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German Pages 332 Year 2021
Schriften zum Völkerrecht Band 246
Die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus Von
Pia Dorn
Duncker & Humblot · Berlin
PIA DORN
Die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus
Schriften zum Völkerrecht Band 246
Die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus Von
Pia Dorn
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-18264-0 (Print) ISBN 978-3-428-58264-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für meine Eltern und Großeltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2020 von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung finden bis zum Frühsommer 2020 Berücksichtigung. Mein ganz besonderer Dank gilt zuvorderst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. DDr. h. c. Matthias Herdegen, nicht zuletzt wegen der wissenschaftlichen Freiheit und dem Vertrauen, welche er mir im Rahmen des Verfassens der vorliegenden Arbeit schenkte. Seine konstruktive Kritik und wertvollen Anregungen trugen in entscheidenden Phasen maßgeblich zum Gelingen der Dissertation bei. Frau Prof. Dr. Erika de Wet, LL.M. (Harvard) möchte ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die stete Diskussionsbereitschaft herzlich danken. Den Teilnehmern des Doktorandenseminars in Basel im Oktober 2017, insbesondere Prof. Dr. Stephan Breitenmoser, Prof. Dr. Bernhard Ehrenzeller, Prof. Dr. Stefan Oeter sowie Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Luzius Wildhaber, LL.M.; J.S.D. (Yale) danke ich für die wertvollen Hinweise und die Möglichkeit, in der Anfangsphase der Dissertation meine Thesen zu testen. Für die große Diskussionsbereitschaft und ihr stets offenes Ohr möchte ich zudem meinen (ehemaligen) Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Öffentliches Recht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, insbesondere Herrn Carsten Kalla, LL.M. (Columbia), Herrn Philipp Dürr und Herrn Konstantin Klopp, danken. Danken möchte ich auch meiner Familie, die mich stets auf vielfältige Weise unterstützt hat. Zu nennen sind hier insbesondere Frau Gisela Rupprath sowie Herr Dr. Guido Dorn. Mein zutiefst empfundener Dank gilt aber vor allem meinen Eltern Dorothea Dorn und Siegfried Dorn, meinen Großeltern Thea und Bert Dorn sowie Brigitta und Wilhelm Schmitz, meinem Bruder Jonas Dorn und meinem Lebensgefährten Joan-Wilhelm Schwarze, MSc. Sie begleiteten mich stets durch alle Phasen dieser Arbeit und schenkten mir die Kraft und den Glauben, die vorliegende Arbeit zu realisieren. Ohne ihre unermüdliche Unterstützung und Liebe wäre diese Arbeit nicht entstanden. Bonn, im März 2021
Pia Dorn
Inhaltsverzeichnis Erster Teil
Grundlagen
21
1. Kapitel
Einleitung
21
A. Hinführung zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Zielstellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Kapitel
Der Grundsatz der Staatenimmunität
40
A. Allgemeine Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Immunität ratione personae v. ratione materiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 C. Staatenimmunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . 42 D. Der Grundsatz der Staatenimmunität als Regel des Völkerrechts . . . . . . . . . I. Rechtsquelle der Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staatenimmunität als verbindliche Regel des Völkerrechts? . . . . . . . . . . 1. Staatenimmunität als Comitas Gentium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatenimmunität als Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staatenimmunität als Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 45 48 48 51 53 54
E. Herleitung des Grundsatzes der Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Souveräne Gleichheit der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Souveränität als Bollwerk staatlicher Immunität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 F. Rolle der Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eckpfeiler der Völkerrechtsordnung und der zwischenstaatlichen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtssicherheit in Zeiten wirtschaftlicher Integration . . . . . . . . . . . . . . III. Sicherung des Rechtsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktionsfähigkeit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zuständigkeitsabgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58 58 59 60 61 62
G. Historische Entwicklung und Reichweite der Staatenimmunität . . . . . . . . . . 63
10 Inhaltsverzeichnis I. Zeitalter der absoluten Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Genese der restriktiven Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite der Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustimmung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Acta iure gestionis Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Terrorismusausnahme als Bruch des geltenden Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick zur Entwicklung der Terrorismusausnahme im Völkerrecht . . .
63 65 70 71 71 73 74
3. Kapitel
Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vs. Terrorismusausnahme
76
A. Die Ausnahme zur Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 B. Differenzierung zwischen der Ausnahme zur Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in den USA und Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4. Kapitel
Die Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme
84
A. Die Deliktsausnahme im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 B. Der territoriale Nexus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staatliche Handlung innerhalb des Forumstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schadenseintritt im Forumstaat, staatliche Handlung außerhalb . . . . . . . III. Schadenseintritt und staatliche Handlung außerhalb des Forumstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88 89 91 93 94
5. Kapitel
Staatenimmunität und Jurisdiktion
A. Staatenimmunität und Jurisdiktion im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Doktrin der Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfungspunkte zur Ausübung von Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis von Staatenimmunität und Jurisdiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jurisdiktion als sine qua non der Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . .
94 96 96 96 98 101 102
Inhaltsverzeichnis11 2. Folge: Staatenimmunität als Ausnahme zur Jurisdiktion? . . . . . . . . . 104 III. Das Aufeinandertreffen zweier Souveränitätsansprüche . . . . . . . . . . . . . . 106 B. Staatenimmunität und Jurisdiktion im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gerichtsbarkeit im innerstaatlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine prozessuale Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zur internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grenze der Staatenimmunität im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßnahmen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klagezustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Terminsanberaumung, Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entscheidung über die Zulässigkeit durch Zwischenurteil . . . . . . . d) Feststellung doppelrelevanter Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praxis im Falle des staatlich geförderten Terrorismus . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 111 111 112 112 115 116 117 117 118 119 119 123 124
Zweiter Teil
Staatenimmunität und Terrorismus
126
6. Kapitel
Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren in der US-amerikanischen und kanadischen Praxis
A. US-amerikanische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Foreign Sovereign Immunities Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgebungshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematik des Foreign Sovereign Immunities Act . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Staat“ im Sinne des FSIA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deliktsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 28 U.S.C. § 1605A – Terrorism Exception to the jurisdictional immunity of a foreign state . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anti Terrorism and Effective Death Penalty Act . . . . . . . . . . . bb) National Defense and Authorization Act . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Designation des fremden Staates als „state sponsor of terrorism“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Möglichkeit zur Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126 126 127 127 128 130 132 133 134 135 135 138 139 139 140 142
12 Inhaltsverzeichnis (3) Klageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 bb) Act or material provision of support or resources . . . . . . . . . 142 (1) Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (a) Torture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (b) Extrajudicial Killing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (c) Aircraft Sabotage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (d) Hostage Taking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (2) Provision of material support or resources . . . . . . . . . . . . 149 cc) Vornahme der Handlung oder Unterstützung durch eine dem Staat zuzuordnende Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 dd) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. 28 U.S.C. § 1605B – Responsibility of foreign states for international terrorism against the United States . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Hintergrund – Die 9/11 Litigation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Saudi-Arabien – kein designierter state sponsor of terrorism . 157 bb) Anwendbarkeit der commercial activity exception . . . . . . . . . 158 cc) Anwendbarkeit der Deliktsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (1) Grundsätzliche Anwendbarkeit in Fällen des Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (2) Entire tort rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (3) Ausnahme bei Ermessensentscheidungen . . . . . . . . . . . . 161 b) Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Klageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (2) Zeitliche Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (3) Abgrenzung zu 28 U.S.C. § 1605A . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Schadenseintritt innerhalb der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Act of international terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Tortious act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 ee) Vornahme der deliktischen Handlung durch eine dem Staat zuzuordnende Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 ff) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Einflussnahme der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Auswirkungen des 28 U.S.C § 1605B auf die Praxis . . . . . . . . . . 173 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 B. Kanadische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der State Immunity Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzgebungshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Staat im Sinne des State Immunity Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deliktsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 176 176 176 177 178 178
Inhaltsverzeichnis13 2. Terrorismusausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Designation des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Möglichkeit zur Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Klageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Support of terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Handlung oder Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Strafrechtlicher Verstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Handlungs- und Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) For the benefit of a listed entity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Terrorist activity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 179 181 182 182 183 183 184 184 185 188 189 189 192 193
7. Kapitel
Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren in der US-amerikanischen und kanadischen Praxis
194
A. Der Grundsatz der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . 195 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Restriktive Handhabung der Vollstreckungsimmunität und Einfluss der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. US-amerikanische und kanadische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 28 U.S.C. § 1610(a)(7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Justice for Victims of Terrorism Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Victims of Trafficking and Violence Protection Act . . . . . . . . . . . . . . 5. Terrorism Risk Insurance Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 28 U.S.C. § 1610(g) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vollstreckung im Falle des 28 U.S.C § 1605B . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. State Immunity Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Justice for Victims of Terrorism Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201 202 202 204 206 207 209 212 217 219 219 220
C. Ein Pyrrhussieg der Kläger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung eines Urteils jenseits vollstreckungsrechtlicher Erfolge . . . . . 1. Symbolische Gerechtigkeit und Rehabilitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prangerwirkung und Stärkung des Terrorismusverbots . . . . . . . . . . . .
221 223 223 227
14 Inhaltsverzeichnis
II. III.
IV. V.
3. Begründung einer moralischen Verpflichtung und Verhandlungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4. Die Nichtvollstreckbarkeit von Urteilen als Katalysator zur Fort entwicklung vollstreckungsrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . 229 Bislang vollstreckte Summen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Vollstreckung in extraterritoriale Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Vollstreckung durch Gerichte des Drittstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Anordnung der Übertragung von extraterritorialen Vermögensgütern in den Gerichtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Kanada . . . . . 241 Fazit: Kein Pyrrhussieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Dritter Teil
Die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus als völkerrechtlich gerechtfertigte Gegenmaßnahme
245
A. Ansatz des Gedankens in der Völkerrechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 B. Ansatz des Gedankens in der Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 8. Kapitel
Begriff, Rechtsquelle und Zweck der Gegenmaßnahme
248
A. Bedeutung und Begriff der Gegenmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Gegenmaßnahmen und Repressalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Gegenmaßnahme und Retorsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 B. Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 C. Zweck der Gegenmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 9. Kapitel
Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme auf den Grundsatz der Staatenimmunität im Allgemeinen
251
A. Verletzung einer völkerrechtlichen Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 B. Der Grundsatz der Staatenimmunität als unverletzbare Verpflichtung im Sinne des Art. 50 ASR? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 C. Das Recht der Staatenimmunität als self-contained regime? . . . . . . . . . . . . . . 253 D. Ergreifen einer Gegenmaßnahme durch die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 E. Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme ein Zirkelschluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Inhaltsverzeichnis15 10. Kapitel
Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme im Einzelnen
A. Vorliegen eines völkerrechtswidrigen Aktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unilaterale Bewertung der völkerrechtlichen Situation durch den die Gegenmaßnahme ergreifenden Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung der immunitätsdurchbrechenden Akte als völkerrechts widrig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259 259 261 263 267
B. Vornahme der Gegenmaßnahme durch den verletzten Staat . . . . . . . . . . . . . . 268 I. Direkte Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Indirekte Verletzung und diplomatischer Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Überschneidung von Gegenmaßnahme und diplomatischem Schutz . 270 2. Erfüllung der local remedies rule durch schiedsgerichtliche Streitbeilegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Keine absolute Geltung der local remedies rule . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Gegenmaßnahme im kollektiven Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 C. Sommation und Notifizierung der Gegenmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Designation als state sponsor of terrorism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klagezustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erneute Sommation und Notifizierung vor der Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 277 278 279 279
D. Vorübergehende Nichterfüllung und Reversibilität der Gegenmaßnahme . . . 280 E. Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 F. Fazit: Die Durchbrechung der Staatenimmunität als zulässige Gegenmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 11. Kapitel
Schlussbetrachtung
286
Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
Abkürzungsverzeichnis ABl. EU AC ADP AEDPA AJIL AJIL Sup. Ala. L. Rev. ALI Ariz. L. Rev. ASR
Amtsblatt der Europäischen Union Law Reports, Appeal Cases (UK) Draft Articles on Diplomatic Protection Anti Terrorism and Effective Death Penalty Act American Journal of International Law American Journal of International Law Supplement Alabama Law Review American Law Institute Arizona Law Review Draft Articles on Responsibility of States for Internation ally Wrongful Acts Australia FSIA Australia Foreign States Immunities Act AVR Archiv des Völkerrechts AYBIL Australian Yearbook of International Law BerDGVR Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht BGBl Bundesgesetzblatt (DE) Bull.Civ. Bulletin des arrêts de la Cour de cassation: Chambres civiles (FR) BYIL British Yearbook of International Law CA Kanada Calif. L. Rev. California Law Review Can. Y.B. Int’l L Canadian Yearbook of International Law CA-SIA Canada State Immunity Act cert. den. Certiorari denied Chi. J. Int’l L. Chicago Journal of International Law Chinese JIL Chinese Journal of International Law Clunet Journal du Droit International Cong. Congress Conn. J. Int’l L. Connecticut Journal of International Law CR Kroatien CRS Congressional Research Service Dep’t St. Bull. Department of State Bulletin Duke L.J. Duke Law Journal
Abkürzungsverzeichnis17 ECSI EJIL EMRK
European Convention on State Immunity European Journal of International Law Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten EPIL Encyclopedia of Public International Law ETS European Treaty Series FARC Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Revolutio näre Streitkräfte Kolumbiens) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung Fed. Reg. Federal Register Fordham L. Rev. Fordham Law Review Foreign Aff. Foreign Affairs FSIA Foreign Sovereign Immunities Act (USA) Geo. L.J. Georgetown Law Journal Goettingen J. Int’l. L. Goettingen Journal of International Law GR Griechenland Harv. L. Rev. Harvard Law Review IAGMR Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte I.C.J. Rep. Reports of the International Court of Justice ICLQ International and Comparative Law Quarterly ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia IGH Internationaler Gerichtshof ILA International Law Association ILA Draft Convention Buenos Aires Revised Draft Articles for a Convention on State Immunity ILC International Law Commission ILDC International Law in Domestic Courts Int’l L. International Lawyer Int’l L. Ass’n Rep. Con International Law Association Reports of Conferences IPRax Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Israel-FSIL Israel Foreign States Immunity Law Italian Y.B. Int’l L. Italian Yearbook of International Law JASTA Justice Against State Sponsors of Terrorism Act JVTA Justice for Victims of Terrorism Act LJIL Leiden Journal of International Law LNTS League of Nations Treaty Series Loy. L.A. Int’l & Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Comp. L. Rev. Review LR A & E Law Reports, Admiralty and Ecclesiastical
18 Abkürzungsverzeichnis McGill L.J. McGill Law Journal MDR Monatsschrift für Deutsches Recht Mich. J. Int’l L. Michigan Journal of International Law Mio. Millionen MPEPIL Max Planck Encyclopedia of Public International Law m. w. N. mit weiteren Nachweisen NILR Netherlands International Law Review NJW Neue Juristische Wochenschrift NYIL Netherlands Yearbook of International Law N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. New York University Journal of International Law and Politics N.Y.U. L. Rev. New York University Law Review N.Z. Y.B. Int’l L. New Zealand Yearbook of International Law OAS Organization of American States OAS Draft Convention Inter-American Draft Convention on Jurisdictional Immunity of States Pakistan-SIO Pakistan State Immunity Ordinance PCIJ Series Permanent Court of International Justice Series P.D. Law Reports, Probate, Divorce & Admiralty Division (UK) PL Public Law QB Law Reports, Queens Bench Q.B. Queen’s Bench (UK) RdC Recueil des Cours de l’Académie de droit international de la Haye Rev. crit. DIP Revue critique de droit international privé Rev. Lit. Review of Litigation R.I.A. A. Reports of International Arbitral Award Sask. L. Rev. Saskatchewan Law Review SEV Sammlung der Europaratsverträge SIA State Immunity Act (Kanada) Singapore-SIA Singapore State Immunity Act Sing. J. Legal Stud. Singapore Journal of Legal Studies Sirey Recueil Sirey South Africa-FSIA South Africa Foreign States Immunities Act Tex. Int’l L.J. Texas International Law Journal Third World Legal Stud. Third World Legal Studies T.I.A.S. Treaties and Other International Acts Series TRIA Terrorism Risk Insurance Act
Abkürzungsverzeichnis19 Tsd. Tausend UCLA J. Int’l L. & UCLA Journal of International Law and Foreign Affairs Foreign Aff. UK United Kingdom U. Miami Int’l & University of Miami International and Comparative Law Comp. L. Rev. Review U.N.B. L.J. University of New Brunswick Law Journal UN CAT United Nations Committee Against Torture UNCJIS United Nations Convention on the Jurisdictional Immunity of States and their Properties UNTS United Nations Treaty Series U. Pa. L. Rev. University of Pennsylvania Law Review U.S.C. United States Code U.S.C.C.A.N. United States Code Congressional and Administrative News USD US-Dollar Yale L.Y. Yale Law Journal YBILC Yearbook of the International Law Commission Va. J. Int’l L. Virginia Journal of International Law Vand. J. Transnat’l L. Vanderbilt Journal of Transnational Law Weekly Comp. Pres. Doc Weekly Compilation of Presidential Documents WLR Weekly Law Reports WÜRV Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge ZaÖRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völ kerrecht ZöR Zeitschrift für öffentliches Recht
Erster Teil
Grundlagen 1. Kapitel
Einleitung A. Hinführung zum Thema Am 28. September 2016 überstimmte der US-amerikanische Kongress zum ersten und einzigen Mal1 in der Amtszeit des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama ein Veto2 des Präsidenten und verabschiedete den sogenannten „Justice Against State Sponsors of Terrorism Act“ (JASTA)3. Auf Grundlage des JASTA kann ein US-amerikanisches Gericht die Immunität eines fremden Staates im Rahmen von Schadensersatzklagen wegen der Verletzung von Leib oder Leben durch einen Akt des internationalen Terrorismus, der sich innerhalb der USA ereignet, beschränken, ungeachtet dessen, wo sich die staatliche Handlung selbst zugetragen hat4. Konkret bestimmt 28 U.S.C. § 1605B(b) unter dem Titel „Responsibility of foreign states for international terrorism against the United States“: „(b) Responsibility of Foreign States. – A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of the courts of the United States in any case in which money damages are sought against a foreign state for physical injury to person or property or death occurring in the United States and caused by – (1) an act of international terrorism in the United States; and (2) a tortious act or acts of the foreign state, or of any official, employee, or agent of that foreign state while acting within the scope of his or her office, 1 Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (373). S. auch Demirian/ Eilperin, Congress Overrides Obama’s Veto of 9/11 Bill, The Washington Post, 28.09.2016, abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com/news/powerpost/wp/ 2016/09/27/senate-poised-to-vote-to-override-obamas-veto-of-911-bill/ (Stand: 14.05. 2020): „The Senate vote was 97 to 1 and the House tally was 348 to 77.“ 2 The White House, Veto Message from the President – S.2040, 23.09.2016, ab rufbar unter: https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2016/09/23/vetomessage-president-s2040 (Stand: 14.05.2020). 3 PL 114-222, 130 Stat. 852, 28.09.2016, kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B und 1605B Notes. 4 S. hierzu 4. Kapitel: B.II.
22
1. Teil: Grundlagen employment, or agency, regardless where the tortious act or acts of the foreign state occurred.“
Der US-amerikanische Gesetzgeber kehrt mit Erlass einer sogenannten Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität dem völkergewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatz der Staatenimmunität den Rücken, welcher die Beschränkung der Staatenimmunität bislang nur im Falle von acta iure gestionis vorsieht.5 Das JASTA ist nicht nur innenpolitisch äußerst umstritten,6 was sich mitunter an dem Veto des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama zeigt, sondern es stieß auch in der internationalen Staatengemeinschaft auf Kritik. Öffentliche Protestbekundungen waren aus SaudiArabien7, Russland8, Marokko9, den Niederlanden10, Großbritannien11 sowie seitens der Delegation der Europäischen Union bei den USA12 zu verzeich5 Zur
Reichweite der Staatenimmunität s. ausführlich 2. Kapitel: G.III. die Kritik des ehemaligen CIA Direktor John O. Brennan, Statement from CIA Director John O. Brennan Regarding the „Justice Against Sponsors of Terrorism Act“, 28.09.2016, abrufbar unter: https://www.cia.gov/news-information/ press-releases-statements/2016-press-releases-statements/statement-from-directorbrennan-on-justice-against-sponsors-of-terrorism-act.html (Stand: 14.05.2020); s. auch die Stellungnahme der ehemaligen Botschafterin und Assistant Secretary of State for Near Eastern Affairs Anne Patterson, 14.07.2016, Digest of United States Practice in International Law 2016, Chapter 10, S. 382 ff., abrufbar unter: https:// www.state.gov/wp-content/uploads/2019/11/Edited-2016-Digest-Chapter-10.pdf (Stand: 14.05.2020). 7 Royal Embassy of Saudi Arabia, Information Office, Saudi Arabia Issues Statement on JASTA, 29.09.2016, abrufbar unter: http://www.prnewswire.com/newsreleases/saudi-arabia-issues-statement-on-jasta-300336917.html (Stand: 14.05.2020). 8 The Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation, Comment by the Information and Press Department on the US passing the Justice Against Sponsors of Terrorism Act with extraterritorial jurisdiction, No. 1772-30-09-2016, 30.09.2016, abrufbar unter: https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news//asset_publisher/cKNonk JE02Bw/content/id/2479122 (Stand: 14.05.2020). 9 K. Filali, Le Maroc s’élève contre la loi américaine sur le 11 septembre en solidarité avec les monarchies du Golfe, Le Desk, 13.09.2016, abrufbar unter: https:// ledesk.ma/2016/09/-13/le-maroc-seleve-contre-la-loi-americaine-sur-le-11-septembreen-solidarite-avec-monar-chies-du-golfe/ (Stand: 14.05.2020). 10 Binding Motion on JASTA, Adopted by the Second Chamber of the Dutch Parliament, Initiated by the Member Jeroen Recourt, Juli 2016, abrufbar unter: https:// www.al-monitor.com/pulse/files/live/sites/almonitor/files/documents/2016/JASTA_ Motie%20Recourt_Unofficial_English_Translation.pdf (Stand: 14.05.2020); s. auch Cîrlig/Pawlak, EPRS 2016, 1 (9). 11 Tugendhat, Member of the British Parliament, Why a US law to let 9/11 families sue Saudi Arabia is a threat to Britain and its intelligence agencies, The Telegraph, 05.06.2016, abrufbar unter: http://www.telegraph.co.uk/news/2016/06/05/why-a-uslaw-to-let-911-families-sue-saudi-arabia-is-a-threat-to/ (Stand: 14.05.2020). 12 European Union, Delegation to the United States of America, Schreiben v. 19.09.2016, veröffentlicht von der Washington Post, 22.09.2016, abrufbar unter: 6 S. etwa
1. Kap.: Einleitung23
nen. Dabei erfährt der Verstoß der USA gegen den im Völkerrecht fest verankerten Grundsatz der Staatenimmunität Kritik. Daneben werden erhebliche Bedenken in Bezug auf die außenpolitischen Folgen des Gesetzes und die Auswirkungen auf die Internationale Ordnung als solche ins Feld geführt. So äußert die Delegation der Europäischen Union bei den USA: „Any derogation from the principle of immunity bears the inherent danger of causing reciprocal action by other states and the erosion of the principle as such. The latter would put a burden on bilateral relations between states as well as on the international order as a whole.“13
Auch die Stellungnahme des französischen Politikers Pierre Lellouche in der französischen Nationalversammlung betont die außenpolitische Brisanz des JASTA: „L’affaire Jasta est en train de créer une jungle dans les relations internationales.“14
Die zweite Kammer des niederländischen Parlaments begreift das JASTA als schweren und unerwünschten Bruch der Souveränität der Niederlande und erklärt den Erlass des JASTA als inakzeptabel für die Niederlande.15 Saudi-Arabiens Außenminister warnte die USA, dass Saudi-Arabien Staatsanleihen sowie in den USA belegene Vermögenswerte in Höhe von bis zu 750 Mrd. USD veräußere, um diese einem potentiellen Zugriff durch amerikanische Gerichte zu entziehen.16 Die Brisanz des JASTA wird verdeutlicht, als bereits zwei Tage nach dessen Erlass die erste Klage gegen das Königreich Saudi-Arabien im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 erhoben wurde.17 https://www.washingtonpost.com/news/powerpost/wpcontent/uploads/sites/47/2016/ 09/EU-on-JASTA.pdf (Stand: 14.05.2020). 13 Ibid. 14 Pierre Lellouche, Assemblée Nationale, Commission des Affaires Étrangères, 5.10.2016, abrufbar unter: http://www.assemblee-nationale.fr/14/cr-cafe/16-17/c16 17003.asp (Stand: 14.05.2020). 15 Binding Motion on JASTA, Adopted by the Second Chamber of the Dutch Parliament, Initiated by the Member Jeroen Recourt, Juli 2016, abrufbar unter: http:// www.al-monitor.com/pulse/files/live/sites/almonitor/files/documents/2016/JASTA_ Motie%20Recourt_Unofficial_English_Translation.pdf (Stand: 14.05.2020); s. auch Cîrlig/Pawlak, EPRS 2016, 1 (9). 16 „Adel al-Jubeir, the Saudi foreign minister, delivered the kingdom’s message personally […] during a trip to Washington, telling lawmakers that Saudi Arabia would be forced to sell up to $750 billion in treasury securities and other assets in the United States before they could be in danger of being frozen by American courts.“, Mazetti, Saudi Arabia Warns of Economic Fallout if Congress Passes 9/11 Bill, New York Times, 15.04.2016, abrufbar unter: https://nyti.ms/2k2pmfb (Stand: 14.05.2020). 17 District of Columbia District Court, Klage v. 30.09.2016, DeSimone v. Kingdom of Saudi Arabia, abrufbar unter: https://www.pacermonitor.com/public/case/19421241/ DESIMONE-_v_KINGDOM_OF_SAUDI_ARABIA# (Stand: 14.05.2020). Die Klage
24
1. Teil: Grundlagen
Im März 2017 folgten weitere Sammelklagen von Betroffenen18 sowie Versicherungsunternehmen.19 Hierbei handelt es sich um die umfangreichsten Klagen, die jemals im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 erhoben wurden.20 Im März 2018 folgte die erste gerichtliche Entscheidung auf Grundlage des JASTA, in der das Gericht nach einer vorläufigen Prüfung der Staatenimmunität unter Bezugnahme des JASTA ein Discovery-Verfahren gegen Saudi-Arabien im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 anordnet, das auf Tat sachen begrenzt ist, die zur Feststellung der Staatenimmunität notwendig sind.21 Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit ist dieses Verfahren offen und eine endgültige Entscheidung bleibt abzuwarten.22 Während der Erlass des JASTA in der internationalen Staatengemeinschaft für erheblichen Aufruhr sorgte, gerät in den Hintergrund, dass die USA bereits 1996 ihren Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) als erster Staat weltweit um eine Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität erweiterten. Die in 28 U.S.C. § 1605A normierte Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität bestimmt unter dem Titel „Terrorism exception to the jurisdictional immunity of a foreign state“: „(1) No immunity.– A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case not otherwise covered by wurde am 18.01.2017 an den New York Southern District Court verwiesen, s. https:// dockets.justia.-com/docket/district-of-columbia/dcdce/1:2016cv-01944/1-81910 (Stand: 14.05.2020). 18 United States District Court Southern District of New York, Case 1:17-cv02003, Klage erhoben am 20.03.2017, https://static1.squarespace.com/static/57f bbfa88419c2de35-c1639d/t/58d03556ff7c50abde86720f/1490040171270/Ashton-vKSA-2017.pdf (Stand: 14.05.2020); Saul, Families of 9/11 victims file suit against Saudi Arabia, New York Post, 20.03.2017, abrufbar unter: https://nypost.com/2017/ 03/20/families-of-911-victims-file-suit-against-saudi-arabia/ (Stand: 14.05.2020). 19 United States District Court Southern District of New York, Case 1:17-cv02129-UA, Klage v. 23.03.2017, abrufbar unter http://www.courthousenews.com/ wp-content/uploads/2017/03/-saudi-jasta.pdf; Stempel, Saudi Arabia faces $6 billion U.S. lawsuit by Sept. 11 insurers, Reuters, 24.03.2017, abrufbar unter: http://www. reuters.com/article/us-usa-saudi-sept-idUSKBN-16V1ZP (Stand: 14.05.2020). 20 Worley, Saudi Arabia faces largest ever 9/11 lawsuit – accused of prior knowledge over terror attack, The Independent, 22.03.2017, abrufbar unter: https://www. independent.co.uk-/news/world/americas/saudi-arabia-911-victims-lawsuitprior-knowledge-world-trade-center-terror-attack-twin-towers-a7644016.html (Stand: 14.05.2020). 21 District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 640. 22 Das Verfahren befindet sich zum Stand Mai 2020 weiterhin in der Discovery, s. hierzu den jüngsten Beschluss des Gerichts im Discovery-Verfahren: District Court, 12.03.2020, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 2020 WL 1181943.
1. Kap.: Einleitung25 this chapter in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death that was caused by an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking, or the provision of material support or resources for such an act if such act or provision of material support or resources is engaged in by an official, employee, or agent of such foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency.“
Während das JASTA einen territorialen Nexus zwischen dem Akt des internationalen Terrorismus und dem US-amerikanischen Staatsgebiet voraussetzt, verzichtet 28 U.S.C. § 1605A im Gegensatz dazu gänzlich auf einen territorialen Nexus.23 Geklagt werden kann also wegen deliktischer Handlungen eines Staates, ungeachtet dessen, wo sich diese zugetragen haben. Anders als im Falle des jüngst erlassenen JASTA kann auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A hingegen ausschließlich die Immunität jener Staaten beschränkt werden, die durch das Außenministerium als „state sponsor of terrorism“ designiert sind, 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(i)(I). Derzeit sind dies Nord korea, der Iran, der Sudan sowie Syrien.24 Bei der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität handelt es sich jedoch mitnichten um amerikanischen Exzeptionalismus. Denn auch Kanada ergänzte im Jahre 2012, in Anlehnung an das US-amerikanische Modell des 28 U.S.C. § 1605A, seinen State Immunity Act (SIA) um eine Terrorismus ausnahme zur Staatenimmunität. Die in Sec. 6.1 SIA normierte Ausnahme bestimmt unter dem Titel „support of terrorism“: „6.1 (1) A foreign state that is set out on the list referred to in subsection (2) is not immune from the jurisdiction of a court in proceedings against it for its support of terrorism on or after January 1, 1985.“
Auch die kanadische Vorschrift setzt eine Designation des fremden Staates als Förderer des Terrorismus voraus, Sec. 6.1 (1), (2). Derzeit unterliegen der Iran und Syrien einer Designation.25 Sowohl die US-amerikanische als auch die kanadische Terrorismusausnahme generierten in der Staatenwelt, anders als das JASTA, keine Aufmerksamkeit.26 Dies mag daran liegen, dass nur eine Handvoll designierter Staaten von dieser Terrorismusausnahme betroffen sind. Auch im Schrifttum wird 23 S.
hierzu 4. Kapitel: B.III. Department of State, Bureau of Counterterrorism and Countering Violent Extremism, State Sponsors of Terrorism, abrufbar unter: https://www.state.gov/j/ct/ list/c14151.htm (Stand: 14.05.2020); s. hierzu 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(1). 25 Order Establishing a List of Foreign State Supporters of Terrorism, SOR/2012170 (zuletzt aktualisiert am 11.03.2020), abrufbar unter: https://laws-lois.justice.gc. ca/eng/regulations-/SOR-2012-170/FullText.html (Stand: 14.05.2020). 26 Diese Beobachtung macht auch Dodge, Does JASTA violate international law?, in: Just Security, 30.09.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org/33325/ jasta-violate-international-law-2/ (Stand: 14.05.2020). 24 U.S.
26
1. Teil: Grundlagen
den Entwicklungen in den USA und Kanada nur am Rande Aufmerksamkeit gewidmet, obgleich sich insbesondere in den USA inzwischen eine umfassende Rechtsprechungspraxis im Bereich der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus gebildet hat. Es sind bisher Urteile gegen Kuba, Libyen, Nordkorea, den Irak, den Iran sowie Syrien ergangen. Dabei handelt es sich um Verfahren mit einem enormen wirtschaftlichen Volumen. So erstritten Kläger alleine gegen den Iran bis zum Juni 2016 neunundachtzig Urteile, mit einer Schadensersatzsumme von rund 56 Milliarden USD.27 Neunundzwanzig weitere Klagen gegen den Iran sind anhängig.28 Aber Kläger obsiegen schon lange nicht mehr ausschließlich im Erkenntnisverfahren gegen den fremden Staat. Auch die Vollstreckung der Urteile stellt keine Seltenheit mehr dar.29 Besonders hervorzuheben ist hier die Entscheidung des U.S. Supreme Court zur Zulässigkeit der Vollstreckung in Vermögenswerte des Iran in Höhe von 1,75 Milliarden USD.30 Insgesamt erlangten Kläger in den USA bis dato auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität rund 4,9 Milliarden USD von dem Iran, Libyen, dem Irak und Kuba.31 Diese Zahlen verdeutlichen die enorme Brisanz der Terrorismusausnahme. Die Auswirkungen der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität beschränken sich dabei nicht auf die USA und Kanada sowie die beklagten Staaten. Auch nationale Gerichte europäischer Staaten wurden im Zuge der Vollstreckungsbemühungen der Kläger mit der Terrorismusausnahme zur Staaten immunität bereits konfrontiert.32 Sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagten27 IGH, 14.06.2016, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. United States of America) (Application instituting proceedings), Annex 2, Table 2. 28 IGH, 14.06.2016, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. United States of America) (Application instituting proceedings), Annex 2, Table 1. 29 S. hierzu 7. Kapitel: C.II., III., IV. 30 Supreme Court, 20.04.2016, Bank Markazi v. Peterson, 136 S. Ct. 1310. Der Iran hat daraufhin beim IGH gegen die USA Klage erhoben: IGH, 14.06.2016, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. United States of America) (Application instituting proceedings). Der IGH hat in einer Entscheidung bezüglich der pre liminary objections jedoch seine Zuständigkeit mit Blick auf die Klärung von Fragen der Staatenimmunität abgelehnt, da diese nicht durch das zwischen den USA und dem Iran bestehende Treaty of Amity umfasst seien, IGH, 13.02.2019, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. United States of America) (Preliminary Objections) (Judgment), I.C.J. Rep. 2019, 7, para 80. Eine Entscheidung zur Völkerrechtmäßigkeit der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität durch den IGH ist daher nicht zu erwarten. 31 S. hierzu im Einzelnen 7. Kapitel: C.II. Diese Summe umfasst durch die Verfasserin ermittelte, nicht abschließende Schadensersatzsummen, die im Wege der Zwangsvollstreckung aber auch im Wege zwischenstaatlicher Verhandlungen erlangt wurden. 32 S. hierzu 7. Kapitel: C.III.
1. Kap.: Einleitung27
3000
2780
2500 2000 1500
1500 1000
540
500 0
104 Iran
Libyen
Irak
Kuba
Abbildung 1: Befriedigte Schadensersatzanforderungen in Mio. USD
seite stehen zudem auch deutsche und europäische Unternehmen und Finanz institute wie die Deutsche Börse AG, deren Tochtergesellschaft Clearstream S.A., die Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft (Allianz SE) oder aber die Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft (Munich RE).33 In der Praxis deutscher und europäischer Unternehmen ist die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität also bereits längst angelangt. Ein Blick in die deutsche Rechtsprechung zeigt im Übrigen, dass die Frage der Staatenimmunität im Falle der staatlichen Förderung des Terrorismus auch bereits deutsche Gerichte, wie im Falle des Arrestverfahrens in das in Deutschland belegene Vermögen Libyens wegen des Bombenanschlags auf die Berliner Diskothek La Belle, unmittelbar beschäftigt hat.34 Diese Beispiele verdeutlichen die Relevanz der Frage nach der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus.
B. Zielstellung und Gang der Untersuchung Während die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in der Praxis bereits seit Jahren von hoher Relevanz ist, so wurde diese neue Entwicklung, die zuletzt durch Erlass des JASTA angefacht wurde, bisher vor allem im 33 S. hierzu 7. Kapitel: C.III.1. sowie zum Verfahren der Allianz SE und Munich RE: District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 63. 34 KG Berlin, Beschl. v. 26.06.2002, Az. 9 W 176/02, juris.
28
1. Teil: Grundlagen
europäischen und deutschen Schrifttum vernachlässigt. Die vorliegende Arbeit soll diese Lücke schließen, indem eine umfassende Untersuchung und Bewertung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität am Beispiel der US-amerikanischen und kanadischen Gesetzgebung im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren erfolgt. Dabei soll untersucht werden, ob die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität ein effektives und zugleich friedliches Mittel zur Terrorismusbekämpfung sowie zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer ist. Ausgehend von der Völkerrechtswidrigkeit der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus erfolgt im dritten Teil dieser Arbeit eine Analyse der Zulässigkeit der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus als völkerrechtlich gerechtfertigte Gegenmaßnahme. Es wird dabei gezeigt, dass die Staatenimmunität grundsätzlich im Wege der Gegenmaßnahme durchbrochen werden kann und die Durchbrechung der Staatenimmunität daher als gezieltes, politisches Instrument im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt werden kann. Dabei gebieten die engen Kriterien des Rechts der Gegenmaßnahme einer Missbrauchsgefahr Einhalt und zügeln einen allzu voreiligen Einsatz des Instruments der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme. Die Arbeit gliedert sich entlang der Untersuchungsschwerpunkte in drei Teile. Im Rahmen des ersten Teils dieser Arbeit erfolgt eine Darstellung der Grundlagen, die für die weitere Untersuchung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität von Bedeutung sind. Dabei erfolgt zunächst eine Einordnung und Besprechung des Grundsatzes der Staatenimmunität im Allgemeinen.35 Ausgehend von einer allgemeinen Begriffsklärung36 wendet sich die Arbeit der Abgrenzung zwischen der Immunität ratione personae und der Immunität ratione materiae37 zu, welche als Grundlage zur Eingrenzung und Bestimmung der Immunitätsträger dient. Relevant ist diese Frage insbesondere mit Blick auf staatlich gegründete Unternehmen oder aber bestimmter, für den Staat handelnder Personen oder Einrichtungen. Letztere spielen in der Rechtsprechung bei Fragen der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus eine große Rolle. Darauf folgt die Differenzierung zwischen dem Grundsatz der Staatenimmunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren, die für die Reichweite der Staatenimmunität sowie ein Verständnis der Systematik der US-amerikanischen und kanadischen Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität relevant ist.38 Sodann erfolgt eine kurze Abhandlung der Rechtsquelle des Grundsatzes der Staaten 35 2. Kapitel.
36 2. Kapitel:
A. B. 38 2. Kapitel: C. 37 2. Kapitel:
1. Kap.: Einleitung29
immunität, die notwendigerweise im Rahmen der Grundlagen des Rechts der Staatenimmunität zu erfolgen hat.39 Daraufhin wendet sich die Arbeit der Frage nach dem Regelcharakter des Grundsatzes der Staatenimmunität in Abgrenzung zur Staatenimmunität als comitas gentium oder als Prinzip zu.40 Die Feststellung des Regelcharakters des Grundsatzes der Staatenimmunität ist dabei mit Blick auf das Vorliegen der Kriterien einer zulässigen Gegenmaßnahme von Bedeutung, da nur ein solches Handeln eines Staates als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein kann, welches eine Regel des Völkerrechts verletzt hat. Im Rahmen der Grundlagen des Grundsatzes der Staaten immunität spielt auch dessen Herleitung aus der souveränen Gleichheit der Staaten eine wichtige Rolle, mit Blick auf ein Verständnis hinsichtlich der Vehemenz der Staaten, mit der diese bis heute an einer weitreichenden Staatenimmunität festhalten.41 Während insbesondere aus der Perspektive der Opfer die Gewährung von Staatenimmunität gerade in Fällen wie der Terrorismusförderung nur schwer nachvollziehbar zu sein scheint, so übernimmt der Grundsatz der Staatenimmunität zentrale Funktionen, die im Anschluss an die Herleitung des Grundsatzes der Staatenimmunität eine umfassende Darstellung erfahren sollen.42 Dabei richtet sich der Blick auf die Rolle der Staatenimmunität als Eckpfeiler der Völkerrechtsordnung und der zwischenstaatlichen Beziehungen,43 als Garant für Rechtssicherheit in Zeiten wirtschaftlicher Integration,44 zur Sicherung des Rechtsfriedens45 und der staat lichen Funktionsfähigkeit46 sowie der Rolle der Staatenimmunität als Zuständigkeitsabgrenzungskriterium47. Zum Abschluss des zweiten Kapitels richtet sich der Blick auf die historische Entwicklung und derzeitige Reichweite des Grundsatzes der Staatenimmunität.48 Am Ende der Darstellung der Reichweite der Staatenimmunität steht sodann die Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität.49 Die Darstellung der historischen Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität dient als Grundlage zur Analyse wie und aus welchen Gründen sich der Grundsatz zur Staatenimmunität von einem absoluten hin zu einem relativen Verständnis
39 2. Kapitel: 40 2. Kapitel: 41 2. Kapitel: 42 2. Kapitel: 43 2. Kapitel: 44 2. Kapitel: 45 2. Kapitel: 46 2. Kapitel: 47 2. Kapitel: 48 2. Kapitel: 49 2. Kapitel:
D.I. D.II. E. F. F.I. F.II. F.III. F.IV. F.V. G.I.; II.; III. G.III.3.
30
1. Teil: Grundlagen
gewandelt hat. Erkenntnisse hieraus sind wertvoll für einen Blick auf eine mögliche künftige Entwicklung der Terrorismusausnahme im Völkerrecht.50 Da auch die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität die Beschränkung der Staatenimmunität in Fällen der Folter oder außergerichtlichen Tötung vorsieht, drängt sich die Frage nach dem Verhältnis der Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und der Terrorismusausnahme auf. Im Rahmen des dritten Kapitels des ersten Teils der vorliegenden Arbeit wendet sich daher die Arbeit der Differenzierung zwischen der Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, welche in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Diskussion gerückt ist,51 und der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität zu.52 Dabei soll aufgezeigt werden, dass der US-amerikanische sowie der kanadische Gesetzgeber mit Erlass der Terrorismusausnahme einen klaren, eng umgrenzten Weg bestreiten und die Durchbrechung der Staatenimmunität gerade nicht allgemein in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen ohne einen Bezug zum Terrorismus zulassen wollen.53 Gesetzentwürfe, die die Durchbrechung der Staatenimmunität wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen vorsahen, scheiterten in den Parlamenten beider Staaten.54 Es handelt sich daher bei der Terrorismusausnahme und der Beschränkung der Staatenimmunität im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen um zwei voneinander getrennt zu betrachtende Entwicklungsstränge.55 Neben der Diskussion der Durchbrechung der Staatenimmunität wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen steht auch die Deliktsausnahme zur Staatenimmunität in einem engen thematischen Verhältnis zur Terrorismusausnahme. Denn sowohl die Deliktsausnahme als auch die Terrorismusausnahme sehen im Kern die Beschränkung der Staatenimmunität im Falle der Verletzung von Leib oder Leben durch einen fremden Staat vor.56 Nach einer allgemeinen Darstellung der Deliktsausnahme und deren Entwicklung im Völkerrecht57, erfolgt daher eine detaillierte Analyse des wesentlichen Unterschieds zwischen der Deliktsausnahme und der Terrorismus ausnahme: dem Kriterium des territorialen Nexus.58 Es soll gezeigt werden, 50 2. Kapitel: 51 3. Kapitel: 52 3. Kapitel.
53 3. Kapitel:
G.IV. A.
B. B. 55 3. Kapitel: C. 56 4. Kapitel. 57 4. Kapitel: A. 58 4. Kapitel: B. 54 3. Kapitel:
1. Kap.: Einleitung31
dass die Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität im Unterschied zur Deliktsausnahme extraterritoriales staatliches Handeln erfassen, wodurch sie sich entscheidend von der rein auf das Territorium des Gerichtsstaats beschränkten Deliktsausnahme unterscheiden.59 Den Abschluss des ersten Teils der vorliegenden Arbeit bildet die Behandlung des Themenbereichs der Staatenimmunität und der Doktrin der Jurisdiktion, welche eng miteinander verwoben sind. Dabei wird sowohl das Verhältnis der Staatenimmunität und der Jurisdiktion im Völkerrecht60 als auch im nationalen Recht61 näher beleuchtet, denn der Grundsatz der Staatenimmunität berührt als Grundsatz des Völkerrechts, der als prozessrechtliche Regelung im Rahmen nationaler Gerichtsverfahren Anwendung findet, sowohl Fragen hinsichtlich der Jurisdiktion im Völkerrecht als auch Fragen der nationalen Jurisdiktion der Gerichte. Die häufig anzutreffende Verknüpfung von Fragen der Staatenimmunität mit dem die Jurisdiktion betreffenden Kriterium des territorialen Nexus, wie auch im Fall des JASTA, erfordert eine Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex. Nach einer Einführung in die Doktrin der Jurisdiktion im Völkerrecht62 wendet sich die vorliegende Bearbeitung dem häufig kontrovers diskutierten Regel-Ausnahme-Verhältnis von Staatenimmunität und Jurisdiktion zu.63 Dabei soll dargelegt werden, dass diese Diskussion, die in der Praxis ausschließlich hinsichtlich der Beweislastverteilung von Relevanz ist, nicht mehr entscheidungserheblich ist. Während die Jurisdiktion des Gerichts zwar stets Ausgangspunkt sein muss,64 so hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Vermutungsregel zu Gunsten der Staatenimmunität entwickelt, so dass offen bleiben kann, ob der Grundsatz der Staatenimmunität selbst eine Ausnahme zur Jurisdiktion des Gerichtsstaates darstellt.65 Im Anschluss hieran wird der Frage nachgegangen, warum in Rechtsprechung und Gesetzgebung einer Vielzahl von Staaten die Beschränkung der Staatenimmunität durch das Bestehen eines territorialen Nexus bedingt ist. Diese Frage ist insbesondere vor dem Hintergrund interessant, dass das JASTA einen solchen voraussetzt. Dabei soll gezeigt werden, dass bei dem Aufeinandertreffen von Souveränitätsansprüchen zweier Staaten, nämlich dem aus der territorialen Souveränität hergeleiteten Anspruch auf Ausübung der Gerichtsbarkeit des einen Staates und dem aus der souveränen Gleichheit hergeleiteten Anspruch auf Immunität des anderen 59 4. Kapitel:
B. A. 61 5. Kapitel: B. 62 5. Kapitel: A.I. 63 5. Kapitel: A.II. 64 5. Kapitel: A.II.1. 65 5. Kapitel: A.II.2. 60 5. Kapitel:
32
1. Teil: Grundlagen
Staates das Kriterium des territorialen Nexus als zentrales Abwägungselement fungiert.66 Neben dem Verhältnis von Jurisdiktion und Staatenimmunität im Völkerrecht wendet sich die Bearbeitung sodann dem Verhältnis von Staatenimmunität und Jurisdiktion im nationalen Recht zu.67 Neben einer grundlegenden Darstellung des Verständnisses von Jurisdiktion respektive Gerichtsbarkeit im nationalen Recht68 sowie der allgemeinen prozessualen Behandlung69 und der Abgrenzung zur internationalen Zuständigkeit70 richtet sich der Blick insbesondere auf die Grenze der Staatenimmunität im Zivilprozess71. Denn gerade, wenn das Vorliegen des Bestehens der Staatenimmunität streitig oder deren Feststellung, wie im Falle des staatlich geförderten Terrorismus, besonders komplex ist, stellt sich die Frage, inwieweit ein Staat – zumindest bis zur Feststellung seiner Immunität – der fremden Gerichtsbarkeit unterworfen werden kann. Die Beantwortung dieser Frage ist dabei im Kontext der vorliegenden Arbeit mit Blick auf die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme relevant. Denn greift das Tätigwerden des Gerichts bis zum Zeitpunkt der Feststellung der Immunität noch nicht in den Grundsatz der Staatenimmunität ein, so kann die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle der Bejahung des Vorliegens der Handlung, welche die Durchbrechung der Immunität begründet, durch den Staat gezielt als Gegenmaßnahme eingesetzt werden, ohne dass das Risiko besteht, dass im Falle der Verneinung des Vorliegens der zur Immunitätsbeschränkung führenden Handlung die bis zu diesem Zeitpunkt faktisch ausgeübte Gerichtsbarkeit bereits ihrerseits eine Völkerrechtsverletzung begründet.72 In diesem Rahmen wird eine, der Ausübung von Gerichtsbarkeit zur Feststellung der Staatenimmunität zugrundeliegende, allgemeine Ratio herausgearbeitet, nach der gerichtliches Tätigwerden insoweit zulässig sein muss, als dass es der Feststellung der Staatenimmunität dient, da ein anderes Verständnis in nicht eindeutig gelagerten Fällen faktisch zur Gewährung absoluter Staatenimmunität führen würde.73 Sodann werden gängige Maßnahmen des Gerichts im Einzelnen näher erläutert.74 Abschließend wird auf die Praxis der Gerichte in Fällen der Prüfung der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus eingegangen.75 Mit dieser Bespre66 5. Kapitel:
A.III. B. 68 5. Kapitel: B.I.1. 69 5. Kapitel: B.I.2. 70 5. Kapitel: B.I.3. 71 5. Kapitel: B.II. 72 5. Kapitel: B. und 9. Kapitel: E. 73 5. Kapitel: B.II.1. 74 5. Kapitel: B.II.2. 75 5. Kapitel: B.II.3. 67 5. Kapitel:
1. Kap.: Einleitung33
chung wird der erste Teil der vorliegenden Arbeit, der als Grundlage für die weiteren Kapitel dienen soll, abgeschlossen. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit hat konkret die Untersuchung der Durchbrechung der Staatenimmunität in Fällen des staatlich geförderten Terrorismus zum Gegenstand. Ausgangspunkt ist dabei die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in der US-amerikanischen und kanadischen Praxis im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren.76 Zunächst erfolgt eine Untersuchung der US-amerikanischen Praxis, da die USA als erster Staat eine Terrorismus ausnahme zur Staatenimmunität erlassen haben.77 Nach einer allgemeinen Darstellung der Regelung der Staatenimmunität innerhalb der USA durch den Foreign Sovereign Immunities Act,78 wendet sich die Bearbeitung sodann der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A zu. Eingegangen wird dabei zunächst, in Abgrenzung zur Terrorismusausnahme, auf die im US-amerikanischen Recht geltende noncommercial tort exception, um auf diese Weise die aus der Perspektive des US-Gesetzgebers bestehende Notwendigkeit des Erlasses einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität darzu legen.79 Sodann erfolgt die Besprechung der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A selbst.80 Gegenstand ist dabei zunächst die Entstehungsgeschichte.81 Darauf folgt der Regelungsgegenstand der Terrorismusausnahme, der sich wiederum in die allgemeinen Voraussetzungen, insbesondere die Designation des fremden Staates als „state sponsor of terrorism“,82 sowie den konkreten Voraussetzungen an die Handlung des fremden Staates, welche die Durchbrechung der Staatenimmunität unmittelbar begründet83, unterteilt. Dabei wird in Anlehnung an die Differenzierung innerhalb der Norm des 28 U.S.C. § 1605A selbst zwischen einem unmittelbaren, den Leib oder das Leben verletzenden Aktes des Staates84 und der Unterstützungshandlung85 des Staates differenziert. In diesem Zusammenhang soll dargelegt werden, dass die USA die Staatenimmunität nicht pauschal für den „Terrorismus“, der als solcher nicht allgemein im Völkerrecht definiert ist, beschränken, sondern ausschließlich für konkrete, gesetzlich normierte Akte, zu deren Bestimmung der US-amerikanische Gesetzgeber wiederum auf bewährte 76 6. Kapitel.
77 6. Kapitel:
A. A.I. 79 6. Kapitel: A.II.1. 80 6. Kapitel: A.II.2. 81 6. Kapitel: A.II.2.a). 82 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(1). 83 6. Kapitel: A.II.2.b)bb). 84 6. Kapitel: A.II.2.b)bb)(1). 85 6. Kapitel: A.II.2.b)bb)(2). 78 6. Kapitel:
34
1. Teil: Grundlagen
völkerrechtliche Konventionen Bezug nimmt.86 Es soll gezeigt werden, dass die USA die Staatenimmunität gerade nicht für von ihnen einseitig definierte Akte des Terrorismus beschränken, sondern ausschließlich in durch völkerrechtliche Konventionen anerkannten Fällen.87 Abschließend erfolgt eine umfassende Evaluierung des US-amerikanischen Modells der Terrorismus ausahme des 28 U.S.C. § 1605A. Hierauf folgt die Besprechung der im Jahr 2016 erlassenen Terrorismus ausnahme, 28 U.S.C. § 1605B.88 Dabei wird zunächst auf die 9/11 Litigation gegen Saudi-Arabien eingegangen.89 Hierdurch soll aufgezeigt werden, dass weder die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A90 noch die commercial activity exception91 oder die noncommercial tort exception92 in Verfahren gegen Saudi-Arabien anwendbar sind und der US-amerikanische Gesetzgeber gerade diese Lücke durch Erlass des 28 U.S.C. § 1605B zu schließen sucht. Sodann richtet sich der Blick auf den konkreten Regelungsgegenstand des 28 U.S.C. § 1605B. Dabei soll im Kern dargelegt werden, dass 28 U.S.C. § 1605B anders als 28 U.S.C. § 1605A zwar nicht die Designation des fremden Staates erfordert,93 dafür die Anwendbarkeit der Terrorismusausnahme jedoch ausschließlich auf jene Fälle beschränkt ist, bei denen sich der Akt des internationalen Terrorismus auf US-amerikanischem Staatsgebiet vollzieht94. Daneben bedarf es einer deliktischen Handlung des fremden Staates, wobei der Ort der staatlichen Handlung auch außerhalb der USA liegen kann.95 Anschließend erfolgt eine Darstellung der Möglichkeit der Einflussnahme auf das gerichtliche Verfahren gegen den fremden Staat durch die Exekutive, die auch im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605B besteht.96 Erkenntnisse hieraus sind insbesondere für die Bewertung der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme relevant. Abschließend sollen die bisherigen Auswirkungen des § 28 U.S.C. § 1605B in der Praxis dargelegt97 und die Vorschrift bewertet werden.98 86 6. Kapitel:
A.II.2.b)bb). A.II.2.b)bb); c). 88 6. Kapitel: A.II.3. 89 6. Kapitel: A.II.3.a). 90 6. Kapitel: A.II.3.a)aa). 91 6. Kapitel: A.II.3.a)bb). 92 6. Kapitel: A.II.3.a)cc). 93 6. Kapitel: A.II.3.b)aa)(3). 94 6. Kapitel: A.II.3.b)bb). 95 6. Kapitel: A.II.3.b)bb). 96 6. Kapitel: A.II.3.d). 97 6. Kapitel: A.II.3.e). 98 6. Kapitel: A.II.3.f). 87 6. Kapitel:
1. Kap.: Einleitung35
Es folgt die Besprechung der kanadischen Praxis hinsichtlich der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus.99 Auch hier wird zunächst auf die Regelung des Grundsatzes der Staatenimmunität durch den kanadischen State Immunity Act eingegangen.100 Sodann richtet sich der Blick auf die Terrorismusausnahme zur Staaten immunität. Dabei wird im Kern dargelegt, dass die kanadische Terrorismus ausnahme des Sec. 6.1 SIA dem US-amerikanischen Modell des 28 U.S.C. § 1605A folgt. Auch die kanadische Terrorismusausnahme setzt die Designation des fremden Staates durch die Exekutive voraus101 und die zur Immunitätsbeschränkung führenden Handlungen des fremden Staates werden gesetzlich konkret unter Bezugnahme auf völkerrechtliche Konventionen normiert102. Abschließend erfolgt eine Bewertung der kanadischen Terrorismus ausnahme.103 Die vorliegende Arbeit wendet sich sodann der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren in der US-amerikanischen und kanadischen Praxis zu.104 Der Blick richtet sich dabei zunächst auf den Grundsatz der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren im allgemeinen.105 Anschließend soll dargelegt werden, dass bis heute eine restriktivere Praxis bezüglich der Durchbrechung der Staatenimmunität im Vollstreckungs verfahren besteht und auch vielfach noch heute ein Einfluss der Exekutive auf dieser Ebene verzeichnet werden kann.106 Erkenntnisse hieraus sind für die Bewertung und die Relation der Vollstreckung im Bereich der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus von zentraler Bedeutung. Sodann wendet sich die Arbeit der US-amerikanischen und kanadischen Praxis zu.107 Ausgangspunkt ist auch hier die USamerikanische Praxis.108 Bereits zeitgleich mit Erlass des 28 U.S.C. § 1605B erließ der US-amerikanische Gesetzgeber auch eine Vorschrift zur Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus.109 Die Gesetzgebung wurde mit den Jahren mehrfach ergänzt, um eine Vollstreckung effektiver zu gestalten und den Einfluss der Exekutive, 99 6. Kapitel:
B. B.I. 101 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(3). 102 6. Kapitel: B.II.2.b)bb), cc). 103 6. Kapitel: B.II.2.c). 104 7. Kapitel. 105 7. Kapitel: A.I. 106 7. Kapitel: A.II. 107 7. Kapitel: B.I. 108 7. Kapitel: B.I. 109 7. Kapitel: B.I.1. 100 6. Kapitel:
36
1. Teil: Grundlagen
welche sich, wie es zu zeigen gilt, häufig auf die Seite des fremden Staates stellte, zu minimieren.110 Nachfolgend wird dargestellt, dass der US-ameri kanische Gesetzgeber im Unterschied zu den zahlreichen Möglichkeiten der Vollstreckung von Urteilen auf Grundlage der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A im Jahr 2016 im Zuge des Erlasses des 28 U.S.C. § 1605B keine parallele Vorschrift für die Beschränkung der Immunität im Vollstreckungsverfahren für Urteile auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B erließ.111 Im Anschluss hieran erfolgt eine Darstellung der kanadischen Vorschriften zur Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus.112 Hier soll aufgezeigt werden, dass der kanadische Gesetzgeber, anders als der US-amerikanische Gesetzgeber, von vornherein weitreichende Möglichkeiten zur Vollstreckung begründet. Nachdem die rechtlichen Grundlagen zur Vollstreckung in staatliche Vermögensgüter im Falle des staatlich geförderten Terrorismus dargestellt wurden, erfolgt die Erörterung der Frage der Effektivität der Terrorismusausnahme.113 In diesem Rahmen soll zunächst dargelegt werden, dass ein Urteil gegen einen fremden Staat wegen der Förderung des Terrorismus unabhängig von einer etwaigen Vollstreckungsmöglichkeit von Bedeutung ist.114 Der Blick richtet sich in diesem Zusammenhang auf die Komponente der symbolischen Gerechtigkeit eines Urteils sowie die Rehabilitierung der Opfer durch ein entsprechendes Urteil,115 den Effekt der Prangerwirkung und der Stärkung des Terrorismusverbots,116 die Begründung einer moralischen Verpflichtung des fremden Staates sowie die Bedeutung eines Urteils im Rahmen zwischenstaatlicher Verhandlungen117 und schließlich auf den Einfluss fehlender Vollstreckungsmöglichkeiten auf die Fortentwicklung vollstreckungsrecht licher Vorschriften118. Aber Kläger können mittlerweile auch erhebliche Erfolge bei der Vollstreckung in staatliche Vermögenswerte aufweisen. Die vorliegende Arbeit untersucht dabei die zahlreichen bisherigen Vollstreckungen in Vermögenswerte fremder Staaten wegen der Förderung des Terrorismus und legt die Summen dar, die bislang durch Urteilsgläubiger vollstreckt wurden.119 Im Anschluss daran soll aufgezeigt werden, dass fremde Staaten durch die Versuche der Vollstreckung in extraterritoriale, also außerhalb der 110 7. Kapitel: 111 7. Kapitel:
112 7. Kapitel: 113 7. Kapitel: 114 7. Kapitel: 115 7. Kapitel: 116 7. Kapitel: 117 7. Kapitel: 118 7. Kapitel: 119 7. Kapitel:
B.I.2.–6. B.I.7. B.II. C. C.I. C.I.1. C.I.2. C.I.3. C.I.4. C.II.
1. Kap.: Einleitung37
USA belegene, Vermögenswerte120 sowie der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Kanada121 zunehmend unter Druck geraten. Die Erörterung schließt mit der Bewertung der Effektivität der Terrorismus ausnahme zur Staatenimmunität.122 Der dritte Teil dieser Arbeit wendet sich sodann der Frage nach der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus als völkerrechtlich gerechtfertigte Gegenmaßnahme zu. Ausgangspunkt ist dabei eine Darstellung des Ansatzes dieses Gedankens in der Völkerrechtswissenschaft123 und der Staatenpraxis124, der durch die Verfasserin in den nachfolgenden Kapiteln fortgesponnen wird. Hiernach richtet sich der Blick auf die Bedeutung und den Begriff der Gegenmaßnahme,125 die Rechtsquelle126 sowie den Zweck127 der Gegenmaßnahme. Diese Ausführungen bilden die Grundlage für die folgenden Erörterungen. Anschließend wendet sich die Bearbeitung der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme auf den Grundsatz der Staatenimmunität zu.128 In diesem Rahmen wird geprüft, ob es sich bei der Durchbrechung der Staatenimmunität um die Verletzung einer völkerrechtlichen Regel handelt.129 Dies stellt eine Grundvoraussetzung für das Vorliegen einer Gegenmaßnahme dar. Im Anschluss folgt die Erörterung der Frage, ob es sich bei dem Grundsatz der Staatenimmunität um eine unverletzbare Verpflichtung im Sinne des Art. 50 ASR handelt130 sowie der Frage, ob es sich bei dem Recht der Staatenimmunität um ein self-contained regime handelt131. Beides würde zur Unanwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme führen. Daneben stellt sich die Frage, ob eine Gegenmaßnahme, die typischerweise durch die Exekutive eines Staates vorgenommen wird, auch von der Judikative vorgenommen werden kann.132 Schließlich wird erörtert, ob die Durchbrechung der Staatenimmunität im Wege der Gegenmaßname auf einem Zirkelschluss basiert und der Gerichtsstaat seinerseits das Völkerrecht verletzt.133 120 7. Kapitel:
C.III. C.IV. 122 7. Kapitel: C.V. 123 Dritter Teil: I. 124 Dritter Teil: I. 125 8. Kapitel: A. 126 8. Kapitel: B. 127 8. Kapitel: C. 128 9. Kapitel. 129 9. Kapitel: A. 130 9. Kapitel: B. 131 9. Kapitel: C. 132 9. Kapitel: D. 133 9. Kapitel: E. 121 7. Kapitel:
38
1. Teil: Grundlagen
Im darauffolgenden und letzten Kapitel dieser Arbeit erfolgt eine Untersuchung des Vorliegens der Voraussetzungen der völkerrechtlichen Gegenmaßnahme im Falle der Durchbrechung der Staatenimmunität wegen der Förderung des Terrorismus im Einzelnen.134 Ausgangspunkt für die Vornahme einer Gegenmaßnahme ist das Vorliegen eines völkerrechtswidrigen Aktes.135 In diesem Rahmen stellt sich die Frage, wie sich die Tatsache, dass die nationalen Gerichte der USA und Kanadas in erster Linie nationales Recht zur Begründung der Beschränkung der Staatenimmunität prüfen, mit der Notwendigkeit des Vorliegens eines völkerrechtswidrigen Aktes verträgt. In diesem Zusammenhang wird auf die grundsätzlich zunächst maßgebliche unilaterale Bewertung der völkerrechtlichen Situation durch den die Gegenmaßname ergreifenden Staat, dessen Beurteilungsprärogative, eingegangen.136 In einem zweiten Schritt soll sodann dargelegt werden, dass die USA und Kanada die Akte, die nach nationalem Recht eine Beschränkung der Staatenimmunität begründen, auch als völkerrechtswidrig bewerten.137 Hierzu wird auf die Besonderheiten in der Gesetzgebung sowie auf Urteilsbegründungen Bezug genommen. Im Anschluss hieran wird die Voraussetzung behandelt, dass nur ein in seinen durch das Völkerrecht gewährleisteten Rechten verletzter Staat zur Vornahme einer Gegenmaßnahme berechtigt ist.138 Die Erörterung dieses Kriteriums gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass es in erster Linie die privaten Kläger sind, die den fremden Staat wegen der Verletzung ihrer durch das nationale Recht gewährten Rechte auf Schadensersatz vor einem nationalen Gericht verklagen. Dargelegt wird in diesem Zusammenhang, worin eine direkte139 oder eine indirekte140 Verletzung völkerrechtlich geschützter Rechte des Gerichtsstaates liegen kann. Dabei ist im Rahmen einer indirekten Verletzung des Gerichtsstaates näher auf die Problematik der Überschneidung des Rechts der Gegenmaßnahme und des diplomatischen Schutzes einzugehen.141 Relevant ist die Erörterung mit Blick auf ein zentrales Kriterium der Inanspruchnahme diplomatischen Schutzes, nämlich der Erfüllung der local remedies rule. Hier soll demonstriert werden, dass die local remedies rule neben den besonderen Voraussetzungen der Gegen maßnahme erfüllt sein muss. Im Anschluss hieran wird diskutiert, inwiefern 134 10. Kapitel.
135 10. Kapitel:
A. A.I. 137 10. Kapitel: A.II. 138 10. Kapitel: B. 139 10. Kapitel: B.I. 140 10. Kapitel: B.II. 141 10. Kapitel: B.II.1. 136 10. Kapitel:
1. Kap.: Einleitung39
die schiedsgerichtliche Streitbeilegung, die die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A und die kanadische Vorschrift des Sec. 4(4) JVTA vorsehen, eine Erfüllung der local remedies rule darstellen.142 Sodann soll dargelegt werden, dass das Erschöpfen der innerstaatlichen Rechtsbehelfe kein absolutes Kriterium darstellt und es wird erörtert, inwiefern dieses vor dem Hintergrund der Terrorismusförderung durch den fremden Staat entbehrlich ist.143 Abschließend wird die Vornahme der Gegenmaßnahme im kollektiven Interesse behandelt, da die USA und Kanada den Klageweg nicht nur für Staatsangehörige oder in Fällen, in denen der Schadenseintritt innerhalb des eigenen Staatsgebiets liegt, sondern auch für Betroffene anderer Nationalitäten eröffnen, gleichsam wo sich der Ort des Schadenseintritts befindet.144 Im Folgenden wendet sich die Arbeit dem Kriterium der Sommation sowie Notifikation vor der Vornahme der Gegenmaßnahme zu.145 Hier stellt sich die Frage, inwiefern die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des Terrorismus in den USA und Kanada in der Praxis mit dem Erfordernis der Sommation sowie der Pflicht zur Notifikation kompatibel ist, sodass grundsätzlich die Durchbrechung der Staatenimmunität in diesen Fällen als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein kann. Der Blick richtet sich dabei auf das besondere Kriterium der Designation des fremden Staates als state sponsor of terrorism, welches im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605A sowie 6.1 SIA gilt, sowie auf die Klagezustellung als solche. Erörtert wird, inwiefern hierdurch die Voraussetzungen der Sommation und Notifikation erfüllt werden. Schließlich gilt es, entsprechend der Trennung der Staatenimmunität zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren zu erörtern, ob vor der Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität eine erneute Sommation sowie Notifikation durch den Gerichtsstaat vorzunehmen ist.146 Anschließend tritt die Frage des Erfordernisses der lediglich vorübergehenden Nichterfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtung durch den verletzten Staat sowie die Reversibilität der Gegenmaßnahme in den Vordergrund.147 Hier soll dargelegt werden, inwieweit einerseits diese Kriterien im Falle der Durchbrechung der Staatenimmunität auf Ebene des Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens erfüllt werden und andererseits inwiefern diese Kriterien abdingbar sind.
142 10. Kapitel: 143 10. Kapitel: 144 10. Kapitel: 145 10. Kapitel: 146 10. Kapitel: 147 10. Kapitel:
B.II.2. B.II.3. B.III. C. C.III. D.
40
1. Teil: Grundlagen
Schließlich bedarf es der Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme.148 Dabei soll zunächst der Maßstab der Verhältnismäßigkeit skizziert werden, dessen genaue Konturen schwerlich einer einheitlichen Bestimmung zugänglich sind. Es wird sodann dargelegt, dass die Bewertung der Verhältnis mäßigkeit einer Gegenmaßnahme im konkreten Einzelfall zu erfolgen hat. Anschließend werden Faktoren herausgearbeitet, die im Rahmen der Bewertung der Verhältnismäßigkeit der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus von zentraler Bedeutung sind. In einem abschließenden Fazit soll letztlich zusammenfassend dargelegt werden, dass die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus grundsätzlich eine zulässige Gegenmaßnahme darstellen kann.149 2. Kapitel
Der Grundsatz der Staatenimmunität A. Allgemeine Begriffsklärung Im Zentrum dieser Arbeit steht der Begriff der Staatenimmunität. Unter dem Begriff der Staatenimmunität wird allgemein die Befreiung eines Staates von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates,150 respektive „the exemption from jurisdiction“151, verstanden. Bereits der Definition der Staaten immunität lässt sich ein weiterer, für das Verständnis des Grundsatzes der Staatenimmunität zentraler Begriff entnehmen: Gerichtsbarkeit beziehungsweise jurisdiction.152 Die Staatenimmunität schützt einen Staat vor der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates.153 Der Staat genießt dabei grundsätzlich Immunität vor Zivil-, Verwaltungs- und Strafgerichten sowie vor belastendem Verwaltungshandeln.154 Die Immunität eines Staates befreit diesen von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates, nicht jedoch von der materiellen Rechtsordnung.155 Immunität bedeutet also nicht zugleich auch Befreiung 148 10. Kapitel:
E. F. 150 Statt vieler Herdegen, Völkerrecht, § 37, Rn. 1. 151 Yang, State Immunity, S. 64. 152 S. hierzu ausführlich 5. Kapitel. 153 Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 1. 154 Dahm u. a., Völkerrecht, S. 453; Dörr, AVR 2003, 201 (204); Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 1. 155 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 73; Fox/Webb, State Immunity, S. 21; Sucharitkul, YILC 1979, Vol II part one, S. 238. 149 10. Kapitel:
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität41
von der rechtlichen Verantwortlichkeit des Staates.156 Auch die Staatenverantwortlichkeit auf völkerrechtlicher Ebene bleibt von der Staatenimmunität unberührt.157
B. Immunität ratione personae v. ratione materiae Die Immunität eines Staates schützt den Staat als solchen. Hierbei handelt es sich um eine Immunität ratione personae, also eine an die Rechtspersönlichkeit anknüpfende, statusbasierte Immunität.158 Hiervon zu unterscheiden ist die Immunität ratione materiae, bei der ein bestimmter funktionaler Kontext, wie im Bereich der diplomatischen Immunität, als Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Immunität dient.159 Der Aspekt des funktionalen Kontextes beziehungsweise der Sachbezogenheit der Staatenimmunität tritt im Zeitalter der relativen Staatenimmunität jedoch zunehmend in den Vordergrund. Aus diesem Grunde wird die Immunität eines Staates zum Teil ausschließlich als Immunität ratione materiae qualifiziert: Da ein Staat keine absolute, durch seine Rechtspersönlichkeit bedingte Immunität mehr genieße, sondern nur im Falle einer nicht hoheitlichen Handlung, sei der funktionale Kontext, die Sachbezogenheit der Immunität ausschlaggebend.160 Die Grenzen zwischen einer Immuntität ratione personae und einer Immunität ratione materiae sind im Zeitalter der relativen Staatenimmunität jedoch vielmehr als fließend zu verstehen.161 In ihrem Ausgangspunkt ist die Staaten immunität, auch bedingt durch ihre historische Entwicklung, eine Immunität ratione personae, da zunächst die Verknüpfung der Immunität mit dem Subjekt des Staates im Vordergrund steht.162 So kommt es zur Frage der 156 Fox/Webb, State Immunity, S. 84: „Immunity does not confer impunity; the underlying accountability or substantive responsibility for the matters alleged in a claim remain; immunity merely bars the adjudication of that claim in a particular court.“ 157 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 100. 158 Fox/Webb, State Immunity, S. 20; Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 13. 159 Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 13. Ursprünglich geht die Unterscheidung zwischen der Immunität ratione personae und ratione materiae auf die von Niboyet getroffene Differenzierung zwischen der „incompétence d’attribution“ und der „immunité de juridiction“ zurück, s. Niboyet, Rev. crit. DIP 1950, 139 (139 ff.); s. hierzu Dahm u. a., Völkerrecht, S. 453. 160 Dahm, in: FS Nikisch, S. 167 f.; Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 16; Wengler, Völkerrecht, S. 949, 952 f. 161 Geimer, IZPR, Rn. 478; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 7 f. 162 Alebeek, The immunity of states, S. 80; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 42; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 29;
42
1. Teil: Grundlagen
Staatenimmunität in einem Gerichtsverfahren überhaupt erst dann, wenn es sich bei dem Beklagten um einen Staat handelt. Interessant ist diese Frage etwa bei staatlich gegründeten Unternehmen oder aber bestimmten für den Staat handelnden Personen oder Einrichtungen. Das Festhalten an dem personellen Bezug auf der ersten Prüfungsebene dient dabei vor allem auch der Eingrenzung der möglichen Immunitätsträger.163 In einem zweiten Schritt erfolgt sodann die Prüfung, ob eine Handlung des Staates vorliegt, für die ihm Immunität zu gewähren ist. Hier steht somit die Sachbezogenheit der Immunität im Vordergrund. Beide Anknüpfungspunkte greifen dabei gewissermaßen ineinander über. So kann einerseits Staatenimmunität nicht mehr allein aufgrund der Rechtspersönlichkeit des Beklagten gewährt werden, da eine Handlung des Staates hinzutreten muss, für die nach geltendem Völkerrecht Immunität gewährt werden kann. Umgekehrt ist die Feststellung, ob für die konkrete Handlung Immunität beansprucht werden kann, davon abhängig, ob ein Staat gehandelt hat.164 Daher wird man richtigerweise annehmen müssen, dass es sich bei der Immunität eines Staates sowohl um eine Immunität ratione personae als auch um eine Immunität ratione materiae handelt, die Staatenimmunität also einen „Doppelcharakter“165 aufweist.
C. Staatenimmunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren Die Immunität eines Staates schützt diesen im Erkenntnisverfahren, das heißt im Rahmen der Entscheidung über das Bestehen eines Anspruches, sowie im Vollstreckungsverfahren, also vor der zwangsweisen Durchsetzung eines im Erkenntnisverfahrens erwirkten Urteils.166 Die Immunität eines Schaumann, in: BerDGVR, S. 7; Fox/Webb, State Immunity, S. 52: „The formulation of the plea as based on subject-matter rather than its performance by a sovereign State, cannot disguise the underlying criterion: that the matters identified as immune all depend on the public persona of the foreign state, the core attributes of a state.“ 163 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 29; fraglich ist in diesem Zusammenhang etwa, ob auch Gliedstaaten, Gemeinden oder juristisch selbständige, staatliche Körperschaften Staatenimmunität beanspruchen können, vgl. hierzu Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 42 ff. 164 Fox/Webb, State Immunity, S. 52; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 27. 165 Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 7. 166 Vorliegend wird die Terminologie „Immunität im Vollstreckungsverfahren“ bzw. „Vollstreckungsimmunität“ zur Verdeutlichung der zwei Immunitätsregime und Verfahrensstufen gewählt. Durch diese Begriffswahl soll jedoch nicht die Bedeutung der nachfolgenden Diskussionen für gerichtliche Zwangsmaßnahmen gegen Vermögensgüter des ausländischen Staates als solche, sowohl zur Sicherung eines Anspru-
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität43
Staates im Vollstreckungsverfahren ist dabei getrennt von der Immunität eines Staates im Erkenntnisverfahren zu beurteilen.167 Der Verlust der Immunität des Staates im Rahmen des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens führt somit nicht ipso facto auch zum Verlust der Immunität im Vollstreckungsverfahren.168 Es handelt sich vielmehr um zwei unterschiedliche Immunitäten,169 die jeweils bestimmten rechtlichen Kriterien unterliegen, wobei die Vollstreckungsimmunität regelmäßig weiter reicht als die Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren.170 Die Differenzierung zwischen der Immunität eines Staates im Erkenntnisund Vollstreckungsverfahren gründet darin, dass gegen einen fremden Staat gerichtete Maßnahmen der Zwangsvollstreckung oder Maßnahmen zur Sicherung der Zwangsvollstreckung den Staat in einem höheren Maße in seiner Souveränität berühren,171 einen unmittelbaren und einschneidenderen Eingriff in die Ausübung der Hoheitsgewalt des fremden Staates darstellen,172
ches („pre trial measures of constraint“) als auch zur Durchsetzung des Anspruches („post trial measurse of constraint“) ausgeschlossen werden. Vgl. hierzu ausführlich Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 115 ff.; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 129 ff. 167 BVerfGE 46, 342, 367; IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 113; Schaumann, in: BerDGVR, S. 134 f. 168 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 113. 169 Vgl. zur Unterscheidung zweier Immunitäten in internationalen und nationalen Konventionen: Art. 23 ECSIA, Chapter III (effect of Judgment), der sich explizit auf „measures of execution or preventive measures“ in Abgrenzung zu Chapter I Art. 1–15 ECSI (jurisdictional immunity) bezieht; Art. 18 ff. UNCJIS (State immunity from measures of constraint in connection with proceedings before a court); 28 U.S.C. §§ 1604–1608 (immunity from jurisdiction), 28 U.S.C. §§ 1609–1611 (immunity from attachment and execution); Sec. 2–11 SIA (UK), zur Immunität im Erkenntnisverfahren, und Sec. 13 (2)–(6), 14 (3)–(4) SIA (UK) zur Vollstreckungsimmunität, s. zum britischen State Immunity Act auch Lord Diplock in House of Lords (UK), 12.04.1984, Alcom Ltd. v. Republic of Colombia, AC 580, 600. Siehe auch Fox/Webb, State Immunity, S. 484 ff.; Yang, State Immunity, S. 347 ff. 170 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 113 f.; Court of Appeals, 10.07.2006, FG Hemisphere Associates, LLC v. Republique du Congo, 455 F.3d 575, 589; Schreuer, State Immunity, S. 126; Yang, State Immunity, S. 355. S. hierzu ausführlich 7. Kapitel: A. 171 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 22; Reinisch, EJIL 2006, 803 (807). 172 BVerfGE 46, 342, 367; so auch Fox/Webb, State Immunity, S. 486; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 136; Schreuer, State Immunity, S. 126; Sinclair, RdC 1980, 113 (218).
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1. Teil: Grundlagen
und die Gefahr politischer Verstrickungen in der Folge größer ist.173 Aber auch die von Natur aus bestehenden grundlegenden Unterschiede zwischen einem privaten Kläger und einem Staat als Prozessbeteiligtem sind ausschlaggebend für eine differenzierte Behandlung der Staatenimmunität in Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren.174 Bereits aus der Daseinsberechtigung der staatlichen Institution als solcher, der Regelung öffentlicher Angelegenheiten und der Verantwortung für Staatsvolk und Staatsgebiet ergibt sich, dass staatliches Eigentum nicht in gleichem Maße behandelt werden kann, wie das eines privaten Prozessbeteiligten.175 So besteht gerade eine der zentralen Aufgaben der Staatsführung darin, öffentliche Gelder auf verschiedene Einrichtungen zu verteilen, um staatliche Funktionen und Aktivitäten zu koordinieren und auszuführen.176 Auch privatwirtschaftliche Aktivitäten des Staates dienen so oftmals im Ergebnis der Ausübung hoheitlicher Funktionen des Staates. Anders als ein privater Prozessbeteiligter betreibt ein Staat zudem zur Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Förderung zwischenstaatlicher Beziehungen weltweit diplomatische Missionen. Staatliches Vermögen befindet sich demzufolge in einer Vielzahl ausländischer Staaten und ist mit Blick auf Vollstreckungsmaßnahmen in das im Ausland befindliche Vermögen gefährdeter als Vermögen privater Prozessbeteiligter, das sich regelmäßig im Herkunftsstaat des privaten Prozessbeteiligten befindet.177 Zudem erfahren Staaten anders als private Prozessbeteiligte keinen Schutz durch das Insolvenzrecht.178 Durch das Risiko potentieller Vollstreckungsmaßnahmen motivierte Vermögensverschiebungen und die Verlagerung wirtschaftlicher Aktivität seitens der betroffenen Staaten können im Zeitalter der Globalisierung in der Folge zu nicht unerheblichen wirtschaftlichen Disruptionen führen.179 Schließlich verdienen eine Reihe bestimmter Vermögens güter des Staates besonderen Schutz, so dass eine Vollstreckung auch aus 173 Fox/Webb,
State Immunity, S. 486; Yang, State Immunity, S. 350 f. State Immunity, S. 350. 175 Yang, State Immunity, S. 350. 176 Yang, State Immunity, S. 350. 177 Lady Fox, in: ILA, International Committee on State Immunity, Second Report on Developments in the Field of State Immunity since 1982, Cairo Conference (1992), 65 Int’l L. Ass’n Rep. Con 1992, 290, 309. 178 Lady Fox, in: ILA, International Committee on State Immunity, Second Report on Developments in the Field of State Immunity since 1982, Cairo Conference (1992), 65 Int’l L. Ass’n Rep. Con 1992, 290, 309; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 22; Fox/Webb, State Immunity, S. 485. 179 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 22. Bröhmer bezieht sich auf den: Report on Replies to Questionnaire on Attachment of Assets of the Foreign State, compiled by Lady Fox for the preparation for the Second Report on State Immunity for the 65th Conference of the ILA in Cairo, 1992, S. 2, 3; vgl. hierzu auch 2. Kapitel: F.II. 174 Yang,
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität45
diesem Grund nicht ohne nähere Regelungen bereits dann zulässig sein kann, wenn die Immunität für den Staat im gerichtlichen Erkenntnisverfahren aufgehoben wird, sondern in jedem Einzelfall eine Prüfung dahingehend erforderlich ist, ob die konkreten Vermögensgüter, in die eine Vollstreckung erfolgen soll, der Staatenimmunität unterfallen.180 Die genannten Gründe haben in der Folge in der Staatenpraxis zu einer Differenzierung zwischen der Immunität eines Staates im Erkenntnisverfahren und der Vollstreckungsimmunität sowie einer voneinander in weiten Teilen unabhängigen Entwicklung beider Immunitäten geführt.
D. Der Grundsatz der Staatenimmunität als Regel des Völkerrechts Im Rahmen der Grundlagen stellt sich notwendigerweise die Frage nach der Rechtsquelle des Grundsatzes der Staatenimmunität sowie der rechtlichen Verbindlichkeit dieses Grundsatzes. Denn das Vorliegen einer völkerrecht lichen Gegenmaßnahme, welches Prüfungsgegenstand des dritten Teils dieser Arbeit ist, setzt die Verletzung einer Regel des Völkerrechts durch den die Gegenmaßnahme vornehmenden Staat voraus.181 I. Rechtsquelle der Staatenimmunität Die Rechtsquellen des Völkerrechts erfahren in Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (IGH-Statut) eine Kodifikation. Zu den Rechtsquellen zählen das Völkervertragsrecht Art. 38 Abs. 1 lit. a), das Völkergewohnheitsrecht, Art. 38 Abs. 1 lit. b), die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze, Art. 38 Abs. 1 lit. c) sowie als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinung der fähigsten Völkerrechtler der verschiedenen Nationen, Art. 38 Abs. 1 lit. d). Während allgemeine Rechtsgrundsätze keine Rolle im Recht der Staatenimmunität einnehmen,182 stehen das Völkervertragsrecht und insbesondere das Völkergewohnheitsrecht im Fokus der Rechtsquellen des Grundsatzes der Staatenimmunität. Der Grundsatz der Staatenimmunität war immer wieder Gegenstand von Kodifikationsbemühungen. Die erste Kodifikation, die sich mit dem Grundsatz der Staatenimmunität befasst, ist die Brussels Convention on the Immu180 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 22; Yang, State Immunity, S. 351. 181 S. unten 9. Kapitel: A. 182 BVerfGE 16, 27, 33.
46
1. Teil: Grundlagen
nity of State owned Vessels aus dem Jahre 1926.183 Die Brüssler Konvention war in ihrem Anwendungsbereich jedoch auf die Regelung der Immunität von Schiffen in staatlichem Eigentum im Rahmen kommerzieller Transaktionen beschränkt.184 Eine erste umfassende Kodifikation zur Regelung des Grundsatzes der Staatenimmunität selbst sollte etliche Jahre später das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität (Baseler Übereinkommen) vom 16. Mai 1972 darstellen.185 Das Übereinkommen ist bis heute wirksam, bindet jedoch nur die acht Staaten, die die Konvention ratifiziert haben.186 Dem Baseler Übereinkommen kommt daher nur eine begrenzte Bedeutung zu. Nach dem Baseler Übereinkommen wurden zwei weitere Kodifikationsentwürfe erarbeitet: die Draft Articles for a Convention on State Immunity der International Law Association187 sowie die Inter-American Draft Convention on Jurisdictional Immunity of States der Organization of American States188. Die International Law Commission stellte schließlich im Jahre 1991 nach jahrelanger Forschungsarbeit die Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and their Property vor.189 Die Draft Articles dienten als Grundlage für das Projekt der UN-Generalversammlung, eine universelle Kodifikation des Rechts der Staatenimmunität zu verabschieden. Auf Grundlage der Draft Articles wurde schließlich im Jahre 2004 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen die erste, umfassende multilaterale Kodifikation des Rechts der Staatenimmunität durch Resolution 59/38 unter dem Titel „United 183 International Convention for the Unification of Certain Rules relating to the Immunity of State-owned Vessels (verabschiedet in Brüssel am 10.04.1926) and Additional Protocol, (verabschiedet in Brüssel am 24.05.1934), in Kraft getreten am 08.01.1936, 176 LNTS 199. 184 Fox/Webb, State Immunity, S. 101, 116 ff. 185 European Convention on State Immunity (verabschiedet am 16.05.1972, in Kraft seit 11.06. 1976), SEV No. 74, BGBl. 1990 Teil II, Nr. 3, S. 34 ff. 186 Zu den Staaten, die das Baseler Übereinkommen ratifiziert haben, gehören: Österreich, Belgien, Zypern, Deutschland, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz und das Vereinigte Königreich. Portugal hat das Übereinkommen unterzeichnet, nicht aber ratifiziert, s. https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/ treaty/074/signatures (Stand: 14.05.2020). 187 ILA, Montreal Draft Articles for a Convention on State Immunity, 1982, (1983) 22 ILM 287. Im Jahr 1994 folgte ein weiterer Entwurf der ILA, der sich inhaltlich in weiten Teilen mit dem Entwurf von 1982 gleicht, ILA, Buenos Aires Revised Draft Articles for a Convention on State Immunity, 1994, (1994) ILA Report 21. 188 OAS, Inter-American Draft Convention on Jurisdictional Immunity of States, 1983, (1983) 22 ILM 292. 189 UN ILC, Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and their Property, with commentaries, 07.06.1991, YBILC, 1991, vol. II, Part Two, 13. Eine umfassende Darstellung der Arbeiten der ILC zur Staatenimmunität ist abrufbar unter http://legal.un.org/ilc/guide/4_1.shtml (Stand: 14.05.2020).
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität47
Nations Convention on the Jurisdictional Immunity of States and their Property“ (UNCJIS) verabschiedet.190 Für das Inkrafttreten der Konvention bedarf es jedoch gemäß Art. 30 UNCJIS der Ratifikation durch 30 Staaten. Bisher haben lediglich 18 Staaten die Konvention ratifiziert.191 Vor allem die großen Industrienationen haben sich bisher der Ratifikation der UNCJIS enthalten.192 Eine gültige universale völkerrechtliche Kodifikation des Rechts der Staatenimmunität besteht derzeit daher nicht, so dass das Völkervertragsrecht als Rechtsquelle des Grundsatzes der Staatenimmunität nicht einschlägig ist. In Ermangelung einer universellen Kodifikation ist die Rechtsquelle des Rechts der Staatenimmunität das Völkergewohnheitsrecht im Sinne des Art. 38 Abs. 1 lit. b) IGH-Statut.193 Dabei bedarf es objektiv einer umfassenden und allgemeinen Staatenpraxis (consuetudo) und subjektiv die mit der Praxis einhergehende Rechtsüberzeugung (opinio iuris) der Staaten.194 Der IGH führt in seinem Urteil zur Staatenimmunität hierzu aus: „State practice of particular significance is to be found in the judgments of national courts faced with the question whether a foreign State is immune, the legislation of those States which have enacted statutes dealing with immunity, the claims to immunity advanced by States before foreign courts and the statements made by States, first in the course of the extensive study of the subject by the International Law Commission and then in the context of the adoption of the United Nations Convention. Opinio juris in this context is reflected in particular in the assertion by States claiming immunity that international law accords them a right to such immunity from the jurisdiction of other States; in the acknowledgment, by States granting immunity, that international law imposes upon them an obligation to do so; and, conversely, in the assertion by States in other cases of a right to exercise jurisdiction over foreign States.“195
Dabei ist das Recht der Staatenimmunität stets vor dem Hintergrund zu betrachten, dass es an der Schnittstelle von Völkerrecht einerseits und nationalem (Prozess-)Recht andererseits steht. Das Recht der Staatenimmunität entwickelt sich aus den Staaten heraus.196 Eine bedeutende Rolle im Rahmen 190 UNGA, Resolution 59/38: United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, 2.12.2004, UN Doc. A/RES/59/38. 191 Ein Überblick über die Staaten, die die UNCJIS ratifiziert haben ist abrufbar unter: https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=III-13& chapter=3&-lang=en (Stand: 14.05.2020). 192 Zu den Gründen der deutschen Zurückhaltung bei der Ratifizierung der Konvention s. Hildner, 73 ZöR 2018, 137. 193 S. auch BVerfGE 16, 27, 33. 194 Herdegen, Völkerrecht, § 16, Rn. 1. 195 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 55. 196 Yang, State Immunity, S. 26.
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1. Teil: Grundlagen
der Staatenpraxis nehmen daher nationale Gerichtsentscheidungen ein, in denen der Grundsatz der Staatenimmunität unter Berücksichtigung der Besonderheiten des nationalen Rechts und der nationalen Prozessordnung eines jeden Staates praktisch angewandt wird sowie nationale Kodifikationen des Rechts der Staatenimmunität, wie sie in einigen common law Staaten bestehen.197 II. Staatenimmunität als verbindliche Regel des Völkerrechts? Für den Gang der Untersuchung der vorliegenden Arbeit ist von Bedeutung, ob es sich bei dem Grundsatz der Staatenimmunität um eine verbind liche Regel des Völkergewohnheitsrechts handelt. Denn fehlt dem Grundsatz der Staatenimmunität der Regelcharakter, so bedarf ein Eingriff in den Grundsatz der Staatenimmunität keiner Rechtfertigung nach den Voraussetzungen des Instituts der völkerrechtlichen Gegenmaßnahme. Die Feststellung, ob es sich bei dem Grundsatz der Staatenimmunität um eine Regel des Völkerrechts handelt ist aber auch für die Annahme einer Gegenmaßnahme entscheidend. Denn das Vorliegen einer Gegenmaßnahme setzt die Verletzung einer völkerrechtlichen Regel durch den die Gegenmaßnahme vornehmenden Staat voraus.198 Zweifel an dem rechtsverbindlichen Charakter der Staatenimmunität stützen sich auf zwei unterschiedliche Aspekte. Zum einen wird in Anlehnung an die US-amerikanische Rechtsprechung in der Gewährung von Staatenimmunität lediglich eine höfliche Geste („comity“) des Forumstaates gesehen. Zum anderen wird argumentiert, das Recht der Staatenimmunität sei derart fragmentiert, dass eine einheitliche Regel nicht auszumachen sei. 1. Staatenimmunität als Comitas Gentium?
In der US-amerikanischen Gerichtspraxis wurde die Gewährung von Staaten immunität wiederholt nicht als völkerrechtliche Verpflichtung des Gerichtsstaates sondern als reine Geste der Höflichkeit, als „comity“ qualifiziert.199 Hieran knüpfen auch Stimmen in der Literatur an.200 Ihren Ursprung 197 Zur Rolle des nationalen Rechts und insbesondere nationaler Gerichtsentscheidungen im Rahmen des Grundsatzes der Staatenimmunität s. Fox/Webb, State Immunity, S. 17 f., 104 ff. 198 S. unten 9. Kapitel: A. 199 Zum Begriff „comity“ s. Kämmerer, Comity, MPEPIL-Online, Dezember 2006, Rn. 1 ff.; zur Verwendung des Begriffs in der US-amerikanischen Praxis s. Akehurst, BYIL 1972, 145 (216). Krit. zur US-amerikanischen Praxis Damrosch, Vand. J. Transnat’l L. 2011, 1185 (1187). 200 Caplan, AJIL 2003, 741 (751); Orakhelashvili, EJIL 2003, 529 (557 ff.).
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität49
findet die US-amerikanische Praxis in der Leitentscheidung des Supreme Court, The Schooner Exchange, in der Judge Marshall festhält, dass die territoriale Gerichtsbarkeit des Forumstaates „is susceptible of no limitation not imposed by itself“ und das ein Verzicht der Gerichtsbarkeit durch den Gerichtsstaat freiwillig erfolge.201 Aber auch die US-amerikanische Praxis vor Erlass des Foreign Sovereign Immunities Act, bei der die Gerichte ihre Immunitätsentscheidungen auf Grundlage sogenannter „suggestions“ des Außenministeriums trafen, das in seinen Immunitätsentscheidungen wiederum nicht selten von politischen Gesichtspunkten geleitet war, begründete in der USamerikanischen Praxis Zweifel an der Rechtsverbindlichkeit des Grundsatzes der Staatenimmunität.202 Seitdem lassen sich immer wieder Beispiele in der gerichtlichen Praxis der USA finden, die die Gewährung von Immunität auf „comity“ zurückführen.203 In jüngerer Zeit dient hierfür der U.S. Supreme Court als Exempel: „[The] application [of state immunity] is a matter, not of legal right, but of ‚grace and comity‘.“204
Diese Rechtsprechung bildet jedoch einen Ausnahmefall von der ansonsten in der gerichtlichen Praxis vertreten Ansicht, bei der Staatenimmunität handele es sich um eine Regel des Völkerrechts.205 Neben den genannten gerichtlichen Entscheidungen lässt sich keine allgemeine Praxis der USStaatsorgane ausfindig machen, die der Staatenimmunität völkerrechtlichen Regelcharakter abspricht. Vielmehr ist Gegenteiliges der Fall. So ließ der US-Kongress bereits im Rahmen des Erlasses des Foreign Sovereign Immu201 Supreme Court, 24.02.1812, The Schooner Exchange v. McFaddon, 7 Cranch 116, 136 ff. S. auch Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 36 f.; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 12. 202 Vgl. zu den „suggestions“ des Außenministeriums: Supreme Court, 05.02.1945, Republic of Mexico v. Hoffman, 65 S.Ct. 530, 533; s. auch Supreme Court, 23.05.1983, Verlinden v. Central Bank of Nigeria, 103 S.Ct. 1962, 1967 f.: „As The Schooner Exchange made clear, however, foreign sovereign immunity is a matter of grace and comity on the part of the United States, and not a restriction imposed by the Constitution. Accordingly, this Court consistently has deferred to the decisions of the political branches – in particular, those of the Executive Branch – on whether to take jurisdiction over actions against foreign sovereigns and their instrumentalities.“ Zur Frage der Staatenimmunität als politische Frage und ausführlich zu den „suggestions“ des US- amerikanischen Außenministeriums s. Alexy, 22 ZaöRV 1962, 661; Dahm, in: FS Nikisch, S. 158; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 10 ff. 203 Supreme Court, 23.05.1983, Verlinden v. Central Bank of Nigeria, ,103 S.Ct. 1962, 1967 f.; Supreme Court, 22.04.2003, Dole Food Co. v. Patrickson, 123 S.Ct. 1655, 1658; Supreme Court, 01.06.2010, Samantar v. Yousuf, 130 S.Ct. 2278, 2280 ff. 204 Supreme Court, 07.06.2004, Republic of Austria v. Altmann, 124 S.Ct. 2240, 2260. 205 So bereits Alexy, ZaöRV 1962, 661 (695).
50
1. Teil: Grundlagen
nities Act die Auffassung erkennen, dass es sich bei der Staatenimmunität um eine Regel des Völkerrechts handele: „Sovereign Immunity is a doctrine of international law under which domestic courts, in appropriate cases, relinquish jurisdiction over a foreign state.“206
Der Foreign Sovereign Immunities Act soll gerade durch die Statuierung einer Pflicht zur Gewährung von Staatenimmunität die korrespondierende völkerrechtliche Verpflichtung umsetzen.207 Zugleich sollte jene Praxis beendet werden, bei der Gerichte ihre Immunitätsentscheidungen auf politisch motivierte „suggestions“ des Außenministeriums stützten und die Entscheidung über die Immunität fremder Staaten künftig auf eine rein rechtliche Grundlage zurückgeführt werden.208 Diese Auffassung teilten die USA auch im Jahre 1980 im Rahmen der Studie der International Law Commission zur Vorbereitung der UNCJIS mit.209 Schließlich wird auch in der US-amerikanischen Rechtswissenschaft die Auffassung vertreten, bei dem Grundsatz der Staatenimmunität handele es sich um eine Regel des Völkerrechts.210 Dies verkennt der Supreme Court im oben zitierten Fall, Republic of Austria v. Altmann, in seiner konkret getroffenen Aussage offenbar.211 Die Bezugnahme der US-Gerichte auf comity kann möglicherweise als bloße reflexartige, formelhafte Repetition der Leitentscheidung des Supreme Court, The Schooner Exchange, erklärt werden, denn ein Verweis auf comity erfolgt in den gerichtlichen Entscheidungen stets unter Bezugnahme auf diese Leitentscheidung.212 Aber auch die in der US-amerikanischen Praxis unklare Bedeutung des Begriffes comity und die daraus resultierende unterschiedliche Verwendung des Begriffes durch die amerikanischen Gerichte, 206 United States: Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402. 207 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402. 208 Ibid. 209 UNGA, Jurisdictional Immunities of States and their Property: Information and Materials Submitted by Governments, 14. April 1981, UN Doc. A/CN.4/343, 35. 210 So haben Wissenschaftler des American Law Institute in § 451 des Restatement Third des Foreign Relations Law of the United States fesgehalten: „Under international law, a state or state instrumentality is immune from the jurisdiction of the court of another state, except with respect to claims arising out of activities of the kind that may be carried on by private persons.“, s. ALI, Restatement of the Law, The Foreign Relations Law of the United States, 1987, vol. I, § 451. 211 Krit. zur „comity“ Rechtsprechung des Supreme Court Damrosch, Vand. J. Transnat’l L. 2011, 1185 (1188). 212 Ähnlich Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 12. Vgl. etwa Supreme Court, 23.05.1983, Verlinden v. Central Bank of Nigeria, 103 S.Ct. 1962, 1967 f.
