltorganisation mit Blick auf die jeweils dringendsten inhaltlichen Herausforderungen gelingt aber noch immer kaum. III. Stellungnahme Die Reform von GV und Sekretariat ist in ähnlicher Weise vom Kampf um Besitzstände geprägt wie diejenige des SR. Hier sind es allerdings nicht die mächtigen P 5, sondern umgekehrt die für sich genommen relativ schwachen, aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke in der Summe aber ernstzunehmenden Staaten der G 77, die sich Veränderungen widersetzen, getrieben von der Sorge, noch stärker marginalisiert zu werden. Vor allem mit der Forderung nach einem besseren output des Sekretariats verbinden die Staaten der Südhalbkugel die Befürchtung, dass „der Norden“ diese vor allem als Vorwand nutzt, um seinen Einfluss auf das Sekretariat zu ihren Lasten auszuweiten. Das gleiche gilt für die Stärkung des Generalsekretärs, da er von den Beiträgen der (finanz-)starken Länder abhängt und somit droht, zu deren verlängertem Arm zu werden. Angesichts dieser Umstände erscheinen Veränderungen nur dann erreichbar, wenn ein Reformpa112 Bericht der Co-Vorsitzenden des „mandate review process“ während der 62. Sitzung der GV vom 8.8.2008, Para. 28, erhältlich unter http://www.un.org/ga/ president/62/issues/MandateReview.shtml [eingesehen am 13.8.2008]. 113 In A/RES/58/126, op. 5 vom 13.1.2004 beschloss die GV etwa „. . . to have a shorter agenda [. . .] so that its decisions may have greater impact [. . . and] to make proposals for the [. . .] clustering and elimination of items of the customary agenda . . .“ Die Umsetzung ist mit einer Halbierung um die Hälfte von einstmals mehr als 300 auf 153 Themen in der 63. Sitzung 2008/09 (A/63/50 vom 19.9.2008) immerhin teilweise gelungen. Für einen Überblick siehe L. Swart, Revitalisation of the Work of the General Assembly, in: Center for UN Reform Education (Ed.), Managing Change at the United Nations, 2008, 21 (21 ff.).
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ket geschnürt wird, das groß genug ist, um allen Beteiligten auch Vorteile zu bringen. Die Mitgliedstaaten offenbaren sich also vielfach als kleinteilig denkend und rückwärts gewandt und damit nicht imstande dafür zu sorgen, dass die VN insgesamt die ihnen angetragenen Aufgaben effektiv wahrnehmen und größere Verantwortung übernehmen können. So lange dies nicht gelingt, wird der SR als einzelnes Organ, angetrieben von seinen ständigen Mitgliedern, auch weiterhin aus dem System der geteilten Funktionen ausbrechen, indem er selbst anstelle der GV die Rolle des politischen Hauptakteurs der VN einnimmt und sich – wie bei der Schaffung von CTC und CTED (s. o., Kap. 6) – Bereiche des Sekretariats praktisch einverleibt. Insoweit steht die breite Mitgliedschaft vor der Herausforderung, sich selbst in und mittels der GV wieder handlungsfähig zu machen und ihr neu gewonnenes eigenes Gewicht den Expansionstendenzen des SR entgegenzusetzen. Dies erfordert keineswegs unbedingt eine Charta-Revision; im Gegenteil würden die Staaten ihrem originären „Verfassungsauftrag“ durch ein entschiedeneres Handeln überhaupt erst gerecht. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass die GV Mechanismen bedarf, die es ihr ermöglichen, auch in der Praxis positive Beschlüsse zu fassen. Dabei obliegt es der GV als Forum aller Mitgliedstaaten ebenso, dem Sekretariat und insbesondere dem Generalsekretär zu Durchschlagskraft zu verhelfen, die von sich aus nicht über die entsprechende Autorität etwa gegenüber dem SR verfügen. Die GV hat vielfältige Gestaltungsmittel zur Hand, wobei ihr größter Steuerungshebel die Budgethoheit ist (s. o., Kap. 2, C. II.). Der zweite Ansatz, mit dem die GV maßgeblichen Einfluss auf die Organisation nehmen kann, ist – jedenfalls potenziell – ihre Befugnis aus Art. 97 SVN zur Ernennung des GS sowie aus Art. 23 SVN zur Wahl der nicht-ständigen SRMitglieder. Die GV vermag es aber nicht, diese Instrumente zu nutzen und damit ihrer Verantwortung nachzukommen.114 Im Falle des GS hat sie dessen Bestimmung faktisch dem SR überlassen.115 Und hinsichtlich der SRMitglieder hat sie die zehn nicht-ständigen Sitze geographisch in Quoten aufgeteilt und ihre Vergabe den Regionalgruppen überlassen. Damit kommt dem zweiten Qualifikationskriterium für nicht-ständige SR-Mitglieder ein unverhältnismäßig großes Gewicht gegenüber dem ersten, an sich maßgeblichen Kriterium zu, nämlich dem Beitrag, den ein Staat zur Verwirk114 So ausdrücklich auch GS Kofi Annan in einer Rede vor der United Nations Association of the United Kingdom am 31.1.2006, siehe Dokument SG/SM/10332 vom selben Tag: „[T]he General Assembly could take more care to elect members who are up to the responsibility.“ 115 Obgleich die GV ihre Rolle bei der (Aus-)Wahl des GS erst in ihrer Resolution A/RES/60/286 vom 9.10.2006, Annex, Cluster II ausdrücklich herausgestellt hat.
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lichung der Organisationsziele leistet. Insoweit wird die GV ihrer Verantwortung nicht gerecht und provoziert geradezu die Forderung bestimmter Staaten nach einem ständigen SR-Sitz.116 Daher sollten die Regionalgruppen wenigstens den Rat der Hochrangigen Gruppe befolgen, nur solche Staaten zu wählen, die entweder zu den drei größten – „ordentlichen“ oder freiwilligen – Beitragszahlern oder zu den drei größten Truppen stellenden Staaten gehören.117 Im Verhältnis zwischen den VN-Hauptorganen ist sicherzustellen, dass ein größeres Maß an Dialog und Interaktion zwischen dem SR auf der einen und der GV und dem ECOSOC auf der anderen Seite erfolgt.118 Auf keinen Fall darf die GV dem SR über dessen Verantwortung für die Wahrung von Frieden und Sicherheit hinaus wie bisher das allgemein-politische Feld überlassen.119 Aber auch in Fällen, in denen es konkret um die Friedenssicherung und insbesondere die Autorisierung von Gewalt geht – also auch auf dem Gebiet des internationalen Terrorismus –, ist eine größere Kooperation des SR mit der GV erstrebenswert, da hierdurch die Legitimität und dadurch die Effektivität seiner Maßnahmen signifikant erhöht würden.120 Um hierfür einen institutionalisierten Mechanismen zu schaffen, könnte etwa ein „Chapter VII Consultation Committee“ eingerichtet werden, das immer dann zusammenkäme, wenn der SR erwägt, Kapitel VIIMaßnahmen zu ergreifen. Die Charta sieht eine Koppelung von SR und GV in solchen Fällen in Art. 12 Abs. 2 SVN ausdrücklich vor. Praktisch findet dieser „informational loop“ aber bislang nicht statt.121 Schließlich ist die viel beschworene Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft (civil society) zu stärken. Die GV würde hierdurch weiter an Legitimität, vor allem aber an Expertise und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sowie „Bodenhaftung“ gewinnen.122 Der frühere GS Kofi Annan hatte dahin 116
E. Suy, The Role of the United Nations General Assembly, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 55 (59 f.). 117 A more secure world: Our shared responsibility, Report of the High-LevelPanel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Para. 249. 118 Dies ist vor allem eine Forderung der kleineren Staaten, der sich in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436 allerdings auch Russland anschloss. 119 So auch die ausdrückliche Forderung Ägyptens in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436 im Namen der Blockfreien Staaten. 120 A. Bianchi, Assessing the Effectiveness of the UN Security Council’s Antiterrorism Measures: The Quest for Legitimacy and Cohesion, EJIL 17 (2006), 881 (918). 121 Zur Idee eines Chapter VII Consultation Committee: W. M. Reismann, The Constitutional Crisis in the United Nations, AJIL 87 (1993), 83 (99); nach seinen Vorstellungen sollte dieses Komitee aus 21 gewählten Mitgliedern der GV bestehen und den SR in Anwesenheit des GS konsultieren.
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gehende Gedanken u. a. in seinem Bericht vom 13. September 2004 befördert, unterstützt von einem hochrangigen Beratergremium („Cardoso-Bericht“).123 Sein Amtsvorgänger Boutros Boutros-Ghali fordert sogar, die VN derart neu zu denken, dass auch nicht-staatliche Akteure als reguläre Mitglieder neben den Staaten aufgenommen werden.124 Die Staaten selbst sind insoweit naturgemäß verhaltener. Zwar bekennt sich die GV in der Resolution vom 9. Oktober 2006 zu ihrer „Revitalisierung“ zu einer „enhanced interaction“ mit der Zivilgesellschaft einschließlich NGOs. Sie schränkt dieses Entgegenkommen aber sogleich dreifach wieder ein („on relevant issues, while fully respecting the intergovernmental nature of the General Assembly and in conformity with the relevant rules of procedure“).125 Die weitere Öffnung hin zur Gesellschaft, ebenso wie zur Wirtschaft – wo es u. a. mit dem Global Compact erste Ansätze gibt126 – wird für die VN eine maßgebliche Zukunftsaufgabe bleiben, wenn sie ihre „Relevanz“ erhalten wollen.
C. Verrechtlichung und Kontrolle Die Entwicklung des (Völker-)Rechts in den vergangenen Jahrzehnten und die wiederholten Ausbrüche des SR aus diesem Rahmen haben den Bedarf an einer weiteren Verrechtlichung und insbesondere einer effektiven Kontrolle seines Handelns offen zutage treten lassen. Wichtige Aspekte dieser Verrechtlichung sind bereits von der Reform seiner Arbeitsmethoden umfasst, vor allem die verbesserte Beteiligung der Mitgliedstaaten und der übrigen VN-Organe sowie die Regeln zur Ausübung des Vetorechts. Rein prozedurale Zugeständnisse in der Form nicht einklagbarer Selbstverpflichtungen vermögen der Praxis der P 5, durch den SR national geleitete Machtpolitik zu betreiben, im Zweifel jedoch keine wirkungsvollen Gren122 C. Much, Revitalisierung der UN-Generalversammlung – die unendliche Geschichte, in: J. Varwick/A. Zimmermann (Hrsg.), Die Reform der Vereinten Nationen – Bilanz und Perspektiven, 2006, 85 (95). 123 We the peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance, Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society Relations, A/58/817 vom 11.6.2004; Report of the Secretary-General in response to the Report of the Panel of Eminent Persons on United Nations – Civil Society Relations, A/59/354 vom 13.9.2004. 124 „Reform UN or replace it, says Boutros-Ghali“, Daily News Egypt vom 11.8.2008, siehe http://www.dailystaregypt.com [eingesehen am 3.9.2008]. Damit wäre nach Auffassung von Boutros Boutros-Ghali die dritte Generation der Weltorganisation nach Völkerbund und Vereinten Nationen, wie sie sich nach 1945 dargestellt haben, erreicht. 125 A/RES/60/286, Annex, Para. 12 vom 9.10.2006. 126 Informationen dazu unter http://www.unglobalcompact.org.
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zen zu setzen. Daher ist es erforderlich, materielle Standards zu definieren und ihre Einhaltung zu überprüfen und durchzusetzen. Dass der SR überhaupt rechtlichen Bindungen unterliegt (und wie diese ausgestaltet sind), wurde bereits oben (Kap. 4, B. II. 2.) aufgezeigt. Hier sollen nun spezifisch die Anwendbarkeit des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit (rule of law) (I.) sowie die Frage der rechtlichen Kontrolle (judicial review) untersucht werden (II.). I. Internationale Rechtsstaatlichkeit (international rule of law) Mit der Gründung der Organisation der Vereinten Nationen hat sich die internationale Gemeinschaft zu einer Rechtsgemeinschaft entwickelt, deren Handeln an den Grundsätzen der Charta auszurichten ist. Daraus abzuleiten ist das Gebot internationaler Rechtsstaatlichkeit (international rule of law).127 Zwar ist die Rechtsstaatlichkeit nicht ausdrücklich in der Charta genannt. Der Gedanke findet seinen Ausdruck aber in Art. 1 Ziff. 1 SVN, also an oberster Stelle der Charta, wo es heißt: „nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts“. Die Charta, nicht nur als Organisationsstatut der VN, sondern als Inbegriff der Völkerrechtsordnung, gilt insoweit als Grundpfeiler der internationalen Rechtsstaatlichkeit und schließt deren Kernelemente ein.128 1. Begriff und Funktion
Begrifflich scheint die Rechtsstaatlichkeit zunächst an ein Staatswesen gebunden zu sein. Richtig daran ist, dass zwischen nationaler und internationaler (wie auch regionaler129) Rechtsstaatlichkeit zu unterscheiden ist und die Rechtsstaatlichkeit ihren Ursprung wie auch ihre stärkere Ausprägung in staatlichen Ordnungen hat.130 Die Idee, die sie trägt, ist aber auf die völkerrechtliche Ebene übertragbar und dort wiederum nicht auf die Beziehungen zwischen Staaten beschränkt, sondern auch im Hinblick auf Internationale (Regierungs-)Organisationen einschlägig.131 In Anlehnung an 127
A. Watts, The International Rule of Law, GYIL 36 (1993), 15. Vgl. etwa die Stellungnahme der Vertreter Kolumbiens und Myanmars in der Debatte im Sechsten Ausschuss der GV am 15.10.2007, A/C.6/62/SR.15. 129 Vgl. die Rechtsstaatlichkeitsanforderungen, die die EU in ihren Kopenhagener Kriterien für eine Mitgliedschaft aufgestellt hat, siehe http://www.eu-info.de/deut sche-europapolitik/europa/EU-Erweiterung/kopenhagen-beitrittskriterien [eingesehen am 10.8.2008]. 130 Siehe bereits die Schrift von O. Bähr, Der Rechtsstaat – eine publizistische Studie, 1864. 128
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die englische rule of law wird im Deutschen in internationalen Kontexten zunehmend die Formulierung „Herrschaft des Rechts“ verwendet und damit die Rechtsstaatlichkeit auch sprachlich aus dem Staatskontext herausgelöst. Die wesentliche Funktion der Rechtsstaatlichkeit ist es, Normen gegen staatlichen Machtmissbrauch aufzustellen.132 Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob die Staaten unmittelbar selbst oder mittelbar durch Organe internationaler Organisationen handeln. Entsprechend stellt Jeremy Waldron zur Geltung der Rechtsstaatlichkeit auf der internationalen Ebene fest: „Essentially, the rule of law in the international realm constraints the administration not in the way that domestic law constraints an individual, but in the way that domestic law constraints a lawmaker. Governments are bound in the international arena, as in any arena, to show themselves devoted to the principle of legality in all of their dealings. They are not to think in terms of a sphere of executive discretion where they can act unconstrained and lawlessly.“133
Es gilt also für die Staaten, auch wenn sie gemeinhin als originäre Völkerrechtssubjekte bezeichnet werden, dass sie – anders als der Mensch als natürliches Rechtssubjekt – eben doch Rechtsschöpfungen sind, denen es nicht zukommt, größtmögliche Freiräume wahrzunehmen und zu diesem Zweck (vermeintliche) Rechtslücken aufzuspüren und auszunutzen. Ihre Aufgabe ist vielmehr, das Recht weitestgehend zur Anwendung zu bringen bzw. Lösungen aus dem Recht herzuleiten.134 Eine Vermutung „für die Freiheit“, wie sie zugunsten der rechtsunterworfenen Menschen gilt, kann es unter dieser Prämisse zugunsten der Staaten nicht geben.135 Das gleiche trifft für die von den Staaten gegründeten und getragenen Internationalen Organisationen zu, also auch die Vereinten Nationen und ihre Organe. Thomas M. Franck befindet dazu: „As the UN system increasingly comes to operate as it was intended, the rule of law imposed on the political process by the Charter will assume increasing importance.“136
131 A. Watts, The International Rule of Law, GYIL 36 (1993), 15 (44 und Fn. 39). 132 Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), RechtsstaatlichkeitsKonzept, 1998, 6. 133 Jeremy Waldron, The Rule of International Law, Harv. J. L. & Publ. Pol. 30 (2006), 15 (25 f.). 134 Ebd., S. 23: „[T]he state is not just a subject of international law; it is additionally both a source and an official of international law.“ 135 So aber die traditionelle Auffassung, vgl. nur A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 607. 136 Th. M. Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, 244.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 2. Anerkennung in der Praxis der Vereinten Nationen
Explizit genannt wird die Herrschaft des Rechts bereits in der Friendly Relations-Deklaration der GV von 1970, in deren Präambel die „promotion of the rule of law among nations“ hervorgehoben wird.137 Dies wird in der Millenniums-Erklärung der Staats- und Regierungschefs aus dem Jahr 2000 aufgegriffen, wo es heißt: „We resolve [. . .] to strengthen respect for the rule of law in international as in national affairs [. . .].“138 Im Ergebnisdokument vom Weltgipfel 2005 wird dazu weiter ausgeführt: „We recommit ourselves to actively protect and support all human rights, the rule of law and democracy, and recognize that they are interlinked and mutually reinforcing and that they belong to universal and indivisible core values and principles of the United Nations.“139
In den vorbereitenden Verhandlungen der Gipfelkonferenz war darüber hinaus auch dem Gebot der Gesetzmäßigkeit (legality) explizit Ausdruck verliehen worden. Noch der allerletzte Entwurf des Ergebnisdokuments, nur Stunden vor Beginn des Gipfels am 14. September 2005, hatte folgenden Wortlaut (Para. 65 a. E.): „We also stress the importance of the adherence to the principle of legality in the exercise of the functions of the Security Council, including acting in accordance with the purposes and principles of the Charter.“ Wie der Vergleich mit der Schlussfassung des Dokuments zeigt, wurde dieser Abschnitt jedoch ersatzlos gestrichen. Allen voran die USA hatten sich bis zum Schluss vehement nicht nur gegen diese Formulierung, sondern gegen den darin ausgedrückten Gedanken an sich ausgesprochen („no flexibility“, „no alternative language“). Während im Allgemeinen in der Verhandlungs-Praxis auf die Begründung nationaler Positionen verzichtet wird, ließ sich die Vertreterin der US-Regierung in diesem Fall doch zu der aufschlussreichen Bemerkung hinreißen, „the Security Council by definition acts legally“. Diese Aussagen verdeutlichen auf sehr prägnante Weise, welch grundverschiedene Positionen insoweit nach wie vor vertreten werden und einer Weiterentwicklung des Rechts im Wege stehen – zumindest vorerst.140 Wenngleich die genannten Textstellen nämlich am Ende keinen Eingang in das Ergebnisdokument gefunden haben, hat sich die entsprechende Idee doch „materialisiert“141 und ist ihre Umsetzung letztlich 137
A/Res. 2625 (XXV) vom 24.10.1970. A/RES/55/2, Para. 9 vom 8.9.2000. 139 A/RES/60/1, Para. 119 vom 24.10.2005. 140 Skeptischer offenbar M. Koskenniemi, International Law in Europe: Between Tradition and Renewal, EJIL 16 (2005), 113 (117). 141 Siehe etwa die Stellungnahme der kolumbianischen Vertreterin in der Debatte im Sechsten Ausschuss der GV am 15.10.2007, die im Dokument A/C.6/62/SR.14 wie folgt wiedergegeben wird: „International organisations played a key role in the 138
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nur an einer kleinen Minderheit von Staaten gescheitert (neben den USA hätten sich vermutlich wenigstens ein oder zwei, möglicherweise auch alle anderen ständigen SR-Mitglieder dagegen ausgesprochen). Die (Rechts-) Überzeugung der ganz großen Mehrheit der Staaten reicht hingegen weiter. Dies wird am Ende ausschlaggebend sein, wenn nicht die Beschlüsse des SR vollends ihre Legitimität – und damit letztlich auch ihre Effektivität – einbüßen sollen. Immerhin wurde ein allgemeines Bekenntnis zur Herrschaft des Rechts abgelegt (siehe den eingangs zitierten Para. 119 sowie Para. 134 des Ergebnisdokuments: „Recognizing the need for universal adherence to and implementation of the rule of law at both the national and international levels [. . .].“). Der GS hat in den Jahren 2004 und 2006 Berichte hierzu vorgelegt und zwei spezielle Einheiten im Sekretariat gegründet: die „Gruppe für Koordinierung und Ressourcen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit“142 sowie die „Gruppe zur Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit“143, die die externen Aktivitäten der VN zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit koordinieren und stärken sollen, aber gleichzeitig auf die Organisation selbst zurückstrahlen. Auch die GV144 und mit ihr der Sechste Ausschuss145 haben das Thema Rechtsstaatlichkeit aufgegriffen und seit der 61. Sitzung auf ihre Tagesordnung gesetzt. Ebenso hat der SR öffentliche Aussprachen hierzu abgehalten, im Jahr 2004 zur Frage „Justice and the rule of law: the United Nations’ role“ und 2006 zu „Strengthening International Law: Rule of Law and Maintenance of International Peace and Security“. In einer Präsidentiellen Erklärung vom 22. Juni 2006 erkannte der SR ausdrücklich die „vital importance to promoting justice and the rule of law“ an.146 In den Jahren 2004–2008 hat die Ständige Vertretung Österreichs bei den VN gemeinsam mit dem Institute for International Law and Justice an der establishment, promotion and development of the international rule of law and hence must abide by it. The principle of legality should govern all their actions and decisions.“ 142 Rule of Law Coordination and Resource Group, siehe dazu Uniting our strengths: Enhancing United Nations support for the rule of law, Bericht des GS, A/61/636 – S/2006/980 vom 14.12.2006. 143 Rule of Law Assistance Unit, die zurückgeht auf eine Initiative des GS in seinem Bericht „In größerer Freiheit“ von 2005 und die im Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 Unterstützung gefunden hat. 144 Auf Initiative Liechtensteins und Mexikos, A/61/142 vom 22.5.2006. Siehe die daraufhin ergangenen Resolutionen A/RES/61/39 vom 4.12.2006 und A/RES/62/70 vom 8.1.2008, jeweils unter dem Titel The rule of law at the national and international levels. Der GS ist hierbei gebeten worden, eine Bestandsaufnahme zum Thema zu erarbeiten. 145 Siehe den Bericht A/62/454 vom 20.11.2007. 146 SC/8762.
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NYU School of Law eine Initiative zum Thema „The Role of the Security Council in Strenthening a Rules-based International System“ durchgeführt. In diesem Rahmen wurde eine Reihe von sieben Podiumsdiskussionen veranstaltet, aus denen 17 konkrete Empfehlungen hervorgegangen sind, die in einem Bericht zusammengefasst sind (zu den Ergebnissen siehe im Folgenden).147 3. Inhalt
In diesen wiederholten Bekenntnissen und fortlaufenden Aktivitäten spiegelt sich die Besorgnis der Mehrheit der Staaten um rechtsstaatliche Verhältnisse in den internationalen Beziehungen wider. Sie beantworten allerdings noch nicht die Frage, was nun konkret unter Rechtsstaatlichkeit zu verstehen ist oder sein soll – und ob insbesondere der SR geneigt wäre, sich im Einzelnen daran binden zu lassen. Eine einheitliche internationale Definition von Rechtsstaatlichkeit gibt es nicht. Lediglich in den unterschiedlichen Rechtskulturen haben sich einzelne rechtsstaatliche Grundsätze historisch und kontextbezogen herausgebildet.148 Damit ist die internationale Rechtsstaatlichkeit „an interconnected cluster of values“149, das sich im Wege eines „benchmarking“150 als „work in progress“151 erst entwickeln muss. In seinem grundlegenden Bericht von 2004 beschrieb der damalige GS Kofi Annan die Herrschaft des Rechts wie folgt: „The rule of law is a concept at the very heart of the Organization’s mission. It refers to a principle of governance in which all persons, institutions and entities, public and private, including the State itself, are accountable to laws that are publicly promulgated, equally enforced and independently adjudicated, and which are 147 The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008. 148 Als Beispiel siehe etwa die Stellungnahme des chinesischen Vertreters in der Debatte im Sechsten Ausschuss der GV am 15.10.2007, die im Dokument A/C.6/62/SR.14 wie folgt wiedergegeben wird: „The rule of law [is]a universal goal for all nations and an effective instrument for establishing and maintaining social order, promoting social justice and achieving social progress. With regard to building the rule of law at the national level, every nation [has] the right to choose a model suited to its own situation.“ 149 G. Casper, Rule of law? Whose law?, 2004, 7; erhältlich unter http://iis-db. stanford.edu/pubs/20677/Rule_of_Law.pdf [eingesehen am 20.7.2008]; für Deutschland siehe etwa C. Creifelds, Rechtswörterbuch, 2002, 1113. 150 So der Vertreter Singapurs in seiner Stellungnahme i. R. d. Debatte im Sechsten Ausschuss der GV am 15.10.2007, A/C.6/62/SR.15. 151 R. Higgins, The ICJ and the Rule of Law, Vortrag vom 11.4.2007, erhältlich unter http//:www.unu.edu/events/files/2007/20070411_Higgins_speech.pdf [eingesehen am 10.8.2008].
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consistent with international human rights norms and standards. It requires, as well, measures to ensure adherence to the principles of supremacy of law, equality before the law, accountability to the law, fairness in the application of the law, separation of powers, participation in decision-making, legal certainty, avoidance of arbitrariness and procedural and legal transparency.“152
Im Anschluss daran lassen sich mit Arthur Watts vier Elemente als Leitideen einer auch internationalen Rechtsstaatlichkeit ausmachen, die in jedem Fall gelten müssen, wenn das Recht über Macht und Politik herrschen soll.153 Dabei spielen sowohl formelle als auch materielle Gesichtspunkte eine Rolle:154 Erstens bedarf die Rechtsstaatlichkeit, gewissermaßen als Vorbedingung, einer Rechtsordnung, die möglichst umfassend, bestimmt und transparent ist. Dabei ergibt sich aus der Natur der Völkerrechtsordnung, dass sie weniger detailliert ist als jedenfalls diejenigen der entwickelten modernen Nationalstaaten. Entscheidend ist aber, dass es sich um eine Ordnung handelt, die der juristischen Klärung jeder internationalen Angelegenheit zugänglich ist („a system in which every international situation is capable of being determined as a matter of law“155). Es spricht vieles dafür, dass heute angesichts der Fülle an multilateralen Verträgen, der Rechtsprechung internationaler Gerichte, bestehenden Völkergewohnheitsrechts und anerkannter allgemeiner Rechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut) ein hinreichender Grad an Vollständigkeit erreicht ist.156 Zweitens müssen in diesem Rahmen inhaltlich das (Völker-)Recht und die Gerechtigkeit (vgl. Art. 1 Ziff. 1 SVN), insbesondere die fundamentalen Menschenrechte und Grundsätze wie Willkürfreiheit und Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Hieraus ergibt sich drittens, dass Gleichheit bei der 152 The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, Bericht des GS, S/2004/616 vom 23.8.2004. 153 A. Watts, The International Rule of Law, GYIL 36 (1993), 15 (26 ff.). Ähnlich der Bericht der österreichischen Rechtsstaatlichkeits-Initiative, The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008, S. 3. 154 So ausdrücklich etwa auch der Vertreter Liechtensteins in der Debatte im Sechsten Ausschuss der GV am 15.10.2007, A/C.6/62/SR.14. 155 A. Watts, The International Rule of Law, GYIL 36 (1993), 15 (26). 156 G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht I/1, 2. Aufl., 1989, 82: „Es kann somit bei der Anwendung des Völkerrechts ein wirkliches non liquet nicht geben.“; a. A. W. Heintschel von Heinegg, Quellenübergreifende Probleme, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 4. Kap., § 19, Rn. 8: „[. . .] will man nicht die (trotz zunehmender Normierung bei weitem noch nicht erzielte) Geschlossenheit der Völkerrechtsordnung fingieren.“ Es lässt sich freilich darüber streiten, inwieweit die Vollständigkeit der Völkerrechtsordnung eine tatsächliche Gegebenheit oder eine Behauptung bzw. Forderung ist; dazu C. Kletzer, Das goldene Zeitalter der Sicherheit, 2008, 4 und H. Lauterpacht, The Function of Law, 1933, 85.
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Rechtsetzung und -anwendung zu gewährleisten ist (vgl. Art. 1 Ziff. 2, Art. 2 Ziff. 1; Friendly Relations-Erklärung der GV von 1970, Grundsatz 6). Danach müssen insbesondere die Entscheidungen und Maßnahmen von sachlichen Gründen getragen sein und aufgrund einheitlicher und nachvollziehbarer Standards getroffen werden.157 Der Umstand allein, dass die P 5 als ständige und mit Vetorecht ausgestattete SR-Mitglieder „gleicher“ sind als die anderen Staaten, ist damit insoweit vereinbar, als dies auf konsensualer Grundlage beruht. Allerdings kommt es darauf an, dass diese Privilegien im Rahmen des zugrunde liegenden Mandats ausgeübt werden und Veränderungen der tatsächlichen Umstände berücksichtigt werden. Da dies aktuell nicht mehr der Fall ist, ist die oben skizzierte Reform des SR so dringlich. Zu den Grundbedingungen der „Herrschaft des Rechts“ gehört viertens eine effektive Anwendung und Durchsetzung des Rechts, was eine Teilung der öffentlichen Gewalt bzw. Funktionen voraussetzt. Erforderlich sind insbesondere unparteiische und unabhängige Rechtsprechungsorgane, wohingegen der SR – wenn er (quasi-)judikativ tätig wird – prinzipiell als „Richter in eigenen Angelegenheiten“ handelt.158 Mangels obligatorischer Gerichtsbarkeit bleiben die zwischenstaatlichen Beziehungen in diesem Punkt so lange unvollendet, wie nicht alle Staaten eine freiwillige Unterwerfungserklärung gem. Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut abgegeben haben159; aktuell [30. Oktober 2010] sind es lediglich 66 Staaten. Auch wenn diese Unterwerfung nach dem IGH-Statut fakultativ ist, geht die Charta in der Sache doch davon aus, dass Streitfragen gerichtlich geklärt werden sollen (Art. 93, Art. 36 Abs. 3 SVN). Das gleiche gilt im Hinblick auf die Beziehungen der VNOrgane untereinander, auch wenn eine ausdrückliche Gerichtsbarkeit zur Klärung von Streitfragen innerhalb dieses „Verfassungsgefüges“ fehlt (siehe aber Art. 96 SVN, dazu unten, II. 2.). Schließlich muss auch die Befolgung der richterlichen Entscheidungen sichergestellt sein. Die Charta geht zwar davon aus, dass dies auf freiwilliger Basis erfolgt (Art. 94 Abs. 1 SVN), und in der Praxis hat es seit 1946 insoweit auch lediglich in 4 von 91 Fällen Probleme gegeben.160 Das Durchsetzungsmonopol liegt allerdings gem. 157 Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), RechtsstaatlichkeitsKonzept, 1998, 6 f. 158 E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 350 ff. 159 Die GV ruft die Staaten hierzu ausdrücklich, wenn auch mit diplomatischer Zurückhaltung, auf, vgl. etwa ihre jüngste Resolution zum Thema Rechtsstaatlichkeit A/RES/62/70, pp. 6 vom 8.1.2008. Ebenso bereits das Ergebnisdokument des Weltgipfels A/RES/60/1, Para. 134 vom 24.10.2005: „[W]e call upon States that have not yet done so to consider accepting the jurisdiction of the International Court of Justice in accordance with its Statute.“
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Art. 94 Abs. 2 SVN wiederum beim SR, was dazu führt, dass Entscheidungen gegen den Willen der P 5 faktisch nicht durchsetzbar sind. Auch in dieser Hinsicht besteht also Reformbedarf. Insgesamt ist der Grad der Rechtsbefolgung indes so hoch, dass bereits allein dieser Umstand eine positive Aussage zur Geltung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit erlaubt: „The fact that States overwhelmingly comply with international law may also be some, indirect, evidence for the existence of as international rule of law, for it shares a degree of confidence in the law which one would only expect if the rules of international law were indeed rooted in an international rule of law.“161
Thomas M. Franck bekräftigt diesen Befund: „[H]istory . . . since World War II . . . demonstrates not only that states never challenged the legitimacy of the law they were violating, but, even at the laugh test [!], insisted that they were acting in full compliance with it.“162
II. Rechtliche Kontrolle (judicial review) Gleichwohl sind die prinzipielle Überprüfbarkeit und die tatsächliche Überprüfung von Entscheidungen des SR durch unparteiische und unabhängige Rechtsprechungsorgane als prozedurale Ausprägung von Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen. Rein politische Mechanismen von checks and balances reichen insoweit nicht aus. Ursprünglich sollte insbesondere das Vetorecht diese Funktion innerhalb des SR selbst ausfüllen.163 Wie die Erfahrung gelehrt hat, funktioniert dies aber genauso wenig wie etwa die sog. „censure resolutions“ der GV gem. Art. 10 SVN.164 160
Stand April 2007, siehe R. Higgins, The ICJ and the Rule of Law, Vortrag vom 11.4.2007, erhältlich unter http//:www.unu.edu/events/files/2007/20070411_ Higgins_speech.pdf [eingesehen am 10.8.2008]. 161 A. Watts, The International Rule of Law, GYIL 36 (1993), 15 (41), wobei hiernach offen bleibt, was zuerst da war: die rechtsstaatlichen Gebote oder die „ungezwungene“ Befolgung eben dieser rechtsstaatlichen Grundsätze. 162 Th. M. Franck, The Power of Legitimacy and the Legitimacy of Power, AJIL 100 (2006), 88 (96), hierbei Bezug nehmend auf die Invasion der USA im Irak im Jahr 2003. Siehe aber auch die eher ernüchternde Bilanz, soweit es um die tatsächliche Befolgung völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen geht, bei E. C. Luck/M. W. Doyle, International Law and Organization: Closing the Compliance Gap, 2004, 303 ff. 163 Wenn M. Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates, 1998, 7 f. sagt, [d]ass das Veto eine kaum zu überschätzende Sicherung staatlicher Eigeninteressen gegen Machtexzesse des Sicherheitsrates [bildet]“, dann beschreibt dies genau das Problem, dass es eben nur um die Interessen der P 5, aber nicht um diejenigen der internationalen Gemeinschaft insgesamt geht.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 1. IGH als adäquates Rechtsprechungsorgan
Als Organ, das eine effektive rechtliche Kontrolle ausübt, kommt nur der IGH als das Rechtsprechungsorgan der VN in Betracht. Seine Richter sind unabhängig, „von hohem sittlichen Ansehen“ und „[erfüllen] die in ihrem Staat für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen“ oder „[sind] Völkerrechtsgelehrte von anerkanntem Ruf“ (Art. 2 IGH-Statut). Zugleich ist der IGH eines der Hauptorgane der VN und verfügt damit einzig über eine Autorität, die an diejenige des SR heranreicht.165 Zwar werden nach wie vor viele Argumente gegen eine entsprechende Befugnis des IGH angeführt [a)]. Im Ergebnis vermögen diese aber nicht mehr zu überzeugen. Die massiven Legitimitätsdefizite, denen die VN insgesamt und in erster Linie der SR sich gegenüber sehen, verlangen heute nach einer „ordentlichen“ Instanz, die Konfliktfälle getrennt von eigenen politischen Interessen der Beteiligten auf der Grundlage des Rechts entscheidet. Eine entsprechende Funktion des IGH ist in der Charta bereits angelegt, wird aber bislang nicht konsequent genutzt [b)]. a) Argumente gegen eine rechtliche Kontrolle durch den IGH Als Hauptargument gegen eine Kompetenz des IGH zur rechtlichen Kontrolle des SR wird noch immer auf die Charta, die hierzu keine ausdrückliche Bestimmung enthalte, sowie auf die Gründungskonferenz bzw. die travaux préparatoires verwiesen, wonach ein dahin gehender Vorschlag Belgiens entschieden zurückgewiesen worden sei. Stattdessen sei vereinbart worden, dass die VN-Organe die auf sie anwendbaren Bestimmungen der Charta jeweils selbst auslegen sollten.166 Dieser Linie folgend hat auch der IGH selbst eine entsprechende Kompetenz im Certain Expenses-Gutachten von 1962 verneint: „In the legal system of States, there is often some procedure for determining the validity of even a legislative or governmental act, but no analogous procedure is to be found in the structure of the United Nations.“167 164
Die GV kann danach „alle Fragen und Angelegenheiten erörtern, die in den Rahmen dieser Charta fallen oder Befugnisse und Aufgaben eines in dieser Charta vorgesehenen Organs betreffen[.]“ Dazu der Bericht UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270, S. 10 vom 7.5.2008. 165 B. Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrates, 1996, 145. 166 Documents of the United Nations Conference on International Organization, San Francisco, April 1945, Vol. 3, 336: „[E]ach organ will interpret such parts of the Charter as are applicable to its particular functions.“ 167 ICJ Reports 1962, 151 (168). Siehe dagegen aber auch bereits das NamibiaGutachten, ICJ Reports 1971, 16 (Para. 89): „[T]he question of the validity or conformity with the Charter of [GA Res. . . . or related SC Res.] does not form the sub-
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b) Argumente für eine rechtliche Kontrolle durch den IGH Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass – wie gesehen – die Entwicklung der internationalen Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten dynamisch vorangeschritten ist und die internationalen Gerichte (IGH, ICTY) inzwischen, jedenfalls potenziell, eine Überprüfungskompetenz für sich in Anspruch nehmen [siehe die Lockerbie- sowie die Tadic´-Entscheidung, s. o., Teil 2, Kap. 4, B. II. 3. c)]. aa) Art. 36 IGH-Statut, Art. 96 SVN Nach der Charta ist der IGH mit einer zweifachen Kompetenz ausgestattet, Beschlüsse der VN-Organe auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Zum einen erstreckt sich seine Zuständigkeit gem. Art. 36 IGH-Statut auf „alle ihm von den Parteien unterbreiteten Rechtssachen sowie auf alle in der Charta der Vereinten Nationen oder in geltenden Verträgen und Übereinkommen vorgesehenen Angelegenheiten“ (contentious cases). Hierbei kann es unmittelbar um die Auslegung von völkervertrags- oder völkergewohnheitsrechtlichen Normen gehen, aber auch um Beschlüsse von VN-Organen, die einem Streit zugrunde liegen und inzident zu prüfen sind (vgl. Lockerbie-Fall). Zwar sind die entsprechenden Entscheidungen des IGH streng genommen nur inter partes verbindlich (Art. 59 IGH-Statut). Praktisch entfalten sie aber gleichwohl Präzedenzwirkung.168 Die andere Möglichkeit zur Rechtsprüfung ergibt sich für den IGH aus Art. 96 Abs. 1 SVN, wonach die GV und der SR „über jede Rechtsfrage“ Gutachten (advisory opinions) anfordern können. Zwar liegt es im Ermessen des IGH, die Erstellung eines Gutachtens zu politischen – im Gegensatz zu juristischen – Fragen zu verweigern. Bislang hat das Gericht davon aber keinen Gebrauch gemacht, sondern es stets verstanden, die zugrunde liegenden rechtlichen Fragen aus ihrem politischen Kontext herauszuarbeiten und herauszuhalten. Rein rechtlich betrachtet sind die Gutachten unverbindlich und können insbesondere nicht gem. Art. 94 Abs. 2 SVN durchgesetzt werden. Da sie aber von der gleichen Autorität des Gerichts getragen sind wie (Streit-)Entscheidungen, macht sich jedenfalls das antragstellende Organ die Rechtsauffassung des Gerichts in der Praxis regelmäßig zu eigen.169 ject of the request for advisory opinion. However, in the exercise of its judicial function and since objections have been advanced the Court, in the course of its reasoning, will consider these objections before determining any legal consequences arising from these resolutions.“ 168 L. B. Sohn, The UN System as authoritative interpreter of its law, in: O. Schachter/C. C. Joyner (Eds.), United Nations Legal Order, Vol. 1, 1995, 169 (174). 169 J. Dugard, International Law, 2000, 389.
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Der IGH kann demnach zwar nicht von sich aus initiativ werden und als „Hüter der Charta“ auftreten. Ihm fehlt auch bereits der allgemeine Auftrag zur Durchsetzung der Rechtsordnung, den staatliche Gerichte besitzen.170 Stattdessen entspricht es dem organisationsrechtlichen Aufbau, nach dem die sechs Hauptorgane gleichberechtigt nebeneinander stehen (Art. 7 Abs. 1 SVN), wie auch dem eigentlichen Selbstverständnis der VN, dass die Organe in gemeinsamer Verantwortung und gegenseitiger Loyalität agieren. Insbesondere im Verhältnis zwischen SR und IGH gibt es – anders als zwischen SR und GV – keine dem Art. 12 SVN vergleichbare Regelung, die dem IGH eine Befassung mit Situationen untersagen würde, in denen der SR bereits tätig geworden ist. Das VN-System ist angesichts der Funktionsteilungen vielmehr darauf angelegt, dass die politischen Organe ihre Rechtsfragen von sich aus gem. Art. 96 SVN dem IGH als dem Rechtsprechungsorgan der Organisation zur Begutachtung unterbreiten.171 In der Praxis geschieht dies indes viel zu selten. Während die GV noch vergleichsweise rege von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, hat der SR sich mit dem Namibia-Gutachten bislang nur ein einziges Mal dazu entschieden.172 Dabei mangelt es weder dem SR an geeigneten Rechtsfragen (auch wenn er in der Hauptsache mit politischen und Sachverhaltsfragen befasst ist) noch dem IGH an der erforderlichen rechtlichen Expertise. Aber auch die Mitgliedstaaten sind zur Verwirklichung der internationalen Rechtsgemeinschaft angehalten, den (Rechts-)Weg nach Art. 36 IGH-Statut zu beschreiten, sich also der obligatorischen Gerichtsbarkeit des IGH zu unterwerfen und ihm ihre Rechtssachen vorzulegen. Die Charta hält also sehr wohl Mechanismen bereit, um die Rechtmäßigkeit und Legitimität im VN-System zu gewährleisten. Allein es fehlt wiederum der politische Wille der Akteure, diese anzuwenden. bb) Implied powers Darüber hinaus spricht eine Analogie zum US-amerikanischen Verfassungsrecht für eine Kompetenz des IGH zur inzidenten rechtlichen Kontrolle der Beschlüsse der anderen VN-Organe. Auch der Supreme Court in den USA musste sich seine Befugnis zur judicial review erst selbst herlei170
B. Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrates, 1996, 155. So auch die Forderung Ägyptens in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436 im Namen der Blockfreien Staaten: „Disputes about the jurisdiction of any organ should be settled in cooperation with the International Court of Justice.“ 172 ICJ Reports 1971, 16 – Legal Consquences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia; vgl. D. W. Bowett, Judicial and Political Functions of the Security Council and the International Court of Justice, in: H. Fox (Ed.), The Changing Constitution of the United Nations, 1997, 73 (74). 171
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ten, ohne dass sie ihm ausdrücklich verliehen worden wäre.173 Sicherlich darf nicht „1:1“ von einem nationalen Staats- und Verfassungssystem auf die Ordnung einer internationalen Organisation geschlossen werden. Es ist aber zu bedenken, dass zu jener Zeit auch die USA noch nicht ihre heutige Gestalt an „Verfasstheit“ aufwiesen und insofern durchaus als grober Vergleichsgegenstand taugen.174 Dies wird verkannt, wenn eingewandt wird, dass die Annahme einer Befugnis des IGH zu einer derartigen Rechtskontrolle keine evolutionäre Entwicklung mehr sei, sondern eine revolutionäre.175 Außerdem wird übersehen, dass innerhalb desselben „Verfassungs-“ und Zeitraums auch und gerade der SR seine Kompetenzen enorm ausgeweitet hat, wovon seine äußerst „kreative“ Praxis zu Art. 39 SVN zeugt. Wenn nun der IGH ansatzweise nachzieht, indem er jedenfalls die Möglichkeit des inzidenten judicial review für sich beansprucht, ist dies nur konsequent.176 Wer hier statisch und einzig auf den vermeintlich entgegenstehenden „ursprünglichen Willen der Satzungsgeber“ verweist, misst insofern mit zweierlei Maß.177 Ohne eine austarierte Entwicklung der implied powers auch in diese Richtung ist weder das Gleichgewicht innerhalb der VN, noch die gegenseitige Kontrolle der öffentlichen Gewalt – d. h. ein grundlegendes Prinzip von Rechtsstaatlichkeit – gewährleistet.178
cc) Alternative des „staatlichen Ungehorsams“? Als rechtspolitisches Argument für eine Kontrolle durch den IGH kann schließlich angeführt werden, dass anderenfalls als – denkbar schlechte – Alternative, die aber geradezu provoziert würde, „staatlicher Ungehorsam“ betroffener Staaten als ein „right of last resort“179 bliebe. Dieser käme da173
Marbury vs. Madison, 5 US (1 Cranch), 137 (1803). Vgl. auch die Einschätzung von L. B. Sohn, The UN System as authoritative interpreter of its law, in: O. Schachter/C. C. Joyner (Eds.), United Nations Legal Order, Vol. 1, 1995, 169 (227): „The Charta of the United Nations, like the Constitution of the United States, is almost immutable as far as its text is concerned, but over less than fifty years its interpretations changed as much as those of the Constitution of the United States in two hundred years.“ 175 Judge Schwebel in seinem Sondervotum zur Lockerbie-Entscheidung, ICJ Reports 1998, 9 (80). 176 J. Dugard, Judicial Review of Sanctions, in: V. Gowlland-Debbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 83 (85). 177 So auch A. Stein, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Rule of Law: Auslegung und Rechtsfortbildung des Begriffs der Friedensbedrohung bei humanitären Interventionen und der Grundlage des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen, 1999, 380. 178 J. Dugard, Judicial Review of Sanctions, in: V. Gowlland-Debbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 83 (85). 174
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durch zum Ausdruck, dass die Staaten, die eine Resolution als rechtswidrig erachteten, diese schlicht nicht befolgten. Ein derartiger Fall ereignete sich etwa, als die OAU einseitig entschied, die vom SR gegen Libyen verhängten Sanktionen auszusetzen. Zwar ist dies bislang ein Einzelfall geblieben, und der SR vermied eine Kraftprobe oder weitere Eskalation, indem er mit dem Erlass der S/RES/1192 (1998) einlenkte und die Sanktionen aufhob, wobei er dies, um Gesichtswahrung bemüht, unter bestimmte Bedingungen stellte. Gleichwohl hat diese Situation die potenziellen Gefahren für das Sicherheitssystem der VN aufgezeigt, die sich aus dem Fehlen einer letzten verbindlichen Instanz ergeben. Erstens würde es latent alle Entscheidungen des SR untergraben, wenn sich jede Partei dazu berufen fühlen dürfte, ihre Rechtmäßigkeit zu verneinen und eigenmächtig zu erklären, nicht gebunden zu sein180; zweitens führte dies seinerseits zu großer rechtlicher Unsicherheit, da zwangsläufig jeweils eigene Kriterien zugrunde gelegt würden181; und drittens mündete dieser Weg unwillkürlich im „Recht des Stärkeren“182, da nur potente Staaten sich einen solchen „Ungehorsam“ auch praktisch leisten könnten. Entscheidungen gegen weniger mächtige Staaten hingegen dürften regelmäßig mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Vor allem könnten Zweifel an der Rechtmäßigkeit und gar Wirksamkeit immer dann vorgeschoben werden, wenn die Nichtbefolgung einer Resolution den eigenen Interessen dient.183 Insofern besteht allein in der Rechtssicherheit an sich bereits ein Wert, weswegen sie auch zu den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit gerechnet wird. Dies gilt im nationalen wie im internationalen Kontext, wie Judge Robert H. Jackson bereits 1945 verdeutlichte: „[W]e have come to rely upon the judicial process [. . .], not because courts always render right judgments, but because the consequences of wrong or unwise decisions are not so evil as the anarchy that results from having no way to obtain any decision of such question; in which case each will take the law into his own hands. And in a somewhat similar sporting spirit, we must look upon any international tribunal [. . .].“184 179 Zu diesem Ergebnis kommt E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 375 ff. Dazu auch M. Fraas, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und Internationaler Gerichtshof: Die Rechtmäßigkeitsprüfung von Beschlüssen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im Rahmen des VII. Kapitels der Charta durch den Internationalen Gerichtshof, 1998. 180 J. E. Alvarez, Review: Between Law and Power, AJIL 99 (2005), 926 (932). 181 D. Akande, The International Court of Justice and the Security Council, ICLQ 46 (1997), 309 (336) bezeichnet diese Situation als „a recipe for disaster“. 182 Dazu D. S. Lutz/H. J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, 2003. 183 F. L. Kirgis, Book Review: An Introduction to International Institutional Law. By Jan Klabbers, AJIL 98 (2004), 216 (218).
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Folglich sehen die VN statt einer eigenmächtigen Nichtbefolgung von Resolutionen als last resort vielmehr mit dem IGH eine „i n s t i t u t i o n of last resort“ vor, die das System nicht unterminiert, sondern im Gegenteil stabilisiert. Auch wenn die VN-Organe also in erster Linie selbst berufen sind, die Charta im Hinblick auf die ihnen verliehenen Befugnisse auszulegen, kann dies nicht den Schlusspunkt bilden. Denn „[t]he legality of actions by any UN organ must be judged by reference to the Charter as a ‚constitution‘ of delegated powers. In extreme cases, the Court may have to be the last resort defender of the system’s legitimacy if the UN is to continue the adherence of its members. This seems to be tacitly acknowledged judicial common ground, and is an elementary prerequisite of fairness in the Council’s exercise of its newly ebullient powers.“185
Selbst wenn der IGH demnach befugt ist, eine SR-Resolution für rechtswidrig zu erklären und damit im Einzelfall die Pflicht der Mitgliedstaaten, sie zu befolgen, praktisch zu beseitigen, wird gerade hierdurch erreicht, dass in allen anderen Fällen keinerlei Zweifel an der Befolgungspflicht (Art. 25, 28 SVN) bestehen können.186 Vor dem Hintergrund des (hier umgekehrten) Schutzbedürfnisses der Mehrheit der Staaten vor der Minderheit des SR bzw. der P 5187 und den dadurch verursachten Akzeptanzproblemen liegt es letztlich im Interesse des SR selbst, sich die Autorität des IGH proaktiv zunutze zu machen, indem er eine gerichtliche Überprüfung nicht nur zulässt, sondern im Einzelfall sogar selbst veranlasst. Dadurch nämlich hat er die Möglichkeit, seine Beschlüsse mit einem ausdrücklichen „Gütesiegel“ der Rechtmäßigkeit zu versehen, anstatt sie allgemeinen Anzweifelungen zu überlassen.188 Bei einer verantwortungsvollen Wahrnehmung seiner Kompetenzen dürfte die gerichtliche Überprüfung durch den IGH, schon wegen der grundsätzlich an184 Rede vom 13.4.1945 in Washington D.C., erhältlich unter http://www.roberth jackson.org/Man/theman2-7-7-1/ [eingesehen am 24.7.2008]. 185 Th. M. Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, 244: „[. . .] the Court, the institution of last resort in the system able to legitimize the growing – and welcome growth of – political activism by UN organs and by the Security Council in particular.“ Entsprechend: Th. M. Franck, Fairness in the international legal and institutional system, RdC 1993-III, 220. 186 Mit Ausnahme von evident rechtswidrigen Resolutionen, deren Befolgung die Mitgliedstaaten auch eigenmächtig verweigern dürfen. Vgl. zu alledem B. Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrates, 1996, 147 u. 150. 187 Vgl. die Stellungnahme von Jorge Urbina, dem Vertreter Costa Ricas, in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „Of all the Council’s cultural norms, the most detrimental [is] the ‚excluding attitude‘ towards the great majority of Member States[.]“ 188 Zu diesem Aspekt siehe N. Angelet, International Law Limits to the Security Council, in: V. Gowlland-Debbas (Ed.), United Nations Sanctions and International Law, 2001, 71.