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität51
kann zu der Verwirrung über den völkerrechtlichen Regelcharakter der Staatenimmunität beigetragen haben.213 So wurde von den Gerichten im Laufe der Jahre zwar einerseits weiterhin der Begriff comity verwendet, dieser von der Bedeutung her zuweilen durch das Gericht jedoch mit dem Begriff der Völkerrechtsnorm gleichgestellt.214 Jedenfalls stehen die Entscheidungen, die die Staatenimmunität auf comity im Sinne einer reinen Höflichkeitsgeste zurückführen, als Ausnahmefälle nicht der Annahme einer verpflichtenden Völkerrechtsnorm als solcher durch die Staatsorgane der USA insgesamt entgegen,215 und noch weniger vermögen sie einer Bindung der USA an den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität im Sinne eines persistent objector entgegenzustehen.216 Die comity-Rechtsprechung der USA steht somit der Annahme einer völkerrechtlichen Regel nicht per se entgegen. 2. Staatenimmunität als Prinzip
Bei dem Recht der Staatenimmunität handelt es sich um ein höchst fragmentiertes Rechtsgebiet, das durch eine Vielzahl divergierender nationaler Rechtsprechung und Gesetzgebung gekennzeichnet ist.217 Es gestaltet sich schwierig, einen weitreichenden Konsens zwischen den Staaten auszumachen. Finke führt diesbezüglich aus: „Foreign sovereign immunity as international custom is […] characterized by agreement among states concerning the concept as such, and at the same time by substantial disagreement on detail and substance.“218
Die Schwierigkeit, einen Konsens innerhalb der Staatenwelt ausfindig zu machen, hat im Schrifttum Stimmen dazu bewegt, der Staatenimmunität den Charakter einer völkerrechtlichen Regel abzusprechen.219 Finke geht dabei von der These aus, dass es sich bei der Staatenimmunität nicht um eine Regel des Völkergewohnheitsrechts handele, deren Anwendung dann aus geschlossen sei, wenn eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme einschlägig ist, sondern vielmehr um ein Prinzip des Völkerrechts.220 Dieses sei gekennAlexy, ZaöRV 1962, 661 (666 f.). zur Rechtsprechung Alexy, 22 ZaöRV 1962, 661 (666). 215 Alexy, ZaöRV 1962, 661 (695). 216 Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 31. 217 Schreuer, State Immunity, S. 3 f. 218 Finke, EJIL 2010, 853 (871). 219 Finke, EJIL 2010, 853 (857); Lalive, RdC 1953, 209 (251 f.); Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (227 ff.). 220 Finke, EJIL 2010, 853 (877). 213 Hierzu
214 M. w. N.
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1. Teil: Grundlagen
zeichnet durch die Möglichkeit der Abwägung mit anderen völkerrechtlichen Prinzipien, mit der Folge, dass nationale Staaten hinsichtlich Inhalt und Reichweite frei in der Gewährung der Staatenimmunität seien, so lange die äußeren, durch das Völkerrecht gezogenen Grenzen eingehalten würden.221 Es bestünde also in erster Linie keine Pflicht, dem fremden Staat im Sinne einer Standardregel Immunität zu gewähren. Die Gewährung von Immunität sei vielmehr in jedem Einzelfall das Ergebnis eines Abwägungsprozesses. Betrachtet man die Staatenimmunität als Prinzip des Völkerrechts, so bedarf es nicht der Etablierung einer völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Ausnahme zur rechtmäßigen Durchbrechung der Staatenimmunität. Es stellt sich im Hinblick auf die Staatenimmunität als Prinzip des Völkerrechts vielmehr die Frage, welche Grenzen durch das Völkerrecht gegeben sind und ob diese durch die Aufhebung der Immunität möglicherweise überschritten werden.222 Die Fragmentierung des Rechts der Staatenimmunität steht dem Regelcharakter jedoch grundsätzlich nicht entgegen, wenn im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners zwischen den Staaten der Grundsatz der Staatenimmunität im Sinne einer „Norm der unteren Grenze“ auf einen gemeinhin anerkannten Mindestgehalt zurückgeführt werden kann.223 Dies kann im Falle der Staatenimmunität bejaht werden. So besteht im Grundsatz Einigkeit zwischen den Staaten darüber, dass bei hoheitlichen Handlungen, acta iure imperii, Immunität zu gewähren ist, während die Immunität für acta iure gestionis des fremden Staates beschränkt werden kann.224 Dass im Einzelnen zwischen den Staaten die Reichweite der Immunität umstritten ist, steht der Annahme der Staatenimmunität als Regel des Völkerrechts nicht entgegen.225 Auch Finke erkennt letztlich einen Kerngehalt der Staatenimmunität an, über den in der Staatenwelt Konsens besteht und dem völkerrechtliche Verbindlichkeit zukommt.226 Der Klassifizierung des Grundsatzes der Staatenimmunität als Regel des Völkerrechts steht mithin auch nicht die Fragmentierung des Rechtsgebietes entgegen.
221 Finke, EJIL 2010, 853 (877). Grundlegend zu der Unterscheidung zwischen Regel und Prinzip: Dworkin, Taking rights seriously, S. 14 ff. 222 Finke, 21 EJIL 2010, 853 (857). 223 Dahm, in: FS Nikisch, S. 162 ff.; Schaumann, in: BerDGVR, S. 9. 224 S. unten 2. Kapitel: G.II. 225 So auch Schaumann, in: BerDGVR, S. 9. 226 Finke, 21 EJIL 2010, 853 (857, 871).
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität53 3. Staatenimmunität als Regel
Dem Großteil der Staatenpraxis und dem ganz überwiegenden Teil des Schrifttums lässt sich entnehmen, dass es sich bei dem Grundsatz der Staaten immunität um eine verbindliche Regel des Völkergewohnheitsrechts handelt.227 Die Staaten sind von Völkerrechts wegen verpflichtet, fremden Staaten Immunität zu gewähren; korrespondierend zu dieser Pflicht kommt Staaten von Völkerrechts wegen ein Anspruch auf Immunität vor den Gerichten fremder Staaten zu.228 Bereits im Jahre 1979 stellte der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, S. Sucharitkul in seinem Bericht zur Staatenimmunität im Rahmen der Studien der International Law Commission zur Vorbereitung der UN Konvention zur Staatenimmunität fest, dass es sich bei der Staatenimmunität um eine Regel des Völkergewohnheitsrechts handele, die „reif“ sei für eine Kodifikation.229 Der völkerrechtlich verpflichtende Charakter der Staaten immunität wurde auch von dem Schweizer Bundesgericht im Jahre 1980 festgehalten: „Den Grundsatz der beschränkten Immunität befolgen heute die meisten Staaten in ihrer Praxis, und zwar in der Überzeugung, dazu von Völkerrechts wegen verpflichtet zu sein.“230
Ebenfalls im Jahre 1980 gelangt die International Law Commission in ihren umfangreichen Studien zur Staatenimmunität zu dem Ergebnis: „The conclusion seems warranted that, in the general practice of States as evidence of customary law, there is little doubt that a general rule of State immunity has been firmly established as a norm of customary international law.“231
227 S. zum Schrifttum m. w. N. zur Staatenpraxis Finke, EJIL 2010, 853 (856); Fox/ Webb, State Immunity, S. 13 ff.; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 10; Yang, State Immunity, S. 34 ff. 228 Vgl. IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 56. 229 UN ILC, Preliminary Report on the Topic of Jurisdictional Immunities of States and their Property, by Mr. Sompong Sucharitkul, Special Rapporteur, 18.06.1979, UN Doc. A/CN.4/323, 228: „A body of customary and evolutionary rules of international law on the subject, which appear to be ripe and ready for codification and progressive development.“ 230 Bundesgericht (CH), 19.06.1980, Sozialistische Libysche Arabische Volks- Jamahiriya g. Libyan American Oil Company (LIAMCO), BGE 106 IA, 142, 147. S. auch BVerfGE 46, 342, 364; BVerfGE 64, 1, 16. 231 UN ILC, Report of the International Law Commission on the work of its Thirty-second session, 5 May – 25 July 1980, Official Records of the General Assembly, Thirty-fifth session, Supplement No. 10, UN Doc. A/35/10, S. 149.
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1. Teil: Grundlagen
Ein prominentes Beispiel aus der gerichtlichen Praxis der jüngeren Zeit findet sich in dem Urteil Jones v. Saudi Arabia des britischen House of Lords: „As Lord Millett said in Holland v Lampen-Wolfe [2000] 1 WLR 1573, 1588, state immunity is not a ‚self-imposed restriction on the jurisdiction of its courts which the United Kingdom has chosen to adopt‘ and which it can, as a matter of discretion, relax or abandon. It is imposed by international law without any discrimination between one state and another.“232
Aber auch der EGMR sowie der IGH gehen von der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des Grundsatzes der Staatenimmunität aus.233 Der IGH stellt fest: „That practice shows that, whether in claiming immunity for themselves or according it to others, States generally proceed on the basis that there is a right to immunity under international law, together with a corresponding obligation on the part of other States to respect and give effect to that immunity.“234
Schließlich gehen auch das Europäische Übereinkommen der Staatenimmunität sowie die UNCJIS von der Staatenimmunität als Regel aus.235 4. Fazit
Bei dem Grundsatz der Staatenimmunität handelt es sich um eine von Völkerrechts wegen verbindliche Regel. Die Fragmentation des Rechtsgebiets sowie US-amerikanische Tendenzen die Gewährung von Immunität auf comity zu stützen, stehen dem, wie gezeigt wurde, nicht entgegen. Die ganz überwiegende Staatenpraxis aber auch der Großteil des Schrifttums zieht den Regelcharakter der Staatenimmunität nicht in Zweifel. Letztlich bestätigte auch der Internationale Gerichtshof in seiner Jurisdictional Immunities Entscheidung ausdrücklich, dass es sich bei der Staatenimmunität um eine Regel des Völkerrechts handele. 232 House of Lords (UK), 14.06.2006, Jones v. Saudi Arabia, [2006] 2 WLR 1424, 1455; unter Bezugnahme auf House of Lords (UK), 20.07.2000, Holland v. LampenWolfe, [2000] 1 WLR 1573, 1588. S. auch House of Lords (UK), 03.03.1938, The Christina, [1938] AC 485, 502: „This is sometimes said to flow from international comity or courtesy, but may now more properly be regarded as a rule of international law, accepted among the community of nations. It is binding on the municipal Courts of this country in the sense and to the extent that it has been received and enforced by these Courts.“ 233 EGMR, 21.11.2001, Al-Adsani v. The United Kingdom, Application no. 35763/97, para 54; IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, paras 50, 53 ff. 234 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 56. 235 Vgl. Art. 1 ff. ECSI; Art. 5 UNCJIS.
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität55
E. Herleitung des Grundsatzes der Staatenimmunität Von der Geltung der Staatenimmunität im Völkerrecht ist die Herleitung des Grundsatzes der Staatenimmunität zu unterscheiden.236 Der Grundsatz der Staatenimmunität beansprucht heute unabhängig von seiner Herleitung Geltung im Völkerrecht.237 Diskussionen konzentrieren sich daher in Anlehnung an die in der gerichtlichen Praxis auftauchenden Probleme mehr auf die Reichweite der Staatenimmunität als auf ihren Ursprung. Dennoch ist ein Blick auf den Ursprung der Staatenimmunität für ein tieferes Verständnis des Grundsatzes als solchem, die Anwendung des Grundsatzes durch die Gerichte sowie für die Analyse von Entwicklungen des Grundsatzes der Staaten immunität lohnenswert. I. Souveräne Gleichheit der Staaten Der Grundsatz der Staatenimmunität ist eng verwoben mit der Souveränität der Staaten. Er entspringt dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten und findet Ausdruck in der Maxime des Bartolus de Saxoferrato aus dem Jahre 1354, „par in parem non habet imperium“.238 Der Satz des Bartolus bedeutet wörtlich, dass Gleiches über Gleiches keine Macht hat. Der Grundsatz der Gleichheit der Staaten vermag dabei für sich genommen die Immunität der Staaten nicht zu begründen.239 So wäre dem Prinzip der Staatengleichheit auch dann Rechnung getragen, wenn die Immunität für alle Staaten gleichermaßen eingeschränkt würde.240 Vielmehr ist die Gleichheit in Zusammenschau mit der Souveränität des Staates, die gleichsam die Unabhängigkeit der Staaten gegenüber anderen Staaten begründet, für die Herlei-
236 Schaumann,
in: BerDGVR, S. 11; Yang, State Immunity, S. 55. State Immunity, S. 55. 238 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 57; Habscheid, in: Freiheit und Zwang, S. 215; Herdegen, Völkerrecht, § 37, Rn. 1; Epping, in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7, Rn. 264; Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 4. S. auch House of Lords (UK), 30.07.1981, The I Congreso del Partido, 64 ILR 307, 313; EGMR, 21.11.2001, Al-Adsani v. The United Kingdom, Application no. 35763/97, para 54; a. A. Caplan, AJIL 2003, 741 (757); Yang, State Immunity, S. 55 ff. 239 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 11; Dahm, in: FS Nikisch, S. 155; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 14 f.; Geimer, IZPR, Rn. 155; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 14 f. 240 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 11; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 15; Dahm, in: FS Nikisch, S. 155. 237 Yang,
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1. Teil: Grundlagen
tung der Staatenimmunität entscheidend.241 So besitzt ein jeder Staat die suprema potestas und steht nicht in einem hierarchischen Verhältnis zu anderen Staaten.242 Überholt und mit dem modernen, gewaltenteilenden Rechtsstaat nicht vereinbar ist ein Verständnis, dass die Immunität auf die Würde des Souverän stützt.243 Auch Aspekte von comity und der Gedanke der Reziprozität in den zwischenstaatlichen Beziehungen vermögen, wenngleich sie sicherlich stets eine Rolle in der Gewährung von Staatenimmunität spielen, für sich genommen nicht den Ursprung der Staatenimmunität zu begründen.244 Sie sind vielmehr als Handlungsmotive des Staates zu betrachten. II. Souveränität als Bollwerk staatlicher Immunität? Es ist die Verankerung des Grundsatzes der Staatenimmunität in der Souveränität der Staaten, die bis heute von Vertretern einer weitreichenden Immunität weiteren Einschränkungen der Staatenimmunität entgegengehalten wird; es ist das Argument der Souveränität der Staaten, das bis dato die weithin absolute Immunität der Staaten für acta iure imperii begründet. 241 Alebeek, The immunity of states, S. 48; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 15; Fox/Webb, State Immunity, S. 26 ff.; Epping, in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7, Rn. 264; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 15. S. auch Court of Appeal (UK), 27.02.1880, The Parlement Belge, 5 P.D. 197, 207: „From all these authorities it seems to us, although other reasons have sometimes been suggested, that the real principle on which the exemption of every sovereign from the jurisdiction of every Court has been deduced is that the exercise of such jurisdiction would be incompatible with his regal dignity – that is to say, with his absolute independence of every superior authority.“; gleichsam verweist Richter Brett L.JJ. auf die „independence and equality“ des Staates, ibid, S. 220; s. auch Supreme Court, 24.02.1812, The Schooner Exchange v. McFaddon, 7 Cranch 116, 137. 242 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 12; Epping, in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht § 7, Rn. 264. S. StIGH, 05.09.1931, Customs Regime between Germany and Austria (Individual Opinion by M. Anzilotti), PCIJ Ser. A/B, No. 41, 37, 57: „Independence […] may also be described as sovereignty (suprema potestas), or external sovereignty, by which is meant that the State has over it no other authority than that of international law.“ 243 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 10 f.; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 14; Higgins, NILR 1982, 265 (271); Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (231); Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 19 f. S. auch House of Lords (UK), 07.11.1957, Rahimtoola v. Nizam of Hyderabad, [1958] AC 379, 418: „It is more in keeping with the dignity of a foreign sovereign to submit himself to the rule of law than to claim to be above it, and his independence is better ensured by accepting the decisions of courts of acknowledged impartiality, than by arbitrarily rejecting their jurisdiction.“ 244 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 10; Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (245 f.). Anders: Caplan, AJIL 2003, 741 (749).
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität57
Das Festhalten an einer weitreichenden staatlichen Immunität auf Basis der Souveränität der Staaten zeugt jedoch von einem tradierten Souveränitätsverständnis, das einen durch die Globalisierung, zwischenstaatliche Kooperation sowie die Einwirkung der Menschenrechte bedingten Wandel des staatlichen Souveränitätsverständnisses unbeachtet lässt.245 Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan zeigte in einer Rede vor der UN-Generalversammlung nachdrücklich den sich vollziehenden Wandel staatlicher Souveränität auf und forderte ein Umdenken: „State sovereignty, in its most basic sense, is being redefined by the forces of globalization and international cooperation. The State is now widely understood to be the servant of its people, and not vice versa. At the same time, individual sovereignty – and by this I mean the human rights and fundamental freedoms of each and every individual as enshrined in our Charter – has been enhanced by a renewed consciousness of the right of every individual to control his or her own destiny. These parallel developments – remarkable and, in many ways, welcome – do not lend themselves to easy interpretations or simple conclusions. They do, however, demand of us a willingness to think anew.“246
Auch Habscheid propagiert das Festhalten an einer allumfassenden Immunität als „übertriebenes Souveränitätsdenken“ und plädiert im Sinne einer globalen Verständigung für die Relativierung der Staatenimmunität.247 Ebenso kritisiert Lauterpacht in einem prominenten Beitrag das Festhalten an der Staatenimmunität. So stehe in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft die Unabhängigkeit und Gleichheit der Staaten der Einschränkung der Immunität nicht entgegen: „It has been shown that no consideration essential to international law – such as the independence or the equality of states – stands in the way of its relinquishment in relation to foreign states. […] At a period in which in enlightened communities the securing of the rights of the individual, in all their aspects, against the state has become a matter of special and significant effort, there is no longer a disposition to tolerate the injustice which may arise whenever the state – our own state or a foreign state – screens itself behind the shield of immunity in order to defeat a legitimate claim.“248
Für Herdegen zeichnet sich die Souveränität eines Staates im jetzigen Zeitalter gar als einen „von der Einhaltung völkerrechtlicher Regeln gepräg te[n] Status“ aus.249
245 von
Arnauld, Völkerrecht, § 4, Rn. 312. Nations Press Release, Jahresbericht des UN-Generalsekretärs an die Generalversammlung, 20.09.1999, SG/SM/7136 – GA/9596. 247 Habscheid, in: Freiheit und Zwang, S. 230. 248 Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (235). 249 Herdegen, Völkerrecht, § 1, Rn. 17. 246 United
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1. Teil: Grundlagen
In jüngerer Zeit lässt sich in der Staatenwelt jedoch ein erneutes Aufleben eines althergebrachten, nationalstaatliche Interessen in den Vordergrund stellendes Souveränitätsdenken beobachten,250 das möglicherweise auch auf bestehende Entwicklungstendenzen im Recht der Staatenimmunität zugunsten von Opfern des Terrorismus eine entschleunigende Wirkung ausüben könnte. Es ist letztlich die Praxis der Staaten, die die Entwicklung der Staatenimmunität determiniert. Staatliches Handeln wiederum richtet sich nach den staatlichen Interessen.251 Es wird abzuwarten bleiben, ob die staatliche Souveränität ungeachtet der Einflüsse der Globalisierung, der Kooperation und Integration sowie der erstarkenden Stellung des Individuums im Völkerrecht auch in Zukunft als Bollwerk staatlicher Immunität fungieren wird.
F. Rolle der Staatenimmunität Obgleich auf den ersten Blick die Gewährung von Staatenimmunität, gerade in Fällen des Terrorismus, insbesondere aus Sicht der Opfer nur schwer nachvollziehbar scheint, so nimmt der Grundsatz der Staatenimmunität wichtige Funktionen in der Völkerrechtsordnung und den internationalen Beziehungen ein, die im Folgenden eine Darstellung erfahren sollen. Die Rolle, die der Grundsatz der Staatenimmunität in der Staatenwelt einnimmt, gewinnt insbesondere im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme an Bedeutung.252 I. Eckpfeiler der Völkerrechtsordnung und der zwischenstaatlichen Beziehungen Die wohl bedeutendste Funktion kommt der Staatenimmunität als Ausfluss des Prinzips der souveränen Gleichheit der Staaten hinsichtlich der Wahrung der Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten zu.253 So soll durch den 250 S. etwa den Brief Russlands und Chinas an die Vereinten Nationen, in der diese die souveräne Gleichheit der Staaten betonen und die Aufweichung der Staatenimmunität ausdrücklich ablehnen, UN Doc. A/70/982 – S/2016/600, 12.06.2016: „The Russian Federation and the People’s Republic of China assert that international obligations regarding immunity of States, their property and officials must be honoured by States at all times. Violations of these obligations are not in conformity with the principle of sovereign equality of States and may contribute to the escalation of tensions.“ Zu dem traditionell geprägten Souveränitätsdenken Russland und Chinas s. Herdegen, Der Kampf um die Weltordnung, S. 129. 251 Herdegen, Der Kampf um die Weltordnung, S. 12. 252 S. unten 10. Kapitel: E. 253 Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 56. Zur dogmatischen Herleitung des Grundsatzes der Staatenimmunität s. oben 2. Kapitel: E.
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität59
Grundsatz der Staatenimmunität sichergestellt werden, dass die gegenseitig anerkannte Souveränität der Staaten nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass ein Staat den Gerichten eines anderen Staates unterworfen wird.254 In dieser Funktion stellt die Staatenimmunität ein Kernelement in den Beziehungen zwischen den Staaten, einen Eckpfeiler der internationalen (Rechts-)Ordnung dar.255 Auch der Internationale Gerichtshof hebt in seiner Entscheidung im Fall Jurisdictional Immunities die Bedeutung des Grundsatzes der Staatenimmunität im Völkerrecht sowie in den internationalen Beziehungen hervor.256 Im Zuge der Diskussionen um den Erlass des Justice Against State Sponsors of Terrorism Act betont auch die Delegation der Europäischen Union für die Vereinigten Staaten in einem Schreiben an den US-amerikanischen Präsidenten die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Staatenimmunität als Eckpfeiler der Völkerrechtsordnung.257 Durch die Wahrung der Souveränität und Unabhängigkeit der Staaten trägt der Grundsatz der Staatenimmunität zur Stabilität sowie Friedensförderung in den internationalen Beziehungen bei.258 Der kanadische Supreme Court beschreibt den Grundsatz der Staatenimmunität anschaulich als „the oil that allows for the smooth functioning of the machinery of international relations“.259 II. Rechtssicherheit in Zeiten wirtschaftlicher Integration Insbesondere in Zeiten der Globalisierung gewinnt der Grundsatz der Staatenimmunität an Bedeutung. So stellt die Staatenimmunität eine praktische 254 Doehring, Staatenimmunität dient dem Rechtsfrieden – Kriegsschäden- oder unrecht sind keine Angelegenheit nationaler Gerichte, FAZ, 11.09.2001 (Kopie beim Autor). 255 Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 1, 82. S. auch EGMR, 21.11.2001, Case of Al-Adsani v. The United Kingdom, Application no. 35763/97, para 54: „The Court considers that the grant of sovereign immunity to a State in civil proceedings pursues the legitimate aim of complying with international law to promote comity and good relations between States through the respect of another State’s sovereignty.“ Gleichsam: EGMR, 21.11.2001, Case of Fogarty v. The United Kingdom, Application no. 37112/97, para 34; EGMR, 21.11.2001, McElhinney v. Ireland, Application no. 31253/96, 123 ILR 73, 85. 256 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 57. 257 „State Immunity is a central pillar of the international legal order“, European Union, Delegation to the United States of America, Schreiben v. 19.09.2016, veröffentlicht von der Washington Post, 22.09.2016, abrufbar unter: https://www.washingtonpost. com/news/-powerpost/wpcontent/uploads/sites/47/2016/09/EU-onJASTA.pdf?tid=lk_ inline_manual-_3&itid=lk_inline_manual_3 (Stand: 14.05.2020). 258 Rensmann, IPRax 1999, 268 (271). 259 Supreme Court (CA), 10.10.2014, Kazemi (Estate) v. Islamic Republic of Iran, 2014 SCC 62, para 46.
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1. Teil: Grundlagen
Notwendigkeit für den zwischenstaatlichen Verkehr dar, da ein Staat sich mit seinen Organen, Unternehmen oder Vermögenswerten nicht auf das Territorium eines anderen Staates begeben würde, wenn er sich jederzeit der Gefahr eines Zugriffs auf sein Vermögen durch die Gerichte des Forumstaates ausgesetzt sehen müsste.260 Dies würde eine grenzüberschreitende Kooperation sowie Investitionen aufgrund der einhergehenden Rechtsunsicherheit langfristig erschweren.261 Die Warnungen Saudi-Arabiens im Zuge der Debatten über den Justice Against State Sponsors of Terrorism Act im US-Kongress lassen diese Funktion der Staatenimmunität erkennen. So kündigte der Außenminister Saudi-Arabiens für den Fall des Erlasses des Justice Against Sponsors of Terrorism Act an, dass sich Saudi-Arabien gezwungen sehe, die in den USA belegenen Vermögenswerte sowie Staatsanleihen in Höhe von bis zu 750 Mrd. USD zu veräußern, bevor diese durch amerikanische Gerichte eingefroren werden könnten.262 Hier zeigt sich die wirtschaftliche Dimension, die dem Grundsatz der Staatenimmunität zukommt. Dies gilt umso mehr mit Blick auf das heutige Zeitalter der Globalisierung, der Kooperation und Integration.263 III. Sicherung des Rechtsfriedens Eine weitere Funktion der Staatenimmunität liegt in der Sicherung des Rechtsfriedens im Verhältnis zweier Staaten.264 Rechtsfrieden ist dabei nicht aus Sicht der Kläger im Sinne einer juristischen Aufarbeitung von Unrecht zu verstehen, sondern vielmehr im Sinne eines „durch Recht vermittelten Zustands von Stabilität“265.266 Hier zeigt sich die Nähe der Staatenimmunität zu anderen prozessrechtlichen Instituten wie der Verjährung oder der mate riellen Präklusion, denen ebenfalls der Gedanke der (formellen) Rechts 260 von
Arnauld, Völkerrecht, § 4, Rn. 323. Dörr, AVR 2003, 201 (202). Arnauld, Völkerrecht, § 4, Rn. 323. 262 „Adel al-Jubeir, the Saudi foreign minister, delivered the kingdom’s message personally […] during a trip to Washington, telling lawmakers that Saudi Arabia would be forced to sell up to $750 billion in treasury securities and other assets in the United States before they could be in danger of being frozen by American courts.“, Mazetti, Saudi Arabia Warns of Economic Fallout if Congress Passes 9/11 Bill, New York Times, 15.04.2016, abrufbar unter: https://nyti.ms/2k2pmfb (Stand: 14.05.2020). 263 So auch Dörr, AVR 2003, 201 (202). 264 So Doehring, Staatenimmunität dient dem Rechtsfrieden – Kriegsschäden oder -unrecht sind keine Angelegenheit nationaler Gerichte, FAZ, 11.09.2001 (Kopie beim Autor). 265 von Arnauld, Rechtssicherheit, S. 111. 266 Krieger, in: Internationales, nationales und privates Recht: Hybridisierung der Rechtsordnungen?: Immunität, S. 252. 261 von
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität61
sicherheit und des Rechtsfrieden zugrunde liegt.267 Die Staatenimmunität dient dabei jedenfalls dann dem Rechtsfrieden im Verhältnis zweier Staaten, wenn etwaige Entschädigungsforderungen seitens der Opfer bereits durch zwischenstaatliche Verhandlungen einem abschließenden Ausgleich zugeführt worden sind.268 Klagen von Opfern vor nationalen Gerichten über die staatlich vereinbarten Reparationen hinaus, die mitunter erst Jahrzehnte nach der eigentlichen Unrechtsbegehung erhoben werden, würden diesen zwischenstaatlich gefundenen Ausgleich unterlaufen, wenn die Immunität des beklagten Staates eine Klage nicht ausschließen würde.269 Ein einmal gefundener Ausgleich und damit einkehrende Stabilität in den Beziehungen der beteiligten Staaten, ja sogar ein möglicher endgültiger Friedenszustand,270 kann somit durch den Grundsatz der Staatenimmunität gesichert werden. IV. Funktionsfähigkeit des Staates Die Staatenimmunität im weiteren Sinne, das heißt in der Zusammenschau mit der Immunität von Staatsoberhäuptern und staatlichen Funktionsträgern, deren Immunität Ausfluss der Staatenimmunität ist,271 dient zum einen der effektiven Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben im Rahmen der internatio nalen Beziehungen.272 Zum anderen dient die Staatenimmunität auch dem Schutz hoheitlicher Funktionen als solcher, indem grundsätzlich hoheitliches 267 Krieger, in: Internationales, nationales und privates Recht: Hybridisierung der Rechtsordnungen?: Immunität, S. 253. 268 Doehring, Staatenimmunität dient dem Rechtsfrieden – Kriegsschäden oder -unrecht sind keine Angelegenheit nationaler Gerichte, FAZ, 11.09.2001 (Kopie beim Autor). 269 Doehring, Staatenimmunität dient dem Rechtsfrieden – Kriegsschäden oder -unrecht sind keine Angelegenheit nationaler Gerichte, FAZ, 11.09.2001 (Kopie beim Autor). Doehring bezieht sich hier als Beispiel auf eine Klage griechischer Opfer und Hinterbliebener des Massakers von Distomo vor dem dem griechischen Aeropag gegen die BRD, Areios Pagos (GR), 04.05.2000, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany (Distomo Massacre Case), 129 ILR 513, s. zu dem Streit zwischen Griechenland und Deutschland auch Güler/Martens/PillerNeuscheler, Griechische Pfändungsdrohung: Der Streit um das Distomo-Massaker, 11.03.2015, FAZ, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/-wirtschaft/konjunktur/-griechenland/gerichtsprozes se-um-das-massaker-von-distomo-13476816.html (Stand: 14.05.2020). 270 Doehring, Staatenimmunität dient dem Rechtsfrieden – Kriegsschäden oder -unrecht sind keine Angelegenheit nationaler Gerichte, FAZ, 11.09.2001 (Kopie beim Autor). 271 von Arnauld, Völkerrecht, § 4, Rn. 327; Epping, in: Ipsen/Heintschel von Hei negg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7, Rn. 286; Herdegen, Völkerrecht, § 37, Rn. 3. 272 Krieger, in: Internationales, nationales und privates Recht: Hybridisierung der Rechtsordnungen?: Immunität, S. 245.
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1. Teil: Grundlagen
Handeln der Gerichtsbarkeit und somit einer Beurteilung durch fremde Staaten entzogen wird.273 Daneben können eine Vielzahl hoher Schadensersatzforderungen die Funktionsfähigkeit beziehungsweise die Wiedererlangung der Funktionsfähigkeit eines Staates gerade dann beeinträchtigen, wenn sich dieser, etwa nach einem langwierigen Krieg, in einer dramatisch wirtschaftlichen Situation befindet.274 Auch hier schützt der Grundsatz der Staatenimmunität die Funktionsfähigkeit eines Staates. So kann dem Staat zunächst die Möglichkeit gegeben werden, den Wiederaufbau voranzutreiben und die Funktionsfähigkeit wiederzuerlangen. In einem Zustand der staatlichen Stabilität kann sodann umfassend die Wiedergutmachung und Entschädigung durch den Staat im Rahmen zwischenstaatlicher Verträge über die Wiedergutmachung begangenen Unrechts adressiert werden.275 V. Zuständigkeitsabgrenzungskriterium Schließlich dient die Staatenimmunität als prozessrechtliche Regelung faktisch der Abgrenzung von gerichtlichen Zuständigkeiten.276 Auch wenn die Frage der Zuständigkeit (jurisdiction) des Gerichts der Frage der Immunität grundsätzlich vorgeht,277 hat das Gericht von der Ausübung der Zuständigkeit abzusehen, wenn die Immunität des fremden Staates zu bejahen ist. Die Staatenimmunität ist in diesem Fall „a signal to the forum court that jurisdiction belongs to another court or method of adjudication“.278 Da die Bejahung der Staatenimmunität durch das Gericht die Unzulässigkeit der Klage begründet, kann der Grundsatz der Staatenimmunität strenggenommen als negatives Zuständigkeitsabgrenzungskriterium qualifiziert werden.279
273 Schaumann,
in: BerDGVR 8 (1968), S. 64. hierzu Zimmermann, Mich. J. Int’l L. 1994, 433 (434); Tomuschat, in: Randelzhofer/Tomuschat, State responsibility and the individual, S. 23. 275 Vgl. etwa die Regelungen der Bundesrepublik Deutschland zur Kompensation der Opfer des Nationalsozialismus, zusammengefasst in: Bericht der Bundesregierung über Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht sowie über die Lage der Sinti, Roma und verwandter Gruppen, Deutscher Bundestag, 10. Wahlperiode, Drucksache 10/6287, 31.10.1986. 276 Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 62 ff. 277 S. hierzu ausführlich 5. Kapitel: A.II., B.I.3. 278 Fox/Webb, State Immunity, S. 27. 279 Hafner, in: Internationales, nationales und privates Recht: Hybridisierung der Rechtsordnungen?: Immunität, S. 293. 274 S.
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität63
G. Historische Entwicklung und Reichweite der Staatenimmunität Neben der Herleitung der Staatenimmunität ist die historische Entwicklung und die Reichweite des Grundsatzes der Staatenimmunität für eine Einordnung der Immunitätsausnahme im Falle des staatlich geförderten Terrorismus näher zu betrachten.280 Dass sich die Staatenimmunität von einem absoluten hin zu einem restriktiven Verständnis gewandelt hat, ist mittlerweile unbestritten. Interessant ist dabei jedoch insbesondere, wie und aus welchen Gründen sich dieser Wandel vollzogen hat. Für die nähere Betrachtung der historischen Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität wird zunächst der Weg vom absoluten hin zum restriktiven Grundsatz der Staaten immunität nachgezeichnet. Sodann wird die gegenwärtige Reichweite der Staatenimmunität betrachtet. Abschließend erfolgt eine Bewertung der historischen Entwicklung und Reichweite des Grundsatzes der Staatenimmunität. I. Zeitalter der absoluten Immunität Ausgangspunkt der Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität ist die absolute Immunität eines Staates von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates.281 Nach dem Grundsatz der absoluten Staatenimmunität ist ein Staat von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates gänzlich ausgenommen, es sei denn, er unterwirft sich freiwillig der Gerichtsbarkeit eines fremden Staates.282 Der Grundsatz der absoluten Immunität fremder Staaten vor nationalen Gerichten entwickelte sich in der gerichtlichen Praxis des 19. Jahrhunderts und stellte zu dieser Zeit die vorherrschende Position der Staaten dar.283 Er entwickelte sich zu einer Zeit, in der die Aktivitäten eines Staates in der Regel auf traditionell hoheitliches Handeln beschränkt waren und eine Differenzierung zwischen hoheitlichem und nicht hoheitlichem Handeln weniger offensichtlich war.284 Auch die Präsenz eines Staates auf dem Territorium eines anderen Staates war in der Regel auf einige wenige diplomatische oder militärische Missionen beschränkt, die ihrer Natur nach ebenfalls hoheitlich
280 Im Folgenden wird nur auf die historische Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren eingegangen. Zur historischen Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren s. unten 7. Kapitel: A.1. 281 Anders: Alebeek, The immunity of states, S. 46; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 22 f. 282 Yang, State Immunity, S. 7. 283 Sucharitkul, RdC 1976, 87 (207); Yang, State Immunity, S. 7. 284 Yang, State Immunity, S. 8.
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1. Teil: Grundlagen
waren.285 Im 19. Jahrhundert war staatliches Handeln somit gleichsetzbar mit hoheitlichem, souveränem Handeln.286 Über die Immunität eines fremden Staates entscheidet erstmals im Jahre 1812 der U.S. Supreme Court in dem prominenten Fall The Schooner Exchange.287 Chief Justice Marshall selbst beschreibt in diesem Urteil, dass er einen „unbeaten path“ beschreite.288 Er kommt zu dem Schluss, dass ein Schiff eines fremden Staates, das im staatlichen Auftrag fährt, absolute Immunität vor den US-amerikanischen Gerichten genieße und nicht gepfändet werden könne.289 Das Urteil im Fall The Schooner Exchange bildet in den USA, England und weiteren common law Staaten die Grundlage einer allgemeinen Regel absoluter Staatenimmunität.290 Im Jahr 1880 formuliert der englische Court of Appeals erstmals für die englischen Gerichte unter Bezugnahme auf The Schooner Exchange eine Regel der absoluten Staatenimmunität.291 In Frankreich ist die Rechtsprechung, welche die Linie der absoluten Immunität vertritt, bis in das Jahr 1849 zurückverfolgbar.292 Die ersten Fälle zur Staatenimmunität beschäftigen sich, den historischen Umständen entsprechend, mit der Immunität des Staates für hoheitliche Akte. Dies veranlasste Stimmen im Schrifttum zu spekulieren, ob Gerichte zu dieser Zeit dem fremden Staat auch dann Immunität gewährt hätten, wenn Gegenstand der Klagen eine handelstreibende Tätigkeit des Staates gewesen wäre.293 Die Gerichte der Staaten weisen jedoch auch in dieser Frage Anfang des 20. Jahrhunderts den Weg. So entschieden Gerichte auch in der Anfangsphase zunehmender wirtschaftlicher Aktivität des Staates, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates sowie privatwirtschaftlichen Zwecken dienendes Eigentum absolute
285 Yang,
State Immunity, S. 8. State Immunity, S. 8. 287 Supreme Court, 24.02.1812, The Schooner Exchange v. McFaddon, 7 Cranch 116. 288 Supreme Court, 24.02.1812, The Schooner Exchange v. McFaddon, 7 Cranch 116, 136. 289 Supreme Court, 24.02.1812, The Schooner Exchange v. McFaddon, 7 Cranch 116, 147. 290 Fox/Webb, State Immunity, S. 136. 291 Court of Appeal (UK), 27.02.1880, The Parlement Belge, 5 P.D. 197. Ausführlich zur frühen englischen Praxis s. Sucharitkul, RdC 1976, 87 (162–182). 292 Cour de Cassation, 22.01.1849, Gouvernement espagnol v. Cassaux, Sirey, 1849 I, 81; s. hierzu Sucharitkul, State Immunities and Trading Activities, S. 207. Eine ausführliche Darstellung der frühen französischen Spruchpraxis findet sich in Allen, The position of foreign states before national courts, S. 149–185; Sucharitkul, State Immunities and Trading Activities, S. 202–209. 293 Badr, State immunity, S. 13; Fox/Webb, State Immunity, S. 136; Sinclair, RdC 1980, 113 (122). 286 Yang,
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität65
Immunität genießen.294 Der englische Court of Appeal im Falle Porto Ale xandre entschied etwa, dass ein im staatlichen Eigentum stehendes Schiff, ungeachtet einer rein handelstreibenden Tätigkeit absolute Immunität genieße.295 Dieser Auffassung folgen britische Gerichte beinahe ein ganzes Jahrhundert. Auch das deutsche Reichsgericht vertritt in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 1905 die unbeschränkte Immunität fremder Staaten auch bei privatrechtlichen Ansprüchen.296 Spätestens zu diesem Zeitpunkt keimt der Grundsatz der absoluten Immunität unter Zugrundelegung der heute gängigen Differenzierung zwischen hoheitlichem und nicht hoheitlichem Handeln in der Staatenpraxis auf. Der Grundsatz der absoluten Immunität entspringt einer Zeit, in der die Aktivitäten eines Staates auf tradi tionell hoheitliches Handeln beschränkt waren. Er setzt sich jedoch darüber hinaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Zeit fort, in der die Rolle des Staates als privatwirtschaftlichem Akteur aufkeimt und wird von Gerichten auch auf handelstreibende Aktivitäten des Staates erstreckt. II. Genese der restriktiven Immunität Der Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität unterscheidet zwischen acta iure imperii, hoheitlichen Akten, für die ein Staat Immunität vor den Gerichten anderer Staaten genießt, und acta iure gestionis, nicht hoheitlichen, wirtschaftlichen Akten des Staates, die nicht der Staatenimmunität unterfallen sollen. Die Entstehung des Grundsatzes der restriktiven Staatenimmunität ist eng verknüpft mit der zunehmenden privatwirtschaftlichen Betätigung des Staates und der Ausweitung des staatlichen Handels ab dem Ende des 19. Jahrhunderts.297 Mit der wachsenden Rolle des Staates als wirtschaftlichem Akteur setzt sich langsam in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft der 294 Supreme Court, 07.06.1926, Berizzi Bros. Co. v. The Pesaro, 271 U.S. 562, 574: „The decision in The Exchange therefore cannot be taken as excluding merchant ships held and used by a government from the principles there announced. On the contrary, if such ships come within those principles, they must be held to have the same immunity as war ships […].“; RGZ, 62, 165, 166 f.; Court of Appeal (UK), 10.11.1919, The Porto Alexandre, [1920] P.D. 30, 34 f.; Supreme Court, 21.01.1938, The Navemar, 303 U.S. 68, 74; House of Lords (UK), 03.03.1938, Compania Naviera Vascongada v The Christina, [1938] AC 485, 490. 295 Court of Appeal (UK), 10.11.1919, The Porto Alexandre, [1920] P.D. 30, 34 f. 296 Vgl. RGZ 62, 165, 166 f.; s. auch Court of Appeal (UK), 10.11.1919, The Porto Alexandre, [1920] P.D. 30, 34 ff.; Supreme Court, 07.06.1926, Berizzi Brothers Co. v. Steamship Pesaro, 271 U.S. 562, 574. 297 Sucharitkul, RdC 1976, 87 (207); Yang, State Immunity, S. 19 ff.; BVerfGE 16, 27, 34.
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1. Teil: Grundlagen
Gedanke durch, dass „once the sovereign has descended into the market place he can no longer invoke sovereign immunity.“298 Der Ansatz, zwischen einer hoheitlichen und einer privatwirtschaftlichen Betätigung des Staates bei der Gewährung von Immunität zu unterscheiden, wurde erstmals von italienischen und belgischen Gerichten Ende des 19. Jahrhunderts verfolgt.299 Bereits im Jahre 1886 unterscheidet der italienische Kassationshof in Florenz zwischen dem Staat als politischer Einheit („ente politico“) und dem Staat als Zivilperson („ente civile“).300 Er gewährt dem beklagten Staat lediglich für die Ausübung hoheitlicher Gewalt Immunität von der italienischen Gerichtsbarkeit.301 In Belgien wird der Grundsatz der restriktiven Immunität erstmals im Jahre 1879 durch den Appellationsgerichtshof in Gent angewandt302 und festigt sich schließlich im Jahre 1903 als herrschende Ansicht durch Entscheidung des belgischen Kassationshofs.303 Italienische und belgische Gerichte setzten sich mit ihrer Rechtsprechung in Widerspruch zu dem zu dieser Zeit von den Staaten in ihrer Gesamtheit verfolgten Grundsatz der absoluten Staatenimmunität. Sie bekleideten eine Vorreiterrolle in der Beschränkung der Staatenimmunität. Die Entscheidungen der belgischen und italienischen Gerichte sollten in den darauffolgenden Jahren Gerichte anderer Staaten in ihrer Entscheidungsfindung maßgeblich beeinflussen. So folgte das Schweizer Bundesgericht dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität unter Bezugnahme auf die frühe Rechtsprechung Italiens und Belgiens im Jahre 1918.304 Die griechischen Gerichte schlossen sich dem restriktiven Grundsatz der Staatenimmunität im Jahr 1928 an.305 298 Queen’s Bench Division (UK), 28.01.1977, I Congreso del Partido, [1978] Q.B. 500, 525. 299 BVerfGE 16, 27, 36; ausführlich zur frühen belgischen und italienischen Spruchpraxis Allen, The position of foreign states before national courts, S. 187–264; Sucharitkul, State Immunities and Trading Activities, S. 233–251. 300 Corte di Cassazione di Firenze (IT), 25.07.1886, Guttieres c. Elmilik, 26 AJIL Sup 1932, 622. 301 Corte di Cassazione di Firenze (IT), 25.07.1886, Guttieres c. Elmilik, 26 AJIL Sup 1932, 622 f.; s. hierzu BVerfGE 16, 27, 36; s. m. w. N. zur frühen italienischen Spruchpraxis Yang, State Immunity, S. 14. 302 Ostend Tribunal de Commerce (BE), 14.03.1879, Rau, Vanden Abeele et Cie c. Duruty, 26 AJIL Sup. 1932, 612 f.; hierzu BVerfGE 16, 27, 37 f.; Allen, The position of foreign states before national courts, S. 195. 303 Cour de Cassation (BE), 11.06.1903, Société anonyme Compagnie des chemins de fer Liégeois Limbourgeois c. Etat Néerlandais (Ministre du Waterstaat), 31 Clunet (1904), 417: „[L]es États étrangers sont, en tant que personnes civiles et au même titre que les autres étrangers justiciables des tribunaux belges.“; Yang, State Immunity, S. 13. 304 Bundesgericht (CH), 13.03.1918, K. k. Oesterreich. Finanzministerium g. Dreyfus, BGE 44 I 49, 55 f. 305 Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (256).
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität67
Auch Ägypten zählt zu einem der ersten Staaten, dessen Gerichte die Gewährung von Immunität für nicht hoheitliches Handeln eines fremden Staates ablehnten.306 Die österreichischen Gerichte vertraten erstmals zwischen 1907 und 1926 die Lehre der restriktiven Staatenimmunität, kehrten dann jedoch zunächst zur Lehre der absoluten Staatenimmunität zurück, bis sich der Oberste Gerichtshof im Jahr 1950 im Fall Dralle endgültig der restriktiven Theorie anschloss.307 Auch französische Gerichte wandten sich ab der Zeit nach dem ersten Weltkrieg allmählich der restriktiven Immunität zu,308 welche letztlich vom Cour de Cassation im Jahre 1969 als herrschende Lehre adaptiert wurde.309 Die US-amerikanische Praxis verfolgte seit dem prominenten Tate Letter im Jahre 1952 den Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität. In diesem Brief an den Generalstaatsanwalt erklärt der amtierende Rechtsberater des Außenministeriums Jack B. Tate, dass das Außenministerium künftig bei der Entscheidung über die Immunität eines fremden Staates dem Grundsatz der restriktiven Immunität folgen werde.310 Endgültig gefestigt wurde der Grundsatz der restriktiven Immunität in den USA schließlich durch Erlass des Foreign Sovereign Immunities Act im Jahre 1976.311 In Deutschland hielten die Gerichte bis 1945 an dem Grundsatz der absoluten Staatenimmunität fest.312 Ab der Zeit nach dem ersten Weltkrieg lässt sich eine Tendenz feststellen, nach der die Gerichte bei privatrechtlichen Ansprüchen die Immunität des Staates einschränken.313 Im Jahr 1963 kommt das Bundesverfassungsgericht nach einer umfassenden Würdigung der Rechtsprechung verschiedenster Staaten, auf internationaler Ebene bestehender vertraglicher Regelungen, Kodifikationsbemühungen und der Völkerrechtslehre zu dem Schluss, dass 306 M. w. N. zur Rechtsprechung der bis 1949 bestehenden gemischten Gerichte Ägyptens Fox/Webb, State Immunity, S. 155 f.; Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (255 f.). 307 Oberster Gerichtshof (AT), 10.05.1950, Hoffmann g. Dralle, 23 OGH SZ 304 (m. w. N. zur Praxis österreichischer Gerichte bis 1950). 308 Zur französischen Spruchpraxis nach dem ersten Weltkrieg s. BVerfGE 16, 27, 47 f.; Allen, The position of foreign states before national courts, S. 171 ff.; Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (260 ff.); Yang, State Immunity, S. 115. 309 Cour de Cassation (FR), 25.02.1969, Administration des Chemins de Fer du Gouvernement Iranien v. Société Levant Express Transport, 52 ILR 315. 310 Jack B. Tate (Secretary of State – Acting Legal Adviser), Letter to the Attorney General, Changed Policy Concerning the Granting of Sovereign Immunity to Foreign Governments, 19.05.1952, 26 Dep’t St. Bull. 984 f., abrufbar unter: https://archive. org/details/department-ofstatx2652unit/page/984 (Stand: 14.05.2020). S. hierzu ausführlich 6. Kapitel: A.I.1. 311 PL 94-583, 90 Stat. 2891. 312 S. m. w. N. zur Rechtsprechung BVerfGE 16, 27, 34 f.; Yang, State Immunity, S. 17. 313 S. m. w. N. zur Rechtsprechung BVerfGE 16, 27, 35 f.
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1. Teil: Grundlagen
„die unbeschränkte Staatenimmunität nicht mehr als Regel des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden kann“.314 Seitdem folgt auch die deutsche Rechtsprechung dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität. Während sich eine nicht unbeachtliche Anzahl von Staaten bis Mitte des 20. Jahrhunderts der Lehre der restriktiven Staatenimmunität angeschlossen haben, gehörten die englischen Gerichte bis 1975 weiterhin zu den Verfechtern einer absoluten Staatenimmunität,315 obgleich englische Gerichte bereits Ende des 19. Jahrhunderts erste Zweifel an der absoluten Staatenimmunität hegten.316 Die Unterzeichnung des Europäischen Übereinkommens zur Staatenimmunität im Jahr 1972 bildete schließlich, wenngleich die Ratifikation erst 1979 erfolgte, für die englischen Gerichte den entscheidenden Impetus, dem Grundsatz der restriktiven Immunität zu folgen.317 Unter Bezugnahme auf das Europäische Übereinkommen zur Staatenimmunität sowie der Staatenpraxis folgten die Richter erstmals in den Fällen The Philippine Admiral318 sowie Trendtex319 dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität. Mit dem Erlass des State Immunity Act im Jahre 1978 wurde schließlich der Grundsatz der restriktiven Immunität für England kodifiziert.320 Neben den bereits genannten Staaten folgten ab Mitte des 20. Jahrhunderts darüber hi naus weitere Staaten sukzessive dem Grundsatz der restriktiven Immunität: Die Philippinen im Jahre 1958, die Niederlande 1973, Südafrika und Singapur 1979, Pakistan 1981, Kanada und Dänemark 1982, Zimbabwe 1983, Australien 1985, Indien und Spanien 1986, Brasilien 1989, Malaysia 1990, Irland 1992, Norwegen 1992, Argentinien 1994, Israel 1997 und Litauen 314 BVerfGE
16, 27, 60 f. 1975 it would have been true to say that England, almost alone of influential trading nations continued to adhere to a pure, absolute, doctrine of state immunity in all cases.“, House of Lords (UK), 16.07.1981, I Congreso del Partido, [1983] 1 AC 244, 261. 316 „No principle of international law, and no decided case, and no dictum of jurists of which I am aware, has gone so far as to authorize a sovereign prince to assume the character of a trader, when it is for his benefit; and when he incurs an obligation to a private subject to throw off, if I may so speak, his disguise, and appear as a sovereign, claiming for his own benefit, and to the injury of a private person, for the first time, all the attributes of his character“, High Court of Admiralty (UK), 07.05.1873, The Charkieh, [1872–75] L.R. 4 A. & E. 59, 100; hierzu m. w. N. zur englischen Rechtsprechung Fox/Webb, State Immunity, S. 141 ff.; Yang, State Immunity, S. 19. 317 Yang, State Immunity, S. 18. 318 Privy Council UK), 05.11.1975, The Philippine Admiral v. Wallem Shipping (Hong Kong) Ltd., 64 ILR 90. 319 Court of Appeal (UK), 13.01.1977, Trendtex Trading Corporation v. Central Bank of Nigeria, [1977] Q.B. 529, 556 ff. 320 State Immunity Act, 1978 c. 33. S. hierzu auch Badr, State immunity, S. 46 ff. 315 „Until
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität69
1998.321 Erst im Jahr 2002 schließt sich Portugal dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität an.322 Schweden hält an dem Grundsatz der absoluten Staatenimmunität sogar bis zum Jahr 2009 fest, als der oberste Gerichtshof Schwedens in seiner Entscheidung erstmalig dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität folgt.323 Russland gehörte nach dem Verfall der Sowjetunion zunächst zu den Vertretern einer absoluten Staatenimmunität.324 Mittlerweile folgt jedoch auch Russland dem Grundsatz der restriktiven Staa tenimmunität. Während die gesetzliche Lage dabei nicht immer eindeutig war,325 so kodifiziert jedoch das am 01.01.2016 in Kraft getretene Gesetz über die Immunität fremder Staaten den Grundsatz der restriktiven Immunität.326 Auch Japan gehörte lange zu den Vertretern des Grundsatzes der absoluten Staatenimmunität. Im Jahr 2006 folgte der oberste Gerichtshof Japans 321 S. hierzu mit den entsprechenden Nachweisen zur Praxis der einzelnen Staaten Yang, State Immunity, S. 18. Die Aufzählung der Staaten ist nicht abschließend. S. zur Einführung der restriktiven Immunität in weiteren Staaten Fox/Webb, State Immunity, S. 149. 322 Supremo Tribunal de Justiça (PT), 13.11.2002, X v. Israel, 127 ILR 310; s. hierzu Yang, State Immunity, S. 18. 323 Mahmoudi, in: Boschiero/Scovazzi/Pitea/Ragni, S. 79 ff. inbes. 82 ff. 324 Fox/Webb, State Immunity, S. 161. 325 S. hierzu Fox/Webb, State Immunity, S. 161 f. 326 Law on Jurisdictional Immunity of a Foreign State and a Foreign State’s Property in the Russian Federation, Bundesgesetz No. 297-FZ, abrufbar unter http://pravo. gov.ru/proxy/ips-/?docbody=&nd=102381335&ИÐ%C2%9DТЕÐ%E2%80% BAСЕР%C2 %90Ð%C2 %A0ЦХ= (Stand: 14.05.2020); s. hierzu Rogozina, New Rules on Jurisdictional Immunities of States in Russian Courts, CIS Arbitration Forum, 13.11.2015, abrufbar unter: http://www.cisarbitration.com/2015/11/13/newrules-on-jurisdictional-immunities-of-states-in-russian-courts/ (Stand: 14.05.2020); Roudik, Laws Lifting Sovereign Immunity: Russia, The Library of Congress, abrufbar unter: https://www.loc.gov/law/help/sovereign-immunity/russia.php (Stand: 14.05. 2020). S. zur Geltung der restriktiven Staatenimmunität im russischen Recht bereits vor Erlass des Bundesgesetz No. 297-FZ: EGMR, 14.03.2013, Oleynikov v. Russia, Application no. 36703/04, para 67: „Moreover, even prior to Russia’s signing the convention, it appears that it accepted restrictive immunity as a principle of customary international law. In particular, the President of Russia on two occasions, in the Opinion of 13 May 1998 and the Letter of 23 June 1999, clearly stated that restrictive immunity constituted a customary norm of international law, whereas the principle of absolute immunity was obsolete. In addition, the two highest judicial authorities, the Constitutional Court and the Supreme Commercial Court, also pronounced on the issue of State immunity. Whereas in the ruling of 2 November 2000 the Constitutional Court stated that a formalistic application of Article 435(1) of the Code of Civil Procedure 1964 would lead to an inadmissible limitation of the right to judicial defence and instructed the courts to investigate the possibility of there having been an implied waiver of immunity by the foreign State, in the Information Letter of 18 January 2001 the Supreme Commercial Court unequivocally instructed the lower courts to apply restrictive immunity, despite absolute immunity being the rule under the 1995 Code of Commercial Procedure then in force. Furthermore, Article 251 of the
70
1. Teil: Grundlagen
erstmals dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität.327 Im Jahr 2007 unterzeichnet Japan die UNCJIS, welche es schließlich im Jahr 2010 ratifiziert.328 Die Volksrepublik China hingegen gilt bis heute als eine der stärksten Verfechter der absoluten Staatenimmunität.329 Offen bleibt bisher, ob sich mit der Unterzeichnung der UNCJIS im Jahr 2005 sowie der zunehmenden wirtschaftlichen Integration Chinas langfristig ein Wandel der Position Chinas abzeichnen wird.330 III. Reichweite der Staatenimmunität Basierend auf der historischen Entwicklung des Grundsatzes der Staaten immunität soll im Folgenden die gegenwärtige Reichweite der Staatenimmunität in groben Zügen skizziert werden.331 Während im Detail die Reichweite der Staatenimmunität äußerst umstritten ist,332 so lassen sich dennoch Grundfeste der Staatenimmunität festhalten, nämlich die Beschränkung der Immunität eines Staates, wenn dieser seiner Immunitätsbeschränkung zustimmt oder aber die Beschränkung der Staatenimmunität im Falle privatwirtschaftlichen Handelns des Staates. Die Terrorismusausnahme zur Staa tenimmunität stellt dabei neben der Deliktsausnahme333 sowie der Ausnahme zur Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletnew Code of Commercial Procedure adopted in 2002 provided for restrictive immunity to be applied in proceedings before the commercial courts.“ 327 Saikõ Saibansho (Oberster Gerichtshof Japan), 21.07.2006, Case No. 1231 [2003], 1416 SAIBANSHO JIHÕ; s. Jones, AJIL 2006, 908 (908 ff.). 328 Hierzu Fox/Webb, State Immunity, S. 165. 329 Fox/Webb, State Immunity, S. 164, 166; Qi, Chinese JIL 2008, 307 (315). 330 So Qi, 7 Chinese JIL 2008, 307 (320 ff.). Aber s. die Erklärung des Beauftragten des chinesischen Außenministeriums Chinas zur absoluten Immunität Chinas im Zusammenhang mit dem Fall FG Hemisphere v. Congo, zitiert bei Fox/Webb, State Immunity, S. 164: „The consistent and principled position of China is that a state and its property shall, in foreign courts, enjoy absolute immunity, including absolute immunity from jurisdiction and from execution, and has never applied the so-called principle of ‚restrictive immunity‘ “. 331 Im Folgenden sollen die für die vorliegende Arbeit relevanten Ausnahmen skiziiert werden. Eine nähere Darstellung der Beschränkung der Staatenimmunität bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, der Immunität eines Staates im Zusammenhang mit dinglichen Verfahren wegen im Forumstaat belegener Immobiliargüter sowie in Verfahren um Staatsschiffe erfolgt an dieser Stelle daher nicht. 332 „State immunity is […] as full of holes as swiss cheese.“, IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening) (Dissenting Opinion of Judge Yusuf), I.C.J. Rep. 2012, 291, para 26. 333 S. hierzu ausführlich sogleich 4. Kapitel.
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität71
zungen334 eine Abkehr von den völkerrechtlich anerkannten Ausnahmen zur Staatenimmunität dar. 1. Zustimmung des Staates
Eine bereits zu Zeiten der absoluten Immunität stets bestehende, mögliche Beschränkung der Staatenimmunität liegt in der Zustimmung des fremden Staates, durch die er sich der Gerichtsbarkeit des Forumstaates freiwillig unterwirft. Ein Staat kann auf seine Immunität im Erkenntnis- oder Vollstreckungsverfahren ausdrücklich verzichten (sog. waiver).335 Der Verzicht auf die Immunität kann dabei im Rahmen einer konkreten Streitigkeit ad hoc erfolgen oder aber im Vorhinein bezüglich möglicher Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis generell erteilt werden.336 Daneben ist auch ein impliziter Verzicht auf die Staatenimmunität grundsätzlich möglich.337 Ein impliziter Verzicht auf die Immunität des fremden Staates wird etwa bei der Einleitung eines Gerichtsverfahrens durch den fremden Staat selbst,338 der Nebenintervention,339 oder aber der rügelosen Einlassung des Staates zur Hauptsache bei Kenntnis der Umstände, die seine Immunität begründen würden, angenommen340. Daneben wird auch das Erheben einer (konnexen) Widerklage als Verzicht auf die Staatenimmunität gewertet.341 Umstritten und abhängig vom konkreten Einzelfall ist der implizite Immunitätsverzicht durch eine Schiedsvereinbarung.342 2. Acta iure gestionis Ausnahme
Neben der stets bestehenden Möglichkeit, die Staatenimmunität im Falle der Zustimmung des fremden Staates zu beschränken, ist heute allgemein 334 S. 335 S.
(1).
hierzu ausführlich sogleich 3. Kapitel. etwa Art. 2 ECSI; Art. 7 UNCJIS; § 2 (1), (2) SIA (UK); 28 U.S.C. § 1605(a)
336 Fox/Webb,
State Immunity, S. 377. den Wortlaut des 28 U.S.C. § 1605(a)(1); ausführlich Fox/Webb, State Immunity, S. 385 ff.; Yang, State Immunity, S. 316 ff. 338 Art. 1 Abs. 1 ECSI, Art. 8 Abs. 1 (a) UNCJIS, Art. 7 (a) OAS Draft Convention, Art. III (A) (2) (a) ILA Draft Convention. 339 Art. 1 Abs. 1 ECSI, Art. 8 Abs. 1 (b) UNCJIS, Art. 7 (c) OAS Draft Convention, Art. III (A) (2) (a) ILA Draft Convention. 340 Art. 3 ECSI, Art. 8 Abs. 1 (b) UNCJIS, Art. 7 (b) OAS Draft Convention, Art. III (A) (2) (a) ILA Draft Convention. 341 Art. 1 Abs. 3 ECSI, Art. 9 Abs. 3 UNCJIS, Art. 7 (c) OAS Draft Convention. S. ausführlich Fox/Webb, State Immunity, S. 391 f. 342 Hierzu Fox/Webb, State Immunity, S. 392 ff. 337 S. etwa
72
1. Teil: Grundlagen
anerkannt, dass die Staatenimmunität für nicht hoheitliche Handlungen (acta iure gestionis) beschränkt werden kann. Für hoheitliches Handeln (acta iure imperii) genießt ein Staat grundsätzlich weiterhin absolute Staatenimmunität.343 Während über die Beschränkung der Staatenimmunität für nicht hoheitliches Handeln eines Staates im Grunde nach Einigkeit besteht, so besteht hinsichtlich der Einzelheiten dieser Ausnahme umso mehr Dissens in der Staatenwelt. Bereits die Abgrenzung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis wird dabei von den Staaten unterschiedlich vorgenommen. Während ein überwiegender Teil der Staatenwelt, darunter auch Deutschland, die Abgrenzung zwischen hoheitlichem und nicht hoheitlichem Handeln anhand der Natur der Handlung vornimmt,344 beziehen Teile der Staatenwelt bis heute den Zweck der Handlung in die Bestimmung der immunen Handlung mit ein.345 Die Abgrenzung anhand des Zwecks der Handlung führt regelmäßig zu einem größeren Schutz des fremden Staates, da, in den Worten des Bundesverfassungsgerichts „letztlich […] die Tätigkeit des Staates, wenn nicht insgesamt, so doch zum weitaus größten Teil hoheitlichen Zwecken und Aufgaben dienen und mit ihnen in einem immer noch erkennbaren Zusammenhang stehen [wird].“346 Dass Staaten teilweise anhand der Natur der Handlung, teilweise anhand des Zwecks der Handlung die Immunitätsbestimmung vornehmen, kann dazu führen, dass ein Staat für ein und dieselbe Tätigkeit in einem Staat Immunität genießt, in einem anderen jedoch nicht. Hinzu tritt, dass das Völkerrecht nur in groben Zügen Kriterien für die Bestimmung des Vorliegens einer hoheitlichen Handlung bereithält.347 Hierunter fallen offensichtlich staatliche Handlungen wie solche der Polizei oder des Militärs. Lässt sich nicht bereits anhand völkerrechtlicher Kriterien bestimmen, ob eine hoheitliche Handlung des Staates vorliegt, so ist eine Qualifizierung der Handlung nach dem jeweiligen nationalen Recht (lex fori) des 343 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 61; hinsichtlich hoheitlicher, deliktischer Handlungen s. sogleich 4. Kapitel. 344 BVerfGE 16, 27, 62. S. auch 28 U.S.C. § 1603(d); Fox/Webb, State Immunity, S. 411 f.; Yang, State Immunity, S. 85 ff. 345 S. hierzu die Praxis Kanadas, Italiens und Argentiniens sowie die ambivalente Praxis Frankreichs bei Yang, State Immunity, S. 98 ff. Selbst in Art. 2 (2) der UNCJIS wird der Zweck der Handlung als subsidiäres Kriterium zur Bestimmung der immunen Handlung herangezogen: „In determining whether a contract or transaction is a „commercial transaction“ under paragraph 1 (c), reference should be made primari ly to the nature of the contract or transaction, but its purpose should also be taken into account if the parties to the contract or transaction have so agreed, or if, in the practice of the State of the forum, that purpose is relevant to determining the noncommercial character of the contract or transaction.“ 346 BVerfGE 16, 27, 61. 347 BVerfGE 16, 27, 62.
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität73
Gerichtsstaates vorzunehmen.348 Wenngleich der Rückgriff auf die lex fori allgemein praktiziert wird, erfährt diese Methodik Kritik, da eine Abgrenzung anhand der lex fori zur Ungleichbehandlung gleichartiger Fälle zur Folge haben kann.349 Auch dies führt mitunter zu der erheblichen Fragmentierung des Rechts der Staatenimmunität. In nationalen und internationalen Kodifikationen wurde daher eine Reihe standardisierter, die acta iure ges tions Ausnahme konkretisierende Vorschriften aufgenommen.350 3. Die Terrorismusausnahme als Bruch des geltenden Völkergewohnheitsrechts
Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität beschränkt die Staatenimmunität über die anerkannten Fälle hinaus im Falle der Förderung des Terrorismus durch einen fremden Staat. Sie stellt damit eine Abkehr von dem derzeit geltenden völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität dar. Die USA und Kanada sind die einzigen Staaten, die die Immunität fremder Staaten im Falle der Terrorismusförderung beschränken.351 Dass Kanada den USA, die eine erste Terrorismusausnahme bereits 1996 erließen, im Jahre 2012 hinsichtlich der Beschränkung der Staatenimmunität im Falle staatlich geförderten Terrorismus folgte, und dass die USA ihre Gesetzgebung 2016 um eine weitere Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität erweiterten, lässt einen möglichen Anstoß zu einem Wandel erkennen. Darüber hinaus hat sich bislang jedoch kein Staat der Praxis der USA und Kanada angeschlossen. Die US-amerikanische und kanadische Praxis sind jedoch für sich genommen nicht ausreichend, um eine neue völkergewohnheitsrecht liche Regel zu begründen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der beträchtlichen Kritik, der sich die USA im Jahr 2016 nach Erlass der zweiten Terrorismusausnahme ausgesetzt sah.352
348 BVerfGE 16, 27, 61 f.; krit. Geimer, IZPR, Rn. 577; Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 45, 149. 349 S. hierzu Epping, in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7, Rn. 266. 350 Zusammenfassend Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 66 ff. 351 S. hierzu auch Coombes, U.N.B. L.J. 2018, 252 (7); in einem Bericht zur Staatenimmunität der Law Library of the US Congress wird festgestellt, dass auch der Iran ein Gesetz zur Beschränkung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus erlassen habe: The Law Library of the US Congress, Global Research Center, Laws Lifting Sovereign Immunity in Selected Countries, Mai 2016, abrufbar unter: https://www.loc.gov/law/help-/sovereign-immunity/lifting-sovereignimmunity.pdf (Stand: 14.05.2020). Dies ist für die Verfasserin aufgrund der Sprache jedoch nicht näher überprüfbar. 352 S. 1. Kapitel: A.
74
1. Teil: Grundlagen
IV. Ausblick zur Entwicklung der Terrorismusausnahme im Völkerrecht Betrachtet man die Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität von seinem Ausgangspunkt der absoluten Immunität bis hin zu einer mehrheitlichen Etablierung der restriktiven Staatenimmunität, so sticht zunächst die lange Zeitspanne der Entwicklung hervor. Während erste Gerichte bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität etablierten, sollte sich erst Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts, also fast ganze einhundert Jahre später, eine Mehrheit von gewichtigen Staaten dem Grundsatz der restriktiven Staatenimmunität anschließen. Diese Entwicklung ist jedoch bis heute nicht abgeschlossen. Zudem lässt sich in der Praxis der Staaten kein konkreter Wendepunkt ausmachen ab dem, ähnlich wie bei dem Rechtssetzungsakt eines Parlaments, der restriktive Grundsatz der Staatenimmunität allgemein Geltung beanspruchen soll. Es handelte sich vielmehr um einen „slow, gradual and incremental process [that] has taken more than a century“353. Diese Beobachtungen lassen sich auf die Entwicklung einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität übertragen. Waren es hinsichtlich der Entwicklung der acta iure gestionis Ausnahme zur Staatenimmunität die italienischen und belgischen Gerichte, die zu ihrer Zeit eine Vorreiterrolle einnahmen und sich von dem herrschenden Grundsatz der absoluten Immunität eines Staates lösten, so sind es nun die USA und Kanada, die mit ihrer Gesetzgebung zur Staatenimmunität einen neuen Weg beschreiten. So kommentierte Lord Denning bereits mit Blick auf die Entwicklung der acta iure gestionis Ausnahme: „Whenever a change is made, someone some time has to make the first move. One country alone may start the process. Others may follow. At first a trickle, then a stream, last a flood.“354
Die USA haben mit Erlass der ersten Terrorismusausnahme zur Staaten immunität, 28 U.S.C. § 1605A, im Jahr 1996 einen Keim für eine neue Entwicklung gesetzt.355 Kanada folgte den USA als erster Staat im Jahre 2012 durch Erlass einer am Beispiel der US-amerikanischen Terrorismusausnahme orientierten Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität.356 Die USA wiederum ergänzten ihre eigene Gesetzgebung im Jahre 2016 um eine weitere Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität durch den Justice Against State 353 Yang,
State Immunity, S. 6. of Appeal (UK), 13.01.1977, Trendtex Trading Corporation v. Central Bank of Nigeria, [1977] QB 529, 556. 355 S. ausführlich unten 6. Kapitel: A.II.2. 356 Ausführlich zur kanadischen Terrorismusausnahme und dem Motiv zum Erlass einer Terrorismusausnahme s. unten 6. Kapitel: B.II.2. 354 Court
2. Kap.: Der Grundsatz der Staatenimmunität75
Sponsors of Terrorism Act.357 Hier lässt sich ein deutlicher Trend auf dem nordamerikanischen Kontinent verzeichnen, der auf absehbare Zeit vermutlich nicht revidiert werden wird. Dabei kann bei der Etablierung einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität mit Blick auf die historische Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität im Allgemeinen nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei der Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität um einen langwierigen Prozess handelt, der sich über Jahrzehnte erstreckt. Das Bundesverfassungsgericht hielt bereits im Jahre 1963 fest, dass „die Staatenimmunität in einem Prozeß der Schrumpfung begriffen [ist]; ihre Geschichte ist zur Geschichte des Ringens um Zahl, Art und Umfang der Ausnahmen geworden.“358
Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität ist eine weitere Ausnahme, die den Grundsatz der Staatenimmunität ins Wanken geraten lässt. Seit der Einführung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Jahre 1996 ist keine lange Zeitspanne vergangen, dennoch besteht bereits eine sehr ausgereifte Praxis insbesondere in den USA.359 Es bleiben die Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte abzuwarten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Immunität eines Staates, wie mitunter das Bundesverfassungsgericht erkennt, nicht mehr derart gefestigt ist. Dies zeigt sich auch an der wachsenden Durchbrechung der Staatenimmunität in Fällen deliktischer Handlungen oder schwerer Menschenrechtsverletzungen des fremden Staates, insbesondere in der italienischen und griechischen Rechtsprechung.360 Wenngleich der IGH die Entwicklung durch sein Urteil im Fall Jurisdictional Immunities dahingehend für den Moment ausgebremst haben mag,361 so zeigt etwa das Hinwegsetzen Italiens über dieses Urteil,362 dass es letztlich die Staaten selber und vor allem die nationalen Gerichte sind, die über die Entwicklung des völkergewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatzes der Staaten immunität entscheiden und eine Entwicklung vorantreiben können.363 Zentral ist darüber hinaus eine Erkenntnis, die Yang im Zusammenhang mit der
357 S.
ausführlich unten 6. Kapitel: A.II.3. 16, 27, 33 f. 359 S. unten 6. Kapitel: A. 360 S. hierzu ausführlich unten 3. Kapitel: A.; 4. Kapitel: A. 361 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99; s. hierzu Epping, in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7, Rn. 279. 362 Corte Costituzionale (IT), 22.10.2014, Urteil Nr. 238/2014, 168 ILR 528; s. hierzu sogleich 3. Kapitel: A.; von Arnauld, Völkerrecht, § 4, Rn. 335. 363 So auch IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening) (Dissenting Opinion of Judge Yusuf), I.C.J. Rep. 2012, 291, para 43 ff. 358 BVerfGE
76
1. Teil: Grundlagen
Entwicklung des restriktiven Grundsatzes der Staatenimmunität herauskristallisiert: „[…] the restrictive immunity emerged largely because of a fundamental change in the realities of the international community [this] attests the responsive or reactive nature of current law on state immunity.“364
Hieran anknüpfend kann man durchaus die Frage stellen, ob sich das Recht der Staatenimmunität angesichts der Realitäten des 21. Jahrhunderts, der zunehmenden Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, nicht erneut an einem Wendepunkt befindet. Staaten suchen nach Wegen der Bekämpfung des Terrorismus. Einer dieser Mittel kann, wie die USA und Kanada aufzeigen, in der Beschränkung der Staatenimmunität eines den Terrorismus fördernden Staates liegen. Wenngleich die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität zum jetzigen Zeitpunkt einen Bruch des derzeit geltenden Völkergewohnheitsrechts darstellt, bleibt es abzuwarten, ob die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität weitere Anhänger in der Staatenwelt finden wird und ob die US-amerikanische und kanadische Praxis in ein paar Jahren oder Jahrzehnten als Beginn einer neuen Praxis und einer daraus resultierenden tatsächlichen Änderung des Völkergewohnheitsrechts angesehen wird. Dies ist eine Frage, die sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten lässt. Ausgeschlossen ist diese Aussicht, wie ein Blick auf die historische Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität generell zeigt, jedoch nicht.365 3. Kapitel
Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vs. Terrorismusausnahme Auf Grundlage der Terrorismusausnahme kann die Immunität eines fremden Staates bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wie der Folter oder der außergerichtlichen Tötung beschränkt werden.366 Es drängt sich daher die Frage nach dem Verhältnis der, in den letzten Jahren vermehrt diskutierten Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Allgemeinen und der Terrorismusausnahme im Besonderen auf. 364 Yang,
State Immunity, S. 22. auch Stewart, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 667. 366 So ausdrücklich 28 U.S.C. § 1605A(a)(1), s. ausführlich hierzu unten 6. Kapitel: A.II.2.b)bb). 365 So
3. Kap.: Menschenrechtsverletzungen vs. Terrorismusausnahme77
A. Die Ausnahme zur Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen im Völkerrecht Die Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Diskussion gerückt. Den Nährboden der Diskussion bereiteten in jüngerer Zeit vor allem die Rechtsprechung Griechenlands367 und Italiens368, die die Immunität Deutschlands wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, Verletzungen des ius cogens durch Organe des Deutschen Reiches während des zweiten Weltkriegs beschränkten.369 Die hinter der Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen stehende zentrale Idee ist die des ius cogens.370 So sollen jene, die Menschenrechte schützenden Normen, die dem ius cogens zugeordnet werden können, wie etwa das Verbot der Folter,371 eine Durchbrechung der Staaten immunität rechtfertigen. Wenngleich an dieser Stelle keine ausführliche Diskussion der Durchbrechung der Staatenimmunität bei ius cogens Verletzungen erfolgen soll, da im Fokus dieses Abschnitts vielmehr das Verhältnis zur Terrorismusausnahme im Vordergrund steht, soll jedoch zumindest in gebotener Kürze der Blick auf die zwei vorherrschenden Argumentationsstränge geworfen werden: Zum einen wird vertreten, dass Normen des ius cogens, 367 Landgericht Livadia (GR), 30.10.1997, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany, Urteil Nr. 137/1997, in: Bantekas, AJIL 1998, 765; Areios Pagos (GR), 04.05.2000, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany (Distomo Massacre Case), 129 ILR 513; aber s. Oberster Sondergerichtshof (GR), 17.09.2002, Margellos v. Germany, 129 ILR 532; EGMR, 12.12.2002, Kalogeropoulou u. a./ Griechenland und Deutschland, 59021/00, NJW 2004, 273. 368 Kassationshof (IT), 11.03.2004, Ferrini v. Federal Republic of Germany, 128 ILR 658; Kassationshof (IT), 29.05.2008, Germany v. Mantelli and ors, Beschluss Nr. 14201/2008, ILDC 1037 (IT 2008); Kassationshof (IT), 13.01.2009, Germany v. Milde (Max Josef), Beschluss Nr. 1072/2009, ILDC 1224 (IT 2009). S. auch Sentenza 238/2014, in der das italienische Verfassungsgericht ein Gesetz zur Umsetzung des Urteils des IGH im Falle Jurisdictional Immunities of the State für unvereinbar mit der italienischen Verfassung erklärt, da die Gewährung von Immunität in Fällen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen die italienische Verfassung verstoße, Corte Costituzionale (IT), 22.10.2014, Urteil Nr. 238/2014, 168 ILR 528. 369 Ausführlich hierzu Paech, AVR 2009, 36. 370 Zum Begriff des ius cogens s. Art. 53 WÜRV: „Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.“ 371 S. ICTY, 10.12.1998, Prosecutor v. Furundžija, Case No. IT-95-17/1-T, para 153 ff.; EGMR, 21.11.2001, Al-Adsani v. The United Kingdom, Application no. 35763/97, para 61; s. hierzu auch de Wet, EJIL 2004, 97.
78
1. Teil: Grundlagen
als hierarchisch höchste Normen des Völkerrechts anderen Normen des Völkerrechts, also auch denen des Rechts der Staatenimmunität im Sinne der Normenhierarchie vorgehen und die Anwendbarkeit niederrangiger Normen, die im Konflikt mit der ius cogens Norm stehen, ausschließen.372 Zum anderen wird vertreten, die Verletzung einer ius cogens Norm stelle einen impliziten Verzicht auf die Immunität durch den fremden, das Völkerrecht verletzenden Staat dar.373 Vereinzelt wird darüber hinaus vertreten, der fremde Staat verwirke bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen seine Souveränitätsrechte, also auch das Recht, sich auf die Staatenimmunität zu berufen.374 Während neben den griechischen und italienischen Gerichten insbesondere im Schrifttum die Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen Zustimmung erfährt,375 lehnen nationale Ge372 So Karagiannakis, LJIL 1998, 9 (955 ff.); Orakhelashvili, EJIL 2007, 955 (955 ff.); Orakhelashvili, German Y.B. Int’l L. 2006, 327 (355); Reimann, Mich. J. Int’l L. 1994, 403 (407, 421); krit.: Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 195; Cremer, AVR 2003, 137 (162 f.); Yang, N.Z. Y.B. Int’l L. 2006, 131 (136 ff.); Zimmermann, Mich. J. Int’l L. 1994, 433 (437 ff.); s. allgemein hierzu: de Wet, EJIL 2004, 97 (105 ff.); Yang, State Immunity, S. 429. Für die Derogationswirkung von ius cogens Normen sprechen sich auch die Richter Rozakis, Caflisch, Wildhaber, Costa, Cabral Barreto und Vajić in ihrem abweichenden Votum im Fall Al-Adsani aus, EGMR, 21.11.2001, Al-Adsani v. The United Kingdom (Joint Dissenting Opinion of Judges Rozakis and Caflisch Joined by Judges Wildhaber, Costa, Cabral Barreto and Vajic), Application no. 35763/97, para 1 ff.; der IGH lehnt einen Normkonflikt zwischen ius cogens Normen und dem Grundsatz der Staatenimmunität ab und verneint die Verdrängung der Regel der Staatenimmunität durch Normen des ius cogens: IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 92 ff. Der IGH unterscheidet dabei zwischen prozessualen Völkerrechtssätzen einerseits, zu denen die Regel der Staatenimmunität zählen, und materiellen Völkerrechtssätzen, zu denen Normen des ius cogens zählen, und sieht aufgrund der unterschiedlichen Regelungsgegenstände keinen Konflikt zwischen diesen Normen, der zur Unanwendbarkeit der Regel der Staatenimmunität führen würde. In diesem Sinne Talmon, LJIL 2012, 979; hierzu auch Fox/Webb, State Immunity, S. 5, 38 ff. 373 So das Landgericht Livadia (GR), 30.10.1997, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany, Urteil Nr. 137/1997, in: Bantekas, Am. J. Int’l L. 1998, 765 (766). S. auch die dissenting opinion von Richterin Wald, Court of Appeals, 01.07.1994, Princz v. Federal Republic of Germany, 26 F. 3d 1166, 1179 ff. In diesem Sinne bereits Belsky u. a., Calif. L. Rev. 1989, 365 (394 ff.). Krit.: Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 190 ff.; Yang, N.Z. Y.B. Int’l L. 2006, 131 (154 ff.). 374 S. etwa Kokott, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, S. 148 f. 375 Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights; Caplan, AJIL 2003, 741.
3. Kap.: Menschenrechtsverletzungen vs. Terrorismusausnahme79
richte einer Vielzahl anderer Staaten376 sowie der EGMR377 und der IGH378 dies (bisher) ab. Der IGH lehnte im Rahmen der Untersuchung relevanter Staatenpraxis insbesondere ab, das dritte Urteil des House of Lords im Falle Pinochet379 als Staatenpraxis zur Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen heranzuziehen. Abgesehen von den Besonderheiten, die sich aus der Anwendbarkeit des „Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafe“380 im konkreten Fall ergeben würden, sei strikt zwischen der Immunität eines ehemaligen Staatsoberhauptes in einem strafrechtlichen Verfahren und der Immunität eines Staates vor Zivilgerichten im Rahmen von Klagen auf Schadensersatz zu unterscheiden.381 Insoweit bestehe keine Inkonsistenz einerseits zwischen der Gewährung von Staatenimmunität in Zivilverfahren für solche Akte, die andererseits die Durchbrechung der Immunität eines ehemaligen Staatsoberhauptes vor Strafgerichten begründen können.382 Somit vermag auch die Beschränkung der Immunität in Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen vor Strafgerichten, die 376 Court of Appeal (UK), 29.03.1996, Al-Adsani v. Government of Kuwait, 107 ILR 536; House of Lords (UK), 14.06.2006, Jones v. Ministry of Interior Al-Mamlaka Al-Arabiya as Saudiya (The Kingdom of Saudi Arabia) and others, 45 ILM 1108, 1118 ff.; Cour de Cassation (FR), 16.12.2003, Arrêt No. 02-45961, 258 Bull. Civ. 206; Cour de Cassation (FR), 02.06.2004, Arrêt No. 03-41851, (2004 I) 158 Bull. Civ. 132; Cour de Cassation (FR), 03.01.2006, Arrêt No. 04-47504, abrufbar unter: https://www. legifrance.gouv.fr-/affichJuriJudi.do?idTexte-=JURITEXT000007494943 (Stand: 14.05.2020); High Court (NZ), 21.12.2006, Fang v. Jiang Zemin, 141 ILR 702; Sąd Najwyższy (PL), 29.10.2010, Winicjusza N. v. Republika Federalna Niemiec, Case no. CSK 465/09, Zusammenfassung bei Kałduński, Polish Y.B. Int’l L. 2010, 235 (236 ff.); Ustavno sodišče (Verfassungsgericht der Republik Slowenien); 08.03.2001, A. A. v. Supreme Court Order No. II Ips 55/98, Case No. Up 13/99, ECLI:SI:USRS:2001: Up.13.99. S. auch die Entscheidung des obersten Gericht Griechenlands, Oberster Sondergerichtshofs (GR), 17.09.2002, Margellos v. Germany, 129 ILR 532. Zur US-amerikanischen und kanadischen Praxis s. sogleich 3. Kapitel: B. 377 EGMR, 21.11.2001, Al-Adsani v. The United Kingdom, Application no. 35763/ 97, para 66; EGMR, 12.12.2002, Kalogeropoulou u. a./Griechenland und Deutschland, 59021/00, NJW 2004, 273; EGMR, 14.01.2014, Jones and others v. The United Kingdom, Applications nos. 34356/06 and 40528/06, para 196 ff. 378 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 91. 379 House of Lords (UK), 24.03.1999, Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate, ex parte Pinochet Ugarte (No 3), 119 ILR 135. 380 United Nations Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT) (verabschiedet am 10.12.1984, in Kraft seit 26.06.1987), 1465 UNTS 85. 381 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 87. 382 Kloth/Brunner, AVR 2012, 218 (229).
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1. Teil: Grundlagen
die persönliche Stellung eines ehemaligen Staatsoberhauptes betreffen, nicht die Beschränkung der Staatenimmunität in Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen zu begründen. Der IGH kommt zu dem Ergebnis, dass „under customary international law as it presently stands, a State is not deprived of immunity by reason of the fact that it is accused of serious violations of international human rights law or the international law of armed conflict.“383
Darüber hinaus sehen auch die United Nations Convention on Jurisidictional Immunities of States sowie das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität keine Immunitätsausnahme bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vor.384 Im Rahmen der mit den Artikelentwürfen zur Staatenimmunität betrauten Arbeitsgruppe der International Law Commission wurde eine nähere Befassung mit dem Thema abgelehnt, da es noch nicht reif sei für eine Kodifikation.385
B. Differenzierung zwischen der Ausnahme zur Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in den USA und Kanada Auch US-amerikanische und kanadische Gerichte lehnen die Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ohne einen besonderen Bezug zum Terrorismus ab. Während anfänglich noch ein U.S. District Court im Jahre 1985 die Immunität der früheren Sowjetunion wegen der Verschleppung des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, gestützt auf eine Verletzung des Völkerrechts, beschränkte,386 entschied der Supreme Court vier Jahre später im Fall Amerada Hess grund383 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 91. 384 Krit. hierzu Hall, ICLQ 2006, 411 (412 ff.). 385 UNGA Sixth Committee, Convention on Jurisdictional Immunities of States and their Property: Report of the Chairman of the Working Group, 12. November 1999, UN Doc. A/C.6/54/L.12, Rn. 46 ff: „The Working Group considered whether, in addition to the five outstanding substantive issues referred to in the preceding paragraphs, it should also take up the matter described in the appendix to the report of the International Law Commission’s Working Group, namely the question of the existence or non-existence of immunity in the case of violation by a State of jus cogens norms of international law. It was generally agreed that this issue, although of current interest, did not really fit into the present draft articles. Furthermore, it did not seem to be ripe enough for the Working Group to engage in a codification exercise over it.“ 386 District Court, 15.10.1985, von Dardel v. Union of Soviet Socialist Republics, 623 F.Supp. 246.
3. Kap.: Menschenrechtsverletzungen vs. Terrorismusausnahme81
legend, dass schwere Verstöße gegen das Völkerrecht nicht zur Beschränkung der Immunität führen, da der Foreign Sovereign Immunities Act die ausschließliche Grundlage zur Begründung von Jurisdiktion über einen fremden Staat darstelle und eine solche Ausnahme nicht vorsehe.387 Unter Berücksichtigung dieser richtungsweisenden Entscheidung des Supreme Court wies das Gericht im Fall Siderman de Blake v. Republic of Argentina eine explizit auf schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, das ius cogens, gestützte Klage als unzulässig zurück.388 Die Kläger erhoben in diesem Fall Foltervorwürfe gegen die argentinische Junta-Regierung zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur und argumentierten, dass das Verbot der Folter, als Norm des ius cogens die Anwendbarkeit der Staatenimmunität verdränge.389 Gefestigt wurde diese Rechtsprechung im Fall Princz v. Federal Republic of Germany. In diesem Fall klagte Hugo Princz, ein Überlebender des Holocaust, gegen Deutschland, wegen während des zweiten Weltkriegs erlittener Verletzungen und Zwangsarbeit.390 Das Gericht wies die Klage als unzulässig zurück und lehnte explizit die Argumentation der Kläger ab, in der Verletzung einer ius cogens Norm liege ein impliziter Immunitätsverzicht seitens des fremden Staates.391 Jüngst wurde auch die Klage von Angehörigen der indigenen 387 Supreme Court, 23.01.1989, Argentine Republic v. Amerada Hess Shipping Corp., 488 U.S. 428, 434: „We think that the text and structure of the FSIA demonstrate Congress’ intention that the FSIA be the sole basis for obtaining jurisdiction over a foreign state in our courts.“ Der Fall betraf eine Klage eines liberischen Unternehmens gegen Argentinien wegen der Zerstörung eines Öl Tankers in internationalen Gewässern durch argentinische Militärflugzeuge während des Krieges zwischen Argentinien und Großbritannien über die Falkland Inseln, ibid, 428. 388 Court of Appeals, 22.05.1992, Siderman de Blake v. Republic of Argentina, 965 F.2d 699, 719: „[t]he fact that there has been a violation of jus cogens does not confer jurisdiction under the FSIA.“ 389 Court of Appeals, 22.05.1992, Siderman de Blake v. Republic of Argentina, 965 F.2d 699, 714 ff. 390 Court of Appeals, 01.07.1994, Princz v. Federal Republic of Germany, 26 F. 3d 1166, 1168. 391 Court of Appeals, 01.07.1994, Princz v. Federal Republic of Germany, 26 F. 3d 1166, 1174: „In sum, an implied waiver depends upon the foreign government’s having at some point indicated its amenability to suit. Mr. Princz does not maintain, however, that either the present government of Germany or the predecessor government of the Third Reich actually indicated, even implicitly, a willingness to waive immunity for actions arising out of the Nazi atrocities. We have no warrant, therefore, for holding that the violation of jus cogens norms by the Third Reich constitutes an implied waiver of sovereign immunity under the FSIA.“; cert. den., Supreme Court, 17.01.1995, Princz v. Federal Republic of Germany, 513 U.S. 1121; s. zum Fall Princz v. Federal Republic of Germany: Reimann, Mich. J. Int’l L. 1994, 403; Zimmermann, Mich. J. Int’l L. 1994, 433 (434 ff.). Auch bei der Klage von Angehörigen der Opfer des Lockerbie Attentats lehnte das Gericht einen impliziten Immunitätsverzicht bei ius cogens Verletzungen ab: Court of Appeals, 26.11.1996, Smith v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 101 F.3d 239, 245; cert. den., Supreme Court,
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1. Teil: Grundlagen
Stämme Herero und Nama gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Genozid an tausenden Angehörigen der Herero und Nama im heutigen Namibia durch das New Yorker Bezirksgericht mangels einer einschlägigen, im Foreign Sovereign Immunities Act kodifizierten Ausnahme als unzulässig abgewiesen.392 Die ablehnende Haltung der US-amerikanischen Gerichte, die Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen zu beschränken, ist darauf zurückzuführen, dass der Foreign Sovereign Immunities Act keine Immunitätsausnahme bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen re spektive ius cogens Verletzungen eines fremden Staates vorsieht. Genau das fordert der U.S. Supreme Court hingegen seit seiner Amerada Hess Entscheidung, um die Immunität des fremden Staates einschränken zu können. Es ist somit die Entscheidung des Gesetzgebers und nicht die der Gerichte, in welchen Fällen ein Staat Immunität genießt und in welchen nicht. Der Court of Appeals führt in diesem Sinne im Falle Siderman aus: „[W]e conclude that if violations of jus cogens committed outside the United States are to be exceptions to immunity, Congress must make them so.“393
Der US-Kongress wiederum hat einen klaren Weg bestritten: Im Jahr 1994 scheiterte im Kongress ein Gesetzentwurf zur Beschränkung der Staatenimmunität im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen.394 Nur zwei Jahre später hingegen verabschiedete der Kongress die erste Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität.395 Klagen gegen einen fremden Staat im besonderen Fall des Terrorismus sollen zulässig sein, wohingegen Klagen wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen im Allgemeinen die Beschränkung der Immunität des fremden Staates vor US-amerikanischen Gerichten nicht begründen sollen. 28.04.1997, Smith v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 117 S.Ct.1569; s. auch Court of Appeals, 23.05.2001, Sampson v. Federal Republic of Germany, 250 F.3d 1145, 1155 f. 392 District Court, 06.03.2019, Rukoro v. Federal Republic of Germany, 363 F.Supp.3d 436. 393 Court of Appeals, 22.05.1992, Siderman de Blake v. Republic of Argentina, 965 F.2d 699, 719. 394 House Report No. 934, 103rd Cong., 1st Sess. 1 (1994). Die Immunität sollte nach diesem Gesetzentwurf in Fällen beschränkt werden, „in which money damages are sought against a foreign state for the personal injury or death of a United States citizen occurring in such foreign state and caused by the torture or extrajudicial kill ing of that citizen, or by an act of genocide committed against that citizen, by such foreign state or by any official or employee of such foreign state while acting within the scope of his or her office […]“. Hierzu Reimann, Mich. J. Int’l L. 1994, 403 (418 f.). 395 Ausführlich zur historischen Entwicklung der US-amerikanischen Terroris musausnahme s. 6. Kapitel: A.II.2.a).
3. Kap.: Menschenrechtsverletzungen vs. Terrorismusausnahme83
Gleiches lässt sich mit Blick auf die kanadische Praxis festhalten. Auch kanadische Gerichte lehnen die Beschränkung der Staatenimmunität wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, Verletzungen des ius cogens ab.396 So gelangt Richter Swinton im Falle Bouzari v. Iran, einer Klage gegen den Iran wegen des Vorwurfs der Folter, auf Grundlage einer Untersuchung des Völkergewohnheitsrechts, zu dem Ergebnis, dass: „[T]here is no principle of customary international law which provides an exception from state immunity where an act of torture has been committed outside the forum, even for acts contrary to jus cogens. Indeed, the evidence of state practice […] leads to the conclusion that there is an ongoing rule of customary international law providing state immunity for acts of torture committed outside the forum state.“397
Im kanadischen Parlament wurden nach dem Urteil im Falle Bouzari v. Iran mehrere Gesetzentwürfe zur Beschränkung der Staatenimmunität wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen eingebracht.398 So sah etwa Bill C-483 vor, dass: „[…] a foreign state is not immune from the jurisdiction of a court in any proceedings that relate to genocide, a crime against humanity, a war crime or torture.“399
Im Ergebnis setzte sich jedoch keiner dieser Gesetzentwürfe durch. Anders stellt sich die Situation hingegen bei der Beschränkung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus dar. Im Jahre 2012 folgt der kanadische Gesetzgeber dem US-amerikanischen Modell des 28 U.S.C. § 1605A und erlässt eine Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, Sec. 6.1 SIA.400 396 Ontario Superior Court of Justice, 01.05.2002, Bouzari v. Islamic Republic of Iran, 124 ILR 427, 441 ff.; Ontario Court of Appeal, 30.06.2004, Bouzari v. Islamic Republic of Iran, 128 ILR 586, 605 f. Auch in anderen Fällen lehnten kanadische Gerichte die Beschränkung der Staatenimmunität bei Vorwürfen der Folter, schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen durch einen fremden Staat ab, ohne hierbei jedoch auf die ius cogens Argumentation näher einzugehen: Supreme Court Canada, 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299; Ontario Superior Court of Justice, 28.02.2005, Arar v. Syrian Arab Republic, 155 ILR 368. 397 Ontario Superior Court of Justice, 01.05.2002, Bouzari v. Islamic Republic of Iran, 124 ILR 427, 443. 398 Eine nähere Besprechung der verschiedenen Gesetzentwürfe findet sich in Novogrodsky, EJIL 2007, 939 (948 ff.); Ranganathan, Sask. L. Rev. 2008, 343. 399 Bill C-483, Redress for Victims of International Crimes Act, 2nd Session, 40th Parliament, 3.: abrufbar unter: https://www.parl.ca/DocumentViewer/en/40-2/ bill/C-483/first-reading/-page-24 (Stand: 14.05.2020); s. hierzu auch unten 6. Kapitel: B.II.a). 400 Hierzu Harrington, If not torture, then how about terrorism – Canada amends its State Immunity Act, EJIL Talk, 28.03.2012, abrufbar unter: https://www.ejiltalk. org/if-not-torture-then-how-about-terrorism-canada-amends-its-state-immunity-act/
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1. Teil: Grundlagen
C. Fazit Ein Blick auf die US-amerikanische und kanadische Praxis verdeutlicht, dass zwischen der allgemeinen Beschränkung der Staatenimmunität wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen respektive Verletzungen des ius cogens und der Beschränkung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus differenziert wird, wenngleich im Ergebnis auch im Rahmen der Terrorismusausnahme die Immunität in Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen beschränkt werden kann. Die USA und Kanada bestreiten jedoch einen eindeutigen Weg. Im Einklang mit der überwiegenden Staatenpraxis soll die Immunität eines fremden Staates wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen nicht beschränkbar sein. Entscheidend für eine Beschränkung der Staatenimmunität und zugleich Anknüpfungspunkt ist vielmehr die Förderung des Terrorismus durch den fremden Staat. Es zeigt sich eine klare Differenzierung zwischen der Beschränkung der Staatenimmunität bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vor dem Hintergrund des Gedankens des ius cogens einerseits und der Beschränkung der Immunität im Falle des Terrorismus andererseits. Es handelt sich um zwei voneinander getrennt zu betrachtende Entwicklungsstränge im Bereich der Staatenimmunität. 4. Kapitel
Die Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme In einem engen thematischen Verhältnis stehen auch die Deliktsausnahme und die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität.401 Beide Ausnahmen zur Staatenimmunität beschränken im Kern die Immunität eines fremden Staates im Falle der Verletzung von Leib und Leben durch einen fremden Staat.402 So ist prinzipiell denkbar, terroristische Handlungen eines Staates, durch die Personen geschädigt werden, unter die Deliktsausnahme zu fassen.403 Es stellt (Stand: 14.05.2020). S. ausführlich zur kanadischen Terrorismusausnahme unten 6. Kapitel B.II.2. 401 Ausführlich zum Verhältnis der Deliktsausnahme und der Terrorismusausnahme im US-amerikanischen und kanadischen Recht 6. Kapitel: A.II.1., B.II.1. 402 S. etwa 28 U.S.C. § 1605(a)(5) (Deliktsausnahme): „personal injury or death“ und im Vergleich 28 U.S.C § 1605A (Terrorismusausnahme): „personal injury or death“. Die Deliktsausnahme (im US-amerikanischen Recht) erfasst anders als die Terrorismusausnahme auch Sachschäden, s. 28 U.S.C. § 1605(a)(5). 403 Zur Schwierigkeit der Beschränkung der Immunität in Fällen des Terrorismus auf Grundlage der Deliktsausnahme im US-amerikanischen und kanadischen Recht s. unten 6. Kapitel: A.II.1., B.II.1.
4. Kap.: Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme85
sich daher die Frage nach der Notwendigkeit einer spezifischen Terrorismus ausnahme neben der bereits bestehenden und in der Staatenpraxis verbreiteten Deliktsausnahme. Neben den besonderen Voraussetzungen der Terrorismus ausnahme404 ergeben sich jedoch grundlegende Unterschiede zwischen der Deliktsausnahme und der Terrorismusausnahme mit Blick auf das Erfordernis eines territorialen Nexus zwischen der staatlichen Handlung, dem Ort des Schadenseintritts und dem Gebiet des Forumstaates. Im Folgenden soll daher die Deliktsausnahme in Abgrenzung zur Terrorismusausnahme anhand des jeweils vorausgesetzten Nexus zwischen dem Delikt und dem Gebiet des Forumstaates eine Darstellung erfahren. Hierbei kommen folgende – aus der Perspektive des Forumstaates – Konstellationen in Betracht: Die Handlung des fremden Staates erfolgt auf dem Gebiet des Forumstaates, die Handlung des fremden Staates erfolgt außerhalb des Forumstaates aber der Ort des Schadenseintritts liegt innerhalb des Forumstaates, die Handlung des fremden Staates und der Ort des Schadenseintritts liegen außerhalb des Forumstaates. Im vorliegenden Kapitel geht es insbesondere um Grundsätze der Deliktsausnahme im Völkerrecht und sich aus dem Erfordernis des territorialen Nexus ergebende, grundlegende Unterschiede zur Terrorismusausnahme. Eine ausführliche Analyse des Verhältnisses von Deliktsausnahme und Terrorismusausnahme im US-amerikanischen und kanadischen Recht ist Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit.405
A. Die Deliktsausnahme im Völkerrecht Neben der acta iure gestionis Ausnahme zur Staatenimmunität ist die Deliktsausnahme zur Staatenimmunität eine vordringliche Entwicklung im Bereich der Beschränkung der Staatenimmunität für durch einen fremden Staat begangene, unerlaubte Handlungen (Delikte). Erstmals wurde die sogenannte Deliktsausnahme (tort exception) durch das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität im Jahr 1972 schriftlich fixiert.406 Mit Erlass nationaler Gesetze zur Regelung der Staatenimmunität kodifizierten in den darauffolgenden Jahren weitere Staaten eine Deliktsausnahme zur Staatenimmunität.407 Daneben sahen bereits seit den achtziger Jahren die Artikelentwürfe 404 Hierzu
sogleich 6. Kapitel. A.II.1., B.II.1. 406 S. Art. 11 ECSI. 407 Vorreiter waren hier insbesondere die USA mit dem Erlass des Foreign Sove reign Immunities Act im Jahr 1976, der von Beginn an in § 1605(a)(5) eine Delikts ausnahme vorsieht und Großbritannien, mit dem Erlass des State Immunity Act im Jahre 1978, das ebenfalls in Sec. 5 eine Deliktsausnahme vorsieht. 405 S. 6. Kapitel:
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1. Teil: Grundlagen
der International Law Association sowie der Organisation of the American States (OAS) eine Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vor.408 Heute ist die Deliktsausnahme in den meisten nationalen Kodifikationen enthalten.409 Schließlich sieht auch die United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States eine Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vor.410 Der IGH lässt in seiner Entscheidung zur Staatenimmunität explizit die Frage offen, ob es sich bei der Deliktsausnahme bereits um einen Satz des Völkergewohnheitsrechts handelt.411 Gemein ist den Deliktsausnahmen in den verschiedenen Kodifikationen, dass die Immunität des fremden Staates im Rahmen von Klagen auf Schadensersatz in Geld auf Grund von, durch den fremden Staat verursachten Personen- oder Sachschäden, beschränkt wird. Dabei war die Deliktsausnahme ursprünglich für versicherbare Risiken vorgesehen – beispielsweise den klassischen Fall des Verkehrsunfalles durch diplomatisches oder konsularisches Personal auf dem Gebiet des Forumstaates.412 Eine derartige Beschränkung der Deliktsausnahme auf versicherbare Risiken lässt sich der Staatenpraxis jedoch nicht mehr ohne weiteres entnehmen. So wird bereits in den Gesetzgebungsmaterialien zum Foreign Sovereign Immunities Act ausdrücklich festgehalten, dass wenngleich die Deliktsausnahme in erster Linie 408 Art. III F. Montreal Draft Articles for a Convention on State Immunity, 1982, 60 Int’l L. Ass’n Rep. Conf. 1, 8; Art. III F. Buenos Aires Revised Draft Articles for a Convention on State Immunity, 1994, abgedruckt in Dickinson u. a., State immunity: selected materials and commentary, S. 194 ff.; OAS, Inter-American Draft Convention on Jurisdictional Immunities of States, 21.01.1983, abgedruckt in Dickinson u. a., State immunity: selected materials and commentary, S. 201 ff. 409 28 U.S.C. § 1605(a)(5); Sec. 5 UK-SIA; Sec. 13 Australia-FSIA; Sec. 7 Singapore-SIA; Sec. 6 South Africa-FSIA; Sec. 6 Canada-SIA; Sec. 5 Israel-FSIL; Art. 10 Act on the Civil Jurisdiction of Japan with respect to a Foreign State; Art. 2(e) Argentina Law No. 24.488, Immunidad Jurisdiccional de los Estados Extranjeros ante los Tribunales Argentinos, Boletin Oficial, 28.06.1995. Die Pakistan State Immunity Ordinance sieht als einzige nationale Kodifikation keine Deliktsausnahme vor s. hierzu Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 103. 410 S. Art. 12 UNCJIS. 411 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 65. Zweifel bezüglich der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung der Deliktsausnahme hegen Dörr, AVR 2003, 201 (208); Giegerich, in: Tomuschat/Thouvenin, The Fundamental Rules of the International Legal Order, S. 228; Herdegen, Völkerrecht, § 37 Rn. 9; ablehnend Cremer, AVR 2003, 137 (150); Steinberger, in: Bernhardt, EPIL, Volume IV, S. 615, 619 f. 412 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 64; s. zur Deliktsausnahme des US FSIA: Legislative History of the Foreign Sovereign Immunities Act, House Report No. 97-1487, 94th Cong. 2nd Sess. 1976, 1976 U.S.C.C.A.N. 6604, 6619; zu Art. 12 UNCJIS: ILC, Commentary on the Draft Articles on Jurisidictional Immunities of States, YBILC, 1991, vol. II, Part Two, S. 45.
4. Kap.: Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme87
Verkehrsunfälle erfassen soll, sie dennoch weit genug ist, um prinzipiell auch andere Delikte zu erfassen.413 Im prominenten Fall Letelier v. Chile wurde die Immunität durch ein US-amerikanisches Gericht schließlich wegen eines politischen Attentats auf den ehemaligen chilenischen Politiker Letelier auf Grundlage der Deliktsausnahme eingeschränkt.414 Auch der Kommentar zu Art. 12 der UNCJIS sieht vor, dass „the scope of article 12 is wide enough to cover also intentional physical harm such as assault and battery, malicious damage to property, arson or even homicide, including political assassination.“
Der Wortlaut von Artikel 12 der UNCJIS selbst knüpft zudem nicht an versicherbare Schäden an. Generell findet sich in keiner der kodifizierten Deliktsausnahmen eine Beschränkung auf versicherbare Risiken, so dass die Deliktsausnahme grundsätzlich Delikte erfassen kann, die sich gegen die persönliche Unversehrtheit oder die Unverletzlichkeit des Eigentums richten.415 In den Hintergrund tritt bei der Deliktsausnahme zudem die Differenzierung zwischen acta iure gestionis und acta iure imperii des fremden Staates.416 Weder die nationalen Vorschriften noch das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität noch die UNCJIS knüpfen an die Unterscheidung zwischen hoheitlichem und nicht hoheitlichem Handeln des fremden Staates an.417 Entscheidend ist vielmehr das Eintreten eines Personen- oder Sachschadens durch eine dem Staat zurechenbare Handlung, die einen Nexus zum Territorium des Forumstaates aufweist, nicht hingegen die Natur der Hand413 Legislative History of the Foreign Sovereign Immunities Act, House Report No. 97-1487, 94th Cong. 2nd Sess. 1976, 1976 U.S.C.C.A.N. 6604, 6619. 414 District Court, 01.05.1985, Letelier v. Republic Chile, 488 F.Supp 665; s. auch Court of Appeals, 29.12.1989, Liu v. Republic of China, 892 F.2d 1419; hierzu ausführlich 6. Kapitel: A.II.1. 415 So auch Yang, State Immunity, S. 201 ff. 416 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 64; District Court, 01.05.1985, Letelier v. Republic Chile, 488 F.Supp 665, 671; Supreme Court (CA), 12.09.2002, Schreiber v. Canada, 2002 SCC 62, para 32; Crawford, Brownlie’s principles of public international law, S. 498; Fox/Webb, State Immunity, S. 468; Yang, State Immunity, S. 207 ff.; UN ILC, Fifth Report on Jurisdictional Immunities of States and their Property, by Mr. Sompong Sucharitkul, Special Rapporteur, 22.03.1983, YBILC, 1983, vol. II, Part One, S. 25, 39. Anders EGMR, 21.11.2001, McElhinney v. Ireland, Application No 31253/96, 123 ILR 73, 85; Supreme Court (IRL), 15.12.1995, McElhinney v. Williams, 104 ILR 691, 700 ff; Oberster Gerichtshof (AT), 10.02.1961, Holubek g. Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, 40 ILR 73, 74 ff. 417 Hierzu Fox/Webb, State Immunity, S. 468; Yang, State Immunity, S. 207 ff.; s. auch UN ILC, Commentary on the Draft Articles on Jurisidictional Immunities of States, YBILC, 1991, vol. II, Part Two, S. 45.
88
1. Teil: Grundlagen
lung des fremden Staates.418 So kann die Immunität nach einer vordring lichen Tendenz grundsätzlich im Rahmen der Deliktsausnahme auch für hoheitliches Handeln des Staates beschränkt werden. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch dahingehend, dass hoheitliche Handlungen fremder Streitkräfte nicht von der Deliktsausnahme erfasst sein sollen.419
B. Der territoriale Nexus Während einerseits die Unterscheidung nach der Art des staatlichen Handelns im Rahmen der Deliktsausnahme an Bedeutung verliert, so tritt andererseits ein anderes zentrales Kriterium der Deliktsausnahme in den Vordergrund: der territoriale Nexus zwischen dem Delikt und dem Gebiet des Forumstaates. Alle nationalen Kodifikationen der Deliktsausnahme, das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität sowie die United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of the States sehen, unbeschadet etwaiger Nuancierungen im Detail, vor, dass entweder der Ort der staatlichen Handlung und/oder der Ort des Schadenseintritts in dem Gebiet des Forum418 Yang,
State Immunity, S. 208. 3.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 78; Supreme Court (IRL), 15.12.1995, McElhinney v. Williams, 104 ILR 691, 700 ff.; EGMR, 21.11.2001, McElhinney v. Ireland, App. No 31253/96 123 ILR 73, 85; Court of Appeal (UK), 12.11.1993, Littrell v United States (No 2), [1995] 1 WLR 82, 82; House of Lords (UK), 20.07.2000, Holland v Lampen-Wolfe, [2000] 1 WLR 1573; den Ausschluss der Handlungen von Streitkräften sehen auch nationale und internationale Konventionen vor: Art. 31 ECSI; Sec. 16 (2) UK-SIA, Sec. 16 Canada-SIA, Sec. 6 Australia-FSIA, Sec. 17(2)(a) Pakistan-SIO, Sec. 19(2)(a) Singapore-SIA; UN ILC, Commentary on the Draft Articles on Jurisidictional Immunities of States, YBILC, 1991, vol. II, Part Two, S. 46; s. auch Crawford, Brownlie’s principles of public international law, S. 498; Yang, State Immunity, S. 203, 212 f. Während griechische Gerichte zunächst die Beschränkung der Immunität für gegen das Völkerrecht verstoßende Handlungen deutscher Streitkräfte während des zweiten Weltkriegs innerhalb Griechenlands auf die Deliktsausnahme stützten, Areios Pagos (GR), 04.05.2000, Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany (Distomo Massacre Case), 129 ILR 513, 517 ff. (der Areios Pagos bestätigt ein Urteil der ersten Instanz des Protodikeio von Livadia, vom 25.09.1997, s. IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 30), ist diese Rechtsauffassung seit der Entscheidung des obersten Sondergerichtshofs Griechenlands, in der der Gerichtshof die Beschränkung der Immunität für Handlungen der Streitkräfte als unzulässig erachtete, überholt: Oberster Sondergerichtshof (GR), 17.09.2002, Margellos v. Germany, 129 ILR 532. Der EGMR bestätigt diese Auffassung und sieht in der Weigerung der griechischen Regierung, die Vollstreckung des Distomo Urteils zuzulassen, keine Verletzung des Art. 6 EMRK, EGMR, 12.12.2002, Kalogeropoulou u. a./ Griechenland und Deutschland, 59021/00, NJW 2004, 273; s. zur Nichtvollstreckbarkeit des Distomo Urteils in Deutschland: BGHZ 155, 279; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 15.02.2006, 2 BvR 1476/03. 419 IGH,
4. Kap.: Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme89
staates liegen.420 Gerade die enge Verbindung zwischen dem Delikt und dem Gebiet des Forumstaates soll die Ausübung hoheitlicher Gewalt in Form der Gerichtsbarkeit rechtfertigen, auch bei hoheitlichen Handlungen des fremden Staates. Hinter der Deliktsausnahme steht einerseits der Gedanke der locus delicti commissi-Regel: so soll der Geschädigte seine Ansprüche vor einem Gericht des Tatorts unter Anwendung des lokal anwendbaren Rechts und der territorial gebundenen Beweise geltend machen können.421 Zum anderen ist die Deliktsausnahme in ihren Grundfesten Ausfluss der Territorialhoheit des Forumstaates.422 Sie spiegelt das essentielle Recht des Staates wider, seine Hoheitsgewalt über Ereignisse innerhalb des eigenen Staatsgebiets zu erstrecken.423 I. Staatliche Handlung innerhalb des Forumstaates In ihrer verbreitetsten Form knüpft die Deliktsausnahme, im Sinne der locus commissi delicti Regel, an den Ort der staatlichen Handlung an. Vollzieht sich die Handlung des fremden Staates innerhalb des Forumstaates, so begründet dies neben der Jurisdiktion des Forumstaates auch die Beschränkung der Immunität für Personen- oder Sachschäden. In diesem Sinne setzt Sec. 5 des britischen State Immunity Act voraus, dass der Personen- oder Sachschaden durch einen „act or omission in the United Kingdom“ verursacht wurde. Auch der Foreign Sovereign Immunities Act Australiens folgt dem Modell der britischen Deliktsausnahme und fordert in Sec. 13 die Verursachung eines Schadens durch „an act or omission done or omitted to be done in Australia“. Gleichsam knüpfen die Deliktsausnahmen Singapurs424 und Südafrikas425 an den Ort der staatlichen Handlung an. Über den Ort des Schadenseintritts schweigen die konkreten Vorschriften. Regelmäßig wird sich der Ort des Schadenseintrittes im Forumstaat befinden. Denkbar ist jedoch die Anwendbarkeit der aufgeführten Deliktsausnahmen auch auf Fälle, bei denen die staatliche Handlung im Forumstaat liegt, der 420 Zu
der territorialen Verknüpfung im Einzelnen sogleich 4. Kapitel: B. The immunity of states, S. 68; Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 67; Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 40; UN ILC, Fifth Report on Jurisdictional Immunities of States and their Property, by Mr. Sompong Sucharitkul, Special Rapporteur, 22.03.1983, YBILC, 1983, vol. II, Part One, S. 25, 39; zu Art. 12 UNCJIS: UN ILC, Commentary on the Draft Articles on Jurisidictional Immunities of States, YBILC, 1991, vol. II, Part Two, S. 45. 422 Yang, State Immunity, S. 199, 215. 423 Crawford, BYIL 1984, 75 (111). 424 Sec. 7 Singapore-SIA. 425 Sec. 6 South Africa-SIA. 421 Alebeek,
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1. Teil: Grundlagen
Schaden jedoch außerhalb des Forumstaates eintritt, wie im Falle des Sendens einer Briefbombe aus dem Forumstaat heraus oder einer Autobombe, die noch im Forumstaat konstruiert wird, die aber später außerhalb des Forumstaates explodiert.426 Auch Art. 12 der United Nations Conventions on Jurisdictional Immunities of States knüpft an den Ort der staatlichen Handlung an: „if the act or omission occurred in whole or in part in the territory of [the forum state]“. Ausreichend ist hiernach, dass sich ein Teil der staatlichen Handlung auf dem Gebiet des Forumstaates vollzieht. Jedoch unterliegt die Anwendbarkeit der Deliktsausnahme einer weiteren territorialen Beschränkung, nämlich der: „[presence of the] author of the act or omission […]in that territory at the time of the act or omission.“ Von der Deliktsausnahme sollen durch dieses einschränkende Erfordernis gerade grenzüberschreitende Delikte ausgenommen werden, bei denen sich der Schädiger außerhalb des Forumstaates befindet, wie etwa im Falle des Schusses über die Grenze oder des Exports von Sprengstoff in den Forumstaat hinein.427 Wie Art. 12 der UNCJIS knüpft auch Art. 11 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität an den Ort der staatlichen Handlung im Forumstaat an und fordert darüber hi naus die Anwesenheit des Schädigers auf dem Gebiet des Forumstaates („if the facts which occasioned the injury or damage occurred in the territory of the State of the forum, and if the author of the injury or damage was present in that territory at the time when those facts occurred“). Art 12 UNCJIS sowie Art. 11 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität setzen jedoch nicht voraus, dass neben dem Ort der Handlung auch der Ort des Schadenseintrittes im Forumstaat selbst liegt. Von der klassischen Deliktsausnahme können prinzipiell jene Fälle staat lichen Terrorismus erfasst sein, bei denen sich die staatliche Handlung auf dem Gebiet des Forumstaates vollzieht. In diesen Fällen soll im Sinne der Deliktsausnahme die Territorialhoheit des Forumstaates gegenüber der aus der souveränen Gleichheit fließenden Immunität des fremden Staates überwiegen. So verneinten US-amerikanische Gerichte in den Fällen Letelier v. Chile sowie Liu v. China die Immunität der beklagten Staaten wegen eines politischen Attentats respektive Mordes durch im Auftrag der Staaten handelnde Personen innerhalb US-amerikanischen Staatsgebiets.428 Außerhalb des Forumstaates begangene deliktische Handlungen des fremden Staates begründen dagegen keine Beschränkung der Staatenimmunität. In diesem 426 Yang,
State Immunity, S. 216. ILC, Commentary on the Draft Articles on Jurisidictional Immunities of States, YBILC, 1991, vol. II, Part Two, S. 45. 428 District Court, 11.03.1980, Letelier v. Republic of Chile, 488 F.Supp. 665; Court of Appeals, 29.12.1989, Liu v. Republic of China, 892 F.2d 1419. 427 UN
4. Kap.: Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme91
Sinne lehnten etwa britische Gerichte in den Fällen Al-Adsani und Jones die Ausübung der Gerichtsbarkeit über Handlungen der Folter, die sich außerhalb des britischen Staatsgebiets vollzogen, ab.429 II. Schadenseintritt im Forumstaat, staatliche Handlung außerhalb Tritt der Schaden im Forumstaat ein, hat sich die Handlung des fremden Staates jedoch außerhalb des Forumstaates vollzogen, so erfassen die klassischen Deliktsausnahmen diesen Fall nicht. Einen Sonderfall bildet, zumindest dem Wortlaut nach, die kanadische Deliktsausnahme, die die Beschränkung der Immunität an den Ort des Schadenseintritts knüpft, Sec. 6 SIA: „A foreign state is not immune from the jurisdiction of a court in any proceedings that relate to (a) any death or personal or bodily injury, or (b) any damage to or loss of property that occurs in Canada.“
Nach dem Wortlaut der Norm kann die Immunität des fremden Staates beschränkt werden, wenn ein Personen- oder Sachschaden im Forumstaat eintritt. Zum Ort der staatlichen Handlung schweigt Sec. 6 SIA. Vertreten wird daher, dass die kanadische Deliktsausnahme echte Distanzdelikte erfasse.430 Der kanadische Supreme Court entschied jedoch im Fall Kazemi v. Estate, dass sich auch die staatliche Handlung innerhalb Kanadas vollziehen müsse, da die Vorschrift sonst nicht im Einklang mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten stehe.431
429 Queen’s Bench Division (UK), 03.05.1995, Al-Adsani v. Kuwait, [1995] 5 WLUK 42, 103 ILR 420, 429; Court of Appeal (UK), 12.03.1996, Al-Adsani v. Kuwait, 107 ILR 536, 540 ff.; Queen’s Bench Division (UK), 30.07.2003, Jones v. Saudi Arabia, 2003 WL 22187644; Court of Appeal (UK), 28.10.2004, Jones v. Saudi Arabia, [2005] 2 W.L.R. 808; House of Lords, 14.06.2006, Jones v. Saudi Arabia, [2006] 2 WLR 1424. 430 Hierzu Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 99; Yang, State Immunity, S. 219. S. ausführlich zur kanadischen Deliktsausnahme 6. Kapitel: B.II.1. Zum Begriff des Distanzdelikts s. Hess, Staatenimmunität bei Distanz delikten, S. 6. Auch die International Law Association sah die Aufnahme von Distanzdelikten im Rahmen der Deliktsausnahme vor, s. ILA, International Committee on State Immunity, Final Report, 1994, 66 Int’l L. Ass’n Rep. Conf. 452, 495; Art. III F. ILA, Buenos Aires Revised Draft Articles for a Convention on State Immunity (Buenos Aires, 1994), abgedruckt in Dickinson u. a., State immunity: selected materials and commentary, S. 194 ff.; s. hierzu Giegerich, in: Tomuschat/Thouvenin, The Fundamental Rules of the International Legal Order, S. 228. 431 Supreme Court (CA), 10.10.2014, Kazemi Estate v. Islamic Republic of Iran, 159 ILR 299, 321 ff. Ausführlich hierzu Okeke, Jurisdictional immunities of states and international organizations, S. 130.
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1. Teil: Grundlagen
Auch die US-amerikanische Deliktsausnahme, 28 U.S.C. § 1605(a)(5), fordert dem Wortlaut zufolge einzig, dass sich der Ort des Schadenseintritts innerhalb der USA zu befinden hat: „A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – […] in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death, or damage to or loss of property, occurring in the United States and caused by the tortious act or omission of that foreign state […]“.
Hinsichtlich des Orts der staatlichen Handlung schweigt 28 U.S.C. § 1605(a)(5) ebenfalls. Nach der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court im Fall Amerada Hess hat sich jedoch sowohl der Ort des Schadenseintritts als auch die staatliche Handlung innerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes zuzutragen.432 Der Supreme Court interpretiert den offen gehaltenen Wortlaut der Deliktsausnahme des 28 U.S.C. § 1605(a)(5) somit restriktiv. Auch die vom Wortlaut her offen gehaltenen Deliktsausnahmen der USA und Kanadas sollen nach der Rechtsprechung der obersten Gerichte der jeweiligen Staaten also solche Fälle nicht erfassen, in denen die staatliche Handlung außerhalb des Forumstaates liegt. Folglich existiert keine Deliktsausnahme in der Staatenwelt, die die Beschränkung der Immunität in Fällen vorsieht, in denen die staatliche Handlung außerhalb des Forumstaates liegt. Gerade Fälle des internationalen Terrorismus, wie die Anschläge des 11. September 2001, bei denen der Staat seiner vermeintlich den Terrorismus fördernden Tätigkeit außerhalb des Forumstaates nachkommt und die konkrete deliktische Handlung im Forumstaat durch nicht-staatliche Akteure vorgenommen wird, ist daher von der herkömmlichen Deliktsausnahme nicht gedeckt.433 An diesem Punkt knüpft die im Oktober 2016 erlassene, zweite Terrorismusausnahme der USA, 28 U.S.C. § 1605B an. Während 28 U.S.C. § 1605 B(b) einerseits das Eintreten eines „act of international terrorism in the United States“ sowie „death or injury occuring in the united states“ verlangt, kann der Ort der deliktischen Handlung des fremden Staates auch außerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes liegen: „a tortious act or acts of the foreign state […] regardless where the tortious act or acts of the foreign state occurred.“ Die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C § 1605B sucht also 432 Supreme Court, 23.01.1989, Argentine Republic v. Amerada Hess Shipping Corp., 488 U.S. 428, 441; zu den Anschlägen des 11. Septembers 2001 s. Court of Appeals, 16.04.2013, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 714 F.3d 109, 117; s. hierzu ausführlich unten 6. Kapitel: A.II.3.a)cc)(2). 433 Zu den Gerichtsverfahren über die Anschläge des 11. September 2001 und der Anwendbarkeit der US-amerikanischen Deliktsausnahme s. ausführlich unten 6. Kapitel: A.II.3.a).
4. Kap.: Deliktsausnahme zur Staatenimmunität vs. Terrorismusausnahme93
eine Lücke der klassischen Deliktsausnahme zu schließen, indem auch staatliche Handlungen außerhalb des Forumstaates die zu einem Schadenseintritt innerhalb des Forumstaates beigetragen haben, erfasst werden. Hierin unterscheidet sich 28 U.S.C. § 1605B klar von der Deliktsausnahme zur Staaten immunität und stellt eine neue, eigenständige Ausnahme zur Staatenimmunität dar.434 Die generelle Zurückhaltung der Staaten, die Immunität eines fremden Staates bei deliktischen Klagen auch dann einzuschränken, wenn sich die staatliche Handlung außerhalb des Forumstaates vollzieht, lässt sich mit der Gefahr der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des fremden Staates erklären, gerade vor dem Hintergrund, dass die Deliktsausnahme auch hoheitliche Handlungen zu erfassen vermag.435 III. Schadenseintritt und staatliche Handlung außerhalb des Forumstaates Keine der Deliktsausnahmen auf nationaler Ebene oder in völkerrecht lichen Konventionen sieht die Beschränkung der Immunität im Falle eines Personen- oder Sachschadens ohne einen Bezug zum Territorium des Forumstaates vor. Von der Deliktsausnahme werden somit jene deliktischen Handlungen nicht erfasst, bei denen sich die Handlung eines fremden Staates und der Schadenseintritt außerhalb des Forumstaates zutragen. Hierzu stellen sich die ursprünglichen Terrorismusausnahmen in den USA (28 U.S.C. § 1605A) und Kanada (Sec. 6.1 SIA) in Gegensatz. Beide Terrorismusausnahmen verzichten gänzlich auf einen territorialen Nexus zwischen dem Ort des Schadenseintritts und der staatlichen Handlung. Sie zeichnen sich gerade durch ihre extraterritoriale Anwendbarkeit aus.436 Auf Grundlage der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA können Gerichte ihre Gerichtsbarkeit auf alle deliktischen Handlungen erstrecken, die außerhalb des Forumstaates begangen wurden. In diesem Punkt ist die Terrorismusausnahme einzigartig. Eine Beziehung des Sachverhalts zum 434 „[ 28 U.S.C. 1605B] created a new avenue against foreign States […]“, Stew art, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and Internatio nal Law, S. 664. Anders Dodge, der 28 U.S.C. § 1605B als Ausprägung der Delikts ausnahme begreift s. Dodge, Does JASTA violate international law?, in: Just Security, 30.09.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org/33325/jasta-violate-inter national-law-2/ (Stand: 14.05.2020). 435 Hierzu Stewart, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 665. 436 „Congress intended to reach extraterritorial conduct.“, District Court, 07.03.2006, Rein v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 995 F.Supp 325, 330; s. auch Yang, State Immunity, S. 225.
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1. Teil: Grundlagen
Forumstaat wird jedoch über die Klageberechtigung hergestellt: Klageberechtigt sind in der Regel nur Staatsangehörige.437 Die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA stellt eine klare Abkehr von der herkömmlichen Deliktsausnahme dar. Die USA und Kanada schließen durch Erlass der Terrorismusausnahme gerade die bei der Deliktsausnahme bestehende Lücke der extraterritorialen Anwendung. IV. Zusammenfassung Die Deliktsausnahme zur Staatenimmunität sieht stets einen territorialen Nexus zwischen dem Gebiet des Forumstaates und dem Ort der staatlichen Handlung sowie dem Ort des Schadenseintritts vor. Gerade aus diesem territorialen Nexus, der die Territorialhoheit des Forumstaates begründet, fließt die Beschränkung der Staatenimmunität in Fällen deliktischen Handelns des fremden Staates. Fälle des staatlichen Terrorismus, etwa ein politisches Attentat auf einen Regimekritiker, können dann von der klassischen Deliktsausnahme erfasst werden, wenn sich die staatliche Handlung und der Schadens eintritt innerhalb des Forumstaates ereignet haben. Nicht erfasst werden hingegen solche Fälle, bei denen sich die staatliche Handlung oder der Schadenseintritt außerhalb des Forumstaates zutragen. Die Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität stellen in diesem Punkt eine Abkehr von der klassischen Deliktsausnahme dar. Während die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605B dem Modell der Deliktsausnahme insoweit folgt, als dass der Schadenseintritt innerhalb der USA, also dem Forumstaat liegen muss, und hierüber das Kriterium des territorialen Nexus eingeführt wird, auch wenn der Ort der staatlichen Handlung selbst außerhalb der USA liegen kann, so stellen die Terrorismusausnahmen des 28 U.S.C. § 1605A sowie des Sec. 6.1 SIA eine Abkehr von der Deliktsausnahme dar. 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA fordern keinen territorialen Nexus zwischen der staatlichen Handlung oder dem Ort des Schadenseintritts und den USA respektive Kanada und erfassen somit terroristische Anschläge weltweit. 5. Kapitel
Staatenimmunität und Jurisdiktion Eng verwoben mit dem Grundsatz der Staatenimmunität ist die Doktrin der Jurisdiktion. Bereits der Definition der Staatenimmunität als Befreiung von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates lässt sich diese Verknüpfung 437 Zu den besonderen Voraussetzungen der Klageberechtigung im Einzelnen s. unten 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(3), B.II.2.b)aa)(3).
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion95
entnehmen. Der Begriff der Jurisdiktion nimmt daher eine zentrale Rolle im Rahmen des Rechts der Staatenimmunität ein.438 Dabei ist für ein Verständnis des Verhältnisses von Staatenimmunität und Jurisdiktion auch ein Blick auf die Differenzierung zwischen der Doktrin der Jurisdiktion im Völkerrecht und der im angloamerikanischen Raum begrifflich identischen, nationalen Jurisdiktion der Gerichte erforderlich.439 Denn das Recht der Staatenimmunität berührt als Grundsatz des Völkerrechts, der als prozessrechtliche Regelung im Rahmen nationaler Gerichtsverfahren Anwendung findet, sowohl Fragen hinsichtlich der völkerrechtlichen Jurisdiktion als auch Fragen der nationalen Jurisdiktion der Gerichte. In diesem Zusammenhang führt der Grundsatz der Staatenimmunität in die Materie des Internationalen Privatund Zivilprozessrechts der Staaten.440 Dies bietet Anlass, beide Themenkreise zu behandeln, wobei der Materie immanent ist, dass sie sich in manchen Punkten überschneidet. Im Rahmen der folgenden Ausführungen wird daher sowohl der Themenkomplex von Staatenimmunität und der Doktrin der Jurisdiktion im Völkerrecht als auch Fragen der Anwendbarkeit der Staaten immunität im nationalen Recht behandelt. Der Themenkomplex der Anwendung des Grundsatzes der Staatenimmunität im nationalen Recht ist dabei insbesondere für die Erörterung der Durchbrechung der Staatenimmunität als zulässige Gegenmaßnahme von Bedeutung.441 Erschwert wird ein Verständnis der Schnittmenge von Jurisdiktion und Staatenimmunität dadurch, dass diese in Rechtsprechung und Gesetzgebung häufig quasi „in einem Atemzug“ genannt werden.442 So findet sich in Spruchpraxis und Gesetzgebungsakten zur Staatenimmunität vielfach eine 438 Yang, State Immunity, S. 64: „[…] the issue of immunity is first of all an issue of jurisdiction.“ 439 S. zu der Unterscheidung von Jurisdiktion im Völker- und nationalen Recht auch Mann, RdC 1964, 9: „When public international lawyers pose the problem of jurisdiction, they have in mind the State’s right under international law to regulate conduct in matters not exclusively of domestic concern. […] But jurisdiction in international law has nothing to do with the question of municipal law whether certain State organs have jurisdiction in a given case, whether, for instance, a Court has jurisdiction to entertain certain proceedings […].“ 440 S. Reuter, in: Fischer/Kock/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 148: „Die Frage der Immunitäten des Staates lässt sich nicht leicht von den Besonderheiten der Wege der internen Rechtsprechung loslösen; sie scheint zahlreiche Verbindungen zu den Problemen der Zuständigkeitskonflikte und Gesetzeskonflikte zu haben, welche die Substanz der nationalen Internationalen Privatrechte ausmachen, und zwar derart, daß es in gewissen Ländern wie z. B. Frankreich die Werke über Internationales Privatrecht sind, welche die Immunitäten behandeln, während die selben in Darstellungen des Völkerrechts nur summarisch genannt werden.“; s. auch Yang, State Immunity, S. 64. 441 S. hierzu sogleich 5. Kapitel: B. und 9. Kapitel: E. 442 S. unten 5. Kapitel: A.III., B.I.3.
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1. Teil: Grundlagen
Verbindung der Staatenimmunität mit dem die Jurisdiktion begründenden Kriterium des territorialen Nexus, so auch bei dem Justice Against State Sponsors of Terrorism Act.443 Neben die bereits viele verschiedene Zuständigkeiten und Fragen abdeckende Begrifflichkeit der Jurisdiktion treten die deutschen Begrifflichkeiten der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit, die im deutschen Recht eine strikte Trennung erfahren.444 Insbesondere aus der Perspektive eines deutschen Juristen kann daher der einheitlich verwandte, aber bedeutungsvielfältige Begriff der Jursidiktion Verwirrung stiften.
A. Staatenimmunität und Jurisdiktion im Völkerrecht Im Rahmen der Behandlung des Themenkreises Staatenimmunität und Jurisdiktion aus völkerrechtlicher Perspektive soll zu Beginn das Konzept der Jurisdiktion im Völkerrecht dargelegt werden, wobei auch die völkerrecht lichen Anknüpfungspunkte, die einen Staat zur Ausübung von Jurisdiktion legitimieren, Gegenstand sind und eine Grundlage für weitere Ausführungen bilden sollen. Sodann wendet sich die Erörterung dem, insbesondere im Schrifttum vielfach diskutierten, Regel-Ausnahme-Verhältnis von Jurisdiktion und Staatenimmunität zu. Abschließend wird der Konflikt zwischen der Territorialhoheit des Gerichtsstaates und der Staatenimmunität des fremden Staates behandelt. I. Die Doktrin der Jurisdiktion 1. Bedeutung
Der Begriff der Jurisdiktion beschreibt in seinem weitesten Sinne „a states lawful power to act and hence its power to decide whether and, if so, how to act, whether by legislative, executive, or judicial means.“445 Bei der Jurisdiktion eines Staates handelt es sich ganz grundlegend gesprochen also um die Regelungsgewalt des Staates,446 respektive die Befugnis eines Staates, einen bestimmten Sachverhalt seiner hoheitlichen Regelungsmacht zu unterwer443 S. ausführlich unten 5. Kapitel: A.III. Zum Kriterium des territorialen Nexus im Rahmen des JASTA s. oben 4. Kapitel: B.II. 444 S. sogleich 5. Kapitel: B.I.3. 445 Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online, Rn. 1; s. auch Brownlie, Principles of Public International Law, S. 106, 302. Mann definiert die Jurisdiktion im Völkerrecht als „the state’s right to regulate conduct“, Mann, RdC 1964, 9 (9 f.). Steinberger spricht von der „govermental power“ eines Staates, Steinberger, in: Bernhardt, EPIL, Volume IV, S. 615. 446 Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 1.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion97
fen.447 Diese kann im Einzelnen nach verschiedenen Gesichtspunkten differenziert werden. So erfasst der weite Begriff der Jurisdiktion im Völkerrecht die Rechtsetzungsbefugnis des Staates („jurisdiction to prescribe“ oder auch „legislative jurisdiction“), die Rechtsprechungsbefugnis („jurisdiction to adjudicate“) sowie die Vollstreckungsbefugnis des Staates („jurisdiction to enforce“/„prerogative jurisdiction“).448 Diese Differenzierung spielt dabei insbesondere im Hinblick auf die Grenzen der Jurisdiktion eine Rolle.449 Vor dem Hintergrund der Untersuchung der Staatenimmunität ist speziell die „jurisdiction to adjudicate“ also die Rechtsprechungsbefugnis von Bedeutung.450 Im deutschen Recht findet sich die „jurisdiction to adjudicate“ unter dem Begriff der Gerichtsbarkeit wieder. Die Gerichtsbarkeit (facultas iurisdictionis) eines Staates gründet auf der, aus der territorialen Souveränität fließenden, Gebietshoheit des Staates.451 Sie ist Teil der Hoheitsgewalt des Staates, welche der Staat auf die Gerichte zur Ausübung überträgt.452 Der Staat kann jedoch nur dann den Gerichten die Ausübung staatlicher Gewalt in Form der Gerichtsbarkeit, respektive Jurisdiktion, übertragen, wenn sie ihm im konkreten Fall nach den Regeln des Völkerrechts tatsächlich zukommt.453 Ein Gericht kann demzufolge nur im Rahmen der Reichweite der Staatsgewalt, die den Rahmen der Gerichtsbarkeit bildet, entscheiden.454 Ob ein Staat seine Regelungsgewalt in Fällen mit Auslandsbezug ausüben kann, bestimmt sich zunächst nach dem Völkerrecht.455 Das Völkerrecht bildet dabei den äußeren Rahmen, es stellt gewissermaßen ein übergeordnetes Kollisions- beziehungsweise Koordinationsrecht dar.456 Das „Wie“ der 447 Schwarze,
Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 13. ganz grundlegend zu dieser Unterscheidung: ALI, Fourth Restatement of the Law – The foreign Relations Law of the United States, § 401 – Categories of Jurisdiction; Beale, Harv. L. Rev. 1922, 241 (241); Brownlie, Principles of Public International Law, S. 203; Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online, Rn. 3. 449 Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online Rn. 4. 450 Steinberger, in: Bernhardt, EPIL, Volume IV, S. 615: „In relation to state immunity its main practical importance consists in the power of the territorial state to adjudicate, to determine questions of law and of fact, to administer justice […].“; so auch Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 34. 451 Geimer, IZPR, Rn. 119. 452 Geimer, IZPR, Rn. 845; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 164. 453 Beale, Harv. L. Rev. 1922, 241 (243): „[T]he sovereign cannot confer legal jurisdiction on his courts or his legislature when he has no such jurisdiction according to the principles of international law.“ 454 Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 173. 455 Mann, RdC 1964, 9 (9 f., 19, 73 ff.); Epping, in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/ Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 5, Rn. 71. 456 von Arnauld, Völkerrecht, § 4, Rn. 348; Mann, RdC 1964, 9 (19); Simma/Müller, in: Crawford/Koskenniemi, The Cambridge companion to international law, S. 136. 448 Vgl.
98
1. Teil: Grundlagen
Ausübung obliegt sodann auf zweiter Ebene den Staaten, die durch nationale Kollisionsregeln, die Regeln ihres nationalen Internationalen Privatrechts, die Einzelheiten konkretisieren und den durch das Völkerrecht gesetzten Rahmen ausfüllen.457 2. Anknüpfungspunkte zur Ausübung von Jurisdiktion
Während die Ausübung von Regelungswalt durch einen Staat außerhalb des eigenen Staatsgebietes nur in eng umgrenzten Ausnahmen zulässig ist, ist mit dem Völkerrecht grundsätzlich vereinbar, dass ein Staat innerhalb seines Staatsgebiets seine Regelungsgewalt auch auf solche Fälle erstreckt, die einen Auslandsbezug aufweisen.458 Zu diesem Schluss, der bis heute Geltung beansprucht, gelangte der Ständige Internationale Gerichtshof in dem prominenten Lotus-Fall: „It does not, however, follow that international law prohibits a State from exercising jurisdiction in its own territory, in respect of any case which relates to acts which have taken place abroad, and in which it cannot rely on some permissive rule of international law. Such a view would only be tenable if international law contained a general prohibition to States to extend the application of their laws and the jurisdiction of their courts to persons, property and acts outside their territory, and if, as an exception to this general prohibition, it allowed States to do so in certain specific cases.“459
Ein Staat genießt also grundsätzlich die Freiheit, seine Jurisdiktion innerhalb des eigenen Staatsgebietes auch auf Sachverhalte mit Auslandsbezug zu erstrecken, solange eine völkerrechtliche Prohibitivnorm dies für den konkreten Einzelfall nicht untersagt. Diese Freiheit erfährt jedoch durch grundlegende Prinzipien des Völkerrechts eine Begrenzung.460 So ist eine Verletzung des Interventionsverbots (Art. 2 Abs. 4 UN-Charta) etwa dann zu bejahen, wenn zwischen dem, die Regelungsgewalt beanspruchenden Staat und dem Auslandssachverhalt kein hinreichender Nexus, keine sogenannte „genuine connection“ besteht.461 457 Mann,
RdC 1964, 9 (19); von Arnauld, Völkerrecht § 4 Rn. 348. in: Ipsen/Heintschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7,
458 Epping,
Rn. 69 ff. 459 StIGH, 07.09.1927, The Case of the S.S. „Lotus“ (France v. Turkey), PCIJ Ser. A, No. 10, 19. 460 „In these circumstances, all that can be required of a State is that it should not overstep the limits which international law places upon its jurisdiction; within these limits, its title to exercise jurisdiction rests in its sovereignty.“, StIGH, 07.09.1927, The Case of the S.S. „Lotus“ (France v. Turkey), PCIJ Ser. A, No. 10, 19. 461 IGH, 06.04.1955, Nottebohm Case (Liechtenstein v. Guatemala), I.C.J. Rep. 1955, 4, 23 ff; IGH, 05.02.1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), I.C.J. Rep. 1970, 3, para 70 ff.; Epping, in: Ipsen/Heint-
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion99
Je nach Rechtsgebiet unterschiedlich stark ausgeprägt, lassen sich verschiedene, die staatliche Regelungsgewalt legitimierende Anknüpfungspunkte identifizieren, die den völkerrechtlichen Rahmen zur Begründung von Jurisdiktion bilden.462 Ausgangspunkt und von hervorgehobener Bedeutung im Rahmen der Fälle, in denen die Immunität eines Staates eine zentrale Rolle spielt, ist das Territorialitätsprinzip. Dieses setzt einen territorialen Nexus zum Gerichtsstaat voraus, der durch die Belegenheit einer Sache oder Vorgänge, die sich zumindest teilweise auf dem Gebiet des Staates ereignen, begründet wird.463 Erfasst werden also Vorgänge, die unter die Gebietshoheit des Staates fallen.464 Dabei ist ausreichend, dass entweder der Handlungsoder der Erfolgsort eines bestimmten Sachverhalts einen territorialen Bezug zu dem regelnden Staat aufweist.465 In diesem Sinne knüpft die in den USA jüngst erlassene Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, 28 U.S.C. § 1605B, an den Schadenseintritt eines terroristischen Aktes innerhalb USamerikanischen Staatsgebietes an, obgleich sich die staatliche Förderungshandlung selbst außerhalb US-amerikanischen Staatsgebiets vollzogen hat.466 Das Territorialitätsprinzip erfasst zudem in seiner weiten, nicht unumstrit tenen Ausprägung auch rein externe Sachverhalte, wenn sich diese auf das eigene Staatsgebiet auswirken (Wirkungsprinzip).467 Neben dem Territorialitätsprinzip bildet das Personalitätsprinzip einen wichtigen Anknüpfungspunkt zur Ausübung von Regelungsgewalt. Das Perschel von Heinegg/Heintze/Menzel, Völkerrecht, § 7, Rn. 71; Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 3. Das BVerfG spricht in diesem Sinne von einem „Mindestmaß an Einsichtigkeit“, s. BVerfGE 63, 343, 369; s. hierzu ausführlich unten 5. Kapitel: B.I.3. 462 Die herausgestellten Anknüpfungspunkte betreffen in erster Linie die „jurisdiction to prescribe“, die Befugnis eines Staates, sein Recht auf bestimmte Fälle mit Auslandsbezug zu erstrecken. Diese ist jedoch Grundlage für die Übertragung der Gerichtsbarkeit durch Gesetz. Insofern ist sie auch im vorliegenden Kontext von Bedeutung, auch wenn die durch das Völkerrecht gezogenen Grenzen für die Rechtsprechung selbst weniger eng verlaufen, vgl. Geimer, IZPR, Rn. 377; Schwarze, Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht, S. 20 f. 463 Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 2, 4 ff. 464 Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 4; Oxman, Jurisdiction of States, MPEPILOnline, Rn. 16. 465 Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online, Rn. 16. 466 S. hierzu ausführlich oben 4. Kapitel: B.II. 467 Dies erkannte der Ständige Internationale Gerichtshof im Lotus-Fall an, StIGH, 07.09.1927, The Case of the S.S. „Lotus“ (France v. Turkey), PCIJ Ser. A, No. 10, 25. Insbesondere der US-amerikanischen Rechtsprechung lässt sich jedoch die Tendenz zur Einschränkung des Wirkungsprinzips entnehmen, vgl. Supreme Court, 24.06.2010, Morrison v. National Australia Banc Ltd., 130 S.Ct. 2869, 2878 („When a statute gives no clear indication of an extraterritorial application, it has none.“); s. auch jüngst ALI, Fourth Restatement of the Law – The foreign Relations Law of the United States, § 404 – Presumption Against Extraterritoriality.
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1. Teil: Grundlagen
sonalitätsprinzip erfasst einmal die Regelung des Verhaltens von Angehörigen des eigenen Staates unabhängig von deren Aufenthaltsort (aktives Personalitätsprinzip) sowie den Schutz eigener Staatsangehöriger im Ausland durch die nationale Rechtsordnung des Heimatstaates (passives Personali tätsprinzip).468 Auch wenn die Reichweite des passiven Personalitätsprinzip im Einzelnen umstritten ist,469 ist es im Rahmen des Rechts der Staatenimmunität neben dem Territorialitätsprinzip zur Begründung von Jurisdiktion besonders relevant. So dient es bei Klagen eines Opfers auf Schadensersatz im Heimatstaat gegen einen fremden Staat etwa wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen oder anderer, nach dem Heimatrecht strafbarer Delikte, die sich außerhalb des Heimatstaates ereignet haben, für den Heimatstaat des Opfers als Anknüpfungspunkt zur Ausübung von Jurisdiktion.470 Auch die US-amerikanische Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, 28 U.S.C. § 1605A, sowie die kanadische Terrorismusausnahme, Sec. 6.1 SIA, die die Staatenimmunität im Falle terroristischer Akte beschränken, die sich gänzlich außerhalb des eigenen Staatsgebietes zugetragen haben,471 knüpfen an das personale Moment zur Begründung von Jurisdiktion an.472 Das Territorial- sowie das Personalitätsprinzip bilden die wichtigsten Anknüpfungspunkte zur Erstreckung von Regelungsgewalt auf Sachverhalte mit Auslandsbezug und weisen eine enge Verbindung zu zwei staatsbildenden Merkmalen, dem Staatsgebiet und dem Staatsvolk auf.473 Schließlich können auch der Schutz der eigenen staatlichen Funktionen (Schutzprinzip)474 sowie die straf- oder zivilrechtliche Verfolgung bestimmter Verbrechen, an deren Ahndung die gesamte Staatengemeinschaft ein Interesse hat (Universalitätsprinz oder Weltrechtsprinzip),475 als Anknüpfungspunkt zur Ausübung von Jurisdiktion dienen. Das Universalitätsprinzip spielt insbesondere im Strafrecht eine bedeutende Rolle und ermöglicht es Staaten, bestimmte international geächtete Delikte wie Piraterie, Folter, Sklaverei, Genozid aber auch Flugzeugentführungen sowie gegebenenfalls bestimmte
468 Herdegen,
Völkerrecht, § 26, Rn. 9 ff. Völkerrecht, § 26, Rn. 11. 470 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 34. 471 S. oben 4. Kapitel: B.III. 472 S. hierzu ausführlich unten 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(3) und 6. Kapitel: B.II.2.b) aa)(3); s. auch ALI, Fourth Restatement of the Law – The foreign Relations Law of the United States, § 402 – United States Practice with Respect to Jurisdiction to Prescribe, para 8. 473 Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online, Rn. 34. 474 Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online, Rn. 27. 475 Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 13 ff. Oxman, Jurisdiction of States, MPEPIL-Online, Rn. 37 ff. 469 Herdegen,
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion101
terroristische Akte strafrechtlich zu verfolgen.476 Demgegenüber ist das Universalitätsprinzip zur Begründung von Jurisdiktion gerade in der Zivilgerichtsbarkeit, die vornehmlich mit Fällen im Bereich der Staatenimmunität befasst ist, bisweilen äußerst umstritten.477 Diese Diskussion ist jedoch für die Begründung der Jurisdiktion in Fällen der Durchbrechung der Staaten immunität wegen der Förderung terroristischer Akte nicht von Bedeutung, da, wie soeben dargelegt, die US-amerikanischen und kanadischen Vorschriften die Jurisdiktion der Gerichte auf das Territorial- respektive (passive) Personalitätsprinzip stützen. II. Verhältnis von Staatenimmunität und Jurisdiktion Das Verhältnis von Staatenimmunität und Jurisdiktion ist ein immer wieder aufkeimendes Thema im Recht der Staatenimmunität.478 Dabei ist das dogmatische Ringen darum, ob die Staatenimmunität eine Ausnahme zur Jurisdiktion des Forumstaates darstellt oder eine eigenständige Regel ver körpert, bis heute im Schrifttum nicht beigelegt und scheint zuweilen un lösbar.479 Beide Ansätze finden sich in der (zivil-)prozessualen Behandlung des Grundsatzes der Staatenimmunität auf nationaler Ebene wieder. So wird die Immunität teilweise, wie im deutschen oder französischen Recht, gesondert unter dem Punkt der Gerichtsbarkeit beziehungsweise incompétence 476 Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 13; s. zur Praxis der USA: ALI, Fourth Restatement of the Law – The foreign Relations Law of the United States, § 402 – United States Practice with Respect to Jurisdiction to Prescribe: „The United States exercises jurisdiction to prescribe with respect to certain offenses of universal concern, such as piracy, slavery, forced labor, trafficking in persons, recruitment of child soldiers, torture, extrajudicial killing, genocide, and certain acts of terrorism, even if no other basis for jurisdiction to prescribe is present.“ 477 EGMR, 15.03.2018, Naït-Liman v. Switzerland, Application no. 51357/07, para 187: „[…] it has to be concluded that those States which recognise universal civil jurisdiction […] are currently the exception. Although the States’ practice is evolving, the prevalence of universal civil jurisdiction is not yet sufficient to indicate the emergence, far less the consolidation, of an international custom […]“; s. hierzu auch Hovell, EJIL 2018, 427 (451 f.). Prominente Beispiele für die Ausübung universaler Jurisdiktion durch Zivilgerichte lassen sich vor allem in der US-amerikanischen Rechtsprechung auf Grundlage des Alien Tort Statute (28 U.S.C. § 1350) finden, vgl. Supreme Court, 29.06.2004, Sosa v. Alvarez-Machain, 124 S.Ct. 2739. Der U.S. Supreme Court schränkte die Jurisdiktion amerikanischer Gerichte jedoch zuletzt dahin gehend ein, dass ein ausreichender Bezug zu dem Territorium des Gerichtsstaats gegeben sein muss, s. Supreme Court, 17.04.2013, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co., 133 S.Ct. 1659. 478 Fox/Webb bezeichnen diese Thematik als „perennial issue“ („Dauerbrenner“), State Immunity, S. 84. 479 Fox/Webb, State Immunity, S. 84.
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1. Teil: Grundlagen
d’attribution geprüft, teilweise aber auch, wie im angloamerikanischen Recht, im Rahmen der (internationalen) Zuständigkeit des Gerichts, also als Teilfrage der nationalen Jurisdiktion des Gerichts.480 Aber auch die Verknüpfung von Staatenimmunität und Jurisdiktion in nationalen Urteilen und Gesetzen, die die Beschränkung der Staatenimmunität mit dem Vorliegen eines territorialen Nexus verbinden, zeugt von der dogmatischen Unsicherheit im Bereich des Verhältnisses von Staatenimmunität und Jurisdiktion.481 Ungeachtet der Fülle an Literatur und Rechtsprechung, die in diesem Bereich aufzufinden ist und sich dem scheinbar unlösbaren Konflikt von Immunität und Jurisdiktion widmet, darf der Blick für die Relevanz dieser Frage, der Blick für das Wesentliche nicht verloren gehen. Die Qualifizierung des Grundsatzes der Staatenimmunität als Ausnahme zur Jurisdiktion oder als völkerrechtliche Regel wird mit der Annahme des Primats entweder der Jurisdiktion des einen oder der Immunität des anderen Staates gefolgert. Daher ist die rechtsdogmatische Behandlung in erster Linie für die Verteilung der Beweislast und in diesem Rahmen insbesondere im Hinblick auf die Vermutungsregelung von Relevanz.482 So wird gerade von Befürwortern einer Immunitätsbeschränkung, etwa im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, die Argumentation herangezogen, der Staat müsse das Bestehen seiner Immunität als Ausnahme zur Jurisdiktion des Gerichtsstaates positiv nachweisen.483 Grundsätzlich bleiben der rechtsverbindliche Charakter sowie der materiellrechtliche Gehalt der Staatenimmunität von dieser Argumentation hingegen unberührt.484 Ob es im Ergebnis auf die Lösung des scheinbar unlösbaren Konflikts ankommt, soll im Folgenden dargelegt werden. 1. Jurisdiktion als sine qua non der Staatenimmunität
Bereits aus Gründen der Logik folgt, dass die Immunität des einen Staates grundsätzlich nicht losgelöst von der Frage der Jurisdiktion des anderen
480 Fox/Webb,
State Immunity, S. 85. S. hierzu auch 5. Kapitel: B.I.3. State Immunity, S. 85; Yang, State Immunity, S. 64; s. hierzu ausführlich 5. Kapitel: A.I.1.; III. und B.I.3. 482 Caplan, AJIL 2003, 741 (757): „With jurisdiction as the rule and immunity as the exception, it is incumbent upon the foreign state defendant, not the individual plaintiff, to point to the rule, domestic or international, that requires immunity.“; Higgins, NILR 1982, 265 (271); Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 24. 483 Caplan, AJIL 2003, 741 (751 ff.); Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (229 ff.). 484 ILA, International Committee on State Immunity, Second Report on Developments in the Field of State Immunity since 1982, Cairo Conference (1992), 65 Int’l L. Ass’n Rep. Conf. 290, 296; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 24. 481 Fox/Webb,
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion103
Staates betrachtet werden kann.485 So führte der Internationale Gerichtshof in dem Fall Arrest Warrant aus: „As a matter of logic, the second ground [immunity] should be addressed only once there has been a determination in respect of the first, since it is only where a State has jurisdiction under international law in relation to a particular matter that there can be any question of immunities in regard to the exercise of that jurisdiction.“486
Auch die Richter Higgins, Kooijmans und Buergenthal betonen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme, dass die Staatenimmunität konzeptionell von dem Bestehen der Jurisdiktion abhängig sei.487 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt eine internationale Praxis dahingehend fest, dass es zur Auseinandersetzung mit Fragen der Immunität erst dann kommt, wenn die Jurisdiktion des Gerichts bejaht werden kann.488 Der Sonderberichterstatter der International Law Commission, Sompong Sucharitkul, erklärt in seinem Bericht zu Staatenimmunität, dass die Jurisdiktion der Gerichte sine qua non für die Frage der Immunität sei.489 Kann ein Forumstaat seine Jurisdiktion nicht begründen, so besteht schon keine Regelungsgewalt, die der Staat auf seine Gerichte übertragen kann.490 Dies wiederum bedingt die fehlende Befugnis der Gerichte, den Rechtsstreit zu entscheiden,491 denn 485 Badr, State immunity, S. 80; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 34; Crawford, AYBIL 1978, 71 (92); Reuter, in: Fischer/Kock/ Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 151; Yang, State Immunity, S. 64. 486 IGH, 14.02.2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), I.C.J. Rep. 2002, 3, para 46. Dennoch geht der IGH in seinem Urteil aufgrund der besonderen Umstände des Falles und der Zustimmung der Parteien nicht auf die Frage der Jurisdiktion, konkret die Frage der universellen Jurisdiktion Belgiens ein, sondern behandelt fast ausschließlich die Frage der Immunität. Dies wird von den Richtern Higgins, Kooijmans und Buergenthal kritisiert: „The Court, in passing over the question of jurisdiction, has given the impression that ‚immunity‘ is a free-standing topic of international law. It is not. ‚Immunity‘ and ‚jurisdiction‘ are inextricably linked.“, IGH, 14.02.2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium) (Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal), I.C.J. Rep. 2002, 63, para. 3. 487 IGH, 14.02.2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium) (Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal), I.C.J. Rep. 2002, 63, para 4: „the notion of immunity depends, conceptually, upon a pre-existing jurisdiction.“ 488 EGMR, 15.03.2018, Naït-Liman v. Switzerland, Application no. 51357/07, para 99. 489 UN ILC, Third Report on Jurisdictional Immunities of States and their Property, by Mr. Sompong Sucharitkul, Special Rapporteur, 18.05.1981, UN Doc. A/ Cn.4/340 and Add.1, Rn. 16. 490 Beale, Harv. L. Rev. 1922, 241 (243). 491 Yang, State Immunity, S. 64.
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1. Teil: Grundlagen
es kann keine Regelungsgewalt übertragen werden, die in erster Linie nicht besteht. In diesem Fall wäre die Berufung des beklagten Staates auf den Grundsatz der Staatenimmunität überflüssig, denn wenn bereits die Gerichtsbarkeit des Forumstaates nicht gegeben ist, wovon sollte der Staat durch seine Immunität noch befreit werden?492 An dieser Stelle kann für Verfahren gegen einen Staat nichts anderes gelten als bei Klagen gegen natürliche oder juristische Personen. Umgekehrt würde ein Verzicht des beklagten Staates auf seine Immunität ins Leere laufen, wenn nicht grundsätzlich zunächst die Jurisdiktion des Gerichtsstaates bestünde.493 Auch der Definition der Staaten immunität, als die Befreiung von der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates, lässt sich entnehmen, dass das Vorliegen der Gerichtsbarkeit vorausgesetzt wird.494 Um zur Frage der Staatenimmunität zu gelangen bedarf es also rein aus logischen Erwägungen stets zunächst der Kompetenz der Gerichte, Recht zu sprechen.495 Es muss mithin die Jurisdiktion des Staates gegeben sein, bevor die Frage der Immunität behandelt werden kann. 2. Folge: Staatenimmunität als Ausnahme zur Jurisdiktion?
Die zentrale Frage ist jedoch, ob aus der faktischen Notwendigkeit des Bestehens von Jurisdiktion des Forumstaates vor Fragen der Staatenimmunität des fremden Staates zu folgern ist, dass der Regelungsgewalt des Forumstaates im Zweifel Vorrang vor der Immunität des beklagten Staates zu gewähren ist, es sich bei der Staatenimmunität selbst also um eine bloße Ausnahme zur Jurisdiktion des Forumstaates handelt.496 Während der RegelAusnahme-Konflikt zu Zeiten entscheidend gewesen sein mag, in denen das Recht der Staatenimmunität noch am Beginn seiner Entwicklung stand, so tritt diese Frage heute in den Hintergrund. Es ist in Rechtsprechung aber auch den nationalen Kodifikationen der verschiedenen Staaten weit verbreitet, dass die Gewährung von Staatenimmunität der Regelfall ist, es sei denn, 492 IGH, 14.02.2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium) (Separate Opinion of President Guillaume), I.C.J. Rep. 2002, 35, para. 1: „[…] there can only be immunity from jurisdiction where there is jurisdiction.“; Yang, State Immunity, S. 64. 493 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 39: „One cannot submit to a power the other one never possessed.“ 494 Yang, State Immunity, S. 65. 495 ILA, International Committee on State Immunity, Second Report on Developments in the Field of State Immunity since 1982, Cairo Conference (1992), 65 Int’l L. Ass’n Rep. Conf. 290, 296. 496 So Caplan, AJIL 2003, 741 (757); Lalive, RdC 1953, 209 (251 ff.); Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (229 ff.); Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 24 ff.; v. Schönfeld, NJW 1986, 2980 (2981 ff.).
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion105
eine Ausnahme zur Staatenimmunität ist einschlägig.497 Es gilt insoweit eine Vermutung für die Immunität.498 Der U.S. Supreme Court statuiert: „[…] a foreign state is presumptively immune from the jurisdiction of United States courts; unless a specified exception applies, a federal court lacks subjectmatter jurisdiction over a claim against a foreign state.“499 (Hervorhebung durch die Verfasserin)
Die Beweislast, dass eine Ausnahme zur Immunität des fremden Staates besteht, trifft den Kläger.500 Eine Entscheidung über die Frage, ob es sich bei der Staatenimmunität um eine Ausnahme zur Jurisdiktion handelt, kann daher dahingestellt bleiben, denn sie hat keine Relevanz mehr für die Vermutung zugunsten der Immunität des fremden Staates.501 Auch der Internationale Gerichtshof lässt diese Frage im Fall Jurisdictional Immunities im Ergebnis offen: „Exceptions to the immunity of the State represent a departure from the principle of sovereign equality. Immunity may represent a departure from the principle of territorial sovereignty and the jurisdiction which flows from it.“502 (Hervorhebung durch die Verfasserin)
Eine genaue sprachliche Auseinandersetzung mit dieser Passage zeigt die Zurückhaltung des Internationalen Gerichtshofs. Während der Internationale Gerichtshof die Ausnahmen zur Staatenimmunität ausdrücklich als „exceptions“ qualifiziert und diese explizit als eine Abweichung von dem Prinzip der souveränen Gleichheit qualifiziert, äußert er sich in Bezug auf das Verhältnis von Staatenimmunität und Jurisdiktion vorsichtiger. Dies kann der Verwendung des Wortes „may“ oder in der französischen Fassung des Wortes „peut“503 entnommen werden: Die Immunität kann eine Abweichung vom Grundsatz der territorialen Souveränität und der darauf gründenden Jurisdiktion darstellen. Würde der Gerichtshof die Immunität eindeutig als Ausnahme 497 S. 28 U.S.C. § 1604, 1608(e); Sec. 1 UK-SIA; Sec. 3 Canada-SIA; Sec. 9 Australia-FSIA; Sec. 2, 14 Israel- FSIL; Pakistan-SIO Sec. 3; Singapore-SIA 3; South Africa-FSIA 2; Art. 5, 6 UNCJIS; Art. 15 ECSI; s. m. w. N. zur Rechtsprechung Yang, State Immunity, S. 37 ff. S. hierzu auch Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 48 f. Anders: v. Schönfeld, NJW 1986, 2980 (2981 ff.). 498 Habscheid, in: Freiheit und Zwang, S. 223. 499 Supreme Court, 23.03.1993, Saudi Arabia v. Nelson, 113 S.Ct.1471, 1476. 500 Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 69; Yang, State Immunity, S. 41. 501 So im Ergebnis auch Fox/Webb, State Immunity, S. 84 ff. 502 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 57. 503 In der französischen Fassung heißt es „L’immunité peut constituer une dérogation au principe de la souveraineté territoriale et au pouvoir de juridiction qui en découle“, IGH, 03.02.2012, Immunités Juridictionelles de l’État (Allemagne c. Italie; Grèce (intervenant)); I.C.J. Rep. 2012, 99, para 57.
106
1. Teil: Grundlagen
zur Jurisdiktion qualifizieren wollen, so hätte er dies in seiner Wortwahl genauso klar zum Ausdruck bringen können, wie die Qualifizierung der Beschränkungen der Staatenimmunität als Ausnahme. Zudem differenziert der Gerichtshof sprachlich zwischen der Verwendung des Wortes „departure“ beziehungsweise „dérogation“ und „exception“. Diese Differenzierung des Gerichtshofs legt nahe, dass man die Staatenimmunität als eine Abweichung von der Jurisdiktion verstehen kann, was jedoch nicht damit gleichzusetzen ist, dass es sich dabei um eine Ausnahme mit den genannten Folgen für die Vermutungsregel in Bezug auf Staatenimmunität und Jurisdiktion handelt. Die Analyse der Passage des Internationalen Gerichtshof zeigt also, dass dieser gerade keine eindeutige Entscheidung in Bezug auf das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Jurisdiktion und Staatenimmunität trifft. Dass der Internationale Gerichtshof an dieser Stelle nicht näher auf dieses Problem eingeht, zeigt jedoch zugleich, dass es insoweit nicht entscheidungserheblich ist. Ob die Staatenimmunität eine Ausnahme zur Jurisdiktion darstellt oder eine eigenständige Regel bildet, kann letztlich offenbleiben. III. Das Aufeinandertreffen zweier Souveränitätsansprüche Unbeantwortet bleibt in den vorherigen Ausführungen die Frage, warum in Spruchpraxis und Gesetzgebung zur Staatenimmunität in einer Vielzahl von Staaten die Aufhebung der Immunität des beklagten Staates durch das Bestehen eines territorialen Bezugs beziehungsweise einer sogenannten Binnen beziehung zum Gerichtsstaat bedingt wird.504 Obgleich das Konzept der Staatenimmunität auf einer bereits vorhandenen Jurisdiktion basiert und bereits aus logischen Erwägungen nicht ohne diese bestehen kann, bestimmen sich die Jurisdiktion sowie die Immunität eines Staates nach unterschied 504 Vgl. zu dieser Praxis Bundesgericht (CH), 19.06.1980, Sozialistische Libysche Arabische Volks-Jamahiriya g. Libyan American Oil Company (LIAMCO), BGE 106 I a 142, 148; Bundesgericht (CH), 15.11.1978, Banque Centrale de la République de Turquie g. Weston Compagnie de Finance et d’Investissement S.A, BGE 104 Ia 367, 370 ff.; Bundesgericht (CH), 28.03.1930, Hellenische Republik g. Obergericht Zürich, BGE 56 I 237, 249 ff.; Bundesgericht (CH), 06.06.1956, Royaume de Grèce v. Banque Julius Bär & Cie, BGE 82 I 75, 85; bereits stillschweigend vorausgesetzt in Bundesgericht (CH), 13.03.1918, K. k. Oesterreich. Finanzministerium g. Dreyfus, BGE 44 I 49, 54–55; Corte di Cassazione di Firenze (IT), 25.07.1886, Guttieres c. Elmilik, AJIL Supp. 1932, 622, 623; Corte di Cassazione (IT), 14.08.1953, Borga v. Russian Trade Delegation, 22 ILR 235, 238; s. auch 28 U.S.C. § 1605(a)(2): „A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case […] in which the action is based upon a commercial activity carried on in the United States by the foreign state […]“; Art. 7 ECSI; s. auch Counsil of Europe, Explanatory Report to the European Convention on State Immunity, 16.05.1972, ETS No. 74, General Comments para. 10, (1).
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion107
lichen, sorgfältig voneinander zu unterscheidenden Regelungen und ihr Vorliegen ist getrennt voneinander zu beurteilen: „[…] the rules governing the jurisdiction of national courts must be carefully distinguished from those governing jurisdictional immunities: jurisdiction does not imply absence of immunity, while absence of immunity does not imply jurisdiction.“505
Das Bestehen eines territorialen Nexus zum Forumstaat ist, wie bereits dargestellt, entscheidend für die Begründung der Jurisdiktion desselbigen. Unabhängig hiervon zu beurteilen ist jedoch das Bestehen staatlicher Immunität.506 Auch wenn die Verknüpfung von Staatenimmunität und dem Bestehen eines territorialen Nexus dogmatisch fehl geht,507 so erklärt sich diese Praxis vor einem anderen, dem Recht der Staatenimmunität zugrundeliegenden Spannungsfeld: dem Aufeinandertreffen von jeweils, auf der Souveränität gründender, konkurrierender Ansprüche zweier Staaten. Nämlich dem aus der territorialen Souveränität hergeleiteten Anspruch auf Ausübung der Gerichtsbarkeit des einen Staates einerseits und dem aus der souveränen Gleichheit hergeleiteten Anspruch auf Immunität des anderen Staates andererseits.508 Zwischen diesen entgegengesetzten Interessen gilt es einen Ausgleich zu finden. Das Erfordernis der Binnenbeziehung respektive des territorialen Nexus zwischen Streitgegenstand und Gerichtsstaat stellt hierbei ein zentrales Abwägungselement dar.509 Indem der Gerichtsstaat durch die Voraussetzung eines territorialen Nexus beziehungsweise einer Binnenbeziehung seine Regelungsgewalt beschränkt, gewährt er der Souveränität des fremden Staates in den Fällen Vorrang, in denen die Binnenbeziehung nicht gegeben ist, selbst wenn die Staatenimmunität im konkreten Fall grundsätzlich ein geschränkt werden könnte. Der Staat auferlegt sich in diesem Sinne eine Selbstbeschränkung zum Zwecke der Vermeidung „politischer und anderer 505 IGH, 14.02.2002, Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), I.C.J. Rep. 2002, 3, para 59. 506 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 66. 507 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 64; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 182. Vgl. hierzu ausführlich unten 5. Kapitel: B.I.3. 508 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 15 f.; Geimer, IZPR, Rn. 556; Reuter, in: Fischer/Kock/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 151 ff.; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 15. S. auch Bundesgericht (CH), 15.11.1978, Banque Centrale de la République de Turquie g. Weston Compagnie de Finance et d’Investissement S.A, BGE 104 Ia 367, 369; High Court of Admiralty (UK), 07.05.1873, The Charkieh, [1872–75] L.R. 4 A. & E. 59, 88. 509 Geimer, IZPR, Rn. 556; Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 312 f.; dieser Gedanke kommt bereits im Zeitalter der absoluten Staatenimmunität darin zum Ausdruck, dass unbewegliches Vermögen eines fremden Staates im Gerichtsstaat stets von der Staatenimmunität ausgenommen und dem Recht des Gerichtstaates unterstellt wurde, vgl. Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 33; Yang, State Immunity, S. 67.
108
1. Teil: Grundlagen
Schwierigkeiten“510. Auf diese Weise wird der Schutzbereich der Staatenimmunität, über das vom Völkerrecht gebotene Mindestmaß hinaus, durch innerstaatliches Recht erweitert.511 Dies ist als solches mit dem Völkerrecht, das der Gewährung eines Mehr an Immunität nicht entgegensteht, vereinbar.512 Aber auch mit Blick auf die historische Entwicklung des Rechts der Staatenimmunität lässt sich die Verknüpfung von territorialer Zuständigkeit und staatlicher Immunität in der heutigen Staatenpraxis erklären. So wurde im umgekehrten Falle eines territorialen Bezugs des Streitgegenstands zum Gerichtsstaat die Immunität des fremden Staates, in Abkehr von der absoluten Immunität, in der gerichtlichen Praxis vielfach verneint und der Gerichtsbarkeit als Ausfluss der Gebietshoheit Vorrang gewährt.513 Im Falle Trendtex stützte Lord Denning die Versagung der Staatenimmunität direkt auf die territoriale Zuständigkeit englischer Gerichte: „The letter of credit was issued in London through a London bank in the ordinary course of commercial dealings. It is completely within the territorial jurisdiction of our courts. I do not think it is open to the Government of Nigeria to claim sove reign immunity in respect of it.“514
Bei einem starken Inlandsbezug wird demzufolge das Interesse des Gerichtsstaates an der Ausübung der Gerichtsbarkeit höher bewertet, als die Immunität des fremden Staates. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Ausgestaltung der jüngst erlassenen Terrorismusausnahme der USA, 28 U.S.C. § 1605B. Die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605B knüpft die Beschränkung der Staaten immunität gerade daran an, dass Personen- oder Sachschäden in den USA 510 Bundesgericht (CH), 19.06.1980, Sozialistische Libysche Arabische Volks- Jamahiriya g. Libyan American Oil Company (LIAMCO), BGE 106 Ia 142, 143. 511 Dahm, in: FS Nikisch, S. 163. 512 Dahm, in: FS Nikisch, S. 163; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 165; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 65; These 4 S. 1 der 2. Studienkommission der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, BerDGVR 68, S. 284. 513 High Court of Admiralty (UK), 07.05.1873, The Charkieh, [1872–75] L.R. 4 A. & E. 59, 88 („Upon principles of general jurisprudence the presence of a person or of property within the limits of a state founds the jurisdiction of the tribunals of that state. … such a right [absolute right of exemption] on his part would be incompatible with the right of the territorial sovereign.“); House of Lords (UK), 07.11.1957, Rahimtoola v. Nizam of Hyderabad, [1958] AC 379, 422; Court of Appeal (UK), 15.07.1975, Thai Europe v. Pakistan, [1975] 1 WLR 1485, 1491 f. In diesem Fall wird die Immunität des beklagten Staates im Ergebnis gewährt: „None of the transactions here occurred within the territorial jurisdiction of these courts. They are as far off as the moon.“, ibid, S. 1492; Court of Appeal (UK), 13.01.1977, Trendtex Trading Corp v. Central Bank of Nigeria, [1977] QB 529, 558; s. auch Yang, State Immunity, S. 64 ff. 514 Court of Appeal (UK), 13.01.1977, Trendtex Trading Corp v. Central Bank of Nigeria, [1977] QB 529, 558.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion109
eintreten, die wiederum durch einen Akt des internationalen Terrorismus verursacht werden, der sich innerhalb der USA selbst ereignet.515 Hier wird durch den US-amerikanischen Gesetzgeber eine klare Interessenabwägung vorgenommen und der aus der territorialen Souveränität fließenden Jurisdiktion der USA Vorrang gegenüber der Immunität des fremden Staates gewährt. Dabei kann zunächst dahinstehen, dass sich die Handlungen des fremden Staates selbst, also die Förderungshandlungen, außerhalb US-amerikanischen Staatsgebiets zutragen: Anknüpfungspunkt zur Ausübung von territorialer Jurisdiktion kann gerade der Handlungs- oder aber der Erfolgsort sein.516 Eine Interessenabwägung zu Gunsten der Jurisdiktion des Gerichtsstaates ist vor dem Hintergrund eines Terroranschlags, der sich auf dem Staatsgebiet desselbigen ereignet, nachvollziehbar. Würde sich ein Terroranschlag wie der des 11. Septembers 2001, der Anlass für den Erlass des US-amerikanischen 28 U.S.C. § 1605B war,517 in anderen Staaten ereignen, sähe eine Interessenabwägung dieser Staaten womöglich ähnlich aus. Vielmehr kann man sich die Frage stellen, warum in einer derartigen Konstellation das Souveränitätsinteresse des, den Terrorismus unterstützenden Staates überwiegen sollte. Jedoch darf auch an dieser Stelle die Frage der Jurisdiktion des Forumstaates nicht mit der Frage der Staatenimmunität vermengt werden. Die Anknüpfung an den Erfolgsort einer Handlung in Form von Personen- oder Sachschäden durch einen Akt des Terrorismus auf dem Gebiet des Gerichtsstaates ist eine Frage, die die Begründung der Jurisdiktion des Gerichtsstaates betrifft. Diese ist, wie soeben dargestellt, gesondert von der Frage der Staatenimmunität zu bewerten. Eine Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität hat sich jedoch bislang nicht im Völkergewohnheitsrecht etabliert.
B. Staatenimmunität und Jurisdiktion im nationalen Recht Insbesondere dann, wenn die Voraussetzungen der Staatenimmunität streitig oder deren Feststellung sehr komplex sind, stellt sich die Frage, inwiefern ein Staat, zumindest bis zur Feststellung seiner Immunität, der fremden Gerichtsbarkeit unterworfen werden kann, ohne dass hierin bereits eine Verletzung der Immunität des fremden Staates liegt. Die Beantwortung dieser 515 § 28 U.S.C § 1605B (b) (1): „A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of the courts of the United States in any case in which money damages are sought against a foreign state for physical injury to person or property or death occurring in the United States and caused by – (1) an act of international terrorism in the United States […]“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin); im Kontrast hierzu steht jedoch § 28 U.S.C § 1605B (b) (2): „[…] regardless where the tortious act or acts of the foreign state occurred.“ S. hierzu im Einzelnen oben 4. Kapitel: B.II. 516 S. oben 5. Kapitel: A.I.2. 517 S. hierzu unten 6. Kapitel: A.II.3.
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1. Teil: Grundlagen
Frage ist insbesondere mit Blick auf die Vornahme der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme relevant. Denn kommt das Gericht zu dem Schluss, dass der fremde Staat die Immunitätsbeschränkung rechtfertigende Handlung nicht begangen hat und nimmt man bereits zu diesem Zeitpunkt des gerichtlichen Tätigwerdens die Durchbrechung der Staatenimmunität an, so kann diese Immunitätsdurchbrechung völkerrechtlich nicht als Gegenmaßnahme gerechtfertigt werden und der Gerichtsstaat verletzt seinerseits das Völkerrecht. Stellt im umgekehrten Fall das Tätigwerden des Gerichts bis zum Zeitpunkt der Feststellung der Immunität keine Immunitätsdurchbrechung dar, so kann die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle der Bejahung des Vorliegens der immunitätsdurchbrechenden Handlung durch den Staat gezielt als Gegenmaßnahme eingesetzt werden. Im Falle der Verneinung des Vorliegens der zur Immunitätsbeschränkung führenden Handlung kann das Gericht wiederum seine Tätigkeit einstellen, ohne dass die Ausübung der Gerichtsbarkeit bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine Völkerrechtsverletzung des Gerichtsstaats begründet.518 Zudem ist der Zeitpunkt der Durchbrechung der Staatenimmunität für die Pflicht zur Notifikation hinsichtlich der Vornahme der Gegenmaßnahme von Bedeutung.519 Die Frage, ab wann gerichtliches Tätigwerden die Immunität des fremden Staates beschränkt, betrifft die Frage der Anwendung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Staatenimmunität im Rahmen des Zivilprozesses. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Staatenimmunität zwar eine Regel des Völkerrechts darstellt, die konkrete prozessrechtliche Anwendung hingegen den Staaten überlassen wird und im Einzelnen variieren kann.520 Die zivilprozessuale Anwendung des Grundsatzes der Staatenimmunität ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit insbesondere deswegen von Relevanz, da in der gerichtlichen Praxis nicht ohne weiteres die Förderung des Terrorismus durch einen Staat, als eine die Immunität beschränkende Handlung, festzustellen sein wird. Mitunter wird dies ein schriftliches Vorverfahren, die Durchführung mündlicher Verhandlungen sowie das Erheben von Beweisen (man denke hier etwa an die weitreichenden „discovery“-Verfahren in den USA, die sogenannten „fishing expeditions“) erfordern, und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Bereits zu diesem Zeitpunkt sieht sich der Staat in der Praxis demzufolge mit Handlungen eines fremden Gerichts konfrontiert. Es stellt sich mithin grundlegend die Frage, inwiefern ein Staat der 518 S.
unten 9. Kapitel: E. unten 10. Kapitel: C. 520 Yang, State Immunity, S. 42 ff. S. auch House Report No. 94-1487, 94th Cong., 2nd Sess. 1976, 1976 U.S.C.C.A.N. 6604, 6614: „Although the general concept of sovereign immunity appears to be recognized in international law, its specific content and application have generally been left to the courts of individual nations.“ 519 S.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion111
Gerichtsbarkeit eines anderen Staates unterworfen werden kann, ohne, dass die Handlungen des Gerichts bereits eine Verletzung der Immunität des fremden Staates darstellen. Dabei soll im Folgenden zunächst auf den Begriff und die Bedeutung der Gerichtsbarkeit im Zivilprozess eingegangen werden, um im Anschluss die Zulässigkeit der Ausübung der Gerichtsbarkeit im Einzelnen zu erörtern. I. Gerichtsbarkeit im innerstaatlichen Recht Der Grundsatz der Staatenimmunität findet im deutschen Recht im Rahmen der Prüfung der Gerichtsbarkeit Eingang. Neben der bereits dargestellten völkerrechtlichen Dimension des Begriffs der Jurisdiktion respektive der Gerichtsbarkeit,521 kommt dieser auch eine innerstaatliche, (zivil-)prozessuale Bedeutung zu.522 1. Begriff
Der Begriff der Gerichtsbarkeit bezeichnet die staatliche Gerichtsgewalt oder auch Entscheidungsgewalt, facultas iurisdictionis.523 Sie wird durch die Gerichte ausgeübt und stellt hoheitliches Handeln dar. Auf die hier entsprechend geltenden Ausführungen zum Begriff der Jurisdiktion, insbesondere der adjudicative jurisdiction, wird an dieser Stelle verwiesen.524 Im Rahmen der Prüfung der Gerichtsbarkeit stellt sich ein Gericht die Frage, ob es unter Beachtung der völkerrechtlichen Regelungen handeln darf.525 Grundsätzlich ist die Gerichtsbarkeit eines Staates innerhalb seines Gebietes gegeben, wenn sie nicht durch das Völkerrecht oder staatliche Vereinbarungen ausgeschlossen wird.526 Das Gericht hat somit zu prüfen, ob völkerrechtliche Prohibitivnormen vorliegen, die die Gerichtsbarkeit im konkreten Fall ausschließen.527
521 S.
oben 5. Kapitel: A.I.1. in: BerDGVR 8 (1968), S. 173. 523 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 64; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6 Rn. 155. 524 S. oben 5. Kapitel: A.I.1. 525 Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 173; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6 Rn. 156. 526 Dahm, in: FS Nikisch, S. 154; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 173; Schütze, DIZPR, Rn. 68; Geimer, IZPR, Rn. 372; BVerfGE 77, 137, 153. 527 Matscher, in: Fischer/Köck/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 302. 522 Habscheid,
112
1. Teil: Grundlagen 2. Allgemeine prozessuale Behandlung
Das Völkergewohnheitsrecht setzt der nationalen Gerichtsbarkeit etwa durch die Regeln über die Staatenimmunität Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen obliegt es jedoch jedem Staat selbst, die Prüfung der Gerichtsbarkeit in nationalen Gerichtsverfahren auszugestalten.528 Nach deutschem Recht stellt die Gerichtsbarkeit eine selbständige, vorrangige, von Amts wegen zu prüfende, allgemeine Verfahrensvoraussetzung dar.529 Der BGH führt hierzu aus: „Die Eröffnung der deutschen Gerichtsbarkeit ist eine allgemeine Verfahrens voraussetzung. Ihr Bestehen und ihre Grenzen sind vorrangig und in jeder Lage des Verfahrens, auch im Revisionsverfahren, von Amts wegen zu prüfen. […] Genießt die beklagte Partei Staatenimmunität, unterliegt sie nicht der deutschen Gerichtsbarkeit und die Klage ist als unzulässig abzuweisen.“530
Eine vergleichbare prozessuale Behandlung erfährt die Voraussetzung der Gerichtsbarkeit etwa in Österreich, Frankreich und der Schweiz.531 3. Abgrenzung zur internationalen Zuständigkeit
Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des Gerichts ist von der Prüfung der Gerichtsbarkeit zu unterscheiden Dieser Punkt wird an dieser Stelle aufgegriffen, da eine derartige begriffliche Trennung, wie sie im deutschen Recht mittlerweile anerkannt wird,532 nicht selbstverständlich ist. Um insbesondere das Verständnis ausländischer Gerichtsentscheidungen mit Blick auf die Immunitätsfrage zu schärfen, soll im Folgenden auf die internationale Zuständigkeit in Abgrenzung zur Gerichtsbarkeit eingegangen werden. 528 Mann, RdC 1964, 9 (19); Matscher, in: Fischer/Köck/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 307; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 430 f. 529 Vgl. BGH, 24.03.2016, BGHZ 209, 290, 293 f.; BGH, 09.07.2009, BGHZ 182, 10, 15 ff.; BGH, 28.05.2003, NJW-RR 2003, 1218, 1219; BGH, 26.09.1978, NJW 1979, 1101; BVerfGE, 46, 342, 359; Geimer, IZPR, Rn. 843c; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 174; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht § 6, Rn. 155; v. Schönfeld, NJW 1986, 2980 (2980). 530 BGH, 24.03.2016, BGHZ 209, 290, 293. 531 Bauer, Compétence judiciaire internationale des tribunaux civils français et allemands, S. 6; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 174. 532 Auch im deutschen Recht war eine derartige Trennung lange Zeit umstritten. Seit dem Beschluss des BGH v. 14.06.1965, BGHZ 44, 46 ist die Unterscheidung zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit jedoch anerkannt, vgl. hierzu bereits Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 63 f.; Pagenstecher, RabelsZ 1937, 337 (348 ff.); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht § 6, Rn. 155; Schütze, DIZPR, S. 57.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion113
Die internationale Zuständigkeit betrifft die „Zuweisung von Rechtsprechungsaufgaben auf einen Staat als solchen“.533 Dabei fungiert die internationale Zuständigkeit als eine Art „Verteilungsschlüssel“534, indem sie die Wahrnehmung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den Staaten bei Fällen mit Auslandsbezug regelt.535 Welches Organ innerhalb des Staates konkret zuständig ist, bestimmt sich nach den Normen, die die innerstaatliche Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben regeln, also etwa die Normen über die Zulässigkeit des Rechtswegs, die örtliche und sachliche Zuständigkeit eines Gerichts.536 Im Rahmen der internationalen Zuständigkeit prüft ein Gericht somit, ob die inländischen Gerichte in ihrer Gesamtheit für die erhobene Klage zuständig sind.537 Die Regelung der internationalen Zuständigkeit der nationalen Gerichte liegt, im Gegensatz zur Gerichtsbarkeit, im Ermessen eines jeden Staates, da das Völkerrecht die internationale Zuständigkeit als solche nicht regelt.538 Die Staaten sind somit grundsätzlich hinsichtlich der Entscheidung, welche Rechtsstreitigkeiten durch die innerstaatlichen Gerichte entschieden werden sollen, frei.539 Jedoch ist dieser Entscheidungsfreiheit durch das Völkerrecht eine äußere Grenze gesetzt.540 Gefordert wird ein Minimalbezug zum Gerichtsstaat.541 Das Bundesverfassungsgericht fordert ein „Mindestmaß an Einsichtigkeit“.542 In der Praxis ist diese Frage jedoch weniger relevant, da die Frage der völkerrechtlichen Grenzen zulässiger Ju533 Geimer, IZPR, Rn. 844; vgl. auch Riezler, in: FS Rosenberg, S. 199; Schütze, DIZPR, Rn. 102. 534 Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 165. 535 Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 93; Schütze, DIZPR, Rn. 102. 536 Geimer, IZPR, Rn. 845. 537 Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 173; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6, Rn. 156; Schütze, DIZPR, Rn. 102. 538 Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 165; Geimer, IZPR, Rn. 848; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6, Rn. 215. 539 Geimer, IZPR, Rn. 126, 373 ff.; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3, Rn. 351; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 186. Umstr. ist, ob für die Annahme der internationalen Zuständigkeit im Mindestmaß ein nationaler Berührungspunkt, ein sog. genuine link gegeben sein muss, vgl. hierzu m. w. N. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 8, Rn. 215. 540 Vgl. hierzu oben 5. Kapitel: A.I.2.; Geimer, IZPR, Rn. 127; Mann, RdC 1964, 9 (1 ff., 43 ff., 76 ff.); Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 215; Schütze, DIZPR, Rn. 108. 541 S. m. w. N. Geimer, IZPR, Rn. 377, 392. Dies ist jedoch umstritten und wird bspw. von dem American Law Institute abgelehnt: ALI, Fourth Restatement of the Law – The foreign Relations Law of the United States, Introductionary Note to Part IV Chapter 2: „With the significant exception of various forms of immunity, modern customary international law generally does not impose limits on jurisdiction to adjudicate.“ 542 BVerfGE 63, 343, 369; s. hierzu Geimer, IZPR, Rn. 127a.
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1. Teil: Grundlagen
risdiktion aufgrund der recht weitreichenden Anknüpfungspunkte ausschließlich bei reinen Ausländerprozessen an Bedeutung gewinnt.543 Schließlich können die innerstaatlichen Regeln zur internationalen Zuständigkeit in Abgrenzung zu der Negativwirkung der völkerrechtlichen Normen über die Gerichtsbarkeit als Regelungen mit positiver Wirkung charakterisiert werden, denn das innerstaatliche Recht regelt, in welchen Fällen das Gericht zuständig ist.544 Während die französische Rechtsdogmatik ebenso wie die deutsche begrifflich klar zwischen Gerichtsbarkeit einerseits und internationaler Zuständigkeit unterscheidet,545 ist eine derartige Differenzierung nicht selbstverständlich.546 So erfasst der Begriff der Gerichtsbarkeit etwa in Österreich auch die internationale Zuständigkeit des Gerichts.547 Ähnlich ist dies im italienischen Recht. Die Gerichtsbarkeit umfasst hier ebenfalls die Prüfung der internationalen Zuständigkeit.548 Dem steht trennscharf die örtliche Zuständigkeit der Gerichte gegenüber.549 Ein Blick auf die Staaten des Common Law und die dort mannigfaltigen Verwendungsweisen des Begriffs „ jurisdiction“ kann noch mehr Irritation in diesem Bereich, insbesondere aus der Perspektive eines deutschen Juristen, stiften.550 So findet die Prüfung der Staatenimmunität durch US-amerikanische Gerichte teilweise im Rahmen der Prüfung der „subject matter jurisdiction“, also der sachlichen Zuständigkeit und teilweise im Rahmen der „territorial jurisdiction“, der internationalen Zuständigkeit statt. Wird allgemein von „jurisdiction“ im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung einer Klage gesprochen, kann sich dies sowohl auf die Gerichtsbarkeit als auch die internationale Zuständigkeit beziehen.551 Neben die begrifflichen Unterschiede tritt auch die teilweise inhaltliche Verflechtung von Kriterien der internationalen Zuständigkeit und der Gerichtsbarkeit. 543 Geimer,
IZPR, Rn. 128b. in: BerDGVR 8 (1968), S. 165; Matscher, in: Fischer/Köck/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 306. 545 Bauer, Compétence judiciaire internationale des tribunaux civils français et allemands, S. 6. 546 Geimer, IZPR, Rn. 644, der eine fehlende Unterscheidung zwischen Gerichtsbarkeit und internationaler Zuständigkeit als „dogmatisch unschöne Verschmischung“ bezeichnet. 547 Geimer, IZPR, Rn. 846, Fn. 8; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6 Rn. 156. Für einen einheitlichen Begriff der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit plädiert Matscher, in: Fischer/Köck/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 300 ff. 548 S. m. w. N. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6, Rn. 156. 549 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 6, Rn. 156. 550 Akehurst, BYIL 1972, 145 (145); Schütze, DIZPR, Rn. 103. 551 S. m. w. N. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, S. 23. 544 Habscheid,
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion115
So wird in der Schweiz aber auch in den USA die Beschränkung der Staaten immunität in einigen Fällen durch einen territorialen Nexus zum Gerichtsstaat bedingt, und dogmatisch nicht sauber zwischen der Gerichtsbarkeit und der internationalen Zuständigkeit differenziert.552 Die Beschränkung der Staatenimmunität und die Bejahung der Gerichtsbarkeit durch ein Schweizer Gericht wird etwa dadurch bedingt, dass bei acta iure gestionis eine ausreichende „Binnenbeziehung“ zur Schweiz besteht.553 Auch das US-amerikanische Recht fordert in einigen Fällen einen territorialen Nexus zur Beschränkung der Staatenimmunität.554 II. Grenze der Staatenimmunität im Zivilprozess Abschließend widmet sich das vorliegende Kapitel der Grenze der Staaten immunität im Zivilprozess. Dabei wird dargelegt, in welchem Rahmen ein Gericht Gerichtsbarkeit gegenüber einem beklagten Staat ausüben kann, ohne, dass dies bereits eine Beeinträchtigung der Immunität des fremden Staates darstellt. Relevant ist diese Frage, wie zuvor bereits dargelegt,555 für die Erörterung der Durchbrechung der Staatenimmunität als zulässige Gegenmaßnahme.556 Die Frage der Zulässigkeit gerichtlicher Tätigkeit gegenüber dem fremden Staat wird zunächst allgemein, von konkreten Maßnahmen des Gerichts losgelöst, erörtert und eine den Handlungen des Gerichts zu Grunde liegende Ratio herausgestellt. Abschließend soll auf einzelne prozessuale Handlungen des Gerichts eingegangen werden. Hierbei steht jeweils die grundsätzliche Zulässigkeit im Vordergrund, nicht hingegen die einzelnen Modalitäten der Maßnahme als solcher.
552 S. hierzu oben 5. Kapitel: A.III.; Geimer, IZPR, Rn. 644; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 184; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 184. 553 S. oben 5. Kapitel: A.III.; Bundesgericht (CH), 19.06.1980, Sozialistische Libysche Arabische Volks-Jamahiriya g. Libyan American Oil Company (LIAMCO), BGE 106 Ia 142,148; s. auch Geimer, IZPR, Rn. 644; Habscheid, in: Freiheit und Zwang, S. 218. 554 Vgl. 28 USC § 1605(a)(2); auch die zweite Terrorismusausnahme fordert einen territorialen Nexus, s. 28 USC § 1605B(b)(1); s. hierzu ausführlich oben 5. Kapitel: A.III. 555 S. oben 5. Kapitel: B. 556 S. unten 9. Kapitel: E.; 10. Kapitel: C.
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1. Teil: Grundlagen 1. Überblick
In der prozessualen Praxis bedeutet Gerichtsbarkeit die „Entfaltung von Gerichtstätigkeit im weitesten Sinne“.557 Jede Handlung des Gerichts ist Gerichtstätigkeit und somit Ausübung staatlicher Gewalt. So stellen etwa die Entscheidung des Gerichts über die Zuständigkeit zur Rechtsprechung, die Beweisaufnahme, einschließlich der Ladung von Zeugen und Parteien sowie die Bestellung von Sachverständigen Gerichtstätigkeit dar.558 Dem Grunde nach müsste also ein Staat vor jeder gerichtlichen Handlung eines anderen Staates durch seine Immunität geschützt werden.559 Der IGH betont im Fall Jurisdictional Immunities, dass die Immunität einen Staat nicht nur vor einem für diesen negativen Urteil schütze, sondern bereits vor dem Gerichtsverfahren als solchem: „Immunity from jurisdiction is an immunity not merely from being subjected to an adverse judgment but from being subjected to the trial process.“560
Der IGH geht von einem weitreichenden Schutz des Staates durch den Grundsatz der Staatenimmunität aus. Unstrittig anzuerkennen ist, dass die Immunität einen Staat, vor einem Urteil in der Sache, einem Endurteil, sowie vor der Eröffnung des Hauptsacheverfahrens schützt.561 Dies setzt jedoch voraus, dass der beklagte Staat in dem konkreten Fall tatsächlich Immunität beanspruchen kann. Aus der Relativierung der Staatenimmunität im Völkerrecht muss daher gefolgert werden, dass ein Gericht insoweit tätig werden kann, als dass es der Feststellung der Immunität des beklagten Staates dienlich ist.562 Ein Staat genießt nicht mehr ausschließlich aufgrund seiner Rechtspersönlichkeit, seiner Stellung als Staat Immunität. Vielmehr ist erforderlich, dass er auch für die in Rede stehende Handlung Immunität beanspruchen kann.563 Aufgrund der zunehmend komplexeren Rechtslage und der Relativierung der Staatenimmunität ist daher im Hinblick auf die Ausübung von Gerichtsbarkeit durch den Forumstaat eine differenzierte Betrachtung geboten. Dem IGH ist in der Annahme eines weitreichenden Schutzgehaltes der Staatenimmunität insoweit zuzustimmen, als dass die Immunität eines Staates unstreitig gegeben ist oder sich zumindest leicht bestimmen lässt. Als 557 Matscher, in: Fischer/Köck/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 299; Schütze, DIZPR, Rn. 68. 558 Matscher, in: Fischer/Köck/Verdross, Völkerrecht und Rechtsphilosophie, S. 299. 559 Schütze, DIZPR, S. 51. 560 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 82. 561 Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 22. 562 Geimer, IZPR, Rn. 479 ff.; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 182; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 25 f. 563 Vgl. hierzu bereits oben 2. Kapitel: B.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion117
Grenze kann hier die Offensichtlichkeit des Vorliegens der Immunität des beklagten Staates dienen.564 Steht unzweifelhaft fest, dass der beklagte Staat von der Gerichtsbarkeit befreit ist und liegt keine Verzichtserklärung des beklagten Staates vor, so hat das Gericht jede Handlung gegenüber dem beklagten Staat zu unterlassen.565 Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle, in denen über die Immunität des Staates Zweifel bestehen. Das Tätigwerden des Gerichts kann, auch wenn es Hoheitsgewalt gegenüber dem beklagten Staat ausübt, in diesem Fall nicht per se ausgeschlossen sein. Es muss dem Gericht möglich sein, solche Maßnahmen durchzuführen, die zur Feststellung der Immunität notwendig sind. Andernfalls würde durch die Gerichte faktisch eine absolute Staatenimmunität gewährt. Die Ablehnung jeglicher gerichtlicher Überprüfung der Immunitätsfrage mit der Begründung einer möglichen Immunitätsverletzung könnte zudem zu einer Blockade der gesamten Gerichtsbarkeit führen.566 Dies steht jedoch gerade im Gegensatz zur zunehmenden Relativierung des Grundsatzes der Staatenimmunität und würde zugleich eine Beeinträchtigung des Rechts auf rechtliches Gehör des Klägers darstellen.567 In den Privilegien, die dem Staat als Verfahrensbeteiligtem in Abgrenzung zu anderen Verfahrensbeteiligten zukommen, wie der Vermutung der Immunität und der Ermittlung der Immunität von Amts wegen,568 kann jedoch ein gewisser Ausgleich zur zumindest temporären Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit des Gerichtsstaates gesehen werden. 2. Maßnahmen im Einzelnen
a) Klagezustellung Zu Beginn der prozessualen Gerichtshandlungen steht die Zustellung der Klage an den Beklagten, vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit also der Klagezustellung an den fremden Staat. Auch diese gerichtliche Handlung stellt einen Hoheitsakt dar.569 Dieser ist nach herrschender Meinung grundsätzlich zulässig, da im Einzelfall zu klären ist, ob der beklagte Staat Immunität beanspruchen kann oder auf seine Immunität verzichtet.570 564 Schütze,
DIZPR, S. 51 f. in: Freiheit und Zwang, S. 182; Schütze, DIZPR, S. 51. 566 Zimmermann, in: Krüger/Rauscher, MüKo ZPO, Band 3, GVG, Erster Titel, Vor § 18, Rn. 4. 567 Geimer, IZPR, Rn. 486; Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 25. 568 S. oben 5. Kapitel: A.II.2. und B.I.2. 569 Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 207. 570 Vgl. m. w. N. LG Hamburg, 10.04.1986, NJW 1986, 3034 (3034); Fox/Webb, State Immunity, S. 11 ff.; Geimer, IZPR, Rn. 479 ff. Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 2, Rn. 37; Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 22. 565 Habscheid,
118
1. Teil: Grundlagen
Teilweise wird die Klagezustellung an den fremden Staat als mit dem Grundsatz der Staatenimmunität unvereinbar angesehen, wenn die Immunität des beklagten Staates eindeutig feststeht, das Gericht also bereits aufgrund der Klageschrift von dem Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit überzeugt ist.571 Diese enge Sichtweise ist jedoch nicht durch das Völkerrecht geboten.572 Zuweilen kann hierin sogar eine Verletzung des, zumindest nach innerstaatlichem deutschen Recht bestehenden, Justizgewährungsanspruch des Klägers liegen, da die stets bestehende Möglichkeit des beklagten Staates, auf seine Immunität zu verzichten, verkannt wird.573 Für einen Verzicht bedarf es jedoch zunächst der Kenntnis des Staates von der Klage.574 Die Klagezustellung an den fremden Staat ist daher grundsätzlich mit dem Grundsatz der Staatenimmunität vereinbar. b) Terminsanberaumung, Ladung Zur Feststellung der Immunität kann das Gericht einen Termin bestimmen und die Verfahrensbeteiligten laden.575 Die Bestimmung eines Termins stellt ebenfalls bereits die Ausübung von Gerichtsbarkeit dar.576 Hier kann jedoch insoweit eine Grenze gezogen werden, als dass die Anberaumung eines Termins dann unzulässig ist, wenn die Immunität des beklagten Staates zweifellos besteht und keine Verzichtserklärung vorliegt.577 Anderes muss nach der allgemeinen, oben erörterten Ratio dann gelten, wenn die Immunität eines Staates streitig ist. Ist diese streitig, so stellt die Terminsanberaumung sowie die Ladung noch keine Beeinträchtigung der Staatenimmunität dar, da eine hieraufhin durchgeführte mündliche Verhandlung gerade der Klärung der Immunitätsfrage dient.578
Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 182, 207. Art. 16 ECSI; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 89. 573 LG Hamburg, 10.04.1986, NJW 1986, 3034, 3034; Geimer, IZPR, Rn. 486; Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, S. 390. 574 LG Hamburg, 10.04.1986, NJW 1986, 3034, 3034. 575 Geimer, IZPR, Rn. 479 ff.; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 208. 576 So ausdrücklich OLG München, 12.08.1975, NJW 1975, 2144, 2145. 577 OLG Hamburg, 11.11.1952, MDR 53, 109; OLG München, 12.08.1975, NJW 1975, 2144, 2145. Das OLG München ließ für die Gewährung von Staatenimmunität jedoch ausreichen, dass der beklagte Staat mit großer Wahrscheinlichkeit nicht freiwillig auf die Immunität verzichten wird. 578 LG Hamburg, 10.04.1986, NJW 1986, 3034, 3034. Geimer, IZPR, Rn. 485; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 182 f. 571 M. w. N. 572 Vgl.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion119
c) Entscheidung über die Zulässigkeit durch Zwischenurteil Von der Immunität eines Staates ebenfalls nicht ausgeschlossen ist der Erlass eines Zwischenurteils zur Zulässigkeit der Klage.579 Im Rahmen einer solchen Vorabentscheidung kann der Streit zunächst auf das Vorliegen der Gerichtsbarkeit fokussiert werden und so der größtmögliche Schutz für die möglicherweise bestehende Immunität des Staates gewährleistet werden.580 So kann etwa ein Gericht nach deutschem Prozessrecht anordnen, dass die Zulässigkeit der Klage abgesondert verhandelt wird, § 280 Abs. 1 ZPO, und über die Zulässigkeit der Klage durch Zwischenurteil entscheiden, § 280 Abs. 2 ZPO.581 Das Zwischenurteil entfaltet für die Gerichte im Falle der Bejahung der Gerichtsbarkeit und somit der Verneinung der Immunität jedoch keine Bindungswirkung, so dass die Staatenimmunität im Rahmen der Begründetheit sowie in nachfolgenden Instanzen weiter zu berücksichtigen ist.582 Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass der Staat Immunität genießt, so hat das Gericht von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und das Verfahren durch Endurteil in Form eines Prozessurteils zu be enden.583 d) Feststellung doppelrelevanter Tatsachen Im Rahmen der Feststellung der Immunität des beklagten Staates ist in besonderem Maße problematisch, wenn das Vorliegen der Staatenimmunität und somit die Zulässigkeit der Klage zumindest von der teilweisen Begründetheit der Klage abhängig ist. Denn die Eröffnung des Hauptsacheverfahrens, die Prüfung der Begründetheit der Klage, kann grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn das Gericht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Klage seine Gerichtsbarkeit bejaht und die Immunität des fremden Staates mithin verneint hat. Erst wenn alle Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, kann es in der Hauptsache verhandeln. Dies kann im Rahmen der Immunitätsprüfung dann problematisch werden, wenn die Gewährung der Immunität, 579 Fox/Webb, State Immunity, S. 11 ff.; Habscheid, in: BerDGVR 8 (1968), S. 182; Stoll, State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 22. 580 BGH, 09.07.2009, BGHZ 182, 10, 17. 581 So bereits RG, 16.05.1938, RGZ 157, 389 (394); ein solches Zwischenurteil ist etwa das des LG Bonn, 17.07.2013, BeckRS 2015, 16136; s. hierzu auch Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 189; Zimmermann, in: Krüger/Rauscher, MüKo ZPO, Band 3, GVG, Erster Titel, Vor § 18, Rn. 4. 582 BGH, 09.07.2009, BGHZ 182, 10, 16 ff.; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rn. 189. 583 BGH, 09.07.2009, BGHZ 182, 10, 17; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, Rn. 6.