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zulegenden richterlichen Zurückhaltung (judicial restraint), regelmäßig zu einer Bestätigung führen, so dass er diesen Verfahren gelassen entgegensehen könnte. Eine Unrechtmäßigkeitserklärung dürfte hingegen auf verschwindend wenige Ausnahmefälle beschränkt bleiben, zumal der SR seine Resolutionsentwürfe, wenn er das „Damoklesschwert“ der richterlichen Überprüfung vor Augen hat, bereits selbst kritischer als in der Vergangenheit prüfen dürfte. Gerade in den verbleibenden Zweifelsfällen aber würden die Autorität des SR sowie die Effektivität seiner Maßnahmen entscheidend gewinnen, wenn diese durch den IGH bestätigt würden. Denn dieser Zuwachs an Legitimität wäre mit einem Mobilisierungseffekt verbunden, auf den Thomas M. Franck hinweist: „[T]he actions taken will be judged by standards of legitimacy and fairness, and that judgment will affect the capacity of the decisions made to pull the community towards compliance“.189 2. Kontrolldichte
Mithin stellt sich also nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch inwieweit der IGH zu einer rechtlichen Kontrolle befugt ist. Da die sechs VNHauptorgane gleichberechtigt nebeneinander stehen und ihre Befugnisse in erster Linie aufgrund der ihnen durch die Charta übertragenen Aufgaben selbst bestimmen, übt sich der IGH – wie gesehen – in richterlicher Zurückhaltung und besteht eine prima facie-Vermutung190 zugunsten der Rechtmäßigkeit der SR-Resolutionen. Bislang hat der IGH in allen Fällen, in denen er ausnahmsweise eine substanzielle Rechtmäßigkeitsprüfung vorgenommen hat, die jeweilige Resolution aufrechterhalten.191 Gleichwohl muss die Vermutung widerlegbar sein. Denn nur wenn die Möglichkeit einer Widerlegung gegeben ist, kann überhaupt von einer Rechtmäßigkeitsvermutung ausgegangen werden.192 Dabei ergibt sich aus der Funktion des SR im VN-System wie auch aus der Natur des Völkerrechts, dass der SR nicht auf eine bloße „Rechtsfindung“ reduziert werden kann. Stattdessen sind ihm eine Einschätzungsprärogative und ein Prognosespielraum auf der Tatbestands- sowie Ermessen 189
Th. M. Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, 219. Vgl. die Feststellung des IGH im Certain Expenses-Fall, ICJ Reports 1962, 151 (168): „[W]hen the Organization takes action which warrants the assertion that it was appropriate for the fulfilment of one of the stated purposes of the United Nations, the presumption is that such action is not ultra vires the organization.“ 191 D. Akande, The International Court of Justice and the Security Council, ICLQ 46 (1997), 309 (328); E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2004, 47 ff. 192 B. Lorinser, Bindende Resolutionen des Sicherheitsrates, 1996, 145. 190
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auf der Rechtsfolgenseite einzuräumen. Mit einer zu hohen Kontrolldichte würden dem SR Fesseln angelegt, die ihn in der Ausübung seines Mandats behindern könnten.193 Je weiter allerdings das Verständnis reicht, das der SR dem Friedensbegriff und den von ihm zu ergreifenden friedenswahrenden Maßnahmen zugrunde legt, desto näher rückt er an die Grenzen seiner Befugnisse heran.194 Es ist sicher kein Zufall, dass der SR bei einer Feststellung nach Art. 39 SVN bisher noch nie auf eine Aggression abgestellt hat. Dieser Begriff nämlich ist im Gegensatz zu demjenigen des Friedens bzw. dessen Bruch oder Bedrohung rechtlich definiert – zwar weder allgemein bindend noch erschöpfend195, aber prinzipiell durchaus justiziabel.196 Wenn der SR aber ultra vires handelt oder gegen substanzielle Vorgaben der Charta bzw. des allgemeinen Völkerrechts verstößt, geht es nicht darum, dass der Gerichtshof die politische Einschätzung des SR mit seiner eigenen ersetzen wollte197, sondern einzig darum, dass er die Einhaltung der Grenzen des Rechts gewährleistet. Einwände in Richtung „judicial restraint“ oder „political question doctrine“ greifen hier nicht.198 Diese Unterscheidung dürfte regelmäßig dort zum Tragen kommen, wo der SR Maßnahmen beschließt, die darüber hinausgehen, kurzfristig die akute Anwendung von Gewalt zwischen Staaten zu beenden, um sie einer friedlichen Lösung zugänglich zu machen (wie es an sich seinem Mandat entspricht). Richter Lauterpacht beschreibt dies folgendermaßen: „[A] distinction can be drawn between prescriptions of conduct that are directly and immediately related to the termination of the impugned conduct [. . .] and those [legal] findings that [. . .] have a general and long-term legal impact that goes beyond the immediate needs of the situation.“199 193 Fassbender, Review Essay – Quis judicabit? The Security Council, Its Powers and Its Legal Control, EJIL 11 (2000), 219 (219, 224). 194 ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic ´ , IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 29: „[The concept of a] threat to the peace is more of a political concept. But the determination that there exists such a threat is not a totally unfettered discretion, as it has to remain, at the very least, within the Purposes and Principles of the Charter.“ 195 Siehe die Aggressionsdefinition der GV, Annex zur A/Res. Nr. 3314 (XXIX) vom 14.12.1974 sowie Art. 8 bis Statut des IStGH nach dessen Änderung durch Resolution RC/Res.6 vom 11.6.2010. 196 D. Akande, The International Court of Justice and the Security Council, ICLQ 46 (1997), 309 (339). 197 So auch ausdrücklich Judge Lauterpacht im Bosnia Genocide ConventionFall, ICJ Reports 1993, 325 (439). 198 ICTY, Berufungskammer, Prosecutor vs. Dusko Tadic ´ , IT-94-1-A vom 2.10.1995, Para. 24: „The doctrines of ‚political questions‘ and ‚non-justiciable disputes‘ are remnants of the reservations of ‚sovereignty‘, ‚national honour‘ etc. in very old arbitration treaties. They have receded from the horizon of contemporary international law [. . .].“
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In die gleiche Richtung zielt Malcolm Shaw: „[S]econdary level actions after the initial response has been taken to restore international peace and security should not also fall within the wide discretion of the Council, but should be tested also against the prevailing principles of international law.“200
Letztlich ist bei der Grenzziehung zwischen freier politischer Einschätzungsprärogative einerseits und rechtlich gebundener Handlungsbefugnis andererseits mit Martti Koskenniemi auch auf den Grad unseres Erkenntnisinteresses abzustellen, also darauf, inwieweit wir bloß nach (politischen) Motiven fragen oder aber nach Rechtfertigungsgründen (justifiability) suchen: „[. . . I]f focus shifts to the plausibility of the public justification given for a decision, then we are asking a legal question about the validity of the Member’s reasoning by reference to the norms embedded in the Charter.“201
Damit ist aber bereits die Grenze vom rein politischen zum juristischen Bereich überschritten, denn die Darlegung von Plausibilität ist das mindeste, was vom SR an Begründungsaufwand zu verlangen ist. Daraus folgt, dass den Beschlüssen in jedem Fall objektiv überprüfbare Kriterien zugrunde zu legen und somit Standards für den SR gesetzt sind. 3. Antragsberechtigung
Da der IGH nicht selbst initiativ werden kann, ist für eine wirksame Rechtskontrolle die Befugnis, Anträge auf Einleitung eines Verfahrens zu stellen oder Rechtsgutachten anzufordern, von entscheidender Bedeutung. Nach geltendem Recht sind weder Verfahren von Staaten unmittelbar gegen VN-Organe noch Anträge des GS auf Gutachten, sei es in eigener Kapazität oder als Vertreter des Sekretariats, zulässig. Immerhin steht den Staaten der Weg offen, Resolutionen inzident prüfen zu lassen, vorausgesetzt dass sowohl der rechtsuchende als auch der Staat, der sich auf die umstrittene Resolution beruft, die Zuständigkeit des IGH untereinander anerkennen. Der GS bzw. das Sekretariat ist hingegen gänzlich auf die GV angewiesen. Nach dem Headquarters Agreement vom 26. Juni 1947 kann der GS lediglich die GV bitten, ein Gutachten anzufordern, sich also seiner Sache anzunehmen.202 199
E. Lauterpacht, Aspects of the Administration of International Law, 1991, 44. M. N. Shaw, The Security Council and the International Court of Justice: Judicial Drift and Judicial Function, in: A. S. Muller (Ed.), The International Court of Justice: Its Future Role after Fifty Years, 1997, 219 (225 f.). 201 M. Koskenniemi, The Limits of International Law: Are There Such?, in: K. Koufa (Ed.), Might and Right in International Relations, 1999, 17 (37). 202 H. Mosler/K. Oellers-Frahm, Commentary on Art. 96, in: B. Simma (Ed.), The Charter of the United Nations: A Commentary, Vol. II, 2002, Para. 15. 200
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Ein solcher Mechanismus wäre dann ausreichend, wenn die GV handlungsfähig und entschlossen wäre, gewissermaßen als „Anwalt“ von GS und Sekretariat aufzutreten und einen Ausgleich innerhalb der Organisation der VN herzustellen. Tatsächlich ist sie aber gefangen in einem Netz vielfältiger und häufig gegenläufiger Interessen und daher zu schwach, um diese Rolle auszufüllen. Daher ist de lege ferenda ein eigenes Antragsrecht des GS für das Sekretariat zu fordern. Denn organisationsrechtlich ist das Sekretariat eines von sechs Primärorganen der VN und steht somit in einem Rang insbesondere mit dem SR, aber auch mit der GV. Zwar hat das Sekretariat naturgemäß eine eher „dienende“ Funktion. Darüber hinaus verleiht es der Organisation der VN aber überhaupt erst eine Identität und einen Willen, die über die bloße Summe ihrer Mitglieder hinausgehen, und verkörpert damit in besonderem Maße den Charakter der VN als Weltorganisation, die dem gemeinsamen Wohl aller in der Welt verpflichtet ist.203 Dies kann selbst die GV als Plenum aller Mitglieder oder der ECOSOC, über den die Zivilgesellschaft an den VN partizipiert, nicht leisten. Denn es hat sich erwiesen, dass „common interest is not merely an aggregation of particular interests“204 Dies wird deutlich sichtbar in der Vielfalt und Ausrichtung der Aktivitäten des Sekretariats sowie der Wahrnehmung politischer Aufgaben durch den GS. Hierdurch wird eine verstärkte Außenwahrnehmung seines Amtes, begleitet von einer Personalisierung und Popularisierung seiner Person, erzeugt, was wiederum auch zu höheren Außenerwartungen führt. Angesichts dessen muss der GS sich mit dem Sekretariat im Organisationsgefüge behaupten können und ist es nicht angemessen, ihm – im Unterschied zu SR und GV – das Recht abzusprechen, selbst Gutachten des IGH über Rechtsfragen einzuholen. Wenn dagegen geltend gemacht wird, dass es dem GS offenbar an der politischen Unterstützung sowohl der GV als auch des SR fehle, wenn diese nicht bereit seien, ein entsprechendes Gutachten einzuholen und dass ein eigenes Antragsrecht des GS insofern zu Reibereien mit diesen führte205, so spricht dies in der Sache nicht gegen ein solches Recht, sondern beweist 203 Vgl. N. G. White, The United Nations System, 2002, 43, der eine gewisse Autonomie der VN ausgemacht hat: „[. . .] Each factor strengthens the independence of the UN and reduces the membership’s control over the whole. Thus the basis of the UN system is not the intent of the members but t h e w i l l o f t h e o r g a n i z a t i o n . This will is directed toward the establishment of a UN legal order that aims to fulfil the values of the UN by directing and regulating state behaviour“ (Hervorhebung des Verf.). Zum Konzept der internationalen Gemeinschaft vgl. A. L. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, 2001. 204 P. Allott, The Health of Nations, 2002, 295. 205 D. W. Bowett, The Court’s role in relation to international organizations, in: V. Lowe/M. Fitzmaurice (Ed.), Fifty years of the International Court of Justice, 1996, 181 (187).
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gerade dessen Notwendigkeit. Um den SG insoweit zu stärken und unabhängiger von der „Gnade“ insbesondere der P 5 zu machen, erscheint es allerdings sinnvoll, die Amtszeit des SG von vornherein auf eine zu begrenzen, diese aber auf etwa sieben Jahre zu verlängern.206 Als Beispiel dafür, dass auch ein praktisches Bedürfnis für ein Antragsrecht des SG besteht, kann der oben (Kap. 6, C.) geschilderte Fall des CTED angeführt werden. In einem mit dem damaligen GS Kofi Annan abgestimmten Schreiben gab der frühere ASG Danilo Türk hier eine Stellungnahme für das Sekretariat ab, in der er darlegte, dass er die neuen Strukturen des CTED für nicht vereinbar mit der Charta erachte. Statt daraufhin aber in einen Dialog zu treten oder auch den IGH anzurufen, ignorierte der SR diese Einschätzung im Ergebnis schlicht und beschloss die Maßnahmen eigenmächtig per Resolution.207 Um künftig ähnlichen Vorgängen, in denen Zuständigkeiten einseitig verschoben werden, entgegentreten bzw. vorbeugen zu können, sollte im VN-System die Funktion einer „Verfassungsgerichtsbarkeit“ eingerichtet bzw. wahrgenommen werden. Mit dem entsprechenden politischen Willen, das Antragsrecht nach Art. 96 Abs. 1 SVN auf alle Hauptorgane auszuweiten und die Rechtsgutachten zu befolgen, könnte der IGH diese Funktion bereits jetzt ausfüllen.208 Ohne Absicherung in der Charta stünde eine solche Praxis allerdings auf wackeligen Beinen. Die Forderung, dem GS für das Sekretariat ein eigenes Antragsrecht nach Art. 96 Abs. 1 SVN zu verleihen und ihn insoweit auf eine Stufe mit der GV und dem SR zu stellen und ihn unabhängig von deren „Wohlmeinen“ zu machen, ist keineswegs neu, sondern reicht bis ins Jahr 1950 zurück.209 Sie wird aber immer drängender und berechtigter, je weiter auf 206 L. Fréchette, Die Reform der Vereinten Nationen: eine Innenansicht, VN 55 (2007), 1 (8). 207 Es darf nicht sein, dass der SR sehenden Auges in Kompetenzbereiche anderer Organe eindringt, nur weil er keine Konsequenzen zu befürchten hat. Auf den Vorschlag einiger Delegationen, eine Stellungnahme des VN-Sekretariats/Bereich Rechtsangelegenheiten (OLA) einzuholen, entgegnete der Vertreter der USA lediglich: „A letter from the Legal Counsel is like a letter from my mother.“ Siehe auch oben, Kap. 6, C. IV. 208 „[T]he greatest role for Advisory Opinions is when there are uncertainties about the institutional arrangements within the UN, and particularly about the distribution of power between different organs or between the UN and its member states.“ So R. Higgins, A comment on the current health of Advisory Opinions, in: V. Lowe/M. Fitzmaurice (Ed.), Fifty years of the International Court of Justice, 1996, 567 (575, 581). Allerdings kommt sie zum Schluss, dass [r]ecourse to the Court must work with the seams of political and institutional realities and not against the grain.“ 209 Siehe den Bericht des GS E/1732 (1950), zitiert nach E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2002, 63. Dazu R. Higgins, A comment on the current health of Advisory Opinions, in: V. Lowe/M. Fitzmaurice
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der einen Seite der SR seine Kompetenzen nach Kap. VII der Charta auslegt und je stärker auf der anderen Seite die internationale Gemeinschaft sich verrechtlicht und in den VN institutionalisiert. Die Sorge vor einer „potential omnipresence“ des GS oder einer „institutional imbalance“ scheint daher unberechtigt. Es geht vielmehr darum, die Balance wiederherzustellen.210 In einem weiteren Schritt sollte darüber hinaus auch internationalen Organisationen sowie ausgewählten Nichtregierungsorganisationen als Vertretern der Zivilgesellschaft ein locus standi vor dem IGH eingeräumt werden.211
D. Fazit Die Herrschaft des Rechts gilt nicht nur in einzelnen Rechtsstaaten, sondern auch in den internationalen Beziehungen und insbesondere den Vereinten Nationen, deren erstes Ziel ist, „Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen“ (Art. 1 Ziff. 1 SVN). Daher müssen die Staaten – sowohl für sich genommen als auch in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der jeweiligen VN-Organe – nachdrücklich hierauf verwiesen und ein entsprechendes Verhalten eingefordert werden. Insbesondere für den SR, dem insoweit die Hauptverantwortung übertragen worden ist, muss es oberstes Gebot sein, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und der Charta zu handeln. Nur indem er sich auf diese Weise an sein Mandat hält, kann er auch seine Autorität wahren bzw. wiederherstellen und letztlich die Legitimität des Systems der kollektiven Sicherheit erhalten.212 Davon sind auch im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung keine Abstriche zu machen. Im Gegenteil stellte George P. Shultz, US-Außenminister unter Präsident George Bush Sen., bereits (Ed.), Fifty years of the International Court of Justice, 1996, 567 (569). Boutros Boutros-Gali sprach sich in seiner Zeit als GS ebenso dafür aus, siehe Agenda for Peace, Para. 38. Vgl. ebenso B. Fassbender, UN Security Council Reform and the Right of Veto: A Constitutional Perspective, 1998. 210 So auch E. de Wet, The Chapter VII Powers of the United Nations Security Council, 2002, 65 f.: „The SG’s activities should be interpreted broadly, in the sense that the SG’s scope of activities should be interpreted so as to co-exist with the activities of the other organs of the UN.“ (Dort siehe auch die angeführten Zitate.) 211 Dazu D. W. Bowett, The Court’s role in relation to international organizations, in: V. Lowe/M. Fitzmaurice (Ed.), Fifty years of the International Court of Justice, 1996, 181 (189). 212 Vgl. Empfehlungen 1 und 2 des Berichts der österreichischen Rechtsstaatlichkeits-Initiative, The UN Security Council and the Rule of Law, A/63/69 – S/2008/270 vom 7.5.2008, S. 5.
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1984 fest, dass „the rule of law is congenial to action against terrorism“. Es bleibt zu hoffen – und dies muss immer wieder neu angemahnt werden –, dass insoweit eine (Rück-)Besinnung stattfindet. Tatsächlich hat der SR gerade in der „post 9/11“-Ära kaum wirklich konsequent als prinzipiengeleiteter und unparteiischer Treuhänder der internationalen Gemeinschaft gehandelt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die S/RES/1530, die der SR am 11. März 2004 nach den Anschlägen auf die Madrider Vorortzüge erließ. Obgleich die Tatumstände und insbesondere die Tatausführenden in dieser zeitlichen Nähe noch längst nicht abschließend hatten ermittelt werden können, verurteilte und benannte der SR ausdrücklich die ETA als – vermeintliche – Täterin. Diesen Gefallen schuldete US-Präsident George W. Bush ganz offenbar dem damaligen spanischen Regierungschef José Maria Aznar angesichts der unmittelbar bevorstehenden Parlamentswahlen in Spanien für dessen Unterstützung im Irak-Krieg. Kleinste Nachfragen im Vorfeld der Resolution, die die Urheberschaft der ETA in Zweifel zogen, führten unmittelbar zu Interventionen auf Ministerebene. So blieb es der spanischen Nachfolgeregierung unter José Luis Rodriguez Zapatero vorbehalten, nach deren gleichwohl erzielten Wahlsieg nur einige Tage später eine Entschuldigung für diese Instrumentalisierung des SR zu rein nationalen Zwecken auszusprechen und einzuräumen, dass die Täter – wie inzwischen gerichtlich bestätigt213 – doch aus dem Umfeld von Al-Qaida stammten.214 Mit Blick auf die Reform der VN lässt sich für den SR bilanzieren, dass die Staaten geschlossen darin übereinstimmen, dass die bestehende Mitgliedschaft in keiner Weise mehr repräsentativ für die heutige Staatenwelt ist. Hierzu führen sie nunmehr seit dem 7. April 2009 direkte zwischenstaatliche Verhandlungen miteinander.215 Damit besteht erstmals eine vergleichsweise konkrete Aussicht, dass die GV in absehbarer Zeit einen Beschluss darüber fassen wird, um welche Staaten und nach welchem Modus der SR erweitert wird. Dieser bedürfte zwar noch der Zustimmung des SR. 213 Schuldsprüche in Madrid (31.10.2007): „Zum Abschluss des ‚Jahrhundertprozesses‘ verhängte der Nationale Gerichtshof in Madrid Haftstrafen für 21 der insgesamt 28 – [zu einer islamistischen Zelle gehörenden] – Angeklagten. [. . . Eine Verwicklung der ETA in die Attentate schloss das Gericht aus].“ Erhältlich unter http://www.n-tv.de/873159.html [eingesehen am 26.3.2009]. 214 B. Avni, Security Council quick to pin blame, The New York Sun, 12.3.2004, S. 6. Dazu auch T. O’Donnell, Naming and Shaming: The Sorry Tale of Security Council Resolution 1530 (2004), EJIL 17 (2006), 945 (945 ff.). 215 Siehe den Bericht In Fourth Reform Meeting, Countries Discuss Size and Working Methods of the Security Council des Center for UN Reform vom 10.4.2009, erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/issues/1737?theme=alt4 [eingesehen am 18.5.2009].
Kap. 7: Reform der Vereinten Nationen (insb. SR) und Verrechtlichung
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Allerdings ist davon auszugehen, dass ein Beschluss der GV ohne Unterstützung der (insb. fünf ständigen) SR-Mitglieder gar nicht erst zustande käme. Hinsichtlich der Arbeitsmethoden des SR hat es schon bis zum jetzigen Zeitpunkt viele, wenn auch überwiegend kleinere Fortschritte gegeben. Immerhin hat dies zu einer deutlich besseren Einbindung der allgemeinen VNMitgliedschaft und teilweise auch von NGOs geführt. In letzter Konsequenz jedoch bleiben alle Zugeständnisse im vagen Bereich, da es sich bei ihnen entweder um bloße Selbstverpflichtungen handelt, die in keiner – nicht einmal der vorläufigen – Geschäftsordnung des SR fixiert sind, oder weil die entscheidenden Punkte wie etwa der Gebrauch des Vetorechts schlicht ausgespart worden sind. Insofern bleibt die Frage, ob es zu einem Durchbruch erst und nur dann kommen wird, wenn die Mitgliedschaft des SR erweitert wird und diese die erwartete größere Bereitschaft mitbringt, sich zu öffnen und zu integrieren216, oder ob umgekehrt die „alten“ SR-Mitglieder im Wege einer weiterreichenden Reform der Arbeitsmethoden versuchen werden, den Druck in Richtung einer Erweiterung, der sie noch widerwilliger gegenüberstehen, aufzuweichen. In jedem Fall muss der SR Wege finden, die an ihn gerichtete Vorgabe zu erfüllen, die der Vertreter Brasiliens bei den VN wie folgt formuliert hat: „[The Council’s] exceptional authority corresponds with the obligation of accountability to those on whose behalf the Council acts.“217 Aber auch die GV selbst sowie das Sekretariat haben sich bislang nicht imstande gezeigt, die an sie herangetragenen Reformerwartungen – und ihre eigenen Ankündigungen, einen Wandel herbeizuführen – in nennenswertem Umfang einzulösen. Die VN werden also auch weiterhin mehr mit sich selbst beschäftigt sein, als die vielen drängenden Aufgaben in der Welt an sich erlauben.
216
So offenbar die Erwartung Japans, siehe die Stellungnahme in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436: „Reform of the Council by expansion would have a significant positive impact on improving the Council’s working methods.“ 217 Stellungnahme Brasiliens in der öffentlichen Debatte des SR vom 27.8.2008, SC/9436.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Kapitel 8
Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus und Terrorismusdefinition Nachdem die GV im September 2006 die „Weltweite Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“ angenommen hat (dazu Kap. 9), gilt das „Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus“ (Comprehensive Convention on International Terrorism) als die wichtigste auf dem Weltgipfel 2005 beschlossene Initiative zur Terrorismusbekämpfung, deren Umsetzung noch aussteht.218
A. Das Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus I. Stand der Verhandlungen im 51/210-Ausschuss Die Verhandlung einer umfassenden „Anti-Terrorismus-Konvention“ ist bereits seit 1996 auf der Agenda der GV, als sie zu diesem Zweck durch die Resolution A/RES/51/210 den danach benannten ad hoc-Ausschuss errichtete.219 Sein Mandat lautet darauf, einen „comprehensive legal framework of conventions dealing with international terrorism“ zu entwickeln (Para. 9). Mittlerweile ist dieser „Rahmen“ dahingehend konkretisiert worden, dass eine „(draft) comprehensive convention on international terrorism (within a comprehensive legal framework of conventions dealing with international terrorism)“ verabschiedet werden soll.220 Im Jahr 2000 legte Indien den überarbeiteten Entwurf eines solchen umfassenden Übereinkommens vor, der seitdem Grundlage der Verhandlungen ist.221 Der 51/210-Ausschuss kommt in der Regel jeweils am Anfang eines Jahres zusammen und berichtet dem Rechtsausschuss der GV, in dessen Rahmen die Arbeiten dann in einer eigenen Arbeitsgruppe (Working Group of 218
So die Einschätzung des 51/210-Ausschusses, siehe dessen Bericht A/62/37 aus dem Jahr 2007; Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1, Para. 83 vom 24.10.2005. 219 Siehe oben, Kap. 2., B. II. 2. und Kap. 3, B., I. 4. 220 A/RES/54/110, Para. 12 u. 13 vom 2.2.2000. 221 Erstmals veröffentlicht als UN Doc. A/C.6/51/6 vom 11.11.1996 und ursprünglich deutlich gegen Pakistan im Kaschmir-Streit gerichtet; in der revidierten Fassung veröffentlicht als UN Doc. A/C.6/55/1 vom 28.8.2000; dazu M. Lippmann, The New Terrorism and International Law, Tulsa J.C.I.L. 10 (2003), 297 (349).
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 393
the Sixth Committee)222 in der zweiten Jahreshälfte auf informeller Ebene fortgeführt werden. Außerdem werden von der Gruppe der Freunde des Ausschuss-Vorsitzenden (Friends of the Chairman) bilaterale Konsultationen geführt. Im Jahr 2005 wurde mit Maria Telelian zur Wahrnehmung dieser Funktion sogar eine permanente Entwurfskoordinatorin ernannt.223 Seine vierzehnte Sitzung (bzw. Sitzungsperiode) mit den Plenumsdebatten Nr. 44 bis 46 beendete der 51/210-Ausschuss am 16. April 2010. Die umstrittenen Fragen sind weiterhin offen geblieben, so dass dem 51/210-Ausschuss nichts anderes übrig blieb, als dem Rechtsausschuss zu empfehlen, auch in der 65. Sitzungsperiode wieder eine Arbeitsgruppe einzusetzen, um die Verhandlungen in diesem Rahmen möglichst zu finalisieren.224 II. Inhalt des Übereinkommens Während der Großteil des Übereinkommens mittlerweile konsensfähig ist (dazu 1.), besteht vor allem in zwei Punkten nach wie vor substanzielle Uneinigkeit (dazu 2.). 1. Ausgehandelter Teil
Obgleich auch hier der (Verhandlungs-)Grundsatz „nothing is agreed until everything is agreed“ gilt, ist der größte Teil des Übereinkommens in den vergangenen Jahren unverändert geblieben. Die nachfolgende Zitierung entspricht der jüngsten konsolidierten Fassung vom 12. August 2005225; insoweit kommt es hinsichtlich der Nummerierung allerdings noch zu Verschiebungen (insbesondere der umstrittene Art. 20 „firmiert“ mittlerweile wie ursprünglich wieder als Art. 18). Den eigentlichen Regelungen des Übereinkommens sind in Art. 1 Definitionen wichtiger Begriffe, die gebraucht werden, vorangestellt, etwa der Staats- oder Regierungseinrichtung (state or government facility), der Streitkräfte (military forces of a state) oder der Infrastruktureinrichtung (infrastructure facility). Nicht enthalten ist hingegen – das sei sogleich vorweg222
Vgl. A/RES/54/110, Para. 13 vom 2.2.2000. Siehe die Sachstandsbeschreibung unter http://www.reformtheun.org/index. php/eupdate/3879 [eingesehen am 31.3.2008]. 224 Siehe den Bericht des Ausschusses zu seiner 14. Sitzung, A/65/37, S. 4, (III. Recommendations). Vgl. aber auch den Appell im Vorjahresbericht A/64/37, S. 8 (Annex II, A. 4.): „[The Coordinator noted . . .] that the negotiations had reached a state of inertia and that there was need for a momentum of goodwill and a sense to seize the moment in order to move the process forward.“ 225 A/59/894. 223
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geschickt – eine wirklich umfassende Definition von Terrorismus. Stattdessen wird die Technik der früheren „Anti-Terrorismus-Übereinkommen“ angewendet, wonach bestimmte Tatbestandshandlungen aufgeführt werden, die dem Anwendungsbereich des Übereinkommens unterfallen: „Any person commits an offence within the meaning of the present Convention if that person, by any means, unlawfully and intentionally, causes . . .“ (Art. 2). Allerdings stellt diese Regelung insofern einen großen Fortschritt gegenüber den bisherigen sektoralen Übereinkommen dar, als nun nicht mehr nur ganz spezifische Handlungen erfasst sind, sondern neben dem Tatbestandserfolg („[if that person . . . causes:] death or serious bodily injury to any person; serious damage to public or private property [. . .]“) in erster Linie auf den Zweck abgestellt wird („when the purpose of this conduct [. . .] is to intimidate a population, or to compel a Government or an international organization to do or to abstain from doing any act“). Damit sind endlich prinzipiell auch die „normalen“ Fälle von Mord und Totschlag sowie – einem neueren Trend folgend226 – die Zerstörung bestimmter privater oder öffentlicher Eigentumsgegenstände, insbesondere wichtiger Infrastruktureinrichtungen, als „allgemeiner Terrorismus-Tatbestand“ in das Anti-TerrorismusRechtsregime einbezogen, sofern sie bezwecken, die Bevölkerung einzuschüchtern oder die Regierung zu einem Tun zu nötigen. Damit ist eine – bzw. die – wesentliche Lücke im bisherigen Recht geschlossen. Umfasst sind schließlich auch die Mittäterschaft, Anstiftung und Teilnahme sowie der Versuch und die bloße (aber ernsthafte) Drohung, eine entsprechende Tat zu begehen. Spezielle Verträge zwischen Staaten gehen dem Übereinkommen vor (Art. 3). Ebenso sind wie bei allen (internationalen Anti-Terrorismus-)Übereinkommen rein innerstaatliche Sachverhalte vom Anwendungsbereich ausgeschlossen (Art. 4). Die Parteien sind verpflichtet, die aufgeführten Tatbestände innerstaatlich zu erlassen und unter angemessene Strafe zu stellen (Art. 5), wobei unter keinen Umständen Rechtfertigungsgründe aus politischen, philosophischen, ideologischen, rassischen, ethnischen, religiösen oder ähnlichen Erwägungen zugelassen werden dürfen (Art. 6). Zugleich ist die gerichtliche Zuständigkeit zu begründen (Art. 7) und sicherzustellen, dass niemandem ein Flüchtlingsstatus verliehen wird, der im ernsten Verdacht steht, eine Tat nach Art. 2 begangen zu haben (Art. 8). Weiterhin sind die Staaten angehalten, bei der Verhütung von Taten nach Art. 2 zusammenzuarbeiten, insbesondere Informationen auszutauschen (Art. 9). Neben den Organwaltern als natürliche Personen sollen auch die juristischen 226 Allerdings sah auch bereits die („ursprüngliche“) Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Terrorismus von 1937 eine Einbeziehung der Zerstörung jedenfalls öffentlichen Eigentums vor; s. u., B. I. 1.
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 395
Personen, für die sie handeln, verantwortlich gemacht und sanktioniert werden können (Art. 10). Jede Vertragspartei ist außerdem verpflichtet, auch gegen Angehörige anderer Staaten, die sich auf ihrem Staatsgebiet befinden, zu ermitteln und sie ggf. festzunehmen, um sie strafrechtlich zu verfolgen oder auszuliefern, wobei die Staaten einander größtmögliche Rechtshilfe gewähren sollen (Art. 11–14). Der Einwand, es handele sich um eine politische Tat, ist nicht zulässig. Allerdings kann ein Auslieferungs- oder Rechtshilfeersuchen dann negativ beschieden werden, wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme bestehen, dass es nur zu dem Zweck gestellt wurde, um eine Person wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens, ihrer Nationalität, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Meinung zu verfolgen (Art. 15–16). Diese Regelung folgt zwar den Modellen des Übereinkommens zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 1997 sowie des Finanzierungsübereinkommens von 1999. Gleichwohl liegt in dieser Ausnahme (hin zu einer „re-politicization“) beträchtliches Missbrauchspotenzial, die die Regel praktisch weitgehend auszuhebeln vermag. Für diejenigen, die die politische Motivation als – wenn auch ungeschriebenes – konstituierendes Merkmal einer terroristischen Tat ansehen, ist ein Auslieferungsersuchen sogar per definitionem politisch motiviert.227 Inhaftierte Personen können ausschließlich mit ihrer Zustimmung von einem Vertragsstaat in einen anderen überführt werden, um dort zur Aufklärung von Taten nach Art. 2 beizutragen (Art. 17). Die Straftatbestände nach diesem Übereinkommen selbst sind als auslieferungsfähig gemäß den bilateralen Auslieferungsabkommen einzustufen (Art. 18). Wird ein Beschuldigter in einem Vertragsstaat strafverfolgt, ist das Ergebnis dem Generalsekretär der VN mitzuteilen, der seinerseits die anderen Vertragsparteien benachrichtigt (Art. 19). Art. 20 behandelt Streitkräfte und Befreiungsbewegungen (dazu im Einzelnen s. u., 2.). Die Vertragsstaaten haben die Prinzipien der souveränen Gleichheit der Staaten und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zu wahren und dürfen keine hoheitlichen Maßnahmen im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei vornehmen (Art. 21–22). Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Konvention sollen einem Schiedsgericht oder dem IGH unterbreitet werden, wobei ein diesbezüglicher Vorbehalt ausdrücklich zulässig ist (Art. 23). Art. 24–27 enthalten (lediglich technische) Schlussbestimmungen.
227 Dazu J. Klabbers, Rebel with a cause? Terrorists and Humanitarian Law, EJIL 14 (2003), 299 (306).
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 2. Offene Fragen: Bestimmung des Anwendungsbereichs, Art. 18
Offen verhandelt wird nach wie vor der Art. 20 (nach derzeitiger, im Folgenden übernommener Nummerierung wieder Art. 18), der die Rolle der (offiziellen) Streitkräfte sowie der (inoffiziellen) Befreiungsbewegungen zum Gegenstand hat. Er betrifft damit die Frage, die seit jeher der Einigung auf eine Terrorismus-Definition im Wege gestanden hat, nämlich inwiefern einerseits das Militär, die Polizei etc. (Stichwort: „Staatsterrorismus“) und andererseits „Freiheitskämpfer“ erfasst sind oder nicht (s. o., Kap. 3, B. I.). Der Ausweg wird auf formaler Ebene darin gesucht, den Anwendungsbereich des Übereinkommens vom humanitären Völkerrecht abzugrenzen. a) Mehrheits- und Gegenentwurf Dementsprechend sind unterschiedliche Fassungen zu Art. 18 vorgelegt worden. Der Mehrheitsentwurf von 2002, der im Wesentlichen noch immer aktuell ist, lautet: „1. Nothing in this Convention shall affect other rights, obligations and responsibilities of States, peoples and individuals under international law, in particular the purposes and principles of the Charter of the United Nations, and international humanitarian law. 2. The activities of armed forces during an armed conflict, as those terms are understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by this Convention. 3. The activities undertaken by the military forces of a State in the exercise of their official duties, inasmuch as they are governed by other rules of international law, are not governed by this Convention. 4. Nothing in this article condones or makes lawful otherwise unlawful acts, nor precludes prosecution under other laws.“ [Hervorhebungen durch Verf.]
Der Gegenentwurf der Mitgliedstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) sieht demgegenüber lediglich zwei Abweichungen in den Absätzen 2 und 3 vor, die den einleitend dargestellten Streit zum Ausdruck bringen: „2. The activities of the parties during an armed conflict, including in situations of foreign occupation, as those terms are understood under international humanitarian law, which are governed by that law, are not governed by this Convention. 3. The activities undertaken by the military forces of a State in the exercise of their official duties, inasmuch as they are in conformity with international law, are not governed by this Convention.“ [Hervorhebungen durch Verf.]228 228
A/57/37 aus dem Jahr 2002, Annex IV.
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 397
b) Kompromissvorschlag Der aktuelle Kompromissvorschlag [eingebracht in der Ausschuss-Sitzung 2007] hält an den ursprünglichen Begriffen fest, ergänzt jedoch ein „Paket“, das aus einer zusätzlichen Präambel-Erwägung sowie aus einer Ergänzung von Abs. 4 um einen 2. Halbsatz und einen neuen Abs. 5 besteht: [Präambel:] „Noting that the activities of military forces of States are governed by rules of international law outside the framework of this Convention and that the exclusion of certain actions from the coverage of this Convention does not condone or make lawful otherwise unlawful acts, nor precludes prosecution under other laws[.]“ [Art. 18, Abs. 1.–3. wie oben] „4. Nothing in this article condones or makes lawful otherwise unlawful acts, nor precludes prosecution under other laws; acts which would amount to an offence as defined in article 2 of this Convention remain punishable under such laws. 5. This Convention is without prejudice to the rules of international law applicable in armed conflict, in particular those rules applicable to acts lawful under international humanitarian law.“
c) Erläuterungen des Vorsitzes des 51/210-Ausschusses Der Ausschuss-Vorsitz unterstreicht, dass es sich bei dem Übereinkommen um ein Strafrechtsinstrument („criminal law instrument“) handele, das sich insofern in die übrigen „Anti-Terrorismus-Übereinkommen“ einreihe. Insbesondere über das humanitäre Völkerrecht würden keinerlei Aussagen getroffen. Die umstrittene Regelung des Art. 18 wird inhaltlich folgendermaßen erläutert: Zunächst bestehe hinsichtlich Absatz 1 insofern Einigkeit, dass das Übereinkommen keine sonstigen völkerrechtlichen Rechte und Pflichten von Staaten, Völkern und Individuen berühren solle; insbesondere das Selbstbestimmungsrecht der Völker bleibe unangetastet (siehe auch Absatz 11 der Präambel: „Reaffirming that [. . .] all peoples have the right to self-determination“). Absatz 2 lege die „Demarkationslinie“ zwischen dem Anwendungsbereich des Übereinkommens und den hiervon ausgeschlossenen „activities of armed forces during an armed conflict, as those terms are understood under international humanitarian law“ fest. Zur Verdeutlichung sei Art. 18 um Absatz 5 ergänzt worden, der eine „without prejudice“-Klausel im Hinblick auf die „rules of international law applicable in armed conflict, in particular those rules applicable to acts lawful under international humanitarian law“ enthalte. Da das humanitäre Völkerrecht nicht positiv
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
definiere, was „lawful“ sei, solle dieser Terminus als eine Art doppelte Verneinung i. S. v. „not unlawful“ verstanden werden. Dies diene zur Unterscheidung von den als „unlawful“ bezeichneten tatbestandlichen Handlungen gem. Art. 2 Abs. 1.229 Der Herausnahme der Aktivitäten der Streitkräfte auch zu Friedenszeiten aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens liege die Überlegung zugrunde, dass alle Staaten eigene Verhaltenskodizes für ihre Streitkräfte vorsähen, die sich von dem Recht, das für Zivilisten gelte, unterschieden. Eine Zusammenschau der Absätze 3 und 4 stelle jedoch klar, dass es einen Kernbestand an Tatbeständen (offences) gebe, die unabhängig davon, welches Rechtsregime zur Anwendung komme, strafbewehrt seien. Auch wenn das Übereinkommen also nicht anwendbar sei, kämen die in Art. 2 aufgeführten (Terrorismus-)Tatbestände mit Blick auf die einschlägigen „other rules“ in der Sache gleichwohl zur Geltung. Die Umschreibung in Abs. 3 „inasmuch as [the activities] are governed by other rules of international law“ sei so zu verstehen, dass hiervon sowohl völkerrechtsgemäßes als auch völkerrechtswidriges Verhalten erfasst sei. Die zusätzliche Begründungserwägung am Ende der Präambel, die entsprechenden Formulierungen in früheren Übereinkommen folge230, unterstreiche dies („the exclusion of certain actions from the coverage of this Convention does not condone or make lawful otherwise unlawful acts“). Keineswegs würde den Streitkräften also Straffreiheit verliehen. III. Bewertung Selbst wenn die Verhandlungsparteien sich letztlich auf einen sprachlichen Kompromiss einigen sollten, wird das Übereinkommen die hochgesteckten politischen Erwartungen, endlich den gordischen Knoten der Terrorismusdefinition zu zerschlagen, nicht erfüllen können. Die Verhandlungsparteien scheinen diesen Anspruch auch bereits aufgegeben zu haben, wenn sie sogar offen in Betracht ziehen, das Wort „umfassend“ aus dem Titel des Übereinkommens zu streichen231 oder die umstrittenen Punkte in 229
Siehe das „non-paper“ der stellvertretenden Vorsitzenden Maria Telalian vom 9.2.2007 [unveröffentlicht] sowie den abschließenden Bericht des Vorsitzenden Rohan Perera über die 11. Sitzung vom 5., 6. und 15.2.2007, A/62/37, Annex B., Paras. 15. Ebenso der Bericht des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zu den bilateralen Kontakten zwischen den Sitzungen, A/C.6/62/SR.16 vom 19.11.2007 sowie der Berichtsentwurf des Berichterstatters Lublin Dilja über die 12. Sitzung vom 25./26.2. sowie 6.3.2008, A/AC.252/2008/L.1. 230 Vgl. Konvention zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge von 1997 und Konvention zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen von 2005, s. o. Kap. 3, B. I. 3.
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eine gesonderte Resolution auszugliedern.232 Vor diesem Hintergrund erstaunt es, wie beharrlich zur Lösung aller Probleme in der internationalen Terrorismusbekämpfung auf den Abschluss dieses Übereinkommens verwiesen wird, zumal schon das Mandat zu dessen Ausarbeitung von vornherein offensichtlich zu kurz greift, um dies leisten zu können: „[O]ur mandate is to draft a technical, legal, criminal law instrument [to] facilitate police and judicial cooperation [. . .] and not to draft a political definition of terrorism.“233 Sicherlich werden auch einer rein strafrechtlichen Definition implizite Aussagen im Hinblick auf eine weitergehende „völkerrechtlich-politische“ Erfassung des Phänomens des Terrorismus zu entnehmen sein.234 Eine wirkliche Klärung ist damit aber noch nicht erreicht. 1. Verhältnis des Übereinkommens zum humanitären Völkerrecht
Der Versuch, die Frage, was nun Terrorismus sei und was nicht, rein formal auf der Ebene des Anwendungsbereiches des Übereinkommens zu beantworten, mag vor dem Hintergrund des von der GV erteilten Mandats folgerichtig sein, verschiebt das eigentliche Problem aber lediglich ins humanitäre Völkerrecht – bzw. belässt es dort, so dass in der Sache nicht wirklich viel gewonnen ist. Denn genau hier spielt sich der Streit ab, ob nun ein „Freiheitskämpfer“ oder auch ein regulärer Soldat (bzw. ganz allgemein ein „law enforcement agent“, also ebenso etwa ein Polizist) im Einzelfall eine terroristische Handlung begeht bzw. überhaupt begehen kann oder nicht. Wenn es im Übereinkommen in Art. 18 zu den Begriffen „armed forces“ und „armed conflict“ heißt, „as those terms are understood under international humanitarian law“, dann wird eine Bestimmtheit suggeriert, die es in diesem Punkt bis heute nicht gibt. Die Erklärung und Maßgabe, das humanitäre Völkerrecht unangetastet zu lassen, sind deshalb in der Praxis nur be231
Siehe den Bericht des Ausschusses zu seiner 13. Sitzung, A/64/37, S. 6: „[T]he possibility of removing the word „comprehensive“ from the title of the convention to attenuate some of the concerns was discussed as a possible element in reaching a compromise.“ In dieselbe Richtung zielt der Vorschlag aus der 15. Sitzung, A/65/37, S. 10: „[A]s a way of managing expectations [. . .] the title be ‚United Nations Convention for the Prevention and Suppression of International Terrorism‘“. 232 Siehe den Bericht zur 15. Sitzung, A/65/37, S. 10: „[. . .] the concerns [. . .] be captured in an accompanying resolution [. . . that incorporates] understandings aimed at clarifying some unresolved issues.“ 233 C. F. D. Paniagua in seinem Brief an den Vorsitzenden des Sechsten Ausschusses der GV vom 3.8.2005, A/59/894 Annex. 234 C. Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (41).
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grenzt tauglich, weil die Staaten insoweit von einem unterschiedlichen „aquis“ ausgehen. Während für die einen der Stand der Haager Landkriegsordnung von 1899/1907 sowie der Genfer Konventionen von 1949 maßgeblich ist, sehen die anderen diese als durch die Zusatzprotokolle von 1977 erweitert an. Zwar haben einzelne dieser Regelungen – unabhängig von ihrer völkervertragsrechtlichen Anerkennung – gewohnheitsrechtliche Geltung erlangt. Gerade mit Blick auf den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Zusatzprotokolle jedoch ist dies nicht der Fall.235 Insbesondere die USA, die den Zusatzprotokollen nicht beigetreten sind (vor allem um zu vermeiden, dass inhaftierten „Terroristen“ möglicherweise der Status von Kriegsgefangenen zu verleihen wäre236), beharren insoweit auf dem Stand der Genfer Konventionen von 1949. Weiterhin gilt zwar, dass das humanitäre Völkerrecht – wie das Recht allgemein – nicht statisch ist, sondern sich prinzipiell in einem ständigen Wandlungsprozess befindet. Und dieser Dynamik in der Rechtsentwicklung soll auch das Übereinkommen nicht im Wege stehen.237 Zugleich aber heißt es: „[T]he present draft text [. . .] preserve[s] the integrity of international humanitarian law; it should not be considered to be an instrument by which to make changes to that law. [. . .] It [has] been recognized that the draft [. . .] should not attempt to rectify any perceived flaws or problems that international humanitarian law was intended to confront.“238
Demnach wird im Grundsatz weiterhin davon auszugehen sein, dass das humanitäre Völkerrecht exklusiv für die staatlichen „(Hohen) Vertragsparteien“ gilt (vgl. den gemeinsamen Art. 2 der Genfer Konventionen)239, alle nicht-staatlichen Parteien hingegen vom Anti-Terrorismus-Übereinkommen erfasst wären. 235 K. Ipsen, Bewaffneter Konflikt und Neutralität, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 16. Kapitel, § 66, Rn. 15 ff. u. § 67 Rn. 7 f.; C. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, 113. 236 Attorney General Nominee’s Views on Compliance with U.S. Treaty Obligations, Torture, Protocol I to the Geneva Conventions, Revision of the Geneva Conventions, AJIL 99 (2005), 483 (485). 237 Erklärung der (Konventions-)Entwurfskoordinatorin Maria Telalian vom 6.3.2008, S. 2: „What is key for purposes of interpretation and application is the principle that international law is not prejudiced by this convention nor does the convention seek to restrain the development of that law“; erhältlich unter http://www.reformtheun.org/index.php/eupdate/3879 [eingesehen am 31.3.2008]). 238 Siehe den Entwurf des Berichterstatters Lublin Dilja über die 12. Sitzung vom 25.–26.2. sowie 6.3.2008, A/AC.252/2008/L.1, Annex I, Para. 4 und Annex II, Para. 4. 239 Dazu K. Ipsen, Bewaffneter Konflikt und Neutralität, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 16. Kapitel, § 66, Rn. 15 ff. u. § 67 Rn. 17.
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a) „Nationale Befreiungsbewegungen“ und Terrorismus Das Übereinkommen schürt allerdings bereits selbst Zweifel daran, ob diese enge Auslegung hier wirklich noch zutrifft. Zwar erscheint der Begriff der „armed forces“, rein sprachlich betrachtet, enger als derjenige der „parties“ und somit als grundsätzlich geeignet, die regulären von den nicht-offiziellen „Streitkräften“ abzugrenzen. Dies ist auch das (politische) Ziel insbesondere des „Westens“, da es der OIC mit ihrem Gegenvorschlag ganz offensichtlich darum geht, Organisationen wie die Hamas und die Hisbollah aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens auszuklammern, womit die Ausnahme geradezu zur Regel gemacht würde.240 Gleichwohl erscheint es ausgeschlossen, dass mit den „armed forces“ nur offizielle Streitkräfte gemeint sind. Dies ergibt sich aus dem systematischen Vergleich von Absatz 2 mit Absatz 3, in dem ausdrücklich die „military forces o f a S t a t e“ (Hervorhebung durch Verf.) genannt werden, so dass die „armed forces“ hierüber hinausgehen müssen. Dies legt den Schluss nahe, dass sich der Anwendungsbereich des Übereinkommens hier doch demjenigen der Zusatzprotokolle öffnet. Bereits im gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen selbst hat der Begriff der „armed forces“ Aufnahme gefunden, womit alle Parteien eines internen Konflikts gemeint sind. Danach würde die Ausnahmeregelung in Art. 18 des Übereinkommens auch nicht-offizielle „Streitkräfte“ (im Gegensatz zu den Streitkräften, die der Regierung unterstehen) erfassen, die Parteien eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts sind. Dafür spricht auch, dass die „bewaffneten Konflikte“ in Absatz 2 nicht als „international“ qualifiziert werden. Aber auch vor diesem Hintergrund bleibt fraglich, ob tatsächlich „nationale Befreiungsbewegungen“ erfasst sind. Durch das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Konventionen ist der Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts auf bewaffnete Konflikte ausgedehnt worden, in denen „Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regime in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen“ (Art. 1 Abs. 4 ZP I).241 Abgesehen davon, dass diese Regelung bislang nicht zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist, sind aber auch der genaue Inhalt des Selbst240 Dieses Ergebnis wäre freilich für „den Westen“ unannehmbar, siehe etwa M. Halberstam, The evolution of the United Nations position on terrorism: from exempting national liberation movements to criminalizing terrorism wherever and by whomever committed, Columbia J.T.L. 41 (2003), 573 (577). 241 Neben den in Art. 1 Abs. 4 ZP I genannten Volksgruppen wären grds. auch „abtrünnige Streitkräfte oder andere organisierte bewaffnete Gruppen [in Bürgerkriegen]“ gem. Art. 1 Abs. 1 ZP II erfasst, vgl. C. Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (38 f.).