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1. Teil: Grundlagen
wie im Falle des staatlich geförderten Terrorismus, durch die tatsächliche Vornahme der Handlung durch den Staat bedingt ist. Der IGH stellt bezüglich der Feststellung von Tatsachen, die sowohl die Begründetheit der Klage als auch die Aufhebung der Immunität betreffen, ein „logical problem“584 fest: „If immunity were to be dependent upon the State actually having committed a serious violation of international human rights law or the law of armed conflict, then it would become necessary for the national court to hold an enquiry into the merits in order to determine whether it had jurisdiction. If, on the other hand, the mere allegation that the State had committed such wrongful acts were to be sufficient to deprive the State of its entitlement to immunity, immunity could, in effect be negated simply by skillful construction of the claim.“585
Das OLG Köln, dass sich mit eben diesem Problem im Rahmen einer Klage gegen das Königreich Saudi-Arabien wegen eines ausstehenden Honoraranspruchs in Höhe von zwölf Millionen Euro beschäftigte, fasste die Aussage des Internationalen Gerichtshofs wie folgt zusammen: „Wenn die bloße Behauptung ausreichend ist, besteht die Gefahr, dass eine Partei die Immunität eines Staates durch geschickte Formulierung und Konstruktion des Anspruchs umgehen kann. Verlangt man dagegen, dass die Tatsachen feststehen, muss bereits im Rahmen der Prüfung der eigenen Gerichtsbarkeit über die Begründetheit des Anspruchs Beweis erhoben werden.“586
Der Internationale Gerichtshof bezieht zu diesem Konflikt jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit nicht weiter Stellung, da er bereits das Vorliegen einer anerkannten völkerrechtlichen Immunitätsausnahme verneint.587 Kritisch äußert sich Richter Bennouna in seiner gesonderten Stellungnahme hierzu: „The Court has relied on a ‚mechanical‘ conception of the judicial task, according to which the national court rules on immunity as a preliminary issue, without considering ‚the specific circumstances of each case‘ (Judgment, para. 106). However, 584 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 82. 585 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 82. 586 OLG Köln, 10.06.2015, Az. 16 U 147/13, juris Rn. 35. Auch das OLG Köln löst im Ergebnis den Konflikt nicht auf. Denn fraglich war im Rahmen der Klage, ob für die Bejahung der Gerichtsbarkeit bereits feststehen muss, dass nicht-hoheitliches Handeln tatsächlich vorlag. Streitig war nämlich, ob ein Vertrag zwischen dem Kläger und dem beklagten Staat geschlossen wurde. Das Gericht entschied jedoch, dass ausreichend sei, dass der Streitgegenstand grundsätzlich dem nicht-hoheitlichen Bereich zugeordnet werden könne, unabhängig davon, ob dieser letztlich vorliege, worüber im Rahmen der Begründetheit der Klage zu entscheiden sei. 587 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 83 ff.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion121 that is an illusion, for, in practice, it often happens that, in order to rule on the issue of immunity, and on the arguments for lifting immunity put forward by the claimant, the court has to examine the merits of the case.“588
In der deutschen Zivilrechtsprechung findet sich diese Problematik unter dem Stichpunkt der „doppelrelevanten Tatsache“ wieder. Bei doppelrelevanten Tatsachen handelt es sich um solche Tatsachen, die gleichermaßen für die Zulässigkeit der Klage als auch für die Begründetheit der Klage relevant sind.589 Der BGH befasste sich mit dieser Frage und lässt im Ergebnis Feststellungen, die sowohl die Frage der Staatenimmunität als auch die Begründetheit der Klage betreffen, in beschränktem Maße zu: „Danach sind zumindest Feststellungen zu einem privatrechtlichen Handeln im Namen des beklagten Staates sowie zur Zurechnung eines solchen privatrechtlichen Handelns erforderlich. Auch wenn diese Voraussetzungen zusätzlich für die materiell-rechtliche Prüfung der Begründetheit der Klage von Bedeutung sind, rechtfertigt dies keine andere Betrachtungsweise. […] Das Erfordernis der vorrangigen Klärung der hierfür maßgebenden Tatsachen entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 26. September 1978 – VI ZR 267/76, NJW 1979, 1101, juris Rn. 7 ff.). Im Revisionsverfahren wird nicht aufgezeigt, dass diese Betrachtungsweise von hohen Gerichten im Ausland nicht geteilt wird. Sähe man dies anders, bestünde die Gefahr einer Völkerrechtsverletzung, wenn sich in dem weiteren Verfahren herausstellt, dass ein nicht hoheitliches Handeln des Staates gar nicht vorlag.“590
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zeigt, dass es zulässig sein kann, bereits im Rahmen der Prüfung der Eröffnung der Gerichtsbarkeit solche Tatsachen einer gerichtlichen Klärung zuzuführen, die sowohl für den Immunitätstatbestand als auch für die materiellrechtliche Begründetheit der Klage relevant sind. Der Bundesgerichtshof erachtet dies sogar als Gewährung eines größeren Schutzes für den beklagten Staat, da dessen Immunität nicht bereits auf Grund von bloßen Behauptungen, sondern erst im Falle des Feststehens der entsprechenden Tatsachen aufgehoben wird. Den Klägern wiederum wird nicht per se rechtliches Gehör verwehrt, indem eine Feststellung der behaupteten Tatsachen mit Verweis auf eine mögliche Verletzung der Staatenimmunität unterbleibt. In diesem Sinne wird ein Ausgleich zwischen den Interessen der Kläger und denen des beklagten Staates herbeigeführt. Der Bundesgerichtshof sieht sich in diesem Ergebnis auch durch das Fehlen entgegenstehender ausländischer Praxis bekräftigt.591 588 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening) (Separate Opinion of Judge Bennouna), I.C.J. Rep. 2012, 172, para 29. 589 Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 1 Rn. 20. 590 BGH, Urt. v. 24.03.2016, BGHZ 209, 290 (297). 591 Ibid.
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1. Teil: Grundlagen
Auch der U.S. Supreme Court äußerte sich zu der Problematik der Feststellung doppelrelevanter Tatsachen. Dieser bejahte im Ergebnis ebenfalls die Notwendigkeit der Entscheidung hinsichtlich solcher Streitfragen, die nicht nur eine Entscheidung zur jurisdiction des Gerichts, sondern zugleich eine Entscheidung in Bezug auf einen Teil der Begründetheit der Klage darstellen: „We recognize that merits and jurisdiction will sometimes come intertwined. […] If so, the court must still answer the jurisdictional question. If to do so, it must inevitably decide some, or all, of the merits issues, so be it.“592
Dabei betont der Supreme Court, dass im Rahmen der Prüfung der Staaten immunität nach dem Foreign Sovereign Immunities Act neben der Lösung reiner Rechtsfragen auch strittige Tatsachen frühestmöglich einer Klärung zuzuführen sind.593 Auch in der US-amerikanischen Rechtsprechung stellt die vermeintlich bestehende Staatenimmunität des fremden Staates kein Bollwerk zu Klärung solcher Tatsachen dar, die sowohl die Staatenimmunität als auch den materiellrechtlichen Gehalt der Klage betreffen. An dieser Stelle kann somit festgehalten werden, dass die nähere Klärung des Vorliegens der Staatenimmunität von den Gerichten auch dann als zulässig erachtet wird, wenn dadurch zugleich die Feststellung von Tatsachen erforderlich ist, die bereits Teile der Begründetheit der Klage betreffen. Hierin besteht noch keine Verletzung der Staatenimmunität, vielmehr wird dieses Vorgehen von den Gerichten als von dem Grundsatz der Staatenimmunität geboten angesehen. Hierin sollte jedoch nicht, entgegen der Sicht des IGH, ausschließlich ein „logisches Problem“ gesehen werden. Es handelt sich vielmehr um eine Folge des Wandels des Grundsatzes der Staatenimmunität von dem Grundsatz der absoluten Immunität hin zu einem komplexen Gebilde. Ist einerseits das Recht der Staatenimmunität umfassender geworden, so ist eine natürliche Folge, dass auch die Prüfung der Voraussetzungen der Staa tenimmunität komplexer werden und es mitunter sogar erforderlich ist, dass bereits im Rahmen der Zulässigkeit der Klage auch für die Begründetheit relevante Tatsachen einer näheren Klärung zuzuführen sind. Relativiert man den Grundsatz der Staatenimmunität, so muss dies zugleich bedeuten, dass im Rahmen der Zulässigkeit bei Streit über das Vorliegen der Voraussetzungen der Staatenimmunität eine umfassende Klärung des Sachverhalts zulässig ist, soweit dies zur Feststellung der Staatenimmunität erforderlich ist. Anderenfalls wären die Gerichte durch die bloße Möglichkeit des Vorliegens der 592 Supreme Court, Drilling Co., 137 S.Ct. 593 Supreme Court, Drilling Co., 137 S.Ct.
01.05.2017, Venezuela v. Helmerich & Payne International 1312, 1319. 01.05.2017, Venezuela v. Helmerich & Payne International 1312, 1316 f.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion123
Staatenimmunität an der Vornahme ihrer Tätigkeit gehemmt, was faktisch in der Praxis der Gerichte auf die Gewährung absoluter Staatenimmunität hi nausliefe. Ein Staat muss sich somit zumindest bis zur Feststellung seiner Immunität der Gerichtsbarkeit des fremden Staates unterwerfen, auch wenn dies erfordert, dass bereits im Rahmen der Prüfung der Gerichtsbarkeit Fragen der Begründetheit der Klage einer Klärung zugeführt werden, sofern diese für die Gewährung der Staatenimmunität von Bedeutung sind. Andernfalls würde das diffizile Konstrukt des Rechts der Staatenimmunität unterlaufen. 3. Praxis im Falle des staatlich geförderten Terrorismus
Die soeben dargelegten Grundsätze zur Feststellung des Bestehens der Staatenimmunität lassen sich auch speziell mit Blick auf gerichtliche Verfahren, in denen dem beklagten Staat die Unterstützung des Terrorismus zur Last gelegt wird, wiederfinden. So führt der District Court des New York Southern District in seiner ersten Entscheidung unter Anwendung des JASTA aus: „The FSIA begins with a presumption of immunity which the plaintiff must overcome by showing that the defendant sovereign’s activity falls under one of the statutory exceptions. Accordingly, ,[o]nce the defendant presents a prima facie case that it is a foreign sovereign [or an instrumentality of a foreign sovereign],‘ the plaintiff has the burden of going forward with evidence showing that, under exceptions to the FSIA, immunity should not be granted […]. Determining whether this burden is met involves a review of the allegations in the complaint, the undisputed facts, if any, placed before the court by the parties, and – if the plaintiff comes forward with sufficient evidence to carry its burden of production on this issue – resolution of disputed issues of fact.“594
Dabei steht in der US-amerikanischen Praxis hinter diesem Prüfungsmaßstab der Gedanke, die Effektivität des Grundsatzes der Staatenimmunität weitestgehend zu gewähren und den beklagten Staat vor einem langwierigen Verfahren zu schützen, indem seine Immunität zum frühestmöglichen Zeitpunkt bestimmt wird: „By permitting the district court to go beyond the bare allegations of the complaint, it preserves the effectiveness of the immunity doctrine by avoiding putting the foreign government defendant to the expense of defending what may be a pro-
594 District Court, 28.03.2018, In Re: Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 640 f., unter Bezugnahme auf: Court of Appeals, 16.04.2013, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks VIII“), 714 F.3d 109, 114; Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, 80.
124
1. Teil: Grundlagen
tracted lawsuit without an opportunity to obtain an authoritative determination of its amenability to suit at the earliest possible opportunity.“595
Das amerikanische Beweiserhebungsverfahren („pre-trial discovery“) erfährt hingegen im Rahmen vom Klagen gegen einen fremden Staat besondere Einschränkungen. So ist von den Klägern zunächst eine „reasonable basis“ für die zumindest vorläufige Annahme von „jurisdiction“ durch das Gericht, als Grundlage für die Anordnung der „jurisdictional discovery“, darzulegen.596 Die Beweiserhebung als solche hat sich ausschließlich auf die streitigen Tatsachen zu erstrecken, die für die Bestimmung der Staatenimmunität als solche entscheidend sind.597 Zu sogenannten „fishing expeditions“ kann es daher bei Klagen gegen einen fremden Staat nicht kommen. Das Beweiserhebungsverfahren ist zudem unverzüglich und zügig unter der Aufsicht eines Richters durchzuführen.598 4. Fazit
Die Staatenpraxis veranschaulicht, dass die mit Fragen der Staatenimmunität betrauten Gerichte die Behauptungen der Kläger einer Klärung zuführen, um das Vorliegen des Immunitätstatbestandes eindeutig festzustellen. Ein solches Vorgehen fordert der Wandel der Staatenimmunität gewissermaßen heraus, indem die Gewährung von Staatenimmunität durch zunehmend komplexere Tatbestände bedingt wird. Dabei hat sich der Staat im jetzigen Zeitalter der Immunität für den Zweck der Feststellung seiner Immunität der Gerichtsbarkeit des Forumstaates faktisch zu unterwerfen. Die Rechtsprechung verdeutlicht aber auch, dass die Gerichte als unabhängige Instanzen der möglicherweise bestehenden Immunität des Staates größtmöglichen Schutz zukommen lassen und der Staatenimmunität einen hohen Stellenwert einräumen. Zwar können Befürchtungen bestehen, dass ein nationales Gericht möglicherweise voreingenommen in der Prüfung der Immunität des 595 District Court, 28.03.2018, In Re: Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 641; unter Bezugnahme auf Court of Appeals, 11.10.2001, Robinson v. Government of Malaysia, 269 F.3d 133, 142. 596 District Court, 28.03.2018, In Re: Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 641: „Accordingly, a court may permit jurisdictional discovery from a foreign sovereign only where the party seeking discovery can articulate a ‚reasonable basis‘ for the court first to assume jurisdiction.“ 597 „Yet, in the FSIA context, even in those instances where jurisdictional discovery is warranted, ‚discovery should be ordered circumspectly and only to verify allegations of specific facts crucial to an immunity determination.‘ “, Court of Appeals, 16.07.1998, First City, Texas-Houston, N.A. v. Rafidain Bank, 150 F.3d 172, 176. 598 District Court, 28.03.2018, In Re: Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 651, 661.
5. Kap.: Staatenimmunität und Jurisdiktion125
fremden Staates ist, aber einzig die Missbrauchsmöglichkeit kann für sich genommen nicht rechtfertigen, dass ein Staat sich der Gerichtsbarkeit des Forumstaates zur Feststellung seiner Immunität per se nicht unterwerfen muss. Die Erforschung der Immunitätsfrage durch die Gerichte stellt, auch bei komplexen Tatbeständen wie dem des Terrorismus, noch keine Verletzung der völkerrechtlichen Immunität dar. Eine Verletzung der Staatenimmunität kann erst dann bejaht werden, wenn ein Endurteil in der Sache erlassen wird, obwohl der Staat Immunität beanspruchen kann.
Zweiter Teil
Staatenimmunität und Terrorismus Der Schwerpunkt der vorliegenden Dissertation besteht in der Untersuchung der Durchbrechung der Immunität eines fremden Staates im Falle des staatlich geförderten Terrorismus. Sowohl die USA als auch Kanada sehen seit geraumer Zeit in ihren nationalen Kodifikationen des Rechts der Staaten immunität Ausnahmen zur Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vor. In diesem Rahmen hat sich bereits eine nicht unbeachtliche Fülle an Rechtsprechung gebildet, deren Auswertung neben den gesetzlichen Vorschriften selbst als Grundlage des vorliegenden Abschnitts dient. Das Ziel des zweiten Teils dieser Dissertation ist eine umfassende Darstellung und Analyse der US-amerikanischen und kanadischen Praxis im Bereich der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus. Dabei richtet sich der Blick insbesondere auf die konkreten Voraussetzungen, an die die Durchbrechung der Staatenimmunität wegen der Terrorismusförderung durch den fremden Staat geknüpft ist. Ausgangspunkt des zweiten Teils dieser Arbeit ist die Durchbrechung der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren.1 Sodann wendet sich der Blick auf die Vollstreckungsimmunität des fremden Staates, die durch die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in den USA und Kanada ebenfalls Einschränkungen erfährt.2 6. Kapitel
Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren in der US-amerikanischen und kanadischen Praxis A. US-amerikanische Praxis Die USA haben als erster Staat bereits im Jahre 1996 eine Ausnahme zur Staatenimmunität wegen der Unterstützung des Terrorismus durch einen fremden Staat kodifiziert. Im Rahmen dieses Abschnitts richtet sich daher 1 S. 2 S.
hierzu 6. Kapitel. hierzu 7. Kapitel.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren127
der Blick zunächst auf die US-amerikanische Praxis. Dabei steht zunächst allgemein die Regelung des Grundsatzes der Staatenimmunität im US-amerikanischen Recht durch den Foreign Sovereign Immunities Act im Vordergrund.3 Sodann erfolgt eine Darstellung der US-amerikanischen Deliktsausnahme, die vor Erlass der Terrorismusausnahmen als Grundlage zur Durchbrechung der Staatenimmunität in Fällen des Terrorismus diente.4 Schließlich erfolgt eine umfassende Darstellung der Terrorismusausnahmen, 28 U.S.C. § 1605A5 und 28 U.S.C. § 1605B6. I. Der Foreign Sovereign Immunities Act 1. Gesetzgebungshistorie
Die Immunität eines fremden Staates unterliegt innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika den Vorschriften des im Jahre 1976 erlassenen und am 19. Januar 1977 in Kraft getretenen Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA).7 Vor der Kodifizierung des Grundsatzes der Staatenimmunität durch den Kongress oblag die Entscheidung über die Immunität eines fremden Staates dem Außenministerium, welches diese naturgemäß unter (außen-) politischen Gesichtspunkten traf.8 Die Entscheidungen des Außenministe riums stellten dabei für die Gerichte Bindungswirkung dar.9 Mit dem Erlass des FSIA sollte die Entscheidung über das Bestehen der Staatenimmunität von der Exekutive auf die Gerichte übertragen werden,10 um so die Frage nach der Staatenimmunität zu entpolitisieren und objektiven, rechtlichen 3 S.
hierzu 6. Kapitel: A.I. hierzu 6. Kapitel: A.II.1. 5 S. hierzu 6. Kapitel: A.II.2. 6 S. hierzu 6. Kapitel: A.II.3. 7 PL 94-583, § 4(a), 21.10.1976, 90 Stat. 2892, kodifiziert in 28 U.S.C. §§ 1602– 1611. 8 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402; Supreme Court, 05.04.1943, Ex Parte Republic of Peru, 63 S.Ct. 793, 799 f.; Supreme Court, 05.02.1945, Republic of Mexico v. Hoffman, 65 S.Ct. 530, 533; zur Staatenimmunität als politische Frage siehe ausführlich, Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 10 ff. 9 Supreme Court, 05.02.1945, Republic of Mexico v. Hoffman, 65 S.Ct. 530, 533: „It is […] not for the courts to deny an immunity which our government has seen fit to allow, or to allow an immunity on new grounds which the government has not seen fit to recognize.“ 10 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402. 4 S.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Kriterien zu unterstellen, die im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens überprüfbar sind.11 Gleichzeitig wurde durch den FSIA der restriktive Grundsatz der Staatenimmunität kodifiziert,12 dem sich das Außenministerium erstmals offiziell im Jahre 1952 durch den sogenannten Tate Letter anschloss.13 Fortan, so wies der Rechtsberater des Außenministeriums Jack B. Tate den Generalstaatsanwalt 1952 an, sollten Gerichte in Ermangelung einer Empfehlung des Außenministeriums auf Grundlage der restriktiven Theorie des Grundsatzes der Staatenimmunität eine Immunitätsentscheidung treffen. Neben der Kodifizierung des restriktiven Grundsatzes der Staatenimmunität sowie der Übertragung der Immunitätsentscheidung auf die Gerichte, sollte der Foreign Sovereign Immunities Act als erstes Gesetz in der US-amerikanischen Geschichte Vorschriften zur Klageerhebung gegen sowie der Begründung von personal jurisdiction über den fremden Staat einführen.14 Schließlich sollte durch den FSIA die bis dahin in den USA geltende absolute Vollstreckungsimmunität fremder Staaten beschränkt und den Klägern die Vollstreckung von Urteilen gegen den fremden Staat erleichtert werden.15 2. Systematik des Foreign Sovereign Immunities Act
Der Foreign Sovereign Immunities Act geht in 28 U.S.C. § 1604 von dem Grundsatz der Immunität des fremden Staates aus:
11 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402; Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (4); Fox/Webb, State Immunity, S. 241. 12 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402 f. 13 Jack B. Tate (Secretary of State – Acting Legal Adviser), Letter to the Attorney General, Changed Policy Concerning the Granting of Sovereign Immunity to Foreign Governments, 19.05.1952, 26 Dep’t St. Bull. 984 f.; vgl. auch Supreme Court, 24.05.1976, Alfred Dunhill of London, Inc. V. Republic of Cuba, 96 S.Ct. 1854, 1863; Supreme Court, 14.06.2007, Permanent Mission of India to the United Nations v. City of New York, 127 S.Ct. 2352, 2356 f. 14 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402. Die bis dato verfolgte US-Praxis zur Begründung von jurisdiction über den fremden Staat bestand darin, innerhalb der USA belegenes Eigentum des fremden Staates zu beschlagnahmen, ibid. 15 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402; s. ausführlich zur Vollstreckungsimmunität unten 7. Kapitel: B.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren129 „[…] a foreign state shall be immune from the jurisdiction of the courts of the United States and of the States except as provided in sections 1605 to 1607 of this chapter.“16
Die Immunität eines fremden Staates wird durch 28 U.S.C. § 1604 gesetzlich vermutet und kann ausschließlich dann durch ein Gericht beschränkt werden, wenn eine der in 28 U.S.C. §§ 1605–1607 genannten Ausnahmen einschlägig ist.17 Gelangt ein Gericht zu der Entscheidung, dass eine der Ausnahmen des FSIA anwendbar ist, so hat es die Immunität des fremden Staates nach 28 U.S.C. § 1604 zu verneinen und die subject matter jurisdiction über den fremden Staat nach 28 U.S.C. § 1330(a) zu bejahen.18 Das FSIA statuiert somit, wie auch andere prominente Kodifikationen des Rechts der Staatenimmunität, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Zum Zeitpunkt des Erlasses des FSIA im Jahre 1976 sieht der US-amerikanische Gesetzgeber Ausnahmen zur Staatenimmunität im Falle eines „waivers“ (Verzicht) auf die Immunität durch den fremden Staat, 28 U.S.C. § 1605(a)(1), hinsichtlich einer „commercial activity carried on in the United States by the foreign state“, 28 U.S.C. § 1605(a)(2); bezüglich „property taken in violation of international law“, 28 U.S.C. § 1605(a)(3); im Falle von „immovable property situated in the United States“, 28 U.S.C. § 1605(a)(4) sowie im Falle von „personal injury or death, or damage to or loss of property, occurring in the United States and caused by the tortious act or omission of that foreign state“, 28 U.S.C. § 1605(a)(5)19 vor. Im Jahr 1988 wurde der Foreign Sovereign Immunities Act um eine arbitration exception, 28 U.S.C. § 1605(a) (6), erweitert. Auffällig bei den ursprünglichen Ausnahmen zur Staatenimmunität im FSIA ist, dass ausgenommen der waiver exception, eine Ausnahme zur Staatenimmunität grundsätzlich auch einen territorialen Bezug zu den USA voraussetzt. Hervorzuheben ist an dieser Stelle zudem, dass abgesehen von der Deliktsausnahme in 28 U.S.C. § 1605(a)(5), die Ausnahmen 16 Gleiches gilt für die Vollstreckungsimmunität, 28 U.S.C. § 1609; s. hierzu 7. Kapitel: B. 17 Supreme Court, 14.06.2007, Permanent Mission of India to the U.N. v. City of N.Y. (Permanent Mission), 127 S.Ct. 2352, 2355. 18 Vgl. Supreme Court, 23.01.1989, Argentine Republic v. Amerada Hess Shipping Corp., 488 U.S. 423, 434: „Sections 1604 and 1330(a) work in tandem: § 1604 bars federal and state courts from exercising jurisdiction when a foreign state is entitled to immunity, and § 1330(a) confers jurisdiction on district courts to hear suits brought by United States citizens and by aliens when a foreign state is not entitled to immunity.“ 28 U.S.C. § 1330(a) wurde ebenfalls durch den FSIA eingeführt, PL 94-583, § 2(a), 21.10.1976, 90 Stat. 2891. 19 28 U.S.C. § 1605(a)(5) ist bekannt als „non-commercial tort exception“, vgl. Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1409. S. hierzu ausführlich 6. Kapitel: A.II.1.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
zur Staatenimmunität des FSIA im Zusammenhang mit einer commercial activity des fremden Staates stehen und das FSIA so ein Beispiel für die Kon kretisierung der restriktiven Immunitätstheorie anhand bestimmter Fallgruppen darstellt. Nach dem Jahre 1988 erfuhr der FSIA 1996, 2008 sowie 2016 entscheidende Erweiterungen. Diese Erweiterungen betrafen allesamt die Beschränkung der Staatenimmunität im Zusammenhang mit der staatlichen Förderung des Terrorismus. 3. „Staat“ im Sinne des FSIA
Im Rahmen von Terrorismusklagen gegen einen fremden Staat stellen sich bereits auf Ebene des Staatsbegriffes zentrale, die Anwendbarkeit des FSIA bedingende Fragen, so etwa ob Wohltätigkeitsorganisationen unter den Begriff des Staates fallen.20 Im Folgenden kann nicht auf die umfassende Einzelfallrechtsprechung der Gerichte en Detail eingegangen werden. Es soll jedoch an dieser Stelle das Problembewusstsein geschärft und die Relevanz der oben geführten Diskussion mit Blick auf die Frage Immunität ratione personae v. ratione materiae in der Praxis dargelegt werden.21 Der Begriff des Staates erfährt in 28 U.S.C. § 1603(a) folgende Definition: „A ‚foreign state‘ […] includes a political subdivision of a foreign state or an agency or instrumentality of a foreign state as defined in subsection (b).“
Erfasst wird von der Definition grundsätzlich der Staat als solches, wie er von der internationalen Gemeinschaft nach allgemeinen Grundsätzen anerkannt wird.22 Daneben erfasst der Staatsbegriff des FSIA eine „political subdivision“ sowie eine „agency“ oder „instrumentality“ des fremden Staates. Letztere werden in 28 U.S.C. § 1603(b) definiert: „(b) An ‚agency or instrumentality of a foreign state‘ means any entity – (1) which is a separate legal person, corporate or otherwise, and (2) which is an organ of a foreign state or political subdivision thereof, or a majority of whose shares or other ownership interest is owned by a foreign state or political subdivision thereof, and (3) which is neither a citizen of a State of the United States as defined in section 1332 (c) and (e) of this title, nor created under the laws of any third country.“ 20 S. hierzu Elsea, CRS Report for Congress RL34726 2015, (6 ff.). S. etwa zur Saudi High Commission for Relief to Bosnia and Herzegovina (SHC), Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 7. 21 S. hierzu oben 2. Kapitel: B. 22 Fox/Webb, State Immunity, S. 252.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren131
Durch die Einbeziehung von „agencies“ und „instrumentalities“ in den Staatsbegriff des FSIA erfährt der Begriff des „fremden Staates“ eine erhebliche Erweiterung, da auch solche selbständigen Einheiten des Staates in den persönlichen Schutzbereich der Immunität fallen, die ausschließlich zu handelstreibenden, kommerziellen Zwecken gegründet wurden.23 Auf der anderen Seite wird durch den Staatsbegriff des FSIA mit Blick auf das Vollstreckungsverfahren der Kreis der potentiellen Vollstreckungsschuldner und der, der Vollstreckung unterfallenden Vermögensgüter in den Fällen erweitert, in denen der sogenannte „corporate veil“ der juristischen Person durchbrochen werden kann.24 Fielen die in 28 U.S.C. § 1603(b) aufgenommenen juristischen Personen bereits nicht unter den Begriff des Staates, so wäre eine Vollstreckung in Vermögensgüter dieser Unternehmen im Zusammenhang mit Klagen gegen den Staat selbst grundsätzlich ausgeschlossen.25 Nicht erfasst werden durch den FSIA das Diplomaten- und Konsularrecht sowie die Immunität von Staatsoberhäuptern und hohen Funktionsträgern.26 Im Falle von Klagen gegen ein Staatsoberhaupt oder andere hohe Funktionsträger richtet sich die persönliche Immunität nach dem Völkergewohnheitsrecht.27
23 Fox/Webb,
State Immunity, S. 254. Court, 17.06.1983, First Nat. City Bank v. Banco Para El Comercio Exterior de Cuba, 103 S.Ct. 2591. S. hierzu ausführlich 7. Kapitel: B. 25 Freilich kann auch unmittelbar gegen juristische Personen im Zusammenhang mit der Unterstützung des Terrorismus Klage erhoben werden. Hier findet sich in den USA ebenfalls eine Bandbreite an Gesetzen und Rechtsprechung. Vgl. etwa zur Sekundärhaftung von Banken: Bitterly, Can Banks Be Liable for Aiding and Abetting Terrorism?: A Closer Look into the Split on Secondary Liability Under the Antiterrorism Act, Fordham L. Rev. 2015, 3389. 26 Die USA haben am 13.11.1972 das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen ratifiziert, s. https://treaties.un.org/pages/viewdetails.aspx?src= treaty&mtdsg-_no=iii3&chapter=3&lang=en (Stand: 14.05.2020). Der U.S. Diplomatic Relations Act, 1978, PL 95-393, kodifiziert in 28 U.S.C. 254(b), setzt das Abkommen in nationales Recht um. Das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1963 wurde von den USA im Jahr 1969 ratifiziert, siehe https://treaties. un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=-IND&mtdsg_no=III6&chapter=3&clang=_en (Stand: 14.05.2020). 27 Supreme Court, 01.06.2010, Samantar v. Yousuf, 130 S.Ct. 2278, 2287 ff., 2292. Das Gericht berücksichtigt in Fragen der Immunität von Staatsoberhäuptern und Amtsträgern wiederum Empfehlungen des Außenministeriums. Diesen kommt je nach Person des Beklagten unterschiedliche Bedeutung zu: „[…] we give absolute deference to the State Department’s position on status-based immunity doctrines such as head-of-state immunity. […] In considering the contours of foreign official immunity, we must draw from the relevant principles found in both international and domestic immunity law, as well as the experience and judgment of the State Department, to which we give considerable, but not controlling, weight.“, Court of Appeals, 24 Supreme
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
II. Die Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität Spricht man von der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität so ist dies strenggenommen ungenau. Denn der Foreign Sovereign Immunities Act erfuhr bisher insgesamt drei grundlegende Ergänzungen hinsichtlich der Beschränkung der Staatenimmunität im Falle der Förderung des Terrorismus durch einen fremden Staat und sieht derzeit zwei unterschiedliche Immunitätsausnahmen im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vor. Dabei handelt es sich bei Klagen auf Grundlage der Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität, wie auch bei Klagen auf Grundlage der Deliktsausnahme, um Klagen wegen deliktischer Handlungen (torts) des fremden Staates. Vor der Einführung der ersten Terrorismusausnahme im Jahre 1996 sah der FSIA eine Beschränkung der Staatenimmunität für deliktische Handlungen ausschließlich auf Grundlage der Deliktsausnahme („noncommercial tort exception“), 28 U.S.C 1605(a)(5), vor.28 Fälle, die heute unter eine der beiden bestehenden Terrorismusausnahmen fallen, wurden vor der Einführung der ersten Terrorismusausnahme hinsichtlich der Immunität des fremden Staates den Kriterien der Deliktsausnahme unterworfen – oftmals, aufgrund des strengen territorialen Nexus der Vorschrift, mit einem für die Kläger unbefriedigenden Ergebnis.29 Während es um die Deliktsausnahme nach der Einführung der ersten Terrorismusausnahme im Jahre 1996 zunächst still wurde, erlangte diese im Nachgang der Anschläge des 11. September 2001 im Rahmen von Klagen gegen Saudi-Arabien erneut an entscheidender Bedeutung.30 Dies bietet Anlass, zu Beginn dieses Abschnittes den Blick auf die Delikts ausnahme des FSIA zu richten, wenngleich es sich bei dieser Ausnahme nicht um eine der „Terrorismusausnahmen“ des FSIA im eigentlichen Sinne handelt.31 Sodann rückt der Fokus auf die in den Jahren 1996, 2008 und 2016 eingeführten Ausnahmen zur Immunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus, die jeweils untereinander und in Bezug auf die Deliktsausnahme eine Abgrenzung erfahren.32
02.11.2012, Yousuf v. Samantar, 699 F.3d 763, 773. Vgl. auch Samantar v. Yousuf, Brief for the United States as Amicus Curiae, 27.01.2010, 2010 WL 342031. 28 S. hierzu sogleich 6. Kapitel: A.II.1. 29 S. hierzu bereits oben 4. Kapitel: B.I. und sogleich 6. Kapitel: A.II.1. 30 S. unten 6. Kapitel: A.II.3.a)cc). 31 S. unten 6. Kapitel: A.II.1. 32 S. unten 6. Kapitel: A.II.2., 3.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren133 1. Deliktsausnahme
Die sogenannte noncommercial tort exception wurde bereits im Rahmen des Erlasses des Foreign Sovereign Immunitites Act im Jahre 1976 eingeführt. In 28 U.S.C. § 1605(a)(5) heißt es: „A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case […] (5) not otherwise encompassed in paragraph (2) above, in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death, or damage to or loss of property, occurring in the United States and caused by the tortious act or omission of that foreign state or of any official or employee of that foreign state while acting within the scope of his office or employment.“
Die Immunität des fremden Staates kann nach dieser Vorschrift wegen der Verletzung von Leib oder Leben sowie Sachschäden aufgehoben werden, die durch eine deliktische Handlung oder Unterlassung des fremden Staates in den USA verursacht wurden. Während die Ausnahme nach dem Willen des Gesetzgebers zwar in erster Linie die klassischen Fälle von Verkehrsunfällen erfassen soll, ist der Wortlaut der Vorschrift dennoch allgemein gehalten, um grundsätzlich Schadensersatzklagen aus Delikt erfassen zu können.33 Erfasst wird von der Vorschrift sowohl hoheitliches als auch nicht-hoheitliches Handeln des Staates, seiner Beamten und Arbeitnehmer.34 Es ist also nicht überraschend, dass erste Klagen gegen fremde Staaten im Kontext des Terrorismus die Beschränkung der Immunität auf 28 U.S.C. § 1605(a)(5) stützten. So wurde auf der Grundlage der noncommercial tort exception im Jahr 1980 im Falle Letelier v. Republic of Chile die Immunität Chiles aufgehoben und Chile wegen des politischen Anschlags auf den ehemaligen chilenischen Botschafter und Minister Orlando de Letelier zur Zahlung von rund 4,5 Millionen USD Schadensersatz verurteilt.35 Letelier, der zu dem Zeitpunkt im Exil in Washington D.C. lebte, wurde auf Anordnung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet durch eine in seinem Auto von
33 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1409; s. auch District Court, 11.03.1980, Letelier v. Republic of Chile, 488 F.Supp. 665, 671 f. 34 Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1409. Zur Rückausnahme des 28 U.S.C. § 1605(a)(5)(A) bei Ermessensentscheidungen des fremden Staates s. unten 6. Kapitel: A.II.3.a)cc)(3). 35 District Court, 11.03.1980, Letelier v. Republic of Chile, 488 F.Supp. 665 (Entscheidung zur Zuständigkeit); ders., 05.11.1980, Letelier v. Republic of Chile, 502 F.Supp. 259.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
der chilenischen Geheimpolizei (DINA) platzierte Bombe getötet.36 In einem ähnlich gelagerten Fall im Jahre 1989 wurde die Immunität Chinas auf Grundlage der noncommercial tort exception wegen der Ermordung des Journalisten Henry Lius in Kalifornien durch Agenten des chinesischen Geheimdienstes aufgehoben und China zu Schadensersatz verurteilt.37 In beiden Fällen befanden sich Handlungs- und Erfolgsort in den USA und die deliktische Handlung wurde durch unmittelbar für den Staat handelnde Personen vorgenommen beziehungsweise angeordnet, so dass die Immunität Chiles respektive Chinas durch US-amerikanische Gerichte auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605(a)(5) aufgehoben werden konnte. Für deliktische Handlungen fremder Staaten außerhalb der USA galt jedoch weiterhin absolute Staatenimmunität.38 So konnten weder Opfer der Teheraner Geiselnahme ein Urteil gegen den Iran39 noch Hinterbliebene der Opfer des Bombenanschlags auf PanAm Flug 103 über Lockerbie, Schottland, ein Urteil gegen Libyen40 erwirken. 2. 28 U.S.C. § 1605A – Terrorism Exception to the jurisdictional immunity of a foreign state
Die aufgrund des strikten territorialen Nexus lediglich beschränkte Anwendbarkeit der noncommercial tort exception sollte einen Ausgleich durch den Erlass der ersten Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Jahre 1996 erfahren. Denn im Rahmen der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität verzichtete der Kongress gänzlich auf einen territorialen Nexus zwischen der staatlichen Handlung respektive dem Ort des Schadenseintritts und US-amerikanischem Staatsgebiet.41 Kodifiziert wurde die Terrorismus ausnahme zur Staatenimmunität ursprünglich in 28 U.S.C. § 1605(a)(7). Im Jahr 2008 wurde diese Vorschrift jedoch durch 28 U.S.C. § 1605A ersetzt, der hinsichtlich der immunitätsbeschränkenden Voraussetzungen identisch ist,42 jedoch darüber hinaus weitere Detailfragen regelt. Court, 05.11.1980, Letelier v. Republic of Chile, 502 F.Supp. 259, 265 f. of Appeals, 29.12.1989, Liu v. Republic of China, 892 F.2d 1419. 38 S. hierzu Murphy, Int’l L. 1998, 453 (454); Fox/Webb, State Immunity, S. 274. 39 Court of Appeals, 13.03.1984, Persinger v. Islamic Republic of Iran, 729 F.2d 835. 40 District Court, 17.05.1995, Smith v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 886 F.Supp. 306; bestätigt durch Court of Appeals, 26.11.1996, Smith v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 101 F.3d 239; cert. den. Supreme Court, 28.04.1997, Smith v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 520 U.S. 1204. S. auch Supreme Court, 23.03.1993, Saudia Arabia v. Nelson, 113 S.Ct.1471. 41 S. oben 4. Kapitel: B.III. 42 Court of Appeals, 15.06.2010, Weinstein v. Islamic Republic of Iran, 609 F.3d 43, 48 Note 4. 36 District 37 Court
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren135
28 U.S.C. § 1605A beschränkt die Immunität in folgenden Fällen: „(1) No immunity. – A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case not otherwise covered by this chapter in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death that was caused by an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking, or the provision of material support or resources for such an act if such act or provision of material support or resources is engaged in by an official, employee, or agent of such foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency.“
Der fremde Staat genießt demnach dann keine Immunität vor US-amerikanischen Gerichten, wenn gegen ihn Schadensersatzforderungen geltend gemacht werden wegen der Verletzung von Leib oder Leben, die durch einen Akt der Folter, außergerichtlichen Tötung, Flugzeugsabotage, Geiselnahme oder der Bereitstellung materieller Unterstützung oder Ressourcen für einen solchen Akt verursacht wurde, wenn eine solche Handlung oder die Bereitstellung materieller Unterstützung oder Ressourcen für einen solchen Akt von einem Beamten, Angestellten oder Beauftragten eines solchen ausländischen Staates im Rahmen seiner offiziellen Tätigkeit durchgeführt wurde. Im Folgenden wird zunächst die Entstehungsgeschichte der ersten Terrorismusausnahme des FSIA, 28 U.S.C. § 1605(a)(7), sowie der Anlass für den Erlass des im Kern nahezu identischen 28 U.S.C. § 1605A dargelegt. Sodann wendet sich die Besprechung den Tatbestandsvoraussetzungen der Immunitätsbeschränkung im Einzelnen zu. a) Entstehungsgeschichte aa) Anti Terrorism and Effective Death Penalty Act Die Zunahme des globalen Terrorismus, der Anschlag von Lockerbie im Jahre 1988, dem 189 US-Bürger zum Opfer fielen, die Geiselnahme auf dem Kreuzfahrtschiff Achille Lauro im Jahre 1985, bei dem ein US-Bürger getötet wurde sowie eine Serie von Anschlägen in Israel, denen ebenfalls US-Bürger zum Opfer fielen – Fälle die bis dato auf Grund des fehlenden territorialen Nexus zu den USA nicht von dem Foreign Sovereign Immunities Act erfasst wurden – bildeten den Anstoß für eine Neuregelung.43 Ein erster Gesetzentwurf wurde bereits 1993 im US-Senat vorgestellt.44 Im Jahre 1996 konkreti43 Congressional Record, 104th Congress, House of Representatives, 13.03.1996, 142 Cong. Rec. H2129, 2131 ff.; Murphy, Int’l L. 1998, 453 (455). 44 S. 825, 103rd Congress, 27.04.1993, abrufbar unter: https://www.gpo.gov/fdsys/ pkg-/BILLS-103s825is/pdf/BILLS-103s825is.pdf (Stand: 14.05.2020). Der erste Gesetzentwurf zur Beschränkung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus spricht noch allgemein von einem „act of international terrorism“,
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
sierte sich schließlich die Ergänzung des FSIA um eine weitere Immunitätsausnahme in Form des Anti Terrorism and Effective Death Penalty Act (AEDPA).45 Die Immunität eines fremden Staates sollte auch dann beschränkt werden können, wenn dieser den internationalen Terrorismus fördert: „Mr. Speaker, the past several decades have taught us a great deal about international terrorism. We know that, to function in the international arena, these criminals [terrorists] require state sponsorship. As our colleague, Representative TOM LANTOS, has stated: ‚Terrorists do not operate in a vacuum, but rather rely on certain nations where they know they will find safe haven after carrying out their murderous acts. They must have at least tacit governmental approval of planned operations and millions with which to continue to buy the tools of death and destruction.‘ […] To avoid civil action, the regime [Lybia] has hidden behind the Foreign Sovereign Immunities Act of 1976. This is the classic situation of a criminal regime invoking the protection of the law while acting in contempt of it. This bill contains a provision that will, under the narrow circumstances of terror and genocide, allow victims to reach beyond the Foreign Sovereign Immunities Act to seek redress for these crimes from the governments that sponsor these atrocities. I urge my colleagues to remember the victims of Pan Am Flight 103 and the need to seek justice for their families.“46
Während die Erweiterung des Foreign Sovereign Immunities Act durch den Anti Terrorism and Effective Death Penalty Act im Kongress große Zustimmung erfuhr, sah sich der Gesetzentwurf zunächst der Opposition der Exekutive ausgesetzt.47 Diese stützte ihre Bedenken dabei unter anderem darauf, dass kein anderer Staat eine derartige Ausnahme zur Staatenimmunität vorsehe, dass die Ausnahme keine territoriale Beschränkung beinhalte und dass die Gefahr der Behinderung der US-Außenpolitik sowie von Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA bestehen könne.48 Hier zeigt sich die politische Brisanz, die dem Grundsatz der Staatenimmunität zukommt. Nachdem jedoch die kubanische Luftwaffe ein ziviles Flugzeug südlich von Florida über internationalen Gewässern abschoss, unterzeichnete Präsident Bill Clinton letztlich im Jahr 1996 den AEDPA.49 wie auch der jüngst erlassene 28 U.S.C. § 1605B, s. hierzu unten 6. Kapitel: A.II.3.b) cc). 45 PL 104-132, 24.04.1996, 110 Stat 1214. 46 Ms. Ros-Lehtinen, Congressional Record, 104th Congress, House of Representatives, 13.03.1996, 142 Cong. Rec. H2129, H2130. 47 Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (1); Sealing, Tex. Int’l L.J. 2003, 119 (123). 48 Hearing on S. 825 Before the Subcommittee on Courts and Administrative Practice of the Senate Committee on the Judiciary, 103rd Cong., 21.06.1994 (Statement of Jamison S. Borek, Deputy Legal Adviser, Department of State), S. 12 ff. 49 Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (1). Vgl. zu dem Vorfall District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren137
Der AEDPA sieht in § 221 eine weitere Ausnahme zur Staatenimmunität, kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605(a)(7), im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vor.50 Hierbei handelt es sich um die erste Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im eigentlichen Sinne. § 221 des AEDPA wird unter der Überschrift „Jurisdiction for Lawsuits Against Terrorist States“ geführt und findet sich unter Titel II des AEDPA „Justice for Victims“ wieder.51 Ziel des Gesetzes ist „to deter terrorism [and] provide justice for victims […]“.52 Unmittelbar nach Erlass des AEDPA wurde die erste Klage gegen Kuba im Zusammenhang mit dem Abschuss eines zivilen Flugzeuges über internationalen Gewässern durch die kubanische Luftwaffe erhoben, bei dem drei USAmerikaner ums Leben kamen.53 Es folgte eine Klage gegen den Iran wegen eines Bombenanschlags auf einen Bus mit Touristen in Israel, der durch eine ausschließlich vom Iran geförderte terroristische Gruppierung verübt wurde, bei dem die zwanzigjährige US-Amerikanerin Alisa Flatow getötet wurde.54 Mit Erlass des Gesetzes ließ der US-Kongress jedoch einige Fragen ungeklärt. Eine dieser Unklarheiten betraf die materiellrechtliche Haftung des Staates und die Frage nach einer entsprechenden Anspruchsgrundlage der Kläger gegen den fremden Staat auf Schadensersatz. Denn aus der Beschränkung der Immunität des fremden Staates ergibt sich nicht auch zugleich die materiellrechtliche Haftung des fremden Staates.55 Der Kongress verabschiedete daher noch im selben Jahr das sogenannte „Flatow Amendment“, kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605 Note.56 Diese Vorschrift begründet eine Anspruchsgrundlage zur Geltendmachung von Schadensersatz gegen officials, employees und agents des Staates.57 Entgegen des Wortlauts der Norm, der 50 PL 104-132, 24.04.1996, 110 Stat 1214, Title II, Sec. 221: „[…] in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death that was caused by an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking, or the provision of material support or resources […] for such an act if such act or provision of material support is engaged in by an official, employee, or agent of such foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency […].“ 51 PL 104-132, 24.04.1996, 110 Stat 1214, 1241, Title II, § 221. 52 PL 104-132, 24.04.1996, 110 Stat 1214, Title II, § 221. 53 District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239. 54 District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1. 55 S. hierzu District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 12 f.; Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (347). 56 Omnibus Consolidated Appropriations Act, PL 104-208, 30.09.1996, 10 Stat. 3009-172, Title I, § 101(c). 57 Omnibus Consolidated Appropriations Act, PL 104-208, 30.09.1996, 10 Stat. 3009-172, Title I, § 101(c): „an official, employee, or agent of a foreign state designated as a state sponsor of terrorism […] while acting within the scope of his or her
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
den Staat nicht als Anspruchsgegner nennt, verurteilten Gerichte unter Heranziehung der respondeat superior Theorie des US-amerikanischen Deliktsrechts auch fremde Staaten selbst zu hohen Schadensersatzforderungen.58 Der Wortlaut der Norm veranlasste letztlich jedoch im Jahre 2004 das Berufungsgericht im Falle Ciccipio, unter Einholung der Auffassung der US-Regierung als amicus curiae, das Bestehen einer Anspruchsgrundlage gegen den fremden Staat selbst abzulehnen.59 Darüber hinaus entschied das Berufungsgericht, dass das Flatow Amendement ausschließlich eine Anspruchsgrundlage gegen Funktionsträger des Staates in ihrer persönlichen Stellung und nicht in ihrer offiziellen Funktion begründe, da anderenfalls der Staat mittelbar hafte, da im Kern eine Klage gegen einen Amtsträger in seiner offiziellen Amtseigenschaft eine Klage gegen den Staat sei.60 Fortan stützen Kläger in Ermangelung einer bundesrechtlichen Vorschrift ihre Klagen auf Anspruchsgrundlagen des Rechts der jeweiligen US-Bundesstaaten.61 Dies führte zu einer Fragmentierung der Rechtsprechung sowie zu enormen Differenzen mit Blick auf die Höhe der, den Klägern zugesprochenen Schadens ersatzforderungen.62 bb) National Defense and Authorization Act Das Fehlen einer die staatliche Haftung begründenden Norm auf bundesrechtlicher Ebene sowie weitere strittige Fragen im Rahmen der Terrorismus ausnahme zur Staatenimmunität, die in den Jahren nach Erlass des 28 U.S.C § 1605(a)(7) in der gerichtlichen Anwendung zu Tage getreten sind, führten letztlich zu einer Revision des 28 U.S.C § 1605(a)(7).63 Das Resultat stellt den im Januar 2008 im Rahmen des National Defense and Authorization Act office, employment, or agency shall be liable […] for personal injury or death caused by acts of that official, employee, or agent for which the courts of the United States may maintain jurisdiction under [former] section 1605(a)(7) of title 28, United States Code, for money damages which may include economic damages, solatium, pain, and suffering, and punitive damages if the acts were among those described in [former] section 1605(a)(7).“ 58 Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (24). 59 Court of Appeals, 16.01.2004, Cicippio-Puleo v. Islamic Republic of Iran, 353 F.3d 1024, 1032 f. Ähnlich bereits District Court, 18.04.2002, Roeder v. Islamic Republic of Iran, 195 F.Supp.2d. 140, 166, 171 ff. 60 Court of Appeals, 16.01.2004, Cicippio-Puleo v. Islamic Republic of Iran, 353 F.3d 1024, 1029. 61 So etwa im Fall Letelier, vgl. Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (347). 62 Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (26) m. w. N. zur Rechtsprechung; Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (347). 63 Vgl. Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (358 f.).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren139
eingeführten 28 U.S.C. § 1605A dar.64 Hinsichtlich der unmittelbar immunitätsbeschränkenden Vorschrift ist 28 U.S.C. § 1605A mit der Vorgängergesetzgebung identisch,65 es werden jedoch andere zentrale Änderungen eingeführt. So wird die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität erstmalig als eigenständige Norm, 28 U.S.C. § 1605A, und nicht als Erweiterung des 28 U.S.C. § 1605 selbst geführt. Die Ausnahme steht, anders als die Vorgängernorm, im United States Code unter dem Titel „Terrorism exception to the jurisdictional immunity of a foreign state“. Die wichtigste Änderung und zugleich Anlass für den Erlass des 28 U.S.C. § 1605A findet sich in 28 U.S.C. § 1605A(c), eine die staatliche Haftung begründende Norm, eine Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz gegen den Staat selbst, die an die Stelle des Flatow Amendment tritt.66 Der Kongress beendet somit die lange Suche der Gerichte nach passenden Anspruchsgrundlagen in dem Deliktsrecht des jeweiligen US-Bundesstaates, vor dessen Gerichten eine Klage anhängig ist. Darüber hinaus regelt der Kongress die Zulässigkeit von punitive damages gegen den fremden Staat sowie eine Haftung des fremden Staates für dessen officials, employees oder agents.67 Daneben wurde auch der Kreis der zur Klageerhebung Berechtigten erweitert.68 b) Regelungsgegenstand aa) Allgemeine Voraussetzungen Die Geltendmachung von 28 U.S.C § 1605A ist zunächst an drei kumulativ vorliegende, allgemeine Voraussetzungen geknüpft: 64 PL
110-181, 28.01.2008, 122 Stat. 338, Div. A. Title X, § 1083(a)(1). oben 6. Kapitel: A.II.2.a)aa); s. ausführlich zum Regelungsgegenstand von 28 U.S.C. § 1605A unten 6. Kapitel: A.II.2.b). S auch Court of Appeals, 15.06.2010, Weinstein v. Islamic Republic of Iran, 609 F.3d 43, 48. 66 28 U.S.C. § 1605A(c) – Private Right of Action: „A foreign state that is or was a state sponsor of terrorism as described in subsection (a)(2)(A)(i), and any official, employee, or agent of that foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency, shall be liable […] for personal injury or death caused by acts described in subsection (a)(1) of that foreign state, or of an official, employee, or agent of that foreign state, for which the courts of the United States may maintain jurisdiction under this section for money damages. […]“; vgl. auch Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (48 ff.). 67 S. 28 U.S.C. § 1605A(c)(4): „[…] In any such action, damages may include economic damages, solatium, pain and suffering, and punitive damages. In any such action, a foreign state shall be vicariously liable for the acts of its officials, employees, or agents.“ 68 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(ii), (c). Hierzu sogleich unten 6. Kapitel: A.II.2.b) aa)(3). 65 Vgl.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
(1) Designation des fremden Staates als „state sponsor of terrorism“ Die wohl wichtigste Voraussetzung zur Beschränkung der Staatenimmunität auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A ist die Designation des fremden Staates als „state sponsor of terrorism“, 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(i)(I).69 Bei einem „state sponsor of terrorism“ handelt es sich um „a government that has repeatedly provided support for acts of international terrorism“, 28 U.S.C. § 1605A(h)(6). Die Designation eines Staates als „state sponsor of terrorism“ obliegt dem Außenminister.70 Die Designation hat dabei entweder bereits zum Zeitpunkt der Vornahme einer der in 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) aufgeführten Akte zu bestehen oder aber sie wird in Folge dieser Handlungen vorgenommen, 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(i)(I).71 Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit sind der Iran, Nordkorea, der Sudan sowie Syrien als „state sponsor of terrorism“ designiert.72 Zum Zeitpunkt des Erlasses der Terrorismusausnahme im Jahr 1996 waren Kuba, der Irak, der Iran, Libyen, Nordkorea, der Sudan sowie Syrien als „state sponsor of terrorism“ designiert.73 Kubas Designation wurde während der Amtszeit des Präsidenten Barack Obama im Rahmen der Bemühungen, US-kubanische Beziehungen zu normalisieren, im Jahr 2015 aufgehoben.74 Nordkorea, das seit 1988 als „state sponsor of terrorism“ designiert war, wurde im Jahr 69 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(i)(I): „The court shall hear a claim under this section if – the foreign state was designated as a state sponsor of terrorism at the time the act described in paragraph (1) occurred, or was so designated as a result of such act, and, subject to subclause (II), either remains so designated when the claim is filed under this section or was so designated within the 6-month period before the claim is filed under this section […].“ 70 28 U.S.C 1605A(h)(6): „[T]he term ‚state sponsor of terrorism‘ means a country the government of which the Secretary of State has determined, for purposes of section 6(j) of the Export Administration Act of 1979 (50 U.S.C. App. 2405(j)), section 620A of the Foreign Assistance Act of 1961 (22 U.S.C. 2371), section 40 of the Arms Export Control Act (22 U.S.C. 2780), or any other provision of law […]“. 71 28 U.S.C § 1605A(a)(2)(A)(i)(I): „ […] the foreign state was designated as a state sponsor of terrorism at the time the act described in paragraph (1) occurred, or was so designated as a result of such act, and, subject to subclause (II), either remains so designated when the claim is filed under this section or was so designated within the 6-month period before the claim is filed under this section […]“. 72 U.S. Department of State, Bureau of Counterterrorism and Countering Violent Extremism, State Sponsors of Terrorism, abrufbar unter https://www.state.gov/j/ct/ list/c14151.htm (Stand: 14.05.2020). 73 Murphy, Int’l L. 1998, 453 (456). 74 U.S. Department of State, Press Statement, Rescission of Cuba as a State Sponsor of Terrorism, 29.05.2015, abrufbar unter: https://2009-2017.state.gov/r/pa/prs/ ps/2015/-05/242986.htm (Stand: 14.05.2020); Davis, U.S. Removes Cuba from StateSponsored Terrorism List, New York Times, 29.05.2015, abrufbar unter: https://nyti. ms/1HS66KV (Stand: 14.05.2020). S. hinsichtlich einer möglichen Einigung über
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren141
2008 von der Liste gestrichen, jedoch unter der Regierung Trumps durch den Außenminister Rex Tillerson im November 2017 erneut als „state sponsor of terrorism“ gelistet.75 Libyens Designation wurde aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen über die Entschädigung von US-amerikanischen Opfern libyschen Terrorismus widerrufen.76 Die Designation des Irak wurde im Zeichen des Wiederaufbaus des Irak nach der US-Invasion im Jahr 2003 aufgehoben.77 Die Beschränkung der Staatenimmunität ist nur eine vergleichbar unscheinbare Folge der Designation als „state sponsor of terrorism“. Zu den vier Hauptkategorien von Sanktionen, die sich aus einer Designation ergeben, gehören Beschränkungen von US-Auslandshilfen, ein Verbot von Verteidigungsexporten und -verkäufen, bestimmte Kontrollen der Ausfuhr von noch nicht vollstreckte Urteile auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A gegen Kuba: Lyubarsky, N.Y.U. L. Rev. 2016, 458 (459 ff.). 75 Erstmals wurde Nordkorea 1988 als „state sponsor of terrorism“ designiert: Notice, Determination Pursuant to Section 6(j) of the Export Administration Act of 1979; North Korea, 05.02.1988, 53 Fed. Reg. 3477–01; zur Widerrufung Nordkoreas Designation im Jahre 2008: Notice, Rescission of Determination Regarding North Korea, 24.08.2008, 73 Fed. Reg. 63540–01; zur jüngsten Designation vgl: Notice, Democratic People’s Republic of Korea (DPRK) Designation as a State Sponsor of Terrorism (SST), 27.11.2017, 82 Fed. Reg. 56100–0; vgl. auch Taylor, North Korea’s on-again-off-again status as a state sponsor of terrorism, Washington Post, 20.11.2017, abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com-/news/worldviews/wp/2017-/11/20/ north-koreas-on-again-off-again-status-as-a-statespon-sor-of-terrorism/?noredirect= on-&utm_term=.4ffdfa09ff47 (Stand: 14.05.2020). In jüngerer Vergangenheit wurde Nordkorea durch ein US-amerikanisches Gericht zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 501 Millionen USD wegen der Geiselnahme und Folter des 21 Jahre alten amerikanischen Studenten Otto Warmbier verurteilt; nur eine Woche nach seiner Überführung in die USA erlag Otto Warmbier seinen Verletzungen, s. District Court, 24.12.2018, Warmbier v. Democratic People’s Republic of Korea, 356 F.Supp.3d 30; hierzu: Haag, North Korea Is Ordered to Pay Otto Warmbier’s Family Over $501 Million in Damages, New York Times, 24.12.2018, abrufbar unter: https://nyti. ms/2RhMyu3 (Stand: 14.05.2020). 76 Libya Claims Resolution Act, PL 110-301, 04.08.2008, 122 Stat. 2999; zur Immunität Libyens s. insbesondere Sec. 5(a); Claims Settlement Agreement between the United States of America and the Great Socialist People’s Libyan Arab Jama hiriya, 14.08.2008, T.I.A.S. No. 08-814; Executive Order 13477, 31.10.2008, 73 Fed. Reg. 65965 ff. S. ausführlich Lyubarsky, N.Y.U. L. Rev. 2016, 458 (484 ff.). S. zur Terrorismusausnahme als Druckmittel Damrosch, Vand. J. Transnat’l L. 2011, 1185 (1195). 77 Rescission of Determination Regarding Iraq, 20.10.2004, 69 Fed. Reg. 61702; auch mit dem Irak wurde ein Vergleich in Höhe von 400 Millionen USD über Ansprüche aus Urteilen im Kontext des § 28 U.S.C. § 1605A erzielt: Claims Settlement Agreement Between the Government of the United States of America and the Government of the Republic of Iraq, 02.09.2010, T.I.A.S. No. 11-522; s. hierzu auch Lyubarsky, N.Y.U. L. Rev. 2016, 458 (486 ff.).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (dual use items) sowie verschiedene finanzielle und andere Beschränkungen.78 (2) Möglichkeit zur Schlichtung Hat die in Rede stehende Handlung auf dem Staatsgebiet des fremden Staates stattgefunden, so hat der Kläger dem fremden Staat eine angemessene Gelegenheit zu geben, den Fall nach anerkannten internationalen Regeln der Schiedsgerichtsbarkeit zu schlichten, 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(iii). Diese Voraussetzung gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund der Erfüllung der local remedies rule im Rahmen der Vornahme einer Gegenmaßnahme im Falle einer indirekten Verletzung des Gerichtsstaats an Bedeutung.79 (3) Klageberechtigung Schließlich muss entweder der Kläger oder das Opfer US-amerikanischer Staatsbürger oder Mitglied der Streitkräfte sein oder in einem Angestelltenoder Auftragsverhältnis zur US-Regierung stehen, 28 U.S.C. § 1605A(a)(2) (A)(ii).80 bb) Act or material provision of support or resources Liegen die allgemeinen Voraussetzungen vor, wendet sich der Blick auf die, die Staatenimmunität im eigentlichen Sinne beschränkende Vorschrift, 28 U.S.C. § 1605A(a)(1). Die Vorschrift unterscheidet hinsichtlich der Immunitätsbeschränkung zwischen einem „act“ des Staates, der unmittelbar eines der enumerierten Delikte begründet und zwischen der „material provision of support or ressources“ für einen solchen Akt: „A foreign state shall not be immune […] for personal injury or death that was caused by an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking,
78 U.S. Department of State, Bureau of Counterterrorism and Countering Violent Extremism, State Sponsors of Terrorism, abrufbar unter https://www.state.gov/j/ct/ list/c14151.htm (Stand: 14.05.2020). 79 S. ausführlich hierzu unten 10. Kapitel: B.II.2. 80 Der ursprüngliche Wortlaut der Norm war missverständlich und eröffnete eine Lesart, nach der sowohl Opfer als auch Kläger die US-amerikanischer Staatsbürgerschaft aufzuweisen hatten. Daraufhin erließ der Kongress zur Klarstellung PL 105-11; H. Rept. 105-48 (25.04.1997); hierzu Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (5).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren143 or the provision of material support or resources for such an act […]“81 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Dabei knüpft das Gesetz sowohl an die Ausführungen eines der enumerierten Akte durch den Staat selbst als auch an die staatliche Unterstützungshandlung, ungeachtet des Grads der Beteiligung des fremden Staates und der Kausalität staatlicher Handlungen, als einheitliche Rechtsfolge die Durchbrechung der Staatenimmunität an.82 (1) Act Nach 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) genießt ein Staat keine Immunität für „[…]an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage [or] hostage taking […]“.
Im Folgenden sollen die Akte, die zur Durchbrechung der Immunität des fremden Staates führen können, eine nähere Betrachtung erfahren. (a) Torture Als erstes Delikt, das zur Beschränkung der Staatenimmunität führt, nennt das Gesetz die Folter („torture“). Die Definition der Folter richtet sich gemäß 28 U.S.C. § 1605A(h)(7) nach dem Torture Victim Protection Act (TVPA), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1350 Note: „(b) Torture. – For the purposes of this Act – (1) the term ‚torture‘ means any act, directed against an individual in the offender’s custody or physical control, by which severe pain or suffering (other than pain or suffering arising only from or inherent in, or incidental to, lawful sanctions), whether physical or mental, is intentionally inflicted on that individual for such purposes as obtaining from that individual or a third person information or a confession, punishing that individual for an act that individual or a third person has committed or is suspected of having committed, intimidating or coercing that individual or a third person, or for any reason based on discrimination of any kind; […]“.83
81 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(ii): „A foreign state shall not be immune […] for personal injury or death that was caused by an act of torture, extrajudicial killing, aircraft sabotage, hostage taking, or the provision of material support or resources for such an act […]“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin). 82 Hierzu krit.: Kotlarczyk, Geo. L.J. 2007, 2029. 83 Weiter heißt es: „(2) mental pain or suffering refers to prolonged mental harm caused by or resulting from – (A) the intentional infliction or threatened infliction of severe physical pain or suffering;
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Die im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) angewandte Folterdefinition ist identisch mit der Folterdefinition des Art. 1 der UN-Antifolterkonven tion.84 Gerichte setzen im Rahmen der Beschränkung der Staatenimmunität in Fällen der Folter somit nicht nur nationales Recht durch, sondern verleihen zugleich international anerkannten Normen wie dem Folterverbot Wirkung.85 Dies wird mit Blick auf den Gesetzeszweck des TVPA, auf den 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) hinsichtlich der Folterdefinition verweist, besonders deutlich: „An Act to carry out obligations of the United States under the United Nations Charter and other international agreements pertaining to the protection of human rights by establishing a civil action for recovery of damages from an individual who engages in torture or extrajudicial killing.“86
Insbesondere mit Blick auf die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme ist diese Feststellung von Bedeutung.87 Zentral im Rahmen der Folterdefinition ist, dass die körperliche Misshandlung zu einem schweren körperlichen oder seelischen Schaden führt.88 Nur eine schwere körperliche oder seelische Verletzung rechtfertige die Bezeichnung als Folter und die damit einhergehende universelle Ächtung des Verhaltens.89 So fällt etwa einfache Brutalität der Polizei nicht unter den Folter begriff.90 Zudem bedarf es eines physischen Aktes gegenüber dem Opfer. (B) the administration or application, or threatened administration or application, of mind altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses or the personality; (C) the threat of imminent death; or (D) the threat that another individual will imminently be subjected to death, severe physical pain or suffering, or the administration or application of mind altering substances or other procedures calculated to disrupt profoundly the senses or personality.“, 28 U.S.C. § 1350 Note. 84 United Nations Convention Against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT) (verabschiedet am 10.12.1984, in Kraft seit 26.06.1987), 1465 UNTS 85; vgl. hierzu auch Court of Appeals, 28.06.2002, Price v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 294 F.3d 82, 92. 85 S. hierzu auch Stewart, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 658. S. zur Durchsetzung völkerrechtlicher Normen durch nationale Gerichte im Rahmen der Deliktsausnahme zur Staatenimmunität Fox, NYIL 1989, 3 (3 ff.); Fox, Third World Legal Stud. 1993, 107 (107 ff.). 86 Torture Victim Protection Act, PL 102-256, 12.03.1992, 106 Stat. 73. 87 S. hierzu unten 10. Kapitel: A.II. 88 Court of Appeals, 28.06.2002, Price v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 294 F.3d 82, 92. 89 Court of Appeals, 28.06.2002, Price v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 294 F.3d 82, 92. 90 Court of Appeals, 28.06.2002, Price v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 294 F.3d 82, 93.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren145
Nicht ausreichend sind daher etwa das Hacken von online Accounts oder Drohanrufe.91 (b) Extrajudicial Killing Auch die außergerichtliche Tötung („extrajudicial killing“) wird im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605A(h)(7) unter Verweis auf den Torture Victim Protection Act, 28 U.S.C. § 1350 Note, definiert als: „[…] a deliberated killing not authorized by a previous judgment pronounced by a regularly constituted court affording all the judicial guarantees which are recognized as indispensable by civilized peoples. Such term, however, does not include any such killing that, under international law, is lawfully carried out under the authority of a foreign nation.“
Eine außergerichtliche Tötung liegt demnach vor, wenn eine vorsätzliche Tötung nicht auf eine Ermächtigung durch ein Gerichtsurteil gestützt werden kann, das durch ein ordnungsgemäß konstituiertes Gericht unter Beachtung aller rechtlichen Garantien erlassen wurde, die von den zivilisierten Völkern anerkannt sind. Ausgenommen sind solche Tötungen, die nach dem Völkerrecht zulässig sind. Durch den Verweis des 28 U.S.C. § 1605A(h)(7) auf den TVPA und dessen Zweck, nämlich die Verpflichtungen der USA aus der Charta der Vereinten Nationen und anderen internationalen Abkommen zu erfüllen, stellt der Gesetzgeber auch hinsichtlich des Delikts der außergerichtlichen Tötung im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605A(h)(7) einen Bezug zum Völkerrecht her. Insoweit kann auf die Ausführungen zum Folterbegriff verwiesen werden.92 Zudem adaptiert der Gesetzgeber eine Definition der außergerichtlichen Tötung, die der Definition der Hinrichtung in dem gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen nahe kommt.93 Beispiele für eine außergerichtliche Tötung, die zur Aufhebung der Immunität eines fremden Staates vor US-amerikanischen Gerichten führten, sind 91 Court of Appeals, 03.04.2015, Mohammadi v. Islamic Republic of Iran, 782 F.3d 9, 16. 92 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.b)bb)(1)(a). 93 S. zu dieser Feststellung auch Court of Appeals, 28.07.2017, Owens v. Republic of Sudan, 864 F.3d 751, 771 f. S. Art. 3 Nr. 1 (d) des Genfer Abkommen (I) zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde; des Genfer Abkommen (II) zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte zur See; Genfer Abkommen (III) über die Behandlung von Kriegsgefangenen, v. 12.08.1949: „[…] the passing of sentences and the carrying out of executions without previous judgement pronounced by a regularly constituted court, affording all the judicial guarantees which are recognized as indispensable by civilized peoples.“
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
gezielte Bombenanschläge auf US-Botschaften94 oder militärische Einrichtungen95, die Bombardierung eines US-Marineschiffes im Jemen,96 der Abschuss ziviler Flugzeuge97, Schussangriffe einer Terrororganisation98 oder aber der Kauf einer Geisel von einer libyschen Terrororganisation mit dem gezielten Zweck der Tötung der Geisel als Vergeltung für amerikanische Luftangriffe in Libyen.99 (c) Aircraft Sabotage Daneben kann die Immunität des fremden Staates für einen Akt der Flugzeugsabotage („aircraft sabotage“) durchbrochen werden. Das FSIA bezieht sich zur Definition des Deliktes der „aircraft sabotage“ auf Art. 1 des „Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt“ der Vereinten Nationen, 28 U.S.C. § 1605A(h)(1). Auch hier verweist das FSIA unmittelbar auf das Völkerrecht. In Art. 1 der Konvention heißt es: „1. Any person commits an offence if he unlawfully and intentionally: (a) performs an act of violence against a person on board an aircraft in flight if that act is likely to endanger the safety of that aircraft; or (b) destroys an aircraft in service or causes damage to such an aircraft which renders it incapable of flight or which is likely to endanger its safety in flight; or (c) places or causes to be placed on an aircraft in service, by any means whatsoever, a device or substance which is likely to destroy that aircraft, or to cause damage to it which renders it incapable of flight, or to cause damage to it which is likely to endanger its safety in flight; or
94 Court of Appeals, 28.07.2017, Owens v. Republic of Sudan, 864 F.3d 751, 770 (Bombardierung der US-Botschaften in Tansania und Kenia); District Court, 16.08.2011, Estate of Doe v. Islamic Republic of Iran, 808 F.Supp.2d 1 (Bombardierung von Einrichtungen der US-Botschaft im Libanon). 95 District Court, 16.11.2010, Rimkus v. Islamic Republic of Iran, 750 F.Supp.2d 163 (Bombardierung der Khobar Towers); District Court, 24.09.2010, Murphy v. Islamic Republic of Iran, 740 F.Supp.2d 51 (Bombardierung einer Marinekaserne im Libanon). 96 District Court, 03.06.2016, Flanagan v. Islamic Republic of Iran, 190 F. Supp.3d 138. 97 District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239,1248. 98 District Court, 06.04.2017, Gill v. Islamic Republic of Iran, 249 F.Supp.3d 88; District Court, 16.07.2010, Calderon-Cardona v. Democratic People’s Republic of Korea, 723 F.Supp.2d 441. 99 District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren147 (d) destroys or damages air navigation facilities or interferes with their operation, if any such act is likely to endanger the safety of aircraft in flight; or (e) communicates information which he knows to be false, thereby endangering the safety of an aircraft in flight. 2. Any person also commits an offence if he: (a) attempts to commit any of the offences mentioned in paragraph 1 of this Article; or (b) is an accomplice of a person who commits or attempts to commit any such offence.“100
In der Praxis wird der Akt der „aircraft sabotage“ im Falle des Todes der Opfer regelmäßig durch den Tatbestand der außergerichtlichen Tötung verdrängt.101 Wegen eines Aktes der Flugzeugsabotage wurde jedoch die Immunität Kubas aufgehoben, nachdem ein ziviles Flugzeug während eines Fluges im Auftrag der US-amerikanischen Botschaft zur Überwachung des Drogenhandels über Kolumbien durch die von Kuba unterstützte FARC102 beschossen wurde und wegen eines Triebwerkausfalls bruchlandete.103 Die fünf Passagiere überlebten die Bruchlandung, wurden jedoch daraufhin für 1.967 Tage durch die FARC als Geiseln genommen.104
100 United Nations Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Civil Aviation (verabschiedet am 23.09.1971, in Kraft seit 26.01.1973), 974 UNTS 177. 101 Vgl. District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239, 1248. 102 Die FARC sind durch die USA seit dem 08.10.1997 als Foreign Terrorist Organisation (FTO) designiert, 62 Fed. Reg. 52650; auch die EU stufte die FARC mit Beschluss des Rates vom 20.12.2007 als Terrororganisation ein, vgl. ABl. EU, 22.12.2007, L 340/100, nach der Unterzeichnung des kolumbianischen Friedens vertrages v. 26.09.2016 wurde die FARC jedoch von der Liste terroristischer Orga nisationen der EU gestrichen, https://www.-consilium.eu-ropa.eu/en/press/pressreleases/2016/09/27/colombia-eu-suspends-farc/ (Stand: 14.05.2020). 103 District Court, 04.11.2016, Stansell v. Republic of Cuba, 217 F.Supp.3d 320, 329 ff., 338: „Under the FSIA, ‚aircraft sabotage‘ involves, in relevant part, ‚de stroy[ing] an aircraft in service or caus[ing] damage to such an aircraft which renders it incapable of flight.‘ […] The evidence Plaintiffs proffer reflects that members of the FARC shot at Plaintiffs’ aircraft while it was in flight, causing it to crash-land. […] These facts meet the definition of ‚aircraft sabotage‘ under § 1605A.“ 104 District Court, 04.11.2016, Stansell v. Republic of Cuba, 217 F.Supp.3d 320, 327.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
(d) Hostage Taking Schließlich erfasst 28 U.S.C. § 1605A(h)(2) die Geiselnahme („hostage taking“) als ein die Staatenimmunität beschränkendes Delikt. Dabei bezieht sich der FSIA in der Definition wiederum auf das Völkerrecht, konkret auf Art. 1 der Internationalen Konvention gegen Geiselnahme.105 In Art. 1 der Konvention heißt es: „1. Any person who seizes or detains and threatens to kill, to injure or to continue to detain another person (hereinafter referred to as the ‚hostage‘) in order to compel a third party, namely, a State, an international intergovernmental organization, a natural or juridical person, or a group of persons, to do or abstain from doing any act as an explicit or implicit condition for the release of the hostage commits the offence of taking of hostages (‚hostage-taking‘) within the meaning of this Convention. 2. Any person who: (a) attempts to commit an act of hostage-taking, or (b) participates as an accomplice of anyone who commits or attempts an act of hostage-taking likewise commits an offence tor the purposes of this Convention.“106
Die Geiselnahme setzt sich aus zwei zentralen Elementen zusammen: der Festnahme einer Person zum Zwecke der Nötigung eines Dritten, einer bestimmten Handlung nachzukommen.107 Die Zweckerfüllung, also das Er wirken einer bestimmten Handlung des Dritten, ist wiederum Bedingung zur Freilassung der inhaftierten Person.108 Ein Fall der Geiselnahme, der zur Durchbrechung der Staatenimmunität auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) führte ist folgender: „Iran detained Hekmati on false espionage charges and, for four-and-a-half years, continuously threatened to kill, injure, and detain him, in an effort to compel the United States to release Iranians imprisoned in the United States or make other political or financial concessions to Iran. Indeed, Iran ultimately released Hekmati as part of a prisoner exchange when the United States released several Iranian 105 Vgl. hierzu Court of Appeals, 28.06.2002, Price v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 294 F.3d 82, 94. 106 United Nations International Convention against the Taking of Hostages (verabschiedet am 17.12.1979, in Kraft seit dem 03.06.1983) 1316 UNTS 205. 107 Hierzu Court of Appeals, 22.04.2003, Simpson v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 326 F.3d 230, 234 f.; District Court, 31.05.2019, Frost v. Islamic Republic of Iran, 383 F.Supp.3d 33, 46. 108 Vgl. hierzu etwa jüngst District Court, 24.12.2018, Warmbier v. Democratic People’s Republic of Korea, 356 F.Supp.3d 30, 49 f.; s. auch Court of Appeals, 21.11.2006, Simpson v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya („Simpson II“), 470 F.3d 356, 359.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren149 prisoners from U.S. prison. These facts establish that Iran’s conduct constituted hostage taking under the FSIA.“109
(2) Provision of material support or resources Neben der unmittelbaren Ausführung einer der in 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) genannten Akte durch den Staat selbst, kann die Immunität des fremden Staates gemäß 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) auch dann beschränkt werden, wenn der fremde Staat für einen solchen Akt materielle Unterstützung oder Ressourcen bereitstellt (provision of material support or ressources): „A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case not otherwise covered by this chapter in which money damages are sought against a foreign state for personal injury or death that was caused by […] the provision of material support or resources for such an act […]“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Während die Definitionen der konkreten Akte des 28 U.S.C. § 1605(a)(1) und die hierunter gefassten Fälle häufig recht klar zuzuordnen sind, so ist die zweite Alternative des 28 U.S.C. § 1605A(a)(1), die Bereitstellung von materieller Unterstützung oder Ressourcen weit gefasst. Dennoch liegt hierauf in vielen Fällen der eigentliche Schwerpunkt im Rahmen der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des Terrorismus, da ein Staat regelmäßig die in 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) konkret enumerierten Delikte nicht unmittelbar selbst ausführt, sondern vielmehr durch eine breite Unterstützung von terroristischen Akteuren fördert.110 In diesem Rahmen stellt sich insbesondere die Frage, inwiefern die Unterstützungshandlung kausal für den eigentlichen Schaden sein muss.111 Auch im Rahmen der zweiten Alternative des 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) hat auf der ersten Stufe einer der enumerierten Akte (also etwa der Folter, der Geiselnahme oder der außergerichtlichen Tötung) vorzuliegen.112 Dieser Akt wird im Falle der zweiten Alternative des 28 U.S.C. § 1605A(a)(1) nicht durch den Staat selbst sondern vielmehr von terroristischen Gruppierungen 109 District Court, 29.09.2017, Hekmati v. Islamic Republic of Iran, 278 F.Supp.3d 145, 162. S. als weitere Beispiele: District Court, 04.11.2016, Stansell v. Republic of Cuba, 217 F.Supp.3d 320; Court of Appeals, 30.01.2014, Wyatt v. Syrian Arab Republic, 554 Fed.Appx. 16; District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136. 110 S. hierzu ausführlich Byman, Deadly connections: states that sponsor terrorism, S. 1 ff. 111 Hierzu ausfürhlich sogleich unter 6. Kapitel: A.II.2.b)dd). 112 District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136, 153.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
vorgenommen.113 Auf der zweiten Stufe wird sodann geprüft, ob der Staat die terroristische Gruppierung durch die Bereitstellung von materieller Unterstützung oder Ressourcen gefördert und diese Förderung wiederum zur Ausübung des terroristischen Aktes beigetragen hat.114 Eine Konkretisierung der klauselhaften Formulierung „provision of material support or resources“ erfolgt in 28 U.S.C. § 1605A(h)(3) unter Verweis auf 18 U.S.C. § 2339A. Hier heißt es unter dem Titel „Providing material support to terrorists“: „(b) Definitions. – As used in this section – (1) the term ‚material support or resources‘ means any property, tangible or intangible, or service, including currency or monetary instruments or financial securities, financial services, lodging, training, expert advice or assistance, safehouses, false documentation or identification, communications equipment, facilities, weapons, lethal substances, explosives, personnel (1 or more individuals who may be or include oneself), and transportation, except medicine or religious materials; (2) the term ‚training‘ means instruction or teaching designed to impart a specific skill, as opposed to general knowledge; and (3) the term ‚expert advice or assistance‘ means advice or assistance derived from scientific, technical or other specialized knowledge.“
18 U.S.C. § 2339A sieht eine breite Zahl an Unterstützungshandlungen vor. Grundlegend führt das Gericht im Falle Kilburn v. Iran hierzu aus, dass „Courts often find such support to exist where experts testify (1) that the terrorist acts could not have occurred without such support; or (2) that a particular act exhibited a level of sophistication in planning and execution that was consistent with the advanced training that had been supplied by the defendant state; or (3) when the support facilitated the terrorist group’s development of the expertise, networks, military training, munitions, and financial resources necessary to plan and carry out the attack.“115
Konkret wurde die Immunität von „state sponsors of terrorism“ durch USamerikanische Gerichte in Fällen aufgehoben, in denen eine terroristische
113 District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136, 153. 114 District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136, 153: „In determining whether a foreign state has materially supported terrorism, the court first considers whether a particular terrorist group committed the terrorist act and second, whether the defendant foreign state generally provided material support or resources to that terrorist group which, in turn, contributed to the group’s ability to carry out the terrorist act.“ Zur Kausalität zwischen der staatlichen Handlung und dem Schaden s. sogleich 6. Kapitel: A.II.2.b)dd). 115 District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136, 153.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren151
Gruppierung durch den Staat regelmäßig finanziert wird,116 der Gruppierung (spezielles) Training etwa in Form einer Sprengstoffausbildung117 oder einer militärischen Ausbildung118 sowie Expertenrat119 zur Ausübung einer konkreten Tat zur Verfügung gestellt wird, Gelder und Waffen zu terroristischen Gruppierungen (durch staatliche Ministerien) geschleust werden,120 die Gewährung von safe haven innerhalb des Staatsgebietes sowie die Ermög lichung freier Reisen über die Grenze121 oder aber das straflose Gewährenlassen von terroristischen Operationen auf dem Staatsgebiet des fremden Staates122. cc) Vornahme der Handlung oder Unterstützung durch eine dem Staat zuzuordnende Person Der Akt selbst (etwa die außergerichtliche Tötung) oder die Bereitstellung von materieller Unterstützung oder Ressourcen (etwa die Zurverfügungstellung von Waffen) muss durch einen Beamten („official“), Angestellten („employee“) oder Beauftragten („agent“) des Staates vorgenommen und im Rahmen des Amtes, des Beschäftigtenverhältnisses oder des Auftrags ausgeübt worden sein, 28 U.S.C. § 1605A(a)(1).123 Anders als im Rahmen der Deliktsausnahme, 28 U.S.C. § 1605(a)(5), wird auch das Handeln staatlicher
116 District Court, 25.07.2012, Oveissi v. Islamic Republic of Iran, 879 F.Supp.2d 44, 53 (Finanzierung der Hezbollah durch den Iran); District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1, 18. 117 District Court, 17.12.2012, Wyatt v. Syrian Arab Republic, 908 F.Supp.2d 216, 222 f.; bestätigt durch Court of Appeals, 30.01.2014, Wyatt v. Syrian Arab Republic, 554 Fed.Appx. 16. 118 District Court, 04.11.2016, Stansell v. Republic of Cuba, 217 F.Supp.3d 320, 339. 119 District Court, 30.03.2010, Kilburn v. Islamic Republic of Iran, 699 F.Supp.2d 136, 154: „Hizbollah was not capable of holding Peter Kilburn hostage for nearly a year and a half without the expertise of Iran and MOIS in detaining hostages.“ 120 District Court, 25.07.2012, Oveissi v. Islamic Republic of Iran, 879 F.Supp.2d 44, 51; District Court, 03.12.2012, Bodoff v. Islamic Republic of Iran, 907 F.Supp.2d 93, 100. 121 District Court, 28.09.2018, Roth v. Syrian Arab Republic, 2018 WL 4680270, 8; District Court, 13.04.2017, Foley v. Syrian Arab Republic, 249 F.Supp.3d 186, 204; District Court, 04.11.2016, Stansell v. Republic of Cuba, 217 F.Supp.3d 320, 339. 122 District Court, 13.04.2017, Foley v. Syrian Arab Republic, 249 F.Supp.3d 186, 204. 123 28 U.S.C. § 1605A(a)(1): „[…] engaged in by an official, employee, or agent of such foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency […]“. S. hierzu auch Stewart, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 659.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Beauftragter („agent“) erfasst. An dieser Stelle ist die Terrorismusausnahme weiter. Es handelt sich bei der Vornahme des Aktes selbst sowie der Bereitstellung von materieller Unterstützung oder Ressourcen um alternative und nicht kumulative Voraussetzungen. Unterstützt werden können durch staatliche Akteure somit gerade Akte nicht-staatlicher Akteure.124 In der Alternative der Bereitstellung von materieller Unterstützung oder Ressourcen liegt letztlich die bedeutende Verknüpfung zwischen dem Staat als Förderer im Hintergrund und nicht-staatlichen terroristischen Akteuren, die die terroristischen Akte eigentlich vornehmen. dd) Kausalität Ein weiteres Erfordernis zur Begründung von Jurisdiktion sowie zur Begründung der Haftung des fremden Staates ist die Kausalität zwischen dem „act“ oder der „provision of material support or ressources“ und der Verletzung von Leib oder Leben, 28 U.S.C. § 1605A(a)(1): „[…] personal injury or death that was caused by an act […] or the provision of material support or resources for such an act […].“125 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Das FSIA selbst stellt keine konkreten Anforderungen an die Kausalität zur Begründung der Jurisdiktion des Gerichts. Die Gerichte greifen daher auf das allgemeine Deliktsrecht der einzelnen US-Bundesstaaten zurück. Dabei hat sich ein Konsens herauskristallisiert, der eine strenge Kausalität im Sinne des sogenannten „but for“ Tests ablehnt; Anwendung findet vielmehr der sogenannte „proximate causation standard“.126 In einem der jüngeren Urteile führt der Disctrict Court of Columbia hierzu aus: „The plaintiffs do not need to show that their injuries would not have occurred ‚but for‘ defendants’ actions’ to meet the causation element. See Kilburn v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 376 F.3d 1123, 1128 (D.C. Cir. 2004) (interpretCourt, 28.07.2017, Owens v. Republic of Sudan, 864 F.3d 751, 774. of Appeals, 30.07.2004, Kilburn v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 376 F.3d 1123, 1127; s. hierzu auch Kotlarczyk, Geo. L.J. 2007, 2029 (2041 ff.); Stewart, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 658. 126 District Court, 28.03.2018, In Re: Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 644 f.; Court of Appeals, 28.07.2017, Owens et al. v. Republic of Sudan, 864 F.3d 751, 794; Court of Appeals, 30.07.2004, Kilburn v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 376 F.3d 1123,1127 f., unter Bezugnahme auf Supreme Court, 22.02.1995, Jerome B. Grubart, Inc. v. Great Lakes Dredge & Dock Co., 115 S.Ct. 1043, 1049 ff. 124 District 125 Court
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren153 ing the similarly-worded causation requirement of the former state-sponsored terrorism exception to foreign sovereign immunity, § 1605(a)(7), as requiring only ‚proximate cause‘). Instead, the ‚causation‘ element is established by showing some reasonable connection between the act or omission of the defendant and the damages which the plaintiff has suffered.“127
Vergleichbar mit der deutschen Adäquanztheorie, ist zur Bejahung der Kausalität zwischen der Handlung des Staates und dem Schaden des Klägers eine „reasonable connection“ erforderlich.128 Voraussetzung für die Annahme einer „reasonable connection“ wiederum ist, dass die Handlung ein „ ‚sub stantial factor‘ in the sequence of events that led to the plaintiff’s injury“ ist, und zum anderen, dass der Schaden des Klägers „reasonably foreseeable or anticipated as a natural consequence of the defendant’s actions“ ist.129 Die Gerichte ziehen dabei zur Begründung der Anwendung des „proximate causation standards“ den Willen des Gesetzgebers heran, der mit dem Erlass des 28 U.S.C. § 1605A (vormals 28 U.S.C. § 1605(a)(7)) eine weitreichende Haftung von den Terrorismus unterstützenden Staaten zu bezwecken sucht.130 Dabei dient der „proximate causation standard“ dazu, „[…] to weed out the most insubstantial cases without posing too high a hurdle to surmount at a threshold stage of the litigation.“131 c) Bewertung Bei der US-amerikanischen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A handelt es sich um ein sorgfältig und detailreich konstruiertes Gesetz, das die Ausnahmen zur Durchbrechung der Immunität in klar umgrenzten Fällen statuiert. Bei näherer Betrachtung des Gesetzes wird deutlich, dass die Immunität eines fremden Staates nicht pauschal für „Terrorismus“ beschränkt wird, sondern ausschließlich für bestimmte gesetzlich normierte Akte. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass 28 U.S.C. § 1605A die konkreten, die Immunität beschränkenden Akte unter Bezugnahme auf bewährte völkerCourt, 28.09.2018, Roth v. Syrian Arab Republic, 2018 WL 4680270, 8. Court, 28.09.2018, Roth v. Syrian Arab Republic, 2018 WL 4680270, 8, unter Bezugnahme auf District Court, 31.03.2010, Valore v. Islamic Republic of Iran, 700 F.Supp.2d 31; District Court, 16.08.2011, Estate of Doe v. Islamic Republic of Iran, 808 F.Supp.2d 1; Court of Appeals, 01.09.2006, Rux v. Republic of Sudan, 461 F.3d 461, 473. 129 Court of Appeals, 28.07.2017, Owens et al. v. Republic of Sudan, 864 F.3d 751,794. 130 Court of Appeals, 30.07.2004, Kilburn v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 376 F.3d 1123, 1129; unter Bezugnahme auf House Report, 104th Congress, 1st Session 1995, H.R. Rep. No. 104–383, 62; s. hierzu auch Kotlarczyk, Geo. L.J. 2007, 2029 (2040). 131 Court of Appeals, 01.09.2006, Rux v. Republic of Sudan, 461 F.3d 461, 473. 127 District 128 District
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
rechtliche Normen vornimmt. Dies hat zum einen zur Folge, dass durch 28 U.S.C. § 1605A völkerrechtlichen Normen wie dem Folterverbot, dem Verbot der Flugzeugsabotage oder der außergerichtlichen Tötung Wirkung verliehen wird. Dies zeichnet die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in besonderem Maße aus. Daneben muss die Tatsache, dass die Staatenimmunität nicht pauschal für den „Terrorismus“ aufgehoben wird, solche Stimmen verstummen lassen, die sich gegen die Terrorismusausnahme zur Staa tenimmunität aus dem Grunde wenden, dass es in der Staatenwelt an einer einheitlichen Terrorismusdefinition fehlt und daher die Missbrauchsgefahr hoch sei. Die USA zeigen durch 28 U.S.C. § 1605A einen Weg auf, wie in eng umgrenzten Fällen die Staatenimmunität unter Bezugnahme auf bewährte völkerrechtliche Normen beschränkt werden kann. Freilich ist dabei nicht zu verkennen, dass die Vorschrift auch einige Problempunkte aufwirft. Zunächst einmal lässt 28 U.S.C. § 1605A den Einfluss der Exekutive auf die Gewährung der Staatenimmunität, der durch den Erlass des FSIA grundsätzlich zurückgedrängt werden sollte,132 wiederaufleben.133 Denn nur die Immunität solcher Staaten kann durch ein Gericht beschränkt werden, die zuvor durch das Außenministerium als „state sponsor of terrorism“ designiert wurden. Diese Voraussetzung führt zu einem hohen Maß an Ungleichheit, da nur eine Handvoll Staaten verklagt werden können. Dies hat zur Folge, dass ein und derselbe Akt, mit Blick auf die designierten Staaten zur Aufhebung der Staatenimmunität führt, andere Staaten für dieselbe Handlung jedoch weiterhin Immunität genießen. So kann beispielsweise die Immunität des Iran als designiertem Staat durchbrochen werden, die SaudiArabiens, welches kein designierter „state sponsor of terrorism“ ist, hingegen nicht. Gerade diese Tatsache hat eine Vielzahl von Klägern im Rahmen der Klagen wegen der Anschläge des 11. Septembers 2001 vor erhebliche Hürden gestellt.134 Daneben unterscheidet 28 U.S.C. § 1605A im Rahmen der Rechtsfolgen nicht zwischen einer direkten Vornahme des Aktes durch den Staat, der zur Verletzung von Leib oder Leben führt, etwa dem Abschuss eines zivilen Flugzeuges durch die Luftwaffe des Staates und der „nur“ mittelbaren Verletzung von Leib und Leben durch die Unterstützung einer terroristischen Gruppierung.135 28 U.S.C. § 1605A statuiert als einheitliche Rechtsfolge die Durchbrechung der Staatenimmunität. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass im modernen Zeitalter des Terrorismus gerade kennzeichnend ist, dass nicht der Staat selbst sondern nicht-staatliche terroristische Gruppierungen Anschläge vornehmen, die im Hintergrund 132 S.
hierzu oben 6. Kapitel: A.I.1. Yang, State Immunity, S. 227. 134 Hierzu sogleich 6. Kapitel: A.II.3.a)aa). 135 Krit. hierzu Kotlarczyk, Geo. L.J. 2007, 2029 (2043). 133 Krit.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren155
staatliche Unterstützung erfahren.136 Um eine wirksame Strategie der Terrorismusbekämpfung zu verfolgen, muss also bereits bei der staatlichen Unterstützungshandlung angesetzt werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich die einheitliche Rechtsfolge, die 28 U.S.C. § 1605A sowohl an die direkte Vornahme eine das Leib oder Leben verletzenden Aktes durch den Staat als auch an die Unterstützungshandlung anknüpft, nachvollziehen. 3. 28 U.S.C. § 1605B – Responsibility of foreign states for international terrorism against the United States
Als weitere Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität und bis dato letzte Ergänzung des FSIA wurde am 28. September 2016 der Justice Against State Sponsors of Terrorism Act (JASTA) erlassen.137 Die zentrale, die Staatenimmunität regelnde Vorschrift, ist in 28 U.S.C. § 1605B als eigenständige Ausnahme zur Staatenimmunität unter dem Titel „Responsibility of foreign states for international terrorism against the United States“ kodifiziert. Während das Gesetzesvorhaben große Unterstützung im Kongress erfuhr, wurde es von der Exekutive äußerst kritisch bewertet. Der zu dieser Zeit amtierende Präsident Barack Obama legte letztlich, insbesondere wegen erheblicher außenpolitischer Bedenken und der Gefahr reziproker Maßnahmen anderer Staaten, nach der Verabschiedung des Gesetzes durch den Kongress sein Veto ein.138 Dieses wurde jedoch von Senat und Repräsentantenhaus mit der jeweiligen nötigen Zweidrittelmehrheit überstimmt.139 Hierbei überstimmte der Kongress zum ersten und einzigen Mal in der Amtszeit von Präsident Barack Obama ein Veto des Präsidenten.140 Das JASTA sorgte nicht nur innenpolitisch für Wirbel, sondern es stieß auch international auf scharfe Kritik,141 da, wie es im Folgenden aufzuzeigen gilt, potentiell die Immunität eines jeden Staates vor US-amerikanischen Gerichten auch wegen hoheit
136 Byman,
Deadly connections: states that sponsor terrorism, S. 1 ff. 114-222, 130 Stat. 852, 28.09.2016, kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B und 1605B Notes. 138 The White House, Veto Message from the President – S.2040, 23.09.2016, abrufbar unter: https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2016/09/23/ veto-message-president-s2040 (Stand: 14.05.2020). 139 Vgl. hierzu Daugirdas/Mortenson, AJIL 2017, 156 (156 ff.). 140 Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (373). S. auch Demirian/ Eilperin, Congress Overrides Obama’s Veto of 9/11 Bill, The Washington Post, 28.09.2016, abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com/news/powerpost/wp/ 2016/09/27/senate-poised-to-vote-to-override-obamas-veto-of-911-bill/ (Stand: 14.05. 2020): „The Senate vote was 97 to 1 and the House tally was 348 to 77.“ 141 S. oben 1. Kapitel: A. 137 PL
156
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
licher Handlungen auf Grundlage des JASTA aufgehoben werden kann.142 Zweck des Gesetzes ist: „[…] to provide civil litigants with the broadest possible basis, consistent with the Constitution of the United States, to seek relief against persons, entities, and foreign countries, wherever acting and wherever they may be found, that have provided material support, directly or indirectly, to foreign organizations or persons that engage in terrorist activities against the United States.“143
Um nachvollziehen zu können, warum der US-amerikanische Gesetzgeber es als notwendig erachtete, eine weitere Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität zu erlassen, obwohl durch die Deliktsausnahme und die Terrorismus ausnahme des 28 U.S.C. § 1605A bereits eine breite gesetzliche Grundlage zur Durchbrechung der Staatenimmunität im US-amerikanischen Recht besteht, ist der Blick auf die Zivilprozesse gegen Saudi-Arabien im Nachgang der Anschläge des 11. September 2001 zu richten. Hier zeigen sich entscheidende Abgrenzungskriterien zwischen der Deliktsausnahme, der ersten Terrorismusausnahme, 28 U.S.C. § 1605A, und dem jüngst durch das JASTA eingeführten 28 U.S.C. § 1605B. a) Hintergrund – Die 9/11 Litigation Im Nachgang der Anschläge des 11. September 2001 in den USA, denen mehr als 3000 Menschen zum Opfer fielen, klagten Hinterbliebene, Überlebende und geschädigte Unternehmen (etwa Versicherer und Rückversicherer) gegen vermeintlich hinter den Anschlägen stehende Staaten: den Iran144, Saudi-Arabien145 und Afghanistan146. Die einzelnen Klagen wurden in weiten Teilen zu einem Verfahren unter der Bezeichnung „In re Terrorist Attacks of September 11, 2001“ konsolidiert.147 142 S.
sogleich 6. Kapitel: A.II.3.b). JASTA, PL 114-222, 130 Stat. 852, 28.09.2016. 144 District Court, 22.12.2011, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 2011 WL 13244047. 145 Angeklagt waren das Königreich Saudi-Arabien, verschiedene saudische Prinzen, ein saudischer Banker sowie eine saudische Wohltätigkeitsorganisation (Saudi High Commission for Relief to Bosnia and Herzegovina (SHC)), Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, cert. denied sub nom. Supreme Court, 29.06.2009, Federal Ins. Co. v. Kingdom of Saudi Arabia, 557 U.S. 935. Untersucht werden im Folgenden ausschließlich die Aspekte, die die Staatenimmunität selbst betreffen, hier also die Klagen gegen das Königreich Saudi-Arabien und die SHC. 146 District Court, 30.09.2008, Doe v. Bin Laden, 580 F.Supp.2d 93; Court of Appeals, 07.11.2011, Doe v. Bin Laden, 663 F.3d 64. 147 District Court, 18.01.2005, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks I“), 349 F.Supp.2d 765. 143 Sec. 2(b)
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren157
Während die Immunität des Iran wegen der Unterstützung der Anschläge des 11. September durch logistische und finanzielle Förderung terroristischer Gruppierungen durch Spenden an muslimische Wohltätigkeitsorganisationen auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A durch die Gerichte aufgehoben wurde und der Iran in der Folge zu hohen Schadensersatzsummen verurteilt wur de,148 wurden Klagen gegen Saudi-Arabien abgewiesen, da weder die De liktsausnahme noch die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A ein schlägig waren. aa) Saudi-Arabien – kein designierter state sponsor of terrorism Saudi-Arabien war zu keinem Zeitpunkt durch das Außenministerium als state sponsor of terrorism designiert.149 Dies lässt sich wohl auf die strategische Allianz zwischen den USA und Saudi-Arabien, mit Saudi-Arabien als Verbündetem der USA im Nahen Osten sowie Saudi-Arabien als wichtigem wirtschaftlichem Partner, insbesondere mit Blick auf Ölimporte aus SaudiArabien einerseits und Rüstungsexporte mit einem bedeutenden wirtschaft lichen Volumen nach Saudi-Arabien andererseits erklären.150 Mangels einer Designation Saudi-Arabiens kann die Immunität Saudi-Arabiens folglich nicht nach 28 U.S.C. § 1605A aufgehoben werden.151 Hier zeigt sich zum einen die aus 28 U.S.C. § 1605A resultierende Ungleichbehandlung fremder Staaten durch die USA.152 Darüber hinaus offenbart sich hier die Gefahr für Kläger, dass im Falle von Einflussnahmemöglichkeiten der Exekutive auf Immunitätsentscheidungen wirtschaftlichen oder anderen Faktoren Priorität gegenüber der Beschränkung der Staatenimmunität und Haftung eines fremden Staates beigemessen wird.153
148 S. bspw. District Court, 03.10.2012, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 2012 WL 4711407 (der Iran wird hier zu Schadensersatz in Höhe von 7 Mil liarden USD verurteilt); hierzu auch Bissell/Schottenfeld, Yale L.J. 2018, 1890 (1891 ff.). S. zur Vollstreckung unten 7. Kapitel: C.II. 149 Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, 90. 150 Hierzu auch Kotlarczyk, Geo. L.J. 2007, 2029 (2054); Wilts, Donald Trump signs $110bn arms deal hours after landing in Saudi Arabia, The Independent, 20.05.2017, abrufbar unter: http://www.independent.co.uk/news/world/americas/uspolitics/donald-trump-latest-saudi-arabia-billions-arms-deal-military-sales-a7746601. html (Stand: 14.05.2020). 151 Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, 90. 152 Vgl. hierzu bereits oben 6. Kapitel: A.II.2.c). 153 Eine Wertung, etwa ob strategische Sicherheitsinteressen, die durch die Exekutive verfolgt werden, Priorität vor der Klagemöglichkeit von Betroffenen terroristi-
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
bb) Anwendbarkeit der commercial activity exception Die Kläger stützten ihre Argumentation zur Aufhebung der Immunität Saudi-Arabiens wegen der Anschläge des 11. Septembers zudem auf die Anwendbarkeit der „commercial activity“ Ausnahme in 28 U.S.C. § 1605(a) (2).154 Nach Ansicht der Kläger stellen die finanziellen Zuwendungen SaudiArabiens an islamistische Wohltätigkeitsorganisationen, mit dem Zweck der Weitergabe dieser Mittel an Terrororganisationen zum Erwerb von Flug tickets, Waffen und anderen notwendigen Gerätschaften durch die Terror organisationen eine „commercial avtivitiy“ im Sinne des FSIA dar.155 Das Gericht verneint jedoch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des U.S. Supreme Court und das entscheidende Abgrenzungskriterium der Natur der Handlung156 die Anwendbarkeit der „commercial activity“ Ausnahme auf den konkreten Fall: „[The plaintiffs’] argument fails because ‚it goes to purpose, the very fact the Act renders irrelevant to the question of an activity’s commercial character.‘ Nelson, 507 U.S. at 363, 113 S.Ct. 1471. It does not matter that the defendants made (and oversaw) donations to charities with a specific intent as to where those donations would end up. The alleged conduct itself – giving away money – is not a commercial activity. Granted, donating to charities is among ‚those powers that can also be exercised by private citizens,‘ Alfred Dunhill, 425 U.S. at 704, 96 S.Ct. 1854 […] But inquiry under the Commercial Activities Exception is not just whether the act was public (jure imperii) or private (jure gestionis); it also matters, whether the particular actions that the foreign state performs (whatever the motive behind them) are the type of actions by which a private party engages in ‚trade and traffic or commerce.‘ Weltover, 504 U.S. at 614, 112 S.Ct. 2160. In this context, the Four Princes’ donations to charity are not part of the trade and commerce engaged in by a ‚merchant in the marketplace.‘ […]. Consequently, the Commercial Activities Exception does not apply.“157
Somit kann die commercial activity Ausnahme trotz einer mutmaßlich engen Verstrickung von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren bei den Anschlägen des 11. September 2001 nicht als Grundlage zur Immunitätsbeschränkung dienen. scher Anschläge genießen, soll an dieser Stelle nicht erfolgen. Aufgezeigt werden soll hier lediglich die Konfliktlage, die entsteht. 154 Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, 90 f. 155 Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 7, 76 ff. 156 S. oben 2. Kapitel: G.III.2. 157 Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, 92; unter Bezugnahme auf Supreme Court, 12.06.1992, Republic of Argentina v. Weltover, 112 S.Ct. 2160, 2166; Supreme Court, 23.03.1993, Saudi Arabia v. Nelson, 113 S.Ct.1471, 1480.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren159
cc) Anwendbarkeit der Deliktsausnahme (1) Grundsätzliche Anwendbarkeit in Fällen des Terrorismus Die Anwendbarkeit der Deliktsausnahme, 28 U.S.C. § 1605(a)(5), wurde in der Gerichtspraxis in Fällen des Terrorismus zunächst abgelehnt. Eine der ersten Gründe zur Ablehnung der Anwendung der Deliktsausnahme sah der Court of Appeals in dem Exklusivitätsverhältnis zwischen 28 U.S.C. § 1605(a)(5) und der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A. Nach Auffassung des Court of Appeals umgehe man im Falle des Terrorismus die engen Voraussetzungen des 28 U.S.C. § 1605A für den Fall einer Bejahung der Anwendung der Deliktsausnahme: „By definition, the acts listed in the Terrorism Exception are torts. If the Torts Exception covered terrorist acts and thus encompassed the conduct set forth in the Terrorism Exception, there would be no need for plaintiffs ever to rely on the Terrorism Exception when filing suit. An important procedural safeguard – that the foreign state be designated a state sponsor of terrorism – would in effect be vitiated. We decline to read the statute in a way that would deprive the Terrorism Exception (or its limitations) of meaning.“158
Ein anderes Richtergremium desselben Court of Appeals entschied jedoch wenige Jahre später, dass die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A grundsätzlich nicht die Anwendung der Deliktsausnahme beschränke, sondern eine zusätzliche immunitätsbeschränkende Vorschrift für jene Fälle darstelle, die nicht unter die Deliktsausnahme fallen.159 28 U.S.C. § 1605A erfasse in Abgrenzung zur Deliktsausnahme gerade jene Fälle, bei denen sich der terroristische Akt außerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes vollziehe. Die Deliktsausnahme sei demzufolge auch in Fällen des Terrorismus grundsätzlich anwendbar. Das Verfahren gegen Saudi-Arabien wurde in der Folge auf Grundlage einer Entscheidung des Court of Appeals durch das zuständige Bezirksgericht in New York City wiederaufgenommen.160 (2) Entire tort rule Wenngleich also zunächst die grundlegende Anwendbarkeit der Deliktsausnahme durch den Court of Appeals festgestellt wurde, galt es jedoch für 158 Court of Appeals, 14.08.2008, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks III“), 538 F.3d 71, 90. 159 Court of Appeals, 07.11.2011, Doe v. Bin Laden, 663 F.3d 64, 70: „[…] the terrorism exception, rather than limiting the jurisdiction conferred by the noncommercial tort exception, provides an additional basis for jurisdiction.“ 160 Court of Appeals, 19.12.2013, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 741 F.3d 353, cert. den. Supreme Court, 30.06.2014, 134 S. Ct. 2875.