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bestimmungsrechts, die Mittel zu dessen Durchsetzung und die Voraussetzungen seiner Trägerschaft im Einzelnen höchst umstritten. Die drei in Art. 1 Abs. 4 ZP I aufgezählten Situationen wie auch begleitende Resolutionen der GV deuten auf einen engen Anwendungsbereich hin: der Kampf gegen Kolonialherrschaft und rassistische Regime sind mit der Dekolonialisierung bzw. der Überwindung des Apartheidregimes in Südafrika obsolet geworden, und die Fremdbesatzung zielte ausschließlich auf das zu jener Zeit von Südafrika besetzte Namibia sowie die von Israel besetzten Gebiete.242 Für mögliche weitere Anwendungsfälle wäre wenigstens zu fordern, dass die Gruppierung, die sich auf ihr Selbstbestimmungsrecht beruft, eine nach territorialen, kulturellen und historischen Merkmalen bestimmbare Einheit bildet sowie über ein Repräsentativorgan verfügt, das hinsichtlich der Geltung des „Genfer Rechts“ eine einseitige, konstitutive Erklärung abgibt (Art. 96 Abs. 3 ZP I).243 Nicht zuletzt an dieser Schwelle dürften die meisten Akteure, insb. das diffuse Al-Qaida-Netzwerk, scheitern. Zugleich ist jedoch festzustellen, dass sich das Selbstbestimmungsrecht, das in Art. 1 Ziff. 2 sowie Art. 55 der VN-Charta garantiert ist, durchaus mit der Staatenpraxis wandelt. Während lange jegliches „aktive“, „äußere“ Selbstbestimmungsrecht (i. S. e. Sezessionsrechts) unter Verweis auf die territoriale Souveränität der betroffenen Staaten abgelehnt wurde, wird es heute zu Recht unter der Bedingung zugestanden, dass ein Staat massive Menschenrechtsverletzungen gegen eine bestimmte Volksgruppe begeht und das „innere“ Selbstbestimmungsrecht ohne Aussicht auf eine politische Lösung verweigert wird.244 Im Kosovo hat ein solcher Fall mit der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 jüngst praktische Wirklichkeit erlangt. Zwar waren und sind die Staaten in der Frage der Anerkennung des Kosovo konträrer Auffassung. Inzwischen hat der IGH jedoch in einem Gutachten festgestellt, dass die Unabhängigkeitserklärung jedenfalls nicht gegen das allgemeine Völkerrecht [und auch nicht gegen S/RES/1244 (1999)] verstoßen hat.245 242
A. Götze, Fragen der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts unter besonderer Berücksichtigung der sogenannten nationalen Befreiungskriege, 2002, 364 ff. 243 K. Ipsen, Bewaffneter Konflikt und Neutralität, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 16. Kapitel, § 66, Rn. 15 ff. u. § 67 Rn. 7 f. 244 Nach K. Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 797 ff. tritt bei unzumutbarer Unterdrückung und Erschöpfung aller anderen Mittel das Gewaltverbot zurück; das Recht von Minderheiten zur Sezession sei hier in der Sache das Pendant zum Selbstverteidigungsrecht der Staaten. Siehe auch S. Oeter, Selbstbestimmungsrecht im Wandel, ZaöRV 52 (1992), 741 (759) m. w. N. 245 Mit Resolution A/RES/63/3 vom 8.10.2008 hatte die GV den IGH um ein Rechtsgutachten darüber ersucht, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Der IGH bat daraufhin zunächst die Staaten um
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Selbst wenn das Vorliegen eines „aktiven“ Selbstbestimmungsrechts im Einzelfall bejaht sowie „nationale Befreiungsbewegungen“ unter den Begriff der „armed forces“ und damit den Ausschlusstatbestand des Art. 18 subsumiert würden, führte dies jedoch nicht zu deren „Immunität“. In diesem Fall nämlich wäre gem. Art. 1 Abs. 4 ZP I der Anwendungsbereich des ZP I eröffnet und somit auch Art. 51 Abs. 2 ZP I einschlägig, wonach jede Anwendung oder Androhung von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung mit dem Ziel, Schrecken unter der Zivilbevölkerung zu verbreiten, verboten ist. Eine Regelungs- bzw. Strafbarkeitslücke entstünde also durch die Anwendung des humanitären Völkerrechts nicht. Gleichwohl entfielen der „Stempel“ des Terrorismus und damit der moralische Appell, der darin zum Ausdruck gebracht wird. Dadurch aber würden der internationalen Terrorismusbekämpfung ihre „Stimme“ und ihre Dynamik genommen, heißt es doch nicht zuletzt im operativen Absatz 1 des Aktionsplans zur Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus: „We [. . .] resolve [. . . t]o consistently, unequivocally and strongly condemn terrorism in all its forms and manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purposes [. . .].“
Daher sollten „nationale Befreiungsbewegungen“ nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen werden. b) Reguläre Streitkräfte und (Staats-)Terrorismus Die gleiche Wertung sollte dann jedoch auch im Hinblick auf die Aktivitäten der regulären, staatlichen Streitkräfte zum Tragen kommen. Auch hier wird – von der Mehrheit freilich umgekehrt, nämlich zugunsten einer Ausnahme unter Art. 18 des Übereinkommens – argumentiert, dass es sich bei dieser Regelung lediglich um eine „choice of law provision rather than a provision that sanctions impunity“ handele.246 Dass Staatsterrorismus und die staatliche Förderung von privatem Terrorismus völkerrechtswidrig sind, schriftliche Stellungnahmen, bevor im Dezember 2009 die mündlichen Anhörungen stattfanden und am 22.7.2010 das Gutachten – mit einem Stimmenverhältnis von 10:4 – erging. Bereits bis dahin war das Kosovo von 69 Staaten anerkannt worden, deren Zahl nunmehr noch erheblich ansteigen dürfte (vgl. die Übersicht auf http://www.kosovothanksyou.com). Noch umstrittener ist der Fall Südossetiens und Abchasiens, die sich bereits 1991 bzw. 1992 von Georgien unabhängig erklärt hatten, aber erst jüngst und bislang einzig durch Russland, Nicaragua und Venezuela anerkannt worden sind [Stand: 10.10.2009]; siehe FAZ.NET vom 26.8.2008: „Völkerrechtswidrig und nicht akzeptabel.“ [http://www.faz.net]. 246 Center for Nonproliferation Studies (Ed.), Draft Convention on International Terrorism, 2006, 4.
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steht außer Zweifel. Zwar sind sie nicht ausdrücklich in Art. 2 Ziff. 4 SVN als Verstoß insb. gegen das Gewalt- oder das Interventionsverbot genannt. Entsprechende Interpretationen enthält aber die allgemein anerkannte Friendly Relations-Deklaration der GV, Res. 2625 (XXV) von 1970, in der es heißt: „Jeder Staat hat die Pflicht zur Unterlassung der Organisation, Anstiftung, Unterstützung von der Teilnahme an Bürgerkriegshandlungen oder terroristischen Handlungen in einem anderen Staat oder zur Unterlassung der stillschweigenden Duldung organisierter Aktivitäten auf seinem Hoheitsgebiet, die auf die Begehung solcher Handlungen gerichtet sind [. . .]“. Ebenso darf ein Staat nicht „subversive, terroristische Aktivitäten, die auf einen gewaltsamen Umsturz des Regimes eines anderen Staates abzielen, organisieren, unterstützen, finanzieren, anstacheln oder dulden.“ Terroristische Handlungen gegen die Zivilbevölkerung sind durch das humanitäre Völkerrecht untersagt („jede Maßnahme zur Einschüchterung oder Terrorisierung“, vgl. Art. 33 GK IV). Ist dieses Verbot an sich auf Kriegszeiten bezogen, erstreckt es sich aber erst recht auf Friedenszeiten.247 Entsprechendes gilt für das Umfassende Übereinkommen. Im Vergleich zu Art. 18 Abs. 2, der die „activities of armed forces during an armed conflict“ regelt, kann sich Abs. 3, der die „activities undertaken by the military forces of a State in the exercise of their official duties“ zum Gegenstand hat, nur auf Aktivitäten der Streitkräfte zu Friedenszeiten beziehen (siehe auch die Definition des Begriffs „Military forces of a State“ in Art. 1 des Übereinkommens). Danach sollen ihre Handlungen allerdings bereits dann vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen sein, wenn sie nur irgendwie im Rahmen ihrer „official duties“ handeln und überhaupt irgendwelche völkerrechtlichen Normen anwendbar sind („inasmuch as they are governed by other rules of international law“). Welche „other rules“ im Einzelfall einschlägig wären, dürfte indes gerade umstritten sein. Da jegliches Handeln (mit internationalem Bezug, das von dem Übereinkommen allein erfasst wäre) jedoch in jedem Fall durch die universellen Menschenrechtsverbürgungen sowie die Vorgaben der VN-Charta geregelt („governed“) wäre, stellte diese Qualifizierung keine wirkliche Hürde dar und wären die Streitkräfte somit faktisch von vornherein dem Anwendungsbereich entzogen.248 Angesichts dessen ist es nur allzu nachvollziehbar, dass der Einwand erhoben wird, staatliche Akteure würden gegenüber nichtstaatlichen Gruppen (zu Unrecht) privilegiert und Fälle des Staatsterrorismus einfach ignoriert.249 247 C. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, 117. 248 C. Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (41 f.).
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 405
Ebenso wie „nationalen Befreiungsbewegungen“ sollte es Staaten und den für sie handelnden Personen gerade nicht erspart bleiben, dass ihre ggf. terroristischen Handlungen auch als solche benannt werden. Darauf liefe aber etwa auch Kofi Annans Forderung im Anschluss an die VN-Reformkommission250 hinaus, „den sog. Staatsterrorismus auszuklammern“251. Denn es geht hier eben nicht nur darum festzustellen, dass ein Verhalten überhaupt verboten ist, sondern zugleich um ein moralisches Urteil und einen politischen Appell. Auch das Argument, dass der Grundsatz „aut dedere aut iudicare“ gegen eine Einbeziehung spreche, trägt nicht, da die Staaten es selbst in der Hand haben, durch eine konsequente Strafverfolgung Auslieferungspflichten gar nicht erst entstehen zu lassen. Letztlich ist die prinzipielle Erfassung staatlicher „Agenten“ unter dem Terrorismusbegriff die folgerichtige Kehrseite zur Einbeziehung von „Freiheitskämpfern“. Ohne diese geriete die Terrorismusbekämpfung in eine Schieflage und erlitte sie einen Glaubwürdigkeits- und damit letztlich auch Effektivitätsverlust. Wie wichtig dieser Punkt auch tatsächlich für die Staatengemeinschaft ist, belegt nicht zuletzt die Rede des neuen libyschen GV-Präsidenten Ali Abdussalam Treki zur Eröffnung der 64. Sitzung der GV am 15. September 2009, wonach „terrorism [. . .] carried out by [. . .] States [. . .] the harshest form of terrorism“ sei.252 (Nationaler) Staatsterror, also die Ausübung von Terror durch die staatliche Gewalt gegenüber ihren eigenen Bürgern zur unrechtmäßigen und undemokratischen Herrschaftssicherung (vielfach ebenfalls als „Staatsterrorismus“ bezeichnet, weswegen er hier kurz mitbehandelt werden soll) dürfte global gesehen die Fälle von privatem Terrorismus, die seit dem 11. September 2001 im Blickpunkt stehen, noch überwiegen.253 Nach Maßgabe des 249 Insb. von den arabischen und anderen „blockfreien“ Staaten (Non-aligned Movement), vgl. Center for Nonproliferation Studies (Ed.), Draft Convention on International Terrorism, 2006, 5. 250 A more secure world: Our shared responsibility, Report of the High-Level-Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Para. 160. 251 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005, Para. 91. Vgl. auch bereits Kofi Annans Rede am 10.3.2005 in Madrid: „Es ist nicht nötig, darüber zu diskutieren, ob Staaten sich des Terrorismus schuldig machen können oder nicht, denn der uneingeschränkte Einsatz von Waffengewalt seitens eines Staates gegen die Zivilbevölkerung ist durch das internationale Recht klar untersagt“, siehe http://summit.clubmadrid.org/keynotes/a-global-strategy-for-fighting-terrorism.html# transcripcion [eingesehen am 6.5.2008]. Durch das sprachliche Attribut des „sog.“ Staatsterrorismus wird dessen Bedeutung aber heruntergespielt, wodurch sich etliche Staaten in ihrem Vorbringen nicht ernst genommen fühlen dürften. 252 Siehe die Rede des Präsidenten der Generalversammlung unter http://www. un.org/apps/news/story.asp?NewsID=32069&Cr=General+assembly&Cr1= [eingesehen am 19.9.2009].
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heute geltenden Menschenrechtsverständnisses sind derlei Vorgänge auch nicht mehr als innere Angelegenheit der Staaten hinzunehmen, sondern gemäß den internationalen Menschenrechtsregimes völkerrechtlich verboten.254 Insbesondere die Verpflichtung, das Recht auf Leben zu achten, gilt als eine zwingende Norm des Völkerrechts, die selbst in Fällen eines öffentlichen Notstands nicht ausgesetzt werden darf.255 In Extremfällen ist die internationale Gemeinschaft zu „humanitären Interventionen“ berechtigt oder – nach dem 2005 offiziell von den Staaten angenommenen Konzept der „Schutzverantwortung“ (Responsibility to protect) – sogar verpflichtet.256 In besonders schweren Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit entsteht auch eine (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit der handelnden Staatsorgane oder Organwalter. Dabei kann dem IStGH, über seine ihm vertraglich von den Staaten eingeräumte Jurisdiktion hinaus, die Strafverfolgung und Aburteilung auch per SR-Resolution übertragen werden, wie erstmals geschehen durch S/RES/1593 (2005) im Fall des Sudan, der keine Vertragspartei ist. Nach Ende der Ermittlungen ist 2009/2010 Anklage gegen Omar Al-Bashir als – auch das ein Novum – amtierendes Staatsoberhaupt wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordes erhoben worden.257 c) Zwischenergebnis: parallele Anwendbarkeit von Anti-Terrorismus-Recht und humanitärem Völkerrecht Das Umfassende Übereinkommen ist – wie auch die übrigen Anti-Terrorismus-Konventionen – derart konzipiert, dass das Recht der Terrorismusbekämpfung auf der einen und das humanitäre Völkerrecht auf der anderen Seite als separate Rechtsregime behandelt werden, die im Prinzip alternativ 253 M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (43). 254 Zu nennen sind insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948, A/Res. 217 (III), UNYB 1948–49, 535 und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966, UNTS Vol. 999, 171. 255 Art. 4 Abs. 2 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art. 15 Abs. 2 EMRK, Art. 27 Abs. 2 Amerikanische Menschenrechtscharta. 256 Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Para. 139. Siehe dazu auch die Rede Papst Benedikts XVI. vor der GV am 24.2.2008, in der er sagte, dass die internationale Gemeinschaft sich einmischen müsse, wenn ein Staat seine vornehmste Pflicht verletze, die eigene Bevölkerung vor schweren und andauernden Verletzungen der Menschenwürde zu schützen; siehe http://www.zeit.de/online/2008/17/menschenrechte-kolumne-nass [eingesehen am 25.4.2008]. 257 Siehe „Darfur: ICC charges Sudanese President with genocide“, UN News vom 12.7.2010 [http://www.un.org].
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zur Anwendung gelangen. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durchaus als kriminelle und ggf. terroristische Handlungen zu qualifizieren wären – und entsprechend beim Namen genannt werden sollten. Dabei geht es nicht darum, das humanitäre Völkerrecht zu verdrängen. Im Gegenteil: Nach dem lex specialis-Vorrang ist stets das humanitäre Völkerrecht anzuwenden, wenn ein bewaffneter Konflikt vorliegt, weil es diesen Sachbereich detaillierter und konkreter regelt.258 Ist hiernach aber keine spezifische Rechtfertigung für eine bestimmte Handlung vorgesehen, ist nicht ersichtlich, warum sie gleichwohl nicht nach dem Anti-TerrorismusRecht sanktioniert werden sollte, wenn dessen tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind. Eine pauschale und generelle Exklusivität der Rechtsregime ist hier weder geboten noch überzeugend. Das gilt umso mehr, als in vielen Situationen unsicher und somit umstritten ist, ob ein bewaffneter Konflikt i. S. d. Genfer Konventionen vorliegt und damit der Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts eröffnet ist. Es sollte jedoch nicht von diesen Umständen, sondern einzig vom Unwertgehalt einer Handlung abhängen, ob diese als terroristisch zu qualifizieren ist oder nicht. Schließlich begründet das Übereinkommen über den Grundsatz von „aut dedere aut iudicare“ hinaus etwa auch eine Pflicht zur gegenseitigen Rechtshilfe, die die Genfer Konventionen nicht kennen und die der internationalen Terrorismusbekämpfung sicherlich zugute käme.259 Selbst der Vorsitz des 51/210-Ausschusses räumt ein, dass eine lupenreine Abgrenzung zwischen den Anwendungsbereichen der verschiedenen Rechtsregime wegen der Vielzahl an (potenziellen) Überschneidungen nicht möglich sei. Insoweit komme es auf die Vertragsparteien und insbesondere deren „judicial authorities“ an, das Übereinkommen im Kontext aller völkerrechtlichen Normen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben umzusetzen.260 Hieraus folgt nicht nur, dass die Staaten über einen gewissen Auslegungsspielraum verfügen, sondern auch, dass sie gehalten sind, dem Übereinkommen neben den anderen völkerrechtlichen Regelungen, vor allem dem humanitären Völkerrecht, größtmögliche Effektivität zu verleihen. 258 C. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, 103. 259 C. Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (39 ff.); a. A. C. Wandscher, Internationaler Terrorismus und Selbstverteidigungsrecht, 2006, 100 ff. 260 Siehe den abschließenden Bericht des Vorsitzenden Rohan Perera über die 11. Sitzung vom 5., 6. und 15.2.2007, A/62/37, Annex B., Paras. 15 sowie den Bericht des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe zu den bilateralen Kontakten zwischen den Sitzungen, A/C.6/62/SR.16 vom 19.11.2007.
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Auch dies spricht dafür, beide Rechtsregime in dem Maße, wie sie nicht im Widerspruch zueinander stehen, nebeneinander anzuwenden und dem humanitären Völkerrecht erst im Kollisionsfall unter Spezialitätsgesichtspunkten Vorrang einzuräumen. 2. Verhältnis des Übereinkommens zum Völkerstrafrecht
Mit der Anknüpfung an das „Strafverfolgungs- (law enforcement-)Modell“ wird der Terrorismus im Grundsatz auch weiterhin als Sache des nationalen (Straf-)Rechts angesehen. Obgleich das Völkerstrafrecht in den 1990er Jahren mit der Errichtung der internationalen Strafgerichtshöfe (ICTY, ICTR, ICC [dt.: IStGH]) einen großen Entwicklungsschub vollzogen hat, liegt der Fokus hier weiterhin auf groß angelegten Verbrechen in zwischen-staatlichen bewaffneten Konflikten oder Bürgerkriegen. Zwar ist der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zuständig für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu denen u. a. die vorsätzliche Tötung und „andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art“ gezählt werden [Art. 7 Abs. 1 a) und k) Römisches Statut/Statut des IStGH].261 Problematisch ist allerdings das Erfordernis, dass diese Taten „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und in Kenntnis des Angriffs begangen“ werden müssen. Wenn terroristische Akte auch häufig oder sogar meistens auf Zivilisten abzielen, dürfte es insoweit doch zumeist an einem „ausgedehnten oder systematischen Angriff“ fehlen, der eben eher charakteristisch ist für „Verbrechensserien“ in Konflikten zwischen Staaten oder in Bürgerkriegen. Allerdings hat sich der Blick insoweit nach den Anschlägen vom 11. September 2001 geweitet.262 Zumindest die Al-Qaida-Anhänger der ersten Generation folgten einer einheitlichen Strategie, die ihre Führung ausgegeben hatte und die die einzelnen Anschläge in einen Zusammenhang rücken, so dass sie durchaus als ein Angriff i. S. d. Art. 7 Abs. 1 Römisches Statut und somit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen werden können.263 Ebenso 261 R. Arnold, The Prosecution of Terrorism as a Crime against Humanity, ZaöRV 64 (2004), 979 (994 ff.); B. G. Ramcharan, Terrorism and Non-state Organizations, in: R. MacDonald/D. Johnston (Eds.), Towards World Constitutionalism, 2005, 681 (690); gegen einen Einbindung des IStGH: S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29 (49). 262 C. Stahn, International Law at Crossroads? The Impact of September 11, ZaöRV 62 (2002), 183 (244). 263 J. Delbrück, The Fight Against Global Terrorism, GYIL 2001, 9 (22); R. Arnold, The Prosecution of Terrorism as a Crime Against Humanity, ZaöRV 64 (2004), 979 (979 ff.).
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verwischen im „neuen Terrorismus“ die Grenzen zwischen terroristischen Akten als „gemeinen Verbrechen“ und Kriegsverbrechen i. S. d. Art. 8 Römisches Statut.264 Es wird aber auch gefordert, nunmehr – nachdem bereits der ursprüngliche Entwurf der ILC 1994 jedenfalls eine Einbeziehung der Tatbestände der Anti-Terrorismus-Konventionen vorgesehen hatte und auf der Vertragskonferenz 1998 auch ein Verbrechenstatbestand des Terrorismus diskutiert worden war265 – in einem erneuten Anlauf einen solchen eigenständigen (international-strafrechtlichen) Terrorismustatbestand in das Römische Statut aufzunehmen.266 Eine entsprechende Änderung des Statuts im Rahmen der Überprüfungskonferenz im Juni 2010 ist allerdings nicht zustande gekommen. Das Verhältnis zwischen Tatbeständen nach dem Römischen Statut einerund den Anti-Terrorismus-Übereinkommen andererseits ist dergestalt, dass ersteres eine individuelle Strafbarkeit unmittelbar aus dem Völkerrecht begründet, während letztere nur mittelbar, nämlich nach ihrer Umsetzung ins nationale Recht, wirksam werden.267 Für die Gerichtsbarkeit gilt, dass der IStGH die nationalen Strafgerichte lediglich im Rahmen seiner Jurisdiktion ergänzt, ein Verfahren also nur und erst dann an sich zieht, wenn dies zur effektiven Strafverfolgung erforderlich ist, weil ein Staat nicht willens oder imstande hierzu ist (vgl. Art. 17). Auf der Basis der in nationales Recht umgesetzten Anti-TerrorismusÜbereinkommen und des in ihnen verankerten „aut dedere aut iudicare“-Grundsatzes, ergänzt noch durch den Ausschluss von „political exception“-Klauseln, ist praktisch bereits heute eine weltweite Strafverfolgung terroristischer Akte nach dem Universalitätsprinzip gegeben, so dass die 264
Vgl. R. Wedgwood, The ICJ Advisory Opinion on the Israeli Security Fence and the Limits of Self-Defence, AJIL 99 (2005), 52 (58). 265 Report of the ILC, GAOR, A/49/10, 49. Session, Supplement No. 10, Para. 91; Entwurf abgedruckt in M. C. Bassiouni, The Statute of the International Criminal Court. A Documentary History, 1998, 234 ff. Aus Furcht, der bekannte Streit um die Terrorismusdefinition könne die Verabschiedung des Römischen Statuts gefährden, wurde die Aufnahme eines entsprechenden Tatbestandes letztlich allerdings abgelehnt. 266 Siehe die Zusammenfassung der 62. Sitzung des (Sechsten) Rechtsausschusses der GV zu „Agenda Item 108: Measures to eliminate international terrorism“, erhältlich unter http://www.un.org/ga/sixth/62/Terrorism/.shtml [eingesehen am 14.3.2008]; gegen diese Bestrebungen: S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29 (49). 267 K. Ipsen, Völkerrechtliche Verantwortung und Völkerstrafrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 2004, 9. Kapitel, § 42 Rn. 12 u. 29. Siehe auch insb. Art. 17 des Römischen Statuts.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Aufnahme eines Terrorismustatbestandes in das Römische Statut nicht zwingend geboten scheint. Das Risiko, dass der IStGH entweder unter einem mangelnden internationalen Konsens über die Verwerflichkeit terroristischer Taten im Einzelfall (Terroristen versus „Freiheitskämpfer“) zerrieben werden könnte oder aber – im umgekehrten Fall – heillos überfrachtet wäre, scheint demgegenüber umso größer.268 Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass eine Einbeziehung des Terrorismus in die Jurisdiktion des IStGH gerade auch dazu beitragen könnte, eine einheitliche Bewertung terroristischer Taten und allgemein geltende rechtliche Maßstäbe zu entwickeln. In der Folge würden die Unwägbarkeiten zwischenstaatlicher Rechtshilfeverfahren durch eine zentrale internationale Anklagebehörde und ein internationales Gericht abgelöst, deren politisches Gewicht die Staaten viel eher zur Kooperation bewegen würde als es in rein bilateralen Beziehungen der Fall ist. Nicht zuletzt ginge von einem völkerrechtlichen Verbrechenstatbestand des Terrorismus wiederum eine wichtige Symbol- und Appellwirkung aus.269 3. Verhältnis des Übereinkommens zu den anderen „Anti-Terrorismus-Konventionen“
Das Übereinkommen ist auf die polizei- und strafrechtliche Verfolgung von Terroristen gerichtet, stellt also „a criminal law instrument, designed to facilitate judicial cooperation, mutual assistance, and extradition“ dar und reiht sich damit in die bisherigen 13 sektoralen Übereinkommen ein.270 Inhaltlich baut es auf ihnen auf, da es sich den inzwischen etablierten Bestand des „Allgemeinen Anti-Terrorismus-Völkerrechts“ zu eigen macht271, dieses aber weiterführt, indem es mit dem „allgemeinen Terrorismus-Tatbestand“ in Art. 2 nunmehr die entscheidende Lücke im sachlichen Anwendungsbereich des bisherigen Anti-Terrorismus-Rechts schließt. Auch sprachlich und „gesetzestechnisch“ schließt sich das Übereinkommen seinen Vorgängern im Wesentlichen an. 268
S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29 (34 f.). 269 Für eine Zuständigkeit des IStGH zur Verfolgung und Aburteilung terroristischer Taten spricht sich auch der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in seinem Bericht vom 28.12.2005 aus, E/CN.4/2006/98. 270 Center for Nonproliferation Studies (Ed.), Draft Convention on International Terrorism, 2006, 2. 271 Etwa den Grundsatz von „aut dedere aut iudicare“ oder den Ausschluss der „political exception“-Klausel (s. o., Kap. 3, C. II.).
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 411
Nicht abschließend geklärt ist das Konkurrenzverhältnis zu den übrigen Anti-Terrorismus-Konventionen. Denkbar ist sowohl, dass jene dem Umfassenden Übereinkommen als speziellere Regelwerke vorgehen (lex specialis derogat legi generalis), als auch – umgekehrt – dass diesem als dem zeitlich nachfolgenden Text Vorrang gegenüber den anderen, früheren Konventionen zukommt (lex posterior derogat legi priori). Die Verhandlungsmaterialien sprechen überwiegend für ersteren Ansatz, also dafür, alle Übereinkommen bzw. Konventionen und Protokolle möglichst nebeneinander und nur im Kollisionsfall die speziellere sektorale Konvention anzuwenden: „[T]he draft Convention was intended only to fill in gaps of the existing legal anti-terrorism regime, and [to] be applicable in parallel with the existing sectoral conventions“.272 4. Fazit
Was den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens betrifft, bedeutet die Reichweite des Art. 2 einen großen Fortschritt in der Erfassung terroristischer Taten. Allerdings liefert dieser Tatbestand eben keine Definition des Terrorismus auch als politischem Phänomen, sondern lediglich „a common, overall criminal law definition of terrorist acts“.273 Inhaltlich zu kurz kommen mögen in dem Übereinkommen Aspekte der Terrorismusverhütung (dissuasion, prevention) sowie der Durchführungsüberwachung (treaty-based mechanism of compliance).274 Jedoch wird, wie es auch für die übrigen Anti-Terrorismus-Konventionen gilt, bereits aufgrund der S/RES/1373 (2001) dem CTC über die Umsetzung zu berichten sein. Auch zur stärkeren Prävention terroristischer Aktivitäten haben die Staaten sich erst in der Weltweiten Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus aus dem Jahr 2006 bekannt, die das Übereinkommen letztlich überwölbt (s. u., Kap. 9). Mit Blick auf den persönlichen Anwendungsbereich sollten, wenn Art. 2 sich schon (zurecht) an „any person“ wendet, sowohl „nationale Befreiungsbewegungen“ bzw. „Freiheitskämpfer“ als auch reguläre Streitkräfte, Polizisten etc. von dem Übereinkommen erfasst sein. Während aber die westlichen Staaten die Aktivitäten ihrer Streit- und Sicherheitskräfte aus dem Anwendungsbereich des Übereinkommens heraushalten wollen, sind 272 Center for Nonproliferation Studies (Ed.), Draft Convention on International Terrorism, 2006, 3 u. 6. 273 GA L/3105 vom 3.3.2006. 274 V. Röben, The Role of International Conventions and General International Law in the Fight against International Terrorism, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 789 (816).
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
insbesondere die arabischen Staaten hierzu bislang nur bereit, wenn dies gleichermaßen für „nationale Befreiungsbewegungen“ bzw. „Freiheitskämpfer“ gilt. Richtig wäre, weder für die einen noch für die anderen Ausnahmen zuzulassen. Dem zugrunde liegt letztlich der Konflikt um gegensätzliche realpolitische Interessen einerseits „der Mächtigen“, die den status quo wahren wollen und daher alles tun, um nicht-staatliche Akteure von ihren Privilegien auszuschließen, und andererseits „der Unterprivilegierten“, die ihre Teilhabe beanspruchen. Die Asymmetrie, die hierin zum Ausdruck kommt, ist das Grundproblem, vor dem die umfassende, d. h. auch politische (im Gegensatz zur spezifisch strafrechtlichen) Definition des Terrorismus steht. Hierbei ist so lange keine Lösung in Sicht, wie „the powerful countries set themselves up as guardians of an international order that they define in their own image.“ Nicht zuletzt wäre dies auch unter dem Gesichtspunkt der (rechtlichen) Bestimmtheit unzureichend, denn „public order in international society is short-lived and reversible“.275
B. Die Definition des Terrorismus als auch politisches Phänomen Angesichts dieses Befundes, dass der Begriff des Terrorismus inhaltlich im Einzelnen nach wie vor ungeklärt ist und die Anzahl der bisher eingebrachten Vorschläge für eine Terrorismusdefinition im dreistelligen Bereich liegen dürfte276, erstaunt es, als wie selbst- und vermeintlich unmissverständlich er in unzähligen Deklarationen, Konventionen und Resolutionen der VN, auch des SR i. R. v. Kapitel VII der Charta, verwendet wird. Um diesen Texten jedoch eine wirkliche Aussagekraft zu verleihen und die Rechtsfolgen an hinreichend bestimmte tatbestandliche Voraussetzungen zu knüpfen, ist es geboten, den Terrorismusbegriff umfassend, d. h. über die „ausschnittsweise“ Behandlung in den sektoralen Anti-Terrorismus-Konventionen hinaus, verbindlich zu umschreiben.
275 Beide Zitate von J.-M. Sorel, Some Questions About the Definition of Terrorism and the Fight Against Its Financing, EJIL 14 (2003), 365 (370) – allein die Beispiele etwa von Osama Bin Laden und Nelson Mandela mögen dies belegen: wurde ersterer zunächst als Befreier gefeiert und nur wenige Jahre später als Terrorist gejagt, war es bei letzterem genau umgekehrt. 276 Bereits A. P. Schmid kam im Jahr 1983 auf eine Zahl von 109, siehe dazu sein Werk Political Terrorism: A Research Guide to Concepts, Theories, Data Bases and Literature, 1983, 119 ff. Vgl. auch W. Laqueur, Reflections on Terrorism, Foreign Affairs 65 (1986), 86 ff.
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 413
I. Definitionsansätze Zu diesem Zweck ist in den vergangenen Jahren eine Reihe von Anläufen unternommen worden, eine allgemein-gültige Definition zu formulieren. Die wichtigsten von ihnen sollen nachfolgend untersucht werden. Es wird sich zeigen, dass diese Bemühungen sich noch immer auf eine Konvention zurückführen lassen, die bereits aus der Zwischenkriegszeit stammt. 1. Völkerbund: Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Terrorismus von 1937
Schon der Völkerbund als Vorgänger der VN hatte im Rahmen seiner „Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Terrorismus“ aus dem Jahr 1937 eine Definition des Terrorismus erarbeitet, wonach die folgenden Handlungen umfasst waren: „kriminelle Taten, die gegen einen Staat gerichtet sind und mit denen beabsichtigt ist oder die darauf ausgelegt sind, bestimmte Personen, eine Gruppe von Menschen oder die Allgemeinheit in einen Zustand der Angst zu versetzen.“ Als Tathandlungen wurden Anschläge auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Staatsoberhäuptern und anderen diplomatisch geschützten Personen, Beschädigungen öffentlichen Eigentums, Gefährdungen des Lebens von Unbeteiligten sowie Verschwörungen genannt.277 Auch wenn diese Definition das Schicksal der Konvention teilte, dessen Bestandteil sie war, d. h. nie rechtliche Geltung erlangte, haben sich die späteren Definitionen der VN gleichwohl an dieser ersten Fassung orientiert. Insbesondere die Absicht, Angst oder Schrecken zu erzeugen (in der engl. Originalfassung: „intended or calculated to create a state of terror“) zieht sich – wenngleich auf einer Tautologie aufbauend – als das zentrale Element terroristischer Akte durch die verschiedenen Texte. Das Merkmal „gegen einen Staat gerichtet“ allerdings erscheint aus heutiger Sicht zu eng. Zwar kann argumentiert werden, dass letztlich alle kriminellen Akte wenigstens auch gegen den Staat gerichtet seien, selbst wenn sie nicht unmittelbar auf diesen bzw. seine Organe, Institutionen etc. abzielen.278 Dennoch ist dieses – potenziell einschränkende – (Tatbestands-)Merkmal inzwischen aufgegeben worden, wird es doch im Gegenteil als geradezu charakteristisch für terroristische Akte angesehen, dass diese – statt gegen Staats(oder Regierungs-)Vertreter – unmittelbar gegen Zivilisten gerichtet sind. 277 Convention for the Prevention and Punishment of Terrorism, LNTS 19 (1938), 23 (Annex: Convention for the Creation of an International Criminal Court), Art. 1. 278 J. Klabbers, Rebel with a cause? Terrorists and Humanitarian Law, EJIL 14 (2003), 299 (305 f.).
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Die Konvention deutet dies immerhin dadurch an, dass sie auch die „Gefährdungen des Lebens von Unbeteiligten“, d. h. vor allem Zivilisten, nennt. Der Fokus auf dem Staat und seinen Vertretern erklärt sich wohl aus den Attentaten von 1934, d. h. den tatsächlichen Umständen, die der Konvention zugrunde lagen (s. o., Kap. 3, A. II.). Worauf es indes entscheidend für die Qualifizierung als terroristische Tat ankommt, ist die in jedem Fall bewirkte Erschütterung des Vertrauens der Bürger in die Macht ihres Staates, sie zu schützen. 2. Generalversammlung der Vereinten Nationen: Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus von 1994
Die GV der VN stellt seit ihrer „Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus“ von 1994 konsistent – und daher soll sie hier zum Ausgangspunkt für die neueren Definitionsansätze genommen werden – auf die folgende zweiteilige, indirekte Definition terroristischer Akte ab. Zunächst verurteilt sie „alle terroristischen Handlungen, Methoden und Praktiken als kriminell und nicht zu rechtfertigen, gleichviel wo und von wem sie begangen werden“ (operativer Abs. 1). Sodann erklärt sie, dass „kriminelle Handlungen, die dazu gedacht oder darauf ausgelegt sind, die breite Öffentlichkeit, einen bestimmten Personenkreis oder bestimmte Personen zu politischen Zwecken in Schrecken zu versetzen, unter keinen Umständen zu rechtfertigen sind, gleichviel welche politischen, weltanschaulichen, ideologischen, rassischen, ethnischen, religiösen oder sonstigen Erwägungen zu ihrer Rechtfertigung geltend gemacht werden“ (operativer Abs. 3).279 Es ist bemerkenswert, dass letztere tatbestandliche Umschreibung nicht nur inhaltlich, sondern auch im Wortlaut nahezu identisch mit der ersten (Völkerbunds-)Fassung ist, die doch noch aus einer anderen Epoche zu kommen scheint. Über diese hinaus finden hier nunmehr lediglich die politischen Zweck (oder Ziele) der Tat ausdrückliche Erwähnung (engl: „political purposes“). Dieses dürfte aber in der Konvention von 1937 implizit auch in der Formulierung „gegen einen Staat gerichtet“ enthalten gewesen sein, wodurch ein politischer Kontext hergestellt ist, so dass sich in der Sache kein Unterschied ergibt. Die Frage, gegen wen die Tat – mittelbar oder unmittelbar – gerichtet ist und welchen rechtlichen Status die betroffenen 279 Declaration on measures to eliminate international terrorism, Annex zu A/RES/49/60 vom 9.12.1994; ebenso – zum Vergleich – etwa die im Wortlaut identische A/RES/56/88 vom 12.12.2001 oder jüngst A/RES/62/71 vom 8.1.2008.
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 415
Personen haben, wird häufig schwierig zu beantworten sein und ist im Ergebnis (aus den vorgenannten Gründen, oben 1.) auch irrelevant, so dass sie hiernach offen gelassen wird. Als Täter kommt grundsätzlich jedermann („gleichviel . . . von wem“, engl: „whoever“) in Betracht, wobei jedoch zu Bedenken ist, dass die Erklärung nur den internationalen Terrorismus zum Gegenstand hat. Wenngleich seinerzeit ein großer Fortschritt darin lag, dass die Staaten den Terrorismus nunmehr übereinstimmend als kriminell und durch nichts zu rechtfertigen verurteilten und den bis dahin gebräuchlichen expliziten Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und nationale Befreiungskämpfe unterließen (sog. Unjustifiability-Formel, s. o. Teil 1, Kap. 3), hat auch diese Erklärung doch letztlich etwas von „des Kaisers neuen Kleidern“: Alle wenden sich gegen „den Terrorismus“, verstehen darunter aber ganz unterschiedliche Sachverhalte. Die bis heute umstrittenen Fälle des „Freiheitskampfes“ jedenfalls werden von deren Verfechtern schon nicht als „kriminell“ angesehen und damit von vornherein ausgeschlossen, so dass praktisch nicht viel gewonnen ist.
3. Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus von 1999
Eine erste „wirkliche“ – wenn auch lediglich inzidente oder „vermittelte“ – Definition von Terrorismus enthält das Finanzierungsübereinkommen von 1999.280 Obgleich dieses Übereinkommen an sich der Reihe sektoraler Anti-Terrorismus-Konventionen zuzurechnen ist, hat es aufgrund seines übergreifenden Regelungsgegenstandes eine horizontale Zielrichtung. Um nämlich tatbestandlich zu erfassen, welche – an sich ja neutralen – „Mittelbereitstellungen“ oder (Geld-)Sammlungen strafbar sind, musste hier erstmalig abstrakt umschrieben werden, an welche Handlungen denn angeknüpft wird, weil sie als terroristisch anzusehen sind und daher nicht finanziert werden dürfen. Art. 2 Abs. 1 Finanzierungsübereinkommen sieht demnach vor, dass „[e]ine Straftat im Sinne dieses Übereinkommens begeht, wer auf irgendeinem Wege, unmittelbar oder mittelbar, widerrechtlich und vorsätzlich finanzielle Mittel bereitstellt oder sammelt in der Absicht oder in Kenntnis dessen, dass sie ganz oder teilweise verwendet werden, um 280 S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29 (42). Das Finanzierungsübereinkommen wurde von der GV mit ihrer Resolution A/RES/54/109 vom 9.12.1999 verabschiedet.
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a) eine Handlung vorzunehmen, die im Sinne und nach der Begriffsbestimmung einer der in der Anlage aufgeführten Übereinkünfte eine Straftat darstellt, oder b) eine andere Handlung vorzunehmen, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen.“ Diese Umschreibung benennt ausdrücklich den Zusammenhang zwischen einem unmittelbaren Angriff auf das Leben oder die körperliche Unversehrtheit einer Zivilperson oder eines (kurz:) Nichtkombattanten und einer dadurch bewirkten mittelbaren Einschüchterung der Bevölkerung oder Nötigung der Regierung bzw. – insoweit ist der Adressatenkreis erweitert worden – einer internationalen Organisation. Täter kann im Prinzip jedermann sein („eine Handlung“, „wer“; engl.: „an[y] other act“, „any person“). Allerdings ist die Reichweite, wie bei allen Anti-Terrorismus-Konventionen, dadurch beschränkt, dass ein internationaler Bezug vorliegen muss (siehe ausdrücklich Art. 3). Dadurch ist insbesondere der vielerorts und zu allen Zeiten praktizierte Terror von Trägern staatlicher Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ausgeklammert (also Staatsterror, häufig in synonymem Gebrauch der Begriffe ebenfalls als „Staatsterrorismus“ bezeichnet, auch wenn letzterer eigentlich auf „extra-nationale“ Fälle bezogen ist, s. o. Kap. 1, A. I. zur Terminologie). Zu bedenken ist allerdings, dass diese Definition unmittelbar nur im Anwendungsbereich dieses Übereinkommens selbst gilt und sich insofern auch lediglich auf die Strafbarkeit von Finanzierungshandlungen bezieht, nicht aber auf die eigentlichen terroristischen Handlungen. Auch kann die inzwischen große Anzahl an Ratifikationen nicht als Beleg dafür angesehen werden, dass diese Begriffsbestimmung von einem breiten Konsens getragen wird. Vielmehr dürfte der hohe Ratifikationsstand in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass nicht nur die GV, sondern im Anschluss an den 11. September 2001 auch der SR in seinen „Kap. VII-Resolutionen“ die Staaten wiederholt dazu aufgefordert hat, den Anti-Terrorismus-Konventionen beizutreten. Den Großteil der materiellen Regelungen des Finanzierungsübereinkommens hat der SR sogar unabhängig davon durch seine S/RES/1373 (2001) einseitig verbindlich gemacht. Angesichts dieses äußeren Drucks kann kaum von einer – freiwilligen – Praxis und gewachsenen Rechtsüberzeugung ausgegangen werden, die für eine allgemeine Geltung vorauszusetzen wären. Bis zum Oktober 2001 jedenfalls hatten lediglich vier Staaten
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 417
das Finanzierungsübereinkommen ratifiziert, und auch die einwöchige Debatte in der GV zur Terrorismusbekämpfung unmittelbar nach „9/11“ – also zu einem Zeitpunkt, in dem die Welt so geschlossen dastand wie nie – vermochte insoweit keinen Konsens hervorzubringen.281 Gleichwohl dürften angesichts der allgemeinen, sektorübergreifenden Zielrichtung des Finanzierungsübereinkommens die in Absatz 1b) aufgezählten Merkmale auch über dessen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus Indizwirkung entfalten. 4. Sicherheitsrat: S/RES/1566 von 2004
Dies gilt namentlich im Hinblick auf die Resolution S/RES/1566 (2004), in welcher der SR die Umschreibung aus dem Finanzierungsübereinkommen in weiten Teilen aufgegriffen hat. So heißt es im operativen Absatz 3: „[Der SR] erinnert daran, dass Straftaten, namentlich auch gegen Zivilpersonen, die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere körperliche Verletzungen zu verursachen, oder Geiselnahmen, die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, welche Straftaten im Sinne und entsprechend den Begriffsbestimmungen der internationalen Übereinkommen und Protokolle betreffend den Terrorismus darstellen, unter keinen Umständen gerechtfertigt werden können, indem politische, philosophische, weltanschauliche, rassische, ethnische, religiöse oder sonstige Erwägungen ähnlicher Art angeführt werden[.]“ Über die beabsichtigte Einschüchterung der Bevölkerung oder Nötigung einer Regierung bzw. internationalen Organisation, wie es das Finanzierungsübereinkommen vorsieht, hinaus, reicht es nach dieser SR-Resolution als Zielsetzung auch, neben einer ganzen Bevölkerung lediglich eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken versetzen zu wollen. Als Tathandlung kommt außer dem Totschlag oder der schweren Körperverletzung auch eine Geiselnahme in Betracht (was allerdings als geradezu klassische Tatvariante auch bereits nach einigen der Anti-Terrorismus-Konventionen aus den 1960–70er Jahren der Fall ist). Außerdem wiederholt die SR-Resolution die Unjustifiability-Formel aus der Resolution A/RES/49/60 der GV von 1994. 281 Dazu J. Finke/C. Wandscher, Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt, VN 49 (2001), 168 (168).
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Auch wenn sie sich damit in der Substanz nahe an den vorangegangenen Texten der GV bewegt, ist eine SR-Resolution aber mit Blick darauf, dass im SR lediglich 15 der 192 VN-Mitgliedstaaten repräsentiert sind, schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht geeignet, eine allgemein-verbindliche Terrorismusdefinition vorzugeben (zur Problematik von „LegislativResolutionen“ s. o., Kap. 5, B.). 5. „Eine sicherere Welt: unsere gemeinsame Verantwortung“ – Bericht der Hochrangigen Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel von 2004
Angesichts der bestehenden „Gegensätze zwischen den Mitgliedstaaten in der Einschätzung des Wesens der Bedrohungen“, denen die Welt ausgesetzt ist – im Hinblick auf den internationalen Terrorismus, aber auch darüber hinaus – berief der damalige GS Kofi Annan eine Hochrangige Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel (VN-Reformkommission) ein, um Empfehlungen „über den zur Lösung der wichtigsten Fragen einzuschlagenden Weg“ vorzulegen.282 In ihrem Bericht „Eine sicherere Welt“ (A more secure world) vom 2. Dezember 2004283 hat sie die Elemente aufgelistet, die eine Definition des Terrorismus enthalten sollte, und sich dabei insbesondere auf das Finanzierungsübereinkommen und S/RES/1566 (2004) bezogen [Para. 164 (c)]. Im Einzelnen sollte die Definition ihrer Auffassung nach eine Beschreibung des Terrorismus enthalten als „jede Handlung, zusätzlich zu den bereits in den bestehenden Übereinkommen über bestimmte Aspekte des Terrorismus, den Genfer Abkommen und der Resolution 1566 (2004) des Sicherheitsrats umschriebenen Handlungen, die den Tod oder eine schwere Körperverletzung von Zivilpersonen oder Nichtkombattanten herbeiführen soll, wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“ [Para. 164 (d)]. Dieser Vorschlag stimmt weitgehend mit dem jeweiligen Art. 2 Abs. 1 des Finanzierungs- und des Umfassenden Übereinkommens sowie mit dem operativen Absatz 3 der S/RES/1566 (2004) überein. Neben den Tatbestandshandlungen des Totschlags und der schweren Körperverletzung ist 282
Absatz 1 der Mitteilung des GS anlässlich der Vorlage des Berichts A more secure world: our shared responsibility, Report of the Secretary-General’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565. 283 A more secure world: Our shared responsibility, Report of the High-Level-Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565, Part II vom 2.12.2004.
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dies die Einschüchterungs- bzw. Nötigungsabsicht. Die Ergänzung „wenn diese Handlung auf Grund ihres Wesens oder der Umstände („by its nature or context“) darauf abzielt“ ist recht unbestimmt und daher wenig nützlich, aber letztlich wohl auch unschädlich. Problematisch ist allerdings die Formulierung „zusätzlich zu den bereits in den bestehenden Übereinkommen [. . .] umschriebenen Handlungen“ (Hervorhebung durch Verf.), da diese – wenn sie auch unrechtmäßig und strafbar sind – nicht zwangsläufig und ausnahmslos auch „terroristischer Natur“ sein müssen.284 Insofern ist der Wortlaut in S/RES/1566 (2004) vorzuziehen, da hier vom kumulativen Vorliegen der drei Voraussetzungen ausgegangen wird, nämlich, dass es sich handelt um, erstens, „Straftaten [. . .], die mit der Absicht begangen werden, den Tod oder schwere körperliche Verletzungen zu verursachen [. . .]“, die, zweitens, „mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“; und die schließlich, drittens, „Straftaten im Sinne und entsprechend den Begriffsbestimmungen der internationalen Übereinkommen und Protokolle betreffend den Terrorismus darstellen“. GS Kofi Annan als Auftraggeber machte sich diesen Definitionsansatz in seinem Bericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ (In larger freedom) vom 21. März 2005 zu eigen.285 Die Staaten indes haben insgesamt verhalten auf diese Empfehlung reagiert. Auch der 51/210-Ausschuss hat die vorgeschlagenen Elemente als Grundlage für eine allgemeine Definition abgelehnt. Streitpunkt ist insoweit der Begriff der Zivilpersonen (civilians), der von einer Reihe von Staaten als „besetzt“ und dessen Verwendung i. R. d. Anti-Terrorismus-Rechts als „Eingriff“ in das humanitäre Völkerrecht angesehen wird.286
284 Darauf weist der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin in seinem Bericht vom 28.12.2005 hin, E/CN.4/2006/98, S. 10 f. 285 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005, Para. 91: „Dieser Vorschlag ist meiner Ansicht nach moralisch überzeugend, und ich fordere die führenden Politiker der Welt nachdrücklich auf, ihn gemeinsam zu unterstützen [. . .].“. 286 C. F. D. Paniagua in seinem Brief an den Vorsitzenden des Sechsten Ausschusses der GV vom 3.8.2005, A/59/894 Annex.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 6. Ergebnisdokument (Outcome Document) des Weltgipfels von 2005
Der vorerst letzte Versuch der Staatengemeinschaft, die Verurteilung „des Terrorismus“, also die Unjustifiability-Formel, mit einer inhaltlichen Aussage, d. h. einer substanziellen Definition zusammenzuführen, wurde anlässlich des (VN-Reform-)Gipfeltreffens vom September 2005 unternommen. Zwar versicherten die Parteien einander immer wieder, dass es sich bei dem Ergebnisdokument (Outcome Document) nicht um einen juristischen, sondern um einen (lediglich) politischen, also einen programmatischen und nicht rechtlich verbindlichen Text handele. Gleichwohl standen den Verhandlungen dieselben Meinungsverschiedenheiten im Wege, die bisher auch die Einigung auf ein Umfassendes Übereinkommen gegen den internationalen Terrorismus verhindert haben. Das war vor dem Hintergrund, dass dieses Dokument einstimmig von den VN-Mitgliedstaaten im Plenum der GV unter nahezu ausnahmsloser Anwesenheit ihrer Staats- und Regierungschefs verabschiedet wurde, aber wohl auch nicht anders zu erwarten, denn zweifellos hätte eine solche – wenn auch „nur“ politische – Erklärung eine präjudikative Wirkung erzeugt. Der (erste) Entwurf des GS vom 3. Juni 2005287 sah folgenden, an den Empfehlungen der VN-Reformkommission orientierten Text vor (Para. 55): „We recognize that the targeting and deliberate killing of civilians and non-combatants cannot be justified or legitimized by any cause or grievance, and we declare that any action which is intended to cause death or serious bodily harm to civilians or non-combatants, when the purpose of such an act, by its nature or context, is to intimidate a population or to compel a government or an international organization to do or to abstain from any act cannot be justified on any grounds.“
Wenngleich insbesondere der Begriff der „civilians“ (Zivilpersonen) nicht nur in den Empfehlungen der VN-Reformkommission, sondern auch etwa im Finanzierungsübereinkommen, also einem Text der GV, verwendet worden ist, wurde in diesem Kontext erneut Widerspruch hiergegen laut, weil dies eine – vorausgreifende und tendenziell einschränkende – Auslegung des humanitären Völkerrechts darstelle. Dies zeigt, dass jede Definition ihren eigenen Kontext hat und sprachliche Übereinstimmungen nicht unbedingt zu der Annahme berechtigen, es liege auch eine übergreifende gemeinsame Vorstellung über den Gegenstand vor. Die Verhandlungen im Vorfeld des Gipfeltreffens spiegeln den machtpolitischen Streit um die Deutungshoheit über den Terrorismus genau wider. In der überarbeiteten Fassung vom 6. September 2005 kulminieren all die un287 Unveröffentlicht. Erhältlich jedoch unter http://www.reformtheun.org [eingesehen am 22.4.2008].
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terschiedlichen Perspektiven und Interessen: Zu dem maßgeblichen (soeben zitierten) Absatz sind nicht nur sechs Alternativvorschläge eingereicht worden, sondern er ist auch in sich durch eine Vielzahl von Formulierungsvarianten „durchlöchert“ worden („bracketed text“):288 „Terrorism 73. We strongly condemn terrorism in all its forms and manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purposes, as it constitutes one of the most serious threats to international peace and security. We affirm that the deliberate targeting and killing [by terrorists] of civilians [and other legally protected persons] [other persons protected under international law] [non-combatants] cannot be justified or legitimized by any cause or grievance. We declare that any such action intended to cause death or serious bodily harm to civilians [other legally protected persons] [other persons protected under international law] [noncombatants], when the purpose of such an act, by its nature or context, is to intimidate a population or to compel a Government or an international organization to carry out or to abstain from any act, cannot be justified or any grounds [and constitutes an act of terrorism]. 73 bis. [We recognize the necessity to make a distinction between terrorism and the legitimate right of peoples under occupation to struggle for their independence and in defense of their right to self-determination.] Alt 1) [We recognize the legitimate right of peoples under foreign occupation to struggle for their independence and in defense of their right to self-determination, but that there can be no justification for terrorism whatever pretext terrorists may use for their deeds or for using efforts to combat terrorism to deny these rights.] Alt 2) [We recognize the legitimate right of peoples under foreign occupation to struggle for their independence and in defense of their right to self-determination. We further recognize that there can be no justification for terrorism by whomever and wherever committed and that efforts to combat terrorism cannot be used to deny such rights.] Alt 3) [The legitimate right of peoples to resist foreign occupation, exercised in compliance with international law, cannot be construed as terrorism.] Alt 4) (New paragraph 76 bis): [We recognize the legitimate right of peoples to resist foreign occupation, exercised in conformity with international law.] Alt 5) [A text could be placed within Values and Principles section.]289 Alt 6) [The text could be deleted entirely.]“
Die Nulllösung Alt 6) wussten die Verhandlungspartner letztlich zu verhindern. Allerdings ist dies nicht viel mehr als die bloße Wahrung der 288
Unveröffentlicht. Erhältlich unter http://www.reformtheun.org [eingesehen am 22.4.2008]. 289 So geschehen im präambularen Absatz 5 des Ergebnisdokuments des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1 vom 24.10.2005.
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Form. In der Sache nämlich vermochten sie sich im Ergebnisdokument vom 13. September 2005 lediglich auf einen einzigen (den obigen ersten) Satz als Mini-Kompromiss zu einigen: „81. We strongly condemn terrorism in all its forms and manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purposes, as it constitutes one of the most serious threats to international peace and security.“
Damit blieb als „gemeinsamer Nenner“ gerade einmal eine Rumpfversion der Erklärungen der GV seit 1994 und des SR seit 2001 übrig. Darüber, was Terrorismus ist, besagt auch dieser Text gar nichts. Alle Formulierungen, die als Definition von Terrorismus hätten verstanden werden können (etwa „[. . .] constitutes an act of terrorism“ oder „[. . .] is a manifestation of terrorism“), stellten sich als nicht konsensfähig dar. Das gleiche gilt für Ausführungen, die als Andeutung hätten verstanden werden können, es gäbe „einen guten und einen schlechten Terrorismus“ („we recognise the necessity to make a distinction between terrorism and the legitimate right of peoples [. . .] to self-determination“). Vor diesem Hintergrund blieb auch für vage, mehrdeutige Umschreibungen („constructive ambiguity“), für die der designierte Präsident der GV Jan Eliasson als Vorsitzender der Untergruppe Terrorismus im Rahmen der Verhandlungen geworben hatte, kein Raum. Dies alles drückt das letztlich noch immer starke – und vielleicht sogar wachsende – Misstrauen aus, das in der Staatengemeinschaft in dieser Frage vorherrscht. Statt also Täter, Opfer, Tathandlungen und -modalitäten, Motive sowie Ziele terroristischer Handlungen zu benennen, mussten die Staats- und Regierungschefs es auf dem Gipfeltreffen dabei belassen, diese Aufgabe der GV für ihre 60. Sitzung zu überweisen (Para. 83). Aber auch dort konnte – wie (oben unter A.) gesehen – kein Resultat erzielt werden; selbst fünf Jahre später in der 65. Sitzung [2010/11] ist nicht absehbar, wann die Staaten ihren selbsterteilten Auftrag werden ausgeführt haben. II. Elemente einer Definition Ungeachtet dieser Stillstände oder auch Rückschritte kann gleichwohl eine Reihe von Elementen als gesichert angesehen werden, die konstituierend für terroristische Handlungen sind und damit einer Definition – kumulativ – zugrunde zu legen sind.290
290 Vgl. auch den Vorschlag von J. M. Lutz/B. J. Lutz, Global Terrorism, London 2004, 10.
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 423 1. Tathandlung
Neben den spezifischen, von den Anti-Terrorismus-Konventionen umfassten Tathandlungen wie insbesondere Entführungen und Geiselnahmen kommen generell Tötungsdelikte, schwere Körperverletzungen oder bedeutende Sachbeschädigungen, insbesondere an Infrastruktureinrichtungen und Verkehrsmitteln, in Betracht. Um terroristische von „gemeinen“ Straftaten abzugrenzen und nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf die Opfer „wahrer“ terroristischer Anschläge, sollten weniger gewichtige Taten ausgeschlossen werden. Jedenfalls müssen sie geeignet sein, das gesellschaftliche Sicherheitsbewusstsein zu erschüttern (dazu sogleich 2), was überhaupt erst ab einer gewissen Intensitätsschwelle denkbar ist. „Bloße“ Sachbeschädigungen werden oftmals gänzlich vom Terrorismus ausgeklammert. Denkt man jedoch an den 11. September 2001, so wären die Anschläge auf das Pentagon und das World Trade Center aber wohl auch dann als terroristische Akte zu qualifizieren gewesen, wenn keine Menschen zu Schaden gekommen wären, etwa weil sie sich nachts ereignet hätten. Ob es sich bei den Sachen um öffentliches oder privates Eigentum handelt, dürfte mit Blick auf dieses Beispiel und in Zeiten privatisierter (traditionell staatlicher) Daseinsvorsorge im Prinzip keine Rolle spielen. So sieht es auch der Entwurf des Umfassenden Übereinkommens gegen den internationalen Terrorismus vor, insofern in Übereinstimmung etwa mit dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002291 sowie einer Reihe nationaler Anti-Terrorismus-Gesetze292. Vorsicht bei der Abgrenzung ist geboten, um etwa nicht an sich rechtmäßige öffentliche Demonstrationen und Proteste unter den Tatvorwurf des Terrorismus zu stellen, wenn sie in Einzelfällen in gewalttätige Exzesse abgleiten.293 2. Ziel bzw. Zweck
Die Tathandlung muss darauf ausgelegt, d. h. ihr Ziel bzw. Zweck muss sein, eine Bevölkerung oder eine Gruppe von Personen in Angst und Schre291 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung, 2002/475/JI, Art. 1d) „schwer wiegende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur [. . .] oder einem Privateigentum [. . .]“. 292 Dazu C. Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (25 ff.). 293 Siehe zu Konflikten mit Bürger- und Menschenrechten etwa den Bericht des VN-Sonderberichterstatters zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin vom 16.8.2006, A/61/267.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
cken zu versetzen und dadurch einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen. Die „Terrorisierung“ lediglich einzelner Personen, wie es die Resolutionen der GV im Anschluss an die A/RES/49/60 (1994) oder die Resolution S/RES/1566 (2004) des SR vorsehen, kann nur in Ausnahmefällen genügen, da sie regelmäßig nicht geeignet sein dürften, (gesamt-)gesellschaftliche Auswirkungen zu erzeugen. Aus demselben Grunde muss sich auch die Einschüchterungs- oder Nötigungsabsicht zwar nicht in einem Taterfolg, zumindest aber in einem „tauglichen Versuch“ oder einer ernsthaften Drohung manifestieren. Kennzeichnend für den Terrorismus ist gerade der Umstand, dass es neben dem unmittelbaren Opfer einen mittelbaren Zweitadressaten gibt. Genau genommen stellt die beabsichtigte Einschüchterung nur ein Zwischenziel dar, während das eigentliche Ziel ist, eine Veränderung des status quo herbeizuführen (dazu 3).294 Deutlich sollte aber wiederum die Abgrenzung zwischen Nötigung und bloßer Beeinflussung, die einige nationale Kodifikationen genügen lassen, verlaufen. Denn Einfluss auf eine Regierung oder Internationale Organisation nehmen zu wollen, gehört zum Wesen der Demokratie und darf nicht in die Nähe des Terrorismus gerückt werden.295 3. Motiv
Wohl aus Sorge, hiermit ein Einfallstor für die anhaltende Diskussion von „Gut und Böse“ zu öffnen, wird vielfach auf das Erfordernis eines politischen, religiösen, weltanschaulichen etc. Motivs der Tat verzichtet. Damit wird aber gerade das Charakteristische des Terrorismus, das dynamische Moment der Veränderung, das ihn maßgeblich von „gemeiner“ Kriminalität unterscheidet, aufgegeben.296 Gleichzeitig sollten allerdings keine allzu hohen Anforderungen an den Grad oder gar die „Qualität“ dieses Motivs angelegt werden. Insbesondere die politischen Motive lassen eine weite Auslegung zu, so dass diesem Merkmal praktisch keine „tatbestandsbeschränkende“ Wirkung zukommt. Genau umgekehrt verhält es sich hinsichtlich einer Anerkennung dieser Motive als Rechtfertigungsgründe. Seit der Verabschiedung der Unjustifiability-Formel entspricht dieses restriktive Ver294 M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (48). 295 C. Walter, Defining Terrorism in National and International Law, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (27 ff.). 296 Ebd., S. 48: „a necessary distinctive feature“. Zu all dem ausführlich auch P. Schmidt/A. J. Jongman, Political Terrorism: A New Guide to Actors, Authors, Concepts, Data Bases, Theories, and Literature, 1988, 5 f.
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ständnis auch der offiziellen, vielfach bekräftigten Position der Staaten. Nur in extremen Ausnahmefällen kommt eine solche in Betracht [s. u., 4. c)]. 4. Täter
Möglicher Täter oder Täterin ist jede Person, die eine der beschriebenen Handlungen selbst begeht, an ihr teilnimmt, sie versucht, ernstlich androht oder zu ihr anstiftet. Die Formulierung, dass die Tatausführung durch Terroristen („by terrorists“) zu erfolgen habe, wie zwischenzeitlich für den Text von Absatz 73 des Ergebnisdokuments vom Weltgipfel 2005 vorgeschlagen, führt hingegen offensichtlich nicht weiter. a) Private und Offizielle Entsprechend seinem Sinn und Zweck als „Umfassendes Übereinkommen gegen den internationalen Terrorismus“ stellen sowohl die Präambel (Begründungserwägung 5: „by whomever“; Begründungserwägung 8: „acts [. . .] in which States are directly or indirectly involved“) als auch der operative Teil (Art. 2: „[a]ny person“) klar heraus, dass niemand „über“ dem Terrorismus stehe. Vielmehr sind alle Handlungen allein aufgrund ihrer Modalitäten, also „ohne Ansicht der Person“, als terroristisch zu qualifizieren – oder eben nicht.297 Dies ist auch die übereinstimmende Aussage praktisch aller VN-Resolutionen, die seit 1994 verabschiedet worden sind.298 Eine Unterscheidung von Privaten und Offiziellen (d. h. Trägern von Staatsgewalt) hingegen würde zu doppelten Standards und einer (macht-)politischen Einfärbung der Terrorismusbekämpfung führen bzw. diese perpetuieren.299
297 S. Oeter, Terrorismus – ein völkerrechtliches Verbrechen?, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 2002, 29 (41). Ebenso C. Tomuschat, Comments on the Presentation by Christian Walter, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 23 (47): „[S]tate terrorism should also be recognised as a crime deserving the same classification as individual terrorism“. 298 Von Seiten der GV etwa: Declaration on measures to eliminate international terrorism, Annex zu A/RES/49/60 vom 9.12.1994 [siehe oben Kap. 3, B. I. 4. b)]; entsprechend der SR: S/RES/1269 vom 19.10.1999. 299 J. M. Lutz/B. J. Lutz, Global Terrorism, London 2004, 12 halten dem zwar entgegen, dass der Verweis auf staatliche Akteure „[is] often raised to promote the cause of the dissidents“. Gleichzeitig stellen sie aber klar: „One of the myths about terrorism is that it is exclusive to non-state actors.“
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
b) Politischer Opportunismus In der Praxis hängt das Ergebnis der Subsumtion unter den „Tatbestand“ des Terrorismus dagegen noch immer von dem Umstand ab, ob der jeweilige Betrachter den betreffenden Akteuren und ihren Motiven und Zielen zustimmend oder ablehnend gegenübersteht. (Nur) im letzteren Fall spricht man ihnen jegliche Legitimität ab, erklärt ihre Anliegen für unverhandelbar und stellt sich selbst auf die Seite der „Guten und Gerechten“. Parteilichkeit und Selektivität ersetzen objektive Maßstäbe und wertegebundene Entscheidungen.300 Das zeigen etwa die beiden folgenden Beispiele: Während die USA den südafrikanischen ANC noch in den 1980er Jahren als gefährlichste terroristische Gruppe weltweit eingestuft hatten, schätzten sie ihn nur wenige Jahre später nach Aufhebung des Apartheidsystems als wichtige Partner und wurde ihrem Vorsitzenden Nelson Mandela sogar der Friedensnobelpreis verliehen.301 Genau umgekehrt verhielt es sich mit den islami(isti)schen Mudschahedin in Afghanistan, die in den 1970–80er Jahren zunächst systematisch als Widerstandsbewegung gegen die Sowjetunion aufgebaut worden waren, ab den 1990er Jahren dann aber die Taliban und Al-Qaida stark machten.302 Vor diesem Hintergrund bietet sich der vielzitierte Ausspruch „Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer“ noch für eine Abwandlung an: „T o d a y ’ s terrorist is t o m o r r o w ’ s freedom fighter“ (Hervorhebung durch Verf.) – denn: „Contexts of judgment [. . .] can and do change.“303 Martti Koskenniemi erklärt diesen Befund mit den Gesetzen „hegemonialer Logik“: 300 Vgl. Progress Report prepared by Ms. K. K. Koufa, Special Rapporteur, Commission on Human Rights, Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights E/CN.4/Sub.2/2001/31, 27 June 2001, II. B. I. 1. 301 J.-M. Sorel, Some Questions About the Definition of Terrorism and the Fight Against Its Financing, EJIL 14 (2003), 365 (371). Erst am 1.7.2008 allerdings unterzeichnete Präsident George W. Bush ein Gesetz, mit dem der ANC nicht mehr als terroristische Organisation eingestuft und die ANC-Mitglieder nicht mehr auf der Liste terrorverdächtiger Personen geführt werden, siehe SZ.de vom 2.7.2008 [http://www.sueddeutsche.de]. 302 Als umgekehrter Fall mag die politische und schließlich auch völkerrechtliche Behandlung der PLO angeführt werden, die sich von der Verurteilung als einer „Terroristenorganisation“ über die Gewährung eines offiziellen Beobachterstatus bei den VN hin zur Anerkennung als einer gewissermaßen „staatstragenden Partei“ entwickelt hat. Diesem Wandel liegt offenbar die Erkenntnis nun auch der außerarabischen Staatenwelt zugrunde, dass das Streben der Palästinenser nach einem eigenen Staat neben Israel legitim ist und nicht länger verwehrt werden kann, wenn der Nahe Osten endlich befriedet werden soll. 303 J. Klabbers, Rebel with a cause? Terrorists and Humanitarian Law, EJIL 14 (2003), 299 (300 f.).
Kap. 8: Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 427 „[T]he inability to define ‚terrorism‘ reflects [. . .] hegemonic logic: whose friends were to be branded as ‚terrorists‘ and whose violence was to escape that denomination? [. . .] The world’s uniform opposition to ‚terrorism‘ is dependent on its open-endedness, the degree to which it allows everyone to fill the category of ‚terrorist‘ with one’s preferred adversary.“304
Diese (vermeintliche) „Logik“ muss nunmehr durchbrochen werden, wenn die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ernst gemeint ist und gelingen soll. Statt von „inability“ sollte wohl auch eher von „Unwille“ gesprochen werden. Und an die Stelle politischen Opportunismus muss eine prinzipiengeleitete, „verrechtlichte“ Politik treten, nach der eine unterschiedslose Verfolgung der Täter gewährleistet ist. c) „Freiheitskämpfer“ Wenn eine Chance bestehen soll, eine umfassende Definition des Terrorismus zu verabschieden und diese auch nicht nur auf dem Papier stehen, sondern soziale Wirksamkeit erzielen und befolgt werden soll, muss mit der grundsätzlichen Einbeziehung der „Freiheitskämpfer“ in den Anwendungsbereich des Übereinkommens [s. o., A. III. 1. a)] als Korrelat das Selbstbestimmungsrecht der Völker mit Substanz und Leben gefüllt werden. Ansonsten bliebe das Anti-Terrorismus-Recht einseitig und Ausdruck reiner Besitzstandswahrung der Staaten. Der (vermeintlich) neutral oder rein „technisch“ gemeinte Vorschlag des Vorsitzes des 51/210-Ausschusses, die Frage des Selbstbestimmungsrechts vorerst auszuklammern und stattdessen im Rahmen des humanitären Völkerrechts zu klären, führte hingegen durchaus zu inhaltlichen Vorfestlegungen. Folglich ist sie bereits hier im Kontext der Terrorismusdefinition zu beantworten. aa) Materielle versus formale Betrachtung von „Freiheitskämpfern“ Das humanitäre Völkerrecht basiert auf einer starken Formalisierung, die nicht nach den – gerechten oder ungerechten – Gründen kriegerischer Auseinandersetzungen fragt. Indem es die kriegerische Gewalt generell einhegt und nicht etwa nur einseitig den Aggressor sanktioniert, erreicht es grundsätzlich ein Höchstmaß an realisierbarem Rechtsgüterschutz, bis wieder Frieden herrscht. Hierbei wird davon ausgegangen, dass zu Friedenszeiten ein umfassender Rechtsgüterschutz gewährleistet ist und es folglich nichts Wichtigeres als den Frieden gibt. Dies ist aber, zumal nach dem heutigen 304 M. Koskenniemi, International Law and Hegemony: A Reconfiguration, CRIA 17 (2004), 197 (197 f.).
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Stand der Menschenrechte und auch des Selbstbestimmungsrechts der Völker, dann nicht mehr zutreffend, wenn es sich – in den Worten Martin Hochhuths – lediglich um eine „Friedhofsruhe“ handelt und diese über die eigentlichen Geltungsgründe des Rechts gestellt wird.305 Ebenso nämlich wie „scheinlegale“ gibt es „scheinillegale“ Machtergreifungen. Dies ist der Fall, wenn die Handelnden zwar das geschriebene Recht brechen, dies aber zur Verteidigung existenzieller Rechtsgüter geschieht. Nach der Radbruch’schen Formel ist (Gesetzes-)Recht, das extrem ungerecht ist, „unrichtiges Recht“ und dessen Nichtbefolgung daher aufgrund von Werten, die schwerer wiegen als die bloße Rechtssicherheit, gerechtfertigt.306 Die massenhafte Verletzung existenzieller Rechtsgüter – das zeigt die Erfahrung – erzwingt geradezu die Rückkehr des Materiellen in die positivierte Rechtsordnung, weil sich die Rechtsunterworfenen auf die eigentlichen Geltungsgründe dieser Rechtsordnung besinnen, die nur deshalb und so lange Gehorsam verlangt und verlangen kann, wie sie das Existenzielle schützt.307 Auch wenn hierdurch nicht die überwundene „Lehre vom gerechten Krieg“ wieder eingeführt werden darf, muss das Motiv der Freiheitskämpfer im Einzelfall doch rechtfertigend berücksichtigt werden können. Da es hierfür kein Verfahren (dazu unten III.) vorsieht, gewährleistet das Anti-Terrorismus-Recht dies trotz des Verweises auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker bislang nicht. bb) Abgrenzung des legitimen gegenüber dem terroristischen „Freiheitskämpfer“ Der legitim handelnde Freiheitskämpfer ist in verschiedenen Erscheinungsformen auf der ganzen Bandbreite zwischen regulärem Soldat auf der einen und irregulärem Terrorist auf der anderen Seite zu verorten. In Anlehnung an Carl Schmitt kann er durch vier Merkmale charakterisiert werden: das erwähnte Regularitätsdefizit, eine gesteigerte Mobilität, die Intensität 305 M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (51 ff.). 306 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 2003, 216: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“ 307 Hierzu ausführlich M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (56).
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seines politischen Engagements und eine besondere Erd- und Heimatverbundenheit.308 Freiheitskämpfer agieren außerhalb der kriegsrechtlichen Konventionen. Gleichwohl werden sie, je stärker ihr Verband ist, eine hierarchische Organisationsform einnehmen, quasi-uniformiert auftreten, ihre Waffen zunehmend offen tragen und jedenfalls einzelne Regeln des humanitären Völkerrechts beachten.309 Außerdem erhalten sie eine gewisse Regularität dadurch, dass sie einer territorial, kulturell, historisch oder ethnisch definierten Einheit angehören. Mit Mobilität ist die taktische Bewegungsfreiheit gemeint, die sich aus ihrer verminderten Regularität ergibt und die sie in die Lage versetzt, ihre vergleichsweise geringen Ressourcen zu kompensieren. Ihr besonderes politisches Engagement hängt mit ihrer Erd- und Heimatverbundenheit zusammen. Sie verteidigen, nachdem ihr Staat kapituliert hat, ihre angestammte heimatliche Erde und ihr Gemeinwesen, und darin wissen sie – jedenfalls mutmaßlich – die Mehrheit der betroffenen Menschen hinter sich. Dies verleiht ihnen den defensiv-autochthonen Charakter, der sie von Terroristen unterscheidet, denen es nicht um die Bewahrung bzw. Wiederherstellung ihres traditionellen Gemeinwesens, sondern um Umwälzung, die expansive Durchsetzung einer neuen Ordnung geht. Erst mit der Einbeziehung materieller Legitimität im Rahmen einer argumentativen Auseinandersetzung mit den (vermeintlichen) Ursachen des „Terrorismus“ kann es gelingen, auf der anderen Seite missbräuchliche Rechtfertigungsmuster als solche zu benennen und zurückzuweisen.310 Bemerkenswert deutlich wurde der Aspekt der materiellen Legitimität auch in der Resolution des Europäischen Parlaments (EP) zur Terrorismusbekämpfung in der Europäischen Union von 1997 hervorgehoben, selbst wenn er sich im nachfolgenden Vorschlag der Europäischen Kommission und im letztlich verabschiedeten Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 nicht wiederfindet. Das EP beschrieb die terroristische Tat hier als eine „kriminelle Handlung, die unter Anwendung von Gewalt oder Drohung mit Gewalt politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen in Rechtsstaaten ändern will und sich somit von Widerstandsaktionen in Dritt308
C. Schmitt, Theorie des Partisanen, 1963, 35. H. Münkler, Die Gestalt des Partisanen, in: ders. (Hrsg.), Der Partisan, 1990, 14 (14 ff.). Zwar erleichtert das Genfer Zusatzprotokoll I von 1977 die Voraussetzungen insofern, als es nunmehr genügen soll, dass sie die Waffen (nur) während des Aufmarsches, wenn sie für ihre Gegner sichtbar sind, und während des Einsatzes offen tragen (vgl. Art. 44 Abs. 3); hierbei handelt es sich aber nicht um kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht, und viele Staaten, unter ihnen die USA, sind dem ZP I, nicht zuletzt aufgrund dieser Regelung, bis heute nicht beigetreten. 310 So auch J.-M. Sorel, Some Questions About the Definition of Terrorism and the Fight Against Its Financing, EJIL 14 (2003), 365 (371): „It is hypocritical and counterproductive to avoid discussion of the causes of terrorism – once established they can be excluded from the language of justification.“ 309
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staaten unterscheidet, die sich gegen Staatsstrukturen richtet, die ihrerseits terroristischen Charakter haben“ (Hervorhebung durch Verf.).311 5. Opfer
Ebenso wie Täter kann auch Opfer terroristischer Anschläge grundsätzlich „jedermann“ sein. Würde die Frage des „Freiheitskampfes“ befriedigend gelöst, spräche an sich nichts mehr dagegen, dies auch uneingeschränkt anzuerkennen. Solange dies nicht der Fall ist, werden die Gräben bestehen bleiben, die in all ihrer Deutlichkeit zuletzt auf dem Weltgipfel 2005 offen zutage traten. So sahen die Formulierungsvorschläge im Entwurf des Ergebnisdokuments zu den Opfern terroristischer Anschläge ergänzend zu „civilans“ auch „other legally protected persons“ bzw. „other persons protected under international law“ vor (s. o., I. 6.). Diese, insbesondere erstere, Kategorien wären bei einer gleichzeitigen faktischen Kriminalisierung jeglichen Freiheitskampfes in der Tat sehr einseitig und offen für weitere, willkürliche „Verschiebungen“ der Grenzlinie zugunsten der Staaten gewesen. Das gleiche gilt für den Begriff des „non-combatant“, der anders als derjenige des „combatant“ keinen eindeutigen völkerrechtlichen Status festschreibt, sondern der Ausfüllung durch nationale Bestimmungen bedarf, also von Staat zu Staat variiert und damit untauglich für eine allgemein gültige Abgrenzung ist.312 Am Ende war nicht einmal mehr die Nennung der Zivilpersonen („civilians“) konsensfähig. Zwar kann es schon mit Blick auf das Völkergewohnheitsrecht keinerlei Zweifel daran geben, dass jegliche Gewaltanwendung oder -drohung gegen sie völkerrechtswidrig ist.313 Da es 311 Resolution on combating terrorism in the European Union, ABl. EG C 55, S. 27 vom 24.2.1997. 312 K. Ipsen, Combatants and Non-Combatants, in: D. Fleck (Ed.), The Handbook of Humanitarian Law in Armed Conflicts, 1995, 65 (66, 81 ff.): „The armed forces [. . .] consist of combatants and non-combatants. [. . . N]on-combatants are not authorized to participate directly in hostilities. [. . . Their status] will be determined by national decision in accordance with international legal principles [which] mean[s] that [. . .] the state has [not] a broad discretion [. . .]. [T]he non-combatant status of members of the armed forces only applies in exceptional cases.“ Das US-State Department legt den Begriff der Nichtkombattanten hingegen – politisch opportun – sehr weit aus und auch insofern sachlich falsch, als es ihn als Oberbegriff, der auch Zivilisten umfasse, darstellt: „The term ‚non-combatant‘, which is referred to but not defined in 22 USC. 2656f(d)(2), is interpreted to mean, i n a d d i t i o n t o c i v i l i a n s , military personnel (w h e t h e r o r n o t a r m e d o r o n d u t y ) who are not deployed in a war zone or a war-like setting“ (Hervorhebung durch Verf.), siehe http://www.state.gov/s/ct/rls/crt/2007/103715. htm [eingesehen am 5.5.2008]. 313 H.-P. Gasser, Protection of the Civilian Population, in: D. Fleck (Ed.), The Handbook of Humanitarian Law in Armed Conflicts, 1995, 209 (212); K. Ipsen,
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aber nicht gelang, eine umfassende Aufzählung der potenziellen Opfergruppen zu formulieren, wurde am Ende gänzlich auf ihre Erwähnung verzichtet.314 6. Internationale Dimension
Während die weiter zurückliegenden Resolutionen noch ausdrücklich auf den internationalen Terrorismus abstellen, womit traditionell ein zwischenstaatlicher Bezug gemeint ist [siehe etwa die Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus, A/RES/49/60, pp. 3: „Deeply disturbed by (. . .) acts of international terrorism in all its forms and manifestations (. . .)“, aber auch noch S/RES/1377 (2001)], wird hierauf mittlerweile – jedenfalls rein sprachlich betrachtet – verzichtet (vgl. etwa S/RES/1566 (2004), Präambel und op. 1 oder das Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005, A/RES/60/1, op. 81, wo es nunmehr lediglich heißt: „We strongly condemn terrorism in all its forms and manifestations, committed by whomever, wherever and for whatever purposes . . .“). In der Sache verhält es sich so, dass spätestens seit dem 11. September 2001 davon ausgegangen wird, dass ein „international nexus“ jedenfalls beim islamistischen Terrorismus per se vorliegt.315 Folglich gilt eine terroristische Tat schon dann als international, wenn sie – ganz allgemein – Wirkung über staatliche Grenzen hinaus entfaltet, gegen ein international geschütztes Ziel gerichtet ist oder eine Völkerrechtsnorm verletzt.316 III. Definitionsvorschlag Nach alledem könnte eine Definition folgenden Inhalt und Wortlaut haben: „Terrorist ist, wer ein Tötungs-, schweres Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungsdelikt oder ein anderes aufgrund einer der internationalen ‚Anti-Terrorismus-Konventionen‘ verbotenes Delikt begeht, an ihm teilnimmt, zu ihm anstiftet, es versucht oder ernstlich androht, um eine Bevölkerung oder eine Gruppe von Personen in Angst und Schrecken zu versetSchutz der von bewaffneten Konflikten betroffenen Personen und Gebiete, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, § 69, 2004, Rn. 4. 314 Siehe den Beitrag des Vertreters der USA, die sich für die Formulierung „civilians and non-combatants“ stark gemacht hatten, während der Verhandlungen des Ergebnisdokuments am 7.9.2005: „The term ‚civilians‘ does not encompass all people that should be protected.“ [unveröffentlicht]. 315 Vgl. das Interview von Georg Paul Hefty mit Günther Beckstein in der F.A.Z. vom 20.3.2007, S. 5. 316 M. Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, 2007, 30.
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zen und dadurch einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen, um aus politischen, religiösen oder weltanschaulichen Motiven das Gemeinwesen umzugestalten, außer wenn die Tat unmittelbar der Befreiung des eigenen Landes von diktatorischer Herrschaft, von völkerrechtswidriger Besatzung oder in anderer Weise dessen (materiell) völkerrechtsmäßiger Verteidigung dient und sich ausschließlich gegen Organe dieser Diktatur oder Besatzungsmacht richtet.“317 Dem „(basis-)demokratischen Element“, also der Verankerung in der Bevölkerung, die den Freiheitskämpfern nach der Kapitulation des Staates praktisch ein „Ersatzmandat“ erteilen, kommt in der Abgrenzung zum offensiven, revolutionären Terrorismus eine große Bedeutung zu. Dies dürfte auch den Namensgebern von Al-Qaida bewusst gewesen sein, die ihrer Bewegung nicht zufällig den Namen „die Basis“ gegeben haben werden. Denn hiermit suchen sie die Macht der Sprache für sich zu nutzen, indem sie suggerieren, dass „die arabischen Völker“ geschlossen hinter ihnen stünden (was tatsächlich kaum der Fall ist). Aber auch die Bush-Regierung setzte ihrerseits ganz gezielt politisch aufgeladene Begriffe ein, um die öffentliche Meinung und Wahrnehmung für die eigene Sache einzunehmen. Im Hinblick auf den Irak etwa schuf der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Figur der „Enemies of the legitimate Iraqi government“ („Feinde der legitimen irakischen Regierung“), um schon sprachlich von vornherein auszuschließen, dass diese als Freiheitskämpfer gegen eine rechtswidrige Besetzung an- und ihnen die entsprechenden Rechte zuerkannt werden könnten. Aus dieserart Formulierung ist recht deutlich das Bewusstsein um die Völkerrechtswidrigkeit des eigenen Angriffs auf den Irak abzulesen (s. o., Kap. 5, A. II. 3.). Die zweifelhafte „Verbriefung“ ihres Status als Besatzungsmacht durch die SR-Resolution S/RES/1483 (2003) hat bestenfalls eine formelle, aber kaum eine wirklich materielle Legalisierung der Besatzung i. S. auch von Legitimität herbeigeführt. Selbst mit deren Ende zum 30. Juni 2004 und dem Amtsbeginn der „legitimen irakischen Regierung“ änderte sich nicht viel. Dass der Zusatz „legitim“ für nötig erachtet wurde, deutet vielmehr darauf hin, dass es sich bei dieser Regierungsallianz unter Nouri Al-Maliki318 in der Sache mehr um eine Marionettenregierung oder auch bloße Bürgerkriegspartei handelt, also um eine „government in name only“ – genauso wie die irakische nationale Armee in 317
Siehe den hier nur leicht abgewandelten Definitionsvorschlag von M. Hochhuth, Der Begriff des Terrorismus und der formale Friedensbegriff des Völkerrechts und des innerstaatlichen öffentlichen Rechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 2004, 43 (57). 318 Die Regierungsallianz ist aus der schiitischen Dawa-Partei und dem Supreme Islamic Iraqi Council gebildet.
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Wirklichkeit eher eine „rebadged militia“ ist.319 In der Offensive Al-Malikis gegen die Mahdi-Miliz unter Muqtada Al-Sadr vom März 2008 etwa ging es folglich auch nicht um die Durchsetzung des Gewaltmonopols des Staates, sondern um einen inner-schiitischen Machtkampf, in dem sich in Wahrheit zwei Milizen gegenüberstehen.320 Wunschdenken und strategische wie wirtschaftliche Interessen der USA treten hier an die Stelle einer realistischeren Betrachtung der Situation im Irak. Das beliebte Totschlagargument, man bekämpfe den internationalen Terrorismus, läuft hier jedenfalls in dieser Pauschalität ganz offensichtlich ins Leere. Das gleiche gilt für die israelische Regierung, wenn sie sich für die Errichtung der sog. „Schutzmauer“ gegen die Palästinenser auf ihr Recht zur Selbstverteidigung gegen internationale Terroristen beruft.321 Der Hamas wiederum fehlt es, ganz abgesehen von ihren (völker-)rechtswidrigen Methoden, vor allem den gezielten Anschlägen auf Zivilisten, an der erforderlichen Verteidigungsabsicht, solange ihr „Freiheitskampf“ nicht nur auf die Errichtung eines eigenen Staates gerichtet ist, sondern zugleich das Existenzrecht Israels bestreitet. Obgleich also im Kampf gegen den (vermeintlichen) Terrorismus bislang noch jede Seite mit Entschiedenheit die Interpretationshoheit, gar die „Wahrheit“ für sich beansprucht, gibt es doch eine Reihe von Elementen, auf deren Grundlage die Einordnung objektiviert werden kann. Insofern hat der Terrorismusbegriff heute in jedem Fall eine rechtliche Bedeutung322 und stellt das (Anti-Terrorismus-)Völkerrecht mehr dar als eine bloße „[technique] of articulating political preferences into legal claims.“323 319 Siehe „The Basra fight for Shia supremacy. The US – and maybe Britain – risks joining the civil war“, Financial Times vom 28.3.2008, S. 10. 320 U. Ladurner, Blutiger Vorwahlkampf. Im Irak kämpfen Schiiten gegen Schiiten um die Macht, Die ZEIT vom 3.4.2008, S. 6. Nach den von Anschlägen begleiteten Wahlen am 7.3.2010 dauerte es allein drei Monate, um das Wahlergebnis zu bestätigen, wonach das Irakija-Bündnis unter Ijad Allawi nur eine knappe Mehrheit vor Nouri Al-Malikis Rechtsstaats-Koalition und der Irakischen Nationalallianz errang und mehr als sechs weitere Monate, bis es Al-Maliki gelang, eine Regierung zu bilden. 321 In diesem Fall hat der IGH in einem Gutachten auf Antrag der GV die Voraussetzungen des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts ausdrücklich als nicht erfüllt erachtet, siehe ICJ, Advisory Opinion – Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, abgedr. in ILM 43 (2004), 1009. 322 A. A. R. Higgins, The general international law of terrorism, in: R. Higgins/M. Floy (Ed.), Terrorism and International Law, 2002, 28: „‚Terrorism‘ is a term without legal significance. [. . .] The term is at once a shorthand to allude to a variety of problems with some common elements, and a method of indicating community condemnation for the conduct concerned“. 323 So M. Koskenniemi, International Law and Hegemony: A Reconfiguration, CRIA 17 (2004), 197 (197 f.).
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Auch der hier unterbreitete Definitionsvorschlag machte freilich eine Entscheidung im Einzelfall darüber, ob eine Tat zur Verteidigung der Existenz oder „Grundordnung“324 des Gemeinwesens begangen wurde, nicht entbehrlich.325 Es ist vielmehr abzusehen, dass auch hierüber trefflich gestritten würde. Eine argumentative Auseinandersetzung macht aber geradezu das Wesen des Rechts aus und erscheint hier schon allein aus dem Grunde alternativlos, weil im vorliegenden Kontext keine statischen Verhältnisse oder feststehenden Wertungen zu haben sind. Allerdings bedarf es eines, wenn schon nicht unparteiischen (der IGH hat insoweit, jedenfalls nach dem status quo, keine Jurisdiktion), dann zumindest repräsentativ besetzten Gremiums und transparenter, fairer Verfahren, damit die Entscheidungen von der erforderlichen Autorität getragen sind, auf die sie hinsichtlich ihrer Akzeptanz und notfalls zwangsweisen Durchsetzung angewiesen sind. Als ein solches Gremium kommt in der bestehenden Architektur der internationalen Beziehungen bis auf weiteres wohl nur der SR in Betracht, der allerdings entsprechend (wie oben in Kap. 7 dargestellt) reformiert werden müsste, um dieser Aufgabe und den mit ihr verbundenen Ansprüchen gerecht werden zu können.
C. Fazit Von der Verabschiedung des Umfassenden Übereinkommens zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus in der hier skizzierten Form ginge ein entscheidendes, zweifaches Signal aus. Erstens enthielte sie eine unmissverständliche Botschaft an die Welt, dass die internationale (Staaten-)Gemeinschaft geeint gegen den Terrorismus steht – und zwar ausgehend von einem gemeinsamen Verständnis, das weder politischen Opportunismus noch doppelte Standards zulässt. Damit wäre den Terroristen auch in der Praxis der Schutzraum und Boden entzogen, der aus Zweideutigkeiten seinen Nährstoff zieht und ihn bis heute – trotz aller anders lautenden Beteuerungen – gedeihen lässt. Zweitens stellte die GV ihrem lange zur Rhetorik verkommenen Anspruch, das einzig legitime Forum bzw. Organ für derlei Beschlüsse zu sein, endlich ein substanzielles Ergebnis an die Seite, das auch faktischer Beleg ihrer Handlungsfähigkeit wäre. Nur auf diese Weise kann es ihr, d. h. der breiten VN-Mitgliedschaft gelingen, die 324 Etwa i. S. d. „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ der Bundesrepublik Deutschland, gegen dessen Beseitigung alle Deutschen ein grundgesetzlich verbrieftes Widerstandsrecht besitzen, vgl. Art. 20 Abs. 4 GG. 325 Insofern ist die Situation strukturell durchaus derjenigen vergleichbar, in der es um die Feststellung einer „Aggression“ geht, vgl. A/Res. 3314 (XXIX), pp. 10: „[. . .] whether an act of aggression has been committed must be considered in the light of all the circumstances of each particular case.“
Kap. 9: Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus
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drängenden Entscheidungen wieder aus ihrer Mitte heraus zu treffen und damit Gestaltungsraum vom SR zurückzuerobern. Wie in allen Organisationen setzt sich über kurz oder lang das tauglichste, also effektivste und effizienteste Verfahren durch. Die GV hat diesen Nachweis aber seit ihrem Uniting for Peace-Beschluss nicht angetreten und sieht sich zu recht mit der Forderung konfrontiert, sich endlich entschlossen und nachhaltig zu reformieren. Die bisherigen Schritte sind insoweit ungenügend (s. o., Kap. 7). Dies gilt auch für die Verabschiedung der „Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus“, solange nicht auch ihre Umsetzung entschlossen betrieben und damit ein praktischer Unterschied erreicht wird (dazu im Folgenden, Kap. 9). Bis dahin wird es zwangsläufig bei der Dominanz des SR bleiben, wenn auch nicht mehr in dem Maße wie unmittelbar nach dem 11. September 2001. Daher ist es unbedingt geboten, endlich die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des SR zu reformieren und seine Position innerhalb des VN-Systems neu zu justieren, so dass „Ausschläge“ wie in den vergangenen Jahren unmöglich werden.
Kapitel 9
Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus Spätestens nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war offenbar geworden, dass die VN sich neu „aufstellen“ mussten, um der Herausforderung durch den internationalen Terrorismus gerecht zu werden. War der Terrorismus auch nicht als Phänomen an sich neu, erreichten seine Ausmaße doch eine bis dahin nicht für möglich gehaltene Dimension (s. o., Teil 1). Nachdem ihn zunächst – im Zuge des US-amerikanischen „Anti-TerrorKriegs“ – der SR als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit an sich gezogen hatte (s. o., Teil 2), hat sich in der Zwischenzeit auch die GV wieder einbringen können, indem sie sich am 20. September 2006 auf die „Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus“ verständigte. Dabei konnte sie auf eine Reihe von Analysen und Empfehlungen zurückgreifen, die seit dem Jahr 2002 unter dem damaligen GS Kofi Annan ausgearbeitet worden waren. Diese sollen im Folgenden einleitend kurz beschrieben werden (A.), bevor die Weltweite Strategie selbst ausführlich dargestellt (B.) und mit den Ansätzen des GS sowie des SR verglichen wird (C.). Daran anknüpfend soll die Frage der Koordinierung bzw. Institutiona-
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
lisierung der Terrorismusbekämpfung im Rahmen der VN behandelt werden (D.). Den Abschluss bilden einige Anmerkungen zum Verhältnis des internationalen Terrorismus gegenüber anderen Bedrohungen im Kontext einer umfassenden globalen Sicherheitsagenda (E.).
A. Vorarbeiten Die unmittelbaren Vorarbeiten zur Weltweiten Strategie setzten mit dem Bericht einer vom damaligen GS Kofi Annan eingesetzten Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2002 ein (I.). In den beiden Folgejahren 2002/03 ließ Annan sich von einer Hochrangigen Gruppe Empfehlungen ausarbeiten (II.), die er 2005 seiner Rede von Madrid („5 D“-Vorschlag; III.) sowie seinem Reformbericht „In größerer Freiheit“ (IV.) zugrunde legte. Im Anschluss an den Weltgipfel 2005 (V.) erarbeitete Annan sodann seine Strategie „Vereint gegen den Terrorismus“ (VI.), die der GV als Vorlage für ihre Weltweite Strategie diente. I. Bericht der Arbeitsgruppe des Generalsekretärs vom August 2002 Bereits unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte der damalige GS Kofi Annan eine Arbeitsgruppe für Grundsatzfragen betreffend die Vereinten Nationen und den Terrorismus (Policy Working Group on the United Nations and Terrorism) eingesetzt. Ihr Mandat lautete, „to identify the implications and broad policy dimensions of terrorism“. Dazu schlug sie in ihrem Abschlussbericht vom 6. August 2002326 eine dreiteilige Strategie vor, um den komparativen Vorteil der VN bestmöglich zur Geltung zu bringen (Para. 9): Der repressive Ansatz, wonach verhindert werden soll, dass Gruppen oder Individuen die Möglichkeit erlangen, terroristische Akte auszuführen (deny), sei insoweit um eine präventive Dimension zu ergänzen, nach der benachteiligte Gruppen frühzeitig davon abzubringen seien, sich dem Terrorismus überhaupt zuzuwenden (dissuade); und beides müsse im Rahmen einer breit angelegten internationalen Zusammenarbeit erfolgen (cooperate). Zu ihrer Umsetzung formulierte die Arbeitsgruppe 31 konkrete Empfehlungen, die, dem Fokus der Strategie entsprechend, „weiche“ Maßnahmen wie Bildung und Entwicklung gleichberechtigt neben die „harten“ militärischen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten stellten. Damit war sie – wie der Vergleich mit der Weltweiten Strategie der GV von 2006 zeigt – den Entwicklungen um einige Jahre voraus. Denn genau diesen präventiven, ganzheitlichen Ansatz hat die GV inzwischen 326 Sowohl als Dokument der GV (A/57/273) als auch des SR (S/2002/875) veröffentlicht.
Kap. 9: Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus
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aufgegriffen und dem primär repressiven Vorgehen des SR gegenübergestellt (s. u., B.). II. Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe vom Dezember 2004 Zwei Jahre später, im Jahr 2003, setzte Kofi Annan die Hochrangige Gruppe für Bedrohungen, Herausforderungen und Wandel (High-level Panel on Threats, Challenges and Change) ein, um Empfehlungen zur Stärkung der VN allgemein, aber auch im Hinblick auf spezifische Aufgaben wie die Bekämpfung des Terrorismus, einzuholen. In ihrem Bericht vom 2. Dezember 2004327 stellte sie fest, dass der Terrorismus die zentralen Werte der VN angreife: die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, die Regeln für die Kriegsführung zum Schutz der Zivilbevölkerung bzw. die friedliche Beilegung von Konflikten sowie die Toleranz zwischen Völkern und Nationen. Terrorismus gedeihe in einem Umfeld von Verzweiflung, Demütigung, Armut, politischer Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen sowie im Kontext regionaler Konflikte und ausländischer Besetzungen. Und er profitiere von der Schwäche der betroffenen Staaten, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten (Para. 145). Vor diesem Hintergrund empfahl auch die Hochrangige Gruppe den VN die Ausarbeitung einer weltweiten und umfassenden Strategie, die zwar Zwangsmaßnahmen vorsehe, sich aber ebenso mit den tieferen Ursachen des Terrorismus auseinandersetze. Explizit benannte sie die folgenden fünf Punkte, die zu berücksichtigen seien (Para. 148): Abschreckung bzw. Behebung der Ursachen oder Begünstigungsfaktoren des Terrorismus; Bekämpfung von Extremismus und Intoleranz; Entwicklung besserer und insbesondere rechtsstaatlicher Instrumente für die weltweite Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung; Aufbau staatlicher Kapazitäten; Kontrolle gefährlicher Materialien (zu ihrem Vorschlag einer umfassenden und allgemeinen Terrorismusdefinition siehe bereits oben Kap. 8, B. V.). III. „5-D-Vorschlag“ des Generalsekretärs vom März 2005 Aus Anlass des Jahrestages der Anschläge von Madrid entwickelte GS Kofi Annan in seiner dortigen Rede vom 10. März 2005 aus den Anregungen der Hochrangigen Gruppe seinen sog. „5-D“-Vorschlag (das „D“ steht 327 A more secure world: our shared responsibility, Report of the SecretaryGeneral’s High-level Panel on Threats, Challenges and Change vom 2.12.2004, A/59/565.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
dabei für die engl. Anfangsbuchstaben der fünf inhaltlichen Kernpunkte): Menschen von der Anwendung oder Unterstützung des Terrorismus abbringen (dissuade); Terroristen den Zugang zu Geldern und Sachmitteln verwehren (deny); Staaten von der Unterstützung des Terrorismus abschrecken (deter); staatliche Kapazitäten zur Terrorismusbekämpfung aufbauen (develop); Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus verteidigen (defend).328 Noch deutlicher als dies aus den vorangegangenen Empfehlungen hervorgegangen war, stellte Kofi Annan dabei erstens auf den präventiven Aspekt ab, d. h. die Ursachen und Umstände, die terroristische Taten begünstigen, zu beseitigen, sowie zweitens auf den Schutz der Menschenrechte: „We cannot compromise [our] core values. In particular, human rights and the rule of law must always be respected. Terrorism is in itself a direct attack on human rights and the rule of law. If we sacrifice them in our response, we will be handing victory to the terrorists.“329
Im Hinblick auf institutionelle Maßnahmen plädierte er dafür, einen Sonderberichterstatter einzusetzen, der über die Vereinbarkeit der Terrorismusbekämpfung mit den internationalen Menschenrechten wacht, sowie eine weltweite Allianz gegen den Terrorismus zu schmieden. IV. Bericht des Generalsekretärs „In größerer Freiheit“ vom März 2005 In seinem Reformbericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ (In larger freedom) vom 21. März 2005330 formte Kofi Annan die „5-D“ zu seiner 5-SäulenStrategie, in der er sich die Analyse und Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe zu eigen machte. Dazu gehörten auch die Verabschiedung, Ratifikation und Umsetzung internationaler Übereinkommen gegen terroristische Handlungen sowie ein entschlossenes Vorgehen gegen die Organisierte Krminalität. Diese ermögliche den Terroristen etwa unmittelbar den Kauf von Waffen; mittelbar trage sie zur Schwächung der Staaten bei und behin328 Secretary-General’s keynote address to the Closing Plenary of the International Summit on Democracy, Terrorism and Security – „A Global Strategy for Fighting Terrorism“, Madrid/Spain, 10 March 2005, erhältlich unter http://www.un. org/apps/sg/printsgstats.asp?nid=1345 [eingesehen am 30.10.2005]. 329 Secretary-General’s keynote address to the Closing Plenary of the International Summit on Democracy, Terrorism and Security – „A Global Strategy for Fighting Terrorism“, Madrid/Spain, 10 March 2005, erhältlich unter http://www.un. org/apps/sg/printsgstats.asp?nid=1345 [eingesehen am 30.10.2005]. 330 In larger freedom: towards development, security and human rights for all, Report of the Secretary-General vom 21.3.2005, A/59/2005.
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dere das wirtschaftliche Wachstum, das die Grundlage für Bildung und Wohlstand sei. Er forderte „die Mitgliedstaaten und die Organisationen der Zivilgesellschaft überall auf der Welt nachdrücklich auf, sich dieser Strategie anzuschließen“ (Para. 88). V. Ergebnisdokument des Weltgipfels vom September 2005 Auf dem Gipfeltreffen im September 2005 verurteilten die Staats- und Regierungschefs den Terrorismus nachdrücklich und vorbehaltlos „in allen seinen Arten und Erscheinungsformen, gleichviel von wem, wo und zu welchem Zweck er begangen wird, da er eine der schwersten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt“ (Para. 81). Im Hinblick auf eine Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus trifft das Ergebnisdokument folgende Aussage: „Wir begrüßen die vom Generalsekretär vorgenommene Bestimmung von Elementen einer Strategie zur Terrorismusbekämpfung. Diese Elemente sollten von der Generalversammlung unverzüglich im Hinblick darauf weiterentwickelt werden, eine Strategie zur Förderung umfassender, koordinierter und konsequenter Maßnahmen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene zur Bekämpfung des Terrorismus zu verabschieden und umzusetzen, die auch die Bedingungen berücksichtigt, welche die Ausbreitung des Terrorismus begünstigen“ (Para. 82).331 VI. Strategie des Generalsekretärs „Vereint gegen den Terrorismus“ vom April 2006 Zur Vorbereitung dieser nunmehr von der GV geforderten Strategie legte in deren Auftrag332 zunächst am 27. April 2006 wiederum der GS einen Bericht vor mit dem Titel „Vereint gegen den Terrorismus: Empfehlungen für eine weltweite Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus“ (Uniting against terrorism).333 Inhaltlich stellt er eine nochmals überarbeitete Fassung seiner „5-D“-(bzw. 5-Säulen-)Strategie dar. Die Maßnahmen um die fünf strategischen Kernpunkte sind dabei weiter ausgearbeitet worden, im Kern aber erhalten geblieben. Kofi Annan sieht sie an als „interlinked conditions crucial to the success of any strategy against terrorism“.334 331 Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1, Para. 81–82 vom 24.10.2005. 332 A/RES/60/43 vom 8.12.2005. 333 Uniting against terrorism: recommendations for a global counter-terrorism strategy, Report of the Secretary-General vom 27.4.2006, A/60/825. 334 So GS Kofi Annan bei der Vorstellung seiner Strategie vor der GV, siehe GA/10456 vom 2.5.2006.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen 1. Menschen von der Anwendung oder Unterstützung von Terrorismus abhalten (dissuade)
Erstes Ziel ist es danach, die Einsicht zu verbreiten, dass Terrorismus in all seinen Formen unentschuldbar und nicht zu rechtfertigen sei. Es müsse „ein Keil zwischen Terroristen und ihr unmittelbares Symphatisantenfeld [getrieben]“ werden, durch ein einmütiges Bekenntnis und entsprechendes Handeln der Weltgemeinschaft „im Rahmen einer Kultur des echten Multilateralismus“. Gleichzeitig sei „[anzuerkennen], dass terroristische Handlungen nicht in einem sozialen oder politischen Vakuum stattfinden“, sondern Bedingungen existierten, die von Terroristen ausgenutzt würden und mit denen die internationale Gemeinschaft sich auseinandersetzen müsse. Hier gelte es, insbesondere für die Zivilgesellschaft und die Medien, der Verbreitung extremistischer Ideologien entgegenzuwirken, die den Wert und die Würde anderer Menschen leugnen. Derlei Gedankengut sei Grundlage des Terrorismus sowie seiner Mobilisierung und Rekrutierung. Vor diesem Hintergrund komme auch der sozialen Integration und Entwicklung von Einwanderern und Minderheiten – bereits ein gesellschaftliches Ziel an sich – eine besondere Bedeutung in der Terrorismusbekämpfung zu, da Ausgrenzung und Diskriminierung häufig zu Frustration und Radikalisierung führten. Das gleiche treffe auf die Möglichkeit zu, sich politisch frei äußern und betätigen zu können. Die Staaten seien insoweit zu guter, demokratischer Regierungsführung, zu Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz aufgerufen. Schließlich seien gewaltsame lokale und regionale Konflikte, „häufig im Kontext einer tatsächlichen oder empfundenen ausländischen Besetzung“, die von Terroristen zur Mobilisierung genutzt würden, diplomatisch zu lösen und eine Konsolidierung der Postkonfliktgesellschaften sicherzustellen (Para. 7–37).