160
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
den zuständigen District Court nach der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Saudi-Arabien, weitere grundlegende rechtliche Fragen im Rahmen der Anwendbarkeit der Deliktsausnahme zur Staatenimmunität im Falle Saudi-Arabiens mit Blick auf die Anschläge des 11. September 2001 einer Klärung zuzuführen.161 So war insbesondere fraglich, ob die Deliktsausnahme Fälle wie die Anschläge des 11. September 2001 erfasst, bei denen zwar das schädigende Ereignis auf amerikanischem Staatsgebiet eingetreten ist, die dem Staat vorgeworfene Handlung, die Unterstützungshandlung in Form der Finanzierung terroristischer Gruppierungen, jedoch außerhalb der USA stattfand.162 Der U.S. Supreme Court stellte im Fall Amerada Hess Shipping die sogenannte „entire tort rule“ auf, nach der „only torts occurring within the territorial jurisdiction of the United States“ von 28 U.S.C. § 1605(a)(5) umfasst sind.163 Ausreichend ist nicht, dass der Schaden innerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes eintritt. Vielmehr muss sich auch die deliktische Handlung des fremden Staates selbst in den USA zugetragen haben. Der District Court differenziert daher unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Supreme Court und des Court of Appeals zwischen den deliktischen Handlungen, die unmittelbar die Verletzung von Leib und Leben sowie Sachschäden in den USA begründet haben und den deliktischen Handlungen des Staates, die den innerhalb der USA eingetretenen Schaden befördert haben: „Although the September 11, 2001 attacks constitute a ‚tort,‘ the [Saudi instrumentalities] are not alleged to have participated in that ‚tort.‘ Instead, the ‚torts‘ allegedly committed by the [Saudi instrumentalities] only involve giving money and aid to purported charities that supported al Qaeda. The September 11, 2001 attacks thus are distinct and separate from the ‚torts‘ allegedly committed by the [Saudi instrumentalities]. […] As all of the tortious conduct allegedly committed by the [Saudi instrumentalities] occurred abroad, plaintiffs’ allegations cannot satisfy the noncommercial tort exception to the immunity conferred by the FSIA, and therefore, courts in the United States lack jurisdiction to consider these claims.“164
Die Anwendbarkeit der Deliktsausnahme im Sinne der „entire tort rule“ wird demzufolge nur dann bejaht, wenn sich auch die deliktische Handlung 161 District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 134 F.Supp.3d 774. 162 District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on Sept. 11, 2001, 134 F.Supp.3d 774, 781. 163 Supreme Court, 23.01.1989, Argentine Republic v. Amerada Hess Shipping Corp., 109 S.Ct. 683, 692. Vgl. zum territorialen Nexus der Deliktsausnahme bereits oben 4. Kapitel: B.II. 164 Court of Appeals, 16.04.2013, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 714 F.3d 109, 117. S. zur Bezugnahme des District Court auf die Rechtsprechung des Supreme Court und des Court of Appeals (2nd Circuit): District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on Sept. 11, 2001, 134 F.Supp.3d 774, 781.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren161
des fremden Staates selbst innerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes zugetragen hat und nicht ausschließlich der Schaden selbst. US-amerikanische Gerichte beweisen somit Zurückhaltung bei einer Beurteilung von Handlungen eines fremden Staates, die sich außerhalb des eigenen Staatsgebietes zutragen. (3) Ausnahme bei Ermessensentscheidungen Das Bezirksgericht erörtert zudem die „discretionary function“ Rückausnahme der Deliktsausnahme. Nach 28 U.S.C. § 1605(a)(5)(A) ist die Delikts ausnahme nicht anwendbar, wenn die in Rede stehende Handlung eine Ermessensentscheidung (discretionary function) des Staates darstellt: „[…] this paragraph shall not apply to – (A) any claim based upon the exercise or performance or the failure to exercise or perform a discretionary function regardless of whether the discretion be abused […]“
Ob eine Ermessensentscheidung vorliegt, bestimmt sich nach folgenden, gerichtlich konkretisierten Kriterien: „(1) the acts alleged to be negligent must be discretionary, in that they involve an element of judgment or choice and are not compelled by statute or regulation, and (2) the judgment or choice in question must be grounded in considerations of public policy or susceptible to policy analysis.“165
Der Staat genießt also auch für deliktisches Handeln Immunität, das die Ausübung einer Ermessensentscheidung darstellt.166 Bereits in den Entscheidungen In Re Terrorist Attacks I, II befand das Gericht, dass die staatliche Unterstützung von islamistischen Wohltätigkeitsorganisationen eine Ermes165 District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 134 F.Supp.3d 774, 782, unter Bezugnahme auf Court of Appeals, 25.05.2012, USAA Cas. Ins. Co. v. Permanent Mission of Republic of Namibia, 681 F.3d 103, 111 f. 166 District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on Sepember 11, 2001, 134 F.Supp.3d 774, 782. Van Alebeek bezeichnet die „discretionary function exception“ als Einführung der acta iure gestionis/acta iure imperii Differenzierung durch die Hintertür, Alebeek, The immunity of states, S. 70. Eine berühmte Ausnahme von der „discretionary function exception“ ist die Weigerung des Gerichts im Falle Letelier v. Chile, ein politisches Attentat durch den Staat, wenngleich es sich um einen acta iure imperii handelt, als legitime Ermessensentscheidung eines Staates zu qualifizieren, District Court, 11.03.1980, Letelier v. Republic of Chile, 488 F.Supp. 665, 673: „Whatever policy options may exist for a foreign country, it has no „discretion“ to perpetrate conduct designed to result in the assassination of an individual or individuals, action that is clearly contrary to the precepts of humanity as recognized in both national and international law.“ S. auch Court of Appeals, 29.12.1989, Liu v. Republic of China, 892 F.2d 1419, 1432 ff.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
sensentscheidung darstelle und somit nicht der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit unterfalle: „Judge Casey ruled in 2005 that the FSIA’s tort exception does not provide jurisdiction over Plaintiffs’ claims against Saudi Arabia and the SHC [Saudi High Commission for Relief to Bosnia and Herzegovina] because Defendants’ alleged actions involved the exercise of policy discretion. He held that ‚Saudi Arabia’s treatment of and decisions to support Islamic charities are purely planning level ‚decisions grounded in social, economic, and political policy‘.‘ […] With respect to the SHC, Judge Casey held: ‚SHC offers undisputed evidence that all decisions regarding the distribution of humanitarian relief funds were within the sole discretion of its Chairman Prince Salman and the advisors he selected. Further, SHC was guided by the Kingdom’s policies regarding Bosnia–Herzegovina in making its funding determinations. Accordingly, SHC’s alleged misuse of funds and/or inadequate recordkeeping – even if it resulted in the funds going to terrorists – was the result of a discretionary function and cannot be the basis for overcoming SHC’s immunity‘.“167
Auch die Deliktsausnahme kann somit im Ergebnis nicht als Grundlage zur Beschränkung der Staatenimmunität Saudi-Arabiens wegen der Anschläge des 11. Septembers 2001 dienen. b) Regelungsgegenstand Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage, wurde schließlich der Justice Against State Sponsors of Terrorism Act, noch während des Berufungsverfahrens der Kläger gegen das letzte, die Immunität Saudi-Arabiens aufrechterhaltende Urteil des Bezirksgericht,168 erlassen.169 JASTA ergänzt 167 District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 134 F.Supp.3d 774, 782; unter Bezugnahme auf District Court, 18.01.2005, In re Terrorist Attacks on Sept. 11, 2001 („Terrorist Attacks I“), 349 F.Supp.2d 765, 804; District Court, 21.09.2005, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks II“), 392 F.Supp.2d 539, 555. 168 Bei dem Urteil, auf das hier verwiesen wird, handelt es sich um das Urteil des District Court, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks XI“), 29.09.2015, 134 F.Supp3d 774. 169 PL 114-222, 28.09.2016, 130 Stat 852, kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B und § 1605B Notes; Vgl. zum Motiv des Kongresses: Congressional Record, 114th Congress, House of Representatives, 09.09.2016, 162 Cong. Rec. H5239-03; District Court, 20.12.2016, Lelchook v. Islamic Republic of Iran, 224 F.Supp.3d 108, 113; District Court, 28.03.2018, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 638, 642; Bradley/Goldsmith, Don’t Let Americans Sue Saudi Arabia, The New York Times, 22.04.2016, abrufbar unter: https://www.nytimes.com/ 2016/04/22/opinion/dont-let-americans-sue-saudi-arabia.html (Stand: 14.05.2020); Dodge, JASTA and Reciprocity, Just Security, 09.06.2016, abrufbar unter: https:// www.justsecurity.org/31445/jasta-reciprocity/ (Stand: 14.05.2020); Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (370). Der Court of Appeals hob auf gemeinsamen Antrag der Parteien durch Entscheidung vom 07.02.2017 das oben besprochene
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren163
den Foreign Sovereign Immunities Act durch 28 U.S.C. § 1605B um eine weitere Ausnahme zur Staatenimmunität. 28 U.S.C. § 1605B steht unter dem Titel „Responsibility of foreign states for international terrorism against the United States“. In 28 U.S.C. § 1605B (b), der Kernregelung zur Staatenimmunität lautet es: „(b) Responsibility of Foreign States. – A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of the courts of the United States in any case in which money damages are sought against a foreign state for physical injury to person or property or death occurring in the United States and caused by – (1) an act of international terrorism in the United States; and (2) a tortious act or acts of the foreign state, or of any official, employee, or agent of that foreign state while acting within the scope of his or her office, employment, or agency, regardless where the tortious act or acts of the foreign state occurred.“
Wie im Folgenden ausführlich darzustellen sein wird, setzt die Regelung in Abkehr zur bisher geltenden Rechtslage weder die Designation des Staates als state sponsor of terrorism im Sinne des 28 U.S.C. § 1605A voraus, noch inkorporiert sie die „entire tort rule“ oder die „discretionary function exception“ der Deliktsausnahme des 28 U.S.C. § 1605(a)(5).170 aa) Allgemeine Voraussetzungen Wie bereits bei der Besprechung des 28 U.S.C. § 1605A richtet sich auch hier zunächst der Blick auf die allgemeinen Voraussetzungen zur Geltendmachung des 28 U.S.C. § 1605B(b). Hier zeigen sich bereits grundlegende Unterschiede zu der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A. (1) Klageberechtigung Anders als bei 28 U.S.C. § 1605A sind im Falle einer möglichen Beschränkung der Immunität nach 28 U.S.C. § 1605B(b) ausschließlich US-amerikanische Staatsbürger klageberechtigt, 28 U.S.C. § 1605B(c).171 Gleichzeitig bilUrteil des District Court auf (s. District Court, 29.09.2015, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks XI“), 134 F.Supp.3d 774, 781) und verwies den Fall abermals an den District Court, vgl. Court of Appeals, 07.02.2017, In re Terrorist Attacks on September 11, 2017 WL 8776686. 170 District Court, 28.03.2018, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 639; District Court, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 („Terrorist Attacks XI“), 29.09.2015, 134 F.Supp3d 774. 171 Nach 18 U.S.C. § 2331 richtet sich die Definition des U.S. nationals nach § 101(a)(22) des Immigration and Nationality Act: „(22) The term „national of the
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
det 28 U.S.C. § 1605B(b) durch einen Verweis auf 18 U.S.C § 2333 eine Anspruchsgrundlage für Schadensersatzklagen gegen den Staat.172 (2) Zeitliche Anwendbarkeit 28 U.S.C. § 1605B findet auf alle Zivilklagen Anwendung, die am 28. September 2016 anhängig sind oder nach dem 28 September 2016 eingeleitet werden und die aus einer Verletzung einer Person, der Schädigung des Vermögens oder eines Unternehmens am oder nach dem 11. September 2001 resultieren.173 Auffallend ist hier zum einen, dass die Vorschrift auf bereits laufende Verfahren Anwendung findet, was ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der „In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001“ Verfahren gegen SaudiArabien ist.174 Zum anderen findet die Vorschrift rückwirkend auf alle potentiellen Terroranschläge Anwendung, die sich am oder nach dem 11. September 2001 in den USA zugetragen haben. Begrenzt ist die Anwendbarkeit ausweislich des Wortlauts nicht auf Schäden oder die Verletzungen von Leib oder Leben, die aus den Anschlägen des 11. September resultieren. 28 U.S.C. § 1605B erfasst somit nicht ausschließlich die Anschläge des 11. Septembers 2001.175
United States“ means: (A) a citizen of the United States, or (B) a person who, though not a citizen of the United States, owes permanent allegiance to the United States.“ 172 18 U.S.C. 2333: „(a) Action and Jurisdiction. – Any national of the United States injured in his or her person, property, or business by reason of an act of international terrorism, or his or her estate, survivors, or heirs, may sue therefor in any appropriate district court of the United States and shall recover threefold the damages he or she sustains and the cost of the suit, including attorney’s fees.“ Hierzu Wuerth, Justice Against Sponsors of Terrorism Act: Initial Analysis, Lawfare, 29.09.2016, abrufbar unter: https://www.lawfareblog.com/justice-against-sponsors-terrorism-actinitial-analysis (Stand: 14.05.2020). 173 28 U.S.C. § 1605B Notes: „Section applicable to any civil action pending on, or commenced on or after, Sept. 28, 2016, and arising out of an injury to a person, property, or business on or after Sept. 11, 2001, see section 7 of Pub. L. 114–222 […].“ 174 S. zur Entscheidung der Wiedereröffnung des Verfahrens Court of Appeals, 07.02.2017, In re Terrorist Attacks on September 11, 2017 WL 8776686. 175 Hierzu Wuerth, Justice Against Sponsors of Terrorism Act: Initial Analysis, Lawfare, 29.09.2016, abrufbar unter: https://www.lawfareblog.com/justice-againstsponsors-terrorism-act-initial-analysis (Stand: 14.05.2020).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren165
(3) Abgrenzung zu 28 U.S.C. § 1605A Anders als im Falle des 28 U.S.C. § 1605A verlangt 28 U.S.C. § 1605B keine Designation des fremden Staates als state sponsor of terrorism durch den Außenminister. Potentiell kann daher grundsätzlich die Immunität eines jeden Staates durch ein US-amerikanisches Gericht aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen des 28 U.S.C. § 1605B vorliegen. Gerade diese Tatsache hat sowohl innerstaatlich als auch in der Staatengemeinschaft erhebliche Kritik hervorgerufen.176 Mit einer Klagemöglichkeit vor US-amerikanischen Gerichten gegen potentiell jedweden fremden Staat ist zwar einerseits die Einflussnahmemöglichkeit der Exekutive, die bei 28 U.S.C. § 1605A ausschlaggebend für die Gewährung von Immunität ist, zurückgedrängt und das Gesetz politisch „neutraler“ gestaltet worden. Diese „politische Neutralität“ stößt jedoch andererseits auf erheblichen Widerspruch anderer Staaten, die sich in ihrer Souveränität beeinträchtigt sehen.177 Gerade der Verzicht auf eine vorherige Designation des Staates durch den Außenminister führt zu einer Ablehnung des Gesetzes in der Staatenwelt, anders als im Falle des 28 U.S.C. § 1605A, der keinen internationalen Protest hervorgerufen hat.178 Von weniger Gewicht scheint im Vergleich der Verzicht auf die, vor Klageerhebung durch den Kläger zu gewährende, Möglichkeit zur Schlichtung des Falles nach international anerkannten Regeln zur Streitbeilegung im Falle des 28 U.S.C. § 1605A zu sein.179 Dies lässt sich mit dem engen territorialen Nexus erklären, den ein Sachverhalt, der unter 28 U.S.C. § 1605B fällt, zu den USA aufzuweisen hat.180 bb) Schadenseintritt innerhalb der USA Zunächst setzt 28 U.S.C. § 1605B(b), wie auch bereits die Deliktsausnahme in 28 U.S.C. § 1605(a)(5), das Vorliegen einer „physical injury to a person or property or death“, also eine Verletzung von Leib oder Leben oder einen Sachschaden voraus. Der Schaden muss innerhalb der USA eingetreten sein („occurring in the United States“). 28 U.S.C. § 1605B setzt also im Sinne der Deliktsausnahme und in Abgrenzung zur Terrorismusausnahme des 176 S.
oben 1. Kapitel: A. oben 1. Kapitel: A. 178 Dies beobachtet auch Dodge, Does JASTA violate international law?, in: Just Security, 30.09.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org/33325/jasta-violateinternational-law-2/ (Stand: 14.05.2020). 179 Vgl. hierzu oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(2). 180 Hierzu sogleich 6.Kapitel: A.II.3.b)bb). 177 S.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
28 U.S.C. § 1605A einen territorialen Nexus zwischen dem Ort des Schadens eintritts und dem US-amerikanischen Staatsgebiet voraus. cc) Act of international terrorism 28 U.S.C. § 1605B(b)(1) setzt ferner voraus, dass der Sachschaden oder die Verletzung von Leib oder Leben durch einen Akt des internationalen Terrorismus verursacht wurde. 28 U.S.C. § 1605B(a)(1) definiert einen Akt des internationalen Terrorismus unter Verweis auf 18 U.S.C. § 2331(1) als: „activities that – (A) involve violent acts or acts dangerous to human life that are a violation of the criminal laws of the United States or of any State, or that would be a criminal violation if committed within the jurisdiction of the United States or of any State; (B) appear to be intended – (i) to intimidate or coerce a civilian population; (ii) to influence the policy of a government by intimidation or coercion; or (iii) to affect the conduct of a government by mass destruction, assassination, or kidnapping; and (C) occur primarily outside the territorial jurisdiction of the United States, or transcend national boundaries in terms of the means by which they are accomplished, the persons they appear intended to intimidate or coerce, or the locale in which their perpetrators operate or seek asylum […].“
Die Definition eines Aktes des internationalen Terrorismus greift gängige Elemente einer Terrorismusdefinition auf: Die Verletzung strafrechtlicher Vorschriften einerseits und Elemente der Einschüchterung der Zivilgesellschaft, der Einflussnahme auf die Politik eines Staates durch Bedrohung oder Zwang oder aber der Einflussnahme auf die Regierungsführung durch Massenvernichtung, Ermordung oder Entführung andererseits. Im Widerspruch scheint die Definition zunächst mit der Voraussetzung des 28 U.S.C.§ 1605B(b) zu stehen, die verlangt, dass der Schaden innerhalb der U.S.A eintritt. Denn 18 U.S.C. § 2331(1)(C) geht davon aus, dass der Akt des internationalen Terrorismus in erster Linie außerhalb US-amerikanischen Staatsgebiets stattfindet.181 Anwendbar kann daher wohl nur die zweite Alternative des 18 U.S.C. § 2331(1)(C) sein: ein Akt hat, um internationalen Terrorismus darzustellen, die nationalen Grenzen in Bezug auf die Mittel, mit denen der Akt erreicht wird, die Personen, die der Akt einzuschüchtern oder zu zwingen sucht, oder mit Blick auf den Ort, an dem die Täter arbeiten 181 So
Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (379).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren167
oder Asyl beantragen, zu überschreiten.182 Selbst dann scheint jedoch die Widersprüchlichkeit nicht gänzlich aufgelöst. Mit großer Wahrscheinlichkeit verweist der Kongress auf diese Definition vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Planung der Anschläge des 11. Septembers 2001 außerhalb der USA stattgefunden hat, während sich die eigentlichen Anschläge innerhalb der USA ereigneten.183 Auffällig ist, dass das erste Urteil, bei dem die Prüfung der Staatenimmunität nach 28 U.S.C. § 1605B zentraler Gegenstand ist, nicht näher auf das Vorliegen eines Akts des internationalen Terrorismus eingeht.184 Auch SaudiArabien bestreitet das Vorliegen eines Akts des internationalen Terrorismus nicht. Es stellt sich daher durchaus die Frage, wie viel Bedeutung dieser Definition in der Praxis durch die Gerichte tatsächlich beigemessen wird oder beigemessen werden muss, insbesondere dann, wenn solche Akte streitgegenständlich sind, die bereits von den Vereinten Nationen als Akt des Terrorismus qualifiziert wurden.185 Im Vordergrund des 28 U.S.C. § 1605B steht somit, wie auch bei 28 U.S.C. § 1605A, vielmehr die Frage nach der Förderung der Anschläge durch einen Staat und weniger die Kontroverse um die Terrorismusdefinition als solche. dd) Tortious act 28 U.S.C. § 1605B(b) setzt zudem das Vorliegen einer deliktischen Handlung („tortius act“) des fremden Staates voraus. Dabei ist zunächst unklar, ob eine deliktische Handlung neben einem Akt des internationalen Terrorismus vorliegen muss oder ob es ausreicht, dass entweder ein Akt des internationalen Terrorismus oder eine deliktische Handlung vorliegt.186 Der District Court betont in einer ersten Entscheidung auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B, dass es eines Akt des internationalen Terrorismus und einer deliktische Handlung des fremden Staates bedarf.187 Der Gesetzeswortlaut selbst 182 Ibid.
183 Schnably,
U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (379). Court, 28.03.2018, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631. 185 S/RES/1368 (2001); S/RES/1373 (2001). 186 Für ein alternatives Vorliegen der beiden Voraussetzungen spricht sich Schnably aus, Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (377 f.). 187 District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 642: „The JASTA exception to FSIA immunity thus has four discrete elements, each of which must be satisfied before this Court can exercise subject matter jurisdiction over Plaintiffs’ claims […] (2) an act of international terrorism in the United States, and a tortious act or acts by a foreign state […].“ (Hervorhebungen im Original). 184 District
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
spricht von einem Akt des internationalen Terrorismus und einer deliktischen Handlung des Staates. Für die Annahme des kumulativen Vorliegens beider Voraussetzungen spricht neben dem Wortlaut der Norm zudem die Tatsache, dass anderenfalls eine deliktische Handlung des fremden Staates, ohne, dass diese einen Bezug zum Terrorismus aufzuweisen hätte, von 28 U.S.C. § 1605B erfasst wäre. Der Kongress hat 28 U.S.C. § 1605B aber gerade vor dem Hintergrund der Terrorismusbekämpfung erlassen.188 Es wäre widersprüchlich anzunehmen, dass neben einem Akt des internationalen Terrorismus ein deliktisches Handeln gleich welcher Art ebenfalls unter die Terrorismusausnahme aber ohne Terrorismusbezug fiele und eine Immunitätsbeschränkung des fremden Staates begründen könnte. Unklar ist zudem, was genau eine deliktische Handlung im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605B darstellt.189 Eine genaue Definition erfolgt durch den Gesetzgeber nicht. Eine Aufzählung bestimmter Delikte, wie dies bei 28 U.S.C. § 1605A der Fall ist, erfolgt ebenfalls nicht. In dem ersten, auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B ergangenen Urteil gegen Saudi-Arabien, einigen sich die Parteien darauf, dass im Mindesten „the knowing or deliber ately indifferent provision of material support to terrorists“ als deliktische Handlung erfasst sein soll.190 Das Gericht verweist zur Bekräftigung auf die Congressional Findings im Rahmen des JASTA: „(a) FINDINGS – Congress finds the following: […] (7) The United States has a vital interest in providing persons and entities injured as a result of terrorist attacks committed within the United States with full access to the court system in order to pursue civil claims against persons, entities, or countries that have knowingly or recklessly provided material support or resources, directly or indirectly, to the persons or organizations responsible for their injuries.“191 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Welche Handlungen darüber hinaus von 28 U.S.C. § 1605B(b) erfasst werden, wird durch das Gericht nicht weiter erörtert. Dass jedoch die „provision of material support“ nach Ansicht des Gerichts im Mindesten als deliktische Handlung umfasst ist, deckt wohl eine Vielzahl der Fälle des staatlich unterstützten Terrorismus ab. Bereits im Rahmen der Diskussion des 28 U.S.C. § 1605A, der als deliktische Handlung die „provision of material support“ ausdrücklich vorsieht, hat sich gezeigt, dass das Gros der Fälle zumindest auch unter diese Handlungsvariante fällt, da der Staat regelmäßig die unmit188 § 2(a)(1), (b) JASTA sowie Untertitel des Gesetztes: „An act to deter terrorism, provide justice for victims […]“, PL 114-222, 28.09.2016, 130 Stat 852. 189 District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 643. 190 District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 643. 191 Vgl. § 2(a)(7) JASTA, PL 114-222, 28.09.2016, 130 Stat 852.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren169
telbar schädigende Handlung nicht selbst vornimmt, sondern diese vielmehr durch nicht-staatliche Akteure ausgeführt wird. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Voraussetzungen des tortious act in der gerichtlichen Praxis näher konkretisiert werden. Besonders hervorzuheben ist zudem, dass die deliktische Handlung des Staates selbst keinen territorialen Bezug zu US-amerikanischem Staatsgebiet aufzuweisen hat.192 An dieser Stelle wird offensichtlich die bisher in der Rechtsprechung im Rahmen der noncommercial tort exception, 28 U.S.C. § 1605(a)(5) angewandte „entire tort rule“ aufgegeben und dem Gericht Gerichtsbarkeit für deliktische Handlungen des fremden Staates übertragen, die sich außerhalb des US-amerikanischen Staatsgebietes zugetragen haben, solange sich der Schadenseintritt selbst innerhalb US-amerikanischem Staatsgebiet befindet.193 Während die Zuwendung finanzieller Mittel durch den Staat an bestimmte Wohltätigkeitsorganisationen in der Vergangenheit von den Gerichten zudem als staatliche Ermessensentscheidung qualifiziert wurde, die nach der Delikts ausnahme als solche der US-amerikanischen Gerichtsbarkeit entzogen ist,194 so sieht 28 U.S.C. § 1605B eine derartige Rückausnahme für Ermessensentscheidungen nicht vor. Somit sind rein nach der Systematik des 28 U.S.C. § 1605B auch Ermessensentscheidungen des fremden Staates nicht von der Gerichtsbarkeit US-amerikanischer Gerichte befreit.195 Hier könnte jedoch das Risiko der Einmischung in innere Angelegenheiten fremder Staaten durch US-amerikanische Gerichte bestehen.196 Ausgeschlossen ist die Aufhebung der Immunität durch ein US-amerikanisches Gericht jedoch im Falle eines Unterlassens des fremden Staates und bei bloßer Fahrlässigkeit, 28 U.S.C. § 1605B(d).197
192 Vgl. 28 U.S.C. § 1605B(b)(2): „[…] regardless where the tortious act or acts of the foreign state occurred.“; s. oben 4. Kapitel: B.II. 193 Vgl. hierzu auch Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (381). S. bzgl. des territorialen Nexus bereits oben 4. Kapitel: B.II. 194 28 U.S.C. 1605(a)(5)(A); vgl. oben 6. Kapitel: A.II.3.a)cc)(3). 195 So auch Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (380). 196 Diese Bedenken traten bereits vor Erlass der ursprünglichen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605(a)(7) im Kongress auf, s. hierzu m. w. N. Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (7). 197 28 U.S.C. § 1605B(d): „A foreign state shall not be subject to the jurisdiction of the courts of the United States under subsection (b) on the basis of an omission or a tortious act or acts that constitute mere negligence.“
170
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
ee) Vornahme der deliktischen Handlung durch eine dem Staat zuzuordnende Person 28 U.S.C. § 1605B(b) beschränkt die Immunität für deliktische Handlungen die durch den fremden Staat oder einen Beamten (official), Angestellten (employee) oder Beauftragten (agent) des Staates vorgenommen wurden, wenn dieser im Rahmen seines Amtes, seines Beschäftigtenverhältnisses oder Auftrages gehandelt hat. Im Unterschied zur Deliktsausnahme des 28 U.S.C. § 1605(a)(5) umfasst 28 U.S.C. § 1605B, wie auch bereits 28 U.S.C. § 1605A, deliktische Handlungen von Beauftragten (agents) des Staates. Die Voraussetzungen sind identisch mit denen des 28 U.S.C. § 1605A.198 ff) Kausalität Wie auch bereits im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605A wird bei der Anwendung des 28 U.S.C. § 1605B ein strenger „but for“ Kausalzusammenhang abgelehnt und die Kausalität zwischen der Handlung des fremden Staates und dem Schaden im Sinne des „proximate causation standard“ geprüft.199 Insofern ergeben sich bei der Kausalitätsprüfung nach 28 U.S.C. § 1605B keine Neuerungen im Vergleich zur vorherigen Rechtsprechung. c) Einflussnahme der Exekutive Wenngleich die Geltendmachung des 28 U.S.C. § 1605B, anders als 28 U.S.C. § 1605A, nicht durch die Designation eines fremden Staates als „state sponsor of terrorism“ durch den US-Außenminister bedingt ist, so räumt der Kongress der Exekutive dennoch eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit der Einflussnahme auf laufende Verfahren ein. So kann das Gericht auf Antrag des Generalstaatsanwaltes das Verfahren aussetzen, wenn das Außenministerium bestätigt, dass die USA in gutem Glauben mit dem ausländischen Staat über die Ansprüche der Kläger verhandeln.200 Dem Gericht wird hierbei Ermessen in der Entscheidungsfindung 198 S.
oben 6. Kapitel: A.II.2.b)cc). Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 645. Vgl. zum „proximate causation standard“ bereits ausführlich oben 6. Kapitel: A.II.2.b)dd). 200 Vgl. PL 114-222, 28.09.20016, 130 Stat. 854, § 5(b), (c)(1), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B Notes: „(b) Intervention. – The Attorney General may intervene in any action in which a foreign state is subject to the jurisdiction of a court of the United States under section 1605B of title 28, United States Code, as added by section 3(a) of this Act, for the purpose of seeking a stay of the civil action, in whole or in part. c) Stay. – (1) In general. – A court of the United States may stay a proceeding 199 District
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren171
eingeräumt.201 Das Verfahren kann dabei für eine Dauer von maximal 180 Tagen ausgesetzt werden.202 Nach Ablauf der 180 Tage kann der Generalstaatsanwalt erneut die Aussetzung des Verfahrens für weitere 180 Tage beantragen.203 In diesem Fall hat das Gericht das Verfahren auszusetzen, wenn das Außenministerium bestätigt, dass es weiterhin mit dem fremden Staat in gutem Glauben verhandelt.204 Dem Gericht wird bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aussetzung des Verfahrens kein Ermessensspielraum gewährt, es hat das Verfahren auszusetzen.205 Das Gesetz sieht zudem keine Begrenzung der Verlängerung der Verfahrensaussetzung vor, so dass das Verfahren theoretisch auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden könnte.206 Durch diese Möglichkeit der Einflussnahme der Exekutive schwächt der Kongress die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605B erheblich.207 Ist against a foreign state if the Secretary of State certifies that the United States is engaged in good faith discussions with the foreign state defendant concerning the resolution of the claims against the foreign state, or any other parties as to whom a stay of claims is sought.“ 201 P.L. 114-222, 28.09.20016, 130 Stat. 854, § 5(c)(1), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B Notes: „A court of the United States may stay a proceeding against a foreign state […].“ (Hervorhebung durch die Verfasserin.) Hierzu Wuerth, Justice Against Sponsors of Terrorism Act: Initial Analysis, Lawfare, 29.09.2016, abrufbar unter: https://www.lawfareblog.com/justice-against-sponsors-terrorism-act-initial-analysis (Stand: 14.05.2020); Vladeck, The Senate Killed JASTA, Then Passed It …, Just Security, 18.05.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org-/31156/senate-killedjasta-passed-it/ (Stand: 14.05.2020). 202 PL 114-222, 28.09.20016, 130 Stat. 854, § 5 (c)(2)(A), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B Notes. 203 PL 114-222, 28.09.20016, 130 Stat. 854, § 5 (c)(2)(B)(i), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B Notes. 204 PL 114-222, 28.09.20016, 130 Stat. 854, § 5(c)(2)(B)(ii), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B Notes: „A court shall grant an extension under clause (i) if the Secretary of State recertifies that the United States remains engaged in good faith discussions with the foreign state defendant concerning the resolution of the claims against the foreign state, or any other parties as to whom a stay of claims is sought.“ 205 PL 114-222, 28.09.20016, 130 Stat. 854, § 5(c)(2)(B)(ii), kodifiziert in 28 U.S.C. § 1605B Notes: „A court shall grant an extension […].“ (Hervorhebung durch die Verfasserin). Vgl. hierzu Vladeck, The Senate Killed JASTA, Then Passed It …, Just Security, 18.05.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org/31156/senate-killedjasta-passed-it/ (Stand: 14.05.2020); Wuerth, Justice Against Sponsors of Terrorism Act: Initial Analysis, Lawfare, 29.09.2016, abrufbar unter: https://www.lawfareblog. com/justice-against-sponsors-terrorism-act-initial-analysis (Stand: 14.05.2020). 206 Krit. hierzu Vladeck, The Senate Killed JASTA, Then Passed It …, Just Se curity, 18.05.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org/31156/senate-killedjasta-passed-it/ (Stand: 14.05.2020). 207 Hierzu auch Vladeck, The Senate Killed JASTA, Then Passed It …, Just Se curity, 18.05.2016, abrufbar unter: https://www.justsecurity.org/31156/senate-killedjasta-passed-it/ (Stand: 14.05.2020).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
ein Verfahren nicht im Sinne der Exekutive, so kann diese auf eine Aussetzung des Verfahrens hinwirken. Zudem stellt das Gesetz keine konkreten Anforderungen an die zwischenstaatlichen Verhandlungen. Es könnte also, je nach Ermessen des Gerichts, das selbst in der Regel wohl kein großes Inte resse daran haben mag, eine größere Rolle in außenpolitischen Beziehungen einzunehmen, bereits eine bloße Gesprächsanfrage der US-Regierung bei der fremden Regierung ausreichen, um zu einer Aussetzung des Verfahrens zu gelangen. Im Falle Saudi-Arabiens etwa bleibt jedoch abzuwarten, ob es tatsächlich zu zwischenstaatlichen Verhandlungen und somit zu einer Aussetzung des Verfahrens kommt.208 Denn würde Saudi-Arabien tatsächlich in offizielle Verhandlungen mit der US-Regierung wegen der Anschläge des 11. Septembers eintreten, so käme dies einem Schuldeingeständnis sehr nahe. Für einen Staat besteht jedoch kein Grund, sich auf zwischenstaatliche Verhandlungen einzulassen, wenn jedwede Verantwortlichkeit abgelehnt wird. Saudi-Arabien bestreitet bis dato, in die Anschläge des 11. Septembers verwickelt zu sein. Und auch die Beweise, die Kläger bisher vorlegten, wurden durch das Gericht in weiten Teilen als unzureichend bewertet und die Klage gegen Saudi-Arabien in allen bis auf zwei Punkten abgewiesen.209 Es ist daher fernliegend, dass sich Saudi-Arabien überhaupt auf zwischenstaatliche Verhandlungen einlässt. Womöglich wäre es für Saudi-Arabien vorteilhafter, wenn ein US-amerikanisches Gericht offiziell feststellen würde, dass eine Unterstützung der Anschläge des 11. Septembers 2001 durch Saudi-Arabien nicht nachgewiesen werden kann und in der Folge die Klage endgültig abgewiesen würde. Andererseits könnte die Immunitätsausnahme des 28 U.S.C. § 1605B für die US-Regierung durch die Einflussnahmemöglichkeit ein Druckmittel darstellen.210 Einen Anreiz für zwischenstaatliche Verhandlungen könnte so zunächst die Aussicht für den fremden Staat darstellen, dass das Verfahren gegen ihn ausgesetzt wird und die damit einhergehende, negative Aufmerk samkeit der (Welt-)Öffentlichkeit versiegt. Auch besteht im Rahmen zwischenstaatlicher Verhandlungen die Möglichkeit, den Klägern eine geringere Entschädigung zahlen zu müssen, als dies bei den hohen Schadensersatz summen, die Gerichte vielfach den Klägern zusprechen, der Fall wäre. Weiterhin kann die Einflussnahmemöglichkeit dahingehend als Druckmittel 208 Als unwahrscheinlich bezeichnet dies Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (384). Bezogen wird sich hier auf den Fall District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631. 209 District Court, 28.03.2018, In Re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631. 210 Vgl. Damrosch, Vand. J. Transnat’l L. 2011, 1185 (1195). S. hierzu auch unten 7. Kapitel: C.I.3.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren173
erstanden werden, als dass das Verfahren im Falle eines Ausbleibens einer v Einigung fortgesetzt wird. Im Falle einer zwischenstaatlichen Einigung zeigen sich die positiven Seiten der Einflussnahmemöglichkeit der Regierung, da Kläger durch eine solche Einigung über die Kompensation ihrer Ansprüche mitunter schneller und kostengünstiger ihre Ansprüche befriedigen können. Freilich erfüllt eine derartige Einigung nicht notwendigerweise die symbolischen Komponenten eines, die Verantwortlichkeit eines Staates offiziell feststellenden, Urteils.211 d) Auswirkungen des 28 U.S.C § 1605B auf die Praxis 28 U.S.C § 1605B wurde vor dem Hintergrund erlassen, Geschädigten der Anschläge des 11. Septembers ein Klageverfahren gegen Saudi-Arabien wegen dieser Anschläge zu ermöglichen. Bereits zwei Tage nach Erlass des 28 U.S.C § 1605B wurde die erste Klage gegen Saudi-Arabien erhoben.212 Im März 2017 folgten Sammelklagen von Betroffenen213 sowie Versicherungsunternehmen.214 Hierbei handelt es sich um die umfangreichsten Klagen, die jemals im Zusammenhang mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 erhoben wurden.215 Eine erste gerichtliche Entscheidung erging am 28.03.2018.216 Dabei ordnete das Bezirksgericht ein auf die Feststellung bestimmter Tatsachen die Staatenimmunität betreffend, beschränktes Discov 211 Vgl.
hierzu unten 7. Kapitel: C.I.1. v. Kingdom of Saudi Arabia, Klage vom 30.09.2016 vor dem District of Columbia District Court, Case Number 1:16-cv-01944, abrufbar unter: https:// www.pacer-monitor.com/public/case/19421241/DESIMONE_v_KINGDOM_OF_ SAUDI_ARABIA# (Stand: 14.05.2020). 213 United States District Court Southern District of New York, Case 1:17-cv02003, Klage erhoben am 20.03.2017, abrufbar unter: https://static1.squarespace. com/static/57fbbfa884-19c2de35c1639d/t/58d03556ff7c50abde86720f/149004017401 71270/Ashton-v-KSA-2017.pdf (Stand: 14.05.2020); Saul, Families of 9/11 victims file suit against Saudi Arabia, New York Post, 20.03.2017, abrufbar unter: http://nyp. st/2nXBH67 (Stand: 14.05.2020). 214 United States District Court Southern District of New York, Case 1:17-cv02129-UA, Klage v. 23.03.2017, abrufbar unter http://www.courthousenews.com/ wp-content/uploads/2017/03/-saudi-jasta.pdf (Stand: 14.05.2020); Stempel, Saudi Arabia faces $6 billion U.S. lawsuit by Sept. 11 insurers, Reuters, 24.03.2017, ab rufbar unter: http://www.reuters.com/article/us-usa-saudi-sept-idUSKBN16V-1ZP (Stand: 14.05.2020). 215 Worley, Saudi Arabia faces largest ever 9/11 lawsuit – accused of prior knowledge over terror attack, The Independent, 22.03.2017, abrufbar unter: https://www. independent.co.uk-/news/-world/americas/saudi-arabia-911-victims-lawsuit-priorknowl edge-world-trade-center-terror-attack-twin-towers-a7644016.html (Stand: 14.05.2020). 216 District Court, 28.03.2018, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631. 212 DeSimone
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
ery-Verfahren an und lehnte den Antrag Saudi-Arabiens auf Klageabweisung ab. Es ist das erste Mal, dass in einem gerichtlichen Verfahren gegen SaudiArabien wegen der Förderung des Terrorismus das Stadium der Discovery erreicht wird, da vor Erlass des 28 U.S.C § 1605B die Klagen aufgrund der Staatenimmunität bereits in einem früheren Stadium des Verfahrens abgewiesen wurden. Dennoch ist auch dieser Teilsieg der Kläger in Relation zu betrachten. Denn in dem Verfahren fehlt es nach der Auffassung des Richters Daniels ganz überwiegend an einer schlüssigen Darlegung der Voraussetzungen des 28 U.S.C. § 1605B zur Beschränkung der Staatenimmunität SaudiArabiens seitens der Kläger. Lediglich mit Blick auf die Handlungen zweier, Saudi-Arabien möglicherweise zurechenbarer Personen, schreitet die Klage durch die Zulassung des Discovery-Verfahrens voran.217 Auch die von einigen Kritikern befürchtete Klagewelle gegen fremde Staaten vor US-amerikanischen Gerichten ist bisher ausgeblieben. Neben dem Verfahren gegen Saudi-Arabien lassen sich bis dato lediglich zwei andere Gerichtsentscheidungen ausfindig machen, die 28 U.S.C. § 1605B zum Gegenstand haben. In beiden Fällen werden die Klagen gegen den jeweiligen Staat jedoch aufgrund der Staatenimmunität abgewiesen.218 Auch innerhalb der Staatengemeinschaft scheint das Thema in den Hintergrund gerückt zu sein. Auf die Entscheidung des Gerichts ein Discovery-Verfahren gegen Saudi-Arabien anzuordnen, konnten durch die Verfasserin keine internatio nalen Proteste ausfindig gemacht werden. Bisher hat Saudi-Arabien, zum derzeitigen Kenntnisstand der Verfasserin, entgegen ursprünglicher Ankün digungen,219 keine US-amerikanischen Staatsanleihen veräußert oder Vermögensgüter aus den USA abgezogen. e) Zusammenfassung Durch den Erlass des 28 U.S.C. § 1605B schließt der US-amerikanische Gesetzgeber im amerikanischen Immunitätsrecht eine Lücke, indem die Beschränkung der Staatenimmunität entgegen der bisherigen Rechtslage unabhängig von einer Designation des fremden Staates durch die Exekutive, unabhängig von dem Ort der deliktischen Handlung des Staates oder der Qualifizierung des staatlichen Handelns als genuin hoheitlich ermöglicht wird. 217 District Court, 28.03.2018, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 298 F.Supp.3d 631, 661. Das Verfahren befindet sich zum Stand Mai 2020 weiterhin in der Discovery, s. hierzu den jüngsten Beschluss des Gerichts im Discovery-Verfahren: District Court, 12.03.2020, In re Terrorist Attacks on September 11, 2001, 2020 WL 1181943. 218 District Court, 15.05.2019, Jiggi v. Republic of Cameroon, 2019 WL 2135856; District Court, 17.03.2017, Kaldawi v. State of Kuwait, 2017 WL 6017293. 219 S. oben 1. Kapitel: A.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren175
Voraussetzung ist, dass das schädigende Ereignis selbst innerhalb der USA eintritt und keine Kriegshandlung darstellt. Das Gesetz stellt somit eine erhebliche Erweiterung der bis dato geltenden Deliktsausnahme, 28 U.S.C. § 1605(a)(5) sowie der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A dar. Eine Einschränkung folgt hingegen insoweit, als dass ausschließlich USamerikanische Staatsbürger klageberechtigt sind. Der Einfluss der Exekutive, der bei 28 U.S.C. § 1605A aufgrund des Erfordernisses der Designation des fremden Staates prägend ist, findet sich bei 28 U.S.C. § 1605B wieder, wenn auch in abgeschwächter Form. So hat die Exekutive zwar vor Klageerhebung keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Aufrechterhaltung der Staaten immunität des fremden Staates, sie kann aber auf eine Aussetzung des Verfahrens nach Klageerhebung hinwirken. Im Vergleich zur Deliktsausnahme und zur Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A weist 28 U.S.C. § 1605B jedoch einige Schwächen auf. So erfolgt keine Definition dessen, was 28 U.S.C. § 1605B unter einem Delikt (tort) versteht. Zudem wird lediglich Bezug auf eine allgemeine, abstrakte Terrorismusdefinition genommen. Der Bezug zum Völkerrecht tritt, anders als bei 28 U.S.C. § 1605A, in den Hintergrund und schließlich besteht nach der derzeitigen Gesetzeslage auch keine Vollstreckungsmöglichkeit für Urteile auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B.220 Zudem lässt sich beobachten, dass die Terrorismus ausnahme des 28 U.S.C. § 1605B zum Zeitpunkt des Erlasses mehr Aufruhr in der Staatenwelt hervorgerufen hat, als dies mit Blick auf die bisher tatsächlich eingetreten Auswirkungen gerechtfertigt wäre. Man kann in dieser Gesetzgebung den Versuch der Legislative sehen, die politische Entscheidung der Exekutive zu umgehen, die Saudi-Arabien nicht als „state sponsor of terrorism“ designiert hat und so eine Klage auf Grundlage der ersten Terrorismusausnahme, 28 U.S.C. § 1605A, verhinderte.
B. Kanadische Praxis Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität stellt keinen amerikanischen Exzeptionalismus dar. Auch das kanadische Parlament hat im Jahre 2012 eine Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität erlassen.221 Dabei orientiert sich der kanadische Gesetzgeber im Wesentlichen an dem USamerikanischen Modell des 28 U.S.C. § 1605A, wenngleich das kanadische Gesetz in zwei entscheidenden Punkten weiter reicht.222 Bis dato ist erst ein 220 Zur
Vollstreckungsimmunität im Einzelnen s. unten 7. Kapitel: B.I.7. Streets and Communities Act, S.C. 2012, c. 1, kodifiziert in State Immunity Act, R.S.C. 1985, c. S-18, s. 6.1. Im nachfolgenden zitiert als State Immunity Act oder (SIA). 222 S. hierzu unten 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(3) und Pavoni, Italian Y.B. Int’l L. 2011, 143 (150). 221 Safe
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Urteil auf Grundlage der kanadischen Terrorismusausnahme ergangen, welches sich auf die Frage der Zulässigkeit der Vollstreckung US-amerikanischer Urteile, die auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A gegen den Iran ergangen sind, beschränkt.223 Auch im Schrifttum hat die kanadische Terrorismusausnahme bisher kaum Aufmerksamkeit erlangt. Dennoch soll anhand der vorhandenen Materialien der Versuch einer Analyse auch der kanadischen Gesetzgebung unternommen werden. Im folgenden Abschnitt soll dabei zunächst auf die Regelung des Grundsatzes der Staatenimmunität durch den kanadischen State Immunity Act allgemein und sodann im Besonderen auf die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität eingegangen werden. I. Der State Immunity Act 1. Gesetzgebungshistorie
Der kanadische State Immunity Act (SIA) wurde im Jahre 1982 erlassen und sollte erstmals den restriktiven Grundsatz der Staatenimmunität kodifizieren, um Unklarheiten bei der Anwendung des Grundsatzes der Staatenimmunität zu beseitigen.224 Der kanadische State Immunity Act folgte dem Erlass ähn licher Immunitätsgesetze in den USA, 1976, und Großbritannien, 1978.225 Vor der Einführung der Terrorismusausnahme, der jüngsten Ausnahme vom Grundsatz der Staatenimmunität im kanadischen Recht, sah der State Immunity Act Ausnahmen zur Staatenimmunität im Falle eines Verzichts des Staates auf seine Immunität, Sec. 4 SIA, im Falle einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates, Sec. 5 SIA oder im Falle eines gebietsbezogenen Deliktes, Sec. 6 SIA, vor. 2. Systematik
Wie auch der US-amerikanische Foreign Sovereign Immunities Act geht der kanadische State Immunity Act von dem Grundsatz der Staatenimmunität aus, Sec. 3 (1) SIA: „Except as provided by this Act, a foreign state is immune from the jurisdiction of any court in Canada.“
223 Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549. S. hierzu ausführlich sogleich 7. Kapitel: B.II., C.IV. 224 State Immunity Act, RSC 1985, c. S-18 [SIA]; vgl. hierzu Supreme Court (CA), 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 350; Molot/Jewett, Can. Y.B. Int’l L. 1982, 79 (79 ff.). 225 Molot/Jewett, Can. Y.B. Int’l L. 1982, 79 (80 f.).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren177
Die Staatenimmunität kann nur dann beschränkt werden, wenn eine im SIA explizit aufgeführte Ausnahme einschlägig ist. Bei den Ausnahmen zur Staatenimmunität im SIA handelt es sich um eine abschließende Aufzählung; die kanadischen Gerichte legen diese aufgrund des klaren Willens des Parlaments nicht mit Blick auf das Völkerrecht erweiternd oder beschränkend aus.226 Das nationale Recht Kanadas genießt insoweit Vorrang vor dem Völkerrecht.227 3. Staat im Sinne des State Immunity Act
Entscheidend für die Anwendung der Staatenimmunität ist die Definition des Begriffes „fremder Staat“. Im kanadischen State Immunity Act findet sich diese in Sec. 2 SIA: „In this Act, foreign state includes (a) any sovereign or other head of the foreign state or of any political subdivision of the foreign state while acting as such in a public capacity, (b) any government of the foreign state or of any political subdivision of the foreign state, including any of its departments, and any agency of the foreign state, and (c) any political subdivision of the foreign state […].“
Sec. 2 SIA beschränkt sich auf eine allgemeine, nicht abschließend formulierte Definition des „Staates“.228 In Einzelfällen ist eine Gesamtbetrachtung des Sachverhalts und der Definition vorzunehmen, um zu entscheiden, ob ein Beklagter einen Staat im Sinne des SIA darstellt und somit Immunität genießt. Der Supreme Court entschied vor diesem Hintergrund etwa, dass von dem Begriff des „government“ auch „public officials“ erfasst werden.229 Der kanadische State Immunity Act erstreckt sich somit auch auf staatliche Funktionsträger, die im Rahmen ihres Amtes handeln.230 Der Staatsbegriff erstreckt sich zudem auf „agencies“ des Staates. Dabei handelt es sich um „any legal entity that is an organ of the foreign state but that is separate from the foreign state“.231 226 Supreme Court Canada, 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 317; Ontario Court of Appeal, 21.01.2013, Steen Estate v. Iran (Islamic Republic), 2013 ONCA 30, paras 24–28; a. A. Larocque, McGill L.J. 2010, 81 (92 f.). 227 Supreme Court (CA), 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 319 f. 228 Supreme Court (CA), 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 325. 229 Supreme Court (CA), 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 325. 230 S. bereits Ontario Court of Appeal, 17.06.1993, Jaffe v. Miller, 1993 Cars wellOnt 1185. 231 S. Sec. 2 SIA.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Bezug genommen wird hier, wie auch im FSIA, auf selbständige, privatrechtlich gegründete juristische Einheiten. Ob es sich bei einer „agency“ tatsächlich um ein Organ eines fremden Staates handelt, bestimmt sich nach dem tatsächlichen Maß an Kontrolle, das der fremde Staat über die „agency“ ausübt, eine bloße Anteilsmehrheit alleine ist nicht ausreichend.232 II. Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität Wie auch bereits im Rahmen der Besprechung der Terrorismusausnahmen des 28 U.S.C § 1605A, B soll auch an dieser Stelle zunächst der Blick auf die Deliktsausnahme Kanadas gerichtet werden, um den Erlass der Terrorismusausnahme durch den kanadischen Gesetzgeber nachvollziehen zu können, bevor sodann die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität einer näheren Untersuchung unterworfen wird. 1. Deliktsausnahme
Wiederholt versuchten auch in Kanada Opfer von Folter und schweren Menschenrechtsverletzungen auf Grundlage der Deliktsausnahme gegen fremde Staaten zu klagen.233 Die Deliktsausnahme ist in Sec. 6 SIA kodifiziert: „A foreign state is not immune from the jurisdiction of a court in any proceedings that relate to (a) any death or personal or bodily injury, or (b) any damage to or loss of property that occurs in Canada“.
Die kanadische Deliktsausnahme ist im Vergleich zur US-amerikanischen Deliktsausnahme recht kurzgefasst. Nach Sec. 6 SIA ist ein fremder Staat vor kanadischen Gerichten im Falle eines Personen- oder Sachschadens, der innerhalb Kanadas eintritt, nicht immun. Während nach dem Wortlaut der Norm einzig das Eintreten eines Personen- oder Sachschadens innerhalb Kanadas Voraussetzung zur Beschränkung der Staatenimmunität ist, stellte der Supreme Court klar, dass sich auch die staatliche Handlung selbst innerhalb Kanadas zuzutragen habe.234 Aber auch bereits vor der richtungsweisenm. w. N. Yang, State Immunity, S. 274 ff. Supreme Court (CA), 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 320 ff.; Ontario Superior Court of Justice, 01.05.2002, Bouzari v. Islamic Republic of Iran, 124 ILR 427, 436 ff.; Ontario Superior Court of Justice, 28.02.2005, Arar v. Syrian Arab Republic, 155 ILR 368. 234 Supreme Court (CA), 10.10.2014, Kazemi Estate v. Islamic Republic of Iran, 159 ILR 299, 321 ff.; s. ausführlich bereits oben 4. Kapitel: B.II. 232 Hierzu 233 Vgl.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren179
den Entscheidung des Supreme Court vertraten kanadische Gerichte, dass es nicht ausreichend sei, dass sich ein außerhalb Kanadas zugetragener Personenschaden nach Rückkehr des Geschädigten etwa in Form einer psychischen oder physischen Beeinträchtigung fortsetzt; vielmehr müsse der Ort, an dem sich die physische Verletzung selbst ereigne, innerhalb Kanadas liegen.235 In der Praxis läuft diese Auslegung der Deliktsausnahme durch die kanadischen Gerichte insbesondere in Fällen der Folter, bei der die Handlung des fremden Staates sowie der Schadenseintritt außerhalb Kanadas liegen, auf eine äußerst begrenzte Anwendbarkeit der Deliktsausnahme hin, ähnlich wie in den USA.236 2. Terrorismusausnahme
a) Entstehungsgeschichte Vor dem Hintergrund der Unüberwindbarkeit der Staatenimmunität in ällen der Folter aber auch auf Grund extensiven Lobbyismus von Opfern F der Anschläge des 11. September 2001, zu denen auch Kanadier zählten, entbrannte eine Debatte im kanadischen Parlament.237 Verschiedene Gesetzentwürfe, die die Beschränkung der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen vorsahen, wurden seit 2005 in das Parlament eingebracht und erörtert.238 Letztlich setzte sich der Gesetzentwurf durch, der 235 Ontario Superior Court of Justice, 01.05.2002, Bouzari v. Islamic Republic of Iran, 124 ILR, 427, 436: „Section 6 only permits a Canadian court to take jurisdiction if the injury occurs in Canada. The Ontario Court of Appeal has held that this provision can apply to psychological injury or mental distress, but only if that injury arises from or is linked to a physical injury as well, and that injury must occur in Canada (United States of America v. Friedland (1999), 46 OR (3d) 321 at 328; Schreiber v. The Federal Republic of Germany (2001), 52 OR (3d) 577 (CA) at 588–9). In this case, the physical injury, as well as the related psychological injury, occurred in Iran because of acts of torture there. While Mr Bouzari continues to suffer from those injuries in Canada, both physically and mentally, that does not change the fact that the injury occurred in Iran.“; bestätigt durch Ontario Court of Appeal, 30.06.2004, Bouzari v. Islamic Republic of Iran, 128 ILR 586, 597 f.; s. auch Supreme Court Canada, 10.10.2014, Estate of Kazemi v. Iran, 159 ILR 299, 320 ff. 236 So auch Yang, State Immunity, S. 221. 237 Harrington, If not torture, then how about terrorism – Canada amends its State Immunity Act, EJIL Talk, 28.03.2012, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/ifnot-torture-then-how-about-terrorism-canada-amends-its-state-immunity-act/ (Stand: 14.05.2020). 238 Novogrodsky, EJIL 2007, 939 (948 ff.). Siehe zu einem ausführlichen Vergleich der Gesetzentwürfe Ranganathan, Sask. L. Rev. 2008, 343. Vgl. etwa Bill C-483, Redress for Victims of International Crimes Act, 2nd Session, 40th Parliament, 26.11.2009, als Beispiel für den Entwurf einer umfassenden Ausnahme zur Staaten-
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
dem Modell des US-amerikanischen 28 U.S.C. § 1605A folgt.239 Am 13.03.2012 wurde Bill C-10 bekannt als „Safe Streets and Communities Act“ erlassen, der den „Justice for Victims of Terrorism Act“ (JVTA) einführte und den State Immunity Act um eine Ausnahme zur Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus ergänzte.240 Der JVTA sieht in seiner Präambel vor: „An Act to deter terrorism against Canada and Canadians.“241 Ziel des Gesetzes ist „to deter terrorism by establishing a cause of action that allows victims of terrorism to sue perpetrators of terrorism and their supporters.“242 Über den erklärten Gesetzeszweck hinaus ist die Präambel des JVTA mit Blick auf die Motivlage des Parlaments äußerst aufschlussreich. So erklärt das Parlament: „[…] Whereas Canada ratified the 1999 International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism on February 15, 2002; Whereas hundreds of Canadians have been murdered or injured in terrorist attacks; Whereas terrorism is dependent on financial and material support; Whereas certain states that support terrorism should not benefit from state immunity in this regard; And whereas Parliament considers that it is in the public interest to enable plaintiffs to bring lawsuits against terrorists and their supporters, which will have the effect of impairing the functioning of terrorist groups in order to deter and prevent acts of terrorism against Canada and Canadians […].“
Die Auszüge aus der Präambel verdeutlichen, dass das kanadische Parlament durch die Möglichkeit, Staaten wegen der Förderung des Terrorismus auf Schadensersatz zu verklagen, die Förderung terroristischer Organisationen zu unterbinden sucht, um auf diese Weise Terroranschläge zu verhindern. Die Beschränkung der Staatenimmunität soll letztlich ein Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus darstellen, indem die Förderung des Terrorismus und die Funktionsfähigkeit terroristischer Organisationen aufgrund des abschreckenden Effektes potentieller Klagen vor kanadischen Gerichten unterbunden werden soll. Die Bezugnahme auf das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus lässt zudem erkennen, dass immunität im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen, abrufbar unter: https:// openparliament.ca/bills/40-3/C-483/ (Stand: 14.05.2020). 239 Parliament of Canada, Bill C-10, 1st Session, 41st Parliament, 60-61 Elizabeth II, 2011-2012, abrufbar unter: https://www.parl.ca/DocumentViewer/en/41-1/ bill/C-10/royal-assent (Stand: 14.05.2020). 240 Safe Streets and Communities Act, S.C. 2012, c.1, Part 1. 241 Justice for Victims of Terrorism Act (JVTA), S.C. 2012, c.1, s.2. 242 Sec. 3 JVTA.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren181
Kanada durch die Zulassung von Klagen gegen den Terrorismus fördernde Staaten das Völkerrecht durchzusetzen sucht.243 Während der JVTA eine materiellrechtliche Anspruchsgrundlage für Klagen gegen den fremden Staat sowie vollstreckungsrechtliche und andere Einzelheiten regelt, befindet sich die zentrale, die Immunität des fremden Staates betreffende Vorschrift sowie grundlegende Definitionen im State Immunity Act, Sec. 6.1. Am 27.09.2013 wurde die erste Klage auf Grundlage des JVTA erhoben.244 Im Februar 2017 wurde das erste Urteil im Sinne der Kläger auf Grundlage des JVTA und Sec. 6.1. SIA im Falle Tracy v. Iran gefällt und die Staaten immunität des Iran im Vollstreckungsverfahren beschränkt.245 b) Regelungsgegenstand Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität findet sich in Sec. 6.1 (1) SIA unter der Überschrift „Support of Terrorism“ wieder: „6.1 (1) A foreign state that is set out on the list referred to in subsection (2) is not immune from the jurisdiction of a court in proceedings against it for its support of terrorism on or after January 1, 1985.“
Die immunitätsbeschränkende Vorschrift selbst ist recht kurzgehalten. Sie ist in Zusammenschau mit dem Justice for Victims of Terrorism Act zu sehen,246 der in Sec. 4(1) eine Anspruchsgrundlage für Schadensersatzklagen gegen einen fremden Staat statuiert: „Any person that has suffered loss or damage in or outside Canada on or after January 1, 1985 as a result of an act or omission that is, or had it been committed in Canada would be, punishable under Part II.1 of the Criminal Code, may, in any 243 Dieser Wille wird auch mit Blick auf die Definition des „support of terrorism“ deutlich, s. hierzu sogleich 6. Kapitel: B.II.2.b)bb). S. zur Bedeutung des Bezugs zum Völkerrecht im Rahmen der Vornahme einer Gegenmaßnahme 10. Kapitel: A. 244 Bell, Hamas suicide bombing victim files first Canadian lawsuit against Iran under new anti-terrorism laws, The National Post, 29.09.2013, abrufbar unter: https:// nationalpost.com/news/canada/hamas-suicide-bombing-victim-files-first-canadianlawsuit-against-iran-under-new-anti-terrorism-laws (Stand: 14.05.2020). 245 Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549. Bei dem Urteil handelt es sich um eine Entscheidung über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in innerhalb Kandas belegen Vermögensgüter des Iran auf Grundlage von US-amerikanischen Urteilen, s. ausführlich hierzu unten 7. Kapitel: C.IV. Es ist bisher kein Urteil ergangen, das auf die Systematik und den konkreten Regelungsgehalt der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren eingeht (Stand Mai 2020). 246 Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549, Rn. 55: „[…] the two statutes were intended to work in symmetry.“
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
court of competent jurisdiction, bring an action to recover an amount equal to the loss or damage proved to have been suffered by the person and obtain any additional amount that the court may allow from any of the following […] (b) a foreign state whose immunity is lifted under section 6.1 of the State Immunity Act, or listed entity or other person that – for the benefit of or otherwise in relation to the listed entity referred to in paragraph (a) – committed an act or omission that is, or had it been committed in Canada would be, punishable under any of sections 83.02 to 83.04 and 83.18 to 83.23 of the Criminal Code.“
Neben dem Justice for Victims of Terrorism Act ist auch das kanadische Strafgesetzbuch von zentraler Bedeutung in der systemischen Funktionsweise der Terrorismusausnahme des Sec. 6.1 SIA.247 aa) Allgemeine Voraussetzungen Zunächst soll der Blick auf die allgemeinen Voraussetzungen zur Klageerhebung gegen den fremden Staat gerichtet werden, die Designation des fremden Staates, die Möglichkeit zur Schlichtung sowie die Klageberechtigung. (1) Designation des Staates Wie auch im Falle des US-amerikanischen 28 U.S.C. § 1605A ist die Geltendmachung der Immunitätsausnahme des Sec. 6.1 (1) SIA durch die Desig nation des fremden Staates als „state sponsor of terrorism“ durch die Exekutive bedingt. Die Liste der fremden Staaten erfährt in den Sec. 6.1 (2) – (10) SIA eine nähere Regelung. Ein fremder Staat wird durch den Governor in Council auf Vorschlag des Außenministers nach Konsultation des Ministers für Öffentliche Sicherheit und Katastrophenschutz gelistet, Sec. 6.1 (2) SIA. Eine Aufnahme des fremden Staates in die Liste erfolgt, wenn „the Governor in Council is satisfied that there are reasonable grounds to believe that the foreign state supported or supports terrorism“, Sec. 6.1 (2) SIA. Alle zwei Jahre ist die Liste der designierten Staaten zu überprüfen, Sec. 6.1 (7) SIA. Wird die Designation eines Staates während eines gegen ihn laufenden Verfahrens widerrufen, so hat dies keine Auswirkungen auf das laufende Verfahren und die Immunität des fremden Staates, Sec. 6.1 (10) SIA. Das Gesetz sieht keine Möglichkeit für den fremden, designierten Staat vor, die Designation gerichtlich überprüfen zu lassen.248 247 S.
sogleich 6. Kapitel: B.II.2.b)bb), cc). If not torture, then how about terrorism – Canada amends its State Immunity Act, EJIL Talk, 28.03.2012, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/ifnot-torture-then-how-about-terrorism-canada-amends-its-state-immunity-act/ (Stand: 14.05.2020). 248 Harrington,
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren183
Nach Erlass der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität wurden der Iran und Syrien designiert; bis heute wurde diese Designation aufrechterhalten.249 Kanada beendete zudem nach der Designation des Iran die diplomatischen Beziehungen zum Iran, schloss die kanadische Botschaft in Teheran und verwies iranische Diplomaten des Landes.250 Hieran zeigt sich die politische Dimension des Grundsatzes der Staatenimmunität und die Beeinträchtigung der zwischenstaatlichen Beziehungen, die eine Designation und auch die Beschränkung der Immunität des fremden Staates mit sich bringen kann.251 Es zeigt aber auch, dass Kanada möglicherweise nur gewillt ist, solche Staaten zu designieren, mit denen es ohnehin keine diplomatischen Beziehungen anstrebt oder pflegt. Neben dem Iran und Syrien wurden bisher keine weiteren Staaten designiert. (2) Möglichkeit zur Schlichtung Tritt der Personen- oder Sachschaden in dem fremden Staat ein, so hat der Kläger nach Sec. 4(4) JVTA dem fremden Staat eine angemessene Möglichkeit zur Schlichtung des Falles im Einklang mit international anerkannten Regelungen zur Streitbeilegung zu gewähren, bevor er die kanadischen Gerichte anruft. Anderenfalls kann das kanadische Gericht die Klage abweisen. Diese Regelung ist identisch mit der US-amerikanischen Regelung des 28 U.S.C. § 1605A(a)(2)(A)(iii) und lässt sich auf den extraterritorialen Charakter der Regelung des Sec. 6.1 SIA zurückführen.252 (3) Klageberechtigung Die Berechtigung zur Klageerhebung ergibt sich aus Sec. 4(2) JVTA. Der Kläger ist klageberechtigt, wenn er kanadischer Staatsbürger ist, seinen ständigen Wohnsitz in Kanada hat oder aber, wenn der Sachverhalt eine „real and substantial connection“ zu Kanada aufweist.253 An dieser Stelle ist die 249 Order Establishing a List of Foreign State Supporters of Terrorism, SOR/2012170 (zuletzt aktualisiert am 01.05.2020), abrufbar unter: https://laws-lois.justice.gc. ca/eng/regulations/SOR-2012-170/FullText.html (Stand: 14.05.2020). 250 Vgl. Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549, Rn. 17; Coombes, U.N.B. L.J. 2018, 252 (270). 251 So auch Coombes, U.N.B. L.J. 2018, 252 (270). 252 Hierzu bereits oben 4. Kapitel: B.III. und sogleich 6. Kapitel: B.II.2.b)bb)(3); zur Bedeutung dieser Voraussetzung im Kontext der Erfüllung der „local remedies rule“ bei der Vornahme einer Gegenmaßnahme durch einen indirekt verletzten Staat s. unten 10. Kapitel: B.II.2. 253 § 4(2) JVTA: „A court may hear and determine the action referred to in subsection (1) only if the action has a real and substantial connection to Canada or the
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
kanadische Gesetzgebung weiter als die Vorschriften des 28 U.S.C. § 1605A und 28 U.S.C. § 1605B. In Kanada kann nach Sec. 4(2) JVTA jeder gegen einen designierten Staat klagen, der eine ausreichende Verbindung des Sachverhaltes zum kanadischen Staat vortragen kann.254 Mit Blick auf das Vollstreckungsverfahren besteht eine Klageberechtigung in allen Fällen, in denen ein Urteil gegen einen fremden Staat wegen der Unterstützung des Terrorismus gegen einen der in Kanada designierten Staaten erwirkt wurde, gleich welcher Nationalität der Kläger ist oder in welchem Staat das Urteil ergangen ist, Sec. 4(5) JVTA.255 Dies stellt eine erhebliche Erweiterung im Vergleich zur amerikanischen Gesetzgebung dar. bb) Support of terrorism Nach Sec. 6.1 (1) SIA ist ein fremder Staat nicht von der kanadischen Gerichtsbarkeit befreit, wenn dieser Terrorismus unterstützt („support of terrorism“). Eine Definition des „support of terrorism“ findet sich in Sec. 2.1 SIA: „For the purposes of this Act, a foreign state supports terrorism if it commits, for the benefit of or otherwise in relation to a listed entity as defined in subsection 83.01(1) of the Criminal Code, an act or omission that is, or had it been committed in Canada would be, punishable under any of sections 83.02 to 83.04 and 83.18 to 83.23 of the Criminal Code.“
(1) Handlung oder Unterlassung Grundsätzlich erfasst die Definition des „support of terrorism“ eine Handlung des fremden Staates. In Abgrenzung zur US-amerikanischen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A, deren Modell der kanadische Gesetzgeber grundsätzlich folgt, beschränkt der kanadische Gesetzgeber die Immunität zudem ausdrücklich im Falle eines Unterlassens des fremden Staates. Der Wortlaut der Norm schafft hier insoweit, anders als im Falle des 28 U.S.C. § 1605A, Klarheit, wenngleich auch durch die US-amerikanische Rechtsprechung klargestellt wurde, dass etwa das Absehen von der Strafverfolgung terroristischer Operationen auf dem eigenen Staatsgebiet zur Be-
plaintiff is a Canadian citizen or a permanent resident as defined in subsection 2(1) of the Immigration and Refugee Protection Act.“ 254 S. auch Fox/Webb, State Immunity, S. 148; Provost, Canada’s Alien Tort Statute, EJIL Talk, 29.03.2012, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/canadas-alientort-statute/ (Stand: 14.05.2020) 255 Vgl. hierzu ausführlich unten 7. Kapitel: B.II.2.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren185
schränkung der Staatenimmunität auf Grundlage der Terrorismusausnahme führen kann.256 (2) Strafrechtlicher Verstoß Die Handlung oder Unterlassung eines fremden Staates muss einen Verstoß gegen einen der in Sec. 2.1 SIA enumerierten strafrechtlichen Normen des kanadischen Strafgesetzbuches darstellen. Verwiesen wird auf Normen unter der Überschrift „Part II.1 Terrorism“ des kanadischen Criminal Code.257 Bei den Vorschriften handelt es sich zum einen um das Verbot der Terrorismusfinanzierung (financing of terrorism), Sec. 83.02 bis Sec. 83.04 Criminal Code: „Providing or collecting property for certain activities 83.02 Every person is guilty of an indictable offence and liable to imprisonment for a term of not more than 10 years who, directly or indirectly, wilfully and without lawful justification or excuse, provides or collects property intending that it be used or knowing that it will be used, in whole or in part, in order to carry out (a) an act or omission that constitutes an offence referred to in subparagraphs (a) (i) to (ix) of the definition of terrorist activity in subsection 83.01(1), or (b) any other act or omission intended to cause death or serious bodily harm to a civilian or to any other person not taking an active part in the hostilities in a situation of armed conflict, if the purpose of that act or omission, by its nature or context, is to intimidate the public, or to compel a government or an international organization to do or refrain from doing any act. Providing, making available, etc., property or services for terrorist purposes 83.03 Every person is guilty of an indictable offence and liable to imprisonment for a term of not more than 10 years who, directly or indirectly, collects property, provides or invites a person to provide, or makes available property or financial or other related services (a) intending that they be used, or knowing that they will be used, in whole or in part, for the purpose of facilitating or carrying out any terrorist activity, or for the purpose of benefiting any person who is facilitating or carrying out such an activity, or
256 Vgl. hierzu oben 6. Kapitel: A.II.2.b)bb)(2); District Court, 13.04.2017, Foley v. Syrian Arab Republic, 249 F.Supp.3d 186, 204. 257 Criminal Code, R.S.C. 1985, c. C-46; Der „Part II.1 Terrorism“ wurde im Nachgang der Anschläge des 11. September 2001 durch den Anti Terrorism Act (S.C. 2001, c. 41, 18.12.2001) in das kanadische Strafgesetzbuch eingeführt, vgl. ausführlich hierzu Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
(b) knowing that, in whole or part, they will be used by or will benefit a terrorist group. Using or possessing property for terrorist purposes 83.04 Every person is guilty of an indictable offence and liable to imprisonment for a term of not more than 10 years who (a) uses property, directly or indirectly, in whole or in part, for the purpose of facilitating or carrying out a terrorist activity, or (b) possesses property intending that it be used or knowing that it will be used, directly or indirectly, in whole or in part, for the purpose of facilitating or carrying out a terrorist activity.“
Sec. 83.02 Criminal Code ist nahezu identisch mit Art. 2 (1) des Interna tionalen Übereinkommens gegen die Finanzierung des Terrorismus.258 Während Sec. 83.02 Criminal Code ausschließlich die „provision“ oder „collection“ von Eigentum erfasst, geht Sec. 83.03(a) Criminal Code darüber hinaus und erfasst auch die Erbringung von „financial and other related services“, die mit der Absicht oder dem Wissen erbracht werden, dass sie der Begünstigung oder der Durchführung einer terroristischen Aktivität dienen. Die Vorschrift erstreckt sich auch auf die Unterstützung von Personen, die wiederum terroristische Aktivitäten begünstigen oder durchführen. Noch weitreichender ist hingegen Sec. 83.02(b) Criminal Code. Hier wird gänzlich auf einen Nexus zwischen der Unterstützungshandlung und einer terroristischen Aktivität verzichtet. Ausreichend ist hier das Wissen, dass die Unterstützungshandlung ganz oder teilweise von einer terroristischen Vereinigung verwendet wird oder dieser zugutekommt.259 Sec. 2.1 SIA verweist daneben auf das Verbot der Teilnahme an einer Aktivität einer terroristischen Vereinigung, Sec. 83.18 Criminal Code:
258 „Any person commits an offence within the meaning of this Convention if that person by any means, directly or indirectly, unlawfully and wilfully, provides or collects funds with the intention that they should be used or in the knowledge that they are to be used, in full or in part, in order to carry out: (a) An act which constitutes an offence within the scope of and as defined in one of the treaties listed in the annex; or (b) Any other act intended to cause death or serious bodily injury to a civilian, or to any other person not taking an active part in the hostilities in a situation of armed conflict, when the purpose of such act, by its nature or context, is to intimidate a population, or to compel a government or an international organization to do or to abstain from doing any act.“ United Nations International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism (verabschiedet am 09.12.1999, in Kraft seit dem 0.04.2002) 2178 UNTS 197. 259 Hierzu Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122 (135).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren187 „Participation in activity of terrorist group 83.18 (1) Every person who knowingly participates in or contributes to, directly or indirectly, any activity of a terrorist group for the purpose of enhancing the ability of any terrorist group to facilitate or carry out a terrorist activity is guilty of […].“
Auch diese Vorschrift ist weit gefasst.260 Erfasst wird nicht nur die Teilnahme an Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung, sondern auch eine direkte oder indirekte Zuwendung an eine terroristische Vereinigung, mit dem Ziel der Förderung der Fähigkeiten einer terroristischen Vereinigung, terroristische Aktivitäten durchzuführen. Ebenfalls erfasst ist das „facilitating“ einer „terrorist activity“ durch einen Verweis auf Sec. 83.19 Criminal Code: „Facilitating terrorist activity 83.19 (1) Everyone who knowingly facilitates a terrorist activity is guilty of an indictable offence and liable to imprisonment for a term not exceeding fourteen years. Facilitation (2) For the purposes of this Part, a terrorist activity is facilitated whether or not (a) the facilitator knows that a particular terrorist activity is facilitated; (b) any particular terrorist activity was foreseen or planned at the time it was facilitated; or (c) any terrorist activity was actually carried out.“
Bei dieser Vorschrift ist besonders hervorzuheben, dass nach Sec. 83.19 (2)(a) Criminal Code weder Kenntnis einer bestimmten („particular“) terroristischen Aktivität vorausgesetzt wird, noch, dass eine bestimmte terroristische Aktivität zum Zeitpunkt der Förderung bereits vorhergesehen oder geplant war oder eine terroristische Aktivität tatsächlich ausgeführt wurde.261 Darüber hinaus führt auch die Beauftragung mit der Durchführung von Handlungen für eine terroristische Vereinigung zur Beschränkung der Staatenimmunität nach Sec. 2.1 SIA und Sec. 83.21 Criminal Code: „Instructing to carry out activity for terrorist group 83.21 (1) Every person who knowingly instructs, directly or indirectly, any person to carry out any activity for the benefit of, at the direction of or in association with a terrorist group, for the purpose of enhancing the ability of any terrorist group to facilitate or carry out a terrorist activity, is guilty of an indictable offence and liable to imprisonment for life.“
Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122 (137). Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122 (138).
260 Hierzu 261 Krit.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Schließlich verweist Sec. 2.1 SIA auf das Verbot des „harbouring“ oder „concealing“ von Personen, die eine terroristische Aktivität ausgeführt haben oder mit aller Wahrscheinlichkeit ausführen werden, Sec. 83.23 Criminal Code: „Concealing person who carried out terrorist activity 83.23 (1) Every person who knowingly harbours or conceals another person whom they know to be a person who has carried out a terrorist activity, for the purpose of enabling that other person to facilitate or carry out any terrorist activity, is guilty of […] Concealing person who is likely to carry out terrorist activity (2) Every person who knowingly harbours or conceals another person whom they know to be a person who is likely to carry out a terrorist activity, for the purpose of enabling that other person to facilitate or carry out any terrorist activity, is guilty of […].262
(3) Handlungs- und Erfolgsort Nach Sec. 6.1 (1) SIA i. V. m. Sec. 2.1 SIA kann der Handlungsort sowohl innerhalb als auch außerhalb Kanadas liegen („an act or omission that is, or had it been committed in Canada“). Die Terrorismusausnahme zur Staaten immunität erfasst also auch Handlungen des fremden Staates außerhalb ka nadischen Staatsgebiets, solange diese Handlungen einen Verstoß gegen Part II.1 des kanadischen Criminal Code darstellen.263 Die extraterritoriale Anwendung der kanadischen Terrorismusausnahme kommt hier 28 U.S.C. § 1605A gleich. Aus Sec. 4 (1) des JVTA ergibt sich zudem, dass auch der Erfolgsort, also der Ort an dem der Personen- oder Sachschaden eintritt, innerhalb oder außerhalb Kanadas liegen kann.264 Auch hier ist die kanadische Terrorismusausnahme identisch mit 28 U.S.C. § 1605A. Zudem liegt in der extraterritorialen Anwendbarkeit der kanadischen Terrorismusausnahme der entscheidende Unterschied zur kanadischen Deliktsausnahme, welche die Beschränkung der Staatenimmunität nur in solchen Fällen vorsieht, in denen der Schaden innerhalb Kanadas eintritt.265
262 Eine ausführliche Besprechung der Sec. 83.18 – § 83.23 Criminal Code mit Blick auf die Strafbarkeit von natürlichen Personen findet sich in Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122 (134 ff.). 263 Library of Parliament, Legislative Summary Bill C-10, PUBLICATION NO. 41-1-C10-E, 17.02.2012, S. 10. 264 Ibid. 265 S. oben 4. Kapitel: B.II.1.; 6. Kapitel: B.II.1.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren189
(4) For the benefit of a listed entity Die Handlung oder Unterlassung des fremden Staates muss zum Vorteil für oder in Bezug zu einer „listed entity“ erfolgt sein („for the benefit of or otherwise in relation to a listed entity“). Die Definition einer „listed entity“ folgt aus dem kanadischen Strafgesetzbuch, Sec. 2.1 SIA i. V. m. Sec. 83.01 (1) Criminal Code. Demnach handelt es sich bei einer „listed entity“ um eine „entity“, die durch den Governor in Council auf einer Liste gemäß Sec. 83.05 Criminal Code designiert wurde, Sec. 83.01 (1) Criminal Code. Die Designation der „entities“ erfolgt wie auch bei der Designation der Staaten selbst.266 Ausschlaggebendes Kriterium einer Designation ist die Ausübung einer „terrorist activity“.267 Auf dieser Liste finden sich eine Vielzahl terroristischer Organisationen, unter anderem Al Qaida, Hamas und Hisbollah.268 Die Immunität eines fremden Staates wird somit in Fällen beschränkt, in denen der Staat eine „listed entity“ unterstützt, die wiederum eine „terrorist activity“ ausübt. Aus Sec. 4 (1) JVTA folgt, dass die terroristischen Aktivitäten zu einem Personen- oder Sachschaden geführt haben müssen. cc) Terrorist activity Die Immunität des Staates kann nicht ausschließlich nach Sec 6.1 (1) SIA wegen der Unterstützung des Terrorismus aufgehoben werden, sondern auch für eine terroristische Aktivität („terrorist activity“) des Staates selbst, Sec. 6.1 (11) SIA. „Where a court of competent jurisdiction has determined that a foreign state, set out on the list in subsection (2), has supported terrorism, that foreign state is also not immune from the jurisdiction of a court in proceedings against it that relate to terrorist activity by the state.“
266 In Sec. 83.05 (1) Criminal Code heißt es: „The Governor in Council may, by regulation, establish a list on which the Governor in Council may place any entity if, on the recommendation of the Minister of Public Safety and Emergency Preparedness, the Governor in Council is satisfied that there are reasonable grounds to believe that (a) the entity has knowingly carried out, attempted to carry out, participated in or facilitated a terrorist activity; or (b) the entity is knowingly acting on behalf of, at the direction of or in association with an entity referred to in paragraph (a).“ 267 Zur Definition von „terrorist activity“ s. sogleich 6. Kapitel: B.II.2.b)cc). 268 Regulations Establishing a List of Entities, SOR/2002-284, zuletzt geändert am 21.04.2020, abrufbar unter: https://laws-lois.justice.gc.ca/eng/regulations/SOR-2002284/page-1.html (Stand: 14.05.2020).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Wenngleich diese Vorschrift zunächst durchaus verwunderlich scheint, da es nur konsequent sein kann, dass ein Staat, wenn er bereits für die Unterstützung des Terrorismus seine Immunität verliert, dies erst recht für unmittelbar terroristische Aktivität des Staates begründende Handlungen gelten muss, so zeigt ein Vergleich zu früheren Gesetzentwürfen die klarstellende Bedeutung dieser Norm. So sahen frühere Gesetzentwürfe keine Beschränkung der Immunität des fremden Staates in Fällen vor, in denen terroristische Aktivitäten des Staates selbst, ohne die Beteiligung terroristischer Gruppierungen ausgeführt wurden.269 Der kanadische Gesetzgeber sorgt mithin durch Sec. 6.1 (11) SIA für Klarheit. Ein Staat soll demnach auch für unmittelbar eine terroristische Aktivität begründendes Handeln keine Immunität genießen, ungeachtet dessen, ob, wie in Sec. 6.1 (1), Sec. 2.1 SIA, eine „listed entity“ an der konkreten Handlung beteiligt war. Das Vorliegen einer „terrorist activity“ ist neben der Immunitätsbeschränkung nach Sec. 6.1 (11) SIA auch für die Designation einer Terrororganisation, einer „listed entity“ im Sinne des Sec. 2.1 SIA,270 für deren Unterstützung die Immunität des fremden Staates nach Sec 6.1 (1) SIA beschränkt werden kann, entscheidendes Kriterium. Der genaue Inhalt dessen, was von „terrorist activity“ umfasst wird, ergibt sich aus Sec. 2 SIA i. V. m. Sec. 83.01 (1) Criminal Code. Hierbei handelt es sich um eine komplexe Definition, die sich auf eine Handlung oder ein Unterlassen innerhalb oder außerhalb Kanadas erstreckt.271 Sec. 83.01 (1)(a) Criminal Code besteht aus zehn Unter absätzen und definiert eine terroristische Aktivität unter Bezugnahme auf konkrete Straftaten in Sec. 7 Criminal Code, insoweit diese internationale Übereinkommen und damit zusammenhängende Protokolle im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus implementieren: „terrorist activity means (a) an act or omission that is committed in or outside Canada and that, if committed in Canada, is one of the following offences: (i) the offences referred to in subsection 7(2) that implement the Convention for the Suppression of Unlawful Seizure of Aircraft, signed at The Hague on December 16, 1970, (ii) the offences referred to in subsection 7(2) that implement the Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Civil Aviation, signed at Montreal on September 23, 1971, (iii) the offences referred to in subsection 7(3) that implement the Convention on the Prevention and Punishment of Crimes against Internationally Protected Per-
hierzu Ranganathan, Sask. L. Rev. 2008, 343 (360). oben 6. Kapitel: B.II.2.b)bb)(5). 271 Hierzu auch Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122 (126). 269 Ausführlich 270 Vgl.
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren191 sons, including Diplomatic Agents, adopted by the General Assembly of the United Nations on December 14, 1973, (iv) the offences referred to in subsection 7(3.1) that implement the International Convention against the Taking of Hostages, adopted by the General Assembly of the United Nations on December 17, 1979, (v) the offences referred to in subsection 7(2.21) that implement the Convention on the Physical Protection of Nuclear Material, done at Vienna and New York on March 3, 1980, as amended by the Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Material, done at Vienna on July 8, 2005 and the Internation al Convention for the Suppression of Acts of Nuclear Terrorism, done at New York on September 14, 2005, (vi) the offences referred to in subsection 7(2) that implement the Protocol for the Suppression of Unlawful Acts of Violence at Airports Serving International Civil Aviation, supplementary to the Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Civil Aviation, signed at Montreal on February 24, 1988, (vii) the offences referred to in subsection 7(2.1) that implement the Convention for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Maritime Navigation, done at Rome on March 10, 1988, (viii) the offences referred to in subsection 7(2.1) or (2.2) that implement the Protocol for the Suppression of Unlawful Acts against the Safety of Fixed Platforms Located on the Continental Shelf, done at Rome on March 10, 1988, (ix) the offences referred to in subsection 7(3.72) that implement the International Convention for the Suppression of Terrorist Bombings, adopted by the General Assembly of the United Nations on December 15, 1997, and (x) the offences referred to in subsection 7(3.73) that implement the International Convention for the Suppression of the Financing of Terrorism, adopted by the General Assembly of the United Nations on December 9, 1999 […].“
Erfasst wird etwa die rechtswidrige Beschlagnahme von Flugzeugen, die Geiselnahme, terroristische Bombenanschläge und die Finanzierung des Terrorismus.272 Besonders hervorzuheben im Rahmen der Definition einer „terrorist activity“ ist die Bezugnahme des kanadischen Gesetzgebers auf völkerrechtliche Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus. Hier zeigt sich die, auch im Rahmen des US-amerikanischen 28 U.S.C § 1605A bestehende, besondere Ausprägung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität als Instrument zur Durchsetzung des Völkerrechts durch die nationale Gerichtsbarkeit.273 Als Auffangtatbestand sieht Sec. 81.03 (1) Criminal Code daneben eine abstrakt gefasste Terrorismusdefinition vor.274 hierzu auch Roach, Sing. J. Legal Stud. 2002, 122 (126 f.). zu 28 U.S.C. § 1605A oben 6. Kapitel: A.II.2.b)bb) und c). 274 Sec. 83.01 (1): „terrorist activity means […] (b) an act or omission, in or outside Canada, (i) that is committed 272 Vgl. 273 S.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
dd) Kausalität Die Vorschriften des SIA und JVTA gehen nicht näher auf die Kausalität zwischen der Unterstützungshandlung des Staates, dem terroristischen Akt und dem Personen- oder Sachschaden ein. Unklar ist, ob die Unterstützungshandlung des Staates, etwa die allgemeine Finanzierung einer Terrororganisation, ausreicht, um die Immunität des Staates zu beschränken, ohne, dass ein kausaler Nexus zwischen der Unterstützungshandlung des Staates und einem konkreten terroristischen Akt, durch den es zu einem Personen- oder Sachschaden gekommen ist, bestehen muss. Die strafrechtlichen Vorschriften, auf die nach dem SIA und dem JVTA im Rahmen der Prüfung der Staatenimmunität Bezug genommen werden soll, stellen teilweise bereits die Förderung einer terroristischen Vereinigung unter Strafe, unabhängig davon, ob eine bestimmte terroristische Aktivität zum Zeitpunkt der Förderung bereits vorgesehen oder geplant war oder eine terroristische Aktivität tatsächlich ausgeführt wurde, Sec. 83.19 Criminal Code.275 Eine kausale Verbindung zu einem konkreten terroristischen Akt selbst oder dem Sach- oder Personenschaden wird hier gerade nicht vorausgesetzt. Es bleibt jedoch ab(A) in whole or in part for a political, religious or ideological purpose, objective or cause, and (B) in whole or in part with the intention of intimidating the public, or a segment of the public, with regard to its security, including its economic security, or compelling a person, a government or a domestic or an international organization to do or to refrain from doing any act, whether the public or the person, government or organization is inside or outside Canada, and (ii) that intentionally (A) causes death or serious bodily harm to a person by the use of violence, (B) endangers a person’s life, (C) causes a serious risk to the health or safety of the public or any segment of the public, (D) causes substantial property damage, whether to public or private property, if causing such damage is likely to result in the conduct or harm referred to in any of clauses (A) to (C), or (E) causes serious interference with or serious disruption of an essential service, facility or system, whether public or private, other than as a result of advocacy, protest, dissent or stoppage of work that is not intended to result in the conduct or harm referred to in any of clauses (A) to (C), and includes a conspiracy, attempt or threat to commit any such act or omission, or being an accessory after the fact or counselling in relation to any such act or omission, but, for greater certainty, does not include an act or omission that is committed during an armed conflict and that, at the time and in the place of its commission, is in accordance with customary international law or conventional international law applicable to the conflict, or the activities undertaken by military forces of a state in the exercise of their official duties, to the extent that those activities are governed by other rules of international law.“ 275 S. oben 6. Kapitel: B.II.2.b)bb)(2).