2. Terroristen die Mittel zur Durchführung eines Anschlags entziehen (deny)
Unmittelbarer und kurzfristiger angelegt ist der zweite Strategieansatz, den Terroristen die Mittel zur Durchführung von Anschlägen zu entziehen. Hierbei gehe es erstens darum, die Wege zu unterbinden, auf denen sich Terroristen Finanzmittel beschaffen und diese weiterbewegen. Mit der S/RES/1373 (2001), dem Finanzierungsübereinkommen und den Empfehlungen der intergouvernementalen Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen“ (FATF) seien insoweit bereits viele Maßnahmen definiert; deren Umsetzung müsse allerdings noch verbessert werden. Zweitens seien die Waffenkontrollregime zu stärken, um die Versorgungsketten der Terroristen zu durchbrechen. Dies gelte insbesondere für nukleare, biologische, chemische oder
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radiologische Waffen, deren Nichtverbreitung allerdings durch doppelte – nämlich auch zivile – Nutzungsmöglichkeiten erschwert werde. Gegen namentlich bekannte Terroristen seien außerdem Reiseverbote zu verhängen, wie es im Hinblick auf Al-Qaida und mit ihnen verbundenen Personen bereits geschieht [1267-Sanktionsregime; aber auch darüber hinaus allgemein aufgrund von S/RES/1373 (2001), s. o.]. Die Vernetzung von Datenbänken (Interpol), etwa über gestohlene und verlorene Reisedokumente, sei hier ein wichtiges Werkzeug. Im Hinblick auf Kommunikation und Propaganda komme dem Internet besondere Bedeutung zu. Die Staaten seien nach S/RES/1624 (2005) dazu verpflichtet, die Anstachelung zu terroristischen Handlungen sowie die Rekrutierung von Terroristen zu verfolgen und unter Strafe zu stellen. Auch insoweit liege es an den Staaten, die entsprechenden Schritte zu unternehmen. Die VN könnten bei Bedarf technische Hilfe bereitstellen. 3. Staaten von der Unterstützung terroristischer Gruppen abhalten (deter)
Als drittes weist der GS auf die 13 Internationalen Übereinkommen sowie die SR-Resolutionen 1267, 1373 und 1540 einschließlich ihrer Nachfolge-Resolutionen hin, nach denen die Staaten verpflichtet sind, terroristische Handlungen weder aktiv zu unterstützen noch zu dulden, dass ihr Territorium hierfür genutzt wird. Die drei Anti-Terrorismus-Ausschüsse sollten Normen aufstellen, um die Umsetzung wirksam überprüfen und feststellen zu können, ob Staaten nur nicht in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, oder ob ihnen der entsprechende Wille fehlt. Im ersteren Fall müssten die VN ihre Anstrengungen verstärken, technische Hilfe zu leisten bzw. zu vermitteln; im letzteren Fall sollte der SR Zwangsmaßnahmen verhängen, um die Anwendung des „Anti-Terrorismus-Rechts“ durchzusetzen. Die entsprechende Rechtsgrundlage hat der SR bereits in seiner S/RES/1373 (2001), op. 8 geschaffen: „[The Security Council e]xpresses its determination to take all necessary steps in order to ensure the full implementation of this resolution[.]“ 4. Staatliche Kapazitäten zur Verhütung von Terrorismus aufbauen (develop)
Viertens sei der Aufbau staatlicher Kapazitäten ein Eckpfeilder der Terrorismusbekämpfung, da Terroristen gezielt Schwachstellen ausnutzten, um ihre Aktivitäten voranzutreiben. Der GS benennt sieben Schwerpunktbereiche, in denen die VN die Staaten gezielt unterstützen könnten: die Schaffung effektiver und gleichzeitig rechtsstaatlicher nationaler Strafjustizsys-
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teme; die Aufnahme von Menschenrechtserziehung, eines konfessionsübergreifenden Dialogs und kritischen Denkens in die Lehrpläne der Schulen; die Bekämpfung der Geldwäsche und der Finanzierung des Terrorismus; die Sicherung von Transportsystemen und Infrastruktureinrichtungen; die aktive Nutzung des Internets gegen die Terroristen, statt es diesen für ihre Zwecke zu überlassen; den Schutz „weicher“ Ziele, insb. Großveranstaltungen; die Verhinderung des Erwerbs von nuklearen, biologischen, chemischen oder radiologischen Waffen durch Terroristen; Katastrophenschutz. Um der stark gestiegenen Nachfrage der Mitgliedstaaten nach technischer Hilfe gerecht werden zu können, müssten den VN zusätzliche Mittel verfügbar gemacht werden. Gleichzeitig sei die Arbeit der unterschiedlichen VN-Akteure noch besser aufeinander abzustimmen, um ihr gemeinsames Potenzial voll auszuschöpfen. Außerdem seien die Bedarfe detailliert zu ermitteln und die vorhandenen Ressourcen und Anlaufstellen in einem Online-Handbuch aufzuführen, um Geber- und Empfängerländer bzw. -organisationen passgenau zusammenzubringen. Die entsprechende Gesamtkoordinierung solle der Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung übernehmen.335 5. Im Kontext des Terrorismus und der Terrorismusbekämpfung die Menschenrechte verteidigen (defend)
Die fünfte „Säule“ widmet der GS den Menschenrechten. Terroristische Handlungen verstießen gegen das Recht auf Leben, Freiheit, Sicherheit und Wohlergehen. Schon unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte seien die Staaten also gehalten, wirksame Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu ergreifen. Dabei dürften jedoch nicht die Werte, die den Menschenrechten zugrunde liegen, geopfert werden. Auf diese Weise begäbe die internationale Gemeinschaft sich auf das Niveau der Terroristen, lieferte ihnen Rechtfertigungen für ihre Taten und Stoff für ihre Propaganda. Explizit weist der GS auf die Gefahr hin, dass staatliche Maßnahmen, etwa gegen die Anstachelung zum Terrorismus, als Vorwand missbraucht werden könnten, um gegen unliebsame politische Gegner vorzugehen. Auch sei sicherzustellen, dass es faire Verfahren beim Erlass von Individualsanktionen gebe.
335 Zum Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung (CTITF) s. o. Kap. 3, B. III. 4. sowie unten Kap. 9, B. II. 2. und D. I. 2.
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B. Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vom September 2006 Am 11. Mai 2006 nahm sodann die GV ihre Verhandlungen über die „Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus“ auf. Die Strategie wurde am 8. September 2006 einstimmig angenommen und im Rahmen der Generaldebatte am 19./20. September 2006 als Anlage zur A/RES/60/288 in Form eines „Aktionsplans“ verabschiedet.
I. Inhalt In ihrer Strategie „bekundet [die GV] ihre Anerkennung für den [ihr] vom Generalsekretär vorgelegten Bericht ‚Vereint gegen den Terrorismus‘“ (op. 1), fasst dabei jedoch die „5 D’s“ des GS in vier inhaltlich modifizierte Säulen zusammen. Im Folgenden soll die Strategie zwar gekürzt, von den aufgegriffenen Themen und Maßnahmen her aber umfassend und teilweise im Wortlaut dargestellt werden, um einen Eindruck von dem Grad ihrer inhaltlichen Breite, der Vielfalt der einbezogenen Akteure, ihrer (Un-)Verbindlichkeit etc. zu vermitteln. 1. Maßnahmen zur Beseitigung der die Ausbreitung des Terrorismus begünstigenden Bedingungen (Säule I)
Eingangs führt die GV Umstände und Bedingungen an, die die Entstehung von Terrorismus begünstigen, etwa länger andauernde ungelöste Konflikte, Entmenschlichung der Opfer des Terrorismus, ethnische, nationale und religiöse Diskriminierung, politische Ausgrenzung, sozioökonomische Marginalisierung, fehlende Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechtsverletzungen sowie ein Mangel an guter Regierungsführung. An (Gegen-)Maßnahmen beschließen die Mitgliedstaaten insoweit, 1. die Kapazitäten der VN auf Gebieten wie Konfliktprävention, Vermittlung, Rechtsstaatlichkeit und Friedenskonsolidierung zu stärken und bestmöglich zu gebrauchen; 2. unter dem Dach der VN Initiativen zur Förderung des Dialogs, der Toleranz und der Verständigung zwischen den Zivilisationen, Kulturen, Völkern und Religionen in die Wege zu leiten; 3. über Bildungs- und Aufklärungsprogramme die Kultur des Friedens, der Gerechtigkeit und der menschlichen Entwicklung zu fördern und die UNESCO zu „ermutigen“, eine Schlüsselrolle einzunehmen;
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4. die Anstachelung zur Begehung terroristischer Handlungen zu verbieten und zu verhindern; 5. ihre „Entschlossenheit zu bekunden“, die (Millenniums-)Entwicklungsziele zu verwirklichen, um Armut zu beseitigen und ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum, eine nachhaltige Entwicklung und weltweiten Wohlstand zu fördern; 6. Entwicklung und Integration zu stärken, um die Marginalisierung und das daraus resultierende Gefühl der Viktimisierung als Antriebskraft des Extremismus zu verringern; 7. das VN-System „zu ermutigen“, seine Hilfe in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und gute Regierungsführung zugunsten einer dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung auszuweiten; 8. „zu erwägen“, nationale Hilfssysteme für die Opfer des Terrorismus und ihre Angehörigen zu schaffen, sowie danach zu streben, internationale Solidarität zu Gunsten der Opfer zu fördern und die Zivilgesellschaft in eine Kampagne gegen den Terrorismus einzubinden. 2. Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus (Säule II)
Um Terroristen den Zugang zu den Mitteln für die Durchführung ihrer Anschläge zu verwehren, beschließen die Mitgliedstaaten, 1. zu unterlassen, terroristische Aktivitäten zu organisieren, zu ihnen anzustiften oder sich an ihnen zu beteiligen, sie zu finanzieren oder auch nur zu dulden und sicherzustellen, dass ihr Hoheitsgebiet nicht hierfür benutzt wird; 2. bei der Bekämpfung des Terrorismus zusammenzuarbeiten, Terroristen Zuflucht zu verweigern und sie entweder auszuliefern oder selbst strafrechtlich zu verfolgen; 3. Rechtshilfe- und Auslieferungsübereinkommen zu schließen und durchzuführen; 4. den Austausch von Informationen zu verstärken; 5. die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Verbrechen wie Drogenhandel und unerlaubtem Waffenhandel, die mit dem Terrorismus zusammenhängen können, zu stärken; 6. „zu erwägen“, Vertragsparteien des VN-Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende Organisierte Kriminalität zu werden; 7. sicherzustellen, dass Personen, denen Asyl gewährt wird, sich nicht an terroristischen Taten beteiligt haben;
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8. die (sub-)regionalen Organisationen „zu ermutigen“, Mechanismen und Zentren zur Terrorismusbekämpfung zu schaffen bzw. zu stärken; 9. „anzuerkennen, dass [. . .] die Frage der Schaffung eines internationalen Zentrums zur Bekämpfung des Terrorismus geprüft werden könnte“; 10. „die Staaten zu ermutigen, [. . .] die 40 Empfehlungen [der FATF] betreffend die Geldwäsche [anzuwenden], wobei wir anerkennen, dass die Staaten [dabei] möglicherweise Hilfe benötigen“; 11. „das System der Vereinten Nationen zu bitten“, eine Datenbank für Biokriminalität einzurichten sowie die Akteure auf dem Gebiet der Biotechnologie zusammenzubringen, um sicherzustellen, dass diese nicht für terroristische oder andere kriminelle Zwecke genutzt wird; 12. Möglichkeiten zu erkunden, die Bekämpfung des Terrorismus im Internet zu koordinieren und das Internet selbst als Instrument zur Terrorismusbekämpfung einzusetzen; 13. „je nach Bedarf“ die Grenz- und Zollkontrollen zu verbessern; 14. den CTC sowie das CTED „zu ermutigen“, weiterhin auf Antrag mit den Staaten zusammenzuarbeiten und ihnen bewährte Praktiken zu vermitteln; 15. den 1267-Ausschuss „zu ermutigen“, weiterhin auf die Wirksamkeit der Al-Qaida/Taliban-Sanktionen hinzuarbeiten und dafür Sorge zu tragen, dass faire und transparente Verfahren angewandt werden; 16. die Sicherheit bei der Erstellung und Ausgabe von Identitäts- und Reisedokumenten zu verbessern; 17. „die Vereinten Nationen zu bitten“, ihren Koordinierungsmechanismus für Hilfseinsätze im Falle eines Terroranschlags mit Massenvernichtungswaffen zu verbessern; 18. verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um den Schutz besonders verwundbarer Ziele wie Infrastruktur und öffentliche Orte sowie der Zivilbevölkerung zu verbessern. 3. Maßnahmen zum Aufbau der Kapazitäten der Staaten (Säule III)
Um die Kapazitäten der Staaten zur Terrorimusbekämpfung und -verhütung auszubauen und die internationale Zusammenarbeit zu verbessern, beschließen die Staaten, 1. die Mitgliedstaaten und die VN „zu ermutigen“, freiwillige Beiträge für Projekte der Zusammenarbeit und technischen Hilfe „zu erwägen“ bzw. den Privatsektor darum „zu ersuchen“;
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2. beim Aufbau der Kapazitäten bewährte Praktiken auszutauschen; 3. „zu erwägen“, geeignete Mechanismen zu schaffen, um die Berichterstattungspflichten im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu straffen, insb. Doppelungen zu beseitigen, „unter Berücksichtigung und Achtung der unterschiedlichen Mandate [der GV, des SR und seiner Nebenorgane]“; 4. regelmäßige informelle Treffen zum Austausch über Zusammenarbeit und technische Hilfe abzuhalten; 5. „die Absicht des Generalsekretärs zu begrüßen, den Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung im Rahmen der verfügbaren Mittel innerhalb des Sekretariats zu institutionalisieren, um die Gesamtkoordinierung und -kohärenz der Maßnahmen des Systems der Vereinten Nationen auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung sicherzustellen“; 6. den CTC und das CTED „zu ermutigen“, die Kohärenz und Effizienz der geleisteten technischen Hilfe zu verbessern, insbesondere indem sie den Dialog zwischen den nachfragenden Staaten und den Anbietern von technischer Hilfe verstärken; 7. das UNODC und die TPB „zu ermutigen“, verstärkt technische Hilfe zu gewähren; 8. den IWF, die Weltbank, das UNODC und Interpol „zu ermutigen“, die Zusammenarbeit mit den Staaten zu verstärken; 9. die IAEO und die OPCW „zu ermutigen“, „im Rahmen ihres jeweiligen Mandats auch weiterhin daran zu arbeiten, den Staaten beim Aufbau von Kapazitäten behilflich zu sein“, um den Zugriff von Terroristen auf nukleares, chemisches oder radiologisches Material zu verhindern; 10. die WHO „zu ermutigen“, den Staaten im Hinblick auf bioterroristische Anschläge verstärkt technische Hilfe bei der Verbesserung ihres öffentlichen Gesundheitswesens zu gewähren; 11. weiterhin innerhalb des VN-Systems zusammenzuarbeiten, um die Einrichtung bzw. Modernisierung des Grenzmanagements auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene zu unterstützen; 12. die IMO, die WCO und die ICAO „zu ermutigen“, zusammenzuarbeiten und „mit den Staaten an der Ermittlung etwaiger nationaler Defizite in der Verkehrssicherheit zu arbeiten und ihnen auf Antrag Hilfe bei deren Behebung zu gewähren“; 13. die VN „zu ermutigen, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den zuständigen internationalen, regionalen und subregionalen Organisationen bewährte Praktiken zur Verhütung terroristischer Anschläge
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auf besonders verwundbare Ziele zu ermitteln und auszutauschen“. „Wir erkennen außerdem an, wie wichtig es ist, öffentlich-private Partnerschaften auf diesem Gebiet aufzubauen.“ 4. Maßnahmen zur Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit (Säule IV)
Bekräftigend, dass der Menschenrechtsschutz und Rechtsstaatlichkeit „wesentliche Elemente aller Aspekte der Strategie“ darstellen, die einer wirksamen Terrorismusbekämpfung nicht widersprechen, sondern beide „sich gegenseitig verstärkende Ziele“ sind, sowie betonend, dass es notwendig ist, die Rechte der Opfer des Terrorismus zu fördern und zu schützen, beschließen die Staaten, die nachfolgenden Maßnahmen zu ergreifen: 1. „zu bekräftigen, dass die Resolution 60/158 der Generalversammlung vom 16. Dezember 2005 den grundlegenden Rahmen für den ‚Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus‘ abgibt; 2. „zu bekräftigen, dass die Staaten sicherstellen müssen“, dass alle von ihnen ergriffenen Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen im Einklang stehen; 3. „zu erwägen“, Vertragsparteien der Übereinkommen zu den Menschenrechten, dem Flüchtlingsrecht und dem humanitären Völkerrecht zu werden und diese durchzuführen sowie die Zuständigkeit der Überwachungsorgane anzuerkennen; 4. „alles zu tun, um ein wirksames und auf den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit beruhendes nationales Strafrechtssystem zu schaffen“ und „wir ermutigen sie, auf die technische Hilfe zurückzugreifen, die [u. a. UNODC] gewährt“; 5. die wichtige Rolle des [VN-Systems] bei der Stärkung des völkerrechtlichen Rahmens [. . .] zu bekräftigen“; 6. den Menschenrechtsrat zu unterstützen; 7. die Stärkung der operativen Kapazität des Amtes des Hohen Kommissars der VN für Menschenrechte zu unterstützen, das „auf Antrag“ Hilfe und Rat gewährt, insb. „auf dem Gebiet der Sensibilisierung nationaler Strafverfolgungsbehörden für die internationalen Menschenrechtsnormen“; 8. die Rolle des Sonderberichterstatters über die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus zu unterstützen, der die Anstrengungen der Staaten hierbei unterstützen und ihnen konkreten Rat erteilen soll.
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II. Umsetzung Die Weltweite Strategie ist eine „operative Strategie“, d. h. sie gibt nicht nur Ziele vor, sondern enthält auch Anleitungen zu deren Verwirklichung.336 Die entscheidende Frage ist, auf welche Weise und durch wen dies sichergestellt werden kann. 1. Mitgliedstaaten, System der Vereinten Nationen, Zivilgesellschaft
Der Großteil der mehr als 50 konkreten Einzelmaßnahmen, die in der Weltweiten Strategie beschlossen oder jedenfalls empfohlen sind, richtet sich an die Mitgliedstaaten. Da die Strategie einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, verlangt sie eine Umsetzung „in an integrated manner and not as a pick-and-choose exercise“.337 Dabei soll den Staaten so viel technische Hilfe wie möglich bzw. – dem Prinzip der Freiwilligkeit folgend – gewollt („auf Anfrage“, „je nach Bedarf“) von Seiten der VN gewährt werden. Zum Austausch über die praktische Durchführung der Strategie fand im Mai 2007 ein erstes großes Forum, ausgerichtet vom UNODC in Wien, statt.338 Viele der Maßnahmen decken sich mit denjenigen, zu denen die Staaten bereits aufgrund von SR-Resolutionen verpflichtet sind und über deren Durchführung sie dem CTC bzw. dem 1267- oder 1540-Ausschuss berichten. Ein Berichtsmechanismus zur Umsetzung der Weltweiten Strategie ist nicht eingeführt worden. Es wurden jedoch zweijährliche informelle Evaluationen, bislang abgehalten im September 2008 und 2010, vorgesehen. (Dazu siehe unten III.) 2. Koordinierung bzw. Institutionalisierung
Im Hinblick auf die „Gesamtkoordinierung und -kohärenz der vielen Einzelmaßnahmen des VN-Systems auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung“ begnügte sich die GV zunächst damit, „die Absicht des Generalsekretärs zu begrüßen, den Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung im Rahmen der 336 So Kofi Annan zu seiner Strategie „Vereint gegen den Terrorismus“ vom 27.4.2006, A/60/825, Para. 4. Das gleiche trifft aber im Grundsatz auch für die Weltweite Strategie der GV zu. 337 So ASG Bob Orr, Gründungs-Vorsitzender des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung, auf dem Vienna Symposium am 17.–18.5.2007 zur Umsetzung der Weltweiten Strategie, siehe http://www.un.org/apps/news/printnews/asp?nid=22588 [eingesehen am 20.5.2007]. 338 Siehe die Pressemitteilung Note No. 6083 vom 11.5.2007 zum Vienna Symposium zur Umsetzung der Weltweiten Strategie.
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verfügbaren Mittel innerhalb des Sekretariats zu institutionalisieren“ (A/RES/60/288, Säule III., Ziffer 5). Diesen Arbeitsstab (Counter-Terrorism Implementation Task Force [CTITF]) hatte der GS bereits am 13. Juli 2005 errichtet, um die Schlüsselakteure des VN-Systems und seiner Partner zu vereinen, die sich mit Fragen der Terrorismusbekämpfung befassen.339 Ihm gehören die folgenden 25 Akteure an340: das Büro des Generalsekretärs (OSG), das Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus (CTED) sowie das (1267-)Überwachungsteam und die Expertengruppe des 1540-Ausschusses; die fünf (VN-Sekretariats-)Abteilungen für friedenssichernde Einsätze (DPKO), politische Angelegenheiten (DPA), Presse und Information (DPI), Sicherheit (DSS) und Rechtsangelegenheiten (OLA); die Büros für Abrüstung (UNODA) sowie Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) [mit seiner Unterabteilung Terrorismusverhütung (TPB)]; das Interregionale Forschungsinstitut der VN für Kriminalität und Rechtspflege (UNICRI); das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR); der Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus; das Entwicklungsprogramm der VN (UNDP); die sieben VN-Sonderorganisationen Internationaler Währungsfonds (IMF), Weltbank, Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO), Internationale See-Schifffahrts-Organisation (IMO), Weltgesundheitsorganisation (WHO), Weltzollorganisation (WCO) und Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO); die den VN angeschlossenen Organisationen Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW); und schließlich als „Externe“ die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol). Den Vorsitz über den Arbeitsstab bekam zunächst Robert C. Orr als Leiter des Büros des GS (OSG), das zugleich die Funktion einer Geschäftsstelle zur organisatorischen Unterstützung innehatte. Inzwischen ist der Arbeitsstab im DPA angesiedelt (dazu sogleich unter III. sowie unten D. I. 2.). Als Untereinheiten haben sich bereits seit 2005 neun thematische Arbeitsgruppen gebildet, die die Inhalte der vier Säulen nochmals aufgeteilt haben, um Berichte und Empfehlungen zu spezifischen Fragekomplexen zu erarbeiten.341 339 Siehe jeweils aktuelle Angaben zum Arbeitsstab unter http://www.un.org/ter rorism [eingesehen am 25.9.2010]. 340 Eigene Angabe des Arbeitsstabs, Stand: September 2010. Der GS spricht in seinem Bericht Activities of the United Nations system in implementing the Strategy, A/64/818, Para. 6 vom 17.6.2010 hingegen von 30 Mitgliedern. Die genaue Abgrenzung bleibt hier unklar. 341 Die neun Arbeitsgruppen behandeln folgende Themen: 1. Preventing and Resolving Conflicts; 2. Addressing Radicalization and Extremism that Lead to Terror-
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III. Zwischenevaluationen der Strategie in den Jahren 2008 und 2010 Die beiden Zwischenevaluationen in den Jahren 2008 (s. u., 1.) und 2010 (s. u., 2.) verliefen vom Verfahren her ähnlich und verfolgten das in der jeweiligen Vorgänger-Resolution vorgegebene doppelte Ziel, erstens „die Forschritte bei der Umsetzung der Strategie zu prüfen und [zweitens] ihre Aktualisierung im Hinblick auf Veränderungen zu erwägen [A/RES/60/288, op. 3 (b); A/RES/62, op. 14]“. Hierzu gab es jeweils Debatten in der GV, die in den Nachfolge-Resolutionen A/RES/62/272 vom 15. September 2008 und A/64/297 vom 8. September 2010 mündeten. Zur Vorbereitung hatte der GS die fälligen Tätigkeitsberichte zur Umsetzung der Strategie durch das VN-System vorgelegt. Außerdem formulierten NGOs Empfehlungen aus ihrer Praxis. 1. Erste Evaluation der Strategie im Jahr 2008
a) Tätigkeitsbericht des Generalsekretärs vom 7. Juli 2008 Der Bericht über die Aktivitäten des VN-Systems zur Umsetzung der Weltweiten Strategie liefere – so der GS einleitend – nur ein partielles Bild, während sich das volle Bild erst aus einer Zusammenschau mit den Staatenberichten im Rahmen der Evaluation über die Umsetzung der Strategie ergebe.342 Das VN-System habe auf zweierlei Weise seinen Teil beigetragen: zum einen durch sämtliche thematisch berührten Einheiten im Rahmen ihrer jeweiligen Mandate; zum anderen vereint im Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung. Letzterer schließe eine wichtige Lücke, indem er ein Forum geschaffen habe, in dem strategische Fragen und Maßnahmen zur Koordinierung erörtert würden. Zudem führten seine Arbeitsgruppen gemeinsame Programme durch. Dadurch werde der doppelte Effekt erzielt, dass erstens die Terrorismusbekämpfung in die unterschiedlichen Themenbereiche integriert und zweitens Expertise aus dem gesamten System extrahiert werde. Der Tätigkeitsbericht führt die Aktivitäten der VN-Akteure zur Terrorismusbekämpfung, geordnet nach den thematischen Säulen bzw. Handlungsism; 3. Supporting and Highlighting Victims of Terrorism; 4. Preventing and Responding to WMD Attacks; 5. Tackling the Financing of Terrorism; 6. Countering the Use of the Internet for Terrorist Purposes; 7. Facilitating the Integrated Implementation of the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy; 8. Strengthening the Protection of Vulnerable Targets; 9. Protecting Human Rights While Countering Terrorism. 342 Siehe den Bericht des GS Activities of the United Nations system in implementing the Strategy, A/62/898 vom 7.7.2008.
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feldern, auf und schreibt damit die Bestandsaufnahme (inventory) aus dem vorangegangenen Bericht des GS „Vereint gegen den Terrorismus“ fort. Zu einem Teil stellen die Aktivitäten neue, durch die Strategie angeregte Maßnahmen dar, etwa gemeinsame Programme von UNESCO und der „Allianz der Zivilisationen“ (s. u., C. IV.). Zu einem anderen Teil sind sie aber auch bloße „Sowieso“-Maßnahmen der VN, die nunmehr lediglich unter die Strategie gefasst werden („labeling their activities as ‚counter-terrorism‘“).343 Alles in allem sind das Ausmaß und die Qualität der Anstrengungen gleichwohl groß. Woran es indes – nicht nur nach Einschätzung des GS – mangelte, war eine hinreichende Ausstattung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung, damit dieser die ihm zugedachte Funktion als zentrale Koordinierungs- und Kommunikationseinheit hätte wirksam wahrnehmen können: „Current arrangements are not sustainable“.344 In seinem Fazit weist der GS außerdem darauf hin, dass die „5 Ds“ durch „persistent, concerted and coordinated efforts“ umgesetzt werden müssten, um die Welt friedlicher zu machen. Die Strategie enthalte eine „ambitious agenda for at least the next decade“.345 b) Abschlussdokument des International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation vom 24. Juli 2008 Am 24. Juli 2008 präsentierte der International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, eine Staaten-NGO-Initiative, seine Empfehlungen für eine verbesserte Zusammenarbeit zur Umsetzung der Strategie.346 Demnach sollten die Staaten den weiten Rahmen, den die Strategie ihnen für ihr politisches Handeln überlasse, aktiv ausfüllen und bewährte Praktiken untereinander austauschen. Die Maßnahmen sollten sowohl über nationale Koordinatoren als auch ein zwischenstaatliches Forum und unter Einbindung der Zivilgesellschaft miteinander abgestimmt werden. Im Hinblick auf die VN lautet die zentrale Empfehlung, die Koordinierung der vielfältigen Aktivitäten zur Terrorismusbekämpfung im VN-System von einer ad hoc- auf eine ordentliche Grundlage zu stellen, entweder durch eine substanzielle Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung oder durch die Schaffung einer neuen Einheit im VN-Sekretariat, die so343 Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, Final Document vom 24.7.2008, Para. 5. 344 So der GS in seinem Bericht, A/62/898 vom 7.7.2008, VI. 91. 345 Bericht des GS, A/62/898 vom 7.7.2008, I. 2. 346 Das Abschlussdokument ist enthalten in: Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, A Compilation of Key Documents, 2008.
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wohl dem Arbeitsstab als möglicherweise auch dem CTED als Basis dienen könnte. Auf diese Weise würden der Kommunikationsfluss verbessert und die Ressourcen effizienter genutzt.347 Inhaltlich sollte die Bekämpfung des Terrorismus stärker mit dem Menschenrechtsschutz integriert und der Sonderberichterstatter Martin Scheinin durch den Hochkommissar für Menschenrechte unterstützt werden. Gleichzeitig sollten das CTED und die Unterabteilung Terrorismusverhütung (TPB) des UNODC deutlicher die Verknüpfungen zwischen dem Terrorismus und der Organisierten Kriminalität herausstellen und insofern auf Kooperationen der nationalen Strafverfolgungsbehörden sowie Reformen der Strafjustizsysteme hinwirken. Daneben wird für eine intensive Basisarbeit in den Bereichen Bildung und Entwicklung die Rolle der UNESCO und des UNDP hervorgehoben. Schließlich sollten auch die regionalen internationalen Organisationen eine systematische Umsetzung der Strategie in ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern betreiben und sich stärker mit dem VN-System vernetzen. c) Debatte in der Generalversammlung vom 4.–5. September 2008 Die eigentliche (erste) Evaluation der Strategie fand dann im Plenum der GV vom 4.–5. September 2008 statt.348 Trotz aller Beschwörungen des GVPräsidenten der Geschlossenheit, die die Staatengemeinschaft bei der Verabschiedung der Strategie bewiesen habe, offenbarte die Debatte, in welchem Maße das Phänomen des Terrorismus nach wie vor Gegenstand eines politischen Machtkampfes über dessen Deutungshoheit ist. Eine Reihe von Staaten (u. a. Pakistan, Ägypten, Syrien) erneuerte ihre Forderung, bei der Definition den „Staatsterrorismus“ ein- und den „Freiheitskampf“ auszubeziehen. Dies hätte auch Auswirkungen auf den Kreis der Opfer des Terrorismus, der hiernach etwa getötete Widerstandskämpfer umfassen müsste. An dieser Frage der Repräsentativität der einbezogenen Opfergruppen entzündete sich auch ein Streit über die Konferenz zur Unterstützung der Opfer des Terrorismus, die der GS für den 9. September 2008 erstmalig einberufen hatte. Außerdem wurde die Forderung laut, die Begriffe „Extremismus“ und „Radikalisierung“ als angebliche Werturteile des Westens aus der Terrorismus-Debatte herauszuhalten, obgleich sie sich sogar in der Strategie wiederfinden (Aktionsplan, I.6.). Nicht zuletzt wurden Vorbehalte wiederholt349, die zwar nicht die seinerzeitige Annahme der Strategie verhindert 347
Vgl. die Empfehlungen 7 und 11. Für einen effektiven Koordinierungsmechanismus hatte sich bereits die Arbeitsgruppe für Grundsatzfragen betreffend die Vereinten Nationen und den Terrorismus in ihrem Bericht vom 6.8.2002 ausgesprochen, A/57/273, S/2002/875, IV. A. 348 Siehe die Dokumentation der Debatte in GA/10735 vom 4.9.2008 sowie GA/10738 vom 5.9.2008.
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hatten, den Konsens aber doch oberflächlich erscheinen lassen. Dies alles zeigt, wie sehr nach wie vor um den Text und seine „richtige“ Interpretation und Ausrichtung gekämpft und die Umsetzung der Strategie dadurch behindert wird. Inhaltlich bilden die vier Säulen eine Bandbreite ab, aus der alle Staaten imstande und gewillt zu sein scheinen, Handlungsfelder zu entwickeln. Zugleich muss aber darauf hingewirkt werden, dass die Staaten Anstrengungen in allen vier Säulen zugleich unternehmen, gerade auch dort, wo sie noch Defizite aufweisen. Bemerkenswert ist, dass selbst Großbritannien und die USA als Protagonisten des „Anti-Terror-Kriegs“ ihren Blick mittlerweile neben dem repressiven „deny“ auch auf das präventive „dissuade“ gerichtet haben: „Security responses against terrorism are not enough of their own. In the long run, stopping people from becoming terrorists requires an understanding of the radicalizing influences that draw people in [. . .].“350
Mit Blick auf den insititutionellen Koordinierungsmechanismus sprachen sich etliche Staaten (z. B. Frankreich im Namen der EU, Indien, Brasilien) dafür aus, dem Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung den ihm gehörigen Status samt personeller und finanzieller Ausstattung zu gewähren. Nur so sei es ihm möglich, Kohärenz im VN-System herzustellen und als Schaltstelle zwischen den VN und den Staaten sowie anderen Organisationen zu fungieren. d) A/RES/62/272 vom 15. September 2008 Die Nachfolge-Resolution zur A/RES/60/288 bestätigte die Weltweite Strategie im Wesentlichen, ohne neue inhaltliche Akzente zu setzen oder Anpassungen vorzunehmen. Aus der vorangegangenen Debatte wurde vor allem die Frage der Institutionalisierung aufgegriffen: „[The General Assembly u]rges the Secretary-General to make the necessary arrangements to carry out the institutionalization of the Task Force, in accordance with resolution 60/288, in order to ensure overall coordination and coherence in the counter-terrorism efforts of the United Nations system“ [op. 11]).
Durch den Verweis auf ihre A/RES/60/288 (siehe dort Ziffer III.5. des Aktionsplans) unterlag der darin formulierte Handlungsauftrag jedoch weiterhin der Einschränkung, dass die Institutionalisierung von den Ressourcen 349
So äußerte der Vertreter des Irans (GA/10738 vom 5.9.2008): „My country joined the consensus on adopting the Strategy despite reservations about a number of issues, such as its having insufficiently addressed the root causes of terrorism.“ 350 So ausdrücklich der Vertreter Großbritanniens, und auch der Vertreter der USA wies auf Maßnahmen beispielsweise zur Armutsbekämpfung hin, siehe GA/10735 vom 4.9.2008.
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her „im Rahmen der verfügbaren Mittel“ zu vollziehen sei. Denn freie Haushaltsmittel standen nicht zur Verfügung, und es konnten auch keine Zuweisungen umgewidmet werden, so dass der GS auf freiwillige Beiträge angewiesen war. Hieran leisteten zwar allein die USA in den ersten beiden Jahren immerhin eine halbe Million US-Dollar.351 Gleichwohl konnte auf diese Weise kaum die erforderliche Summe zusammenkommen. Außerdem rief diese Praxis das Misstrauen derjenigen Staaten hervor, die nicht imstande oder gewillt sind, entsprechende Beträge aufzubringen, und daher die unterschiedslose Einbeziehung aller 192 Mitgliedstaaten, etwa auch die Rückführung der neun (Unter-)Arbeitsgruppen in die Mitte des Arbeitsstabs, fordern („activities should be ‚demand driven‘, rather than donor driven“).352 Die Evaluation und die auf ihr beruhende Nachfolge-Resolution konnten somit keine unmittelbare Straffung der Strategie oder ihrer Umsetzung bewirken. Angesichts dessen, dass etwa der Vertreter Russlands generell vor überzogenen Erwartungen an die Strategie gewarnt und sich für einen „cautious approach“ ausgesprochen hatte353, war dies aber auch nicht zu erwarten gewesen. Die Verabschiedung der Strategie im Jahr 2006 erweist sich insofern als umso größerer Meilenstein. 2. Evaluation der Strategie von 2010: Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung
Die zweite Evaluation im Jahr 2010 verlief in ähnlichen Bahnen wie die erste von 2008 und erschöpfte sich im Wesentlichen in einer Bestandsaufnahme. Allerdings hatte die GV bereits im Zuge der Haushaltsverhandlungen 2010–2011 die Voraussetzungen für die Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung geschaffen, indem sie hierfür nunmehr Mittel aus dem ordentlichen Haushalt bereitstellt (A/RES/64/235 vom 24. Dezember 2009). Damit ist das zentrale, in der ersten Evaluation benannte Defizit aufgegriffen und der Arbeitsstab in die Lage versetzt worden, jedenfalls unter den organisatorischen Gesichtspunkten Status und Ressourcen die ihm zugedachte Koordinierungsfunktion auszufüllen. 351 Eigene Angabe der USA in der Debatte der GV am 4.9.2008, GA/10735; siehe auch den vorgenannten Bericht des GS Activities of the United Nations system in implementing the Strategy, A/62/898 vom 7.7.2008, Para. 91. 352 So die Erklärung Pakistans in der Debatte am 4.9.2008, GA/10735. Vgl. auch die Aussage von Robert Orr, dem damaligen Vorsitzenden des Arbeitsstabs am 21.5.2008 im Kontext der Zwischenevaluation der Weltweiten Strategie: „[T]he voluntary funding model has significantly slowed down the pace of the work of the task force.“, http://.www.un.org/apps/news/printnews.asp?nid=26753 [eingesehen am 30.5.2008]. 353 GA/10738 vom 5.9.2008.
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In ihrer Debatte sowie Resolution A/RES/64/297 vom 8. September 2010 hat die GV diese Maßnahme bekräftigt und ein verbessertes Zusammenspiel des Arbeitsstabs mit den Mitgliedstaaten angeregt, beispielsweise durch Verstetigung der – künftig vierteljährlichen – Berichte sowie eine kontinuierliche Kommunikation über eine eigene Website (op. 15).354 In seiner Erklärung verlangte der Vertreter der Organisation der Islamischen Konferenz die Vorgabe politischer Leitlinien durch die Mitgliedstaaten und wiederholte, dass Terrorismus nicht auf einzelne Religionen, Nationalitäten, Kulturen oder den legitimen Freiheitskampf bezogen werden dürfe. Diese Äußerung zeugt wiederum von der Tendenz, bestimmte – einseitige – Schwerpunkte in der Strategie festzumachen, die der Aktionsplan mit seinen vier gleichgewichtigen Säulen indes nicht vorssieht. Vertreter westlicher Staaten riefen die Versammlung vor allem dazu auf, den Kreis der Akteure, insbesondere durch Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Partner, sowie die Bandbreite der praktischen Maßnahmen noch weiter zu fassen. Der scheidende GV-Präsident Ali Abdussalam Treki ermahnte die Staaten schließlich, „to match their repeated condemnation of terrorism by concerted and coordinated action to implement the Strategy“. Im Hinblick auf die zurückliegende Tätigkeit der Akteure im VN-System hatte der GS ihnen auch für den zweiten Berichtszeitraum bescheinigt355, eine Vielzahl an Maßnahmen im Bereich aller vier Säulen durchgeführt zu haben. Zugleich unterstrich er die Hauptverantwortung der Mitgliedstaaten im Rahmen der Strategie. Deren Aktivitäten, ebenso wie diejenigen der übrigen internationalen Organisationen, sind nunmehr als Annex (II.) in den auf insgesamt nahezu 100 Seiten angewachsenen Bericht integriert.356 Im Hinblick auf die künftige Entwicklung formuliert der GS drei Empfehlungen (Para. 132 ff.): Erstens müsse die Kenntnis von den Aktivitäten – und damit auch den Möglichkeiten – der VN zur Terrorismusbekämpfung einschließlich der Strategie von 2006 weltweit noch stärker verbreitet werden (in-depth knowledge); zweitens müsse die allgemeine Zusammenarbeit weiter gestärkt und die technische Hilfe der VN an die Mitgliedstaaten im 354
Die Berichterstattung zur Debatte siehe in GA/1077. Activities of the United Nations system in implementing the Strategy, Bericht des GS, A/64/818 vom 17.6.2010. 356 Dieser Umfang veranlasste den Direktor des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung Jean-Paul Laborde bei der Vorstellung des Berichts zu folgender Erklärung, die einen interessanten Einblick in die VN-Bürokratie gibt; „Unfortunately, due to the large amount of information, the Report has surpassed the word limit recommended by the Executive Office of the Secretary-General. However, in order to present Member States with a complete product that reflects the uniqueness and broad coverage of the Global Strategy, a special waiver was requested on the word limit to allow for a longer document“, siehe http://www.un.org/terrorism/pdfs/chair mans_speech_28_july_2010.pdf [eingesehen am 30.9.2010]. 355
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Sinne des „Delivering an one“-Ansatzes koordiniert werden (partnership); drittens sei die Strategie ganzheitlich in ihrer gesamten Breite umzusetzen (comprehensiveness). Als Gravitationspunkt und Bindeglied komme hierbei dem Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung eine maßgebliche Funktion zu (Para. 7 f.). Auch der Center on Global Counterterrorism Cooperation, eine US-amerikanische NGO, gegründet in den Jahren nach „9/11“, hatte neuerliche Empfehlungen für eine verbesserte Umsetzung der Strategie vorgelegt.357 Er wies vor allem auf die Notwendigkeit hin, die Strategie noch stärker in der Praxis vor Ort zu verankern. Dazu müssten deren Inhalte noch besser vermittelt werden, insbesondere auch ihre entwicklungspolitische und menschenrechtliche Dimension, um der Terrorismusbekämpfung ihre Legitimation zurückzugeben. Außerdem müssten die VN-Akteure sich noch stärker aus den Verwaltungssitzen heraus in die Regionen hinein bewegen, um der Strategie größere Sichtbarkeit zu verleihen, die technische Hilfe noch wirkungsvoller an den Bedarfen auszurichten und sich mit der Zivilgesellschaft zu vernetzen. Auf Ebene der VN sollte der SR seine Maßnahmen noch enger an der Strategie ausrichten und mit der GV zusammenwirken, um sich deren Legitimität und Synergieeffekte zunutze zu machen (siehe die Empfehlungen auf den S. 45 ff.). Die nächste Evaluation ist für Juni 2012 vorgesehen; der GS wird hierfür den nächsten Tätigkeits- bzw. Fortschrittsbericht zur Umsetzung der Strategie bis zum April 2012 vorlegen (A/RES/64/297, op. 16, 17). Vor dem Hintergrund, dass sich der 11. September und die SR-Resolution 1373 im Jahr 2011 zum zehnten Mal jähren, wird die weitere Gestaltung der Terrorismusbekämpfung aber auch schon vorher auf die Tagesordnung rücken.
C. Vergleich und Bewertung der Strategien von Sicherheitsrat, Generalversammlung und Generalsekretär Die Strategie der GV gibt Aufschluss über das mittlerweile neu justierte Verhältnis insbesondere zwischen SR und GV (I. u. II.), den größeren Kreis an Akteuren, der in die Terrorismusbekämpfung einbezogen wird und diese dadurch „demokratisiert“ (III.) und thematisch verbreitert (IV.). In der Durchführung begegnen die unterschiedlichen Ansätze von SR und GV gleichwohl ähnlichen Problemen, die letztlich am besten gemeinsam zu lösen sein werden (V. sowie D.). 357 Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), An Opportunity for Renewal: Revitalizing the United Nations counterterrorism program – An Independent Strategic Assessment, 2010; erhältlich unter http://www.globalct.org/images/content/pdf/reports/Opportunity_for_Renewal_Final.pdf [eingesehen am 25.9.2010].
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I. Handlungskompetenz von SR, GV und GS Der SR handelt im Bereich der Terrorismusbekämpfung – wie gesehen – „in Bekräftigung dessen, dass diese Handlungen [gemeint: die Terroranschläge vom 11. September 2001], wie jede Handlung des internationalen Terrorismus, eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellen“ (S/RES/1373 (2001), pp. 3) und „tätig werdend nach Kapitel VII der Charta“ (pp. 10). Mit dieser Feststellung beansprucht er den „ersten Zugriff“ für sich. Mit ihrer Strategie von 2006 hat die GV indessen Terrain vom SR zurückerobert. Gleich im präambularen Absatz 1 bringt sie zum Ausdruck, „in Bekräftigung der ihr in der Charta zugedachten Rolle, namentlich bei Fragen im Zusammenhang mit dem Weltfrieden und der internationalen Sicherheit“ zu handeln. In ihrer jüngsten Evaluations-Resolution äußert die GV noch weitergehend die Überzeugung, das zuständige Organ, mit universeller Mitgliedschaft, zu sein, um sich mit dem internationalen Terrorismus zu befassen (A/RES/64/297, pp. 6 vom 8. September 2010). Nach der Charta indes ist die GV nicht berechtigt, „Empfehlungen an die Mitglieder der Vereinten Nationen oder den Sicherheitsrat oder an beide zu richten“ (Art. 10 SVN), „[s]olange der Sicherheitsrat in einer Streitigkeit oder einer Situation die ihm in dieser Charta zugewiesenen Aufgaben wahrnimmt (Art. 12 SVN)“. Noch in seinen jüngsten „Anti-Terrorismus-Resolutionen“ „beschließt [der SR], aktiv mit dieser Angelegenheit befasst zu bleiben“ (etwa S/RES/1904 (2009), pp. 49). Wenn nun die GV gleichwohl eine eigene Strategie zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit entsprechenden Empfehlungen vorgelegt hat, so ist sie damit zwar einem Auftrag der Staats- und Regierungschefs vom Weltgipfel 2005 nachgekommen (Ergebnisdokument Para. 82, s. o., Kap. 9, A. V.). Gleichwohl liegt darin eine Verschiebung der Gewichte. Dazu konnte es nur kommen, weil die Terrorismusbekämpfung des SR auf das Engste mit dem „Anti-Terror-Krieg“ der USA verwoben ist und damit an dessen gewaltigem Legitimitätsverlust teilhat. Nur vor dem Hintergrund dieser Entwicklung konnte die internationale Gemeinschaft das Heft wieder in die Hand nehmen und die (friedensgefährdende) „Situation“ oder „Angelegenheit“ des internationalen Terrorismus in diesem Maße vom SR auf die GV verlagern. Der SR selbst hat dies letztlich zweifach gebilligt: zum einen durch die Zustimmung seiner Mitglieder auf dem Weltgipfel selbst; zum anderen durch nachfolgende eigene Erklärungen und Beschlüsse (Präsidentielle Erklärung vom 20. Dezember 2006, S/PRST/2006/56, Para. 7): „The Security Council recognizes the importance of cross-United Nations cooperation on counter-terrorism issues, and confirms that it stands ready to play its
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part in the implementation of the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy“ (Hervorhebung durch Verf.);
S/RES/1787 vom 10. Dezmeber 2007, pp. 3: „Welcoming the adoption by the General Assembly of the United Nations Global Counter-Terrorism Strategy, A/60/288, and the creation of the Counter-Terrorism Implementation Task Force to ensure overall coordination and coherence in the counter-terrorism efforts of the United Nations[.]“
Der GS hat demgegenüber prinzipiell eine untergeordnete Funktion, wenn er auch mit der wichtigen Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung betraut wurde. Im Übrigen ist es seine Aufgabe, vorbereitende Arbeiten zu leisten und Empfehlungen zu formulieren, wie etwa in seinem Bericht „Vereint gegen den Terrorismus“, sowie die Beschlüsse des SR und der GV im VN-System umzusetzen (s. o., B. III. 1.). II. Grad der Verbindlichkeit der beschlossenen Maßnahmen Auch wenn der SR sich hier also in die übergreifende Strategie und die Gesamtorganisation der VN einordnet und damit seinen unbedingten und ausschließlichen Führungsanspruch aufgibt, bewahrt er gleichwohl seine Sonderrolle: die Befugnisse nach Kapitel VII SVN sind und bleiben allein sein Privileg. Während der SR demnach für die Staaten entscheidet, d. h. ihnen verbindliche Handlungspflichten vorgibt, oder sie zumindest aufruft, bestimmte Handlungen vorzunehmen, ist die GV auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verwiesen, der nur teilweise (und letztlich unverbindliche) Beschlüsse zulässt und zumeist nicht über die vage Erklärung (z. B. „je nach Bedarf“, vgl. etwa Ziffer II.13. des Aktionsplans) hinausgeht, eine Maßnahme fördern oder ein Programm stärken zu wollen. In ihrem praktischen Wirkungsgrad müssen beide Formen der „Ansprache“ am Ende jedoch nicht unbedingt weit auseinander liegen. Denn der SR wird die von ihm als verbindlich erlassenen Pflichten im Normalfall nicht mit Zwang durchsetzen (wollen oder auch können). Die bloßen Selbstverpflichtungen der GV hingegen sind von den Betroffenen grundsätzlich mitgetragen und entsprechen daher in einem vergleichsweise hohen Maß ihren eigenen Überzeugungen und (Umsetzungs-)Möglichkeiten; damit dürften sie – obschon unverbindlich – nur im Ausnahmefall unbeachtet bleiben. Eine Einschränkung wird allerdings für die Punkte zu machen sein, in denen die Staaten bereits im Aktionsplan „anerkennen, dass die Staaten möglicherweise Hilfe bei der Anwendung dieser Normen benötigen“ (z. B. II.10.). Hier stellt sich das Problem, dem sich auch der SR bzw. seine Ausschüsse ausgesetzt sieht, feststellen zu müssen, welche Staaten nur nicht über die Kapazitäten verfügen und welche schlicht nicht willens sind, aktiv
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zu werden. Erschwert wird der Umgang mit diesen Staaten dadurch, dass sie keine technische Hilfe annehmen müssen, sondern diese ihnen nur „auf Antrag“ (III.12.) gewährt werden kann. Bereits von vornherein scheint es am nötigen „commitment“ zu fehlen, wenn die Staaten nicht darüber hinauskommen, einander zu ermutigen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, oder sogar nur erklären, diese erwägen zu wollen. Angesichts dessen sowie aufgrund der Breite und Langfristigkeit der anvisierten Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung wird die GV daher – ähnlich wie der SR mit dem CTC/ CTED – Mechanismen entwickeln müssen, um ihre Durchführung enger zu begleiten (dazu unten V.). Der GS wiederum kann lediglich intern, d. h. das Sekretariat bindende Beschlüsse vor allem organisatorischer Art und nur im Rahmen der ihm zugestandenen Mittel fassen, wie etwa im Falle der Errichtung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung, nicht aber gegenüber den anderen Hauptorganen (SR, GV etc.) oder den Mitgliedstaaten. III. Adressaten Allen Strategien – ob nun des SR, der GV oder des GS – gemein ist, dass sie in erster Linie auf die Staaten als ausführende Akteure setzen. Zwar scheint dies geradezu zwangsläufig der Fall zu sein, da überhaupt nur ihnen (jedenfalls am ehesten) die erforderlichen Mittel zur Terrorismusbekämpfung zur Verfügung stehen. Trotzdem erlebt der Staat, nachdem er im Zuge der Globalisierung bereits totgesagt worden war, durch diese neue Fokussierung auf eine seiner Kernaufgaben, nämlich die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, eine Renaissance. Gleichzeitig beziehen allerdings die GV und der GS – weitaus stärker als der SR – auch das übrige VN-System und die Zivilgesellschaft in die Terrorismusbekämpfung ein, obgleich sie diese hierzu lediglich bitten oder ersuchen können. Der damalige GS Kofi Annan sprach der Zivilgesellschaft sogar eine „Führungsrolle“ zu (siehe „Vereint gegen den Terrorismus“, Para. I.6.). Er fordert „a collective global effort – an effort bringing together Government, the United Nations and other international organizations, civil society and the private sector – each using their comparative advantage to supplement the others’ efforts“.358 Im Hinblick auf das VN-System hat Kofi Annan mit dem Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung – insoweit steht ihm, anders als SR und GV, die Kompetenz zur (Um-)Strukturierung des Sekretariats zu (Art. 97 SVN) – bereits eine „Organisation“ geschaffen, 358 So GS Kofi Annan bei der Vorstellung seiner Strategie vor der GV, siehe GA/10456 vom 2.5.2006.
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um die Schlüsselakteure innerhalb der VN zu vereinen. Der SR hat die Zivilgesellschaft nur allmählich mit in den Blick genommen. Seine Resolutionen 1373 und 1377 (2001) enthalten nur die „Aufforderung an die Staaten, dringend zusammenzuarbeiten“ (op. 7) bzw. die Bekräftigung, dass die aktive Mitwirkung und Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten [. . .] unverzichtbar ist“ (Annex, Para. 8). Erst in Resolution 1624 (2005) erwähnt und betont der SR – in einem spezifischen Zusammenhang – die „wichtige Rolle der Medien, der Zivilgesellschaft und der religiösen Gesellschaft, der Unternehmen und der Bildungseinrichtungen bei [. . .] der Förderung eines Umfelds, das die Aufstachelung zum Terrorismus nicht begünstigt“ (pp. 13). Die Öffnung des Adressatenkreises geht mit einem Wechsel in der Strategie, die zeitlich früher und thematisch breiter ansetzt, einher (dazu im Folgenden). IV. Inhaltliche Schwerpunkte Die inhaltlichen Schwerpunkte, die auf der einen Seite der SR und auf der anderen die GV sowie der GS in der Terrorismusbekämpfung gesetzt haben, unterscheiden sich grundsätzlich. Dies folgt zwar einerseits bereits schlicht aus ihren Befugnissen nach der Charta. Ihnen liegt aber auch ein jeweils eigenes Verständnis von der terroristischen Gefahr und den geeigneten bzw. erforderlichen Gegenmitteln zugrunde. Erst jetzt, über die Jahre, haben sie sich diesbezüglich angenähert, was nicht zuletzt darin sichtbar wird, dass der SR die Weltweite Strategie mitträgt. 1. Sicherheitsrat: primär militärischer Ansatz
Als der SR im Anschluss an den 11. September 2001 den Weg in den „Anti-Terror-Krieg“ mitbeschritt, verlagerte sich der Schwerpunkt der Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung von der Strafverfolgung hin zur Anwendung militärischer Gewalt. Dies schien erforderlich angesichts dessen, dass sich die Terroristen (namentlich Al-Qaida) ihrerseits zu para-militärischen Gruppen fortentwickelt hatten und aus einem transnationalen Netzwerk heraus operierten. Zugleich verpflichtete der SR die Staaten aber auch auf einen Mindestbestand an polizei- und strafrechtlichen Regelungen insb. zur Kontrolle der Finanzströme und Außengrenzen, die vielfach den an sich fakultativen internationalen Übereinkommen entsprechen, sowie zur Zusammenarbeit ihrer Behörden und Nachrichtendienste etc. Um die Umsetzung sicherzustellen, errichtete der SR außerdem den CTC und das CTED. Der SR hat damit für diesen spezifischen Bereich der Terrorismusbekämpfung ein Regime ge-
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schaffen, das Züge einer Weltregierung hat, die eine Weltordnungspolitik betreibt (global governance).359 Auch der SR hat schon frühzeitig eine bemerkenswert weite Perspektive eingenommen, indem er in S/RES/1456 vom 20. Januar 2003 „betont, dass nachhaltige internationale Anstrengungen zur Förderung des Dialogs und zur Erweiterung des Verständnisses zwischen den Kulturen, um unterschiedslose Angriffe auf andere Religionen und Kulturen zu verhindern, zur weiteren Verstärkung der Kampagne gegen den Terrorismus und zur Regelung ungelöster regionaler Konflikte sowie des gesamten Spektrums von Weltproblemen, einschließlich der Entwicklungsfragen, zur internationalen Kooperation und Zusammenarbeit beitragen werden, die ihrerseits notwendig sind, um den Terrorismus auf möglichst breiter Front nachhaltig zu bekämpfen“ (op. 10). Hierbei handelt es sich allerdings um eine Erklärung auf Ministerebene, die insofern untypisch ist und einen stark politischen Charakter aufweist. Auf der operativen Ebene hingegen ist es primär bei dem beschriebenen repressiven Vorgehen geblieben. 2. Generalversammlung und Generalsekretär: ganzheitlicher Ansatz
Im Vergleich zum SR basieren die Ansätze des GS und der GV – zwangsläufig – auf Freiwilligkeit. Gleichzeitig sind sie von ihrer inhaltlichen Ausrichtung her ganzheitlicher angelegt, sowohl mit Blick auf die Vielzahl der einbezogenen Akteure als auch die Bandbreite der Maßnahmen. Der Fokus liegt bei ihnen auf zivilen, präventiven Aktivitäten.360 An thematischen Schwerpunkten bildet die GV mit ihrer Weltweiten Strategie die oben dargestellten vier Handlungsfelder („Säulen“). Dabei hat sie der Beseitigung der Ursachen bzw. „der den Terrorismus begünstigenden Bedingungen“ eine eigene Säule gewidmet und diese an den Anfang ihres Aktionsplans gestellt. Damit geht sie weiter als der GS, der diesen Aspekt lediglich inzident thematisiert hat (ihn in der Sache allerdings unter seinem ersten „D“ [für „dissuade“] unterbringt), und bildet sie einen Gegenpol zum SR, der den Fokus – wie gesehen – auf repressive Maßnahmen legt. Diese sind zwar geeignet – und, das sei zugestanden, unmittelbar nach „9/11“ waren sie auch erforderlich –, operative Abläufe und Strukturen, also die Symptome zu zerstören. 359 N. Quénivet, You are the Weakest Link and We will help you! The Comprehensive Strategy of the United Nations to Fight Terrorism, JCSL 11 (2006), 371 (376). 360 Der VN-Sonderberichterstatter zum Menschenrechtsschutz bei der Terrorismusbekämpfung Martin Scheinin hob besonders die „comprehensive nature“ und die „preventive dimension“ der Strategie des GS hervor, A/61/267, Para. 42 vom 16.8.2006.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Sie greifen aber zu kurz oder wirken sogar kontraproduktiv, wenn es – mittel- und langfristig – um die Beseitigung des zugrunde liegenden terroristischen Nährbodens geht. Einen zweiten Schwerpunkt bilden die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit, auf deren Beachtung der GS, der zuständige Hochkommissar und die einschlägigen NGOs schon von Anfang an gegenüber dem SR gedrängt hatten. Die anderen beiden Säulen sind unmittelbar der Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus bzw. dem dafür erforderlichen Kapazitätsaufbau gewidmet und entsprechen grob den drei „D’s“ des GS für „deny“, „deter“ und „develop“. a) Bedingungen, die die Ausbreitung des Terrorismus begünstigen („tiefere Ursachen des Terrorismus“) Erst auf dem Weltgipfel 2005 erkannten die Staaten erstmalig übereinstimmend an, dass es Umstände gibt, die zur Entstehung von Terrorismus beitragen. Entsprechend forderten die Staaten die GV nunmehr auf, diesen Aspekt in die Erarbeitung ihrer Strategie einzubeziehen („[. . .] eine Strategie [. . .] zu verabschieden und umzusetzen, die auch die Bedingungen berücksichtigt, welche die Ausbreitung des Terrorismus begünstigen“ [Para. 82]). Damit war der Grundstein dafür gelegt, präventive Maßnahmen gegen Intoleranz und Extremismus sowie für Bildung und Entwicklung in den Mittelpunkt – oder wenigstens den anderen, stärker repressiv ausgerichteten Maßnahmen gleichberechtigt an die Seite – zu stellen. Zwar hatte auch der SR bereits in seiner Ministeriellen Erklärung vom 12. November 2001 „bekräftigt, dass ein dauerhafter, umfassender Ansatz [. . .] unverzichtbar ist“ (S/RES/1377, Annex, Para. 8). Dieser zielte jedoch darauf ab, bereits tätige oder jedenfalls „bereitstehende“ Terroristen auszuschalten, und weniger darauf, der Radikalisierung potenzieller künftiger Terroristen vorzubeugen – außer vielleicht durch Abschreckung, die aber gegenüber Selbstmordattentätern wirkungslos bleibt. Abgesehen von akuten Bedrohungen, denen nur mit repressiven Maßnahmen begegnet werden kann, ist Prävention regelmäßig das mildere und auch wirksamere Mittel gegen den Terrorismus. Richtig verstandene „echte“ Prävention – die also über Maßnahmen hinausgeht, die im Grunde genommen nur „pro-reactive“ sind361 – erfordert aber, die Ursachen seiner Entstehung freizulegen und „an der Wurzel“ zu beseitigen.362 361 N. Quénivet, You are the Weakest Link and We will help you! The Comprehensive Strategy of the United Nations to Fight Terrorism, JCSL 11 (2006), 371 (372). 362 C. M. Bassiouni, Legal Control of International Terrorism: A Policy-Oriented Assessment, Harv. I.L.J. 43 (2002), 83 (103).
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Sprachlich wird der Begriff der „tieferen Ursachen“ bzw. „root causes“ (so der englische Terminus) des Terrorismus zwar weiterhin gemieden. Nicht nur im Ergebnisdokument des Weltgipfels, sondern auch in der Weltweiten Strategie findet sich stattdessen die Umschreibung „Bedingungen, die die Ausbreitung des Terrorismus begünstigen“ („conditions conducive to the spread of terrorism“). In der Sache aber läuft es auf das gleiche hinaus. Die explizite Anerkennung von Ursachen, die zum Terrorismus führen, war lange Zeit für den Westen ein politisches Tabu, da befürchtet wurde, dies könnte als Rechtfertigung oder Entschuldigung terroristischer Taten missverstanden werden. An sich war einer dahingehenden Argumentation jedoch bereits mit der Annahme der Unjustifiability-Formel in der GV im Jahr 1994 [s. o., Kap. 3, B. 4. b)] der Boden entzogen worden. b) Förderung von Dialog, Toleranz und Verständnis – „Allianz der Zivilisationen“ Als eine der wesentlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus sieht die GV die Förderung von Dialog, Toleranz und Verständnis an. Auch der SR hatte deren Bedeutung schon im Jahr 2001 frühzeitig hervorgehoben [„(Der SR) betont, dass nachhaltige internationale Anstrengungen zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Kulturen und zur Regelung (. . .) des gesamten Spektrums von Weltproblemen, einschließlich der Entwicklungsfragen, zur internationalen Kooperation und Zusammenarbeit beitragen werden, die ihrerseits notwendig sind, um den internationalen Terrorismus auf nachhaltige Weise und auf möglichst breiter Grundlage zu bekämpfen“ (S/RES/1377, Annex, Para. 9)]. Ein wirklicher Impuls für praktischen Dialog ging aber erst von Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero aus, der unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid in der Generaldebatte der GV am 21. September 2004 vorschlug, eine „Alliance of Civilizations between the Western and the Arab and Muslim worlds (AoC)“ zu gründen.363 Die Türkei schloss sich dieser Initiative als Co-Sponsor an, und um sie herum bildete sich eine weitere „Group of Friends“, die mittlerweile auf mehr als 100 Mitglieder (überwiegend Staaten, aber auch internationale Organisationen) angewachsen ist. Der damalige GS Kofi Annan berief auf ihre Anregung hin am 2. September 2005 eine 18-köpfige Hochrangige Gruppe364, die rund ein Jahr später am 13. November 2006 einen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorlegte.365 Nach ihrem Befund bewege die 363 Siehe die Erklärung Zapateros unter http://www.un.org/webcast/ga/59/state 7ments/spaeng040921.pdf [eingesehen am 9.1.2009]. 364 SG/SM/10073/Rev.1* vom 2.9.2005.
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Welt sich in einem großen Ungleichgewicht, beanspruche und verfüge der Westen über einen unverhältnismäßigen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Dies gelte es durch Partizipation und Teilhabe aller Staaten zu beheben, wofür es insbesondere der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele bedürfe. Hinzu komme, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit von Stereotypen geprägt und polarisiert sei. Das Bild, das Muslime sich vom Westen machen, sei bestimmt durch den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Kriege in Afghanistan und im Irak. Umgekehrt würden Muslime vom Westen zu häufig mit religiös-fanatischen Dschihadisten gleichgesetzt.366 Durch Bildungs- und Begegnungsprogramme seien insoweit Dialog und (Auf-)Klärung herzustellen. Entsprechend lag der Fokus der beiden ersten Foren der AoC in Madrid (2008) und Istanbul (2009) auf den Themen Medien und Jugendliche.367 Als Ausfluss der Weltweiten Strategie hat die UNESCO mit der AoC vereinbart, gemeinsame Programme aufzulegen. Dabei müsse klar werden, dass Terrorismus kein Mittel der Auseinandersetzung und schon gar nicht „heilig“ sei, sondern verbrecherisch und jeden Glauben diskreditiere (Kofi Annan: „Terrorism is a threat to all civilized countries and anthema to all faiths.“368) Um sich nicht dem Pauschalvorwurf des „Imperialismus“ auszusetzen, kommt insoweit der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) eine besondere Verantwortung als Mitglied der AoC zu. Die „Working Group on Radicalisation and Extremism that Lead to Terrorism“, eine der neun Arbeitsgruppen unter dem Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung, hat inzwischen eine Übersicht nationaler Programme gegen Radikalisierung zusammengestellt und als Anleitung herausgegeben.369 Auf dem Weltgipfel 2005 stellten sich die Staats- und Regierungschefs aller Staaten hinter die AoC, indem sie die “Initiativen zur Förderung des Dialogs, der Toleranz und des Verständnisses zwischen den Zivilisationen [würdigten] (Para. 82).“ Die GV spricht ihnen sogar eine entscheidende Bedeutung zu: „Emphasizing that tolerance and dialogue among civilisations, and enhancing interfaith and intercultural understanding, are among the 365 Bericht erhältlich unter http://www.unaoc.org/repository/HLG_Report.pdf [eingesehen am 9.1.2009]. 366 Siehe auch die Grundsatzrede von Barack Obama am 4.6.2009 in Kairo, FAZ.NET vom 4.6.2009 [http://www.faz.net]. 367 Siehe dazu die Pressemitteilung „UN-backed forum for cultural understanding will focus on specific clashes“, http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID= 30308&Cr=alliance+of+civilizations&Cr1= [eingesehen am 30.3.2009]. 368 So GS Kofi Annan in seinem (übermittelten) Grußwort auf der International Counter-Terrorism Conference in Rijad vom 5.–8.2.2005, SG/SM/9708. 369 Erhältlich unter http://www.un.org/terrorism/pdfs/Report of the Working Group – Workgroup 2.pdf [eingesehen am 20.2.2009].
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most important elements in promoting cooperation and success in combating terrorism“ (A/RES/62/71, pp. 18 vom 8. Januar 2008). Die Sprengkraft, die in kultureller Ignoranz oder auch nur entwicklungsmäßiger Ungleichzeitigkeit steckt, entlud sich besonders deutlich und abrupt im „Karikaturen-Streit“ im Jahr 2005, der in Dänemark seinen Ausgang nahm, sich aber wie ein Flächenbrand ausbreitete. Der Westen scheint gut beraten, dem islamistischen Dogmatismus wie auch den eigenen Widersprüchen – bzw. handfesten Werte- und Rechtsverstößen wie in Abu Ghraib und Guantánamo – eine kritische Selbstbeobachtung entgegenzusetzen, um glaubwürdig zu bleiben. Dabei hat der „Kampf der Kulturen“ auch innerhalb des Westens selbst geschwelt (wie er im Übrigen am stärksten auch innerhalb der muslimischen Welt und keineswegs gegenüber dem Westen zutage tritt).370 Erst seit dem Übergang des US-Präsidentenamtes von George W. Bush auf Barack Obama scheint der Westen nunmehr „wiedervereint“, ebenso wie Obama der muslimischen Welt einen Neuanfang, gegründet auf gemeinsamen Interessen und gegenseitigem Respekt, angeboten hat.371 Nach 30 Jahren der Unterbrechung haben die USA sogar wieder diplomatische Kontakte zum Iran aufgenommen, wenngleich ihre Botschaft vorerst geschlossen und das Sanktionsregime aufrechterhalten bleibt.372 V. Durchführungsmechanismus Während der SR eigene Ausschüsse als Nebenorgane geschaffen und sie mit Expertengruppen ausgestattet hat, um die Durchführung seiner AntiTerrorismus-Resolutionen zu gewährleisten (s. o., Teil 1 u. 2), hat die GV im Hinblick auf ihre Weltweite Strategie auf einen entsprechenden Überwachungs- oder auch nur Berichtsmechanismus verzichtet. Stattdessen sind – abgesehen von den Tätigkeitsberichten des GS über das VN-System, zu 370 R. Leicht, Nach unserem Bild, Die ZEIT vom 23.2.2006, S. 1. C. Bildt, International Security Cooperation in an Age of Terrorism, Vortrag vom 8.12.2004: „And whatever the roots of the problems, it is a fact that the [Arab world] is the region at the hearth of the religion of Islam and the culture it represents. What we are witnessing is a clash within a civilisation“, erhältlich unter http://www.bildt.net [eingesehen am 30.8.2005]. 371 Rede Barack Obamas zur Amtseinführung als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.1.2009, erhältlich unter http://www.youtube.com/ watch?v=6-zjho9SPgA [eingesehen am 21.1.2009]: „To the Muslim world, we seek a new way forward, based on mutual interests and mutual respect.“ 372 Diese Entscheidung geht noch auf Präsident Bush zurück, siehe „US plans to station diplomats in Iran for the first time since 1979“, The Guardian vom 17.7.2008, erhältlich unter http://www.guardian.co.uk/world/2008/jul/17/usa.iran [eingesehen am 20.8.2008].
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dem zuletzt auch eine Reihe von Staaten beigetragen hat – lediglich informelle und in jedem Fall freiwillige Evaluationen in Form von Beratungen im GV-Plenum vorgesehen (s. o., B. III.), an der sich bislang jeweils lediglich rund 100 Mitgliedstaaten beteiligt haben. Ähnlich wie im Hinblick auf die Berichtspflichten gegenüber dem SR ist demnach auch im Fall der Strategie der GV festzustellen, dass sich eine nicht geringe Anzahl von Staaten ihrer Rechenschaftslegung entzieht, von wirksamen Umsetzungsaktivitäten ganz zu schweigen. Dabei ist dies, so GS Ban Ki-Moon, „not a choice; it is a fundamental duty“.373 Die Durchführung der Weltweiten Strategie steht – noch stärker als die Umsetzung der SR-Resolutionen – wegen ihrer thematischen Breite geradezu zwingend unter dem Vorbehalt des den einzelnen Staaten jeweils Möglichen. Der zwischenstaatlichen Kooperation, der Vermittlung und Leistung technischer Hilfe durch die VN zum Aufbau der erforderlichen Kapazitäten und Fähigkeiten etc. kommt daher eine hervorgehobene Bedeutung zu. Dementsprechend hat der Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung ein umfangreiches Online-Handbuch erarbeitet, das den Staaten als ein „living tool“ Anleitungen zur Durchführung der Strategie bieten soll.374 Hinzu kommen ein technischer Leitfaden sowie ein über die Jahre auf mehrere hundert Referenzen zu international bewährten Praktiken angewachsenes Verzeichnis des CTC/CTED zur Umsetzung der S/RES/1373 (2001), das weitgehend auf die Strategie der GV übertragbar ist.375 Außerdem unterhält das CTED eine allgemein zugängliche Datenbank, in der sämtliche Bedarfe an technischer Hilfe von Empfänger- und entsprechende Angebote von Geberstaaten und -organisationen aufgeführt sind und vermittelt werden.376 Nach Zählung des Center on Global Counterterrorism Cooperation sind – neben den Staaten und der Zivilgesellschaft als solcher – mehr als 70 multilaterale Institutionen in die zivile Bekämpfung des Terrorismus eingebunden.377 Sie handeln aber, auch nach Annahme der Weltweiten Strategie und der Schaffung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung, (noch) nicht 373
GV-Plenumsdebatte vom 4.9.2008, GA/10735. Siehe die Pressemitteilung Note No. 6083 vom 11.5.2007 zum Vienna Symposium vom 17.18.5.2007 zur Umsetzung der Weltweiten Strategie. 375 Siehe das Directory of International Best Practices, Codes and Standards unter http://www.un.org/en/sc/ctc/bptable.html sowie den Technical Guide in der Version von 2009 unter http://www.un.org/en/sc/ctc/docs/technical_guide_2009.pdf [eingesehen am 16.10.2010]. 376 Siehe unter http://www.un.org/en/sc/ctc/technical-assistance.html [eingesehen am 16.10.2010]. 377 Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, A Compilation of Key Documents, 2008, Workshop 1 Institutional Challenges, Para. 42 [Stand: 2008]. 374
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im Rahmen eines übergreifenden Ganzen, sondern weitgehend unkoordiniert nebeneinander. Dies führt dazu, dass sich ihre Tätigkeiten einerseits überschneiden und andererseits lückenhaft bleiben. CTC/CTED sind ihrerseits ebenso wenig in der Lage, die Rolle des Koordinators wirksam auszufüllen, weil sie dem SR (zu) nahe stehen und damit politisiert sind. Es gibt vielfältige Spannungen sowohl zwischen dem SR und dem Sekretariat als auch zwischen dem SR und der GV bzw. den Mitgliedstaaten.378 Zwar müssen die Staaten die Vorgaben des SR, insbesondere die Resolutionen 1267, 1373, 1540 letztlich hinnehmen. Dabei achten sie aber sehr genau darauf, dass die auf Grundlage dieser Resolutionen errichteten Ausschüsse sich strikt im Rahmen ihrer Mandate halten.379 Das gleiche gilt für die Abgrenzung der Aktivitäten von SR und GV.380 Soweit es um die Sache der Terrorismusbekämpfung an sich geht, macht diese Differenzierung zwischen den Regimen der verschiedenen VN-Organe jedoch keinen Sinn, sondern behindert reibungslose Abläufe und den effizienten Einsatz der begrenzten Ressourcen. Der Bedarf nach einer wirkungsvollen zentralen Einheit im Bereich Terrorismusbekämpfung, die die Staaten und zivilen Akteure mit dem VN-System ebenso vernetzt und koordiniert wie Sekretariat, GV und SR untereinander, ist denn auch weithin anerkannt.381 Welche institutionellen Formen hierfür in Betracht kommen, soll im folgenden Abschnitt D. untersucht werden.
D. Schaffung einer zentralen Institution für die Terrorismusbekämpfung Während der SR im Anschluss an den 11. September 2001 die von ihm errichteten CTC/CTED als übergreifende Koordinatoren zu positionieren versucht hat, haben GV und GS seit 2005/2006 die Institutionalisierung der Terrorismusbekämpfung innerhalb des hierauf gerichteten Arbeitsstabs (CTITF) im Sekretariat vorangetrieben und mit der Resolution A/RES/64/235 vom 24. Dezember 2009 auch formal vollzogen. Allerdings ist seine Ausstattung angesichts der Aufgabenfülle noch immer unzu378
Siehe die Darstellung bei A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2006, 25 ff. sowie oben Kap. 6, C. 379 Vgl. das Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1, Para. 90. 380 Vgl. die Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus, A/RES/60/288, Aktionsplan III.3. 381 Ausdrücklich in diesem Sinne etwa Brasilien und Argentinien in ihren Stellungnahmen in der GV zur Evaluation der Weltweiten Strategie, GA/10738 vom 5.9.2008.
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reichend, da die GV ihm bislang lediglich fünf Personalstellen zugestanden hat.382 Ähnliches gilt für den CTC bzw. das CTED. Eine substanzielle Umschichtung von Ressourcen zugunsten der Terrorismusbekämpfung ist angesichts der Mehrheit der G 77 in der GV jedoch nicht zu erwarten, da diese den Entwicklungsbelangen „des Südens“ prinzipiell ein größeres Gewicht einräumen als den Sicherheitsinteressen „des Nordens“.383 Demnach müssen andere Formen gefunden oder jedenfalls ergänzende Maßnahmen getroffen werden, um einen Mechanismus zu schaffen, der die Umsetzung der Weltweiten Strategie – und letztlich aller Anstrengungen zur Terrorismusbekämpfung, also insbesondere auch derjenigen des SR – gewährleistet. I. Reform des status quo Als „kleine Lösung“ bzw. erster Schritt könnten zunächst sowohl der SR als auch der GS ihre jeweiligen „Anti-Terrorismus“-Regime weiter konsolidieren. Mit der Schaffung des CTED sowie des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung (CTITF) haben sie diesen Prozess bereits eingeleitet, die Möglichkeiten aber noch nicht ausgeschöpft. 1. Konsolidierung der Anti-Terrorismus-Ausschüsse des SR
Eine organisatorische Zusammenfassung der drei Anti-Terrorismus-Ausschüsse des SR einschließlich ihrer Expertengruppen wäre geeignet, einen Teil der spezifischen Schwierigkeiten zu beseitigen, die für die Staaten mit der Umsetzung der SR-Resolutionen verbunden sind. Diese beginnen damit, dass die unterschiedlichen Funktionen und Mandate der Ausschüsse praktisch verschwimmen und der übergeordnete Blick auf die Terrorismusbekämpfung als Ganzes verloren geht. In diesem Zuge ist es für viele Staaten nicht mehr nachvollziehbar, welchem Ausschuss gegenüber sie zu welchen Maßnahmen und Berichten verpflichtet sind und inwieweit ihre Zwecke letztlich ineinander greifen.384 Diese Konfusion beruht darauf, dass die 382
Siehe das Briefing durch den Direktor des Arbeitsstabs Jean-Paul Laborde am 27.7.2010, erhältlich unter http://www.un.org/terrorism/pdfs/briefing_27July_ 2010.pdf [eingesehen am 25.9.2010]. 383 Zur „Unantastbarkeit“ der Entwicklungs- sogar gegenüber Menschenrechtsprogrammen und -aktivitäten vgl. etwa A/RES/48/141, op. 7 vom 20.12.1993 zur Gründung des OHCHR: „[The GA r]equests the Secretary-General to provide appropriate staff and resources, within the existing and future regular budgets of the United Nations, to enable the High Commissioner to fulfil his/her mandate, w i t h out diverting resources from the development programm e s a n d a c t i v i t i e s of the United Nations (Hervorhebung durch Verf.)[.]“
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Ausschüsse jeweils ad hoc in verschiedenen „historischen Kontexten“ geschaffen wurden und dadurch nebeneinander stehen, obgleich sie sich in der Sache vielfach überlagern.385 Angesichts dessen ist den Expertengruppen aller drei Ausschüsse (CTC/1373, 1267, 1540) in den neueren SR-Resolutionen, im Ergebnisdokument des Weltgipfels sowie in der Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus mittlerweile übereinstimmend aufgegeben worden, stärker zu kooperieren und ihre Arbeit insgesamt zu koordinieren.386 In diesem Zuge haben sie bereits ihre vormals getrennten Datenbänke sowie ihre unabhängig voneinander durchgeführten Staatenbesuche zusammengelegt (joint visits), um sich umfassende Überblicke verschaffen und in integrierte Dialoge treten zu können. Dies ist die Grundlage dafür, effektiv technische Hilfe zu vermitteln und die Implementierung der Resolutionen zu überwachen. Nicht zuletzt haben sie mit dem Joint Statement on the Cooperation vom 12. November 2008 eine gemeinsame Strategie im Hinblick auf die Staaten vereinbart, die ihren Berichtspflichten nicht nachkommen. Auf dieser Grundlage haben sie bereits, zusammen mit der TPB (Unterabteilung Terrorismusverhütung des UNODC) eine regionale Workshop-Serie in Afrika, Asien, Lateinamerika sowie der Pazifik- und Karibikregion durchgeführt, also in den Regionen, wo der größte Bedarf an technischer Hilfe herrscht. Schließlich treten die drei Ausschüsse auch regelmäßig drei- bis viermal jährlich – erstmals bereits am 25. April 2005387 – gemeinsam zu Unterrichtungen der VN-Mitgliedschaft über ihre Tätigkeiten an (joint briefings).388 Vor dem Hintergrund dieser inzwischen weitreichenden Kooperationen wäre es nur noch ein kleiner und folgerichtiger Schritt, die Expertengruppen – aber eben auch die Ausschüsse, denen sie unterstehen – formal zusammenzufassen.389 Bis zuletzt ist der SR jedoch nicht darüber hinausgegan384 Siehe den Jahresbericht des 1267-Sanktionsausschusses vom 17.1.2008, S/2008/25, Para. 24 sowie oben Kap. 5, B. III. 1. c). 385 So die Einschätzung des GS in seinem Bericht Mandating and Delivering, A/60/733, Para. 122 vom 30.3.2006. 386 Etwa S/RES/1617 (2005), op. 13; Ergebnisdokument des Weltgipfels 2005 (Outcome Document), A/RES/60/1, Para. 88, 90; Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus, A/RES/60/288, Aktionsplan III. 387 Pressemitteilung SC/8366 vom 25.4.2005; dazu auch die Präsidentielle Erklärung S/PRST/2005/16 vom 25.4.2005. 388 Vgl. den Jahresbericht 2005 des SR an die GV, Berichtszeitraum 01.08. 2004–31.07.2005, Kapitel 9, S. 215. 389 Dafür der frühere stellvertretende Rechtsberater der Ständigen Vertretung der USA bei den VN und spätere Senior Fellow am Center on Global Counter-Terrorism Cooperation E. Rosand, The UN-Led Multilateral Institutional Response to Jihadist Terrorism: Is a Global Counterterrorism Body Needed?, JCSL 11 (2006), 399
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gen, lediglich die Expertengruppen räumlich zusammenzulegen („co-locate“) [so die jüngste organisatorische Maßnahme durch S/RES/1904 (2009), op. 43]. Stattdessen könnten der CTC auch den 1267- sowie den 1540-Ausschuss und das CTED deren Expertengruppen in sich aufnehmen. Nicht zuletzt um die hierdurch bewirkte Erweiterung und Verstetigung des CTED vermitteln zu können, sollte in diesem Fall die Umstruktierung zum Anlass genommen werden, dessen bisherigen (Sonder-)Status als besondere politische Mission (SPM; s. o., Kap. 6, C. III. 3.) auf eine „ordentliche“ Grundlage zu stellen (zu den diesbezüglichen Möglichkeiten sogleich unter I. 2. und II.). In der Sache wären durch eine Konsolidierung eine stringente Leitung auf SR-Seite sowie eine im Wege des „one-stop-shopping“ deutlich transparentere und effizientere Durchführung der Resolutionen auf Seiten der Mitgliedstaaten gewährleistet.390 Es bedürfte dazu lediglich einer weiteren, rein binnenorganisatorisch ausgerichteten Resolution des SR. In der Sache spräche zudem vieles dafür, zusätzlich die TPB einzugliedern, denn die Trennung in Vermittlung (CTC/CTED) und Leistung (TPB) technischer Hilfe hat sich als nicht praktikabel erwiesen. Dafür müsste die TPB allerdings aus dem UNODC, das der GV verantwortlich ist, herausgelöst und dem SR unterstellt werden, wofür es in der GV bis auf weiteres jedoch schon aus Prinzip keine Mehrheit geben dürfte. Eine Konsolidierung der drei Ausschüsse und ihrer Expertengruppen würde zugleich einheitliche Standards für die verschiedenen Regime gewährleisten, so dass sie weniger dem jeweiligen politischen Belieben oder Kalkül einzelner SR-Mitglieder ausgesetzt wären. So wurde in der Vergangenheit auf der einen Seite die ursprüngliche Monitoring Group des 1267-Ausschusses mit starkem Vorsitz zu einem Monitoring Team „ohne Kopf“ abgeschwächt, während auf der anderen Seite die Expertengruppe des CTC durch das erweiterte CTED mit seinem hochrangigen Exekutivdirektor ersetzt und damit erheblich gestärkt wurde. Sachliche Gründe für eine solche unterschiedliche Behandlung, insbesondere die Schwächung des Monitoring (Überwachungs-)Team sind nicht erkennbar, wodurch die Glaubwürdigkeit des SR weiter gelitten hat. Um die mit einer Konsolidierung verbundene Stärkung des SR auszugleichen, sollte der organisatorisch geeinte Anti-Terrorismus-Ausschuss zudem für kooptierte Mitglieder geöffnet und damit endlich eine Brücke zur breiteren VN-Mitgliedschaft geschlagen werden.391 Ein solcher Status wäre zwar (420); eine gleichlautende Empfehlung hat auch der GS in seinem Bericht „Mandating and Delivering“, A/60/733, Para. 122 vom 30.3.2006 ausgesprochen. 390 Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, A Compilation of Key Documents, 2008, Workshop 1 Institutional Challenges, Para. 44.
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nicht mit einem Stimmrecht, aber doch wenigstens mit dem Recht verbunden, den ansonsten informellen, nicht-öffentlichen Ausschuss-Sitzungen beizuwohnen. Dadurch bekämen die kooptierten Mitglieder – und durch sie alle interessierten Staaten und Organisationen – ungefilterten Zugang zu relevanten Informationen. Die derzeitigen Unterrichtungen der drei (1267-/1373-/1540-)Ausschüsse versetzen die Staaten dagegen kaum in den Stand, sich ein realistisches Bild von den oftmals sehr kontrovers geführten Diskussionen innerhalb der Ausschüsse oder zwischen den Ausschüssen und ihren Expertengruppen zu machen. Stattdessen werden in den Berichten als Ausdruck des „Konsenses“ im „gemeinsamen Kampf“ gegen den Terrorismus Bruchstellen geglättet und verkürzte „Positionen des Ausschusses“ kommuniziert, so dass es faktisch unmöglich ist, sie von außen zu durchdringen. Eine derartige Öffnung läge letztlich sogar im Eigeninteresse des SR. Denn ohne Einbindung der Mitgliedschaft werden seine Resolutionen zunehmend ins Leere laufen, wie die Erfahrung zeigt. 2. Institutionalisierung des Arbeitsstabs Terrorismusbekämpfung (CTITF) im VN-Sekretariat
Umgekehrt gilt für die anderen VN-Akteure, dass sie für eine wirksame Terrorismusbekämpfung wiederum auf das politische Gewicht des SR und die Autorität insbesondere der P 5 angewiesen sind. Mit der Beteiligung des CTED, des 1267-Überwachungsteams und der 1540-Expertengruppe am Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung ist inzwischen eine erste dahin gehende Annäherung gelungen. Zur Stärkung des Arbeitsstabs, wovon insoweit auch der SR profitiert, hat der GS diesen zum 1. April 2009 der Gruppe Politische Planung (Policy Planning Unit) der strategisch wichtigen Hauptabteilung für Politische Angelegenheiten (DPA) zugeordnet. Außerdem hat er die Leitung des Arbeitsstabs Jean-Paul Laborde, dem langjährigen Leiter der TPB und damit einem ausgewiesenen Fachexperten, übertragen. Zwar hat der Arbeitsstab bereits hierdurch deutlich an Gewicht gewonnen, da er nunmehr am weiter gefassten Handlungsrahmen des DPA sowie an dessen Budget teilhat. Ein noch stärkeres Signal wäre indes gewesen, wenn der GS den Leiter zugleich zu seinem Sonderbevollmächtigten (Special Representative of the SG) für Terrorismusbekämpfung ernannt hätte, so dass er nicht in erster Linie nur als Koordinator nach innen, sondern zugleich mit mehr Autorität 391 Die Möglichkeit, sich für einzelne Staaten als kooptierte Mitglieder zu öffnen, wurde schon früh auf Arbeitsebene im CTC diskutiert. Siehe dazu auch I. Johnstone, Legislation and Adjudication in the UN Security Council: Bringing Down the Deliberative Deficit, AJIL 102 (2008), 275 (304).
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nach außen hätte wirken können. Auch ist die personelle Besetzung weiterhin dünn. Insoweit könnten etwa die Mitglieder des Arbeitsstabs eigene Mitarbeiter abordnen, was zugleich der Vernetzung sowie dem Wissensund Erfahrungsaustausch dienen würde.392 In programmatischer Hinsicht ist vorgesehen, die Aktivitäten der neun Arbeitsgruppen künftig noch operativer auszugestalten und die Mitgliedstaaten aktiver zu beraten, um größere praktische Wirkung zu entfalten.393 Organisatorisch könnte insoweit daran gedacht werden, die Anzahl der Arbeitsgruppen von neun auf vier, also entsprechend den vier Säulen der Weltweiten Strategie, zu reduzieren, um die Zahl der Gremien einzugrenzen.394 Eine weitere Maßnahme, die den Transfer des Arbeitsstabes ins DPA ergänzen würde, bestünde darin, die im DPA angesiedelte Unterabteilung für Nebenorgane des SR (Security Council Subsidiary Organs Branch), soweit sie mit den „Anti-Terrorismus-Ausschüssen“ des SR befasst ist, ebenfalls dem Leiter des Arbeitsstabes zu unterstellen. Damit verfügte nicht nur dieser über mehr „Masse“ und damit einen größeren Hebel, sondern auch der SR und seine Ausschüsse über einen direkteren Ansprechpartner im Hinblick auf die vielfältigen Sekretariatsdienste, die die Unterabteilung für sie erledigt395 [zu den Problemen, die sich daraus ergeben, dass die SR-Ausschüsse sich nach dem status quo durch fünf Hierarchiestufen im DPA vorarbeiten müssen, bevor sie zu ihrer „Service“-Einheit durchdringen, s. o., Kap. 6, C. III. 3. d)]. Bei einer entsprechenden Aufstockung der Mittel könnte der GS seine Organisationskompetenz schließlich noch weiter dahin gehend ausschöpfen, dass er nicht nur den Arbeitsstab und die Unterabteilung für Nebenorgane des SR im DPA zusammenlegte, sondern diese zu einer eigenen Hauptabteilung für Terrorismusbekämpfung („Department for Counter-Terrorism“) fortentwickelte. Hierbei wäre dann möglichst auch das CTED einzubeziehen, zum einen um Synergien zu nutzen, zum anderen um dessen systemwidrige parallele Sekretariatsstruktur aufzuheben [s. o., Kap. 6, C. 392 Vgl. Empfehlung Nr. 17 des Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), An Opportunity for Renewal: Revitalizing the United Nations counterterrorism program – An Independent Strategic Assessment, 2010. 393 Siehe den Pressebericht vom 4.3.2009 unter http://www.un.org/apps/news/ printnews.asp?nid=30091 [eingesehen am 5.3.2009]. 394 So der Vorschlag in Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, Final Document vom 24.7.2008, Para. 10. 395 Siehe zur Arbeit der Abteilung für Angelegenheiten des SR (Security Council Affairs Devision/SCAD), zu der die Unterabteilung für Nebenorgane des Sicherheitsrats gehört, die Ausgabe des VN-Magazins Politically Speaking vom Sommer/ Herbst 2008, S. 8–9.
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III. 3. e)]. Der Abteilungsleiter stünde im Rang eines USG, also unmittelbar unter dem GS, so dass er insoweit über ausreichend politisches Gewicht verfügte, um der Terrorismusbekämpfung gegenüber den anderen Politikfeldern Geltung zu verschaffen. 3. Defizite
Durch die vorgenannten Umstrukturierungen wäre eine Reihe niedrigschwelliger, aber durchaus wirkungsvoller Verbesserungen zu erzielen. Zugleich blieben jedoch entscheidende Defizite bestehen. Dies betrifft vor allem die weiterhin führende Rolle des SR auch „in der Breite“, obgleich er sich als rein politisches, mit Diplomaten besetztes Organ zum einen als wenig geeignet erwiesen hat, eine solch umfassende, langfristig angelegte und stark technisch geprägte Aufgabe wie die Terrorismusbekämpfung auszufüllen und zum anderen mit seiner mangelnden Legitimität auch die unbedingte Folgebereitschaft der Mitgliedschaft eingebüßt hat. Allein aufgrund der Zuordnung zum SR scheuen viele Staaten die Zusammenarbeit sogar mit Einheiten wie dem CTC bzw. CTED, obgleich diese lediglich den Aufbau von Kapazitäten vermitteln sollen, also ausdrücklich einen „non-coercive approach“ verfolgen und keine „law enforcement agenc[ies]“ sind“.396 Eine dafür von Seiten der Staaten erforderliche Offenlegung ihrer Bedarfe aber wäre zwingend mit dem Eingeständnis verbunden, Defizite bei der Umsetzung der Resolutionen zu haben, was sie prinzipiell ins Visier der Sanktionsausschüsse rücken würde. Der CTC stellt sich damit dar als ein „social worker who reports to the police“.397 Aus diesem Grunde legen die Staaten viel Wert darauf, die unterschiedlichen Mandate der SR-Ausschüsse – Kapazitätsaufbau auf der einen und Sanktionen auf der anderen Seite – möglichst auseinanderzuhalten. Bei einer Zusammenlegung der drei Ausschüsse würde indes nicht nur diese Trennung gänzlich aufgehoben, sondern aller Voraussicht nach auch die unbefristete Errichtung des CTC auf den 1267- sowie den 1540-Ausschuss erstreckt, womit wesentliche Teile des VN-Regimes zur Terrorismusbekämpfung im Bereich des SR „zementiert“ wären. Eine formale Änderung des Mandats 396 M. Lippmann, The New Terrorism and International Law, Tulsa J.C.I.L. 10 (2003), 297 (361 ff) sowie bereits das Informationsblatt zum CTC aus dem Jahr 2003, hrsg. von der Ständigen Vertretung Großbritanniens bei den Vereinten Nationen und der Hauptabteilung Presse und Information im VN-Sekretariat. 397 So die Beschreibung im Rahmen einer Diskussion der International Peace Academy sowie der Century Foundation am 11.10.2206 zum Thema „The Global Fight against Terrorism: How relevant is the UN?“, erhältlich unter http://www. tcf.org/publications/homelandsecurity/counter-terrorism.pdf [eingesehen am 30.3. 2009].
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von Kap. VII auf Kap. VI SVN hätte zwar eine gewisse deeskalierende Wirkung und brächte zutreffend zum Ausdruck, dass das CTED seinen Fokus auf einvernehmliche kapazitätsbildende Maßnahmen legt, dürfte an der tatsächlichen und empfundenen Nähe zum SR aber letztlich nicht viel ändern.398 Aufgrund mangelnder Akzeptanz können CTC und CTED selbst eine bloße Koordinierungsfunktion kaum erfüllen, da Akteure wie die UNESCO oder das UNDP, die primär mit Entwicklungs- und Bildungsthemen betraut sind, befürchten, durch eine Verbindung mit dem SR unnötig politisiert und dadurch in ihrer Arbeit behindert zu werden.399 Vor diesem Hintergrund kann es mittlerweile als ausgeschlossen gelten, dass das SRRegime jemals die Rolle wird ausfüllen können, die insbesondere die USA ihm ursprünglich zugedacht hatten und die für eine effektive Terrorismusbekämpfung erforderlich wäre. Hinzu kommt das materielle Problem, dass der SR auf Ressourcen angewiesen ist, die nur die GV freigeben kann, deren Handeln jedoch darauf angelegt ist, das SR-Regime als „leere Hülle“ möglichst klein zu halten.400 Mit ähnlichen Problemen ist aber auch der Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung konfrontiert, der trotz seiner Institutionalisierung nicht nur weiterhin über unzureichende Ressourcen verfügt, sondern dem auch Grenzen in seiner Arbeit aufgrund politischer Vorbehalte seiner Mitglieder gesetzt sind. Sein Leiter J.-P. Laborde beschrieb dies diplomatisch wie folgt: „CTITF is currenty an amalgam of 30 United Nations entities and international organizations [. . . One] should understand that each of these entities is responsible for the implementation of its own mandate, which is much broader than counterterrorism activities alone. In fact, often it would serve those entities better if we refrain from placing a ‚counter-terrorism‘ label on their activities.“401
Solange das SR- und das GS-/Sekretariats-Regime nebeneinander stehen, bleibt es zudem dabei, dass keine übergreifenden Synergien, etwa im Hinblick auf das Berichtswesen und den Kapazitätsaufbau, erzielt werden können. Eine Lösung ist demnach nur zu erreichen, wenn nicht nur diese beiden jeweils in sich konsolidiert, sondern wenn sie unter der Regie der GV bzw. der Mitgliedstaaten übergreifend zusammengefasst würden und der SR sich auch im Bereich des internationalen Terrorismus wieder stärker darauf 398
Siehe aber die entsprechende Empfehlung Nr. 4 des Center on Global Counterterrorism Cooperation, in: An Opportunity for Renewal: Revitalizing the United Nations counterterrorism program – An Independent Strategic Assessment, 2010. 399 E. Rosand, The UN-Led Multilateral Institutional Response to Jihadist Terrorism: Is a Global Counterterrorism Body Needed?, JCSL 11 (2006), 399 (420). 400 Ebd., S. 422. 401 Äußerung im Rahmen seines Briefing der Mitgliedstaaten am 27.7.2010, erhältlich unter http://www.un.org/terrorism/pdfs/briefing_27July_2010.pdf [eingesehen am 15.10.2010].
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zurückzöge, sich vorrangig mit akuten Sicherheitsbedrohungen i. R. v. Art. 39 SVN zu befassen. II. Gründung einer neuen „Ankerinstitution“ zur Terrorismusbekämpfung Als neue Institution zur Terrorismusbekämfung käme, je nach Grad ihrer organisatorischen Verselbständigung, entweder ein VN-Amt bzw. -Programm (2.) oder eine angeschlossene bzw. Sonderorganisation in Betracht, die zwar noch innerhalb der VN-Familie, aber außerhalb der „Kern“-VN stünde (3.). 1. Mandat
Unabhängig von ihrer Organisationsform müsste diese Institution das Ergebnis einer Verlagerung der operativen Tätigkeiten, aber auch der strategischen Entscheidungen in der Terrorismusbekämpfung vom SR zur GV bzw. zu den Mitgliedstaaten sein. Das CTED und die anderen Expertengruppen unter SR-Mandat gingen in dieser Einheit ebenso auf wie der aktuell im Sekretariat verortete Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung. Um als „Ankerinstitution“ fungieren und die beschriebenen Defizite beseitigen zu können, müsste sie weitestgehende Autorität, Autonomie und Effektivität im VN-System entwickeln und die folgenden Aufgaben wahrnehmen402: die Einholung und Analyse integrierter Staatenberichte; die Leistung und Vermittlung technischer Hilfe von Geber- an Empfängerstaaten und -organisationen zum erforderlichen Kapazitätsaufbau; die Ausarbeitung und Umsetzung von Programmen und Standards zur Terrorismusbekämpfung; die Förderung von Kooperationen innerhalb der internationalen Gemeinschaft und die Koordinierung der Aktivitäten; die Überwachung der Implementierung der Internationalen Übereinkommen gegen den Terrorismus sowie der einschlägigen SR-Resolutionen. 2. VN-Amt oder -Programm für Terrorismusbekämpfung
Bereits im Jahr 2004 startete eine Group of Friends um die Schweiz und Costa Rica die Initiative, ein „Office of the High Commissioner on Terrorism“ zu errichten.403 Der Alternativvorschlag, ein „UN Counter-Terrorism 402 Vgl. zur Funktion von Ankerinstitutionen M. Ivanova, Assessing UNEP as Anchor Institution for the Global Environment: Lessons for the UNEO Debate, 2005, 2. 403 C. S. R. Murthy, The U.N. Counter-Terrorism Committee: An Insititutional Analysis, 2007, 11.
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Programme“ zu gründen, stammt aus dem Umfeld des International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation und wurde 2008 im Zuge der Zwischenevaluation der Weltweiten Strategie eingebracht.404 Sowohl ein VN-Amt als auch ein VN-Programm wäre formal ein Nebenorgan der GV, das von dieser per Resolution gegründet würde. Beispiele hierfür sind das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR, A/RES/48/141 vom 20.12.1993) bzw. das VN-Umweltprogramm (UNEP, A/RES/27/2997 vom 15.12.1972). Materiell agieren sowohl ein VN-Amt als auch ein VN-Programm allerdings weitgehend autonom. Sie berichten der GV über ihre Tätigkeit und verfügen im Übrigen mit dem Hochkommissar bzw. Exekutivdirektor über eigene Leitungsorgane auf der Ebene von Untergeneralsekretären (USG). Zu den Aufgaben des Hochkommissars für Menschenrechte gehört es, „to coordinate the human rights promotion and protection activities throughout the United Nations system [and] to rationalize, adapt, strengthen and streamline the United Nations machinery in the field of human rights“ [vgl. A/RES/48/141, op. 4 (i)–(j)]. Er (bzw. sie) ist „the United Nations official with principle responsibility for UN human rights activities“, steht dabei jedoch „under the direction and authority of the [SG]; within the framework of the overall competence, authority and decisions of the [GA, ECOSOC, HRC]“ (op. 4). Aufgabe des Exekutivdirektors des Umweltprogramms ist u. a., „to coordinate [. . .] environmental programmes within the United Nations system, to keep their implementation under review and to assess their effectiveness“, wobei er „under the guidance of the Governing Council“ agiert (A/RES/27/2997, II. 2b.). Mit diesem Verwaltungsrat, dem 58 Vertreter der Mitgliedstaaten angehören und der zentrales Leitungsorgan des Programms ist, sowie dem Koordinierungsbeirat, der dem Exekutivdirektor zur Seite steht, verfügt das UNEP bereits – stärker als das OHCHR – über Organisationsstrukturen, die ein „permanent institutional arrangement within the United Nations system“ (A/RES/27/2997, pp. 11) ausmachen.405 404
Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, Final Document vom 24.7.2008, Para. 7 (zunächst bezogen auf eine Weiterentwicklung des CTED). Zur Gründung eines VN-Amtes siehe E. McMahon/K. Afrasiabi, Unconventional: A Point of View – Who should lead our Anti-terrorism Efforts?, erhältlich unter http://www.un.org/ Pubs/chronicle/2003/issue1/0103p75.html [eingesehen am 15.9.2004], für ein VNProgramm siehe A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2006, 53 ff. 405 Angesichts dessen wäre der Übergang des UNEP zur einer „UNEO“ („United Nations Environmental Organization“) ein vergleichsweise kleiner Schritt. Ähnlich evolutionär – von einem VN-Programm zu einer den VN angeschlossenen oder Sonderorganisation – könnte sich auch die Institutionalisierung der Terrorismusbekämpfung innerhalb der VN vollziehen.
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Beide – OHCHR und UNEP – füllen Funktionen aus, derer die VN auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung bedürfen. Zur Umsetzung ihrer Mandate verfügen sowohl UNEP als auch OHCHR über Sekretariate sowie Regional- und Länderbüros, die aus dem ordentlichen Haushalt der VN finanziert werden und mit rund 850 (OHCHR) bzw. 1000 Mitarbeiter/innen (UNEP) substanziell ausgestattet sind; ihre Programmbudgets bestreiten sie hingegen ausschließlich aus freiwilligen Beiträgen, die sich zuletzt auf ca. 95 Mio. US-Dollar (OHCHR) bzw. 300 Mio. US-Dollar (UNEP) beliefen [Stand: 2008].406 Zum Vergleich: Selbst die addierten Ressourcen zur Terrorismusbekämpfung von SR und UNODC/TPB summieren sich lediglich auf ein jährliches Budget i. H. v. ca. 20 Mio. US-Dollar bei rund 60 Mitarbeiter/innen407; auch die zwischenzeitliche Institutionalisierung des Arbeitsstabs im Sekretariat hat insofern nur einen geringen Aufwuchs erbracht. 3. Angeschlossene oder Sonderorganisation
Die Schaffung einer (Sonder-)Organisation zur Terrorismusbekämpfung ist insbesondere von Stimmen aus den USA angeregt worden.408 Sie entstünde auf der Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen den Gründungsstaaten. Im Gegensatz zu einem VN-Amt oder -Programm hätte eine solche „International Counter-Terrorism Organization“ („ICTO“) ihre eigene Rechtspersönlichkeit. Sie wäre haushalts- und personalrechtlich frei von Vorgaben der VN, dafür aber gänzlich auf die Beiträge ihrer Mitgliedstaaten angewiesen. Sinnvoller-, im Falle einer den VN angeschlossenen oder Sonderorganisation zwingenderweise, unterhielte sie jedoch Verbindungen zu den VN, etwa indem sie der GV, dem ECOSOC und ggf. dem SR berichtete und ihre Tätigkeit den Zielen und Grundsätzen der VN-Charta unterstellte. 406 Für das OHCHR siehe http://www.ohchr.org/EN/AboutUs/Pages/FundingBudget.aspx; für UNEP siehe http://www.unep.org/rms/en/index.asp sowie das UNEP Organization Profile, S. 21, erhältlich unter http://www.unep.org/Documents.Multilingual/Default.asp?DocumentID=43 [eingesehen am 30.3.2009]. 407 Siehe E. Rosand, The UN-Led Multilateral Institutional Response to Jihadist Terrorism: Is a Global Counterterrorism Body Needed?, JCSL 11 (2006), 399 (422; Fn. 41) [Stand: 2005]. Die Größenordnung ist jedoch auch nach der Neustrukturierung des CTED Anfang 2008 unverändert geblieben, siehe S/2008/80 vom 8.2. 2008. 408 T. McNamara, Security Council resolutions, in particular resolution 1373 (2001), in: UNODC (Ed.), Combating International Terrorism: the contribution of the United Nations, 97 (2003), 42 (43); E. Rosand, Security Council Resolution 1373, the Counter-Terrorism Committee, and the Fight against Terrorism, AJIL 97 (2003), 333 (341); C. de Jonge Oudraat, The Role of the Security Council, in: J. Boulden/T. G. Weiss (Eds.), Terrorism and the UN, 2004, 166.
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Als Modell für eine „ICTO“ wird häufig die Internationale AtomenergieOrganisation (IAEO) angeführt409, die zur Aufgabe hat, die zivile Nutzung der Atomkraft zu fördern. Zugleich entwickelt sie jedoch Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke und führt Kontrollen durch, ob kein Uran zur möglichen Herstellung von Atomwaffen angereichert wird. In dieser Funktion agiert sie auch im Arbeitskreis Terrorismusbekämpfung. Sie ist keine VN-Sonderorganisation, sondern den VN lediglich angeschlossen, da ihr Kooperationsvertrag außerhalb des Verfahrens nach Art. 63 SVN zustande gekommen ist und sie anstelle des ECOSOC der GV und ggf. dem SR berichtet. Ihr Statut stellt noch weitere Verknüpfungen zu den VN her, indem es etwa – vorbehaltlich einer Autorisierung durch die GV – die Jurisdiktion des IGH vorsieht. Damit ist sie politisch ähnlich legitimiert wie Organisationen, die zu den Kern-VN gehören, ohne dabei jedoch den vielen organisatorischen VN-Regeln zu unterliegen, die einer Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geschuldet sind. Ähnlich dem UNEP verfügt die IAEO neben einem Sekretariat, das allerdings mehr als 2000 Mitarbeiter/innen umfasst, über einen (General-)Direktor, einen (Gouverneurs-)Rat mit 35 Mitgliedern sowie – praktisch anstelle (aber eben auch unabhängig von) der GV – eine Generalkonferenz aller Mitgliedstaaten. Das Jahresbudget beläuft sich auf knapp 300 Mio. Euro, die von den Mitgliedern nach einem festen Beitragsschlüssel aufgebracht werden, sowie zusätzlich rund 85 Mio. Euro an freiwillgen Zuwendungen, die in einen Fonds für Technische Zusammenarbeit fließen [Stand: 2009].410 4. Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Modelle
Mit beiden Lösungen, d. h. sowohl mit der Schaffung eines VN-Amtes oder -Programmes als auch einer den VN angeschlossenen oder Sonderorganisation, ließen sich wichtige Fortschritte gegenüber dem SR-zentrierten Ansatz nach dem – auch reformierten – status quo erzielen. Diese lägen in erster Linie in einer größeren Öffnung, die wiederum zu einem Mehr an Legitimität, Expertise und Ressourcen und in der Folge zu einer wirksameren Terrorismusbekämpfung führen würde. Das maßgebliche Kriterium für die Formwahl muss eine Struktur sein, in der die Organisation ihre Funktionen bestmöglich wahrnehmen kann („form follows function“411). Wenngleich sich auch ein VN-Amt oder -Programm unterschiedlich gestalten 409 D. McGoldrick, From ‚9-11‘ to the Iraq War 2003, 2004, S. 27. A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2006, 53 ff. 410 Siehe die Angaben unter http://www.iaea.org/About/budget.html [eingesehen am 30.3.2009]. 411 M. Ivanova, Assessing UNEP as Anchor Institution for the Global Environment: Lessons for the UNEO Debate, 2005, 4.