6. Kap.: Terrorismusausnahme im Erkenntnisverfahren193
zuwarten, wie die Gerichte die strafrechtlichen Vorschriften im Rahmen der Prüfung der Staatenimmunität tatsächlich anwenden und interpretieren. Der Ontario Court of Appeal geht im Falle Tracy v. Iran davon aus, dass zwischen der Unterstützungshandlung des Staates und einem konkreten terroristischen Akt eine Verbindung bestehen muss, die der Kläger zu beweisen hat: „Reading a criminal standard of proof into an element of the cause of action under the JVTA defeats the clear legislative purpose of the statute. It would take tremendous financial resources, perhaps beyond any potential financial recovery, to prove a state’s material support of a terrorist organization, and a connection to a particular terrorist act, beyond a reasonable doubt. Moreover, imposing a criminal standard to an element of the cause of action would be inconsistent with Canadian jurisprudence that, in civil cases, there is only one standard of proof – the standard of ‚balance of probabilities‘.“276 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Diese Verbindung soll jedoch nicht dem strengen strafrechtlichen Beweismaß („beyond a reasonable doubt“), sondern dem zivilrechtlichen Standard des „balance of probabilities“, also einer Abwägung der Wahrscheinlichkeiten, unterliegen.277 Durch das kanadische Gericht wird, wie auch im US-amerikanischen Recht, ein Ausgleich zwischen den beachtlichen beweisrechtlichen Hürden, die Kläger in Terrorismusverfahren antreffen einerseits und der Gefahr einer bloß pauschalen Verurteilung des Staates andererseits getroffen. Es bleibt abzuwarten, ob Gerichte in Zukunft hierzu ausführlicher Stellung nehmen werden, wenn, anders als im Falle Tracy v. Iran, der die Zulässigkeit der Vollstreckung amerikanischer Urteile innerhalb Kanadas zum Gegenstand hatte, die Frage der Beschränkung der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren und somit Beweisfragen im Vordergrund stehen. c) Zusammenfassung Die Terrorismusausnahme des kanadischen State Immunity Act fungiert ähnlich wie die des 28 U.S.C. § 1605A. Die Immunität des fremden Staates kann nur dann aufgehoben werden, wenn dieser durch die Exekutive als „state sponsor of terrorism“ designiert wird. Die Immunität wird für Handlungen des Staates im Zusammenhang mit dem Terrorismus beschränkt. Dabei werden die entsprechenden Handlungen konkret unter Bezugnahme auf 276 Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549, Rn. 65 So auch Library of Parliament, Legislative Summary Bill C-10, PUBLICATION NO. 41-1-C10-E, 17.02.2012, S. 11. 277 Zum Beweismaß des „balance of probabilities“ und der Überzeugung des Richters vgl. Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht, S. 27 ff.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
das kanadische Strafgesetzbuch und internationale Übereinkommen definiert. Die Vorschrift des Sec. 6.1 SIA verzichtet, wie auch 28 U.S.C. § 1605A, auf einen territorialen Nexus zum Forumstaat und erstreckt sich auf Sachverhalte, die sich gänzlich im Ausland zutragen. Ein entscheidender Unterschied zur US-amerikanischen Modelgesetzgebung besteht hinsichtlich der Klageberechtigung – diese ist in Kanada weiter gefasst. Hier ist eine Staatsbürgerschaft oder ein ständiger Aufenthaltsort in Kanada keine Voraussetzung zur Klageerhebung, ausreichend ist vielmehr eine „real and substantial connection“ des Sachverhalts zu Kanada. Anders als in den USA sieht die kanadische Immunitätsausnahme jedoch keine Beschränkung der Immunität des fremden Staates in Fällen der Folter vor.278 Dies ist eine erhebliche Einschränkung im Vergleich zur US-amerikanischen Immunitätsausnahme des 28 U.S.C. § 1605A. Bisher ist mit Ausnahme im Bereich der Vollstreckung noch kein Urteil gegen einen fremden Staat auf Grundlage der Terrorismusausnahme ergangen, so dass viele Detailfragen bisher nicht adressiert wurden. Eine von Kritikern befürchtete Klagewelle ist ausgeblieben. Dies lässt sich möglicherweise auch darauf zurückführen, dass Fälle der Folter nicht von Sec. 6.1 SIA erfasst werden. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in Zukunft Gegenstand von Verfahren vor kanadischen Gerichten sein wird. 7. Kapitel
Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren in der US-amerikanischen und kanadischen Praxis Die Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität in den USA und Kanada sehen nicht nur eine Beschränkung der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren sondern auch im Vollstreckungsverfahren vor. Insbesondere in den USA wurde die Immunität des fremden Staates im Vollstreckungsverfahren seit Erlass der Terrorismusausnahme im Jahre 1996 durch eine Reihe von 278 S. Library of Parliament, Legislative Summary Bill C-10, PUBLICATION NO. 41-1-C10-E, 17.02.2012, S. 6 f.; Supreme Court (CA), 10.10.2014, Kazemi Estate v. Islamic Republic of Iran, 159 ILR 299, 314 f.; Fox/Webb, State Immunity, S. 473; Harrington, If not torture, then how about terrorism – Canada amends its State Immunity Act, EJIL Talk, 28.03.2012, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/if not-torture-then-how-about-terrorism-canada-amends-its-state-immunity-act/ (Stand: 14.05.2020); Provost, Canada’s Alien Tort Statute, EJIL Talk, 29.03.2012, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/canadas-alien-tort-statute/ (Stand: 14.05.2020).
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren195
Einzelgesetzen detailliert geregelt. Neben der Darstellung der Gesetzgebung zur Beschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus in den USA und Kanada liegt ein Schwerpunkt des folgenden Kapitels auf der Frage nach der Effektivität einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität. Bei der Bewertung der Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren sind die Besonderheiten der Vollstreckungsimmunität fremder Staaten zu berücksichtigen, die sich, wie es sogleich aufzuzeigen gilt, von jenen des Erkenntnisverfahrens zu unterscheiden. Vorab wird daher der Blick allgemein auf die Immunität der Staaten im Vollstreckungsverfahren gerichtet.279 In diesem Rahmen zeigt sich, dass die Durchbrechung der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren bis heute engeren Voraussetzungen unterliegt, als im Erkenntnisverfahren. Dieses Ergebnis wiederum ist grundlegend für eine Analyse der Effektivität der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, die nicht losgelöst von grundsätzlichen Problematiken im Bereich der Vollstreckung in staatliche Vermögensgüter betrachtet werden kann. Sodann wendet sich die Arbeit der Darstellung der US-amerikanischen und kanadischen Regelungen zur Einschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des Terrorismus zu.280 Schließlich steht die Frage nach der Effektivität der Terrorismusausnahme im Vordergrund. In diesem Rahmen soll zunächst die Bedeutung eines Urteils für Kläger jenseits vollstreckungsrechtlicher Erfolge eine nähere Betrachtung erfahren.281 Abschließend untersucht die Verfasserin das Vorliegen von bis dato erfolgten, erfolgreichen Vollstreckungen in staatliche Vermögensgüter.282
A. Der Grundsatz der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren I. Überblick Während die Immunität eines Staates im Erkenntnisverfahren hinsichtlich nicht hoheitlichen Handelns des Staates bereits im späten neunzehnten Jahrhundert eine erste grundlegende Einschränkung erfuhr, die sich Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als mehrheitlicher Konsens völkergewohnheitsrechtlich etablierte,283 wurde die absolute Immunität der Staaten im Vollstreckungsverfahren wesentlich länger aufrechterhalten. Selbst jene Staaten, die 279 S.
unten 7. Kapitel: A. unten 7. Kapitel: B. 281 S. unten 7. Kapitel: C.I. 282 S. unten 7. Kapitel: C.II., III. 283 S. oben 2. Kapitel: F. 280 S.
196
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
eine Vorreiterrolle bei der Beschränkung der absoluten Staatenimmunität im gerichtlichen Erkenntnisverfahren einnahmen, hielten noch Jahrzehnte an der absoluten Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren fest.284 Inzwischen ist jedoch im Grundsatz auch die Relativierung der Vollstreckungsimmunität anerkannt.285 So führte etwa das Schweizer Bundesgericht in dem prominenten Fall Julius Bär zur Begründung der Einschränkung der absoluten Vollstreckungsimmunität aus, dass ohne die Möglichkeit zur Vornahme von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung das Wesen eines Gerichtsurteils wegfalle, nämlich die Vollstreckbarkeit auch gegen den Willen der Partei und sich das Urteil auf einen bloßen rechtlichen Hinweis reduziere.286 Tatsächlich verliert die Relativierung der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren weitgehend an Bedeutung, wenn die Durchsetzung des Urteils ohne oder gegen den Willen des verurteilten Staates von vornherein nicht möglich ist.287 Auch für potentielle Kläger besteht kaum ein Anreiz, den langwierigen und kostspieligen Weg des Klageverfahrens gegen einen fremden Staat zu bestreiten, wenn nicht zumindest die Aussicht auf die Durchsetzung der im Erkenntnisverfahren erwirkten, titulierten Ansprüche besteht.288 Die Aussage Schreuers ist hier sehr bezeichnend: „In fact, allowing the plaintiffs to proceed against foreign States and then to withhold from them the fruits of successful litigation through immunity from execution may put them into the doubly frustrating position of having been lured into expen-
284 So hielt etwa Belgien an der absoluten Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren bis in die 1950er Jahre fest, Tribunal civil de Bruxelles (BE), 30.04.1951, Socobel c. l’Etat hellènique et la banque de Grèce, 79 Clunet 244; 18 ILR 3, 6, während die Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren für acta iure gestionis bereits 1879 eingeschränkt wurde, s. oben 2. Kapitel: G.II. Aber auch in Italien, das erstmals im Jahre 1886 die Immunität eines Staates im Erkenntnisverfahren für privatwirtschaftliches Handeln einschränkte, s. oben 2. Kapitel: G.II., war die Zulässigkeit vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen gegen einen fremden Staat bis in die 1990er Jahre durch die Zustimmung des Justizministers bedingt, s. hierzu ausführlich unten 7. Kapitel: A.II. 285 Fox/Webb, State Immunity, S. 484 ff.; Yang, State Immunity, S. 343 ff.; eine ausführliche Untersuchung der europäischen Staatenpraxis findet sich in Reinisch, EJIL 2006, 803 (803 ff.). 286 Bundesgericht (CH), 06.06.1956, Royaume de Grèce v. Banque Julius Bär & Cie, BGE 82 I 75, 88 f. Rn. 10: „[…] il faut admettre aussi qu’il peut faire en Suisse l’objet des mesures propres à assurer l’exécution forcée du jugement rendu contre lui. Sinon ce jugement serait dépourvu de ce qui est l’essence même de la sentence d’un tribunal, à savoir qu’elle peut être exécutée même contre le gré de la partie condamnée. Il serait réduit à n’être qu’un simple avis de droit.“ 287 Crawford, AJIL 1981, 820 (854); Schreuer, State Immunity, S. 125. 288 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 22; Schreuer, State Immunity, S. 125.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren197 sive and seemingly successful lawsuits only to be left with an unenforceable judgment plus legal costs.“289
Inzwischen hat sich daher bei der Mehrheit der Staaten der Grundsatz durchgesetzt, dass die Immunität eines Staates im Vollstreckungsverfahren nicht nur dann aufgehoben werden kann, wenn dieser auf seine Immunität verzichtet, sondern die Vollstreckung auch gegen oder ohne den Willen eines Staates in Vermögensgüter erfolgen kann, die keiner hoheitlichen Funktion dienen.290 Anders als bei der Unterscheidung zwischen acta iure gestionis und acta iure imperii auf Ebene des Erkenntnisverfahrens, bei der eine Staatenmehrheit die Natur der Handlung als entscheidendes Kriterium zur Klassifizierung staatlichen Handelns erachtet,291 erfolgt eine Differenzierung zwischen hoheitlichen und nicht hoheitlichen Vermögensgütern mit Blick auf die Vollstreckbarkeit danach, welchem Zweck die Vermögensgüter konkret dienen.292 Über diesen Grundsatz hinaus besteht in den Gesetzen und internationalen Konventionen zur Staatenimmunität jedoch ein ausdifferenziertes Regelungsregime zur Beschränkung der Vollstreckungsimmunität eines Staates sowie ein beachtliche Fülle an Rechtsprechung.293 II. Restriktive Handhabung der Vollstreckungsimmunität und Einfluss der Exekutive Wenngleich die Durchbrechung der Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren mittlerweile anerkannt ist, wird die Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität eines Staates bis heute, aufgrund der möglichen politischen Implikationen und der höheren Eingriffsintensität in die Souveränität des fremden Staates,294 in den Immunitätsgesetzen und der Rechtsprechung der Staaten vielfach weitaus restriktiver gehandhabt, als die Durchbrechung der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren.295 Zudem genießt ein Staat hin-
289 Schreuer,
State Immunity, S. 125. State Immunity, S. 392 ff.; vgl. Art. 19 (c) UNCJIS; Art. VIII A 2 ILA Draft Convention, Sec. 13(4) UK-SIA; 28 U.S.C. § 1610(a)(2); BVerfGE 46, 342, 367; BVerfGE, 64, 1, 23 ff. 291 S. oben 2. Kapitel: G.III.2. 292 Bouchez, NYIL 1979, 3 (25); Reinisch, EJIL 2006, 803 (807 ff.); Yang, State Immunity, S. 362 ff. 293 Ausführlich hierzu Fox/Webb, State Immunity, S. 484 ff. Zur europäischen Praxis Reinisch, EJIL 2006, 803: „The practice of national courts in Europe with regard to enforcement immunity is far from uniform.“ 294 S. oben 2. Kapitel: C. 295 Reinisch, EJIL 2006, 803 (805 f.); Schreuer, State Immunity, S. 126; Yang, State Immunity, S. 348. 290 Yang,
198
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
sichtlich bestimmter Vermögensgüter, etwa staatlicher Zentralbankkonten, besonderen Vermögensschutz.296 In jüngerer Zeit bestehen zudem Tendenzen, die Vollstreckung in Ver mögensgüter fremder Staaten zu erschweren und ausländisches Eigentum zu schützen. Frankreich führte im Jahr 2016 erstmals durch das „Gesetz Nr. 2016-1691 vom 9. Dezember 2016 über Transparenz, Korruptionsbekämpfung und Modernisierung des Wirtschaftslebens (Sapin II)“297 Regelungen zur Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren ein. Neben einer Reihe von Ergänzungen zur Beschränkung von Zwangsmaßnahmen gegen staat liche Vermögensgüter führt Artikel 59 des Sapin II Gesetzes als Bedingung zur Vollstreckung in Vermögensgüter fremder Staaten ein gerichtliches Genehmigungsverfahren ein. Der Gläubiger hat zur Durchführung der Vollstreckung in Vermögensgüter eines fremden Staates, die in Frankreich belegen sind, zunächst bei Gericht einen Antrag auf Zustimmung zur Vollstreckung zu stellen, der durch einen Richter zu bescheiden ist.298 Diese Regelungen waren innerstaatlich höchst umstritten, da die Vollstreckung in Vermögensgüter fremder Staaten erheblich erschwert und staatliche Interessen in den Vordergrund gestellt würden.299 Von Opponenten wurde Art. 59 des Sapin II Gesetzes auch „l’amendement Poutine“ genannt, da das Gesetz als Reaktion auf Vollstreckungsverfahren in Frankreich gegen russische Vermögensgüter im Anschluss an das Yukos Schiedsverfahren erlassen wurde.300 Als Blaupause für die französischen Regelungen kann das bereits 2015 in Belgien 296 Hierzu Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 22; Yang, State Immunity, S. 404 ff. 297 Loi n° 2016-1691 du 9 décembre 2016 relative à la transparence, à la lutte contre la corruption et à la modernisation de la vie économique, Journal Officiel du 10 Décembre 2016, n° 287, texte n°2 abrufbar unter: https://www.legifrance.gouv.fr/ eli/loi/2016-/12/9/ECFM1605542L/jo/texte (Stand: 14.05.2018). 298 Art. 59 ergänzt den französischen Code des Procédures Civiles d’Exécution, Art. L. 111-1-1: „Des mesures conservatoires ou des mesures d’exécution forcée ne peuvent être mises en œuvre sur un bien appartenant à un Etat étranger que sur autorisation préalable du juge par ordonnance rendue sur requête.“; s. hierzu auch Audit/ Angelet/van den Bossche, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 382. 299 Vgl. m. w. N. zu den parlamentarischen Debatten: Bismuth, Clunet 2018, Rn. 1 ff.; Gaillard, La Russie veut faire croire que ce sont les autres Etats qui violent le droit, Les Echos, 09.06.2016, abrufbar unter: https://www.lesechos.fr/2016/ 06/e-gaillard-la-russie-veut-faire-croire-que-ce-sont-les-autres-etats-qui-violent-ledroit-208338 (Stand 14.05.2020); Grandaubert, France Legislates on State Immunity from Execution: How to kill two birds with one stone?, EJIL Talk, 23.01.2017, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/france-legislates-on-state-immunity-from-execu tion-how-to-kill-two-birds-with-one-stone/ (Stand 14.05.2020). 300 Nodé-Langlois, L’ „amendement Poutine“ adopté dans la loi Sapin 2, Le Figaro, 10.06.2016, abrufbar unter http://www.lefigaro.fr/conjoncture/2016/06/10/
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren199
erlassene Gesetz zur Regelung der Vollstreckungsimmunität gesehen werden, dass ebenfalls ein gerichtliches Genehmigungsverfahren einführte.301 Die Vollstreckung in staatliches Eigentum wird für Gläubiger künftig mit weitaus mehr Hürden gespickt sein.302 Auch der Einfluss der Exekutive auf die Entscheidung des Gerichts über die Aufhebung der Immunität, welcher im Rahmen der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren weitestgehend zurückgedrängt wurde,303 findet sich auf der Ebene der Vollstreckungsimmunität noch heute wieder.304 So bedarf es etwa in Griechenland zur Vornahme gerichtlich veranlasster Zwangsmaßnahmen gegen einen fremden Staat der vorherigen Zustimmung des Justizministers.305 Gleiches gilt für einstweilige Zwangsmaßnahmen.306 Auch in Kroatien hat der Justizminister vorab die Zustimmung zur Vornahme von Vollstreckungsmaß200022016061-0ARTFIG00199-l-amendement-poutine-adopte-dans-la-loi-sapin-2. php (Stand 14.05.2020). 301 Vgl. Loi insérant dans le Code judiciaire un article 1412 quinquies régissant la saisie de biens appartenant à une puissance étrangère ou à une organisation supranationale ou internationale de droit public, 23.08.2015, abrufbar unter: http:// www.ejustice.just.fgov.-be/cgi_loi/change_lg.pl?language=fr&la=F&cn=2015082313 &table_name=loi (Stand: 14.05.2020); s. hierzu Bismuth, Clunet 2018, Rn. 10. 302 Bismuth, Clunet 2018, Rn. 5 ff. 303 So etwa in den USA durch Erlass des FSIA, vgl. Congressional Committee Report on the Jurisdiction of United States Courts in Suits against Foreign States, 94th Congress, 2nd Session, Report No. 94-1487, 09.09.1976, 15 ILM 1398, 1402; Supreme Court, 23.05.1983, Verlinden B.V. v. Central Bank of Nigeria, 103 S.Ct. 1962, 1968 f.; District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1, 11. 304 Hierzu allgemein: Bouchez, NYIL 1979, 3 (28); Reinisch, EJIL 2006, 803 (813 ff.); Schreuer, State Immunity, S. 135. S. zur Rolle der Exekutive im Rahmen von Immunitätsentscheidungen die Stellungnahmen der Staaten in: UNGA, Jurisdictional Immunities of States and their Property: Information and Materials Submitted by Governments, 14. 04.1981, UN Doc. A/CN.4/343, S. 43 ff. 305 Vgl. Art. 923 Kodikas Politikis Dikonomias (griechische Zivilprozessordnung), 16.09.1968, dem Art. 1 (1) Notstandsgesetz No. 15/1938 vorausgegangen war (zitiert in Areios Pagos (GR), 01.01.1962, Sale of British Embassy Building, 65 ILR 247 f. S. hierzu International Bar Association (IBA) – Arbitration Committee, Dimolitsa/ Kerameus, Arbitration Guide Greece, Mai 2016, S. 18; Audit/Angelet/van den Bossche, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and Interna tional Law, S. 830 f.; Damian, Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 132; O’Keefe, Vand. J. Transnat’l L. 2011, 999 (1015) Fn. 53; Orakhelashvili, Research Handbook on Jurisdiction and Immunities in International Law, S. 380; Reinisch, EJIL 2006, 803 (815 f.); Schreuer, State Immunity, S. 135 f. Der EGMR entschied, dass das Erforderniss der Zustimmung des Justizministers in Art. 923 der griechischen Zivilprozessordnung nicht gegen Art. 6 (1) EMRK verstoße, EGMR, 12.12.2002, Kalogeropoulou u. a./Griechenland und Deutschland, 59021/00, NJW 2004, 273. 306 S. Tribunal of First Instance of Thessaloniki (GR), 01.01.1981, Judgment 1822/1981, Epitheorissi Emborikou Dikaiou (Journal of Commmercial Law) 1981,
200
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
nahmen in Vermögensgüter eines fremden Staates zu erteilen.307 In Italien, einem der ersten Staaten, durch dessen Gerichte die absolute Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren eingeschränkt wurde, sahen gesetzliche Vorschriften ebenfalls bis zu dem wegweisenden Urteil des italienischen Verfassungsgerichts im Falle Filvem im Jahr 1992 die Zustimmung des Justizministers zur Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen vor.308 Dabei gewährte der Justizminister in den seltensten Fällen seine Zustimmung, um die Vollstreckung in italienische Vermögensgüter durch andere Staaten, unter dem Gesichtspunkt der Reziprozität, zu vermeiden.309 Wenngleich das strikte Zustimmungserfordernis durch das italienische Verfassungsgericht wegen eines Verstoßes gegen das Recht auf Zugang zu den Gerichten, verankert in Artikel 24 der italienischen Verfassung, letztlich durch das italienische Verfassungsgericht für unwirksam erklärt wurde,310 besteht weiterhin die Möglichkeit der Einflussnahme der Regierung auf die Zwangsvollstreckung.311 Auch in den Niederlanden312 S. 419, englische Zusammenfassung abrufbar unter http://www.cahdidatabases.coe. int/Contribution-/DetailsPdf/476/ (Stand: 14.05.2020). 307 Art. 18 Execution Act (CR) Juni 1996, Official Gazette of the Republic of Croatia, No. 57/96.: „Property of a foreign state in the Republic of Croatia may not be subject to execution or security without a prior approval by the Ministry of Justice of the Republic of Croatia, unless the foreign state consents to such execution or security.“, abrufbar unter: http://www.vsrh.hr/CustomPages/Static/HRV/Files/Legis lation__Execution-Act.pdf (Stand: 14.05.2020); vgl. auch Reinisch, 17 EJIL 2006, 803 (813). 308 Art. 1 des Decreto Legge, 30.08.1925, No. 1621 das später als Gesetz vom 15. Juli 1926, No. 1623 erlassen wurde, s. hierzu Condorelli/Sbolci, NYIL 1979, 197 (197 ff.) 309 Condorelli/Sbolci, NYIL 1979, 197 (219 f.); Schreuer, State Immunity, S. 136. Der Corte Costituzionale befand sogar, dass das Zustimmungserfordernis in seiner tatsächlichen Wirkung zur Wiedereinführung der absoluten Immunität geführt habe und dass die Zustimmung zur Vollstreckung oftmals „for mere reasons of courtesy or for a ‚quiet life‘ “ verweigert wurde, Corte Costituzionale(IT), 15.07.1992, Società Condor e Filvem c. Il Ministero di Grazia e Giustizia, 101 ILR 394, 404 f. 310 Corte Costituzionale (IT), Società Condor e Filvem c. Il Ministero di Grazia e Giustizia, 15.07.1992, 101 ILR 394, 404 ff. 311 Art. 1180 Codice Civile (IT) sieht vor, dass der italienische Staat (= Forumstaat) als Dritter in dem Verfahren gegen den fremden Staat intervenieren, und auch gegen den Willen des Gläubigers die Forderung des Schuldners, also des fremden Staates, erfüllen kann. Vgl. hierzu Corte Costituzionale (IT), Società Condor e Filvem c. Il Ministero di Grazia e Giustizia, 15.07.1992, 101 ILR 394, 405. 312 Nach niederländischem Recht kann der Justizminister die Völkerrechtswidrigkeit einer Zwangsmaßnahme feststellen und den Gerichtsvollzieher hiervon unter richten. Der Intervention des Justizministers kommt hierbei Verbotswirkung zu und sie bindet die Vollstreckungsorgane. Wurde die Maßnahme bereits vollzogen, so ist sie ex tunc nichtig, Art. 3a Gerechtsdeurwaarderswet (NL), 15.07.2001, Stb. 2001, 70, abrufbar unter: https://wetten.overheid.nl/BWBR0012197/2017-01-01 (Stand: 14.05.2020). Vormals fand sich eine ähnliche Regelung in Art. 13 (4) Deurwaarders-
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren201
und Österreich313 kann die Exekutive Einfluss auf die Beschränkung der Vollstreckungsimmunität nehmen, wenngleich dieser Einfluss in Form von Erklärungen, Stellungnahmen oder Beratungen hinter einem strengen Zustimmungserfordernis wie in Griechenland zurückbleibt. Aus völkerrechtlicher Sicht ist das Zustimmungserfordernis insoweit unbedenklich, als dass hierdurch in der Regel, wie etwa die Praxis Italiens oder Griechenlands veranschaulichen, dem beklagten Staat ein Mehr an Immunität gewährt wird, als durch das Völkerrecht geboten wäre. Es lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass die Frage der Staatenimmunität mit Blick auf die Vollstreckungsimmunität fremder Staaten bis heute nicht gänzlich entpolitisiert ist und die Durchbrechung der Staatenimmunität strengen Kriterien unterworfen ist. In diesem Sinne ist eine Charakterisierung der Vollstreckungsimmunität eines Staates als „the last bastion of state im munity“314 noch heute in vielen Fällen zutreffend. Diese Erkenntnis ist für die Bewertung der Effektivität der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität von besonderer Bedeutung.315
B. US-amerikanische und kanadische Praxis Sowohl in den USA als auch in Kanada kann die Staatenimmunität nicht nur im Erkenntnisverfahren wegen der Förderung des Terrorismus durch einen fremden Staat beschränkt werden, sondern auch auf Ebene des Vollstreckungsverfahrens. In beiden Staaten lässt sich eine weitgehende normative
reglement (NL). S. hierzu: Audit/Angelet/van den Bossche, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 381 f.; Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 171; Ruppert, State immunity in Dutch civil proceedings, S. 240 ff.; Shelton, International law and domestic legal systems, S. 410 f.; Voskuil, NYIL 1979, 245 (286 ff.). 313 Art. IX (3) Einführungsgesetz zur Jurisdiktionsnorm (EGJN), 09.09.1895, RGBl. Nr.110/1895: „Wenn es zweifelhaft ist, ob die inländische Gerichtsbarkeit über eine Immunität genießende Person begründet oder die Immunität zugunsten einer Person anerkannt ist, so hat das Gericht hierüber die Erklärung des Bundesministe riums für Justiz einzuholen.“ Bis zum Jahre 1971 sah Artikel IX (3) letzter Satz vor, dass die Erklärung des Bundesjustizministeriums die Gerichte in ihrer Entscheidung über die Immunität bindet. Der österreichische Verfassungsgerichtshof sah in dieser Bindungswirkung jedoch einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip und hob den letzten Satz des Art. IX (3) als verfassungswidrig auf 14.10.1970, ECLI: AT:VFGH:1970:G20.1970; Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Nr. 217/ 1971. Vgl. ausführlich Seidl-Hohenveldern, NYIL 1979, 97 (98 ff.). 314 UN ILC, Report of the International Law Commission on the Work of its Forty-third Session, 29. April–19. Juli 1991, UN Doc. A/46/10, 56. 315 S. sogleich 7. Kapitel: C.
202
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Gleichstellung der Staatenimmunität im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren im Falle des staatlich geförderten Terrorismus feststellen. I. USA In den Vereinigten Staaten lässt sich auf eine kontinuierliche Entwicklung der Beschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus schauen. Gekennzeichnet ist diese Entwicklung durch ein stetiges Ringen zwischen der Legislative, dem Kongress, der im Sinne der Opfer und Kläger die Immunität fremder, den Terrorismus unterstützender Staaten auch im Vollstreckungsverfahren regelmäßig zu beschränken sucht, und der Exekutive, die im Interesse guter zwischenstaatlicher Beziehungen und unter Berufung auf die nationale Sicherheit der Vollstreckungsimmunität der beklagten Staaten größtmögliche Wirkung zukommen zu lassen sucht.316 Dies führte zu einer Vielzahl von Ergänzungen des Foreign Sovereign Immunities Act sowie einem umfangreichen gesetzlichen Entschädigungsplan der US-Regierung. Die hierdurch geschaffene, fragmentierte Rechtslage erschwert nicht nur die juristische Arbeit sondern führte auch zu einer ungleichen Kompensation der Kläger.317 Im Folgenden soll ein Überblick über die zentralen Entwicklungen der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich unterstützten Terrorismus in den USA bis hin zur aktuellen Rechtslage gegeben werden. 28 U.S.C. § 1610 sieht gegenwärtig drei Ausnahmen zur Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vor.318 Zudem befindet sich ergänzend eine Ermächtigung zur Vollstreckung in blockierte Vermögensgüter fremder Staaten in § 201 des Terrorism Risk Insurance Act von 2002.319 1. 28 U.S.C. § 1610(a)(7)
Zeitgleich mit der Einführung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität für das Erkenntnisverfahren durch den Anti-Terrorism and Effective Death Penalty Act (AEDPA),320 wurde der Foreign Sovereign Immunities Act 316 So auch Murphy, Rev. Litig. 2008, 315 (334); Vadnais, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 2000, 199 (201). 317 Reisman/Hakimi, Ala. L. Rev. 2002, 561 (575). 318 28 U.S.C. § 1610(a)(7) und (b)(3), (f), (g). 319 28 U.S.C. § 1610 Note „Satisfaction of Judgments From Blocked Assets of Terrorists, Terrorist Organizations, and State Sponsors of Terrorism“; PL 107-297, Title II, § 201(a), (b), (d), 26.11.2002, 116 Stat. 2337, 2339, (zuletzt geändert durch PL 112-158, Title V, § 502(e)(2), 10.08.2012, 126 Stat. 1260); s. unten 7. Kapitel: B.I.5. 320 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.a)aa).
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren203
1996 auch um eine Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus ergänzt.321 Nach 28 U.S.C. § 1610(a)(7) kann in Vermögensgüter des fremden Staates, die einem kommerziellen Zweck dienen und sich in den USA befinden, vollstreckt werden, unabhängig davon, ob die Vermögensgüter einen Nexus zu der Handlung des fremden Staates aufweisen, auf die sich die Klage stützt, wenn die Immunität des fremden Staates im Erkenntnisverfahren auf Grund der Unterstützung des Terrorismus nach 28 U.S.C. § 1605A (vormals 28 U.S.C. § 1605(a)(7)), aufgehoben wurde. 28 U.S.C. § 1610(a)(7) lautet: „The property in the United States of a foreign state […] used for a commercial activity in the United States […] shall not be immune from attachment in aid of execution, or from execution, upon a judgment entered by a court of the United States or of a State after the effective date of this Act, if […] the judgment relates to a claim for which the foreign state is not immune under section 1605A or section 1605(a)(7) (as such section was in effect on January 27, 2008), regardless of whether the property is or was involved with the act upon which the claim is based.“322
Hierin liegt eine Verbindung der Beschränkung von Staatenimmunität in Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren im Falle der staatlichen Unterstützung des Terrorismus. Gleichzeitig begrenzt die Vorschrift die Vollstreckung im Einklang mit dem Völkerrecht strikt auf nicht-hoheitlichen Funktionen dienende Vermögensgüter, welche innerhalb der USA belegen sind. Eine Neuerung der Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich unterstützten Terrorismus liegt in dem Verzicht auf einen Nexus zwischen dem Vermögensgut, in das eine Vollstreckung erfolgen soll, und der zur Beschränkung der Staatenimmunität führenden Handlung.323 So kann in jedwedes, kommerziellen Zwecken dienendes Vermögensgut vollstreckt werden, ohne dass dieses in Verbindung zu der Handlung stehen muss, auf die sich die Klage stützt. Nach Erlass der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Jahre 1996 erging 1997 das erste Urteil gegen Kuba im Falle Alejandre v. Republic of Cuba324, durch das Kuba zur Zahlung von 187,6 Millionen USD verurteilt wurde. Im Jahre 1998 folgten zwei Urteile gegen den Iran in den Fällen Flatow v. Islamic Republic of Iran325 und Cicippio v. Islamic Republic of 321 PL 104-132, Title II, § 221, 24.04.1996, 110 Stat. 1214, 1243; kodifiziert in 28 U.S.C. § 1610(a)(7) und 28 U.S.C. § 1610(b)(3). 322 Gleiches gilt für die Vollstreckung in Vermögensgüter von „agencies and instrumentalities“ eines fremden Staates, s. 28 U.S.C. § 1610(b)(3). 323 Early, Conn. J. Int’l L. 1999, 203 (208 f.); Murphy, Int’l L. 1998, 453 (456). S. 28 U.S.C. § 1610(a)(2). 324 District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239. 325 District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Iran326, durch die der Iran zur Zahlung von 247,5 Millionen USD respektive 65 Millionen USD verurteilt wurde. Die Kläger versuchten in der Folge auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1610(a)(7) in Vermögensgüter Kubas und des Iran zu vollstrecken. Die Vollstreckungsversuche der Kläger gestalteten sich jedoch äußerst hürdenreich und blieben weitestgehend erfolglos, da es an innerhalb der USA belegenen kommerziellen Vermögensgütern fehlte, in die eine Vollstreckung hätte erfolgen können. Zum einen betrieben der Iran und Kuba, die als „state sponsors of terrorism“ designiert waren, aufgrund der gegen sie verhangenen Wirtschaftssanktionen nur minimale wirtschaftliche Aktivitäten in den USA, wodurch bereits per se weniger Vermögensgüter in den USA belegen waren, in die vollstreckt hätte werden können. Zum anderen waren die verbleibenden Vermögensgüter durch die US-Regierung entweder eingefroren und so dem Zugriff der Kläger entzogen oder aber es handelte sich um diplomatischen Funktionen dienende Vermögensgüter, die grundsätzlich von einer Vollstreckung ausgenommen waren.327 Versuche, dennoch in diplomatischen Funktionen dienende oder durch die US-Regierung eingefrorene Vermögensgüter des Iran und Kubas zu vollstrecken, wurden von der US-Regierung unter anderem mit Verweis auf den Foreign Sovereign Immunities Act, der bezüglich solcher Vermögensgüter keine Ausnahmen vorsehe sowie der besonderen Bedeutung blockierter Vermögens güter als politischem Druckmittel, unterbunden.328 2. 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A)
Die erfolglosen Vollstreckungsversuche der Kläger und die Haltung der US-Regierung hatten zur Folge, dass der US-Kongress den Foreign Sovereign Immunities Act im Jahr 1998 um eine weitere Ausnahme zur Voll streckungsimmunität ergänzte.329 Die neue Regelung sollte diplomatisches und konsularisches Eigentum sowie eingefrorene Vermögensgüter einer Voll streckung zugänglich machen.330 So kann nach 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A) grundsätzlich „any property“ eines den Terrorismus unterstützenden Staates, 326 District
62.
Court, 27.08.1998, Cicippio v. Islamic Republic of Iran, 18 F.Supp.2d
327 Murphy,
AJIL 2000, 117 (127); Murphy, Rev. Litig. 2008, 315 (334). hierzu Murphy, AJIL 2000, 117 (127); Murphy, Rev. Litig. 2008, 315 (334). Eine ausführliche Darstellung der Vollstreckungsbemühungen der Kläger im Falle Flatow v. Islamic Republic of Iran und der Einwände der Exekutive findet sich bei Early, Conn. J. Int’l L. 1999, 203 (227 ff.). 329 Einführung des 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A) durch § 117 des Treasury and General Government Appropriations Act for Fiscal Year 1999 enthalten in dem Omnibus Consolidated and Emergency Supplemental Appropriations Act for Fiscal Year 1999, PL 105-277, Div. A, Title I, § 117, 21.10.1998, 112 Stat. 2681–491. 330 Vgl. Murphy, AJIL 2000, 117 (120). 328 S.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren205
das nach den Vorschriften des „Trading With The Enemy Act“ (TWEA), des „Foreign Assistance Act of 1961“, des „International Emergency Economic Powers Act“ (IEEPA) oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften eingefroren wurde, der Vollstreckung unterliegen: „Notwithstanding any other provision of law, including but not limited to section 208(f) of the Foreign Missions Act (22 U.S.C. 4308(f)), and except as provided in subparagraph (B), any property with respect to which financial transactions are prohibited or regulated pursuant to section 5(b) of the Trading with the Enemy Act (50 U.S.C. App. 5(b)),[1] section 620(a) of the Foreign Assistance Act of 1961 (22 U.S.C. 2370(a)), sections 202 and 203 of the International Emergency Economic Powers Act (50 U.S.C. 1701–1702), or any other proclamation, order, regulation, or license issued pursuant thereto, shall be subject to execution or attachment in aid of execution of any judgment relating to a claim for which a foreign state (including any agency or instrumentality or such state) claiming such property is not immune under section 1605(a)(7) (as in effect before the enactment of section 1605A) or section 1605A.“
28 U.S.C. § 1610(f)(2) sieht daneben die Unterstützung des Vollstreckungsgläubigers durch das Finanz- und Außenministerium, insbesondere bei der Allokation von Vermögensgütern des beklagten Staates, vor.331 Diese Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität ist wesentlich weitreichender als 28 U.S.C. § 1610(a)(7), da keinerlei Einschränkung hinsichtlich der Vermögensgüter, in die zulässigerweise vollstreckt werden darf, erfolgt, so dass entgegen des bisherigen US-amerikanischen Rechts und völkerrecht licher Grundsätze auch diplomatisches, konsularisches Eigentum und anderen hoheitlichen Zwecken dienende Vermögensgüter der Zwangsvollstreckung unterfallen können.332 Aufgrund der Einwände der US-Regierung gegen diese Gesetzesänderung während des Gesetzgebungs-verfahrens findet sich in 28 U.S.C. § 1610(f)(3) jedoch zugleich eine präsidiale Ermächtigung, im Interesse der nationalen Sicherheit auf die Anwendung der Bestimmungen dieser Vorschrift zu verzichten.333 Von dieser Ermächtigung machte der 1998 331 28 U.S.C. § 1610(f)(2)(A): „At the request of any party in whose favor a judgment has been issued with respect to a claim for which the foreign state is not immune under section 1605(a)(7) (as in effect before the enactment of section 1605A) or section 1605A, the Secretary of the Treasury and the Secretary of State should make every effort to fully, promptly, and effectively assist any judgment creditor or any court that has issued any such judgment in identifying, locating, and executing against the property of that foreign state or any agency or instrumentality of such state.“ 332 Vgl. bereits den Wortlaut von 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A): „notwithstanding any other provision of law“ und „any property“; s. auch Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (10); Vadnais, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 2000, 199 (204). 333 28 U.S.C. 1610(f)(3): „The President may waive any provision of paragraph (1) in the interest of national security.“ Vgl. ausführlich zu den Einwänden der US-Re-
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
amtierende US-Präsident Bill Clinton zeitgleich mit der Unterzeichnung der Gesetzesänderung Gebrauch.334 Die Vollstreckung in diplomatisches Eigentum sowie eingefrorene Vermögensgüter blieb folglich weiterhin unzulässig, so dass die Urteile, die Kläger bis dato insbesondere gegen den Iran und Kuba erstritten hatten, weiterhin nicht vollstreckt werden konnten.335 Bis heute wurde der „presidential waiver“ Clintons nicht widerrufen, so dass 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A) nach wie vor keine Anwendung findet.336 3. Justice for Victims of Terrorism Act
Die Ausübung des „presidential waiver“ durch den US-Präsidenten löste ein erneutes Tauziehen zwischen dem Kongress und der US-Regierung aus. In einem neuen Gesetzentwurf, dem „Justice for Victims of Terrorism Act“,337 sah der Kongress eine Ergänzung des FSIA vor, gemäß derer eine Vollstreckung in „moneys due from or payable by the United States (includ ing an agency or instrumentality thereof) to any state against which a judgment is pending under section 1605 (a) (7)[…]“ zulässig ist.338 Einen „presidential waiver“ sah dieser Gesetzentwurf diesmal allerdings nur hinsichtlich der Vollstreckung in diplomatischen oder konsularischen Zwecken diegierung gegen 28 U.S.C. § 1610(f)(1)(A) Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (10 ff.). 334 Presidential Determination No. 99–1 v. 21.10.1998, 34 Weekly Comp. Pres. Doc. 2088, abrufbar unter: https://www.gpo.gov/fdsys/pkg/WCPD-1998-10-26/pdf/ WCPD-1998-10-26-Pg2088-2.pdf (Stand: 14.05.2020). Im Jahre 2000 erneuerte der ehemalige US-Präsident Bill Clinton den „presidential waiver“, nachdem der Wortlaut der Norm geändert wurde, Presidential Determination No. 2001–03 v. 28.10.2000, 65 Fed. Reg. 66, 483. S. auch die Erklärung des White House Press Secretary v. 21.10.1998: „The new law allows the President to waive the provision in the national security interest of the United States. President Clinton has signed the bill and, in the interests of protecting America’s security, has exercised the waiver authority. If the U.S. permitted attachment of diplomatic properties, then other countries could retaliate, placing our embassies and citizens overseas at grave risk. Our ability to use foreign properties as leverage in foreign policy disputes would also be undermined. The Administration stands ready to work with the Flatow family, which won a U.S. court judgment against Iran, in identifying Iranian commercial assets that may be available for attachment. We will work to achieve justice for Alisa Flatow and other victims without undermining our ability to protect our interests and conduct foreign relations, including the fight against terrorism, around the world.“, zitiert bei Murphy, AJIL 2000, 117 (120). 335 Vgl. hierzu m. w. N. Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (12). 336 Dies betonte der U.S. Supreme Court jüngst erneut, vgl. Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816, 826. 337 S. 1796, 106th Congress (1999–2000), abrufbar unter: https://www.congress. gov/bill/106th-congress/senate-bill/1796 (Stand: 14.05.2020). 338 S. 1796, 106th Congress (1999–2000), (c)(1)(B).
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren207
nende Vermögensgüter vor.339 Der Justice for Victims of Terrorism Act sah sich jedoch dem Widerstand der US-Regierung ausgesetzt, die unter anderem reziproke Maßnahmen anderer Staaten fürchtete,340 welches wiederum auf starke Kritik einiger Kongressmitglieder stieß.341 Letztlich vertagte der Kongress das Thema, ohne, dass es zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf kam.342 4. Victims of Trafficking and Violence Protection Act
Eine erste Einigung über die Entschädigung von Opfern zwischen dem Kongress und der US-Regierung wurde schließlich mit dem Erlass des „Victims of Trafficking and Violence Protection Act of 2000“ erzielt.343 Dieses Gesetz ergänzte den Foreign Sovereign Immunities Act zwar nicht um eine weitere Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität fremder Staaten, jedoch führte es in § 2002 ein staatliches Programm zur Entschädigung von Klägern ein, die bis zum 20. Juli 2002 ein Urteil gegen den Iran oder Kuba erwirkt hatten344 oder die vor dem 27. Juli 2000 Klage gegen den Iran erhoben ha106th Congress (1999–2000), (c)(2). zu den Einwänden der Regierung die Erklärung des stellvertretenden Finanzministers E. Eizenstat, Terrorism: Victims’ Access to Terrorist Assets: Hearing on S. 1796 Before the Senate Judiciary Committee, 106th Congress, 27.10.1999, zitiert bei Murphy, AJIL 2000, 117 (123 f.). 341 Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (12 ff.). Kritik wurde so wohl von Seiten der Republikaner als auch von Seiten der Demokraten geäußert. Vgl. etwa die Erklärung des Senatoren Mack: „Mr. Chairman, the President made promises to the families, encouraged them to seek justice, calling their efforts brave and courageous. He pledged to fight terrorism and signed several laws supporting the rights of victims to take terrorists to court. But ultimately, he has chosen to protect terrorist assets over the rights of American citizens seeking justice. This is simply not what America stands for. Victims’ families must know that the U.S. Government stands with them in actions, as well as words.“, Terrorism: Victims’ Access to Terrorist Assets – Hearing Before the Senate Committee on the Judiciary, 106th Congress, 1st Session, 27.10.1999, S. 106–941. S. auch die Erklärung der US-Repräsentantin McCollum: „[r]ather than waging a war on terrorism, it appears the administration is fighting the victims of terrorism“, Justice for Victims of Terrorism Act: Hearing Before the Subcommittee on Immigration and Claims of the House Committee on the Judiciary, 106th Congress, 2nd Session, 13.04.2000. 342 Murphy, AJIL 2000, 117 (124). 343 PL 106-386, 28.10.2000, 114 Stat 1464. 344 § 2002 (a) (2) (A) (i). Die erfassten Urteile sind District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239; District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1; District Court, 27.08.1998, Cicippio v. Islamic Republic of Iran, 18 F.Supp.2d 62; District Court, 24.03.2000, Anderson v. Islamic Republic of Iran, 90 F.Supp.2d 107 und District Court, 11.07.2000, Eisenfeld v. Islamic Republic of Iran, 172 F.Supp.2d 1. 339 S. 1796, 340 Vgl.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
ben.345 Die Entschädigungszahlungen nach dem Victims of Trafficking and Violence Protection Act of 2000 sind dabei auf „compensatory damages“ begrenzt.346 Wird die Kompensation durch den Kläger beansprucht, verpflichtet sich dieser, auf die Vollstreckung der nicht erfüllten Schadensersatzansprüche gegen den fremden Staat zu verzichten.347 Die neue Regelung erleichterte jedoch nicht die Vollstreckung in Vermögensgüter verurteilter Staaten als solche, sondern bildet vielmehr ein Regelgeflecht zur Kompensation der Urteilsträger durch die US-Regierung. Dabei vollzieht der Finanzminister die Zahlung an die Kläger. Im Falle Kubas erfolgte die Kompensation der Kläger durch die Liquidierung blockierter Vermögenswerte Kubas; die Vorschrift ordnet hierzu die Freigabe der Vermögensgüter durch den USPräsidenten an.348 Anders als im Falle Kubas sollen Vollstreckungsgläubiger des Iran nicht durch die Liquidierung blockierter Vermögensgüter befriedigt werden, wenngleich die USA alleine ein Bankkonto des Iran im Wert von 400 Millionen USD aus Militärverkäufen eingefroren haben.349 Diese sollen jedoch mit Blick auf die Abkommen zum Iran-United States Claims Tribunal bis zum Abschluss der vor dem Iran-United States Claims Tribunal verhandelten Fälle nicht für Zwecke der Zwangsvollstreckung zugänglich gemacht werden.350 Die Kompensation der Kläger erfolgt daher zunächst aus Mieterlösen von diplomatischem und konsularischem Eigentum des Iran sowie insbesondere aus allgemeinen US-Geldern („funds not otherwise made available“).351 Gerade die Kompensationszahlungen durch US-Gelder rief verbreitet Kritik hervor, da so letztlich der amerikanische Steuerzahler die gegen den Iran bestehenden Entschädigungsansprüche der Kläger erfülle.352 345 § 2002 (a) (2) (A) (ii). Erfasst werden hier sechs weitere Klagen gegen den Iran. Vgl. ausführlich zu den Klagen und den durch die Gerichte zugesprochenen Schadensersatzansprüchen gegen den Iran: Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (15) Fn. 48. In den nachfolgenden Jahren wurde § 2002 ergänzt, um den Kreis der Kläger, die Kompensation beanspruchen können zu erweitern, PL 107-228, 116 Stat 1350, Sec 686, 30.09.2002. 346 § 2002 (a)(1)(A) und (B). 347 § 2002 (a)(2)(B) – (D). 348 § 2002 (b)(1). So wurde an die Kläger im Falle Alejandre v. Republic of Cuba knapp 97 Millionen USD gezahlt, s. hierzu unten 7. Kapitel: C.2. 349 S. hierzu Gartenstein-Ross, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2001, 887 (937 ff.); Gartenstein-Ross, N.Y.U. L. Rev., 40 (514 f.); Miller, Terrorism Victims Set Precedent, Washington Post, 22.10.2000, abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com/ archive/politics/2000/10/22/-terrorism-victims-set-precedent/d40f8695-f513-4d6a8dcb-78afd3e441b9/ (Stand: 14.05.2020). 350 Ibid. 351 § 2002 (b)(2)(A) und (B). Ausführlich zur Kompensation der Kläger aus USMitteln: Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (16). 352 Gartenstein-Ross, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2001, 887 (938); Reisman/Hakimi, Ala. L. Rev. 2002, 561 (578 ff.).
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren209
Dabei sollen die Forderungen jedoch letztlich durch den Iran im Rahmen der Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen befriedigt werden. Hierzu ordnet § 2002(c) den Übergang der Forderungen der Kläger gegen den Iran auf die US-Regierung an, die durch die US-Regierung zuvor erfüllt wurden. Im Rahmen von Verhandlungen mit dem Iran über die Normali sierung der zwischenstaatlichen Beziehungen sieht § 2002(c) und (d) als Voraussetzung die Befriedigung dieser Forderungen zur Zufriedenstellung der US-Regierung vor.353 Hier zeigt sich die Funktion der Terrorismusausnahme als Druckmittel im Rahmen zwischenstaatlicher Verhandlungen. Ob die US-Regierung letztlich die an die Kläger gezahlten Entschädigungszahlungen durch Gelder des Iran erstattet bekommt, bleibt jedoch offen, insbesondere vor dem Hintergrund der derzeit besonders fragilen Beziehung zwischen dem Iran und den USA. Zu Verhandlungen über die Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen vermag es womöglich in den kommenden Jahren nicht kommen. 5. Terrorism Risk Insurance Act
Mit Erlass des „Terrorism Risk Insurance Act“ (TRIA)354 durch den USKongress im Jahr 2002 wurde erstmals die Vollstreckung in blockierte Vermögenswerte gleich welcher Zweckrichtung in solchen Fällen für zulässig erklärt, in denen Kläger ein Urteil gegen einen fremden Staat wegen der Terrorismusförderung im Erkenntnisverfahren erwirkt haben. § 201(a) TRIA sieht vor: „Notwithstanding any other provision of law, and except as provided in subsection (b), in every case in which a person has obtained a judgment against a terror353 § 2000(c): „(c) SUBROGATION. – Upon payment under subsection (a) with respect to payments in connection with a Foreign Military Sales Program account, the United States shall be fully subrogated, to the extent of the payments, to all rights of the person paid under that subsection against the debtor foreign state. The President shall pursue these subrogated rights as claims or offsets of the United States in appropriate ways, including any negotiation process which precedes the normalization of relations between the foreign state designated as a state sponsor of terrorism and the United States, except that no funds shall be paid to Iran, or released to Iran, from property blocked under the International Emergency Economic Powers Act or from the Foreign Military Sales Fund, until such subrogated claims have been dealt with to the satisfaction of the United States. (d) SENSE OF THE CONGRESS. – It is the sense of the Congress that the President should not normalize relations between the United States and Iran until the claims subrogated have been dealt with to the satisfaction of the United States.“ 354 PL 107-297, Title II, § 201(a), (b), (d), 26.11.2002, 116 Stat. 2337, 2339 (ergänzt durch PL 112-158, Title V, § 502(e)(2), 10.08.2012, 126 Stat. 1260). Eingefügt als Note zu 28 U.S.C. § 1610: „Satisfaction of Judgments From Blocked Assets of Terrorists, Terrorist Organizations, and State Sponsors of Terrorism“.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
ist party on a claim based upon an act of terrorism, or for which a terrorist party is not immune under section 1605(a)(7) of title 28, United States Code, the blocked assets of that terrorist party (including the blocked assets of any agency or instrumentality of that terrorist party) shall be subject to execution or attachment in aid of execution in order to satisfy such judgment to the extent of any compensatory damages for which such terrorist party has been adjudged liable.“355
Die Vollstreckung ist nach § 201(a) TRIA auf „compensatory damages“ begrenzt. Vollstreckungsgläubiger werden also auch nach dieser Vorschrift nur einen Teil der ihnen durch ein Gericht zugesprochenen Schadensersatzforderungen befriedigen können, da in der Regel vor allem die „punitive damages“ einen beträchtlichen Anteil der Schadensersatzforderungen ausmachen. Eine Ermächtigung des US-Präsidenten, auf die Anwendung dieser Vorschrift im Interesse der nationalen Sicherheit zu verzichten, räumt § 201(b) TRIA lediglich hinsichtlich „property subject to the Vienna Convention on Diplomatic Relations or the Vienna Convention on Consular Relations“ ein. Zudem kann ein „presidential waiver“ nach § 201(b) TRIA ausschließlich auf einer „asset-by-asset basis“ ausgeübt werden und nicht, wie im Fall des 28 U.S.C. § 1610(f)(A), generell die Norm, bis zu einem Widerruf des „presidential waivers“, außer Kraft setzen. Macht der US-Präsident von seiner „waiver“-Befugnis keinen Gebrauch, kann nach § 201 TRIA grundsätzlich auch in jene blockierten Vermögensgüter des fremden Staates vollstreckt werden, die hoheitlichen Funktionen dienen.356 Hinzu tritt, dass in die Vermögensgüter einer „agency“ oder „instrumen tality“ der „terrorist party“, also auch des fremden Staates vollstreckt werden kann, § 201(a) TRIA. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Urteil gegen die „terrorist party“, vorliegend also gegen den Staat als solchen wegen der Unterstützung des Terrorismus im Erkenntnisverfahren ergangen ist; ein Urteil gegen die „agency“ oder „instrumentality“ selbst wird hingegen nicht vorausgesetzt.357 Unberührt hiervon bleibt freilich der oftmals nicht einfach 355 Der Begriff „terrorist party“ erfasst den fremden Staat, der als „state sponsor of terrorism“ designiert wurde, vgl. § 201(d)(4): „The term ‚terrorist party‘ means a terrorist, a terrorist organization (as defined in section 212(a)(3)(B)(vi) of the Immigration and Nationality Act (8 U.S.C. 1182(a)(3)(B)(vi))), or a foreign state designated as a state sponsor of terrorism under [former] section 6(j) of the Export Administration Act of 1979 (50 U.S.C. App. 2405(j)) [former 50 U.S.C. 4605(j)] or section 620A of the Foreign Assistance Act of 1961 (22 U.S.C. 2371).“ 356 § 201(a) TRIA spricht allgemein von „blocked assets“. Bei „blocked assets“ handelt es sich nach § 201(d)(2)(A) TRIA um any asset seized or frozen by the United States under section 5(b) of the Trading With the Enemy Act (50 U.S.C. App. 5(b)) [now 50 U.S.C. 4305(b)] or under sections 202 and 203 of the International Emergency Economic Powers Act (50 U.S.C. 1701; 1702). 357 S. District Court, 29.06.2017, Kirschenbaum v. 650 Fifth Avenue, 257 FSupp.3d 463, 516 (unter Bezugnahme auf District Court, 20.07.2016, Kirschenbaum v. 650
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren211
zu erbringende Nachweis durch die Kläger, dass es sich tatsächlich um „agencies“ oder „instrumentalities“ des fremden Staates handelt.358 Der Kläger hat hierfür nachzuweisen, dass: „[…] each Defendant (1) was a means through which a material function of the terrorist party is accomplished, (2) provided material services to, on behalf of, or in support of the terrorist party, or (3) was owned, controlled, or directed by the terrorist party.“359
Der Terrorism Risk Insurance Act erweitert die Möglichkeiten zur Zwangsvollstreckung in Vermögensgüter des fremden Staates erheblich. Erstmals können die Vollstreckungsgläubiger auf durch die US-Regierung blockierte Vermögensgüter des fremden Staates sowie der „agencies“ und „instrumentalities“ des fremden Staates zugreifen, ohne dabei auf die Freigabe der Vermögensgüter durch die US-Regierung, wie im Rahmen des Entschädigungsprogramms nach dem Victims for Trafficking and Violence Protection Act, angewiesen zu sein.360 Mit Erlass des TRIA ist erstmals auch eine direkte Vollstreckung in blockierte Vermögenswerte des Iran möglich.361 Fifth Avenue and Related Properties, 830 F.3d 107, 132; Court of Appeals, 15.06.2010, Weinstein v. Islamic Republic of Iran, 609 F.3d 43, 50): „Section 201(a) of TRIA confers subject matter jurisdiction over post-judgment execution and attachment proceedings against property held in the hands of an ‚agency or instrumentality‘ of a ‚terrorist party,‘ even if the agency or instrumentality is not itself named in the judgment. […]. In other words, even though plaintiffs obtained their underlying judgments against the Government of Iran and not against the New York Foundation or the 650 Fifth Avenue Company specifically, plaintiffs may attach defendants’ properties under TRIA if, inter alia, defendants qualify as agencies or instrumentalities of Iran under TRIA.“ 358 S. District Court, 29.06.2017, Kirschenbaum v. 650 Fifth Avenue, 257 FSupp.3d 463, 520 zu einer ausführlichen Untersuchung der Verbindungen des Iran zur Alavi Foundation und diversen Mantelgesellschaften („shell companies“), über die der Iran unter anderem durch die staatliche Bank Melli Kontrolle ausübt und beachtliche Vermögenswerte in den USA hält und diese durch ein ausgetüfteltes System der Verschleierung staatlicher iranischer Kontrolle vor dem Zugriff der US-Regierung im Rahmen der Iran Sanktionen sowie von Urteilsgläubigern zu schützen sucht. 359 District Court, 20.07.2016, Kirschenbaum v. 650 Fifth Avenue and Related Properties, 830 F.3d 107, 135. 360 S. oben 7. Kapitel: B.I.4. 361 Dies gewinnt umso mehr an Bedeutung, als dass der ehemalige US-Präsident Obama am 05.02.2012 durch Executive Order 13599, 77 Fed.Reg. 6659 alle inner halb der USA belegenen Vermögensgüter des Iran, einschließlich solcher der Zentralbank des Iran, blockierte: „Section 1. (a) All property and interests in property of the Government of Iran, including the Central Bank of Iran, that are in the United States, that hereafter come within the United States, or that are or hereafter come within the possession or control of any United States person, including any foreign branch, are blocked and may not be transferred, paid, exported, withdrawn, or otherwise dealt in.“ Auf Grundlage der Executive Order 13599 werden die Vermögensgüter des Iran „blocked assets“ i. S. d. § 202(d) TRIA, vgl. hierzu: District Court, 13.03.2013, Peter-
212
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Im Jahr 2018 belief sich die Summe der blockierten Geldmittel der designierten „state sponsors of terrorism“ in den USA auf 216.83 Millionen USD.362 Hinzu treten blockierte Mobiliar- und Immobiliargüter.363 Bei dieser Summe ist zu berücksichtigen, dass im Jahr 2016 alleine 1,75 Milliarden USD an Urteilsgläubiger, die ein Urteil gegen den Iran auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität erwirkt hatten, aus blockierten Vermögensgütern ausgezahlt wurde.364 6. 28 U.S.C. § 1610(g)
Der Foreign Sovereign Immunities Act wurde 2008 um eine dritte und bisweilen letzte Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus ergänzt: 28 U.S.C. § 1610(g).365 28 U.S.C. son v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 6. Executive Order 13599 wurde anders, als andere Sanktionen der USA gegen den Iran nicht durch Executive Order 13716, 16.01.2016, 81 Fed.Reg. 3693 im Zuge des Joint Comprehensive Plan of Action v. 14.05.2015 widerrufen. Die durch Executive Order 13599 betroffenen Vermögensgüter des Iran blieben durchgehend blockiert. Zur Wiederaufnahme der Sanktionen gegen den Iran nach dem Ausstieg der USA aus dem Joint Comprehensive Plan of Action s. Executive Order 13846, 06.09.2018, 83 Fed.Reg. 38939. 362 Office of Foreign Assets Control (OFAC) – U.S. Department of Treasury, Terrorist Assets Reports Calendar Year 2018, veröffentlicht am 29.05.2019, Table 1, S. 15, abrufbar unter: https://www.treasury.gov/resource-center/sanctions/Programs/ Documents/tar2018.pdf (Stand: 14.05.2020). 363 Office of Foreign Assets Control (OFAC) – U.S. Department of Treasury, Terrorist Assets Reports Calendar Year 2018, veröffentlicht am 29.05.2019, Table 1, S. 14, abrufbar unter: https://www.treasury.gov/resource-center/sanctions/Programs/ Documents/tar2018.pdf (Stand: 14.05.2020). 364 Hierzu ausführlich unten 7. Kapitel: C.II. 365 Eingeführt durch den National Defense and Authorization Act for Fiscal Year 2008 (NDAA FY2008), PL 110-181, Sec. 1083, 28. 01.2008, 122 Stat 3, 341–342. Gegen die ursprüngliche Fassung des Sec. 1083 (H.R. 1585 Doc. No. 110-88, ab rufbar unter https://www.congress.gov/bill/110th-congress/house-bill/1585, Stand 14.05.2020) legte der ehemalige US-Präsident George W. Bush ein Veto ein, da er befürchtete, dass Vermögensgüter des Irak gepfändet werden könnten, die für den Wiederaufbau des Staates notwendig seien, vgl. Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (40). Daraufhin wurde der Gesetzentwurf um die Möglichkeit des „waivers“ der Vorschrift mit Blick auf den Irak ergänzt, vgl. PL 110-181, Sec. 1083 (d). Von der „waiver authority“ machte US-Präsident Bush umgehend nach Unterzeichnung des Gesetzes Gebrauch, s. Presidential Determination No. 2008-9, 28.01.2008, 73 Fed. Reg. 657; vgl. zur Erläuterung auch die Erklärung des White House zur Ausübung der „waiver authority“, White House Memorandum of Justification for Waiver of Section 1083 of the National Defense Authorization Act, 28.08.2008, abrufbar unter: https://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/ releases/2008/01/20080128-12.html (Stand 14.05.2020).
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren213
§ 1610(g)(1) gestattet ohne weitere Einschränkungen die Vollstreckung in Vermögensgüter des fremden Staates, wenn gegen den fremden Staat ein Urteil nach 28 U.S.C. § 1605A wegen der Unterstützung des Terrorismus erlassen wurde. Selbst Vermögensgüter staatlich gegründeter, selbständiger juristischer Personen können nach dieser Vorschrift der Vollstreckung unterliegen. Dabei regelt 28 U.S.C. § 1610(g)(1) in besonderem Maße die Vollstreckung in Vermögensgüter staatlich gegründeter, selbständiger juristischer Personen: „Subject to paragraph (3), the property of a foreign state against which a judgment is entered under section 1605A, and the property of an agency or instrumentality of such a state, including property that is a separate juridical entity or is an interest held directly or indirectly in a separate juridical entity, is subject to attachment in aid of execution, and execution, upon that judgment as provided in this section, regardless of – (A) the level of economic control over the property by the government of the foreign state; (B) whether the profits of the property go to that government; (C) the degree to which officials of that government manage the property or otherwise control its daily affairs; (D) whether that government is the sole beneficiary in interest of the property; or (E) whether establishing the property as a separate entity would entitle the foreign state to benefits in United State courts while avoiding its obligations.“
28 U.S.C. § 1610(g)(1) hebt durch die Begründung eines Haftungsdurchgriffs („piercing the corporate veil“) auf selbständige juristische Personen im Rahmen der Vollstreckung, ungeachtet der in (A) – (E) genannten Faktoren (sog. „Bancec factors“366), die durch den U.S. Supreme Court im Jahr 1983 aufgestellte Maxime auf, dass durch den Staat gegründete, selbständige juristische Personen vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen in der Regel nicht für die Handlungen des fremden Staates haftbar gemacht werden können.367 Durch 28 U.S.C. § 1610(g)(1) wird in der Folge der Kreis der Vermögens 366 Supreme Court, 17.06.1983, First Nat. City Bank v. Banco Para El Comercio Exterior de Cuba (Bancec), 103 S.Ct. 2591, 2599 ff. Für einen direkten Vergleich der „Bancec factors“ und 28 U.S.C. § 1610(g)(1) s. Court of Appeals, 19.07.2016, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 830 F.3d 470, 483. 367 „[G]overnment instrumentalities established as juridical entities distinct and independent from their sovereign should normally be treated as such. Thus, as a default, those agencies and instrumentalities of a foreign state were to be considered separate legal entities that cannot be held liable for acts of the foreign state.“, Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816, 822, unter Bezugnahme auf: Supreme Court, 17.06.1983, First Nat. City Bank v. Banco Para El Comercio Exterior de Cuba (Bancec),103 S.Ct. 2591, 2600 ff.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
güter, in die zulässigerweise vollstreckt werden kann, beträchtlich erweitert.368 Hinzu tritt, dass die Vollstreckung in Vermögensgüter eines fremden Staates wegen der Unterstützung des Terrorismus keinen besonderen Schranken unterliegt. Weder wird die Vollstreckung wie bei § 201 TRIA auf „compensatory damages“ begrenzt, noch erfolgt nach dem Wortlaut der Norm eine Beschränkung der Vollstreckung in Vermögensgüter, die lediglich nicht-hoheitlichen Funktionen dienen. In der Folge wurde in einer Vielzahl von Fällen versucht, auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1610(g) in Vermögensgüter des fremden Staates zu vollstrecken. Strittig war im Rahmen der Anwendung des 28 U.S.C. § 1610(g) dabei insbesondere, ob eine Vollstreckung in sämtliche Vermögensgüter durch die Norm gestattet wird oder aber, ob nur kommer ziellen Funktionen dienende Vermögensgüter der Vollstreckung unterfallen. Infolgedessen kristallisierte sich folgende, die grundsätzliche Anwendbarkeit des 28 U.S.C. § 1610(g) betreffende Kernfrage heraus: „The issue at hand is whether § 1610(g) […] like the commercial activity exception in § 1610(a)(7), […] provides an independent exception to immunity so that it allows a § 1605A judgment holder to attach and execute against any property of the foreign state, regardless of whether the property is deprived of immunity elsewhere in § 1610.“369
Berufungsgerichte der verschiedenen U.S.-circuits interpretierten 28 U.S.C. § 1610(g)(1) in beide Richtungen,370 was zu einem sogenannten „split“ in der Rechtsprechung der US-amerikanischen Berufungsgerichte führte und schließlich durch den U.S. Supreme Court im Falle Rubin v. Iran zur Entscheidung angenommen wurde.371 Im Falle Rubin v. Iran versuchten die Urteilsgläubiger historische und kulturelle Güter des Iran zu pfänden,372 um 368 Supreme
827.
Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816,
369 Vgl. Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816, 823. 370 Der Court of Appeals für den 7th Circuit begreift 28 U.S.C. § 1610(g) nicht als eigenständige Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität, Court of Appeals (7th Circuit), 19.07.2016, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 830 F.3d 470, 483 ff. Dem stehen folgende berufungsgerichtliche Entscheidungen entgegen: Court of Appeals (9th Circuit), 22.02.2016, Bennett v. Islamic Republic of Iran, 825 F.3d 949, 959; Court of Appeals (D.C. Circuit), 02.08.2016, Weinstein v. Islamic Republic of Iran, 831 F.3d 470, 483; Court of Appeals (2nd Circuit), 20.07.2016, Kirschenbaum v. 650 Fifth Avenue and Related Properties, 830 F.3d 107, 123. 371 Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816. 372 Zu den kulturellen Gütern in die vollstreckt werden sollte, gehörte unter anderem die Persepolis Collection, die sich als Leihgabe Irans in dem Oriental Institute der University of Chicago befindet. Die Sammlung beinhaltet Artifakte, die bei Ausgrabungen in den 1930er Jahren entdeckt wurden, s.: The University of Chicago –
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren215
die durch den District Court for the District of Columbia zugesprochenen Schadenersatzforderungen in Höhe von 71,5 Millionen USD zu befriedigen.373 Der U.S. Supreme Court entschied schließlich im Januar 2018 einstimmig, dass es sich bei 28 U.S.C. § 1610(g) nicht um eine selbständige Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität handele und zunächst eine der anderen Ausnahmen des 28 U.S.C. § 1610 erfüllt sein müsse, bevor eine Vollstreckung nach 28 U.S.C. § 1610(g) zulässig sei. Zur Begründung führte der Supreme Court aus, dass: „Section 1610(g) conspicuously lacks the textual markers, ‚shall not be immune‘ or ‚notwithstanding any other provision of law,‘ that would have shown that it serves as an independent avenue for abrogation of immunity. In fact, its use of the phrase ‚as provided in this section‘ signals the opposite: A judgment holder seeking to take advantage of § 1610(g)(1) must identify a basis under one of § 1610’s express immunity-abrogating provisions to attach and execute against a relevant property. […] Moreover […] [i]f the Court were to conclude that § 1610(g) establishes a basis for the withdrawal of property immunity any time a plaintiff holds a judgment under § 1605A, each of those provisions [28 U.S.C. §§ 1610(a)(7), (b) (3), (f)(1), and § 201 of the TRIA] would be rendered superfluous because a judgment holder could always turn to § 1610(g), regardless of whether the conditions of any other provision were met.“374
Der Supreme Court setzt somit der Anwendung des 28 U.S.C. § 1610(g) klare Grenzen. Die Kläger müssen fortan darlegen, dass die Vollstreckungsimmunität aufgrund einer der bestehenden Ausnahmen des 28 U.S.C. § 1610 oder des § 201 TRIA zu beschränken ist, bevor 28 U.S.C. § 1610(g) zur Anwendung gelangen kann.375 28 U.SC. § 1610(g) kommt jedoch weiterhin insoweit eine eigenständige Bedeutung zu, als dass zur Vollstreckung in Vermögensgüter, die nicht dem Staat unmittelbar, sondern staatlichen, selbständigen juristischen Personen zuzuordnen sind, die in 28 U.S.C. § 1610(g)(1) (A) – (E) genannten Kriterien entgegen der bis dato herrschenden gericht lichen Praxis nicht vorliegen müssen.376 The Oriental Institute, https://oi.uchicago.edu/museum-exhibits/persepolis (Stand 14.05.2020). Vgl. hierzu: Ray, Persepolis Collection: Iranian Artifacts Immune from Execution, in: Legal Analysis and Commentary on Art and Cultural Property, 15.03.2018, abrufbar unter: https://www.gtlaw-culturalassets.com/2018/03/persepoliscollection-iranian-artifacts-immune-from-execution/ (Stand: 14.05.2020). 373 District Court, 10.09.2003, Campuzano v. Islamic Republic of Iran, 281 F.Supp.2d 258. 374 Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816, 824. 28 U.SC. 375 Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816, 824, 825. 376 Supreme Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816, 824, 822 f., 824.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Die Feststellung, dass es sich bei 28 U.S.C. § 1610(g) nicht um eine selbständige Ausnahme zur Vollstreckungsimmunität des fremden Staates handelt, hat dabei die entscheidende Folge, dass nur kommerziellen Zwecken dienendes Eigentum der Vollstreckung unterliegen kann, es sei denn, die immunitätsaufhebende Vorschrift sieht explizit die Vollstreckung auch in hoheitlichen Zwecken dienendes Eigentum vor: „The Court’s interpretation of § 1610(g) is also consistent with the historical practice of rescinding attachment and execution immunity primarily in the context of a foreign state’s commercial acts. This focus of the FSIA is reflected within § 1610, as subsections (a), (b), and (d) all outline exceptions to immunity of property when that property is used for commercial activity. The Court’s reading of § 1610(g) means that individuals with § 1605A judgments against a foreign state must primarily invoke other provisions revoking the grant of immunity for property related to commercial activity, including § 1610(a) (7), unless the property is expressly carved out in an exception that applies ‚[n]otwithstanding any other provision of law,‘ § 1610(f)(1)(A); § 201(a) of the TRIA. That result is consistent with the history and structure of the FSIA. Throughout the FSIA, special avenues of relief to victims of terrorism exist, even absent a nexus to commercial activity. Where the FSIA goes so far as to divest a foreign state or property of immunity in relation to terrorism-related judgments, however, it does so expressly. See §§ 1605A, 1610(a)(7), (b)(3), (f) (1)(A); § 201(a) of the TRIA. Out of respect for the delicate balance that Congress struck in enacting the FSIA, we decline to read into the statute a blanket abrogation of attachment and execution immunity for § 1605A judgment holders absent a clearer indication of Congress’ intent.“377
Wird die Vollstreckungsimmunität nicht nach 28 U.S.C. § 1610(f)(A) oder nach § 201(a) TRIA aufgehoben, die als einzige Vorschriften auch die Vollstreckung in hoheitlichen Funktionen dienende Vermögensgüter gestatten, so kann nach 28 U.S.C. § 1610(g) ebenfalls nicht in hoheitlichen Zwecken dienende Vermögensgüter vollstreckt werden. Nach 28 U.S.C. § 1610(g)(2) kann in Vermögensgüter des fremden Staates vollstreckt werden, die nach 28 U.S.C. § 1610(g)(1) nicht der Immunität unterfallen, auch wenn dieses Eigentum durch die US-Regierung nach anderen gesetzlichen Vorschriften reguliert wird.378 Somit ist letztlich auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1610(g)(2) eine Vollstreckung auch in blockierte Ver377 Supreme
825.
Court, 21.02.2018, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 138 S.Ct. 816,
378 28 U.S.C. § 1610(g)(2): „United states sovereign immunity inapplicable: Any property of a foreign state, or agency or instrumentality of a foreign state, to which paragraph (1) applies shall not be immune from attachment in aid of execution, or execution, upon a judgment entered under section 1605A because the property is regulated by the United States Government by reason of action taken against that foreign state under the Trading With the Enemy Act or the International Emergency Economic Powers Act.“
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren217
mögensgüter zulässig. Anders als bei § 201(a) TRIA erfolgt keine Beschränkung der Vollstreckung ausschließlich zur Befriedigung von „compensatory damages“, so dass eine Vollstreckung auch zur Befriedigung der vielfach exorbitant ausfallenden „punititve damages“ grundsätzlich zulässig ist.379 In der Zusammenschau stellt 28 U.S.C. § 1610(g) obgleich der restriktiven Auslegung durch den U.S. Supreme Court eine Erweiterung der Vollstreckungsmöglichkeiten der Kläger dar. Denn auch wenn weiterhin nur in (blockiertes) kommerzielles Eigentum vollstreckt werden kann, so bedeutet die Tatsache, dass eine Durchgriffshaftung auf selbständige juristische Personen des fremden Staates zulässig ist, ohne dass ein besonderer Nexus zwischen dem Staat und der selbständigen juristischen Person bestehen muss, eine erhebliche Erweiterung des Kreises der Vermögensgüter, die der Vollstreckung unterfallen können. 7. Vollstreckung im Falle des 28 U.S.C § 1605B
Die jüngst eingeführte Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, 28 U.S.C § 1605B sieht die Aufhebung der Staatenimmunität gegenwärtig nur für das Erkenntnisverfahren vor.380 Eine parallele Regelung für die Vollstreckungsimmunität fremder Staaten wurde durch den Kongress nicht verabschiedet. Dies wird Kläger, die ein Urteil gegen einen fremden Staat auf Grundlage des 28 U.S.C § 1605B erwirken, vor erhebliche Hürden im Rahmen der anschließenden Vollstreckung des Urteils stellen.381 Es bleibt abzuwarten, ob der Kongress hier in der Zukunft reagieren wird. Dabei ist nicht fernliegend, dass der Kongress, anders als im Falle des 28 U.S.C. § 1605A, die Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität in Fällen des 28 U.S.C § 1605B keiner allgemeinen Regelung unterstellen wird. Denn 28 U.S.C. § 1605B birgt wesentlich mehr Konfliktpotential auf zwischenstaatlicher 379 S. aber 28 U.S.C. § 1606: „As to any claim for relief with respect to which a foreign state is not entitled to immunity under section 1605 or 1607 of this chapter, the foreign state shall be liable in the same manner and to the same extent as a private individual under like circumstances; but a foreign state except for an agency or instrumentality thereof shall not be liable for punitive damages; if, however, in any case wherein death was caused, the law of the place where the action or omission occurred provides, or has been construed to provide, for damages only punitive in nature, the foreign state shall be liable for actual or compensatory damages measured by the pecuniary injuries resulting from such death which were incurred by the persons for whose benefit the action was brought.“ 380 S. oben 6. Kapitel: A.II.3. 381 S. auch Coombes, 69 U.N.B. L.J. 2018, 252 (268 f.); Wuerth, Justice Against Sponsors of Terrorism Act: Initial Analysis, Lawfare, 29.09.2016, abrufbar unter: https://www.lawfareblog.com/justice-against-sponsors-terrorism-act-initial-analysis (Stand: 14.05.2020).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Ebene, da nicht lediglich einige wenige Staaten, die durch die US-Regierung wie im Falle des 28 U.S.C. § 1605A als „state sponsor of terrorism“ designiert wurden,382 sondern potentiell jeder Staat, also auch verbündete Staaten der USA, verklagt werden können. Indem der US-Kongress von einer Ermächtigung zur Vollstreckung von auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B ergangenen Urteilen absieht, stellt er den Schutz zwischenstaatlicher Beziehungen in den Vordergrund und behält sich die Kontrolle der zwischenstaatlichen Beziehungen in letzter Instanz vor. Denkbar ist allenfalls, dass der Kongress erneut handelt, wenn ein Urteil auf Grundlage des 28 U.S.C § 1605B gegen einen fremden Staat ergangen ist und, wie bereits in der Vergangenheit geschehen, ein Gesetz erlässt, in dem die Vollstreckung für bestimmte Verfahren oder mit Blick auf einen bestimmten verurteilten Staat gestattet wird.383 Auf diese Weise behält sich der US-Kongress die Kontrolle im Bereich der Gestaltung der zwischenstaatlichen Beziehungen vor und kann eine Abwägung zwischen den Interessen der Kläger und den außenpolitischen Interessen der USA vornehmen. Eine erweiternde Auslegung der bestehenden vollstreckungsrechtlichen Vorschriften durch die US-amerikanischen Gerichte scheint insbesondere unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidung des U.S. Supreme Court im Falle Rubin v. Iran, in der der Supreme Court eine ausdrückliche Ermächtigung zur Begrenzung der Vollstreckungsimmunität des fremden Staates voraussetzt,384 fernliegend, und dürfte wohl als Umgehung der engen Tatbestandsvoraussetzungen des 28 U.S.C. § 1610 gewertet werden. Auch eine Interpretation der Vorschriften, die den Willen des Kongresses dahingehend verstehen würde, auch die Vollstreckungsimmunität im Falle der Immunitätsbeschränkung nach 28 U.S.C. § 1605B begrenzen zu wollen, ist nicht naheliegend. Die jüngste Terrorismusausnahme enthält eine Vielzahl detaillierter Regelungen und soll eine „proper balance between [U.S.] interests abroad and the right of [U.S.] citizens to obtain redress when they are victims of terrorism on U.S. soil“ darstellen.385 Eine Regelung der Vollstreckungsimmunität scheint vor diesem Hintergrund bewusst nicht aufgenommen worden zu sein. Vielmehr scheint der Verzicht auf die Beschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des 28 U.S.C. § 1605B einen Kompromiss für den Ver382 S.
oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(1). etwa § 502 des Iran Threat Reduction and Syria Human Rights Act of 2012, PL 112-158, 10.08.2012, 126 Stat. 1258, kodifiziert in 22 U.S.C. § 8772, der die Vollstreckung konkret in Vermögensgüter des Iran für zulässig erklärt. Für möglich hält dies auch Wuerth, Justice Against Sponsors of Terrorism Act: Initial Ana lysis, Lawfare, 29.09.2016, abrufbar unter: https://www.lawfareblog.com/justiceagainst-sponsors-terrorism-act-initial-analysis (Stand: 14.05.2020). 384 S. oben 7. Kapitel: B.I.6. 385 114th Congress, 28.09.2016, 162 Cong. Rec. S6166-03, 2016 WL 5420834. 383 Wie
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren219
zicht der Designation des Staates als „state sponsor of terrorism“ durch die US-Regierung als Voraussetzung für die Aufhebung der Immunität im Erkenntnisverfahren darzustellen. II. Kanada Kanada sieht, wie auch die USA im Falle des 28 U.S.C. § 1605A, die Vollstreckung in Vermögensgüter des fremden Staates im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vor. 1. State Immunity Act
Zeitgleich mit der Ergänzung des State Immunity Act um eine Terrorismus ausnahme zur Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren, Sec. 6.1(1) SIA, führt der kanadische Gesetzgeber im Jahr 2012 Regelungen zur Beschränkung der Vollstreckungsimmunität des fremden Staates im Falle der Unterstützung des Terrorismus ein. Dabei statuiert der kanadische State Immunity Act zwei grundlegende Beschränkungen der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus. Zum einen kann die Vollstreckungsimmunität nach Sec. 12(1)(d) SIA dann aufgehoben werden, wenn: „[…] the foreign state is set out on the list referred to in subsection 6.1(2) and the attachment or execution relates to a judgment rendered in an action brought against it for its support of terrorism or its terrorist activity and to property other than property that has cultural or historical value.“
Ausgenommen von der Vollstreckung im Falle des staatlich geförderten Terrorismus ist nach dem Wortlaut von Sec. 12(1)(d) SIA ausschließlich Eigentum von kulturellem oder historischem Wert. Während der Wortlaut des Sec. 12(1)(d) SIA die Vollstreckung in diplomatischen und konsularischen Funktionen dienende Vermögensgüter nicht explizit ausschließt, entscheidet der Ontario Court of Appeal, dass auch diplomatischen und konsularischen Funktionen dienende Vermögensgüter von der Vollstreckung grundsätzlich ausgeschlossen sind.386 Abgesehen davon ist eine Vollstreckung nach Sec. 12(1)(d) SIA grundsätzlich zulässig, wenn ein Urteil gegen den fremden Staat wegen der Unterstützung terroristischer Aktivitäten erlassen wurde. Zum anderen sind innerhalb Kanadas belegene Vermögensgüter eines fremden States, der auf der „List of Foreign State Supporters of Terrorism“ 386 Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549, Rn. 102 ff.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
nach Sec. 6.1(2) SIA steht,387 nach Sec. 12(1)(b) SIA nicht geschützt, wenn diese zur Unterstützung oder zur Ausübung terroristischer Aktivitäten verwendet werden oder eine solche Verwendung beabsichtigt ist: „[…] property of a foreign state that is located in Canada is immune from attachment and execution […] except […] if the foreign state is set out on the list referred to in subsection 6.1(2), is used or is intended to be used by it to support terrorism or engage in terrorist activity.“
Eine Beschränkung auf kommerzielle Vermögensgüter sieht Sec. 12(1)(b) SIA nicht vor. Dient das Vermögensgut terroristischen Zwecken, so scheint eine Vollstreckung zulässig zu sein, auch wenn es sich um diplomatisches oder konsularisches Eigentum handelt. Die Vollstreckung in terroristischen Zwecken dienende Vermögensgüter ist dabei ungeachtet dessen möglich, ob ein Urteil gegen den fremden Staat wegen der Unterstützung des Terrorismus im Erkenntnisverfahren erwirkt wurde. Dies lässt sich aus einem Umkehrschluss zu Sec. 12(1)(d) SIA folgern, der, anders als Sec. 12(1)(b) SIA, ausdrücklich voraussetzt, dass die Vollstreckung „relates to a judgment rendered in an action brought against it for its support of terrorism or its terrorist activity“. Ausreichend ist somit, dass generell ein Urteil gegen den fremden Staat erwirkt wurde, gleich aus welchem Grund die Staatenimmunität beschränkt wurde. 2. Justice for Victims of Terrorism Act
Neben die Regelungen des Sec. 12(1)(b), (d) SIA tritt Sec. 4(5) des Justice for Victims of Terrorism Act (JVTA). Diese Vorschrift sieht die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile vor, die wegen der Unterstützung des Terrorismus gegen einen fremden Staat ergangen sind, wenn der fremde Staat als „state sponsor of terrorism“ in Kanada designiert ist: „A court of competent jurisdiction must recognize a judgment of a foreign court that, in addition to meeting the criteria under Canadian law for being recognized in Canada, is in favour of a person that has suffered loss or damage referred to in subsection (1). However, if the judgment is against a foreign state, that state must be set out on the list referred to in subsection 6.1(2) of the State Immunity Act for the judgment to be recognized.“
Dabei hat der Kläger nach Sec. 4(5) JVTA vor kanadischen Gerichten nicht erneut nachzuweisen, dass der beklagte Staat Terrorismus im Sinne des Sec. 2.1 SIA unterstützt hat.388 Um ein ausländisches Urteil nach Sec. 4(5) JVTA in Kanada zu vollstrecken, hat der Kläger darzulegen, dass: 387 S.
hierzu oben 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(1). Ontario Superior Court of Justice, 09.06.2016, Tracy (Litigation guardian of) v. Iran, 2016 ONSC 3759, Rn. 82. 388 Hierzu
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren221 „1. The foreign judgment must meet the criteria under Canadian law for being recognized in Canada; 2. The foreign judgment must be in favour of the plaintiff for loss or damage referred to in s. 4(1) of the JVTA; and 3. The state sponsor of terrorism must be on the list referred to in s. 6.1(2) of the SIA.“389
Das Zusammenspiel von SIA und JVTA ermöglicht eine recht weitgehende Grundlage zur Einschränkung der Vollstreckungsimmunität fremder Staaten im Falle des staatlich unterstützten Terrorismus. Durch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile unterscheidet sich die kanadische Gesetzgebung von der US-amerikanischen Terrorismusausnahme zur Staaten immunität und geht einen Schritt weiter.390 Weniger weitgehend scheint die kanadische Gesetzgebung im Vergleich zur US-amerikanischen jedoch hinsichtlich der Vollstreckung in Vermögenswerte staatlich gegründeter selbständiger juristischer Personen. Ein solcher Haftungsdurchgriff lässt sich der kanadischen Gesetzgebung nicht entnehmen.
C. Ein Pyrrhussieg der Kläger? Die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität erfuhr in der Vergangenheit neben diversen außenpolitischen Bedenken insbesondere mit Blick auf die nicht Vollstreckbarkeit der Urteile grundlegende Kritik.391 Lange Zeit war in der Praxis in den USA eine Vollstreckung in Vermögensgüter des fremden Staates nahezu unmöglich, da entweder keine entsprechenden Vermögensgüter des fremden Staates ermittelt werden konnten, in die eine Vollstreckung nach dem engen gesetzlichen Rahmen zulässig gewesen wäre oder aber die Exekutive den Zugriff auf bestimmte Vermögensgüter des fremden Staates aus außenpolitischen Gründen verwehrte.392 Oftmals war daher der langwierige und kostspielige Klageweg, den Opfer terroristischer Anschläge bestritten, letztlich nicht gekrönt von dem Erfolg, die ihnen zugesprochenen Schadensersatzforderungen auch tatsächlich zu befriedigen. Dies führte zu der Annahme, bei dem Sieg der Kläger handele es sich um einen Pyrrhus389 Ontario Superior Court of Justice, 09.06.2016, Tracy (Litigation guardian of) v. Iran, 2016 ONSC 3759, Rn. 71; bestätigt durch Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549, Rn. 59 ff. 390 Hierzu ausführlich unten 7. Kapitel: C.IV. 391 Baletsa, U. Pa. L. Rev. 2000, 1247 (1291 ff.); Gartenstein-Ross, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2001, 887 (910 ff.); Taylor, Ariz. L. Rev. 2003, 533 (544 ff.); Slaughter/ Bosco, Foreign Aff. 2000, 102 (106 ff.); Vadnais, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 2000, 199 (211 ff., 216 ff.). 392 S. hierzu oben 7. Kapitel: B.I.; Early, 14 Conn. J. Int’l L. 1999, 203 (233 f.); Gartenstein-Ross, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2001, 887 (941).
222
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
sieg.393 Dem Obsiegen der Kläger über den fremden Staat wurde daher ausschließlich ein moralischer oder psychologischer Effekt zugeschrieben.394 Tatsächlich zeigt die oben dargestellte Entwicklung, insbesondere der USamerikanischen Gesetzgebung zur Beschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus, mit der zugrundeliegenden erheblichen rechtlichen Komplexität, den praktischen Hürden, vollstreckbare Vermögenswerte ausfindig zu machen und in diese tatsächlich zu vollstrecken, der wiederholten Einflussnahme der Exekutive auf die Vollstreckungsimmunität zu Gunsten der fremden Staaten sowie dem anhaltenden Tauziehen zwischen Kongress und Regierung, dass die Vollstreckung eines Urteils im Falle des staatlich geförderten Terrorismus zweifelsfrei kein „Selbstläufer“ ist. Vielfach wird jedoch in jüngerer Zeit allzu leichtfertig und oberflächlich auf die Fruchtlosigkeit der Terrorismusausnahme mit Blick auf die Vollstreckungserfolge der Kläger verwiesen.395 Denn betrachtet man die letzten zehn Jahre, so lassen sich eine Vielzahl nicht unerheblicher Erfolge der Kläger verzeichnen. Wie es im Folgenden aufzuzeigen gilt, gelang es Klägern, Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe gegen den Iran, Kuba, Libyen, den Irak sowie den Sudan zu befriedigen.396 Wesentlich ist zudem, den Blick nicht ausschließlich auf die materielle Entschädigung der Opfer zu richten. Dies mag insbesondere in dem prozessfreudigen, von Strafschadensersatz geprägten Rechtssystem der USA ein vorherrschender Gedanke bei der Beurteilung der Effektivität der Terrorismusausnahmen sein. Ein Urteil, das gegen einen „state sponsor of terrorism“ ergeht, hat für die Kläger jedoch auch jenseits einer monetären Kompensation grundlegende Bedeutung.397 Im Folgenden soll daher zunächst die Bedeutung eines gerichtlichen Urteils für Opfer terroristischer Anschläge jenseits vollstreckungsrechtlicher Erfolge erörtert und in der Analyse eingeordnet werden.398 Sodann soll ge-
393 S. etwa District Court, 30.09.2009, In re Islamic Republic of Iran Terrorism Litigation, 659 F.Supp.2d 31, 55: „As this Court observed how many plaintiffs struggled to enforce their court judgments in FSIA terrorism cases against Iran, this Court began to refer these judgments as ‚Pyrrhic Victories.‘ “. 394 Early, 14 Conn. J. Int’l L. 1999, 203 (234). 395 So etwa Coombes, 69 U.N.B. L.J. 2018, 252. Coombes geht in ihrer Analyse nicht einmal auf das im Jahr 2016 ergangene Urteil des Supreme Court, 20.04.2016, Bank Markazi v. Peterson, 136 S. Ct. 1310, ein, das die Vollstreckung in Vermögensgüter des Iran in Milliardenhöhe für zulässig erklärt, vgl. hierzu ausführlich unten 7. Kapitel: C.II. 396 S. unten 7. Kapitel: C.II. 397 S. unten 7. Kapitel: C.I.; Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (222). 398 7. Kapitel: C.I.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren223
zeigt werden, dass es sich auch mit Blick auf die monetäre Kompensation der Kläger längst nicht mehr um einen Pyrrhussieg handelt.399 I. Bedeutung eines Urteils jenseits vollstreckungsrechtlicher Erfolge Um die Frage zu beantworten, ob es sich bei dem Obsiegen der Kläger gegen den fremden Staat im Erkenntnisverfahren lediglich um einen Pyrrhussieg handelt, ist neben der tatsächlich erlangten monetären Kompensation auch die Bedeutung eines Urteils gegen den fremden Staat als solche zu betrachten, ungeachtet nachfolgender vollstreckungsrechtlicher Erfolge.400 1. Symbolische Gerechtigkeit und Rehabilitierung
Wenngleich die finanzielle Kompensation für eine Vielzahl von Opfer und Hinterbliebene ein zentrales Ziel von Schadensersatzklagen gegen den fremden Staat darstellt, so stellen auch das Verlangen nach Wahrheit und Gerechtigkeit einerseits und der Anerkennung, Würdigung sowie Erinnerung der Verstorbenen andererseits zentrale, eigenständige Motive zur Klageerhebung dar, denen im Rahmen eines Zivilprozesses Rechnung getragen werden kann.401 Im Falle Jones v. Saudi Arabia betont das Gericht die Bedeutung zivilrechtlichen Rechtsschutzes jenseits der Kompensation von Schäden:
399 7. Kapitel:
C.II., III., IV. betonte bereits Lauterpacht in seinem vielbeachteten Beitrag zur Staaten immunität Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (222). 401 S. etwa District Court, 20.05.2003, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 264 F.Supp.2d 46, 63 f. (Klage wegen der Anschläge auf den US-Stützpunkt in Beirut 1983, bei dem 241 US-Soldaten getötet wurden): „The Court also heard testimony from the men and women who have brought the present actions about their reasons for so doing. During the trial, Lt. Col. Howard Gerlach, who was paralyzed in the October 23 attack, was asked about what he hoped to achieve by participating in these actions: Well, I guess there’s three words: accountability, deterrence and justice […]. Then the third thing is the justice, and this refers to the people, a good portion of [whom] are in this room…. They lost a large chunk of their lives, young Marines, sons, husbands, fathers, brothers […] I think this is … the day in court, literally and figuratively speaking, for recognition of just how great these guys were. The Court also heard the testimony of Lynn Smith Derbyshire, whose brother, Capt. Vincent Smith, was killed in the October 23 attack: […] I have spoken to quite a number of the family member and I think we’re all – I think they would all agree with me when I tell you that what Vince would have wanted was justice. Vince was a fair-minded man. Vince was a man of integrity, as I know so many of the men who were lost that day were. It’s the kind of men Marines are. That’s what the Marine Corps produces. And Vince would have wanted us to fight. […] But he can’t be here, and in his name, and in his honor, and with the permission of some of the other family members here 400 Dies
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
„[T]here are cases and torture is among them, where the value of civil redress may be suggested to lie as much in terms of the ability to establish the truth and so to assist rehabilitation or closure as in terms of the prospect of financial re covery.“402
Ein Urteil gegen einen fremden, den Terrorismus fördernden Staat erfüllt in diesem Zusammenhang eine beträchtliche symbolische Bedeutung für die Kläger.403 Durch die Klagemöglichkeit gegen einen fremden, den Terrorismus unterstützenden Staat wird den Opfern und Hinterbliebenen gerade in den Fällen, in denen eine unabhängige Gerichtsbarkeit in dem fremden Staat selbst nicht besteht,404 vor unabhängigen Gerichten offiziell Gehör geschenkt. Sie erfahren im Sinne der angelsächsischen Redewendung ihren „day in court“.405 Opfer und Hinterbliebene können im Rahmen eines rechtstaatlichen Verfahrens ihre persönliche Geschichte öffentlich erzählen und … in their names and in their honor, I salute them, and we stand together to do what they cannot do for themselves.“ 402 Court of Appeal (UK), 28.10.2004, Jones v. Saudi Arabia, [2005] 2 W.L.R. 808, 849. S. auch Novogrodsky, EJIL 2007, 939 (950). 403 So auch Murphy, Int’l L. 1998, 453 (460); Schnably, U. Miami Int’l & Comp. L. Rev. 2016, 285 (308). 404 Vgl. bspw. Supreme Court of Canada, 10.10.2014, Kazemi (Estate) v. Iran, 159 ILR 299, 305: „In late July, the Iranian government commissioned an investigation into Ms. Kazemi’s death. Despite a report linking members of the judiciary and the Office of the Prosecutor to Ms. Kazemi’s torture and subsequent death, only one individual, Mr. Reza Ahmadi, was tried. The trial was marked by a lack of transparency. Mr. Ahmadi was acquitted. In short, it was impossible for Ms. Kazemi and her family to obtain justice in Iran.“ 405 Vgl. hierzu Goldsmith/Goodman, in: Moore, S. 140 f. („Even if plaintiffs cannot enforce judgments obtained against terrorists, civil litigation still gives them the opportunity to have a day in court to tell their story publicly and to persuade a judge or jury to officially condemn the defendant’s acts.“). Senator Blumenthal führt im Rahmen einer Anhörung bezüglich des JASTA diesbezüglich aus: „Mr. President, I am honored to open the debate today on the effort by this body and by the U.S. Congress to give the loved ones of the victims of terrorism on 9/11 their day in court – simple justice. […] That is what the legal system of this country is designed to do. It is the system where I spent my career before the Senate working to ensure accountability for wrongdoers and the restoration of victims’ rights – promises to citizens that are made by our Constitution that there will be a neutral and fair forum to determine their claims.These families will never get their loved ones back, but they deserve justice and a day in court […] Fifteen years after that tragedy we are still learning facts, but there is mounting evidence that the Saudi Government – or at least organizations and operatives within the Saudi Government – aided and abetted one of the most massive crimes in the United States. In our system, the truth behind those facts deserves to be presented in a court – a court of law where fairness and justice will be assured. This measure does not prejudge a verdict or issue a judgment. It gives both sides a fair day in court.“, 114th Congress, 28.09.2016, 162 Cong. Rec. S6166-03, 2016 WL 5420834.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren225
die Verantwortlichkeit eines fremden Staates durch ein Gericht offiziell feststellen lassen.406 Das Bestreiten des Klageweges ist dabei ein zentrales Element auf der Suche nach Gerechtigkeit und kann wesentlich zu der persönlichen Auf- und Verarbeitung des Geschehenen sowie dem mentalen Heilungsprozess der Opfer und Hinterbliebenen beitragen.407 Für Opfer und Hinterbliebene wichtige Aspekte eines gerichtlichen Verfahrens mit Blick auf die individuelle Bewältigung des ihnen Widerfahrenen sind dabei die Aufklärung des Geschehenen und die damit verbundene Kenntniserlangung von der Wahrheit sowie die offizielle Feststellung der Verantwortlichkeit der Akteure. Die Ermittlung der Wahrheit spielt dabei in mehrfacher Hinsicht eine wesentliche Rolle: Zum einen dient die Feststellung der Wahrheit den Klägern dazu, das Geschehene zu verarbeiten sowie die Erinnerung an die verstorbenen Opfer aufrechtzuerhalten und diese zu würdigen.408 Zum anderen trägt die öffentliche Konstatierung der Wahrheit durch ein Gerichtsurteil der Bewahrung der Erinnerung an das Geschehene im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft sowie der Nachwelt bei und kann auf diese Weise einen Beitrag dazu leisten, dass sich das Geschehene nicht wiederholt.409 Dies hat Stimmen in der Literatur dazu veranlasst, Zivilklagen gegen Staaten, die den Terrorismus fördern, als „the litigator’s form of truth comission“ zu bezeichnen.410 Die grundsätzliche Bedeutung der Kenntnis der Wahrheit für Opfer und Hinterbliebene spiegelt sich auch auf völkerrechtlicher Ebene wider. So statuiert etwa das „Updated Set of Principles for the Protection and Promotion of Human Rights through Action to Combat Impunity“ der Vereinten Nationen das „inalienable right to the truth“ eines Volkes als solchem sowie „the victims right to know“.411 Die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen durch Resolution angenommenen „Basic Principles and Guidelines 406 Goldsmith/Goodman, in: Moore, S. 140; Bradley, Chi. J. Int’l L. 2001, 457 (459); Slaughter/Bosco, Foreign Aff. 2000, 102 (106); a. A. Gartenstein-Ross, der auf die Medien als alternative Plattform für die Opfer verweist, Gartenstein-Ross, N.Y.U. J. Int’l L. & Pol. 2001, 887 (942). 407 Schupack, Duke L.J. 2010, 207 (240); Bradley, Chi. J. Int’l L. 2001, 457 (459). 408 Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 112. 409 Murphy, Rev. Litig. 2008, 315 (316); Shelton, Remedies in International Human Rights Law, S. 112; Stephens u. a., International Human Rights Litigation in U.S. Courts, S. 239. Auch dies ist vielfach ein Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen selbst, vgl. Vadnais, UCLA J. Int’l L. & Foreign Aff. 2000, 199 (216). 410 Wedgwood, in: Moore, S. 170. 411 United Nations, Economic and Social Council, Updated Set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, E/ CN.4/2005/102/Add.1, 08.02.2005, Prinzip 2 und 4. In Prinzip 4 heißt es: „[…] victims and their families have the imprescriptible right to know the truth about the
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ betonen: „22. Satisfaction should include, where applicable, any or all of the following: (b) Verification of the facts and full and public disclosure of the truth […] (d) An official declaration or a judicial decision restoring the dignity, the reputation and the rights of the victim and of persons closely connected with the victim […].“412
Diese Beispiele zeigen die Bedeutung der offiziellen Feststellung der Wahrheit für Opfer und Hinterbliebene sowie der Rehabilitierung der Opfer. Hiermit geht die Feststellung der Verantwortlichkeit der Akteure einher. Auch hierin liegt ein zentrales, von monetärer Kompensation unabhängiges Motiv zur Klageerhebung.413 Von besonderer Bedeutung ist zudem, dass Gerichte ungeachtet der wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen der jeweils amtierenden Regierung des Forumstaates die Verantwortlichkeit eines Staates für terroristische Akte überprüfen.414 Gerichte können so insbesoncircumstances in which violations took place and, in the event of death or disappearance, the victims’ fate.“ 412 GA/Res 60/147, 21.03.2006. Auch der umfassenden Rechtsprechung des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinsichtlich symbolischer Komponenten der Wiedergutmachung lassen sich diese Prinzipien entnehmen, vgl. IAGMR, 19.11.1999, Case of the „Street Children“ (Villagrán Morales y otros) v. Guatemala, para 84; ders., 26.05.2001, Case of the „Street Children“ (Villagrán Morales y otros) v. Guatemala, (Reparations and Costs), para 100. S. hierzu auch Steiner u. a., Convención Americana sobre Derechos Humanos comentario, S. 864 ff. 413 Deutlich wird dies etwa an der Aussage der Witwe eines der Piloten jener Flugzeuge, die am 11. September 2001 von Terroristen entführt und in die Türme des World Trade Center gesteuert wurden: „I was never in this for the money. I wanted accountability […] The money will never bring back my husband so I don’t care about it.“, zitiert in Gilbert, Critical Studies on Terrorism 2018, 199 (209). Siehe auch die Aussage des im Libanon entführten und gefolterten T. Anderson: „When I first filed the suit, it had more to do with what I thought would be just than with whether I thought I would win.“, in: Miller, Terrorism Victims Set Precedent, Washington Post, 22.10.2000, abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com/-archive/poli tics/2000/10/22/-terrorism-victims-set-precedent/d40f8695-f513-4d6a-8dcb-78afd 3e441b9/ (Stand: 14.05.2020). 414 Beispielhaft kann hier die Beziehung zwischen den USA und Saudi-Arabien angeführt werden, die neben einer strategischen Partnerschaft durch ein hohes wirtschaftliches Interesse der USA an Rüstungsexporten und Ölimporten bestimmt wird, s. hierzu bereits oben 6. Kapitel: A.II.3.a)aa). Beispielhaft kann hier auch die Reaktion des US-Präsidenten Trump auf die Ermordung Jamal Khashoggis angeführt werden: „Punishing Saudi Arabia, Mr. Trump said, would put at risk $ 110 billion in military sales to Boeing, Lockheed Martin, Raytheon and other military contractors, as well as $340 billion in other investments, which the Saudis have agreed to make
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren227
dere in Zeiten einer nur schwer berechenbaren Regierung für Stabilität sorgen und stellen ein neutrales, unabhängiges Forum zur Aufklärung dar. Gerade auch mit Blick auf die Feststellung der Verantwortlichkeit unterscheidet sich ein gerichtliches Verfahren gegen einen fremden, mutmaßlich den Terrorismus unterstützenden Staat grundlegend von anderen Instrumenten der Entschädigung von Opfern terroristischer Akte, wie etwa der Entschädigung der Opfer im Wege staatlicher Entschädigungsprogramme des Heimatstaates der Opfer.415 Während Opfer im Rahmen staatlicher Entschädigungsprogramme zwar eine finanzielle Entschädigung erhalten, erfüllt ein derartiges Programm anders als ein gerichtliches Verfahren, die für Opfer und Hinterbliebene symbolische Komponente nicht, weder hinsichtlich der Ermittlung der Wahrheit, noch hinsichtlich der Feststellung der Verantwortlichkeit oder der Rehabilitierung der Opfer, und kommt in der Wirkung somit eher einer Versicherung gleich.416 Die Suche nach Gerechtigkeit, die Ermittlung der Wahrheit und Feststellung der Verantwortlichkeit des fremden Staates sowie die Rehabilitierung der Opfer ist für Opfer und Hinterbliebene terroristischer Akte von grundlegender Bedeutung. Diesen Faktoren kann im Wege eines Zivilprozesses gegen einen fremden Staat Rechnung getragen werden. 2. Prangerwirkung und Stärkung des Terrorismusverbots
Wird durch ein Urteil die Verantwortlichkeit eines Staates für die Unterstützung oder Durchführung terroristischer Akte festgestellt und diesem Staat auferlegt, die Opfer zu entschädigen, so trägt ein Urteil auch zur Stärkung des Verbots des Terrorismus respektive des Verbots der Förderung des Terrorismus als solchem bei.417 Es sendet zudem ein Signal an alle Staaten, sich vergleichbarem Verhalten zu enthalten und entfaltet Prangerwirkung mit Blick auf den verurteilten Staat.418 Durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die ein Urteil generiert, insbesondere auch bei der Zivilbevölkerung des verurteilten Staates, kann sich der Druck auf den verurteilten Staat erhöhen, since he became president.“, in: Landler, In extraordinary statement Trump stands with Saudis despite Khashoggi Killing, The New York Times, 20.11.2018, abrufbar unter: https://nyti.ms/2Dz0VCU (Stand: 14.05.2020). 415 Gilbert, Critical Studies on Terrorism 2018, 199 (209 ff.). 416 Gilbert, Critical Studies on Terrorism 2018, 199 (209 ff.). 417 Reisman/Hakimi, Ala. L. Rev. 2002, 561 (565). 418 Vergleichbar mit dem Prinzip des „naming and shaming“ der finalen Stellungnahmen der National Contact Points der OECD Mitglieder, die die Einhaltung der „OECD Guidelines for Multinational Enterprises“ überwachen, s. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht § 4, Rn. 69.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
seine Praktiken zu reformieren.419 Auch auf diese Art und Weise kann es möglich sein, einen Staat zu rechtmäßigem Verhalten zurückzuführen und künftige Verstöße zu unterbinden. Schließlich kann die weltweit negative Außenwirkung, die ein Urteil im Falle des staatlich unterstützten Terrorismus generiert, andere Staaten dazu anhalten, ihre Beziehungen mit dem verurteilten Staat zu prüfen. 3. Begründung einer moralischen Verpflichtung und Verhandlungsgrundlage
Ein Urteil gegen einen den Terrorismus unterstützenden Staat kann darüber hinaus eine moralische Verpflichtung auf Seiten des verurteilten Staates begründen, sich künftig entsprechend dem Urteil zu verhalten und etwaige Schadensersatzforderungen freiwillig zu begleichen.420 Auch mit Blick auf die Normalisierung oder die Wiederaufnahme zwischenstaatlicher Beziehungen kann die (teilweise) Befriedigung von Schadensersatzansprüchen durch den verurteilten Staat eine Voraussetzung sein und als Druckmittel fungieren.421 Dem durch die Kläger erwirkten Urteil kommt dann letztlich nicht 419 Bradley, Chi. J. Int’l L. 2001, 457 (459); Slaughter/Bosco, Foreign Aff. 2000, 102 (106). S. auch District Court, 20.05.2003, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 264 F.Supp.2d 46, 62: „Dr. Patrick Clawson, deputy director of the Washington Institute for Near East Policy, described the manner in which civil judgments for acts of state-sponsored terrorism have had a noticeable impact upon the present regime in Iran: ‚I think, sir, that the Iranians have been extraordinarily sensitive to court actions […] which make any references to the top leadership of the country being involved in these cases. That has been a matter of greatest sensitivity in Iran, and there have been several cases in which the Iranians reacted extremely strongly, particularly to suggestions that the supreme religious leader was involved in any way in these activities … I have to say that I think that they pay quite detailed attention to these judgments …‘ “. 420 Schaumann, in: BerDGVR 8 (1968), S. 135. 421 Vgl. hierzu Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 82 f.; Damrosch, Vand. J. Transnat’l L. 2011, 1185 (1195); Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (29 f.); Lauterpacht, BYIL 1951, 220 (222). Beispielhaft hierfür ist die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und Libyen mit dem Abschluss des Comprehensive Claims Settlement Agreement in dessen Rahmen sich Libyen zur Zahlung von 1,5 Milliarden USD an Urteilsgläubiger von auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A erwirkten Urteilen bereit erklärte, Claims Settlement Agreement between the United States of America and the Great Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 14.08.2008, T.I.A.S. No. 08-814 („In order to further the process of normalization of relations on the basis of equality and mutual benefit […]“); s. auch Executive Order 13477, 31.10.2008, 73 Fed.Reg. 65965 ff.; vgl. hierzu Blanchard/ Zanotti, CRS Report for Congress RL33142, 2011, 1 (34 ff.); Lyubarsky, N.Y.U. L. Rev. 2016, 458 (484 f.). S. hinsichtlich des Vergleiches mit dem Irak zur Kompensation der Kläger in Fällen des § 28 U.S.C. § 1605A in Höhe von 400 Millionen USD: Claims Settlement Agreement Between the Government of the United States of
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren229
ausschließlich eine symbolische Wirkung zu, sondern es bildet zugleich eine Verhandlungsgrundlage im Rahmen zwischenstaatlicher Verhandlungen und kann so zu einer Kompensation der Kläger führen. Auch aus diesem Grunde kann das Erstreiten eines Urteils für Kläger erstrebenswert sein, selbst wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils der Weg der Vollstreckung des Urteils hürdenreich scheint. 4. Die Nichtvollstreckbarkeit von Urteilen als Katalysator zur Fortentwicklung vollstreckungsrechtlicher Vorschriften
Seit der Einführung der Terrorismusausnahme in den USA im Jahre 1996 wurden die gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus kontinuierlich angepasst und anfängliche Hürden in weiten Teilen behoben, die insbesondere durch erfolglose Vollstreckungsversuche der Urteilsgläubiger zu Tage traten und schließlich den US-Kongress wiederholt dazu veranlassten, im Sinne der Opfer terroristischer Anschläge gesetzgeberisch tätig zu werden.422 Dem Erwirken eines Urteils auf Ebene des Erkenntnisverfahrens kann demzufolge mit Blick auf die Entwicklung der Beschränkung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich unterstützten Terrorismus eine katalysierende Wirkung beigemessen werden. Denn würden Opfer und Hinterbliebene mangels Erfolgsaussichten im Vollstreckungsverfahren bereits von dem Erheben einer Klage gegen den fremden Staat absehen, so bestünde für den Gesetzgeber keine Notwendigkeit, mit Blick auf die vollstreckungsrechtlichen Immunitätsvorschriften gesetzgeberisch tätig zu werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unwahrscheinlich, dass der US-Kongress künftig mit Blick auf Klagen auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B eine Anpassung der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften zur Staatenimmunität vornehmen wird.
America and the Government of the Republic of Iraq, 02.09.2010, T.I.A.S. No. 11-522; s. hierzu auch Lyubarsky, N.Y.U. L. Rev. 2016, 458 (486 f.). S. zur Kompensations zahlung Deutschlands im Falle Princz, Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 82 f.: „It is safe to conclude that this agreement is the result of the immense political pressure brought on the Federal Republic whose reputation in the American public was at stake. Thus, the Princz case is an illustrative example of the merit or menace, depending on one’s point of view, of a public hearing in a court of law.“ 422 S. oben 7. Kapitel: B.I. Dies lässt sich auch mit Blick auf die ursprüngliche Entstehung der Terrorismusausnahme (28 U.S.C § 1605(a)(7)) im Jahr 1996 feststellen, Early, Conn. J. Int’l L. 1999, 203 (207); Murphy, Int’l L. 1998, 453 (454).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
II. Bislang vollstreckte Summen Die Fortentwicklung der Vorschriften zur Vollstreckungsimmunität eines fremden Staates in den USA hat unterdessen bereits positive Auswirkungen auf den Erfolg, den Urteilsgläubiger mit Blick auf die Befriedigung ihrer Schadensersatzforderungen gegen fremde Staaten verzeichnen können.423 Im Falle Alejandre v. Cuba, dem ersten Urteil auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, erhalten Hinterbliebene von drei, durch die kubanische Luftwaffe in ihren Flugzeugen abgeschossenen Piloten der Hilfsorganisation „Brothers to the Rescue“, 97 Mio. USD, liquidiert aus eingefrorenen kubanischen Vermögenswerten.424 Kläger im Falle Martinez v. Cuba erhalten mindestens 7,1 Mio. USD liquidiert aus kubanischen Vermögenswerten.425 Bis zur Versagung der Vollstreckung in irakische Vermögensgüter durch den US-Präsidenten George W. Bush, der im Jahr 2003 im Wege einer Executive Order eingefrorene irakische Vermögensgüter dem Wiederaufbau des Irak widmete,426 erlangten Urteilsgläubiger des Irak auf Grundlage der Vollstreckung nach dem FSIA sowie dem TRIA rund 140 Mio. USD, liquidiert aus blockierten irakischen Vermögenswerten.427 Hinzu treten 400 Mio. USD aus dem zwischen den USA und dem Irak abgeschlossenen Claims Settlement Agreement.428 423 Die im Folgenden genannten Summen sind nicht abschließend. Informationen über die tatsächliche Befriedigung der Schadensersatzforderungen sind nicht in allen Fällen ermittelbar oder öffentlich zugänglich. Hinzu tritt die Tatsache, dass sich Urteilsgläubiger teilweise durch nicht öffentlich gemachte Vergleiche mit den Beklagten einigen. Vgl. zu den Settlement Agreements zwischen einiger der Peterson Claimants und Clearstream S.A. sowie UBAE, Court of Appeals, 09.07.2014, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 758 F.3d 185, 189; ders., 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 71 ff. 424 District Court, 17.12.1997, Alejandre v. Republic of Cuba, 996 F.Supp. 1239; Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (69), Appendix A, Table A-1. S. zur gesetzlichen Grundlage oben 7. Kapitel: B.I.4. 425 Circuit Court (Miami-Dade County), 09.03.2001, Martinez v. Republic of Cuba, Case No. 99-18208 CA 20; zitiert in: District Court, 28.04.2010, Martinez v. Republic of Cuba, 708 F.Supp.2d 1298; Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (70), Appendix A, Table A-1. 426 Executive Order 13290, 24.03.2003, 68 Fed. Reg. 14307, 14308. 427 Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (32). Zu den vollstreckten Urteilen gegen den Irak zählen: District Court, 1995, Dadesho v. Government of Iraq, D.C. No. CV-92-05491-REC (1,5 Mio. USD); Berufung zurückgewiesen durch Court of Appeals, 24.03.1998, Dadesho v. Government of Iraq, 139 F.3d 766; District Court, 05.12.2001, Hill v. Republic of Iraq, 175 F.Supp.2d 36 (94,11 Mio. USD); District Court, 25.05.2001, Daliberti v. Republic of Iraq, 146 F.Supp.2d 19 (ca. 18,8 Mio. USD). 428 Claims Settlement Agreement Between the Government of the United States of America and the Government of the Republic of Iraq, 02.09.2010, T.I.A.S. No. 11-
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren231
Libyen zahlt aufgrund eines zwischen den USA und Libyen verhandelten Claims Settlement Agreements 1,5 Milliarden USD in einen, durch die U.S.Foreign Claims Settlement Comission verwalteten Fond, die die Gelder an Urteilsgläubiger Libyens wegen der Förderung des Terrorismus ausschüttet.429 Die Kommission schloss diesen Prozess im Jahr 2013 ab.430 Dabei erhalten allein die Kläger im Falle des Abschusses des Pan Am Fluges 103 über Lockerbie in Schottland 536 Mio. USD und Kläger im Falle des Bombenanschlags auf die Diskothek La Belle in Berlin 283 Mio. USD.431 Urteilsgläubiger des Iran erhalten bis zum Jahre 2003 nach § 2002 des Victims of Trafficking and Violence Protection Act insgesamt 504 Mio. USD.432 Dabei erhalten Hinterbliebene der in Israel durch einen Anschlag der Hamas getöteten Alisa Flatow rund 26 Mio. USD.433 Unter den Urteilsgläubigern, die Teile ihrer Schadensersatzforderungen vollstrecken konnten, sind auch die Opfer der Lebanon Hostage Crisis von 1985. Im Falle Cicippio v. Islamic Republic of Iran erhielten die Urteilsgläubiger rund 73 Mio. USD;434 Angehörige des verstorbenen Marine Soldaten Higgins erhielten rund 57 Mio. USD.435 Auch nach 2003 können Urteilsgläubiger des Iran weitere, teilweise bemerkenswerte Erfolge im Rahmen der Zwangsvollstre522; s. hierzu Lyubarsky, N.Y.U. L. Rev. 2016, 458 (486 f.). Vgl. hierzu auch oben 7. Kapitel: C.I.3. 429 Claims Settlement Agreement between the United States of America and the Great Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 14.08.2008, T.I.A.S. No. 08-814; s. auch Executive Order 13477, 31.10.2008, 73 Fed.Reg. 65965 ff. Vgl. hierzu auch oben 7. Kapitel: C.I.3. 430 The United States Department of Justice – Foreign Claims Settlement Commission of the U.S., Claims Against Libya, abrufbar unter https://www.justice. gov/fcsc/claims-libya-december-2008-referral-and-january-2009-referral (Stand: 14.05.2020). Eine konkrete Aufstellung der Ausschüttung der Gelder unter Angaben der zugrundeliegenden Entscheidungen ist abrufbar unter: https://www.justice.gov/ fcsc/final-opinions-and-orders-5#s2 (Stand: 14.05.2020). 431 Hierzu m. w. N. Blanchard/Zanotti, CRS Report for Congress RL33142, 2011, 1 (35 ff.). 432 Die Summe basiert auf Angaben von Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (69 ff.), Appendix A, Table A-1 Judgments Against Terrorist States Covered by VTVPA § 2002 (P.L. 106–386). 433 District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1; Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (69), Appendix A, Table A-1. 434 District Court, 27.08.1998, Cicippio v. Islamic Republic of Iran, 18 F.Supp.2d 62; Elsea, Congressional Research Service: Report for Congress 2008, 1 (69). 435 District Court, 21.09.2000, Higgins v. Islamic Republic of Iran, 2000 WL 33674311; Elsea, CRS Report for Congress RL31258, 2008, 1 (69); Miller, Terrorism Victims Set Precedent, Washington Post, 22.10.2000, abrufbar unter: https://www. washingtonpost.com/-archive/-politics/2000/10/22/terrorism-victims-set-precedent/ d40f8695-f513-4d6a-8dcb-78afd3e441b9/ (Stand: 14.05.2020).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
ckung in iranische Vermögenswerte verzeichnen. So gelang es achtzehn Gruppen von Urteilsgläubigern, die sich aus mehr als eintausend Urteilsgläubigern zusammensetzen, im Jahre 2008 Vermögenswerte der iranischen Zentralbank, Bank Markazi, ausfindig zu machen.436 Bei den ermittelten Vermögenswerten handelte es sich unter anderem um Bareinnahmen der iranischen Zentralbank aus Staatsanleihen in Höhe von 1,75 Milliarden USD, die die iranische Zentralbank über verschiedene Finanzinstitute (Clearstream S.A., UBAE) bei der Citibank in New York hielt.437 Den Urteilsgläubigern gelang es in einem ersten Schritt, einen Vollstreckungsbescheid über die Vermögensgüter zu erwirken, der eine Verfügungsbeschränkung hinsichtlich dieser Vermögenswerte begründete.438 Damit verhinderten die Urteilsgläubiger zunächst die Übertragung der Vermögenswerte.439 Sodann beantragten die Urteilsgläubiger im Juni 2010, erneut auf dem Klageweg, die Übertragung dieser Vermögenswerte zur Befriedigung ihrer Schadensersatzforderungen („turnover order“).440 Im Nachgang dieser Anordnung wurde durch gerichtlichen Beschluss ein Fonds für die Kläger errichtet, in den die entsprechenden Vermögenswerte transferiert wurden.441 Das zuständige Bezirksgericht 436 District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 1 ff. 437 District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 1 ff.; Court of Appeals, 09.07.2014, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 758 F.3d 185, 188. 438 District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 5; Court of Appeals, 09.07.2014, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 758 F.3d 185, 188. Eine Verfügungsbeschränkung hinsichtlich dieser Vermögenswerte begründete später auch die Executive Order des US-Präsidenten Obama, E.O.13599, 05.02.212, 77 Fed.Reg. 6659, durch die US-Präsident Obama alle Vermögenswerte des Iran innerhalb der USA, einschließlich solche der Zentralbank des Iran, blockierte, s. hierzu oben 7. Kapitel: B.I.5. Eine weitere Verfügungsbeschränkung sieht 22 U.S.C. § 8772 vor. 439 Eben diese Gefahr hat sich hinsichtlich anderer Vermögensgüter (Wertpapieren) des Iran in Höhe von 250 Millionen USD verwirklicht. Nachdem durch ein USamerikanisches Gericht die Verfügungsbeschränkung hinsichtlich dieser Wertpapiere aufgehoben wurde, verkaufte die iranische Zentralbank diese an die Bank UBAE (mit Sitz in Italien), die wiederum die Wertpapiere auf dem freien Markt veräußerte, vgl. hierzu District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 2, 16. 440 District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 5. Bei einer „turnover order“ handelt es sich um „[a]n order by which the court commands a judgment debtor to surrender certain property to a judgment creditor, or to the sheriff or constable on the creditor’s behalf. Such an order is usually directed to property that is difficult to acquire by the ordinary judgment-collection process, such as share certificates and accounts receivable.“, Garner, Black’s Law Dictionary, „Order“. 441 Beschluss v. 9.07.2013, zitiert in District Court, 06.06.2016, Peterson v. Islamic Republic of Iran, WL 9447953, 1.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren233
ordnete schließlich im Jahr 2013 die Übertragung der Vermögensgüter an die Kläger an.442 Bestätigt wird diese Anordnung im Jahre 2014 durch den Court of Appeals443 und schließlich im Jahr 2016 durch den U.S. Supreme Court.444 Die Liquidierung der Vermögenswerte sowie die Auszahlung an die Urteilsgläubiger erfolgte noch im Jahr 2016.445 Weitere der im Jahr 2008 ermittelten Vermögenswerte der iranischen Zentralbank mit einem Wert von ca. 1,68 Milliarden USD sind in den Büchern von Clearstream S.A. in Luxemburg verzeichnet und sind derzeit ebenfalls Gegenstand von laufenden gerichtlichen Verfahren in den USA sowie in Luxemburg.446 Daneben können Urteilsgläubiger weitere, wenngleich kleinere, Erfolge im Rahmen der Zwangsvollstreckung verzeichnen. Im Jahre 2009 gelang es Urteilsgläubigern im Falle Weinstein v. Islamic Republic of Iran Erlöse der Bank Melli aus dem Verkauf eines Gebäudes in New York in Höhe von 1,6 Mio. USD zu pfänden.447 Zwei Jahre später gelang Urteilsgläubigern die Pfändung ausstehender Forderungen der Iranian Telecommunication Infrastructure Co. gegenüber Sprint in Höhe von 614 Tsd. USD.448 Im Falle Bennett v. Islamic Republic of Iran erklärten Gerichte die Vollstreckung auf Grundlage von § 201(a) TRIA und 28 U.S.C. § 1610(g) in Vermögensgüter der Bank Melli, dem größten iranischen Finanzdienstleistungsinstitut, das sich zu hundert Prozent im Eigentum der iranischen Regierung befindet,449 mit einem Wert
442 District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 34. 443 Court of Appeals, 09.07.2014, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 758 F.3d 185. 444 Supreme Court, 20.04.2016, Bank Markazi v. Peterson, 136 S. Ct. 1310. Der Iran hat daraufhin am 14.06.2016 ein Verfahren gegen die USA vor dem IGH eingeleitet, vgl. IGH, 14.06.2016, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. Unit ed States of America) (Application instituting proceedings), abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/en/case/164 (Stand: 14.05.2020). 445 District Court, 06.06.2016, Peterson v. Islamic Republic of Iran; WL 9447953, 1: „This is the final chapter in a protracted saga.“; vgl. hierzu auch Office of Foreign Assets Control (OFAC) – U.S. Department of Treasury, Terrorist Assets Reports Calendar Year 2016, S. 14, abrufbar unter: https://www.treasury.gov/resource-center/ sanctions/Programs/Documents-/tar2016.pdf (Stand: 14.05.2020). 446 S. hierzu ausführlich unten 7. Kapitel: C.III. 447 District Court, 05.06.2009, Weinstein v. Islamic Republic of Iran, 624 F.Supp.2d 272; bestätigt durch: Court of Appeals, 15.06.2010, Weinstein v. Islamic Republic of Iran, 609 F.3d 43; cert. den., Supreme Court, 26.06.2012, Bank Melli Iran New York Representative Office v. Weinstein, 567 U.S. 934. 448 District Court, 10.08.2011, Estate of Heiser v. Islamic Republic of Iran, 807 F.Supp.2d 9. 449 Court of Appeals, 22.06.2016, Bennett v. Islamic Republic of Iran, 825 F.3d 949, 957.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
von 17,6 Mio. USD für rechtmäßig.450 Darüber hinaus gelang es Urteilsgläubigern ein Urteil des U.S. District Courts for the Southern District of California zu pfänden,451 welches einen Schiedsspruch der International Chamber of Commerce (ICC) zugunsten des Iran gegen die amerikanische Firma Cubic Defense Systems bestätigt und einen Anspruch auf Zahlung von 9,4 Mio. USD begründet.452 Die Vollstreckung in dieses Urteil wurde durch den Court of Appeals für rechtmäßig erklärt und in der Folge eine Anordnung zur Auszahlung der Gelder an die Urteilsgläubiger erlassen.453 Abschließend soll auf das im Juni 2017 ergangene, besonders spektakuläre Urteil des District Court for the Southern District of New York verwiesen werden. Das Gericht bestätigt hier nach einer Zurückverweisung des Falles durch den Court of Appeals454 die bereits durch das Bezirksgericht im Jahr 2014 erlassene „turnover order“ und stellt die Berechtigung von Urteilsgläu450 District Court, 28.02.2013, Bennett v. Islamic Republic of Iran, 927 F.Supp.2d 833; Court of Appeals, 22.06.2016, Bennett v. Islamic Republic of Iran, 825 F.3d 949, 957; cert. den. Supreme Court, 05.03.2018, Bank Melli v. Bennett, 138 S.Ct. 1260. Bei den Vermögenswerten handelt es sich um einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 17,6 Mio. USD der Bank Melli gegenüber Visa Inc. Die Zahlungsansprüche basieren auf einem kommerziellen Vertragsverhältnis zwischen Visa Inc. und Bank Melli und wurden durch die Nutzung von Visa Karten im Iran begründet. Die Gelder wurden durch Visa Inc. nicht an Bank Melli ausgezahlt, da sie durch die US-Regierung blockiert wurden, vgl. Court of Appeals, 22.06.2016, Bennett v. Islamic Republic of Iran, 825 F.3d 949, 957. 451 District Court, 27.11.2013, Ministry of Defense and Support for Armed Forces of Islamic Republic of Iran v. Cubic Defense Systems, Inc., 984 F.Supp.2d 1070; Court of Appeals, 26.02.2016, Ministry of Defense and Support for the Armed Forces of the Islamic Republic of Iran v. Frym, 814 F.3d 1053. 452 District Court, 07.12.1998, Ministry of Defense and Support for Armed Forces of Islamic Republic of Iran v. Cubic Defense Systems, Inc., 29 F.Supp.2d 1168. In dem Schiedsverfahren zwischen dem Verteidigungsministerium des Iran und Cubic Defense Systems wurde dem iranischen Verteidigungsministerium eine Summe von 2,8 Mio. USD plus Zinsen (insgesamt 9,4 Mio. USD) zugesprochen, ibid. 1170 ff.; Court of Appeals, 26.02.2016, Ministry of Defense and Support for the Armed Forces of the Islamic Republic of Iran v. Frym, 814 F.3d 1053, 1054. Auf Grundlage der Executive Order von Präsident Obama, E.O.13599, 77 Fed.Reg. 6659, wurde das den Schiedsspruch anerkennende US-Urteil ein „blocked asset“ im Sinne des TRIA, Court of Appeals, 26.02.2016, Ministry of Defense and Support for the Armed Forces of the Islamic Republic of Iran v. Frym, 814 F.3d 1053, 1059. 453 Court of Appeals, 26.02.2016, Ministry of Defense and Support for the Armed Forces of the Islamic Republic of Iran v. Frym, 814 F.3d 1053, 1057, s. auch IGH, 14.06.2016, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. United States of America) (Application instituting proceedings), Annex 2, Table 3, abrufbar unter: https://www.icj-cij.org/files/case-related/164/164-20160614-APP-01-01-EN.pdf (Stand: 14.05.2020). 454 Court of Appeals, 20.07.2016, Kirschenbaum v. 650 Fifth Avenue, 830 F.3d 107; der Supreme Court lehnte das Revisionsbegehren der Alavi Foundation, durch
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren235
bigern des Iran fest, eine Vollstreckung in die Liegenschaft 650 Fifth Avenue, einem sechsunddreißigstöckigen Hochhaus in New York City, den Erlösen aus der Vermietung der Liegenschaft sowie weitere, dem Iran zuzuordnende Vermögenswerte vorzunehmen.455 Allein die Liegenschaft an der Fifth Avenue in Manhattan wird mit einem Wert von mindestens 500 Mio. USD geschätzt.456 Hinzu treten beträchtliche Mieteinnahmen aus dieser Liegenschaft sowie weitere Vermögensgüter, in die das Gericht die Vollstreckung als zulässig erachtet.457 In einem parallel hierzu geführten Zivilverfahren wurde nach einem Jury Trial dem Begehren der US-Regierung auf Beschlagnahme („forfeiture“) der Liegenschaft 650 Fifth Avenue sowie weiterer Vermögenswerte stattgegeben.458 Dabei handelt es sich nach Angaben des US-Justizministeriums um „the largest civil forfeiture jury verdict and the largest terrodie der Iran, unter anderem, in den Vereinigten Staaten handelte, ab: Supreme Court, 20.03.2017, Alavi Foundation et al. v. Kirschenbaum, 137 S.Ct. 1332. 455 District Court, 29.06.2017, Kirschenbaum v. 650 Fifth Ave., 257 F.Supp.3d 463; vgl. hinsichtlich der ursprünglichen „turnover order“: District Court, 28.03.2014, In re 650 Fifth Ave. and Related Properties, 2014 WL 1284494. 456 Department of Justice, U.S. Attorney’s Office, Acting Manhattan U.S. Attorney Announces Historic Jury Verdict Finding Forfeiture Of Midtown Office Building And Other Properties, 29.06.2017, abrufbar unter: https://www.justice.gov/usao-sdny/pr/ acting-manhattan-us-attorney-announces-historic-jury-verdict-finding-forfeituremidtown (Stand: 14.05.2020). 457 District Court, 29.06.2017, Kirschenbaum v. 650 Fifth Ave., 257 F.Supp.3d 463; s. hinsichtlich der in Rede stehenden Vermögensgüter ausführlich: District Court, 16.09.2013, In re 650 Fifth Ave., 2013 WL 5178677. 458 District Court, 29.06.2017, In re 650 Fifth Ave. and Related Properties, Case NO. 08-cv-10945, zitiert in District Court, 01.09.2017, In re 650 Fifth Ave. & Related Properties, 2017 WL 3834795 (Case NO. 08-cv-10945 selbst ist nicht öffentlich); vgl. hierzu jedoch Department of Justice, Press Release, Acting Manhattan U.S. Attorney Announces Historic Jury Verdict Finding Forfeiture Of Midtown Office Building And Other Properties, 29.06.2017, abrufbar unter: https://www.justice.gov/usaosdny/pr/acting-manhattan-us-attorney-announces-historic-jury-verdict-findingforfeiture-midtown (Stand: 14.05.2020). Hinsichtlich der Historie des „asset forfeiture“-Verfahrens der US-Regierung s.: District Court, 16.09.2013, In re 650 Fifth Ave., 2013 WL 5178677; Court of Appeals, 20.07.2016, In re 650 Fifth Ave. and Related Properties, 830 F.3d 66; District Court, 15.05.2017, In re 650 Fifth Ave. and Related Properties, 2017 WL 2062983; s. auch: Wang, Manhattan Skyscraper Linked to Iran Can Be Seized by U.S., Jury Finds, The New York Times, 29.06.2017, ab rufbar unter: https://www.nytimes.com/2017/06/29/nyregion/650-fifth-avenue-iranterrorism.html (Stand: 14.05.2020); Pierson, Jury finds United States may seize Iranlinked office tower, Reuters, 29.06.2017, abrufbar unter: https://www.reuters.com/ article/us-usa-iran-lawsuit/jury-finds-united-states-may-seize-iran-linked-officetower-idUSKBN19K2NB (Stand: 14.05.2020); Mortimer, US says it is ready to seize Iranian-American skyscraper in New York, The Independent, 30.06.2017, abrufbar unter: https://www.independent.co.uk/news/world-0/us-new-york-iran-economic-sanc tions-alavi-foundation-justice-department-a7817741.html#comments (Stand: 14.05. 2020).
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rism-related civil forfeiture in United States history“.459 Diese Vermögenswerte werden künftig an die Urteilsgläubiger, die berechtigt sind, in selbige zu vollstrecken, durch die US-Regierung liquidiert und übertragen.460 III. Vollstreckung in extraterritoriale Vermögenswerte 1. Vollstreckung durch Gerichte des Drittstaates
Die Terrorismusausnahme zur Vollstreckungsimmunität beschäftigte jüngst auch Gerichte europäischer Staaten. Am 14.06.2016 gelang es Urteilsgläubigern, die ein Urteil gegen den Iran wegen der Unterstützung des Terrorismus erwirkt hatten, bezüglich Vermögenswerten der iranischen Zentralbank in Höhe von 1,68 Milliarden USD,461 die sich bei Clearstream S.A. mit Sitz in Luxemburg befinden, eine Verfügungsbeschränkung über diese Vermögensgüter bis zur Entscheidung über die Pfändung zu erwirken.462 Ein luxembur459 Department of Justice, U.S. Attorney’s Office, Acting Manhattan U.S. Attorney Announces Historic Jury Verdict Finding Forfeiture Of Midtown Office Building And Other Properties, 29.06.2017, abrufbar unter: https://www.justice.gov/usao-sdny/pr/ acting-manhattan-us-attorney-announces-historic-jury-verdict-finding-forfeituremidtown (Stand: 14.05.2020). 460 Department of Justice, U.S. Attorney’s Office, Acting Manhattan U.S. Attorney Announces Historic Jury Verdict Finding Forfeiture Of Midtown Office Building And Other Properties, 29.06.2017, abrufbar unter: https://www.justice.gov/usao-sdny/pr/ acting-manhattan-us-attorney-announces-historic-jury-verdict-finding-forfeituremidtown (Stand: 14.05.2020). 461 Bei den Vermögenswerten handelt es sich konkret um das Recht der Bank Markazi gegenüber Clearstream S.A. auf Auszahlung von Anleiheerlösen, vgl. Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 90: „the plaintiffs seek turnover of Iran’s right to payment in the amount of $ 1.68 billion, represented as a positive account balance and recorded on the books of Clearstream in Luxembourg.“ 462 Vgl. La Justice Grand-Duché de Luxembourg, Décision du juge des référés dans le cadre de l’instance introduite par la Banque Centrale d’Iran, 22.03.2017, abrufbar unter: http://justice.public.lu/fr/actualites/2017/03/refere-banque-centrale-iranheritiers-11-septembre/index.html?highlight=clearstream (Stand:14.05.2020); s. auch Wolosky L. (ehemaliger U.S. Botschafter und White House Counterterrorism Official) und Gottlieb M. (ehemaliger Senior White House und State Department Official), Vertreter der Urteilsgläubiger, Boies Schiller Flexner LLP, Brief an den luxem burgischen Premierminister X. Bettel, 02.03.2017, abrufbar unter: https://assets. documentcloud.org/documents-/3480413/Wolosky-Letter-to-PM-Bettel-Iran-defaultjudgment.pdf (Stand: 14.05.2020); Deutsche Börse Group, Financial Report 2017, S. 100, abrufbar unter: https://www.deutsche-boerse.com/resource/blob/82362/e986e6 2162c3d76fb11e26b6689e9968/data/DBG-financial-report-2017.pdf (Stand: 14.05. 2020); s. hierzu auch Savage, Iran Nuclear Deal Could Be Gateway for Terrorism Legal Claims, The New York Times, 06.03.2017, abrufbar unter: https://nyti.ms/ 2mxa9rv (Stand 14.05.2020).
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren237
gisches Gericht lehnte im März 2017 den Eilantrag der iranischen Zentralbank, Bank Markazi, sowie den Nebenantrag von Clearstream S.A. auf Freigabe dieser Vermögenswerte und Feststellung der Unzulässigkeit der Pfändung ab.463 Im Januar 2018 bestätigte ein luxemburgisches Berufungsgericht die Entscheidung des Eilrichters, da eine Pfändung der Vermögenswerte durch die Urteilsgläubiger, auf Grundlage von Urteilen US-amerikanischer Gerichte, nicht offensichtlich gegen ein Pfändungsverbot verstoße.464 Die Ablehnung des Antrags auf Freigabe der Vermögenswerte der iranischen Zentralbank durch die luxemburgischen Gerichte stellte einen wichtigen Teilsieg der Kläger dar. Die Verlagerung dieser Vermögenswerte durch den Iran und folglich die Vereitelung einer potentiellen Vollstreckung in diese Gelder war somit mangels Zugriffs auf die Vermögenswerte vorerst nicht möglich. Im März 2019 lehnte jedoch die Erste Zivilkammer des Bezirksgerichts Luxemburg die Vollstreckung der Urteile unter Verweis auf die Staatenimmunität ab.465 Es bleibt offen, wie eine Entscheidung in der nächsten Instanz ausfällt. Neben den Gerichten in Luxemburg befassen sich derzeit auch italienische Gerichte mit der Vollstreckung von US-amerikanischen Urteilen, die auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität gegen den Iran ergangen sind, in innerhalb Italiens belegene Vermögensgüter des Iran.466 In einer ersten Entscheidung ordnete der Corte d’Appello di Roma im Juni 2018 eine Verfügungsbeschränkung bezüglich Vermögensgüter der Bank Markazi 463 Vgl. La Justice Grand-Duché de Luxembourg, Décision du juge des référés dans le cadre de l’instance introduite par la Banque Centrale d’Iran, 22.03.2017, abrufbar unter: http://justice.public.lu/fr/actualites/2017/03/refere-banque-centraleiran-heritiers-11-septembre/index.html?highlight=clearstream (Stand: 14.05.2020); s. auch: Luxembourg Times, Freezing of Iranian assets legal, 22.03.2017, Luxembourg judge rules, abrufbar unter: https://luxtimes.lu/archives/2854-freezing-of-iranianassets-legal-luxembourg-judge-rules (Stand: 14.05.2020); Daily Mail, Luxembourg court denies Iran demand to unblock assets, 22.03.2017, abrufbar unter: http://www. dailymail.co.uk/wires/afp/article-4340012/-Luxembourg-court-denies-Iran-demandunblock-assets.html (Stand: 14.05.2020). 464 Vgl. Communiqué de presse à propos de l’arrêt du 10 janvier 2018 de la Cour d’appel, siégeant en matière d’appel de référé, dans le cadre de l’instance introduite par la Banque Centrale d’Iran, 10.01.2018, abrufbar unter: http://justice.public.lu/fr/ actualites/2018/01/-arret-refere-banque-centrale-iran/index.html?highlight=clear stream (Stand: 14.05.2020). 465 Tribunal d’arrondissement de Luxembourg (LUX), 27.03.2019, Jugement civil 2019TALCH01/00116, abrufbar unter: https://justice.public.lu/dam-assets/fr/actua lites/-2019-/Jgt20190327-exequatur-anonyme.pdf (Stand: 14.05.2020). 466 S. hierzu Wolosky L., Boies Schiller Flexner LLP, Brief an den italienischen Premierminister Giuseppe Conte, 28.03.2019, abrufbar unter: https://int.nyt.com/data/ documenthelper/723-wolosky-italy-letter/2b36bf15b095a868f631/-optimized/full. pdf#page=1 (Stand:14.05.2020).
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
bis zur Höhe von 5.990.876.696,39 USD zur Sicherung der Zwangsvollstreckung an.467 Das Argument der Staatenimmunität lehnte das Gericht ab, da sich die Staatenimmunität nicht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu denen ein terroristischer Akt gehöre, erstrecke.468 Die Anordnung wurde zwar durch dasselbe Gericht auf Beschwerde der Bank Markazi im Oktober 2018 aufgehoben; die Erwägungen beruhten jedoch auf der unzureichenden Begründung einer realen Gefahr der drohenden Zerstreuung der Vermögenswerte durch die Bank Markazi.469 Zur Frage der Staatenimmunität äußert sich das Gericht nicht. Am 03.01.2019 beantragten die Urteilsgläubiger erneut die Anordnung einer Verfügungsbeschränkung bezüglich der Vermögensgüter der Bank Markazi.470 Es bleibt abzuwarten, wie italienische Gerichte entscheiden werden, insbesondere vor dem Hintergrund der Sentenza 238/2014 des italienischen Verfassungsgerichts.471 2. Anordnung der Übertragung von extraterritorialen Vermögensgütern in den Gerichtsstaat
Parallel zu den Verfahren vor europäischen Gerichten selbst ersuchten die Urteilsgläubiger des Iran den Zugriff auf die in Luxemburg belegenen Vermögensgüter des Iran im Wege einer „turnover order“ vor US-amerikanischen Gerichten.472 Der District Court lehnte diese jedoch ab, da der FSIA 467 Corte d’Appello di Roma (IT), 14.06.2018, N. 8714/17 R.g.c., S. 5, abgedruckt in Wolosky L., Boies Schiller Flexner LLP, Brief an den italienischen Premierminister Giuseppe Conte, Exhibit 1, 28.03.2019, abrufbar unter: https://int.nyt.com/ data/documenthelper/723-wolosky-italy-letter/2b36bf15b095a868f631/optimized/full. pdf#page=1 (Stand: 14.05.2020). 468 Corte d’Appello di Roma (IT), 14.06.2018, N. 8714/17 R.g.c., S. 5, abgedruckt in Wolosky L., Boies Schiller Flexner LLP, Brief an den italienischen Premierminister Giuseppe Conte, Exhibit 1, 28.03.2019, abrufbar unter: https://int.nyt.com/ data/documenthelper/723-wolosky-italy-letter/2b36bf15b095a868f631/optimized/full. pdf#page=1 (Stand: 14.05.2020). 469 Corte d’Appello di Roma (IT), 10.10.2018, Ordinanza 4570/2018, S. 3, abgedruckt in Wolosky L., Boies Schiller Flexner LLP, Brief an den italienischen Premierminister Giuseppe Conte, Exhibit 2, 28.03.2019, abrufbar unter: https://int.nyt.com/ data/documenthelper/723-wolosky-italy-letter/2b36bf15b095a868f631/optimized/full. pdf#page=1 (Stand: 14.05.2020). 470 S. hierzu Wolosky L., Boies Schiller Flexner LLP, Brief an den italienischen Premierminister Giuseppe Conte, 28.03.2019, abrufbar unter: https://int.nyt.com/ data/-documenthelper/723-woloskyitalyletter/2b36bf15b095a868f631/optimized/full. pdf#page=1 (Stand: 14.05.2020). 471 Corte Costituzionale (IT), 22.10.2014, Urteil Nr. 238/2014, 168 ILR 528; s. oben 3. Kapitel: A. 472 District Court, 20.02.2015, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson II), 2015 WL 731221; Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren239
eine Vollstreckung in außerhalb der USA belegene Vermögensgüter nicht gestatte.473 Der Court of Appeals hingegen befand unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Supreme Court im Falle Repub lic of Argentina v. NML Capital,474 dass sich die nach dem FSIA zu gewährende Immunität nicht auf außerhalb der USA belegene Vermögensgüter erstrecke.475 Diese würden somit per se zunächst keine Immunität genießen.476 Entscheidend sei vielmehr, ob das US-amerikanische Gericht „personal jurisdiction“ über den (Dritt-)Schuldner, im vorliegenden Fall Clearstream S.A. habe.477 Dies ist durch den District Court zu prüfen. Bejaht dieser die „personal jurisdiction“, so kann die Übertragung der Vermögenswerte in die USA angeordnet werden.478 Sobald sich die Vermögenswerte in den USA befinden, unterfallen sie dem FSIA.479 Eine „turnover order“ bezüglich der Vermögensgüter an die Urteilsgläubiger sei dann zulässig, wenn 473 District Court, 20.02.2015, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson II), 2015 WL 731221, 10: „The evidence in the record is clear that any assets in which Bank Markazi has an interest, and which are at issue in this action, are in Luxembourg. The FSIA does not allow for attachment of property outside of the United States.“ 474 Supreme Court, 22.06.2014, Republic of Argentina v. NML Capital, 134 S.Ct. 2250. In diesem Fall entschied der Supreme Court, dass ein discovery Verfahren in Bezug auf außerhalb den USA belegene Vermögensgüter zulässig sei, da nach 28 U.S.C. § 1609 nur Eigentum „in the United States“ Immunität genieße, 134 S.Ct. 2250, 2257. Dabei betont der Supreme Court: „Any sort of immunity defense made by a foreign sovereign in an American court must stand on the Act’s [FSIA] text. Or it must fall.“, 134 S.Ct. 2250, 2256. 475 Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 90 ff. Die gegenteilige Ansicht vertritt der Court of Appeals (7th Circuit), 19.07.2016, Rubin v. Islamic Republic of Iran, 830 F.3d 470, 475. S. hierzu: Stempel, U.S. appeals court revives claims in $1.7 billion Iran terrorism lawsuit, Reuters, 21.11.2017, abrufbar unter https://www.reuters.com/article/us-iran-lawsuit/u-s-appeals -court-revives-claims-in-1-7-billion-iran-terrorism-lawsuit-idUSKBN1DL25Q?il=0 (Stand: 14.05.2020). 476 Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 90. 477 Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 94. 478 Ibid. Dabei stützt sich der Court of Appeals auch auf das Recht des Staates New York. Danach kann ein New Yorker Gericht beim Bestehen von personal jurisdiction über den (Dritt-)Schuldner die Herausgabe bzw. Übertragung von außerhalb des Staates New York belegener Vermögenswerte nach New York anordnen, vgl. Court of Appeals, 04.06.2009, Koehler v. Bank of Bermuda Ltd., 12 N.Y.3d 533, 541. Im Fall Peterson I bejahte der District Court die personal jurisdiction über Clearstream S.A. sowie UBAE, District Court, 13.03.2013, Peterson v. Islamic Republic of Iran (Peterson I), 2013 WL 1155576, 11 ff., 18f. 479 Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 94.
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2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
die Vollstreckungsimmunität nach dem FSIA oder dem TRIA entfällt.480 Damit hebt der Court of Appeals das Urteil des District Court im Ergebnis teilweise auf. Die iranische Zentralbank sowie Clearstream S.A. und andere beteiligte Bankinstitute haben daraufhin im Mai 2018 den U.S. Supreme Court mit der Frage angerufen, ob die in Luxemburg belegenen Vermögensgüter Vollstreckungsimmunität genießen.481 Der Supreme Court verwies den Fall durch Entscheidung im Januar 2020 zurück an den 2nd Court of Appeal.482 Dieser solle unter Berücksichtung des zwischschenzeitlich erlassenen National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2020483, der in Sec. 1226 Erweiterungen des Iran Threat Reduction and Syrian Human Righs Act vorsieht, welche die Vollstreckung in außerhalb der USA belegene Vermögensgüter des Iran zum Gegenstand haben, in der Sache erneut entscheiden. Der 2nd Court of Appeal wiederum verweist durch Entscheidung vom Juni 2020 den Fall zurück an den District Court, mit der Maßgabe, die jüngsten Änderungen des Iran Threat Reduction and Syrian Human Rights Act im Rahmen der Prüfung der personal jurisdiction zu berücksichtigen, welche nach der Auffassung des Court of Appeals maßgeblich für die Frage der Vollstreckung in extraterritorial belegene Vermögens güter des Iran sei.484 Angesichts des klaren Wortlauts von Sec. 1226 des NDAA ist davon auszugehen, dass der District Court eine turnover order bezüglich der in Luxemburg belegenen Vermögensgüter des Iran erlassen wird. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Vollstreckung in diesem Fall entwickelt. Dass der Iran durch die gerichtlichen Verfahren jedoch zunehmend unter Druck gerät, zeigt auch die von der Bank Markazi gegen Clearstream Bank ing S.A. vor einem luxemburger Gericht am 17.01.2018 erhobene Klage auf Herausgabe der bei Clearstream Banking S.A. belegenen, (eingefrorenen) Vermögensgüter von insgesamt 4,9 Milliarden USD plus Zinsen, hilfsweise auf Schadensersatz in selbiger Höhe.485 480 Court of Appeals, 21.11.2017, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 876 F.3d 63, 94. 481 Supreme Court, 10.05.2018, Bank Markazi, The Central Bank of Iran v. Deborah Peterson et al., Petition for a Writ of Certioari, Docket-No. 17-1534; Clearstream Banking S.A. v. Deborah Peterson et al., Petition for a Writ of Certioari, 10.05.2018, Docket-No. 17-1529, Banca UBAE, S.P.A. v. Deborah Peterson et al., Petition for a Writ of Certioari, 10.05.2018, Docket-No. 17-1530, vgl. hierzu Elsea, CRS Legal Sidebar LSB10140, 2018, 1 (1 f.). 482 Supreme Court, 13.01.2020, Bank Markazi v. Peterson, 140 S.Ct. 813 (Mem). 483 PL 116-92, Sec. 1226, 20.12.2019, 133 Stat 1645, 1646. 484 Court of Appeals, 22.06.2020, Peterson v. Islamic Republic of Iran, 963 F.3d 192, 195. 485 S. hierzu Deutsche Börse Group, Financial Report 2018, S. 123 f., abrufbar unter: https://www.deutsche-boerse.com/resource/blob/1441006/f7953188907a2dccca
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren241
IV. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Kanada Neben die beträchtliche Erweiterung der Vollstreckungsmöglichkeiten in den USA tritt die kanadische Gesetzgebung, die eine breite Grundlage zur Vollstreckung für Urteilsgläubiger im Falle des staatlich geförderten Terrorismus darstellt.486 Die Möglichkeiten in Kanada, auch die Vollstreckungsimmunität eines Staates wegen der Förderung des Terrorismus zu beschränken, bestehen anders als in den USA seit der Einführung der Terrorismusausnahme für das Erkenntnisverfahren und sind lediglich an überschaubare Voraussetzungen geknüpft. Es scheint, als habe der kanadische Gesetzgeber auf die Historie der US-amerikanischen Terrorismusausnahme zur Vollstreckungsimmunität geblickt und ohne außenpolitisch motivierte „Umwege“ eine effektive Fortsetzung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität im Erkenntnisverfahrens auf der Ebene des Vollstreckungsverfahrens etabliert. Eine Effektivitätssteigerung erfährt die Terrorismusausnahme zur Staaten immunität insbesondere durch die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen dritter Staaten innerhalb Kanadas, in denen fremde Staaten wegen der Unterstützung des Terrorismus zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt wurden.487 So gelang es im Jahre 2017 US-amerikanischen Urteilsgläubigern bis dato unbefriedigte Schadensersatzforderungen durch die Vollstreckung in innerhalb Kanadas belegene Vermögenswerte des Iran auf Grundlage von Sec. 4(5) JVTA (teilweise) zu befriedigen.488 Das Urteil im Falle 8fa078ff0a-394d/data/DBG-annual-report-2018.pdf (Stand: 14.05.2020). S. auch Kröner, Rechtsstreit mit Zentralbank: Iran fordert Milliarden von Deutscher Börse, Handelsblatt, 18.01.2018, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/finanzen/ banken-versicherungen/rechtsstreit-mit-zentral-bank-iran-fordert-milliarden-vondeutscher-boerse/20860874.html?ticket=ST-5246264-Zf3Qq-G02xPPczMfIZdzM-ap4 (Stand: 14.05.2020); Hammann, Iran verklagt Clearstream auf 5 Milliarden, Finance Magazin, 18.01.2018, abrufbar unter: https://www.finance-magazin.de/wirtschaft/ deutschland/iran-verklagt-clearstream-auf-5-milliarden-2008971/ (Stand: 14.05.2020); DGAP-Adhoc: Deutsche Börse AG: Bank Markazi reicht Klage gegen Deutsche Börse AG-Tochter Clearstream ein, Börse Online, 18.01.2018, abrufbar unter: https:// www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/dgap-adhoc-deutsche-boerse-ag-bankmarka-zi-reicht-klage-gegen-deutsche-boerse-ag-tochter-clearstream-ein-1013181808 (Stand: 14.05.2020). 486 S. oben 7. Kapitel: B.II. 487 Vgl. Sec. 4(5) JVTA; s. ausführlich oben 7. Kapitel: B.II. 488 Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549; vgl. zur ersten Instanz: Ontario Superior Court of Justice, 09.06.2016, Tracy (Litigation Guardian of) v. Iran, 2016 ONSC 3759. Der Supreme Court of Canada lehnte das Revisionsbegehren des Iran ab, so dass das Urteil des Ontario Court of Appeal final und bindend ist, Supreme Court (CA), 15.03.2018, Iranian Ministry of Information and Security, et al. v. Edward Tracy, by his Litigation
242
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
Tracy v. Iran ist das erste finale und vor allem richtungsweisende Urteil auf Grundlage von Sec. 4(5) JVTA. Dies erweitert die Möglichkeit US-amerikanischer Urteilsträger und potentiell künftig jener Kläger von Staaten, die dem US-amerikanischen und kanadischen Vorbild folgen, ihre Schadensersatzforderungen gegen den fremden Staat zu befriedigen, erheblich. Mit Blick auf die Zukunft und eine entsprechende Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts, kann Sec. 4(5) JVTA als Modell für eine effektive Vollstreckung von Urteilen gegen Staaten im Falle des staatlich geförderten Terrorismus dienen. In Zeiten wirtschaftlicher Verflechtung und der daraus resultierenden Belegenheit von staatlichen Vermögensgütern in einer Vielzahl von Staaten, kann gerade die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen im Falle des staatlich geförderten Terrorismus ein erhebliches Druckmittel gegenüber Terrorstaaten darstellen und gleichzeitig die Chancen der Kläger, ihre Schadensersatzforderungen gegen den Staat zu befriedigen, erhöhen. V. Fazit: Kein Pyrrhussieg Die Untersuchung der Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus zeigt, dass es sich bei dem Erstreiten eines Urteils gegen Staaten, die den Terrorismus fördern, nicht nur um einen Pyrrhussieg handelt. Neben der beträchtlichen symbolischen Komponente dieser Urteile,489 lässt sich die Effektivität der Terrorismusausnahme auch mit Blick auf die tatsächliche Vollstreckung in Vermögensgüter fremder Staaten verzeichnen, wenngleich sich die Allokation der Vermögensgüter insbesondere unter dem Aspekt der Verschleierung dieser durch den fremden Staat schwierig gestalten kann und sich (erfolgreiche) Vollstreckungsgesuche nicht selten über viele Jahre erstrecken können. Der wachsende Erfolg der Urteilsgläubiger und die enormen Summen, die bereits im Wege der Vollstreckung oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen erlangt werden konnten, verdeutlichen, dass den Terrorismus fördernde Staaten zunehmend durch die Aufhebung ihrer Immunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus unter Druck geraten. Insbesondere durch die Möglichkeit, auch in Vermögensgüter selbständiger juristischer Personen dieser Staaten zu vollstrecken, wird der Effektivität der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität Aufschwung verliehen. Zudem wird es für den Terrorismus fördernde Staaten Guardian, Charles Murphy, et al., 2018 CarswellOnt 4167. S. hierzu auch Coombes, 69 U.N.B. L.J. 2018, 252 (272 ff.). Humphreys, Ontario court upholds $1.7B judgment against Iran, ruling in favour of American victims of terrorism, National Post, 03.07.2018, abrufbar unter: https://nationalpost.com/news/canada/ontario-court-up holds-1-7b-judgment-against-iran-for-sponsoring-terrorism-against-americans (Stand: 14.05.2020). 489 S. oben 7. Kapitel: C.I.
7. Kap.: Terrorismusausnahme im Vollstreckungsverfahren243
deutlich schwieriger, Vermögensgüter einem Zugriff der Urteilsgläubiger etwa durch die Gründung selbständiger juristischer Personen oder der Verlagerung der Vermögensgüter in Staaten außerhalb den USA oder Kanadas zu entziehen.490 Insbesondere für den Iran wichtige Vermögensgüter in Milliardenhöhe sowie strategisch wichtige Einrichtungen und Immobilien wurden bereits an die Urteilsgläubiger übertragen oder sind der Kontrolle durch den Iran derzeit zumindest zwischenzeitlich entzogen.491 Dass der Iran hier zunehmend unter Druck gerät, zeigt auch die Tatsache, dass dieser Klage gegen die USA vor dem Internationalen Gerichtshof erhoben hat.492 Aber auch die zwischenstaatlichen Vereinbarungen zwischen den USA und dem Irak sowie Libyen zur Kompensation der Urteilsgläubiger zeigen die besondere Rolle, die der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität respektive den auf dieser Grundlage erwirkten Urteilen in den zwischenstaatlichen Beziehungen als Druckmittel und Verhandlungsgrundlage zukommt.493 Die Tatsache, dass es sich äußerst schwierig gestalten kann, ein auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität ergangenes Urteil auch tatsächlich zu vollstrecken und Schadensersatzansprüche gegen den fremden Staat zumindest teilweise zu befriedigen, ist zudem kein Umstand, der spe ziell die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität kennzeichnet. Dass die rechtliche Möglichkeit, Forderungen einzuklagen und die tatsächliche Befriedigung dieser in der Praxis auseinanderfallen, ist eine Realität, die sich nicht nur im Falle von Terrorismusklagen gegen den Staat spiegelt, sondern der sich Kläger weltweit in verschiedensten Verfahrenskonstellationen ausgesetzt sehen. Dabei ist eine Vollstreckung in Vermögensgüter fremder Staaten generell, insbesondere vor dem Hintergrund der bis heute restriktiveren Vollstreckungsimmunität fremder Staaten und den vielfach zu verzeichnenden Einflussnahmemöglichkeiten der Exekutive stets ein von Hürden gezeichneter Pfad.494 Ein Klagerecht im Falle des staatlich geförderten Terrorismus grundsätzlich abzusprechen, weil die Befriedigung der Ansprüche hürdenreich und mitunter erfolglos sein kann,495 ist daher kein Argument, das speziell gegen die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität gerichtet werden kann, sondern welches vielmehr in letzter Konsequenz das ganze Konstrukt der Be490 S.
oben 7. Kapitel: C.II., III. oben 7. Kapitel: C.II., III. 492 IGH, 14.06.2016, Certain Iranian Assets (Islamic Republic of Iran v. United States of America) (Application Instituting Proceedings) abrufbar unter: https://www. icj-cij.org/files/case-related/164/164-20160614-APP-01-01-EN.pdf (Stand: 14.05.2020). 493 S. oben 7. Kapitel: C.I.3., II. 494 S. oben 7. Kapitel: A. 495 S. oben 7. Kapitel: C. 491 S.
244
2. Teil: Staatenimmunität und Terrorismus
schränkung der Staatenimmunität als solcher, gleich auf welcher Grundlage, in Frage stellen muss und mehr noch jedwede Klagemöglichkeit gegen einen fremden Staat, wie etwa jene im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit. Auch wenn sich der Staat hier dem Schiedsgericht freiwillig unterwirft und sich auf eine Ebene mit dem Kläger begibt, so bleibt dennoch der lange Weg der Vollstreckung des Schiedsspruches durch nationale Gerichte, sollte der Staat der Erfüllung des Schiedsspruches nicht freiwillig nachkommen. Man denke hier etwa an das Yukos Schiedsverfahren und die französische, belgische Gesetzgebung, die eine Vollstreckung in staatliche Vermögensgüter erheblich erschwert.496 Es wäre ein falsches Signal, die Sinnhaftigkeit von Klagen gegen einen fremden Staat generell abzusprechen und Staaten dadurch zu ermöglichen, sich hinter dem Schleier ihrer Souveränität zu verbergen. Eine Garantie, gerichtlich zugesprochene Schadenersatzforderungen auch tatsächlich befriedigen zu können, gibt es letztlich in keinem Verfahren, sei es gegen fremde Staaten vor nationalen Gerichten oder Schiedsgerichten, gegen natürliche oder juristische Personen. Dies lässt jedoch das Erstreiten eines Urteils gegen einen fremden Staat insbesondere im Falle der Förderung des Terrorismus nicht obsolet werden. Denn durch die Klagen vor nationalen Gerichten gegen den Terrorismus fördernde Staaten werden die Vorfälle durch neutrale Gerichte, die unabhängig von außenpolitisch motivierten und durch wirtschaftliche Interessen geleiteten Regierungen entscheiden, vor den prüfenden Blicken der Weltöffentlichkeit aufgearbeitet und die Verantwortlichkeit öffentlich konstatiert.
496 S.
oben 7. Kapitel: A.II.
Dritter Teil
Die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus als völkerrechtlich gerechtfertigte Gegenmaßnahme Die von den USA und Kanada praktizierte Durchbrechung der Staaten immunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus weicht von dem derzeit völkergewohnheitsrechtlich geltenden Grundsatz der Staatenimmunität ab und stellt einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar.1 Dieser Verstoß kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn die Beschränkung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus eine den Völkerrechtsbruch rechtfertigende Gegenmaßnahme darstellt. In diesem Sinne ist Gegenstand des dritten Teils der vorliegenden Arbeit die Untersuchung der grundsätzlichen Möglichkeit der Rechtfertigung der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus als Gegenmaßnahme. Eine Prüfung der konkreten Einzelfälle, in denen die Staatenimmunität eines fremden Staates wegen der Förderung des Terrorismus durchbrochen wurde, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit.
A. Ansatz des Gedankens in der Völkerrechtswissenschaft Der Gedanke, die Durchbrechung der Staatenimmunität könne eine völkerrechtlich legitimierte Gegenmaßnahme darstellen, lässt sich in der Völkerrechtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten immer wieder vereinzelt finden – ohne, dass dieses Konzept jedoch näher beleuchtet wurde. So hält erstmals Habscheid in seinen Thesen zur Staatenimmunität im Jahre 1968 fest: „10. Die Gewährung der Immunität im Rahmen der völkerrechtlichen Mindestverpflichtung darf nicht vom Nachweis der Gegenseitigkeit abhängig gemacht werden. Bei der Gewährung einer weitergehenden Immunität ist dies zulässig. Die völkerrechtliche Befugnis, die Gewährung der Immunität aus dem Rechtsgrund der Repressalie zu verweigern, bleibt unberührt.“2
1 S.
oben 2. Kapitel: G.III.3. in: BerDGVR 8 (1968), S. 285 f.
2 Habscheid,
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
Habscheid geht hier scheinbar selbstverständlich von der Annahme aus, dass die Immunität als Gegenmaßnahme respektive Repressalie3 verweigert werden könne. Eine nähere Betrachtung erfolgt im Rahmen des Berichts von Habscheid jedoch nicht. Auch Damian geht davon aus, dass die Durchbrechung der Staatenimmunität in völkerrechtlich nicht anerkannten Fällen als Gegenmaßnahme zulässig sein kann.4 Die Idee, dass die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme völkerrechtlich gerechtfertigt sein könnte, wurde im Rahmen der Queensland Konferenz der International Law Association im Jahre 1990 auch von Schreuer aufgeworfen: „He [Schreuer] argues that the exercise of jurisdiction by municipal courts regarding violations of international law could be seen as a kind of reprisal, where the forum state can be construed to be a victim either directly or through the violation of rights of one of its nationals. However, he has to admit that reprisals taken independently by the judiciary are unusual“.5
Die Staatenimmunität im Wege der Gegenmaßnahme zu beschränken, wird von Schreuer jedoch als ungewöhnlich bezeichnet. Auch hier erfolgt eine nähere Befassung mit dieser Frage nicht. Kritisch, wenngleich ebenfalls an der Oberfläche verharrend, äußert sich auch Bröhmer zur Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme.6 Als zulässig erachtet hingegen Dörr die Nichtbeachtung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme – ohne jedoch näher auf etwaige Voraussetzungen und Schranken einzugehen.7 Auch Herdegen greift den Gedanken auf, dass die Durchbrechung der Staaten immunität als Gegenmaßnahme zur Erzwingung von Wiedergutmachung gerechtfertigt sein könnte.8 Eine prominente Befürwortung der Beschränkung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme findet sich in der Zusammenfassung des 64. Treffens des Committee Against Torture, durch den Vorsitzenden Mariño Menédez: „In any case, as a countermeasure permitted under international public law, a State could remove immunity from another State – a permitted action to respond to torture carried out by that State.“9
Aber auch hier wird ohne weiteres von der Zulässigkeit der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme ausgegangen. Gleichsam, 3 Zu
den Begrifflichkeiten sogleich 8. Kapitel: A. Staatenimmunität und Gerichtszwang, S. 62, 79 Fn. 435. 5 UN ILC, International Committee on State Immunity – Queensland Conference, 1990, 64 Int’l L. Ass’n Rep. Conf. 393, 421. 6 Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 192 f. 7 Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 42. 8 Herdegen, Völkerrecht, 4. Aufl., § 37, Rn. 7. 9 UN CAT, Summary Record of The Second Part (Public) of the 646th Meeting, 13.05.2005, UN Doc.CAT/C/SR.646/Add. I, para 67. 4 Damian,
3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme247
die Zulässigkeit voraussetzend, bejaht Stoll die Durchbrechung der Staaten immunität als Gegenmaßnahme, ohne auf Einzelheiten einzugehen.10 In jüngerer Zeit widmen sich erstmals Forcese, Appelbaum und Moser etwas ausführlicher der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme im Falle einer Verletzung des Folterverbots respektive einer ius cogens Verletzung im Allgemeinen durch den fremden Staat.11
B. Ansatz des Gedankens in der Staatenpraxis Es konnte durch die Verfasserin bisher keine Staatenpraxis ausfindig gemacht werden, bei der die Durchbrechung der Staatenimmunität explizit als Gegenmaßnahme deklariert wurde.12 Grundsätzlich ist es jedoch nicht unüblich, dass Staaten ihre Handlungen nicht ausdrücklich als Gegenmaßnahmen bezeichnen.13 Der Gedanke, dass die Unterwerfung eines fremden Staates unter die na tionale Gerichtsbarkeit eine Antwort auf die Förderung des Terrorismus darstellt, lässt sich jedoch beispielhaft dem Urteil des U.S. District Court im Falle Flatow v. Iran entnehmen: „Foreign state sponsors of terrorism could not reasonably have expected that the United States would not respond to attack on its citizens, and not undertake mea sures to prevent similar attacks in the future. In light of the mounting Congressional frustration at the inability of United States victims of foreign state abuses to obtain relief from any forum, it is manifest that Congress enacted 28 U.S.C. § 1605(a)(7) to ensure fair play and substantial justice for American victims of state sponsored terrorism.“14
Dass die Durchbrechung der Staatenimmunität nicht explizit als Gegenmaßnahme bezeichnet wird, steht dabei der Annahme einer Gegenmaßnahme nicht entgegen, solange die Durchbrechung der Staatenimmunität auf eine Verletzung des Völkerrechts durch den anderen Staat folgt und die Voraussetzungen des Rechts der Gegenmaßnahme erfüllt sind.15
10 Stoll,
State Immunity, in: MPEPIL-Online, Rn. 18. Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 285 ff.; Forcese, McGill L.J. 2007, 127 (166 ff.); Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (810 ff.). 12 S. zu dieser Feststellung auch Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (827). 13 Tomuschat, ZaöRV 1973, 179 (186). 14 District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1, 23. 15 Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (44). S. zu den Voraussetzungen unten, 10. Kapitel. 11 Appelbaum,
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
8. Kapitel
Begriff, Rechtsquelle und Zweck der Gegenmaßnahme Zu Beginn dieses Abschnitts soll eine Klärung der Begrifflichkeiten, der Rechtsquelle des Rechts der Gegenmaßnahmen sowie eine Erörterung des Zweckes der Gegenmaßnahme erfolgen.
A. Bedeutung und Begriff der Gegenmaßnahme I. Gegenmaßnahmen und Repressalien Eine Gegenmaßnahme bezeichnet eine einseitige, an sich völkerrechtswidrige Handlung eines Staates, die jedoch unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann, da sie als Antwort auf eine vorausgegangene Ver letzung des Völkerrechts eines anderen Staates ergangen ist.16 In Art. 22 der Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR) heißt es: „The wrongfulness of an act of a State not in conformity with an international obligation towards another State is precluded if and to the extent that the act constitutes a countermeasure taken against the latter State in accordance with chapter II of part three.“
Die Gegenmaßnahme als Reaktion auf ein völkerrechtswidriges Handeln eines anderen Staates gehört zu den Rechtfertigungsgründen im Regime der Staatenverantwortlichkeit, die die Völkerrechtswidrigkeit des Handelns des auf einen Völkerrechtsverstoß reagierenden Staates ausschließen. Die Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts sprechen in Teil 1, Kapitel V von „circumstances precluding wrongfulness“. Der Begriff der Gegenmaßnahme („countermeasure“) hat sich vor allem in jüngerer Zeit gegenüber dem traditionell verwandten Begriff der Repressalie („reprisal“) durchgesetzt.17 Erstmals gewann der Begriff der Gegenmaßnahme in den späten 1970er Jahren an Popularität, als er von dem Schiedsgericht im Fall Air Service Agreement zwischen den USA und Frankreich verwendet wurde.18 Später adaptierte der Internationale Gerichtshof den Be16 Herdegen, Völkerrecht, § 59, Rn. 6; Paddeu, Countermeasures, in: MPEPILOnline, Rn. 1. 17 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 281; Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 41; Kolb, The international law of state responsibility, S. 174; Paddeu, Countermeasures, in: MPEPIL-Online, Rn. 2. 18 Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and France, 09.12.1978, 18 R.I.A. A. 416, Vol. XVIII, S. 416 ff.; s. hierzu Paddeu, Countermeasures, in: MPEPIL-Online, Rn. 2.
8. Kap.: Begriff, Rechtsquelle und Zweck der Gegenmaßnahme249
griff der „countermeasure“ in mehreren Entscheidungen.19 Im Jahr 2001 wurde der Begriff der Gegenmaßnahme von der International Law Commission in den Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR) aufgenommen.20 Der Begriff der Repressalie respektive „reprisal“ wird hingegen mit kriegerischen Maßnahmen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts verbunden.21 Im deutschen Schrifttum lässt sich ein Festhalten an dem traditionellen Begriff der Repressalie konstatieren, der mit dem Begriff der Gegenmaßnahme synonym verwandt wird.22 Die vorliegende Arbeit adaptiert den Begriff der Gegenmaßnahme respektive „countermeasure“. II. Gegenmaßnahme und Retorsion Abzugrenzen sind Gegenmaßnahmen von Retorsionen. Während es sich bei Gegenmaßnahmen um völkerrechtswidrige Handlungen eines Staates handelt, die nur unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein können, stellen Retorsionen zwar unfreundliche aber völkerrechtlich erlaubte Reaktionen eines Staates auf die Völkerrechtsverletzung oder unfreundliches Verhalten eines anderen Staates dar.23 Da es sich bei Retorsionen um völkerrechtmäßige Handlungen handelt, sind sie stets zulässig.24 Beispiele für Retorsionen sind etwa die Einstellung von Entwicklungshilfen, die Verhängung von Embargomaßnahmen oder aber der Abbruch diplomatischer Beziehungen.25
19 IGH, 24.05.1980, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (United States of America v. Iran), I.C.J. Rep.1980, 3, para 53; IGH, 27.06.1986, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), I.C.J. Rep. 1986, 14, paras 201, 248 f.; IGH, 25.09.1997, Gabčikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, paras 82 ff. 20 UN ILC, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, UN Doc. A/56/10, Art. 22, 49 ff. 21 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 281; Kolb, The international law of state responsibility, S. 173; Paddeu, Countermeasures, in: MPEPIL-Online, Rn. 2. 22 S. etwa Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 40 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 59, Rn. 6 ff. 23 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 281; Herdegen, Völkerrecht, § 59, Rn. 6. 24 Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 43. 25 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 281.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
B. Rechtsquelle Die Regelungen über das Ergreifen von Gegenmaßnahmen zählen zu den Sekundärnormen der Regeln über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit von Staaten, deren Regelungsgegenstand die Rechtsfolgen eines Völkerrechts verstoßes sind. Das Recht der Staatenverantwortlichkeit erfährt bisher keine Regelung durch einen völkerrechtlichen Vertrag, so dass das Völkergewohnheitsrecht grundsätzlich die einschlägige Rechtsquelle darstellt. Die Interna tional Law Commission hat jedoch basierend auf einer über vierzig Jahre andauernden Untersuchung der Verantwortlichkeit von Staaten die Regeln der Staatenverantwortlichkeit in einem Entwurf zusammengefasst, den Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR).26 Dieser Artikelentwurf der ILC gilt in weiten Teilen als Wiedergabe des geltenden Völkergewohnheitsrechts und wird in der völkerrechtlichen Praxis als solcher behandelt.27 Die Artikel 22, 49–52 ASR haben das Recht der Gegenmaßnahmen zum Gegenstand und gelten als maßgebliche Wiedergabe des im Bereich der Gegenmaßnahmen geltenden Völkergewohnheitsrechts.28 Die ASR wurden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 12. Dezember 2001 in einer Resolution „zur Kenntnis genommen“.29 Bei der Prüfung der Durchbrechung der Staatenimmunität als zulässige Gegenmaßnahme kann daher auf die Kriterien in den Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts zurückgegriffen werden.
C. Zweck der Gegenmaßnahme Gegenmaßnahmen sind einseitige Maßnahmen der Selbsthilfe eines Staates.30 Sie dienen dazu, den das Völkerrecht verletzenden Staat zu völkerrechtmäßigem Verhalten zurückzuführen sowie Wiedergutmachungsansprüche zu erfüllen.31 In einer durch Dezentralismus gekennzeichneten Völker26 UN ILC, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, 2001, UN Doc. A/56/10; zur historischen Entwicklung der ARS s. Crawford, State Responsibility, in: MPEPIL-Online, Rn. 3, 6 ff. 27 S. m. w. N. zur völkerrechtlichen Praxis Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 29, Rn. 2. 28 von Arnauld, Völkerrecht, § 5, Rn. 419; Paddeu, Countermeasures in: MPEPIL-Online, Rn. 10. 29 UNGA, Resolution 56/83, Responsibility of States for International Wrongful Acts, 12.12.2001, UN Doc. A/Res/56/83. 30 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 281; von Arnauld, Völkerrecht, § 5, Rn. 419. 31 Herdegen, Völkerrecht, § 59, Rn. 6; Paddeu, Countermeasures, in: MPEPILOnline, Rn. 1, 16. S. grds. zur Ausgleichspflicht, StIGH, 26.07.1927, Case Concerning the Factory at Chorzów, PCIJ Rep. Ser. A, No. 17, S. 47 ff.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahmen251
rechtsordnung, in der ein zentrales Organ zur Durchsetzung des Völkerrechts weitgehend fehlt, stellen Gegenmaßnahmen ein überaus wichtiges Instrument zur Durchsetzung des Völkerrechts und der Implementierung der Staatenverantwortlichkeit durch die Staaten selbst dar.32 Kolb spricht von der Gegenmaßnahme als „hallmark of a decentralized order“.33 Dabei ergibt sich aus der Zweckrichtung der Gegenmaßnahme, dass diese keine Strafmaßnahme darstellen darf.34 9. Kapitel
Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme auf den Grundsatz der Staatenimmunität im Allgemeinen A. Verletzung einer völkerrechtlichen Regel Qua Definition setzt das Vorliegen einer rechtmäßigen Gegenmaßnahme voraus, dass der Staat, der die Gegenmaßnahme vornimmt, seinerseits eine Regel des Völkerrechts verletzt. Gerade diese Regelverletzung soll wiederum unter Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des Rechts der Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein.35 Wie bereits an anderer Stelle erörtert, handelt es sich bei dem Grundsatz der Staatenimmunität um eine Regel des Völkerrechts.36 Grundsätzlich kann daher das Recht der Gegenmaßnahme anwendbar sein. Dies gilt auch dann, wenn man die Regel der Staatenimmunität mit dem Internationalen Gerichtshof als prozessuale Regel begreift.37 Denn das Recht der Staatenverantwortlichkeit sieht nicht vor, dass die als Gegenmaßnahme zu rechtfertigende Völkerrechtsverletzung ausschließlich in einem Bruch eines materiellrechtlichen Völkerrechtssatzes liegt.38 Ausgenommen der Beschränkungen in Art. 55 ASR bestehen keine weiteren Einschränkun32 Kolb, The international law of state responsibility, S. 173; Malanczuk, ZaöRV 1985, 293 (293 ff.); Zoller, Peacetime unilateral remedies, S. 4. 33 Kolb, The international law of state responsibility, S. 173. 34 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 283; Paddeu, Countermeasures, in: MPEPIL-Online, Rn. 16. 35 Lesaffre, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 469. 36 S. oben 2. Kapitel: D.II. 37 IGH, 03.02.2012, Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece intervening), I.C.J. Rep. 2012, 99, para 93; zu den Implikationen des prozessualen Charakters des Grundsatzes der Staatenimmunität s. Fox/Webb, State Immunity, S. 38 ff. 38 Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (52); Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (832).
252
3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
gen dahingehend, welche Normen durch eine Gegenmaßnahme in zulässiger Weise beeinträchtigt werden können.39 Der prozessuale Charakter des Grundsatzes der Staatenimmunität steht mithin der Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme nicht entgegen. Entscheidend ist letztlich, dass der Staat durch seine als Gegenmaßnahme zu rechtfertigende Handlung eine Regel des Völkerrechts verletzt. Eine derartige Völkerrechtsverletzung liegt bei der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vor.40
B. Der Grundsatz der Staatenimmunität als unverletzbare Verpflichtung im Sinne des Art. 50 ASR? Art. 50 ASR nennt bestimmte, den Staaten obliegende Verpflichtungen, deren Verletzung unzulässig ist und nicht als Gegenmaßnahme gerechtfertigt werden kann. Hierzu zählt die Verpflichtung zur Unterlassung der Androhung oder Anwendung von Gewalt, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist (Art. 2 Nr. 4 UN-Charta), Art. 50 1. (a) ASR; Verpflichtungen zum Schutz der fundamentalen Menschenrechte, Art. 50 1. (b) ASR; Verpflichtungen humanitärer Art, die Gegenmaßnahmen verbieten, Art. 50 1. (c) ASR sowie andere Verpflichtungen aus zwingenden Normen des allgemeinen Völkerrechts, Art. 50 1. (d) ASR. Hinzu tritt, dass der Staat nicht befreit ist von der Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Streitschlichtungsverfahren, das zwischen ihm und dem verantwortlichen Staat gültig ist, Art. 50 2. (a) ASR, sowie hinsichtlich seiner Verpflichtung, die Unverletzlichkeit diplomatischer oder konsularischer Gesandter, Einrich tungen, Archive und Dokumente zu respektieren, Art. 50 2. (b) ASR. Der Grundsatz der Staatenimmunität unterfällt keiner der in Art. 50 ASR genannten, unverletzbaren Verpflichtungen. Während die diplomatische und konsularische Immunität zu den unverletzlichen Verpflichtungen in Art. 50 ASR gehört, zählt der Grundsatz der Staatenimmunität ausweislich des Wortlauts gerade nicht hierzu.41 Der Sonderberichterstatter Gaetano Arangio-Ruiz schlug in seinem fünften Report zur Staatenimmunität vor, dass auch jene Maßnahmen die Zulässigkeit einer Gegenmaßnahme beschränken sollen, die die Unabhängigkeit, Souveränität oder nationale Gerichtsbarkeit des den ursprünglich das Völker-
39 Moser,
Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (832). oben 2. Kapitel: G.III.3. 41 Hierzu auch Forcese, McGill L.J. 2007, 127 (167); Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (830). 40 S.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahmen253
recht verletzenden Staat betreffen.42 Als Anwendungsbeispiel führt ArangioRuiz die Durchbrechung der Immunität von staatlichen Funktionsträgern an.43 Unter den Vorschlag des Sonderberichterstatters hätte aller Wahrscheinlichkeit nach auch ein Verbot der Durchbrechung der Staatenimmunität als eine in die Souveränität eingreifende Gegenmaßnahme subsumiert werden können.44 Der Vorschlag wurde jedoch nicht angenommen. Dies spricht dafür, dass die Unverletzlichkeit staatlicher Souveränität keine Beschränkung einer zulässigen Gegenmaßnahme darstellen soll und somit der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme grundsätzlich kein Verbot entgegensteht. Unberührt hiervon bleibt freilich die Berücksichtigung der Auswirkung der Durchbrechung der Staatenimmunität auf die souveräne Gleichheit der Staaten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahme.45 Der Grundsatz der Staatenimmunität als Ausfluss der souveränen Gleichheit der Staaten stellt somit keine Verpflichtung dar, die nicht grundsätzlich durch eine Gegenmaßnahme in zulässiger Weise beeinträchtigt werden darf. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Vollstreckung in diplomatisches oder konsularisches Eigentum als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein kann. Dies ist ausweislich Art. 50 2. (b) ASR abzulehnen. Im Rahmen der Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität eines Staates muss die Verpflichtung gewahrt werden, die Unverletzlichkeit diplomatischer oder konsularischer Gesandter, Einrichtungen, Archive und Dokumente zu respektieren. Das heißt eine Vollstreckung, die in diplomatisches oder konsularisches Eigentum des fremden Staates erfolgt, kann nicht als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein.
C. Das Recht der Staatenimmunität als self-contained regime? Neben den unverletzbaren Pflichten des Art. 50 ASR, die einen Rückgriff auf das Recht der Gegenmaßnahme ausschließen, kann die Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme auch dann ausgeschlossen sein, wenn es sich bei dem Recht der Staatenimmunität um ein sogenanntes self-contained regime handelt. Hierbei handelt es sich um einen in sich geschlossenen Re42 Special Rapporteur on State Responsibility Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Fifth Report on State Responsibility, UN Doc A/CN.4/453 and Add. 1–3, YILC (1993), Vol. II (1), 1, 51, para. 230. 43 UN ILC, Fifth Report on State Responsibility, by Mr. Gaetano Arangio-Ruiz, Special Rapporteur, 24. Juni 1993, UN Doc. A/CN.4/453, YILC (1993), Vol. II (1), 1, 51, para 233. 44 Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (830). 45 Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (831); s. unten 10. Kapitel: E.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
gelungsbereich, bei dem die Rechtsfolgen eines Verstoßes abschließend geregelt sind und ein Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht und somit auch das Recht der Gegenmaßnahmen ausgeschlossen ist.46 Der Gedanke, dass die Anwendbarkeit des allgemeinen Sekundärrechts der Staatenverantwortlichkeit durch spezielle Regeln oder self-contained regimes ausgeschlossen sein kann, spiegelt sich in Art. 55 ASR.47 Der IGH hat im prominenten Teheraner Geiselnahme Fall das Diplomatenrecht als self-contained regime qualifiziert.48 Anders als im Falle des Diplomatenrechts wird das Recht der Staatenimmunität jedoch nicht ausführlich völkervertraglich geregelt. Der Grundsatz der Staatenimmunität beansprucht völkergewohnheitsrechtliche Geltung und ist abgesehen von einem grundlegenden Konsens bezüglich Inhalt und Reichweite im Einzelnen umstritten.49 Hinzu tritt, dass es im Recht der Staatenimmunität keine besonderen Regelungen zur Staatenverantwortlichkeit bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Staatenimmunität gibt. Ein Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht ist hier mangels Sonderregelungen geradezu erforderlich.50 Bereits diese Gründe sprechen gegen die Annahme, bei dem Recht der Staatenimmunität handele es sich um ein self-contained regime.51 Daneben wäre es im Fall der Durchbrechung der Staatenimmunität wegen der Förderung des Terrorismus ohnehin unbeachtlich, ob es sich bei dem Recht der Staatenimmunität um ein 46 StIGH, 17.08.1923, S.S. „Wimbledon“, PCIJ Series A, No. 1, S. 23 f.; IGH, 24.05.1980, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, I.C.J. Rep. 1980, 3, para 83 ff. S. zum Begriff des self-contained regime Klein, Self-Contained Regime, in: MPEPIL-Online, Rn. 1 ff. Simma, NYIL 1985, 111 (112 ff.); Simma/Pulkowski, EJIL 2006, 483 (490 ff.). 47 S. zur lex specialis Vorschrift des Art. 55 ASR: Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 308: „Article 55 is designed to cover both ‚strong‘ forms of lex specialis, including what are often referred to as self-contained regimes, as well as ‚weaker‘ forms such as specific treaty provisions on a single point, for example, a specific treaty provision excluding restitution.“ 48 IGH, 24.05.1980, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, I.C.J. Rep. 1980, 3, para 86. S. auch BVerfG, Beschluss v. 10.06.1997, AVR 1999, 99 (110 f.). Aber auch der IGH selbst geht im Falle des Diplomatenrechts in bestimmten Situationen von einem zulässigen Rückgriff auf Gegenmaßnahmen aus: „Naturally, the observance of this principle does not mean […] that a diplomatic agent caught in the act of committing an assault or other offence may not, on occasion, be briefly arrested by the police of the receiving State in order to prevent the commission of the particular crime.“, IGH, 24.05.1980, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, I.C.J. Rep. 1980, 3, para 86; s. hierzu auch Herdegen, ZaöRV 1986, 734 (746 f.); Simma, NYIL 1985, 111 (120). 49 S. hierzu bereits oben 2. Kapitel: D. und G. 50 Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 267 f. 51 So auch Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 284; Herdegen, Völkerrecht, 4. Aufl., § 37 Rn. 7.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahmen255
self-contained regime handelt. Denn durch ein self-contained regime wird (nur) eine Verletzung der Primärnormen des self-contained regimes selbst durch das self-contained regime abschließend geregelt.52 Das hieße, es müsste sich vorliegend um eine Verletzung des Grundsatzes der Staatenimmunität durch den anderen Staat handeln, auf die mit einer Gegenmaßnahme reagiert werden soll. Die Staatenimmunität wird aber im Falle der Terrorismusausnahme der USA und Kanada nicht als Reaktion auf einen Verstoß gegen die Staatenimmunität selbst, sondern als Reaktion auf die Förderung des Terrorismus des anderen Staates durchbrochen, welche außerhalb des Regelungsgegenstandes des vermeintlichen self-contained regime liegt. Bei dem Recht der Staatenimmunität handelt es sich nicht um ein selfcontained regime, so dass auch hier die Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme auf den Grundsatz der Staatenimmunität grundsätzlich möglich ist.
D. Ergreifen einer Gegenmaßnahme durch die Judikative Ferner stellt sich die Frage, ob Gerichte grundsätzlich Gegenmaßnahmen ergreifen können. Die Entscheidung über das Ergreifen von Gegenmaßnahmen obliegt in der Regel jenen staatlichen Organen, die für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig sind.53 Im Regelfall entscheidet daher die Exekutive eines Staates über das Ergreifen von Gegenmaßnahmen, da dieser typischerweise die Kompetenz zu auswärtigem Handeln zukommt.54 Im Falle der Staatenimmunität ist es jedoch die Judikative, die über die Durchbrechung der Staatenimmunität eines fremden Staates entscheidet. Dies ist auch bei der Durchbrechung der Staatenimmunität auf Grundlage der US-amerikanischen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A sowie der kanadischen Terrorismusausnahme des Sec. 6.1 SIA der Fall, wenngleich die Durchbrechung der Staatenimmunität nach diesen Vorschriften nur bezüglich solcher Staaten zulässig ist, die durch das Außenministerium als „state sponsor of terrorism“ designiert wurden.55 Aber auch hier entscheiden die Gerichte im konkreten Einzelfall über die Immunität des fremden Staates. Es stellt sich daher an dieser Stelle die Frage, ob eine Gegenmaßnahme in zulässiger Weise auch 52 Höfelmeier, Die Vollstreckungsimmunität der Staaten im Wandel des Völkerrechts, S. 268. 53 Scheffler, Die Bewältigung hoheitlich begangenen Unrechts durch fremde Zivilgerichte, S. 91, Fn. 192; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 912, § 1345. 54 Herdegen, Völkerrecht, 4. Aufl., § 37 Rn. 7; Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (832). 55 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(1); B.II.2.b)aa)(1).
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
durch die Judikative eines Staates vorgenommen werden kann.56 Dabei soll diese Frage aus der Perspektive des Völkerrechts erörtert werden. Ob Gerichte nach der inneren Organisation eines Staates unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten eine Gegenmaßnahme ergreifen können, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Abschnitts.57 Jedenfalls in den USA und Kanada werden die Gerichte ausweislich der Terrorismusausnahmen des FSIA und SIA zur Beschränkung der Immunität eines fremden Staates im Falle des Terrorismus ermächtigt. Die Draft Articles on State Responsibility treffen keine Aussage dahingehend, durch welches Organ innerhalb eines Staates eine Gegenmaßnahme vorgenommen werden kann.58 Art. 49 1. ASR spricht allgemein von dem „injured State“ als solchem, der eine Gegenmaßnahme gegen den, für eine Völkerrechtsverletzung verantwortlichen Staat ergreifen kann. Zu den Handlungen des Staates wiederum zählen nach völkerrechtlichen Grundsätzen die Handlungen all seiner Organe, unbeachtlich dessen, ob sie exekutive, legislative oder judikative Gewalt ausüben. Handlungen der Organe eines Staates werden diesem zugerechnet und stellen Handlungen des Staates selbst dar. Dieser Grundsatz wird in Art. 4 ASR etabliert: „1. The conduct of any State organ shall be considered an act of that State under international law, whether the organ exercises legislative, executive, judicial or any other functions, whatever position it holds in the organization of the State, and whatever its character as an organ of the central Government or of a territorial unit of the State. 2. An organ includes any person or entity which has that status in accordance with the internal law of the State.“
Art. 4 ASR etabliert das Prinzip der Einheit des Staates.59 Somit sind auch Handlungen der nationalen Gerichte eines Staates, als Organ des Staates, diesem zuzurechnen. Die Durchbrechung der Immunität eines Staates durch ein Urteil eines nationalen Gerichts stellt daher eine Handlung des Staates selbst dar. Grundsätzlich muss daher auch die Handlung des Gerichts, als Handlung des Staates selbst, eine zulässige Gegenmaßnahme darstellen können. 56 Als problematisch erachtet dies Atteritano, Italian Y.B. Int’l L. 2009, 33 (36): „On the other hand, the denial of immunity could be justified as a countermeasure of the injured State against the State that committed the crime. […] it is a problem for countries in which the denial of immunity is usually decided by the courts rather than by governments.“ 57 Hierzu Herdegen, Völkerrecht, 4. Aufl., § 37 Rn. 7; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 912, § 1345. Ausführlich zur innerstaatlichen Durchführung von Gegenmaßnahmen s. Tomuschat, ZaöRV 1973, 179 (189 ff.). 58 Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (834). 59 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 95, para 5.
9. Kap.: Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahmen257
Dies wird besonders deutlich, wenn man den umgekehrten Fall betrachtet, dass ein Gericht die Immunität eines anderen Staates unrechtmäßig beschränkt.60 In diesem Fall wird die internationale Verantwortlichkeit des Staates durch die Handlung des Gerichts begründet.61 Denn nach dem Prinzip der Einheit des Staates kann grundsätzlich von jedem Organ des Staates ein völkerrechtswidriger Akt begangen werden.62 Begründet eine völkerrechtlich unzulässige Handlung eines Gerichts die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Staates, so muss im Umkehrschluss auch eine Handlung der Judikative grundsätzlich als Gegenmaßnahme rechtfertigbar sein. Dass Gerichte, anders als die Exekutive, nicht geeignet erscheinen mögen, über das Ergreifen einer Gegenmaßnahme zu entscheiden, da es sich hierbei traditionell um Maßnahmen mit erheblicher außenpolitischer Tragweite handelt, ist ein politisches Argument, das keinen Anker im Recht findet. Zudem kann gerade die Tatsache, dass Gerichte als politisch unabhängige und neutrale Organe auf rechtlicher Grundlage objektiv entscheiden, im Vergleich zu politisch geprägten Entscheidungen der Exekutive, zur Stärkung der Legitimation der Gegenmaßnahme beitragen.63 Die ASR sprechen von der Vornahme einer Gegenmaßnahme durch den Staat als solchem. Staatliches Handeln erfasst dabei alle Handlungen seiner Organe – also auch das Handeln der nationalen Gerichte. Eine Gegenmaßnahme kann mithin grundsätzlich auch durch die Gerichte eines Staates ergriffen werden.
E. Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme ein Zirkelschluss? Vereinzelt wird der Idee, die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme zu rechtfertigen, entgegengehalten, dass dies auf einem Zirkelschluss basiere.64 Denn eine Gegenmaßnahme ist dann gerechtfertigt, wenn sie eine Antwort auf eine vorangegangene Völkerrechtsverletzung durch den anderen Staat ist. Ob eine Völkerrechtsverletzung vorliegt, ist dabei Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Vor einem derartigen gericht lichen Verfahren soll der fremde Staat jedoch gerade durch die Staatenimmunität geschützt werden. Die Durchbrechung der Staatenimmunität wiederum ist an eben diese Völkerrechtsverletzung geknüpft. Bröhmer sieht hierin eine Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (834). AJIL 2007, 760 (765). 62 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 95, para 5. 63 Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (835). 64 So Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 193. 60 Hierzu
61 Nollkaemper,
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
Gefahr für den Forumstaat, seinerseits das Völkerrecht zu verletzen: Stellt sich heraus, dass der fremde Staat nicht die zur Beschränkung der Immunität führende Handlung, die Völkerrechtsverletzung begangen hat, und daher die Ausübung der Gerichtsbarkeit mangels Völkerrechtsverletzung des fremden Staates nicht gerechtfertigt werden kann, so hätte der Forumstaat seinerseits durch die Ausübung der Gerichtsbarkeit das Völkerrecht verletzt.65 Aus diesem Grund wird im Schrifttum die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme abgelehnt.66 Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, ist eine Verletzung des Grundsatzes der Staatenimmunität jedoch so lange abzulehnen, als dass die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den Forumstaat der Feststellung der Immunität des fremden Staates dient.67 Dass ein Staat zu Zwecken der Feststellung der Immunität der Gerichtsbarkeit des Forumstaates temporär unterworfen ist, ohne, dass hierin bereits eine Völkerrechtsverletzung liegt, stellt eine Folge der Relativierung des Grundsatzes der Staatenimmunität als solcher dar.68 Könnte ein Gericht in der Praxis nicht tätig werden, um die Immunität des beklagten Staates festzustellen, so würde faktisch eine absolute Immunität des beklagten Staates begründet.69 Es muss dem Gericht also insoweit möglich sein, tätig zu werden, als dass es der Klärung der Immunitätsfrage dienlich ist. Das Gericht kann dabei auch solche Tatsachen einer Klärung zuführen, die sowohl für die Immunitätsfrage als auch für die materiellrechtliche Begründetheit der Klage relevant sind.70 Stellt das Gericht fest, dass keine Völkerrechtsverletzung gegeben ist und stellt es daraufhin umgehend die Ausübung der Gerichtsbarkeit ein, so hat der Forumstaat seinerseits nicht die Immunität des fremden Staates und mithin nicht das Völkerrecht verletzt. Stellt das Gericht hingegen eine Völkerrechtsverletzung des beklagten Staates fest und hebt es in der Folge die Immunität auf, so kann diese Immunitätsbeschränkung selbst als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein, wenn sie ihrerseits, wie im Falle des staatlich geförderten Terrorismus, völkergewohnheitsrechtlich nicht anerkannt ist. Dass möglicherweise die Einschätzung des Gerichts, der fremde Staat habe das Völkerrecht verletzt, einer Nachprüfung durch eine unabhängige völkerrechtliche Instanz nicht standhält, stellt letztlich ein Risiko dar, das Staaten allgemein ereilt, 65 Bröhmer,
State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 193. Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 286; Bröhmer, State Immunity and the Violation of Human Rights, S. 193. 67 Ausführlich oben 5. Kapitel: B.II. 68 S. oben 5. Kapitel: B.II.1. 69 S. oben 5. Kapitel: B.II.1. 70 S. oben 5. Kapitel: B.II.2.d). 66 Appelbaum,
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme259
wenn sie eine Gegenmaßnahme ergreifen, da das Ergreifen einer Gegenmaßnahme mangels einer vorgeschalteten neutralen völkerrechtlichen Entscheidung auf der Selbsteinschätzung des Staates basiert.71 10. Kapitel
Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme im Einzelnen Nachdem festgestellt wurde, dass die Durchbrechung der Staatenimmunität grundsätzlich als Gegenmaßnahme gerechtfertigt werden kann, gilt es den Blick auf die Voraussetzungen einer völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme im Einzelnen zu richten.