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ließe, wäre der Spielraum bei einer eigenständigen Organisation insoweit grundsätzlich größer. Der Vorteil eines VN-Amtes oder -Programmes gegenüber einer den VN angeschlossenen oder Sonderorganisation läge in deren größerer Legitimität, da sie unmittelbar aus der GV als dem universalen Forum der internationalen Staatengemeinschaft hervorginge. Auch wäre zumindest ihre Grundausstattung aus dem ordentlichen VN-Budget gewährleistet. Als Kehrseite ihrer VN-Nähe unterlägen sie jedoch der Steuerung durch die GV bzw. im Falle eines Amtes durch den GS. Sie wären in denselben Strukturen verfangen, die der mangelnden Effektivität und Effizienz des bestehenden VN-Systems zugrunde liegen, etwa Einstimmigkeitserfordernisse bei Abstimmungen, sachwidrige Politisierungen technischer Fragen, Schwankungen in Mittelzuweisungen, Quotenregelungen im Personalwesen etc. Eine eigenständige Organisation könnte sich dagegen weitgehend ihr eigenes Regelwerk schaffen. Dies begänne mit gestrafften Leitungsstrukturen, die zumindest ansatzweise bereits im Vergleich mit UNEP, das einen 58-köpfigen Verwaltungsrat hat, und IAEO, deren Gouverneursrat lediglich 35 Mitglieder umfasst, erkennbar sind. Im Hinblick auf ihr Budget könnte eine „ICTO“ – wie die IAEO – einen festen Beitragsschlüssel festsetzen, nach dem auch die Finanzierung des Programmbudgets abgedeckt wäre, wohingegen die freiwilligen Zuwendungen wie im Falle des OHCHR und UNEP größtenteils zweckgebunden, d. h. für ausgewählte Projekte der Geber zu verwenden sind. Was das Personal betrifft, wäre eine Organisation außerhalb der Kern-VN besser in der Lage, nach bestimmten Qualifikationen und befristet zu rekrutieren, um adäquat auf neue Anforderungen reagieren zu können.412 Gegen eine eigenständige Organisation könnte indes vorgebracht werden, dass es sich bei der Terrorismusbekämpfung – wie der Blick auf die Weltweite Strategie offenbart – um eine Querschnittsaufgabe handelt. Auf den thematisch ähnlich breit angelegten Gebieten des Menschenrechts- und Umweltschutzes wurden seinerzeit das OHCHR und UNEP ganz bewusst als VN-Amt bzw. -Programm gegründet, um weitere sektorale Organisationen zu vermeiden.413 Allerdings hat sich erwiesen, dass auch sie ihrer Funktion nur bedingt gerecht werden konnten und können. Danach dürfte weniger die Organisationsform als vielmehr das tatsächliche Vermögen ausschlag412
Zum Ganzen siehe A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2006,
56 ff. 413 M. Ivanova, Assessing UNEP as Anchor Institution for the Global Environment: Lessons for the UNEO Debate, 2005, 5: „The establishment of a specialized agency for the environment was deemed counterproductive since that would make the environment another ‚s e c t o r ‘ and thus marginalize it.“ Vgl. auch A/RES/27/2997, pp. 5: „Mindful of the s e c t o r a l responsibilities of the organizations in the United Nations system [.]“ [Hervorhebung durch Verf.].
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gebend sein, die verschiedenen Akteure, die sich in einem Themengebiet bewegen, effektiv zu koordinieren. Da zwar jeder gern die Rolle des Koordinators für sich in Anspruch nimmt, sich jedoch mit Kräften dagegen wehrt, selbst koordiniert zu werden, müssen insofern bei der neuen Organisation nicht nur institutionell die Fäden zusammenlaufen, sondern sie muss, um zum „Gravitationszentrum“ werden zu können, auch über eigene Substanz verfügen. Da es im Bereich der Terrorismusbekämpfung – im Gegensatz zum Menschenrechts- und Umweltschutzregime – keine Vertragsorgane gibt, die mit der Durchführung der Internationalen Übereinkommen und Protokolle betraut sind, könnte eine „ICTO“ genau hier die erforderliche „Masse“ für sich aufbringen und einen spezifischen Mehrwert leisten. Infolge der jüngsten Fokussierung des SR auf die Terrorismusbekämpfung ist die Zahl der Ratifikationen stark angewachsen.414 Es fehlt diesen vertraglichen Regimen bislang jedoch an Umsetzungsmechanismen. Eine „ICTO“ könnte diese Lücke schließen und sämtliche Übereinkommen und Protokolle sowie die relevanten SR-Resolutionen, d. h. das „universal legal regime against terrorism“415, zu einem gemeinsamen „acquis“ bündeln und einem umfassenden Monitoring durch ein einheitliches, ständiges Vertragsorgan unterstellen.416 Damit wäre die Anwendung einheitlicher Standards gewährleistet und der entscheidende Mangel von OCHCR und UNEP behoben, der darin liegt, dass dort alle Verträge über ihr eigenes Regime außerhalb der „Zentrale“ verfügen.417 Eine „ICTO“ würde dagegen grundsätzlich alle Voraussetzungen erfüllen, um jedenfalls für diesen wichtigen Strang tatsächlich als „Ankerinstitution“ zu fungieren. Darüber hinaus bedürften die Querverbindungen zu denjenigen VN-Einheiten, die primär mit den „soft issues“ wie Bildung und Entwicklung befassst sind, sowie die Zusammenarbeit mit Re414
Zu den legislativen Resolutionen s. o., Kap. 5, B.; zum Stand der Ratifikationen der Internationalen Übereinkommen gegen den Terrorismus siehe die Übersicht des UNODC zum 31.12.2008 in der Publikation Delivering Counter-Terrorism Assistance vom März 2009, erhältlich unter http://www.unodc.org/documents/terror ism/TPB_brochure_English_final_printed_copy.pdf [eingesehen am 12.4.2008]. 415 So die Formulierung des UNODC, vgl. Delivering Counter-Terrorism Assistance, S. 5, erhältlich unter http://www.unodc.org/documents/terrorism/TPB_bro chure_English_final_printed_copy.pdf [eingesehen am 12.4.2008]. 416 Dazu V. Röben, The Role of International Conventions and General International Law in the Fight against International Terrorism, in: C. Walter et al. (Eds.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 2004, 789 (816). 417 Damit wäre sie Vorbild auch für das OHCHR und UNEP, vgl. den Plan of Action des OHCHR in A/59/2005/Add.3 vom 26.5.2005, Para. 99: „[I]t seems clear that some means must be found to consolidate the work of the seven treaty bodies and to create a u n i f i e d s t a n d i n g t r e a t y b o d y (Hervorhebung durch Verf.).“
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gionalorganisationen und NGOs der Koordinierung. Hiermit könnte beispielsweise ein Sondergesandter des GS, unterstützt durch eine gesonderte Abteilung in der „ICTO“, betraut werden. 5. Realisierung
Auch wenn der Schritt zu einer „ICTO“ zunächst groß erscheinen mag, dürften die Chancen, sie realisieren zu können, an sich vergleichsweise positiv stehen. Dies liegt vor allem daran, dass sie als eigenständige Vertragsorganisation nicht auf einen Konsens in der GV angewiesen wäre. Insoweit bestünde die Herausforderung darin, trotzdem genügend Mitglieder aufzubringen, damit sie gleichwohl auf einer breiten Legitimationsgrundlage stünde und eine universale Reichweite entfaltete. Da eine „ICTO“ aber vielen Staaten erstmals überhaupt eine Aussicht auf Teilhabe und Selbstverantwortung („ownership“) böte, während sie die bisherige Anti-TerrorismusAgenda als vom Westen dominiert und vom SR oktroyiert empfinden, dürfte sie durchaus attraktiv sein. Eine einstimmige Resolution der GV, die alternativ zur Schaffung eines VN-Amtes oder -Programmes erforderlich wäre, erschiene hingegen derzeit weniger erreichbar, jedenfalls wenn diese mehr beinhalten sollte als den kleinsten gemeinsamen Nenner. Denn eine Reihe von Staaten, die sich dem Vorwurf ausgesetzt fühlen, Förderer des Terrorismus zu sein, beharren bereits darauf, schon den Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung in seiner jetzigen rudimentären Form und Ausstattung „einzufrieren“ bzw. ihn sogar noch stärker der Steuerung durch die GV zu unterstellen.418 Um auch diese Staaten letztlich zu gewinnen, gälte es, Vertrauensarbeit zu leisten, insbesondere frühere Schwarz-Weiß-Malerei aufgzugeben und das Potenzial einer „ICTO“, effektiv technische Hilfe zu leisten, in den Vordergrund zu stellen. Damit bekämen die Staaten erstmals handfeste Gegenleistungen für ihre Kooperation, während ihre (Defizit-)Berichte bislang nur selten dazu geführt haben, dass von Seiten der internationalen Gemeinschaft ein gezielter und substanzieller Kapazitätsaufbau eingeleitet worden ist. Die Bereitschaft des SR, eigene bzw. Kompetenzen seiner Ausschüsse abzugeben, dürfte hingegen eher vorliegen, denn die Autorität seiner AntiTerrorismus-Ausschüsse hat bisher ohnehin mehr „auf dem Papier“ gestanden, während sie sich in der Praxis als eher „zahnlos“ erwiesen haben.419 418 So implizit der Vorschlag Syriens anlässlich der Evaluation der Weltweiten Strategie am 5.9.2008, GA/10738: „The Task Force should continue to work within the mandate entrusted to it by the Assembly and take guidelines from Member States.“ Noch deutlicher äußerte sich zum selben Anlass der Iran: „The Task Force should be bound by the mandate granted to it by the Assembly.“
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Da die einschlägigen Resolutionen allerdings auf der Grundlage von Kapitel VII ergangen sind, wäre für den SR insoweit entscheidend, dass die „ICTO“ ihm – ähnlich wie die IAEO, wozu ein VN-Amt oder -Programm aber wiederum kaum in der Lage wäre – diejenigen Fälle zur Befassung überwiese, in denen Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Bedenkenswert in diesem Zusammenhang wäre die Anregung Thomas M. Francks, hierbei den IGH einzubinden, damit dieser – und nicht der SR als politisches Organ – die Prüfung vornähme, ob tatsächlich Rechtsverstöße vorliegen.420 Allein die Vollstreckung der Entscheidung obläge dann ggf. dem SR selbst. Die „kleine“ und „große“ Lösung könnten auch schrittweise umgesetzt werden. In einem ersten Schritt würde danach der SR die verschiedenen Expertengruppen im CTED vereinen und den CTC sowie den 1267- und 1540-Ausschuss in einem einzigen Ausschuss zur Terrorismusbekämpfung konsolidieren, der zudem für kooptierte Mitglieder geöffnet würde. In einem zweiten Schritt wäre das CTED mit dem Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung (CTITF) zusammenzuführen, bevor sie in einem dritten Schritt zu einem eigenen VN-Amt oder -Programm oder vorzugsweise einer „ICTO“ fortentwickelt würden. Sonst übliche langwierige Vertragsverhandlungen dürften hier angesichts des bereits erreichten „acquis“, der materielle Grundlage der Organisation wäre, entfallen oder jedenfalls kürzer ausfallen. Institutionelle Veränderungen am status quo bleiben in jedem Fall auf der Tagesordnung. Das derzeitige SR-Regime steht mit den Evaluationen des CTED zum Juni 2012 und Dezember 2013 weiter auf dem Prüfstein [vgl. S/RES/1963 (2010), op. 2], und auch der Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung (CTITF), dessen Institutionalisierung ohnehin ein laufender Prozess ist, unterliegt regelmäßigen Evaluationen (vgl. zuletzt A/RES/64/297, op. 17). Die Umstände deuten mittlerweile allerdings mehr auf eine schrittweise Entwicklung des Arbeitsstabs hin, während das für die Gründung einer eigenen Organisation erforderliche Momentum fehlt. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch die „islamische Welt“ einen eigenen Vorschlag zur Institutionalisierung unterbreitet hat, und zwar werben Saudi-Arabien und die übrigen Staaten der OIC für die Schaffung eines internationalen Zentrums zur Bekämpfung des Terrorismus. Insbesondere die westlichen Länder haben hierauf bislang allerdings verhalten reagiert, da sie dessen Wirksamkeit bezweifeln und befürchten, dies könnte 419
E. Rosand, The UN-Led Multilateral Institutional Response to Jihadist Terrorism: Is a Global Counterterrorism Body Needed?, JCSL 11 (2006), 399 (424); siehe auch oben Teil 2. 420 Th. M. Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, 234.
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unerwünschte Auswirkungen auf die Meinungsbildung zum Terrorismus haben (Stichwort „Freiheitskampf“). In der Weltweiten Strategie jedenfalls hat es insoweit lediglich zu einem Prüfauftrag gereicht (siehe im Aktionsprogramm unter II. 9.). Damit gilt hier das gleiche wie für die „Frage der Einberufung einer Konferenz auf hoher Ebene unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zur Entwicklung einer internationalen Antwort auf den Terrorismus“, für die die arabischen Staaten unter Federführung Ägyptens auf dem Weltgipfel 2005 geworben hatten.421
E. Terrorismusbekämpfung als Teil einer umfassenden globalen Sicherheitsagenda Abschließend sei der Blick noch einmal auf den größeren Kontext gerichtet, in dem die Bekämpfung des internationalen Terrorismus steht. Da es eine Vielzahl an (potenziellen) Gefahren gibt, die Ressourcen aber begrenzt sind, müssen die Staaten Prioritäten setzen und sich auf gemeinsame Schwerpunkte einigen, wenn die internationale Agenda ausgewogen sein und den Einsatz gemeinsamer Institutionen und Mittel rechtfertigen soll.422 Dies kann aber nur gelingen, wenn die Staaten sich zunächst über ihre unterschiedliche Wahrnehmung austauschen und auf eine gemeinsame Gefahrenanalyse verständigen. Denn die objektive Bedrohungslage und das subjektive Bedrohungsgefühl klaffen häufig weit auseinander, was Ursache für viele Missverständnisse und Missallokationen ist. Dies gilt auch im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung in den Jahren nach 2001. So ist etwa die UNESCO zu dem Befund gelangt, dass „[a]fter September 11 the perceived threat of terrorism rather than the occurence of terrorist attacks has created a new climate of fear“ – das gilt jedenfalls für bestimmte, vor allem westliche Gesellschaften.423 Diese Angst wurde teilweise auch ganz bewusst von nationalen Regierungen geschürt, um sich von rechtsstaatlichen „Einengungen“ freizumachen.424 421 Ergebnisdokument, A/RES/60/1 vom 24.10.2005, Para. 84. Letztlich geht diese Initiative auf einen Vorschlag Syriens bereits aus dem Jahr 1987 zurück, dessen Titel die politische Motivation offenbart: „Convening, under the auspices of the United Nations, of an international conference to define terrorism and to differentiate it from the struggle of peoples for national liberation“, siehe P. Romaniuk, Multilateral Counter-Terrorism, 2010, 49. 422 Vgl. auch P. Romaniuk, Multilateral Counter-Terrorism, 2010, 144: „[I]n the absence of the kind of ‚cost/benefit‘ analysis . . . we do not know how much attention to counter-terrorism is too much . . .[. W]e should balance it with other priorities over time.“ 423 So die Korean National Commission for UNESCO, zitiert nach A. Millar/E. Rosand, Allied against Terrorism, 2006, 79. Weiterführend U. Schnabel, Die Konjunktur der Ängste, Die ZEIT vom 19.6.2008, S. 31.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Während demnach vor allem in den USA der internationale Terrorismus (noch?425) als das Übel unserer Zeit empfunden wird und auch der SR diesen Fokus weiterhin aufrechtzuerhalten sucht426, hat sich das Gefühl der Bedrohung durch terroristische Anschläge im Verhältnis zu anderen Gefahren in den meisten anderen Teilen der Welt mittlerweile deutlich relativiert. Auch wenn sich die Anzahl terroristischer Anschläge nach Erhebungen des US-amerikanischen Außenministeriums in den Jahren 2006 und 2007 weiter auf mehr als 14.000 erhöhte, konzentrierten sich die Vorfälle doch auf einen vergleichsweise kleinen Raum. Denn rund die Hälfte dieser Anschläge und sogar zwei Drittel der nahezu 20.500 Todesopfer entfielen allein auf den Irak, und das am zweitstärksten betroffene Land war Afghanistan.427 Angesichts dieser Zahlen lässt sich kaum verhehlen, in welchem Maße der „Anti-Terror-Krieg“ seinerseits terroristische Anschläge bzw. – je nach Sichtweise – Bürgerkriege erst ausgelöst hat. Auch in den Jahren 2008 und 2009 wurde die Liste weiterhin vom Irak und von Afghanistan angeführt, wobei die Zahlen insgesamt auf rund 12.000 gesunken sind und sich das Verhältnis zuungunsten Afghanistans verschoben hat.428 Dies liegt allerdings nicht zuletzt daran, dass Afghanistan nun auch als Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen Pakistan und Indien herhalten muss, obgleich dieser Konflikt mit den Anschlägen in Mumbai vom 26. November 2008 424
Lordrichter Johan Steyn zur Belmarsh Detainees-Entscheidung des House of Lords vom Dezember 2004: „[. . .] the public fear whipped up by the governments of the United States and the United Kingdom since September 11, 2001 and their determination to bend established international law to their will and to undermine its essential structures“, zitiert nach E. Benvenisti, Reclaiming Democracy: The Strategic Use of Foreign and International Law by National Courts, AJIL 102 (2008), 241 (254 f.). 425 In einer Anhörung des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats im Februar 2009 bejahten die Experten aus Universitäten und Denkfabriken die Frage, ob die aktuelle Wirtschaftskrise bedrohlicher sei als der Terrorismus, bereits einhellig; siehe M. Klingst, . . . und wir sind schuld, Die ZEIT vom 19.2.2009, S. 7. 426 Siehe die Präsidentielle Erklärung vom 27.9.2010, PRST/2010/19, op. 4: „The Security Council [. . .] acknowledges that gaps remain in the overall fight against this scourge, urges all Member States and the United Nations system to address them, and stresses the need to ensure that counter-terrorism remains a priority on the international agenda“. 427 Jahresberichte 2006 und 2007 zum internationalen Terrorismus des US-State Department, erhältlich unter http://www.state.gov/s/ct/rls/crt [eingesehen am 19.10.2010]. 428 Jahresbericht 2009 zum internationalen Terrorismus des US-State Department, erhältlich unter http://www.state.gov/s/ct/rls/crt/2009 [eingesehen am 19.10.2010]. Nach Angaben der UNAMA gab es in Afghanistan im Jahr 2007 im Vergleich zu 2006 einen Anstieg von 30 % „in incidents of insurgent and terrorist activitiy“, zitiert nach dem Achten Bericht des 1267-Überwachungsteams vom 14.5.2008, S/2008/324, II.
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auch wieder Indien selbst erschüttert hat („Indiens 11. September“).429 Stehen in Afghanistan und Pakistan die wieder erstarkten Taliban im Mittelpunkt430, hat sich Al-Qaida vor allem nach Asien und Afrika ausgebreitet. Gleichwohl stellen sich dort, namentlich in Afrika, ganz andere Probleme wie Ernährung, Gesundheit und Bildung als weitaus drängender als der Terrorismus dar. Auch der Fokus des SR auf ABC-Waffen trifft die dortigen Realitäten nur am Rande. Denn die „afrikanischen Massenvernichtungswaffen“ sind stattdessen Kleinwaffen und Minen, an deren Export aber gerade die P 5 mehr verdienen als je zuvor, während sie in ihren Abrüstungsverhandlungen über Jahre kaum von der Stelle gekommen sind.431 Das alles heißt nicht, dass der Terrorismus die internationalen Beziehungen und die allgemeine Sicherheit nicht massiv bedrohte. Er sollte aber nicht eindimensional und mit Absolutheitsanspruch von Staaten der Nordhalbkugel mit Blick vor allem auf ihre eigenen, nationalen Interessen auf die internationale Agenda gesetzt, sondern auf eine Stufe mit den Entwicklungs- und anderen Zielen für die Südhalbkugel gestellt werden.432 Wenn die Terrorismusbekämpfung zudem als „growth industry“ bezeichnet wird433, mag dies zwar Ausdruck einer unbefangenen US-amerikanischen Sprechweise sein. Zugleich spiegelt sich darin aber – um im Jargon zu bleiben – auch eine gewisse „kon429 „Mindestens 28 Tote bei Selbstmordanschlag [vor der Vertretung Indiens in Kabul]“, FAZ.NET vom 7.7.2008; „Gewalt in Bombay – Indien macht Pakistan für Terror verantwortlich“, FAZ.NET vom 28.11.2008. Im Mai 2010 wurde der einzige überlebende Attentäter, der 22jährige Pakistaner Ajmal Amir Kasab, Mitglied der islamistischen Lashkar-e-Taiba, einer vor allem aus Pakistan heraus operierenden terroristischen Organisation, u. a. der „Kriegsführung gegen Indien“ für schuldig befunden, FAZ.NET vom 6.5.2010 [http://www.faz.net]. 430 „Washington und Kabul vereint gegen die Taliban“, FAZ.NET vom 15.2.2009 [http://www.faz.net]; in dem Artikel heißt es: „Pakistans Präsident Asif Zardari erklärte [. . .], sein Land müsse inzwischen einen Überlebenskampf gegen die militanten Islamisten führen.“ 431 S. Wezemann u. a., International Arms Transfers, SIPRI Jahrbuch 2007, Kapitel 10. Siehe im Einzelnen die SIPRI Arms Transfers Database unter http://www. sipri.org/contents/armstrad/at_db.html; dazu auch H. Wulf, Kleinwaffen – die Massenvernichtungsmittel unserer Zeit, VN 49 (2001), 174 (174). Erst mit dem Amtsantritt Barack Obamas und seiner „Global Zero“-Initiative ist wieder Bewegung in die Abrüstung gekommen. In einem ersten bilateralen Schritt erneuerten die USA und Russland am 8.4.2010 das sog. START-Abkommen, 432 Vgl. die Zielsetzung des Center on Global Counter-Terrorism Cooperation: „The Center aims to identify ways to bring together perspectives of the global North and South to develop a more unified global response to terrorism.“ Siehe die entsprechenden Leitlinien unter http://www.globalct.org/ [eingesehen am 10.7.2008]. 433 E. Rosand, The UN-Led Multilateral Institutional Response to Jihadist Terrorism: Is a Global Counterterrorism Body Needed?, JCSL 11 (2006), 399 (417); auch das CTED spricht in seinem Bericht S/2010/569 vom 2.11.2010 von dem „crowded international counter-terrorism field“.
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junkturelle Überhitzung“ wider, die Zweifel darüber aufkommen lässt, ob manche Anti-Terrorismus-Programme nicht bereits zum Selbstzweck geworden sind. Ebensowenig dürfen sie, wenn die Forderung nach einer globalen Terrorismusbekämpfung glaubhaft sein soll, als trojanische Pferde für ganz andere geo-politische Interessen einzelner Staaten missbraucht werden. Stattdessen ist es an der Zeit, in einen Dialog auf Augenhöhe über die eigenen Wahrnehmungen und Belange zu treten. Denn es gilt: „While risks are out there, it depends upon cultural, subjective and social categories which risks are selected for treatment. Hence, cultural selection is posited as an intervening variable between material risks on the one hand and the response to them on the other.“434
Mit Blick auf die Jahre nach 2001 lässt sich insoweit konstatieren, dass die Auswahl der Gefahren, denen die internationale Gemeinschaft sich gewidmet hat, stark „sicherheitslastig“ gewesen ist. Dies ist notwendigerweise auf Kosten anderer, nicht weniger gewichtiger Risiken gegangen, die aber entweder „sozial akzeptiert“ oder von denen die „Meinungsführer“ schlicht weniger betroffen sind (bzw. zu sein meinen).435 In deutlichen Rückstand und mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 noch weiter aus dem Blick geraten sind die Millenniums-Entwicklungsziele, die noch vor wenigen Jahren die Prioritätenliste anführten.436 Weitere Themen, die GS Ban Ki-Moon neben der Bekämpfung des Terrorismus auf die internationale Sicherheitsagenda gerückt hat, sind der Klimawandel, die Weltgesundheit und die Abrüstung.437 Aber auch diese Betrachtung erscheint bei weitem noch nicht erschöpfend. Orientierung dürfte nach wie vor vielmehr die o. g. Präsidentielle Erklärung des SR vom 31. Januar 1992 liefern, wonach ganz allgemein „die nicht-militärischen Ursachen von Instabilität im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich zu Bedrohungen 434
C. Aradau/R. Van Munster, Governing Terrorism Through Risk: Taking Precautions, (un)Knowing the future, EJIR 13 (2007), 89 (96), dazu auch U. Beck, The terrorist threat: world risk society revisited, Theory, Culture & Society 19 (2002), 39 (39 ff.). 435 T. J. Farer, The Two Faces of Terror, AJIL 101 (2007), 363 (364) vertritt die (nahe liegende) These, dass – wenn die Mittel für andere Zwecke als den „Anti-Terror-Krieg“ eingesetzt worden wären, etwa den Verkehrs- und Gesundheitsschutz – weitaus mehr Menschenleben in den USA hätten gerettet werden können als die Anschläge vom 11. September an Opfern gefordert haben. 436 Wenngleich dies auch nicht zwingend für die Staaten der „ersten Welt“ gegolten haben mag. Vgl. die Statistik des DGACM über die Themen des Weltgipfels und der Generaldebatte 2005, Anhang C. 437 Secretary-General’s Message to UN Interregional Crime and Justice Research Institute Conference vom 22.1.2009: „Where once security was viewed primarily through a military lens, today it is also understood to encompass climate change, global health, disarmament and [. . .] counterterrorism“; erhältlich unter http://www. un.org/apps/sg/printsgstats.asp?nid=3669 [eingesehen am 23.1.2009].
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des Friedens und der Sicherheit“438 – und damit zu Gefahren für die internationale Gemeinschaft – geworden sind. Besonderes Augenmerk verdienen in diesem Zusammenhang noch die schwachen, zerfallenden und gescheiterten Staaten (weak/failing/failed states). Zum einen schuldet die internationale Gemeinschaft deren Stabilisierung bereits den betroffenen Menschen zur Verwirklichung ihrer Menschenrechte. Zum anderen gehen von ihnen aber häufig auch akute, grenzüberschreitende Sicherheitsbedrohungen aus, da Kriminelle und Terroristen dort einen Nährboden vorfinden, von dem aus sie ihre Aktivitäten entfalten können.439 Zwar belegen jüngere empirische Studien, dass der Konnex zwischen einer schwachen Regierung und terroristischen Aktivitäten nicht unbedingt in dem Maße gegeben ist, wie es die Politik(wissenschaft) seit den 1990er Jahren und insbesondere dem 11. September 2001 suggeriert.440 Stattdessen gehen die Anschläge nach wie vor primär von lokalen Gruppen oder Zellen aus, die aus den entwickelten Staaten heraus operieren und dabei planmäßig deren Infrastruktur nutzen. Und für die Vorbereitung und den Rückzug der Täter sind in erster Linie die Staaten von Bedeutung, die die Terroristen gezielt fördern, also von ihren Kapazitäten her durchaus in der Lage wären, sich ihnen auch entgegenzustellen. Gleichwohl spielen auch schwache Staaten eine wichtige Rolle, vor allem wenn sie für die Terroristen strategisch günstig gelegen sind oder ihnen als Betätigungsfeld für Organisierte (Wirtschafts-)Kriminalität dienen, um die von ihnen benötigten Ressourcen zu beschaffen. Hier dürften sich die Schutz- und Entwicklungsbedürfnisse der betroffenen Staaten mit den Sicherheitsinteressen der internationalen Gemeinschaft weitgehend decken. Denn durch eine Unterstützung beim Aufbau (rechts-)staatlicher Strukturen und Kapazitäten werden diese Staaten sowohl nach innen als auch nach außen stabilisiert (Konzept der good governance).441 Nicht zuletzt geht es 438
Siehe S/23500. Nach der russischen „Nationalen Sicherheitsstrategie bis 2020“ gehört beispielsweise auch der Zugang zu Energieträgern zu den sicherheitsrelevanten Themen, siehe FAZ.Net vom 13.5.2009 [http://www.faz.net]. 439 E. Forndran, Terrorismus und Friedenssicherung: Einige Anmerkungen zu den Handlungsoptionen der Akteure, in: K. Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, FS für J. Delbrück, 2005, 235 (261 f.). 440 E. Newmann, Weak States, State Failure, and Terrorism, Terrorism and Political Violence, 19 (2007), 463 (487). 441 Für ein Plädayoer zugunsten des Konzepts einer „good e n o u g h governance“ als Nahziel siehe den Bericht zu einer Konferenz des International Institute of Administrative Sciences, erhältlich unter http://www.iias-iisa.org/e/conferences/ past/Documents/Concluding-deVries.pdf [eingesehen am 22.2.2009]. Vgl. auch die Erfahrungen Dänemarks bei der Zusammenführung von Entwicklungshilfe und technischer Hilfe zum Aufbau von Kapazitäten zur Terrorismusbekämpfung, GA/10735 vom 4.9.2008.
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hierbei auch darum, mit der Aussicht auf gesellschaftliche Entwicklung und individuellen Wohlstand in einem geordneten Staatswesen die „Opportunitätskosten“ für Kriminelle und Terroristen sowie ihre Symphatisanten zu erhöhen, um sie von ihren gemeinschädlichen Aktivitäten abzubringen.442
F. Fazit Mit der Verabschiedung der Weltweiten Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus im September 2006 hat die GV einen Meilenstein gesetzt. Sie hat die Aufgabe der Terrorismusbekämpfung vom SR zurück in die Mitte der Organisation geholt und zugleich auf eine auch inhaltlich breitere Grundlage gestellt. Anstelle des stark einseitig sicherheitsorientierten Ansatzes des SR sieht sie vier gleichgewichtige Säulen an Handlungsfeldern vor, wodurch nicht erst die Ausführung terroristischer Taten unterdrückt, sondern bereits die zugrunde liegende Radikalisierung verhindert werden soll. Gleichwohl ist auch die Weltweite Strategie weder vollkommen („by no means the be-all and end-all of counter-terrorism measures“443) noch so innovativ, wie sie von ihren Protagonisten häufig dargestellt wird. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass sie sich im Wesentlichen darin erschöpft, frühere „commitments“ zu wiederholen und die Terrorismusbekämpfung mit Zielen aus anderen Programmen zusammenzuführen.444 Immerhin nimmt sie damit einen roten Faden auf, der sich über ihre unmittelbaren Vorarbeiten durch den seinerzeitigen GS Kofi Annan hinaus durch sechs Jahrzehnte Vereinte Nationen zieht.445 Zudem ist es der GV gelungen, die vielen Teilstücke, die häufig schon für sich genommen hoch umstritten waren, zu einem konsistenten Ganzen zusammenzufügen, mit neuen Initiativen wie der Allianz der Zivilisationen zu ergänzen und die Gesamtheit der 192 VN-Mitgliedstaaten hinter der Strategie zu vereinen. Somit steht sie auf einem festen Fundament und ist sie geeignet, die Ausnahmesituation nach dem 442 A. Freytag, Wer wenig zu verlieren hat, F.A.Z. vom 23.7.2005, S. 15. Zur ökonomischen Analyse des Terrorismus siehe auch W. Link, Der Widerspenstigen Zähmung, F.A.Z. vom 5.12.2005, S. 7. 443 So der Vertreter Malaysias in der Debatte der GV am 5.9.2008, GA/10738. 444 E. Rosand, The UN-Led Multilateral Institutional Response to Jihadist Terrorism: Is a Global Counterterrorism Body Needed?, JCSL 11 (2006), 399 (416). 445 N. Quénivet, You are the Weakest Link and We will help you! The Comprehensive Strategy of the United Nations to Fight Terrorism, JCSL 11 (2006), 371 (372); P. Romaniuk, Multilateral Counter-Terrorism, 2010, 33: „While the volume of multilateral activity against terrorism increased dramatically after 9/11, there is a sense in which later developments are „path dependent“, in that their form and content is contingent upon pre-9/11 measures.“.
Kap. 9: Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus
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11. September 2001 abzulösen, auf die der SR seine Maßnahmen weiterhin stützt, die von den Staaten jedoch nur noch bedingt anerkannt wird. Allerdings ist die Weltweite Strategie mit denselben Einschränkungen wie alle Resolutionen der GV behaftet, d. h. die in ihr beschlossenen Maßnahmen sind unverbindlich und auch wenig fokussiert. Daher ist die im Folgenden zitierte Aussage des damaligen GV-Präsidenten Srgjan Kerim anlässlich der Überprüfung der Strategie im September 2008 als zweischneidig zu bewerten: „[T]he Strategy is not just in and of itself important but an integrated component of the full Assembly agenda.“446 Denn die Strategie bietet zwar einerseits die Chance, die nunmehr umfassend und multi-dimensional angelegte Terrorismusbekämpfung querschnittartig in viele unterschiedliche Programmbereiche zu integrieren (Konzept des „mainstreaming“).447 Zugleich birgt sie aber auch die Gefahr, dass im Hinblick auf das Monitoring letztlich nahezu alle Maßnahmen auch aus anderen Programmen als Terrorismusbekämpfung deklariert werden („unnecessarily labeling their activities as ‚counter-terrorism‘“), ohne dass in der Sache zusätzliche Anstrengungen unternommen werden.448 Vor diesem Hintergrund kommt der tatsächlichen Durchführung der Strategie entscheidende Bedeutung zu. Insoweit hat sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass die Terrorismusbekämpfung nicht von einzelnen Staaten oder VN-Organen, etwa den USA oder dem SR allein, „durchgedrückt“ werden kann, sondern einer konzertierten Anstrengung bedarf, die auf der gemeinsamen Überzeugung der Weltgemeinschaft basiert. Die weitere Koordinierung und Institutionalisierung der Aktivitäten wie auch die Einbindung der Zivilgesellschaft in den Rahmen der VN werden für den Erfolg der Strategie eine wichtige Rolle spielen.
446 VN-Pressekonferenz am 5.9.2008, erhältlich unter http://www.un.org/News/ briefings/docs/2008/080905_Terrorism.doc [eingesehen am 20.3.2009]. 447 C. Schaller, Völkerrechtliche Rahmenbedingungen und die Rolle der Vereinten Nationen bei der Terrorismusbekämpfung, in: U. Schneckener (Hrsg.), Chancen und Grenzen multilateraler Terrorismusbekämpfung, 2007, 13 (13). 448 Center on Global Counterterrorism Cooperation (Ed.), International Process on Global Counter-Terrorism Cooperation, Final Document vom 24.7.2008, Para. 5. Vielmehr droht diesen Programmen unter dem Label der Terrorismusbekämpfung ein Akzeptanz- und damit Wirksamkeitsverlust auf Empfängerseite.
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Teil 3: Reform und Anti-Terrorismus-Strategie der Vereinten Nationen
Ergebnis zu Teil 3 Die notwendigen Reformen der VN, insbesondere des SR, vollziehen sich zwar nur in kleinsten Schritten, werden aber doch mit langem Atem und Nachdruck verfolgt. Die Anfang 2009 aufgenommenen direkten zwischenstaatlichen Verhandlungen jenseits der Offenen Arbeitsgruppe der GV (OEWG) könnten die „Konsens-Blockade“ endlich überwinden und zu einer – wenn auch strittigen – Beschlussfassung führen. Damit besteht eine gewisse Aussicht darauf, dass die großen Reformbemühungen der Jahre 2003–2005 des damaligen GS Kofi Annan im zweiten Anlauf unter seinem Nachfolger Früchte tragen könnten. Die meisten der Themen sind gleich geblieben und genießen auch unter GS Ban Ki-Moon hohe Priorität.449 Nach dem Wechsel im Amt des US-Präsidenten mag der GS – anders als sein Vorgänger – nun auch die erforderliche Unterstützung aus Washington erhalten. Zwar hob Präsident Obama die VN zumindest in seiner Antrittsrede nicht weiter hervor. Dafür hat er sich aber von Anfang an und auch in seiner ersten Rede in der GV am 23. September 2009 nachdrücklich zum Multilateralismus bekannt und gemeinsam mit GS Ban Ki-Moon das Potenzial für verstärkte US-UN-Kooperationen abgesteckt.450 Der SR – davon zeugt seine Haltung zur Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus – reiht sich zunehmend wieder in das VN-„Gefüge“ ein, ohne allerdings seinen Führungsanspruch aufzugeben. Dieser erscheint auch notwendig, muss aber heute mehr denn je in einem Kooperationsverhältnis mit den anderen Akteuren innerhalb (insb. IGH und GV, aber auch GS/Sekretariat) und außerhalb der VN wahrgenommen werden. Anders wird der SR schon die Umsetzung seiner Resolutionen nicht gewährleisten können. Auch ohne formal beschlossene Änderungen seiner Verfahrensordnung oder gar der Charta hat der SR bereits eine Reihe von Zugeständnissen bei seinen Arbeitsmethoden gemacht. Im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeitsprinzipien und Partizipationsrechte, die die Mitgliedstaaten dem SR mittlerweile abverlangen, ist dieser gut beraten, „to cultivate more reasoned argumentation, serving both democratic and legal values“.451 Da eine gewisse Teilhabe an den Aktivitäten des SR hiernach nicht 449
Siehe den laufend aktualisierten Überblick unter http://www.un.org/reform. Siehe UN News vom 12.3.2009: „Ban, Obama discuss boosting US-UN-cooperation“ [http://www.un.org] sowie die Rede Barack Obamas vom 23.9.2009, in der es heißt: „We must embrace a new era of engagement based on mutual interests and mutual respect [. . .]. The United States stands ready to begin a new chapter of international cooperation“, erhältlich unter http://www.un.org/ga/64/generaldebate/ US.shtml [eingesehen am 24.9.2009]. 451 I. Johnstone, Legislation and Adjudication in the UN Security Council: Bringing Down the Deliberative Deficit, AJIL 102 (2008), 275 (303 ff.). 450
Ergebnis zu Teil 3
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mehr allein von einer SR-Mitgliedschaft abhinge, könnte dies auch den Streit um die Erweiterung des SR, der die Reform-Agenda bestimmt und bremst, entspannen. Die GV hat den Beweis ihrer „central position“ vor allem im Handeln nach außen bislang noch zu wenig angetreten.452 Immerhin hat auch sie einzelne organisatorische Verbesserungen erreicht, indem sie etwa ihre Tagesordnung und ihr Mandatswesen zumindest ansatzweise gestrafft hat. In programmatischer Hinsicht ist es den 192 VN-Mitgliedstaaten gelungen, einstimmig die Weltweite Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus zu verabschieden und sich damit erstmals auf eine gemeinsame Analyse des Terrorismus sowie eine umfassende konzeptionelle Politik zu verständigen.453 Sie haben damit das „Patt“ zwischen „Terrorismusbekämpfern“ und „Freiheitsförderern“ überwunden, das der Verabschiedung des Umfassenden Übereinkommens zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit einer allgemein-verbindlichen Terrorismusdefinition noch immer im Weg steht. Zwar haben die Verhandlungen auch hier Fortschritte gemacht. Auf der Grundlage rein rechtlicher Betrachtungen werden sich die im Kern politischen Fragen jedoch nicht beantworten lassen. Auch die Praxistauglichkeit der Weltweiten Strategie wird sich allerdings erst noch erweisen müssen. Jedenfalls ist sie inhaltlich ausgewogen und leistet sie mit ihren unterschiedlichen Handlungsfeldern einen Beitrag sowohl zur globalen Sicherheitsagenda als auch zu den Entwicklungszielen.
452 In der Generaldebatte der GV zur Eröffnung der 65. Sitzung forderte Jan Peter Balkenende als niederländischer Premierminister am 25.9.2010 übereinstimmend mit anderen Staatenvertretern: „The Organization needs to recover rather than reaffirm its central role in global governance“, siehe http://www.un.org/apps/ news/story.asp?NewsID=36178&Cr=general+assembly&Cr1= [eingesehen am 20.10. 2010]. 453 GS Ban Ki-Moon auf einer Follow-up-Konferenz zur Weltweiten Strategie der VN zur Bekämpfung des Terrorismus am 16.2.2007, siehe unter http://www.un.org/ apps/sg/printsgstats.asp?nid=2452 [eingesehen am 19.2.2007].
Schluss A. Schlussbetrachtung und Ausblick I. Einordnung des 11. September 2001 Mit dem Abstand von bald einem Jahrzehnt reihen sich die Anschläge vom 11. September 2001 – wenn sie auch immer ungeheuerlich und als das Symbol des globalisierten islamistischen Terrorismus in Erinnerung bleiben werden – letztlich doch als ein Ereignis unter vielen auf dem Zeitstrahl der Menschheitsgeschichte ein. Die Ausrufung einer neuen Zeitrechnung („die Welt vor/nach 9/11“) jedenfalls hat sich relativiert. Bereits nach der Wahl Barack Obamas zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde der Begriff der Zeitenwende – gar der Beginn einer neuen Epoche – vielmehr auf das Ende des „Anti-Terror-Kriegs“ (in George W. Bush’scher Manier) und weniger auf dessen Anfang, ausgelöst durch eben „9/11“, bezogen.1 Gleichzeitig bleibt die Herausforderung, die der internationale Terrorismus für die Welt darstellt, bestehen. Die Weltweite Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus wie auch die US-Regierung zeigen aber neue Wege auf, wie ihr zu begegnen ist. Zwar bemüht auch Barack Obama noch den Begriff des Krieges („Our nation is at war against a far-reaching network of violence and hatred.“).2 Ein Abgleiten in ein zweites Abu Ghraib oder Guantánamo jedoch scheint für die Zukunft ausgeschlossen – wenn auch die Bewährungsprobe erst dann bestanden wäre, wenn die USA – und die vielen anderen Staaten in ihrem Gefolge – auf einen neuerlichen, vergleichbaren Angriff tatsächlich anders reagierten als nach dem 11. September 2001 (wobei zu hoffen ist, dass dieser Beweis nie anzutreten sein wird).3 1
M. Rüb, Die Epoche Obama, FAZ.NET vom 25.1.2009 [http://www.faz.net]. Rede Barack Obamas zur Amtseinführung als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.1.2009, erhältlich unter http://www.whitehouse.gov/ blog/inaugural-address/ [eingesehen am 10.6.2009]. 3 Indien mag insoweit als Vorbild dienen, vgl. G. Blume, Der weiche Sieg – Vor einem Jahr attackierten Terroristen Mumbai. Anders als Amerika hat Indien nicht zurückgeschlagen, Die ZEIT vom 26.11.2009, S. 9. Der Anschlag auf den Flug 253 der Northwest Airlines zwischen Amsterdam und Detroit am 23.12.2009 konnte gerade noch verhindert werden, siehe C. Denso, „Die große Angst“, Die ZEIT vom 30.12.2009, S. 5. 2
Schluss
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II. Abwägung von Sicherheit und Freiheit Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass sowohl der Terrorismus als auch dessen Bekämpfung durch repressive staatliche Maßnahmen eine große Herausforderung für die Menschenrechte bedeutet. Während terroristische Anschläge regel- und planmäßig auf die Verletzung von Menschen abzielen, ergeben sich Menschenrechtsverletzungen bei der Terrorismusbekämpfung zu leicht als „Begleitschäden“. Der Staat gerät hier schnell in das Dilemma, dass er seinen Bürgern einerseits größtmögliche Sicherheit bieten, andererseits aber ihre Freiheit weitestgehend achten muss. Abgesehen von den nicht disponiblen Mindestgarantien muss und kann dabei nur jede Gesellschaft für sich und in der gegebenen Situation entscheiden, welchen Preis sie für ihre Sicherheit bereit ist zu zahlen bzw. wo sie die Grenze zieht und Risiken in Kauf nimmt, damit die Freiheit, um deren Verteidigung es letztlich geht, nicht unverhältnismäßig durch Sicherheitsmaßnahmen eingeschränkt wird.4 Nachdem das Grundvertrauen in die sicherheitsmäßige Intaktheit der uns umgebenden Welt durch die Ereignisse an „9/11“ grundlegend erschüttert wurde, hat sich der Trend beschleunigt, den Begriff der Gefahr vorzuverlagern bzw. die Eingriffsschwelle auf die bloß entfernte Möglichkeit einer Beeinträchtigung zu senken. Dadurch werden zwangsläufig Unbeteiligte (Nichtstörer) zu Adressaten präventiver, aber in ihrer Wirkung oftmals sanktionsähnlicher Maßnahmen5, unter Umständen sogar zu Opfern staatlicher Folter und Verschleppung.6 Der Terrorismus hat Terror gesät, und die Staaten sind ihm in die Falle gelaufen. Während einige Regierungen die Terrorismusbekämpfung gezielt instrumentalisiert und als Vorwand benutzt haben, um freiheitsbeschränkende Gesetze zu erlassen, die ihrem eigenen Machterhalt dienen, sind andere „gutgläubig“ darum bemüht, Gefahren („as they perceive them“7) abzuwehren, wobei sie aber gleichwohl übermäßig 4 Siehe etwa den Titel „Was ist jetzt gefährlicher – Terrorismus oder Sicherheitswahn?“, Die ZEIT vom 7.1.2010, S. 1. Siehe auch C. Gusy, Vom neuen Sicherheitsbegriff zur neuen Sicherheitsarchitektur, VerwA 101 (2010), 309 (330). 5 U. Volkmann, Polizeirecht als Sozialtechnologie, NVwZ 28 (2009), 216 (216 ff.). 6 So geschehen im Hinblick auf die CIA-Gefängnisse außerhalb der USA. Siehe auch die Declaration on Upholding Human Rights and the Rule of Law in Combating Terrorism (Berlin Declaration) der International Commission of Jurists vom 28.8.2004, erhältlich unter http://www.libertysecurity.org/imprimer.php?id_article= 322 [eingesehen am 30.3.2009]. 7 Siehe die Studie Assessing Damage, Urging Action (S. 161) vom 16.2.2009 des Eminent Jurists Panel on Terrorism, Counter-terrorism and Human Rights, einer Initiative der International Commission of Jurists, erhältlich unter http://ejp.icj.org/ IMG/EJP-Report.pdf [eingesehen am 22.2.2009].
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Schluss
agieren. In beiden Fällen ist es an der Zeit, eine Kehrtwende zu vollziehen und sich auf die tradierten Werte und das gewachsene Recht zurückzubesinnen. Anfänge in diese Richtung sind gemacht. Im Hinblick auf das Völkerrecht ist das Eminent Jurists Panel der International Commission of Jurists zu folgendem Befund gelangt: „This legal framework was formulated in the wake of genocide and war, and is grounded in an understanding of the challenges States face in times of crisis. These laws are not an impediment to countering terrorism. They were devised by States to be flexible and to respond to need in times of crisis; to ensure that expediency does not prevail over the minimum standards that are the hallmark of free and democratic societies in which the dignity of all people is respected and upheld.“8
Nachdem die Gerichte in der unmittelbaren Folgezeit des 11. September in eine Art „Schockstarre“ gefallen waren, üben sie ihre Kontrollfunktion mittlerweile auch wieder aktiv aus, indem sie eine Reihe gesetzlicher Regelungen und Verwaltungspraktiken zur „Terrorismusbekämpfung“ kassiert haben.9 III. Gestaltung der internationalen Beziehungen Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen (National-)Staat und internationaler Gemeinschaft einerseits sowie zwischen Staat und Individuum andererseits gelten bis heute – dafür bietet der „Anti-Terror-Krieg“ viel Anschauung – die Prämissen vergangener Jahrhunderte zu (Macht-)Politik und Recht fort, obgleich die Parameter sich seit 1945 grundlegend geändert haben. Ganz offensichtlich jedoch – so die Analyse von Philip Allot – haben wir uns noch nicht freizumachen vermocht von der Herrschaft der „bizarre Vattelian legal world view, [. . . that seems] infantile by comparison with the complexity and subtlety of the ideas that we have developed to explain and to guide our national systems. [. . .] It was Vattel who made the myth of the state of nature into the metaphysics of the law of nations.“10 Unsere Auffassung von den internationalen Beziehungen grenzt dabei geradezu an Schizophrenie, denn: 8
Ebd., S. 159 f. E. Benvenisti, Reclaiming Democracy: The Strategic Use of Foreign and International Law by National Courts, AJIL 102 (2008), 241 (254 f.). 10 P. Allott, The Health of Nations, 2002, 56 ff. Dabei bezieht er sich auf folgende Aussage von E. de Vattel, The Law of Nations, or the Principles of Natural Law applied to the Conduct and to the Affairs of Nations and Sovereigns (Übersetzung von C. G. Fenwick), 1916, 3: „Since nations are composed of men who are by nature free and independent, and who before the establishment of civil society lived together in the state of nature, such nations or sovereign states must be regarded as so many free persons living together in the state of nature.“ 9
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„The peculiar consequence of these strange ideas is that the human species lives in two separate mind-worlds, two forms of human reality, one societal and one pre-societal [. . .]. We live with two conceptions of justice, two conceptions of morality, two conceptions of law, two conceptions of public order and of public administration, and two conceptions of social organisation, one internal and one external.“11
Indem unsere Konzeption der internationalen Ordnung jene Standards von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vernachlässigt, die wir auf staatlicher Ebene als grundlegende Verfassungsprinzipien verankert haben, hat sich also wenigstens ein doppelter Standard herausgebildet. Je stärker nun im Zeitalter der Globalisierung aus praktischer Notwendigkeit eine Weltordnungspolitik und internationale Regelungsregime an die Stelle nationalstaatlicher Politiken und Regeln treten, desto offensichtlicher werden die Widersprüche. Die Weltsicht aus der Epoche des (sog.) „modernen Völkerrechts“ entspricht nicht mehr dem heutigen Empfinden und Anspruch. Zwar ist einzuräumen, dass die völkerrechtliche Praxis begonnen hat, diese Entwicklung nachzuvollziehen. Die Staaten haben (an-)erkannt, dass sie nicht um ihrer selbst, sondern um der Völker und Menschen willen existieren und dass es Sinn und Zweck des zwischenstaatlichen Systems sein muss, gemeinsame Werte und Interessen zu verwirklichen.12 Der Gegensatz von national und international, aber auch von staatlich und gesellschaftlich wird zunehmend von transnationalen Interdependenzen und öffentlich-privaten Kooperationen abgelöst, vormals als „innere Angelegenheit“ titulierte Sachverhalte sind ein Anliegen der Weltgemeinschaft geworden, und in einer Vielzahl zwischenstaatlicher Foren bildet sich allmählich ein universales Rechtssystem, ein Weltinnenrecht, heraus.13 Gleichwohl sind die VN noch stark in ihrem Weltbild von 1945 verfangen und musste die Terrorismusbekämpfung durch den SR nach 2001 daher fast zwangsläufig in die Sackgasse geraten. Dabei ist es gerade diese Weltorganisation, auf die die Weltgemeinschaft ihre Hoffnung setzt, die globalen Herausforderungen im Geiste der Pluralität und des Multilateralismus zu meistern. Vor diesem Hintergrund drängt die Umsetzung der beschriebenen Reformen und wirbt etwa der frühere GS Boutros Boutros-Ghali für eine dritte Generation der Weltorganisation (nach dem Völkerbund von 1918 und den Vereinten Nationen von 1945): 11
P. Allott, The Health of Nations, 2002, 58 f. Vgl. A. L. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Vökerrecht, 2001, 436; N. Weiss, Kompetenzlehre internationaler Organisationen, 2009, 133. 13 P. Allott, The Health of Nations, 2002, 62: „a universal legal system“. Den Begriff „Weltinnenrecht“ hat Willy Brandt in den 1970er Jahren geprägt, wobei er letztlich aber bis auf Immanuel Kant zurückgeführt werden kann. 12
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„The concept of the sovereign state is a new concept; it was created only 300 years ago, so there is no reason why it would continue [. . .] There is a basic revolution.“14
Möglicherweise entsteht angesichts der im Jahr 2008 ausgelösten Finanzmarktkrise nunmehr ein „Bretton Woods II“ und in diesem Zuge auch eine „UNO II“. Entsprechende Initiativen, die VN zu einer supra-nationalen Organisation (weiter) zu entwickeln, reichen bis in ihre Gründungsjahre zurück.15 In jüngerer Zeit ist, ebenfalls in den USA, die Gründung einer „Weltdemokratieorganisation“ angeregt worden.16 Diese Idee ist nach George W. Bushs „demokratischer Intervention“ im Irak allerdings nachhaltig diskreditiert.17 Eine Demokratisierung, die nur auf freie Wahlen setzt, ohne sich auf substanzielle Staatsziele zu beziehen, droht zudem zum Bumerang zu werden, wie der überwältigende Wahlsieg der Hamas in den palästinensischen Gebieten im Jahr 2006 gezeigt hat.18 Außerdem ist sie darauf angelegt, bestimmte Staaten auszugrenzen, so dass sie angesichts globaler Aufgaben nicht als Modell taugt.19 Stattdessen sollten vielmehr auch bloß „decent people“ im Rawl’schen Sinne einbezogen werden, die nicht nach dem freiheitlich-demokratischen Bild des Westens organisiert sind, sondern nur (aber jedenfalls) „certain specified conditions of political right and justice“ erfül14 „Reform UN or replace it, says Boutros-Ghali“, Daily News Egypt vom 11.8.2008, siehe http://www.dailystaregypt.com [eingesehen am 3.9.2008]. In dieselbe Richtung denkt T. G. Weiss, Toward a Third Generation of International Institutions: Obama’s UN Policy, The Washington Quarterly, 32 (2009), 141 (151 ff.). 15 C. Eagleton, The Demand for World Government, AJIL 40 (1946), 390 (391): „[. . .] for the development of the United Nations into a world agency adequate in delegated sovereignty to enforce the peace.“ 16 D. Capezzone/M. Mecacci, The united states of Europe and America: The power behind a world democracy organization, The Washington Times vom 23.3.2004, A19. Eine Community of Democracies wurde bereits im Juni 2000 auf Initiative der USA in Warschau gegründet, die bislang allerdings ein loser Verbund geblieben ist; dazu R. Mützenich, Liga der Demokratien – Ergänzung oder Umgehung der UN?, VN 57 (2009), 17 (17 ff.). 17 Dazu R. Merkel, Prinzipien eines demokratischen Interventionismus, zitiert nach A. Kemmerer, Es war alles ganz legitim (Bericht über die Konferenz De-Institutionalization of War des Hamburger Institut für Sozialforschung), F.A.Z. vom 8.7.2005, S. 36. 18 M. Thumann, Vorsicht, islamische Demokraten!, Die ZEIT vom 2.2.2006, S. 3; F. Zakaria, Gegen den Mythos der weltweiten Demokratisierung, F.A.Z. vom 13.4.2005, S. 39. 19 Vgl. die Rede von US-Präsident Barack Obama in der Generaldebatte der VN am 23.9.2009: „Democracy cannot be imposed on any nation from the outside. Each society must search for its own path, and no path is perfect. Each country will pursue a path rooted in the culture of its people, and – in the past – America has too often been selective in its promotion of democracy.“ (erhältlich unter: http://www.un.org/ga/64/generaldebate/US.shtml [eingesehen am 24.9.2009]).
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len.20 Große, aufsteigende Staaten wie Russland, China, Indien und Brasilien stellen dem westlichen „Modell“ im Übrigen ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme entgegen.21 Anstelle eines großen (Neuent-)Wurfes werden sich die VN insofern auch künftig schrittweise aus sich selbst heraus reformieren und den Spielraum, den die Charta einräumt, für eine Weiterentwicklung nutzen müssen. Eine Weltregierung dürfte allenfalls am Ende eines langen Prozesses stehen.22 Bis dahin kommt es angesichts weltumspannender Herausforderungen darauf an, einen konstruktiven, multilateralen Dialog zu führen und eine gemeinsame Weltordnungspolitik im Mehrebenensystem zu entwerfen. Der SR hat hierbei eine Schlüsselstellung, muss sich allerdings zu einem Organ wandeln, das transparent und partizipativ agiert und rechtsstaatsanaloge Prinzipien für sich entwickelt23 („by incorporating the principles that underpin the legitimacy of [the UN] Members into the governing law of the UN Charter“24). Für eine wirksame Global Governance, die auch für die Bewältigung des Terrorismus bzw. der vielen zugrunde liegenden Probleme erforderlich ist, muss zudem die Zivilgesellschaft einbezogen werden.25 Thomas M. Franck spricht sich in diesem Zusammenhang für eine „People’s Assembly“ neben der GV aus.26 Mit Initiativen wie dem Global Compact für multinationale Unternehmen und der Beteiligung von NGOs 20
J. Rawls, The Law of Peoples, 1999, 63. J. Ross, Und der Westen schaut machtlos zu, Die ZEIT vom 5.1.2006, S. 6; R. Müller, Sicherheit und Selbstbestimmung, F.A.Z. vom 31.1.2005, S. 10. 22 E. U. von Weizsäcker, Demokratie erneuern – diesmal weltweit, FR vom 16.10.2001: „In 300 Jahren wird es selbstverständlich eine Weltregierung geben. Ich bin allerdings nicht sicher, ob das wünschenswert ist, es ist nur vermutlich unvermeidlich.“ Hierin drückt sich das verbreitete Unbehagen aus, dass eine Weltregierung die Gestalt eines tyrannischen Leviathan annehmen könnte. 23 D. Senghaas, Weltordnungspolitik und Weltrecht in einer zerklüfteten Welt, VN 57 (2009), 11 (13). 24 D. Halberstam/E. Stein, The United Nations, the European Union, and the King of Sweden: Economic Sanctions and Individual Rights in a Plural World Order, CMLR 46 (2009), 13 (71). G. Hafner, The Rule of Law and International Organizations, in: K. Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, FS für J. Delbrück, 2005, 307 (313): „governing international relations based on commonly shared values and perceptions“. 25 Vgl. die Rede des damaligen GS Kofi Annan auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 26.1.2009: „[W]e must engage not only with governments but with all the new actors on the international scene“; erhältlich unter http://www.un.org/apps/sg/ sgstats.asp?nid=1899 [eingesehen am 28.5.2009]; siehe auch den sog. „Cardoso“-Bericht We the peoples: civil society, the United Nations and global governance, A/58/817 vom 11.6.2004; außerdem H. G. Schermers, We the Peoples of the United Nations, MPUNYB 1 (1997), 111 (111 ff.). 26 Th. M. Franck, Fairness in International Law and Institutions, 1995, 483 f. 21
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an Monitoring-Aufgaben wird auch bereits in diese Richtung gehandelt. Den Systemwechsel zu einer wirklichen Weltorganisation haben die VN trotz dieser Ansätze jedoch noch nicht vollzogen. Sowohl der scheidende GS Kofi Annan als auch sein Nachfolger Ban Ki-Moon haben diesen allerdings bereits übereinstimmend als Aufgabe erkannt: „We need an internal climate change“ bzw. „a new mindset for the United Nations.“27
B. Zusammenfassung 1. Der Terrorismus ist ein vielschichtiges Phänomen, das weit in die Geschichte organisierter menschlicher Gesellschaften zurückverfolgt werden kann. Er kann sich entweder gegen den eigenen oder einen fremden Staat richten, wobei er von Handlungen abzugrenzen ist, die auf das Widerstands- oder Selbstbestimmungsrecht gestützt sind. Er ist weiterhin zu unterscheiden vom Terror, den Staaten gegen ihre eigene Bevölkerung richten. Unter Staatsterrorismus oder staatlich gefördertem Terrorismus sind staatlich verübte bzw. geförderte terroristische Akte als verdeckte Kriegsführung gegen andere Staaten zu verstehen. Häufig spielen Räume mit schwach entwickelter Staatlichkeit (weak bzw. failed states) eine wichtige Rolle, wie das von den Taliban kontrollierte Afghanistan im Fall von Al-Qaida, die dort ab den 1990er Jahren bis zur Operation Enduring Freedom Ende 2001 ihre Basis hatten. Inzwischen stellt Al-Qaida ein eher loses internationales Netzwerk dar, das von einer gemeinsamen Idee getragen wird, aber im Wesentlichen unkoordiniert agiert. 2. Am 11. September 2001 erreichte erstmals ein von privaten Akteuren (Al-Qaida) verübter terroristischer Anschlag das Ausmaß eines bewaffneten Angriffs i. S. v. Art. 51 SVN. Es war damit zugleich der erste kriegsähnliche Akt, der die USA auf ihrem eigenen Territorium von außen getroffen hat. In der Folgezeit rückte der islamistisch motivierte Terrorismus als Herausforderung der westlichen Zivilisation in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit wie auch der internationalen Agenda. Mit dem „Anti-Terror-Krieg“ unter der Regierung von US-Präsident George W. Bush wurden bewusst (völker-)rechtliche Kategorien verwischt und ein zeitlich und räumlich prinzipiell unbegrenzter Ausnahmezustand geschaffen, um rechtliche Bindungen, insbesondere des humanitären Völkerrechts, zu umgehen. Aber auch die Freiheitsrechte der eigenen Bürger sind vielfach zugunsten vermeintlicher Sicherheitsinteressen beschnitten worden – nicht nur in den USA, sondern ebenso in vielen anderen Staaten. Die Gerichte haben sich 27 Aussagen der GS Kofi Annan und Ban Ki-Moon aus den Jahren 2006 bzw. 2007, erhältlich unter http://www.un.org/apps/sg/sgstats.asp?nid=1899 bzw. http:// www.un.org/apps/news/printnews.asp?nid =23949 [eingesehen am 28.5.2009].
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nur allmählich aus dem allgemeinen Schock gelöst, inzwischen aber die gröbsten Rechts- und Verfassungsverstöße sowohl der Exekutive als auch der Legislative aufgehoben. 3. Auch wenn der Terrorismus erst nach dem 11. September 2001 an die Spitze ihrer Agenda gerückt ist, sind die Vereinten Nationen bereits seit ihren Gründungsjahren mit ihm befasst. Der SR griff ihn zunächst lediglich punktuell auf und verurteilte die jeweiligen Anschläge als „kriminell“. Eine internationale Dimension, die Maßnahmen nach Kapitel VII gebot, stellte er erstmals im Lockerbie-Fall fest. Seit „9/11“ sieht er nunmehr jeden Akt des internationalen Terrorismus als Bedrohung für die internationale Sicherheit an [S/RES/1368 (2001)]. Vor diesem Hintergrund hat er mit dem Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus, dem Ausschuss für die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie dem Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschuss umfangreiche Regime geschaffen, die sowohl den Mitgliedstaaten allgemeine Pflichten zur Terrorismusbekämpfung auferlegen als auch unmittelbar Sanktionen gegen Individuen verhängen. Dabei konnte er materiell auf die mittlerweile 13 internationalen Übereinkommen zurückgreifen, die die GV bereits seit den 1960er Jahren verabschiedet hat. Diese sind zwar sektoral ausgelegt, bilden in ihrer Summe aber Grundzüge eines „allgemeinen Anti-Terrorismus-Völkerrechts“, wenn auch das „Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus“ noch aussteht. Hinzu kommt eine Vielzahl an Resolutionen, die die GV beschlossen hat, von denen die „Erklärung über Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus“ von 1994 hervorzuheben ist (Annex zu A/RES/49/60). In ihr stellten die Staaten erstmals übereinstimmend fest, dass terroristische Taten durch nichts zu rechtfertigen seien (sog. Unjustifiability-Formel). 4. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nahmen die USA zum einen das Selbstverteidigungsrecht für sich in Anspruch, zum anderen suchten sie ihr verschäftes nationales Anti-Terrorismus-Recht zu globalisieren. Hierzu legten sie dem SR den Entwurf der Resolution 1373 vor, die ihnen im Hinblick auf die Selbstverteidigung Spielraum gab und den Staaten in abstrakt-genereller Form umfangreiche Pflichten zur Terrorismusbekämpfung auferlegte. Indem der SR eine Friedensbedrohung gem. Art. 39 SVN feststellte und zugleich das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht bekräftigte, ließ er die USA gewähren, obwohl er bereits selbst mit der Angelegenheit befasst war, also kollektive Friedenssicherungsmaßnahmen hätte ergreifen können bzw. müssen. Wenn die stattdessen von den USA geführte Operation Enduring Freedom nun bereits neun Jahre andauert, läuft dies dem Sinn und Zweck der Selbstverteidigung offensichtlich zuwider. Weiterhin erkannte der SR implizit an – und die Völkerrechtspraxis ist dem gefolgt –, dass bewaffnete Angriffe i. S. v. Art. 51 SVN auch
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von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen können. Dies hat aber – auch wenn die Kriterien gelockert wurden – nichts an dem grundsätzlichen Erfordernis einer staatlichen Zurechnung geändert, da ansonsten die territoriale Souveränität der Staaten verletzt würde, gegen die die Selbstverteidigungsmaßnahmen gerichtet werden. Anders ist dies nur in den Fällen, in denen eine Duldungspflicht des „Basisstaats“ besteht, weil dieser nicht imstande oder gewillt ist, Gefahren zu beseitigen, die von seinem Territorium für Drittstaaten ausgehen. 5. Die Figur der „präemptiven Selbstverteidigung“ aus der National Security Strategy der USA aus dem Jahr 2002 (sog. „Bush-Doktrin“) hat hingegen keine völkerrechtliche Anerkennung erfahren, da sie einer carte blanche gleichkäme und dem prinzipiellen Gewaltverbot praktisch den Boden entzöge. Die Grenze bildet insoweit die „Webster-Formel“, wonach nur präventive Selbstverteidigungsmaßnahmen erlaubt sind, wenn „the necessity of that self-defence is instant, overwhelming and leaving no choice of means, and no moment for deliberation“. Um Missbrauch vorzubeugen, sollte aber auch hier nach Möglichkeit ein multilaterales Gremium einbezogen werden. Die USA machten dagegen nicht nur gegen „rogue states“, sondern auch gegen die feindlichen Kämpfer („enemy combatants“) als „rogue individuals“ ein weitgehend voraussetzungsloses „Selbstverteidigungsrecht“ geltend, indem sie diesen selbst den Mindestschutz des humanitären Völkerrechts verwehrten. Dies gilt gleichermaßen für die Angehörigen des privaten Al-Qaida-Netzwerks als auch die seinerzeit einem de facto-Regime in Afghanistan, also einem Völkerrechtssubjekt zugehörigen Taliban. Nicht einmal die menschenrechtlichen Freiheitsgarantien, die bereits allein aus der Menschenwürde fließen, wurden ihnen zugestanden. Damit waren sie weder immun gegen die Verfolgung von Handlungen, die im Krieg an sich erlaubt sind, noch wurden ihnen die Rechte gewährt, die in ordentlichen strafrechtlichen oder auch nur administrativen Verfahren gelten. Erst der Supreme Court hat diese Entrechtung nach und nach rückgängig gemacht und den Betroffenen ihre habeas corpus-Rechte zugesprochen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen entschied der neue US-Präsident Barack Obama zudem, das Gefangenenlager Guantánamo, das zum Sinnbild des Werteverfalls im „Anti-Terror-Krieg“ geworden ist, bis zum 22. Januar 2010 zu schließen. Da sich eingeschlagene Wege nicht ohne weiteres rückgängig machen lassen, musste dieser Termin bereits mehrfach verschoben werden und haben die in Guantánamo eingesetzten Militärkommissionen ihre Verfahren inzwischen sogar wieder aufgenommen. 6. Auch die Vereinten Nationen haben die Verwerfungen des „Anti-Terror-Kriegs“ durch die Beteiligung des SR weitgehend mitgetragen. Mag dies auch in erster Linie dadurch motiviert gewesen sein, nicht als „irrele-
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vant“ außen vor zu bleiben, haben die VN bzw. die anderen Mitglieder des SR sich doch „mitschuldig“ gemacht. Erst im Hinblick auf die militärische Intervention der USA im Frühjahr 2003 im Irak wegen fingierter Massenvernichtungswaffen bezog der SR eigene Stellung gegen die USA. Hiermit kippte auch die bedingungslose Gefolgschaft der Staaten in anderen Bereichen der (vermeintlichen) Terrorismusbekämpfung, etwa gegenüber dem CTC und dem 1267-Sanktionsregime. Vor allem die Bereitschaft, Personen auf die „Terrorismusliste“ zu setzen und damit der Stigmatisierung und Entrechtung preiszugeben, nahm spürbar ab. Es setzte damit eine Gegenbewegung ein, in der den Freiheitsrechten wieder zunehmend das ihnen gebührende Gewicht gegenüber den zuvor einseitig verfolgten staatlichen Sicherheitsinteressen eingeräumt wird. Zugleich kann die Sanktionierung oder auch Inhaftierung von Terrorismusverdächtigen jedoch nicht pauschal und ersatzlos aufgehoben werden, so dass weiter nach Alternativlösungen gesucht werden muss. In diesem Dilemma stecken die USA und ihre Partner nunmehr auch bei der Abwicklung Guantánamos. 7. Eine ähnliche Entwicklung hat es im Hinblick auf die Personen gegeben, gegen die im Rahmen des 1267-Regimes Sanktionen verhängt worden sind. Der entsprechende SR-Ausschuss greift dabei erstmals global und weitgehend unbestimmt – es genügte insoweit zunächst jede lediglich behauptete „Verbindung zu Al-Qaida“, die mittlerweile wenigstens halbwegs plausibel nachzuweisen ist – unmittelbar auf Individuen zu und setzt sie praktisch fest, indem ihr Vermögen eingefroren und ihre Reisefreiheit aufgehoben wird. An sich sind gezielte Sanktionen (targeted sanctions) mit den geringst möglichen „Nebenwirkungen“ zulasten Dritter das Zwangsmittel der Wahl. Die 1267-Sanktionen weisen allerdings eine nur begrenzte Zielgenauigkeit auf und können missbräuchlich angewendet werden. Dies kommt umso mehr zum Tragen, als ursprünglich keinerlei Verfahrensrechte vorgesehen waren, Betroffene also nichts gegen ihre Listung unternehmen konnten, selbst wenn diese offensichtlich falsch war. Inzwischen hat der 1267-Ausschuss allerdings Verfahrens-Leitlinien entwickelt, die vielfach den Detaillierungsgrad eines „Verwaltungsverfahrensrechts“ erreicht haben. In S/RES/1730 (2006) hat der SR sogar allen Sanktionsausschüssen verbindlich vorgegeben, diese Standards zu befolgen. Die Staatengemeinschaft und die Zivilgesellschaft haben damit gegen Vorbehalte unter den ständigen SR-Mitgliedern einen wichtigen Etappenerfolg bei der Einführung „fairer und klarer Verfahren“ erzielt. Gleichwohl ist das System im Hinblick auf rechtsstaatliche Standards noch ungenügend, insbesondere weil die Betroffenen keine abschließende rechtliche Überprüfung herbeiführen können. Stattdessen entscheidet der Sanktionsausschuss exklusiv und letztlich politisch über eine Listenstreichung, wobei jedes der 15 Mitglieder ein Vetorecht hat, dessen Gebrauch noch nicht einmal zwingend begründet zu wer-
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den braucht. Sollen die Sanktionsregime nicht mittelfristig kollabieren, ist es daher geboten, einen unabhängigen Überprüfungsmechanismus möglichst auf Ebene der VN zu schaffen. Die neu eingeführte Ombudsperson [S/RES/1904 (2009)] ist ein Schritt in die richtige Richtung, der aber nicht genügt. Alternativ – als Zwischenlösung für praktisch wohl den Großteil der Fälle – wäre ein kombiniertes Modell von SR und 1267-Ausschuss sowie den nationalen (bzw. regionalen) Gerichten denkbar. 8. Mit seinen S/RES/1373 (2001) und S/RES/1540 (2004), die nicht an konkrete Bedrohungen, sondern an abstrakte Gefahren anknüpfen und den Staaten allgemeine Handlungspflichten auferlegen, ist der SR erstmals (quasi-)legislativ tätig geworden. Damit hat er seine exekutiven Befugnisse, die die VN-Charta ihm verleiht, überschritten. Angesichts der Schwierigkeiten, auf die der SR bzw. seine Ausschüsse fast zwangsläufig bei der Durchführung dieser Resolutionen stoßen (schlechte Berichtsmoral der Mitgliedstaaten und unzureichende Umsetzung der Maßnahmen) ist auch mittels teleologischer Auslegung der Art. 39 ff. SVN kein anderes Ergebnis erreichbar. Eine dynamisch-evolutionäre Auslegung würde die Grenzen des bestehenden Vertragswerks überschreiten und kommt schon deshalb nicht in Betracht; im Übrigen schlägt erst recht auch hier die mangelnde Zustimmung von Seiten der Mitgliedstaaten durch. Damit hat der SR gegen das System der Funktionsteilung in der Charta, den völkerrechtlichen Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und die Gesetzgebungsautonomie der nationalen Parlamente bzw. das Demokratieprinzip verstoßen. 9. Weiterhin hat der SR das institutionelle „Verfassungsgefüge“ der VN dadurch verschoben, dass er mit dem Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus (CTED) ein „Parallel-Sekretariat“ geschaffen hat. Bereits der CTC als dessen „Mutterausschuss“ [S/RES/1373 (2001)] stellt in mehrfacher Beziehung ein Novum dar: Er ist der erste Ausschuss, dessen (Gründungs-)Vorsitz ein ständiges SR-Mitglied innehatte und der vor allem unbefristet errichtet wurde. Damit stellt er im Hinblick auf sein Mandat, ein weltweites „Anti-Terrorismus-Rechtsregime“ vorzugeben sowie die Umsetzung in den Mitgliedstaaten zu überwachen, im Ansatz eine Art global governance-Institution auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung dar. In der Praxis äußert sich seine mangelnde Legitimität als SR-Organ allerdings in einem deutlichen Effektivitätsdefizit. Daran hat auch das Exekutivdirektorium, um welches der SR den CTC zu dessen „Neubelebung“ erweitert hat [S/RES/1535 (2004)], nur wenig ändern können. Der CTC hat hierdurch einen eigenen operativen Unterbau erhalten, der für neue Friktionen gesorgt hat. Dies liegt daran, dass er einerseits – um aus dem ordentlichen Haushalt der VN finanziert zu werden – als „besondere politische Mission“ in das VN-Sekretariat integriert ist und damit
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zwingend in den Aufsichtsbereich des GS fällt, andererseits aber der inhaltlichen („politischen“) Leitung des CTC bzw. SR untersteht. Damit ist die Organisationsstruktur nochmals unübersichtlicher geworden und stellt sich, wie nicht zuletzt im Oil for food-Programm, das Problem unklarer Verantwortungsstränge. Die Errichtung des CTED ist zugleich ein Beispiel dafür, wie wenig der SR im Verhältnis zu den anderen VN-Organen das Gebot gegenseitiger Loyalität beachtet, sondern seine Interessen einseitig durchzusetzt. Da eine Selbststeuerung wegen der unterschiedlichen Machtverteilung unter den Akteuren offenbar nicht funktioniert, müssen institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden, die systemwidrige Verschiebungen im VN-System verhindern. 10. Für die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts bedarf es rechtlicher Sicherungen. Eine Art „Verfassungsgerichtsbarkeit“ ist mit Blick auf die Funktionsteilungen an sich bereits im VN-System angelegt. Danach entspräche es dem Kooperations- und Loyalitätsgebot der VN, wenn die politischen Organe ihre Rechtsfragen im Regelfall von sich aus gem. Art 96 Abs. 1 SVN dem IGH zur Begutachtung vorlegten. Es fehlt lediglich der politische Wille, vor allem unter den Mitgliedern des SR, entsprechend zu verfahren. Dabei läge es gerade auch im Interesse des SR, seine Beschlüsse mit dem „Gütesiegel“ eines unparteiischen Gerichts vor den zunehmenden Anzweifelungen ihrer Rechtmäßigkeit zu bewahren. Schon wegen des großen – aber eben nicht unbegrenzten – Entscheidungsspielraums des SR und der richterlichen Zurückhaltung auf Seiten des IGH dürften die Gutachten regelmäßig zu einer Bestätigung führen. Insofern wäre die Autorität des SR durch eine aktive Einbindung des Gerichts im Ergebnis nicht untergraben, sondern im Gegenteil gestärkt. Damit das Sekretariat, das am ehesten der internationalen Gemeinschaft insgesamt dient und daher seinen Status behaupten können muss, einbezogen und dem SR sowie der GV als Hauptorgan gleichgestellt wäre, müsste auch diesem, handelnd durch den GS, ein Antragsrecht eingeräumt werden. Durch eine solche Verrechtlichung wären die politischen Organe angehalten, ihre Beschlüsse möglichst rational und prinzipiengeleitet zu begründen, wodurch sie verstärkt den Anforderungen der rule of law gerecht würden und die treuhänderische Bindung wieder die gebotene Beachtung fände, die ihr Handeln überhaupt nur legitimiert. 11. Außerdem bedarf es einer stärkeren Legitimation durch Verfahren, also politischer Sicherungen. Diese Forderung, die im Fokus der VN-Reformbemühungen liegt, hat sich nicht nur und erst infolge des 11. September 2001 ergeben. Durch dieses Ereignis und die Reaktionen, die es ausgelöst hat, ist jedoch ihre Dringlichkeit noch offensichtlicher geworden. Der Schwerpunkt der Diskussion dreht sich hierbei um eine repräsentative Zusammensetzung und transparente sowie partizipative Arbeitsmethoden
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des SR. Dessen Mitgliedschaft ist qualitativ noch immer Ausdruck des Kräfteverhältnisses in der VN-Gründungszeit und hat auch rein quantitativ die Vergrößerung der VN von 51 auf 192 Mitgliedstaaten kaum nachvollzogen. Resolutionsentwürfe, die auf eine Veränderung zielten, sind mangels Erfolgsaussichten (2/3-Quorum) bislang noch nicht zur Abstimmung eingebracht worden. Immerhin sind die Staaten trotz der verpassten Chance im Jahr 2005 („window of opportunity“) beharrlich geblieben und haben Anfang 2009 die (Endlos-)Gespräche in der Offenen Arbeitsgruppe in direkte intergouvernementale Verhandlungen übergeleitet. Am Ende mag ein Aufwuchs der ständigen oder jedenfalls einiger mit verlängerter Amtszeit ausgestatteter gewählter Mitglieder von 15 auf rund 25 stehen. Da die große Mehrheit der Staaten aber auch danach keine oder nur eine geringe Aussicht auf eine auch nur temporäre SR-Mitgliedschaft hat, sind die Arbeitsmethoden des SR umso wichtiger. Sowohl die Charta als auch die „Vorläufige Geschäftsordnung“ des SR sehen Beteiligungsrechte der nicht im SR vertretenen Staaten vor. Diese werden aber in der Praxis noch zu wenig mit Leben erfüllt, wobei insbesondere im Hinblick auf die Sanktionsregime und friedenssichernden Operationen Fortschritte zu verzeichnen sind. Der SR vergrößert auf diese Weise nicht nur seine eigene Legitimationsgrundlage, sondern verschafft sich zugleich externen Sachverstand und eine bessere Lastenteilung. 12. Auch innerhalb der GV und des Sekretariats sind Reformen geboten, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten bzw. zu erhöhen. Abgesehen von kleineren Maßnahmen wie der Straffung der Tagesordnung und des Mandatswesens sind auch hier bislang nur wenige der Vorschläge umgesetzt worden. Jedenfalls aber hat die GV sich mit dem Weltgipfel 2005 sowie der Verabschiedung der „Weltweiten Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ im September 2006 politisch zurückgemeldet und dem sicherheitszentrierten Ansatz des SR eine thematisch ganzheitliche und von ihren Akteuren her übergreifende Strategie mit einer Koordinierungseinheit (Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung) im Sekretariat gegenübergestellt. Dass auch die „Anti-Terrorismus-Ausschüsse“ des SR sich hieran beteiligen, ist umso bemerkenswerter, als die Beschlusslage des SR zum Terrorismus weiterhin lautet, selbst – und d. h. mit Blick auf Art. 12 SVN prinzipiell exklusiv – „mit dieser Angelegenheit befasst zu bleiben“. Die Umsetzung der Strategie mit einer effektiven Koordinierung der Einzelmaßnahmen oder auch eine weitergehende Institutionalisierung der Terrorismusbekämpfung, möglichst mit einem Überwachungsmechanismus, steht gleichwohl noch aus. Naheliegend wäre insoweit, die SR-Ausschüsse und deren Expertengruppen zu konsolidieren und perspektivisch mit einem gestärkten Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung zusammenzuführen. Aber auch die Gründung eines eigenen VN-Amtes oder -Programmes
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für Terrorismusbekämpfung bzw. einer entsprechenden Sonderorganisation ist ein denkbares Modell, wenngleich die hierfür erforderliche Gründungsdynamik sich mit wachsendem Abstand zum 11. September 2001 abgeschwächt hat. 13. Weiterhin bleibt das „Umfassende Übereinkommen über den internationalen Terrorismus“ mit seiner Bestimmung des Terrorismusbegriffs zu verabschieden, sei es explizit durch eine Definition oder implizit durch die Abgrenzung des Anwendungsbereichs gegenüber dem humanitären Völkerrecht. Entscheidend müssen hierbei die Tatmodalitäten und nicht der „Tätertypus“ sein, der im Gegenteil staatliche ebenso wie private Akteure zu umfassen hat, um keine doppelten Standards zu setzen. „Terroristische Taten“ werden sich auch nicht allein durch die Subsumtion unter einen juristischen Tatbestand ermitteln lassen. Vielmehr dürften im Einzelfall politische Wertungen erforderlich sein, die allerdings in einem ausgewogenen und transpartenten Verfahren mit rationaler Argumentation erzielt werden müssen, um machtpolitische Einfärbungen zu verhindern. Die Verabschiedung und Wirksamkeit des Übereinkommens werden letztlich davon abhängen, ob materiell legitime Widerstands- und Befreiungsaktionen darin Berücksichtigung finden. 14. Die Wahrnehmung der terroristischen Gefahr – und damit ihre nach „9/11“ vor allem von den USA postulierte Vordringlichkeit gegenüber anderen Herausforderungen – unterscheidet sich in der internationalen Gemeinschaft teilweise erheblich. Angesichts der begrenzten Ressourcen und um möglichst weitgehende Akzeptanz für ein multilaterales Vorgehen zu erzielen, müssen die Staaten einen Dialog auf Augenhöhe führen und sich auf gemeinsame Bedrohungsanalysen und Handlungskonzepte verständigen. Mit einem entschlossenen Eintreten etwa auch für die (Millenniums-)Entwicklungsziele könnten ein solcher Ausgleich und Glaubwürdigkeit geschaffen werden, die wiederum positiv auf Sicherheitsthemen im engeren Sinne wie die Terrorismusbekämpfung zurückwirken würden.
Anhang A. Inoffizielles Arbeitsdokument („Comments on CTC reform“) des USG Kieran Prendergast (DPA) vom 9.2.2004 (Abschrift) Non-Paper COMMENTS ON CTC REFORM At the request of the CTC Chairman, below are comments on current ideas under consideration. This non-paper also includes in some cases alternatives to some of the language contained in the draft paper on the revitalization of the counter-terrorism committee. As discussions concerning these proposals are ongoing, some of the elements of this non-paper may no longer be relevant to the current draft under consideration. Institutional • The proposal raises the question of whether the Security Council has the authority to create a Secretariat structure and whether this would conflict with the authority of the Secretary-General as chief administrative officer under Article 97 of the Charter. • In order to uphold the authority of the Secretary-General as chief administrative officer in conformity with Article 97 of the Charter, the Executive Chairman should report to the Council through the Secretary-General. In addition, guidance from the CTC should be transmitted to the SG. • Similarly, to avoid raising questions of consistency with the role of the SecretaryGeneral as chief administrative officer, the organizational plan for the proposed CTED should be submitted through the Secretary-General to the Security Council. Budgetary • The budgetary provisions in the draft texts raise questions of the consistency with the role of the Secretary-General as chief administrative officer and with his role in regard to the budget under Financial Regulation 2.1, which states that “the proposed programme budget for each financial period shall be prepared by the Secretary-General.” The proposal indicates that “In order to ensure proper financial accountability, the CTC’s financial resources will be subject to UN financial rules and regulations.” Accordingly, the formal duty to prepare
Anhang
507
and submit budget proposals must continue to rest solely with the SecretaryGeneral and cannot be vested in another official. This does not preclude the Executive Director formulating draft proposals for consideration by the SecretaryGeneral prior to formal submission by the Secretary-General of budget proposals to the appropriate intergovernmental organ. • Given the General Assembly’s sole responsibility under the Charter for the appropriation of funds (Article 17), the CTC cannot attribute to itself the role of reviewing and endorsing the budget. While the programme narrative aspects of budget proposals relating to objectives, accomplishments, indicators and performance measures may properly be reviewed and endorsed by the CTC, the consideration of any and all resource matters including posts, and other financial resources, must remain reserved to the General Assembly, including the ACABQ. The procedure currently proposed whereby the Executive Director would make budget proposals to CTC for its review and endorsement and their subsequent submission, to the Secretary-General and then to the General Assembly for approval would seriously encroach on the prerogatives of the General Assembly under the Charter, and of the Secretary-General under the Financial Regulations. As a practical matter, it would not be sound to have two Charter Organs vested with the power to review and approve budgets as there is every possibility of inconsistent positions being taken by the Organs. Additionally, any provision setting limits on the number of personnel should remain with the General Assembly as a part of its budgetary functions. Accordingly, it would seem necessary for the Council and the Assembly to establish modalities for transparent and open cooperation fully respecting their respective competencies so as to ensure that the budget review and approval process unfolds smoothly. Personnel issues • Under Article 101 of the Charter, “the staff shall be appointed by the SecretaryGeneral under regulations established by the General Assembly.” The SecretaryGeneral may delegate his authority to appoint and administer the staff of a particular office or programme (including deputies) to the executive head, but that authority remains within the “Secretariat”, as one of the principal organs of the UN. Subjecting the Secretary-General’s staffing decisions to approval by representatives of Member States would be in contravention to Article 101. Furthermore, Staff Regulation 4.1 reiterates “the power of appointment of staff members rests with the Secretary-General.” • In addition, Article 100, paragraph 2, of the Charter provides: “Each Member of the United Nations undertakes to respect the exclusively international character of the responsibilities of the Secretary-General and the staff and not to seek to influence them in the discharge of their responsibilities.” All staff members are appointed in accordance with staff regulations adopted by the General Assembly and rules promulgated by the Secretary-General, which would not permit selection decisions to be made by representatives of Member States. • Staff members are governed by the Staff Regulations adopted by the General Assembly and the rules promulgated by the Secretary-General. The executive head
508
Anhang
of a department or office would not have authority to determine the conditions of service of their staff. • It would however be possible for the executive head of a particular office or specialized secretariat to be appointed by the Secretary-General after election, consultation or approval by the General Assembly (as is done, for instance, for the High Commissioner for Refugees) or by the Security Council (as is done, for instance, for some Force Commanders in peacekeeping missions.) The executive head is a staff member and in many cases receives delegated authority from the Secretary-General to appoint his or her staff, including his or her deputy. The executive head, as a staff member, must report through the Secretary-General, when reporting to an inter-governmental body or entity on mandated matters. On administrative and personnel issues, the executive head reports directly to the Secretary-General.
Anhang
509
B. Schreiben („Revitalisation of CTC“) des ASG Danilo Türk (DPA) vom 3.3.2004 (Abschrift) 3 March 2004 Excellency, The Secretary-General has asked me to follow up on the contacts between the Secretariat and the Counter-Terrorism Committee (CTC) with regard to the latter’s revitalization efforts. The Secretariat is convinced of the necessity to strengthen international action against terrorism and firmly supports efforts to reinvigorate the CTC. In this context, I am glad that the Secretariat has had a chance to put its views forth on the current proposals by means of the non-paper Mr. Prendergast gave to you on 9 February 2004 and in other contacts. While the final text of the “proposal for the revitalisation of the Counter-Terrorism Committee”, as adopted by the Committee on 19 February 2004 (S/2004/124) has taken into account some of the Secretariat’s concerns, others remain. These have less to do with drafting details than with aspects of the overall approach. The Secretariat is concerned that the Counter-Terrorism Executive Directorate (CTED), if created as an integral part of the Secretariat, would set a pattern of international relations that is, in our view, not compatible with the Charter, neither in letter nor in spirit. As described in the proposal, the CTED would not only receive policy guidance from the Committee, but also direct instructions and oversight. Such an arrangement would run counter to the prerogatives of the Secretary-General as the Organisation’s chief administrative officer and the status of the staff as international civil servants. We have emphasized this concern not only through the non-paper, but also in various contacts with CTC members. Most of the difficulties identified, however, would not apply if a different approach were to be adopted. For example, an alternative would be for the CTED to be established as a strengthened expert’s panel or monitoring group – a model that has been successfully used in the past. Such a structure could be headed by an empowered leader somewhat equivalent to the current Executive Director. Other alternatives could be envisaged. I am confident that most of the difficulties can be overcome. In this process, the Secretariat stands ready to lend its full support to the Committee. Obviously, the specific modalities of Secretariat assistance will be determined by the manner in which the Committee wishes to pursue the substantive goals that it sets for its future work – goals that must be clear and transparent to ensure success in our efforts against the scourge of terrorism. I understand that the draft resolution currently under consideration is undergoing revisions at the present time. I would be happy to discuss these issues further with you and with the members of the Committee. Please accept, Your Excellency, the assurances of my highest consideration.
His Excellency Mr. Inocencio Arias Permanent Representative of Spain to the United Nations New York
Danilo Türk Assistant Secretary-General for Political Affairs
510
Anhang
C. Themen des Weltgipfels (HLPM) und der Generaldebatte (GD) 2005 DGACM STATISTICAL OVERVIEW: COMBINED HLPM AND GD In the combined 371 interventions made in the course of the HLPM and the GD (188 in HLPM and 183 in GD), mention was made of: By sector (Development [ u]; Peace and Security [l]; Rule of Law/Human Rights [ u]; Strengthening UN [l]); (number of speakers and % of total): HLPM
GD
u MDGs
153
81 %
131
72 %
u ODA/FfD/Monterrey Consensus
101
54 %
98
54 %
u Trade
70
37 %
84
46 %
u Debt
61
32 %
57
31 %
u Health, HIV/AIDS, malaria, tuberculosis
65
35 %
69
38 %
u Environment, climate change
51
27 %
61
33 %
u Special needs of Africa
32
17 %
42
23 %
90
49 %
l
PBC
64
34 %
l
Democracy Fund
23
12 %
22
12 %
l
Peacekeeping
11
6%
30
16 %
l
Terrorism
112
60 %
142
78 %
l
Responsibility to Protect
30
16 %
46
25 %
l
Disarmament/non-proliferation/WMD
51
27 %
91
50 %
u Rule of Law/ICC/ICJ
38
20 %
60
33 %
u Human Rights/OHCHR
78
41 %
91
50 %
u HRC
67
36 %
86
47 % 35 %
l
Secretariat Reform
65
35 %
64
l
Security Council reform
96
51 %
116
63 %
l
GA revitalization/ECOSOC
44
23 %
64
35 %
Anhang
511
In descending order of frequency (HLPM and GD averaged): u MDGs
by 142 speakers
77 % of total
l
Terrorism
127
68
l
Security Council reform
106
57
u ODA/FfD/Monterrey Consensus
100
54
u Human Rights/OHCHR
85
46
u Trade
77
42
PBC
77
42
u HRC
77
42
Disarmament/non-proliferation/WMD
71
38
u Health, HIV/AIDS, malaria, tuberculosis
67
36
l
l
65
35
u Debt
59
32
u Environment, climate change
56
30
GA revitalization/ECOSOC
54
29
49
26
38
20
l
l
Secretariat Reform
u Rule of Law/ICC/ICJ l
Responsibility to Protect
u Special needs of Africa
37
20
l
Democracy Fund
23
12
l
Peacekeeping
21
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Sachwortregister 11. September 2001 („9/11“) 33 ff., 49 ff., 94 f., 99 f., 120, 151, 165 ff., 186, 216, 257, 278, 287, 408, 423, 431, 483, 492 51/210-Ausschuss 72, 91, 94, 392 ff. 1267-Ausschuss siehe Al-Qaida/ Taliban-Sanktionsausschuss 1373-Ausschuss siehe CounterTerrorism Committee (CTC) 1540-Ausschuss 73, 100, 236, 270 f., 278 f., 288, 302, 469 ff. 1566-Arbeitsgruppe 101, 265, 288 ACABQ 71, 80, 300, 313, 318 Afghanistan 33 f., 48 f., 52 f., 56 f., 98 f., 151 ff., 170 ff., 181 ff., 208 f., 216, 222, 229 ff., 330, 426, 464, 484 f. Aggressionsdefinition 86, 88, 129, 163, 168, 385, 434 Allianz der Zivilisationen 451, 463 f., 488 Al-Qaida 52, 57, 98 f., 145, 152 ff., 165, 168, 183, 187, 204 ff., 222 f., 231 f., 390, 402, 408, 426, 432, 485 Al-Qaida/Taliban-Sanktionsausschuss 208 ff., 249 ff., 279 Anti-Terror-Krieg („war on terror“) 33, 56 ff., 170, 183, 185 ff., 236, 330, 435, 453, 457, 459 f., 484, 492 Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung 103 f., 308, 442, 448 ff., 453 ff., 466 ff., 471 ff. Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus siehe Counter-Terrorism Committee Aut dedere aut iudicare 83, 107 f., 293, 395, 405 ff.
Berichtspflichten (reporting fatigue) 100, 142, 278 f., 365, 466, 469 Besondere politische Missionen (SPM) 79 f., 300, 310 ff., 470 Bewaffneter Angriff 151 ff., 162 ff., 267 Bosphorus-Entscheidung des EGMR 244, 255 Counter-Terrorism Committee (CTC) 70, 100, 236, 269, 277 ff., 298 ff., 466 ff. Counter-Terrorism Executive Directorate (CTED) 70, 100, 304 ff., 388, 466 ff. Dag Hammarskjöld 69, 112, 365 De facto-Regime 49, 91, 148, 151, 157 f., 161 f., 174 f., 179 f., 190 Dekolonialisierung 46, 87 f., 96, 102, 334, 402 Doppelte Standards 133, 188 f., 265, 292, 425, 495 ECOSOC (Wirtschafts- und Sozialrat) 66 ff., 74 ff., 101, 105 f., 283, 297, 351 ff., 368, 387, 476 ff. Exekutivdirektorium des Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus siehe Counter-Terrorism Executive Directorate Failed States 48 f., 102, 487 Finanzierungsübereinkommen (Internationale Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrors [1999]) 90, 100, 107, 268, 277, 395, 415 ff. Folter 56, 119, 191 ff., 493
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Sachwortregister
Freiheitskampf/-kämpfer siehe auch Selbstbestimmungsrecht der Völker 46, 86 f., 88, 91 f., 396 ff., 426 ff., 452, 483 Friendly Relations-Deklaration (1970) 88, 372, 376, 404, Generalsekretär (GS) der VN 68 ff., 102 ff., 234 f., 239 ff., 310 ff., 361 ff., 373, 386 ff., 458 Generalversammlung siehe auch Reform der GV 63 ff., 86 ff., 112, 141 f., 297, 363 ff., 373, 386 f., Gruppe der 77 (G 77) 79, 101, 317, 362, 367, 468 Guantánamo 34, 38, 58, 185, 189 ff., 465, 492 Haushalt (regulärer Haushalt der VN) 71 f., 78 ff., 299 ff., 314 ff., 362, 454, 477, 502 Hoher Kommissar für Menschenrechte (OHCHR) 70, 75, 104, 319, 452, 462, 468, 476 Humanitäres Völkerrecht/Genfer Konventionen (1949) u. Zusatzprotokolle (1977) 91, 118, 145 ff., 183 f., 185 ff., 198, 396 ff., 420 ICTY (Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) 74, 124, 130, 136, 141, 166, 260, 283 f., 295, 408 In larger freedom (A/59/2005) 62, 77, 103, 133, 419, 438 Institutionalisierung 63, 85, 241, 350, 448 ff., 467 ff. International Law Commission (ILC) 64, 86, 409 Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) 72, 77, 94, 105, 449, 478 ff. Internationale (sektorale) Übereinkommen gegen den Terrorismus 84, 89 ff., 94, 100, 106 ff., 269, 277,
292, 394, 406, 410 ff., 416 f., 423, 431 Internationaler Gerichtshof (IGH) 67 f., 102, 141 f., 294, 296, 298, 321, 376, 378 ff., 395, 402, 434, 478, 482 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) 147, 163, 262, 284 ff., 406, 408 ff. Internet 53, 225, 441 f. Irak 33 f., 46 ff., 53, 56 ff., 118, 130, 161, 176 ff., 197, 206, 294 f., 359, 390, 432 f., 464, 484 ISAF 172 ff., 183 f. Ius cogens 134 f., 241, 249 ff., 406 Kofi Annan 36, 68, 133, 179 ff., 310, 336 ff., 361 ff., 374, 388, 405, 436 ff., 459, 463, 498 Kollektive Friedenssicherung 60, 84, 120 ff., 136, 149 ff., 171 ff., 293 Kombattanten (auch „feindliche“, „ungesetzliche“) 91, 145, 183, 189 ff., 416 ff. Kompetenzen, Kompetenzverteilung u. -überschreitung („VN-Verfassungsgefüge“) 122 ff., 137 f., 140 ff., 268 ff., 276 f., 280, 296 ff., 313 ff., 380 Konsolidierte Liste 210 ff., 219 ff. Kriegsbegriff siehe auch Anti-TerrorKrieg 43, 50, 55 ff., 116 f., 144 f., 149 f., 161, 185 f. Legislative Resolutionen des SR 127, 138 f., 144, 268 ff. Legitimation/Legitimität 37, 64 f., 82, 92, 133, 141 f., 200 ff., 235, 266, 291, 308, 312, 330, 332, 359, 368, 373, 378, 384, 426, 432, 456 f., 479 Lockerbie 45, 97, 102, 127 f., 141, 292 ff., 298, 379
Sachwortregister Massenvernichtungswaffen 58, 71, 100, 116, 177, 180, 270 f., 287, 441 f., 485 Menschenrechte 95, 101, 104, 119, 122, 126, 147, 175 f., 184, 189 ff., 216, 242, 244 ff., 307 f., 402, 405 f., 438, 462, 487, 493 Menschenrechtsrat 72, 74 f., 353, 447 Millenniumsgipfel/-ziele 94, 328, 336, 372, 444, 464, 485 f. Motive (politisch, religiös, weltanschaulich) 43 ff., 60, 83, 108, 395, 422, 424, 426 ff. Nationale Sicherheitsstrategie (der USA) 49, 177, 186 „Neue Terroristen“/„neuer internationaler (globalisierter) Terrorismus“ 51, 54 ff., 100, 117, 149, 201, 268 Nicht-staatliche Akteure/Private 42 f., 58, 61, 83, 86, 100, 102, 116, 118 f., 141, 144 ff., 167, 181 ff., 185 ff., 203, 269 f., 369, 404 Oil for food-Programm 206 f., 311 f., 337 Ombudsperson (1267-Sanktionsregime) 214, 229 ff., 259 ff. Operation Enduring Freedom (OEF) 171 ff., 183 f., 330 Osama bin Laden 52 f., 98, 158, 168, 208 ff., 222 Patriot Act 58, 300 Peacebuilding Commission (Kommission für Friedenskonsolidierung) 75 f. PLO 45, 87, 96, 426 Präemptive Selbstverteidigung 177 ff., 200, 267, 327 Präventive Selbstverteidigung (Webster-Formel) 178 ff.
533
Rechtsschutz (individueller) 111, 189 ff., 214 ff., 226 ff., 230 ff., 245 ff., 250 ff., 259 ff. Regimewechsel (regime change) 34, 174, 180 Repräsentation/Repräsentativität 63 ff., 82, 114, 139 ff., 180 f., 209, 275, 281, 291, 329 ff., 390, 418 Rule of law (Herrschaft des Rechts/ Rechtsstaatlichkeit) 119, 127, 144, 195, 202 f., 295, 327 f., 370 ff., 381 f., 437 f., 487, 495 Sanktionen/Sanktionsregime/Sanktionsausschüsse (des SR) 73, 97, 99, 146, 203 ff., 207 ff., 302, 441, 473 Sekretariat der VN 68 ff., 102 ff., 304, 310, 322, 361 ff. Selbstbestimmungsrecht der Völker 46, 84, 86 f., 88, 91, 95, 102, 148, 397 ff., 422 Selbstverteidigungsrecht siehe auch präemptive bzw. präventive Selbstverteidigung 102, 106, 145, 149 ff., 162 ff., 397 ff., 433 Sicherheitsrat 65 f., 95, 112 f., 144 ff., 281, 332 ff., 373, 434 Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus 74, 106, 194, 452 Staatengemeinschaft (internationale Gemeinschaft/Weltgemeinschaft) 35 ff., 59 f., 87, 99, 117, 131, 134 f., 161, 174, 195, 200, 231 f., 267, 279, 281, 296, 322, 326 f., 349, 360, 379, 389 f., 405 f., 420, 434, 440, 457, 486, 489, 495 Staatenverantwortlichkeit 47 ff., 64, 158 ff., 165 ff., 198 Staatlich geförderter Terrorismus 48, 91, 403 ff. Staatsterrorismus 47, 91, 157, 403 ff., 452 Strategie (Weltweite) der Vereinten Nationen gegen den internationalen
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Sachwortregister
Terrorismus (A/RES/60/288 [2006]) 37, 51, 95, 105, 108 ff., 325, 329 ff., 403, 411, 435 ff., 443 ff., 464 ff., 488 ff. Symbolik 45, 51, 54, 65, 410, 492 System der Vereinten Nationen 61 ff., 85, 443 ff., 450, 479 Taliban 49, 57, 98 f., 154, 157 f., 165 ff., 183, 187, 192, 208 ff., 231 f., 426, 485 Terrorism Prevention Branch (TPB/ Unterabteilung Terrorismusverhütung) 70, 446 ff., 469 ff. Terrorismus-Definition siehe auch „Neue Terroristen“/„neuer internationaler Terrorismus“ 41 ff., 88 ff., 94 f., 99, 104, 108, 148, 184, 271 f., 280, 301, 394 ff., 411 ff., 452 Treuhandrat 66 ff., 102 Umfassendes Übereinkommen über den internationalen Terrorismus 89, 94, 269, 392 ff. UNCC 73, 129 f. UNEP 75, 475 ff. Unjustifiability-Formel 92 f., 415, 417, 420, 424, 463 UNMOVIC 73, 319, 323 UNODC 70 f., 302, 446 ff., 470
Ursachen des Terrorismus (root causes) 51, 84, 89, 92, 424 ff., 437 ff., 452 f., 461 ff. Verbrechen (Terrorismus als völkerrechtliches Verbrechen) 70, 86, 106 f., 408 ff. Verfassungsgerichtsbarkeit 139 f., 289, 320, 377 ff., 388 Verfassungsqualität der VN-Charta 123 f., 134 ff., 140, 243, 268, 281, 318, 327, 370, 383 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 131 f., 136, 173 ff., 182, 230 ff., 255, 375 Verrechtlichung 63, 91, 133, 135, 146, 204, 225, 236, 241 f., 369 ff., 427 Vertragsorgane/Vertragsregime 72, 109, 480 Vetorecht 120 f., 133, 215, 230, 235, 291, 337 ff., 354 f. Völkerbund 63, 84, 333 f., 413 f., 495 Weltgipfel 2005 (Ergebnisdokument A/RES/60/1) 61 f., 95, 101, 109, 134, 217, 232, 350, 361 ff., 372, 392, 420 ff., 439, 457, 462 Yusuf und Kadi-Entscheidung von EuG und EuGH 214, 241, 245, 249 ff., 256 ff.