A. Vorliegen eines völkerrechtswidrigen Aktes Eine Gegenmaßnahme stellt eine Reaktion auf einen vorausgegangenen völkerrechtswidrigen Akt, einen „international wrongful act“ eines anderen Staates dar.72 Der durch die Gegenmaßnahme adressierte Staat muss zuvor das Völkerrecht verletzt haben, damit seine völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet wird. Die ILC kodifiziert diesen Grundsatz in Art. 1 ASR.73 Art. 2 ASR zeigt die Voraussetzungen eines völkerrechtlichen Delikts auf: „There is an internationally wrongful act of a State when conduct consisting of an action or omission: (a) is attributable to the State under international law; and (b) constitutes a breach of an international obligation of the State.“
Demnach muss ein Staat eine ihm obliegende völkerrechtliche Verpflichtung in zurechenbarer Weise verletzt haben. Unterschieden wird bei dem völkerrechtlichen Delikt nicht nach der Art der Rechtsverletzung, also etwa einer Vertragsverletzung, einem Delikt oder einem strafrechtlichen Verbre71 S.
sogleich unten 10. Kapitel: A.I. Art. 49 ASR; Responsibility of Germany for Damage Caused in the Portuguese Colonies in the South of Africa (Portugal v. Germany), 31.07.1928, 2 R.I.A. A. 1011, 1027 [Naulilaa Case]: „The first condition – sine qua non – of the right to exercise reprisals is a motive created by a preceding act which is contrary to the law of nations.“; IGH, 25.09.1997, Gabćikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 83. Nicht zulässig sind präventive Gegenmaßnahmen, s. hierzu Elagab, The legality of non-forcible counter-measures in international law, S. 47 ff. 73 Art. 1 ASR lautet: „Every internationally wrongful act of a State entails the international responsibility of that State.“ 72 S.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
chen.74 Auch wird für die Rechtsverletzung, anders als in vielen nationalen Rechtsordnungen, kein Verschulden oder Vorsatz seitens des Staates gefordert.75 Schließlich wird ausweislich des Wortlauts des Art. 2 ASR neben einem positiven Tun eines Staates auch dessen Unterlassen erfasst. Es stellt sich an dieser Stelle jedoch konkret die Frage, wie sich die Tat sache, dass die nationalen Gerichte der USA und Kanadas in erster Linie nationales Recht prüfen, um zur Durchbrechung der Staatenimmunität zu gelangen, mit der Notwendigkeit des Vorliegens eines völkerrechtswidrigen Aktes verträgt. Denn grundsätzlich richtet sich die Qualifizierung eines völkerrechtswidrigen Aktes nach dem Völkerrecht.76 Unbeachtlich ist, ob die in Rede stehende Handlung nach dem nationalen Recht eines Staates rechtswidrig oder rechtskonform ist.77 Insbesondere kann der Bruch des nationalen Rechts eines Staates für sich genommen nicht die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates begründen.78 Art. 3 ASR hält diesen Grundsatz fest: „The characterization of an act of a State as internationally wrongful is governed by international law. Such characterization is not affected by the characterization of the same act as lawful by internal law.“
Grundsätzlich richtet sich also die Völkerrechtswidrigkeit einer Handlung nach dem Völkerrecht. Ob eine Völkerrechtsverletzung durch den anderen Staat gegeben ist, obliegt dabei in erster Linie der einseitigen Bewertung des die Gegenmaßnahme vornehmenden Staates.79 Dieser muss von der Völkerrechtswidrigkeit der Akte des durch die Gegenmaßnahme betroffenen Staates ausgehen. Basierend auf dieser Feststellung wird im Folgenden dargelegt, dass die USA sowie Kanada grundsätzlich von der Völkerrechtswidrigkeit der Akte, die zur 74 In Art. 12 ASR lautet es: „There is a breach of an international obligation by a state when an act of that state is not in conformity with what is required of it by that obligation, regardless of its origin or character.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin) S. hierzu auch Case concerning the difference between New Zealand and France concerning the interpretation or application of two agreements, concluded on 9 July 1986 between the two States and which related to the problems arising from the Rainbow Warrior Affair (Rainbow Warrier), 30.04.1990, 20 R.I.A. A. 251; IGH, 25.09.1997, Gabčikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 47. Insbesondere der Verzicht auf die Einführung eines „internationalen Verbrechens“ (international crime) und somit die Aufgabe der Unterscheidung zwischen zivilrechtlichem und strafrechtlichem Unrecht war in Rahmen der Arbeiten der ILC umstritten, s. hierzu m. w. N. Crawford, State Responsibility, S. 52 f. 75 Crawford, State Responsibility, S. 49, 60 ff. 76 Kolb, The international law of state responsibility, S. 45. 77 Kolb, The international law of state responsibility, S. 45. 78 Kolb, The international law of state responsibility, S. 46. 79 Hierzu sogleich 10. Kapitel: A.I.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme261
Durchbrechung der Staatenimmunität im Rahmen der Terrorismusausnahmen führen, ausgehen. Dabei ist diese Bewertung der Völkerrechtswidrigkeit der Akte entscheidend für die Vornahme einer Gegenmaßnahme. Unbeachtlich ist im Ergebnis, dass nach der inneren Organisation des Staates die nationalen Gerichte die Handlung des fremden Staates in erster Linie auf Grundlage des nationalen Rechts prüfen, solange daneben zugleich von der Völkerrechtswidrigkeit der in Rede stehenden Handlungen ausgegangen wird. I. Unilaterale Bewertung der völkerrechtlichen Situation durch den die Gegenmaßnahme ergreifenden Staat Die Beurteilung, ob ein völkerrechtswidriger Akt vorliegt, obliegt demjenigen, der die Gegenmaßnahme auch vornehmen kann: dem Staat.80 Die Beurteilungsprärogative des Staates folgt aus dem dezentralen Charakter der Völkerrechtsordnung, in der die Durchsetzung des Völkerrechts nicht durch ein zentrales Organ wahrgenommen wird sowie dem Zweck der Gegenmaßnahme als typischem dezentralem Mittel zur Durchsetzung des Völkerrechts.81 Am Beispiel der Gegenmaßnahme zeigt sich die Macht der Selbstbeurteilung, die den Staaten im Völkerrecht mangels einer neutralen verbindlichen Instanz zukommt.82 Der Staat ist hier Richter und Partei zugleich.83 Er entscheidet darüber, ob er in seinen völkerrechtlichen Rechten verletzt wurde, ob und welche Gegenmaßnahmen er vornimmt.84 Es gibt keine vorgeschaltete, neutrale, verbindliche Feststellung eines Gerichts oder 80 S. hierzu Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and Frane, 09.12.1978, 18 R.I.A. A., 416, 443, para 81: „Under the rules of present-day international law […] each State establishes for itself its legal situation vis-à-vis other States. If a situation arises which, in one State’s view, results in the violation of an international obligation by another State, the first State is entitled, within the limits set by the general rules of international law pertaining to the use of armed force, to affirm its rights through ‚counter-measures‘ “; IGH, 24.05.1980, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, I.C.J. Rep.1980, 3, para 53: „They were measures taken in response to what the United States believed to be grave and manifest violations of international law by Iran […]“. 81 Abi-Saab, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, S. 15; Kolb, The international law of state responsibility, S. 183; Tzanakopoulos, Loy. L.A. Int’l & Comp. L. Rev 2011, 133 (150). Zum Zweck der Gegenmaßnahme s. oben 8. Kapitel: C. 82 Abi-Saab, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, S. 14 ff. 83 Klein, in: Fiedler/Klein/Schnyder, Gegenmaßnahmen, S. 42; Kolb, The international law of state responsibility, S. 183. 84 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 285, para 3; Malanczuk, ZaöRV 1985, 293 (296). S. auch Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
anderen Organs auf völkerrechtlicher Ebene über das Vorliegen eines völkerrechtswidrigen Aktes und die Berechtigung zur Vornahme einer Gegenmaßnahme.85 Im schlimmsten Fall kann die Vornahme einer Gegenmaßnahme sogar auf einem bloßen Vorwand beruhen.86 Dies veranlasst Kolb dazu, die Gegenmaßnahme als „highly primitive and dangerous unilateral tool of pure private justice“ zu bezeichnen.87 Hierin zeigt sich die der Gegenmaßnahme immanente Problematik sowie die Gefahr, die durch eine subjektive, unilaterale Bewertung der völkerrechtlichen Situation begründet wird.88 Die Macht der Staaten, die völkerrechtliche Lage selbst zu beurteilen, bedeutet jedoch nicht, dass ihre Interpretation final oder für andere Staaten verbindlich ist.89 Es ist keine Seltenheit, dass das Vorliegen einer Völkerrechtsverletzung strittig ist, da der normative Gehalt völkerrechtlicher Normen nicht immer zweifelsfrei erkennbar ist und der vermeintliche Verletzerstaat regelmäßig eine Völkerrechtsverletzung bestreitet.90 So kann die völkerrechtliche Bewertung des Staates im Nachgang durch eine neutrale Instanz, etwa den Internationalen Gerichtshof, überprüft werden.91 Jedoch wird die Beurteilung des Staates, der die Gegenmaßnahme vornimmt, auch durch eine neutrale Instanz grundsätzlich nicht unberücksichtigt bleiben und als eine Interpretation der völkerrechtlichen Situation in eine Bewertung mit einbezogen. Dabei besteht stets die „Gefahr“, das mächtige Staaten ihre Beurteilung der rechtlichen Lage im Streitfall eher als weniger einflussreiche Staaten durchzusetzen vermögen.92 Frane, 09.12.1978, 18 R.I.A. A. 416, 443, para 81; IGH, 24.05.1980, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran, I.C.J. Rep. 1980, 3, para 53. 85 Kolb, The international law of state responsibility, S. 177; Wengler, Völkerrecht, S. 687. 86 Kolb, The international law of state responsibility, S. 177. 87 Kolb, The international law of state responsibility, S. 177. Auch Alland bezeichnet die Gegenmaßnahme als „mechanism of private justice“, Alland, EJIL 2002, 1221 (1223). 88 Hierzu Alland, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1129; Klein, in: Fiedler/Klein/Schnyder, Gegenmaßnahmen, S. 46; Malanczuk, ZaöRV 1985, 293 (296); Wengler, Völkerrecht, S. 686 f.; White/Abass, in: Evans, International law, S. 523, 525. 89 Gross, in: Lipsky, Law and Politics in the World Community, S. 77; Tzanakopoulos, Loy. L.A. Int’l & Comp. L. Rev. 2011, 133 (151). 90 Hierzu Malanczuk, ZaöRV 1985, 293 (296). 91 Tzanakopoulos, Loy. L.A. Int’l & Comp. L. Rev. 2011, 133 (150). Beispielhaft kann hier der Fall Gabčikovo-Nagymaros Project vor dem IGH angeführt w erden, in dem das Gericht (nachträglich) ausführlich prüfte, ob die Völkerrechtsverletzung durch die Slowakei als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein kann, IGH, 25.09.1997, Gabčikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, 55, paras 82 ff. 92 Malanczuk, ZaöRV 1985, 293 (296 f.).
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme263
Schließlich ist festzuhalten, dass der Staat bei der Bewertung der völkerrechtlichen Situation und der Vornahme der Gegenmaßnahme stets das Risiko trägt, dass seiner völkerrechtlichen Bewertung nicht gefolgt wird – er handelt gewissermaßen auf eigene Gefahr hin.93 Liegt entgegen der Beur teilung des die Gegenmaßnahme vornehmenden Staates kein völkerrechtswidriger Akt des anderen Staates vor, so liegt keine völkerrechtmäßige Gegenmaßnahme vor und die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des die Gegenmaßnahme vornehmenden Staates wird ihrerseits begründet.94 Der Staat kann sich dabei auch nicht darauf berufen, in gutem Glauben gehandelt zu haben.95 II. Bewertung der immunitätsdurchbrechenden Akte als völkerrechtswidrig Entscheidend ist also, dass der die Gegenmaßnahme vornehmende Staat eine Völkerrechtsverletzung durch den anderen Staat annimmt. Dies ist in den USA und Kanada der Fall, wenngleich die Gerichte die Durchbrechung der Staatenimmunität auf nationale Vorschriften stützen. Der US-amerikanische sowie kanadische Gesetzgeber, aber auch die USamerikanische Rechtsprechung96 gehen von der Völkerrechtswidrigkeit der zur Beschränkung der Immunität führenden Handlungen des fremden Staates aus. Dies zeigt sich sowohl an Urteilsbegründungen als auch an der Konzeption der Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität. Im prominenten Fall Flatow v. Iran betont das Gericht etwa: „In the Antiterrorism and Effective Death Penalty Act of 1996, Congress lifted the immunity of foreign states for a certain category of sovereign acts which are repugnant to the United States and the international community – terrorism. […] Furthermore, the state sponsored terrorism exception to foreign sovereign immunity is a remedial statute. It creates no new responsibilities or obligations; it only creates a forum for the enforcement of pre-existing universally recognized rights 93 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 285, para 3; Crawford, EJIL 1994, 65 (66); Tzanakopoulos, Loy. L.A. Int’l & Comp. L. Rev. 2011, 133 (151). 94 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 285, para 3; Kolb, The international law of state responsibility, S. 121, 178. 95 Elagab, The legality of non-forcible counter-measures in international law, S. 49; Kolb, The international law of state responsibility, S. 178. 96 Da in Kanada bislang kein Urteil auf Grundlage der Terrorismusausnahme ergangen ist (mit Ausnahme der Zulassung der Vollstreckung amerikanischer Urteile in Kanada, s. o. Ontario Court of Appeal, 30.06.2017, Tracy v. Iran (Information and Security), 2017 ONCA 549, 6. Kapitel: B.II.2.a), lässt sich hier noch keine Praxis kanadischer Gerichte aufführen.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
under federal common law and international law.“97 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Auch im Fall Daliberti v. Iraq geht das Gericht von einer Völkerrechtswidrigkeit aus: „The nations that Congress singled out are those that consistently operate outside the bounds of the international community by sponsoring and encouraging acts generally condemned by civilized nations. […] Those nations that operate in a manner inconsistent with international norms should not expect to be granted the privilege of immunity from suit that is within the prerogative of Congress to grant or withhold.“98 (Hervorhebungen durch die Verfasserin)
Die Gerichte stützen in ihren Urteilsbegründungen die Beschränkung der Staatenimmunität explizit auch auf eine Verletzung des Völkerrechts. Neben den Aussagen der Rechtsprechung lässt sich auch den Gesetzen, als Ausdruck des legislativen Willens des Staates, die Annahme der Völkerrechtswidrigkeit der immunitätsdurchbrechenden Handlungen entnehmen. Wie die eingehende Analyse der US-amerikanischen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A und der kanadischen Terrorismusausnahme des Sec. 6.1 SIA im Rahmen dieser Arbeit zeigt, nehmen beide Vorschriften für eine Konkretisierung jener Akte, die zur Aufhebung der Immunität führen, Bezug auf die Definition in völkerrechtlichen Konventionen.99 Der US-amerikanische und der kanadische Gesetzgeber adaptieren, ähnlich der Praxis auf völkerrechtlicher Ebene, einen sektoralen Ansatz zur Bestimmung terroristischer Akte und verzichten auf eine abstrakt formulierte Terrorismusdefinition.100 Die US-amerikanischen und kanadischen Gerichte prüfen im Rahmen der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des Terrorismus letztlich auf Grundlage von Verweisen im nationalen Recht Sätze des Völkerrechts. Dies gilt jedenfalls mit Blick auf unmittelbar durch den Staat selbst vorgenommene terroristische Akte. Etwas anders stellt sich die Situation mit Blick auf die Förderung des Terrorismus durch einen fremden Staat dar, also die Fälle, etwa im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605A, bei denen die Immunität des fremden Staates wegen der „provision of material support or resources“101 be97 District
Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1,
98 District
Court, 23.05.2000, Daliberti v. Republic of Iraq, 97 F.Supp.2d 38,
12f. 52.
99 Ausführlich hierzu oben, 6. Kapitel: A.II.2.b)bb); 6. Kapitel: B.II.2.b)bb), cc); s. auch Stewart, in: Ruys/Angelet/Ferro, The Cambridge Handbook of Immunities and International Law, S. 658. 100 Zum sektoralen Ansatz einer Terrorismusdefinition auf völkerrechtlicher Ebene s. De Beer, Peremptory norms of general international law (jus cogens) and the prohibition of terrorism, S. 17; Walter, Terrorism, in: MPEPIL-Online. 101 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.b)bb)(2).
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme265
schränkt wird. In diesen Fällen ist zunächst unklar, worin genau ein Völkerrechtsbruch liegt. Denn die Staatenwelt hat sich bisher weder auf eine einheitliche Terrorismusdefinition einigen können, noch gibt es im Völkerrecht eine autonome Kategorie für Handlungen der Förderung des Terrorismus.102 So spielen im Völkerrecht bei der Förderung des Terrorismus insbesondere dann, wenn die Handlung des Staates selbst nicht bereits gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung verstößt,103 Fragen der Zurechnung von Handlungen nicht-staatlicher Akteure eine zentrale Rolle, die zu einer Verletzung des Verbots der Aggression, des Gewaltverbots oder des Interventionsverbotes führen.104 In den USA aber auch in Kanada bedarf es nicht der Zurechnung der eigentlichen Terrorakte nicht-staatlicher Akteure nach den (engen) völkerrechtlichen Grundsätzen. Insbesondere wird keine „effective control“ über die Handlungen nicht-staatlicher Akteure im Sinne des Nicaragua Standards des IGH verlangt.105 Entscheidend ist zur Begründung der Durchbrechung 102 Die Problematik, sich auf internationaler Ebene auf eine einheitliche Terrorismusdefinition zu einigen, findet allgemein in dem prominten Satz aus Zeiten der Dekolonialisierung Ausdruck: „One man’s terrorist is another man’s freedom fighter.“, s. hierzu statt vieler Walter, in: Walter/Vöneky/Röben/Schorkopf, Terrorism as a Challenge for National and International law, S. 33. 103 S. hinsichtlich eines solchen Verstoßes etwa die Prinzipiendeklaration von 1970, A/Res/2625 (XXV), 24.10.1970, Grundsatz 1 Nr. 9: „Jeder Staat hat die Pflicht, die Organisierung, Anstiftung oder Unterstützung von Bürgerkriegs- oder Terrorhandlungen in einem anderen Staat und die Teilnahme daran oder die Duldung organisierter Aktivitäten in seinem Hoheitsgebiet, die auf die Begehung solcher Handlungen gerichtet sind, zu unterlassen, wenn die in diesem Absatz genannten Handlungen die Androhung oder Anwendung von Gewalt einschließen.“ Hier geht es um den Unterstützungsbeitrag eines Staates als solchen. Der IGH hat im Nicaragua-Urteil indirekte Gewalt in Form der Bewaffnung und des militärischen Trainings von nicht-staatlichen Akteuren als Verstoß gegen das Gewaltverbot anerkannt, wenn die Gruppierung nicht-staatlicher Akteure Gewalt verübt, ohne dass es hier einer Zurechnung der konkreten Akte bedarf, IGH, 27.06.1986, Militarv and Paramilitary Activities in und against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), I.C.J. Rep. 1986, 14, para 228. Der IGH wertet hier die Unterstützungshandlung selbst als Form der Gewaltanwendung (indirekte Gewalt), hierzu von Arnauld, Völkerrecht, § 5, Rn. 411, § 13, Rn. 1034. Nicht ausreichend zur Begründung eines Verstoßes gegen das Gewaltverbot ist nach Ansicht des IGH hingegen die Finanzierung der nicht-staatlichen Akteure; jedoch kann die Finanzierung nicht-staatlicher Akteure ihrerseits einen Verstoß gegen das Interventionsverbot begründen, IGH, 27.06.1986, Militarv and Paramilitary Activities in und against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), I.C.J. Rep. 1986, 14, para 228. 104 Hierzu ausführlich Trapp, State Responsibility for International Terrorism, S. 24 ff. Vgl. zur Zurechnung von Handlungen privater Personen zum Staat generell Art. 4 ff. ASR. 105 IGH, 27.06.1986, Militarv and Paramilitary Activities in und against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), I.C.J. Rep. 1986, 14, para 115; gefolgt vom IGH, 26.02.2007, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro),
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus vielmehr die Förderungshandlung selbst. Diese kann von finanzieller Unterstützung bis hin zur „bloßen“ Fälschung von Ausweisdokumenten reichen.106 Was nach US-amerikanischem und kanadischem Recht eine Förderung des Terrorismus begründet, kann, aber muss nicht per se auch ein völkerrechtswidriger Akt sein.107 Aber auch in diesen Fällen zeigt die konkrete Fassung der Terrorismusausnahmen in den USA und Kanada durch den klaren Bezug der I.C.J. Rep. 2007, 43, para 400. Einen großzügigeren Standard im Sinne einer generellen Kontrolle (overal control) legen die Richter in der Tadić Entscheidung zu Grunde, ICTY, 15.07.1999, Prosecutor v. Tadić, Case No. IT-94-1-A, para 137 (hier geht es in Abgrenzung zur Nicaragua Entscheidung jedoch um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Individuen). Art. 8 ASR spricht hingegen allgemein von „control“. Die Kommentierung des Art. 8 ASR nimmt Bezug auf den Nicaragua Standard, Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 110 ff. Die Kommentierung des Art. 8 ASR beschränkt den Grad an Kontrolle jedoch nicht auf den (hohen) Standard effektiver Kontrolle, so Trapp, State Responsibility for International Terrorism, S. 42; s. hierzu auch Dupuy, in: Bianchi/Naqvi, Enforcing international law norms against terrorism, S. 10. Vielmehr lautet es in der Kommentierung des Art. 8 ASR: „In any event it is a matter for appreciation in each case whether particular conduct was or was not carried out under the control of a State, to such an extent that the conduct controlled should be attributed to it.“, Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 112, para 5. Ob im Sinne des Art. 8 ASR die Kontrolle über die Handlungen nicht-staatlicher Akteure in jedem Fall die Form effektiver Kontrolle annehmen muss, ist insbesondere im Kontext des staatlich geförderten Terrorismus kritisch zu bewerten, s. hierzu m. w. N. Trapp, State Responsibility for International Terrorism, S. 42 ff., 44 f. Die Förderung des Terrorismus besteht oftmals in der Zurverfügungstellung von Training (besonders im Umgang mit Sprengstoffen), der Zurverfügungstellung von geheimdienstlichen Informationen, der Versorgung mit Waffen, der Finanzierung, der logistischen Unterstützung (Ausstellen von Pässen oder Hilfe beim Erhalt von Visas etwa durch NichtRegierungsorganisationen), der ideologischen Führung und der Zurverfügungstellung eines Zufluchtsortes, s. Byman, Deadly connections: states that sponsor terrorism, S. 53 ff. Während Staaten häufig sogar mehrere dieser Formen der Förderung des Terrorismus betreiben, Byman, Deadly connections: states that sponsor terrorism, S. 54, so fehlt es regelmäßig an operativer Kontrolle über den terroristischen Akt selbst, die jedoch gerade durch den effective control Standard für eine Zurechnung zum Staat verlangt wird, hierzu Trapp, State Responsibility for International Terror ism, S. 44. Hier werden Forderungen laut, die Zurechnung bei der Förderung des Terrorismus auf Basis einer generellen Kontrolle über Terroroperationen im Sinne des „overal control“ Standard der Tadic Entscheidung vorzunehmen, s. hierzu Trapp, State Responsibility for International Terrorism, S. 44. Herdegen spricht sich aufgrund der hohen Hürde, effektive Kontrolle über einzelne Operationen nachzuweisen, dafür aus, dass die generelle Kontrolle die widerlegbare Vermutung einer effektiven Steuerung begründe, Herdegen, Völkerrecht, § 58, Rn. 6. 106 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa), bb)(2). 107 Eine Prüfung ob und inwiefern die Handlungen fremder Staaten im konkreten Einzelfall einen Völkerrechtsverstoß begründen, überspannt den Rahmen der vorliegenden Arbeit und ist nicht Gegenstand der Untersuchung.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme267
staatlichen Unterstützungshandlungen zu Akten, die wiederum mit Bezug auf das Völkerrecht konkretisiert werden, dass die Gesetzgeber von der Völkerrechtswidrigkeit dieser Handlungen ausgehen. Gleichsam lässt sich dies mit Blick auf die Rechtsprechung feststellen.108 Auch im Falle des 28 U.S.C. § 1605B FSIA scheint der US-Gesetzgeber von der Völkerrechtswidrigkeit der zur Durchbrechung der Immunität führenden Handlung auszugehen, wenngleich die Immunität abstrakt für einen Akt des internationalen Terrorismus beschränkt werden kann, dessen Definition sich nach nationalem US-amerikanischem Recht richtet. Die Annahme der Völkerrechtswidrigkeit kann jedoch zum einen aus der Vorschrift über die Möglichkeit der Exekutive, das Gerichtsverfahren vorübergehend auszusetzen und mit dem fremden Staat auf zwischenstaatlicher Ebene zu verhandeln, gefolgert werden.109 Wenn die USA nicht von einer völkerrechtswidrigen Handlung des fremden Staates ausgehen würden, worüber sollten sie dann auf zwischenstaatlicher Ebene verhandeln? Darüber hinaus verlangt 28 U.S.C. § 1605B, dass das schädigende Ereignis, also konkret der Akt des Terrorismus, auf US-amerikanischem Staatsgebiet stattgefunden hat. Findet ein solcher Akt auf US-amerikanischem Staatsgebiet statt, so liegt hierin eine Verletzung der territorialen Souveränität der USA durch den fremden Staat, wenn dieser in zurechenbarer Weise einen Beitrag hierzu geleistet hat. Ausschlaggebend ist daher letztlich weniger die Verletzung eines im Völkerrecht nicht konkretisierten Terrorismusverbotes, sondern vielmehr die Verletzung der Territorialhoheit der USA. Es kann somit festgehalten werden, dass die USA und Kanada von der Völkerrechtswidrigkeit der Handlungen, die im Rahmen der Terrorismusausnahmen zur Durchbrechung der Staatenimmunität führen sollen, ausgehen, auch wenn Gerichte im Ausgangspunkt nationales Recht prüfen. III. Fazit Die Vornahme einer Gegenmaßnahme erfordert das Vorliegen eines völkerrechtswidrigen Aktes. Ob ein völkerrechtswidriger Akt vorliegt, richtet sich inhaltlich grundsätzlich nach dem Völkerrecht. Die Beurteilung des Vorliegens eines völkerrechtswidrigen Aktes obliegt hingegen in erster Linie dem Staat, der die Gegenmaßnahme vorzunehmen sucht. Dies folgt aus der dezentralen Struktur der Völkerrechtsordnung und der Natur der Gegenmaß108 So etwa District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1, 12 f.; District Court, 23.05.2000, Daliberti v. Republic of Iraq, 97 F.Supp.2d 38, 52. 109 So auch Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (42). S. zu Einzelheiten dieser Vorschrift oben 6. Kapitel: A.II.3.c).
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
nahme. Entscheidend ist somit, ob der Staat, der die Gegenmaßnahme vornehmen möchte, die Völkerrechtswidrigkeit der in Rede stehenden Handlung des anderen Staates annimmt. Dass die Gerichte nationales Recht prüfen, um zur Durchbrechung der Staatenimmunität zu gelangen, steht dem Vorliegen eines völkerrechtswidrigen Aktes dabei so lange nicht entgegen, als dass der Staat gleichzeitig auch von der Völkerrechtswidrigkeit der zur Durchbrechung der Immunität führenden Handlungen ausgeht. Wie in diesem Abschnitt gezeigt wurde, gehen die USA und Kanada von der Völkerrechtswidrigkeit der Akte aus, die zur Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des Terrorismus führen. Deutlich wird dies insbesondere durch die Verweise auf völkerrechtliche Konventionen innerhalb des nationalen Rechts der USA und Kanadas, aber auch Urteilsbegründungen lässt sich die Annahme der Völkerrechtswidrigkeit der Handlungen des fremden Staates entnehmen. Sollte sich im konkreten Einzelfall herausstellen, dass entgegen der Annahme der USA und Kanadas kein völkerrechtswidriger Akt des fremden Staates vorliegt, so begründet dies wiederum die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der beiden Staaten. Dieses Risiko tragen beide Staaten bei der Vornahme der Gegenmaßnahme.
B. Vornahme der Gegenmaßnahme durch den verletzten Staat Der Staat kann eine Gegenmaßnahme nur dann rechtmäßig ergreifen, wenn er selbst im konkreten Einzelfall durch den völkerrechtswidrigen Akt verletzt wurde.110 Im Fall der Durchbrechung der Staatenimmunität trifft man dabei eine eher eigentümliche Konstellation an. Denn in erster Linie sind es die privaten Kläger, die den fremden Staat wegen der Verletzung ihrer Rechte aufgrund des nationalen Deliktsrechts der USA und Kanadas auf Schadensersatz vor den nationalen Zivilgerichten verklagen. Damit der Staat jedoch eine Gegenmaßnahme auf völkerrechtlicher Ebene ergreifen kann, muss er selbst in seinen durch das Völkerrecht geschützten Rechten verletzt sein.111 I. Direkte Verletzung In Betracht kommen zwei Konstellationen. Zum einen kann der Staat direkt durch den völkerrechtswidrigen Akt verletzt sein. Beispielhaft kann hier 110 S. Art. 42 ASR, Art. 49 (1) ASR: „An injured state may only take countermea sures […]“. Hierzu Gaja, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 941 ff. Zur Vornahme einer Gegenmaßnahme im Falle einer Verletzung einer Verpflichtung erga omnes sogleich 10. Kapitel: B.III. 111 S. Art. 42 ASR.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme269
die Verletzung der Territorialhoheit des Staates angeführt werden, insbesondere dann, wenn die Anwendung von Gewalt involviert ist.112 Dieser Gedanke lässt sich in der US-amerikanischen Gesetzgebung im Falle des 28 U.S.C. § 1605B finden. Die Immunität des fremden Staates wird hier beschränkt, wenn der fremde Staat einen Terrorakt auf US-amerikanischem Staatsgebiet fördert.113 In einem derart gelagerten Fall ist die Territorialhoheit der USA betroffen. Greift ein fremder Staat durch die Förderung des Terrorismus in zurechenbarer Weise in die Territorialhoheit der USA ein, so stellt dies eine direkte Verletzung der USA dar, die zur Vornahme einer Gegenmaßnahme berechtigt. II. Indirekte Verletzung und diplomatischer Schutz Anders als bei 28 U.S.C. § 1605B liegen Klagen auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA Fälle zu Grunde, bei denen sich die zur Immunitätsbeschränkung führenden terroristischen Akte außerhalb des Staatsgebiets der USA und Kanadas zugetragen haben. Neben einer direkten Verletzung ist eine Verletzung des Staates auch dann gegeben, wenn der fremde Staat Staatsangehörige des Heimatstaates verletzt.114 So stellen etwa Fälle, in denen ein Staat in die körperliche Unversehrtheit eines fremden Staatsbürgers eingreift, neben der Verletzung der Staatsbürger selbst eine (indirekte) Verletzung des Heimatstaates der Staatsangehörigen dar.115 Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Besonderheit der Klageberechtigung in 112 Zur Verletzung der Territorialhoheit als klassischer direkter Verletzung eines Staates s. Abtahi, in: Crawford/Koroma/Mahmoudi/Pellet, Types of Injury in InterStates Claims, S. 201. 113 S. oben 6. Kapitel: A.II.3.b)bb). 114 UN ILC, Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries [ADP], UN Doc. A/61/10, YILC 2006, vol II, Part Two, S. 26, para 3: „ […] an injury to a national is an injury to the State itself.“; StIGH, 30.08.1924, The Mavrommatis Palestine Concessions, PCIJ Ser. A, No 2, 7, 12: „It is an elementary principle of international law that a State is entitled to protect its subjects, when injured by acts contrary to international law committed by another State, from whom they have been unable to obtain satisfaction through the ordinary channels. By taking up the case of one of its subjects and by resorting to diplomatic action or international judicial proceedings on his behalf, a State is in reality asserting its own rights – its right to ensure, in the person of its subjects, respect for the rules of international law […] Once a State has taken up a case on behalf of one of its subjects before an international tribunal, in the eyes of the latter the State is sole claimant.“; s. auch Amerasinghe, Diplomatic Protection, S. 6 ff. 115 Zur Terminologie der indirekten Verletzung s. ILC, Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries [ADP], UN Doc. A/61/10, YILC 2006, vol II, Part Two, S. 45 para 9: „[…] the claimant state has been injured ‚indirectly‘, that is, through its national.“
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
den Vorschriften der 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA, die in erster Linie an die Nationalität der Opfer anknüpft.116 1. Überschneidung von Gegenmaßnahme und diplomatischem Schutz
Fälle, in denen der Staat indirekt verletzt wird und Ansprüche wegen der Verletzung seiner Staatsangehörigen auf völkerrechtlicher Ebene durchzusetzen sucht, sind klassische Fälle des diplomatischen Schutzes.117 Im Rahmen der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme überschneidet sich bei einer indirekten Verletzung des Staates das Recht der Staatenverantwortlichkeit und das Recht des diplomatischen Schutzes. Das Recht des di plomatischen Schutzes, das durch die ILC in den Draft Articles on Diplomatic Protection (ADP) kodifizert wurde,118 regelt ergänzend die Staatenverantwortlichkeit in den Fällen, in denen ein Staat fremde Staatsbürger völkerrechtswidrig behandelt.119 Dies hat zur Folge, dass neben den Voraussetzungen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit auch die Voraussetzungen des Rechts des diplomatischen Schutzes vorliegen müssen, namentlich die Erfüllung der völkergewohnheitsrechtlich verankerten local remedies rule.120 Dass im Rahmen des Rechts der Gegenmaßnahme die local remedies rule als Voraussetzung des diplomatischen Schutzes Anwendung findet, lässt sich auch mit Blick auf die historische Entwicklung begreifen. Bereits im 14. Jahrhundert forderten die Souveräne innerhalb Europas, dass ihre Untertanen zunächst vom ausländischen Souverän Abhilfe für ihre Beschwerde wegen der 116 S.
oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(3), B.II.2.b)aa)(3). ADP. 118 ILC, Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries [ADP], UN Doc. A/61/10, YILC 2006, vol II, Part Two. Die Artikel gelten als Wiedergabe des Völkergewohnheitsrechts, s. IGH, 24.05.2007, Ahmadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), I.C.J. Rep. 2007, 582, para 39. 119 Kjeldgaard-Pedersen, The international legal personality of the individual, S. 63. 120 S. Art. 44(b) ASR; Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 287; Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (48); Kolb, The international law of state responsibility, S. 183; Paparinskis, BYIL 2009, 264 (279 f.). S. zur local remedies rule Art. 14 ADP; IGH, 20.07.1989, Elettronica Sicula S.P.A.(ELSI), I.C.J. Rep. 1989, 15, para 50; IGH, 21.03.1959, Interhandel Case, I.C.J. Rep. 1959, 6, 27. Die local remedies rule greift nicht, wenn der Staat direkt verletzt ist oder bei sogenannten mixed claims, das heißt in Fällen, in denen neben der Verletzung von Staatsangehörigen auch eine direkte Verletzung des Staates vorliegt, s. IGH, 31.03.2004, Avena and Other Mexican Nationals (Mexico v. United States of America), I.C.J. Rep. 2004, 12, para 40; ILC, Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries [ADP], UN Doc. A/61/10, YILC 2006, vol II, Part Two, S. 45 para 9; Crawford/Grant, Exhaustion of local remedies, in: MPEPIL-Online, Rn. 26 ff. Kolb, The international law of state responsibility, S. 192. 117 S. Art. 1
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme271
Verletzung ihrer Rechte im Ausland suchen sollten; erst wenn dies nicht möglich war, sollten sie sich an den eigenen Souverän wenden können.121 Die Hilfe des Souverän in diesen frühen Fällen bestand in Form der Repressalie.122 Bereits hier zeigt sich also historisch die Verknüpfung der Repressalie mit der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe, wenn auch in rudimentärer Form. 2. Erfüllung der local remedies rule durch schiedsgerichtliche Streitbeilegung?
Vor diesem Hintergrund erklärt sich eine weitere Besonderheit der USamerikanischen Vorschrift des 28 U.S.C. § 1605A und der kanadischen Vorschrift des Sec. 4(4) JVTA. Denn nach beiden Vorschriften kann die Immunität des fremden Staates erst dann in zulässiger Weise beschränkt werden, wenn der Kläger dem fremden Staat zuvor die Möglichkeit zur Schlichtung des Falles im Einklang mit international anerkannten Regelungen zur Streitbeilegung gewährt hat.123 Diese Voraussetzung kann man als Intention der US-amerikanischen und kanadischen Gesetzgeber verstehen, der local remedies rule gerecht zu werden, zumindest aber zeigt es das Bewusstsein der Gesetzgeber, dass ein direkter Rückgriff auf die nationale Gerichtsbarkeit in Fällen, die den 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA zugrunde liegen, nicht im Einklang mit dem Völkerrecht steht. Der local remedies rule wird jedoch durch ein internationales Schiedsverfahren nicht Rechnung getragen, da die internationale Streitbeilegung und die Erschöpfung nationaler Rechtsbehelfe unterschiedlichen Zwecken dienen.124 Sinn und Zweck der local remedies rule ist es, dem fremden Staat die Möglichkeit zu geben, sich mit dem geltend gemachten Anspruch innerhalb seines eigenen Rechtssystem zu befassen.125 Zudem bildet der Respekt der Souveränität des fremden Staates Grundlage der local remedies rule.126 Sinn und Zweck eines internationalen Schiedsverfahrens ist hingegen, den Streit durch ein neutrales Schiedsgericht beizulegen, das unabhängig von der Gerichtsbarkeit des fremden Staates ist.127 Hier wird dem Staat also gerade die Möglichkeit verwehrt, sich innerhalb seines eigenen Rechtssystems mit den 121 Amerasinghe, Local Remedies in International Law, S. 23 f.; Crawford/Grant, Exhaustion of local remedies, in: MPEPIL-Online, Rn. 1. 122 Crawford/Grant, Exhaustion of local remedies, in: MPEPIL-Online, Rn. 1. 123 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(2) und 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(2). 124 Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 287 f.; Gergen, Va. J. Int’l L. 1995, 765 (796). 125 IGH, 21.03.1959, Interhandel Case, I.C.J. Rep. 1959, 6, 27; s. auch Trindade, The application of the rule of exhaustion of local remedies in international law, S. 1. 126 Amerasinghe, Diplomatic Protection, S. 149. 127 Gergen, Va. J. Int’l L. 1995, 765 (796).
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
geltend gemachten Ansprüchen zu befassen. Ein Schiedsverfahren nach anerkannten Regeln der internationalen Streitbeilegung, wie es in der US-amerikanischen und kanadischen Gesetzgebung aufgenommen wurde, wird der local remedies rule somit nicht gerecht.128 In den Fällen, in denen die USA und Kanada also eine Gegenmaßnahme aufgrund einer Verletzung ihrer Staatsangehörigen auf fremden Staatsgebiet ergreifen wollen, die USA und Kanada also indirekt verletzt sind, reicht es zur Vornahme einer rechtmäßigen Gegenmaßnahme in Form der Durchbrechung der Staatenimmunität grundsätzlich nicht aus, dass vor Klageergebung der Versuch einer Streitbeilegung durch ein internationales Schiedsgericht unternommen wird. Hier hätten sich der US-amerikanische und kanadische Gesetzgeber bessergestellt, wenn sie vor der Klageerhebung vor ihren eigenen Gerichten die Erschöpfung nationaler Rechtsbehelfe vor den Gerichten des fremden Staates durch den Kläger vorausgesetzt hätten. Damit hätten die USA und Kanada auch jenen Kritikern entgegengewirkt, die in der Durchbrechung der Staatenimmunität bei Sachverhalten, die sich im Ausland zugetragen haben, eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des fremden Staates sehen, da im Falle der Erschöpfung innerstaatlicher Rechtsbehelfe des fremden Staates nur solche Ansprüche vor die nationalen Gerichte der USA und Kanada gebracht werden könnten, bei denen die Erschöpfung der Rechtsmittel im fremden Staat nicht möglich war.129 3. Keine absolute Geltung der local remedies rule
Zwar setzen der US-amerikanische und der kanadische Gesetzgeber nicht die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe des fremden Staates voraus, bevor Klage gegen einen fremden Staat vor den nationalen Gerichten erhoben werden kann. Die local remedies rule gilt jedoch nicht absolut.130 Sie gilt nur insoweit, als dass innerstaatliche Rechtsbehelfe möglich und zumutbar sind.131 128 So auch Appelbaum, Einschränkungen der Staatenimmunität in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen, S. 288. 129 So Gergen, Va. J. Int’l L. 1995, 765 (797). 130 S. zu den Ausnahmen ausführlich Art. 15 ADP und Komentar, ILC, Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries [ADP], UN Doc. A/61/10, YILC 2006, vol II, Part Two, S. 46 ff. sowie Art. 44(b) ASR, der allein verlangt, dass „avail abe and effective remedies“ ausgeschöpft werden, s. Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 265, para 5. 131 von Arnauld, Völkerrecht, § 9, Rn. 603; Herdegen, Völkerrecht, § 27, Rn. 11. Ausführlich zu den Ausnahmen zur local remedies rule Amerasinghe, Local Remedies in International Law, S. 200 ff.; Amerasinghe, Diplomatic Protection, S. 149 ff.; Crawford/Grant, Exhaustion of local remedies, in: MPEPIL-Online, Rn. 13 ff.; Kolb, The international law of state responsibility, S. 193 ff.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme273
Gerade in Staaten, die als Teil ihrer Politik die Förderung des Terrorismus betreiben, ist es wohl zweifelhaft, dass der durch die Terrorismusförderung des fremden Staates in seinen Rechten verletzte Kläger vor den nationalen Gerichten des fremden Staates gegen eben diese Handlungen des Staates selbst erfolgreich Rechtsschutz ersuchen kann. Nicht selten wird es in diesen Staaten bereits an einer unabhängigen Gerichtsbarkeit fehlen. Hinzu tritt, dass es den Opfern nicht ohne weiteres zuzumuten ist, in die Staaten zurückzukehren, in denen sie Opfer eines terroristischen Aktes geworden sind. Es ist letztlich Sache des konkreten Einzelfalls, ob die Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs möglich und zumutbar ist. Insoweit dies abzulehnen ist, ist die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme in Fällen der indirekten Verletzung des Staates auch dann völkerrechtskonform, wenn die Kläger zuvor nicht den innerstaatlichen Rechtsweg des Verletzerstaates erschöpft haben. III. Gegenmaßnahme im kollektiven Interesse Die USA und Kanada eröffnen nicht nur für Klagen von Staatsangehörigen oder in Fällen, bei denen der Schadenseintritt innerhalb des eigenen Staatsgebietes liegt, den Weg zu den nationalen Gerichten auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, sondern sehen auch eine Klagemöglichkeit für Nicht-Staatsangehörige wegen einer Verletzung im Ausland vor.132 In diesen Fällen kann der Forumstaat nicht im klassischen Sinne als verletzter Staat betrachtet werden. In Betracht kommt hier die Vornahme einer Gegenmaßnahme im kollektiven Interesse wegen der Verletzung einer Pflicht erga omnes. Bei Pflichten erga omnes handelt es sich um solche Pflichten eines Staates, die gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft und nicht nur zwischen zwei Völkerrechtssubjekten, also inter partes, bestehen.133 Der IGH hat im Fall Barcelona-Traction die Existenz von Normen erga omnes anerkannt.134 Es geht hier um Verpflichtungen wie dem Schutz elementarer Menschenrechte, dem Agressionsverbot oder dem Verbot des Völker-
132 S. o.
6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(3) und 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(3). Arnauld, Völkerrecht, § 3, Rn. 291; Herdegen, Völkerrecht, § 39, Rn. 1. 134 IGH, 05.02.1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, I.C.J. Rep. 1970, 3, para 33: „In particular, an essential distinction should be drawn between the obligations of a State towards the international community as a whole, and those arising vis-à-vis another State in the field of diplomatic protection. By their very nature the former are the concern of all States. In view of the importance of the rights involved, all States can be held to have a legal interest in their protection; they are obligations erga omnes.“ 133 von
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
mordes, an deren Schutz die gesamte Staatengemeinschaft wegen der Bedeutung des jeweiligen Rechtsguts ein Interesse hat.135 Grundsätzlich erkennt Art. 48 (1)(b) ASR an, dass jeder Staat im Falle einer Verletzung einer erga omnes Pflicht die Verantwortlichkeit des Verletzerstaates geltend machen und das Unterlassen des Rechtsbruches sowie Wiedergutmachung verlangen kann. Umstritten ist hingegen bisweilen, ob der Staat, der nicht im klassischen Sinne als verletzter Staat gilt, auf eine Verletzung einer erga omnes Pflicht mit einer Gegenmaßnahme reagieren kann.136 Die ILC adressieren diesen Punkt in Art. 54 ASR, lassen die Frage jedoch im Ergebnis offen.137 Aus der Kommentierung zu Art. 54 ASR ergibt sich, dass Art. 54 ASR als Auffangklausel fungieren soll und die Frage, ob und wie nicht unmittelbar verletzte Staaten Gegenmaßnahmen ergreifen können, der weiteren Entwicklung des Völkerrechts überlassen werden soll.138 Während eine tiefergehende Bearbeitung dieser Frage außerhalb des Rahmens dieser Arbeit liegt, so spricht im Ergebnis bei einer konsequenten Umsetzung des hinter dem Konzept der erga omnes Verpflichtungen stehenden Gedankens, nämlich dem Schutz grundlegender Belange der gesamten Staatengemeinschaft, vieles dafür, die Zulässigkeit der Vornahme einer Gegenmaßnahme auch durch jedes Mitglied der Staatengemeinschaft zu bejahen.139 Denn handelt es sich um Normen, die den Schutz grundlegender Belange der ge135 IGH, 05.02.1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, I.C.J. Rep. 1970, 3, para 34: „Such obligations derive, for example, in contemporary international law, from the outlawing of acts of aggression, and of genocide, as also from the principles and rules concerning the basic rights of the human person, including protection from slavery and racial discrimination.“ 136 S. hierzu Alland, EJIL 2002, 1221 (1222 ff.); Frowein, RdC 1994, 345 (405 ff.); Sicilianos, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1137 ff.; Tams, Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, S. 198 ff. 137 S. Kommentar zu Art. 22 ASR, Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 169, para (6): „Article 54 leaves open the question whether any State may take measures to ensure compliance with certain international obligations in the general interest as distinct from its own individual interest as an injured State. While article 22 does not cover measures taken in such a case to the extent that these do not qualify as countermeasures, neither does it exclude that possibility.“ 138 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 305, para 6. 139 Herdegen, Völkerrecht, § 39, Rn. 4, § 59, Rn. 8; so auch von Arnauld, Völkerrecht, § 5, Rn. 419; Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 52; Elagab, The legality of non-forcible counter-measures in international law, S. 58 f.; Frowein, RdC 1994, 345 (408); Klein, in: Fiedler/Klein/Schnyder, Gegenmaßnahmen, S. 50 f.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 909, § 1343; Wengler, Völkerrecht, S. 580 f.; Zoller, Peacetime unilateral remedies, S. 114 ff.; differenzierend Hillgruber, in: Tomuschat/ Thouvenin, The Fundamental Rules of the International Legal Order, S. 268 ff.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme275
samten Staatengemeinschaft als solche zum Gegenstand haben, so muss auch jeder Staat als Mitglied der internationalen Gemeinschaft berechtigt sein, die erga omnes Norm durch das Ergreifen einer Gegenmaßnahme durchzusetzen. Diese Sicht zugrundelegend kann grundsätzlich die Durchbrechung der Staatenimmunität durch US-amerikanische und kanadische Gerichte in jenen Fällen gerechtfertigt sein, in denen beide Staaten weder direkt verletzt sind, noch eigene Staatsangehörige verletzt sind, wenn es sich bei der konkreten Rechtsverletzung des fremden Staates, etwa in Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, wie der willkürlichen Tötung oder der Folter,140 um die Verletzung von Pflichten mit erga omnes Charakter handelt. In diesem Zusammenhang sollte jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die USA und Kanada nicht pauschal jedem Opfer eines terroristischen Aktes, dem eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung zugrunde liegt, eine Klagemöglichkeit vor den nationalen Gerichten eröffnen. Weist das Opfer nicht die Staatsangehörigkeit der USA oder Kanada auf, so bedarf es dennoch besonderer Anknüpfungspunkte zu dem jeweiligen Staat, um klageberechtigt zu sein. So sehen die USA die Klagemöglichkeit neben Staats angehörigen nur in Fällen vor, in denen Kläger oder Opfer US-Mitglied der Streitkräfte sind oder in einem Angestellten- oder Auftragsverhältnis zur US-Regierung stehen.141 Die Klageberechtigung in Kanada ist dann gegeben, wenn der Kläger seinen ständigen Wohnsitz in Kanada hat oder aber wenn der Sachverhalt eine „real and substantial connection“ zu Kanada aufweist.142 Die Tore zu den nationalen Gerichten der USA und Kanada werden also nicht für alle Opfer terroristischer Akte geöffnet. IV. Fazit Der Staat kann eine Gegenmaßnahme dann vornehmen, wenn er direkt in seinen völkerrechtlichen Rechten verletzt ist, etwa bei einem Eingriff in seine territoriale Souveränität oder aber, wenn Staatsangehörige im Ausland durch den fremden Staat verletzt werden (indirekte Verletzung des Staates). Im Falle der Verletzung eines Staatsangehörigen ist jedoch zu beachten, dass sich das Recht der Gegenmaßnahme und das Recht des diplomatischen Schutzes überschneiden, mit der Folge, dass zunächst durch die Staatsangehörigen nationale Rechtsbehelfe im Verletzerstaat auszuschöpfen sind, vorausgesetzt diese sind möglich und zumutbar. Der local remedies rule wird zudem nicht durch eine schiedsgerichtliche Streitbeilegung Rechnung getragen. Schließlich ist ein Staat, der weder direkt noch indirekt verletzt ist, dann hierzu Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 52. § 1605A(a)(2)(A)(ii), s. o. 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(3). 142 Sec. 4(2) JVTA, s. o. 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(3). 140 S.
141 28 U.S.C.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
zur Vornahme einer Gegenmaßnahme berechtigt, wenn durch den anderen Staat eine Norm mit erga omnes Charakter verletzt wurde.
C. Sommation und Notifizierung der Gegenmaßnahme Vor der Vornahme der Gegenmaßnahme hat der verletzte Staat den Ver letzerstaat aufzufordern, das völkerrechtswidrige Verhalten einzustellen oder Wiedergutmachungsansprüche zu erfüllen (Abmahnung oder „Somma tion“).143 Dieser völkergewohnheitsrechtlich verankerte Grundsatz findet in Art. 52 (1)(a) ASR Eingang. Zudem fordert Art. 52 (1)(b) ASR, dass der verletzte Staat den Verletzerstaat über die Entscheidung zur Vornahme einer Gegenmaßnahme im Sinne von Art. 43 ASR notifiziert und diesem ein Angebot zu einer zwischenstaatlichen Verhandlung unterbreitet.144 Sinn dieser prozeduralen Erfordernisse ist es, den Ausnahmecharakter der Gegenmaßnahme sicherzustellen und dem Verletzerstaat Möglichkeit zur Stellungnahme zu gewähren.145 Im besten Fall überprüft der Verletzerstaat seine eigenen Handlungen und stellt etwaige Völkerrechtsverletzungen freiwillig ein oder kommt seiner Wiedergutmachungspflicht freiwillig nach, was zu einer rationalen Streitbeilegung zwischen den beiden Staaten führen kann, ohne die Gefahr einer Eskalation der Auseinandersetzung zwischen beiden Staaten zu forcieren.146 Es stellt sich die Frage, wie die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des Terrorismus in den USA und Kanada in der Praxis mit dem Erfordernis der Sommation sowie der Notifizierungspflicht kompatibel ist, sodass grundsätzlich die Durchbrechung der Staatenimmunität in diesen Fällen als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein kann. Dabei ist einmal zwischen den Terrorismusausnahmen zu differenzieren, die eine Designation des fremden Staates durch die Exekutive vorsehen und jener US-amerikanischen Terrorismusausnahme, auf deren Grundlage eine Klage gegen jeden Staat ohne De143 Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and Frane, 09.12.1978, 18 R.I.A. A. 416, 444; IGH, 25.09.1997, Gabčikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 84; Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 298, para 3; Iwasawa/Iwatsuki, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1151. 144 Krit. zur fehlenden völkergewohnheitsrechtlichen Geltung der Notifizierungspflicht s. ausführlich Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 61. 145 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 298, para 4. 146 Hierzu Iwasawa/Iwatsuki, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1151; Kolb, The international law of state responsibility, S. 182.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme277
signation erfolgen kann. Zudem sind Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gesondert zu bewerten. I. Designation als state sponsor of terrorism Im Rahmen der Durchbrechung der Staatenimmunität auf Grundlage von 28 U.S.C. § 1605A und Sec. 6.1 SIA kann in dem Erfordernis der Designation des fremden Staates als „state sponsor of terrorism“ durch die Exekutive die Erfüllung der Pflicht zur Sommation und Notifizierung liegen.147 Grundsätzlich sind die Sommation sowie die Notifizierung nicht an eine bestimmte Form gebunden und es bedarf auch keiner Konkretisierung der Gegenmaßnahme oder des Zeitpunkts der Vornahme der Gegenmaßnahme durch den verletzten Staat.148 Somit steht der Annahme, die Designation eines Staates als „state sponsor of terrorism“ erfülle die Sommation sowie Notifizierung des anderen Staates grundsätzlich nichts entgegen. Der Designation eines Staates als „state sponsor of terrorism“ durch die Exekutive geht in der Regel eine erfolglose Auseinandersetzung mit dem fremden Staat voraus.149 Der Verletzerstaat ist dadurch darüber im Bilde, dass er die Völkerrechtsverletzung einstellen, respektive seiner Verpflichtung zur Wiedergutmachung nachkommen soll. Im Sinne der Ratio der Sommation hat der Verletzerstaat während der Auseinandersetzungen mit dem verletzten Staat also zunächst die Möglichkeit, seinen Verpflichtungen nachzukommen, bevor ihn Maßnahmen des verletzten Staates treffen. Die Designation eines Staates durch das Außenministerium stellt zudem die Grundlage für eine Reihe von Maßnahmen dar, die gegen den Verletzerstaat ergriffen werden können, wie etwa Exportverbote.150 Sie kann aber auch, wie das Beispiel Kanadas und des Iran zeigt,151 den Abbruch diplomatischer Beziehungen nach sich ziehen. Aufgrund der Designation ist der Verletzerstaat davor gewarnt, dass ihn fortan jederzeit Maßnahmen des verletzten Staates treffen können.152 Dass 147 So auch Forcese, McGill L.J. 2007, 127 (167); Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (63). 148 Elagab, The legality of non-forcible counter-measures in international law, S. 71; Iwasawa/Iwatsuki, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1152. 149 Franchini, SSRN Electronic Journal 2017, 1 (63). 150 S. oben 6. Kapitel: A.II.2.b)aa)(1). 151 S. oben 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(1). 152 S. hierzu District Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1, 23: „Foreign state sponsors of terrorism could not reasonably have expected that the United States would not respond to attack on its citizens, and not undertake measures to prevent similar attacks in the future.“; District Court, 26.02.1998, Rein v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya, 995 F.Supp. 325, 330: „Any foreign state would know that the United States has substantial interests in
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
der Verletzerstaat zu diesem Zeitpunkt nicht über die konkrete Maßnahme, also hier die Durchbrechung der Staatenimmunität, in Kenntnis gesetzt wird, ist dabei wie eingangs beschrieben, unerheblich. Durch die Designation kann also auch der Notifizierungspflicht Rechnung getragen werden. II. Klagezustellung Anders gestaltet sich die Lage hingegen mit Blick auf den jüngst durch den JASTA eingeführten 28 U.S.C. § 1605B. Hier ist die Durchbrechung der Staatenimmunität nicht durch die vorherige Designation des fremden Staates durch das Außenministerium bedingt. Es kann umgehend Klage gegen jedweden Staat erhoben werden.153 Im besonderen Fall des 28 U.S.C. § 1605B könnte man aber in der Klagezustellung an den fremden Staat die Erfüllung der Sommation und Notifizierungspflicht des verletzten Staates sehen. Denn aufgrund der Vorschrift des § 5 (b), (c) JASTA kann das Gericht auf Antrag der Exekutive das Verfahren aussetzen, wenn die Exekutive des Forumstaates zwischenstaatliche Verhandlungen mit dem beklagten Staat aufnimmt.154 Dem Verletzerstaat wird hier gerade nach der Klagezustellung die Möglichkeit eingeräumt, die Durchbrechung seiner Immunität abzuwenden, indem er auf zwischenstaatlicher Ebene mit dem Forumstaat verhandelt. Durch die Klagezustellung, die selbst, wie bereits dargelegt, noch nicht die Durchbrechung der Staatenimmunität darstellt,155 wird der fremde Staat dabei grundsätzlich davon in Kenntnis gesetzt, dass seine Staatenimmunität möglicherweise durchbrochen wird. Gleichzeitig besteht aufgrund der besonderen Vorschrift des JASTA die Möglichkeit einer zwischenstaatlichen Einigung. Verhandelt der Verletzerstaat mit der US-Regierung und kommt er seinen Verpflichtungen freiwillig nach, so kann das gerichtliche Verfahren gegen ihn ausgesetzt werden. Sinn und Zweck der Sommation und der Notifizierungspflicht sind also auch hier aufgrund der besonderen Ausgestaltung des JASTA durch die Klagezustellung gewahrt.
protecting its flag carriers and its nationals from terrorist activities and should reasonably expect that if these interests were harmed, it would be subject to a variety of potential responses, including civil actions in United States courts.“ 153 S. oben 6. Kapitel: A.II.3.b)aa)(3). 154 S. ausführlich oben 6. Kapitel: A.II.2.c). 155 S. oben 5. Kapitel: B.II.2.a).
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme279
III. Erneute Sommation und Notifizierung vor der Durchbrechung der Vollstreckungsimmunität? Bei der Immunität eines Staates ist zwischen der Immunität im Erkenntnis- und der im Vollstreckungsverfahren zu unterscheiden. So führt der Verlust der Immunität im Erkenntnisverfahren nicht per se auch zum Verlust der Vollstreckungsimmunität.156 Aufgrund dessen stellt sich die Frage, ob auch hier die Pflicht zur Sommation und Notifizierung vor der Vornahme einer konkreten Vollstreckungsmaßnahme greift. Dies ist jedoch aus zweierlei Gründen abzulehnen. Zum einen ist die Pflicht zur Sommation und Notifi zierung nicht absolut. So sind dringliche Gegenmaßnahmen, bei denen der Zweck der Gegenmaßnahme durch eine vorherige Notifizierung vereitelt würde, etwa weil der Verletzerstaat vor einem Zugriff auf seine Vermögensgüter diese aus dem verletzten Staat abzieht, zulässig.157 So könnte der beklagte Staat, würde er über die Vollstreckungsmaßnahme informiert, die Vermögensgüter, in die eine Vollstreckung erfolgen soll, aus dem Gerichtsstaat verlagern oder Immobiliargüter etwa durch die Widmung zu diplomatischen oder konsularischen Zwecken der Vollstreckung entziehen. Bereits unter diesem Gesichtspunkt kann auf eine Sommation sowie Notifizierung des beklagten Staates vor der Vornahme der Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet werden. Zum anderen ist der beklagte Staat grundsätzlich davor gewarnt, dass ihn Vollstreckungsmaßnahmen treffen können, wenn ein Urteil gegen ihn ergangen ist und er nicht freiwillig der Erfüllung des Urteils nachkommt oder eine Einigung mit den Klägern findet. Eine erneute Sommation sowie Notifizierung würden hier nicht mehr den Sinn und Zweck erfüllen, den fremden Staat zu warnen und ihm die Möglichkeit einer friedlichen Einigung einzuräumen. Vielmehr stellt bereits die Tatsache, dass ein Urteil gegen den Staat ergangen ist, eine Warnung vor weiteren Vollstreckungsmaßnahmen dar. IV. Fazit Durch die besonderen Eigenschaften der US-amerikanischen und kanadischen Terrorismusausnahmen, der vorherigen Designation des Staates als „state sponsor of terrorism“ sowie der Möglichkeit, im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605B nach Klageerhebung das Verfahren aufgrund zwischenstaatlicher Verhandlungen auszusetzen, wird durch die USA und Kanada der Sommation 156 S.
oben 2. Kapitel: C. Art. 52 (2) ASR; hierzu Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 298, para 6; Iwasawa/Iwatsuki, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, S. 1154. 157 S.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
sowie Notifizierungspflicht nachgekommen. Mit Blick auf Vollstreckungsmaßnahmen ist eine erneute Sommation und Notifizierung entbehrlich.
D. Vorübergehende Nichterfüllung und Reversibilität der Gegenmaßnahme Aus der Zweckrichtung der Gegenmaßnahme, den verantwortlichen Staat zur Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen, ergibt sich, dass das Ergreifen der Gegenmaßnahme auf eine vorübergehende Nichterfüllung völkerrechtlicher Pflichten durch den verletzten Staat beschränkt ist, Art. 42 (2) ASR.158 Das bedeutet, dass die Gegenmaßnahme grundsätzlich reversibel sein muss, der Staat, der die Gegenmaßnahme vornimmt, also jederzeit in der Lage sein muss, die Erfüllung seiner Verpflichtungen, die er im Rahmen der Gegenmaßnahme einstellt, wiederaufzunehmen, Art. 49 (3) ASR. Der IGH führt im Fall Gabčikovo-Nagymaros Project hierzu aus: „It is therefore not required to pass upon one other condition for the lawfulness of a countermeasure, namely that its purpose must be to induce the wrongdoing State to comply with its obligations under international law, and that the measure must therefore be reversible.“159
Im Einklang mit diesem Grundsatz stehen im Bereich der Durchbrechung der Staatenimmunität Maßnahmen zur vorläufigen Sicherung der Zwangsvollstreckung, etwa das Einfrieren von Vermögensgütern. Diese Maßnahmen können aufgehoben werden, wenn der fremde Staat freiwillig Schadensersatzansprüche befriedigt. Anders ist jedoch die Durchbrechung der Staaten immunität durch Erlass eines Endurteils oder die Vornahme der Zwangs vollstreckung selbst zu bewerten. Ergeht gegen einen fremden Staat auf Grundlage der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität ein Endurteil oder wird in dessen Vermögensgüter vollstreckt, so ist der Völkerrechtsbruch des Forumstaates vollzogen. Der andere Staat wird durch diese Maßnahmen in seiner Immunität irreversibel verletzt. Jedoch stellt die Reversibilität einer Gegenmaßnahme kein absolutes Kriterium dar.160 So spricht Art. 49 (3) ASR davon, dass die Wiederaufnahme der völkerrechtlichen Verpflichtung durch den verletzten Staat „soweit wie möglich“ („as far as possible“) gewährleistet sein soll. Die ILC erkennt hier an, dass es Gegenmaß158 Hierzu Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 286, para 7. 159 IGH, 25.09.1997, Gabčikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 87. 160 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 287, para 9; s. auch Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30 Rn. 59.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme281
nahmen gibt, deren Auswirkungen nicht gänzlich beseitigt werden können, die jedoch nicht als unzulässig erachtet werden sollten, soweit die Gegenmaßnahme nach wie vor Beugezwangcharakter hat und nicht strafend ist.161 Auch irreversible Gegenmaßnahmen sind demzufolge grundsätzlich zulässig.162 Elagab nennt als Beispiel einer irreversiblen aber zulässigen Gegenmaßnahme die Liquidierung von eingefrorenen Vermögenswerten des fremden Staates, zur Kompensation der Rechtsverletzung des geschädigten Staates.163 Vor diesem Hintergrund kann auch die Vollstreckung in Vermögensgüter des fremden Staates oder ein Endurteil gegen den fremden Staat erfolgen. Auch der vorübergehende Charakter sowie das Erfordernis der Reversibilität der Gegenmaßnahme stehen einer Rechtfertigung der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme im Ergebnis nicht entgegen.
E. Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahme Eine Gegenmaßnahme muss schließlich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.164 Ist die Gegenmaßnahme unverhältnismäßig, so begründet dies wiederum die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des die Gegenmaßnahme ergreifenden Staates.165 Dabei soll das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit einen Missbrauch der Gegenmaßnahme sowie eine gänzliche Eskalation des zwischenstaatlichen Konflikts verhindern.166 So sicher wie das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahme als solches ist, so unbestimmt ist der Inhalt, der die Konturen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme auszufüllen 161 Franchini,
SSRN Electronic Journal 2017, 1 (55). Elagab, The legality of non-forcible counter-measures in international law, S. 87; anders noch Zoller, Peacetime unilateral remedies, S. 54 f. 163 Elagab, The legality of non-forcible counter-measures in international law, S. 87. 164 IGH, 25.09.1997, Gabćikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 85; Art. 51 ASR. 165 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 294, para 1. 166 Franck, AJIL 2008, 715 (715); O’Keefe, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1160. S. hierzu auch Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and France, 09.12.1978, Reports of International Arbitral Awards, 18 R.I.A. A. 416, 445: „It goes without saying that recourse to counter-measures involves the great risk of giving rise, in turn, to a further reaction, thereby causing an escalation which will lead to a worsening of the conflict. Counter-measures therefore should be […] used with a spirit of great moderation.“ 162 So
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
mag.167 Vor diesem Hintergrund führt das Schiedsgericht im Fall Air Service Agreement aus, dass die Verhältnismäßigkeit gewissermaßen auf einer „Schätzung“ beruhe: „It has been observed, generally, that judging the ‚proportionality‘ of countermeasures is not an easy task and can at best be accomplished by approximation.“168
Im Laufe der Zeit hat sich der von Schiedsgerichten und dem Internationalen Gerichtshof angewandte Verhältnismäßigkeitsstandard in Bezug auf Gegenmaßnahmen gewandelt. So ist der Standard über die Jahre strikter geworden.169 Im Jahr 1928 erklärt das Schiedsgericht im Naulilaa Fall, dass: „[E]ven if one were to admit that the law of nations does not require that the reprisal should be approximately in keeping with the offence, one should certainly consider as excessive and therefore unlawful reprisals out of all proportion to the act motivating them.“170
Während das Schiedsgericht im Naulilaa Fall im Jahre 1928 noch als äußerste Grenze anerkennt, dass die Gegenmaßnahme nicht „out of all proportion“ sein dürfe, erklärt das Schiedsgericht im Fall Air Service Agreement im Jahre 1946, dass die Gegenmaßnahme „not clearly disproportionate“ sein dürfe.171 Der Verhältnismäßigkeitsstandard wird durch das Schiedsgericht hier als Negativmerkmal formuliert und bietet dem die Gegenmaßnahme ergreifenden Staat noch einen größeren Spielraum als der Internationale Gerichtshof viele Jahre später in seiner Entscheidung im Fall Gabćikovo-Nagymaros Project dem die Gegenmaßnahme vornehmenden Staat zubilligt.172 In dieser Entscheidung wendet der IGH einen strikteren, positiv formulierten Verhältnismäßigkeitsstandard an173:
167 Crawford, EJIL 1994, 65 (66); Franck, AJIL 2008, 715 (716); Klein, in: Fied ler/Klein/Schnyder, Gegenmaßnahmen, S. 62. Zu den verschiedenen Erscheinungs formen des Verhältnismäßigkeitsstandards im Völkerrecht s. Higgins, Problems and process, S. 228 ff. 168 Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and France, 09.12.1978, 18 R.I.A. A. 416, 443. 169 So auch O’Keefe, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1166. 170 Responsibility of Germany for Damage Caused in the Portuguese Colonies in the South of Africa (Portugal v. Germany) [Naulilaa Case], 31.07.1928, 2 R.I.A.A. 1011, 1028. 171 Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and France, 09.12.1978, 18 R.I.A. A. 416, 444. 172 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 296, para 5; O’Keefe, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1166. 173 O’Keefe, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1166.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme283 „In the view of the Court, an important consideration is that the effects of a countermeasure must be commensurate with the injury suffered, taking account of the rights in question.“174
Näher geht der Gerichtshof nicht auf die Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme ein. Insbesondere stellt er keine spezifischen Kriterien auf, die dem Konzept der Verhältnismäßigkeit eine genauere Kontur verleihen würden. Der Internationale Gerichtshof verpasst hier die Möglichkeit, das Konzept der Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme mit konkretem Inhalt zu füllen.175 Den vom Internationalen Gerichtshof formulierten Verhältnismäßigkeitsstandard adaptiert schließlich die International Law Commission in ihrer finalen Fassung der Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts. So statuiert Art. 51 ASR unter der Überschrift Proportionality: „Countermeasures must be commensurate with the injury suffered, taking into account the gravity of the act and the rights in question.“
Nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs, die in Art. 51 ASR Eingang gefunden hat, muss die Gegenmaßnahme im Verhältnis zu der erlittenen Völkerrechtsverletzung des verletzten Staates stehen. Dabei sind die Schwere des völkerrechtswidrigen Aktes sowie die betroffenen Rechte zu berücksichtigen. Die „betroffenen Rechte“ beziehen sich sowohl auf die Rechte des die Gegenmaßnahme vornehmenden Staates, in denen er durch den vorangegangenen völkerrechtswidrigen Akt verletzt wird, sowie auf die Rechte des verantwortlichen Staates, in denen dieser durch die Gegenmaßnahme berührt wird.176 Aber auch Rechte anderer Staaten, die möglicherweise betroffen sind,177 sowie die betroffenen Rechte von Individuen178 können in diesem Rahmen berücksichtigt werden. Die Frage der Verhältnismäßigkeit soll dabei nicht ausschließlich eine quantitative Bewertung erfahren.179 Ausschlag gebend alleine ist also nicht etwa eine Gegenüberstellung des wirtschaftlichen Schadens, den der die Gegenmaßnahme vornehmende Staat erlitten hat sowie
174 IGH, 25.09.1997, Gabćikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 85. 175 Franck, AJIL 2008, 715 (739). 176 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 296, para 6. 177 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 296, para 6. 178 So O’Keefe, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1165; Moser, Goettingen J. Int’l L. 2012, 809 (842). 179 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 295, para 4.
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
des durch die Gegenmaßnahme verursachten Schadens.180 Vielmehr ist auch die Bedeutung der in Rede stehenden Rechte als „qualitativer Faktor“ im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme zu berücksichtigen.181 Bereits das Schiedsgericht im Fall Air Service Agreement betont die Einbeziehung der Bedeutung von Grundsatzfragen: „In the Tribunal’s view, it is essential, in a dispute between States, to take into account not only the injuries suffered by the companies concerned but also the importance of the questions of principle arising from the alleged breach.“
Auch der Internationale Gerichtshof bezieht die grundsätzliche Bedeutung der in Rede stehenden Rechte im Fall Gabćikovo-Nagymaros Project ein.182 Über die soeben genannten Parameter hinaus ist das Konzept der Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme bis heute jedoch vage.183 So statuiert auch die Kommentierung des Art. 51 ASR: „[W]hat is proportionate is not a matter which can be determined precisley.“184
Angesichts der Vielschichtigkeit der Bewertung der Verhältnismäßigkeit ist die Durchbrechung der Staatenimmunität als verhältnismäßige Gegenmaßnahme einer abstrakten Bestimmung nicht zugänglich. Die Verhältnismäßigkeit einer Gegenmaßnahme stellt eine Frage des konkreten Einzelfalls unter Einbeziehung aller relevanten Umstände dar. Erst im konkreten Einzelfall entscheidet sich daher, ob die Durchbrechung der Staatenimmunität auch eine verhältnismäßige Gegenmaßnahme darstellt. Auf dieser abstrakten Ebene lässt sich lediglich festhalten, dass im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der einen Seite zweifellos der fundamentale Stellenwert, der dem Grundsatz der Staatenimmunität als Ausfluss der souveränen Gleichheit der Staaten, als Eckpfeiler der Völkerrechtsordnung sowie als Garant für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden beizumessen ist,185 zu berücksichtigen 180 So das Schiedsgericht in Case concerning the Air Service Agreement of 27 March 1946 between the United States of America and France, 09.12.1978, 18 R.I.A.A. 416, 443: „The Tribunal thinks that it will not suffice, in the present case, to compare the losses suffered by Pan Am on account of the suspension of the projected services with the losses which the French companies would have suffered as a result of the counter-measures.“ 181 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 296, para 6. S. hierzu auch Dörr, in: Ipsen, Völkerrecht, § 30, Rn. 63; O’Keefe, in: Crawford/Pellet/Olleson/Parlett, The law of international responsibility, S. 1160 ff.; Klein, in: Fiedler/Klein/Schnyder, Gegenmaßnahmen, S. 62. 182 IGH, 25.09.1997, Gabćikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J. Rep. 1997, 7, para 85, 87; s. hierzu Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 295, para 4. 183 Klein, in: Fiedler/Klein/Schnyder, Gegenmaßnahmen, S. 62. 184 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 296, para 5. 185 S. oben 2. Kapitel: E.I., F.
10. Kap.: Voraussetzungen der völkerrechtmäßigen Gegenmaßnahme285
sein wird. Dies bedeutet hingegen nicht, dass der Grundsatz der Staaten immunität nicht einer Abwägung mit anderen zentralen, völkerrechtlich geschützten Interessen zugänglich ist.186 Dem Grundsatz der Staatenimmunität steht die Förderung des Terrorismus durch den fremden Staat gegenüber, die sich in einer Vielzahl verschiedener Akte gliedert, sowie die hierdurch bedingten Verletzungen von Leib und Leben von Individuen. Im Fall Flatow v. Iran nimmt das Gericht in Ansätzen eine Abwägung zwischen der Ausübung der Gerichtsbarkeit über den fremden Staat und der Staatenimmunität vor, die bezeichnend ist: „As terrorism has achieved the status of almost universal condemnation, as have slavery, genocide, and piracy, and the terrorist is the modern era’s hosti humani generis – an enemy of all mankind, this Court concludes that fair play and substantial justice is well served by the exercise of jurisdiction over foreign state sponsors of terrorism which cause personal injury to or the death of United States nationals.“187
Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme sollte schließlich bedacht werden, dass zu hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahme zu einer Privilegierung des den Terrorismus fördernden Staates führen kann. Zudem ist bei der Verhältnismäßigkeit der Gegenmaßnahme zu berücksichtigen, dass die Gegenmaßnahme typischerweise ein Mittel des Beugezwangs darstellt, um den verantwortlichen Staat zur Einhaltung seiner völkerrecht lichen Verpflichtungen zu bewegen. Eine Maßnahme des verletzten Staates bedarf also eines gewissen Druckpotentials, um den Verletzerstaat zur Einhaltung der Völkerrechtsordnung zu bewegen.
F. Fazit: Die Durchbrechung der Staatenimmunität als zulässige Gegenmaßnahme Im dritten Teil dieser Arbeit wurde dargelegt, dass die Durchbrechung der Staatenimmunität grundsätzlich eine zulässige Gegenmaßnahme als Reaktion auf einen völkerrechtswidrigen Akt eines fremden Staates darstellen kann. Dem Recht der Gegenmaßnahmen lassen sich keine systemimmanenten Faktoren entnehmen, die die Anwendbarkeit des Rechts der Gegenmaßnahme auf den Grundsatz der Staatenimmunität ausschließen würden. Unter der Bedingung, dass im Einzelfall die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Gegenmaßnahme vorliegen, kann somit die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus als Gegenmaßnahme ge186 Franchini, 187 District
23.
SSRN Electronic Journal 2017, 1 (60). Court, 11.03.1998, Flatow v. Islamic Republic of Iran, 999 F.Supp. 1,
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3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
rechtfertigt werden. Dies eröffnet den Staaten im Kampf gegen die staatliche Förderung des Terrorismus eine weitere, friedliche Handlungsoption zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Entschädigung der Opfer. Dass die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus nicht generell zulässig ist, sondern nur unter den engen Voraussetzungen des Regimes der Gegenmaßnahmen, bildet eine Schranke gegen den Missbrauch der Durchbrechung der Staatenimmunität sowie der Aushöhlung des Grundsatzes der Staatenimmunität. 11. Kapitel
Schlussbetrachtung Der Grundsatz der Staatenimmunität ist ein politisch sensibles und rechtlich komplexes Thema im Völkerrecht. Befeuert werden das Ringen um den Gehalt und die Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität zuletzt durch die USA und Kanada, die mit der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus einen völlig neuen Weg beschreiten. Wenngleich die Terrorismusausnahme in einem engen thematischen Verhältnis zur Deliktsausnahme und zu Bestrebungen, die Staaten immunität im Falle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen zu beschränken, steht, so stellt die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität in ihrer konkreten Ausgestaltung und den besonderen Voraussetzungen eine sich bis dato in der Praxis keines anderen Staates widerspiegelnde Immunitätsausnahme dar.188 Zentral für die Bewertung der Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität ist die Unterscheidung zwischen den zwei Modellen der Terrorismusausnahme, die der US-amerikanische Gesetzgeber ins Leben rief. Konkret ist zwischen der 1996 erstmals erlassenen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A,189 dessen Modell der kanadische Gesetzgeber durch Sec. 6.1 SIA im Jahre 2012 folgte,190 und der im Jahr 2016 erlassenen Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605B,191 deren Beispiel bisher kein Staat folgte, zu differenzieren. Beide Modelle unterscheiden sich grundlegend hinsichtlich ihres Regelungsgegenstandes sowie den Auswirkungen in der Praxis. Wie ausführlich dargelegt wurde, ist die Durchbrechung der Staatenimmunität auf Grundlage der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A und des Sec. 6.1. SIA an ein äußerst detailliertes Regelungsregime geknüpft. 188 3. Kapitel;
4. Kapitel. A.II.2. 190 6. Kapitel: B.II.2. 191 6. Kapitel: A.II.3. 189 6. Kapitel:
11. Kap.: Schlussbetrachtung287
Besonders sticht dabei die Designation eines fremden Staates als „state sponsor of terrorism“ durch den Außenminister als Grundlage zur Immunitätsbeschränkung hervor.192 Hier lebt der Einfluss der Exekutive auf die Immunität fremder Staaten wieder auf, dem der US-amerikanische Gesetzgeber ursprünglich mit Erlass des Foreign Sovereign Immunities Act im Jahre 1976 Einhalt zu gebieten suchte. Von besonderer Bedeutung im Rahmen des Modells der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A ist zudem, dass eine Beschränkung der Staatenimmunität nicht pauschal für den „Terrorismus“ als solchen, sondern ausschließlich in konkreten, gesetzlich normierten Fällen vorgesehen ist, die unter Bezugnahme auf bewährte völkerrechtliche Normen bestimmt werden.193 Die Terrorismusausnahme nach dem Modell des 28 U.S.C. § 1605A ist somit kein Einfallstor für Missbrauch des bisher im Völkerrecht nicht einheitlich definierten Begriffs des Terrorismus. Der berühmte Satz, nachdem „des einen Terrorist des anderen Freiheitskämpfer“ sei, erlangt hier keine Bedeutung. Durch die Bezugnahme der Terrorismusausnahme zur Staaten immunität auf das Völkerrecht verleihen nationale Gerichte im Rahmen der Anwendung der Terrorismusausnahme letztlich dem Völkerrecht Geltung. Dies ist ein bemerkenswertes Charakteristikum der Terrorismusausnahme, das bei näherer Auseinandersetzung mit dem Gesetz deutlich wird. In deutlichen Unterschied zur Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A tritt die jüngst in den USA erlassene Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605B.194 Der Gesetzgeber sucht durch den Erlass des 28 U.S.C. § 1605B eine Lücke im amerikanischen Immunitätsrecht zu schließen und sieht die Durchbrechung der Staatenimmunität in Fällen des staatlich geförderten Terrorismus unabhängig von einer Designation des fremden Staates durch die Exekutive, unabhängig von dem Ort der deliktischen Handlung des fremden Staates selbst oder der Qualifizierung des staatlichen Handelns als genuin hoheitlich, vor. Anders als im Falle des 28 U.S.C. § 1605A definiert der Gesetzgeber hingegen nicht, was unter ein Delikt und einen Akt des internationalen Terrorismus fällt.195 Bezug genommen wird hier lediglich auf eine abstrakte, im nationalen Recht statuierte, Terrorismusdefinition. Der Bezug zum Völkerrecht tritt hier in den Hintergrund. Dies eröffnet die Gefahr des Missbrauchs der Terrorismusausnahme. Eine zentrale Einschränkung erfährt diese im Rahmen des 28 U.S.C. § 1605B hingegen dadurch, dass sich der Akt des internationalen Terrorismus innerhalb des US-amerikanischen 192 6. Kapitel:
A.II.2.b)aa)(1); 6. Kapitel: B.II.2.b)aa)(1). A.II.2.b)bb); 6. Kapitel: B.II.2.b)bb), cc). 194 6. Kapitel: A.II.3. 195 6. Kapitel: A.II.3.b)cc), dd). 193 6. Kapitel:
288
3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
Staatsgebietes zu vollziehen hat.196 Hier tritt der Anspruch des Vorrangs der territorialen Souveränität des Gerichtsstaates klar in den Vordergrund. Die Auswirkungen des 28 U.S.C. § 1605B auf die Praxis sind entgegen der Befürchtungen, die sowohl innerstaatlich als auch aus einer Vielzahl von Staaten geäußert wurden,197 bisher gering, was mitunter auf die territoriale Beschränkung des 28 U.S.C. § 1605B zurückzuführen ist. Das Gesetz wurde vor dem Hintergrund erlassen, Klagen gegen Saudi-Arabien wegen der Terroranschläge des 11. September 2001 zu ermöglichen.198 Bis dato ist über die Zulässigkeit einer Klage gegen Saudi-Arabien und dessen Staatenimmunität noch nicht abschließend entschieden worden.199 Es ist offen, wie sich das gerichtliche Verfahren gegen Saudi-Arabien entwickeln wird. Darüber hinaus hat 28 U.S.C. § 1605B bisher keine Relevanz in der Praxis erlangt.200 Eine befürchtete Klagewelle gegen weitere Staaten ist ausgeblieben. Auch die Ankündigung Saudi-Arabiens, innerhalb der USA belegene Vermögenswerte sowie Staatsanleihen in Höhe von 750 Milliarden USD zu veräußern, wurde nach dem Kenntnisstand der Verfasserin nicht realisiert. Hinzu tritt, dass der US-amerikanische Gesetzgeber bisher die Vollstreckung von Urteilen, die auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B ergangen sind, nicht vorsieht.201 28 U.S.C. § 1605B wird daher nicht denselben Stellenwert einnehmen wie 28 U.S.C. § 1605A, wenngleich auch im Falle eines Urteils auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605B die grundsätzliche Bedeutung eines Urteils gegen einen den Terrorismus fördernden Staat jenseits vollstreckungsrechtlicher Erfolge zu betonen ist.202 Das Aufsehen, welches der Erlass des 28 U.S.C. § 1605B innerstaatlich aber auch in der Staatenwelt auslöste, scheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. Die Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A hingegen hat seit ihrem Erlass im Jahre 1996 zunehmend an Bedeutung in der Rechtsprechungspraxis der USA gewonnen und hat mittlerweile sogar nationale Gerichte euro päischer Staaten sowie Unternehmen und Banken innerhalb Europas auf Kläger- und Beklagtenseite beschäftigt.203 Es sind bereits eine Vielzahl von Urteilen gegen fremde Staaten wegen der Terrorismusförderung ergangen. Dabei gelang es Klägern mit zunehmender Erweiterung der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften für Urteile auf Grundlage des 28 U.S.C. § 1605A in 196 6. Kapitel:
A.II.3.b)bb). A. 198 6. Kapitel: A.II.3.a). 199 6. Kapitel: A.II.3.d). 200 6. Kapitel: A.II.3.d). 201 7. Kapitel: B.I.7. 202 7. Kapitel: C.I. 203 7. Kapitel: C.III. 197 1. Kapitel:
11. Kap.: Schlussbetrachtung289
den USA Schadensersatzforderungen von rund 4,9 Milliarden USD zu befriedigen.204 Von dieser Summe geht eine deutliche Botschaft im Kampf gegen den staatlich geförderten Terrorismus aus, sowohl für die Staaten als auch für Opfer und Hinterbliebene. Hinzu tritt die besondere Rolle, die ein Zivilprozess im Kampf gegen den staatlich geförderten Terrorismus einnimmt.205 Im Rahmen eines Zivilprozesses kann das Geschehene aufgearbeitet und die Verantwortlichkeit eines Staates öffentlich festgestellt werden. Dies trägt zur Rehabilitierung der Opfer und zur Verarbeitung des Geschehenen bei und kann einen Beitrag dazu leisten, das Verlangen nach Gerechtigkeit seitens der Opfer und Hinterbliebenen zu stillen.206 Zudem trägt die öffentliche Konstatierung der Wahrheit, wie im Falle eines Gerichtsurteils, zur Bewahrung der Erinnerungen an das Geschehene im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft bei. Auf diese Weise kann ein Gerichtsurteil einen Beitrag dazu leisten, dass sich das Geschehene nicht wiederholt.207 Ferner geht von einem Gerichtsurteil gegen einen fremden Staat im Falle der Terrorismusförderung eine Prangerwirkung aus und es trägt zur Stärkung des Terrorismusverbots als solchem bei.208 Schließlich kann ein Gerichtsurteil gegen einen fremden Staat, das erhebliche Schadenersatzforderungen vorsieht, im Rahmen zwischenstaatlicher Verhandlungen als beträchtliches Druckmittel mit Blick auf die Wiederaufnahme oder Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen fungieren.209 Dies zeigt sich etwa an dem Beispiel Libyens, mit dem die USA ein Claims Settlement Agreement verhandelten, in dessen Rahmen sich Libyen im Zuge der Normalisierung der Beziehungen mit den USA zur Zahlung von 1,5 Milliarden USD an Urteilsgläubiger von auf Grundlage der Terrorismusausnahme des 28 U.S.C. § 1605A erwirkten Urteilen verpflichtete.210 Hier zeigt sich, dass die Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität nach dem Modell des 28 U.S.C. § 1605A ein Instrument im Kampf gegen den staatlich geförderten Terrorismus darstellen und als Modell für eine Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität dienen kann. Auf Grundlage der kanadischen Terrorismusausnahme des Sec. 6.1 SIA, die sich an dem Modell des 28 U.S.C. § 1605A orientiert, sind bisher keine Urteile gegen einen fremden Staat im Erkenntnisverfahren ergangen. Dies mag mitunter an der Tatsache liegen, dass die kanadische Terrorismusausnahme im wesentlichen Unterschied zur US-amerikanischen keine Beschrän204 1. Kapitel:
A.; 7. Kapitel: B.I., C.II. C.I. 206 7. Kapitel: C.I.1. 207 7. Kapitel: C.I.1. 208 7. Kapitel: C.I.2. 209 7. Kapitel: C.I.3. 210 7. Kapitel: C.I.3. 205 7. Kapitel:
290
3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
kung der Staatenimmunität in Fällen der Folter vorsieht.211 Opfer von Folter, wie im prominenten Fall Kazemi Estate v. Islamic Republic of Iran, können daher weiterhin nicht gegen den fremden Staat klagen, sofern sich die Folterhandlung außerhalb Kanadas zugetragen hat. Das kanadische Recht sieht hingegen weitreichende Beschränkungen der Vollstreckungsimmunität fremder Staaten wegen der Terrorismusförderung vor.212 Hervorzuheben ist hier insbesondere Sec. 4(5) des Justice for Victims of Terrorism Act.213 Diese Norm statuiert die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus Drittstaaten, die gegen einen fremden Staat wegen der Terrorismusförderung ergangen sind, wenn der fremde Staat in Kanada als „state sponsor of terror ism“ designiert ist. Auf Grundlage des Sec. 4(5) JVTA erklärte der Ontario Superior Court of Justice im Jahr 2016, bestätigt durch den Ontario Court of Appeal im Jahr 2017, in der ersten gerichtlichen Entscheidung kanadischer Gerichte zur staatlichen Förderung des Terrorismus nach Einführung der Immunitätsvorschriften im Jahre 2012, die Zulässigkeit der Vollstreckung von US-amerikanischen Urteilen in innerhalb Kanadas belegene Vermögenswerte des Iran.214 Die vollstreckungsrechtliche Vorschrift Kanadas ist bemerkenswert und kann eine erhebliche Effektivitätssteigerung der Terrorismus ausnahme als solcher bedeuten, wenn dem Beispiel Kanadas in Zukunft mehr Staaten folgen sollten. Die Untersuchung der Terrorismusausnahmen zur Staatenimmunität zeigt die beachtliche Bedeutung, die diese mittlerweile im Recht der Staatenimmunität aber auch in der Praxis einnehmen. Das Modell einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität stellt jedoch zum derzeitigen Zeitpunkt einen Verstoß gegen geltendes Völkergewohnheitsrecht dar.215 Dabei ist die Annahme nicht haltlos, dass sich der Grundsatz der Staatenimmunität, angesichts der umfassenden Praxis in den USA und Kanada, ähnlich wie bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als belgische und italienische Gerichte erstmals die Staatenimmunität für acta iure gestionis einschränkten, erneut an einem Wendepunkt befindet.216 Möglicherweise stellt die Praxis der USA und Kanada einen ähnlichen Wendepunkt dar. Der Blick auf die historische Entwicklung des Grundsatzes der Staatenimmunität im Rahmen dieser Arbeit hat gezeigt, dass sich das Recht der Staatenimmunität nur langsam und über Jahrzehnte entwickelt hat.217 Es bleibt daher abzuwarten, ob sich in den 211 6. Kapitel:
212 7. Kapitel: 213 7. Kapitel: 214 7. Kapitel: 215 2. Kapitel: 216 2. Kapitel: 217 2. Kapitel:
B.II.2.c). B.II. B.II.2. C.IV. G.III.3. G.III.4. G.I., II.
11. Kap.: Schlussbetrachtung291
nächsten Jahrzehnten weitere Staaten dem Beispiel der USA und Kanadas anschließen werden. Dabei ist auch entscheidend, inwieweit Staaten und deren Staatsbürger künftig Opfer staatlich geförderten Terrorismus werden. Es braucht für die Entwicklung einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität konkrete Anlässe, anderenfalls mag es an dem Handlungsbedarf der Staaten fehlen. Hinzu tritt, dass die Adaption einer Terrorismusausnahme zur Staatenimmunität, insbesondere nach dem Modell des 28 U.S.C. § 1605A, welches durch eine Vielzahl detaillierter Regelungen gekennzeichnet ist, insbesondere in jenen Staaten nicht ohne weiteres möglich sein wird, in denen die Staatenimmunität, wie in Kontinentaleuropa, nicht durch ein spezifisches Immunitätsgesetz geregelt ist. Zudem sind weitere Entwicklungen der Beschränkung der Staatenimmunität eng mit der Bereitschaft der Staaten verwoben, von einem tradierten Souveränitätsverständnis abzurücken und Beschränkungen der Staatenimmunität zu befördern.218 Ausschlaggebend ist letztlich das Interesse eines jeden Staates an einer derartigen Entwicklung.219 Wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit gezeigt wurde, kann die Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus jedoch als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein, so dass die USA und Kanada im Ergebnis den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität nicht verletzen.220 Es wurde gezeigt, dass der Grundsatz der Staatenimmunität offen für die Anwendung des Rechts der Gegenmaßnahme ist221 und dass auch die besonderen Voraussetzungen, die eine zulässige Gegenmaßnahme fordert, durch die konkrete Ausgestaltung der Terrorismusausnahmen in den USA und Kanada erfüllt werden222. Dass die Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus im Wege der Gegenmaßnahme durchbrochen werden kann, eröffnet den Staaten eine weitere, nicht-militärische Handlungsoption im Kampf gegen den Terrorismus. Die Durchbrechung der Staatenimmunität für Fälle des staatlich geförderten Terrorismus kann gezielt von den Staaten eingesetzt werden. Dabei zeichnet sich eine Gegenmaßnahme in Form der Durchbrechung der Staatenimmunität insbesondere dadurch aus, dass sie von unabhängigen Gerichten vorgenommen wird. Die Durchbrechung der Staatenimmunität erfolgt ausschließlich dann, wenn die Terrorismusförderung des fremden Staates durch ein Gericht offiziell festgestellt wurde. Anders als im Falle der Vornahme einer Gegenmaßnahme durch die Exekutive, bei der ein Blick ins „Innere“ des Regierungshandelns im Falle der Gegenmaßnahme häufig auch unter Bezugnahme auf die Vertrau218 2. Kapitel:
E.II. E.II. 220 9. Kapitel; 10. Kapitel. 221 9. Kapitel. 222 10. Kapitel. 219 2. Kapitel:
292
3. Teil: Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme
lichkeit von Informationen regelmäßig nicht gewährleistet ist und die Vornahme der Gegenmaßnahme dem politischen Willen der Exekutive unterworfen ist, was zur Eskalation eines Konfliktes aber auch zur gänzlichen Abwesenheit einer Reaktion führen kann, basiert die Vornahme einer Gegenmaßnahme durch die Gerichte auf einer Entscheidung, die frei von politischen Erwägungen und unabhängig von der Willkür der amtierenden Regierung vorgenommen wird.223 Die Entscheidung des Gerichts orientiert sich an klaren gesetzlichen Vorgaben und ist transparent. Die durch die Gerichte vorgenommene Gegenmaßnahme in Form der Durchbrechung der Staatenimmunität ist daher in besonderem Maße frei von rein politischen Erwägungen, wirtschaftlichen Interessen und der potentiellen Willkür der amtierenden Regierung.224 Dies kann beträchtlich zur Akzeptanz der Gegenmaßnahme in der Staatenwelt beitragen.225 Die besonderen Voraussetzungen, an deren Vorliegen eine rechtmäßige Gegenmaßnahme geknüpft ist, tragen dabei zur Vorbeugung der Aushöhlung des Grundsatzes der Staatenimmunität bei. Die Durchbrechung der Staatenimmunität in Fällen des staatlich geförderten Terrorismus ist ein vielschichtiges und komplexes Themenfeld. Der Grundsatz der Staatenimmunität stellt einen Eckpfeiler der Völkerrechtsordnung dar.226 Er ist Ausfluss der souveränen Gleichheit der Staaten227 und fungiert als Konstante in den zwischenstaatlichen Beziehungen228. Der Grundsatz der Staatenimmunität ist hingegen nicht unantastbar,229 wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit gezeigt wurde. Die Durchbrechung der Staatenimmunität kann als Gegenmaßnahme gerechtfertigt sein und damit unabhängig von einer allgemeinen Entwicklung im Völkerrecht in Einzelfällen durchbrochen werden. Es wird von großem Interesse bleiben, ob Staaten sich in Zukunft auf die Durchbrechung der Staatenimmunität als Gegenmaßnahme berufen und dem Beispiel der USA und Kanadas folgen. Die vorliegende Arbeit soll zu guter Letzt einen Impuls geben, dem Themenfeld der Durchbrechung der Staatenimmunität im Falle des staatlich geförderten Terrorismus in Deutschland sowie Europa künftig mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Denn es bleibt mit Spannung zu erwarten, wie sich dieser Themenkomplex in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird.
223 7. Kapitel: 224 7. Kapitel: 225 9. Kapitel: 226 2. Kapitel: 227 2. Kapitel: 228 2. Kapitel: 229 9. Kapitel;
C.I.1. C.V. D. F.I. E.I. F.I., III. 10. Kapitel: E.
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Case of the „Street Children“ (Villagrán Morales y otros) v. Guatemala 226 Cicippio-Puleo v. Islamic Republic of Iran 138, 203 commercial activity 129, 158 Daliberti v. Iraq 230, 264, 267 Deliktsausnahme 84 ff. 132 ff., 178 ff. Diplomatischer Schutz 269 ff. Draft Articles on Diplomatic Protection with Commentaries [ADP] 269 ff. Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ASR) 250 ff. Druckmittel 172, 209, 242 f. entire tort rule 159 ff. 169 Estate of Doe v. Islamic Republic of Iran 146 Erfolgsort 99, 109, 134, 188 erga omnes 273 ff.
Haftungsdurchgriff 213, 221 Handlungsort 88 ff., 188 f. In re Terrorist Attacks on September 11, 2001 –– 98 F.Supp.3d 631 124 –– 134 F.Supp.3d 774 160 –– 298 F.Supp.3d 631 124 –– 538 F.3d7 123, 157 –– 714 F.3d 109 123, 160 Iran Threat Reduction and Syrian Human Rights Act 218, 240 Iran-United States Claims Tribunal 208 ius cogens 77 ff., 247 Jones v. Saudi Arabia 223 f. Jurisdictional Immunities 47, 53 f., 59, 75 ff., 105, 116, 120 f., 251 Jurisdiktion 94 ff. Justice Against State Sponsors of Terrorism Act (JASTA) 21 ff., 123, 155 ff., 278
330 Stichwortverzeichnis Justice for Victims of Terrorism Act (JVTA) 180 ff., 206, 220, 241 f. Kazemi v. Iran 59, 91, 176 ff. Kilburn v. Islamic Republic of Iran 150 f. Kirschenbaum v. 650 Fifth Avenue 210 f., 234 f. Letelier v. Republic of Chile 90, 133 f., 161 Liu v. Republic of China 90, 134, 161 local remedies rule 142, 270 ff. Lotus-Fall 98 f. Menschenrechtsverletzungen 70, 75 ff., 179 f. Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America) 249, 265 Mohammadi v. Islamic Republic of Iran 145 National Defense and Authorization Act 138 f., 240 Naulilaa Case 259, 282 noncommercial tort exception 133 ff. Nottebohm 98 Owens v. Republic of Sudan 145 f. Permanent Mission 129 Persinger v. Islamic Republic of Iran 134 Personalitätsprinzip –– aktives 99 f. –– passives 100 Peterson v. Islamic Republic of Iran 26, 211 f., 223, 228, 232 f. Prangerwirkung 227 Price v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya 144 Prosecutor v. Tadić 266 proximate causation standard 152 f.
Rainbow Warrier 260 ratione –– materiae 41 ff., 130 –– personae 41 ff., 130 Rehabilitierung 223 ff. Repressalie 248 f. Republic of Argentina v. NML Capital 239 Republic of Argentina v. Weltover 158 Retorsion 249 f. Robinson v. Government of Malaysia 124 Roeder v. Islamic Republic of Iran 138 Royaume de Grèce v. Banque Julius Bär & Cie 196 Rubin v. Islamic Republic of Iran 206, 214, 218 Safe Streets and Communities Act 175, 180 Samantar v. Yousuf 49, 131 f. Sapin II 198 f. Saudi Arabia v. Nelson 105, 158 Schutzprinzip 100 Smith v. Socialist People’s Libyan Arab Jamahiriya 81 f., 134 Società Condor e Filvem c. Il Ministero di Grazia e Giustizia 200 Stansell v. Republic of Cuba 147 State Immunity Act –– Großbritannien 86, 88, 105, 197 –– Kanada 86, 88, 105, 176 ff., 219 ff. –– Singapur 86, 88, 105 state sponsor of terrorism 140 ff., 157, 182 f., 220, 277 f. Tate Letter 67, 128 Territorialitätsprinzip 99 f. Terrorism Risk Insurance Act (TRIA) 209 ff. Tracy v. Iran 176, 181, 219, 241 Trendtex 68, 74, 108
Stichwortverzeichnis331 United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (United States of America v. Iran) 249, 254, 261 f. Universalitätsprinzip 100 Venezuela v. Helmerich 122 Verletzung –– direkte 268 f. –– indirekte 269 f. Victims of Trafficking and Violence Protection Act 207 ff., 211
waiver 71, 129 Warmbier v. Democratic People’s Republic of Korea 141 Weinstein v. Islamic Republic of Iran 134, 211 Weltrechtsprinzip 100 Wirkungsprinzip 99 Yukos-Schiedsverfahren 198 Zuständigkeit, internationale 102, 112 ff.